VVG: Band 1 Einführung; §§ 1-18 VVG [10th, completely revised edition] 9783110522600, 9783110520354

Volume 1 of the Bruck/Möller commentary covers the general introduction (including explanations of InsurTech) along with

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VVG: Band 1 Einführung; §§ 1-18 VVG [10th, completely revised edition]
 9783110522600, 9783110520354

Table of contents :
Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur
Einführung
A. Einleitung
B. Europäisches Versicherungsrecht
C. Allgemeine Versicherungsbedingungen
D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen
E. Reform
F. InsurTech
Versicherungsvertragsgesetz
Teil 1 Allgemeiner Teil
Kapitel 1 Vorschriften für alle Versicherungszweige
Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften
§ 1 Vertragstypische Pflichten
§ 1a Vertriebstätigkeit des Versicherers
§ 2 Rückwärtsversicherung
§ 3 Versicherungsschein
§ 4 Versicherungsschein auf den Inhaber
§ 5 Abweichender Versicherungsschein
§ 6 Beratung des Versicherungsnehmers
§ 6a Einzelheiten der Auskunftserteilung
§ 7 Information des Versicherungsnehmers
Anhang § 7 VVG-InfoV
§ 7a Querverkäufe
§ 7b Information bei Versicherungsanlageprodukten
§ 7c Beurteilung von Versicherungsanlageprodukten; Berichtspflicht
§ 7d Beratung, Information und Widerruf bei bestimmten Gruppenversicherungen
§ 8 Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers
§ 9 Rechtsfolgen des Widerrufs
§ 10 Beginn und Ende der Versicherung
§ 11 Verlängerung, Kündigung
§ 12 Versicherungsperiode
§ 13 Änderung von Anschrift und Name
§ 14 Fälligkeit der Geldleistung
§ 15 Hemmung der Verjährung
§ 16 Insolvenz des Versicherers
Anhang: Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers
§ 17 Abtretungsverbot bei unpfändbaren Sachen
§ 18 Abweichende Vereinbarungen
Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-Informationspflichtenverordnung – VVG-InfoV)
Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung (Versicherungsvermittlungsverordnung – VersVermV)
Sachregister

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Großkommentare der Praxis

BRUCK/MÖLLER

Versicherungsvertragsgesetz

Großkommentar 10., völlig neu bearbeitete Auflage geschäftsführend herausgegeben von Roland Michael Beckmann, Robert Koch Weitere Herausgeber: Horst Baumann, Katharina Johannsen Erster Band Einführung; §§ 1–18 Bearbeiter: Einführung A, C: Roland Michael Beckmann Einführung B: Harald Herrmann Einführung D: Jens Gal Einführung E: Ernst Niederleithinger/Robert Koch Einführung F: Anne Fischer § 1: Horst Baumann/Robert Koch §§ 1a, 3–5, 7a–7d, 8–9: Kai-Oliver Knops § 2: Ralf Johannsen/Robert Koch §§ 10–18: Katharina Johannsen/Robert Koch §§ 6, 6a: Hans-Peter Schwintowski § 7: Harald Herrmann VVG-InfoV: Harald Herrmann Sachregister: Christian Klie

Stand der Bearbeitung: August 2020 Zitiervorschlag: Bruck/Möller/Knops § 4 VVG Rn. 6

ISBN 978-3-11-052035-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-052260-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-052084-2 Library of Congress Control Number: 2020940733 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz/Datenkonvertierung: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage Dr. Christian Armbrüster, Professor an der Freien Universität Berlin Dr. Frank Baumann, LL.M., Rechtanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamm Dr. Horst Baumann, emeritierter Professor an der Technischen Universität Berlin Dr. Roland Michael Beckmann, Professor an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Oliver Brand, LL.M. (Cambridge), Professor an der Universität Mannheim Dr. Alexander Bruns, LL.M. (Duke Univ.), Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Dr. Christoph Brömmelmeyer, Professor an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Dr. Jan Dreyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamburg Charlotte Echarti, Bereichsleiterin Run Off Solutions, E+S Rückversicherung AG, Hannover Christiane Eifler, LL.M., Rechtsanwältin in Nürnberg Anne Fischer, LL.M., Rechtsanwältin in Düsseldorf Dr. Thomas Gädtke, Rechtsanwalt in München und Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians Universität München Dr. Jens Gal, Maître en droit (Lyon 2), Privatdozent und Lehrstuhlvertreter an der Universität Trier Dr. Maximilian Guth, LL.M. (Southampton), Rechtsanwalt in Hamburg, Solicitor of England & Wales Dr. Olaf Hartenstein, D.E.A. (Sorbonne), LL.M. (Assas), Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Dr. h.c. Helmut Heiss, Professor an der Universität Zürich und Rechtsanwalt in Zürich Dr. Jörg Henzler, Rechtsanwalt in Stuttgart Dr. Harald Herrmann, emeritierter Professor an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg Dr. Detlef A. Huber, Rechtsanwalt in Freiburg i.Br. Jens Jaeger, Rechtsanwalt in Hamburg, Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg Dr. Ralf Johannsen (†), Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Katharina Johannsen, Vorsitzende Richterin am Hanseatischen OLG a. D., Hamburg Dr. Rocco Jula, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Berlin Dr. Kai-Oliver Knops, Professor an der Universität Hamburg Dr. Robert Koch, LL.M. (McGill), Professor an der Universität Hamburg Dr. Hubertus W. Labes, Managing Director Compre Holdings Ltd., Hamburg, Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg Dr. Annemarie Matusche-Beckmann, Professorin an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Ernst Niederleithinger, Ministerialdirektor beim Bundesministerium der Justiz a. D., Honorarprofessor der Ruhr-Universität Bochum Dr. Stefan Perner, Professor und Vorstand am Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien Jürgen Raab, Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Jens-Berghe Riemer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht sowie Transport- und Speditionsrecht in Nürnberg Dr. Claus von Rintelen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamburg Dr. Christian Rolfs, Professor an der Universität zu Köln Dr. Christian Schneider, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Köln Dr. Winfried Schnepp, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Köln Arno Schubach, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Frankfurt am Main Dr. Dieter Schwampe, Honorarprofessor an der Universität Hamburg, Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Hans-Peter Schwintowski, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Torsten Sommer, Richter am Landgericht Hamburg Dr. Ansgar Staudinger, Professor an der Universität Bielefeld V https://doi.org/10.1515/9783110522600-202

Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage

Dr. Wolfgang Voit, Professor an der Philipps-Universität Marburg Dr. Gerrit Winter, emeritierter Professor an der Universität Hamburg

VI

Vorwort Seit der Reform des VVG sind zwölf Jahre vergangen. Die Rechtsentwicklung nach der Reform wird auf der Ebene der Gesetzgebung im Wesentlichen geprägt durch die Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben, die insbesondere für den ersten Abschnitt von Teil 1 Kapitel 1 des VVG bedeutsam sind, dessen Vorschriften (§§ 1–18 VVG) in Band 1 kommentiert werden. Mit der 10. Auflage des Bruck/Möller geht insoweit eine Anpassung der Bandzuschnitte einher, die zum einen sachlichen Gesichtspunkten geschuldet ist und zum anderen dazu dient, den Seitenumfang der einzelnen Bände zu vereinheitlichen. Band 2 behandelt die Abschnitte 2 bis 7 (§§ 19–73 VVG) und Band 3 die Schadensversicherung (§§ 74–99 VVG). In der 10. Auflage sind als Autoren neu hinzugekommen u. a. Stefan Perner, der die von Katharina Johannsen bislang kommentierten gesetzlichen Vorschriften und Bedingungswerke der Sachversicherung übernimmt. Christian Armbrüster wird den von Horst Baumann bearbeiteten Teil der D&O-Versicherung fortführen. Katharina Johannsen und Horst Baumann sind noch als Mitautoren tätig und bleiben dem Werk auch als (nicht geschäftsführende) Mitherausgeber weiterhin verbunden. Die Übersicht zum (europäischen) Aufsichtsrecht hat Jens Gal übernommen und vertieft. Anne Fischer behandelt in einem neuen Kapitel technologiegestützte Innovationen im Versicherungssektor („InsurTech“). Wie bei den Vorauflagen ist unser Anspruch, dass der Bruck/Möller nicht nur die Rechtslage vertiefend darstellt und Streitfragen behandelt, sondern auch zur Rechtsfortbildung beiträgt. Höchste fachliche Kompetenz, unbestechliche Objektivität und größtmögliche Praxisgerechtigkeit sind deshalb auch wieder die Leitmaximen der 10. Auflage. Rechtsprechung und Schrifttum wurden durchgängig bis August 2020 berücksichtigt. Für Kritik und Verbesserungsvorschläge sind Verlag und Herausgeber dankbar. Saarbrücken, Hamburg und Berlin im August 2020 Roland Michael Beckmann

Robert Koch

VII https://doi.org/10.1515/9783110522600-203

Horst Baumann

Katharina Johannsen

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage V VII Vorwort Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur Einführung A. B. C. D. E. F.

1 1 Einleitung 121 Europäisches Versicherungsrecht Allgemeine Versicherungsbedingungen Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen 382 Reform 430 InsurTech

Versicherungsvertragsgesetz Teil 1 Allgemeiner Teil

XI

160 293

477

477

Kapitel 1 Vorschriften für alle Versicherungszweige

477

Abschnitt 1 477 Allgemeine Vorschriften 477 §1 Vertragstypische Pflichten 590 § 1a Vertriebstätigkeit des Versicherers 604 §2 Rückwärtsversicherung 625 §3 Versicherungsschein 635 §4 Versicherungsschein auf den Inhaber 640 §5 Abweichender Versicherungsschein 649 §6 Beratung des Versicherungsnehmers 676 § 6a Einzelheiten der Auskunftserteilung 686 §7 Information des Versicherungsnehmers 731 Anhang § 7 VVG-InfoV 751 § 7a Querverkäufe 760 § 7b Information bei Versicherungsanlageprodukten 772 § 7c Beurteilung von Versicherungsanlageprodukten; Berichtspflicht § 7d Beratung, Information und Widerruf bei bestimmten Gruppenversicherun787 gen 795 §8 Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers 841 §9 Rechtsfolgen des Widerrufs 852 § 10 Beginn und Ende der Versicherung 855 § 11 Verlängerung, Kündigung 876 § 12 Versicherungsperiode 879 § 13 Änderung von Anschrift und Name 887 § 14 Fälligkeit der Geldleistung 910 § 15 Hemmung der Verjährung 924 § 16 Insolvenz des Versicherers 931 Anhang: Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers 942 § 17 Abtretungsverbot bei unpfändbaren Sachen 952 § 18 Abweichende Vereinbarungen

IX

Inhaltsverzeichnis

Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen 957 (VVG-Informationspflichtenverordnung – VVG-InfoV) Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung 963 (Versicherungsvermittlungsverordnung – VersVermV) Sachregister

983

X

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur a. A. a. a. O. ABBV ABE ABG ABGB abgedr. ABGF Abk. abl. ABl. ABMG ABN ABRK ABRV ABS Abs. Abschlussbericht Abschn. ABU ABVerm abw. AcP a. E. AEB ÄndG ÄndVO AERB AEUV AFB a. F. AG AGG AGBG AGlB AHagB AHB AKB AktG ALB allg. allg. M. Alt. AltZertG a. M. AMB AMBUB AMG

anderer Ansicht am angegebenen Ort Allgemeine Bedingungen für die Baubestandsversicherung Allgemeine Bedingungen für die Elektronikversicherung Allgemeine Bedingungen für die Kaskoversicherung von Baugeräten Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) abgedruckt Allgemeine Bedingungen für die dynamische Sachversicherung des Gewerbes und der Freien Berufe Abkommen ablehnend Amtsblatt Allgemeine Bedingungen für die Maschinen- und Kasko-Versicherung von fahrbaren und transportablen Geräten Allgemeine Bedingungen für die Bauleistungsversicherung von Gebäudeneubauten durch Auftraggeber Allgemeine Bedingungen für die Reparaturkosten von Kraftwagen Allgemeine Bedingungen für die Reise-Rücktrittskosten-Versicherung Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung (Österreich) Absatz siehe KomE Abschnitt Allgemeine Bedingungen für die Bauleistungsversicherung von Unternehmerleistungen Allgemeine Bedingungen für die Vermögenshaftpflichtversicherung abweichend Archiv für civilistische Praxis (zit. nach Band, Jahr u. Seite) am Ende Allgemeine Einbruchdiebstahlversicherungsbedingungen Änderungsgesetz Änderungsverordnung Allgemeine Bedingungen für die Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Allgemeine Bedingungen für die Feuerversicherung alte Fassung Amtsgericht; Aktiengesellschaft Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBGesetz) Allgemeine Bedingungen für die Glasversicherung Allgemeine Hagelversicherungs-Bedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung Allgemeine Bedingungen für die Kfz-Versicherung Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien Allgemeine Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung allgemein allgemeine Meinung Alternative Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen anderer Meinung Allgemeine Maschinen-Versicherungsbedingungen; ab 2008: Allgemeine Bedingungen für die Maschinenversicherung von stationären Maschinen Allgemeine Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen Arzneimittelgesetz

XI https://doi.org/10.1515/9783110522600-205

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

AMoB amtl. Begr. Anh. Anl. Anm. AnwBl. AnwKom ao AO ARB Art. Armbrüster AStB AT AtomG AUB Auff. Aufl. AuR ausdrückl. ausführl. AusfVO ausl. AuslG AuslKfzPflVV AuslPflVG AusnVO ausschl. Ausschussbericht AV AVB AVB-AVG AVB BU AVB BUZ AVB MaV AVBR AVBSP AVB Vermögen AVBW AVFE AVFEBU AVFEM AVG AVP AVR

Allgemeine Montageversicherungsbedingungen amtliche Begründung Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt siehe NK-BGB außerordentlich Abgabenordnung Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung Artikel Privatversicherungsrecht, 2. Aufl. (2019) Allgemeine Bedingungen für die Sturmversicherung Allgemeiner Teil Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen Auffassung Auflage Arbeit und Recht ausdrücklich ausführlich Ausführungsverordnung ausländisch Ausländergesetz Verordnung über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ausländischer Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger Gesetz über die Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger Ausnahmeverordnung ausschließlich Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (BTDrucks. 16/5862) Allgemeine Verfügung Allgemeine Versicherungsbedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die VermögensschadenHaftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern Allgemeine Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Versicherung Allgemeine Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Maschinen, maschinellen Einrichtungen und Apparaten Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Reisegepäck Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Juwelen, Schmuck- und Pelzsachen im Privatbesitz Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden Allgemeine Bedingungen für die Kasko-Versicherung von Wassersportfahrzeugen Allgemeine Versicherungsbedingungen für Fernmelde- und sonstige elektronische Anlagen Allgemeine Betriebsunterbrechungs-Bedingungen bei Fernmelde- und sonstigen elektrotechnischen Anlagen Allgemeine Bedingungen für die Mehrkostenversicherung bei Fernmeldeanlagen und sonstigen elektrotechnischen Anlagen Angestelltenversicherungsgesetz Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Pferden und anderen Einhufern Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Rindern

XII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

AVSZ AVTHK AWaB AWB AWG Az. Bach/Moser/Bearbeiter BaFin BAG Bamberger/Roth/Hau/ Poseck/Bearbeiter BAnz. Basedow/Fock Bauer BauGB Baumbach/Hopt/Bearbeiter BAV (BAA) BayGaStellv BayObLG BB BBG BBR BBR ITD Bd. BDSG Bearb. Beckmann/MatuscheBeckmann/Bearbeiter BeckOGK-BGB/Bearbeiter BeckOK-BGB/Bearbeiter BeckOK-GG/Bearbeiter BeckOK-ZPO/Bearbeiter BeckOK-VVG/Bearbeiter BeckRS begl. Begr. Bek. Bekl. Bem. Benkel/Hirschberg ber. Berliner Kommentar/ Bearbeiter Berz/Burmann/Bearbeiter bes. BesBed Priv Beschl. Beschw. Bespr. Best.

XIII

Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Schweinen, Schafen und Ziegen Allgemeine Bedingungen für die Tierkrankenversicherung von Hunden und Katzen Allgemeine Versicherungs-Bedingungen für die Waldbrandversicherung Allgemeine Bedingungen für die Leitungswasserversicherung Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen Private Krankenversicherung, MB/KK- und MB/KT-Kommentar, 5. Aufl. (2015) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 1. Bundesarbeitsgericht 2. Bundesamt für Güterverkehr Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch in fünf Bänden, 4. Aufl. (2019); auch zitiert: BRHP/Bearbeiter Bundesanzeiger Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bd. I–III (2002/03) Die Kraftfahrtversicherung, 6. Aufl. (2010) Baugesetzbuch Handelsgesetzbuch: HGB, 39. Aufl. (2020) Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- (bis 1973) und Bausparwesen (bis 2001) Bayerische Garagen- und Stellplatzverordnung Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Haftpflichtversicherung von IT-Dienstleistern Band Bundesdatenschutzgesetz Bearbeitung Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. (2015) beck-online.GROSSKOMMENTAR zum Zivilrecht, hrsg. von Gsell/Krüger/Lorenz/ Reymann (2015 ff.) Beck’scher Online-Kommentar BGB, hrsg. von Hau/Poseck (Stand: 1.5.2020) Beck’scher Online-Kommentar BGB, hrsg. von Epping/Hillgruber (Stand 15.2.2019) Beck’scher Online-Kommentar ZPO, hrsg. von Vorwerk/Wolf (Stand: 1.9.2019) Beck’scher Online-Kommentar VVG, hrsg. von Marlow/Spuhl (Stand: 15.10.2019) Elektronische Entscheidungsdatenbank in beck-online (zitiert mit Jahrgang und lfd. Nummer) beglaubigt Begründung Bekanntmachung Beklagter Bemerkung Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung, ALB- und BUZ-Kommentar, 2. Aufl. (2011) berichtigt Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz: Kommentar zum deutschen und österreichischen VVG, hrsg. von H. Honsell (2012) Handbuch des Straßenverkehrsrechts, hrsg. von Berz/Burmann, 41. EL Mai 2020 besonders Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Privathaftpflichtversicherung Beschluss Beschwerde Besprechung Bestimmung

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

bestr. betr. BeurkG BFH BGB BGBl. BGH BGHGrS BGHR BGHSt BGHZ BHHJJ/Bearbeiter BMI BMJ Böhme/Biela/Tomson BR BRAK Brand/Baroch Castellvi/ Bearbeiter BRAO BRDrucks. BReg. BRHP/Bearbeiter BRProt. BRRG Bruck Versicherungsvertrag Bruck/Möller/Bearbeiter8

Bruck/Möller/Bearbeiter9

Bruck/Möller/Bearbeiter

BSG BSHG Bsp. BStBl. BT BTDrucks. BU Buchst. BuVAB van Bühren/Bearbeiter Hdb van Bühren van Bühren/Plote/Bearbeiter Buschbell/Hering/Bearbeiter BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE bzgl.

bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Großer Senat BGH-Rechtsprechung Zivilsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. (2020) Bundesminister(ium) des Inneren Bundesminister(ium) der Justiz Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Handbuch für die Praxis, 26. Aufl. (2018) (bis zur 22. Aufl. Becker/Böhme) Bundesrat Bundesrechtsanwaltskammer Versicherungsaufsichtsgesetz (2018) Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Bundesregierung siehe Bamberger/Roth/Hau/Poseck Protokolle des Bundesrates Beamtenrechtsrahmengesetz Kommentar zum Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag, 7. Aufl. (1932) Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unter Einschluss des Versicherungsvermittlerrechtes, 8. Aufl. (1961–2002) Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, herausgegeben von Horst Baumann/Roland Michael Beckmann/Katharina Johannsen/Ralf Johannsen/Robert Koch, 9. Aufl. (2008–2020) Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, geschäftsführend herausgegeben von Roland Michael Beckmann und Robert Koch, weitere Herausgeber Horst Baumann und Katharina Johannsen, 10. Aufl. (2021 ff.) Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Beispiel Bundessteuerblatt Besonderer Teil, Bundestag Bundestagsdrucksache Betriebsunterbrechung Buchstabe AVB Berufsunfähigkeitsversicherung Handbuch Versicherungsrecht, 7. Aufl. (2017) Das versicherungsrechtliche Mandat, 5. Aufl. (2015) Allg. Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung: ARB, 3. Aufl. (2013) Handbuch Rechtsschutzversicherung, 6. Aufl. (2015) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zit. nach Band u. Seite) bezüglich

XIV

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

bzw. ca. CR dagg. DAR DAV Dauses/Ludwigs/Bearbeiter DB DBKG Derleder/Knops/Bamberger/ Bearbeiter ders. Deutsch/Iversen dgl. d. h. dies. Diff., diff. Dig. DIN Diss. DJ DJT DöV D&O DR DRechtsw. DRiB DRiG DRiZ Drucks. DS DSB DStrR dt. DTV-VHV DVBl. DVO DZWIR E ebd. ebso. ECB ECBUB ED ed(s) EG EGBGB EGGVG EGV EGVVG ehem. Einf.

XV

beziehungsweise circa Computer und Recht dagegen Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltsverein; Deutsche Aktuarvereinigung Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Loseblattsammlung) Der Betrieb Deutsches Büro Grüne Karte e.V. Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2017) derselbe Versicherungsvertragsrecht, 7. Aufl. (2015) dergleichen das heißt dieselbe(n) Differenzierung, differenzierend Digesta Deutsche Industrie Norm Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche öffentlich-rechtliche Versicherung Directors and Officers (Liability Insurance) Deutsches Recht, Wochenausgabe (vereinigt mit Juristische Wochenschrift) (1931– 1945) Deutsche Rechtswissenschaft (1936–1943) Deutscher Richterbund Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Drucksache Der Sachverständige Datenschutzberater Deutsches Steuerrecht deutsch DTV-Verkehrshaftungsversicherung Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entwurf bzw. Entscheidung ebenda ebenso Bedingungen für die Versicherung zusätzlicher Gefahren zur Feuerversicherung für Industrie- und Handelsbetriebe Bedingungen für die Versicherung zusätzlicher Gefahren zur FeuerBetriebsunterbrechungs-Versicherung für Industrie- und Handelsbetriebe Einbruchdiebstahl editor(s) Einführungsgesetz bzw. Europäische Gemeinschaft(en) bzw. Erinnerungsgabe Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz v. 27.1.1877 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum VVG ehemalig Einführung

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

eingeh. einschl. einschr. Einl. EL entgg. Entsch. entspr. Entw. ErfK/Bearbeiter Erg. ErgBd. Erl. Erdmann/Kaulbach Erman/Bearbeiter Erw. EStG etc. EU EuGH EuGHE EuGVVO

EuR europ. EUV EuZW evtl. EWG EWGV EWiR EWR f., ff. FAG FamRZ FAO Farny FBUB Fenyves/Perner/Riedler/ Bearbeiter FeV FG FGG FGO FHB FinDAG Feyock/Jacobsen/Lemor/ Bearbeiter Fn. fragl. FS

eingehend einschließlich einschränkend Einleitung Ergänzungslieferung entgegen Entscheidung entsprechend Entwurf Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. von Dieterich/Hanau/Schaub, 20. Aufl. (2020) Ergebnis bzw. Ergänzung Ergänzungsband Erläuterung Grundzüge des Versicherungsaufsichtsrechts, 2. Aufl. (2019) Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Grunewald, 15. Aufl. (2017) Erwiderung Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – Amtliche Sammlung Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EG-Verordnung Nr. 44/2001) Europarecht europäisch Vertrag über die Europäische Union (Lissabon-Vertrag) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum folgende Gesetz über Fernmeldeanlagen Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung Versicherungsbetriebslehre, 5. Aufl. (2011) Allgemeine Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen VersVG – Versicherungsvertragsgesetz, Loseblattwerk mit 5. Aktualisierung (bis zur 4. Aktualisierung Fenyves/Schauer/Bearbeiter) Fahrerlaubnis-Verordnung Finanzgericht Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Feuerhaftungs-Versicherungsbedingung Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl. (2009) Fußnote fraglich Festschrift

XVI

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve FZV G GB BAV GB GDV GBl. GbR GDV GE Geigel/Bearbeiter gem. GenG GeschO gesetzl. GewArch GewO gg. GG ggf. GKG GKV gl. GmbHG GmbHR grdl. grds. Grimm GrS GrSZ GRUR GS GüKG GVBl. GVG GWB Halbs. Halm/Engelbrecht/Krahe Halm/Kreuter/Schwab/ Bearbeiter Hansen Beweislast HansRGZ HansRZ Harbauer HbgGarVO Hdb. HdV Hentschel/König/Dauer/ Bearbeiter HGB hins. Hinw. HK-BGB/Bearbeiter

XVII

VersicherungsAlphabet (VA), 11. Aufl. (2019) Fahrzeug-Zulassungsverordnung Gesetz Geschäftsbericht des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Geschäftsbericht des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Geschäftsplanmäßige Erklärung Haftpflichtprozess, 28. Aufl. (2020) gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Geschäftsordnung gesetzlich Gewerbearchiv, Zeitschrift für Gewerbe- u. Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbeordnung gegen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gesetzliche Krankenversicherung gleich Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (vorher: Rundschau für GmbH) grundlegend grundsätzlich Unfallversicherung: AUB, 5. Aufl. (2013) Großer Senat Großer Senat in Zivilsachen Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Halbsatz Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2018) Allgemeine Kraftfahrtbedingungen (AKB), hrsg. von Halm/Kreuter/Schwab, 2. Aufl. (2015) Beweislast und Beweiswürdigung im Versicherungsrecht (1990) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift Hanseatische Rechtszeitschrift Rechtsschutzversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB), 9. Aufl. (2018) Hamburger Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen und offenen Stellplätzen Handbuch Handwörterbuch der Versicherung, hrsg. von Farny/Helten/Koch/Schmidt (1988) Straßenverkehrsrecht, hrsg. von Hentschel/König/Dauer, 45. Aufl. (2019) Handelsgesetzbuch hinsichtlich Hinweis Bürgerliches Gesetzbuch Handkommentar, hrsg. von Schulze/Dörner/Ebert et. al., 10. Aufl. (2019)

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

HK-ZPO/Bearbeiter HK-BU/Bearbeiter HK-VVG h. A. h. L. h. M. Hofmann Hofmann Hüffer/Koch Hrsg./hrsg. h.Rspr. i.Allg. i. d. F. i. d. R. i. d. S. i. E. i. e. S. IFG i.gl.S. i.Grds. IHK i. H. v. InfoV inl. insbes. insges. InsO inzw. i. R. d. i. R. v. i. S. i. S. d. i. S. e. i. S. v. i.techn.S. i.U. i.üb. i. V. m. i.w. i. w. S. i. Z. m. JA Jauernig/Bearbeiter jew. Jura JurBüro jurisPK/Bearbeiter jurisPR JuS JW JZ KalV

Zivilprozessordnung Handkommentar, hrsg. von Saenger, 8. Aufl. (2019) Berufsunfähigkeitsversicherung Handkommentar, hrsg. von Ernst/Rogler (2018) siehe Rüffer/Halbach/Schimikowski herrschende Ansicht, herrschende Auffassung herrschende Lehre herrschende Meinung Privatversicherungsrecht, 4. Aufl. (1998) Schutzbriefversicherung (1996) Aktiengesetz, 14. Aufl. (2020) Herausgeber/herausgegeben herrschende Rechtsprechung im Allgemeinen in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne Informationsfreiheitsgesetz im gleichen Sinne im Grundsatz Industrie- und Handelskammer in Höhe von siehe VVG-InfoV inländisch insbesondere insgesamt Insolvenzordnung inzwischen im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des im Sinne einer(s) im Sinne von im technischen Sinne im Unterschied im Übrigen in Verbindung mit im Wesentlichen im weiteren Sinne im Zusammenhang mit Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, 17. Aufl. (2018) jeweils Juristische Ausbildung Das Juristische Büro juris Praxiskommentar BGB, hrsg. von Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdinger, 9. Aufl. (2020) juris PraxisReport Juristische Schulung. Zeitschrift für Studium und Ausbildung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung – KalV) (aufgehoben m.W.v. 1.1.2016)

XVIII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Kap. Kaulbach/Bähr/Pohlmann Kfz KfzEFondsV KfzPflVV KfzSBHH KG KH KHVG KK-OWiG/Bearbeiter Kl. KomE

K&R krit. KritVj KSchG KStG KVAV Lackner/Kühl/Bearbeiter Langheid/Rixecker/ Bearbeiter Langheid/Wandt/Bearbeiter

LG lit. Lit. LM LMK Looschelders/Pohlmann/ Bearbeiter LPK-SGB VI LS lt. Littbarski AHB LugÜ

m. Martin SVR MAH Versicherungsrecht/ Bearbeiter Maunz/Dürig/Bearbeiter m. a. W. m.Bespr. MB/KK MB/KT

XIX

Kapitel Versicherungsaufsichtsgesetz, 6. Aufl. (2019) (bis zur 4. Aufl. Fahr/Kaulbach/Bähr) Kraftfahrzeug Verordnung über den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen Kraftfahrzeugpflichtversicherungsverordnung Sonderbedingungen zur Kfz-Haftpflicht- und Kaskoversicherung für Kfz-Handel und -Handwerk Kammergericht, Kommanditgesellschaft Kraftfahrzeug-Haftpflicht Österreichisches Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz (1994) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 5. Aufl. (2018) 1. Klausel 2. Kläger/in Kommissionsentwurf zur Reform des Versicherungsvertragsrechts; zitiert nach: Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April (2004), hrsg. von Egon Lorenz (2004) Kommunikation und Recht kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung Österreichisches Konsumentenschutzgesetz (1979) Körperschaftsteuergesetz Verordnung betreffend die Aufsicht über die Geschäftstätigkeit in der privaten Krankenversicherung (Krankenversicherungsaufsichtsverordnung – KVAV) StGB, 29. Aufl. (2018) Versicherungsvertragsgesetz, 6. Aufl. (2019) (vormals Römer/Langheid) Münchener Kommentar Versicherungsvertragsgesetz: VVG; Band 1: §§ 1–99 VVG und VVG-InfoV, 2. Auflage (2016); Band 2: §§ 100–216 VVG, 2. Auflage (2017); Band 3: Nebengesetze, Systematische Darstellungen, 2. Auflage (2017) Landgericht littera (Buchstabe) Literatur Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. von Lindenmaier/Möhring u. a. (zit. nach Paragraph u. Nummer) Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring VVG Versicherungsvertragsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (2017) Sozialgesetzbuch VI: SGB VI. Gesetzliche Rentenversicherung. Lehr- und Praxiskommentar, hrsg. von Reinhardt/Silber, 4. Aufl. (2018) Leitsatz laut Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) (2001) Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LuganoÜbereinkommen) mit Sachversicherungsrecht, Kommentar, 3. Aufl. (1992) Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, hrsg. von Höra, 4. Auflage (2017) Grundgesetz, Loseblatt-Kommentar, 90. EL (2/2020) mit anderen Worten mit Besprechung Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

MB/PPV MBUB MdB MDR MedR Meixner/Steinbeck missverst. m.krit.Anm. MMR MMW MontÜG Motive MÜ MüKoAktG/Bearbeiter MüKoBGB/Bearbeiter MüKoZPO/Bearbeiter MüKoStGB/Bearbeiter MüKoStVR/Bearbeiter Musielak/Voit/Bearbeiter m. w. N. m. W. v. m.zust.Anm. N. Nachtr. Neuhaus n. F. NJ NJOZ NJW NJWE-VHR NJW-RR NK-BGB/Bearbeiter Nr. NStZ NTS-ZA NVersZ NVwZ NZA NZG NZI NZS NZV o. o. ä. ob.dict. Oetker/Bearbeiter ÖBGBl öffentl. o. g. ÖOGH

Musterbedingungen für die private Pflegeversicherung Allgemeine Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen Mitglied des Bundestags Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl. (2011) missverständlich mit kritischer Anmerkung (von) MultiMedia und Recht Münchner Medizinische Wochenschrift Montrealer-Übereinkommen-Durchführungsgesetz vom 6.4.2004 Motive zum VVG, Nachdruck (1963) Montrealer Übereinkommen (Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.1999) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. von Goette/Habersack/Kalss, 4. Aufl. (2014 ff.) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Rebmann/Säcker/ Rixecker, 8. Aufl. (2018 ff.) Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, hrsg. von Rauscher/Wax/Wenzel, 5. Aufl. (2016 ff.), 6. Aufl. (2020 ff.) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Joecks/Miebach, 3. Aufl. (2016 ff.), 4. Aufl. (2020 ff.) Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. von König, Bd. 1 (2016) Kommentar zur Zivilprozessordnung, 17. Aufl. (2020) mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom mit zustimmender Anmerkung Nachweise Nachtrag Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. (2020) neue Fassung Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Versicherungs-/Haftungsrecht NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NomosKommentar BGB, hrsg. von Dauner-Lieb/Heidel/Ring, 6 Bände (2014 ff.) (ehemaliger AnwaltKommentar BGB) Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Nato-Truppenstatut-Zusatzabkommen Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht oben oder ähnlich obiter dictum Handelsgesetzbuch, 6. Aufl. (2019) österreichisches Bundesgesetzblatt öffentlich oben genannt Österreichischer Oberster Gerichtshof

XX

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

OHG OLG OLGZ OVG OWiG Palandt/Bearbeiter PartGG PflVG PfP-Truppenstatut

PHi PKV polit. ProdHM Prölss/Martin/Bearbeiter Prölss/Dreher/Bearbeiter PStG psych. PsyErkr. PWW/Bearbeiter RAA RBerG RdA RdErl. RDG RdK RDV RdW rechtspol. rechtsvergl. RefE

ReformG Reg. RegE RegBl. rel. RG RGBl. RGRK/Bearbeiter RGZ RHG RL Rn. Rom I–VO

XXI

Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen, einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl. (2020) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Pflichtversicherungsgesetz Übereinkommen zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen (PfP-Truppenstatut) Haftpflicht international (vormals Produkthaftpflicht international) Private Krankenversicherung politisch Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie- und Handelsbetrieben Versicherungsvertragsgesetz, 30. Aufl. (2018) Versicherungsaufsichtsgesetz, hrsg. von Dreher, 13. Aufl. (2018) Personenstandsgesetz psychisch Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, hrsg. von Schneider/Henningen/Dohrenbusch/Freyberger/Irle/Köllner/Widder (2012) BGB-Kommentar, hrsg. von Prütting/Wegen/Weinreich, 14. Aufl. (2018) Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung Rechtsberatungsgesetz (bis 1962: Gesetz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung) Recht der Arbeit Runderlaß/Runderlass Rechtsdienstleistungsgesetz Das Recht des Kraftfahrers, Unabhängige Monatsschrift des Kraftverkehrsrechts (1926–43, 1949–55) Recht der Datenverarbeitung Recht der Wirtschaft (Österreich) rechtspolitisch rechtsvergleichend Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts mit Begründung (nicht veröffentlicht; zitiert nach der vom BMJ online zur Verfügung gestellten PDF-Datei) Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631) (siehe auch VVG-Reform 2008) Regierung Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (BTDrucks. 16/3945); siehe auch Ausschussbericht Regierungsblatt relativ Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsrätekommentar – Das Bürgerliche Gesetzbuch. Kommentar, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofs, 12. Aufl. (1975 ff.) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Reichshaftpflichtgesetz Richtlinie Randnummer(n) Rom I-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht)

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Rom II-Verordnung

Römer/Langheid Rpfleger RpflG Rspr. RStBl. RT RTDrucks. RuS Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Bearbeiter RVerkBl. RVG RVO s. S. s. a. Sachs/Bearbeiter SB ScheckG SchiedsVZ Schönke/Schröder/ Bearbeiter Schwintowski/Brömmelmeyer/Bearbeiter Sen. Seuff. Arch. SF SGB I, IV, V, VIII, X, XI

SGb. SGG SGlN SkAufG s. o. Soergel/Bearbeiter sog. SP Späte/Schimikowski/ Bearbeiter spez. SpV Stadler/Gail Staudinger/Bearbeiter Staudinger/Halm/Wendt/ Bearbeiter

Rom II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht) siehe Langheid/Rixecker Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Reichssteuerblatt Reichstag Drucksachen des Reichstags Recht und Schaden Versicherungsvertragsgesetz Handkommentar, hrsg. von Rüffer/Halbach/ Schimikowski, 3. Aufl. (2015) Reichsverkehrsblatt Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Reichsversicherungsordnung siehe Satz, Seite siehe auch Grundgesetz, Kommentar, hrsg. von Sachs, 8. Aufl. (2018) Selbstbeteiligung Scheckgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren – German Arbitration Journal Strafgesetzbuch, Kommentar, 30. Aufl. (2019) Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl. (2017) Senat Seuffert 's Archiv für die Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten, (8.1855) Schadensfreiheit I: Sozialgesetzbuch, Allg. Teil IV: Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung V: Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung VIII: Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe X: Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehung zu Dritten XI: Soziale Pflegeversicherung Sozialgerichtsbarkeit/Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgerichtsgesetz Sonderbedingungen für die gleitende Neuwertversicherung von Wohn-, Geschäftsund landwirtschaftlichen Gebäuden Streitkräfteaufenthaltsgesetz siehe oben Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl. (2000 ff.) sogenannt(e) Schaden-Praxis Haftpflichtversicherung, 2. Aufl. (2015) speziell Spektrum für Versicherungsrecht Die Kfz-Versicherung (2015) Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Bearbeitung (1993 ff.) Versicherungsrechtskommentar, 2. Aufl. (2017)

XXII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Stein/Jonas/Bearbeiter StGB Stiefel/Maier

StPO str. st.Rspr. StuR StVG StVj StVO SLVS SVS SVS/RVS StVZO s. u. SV SZ t TarifVO TB TDG Tit. TKG TranspR TumSchG TV Tz. u. u. a. u. ä. u. a. m. Üb. ÜbergangsAO Übk. ü.M. Ulmer/Brandner/Hensen/ Bearbeiter umstr. UmweltHM UN/UNO unv. u.ö. UrhG UStG USV usw. u. U. UWG VA VAG

XXIII

Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23. Aufl. (2013 ff.) Strafgesetzbuch Kraftfahrtversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung – AKB sowie zu weiteren Gesetzes- und Regelwerken in der Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl. (2017) Strafprozessordnung strittig, streitig ständige Rechtsprechung Staat und Recht Straßenverkehrsgesetz Steuerliche Vierteljahresschrift Straßenverkehrsordnung Speditions-, Logistik- und Lagerversicherungsschein Speditions-Versicherungsschein Speditions- und Rollfuhr-Versicherungsschein Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Sachverhalt Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen Tonne Verordnung über die Tarife in der Kfz-Haftpflichtversicherung Tarifbestimmung Gesetz über die Nutzung von Telediensten Titel Telekommunikationsgesetz Transportrecht Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12.5.1920 Truppenvertrag Textzahl unten unter anderem und ähnlich und anderes mehr Überblick, Übersicht Übergangsanordnung Übereinkommen überwiegende Meinung AGB-Recht, 12. Aufl. (2016) umstritten Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Versicherung der Haftpflicht wegen Schäden durch Umwelteinwirkung United Nations Organization (Vereinte Nationen) unveröffentlicht und öfter Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Umweltschadensversicherung und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung, ab 1947: … des Zonenamtes des Reichsaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (Hamburg) Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmungen (Versicherungsaufsichtsgesetz)

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

v. A. w. VD VE Veith/Gräfe/Gebert/ Bearbeiter VerBAV/VerBaFin

VerfGH VerglO Verh. VerkMitt vermitt. VersG VersAG VersArch VersM VersPrax, VP VersR VersRAI VersRdsch. VersVermV VersVG VersWissArch VersWiss. Stud. VerwArch. VG VGB VGB 2008, 2010 VGH vgl. VGS VHB

VHB 2008 VHV VN VO VOBl. VomVO vorangeh. Voraufl. Vorbem. vorgen. VRR VR VRS VU VuR VVaG VVG

von Amts wegen Verkehrsdienst Vorentwurf Versicherungsprozess, 4. Aufl. (2020) Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen, ab 1973: … des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, ab Mai 2002: VerBAFin = Veröffentlichungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Versicherungsbereich) Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Verkehrsrechtliche Mitteilungen vermittelnd Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Versicherungsaktiengesellschaft Versicherungsarchiv Versicherungsmedizin Die Versicherungspraxis Versicherungsrecht, Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Versicherungsrecht, Beilage Ausland Versicherungsrundschau (Österreich) Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung österreichisches Versicherungsvertragsgesetz Versicherungswissenschaftliches Archiv Versicherungswissenschaftliche Studien, hrsg. von Brömmelmeyer et. al. Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung von Wohngebäuden gegen Feuer-, Leitungswasser- und Sturmschäden Allgemeine Wohngebäude-Versicherungsbedingungen Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vereinigter Großer Senat Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung des Hausrats gegen Feuer-, Einbruchdiebstahl-, Beraubungs-, Leitungswasser-, Sturm- und Glasbruchschäden/ Allgemeine Hausratversicherungsbedingungen Allgemeine Hausrat-Versicherungsbedingungen 2008 Verkehrshaftungsversicherung Versicherungsnehmer/in Verordnung Verordnungsblatt Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns vorangehend Vorauflage Vorbemerkung vorgenannt Verkehrsrechtliche Rundschau Versicherer Verkehrsrechts-Sammlung, Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts (zit. nach Band u. Seite) Versicherungsunternehmen Verbraucher und Recht Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz)

XXIV

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

VVG-InfoV VVGE

VVG-Kommission VVGRefG bzw. VVG-Reform 2008 VVV VW VwGO VwV VwVfG VwVG VwZG Wandt WaffG weitergeh. WM Wolf/Lindacher/Pfeiffer/ Bearbeiter WRP WuM Wussow (Z) z. B. ZEuP ZfRV ZfS/zfs ZfV ZGR Ziff. ZIP zit. ZMR Zöller/Bearbeiter ZollG ZPO ZRP ZSW z. T. ZusBedIT zusf. zust. ZustG zutr. z.V.b. ZVersWiss ZVG zw. zz. ZZP ZZPInt

XXV

Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen Entscheidungssammlung zum Versicherungsvertragsrecht (VVGE): Entscheidungen zum Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), hrsg. von Dietrich Müller Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631) (siehe auch ReformG) Versicherungswissenschaft, Versicherungspraxis, insbesondere Versicherungsmedizin; später DVZ Versicherungswirtschaft Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsvorschrift Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016) Waffengesetz weitergehend Wertpapier-Mitteilungen AGB-Recht, Kommentar, 6. Aufl. (2013) Wettbewerb in Recht und Praxis Wohnungswirtschaft und Mietrecht Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl. (2014) Entscheidung in Zivilsachen zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht u. Europarecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, 33. Aufl. (2020) Zollgesetz Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen zum Teil Zusatzbedingungen zur Betriebshaftpflichtversicherung für die Nutzer von InternetTechnologien zusammenfassend zustimmend Zustimmungsgesetz zutreffend zur Veröffentlichung bestimmt Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (zitiert nach Jahr und Seite) Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) zweifelhaft zurzeit Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

Einführung A. Einleitung Schrifttum Armbrüster Privatversicherungsrecht 2. Aufl. (2019); Baumann Abgrenzung von Sozialversicherung und Privatversicherung in der sozialen Marktwirtschaft, Festschrift von Lübtow (1980); Beckmann/Matusche-Beckmann/E.Lorenz Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. (2015) § 1 Einführung Rn. 1 ff.; Berliner Kommentar/Dörner (1998), Einleitung; Bruck Das Privatversicherungsrecht (1930); Bruck/Möller VVG 8. Aufl. (1961) Erster Band Einl. Anm. 1 ff.; Bruck/Möller/Sieg/Johannsen VVG 8. Aufl. (2002) Dritter Band, Überblick Anm. A 1 ff.; Bruns Privatversicherungsrecht (2015); van Bühren/van Bühren Handbuch Versicherungsrecht 7. Aufl. (2017) § 1 A. Einleitung Rn. 1 ff.; Deutsch/ Iversen Versicherungsvertragsrecht 7. Aufl. (2015) Rn. 1 ff.; Diehl Versicherungsunternehmensrecht (2020); Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt (1991); Ehrenberg Deutsches (österreichisches) Versicherungsvertragsrecht (1952); Gärtner Privatversicherungsrecht, 2. Aufl. (1980); Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt 6. Aufl. (2018) Kap. 1 Allgemeines Versicherungsvertragsrecht; E. Hofmann Privatversicherungsrecht 4. Aufl. (1998) 1. Kap, Einführung S. 1 ff.; Holzhauer Versicherungsvertragsrecht (1999); Hübner/Matusche-Beckmann Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das Versicherungsrecht EuZW 1995 263; Katzenmeier Überlagerungen des Schadensrechts durch das Versicherungsrecht VersR 2002 1449; Kötz/Wagner Deliktsrecht, 13. Aufl. (2016); Langheid/Wandt/E. Lorenz, VVG, Bd. 1, 2. Aufl. (2016), Einleitung Rn. 1 ff.; Leube Sozialversicherung in Gestalt der Privatversicherung – Rechtliche Rahmenbedingungen NZS 2003 449; Looschelders Bewältigung des Zufalls durch Versicherung? VersR 1996 529; Petersen Versicherungsunternehmensrecht (2003); Prölss/Martin/Prölss VVG 30. Aufl. (2018) Vorbem. Rn. 1 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer, Versicherungsvertragsgesetz Handkommentar, 4. Aufl. (2020), Einleitung; Schimikowski Das rechtliche Gebot zu transparenter und inhaltlich angemessener Gestaltung von AVB RuS 1998 353 ff.; ders. Versicherungsvertragsrecht 6. Aufl. (2017) Rn. 1 ff.; R. Schmidt Das Qualifikationsmerkmal „Einfachheit“ im Versicherungsvertragsrecht ZVersWiss 1973 529; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht 3. Aufl. (2017), Einleitung; Werber/Winter Grundzüge des Versicherungsvertragsrechts (1986); Wandt Versicherungsrecht 6. Aufl. (2016) S. 1 ff. Im Übrigen vgl. Schrifttum im jeweiligen Zusammenhang.

Übersicht 1.

1

Überblick über die versicherungsrechtliche Partikulargesetzgebung 27 Kodifikationsversuche im 19. Jahrhun31 dert a) Zeit des Deutschen Bundes von 1815– 31 1866 34 b) Zeit des Norddeutschen Bundes c) Kodifikationsbemühungen seit der Reichs38 gründung d) Geschichte des VAG als „Vorreiter des 41 VVG“

A.

Allgemeine Einführung

I.

Bedeutung des VVG und Überblick

II. 1. 2. 3. 4. 5.

11 Wesentliche Begrifflichkeiten 11 Versicherung 12 Privatversicherungsrecht 15 Versicherungsvertragsrecht 16 Versicherungsaufsichtsrecht Versicherungsunternehmensrecht

III.

Anwendungsbereich des VVG

II.

Entstehung des VVG

IV.

Privatversicherung und Sozialversiche23 rung

C.

Entwicklung des VVG

V.

Arten von Versicherungen/Versicherungsspar24 ten/-zweige

I. 1.

B.

Überblick über die Geschichte des Versiche27 rungsvertragsgesetzes

I.

Stadium vor Geltung des Versicherungsvertrags27 gesetzes

50 Wichtige Änderungen des VVG Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeuge und zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen sowie des Gesetzes über den Versicherungsver50 trag Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughal51 ter

1

2.

17

18

1 https://doi.org/10.1515/9783110522600-001

2.

44 49

Beckmann

Einf. A

3. 4.

5. 6.

7.

8.

9.

II. 1. 2. 3.

Einleitung

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ver52 sicherungsvertrag Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Ge53 meinschaften Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher 54 Vorschriften Drittes Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europä55 ischen Gemeinschaften Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den 56 modernen Rechtsgeschäftsverkehr Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistun57 gen Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsver58 mittlerrechts vom 19. Dezember 2006

Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23.11.2007, BGBl. I 2631 (VVG-Reform 62 2008)

IV.

Änderungen des VVG nach der Reform 63 2008 64 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher 65 Vorschriften Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Re66 gelung der Wohnungsvermittlung 67 Lebensversicherungsreformgesetz Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht 68 über Versicherungen 69 Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/ 97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb 70 und zur Änderung weiterer Gesetze Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Ge71 setze 72 Bundesteilhabegesetz

3.

4. 5. 6. 7.

8.

9. D.

Grundsätzliches Inkrafttreten des VVG 2008 und Außerkrafttreten bisheriger Rahmenbedingungen 74 gemäß Art. 12 ReformG

II.

Übergangsvorschriften auf der Grundlage des 79 Art. 2 ReformG Spartenübergreifende Übergangsvorschrif80 ten a) Grundsätzliche Geltung des früheren VVG für Altverträge bis zum 31.12.2008, Art. 1 80 Abs. 1 EGVVG b) Ausnahmsweise Weitergeltung des früheren VVG für Altverträge bei Versicherungsfällen vor dem 31.12.2008 (laufende Schadensfäl92 le), Art. 1 Abs. 2 EGVVG c) Anpassung von AVB in Altverträgen, Art. 1 95 Abs. 3 EGVVG aa) Abweichung von AVB eines Altvertrages vom VVG 2008 bzw. Erforderlich96 keit einer Anpassung bb) Rechtzeitiger Zugang der Änderungs100 mitteilung 101 cc) Einhaltung der Textform dd) Kenntlichmachung der Unter102 schiede 103 ee) Rechtsfolgen 103 (1) Allgemeines (2) Nichtanpassung vertraglicher Obliegenheiten an das 106 VVG 2008 (3) Keine Pflicht zur Anpas110 sung (4) Aufklärungs- bzw. Beratungs111 pflicht (5) Weitere denkbare Konsequen112 zen d) Behandlung der Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 114 VVG a. F. (Art. 1 Abs. 4 EGVVG) e) Vollmacht des Versicherungsvertreters, 118 Art. 2 Nr. 1 EGVVG 119 f) Verjährung, Art. 3 EGVVG aa) Geltung der dreijährigen Regelverjährungsfrist, Art. 3 Abs. 1 120 EGVVG bb) Entsprechende Anwendbarkeit, Art. 3 124 Abs. 4 EGVVG Spartenspezifische Übergangsregelun127 gen a) Sonderregelung für das Recht der privaten 127 Krankenversicherung 127 aa) Art. 2 Nr. 2 EGVVG

1.

59 Überblick über weitere Änderungen 59 Betreuungsgesetz Verordnung über den Versicherungsschutz in 60 der Kfz-Haftpflichtversicherung Einführungsgesetz zur Insolvenzord61 nung

III.

1. 2.

I.

2.

Inkrafttreten/Übergangsvorschriften des Ver73 sicherungsvertragsrechts 2008

Beckmann

2

Übersicht

bb) Art. 7 EGVVG 131 Sonderregelung für den Bereich der Lebens132 versicherung, Art. 4 EGVVG aa) Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung, Art. 4 Abs. 1 133 EGVVG bb) Berechnung des Rückkaufswertes in der Lebensversicherung, Art. 4 Abs. 2 136 EGVVG cc) Berufsunfähigkeitsversicherung, Art. 4 139 Abs. 3 EGVVG 142 Weitere Übergangsvorschriften a) Rechte der Gläubiger von Grundpfandrech142 ten, Art. 5 EGVVG aa) Gläubigerschutzvorschriften bei der Gebäudeversicherung, Art. 5 Abs. 1 143 EGVVG bb) Übergangsregelung für die vom Gesetz zur Überleitung landesrechtlicher Gebäudeversicherungsverhältnisse erfassten Versicherungsverträge, Art. 5 144 Abs. 2 EGVVG b) Versicherungsverhältnisse nach § 190 146 VVG a. F., Art. 6 EGVVG

f)

b)

3.

E.

Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privat147 versicherungsrechts

I.

Gesetzgebungskompetenz

II. 1.

157 Binnenversicherung 158 Versicherungsvertragsrecht 159 a) Versicherungsvertragsgesetz, VVG aa) Zwingende Vorschriften/absolut zwin162 gende Bestimmungen bb) Halbzwingende/relativ zwingende Be163 stimmungen (1) Maßstab zur Ermittlung einer nachteiligen Abwei168 chung (2) Berücksichtigung von Vortei169 len 171 (3) Rechtsfolge cc) Abdingbare/dispositive Bestimmun173 gen b) Einführungsgesetz zum Versicherungsver174 tragsgesetz (EGVVG) 175 c) Pflichtversicherungsgesetz (PflVG) d) Verordnung über den Versicherungsschutz in der Kraftfahrzeug-Pflichtversicherung 179 (KfzPflVV) e) Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-Informations181 pflichtenverordung, VVG-InfoVO)

3

Einf. A

2.

147

3.

4. 5. 6.

Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung (Versicherungsvermitt182 lungsverordnung – VersVermV) g) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwen183 dende Recht (Rom I-VO) h) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte 184 (PRIIP) i) Weitere eine Versicherungspflicht begrün185 dende Gesetze j) Allgemeine Versicherungsbedingungen 190 (AVB) 191 Allgemeines Privatrecht 192 a) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) b) Treu und Glauben im Versicherungsrecht, 200 § 242 BGB 205 c) Handelsgesetzbuch (HGB) d) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 210 (AGG) aa) Allgemeine Gleichbehandlung im Privatversicherungsrecht (vor Inkrafttre211 ten des AGG) bb) Auswirkungen des AGG auf private 214 Versicherungsverträge cc) Entstehung neuer Versicherungstypen 235 aufgrund des AGG 236 e) Gendiagnostikgesetz (GenDG) 239 Versicherungsaufsichtsrecht a) Versicherungsaufsichtsgesetz 239 (VAG) b) Geschäftsplan des Versicherers/geschäfts248 planmäßige Erklärungen (GE) aa) Geschäftsplan des Versiche248 rers bb) Geschäftsplanmäßige Erklärung 250 (GE) 257 c) Zuständigkeit Völkerrechtliche Normen und Privatversiche258 rungsrecht der EU 261 Sozialversicherungsrecht Außergerichtliche Beilegung von Streitigkei262 ten a) Hausinterne Beschwerdemanagements der 263 VR b) Beschwerden an die Aufsichtsbehörde als 264 externe Anlaufstelle für den VN c) Der Ombudsmann als weitere externe Anlaufstelle für den VN (Versicherungsom266 budsmann) 270 aa) Verfahrensgrundlage

Beckmann

Einf. A

7.

F.

Einleitung

bb) Entstehungsgeschichte 271 272 cc) Zweck 273 dd) Organisationsstruktur 274 ee) Verfahren d) Ombudsmann für die private Kranken- und 278 Pflegeversicherung Versicherungsgewohnheitsrecht/ Rechtsfortbildung durch die Rechtspre279 chung Überblick über versicherungstechnische Rahmenbedingungen des Versicherungs285 rechts

I.

Versicherungstechnik

II.

Versicherungsmarkt

G.

Digitalisierung

285 291 292

H.

Sonstige konzeptionelle Grundbegriffe 297 des Versicherungsvertragsrechts

I.

Terminologie des VVG

II.

Parteien und Personen des Versicherungsverhält298 nisses (Überblick) 298 Versicherer 302 Versicherungsnehmer 305 Versicherungsvermittler Versicherter; Versicherung für „fremde Rech306 nung“, Mitversicherter Versicherung für Rechnung „wen es an307 geht“ 308 Bezugsberechtigter oder Begünstigter 311 Eintrittsberechtigter 312 Gefahrsperson 313 Hypothekengläubiger 314 Geschädigter

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

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A. Allgemeine Einführung I. Bedeutung des VVG und Überblick 1 Das Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VVG) stellt die wichtigste Rechtsquelle des Privatversicherungsrechts dar.1 Es wird zu Recht als „Spezialgesetz zur Binnenversicherung“2 eingeordnet. Egon Lorenz hat das VVG sogar als „Grundgesetz des Privatversicherungsrechts“3 bezeichnet. Inhaltlich regelt das VVG das „(Schuld-)Vertragsrecht für Versicherungsverträge“.4 Das für privatversicherungsrechtliche Versicherungsverträge zugrundeliegende VVG enthält sowohl allgemeine grundsätzlich für alle Versicherungsverträge geltende Regelungen als auch besondere Vorschriften über einzelne Versicherungszweige (vgl. noch Rn. 3 ff.). Indes ergeben sich aus § 209 VVG zwei wesentliche Ausnahmen: Wie schon nach dem früheren VVG (§ 186 VVG a. F.) bleiben die Rückversicherung und die Seeversicherung nach dieser Vorschrift vom Anwendungsbereich des VVG ausgeklammert (vgl. noch Rn. 18). Wie schon zum Ausdruck gekommen, gilt das VVG für Versicherungsverhältnisse der Privatversicherung; die Privatversicherung (auch als Individualversicherung bezeichnet)5 ist damit von der Sozialversicherung abzugrenzen (dazu noch Rn. 23 sowie Baumann/Koch § 1 Rn. 311 ff.). 2 Das VVG stammt aus dem Jahre 1908.6 Mit Wirkung zum 1.1.2008 ist die sog. VVG-Reform („Jahrhundertreform“7) in Kraft getreten. Das Versicherungsvertragsrecht ist dabei erstmals umfassend reformiert worden.8 Hierbei handelte es sich nicht nur um eine Novellierung; vielmehr

1 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 4; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 21 („grundlegendes Gesetzeswerk“). 2 Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 4. 3 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 17. 4 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 5; zum „Versicherungsvertrag im Schuldrechtssystem“ eingehend Dreher S. 63 ff.; zur rechtstatsächlichen Bedeutung des Versicherungsvertragsrechts siehe noch Rn. 6. 5 Wandt6 Rn. 2; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 2; v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 410 f. 6 Gesetz v. 30.5.1908, RGBl. 263. 7 Wandt6 Rn. 13. 8 Armbrüster2 Rn. 11. Beckmann

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war mit der VVG-Reform eine Neukodifikation des VVG verbunden.9 Das zuvor geltende VVG ist zum 31.12.2007 außer Kraft getreten (vgl. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ReformG10). Das geltende VVG trat als Art. 1 des ReformG im Wesentlichen mit Wirkung zum 1.1.2008 in Kraft (vgl. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 ReformG). Es galt zunächst für Neuverträge und ist mit Wirkung zum 1.1.2009 auch für Altverträge in Kraft getreten (zum Inkrafttreten des VVG 2008 noch Rn. 73 ff.). Das Bedürfnis für die nun vorliegende Reform des Versicherungsvertragsrechts rührte vor allem daher, dass das frühere VVG im Wesentlichen aus dem Jahr 1908 stammte und mit den rechtspolitischen und rechtstatsächlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts nicht mehr in Einklang stand.11 Insbesondere wurde – so die Gesetzesbegründung12 – das Gesetz den Bedürfnissen des modernen Verbraucherschutzes nicht mehr vollständig gerecht. Nachdem sich in den vergangenen Jahrzehnten auf EGEbene eine angestrebte Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechts nicht abgezeichnet hatte,13 ist der bundesdeutsche Gesetzgeber deshalb aktiv geworden. Insbesondere im Hinblick auf die Lebensversicherung musste der Gesetzgeber darüber hinaus tätig werden, nachdem das BVerfG Rahmenbedingungen der Lebensversicherung für verfassungswidrig erklärt hatte.14 Das VVG ist in drei Teile untergliedert. Teil 1 („Allgemeiner Teil“, §§ 1–99 VVG) umfasst zwei 3 Kapitel: Kapitel 1 enthält „Vorschriften für alle Versicherungszweige“ (§§ 1–73 VVG). Dieses erste Kapitel teilt sich wiederum in sieben Abschnitte: „Allgemeine Vorschriften“ (§§ 1–18 VVG), „Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten“ (§§ 19–32 VVG), „Prämie“ (§§ 33–42 VVG), „Versicherung für fremde Rechnung“ (§§ 43–48 VVG), „Vorläufige Deckung“ (§§ 49–52 VVG), „Laufende Versicherung“ (§§ 53–58 VVG) und „Versicherungsvermittler, Versicherungsberater“ (§§ 59–73 VVG). Kapitel 2 regelt die „Schadensversicherung“ (§§ 74–99 VVG); dieses Kapitel enthält wiederum zwei Abschnitte: „Allgemeine Vorschriften“ (§§ 74–87 VVG) und „Sachversicherung“ (§§ 88–99 VVG). Teil 2 (§§ 100–208 VVG) regelt „Einzelne Versicherungszweige“ und untergliedert sich 4 in acht Kapitel: „Kapitel 1 Haftpflichtversicherung“ (§§ 100–124 VVG) mit den zwei Abschnitten „Allgemeine Vorschriften“ (§§ 100–112 VVG) und „Pflichtversicherung“ (§§ 113–124 VVG), „Kapitel 2 Rechtsschutzversicherung“ (§§ 125–129 VVG), „Kapitel 3 Transportversicherung“ (§§ 130–141 VVG), „Kapitel 4 Gebäudefeuerversicherung“ (§§ 142–149 VVG), „Kapitel 5 Lebensversicherung“ (§§ 150–171 VVG), „Kapitel 6 Berufsunfähigkeitsversicherung“ (§§ 172–177 VVG), „Kapitel 7 Unfallversicherung“ (§§ 178–191 VVG), „Kapitel 8 Krankenversicherung“ (§§ 192–208 VVG). Teil 3 (§§ 209–216 VVG) betrifft „Schlussvorschriften“. Unter anderem findet sich hier der 5 eingangs schon erwähnte (Rn. 1) Ausschluss des VVG für die Rückversicherung und die Seeversicherung (§ 209 VVG), Sonderregeln für Großrisiken und die laufende Versicherung (§ 210 VVG), für Pensionskassen, kleinere Versicherungsvereine und Versicherungen mit kleineren Beträgen (§ 211 VVG). Weitere Schlussvorschriften betreffen die Fortsetzung der Lebensversicherung nach der Elternzeit (§ 212 VVG), die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten bei Dritten (§ 213 VVG), die Schlichtungsstelle (§ 214 VVG), den Gerichtsstand (§ 215 VVG) und die Prozessstandschaft bei Versicherermehrheit (§ 216 VVG).

9 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 17; sowie in diesem Kapitel die Ausführungen zum Inkrafttreten des neuen VVG Rn. 73 ff. 10 Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts v. 23.11.2007, BGBl. I 2631 (im Folgenden: ReformG). 11 So jedenfalls RegE S. 47. 12 RegE S. 1, 47. 13 Wandt6 Rn. 207; van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 7; Brenner Die Einwirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Versicherungsvertragsrecht 2004 S. 55; abgesehen vom allgemeinen Versicherungsvertragsrecht ist insbesondere das Versicherungsaufsichtsrecht, das Recht der Kfz-Haftpflichtversicherung und das Vermittlerrecht in erheblichem Maße durch EG-Recht geprägt, vgl. etwa Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2; Beckmann ZEuP 1999 809; Hübner/Matusche-Beckmann EuZW 1995 263 sowie Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 125 ff.; Dauses/Ludwigs/Beckmann (2015) E. VI. Rn. 220 ff. 14 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 782/94, BVerfGE 114 1, 2 = VersR 2005 1109, 1109; im Einzelnen zur VVG-Reform Niederleithinger/Koch Generaleinführung, Reform (E.) Rn. 1 ff. 5

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Die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Versicherungsvertragsrechts zeigt sich bereits an der hohen Anzahl existierender Versicherungsverhältnisse.15 So ist alleine jeder Halter eines Kraftfahrzeuges gemäß § 1 PflVG zum Abschluss einer privaten Kfz-Haftpflichtversicherung verpflichtet (Ausnahmen in § 2 PflVG). 2018 bestanden ca. 437,8 Mio. Versicherungsverträge, davon 87,2 Mio. Lebensversicherungsverträge, 34,8 Mio. private Krankenversicherungsverträge und 315,8 Mio. Schaden- bzw. Unfallversicherungsverträge.16 Das gesamte Prämienaufkommen der Versicherungswirtschaft für Erstversicherungen belief sich 2018 auf ca. A 202,402 Mio.17 Die Bedeutung des Versicherungsvertragsrechts spiegelt sich indes nicht nur in der Anzahl 7 existierender Versicherungsverhältnisse wider. Grundsätzlich erfüllen Versicherungen und damit zumindest mittelbar das Versicherungsvertragsrecht wirtschaftliche,18 aber auch soziale Zwecke.19 Hintergrund des Versicherungsgeschäftes ist die finanzielle Vorsorge für den Einzelnen durch die Umlegung seines persönlichen Risikos auf eine Gemeinschaft.20 Den Kern des Versicherungsgeschäftes bildet das Risikogeschäft, da der VN eine „Wahrscheinlichkeitsverteilung von Schäden“ auf den VR transferiert, was auf Seiten des VN durch das Versicherungsschutzversprechen des VR bzw. durch Erhalt der Versicherungsleistung im Versicherungsfall eine Sicherung seiner wirtschaftlichen Lage bewirkt.21 Dieser Aspekt ist insbesondere im Bereich der Haftpflichtversicherungen von großer Bedeutung, da deren Hauptzweck die Freistellung des VN und damit der Schutz von dessen Vermögen vor Haftpflichtansprüchen darstellt,22 indem eine Schadensverteilung auf eine kollektive Gemeinschaft stattfindet. Darüber hinaus sollen durch die Haftpflichtversicherung aber auch die Rechte des Geschädigten gewahrt werden,23 so dass der Haftpflichtversicherung auch eine Opferschutzfunktion24 zukommt. Diese zeigt sich auch in der Regelung des – im Zuge der VVG-Reform 2008 neugefassten – § 115 VVG, der nun ergänzend zur früheren Rechtslage einen Direktanspruch unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich bei Insolvenz oder unbekanntem Aufenthalt des Schädigers, auch außerhalb der Kraftfahrzeughaftpflicht-Pflichtversicherung gewährt. Zweck und Funktion einer Versicherung können je nach Versicherungszweig unterschiedlich sein.25 Während beispielsweise die soziale Funktion der Rechtsschutzversicherung kontrovers diskutiert werden kann, lässt sie sich insbesondere für Personenversicherungen einfacher bejahen.26 In manchen Versicherungszweigen, vor allem bei der Lebens- und Unfallversicherung mit 8 Prämienrückgewähr sowie bei der Krankenversicherung, ist das Risikogeschäft mit einem planmäßigen Spar- oder Einspargeschäft verbunden.27 Gerade dies bewirkt ebenfalls eine soziale Sicherung des VN. Insbesondere die kapitalbildende Lebensversicherung ergänzt die gesetzliche Rentenversicherung und die betriebliche Altersversorgung und ist mithin Bestandteil der sozialen Sicherung einer breiten Bevölkerungsschicht. Die Lebensversicherung gilt trotz der mittler6

15 Wandt6 Rn. 7; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 7. 16 Statistisches Taschenbuch der Versicherungswirtschaft 2019, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) Tabelle 8 (teils vorläufige Werte), abrufbar unter https://www.gdv.de/de/themen/news/versicherungsschutz-in-zahlen-50212 (Abrufdatum 20.4.2020). 17 Statistisches Taschenbuch der Versicherungswirtschaft 2019, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) Tabelle 5 (vorläufiger Wert), zur Abrufbarkeit vgl. Fn. 16. 18 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 50. 19 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 111. 20 Deutsch/Iversen7 § 1 Rn. 3. 21 Farny5 S. 22. 22 Littbarski AHB (2001) Vorbem. Rn. 45; BGH 18.12.1979 – VI ZR 27/78, BGHZ 76 279, 285 = VersR 1980 625, 626 f. (juris Rn. 21). 23 Littbarski AHB (2001) Vorbem. Rn. 48; BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001 90, 90 (juris Rn. 10): „Sozialbindung der Haftpflichtversicherung“; Stoecker Der Vorsatz des Versicherungsnehmers bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sinne des § 103 VVG, 2011 S. 24. 24 BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 192 = VersR 1995 96, 98 (juris Rn. 22). 25 Zu den Funktionen von Versicherungen vgl. Bruns § 1 Rn. 4 ff., Armbrüster2 Rn. 218 ff. 26 Vgl. BGH 18.7.2007 – IV ZR 129/06, VersR 2007 1260, 1261 (juris Rn. 16); Leube NZS 2003 449, 450. 27 Farny5 S. 22. Beckmann

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weile großen Vielfalt von Anlageformen als ein „Klassiker der Altersvorsorge“;28 seit einigen Jahren stellt die Niedrigzinsphase insbesondere die Lebensversicherung vor große Herausforderungen,29 weswegen der Gesetzgeber durch das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) vom 1.8.2014 den regulatorischen Rahmen angepasst hat.30 Insgesamt aber ist dem Versicherungswesen eine sozialpolitische Bedeutung durch Sicherung der individuellen Daseinsvorsorge und Entlastung staatlicher Sicherungssysteme immanent.31 Beim Versicherungsvertrag handelt es sich aus bürgerlichrechtlicher Sicht an sich um einen 9 besonderen schuldrechtlichen (Austausch-)Vertrag,32 der indes spezialgesetzlich im VVG geregelt ist; das BGB findet – soweit im VVG keine Sondervorschriften eingreifen – subsidiär Anwendung. Wenn man den Versicherungsvertrag in Vergleich mit den abstrakten Einordnungstypen des BGB setzt, so ist er etwa als ein Risikoübernahmegeschäft nach Art des Garantievertrages eingeordnet worden.33 Jedenfalls handelt es sich bei dem Versicherungsvertrag um einen gegenseitigen Vertrag,34 der zugleich ein Dauerschuldverhältnis darstellt.35 Eine besondere Bedeutung hat das Versicherungsvertragsrecht jedenfalls im Vergleich zum Schuldrecht des BGB für andere Schuldverträge. So ist anders als die meisten bürgerlichrechtlichen Schuldverträge eine Versicherung ein Vertrag über ein „nicht greifbares“,36 „unsichtbares“37 Gut, das erst durch den Versicherungsvertrag und die für ihn geltenden Regelungen Gestalt erlangt.38 Dreher hat den Begriff der „Versicherung als Rechtsprodukt“ geprägt.39 Diese Qualifikation der Versicherung erklärt auch deren hohe Erläuterungsbedürftigkeit für den VN als Erwerber dieses Produkts, da jede Frage zu einer Versicherung zugleich Rechtsfrage ist.40 Des Weiteren beeinflusst das Versicherungsvertragsrecht zumindest mittelbar die rechtli- 10 che Behandlung anderer Vertragstypen,41 so z. B. im Bereich des Wohnungs-42 und Gewerbemietvertragsrechts,43 des Arbeitsvertragsrechts44 oder bei der Kfz-Leihe.45 Darüber hinaus wirkt 28 v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 501; vgl. auch RegE S. 50, 51. 29 Vgl. etwa Prölss/Martin/Reiff30 § 153 Rn. 28a. 30 BGBl. I 1330; dazu Bericht an den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zur Evaluierung des Lebensversicherungsreformgesetzes https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Finanzmarktpolitik/ 2018-06-28_Evaluierungsbericht-zum-Lebensversicherungsreformgesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (Abrufdatum 23.9.2019). 31 v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 87. 32 Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 72. 33 Deutsch/Iversen7 § 1 Rn. 5; zu der umstrittenen Rechtsnatur des Versicherungsvertrags vgl. umfassend Baumann/ Koch § 1 Rn. 27 ff. m. w. N. 34 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 36; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 72; umfassend Baumann/Koch § 1 Rn. 206 ff. 35 Beckmann/Matusche-Beckmann/Johannsen3 § 8 Rn. 87; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 40 Rn. 5. 36 Werber VersR 1986 1, 2; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 10. 37 R. Schmidt ZVersWiss 1973 529, 539; Dreher S. 148; Schimikowski RuS 1998 353; Kieninger Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten beim Abschluß von Versicherungsverträgen AcP 199 (1999) 191, 208 f. („abstraktes Rechtsprodukt“); Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 10. 38 Rn. 10; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 10. 39 Dreher S. 145 ff. 40 Wandt6 Rn. 10; Rn. 10; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 10. 41 Wandt6 Rn. 11; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 11. 42 BGH 13.12.1995 – VIII ZR 41/95, BGHZ 131 288, 292 ff. = VersR 1996 320, 321 (juris Rn. 10 ff.); BGH 8.11.2000 – IV ZR 298/99, BGHZ 145 393, 397 ff. = VersR 2001 94, 95 f. (juris Rn. 12 ff.); BGH 13.9.2006 – IV ZR 273/05, BGHZ 169 86, 89 ff. = VersR 2006 1536, 1537 f. (juris Rn. 9 ff.); BGH 27.1.2010 – IV ZR 5/09 = RuS 2010 242, 243 (juris Rn. 9 f.); vgl. Armbrüster ZfIR 2006 821 ff. 43 BGH 26.1.2000 – XII ZR 204/97, NJW –RR 2000 1110, 1110 (juris Rn. 4). 44 BGH 3.12.1991 – VI ZR 378/90, BGHZ 116 200, 207 ff. = VersR 1992 437, 439 (juris Rn. 20 ff.); BAG 14.12.2000 – 8 AZR 92/00, VersR 2001 720, 720 f. (juris Rn. 10 ff.). 45 OLG Hamm 17.12.1999 – 29 U 54/99, VersR 2001 376, 376 f. (juris Rn. 8 ff.); OLG Oldenburg 30.3.2006 – 8 U 6/ 06, VersR 2007 1002, 1003 (juris Rn. 13 ff). 7

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sich das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer Versicherung auch auf das Haftungs- und Schadensersatzrecht aus.46 So besteht grundsätzlich eine enge Verbindung zwischen der Gefährdungshaftung und der Pflichtversicherung.47 Und es „liegt auf der Hand“, dass insbesondere Haftpflichtversicherungsschutz das Deliktsrecht beeinflusst.48 Insbesondere auch Zurechnungsregeln basieren auf der Versicherbarkeit des Risikos.49 Im Arbeitsrecht entfällt beispielsweise die Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, wenn und soweit der Arbeitnehmer in den Schutzbereich einer Pflichtversicherung einbezogen ist, da der VR dem Arbeitnehmer für Schadensersatzpflichten gegenüber dem Arbeitgeber Deckung zu gewähren hat.50 Dagegen darf freiwilliger Haftpflichtversicherungsschutz des Schädigers im Rahmen des § 829 BGB jedenfalls nicht zur Zubilligung von Beträgen führen, die dessen finanzielle Möglichkeiten sonst schlechthin überschreiten würden, auch wenn das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes für die Billigkeitshaftung des § 829 BGB grundsätzlich nicht unbeachtlich ist.51 Bei der Bemessung der Höhe eines Ersatzanspruchs aus § 253 Abs. 2 BGB kann das Bestehen einer Haftpflichtversicherung ebenfalls berücksichtigt werden und sie hat Einfluss auf die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Schädigers.52 Es versteht sich, dass umgekehrt auch das Versicherungsvertragsrecht durch andere Rechtsgebiete beeinflusst wird; zumindest bestehen enge Zusammenhänge. Für das Deliktsrecht und den Inhalt von Haftpflichtversicherungen ist dies offensichtlich. So wirken sich beispielsweise Haftungsverschärfungen oder Haftungseinschränkungen – sei es durch Gesetz oder durch Rechtsfortbildung – zumindest mittelbar auf das Versicherungsrecht aus.53 Für die Haftpflichtversicherung gilt im Übrigen der Grundsatz, dass die Versicherung der Haftung folgt.54

II. Wesentliche Begrifflichkeiten 1. Versicherung 11 Der Begriff „Versicherung“ wird unterschiedlich verwendet; damit kann der Versicherungsvertrag, die vom VR übernommene Gefahrtragung, die Haftung des VR oder der Versicherungsschutz aus Sicht des VN gemeint sein.55 Eine insbesondere inhaltliche Definition der Versicherung selbst findet sich weder im VVG noch im VAG. Der Gesetzgeber hat diese Frage damals

46 Vgl. etwa Möller FS Fritz Hauß (1978) 251 f. 47 Wandt6 Rn. 11; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 11. 48 Palandt/Sprau78 § 829 Rn. 4; allgemein zum Einfluss des Versicherungsschutzes auf das Deliktsrecht Fuchs/ Pauker/Baumgärtner Deliktsrecht9 S. 363 f.

49 Wandt6 Rn. 11; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 11; vgl. auch Looschelders VersR 1996 529, 537; Katzenmeier VersR 2002 1449, 1451 f. 50 BGH 3.12.1991 – VI ZR 378/90, BGHZ 116 200, 207 f. = VersR 1992 437, 439 (juris Rn. 25); Erfurter Kommentar/ Preis20 § 619a BGB Rn. 20; Peifer ZfA 1996 69, 77; kritisch Langheid/Rixecker/Langheid6 § 100 Rn. 16. 51 BGH 18.12.1979 – VI ZR 27/78, BGHZ 76 279, 283 f. = VersR 1980 625, 626 (juris Rn. 15 ff.); BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 190, 192 = VersR 1995 96, 97 f. (juris Rn. 18, 23); Dunz LM Nr. 9 zu § 829 BGB; Palandt/ Sprau78 § 829 Rn. 4; BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 190 = VersR 1995 (juris Rn. 18 ff.); Fuchs/Pauker/ Baumgärtner Deliktsrecht9 S. 211 f. 52 BGH 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18 149, 165 f. (juris Rn. 37); Fuchs a. a. O. S. 257; jurisPK-BGB/Vieweg/Lorz8 § 253 Rn. 85; BGH VGS 16.9.2016 – VGS 1/16, VersR 2017 180, 185 (Rn. 71 f.). 53 Vgl. z. B. die Diskussion um die Auswirkungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) v. 29.6.2006 BGBl. I 1897; dazu Koch VersR 2007 288. 54 Statt aller Bruck/Möller/Koch9 Vor §§ 100–112 Rn. 60. 55 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 1 Rn. 4; BGH 8.5.1954 – II ZR 20/53, BGHZ 13 226, 235 (juris Rn. 14). Umgangssprachlich ist mit Versicherung vielfach auch das Versicherungsunternehmen gemeint. Beckmann

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genauso wie im Zuge der VVG-Reform bewusst der Wissenschaft und der Praxis überlassen;56 auch im Zuge der Neufassung des VAG 2016 (zum VAG vgl. noch Rn. 239) hat sich hieran nichts geändert.57 Nichtsdestotrotz finden sich insbesondere in der Literatur zahlreiche verschiedene Definitionsansätze,58 aber auch die Rechtsprechung hat Definitionen herausgearbeitet.59 Die Begriffsbestimmung hat insbesondere Bedeutung für die Frage, ob ein Geschäftsmodell der Versicherungsaufsicht gemäß § 8 Abs. 1 VAG unterliegt. Sie kann aber auch für die Frage des Eingreifens des besonderen Gerichtsstands nach § 215 VVG relevant sein, da diese Vorschrift das Vorliegen eines Versicherungsvertrags (oder eine Versicherungsvermittlung) voraussetzt.60 Abgrenzungsprobleme bspw. zur Wette, zur Garantie oder der Geschäftsbesorgung gibt es in der Praxis nur äußerst selten.61 Zu Einzelheiten zur Begriffsbestimmung sowie zu einzelnen Definitionen vgl. umfassend Baumann/Koch § 1 Rn. 14 ff.

2. Privatversicherungsrecht Das Privatversicherungsrecht umfasst das Recht der privaten Versicherung, mithin die Ge- 12 samtheit der privatrechtlichen Versicherungsverhältnisse und alle auf die Privatversicherung bezogenen Rechtsnormen.62 Einbegriffen sind neben den Rechtsnormen, die sich mit den Versicherungsverträgen selbst befassen, auch diejenigen, die sich mit den Unternehmen beschäftigen, die diese geschäftsmäßig abschließen.63 Das Privatversicherungsrecht betrifft folglich zwar die privat-rechtlichen Versicherungsverhältnisse, ist aber nach wohl h. M. nicht nur Privatrecht, sondern beinhaltet auch das besondere öffentliche Recht, das die privatrechtlichen Versicherungsverhältnisse und ihre Parteien zum Gegenstand hat.64 Wenn öffentliches Recht damit Teil des Privatversicherungsrechts sein kann, so lässt sich dies begrifflich nur damit erklären, dass Privatversicherungsrecht für das Recht der privaten Versicherung und nicht nur für Privatrecht steht.65 Vor diesem Hintergrund passt der Begriff Individualversicherungsrecht (als Synonym für Privatversicherungsrecht [vgl. oben Rn. 1]) an sich besser als der Begriff Privatversicherungsrecht. Dem Privatversicherungsrecht steht das Sozialversicherungsrecht gegenüber und es ist 13 hiervon grundsätzlich abzugrenzen. Ein wesentliches Charakteristikum für privatversicherungsrechtliche Versicherungsverhältnisse ist die privatrechtliche Begründung und Gestaltung der Rechtsbeziehung zwischen VN und VR. Demgegenüber entstehen sozialversicherungsrechtliche Versicherungsverhältnisse kraft Gesetzes. Privatversicherungsrecht und Sozialversicherungsrecht unterscheiden sich des Weiteren durch unterschiedliche Prinzipien und andere Versiche-

56 Motive S. 70; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 112; RegE S. 56: „Auf eine Definition des Begriffes der Versicherung wird weiterhin verzichtet, da sie auf der Grundlage der aktuellen Versicherungsformen bestimmt werden müsste und damit unbeabsichtigt zukünftige Entwicklungen der Versicherungsprodukte vom Anwendungsbereich des Versicherungsvertragsgesetzes ausgeschlossen werden könnten“. 57 Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 1 Rn. 2. 58 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 112 ff.; MAH Versicherungsrecht/Steinbeck4 § 2 Rn. 1 ff.; v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 875 f. 59 BGH 29.9.1994 – I ZR 172/92, VersR 1995 344, 344 f. (juris Rn. 21, 29); BVerwG 12.5.1992 – 1 A 126/89, BVerwGE 90 168, 170 = VersR 1992 1381, 1382 (juris Rn. 20); BVerwG 19.6.1969 – I A 3/66, BVerwGE 32 196, 197 = VersR 1969 819, 819 (juris Rn. 16); BVerwG 25.11.1986 – 1 C 54/81, BVerwGE 75 155, 159 f. = VersR 1987 297, 298 (juris Rn. 29 ff.). 60 Vgl. BGH 23.11.2016 – IV ZR 50/16, VersR 2016 118, 119 (Rn. 11). 61 Wandt6 Rn. 24. 62 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 1; Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 2; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 18. 63 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 18. 64 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 1. 65 Hofmann PVR § 1 Rn. 4. 9

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Einleitung

rungstechniken66 (zur Unterscheidung noch in diesem Abschnitt unter Rn. 23 sowie Baumann/ Koch § 1 Rn. 311 ff.). 14 Nach h. M. gehören zum Privatversicherungsrecht damit folgende Rechtsgebiete:67 – Versicherungsvertragsrecht, kodifiziert im VVG (einschließlich EGVVG); – Versicherungsverwaltungsrecht, zu welchem insbesondere das Versicherungsaufsichtsrecht gehört;68 – Versicherungsunternehmensrecht, welches auf verschiedene Rechtsquellen verteilt besondere Vorschriften gerade für die Versicherungsunternehmen enthält; – Versicherungsvermittlerrecht69 sowie Versicherungsvertriebsrecht; – Internationales Versicherungsvertragsrecht.70

3. Versicherungsvertragsrecht 15 Das Versicherungsvertragsrecht als Teil des Privatversicherungsrechts hat das Rechtsverhältnis zwischen dem VU und dem VN zum Gegenstand, also das den Versicherungsschutz gewährende Vertragsverhältnis.71 Das Versicherungsvertragsrecht enthält mithin das „(Schuld-)Vertragsrecht für Versicherungsverträge“.72 Erfasst werden auch Versicherungsverträge, deren Abschluss auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruht (Pflichtversicherungen) und deren Mindestinhalt gesetzlich geregelt ist.73 Als VR kommen gemäß § 8 Abs. 2 VAG nicht nur privatrechtliche Gesellschaften, namentlich die AG, der VVaG oder die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea; SE) in Betracht, sondern auch öffentlich-rechtliche Versicherungseinrichtungen.74 Auch das Recht der Versicherungsvermittlung gemäß §§ 59 ff. VVG sowohl durch Versicherungsvertreter als auch durch Versicherungsmakler ist als Versicherungsvertragsrecht einzuordnen, jedenfalls soweit das Versicherungsverhältnis im Raum steht. Die Rechtsbeziehung zwischen VU und Versicherungsvermittler richtet sich je nach Art und Rechtsstellung des Versicherungsvermittlers insbesondere nach Arbeitsrecht, Handelsvertreterrecht oder Handelsmaklerrecht;75 indes ist zu beachten, dass das Versicherungsmaklerrecht vom Handelsmaklerrecht abweicht.76

4. Versicherungsaufsichtsrecht 16 Das Versicherungsaufsichtsrecht als weiterer Teil des Privatversicherungsrechts regelt das Rechtsverhältnis zwischen Staat und den seiner Kontrolle unterliegenden Versicherungsunter66 Bruns § 2 Rn. 36. 67 Vgl. zur folgenden Aufzählung auch Bruck/Möller/Möller8 Einl. Rn. 2; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 78; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 2. 68 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle6 Einl. Rn. 5; Wandt6 Rn. 2. 69 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 78; Bruck/Möller/Möller8 Bd. I Einl. Anm. 2. 70 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 78. 71 Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 2. 72 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 5; ders. Rn. 6; vgl. auch Werber/Winter Rn. 1. 73 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 5; ders. Rn. 5; Armbrüster2 Rn. 9; BVerfG 3.4.2001 – 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103 197, 218 = VersR 2001 627, 630 (juris Rn. 70 ff.). 74 Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 2; Deutsch/Iversen7 § 2 Rn. 21; zur Einordnung kommunaler Haftpflichtschadensausgleichsverbände als besonders organisierte nichtrechtsfähige Vereine vgl. Deutsch/Iversen7 § 2 Rn. 22; umfassende Darstellung der Wirkungsweise eines kommunalen Schadensausgleichs und seiner Stellung innerhalb der Versicherungswirtschaft am Beispiel des Kommunalen Schadensausgleichs Hannover bei Petersen Entstehung, Rechtsnatur und Aufgabenstellung des Kommunalen Schadensausgleichs 1992. 75 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 5; vgl. auch Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 2 und Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 78; Wandt6 Rn. 5. 76 Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff3 § 5 A Rn. 45 ff.; Bruns § 12 Rn. 16. Beckmann

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nehmen.77 Das Versicherungsaufsichtsrecht ist als öffentliches (Gewerbe-)Recht/Verwaltungsrecht zu qualifizieren78 und war ursprünglich im Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen vom 12.5.1901 (RGBl. S. 139)79 geregelt. Dieses Gesetz wurde aus Anlass der Umsetzung der Solvabilität II-Richtlinie80 mit Wirkung zum 1.1.2016 erstmalig neu verkündet,81 woraufhin sich nicht nur die Paragraphenzählung praktisch vollständig geändert hat, sondern das Gesetz teilweise auch inhaltlich in großem Maße Änderungen unterworfen wurde82 (vgl. dazu näher unter Rn. 239 ff.).

5. Versicherungsunternehmensrecht Zum Versicherungsunternehmensrecht zählen letztlich alle Vorschriften über die Gründung 17 und Organisation der privatrechtlich tätig werdenden VR.83 Die Voraussetzungen einer Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb eines Versicherungsunternehmens sind in §§ 8 ff. VAG geregelt. Gemäß § 8 Abs. 2 VAG darf dabei die Erlaubnis nur Aktiengesellschaften, Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, Europäischen Gesellschaften (Societas Europaea; SE) sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts erteilt werden.84 Die gesellschaftsrechtlichen Rechtsgrundlagen bilden für die AG das AktG, für den VVaG die §§ 171–210 VAG, für die SE die VO 2157/2001 (SE-VO)85 und das SE-Ausführungsgesetz (SEAG)86 und für die öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen die einschlägigen landesrechtlichen Gesetze und Staatsverträge87 (vgl. dazu näher unter Rn. 300).

III. Anwendungsbereich des VVG In den sachlichen Anwendungsbereich des VVG fallen sämtliche privatrechtliche Versiche- 18 rungsverhältnisse,88 auch solche Versicherungen, die im VVG nicht ausdrücklich geregelt sind.89 Vom Anwendungsbereich des VVG explizit ausgenommen sind gemäß § 209 VVG (auch schon vor der VVG-Reform 2008 gemäß § 186 VVG a. F.) die Seeversicherung und die Rückversicherung.90 Vor der VVG-Reform waren die See- sowie die Seerückversicherung noch in den 77 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 19. 78 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 19; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 35; Langheid/Wandt/ Langheid2 Nebengesetze 100 Rn. 88; Pohlmann VersR 2012 294, 294. 79 I.d.F. der Bekanntmachung vom 17.12.1992 (BGBl. 1993 I 2), aufgehoben durch Artikel 3 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes vom 1.4.2015 (BGBl. I 434), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 8.7.2019 (BGBl. I 1002). 80 2009/138/EG, ABI. EU 2009 Nr. L 335 S. 355. 81 Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen (VAG), BGBl. 2015 I 434. 82 Überblick zu den Neureglungen bei Armbrüster RuS 2015 425 ff; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle6 Einl. Rn. 30 ff. 83 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 20; Petersen Versicherungsunternehmensrecht (2003) Rn. 1 f.; Diehl/Diehl Versicherungsunternehmensrecht (2020) § 1 Rn. 1. 84 Armbrüster 2 Rn. 42. 85 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. vom 8.3.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG 2001 Nr. L 2994 S. 1. 86 Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), BGBl I 2004 3675. 87 Diehl/Behrendt Jonsson Versicherungsunternehmensrecht (2020) § 2 Rn. 32. 88 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 21; Stoecker Der Vorsatz des Versicherungsnehmers bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sinne des § 103 VVG (2011) S. 5. 89 Deutsch/Iversen7 § 4 Rn. 31; zum Versicherungsbegriff Baumann/Koch § 1 Rn. 14 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster30 1. Einl. Rn. 4. 90 Deutsch/Iversen7 § 4 Rn. 31; Sieg3 S. 32; zur Rückversicherung Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 105 und Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 173. 11

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§§ 778–900, 905 HGB geregelt. Mit Inkrafttreten der VVG-Reform sind diese Rahmenbedingungen gemäß Art. 4 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (ReformG) indes aufgehoben worden.91 Zur Begründung für die Aufhebung der im HGB verankerten Rahmenbedingungen ist im Gesetzgebungsverfahren auf das mangelnde Bedürfnis für die Beibehaltung der umfangreichen HGB-Sonderregelungen hingewiesen. Ihre praktische Bedeutung sei schon seit langem durch allgemeine Bedingungswerke, die sich an den internationalen Regelungen und Usancen orientierten, verloren gegangen.92 Diese Regeln hätten sich bewährt und nur in wenigen Fällen zu Rechtsstreitigkeiten geführt, weshalb keine Notwendigkeit bestehe, das Seeversicherungsrecht im HGB an die heutigen Verhältnisse anzupassen. Für den Bereich der Seeversicherung hat sich der Gesetzgeber damit zurückgezogen und überlässt das Feld vertraglichen Rahmenbedingungen. Diese Begründung hätte sich auch auf andere an internationalen Usancen orientierten Großrisiken übertragen lassen. Die VVG-Kommission hatte hingegen nicht zu Unrecht noch die Einbeziehung der Seeversicherung in den Anwendungsbereich des VVG vorgeschlagen.93 Die betroffenen Wirtschaftskreise, namentlich Reedereien und Seeversicherer hatten sich – so die Gesetzesbegründung – indes für die alleinige Geltung international geprägter Bedingungswerke ausgesprochen. Eine Befreiung von den Beschränkungen der Vertragsfreiheit über § 210 VVG sei nicht als ausreichende Maßnahme zur Berücksichtigung der internationalen Gepflogenheiten angesehen worden.94 In der Gesetzesbegründung wurde die Einbeziehung der Seeversicherung rechtssystematisch als wünschenswert bezeichnet. Nichtsdestotrotz sah der Gesetzgeber hiervon wegen der „für die Praxis nicht unproblematischen Einbeziehung der Seeversicherung“ in das VVG ab. 19 Für die Rückversicherung besteht im Hinblick auf das Vertragsrecht ein weithin regelungsfreier Raum, der durch vertragliche Absprachen und durch die Bildung gewohnheitsrechtlicher Regelungen und Handelsbräuche ausgefüllt wird.95 Das VVG kann weiterhin als Auslegungshilfe herangezogen werden, soweit sich daraus allgemeine versicherungsrechtliche Grundsätze herleiten lassen.96 Eine analoge Anwendung der Vorschriften des VVG ist aufgrund von § 209 VVG und der daher fehlenden planwidrigen Regelungslücke grundsätzlich abzulehnen.97 Zur wie auch schon vor der VVG-Reform geltenden Ausklammerung der Rückversicherung stellte die Gesetzesbegründung darauf ab, dass insoweit keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen VN des Erstversicherers und dem Rückversicherer bestünden. Deshalb fänden auch die bei der Reform des VVG zu berücksichtigenden EU-rechtlichen Vorschriften für Versicherungsverträge und für Versicherungsvermittler auf die Rückversicherung keine Anwendung.98 Aufsichtsrechtliche Vorgaben zur Rückversicherung finden sich aber im Aufsichtsrecht, insbesondere in den §§ 165 ff. VAG. 20 Schon nach früherem Recht fanden gemäß § 189 VVG a. F. aus Praktikabilitätsgründen näher bestimmte Vorschriften99 keine Anwendung u. a. auf kleinere VVaG und Lebens- und Unfallversicherungen mit kleineren Beiträgen, soweit mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde 91 Die §§ 778–900, 905 HGB a. F. waren auf Versicherungsverhältnisse, die bis zum Inkrafttreten des neuen VVG am 1.1.2008 entstanden sind, bis zum 31.12.2008 anzuwenden. 92 RegE S. 120, 115 (auch zum Folgenden). 93 KomE S. 10. 94 RegE S. 115 (auch zum Folgenden). 95 Prölss/Martin/Klimke30 § 209 Rn. 3c. 96 Vgl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 186 Rn. 18; Prölss/Martin/Klimke30 § 209 Rn. 3. 97 Prölss/Martin/Klimke30 § 209 Rn. 3b; Bruck/Möller/Echarti/Labes9 § 209 Rn. 36; Looschelders Grundfragen des deutschen und internationalen Rückversicherungsvertragsrechts, VersR 2012 1, 2. Für analoge Anwendung der Vorschriften über die Doppelversicherung Kohleick Die Doppelversicherung im deutschen Versicherungvertragsrecht (1999) 12; Huber Liber amicorum für Gerrit Winter (2005) 663, 669 ff. 98 RegE S. 115. 99 §§ 38 (Zahlungsverzug mit Erstprämie), 39 (Zahlungsverzug mit Folgeprämie), 42 (halbzwingende Vorschriften), 165 (Kündigungsrecht des VN), 174 (Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung), 175 (Umwandlung durch Kündigung des VR), 176 (Rückkaufswert) sowie 178 (Halbzwingende Vorschriften) VVG a. F. Beckmann

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in den Versicherungsbedingungen abweichende Bestimmungen getroffen sind.100 Eine entsprechende – jedoch noch differenziertere – Regelung findet sich seit der VVG-Reform 2008 in § 211 VVG. Sachlich ist die Regelung des § 189 Abs. 1 und 2 VVG a. F. aber unverändert geblieben.101 Grund für die Einschränkung ist, dass kein mit „normalen“ Versicherungsverhältnissen vergleichbares Schutzbedürfnis besteht. Die Vorschrift stellt eine Art „de minimis“-Regel dar,102 welche nur eingreift, wenn die Aufsichtsbehörde von den in § 211 VVG genannten Fällen abweichende Regelungen genehmigt hat. Eine Neuregelung enthält hingegen § 211 Abs. 2 VVG. Danach werden Pensionskassen i. S. d. § 233 Abs. 1 und 2 VAG von weiteren Vorschriften des VVG ausgenommen, um den Besonderheiten der betrieblichen Altersversorgung in dem notwendigen Umfang zu entsprechen.103 Zur Anwendung des VVG auf Versicherungsverhältnisse bei Innungsunterstützungskassen und Berufsgenossenschaften s. Rn. 148. Nach § 210 Abs. 1 VVG gelten halbzwingende, sowie zwingende („Beschränkungen der Ver- 21 tragsfreiheit“) Vorschriften des VVG nicht für Großrisiken i. S. d. § 210 Abs. 2 VVG und laufende Versicherungen i. S. d. § 53 VVG. Zu halbzwingenden Vorschriften s. noch Rn. 165 ff. sowie Baumann/Koch § 1 Rn. 262 ff. Abgesehen von den genannten Ausnahmen hat das VVG also für alle anderen Versiche- 22 rungszweige Geltung und zwar auch für jene, die im Gesetz selbst keine Erwähnung gefunden haben, selbst dann, wenn es sie bei Inkrafttreten des VVG noch nicht gegeben hat.104

IV. Privatversicherung und Sozialversicherung Die Privatversicherung und die Sozialversicherung bilden die beiden Säulen der Versor- 23 gungssysteme in der Bundesrepublik; diese überlagern sich zwar teilweise in ihren Funktionen, zum größten Teil ergänzen sie sich indes gegenseitig.105 In den meisten Fällen ist die Antwort auf die Frage, ob ein Versicherungsverhältnis nach privat- oder sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen ist, problemlos zu beantworten.106 Trotzdem ist diese Abgrenzung seit langem „Thema einer eindringlichen wissenschaftlichen Diskussion“.107 Die Sozialversicherung gehört zum staatlichen Sozialversicherungssystem und umfasst die gesetzliche Kranken- (Sozialgesetzbuch Teil V [SGB V]), Renten- (SGB VI), Unfall- (SGB VII), Arbeitslosen(SGB III) und Pflegeversicherung (SGB XI); allgemeine Vorschriften zur Sozialversicherung finden sich im SGB IV. Die von der Sozialversicherung erfassten Risiken lassen sich grundsätzlich auch durch private Versicherungen erfassen; darüber hinaus bietet die Privatversicherung allerdings in großem Umfang Versicherungsschutz, der durch eine Sozialversicherung nicht abgedeckt wird.108 Wie schon anderenorts (Rn. 13) zum Ausdruck gebracht, liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen Privatversicherung und Sozialversicherung in der Begründung und Gestaltung der Rechtsbeziehung zwischen VN und VR.109 Ein der Privatversicherung zugrunde liegendes Versicherungsverhältnis kommt durch schuldrechtlichen Vertrag zustande, während ein der Sozialversicherung unterliegendes Versicherungsverhältnis gemäß § 40 SGB I kraft 100 101 102 103 104 105

Vgl. etwa Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 21; § 189 Rn. 1. RegE S. 116. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 211 Rn. 1. RegE S. 116. BGH 24.4.1967 – II ZR 229/64, VersR 1967 774,774 (juris Rn. 6); Prölss/Martin/Armbrüster 30 1. Einl. Rn. 4. Berliner-Kommentar/Dörner Einl. Rn. 15; dazu auch Bley/Kreikebohm Sozialrecht9 Rn. 279 ff.; Baumann Abgrenzung von Sozialversicherung und Privatversicherung in der sozialen Marktwirtschaft, FS v. Lübtow (1980) 667, 673 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer4 Einl. Rn. 3. 106 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 72; so auch wegen der Organisationsform Deutsch/Iversen7 § 2 Rn. 20. 107 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 72. 108 Berliner-Kommentar/Dörner Einl. Rn. 15. 109 A.A. Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 14; Deutsch/Iversen7 § 2 Rn. 18 ff. 13

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Einleitung

Gesetzes entsteht.110 Schon diese Unterscheidung deutet darauf hin, dass die Privatversicherung grundsätzlich auf dem Prinzip der Vertragsfreiheit basiert (mit Einschränkungen z. B. im Hinblick auf die Abschlussfreiheit bei Pflichtversicherungen). Demgegenüber besteht in der Sozialversicherung im Grundsatz Versicherungszwang und auch der Inhalt des Versicherungsverhältnisses ist gesetzlich festgelegt (vgl. § 32 SGB I).111 Damit kommt zum Ausdruck, dass beide Versicherungssysteme unterschiedlichen Prinzipien folgen. Des Weiteren gelten Unterschiede im Hinblick auf die Organisation und die Versicherungstechnik.112 Träger der Sozialversicherung sind grundsätzlich als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert. Versicherer der Privatversicherung treten im Grundsatz als Aktiengesellschaft (bzw. Europäische Gesellschaft [SE]) oder Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit auf; gemäß § 8 Abs. 2 VAG können aber auch Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts das Privatversicherungsgeschäft betreiben. Deshalb stellt allein die Organisationsform des VR nicht das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung dar.113 Die Sozialversicherung folgt den Prinzipien des sozialen Schutzes und der Solidarität sowie dem Prinzip des sozialen Ausgleichs;114 dies zeigt sich etwa daran, dass die Beiträge nicht wie in der Privatversicherung risiko- (sog. Äquivalenzprinzip),115 sondern einkommensbezogen berechnet werden116 (vgl. im Übrigen Baumann/Koch § 1 Rn. 313).117

V. Arten von Versicherungen/Versicherungssparten/-zweige 24 „Versicherungsart“ bzw. „Versicherungsform“: So bezeichnet man überwiegend den jeweiligen Vertragstyp, z. B. die „Krankheitskostenversicherung“118 oder die „Krankentagegeldversicherung“.119 „Versicherungszweige“ bzw. „Versicherungssparte“ oder auch „Versicherungsbranche“: Mit 25 diesen Begriffen werden verwandte Versicherungsarten zu einem Oberbegriff zusammengefasst, so sind die Krankheitskostenversicherung und die Krankentagegeldversicherung der Versicherungssparte „Krankenversicherung“ zuzuordnen.120 Als weitere Beispiele für Versicherungszweige lassen sich etwa Haftpflichtversicherung, Rechtsschutzversicherung, Transportversicherung usw. nennen (vgl. Teil 2 Kapitel 1 ff. des VVG). Das VVG verwendet die Begriffe Versicherungssparte und Versicherungsbranche nicht, sondern spricht in der Übersicht zu Kapitel 1 von Versicherungszweigen. Diese Unterteilung in Versicherungszweige hat in erster Linie nur systematische Bedeutung.121 Im VAG wird sowohl der Begriff der Versicherungszweige (z. B. §§ 12 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 45 Abs. 5 Nr. 5 VAG) als auch der der Versicherungssparten (z. B. §§ 1 Abs. 2; 8 Abs. 4, 10 Abs. 2, 3 VAG; vgl. die Einteilung der Risiken nach Sparten in Anlage 1 zum VAG) verwendet. Hier hat die Unterteilung in Versicherungssparten jedoch große Bedeutung, da

110 Wandt6 Rn. 5 f. 111 Berliner-Kommentar/Dörner Einl. Rn. 16; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 70; Bruns § 2 Rn. 36, Ausnahmen vom Versicherungszwang ergeben sich bspw. aus § 6 SGB V, §§ 27 ff. SGB III, §§ 4, 5 SGB VII und § 8 SGB IV. 112 Berliner-Kommentar/Dörner Einl. Rn. 17; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 6. 113 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 73. 114 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 70. 115 Armbrüster2 Rn. 247. 116 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 17; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 70. 117 Im Übrigen dazu Deutsch/Iversen7 Rn. 18 ff.; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 15 ff., Beckmann/MatuscheBeckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 70 ff.; Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 14 ff.; Fuchs/Preis A § 4 II; Jäger/Braun Sozialversicherungsrecht (12. Aufl. 2005) Einl. Rn. 5; Baumann FS v. Lübtow (1980) 667, 673 ff. 118 Wandt6 Rn. 30. 119 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 30. 120 Wandt6 Rn. 32. 121 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 32. Beckmann

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Überblick über die Geschichte des Versicherungsvertragsgesetzes

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insbesondere die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb gesondert für einzelne Sparten erteilt wird (§ 10 Abs. 2 VAG).122 Zu Begriffspaaren wie Schadensversicherung – Summenversicherung, Personenversiche- 26 rung – Nichtpersonenversicherung, freiwillige Versicherung – Pflichtversicherung, Erstversicherung – Rückversicherung und Einzel-, Gruppen- und Direktversicherungen wird insbesondere auf die Kommentierung bei Baumann/Koch zu § 1 Rn. 53 ff., 129 ff., 307 sowie bei Wandt6 Rn. 36 ff. verwiesen.

B. Überblick über die Geschichte des Versicherungsvertragsgesetzes Schrifttum Arps Auf sicheren Pfeilern, Deutsche Versicherungswirtschaft vor 1914 (1965); Arps Durch unruhige Zeiten, Deutsche Versicherungswirtschaft seit 1914 Teil 1 (1970); Teil 2, (1976); Bödiker Die Privatversicherung (1898); Botur Privatversicherung im Dritten Reich: zur Schadensabwicklung nach der Reichskristallnacht unter dem Einfluss nationalsozialistischer Rassen- und Versicherungspolitik (1995); Bruck Das Privatversicherungsrecht (1930) § 2 II. S. 3 ff.; Bruck/ Möller/Sieg/Johannsen8 Bd III, Anm. 49 ff. (Zur Geschichte der Feuerversicherung und Betriebsunterbrechungsversicherung); Deutsch/Iversen Versicherungsvertragsrecht 7. Aufl. (2015); Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt (1991) Kap. 1 S. 13 ff.; Duvinage Die Vorgeschichte und die Entstehung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (1987); F. Ebel Die Anfänge der rechtswissenschaftlichen Behandlung der Versicherung, ZVersWiss (1980); ders. Quellennachweis und Bibliographie zur Geschichte des Versicherungsrechts in Deutschland (1993); Ehrenberg Versicherungsrecht (1893); Gärtner Privatversicherungsrecht (1976) S. 30 f.; Gerhard/Hagen/v. Knebel/Doeberitz/Broecker/ Manes Kommentar zum Deutschen Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag (1908) S. VII f.; von Gierke Versicherungsrecht I (1937) S. 8 ff.; Goldschmidt Handelsrecht 2. Aufl. (1875) Bd. I; Hellwege (Hrsg.) A Comparative History of Insurance Law in Europe (2018); ders. Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht aus historisch-vergleichender Perspektive, RabelsZ 76 (2012) 864; Jacobi Beiträge zur Gesetzgebung über das Versicherungswesen im Allgemeinen und das Feuerversicherungswesen insbesondere, Zeitschrift des Königlich preußischen statistischen Bureaus (1869) Ergänzungsheft II; Jakobs/Schubert Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (1978); P.Koch Geschichte der Versicherungswirtschaft in Deutschland (2012); ders. Zur Geschichte der versicherungsvertraglichen Kodifikationen in Deutschland und in Österreich, Festschrift Reimer Schmidt (1976) 299; ders. Die Behandlung des Versicherungsvertrages im preußischen Allgemeinen Landrecht VersR 1994 629; ders. Rechtsgeschichtliche Entwicklung der Versicherung in: HdV (1988); Lewis Versicherungsrecht (1889); Manes Versicherungswesen 3. Aufl. (1922); Möller Versicherungswirtschaft und Versicherungspraxis in den zurückliegenden 75 Jahren ZVersWiss 1974 11; Nehlsen-von Stryk Die venezianische Seeversicherung im 15. Jahrhundert (1985); Neugebauer Versicherungsrecht vor dem Versicherungsvertragsgesetz (1990); Neumann Systematisches Verzeichnis der Literatur des deutschen Sprachgebiets über das private Versicherungswesen vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (1913) S. 34 ff.; Perdiktas Die Entstehung der Versicherung im Mittelalter, ZVersWiss (1966) 425; Prölss Die Entwicklung des Feuerversicherungsrechts VersArch 1942/43 156; Raiser Entwicklungslinien im Recht des Versicherungsvertrages ZVersWiss 1978 375; Rapp Das Äquivalenzprinzip im Versicherungsrecht (2019) S. 11 ff.; Rellstab Entwurf für ein preußisches Versicherungsgesetz Assecuranz-Jahrbuch XIV (1893); Schug Der Versicherungsgedanke und seine historischen Grundlagen (2011); Surminski Versicherung unterm Hakenkreuz (1999); Tigges Geschichte und Entwicklung der Versicherungsaufsicht (1985).

I. Stadium vor Geltung des Versicherungsvertragsgesetzes 1. Überblick über die versicherungsrechtliche Partikulargesetzgebung Zu den führenden rechtsstaatlichen Kodifikationen an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert 27 gehörten das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794, der code civil von 1804 und das österreichische ABGB von 1811.123 Die ausführlichste Regelung des Versicherungs122 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 32. 123 P. Koch VersR 1994 629. 15

Beckmann

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rechts fand sich in Preußen, hier erfuhr das Versicherungsrecht erstmals eine gesetzliche Gesamtregelung.124 Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) erwähnte den Versicherungsvertrag an zwei verschiedenen Stellen. Zum einen im Rahmen der schuldrechtlichen Austauschverträge unter der Rubrik über die gewagten Geschäfte.125 Damit ordnete das ALR nach § 546 den Versicherungsvertrag in das bürgerliche Schuldrecht unter die aleatorischen Verträge126 ein. Die eigentlichen Regelungen des Versicherungsrechts fanden sich aber im Handelsrecht, wo es umfassend in 425 Paragraphen geregelt war.127 Entsprechend der damaligen Entwicklung des Versicherungsrechts lag dessen Schwerpunkt im Bereich der Seeversicherung.128 Binnenversicherungsrechtliche Regelungen fanden sich insbesondere für die (Mobiliar-)Feuerversicherung und auch für die Lebens- und die Rückversicherung.129 Auch die Lebensfremdversicherung wurde vom ALR bereits angesprochen; der Abschluss war nur bei nahen Angehörigen möglich.130 Dem ALR war die Unterscheidung zwischen Schadens- und Summenversicherung nicht bekannt und es betrachtete die Versicherung ausschließlich als Schadensversicherung.131 Neben Vorschriften über Gegenstand und Umfang sowie Form und Inhalt des Versicherungsvertrages standen die „Pflichten der Contrahenten vor und bey Schließung des Vertrages“ im Mittelpunkt.132 Gemäß § 2024 waren sich beide Teile des Vertrages zu besonderer Treue, Redlichkeit und Aufrichtigkeit verpflichtet, es bestand auch eine vorvertragliche Anzeigepflicht. Maßgeblich für die Beurteilung der gegenseitigen Pflichten war in erster Linie der Inhalt des Versicherungsvertrages. Das ALR enthielt auch bereits rudimentäre Ansätze der „grundlegende(n) Konzepte der modernen versicherungsvertragsrechtlichen Dogmatik“,133 wie z. B. das Bereicherungsverbot,134 die Lehre vom versicherten Interesse,135 die Theorie der Obliegenheiten136 und die Betonung des Grundsatzes von Treu und Glauben.137/138 Jedenfalls in der Versicherungspraxis hatte das ALR wegen seiner ausführlichen und sorgfältigen Regelungen starke Beachtung gefunden und viele seiner Vorschriften sind in Versicherungsbedingungen und das geltende Recht eingegangen.139 In den französisch-rechtlichen Gebieten Deutschlands galt bis 1814 der französische code 28 civil. Seine Geltung umfasste einen großen Teil des Landes und er blieb nach 1814 noch in den linksrheinischen Gebieten und in Baden in Kraft.140 Jedoch beinhaltete der code civil keine umfassende Regelung des Binnenversicherungsrechts, da dieses nicht für kodifikationsreif gehalten wurde.141 In der Fassung von 1804 gliederte er lediglich den contrat d’assurances in einer gesetzlichen Definition den contrats aléatoires ein (Art. 1964) und verwies ihn in das Seerecht im Code de commerce von 1807, ohne den Versicherungsvertrag selbst näher zu behandeln.142 124 125 126 127 128 129

Schug S. 267; Hellwege/Hellwege S. 196. Vgl. § 546 ALR; Duvinage S. 4. Vgl. Rapp S. 3. Dazu Duvinage S. 4; P. Koch VersR 1994 629, 630. Vgl. Hellwege/Hellwege S. 173. Vgl. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 1; vgl. Duvinage S. 4–6; P. Koch VersR 1994 629, 631; ders. FS Reimer Schmidt (1976) 299, 304 ff.; Neugebauer S. 28, 29. 130 Vgl. § 1973 ALR; P. Koch VersR 1994 629, 631. 131 P. Koch VersR 1994 629, 631; Duvinage S. 4; Neugebauer S. 31. 132 Vgl. §§ 2024 ff. ALR; P. Koch VersR 1994 629, 631; Duvinage S. 7. 133 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 1. 134 Neugebauer S. 32; P. Koch FS Reimer Schmidt 1976 299, 306; P. Koch VersR 1994 629, 631. 135 Vgl. §§ 1995 ff. ALR. 136 Vgl. §§ 2117, 2118 ALR. 137 Vgl. § 2024 iVm. § 539 1. Teil Titel XI § 539 ALR. 138 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 1; Eichler FS Möller (1972) 178; Duvinage S. 9 u. 10. 139 P. Koch VersR 1994 629, 632 f. 140 Duvinage S. 10; Schubert ZRG Germ. Abt. Bd. 94 1977 129, 154 f.; Arps Auf sicheren Pfeilern (1965) S. 284. 141 Duvinage S. 10. 142 Bruns § 3 Rn. 11; Hellwege/Delbrel S. 56 f. Beckmann

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Auch das österreichische ABGB143 behandelte in seinem 9. Hauptstück zusammen mit Wet- 29 te, Lotterie und Leibrente den Versicherungsvertrag und stufte ihn somit als spekulatives Geschäft ein.144 Die Regelungen über den Versicherungsvertrag bestanden jedoch nur aus vier Paragraphen und lassen vermuten, dass der Versicherungsvertrag nur der Vollständigkeit halber in das ABGB aufgenommen wurde, ohne dass jedoch ein wirkliches Bedürfnis für eine solche Regelung gesehen wurde.145 Neben dem ALR ist die Behandlung privatversicherungsrechtlicher Fragen, insbesondere der Doppelversicherung und Schadensregulierung, lediglich in vereinzelten Landesgesetzen des 19. Jahrhunderts zu finden,146 so z. B. im preußischen Gesetz über das Mobiliarfeuerversicherungswesen von 1837147 und dem sächsischen Gesetz betreffend das Mobiliar- und Privatfeuerversicherungswesen von 1862.148 In Ermangelung privatrechtlicher gesetzlicher Grundlagen wurde das Versicherungsvertragsrecht im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend durch gewohnheitsrechtliche Regeln und Versicherungsbedingungen der VR geprägt.149 In den anderen Ländern, außerhalb des Geltungsbereichs des ALR, existierten im 19. Jahr- 30 hundert lediglich Landesgesetze mit primär öffentlich-rechtlichen Wirkungen,150 wobei diese vornehmlich die verwaltungsrechtliche Seite des Versicherungswesens regelten und sich meistens mit der Feuerversicherung befassten. Beispielsweise waren darin die Einführung eines Gebäudeversicherungszwanges sowie Regelungen bezüglich der Versicherungsaufsicht enthalten.151 Die zivilrechtliche Seite dieser Landesgesetze dagegen begnügte sich überwiegend damit, der Gefahr der Über- und Doppelversicherung zu begegnen, weswegen eine weitgehende „Präventivkontrolle“, wie z. B. die Überwachung des Versicherungsvertragsabschlusses, reglementiert war.152

2. Kodifikationsversuche im 19. Jahrhundert a) Zeit des Deutschen Bundes von 1815–1866. Im Rahmen der allgemeinen Kodifikations- 31 bemühungen in Deutschland hatte das Handelsrecht eine Vorreiterfunktion und da das Versicherungsrecht als Teil des Handelsrechts gesehen wurde, bemühte man sich auch insoweit früh um eine einheitliche gesetzliche Regelung.153 Bereits zur Zeit des Deutschen Bundes kam es daher zu regionalen und auch überregionalen Kodifikationsversuchen des Handelsrechts.154 Einen ersten Versuch stellte der Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg155 im Jahr 1839 dar, der vom Versicherungsvertrag als Handelsgeschäft ausging,156 und sich bemühte, den

143 JGS Nr. 946/1811. 144 Vgl. § 1267 ABGB; Neugebauer S. 36; zu der rechtsvergleichenden Geschichte des Versicherungsrecht in Europa vgl. Hellwege (Hrsg.) A Comparative History of Insurance Law in Europe Band I (2018). Neugebauer S. 37. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 2; vgl. Duvinage S. 10 f. GS (Gesetzessammlung) 1837 102. GVBl. Sachsen 1862 339.; vgl. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 2; Duvinage S. 10 ff. (dort auch Nachweise zu den unterschiedlichen Fassungen dieses Gesetzes). 149 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 2; Duvinage S. 10, 52; Ehrenberg Versicherungsrecht (1893) S. 22 f.; E. Prölss VersArch 1942/43 156, 162 ff. 150 Duvinage S. 10, 11; Zusammenstellung dieser Gesetze Duvinage S. 11 ff. und bei Lewis S. 8 ff. 151 Duvinage S. 10, 11. 152 Duvinage S. 11; E. Prölss VersArch 1942/43 156, 160. 153 Neugebauer S. 47. 154 Ausführlich Duvinage S. 16 f. jeweils m. w. N. 155 Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg mit Motiven, Teil 1: Entwurf, Stuttgart 1839; Teil 2: Motive, Stuttgart 1840. 156 Neugebauer S. 48; P. Koch FS R. Schmidt (1976) 299, 315; zum Versicherungsvertrag als Handelsgeschäft (heute) vgl. Baumann/Koch § 1 Rn. 218 ff.

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Besonderheiten des Binnenversicherungsrechts gerecht zu werden.157 Der Entwurf löste jedoch in Handel und Wissenschaft nur ein sehr geringes Echo aus und wurde den Ständen auch nie zur Beratung oder gar zur Entscheidung vorgelegt. Deshalb erlangte er auch keine Gesetzeskraft.158 Mit dem Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland im Jahr 1849159 folgte der erste Kodifikationsversuch, der eine Geltung für den Bereich aller deutschen Staaten beanspruchte.160 Dieser Entwurf blieb aber unvollendet und erfasste nur Versicherungen gegen Prämie, während Versicherungen auf Gegenseitigkeit noch ausgenommen wurden.161 Ein weiterer Versuch, das Versicherungsrecht im Rahmen des Handelsrechts zu normieren, findet sich im Entwurf eines Handelsgesetzbuches für die Preußischen Staaten aus dem Jahr 1857.162 Dort existierte zwar das ALR, das versicherungsrechtliche Regelungen enthielt, und auf die man aufbauen konnte, aber auch an diesem war der Wandel der Zeit nicht spurlos vorübergegangen.163 Im preußischen HGB- Entwurf wurde erstmals eine exakte – auch räumliche – Trennung zwischen See- und Binnenversicherung als gesetzgeberisches Bedürfnis anerkannt und vorgenommen.164 Der binnenversicherungsrechtliche Teil des Entwurfs wurde als vollständiger, für den damaligen Stand des Versicherungswesens und seine Doktrin hervorragender und erschöpfender Gesetzesentwurf über das gemeine Versicherungswesen bezeichnet.165 Die Bedeutung dieses Entwurfs, der auch in Preußen selbst nie Gesetz geworden ist, liegt darin, dass er die wesentliche Grundlage der Arbeiten der Nürnberger Konferenz (1857–1861) zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) bildete.166 Während der Beratungen zum ADHGB167 kam es jedoch bereits in der ersten Lesung dazu, dass entschieden wurde, zunächst nur die See- und die Binnentransportversicherung aufzunehmen und die Beratung über den binnenversicherungsrechtlichen Teil des ADHGB zu vertagen.168 In dritter Lesung wurde dann eine nachträgliche Beratung hauptsächlich aus dem formellen Grund der Nichtberatung in erster Lesung abgelehnt.169 Es folgten nun zur Schließung der durch die Nichtaufnahme des Binnenversicherungsrechts 32 in das ADHGB entstandenen Lücke Bestrebungen, den Versicherungsvertrag als Bestandteil des Obligationsrechts einzuordnen, was zunächst im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern im Jahr 1861170 versucht wurde.171 Jedoch stellte auch dieser Entwurf einen „unzureichenden und überaus lückenhaften Kodifikationsversuch des Binnenversicherungsrechts“ dar172 und brachte im Vergleich zum württembergischen oder preußischen HGB-Entwurf

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Duvinage S. 17 f. Duvinage S. 17; Neugebauer S. 56; vgl. auch Goldschmidt Handelsrecht, 2. Aufl. (1875) S. 67. Abgedruckt in Baums Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland 1848/49 (1982). Duvinage S. 18 f. zum versicherungsrechtlichen Inhalt. Vgl. Duvinage S. 18 f. m. w. N.; Neugebauer S. 68. Entwurf eines Handelsgesetzbuches für die Preußischen Staaten nebst Motiven, 1. Teil (Entwurf), Berlin 1857, 2. Teil (Motive), Berlin 1857. 163 Neugebauer S. 59; Duvinage S. 19. 164 So wurde die Seeversicherung im seerechtlichen Teil des Entwurfes geregelt, Art. 603–677, während die Binnenversicherung im sechsten und siebten Titel des dritten Buches „Von Handelsgeschäften“ Niederschlag fand Art. 339–426; Duvinage S. 19 ff., 21; P. Koch FS Reimer Schmidt (1976) 299, 316. 165 Vgl. Duvinage S. 24; so schon Bezold Schmollers Jb 1874 S. 444. 166 Duvinage S. 24; Schubert Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen HandelsGesetzbuches, Bd. 1 S. 6 (1984); zu den Nürnberger Konferenzen ausführlich Goldschmidt a. a. O. S. 91 ff.; Neugebauer S. 67. 167 Vgl. Protokolle zum ADHGB. 168 Duvinage S. 24 f.; Neugebauer S. 69 f. 169 Schubert Protocolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handels-Gesetzbuches (1984) Bd. 9 S. 5124, 5125 f.; vgl. auch Duvinage S. 25; Neugebauer S. 72. 170 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Bd. 3, 1861–1864 nebst Motiven, Neudrucke privatrechtlicher Kodifikationen und Entwürfe des 19. Jahrhunderts Band 3 (1973). 171 Duvinage S. 26. 172 Duvinage S. 27. Beckmann

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wenig Neuerungen.173 In der folgenden Zeit kam auch der 3. Deutsche Juristentag zu dem Ergebnis, dass eine einheitliche Kodifikation in allen Ländern wünschenswert wäre. Er beschränkte sich dennoch einstimmig darauf, „daß über das gesamte Versicherungswesen, soweit es noch nicht durch das Handelsgesetzbuch reguliert ist, ein gemeinsames Deutsches Gesetz erlassen werde“.174 Einen letzten Versuch einer Kodifizierung vor der Reichsgründung stellte dann der Dresd- 33 ner Entwurf eines Allgemeinen deutschen Obligationenrechts von 1866175 dar.176 Die Aufnahme der binnenversicherungsrechtlichen Regelungen in diesen Entwurf waren von Anfang an umstritten. Man wollte einerseits die Lücke schließen, die das ADHGB durch die Nichtaufnahme der Binnenversicherung hinterlassen hatte, andererseits aber die Fortentwicklung des Versicherungswesens nicht hemmen.177 Um die Weiterentwicklung des Versicherungswesens, insbesondere die Bildung neuer Versicherungszweige, zu gewährleisten, sollten zum einen keine Spezialvorschriften für die einzelnen Versicherungsarten aufgenommen werden. Deshalb hatten die meisten Bestimmungen dieses Entwurfs nur subsidiären Charakter.178 Zum anderen waren sie lediglich dispositiv ausgestaltet, so dass auch dieser Entwurf nicht als eine befriedigende Kodifikation des Versicherungsvertragsrechts bewertet worden ist.179

b) Zeit des Norddeutschen Bundes. Auch in der Zeit des 1866 als Militärbündnis gegründeten 34 Norddeutschen Bundes gab es entsprechende Kodifikationsbestrebungen, nachdem durch dessen Verfassung vom 25.7.1867180 erstmals eine Grundlage für eine einheitliche Versicherungsgesetzgebung geschaffen war.181 Deren Art. 4 Ziff. 1 bestimmte, dass die „Bestimmungen über den Gewerbebetrieb einschließlich des Versicherungswesens“ der Beaufsichtigung und der Gesetzgebung des Bundes unterliegen sollten. Dennoch wurden zunächst keine Maßnahmen zur Verwirklichung einer einheitlichen Versicherungsgesetzgebung ergriffen.182 Der Grund dafür lag vor allem darin, dass zu dieser Zeit die Reform des öffentlichen Versicherungswesens in den Vordergrund gerückt war und eine Kodifikation des Privatversicherungsrechts zum Teil sogar bekämpft wurde.183 Daher legte Preußen ohne Rücksicht auf Art. 4 Ziff. 1 dieser Verfassung dem preußischen 35 Abgeordnetenhaus am 1.2.1869 den Entwurf betreffend den Geschäftsverkehr der Versicherungsanstalten und den Entwurf betreffend das Feuerversicherungswesen184 vor. Dieses Vorgehen Preußens wiederum veranlasste Sachsen-Coburg-Gotha, einen Antrag im Bundesrat auf Erlass eines einheitlichen Versicherungsgesetzes zu stellen.185 In der Folgezeit forderte der Bundesrat den Reichskanzler auf, einen Bundesgesetzesentwurf zu erarbeiten und dem Bundestag vorzulegen, wobei der Bundesrat davon ausging, dass der Antrag sich nicht auf die privatrechtliche Seite des Versicherungswesens beziehen werde.186 Der Beschluss richtete sich vielmehr lediglich

173 Neugebauer S. 76. 174 Verhandlungen des 3. Deutschen Juristentages (1863) Bd. 2 S. 285, 286; vgl. auch Duvinage S. 28. 175 Francke Dresdener Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse von 1866, Neudrucke privatrechtlicher Kodifikationen und Entwürfe des 19. Jahrhunderts Band 2 (1973). Duvinage S. 28, 29. Neugebauer S. 79. Duvinage S. 28, 29, 30. Duvinage S. 31. Abrufbar unter http://www.documentarchiv.de/nzjh/ndbd/verfndbd.html (Abrufdatum: 11.7.2019). Duvinage S. 32. Duvinage S. 32. Duvinage S. 32. Jacobi Beiträge zur Gesetzgebung über das Versicherungswesen im Allgemeinen und das Feuerversicherungswesen insbesondere, Zeitschrift des Königlich preußischen statistischen Bureaus (1869) Ergänzungsheft II S. 30, 36; Duvinage S. 33. 185 BR Prot. 1868 Nr. 113 (zitiert nach Duvinage S. 33). 186 BR Prot. § 39 (zitiert nach Duvinage S. 33).

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gegen das selbstständige Vorgehen der einzelnen Regierungen187 und führte auch zu dem Erfolg, dass die preußische Gesetzesvorlage in der Kommission des Abgeordnetenhauses liegen blieb und nicht zur Verabschiedung gebracht wurde.188 36 Auch die vom Norddeutschen Bund erlassene deutsche Gewerbeordnung vom 21.6.1869189 änderte an dieser Gesetzeslage nichts. Sie schloss in ihrem § 6 die Anwendbarkeit auf Versicherungsunternehmer aus.190 Letztlich blieben auch die Bestrebungen zur Zeit des Norddeutschen Bundes zur Schaffung eines bundeseinheitlichen Gesetzes über das Versicherungswesen sowohl in privat- als auch in verwaltungsrechtlicher Hinsicht ohne Erfolg.191 Vor dem Hintergrund dieser unzureichenden Gesetzeslage entwickelten sich dann vor allem in 37 der zweiten Jahrhunderthälfte gewohnheitsrechtliche Regeln, welche besonders von den einseitig von den VR gestellten Versicherungsbedingungen beeinflusst wurden.192 Die VR verwendeten dabei oft übermäßig strenge Klauseln, wodurch die VN stark benachteiligt wurden. Die Rechtsprechung zeigte Bemühen, solche Bedingungen einzuschränken. Auch wenn die Praxis der Gerichte insgesamt noch schwankend war, gelang es der Rechtsprechung auf diese Weise in einzelnen Punkten die Stellung der VN gegenüber den ihnen stark überlegenen VR zu verbessern und sie entwickelte bereits im 19. Jahrhundert Grundsätze, die später auch Eingang in das VVG fanden.193

38 c) Kodifikationsbemühungen seit der Reichsgründung. In der Verfassung des Deutschen Reiches vom 1.1.1871194 fand sich eine mit Art. 4 Ziff. 1 der Verfassung des Norddeutschen Bundes identische Bestimmung. Durch Gesetz vom 20.12.1873195 wurde die Gesetzgebungskompetenz für das gesamte bürgerliche Recht auf das Reich übertragen.196 Durch diese Regelungen wurde die Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung auf dem Gebiet des Versicherungsrechts begründet. Allerdings rückte nach der Reichsgründung immer mehr die verwaltungsrechtliche Seite des Versicherungswesens in den Vordergrund.197 Die Gründe dafür lagen darin, dass es auf dem Gebiet des öffentlichen Versicherungswesens zu „expansionshemmenden Rechtszersplitterungen“ im Bereich des Aufsichts- und Konzessionswesens kam, was zu Missständen durch „unseriöse Unternehmensgründungen“198 führte. Unter diesen Umständen hielt man eine reichsgesetzliche Regelung des öffentlichen Versicherungsrechts für so dringend, dass man schließlich, ohne auf die Fertigstellung eines Gesetzesentwurfs über den Versicherungsvertrag zu warten, mit Vorarbeiten zu einem reichseinheitlichen Versicherungsaufsichtsgesetz begann,199 dazu noch Rn. 41 ff. 39 Das Versicherungsvertragsrecht wurde sehr früh schon von der 1. Kommission zur Vorbereitung eines Bürgerlichen Gesetzbuches aus den Beratungen herausgehalten200 mit der Begründung, dass dieser Bereich Eingang in die geplante Neuregelung des Handelsrechts finden oder in einem Spezialgesetz kodifiziert werden solle.201 Da das Zustandekommen von einheitlichen Regelungen des übrigen Reichsprivatrechts nicht gefährdet oder hinausgezögert werden 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201

Duvinage S. 33, 34; Bödiker S. 37. Duvinage S. 34; Rießer ZHR 35 (1889) Beilagenband 1, 21. RGBl. S. 245. Duvinage S. 34 f. mit weiteren Ausführungen. Duvinage S. 35; Koch FS Reimer Schmidt (1976) 299, 318, 319. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 2. Duvinage S. 59; vertiefend Neugebauer S. 157 ff.; ausführlich Ehrenberg Versicherungsrecht (1893) S. 79 ff. BGBl. 1870 647. RGBl. 1873 379. Duvinage S. 36. Duvinage S. 36. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 3. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 3; Duvinage S. 36, 37; Möller ZVersWiss 1974 11 ff.; Tigges S. 77, 78. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 6; Neugebauer S. 86. Jakobs/Schubert Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (1878) 213 f.: Anlage 3 zum Protokoll v. 22.9.1874; vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 6; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 3; Neugebauer S. 87. Beckmann

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sollte, sah man später von einer Aufnahme der Binnenversicherung in das HGB wieder ab.202 Bei der Schaffung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (1861), des HGB und des BGB blieb das Binnenversicherungsrecht insbesondere aufgrund mangelnder Kodifikationsreife203 bzw. zu großer Spezialität der Materie204 also jeweils unberücksichtigt.205 Im HGB vom 10.5.1897 fand allein das Seeversicherungsrecht Eingang,206 während das Binnenversicherungsrecht einem besonderen Gesetz vorbehalten bleiben sollte.207 Wieder kam es aufgrund äußerer Umstände also nicht zu einer Kodifikation des Versicherungsvertragsrechts.208 Die Arbeiten an einem Versicherungsvertragsrecht wurden im Reichsjustizamt zwar fortge- 40 führt, jedoch wurde zunächst eine gesetzliche Regelung des Aufsichtsrechts als vorrangig betrachtet.209 Erst nachdem dann das Versicherungsaufsichtsrecht mit dem Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen (VAG) vom 12.5.1901 (RGBl. S. 139) geregelt war, schien auch die Zeit gekommen, das Versicherungsvertragsrecht gesetzlich zu ordnen.210 Das Gesetz vom 12.5.1901 ist daher als „Vorreiter des VVG“ anzusehen.211

d) Geschichte des VAG als „Vorreiter des VVG“. 212 Obwohl die Gründung von VU auch im 41 18. Jahrhundert staatlichem Einfluss unterlag – diese hing in jedem Einzelfall von der Erteilung eines staatlichen Privilegs ab –,213 stellte sich durch das Aufkommen privater Versicherungsgesellschaften im Laufe des 19. Jahrhunderts verschärft die Frage nach der staatlichen Kontrolle über deren Gründung und Betrieb.214 Hintergrund waren teils unseriöse Geschäftspraktiken, wonach Gesellschaften sich eines Schneeballsystems bedienten und Versicherungsleistungen aus günstigen Lockprämien von Neukunden erbrachten.215 Als insbesondere überwachungsbedürftig galt der Bereich der Mobiliar-Feuerversicherungen, da hier die Missbrauchsgefahr als besonders hoch angesehen wurde.216 Durch zahlreiche voneinander abweichende – zeitweise existierten fast 100 unterschiedli- 42 che – Regelungen in den Einzelstaaten wurde der Expansionsdrang der großen VU gehemmt.217 Hinzu kamen innerstaatliche Probleme und die Zuständigkeit unterschiedlicher Ministerien für die Genehmigung je nach Geschäftszweig (Innenministerium für Feuer- und Lebensversicherung; Ackerbauministerium für Hagel- und Viehversicherung; Handelsministerium für Glas- und

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Duvinage S. 48. Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 4; Wandt6 Rn. 162; Deutsch/Iversen7 Rn. 30. Wandt6 Rn. 162. Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 4; Deutsch/Iversen7 Rn. 30. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 7; Gerhard/Hagen/v. Knebel Doeberitz/Broecker/Manes Einl. IX. 207 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4. Mit der VVG-Reform 2008 sind die entsprechenden Vorschriften indes aufgehoben worden; vgl. oben Rn. 18; Duvinage S. 48. 208 Neugebauer S. 88. 209 Neugebauer S. 88; Gerhard/Hagen/v. Knebel Doeberitz/Broecker/Manes Einl. XII. 210 Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 4; Deutsch/Iversen7 Rn. 30. 211 Deutsch/Iversen7 Rn. 30. 212 Zur Geschichte der Aufsichtsgesetzgebung siehe vertiefend etwa Bödiker Die Privatversicherung 1898 S. 36 f.; von Gierke Versicherungsrecht I S. 8 f.; Kraus Versicherungsaufsichtsrecht 1971 S. 5 f.; Prölss/Kollhosser/R. Schmidt/Präve12 Vorbem. Rn. 1 ff.; Tigges S. 77 ff.; Die Forschung zur Geschichte des Versicherungsaufsichtsrechts beginnt in der Regel mit dem „Wiederholtes Verboth aller und jeder Collecten, wozu keine Ko¨nigl. Approbation ertheilet is“ (Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum, vol. 7 (1786), 181–186.) von 1781 und analysiert die Entwicklung bis zum Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen. (Hellwege/Hellwege S. 184). 213 Neugebauer S. 89; Tigges S. 6 ff. 214 Neugebauer S. 89; Tigges S. 43 ff; Gerhard/Hagen/v. Knebel Doeberitz/Broecker/Manes Einl. X. 215 Rapp S. 28. 216 Neugebauer S. 89. 217 Neugebauer S. 89, 90; Tigges S. 77. 21

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Transportversicherung).218 Durch diesen „Kompetenzwirrwarr“219 sowie die unklaren Genehmigungsvoraussetzungen kam es zu Gründungsschwindel und Missbräuchen der Versicherungen, welche dem Ansehen der gesamten Versicherungswirtschaft schadeten.220 Vor diesem Gesamthintergrund hatten sowohl die Ministerialbürokratie als auch die großen VU Interesse an einer reichseinheitlichen Regelung des Versicherungsaufsichtsrechts. Dabei sollte es zwei separate Gesetze geben, eines über die Versicherungsaufsicht und ein zweites über den Versicherungsvertrag.221 Auch erhoffte man sich durch eine Vereinheitlichung der Zulassungsvoraussetzungen eine Erleichterung der Ausbreitung der großen VU.222 Ein erster Entwurf wurde dann erst 1898 veröffentlicht, der einen Mittelweg zwischen den 43 beiden vertretenen Extrempositionen – Verstaatlichung des Versicherungswesens und vollkommene Freigabe der Gründung von Versicherungsgesellschaften – wählte. Dieser Mittelweg gelang durch das Festhalten an dem Erfordernis einer staatlichen Genehmigung durch das Versicherungsaufsichtsamt einerseits und andererseits der Abschaffung der Bedürfnisprüfung.223 Zuständig für den Erlass der Genehmigung des Geschäftsbetriebes war das neu geschaffene Kaiserliche Aufsichtsamt für Privatversicherung mit Sitz in Berlin, das am 1.7.1901 seine Tätigkeit begann.224 Der Gesetzesentwurf wurde schließlich im November 1900 mit Begründung dem Reichstag vorgelegt und im Mai 1901 in dritter Lesung angenommen. Das Gesetz wurde am 12.5.1901 verabschiedet und im Reichsgesetzblatt veröffentlicht. In Kraft trat das VAG am 1.1.1902.225

II. Entstehung des VVG 44 In der Zwischenzeit gab es außerhalb des Reichsjustizamtes Arbeiten an Entwürfen für ein Versicherungsvertragsrecht. In diesem Zusammenhang sind die Arbeiten insbesondere von Bähr und Rellstab zu nennen.226 Während die Arbeiten von Rellstab rein privater Natur sind, handelt es sich bei dem Entwurf von Bähr um einen „halbamtlichen“ Entwurf, da dieser zwar im Auftrag des Reichsjustizamtes gefertigt, später aber durch Bähr privat veröffentlicht wurde.227 Diese private Veröffentlichung erfolgte, nachdem das Reichsjustizamt seine Bestrebungen zur Regelung des Versicherungsvertrages zunächst nicht weiter verfolgte. Dadurch kam dem Entwurf zwar keine praktische Bedeutung zu, Bähr machte ihn durch die Veröffentlichung jedoch wenigstens der Wissenschaft zugänglich.228 45 Im Reichsjustizamt wurde später ein komplett neuer Entwurf erarbeitet, im Wesentlichen als Ergebnis der Arbeit Hoffmanns und seiner Mitarbeiter Ögg und Struckmann.229 Dieser wurde im Jahre 1902 einem Expertengremium zur Beratung vorgelegt.230 Die Beratungen fanden für die einzelnen Versicherungszweige gesondert statt.231 Nach gründlicher Beratung durch diese – 218 219 220 221 222 223 224 225 226

Neugebauer S. 90; Tigges S. 77. So Neugebauer S. 90. Neugebauer S. 90, 91; vgl. insbesondere Gärtner Privatversicherungsrecht (1976) S. 22; vgl. Motive VAG S. 21. Arps Auf sicheren Pfeilern (1965) S. 59. Neugebauer S. 90, 91; hierzu auch Bödiker S. 36. Neugebauer S. 91; zur Verstaatlichung: Tigges S. 67 ff., 75 f.; siehe hierzu auch Tigges S. 78 ff. Duvinage S. 43. RGBl. 1901 139; vgl. Neugebauer S. 91. Bähr Entwurf eines Rechtsgesetzes über den Versicherungsvertrag ArchBR 1893 1 ff.; Rellstab 3 ff.; vgl. Neugebauer S. 92. 227 Neugebauer S. 92; Gerhard/Hagen/v. Knebel Doeberitz/Broecker/Manes Einl. XII. 228 Duvinage S. 49. 229 Neugebauer S. 92; vgl. Duvinage S. 80; biographische Informationen zu den Entwurfsverfassern bei Duvinage, Biographischer Anhang S. 208 ff. 230 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4; vgl. auch Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 4; Duvinage S. 80 ff.; vgl. aber auch Neugebauer S. 92. 231 Gerhard/Hagen/v. Knebel Doeberitz/Broecker/Manes Einl. XV. Beckmann

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Überblick über die Geschichte des Versicherungsvertragsgesetzes

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vor allem aus Vertretern der Versicherungswirtschaft bestehenden – Sachverständigenkommission232 wurde der Text überarbeitet und im Jahr 1903 der Öffentlichkeit mit Motiven versehen als amtlicher „Entwurf eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag nebst den Entwürfen eines zugehörigen Einführungsgesetzes und eines Gesetzes, betr. Abänderung der Vorschriften des Handelsgesetzbuchs über die Seeversicherung“ veröffentlicht.233 Durch die Veröffentlichung wurde eine „lebhafte Erörterung“ ausgelöst.234 Diese nun folgen- 46 de „heftige Diskussion“ vor allem im juristischen und versicherungswissenschaftlichen Fachschrifttum235 ist aufgrund der Fülle der Stellungnahmen „unübersehbar“.236 Die „Frontlinien“ der Auseinandersetzung zeigt exemplarisch die Stellungnahme des 27. Deutschen Juristentages (DJT) aus dem Jahre 1904 auf, der sich mit der Frage „Wie weit ist bei Versicherungsverträgen die Vertragsfreiheit durch zwingende Rechtssätze zugunsten des Versicherten einzuschränken?“ befasste.237 Dieser Stellungnahme lagen zwei Gutachten zugrunde:238 Im Gutachten von Gierkes als Vertreter der Wissenschaft wurde ausdrücklich die Tatsache gelobt, dass der Entwurf Vorschriften zum Schutze der VN beinhaltete, wobei er davon ausging, dass „die geschäftlich vielfach unbewanderten Versicherungsnehmer die Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht prüfen könnten und die Versicherer deshalb in vielen Fällen einseitig ihre Interessen durchgesetzt hätten“. Die Rechtsprechung sei gegenüber dem klaren Wortlaut der Versicherungsbedingungen machtlos gewesen und auch die Einführung der Versicherungsaufsicht aufgrund der Tatsache, dass diese nur die gröbsten Unbilligkeiten beseitigen könne, habe an dieser Situation nicht grundlegend etwas verändert.239 Der Direktor der Gothaer Lebensversicherungsbank Samwer dagegen hielt in seinem Gutachten den Entwurf bezüglich der Beschränkung der Vertragsfreiheiten in vielen Punkten für zu weitgreifend, wobei er bereits negierte, dass die VR bei der Entwicklung der Versicherungsbedingungen allein ihr eigenes Interesse verfolgt hätten. Dies begründete er damit, dass „dieses Vertragsrecht von Gegenseitigkeitsgesellschaften, die doch nur die Interessen ihrer Versicherten zu schützen hatten, mitgeschaffen worden sei“.240 Darüber hinaus sei es nur sehr selten zu einer überstrengen Anwendung der Versicherungsbedingungen gekommen. Durch die Abwicklung von Millionen von Verträgen ohne Beanstandung und die Einführung der Versicherungsaufsicht habe sich die Situation grundlegend geändert, da durch die Kontrollen des Aufsichtsamtes der VN nicht mehr als der schwächere Teil anzusehen sei.241 Eine Kodifikation sei zwar aus Gründen der Rechtseinheit wünschenswert, zwingende Regelungen seien jedoch nicht erforderlich, es sei denn, es gehe um im öffentlichen Interesse liegende Vorschriften wie z. B. das Bereicherungsverbot242 oder der Abschluss einer Versicherung auf das Leben eines Dritten ohne dessen Einwilligung.243 Die zentrale Frage der Auseinandersetzung lag darin, ob neben der im Versicherungsauf- 47 sichtsrecht geregelten öffentlich-rechtlichen Kontrolle der Versicherungsbedingungen zusätzlich eine privatrechtliche Kontrolle erforderlich sei. Dabei verliefen die Diskussionen auf dem 27. DJT ähnlich kontrovers, so dass es nicht zu einer Einigung, sondern zu einer Vertagung der Entscheidung auf den nächsten Juristentag kam.244

232 233 234 235 236

Neugebauer S. 92. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4; vgl. auch Neugebauer S. 92. Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 4; Deutsch/Iversen7 Rn. 30. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4. Neugebauer S. 93; vgl. Bibliographie der Stellungnahmen und Eingaben bei Neumann S. 34 ff.; vgl. auch die Darstellung bei Duvinage S. 99–103. 237 Neugebauer S. 93. 238 Neugebauer S. 93. 239 Verhandlungen 27. DJT (1904) Band II S. 61 f.; Neugebauer S. 93. 240 Verhandlungen 27. DJT (1904) Band III S. 127. 241 Verhandlungen 27. DJT (1904) Band III S. 129 vgl. Neugebauer S. 94. 242 Vgl. Neugebauer S. 94. 243 Verhandlungen 27. DJT (1904) Band III S. 130; vgl. Neugebauer S. 94. 244 Neugebauer S. 94 m. w. N. 23

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Diese heftige Diskussion fand dann ihren Niederschlag jedoch nur in einigen wenigen Änderungen, insbesondere in der Grundkonzeption blieb der Entwurf unverändert.245 Im Jahr 1904 gelangte der Entwurf dann vor den Bundesrat und wurde schließlich im Herbst 1905 dem Reichstag zugeleitet.246 Nach der ersten Lesung wurde der Entwurf an die VIII. Kommission zur Beratung überwiesen, in der eine Behandlung in zwei Durchgängen erfolgte und die 1906 einen umfangreichen Bericht vorlegte.247 Aufgrund der Reichstagsauflösung im Jahr 1906 wurde er jedoch in dieser Legislaturperiode nicht mehr in 3. Lesung angenommen.248 Erst 1907 kam es dann zu einer erneuten Einbringung des Entwurfes in den Reichstag249 und einer Fortsetzung der Arbeit an dem Entwurf, so dass nach einer erneuten ersten Lesung noch einmal eine Kommission eingesetzt wurde, welche nach zwei Lesungen ihren Abschlussbericht präsentierte. Auch die Einsetzung dieser Kommission führte jedoch nicht zu großen Änderungen des ursprünglichen Entwurfs.250 Im Mai 1908 wurde das Gesetz dann nach zweiter und dritter Lesung in diesem Jahr schließlich verabschiedet.251 Schlussendlich trat nach dieser unruhigen Gesetzgebungsgeschichte252 das VVG zusammen mit seinen Nebengesetzen253 erst am 1.1.1910 in Kraft,254 um der Versicherungswirtschaft die zur Anpassung der Versicherungsbedingungen erforderliche Zeit zu geben.255 Gewisse Parallelen zur Diskussion um die VVG-Reform 2008 sind unverkennbar, die Übergangsfrist fiel bei der letzten Reform indes deutlich kürzer aus.

C. Entwicklung des VVG 49 In seiner über 97-jährigen Geltungsdauer hat das VVG von 1908 bis zur VVG-Reform256 2008 zwar zahlreiche, teilweise umfängliche Änderungen erfahren, diese haben aber zu keiner konzeptionellen Änderung geführt.257 Vielmehr hatten System sowie dogmatische Grundideen weitgehend Bestand.258 Im Jahre 1961 äußerte Hans Möller, dass sich das VVG „vorzüglich bewährt“ habe und „zu den Meisterwerken der Gesetzgebungskunst, deren die Jahrhundertwende viele hervorgebracht hat“, zähle.259 Die fortschreitende Ausbildung eines „sozialen Privatrechts“,260 welches sich im Vertragsrecht vor allem in Einschränkungen der Vertragsfreiheit des Überlegenen spiegelt, hat zwar auch im Privatversicherungsrecht ihren Niederschlag gefunden, jedoch überwiegend durch die Schaffung von Sondergesetzen zum Verbraucherschutz sowie durch die Rechtsprechung, die sich bei ihren Entscheidungen auf Treu und Glauben berief, anstelle von

245 246 247 248

Neugebauer S. 94; Duvinage S. 112. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4; Neugebauer S. 94. Neugebauer S. 94. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4; Neugebauer S. 94; Duvinage S. 129; Gerhard/Hagen/v. Knebel Doeberitz/Broecker/Manes Einl. XXI. 249 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4. 250 Neugebauer S. 94. 251 RGBl. 1908 263; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4; Neugebauer S. 94; Deutsch/Iversen7 Rn. 30; Gerhard/ Hagen/v. Knebel Doeberitz/Broecker/Manes Einl. XXIII. 252 Dazu und zu dem Landesrecht, das vor dem VVG maßgebend war, vgl. die Einführung in der Begründung zu den Entwürfen eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag eines zugehörigen Einführungsgesetzes und eines Gesetzes, betreffend Änderung der Vorschriften des Handelsgesetzbuchs über die Seeversicherung (1906) S. 1–10; Duvinage S. 3–15; vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 5. 253 Neugebauer S. 94. 254 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4. 255 Vgl. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 4; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 5. 256 Zur Reform vgl. Niederleithinger/Koch Generaleinführung, Reform (E.) Rn. 1 ff. 257 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 9. 258 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 5; vgl. Möller ZVersWiss. 1974 19. 259 Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 5; vgl. auch Raiser ZVersWiss. 1978 375, 378. 260 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 5. Beckmann

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Entwicklung des VVG

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Änderungen des VVG selbst.261 In den letzten Jahren vor der VVG-Reform kam es zu punktuellen Änderungen des VVG insbesondere durch europarechtliche Vorgaben. Folgende Entwicklungen sollen herausgestellt werden:

I. Wichtige Änderungen des VVG 1. Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeuge und zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag Nach geringfügigen Korrekturen mit Gesetz vom 20.12.1911 (RGBl. S. 985 betr. § 190 S. 1 50 VVG a. F.) und mit VO zur Änderung des VVG vom 12.2.1924 (RGBl. I S. 65 betr. § 35 Abs. 1 VVG a. F.) folgte erstmals durch das Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeuge und zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 7.11.1939 ein größerer Eingriff in das VVG.262 Hintergrund war die fortschreitende Motorisierung.263 Das Gesetz änderte und ergänzte hauptsächlich das Haftpflichtversicherungsrecht des VVG. Es führte eine gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung für jeden Kfz-Halter ein. Die Regeln über die Haftpflichtversicherung wurden durch die §§ 158a–h VVG a. F. erweitert und die §§ 153, 154 Abs. 2, 156 VVG a. F. geändert und ergänzt. Zahlreiche weitere Änderungen erfolgten aus hauptsächlich aktuellem Anlass264 durch vier in den Jahren 1939–1943 erlassene Verordnungen, die überwiegend der „Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung“ dienten.265

2. Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter Durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraft- 51 fahrzeughalter vom 5.4.1965 wurde das vorstehend genannte Gesetz von 1939 neugefasst266 und durch den Beitritt der Bundesrepublik zum europäischen Übereinkommen vom 20.4.1959 über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge (sog. Straßburger Abkommen) wurden notwendige Änderungen umgesetzt.267 Auch durch diese Änderungen des VVG verfolgte man das rechtspolitische Anliegen, die Rechtsstellung der Unfallopfer zu verbessern.268 Eingeführt wurde durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (PflVGÄndG)269 insbesondere der Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers beim Kfz-Unfall, § 3 Nr. 1 PflVG a. F. (heute geregelt in § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG). Um den Schutz des Unfallopfers möglichst lückenlos zu gestalten, wurde ein Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen eingerichtet (§§ 12 ff. PflVG). Dieser greift insbesondere dann ein, wenn das schädigende Fahrzeug nicht zu ermitteln ist oder die von Gesetzeswegen eigentlich erforderliche Haftpflichtversiche-

261 262 263 264 265 cher

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Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 5; vgl. Raiser ZVersWiss 1978 375, 377 ff. RGBl. I 2223; vgl. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 6; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 10. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 6; Deutsch/Iversen7 Rn. 33. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Anm. 7. Vgl. Verordnung vom 19.12.1939, RGBl. I 2 2443; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 11; ausführlizu diesen Verordnungen etwa Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 7. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 18. BGBl. 1965 II 281; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Anm. 8. Deutsch/Iversen7 Rn. 33. BGBl. 1965 I 213; zur Begründung Reg.-Entwurf BTDrucks. IV/2242. Beckmann

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rung tatsächlich nicht besteht. Außerdem wurden zur Beseitigung einiger Unstimmigkeiten und in der Praxis aufgetretener Anwendungszweifel die §§ 158a bis h VVG a. F. geändert sowie die §§ 158i bis k VVG a. F. eingeführt (zu versicherungsrechtlichen Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen vgl. Baumann/Koch § 1 Rn. 322).

3. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag 52 Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 30.6.1967 (BGBl. I 609) präzisierte bei der Unfallversicherung den Anwendungsbereich des § 181 VVG a. F. und führte § 180a VVG a. F. ein.270

4. Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften 53 Seit 1990 kam es dann im Zuge gesetzlicher Umsetzungen von Richtlinien der EG bzw. bei dieser Gelegenheit zu bedeutsamen Änderungen und Ergänzungen des VVG.271 In diesem Jahr kam es für das Versicherungsvertragsrecht erstmals zu einer Übernahme von europarechtlichen Vorgaben durch das Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Zweites DurchführungsG/EWG zum VAG) vom 28.6.1990 (BGBl. I 1249), welches die Rechtsschutzversicherungsrichtlinie272 durch Festlegung einiger Grundprinzipien der Rechtschutzversicherung, §§ 158l, 158o VVG a. F. umsetzte und so zum erstem Mal im deutschen Recht die Rechtschutzversicherung regelte.273 In den §§ 3 Abs. 5 (Anschrift des VR im Versicherungsschein), 158b Abs. 2, 185 Abs. 2 VVG a. F. (Bescheinigung über das Bestehen einer Pflichthaftpflichtversicherung bzw. einer Pflichtunfallversicherung) wurden auch die Vorgaben der zweiten Schadensversicherungsrichtlinie274 berücksichtigt.275

5. Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften 54 Der Schutz des VN wurde weiter gestärkt durch das Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 17.12.1990 (BGBl. I 2864), welches in den §§ 8 Abs. 3, 15a VVG a. F. ein unabdingbares Kündigungsrecht des VR bei Verträgen mit langen Laufzeiten einführte und auch das Kündigungsrecht des VN bei bestimmten Prämienerhöhungen aufgrund einer Anpassungsklausel gemäß §§ 31, 34a VVG a. F. verbesserte.276 Darüber hinaus wurde § 158i VVG a. F. geän-

270 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 9. 271 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 14. 272 Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom 22.6.1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung ABl. EG Nr. L 185/77, aufgehoben m. W. v. 1.1.2016 durch Art. 310 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) und hierin aufgegangen. 273 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 10; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 14. 274 Richtlinie 88/357/EWG des Rates vom 22.6.1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs ABl. EG Nr. L 172/ 1, aufgehoben m. W. v. 1.1.2016 durch Art. 310 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) und hierin aufgegangen. 275 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 10. 276 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 13. Beckmann

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Entwicklung des VVG

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dert, wodurch bei der Pflichthaftpflichtversicherung für fremde Rechnung der Regress gegen die Mitversicherten eingeschränkt wurde.277

6. Drittes Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften Weitere „europarechtlich bestimmte und besonders bedeutsame“278 Änderungen brachte das 55 Dritte Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) vom 21.7.1994 (BGBl. I 1630). Die Änderungen lösten teilweise erhebliche Diskussionen aus, die bis in die Zeit der VVG-Reform hineinreichten; beispielhaft genannt sei die Diskussion um das sog. Policenmodell.279 Das Gesetz verfolgte hauptsächlich den Zweck der Deregulierung des Versicherungsmarktes, also die Einschränkung der Versicherungsaufsicht in den Mitgliedsstaaten.280 Als Folge dessen wurde jedoch auch das VVG selbst geändert und ergänzt. § 5a VVG a. F. wurde neu eingeführt, der dem VN ein Widerspruchsrecht zubilligte, sofern er vor Vertragsschluss nicht hinreichend informiert wurde. Die Regelungen über Langzeitverträge in § 8 VVG a. F. wurden modifiziert und ergänzt. § 31 VVG a. F. wurde modifiziert und ermöglichte dem VN die Vertragskündigung für jeden Fall einer auf eine Anpassungsklausel gestützten Prämienerhöhung (zuvor bestand das Kündigungsrecht nur bei Prämienerhöhungen, die bestimmte Grenzen überschritten). Außerdem geändert wurden die Regelungen über die Prämienzahlungsverpflichtung und den Rückkaufswert von Lebensversicherungen, §§ 172–178 VVG a. F. Neu eingeführt wurden die §§ 178a–178o VVG a. F. und damit erstmals gesetzliche Regelungen über die private Krankenversicherung im deutschen Recht.

7. Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr Weitere bedeutsame Änderungen setzte noch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschrif- 56 ten des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtgeschäftsverkehr vom 13.7.2001 (BGBl. I 1542) mit Änderungen der §§ 5 Abs. 1 und 2 S. 1, 5a Abs. 1 S. 1, 37 und 158 Abs. 1 S. 2 VVG a. F.281

8. Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen Durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienst- 57 leistungen vom 2.12.2004 (BGBl. I 3102) wurden u. a. die §§ 48a–e VVG a. F. eingeführt, welche Regelungen über Fernabsatzverträge über Versicherungen mit Verbrauchern enthielten. Insbesondere wurde dem VN in § 42c VVG a. F. bei Abschluss eines Fernabsatzvertrages ein Widerrufsrecht von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen und Verträgen über die Altersversorgung von 30 Tagen eingeräumt. Ebenfalls bestimmte § 42e VVG a. F. die Einrichtung einer Schlichtungsstelle bei der BaFin für die Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten bei Fernabsatzverträgen über Versicherungen.

277 278 279 280 281 27

Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 13; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 12. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 15. Dazu in diesem Band etwa Baumann/Koch § 1 Rn. 241 sowie Herrmann § 7 Rn. 5, 91. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 15. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 16. Beckmann

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9. Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 19. Dezember 2006 58 Als vor der Reform aktuellste wesentliche Änderung ist das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 19.12.2006 (BGBl. I 3232) zu nennen. Durch dieses Gesetz wurden die §§ 42a–k VVG a.F. eingeführt, welche u. a. Regelungen zu Mitteilungs- und Beratungspflichten der Versicherungsvermittler enthielten. Dieses Gesetz diente der Umsetzung der Vermittlerrichtlinie282 und trat deshalb noch vor der VVG-Reform am 22.5.2007 in Kraft.

II. Überblick über weitere Änderungen 1. Betreuungsgesetz 59 Nur am Rande zu erwähnen sind einige lediglich redaktionelle Anpassungen im Betreuungsgesetz vom 12.9.1990 (BGBl. I 2002) betreffend die §§ 159 Abs. 2 S. 2, 179 Abs. 3 S. 2 VVG a. F.283

2. Verordnung über den Versicherungsschutz in der Kfz-Haftpflichtversicherung 60 Erwähnenswert ist weiterhin die Verordnung über den Versicherungsschutz in der Kfz-Haftpflichtversicherung vom 29.7.1994 (BGBl. I 1837), welche Inhalt und Umfang des Versicherungsschutzes in der Kfz-Haftpflichtversicherung sowie die vor Eintritt des Versicherungsfalls zulässigen Obliegenheiten abschließend normiert und eine Beschränkung der Folgen von Obliegenheitsverletzungen vornimmt.284

3. Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung 61 Das Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I 2911) passte schließlich die §§ 13, 14, 77, 157, 177 VVG a. F. terminologisch an die zum 1.1.1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung an.285

III. Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23.11.2007, BGBl. I 2631 (VVG-Reform 2008) 62 Einen Einschnitt hat die VVG-Reform 2008 mit sich gebracht. Ausgangspunkt war die Entscheidung der damaligen Bundesministerin der Justiz (BMJ), die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes durch die Einsetzung einer Sachverständigenkommission in Gang zu setzen. Auf der Grundlage der Vorarbeiten der im Jahre 2001 eingesetzten Expertenkommission wurde

282 Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.12.2002 über Versicherungsvermittlung ABl. EG 2003 Nr. L 9/3 aufgehoben durch Art. 43, Art. 44 ÄndRL (EU) 2016/97 vom 20.1.2016 (ABl. Nr. L 26 S. 19) „Insurance Distribution Directive“, im Folgenden: IDD-Richtlinie, zuletzt geändert durch RL (EU) 2018/411 v. 14.3.2018 (ABl. Nr. L 76 S. 28); zur Umsetzung der IDD-Richtlinie in das deutsche Recht vgl. Beenken RuS 2017 617 ff., Reiff VersR 2016 1533 ff.; Goretzky VersR 2018 1 ff; Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018 285 ff.; zu Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln der Richtlinie vgl. Brömmelmeyer RuS 2016 269 ff. RegE S. 117. 283 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 11. 284 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 13. 285 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 14. Beckmann

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Entwicklung des VVG

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vom BMJ ein Referentenentwurf veröffentlicht, der ein Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vorsah. Der Regierungsentwurf für das VVG 2008 wurde dann im Jahre 2006 vorgelegt.286 Klarstellend sei auch darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl an Problemen aus dem Bereich der Krankenversicherung nicht der Reform des VVG an sich geschuldet ist, sondern vielmehr der Reform des Krankenversicherungsrechts, welche durch das GKV-WGS287 zum 1.1.2009 in Kraft trat288 (dazu sogleich Rn. 64). Über den Weg bis zur Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag am 23.11.2007 vgl. die Ausführungen zur Reform bei Niederleithinger/Koch im Rahmen eines gesonderten Abschnitts dieser Generaleinführung, E. Reform Rn. 8 ff.

IV. Änderungen des VVG nach der Reform 2008 Auch nach der Reform kam es zu einigen Änderungen des VVG. Insoweit lassen sich insbeson- 63 dere die folgenden Änderungen nennen (Auswahl):

1. GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Eine erste umfassendere Änderung des VVG 2008 erfolgte bereits im Rahmen des Gesetzes zur 64 Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I 2631) selbst. Wenige Monate vor der VVG-Reform war das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl. I 2631) erlassen, das – namentlich in Art. 43 – wesentliche, aber noch nicht in Kraft getretene Änderungen der versicherungsvertraglichen Regelungen zur Krankenversicherung enthielt, sich aber noch auf das VVG vor der Reform 2008 bezog. Diese – das VVG betreffende Regelungen – wurden durch Art. 10 des VVG-Reformgesetzes aufgehoben und mit einigen redaktionellen Änderungen über Art. 11 des VVG-Reformgesetzes mit neuer Paragraphennummerierung in das neue VVG übernommen; hierdurch wurden §§ 192–208 VVG mit Wirkung zum 11.2009 neu gefasst.289 Von besonderer Bedeutung ist hierbei § 193 VVG. Mit § 193 Abs. 3 VVG wurde für nicht gesetzlich versicherungspflichtige Personen eine allgemeine Verpflichtung zum Abschluss eines Krankenkostenversicherungsvertrages eingeführt; durch das ReformG hat der Basisitarif Eingang in das VVG gefunden. Durch § 193 Abs. 5 VVG wurden die VU verpflichtet, Versicherungen in einem Basistarif zu gewähren. Seine Grundlage hat dieser Tarif allerdings insbesondere in § 152 VAG (§ 12 Abs. 1a VAG a. F.). Bei dem Basistarif handelt es sich um einen branchenweiten einheitlichen Versicherungstarif.290 Durch § 205 Abs. 6 VVG wurde zudem das Kündigungsrecht des VN einer Versicherung, welche unter die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG fällt, eingeschränkt; des Weiteren wurde eine teilweise Portabilität von Altersrückstellungen eingeführt.291 Das GKV-

286 Deutsch/Iversen7 § 4 Rn. 30. 287 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung v. 26.3.2007 BGBl. I 378; kritisch gegenüber dieser getrennten Vorgehensweise Bruck/Möller/Brand9 Einf. Vor § 192 Rn. 24 f. 288 Rogler RuS 2019 121, 122. 289 Vgl. zur technischen Vorgehensweise Niederleithinger/Koch Generaleinführung E. Reform Rn. 84. 290 Dazu Genz Sozialstaat und Privatautonomie: Die Leistungen der GKV und der PKV im Vergleich (2019) S. 17; Bruck/Möller/Brand9 § 193 Rn. 54. 291 Zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz etwa Marlow/Spuhl Die Neuregelungen der privaten Krankenversicherung, VersR 2009 593; Grote/Bronkars Gesundheitsreform und private Krankenversicherung – wirtschaftliche Konsequenzen für Versicherer und Versicherte, VersR 2008 580; Sodan Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, NJW 2007 1313; Both Die Versicherungspflicht in der privaten Krankenversicherung, VersR 2011 302; Marko Private Krankenversicherung nach GKV-WSG und VVG-Reform, 2. Aufl. (2010). 29

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WSG hat trotz im Schrifttum erhobener verfassungsrechtlicher Bedenken292 vor dem BVerfG stand gehalten.293

2. Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften 65 Durch das Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften (vom 24.4.2013 BGBl. I 932) kam es zu einer umfangreichen Änderung des VVG, namentlich der §§ 9, 192, 202, 204, 205 VVG. Hierdurch sollten insbesondere Probleme im Bereich der privaten Krankenversicherung gelöst werden, wodurch Klarheit und auch Erleichterungen für PKV-Versicherte eintreten sollten. Insbesondere wurde das Einsichtnahmerecht (§ 202 VVG) erweitert; diese kann nunmehr regelmäßig durch den VN erfolgen.294

3. Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung 66 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013 (BGBl. I 3642) kam es u. a. zu einer Neustrukturierung und Neufassung betreffend das Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen. Mit Art. 9 dieses Gesetzes wurde auf die entsprechenden umfangreichen Änderungen im BGB reagiert und es kam zu reinen Folgeänderungen auch im VVG.295

4. Lebensversicherungsreformgesetz 67 Eine weitere Änderung stellte das Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte (Lebensversicherungsreformgesetz – LVRG) vom 1.8.2014 (BGBI. I S. 1330) dar, das am 7.8.2014 in Kraft getreten ist. Dessen Art. 2 führte zu Änderungen der §§ 7 und 153 VVG. Der Kern der Neuregelungen betrifft die Bewertungsreserven und mithin insbesondere die Änderung des § 153 VVG. Der Gesetzgeber hatte bereits im Rahmen der VVG-Reform 2008 Vorgaben des BVerfG,296 wonach die VN einer kapitalbildenden Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung an den durch die Prämienzahlung geschaffenen Vermögenswerten bei der Ermittlung des Schlussüberschusses angemessen zu beteiligen sind, in § 153 VVG umgesetzt. Aufgrund des danach eingetretenen niedrigen Zinsniveaus entstand die Gefahr, dass VR den vertraglich zugesagten Garantiezinssatz auf Dauer nicht mehr erwirtschaften können.297 Nunmehr sind gemäß § 56a Abs. 3 VAG Bewertungsreserven aus festverzinslichen Anlagen bei der Beteiligung der VN an den Bewertungsreserven gemäß § 153 Abs. 3 VVG nur insoweit zu berücksichtigen, als sie einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Versicherungsverträgen mit Zinsgarantie nach § 56a Abs. 4 VAG überschreiten. Unberührt blieb die hälftige Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven aus Aktien und Immobilien; das Gleiche gilt für die Überschussbeteiligung aus realisierten Kapitalerträgen.298 Der BGH hat den Vorbehalt aufsichtsrechtlicher Regelungen bei

292 Vgl. etwa Langheid/Rixecker/Muschner6 § 193 Rn. 9 ff.; Boetius VersR 2007 431 ff.; Langheid NJW 2007 3745, 3750 f. 293 BVerfG 10.6.2009 – 1 BvR 706/08, BVerfGE 123 186–267 = VersR 2009 957–968. 294 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks. 17/11469 S. 14; dazu Bruck/MöllerWaldkirch9 § 202 Rn. 5. 295 Vgl. Regierungsentwurf, BTDrucks. 17/12637 S. 35. 296 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005 2376; dazu Niederleithinger/Koch Generaleinführung E. Reform Rn. 80. 297 Reiff ZPR 2014 198, 199. 298 Zum Vorstehenden Reiff ZPR 2014 198, 200. Beckmann

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Entwicklung des VVG

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der Ermittlung der Bewertungsreserven in § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG in der Fassung des Lebensversicherungsreformgesetzes als nicht verfassungswidrig angesehen.299

5. Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen Im Zuge der Reform des Versicherungsaufsichtsrechts in Umsetzung der Solvabilität II-Richtli- 68 nie300 („Solvency II“; dazu Rn. 241) erfolgten auch Folgeänderungen des VVG. Durch Art. 2 Abs. 49 des Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.2015 (BGBl. I 434) kam es zu Anpassungen der Verweisungen im VVG an die geänderte Nummerierung des VAG,301 namentlich in § 153 VVG, sowie der §§ 154, 169, 192, 193, 203, 210 und 211 VVG.

6. Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz Art. 1i des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) vom 4.4.2017 (BGBl. I 778) führte 69 zu einer Änderung der §§ 192 Abs. 5, 197 Abs. 1 Satz 1 und 208 Satz 1 VVG.302

7. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze Wiederum ausgesprochen bedeutsame Veränderungen insbesondere auch des VVG hat die Um- 70 setzung der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb (Insurance Distribution Directive – IDD)303 mit sich gebracht. Durch Art. 3 des Umsetzungsgesetzes304 wurden mit Wirkung zum 23.2.2018 die §§ 1a, 6a, 7a, 7b, 7c sowie 7d neu in das VVG eingeführt. Zudem wurden die §§ 6 Abs. 2, 3, 4 und 6; 7 Abs. 2; 59 Abs. 1 und 4; 61 Abs. 2 und 66 VVG geändert. Auf die entsprechenden Kommentierungen wird verwiesen. Eine weitere Änderung des VVG, die ebenfalls durch Art. 3 dieses Gesetzes erfolgte, betrifft § 155 VVG mit Wirkung zum 1.7.2018. Dieser enthält nunmehr insbesondere eine Aufzählung der Umstände, welche der VR dem VN bei Versicherungen mit Überschussbeteiligungen jährlich mitzuteilen hat.

8. Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze Eine weitere Änderung des VVG brachte das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die 71 außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 31.11.2019 (BGBl. I 1942 [Nr. 44]). Es führte zur Änderung zahlreicher und Neufassung einzelner Paragraphen des Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, aber auch zu Änderungen einzelner

299 BGH 27.6.2018 – IZ ZR 201/17, VersR 2018 917–920; dazu Reiff VersR 2018 965. 300 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl. EU Nr. L v. 17.12.2009, Nr. 335 S. 1. 301 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss), BTDrucks. 18/2956 S. 305. 302 Zu den Änderungen im Einzelnen RegEntwurf BT-Drucks 18/11205 S. 82. 303 Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb, ABl. EU Nr. L v. 2.2.2016, Nr. 26 S. 19. 304 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb (Insurance Distribution Directive – IDD) und zur Änderung weiterer Gesetze vom 20. Juli 2017, BGBl. I 2789. 31

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Paragraphen anderer Gesetze, darunter § 214 VVG. Damit wurde mit Wirkung vom 6.12.2019 eine Unterrichtungspflicht der anerkannten Schlichtungsstellen an die BaFin eingeführt, für den Fall, dass durch Geschäftspraktiken von Unternehmern eine Vielzahl von Verbrauchern erheblich beeinträchtigt werden. Zuvor war § 214 VVG bereits zwei Mal geändert worden, zum einen durch Gesetz betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 22.12.2011 (BGBl. I 3044) sowie durch Artikel 15 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten vom 19.2.2016 (BGBl. I 254).

9. Bundesteilhabegesetz 72 Aufgrund von Art. 20 Abs. 3 des Bundesteilhabegesetzes (BTHG)305 wurde mit Wirkung zum 1.1.2020 § 193 Abs. 3 Nr. 4 VVG neu gefasst.

D. Inkrafttreten/Übergangsvorschriften des Versicherungsvertragsrechts 2008 Schrifttum Baumann Lebensversicherungen mit Überschussbeteiligung und Bestandsübertragung nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts vom 26.7.2005 RuS 2005 401; Bausch Die Regelung der Probandenversicherung im neuen Arzneimittelrecht VersR 1979 212; Beckmann Die Empfangsvollmacht des Versicherungsagenten – ein Beispiel für den Reformbedarf des Versicherungsvertragsgesetzes, in: Beiträge zum Versicherungs- und Wirtschaftsrecht der Schüler von Ulrich Hübner (2002) 29; Beckmann/Matusche-Beckmann Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. (2015); Beckmann/ Matusche-Beckmann/Schneider Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. (2015) § 1a „Reform des Versicherungsvertragsrechts, weitere Entwicklungen und Übergangsrecht“; Brand Problemfelder des Übergangsrechts zum neuen VVG VersR 2011 557; van Bühren Das Neue Versicherungsvertragsgesetz 2008 ZAP 2007 307; Deutsch/Iversen Versicherungsvertragsrecht 7. Aufl. (2015); Dörner/Staudinger Kritische Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts WM 2006 1710; Franz Das Versicherungsvertragsrecht im neuen Gewand VersR 2008 298; Funck Ausgewählte Fragen aus dem Allgemeinen Teil zum neuen VVG aus der Sicht einer Rechtsabteilung VersR 2008 163; Hasse Zwangsvollstreckung in Kapitallebensversicherungen VersR 2005 15; R. Johannsen Regreßanspruch des Haftpflichtversicherers wegen eines durch einen führerscheinlosen Angehörigen des Versicherungsnehmers verursachten Unfallschadens NZV 1989 69; Just VVG-Reform: Zum intertemporalen Recht VersPraxis 2008 2 ff.; Langheid Auf dem Weg zu einem neuen Versicherungsvertragsrecht NJW 2006 3317; Lenz Die Kulanzleistung des Versicherers (1993); Lorenz-Liburnau Geschäftsplanmäßige Erklärungen, VersRdsch 1952 33; Marlow/Spuhl Das neue VVG kompakt 4. Aufl. (2010); Meixner/Steinbeck Das neue Versicherungsvertragsrecht (2008); Muschner Zur fortdauernden Anwendbarkeit der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. im Jahr 2008 VersR 2008 317 ff.; Neuhaus Zwischen den Jahrhundertwerken – Die Übergangsregelungen des neuen VVG RuS 2007 441 ff.; ders. Neues VVG: Überlebt die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG trotz Streichung im Gesetz? RuS 2007 177; Niederleithinger Das neue VVG (Erläuterungen, Texte, Synopsen) Teil A 2007 Rn. 19 ff.; Petersen Entstehung, Rechtsnatur und Aufgabenstellung des kommunalen Schadensausgleichs (1992); ders. Versicherungsunternehmensrecht (2003); Präve Das Dritte Durchführungsgesetz/EWG zum VAG – Ausgewählte Fragen des neuen Aufsichts- und Vertragsrechts ZfV 1994 168; Prölss Zu den versicherungsvertragsrechtlichen Folgen des Verschweigens einer Vorversicherung VersR 1988 347; Rixecker VVG 2008 – Eine Einführung ZfS 2007 430; Schneider Neues Recht für alte Verträge VersR 2008 859; Schwintowski Pflicht einer Privathaftpflichtversicherung für Schäden durch Kinder ZRP 2003 391; Uyanik Die Klageausschlussfrist nach § 12 Abs. 3 VVG a. F. – Oder: Totgesagte leben länger? VersR 2008 468 ff.; Wandt Versicherungsvertragsrecht 6. Aufl. (2016) Rn. 13 ff.

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Das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (ReformG) vom 23.11.2007 (BGBl. I 2631) ist gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 3 ReformG am 1.1.2008 in Kraft getreten. Art. 12 ReformG enthält zudem besondere Bestimmungen zum Inkrafttreten einzelner Regelungen des ReformG sowie zum Außerkrafttreten zuvor geltender Bestimmungen, insbesondere des frühe305 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016, BGBl. I 3234. Beckmann

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Inkrafttreten/Übergangsvorschriften des Versicherungsvertragsrechts 2008

ren VVG (dazu sogleich Rn. 76). Darüber hinaus finden sich in Art. 1–6 EGVVG wichtige Übergangsvorschriften (dazu anschließend Rn. 79).

I. Grundsätzliches Inkrafttreten des VVG 2008 und Außerkrafttreten bisheriger Rahmenbedingungen gemäß Art. 12 ReformG Das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (ReformG) insgesamt ist mit Wirkung zum 1.1.2008 in Kraft getreten. Dies gilt insbesondere für das in Art. 1 ReformG enthaltene VVG 2008. Damit findet das VVG 2008 auf ab dem 1.1.2008 geschlossene Verträge („Neuverträge“) Anwendung. Einzelne Vorschriften des Reformgesetzes sind bereits vor dem eigentlichen Inkrafttreten des gesamten Gesetzes zum 1.1.2008 in Kraft gesetzt worden: Sogar rückwirkend zum 25.4.2006 hat Art. 5 Nr. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 ReformG die allerdings das Firmenrecht betreffende Regelung des Art. 38 EGHGB und damit eine außerhalb des Versicherungsvertragsrechts liegende Norm geändert.306 Vor dem Inkrafttreten des Reformgesetzes ist des Weiteren auch schon § 7 Abs. 2 und 3 VVG am Tag nach der Verkündung des ReformG, nämlich am 30.11.2007 (BGBl. I 2631 ff.), in Kraft getreten (vgl. Art. 12 Abs. 1 S. 2 ReformG). § 7 Abs. 2 VVG ermächtigt zum Erlass einer Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen, so dass der Verordnungsgeber schon vor Geltung des VVG 2008 die nach § 7 Abs. 2 VVG vorgesehene VVG-Informationspflichtenverordnung am 18.12.2007 (BGBl. I 3004)307 erlassen konnte. In das ReformG (Art. 11 und Art. 12 Abs. 2) vom 23.11.2007 aufgenommen wurden die bereits zuvor mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVWSG) vom 26.3.2007 (BGBl. I 2007 378) verabschiedeten Regelungen für die private Krankenversicherung.308 So enthält Art. 11 ReformG eine inhaltsgleiche Wiedergabe der zuvor in Art. 43 GKV-WSG beschlossenen Regelungen für die private Krankenversicherung309 und Art. 12 Abs. 2 ReformG das Inkrafttreten dieser Regelungen am 1.1.2009 (wie bereits zuvor in Art. 46 Abs. 10 GKV-WSG geregelt). Mit dem Inkrafttreten des neuen VVG zum 1.1.2008 sind gleichzeitig eine Reihe von Vorschriften außer Kraft getreten. Eine Auflistung findet sich zum einen in Art. 12 Abs. 1 S. 4 Nr. 1– 5 ReformG. Im Einzelnen handelt es sich um: – das bisherige VVG (Nr. 1); – die Verordnung zur Ergänzung und Änderung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 7632-1-1, veröffentlichten bereinigten Fassung (Nr. 2); – die Dritte Verordnung zur Ergänzung und Änderung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 7632-1-3, veröffentlichten bereinigten Fassung (Nr. 3); – die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 7632-3, vero ¨ffentlichten bereinigten Fassung (Nr. 4); – das Gesetz zur Überleitung landesrechtlicher Gebäudeversicherungsverhältnisse vom 22.7.1993 (BGBl. I 1282, 1286) (Nr. 5). Neben diesen durch Art. 12 Abs. 1 S. 4 ReformG außer Kraft getretenen bisherigen Vorschriften wurde zum anderen gemäß Art. 4 ReformG der zehnte Abschnitt des fünften Buches und § 905 des HGB, namentlich die Vorschriften über die Seeversicherung aufgehoben (dazu bereits Rn. 18). Zwischen Verkündung des VVG 2008 am 29.11.2007310 und Inkrafttreten für Neuverträge am 1.1.2008 lag nur etwas mehr als ein Monat. Insbesondere die VVG-Kommission hatte ursprüng306 Vgl. BTDrucks. 16/5862 S. 101. 307 Zuletzt geändert durch Art. 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der VVG-Informationspflichtenverordnung v. 6.3.2018, BGBl. I 225. 308 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 42. 309 Vgl. BTDrucks. 16/5862 S. 10. 310 BGBl. I 2631 ff. 33

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lich vorgeschlagen, dass das neue VVG am 1. Januar des zweiten auf die Verkündung folgenden Jahres in Kraft treten solle (Art. 13 des Kommissionsentwurfs).311 Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hatte sogar eine Übergangszeit gefordert, die fünf Jahre nicht unterschreiten solle, da die geplante Reform grundlegende produktbezogene und betriebsorganisatorische Auswirkungen habe, die eine Ermittlung und Umsetzung des notwendigen Anpassungsbedarfs im Einzelnen erforderlich mache, wobei nicht nur Neu-, sondern auch Altverträge Berücksichtigung finden müssten. Eine Übergangsfrist von weniger als zwei Jahren erscheine jedenfalls als nicht ausreichend.312 Zu berücksichtigen sei der erhebliche Umstellungsaufwand der Versicherungswirtschaft, wobei der Größte hier bei den möglicherweise durch die geänderten Rahmenbedingungen veranlassten Umstellung der Provisionsregelungen läge, da der VR hier auf Vertragsverhandlungen mit seinen Vertriebspartnern angewiesen sei.313 Diesen Vorstellungen ist der Gesetzgeber seinerzeit nicht gefolgt. Auch wenn sich im Lauf des Jahres 2007 der Wortlaut des neuen VVG zunehmend abgezeichnet hatte,314 fiel die Vorbereitungszeit auf das VVG 2008 ausgesprochen kurz aus. Zwar ging auch der Gesetzgeber vom Erfordernis einer „ausreichend langen Übergangszeit“ aus: indes sollte es genügen, wenn das Gesetz Mitte des Jahres 2007 verabschiedet werden kann.315 Unabhängig davon, dass dieser Zeitplan nicht eingehalten wurde, muss die Übergangszeit gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 3 ReformG schon als ausgesprochen kurz eingestuft werden.

II. Übergangsvorschriften auf der Grundlage des Art. 2 ReformG 79 Von zentraler Bedeutung sind die durch Art. 2 ReformG erlassenen Übergangsvorschriften, die sich in Art. 1–6 EGVVG finden und sich insbesondere auf laufende Verträge beziehen. Übergangsrecht dient dem Vertrauensschutz, denn gesetzliche Neuregelungen, wie die Reformierung des VVG 2007, sollen nicht dazu führen, dass Abmachungen, welche nach altem Recht getroffen wurden und danach wirksam waren, ohne Weiteres unwirksam werden.316 Dem EGVVG kam historisch gesehen eine Doppelfunktion zu. Einerseits regelt es in Art. 1–6 EGVVG das intertemporale Versicherungsvertragsrecht, andererseits enthielten die Art. 7–15 EGVVG a. F. zentrale Regelungen des internationalen Versicherungsvertragsrechts;317 die letztgenannten Vorschriften zum Internationalen Versicherungsvertragsrecht wurden indes mit Wirkung zum 17.12.2009 aufgehoben (Art. 2 Abs. 4 Nr. 2 des Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung [EG] Nr. 593/2008 [Rom I-VO] vom 25.6.2009 [BGBl. I 1574]), da für seit dem 17.12.2009 geschlossene Versicherungsverträge kollisionsrechtlich die Rom I-VO318 gilt (vgl. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1, 28, 29 Unterabs. 2 Rom I-VO). Für Verträge, welche einen Auslandsbezug aufweisen und vor dem 17.12.2009 geschlossen wurden, gilt jedoch weiterhin das alte Recht.319

311 KomE S. 190, 284. 312 GDV, Stellungnahme zum KomE S. 116 abrufbar unter https://www.jura.uni-hamburg.de/media/einrichtungen/ sem-versicherungsrecht/gesetzesaenderungen/gdv-stellungnahme-zum-abschlussbericht-2004-06-07.pdf (Abrufdatum: 25.9.2019). 313 KomE S. 190. 314 Vgl. Niederleithinger Das neue VVG (2007) Rn. 12. 315 RegE S. 123. 316 Brand VersR 2011 557, 557. 317 Langheid/Rixecker/Gal6 Vorbem. zu Art. 1–7 EGVVG Rn. 1. 318 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (Rom I-VO; ABl. 2008 L 177, 6). Grundsätzlich zum Internationalen Versicherungsvertragsrecht Bruck/Möller/Dörner9 Bd. 11. 319 Vgl. auch Dauses/Ludwigs/Matusche-Beckmann (2015) E.VI. Versicherungsrecht Rn. 375 ff.; Bruck/Möller/Dörner9 Art. 28 Rom I-VO Rn. 1. Beckmann

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1. Spartenübergreifende Übergangsvorschriften a) Grundsätzliche Geltung des früheren VVG für Altverträge bis zum 31.12.2008, Art. 1 80 Abs. 1 EGVVG. Gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG ist das VVG in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung (also das frühere VVG) grundsätzlich320 auf sog. Altverträge bis zum 31.12.2008 weiterhin anzuwenden. Altverträge werden legaldefiniert als „Versicherungsverhältnisse, die bis zum Inkrafttreten des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23. November 2007 (BGBl. I 2631 ff.) am 1.1.2008 entstanden sind“.321 Insoweit findet sich hier eine Abkehr von dem Grundsatz, dass neue vertragsrechtliche Regelungen nur für nach Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes geschlossene Verträge gelten, während Altverträge unter Bestandsschutz stehen.322 Vielmehr soll das reformierte VVG auch für die Altverträge jedenfalls ab dem 1.1.2009 gelten. Hierin liegt nach der Regierungsbegründung eine unechte Rückwirkung, die jedoch nicht aufgrund überwiegender schutzwürdiger Bestandsinteressen der Betroffenen unzulässig sei:323 So gelte es zu vermeiden, auf Altverträge unter Umständen noch jahrzehntelang altes Recht anzuwenden, denn aus einem Nebeneinander von altem und neuem Recht ergäben sich sowohl für den VN als auch in erster Linie für den VR kaum vertretbare Schwierigkeiten und Unsicherheiten.324 Zudem sei das wesentliche Reformziel der Stärkung der Rechtsstellung des VN gegenüber dem VR nur dann zu erreichen, wenn das neue Recht auch für die Altverträge gelte.325 Unterschiedlich wird beurteilt, ob Art. 1 Abs. 1 EGVVG einen Grundsatz oder eine Ausnah- 81 me normiert. Während die wohl überwiegende Meinung in dieser Vorschrift eine Grundregel erblickt,326 sieht Schneider den Grundsatz in Art. 12 Abs. 1 ReformG (wonach das reformierte VVG am 1.1.2008 in Kraft getreten ist; dazu oben Rn. 74), so dass Art. 1 Abs. 1 EGVVG tatsächlich eine gesetzgeberische Ausnahme darstelle.327 Diesem Meinungsstreit wird indes grundsätzlich keine praktische Bedeutung zuerkannt;328 gleichwohl kann die Einordnung des Art. 1 Abs. 1 EGVVG als Grundsatz oder als Ausnahmeregelung als Argument im Rahmen der umstrittenen Frage um die Reichweite von Art. 1 Abs. 1 EGVVG herangezogen werden (dazu sogleich Rn. 83).329 Die Weitergeltung des bisherigen Rechts bis zum 31.12.2008 setzt gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG 82 voraus, dass das Versicherungsverhältnis bis zum 31.12.2007 entstanden ist. Diese Formulierung findet sich auch in der Überleitungsvorschrift zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz,330 Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB. Die hierzu geltenden Voraussetzungen für das Entstehen des Vertragsverhältnisses lassen sich grundsätzlich auf Art. 1 Abs. 1 EGVVG übertragen. Die Fortgeltung des alten Rechts (bis zum 31.12.2008) setzt demnach voraus, dass sich der Entstehungstatbestand des betroffenen Vertragsverhältnisses vor dem 1.1.2008 vollständig erfüllt hat. Alle für die Entstehung des Vertragsverhältnisses notwendigen Umstände müssen vor dem Stichtag erfüllt 320 Ausnahmen und Ergänzungen zu diesem Grundsatz finden sich in den anschließenden Bestimmungen (dazu sogleich). 321 Eine automatische Verlängerung eines Altvertrages ist nicht als Neuabschluss zu verstehen; BGH 16.4.2014 – IV ZR 153/13, VersR 2014 735, 735 f. (Rn. 17). 322 RegE S. 118; Niederleithinger Das neue VVG (2007) Rn. 24. 323 RegE S. 118, wegen dieser Bedenken hatte die Reformkommission eine Übergangsvorschrift nach dem Vorbild des Art. 3 EGVVG (in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung) nahegelegt; danach würde das VVG 2008 für Altverträge ab dem Zeitpunkt gelten, zu dem beide Vertragspartner kündigen können (vgl. KomE S. 192). 324 RegE S. 118. 325 RegE S. 118; Brand VersR 2011 557, 558. 326 Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 2; Prölss/Martin/Armbrüster30 EGVVG Art. 1 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 1 EGVVG Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 Art. 1 EGVG Rn. 1; Brand VersR 2011 557, 558. 327 Schneider VersR 2008 859, 860. 328 Prölss/Martin/Armbrüster30 EGVVG Art. 1 Rn. 1. 329 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 1 EGVVG Rn. 1; vgl. auch Schneider VersR 2008 859, 860. 330 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I 3138 ff.); zu den Parallelen auch Prölss/ Martin/Armbrüster30 EGVVG Art. 1 Rn. 4. 35

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sein.331 Die Prüfung der Entstehungsvoraussetzungen richtet sich nach den Vorschriften des bisherigen Rechts.332 Beim Versicherungsbeginn wird grundsätzlich differenziert zwischen dem formellen, dem technischen und dem materiellen Versicherungsbeginn.333 Der formelle Versicherungsbeginn meint den Zeitpunkt des Beginns der rechtlichen Bindung der Vertragspartner, mit dem materiellen Versicherungsbeginn wird der Zeitpunkt bezeichnet, indem der Versicherungsschutz einsetzt. Der technische Versicherungsbeginn bezeichnet den Beginn des Zeitabschnitts, für den die Prämie berechnet wird (zur Versicherungszeit vgl. Baumann/Koch § 1 Rn. 109 ff.). Der Entstehungstatbestand i. S. d. Art. 1 Abs. 1 S. 1 EGVVG kann indes von diesen Arten des Versicherungsbeginns abweichen334 und insbesondere zeitlich früher erfüllt sein, da die Übergangsvorschrift auf die Entstehung des Vertragsverhältnisses335 abstellt. Mithin kommt das alte Recht zur Anwendung, wenn ein Versicherungsvertrag etwa aufschiebend oder befristet abgeschlossen wurde.336 Ist beispielsweise der Vertrag über eine Reisegepäckversicherung noch im Jahre 2007 abgeschlossen worden für eine Reise, die im Jahre 2008 angetreten worden ist, so fand gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 1 EGVVG bis zum 31.12.2008 früheres Recht Anwendung. 83 Die Reichweite des Art. 1 Abs. 1 EGVVG im Einzelnen ist streitig. So wird die Auffassung vertreten, Art. 1 Abs. 1 EGVVG erfasse nur materielle, nicht aber prozessuale Vorschriften wie § 215 VVG;337 ähnlich und ein wenig weitergehend findet sich die Ansicht, dass Art. 1 Abs. 1 EGVVG nur Regelungen mit Bezug auf das Versicherungsverhältnis im eigentlichen Sinne erfasst, nicht aber sog. vertragsfremde Umstände.338 Mit vertragsfremden Umstände sind solche gemeint, die nicht das Vertragsverhältnis selbst betreffen, beispielsweise der Direktanspruch des Geschädigten (§ 115 Abs. 1 VVG), die Erhebung personenbezogener Daten bei Dritten (§ 213 VVG) bzw. der Gerichtsstand für Klagen aus dem Versicherungsvertrag oder der Versicherungsvermittlung (§ 215 VVG). Insbesondere zum Gerichtsstand nach § 215 VVG hat sich die Rechtspraxis häufig mit der 84 Frage befassen müssen, ob Art. 1 Abs. 1 EGVVG (und sodann im Weiteren auch Art. 1 Abs. 2 EGVVG) Anwendung findet, da es sich bei § 215 VVG um eine prozessuale und nicht um eine materiell versicherungsvertragsrechtliche Regelung handele. Instanzgerichte haben – ebenso wie Literaturansichten – diese Frage unterschiedlich beurteilt.339 Lehnt man eine Anwendung 331 Für Art. 229 § 5 EGBGB: NK-BGB/Budzikiewicz3 Art. 229 § 5 EGBGB Rn. 23; Palandt/Grüneberg78 Art. 229 § 5 Rn. 3; Bamberger/Roth Art. 229 § 5 EGBGB Rn. 4. 332 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 Art. 1 EGVVG Rn. 9; für Art. 229 § 5 EGBGB: NK-BGB/Budzikiewicz3 Art. 229 § 5 EGBGB Rn. 23; Bamberger/Roth Art. 229 § 5 EGBGB Rn. 8; MüKo-BGB/Krüger7 Art. 229 § 5 EGBGB Rn. 2. 333 Beckmann/Matusche-Beckmann/K. Johannsen3 § 8 Rn. 66 (auch zum Folgenden); vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster30 § 2 Rn. 2. 334 Brand VersR 2011 557, 558. 335 Vgl. Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 4; Brand VersR 2011 557, 558 („Vertragsschluss“). 336 Für Art. 229 § 5 EGBGB: NK-BGB/Budzikiewicz3 Art. 229 § 5 EGBGB Rn. 30; MünchKomm/Krüger7 Art. 229 § 5 EGBGB Rn. 5. 337 BGH 8.3.2017 – IV ZR 435/15, BGHZ 214 160, 167 f. = VersR 2017 779, 780 f. (Rn. 22 ff.); OLG Saarbrücken 23.9.2008 – 5 W 220/08, VersR 2008 1337 (juris Rn. 6); OLG Frankfurt 21.4.2009 – 3 W 20/09, RuS 2010 140 (juris Rn. 6); OLG Koblenz 10.5.2010 – 10 W 772/09, VersR 2010, 1356, 1356 (juris Rn. 3 f.); OLG Dresden 28.4.2014 – 4 U 1175/14 unter II A 2 c (soweit ersichtlich unveröffentlicht; zitiert nach BGH a. a. O. Rn. 22); OLG München 4.3.2015 – 27 U 4374/14, BeckRS 2015, 121035; Fricke VersR 2009 15, 20; a. A. OLG Düsseldorf 18.6.2010 – 4 U 162/09, VersR 2010 1354 f. (juris Rn. 36 ff. betr. § 215 VVG); OLG Bamberg VersR 2011 513, 513 (juris Rn. 8); OLG Nürnberg 2.3.2010 – 8 W 353/10, VersR 2010 935, 935 (juris Rn. 12); Bruck/Möller/Brand9 § 215 Rn. 56 dazu und auch zu Gegenauffassungen noch im Weiteren die folgende Fn. 338. 338 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 45b; ders. VersR 2008 859, 860 f; BeckOK-VVG/Staudinger/Ruks (Stand: 15.3.2020) § 215 Rn. 21; grds. auch Prölss/Martin/Armbrüster30 EGVVG Art. 1 Rn. 5 ff.; a. A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 6 ff.; Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 5 ff.; Rüffer/ Halbach/Schimikowski//Muschner4 Art. 1 EGVVG Rn. 4. 339 Gegen eine Anwendung von Art. 1 Abs. 1 EGVVG auf § 215 VVG BGH 8.3.2017 – IV ZR 435/15, BGHZ 214 160, 167 f. = VersR 2017 779, 780 f. (Rn. 22 ff.); OLG Saarbrücken 23.9.2008 – 5 W 220/08, VersR 2008 1337 (juris Rn. 6); OLG Frankfurt 21.4.2009 – 3 W 20/09, RuS 2010 140 (juris Rn. 6); OLG Koblenz 10.5.2010 – 10 W 772/09, VersR 2010 1356, 1356 (juris Rn. 3 f.); OLG München 4.3.2015 27 – U 4374/ 14, BeckRS 2015 121035; OLG Dresden 28.4.2014 – Beckmann

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des Art. 1 Abs. 1 EGVVG ab (so die in Fn. 337 zuerst genannten Stimmen), so gilt gemäß Art. 12 Abs. 1 ReformG die Gerichtsstandsregel des § 215 – unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses und des Eintritts des Versicherungsfalles – ab dem 1.1.2018. Die Gegenauffassung (die in Fn. 337 genannten Gegenansichten) wendet Art. 1 Abs. 1 EGVVG auf § 215 VVG an, so dass auf Altverträge (zum Begriff oben Rn. 80) das frühere VVG bis zum 31.12.2008 grundsätzlich anzuwenden ist; die Folgefrage, namentlich ob sich für Altverträge aus Art. 1 Abs. 2 EGVVG wiederum ergibt, dass bei Eintritt eines Versicherungsfalls bis zum 31.12.2008 das frühere VVG weiter anzuwenden ist, wird gleichfalls unterschiedlich behandelt.340 Tendenziell überwiegend ist insoweit angenommen worden, Art. 1 Abs. 2 EGVVG greife mit der Rechtsfolge der Anwendbarkeit des früheren VVG über den 31.12.2008 hinaus ein, so dass § 215 VVG auch bei Eintritt eines Versicherungsfalls bei Altverträgen bis zum 31.12.2008 nicht gelte.341 Nach einer Entscheidung des BGH vom 8.3.2017 hat sich die Beantwortung der zuvor aufge- 85 worfenen Fragen jedenfalls für die Rechtspraxis geklärt. So hat der BGH entschieden, dass Art. 1 Abs. 1 EGVVG die prozessuale Gerichtsregelung des § 215 VVG nicht erfasse.342 Zur Begründung hat sich der BGH insbesondere auf den im Prozessrecht geltenden Grundsatz berufen, dass neue Gesetze – vorbehaltlich abweichender Überleitungsvorschriften des Gesetzgebers  – auch schwebende Verfahren erfassen, die danach mit Inkrafttreten des Änderungsgesetzes regelmäßig nach neuem Recht zu beurteilen sind, soweit es nicht um unter Geltung des alten Rechts abgeschlossene Prozesshandlungen und abschließend entstandene Prozesslagen geht.343 Für den BGH hat sich damit die weitere Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 2 EGVVG insoweit nicht mehr gestellt. Nach dieser BGH-Rechtsprechung gilt § 215 VVG also für alle Klagen ab dem 1.1.2008. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass § 215 VVG – und damit die vorstehenden Ausführungen zur zeitlichen Anwendbarkeit – sich auch auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Anbahnung, dem Abschluss, der Durchführung oder der Rückabwicklung eines Versicherungsvertrags erstreckt.344

4 U 1175/14 unter II A 2 c (soweit ersichtlich unveröffentlicht; zitiert nach BGH a. a. O. Rn. 22); Beckmann/MatuscheBeckmann/Schneider3 § 1a Rn. 45b; ders. VersR 2008 859, 861; Armbrüster2 Rn. 1796; a. A. OLG Stuttgart 18.11.2008 – 7 AR 8/08, VersR 2009 246 (juris Rn. 2); OLG Hamburg 30.3.2009 – 9 W 23/09, VersR 2009 531 (juris Rn. 6 ff.); OLG Nürnberg 2.3.2010 – 8 W 353/10, VersR 2010 935 (juris Rn. 12); OLG Düsseldorf 18.6.2010 – 4 U 162/09, VersR 2010 1354 f. (juris Rn. 36 ff.); OLG Bamberg 21.9.2010 – 1 W 39/10, VersR 2011 513 (juris Rn. 5 ff.); Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 1 EGVVG Rn. 10; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 215 Rn. 39; ders. a. a. O. Art. 1 EGVVG Rn. 8 (jeweils betr. Art. 1 Abs. 1 EGGVG); Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 6 ff.; Bruck/Möller/Brand9 § 215 Rn. 55; Prölss/Martin/Klimke30 § 215 Rn. 2. 340 Vgl. Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 9. 341 OLG Hamm 8.5.2009 – 20 W 4/09, juris Rn. 14; OLG Hamm 20.5.2009 – I-20 U 110/08, VersR 2009 1345, 1346 (juris Rn. 45); OLG Nürnberg 2.3.2010 – 8 W 353/10, VersR 2010 935, 936 (juris Rn. 12); OLG Düsseldorf 18.6.2010 – I-4 U 162/09, VersR 2010 1354, 1355 ff. (juris Rn. 45 ff.); OLG Bamberg 21.9.2010 – 1 W 39/10, VersR 2011 513 (juris Rn. 5 ff.); Bruck/Möller/Brand9 § 215 Rn. 56; Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 18; Langheid/ Wandt/Looschelders2 § 215 Rn. 40; ders. a. a. O. Art. 1 EGVVG Rn. 9; a. A. OLG Köln 9.6.2009 – I-9 W 36/09, VersR 2009 1347, 1348 (juris Rn. 18); OLG Dresden 10.11.2009 – 3 AR 0081/09, VersR 2010 1065, 1066 (juris Rn. 9 ff.); Prölss/Martin/Klimke30 § 215 Rn. 3; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung (BTDrucks. 16/11480) auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter (BTDrucks. 16/11269). 342 BGH 8.3.2017 – IV ZR 435/15, BGHZ 214 160, 167 f. = VersR 2017 779, 780 f. (Rn. 23 ff.); ebenso Prölss/Martin/ Armbrüster30 EGVVG Art. 1 Rn. 8; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 45b; ders. VersR 2008 859, 861; Armbrüster2 Rn. 1796; a. A. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 1 EGVVG Rn. 10; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 215 Rn. 39; ders. a. a. O. Art. 1 EGVVG Rn. 8 (jeweils betr. Art. 1 Abs. 1 EGGVG); Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 6 ff.; Prölss/Martin/Klimke30 § 215 Rn. 2. 343 BGH 8.3.2017 – IV ZR 435/15, BGHZ 214 160, 168 = VersR 2017 779, 781 (Rn. 27) unter Hinweis auf BGH 28.2.1991 – III ZR 53/90, BGHZ 114 1, 3 f. = NJW 1991 1686 (juris Rn. 10); BGH 23.4.2007 – II ZB 29/05, BGHZ 172 136, 145 = NJW-RR 2007 1634, 1636 (Rn. 25). 344 BGH 8.3.2017 – IV ZR 435/15, BGHZ 214 160, 163 f. = VersR 2017 779, 780 (Rn. 15); Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 11; Bruck/Möller/Brand9 § 215 Rn. 25. 37

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Nach vielfach vertretener Ansicht wird auch im Hinblick auf den Direktanspruch in der Pflichthaftpflichtversicherung für die Beurteilung der Anwendbarkeit von § 3 Nr. 1 PflVG a. F. bzw. § 115 Abs. 1 VVG nicht Art. 1 Abs. 1 EGVVG, sondern Art. 12 Abs. 1 ReformG herangezogen. Im Hinblick auf den Direktanspruch gemäß § 115 VVG ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz dem Geschädigten auf Grund eines gesetzlich angeordneten Schuldbeitritts in der Person des VR einen weiteren Schuldner für seinen deliktischen Schadensersatzanspruch zur Verfügung stellt.345 Vor diesem Hintergrund resultiert der Anspruch des geschädigten Dritten nicht aus einem Versicherungsverhältnis, so dass Art. 1 Abs. 1 EGVVG insoweit nicht eingreift; § 215 VVG gilt damit gemäß Art. 12 Abs. 1 ReformG seit dem 1.1.2008 auch für Altverträge.346 Da sich der Umfang des Anspruchs des Dritten gegen den VR aber aus dem Versicherungsverhältnis zwischen VR und VN ergibt, sind insoweit indes die Art. 1 ff. EGVVG maßgeblich.347 Auch im Hinblick auf die Erhebung personenbezogener Daten gemäß § 213 VVG wird vielfach angenommen, ihre zeitliche Anwendbarkeit richte sich allein nach Art. 12 ReformG und nicht nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG;348 ebenso betreffe diese Bestimmung keine Rechte oder Pflichten aus dem Versicherungsvertrag. Geht man mit dem BGH davon aus, dass diese Formulierung „auf Versicherungsverhältnisse“ in Art. 1 Abs. 1 EGVVG indes nicht eindeutig ist und Art. 1. Abs. 1 EGVVG keine Unterschied zwischen vertragsfremden und vertragsnahen Umständen vorsieht,349 so kann hieraus nur gefolgert werden, dass Art. 1 Abs. 1 EGVVG auch die Regelung über die Erhebung personenbezogener Daten gemäß § 213 VVG erfasst.350 Im Fall des Eintritts eines neuen Vertragspartners in einen vor dem 1.1.2008 geschlossenen Vertrag gilt grundsätzlich altes Recht.351 Etwas Anderes wird man indes annehmen müssen, wenn mit dem Eintritt des neuen Vertragspartners zugleich eine Aufhebung des Versicherungsverhältnisses und die Begründung eines neuen Versicherungsverhältnisses vereinbart werden soll. Tritt ein Dritter einem bestehenden Vertrag bei, so findet hierauf altes Recht Anwendung. Gem. Art. 1 Abs. 1 EGVVG findet das neue Versicherungsvertragsrecht grundsätzlich aber mit Wirkung zum 1.1.2009 auch auf Altverträge Anwendung. Eine wichtige Ausnahme ergibt sich aber gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG für den Fall, dass bei einem Altvertrag ein Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten ist (dazu sogleich Rn. 92). Weitere Abweichungen von dem Grundsatz des Art. 1 Abs. 1 EGVVG sind in den Art. 2 bis 6 EGVVG geregelt (dazu Rn. 118 ff.). Keine Anwendung auf Altverträge finden die Vorschriften des VVG 2008, die (wie z. B. Publizitätsvorschriften, Anzeigepflichten) beim Vertragsabschluss zu beachten sind. Insoweit bedurfte es auch keiner gesetzlichen Klarstellung.352 Daraus ergibt sich für diese Bereiche eine ungeschriebene Weitergeltung des früheren VVG. Berief sich beispielsweise der VR im Jahre 2009 auf eine Anzeigepflichtverletzung des VN bei einem im Jahre 2006 abgeschlossenen Versicherungsvertrag, so richtet sich die Prüfung der Anzeigepflichtsverletzung nach früherem Recht. Demgegenüber sollen sich die Rechtsfolgen der Anzeigepflichtverletzung nach neu-

345 BGH 23.11.1971 – VI ZR 97/70, BGHZ 57 265, 269 = NJW 1972 387, 388 (juris Rn. 20) noch zu § 3 Nr. 1 PflVG a. F.; vgl. auch Bruck/Möller/Beckmann9 § 115 Rn. 8.

346 I.E. ebenso Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 7 (Heranziehung des § 115 VVG ab 1.1.2008 durch Lückenfüllung).

347 Prölss/Martin/Armbrüster30 EGVVG Art. 1 Rn. 6; Schneider VersR 2008 859, 861; a. A. Looschelders/Pohlmann/ Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 12. 348 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 45b; ders. VersR 2008 859, 861; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 5; a. A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 12. 349 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 6. 350 I.E. Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 12. 351 Für Art. 229 § 5 EGBGB: MüKo-BGB/Krüger7 Art. 229 § 5 EGBGB Rn. 4. 352 So ausdrücklich RegE S. 118, inhaltlich bereits KomE S. 191. Beckmann

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em Recht bestimmen.353 Die Tatbestandsverwirklichung richtet sich danach also nach altem Recht, während für die daraus resultierenden Rechtsfolgen neues Recht gilt. Diese Möglichkeit ist schon beachtenswert und ggf. problematisch, denn bei Einführung des neuen Schuldrechts wollte der Gesetzgeber noch vermeiden, „dass auf Jahre hinaus doppeltes Recht gilt.“354 Nichtsdestotrotz hat sich eine vergleichbare Frage auch bei der Schuldrechtsmodernisierung gestellt, weshalb bei Dauerschuldverhältnissen von einer „ex-nunc-Wirkung des neuen Rechts“ die Rede ist.355 Im Schrifttum356 wird der Standpunkt vertreten, dass – unabhängig von Art. 1 Abs. 1 91 EGVVG – nicht zwingend altes Recht im Übergangsjahr angewendet werden musste, wenn die Regelungen des neuen Rechts günstiger für den VN waren. Der VR konnte in diesem Fall etwa aus Vereinfachungsgründen in der Übergangszeit neues Recht auch auf Altverträge anwenden. Unabhängig von dogmatischen Fragen lässt sich dies indes nur für abgrenzbare Anwendungsbereiche bejahen. Wenn nicht klar ist, ob eine Wirkung des neuen Rechts günstiger ist, ist eine solch einseitige Möglichkeit zugunsten des VN problematisch.

b) Ausnahmsweise Weitergeltung des früheren VVG für Altverträge bei Versicherungs- 92 fällen vor dem 31.12.2008 (laufende Schadensfälle), Art. 1 Abs. 2 EGVVG. Gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG findet für Altverträge das frühere Recht weiterhin Anwendung, wenn ein Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten ist (zur Diskussion um die Anwendung von Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG auf vertragsfremde Umstände vgl. oben Rn. 83 ff.). Damit konnte es in laufenden Versicherungsfällen bzw. Prozessen noch zu einer mehrjährigen Anwendung des alten Rechts kommen. Anlass für diese Regelung waren für den Gesetzgeber mögliche Probleme bei der Anwendung der Neuregelungen auf laufende Schadensfälle. Insbesondere durch die Änderungen im Bereich der Obliegenheitsverletzungen und deren Folgen könnte es zur Änderung bestehender Ansprüche und Verpflichtungen kommen, wenn sie nach neuem Recht beurteilt würden. Eine solche Rückwirkung sei verfassungsrechtlich problematisch.357 Die Vorschrift ist eng auszulegen. Die Regeln des alten VVG finden Anwendung, als es um die Abwicklung des Versicherungsfalls geht. Dies folgt aus dem Wortlaut „soweit“ in Art. 1 Abs. 2 EGVVG.358 Tritt bei einem Altvertrag ein Versicherungsfall also nach dem 31.12.2008 ein, ist insoweit 93 das VVG 2008 anzuwenden. Für die Bestimmung des Versicherungsfalls gelten die allgemeinen Regelungen, so dass die AVB von wesentlicher Bedeutung sind. Im Einzelfall kann problematisch sein, ob der Versicherungsfall unter Geltung des alten 94 oder des neuen Rechts eingetreten ist. Bspw. bleiben Versicherungsfälle in der Gebäudeversicherung (Leitungswasserschaden/ Rohrbruch) unter Umständen längere Zeit unentdeckt. In der Berufsunfähigkeitsversicherung kann häufig erst im Rechtsstreit mithilfe eines Sachverständigen geklärt werden, zu welchem Zeitpunkt die entscheidende Prognose einer voraussichtlich dauernden Beeinträchtigung erstmals gestellt werden konnte.359 Besteht Uneinigkeit über den Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalls, so ist umstritten, wen insoweit die Beweislast trifft. Teilweise wird vertreten, dass der VN als Anspruchsteller den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zu beweisen hat.360 Abweichend hiervon wird überwiegend zu Recht auf den Grundsatz abgestellt, dass jede Partei die Darlegungs- und Beweislast für die ihr günstigen Um353 So ausdrücklich RegE S. 118; etwas Anderes gilt gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG wenn ein Versicherungsfall vor dem 31.12.2008 eintritt, dann gilt auch im Hinblick auf die Anzeigeobliegenheitsverletzung altes Recht. 354 BTDrucks. 14/6040 S. 273. 355 Staudinger/Löwisch (2016) Art. 229 § 5 Rn. 44. 356 Neuhaus RuS 2007 441, 442. 357 RegE S. 118, vgl. auch Koch RuS 2009 133, 137. 358 Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 19. 359 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 46a. 360 Neuhaus RuS 2009 309, 312, Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 Art. 1 EGVVG Rn. 25. 39

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stände treffe.361 Danach hat regelmäßig der VR den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zu beweisen, da er sich auf eine ihm günstige Ausnahmeregel beruft.362

95 c) Anpassung von AVB in Altverträgen, Art. 1 Abs. 3 EGVVG. Art. 1 Abs. 3 EGVVG räumt dem VR die Befugnis ein, seine AVB für Altverträge bis zum 1.1.2009 einseitig an das VVG 2008 anzupassen.363 Voraussetzung hierfür ist, dass die bisherigen AVB von den Vorschriften des neuen VVG abweichen. Außerdem ist erforderlich, dass der VR dem VN die geänderten Versicherungsbedingungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede spätestens einen Monat vor diesem Zeitpunkt in Textform mitgeteilt hat. Eine solche Befugnis hatte bereits die Reformkommission vorgeschlagen, seinerzeit noch auf der Basis eines generellen gesetzlichen Bedingungsanpassungsrechts.364 Während des Gesetzgebungsverfahrens sind vereinzelt indes massive Bedenken gegen dieses Instrument laut geworden: Das seinerzeit noch in Art. 1 Abs. 2 RefE verankerte Anpassungsrecht sei ein „Freibrief zur einseitigen Korrektur von Klauseln“ und erweise sich als sachlich nicht zu rechtfertigender, zumindest unverhältnismäßiger Eingriff in die von Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Vertragsparität.365 Mit guten Gründen konnte sich ein solches allgemeines Recht deshalb nicht durchsetzen. In der Gesetzesbegründung heißt es lediglich, den Versicherungsunternehmen „muss die Befugnis eingeräumt werden, für Altverträge ihre AVB an das VVG 2008 anzupassen“.366 Im Hinblick auf die Frage der Notwendigkeit eines solchen speziellen und zeitlich begrenzten Anpassungsrechts haben Dörner/Staudinger indes im Grundsatz zu Recht darauf hingewiesen, dass das Übergangsrecht der Schuldrechtsmodernisierung für den Klauselersteller bei Dauerschuldverhältnissen keine derartige Privilegierung vorsah. Vielmehr seien Arbeitsverträge – ein den Versicherungsverträgen vergleichbares Massenphänomen – mit dem damaligen Stichtag gemäß Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB der Klauselkontrolle unterworfen worden. Auch wenn dieser Standpunkt im Grundsatz zutrifft, ist ein Interesse der VR an inhaltlicher Anpassung von Altverträgen an das VVG 2008 nicht von der Hand zu weisen. Indes sind insbesondere die Voraussetzungen des Anpassungsrechts gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG zu wenig konkret formuliert und decken sich nicht unbedingt mit den in der Gesetzesbegründung genannten Anpassungserfordernissen. Art. 1 Abs. 3 EGVVG gewährt den VR in der Tat vom Wortlaut her einen „Freibrief zur einseitigen Korrektur von Klauseln“.367 Im Hinblick auf die Funktion dieses Anpassungsrechts ist die Vorschrift jedenfalls eng auszulegen, was sich auch aus der folgenden Erläuterung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen ergibt:

96 aa) Abweichung von AVB eines Altvertrages vom VVG 2008 bzw. Erforderlichkeit einer Anpassung. Voraussetzung einer Anpassungsbefugnis ist nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG, dass AVB eines Altvertrages „von den Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes abweichen“. Nach der Gesetzesbegründung ist damit sogar gemeint, dass die Bedingungsanpassung aufgrund einer Änderung des vorherigen Rechts geboten ist. Nur in diesem Fall soll die Anpassung zulässig

361 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 46a. 362 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 46a; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 1 EGVVG Rn. 18; Prölss/ Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 17a; Grote/Finkel VersR 2009 312, 312; OLG Oldenburg 29.3.2011 – 5 U 11/11, VersR 2012 1501, 1502 (juris Rn. 10 f.). 363 Ein hiervon abweichender Zeitpunkt ergibt sich aus Art. 2 EGVVG für die Vertretungsmacht des Versicherungsvertreters und die Krankenversicherung sowie aus den Art. 3 und 5 EGVVG (RegE S. 118). 364 KomE S. 194. Sowohl im KomE S. 203 als auch im Referentenentwurf (RefE S. 20) fand sich in § 16 noch ein allgemeines gesetzliches Bedingungsanpassungsrecht. 365 Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1717. 366 RegE S. 118. 367 Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1717. Beckmann

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sein.368 Im Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 EGVVG kommt dieses Erfordernis indes nicht zum Ausdruck.369 Nach der Gesetzesbegründung ist eine Bedingungsanpassung geboten, wenn eine Bedin- 97 gung einer zwingenden oder halbzwingenden Vorschrift des neu gefassten VVG widerspricht. Eine Anpassung käme aber auch im Hinblick auf Änderungen des dispositiven Rechts in Betracht.370 Im Hinblick auf den zuletzt genannten Aspekt kann man indes nicht unbedingt davon sprechen, dass in diesem Fall die Bedingungsanpassung geboten gewesen wäre. Insoweit bleibt die Gesetzesbegründung in sich brüchig. Die Formulierung des Art. 1 Abs. 3 EGVVG eröffnet jedenfalls einen schon weiten Anwendungsbereich des Anpassungsrechts. Im Einzelnen kann es zudem problematisch sein, in welchem Umfang eine oder mehrere AVB vom VVG 2008 „abweichen“. Allerdings spricht schon die Formulierung in der Gesetzesbegründung, die Bedingungsanpassung müsse „geboten“ sein, eher für einen engeren Anwendungsbereich der Vorschrift. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass ein einseitiges Anpassungsrecht allgemein gerade nicht Eingang in das VVG gefunden hat.371 Bis auf die Ausnahmen des § 164 VVG (Lebensversicherung), §§ 176, 164 VVG (Berufsunfähigkeitsversicherung) und § 203 VVG (Krankenversicherung) kennt auch das Versicherungsvertragsrecht ein solches allgemeines einseitiges Anpassungsrecht ebenso wenig wie andere Rahmenbedingungen von Dauerschuldverhältnissen. Vor diesem Hintergrund ist die Anpassungsbefugnis auf notwendige Änderungen, die durch das VVG 2008 bedingt sind, zu beschränken. Für darüber hinaus gehende Änderungsvorstellungen muss der VR allgemeine zivilrechtliche Vertragsänderungsinstrumente verwenden. Konsequenz ist, dass für jede Änderung konkret eine solche Änderungsnotwendigkeit zu prüfen ist. Bestand beispielsweise nur Änderungsbedarf im Hinblick auf einen abgrenzbaren Regelungsbereich, so konnte über Art. 1 Abs. 3 EGVVG auch nur dieser Regelungsbereich (dann aber im ganzen Umfang) geändert werden. Bei dieser Beurteilung handelt es sich um eine damit vom Gericht überprüfbare Rechtsfrage.372 Im Schrifttum ist in diesem Zusammenhang formuliert worden, eine Notwendigkeit der An- 98 passung könne sich für den VR aus dem AGB-Recht ergeben.373 Damit kann aber nicht gemeint sein, dass sich allein aus AGB-rechtlichen Gründen die für Art. 1 Abs. 3 EGVVG erforderliche Änderungsnotwendigkeit ergeben konnte. Voraussetzung für die Anpassungsbefugnis gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG ist vielmehr die Erforderlichkeit einer Anpassung aufgrund des VVG 2008. Kein Änderungsbedarf bestand für die Anpassung einer schon vor der Reform unwirksamen oder umstrittenen Klausel, ohne dass sich hieran durch eine Norm des VVG n. F. etwas geändert hat.374 Der VR durfte die Umstellung der AVB nicht zum Anlass nehmen, solche Klauseln zu heilen. Eine Schlechterstellung des VR sollte ebenso wie eine Besserstellung vermieden werden. Die AVB konnten daher nur insoweit geändert werden, wie sie von den Vorschriften des VVG abwichen.375 Bei mehreren Anpassungsoptionen schränkt das Gesetz jedenfalls die Anpassungsbefugnis 99 des VR nicht zugunsten einer versicherungsnehmerfreundlichen Variante ein.376 Auch dieser Aspekt ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen. Es fehle eine Einschränkung, wonach eine Klausel nur wirksam sei, wenn sie zur Wahrung des Vertragsziels die Belange der VN angemessen berücksichtige.377 Indes erscheint eine solche Beschränkung des Anpassungsrechts aufgrund all-

368 369 370 371 372 373 374 375 376 377 41

RegE S. 118. RegE S. 118. RegE S. 118. Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 49. Zu den Rechtsfolgen, wenn die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 3 EGVVG nicht vorliegen, vgl. sogleich Rn. 103. Neuhaus RuS 2007 441, 444. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 1 EGVVG Rn. 24. Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 26. Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 50. Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1717. Beckmann

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gemeiner Grenzen nicht erforderlich, da eine neue AVB ohnehin der Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB unterliegt.

100 bb) Rechtzeitiger Zugang der Änderungsmitteilung. (Formelle) Voraussetzung für eine zum Stichtag des 1.1.2009 wirkende Anpassung ist des Weiteren, dass der VR dem VN die geänderten Versicherungsbedingungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede spätestens einen Monat vor diesem Zeitpunkt (Mindestfrist) in Textform mitgeteilt hat. Die Änderungsmitteilung muss also bis zum 30.11.2008 dem VN zugegangen sein.378 Es gelten die allgemeinen Grundsätze über den Zugang von Willenserklärungen und der VR trägt die Beweislast für diesen.379

101 cc) Einhaltung der Textform. Die Mitteilung des VR muss in Textform erfolgen und damit den Voraussetzungen des § 126b BGB entsprechen. Nach dem damalig geltenden Wortlaut des § 126b BGB a. F. muss die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeignete Weise abgegeben, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden.380 Neben schriftlichen Erklärungen sind deshalb ausreichend: vom Erklärenden übergebene Datenträger mit elektronischen Erklärungen (wie Disketten, CD-Roms oder DVDs) oder telekommunikativ übermittelte Erklärungen, die wie das herkömmliche Telefax in der Regel von der Empfangseinrichtung auf Papier ausgedruckt werden oder die wie Computer-Faxe oder E-Mails in der Regel auf einem Datenträger (z. B. Festplatte) beim Empfänger gespeichert werden können.381 Nicht ausreichend hingegen ist ein Hinweis auf die Internetpräsenz bzw. Website des VR oder das Angebot, die geänderten AVB erst auf Aufforderung hin zu übermitteln.382

102 dd) Kenntlichmachung der Unterschiede. Weitere (formelle) Voraussetzung für eine Bedingungsanpassung gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG ist die „Kenntlichmachung der Unterschiede“. Insoweit wird man jedenfalls eine tabellarische bzw. synoptische Gegenüberstellung der alten und neuen Bestimmung möglichst mit optischer Hervorhebung für ausreichend erachten können.383 Nach Sinn und Zweck der Vorschrift muss die Änderung für einen durchschnittlichen VN ohne größere Schwierigkeiten erkennbar und nachvollziehbar sein.384 Die eindeutige Gesetzesformulierung verlangt keine Erläuterung durch den VR gegenüber dem VN und noch nicht einmal eine Berufung auf den Hintergrund einer Änderung. Zumindest eine allgemeine Bezugnahme auf den Hintergrund der Änderung lässt sich aber analog § 6 Abs. 4 VVG oder aus allgemeinen vertraglichen Nebenpflichten des VR gegenüber dem VN herleiten. Nur im Einzelfall wird man hieraus sogar auch eine Erläuterung der einzelnen Änderungen verlangen können.

378 OLG Celle 29.9.2011 – 8 U 58/11, VersR 2012 753, 755 (juris Rn. 29). 379 Ebenso Neuhaus RuS 2007 441, 444; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 1 EGVVG Rn. 25; zur a. A. siehe Langheid/ Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 23.

380 § 126b BGB wurde mit Gesetz vom 20.9.2013 (BGBl. I 3642) im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechterichtlinie) an die Terminologie der Richtlinie angepasst; eine inhaltliche Änderung war damit nicht beabsichtigt; vgl. BTDrucks. 17/12637 S. 44. 381 Juris-PK-BGB/Junker 8. Aufl. 2017 § 126b Rn. 35; deshalb zu eng Neuhaus RuS 2007 441, 445 nachdem es erforderlich ist, „die Bedingungen tatsächlich auszuhändigen“. 382 Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 21. 383 So auch Neuhaus RuS 2007 441, 445; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 25; kritisch hinsichtlich der Folgen der Verpflichtung zur Kenntlichmachung v. a. im Hinblick auf die Praxis Funck VersR 2008 163, 169. 384 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 23. Beckmann

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ee) Rechtsfolgen (1) Allgemeines. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen konnte der VR bis zum 1.1.2009 „sei- 103 ne Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Altverträge mit Wirkung zum 1.1.2009 ändern“. Das Anpassungsrecht gilt nach dem klaren Wortlaut aber nicht für einen gesamten Austausch eines Klauselwerks, da das Änderungsrecht gilt, „soweit sie (die AVB) von den Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes abweichen.“ Damit wird klargestellt, dass sich das Anpassungsrecht, lediglich auf einen sachlich zusammenhängenden Regelungsbereich bezieht (siehe oben Rn. 97). Art. 1 Abs. 3 EGVVG gewährt dem VR ein einseitiges Anpassungsrecht. Auf eine Mitwirkung des VN kommt es nicht an. Gerade aufgrund dieses von allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen abweichenden Ausnahmecharakters ist dieses Anpassungsrecht eng zu verstehen. Liegen die Voraussetzungen einer Anpassung gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG nicht vor, so 104 geht eine vorgenommene Anpassung ins Leere. Der Vertrag richtet sich nach dem ursprünglichen Inhalt. Verstößt die AVB, die angepasst werden sollte, zum Nachteil des VN gegen eine halbzwingende Vorschrift des reformierten VVG, so sind die alten AVB bereits aus diesem Grunde unwirksam.385 Im Übrigen verbleibt es bei einer AGB-Kontrolle nach allgemeinen Grundsätzen, im Rahmen derer auf das reformierte VVG abzustellen ist. In Betracht kommt auch, die alten AVB als intransparent gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB einzuordnen, da sie auf das frühere, nicht mehr geltende VVG Bezug nehmen.386 Der Vertrag im Ganzen bleibt von der etwaigen Unwirksamkeit einer AVB grundsätzlich gemäß § 306 Abs. 1 BGB unberührt. Neben dem speziellen Anpassungsrecht gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG, insbesondere nach Ab- 105 lauf der Anpassungsfrist am 31.12.2008 hat der VR die Möglichkeit der Vertragsanpassung nach allgemeinen Grundsätzen, die aber grundsätzlich eine Mitwirkung der Vertragsgegenseite erfordern.387 So kann der VR seinen VN dennoch eine Änderung der AVB anbieten. Eine Annahme durch den VN lässt sich nicht bereits daraus herleiten, dass dieser Prämien an den VR nach Anbieten der neuen AVB leistet, da dem VN hierzu das entsprechende Erklärungsbewusstsein fehlen wird.388

(2) Nichtanpassung vertraglicher Obliegenheiten an das VVG 2008. Unterschiedliche 106 Fassungen haben sich insbesondere bei Nichtanpassung vertraglicher Obliegenheiten an das neue VVG entwickelt. Frühere vor der VVG-Reform 2008 geltende AVB regelten, dass der VR bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung vertraglicher Obliegenheiten durch den VN in vollem Umfang leistungsfrei ist. Diese Klauseln sind seit der VVG-Reform mit den gesetzlich vorgegebenen Rechtsfolgen gemäß § 28 VVG nicht mehr vereinbar und sind mithin gemäß § 32 VVG nichtig. § 28 VVG legt dem VN keine Obliegenheit auf; es muss vielmehr eine solche zwischen den Parteien vertraglich vereinbart worden sein, ebenso wie die vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit des VR bei einer Obliegenheitsverletzung gemäß § 28 Abs. 2 VVG vereinbart worden sein muss.389 Mithin hat sich – bei Nichtanpassung alter AVB – die Frage nach den Rechtsfolgen gestellt. Insbesondere instanzgerichtliche Rechtsprechung,390 aber auch Literaturstimmen391 vertraten die sog. Theorie der Gesamtunwirksamkeit, wonach die unzulässige Ausgestaltung

385 Der BGH hat bei Abweichung einer Alt-AVB gegen § 28 Abs. 2 eine Unwirksamkeit gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB angenommen, vgl. BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191 159, 163 = VersR 2011 1550, 1551 (Rn. 19). 386 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 26. 387 Zur Zulässigkeit von Bedingungsanpasssungsklauseln in AVB vgl. BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153 ff. = VersR 1999 697 ff.; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 184 ff. 388 Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 41; Marlow/Spuhl/Marlow4 Rn. 1532. 389 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 27. 390 OLG Köln 17.8.2010 – 9 U 41/10-, VersR 2010 1592, 1593 (juris Rn. 36); LG Nürnberg-Fürth 27.1.2010 – 8 O 10700/ 08, RuS 2010 145, 147 (juris Rn. 42); LG Köln 21.1.2010 – 24 O 458/09- RuS 2010 104, 104 (juris Rn. 34). 391 Franz VersR 2008 298, 312; Maier VW 2008 986, 986 f. 43

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der Rechtsfolgenseite zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel führe.392 Vertreter der sog. Spaltungslösung393 hingegen ließen die vertraglich begründete Obliegenheit als solche unbeanstandet; die Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung sollten sich nach der gesetzlichen Regelung des § 28 VVG ergeben. Eine vermittelnde Ansicht ging von der Gesamtunwirksamkeit der Klausel aus. Die dadurch entstehende Lücke konnte danach aber im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gefüllt werden;394 danach sollte der Tatbestand der (unwirksamen) Alt-AVB mit der Rechtsfolgenanordnung des § 28 VVG kombiniert werden, so dass diese Auffassung zum gleichen Ergebnis gelangt wie die Spaltungslösung.395 Der BGH ist im Jahr 2011 der Theorie der Gesamtunwirksamkeit gefolgt.396 Demgemäß kön107 nen Obliegenheitsverletzungen nur insoweit sanktioniert werden, soweit dies in der Klausel selbst wirksam vereinbart worden ist; alte Klauseln, bei welchen eine Anpassung unterblieben ist, sind wegen Verstoßes gegen § 28 Abs. 2 VVG unwirksam geworden. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BGH auch dann, wenn der VN die entsprechende Obliegenheit arglistig verletzt hat.397 Die auf diese Weise entstandene Lücke könne weder durch § 28 Abs. 2 VVG noch durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden. Bei Art. 1 Abs. 3 EGVVG handele es sich um eine gesetzliche Sonderregelung, die in ihrem Anwendungsbereich die allgemeine Bestimmung des § 306 Abs. 2 BGB verdrängt.398 Eine Lösung dieser Problemfälle sei somit nur über die vom BGH ausgesprochenen Auffangtatbestände der §§ 23 ff., 81 Abs. 2, 82 VVG möglich.399 Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass die Verletzung vertraglicher Obliegenheiten bei Altverträgen in der Rechtspraxis grundsätzlich keine Rolle mehr spielt.400 Diese Entscheidung des BGH ist in der Literatur teilweise auf erhebliche Kritik gestoßen.401 Sie setze sich über den Umstand hinweg, dass an die Stelle der unwirksamen Klausel keine fiktive vertragliche Vereinbarung, sondern die gesetzlichen Rechtsfolgen des § 28 VVG treten. Die vollständige Nichtigkeit der Klausel würde insofern über den Schutzzweck des § 28 VVG hinausgehen.402 Eine andere Beurteilung ergäbe sich auch nicht aus dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, wonach eine Rückführung unwirksamer Klauseln auf einen zulässigen Inhalt ausgeschlossen ist.403 Das Prinzip beruht auf der Erwägung, dass die Parteien zu der Verwendung gesetzeswidriger AGB ermuntert werden könnten, wenn sie lediglich damit rechnen müssten, dass das Gericht die betreffenden Klauseln im Streitfall auf das gerade noch zulässige Maß zurückführen wird.404 Dieses Verbot gelange nicht zur Anwendung, wenn, wie hier, die unwirksame Regelung nach altem Recht zulässig oder erfor392 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 28. 393 LG Erfurt 8.6.2010 – 8 O 1204/09-, VersR 2011 335, 335 (juris Rn. 22), m. Anm. Günther VersR 2011 482, 482 ff. Hövelmann VersR 2008 612, 616. 394 Vgl. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 36 ff.; Günther/Spielmann RuS 2008 133,144; FS J. Prölss/Klimke 2009 S. 117. 395 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 28. 396 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191 159, 165 f. = VersR 2011 1550, 1552 (Rn. 32 ff.); bestätigt BGH 2.4.1014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347, 349 (Rn. 23). 397 BGH 2.4.2014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347, 349 (Rn. 22). Von einer unterlassenen Anpassung der AVB werden besondere Verwirkungsbestimmungen in AVB bei Arglist des VN nicht berührt; vgl. Tschersich RuS 2012 53, 58 (betreffend z. B. § 31 Nr. 1 VHB 2000); OLG Frankfurt 20.2.2013 – 7 U 229/11, VersR 2013 1127, 1128 (juris Rn. 43 ff.) (betreffend § 21 Nr. 1 VGB 96). 398 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191 159, 166 = VersR 2011 1550, 1551 f. (Rn. 35); a. A. OLG Frankfurt 20.2.2013 – 7 U 229/11-, VersR 2013 1127,1128 (juris Rn. 45). 399 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191 159, 173 = VersR 2011 1550, 1553 (Rn. 52); Looschelders/Pohlmann/ Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 39; Günther/Spielmann VersR 2010 549, 549 ff. 400 Marlow RuS 2015 581. 401 Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 36; ders. VersR 2012 9, 10 ff.; Looschelders/Pohlmann/Stagl/ Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 35 ff.; demgegenüber die BGH-Entscheidung befürwortend Staudinger DAR 2012 512, 513 („überzeugend“); Staudinger/Halm/Wendt/Staudinger2 § 1 Rn. 79; Heß/Burmann NJW-Spezial 2011 745, 746. 402 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 30; Staudinger/Mäsch (2019) § 306 Rn. 23. 403 BGH 28.1.1993 – I ZR 294/90, VersR 1993 964, 965 (juris Rn. 19); dazu Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 389 ff. 404 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 30. Beckmann

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Inkrafttreten/Übergangsvorschriften des Versicherungsvertragsrechts 2008

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derlich war.405 Art. 1 Abs. 3 EGVVG stelle keine Sonderregel gegenüber § 306 Abs. 2 BGB dar.406 Die vom BGH aufgezeigten Auffangregeln könnten nur eine unzulängliche Sanktionswirkung entfalten, insbesondere da der VR für eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in Abweichung zu § 28 Abs. 2 S. 2 VVG beweisbelastet sei. Der BGH habe eine durch Art. 1 Abs. 3 EGVVG als Befugnis ausgestaltete Regelung in eine Pflicht verwandelt.407 Die Kritik an der Entscheidung des BGH ist zwar nachvollziehbar. Gleichwohl ist von Befürwortern der Entscheidung nicht zu Unrecht geäußert worden, der BGH habe deutlich ausgeführt, dass die Regelung des Art. 1 Abs. 3 EGVVG schlichtweg überflüssig wäre, wenn man die in der Literatur diskutierten Möglichkeiten einer Anpassung unwirksamer AVB für möglich erachten würde.408 Auch bei unterstellter Anwendung der Grundsätze zur ergänzenden Vertragsauslegung erscheint ein gemeinsamer hypothetischer Wille über eine Heranziehung von § 28 Abs. 2 VVG nicht eindeutig. Als in Widerspruch zur Entscheidung des BGH v. 12.10.2011 (oben Rn. 107) stehend werden 108 zudem Entscheidungen anderer Zivilsenate des BGH gesehen.409 So hat der VI. Zivilsenat eine Bestimmung in einem Kfz-Mietvertrag, nach welcher der Mieter bei einer grob fahrlässigen Beschädigung des Kfz in voller Höhe auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden konnte als unwirksam gemäß § 307 BGB angesehen, wenn der Kfz-Mietvertrag eine Haftungsbefreiung oder eine Haftungsreduzierung nach Art der Vollkaskoversicherung beinhaltet;410 bei einer solchen Haftungsbefreiung bzw. Haftungsreduzierung könne der Mieter darauf vertrauen, dass die Reichweite des mietvertraglich vereinbarten Schutzes im Wesentlichen dem Schutz entspricht, den er als Eigentümer des Kfz und als VN in der Fahrzeugvollversicherung genießen würde. Zur Ausfüllung der durch die Unwirksamkeit der Klausel entstandenen Vertragslücke hat der VI. Zivilsenat gemäß § 306 Abs. 2 BGB die Vorschrift des § 81 Abs. 2 VVG herangezogen. Dies widerspricht indes nicht der Entscheidung des BGH v. 12.10.2011, da es in der Entscheidung vom 12.10.2011 nicht um die Anpassung einer alten AVB ging und die Umstellungsvorschrift des Art. 1 Abs. 3 EGVVG dieser Lückenfüllung nicht entgegensteht.411 Aus dem gleichen Grunde wird man auch keinen Widerspruch zu Entscheidungen des XII. Zivilsenats sehen können, in denen der BGH zur Vertragslückenschließung in Autovermietungsverträgen § 28 Abs. 2 und 3 VVG herangezogen hatte,412 auch wenn man diese Entscheidungen aus anderen Gründen kritisch sehen kann.413 Die Entscheidung des BGH v. 12.10.2011 zur Nichtanpassung vertraglicher Obliegenhei- 109 ten an das neue VVG (oben Rn. 107) kann weitere Auswirkungen mit sich bringen, namentlich zu der Frage der Behandlung sog. verhüllter Obliegenheiten. Hierunter versteht man eine Bestimmung, die etwa nach ihrem Wortlaut, ihrer Stellung – z. B. unter einer bestimmten Überschrift – oder ihrer Regelungssystematik als Risikobegrenzung erscheint, in der Sache aber eine Obliegenheit darstellt.414 Im Hinblick auf die halbzwingenden Vorgaben von § 28 Abs. 2 VVG ist höchst strittig, wie verhüllte Obliegenheiten zu behandeln sind.415 Verhüllte Obliegenheiten

405 Hövelmann VersR 2008 612, 616; Funck VersR 2008 163, 168; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 38; a. A. Maier VW 2008 986, 988. 406 Pohlmann NJW 2012 188, 190 ff. 407 Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 39a. 408 Heß/Burmann NJW-Spezial 2011 745, 746. 409 So Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 35 Fn. 74. 410 BGH 11.10.2011 – VI ZR 46/10, BGHZ 191 150, 153 ff. = VersR 2011 1524 f. (Rn. 9 ff.). 411 Maier RuS 2013 14, 15. 412 BGH 14.3.2012 – XII ZR 44/10, VersR 2012 1573, 1575 (Rn. 21 ff.); BGH 24.10.2012 – XII ZR 40/11, VersR 2013 197, 198 (Rn. 21). 413 Maier RuS 2013 114, 15; Staudinger DAR 2012 512; Wittchen NJW 2012 2480, 2481. 414 Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 15a; zum Begriff auch Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 18; Prölss/Martin/Armbrüster30 § 28 Rn. 11. 415 Zum Streitstand BeckOK-VVG/Marlow (Stand: 15.10.2019) § 28 Rn. 30; Koch VersR 2014 283, 285; Rattay VersR 2015 1075, 1078; 45

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können für den VN bei bloßer Lektüre der entsprechenden AVB den Eindruck entstehen lassen, dass im Falle einer Obliegenheitsverletzung Versicherungsschutz komplett entfällt, obwohl unter den Voraussetzungen von § 28 Abs. 2 VVG durchaus (teilweise) Versicherungsschutz bestehen kann.416 Mithin können VN aufgrund von verhüllten Obliegenheiten abgehalten werden, (teilweise) bestehende Versicherungsansprüche geltend zu machen. Vor diesem Hintergrund sind verhüllte Obliegenheiten schon unter Transparenzgesichtspunkten kritisch zu sehen und – jedenfalls im Hinblick auf ihre Rechtsfolge – als unwirksam einzuordnen; die Unwirksamkeit kann unmittelbar aus § 32 i. V. m. § 28 Abs. 2 VVG, aber auch aus § 307 Abs. 1 BGB hergeleitet werden. Bereits hieraus lässt sich eine Gesamtunwirksamkeit einer verhüllten Obliegenheit begründen. Geht man indes von einer Teilunwirksamkeit aus (lässt also die Obliegenheit als solche unangetastet), so ist äußerst zweifelhaft, ob die hierdurch entstandene Lücke im Hinblick auf eine unwirksame Rechtsfolge durch analoge Anwendung von § 28 Abs. 2 und 3 VVG bzw. im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist. Dies folgt auch aus der Entscheidung des BGH v. 12.10.2011 (oben Rn. 107), wonach der Versicherungsvertrag eine Vereinbarung über die Sanktion einer Obliegenheitsverletzung enthalten muss.417 Insgesamt ist die Wirksamkeit einer verhüllten Obliegenheit in AVB im Ganzen zu verneinen.418

110 (3) Keine Pflicht zur Anpassung. Art. 1 Abs. 3 EGVVG räumt dem VR nur eine Option zur Anpassung der AVB ein, begründet aber trotz teilweise abweichender Meinung419 keine Anpassungspflicht.420 Die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts hat unter Punkt 1.5.6. ihres Abschlussberichtes die Auffassung vertreten, eine Verpflichtung des VR zur Anpassung seiner AVB für Altverträge an die Neuregelungen sei nicht notwendig und zudem kaum durchführbar. Halbzwingende neue Bestimmungen setzten sich entgegenstehenden AVB gegenüber ohnehin durch, so dass dem VN durch eine Nichtanpassung kein Nachteil entstünde.421

111 (4) Aufklärungs- bzw. Beratungspflicht. Den VR, der von seiner Bedingungsanpassungsbefugnis bewusst keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl durch das VVG 2008 eine bestehende AVB-Regelung unwirksam geworden ist, kann aber die nebenvertragliche Pflicht treffen, den VN über das Unwirksamwerden der AVB-Bestimmung aufzuklären.422 Ein Heranziehen von § 6 Abs. 4 VVG setzt einen Beratungsanlass voraus. Auch wenn ein solcher Anlass im Falle der Nichtanpassung einer Alt-AVB an das VVG 2008 pauschal abgelehnt wird423 und eine generelle Aufklärungspflicht bezogen auf Gesetzesänderungen und dadurch unwirksam gewordene Klauseln zum Beispiel vom OLG Hamm verneint wurde,424 so hängt Aufklärungs- bzw. Beratungsbedürftigkeit von der konkreten Situation ab. Ein VN kann – anders als ein VR – nicht ohne Weiteres erkennen, dass eine Alt-AVB infolge der VVG-Reform unwirksam geworden ist. Ist für 416 Wandt VersR 2015 265, 267. 417 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191 159, 166 = VersR 2011 1550, 1552 (Rn. 34). 418 BeckOK-VVG/Marlow (Stand: 15.10.2019) § 28 Rn. 30; Rattay VersR 2015 1075, 1078 ff.; Wandt VersR 2015 265, 268 f.; a. A. OLG Naumburg 28.3.2014 – 10 U 5/13, VersR 2015 102, 106 f. (juris Rn. 59 ff.); Prölss/Martin/Armbrüster30 § 28 Rn. 42; Koch VersR 2014 283, 288 ff. (solange nicht festgestellt worden ist, dass es sich bei der in Rede stehenden Klausel um eine verhüllte Obliegenheit handelt). 419 Wagner VersR 2008 1190, 1194. 420 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 1 EGVVG Rn. 21; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 Rn. 28; Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 1 EGVVG Rn. 30; vgl. auch BegrRegE S. 118 („befugt“). 421 KomE S. 194; a.A. im Hinblick auf mangelnde Transparenz und Rechtsunsicherheit seitens des VN Franz VersR 2008 298, 312. 422 So Wandt6 Rn. 21; Wagner VersR 2008 1190, 1194; Weidner RuS 2008 368, 371; a. A. Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 30; Hövelmann VersR 2008 612, 614. 423 Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 30. 424 Vgl. OLG Hamm 18.10.2006 – 20 U 189/06; VersR 2007 631, 631 (juris Rn. 1 f.). Beckmann

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den VR erkennbar, dass ein VN infolge der fehlenden Kenntnis der unwirksamen Alt-AVB von der Geltendmachung von Versicherungsschutz möglicherweise abgehalten wird, lässt sich ein Anlass zur Beratung annehmen. Eine pauschale Ablehnung einer Aufklärungs- bzw. Beratungspflicht des VR verbietet sich also. Ebenso wenig überzeugt die Argumentation, angesichts der breiten Berichterstattung über die VVG-Reform in den Medien sei insoweit auch kein besonderes Schutzbedürfnis des VN ersichtlich.425 Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsgrundlagen für Aufklärungspflichten, insbesondere § 241 Abs. 2 BGB neben § 6 VVG in vollem Umfang anwendbar bleiben.426

(5) Weitere denkbare Konsequenzen. Im Schrifttum wird vertreten, dass eine unterbliebene 112 Umstellung der AVB sich als aufsichtsrechtlicher Missstand i. S. v. § 298 Abs. 1 VAG (§ 81 Abs. 2 VAG a. F.) erweisen könne.427 Indes ist ein Missstand zu verneinen.428 Der VR ist nicht zu einer Anpassung von Alt-AVB gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG verpflichtet (oben Rn. 110), weshalb es als ausreichend zu erachten ist, wenn der VR durch organisatorische Vorkehrungen sämtliche Maßnahmen ergriffen hat, um zu verhindern, dass er sich zukünftig auf mit dem Reformgesetz unvereinbare Vertragsklauseln berufen wird.429 Um dies zu gewährleisten, ist es erforderlich, dass der VR seine AVB auf Abweichung zum neuen VVG hin überprüft sowie Grundsätze über die Anwendbarkeit dieser festsetzt.430 Es ist auch diskutiert worden, ob eine unterbliebene Anpassung von Alt-AVB an das 113 VVG 2008 einen Wettbewerbsverstoß darstellen kann. Von einem Wettbewerbsverstoß wäre allerdings erst dann auszugehen, wenn sich ein VR trotz der Unwirksamkeit auf die Klauseln beruft.431 Nimmt man zudem eine Aufklärungspflicht des VR gegenüber den Bestandskunden an (dazu oben Rn. 111), kann sich auch eine nicht erfolgte Aufklärung wettbewerbsrechtlich auswirken. d) Behandlung der Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 VVG a. F. (Art. 1 Abs. 4 EGVVG). § 12 114 Abs. 3 VVG a. F. sah die Leistungsfreiheit des VR vor, wenn der Anspruch auf die Versicherungsleistung nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht wurde. Diese Vorschrift ist mit dem VVG 2008 ersatzlos weggefallen. Art. 1 Abs. 4 EGVVG432 regelt nur die Behandlung laufender Fristen gemäß § 12 Abs. 3 VVG a. F., die vor dem 1.1.2008 begonnen haben. Auf diese ist die Vorschrift des § 12 Abs. 3 VVG a. F. auch nach dem 1.1.2008 anzuwenden. Zur Begründung hat der Rechtsausschuss ausgeführt, dass die in Art. 3 Abs. 4 EGVVG enthaltene Übergangsregelung für Fristen auf die mit der Abschaffung des § 12 Abs. 3 VVG a. F. verbundenen Besonderheiten nicht ausreichend Rücksicht nehme. Durch die Übergangsregelung des Art. 1 Abs. 4 EGVVG laufen also die Klagefristen gemäß 115 § 12 Abs. 3 VVG a. F. weiter, wenn sie vor dem 1.1.2008 zu laufen begonnen haben. Nach im Schrifttum und von Instanzgerichten vertretener Auffassung soll es wegen der grundsätzlichen Fortgeltung des alten Rechts für Altverträge bis zum 31.12.2008 gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG möglich sein, dass VR auch nach dem 1.1.2008 noch die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. setzen

Prölss/Martin/Armbrüster 30 Art. 1 EGVVG Rn. 30. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 6 Rn. 13 ff., 18; a. A. Prölss/Martin/Rudy30 § 6 Rn. 74. Wagner VersR 2008 1190, 1194. Hövelmann VersR 2008 612, 615. Schnepp/Segger VW 2008 907, 911. Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 32. Schnepp/Segger VW 2008 907, 910; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 33. Art. 1 Abs. 4 EGVVG wurde erst im Gesetzgebungsverfahren auf Empfehlung des Rechtsausschusses eingefügt; vgl. BTDrucks. 16/5862 S. 70, 100. Kritisch zuvor Neuhaus RuS 2007 177, 178 f.

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können.433 Dem kann im Hinblick auf den klaren Wortlaut des Art. 1 Abs. 4 EGVVG nicht zugestimmt werden; danach gelten Fristen nach § 12 Abs. 3 VVG a. F. nur weiter, „die vor dem 1.1.2008 begonnen haben.“434 116 In Alt-AVB finden sich vielfach Bestimmungen, die inhaltlich dem § 12 Abs. 3 VVG a. F. entsprechen.435 Neuhaus vertritt den Standpunkt, solche Ausschlussfristen in Altverträgen seien bis zum 1.1.2009 anwendbar.436 Dies erscheint indes fraglich. Zu Recht weist Schneider darauf hin, aus Art. 1 Abs. 4 EGVVG ergebe sich, dass Klagefristen nur noch bis zum 31.12.2007 gesetzt werden konnten.437 Neben der Abschaffung des § 12 Abs. 3 VVG a. F. kommt hierdurch ein deutlicher Wille zur Abkehr von der Möglichkeit solcher Fristen zum Ausdruck. Sie entsprechen deshalb mit Inkrafttreten des VVG 2008 nicht mehr dem Leitbild des Gesetzes und sind nicht erst ab dem 1.1.2009, sondern seit dem 1.1.2008 als unangemessen i. S. d. § 307 BGB einzuordnen.438 117 Etwas Anderes dürfte aber für Individualvereinbarungen gelten, da diese nur dann unzulässig sind, wenn sie gegen zwingendes Recht, gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben verstoßen. Ein ausdrückliches Verbot der Vereinbarung einer Ausschlussfrist enthält das VVG jedoch nicht, so dass Ausschlussfristen im Sinne des § 12 Abs. 3 VVG a. F. aufgrund von Individualvereinbarungen grundsätzlich Vertragsbestandteil werden könnten.439

118 e) Vollmacht des Versicherungsvertreters, Art. 2 Nr. 1 EGVVG. Eine noch strengere Form der unechten Rückwirkung des reformierten VVG auf Altverträge (vgl. insoweit bereits Rn. 80) sieht Art. 2 Nr. 1 EGVVG vor. Abweichend von Art. 1 Abs. 1 EGVVG bestimmt Art. 2 Nr. 1 EGVVG, dass die §§ 69 bis 73 VVG über die Vertretungsmacht des Versicherungsvertreters und der in § 73 VVG erfassten angestellten und nicht gewerbsmäßigen Vermittler bereits ab dem 1.1.2008 auf Altverträge Anwendung finden. Diese unmittelbare Vereinheitlichung der anzuwendenden Rechtsvorschriften zum 1.1.2008 ist in diesem Fall auch sachgerecht, weil Versicherungsvertreter neben dem Abschluss neuer Verträge auch mit der Betreuung von Altverträgen befasst sind.440 Diese Sachlage aber lässt eine unterschiedliche Behandlung der jeweiligen Vertragsverhältnisse nach altem und nach neuem Recht nicht zu. Diese Vorgehensweise wäre unweigerlich mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.441 Um diesen bereits im Voraus zu begegnen, war die Ausnahme von der Grundregel des Art. 1 Abs. 1 EGVVG erforderlich. Zu Art. 2 Nr. 2 EGVVG vgl. noch Rn. 127.

119 f) Verjährung, Art. 3 EGVVG. Art. 3 EGVVG regelt die Anpassung der maßgeblichen Verjährungsfristen. Die für die Verjährungsfristen geltende Sonderregelung des § 12 Abs. 1 VVG a. F., wonach die grundsätzliche Verjährungsfrist zwei Jahre und bei der Lebensversicherung fünf Jahre betrug, ist mit Inkrafttreten des VVG 2008 entfallen. Nunmehr gelten die allgemeinen Verjäh433 Neuhaus RuS 2007 441, 442; OLG 3.12.2010 – 10 U 345/10, VersR 2011 1554 f. (juris Rn. 34). 434 Ebenso BGH 8.2.2012 – IV ZR 223/10, VersR 2012 470, 471 (Rn. 15 ff.); Rixecker ZfS 2007 430, 431; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 47; Meixner/Steinbeck § 1 XIV Rn. 357; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 1 EGVVG Rn. 42 ff.; Uyanik VersR 2008 468; a. A. Muschner VersR 2008 317, 319, der sogar eine Anwendbarkeit des § 12 Abs. 3 VVG a. F. über das Jahr 2008 hinaus für möglich hält. 435 Vgl. etwa für die Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung § 17 Abs. 1 MB/KK 94; für die Unfallversicherung § 14 Abs. 1, Abs. 2 AUB 99; für die Einbruchsdiebstahl- und Raubversicherung § 14 Nr. 3 AERB 87 Fassung 1995. 436 Neuhaus RuS 2007 441, 442 f.; so auch van Bühren ZAP 2007 307, 328. 437 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 47. 438 So auch Uyanik VersR 2008 468; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 1 EGVVG Rn. 33. 439 Neuhaus RuS 2007 177, 181. 440 RegE S. 118. 441 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 48. Beckmann

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rungsregelungen des BGB; damit gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB. Aufgrund dieser Tatsache bedurfte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung dahingehend, wie insbesondere mit Ansprüchen zu verfahren ist, deren Verjährungsfrist bereits nach altem Recht in Gang gesetzt wurde, die aber im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen VVG noch nicht abgelaufen ist. Keine Bedeutung haben die Übergangsregelungen gemäß Art. 3 EGVVG für Ansprüche, die bei Inkrafttreten des VVG 2008 nach früherem Recht bereits verjährt waren; insoweit verbleibt es bei der bereits eingetretenen Verjährung. Und Ansprüche die erst nach Inkrafttreten des VVG 2008 entstanden sind, unterliegen ohnehin den seit 1.1.2008 geltenden Verjährungsvorschriften. Art. 3 EGVVG orientiert sich an der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 6 EGBGB, die den Übergang der neuen Verjährungsvorschriften aufgrund der Schuldrechtsreform regelt.442

aa) Geltung der dreijährigen Regelverjährungsfrist, Art. 3 Abs. 1 EGVVG. Art. 3 Abs. 1 120 EGVVG bestimmt als Grundregel die Anwendung der dreijährigen Regelverjährung gemäß § 195 BGB auf alle Ansprüche, die zum Stichtag des 1.1.2008 noch nicht verjährt sind. Die danach geltende dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB ist folglich länger als die frühere generell geltende Frist von zwei Jahren, aber kürzer als die im Rahmen der Lebensversicherung maßgebliche Fünf-Jahres-Frist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 VVG a. F. Art. 3 Abs. 1 EGVVG gilt für solche Ansprüche, die am 1.1.2008 schon entstanden, aber noch 121 nicht verjährt waren.443 Jedenfalls unmittelbar findet Art. 3 Abs. 1 EGVVG keine Anwendung, wenn der Anspruch aus einem Altvertrag am 1.1.2008 noch nicht entstanden war; in diesem Fall kommt eine analoge Anwendung des Art. 3 Abs. 1 EGVVG in Betracht444 oder gemäß Art. 1 Abs. 1 bzw. Abs. 2 EGVVG gilt die frühere Verjährungsfrist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 VVG a. F.445 Aufgrund des Rechtsgedankens von Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB sprechen gute Gründe für eine analoge Heranziehung von Art. 3 EGVVG.446 In seiner Entscheidung vom 16.4.2014 hat der BGH diese Frage letztlich offen gelassen, da er über beide genannten Wege zu einer Verjährung des in Rede stehenden Anspruchs gelangte.447 Indes hat der BGH klargestellt, dass jedenfalls bei analoger Anwendung von Art. 3 Abs. 1 EGVVG auch die Regelungen über den Fristenvergleich in Art. 3 Abs. 2 und 3 EGVVG anwendbar sind.448 Unterschiedlich wird die Frage beantwortet, welche Regelungen für den Beginn der Verjäh- 122 rung anzuwenden sind. Art. 3 Abs. 1 EGVVG erklärt die Anwendung allein von § 195 BGB, so dass teilweise vertreten wird, für den Beginn der Verjährung von „Altansprüchen“ für den Zeitraum vor dem 1.1.2009 sei weiterhin noch § 12 Abs. 1 Satz 2 VVG a. F. anzuwenden.449 Hiergegen wird eingewandt, dass es für eine Fortgeltung von § 12 Abs. 1 Satz 2 VVG a. F. an einer mit Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB vergleichbaren Vorschrift fehle, so dass für den Beginn der 442 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 53 (auch zum Vorstehenden). 443 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 3 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 3 EGVVG Rn. 2; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 3 EGVVG Rn. 2; vgl. BGH 16.4.2014 – IV ZR 153/13, VersR 2014 735 (Rn. 14, 24). 444 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 3 Rn. 2. 445 Vgl. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 3. 446 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 3 EGVVG Rn. 2; Langheid/Wandt/ Looschelders2 Art. 3 Rn. 2; 447 BGH 16.4.2014 – IV ZR 153/13, VersR 2014 735, 736 (Rn. 8) zu Prämienansprüchen aus Altverträgen, die erst im Jahr 2008 fällig geworden sind; ebenfalls offenlassend OLG Hamm 30.10.2015 – 20 U 190/13 (juris Rn. 34; BeckRS 2015 20037, Rn. 30). 448 BGH 16.4.2014 – IV ZR 153/13, VersR 2014 735 (Rn. 18); ebenso Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 3 Rn. 2; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 3 EGVVG Rn. 2; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 3. 449 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 54; Muschner/Wendt MDR 2008 609, 612. Für die Frage nach dem Verjährungsbeginn gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 VVG a. F. stellt die Rechtsprechung nicht auf die Entstehung, sondern auf die Fälligkeit ab; vgl. BGH 16.4.2014 – IV ZR 153/13, VersR 2014 735, 736 (Rn. 9); BGH 13.3.2002 – IV ZR 40/01, RuS 2002 217 (juris Rn. 8); BGH 14.4.1999 – IZ ZR 197/98, RuS 1999 285. 49

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Verjährung § 199 BGB gelte.450 Dieser Argumentation wurde indes wiederum nicht zu Unrecht entgegengehalten, dass unter Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB eine solche Regelung notwendig sei, da dessen Satz 1 gerade das gesamte neue Verjährungsrecht für Altansprüche für anwendbar erkläre; nach Art. 3 Abs. 1 EGVVG sei hingegen lediglich § 195 BGB anwendbar, weshalb eine solche Regelung wie Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB prima facie überflüssig erscheine.451 Eine Geltung von § 199 BGB für den Verjährungsbeginn hat Gal zu Recht jedenfalls aus der Formulierung von Art. 3 Abs. 2 EGVVG hergeleitet:452 Durch die gewählte Konditionalkonstruktion, die mit der Konjunktion „wenn“ eingeleitet wird, impliziere Abs. 2, dass Fälle denkbar sind, in denen die kürzere Frist des § 12 Abs. 1 VVG a. F. später abläuft als die des Art. 3 Abs. 1 EGVVG, was jedoch nicht denkbar wäre, wenn man für den Fristbeginn (und die Hemmung) für beide Fristen unbeschränkt auf das VVG a. F. abstellt. Insgesamt ist deshalb der wohl h. M. zu folgen, die für den Verjährungsbeginn unter Art. 3 Abs. 1 EGVVG auf § 199 BGB abstellt. Konsequenterweise findet Art. 3 Abs. 1 EGVVG nicht nur auf § 195 BGB, sondern auch auf die hiermit verknüpften Verjährungsvorschriften Anwendung.453 Mithin kommt für den Ablauf der Verjährung § 188 Abs. 2 BGB und für die Hemmung § 15 VVG 2008 zur Anwendung.454 Ebenso richten sich die Höchstfristen nach § 199 Abs. 4 BGB.455 Abänderung der ursprünglichen Verjährungsfristen, Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 EGVVG. 123 Die in Art. 3 Abs. 1 EGVVG i. V. m. § 195 BGB vorgesehene dreijährige Verjährungsfrist hätte in der Regel zu einer Verlängerung bereits laufender Verjährungsfristen geführt, da nach § 12 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. VVG a. F. Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag grundsätzlich in zwei Jahren verjähren. Dies sollte jedoch mit der unmittelbaren Anwendung des § 195 BGB nicht bewirkt werden.456 Daher bestimmt Art. 3 Abs. 2 EGVVG, dass im Falle der Zwei-Jahres-Frist des § 12 Abs. 1 S. 1 1. Alt. VVG a. F. für die Vollendung der Verjährung und damit den Ablauf der Frist der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem die kürzere Frist abläuft.457 Auf die früher in § 12 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. VVG a. F. geregelten Fälle der Lebensversicherung, für die eine Verjährungsfrist von fünf Jahren galt, bezieht sich nun Art. 3 Abs. 3 EGVVG. Da die neue Regelverjährung von drei Jahren die kürzere Frist darstellt, ist diese nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 EGVVG die maßgebliche. Die Frist beginnt am 1.1.2008 zu laufen. Läuft jedoch die fünfjährige Frist nach § 12 Abs. 1 S. 1 2. Alt. VVG a. F. früher ab als die Regelverjährung des § 195 BGB, bleibt es bei der nach altem Recht geltenden Regelung. Verjährung ist damit nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 EGVVG mit Ablauf der Fünf-Jahres-Frist eingetreten. Entscheidend ist demnach die jeweils kürzere Frist.458 Die Berechnung der Verjährungsfristen nach Art. 3 Abs. 3 EGVVG entspricht der Überleitungsregelung des Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB.459

124 bb) Entsprechende Anwendbarkeit, Art. 3 Abs. 4 EGVVG. Art. 3 Abs. 4 EGVVG erklärt die Absätze 1 bis 3 für entsprechend anwendbar auf Fristen, die für die Geltendmachung oder den Erwerb oder Verlust eines Rechtes maßgeblich sind. Die Regelung entspricht wiederum Art. 229 § 6 Abs. 5 EGBGB. Aus Art. 3 Abs. 4 EGVVG ergibt sich zunächst, dass für eine solche Frist – wenn sie

Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 3 EGVVG Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 3 Rn. 2. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 4. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 4. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 4; i. E. ebenso, aber ohne Begründung OLG Hamm 30.10.2015 – 20 U 190/13 (juris Rn. 34; BeckRS 2015 20037, Rn. 30. 454 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 3 EGVVG Rn. 4; 455 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 3 EGVVG Rn. 4; 456 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 55. 457 RegE S. 119; Neuhaus RuS 2007 441, 444. 458 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 6; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 3 Rn. 3; Neuhaus RuS 2007 441, 444; van Bühren ZAP 2007 307, 328; siehe auch den Überblick bei Neuhaus RuS 2007 441, 444. 459 RegE S. 119.

450 451 452 453

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mit Inkrafttreten des VVG 2008 in Gang gesetzt ist – die Frist des VVG 2008 gilt.460 Indes bleibt es aber bei der Anwendung des Günstigkeitsprinzips der Abs. 2 und 3. Beispielsweise gilt gemäß Art. 3 Abs. 4 EGVVG grundsätzlich die fünfjährige Ausschlussfrist des § 158 Abs. 2 VVG 2008 für die Geltendmachung einer Gefahrerhöhung in der Lebensversicherung; die frühere Zehnjahresfrist gemäß § 164 Abs. 2 VVG a. F. gilt aber, wenn diese früher abläuft;461 die neue Frist für den Fristenvergleich wird entsprechend Art. 3 Abs. 3 Satz 1 EGVVG ab dem 1.1.2008 berechnet.462 Auch hier ist also wie bei Art. 3 Abs. 2 und 3 EGVVG die jeweils kürzere Frist maßgeblich. Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Frist des Sonderkündigungsrechts des VN gemäß 125 § 11 Abs. 4 VVG 2008; indes betrug diese auch nach § 8 Abs. 3 VVG a. F. drei Monate, so dass sich im Hinblick auf die Kündigungsfrist nichts geändert hat.463 Art. 3 Abs. 4 EGVVG findet aber keine Anwendung auf die „Frist“ der Höchstlaufzeit für Verträge (nach § 8 Abs. 3 VVG a. F. fünf Jahre; nach § 11 Abs. 4 VVG 2008 drei Jahre). Vielmehr greift Art. 1 Abs. 1 EGVVG ein, so dass folglich das Sonderkündigungsrecht des VN bei einem Versicherungsvertrag mit fünfjähriger Laufzeit bis zum 31.12.2008 nur zum Schluss des fünften, ab dem 1.1.2009 aber zum Schluss des dritten Jahres gekündigt werden kann.464 Hierfür spricht insbesondere auch die Entwicklung der Begründung zu Art. 3 Abs. 3 EGVVG im Referentenentwurf vom 13.3.2006 und im Regierungsentwurf vom 20.12.2006, die in der Entscheidung des Versicherungsombudsmanns vom 3.4.2009 anschaulich nachgezeichnet wird.465 Die Vorschrift ist jedoch nicht auf Fristen anzuwenden, die erstmalig in das VVG eingeführt 126 worden sind, so etwa die Ausschlussfrist nach § 21 Abs. 3 S. 1 VVG.466 Der Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 4 EGVVG betrifft demnach nur Fristen, die auch vor der Reform des VVG bereits bestanden und deren Dauer durch die Neuregelung verkürzt oder verlängert wurde.467

2. Spartenspezifische Übergangsregelungen a) Sonderregelung für das Recht der privaten Krankenversicherung aa) Art. 2 Nr. 2 EGVVG. Art. 2 Nr. 2 EGVVG erklärt die §§ 192 bis 208 VVG für die Krankenversi- 127 cherung mit dem Inkrafttreten des VVG bereits zum 1.1.2008 auch auf Altverträge für anwendbar. Durch diesen Verzicht auf eine zusätzliche Übergangszeit soll – wie bereits von der Kommission zur VVG-Reform in ihrem Abschlussbericht gefordert468 – eine Ungleichbehandlung von Alt- und Neuverträgen vermieden werden. Um die Belange der versicherten Personen und die Erfüllung der bestehenden Krankenversicherungsverträge auf Dauer zu gewährleisten, sei es erforderlich, die Altverträge dem neuen Recht zu unterwerfen, da nur so sichergestellt werden kann, dass die bestehenden Verträge mit dem neuen Recht unterliegenden Neuverträgen

Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 7. Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 3 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 7. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 7. Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 3 EGVVG Rn. . Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 8; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 3 EGVVG Rn. 4; LG Berlin 31.10.2012 – 23 S 46/12, VersR 2012 115, 115 (juris Rn. 7); Versicherungsombudsmann 3.4.2009 – 2047/9, VersR 2009 913, 914; a. A. AG Düsseldorf, 30.10.2009 – 41 C 5309/09, NJW-RR 2010 908 f. (juris Rn. 10 ff.); Schneider VersR 2008 859, 863 f. m. w. N. auch zur Gegenansicht. 465 Versicherungsombudsmann 3.4.2009 – 2047/9, VersR 2009 913, 914; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 3 EGVVG Rn. 4. 466 RegE S. 119; Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 3 Rn. 6; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 3 EGVVG Rn. 5; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 3 EGVVG Rn. 9. 467 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 56. 468 KomE S. 192, 193.

460 461 462 463 464

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gemeinsam beobachtet und kalkuliert werden könnten.469 Des Weiteren ist der Gesetzgeber von einer nur unerheblichen Änderung durch die neue Rechtslage ausgegangen;470 letzterer Aspekt wurde indes durch Erlass des WSG-GKV (oben Rn. 64) überholt, was aber nicht zu Änderungen von Art. 2 Nr. 2 EGVVG geführt hat.471 128 Nach der Formulierung des Art. 2 Nr. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 EGVVG sind die Neuvorschriften auf Altverträge jedoch nur anwendbar, wenn der VR dem VN die auf Grund der Änderung des bisherigen Rechts geänderten AVB und Tarifbestimmungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede gegenüber der bisherigen Regelung spätestens einen Monat vor dem Zeitpunkt, zu dem die Änderung Vertragsbestandteil werden soll, in Textform (§ 126b BGB) mitgeteilt hat. Hierdurch wurde den VR jedenfalls die Befugnis eingeräumt, ihre AVB an das ab dem 1.1.2008 geltende Gesetz anzupassen (vgl. hierzu allgemein bereits Rn. 95).472 Man könnte Art. 2 Nr. 2 EGVVG auf den ersten Blick so verstehen, dass der VR selbst entscheiden könnte, ob das neue Recht schon zum 1.1.2008 gelten solle oder nicht; indes wird man dem VR eine solche Befugnis nicht einräumen können,473 da die Geltung eines Gesetzes nicht vom Willen einer Partei abhängen kann. Letztlich gewährt die Vorschrift deshalb den VR lediglich die Befugnis, ihre AVB an die ab 1.1.2008 geltenden §§ 192 bis 208 VVG 2008 anzupassen.474 Art. 2 Nr. 2 EGVVG ermächtigt nicht zu Anpassungen von AVB an andere neue Regelungen des VVG 2008; insoweit konnte dies nur aufgrund von Art. 1 Abs. 3 EGVVG bis zum 31.12.2008 erfolgen. Die Regelung des Art. 2 Nr. 2 EGVVG führte im Jahr 2008 zu einer Rechtsspaltung: Einerseits galten für Altverträge ab 1.1.2008 bereits die §§ 192 bis 208 VVG 2008; andererseits kam es für Altverträge zur Anwendung der übrigen Regelungen des VVG 2008 gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG erst ab dem 1.1.2009. Zudem wirkte eine Anpassung der AVB gemäß Art. 2 Nr. 1 EGVVG bereits mit Wirkung zum 1.1.2008, während eine Anpassung der AVB nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG erst zum 1.1.2009 erfolgen konnte.475 Aus Art. 2 Nr. 2 EGVVG geht – anders als Art. 1 Abs. 3 EGVVG – nicht hervor, wie lange 129 VR dieses besondere Bedingungsanpassungsrecht nutzen können. Da Art. 2 Nr. 2 EGVVG eine Anpassung mit Wirkung zum 1.1.2008 ermöglicht, könnte man hierin zugleich die zeitliche Grenze dieses Anpassungsrechts sehen. Indes besteht nach dem 1.1.2008 ohnehin die Möglichkeit, bis zum 31.12.2008 eine Anpassung aufgrund von Art. 1 Abs. 3 EGVVG vorzunehmen.476 Soweit VR von einer Anpassung der AVB an die neue Rechtslage keinen Gebrauch gemacht haben – oder die Anpassungsvoraussetzungen nicht hinreichend darlegen und ggf. beweisen können – besteht die Gefahr, dass Alt-AVB mit dem VVG 2008 und/oder mit dem AGB-Recht nicht in Einklang stehen und damit wirkungslos sind (vgl. bereits oben die Ausführungen zu Art. 1 Abs. 3 Rn. 95). 130 Diskussionen haben mögliche Auswirkungen der ab 1.1.2008 geltenden Regelung des § 192 Abs. 2 hervorgerufen. Zum einen ist streitig, ob § 192 Abs. 2 VVG 2008 als gesetzliche Regelung seit dem 1.1.2008 überhaupt für Altverträge gilt.477 Nach dieser Regelung ist der VR zur Leistung 469 RegE S. 119; kritisch hierzu Sahmer Stellungnahme des PKV zum RegE S. 6 abrufbar unter: https://www.jura. uni-hamburg.de/media/einrichtungen/sem-versicherungsrecht/gesetzesaenderungen/stellungnahme-sahmer.pdf (Abrufdatum 21.10.2019). 470 RegE S. 118. 471 Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 2 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 2 EGVVG Rn. 4. 472 Neuhaus RuS 2007 441, 443. 473 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 2 EGVVG Rn. 4; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 51; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 2 EGVVG Rn. 5; Langheid/Wandt/Looschelders2 EGGVG Art. 2 Rn. 4; a. A. Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Muschner4 Art. 2 Rn. 3; so auch die Begründung des RegE S. 119. 474 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 51. 475 Kritisch insoweit Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 51 a. E.; Looschelders/Pohlmann/Stagl/ Brand3 Art. 2 EGVVG Rn. 4. 476 I.E. ebenfalls Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 2 EGVVG Rn. 5. 477 Dagegen Schwintowski/Brömmelmeyer/Brömmelmeyer3 § 192 Rn. 67; Rogler VersR 2009 573, 580; a. A. Looschelders/Pohlmann/Reinhard3 § 192 Rn. 25; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 2 EGVVG Rn. 5; Langheid/Wandt/Looschelders2 EGGVG Art. 2 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 2 EGVVG Rn. 6; in diesem Sinne auch RegE S. 110. Beckmann

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aus der Krankenversicherung insoweit nicht verpflichtet, als die Aufwendungen für die Heilbehandlung oder sonstigen Leistungen in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen. Gegen eine Anwendung dieser Vorschrift auf Altverträge wird argumentiert, Altverträge beinhalteten kein dem § 192 Abs. 2 VVG entsprechendes Verbot der Übermaßvergütung. Aus dem Schweigen des Vertrags, könne nur geschlossen werden, dass ein Verbot der Übermaßvergütung von den Parteien gerade nicht gewollt gewesen wäre. Damit könne es nicht dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechen, nunmehr den dispositiven § 192 Abs. 2 VVG in „schweigende“ Altverträge hineinzudrängen. Dies könne man nur anders sehen, wenn § 192 Abs. 2 VVG zwingendes Recht wäre.478 Indes finden sich im Gesetz, insbesondere in den Übergangsregelungen für diesen Standpunkt keine Anhaltspunkte,479 so dass § 192 Abs. 2 VVG auch von Art. 2 Nr. 2 EGVVG erfasst ist und auf Altverträge seit dem 1.1.2008 Anwendung findet. Uneinigkeit besteht zudem dahingehend, ob aufgrund des Anpassungsrecht des Art. 2 Nr. 2 EGVVG auch ein Verbot der Übermaßvergütung entsprechend § 192 Abs. 2 VVG in die AVB bestehender Altverträge aufgenommen werden konnte.480 Nimmt man – wie hier vertreten – die Anwendbarkeit von § 192 Abs. 2 VVG ab dem 1.1.2008 an, war es dem VR konsequenterweise auch möglich, seine AVB unter den Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 3 EGVVG anzugleichen, um dies in einer entsprechenden Klausel transparent werden zu lassen.481 Hiervon nicht gedeckt war jedoch eine Anpassung der AVB in der Weise, ein Verbot der Übermaßbehandlung im Sinne eines allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot aufzunehmen.482

bb) Art. 7 EGVVG. Als neue Übergangsvorschrift wurde Art. 7 EGVVG durch das Gesetz zur 131 Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013483 mit Wirkung zum 1.8.2013 in das EGVVG aufgenommen. Zuvor fand man an dieser Stelle Art. 7 EGVVG a. F., welcher eine Norm des Internationalen Vertragsrechts enthielt und mit Inkrafttreten der Rom I-VO aufgehoben wurde484 (vgl. bereits Rn. 79). Art. 7 EGVVG n. F. enthält eine Übergangsvorschrift betreffend die Einführung eines Notlagentarifs in der Krankenversicherung gemäß § 193 Abs. 7 VVG i. V. m. § 153 VAG. In der privaten Krankenversicherung hatte die Nichtzahlung der Beiträge unter bestimmten Voraussetzungen zuvor zur Folge, dass der Anspruch auf die Leistung aus dem ursprünglichen Vertrag ruhte und die Betroffenen in dem Basistarif versichert wurden.485 Die Umstellung auf den Basistarif hatte indes häufig eine Erhöhung der Beiträge zur Folge.486 Der Gesetzgeber hat zur Lösung dieses Problems einen sog. Notlagentarif eingeführt (§ 193 Abs. 7 VVG i. V. m. § 153 VAG n. F.).487 Dieser umfasst einen deutlich verringerten Leistungsumfang, der sich aus § 153 Abs. 1 VAG ergibt. Dabei ruht der bisherige Vertrag, es werden keine neuen Altersrückstellungen gebildet und die vorhandenen gemäß § 153

478 Rogler VersR 2009 573, 580. 479 Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 2 EGVVG Rn. 6; i. E. ebenso Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 2 EGVVG Rn. 6; wohl auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 Art. 2 EGVVG Rn. 6. 480 Befürwortend Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 2 EGVVG Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 2 EGVVG Rn. 6; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 Art. 2 EGVVG Rn. 6; a. A. Rogler VersR 2009 573, 583; Höra RuS 2008 89, 96; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 2 Rn. 4; Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 2 EGGVG Rn. 5 (wonach es aber bei der Auslegung von Alt-AVB seit dem 1.1.2008 möglich ist, die Wertungen des § 192 Abs. 2 VVG zu berücksichtigen). 481 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 2 EGVVG Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 2 EGVVG Rn. 6; a. A. Staudinger/Halm/Wendt/Wendt2 EGVVG Art. 2 Rn. 6. 482 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 2 EGVVG Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 2 EGVVG Rn. 6. 483 BGBl. I 2423. 484 Prölss/Martin/ Armbrüster 30 Art. 7 EGVVG Rn. 1. 485 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 7 EGGVG Rn. 1. 486 BTDrucks. 17/13079 S. 9. 487 Langheid/Wandt/Looschelders2 EGGVG Art. 7 Rn. 2 (auch zum Folgenden). 53

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Abs. 2 S. 6 VAG auf die zu zahlende Prämie teilweise angerechnet. Im VVG wurde die Änderung durch die Regelungen des § 193 Abs. 6–10 VVG umgesetzt. Art. 7 S. 1 EGVVG regelt, dass VN und Versicherte, deren Verträge am Stichtag des 1.8.2013 bereits ruhend gestellt waren, mit diesem Zeitpunkt als im Notlagentarif versichert gelten. Für den Fall, dass die monatliche Prämie des Notlagentarifs zu dem Zeitpunkt, zu dem die Leistungen aus dem Vertrag ruhend gestellt wurden, für den VN geringer war als die geschuldete Prämie, erfolgt gemäß Art. 7 S. 2–6 EGVVG die Umstellung auf den Notlagentarif mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Feststellung des Ruhens.488 Diese Rechtswirkung tritt ipso iure ein, so dass es keinerlei Zustimmung der Beteiligten bedarf.489 Der VN kann der rückwirkenden Versicherung aber gemäß Art. 7 S. 6 EGVVG widersprechen. Gemäß Art. 7 S. 3 EGVVG bleiben die zum Zeitpunkt des Ruhendstellens aus dem Vertrag erworbenen Rechte und Alterungsrückstellungen erhalten und in Anspruch genommene Ruhensleistungen gelten im Verhältnis zum Versicherungsnehmer als solche des Notlagentarifs. Art. 7 S. 2 EGVVG ist nur anzuwenden, wenn ein Ruhen der Leistungen noch bei Inkrafttreten der Regelung am 1. August 2013 vorgelegen hat.490

132 b) Sonderregelung für den Bereich der Lebensversicherung, Art. 4 EGVVG. Art. 4 EGVVG enthält einige spezielle Übergangsregelungen für den besonders sensiblen Bereich491 der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung.492

133 aa) Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung, Art. 4 Abs. 1 EGVVG. Das reformierte VVG führte mit § 153 VVG493 erstmals eine Regelung der Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung ein. Nach dem Grundgedanken der Regelung sehen nunmehr Versicherungsverträge eine Überschussbeteiligung des VN vor. Will der VR hingegen dem VN einen Anspruch auf Überschussbeteiligung nicht gewähren, muss er den VN auf den Ausschluss der Überschussbeteiligung als eine Abweichung vom Regelfall ausdrücklich hinweisen.494 In diesem Zusammenhang enthält Art. 4 Abs. 1 EGVVG eine Sonderregelung für die Anwendung der Regelung über die Überschussbeteiligung auf laufende Verträge in der Lebensversicherung. Hierzu wird von Gesetzes wegen danach unterschieden, ob der Altvertrag bereits – nach dem nunmehr gesetzlichen Regelfall – eine Überschussbeteiligung des VN vorsieht oder nicht. 134 Sieht der Altvertrag keine Überschussbeteiligung vor, so hat der VN nach bisheriger Rechtslage auch keinen entsprechenden Anspruch; § 153 VVG kommt gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGVVG dann auch nicht zur Anwendung. Altverträge, die keine Überschussbeteiligung vorsehen, werden durch das VVG 2008 also nicht zu überschussberechtigten Verträgen.495 Für Altverträge

488 Looschelders/Pohlmann/Brand3 Art. 7 EGVVG Rn. 3; Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 7 EGVVG Rn. 4. 489 Prölss/Martin/ Ambrüster30 Art. 7 EGVVG Rn. 2. 490 Prölss/Martin/ Armbrüster30 Art. 7 EGVVG Rn. 3; BGH 6.7.2016 – IV ZR 169/15, VersR 2016 1107,1108 (Rn. 18); anders noch zuvor etwa KG Berlin 7.11.2014 – 6 U 194/11, VersR 2015 440 f. 491 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 1. 492 Langheid plädiert dafür, die Regelungen der Art. 4 bis 6 EGVVG analog auf sonstige Versicherungsverträge mit mehrjähriger Laufzeit anzuwenden, die auf Basis des bisher geltenden Rechts kalkuliert wurden, und diese damit dem Anwendungsbereich des VVG n. F. zu entziehen, vgl. Langheid NJW 2006 3317, 3322. 493 Zum Hintergrund der Vorschrift vgl. BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 782/94 BVerfGE 114 1 ff. = VersR 2005 1109 ff. passim; kritisch dazu Heinen Stellungnahme der Deutschen Aktuarvereinigung zum RegE. abrufbar unter https://www.verbaende.com/news.php/Zur-Jahrestagung-der-Deutschen-Aktuarvereinigung?m=45956 (Abrufdatum 22.10.2019). 494 RegE S. 95. 495 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 5; Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 4 EGGVG Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 4 EGVVG Rn. 2. Beckmann

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mit vereinbarter Überschussbeteiligung496 hingegen ist nach Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGVVG (in Abweichung von der Grundregel des Art. 1 Abs. 1 EGVVG) § 153 VVG seit dem 1.1.2008 ohne weitere Übergangszeit anzuwenden; die Überschussbeteiligung des VN richtet sich somit bei solchen Altverträgen seit dem 1.1.2008 nach dem nunmehr geltenden Recht, unabhängig davon, wie dies bisher vertraglich geregelt war. Hierdurch wird eine durchaus gebotene497 Gleichbehandlung von Alt- und Neuverträgen gewährleistet. Sie wirkt (nur) für die Zukunft.498 In abgeschlossene kalkulatorische Vorgänge wird durch die Regelung damit nicht eingegriffen, was auch durch Art. 4 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. EGVVG zum Ausdruck kommt; danach gelten die im Altvertrag vereinbarten Verteilungsgrundsätze als angemessen.499 Im Schrifttum wird vertreten, Art. 4 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. EGVVG lasse eine AGB-rechtliche Vereinbarung der Verteilungsgrundsätze unberührt.500 Gemäß § 153 Abs. 3 VVG n. F. besteht seit dem 1.1.2008 auch ein Anspruch an den Bewertungsreserven; dieser umfasst jedoch nur den ab dem 1.1.2008 eintretenden Zuwachs an Bewertungsreserven.501 § 211 Abs. 2 Nr. 2 VVG sieht für bestimmte Pensionskassen eine Ausnahme von der Anwen- 135 dung des § 153 VVG vor; indes soll § 211 Abs. 2 Nr. 2 VVG nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG erst ab dem 1.1.2009 auf Altverträge anwendbar sein. Die Nichtberücksichtigung des § 211 Abs. 2 Nr. 2 VVG in Art. 4 Abs. 1 EGVVG wird als Redaktionsversehen angesehen. Es hat eine Korrektur zu erfolgen, wonach auch § 211 Abs. 2 Nr. 2 VVG ab dem 1.1.2008 als anwendbar gilt.502

bb) Berechnung des Rückkaufswertes in der Lebensversicherung, Art. 4 Abs. 2 EGVVG. 136 Hinsichtlich der Berechnung des Rückkaufswertes503 in der Lebensversicherung bestimmt Art. 4 Abs. 2 EGVVG für laufende Versicherungsverträge, dass anstatt des § 169 VVG, auch soweit auf ihn verwiesen wird, § 176 VVG a. F. weiterhin zur Anwendung kommt.504 Dies gilt auch nach Ablauf der grundsätzlich einjährigen Übergangszeit ab dem 1.1.2009. § 169 VVG gilt damit nur für Lebensversicherungsverträge, die seit dem 1.1.2008 geschlossen wurden. Dies hat zur Folge, dass sich für seit dem 1.1.2008 geschlossene Lebensversicherungsverträge der Rückkaufswert gemäß § 169 Abs. 3 VVG anhand des Deckungskapitals der Versicherung errechnet, während es für Altverträge bei der Berechnung anhand des Zeitwertes bleibt.505 Dies bedingt auf absehbarer Zeit ein Nebeneinander zweier unterschiedlicher Berechnungsmethoden von Rück-

496 Was für die meisten Altverträge zutreffen dürfte, da eine Überschussbeteiligung typischerweise vereinbart war; vgl. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 3 unter Hinweise § 2 der GDV-Musterbedingungen 2006 und § 16 ALB 86 im Hinblick auf den Altbestand der Verträge vor dem 29.7.1994; ebenso Looschelders/Pohlmann/Stagl/ Brand3 Art. 4 EGVVG Rn. 5. 497 Stellungnahme der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) zum RegE S. 10 abrufbar unter https:// www.vzbv.de/sites/default/files/mediapics/070326_stn_versicherungsvertragsrecht_final.pdf (Abrufdatum: 15.10.2019). 498 RegE S. 119; Stellungnahme (Fn. 467, 469) S. 10. 499 Art. 4 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. EGVVG hat für Bewertungsreserven indessen keine Bedeutung, weil bei Altverträgen keine Vereinbarungen über deren Verteilung getroffen wurden; vgl. BGH 11.2.2015 – IV ZR 213/14, BGHZ 204 172, 176 f. = VersR 2015 433, 434 (Rn. 11); BGH 2.12.2015 – IV ZR 28/15, VersR 2016 173, 174 (Rn. 14). 500 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 4. 501 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 5; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 4 EGVVG Rn. 2; hierzu Mudrack ZfV 2008 545. 502 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 6; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 4 EGVVG Rn. 4; Looschelders/ Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 4 EGVVG Rn. 6 (analoge Anwendung). 503 Zum Begriff Bruck/Möller/Winter9 S. 169 Rn. 1 ff. 504 Zunächst war eine Anwendung der §§ 165, 166, 169 VVG auch auf Altverträge vorgesehen. Aufgrund erheblicher Bedenken bzgl. dieser Rückwirkung hat der Gesetzgeber letztlich hiervon jedoch abgesehen, vgl. insofern RegE S. 199, 131, 133 sowie Rixecker Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Punkt 7; abrufbar unter: https://rsw.beck.de/rsw/upload/Beck_Aktuell/Stellungnahme_Rixecker.pdf (Abrufdatum: 11.9.2019). 505 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 4 EGGVG Rn. 4. 55

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kaufswerten in der Lebensversicherung.506 Der Hintergrund dafür, dass es für Altverträge bei der Anwendung des bis zum 31.12.2007 geltenden Rechtes in seiner Ausprägung durch die Rechtsprechung bleiben soll,507 liegt darin, einen verfassungsrechtlich bedenklichen, gravierenden Eingriff in bestehende Verträge zu verhindern.508 Insoweit ist für den Altbestand weiter zu unterscheiden: Für den sog. regulierten Altbestand (d. h. Vertragsschluss vor der Deregulierung am 29.7.1994 bzw. bis zum 31.12.1994509) gelten die bis dahin aufsichtsrechtlich genehmigten AVB sowie § 176 VVG in der Fassung von vor 1994.510 Für die danach bis 31.12.2007 abgeschlossenen Verträge gilt § 176 VVG a. F. in seiner Ausprä137 gung durch die Rechtsprechung, insbesondere also mit der vom BGH im Jahre 2005 vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung und den im Jahre 2012 vorgenommenen Aussagen.511 Bei vorzeitiger Kündigung des Lebensversicherungsvertrages durch den VN (sog. Frühstornofälle) muss entsprechend der Rechtsprechung von BGH512 und BVerfG513 dem VN ein Mindestrückkaufswert zustehen, so dass mindestens die Hälfte des „ungezillmerten Deckungskapitals“ zu erstatten ist.514 Neben dieser existierenden Rechtsprechung hat der BGH die materiellen Anforderungen an eine wirksame Klausel über den Rückkaufswert in Altverträgen erhöht.515 Der BGH untersucht Klauseln über die Zillmerung nicht nur anhand des Transparenzgebots.516 Vielmehr soll bei Klauseln zur Zillmerung in materieller Hinsicht eine unangemessene Benachteiligung des VN vorliegen, für den Fall, dass diese dazu führen, dass in den ersten Vertragsjahren kein bzw. nur ein sehr niedriger Rückkaufswert vorhanden ist. Die Unwirksamkeit solcher Klauseln folgt aus § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der BGH stellte klar, dass Art. 4 Abs. 2 EGVVG dieser materiellen Prüfung nicht entgegensteht.517 138 Teilweise wird vertreten, Art. 4 Abs. 2 EGVVG sei analog für die Berechnung des Rückkaufswertes von Berufsunfähigkeitsversicherungen mit einer vereinbarten Überschussbeteiligung anzuwenden, sodass hierzu § 176 VVG a. F. zur Anwendung käme.518 Einer Analogie bedarf es indes nicht, da bei einer Vereinbarung einer Überschussbeteiligung über das Leitbild der Regelungen zur Lebensversicherung (vgl. sogleich noch Rn. 139) § 176 VVG a. F. ohnehin zur Anwendung gelangt.519

139 cc) Berufsunfähigkeitsversicherung, Art. 4 Abs. 3 EGVVG. Art. 4 Abs. 3 EGVVG bestimmt, dass die §§ 172, 174 bis 177 VVG auf Altverträge über eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht 506 Neuhaus RuS 2007 441, 443; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 4 EGVVG Rn. 8. 507 BTDrucks. 16/5862 S. 101. 508 Prölss/Martin/Reiff30 § 169 Rn. 24; Bruck/Möller/Winter9 § 169 Rn. 173; Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 4 EGGVG Rn. 5.

509 Prölss/Martin/Reiff30 § 165 Rn. 4 unter Hinweis auf Art. 16 § 6 S. 2 Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG v. 21.7.1995, BGBl I 1630, 3134 sowie § 336 VAG. 510 Prölss/Martin/Reiff30 § 169 Rn. 24, § 165 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 4 EGVVG Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 Art. 4 EGVVG Rn. 10. 511 Prölss/Martin/Reiff30 § 169 Rn. 24. 512 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164 297, 318 = NJW 2005 3559, 3565 (juris Rn. 51); hierauf bezugnehmend BGH 12.9.2012 – IV ZR 64/11, juris (Rn. 10). 513 BVerfG 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96, VersR 2006 489, 494 f. (juris Rn. 77 ff.). 514 RegE S. 101; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 60. 515 BGH 25.7.2012 – IV ZR 201/10, BGHZ 194 208, 215 ff. = VersR 2012 1149, 1152 f. (Rn. 14 ff.); BGH 19.10.2012 IV ZR 202/10; VersR 2013 213 (Rn. 11 ff.); kritisch Armbrüster NJW 2012 3001 ff. 516 BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, BGHZ 147 373, 377 ff. = RuS 2001 433 f. (juris Rn. 27 ff.); vgl. auch Langheid/ Wandt/Looschelders2 Art. 4 EGGVG Rn. 5. 517 BGH 25.7.2012 – IV ZR 201/10,, BGHZ 194 208, 215 f. = VersR 2012 1149, 1152 (Rn. 17); a. A. Jacob VersR 2011 325, 326 f. 518 Staudinger/Halm/Wendt/Wendt2 Art. 4 EGVVG Rn. 8; vgl. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 8. 519 Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 8; i. E. ebenso Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 4 EGVVG Rn. 8. Beckmann

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Inkrafttreten/Übergangsvorschriften des Versicherungsvertragsrechts 2008

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anzuwenden sind. Hintergrund hierfür ist, dass es ausdrückliche gesetzliche Regelungen zur Berufsunfähigkeitsversicherungen im früheren VVG vor der Reform 2008 nicht gab. Diese Versicherungsverhältnisse sind zwar grundsätzlich der Lebensversicherung zuzurechnen, wurden in der Praxis zuvor nur durch AVB geregelt.520 Bei dieser Rechtslage musste es für Altverträge nach Ansicht des Gesetzgebers auch bleiben.521 Für Altverträge sind die Regelungen der Lebensversicherung als gesetzliches Leitbild zugrunde zu legen, nach Ablauf der Übergangszeit zum 1.1.2009 jedoch in der nunmehr gültigen Fassung.522 In Ausnahme zur generellen Unanwendbarkeit der Neuregelungen bzgl. der Berufsunfähig- 140 keitsversicherung auf Altverträge gilt die Vorschrift zum Anerkenntnis des VR nach § 173 VVG auch für bereits bestehende Verträge.523 Diese Ausnahme war erforderlich, weil in der Rechtsprechung hinsichtlich der Zulässigkeit von befristeten Leistungszusagen erhebliche Unsicherheiten aufkamen.524 Die nunmehr gefundene Regelung entspricht daher einem dringenden Bedürfnis in der Praxis.525 Für den Fall, dass in einem Altvertrag AVB für den VN günstiger als § 173 VVG waren, war 141 es dem VR nicht gestattet, die AVB zum Nachteil des VN einseitig anzupassen.526 Die Regelung des Art. 4 Abs. 3 EGVVG schließt jedoch nicht aus, dass der VR mit dem VN die Anwendung des neuen Rechts auf Altverträge vereinbart.

3. Weitere Übergangsvorschriften a) Rechte der Gläubiger von Grundpfandrechten, Art. 5 EGVVG. Art. 5 EGVVG regelt in 142 seinen zwei Abschnitten die Anwendbarkeit des neuen Rechts auf bereits bestehende Rechte der Gläubiger von (Grund-)Pfandrechten.

aa) Gläubigerschutzvorschriften bei der Gebäudeversicherung, Art. 5 Abs. 1 EGVVG. 143 Der Schutz der Gläubiger von Grundpfandrechten im Bereich der Gebäudeversicherung, die bislang nach den Regelungen der §§ 99 bis 107c VVG a. F.527 gewährt wurde, ist durch die Neueinführung der §§ 142 bis 149 VVG eingeschränkt worden. Für Altverträge jedoch muss es beim bislang geltenden Recht bleiben. Die Gläubiger von Grundpfandrechten, die gegenüber dem VR nach alter Rechtslage ihre Rechte angemeldet haben, haben mit dieser Anmeldung eine geschützte Rechtsposition erworben.528 Aus diesem Grund galten für alle nach altem Recht angemeldeten Hypotheken, Grundschulden und sonstigen Reallasten gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGVVG die §§ 99 bis 107c VVG a. F.529 Darüber hinaus bestimmt Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGVVG, dass die Anmeldung eines Grundpfandrechts beim VR bis zum 31.12.2008 erklärt werden konnte. Dadurch wurde diesen Gläubigern eine zusätzliche Übergangsfrist eingeräumt, innerhalb derer sie noch 520 RegE S. 119. 521 RegE S. 119; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Schneider3 § 1a Rn. 61. 522 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 61; vgl. Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 4 Rn. 9; a. A. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 9 (Leitbild der Regelungen zur Lebensversicherung (nach dem VVG a. F.).

523 Gem. Art. 1 Abs. 1 EGVVG seit dem 1.1.2009; vgl. Langheid/Rixecker/Gal6 Art. 4 EGVVG Rn. 9. 524 Vgl. BGH 28.2.2007 – IV ZR 46/06, VersR 2007 777, 778 f. (Rn. 16); BGH 7.2.2007 – IV ZR 244/03, VersR 2007 633, 634 (Rn. 13 f.).

525 Rixecker Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Punkt 6; abrufbar unter: https://rsw.beck.de/rsw/upload/Beck_Aktuell/Stellungnahme_Rixecker.pdf (Abrufdatum: 11.9.2019); ebenso BTDrucks. 16/5862 S. 101. 526 Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 4 EGGVG Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 4 EGVVG Rn. 10; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 4 Rn. 10; vgl. auch LG Dortmund 4.12.2014 – 2 O 124/14 (juris Rn. 40). 527 Nach Vorschlag der VVG-Kommission sollten diese Vorschriften sogar ganz abgeschafft werden, vgl. KomE S. 76. 528 RegE S. 19. 529 Prölss/Martin/Armbrüster3 Art. 5 EGVVG Rn. 1. 57

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eine geschützte Rechtsposition durch nachträgliche Grundpfandrechtsanmeldung erlangen konnten.530 Seit diesem Fixtermin ist der Erwerb einer solchen Position nicht mehr möglich. Die Vorschrift ist insoweit abschließend.531 Die Grundpfandgläubiger haben ihre Rechte nach alter Rechtslage zum Teil aber auch ohne Anmeldung erworben, etwa gemäß § 102 Abs. 1 VVG a. F. und auch diese Rechtspositionen müssen ihnen durch die Fortgeltung der §§ 99–107c VVG a. F. erhalten bleiben.

144 bb) Übergangsregelung für die vom Gesetz zur Überleitung landesrechtlicher Gebäu-

deversicherungsverhältnisse erfassten Versicherungsverträge, Art. 5 Abs. 2 EGVVG. Art. 5 Abs. 2 EGVVG enthält eine Regelung für die vom Gesetz zur Überleitung landesrechtlicher Gebäudeversicherungsverhältnisse vom 22.7.1993 (BGBl. I 1282) in Verbindung mit der Verordnung zur Ergänzung und Änderung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 28.12.1942 (RGBl. I 740) erfassten Versicherungsverhältnisse bei einer öffentlichen Anstalt, da das genannte Gesetz sowie die Verordnung durch die Reform aufgehoben wurden. Damit erlosch auch die durch die Verordnung begründete Fiktion der Anmeldung zugunsten der Gläubiger von im Zeitraum 1.1.1943 bis 30.6.1994 begründeten Grundpfandrechten.532 Nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 EGVVG erlosch diese Fiktion jedoch erst mit Ablauf des 31.12.2008. 145 Art. 5 Abs. 2 S. 1 EGVVG ermöglichte den Gläubigern von Grundrechten, ihre Grundpfandrechte noch bis zum 31.12.2008 entsprechend den Regelungen der §§ 99 bis 106 VVG a. F. anzumelden. Hierdurch bleibt ihre bisherige Rechtsposition, die aufgrund der Anmeldefiktion besteht, erhalten, so dass infolge dieser Nachfrist zur Anmeldung diese Gläubiger den Gläubigern gleichgestellt werden, die ihre Rechte bereits zur Anmeldung gebracht haben.533

146 b) Versicherungsverhältnisse nach § 190 VVG a. F., Art. 6 EGVVG. Gemäß § 190 VVG a. F. fand das frühere VVG keine Anwendung auf Versicherungsverhältnisse, die bei den auf Grund der Gewerbeordnung von Innungen oder Innungsverbänden errichteten Unterstützungskassen oder bei Berufsgenossenschaften begründet worden sind. Nach Art. 6 EGVVG gilt die neue Fassung des VVG nicht für die in § 190 VVG a. F. bezeichneten Altverträge; bezüglich der bei Inkrafttreten des VVG n. F. bereits bestehenden Versicherungsverhältnisse verbleibt es also bei der bisherigen Rechtslage.534 Im Gegenschluss folgt aus Art. 6 EGVVG, dass die Vorschriften des VVG 2008 auf neu begründete Versicherungsverhältnisse i. S. d. § 190 VVG a. F. anwendbar sind.535

E. Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts I. Gesetzgebungskompetenz 147 Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Privatversicherungsrecht folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 und 11 GG.536 Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG unterliegt das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privat530 531 532 533 534 535

RegE S. 119. Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 5 EGVVG Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 4 EGVVG Rn. 3. RegE S. 120. RegE S. 120; Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 5 EGVVG Rn. 3. RegE S. 120. Langheid/Wandt/Looschelders2 Art. 6 EGVVG Rn. 1; Prölss/Martin/Armbrüster30 Art. 6 Rn. 1; Looschelders/ Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 6 EGVVG Rn. 1. 536 RegE S. 55. Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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rechtliches Versicherungswesen) sowie nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG das bürgerliche Recht der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben damit für das privatrechtliche Versicherungswesen (gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 und 11 GG i. V. m. Art. 72 Abs. 1 GG) die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch macht. Nach Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Gemäß Art. 72 Abs. 4 GG kann bestimmt werden, dass eine bundesgesetzliche Regelung, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des Absatzes 2 nicht mehr besteht, durch Landesgesetz ersetzt werden kann. Die Besonderheit der konkurrierenden Gesetzgebung auch im Bereich des privatrechtlichen Versicherungswesens besteht also darin, dass der Bundesgesetzgeber diese Materie ordnen darf, ohne auf die Ländergesetzgebung Rücksicht nehmen zu müssen, die Länder können diesen Bereich oder Teile daraus regeln, sofern der Bundesgesetzgeber von einer Regelung seinerseits absieht.537 Da dieser Bereich jedoch – insbesondere durch das VVG – bundesrechtlich normiert ist, spielt Landesrecht nur eine Rolle, soweit es durch das VVG ausdrücklich vorgesehen ist. Beispiel einer erschöpfenden bzw. abschließenden bundesgesetzlichen Regelung sind die Versicherungsbeziehungen im VVG.538 Unter das privatrechtliche Versicherungswesen im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG fallen „Personenvereinigungen und Unternehmungen zum Tragen von Schäden oder besonderen Belastungen, die nur Einzelne treffen, durch eine Gesamtheit“.539 Erfasst sind hiervon Normierungen mit Bezug auf VU, „die im Wettbewerb mit anderen durch privatrechtliche Verträge Risiken versichern, die Prämien grundsätzlich am individuellen Risiko und nicht am Erwerbseinkommen des Versicherungsnehmers orientieren und die vertraglich zugesagten Leistungen im Versicherungsfall auf Grund eines kapitalgedeckten Finanzierungssystems erbringen“.540 Im Gegensatz hierzu steht das Sozialversicherungswesen, welches in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG geregelt ist.541 Für beide Bereiche besteht jedoch eine konkurrierende Gesetzgebung des Bundes, so dass die Abgrenzung beider Materien für die Zuständigkeit des Bundes ohne Bedeutung ist.542 Daneben existiert jedoch noch ein weiteres zum Privatversicherungsrecht gegensätzliches öffentlich-rechtliches Versicherungswesen, welches durch Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen Rechts (z. B. Brandversicherung, Tierversicherung, Hagelversicherung, etc.) betrieben wird und das daher nicht von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erfasst wird.543 Für diesen Bereich griff die ausschließliche Gesetzgebung der Länder gemäß Art. 70 Abs. 1 GG ein, soweit die betroffenen öffentlich-rechtlichen Versicherungsträger das Versicherungsgeschäft nicht auf wettbewerblicher Grundlage, sondern hoheitlich als Zwangs- oder Monopolanstalten betrieben.544 Da diese Monopolanstalten jedoch aufgrund europarechtlicher Richtlinien bis zum

537 Maunz-Dürig/Uhle (Stand 2019) Art. 72 Rn. 2; vgl. auch v. Münch/Kunig6 Art. 72 Rn. 1. 538 BVerfG 14.1.1976 – 1 BvL 4/72, BVerfGE 41 205, 224 = VersR 1976 354, 356 (juris Rn. 47); Jarass/Pieroth15 Art. 72 Rn. 9; 539 Maunz-Dürig/Maunz Stand 2019 Art. 74 Rn. 148. 540 BVerfG 30.9.1987 – 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256, 300 ff. (juris Rn. 93 ff.); BVerfG 3.4.2001 – 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103 197, 216 f. = VersR 2001 627, 630 (juris Rn. 67); BVerfG 10.6.2009 – 1 BvR 706/08, BVerfGE 123 186, 235 = VersR 2009, 957, 961 (juris Rn. 155); v. Münch/Kunig6 Art. 74 Rn. 48; Jarass/Pieroth15 Art. 74 Rn. 27a. 541 Maunz-Dürig/Maunz (Stand 2019) Art. 74 Rn. 148. 542 Maunz-Dürig/Maunz (Stand 2019) Art. 74 Rn. 148; vgl. auch von Münch/Kunig6 Art. 74 Rn. 48. 543 Maunz-Dürig/Maunz (Stand 2019) Art. 74 Rn. 148; s. auch Jarass/Pieroth15 Art. 74 Rn. 27a; Sodan3 § 2 Rn. 32. 544 Maunz-Dürig/Maunz (Stand 2019) Art. 74 Rn. 148; BVerfG 27.10.1959 – 2 BvL 5/56, BVerfGE 10 141, 162 f. (juris Rn. 51); BVerfG 14.1.1976 – 1 BvL 4/72, BVerfGE 41 205, 218 f. = VersR 1976 354, 355 (juris Rn. 38). 59

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1.7.1994 abgeschafft werden mussten und durch deutsche Ländergesetze auch abgeschafft worden sind, ist diese Ausnahme heute nicht mehr von Bedeutung (vgl. Rn. 298). Stehen die öffentlich-rechtlichen VR dagegen im Wettbewerb mit den Privatversicherern, unterliegen auch sie der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG.545 Vom privatrechtlichen Versicherungswesen erfasst wird insbesondere das VVG, trotz starkem öffentlich-rechtlichem Einschlag aber auch das VAG. Auch die Vorschriften des Pflege-Versicherungsgesetzes (SGB XI) über die Verpflichtung privat Krankenversicherter zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung privater Pflegeversicherungsverträge und über deren inhaltliche Ausgestaltung unterfallen der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, da sich der Gesetzgeber auf diese auch dann berufen kann, „wenn er für einen von ihm neu geschaffenen Typ von privatrechtlicher Versicherung Regelungen des sozialen Ausgleichs vorsieht und insbesondere während einer Übergangszeit die das privatwirtschaftliche Versicherungswesen prägenden Merkmale nur begrenzt wirken lässt“.546 Insbesondere steht der Zuordnung der privaten Pflegeversicherung zum privatrechtlichen Versicherungswesen nicht entgegen, „dass das Zustandekommen der Versicherungsverträge auf einer gesetzlich angeordneten Versicherungspflicht beruht“, denn eine solche und der den VU auferlegte Kontrahierungszwang sind auch dem Privatrecht immanent.547 Das BVerfG hat jedoch erkennen lassen, dass bei einer „Nivellierung der Prämien“548 die Grenze zu einem nicht mehr privatrechtlichen Versicherungswesen überschritten wird. Der Gesetzgeber muss zur Sicherung der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Raum für eine Differenzierung der Beiträge der Versicherten lassen.549 Im Versicherungsvertragsrecht wird unterschieden zwischen der See- und der Binnenversicherung.550 Die Seeversicherung war vor der VVG-Reform 2008 in den §§ 778–900, 905 HGB geregelt. Diese Vorschriften wurden mit der VVG-Reform jedoch aufgehoben (siehe oben Rn. 18), da der Gesetzgeber davon ausging, dass diese Regelungen ihre praktische Bedeutung ohnehin bereits seit längerem durch die allgemeinen deutschen Seeversicherungsbedingungswerke (ADS), die sich insbesondere an internationalen Regelungen und Usancen orientieren und regelmäßig an diese angepasst werden, verloren haben. Die VVG-Reformkommission sah noch eine Einbeziehung der Seeversicherung in das VVG 2008 vor;551 der Gesetzgeber hat sich jedoch für eine Streichung der HGB-Regelungen entschieden. Grund hierfür war, dass die Anwendung des VVG auf die Seeversicherung dazu geführt hätte, dass die im Seeversicherungsrecht maßgeblichen AVB bei einer Inhaltskontrolle i. S. d. § 307 BGB an den durch das VVG begründeten Leitbildern zu messen gewesen wären. Die hierdurch erwartete Rechtsunsicherheit sollte verhindert werden.552 Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers haben sich die Regeln in den allgemeinen Bedingungswerken auf der Grundlage übereinstimmender Aussagen der betroffenen Wirtschaftskreise bewährt und nur in wenigen Fällen zu Rechtsstreitigkeiten geführt.553

545 Maunz-Dürig/Maunz (Stand 2019) Art. 74 Rn. 148; BVerfG 14.1.1976 – 1 BvL 4/72, BVerfGE 41 205, 219 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Oeter7 Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 95. 546 BVerfG 3.4.2001 – 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103 197, 216 f. = VersR 2001 627, 630 (juris Rn. 67); Sodan3 § 2 Rn. 32. 547 BVerfG 3.4.2001 – 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103 197, 218 = VersR 2001 627, 630 (juris Rn. 70). 548 BVerfG 3.4.2001 – 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103 197, 220 = VersR 2001 627, 631 (juris Rn. 77). 549 Vgl. Sodan3 § 2 Rn. 32. 550 Deutsch/Iversen7 Rn. 36. 551 KomE S. 10; vgl. oben Rn. 10. 552 Langheid/Wandt/Looschelders2 § 209 Rn. 2; Wandt6 Rn. 157; Armbrüster2 Rn. 19. 553 RegE S. 120. Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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II. Binnenversicherung Die Binnenversicherung umfasst im Gegensatz zur Seeversicherung sämtliche Versicherungen 157 zu Lande und im Inland.554

1. Versicherungsvertragsrecht Die privaten Versicherungsverhältnisse sind entweder durch einen Versicherungsvertrag be- 158 gründet oder hängen aber zumindest mit einem solchen zusammen. Folglich gehören vor allem die Rechtsquellen des Versicherungsvertragsrechts zum Privatversicherungsrecht.555

a) Versicherungsvertragsgesetz, VVG. Das VVG als wichtigste Rechtsquelle des Versiche- 159 rungsvertragsrechts (s. hierzu bereits Rn. 1) hat nach § 209 VVG mit Ausnahme der See- und der Rückversicherung grundsätzlich für alle Versicherungsverhältnisse der Privatversicherung Geltung.556 Das VVG vom 30.5.1908 (RGBl. S. 263) wurde mehrfach geändert; aufgrund der VVG-Reform 160 2008 wurde es mit Wirkung zum 1.1.2008 neu gefasst. Zu den bedeutendsten Änderungen des VVG 1908, vgl. oben Rn. 50, und zur VVG-Reform 2008 Niederleithinger/Koch Generaleinführung E. Reform. Das VVG enthält – auch in seiner neuen Fassung – „drei Typen von Vorschriften“:557 zwin- 161 gende, halbzwingende und abdingbare, also dispositive Vorschriften.558 Ein zwingender Charakter des gesamten VVG hätte zur „Erstarrung des Versicherungsvertragsrechtes geführt“, so dass zwingend nur einzelne Normen und Normengruppen sind, die entweder schon als solche benannt sind oder deren zwingender Charakter auf dem Auslegungswege zu ermitteln ist.559 Diese erscheinen teilweise „etwas willkürlich herausgewählt“ und haben nur selten absolut zwingenden Charakter, häufiger sind die relativ zwingenden Regelungen.560

aa) Zwingende Vorschriften/absolut zwingende Bestimmungen. Zwingend sind Vor- 162 schriften, von denen weder zugunsten noch zuungunsten des Versicherungsnehmers abgewichen werden kann.561 Sie sind von Amts wegen zu beachten562 und enthalten grundsätzlich eine ausdrückliche Bestimmung, die auf die Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen hinweist.563 Der zwingende Charakter der Norm ergibt sich also meist aus dem Wortlaut, in selteneren Fällen jedoch wie z. B. im Fall des § 150 VVG aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift.564 Je nach Ausgestaltung der einzelnen Norm ist nur die zuwiderlaufende Vertragsabrede565 oder aber Deutsch/Iversen7 Rn. 36. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 3. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 21. Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 178. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 5 ff.; van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 12; Deutsch/Iversen7 Rn. 37. Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 45. Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 45. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 7; van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 13; Schimikowski6 Rn. 7. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 5. van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 13. Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 179; vgl. dazu BGH 9.12.1998 – IV ZR 306/97, BGHZ 140 167, 171 = VersR 1999 347, 349 (juris Rn. 17 f.) mit Anm. Wandt; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 7; Wandt 6 Rn. 182. 565 Beispiele: § 5 Abs. 4 (Verzicht auf Anfechtung wegen Irrtums ist unwirksam), § 28 Abs. 5 (Vereinbarung die zum Rücktritt berechtigt ist unwirksam), § 11 Abs. 1 (Verlängerung ist unwirksam), § 14 Abs. 3 (Vereinbarung über Befreiung von Verzugszinszahlung ist unwirksam).

554 555 556 557 558 559 560 561 562 563 564

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der ganze Vertrag566 nichtig oder die Nichtigkeit der entgegenstehenden Vertragsabrede folgt aus der Natur der Vorschrift.567 Dabei liegt diesen Normen kein „bestimmtes gesetzgeberisches Prinzip“ zugrunde, sie sind vielmehr nur historisch als Reaktion gegen die oft sehr harten AVB der vorgesetzlichen Zeit zu verstehen.568 Im Zuge der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes wurden manche früher zwingenden Vorschriften zu halbzwingenden „herabgestuft“. Dazu gehören beispielsweise § 51 Abs. 3 VVG a. F. = § 74 Abs. 2 VVG n. F. (i. V. m. § 87 VVG), § 59 Abs. 3, 1. Hs. VVG a. F. = § 78 Abs. 3, 1. Hs. VVG n. F. (i. V. m. § 87 VVG), § 64 Abs. 1 S. 1 VVG a. F. = § 84 Abs. 1 S. 1 VVG n. F. (i. V. m. § 87), § 184 Abs. 3 VVG a. F. = § 189 VVG n. F.

163 bb) Halbzwingende/relativ zwingende Bestimmungen. Von den halbzwingenden Vorschriften des VVG kann nicht zum Nachteil des VN oder geschützter Dritter, wie z. B. dem Erwerber der versicherten Sache (§§ 95 ff. VVG) oder dem Hypothekengläubiger (§§ 94, 142 ff. VVG) abgewichen werden,569 was im Umkehrschluss bedeutet, dass Abweichungen zugunsten dieser Personen ohne weiteres zulässig sind. Die Frage, inwieweit der geschützte Personenkreis jeweils erweitert werden kann, ist durch Auslegung zu klären. So kann z. B. dem VN bei der Versicherung für fremde Rechnung vielfach der Versicherte gleichgestellt werden (zum Begriff des Versicherten vgl. Rn. 306).570 Zu halbzwingenden Vorschriften hat der BGH geäußert: „Solche Vorschriften hat der Gesetzgeber zum Schutz besonders wichtiger Interessen des Versicherungsnehmers in das Gesetz aufgenommen. Der Versicherungsnehmer ist beim Versicherungsvertrag im Allgemeinen der schwächere Teil; er steht an Geschäftserfahrung dem Versicherer regelmäßig nach.“571 164 Den Begriff „halbzwingend“ verwendet das Gesetz nicht. Der halbzwingende Charakter einer Norm lässt sich daran erkennen, dass das Gesetz dem VR die Berufung auf eine zum Nachteil der geschützten Person abweichende Vereinbarung verbietet bzw. nur einschränkend gestattet.572 Beispiele: Im VVG findet sich zum Teil jeweils am Ende einzelner Abschnitte eine den halbzwingenden Charakter einzelner Vorschriften festlegende Bestimmung: § 18 VVG: §§ 3 Abs. 1–4, 5 Abs. 1–3, 6–9, 11 Abs. 2–4, 14 Abs. 2 S. 1 und 15 VVG; § 32 S. 1 VVG: §§ 19–28 Abs. 4 und 31 Abs. 1 S. 2 VVG; § 42 VVG: §§ 33 Abs. 2, 37–41 VVG; § 67 VVG: §§ 60–66 VVG; § 87 VVG: §§ 74, 78 Abs. 3, 80, 82–84 Abs. 1 S. 1 und 86 VVG; § 112 VVG: §§ 104, 106 VVG; § 129 VVG: §§ 126–128 VVG; § 171 VVG: §§ 152 Abs. 1 und 2, 153–155, 157, 158, 161 und 163–170 VVG; § 175 VVG: §§ 173 und 174 VVG; § 191 VVG: §§ 178 Abs. 2 S. 2, 181, 186–188 VVG; § 208 VVG: §§ 192 Abs. 5 S. 2, 194–199, 201–207 VVG. 165 Teilweise ergibt sich der halbzwingende Charakter aber auch erst aus der Natur einer Vorschrift, wie beispielsweise bei §§ 94, 142 ff. VVG und §§ 113 f. VVG.573 166 Der Gesetzgeber kombiniert innerhalb einer Norm auch zwingende mit halbzwingenden Vorschriften. Beispiele hierfür sind § 74 Abs. 2 VVG und § 78 Abs. 3 VVG jeweils i. V. m. § 87 VGG. Hintergrund ist, dass der VR sich, trotz einer betrügerischen Absicht des VN und der daraus folgenden Nichtigkeit des Vertrages, keine günstigeren Rechtsfolgen als den im Gesetz vorgesehenen anteiligen Prämienanspruch sichern können soll.574

566 567 568 569

Beispiele: § 150 Abs. 2, § 179 Abs. 2, § 74 Abs. 2, § 78 Abs. 3. Beispiele: § 16 Abs. 1, § 17, § 4 Abs. 1. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 3. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 8; van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 15; v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/ Präve11 S. 385; dazu Sasse VersR 1959 407; Wandt6 Rn. 183. 570 Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 47. 571 BGH 1.12.2004 – IV ZR 291/03, NJW-RR 2005 394, 396 (juris Rn. 32). 572 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 8. 573 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 8. 574 Armbrüster2 Rn. 59. Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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Gemäß § 210 Abs. 1 VVG haben sämtliche im VVG angeordneten Beschränkungen der Ver- 167 tragsfreiheit für sog. „Großrisiken“ und auf „laufende Versicherungen“ i. S. v. § 3 VVG keine Geltung.

(1) Maßstab zur Ermittlung einer nachteiligen Abweichung. Uneinigkeit besteht über den 168 Maßstab der Feststellung einer nachteiligen Abweichung. Zwar ist anerkannt, dass im Falle von Individualabreden zur Feststellung einer nachteiligen Abweichung individuell-konkret auf das jeweilige Vertragsverhältnis abzustellen ist.575 Ganz überwiegend wird bei Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) auf eine (überindividuell) generell-abstrakte Gesamtwürdigung (bzw. einen typisierenden Maßstab) abgestellt.576 Nach der Gegenauffassung soll die Beurteilung eines möglichen Nachteils im Sinne der Norm individuell-konkret im Kontext des Einzelfalles gesehen werden.577 Zur Begründung wird auf „die Eigenart des Versicherungsvertrages, die Vielzahl der AVB, die Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten der Verwirklichung des versicherten Risikos und die sich daraus ableitende Zahl an denkbaren rechtlichen Konstellationen“ abgestellt.578 Unter Berücksichtigung dieser Kriterien sei eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung individuell-konkret, nicht jedoch abstrakt zu würdigen. Für eine generell-abstrakte Würdigung spricht in der Tat der entsprechende Maßstab bei der AGB-Kontrolle.579 Allerdings sind bei Verbraucherverträgen bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Dies folgt zudem aus Art. 4 Abs. 1 der Klauselrichtlinie.580 Die Argumentation, ein typisierender Maßstab stehe den Bedürfnissen des Versicherungssektors bzw. den Besonderheiten des Geschäftsmodells entgegen,581 kann – jedenfalls für Verbraucherverträge – den Grundgedanken des § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB und Art. 4 Abs. 1 der Klauselrichtlinie indes nicht beiseiteschieben. (2) Berücksichtigung von Vorteilen. Uneinigkeit besteht weiterhin darüber, ob eine den VN 169 benachteiligende Abweichung vom Gesetz durch eine Bestimmung, die zu seinem Vorteil vom Gesetz abweicht, kompensiert werden kann. Es besteht insoweit Einigkeit, dass eine Gesamtsaldierung, d. h. die Abwägung mehrerer inhaltlich eigenständiger Vereinbarungen eines ganzen Vertragswerks miteinander, nicht zulässig ist.582 Umstritten ist hingegen, ob, so die sog. enge Kompensationstheorie, gegeneinander abzuwägende Vor- und Nachteile aus der Regelung des gleichen rechtlichen Tatbestandes folgen müssen,583 oder ob es ausreichend ist, dass Vor-und Nachteile als Inhalt einer einheitlichen vertraglichen Regelung aufeinander bezogen sind, selbst

575 Wandt6 Rn. 184; Prölss/Martin/Reiff30 § 42 Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster30 § 18 Rn. 6; Johannsen/Koch § 18 Rn. 10.

576 OLG Saarbrücken 11.7.2007- 5 U 643/06-81, VersR 2008 621, 622 (juris Rn. 44); OLG Koblenz 1.6.2007– 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 384 (juris Rn. 48); OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62 (juris Rn. 33); OLG Hamm 28.1.1992 – 20 U 305/91, RuS 1992, 391 (juris Rn. 7) indes alle ohne Begründung; Wandt6 Rn. 184; Prölss/ Martin/Reiff30 § 42 Rn. 1; Prölss/Martin/Armbrüster30 § 18 Rn. 6; ders. Privatversicherungsrecht2 Rn. 584; Johannsen/ Koch § 18 Rn. 9. 577 RG 19.12.1939 – VII 69/39, RGZ 162 238, 242 f. (betreffend AVB); Langheid/Wandt/Fausten2 § 18 Rn. 23; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers3 § 18 Rn. 3. 578 Langheid/Wandt/Fausten2 § 18 Rn. 23. 579 Armbrüster2 Rn. 584; dazu Bruck/Möller/Beckmann10 C. AVB Rn. 266. 580 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. Nr. L 95, S. 29; dazu Bruck/Möller/Beckmann10 C. AVB Rn. 12 ff. 581 Armbrüster2 Rn. 584. 582 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff30 § 42 Rn. 2; Armbrüster2 Rn. 591. 583 Berliner Kommentar/Riedler § 42 Rn. 2. 63

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wenn sie aus unterschiedlichen halbzwingenden Vorschriften herrühren (sog. weite Kompensationstheorie).584 170 Vertreter der weiten Kompensationstheorie legen indes eine strenge Handhabe zugrunde, um zu gewährleisten, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen Vor-und Nachteilen besteht und die Vorteile der abweichenden Vereinbarung überwiegen.585 Zudem lasse sich ein Verstoß gegen eine halbzwingende Vorschrift nicht mit einem vom VN zu zahlenden geringen Preis kompensieren; der VR soll den dem VN gesetzlich gewährten Schutz nicht „abkaufen“ können.586 Bereits diese Einschränkungen der weiten Kompensationstheorie zeigen, dass mit einer Kompensation vorsichtig umzugehen ist. Zudem wird geäußert, dass regelmäßig kein Bedarf bestehe, nachteilige Abweichungen von halbzwingenden Vorschriften mit Blick auf kompensierende Vorteile zuzulassen, da der Reformgesetzgeber den Schutz der VN bereits sorgsam und umfassend bestimmt hat.587 Dies alles spricht für eine enge Kompensation, zumal der VR es als Klauselverwender selbst in der Hand hat, die Bestimmungen so zu gestalten, dass Vorteile in der entsprechenden Klausel genannt werden, oder jedenfalls einen direkten inhaltlichen Bezug zu einer anderen Klausel herzustellen.

171 (3) Rechtsfolge. Die halbzwingenden Vorschriften führen ebenso wie die zwingenden zu einer Einschränkung der Vertragsautonomie der Vertragsparteien. In aller Regel formuliert das Gesetz, dass von näher genannten Regelungen des VVG „nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden“ kann (vgl. etwa §§ 18, 32, 42, 51 Abs. 2, 52 Abs. 5, 67, 87, 112, 129, 171 S. 1, 175, 191, 208 S. 1 VVG). Damit ist die Rechtsfolge nicht eindeutig beschrieben.588 Vielfach wird vertreten, dass der Verstoß gegen eine halbzwingende Vorschrift die Unwirksamkeit der abweichenden Vereinbarung zu Folge hat.589 Indes kann dem erst recht nicht mit der Konsequenz gefolgt werden, dass sich der VN nicht auf eine Vertragsbestimmung berufen könne, die zu seinem Nachteil von einer Vorschrift des VVG abweicht.590 Vielmehr kann der VR sich auf Vereinbarungen, die von den halbzwingenden Vorschriften zum Nachteil des VN abweichen, nicht berufen;591 der VN oder der Dritte braucht sie nicht gegen sich gelten zu lassen.592 Dies ermöglicht es, dem VN sich im Einzelfall auch auf eine Vertragsbestimmung zu berufen, die grundsätzlich zu seinem Nachteil von einer halbzwingenden Vorschrift abweicht. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der VVG-Reformgesetzgeber im Hinblick auf die Wirkung eines Verstoßes gegen halbzwingende Vorschriften zum Nachteil des VN nicht von der früheren Rechtslage abweichen wollte. Im VVG a. F. fand sich die Formulierung: „Auf eine Vereinbarung, durch welche von den Vorschriften (…) zum Nachteil des VN abgewichen wird, kann sich der Versicherer nicht berufen.“; so etwa in § 15a VVG a. F., § 72 VVG a. F., § 150o VVG a. F.593 Diese Formulierung hat der BGH – im Hinblick auf § 15a VVG a. F. – zurecht dahin gehend verstanden, dass „sich nur der Versicherer auf eine Vereinbarung, durch welche von der Vorschrift des § 6 Abs. 1 bis 3 VVG

584 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff30 § 42 Rn. 2; Prölss VersR 1988 347, 348; Armbrüster2 Rn. 591. 585 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff30 § 42 Rn. 2. 586 Armbrüster2 Rn. 591; Wandt6 Rn. 184. 587 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff30 § 42 Rn. 2. 588 Wandt6 Rn. 185. 589 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 18; Bruck/Möller/Johannsen8 § 18 Rn. 5; vgl. auch BGH 12.10.2011 – IV ZUR 199/10, BGHZ 191 159, 163 = VersR 2011 1550, 1511 (Rn. 19); BGH 4.12.2013- IV ZR 215/12, BGHZ 199 170, 177= VersR 2014 98, 100 (Rn. 21); in beiden Entscheidungen ging es aber nicht um die Frage, wer sich auf den Verstoß gegen halbzwingende Vorschriften berufen kann. 590 So aber BeckOK-VVG/Filthuth (Stand: 28.2.2019) § 18 Rn. 14; Langheid/Wandt/Fausten2 § 18 Rn. 8. 591 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 180; Schimikowski6 Rn. 8. 592 v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 385. 593 Wandt6 Rn. 186. Beckmann

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zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen wird, nicht berufen“ kann.594 Die neue Formulierung im VVG 2008 hat der Reformgesetzgeber nicht generell begründet, aber in der Regierungsbegründung zu einzelnen Vorschriften zum Ausdruck gebracht, die Neuregelung entspreche sachlich bzw. inhaltlich der Vorgängerregelung.595 Entscheidend ist jedoch der Schutzzweck halbzwingender Vorschriften, der auf den Schutz des VN bzw. versicherter Personen ausgerichtet ist. Nach dem Sinn halbzwingender Vorschriften sind diese deshalb dahin gehend auszulegen, dass sich nur der VR nicht auf eine Vereinbarung berufen kann, durch welche von einer halbzwingenden Vorschrift zum Nachteil des VN abgewichen wird; dem VN steht hingegen die Berufung auf eine solche Vereinbarung zu. Des Weiteren kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die frühere Rechtslage zum Nachteil des VN verändern wollte. Hierfür streitet auch die Lehre von der personalen Relativierung der Nichtigkeit von Rechtsgeschäften; nach dieser Lehre kann sich bei Eingreifen von Nichtigkeitsnormen, die dem Schutz bestimmter Personenkreise dienen, nur die geschützte Person auf die Nichtigkeit berufen; die Vertragsgegenseite, deren Schutz durch eine solche Norm nicht bezweckt ist, kann sich nicht auf die Nichtigkeit berufen.596 Im Falle der Unwirksamkeit einer vertraglichen Bestimmung wegen Verstoßes gegen eine 172 halbzwingende Regelung tritt an deren Stelle die entsprechende gesetzliche Regelung.597

cc) Abdingbare/dispositive Bestimmungen. Die übrigen Vorschriften des VVG sind in den 173 allgemeinen Grenzen sowie bei Verwendung von AVB gemäß §§ 305 ff. BGB abdingbar.598 b) Einführungsgesetz zum Versicherungsvertragsgesetz (EGVVG). Das Einführungsgesetz 174 zum Versicherungsvertragsgesetz (EGVVG)599 enthält Übergangsvorschriften (Art. 1 bis Art. 6) zum Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (ReformG);600 vgl. dazu oben Rn. 79.

c) Pflichtversicherungsgesetz (PflVG). Zu den wichtigen Quellen des Privatversicherungs- 175 rechts gehört auch das Pflichtversicherungsgesetz601 als ein versicherungsrechtliches Nebengesetz. Durch dieses ist, von den Ausnahmen des § 2 PflVG abgesehen, jeder Halter eines Kfz gemäß § 1 PflVG zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichtet.602 Die Neufassung von 1965 diente der Erfüllung der Pflichten aus dem Europäischen Über- 176 einkommen über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge vom 20.4.1959, welches am 1.4.1965 (BGBl. I 281) ratifiziert worden war.603 Sie führte zu einem Direkt594 BGH 22.6.1967 – II ZR 183/64, NJW 1967 2205, 2206 (juris Rn. 14); ebenso Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 49. 595 RegE S. 70 (zu 30 Abs. 2), S. 85 (zu § 98 S. 1), S. 91 (zu § 129), S. 110 (zu § 191), S. 115 (zu § 208); vgl. auch Wandt6 Rn. 186. 596 Ausführlich Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 401 f. m. w. N. 597 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 6; BGH 22.6.1967 – II ZR 183/64, VersR 1967 771, 772 (juris Rn. 14); LG Hamburg 14.12.1950 – 9 S 316/50, VersR 1951 75, 76. 598 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 9; van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 17. 599 Vom 30.5.1908 (RGBl. I S. 305), zuletzt geändert durch Art. 2 Gesetz vom 1.4.2015 (BGBl. I 434). Mit der VVGReform hat das EGVVG die Bezeichnung „Einführungsgesetz zum Versicherungsvertragsgesetz“ erhalten (vgl. Art. 2 Nr. 1 ReformG). 600 Die in Art. 7–15 EGVVG a. F. enthaltenen Bestimmungen über das europäische Internationale Versicherungsvertragsrecht, das das auf Versicherungsverträge mit Auslandsberührung anwendbare Recht bestimmte, wurden mit Wirkung zum 17.12.2009 aufgehoben durch Art. 2 Abs. 4 des Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die VO (EG) Nr. 593/2008 vom 25.6.2009, BGBl. I 1574; zum neuen Art. 7 oben Rn. 131. 601 Vom 7.11.1939 i. d. F. vom 5.4.1965 (BGBl. I 213), zuletzt geändert durch Artikel 1 V.v. 6.2.2017 (BGBl. I 147). 602 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 29; Bruns § 2 Rn. 4. 603 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 18 Prölss/Martin/Klimke30 § 1 Rn. 1. 65

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anspruch des Geschädigten gegen den (Pflicht-)HaftpflichtVR aus § 3 Nr. 1 PflVG a. F.604 Zum anderen wurde auch der Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen, §§ 12–14 PflVG, an welchen sich der Geschädigte mit seinen Schadensersatzansprüchen wenden kann, wenn im Übrigen die Schäden aus den in § 12 Abs. 1 PflVG abschließend genannten Gründen gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nicht durchsetzbar sind, eingeführt605 (zu versicherungsrechtlichen Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen vgl. Baumann/Koch § 1 Rn. 322). 177 Auch nach der Neufassung 1965 wurde das PflVG noch vielfach geändert, wobei von besonderer Bedeutung die Änderung durch das Gesetz zur Änderung des PflVG und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 10.7.2002 (BGBl. I 2586) ist, welches am 1.1.2003 in Kraft getreten ist und vorrangig der Umsetzung der Vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie606 dient.607 Die VVG-Reform hat auch hinsichtlich des Pflichtversicherungsgesetzes einige Änderun178 gen mit sich gebracht: So sind die Regelungen des § 3 Nr. 1–3 PflVG a. F. mit modifiziertem Inhalt jetzt in § 115 VVG enthalten. Auch die übrigen Regelungen des § 3 PflVG a. F. sind nun im Wesentlichen unverändert in die §§ 113–124 VVG aufgenommen, soweit sie auf alle Arten von Pflichtversicherungen anzuwenden sind. Lediglich die Regelung des § 3 Nr. 6 PflVG a. F. ist noch in § 3 PflVG enthalten.608 Der neue § 3b PflVG enthält den bisherigen § 158h Satz 2 VVG a. F.609 Das PflVG ist durch diese Änderung nur noch für einzelne Sonderthemen von Bedeutung.610

179 d) Verordnung über den Versicherungsschutz in der Kraftfahrzeug-Pflichtversicherung (KfzPflVV). Eine weitere versicherungsvertragsrechtliche und damit privatversicherungsrechtlich relevante Rechtsquelle stellt die Verordnung über den Versicherungsschutz in der Kraftfahrzeug-Pflichtversicherung (KfzPflVV)611 dar, welche den Mindestversicherungsschutz zwingend festlegt.612 Vor Inkrafttreten dieser Verordnung mussten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen 180 (AVB) und deren spätere Änderungen vor Verwendung in dem Versicherungsvertrag durch die Aufsichtsbehörde genehmigt werden; dadurch war ein angemessener Versicherungsschutz gewährleistet.613 Da das ebenfalls am 29.7.1994 in Kraft getretene Dritte Durchführungsgesetz/ EWG zum VAG (zu diesem vgl. Rn. 55) im Wesentlichen diese „Vorabkontrolle“ beseitigte, übernimmt die KfzPflVV zumindest teilweise für die Kfz-Haftpflichtversicherung diese Schutzfunktion.614

604 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 19. 605 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 19. 606 Richtlinie 2000/26/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.5.2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ABl. EG Nr. L 181/65, aufgehoben durch Richtlinie 2009/103/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht und hierin aufgegangen. 607 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 20. 608 RegE S. 123. 609 RegE S. 123. 610 Armbrüster2 Rn. 1886. 611 Vom 29.7.1994 (BGBl. I 1837), zuletzt geändert durch Art. 5 der Verordnung v. 13.1.2012 (BGBl. I 103). 612 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 2; Armbrüster2 Rn. 1886. 613 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 22. 614 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 22; Stiefel/Maier/Jahnke Kraftfahrtversicherung: AKB19 Vorbem. zu §§ 1–11 Rn. 4. Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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e) Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-Informati- 181 onspflichtenverordung, VVG-InfoVO). Die VVG-InfoVO615 vom 18.12.2007 dient der Umsetzung oder Änderung einiger europäischer Richtlinien616 und fasst die für VR bestehenden Informationspflichten zusammen, soweit diese bisher im VVG oder im VAG enthalten gewesen sind.617 Ermächtigungsgrundlage für die VVG-InfoVO ist § 7 Abs. 2 VVG; vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 7.

f) Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung (Versicherungsver- 182 mittlungsverordnung – VersVermV). Am 22.5.2007 ist – zur Umsetzung der Richtlinie über Versicherungsvermittlung618 –, neben dem Gesetz zur Neureglung des Versicherungsvermittlerrechts619 auch die Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung vom 15.5.2007 (VersVermV)620 in Kraft getreten. Die ursprüngliche VersVermV aus dem Jahre 2007 wurde im Zuge der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb621 und der daraus resultierenden Änderung des § 34d GewO und des § 34e GewO am 17.12.2018 neu gefasst.622 Mit der Verordnung über Versicherungsvermittlung und -beratung (Artikel 1) wurde von der Verordnungsermächtigung in § 34e GewO Gebrauch gemacht. Das Erlaubnisverfahren einschließlich der Berufshaftpflichtversicherung und das Registrierungsverfahren wurden näher ausgestaltet. Zudem wurden die Pflichten der Gewerbetreibenden, insbesondere die Pflicht zu einer regelmäßigen Weiterbildung, ausgestaltet.623

g) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 593/2008 über das 183 auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO). Mit der seit dem 17.6.2009 bzw. seit dem 17.12.2009 geltenden Rom I-VO624 ist das internationale Privatrecht neu 615 BGBl. I 3004, zuletzt geändert durch Art. 1 der VO vom 5.3.2020 (BGBl. I 484). 616 Umsetzung der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18.6.1992 (zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der RL 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung); sowie Änderung der folgenden Richtlinien: Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24.7.1973 (zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), Richtlinie 2002/65/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 (über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/ EG und 98/27/EG), Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. 11.1990 (zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG); Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 (über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz – Erklärung des Rates und des Parlamentes zu Art. 6 Abs. 1 – Erklärung der Kommission zu Art. 3 Abs. 1 erster Gedankenstrich); Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 (über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen); Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.11.2002 (über Lebensversicherungen). 617 Präve VersR 2008 151, 151. 618 Richtlinie 2002/92/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.12.2002 über Versicherungsvermittlung. 619 BGBl. I 3232. 620 BGBl. 2007 I 73. 621 Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb (Insurance Distribution Directive, IDD), ABl. EU Nr. L v. 2.2.2016, Nr. 26 S. 19. 622 BGBl. I 2483; 2019 I 41. 623 BTDrucks. 19/3109 S. 1; dazu Armbrüster ZWE 2018 105; Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018 285, 287; Emde ZVertriebsR 2018 292, 301. 624 Rom I-VO, ABl. 2008 L 177, 6. 67

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geregelt worden.625 Die VO ist gemäß ihres Art. 1 Abs. 1 auf alle vertraglichen Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweist. Mithin gilt sie auch für Versicherungsverträge, welche nach dem 16.12.2009 geschlossen wurden; Art. 7 Rom I-VO beinhaltet eine besondere Norm für Versicherungsverträge.626 Bei der Rom I-VO handelt es sich um unmittelbar anwendbares Recht ohne dass es einer Umsetzung in das nationale Recht bedarf. Die Auslegungskompetenz hat der EuGH627 (zur Rom I-VO umfassend Bruck/Möller/Dörner9 Bd. 11).

184 h) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Basisinformations-

blätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP). Die PRIIP vom 26.11.2014628 legt nach ihrem Art. 1 einheitliche Vorschriften für das Format und den Inhalt des Basisinformationsblatts, das von Herstellern von verpackten Anlageprodukten für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukten (packaged retail and insurance-based investment products — im Folgenden „PRIIP“) abzufassen ist, sowie für die Bereitstellung des Basisinformationsblatts an Kleinanleger fest, um Kleinanlegern zu ermöglichen, die grundlegenden Merkmale und Risiken von PRIIP zu verstehen und zu vergleichen.

185 i) Weitere eine Versicherungspflicht begründende Gesetze. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere gesetzliche Bestimmungen, die eine Versicherungspflicht begründen. Überwiegend handelt es sich dabei um Pflichthaftpflichtversicherungen, die bei Ausübung einer privaten oder beruflichen Tätigkeit, durch die fremde Rechtsgüter oder Vermögensinteressen gefährdet werden, abgeschlossen werden müssen. Die in diesem Zusammenhang bekannteste Pflichthaftpflichtversicherung ist die Kfz-Haftpflichtversicherung (siehe oben Rn. 175 ff.).629 Für solche Pflichtversicherungen – also Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht – gelten insbesondere die §§ 113 ff. VVG. Daneben gibt es aber auch Pflichten zum Abschluss einer Sach- oder Unfallversicherung mit dem Zweck, gefährdete Dritte zu schützen, beispielsweise die „Probandenversicherung“ für klinische Experimente (vgl. § 40 AMG).630 186 Beispiele für gesetzliche Pflichten zum Abschluss von Versicherungen aufgrund von Bundes- oder Reichsgesetzen:631 – Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungspflicht für Versicherungsvermittler, § 34d Abs. 2 Nr. 3 GewO i. d. F. des Gesetzes v. 22.2.1999 (BGBl. I 202) zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetzes v. 22.11.2019 (BGBl. I 1746) i. V. m. §§ 8 ff. VersVermV i. d. F. der Verordnung v. 17.12.2018 (BGBl. I 2483; berichtigt BGBl. 2019 I 411); – Haftpflichtversicherungspflicht für Autohalter, PflVG i. d. F. des Gesetzes v. 5.4.1965 (BGBl. I 213) zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung v. 6.2.2017 (vgl. bereits Rn. 175), auch für ausländische Fahrzeuge, die am deutschen Verkehr teilnehmen, § 1 Abs. 1 AuslPflVG i. d. F. MüKo-BGB/Martiny7 Vorbem. zu Art. 1 Rom I-VO Rn. 1 f. Hierzu vgl. auch Dauses/Ludwigs/Matusche-Beckmann (2015) E VI. Rn. 375 ff. Schimikowski6 Rn. 420. ABI. EU Nr. L 352 S. 1; ber. ABI. EU Nr. L 358 S. 50 geändert durch VO (EU) 2016/2340 v. 14.12.2016 (ABI. EU Nr. L 354 S. 35; dazu Dauses/Ludwigs/Matusche-Beckmann (2015) E.VI. Rn. 208 ff.; Dörfler CCZ 2014 280, 280 f. 629 Wandt6 Rn. 257. 630 Wandt6 Rn. 257. 631 Übersicht u. a. auf der Grundlage von Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 323 bis 342. Vgl. auch die Übersicht bei Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 18 ff. Dabei handelt es sich nur um Pflichtversicherungen i. S. d. § 113, wenn es sich um Haftpflichtversicherungen handelt, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht, so dass es sich bei den im Folgenden aufgelisteten Versicherungen nicht unbedingt um solche Pflichtversicherungen i. S. d. §§ 113 ff. handelt. Eine Übersicht über solche Pflichthaftpflichtversicherungen findet sich bei Bruck/Möller/Beckmann9 im Anhang zu den Vorbem. zu §§ 113–124.

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts



















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des Gesetzes v. 24.7.1956 (BGBl. I 667) zuletzt geändert durch Art. 496 der Verordnung v. 31.8.2015 (BGBl. I 1474); nunmehr in § 40 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG i. d. F. des Gesetzes v. 12.12.2009, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes v. 25.6.2020 (BGBl. I 1474); Haftpflichtversicherungspflicht für Luftverkehrsunternehmer, §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 43 Abs. 2 LuftVG, § 50 Abs. 1 LuftVG i. d. F. des Gesetzes v. 10.5.2007 (BGBl. I 698) zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes v. 20.11.2019 (BGBl. I 1942), LuftVZO i. d. F. der Verordnung v. 10.7.2008 (BGBl. I 1229) zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes v. 12.12.2019 (BGBl. I 2510); Haftpflichtversicherungspflicht für Jäger, § 17 Abs. 1 Nr. 4 BundesJagdG i. d. F. des Gesetzes v. 29.9.1976 (BGBl. I 2849) zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes v. 14.11.2010 (BGBl. I 1850); Haftpflichtversicherungspflicht für Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, § 54 Wirtschaftsprüferordnung i. d. F. des Gesetzes v. 5.11.1975 (BGBl. I 2803) zuletzt geändert durch Art. 79 des Gesetzes v. 20.11.2019 (BGBl. I 1626); Haftpflichtversicherungspflicht für Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften, §§ 51 ff. DVStB i. d. F. der Verordnung v. 12.11.1979 (BGBl. I 1922) zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes v. 18.7.2016 (BGBl. I 1679); Haftpflichtversicherungspflicht für das Bewachungsgewerbe, § 34a Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GewO i. d. F. des Gesetzes v. 22.2.1999 (BGBl. I 202) zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetzes v. 22.11.2019 (BGBl. I 1746); Haftpflichtversicherungspflicht für Schausteller, § 55f GewO i. d. F. des Gesetzes v. 22.2.1999 (BGBl. I 202) zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetzes v. 22.11.2019 (BGBl. I 1746) i. V. m. VO über die Haftpflichtversicherung für Schausteller i. d. F. der Verordnung v. 17.12.1984 (BGBl. I 1598) zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung v. 9.3.2010 (BGBl. I 264); Haftpflichtversicherungspflicht der Notare, §§ 19a, 67 Abs. 3 Nr. 3 BNotO i. d. F. des Gesetzes v. 24.2.1961 (BGBl. I 97) zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes v. 30.11.2019 (BGBl. I 1942); Feuer (Einbruchsdiebstahl-, Wasser-) Versicherungspflicht der Pfandleiher, § 34 Abs. 2 Nr. 3 GewO i. d. F. des Gesetzes v. 22.2.1999 (BGBl. I 202) zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetzes v. 22.11.2019 (BGBl. I 1746), § 8 der VO über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher i. d. F. der Verordnung v. 1.6.1976 (BGBl. I. 1334) zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung v. 28.4.2016 (BGBl. I. 1046); Haftpflichtversicherungspflicht für den Güterkraftverkehrsunternehmer gemäß § 7a GüterkraftverkehrsG i. d. F. des Gesetzes v. 22.6.1998 (BGBl. I 1485) zuletzt geändert durch Art. 141 des Gesetzes v. 20.11.2019 (BGBl. I. 1626);632 HaftpflichtversPflicht für Träger von Krankenpflege- (Hebammen-)schulen zugunsten der Schülerinnen, § 8 KrankenpflegeVO i. d. F. der Verordnung v. 28.9.1938 (RGBl. I, 2 1310);633 Mittelbare Haftpflichtversicherungspflicht für Anlagen und Tätigkeiten nach § 14 AtomG i. d. F. des Gesetzes v. 15.7.1985 (BGBl. I 1565) zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes v. 12.12.20019 (BGBl. I 2510) i. V. m. §§ 1, 2, 9–15 DeckungsvorsorgeVO i. d. F. der Verordnung v. 25.1.1977 (BGBl. I 220) zuletzt geändert durch Art. 13 der Verordnung v. 29.11.2018 (BGBl. I 2034); Haftpflicht- und Krankenversicherungspflicht des Trägers der Entwicklungshilfe zugunsten der Entwicklungshelfer, §§ 6, 7 EntwicklungshelferG i. d. F. des Gesetzes v. 18.6.1969 (BGBl. I 549) zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 13 des Gesetzes v. 23.5.2017 (BGBl. I 1228);

632 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 335; Bischoff VersR 1952 217; Roesch NJW 1953 31, Schultze VersR 1950 157, Voigt VW 1950 95; vgl. auch Bischoff KVO-Versicherung im Güterkraftverkehrsgesetz VersR 1952 217; Roesch Die Pflichtversicherung des Unternehmers im Güterkraftverkehrsgesetz NJW 1953 331; Schulze Zur begrifflichen Einordnung der KVO-Versicherung VersR 1950 157; Unterschlagungsschäden in der KVO-Haftpflichtversicherung VW 1950 95. 633 Die KrankenpflegeVO ist durch Gesetz vom 15.7.1957 (BGBl. I 716) mit Wirkung zum 19.7.1957 aufgehoben worden. § 8 KrankenpflegeVO gilt jedoch bis zum Inkrafttreten einer anderweitigen gesetzlichen Regelung weiter. 69

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Unfallversicherung (oder sonstige „Nichthaftpflichtversicherungen“) bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln, § 40 Abs. 1 Nr. 8 Abs. 3 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts i. d. F. des Gesetzes v. 24.8.1976 (BGBl. I. 2445) zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 9.8.1994 (BGBl. I. 2071);634 – Haftpflichtversicherung im Rahmen der Deckungsvorsorge, § 94 Abs. 1 Nr. 1 des vorgenannten Gesetzes; bzw. alternativ gleichwertige Sicherung i. S. d. § 94 Abs. 1 Nr. 2 AMG i. d. F. des Gesetzes v. 12.12.2005 (BGBl. I. 3394) zuletzt geändert durch Art. 0 Gesetzes v. 22.3.2020 (BGBl. I 604); – Versicherungspflicht (oder Pflicht zur Leistung einer sonstigen Sicherheit) der Makler und Bauträger gemäß §§ 2 f. der Makler- und BauträgerVO i. d. F. der Verordnung v. 7.11.1990 (BGBl. I. 2479) zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung v. 9.5.2018 (BGBl. I 550); – Pflegeversicherungspflicht nach § 23 SGB XI i. d. F. des Gesetzes v. 26.5.1994 (BGBl. I. 1014) zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes v. 22.3.2020 (BGBl. I 604); – Unfallversicherungspflicht für Luftverkehrsunternehmer § 103 LuftVZO i. d. F. der Verordnung v. 10.7.2008 (BGBl. I 1229) zuletzt geändert durch Art. 6 Gesetz v. 12.12.2019 (BGBl. I 2510); – Haftpflichtversicherungspflicht für Rechtsanwälte, §§ 51, 14 Abs. 2 Ziffer 9 BRAO i. d. F. des Gesetzes v. 1.8.1959 (BGBl. I 565) zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes v. 12.12.2019 (BGBl. I 2602);635 – Haftpflichtversicherungspflicht für Patentanwälte, § 45 PAO i. d. F. des Gesetzes v. 7.9.1966 (BGBl. I 557) zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes v. 12.12.2019 (BGBl. I 2602); – Haftpflichtversicherungspflicht für Eisenbahnen, §§ 14–14d AEG i. d. F. des Gesetzes v. 27.12.1993 (BGBl. I 2378, 2396; 1994 I 2439) zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 16.3.2020 (BGBl. I 501); – Ölschadenhaftpflicht im Seeverkehr, § 2 ÖlSG i. d. F. des Gesetzes v. 30.9.1988 (BGBl. I 1770; 1995 I 2084) zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes v. 18.7.2016 (BGBl. I 1666); – Haftpflichtversicherung für Betreiber umweltgefährdender Anlagen, § 19 Abs. 1 Nr. 1 UmweltHG i. d. F. des Gesetzes v. 10.12.1990 (BGBl. I 2634) zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes v. 17.7.2017 (BGBl. I 2421) als eine Möglichkeit der Deckungsvorsorge; – Haftpflichtversicherung für Betreiber von gentechnischen Anlagen, § 36 Abs. 2 Nr. 1 GenTG i. d. F. des Gesetzes v. 16.12.1993 (BGBl. I. 2066) zuletzt geändert durch Art. 21 des Gesetzes 20.11.2019 (BGBl. I. 1626) als eine Möglichkeit der Deckungsvorsorge; – Haftpflichtversicherungspflicht für den Betreiber einer Schießstätte, § 27 Abs. 1 WaffG i. d. F. des Gesetzes vom 11.10.2002 (BGBl. I 3970, 4592; 2003 I 1957) zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetzes v. 17.2.2020 (BGBl. I 166); – Vermögensschadenhaftpflichtversicherungspflicht für Zwangsverwalter, § 1 Abs. 4 Zwangsverwalterverordnung (ZwVwV) i. d. F. der Verordnung vom 19.12.2003 (BGBl. I 2804); – Umwelthaftpflichtversicherung für Abfall-Entsorgungsfachbetriebe, § 6 EfbV i. d. F. der Verordnung v. 2.12.2016 (BGBl. I 2770) zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes v. 5.7.2017 (BGBl. I. 2234); – unvollkommen geregelt ist die Berufspflichthaftpflichtversicherung von Ärzten.636 187 Gesetzliche Pflichten zum Abschluss von Versicherungen aufgrund von Landesgesetzen. Entsprechende Pflichten können sich auch aus landesgesetzlichen Vorschriften ergeben. Beispielhaft sei genannt die Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung für Architekten, etwa aus § 46 Abs. 2 Nr. 5 des nordrhein-westfälischen Baukammerngesetzes (BauKaG NRW)637 oder die Verpflichtung zum Abschluss einer Hundehalter-Haftpflichtversicherung des Halters eines gefährlichen Hundes gemäß § 5 Abs. 5 Hundegesetz für das Land NRW.638 634 635 636 637 638

Hierzu Bausch VersR 1979 212. Vgl. ausführlich hierzu MAH Versicherungsrecht/Sassenbach4 § 18. Bruns § 22 Rn. 40, vgl. auch Hedderich Pflichtversicherung (2011) S. 240 ff., 362 ff. Vom 16.12.2003 (GVBl. NRW. S. 786). Vom 18.12.2002 (GVBl. NRW S. 656). Zu den unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen über Pflichthaftpflichtversicherung für Hundehalter Bruck/Möller/Beckmann9 Vorbem. zu §§ 113–124, Rn. 37; zu weiteren durch Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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Eine Pflicht zum Abschluss von Haftpflichtversicherungen kann sich auch aus von Berufs- 188 kammern erlassenem Berufs- bzw. Standesrecht ergeben. Beispielsweise findet sich für Arztberufe in § 21 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO)639 eine entsprechende Bestimmung. Sehen die entsprechenden landesgesetzlichen Kammer- oder Heilberufegesetze eine Ermächtigung der Kammern vor, in den Berufsordnungen eine entsprechende Verpflichtung aufzunehmen, wird man eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Versicherungspflicht i. S. d. § 113 VVG annehmen können.640 Beispielsweise ergibt sich eine solche Ermächtigung aus § 17 Abs. 2 Nr. 17 des Saarländischen Heilberufekammergesetz (SHKG),641 die wiederum in § 21 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte des Saarlandes642 umgesetzt worden ist. Unabhängig von solchen durch Rechtsvorschriften angeordneten Pflichten zum Abschluss 189 einer Versicherung kommen vertraglich begründete Verpflichtungen (etwa durch AGB, z. B. Ziff. 21.1 der Allgemeinen Deutschen Spediteursbedingungen) in Betracht; darüber hinaus lässt sich auch aufgrund von Fürsorge- oder Schutzpflichten im Rahmen von Schuldverhältnissen eine Pflicht zum Abschluss einer Versicherung begründen.643 In diesen Fällen handelt es sich aber nicht um Pflichtversicherungen i. S. d. § 113 VVG.

j) Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB). Bei Allgemeinen Versicherungsbedingun- 190 gen (AVB) handelt es sich um vorformulierte Vertragsbestimmungen, die Grundlage der allermeisten Versicherungsverträge sind. AVB bilden mehr noch als in anderen Wirtschaftsbereichen eine wesentliche Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses. Gerade sie geben dabei dem Versicherungsvertrag erst sein rechtlich ausgestaltetes Gerüst und konstituieren die vertraglichen Rechte und Pflichten.644 Auch wenn AVB vertragliche Bestimmungen sind, die vom VR vorformuliert sind, lassen sie sich als wichtige Rechtsquelle des Versicherungsvertragsrecht einordnen. Sie werden Inhalt des Vertrages, wenn sie gemäß § 305 ff. BGB wirksam in den Vertrag einbezogen worden sind und der Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB standhalten. Weitere Erläuterungen zu den AVB finden sich in einem besonderen Abschnitt in dieser Generaleinführung unter C („Allgemeine Versicherungsbedingungen“; siehe dort auch zu sog. besonderen Bedingungen Rn. 45). 2. Allgemeines Privatrecht Soweit nicht die speziellen versicherungsvertraglichen Rechtsquellen zur Anwendung gelangen, 191 fällt die rechtliche Behandlung von Versicherungsverhältnissen auch in den Anwendungsbereich der beiden großen Privatrechtskodifikationen BGB und HGB, in denen sich auch einzelne versicherungsspezifische Regelungen finden.

Landesgesetze vorgeschriebene Pflichthaftpflichtversicherungen Bruck/Möller/Beckmann9 im Anhang zu den Vorbem. zu §§ 113–124 Rn. 21 ff. 639 Veröffentlicht etwa unter [https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MBO/MBO_2.7.2015.pdf] (Abrufdatum: 11.9.2019). 640 So auch Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 18; Prölss/Martin/Klimke30 § 113 Rn. 1; Langheid/Wandt/ Brand2 § 113 Rn. 10; vgl. auch Bruck/Möller/Beckmann9 § 113 Rn. 3; a.A. van Bühren/Bergmann/Wever Hdb7 § 11 Rn. 25. 641 Vom 11.3.1998 i. d. F. 30.1.2018 ABl. S. 70 ff. 642 Vom 15.12.2004 i. d. F. 12.12.2012 veröffentlicht unter https://www.aerztekammer-saarland.de/files/ 155EDD1BF6D/%C4K-0003 %20Berufsordnung%20f%FCr%20die%20 %C4rztinnen%20und%20 %C4rzte%20des %20Saarlandes.pdf (Abrufdatum: 11.9.2019). 643 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 344. 644 Vgl. auch Terno RuS 2004 45. 71

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Einleitung

192 a) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Obwohl das Versicherungsvertragsrecht im VVG gesondert geregelt ist, finden sich auch im BGB einige wenige versicherungsspezifische Regelungen.645 Während noch § 330 S. 1 BGB a. F. eine Auslegungsregelung auch für die Lebensversicherung bei Vereinbarung der Auszahlung an einen Dritten beinhaltete, wurde die Lebensversicherung im Zuge der VVG-Reform aus dem Anwendungsbereich des § 330 S. 1 BGB ausgeklammert, da nunmehr § 159 Abs. 2 und 3 VVG eine Unterscheidung zwischen unwiderruflicher und widerruflicher Benennung des Bezugsberechtigten vorsieht, so dass die Regelungsbereiche dieser beiden Vorschriften nicht mehr übereinstimmten.646 Damit betrifft § 330 BGB nur noch den Leibrentenvertrag. § 331 BGB beinhaltet eine Auslegungsregel bzgl. des Zeitpunktes des Rechtserwerbes bei Leistung nach dem Todesfall des VN.647 Daneben legt § 332 BGB fest, dass der Versprechensempfänger und damit der VN die Person des Dritten auch durch Verfügung von Todes wegen ohne Zustimmung des Versprechenden (also des VR) ändern kann, wenn er sich die Änderung ohne Zustimmung vorbehalten hat. Die dort angesprochenen Fragestellungen sind jedoch meist ausdrücklich in den vorrangigen AVB geregelt.648 193 §§ 1045, 1046 BGB betreffen den Nießbrauch. Diese Vorschriften regeln die Versicherungspflicht des Nießbrauchers und den Nießbrauch an der Versicherungsforderung. 194 In den §§ 1127–1130 BGB finden sich im Rahmen der Vorschriften über die Rechte des Hypothekengläubigers an den Versicherungsforderungen wegen des Untergangs von Gegenständen, auf die sich die Hypothek erstreckt, auch Regelungen über Versicherungen, insbesondere die Gebäudeversicherung betreffend. 195 Daneben erklärt das VVG einige Vorschriften des BGB ausdrücklich für anwendbar,649 z. B.: – §§ 5 Abs. 4, 22 VVG: § 5 Abs. 4 VVG bestimmt, dass eine Vereinbarung, durch die der VN auf das Recht auf Irrtumsanfechtung verzichtet, unwirksam ist. § 22 VVG regelt, dass das Recht des VR auf Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durch die vorangehenden Spezialvorschriften nicht berührt wird. – § 4 Abs. 1 VVG: Diese Vorschrift ordnet für einen als Urkunde auf den Inhaber ausgestellten Versicherungsschein die Anwendung des § 808 BGB an. – § 8 Abs. 4 VVG verweist für den Beginn der Widerrufsfrist für den VN im elektronischen Geschäftsverkehr auf die Pflichten des § 312i Abs. 1 Satz 1 BGB. 196 Diese Verweisungen lassen jedoch nicht den Schluss zu, dass die Anwendung der übrigen Normen des BGB von vornherein ausgeschlossen sein soll.650 Da der Versicherungsvertrag privatrechtlicher Natur, also ein besonderer Schuldvertragstypus651 (vgl. bereits Rn. 9) ist, gelten für ihn vielmehr auch die allgemeinen Regelungen des BGB, soweit sich im VVG – oder z. B. auch im PflVG652 – keine speziellen Vorschriften finden, die denen des BGB als leges speciales vorgehen.653 Dies ergibt sich im Übrigen auch aus der Art der Verweisungen sowie aus den Motiven zum VVG654 und „entspricht dem Verständnis des BGB, insbesondere seines Allgemeinen Teils, als einer Kodifikation auch der allgemeinen privatrechtlichen Grundsätze.“655 Aus dieser subsidiären Anwendbarkeit des BGB ergibt sich auch seine besondere Bedeutung als

645 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 25; van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 37; Berliner Kommentar/Dörner Einl., Rn. 24; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 13. RegE S. 120. Palandt/Grüneberg79 § 331 Rn. 1; MüKo-BGB/Gottwald8 § 331 Rn. 1. Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 155. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 25; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 13. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 25. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 24. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 24. van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 37; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 25; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 24; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 13; Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 10. 654 Motive S. 65. 655 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 25.

646 647 648 649 650 651 652 653

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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Rechtsquelle des Privatversicherungsrechts, vor allem bezüglich der Anwendung der Vorschriften des Allgemeinen Teils sowie des Allgemeinen Schuldrechts.656 Gegenüber dem BGB grundsätzlich vorrangig geltende Spezialvorschriften des VVG finden 197 sich beispielsweise in folgenden Regelungen: – §§ 37, 38 VVG verdrängen die §§ 284 ff., 323 BGB im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Prämienverzuges. – Die Irrtumsanfechtung des § 119 Abs. 2 BGB wird durch die §§ 19 bis 22 VVG wegen der darin enthaltenen in sich abgeschlossenen Regelungen ersetzt, soweit sich der VR in einem Irrtum über gefahrerhebliche Umstände befindet.657 Dieser Vorrang der §§ 19 ff. VVG folgt aus dem Umkehrschluss zu § 22 VVG, nach dem das Recht zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung unberührt bleibt.658 – Soweit die §§ 320 ff. BGB überhaupt anwendbar sind, werden sie jedoch zumeist durch §§ 37, 38 VVG verdrängt.659 – Die allgemeinen Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, werden durch die abschließenden versicherungsrechtlichen Sonderregeln der §§ 23–29 VVG über die Gefahrerhöhung verdrängt.660 – §§ 69–73 VVG, welche die „Vertretungsmacht“ des VR bzw. des Versicherungsvertreters regeln, stellen insoweit eine vorrangige Abweichung von den allgemeinen Vorschriften des BGB und des HGB zum Vertretungsrecht dar. Mangels spezieller Regelungen im VVG sind hingegen insbesondere folgende bürgerlichrechtli- 198 chen Vorschriften auf den Versicherungsvertrag ohne weiteres anzuwenden (Auswahl): – §§ 104 ff. BGB über die Geschäftsfähigkeit. – §§ 119 ff. BGB (§§ 116 ff. BGB) betreffend die Willenserklärungen mit Ausnahme des § 119 Abs. 2 BGB (siehe oben Rn. 197). Täuscht dabei ein Versicherungsvertreter, ist dieser im Rahmen des § 123 Abs. 2 BGB nicht als Dritter anzusehen, da er im „Lager“ des VR steht.661 – Allgemeine Unwirksamkeitsgründe wie z. B. § 138 BGB. – §§ 145 ff. BGB über das Zustandekommen des Vertrages (modifiziert durch §§ 3 ff. VVG). – Allgemeine Stellvertretungsregelungen gemäß §§ 164 ff. BGB, neben denen auch die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht Anwendung finden.662 Der Umfang der Vertretungsmacht kann im Versicherungsrecht jedoch nicht durch den Vollmachtgeber bestimmt werden, sondern durch die Rahmenregelungen des VVG (vgl. bereits oben Rn. 197).663 – §§ 305 ff. BGB über AGB und damit über AVB. – Auch die Regeln über die Haftung aus culpa in contrahendo (c. i. c.), § 311 Abs. 2 BGB, gelten grundsätzlich im Versicherungsrecht.664 Indes ist die Beratungspflicht des VR nunmehr speziell in § 6 VVG geregelt. Im Hinblick auf eine Aufklärungspflicht des VN wiederum haben nach h. M. die §§ 19 ff. VVG gegenüber den Regeln der c. i. c. Vorrang.665 656 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 26. 657 Vgl. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 78; RG 15.5.1931 – VII 92/30, RGZ 132 386, 390; BGH 24.9.1986 – IVa ZR 229/84, VersR 1986 1089, 1090 (juris Rn. 22); Hofmann PVR § 8 Rn. 2.

658 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 78. 659 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 13 u. § 1 Rn. 30; vgl. aber RG 30.10.1936 –VII 346/35, RGZ 152 268, 270, wonach § 323 BGB a. F. anwendbar sein soll. 660 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 88; Hofmann PVR § 9 Rn. 1; Prölss/Martin/Armbrüster30 § 23 Rn. 1; Beckmann ZIP 2002 1125, 1127. 661 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 78; MünchKomm-BGB/Armbrüster8 § 123 Rn. 75. 662 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 73; BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 128 (juris Rn. 8); BGH 26.2.1981 – IVa ZR 67/80, VersR 1981 469, 470 (juris Rn. 15). 663 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 73. 664 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 80. 665 BGH 22.2.1984 – IVa ZR 63/82, VersR 1984 630, 631 (juris Rn. 11); Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 82 m. w. N. auch zur Gegenansicht. 73

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Während § 278 BGB grundsätzlich auch im Versicherungsrecht sowohl auf den VR als auch auf den VN im Rahmen seiner Prämienzahlungspflicht Anwendung findet, verneint die ganz überwiegende Meinung dessen Anwendung im Bereich der Obliegenheiten des VN.666 Insoweit hat sich die sog. Repräsentantenhaftung entwickelt, die indes nicht Eingang in das VVG 2008 gefunden hat (zum Begriff des Repräsentanten vgl. noch Rn. 281); auf gesetzliche Regelungen ist verzichtet worden, „da durch eine gesetzliche Regelung den vielfältigen Kriterien des Einzelfalles, die für die Zuordnung zur Repräsentation des Versicherungsnehmers maßgeblich sein können, nicht entsprochen werden könnte“.667 199 Schließlich sei ergänzend darauf hingewiesen, dass sich versicherungsrechtliche Vorschriften auch in zivilrechtlichen Nebengesetzen finden,668 so etwa in – ErbbauRG: §§ 2 Nr. 2, 23; – WohnungseigentumsG: §§ 21 Abs. 5 Nr. 3, 33 Abs. 4 Nr. 4; – Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen (LuftfzgG): §§ 32–34, 36, 38.

200 b) Treu und Glauben im Versicherungsrecht, § 242 BGB. Das BGB findet Anwendung auf Versicherungsverträge, soweit sich keine speziellen Regelungen insbesondere im VVG finden; damit kommt im Versicherungsvertragsrecht auch der in § 242 BGB normierte Grundsatz von Treu und Glauben, der (neben der Gefahrengemeinschaft und der Versicherungstechnik) als ein „Leitstern des Versicherungsvertragsrechts“ bezeichnet worden ist, zur Anwendung.669 Daher findet eine Ausgestaltung des Versicherungsrechts in besonderer Weise auch durch die Grundsätze von Treu und Glauben statt, wobei deren Einfluss vom Vertragsabschluss über den Versicherungsfall bis hin zu den Pflichten und Obliegenheiten der Parteien reicht.670 Dabei ist es „anerkanntes Recht, dass das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte beherrscht wird“.671 Der Grundsatz von Treu und Glauben, der in neuerer Zeit von der Rechtsprechung besonders hervorgehoben wird,672 wirkt hierbei für und gegen beide Parteien in gleicher Weise und findet in der Haftpflichtversicherung auch Anwendung gegenüber dem Geschädigten.673 Gerade beim Versicherungsvertragsverhältnis besteht in sehr ausgeprägtem Umfang eine 201 Ausgangssituation, in der die Parteien auf die Unterstützung des anderen besonders angewiesen sind, da beide dem jeweils anderen bezüglich gewisser Umstände überlegen bzw. unterle-

666 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 90;Lehmann RuS 2019 361, 361; RG 21.12.1905 – VI 98/05, RGZ 62 190, 191 f.; RG 4.6.1913 – I 3/13, RGZ 83 43, 43 f.; RG 12.12.1919 – VII 215/19, RGZ 97 279, 281; RG 28.6.1927 – (VII) VI 82/ 27, RGZ 117 327, 329; BGH 25.11.1953 – II ZR 7/53, BGHZ 11 120, 122 f. (juris Rn. 4); ausführlich hierzu vgl. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 90 f.; Prölss/Martin/Prölss30 § 28 Rn. 93 ff.; Wandt6 Rn. 667. 667 BTDrucks. 16/3945 S. 79. 668 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 15. 669 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 96; dazu Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 245 ff. und die dort genannten Nachweise. 670 Deutsch/Iversen7 Rn. 14; Überblick über Grund und Reichweite des Grundsatzes von Treu und Glauben vgl. Scherpe das Prinzip der Gefahrengemeinschaft 2011 S. 150 ff. 671 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 245; Hösker VersR 2013 952, 957; ständige Rspr. vgl. z. B. RG 14.12.1934 – VII 225/34, RGZ 146 221, 224; RG 23.8.1935 – VII 24/35, RGZ 148 298, 301; RG 31.1.1936 – VII 150/35, RGZ 150 147, 150; BGH 28.11.1963 – II ZR 64/62, BGHZ 40 387, 387 ff. (juris Rn. 4); BGH 22.5.1985 – IVa ZR 153/83, BGHZ 94 344, 349 f. = VersR 1985 943, 944 (juris Rn. 25); BGH 7.6.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107 368, 373 = VersR 1989 842, 843 (juris Rn. 17); ÖOGH 3.3.1977 – 7 Ob 3 /77, VersR 1978 752, 752; ÖOGH 15.6.2016 – 7 Ob 86/16x, VersR 2017 446, 447; vgl. auch BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, VersR 2013 609, 611 (juris Rn. 26); BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101,116 ff. = VersR 2014 817, 821 (Rn. 38 ff.); ÖOGH 15.6.2015 – 7 Ob 86/16x, VersR 2017 446, 447. 672 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 245; BGH 27.1.2016- IV ZR 130/15; RuS 2016 230, 231 (Rn. 16). 673 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 245; BGH 19.2.1959 – II ZR 171/57, VersR 1959 256, 257; OLG Braunschweig 20.5.1966 – 3 U 13/66, VersR 1966 969, 970. Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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gen sind.674 So kann z. B. der VN sein besonderes Risiko genauer einschätzen als der VR und kennt die für den Vertragsschluss und die Schadensabwicklung wesentlichen Umstände besser. Ihm können beispielsweise auch seine Veranlagung für bestimmte Krankheiten bekannt sein, was in der Krankenversicherung oder auch der Berufsunfähigkeitsversicherung eine Rolle spielen kann.675 Der VR dagegen beherrscht die Versicherungstechnik, besitzt Geschäftskunde und umfangreiche Erfahrungen auf dem speziellen Gebiet der Versicherung.676 Dadurch werden Pflichten nach Treu und Glauben dahingehend geschaffen, dass jede Seite sich darauf verlassen können muss, dass die mögliche Überlegenheit der Gegenseite nicht zu seinem Nachteil ausgenutzt wird.677 Die Parteien müssen sich also gegenseitig ihre Interessen anvertrauen. Daneben führt diese partielle Überlegenheit auch dazu, dass eine Partei bestimmte mit dem Abschluss oder der Durchführung des Vertrages zusammenhängende Interessen mit weit geringerem Aufwand erfüllen kann als die andere. Diese zeigt sich schon im Rahmen gesetzlich normierter Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben, die sich beispielsweise in den §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 2, 23 Abs. 2 und 3, 30 Abs. 1 und 31 Abs. 1 VVG finden und die dem VN Anzeigeund Auskunftspflichten auferlegen.678 Die Auswirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben zeigen sich im Versicherungswe- 202 sen vor allem unter den folgenden Aspekten:679 Schaffung von ergänzenden Leistungspflichten aufgrund des § 242 BGB: Aus dem 203 Grundsatz von Treu und Glauben lassen sich versicherungsspezifische Aufklärung- oder Informationspflichten herleiten.680 So kommt dem § 242 BGB nach der Rechtsprechung „pflichtenbegründende Funktion“681 im Bereich spezifischer Hinweis-, Belehrungs- und Informationspflichten zu. So ist der VR verpflichtet, den VN, der sich falsche Vorstellungen über die Reichweite des Versicherungsschutzes macht, über den Umfang der Versicherungspflicht sowie bestehende Risikoausschlüsse aufzuklären, wenn der VR nach den konkreten Umständen die Fehlvorstellung des VN erkennen musste.682 Durch die nunmehr in §§ 6, 7 VVG normierten Beratungs- und Informationspflichten wird man entsprechende Pflichten indes in deren Anwendungsbereich nicht mehr unmittelbar aus § 242 BGB herleiten müssen. Nichtsdestotrotz besteht unverändert Raum für ergänzende, aus § 242 BGB herzuleitende Pflichten. So fordert die Treuepflicht etwa unverzügliches und deutliches Verhalten des VR.683 Auch können sich Hinweispflichten für den VR ergeben, um dem VN die Rechtslage vor Augen zu führen. Gestaltung des Versicherungsverhältnisses durch § 242 BGB: Wie auch im Rahmen 204 sonstiger Schuldverhältnisse kann sich auch im Versicherungsvertragsrecht der Grundsatz von Treu und Glauben auf die Leistungspflichten des VR und des VN auswirken; insoweit finden sich entsprechende Entscheidungen der Rechtsprechung sowohl zugunsten wie auch zulasten von VN und VR.684 Im Schrifttum wird vertreten, dass in Anbetracht der 2008 erfolgten Reform 674 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 246. 675 Deutsch/Iversen7 Rn. 15. 676 Deutsch/Iversen7 Rn. 15; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 246; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 92; vgl. auch LG Dortmund 2.4.2015- 2 O 275/11; VersR 2016 980, 981 (juris Rn. 20). Deutsch/Iversen7 Rn. 15; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 92. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 92. Deutsch/Iversen7 Rn. 16. Deutsch/Iversen7 Rn. 16; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 93. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 93 m. w. N.; Prölss/Martin/Armbrüster30 1. Einl. Rn. 247 spricht von einem Kooperationsgebot. 682 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 92; BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61, BGHZ 40 22, 26 (juris Rn. 11); OLG Karlsruhe 18.3.1987 – 13 U 43/85, VersR 1988 486, 486; OLG Köln 21.3.1991 – 5 U 88/90, VersR 1991 1279, 1280; BGH 7.11.1973 – IV ZR 128/71, VersR 1974 121, 121 (juris Rn. 9); BGH 8.5.1967 – II ZR 17/65, BGHZ 48 7, 9 = VersR 1967 593, 594 (juris Rn. 8). 683 Deutsch/Iversen7 Rn. 16; vgl. BGH 7.10.1965 – II ZR 120/63, BGHZ 44 178, 181 ff. = NJW 1966 46, 47 (juris Rn. 11); BGH 14.10.1963 – II ZR 66/62, VersR 1963 1117, 1118 (juris Rn. 20 f.). 684 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 93 ff.; Deutsch/Iversen7 Rn. 16 jeweils m. w. N.

677 678 679 680 681

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des VVG, welche die Wahrung von Belangen der VN und VR fortgeschrieben und teilweise neu austariert hat, der Grundsatz von Treu und Glauben nicht vorschnell angewandt werden solle;685 indes erscheint eine solche pauschale Aussage diskussionswürdig, da eine Anwendung von § 242 BGB in aller Regel einzelfallabhängig ist. Der Weg zu § 242 BGB bleibt deshalb grundsätzlich eröffnet, bisherige Grundsätze haben weiterhin Geltung. Insbesondere ist § 242 BGB auch nach der Reform als unverzichtbares Kriterium dafür anzusehen, Einzelfallgerechtigkeit gewährleisten zu können.686 Eine unzulässige Rechtsausübung durch den VR ist beispielsweise bejaht worden, wenn dieser sich auf Leistungsfreiheit beruft, obwohl der VN lediglich mit einem geringen Teil der Prämie in Verzug geraten ist.687 Der Begriff der Geringfügigkeit ist dabei aber mit Blick auf § 38 Abs. 2 VVG, nach welchem Leistungsfreiheit bereits bei Verzug mit Kosten und Zinsen eintritt, eng auszulegen.688 Durch Treu und Glauben begründete Korrekturen können etwa auch zu einer Umkehr der Beweislast zulasten des VN führen.689

205 c) Handelsgesetzbuch (HGB). Wie bereits im Rahmen des Überblicks zur geschichtlichen Entwicklung erwähnt (oben Rn. 31 ff.), war ursprünglich kurzzeitig erwogen worden, das Versicherungsrecht komplett in das HGB zu integrieren. Auch wenn letztlich hiervon abgesehen wurde, ist das HGB dennoch aus mehreren Gründen als „bedeutsame Rechtsquelle des Privatversicherungsrechts“ zu qualifizieren,690 auch wenn es – wie das BGB – nur wenige versicherungsrechtliche Vorschriften enthält.691 So finden sich etwa in § 92 HGB (Regelung über den Versicherungsvertreter), §§ 341 bis 341p HGB (bilanzrechtliche Sondervorschriften für Versicherungsunternehmen) und § 363 Abs. 2 HGB (Übertragung von Transportversicherungspolicen) auch Bestimmungen, die ausdrücklich die Binnenversicherung berühren.692 206 Soweit es sich bei Versicherungsunternehmen um Handelsgesellschaften handelt (insbesondere etwa bei Aktiengesellschaften) findet das Handelsrecht über § 6 HGB ohnehin Anwendung; aber auch soweit ein VU in der Rechtsform eines VVaG organisiert ist,693 gelten jedenfalls über § 172 S. 1 VAG ausdrücklich die Vorschriften des Ersten und Vierten Buchs des HGB, soweit nicht im VAG Sondervorschriften eingreifen. Damit greift für Versicherungsunternehmen im großen Umfang generell Handelsrecht ein. 207 Auch hinsichtlich des Versicherungsvermittlerrechts ist das HGB von Bedeutung. So kann ein Versicherungsvertreter gemäß §§ 1 Abs. 1, 2 HGB Kaufmann sein mit der Folge der Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 84 ff. HGB über Handelsvertreter; auch für die lediglich gewerbsmäßig handelnden Handelsvertreter findet gemäß § 84 Abs. 4 HGB das Handelsvertreterrecht Anwendung. Handelt es sich um ein festes Angestelltenverhältnis zwischen Vertreter und VR, finden die §§ 59 ff. HGB über Handlungsgehilfen Anwendung, während bezüglich eines gewerbsmäßig handelnden Versicherungsmaklers die §§ 1 Abs. 1, 2 und 93 ff. HGB grundsätzlich gelten.694 Im Übrigen ist das HGB im Bereich der Binnenversicherung gleichsam dem BGB subsidiär 208 anwendbar, soweit keine speziellen Regelungen im VVG oder in sonstigen, das VVG ergänzenden privatversicherungsrechtlichen Sondergesetzen vorhanden sind. Zu den das VVG ergänzenden privatversicherungsrechtlichen Sondergesetzen gehört auch das VAG, dort insbesondere die Re-

685 686 687 688 689 690 691 692 693 694

Bruns § 6 Rn. 6. Bruns § 6 Rn. 6. BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 135 f. (juris Rn. 14). Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 97. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 256. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz1 § 1 Rn. 27. van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 37. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 28; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 25, 26. Zur Frage der Kaufmannseigenschaft etwa Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Kaulbach6 § 172 Rn. 1 f. Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 27.

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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gelungen über den VVaG (§§ 171–53b VAG).695 In diesem Rahmen finden folglich insbesondere die einschlägigen Vorschriften des HGB des Ersten Buches (z. B. bezüglich Kaufmanneigenschaft, Firma, Vertreter) und des Vierten Buches (über Handelsgeschäfte) Berücksichtigung.696 Für den Inhalt von Versicherungsverträgen hingegen ist das HGB grundsätzlich ohne Bedeutung.697 Weitere dem Handelsrecht zuzuordnende relevante Nebengesetze/Verordnungen sind bzw. 209 waren:698 – VO über Orderlagerscheine vom 16.12.1931 (RGBl. I 763) geändert durch Art. 7 des TransportrechtsreformG vom 25.6.1998 (BGBl. I 1588) und mit Ablauf des 30.6.1998 außer Kraft getreten: Darin fanden sich zahlreiche feuerversicherungsrechtliche Regelungen. – § 23 PfandGB i. d. F. vom 22.5.2005 (BGBl. I 1373) zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 7.3.2019 (BGBl. I 357) und §§ 32 ff. des Gesetzes über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken vom 15.11.1940 (RGBl. I. S. 1499): Diese sind insbesondere für die Transportversicherung relevant.

d) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Schrifttum Armbrüster2 § 14 Rn. 634 ff.; ders. Bedeutung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes für private Versicherungsverträge VersR 2006 1297; Bauer/Krieger/Günther Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz und Entgelttransparenzgesetz 5. Aufl. (2018); Gaier/Wendtland Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG Eine Einführung in das Zivilrecht (2006); Heitmann Große und kleine Lösungen gegen Diskriminierung VW 2006 1443; Isensee Grundrechtsschutz für Versicherungsverträge: Keine Ausweitung des Unisex-Tarifs auf den Bestand in der privaten Krankenversicherung, ZfV 2012 146; Jannott Der Grundsatz der Gleichbehandlung in der Versicherungswirtschaft, Festschrift Lorenz (1994); R. Koch Versicherung von Haftungsrisiken nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz VersR 2007 288; v. Koppenfels-Spies Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Versicherungsrecht VersR 2004 1085; Korell Diskriminierungsverbote im allgemeinen Zivilrecht? Jura 2006 1; Looschelders Aktuelle Auswirkungen des EU-Rechts auf das deutsche Versicherungsvertragsrecht unter besonderer Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Tarifierung, VersR 2011 421; Meinel/Heyn/Herms Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Kommentar (2007); Mönnich Unisex: Die EuGH-Entscheidung vom 1.3.2011 und die möglichen Folgen, VersR 2011 1092; Präve Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen VersR 2004 39; Riesenhuber/Frank Verbot der Geschlechtsdiskriminierung im Europäischen Vertragsrecht JZ 2004 529; Rühl/Schmid/Viethen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (2007); Schimmer/Schumann Das AGG bringt neues Haftungspotenzial vor allem für Arbeitgeber VW 2006 1958; Sodan „Unisex-Tarife“ – Gleichbehandlung von Männern und Frauen im privatrechtlichen Versicherungswesen ZVersWiss 2004 539; Thüsing/v. Hoff Private Versicherungen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz VersR 2007 1; Wandt Diskriminierung und Versicherung, Karlsruher Forum 2004 117; ders. Geschlechtsabhängige Tarifierung in der privaten Krankenversicherung – Gebietet die Verfassung Unisex-Tarife? VersR 2004 1341; Wrase/Baer Unterschiedliche Tarife für Männer und Frauen in der privaten Krankenversicherung – ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes? NJW 2004 1627.

Weiterhin spielt das am 18.8.2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz 210 (AGG)699 für Versicherungsverträge, die nach dem 21.12.2007 geschlossen oder geändert wurden, eine bedeutende Rolle. Ziel dieses Gesetzes ist es gemäß § 1 AGG, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“. Benachteiligungen aus einem dieser Gründe sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG unter 695 696 697 698 699 77

Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 29. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 29. Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 14. Vgl. bereits Prölss/Martin/Prölss27 Vorbem. I Rn. 11. Vom 14.8.2006 (BGBl. I 1897). Beckmann

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anderem unzulässig im Hinblick auf „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum“.700 Insbesondere die §§ 19–21 AGG über den Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr enthalten u. a. spezielle, auf Versicherungsverträge anwendbare Regelungen. Anlass für die Einführung des AGG waren vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien, von denen die Antirassismusrichtlinie701 und die sog. Gender-Richtlinie702 auch die privatrechtlichen Versicherungsverträge betreffen.703 Bedeutsame Entwicklungen der ursprünglichen auch das Versicherungsvertragsrecht betreffenden §§ 19–21 AGG wurden durch das sog. Test Achats-Urteil704 (auch Unisex-Urteil genannt) des EuGH hervorgerufen, die zur Änderungen des § 21 Abs. 2 AGG geführt haben (dazu noch Rn. 219 ff.).

211 aa) Allgemeine Gleichbehandlung im Privatversicherungsrecht (vor Inkrafttreten des AGG). Im Privatversicherungsrecht gibt es keinen ausdrücklichen gesetzlich normierten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Schon vor Inkrafttreten des AGG war die Existenz und Reichweite eines solchen Grundsatzes äußerst umstritten.705 Allein im Versicherungsaufsichtsrecht finden sich an verschiedenen Stellen Normierungen von Gleichbehandlungspflichten.706 Diese sind für die Lebensversicherung und die substitutive private Krankenversicherung in den §§ 138 Abs. 2, 146 Abs. 2 S. 1 VAG, für die Unfallversicherung in § 161 Abs. 1 VAG und für den Pensionsfonds in § 234 Abs. 1 VAG festgelegt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Regelung des § 177 Abs. 1 VAG (§ 21 Abs. 1 VAG a. F.), die den VVaG verpflichtet, alle seine Mitglieder im Hinblick auf die Mitgliederbeiträge und Vereinsleistungen gleich zu behandeln. Ob sich hieraus ein allgemeiner, rechtsformübergreifend geltender Grundsatz herleiten lässt, ist streitig.707 Eine Auffassung sieht insbesondere § 177 Abs. 1 VAG (§ 21 Abs. 1 VAG a. F.) als einen Grundgedanken, der nicht nur für den VVaG, sondern für alle Versicherungsunternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform gelten sollte.708 Begründet wurde diese Auffassung unter anderem mit dem versicherungsrechtlichen „Treuhändermodell“ bzw. mit dem Gedanken der „Gefahrengemeinschaft“; die Verallgemeinerung dieses Grundsatzes folge somit aus der Natur der Sache.709 Nach anderer Ansicht ist der Gleichbehandlungsgrundsatz im Wesen des Vereins begründet und ein gegenseitiges Einstehen der Mitglieder ist ohne Gleichbehandlung bei einem Gegenseitigkeitsverein rechtlich nicht möglich.710 § 177 VAG (§ 21 VAG a. F.) sei also als verbandsrechtliche Norm zu begreifen und der dort normierte Gleichbehandlungsgrundsatz könne nicht

700 Hervorhebung durch den Verfasser vorgenommen. 701 Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 2.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft ABl. EG Nr. L 180/2. 702 Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, einschließlich von Wohnraum ABl. EG Nr. L 373/37. 703 MüKo-BGB/Thüsing8 § 19 AGG Rn. 48; Armbrüster VersR 2006 1297. 704 EuGH 1.3.2011 – Rs C-236/09, VersR 2011, 377, 377 ff. 705 v. Koppenfels-Spies VersR 2004 1085 ff.; Prölss/Dreher/Weigel13 VAG § 177 Rn. 3 f.; zur Gleichbehandlung im Privatrecht vgl. BeckOGK-BGB/Baumgärtner, Stand: 1.3.2020, § 1 AGG Rn. 2 ff.; Grünberger Personale Gleichheit (2013) 315 ff. 706 v. Koppenfels-Spies VersR 2004 1085, Sodan3 § 47 Rn. 115 f.; Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 138 Rn. 12; Dauses/ Ludwigs/Matusche-Beckmann (2015) E. VI. Rn. 290. 707 Ablehnend Baumann/Koch § 1 Rn. 274 ff.; Armbrüster2 Rn. 345 ff.; Wandt Versicherungsrecht6 Rn. 149; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 62 ff.; bejahend Bruns § 6 Rn. 9 ff.; Präve ZfV 1994, 168; Hartwig Die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für Versicherungsaktiengesellschaften als Ausfluss verfassungsrechtlicher Grundsätze (2002); Hofmann Privatversicherungsrecht4 § 2 Rn. 14; vgl. auch Jannott FS E.Lorenz (1994) 341. 708 Vgl. Bruns Versicherungsrecht § 6 Rn. 9 ff. 709 Vgl. auch v. Koppenfels-Spies VersR 2004 1085, 1086 m. w. N. 710 Nomos-BR/Laars/Both4 VAG § 177 Rn. 1 f.; BVerwG 25.11.1986 – 1 C 54/81, BVerwGE 75 155, 164 ff. = VersR 1987 297, 299 (juris Rn. 46 ff.). Beckmann

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auch allgemein auf andere Versicherungsunternehmen mit anderer Rechtsform angewandt werden. Mit dieser Begründung wird auch die analoge Anwendung des § 21 VAG a. F. (heute § 177 VAG) auf die Versicherungs-AG abgelehnt.711 Nach anderen vermittelnden Ansichten ist zwar im Grundsatz von der Existenz eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes auszugehen; dieser gelte aber nicht automatisch, sondern es bedürfe in jedem Fall einer konkreten Rechtsgüterabwägung zwischen der die Vertragsfreiheit beschränkenden Gleichheit und der an die Stelle von Gleichheit auch das Recht zur Differenzierung setzenden Vertragsfreiheit;712 vgl. im Übrigen die Ausführungen von Baumann/Koch zu § 1 Rn. 274 ff. Unabhängig von der Frage nach einem allgemeinen privatversicherungsrechtlichen Gleich- 212 behandlungsgrundsatz werden privatrechtliche Versicherungsverträge von § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG erfasst. Verstöße gegen das hierin normierte zivilrechtliche Benachteiligungsverbot ziehen verschiedene, u. a. die in § 21 AGG genannten, Sanktionen nach sich. Unterschiedliche Behandlungen in näher bestimmten Konstellationen. Das Versiche- 213 rungsrecht gebietet in bestimmten Fällen ausdrücklich eine unterschiedliche Behandlung.713 In der Krankenversicherung beispielsweise ist nach den § 203 Abs. 1 VVG i. V. m. § 146 Abs. 1 Nr. 1 VAG bzw. § 147 VAG eine alters- und geschlechtsabhängige Tarifierung auf versicherungsmathematischer Grundlage vorgesehen. Indes gilt die Geschlechtsabhängigkeit der Tarifierung infolge des Urteils des EuGH v. 1.3.2011714 lediglich für Verträge, die vor dem 21.12.2012 geschlossen wurden; dies folgt zwar nicht unmittelbar aus § 146 Abs. 1 Nr. 1 VAG, lässt sich aber § 47 Abs. 3 der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV) entnehmen.715 In der Lebens- und Rentenversicherung ist zwar lediglich nach § 138 Abs. 1 S. 1 VAG die Prämie auf der Basis angemessener versicherungsmathematischer Annahmen festzulegen, hierzu zählen jedoch auch die vielfach verwendeten altersabhängigen Sterbetafeln.716 Das AGG selbst enthält keine ausdrückliche Regelung zum Verhältnis von § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG und diesen Fällen unterschiedlicher Behandlung im Versicherungsrecht. Die Vorschriften des VAG und des AGG sind als einfache Bundesgesetze gleichrangig zu behandeln. Zu denken ist deshalb an den „lex-posterior“-Grundsatz. Danach geht ein späteres Gesetz einem früheren Gesetz derselben Rangordnung vor und somit könnten die bisher vorgeschriebenen Ungleichbehandlungen am Verbot des § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG scheitern.717 Näher liegt es aber, dass solche gebotenen Ungleichbehandlungen die Rechtfertigungsanforderungen nach § 20 Abs. 2 S. 2 AGG erfüllen und somit weiterhin bestehen können;718 zu den Rechtfertigungsgründen gemäß § 20 Abs. 2 S. 2 AGG vgl. noch Rn. 226.

bb) Auswirkungen des AGG auf private Versicherungsverträge.719 Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 2 214 AGG besteht Schutz vor einer Benachteiligung aus den bereits in § 1 AGG genannten Gründen – 711 Vgl. v. Koppenfels-Spies VersR 2004 1085, 1086 m. w. N. 712 v. Koppenfels-Spies VersR 2004 1085, 1086 ff. unter Hinweis auf Scholz ZVersWiss 1984 1, 20; Isensee ZfV 2012 146, 147.

713 Rust/Falke/Rödl AGG (2007) § 19 Rn. 46. 714 EuGH 1.3.2011 – Rs C-236/09, VersR 2011, 377, 377 ff.; dazu noch Rn. 219 ff. 715 Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 146 Rn. 10; kritisch zur Beibehaltung des unveränderten Wortlauts der Vorgängerregelung (§ 12 Abs. 1 VAG a. F.) auch Hoffmann VersR 2012 1073, 1074. Vgl. auch Boetius/Rogler/Schäfer/Boetius § 29 Rn. 103, 122; Langheid/Wandt/Boetius2 § 203 Rn. 149, wonach zwischen Kalkulations- und Vertragsebene zu unterscheiden sei. Das Geschlecht dürfe auf Vertragsebene nicht zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führen; auf der Kalkulationsebene dürfe das Geschlecht berücksichtigt werden. In diesem Sinne auch Rolf/Binz VersR 2011 714, 717. 716 MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 63; Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 146 Rn. 12; Wandt Karlsruher Forum 2004 117, 128. 717 Rust/Falke/Rödl AGG (2007) § 19 Rn. 46. 718 Rust/Falke/Rödl AGG (2007) § 19 Rn. 46; vgl. auch MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 63 f. 719 Hierzu Thüsing/Hoff VersR 2007 1 ff.; Armbrüster VersR 2006 1297; Letzterer insbesondere auch zu der Frage, ob sich aus § 21 AGG ein Anspruch auf Abschluss des verweigerten Vertrages herleiten lässt. 79

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namentlich aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (lediglich die Weltanschauung wird im Rahmen von § 19 Abs. 1 AGG nicht genannt)720 auch bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben. Grundsätzlich können Versicherungsgeschäfte zwar strukturell auch bereits Massengeschäfte i. S. d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG sein, wenn bei dem angebotenen Versicherungsschutz üblicherweise darauf verzichtet wird, die von § 1 AGG erfassten Risikoindikatoren zu ermitteln; dies gilt etwa für die Reisegepäck- oder Auslandsreisekrankenversicherung.721 In diesem Fall jedoch geht § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG als lex specialis vor.722 Der Hintergrund der ausdrücklichen Einbeziehung aller Privatversicherungsgeschäfte gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG liegt nach der Gesetzesbegründung darin, dass in diesem Bereich auch bei individueller Risikoprüfung ein Bedürfnis bestehe, sozial nicht zu rechtfertigende Unterscheidungen zu unterbinden: „Versicherungen decken häufig elementare Lebensrisiken ab; deshalb kann der verweigerte Vertragsschluss für den Benachteiligten schwerwiegende Auswirkungen haben“.723 Die Einbeziehung aller Privatversicherungsgeschäfte soll dem Schutz vor Willkür dienen.724 Adressaten für dieses Benachteiligungsverbot sind Versicherungsunternehmen. Das AGG ist zudem nur auf privatrechtliche Versicherungsverhältnisse anwendbar, Sozialversicherungsverhältnisse werden nicht erfasst.725 § 20 AGG enthält Rechtfertigungsgründe für gemäß § 19 Abs. 1 AGG grundsätzlich unzu215 lässige Benachteiligungen bei der Begründung, Durchführung und Beendigung eines zivilrechtlichen Schuldverhältnisses. Speziell für Privatversicherungsverträge finden sich in § 20 Abs. 2 S. 2 AGG besondere Rechtfertigungsgründe für unterschiedliche Behandlungen im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG (dazu Rn. 226). § 19 Abs. 2 AGG beinhaltet ein besonderes Verbot von Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse“726 und wegen der „ethnischen Herkunft“. Das Verbot stellt die Vorgaben insbesondere von Art. 1 und 2 der Antirassismus-Richtlinie727 sicher.728 Gemäß § 19 Abs. 2 AGG ist eine Benachteiligung aus Gründen der „Rasse“ oder wegen der „ethnischen Herkunft“ auch bei Versicherungen unzulässig. Für entsprechende Ungleichbehandlungen sind keine Rechtfertigungsgründe vorgesehen, so dass es sich um ein absolutes Benachteiligungsverbot handelt.729 Dieses Verbot bezieht sich ausweislich seines Wortlauts auf alle Schuldverhältnisse i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 5–8 AGG und zwar unabhängig von der Einordnung als Massengeschäft, massengeschäftsähnliches Schuldverhältnis oder Versicherungsverhältnis i. S. d. § 19 Abs. 1 AGG.730 Die grundsätzlich auf Rasse und ethnische Herkunft anwendbaren Bereichsausnahmen in § 19 Abs. 3–5 AGG finden keine Anwendung, da Versicherungsverträge

720 Dazu BeckOGK-AGG/Mörsdorf (15.2.2020) § 19 AGG Rn. 18. 721 BTDrucks. 16/1780 S. 42. 722 Dauses/Ludwigs/Matusche-Beckmann (2015) E. VI. Rn. 293; MüKo-BGB/Thüsing8 AGG § 19 Rn. 47; Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1 ff.; Rühl/Schmid/Viethen AGG (2007) Kap. IV cc) S. 128; Gaier/Wendtland Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG Eine Einführung in das Zivilrecht 2006 Rn. 25; vgl. amtl. Begründung BR-Drucks. 329/06 S. 45; Meinel/Heyn/Herms AGG (2007) § 19 Rn. 19; kritisch zur Spezialregelung des § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG Armbrüster VersR 2006 1297, 1298. 723 BTDrucks. 16/1780 S. 42. 724 BeckOGK-AGG/Mörsdorf (15.2.2020) § 19 AGG Rn. 45; Gaier/Wendtland (a. a. O.) Rn. 120. 725 Däubler/Bertzbach/Klose/Braunroth4 AGG § 19 Rn. 41; Rühl/Schmid/Viethen Kap. IV cc) S. 128. 726 Der umstrittene Begriff wird in der Antirassismus-Richtlinie mit der Begründung verwendet, der Schutz vor rassistisch motivierter Diskriminierung stehe im Raum; vgl. Armbrüster2 Rn. 654. 727 Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 2.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft ABl. EG Nr. L 180/22. 728 Däubler/Bertzbach/Klose/Braunroth4 AGG § 19 Rn. 45; Rühl/Schmid/Viethen AGG (2007) Kap. IV cc) S. 129; Dauses/Ludwigs/Matusche-Beckmann (2015) E. VI. Rn. 296. 729 Armbrüster2 Rn. 652; MüKo-BGB/Thüsing8 § 19 AGG Rn. 54. 730 BeckOGK-AGG/Mörsdorf (15.2.2020) § 19 AGG Rn. 46 m. w. N. Beckmann

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weder die Vermietung von Wohnraum, noch familien- oder erbrechtliche Schuldverhältnisse, noch besondere Nähe- oder Vertrauensverhältnisse beinhalten.731 Ein entsprechendes Verbot bestand im Privatversicherungsrecht schon bereits vor Schaf- 216 fung des AGG, das der Gesetzgeber bei Schaffung des § 81e VAG a. F. im Jahre 1994 normiert hatte. Danach sind als Missstand i. S. d. § 298 Abs. 1 VAG auch Tarifbestimmungen und Prämienkalkulationen anzusehen, die auf die Staatsangehörigkeit des VN oder Versicherten oder auf deren Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe abstellen.732 Auf den ersten Blick war § 81e VAG a. F. enger gefasst, weil dieser sich auf Tarifbestimmungen und Prämienkalkulationen bezog, während sich § 19 Abs. 3 AGG auf Benachteiligungen bei der Begründung, Durchführung und Beendigung eines zivilrechtlichen Schuldverhältnisses bezieht; indes ließ sich bereits über § 81 Abs. 2 VAG a. F. ein allgemeines Verbot der Diskriminierung von Ausländern und Angehörigen ethnischer Gruppen entnehmen.733 Andererseits war das Verbot weiter gefasst, da es auch die Zugehörigkeit zu einer Staatsangehörigkeit734 erfasste; indes kann sich eine nach der Staatsangehörigkeit vorgenommene Ungleichbehandlung auch als Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft erweisen.735 Gemäß § 81e VAG a. F. waren beispielsweise bereits sog. „Ausländertarife“ verboten, so dass das AGG in diesem Bereich bis auf die dem Versicherten nun zur Verfügung stehenden Sanktionen des § 21 AGG kaum Änderungen mit sich bringt.736 § 81e VAG a. F. wurde im Rahmen des SEPA-Begleitgesetzes737 mit Wirkung zum 9.4.2013 aufgehoben, da diese Vorschrift durch den später erlassenen § 19 AGG obsolet geworden ist.738 Als unmittelbare unzulässige Diskriminierung sind beispielsweise einzuordnen:739 Die He- 217 ranziehung von Rasse oder ethnischer Herkunft als „nachweisbare höhere Gefahr“ i. S. d. § 5 Abs. 3 S. 1, 2. Hs. PflVG; Verweigerung oder Verzögerung der vorläufigen Deckung auf Grund von Rasse und ethnischer Herkunft; Ausschöpfung der Zweiwochenfrist gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 PflVG nur wegen Vorliegen dieser Merkmale; geringere Vermittlungsprovisionen bei Vertragsabschlüssen mit Ausländern.740 Wie sich auch aus § 3 Abs. 2 AGG und Art. 2 Abs. 1 der AnitrassismusRichtlinie ergibt, erfasst das Verbot auch mittelbare Diskriminierungen;741 gemäß Art. 2 Abs. 2 b) der Richtlinie liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich (vgl. allgemein § 4 Abs. 2 AGG). Als mittelbare Diskriminierung ist es z. B. unzulässig, Kraftfahrzeuge mit ausländischen Kennzeichen vom Versicherungsschutz auszuschließen oder durch andere sachliche oder örtliche Beschränkungen des Anwendungsbereichs von Annahmerichtlinien mittelbar Personen wegen ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft eine prozentual wesentlich stärkere Belastung aufzuerlegen.742 (2) Gerade für die Versicherungswirtschaft hat das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot 218 große praktische Bedeutung. Hier ist man angewiesen auf die Unterscheidung von RisikoklasMüKo-BGB/Thüsing8 § 19 AGG Rn. 54. Zur kritischen Betrachtung des § 81e VAG vgl. Prölss/Kollhosser VAG § 81e Rn. 5. Vgl. BAV Rundschreiben 6/95 v. 12.10.1985, VerBAV 1995 372, 373. Gemäß Erwägungsgrund 13 S. 2 betrifft das Diskriminierungsverbot der Antirassismus-Richtlinie keine Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit; vgl. auch Armbrüster2 Rn. 654. 735 Armbrüster2 Rn. 654. 736 MüKo-BGB/Thüsing8 § 19 AGG Rn. 56; Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 2; Armbrüster VersR 2006 1297, 1298; HKErnst/Rogler/Mertens Berufsunfähigkeitsversicherung (2018) BUV § 6 Rn. 233, Dauses/Ludwigs/Matusche-Beckmann (2015) E. VI. Rn. 301. 737 SEPA-Begleitgesetz v. 3.4.2013, BGBl. I 610. 738 BTDrucks. 17/11395 S. 19; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 300; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 64). 739 Beispiele nach MüKo-BGB/Thüsing8 § 19 AGG Rn. 56. 740 Vgl. zu diesen und weiteren Beispielen BAV Rundschreiben 6/95 v. 12.10.1985, VerBAV 1995 372 f. 741 Dauses/Ludwigs/Matusche-Beckmann (2015) E. VI. Rn. 295. 742 MüKo-BGB/Thüsing8 § 19 AGG Rn. 57.

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sen, die früher auch unter Zuhilfenahme von nunmehr unzulässigen Merkmalen eingegrenzt wurden. Eine solche Differenzierung gehört „zu den Grundprinzipien der privatrechtlichen Versicherung“,743 so dass der umfassenden Ausdehnung des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbotes auf privatrechtliche Versicherungsverträge auch Kritik entgegengebracht worden ist.744 Von den Kritikern ist eingewandt worden, dass der Eingriff in die Vertrags- und Berufsfreiheit der VU schwerer wiege als bei Massengeschäften i. S. d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG, da deren Möglichkeiten zur selbstbestimmten Risikoabwägung gesetzlich eingeschränkt würden.745 Zudem ist angezweifelt worden, warum der Gesetzgeber aus der Vielzahl schuldrechtlicher Vertragstypen ausgerechnet den privaten Versicherungsvertrag herausgegriffen hat, obschon auch bei Bankgeschäften wie Darlehensgeschäften und Kapitalanlagen individuelle Risikoprüfungen stattfinden.746 Andererseits muss die Tatsache Beachtung finden, dass die europarechtlichen Vorgaben der Antirassismus- sowie der Gender-Richtlinie keine Bereichsausnahme vorsehen, so dass die schützenswerten Interessen der VR erst auf der Ebene der Rechtfertigung durch eine teleologische Auslegung des § 20 Abs. 2 S. 2 AGG zu berücksichtigen sind.747 Aus diesem Grund wurden in § 20 Abs. 2 S. 2 AGG im Rahmen eines abgestuften Systems von Rechtfertigungsgründen748 Regelungen aufgenommen, die eine unterschiedliche Behandlung in verschiedenen Fällen gestatten. Konsequenz dieser Rechtfertigungsmöglichkeit einer von § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG erfassten Ungleichbehandlung ist eine gesteigerte Darlegungs- und Beweislast der VR.749 (3) § 20 Abs. 2 S. 1 AGG a. F. sah es darüber hinaus als zulässig an, dass eine Ungleichbe219 handlung wegen des Geschlechts bei Prämien und Leistungen vorgenommen wird, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts „bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist“. Durch diese Regelung wurde Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Genderrichtlinie750 im Bereich des Versicherungsrechts umgesetzt.751 Lediglich diejenigen Kosten, welche im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft (ent-)stehen, sind gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 AGG (§ 20 Abs. 2 S. 2 AGG a. F.) von diesem Rechtfertigungsvorbehalt ausgenommen. Die von § 20 Abs. 2 S. 1 AGG a. F. vorgesehene Rechtfertigungsmöglichkeit einer auf dem Geschlecht beruhenden Ungleichbehandlung ist mit Wirkung zum 21.12.2012 ersatzlos entfallen. Der Gesetzgeber hat hiermit auf das sog. Test Achats-Urteil (auch Unisex-Urteil genannt) des EuGH752 reagiert, durch welches Art. 5 Abs. 2 der Genderrichtlinie für europarechtswidrig und damit für ungültig erklärt wurde; Art. 5 Abs. 2 der Genderrichtlinie gestatte es den Mitgliedstaaten, proportionale Unterschiede bei den Prämien und Leistungen dann zuzulassen, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. 220 Der EuGH begründete die Ungültigkeit von Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie damit, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen ein grundlegendes Prinzip der Europäischen Union 743 Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 3; BTDrucks. 16/1780 S. 45; Rühl/Schmid/Viethen AGG (2007) Kap. IV S. 143. 744 Bauer/Krieger/Günther AGG5 § 19 Rn. 11; Meinel/Heyn/Herms AGG (2007) § 19 Rn. 21. 745 Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 2; MüKo-BGB/Thüsing8 § 19 AGG Rn. 56, der aber zu Recht darauf hinweist, dass auf der anderen Seite auch der Schutz des Benachteiligten besonderes Gewicht habe, da er häufig auf Versicherungsschutz zur Absicherung verschiedener elementarer Risiken geradezu angewiesen sei und durch eine Ablehnung des Vertragsschlusses unzumutbar belastet würde. 746 Bauer/Krieger/Günther5 § 19 AGG Rn. 11; Meinel/Heyn/Herms AGG (2007) § 19 Rn. 21; eingehend dazu Armbrüster VersR 2006 1297, 1297 f. 747 Meinel/Heyn/Herms AGG (2007) § 19 Rn. 21; Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 2. 748 Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 4. 749 BTDrucks. 16/170 S. 45. 750 Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, einschließlich von Wohnraum ABl. EG Nr. L 373/37. 751 Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 4; BTDrucks. 16/1780 S. 45. 752 EuGH 1.3.2011 – Rs C-236/09, VersR 2011 377 ff. Beckmann

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sei; insbesondere verböten Art. 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes. Sinn und Zweck der Gender-Richtlinie sei es daher u. a. gewesen, Unterschiede bei den (Versicherungs-)Prämien und Leistungen, die sich aus der Berücksichtigung des Faktors Geschlecht ergeben, abzuschaffen. Die in Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie gewährte mögliche unbefristete Ausnahme hiervon stehe dem Ziel der Geschlechtergleichbehandlung entgegen und sei mithin nicht dauerhaft hinnehmbar.753 Vor diesem Hintergrund wurde Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie mit Wirkung vom 21.12.2012 für ungültig erklärt.754 Das Urteil selbst, ebenso wie dessen denkbar knappe Begründung, stießen vermehrt auf Kritik.755 So wurde bemängelt, dass es sich bei der Entscheidung nicht um eine durch den Gleichheitssatz legitimierte juristische Entscheidung handele, sondern um eine rein gesellschaftspolitische Wertung. Diese sei jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten.756 Ferner wurde eine fehlende Abwägung konkurrierender Grundrechte durch den EuGH kritisiert757 und der Umstand, dass die Art. 21, 23 der EU-Charta kein absolutes Diskriminierungsverbot enthielten.758 Aufgrund der lediglich kurzen Urteilsbegründung hat die EU-Kommission am 22.12.2011 221 Leitlinien759 erlassen, welche als Auslegungshilfe dienen sollen, um den Mitgliedstaaten die Anpassung ihrer Gesetzgebung an das Urteil zu erleichtern. Sie sind jedoch rechtlich nicht bindend. Rechtlich verbindlich sind Leitlinien nur für das erlassende Organ bei der Ausübung seines Ermessens; die Richtlinien können eine Selbstbindung der Kommission begründen.760 Auch VR sind durch diese Leitlinien nicht gebunden.761 VR wird dennoch kein Fehlverhalten vorgeworfen werden können, sollten sie sich an den Leitlinien orientiert haben.762 Uneinheitlich beantwortet wird zuweilen der zeitliche Anwendungsbereich des Test 222 Achats-Urteils. Zunächst ist die Anwendbarkeit dieses Urteils auf solche Versicherungsverträge, welche vor dem 22.12.2007 oder ab dem 21.12.2012 geschlossen wurden fraglich. Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Gender-Richtlinie gilt diese nur für nach dem 21.12.2007 geschlossene Verträge. Diese Regelung bleibt von dem Test Achats-Urteil unberührt. Bei allen Verträgen, welche ab dem 21.12.2012 geschlossen wurden, ist das Urteil dagegen ausnahmslos zu berücksichtigen.763 Unterschiedlich wird die Frage beantwortet, ob die Entscheidung auch solche Verträge betrifft, welche zwischen dem 22.12.2017 und dem 21.12.2012 geschlossen wurden.764 Vereinzelt wird insoweit vorgebracht, dass das Urteil rückwirkend für alle ab dem 22.7.2007 geschlossenen Verträge gelten solle.765 Begründet wird dies damit, dass Urteilen des EuGH, welche die Wirksamkeit einer Unionsvorschrift betreffen, grundsätzlich Rückwirkung zukäme.766 Überwiegend wird jedoch zu Recht vertreten, dass eine Rückwirkung vom EuGH nicht intendiert gewesen sei und 753 EuGH 1.3.2011 – Rs C-236/09, VersR 2011 377, 380 (Rn. 32); vgl. auch MüKo-BGB/Thüsing8 § 19 AGG Rn. 48. 754 EuGH 1.3.2011 – Rs C-236/09, VersR 2011 377, 380 (Rn. 34). 755 Brand VersR 2011 1337,1339, Looschelders VersR 2011 421; Lüttringhaus EuZW 2011 296; 2011 1092 m. w. N. auch zur Gegenansicht. 756 Prölss/Martin/Armbrüster 30 1. Einl. Rn. 302. 757 Brand VersR 2011 1337, 1339; Lüttringhaus EuZW 2011 296, 298. 758 Brand VersR 2011 1337,1339; kritisch auch Rapp S. 202; i. E. zustimmend Rolfs/Binz VersR 2011 714, 716. 759 Leitlinien zur Anwendung der Richtlinie 2004/113/EG des Rates auf das Versicherungswesen im Anschluss an das Urteil des EuGH 1.3.2011 – Rs C-236/09, K(2011) 9497 endgültig; zur rechtlichen Einordnung und Wirkung dieser Leitlinien Pohlmann Gedächtnisschrift U. Hübner (2012) 209 ff. 760 Pohlmann Gedächtnisschrift U. Hübner (2012) 209, 215. 761 Pohlmann Gedächtnisschrift U. Hübner (2012) 209, 215. 762 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 303. 763 Vgl. EuGH 1.3.2011 – Rs C-236/09, VersR 2011, 377, 380 (Rn. 34). 764 Beyer/Britz VersR 2013 1219, 1219. 765 Purnhagen NJW 2013 113, 115; vgl. auch die Forderung der Generalanwältin, dass alle bestehenden Verträge, (offenbar) unabhängig davon, wann sie abgeschlossen worden sind, nach einer Übergangsfrist angepasst werden müssten; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.9.2010 in der Rechtssache C-236/09, VersR 2010 1571, 1578 (Rn. 81 f.); vgl. auch Mönnich VersR 2011 1092, 1097. 766 Beyer/Britz VersR 2013, 1219, 1219. 83

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das Urteil keinerlei Auswirkungen auf Altverträge, welche in der Zeit zwischen dem 22.12.2007 und dem 21.12.2012 geschlossen wurden, habe.767 Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass die Rückwirkung zwar nicht explizit ausgeschlossen wurde, die Regelung aber erst mit Wirkung vom 21.12.2012 für unwirksam erklärt wurde.768 Diese Ansicht vertritt auch die Europäische Kommission innerhalb der erlassenen Leitlinien. Auch der deutsche Gesetzgeber hat sich durch Einfügung der Übergangsbestimmung des § 33 Abs. 5 S. 1 AGG dieser Auffassung angeschlossen (zur zeitlichen Anwendbarkeit des AGG vgl. noch Rn. 231). 223 Noch nicht geklärt ist indes die Frage, ob unterschiedliche Krankenversicherungstarife mit Geschlechterdifferenzierung in Altverträgen vor Art. 3 Abs. 2 GG Bestand haben. Diese Frage hat der BGH offen gelassen769 und wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt.770 Diese bisher offene Frage könnte infolge der Entscheidung des BVerfG v. 6.11.2019 („Recht auf Vergessen II“)771 in anderem Licht erscheinen. Danach sind bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig vereinheitlichter Regelungen grundsätzlich nicht die deutschen Grundrechte, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich.772 Da sich der EuGH in der Test Achats-Entscheidung insbesondere auf Art. 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufen hat, ließe sich erwägen, dass Altverträge auch bei Prüfung durch das BVerfG an Art. 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu messen sind. Indes hat der EuGH insbesondere die unbefristete Aufrechterhaltung unterschiedlicher Tarife als Ausnahme von der Regel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen moniert.773 Dies spricht dafür, dass sich – unabhängig von der Frage, ob es sich um unionsrechtlich vollständig vereinheitlichte Regelungen handelt – jedenfalls unter Zugrundelegung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union keine Unzulässigkeit unterschiedlicher Tarife zwischen Männern und Frauen in Altverträgen ergibt. 224 Waren bis dato also in einigen Versicherungszweigen, namentlich der privaten Krankenund Rentenversicherung, sowie der Kfz-Haftpflichtversicherung, geschlechterspezifische Ungleichbehandlungen gängig und teilweise sogar (aufsichtsrechtlich) vorgeschrieben,774 sind seit dem 21.12.2012 nur noch Versicherungsverträge mit identischen Prämien und Leistungen (sog. Unisex-Tarife) für Männer und Frauen zulässig. Das Geschlecht darf bei der Bildung von Risikokollektiven nicht als Faktor herangezogen werden.775 Wie sich auch aus Nr. 14 Leitlinien der Kommission zur Anwendung der Richtlinie 2004/113/EG des Rates auf das Versicherungswesen im Anschluss an das Urteil des EuGH 1.3.2011776 ergibt, sind also Praktiken unzulässig, bei denen die Verwendung des Faktors Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leistungen zu individuellen Unterschieden in den Prämien und Leistungen führt.777 Danach sollen indes bestimmte geschlechtsspezifische Versicherungspraktiken weiterhin erlaubt sein. Nach Nr. 14 der genannten Leitlinien ist die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Risikobewertung nicht generell verboten. Ein solches Vorgehen sei erlaubt, wenn es um die Berechnung von Prämien und Leistungen in ihrer Gesamtheit geht, solange dies nicht zu individuellen Unterschieden führt. Hieraus wird insbesondere geschlossen, dass zwischen Kalkulations- und Vertragsebene zu unterscheiden sei. Das Geschlecht dürfe auf Vertragsebene nicht zu unterschiedlichen Prämi767 So etwa: Beyer/Britz VersR 2013 1219, 1220; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 304; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 68; Langheid/Wandt/Boetius2 § 203 Rn. 186. Ballmaier/Häußler EWS 2011 280 (284). BGH 9.5.2012 – IV ZR 1/11, VersR 2012 980, 981 (Rn. 10). Ablehnend Armbrüster 2 Rn. 646; Wrase/Baer NJW 2004 1623, 1623 ff.; a. A. Wandt VersR 2004 1341, 1343 ff. BVerfG 6.11.2019 – 1 BvR 276/17, NJW 2020 314. BVerfG 6.11.2019 – 1 BvR 276/17, NJW 2020 314, 316 f. (Rn. 42 ff.); kritisch etwa Muckel JA 2020 237, 239; befürwortend Kühling NJW 2020 275, 277 f.; wohl auch befürwortend Klass ZUM 2020 265, 273 ff. 773 EuGH 1.3.2011 – Rs C-236/09, VersR 2011, 377 ff. (Rn. 32). 774 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 301; vgl. § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VAG a. F. 775 Lüttringhaus EuZW 2011 296, 299. 776 Oben Fn. 759. 777 Zu mittelbaren Diskriminierungen bei Unisex-Tarifen Hoffmann ZVersWiss 2016 95 ff.

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en und Leistungen führen; auf der Kalkulationsebene dürfe das Geschlecht berücksichtigt werden.778 Des Weiteren wirkt sich das Verbot nicht auf die individuelle Risikoprüfung bei Vertragsschluss aus. Keine geschlechtsbezogene Diskriminierung soll danach gegeben sein, wenn der VR an andere konkrete beim jeweiligen VN vorliegende Merkmale anknüpft, auch dann, wenn solche Merkmale (etwa bestimmte Vorerkrankungen) überwiegend oder ausschließlich bei einem der Geschlechter vorkommen.779 (4) Allerdings dürfen nach § 20 Abs. 2 S. 1 AGG, der Art. 5 Abs. 3 der Gender-Richtlinie 225 umsetzt,780 Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft keinesfalls zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Die Vorschrift verkörpert ein sozialpolitisch motiviertes absolutes Benachteiligungsverbot.781 Angesichts der mit der Streichung von § 20 Abs. 2 S. 1 AGG a. F. verbundenen Intention, das Test Achats-Urteil umzusetzen (oben Rn. 219), hat § 20 Abs. 2 S. 1 AGG seine wesentliche Funktion verloren. Dennoch kommt der Regelung Klarstellungsfunktion dahingehend zu, dass für die Differenzierung nach den Kosten für Schwangerschaft und Mutterschaft auch auf Grundlage der allgemeinen Rechtfertigungstatbestände kein Raum ist.782 Der gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 AGG erforderliche Zusammenhang zwischen Schwangerschaft bzw. Mutterschaft ist gegeben, wenn diese im Sinne einer conditio sine qua non zumindest mitursächlich für die Entstehung der Kosten oder deren Höhe geworden ist.783 Wenn ein VR die angebliche Nichtangabe von eingetretenen Schwangerschaftskomplikationen zum Anlass für einen Rücktritt vom Versicherungsvertrag genommen hat, liegt im Übrigen ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach § 19 Abs. 1 AGG vor.784 Nach einer Entscheidung des AG Hannover soll wiederum kein Verstoß gegen das AGG vorliegen, wenn der VR einen Antrag auf (Zusatz-)Leistungen nur unter Ausschluss der Heilbehandlungskosten annimmt, die durch die bestehende Schwangerschaft der Antragstellerin und die anschließende Entbindung entstehen.785 Im Schrifttum wird des Weiteren vertreten, dass der Begriff Mutterschaft einer engeren Auslegung bedürfe; vom Versicherungsschutz umfasst sei lediglich die biologisch begründete Schwäche der Mutter nach der Geburt.786 (5) Nach § 20 Abs. 2 S. 2 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, 226 einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität nur gestattet, „wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen“. Im Hinblick auf den Rechtfertigungsgrund gemäß § 20 Abs. 2 S. 2 AGG unterliegt der deutsche Gesetzgeber keinen unionsrechtlichen Vorgaben.787 Zur absoluten Unzulässigkeit der Benachteiligung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft vgl. bereits oben Rn. 215. Die Gesetzesbegründung beschreibt den unbestimmten Rechtsbegriff „anerkannte Prinzipi- 227 en risikoadäquater Kalkulation“ „als eine Zusammenfassung der Grundsätze (…), die von Versicherungsmathematikern bei der Berechnung von Prämien und Deckungsrückstellungen anzuwenden sind.“788 Im Hinblick auf die gesetzlichen Grundlagen verweist die Begründung beispielhaft auf § 11 VAG a. F. (entspricht heute § 138 VAG) und § 65 VAG a. F. (entspricht heute § 88 Abs. 3 VAG) sowie aufgrund dieser Vorschrift erlassene Rechtverordnungen und auf § 341f 778 Boetius/Rogler/Schäfer/Boetius § 29 Rn. 103, 122; Langheid/Wandt/Boetius2 § 203 Rn. 149; Rolf/Binz VersR 2011 714, 717. Armbrüster2 Rn. 647. Looschelders VersR 2011 421, 429. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 305; Isensee ZfV 2012 146. MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 58. OLG Hamm 12.1.2011 – 20 U 102/10, VersR 2011 514, 515 (juris Rn. 29). OLG Hamm 12.1.2011 – 20 U 102/10, VersR 2011 514, 515 (juris Rn. 26). AG Hannover 26.8.2008 – 534 C 5012/08 VersR 2009 348 f.; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 307; a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski4 Einl. Rn. 57. 786 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 308. 787 MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 59; BeckOGK-AGG/Mörsdorf (15.2.2020) § 20 AGG Rn. 58. 788 BTDrucks. 16/1780 S. 45.

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HGB für die Lebensversicherung. Weiter heißt es: „Es sind bestimmte Rechnungsgrundlagen, mathematische Formeln und kalkulatorische Herleitungen zu verwenden, wobei hierbei, falls vorhanden oder bei vertretbarem Aufwand erstellbar, auch statistische Grundlagen (z. B. Sterbetafeln) heranzuziehen sind. Ferner muss auf anerkannte medizinische Erfahrungswerte und Einschätzungstabellen der Rückversicherer zurückgegriffen werden.“789 Diese Beschreibung der anerkannten Prinzipien zeigt, dass es insoweit kein formelles Anerkennungsverfahren gibt. Nach Auffassung des OLG Karlsruhe ist eine Entscheidung eines VR regelmäßig dann gerechtfertigt, wenn hierfür nachvollziehbare und vernünftige Gründe ausschlaggebend waren, die sich in dem vom Gesetz konkretisierten Rahmen halten. Erforderlich sei, dass die vom VR herangezogenen Risikomerkmale mit dem Schaden bzw. dem versicherten Risiko korrelieren. Soweit der gesetzliche Rahmen – wie etwa bei der Bezugnahme auf Prinzipien risikoadäquater Kalkulation – einen Beurteilungsspielraum lasse, sei ein VR grundsätzlich nicht gehindert, diesen Beurteilungsspielraum bei seiner Risikokalkulation zu nutzen, sofern dies in stets gleicher Weise geschieht.790 Liegen unterschiedliche wissenschaftliche Erkenntnisse zur Risikoerheblichkeit einer Erkrankung vor, kommt es auf die Entscheidung des VR an, ob und welche allgemein vertretene Risikobewertung er seiner Vertragsentscheidung zugrunde legt.791 Jedenfalls liegt eine entscheidende Wirkung von § 20 Abs. 2 S. 2 AGG darin, dass den VR eine gesteigerte Darlegungsund Beweislast für die Risikoadäquanz der zu Grunde liegenden Kalkulationen trifft.792 Die einzelnen heranzuziehenden Differenzierungskriterien sind abhängig vom Versiche228 rungstyp. Gerade altersbedingte Differenzierungen sind in den Bereichen der Personenversicherungen regelmäßig naheliegend.793 Dass hier eine Differenzierung nach Alter auch regelmäßig risikoadäquat ist, wird für die Krankenversicherung bereits durch die gesetzliche Wertung des § 146 Abs. 1 Nr. 1 VAG und § 147 VAG deutlich, wonach eine solche ausdrücklich vorgeschrieben ist.794 So verweist auch die Gesetzesbegründung auf § 11 VAG a. F. (entspricht heute § 138 Abs. 1 S. 1 VAG),795 in dessen Rahmen ebenfalls regelmäßig das Alter bei der Berechnung einbezogen wird..796 Gleichwohl ist auch in Bezug auf das Alter erforderlich, dass ggf. nachvollziehbare Berechnungen, Herleitungen und Grundlagen im Streitfall nachgewiesen werden.797 Im Schrifttum wird es für zulässig erachtetet, dass Tarife in ihren Bedingungen ein Aufnahmehöchstalter vorsehen, bis zu dem Personen in den Tarif aufgenommen werden dürfen.798 Dies setzt indes voraus, dass ein Ausschluss bestimmter Altersgruppen von bestimmten Krankenversicherungstarifen durch Grundsätze risikoadäquater Kalkulation gerechtfertigt ist.799 229 Das Unterscheidungsmerkmal einer Behinderung kann insbesondere bei der Prämienkalkulation von privaten Krankenversicherungen im Rahmen der sog. Vorerkrankungen Bedeutung erlangen.800 Es darf allerdings keine generelle Gleichsetzung von Behinderung und Krankheit erfolgen.801 Der Definition einer Behinderung im Sinne des AGG ist ausweislich der Gesetzesbe-

789 BTDrucks. 16/1780 S. 45. 790 OLG Karlsruhe 27.5.2010 – 9 U 156/09, VersR 2010 1163, 1166 (juris Rn. 51); BeckOGK-AGG/Mörsdorf (15.2.2020) § 20 AGG Rn. 61. OLG Saarbrücken 9.9.2009 – 5 U 26/09, VersR 2009 1522, 1525 (juris Rn. 70). BTDrucks. 16/1780 S. 45; OLG Saarbrücken 9.9.2009 – 5 U 26/09, VersR 2009 1522, 1525 (juris Rn. 70). MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 63; Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 7 („unverzichtbar“). MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 63; Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 7. BTDrucks. 16/1780 S. 45. Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 138 Rn. 6; auch vor Einführung des AGG vgl. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 7. MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 63. Boetius/Rogler/Schäfer/Boetius § 26 Rn. 90; Bach/Moser/Hütt5 § 2 MB/KK Rn. 26; a. A. Sommer ZfV 1998 68, 71; Altershöchstgrenze als „problematisch“ einstufend Staudinger/Serr (2018) § 20 AGG Rn. 61. 799 MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 64. 800 Staudinger/Serr (2018) § 20 AGG Rn. 56; MünchKomm/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 65; Wandt in Karlsruher Forum 2004 122; MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 69; Staudinger/Serr (2018) § 20 AGG Rn. 59. 801 Dauses/Ludwigs/Matusche-Beckmann (2015) E. VI. Rn. 316.

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gründung802 § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX und § 3 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG) zugrunde zu legen.803 Nach der seit 1.1.2018 geltenden Fassung von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderung Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.804 Relevant ist insbesondere in der Krankenversicherung die Abgrenzung Behinderung und Vorerkrankungen, da im Hinblick auf Behinderungen § 20 Abs. 2 S. 2 AGG eingreift, was bei der Risikobewertung sonstiger Vorerkrankungen nicht der Fall ist;805 eine Antragsablehnung wegen Vorerkrankung ist deshalb nicht als eine Benachteiligung wegen Behinderung angesehen worden.806 Gleichwohl wird im Schrifttum zu Recht vertreten, dass – zur Erreichung von Rechtssicherheit – letztlich über zahlreiche Krankheiten detaillierte Statistiken geführt und Berechnungen angestellt werden; für den Fall, dass bei Personen die „Krankheit zur Behinderung wird“, kann der VR auf diese Weise ggf. die Berücksichtigung der anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation gemäß § 20 Abs. 2 S. 2 AGG nachweisen.807 Im Übrigen hat der BGH festgestellt, auch unter der Geltung des AGG obliege es weiterhin der Prüfung des VR, wie er eine Behinderung des VN bei Abschluss einer Personenversicherung mit Blick auf das Risiko bewertet. Ihm blieben verschiedene Möglichkeiten der Vertragsgestaltung. Insbesondere dürfe er im Rahmen des § 20 Abs. 2 S. 3 AGG a. F. (heute Abs. 2 S. 2) prüfen, ob nach anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation ein behinderungsbedingter Risikozuschlag erhoben oder der Vertragsschluss sogar ganz abgelehnt werden kann. Das Recht des VR, Vorerkrankungen auf ihre Risikoerheblichkeit hin zu bewerten, das dem VR auch unter Geltung des AGG eröffnet sei, werde durch die Täuschung des VN abgeschnitten, denn nicht die Behinderung des VN als solche, sondern vielmehr seine Täuschung über die Behinderung stelle den Anfechtungsgrund dar. Einen Kontrahierungszwang dahingehend, dass der VR verpflichtet sei, den Vertrag zu ganz bestimmten Bedingungen mit dem Antragsteller abzuschließen, begründe das AGG aber jedenfalls in den Fällen nicht, in denen der VR unterschiedliche Möglichkeiten hat, bei der Vertragsgestaltung auf die Behinderung zu reagieren.808 Im Schrifttum wird des Weiteren darauf hingewiesen, dass dem Verbot und der Rechtferti- 230 gung von unterschiedlichen Behandlungen wegen der Religion oder der sexuellen Identität in privatrechtlichen Versicherungsverträgen kaum praktische Bedeutung zukomme.809 Im Hin802 BTDrucks. 16/1780 S. 31. 803 Staudinger/Serr (2018) § 20 AGG Rn. 57; näher MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 67. Indes für Heranziehung der für das Arbeitsrecht vom EuGH entwickelten Definition Armbrüster2 Rn. 658. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff „Behinderung“ im Sinne der Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78) so zu verstehen, „dass er eine Einschränkung von Fähigkeiten erfasst, die unter anderem auf langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die den Betreffenden in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben unter Gleichstellung mit den übrigen Arbeitnehmern hindern können“; vgl. EuGH 18.1.2018 – C-270/16, NJW 2018 603. 804 § 3 BBG formuliert: „Menschen mit Behinderungen im Sinne dieses Gesetzes sind Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Als langfristig gilt ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert.“ 805 Vgl. etwa OLG Karlsruhe 27.5.2010 – 9 U 156/09, VersR 2010 1163; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann3 § 14 Rn. 40; auch der EuGH hat zwischen Behinderung und Krankheit unterschieden, vgl. zum Arbeitsrecht EuGH 11.7.2006 – C-13/05, EuZW 2006 472, 473 (Rn. 44). 806 OLG Karlsruhe 27.5.2010 – 9 U 156/09, VersR 2010 1163, 1164 (Rn. 30 ff.); 807 MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 69; Staudinger/Serr (2018) § 20 AGG Rn. 57; BeckOGK-AGG/Mörsdorf (15.2.2020) § 20 AGG Rn. 62. 808 BGH 25.5.2011 – IV ZR 191/09, VersR 2011 1449, 1150 (Rn. 18); so bereits die Vorinstanz OLG Saarbrücken 9.9.2009 – 5 U 26/09, VersR 2009, 1522, 1525 (juris Rn. 63). 809 So etwa MüKo-BGB/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 72; Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 7; Staudinger/Serr (2018) § 20 AGG Rn. 55, 62. 87

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blick auf die sexuelle Identität ist eine Ungleichbehandlung homosexueller Menschen allein aufgrund des höheren Risikos einer (nicht festgestellten) Infektion mit bestimmten Krankheiten wie Hepatitis oder HIV unzulässig.810 Bei unterschiedlicher Behandlung wegen bestehender Infektion kommt im Hinblick auf die sexuelle Identität insbesondere eine mittelbare Diskriminierung in Betracht.811 (5) Hinzuweisen bleibt auf die Übergangsbestimmungen des § 33 AGG. So bestimmt § 33 Abs. 4 Satz 1 AGG als Spezialvorschrift für private Versicherungsverträge,812 dass auf diese § 19 Abs. 1 AGG nicht anzuwenden ist, wenn diese vor dem 22.12.2007 begründet wurden. Dadurch soll den VR eine angemessene Zeit eingeräumt werden, ihre Kalkulation, Vertragsmuster und AVB an die Vorgaben des AGG anzupassen.813 Nach § 33 Abs. 4 S. 2 AGG gilt S. 1 dagegen nicht für spätere Vertragsänderungen. Dies kann insbesondere auch im Hinblick auf die erfolgte Reformierung durch das VVG 2008 von Bedeutung sein, da es in Folge dieser Reform zu Vertragsanpassungen gekommen ist. Denkbar sind Vertragsanpassungen, ohne dass dabei „benachteiligungsrelevante“ Punkte erfasst worden sind;814 ist ein Altvertrag unter der Geltung des AGG geändert, ist allein die Änderung auf Einhaltung der §§ 19 Abs. 1 Nr. 2, 20 Abs. 2 S. 2 AGG zu überprüfen.815 Für die Übergangsvorschrift des § 33 Abs. 5 S. 1 AGG hingegen, findet sich gerade keine § 33 Abs. 4 S. 2 AGG entsprechende Regelung. Dies lässt darauf schließen, dass Vertragsänderungen nicht unter den Geltungsbereich des Test Achats-Urteils fallen sollen.816 Für die Frage nach der Abgrenzung zwischen einer Vertragsänderung und einem Vertragsneuabschluss können die allgemeinen Kriterien herangezogen werden.817 Da ein Verweis auf § 19 Abs. 2 AGG in § 33 Abs. 4 AGG fehlt, gilt dieser für neu begründete private Versicherungsverträge nach der allgemeinen Regel des § 33 Abs. 2 AGG bereits seit Inkrafttreten des Gesetzes am 18.8.2006, was für den VR auch zumutbar ist, da für den Bereich des Merkmals „Rasse“ und „ethnische Herkunft“ nach § 81e VAG a. F. bereits zuvor Ungleichbehandlungen verboten waren.818 (6) Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot ergeben sich aus § 21 AGG. Gemäß § 21 Abs. 1 AGG stehen dem Benachteiligten Beseitigungs- und – bei Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen – Unterlassungsansprüche zu. Nach § 21 Abs. 2 AGG kommen zudem Schadensersatzansprüche in Betracht. Vertretenmüssen des Benachteiligenden wird nach § 21 Abs. 2 S. 2 AGG vermutet; ihm steht die Möglichkeit der Entlastung offen. § 21 Abs. 2 S. 3 AGG stellt klar, dass der Schadensersatzanspruch sich nicht nur auf materielle, sondern auch auf immaterielle Schäden des Benachteiligten bezieht. Nicht nur für das Privatversicherungsrecht, sondern generell umstritten ist die Frage, ob sich über § 21 Abs. 2 S. 1 AGG – im Falle eines Verstoßes gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot aus §§ 19, 20 AGG – ein Anspruch des Benachteiligten (etwa des VN) auf Abschluss des Vertrags, mithin Kontrahierungszwang ableiten lässt. Teilweise wird ein solcher Anspruch auf Abschluss eines Vertrages für möglich erachtet.819 Ein Argument wird daraus geschlossen, dass im Anwendungsbereich des beschäftigungsrechtlichen Benachteiligungsver810 Armbrüster2 Rn. 663; Staudinger/Serr (2018) § 20 AGG Rn. 62; dazu auch MünchKomm/Thüsing8 § 20 AGG Rn. 73. 811 Armbrüster2 Rn. 663; vgl. auch Armbrüster/Zillmann ZVersWiss 2011 55 ff. 812 Armbrüster VersR 2006 1297, 1306. 813 Armbrüster VersR 2006 1297, 1306; Gesetzesbegründung BT-Drucks 16/1780 S. 53; Rühl/Schmid/Viethen AGG (2007) Kap. IV cc) S. 128; Gaier/Wendtland Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG Eine Einführung in das Zivilrecht (2006) Rn. 59. 814 Armbrüster VersR 2006 1297, 1306. 815 Armbrüster VersR 2006 1297, 1306. 816 Beyer/Britz VersR 2013 1219, 1222; BeckOGK/Benecke (1.2.2020) § 33 AGG Rn. 28. 817 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 304. 818 Armbrüster VersR 2006 1297, 1306; BeckOGK/Benecke (1.2.2020) § 33 AGG Rn. 22. 819 BeckOGK/Mörsdorf (15.2.2020) § 21 AGG Rn. 31; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 128, Wendt/Schäfer JuS 2009 206, 207 ff.; offen lassend OLG Saarbrücken 9.9.2009 – 5 U 26/09, VersR 2009 1522, 1525 (juris Rn. 66). Beckmann

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bots § 15 Abs. 6 AGG den Anspruch darauf, ein Beschäftigungs- oder Berufsausbildungsverhältnis zu begründen oder beruflich aufzusteigen, ausschließt, während beim zivilrechtlichen Anwendungsbereich dagegen eine ausdrückliche Regelung fehlt. Indes ist zu berücksichtigen, dass § 15 Abs. 6 AGG durchaus nur klarstellende Funktion zukommen kann. Schließlich sind die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot klar in § 21 AGG, unter anderem mit einem Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens geregelt und ein Anspruch auf Abschluss des Vertrages findet hier keinen Ausdruck. Dass ein solcher Anspruch dem Benachteiligten einen effektiven Rechtsschutz zur Seite stellen würde, kann man nicht zur Begründung eines Anspruchs auf Abschluss des Vertrags ausreichen lassen. Gerade im Bereich des Versicherungswesens vermag ein Schadensersatzanspruch die Rechtsstellung des (abgewiesenen) VN im Einzelfall unter Umständen hinreichend schützen, da ein solcher Schadensersatzanspruch des benachteiligten Versicherungskunden ggf. wirtschaftlich einem Anspruch auf Versicherungsschutz gleichstehen kann. Wurde beispielsweise ein Kunde unter Verstoß gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot vom VR abgewiesen und tritt dann ein ansonsten vom Versicherungsschutz erfasster Schaden ein, so kann der Schadensersatzanspruch den Ausgleich des eingetretenen (nicht versicherten) Schaden unter Anrechnung gesparter Prämien umfassen; freilich muss dem geschädigten Benachteiligten diese Möglichkeit bewusst sein, um den Anspruch überhaupt geltend zu machen. Die Möglichkeit eines so weit gehenden Schadensersatzanspruches spricht dafür, dem benachteiligten Versicherungskunden allein die ausdrücklich gesetzlich geregelten Ansprüche gemäß § 21 AGG einzuräumen.820 Der BGH hat jedenfalls angenommen, einen Kontrahierungszwang begründe das AGG jedenfalls in den Fällen nicht, in denen der VR unterschiedliche Möglichkeiten habe, bei der Vertragsgestaltung auf die Behinderung zu reagieren.821

cc) Entstehung neuer Versicherungstypen aufgrund des AGG.822 Die Weisungen des AGG 235 bieten für die VR neben den Einschränkungen, die sie möglicherweise durch das AGG erfahren, aber auch die Möglichkeit zur Entwicklung neuartiger innovativer Versicherungsangebote.823 Für die Anbieter von Waren- und Dienstleistungen ergeben sich durch das AGG nicht unerhebliche Haftungsrisiken. Die Versicherungswirtschaft hat zur Versicherung dieser Risiken nach dem AGG bereits verschiedene Deckungskonzepte entwickelt, so z. B. Rechtsschutzversicherungen gegen AGG-Risiken – als eigenständiges Bedingungswerk oder als Anhang einer Firmenrechtsschutzversicherung –, Einschluss eines AGG-Risikobausteins in die D&O-Versicherung oder eigenständig ausgestaltete Antidiskriminierungspolicen.824 Hierbei decken die meisten Antidiskriminierungspolicen singulär die sich in Beschäftigungsverhältnissen ergebenden Haftungsrisiken. Nur wenige VR offerieren dagegen auch Versicherungsschutz für diejenigen Haftungsrisiken, die sich aus dem AGG für den allgemeinen Zivilrechtsverkehr ergeben.825

e) Gendiagnostikgesetz (GenDG) Schrifttum Armbrüster2 § 16 Rn. 672 ff.; ders. Das Gendiagnostikgesetz in der Versicherungspraxis, VW 2010 1309; Genenger Das neue Gendiagnostikgesetz, NJW 2010 113; Kröger Das neue Gendiagnostikgesetz und seine Auswirkungen auf den

820 Ebenfalls einen Anspruch auf Abschluss des Vertrags ablehnend Wandt Rn. 270 Fn. 285; Armbrüster2 Rn. 670; Maier-Reimer NJW 2006 2577, 2582; Bachmann ZBB 2006 257, 265 f. BGH 25.5.2011 – IV ZR 1991/09, VersR 2012 1449, 1150 (Rn. 18). Hierzu R. Koch VersR 2007 288 ff. Armbrüster2 Rn. 665 (auch zum Folgenden). R.Koch VersR 2007 288; vgl. Heitmann VW 2006 1443, 1446; Schimmer/Schumann VW 2006 1958. R. Koch VersR 2007 288, 288 ff.

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rechtlichen Rahmen beim Abschluss von Versicherungsverträgen, MedR 2010 751; Lensing Gendiagnostik in der Versicherungswirtschaft – Persönlichkeitsrecht versus unternehmerische Freiheit, VuR 2009 411; Neuhaus Genetische Defekte und vorvertragliche Anzeigepflichten, ZfS 2013 64; Präve Das Gendiagnostikgesetz aus versicherungsrechtlicher Sicht, VersR 2009 857; Ziegler/Ziegler Gendiagnostikgesetz und Versicherung: Anspruch und Wirklichkeit, ZVersWiss 2011 29.

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Eine weitere Einschränkung findet die Privatautonomie im Versicherungswesen durch das Gendiagnostikgesetz (GenDG), das im Wesentlichen mit Wirkung zum 1.1.2010 in Kraft getreten ist. Zweck dieses Gesetzes ist es, „Benachteiligungen auf Grund genetischer Eigenschaften zu verhindern, um insbesondere die staatliche Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Würde des Menschen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren“ (§ 1 GenDG). Für das Privatversicherungsrecht haben das allgemeine Benachteiligungsverbot gemäß § 4 Abs. 1 GenDG sowie umso mehr die spezielle Ausformung gemäß § 18 Abs. 1 GenDG Bedeutung. § 18 GenDG bezieht sich auf genetische Untersuchungen und Analysen im Zusammenhang mit Versicherungsverträgen. Gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 GenDG darf der VR von Versicherten weder vor noch nach Abschluss des Versicherungsvertrages die Vornahme genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangen (Nr. 1) oder die Mitteilung von Ergebnissen oder Daten aus bereits vorgenommenen genetischen Untersuchungen oder Analysen verlangen oder solche Ergebnisse oder Daten entgegennehmen826 oder verwenden (Nr. 2). § 18 Abs. 1 S. 1 GenDG bezieht sich sowohl auf prädiktive Gentests gemäß § 3 Nr. 8 GenDG (also Tests bei grundsätzlich gesunden Menschen insbesondere zur Ermittlung von Dispositionen für mögliche spätere Erkrankungen) sowie auf diagnostische Gentests gemäß § 3 Nr. 7 GenDG (also Tests insbesondere zur Abklärung einer bestimmten, bereits bestehenden Erkrankung).827 Die Einschränkung von § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GenDG gilt für alle (privaten) Versicherungszweige; der Anwendungsbereich des Verbots gemäß § 218 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GenDG ist – wie sich aus § 18 Abs. 1 S. 2 GendG ergibt – indes eingeschränkt (dazu Rn. 237). Wie sich aus § 18 Abs. 1 GenDG ergibt, bestehen die Einschränkungen bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages.828 Auswirkungen hat sie vor allem für solche Versicherungsverträge, die regelmäßig nach Durchführung einer Gesundheitsprüfung abgeschlossen werden.829 Das Gesetz schützt neben der Menschenwürde und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch das „Recht auf Nichtwissen“ der genetischen Disposition.830 Durch das in § 18 Abs. 1 Nr. 1 GenDG enthaltene Erhebungsverbot genetischer Untersuchungen und Analysen soll sichergestellt werden, dass niemand gezwungen wird, sich über mögliche Gendefekte zu informieren, um Versicherungsschutz zu erhalten.831 Das in § 18 Abs. 1 Nr. 2 GenDG enthaltene Verwendungsverbot verfolgt den Zweck, den Zugang zu privaten Versicherungen nicht im Hinblick auf genetische Eigenschaften zu erschweren oder gar zu verweigern.832 Es soll eine Umgehung verhindern, die dadurch entstehen könnte, dass ein Antragsteller aus eigener Initiative eine genetische Untersuchung durchführen lässt, in der Hoffnung, durch ein günstiges Testergebnis Vorteile zu erzielen.833 Auch die Frage nach bereits in der Vergangenheit liegenden Gentests ist unzulässig, da die Beantwortung der Frage im Rahmen der Risikoprüfung bedeutsam werden könnte.834 Die Vorgaben des § 18 Abs. 1 S. 1 GenDG wirken sich mithin auch auf die Gestaltung der Antragsformulare der VR aus.835 Unterschiedlich beant-

826 Entgegennehmen setzt eine Verwertungsabsicht durch den VR bzw. der für ihn tätigen Person voraus; Armbrüster2 Rn. 676. Armbrüster2 Rn. 663. Präve VersR 2009 857, 857. Neuhaus RuS 2009 309, 315. Armbrüster VW 2010 1309, 1309; Lensing VuR 2009 411, 414. Neuhaus RuS 2009 309, 315. Neuhaus RuS 2009 309, 315; kritisch Looschelders VersR 2011 697, 700. Armbrüster2 Rn. 676; BTDrucks. 16/10532 S. 36. Neuhaus RuS 2009 309, 316. Armbrüster2 Rn. 674.

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wortet wird die Frage, ob das Verbot gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 GenDG auch die Frage nach Familienkrankheiten erfasst. Da das Verbot prädiktiver Gentests den Einzelnen vor einer auf seine genetische Disposition gestützten Ungleichbehandlung zu schützen bezwecke, müsse dieses Verbot erst recht für die wesentlich ungenauere Verwertung der Krankheitsgeschichte naher Angehöriger (Familienanamnese) gelten.836 Auch der Nationale Ethikrat hat sich vor Erlass des GenDG gegen ein entsprechendes Fragerecht des VR ausgesprochen.837 Nach anderer Ansicht erfasse die Begriffsbestimmung der genetischen Untersuchung bzw. Analyse gemäß § 3 Nr. 1 bzw. Nr. 2 GenDG nicht die Familienanamnese als sog. Phänotypanalyse.838 Das im Schrifttum in diesem Zusammenhang vorzufindende Argument, dass die Anamnese auch beim Arzt immer erfragt wird,839 dürfte angesichts des besonderen Zwecks des § 18 Abs. 1 S. 1 GenDG insoweit keine Rolle spielen. Der Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 S. 1 GenDG richtet sich entscheidend nach den Begriffsbestimmungen gemäß § 3 Nr. 1 bzw. Nr. 2 GenDG. Das Verbot des § 18 GenDG soll aber nicht ausnahmslos gelten: Für die Lebensversicherung, 237 die Berufsunfähigkeitsversicherung, die Erwerbsunfähigkeitsversicherung und die Pflegerentenversicherung sieht Abs. 1 S. 2 eine Ausnahme vor. Für diese gilt § 18 Abs. 1 Nr. 2 GenDG nicht, wenn eine Leistung von mehr als 300.000,- A oder mehr als 30.000,-A Jahresrente vereinbart wird.840 Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, den Gefahren der Informationssymmetrie, welche dadurch entsteht, dass der VN einen Wissensvorsprung gegenüber dem VR hat, sowie den Gefahren der Antiselektion Rechnung zu tragen, da diese bei höherprämierten Versicherungsverträgen gesteigert sind.841 Fraglich ist hierbei, ob die Summen mehrere Verträge, die nur in Summe die Grenze des § 12 Abs. 2 S. 2 GenDG überschreiten, zusammengezählt werden. Dem Wortlaut des Gesetzes lässt sich eine solche Addition nicht entnehmen. Zu Recht spricht sich Armbrüster jedoch dafür aus, bei mehreren Versicherungen unterhalb der Summengrenze, wenn diese in engem zeitlichen Zusammenhang abgeschlossen wurden, angesichts eines „Gesamtplans“ des VN unter Umgehungsgesichtspunkten § 18 Abs. 1 S. 2 GenDG analog anzuwenden.842 Von praktischer Bedeutung ist schließlich § 18 Abs. 2 GenDG. Diese Regelung stellt klar, 238 dass der VN gemäß § 18 Abs. 2 GenDG weiterhin verpflichtet bleibt, Vorerkrankungen und Erkrankungen nach den allgemeinen versicherungsvertragsrechtlichen Regelungen, namentlich gemäß §§ 19 ff. VVG anzuzeigen. Die praktische Bedeutung wird deutlich anhand einer Entscheidung des OLG Saarbrücken, wonach Krankheitszeichen und dadurch veranlasste Untersuchungen und Behandlungen anzugeben sind, auch wenn zur Abklärung von Beschwerden und Symptomen (diagnostische) Gentests durchgeführt worden sind.843

3. Versicherungsaufsichtsrecht844 a) Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG). Das Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten 239 Versicherungsunternehmen (VAG) regelt insbesondere die staatliche Aufsicht über alle das 836 Armbrüster2 Rn. 675. 837 Stellungnahme des Nationalen Ethikrats, Prädiktive Gesundheitsinformationen beim Abschluss von Versicherungen, 2007, S. 57 ff., https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/Archiv/Stellungnahme_ PGI_Versicherungen.pdf (Abrufdatum: 10.2.2020). 838 Ernst/Rogler/Mertens Berufsunfähigkeitsversicherung (2018) BUV § 6 Rn. 226. 839 Ernst/Rogler/Mertens Berufsunfähigkeitsversicherung (2018) BUV § 6 Rn. 226 Fn. 650. 840 Außer Betracht bleiben bei Bestimmung der Summengrenzen Dynamisierungen und auch Überschussbeteiligungen; Armbrüster2 Rn. 677 und betreffend Dynamisierungen BTDrucks. 16/10532 S. 36. 841 Armbrüster VW 2010 1309, 1310. 842 Armbrüster2 Rn. 678. 843 OLG Saarbrücken 20.10.2011 – 5 W 220/11-98, VersR 2012 557, 558 (juris Rn. 28); Piontek jurisPR-VersR 3/2020 Anm. 3; Neuhaus ZfV 2013 64, 69; Armbrüster2 Rn. 677, wonach der VN ihm bekannte Vorerkrankungen und Erkrankungen auch dann offenbaren muss, wenn diese aufgrund einer genetischen Untersuchung zutage getreten sind. 844 Ausführlich Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen, S. 293 ff. 91

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Privatversicherungsgeschäft betreibende VU. Die Rechtsquellen des Versicherungsaufsichtsrechts gehören nicht zu den privatrechtlichen Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts, sondern vielmehr zum öffentlichen Recht,845 insbesondere zum öffentlichen Wirtschaftsrecht846 bzw. besonderem Wirtschaftsrecht.847 Da sie sich jedoch auf den Betrieb und die Durchführung der Privatversicherungen beziehen, kann man das Versicherungsaufsichtsrecht auch als „öffentliches Recht (oder Verwaltungsrecht) der Privatversicherung oder als Versicherungsverwaltungsrecht bezeichnen“.848 Bei der vom deutschen Gesetzgeber gewählten Form der Versicherungsaufsicht handelte es 240 sich anfangs um ein System einer „überkommenen materiellen Staatsaufsicht über Versicherungsunternehmen nach dem Prinzip einer Kontrolle von der Wiege bis zur Bahre“,849 die auch durch eine Beaufsichtigung der Tarife und der AVB, namentlich einer Vorlage- und Genehmigungspflicht durch die Aufsichtsbehörde geprägt wurde. Dies änderte sich durch die Umsetzung der sog. Dritten Richtliniengeneration im Jahre 1994850 jedenfalls insoweit, dass das Erfordernis einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung von Tarifen und Bedingungen wegfiel (dazu Rn. 247). Unverändert verblieb es mit Umsetzung der Dritten Richtliniengeneration bei der Missstandsaufsicht zunächst gemäß §§ 81 ff. VAG a. F. und nach der Umsetzung der Solvency II-Richtlinie gemäß §§ 294 ff. VAG. Dies wird insbesondere auch im Hinblick auf die Vorgabe des Aufsichtsrechts als Legalitätsaufsicht aufgrund der Solvency II-Richtlinie kritisch und sogar für europarechtswidrig erachtet.851 Auch wenn also vertreten wird, dass die durch die Solvency IIRichtlinie angestrebte weitgehende Harmonisierung der Aufsichtssysteme eine Legalitätskontrolle erfordere und mithin kein Raum mehr für eine materielle Staatsaufsicht sei,852 wird es auch als offen angesehen, ob das bisherige Konzept einer materiellen Staatsaufsicht nach der Umsetzung der Solvency II-Richtlinie Geschichte ist oder ob sie nicht vielmehr neu gestaltet auf europäischer Ebene wiedergekehrt ist.853 Die Solvency II-Richtlinie treffe insoweit keine eindeutigen Aussagen, so dass danach auch weiterhin eine materielle Staatsaufsicht möglich erscheint. Diesbezüglich bliebe abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Anforderungen der Richtlinie bei einer künftigen Novellierung des VAG konkretisieren wird.854 Das ursprüngliche VAG stammt aus dem Jahre 1901 und war mithin älter als die ursprüngli241 che Kodifikation des VVG aus dem Jahre 1908.855 Das VAG ist mit Wirkung zum 1.1.2016 neugefasst worden.856 Hintergrund dieser umfassenden Reform war die Umsetzung der Solvency-IIRichtlinie,857 durch welche das Versicherungsaufsichtsrecht auf europäischer Ebene grundlegend geändert wurde.858 Weiterhin wurde das Ziel verfolgt, eine Neugliederung des Rechtsstof-

845 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 35; Gal Generaleinführung D. Rn. 1; MAH Versicherungsrecht/ Höra4 § 1 Rn. 1. 846 Armbrüster2 Rn. 21. 847 Prölss/Dreher/Dreher13 VAG § 294 Rn. 19. 848 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 35. 849 Prölss/Dreher/Dreher13 VAG Einl. Rn. 3; vgl. auch Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr6 § 294 Rn. 4. 850 Hierzu insbesondere H. Müller S. 129 ff. 851 Prölss/Dreher/Dreher13 VAG Einl. Rn. 4; § 294 Rn. 20 ff. 852 Prölss/Dreher/Dreher13 VAG § 294 Rn. 22; Dreher/Lange VersR 2011 825, 831 f. 853 Sodan3 § 47 Rn. 63a. 854 Sodan3 § 47 Rn. 63a. 855 Armbrüster2 Rn. 22. 856 Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.2015, BGBl. I 434. 857 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl.EU 2009 Nr. L 335 S. 1. 858 Armbrüster2 Rn. 22; Wandt6 Rn. 101; dazu Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen, Rn. 19 ff.; Brand/Baroch Castellvi/Brand VAG Einl. Rn. 22 ff.; Dauses/Ludwigs/Beckmann/Matusche-Beckmann (2015) E.VI. Rn. 121 ff.; Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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fes und damit eine klare Systematik des Gesetzes zu erreichen.859 Dabei hat der Gesetzgeber auch einige Vorschriften abgeschafft, welche durch den Zeitablauf obsolet geworden waren.860 Insoweit sind beispielhaft die §§ 9, 53d sowie 10 VAG a. F. zu nennen; Letzterer regelte den Mindestinhalt von AVB. Einige Bereiche sind von der Änderung allerdings weitestgehend unberührt geblieben, so z. B. die Vorschriften über die Lebens- (§§ 138 ff. VAG) und Krankenversicherung (§§ 146 ff. VAG). Das neue VAG wurde seit seinem Inkrafttreten bereits wieder mehrfach geändert,861 u. a. durch Art. 5 Gesetz zur Wohnimmobilienkreditrichtlinie862 oder insbesondere durch das Gesetz zur Umsetzung der IDD-Richtlinie vom 20.7.2017.863 Das VAG 2016 verfolgt weiterhin in erster Linie das ursprüngliche Ziel der gewerbe- und polizeirechtlichen Gefahrenabwehr.864 Es ist unverändert als zentrale Rechtsgrundlage für aufsichtsbehördliche Aktivitäten zur Bekämpfung relevanter Risiken für den geschützten Personenkreis anzusehen und enthält die einschlägigen Ermächtigungen für belastende Eingriffe. Das materielle Aufsichtsrecht verlagert sich hingegen vermehrt auf die europäische Ebene, insbesondere durch die Vorgaben der Solvency II-Richtlinie. Die Solvency II-RL verfolgt nach ihrem Erwägungsgrund 16 S. 1 sowie Art. 27 als vorrangiges Ziel (Hauptziel) der Regulierung und Beaufsichtigung des Versicherungs- und Rückversicherungsgewerbes, die Erreichung eines angemessenen Schutzes der VN und Anspruchsberechtigten;865 in § 294 Abs. 1 VAG wird dieses Hauptziel entsprechend normiert. Weiter werden nach diesem Erwägungsgrund durch die Solvency II-Richtlinie Finanzstabilität (vgl. auch Art. 28 der Richtlinie sowie § 294 Abs. 2 S. 3 VAG) sowie faire und stabile Märkte bezweckt; diese Ziele dürfen allerdings das vorrangige Ziel nicht beeinträchtigen. Mit diesen im Erwägungsgrund 16 genannten Zielen stehen weitere Zwecke in Zusammenhang. So soll die Solvency II-Richtlinie dazu dienen, die Insolvenzwahrscheinlichkeit von VN einzuschränken (vgl. etwa Erwägungsgrund 64).866 Zudem verfolgt die Richtlinie eine Erhöhung der Transparenz.867 § 294 Abs. 2 S. 2 VAG verpflichtet die Aufsichtsbehörde außerdem, auf „die Einhaltung der Gesetze, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten, und bei Erstversicherungsunternehmen zusätzlich auf die ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten“ zu achten. Gemäß § 294 Abs. 4 VAG hat die Aufsichtsbehörde zudem für die gesamte Geschäftstätigkeit unter anderem „auf die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungen“ zu achten. Die beiden zuletzt genannten Aufgaben werden im Schrifttum als unvereinbar mit der Solvency II-Richtlinie erachtet.868 Ganz überwiegend wird im Schrifttum angenommen, der europäische Richtliniengeber stre- 242 be mit der Solvency II-Richtlinie grundsätzlich das Ziel einer Vollharmonisierung an,869 obwohl dies in der Richtlinie nicht klar zum Ausdruck kommt, aber unter anderem aus dem Gesamtziel der Richtlinie hergeleitet wird. Im Schrifttum wird indes kritisiert, dass im Rahmen der Reformierung des VAG der Gesetzge- 243 ber allerdings nicht alle Vorgaben der Solvabilität-II-RL unionsrechtskonform umgesetzt habe.870 Im Normtext würden zahlreiche Terminologien verwendet, welche das Unionsrecht nicht kenne. 859 BTDrucks. 17/9342 S. 134 zur Fortgeltung Begr. RegE, BTDrucks. 18/2956 S. 2227; Brand/Baroch Castellvi/Brand VAG Einl. Rn. 64. 860 Brand/Baroch Castellvi/Brand VAG Einl. Rn. 65 (auch zum Folgenden); vgl. Überblick zu den Neuregelungen Armbrüster in RuS 2015, 425 ff sowie grundsätzlich bei Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen. 861 Prölss/Dreher/Dreher13 VAG Einl. Rn. 71. 862 Vom 16.3.2016 (BGBl. I 396, 418 f.). 863 Vom 20.7.2017 (BGBl. I 2789, 2795 ff.). 864 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle6 Einl. Rn. 40 (auch zum Folgenden). 865 Zur Zielsetzung auch Lösler CCZ 2014 145, 145.; Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle5 Solvabilität II, Rn. 7 ff.; zu weiteren Unterzielen vgl. Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 64. 866 Dauses/Ludwigs/Beckmann (2015) E.VI. Rn. 31. 867 Dauses/Ludwigs/Beckmann (2015) E.VI. Rn. 33. 868 Prölss/Dreher/Dreher13 VAG § 294 Rn. 30 bzw. Rn. 42. 869 Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2 Rn. 88, Prölss/Dreher/Dreher13 VAG Einl. Rn. 87 ff.; Armbrüster RuS 2015 425, 425; Lüttringhaus EuZW 2011 822, 822; vgl. auch Dreher/Lange VersR 2011 825, 828 f. 870 Brand/Baroch Castellvi/Brand VAG Einl. Rn. 65; vgl. auch oben Rn. 241 im Hinblick auf die Ziele des VAG. 93

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Dies beruhe vor allem darauf, dass der Gesetzgeber sich an Begriffe des VAG a. F. geklammert und deren Unionsrechtskonformität nicht hinterfragt habe.871 Neben dieser Terminologie wird auch kritisiert, dass die Regelungen zum VVaG einen Fremdkörper im VAG darstellten und nicht im Zuge der Reformierung in einem eigenen Gesetz normiert worden seien.872 Das VAG regelt unter anderem (Auswahl): – die Voraussetzungen für die Aufnahme des Geschäftsbetriebs, – Regelungen über die Ausübung der Geschäftstätigkeit, – Regelungen über den VVaG, – Regelungen über die Kapitalausstattung und die Vermögensanlagen, – Regelungen über die Beaufsichtigung von VU, – Regelungen über VU mit Sitz im Ausland.873 Das VAG regelt also sowohl die Voraussetzungen für deutsche VU als auch das Tätigwerden ausländischer VU im Inland. Gemäß § 10 Abs. 1 VAG wird eine Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb für das Gebiet aller Mitglieds- und Vertragsstaaten erteilt (Herkunftslandprinzip, „europäischer Pass“);874 indes sind vor einer konkreten Aufnahme bestimmte Anzeigepflichten gemäß §§ 58, 59 VAG einzuhalten. Umgekehrt können VU mit Sitz in einem Mitglieds-oder Vertragsstaat nach Maßgabe der §§ 61–66 VAG Versicherungsgeschäfte in Deutschland betreiben.875 Daneben enthält das VAG aber auch einzelne Vorschriften, die unmittelbar auf den Versicherungsvertrag einwirken, z. B.:876 – §§ 13, 14 VAG: Vorschriften über die Bestandsübertragung und die Umwandlung, Vertragsübergang kraft Bestandsübertragung; – §§ 171 ff. VAG: Rechtsbeziehungen des VVaG; – § 130 VAG: Entnahme aus dem Sicherungsvermögen; – § 298 VAG: Überprüfung von AVB im Rahmen einer Missstandskontrolle durch die Aufsichtsbehörde; – § 300 Satz 2 VAG: Ermächtigung der Aufsichtsbehörde, in bestehende Versicherungsverhältnisse einzugreifen; – §§ 311 ff. VAG: Anzeigepflicht bei Zahlungsunfähigkeit eines VU gegenüber der Versicherungsaufsicht und Berechtigung der Versicherungsaufsicht zur Beantragung des Insolvenzverfahrens. Das VAG a. F. hatte insbesondere durch die Umsetzung der sog. Dritten versicherungsrechtlichen EG-Richtlinien877 (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG vom 21.7.1994, BGBl. I 1630) auch für das Versicherungsvertragsrecht bedeutsame Änderungen erfahren. Wie schon erwähnt (Rn. 240) ist durch die Umsetzung das Erfordernis einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung von Tarifen und Bedingungen weggefallen. Diese unterliegen seitdem nicht mehr der aufsichtsbehördlichen Vorabkontrolle, so dass die Aufsichtsbehörde seit dem nur im Wege der Missstandskontrolle nach § 298 VAG (§ 81 VAG a. F.) intervenieren kann. Außerdem sind gemäß § 9 Abs. 2 871 Brand/Baroch Castellvi/Brand VAG Einl. Rn. 65; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle6 Einl. Rn. 33. 872 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle6 Einl. Rn. 33. 873 Zu den Inhalten des Versicherungsaufsichtsrechts Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 91 ff.

874 Brand/Baroch Castellvi/Brand VAG § 10 Rn. 4. 875 Dazu Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle6 § 61 Rn. 1 ff; zur Geschäftstätigkeit von Drittstaatenversicherern Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 97. 876 Prölss/Martin/Armbrüster30 1. Einl. Rn. 12; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 32. 877 Richtlinie 92/49/EWG vom 18.6.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung ABl. EG Nr. L 228/1; Richtlinie 92/96/EWG vom 10.11.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung ABl. EG Nr. L 360/1; Richtlinie 90/618/EWG vom 8.11.1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ABl. EG Nr. L 330/44 sowie einige Bestimmungen der weiten Richtlinie 90/619/EWG vom 8.10.1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs ABl. EG Nr. L 330/50. Beckmann

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VAG die AVB kein Bestandteil des Geschäftsplans (zum Geschäftsplan sogleich Rn. 248) mehr, so dass sie außer bei der Kranken- und der Pflichtversicherung (§ 9 Abs. 4 Nr. 4 und Nr. 5 lit. b VAG) nicht mehr gemeinsam mit dem Antrag auf Erlaubnis des Geschäftsbetriebes der Aufsichtsbehörde eingereicht werden müssen.878 Zum Versicheraufsichtsrecht vgl. in diesem Band im Übrigen ausführlich Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen, S. 293 ff.

b) Geschäftsplan des Versicherers/geschäftsplanmäßige Erklärungen (GE) Schrifttum Cuntze Die geschäftsplanmäßige Erklärung in der Versicherungsaufsicht (1965); Dreger Die Bedeutung des Geschäftsplans in der Versicherungsaufsicht (1956); Glauber Wandlungen im Recht der geschäftsplanmäßigen Erklärung, VersR 1993 12; Raczinski/Rademacher Rechtsgrundlagen von Leistungsversprechen in der privaten Krankenversicherung unter besonderer Berücksichtigung der Geschäftsplanmäßigen Erklärungen, VersR 1990 814.

aa) Geschäftsplan des Versicherers. Gemäß § 9 Abs. 1 VAG ist mit dem Antrag auf Erlaubnis 248 zum Betrieb von Versicherungsgeschäften der Geschäftsplan mit seinen erforderlichen Bestandteilen einzureichen. Der Geschäftsplan stellt die „Verfassung“ der VU dar.879 Er hat gemäß § 9 Abs. 1, 2. Hs. VAG den Zweck und die Einrichtung des Unternehmens, das Gebiet des beabsichtigten Geschäftsbetriebs sowie namentlich auch die Verhältnisse darzulegen, woraus sich die künftigen Verpflichtungen des Unternehmens als dauernd erfüllbar ergeben sollen. Die erforderlichen Bestandteile des Geschäftsplans des VR sind in § 9 Abs. 2 und Abs. 3 VAG geregelt;880 zusätzlich einzureichende Unterlagen ergeben sich aus § 9 Abs. 4 VAG. Unmittelbar im Versicherungsvertragsrecht wird auf den Geschäftsplan im Gesetz ledig- 249 lich in § 5 Abs. 4 PflVG Bezug genommen,881 so dass der Geschäftsplan im Rahmen dieses Regelungsbereichs versicherungsvertragliche Wirkung entfaltet. Unabhängig hiervon kann dem Geschäftsplan für Verträge, die vor Inkrafttreten des 3. Durchführungsgesetz/EWG zum VAG882 am 29.7.1994 geschlossen worden sind, versicherungsvertragsrechte Bedeutung zukommen.883 Nach 878 Mit der Pflicht zur Vorlage von AVB bei Pflichtversicherungen gem. § 9 Abs. 4 Nr. 5 bzw. § 47 Nr. 13 VAG und Krankenversicherungen gem. § 9 Abs. 4 Nr. 5 VAG ist indes kein Genehmigungserfordernis verbunden; vgl. zur Pflichtversicherung Brand/Baroch Castellvi/Baroch Castellvi VAG § 47 Rn. 28; Brand/Baroch Castellvi/Brand VAG § 9 Rn. 60 sowie zur Krankenversicherung ders. a. a. O. Rn. 65. 879 Kaulbach/Bähr/Pohlmann6 § 9 Rn. 11. 880 Hierzu zählen: Die Satzung, soweit sie sich nicht auf AVB bezieht, Abs. 2 Nr. 1; die Angaben über die betriebenen Versicherungssparten und darüber, welche Risiken hier abgedeckt werden sollen; bei Unternehmern, die ausschließlich die Rückversicherung betreiben wollen, stattdessen Angaben darüber, welche Risiken gedeckt werden sollen und über die Arten von Rückversicherungsverträgen, die das Unternehmen mit den Vorversicherern zu schließen beabsichtigt, Abs. 2 Nr. 2; die Grundzüge der Rückversicherung und Retrozession, Abs. 2 Nr. 3; Angaben über die Basiseigenmittelbestandteile, die die absolute Grenze der Mindestkapitalanforderung bedecken sollen, Abs. 2 Nr. 4; und eine Schätzung der für den Aufbau der Verwaltung und des Vertreternetzes erforderlichen Aufwendungen, Abs. 2 Nr. 5. Für die ersten drei Jahre sind vorzulegen: eine Plan-Bilanz und eine Plan-Gewinn-und-Verlustrechnung, Abs. 3 Nr. 1; Schätzungen der künftigen Solvabilitätskapitalanforderungen, Abs. 3 Nr. 2; Schätzungen der künftigen Mindestkapitalanforderungen, Abs. 3 Nr. 3; Schätzung der jeweiligen finanziellen Mittel, die voraussichtlich zur Verfügung stehen a) um die versicherungstechnischen Rückstellungen zu bedecken und b) um die Mindestkapitalanforderung und die Solvabilitätskapitalanforderung einzuhalten, Abs. 3 Nr. 4; für Nichtlebensversicherungen und Rückversicherungen a) eine Übersicht über die voraussichtlichen Verwaltungskosten und b) eine Übersicht über die voraussichtlichen Beitragsaufkommen und die voraussichtliche Schadensbelastung, Abs. 3 Nr. 5; und für Lebensversicherungen einen Plan, aus dem die Schätzung der Einnahmen und Ausgaben bei Erstversicherungsgeschäften und aktiven und passiven Rückversicherungsgeschäften hervorgeht; Abs. 3 Nr. 6. Im Einzelnen etwa Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 9 Rn. 16 ff. 881 Vor der VVG-Reform zudem in § 162 S. 2 a. F. 882 Vom 21.7.1994 (BGBl. I 1630). 883 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 224; Littbarski AHB (2001) Vorbem. Rn. 20 f. 95

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§ 5 Abs. 3 Nr. 2 VAG a. F. waren die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) als Bestandteil des Geschäftsplans sowie die fachlichen Geschäftsunterlagen einzureichen, soweit solche nach der Art der Versicherung erforderlich waren. Aus Schutzüberlegungen für Altverträge regelt § 336 Satz 1 VAG (§ 11c VAG a. F.), dass für die vor dem 29.7.1994 abgeschlossenen Lebensversicherungen der von der Aufsichtsbehörde bis zu diesem Zeitpunkt genehmigte Geschäftsplan fort gilt. Bedeutung hat die versicherungsvertragliche Wirkung des Geschäftsplans insbesondere im Rahmen der Frage nach der Beteiligung des VN an stillen Reserven erlangt,884 die nunmehr in § 153 Abs. 3 VVG geregelt sind.

250 bb) Geschäftsplanmäßige Erklärung (GE). Geschäftsplanmäßige Erklärungen (GE) stellen Erklärungen der VU gegenüber der Aufsichtsbehörde dar; teilweise wurden sie im Amtsblatt der Aufsichtsbehörde (bis 2002 VerBAV) veröffentlicht. GE wurden auf Anregung der Aufsichtsbehörde oder auf Initiative des VU selbst abgegeben. Durch die GE konnten die VU gegenüber der Aufsichtsbehörde einen bestimmten Zustand anerkennen oder sich zu einem bestimmten Verhalten im Rahmen des Geschäftsbetriebes verpflichten, so z. B. zur Aufnahme von Antragsbindungsfristen885 oder zu einer bestimmten, für den VN günstigen Handhabung einer AVBKlausel886 oder zur Änderung der AVB;887 im Rahmen einer Wirksamkeitskontrolle von AVB waren sie indes kein geeignetes Instrument zur „Rettung“ einer unwirksamen AVB-Klausel.888 Weitere Gegenstände waren etwa die Zusage, gesetzlich gegebene (Regress-)Ansprüche nur modifiziert geltend zu machen oder die Erklärung, im Schriftverkehr mit dem VN bestimmte Formulierungen oder drucktechnische Gestaltungen zu verwenden bzw. zu vermeiden.889 GE wurden in Ergänzung, Konkretisierung oder zur Abwandlung des Geschäftsplanes abgegeben890 und konnten vor der Änderung des VAG durch die Dritte Durchführungsverordnung/EWG zum VAG im Jahre 1994 auch Bestandteile des Geschäftsplanes sein. Die GE waren im VAG nicht ausdrücklich erwähnt. Die Bestandteile des Geschäftsplanes waren jedoch in der bis 28.7.1994 geltenden Fassung von § 5 Abs. 3 VAG a. F. nicht abschließend aufgelistet, sondern die Formulierung „insbesondere“ machte deutlich, dass nur die wichtigsten aufgezählt waren. Daher ließ das VAG solche GE zu.891 Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt waren die GE als Teil des genehmigungspflichtigen Geschäftsplans von praktischer Bedeutung. Indes war auch umstritten, ob den GE überhaupt eine zivilrechtliche Wirkung in der Weise zukommen konnte, dass sich der VN unmittelbar darauf berufen und Ansprüche herleiten kann (dazu Rn. 253).892 Durch die im Jahre 1994 erfolgte Neufassung des § 5 Abs. 3 VAG a. F. (jetzt § 9 Abs. 2 VAG) 251 wurde das Wort „insbesondere“ gestrichen, so dass die Auflistung der notwendigen Bestandteile des Geschäftsplans in § 9 Abs. 2 VAG nunmehr als abschließend zu verstehen ist.893 Da die GE dort nicht aufgenommen wurden, können sie auch nicht mehr zu den Bestandteilen des Geschäftsplanes gezählt werden.894 Es gibt seit dem keine Rechtsgrundlage mehr für die Abgabe von GE der bisherigen Art.895 884 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, BVerfGE 114 73 ff. = VersR 2005 1127 ff. passim; vgl. etwa Baumann RuS 2005 401, 404; Beckmann/Matusche-Beckmann/Brömmelmeyer3 § 42 Rn. 294. 885 BGH 18.7.2019 – IV ZR 68/17, VersR 2018 1113 (Rn. 19). 886 Auch zum Vorstehenden Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 63. 887 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 34; van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 35; Glauber VersR 1993 12, 13. 888 BGH 7.2.1996 – IV ZR 155/95, VersR 1996 486, 487 (juris Rn. 16). 889 Wandt6 Rn. 83. 890 Littbarski AHB Vorbem. Rn. 22; Neuhaus3 A. Rn. 44; Glauber VersR 1993 12, 13. 891 Auch zum Vorstehenden Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 63. 892 Raczinski/Rademacher VersR 1990 816 ff.; Wandt6 Rn. 83; für versicherungsvertragliche Wirkung etwa Deutsch/ Iversen7 Rn. 48. 893 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 63; Laars/Both VAG4 § 9 Rn. 2; Präve VW 1994 800. 894 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 63; Präve VW 1994 800. 895 Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 9 Rn. 14. Beckmann

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Für Altverträge haben GE trotz der weggefallenen Genehmigungspflicht der AVB noch Bedeutung.896 Auch das frühere BAV ging von der künftigen Einhaltung der GE aus.897 Zwar hat es in einer Verlautbarung zu erkennen gegeben, dass für die VU hinsichtlich der nach dem 30.6.1994 geschlossenen Verträge keine Bindungen an GE mehr gegeben seien, jedoch hat die Aufsichtsbehörde auch ausgeführt, dass sie bezüglich nach der Änderung abgeschlossener Verträge davon ausgehe, dass die VU sich weiterhin an die abgegebenen GE halten werden. Dies jedenfalls solange bis sie der Aufsichtsbehörde etwas anderes mitteilen.898 Auch in Zukunft bleibe den VU die Abgabe von „Erklärungen gegenüber der Aufsicht“ zugunsten der Versicherten unbenommen, auf deren Einhaltung das BAV achten werde.899 Eine bindende Wirkung neuer GE für die Betreffenden besteht jedoch nicht mehr, da diese von der Aufsicht weder genehmigt noch genehmigend zur Kenntnis genommen werden können, um sie zu Geschäftsplanbestandteilen zu machen.900 Die GE riefen auch systematische Fragen hervor, insbesondere die umstrittene Frage, ob dem VN unmittelbare Rechte aus einer GE zustehen können.901 Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst danach zu differenzieren, ob der Geschäftsplan des VR und damit auch die GE durch entsprechenden Verweis im Antragsformular oder in den AVB zum Vertragsinhalt gemacht worden sind oder ob dies nicht der Fall ist.902 Sind die GE derart einbezogen, haben sie auch unmittelbare zivilrechtliche Wirkung zwischen VN und VR,903 soweit sie sich auf den Inhalt des Vertrages beziehen.904 Dagegen haben GE, bei denen es sich nur um ordnungspolitische Weisungsbestätigungen handelt, mangels konkretem Bezug zum Versicherungsvertrag keine zivilrechtliche Wirkung.905 Bei Fehlen einer solchen Einbeziehungsvereinbarung hat die früher h. M.906 eine unmittelbare zivilrechtliche Wirkung von GE grundsätzlich abgelehnt.907 Danach bewirken GE nur eine Bindung des VR gegenüber der Aufsichtsbehörde, nicht aber eine Änderung der zivilrechtlichen Lage. Bei Nichteinhaltung der GE gehe die Aufsichtsbehörde ausschließlich mit verwaltungsrechtlichen Maßnahmen gegen den betreffenden VR vor.908 Die Annahme eines Vertrages zugunsten Dritter nach § 328 BGB wurde abgelehnt, da das BAV dem VR nicht als gleichgeordneter Partner gegenübertrete. Aus dem gleichen Grund wurde auch eine „analoge“ Anwendung des § 328 BGB abgelehnt.909 Nach anderer in der Literatur vertretener Meinung geht von einer GE unmittelbare Zivilrechtswirkung aus;910 teilweise ist die GE auch als ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zugunsten Dritter eingeordnet worden, um so zu einer zivilrechtlichen Bindung zu gelan-

896 So Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 9 Rn. 15; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 64; Bruck/Möller/ Sieg/Johannsen8 Anm. zu A 21; vgl. auch Littbarski AHB Vorbem. Rn. 23. BAV-Verlautbarung VerBAV 1994 286 287; Neuhaus3 A. Rn. 46; Littbarski AHB Vorbem. Rn. 23. BAV-Verlautbarung VerBAV 1994 286, 287; kritisch hierzu Hofmann PVR § 3 Rn. 30. BAV-Verlautbarung VerBAV 1994 286, 287. Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 9 Rn. 14; ders. ZfV 1994 168, 176. Wandt6 Rn. 83. Glauber VersR 1993 12, 13. Glauber VersR 1993 12, 13; Bruck/Möller/Winter8 VVG Bd. V 2 §§ 159–178 Anm. A 31; MAH Versicherungsrecht/ 4 Höra § 1 Rn. 47. 904 Glauber VersR 1993 12, 14; Vogel/Stockmeier2 B. Rn. 121. 905 R. Johannsen NZV 1989 69, 70. 906 OLG Düsseldorf 31.10.1967 – 4 U 93/67, VersR 1968 243, 244; AG München 12.7.1966 – 7 C 244/66, VersR 1967 1045, 1046; LG Düsseldorf 21.3.1967 – 16 O 368/66, VersR 1967 948, 949; Bruck/Möller/Möller8 VVG Einl. vor § 1 Anm. 29ee; Cuntze Die geschäftsplanmäßige Erklärung in der Versicherungsaufsicht (1965) S. 245 f.; Prölss/Schmidt/ Schmidt11 Zus. § 5 Rn. 9; Bruck/Möller/Winter8 a. a. O. Anm. A 31. 907 Glauber VersR 1993 12, 14. 908 Glauber VersR 1993 12, 14. 909 Glauber VersR 1993 12, 14. 910 Sieg VersR 1972 135, 136; Bruck/Möller/Sieg/Johannsen8 Anm. zu A 21; Dreger Die Bedeutung des Geschäftsplans in der Versicherungsaufsicht (1956) S. 13.

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gen.911 Später mehrten sich dann die Stimmen gegen die früher h. M.912 mit dem Argument, dass GE zwar grundsätzlich das privatrechtliche Verhältnis zwischen VR und VN nicht berührten, sie aber – soweit sie im Amtsblatt der Aufsichtsbehörde veröffentlicht seien – analog § 328 BGB als Verpflichtungen auch im Rahmen der einzelnen Verträge ausgelegt werden müssten. Danach haben GE also jedenfalls dann zivilrechtliche Bindungswirkung, wenn es sich um vertragsspezifische Regelungen handelt, die von der Aufsichtsbehörde veröffentlicht worden sind.913 Dieser Auffassung hat sich auch der BGH angeschlossen.914 Nach dessen Auffassung beruht 256 der Geschäftsplan – und damit auch die darin enthaltene geschäftsplanmäßige Erklärung – zwar auf öffentlichem Recht und kann daher grundsätzlich nicht als Vertrag zugunsten Dritter im Sinne des § 328 BGB angesehen werden.915 Die in den GE enthaltenen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen können jedoch auch Rückwirkungen auf das private Versicherungsverhältnis haben.916 Inwieweit dabei der einzelne VN ein eigenes Recht auf Beachtung der GE erlangt, ist entsprechend den Kriterien des § 328 Abs. 2 BGB zu überprüfen. Hierbei ist die Veröffentlichung der GE im Amtsblatt der Aufsichtsbehörde besonders bedeutsam, da dadurch deutlich wird, dass die GE eben nicht nur das Rechtsverhältnis VU – Aufsichtsamt betrifft, sondern auch für Dritte von rechtlicher Bedeutung sein kann.917 Der Veröffentlichung der GE im Amtsblatt der Aufsichtsbehörde kommt deshalb besondere Bedeutung zu.918 Soweit dann durch die GE Rechte des VN begründet werden, gelten für ihre Auslegung die besonderen von der Rechtsprechung für die Auslegung von AVB entwickelten Grundsätze.919 Daher kann man nach zutreffender Auffassung von Glauber von einer h. M. sprechen, nach der eine geschäftsplanmäßige Erklärung jedenfalls „dann unmittelbare zivilrechtliche Wirkungen hat, wenn sie vertragsspezifische Regelungen zum Inhalt hat und vom BAV veröffentlicht worden ist“.920 Dabei bleibt zu beachten, dass sich diese Behandlung des GE auf die frühere Rechtslage bezieht (vgl. oben Rn. 250). 911 Glauber VersR 1993 12, 14; Lorenz-Liburnau VersRdsch 1952 33, 35. 912 Glauber VersR 1993 12, 14; OLG Oldenburg 21.6.1974 – 6 U 65/74, NJW 1974 2133, 2134. 913 Glauber VersR 1993 12, 14; Goldberg/Müller VAG (1980) § 5 Rn. 22; Johannsen NZV 1989 69, 70; Neuhaus3 A. Rn. 44.

914 So BGH zunächst im Urteil vom 12.3.1976, allerdings nur in nicht näher begründeter Bemerkung BGH 12.3.76 – IV ZR 79/73, VersR 1976 383, 384; des Weiteren BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 151 f. = VersR 1988 1062, 1065 (juris Rn. 25); BGH 5.2.1992 – IV ZR 340/90, BGHZ 117 151, 154 f. = VersR 1992 485, 485 f. (juris Rn. 13 f.); BGH 23.11.1994 – IV ZR 124/93, BGHZ 128 54, 62 f. = VersR 1995 77, 79 (juris Rn. 35 ff.); ebenso Beckmann/MatuscheBeckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 65; Littbarski AHB (2001) Vorbem. Rn. 22; OLG Düsseldorf 5.9.2000 – 4 U 180/99, VersR 2001 977, 977; (juris Rn. 42); OLG Oldenburg 21.6.1974 – 6 U 65/74, NJW 1974 2133, 2134; KG 10.2.1995 – 6 U 1740/ 92, VersR 1996 1397, 1398; Raczinski/Rademacher VersR 1990 814, 817; einschränkend im Hinblick auf die nicht weiter konkretisierte Verpflichtung zur Umstellung von Altverträgen auf neue AVB bzw. ob und inwieweit durch GE auch unmittelbar vertragliche Nebenpflichten für einen VR begründet werden können: OLG Hamm 17.3.1993 – 20 U 360/92, VersR 1994 37, 38 (juris Rn. 19 f.). 915 BGH 7.2.1996 – IV ZR 155/95, VersR 1996 486, 487 (juris Rn. 15). 916 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 151 f. = VersR 1988 1062, 1065 (juris Rn. 25); BGH 23.11.1994 – IV ZR 124/93, BGHZ 128 54, 62 f. = VersR 1995 77, 79 (juris Rn. 35 f.); Vogel/Stockmeier2 B. Rn. 122. 917 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 151 f. = VersR 1988 1062, 1065 (juris Rn. 25); BGH 23.11.1994 – IV ZR 124/93, BGHZ 128 54, 63. = VersR 1995 77, 79 (juris Rn. 36); BGH 7.2.1996 – IV ZR 155/95, VersR 1996 486, 487 (juris Rn. 15): In der letztgenannten Entscheidung wird allerdings darauf hingewiesen, dass die GE nicht für die Auslegung von AVB heranzuziehen sei; etwas Anderes könne nur dann gelten, wenn ihr Wortlaut dem VN beim Vertragsschluss unter Hinweis darauf mitgeteilt worden ist, auch sie sollten in das jeweilige Vertragsverhältnis miteinbezogen werden. 918 BGH 23.11.1994 – IV ZR 124/93, BGHZ 128 54, 63 = VersR 1995 77, 79 (juris Rn. 36). 919 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 153 = VersR 1988 1062, 1066 (juris Rn. 28). 920 Glauber VersR 1993 12, 15: Zwar hat der BGH das Kriterium „vertragsspezifische Regelung“ nicht ausdrücklich genannt, aber bislang ergingen alle Entscheidungen nur zu GE mit diesem Inhalt; vgl. wie BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 151 f. = VersR 1988 1062, 1065 (juris Rn. 25) auch BGH 23.11.1994 – IV ZR 124/93, BGHZ 128 54, 63 = VersR 1995 77, 79 (juris Rn. 36); BGH 7.2.1996 – IV ZR 155/95, VersR 1996 486, 487 (juris Rn. 16) verweist auf BGHZ 105 140, 151 = VersR 1988 1062, 1065; Vogel/Stockmeier2 B. Rn. 122. Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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c) Zuständigkeit. Auf Bundesebene ist die zum 1.5.2002 errichtete Bundesanstalt für Finanz- 257 dienstleistungsaufsicht (BAFin) für die Aufsicht über Versicherungsunternehmen zuständig, die gemäß § 4 Abs. 1 FinDAG921 die Aufgaben des früheren Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen (BAV) übernommen hat;922 aus § 320 VAG ergibt sich, welche Unternehmen der Aufsicht der BaFin unterliegen. Über einen Umkehrschluss aus dieser Vorschrift folgt, dass die Länderzuständigkeit die Versicherungsaufsicht über öffentlich-rechtliche Wettbewerbs-Versicherungsunternehmen, deren Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt, umfasst;923 das Bundesministerium der Finanzen kann zudem auf Antrag der BaFin die Aufsicht über private Versicherungsunternehmen von geringerer wirtschaftlicher Bedeutung, über Pensionsfonds und über öffentlich-rechtliche Wettbewerbs-Versicherungsunternehmen mit Zustimmung der entsprechenden Landesbehörde auf diese übertragen. Umgekehrt kann gemäß § 322 Abs. 1 VAG die Fachaufsicht über ein öffentlich-rechtliches Wettbewerbs-Versicherungsunternehmen, dessen Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränkt, auf Antrag der zuständigen Landesbehörden von der BAFin übernommen werden.924 4. Völkerrechtliche Normen und Privatversicherungsrecht der EU Völkerrechtliche Normen. Eine Beeinflussung des Inhaltes oder der Abwicklung von Versiche- 258 rungsverträgen kann auch durch völkerrechtliche Normen erfolgen; Beispiele:925 – Art. 30 der Anlage IV zum Abkommen über deutsche Auslandsschulden v. 27.2.1953, BGBl. II 331; – der deutsch-österreichische Vermögensvertrag v. 15.6.1957, BGBl. 1958 II 129, Art. 45–49; – das deutsch-englische Abkommen über die Behandlung von Versicherungsverträgen vom 28.1.1960, BGBl. 1961, II 109, Art. I 1, 3, 5, II und Anhang Teil I 1, 2–5. Vgl. zu Internationalem Versicherungsaufsichtsrecht Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 40 ff. Privatversicherungsrecht der EU. Zur Erreichung eines europäischen Versicherungsbinnen- 259 markts sind primär das Versicherungsaufsichtsrecht und weitere versicherungsrechtliche Teilgebiete des Versicherungsrechts, wie etwa das Recht der Kfz-Haftpflichtversicherung, das Versicherungsvermittlerrecht oder die Rechtsschutzversicherung durch EU-Recht in erheblichem Umfang geprägt.926 Im Hinblick auf eine Harmonisierung speziell des Versicherungsvertragsrechts brachte die Kommission bereits 1965 erste Schritte auf den Weg.927 Im Jahre 1979 erging schließlich ein Richtlinienvorschlag zur Vereinheitlichung des Versicherungsvertragsrechts durch die Europäische Kommission.928 Dieser Entwurf beinhaltete eine „gewisse Harmonisie921 Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz – FinDAG) v. 22.4.2002 (BGBl. I 1310) zuletzt geändert durch Gesetz v. 17.7.2017 (BGBl. I 2446). Bis 1.9.2005 geregelt in den §§ 2 ff. BAG (Gesetz über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen vom 31.7.1951, BGBl. I 501); das BAG wurde aufgehoben durch Art. 4 Nr. 1 des Siebten Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes v. 29.8.2005 (BGBl. I 2546). 922 Brand/Baroch Castellvi/Wendt VAG § 320 Rn. 2. 923 Wandt6 Rn. 74. 924 Bis 1.9.2005 geregelt in den §§ 2 ff. BAG (Gesetz über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen vom 31.7.1951, BGBl. I 501); das BAG wurde aufgehoben durch Art. 4 Nr. 1 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes v. 29.8.2005 (BGBl. I 2546). 925 Nach Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 18; grundsätzlich Jahnke Versicherung und Völkerrecht (1972). 926 Dazu etwa Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2; Dauses/Ludwigs/Beckmann/Matusche-Beckmann (2015) E.VI. Versicherungsrecht; Looschelders/Michael, in Enzyklopädie des Europarechts, Bd. 5 (hrsg. v. Ruffert), 2013, § 11 Europäisches Versicherungsrecht;. 927 Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2 Rn. 18. 928 Richtlinienvorschlag des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung, ABl. 1979 C 190, 2. 99

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rung“, unter anderem Regelungen über Versicherungsurkunden, vorvertragliche Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers, Gefahrerhöhungen, Rückerstattung von ungerechtfertigt gezahlten Prämien, Gefahrminderungen, Sanktionen bei Verzug mit Prämienzahlung, Pflichten des Versicherungsnehmers bei Eintritt des Versicherungsfalles und der Vertragsbeendigung.929 Indes wurde dieses Vorhaben nicht weiterverfolgt; die Kommission erklärte, dass die Angleichung des Versicherungsvertragsrechts für die Verwirklichung des Binnenmarktes „nicht notwendig“ sei930 und widmete sich zunehmend der Harmonisierung des Aufsichtsrechts. Letztlich ist damit bis heute außerhalb des Kollisionsrechts (vgl. Rn. 183) keine umfassende Vereinheitlichung des allgemeinen Versicherungsvertragsrechts auf europäischer Ebene festzustellen.931 Gleichwohl hatten Vorgaben der EU, etwa auf dem Gebiet des Versicherungsaufsichtsrechts durchaus versicherungsvertragliche Auswirkungen, etwa infolge des Wegfalls der präventiven Bedingungskontrolle (vgl. Rn. 247).932 Zum „Europäischen Versicherungsaufsichtsrecht“ wird im Übrigen verwiesen auf die Ausführungen bei Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 18 ff. 260 Im Hinblick auf das Versicherungsvertragsrecht hat indes eine europäische Forschungsgruppe, die „Project Group: Restatement of European Insurance Contract Law“ (auch als „Innsbruck Group“ bezeichnet), einen weiteren Weg beschritten und nach dem Vorbild der „Principles of European Contract Law“ (PECL) der sog. Lando-Kommission die „Principles of European Insurance Contract Law“ (PEICL)933 entwickelt und im Jahre 2009 veröffentlicht.934 Es handelt sich hierbei um ein „Modellgesetz“ im Sinne eines optionalen Instruments. Es enthält einerseits allgemeine Regelungen, die auf alle Versicherungsverträge (mit Ausnahme von Rückversicherungsverträgen) anwendbar sind, andererseits aber auch spezielle Regelungen, die auf die Schadens- und Summenversicherung, wie etwa die Lebensversicherung, Anwendung finden sollen. Dieser Ansatz wurde auch von der EU aufgegriffen und die Kommission setze im Jahre 2013 eine entsprechende Expertengruppe ein;935 zuvor hatte sich bereits das Europäische Parlament für ein solches optionales europäisches Versicherungsvertragsrecht ausgesprochen.936

5. Sozialversicherungsrecht 261 Die Rechtsgrundlagen der Sozialversicherung gehören gerade nicht zu den Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts.937 Privat- und Sozialversicherung sind wie oben unter Rn. 23 bereits dargestellt vielmehr voneinander abzugrenzen. Zu dieser Abgrenzung, zu den Rechtsquellen

929 Dauses/Ludwigs/Beckmann (2015) E.VI. Versicherungsrecht Rn. 220. 930 Vgl. ABl. EG 1993 C 228, 4, 14; Brittan VW 1990 754, 759; H. Müller Versicherungsbinnenmarkt, Rn. 87. 931 Dauses/Ludwigs/Beckmann (2015) E.VI. Versicherungsrecht Rn. 223; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2 Rn. 20. 932 Dazu Dauses/Ludwigs/Beckmann (2015) E.VI. Versicherungsrecht Rn. 220 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mönnich3 § 2 Rn. 18 ff. 933 Dazu Armbrüster2 Rn. 2263 ff.; Bruns § 36 Rn. 12 ff.; Heiss Optionales europäisches Versicherungsvertragsrecht, RabelsZ 76 316; Loacker Insurance soft law? Die Idee eines europäischen Versicherungsvertragsrechts zwischen akademischer Pionierleistung, Gemeinsamem Referenzrahmen und optionalem Instrument, VersR 2009 289; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2 Rn. 21 f.; Wandt6 Rn. 210 ff. 934 Basedow/Birds/Clarke/Cousy/Heiss (Hrsg.), Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), 2009; 2. Aufl. 2019; der Text der Principles of European Insurance Contract Law ist abrufbar unter: https://www.ius.uzh.ch/ de/research/projects/peicl/peiclinfulltext.html (Abrufdatum: 11.3.2020). 935 Beschluss der Kommission v. 17.1.2013 zur Einsetzung einer Expertengruppe der Kommission für europäisches Versicherungsvertragsrecht, ABl. 2013 C 16, 6. 936 https://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&language=EN&reference=P7-TA-2011-0262 (Abrufdatum: 11.3.2020). 937 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 70. Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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und Gestaltungsgrundsätzen der Sozialversicherung sowie zu den Wechselwirkungen zwischen Privat- und Sozialversicherung siehe auch Baumann/Koch § 1 Rn. 311 ff.

6. Außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten Auch im Bereich des Versicherungsrechts haben insbesondere auch freiwillige Bemühungen 262 um eine außergerichtliche Streitbeilegung zugenommen. Hiervon werden u. a. eine Vereinfachung des Rechtszugangs, eine Verkürzung der Verfahrensdauer, Verfahrenskostenreduktion, eine Entlastung der Gerichte sowie für alle Beteiligten akzeptable Ergebnisse erwartet. Daher ist es prinzipiell zu begrüßen, dass inzwischen mehrere Möglichkeiten zur außergerichtlichen Streitbeilegung zur Verfügung stehen, da dies zudem auch die „Stärkung des Kundenvertrauens“ und die „Verbesserung des Ansehens der Versicherungswirtschaft in der Öffentlichkeit“ unterstützt.938 Unabhängig von solchen freiwilligen Bestrebungen existieren indes auch rechtliche Vorgaben zur außergerichtlichen Streitbeilegung. Im Rahmen der Umsetzung von Art. 14 der sog. Fernabsatzrichtlinie II939 wurde durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen940 mit Wirkung vom 8.12.2004 zunächst § 48e VVG a. F. eingeführt. Darüber hinaus verpflichtet Art. 15 der Vermittlerrichtlinie941 die Mitgliedstaaten zur Schaffung eines angemessenen und wirksamen Beschwerde- und Abhilfeverfahrens zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen Versicherungsvermittlern und Kunden. Dieser Verpflichtung war der Gesetzgeber zwischenzeitlich durch § 42k VVG a. F. (gültig in der Zeit vom 22.5.2007 bis 31.12.2007) nachgekommen. Nunmehr geregelt ist die außergerichtliche Beilegung in § 214 VVG, der § 48e VVG a. F. und § 42k VVG a. F. ersetzt. Über die EG-rechtlichen Vorgaben der Fernabsatzrichtlinie II hinaus erstreckt § 214 VVG die Vorgaben auf alle Versicherungsverträge mit Verbrauchern i. S. d. § 13 BGB;942 hierzu noch im Rahmen der Ausführungen zum Versicherungsombudsmann (Rn. 266 ff.), nachdem zunächst auf folgende Streitbeilegungsmechanismen einzugehen ist:

a) Hausinterne Beschwerdemanagements der VR. Bei dem hausinternen Beschwerdema- 263 nagement handelt es sich um den Versuch einer Konfliktlösung im unmittelbaren Kontakt zwischen den Betroffenen, dem VN und dem VR, welche als primäres Ziel die Wiederherstellung einer ungetrübten Geschäftsbeziehung verfolgt.943 Um dieses Ziel zu erreichen wird geprüft, ob und in welchem Umfang man das Kundenansinnen – gegebenenfalls auf dem Kulanzweg – erfüllen kann.944 Ist dies nicht möglich, wird zumindest der Versuch unternommen, bei dem VN Verständnis für den eigenen Standpunkt zu wecken, indem man ihm diesen verständlich und nachvollziehbar darlegt. Dies dient zum einen der Erhaltung und Stärkung einer dauerhaften Geschäftsbeziehung und gibt dem VR zum anderen Aufschluss über vom Kunden empfundene Missstände, was die Möglichkeit zu geschäftlichen Optimierungen schafft.945 938 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 370. 939 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher ABl. EG Nr. L 271/16. 940 Vom 2.12.2004 BGBl. I 3102. 941 Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.12.2002 über Versicherungsvermittlung ABl. EG Nr. L 9/3 aufgehoben durch Art. 3, Art. 44 ÄndRL (EU) 2016/97 vom 20.1.2016 (ABl. Nr. L 26 S. 19) sog. IDD-Richtlinie und hierin aufgegangen. 942 RegE S. 117; Richtlinie 2002/65/E. 943 Buschbell/Otting MAH4 Straßenverkehrsrecht § 39 Rn. 56. 944 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 371; speziell zu Kulanz Lenz Die Kulanzleistung des Versicherers (1993). 945 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 371. 101

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264 b) Beschwerden an die Aufsichtsbehörde als externe Anlaufstelle für den VN. Mit Beschwerden über den VR kann sich der VN auch an die zuständige Aufsichtsbehörde wenden. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 20 VVG-Informationspflichtenverordnung hat der VR den VN auch deshalb über Name und Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde sowie die Möglichkeit einer Beschwerde bei dieser Aufsichtsbehörde zu informieren. Rechtsgrundlage für die Beschwerdebearbeitung durch die BaFin ist das in Art. 17 GG normierte Petitionsrecht sowie § 294 Abs. 2 VAG.946 Nach Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Die BaFin hat daher die verfassungsrechtliche Pflicht, sich mit den Bitten und Beschwerden der VN auseinanderzusetzen und diese zu bearbeiten.947 Aus diesem Grund ist die Beschwerdemöglichkeit an die BaFin für den VN auch kostenfrei.948 Nach § 294 Abs. 2 S. 2 VAG ist die Versicherungsaufsicht verpflichtet, auf die ausreichende Wahrung der Belange der VN zu achten.949 Die Beschwerdebearbeitung ist für die BaFin unverzichtbar, da sie durch diese Erkenntnisse über die Geschäftspraktiken der VU erlangt und dadurch Schwachstellen im Versicherungswesen aufdecken kann.950 Die BAFin veröffentlicht in ihrem Jahresbericht eine nach Versicherungsunternehmen und -sparten aufgeschlüsselte Beschwerdestatistik.951 Beispielsweise wurden im Jahr 2018 insgesamt 8.097 Beschwerden bei der Aufsichtsbehörde bearbeitet. 33,3 % gingen für den Beschwerdeführer erfolgreich aus.952 Die Beschwerde wird von der Aufsichtsbehörde regelmäßig zunächst an den VR zur Stel265 lungnahme weitergeleitet, wobei ein Abhelfen der Beschwerde durch den VR möglich ist. Im Falle der Nichtabhilfe kann die Aufsichtsbehörde den Streit nicht entscheiden, sondern den VN nur entsprechend informieren und ihm eventuell ein zivilrechtliches Klageverfahren anheimstellen.953 Nur in ganz seltenen Fällen ist eine Beschwerde so offensichtlich unbegründet, dass über sie ohne Weiterleitung an das betroffene VU sogleich ein abschlägiger Bescheid ergehen kann. Dies betrifft insbesondere solche Beschwerden, deren Gegenstand schon bei Gericht anhängig oder bereits rechtskräftig entschieden ist.954

c) Der Ombudsmann als weitere externe Anlaufstelle für den VN (Versicherungsombudsmann)955 Schrifttum Friedrich Das Ombudsmannverfahren in der Versicherungswirtschaft für Verbraucher, DAR 2002 157; Gude Der Ombudsmann der privaten Banken in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz (1999); v. Hippel Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen (2000); Hoeren Das neue Verfahren für die Schlichtung von Kundenbeschwerden im deutschen Bankgewerbe, NJW 1992 2727; Kalis Der Ombudsmann in der privaten Krankenversiche-

946 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 375; s. auch v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 107 f.; Abrahams/Lorsch 100 Jahre materielle VersAufsicht in Deutschland, hrsg. vom BAV 2001 413, 416 ff.; Geschäftsbericht BAV 2001 (Teil A) S. 16. 947 BVerfG 22.4.1953 – 1 BvR 162/51, BVerfGE 2 225, 229 f. (juris Rn. 25 ff.); Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 375. 948 Wandt6 Rn. 115. 949 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 375. 950 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 376. 951 Vgl. auch die Verpflichtung gegenüber Medien OVG Berlin 25.7.1995 – 8 B 16/94, VersR 1995 1217, 1218 f. (juris Rn. 26 ff.); Wandt6 Rn. 117. 952 Jahresbericht der BAFin 2018, S. 42, abrufbar unter https://www.bafin.de/DE/PublikationenDaten/Jahresbericht/jahresbericht_node.html (Abrufdatum 14.8.2019). 953 Wandt6 Rn. 116. 954 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 381. 955 Vgl. hierzu auch Friedrich DAR 2002 157; Knauth WM 2001 2325; Römer NVersZ 2002 289; Scherpe NVersZ 2002 97; Halm/Engelbrecht/Krahe/Hövel/Faustmann6 Kap. 3 Rn. 1 ff. Beckmann

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Rechtsgrundlagen/Rechtsquellen des Privatversicherungsrechts

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rung (PKV) VersR 2002 292; Knauth Versicherungsombudsmann – private Streitbeilegung für Verbraucher – WM 2001 2325; Lamping PKV-Ombudsmann: Konflikte kreativ lösen, VersMed 2007 144; Lorenz Der Versicherungsombudsmann – eine neue Institution im deutschen Versicherungswesen, VersR 2004 541; Römer Offene und beantwortete Fragen zum Verfahren vor dem Ombudsmann, NVersZ 2002 289; Scherpe Der deutsche Versicherungsombudsmann, NVersZ 2002 97.

Keinen Teil der staatlichen Versicherungsaufsicht stellt der sog. Versicherungsombudsmann dar. Er ist vielmehr seit Oktober 2001 im Rahmen seiner Zuständigkeit als außergerichtlicher Schlichter bei Streitigkeiten zwischen VR und VN tätig. Dabei hat er die Möglichkeit, den Streit zum Teil für den VR verbindlich zu entscheiden, worin auch ein Unterschied zum Beschwerdeverfahren bei der Aufsichtsbehörde liegt.956 Im Jahre 2018 sind beim Ombudsmann für Versicherungen 17.528 Beschwerden eingegangen, 13.006 davon waren zulässig.957 Seit 22.5.2007 ist der Versicherungsombudsmann auch für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Versicherungsvermittlern und Kunden zuständig. Das Bundesjustizministerium hat den Versicherungsombudsmann ursprünglich auf der Grundlage des § 42k VVG a. F. (ersetzt durch § 214 Abs. 1 Nr. 2 VVG) auch als Schlichtungsstelle zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen dem Versicherungsvermittler und Versicherungsnehmern im Zusammenhang mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen anerkannt.958 Nach § 48e VVG a. F. war darüber hinaus eine Schlichtungsstelle für Verbraucherstreitigkeiten bei Fernabsatzverträgen über Versicherungen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eingerichtet (siehe schon oben Rn. 264). Nach dem Willen des Gesetzgebers erstreckt sich das Schlichtungsverfahren über den Versicherungsombudsmann nun aber auf alle Versicherungsverträge mit Verbrauchern im Sinne des § 13 BGB. Auf die frühere Beschränkung auf Fernabsatzverträge wurde in der Fassung des § 214 VVG verzichtet.959 Durch diese Regelung wurde die bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen eingerichtete Schlichtungsstelle überflüssig, da von allen Versicherungsverträgen mit Verbrauchern auch solche umfasst sind, die als Fernabsatzverträge geschlossen werden.960 Am 21.11.2013 ist eine Änderung der Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns (VomVO; dazu sogleich Rn. 275) in Kraft getreten, hiernach können auch Beschwerden geltend gemacht werden, die einen eigenen Anspruch aus einem geschlossenen Realkreditvertrag betreffen.961

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aa) Verfahrensgrundlage. Das Verfahren vor der im Versicherungsrecht noch relativ jungen 270 Institution des Versicherungsombudsmannes findet ihre Rechtsgrundlage in der am 28.9.2001 vom Vorstand des Versicherungsombudsmann e.V. beschlossenen Verfahrensordnung für den Versicherungsombudsmann (VomVO),962 welche zuletzt zum 23.11.2016 geändert wurde. Nach der Präambel dieser Verfahrensordnung ist der Versicherungsombudsmann „eine anerkannte Verbraucherschlichtungsstelle, mit der die deutsche Versicherungswirtschaft die außergerichtliche Streitbeilegung fördert.“ Dieses Streitbeilegungsverfahren findet für sämtliche Versicherungsbranchen mit Ausnahme der Rück-, der Kredit-, der Kranken- und der Pflegeversicherung Anwendung; für den Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung existiert eine eigene

956 Halm/Engelbrecht/Krahe/Waclawik6 Kap. 5 Rn. 20. 957 Jahresbericht Versicherungsombudsmann 2019 S. 110, abrufbar unter https://www.versicherungsombudsmann.de/wp-content/uploads/Jahresbericht2019.pdf (Abrufdatum 13.5.2020). 958 vgl. https://www.versicherungsombudsmann.de/das-schlichtungsverfahren/vermittlerrichtlinie/ (Abrufdatum: 11.9.2019); BAnZ 2007 Nr. 101 S. 5595. 959 RegE S. 117. 960 Halm/Engelbrecht/Krahe/Hövel/Faustmann6 Kap. 3 Rn. 4. 961 Halm/Engelbrecht/Krahe/Hövel/Faustmann6 Kap. 3 Rn. 6; vgl. § 2 Abs. 2 lit. c VomVO. 962 Veröffentlicht unter https://www.versicherungsombudsmann.de/das-schlichtungsverfahren/verfahrensordnungen/vomvo/ (Abrufdatum: 10.3.2020). 103

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Einrichtung (vgl. Rn. 278). Für Beschwerden im Zusammenhang mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen gilt eine eigene Verfahrensordnung, nämlich die Verfahrensordnung für Beschwerden im Zusammenhang mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen im Sinne von Art. 14 der Vermittlerrichtline963 (VermVO).964 Weitere Rechtsgrundlage, insbesondere für die Organisationsstruktur ist die Satzung des Vereins Versicherungsombudsmann e.V.965

271 bb) Entstehungsgeschichte. Begriff und Einrichtung eines „Ombudsmannes“ entstand vor ca. 200 Jahren in Skandinavien, wo er eine Institution darstellte, die die Bürger vor unberechtigten staatlichen Eingriffen schützte. Noch immer steht diese Institution für eine „unabhängige und angesehene Persönlichkeit, die Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Anbietern schlichtet“.966 Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts mehrten sich auch in Deutschland die Forderungen nach einer Schlichtungsstelle für die Versicherungswirtschaft.967 Als Mitte 1992 im Bankensektor die Institution eines Bankenombudsmannes eingerichtet wurde, intensivierte sich auch die Diskussion um eine Einführung eines Versicherungsombudsmannes.968 Die deutsche Versicherungswirtschaft hat sich schließlich bei der Einrichtung der Schlichtungsstelle am britischen Insurance Ombudsmann969 und der Empfehlung der EU-Kommission vom 30.3.1998 (betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Streitbeilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind) orientiert.970

272 cc) Zweck. Das Ombudsmannverfahren verfolgt das Ziel, möglichst zahlreiche Streitigkeiten auf außergerichtlichem Weg beizulegen und so beiden Parteien „schnell, neutral und für Verbraucher kostenfrei“ zu mehr Rechtssicherheit zu verhelfen“.971 Der Ombudsmann soll also als neutraler Mittler Entscheidungen des Versicherers in rechtlicher Hinsicht überprüfen und somit eine wichtige Funktion zum Schutz des Verbrauchers übernehmen. Dadurch soll das Vertrauen der VN in die Versicherungsbranche und die Kundenbindungen im Interesse beider Seiten gestärkt werden.972 Nach § 14 Abs. 1 VomVO ist das Verfahren für den Beschwerdeführer kostenfrei, er kann sich allerdings nach § 4 VomVO in jeder Lage des Verfahrens auf eigene Kosten vertreten lassen. Das Schlichtungsverfahren nach der VermVO ist nur für den VN kostenfrei (§ 8 Abs. 1 S. 1 VermVO), wobei auch er sich gemäß § 4 VermVO auf eigene Kosten vertreten lassen kann. Der Versicherungsombudsmann ist bezüglich seiner Entscheidungen und seiner Verfahrensführung sowohl im Rahmen der VomVO als auch der VermVO keinen Weisungen unterworfen und folglich unabhängig. Diese Unabhängigkeit wird unter anderem dadurch garantiert, dass der Versicherungsombudsmann in den letzten drei Jahren vor Antritt des Amtes nicht hauptberuflich für ein Versicherungsunternehmen tätig gewesen sein darf und ihm während der Zeit der Ausübung des Amtes jede sonstige Tätigkeit untersagt ist, welche die Unparteilich963 Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung) ABl. L 26/19. 964 Veröffentlicht unter https://www.versicherungsombudsmann.de/das-schlichtungsverfahren/verfahrensordnungen/vermvo/ (Abrufdatum: 10.3.2020). 965 Veröffentlicht unter https://www.versicherungsombudsmann.de/wp-content/uploads/2017/05/SATZUNG.pdf (Abrufdatum: 10.3.2020). 966 Halm/Engelbrecht/Krahe/Hövel/Faustmann5 Kap. 3 Rn. 1 (jedoch nicht mehr in der aktuellen Auflage); Friedrich DAR 2002 157, 157 m. w. N. 967 Lorenz VersR 2004 541, 541. 968 Römer NJW 2005 1251, 1251; Scherpe NVersZ 2002 97,97; Friedrich DAR 2002 157, 157. 969 Knauth WM 2001 2325, 2326. 970 ABl. EG Nr. L 115/3; Scherpe NVersZ 2002 97. 971 Halm/Engelbrecht/Krahe/Hövel/Faustmann6 Kap. 3 Rn. 2. 972 Halm/Engelbrecht/Krahe/Hövel/Faustmann6 Kap. 3 Rn. 2. Beckmann

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keit der Amtsausübung beeinträchtigen könnte (vgl. § 15 der Satzung des Vereins Versicherungsombudsmann). Des Weiteren ist seine Amtszeit auf fünf Jahre beschränkt.973 Seit April 2019 ist der ehemalige Richter beim BGH und BVerfG Dr. h.c. Wilhelm Schluckebier amtierender Ombudsmann. Seine Vorgänger waren Prof. Wolfgang Römer (2001 bis 2008) und Prof. Dr. Günter Hirsch (2008 bis 2019).

dd) Organisationsstruktur. Die gesamte Organisation, deren Träger der Verein Versiche- 273 rungsombudsmann e.V. mit Sitz in Berlin ist, verfügt über mehr als 45 Mitarbeiter, worunter u. a. mehr als 20 juristische Referenten und auch mehr als 14 Versicherungskaufleute zu finden sind.974 Als Mitglieder zugelassen sind nach § 3 Abs. 1 der Satzung des Vereins Versicherungsombudsmann e.V. der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) und dessen Mitgliedsunternehmen. Derzeitige Mitglieder sind der GDV sowie ca. 270 VU mit einem Marktanteil von ca. 95 %.975 Die Mitglieder tragen die Kosten des Vereins sowie diejenigen der Streitschlichtung.976

ee) Verfahren. Gemäß §§ 2 Abs. 4 lit. a, 10 Abs. 3 VomVO ist das Verfahren nur zulässig bezüg- 274 lich Beschwerden, deren Streitwert A 100.000 nicht übersteigen. Nach § 9 Abs. 1 lit. c VomVO kann der Ombudsmann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen und deren rechtliche Lösung den Gerichten überlassen, wenn eine grundsätzliche Rechtsfrage, die für die Bewertung der Streitigkeit erheblich ist, nicht geklärt ist und die Behandlung der Streitigkeit den effektiven Betrieb der Schlichtungsstelle ernsthaft beeinträchtigt.977 Die Wirksamkeit von Allgemeinen Versicherungsbedingungen stellt dabei stets eine grundsätzliche Rechtsfrage dar, deren Klärung der Ombudsmann den staatlichen Gerichten überlässt.978 Bei einem Beschwerdewert bis zu A 10.000 trifft der Ombudsmann nach § 10 Abs. 3 S. 2 VomVO eine für den VR verbindliche Entscheidung. Bei einem Wert von mehr als A 10.000 bis A 100.000 wird dagegen nur eine unverbindliche Empfehlung ausgesprochen, § 10 Abs. 3 S. 2 VomVO.979 Für den Verbraucher ist der Weg zu den ordentlichen Gerichten in keinem Fall ausgeschlossen.980 Streitig ist, wie man die Wirkungen zu Lasten des VR rechtlich begründen kann: So wird 275 die Vereinssatzung teilweise als Vertrag zugunsten Dritter i. S. v. §§ 328 ff. BGB angesehen.981 Auch wird versucht, die Rechtswirkung damit zu begründen, dass es bei dem Verfahren um die formnichtige Vereinbarung eines Schiedsverfahrens i. S. d. §§ 1025 ff. ZPO gehe, deren Nichtigkeit durch rügelose Einlassung des VR geheilt wird.982 Nach weiteren Konstruktionen sei es ein „venire contra factum proprium“, wenn der VR die sich aus der Satzung i. V. m. der VermVO ergebende Lage nicht akzeptiert.983 Am ehesten nachvollziehbar ist die Erklärung, dass die Verfahrensmöglichkeit und die den VN begünstigende Wirkung Vertragsinhalt werden und zwar entweder bei ausdrücklichem Hinweis auf dieses Verfahren bei Vertragsschluss aufgrund konkludenter Vereinbarung oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung.984 Der Ombudsmann 973 Wandt6 Rn. 118. 974 Veröffentlicht unter https://www.versicherungsombudsmann.de/der-verein/ Organisation (Abrufdatum: 2.9.2019). 975 Halm/Engelbrecht/Krahe/Hövel/Faustmann6 Kap. 3 Rn. 10; Armbrüster2 Rn. 164. 976 Wandt6 Rn. 118. 977 Wandt6 Rn. 119. 978 Versicherungsombudsmann Az.: 09189/2016-s (soweit ersichtlich unveröffentlicht). 979 Wandt6 Rn. 120; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 230; Armbrüster2 Rn. 166. 980 § 11 Abs. 2 VomVO; Wandt6 Rn. 120; Prölss/Martin/Klimke30 § 214 Rn. 10. 981 So Friedrich DAR 2002 159; Gude S. 125 f. 982 So zum Banken-Ombudsmann Hoeren NJW 1992 2727, 2731. 983 Hoeren NJW 1992 2727, 2731; Friedrich DAR 2002 157, 157. 984 So Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 231. 105

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trifft keine Kulanzentscheidungen und erhebt nur Urkundenbeweise, wobei er in seiner Beweiswürdigung frei ist.985 276 In der VermVO ist das Verfahren vor dem Ombudsmann in § 6 geregelt. In der VermVO gibt es keine Streitwertgrenzen, ab denen das Verfahren erst zulässig ist. Der Ombudsmann lehnt in diesen Verfahren auch keine Beschwerden ab, sondern antwortet auf jede Beschwerde, § 5 Abs. 1 VermVO. Allerdings ist der Bescheid des Ombudsmannes für den Beschwerdegegner nicht verbindlich. Der Weg zu den ordentlichen Gerichten ist dem Versicherungsnehmer weiterhin eröffnet (§ 7 Abs. 5 VermVO).986 Zu beachten ist, dass durch die Einlegung der Beschwerde nach der VermVO (§ 3) im Gegen277 satz zu dem Verfahren nach der VomVO (§ 12) die Verjährung etwaiger Ansprüche nicht gehemmt wird.

278 d) Ombudsmann für die private Kranken- und Pflegeversicherung. Neben der Einrichtung des „Versicherungsombudsmann e.V.“ existiert für den Bereich der privaten Kranken- und Pflegeversicherung eine entsprechende eigene Institution.987 Der Ombudsmann ist gleichfalls im Rahmen seiner Zuständigkeit als außergerichtlicher Schlichter bei Streitigkeiten zwischen VR und VN tätig. Regelungen betreffend das Verfahren beim Ombudsmann der privaten Krankenversicherung finden sich in dem Statut für den Ombudsmann der privaten Krankenversicherung in der Fassung von Oktober 2016.988 Im Vergleich mit dem „Versicherungsombudsmann e.V.“ ist diese Institution mit geringeren Kompetenzen ausgestattet.989 So ist die Entscheidung des Ombudsmannes der privaten Krankenversicherung gemäß § 10 Abs. 3 des Statutes stets unverbindlich. Vielmehr kann er zu einer bestimmten Frage eine sog. Förmliche Empfehlung aussprechen.990 Die Amtszeit des Ombudsmannes der Privaten Kranken- und Pflegeversicherung beträgt 3 Jahre, sie kann zweimal verlängert werden. Amtierender Ombudsmann der Privaten Kranken- und Pflegeversicherung ist seit dem 1.1.2014 Heinz Lanfermann.

7. Versicherungsgewohnheitsrecht/Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung Schrifttum Beckmann Die Empfangsvollmacht des Versicherungsagenten – ein Beispiel für den Reformbedarf des Versicherungsvertragsgesetzes, Verantwortlichkeit im Wirtschaftsrecht, in: Beiträge zum Versicherungs- und Wirtschaftsrecht der Schüler von Ulrich Hübner (2002) 29; Kollhosser Gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung und alternative Regelungen, RuS 2001 89; Lorenz Die „gewohnheitsrechtliche“ Erfüllungshaftung des Versicherers im bisherigen und im zukünftigen Versicherungsvertragsrecht, Festschrift Canaris (2007) 757; Schirmer Der Repräsentantenbegriff im Wandel der Rechtsprechung (1995); Taupitz Die „Augen und Ohren“ des Versicherers, Festschrift Lorenz (1994) 673.

Wie andere Rechtsgebiete ist auch das Versicherungsvertragsrecht durch die Rechtsprechung weiterentwickelt worden. So haben sich durch die Rechtsprechung eigenständige versicherungsvertragliche Rechtsinstrumente entwickelt; diese im VVG zu normieren, war ursprünglich auch ein Anlass für die VVG-Reform. Folgende Beispiele seien genannt: Die Entwicklung der sog. Erfüllungshaftung des VR für eine Falschberatung des (auch 280 potentiellen) VN durch einen Versicherungsagenten des VR: So darf z. B. danach der VN grundsätzlich auf die sachliche Richtigkeit vertragswesentlicher Erklärungen des Versicherungsagen279

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Wandt6 Rn. 120. Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 1484; Meixner/Steinbeck § 1 Rn. 376. Kalis VersR 2002 292; Lamping VersMed 2007 144; Langheid/Wandt/Bruns2 Vor §§ 307–309 Rn. 90. Veröffentlicht unter https://www.pkv-ombudsmann.de/statut/statut-stand-2016.pdf (Abrufdatum: 17.9.2019). Vgl. Wandt6 Rn. 120. Armbrüster2 Rn. 167.

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ten vertrauen. Sind diese falsch, muss der VR gegenüber dem VN hierfür einstehen. Dabei ist die Rechtsprechung über die Haftung nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss hinausgegangen und hat dem VN im Rahmen der sog. Erklärungshaftung des VR für seinen Agenten einen Erfüllungsanspruch nach Maßgabe der Erklärungen des Agenten bzw. der unkorrigiert gebliebenen Fehlvorstellung des VN gewährt.991 Dies gilt nur dann nicht, wenn den VN ein „erhebliches eigenes Verschulden“ an seiner Fehlvorstellung trifft, z. B. bei offensichtlichem Widerspruch der Aussage des Agenten zu eindeutig formulierten AVB.992 Das Institut der Erfüllungshaftung ist dem Schuldrecht außerhalb des Versicherungsvertragsrechts fremd.993 Die auf Gewohnheitsrecht gestützte994 Erfüllungshaftung hat der Gesetzgeber in dieser Form nicht in das VVG 2008 übernommen. Zwar hat der Gesetzgeber in § 6 VVG n. F. umfassende Beratungspflichten des VR und in § 62 VVG für Versicherungsvermittler (und Versicherungsberater über § 68 Satz 1 VVG) geregelt, die in den Grundsätzen über die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung enthalten sind. Eine Verletzung dieser begründet aber ebenso wie die Verletzung der neu geschaffenen Informationspflichten des VR durch § 7 VVG n. F. nur einen Anspruch des VN auf Schadensersatz und nicht auf Erfüllung.995 Die Frage, inwieweit die frühere, zum Gewohnheitsrecht entwickelte Rechtsprechung damit überholt ist oder doch noch Geltung haben kann, wird unterschiedlich beantwortet. Teilweise wird argumentiert, dass mit den Neuregelungen ein neues in sich stimmiges Konzept entwickelt wurde, in welchem für Gewohnheitsrecht kein Platz mehr sei;996 nur punktuell bestehende, ungeschriebene Aufklärungs- und Beratungspflichten des alten Rechts sind darin aufgegangen.997 Indes sind instanzgerichtliche Entscheidungen ergangen und finden sich Ansichten im Schrifttum, die von einer Fortgeltung der Erfüllungshaftung auch nach der VVG-Reform ausgehen.998 Es kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Reformgesetzgeber das gesamte Gewohnheitsrecht außer Kraft setzen wollte.999 Dies gilt umso mehr, da die VVG-Reform den Verbraucherschutz zu stärken beabsichtigte.1000 Vor diesem Hintergrund sprechen die besseren Argumente für eine Fortgeltung der gewohnheitsrechtlich anerkannten Erfüllungshaftung, die freilich nur Bedeutung erlangt, wenn ein Schadensersatzanspruch das Interesse des VN nicht hinreichend ausgleicht und der Ersatz des Erfüllungsinteresses im Raum steht. Insbesondere dann, wenn das vom Vermittler fälschlich als mitversichert bezeichnete Risiko nirgendwo anders hätte überhaupt versichert werden können, hilft auch ein Vorgehen über einen Anspruch aus culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB nicht weiter.1001

991 RG 19.1.1915 – VII 335/14, RGZ 86 128, 133 f.; BGH 9.5.1951 – II ZR 8/51, BGHZ 2 87, 90 ff. (juris Rn. 4 ff.); BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61, BGHZ 40 22, 27 f. (juris Rn. 15 f.); BGH 4.7.1989 – VI ZR 217/88, BGHZ 108 200, 205 ff. = VersR 1989 948, 949 (juris Rn. 14); Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 75; krit. zu diesem Rechtsinstitut Kollhosser RuS 2001 89, 90 ff. 992 Etwa RG 19.1.1915 – VII 335/14, RGZ 86 128, 131; BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61, BGHZ 40 22, 25 (juris Rn. 6); Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 75; Wandt6 Rn. 431. 993 Armbrüster2 Rn. 523. 994 BGH 4.7.1989 – VI ZR 217/88, BGHZ 108 200, 205 ff. = VersR 1989 948, 949 (juris Rn. 14) m. w. N.; Prölss/Martin/ Dörner30 § 59 Rn. 37. 995 Vgl. dazu ausführlich Lorenz FS Canaris (2007) 757, 772 ff. 996 Armbrüster2 Rn. 523. 997 Langheid/Wandt/Reiff2 § 69 Rn. 78; im Ergebnis ebenso etwa Langheid/Wandt/Rixecker2 § 49 Rn. 21; Wandt6 Rn. 433; Prölss/Martin/Rudy30 § 6 Rn. 78; Fricke VersR 2015 1090, 1091 ff. 998 OLG Frankfurt 19.5.2011 – 7 U 67/08, VersR 2012 342, 343 (juris Rn. 39); LG Saarbrücken 5.8.2013 – 14 O 152/ 12, VersR 2014 317, 319 (juris Rn. 22); Bruck/Möller/Schwintowski10 § 6 Rn. 79; Schimikowsi RuS 2012 577, 582; Koch FS Lorenz (2014) 199 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis3 § 69 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers3 § 6 Rn. 68; wohl auch Bruns § 8 Rn. 11. 999 Armbrüster2 Rn. 523. 1000 Vgl. etwa BTDrucks. 16/3945 S. 47. 1001 Prölss/Martin/Dörner30 § 59 Rn. 41. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB sind anwendbar; vgl. Bruns § 8 Rn. 11; Langheid/Wandt/Armbrüster3 § 6 Rn. 370. 107

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Die Entwicklung der Repräsentantenhaftung: Die Rechtsfigur des Repräsentanten1002 ist weder im BGB noch im VVG zu finden. Hieran hat sich auch nach der Reform nichts geändert.1003 Diese Rechtsfigur ist vielmehr von der Rechtsprechung entwickelt worden und verfolgt den Zweck, das Verschulden einer Person, die formal kein Beteiligter des Versicherungsvertrages ist, jedoch bezüglich der versicherten Sache anstelle des VN steht oder handelt, zu berücksichtigen, um den Leistungsanspruch versagen zu können.1004 Dies ist nach der neueren Rechtsprechung des BGH, „wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist.“1005 So muss sich der VN, soweit es bei Vertragsabwicklung auf bestimmte Umstände ankommt, über den Regelungsgehalt des § 166 Abs. 1 BGB hinaus auch die Kenntnis eines Wissensvertreters zurechnen lassen.1006 Auch im Rahmen der Erfüllung von Anzeige- und Aufklärungspflichten/-obliegenheiten werden bei Verletzungen durch Wissenserklärungsvertreter diese dem VN nach § 166 Abs. 1 BGB analog zugerechnet.1007 Wissenserklärungsvertreter sind „Personen, die der VN mit der Erfüllung seiner Obliegenheiten gegenüber dem Versicherer betraut hat und die an seiner Stelle Erklärungen abgeben.“1008 282 Die Entwicklung der Relevanzrechtsprechung: Danach wird unter Abweichung vom an sich klaren Wortlaut des § 6 Abs. 3 VVG a. F. in bestimmten Fällen vorsätzlicher, aber folgenlos gebliebener Verletzung von Obliegenheiten Versicherungsschutz nur verweigert, wenn zusätzliche Umstände – wie die generelle Eignung des Verhaltens des VN zur ernsthaften Gefährdung der Interessen des VR – hinzukommen.1009 In Anlehnung an diese Rechtsprechung wurde nun im reformierten VVG in dem die Obliegenheitsverletzungen regelnden § 28 VVG ein Kausalitätserfordernis festgelegt, wonach der VR nicht leistungsfrei ist, „wenn und soweit die Obliegenheitsverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist“,1010 § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf erscheint diese Regelung sachlich gerechtfertigt, da der VR bei einem vom VN erbrachten Nachweis der Irrelevanz seiner Obliegenheitsverletzung keinen Nachteil erleidet.1011 Aus diesem Grund ist auch die frühere Beschränkung des Kausalitätserfordernisses nach § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG a. F. auf grobe Fahrlässigkeit nach Eintritt des Versicherungsfalles entfallen. Etwas anderes gilt nach der Reform aus generalpräventiven Gründen nur bei Arglist des VN, § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG.1012 283 Als Beispiel lässt sich des Weiteren die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung nennen, die das Versicherungsvertragsrecht wesentlich geprägt hat.1013 Dabei geht es u. a. um die Frage, ob der 281

1002 Hierzu etwa Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 98 ff.; Wandt2 Rn. 670 ff.; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. Rn. 46 ff. jeweils m. w. N.

1003 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 11. 1004 Schimikowski6 Rn. 1. 1005 BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 252 f. = VersR 1993 828, 829 (juris Rn. 23); BGH 7.12.2011 – IV ZR 50/11, VersR 2012, 219, 222 (Rn. 31); Armbrüster2 Rn. 1669; umfassend Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 111 ff. 1006 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 77; BGH 24.1.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117 104, 106 f. = NJW 1992 1099, 1100 (juris Rn. 11). 1007 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 77; BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, BGHZ 122 388, 389 = VersR 1993 960, 960 f. (juris Rn. 11); dazu Schirmer Der Repräsentantenbegriff im Wandel (1995) S. 11 ff. 1008 BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, BGHZ 122 388, 389 = VersR 1993 960, 960 f. (juris Rn. 11). 1009 BGH 21.4.1982 – IVa ZR 267/80, BGHZ 84 84, 87 = VersR 1982 742, 742 (juris Rn. 9); BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 832 (juris Rn. 25 ff.); BGH 21.1.1998 – IV ZR 10/97, VersR 1998 447, 448 (juris Rn. 12); BGH 7.7.2004 – IV ZR 265/03, VersR 2004 1117, 1118 (juris Rn. 10); Schimikowski6 Rn. 1; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 96; Harbauer/ Cornelius-Winkler ARB9 § 17 Rn. 102. 1010 RegE S. 69. 1011 RegE S. 69. 1012 Vgl. RegE S. 69. 1013 Dazu etwa Beckmann FS Hübner (2002) 29 ff.; Schwenker NJW 1992 343; Gröning VersR 1990 710; Taupitz FS Lorenz (1994) 673 ff. Beckmann

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Überblick über versicherungstechnische Rahmenbedingungen des Versicherungsrechts

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Versicherungskunde seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit gegenüber dem VR durch mündliche Erklärung gegenüber einem Vermittlungsagenten ordnungsgemäß erfüllt, auch wenn der Vermittlungsagent die entgegengenommene Mitteilung nicht an den VR weitergegeben hat. Der BGH hat diese Frage bejaht und ausgesprochen, dass der empfangsbevollmächtigte Versicherungsagent dem VN bildlich gesprochen als das „Auge und Ohr“ des VR gegenübersteht.1014 Grenzen findet dieser Grundsatz nach den allgemeinen Regeln, die auch für eine missbräuchliche Verwendung von Vollmachten gelten. Insbesondere im Falle kollusiven Zusammenwirkens oder evidenten Missbrauchs der Vertretungsmacht.1015 Die Versicherungswirtschaft reagierte mit vollmachtsbeschränkenden AVB, die gleichfalls Gegenstand der Rechtsprechung wurden und wiederholt im Schrifttum diskutiert wurden. Nunmehr hat die VVG-Reform diese Fragen in §§ 69 ff. VVG, insbesondere §§ 70, 71 VVG ausdrücklich normiert. Dabei ist der Gesetzgeber über die vorher geltende Rechtsprechung hinausgegangen und hat entsprechende Vorschläge aus der Literatur zu Recht aufgegriffen. Die Entstehung von Versicherungsgewohnheitsrecht wiederum ist nur in beschränktem 284 Umfang möglich, da selbst ein längerer Gerichtsgebrauch nicht ohne weiteres zu einem die Gerichte bindenden Gewohnheitsrecht führt, auch wenn er die gleiche faktische Geltung erreicht.1016 Gleichwohl finden sich etwa im Versicherungsmaklerrecht noch solche Ansätze. In Abweichung von § 99 HGB richtet sich z. B. der Vergütungsanspruch des Versicherungsmaklers (Courtageanspruch) allein gegen den VR.1017 Diese Abweichung von der handelsrechtlichen Vorgabe wird vielfach als Gewohnheitsrecht, zumindest aber als Handelsbrauch eingeordnet.1018

F. Überblick über versicherungstechnische Rahmenbedingungen des Versicherungsrechts I. Versicherungstechnik Schrifttum Martin „Einlösungsklausel“ in den Zweigen der technischen Versicherung, VersR 1971 190; Rapp Das Äquivalenzprinzip im Privatversicherungsrecht (2019); MüKo-BGB/Schradin2 Versicherungsbetriebswirtschaftslehre Rn. 6 ff; R. Schmidt Veränderungen des versicherten Risikos während der Laufzeit des Versicherungsvertrages – Zugleich eine Gedankenskizze zur Systematik des Versicherungsvertragsrecht, Festschrift Möller (1972); Stier Die Versicherungstechnik der Allgefahrenversicherung als Produkt-Gestaltungsmerkmal im Underwriting-Prozess der betrieblichen Sachversicherung; Wandt6 Rn. 123 ff.

Versicherungstechnik lässt sich vereinfacht definieren als „Summe der kaufmännischen 285 und praktischen Grundsätze, nach denen im Abgleich mit Erkenntnissen der Versicherungswissenschaft der Versicherungsbetrieb eines VU geführt und der einzelne Versicherungsvertrag behandelt werden sollte“.1019 Als Bestandteile der Versicherungstechnik sind u. a. anzusehen: – risikogerechte Beitragskalkulation; – Zeichnung unter ausreichender Berücksichtigung der versicherungstechnischen Risiken; – die für VN und VU zufriedenstellende Gestaltung der Inhalte der Verträge, vor allem der AVB; 1014 BGH 11.11.1987 – IVa ZR 240/86, BGHZ 102 194, 197 = VersR 1988 234, 237 (juris Rn. 35); BGH 10.10.2001 – IV ZR 6/01, VersR 2001 1541, 1542 (juris Rn. 11); BGH 30.1.2002 – IV ZR 23/01, VersR 2002 425, 426 (juris Rn. 14). Armbrüster2 Rn. 749; HK-VVG/Schimikowski4 § 19 Rn. 40. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 11. Vgl. etwa Beckmann/Matusche-Beckmann/Matusche-Beckmann3 § 5 Rn. 229, 393. Durstin/Peters VersR 2007 1456, 1462; Beckmann/Matusche-Beckmann/Matusche-Beckmann3 § 5 Rn. 229, 393 f. 1019 v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 897 (auch zum Folgenden).

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ausreichende Rückstellungen für noch nicht abgewickelte bzw. noch ungemeldete Schäden; eine den gezeichneten Risiken angemessene Rückversicherung; vertriebliche Maßnahmen zur Akquisition eines ausgewogenen Versicherungsbestandes, der einen Risikoausgleich im (möglichst homogenen) Kollektiv und in der Zeit erlaubt. Eine grundlegende Überlegung und ein Ausgangspunkt des Versicherungswesens liegt darin, dass es dem Einzelnen unmöglich ist, sich finanziell gegen die zahlreichen und unterschiedlichsten Risiken abzusichern.1020 Daher soll durch das Versicherungsgeschäft eine finanzielle Vorsorge für den Einzelnen erreicht werden, indem der Schaden bzw. vorher das Schadensrisiko auf eine Gemeinschaft übertragen wird. Der Grundgedanke der Versicherung ist dabei, dass sich nach der Erfahrung Risiken einer hohen Anzahl von Versicherungsverträgen nur bei einem kleinen Teil verwirklichen.1021 Diese Umwälzung von Risiken soll unter Zuhilfenahme der Versicherungstechnik ermöglicht werden, die sich der Wahrscheinlichkeitsregeln bedient, um für ein bestimmtes Risiko im Voraus den jährlichen Gesamtbedarf abschätzen zu können (stochastisches Gesetz der großen Zahl).1022 Dieser Gesamtbedarf ist im Vergleich zum einzelnen Risiko eher berechen- und kalkulierbar, so dass er als Grundlage der Prämienberechnung herangezogen werden kann.1023 Der so ermittelte voraussichtliche Bedarf an Versicherungsleistungen versetzt den VR in die Lage, den Versicherungsschutz gegen Zahlung einer Prämie anzubieten, die einerseits den zu erwartenden Schadensbedarf, andererseits aber auch die Kosten des VU abdeckt und einen angemessenen Gewinn enthält.1024 Da die künftige Entwicklung des kalkulierten Risikos jedoch auch für den VR nur ungenügend abschätzbar ist, verbleibt ein sog. Änderungsrisiko.1025 Daher beruht die Prämienkalkulation nicht allein auf Erfahrungswerten, sondern auch auf einer vorsichtigen Wahl der Berechnungsgrundlagen sowie der Erhebung von Sicherheitszuschlägen.1026 Gesetzlich vorgeschrieben sind solche Sicherheitszuschläge seit der VVG-Reform allein für die Lebensversicherung gemäß § 138 Abs. 1 VAG und die Krankenversicherung gemäß § 146 Abs. 1, 2 VAG. Stellt sich heraus, dass die Sicherheitszuschläge nicht benötigt werden, so sieht das VAG in den §§ 140 Abs. 2, 3 und 160 Abs. 1 Nr. 6 VAG Regelung zur Beitragsrückerstattung vor.1027 Die Grenze der Versicherbarkeit ist erreicht, wenn die Höhe der Prämie nicht kalkulierbar ist1028 bzw. wenn der Gesamtbedarf, der durch eine bestimmte Gefahr ausgelöst werden kann, nicht einmal annähernd abschätzbar ist. Beeinflusst wird die Versicherbarkeit zudem von der Eigenkapitalausstattung und dem Versicherungsbestand des VR sowie den Möglichkeiten einer Risikostreuung und Risikoverlagerung, z. B. durch Mitversicherung, Versicherungspools oder über die Rückversicherung.1029 Für die Berechnung des Anteils, den der einzelne VN am Gesamtbedarf leisten muss, ist der Grundsatz der Risikogerechtigkeit der Prämie maßgeblich. Zunächst wird der Gesamtbedarf im Voraus geschätzt und so die Höhe der vom VR insgesamt benötigten Prämien ermit-

Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 122; ders. Rn. 123, 124. Deutsch/Iversen7 Rn. 3 f.; Hofmann PVR4 § 2 Rn. 4; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 46. Wandt6 Rn. 125. Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 125; ders. Rn. 127; Langheid/Wandt/Schradin2 Versicherungsbetriebslehre Rn. 7. 1024 Deutsch/Iversen7 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 234. 1025 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 127; Farny5 S. 89 ff.; R. Schmidt FS Möller (1972) 443, 450 ff. 1026 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 127 f.; zum sog. Trendzuschlag vgl. Rehnert in HdV 1988 289, 293; zum Änderungsrisiko insbesondere Farny5 S. 89 ff.; weitergehend zu den Sicherheitszuschlägen und der dadurch entstehenden Problematik der „überhobenen Beiträge“ siehe Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kapitel 1 Rn. 127 f.; ders. Rn. 127 ff. 1027 Wandt6 Rn. 128 (auch zum Vorstehenden); ders. Rn. 119 auch zur Möglichkeit das Änderungsrisiko durch Prämienerhöhungen aufzufangen. 1028 Wagner VersR 1991 249, 258. 1029 Wandt6 Rn. 130 (auch zum Vorstehenden).

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Überblick über versicherungstechnische Rahmenbedingungen des Versicherungsrechts

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telt.1030 Notwendige Voraussetzung des kollektiven Äquivalenzprinzips ist, dass sich in einem auf Dauer angelegten Versicherungsbetrieb die Risikoprämieneinahmen und Schadensausgaben wenigstens die Waage halten müssen. Die Prämien eines Kollektivs müssen dessen Schadenserwartungswert zumindest ausgleichen, da es andernfalls unweigerlich zu einem Verlust für den VR kommen würde.1031 Nach dem Grundsatz der Risikogerechtigkeit der Prämie ist dann entscheidendes Kriterium für die Frage, mit welchem Anteil der einzelne VN belastet wird, vorwiegend die Höhe des Risikos desjenigen, dem im Einzelfall Versicherungsschutz gewährt werden soll. Für diese Risikoeinschätzung kann der VR häufig auf statistisch abgesicherte Werte zurückgreifen. Eine ganz exakte Bestimmung des Risikos, dass der VN abdecken lassen möchte („individuelles Äquivalenzprinzip“), ist jedoch häufig zu teuer oder schwierig bzw. auch gar nicht möglich. Folglich muss das Äquivalenzprinzip auf ein Kollektiv – nicht zwingend auf ein solches gleicher Risiken – bezogen werden.1032 Diese Handhabung führt letztlich dazu, dass die überdurchschnittlich hohen Risiken durch die unterdurchschnittlich hohen Risiken praktisch „subventioniert“ werden; je nach Versicherungsart soll dies aus „sozialen Gründen“ auch erwünscht sein.1033 Eine besondere Bedeutung für das Versicherungsvertragsrecht hat die Tatsache, dass 290 Versicherung ein Massengeschäft ist und für das „Funktionieren“ des Produkts Versicherung wesentlich ist, „wenn das wirtschaftlich übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt.“1034 Dies führt dazu, dass nicht nur die übernommenen tatsächlichen Risiken, sondern auch die rechtlichen Regelungen für diese im Wesentlichen einheitlich sind.1035 Als Beispiel und Beleg ist darauf hingewiesen worden, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) zu den ältesten Typen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zählen; AVB sind Grundlage für alle Versicherungsabschlüsse und das Versicherungswesen ist deshalb „in besonderem Maße auf die Gleichmäßigkeit und Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung angewiesen“.1036 Denn letztlich entscheidet diese durch die Auslegung der AVB darüber, welches Risiko der Versicherer tatsächlich tragen muss. Eine unterschiedliche Auslegung je nach Einzelfall würde dazu führen, dass die Versicherungsverträge uneinheitlich wären und damit würde es an einer wichtigen Voraussetzung für die Versicherungstechnik fehlen.1037 Im Ergebnis muss festgestellt werden, dass die dem Versicherungswesen charakteristische Zusammenfassung von Einzelrisiken zu einem Kollektiv den Inhalt sowohl von Gesetzesals auch von Vertragsregelungen beeinflusst und bei deren Auslegung Beachtung finden muss.1038

II. Versicherungsmarkt Neben der Versicherungstechnik hängt die Behandlung von Versicherungsverträgen naturge- 291 mäß auch in erheblicher Weise von der „Verfassung der Versicherungsmärkte“ ab, da diese 1030 Wandt6 Rn. 151 f.; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 130 f. (auch zum Folgenden). 1031 Rapp S. 77. 1032 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 130 f.; ausführlich zum Risikogeschäft als Kern des Versicherungsgeschäfts Farny5 S. 24 ff.

1033 Wandt6 Rn. 152; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 131; zu weiteren Auswirkungen Farny5 S. 67 ff. 1034 BVerwG 12.5.1992 – 1 A 126/89, BVerwGE 90 168, 170 = VersR 1992 1381, 1382 (juris Rn. 20); Halm/Engelbrecht/ Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 134; Wandt6 Rn. 135. 1035 Wandt6 Rn. 135; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 134; siehe dazu auch Farny ZVersWiss 1975 169 ff. 1036 Wandt6 Rn. 136; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 135. 1037 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 135; zur Auswirkung von AVB auf das Versicherungsprodukt Farny ZVersWiss 1975 169, 177 ff. 1038 Wandt6 Rn. 136; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 135. 111

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unmittelbare Folgen für seine Regulierung hat.1039 Dies folgt aus der „tragenden Annahme unseres Schuldrechts“, dass „die funktionierenden Marktmechanismen, vermittelt über die Entscheidungsfreiheit jedes Marktteilnehmers und den Wettbewerb, selbsttätig gerechte Güteraustauschbeziehungen (= Vertragsverhältnisse) und optimale Güterversorgung garantieren“.1040 Für Versicherungsleistungen gibt es keinen einheitlichen Markt. Eine Unterscheidung erfolgt zwischen Versicherungen für Jedermann (z. B. Privathaftpflicht- und Lebensversicherung) und Versicherungen zur Absicherung gewerblicher, beruflicher und industrieller Risiken (z. B. Industrie-Feuerversicherung und Betriebsunterbrechungsversicherung).1041 Im Hinblick auf einen europäischen Versicherungsbinnenmarkt haben dabei die EU-rechtlichen Vorgaben erheblichen Einfluss nicht nur auf das Versicherungsaufsichtsrecht, sondern auch auf das Versicherungsvertragsrecht. Insbesondere spielt dies für EU-Richtlinien, die bereits zu einer weitgehenden Deregulierung des Versicherungsrechtes geführt haben, eine Rolle. Ziel des EU-Gesetzgebers ist es dabei, dass die VN „zu einer möglichst breiten Palette der in der Gemeinschaft angebotenen Versicherungsprodukten Zugang erhalten“;1042 vgl. zum „Europäischen Versicherungsaufsichtsrecht“ die Ausführungen bei Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 18 ff.

G. Digitalisierung Schrifttum Armbrüster Online-Vertrieb von Versicherungsprodukten, JuS 2019 299; ders. Der Abschluss von Versicherungsverträgen über das Internet, RuS 2017 57; Armbrüster/Pfeiffer Rechtsfragen rund um Versicherungs-Apps, ZfV 2016 277; Boetius/Rogler/Schäfer/Marko § 6. Digitalisierung und Produktgestaltung; Brandl Der Vertrieb von Versicherungen im Internet, VbR 2015 16; Fischer Versicherungsvertrieb 4.0 Auswirkungen des Check24-Urteils und der Versicherungsvertriebs-RL, BB 2016 3082; Goretzky Die Umsetzung der IDD in deutsches Recht: Eine Bestandsaufnahme unter digitalem Blickwinkel, VersR 2018 1; Lehmann/Rettig Versicherungsvertrieb im Internet NJW 2017 596; Notthoff Der Versicherungsvertragsabschluss im Internet, RuS 2018 523; Präve/Schreier Die Rolle des Versicherungsrechts als Spiegel des Zeitenwandels, VersR 2018 1349; vgl. in diesem Band umfassend Fischer Generaleinführung F. InsurTech, S. 430.

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Die Digitalisierung führt selbstverständlich in vielfältiger Weise auch zu ganz erheblichen Veränderungen der Versicherungswirtschaft. Hierdurch ergeben sich Auswirkungen auf ganz verschiedene Bereiche, insbesondere auf den Versicherungsvertrieb, die Produktgestaltung, die Vertragsdurchführung bis hin zur Schadensabwicklung; neue und andere Schadensverläufe werden zu beachten sein. Zudem eröffnet die Digitalisierung neue Geschäftsfelder und ermöglicht Wettbewerbern den Zugang zum Versicherungsmarkt.1043 Zu Recht weist Armbrüster darüber hinaus darauf hin, dass die Digitalisierung auf anderen Gebieten zumindest mittelbare Auswirkungen für das Versicherungswesen haben und nennt das Beispiel der Entwicklung zum

1039 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 143; Farny5 S. 100; Wandt 6 Rn. 145. 1040 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 143; vgl. speziell zum Versicherungsmarkt Scholz ZVersWiss 1984 1, 17. 1041 Wandt6 Rn. 146. 1042 Erwägungsgrund Nr. 77 der Richtlinie 2009/138/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs-und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II); Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 150, mit Ausführungen zu der hierausfolgenden Problematik der Erschwerung des Überblicks für den VN durch größere Produkt- und Preisvielfalt. 1043 Studie der EY Innvalue Managmentberatung und des Institutes für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen abrufbar unter https://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/ey-die-chancen-der-it-in-der-digitalisierungvon-versicherern/$FILE/ey-die-chancen-der-it-in-der-digitalisierung-von-versicherern.pdf (Abrufdatum 8.11.2019). Beckmann

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Digitalisierung

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autonomen Fahren, das Fragen nach den Folgen für die Behandlung der Kfz-Haftpflichtversicherung und der Produkthaftpflichtversicherung aufwirft.1044 Die Tendenz des digitalen Vertragsschlusses in der Versicherungsbranche ist steigend 293 und bringt ganz erhebliche rechtliche Fragen insbesondere im Zusammenhang mit dem digitalen Vertrieb von Versicherungsprodukten mit sich.1045 Dem herkömmlichen als auch dem digitalen Vertragsschluss ist gemein, dass es für den Vertragsabschluss auf die grundsätzlichen bürgerlichrechtlichen Voraussetzungen sowie auf die versicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen ankommt. Letztere – wie etwa die Beratungs- und Informationspflichten – stellen zwar keine Wirksamkeitsvoraussetzungen für den Vertragsschluss dar, sind aber echte Pflichten des VR und deshalb selbstverständlich auch zur Vermeidung etwaiger vertrags- und aufsichtsrechtlicher Konsequenzen einzuhalten. Die Gestaltungsmöglichkeiten im Internet sind jedoch vielfältig. So kann der VR etwa mittels Onlineportales seine Produkte online direkt vertreiben oder aber mittels M-Commerce, einem deviceunabhängigen Onlineauftritt des VR,1046 bei dem auch Versicherungs-Apps umfasst sind. Auch Kombinationen aus online und offline Vertragsschluss (ROPO = „research online, purchase offline“ oder „Research offline, purchase online“) sind möglich.1047 Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem digitalen Betrieb betreffen u. a. die Frage nach der Erfüllung der Informationspflichten des VR. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 VVG hat der VR dem Interessenten seine Vertragsbestimmungen einschließlich der AVB sowie die in einer Rechtsverordnung nach § 7 Abs. 2 VVG bestimmten Informationen in Textform (§ 126b S. 1 BGB) mitzuteilen. § 7 Abs. 1 S. 3, 1. Hs. VVG, welcher regelt, dass im Fernabsatz die Informationen erst nach Vertragsschluss übermittelt werden müssen, greift beim Fernabsatz von Versicherungsprodukten über das Internet nicht ein.1048 Näher zu betrachten gilt, in welcher Weise das Textformerfordernis im Internet gewahrt werden kann.1049 Bei Online Vertragsschluss lässt sich diese Anforderung insbesondere durch USB-Stick und auch CD-ROM erfüllen. Aber auch die Übermittlung mittels E-Mail kann den Anforderungen gerecht werden, da beim Vertragsschluss über das Internet oder über Apps eine Informationserteilung in Textform möglich ist. Eingreifen kann hingegen § 7 Abs. 1 S. 3, 2. Hs. VVG; zwar setzt die Vorschrift eine gesonderte schriftliche Verzichtserklärung voraus; indes kann diese gemäß §§ 125 Abs. 3, 126a BGB in elektronischer Form erfolgen; freilich hat diese sich in der Praxis bisher noch nicht durchgesetzt.1050 Insoweit ist indes problematisch, dass es sich nach dem Konzept des § 7 Abs. 1 VVG um eine Ausnahme handelt und der VR auf einen Verzicht nicht systematisch hinwirken darf.1051 Jedenfalls ist eine Informationserteilung via E-Mail zulässig.1052 Weiterhin ist dem Textformerfordernis regelmäßig auch durch sog. sophisticated Websites genüge getan. Hierbei ist zwischen zwei Ausgestaltungen der sophisticated Websites zu differenzieren: den Bereitstellungswebsites und den Datenträgerwebsites. Die Bereitstellungswebsite führt zu einem Zwangsdownload, während die Datenträgerwebsite einen personalisierten, dauerhaften und unveränderbaren, insbesondere vor einseitigen Änderungen durch den VR geschützten, Speicherbereich für den einzelnen VN vorsehen und damit selbst einen dauerhaften Datenträ-

1044 Armbrüster2 Rn. 201 f.; dazu etwa Janal/Gless Hochautomatisiertes und autonomes Autofahren – Risiko und rechtliche Verantwortung, JR 2016 561; Koch Verteilung des Haftpflichtversicherungs-/Regressrisikos bei Kfz-Unfällen während der Fahrzeugführung im Autopilot-Modus gem. § 1a Abs. 2 StVG, VersR 2018 901; Lutz Autonome Fahrzeuge als rechtliche Herausforderung, NJW 2015 119. 1045 Armbrüster2 Rn. 204. 1046 Armbrüster2 Rn. 203. 1047 Notthoff RuS 2018 523, 523. 1048 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski3 § 7 Rn. 19; a. A. wohl Bruck/Möller/Hermann10 § 7 Rn. 88. 1049 Zur Tragung des Übermittlungsrisikos/ der Beweislast der Übermittlung vgl. Armbrüster JuS 2019 299, 302 ff. 1050 Vgl. etwa BeckOK-BGB/Wendtland (Stand: 1.2.2020) § 126a Rn. 1. 1051 Armbrüster2 Rn. 902; a. A. Wandt6 Rn. 324. Zu dieser Frage Bruck/Möller/Schwintowski10 § 7 Rn. 132. 1052 Armbrüster JuS 2019 299, 301. 113

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ger darstellen kann.1053 Nichtsdestotrotz verbleibt es dabei, dass der VR gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 VVG den Zugang der Information bei Kunden darzulegen und ggf. zu beweisen hat. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die Informationen lediglich auf einer einfachen Website, ohne Speicherfunktion abrufbar sind.1054 294 Noch schwieriger ist die Erfüllung der gesetzlichen Beratungspflichten (§§ 6, 61 VVG) beim Vertragsabschluss via Internet. Das VVG regelt in §§ 6 Abs. 1 S. 1 und 61 Abs. 1 S. 1 VVG, dass ein Vertreiber auch bei einem Vertragsschluss anlassbezogene Beratung leisten muss.1055 Dies gilt auch beim Versicherungsvertrag, der im Fernabsatz geschlossen wird; die ursprüngliche Ausnahme gemäß § 6 Abs. 6 VVG a. F. ist mit Wirkung zum 23.2.2018 weggefallen. Es ist allerdings auch ein Verzicht einer Beratung möglich (§§ 6 Abs. 3, 61 Abs. 2 VVG). War ein solcher Verzicht ursprünglich nur durch Schriftform möglich, ist seit dem 23.2.2018 im Fernabsatz auch eine gesonderte Erklärung in Textform ausreichend.1056 Auch während der Vertragslaufzeit besteht nach § 6 Abs. 4 VVG grundsätzlich eine Beratungspflicht. Der Beratungspflicht nachkommen kann der VR etwa durch sog. Drop-down-Menüs aber auch durch Video oder Instant-Chats. Es ist von dem VR im Rahmen einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung zu erwarten, dass er Rückfragen an den Vertragsinteressenten stellt, wenn er fehlende, unklare oder widersprüchliche Angaben feststellt.1057 Dies ergibt sich u. a. aus dem Kooperationsgebot.1058 Im Einzelfall ist zu untersuchen, ob die technischen Vorgaben tatsächlich die erforderlichen Voraussetzungen einer hinreichenden Beratung erfüllen (dazu Fischer Generaleinführung F. InsurTech Rn. 141 ff.). 295 Schließlich sei darauf hingewiesen, dass auch die Erfüllung der Anzeigeobliegenheit gemäß § 19 VVG beim Vertragsschluss Rechtsfragen aufwirft. Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 VVG bezieht sich die Anzeigeobliegenheit des Kunden grundsätzlich nur auf Fragen, die der VR ihm in Textform gestellt hat. Aus dem Normzweck lässt sich schließen, dass dem Kunden die Fragen zu übermitteln sind; beim Vertragsschluss via Internet lassen sich die Anforderungen an eine Informationsübermittlung in Textform heranziehen.1059 Zudem weist Armbrüster zurecht auf Probleme hin, wenn der Kunde Rückfragen hat oder sensible Gesundheitsdaten übermittelt werden sollen.1060 Auch dies zeigt, dass der digitale Vertragsschluss je nach Versicherungsprodukt mit unterschiedlichen rechtlichen Hürden verbunden ist. 296 Erheblichen Einfluss hat die Digitalisierung auch auf die Produktgestaltung. Zum einen entstehen neue Produkte wie z. B. die Cyber-Versicherung.1061 Zudem verändert sie vorhandene Produkte. In der Hausratversicherung finden sich sog. Smart-Home-Module; diese statten den VN mit technischen Einrichtungen aus, die bestimmte Informationen über die Räume des VN und mögliche Schäden erfassen und über eine Funkverbindung übermitteln.1062 Erhebliche rechtliche Fragen unter vielen Aspekten stellen sich auch bei sog. Telematik-Tarife in der Kfz1053 Reiff VersR 2018 193, 202; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 6a Rn. 16; unter Hinweis auf die vom EFTA-Gerichtshof getroffene Unterscheidung EFTA-Gerichtshof 27.1.2010 – E-4/09, VersR 2010 793, 797 (Rn. 64 ff.) mit Anm. Reiff VersR 2010 797; Fischer BB 2012 2773. 1054 Armbrüster JuS 2019 299, 302. 1055 Notthoff RuS 2018 523, 525. 1056 Armbrüster JuS 2019 299, 305. 1057 Notthoff RuS 2018 523, 525. 1058 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 247 ff. 1059 Armbrüster JuS 2019 299, 305. 1060 Armbrüster2 Rn. 205. 1061 Dazu etwa Choudhry Der Cyber-Versicherungsmarkt in Deutschland: Eine Einführung (2014); Beckmann Cyber-Risiken und Versicherungsschutz, in: Rechtsprobleme der Informationsgesellschaft – Japanisch-Deutscher Rechtsdialog (2018) 43; Fortmann Cyberversicherung: ein gutes Produkt mit noch einigen offenen Fragen, RuS 2019 429; Malek/Schilbach Versichertes Risiko in der Cyber-Versicherung – Umfang und Grenzen des Deckungsschutzes, VersR 2019 1321; Erichsen Cyber-Risiken und Cyber-Versicherung: Abgrenzung und/oder Ergänzungen zu anderen Versicherungssparten, CCZ 2015 247. 1062 Baumann/Koch § 1 Rn. 13; dazu Rudkowski Versicherungsrechtliche Probleme des vernetzten Zuhauses („Smart Home“), VersR 2017 1 ff. Beckmann

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Sonstige konzeptionelle Grundbegriffe des Versicherungsvertragsrechts

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Versicherung1063 oder bei der Verwendung von Gesundheits-Apps,1064 um nur einige Beispiele mit Literaturhinweisen zu nennen. Auch bei der Vertragsdurchführung, insbesondere bei der Schadensabwicklung kann die Digitalisierung dazu führen, dass es zu vereinfachten und beschleunigten Prozessen kommt. So ermöglicht die sog. Blockchain-Technologie1065 z. B. gewisse Schadensereignisse bereits frühzeitig zuverlässig festzustellen.1066 Vgl. zu hiermit zusammenhängenden Fragen auch zum Datenschutz Fischer Generaleinführung F. InsurTech Rn. 174 ff.

H. Sonstige konzeptionelle Grundbegriffe des Versicherungsvertragsrechts I. Terminologie des VVG Das Versicherungsvertragsrecht hat als „Sonderrecht für den Versicherungsvertrag“ eine „für 297 sein Verständnis bedeutende besondere Terminologie“ entwickelt:1067 – Der Versicherer (VR) nach dem VVG bezeichnet das im VAG genannte Versicherungsunternehmen (VU), welches im allgemeinen Sprachgebrauch als „die Versicherung“ bezeichnet wird. Der VR schließt als eine Partei den Versicherungsvertrag ab. – Der Vertragspartner des VR beim Versicherungsvertrag ist der Versicherungsnehmer (VN).1068 (Mit-)Versicherte sind Personen, denen der Versicherungsvertrag neben dem VN Versicherungsschutz gewährt, die aber selbst keine Vertragspartei sind. – Der vom VVG verwendete Begriff der Versicherung meint den Versicherungsvertrag.

II. Parteien und Personen des Versicherungsverhältnisses (Überblick) 1. Versicherer Auf Seiten des Versicherers (VR) lässt sich differenzieren zwischen den privaten, den öffentlich- 298 rechtlichen und den ausländischen Versicherern: Private Versicherer: Gemäß § 8 Abs. 2 VAG darf nur Versicherungsunternehmen in der 299 Form von AGs, einschließlich der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea; SE) und VVaG (numerus clausus der Versicherungsunternehmen) die Erlaubnis zum Abschluss von Versicherungsverträgen erteilt werden. In bestimmten Versicherungssparten herrscht das Prinzip der Spartentrennung, welches besagt, dass die Erlaubnis zum Betrieb einer bestimmten Versicherung die Erlaubnis zum Betrieb anderer Versicherungssparten ausschließt.1069 In § 8 Abs. 4 S. 2 VAG ist dies für die Erlaubnis zum Betrieb der Lebensversicherung und der substitutiven

1063 Brand Zulässigkeit und Ausgestaltung von Telematiktarifen, VersR 2019 725; Klimke Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung, RuS 2015 217; Matusche-Beckmann Big-Data-basierte Versicherungsprodukte am Beispiel sogenannter Kfz-Telematiktarife, in: Rechtsprobleme der Risikogesellschaft – Japanisch-Deutscher Rechtsdialog (2020) 91. 1064 Brömmelmeyer Belohnungen für gesundheitsbewusstes Verhalten in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung? Rechtliche Rahmenbedingungen für Vitalitäts-Tarife RuS 2017 225; Gaßner/Strömer Mobile Health Applications – haftungsrechtlicher Standard und das Laissez-faire des Gesetzgebers, VersR 2015 1219. 1065 Vgl. etwas Simmchen MMR 2017 162 ff. 1066 Armbrüster2 Rn. 216. Zu hiermit zusammenhängenden Fragen auch Goretzky Online durchgeführte Risikoprüfungen und Schadensregulierungen, VersR 2019 916. 1067 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 80 (auch zum Folgenden). 1068 Wandt6 Rn. 47; Bruns § 5 Rn. 10. 1069 Deutsch/Iversen7 Rn. 115. 115

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Krankenversicherung so geregelt. Der Grund dafür liegt darin, dass gerade in diesen Bereichen die Interessen der Versicherten besonders gewahrt werden müssen.1070 300 Öffentlich-rechtliche Versicherer sind auf der Grundlage von Landesrecht als Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts errichtete juristische Personen des öffentlichen Rechts, welche Versicherungsdeckung gegen übliche Risiken wie Feuer oder Haftpflicht gewähren.1071 Beispiele: durch Landesgesetz errichtete Brandversicherungsanstalten, landesrechtlich begründete Versorgungseinrichtungen mit Zwangsmitgliedschaft wie die Ärzte- und Anwaltsversorgungen.1072 Nach § 8 Abs. 2 VAG bedürfen auch die öffentlich-rechtlichen Versicherer der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde. Die Eigenschaft der öffentlich-rechtlichen Versicherer als sog. Monopolanstalten ist durch EU-Recht abgeschafft worden, so dass sie nicht mehr der Deckung kraft landesrechtlich angeordneter, öffentlich-rechtlicher Versicherungspflicht dienen. Ihnen kommt praktisch eher nur eine Randbedeutung zu.1073 Das VVG hat auch für die mit den öffentlich-rechtlichen Versicherern abgeschlossenen Verträge Geltung.1074 301 Ausländische Versicherer: Da Versicherungsunternehmen auch im Ausland arbeiten, stellt sich die Frage, ob und inwieweit ein ausländischer Versicherer für Tätigkeiten im Inland der Erlaubnis bedarf und wie er kontrolliert wird. Den inländischen VR gleichgestellt sind zwischenzeitlich europäische Unternehmen mit Sitz im europäischen Wirtschaftsraum; vgl. §§ 61 ff. VAG (dazu oben Rn. 245). Unternehmen mit Sitz außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes werden aufsichtsrechtlich durch §§ 67 ff. VAG geregelt; diese bedürfen der Erlaubnis, müssen eine Niederlassung im Inland begründen und aufrechterhalten und einen Hauptbevollmächtigten bestellen, der im Inland seinen Wohnsitz hat (dazu auch Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 97 f.).

2. Versicherungsnehmer 302 Versicherungsnehmer (VN) treffen die versicherungsvertraglichen Pflichten und Obliegenheiten. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Versicherungsdeckung dem VN selbst oder einem Dritten gewährt wird. Den VN trifft grundsätzlich die Pflicht zur Prämienzahlung genauso wie die anderen versicherungsvertraglichen Pflichten und Obliegenheiten, soweit nicht durch eine Gesetzesvorschrift oder AVB allein ein Dritter von diesen betroffen ist.1075 303 Als VN kommen in Betracht: – natürliche oder juristische Personen;1076 – Zusammenfassungen von Personen, wie rechtsfähige Personengesellschaften (z. B. die OHG). Auf Versicherungsnehmerseite kommen auch Bruchteilsgemeinschaften (z. B. Miteigentümer) in Betracht, etwa wenn die Versicherung einen bestimmten gemeinsam gehaltenen Gegenstand betrifft; rechtlich sind indes dann die Mitglieder der Gemeinschaft die VN des Versicherungsvertrages.1077 304 Der VN kann sich sowohl bei Vertragsabschluss als auch während des Vertragsverhältnisses durch einen gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter vertreten lassen, wobei für die Stellvertretung grundsätzlich unbeschränkt die allgemeinen Vorschriften des BGB sowie bei VN, die

1070 Deutsch/Iversen7 Rn. 115; näher zu den privaten Versicherern Deutsch/Iversen7 Rn. 115 ff.; Wandt6 Rn. 62 f.; Farny5 S. 120; hierzu näher MAH Versicherungsrecht/Gebert4 § 37 Rn. 45. Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 9. Deutsch/Iversen7 Rn. 119; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 9. Bruns § 5 Rn. 9. Deutsch/Iversen7 Rn. 119. Deutsch/Iversen7 Rn. 101. Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 12; Deutsch/Iversen7 Rn. 101. Deutsch/Iversen7 Rn. 101; s. hierzu ausführlicher Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 13–16.

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Sonstige konzeptionelle Grundbegriffe des Versicherungsvertragsrechts

Kaufleute sind, die allgemeinen Bestimmungen des Handelsrechts Anwendung finden1078 (s. bereits Rn. 198, 206).

3. Versicherungsvermittler Als Versicherungsvermittler bezeichnet man „Personen, die – ohne dabei selbst VN oder VR zu 305 sein – kraft rechtsgeschäftlich entstandener Geschäftsbesorgungsmacht für einen anderen einen Versicherungsvertrag anbahnen, vermitteln oder abschließen, möglicherweise auch bei der Abwicklung des Versicherungsvertrages mitwirken“.1079 Untergruppen hierzu sind der Versicherungsmakler, der Versicherungsvertreter/Versicherungsagent und Versicherungsberater.1080 Legaldefinitionen i. S. d. VVG für Versicherungsvertreter, -makler und -berater finden sich in § 59 Abs. 2 bis 4 VVG. Nicht unter den Begriff des Versicherungsvermittlers fällt der gesetzliche Vertreter der Vertragsparteien.1081 Die Bedeutung der Versicherungsvermittlung ist weiterhin eminent groß. Zahlreiche Fragen waren lange Zeit gesetzlich kaum geregelt; insbesondere durch die Vermittlerrichtlinie aus dem Jahre 2002,1082 die mittlerweile durch die Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (sog. IDD)1083 ersetzt wurde, hat sich insoweit ein Wandel vollzogen und zu teilweise neuen Rahmenbedingungen sowohl im VVG, aber auch in der GewO geführt; vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu §§ 59 ff.

4. Versicherter; Versicherung für „fremde Rechnung“, Mitversicherter Die Versicherung für fremde Rechnung ist in den §§ 43 bis 48 VVG (zuvor §§ 74–80 VVG a. F.) 306 geregelt. In § 43 Abs. 1 VVG wird der Begriff legal definiert: „Der VN kann den VV im eigenen Namen für einen anderen, mit oder ohne Benennung der Person des Versicherten, schließen“. Versicherter im Sinne dieser Vorschriften ist damit eine versicherte Person, die nicht VN ist.1084 Bei der Versicherung für fremde Rechnung findet sich also zusätzlich zum VN die weitere Person des Versicherten; es handelt sich um einen (Versicherungs-)Vertrag zugunsten eines Dritten nach § 328 BGB.1085 Dabei spielt es keine Rolle, ob der Vertrag auch auf Rechnung des Dritten durchgeführt wird, dieser also im Innenverhältnis zum VN die Kosten trägt.1086 Für den Fall, dass der VN selbst und zugleich der Versicherte durch einen einheitlichen Vertrag Versicherungsschutz genießen, liegt eine sog. Mitversicherung des Interesses des Versicherten vor.1087 Das Gesetz spricht von „mitversicherter Person“ (§ 14 VVG). Im Versicherungsaufsichtsrecht wird hingegen, anders als im VVG, der Begriff „Versicherter“ oftmals als Oberbegriff für alle diejenigen Personen gebraucht, welche am Versicherungsvertrag als Partei beteiligt sind.1088 1078 Wandt6 Rn. 48. 1079 Bruck/Möller/Möller8 vor §§ 43–48 Anm. 10; vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff3 § 5 Rn. 5; BGH 22.5.1985 – IVa ZR 190/83, BGHZ 94 356, 358 f. = VersR 1985 930, 930 (juris Rn. 10); Armbrüster2 Rn. 698.

1080 Zu den Einzelheiten vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff3 § 5; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 Kap. 1 Rn. 365 ff.; Bruns § 5 Rn. 37. 1081 Armbrüster2 Rn. 698. 1082 Richtlinie 2002/92/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 9.12.2002 über Versicherungsvermittlung ABl. EG 2003 Nr. L 9 S. 3. 1083 Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung), ABl. Nr. L 26 S. 19, in der die frühere Richtlinie aufgegangen ist. 1084 RegE S. 73; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 1. 1085 BGH 15.11.1978 – IV ZR 183/77, MDR 1979 294, 295 (juris Rn. 34); Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 91; Deutsch/Iversen7 Rn. 102; vgl. dazu auch Wandt6 Rn. 50; Bruns § 17 Rn. 1. 1086 Deutsch/Iversen7 Rn. 102. 1087 Armbrüster2 Rn. 83. 1088 Armbrüster2 Rn. 83; Wandt6 Rn. 51. 117

Beckmann

Einf. A

Einleitung

5. Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ 307 Bei der Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ kann im Versicherungsvertrag offen bleiben, ob es sich bei dem versicherten Interesse um ein eigenes oder ein fremdes handelt. Auch die Versicherung eines Interesses mit wechselndem Träger ist möglich.1089 In solchen Fällen handelt es sich um eine Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ gemäß § 48 VVG. Ist anhand des Vertrages erkennbar, dass offen bleiben soll, ob die Versicherung ein eigenes oder ein fremdes Recht betrifft, finden die §§ 43 ff. VVG über die Versicherung für fremde Rechnung Anwendung, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass fremdes Interesse versichert ist, § 48 VVG.1090 Ein Bedürfnis für eine solche Versicherung besteht z. B. dann, wenn bei Abschluss des Versicherungsvertrages die „Identität des Interessenträgers“ nicht abschließend geklärt ist.1091 Beispiele hierfür finden sich vor allem in der Sachversicherung, wenn die Eigentumslage oder die Berechtigung an der versicherten Sache ungewiss oder streitig ist,1092 so z. B. – bei Treuhandgut, wenn es mehrere Prätendenten für die Treugeberschaft gibt und folglich die Identität des Treugebers als Inhaber des Sachwertinteresses unklar ist; – bei Sachen, deren Lieferung unter einem bestrittenen Eigentumsvorbehalt erfolgte; – bei Sachen, deren Sicherungsübereignung zweifelhaft ist; – bei einer zu einer Erbmasse gehörenden Sache, wenn Zweifel bezüglich der Erbfolge bestehen; – bei Sachen, bei denen mit einem Wechsel des Interessenträgers zu rechnen ist, wie z. B. bei Warenlagern mit einem Bestand, der wechselnden Personen gehört oder die beabsichtigte Übergabe einer Sache an Spediteur oder Frachtführer.

6. Bezugsberechtigter oder Begünstigter 308 Die Rechtsfigur der Bezugsberechtigung ist im Rahmen der Lebens- und der Unfallversicherung, also in den Personenversicherungen entwickelt worden.1093 Hier benennt der VN durch einseitige Willenserklärung widerruflich oder unwiderruflich einen „Begünstigten“ als Bezugsberechtigten, welcher so einen unmittelbaren Leistungsanspruch erhält; bei der Lebensversicherung z. B. fällt also die Versicherungssumme nicht in den Nachlass, so dass weder Erben noch Nachlassgläubiger auf sie zugreifen können.1094 Die Frage, ob ein echter oder nicht berechtigender Vertrag zugunsten eines Dritten vorliegt oder ob die Berechtigung widerruflich oder unwiderruflich ist, ist ggf. auf der Grundlage einer Vertragsauslegung zu beantworten; letztlich kommt es also auf den Willen der Vertragsparteien an.1095 Bei der Bestimmung des Begünstigten ist der Wille des VN entscheidend. Nachträgliche Sinneswandlungen sind nur dann für die Bezugsberechtigung relevant, wenn eine Änderung dem VR deutlich mitgeteilt wird.1096 309 Die Frage, ob die Bezugsberechtigung widerruflich oder unwiderruflich ausgestaltet ist, ist vor allem im Rahmen der Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung sehr bedeutsam, da der Vermögenswert bei widerruflicher Bezugsberechtigung noch im Vermögen des VN steht und damit 1089 Deutsch/Iversen7 Rn. 106; Berliner Kommentar/Dörner § 80 Rn. 60; BGH 16.11.1967 – II ZR 253/64, VersR 1968 42, 43 (juris Rn. 8); Prölss/Martin/Klimke30 § 48 Rn. 1. 1090 Vgl. Deutsch/Iversen7 Rn. 106; Meixner/Steinbeck § 1 Rn. 167. 1091 Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 145. 1092 Deutsch/Iversen7 Rn. 106; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 145 (jeweils auch zum Folgenden); vgl. im Übrigen die Kommentierung zu § 48. 1093 Deutsch/Iversen7 Rn. 107; vgl. auch van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 68 und Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 153; v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 123. 1094 van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 68; Deutsch/Iversen7 Rn. 107; BGH 30.11.1994 – IV ZR 290/93, BGHZ 128 125, 132 f. = VersR 1995 282, 284 (juris Rn. 32 f.); OLG Köln 14.6.1993 – 5 U 13/93, VersR 1993 1133, 1133 (juris Rn. 1). 1095 Deutsch/Iversen7 Rn. 107; Bruns § 26 Rn. 63. 1096 Wandt6 Rn. 1275; s. dazu auch OLG Frankfurt 12.10.1994 – 23 U 38/94, VersR 1996 358, 359 f. (juris Rn. 14). Beckmann

118

Einf. A

Sonstige konzeptionelle Grundbegriffe des Versicherungsvertragsrechts

von einem seiner Gläubiger gepfändet und nach Einziehungsüberweisung widerrufen werden kann.1097 Der Vollstreckungsgläubiger kann dann den Lebensversicherungsvertrag kündigen und sich den Rückkaufswert auszahlen lassen. Ist die Bezugsberechtigung nicht widerrufbar, gehört der Vermögenswert nicht mehr ins Vermögen des VN, sondern zu dem des Bezugsberechtigten. Die Gläubiger des VN haben also keinen Zugriff mehr auf die Lebensversicherung.1098 Eine dingliche Wirkung im Deckungsverhältnis besteht nur dann, wenn es sich um ein unwiderrufliches Bezugsrecht handelt.1099 Etwas anderes gilt, wenn der Bezugsberechtigte den Todesfall des VN nicht mehr erlebt; in diesem Fall fällt der Anspruch zurück in das Vermögen des VN. Die Bezugsberechtigung unterliegt den Vorschriften über den Vertrag zugunsten Dritter ge- 310 mäß §§ 328 ff. BGB; daraus ergibt sich, dass die Drittberechtigung im Vertrag selbst ausgesprochen werden muss.1100 Sonderregeln für die Lebensversicherung finden sich in § 159 VVG; vgl. im Übrigen die Kommentierung zu dieser Vorschrift.

7. Eintrittsberechtigter § 170 VVG normiert für die Lebensversicherung das sog. Eintrittsrecht. Es besteht in dem Fall, 311 dass in die Versicherungsforderung ein Arrest vollzogen, eine Zwangsvollstreckung vorgenommen oder über das Vermögen des VN das Insolvenzverfahren eröffnet wird. In diesen Situationen besteht die Gefahr, dass sich der Gläubiger des VN den Rückkaufswert der Versicherung einverleibt.1101 Dieser ist aber geringer als die Anwartschaft und deshalb soll der Anwartschaftsbzw. möglicherweise Berechtige durch das Eintrittsrecht die Chance zur Befriedigung der Forderung des Gläubigers in Höhe des Rückkaufwertes und Erlangen der Versicherungsanwartschaft erhalten. Demzufolge wird dem explizit genannten Bezugsberechtigten oder bei Fehlen eines solchen dem Ehepartner und den Kindern des VN an dessen Stelle ein Eintritt in den VV ermöglicht. Von mehreren Eintrittsberechtigten können alle gemeinsam aber auch nur ein Einzelner eintreten.1102 Näher zur Eintrittsberechtigung vgl. Kommentierung zu § 170.

8. Gefahrsperson Bei der Lebens- und Unfallversicherung ist es möglich, den Versicherungsvertrag für den Fall 312 des Todes bzw. des Unfalls eines anderen abzuschließen. Dieser „andere“ ist dann die sog. Gefahrsperson und von der Person des VN zu trennen.1103 Das Gesetz gebraucht den Begriff der Gefahrsperson nicht.1104 Zur Wirksamkeit eines solchen Vertrages ist gemäß §§ 150 Abs. 2 und 79 Abs. 2 VVG die schriftliche Einwilligung der Gefahrsperson erforderlich.1105 Dieses Einwilligungserfordernis dient nach der Rechtsprechung des BGH dem Ziel, die Spekulation mit dem Leben anderer zu unterbinden und soll insbesondere der Gefahr entgegenwirken, die sich daraus ergeben kann, dass der VN oder ein sonstiger Beteiligter in der Lage ist, den Versicherungsfall herbeizuführen.1106 Zu unterschiedlichen Konstruktionen der Versicherung einer Gefahr-

1097 Deutsch/Iversen7 Rn. 108 (auch zum Nachfolgenden m. w. N.); Wandt6 Rn. 1277, 1279; ausführlich dazu Hasse VersR 2005 15, 21 ff., 28 ff. Bruns § 26 Rn. 69. HK-VVG/Brambach4 § 159 Rn. 19. Deutsch/Iversen7 Rn. 107; vgl. hierzu auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 154. Deutsch/Iversen7 Rn. 109 (auch zum Nachfolgenden); Prölss/Martin/Kollhosser30 § 170 Rn. 2. Langheid/Rixecker/Grote6 VVG § 170 Rn. 9. Deutsch/Iversen7 Rn. 110. Bruns § 5 Rn. 31. van Bühren/van Bühren Hdb7 § 1 Rn. 70; Prölss/Martin/Knappmann30 § 179 Rn. 13. BGH 9.12.1998 – IV ZR 306/97, BGHZ 140 167, 170 = VersR 1999 347, 348 (juris Rn. 14); Motive S. 217.

1098 1099 1100 1101 1102 1103 1104 1105 1106 119

Beckmann

Einf. A

Einleitung

sperson in Lebens- und Unfallversicherung und den einzelnen Voraussetzungen vgl. die Kommentierungen zu §§ 150, 179.

9. Hypothekengläubiger 313 Der Hypothekengläubiger hat in der Feuerversicherung Relevanz, da sich gemäß §§ 1127 ff., 1192 BGB die Hypothek oder Grundschuld an einem Grundstück auch auf die Forderung aus einer Gebäudeversicherung bezieht. Das Grundpfandrecht ergreift also die Versicherung als Forderungspfandrecht.1107 Gemäß § 1128 Abs. 1 BGB darf der VR bei Versicherung eines Gebäudes die Versicherungssumme mit Wirkung gegen den Hypothekengläubiger erst zahlen, wenn er oder der Versicherte diesem den Schadenseintritt angezeigt hat und der Hypothekengläubiger der Auszahlung nicht innerhalb eines Monats widersprochen hat. Detaillierte Regelungen den Hypothekengläubiger betreffend finden sich im Rahmen der Normierung der Feuerversicherung in den §§ 142 ff. VVG, so dass auf diese Kommentierung verwiesen wird.

10. Geschädigter 314 Im Rahmen der Haftpflichtversicherung geht es gemäß § 100 VVG um die Freistellung des VN von Ansprüchen geschädigter Dritter bzw. um Abwehr unbegründeter Ansprüche. Insoweit stellt sich u. a. die Frage nach dem Verhältnis des Dritten (Geschädigten) zum VR. In den Fällen der Pflichthaftpflichtversicherungen (dazu oben Rn. 185) gelten zu Gunsten des Geschädigten zudem Sondervorschriften.1108 So existiert im reformierten VVG im Rahmen der Pflichtversicherung ein Direktanspruch gegen den VR auch dann, wenn über das Vermögen des VN ein Insolvenzverfahren eröffnet, ein solches mangels Masse abgelehnt oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde oder aber der VN unbekannten Aufenthaltes ist, § 115 VVG; nach früherer Rechtslage bestand ein Direktanspruch lediglich im Rahmen der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gemäß § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG (§ 3 PflVG a. F.).

1107 Deutsch/Iversen7 Rn. 111; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 157. 1108 Deutsch/Iversen7 Rn. 112. Beckmann

120

B. Europäisches Versicherungsrecht Schrifttum1 Armbruster Die neuere Entwicklung des europäischen Privatversicherungsrechts, EuZW 2013 686; Basedow/Meyer/ Rückle/Schwintowski Transparenz und Verständlichkeit, Berufsunfähigkeitsversicherung und Unfallversicherung (2000); Beckman Auswirkungen des EG-Rechts auf das Versicherungsvertragsrecht, ZEuP 1999 809; Beenken/Sandkühler Das neue Versicherungsvermittlungsgesetz (2007); Beenken/Teichler Mängel der Umsetzung der IDD und praktische Folgen, RuS 2019 241; Brand Heininger Revisited – Zur Europarechtskonformität von § 5a VVG a. F., VersR 2013 1; Bürkle Anm. zu EFTA – Gerichtshof v. 25.11.2005, E-1/05, VersR 2006 249–250; Dreher Versicherungsaufsichtsrecht und Verbraucherschutz im Solvency II- und EIOPEIA-System, VersR 2013 401; ders. Das „senior management“ der Versicherungsunternehmen und das künftige Versicherungsaufsichtsrecht, VersR 2013 35; Dreher/Ballmaier Die unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung nach Solvency II und VAG 2012, VersR 2012 129; ders. Versicherungsaufsicht über IT und Governance, VersR 2019 1177; Dreher/ Wandt (Hrsg.), Solvency II in der Rechtsanwendung (2012); Ebers Die Reform des VVG vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2004); Egger Die Risikoprüfung des Versicherers im Licht der umgesetzten Versicherungsvertriebsrichtlinie und der Datenschutz-Grundverordnung, VersR 2019 394; EIOPA Consultation Paper on Technical Advice on the integration of sustainability risk and factors in the delegated acts under Solvency II and IDD. EIOPa-BoS-18/483 vom 26.11.2018; Emde Bestandsübertragungsverträge mit Versicherungsvermittlern, VersR 2019 791; Franz Die Reform des Versicherungsvertragsrechts – ein großer Wurf? DStR 2008 303 Funck Ausgewählte Fragen aus dem Allgemeinen Teil zum neuen VVG aus der Sicht einer Rechtsabteilung, VersR 2008 163; Goretzky Die Umsetzung der IDD in deutsches Recht: Eine Bestandsaufnahme unter digitalem Blickwinkel, VersR 2018 1; Gruber/Baier Die Umsetzung der IDD im österreichischen Gewerberecht, VersR 2019 1457; dies. Vergütungen nach der IDD, VersR 2018 1093; Hatje Das Binnenmarktrecht als Daueraufgabe, Beiheft EuR 1/2002; Herrmann Zillmerungsregeln in der LV und kein Ende, VersR 2009 Heft 1; ders. Der VVG-Reformvorschlag zum Recht der Obliegenheiten europarechtskonform? VersR 2003 1333; ders. Risikomanagement in der Kreditversicherung, VersR 2015 275; ders. Staffelprovisionen im Versicherungsvertrieb, www.assurances.de/ttt-4htm, unter British Insurances Law (Version 2019); ders. Steuerungsethik lauteren Wettbewerbs und Protestantismus, JoME 2017 43; Hirsch/Montag/Säcker Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht, Bd. 1-4, 2. Aufl. (2015-19); Hollenders Die Bereichsausnahme für Versicherungen nach § 102 GWB, 1985; Kath/Kronsteiner/Kunisch Praxishandbuch Versicherungsvertragsrecht, Bd. 1 (2019); Kirsten/Fritzau Voraussetzung des Erfordernisses der Hervorhebung bestimmter Verbraucherinformationen, VersR 2019 1275; Kisch/Kruip Vereinbarung gezillmerter Tarife im Rahmen der Entgeltumwandlung unzulässig? NZA 2007 786; Langen/Bunte Europäisches Kartellrecht, Bd. 2 13. Aufl. (2018); Langheid Die Reform des VVG, NJW 2007 3665; K. Lenzing Europäisches Gemeinschaftsrecht, in Basedow/Fock (Hrsg.), Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bd. 1 (2002) 139; E. Lorenz Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts v. 19. April 2004 (2004); Looschelders Europäisches Privatrecht und deutsches Versicherungsrecht – aktuelle Problemfelder, Entwicklungen und Perspektiven, VersR 2013 653; Marlow/Spuhl Das Neue VVG kompakt, 4. Aufl. (2010); Mattern Das Informationsmodell im VVG unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die AGBKontrolle (2011); Mestmäcker Soziale Marktwirtschaft, in: ders. Europäische Prüfsteine der Herrschaft und des Rechts (2016) 305; ders./Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. (2014); Müller/Golz/Washausen-Richter/Trommeshäuser 100 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (2001); Präve Die VVG-Informationsverordnung, VersR 2008 151; Rehberg Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem (2003); Reiff Europäische Richtlinie über Versicherungsvermittlung und VVG-Reform ZVersWiss 2001 451; ders. Gesetz zur Neuregelung des Vermittlerrechts, VersR 2007 717; ders. Richtlinienwidrige Umsetzung des „Informationsblattes“ zu Versicherungsprodukten, VersR 2019 661; ders. Die Richtlinie 2016/97 über Versicherungsvertrieb, RuS 2016 593; Reiff/Köhne Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/17 (IDD) aus rechtlicher und ökonomischer Sicht, VersR 2017 649; Reinecke Informations- und Beratungspflichten beim Vertrieb von Lebensversicherungen, VersR 2015 533; Römer Der Prüfungsmaßstab bei der Missstandsaufsicht nach § 81 VAG und der AVB-Kontrolle nach § 9 AGBG (1996); ders. Zu den Informationspflichten nach dem neuen VVG, VersR 2007 618; Rüsing Die Aufsicht über Versicherungsvermittler nach Umsetzung der IDD, VersR 2019 129; Schimikowski VVG-Reform: Die vorvertraglichen Informationspflichten des Versicherers und das Rechtzeitigkeitserfordernis, RuS 2007 133; ders. Der private Versicherungsvertrag zwischen Recht und Markt (1987); ders. Der Rückkaufswert als Zeitwert, VersR 2008 1425; SchmitzElvenich § 5a VVG a. F. und der „Mindestwiderspruchswert“, VersR 2017 266 Schmitz-Elvenich/Krokhina Informationspflichten bei Restschuldversicherung nach dem IDD-Umsetzungsgesetz VersR 2018, 129; W.-Th. Schneider Zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge: Information, Beratung und Belehrung im Versicherungsvertragsrecht, RuS 2015 477; Schreier Versicherungsschutz für Seuchen am Beispiel der COVID-19-Pandemie, VersR 2020 513; Stancke Stand und

1 Angaben zum Kartellrecht s. u. vor Rn. 87. 121 https://doi.org/10.1515/9783110522600-002

Herrmann

Einf. B

Europäisches Versicherungsrecht

Perspektiven des Versicherungskartellrechts nach Auslaufen der GVO Versicherungswirtschaft, VersR 2017 518; Terbille Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 4. Aufl. (2017); Wambach/Herrmann Solvency II, Vermittlerrichtlinie, 2004 (2004); Wagner Binnenmarktzugang unter Solvency II nach dem BREXIT: (Trübe) Aussichten für UK-Versicherer, VersR 2018 385 ff.; Wandt Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls, VersR 2018 321; Wendt Das neue Versicherungsvertriebsrecht, VersR 2019 257; Werber Kritische Nachlese zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb, VersR 2019 321; Wandt/Ganster Zur Harmonisierung von Versicherungsbeginn und Prämienfälligkeit durch AVB im Rahmen des VVG 2008, VersR 2007 1034; Werber § 6 VVG 2008 und die Haftung des Versicherers für Fehlberatung durch Vermittler, VersR 2008 285; ders. Die Adressaten der IDD im Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie und neue Pflichten, VersR 2017 513.

Übersicht a) b)

1

A.

Einleitung und Rechtsgrundlagen

B.

Dienstleistungs- und Niederlassungsfrei4 heit

I.

Zwischenstaatlichkeit

II.

Vom Gastlands- zum Herkunftslandprin6 zip

III.

Entwicklungen zum EU-Passport und Drittstaa7 tenäquivalenz

IV.

Freier Prämienwettbewerb und Prämienschleu55 derei

D.

Recht der Versicherungsvermittlung

I.

Grundanliegen der EU-Vermittler- und Vertriebs59 richtlinie 59 Professionalisierung 64 Nettopolicen Provisionsabgabeverbote und Honorargestal65 tung

4

1. 2. 3.

IV.

Sonderregeln der Übergangszeit nach dem BRE12 XIT

C.

Verbraucherschutz und Recht unlauteren 15 Wettbewerbs

II. 1.

I.

Begrenzung behördlicher AVB-Kontrol16 len

2.

II.

Verbraucherinformation und VVG-InfoV 2008/ 21 18

III.

Rechtsangleichung und Harmonisierungsbe24 darf 25 Warnpflichten zu Obliegenheiten Transparenzkontrolle bei Prämienanpassungs29 klauseln und Klauselanpassung Entgeltumwandlung und Wertgleichheit im Be32 trAVG 33 a) Vorgaben des Art. 56 AEUV b) Marktorientierte Auslegung und teleologische Reduktion des § 1 Abs. 2 Nr. 3 35 BetrAVG 38 Mindestrückkaufswerte Kick-Backs-Fallrecht und EU-Versicherungs43 recht 45 Widerrufsregeln des EuGH PRIP-VO, VVG-InfoV 2018 und Basisinformati47 onsblatt

3.

1. 2. 3.

4. 5. 6. 7.

Herrmann

Gesetzgebungsstand 48 Umsetzungsfehler deutschen 51 Rechts

4. 5.

58

67 Umsetzung in deutsches Recht Nochmals: Provisions- und Honorarre67 geln Registerzwang und Ausbildungsanforderun68 gen Informations- und Beratungspflichten nach dem 74 VVG a) Lückenlosigkeit der Pflichtensanktionie75 rung b) Vermittlerpflichten, Vertriebswandel und 77 AVB-Wettbewerb 82 Beratungsausschlüsse Rechtzeitigkeit der Verbraucherinformation und 84 Produktinformationsblatt 87

E.

Recht unlauteren Wettbewerbs

F.

Kartellrecht

I.

Zur Frage der Geltungsausnahmen von Art. 101 90 AEUV Das Feuerversicherungsurteil des EuGH 91 1987 92 Reichweite

1. 2.

89

122

Einleitung und Rechtsgrundlagen

II.

Leitbildfunktion der Gruppenfreistellungsverord93 nungen Versicherungen 1992 bis 2010

III.

Einf. B

Weiterer Überblick und Folgerungen zur Freistel97 lung geltenden Rechts

A. Einleitung und Rechtsgrundlagen Wie das europäische Wirtschaftsrecht überhaupt, so ist auch das EU-Versicherungsrecht wesent- 1 lich durch die Freiheitsrechte der Dienstleistungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit, der Kapitalverkehrsfreiheit und der Freiheitsbeschränkungsverbote in Art. 49, 56, 101 f. AEUV gekennzeichnet. Aus der unmittelbaren Geltung dieser Grundfreiheiten und der Kartellrechtsreform von 20032 mit der das System der Legalausnahmen eingeführt wurde, wird bis heute vielfach ein Wandel zu einer neuartigen Rechtsordnung internationalen Rechts („new legal order of international law“) gefolgert.3 Auch für das Versicherungsrecht ist dieser Wandel des Europarechts in hohem Maße richtungsweisend.4 Das gilt nicht nur für das Versicherungskartellrecht,5 sondern auch für das Recht der Deregulierung und die weiteren hier behandelten Rechtsgebiete (s. u. Rn. 9 ff., 37 ff.). Die Deregulierung durch die sog. Dritte Generation der Versicherungsrichtlinien von 19926 war hauptsächlich auf die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der Art. 49, 56 AEUV gestützt (Rn. 2 ff.). Nachfolgende Entwicklungen betreffen ebenfalls noch im Kern diese Grundfreiheiten, sind allerdings nicht mehr unmittelbar mit dem Anliegen der Deregulierung verbunden, sondern haben den Verbraucherschutz und das Recht unlauteren Wettbewerbs zum Hauptgegenstand (Rn. 9 ff., 34 ff.). Das Recht der Versicherungsvermittlung gehört ebenfalls zu den zentralen EU-Rechtsgrundlagen mit Normzwecken zur Bekämpfung verbreiteter Missstände im Bereich des Versicherungsvertriebs. Es beruht im Wesentlichen auf der EU-Vermittlerrichtlinie 2002 und der Vertriebsrichtlinie 20167 mit deren Kompetenzgrundlage der Binnenmarktförderung (Rn. 37 ff.). V.a. die unsäglichen Vertriebsgewohnheiten beim Einsatz sog. Drückerkolonnen und bei der Honorierung über (unaufgedeckte) Staffelprovisionen sollten bekämpft werden8denn wo der Kunde systematisch zum Abschluss von Verträgen gedrängt wird, die zu seinem Bedarf und zu seinem Risikomanagement nicht passen, da greift jede Zielsetzung zu Markt- und Wettbewerbsfreiheiten ins Leere. Es ist deshalb wohl nicht übertrieben anzunehmen, dass die rechtlich relevanten Normzwecke und ethik-philosophischen Entwicklungen dahin gehen, zur Wirksamkeit freien und uninstrumentierten Wettbewerbs beizutragen (vgl. – grdsl. – Mestmäcker/Mestmäcker Europäische Prüfsteine 305; ders. Wettbewerb in der Privatrechtsgesellschaft (2019) 34 ff.; a. A. Teubner Verfassungsfragmente, 2012, S. 56 ff.) und verstärkt Vorsorge für verantwortliche Risikoentscheidungen auf beiden Seiten des Vertragsschlusses zu treffen (näher Herrmann VersR 2015 275; ders. JoME 2017 43; zur Ethik des Leistungswettbewerbs ders. JoME 2020 im Ersch.). – Auch das neue Recht der Verbraucherinformation gem. § 7 2 VO 1/2003 v. 16.12.2003 ABl. 2003 L 1/1. 3 Jones/Surfin EC Competition Law, 2. Aufl. (2004) 89; Mestmäcker/Schweitzer 54 ff. § 2 Rn. 30 ff.; Müller-Graff EuR 2002 Beiheft 17, 16 passim.

4 Vgl. schon Hatje Das Binnenmarktrecht als Daueraufgabe, Beiheft EuR 1/2002; zur Grundlegung regulatorischer und legalistischer Anreizzwecke vgl. – grdl. – Micklitz Regulierungsprivatrecht, GPR 2009 254 ff.; 10, 2 ff.; E. Schumann/E. Schumann Das erziehende Gesetz (2013) Vorwort; Hellgardt Regulierung und Privatrecht (2016); jeweils m.w.N. 5 Dazu s. u. Rn. 61 ff. und Immenga/Mestmäcker/Veelken Kommentar zum Europäischen Kartellrecht, 4. Aufl. (2007) 1113 ff.; Hirsch/Montag/Säcker/Herrmann Bd. 1 1050 ff. 6 3. RL-Schaden 92/49 EWG v. 18.6.1992, ABl. L 228; und 3. RL-Leben 92/96 EWG v. 10.11.1992, ABl. L 360/1. 7 RL 2002/92/EG v. 9.12.2002 ABl. v. 15.1.2003 L 9/10; abgedruckt bei Herrmann/Wambach Erster Nürnberger Versicherungstag (2003) 145 ff.; RL (EU) 2016/97 v. 20.1.2016 über den Versicherungsvertrieb ABl. V. 2.2.2016 Nr. L 26, S. 19; dazu Herrmann www.assurances.de, a. a. O.; zuletzt Egger VersR 2019 394; Gruber/Baier VersR 2019 1457; Kirsten/Fritzau VersR 2019 1275; Emde VersR 2019 791. 8 vgl. nur Herrmann Staffelprovisionen im Versicherungsvertrieb, www.assurances.de/ttt-4htm, Hermann/Eifler British Insurances Law (Version 2020). 123

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Europäisches Versicherungsrecht

und der VVG-InfoV 2008 mit laufenden Neuerungen (berücksichtigt bis 6. März 2018, BGBl. I 225, siehe Anhang III) gehören eigentlich zum europäischen Versicherungsrecht, weil der deutsche Gesetzgeber sich freiwillig an der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen orientiert hat.9 Aber die Bindung an das Europarecht ist doch hier andersartig als in den anderen hier behandelten Teilen, so dass insoweit auf die Kommentierung des Verfassers zu § 7 verwiesen werden darf. 2 Neuerdings hat die PRIP-VO v. 9.12.2014 (ABl. L 352 v. 9.12.2014) europaweite Vorgaben zum sog. Basisinformationsblatt gemacht. Diese Regulierung geht zwar inhaltlich nicht über das Produktinformationsblatt der VVG-InfoV hinaus, beseitigt aber wegen ihrer EU-weiten Geltung die für deutsche Produkte bestehenden nicht tarifären Handelshemmnisse, die mit den verhältnismäßig strengen Verbraucherschutzbestimmungen verbunden waren (näher s. u. 46 ff. und zu § 7 VVG 23 ff.). Hinzu kommt zuletzt die Novellierung der VVG-InfoV, die v. a. zum Produktinformationsblatt Neues gebracht hat (s. Anhang § 7 zu § 4 VVG-InfoV). Besondere praktische Bedeutung haben auch die neuere Rspr. zu den sog. Kick-Backs und zu den Widerrufsregeln erlangt. Auch hierfür sind wesentliche Grundlagen im Europarecht zu sehen (Rn. 42 ff.). Bis heute hat sogar noch der alte § 5a VVG a. F. Auswirkungen auf langfristige Verträge, der seinerseits auf europäische Rechtsgrundlagen zurückging (s. u. zu 44 ff.). 3 Trotz zahlreicher Neuerungen sind die Agrarversicherungssysteme im Gemeinschaftsrecht als Sonderrechte zu begreifen, die der Grundstruktur europäischen Wirtschaftsverfassungsrechts noch fern stehen. Das Nähere dazu wird deshalb im Schlussabschnitt dieses Kommentarteils gesondert erläutert.10

B. Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit I. Zwischenstaatlichkeit 4 Die Geltung der Grundfreiheiten und des Kartellverbots kommt nur dann in Betracht, wenn die betr. Beschränkung geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Sachverhalte mit rein nationalen Auswirkungen werden vom europäischen Recht nicht erfasst. Dabei wird das Zwischenstaatlichkeitskriterium recht weit ausgelegt11 und lediglich eine Art Bagatellvorbehalt statuiert, der nach der Bekanntmachung De-minimis12 schon bei erwartbaren Marktauswirkungen von ca. 10 % bzw. 15 % überwunden sein soll, soweit es um horizontale oder vertikale Wettbewerbsbeschränkungen geht.13 5 Die Bagatellbekanntmachung will nur im Regelfall und ohne abschließende Wirkung nach oben oder nach unten hin gelten (Ziff. 3). Unterschreitungen der Prozentwerte sind insbesondere möglich, wenn es sich um eine Wettbewerbsbeschränkung von besonderer Schwere handelt oder die beteiligten Unternehmen trotz geringer Marktanteile große Marktbedeutung haben.14 Angesichts der bereits heute festzustellenden europäischen Verflechtungen der Versicherungswirtschaft15 dürfte das Kriterium der Zwischenstaatlichkeit demzufolge auch dann

9 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 59, 61; vgl. auch Wandt/Ganster VersR 2008 1034; dies. VersR 2008 425. 10 S. Voraufl./Wilkens zu F., Rn. 73 ff. 11 Adel ZVersWiss 1994 77, 87; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 39; allg. zur sog. Bündeltheorie EuGH Slg. 1967, 543, 555 f. „LTM/MBU“; Slg-2000, I, -11 140, 11 148 f. Tz. 25 ff.,; näher Emmerich Kartellrecht § 3 Rn. 20 m. w. N. 12 Veröffentl. unter 2014/C 291/01; früher 2004/C 101/07, ABl. C 29/3; vertiefend J. Koch WuW 2006 710; Dreher FS Immenga (2004) 98 ff. 13 Bagatellbekanntmachung ABl. 2001 C 368/13; näher Dreher FS Immenga (2004) 98 ff. 14 Kommission ABl. 1988 L 65/19, 38 – „Eurofix-Bauco/Hilti“. 15 Überblick bei Lechner Der Londoner Markt im Umbruch, Sigma 3/2002, verfügbar unter http://www.swissre.com/. Herrmann

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Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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regelmäßig verwirklicht sein, wenn die Vereinbarung unmittelbar etwa nur regional tätige Mitversicherungsgemeinschaften betrifft,16 so dass die früher oft beklagte Rechtsunsicherheit heute kaum noch besteht.17

II. Vom Gastlands- zum Herkunftslandprinzip Die europäische Versicherungswirtschaft war lange Zeit vom Gegensatz nationaler Systeme ge- 6 kennzeichnet. Einerseits herrschte in Großbritannien Versicherungswettbewerb, da der Aufsichtsbehörde neben der Aufsicht über die Kapitalausstattung der Unternehmen (Finanzaufsicht) nur eine Missbrauchsaufsicht zustand.18 Andererseits hatten in Deutschland und Frankreich die Behörden die Befugnis, mit der Genehmigung des Geschäftsplans eines Versicherungsunternehmens auch sämtliche Prämientarife und Konditionen zu überprüfen und nach einheitlichen Maßstäben für alle Anbieter im Markt zuzulassen, so dass wesentlicher Wettbewerb ausgeschlossen war.19 Die nationalen Märkte waren abgeschottet, so dass internationaler Wettbewerb jedenfalls im Massengeschäft nicht wirksam werden konnte.

III. Entwicklungen zum EU-Passport und Drittstaatenäquivalenz Dieser Zustand wurde grundlegend verändert durch das berühmte Feuerversicherungs-Urteil 7 des EuGH v. 198720 und durch die EG-Versicherungsrichtlinien der sog. Dritten Generation von 1992.21 Im Feuerversicherungs-Urteil stellte der EuGH fest, dass es im europäischen Kartellrecht keinen impliziten Ausnahmebereich für Versicherungen gibt, wie ihn die regulierten Systeme der Nationalstaaten kannten.22 Mit den Dritten Versicherungsrichtlinien wurde nach verschiedenen Vorstufen ein neues Aufsichtssystem geschaffen, das eine weitgehende Deregulierung bewirken sollte.23 Sie wurden mit dem neuen VAG v. 199424 in deutsches Recht umgesetzt. Erstmals wurde bereits im sog. Schwarz-Papier v. 1970 das sog. Herkunftslandprinzip (home 8 country principle) entwickelt,25 d. h. es mussten nicht mehr die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen des Gastlandes (host country), oder besser des Landes, in dem das Risiko belegen war, eingehalten werden, sondern es genügte die Einhaltung des Rechts des Herkunftslandes. Aber erst 1978 in der Mitversicherungsrichtlinie26 fand das neue Konzept eine erste und zudem noch in seiner Auslegung heftig umstrittene Verwirklichung. Langfristig sollte das Sitzlandprinzip (host country control) gelten. Der Gefahr etwaiger Wettbewerbsverfälschungen sollte durch Koordinierung des Aufsichts- und Privatrechts entgegengewirkt werden. In der Folgezeit wurde dann aber die uneingeschränkte home country control zunächst nur für Industrieversicherun16 Zu weitgehend daher das Beispiel bei Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann/Hörst Kommentar zum europäischen und deutschen Kartellrecht, 3. Aufl. (2016) GVO-VersW Rn. 10; zur allgemeinen Einschränkung der Spürbarkeit bei Mittelstandskartellen vgl. § 3 GWB 2005 und Emmerich Kartellrecht § 3 Rn. 23. 17 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 39; Hoffmann Verbraucherschutz in der Privatversicherung nach dem Wegfall der Vorabkontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen, Diss. Düsseldorf (1998) 79. 18 Vgl. nur Birds Modern Insurance Law, 11. Aufl. (2019) 20 f.; Herrmann British Insurance Law, DVA-Skript (2019) zu Nr. I.5. 19 Hollenders 325, passim. 20 Slg. 1987 405 = VersR 1987 169 – Verband der Sachversicherer. 21 3. RL-Schaden 92/49 EWG v. 18.6.1992 ABl. L 228 und 3. RL-Leben 92/96 EWG v. 10.11.1992 ABl. L 360/1. 22 Vgl. nur § 102 (1) GWB i. d. F. v. 20.2.1990 BGBl. I 235. 23 S. nochmals die 3. RL-Schaden 92/49 EWG v. 18.6.1992 ABl. L 228 und 3. RL-Leben 92/96 EWG v. 10.11.1992 ABl. L 360/1; näher Herrmann ZEuP 1999 666 f. m. w. N. 24 V. 21.7.1994 BGBl. I 1630. 25 Abgedruckt in ZVersWiss 1972 101 ff. 26 RL 78/473/EWG v. 30.5.1978 ABl. L 1151/25 v. 7.6.1978. 125

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Europäisches Versicherungsrecht

gen und für die sog. passive Lebensversicherung eingeführt. Schließlich blieb es dann der 3. Richtliniengeneration vorbehalten, auch für die Massenversicherungen das Sitzlandprinzip vorzuschreiben. Hauptsächlich zweierlei Vereinheitlichungen haben die 3. Versicherungsrichtlinien27 herbeigeführt: – die vorbeugende Amtsaufsicht über die Prämientarife und die AVB wurde zwingend abgeschafft (d. h. das nationale Aufsichtsrecht darf nicht mehr, wie früher v. a. in Deutschland, vorsehen, dass die Tarife und die AVB der Genehmigung des BAV bedürfen); und – für die Finanzaufsicht wurden einheitliche Mindestanforderungen normiert (d. h. die Rechnungslegung wurde vereinheitlicht; die Anforderungen zur Eigenmittelausstattung – Solvabilität – und über die Kapitalanlagemöglichkeiten wurden bis in die Einzelheiten recht genau und einheitlich festgelegt). 9 Im Übrigen beschränkte man sich darauf, den Unternehmen verhältnismäßig strenge Informationsvorschriften im Verhältnis zur Aufsichtsbehörde (sog. Notifikationsverfahren, s. u. Rn. 11) und zum Versicherungsnehmer aufzuerlegen. Vor allem müssen die AVB vor Abschluss des Versicherungsvertrages dem Kunden zugesendet sein. Dadurch soll die Kontrolle des Marktes unter Wettbewerbsbedingungen erleichtert werden, auf die es im Rahmen der Deregulierung nun natürlich ganz besonders ankommt. 10 Alle genannten Vorschriften der dritten Generation sind inzwischen in sämtlichen Mitgliedsländern und in allen Versicherungssparten durch die nationalen Gesetzgebungen umgesetzt worden. In Deutschland war dies sogar pünktlich der Fall, nämlich zum 24. Juni 1994.28 Es bleibt nur hervorzuheben, dass die genannten Vorschriften zur Finanzaufsicht, zur Produktinformation und zum Zustandekommen des Versicherungsvertrages dem Richtliniengeber ausreichend erschienen sind, um nunmehr auch für die Massenrisiken und für die hier typischen Privatkunden die Verbraucherschutzgründe als entfallen anzusehen. Es gilt das Sitzlandprinzip, und von der öffentlich-rechtlichen Zulassungsaufsicht im Gastland wird weitestgehend abgesehen, weil die Finanzaufsicht im Kern vereinheitlich ist und im Übrigen der Wettbewerb für hinreichenden Verbraucherschutz sorgen soll.29 Neben dem EU-Pass und dem Notifikationsverfahren gibt es in der Praxis auch noch das 11 Verfahren der sog. Drittstaatenäquivalenz (vgl. Wagner VersR 2018 385, 387 f. m. w. N.). Dafür genügt nicht die Notifikation gegenüber der Aufsichtsbehörde im Gastland, sondern es muss dort eine besondere Anerkennungsentscheidung über die Äquivalenz getroffen werden. Eine dem home country-Prinzip vergleichbare Marktöffnung wird also nicht bewirkt, weil in jedem Gastland eine besondere Zugangsentscheidung der Aufsichtsbehörde zu bewirken ist. Andererseits scheint eine größere aufsichtsrechtliche Flexibilität möglich, so dass sich dieses Verfahren bei im EWR-Raum zugelassenen Rückversicherern und bei Berechnung der Gruppensolvabilität und Gruppenaufsicht für Erstversicherer als praktikabel erwiesen hat (vgl. Vogelsang FS Lorenz (2014) 512 ff., 514 f.).

IV. Sonderregeln der Übergangszeit nach dem BREXIT 12 Seit dem 1.2.2020 ist Großbritannien nicht mehr Mitgliedsland der EU. Damit gelten die Regeln des Host Country Principle und des EU-Passport i. S. der §§ 57 f. VAG (sog. Notifikationsverfahren) nicht mehr unmittelbar. Doch wurden schon während des lang andauernden Zickzack27 S. die Nachw. o. Fn 20. 28 Versicherungsaufsichtsgesetz v. 24.6.1994 BGBl. I 1377. 29 Vgl. Erwägungsgrund 18 der 3. Richtlinie Schadensversicherung v. 18.6.1992: „Die Harmonisierung des für den Versicherungsvertrag geltenden Rechts ist keine Vorbedingung für die Verwirklichung des Binnenmarktes im Versicherungssektor. Die den Mitgliedsstaaten belassene Möglichkeit, die Anwendung ihres eigenen Rechts für die Versicherungsverträge vorzuschreiben, die in ihrem Staatsgebiet belegene Risiken decken, stellt deshalb eine hinreichende Sicherung für diejenigen Versicherungsnehmer dar, die einen besonderen Schutz benötigen“. Herrmann

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Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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Verfahrens nach dem englischen Austrittsreferendum und unmittelbar vor dem erstmals drohenden Auslaufen der Frist zu einem geordneten Austrittsvertrag im Jan 2019 vorübergehende Regeln für den Fall geschaffen, dass kein rechtzeitiger völkerrechtlicher Austrittsdeal zwischen GB und der EU zustande kommen sollte (näher Herrmann/Eifler British Insurance Law, 2020 zu I.1). Seit dem European Union (Withdrawal) Act 2020 (UK Public General Acts 2020 c.1 Part 3 Sec. 7) ist der Austrittsdeal verbindlich abgeschlossen, so das sein sog. cold BREXIT zumindest bis zum 31.12.2020 vom Tisch ist. In dieser Zwischenzeit (Übergangszeit) gilt zunächst das bisherige Notifikationsverfahren weiter, so dass es bei Gründung oder Fortführung einer Niederlassung in Deutschland bzw. in GB ausreicht, dass der Aufsichtsbehörde des Gastlandes eine förmliche Mitteilung zum Niederlassungssitz und zur heimischen Aufsichtszuständigkeit gemacht wird. Es kommt also vor allem nicht dazu, dass englische Niederlassungen der strengen Aufsicht gem. §§ 61 ff. VAG unterstellt wird, die u. a. eine behördliche Prüfung des Geschäftsplans und der AVB erfordern würde. Diese Aufsicht gilt nur für Filialen aus Drittländern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes. Ob es dabei auch nach der Übergangszeit bleiben kann, hängt davon ab, ob die bis zum 31.12.2020 auszuhandelnden Einzelregeln Abweichendes vorsehen. Will man beim Notifikationsverfahren bleiben, so muss dies per ausgehandeltem Neu-Deal und entsprechenden Umsetzungsakten festgelegt werden. Kommt es dazu nicht, so muss man erneut mit einem harten BREXIT leben, der auch einer Fortführung des EU-Passport entgegenstünde. Man braucht jedoch kein Prophet zu sein, wenn man annimmt, dass wenigstens das Notifikationsverfahren im Wesentlichen auch über den 31.12.2020 hinaus aufrecht erhalten bleiben wird. Allenfalls könnte es zur Ausdehnung der o. a. (Rn. 10) Drittstaatenäquivalenz kommen (dafür Finch/Glover Goodbye Passport, Hello Equivalence, zit n. Wagner VersR 2018 385, 387 Fn. 132); doch sprechen bessere praktische Gründe (vgl. Thomas VW 2017/2 43) – und übrigens auch kulturpolitische Erwägungen (vgl. EU Committee, Brexit, zit n. Wagner VersR 2018 385, 393) – für künftige passport-Regeln oder zumindest für eine dazu vergleichbare Lösung. Wie wichtig allein diese Fortführung des Herkunftslandsprinzips ist, zeigt sich nicht nur 13 daran, dass ohne Notifikation sämtliche Filialen englischer Versicherer in Deutschlang bzw. deutscher Versicherer auf englischen Märkten aufsichtsrechtswidrig wären. Denn eine Möglichkeit, von einem schon nach altem Recht erlangten EU-Pass weiterhin Gebrauch zu machen, wird in der Lit. zwar diskutiert (vgl. nur LeaveHQ, Expats Have Nothing to Fear from BREXIT 2016, zit n. Wagner, VersR 2018 385, 392), aber überwiegend verneint (vgl. nur Douglas-Scott zit. ebd. Fn. 107). Vielmehr wäre jeder Neuabschluss eines Vertrages, der von einer solchen Niederlassung abgeschlossen würde, gesetzwidrig und damit wegen § 134 BGB nichtig. Das würde v. a. die kurzfristigen Altverträge betreffen. Auch langfristige Verträge dürften nicht mehr bedient werden, was jede Regulierung eines Versicherungsfalles, ja sogar die Einziehung von Prämien verhindern würde. Gleiches sogar auch für Beratungsleistungen und Versicherungsvermittlungsdienste. Es liegt nahe anzunehmen, dass man es dazu nicht kommen lassen wird. Alle übrigen Einzelheiten neuen EU/BREXIT-Rechts müssen in der Übergangszeit bis Jahres- 14 ende 2020 ausgehandelt sein. Trotz Einrichtung spezialisierter Abteilungen der EU-Kommission und der Regierungsbehörden in GB rechnet niemand damit, dass es zu fertigen Aushandlungsergebnissen und entsprechenden Gesetzgebungsakten vor Jahresmitte kommen wird. Will man Alles bis Jahresende unter Dach und Fach haben, müssen die konsentierten EU-Abkommen und die zu ihrer Umsetzung erforderlichen nationalen Parlamentsentscheidungen wohl schon bis spätestens Nov. 2020 vorliegen. Da es derzeit reichlich unrealistisch ist, die Einhaltung dieser Zeitvorgaben vorauszusagen, bleibt eigentlich nur die Möglichkeit von Verlängerungen des Übergangszeitraums über 2020 hinaus. Auch wenn ein politischer Wille dazu derzeit allseits heftig abgestritten wird und insbes. Boris Johnson immer wieder betont, er werde dazu nicht zur Verfügung stehen (vgl. nur Ch. Kerl www.abendblatt.de/politik/article228563801/…html, download 9.3.2020), gibt es kaum einen Zweifel, dass dies zumindest im Frühjahr hauptsächlich dem Zweck dient, die eigene Verhandlungsposition im hart geführten Streit um Einzelheiten der BREXIT-Folgen zu stärken.

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Europäisches Versicherungsrecht

C. Verbraucherschutz und Recht unlauteren Wettbewerbs 15 Die Deregulierung der präventiven AVB-Kontrollen durch die Versicherungsaufsicht der Mitgliedstaaten wurde in den Richtlinien der 3. Generation mit der Vertragsfreiheit und der hiervon ausgehenden wettbewerblichen Steuerungswirkung begründet. Ergänzend stellte man aber auch auf die richterliche AVB-Kontrolle ab, die weitgehend an die Stelle der präventiven Aufsicht treten könne.

I. Begrenzung behördlicher AVB-Kontrollen 16 Die richterliche AVB-Aufsicht greift zwar nicht vor Anwendung der Klauseln ein. Sie fungiert also insofern als nachträgliche hoheitliche Kontrolle. Doch schließt das nicht aus, dass zugleich auch gewisse präventive Steuerungseffekte mit ihr verbunden sind. Zunächst zur Abschaffung staatlicher Präventivkontrollen. 17 Seit der Richtlinie zum Missbrauch von Vertragsklauseln in Verbraucherverträgen30 war davon auszugehen, dass es in allen Mitgliedstaaten eine nachträgliche AVB-Kontrolle nach den Mindestkriterien dieser Richtlinie geben würde. Das wurde unter dem Aspekt der Deregulierung als ausreichend angesehen, so dass die Vorlagepflicht der AVB mit Einreichung des Geschäftsplanes zur Genehmigung nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 VAG a. F. gestrichen werden könne. Die von der Vorlagepflicht ausgehende Präventivkontrolle sei mit der Liberalisierung der Versicherungsmärkte unvereinbar. 18 Andererseits wurde das Informationsungleichgewicht der Vertragsparteien bei Vertragsschluss wegen der Kompliziertheit der Versicherungsprodukte und der vertragserheblichen Prägung durch die AVB nicht verkannt. Denn durch das öffentliche Recht sei zwingend vorgeschrieben, dass die Bedingungswerke nicht bloß mit zumutbarer Möglichkeit der Kenntnisnahme in den Vertrag einbezogen werden müssen, sondern vor Abgabe der für den Vertragsschluss maßgebenden Willenserklärung des Verbrauchers diesem vorgelegt werden müssen.31 Wegen dieser Verstärkung der Informationslage des Verbrauchers werde die Legitimation der AVB durch die Vertragsfreiheit und den Wettbewerb auf den liberalisierten Versicherungsmärkten entscheidend verbessert. 19 Jedoch blieb es nach h. M. zum deutschen Recht32 bei der Kontrollmöglichkeit der BaFin gem. § 81 Abs. 2 VAG a. F. im Rahmen der sog. Missstandsaufsicht. Hinzu kommt die Aufsicht durch die Wettbewerbsdirektion gem. Art. 10 lit. c GVO Nr. 358/2003 Versicherungen.33 Da auf die Fragen der Kartellaufsicht gesondert zurückzukommen ist (Rn. 70), kann das Folgende auf die Probleme zu § 294 VAG beschränkt werden. 20 Unbestritten gilt die Missstandsaufsicht auch bei etwaigen AVB, die die Verbraucher einseitig benachteiligen. Im Unterschied zum deutschen Recht vor der Deregulierung wird die Prüfung jetzt nicht mehr im Verfahren der Erlaubniserteilung nach § 8 VAG vorgenommen, sondern erfolgt im Rahmen der laufenden Aufsicht durch die BaFin. Allerdings wird man seit der 1994er Novelle des VAG,34 nicht mehr generell leugnen können, dass das Aufsichtsrecht auch in Deutschland dem Schutz vor Missbräuchen im Wettbewerb dient.35

30 EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen 93/13 v. 5.4.1993 NJW 1993 1838; umgesetzt durch deutsches Bundesgesetz v. 19.7.1996 BGBl. I 1013. 31 S. – für das deutsche Recht – § 10a VAG. 32 H. Müller 155, 159 ff.; ders. VW 1993 548 ff.; Römer 20; Müller/Golz/Washausen-Richter/Trommeshäuser/Präve 201, 206. 33 ABl. 2003 L 53/8. 34 A.a.O., Fn. 26. 35 Dazu Hirsch/Montag/Säcker/Herrmann GVO-Versicherungen 1050, 1082 f. Herrmann

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Verbraucherschutz und Recht unlauteren Wettbewerbs

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II. Verbraucherinformation und VVG-InfoV 2008/18 Die Deregulierungsrichtlinien der 3. Generation36 begründeten für die VU die Verpflichtung, 21 jedem Kunden im Stadium vor Abschluss des Versicherungsvertrages eine Verbraucherinformation vorzulegen. Mit § 10a VAG 1994 i. V. m. Anlage D wurde dies zunächst in deutsches öffentliches Recht umgesetzt. Erst die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher v. 23.9.200237 und die VVG-InfoV 200838 führten zur Eingliederung der Verbraucherinformationspflicht in das Privatrecht.39 Dadurch ergab sich die Möglichkeit, die hier geregelten Informationspflichten in systematischem Zusammenhang mit dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB und den Beratungspflichten nach der Vermittlerrichtlinie v. 200340 zu interpretieren. Insbesondere war es nun möglich, die Anforderungen zur Verständlichkeit der AVB auf den Horizont des beratenen Verbrauchers abzusenken, anstatt übertriebene Kriterien zur Nachvollziehbarkeit für rechtliche Laien aufzustellen. Doch kann dies erst unten im Abschnitt über die Versicherungsvermittlung (Rn. 48 ff.) näher dargelegt werden. Andererseits lässt sich ein zunehmender Wandel von fürsorglicher Schutzregulierung zu Selbstbestimmungsregeln feststellen, die auf informierte Entscheidung der Vertragsparteien vor und nach Vertragsschluss setzen.41 Die VVG-InfoV wurde 2018 neu gefasst und insbes. im Hinblick auf das Produktinformati- 22 onsblatt i.S des § 4 (PIB) weitgehend verändert. Anstelle des bisherigen 9 Punkte-Schemas wurde ein Verweis auf die Durchführungsverordnung (EU) 2017/1469 (ABl. L 2009, S. 19, IPID-VO) angebracht. Die damit vorgegebenen Informationsinhalte sind zwar weitgehend identisch mit denen der InfoV a. F.; doch ergeben sich zu den Grenzen der Anwendbarkeit auf Verbraucher und zur Angabe über die Beratungspflicht nach Vertragsschluss erhebliche Abweichungen (§ 4 VVG-InfoV). Die IPID-VO enthält Informationsvorgaben für Nicht-LV und kennt keine Begrenzung auf Verbraucherverträge. Als Verordnungsrecht kommt unmittelbare Anwendbarkeit der VO gem. Art. 288 AEUV in Betracht. Legt man das Subsidiaritätsprinzip des Art. 12 lit. b EUV zugrunde, so gilt die Regelung allerdings als solche nicht für die nicht grenzübergreifenden Verträge. Deshalb ordnet § 4 Abs. 2 S. 1 die Geltung der IPID-VO an, was die Informationsinhalte angeht. Die Regelung nach Abs. 1 bleibt davon aber unberührt, so dass § 4 VVG-InfoV nach wie vor lediglich für Verträge mit Verbrauchern i. S. § 13 BGB gilt (zu Einzelfragen und zur Europarechtskonformität s. u. III.7b, Rn. 50). Soweit der Versicherungsvertrag ausschließlich mit Mitteln der Telekommunikation zum 23 Abschluss gebracht wird, gilt die EU-Richtl. über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen 2002 (FernAbsFinDL-Rl.),42 die in der BRD seit der großen Schuldrechtsreform von 2002 durch die §§ 312b–d, 355 BGB umgesetzt worden ist. Wichtigstes Element dieser Regulierung ist das Widerrufsrecht mit Frist von 14 Tagen ab Vertragsabschluss, beginnend bei ordnungsgem. Widerrufsbelehrung (§ 355 Abs. 2) oder wenn die von der Rspr. entwickelten Vertrauensschutzgründe dafür sprechen (s. die Nachw. Rn. 44 f.). Zudem gilt aber auch die FernabsatzRichtl. II, die ein Verzichtsverbot für das Recht auf Verbraucherinformation festlegt, soweit nationales Recht gesetzliche Normen vorgesehen hat. Inwiefern die Verzichtsmöglichkeit des § 7 Abs. 1 S. 3 VVG damit in Einklang zu bringen ist, ist umstr. und wird im folgenden Abschnitt näher kommentiert (s. u. Rn. 53).

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3. RL-Schaden 92/49 EWG v. 18.6.1992, ABl. L 228 und 3. RL-Leben 92/96 EWG v. 10.11.1992, ABl. L 360/1. ABl. L 271. BGBl. I 2007 3004, zuletzt geänd. durch Art. 1 Abs. 5 Gesetz v.6.3.2018, BGBl. I 225 (Abdr. Anh. zu § 7). Näher Präve VersR 2008 151 f. RL 2002/92/EG v. 9.12.2002 ABl. L 9/10. Vgl. nur Schneider RuS 2015 477; verallgemeinernd und mit Folgerungen zur AVB-Kontrolle Mattern Das Informationsmodell im VVG unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die AGB-Kontrolle, 2011. 42 Richtl. 2002/65/EG, ABl. EG Nr. L 271/16. 129

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III. Rechtsangleichung und Harmonisierungsbedarf 24 Die Dritten Richtlinien zur Deregulierung der Versicherungsbinnenmärkte haben nicht nur direkte Anordnungen zum Herkunftslandprinzip getroffen, sondern sie wirken sich auch indirekt auf die Mitgliedstaaten aus, indem sie die Umsetzung in nationales Recht anordnen und die Kompetenz begrenzen, Regelungen zu erlassen, die den Zielvorgaben der Richtlinien zuwiderlaufen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich dazu bereits eine beachtliche Vielzahl von Angleichungs- und Harmonisierungsbedarfen ergeben.

1. Warnpflichten zu Obliegenheiten 25 Der Zwischenbericht der Kommission zur VVG-Reform 2007/8 hatte vorgeschlagen, erst bei grob fahrlässiger Verletzung von Obliegenheiten des VN ein Leistungsbefreiungsrecht des VU vorzusehen, das zudem nicht total befreit, sondern eine verhältnismäßige Quotelung vorsieht.43 Der Regierungsentwurf verlangte zudem bei Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheiten, dass dem VN zuvor eine „gesonderte Mitteilung“ in Textform zugeleitet worden war.44 Gegen die heute so Gesetz gewordene Regelung § 28 Abs. 4 ist in der rechtspolitischen Diskussion eingewendet worden, dass es sich um eine Verletzung der sog. Höchstwirkung45 der Richtlinienvorschrift zur Verbraucherinformation handelt.46 – Im Wesentlichen übereinstimmend wurde auch die Kommissionsempfehlung zum heutigen § 19 Abs. 1 S. 1 und Abs. 6 diskutiert. Denn dort wird zum einen vom VU verlangt, dass es Fragen über die für wichtig erachteten Risikoumstände formuliert und diese dem VN zur Beantwortung vorlegt. Zum anderen muss der VN auch wegen der Rechtsfolgen der Anzeigeobliegenheit47 als solcher „in Textform“ warnen. Auch daran wurde bemängelt, dass eine über die Verbraucherinformation hinausgehende Mitteilung verlangt werde, die mit der Höchstwirkung der Dritten Deregulierungsrichtlinien Versicherungen unvereinbar sei.48 Nach a. A. lassen die Deregulierungsrichtlinien das Versicherungsprivatrecht im Kern unberührt,49 weshalb die Verbraucherinformation schließlich auch im öffentlichen Recht als neuer § 10a VAG geregelt worden sei.50 Die Informationspflichten seien wesentlich im Zusammenhang mit der Missstandsaufsicht zu sehen, zumal der Aufsichtsbehörde die Kontrolle zur Einhaltung der Vorschriften obliege. Allerdings wurde schon damals darauf hingewiesen, dass das BAV auch bei Verletzung privatrechtlicher Pflichten nach § 81 Abs. 1 S. 4 VAG im Wege der Rechtsaufsicht einschreiten könne. Die Zuordnung zum öffentlichen Recht sei deshalb nicht zwingend.51 Seit der VVG-InfoV 2008 und deren Überführung der Verbraucherinformationspflicht ins Privatrecht52 ist eine systematische Unzusammengehörigkeit mit den Informations- und Warnpflichten des VVG keinesfalls mehr gegeben.

43 Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts v. 30.5.2002 Nr. 6.1.2.2 S. 45 f. 44 E. Lorenz § 30 (RegE VVG 2006) mit Erläuterung 209; ebenso schon E. Lorenz § 30 Abs. 4 (VVG-Kommissionsentwurf E) 439.

45 Dazu – grdl. – EuGH 5.3.2002 Rs. C-386/00 VersR 2002 1011 – „Axa Royal Belge SA/Georges Ochoa et al“. 46 Art. 31 3. RL-Leben 92/96 EWG v. 10.11.1992 ABl. L 360/1 und 3. RL-Schaden 92/49 EWG v. 18.6.1992 ABI. L 228; vgl. Langheid NJW 2003 399; Herrmann VersR 2003 1333, 1337 f.; in ähnlichem Zusammenhang auch Präve VW 2002 1836, 1838; Bürkle EuZW 2006 685. 47 Rücktritt bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit gem. § 19 Abs. 2 und 3 oder rückwirkender Risikoeinschluss mit Prämienanhebung bei grober Fahrlässigkeit nach Abs. 4 (Ausnahme Abs. 6). 48 Vgl. Herrmann VersR 2003 1333, 1338 f. 49 Vgl. nur Renger VersR 1994 753, 756; E. Lorenz VersR 1995 616, 617. 50 Reiff ZVersWiss 2001 451, 463 f. 51 Hoffmann Verbraucherschutz für Versicherungen nach § 102 GWB, Diss. 1985, 166 f. 52 Dazu Präve VersR 2008 151 f. Herrmann

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Die Begrenzung auf den maximalen Verbraucherschutz kommt in Betracht, wenn die 26 Richtlinie auf einer Abwägung entgegenstehender Interessen der Parteien des geregelten Rechtsverhältnisses beruht, so dass zusätzliche Belastungen des VU die vom Europarecht gewollte Ausgewogenheit stören würde.53 Andererseits sind ergänzende Regelungen zulässig, die sich innerhalb der europarechtlichen Normzwecke halten und für deren effektive Umsetzung notwendig erscheinen. Solche Ergänzungsregeln müssen nach der hier vertretenen Ansicht eine Abwägung von verbraucherschützenden Interessen mit denen wettbewerblicher Binnenmarktöffnung enthalten und dabei auch dem Transparenzgebot besondere Bedeutung zumessen.54 Der Gesetzgeber des VVG 2008 ist zwar von seinen Regelungen zum Fragen- und Hinweis- 27 zwang nicht abgegangen. Aber die tatsächliche Entwicklung hat Abhilfe gegen die Europarechtswidrigkeit der genannten zusätzlichen Informationspflichten geschaffen. Die Praxis hat sowohl zur Anzeigenabfrage i. S. § 19 als auch zur Warnung vor Obliegenheitsverletzungen derartige Vereinfachungen durch EDV-Formulare und Warntexte entwickelt, dass von einer erheblichen über die Verbraucherinformation hinausgehenden Mehrbelastung heute keine Rede mehr sein kann (näher Beckmann/Matusche-Beckmann/Brömmelmeyer § 42 Rn. 168a Rn. 167 ff. mit w. N.). Die Ansicht zur Verletzung der Dritten Deregulierungsrichtlinien wird deshalb hier weitgehend aufgegeben. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass bei den Hinweisobliegenheiten nach § 19 28 Abs. 5 und nach § 28 Abs. 4 keine allzu strengen Anforderungen an die Mitteilung unterschiedlicher Rechtsfolgen bei fahrlässiger und grob fahrlässiger Pflichtverletzung gestellt werden dürfen. Denn auf keinen Fall darf der Hinweis- und Warnzwang dazu führen, dass der VN „… mit der Nase darauf gestoßen wird, dass er sich … folgenlos leicht sorgfaltswidrig … verhalten kann“.55 Es genügt also beispielsweise zu formulieren, dass „bei leichtfertigen Anzeigefehlern“ i. S. § 19 Abs. 1 bzw. „bei schwerwiegenden Fehlern der Aufklärung“ i. S. § 28 Abs. 1 eine Vertragsanpassung bzw. weitgehende Leistungsbefreiung droht. Die dahin gehende Abschwächung der Informationspflichten ist der Höchstwirkung des Art. 31 Dritte Richtlinie Leben und Nichtleben zwingend geschuldet.

2. Transparenzkontrolle bei Prämienanpassungsklauseln und Klauselanpassung Viele Einzelheiten der AGB-Kontrolle zur Verstehbarkeit für den Verbraucher sind bis heute unzu- 29 reichend geklärt. Der BGH hat allerdings schon vor der Deregulierung entschieden, dass das Transparenzgebot des heutigen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB (§ 9 AGBG a. F.) auch auf die Anpassungsklauseln für Versicherungsprämien anwendbar ist.56 Das sollte sogar dann möglich sein, wenn die Prämien, wie nach altem Recht, der behördlichen Aufsicht unterliegen. Zum Recht nach Art. 6 Abs. 2 der EG-Richtl. gegen missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen57 und deren Umsetzung in 199458 wird diese Rspr. – sogar mit spezieller Bezugnahme auf das Versicherungsver-

53 Vgl. schon das Vorlageverfahren des LG Hannover EuZW 1992 546, in dem der EuGH (Slg. 1992 I 4897, 4912) allerdings zur Frage der Höchstwirkung nicht Stellung genommen hat; vgl. aber Einsele NJW 1996 2681, 2688 f. m. w. N. 54 Vgl. nur BGH 17.10.2012 – IV ZR 202/10 VersR 2013 213, 217 f. Tz. 27; zur vorhergehenden Rspr. s. Herrmann, Zillmerungsregeln, S. 12, 14, passim; für Betonung des Transparenzgebots s. neuerlich auch Beckmann/MatuscheBeckmann/ Brömmelmeyer § 42 Rn. 168a m. w. N. 55 Herrmann VersR 2003 1333, 1339. 56 BGH 1.7.1992 – IV ZR 191/91, BGHZ 119 55, 59; auch OLG Hamm 25.6.1993 – 20 U 342/92, NJW-RR 1993 1501. 57 Richtl. 93/13, ABl. L 95/29; NJW 1993 1838. 58 V. 19.7.1996, BGBl. I, 1013. 131

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tragsrecht – immer noch als maßgebend angesehen,59 auch wenn die Kontrolle von Preisanpassungsklauseln nicht zur Preiskontrolle gehört, sondern sog. Preisbildungsklauseln betrifft.60 Diese Ansicht steht, was automatisch wirkende Preisanpassungsklauseln angeht, in Gegensatz zu § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, wonach keine Preiskontrollen und keine Kontrollen über das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung zulässig sind. Wird bei Preisanpassungsklauseln mit einseitigem Leistungsbestimmungsrecht – wie es in § 163 Abs. 1 und § 172 VVG a. F. vorgesehen ist/war61 – die inhaltliche Angemessenheit mit überprüft, so läuft auch dies auf eine Preiskontrolle hinaus. Aber § 307 Abs. 3 S. 1 BGB ist insoweit nicht anwendbar, weil eine gesetzliche Regelung vorliegt, und da insoweit von dieser in den AVB keine Abweichungen vorgesehen werden.62 Wurden die diesbezüglichen AVB nicht rechtzeitig, d. h. bis zum 1.1.2009 (Art. 1 Abs. 3 S. 1 30 EGVVG), auf die neuen Anforderungen des § 163 Abs. 1 umgestellt,63 so liegen Abweichungen vom Gesetz vor, und die genannte gerichtliche AVB-Kontrolle kommt zum Zuge. Aber in solchen Fällen ist zu betonen, dass die Rspr. zum allgemeinen Recht von Preisbildungsklauseln nur dann eine Überprüfung der Angemessenheit vornimmt, wenn Intransparenz im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Folge der Klauselnichtigkeit anzunehmen ist, und dass sodann die ergänzende Vertragsauslegung eingreift. Bei dem insoweit maßgeblichen hypothetischen Parteiwillen muss immer noch so weit wie möglich auf die Entwicklung der Marktpreise abgestellt werden.64 Auch die neue Rspr. des BGH zu den Zillmerungsklauseln ist dem zu gefolgt.65Denn die Überprüfung inhaltlicher Angemessenheit erfolgt hier nach zutreffender, wenngleich nicht unbestrittener66 Ansicht nur für die Fälle, in denen der betr. Versicherungsvertrag mit intransparenten AVB zur Zillmerungsklausel zustande gekommen ist. Der BGH meinte dazu treffend: „Der Eingriff in die Entschließungs- und Auswahlfreiheit (durch die Intransparenz) bliebe (sonst) unbeseitigt und bestünde … fort.“67 Die neuere ALB-Praxis weist tatsächlich erhebliche Transparenzverbesserungen auf, die vom BGH nur noch in Einzelfällen beanstandet wurden.68 31 Besonders wichtig für die neuere Praxis ist zudem, dass bei Feststellung unzulässig intransparenter Zillmerung eine ergänzende Vertragsauslegung erfolgen muss, da nach § 306 Abs. 1 BGB jeweils nur die intransparente Klausel nichtig ist, und deshalb eine Vertragslücke entsteht, die nach dem hypothetischen Parteiwillen vertragsergänzend gefüllt werden muss (BGH 13.11.1997 – IX ZR 289/96 BGHZ 137 153, 157; BGH 15.2.2019 – V ZR 77/18 NJW 2019 2602; zu Lebensversicherungen BGH 11.9.2013 – IV ZR 17/13 NJW 2013 3240). Für die Berechnung des Rückkaufswertes bedeutet das, dass ein Stornoabzug wegen Bearbeitungskosten nur dann berechtigt ist, wenn diese höher zu veranschlagen sind als die Bearbeitungskosten im Todes- oder 59 Vgl. nur BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, WM 2019 1802; Palandt/Grünberg § 307 Rn. 25 m. w. N.;. 60 Palandt/Grünberg § 309 Rn. 11; zur Zweispurigkeit der Rspr. zum Transparenzgebot mit und ohne materielle Wertung s. schon Wagner-Wieduwilt WM 1989 37 ff.; zur Unterscheidung von Automatikklauseln und Leistungsbestimmungsrechten vgl. nur Horn NJW 1985 1118, 1120. 61 Zur Bedingungsanpassung s. § 164 bzw. 172 Abs. 2 VVG a. F. 62 Auch die zu Rn. 24 f. erörterten Einwände aus Art. 56 AEUV und dem hierzu entwickelten Vorrang informationsrechtlicher Regulierung können in diesem Zusammenhang unbeachtet bleiben, weil transparente Anpassungsbedingungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses logisch ausgeschlossen sind, soweit es um Leistungsbedarfe handelt, die „nicht voraussehbar“ i. S. § 163 Abs. 1 sind. 63 Das gilt insbes. für den Vorbehalt des § 163 Abs. 1 S. 2, wonach die Prämienanpassung ausgeschlossen ist, wenn „… die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt der Erst- oder Neukalkulation unzureichend kalkuliert waren …“. 64 Vgl. nur BGH 1.2.1984 – BGHZ 90 69, 78 Tagespreisklausel II; BGH 6.3.1986 – II ZR 195/84, BGHZ 97 212, 213 Zinsvorbehalt; näher Rn. 29 ff.; ausführlich Herrmann DZWiR 1993 54 ff., 95 ff. 65 Vgl. schon BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, NJW 2005 3559, Rn. 45; BGH 24.2.2016 – XII ZR 5/15, BGHZ 209 105 = NJW 2016 1646, jeweils m. w. N. 66 Deutlich weitergehende Deutung in BVerfG 15.2 2006 – 1 BvR 1317/96 NJW 2006 1783 = VersR 2006 489 Ls. 4. 67 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGH NJW 2005 3559 Rn. 29 f.; insoweit zustimmend Herrmann VersR 2009 Heft 1 zu II.1. 68 Vgl. nochmals BGH VersR 2013 213, 217; zust. Beckmann/Matusche-Beckmann/ Brömmelmeyer § 42 Rn. 168a mit w. N. Herrmann

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Erlebensfall (vgl. Schwintowski VersR 2010, 1126, 1130; Brömmelmeyer Rn. 177b). Entgangener Gewinn darf grdsl. nicht veranschlagt werden, weil der VR seine Kapitalanlagepolitik von vornherein langfristig vorsichtig kalkulieren muss (Grote/Thiel VersR 2013, 666, 671; Brömmelmeyer Rn. 177c) und ein Beitrag des VN zur Solvabilität des VR keine hinreichen Rechtfertigung gibt (vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ortmann § 169 Rn. 92), jedenfalls aber aus Transparenzgründen nicht zum Storno berechtigen kann (Brömmelmeyer Rn. 177d). Anders soll es allerdings bei der LV gegen Einmalzahlung sein, weil es sich insofern um einen „kapitalmarktinduzierten Stornoabschlag“ handele.69 Ob die hierfür angezogenen Gründe der Kapitalmarktspekulation in der Praxis wirklich eine erhebliche Rolle spielen, muss hier offen bleiben. Es handelt sich aber um einen treffenden Beleg zur Kapitalmarktorientierung der AVB-Kontrolle (dazu s. o. Rn. 14 und s. u. Rn. 34).

3. Entgeltumwandlung und Wertgleichheit im BetrAVG In einem Urteil des LAG München von 200770 wurde auch für die betriebliche Altersvorsorge 32 ein Zillmerungsverbot daraus hergeleitet, dass § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG zum Zwecke der Altersversorgung die Umwandlung von Entgeltansprüchen in „wertgleiche Anwartschaften“ vorsieht. Dem hat sich das BAG71 dahingehend angeschlossen, dass die Zillmerung grdsl. nicht gegen das sog. Wertgleichheitsgebot verstößt, wenn die Abschluss- und Vertriebskosten analog § 169 Abs. 3 VVG auf die ersten 5 Jahre verteilt werden (zust. Beckmann/Matusche-Beckmann/Schwintowski § 43 Rn. 28). Die zuvor z. T. vertr. Literaturmeinung, eine angemessene Äquivalenz und Wertgleichheit folge bereits aus der Einhaltung der versicherungsmathematischen Zillmerungsgrundsätze,72 wurde damit verworfen. Mit dem Gleichheitsgebot sei es jedoch unvereinbar, wenn der Arbeitnehmer durch die Zillmerung bei kurzfristiger Auflösung (oder Übernahme nach § 4 BetrAVG) keinerlei oder einen deutlich niedrigeren Rückkaufwert erhält, als die Summe der eingezahlten Prämien ausmacht.73 Damit sollte nach Ansicht des OLG München eine Gesetzesverletzung i. S. § 134 BGB gegeben sein, die zur Nichtigkeit der Vereinbarung führen würde.74 Doch weicht das BAG hiervon insofern ab, als es lediglich eine Pflicht zu höherer Altersversorgung durch den Arbeitgeber annimmt (Urteil v. 15.9.2009, Tz. 50). Gegen diese Ansicht wurde in der Literatur u. a. eingewendet, dass die Kontrollmöglichkeit nach dem Wertgleichheits- und Transparenzgebot überzogen sei, sowie die Zillmerung eine „versicherungsmathematische Äquivalenz“ bewirkt, auch wenn die Ergebnisse in den ersten Jahren ungünstig erscheinen.75 Der mathematische Aspekt soll hier nicht weiter kommentiert werden. Juristisch wiegt der Einwand schwer, es gebe keinen „gerechten Preis“ bei der Entgeltumwandlung, den ein Gericht als Preiskommissar zu kontrollieren hätte. Auch das Wertgleichheitsgebot des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG habe diesen Sinn nach den Motiven des Gesetzge69 Schwintowski VersR 2010 1126, 1130; Grote/Thiel VersR 2013 666, 669 f.; z. T. zust. Reiff ZVersWiss. 2012 477; Brömmelmeyer VersR 2014 133 unter Hinweis auf eine Vorsorge gegen entspr. Kapitalmarktspekulation, die die Billigung der BAFin. gefunden hat. 70 LAG München (4. Kammer) 15.3.2007 VersR 2007 968; zust. Mauersberger VersR 2008 169 ff.; auch Reinicke DB 2006 555, 562 f.; Schwintowski BetrAV 2004 242, 243; a. A. LAG München 11.7.2007 – 10 Sa 12/07 NZA 2008 362; OLG Celle 13.9.2007 NJOZ 2008 22; ArbG Siegburg 27.2.2008 – 2 Ca 2831/07; implizit auch ArbG Stuttgart 17.1.2005 – 19 Ca 3152/04 BetrAV 2005 692; ArbG Kempten 30.11.2006 – 05 Ca 441/06; Kollroß/Frank DB 2007 1146; Neumann/ Schwebe ZIP 2007 981; Cisch/Kuip NZA 2007 786; Reich/Rutzmoser DB 2007 2314, 2319; Hopfner DB 2007 1810; Jaeger VersR 2006 1033; Diller FA 2007 193; ders. NZA 2008 338; Veit VersR 2008 324; Herrmann NWiR Herbstausgabe 2008, abrufbar unter http://www.nwir.de/. 71 BAG 15.9.2009 – 3-AZR 17/09 VersR 2010, 147. 72 Vgl. Blomeyer DB 2001 1413, 1414; Klemm NZA 2012 1123 f. 73 BAG VersR 2010, 1473; LAG München 15.3.2007 II.1.b) aa) = VersR 2007 968. 74 So schon Reinecke RdA 2005 129 f.; ders. DB 2006 555, 562; Schwintowski VuR 2003 327. 75 Vgl. Kollroß/Frank DB 2007 1146. 133

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bers nicht haben sollen. Insbesondere fehle es an der sonst für das Arbeitsrecht typischen Unterlegenheit des Arbeitnehmers, da bei der Entscheidung für die Entgeltumwandlung die Einstellung als solche unberührt bleibe.76 Doch steht natürlich immer im Hintergrund, dass der Arbeitgeber auch während des lfd. Vertrages eine wirtschaftlich überlegene Stellung hat.

33 a) Vorgaben des Art. 56 AEUV. Noch immer nicht ausreichend diskutiert,77 aber nicht minder wichtig ist die Begründung aus der Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV und den oben (Rn. 5 ff.) erörterten Versicherungsrichtlinien. Der internationale Wettbewerb mit Lebensversicherungen aus Großbritannien und aus Mitgliedstaaten der EU78 dürfte zumindest mittelfristig auch vor den Toren der Betriebe nicht halt machen.79 Auf die Erheblichkeit dieses potentiellen Wettbewerbs kommt es an (Rn. 2 f.), wenn der EuGH80 mit einem Streitfall grenzübergreifenden Marktzutritts mit gezillmerten Rückkaufswerten, wie etwa denen englischen Rechts (surrender value)81 befasst wird. – Ein tatbestandlicher Eingriff in Art. Art. 56 AEUV liegt bei Diskriminierungen und zudem bei Zugangsbeeinträchtigungen82 aus dem innereuropäischen Ausland vor, da die Keck-Rspr.83 des EuGH betr. die Unerheblichkeit von Verkaufsmodalitäten nur zur Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 AEUV ergangen ist und mangels griffiger Abgrenzbarkeit zu Recht nicht zur Übertragung auf die anderen Grundfreiheiten empfohlen wird.84 Der Zugang ist v. a. deshalb besonders erschwert, weil die Zillmerungsregeln die Honorarfinanzierung für die Versicherungsvermittler betreffen und deshalb schon im nationalen Wettbewerb den Absatzerfolg erheblich beeinflussen.85 Bei internationalem Marktzutritt gilt das erst recht, zumal hier sehr viel von der Kenntnis des ausländischen Produkts und dem sachkundigen Vergleich abhängt. Drückt ein Zillmerungsverbot oder ein Mindestrückkaufswert auf die Margen für die Prämien und die Mittlerhonorare, so wird der Absatzerfolg des ausländischen Zutrittskandidaten extrem erschwert. 34 Zur Rechtfertigung verlangt die Rspr. gem. § 49 EGV a. F./bzw. 56 AEUV, dass wichtige Allgemeingüter wie das des Verbraucherschutzes angegeben werden, aber dazu ein Übermaßverbot einzuhalten ist, das insbes. den Grundsatz schonendsten Mitteleinsatzes (GsM) enthält.86 Die

76 Vgl. Hopfner Der ‚gerechte Preis‘ bei der Entgeltumwandlung, Diss. Erlangen 2002 141 f., passim; ders. DB 2007 1810.

77 Zutr. Ansatz aber bei Bürkle VersR 2006 250 f. zu III.; näher Herrmann VersR 2009 7, 10, 12 f.; allerdings keine Angaben dazu bei Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich1 Rn. 7–9; zu eng Ebers Die Reform des VVG vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2004). 78 638 Unternehmen aus dem Dienstleistungsbereich von EWR Ländern außerhalb Deutschlands waren 2003 beim BAV gemeldet (vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich1 65 Fn. 242); im Juli 2008 waren es nach Angaben auf der www-Seite der BAFin bereits 892; noch nicht enthalten sind in diesen Zahlen wohl die Konzerngesellschaften, die angeblich die „Flucht“ aus Deutschland ergriffen haben, dazu Langsch Lebensversicherer ergreifen die Flucht, Handelsbl., 6.12.2007 21; auch solche Wanderbewegungen sind vom Schutz des Europarechts nicht auszunehmen, da das home country principle gilt (Rn. 6). 79 Vgl. nur Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/3 (2004) Tz. 218. 80 Vgl. EuGH 5.12.2006, Rs. C-94/04 und C-202/04 „Cipolla“ EurR 2007, 82, Rn. 58 f., wo das Gericht wegen der bejahten Zutrittsbehinderung sogar ohne nähere Angaben von der Erheblichkeit ausgeht; zur Erheblichkeit potentiellen Wettbewerbs s. auch Rn. 2. 81 Mindestrückkaufswerte (Rn. 29) sind dort nicht vorgesehen, sondern es wird nur auf aktuarisch zutreffende Kostenzurechnung verwiesen vgl. nur Collinvaux’s Law of Insurance 1997 § 10.04, S. 218 f. und die Warnung der Association of British Insurers in www.abi.org.uk, abgerufen am 28.7.2008. 82 Vgl. nochmals EuGH 5.12.2006, Rs. C-94/04 und C-202/04 „Cipolla“ EurR 2007, 82, Rn. 58 f. 83 EuGH vom 24.11.1993, Rs C-267/91 „Keck“ und C 268/91, NJW 1994 121 „Hühnermund“. 84 Kort JZ 1998 132, 136; Grabitz/Hilf/Randelzhofer/Forsthoff Art. 49, 50 EGV Rn. 96. 85 So auch Kisch/Kruip NZA 2007 786 zu V.1b/bb. 86 Vgl. – grdl. – EuGH Rs. 120/78 20.2.1979, Rewe-Zentrale/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, „Cassis de Dijon“ Slg. 1979 649; NJW 1979 1766. Herrmann

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europarechtliche Praxis hat dazu einen Vorrang informationeller Regulierung entwickelt,87 der besagt, dass Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit (wie solche zur Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EGV a. F./49 AEUV) besser durch Auferlegung von Informationspflichten als dadurch erfolgen, dass Ge- und Verbote erlassen werden (). Folgt man dem, so erscheint auch der Transparenzschutz bei Zillmerungsklauseln vorzugwürdig, wenn nur angenommen werden kann, dass im Hinblick auf diese funktionsfähiger Wettbewerb besteht. Im Meinungsstreit dazu88 gab es schon spätestens seit Einführung des Leitbildes mündiger (d. h. situationsadäquat informationsbereiter) Verbraucher die besseren Argumente für die wettbewerbliche Ansicht; und seit Einführung des Produktinformationsblattes gem. § 4 VVG-InfoV scheint sich der Gesetzgeber sogar ausdrücklich dieser Sichtweise angeschlossen zu haben.89 Dieser Vorrang informationeller Regulierung führt im Privatversicherungsrecht dazu, dass im Prinzip ein „bloßer“ Transparenzschutz besteht, und grundsätzlich nur bei funktionsunfähigem Wettbewerb aus besonderen Gründen weitergehende Regulierungen zugelassen sind.90

b) Marktorientierte Auslegung und teleologische Reduktion des § 1 Abs. 2 Nr. 3 35 BetrAVG. In der deutschen betriebsrentenrechtlichen Diskussion geht ein Teil der Literatur schon länger vom Prinzip unzulässiger Äquivalenzkontrolle aus.91 Dafür wird allerdings nicht auf den erörterten informationsrechtlichen Vorrang des Europarechts, sondern darauf abgestellt, dass es bereits nach deutschem Vertragsrecht grundsätzlich keinen „gerechten Preis“ bei der Entgeltumwandlung gebe, den ein Gericht als „Preiskommissar“ zu kontrollieren hätte. Auch das Wertgleichheitsgebot des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG habe diesen Sinn nach den Motiven des Gesetzgebers nicht haben sollen. Insbesondere fehle es an der sonst für das Arbeitsrecht typischen Unterlegenheit des Arbeitnehmers, da bei der Entscheidung für die Entgeltumwandlung die Einstellung als solche unberührt bleibt.92 Der Ansicht des BAG v. 15.9.2009 (Az. 3-AzR 17/09) ist gleichwohl einzuräumen, dass der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG missverständlich weit geraten ist. Dies kann und muss aber durch teleologische Restriktion repariert werden,93 wobei man aus Gründen eingeschränkten Wettbewerbs im Zusammenhang des bestehenden und des (bei Arbeitsplatzwechsel) künftigen Arbeitsverhältnisses doch nicht so weit gehen kann, die inhaltliche Wertkontrolle 87 Vgl. – grdl. – EuGH Slg. 1979,649, Tz. 6 ff. = NJW 1979 1766 „Cassis de Dijon“; generalisierend Hommelhoff AcP 192 (1992), 71, 94; Mattern Informationsmodell S. 424, 425 ff. m. w. N.; Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht – Das europäische Recht der Unternehmensgeschäfte 1998 S. 41; Merkt ECFR 2004 1, 17; Fleischer Informationsasymmetrie im Vertragsrecht 2000 497 ff., passim; ders. ZEuP 2000 773, 784 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 57; speziell zur Zillmerung Bürkle VersR 2006 250 f. zu III.; Herrmann VersR 2009 Heft 1 zu III./IV.; Mattern S. 325 ff., 346 ff. m. w. N.; insoweit übereinstimmend auch Schwintowski VersR 2008 1425, 1431. 88 Näher s. Rn. 31. 89 Bruck/Möller/Herrmann § 7 Rn. 25. 54 ff. 90 Vgl. schon Herrmann VersR 2009 12 f.; ausführl. Mattern Das Informationsmodell S. 424 ff., 426 ff.; vgl. auch BAG 15.9.2009 – 3 AZR 17/09; VersR 2010 1473, 1479; BGH 25.7.2012 – IV ZR 201/10 VersR 2012 1145, 1159; dazu Beckmann/Matusche-Beckmann/ Schwintowski § 43; für Zwischenstellung zwischen mehr fürsorglichen und primär der Selbstbestimmung dienenden Schutzzwecken vgl. W.-Th. Schneider RuS 2015 477. 91 Hopfner Der ‚gerechte Preis‘ bei der Entgeltumwandlung, Diss. Erlangen 2002 141 f., passim; ders. DB 2007 1810; ähnlich Reich/Rutzmoser DB 2007 2314, 2318 unter zutr. Hinweis auf die Zulässigkeit der Zillmerung außerhalb des Arbeitsvertragsrechts; ähnlich Jaeger VersR 2006 1033. 92 S. nochmals Hopfner 101 f.; zusätzliche tarifvertragsrechtliche Gründe s. ebd. S. 113 ff. 93 Vgl. Herrmann NWiR Herbstausgabe 2008, abrufbar unter http://www.nwir.de/; zur richtlinienkonformen Auslegung auch BGHZ 202, 102, Tz. 27; nicht ausreichend ist es dagegen, wenn man bei § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG lediglich die verbotsgesetzliche Rechtsnatur bestreitet und damit die Nichtigkeitsfolge gem. § 134 BGB leugnet (vgl. Hanau/ Arteaga/Rieble/Veit Entgeltumwandlung 2. Aufl. (2006) Rn. 138, 141, dies. VersR 2008 324 zu II.1). Denn immer noch bliebe die einschränkungslose Klauselnichtigkeit nach § 306 Abs. 1 BGB. Auch § 138 BGB hilft nicht wirklich weiter (s. aber Veit VersR 2008 324 zu III. 2.), weil die Beweisanforderungen dafür zu hoch sind. 135

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vollständig für ausgeschlossen anzusehen. Vielmehr sollte die Wertkontrolle bei funktionsfähigem Wettbewerb – also bei hinreichender Transparenz der Zillmerungsklausel94 – darauf beschränkt werden, dass offensichtliche und/oder schwerwiegende Abweichungen von solchen Klauselinhalten vorliegen, die unter Wettbewerbsbedingungen zustande gekommen wären.95 Denn die für eine Äquivalenzkontrolle vorauszusetzende Einseitigkeit ist auch bei der Entgeltumwandlung insofern gegeben, als der Rückkaufswert immer eine Vertragsauflösung durch eine der Vertragsparteien voraussetzt. Dadurch wird zugleich der systematische Zusammenhang mit der Billigkeitskontrolle i. S. § 315 Abs. 3 BGB deutlich, im Rahmen dessen dem Bestimmungsberechtigten zwar ein erweitertes Ermessen eingeräumt werden kann und wird, dann aber immer noch grobe und/oder offensichtliche Unbilligkeit zu korrigieren ist.96 Im Ergebnis kann man daraus etwa herleiten, dass die Zillmerung nicht zur Finanzierung 36 von Vermittlungskosten herangezogen werden darf, die ersichtlich gar nicht oder nicht in gleichem Umfang wie bei Vertragsabschlüssen auf nicht von Entgeltumwandlungen bestimmten Märkten entstanden sind.97 Dem Sachverhalt im Fall des LAG München lässt sich immerhin entnehmen, dass für die Vermittlung der gezillmerten Produkte ein Büro im Betrieb des Arbeitgebers eingerichtet worden war, und demzufolge vergütbarer Vermittlungsaufwand entstanden sein könnte. Auf Altverträge finden auch nach dem 1.1.2009 die Transparenzbestimmungen des BGH 37 von 200198 unverändert Anwendung, da Art. 4 Abs. 2 EGVVG n. F. auch den § 176 VVG a. F. für anwendbar erklärt. Sie gelten auch für Neuverträge ab dem 1.1.2008 weiter, obgleich das neue VVG ansonsten für Neuabschlüsse im Gegenschluss zu Art. 1 Abs. 1 EGVVG 2008 ab diesem Zeitpunkt eingreift.99 Im Regelfall gibt es daneben kein aus § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG herzuleitendes Zillmerungsverbot. Das darin enthaltene Wertgleichheitsgebot führt zur Unzulässigkeit der Zillmerung nur ausnahmsweise, wenn keine Vermittlungsleistung wie in Fällen ohne Entgeltumwandlung erbracht wurde, oder wenn die Zillmerung aus sonstigen Gründen grob unverhältnismäßig erscheint.

4. Mindestrückkaufswerte 38 Die Rspr. hat sich auch außerhalb des Rentenrechts zur Berechnung der Abschluss- und Vermittlungskosten bei Kündigung von Lebensversicherungen (Zillmerung) veranlasst gesehen, in die Inhaltsfreiheit der Verträge einzugreifen und sog. Mindestrückkaufswerte vorzugeben.100 Diese sind zwar durch § 169 Abs. 3 S. 1 für Neuabschlüsse ab dem 1.1.2008 dahingehend abgemildert, dass nur noch Vorgaben für die Berechnungsweise der Zillmerung geregelt werden. Aus dem europarechtlichen Vorrang informationsrechtlicher Regulierung (Rn. 25) ergeben sich aber

94 Vgl. BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354 = VersR 2001 841; BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, BGHZ 147 373, z. T. krit. Herrmann FS Blomeyer (2004) 354, 367 ff.; ders. DZWiR 2004 45, 50 ff.

95 Vgl. nochmals Reich/Rutzmoser DB 2007 2314, 2318; Jaeger VersR 2006 1033, die aber ohne die hier begründete Beschränkung der Ermessenslehre darauf abstellen, ob die Zillmerung in dieser Form auch außerhalb des Arbeitsvertragsrechts zustande gekommen wäre. 96 Vgl. nochmals RG 12.5.1920 RGZ 99 106; BAG DB 1982 1939; Palandt/Grüneberg § 315 Rn. 5; näher Herrmann NWiR Herbstausgabe 2008, abrufbar unter http://www.nwir.de/. 97 Vgl. Schwintowski VuR 2004 282; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schwintowski § 43, Rn. 27 ff.; zust. Herrmann NWiR Herbstausgabe 2008. 98 BGH 9.5.2001 – Az. IV ZR 138/99, BGHZ 147 354 = VersR 2001 841; BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 373. 99 Zum Überleitungsrecht des EGVVG 2008 s. Marlow/Spuhl 301, 258. 100 Vgl. BGH 9.5.2001 – Az. IV ZR 138/99, BGHZ 147 354 = VersR 2001 841; BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 373; zust. Elfring NJW 2005 3677; a. A. aber EFTA-Count v. 25.5.2005 Rs. E-1-05, abrufbar unter www.eftacount.rut/ cases/E-1-05-Judgement; dazu Bürkle VersR 2006 250; ähnlich Herrmann NWiR Herbstausgabe 2008, abrufbar unter http://www.nwir.de/ m. w. N. Herrmann

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Einwände sowohl gegen eine zu weit verstandene Rspr. zum alten Recht als auch gegen den neuen § 169 Abs. 3 S. 1. Daran ändert nichts, dass das BVerfG101 dem BGH bescheinigt hat, es sei verfassungsgemäß, 39 dass die Zillmerung, auch wenn sie dem VN hinreichend verständlich gemacht wird, die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals nicht unterschreiten dürfe (Hälftelungsgebot). Offenbar beruht diese Beurteilung darauf, dass die Rspr.102 durchweg Aspekte der Intransparenz mit solchen der inhaltlichen Billigkeitskontrolle verbunden hat. Das ist schon nach deutschem Recht, wie ausgeführt (Rn. 22), nicht generell haltbar. Spezifisch europarechtliche Kritikpunkte kommen hinzu: Nationale Regelungen des Verbraucherschutzes, die die Dienstleistungsfreiheit i. S. Art. 56 AEUV beschränken, sind nur in den Grenzen des Übermaßverbots zulässig, das die Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und den Grundsatz schonendsten Mitteleinsatzes vorschreibt. Dem daraus herzuleitenden Vorrang informationsrechtlicher Regulierung genügt es auch nicht, dass es nach neuem Recht ausreichen soll, wenn der VR die Abschluss- und Vertriebskosten mindestens auf die ersten fünf Jahre verteilt, das Hälftelungsgebot aber nicht mehr gilt; denn dabei handelt es sich nicht nur um eine Transparenzvorschrift, die einheitlich eine gleiche Methode festlegt, sondern auch um einen Mindestrückkaufswert103 da die Zillmerung mindestens auf die ersten 5 Jahren verteilt werden muss. Bei Kündigung in kürzerer Zeit darf dem VN also nicht angerechnet werden, was auf die Jahre danach bis zur Erreichung der 5 Jahre entfällt. Die Festlegung einer solchen Mindestmethode erscheint unter Berücksichtigung wettbewerblicher Aspekte der Klauselgestaltung (Rn. 25) so lange nicht erforderlich, wie hinreichende Transparenz gewahrt ist. – In Fällen intransparenter Zillmerung ist europarechtlich weder das Hälftelungsgebot noch die 5-Jahresmethode zu beanstanden, da die Abweichung im Ergebnis zu keinen großen Unterschieden führt. Zum GsM (Rn. 25) des Art. 56 AEUV ist nach der Rspr. eine gesetzgeberische Entscheidungsprärogative anerkannt, die nach überwiegender Ansicht um so größer ist, je mehr die regulatorischen Normzwecke nicht wirtschaftlicher Natur sind, sondern die Sozialordnung der Mitgliedstaaten berühren.104 Dazu gehört auch der Verbraucherschutz auf den Versicherungsmärkten. Dass der Vorrang informationeller Regulierung zum deutschen Zillmerungsrecht nahezu un- 40 beachtet geblieben ist, führt letztlich dazu, dass die Rspr. und der neue § 169 Abs. 3 Gefahr laufen, als kollektivrechtliche Überformung der Vertragsfreiheit zu wirken.105 Diese Gefahr ist trotz und gerade wegen der vielfältigen Bestätigung der an § 169 Abs. 3 VVG angelehnten Zillmerungs-Rspr. nicht gebannt. Schwintowski hat insoweit zwar wichtige Unterschiede zu politisch gewollten Quersubventionen nachgewiesen, die etwa beim der Anschubfinanzierung der privaten Pflegeversicherung oder beim Risikostrukturausgleich im PKV-Basistarif gem. § 12g VAG rechtsnormativ bezweckt sind. Aber damit ist nicht zugleich auch erwiesen, dass Verletzung des Übermaßverbots mit Eingriffen in die Dienstleistungsfreiheit vermieden worden sind. Zwar hat Schwintowski schon 2007 zu Recht betont, dass die Rspr. aus Gründen wettbewerblicher Funktionsdefizite106 ausnahmsweise gerechtfertigt sei. Doch bleibt in vielen Fällen eine Verletzung des Grundsatzes schonendsten Mitteleinsatzes in dem Umfang, in dem wegen Klauseltransparenz funktionsfähiger Klauselwettbewerb anzunehmen ist. 101 BVerfG 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96, BVerfG NJW 2006 1783 = VersR 2006 489; überwiegende Lit., vgl. nur Veit VersR 2008 324 zu III. 2. a. E.

102 Vgl. nur BGH 1.7.1992 – IV ZR 191/91, BGHZ 119 55, 59 – betr. Beitragsanpassungsklauseln; BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137 = NJW 1999 2279; BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, NJW 2001 2014, 2016; Palandt/Grünberg § 307 Rn. 17. 103 So auch Marlow/Spuhl 240. a. A. Schwintowski VersR 2008 1425, 1426. 104 Vgl. nur EuGH Rs. C-275/92 „Schindler“, Slg. 1994 I-1039, 1096 f., Rn. 59–61; Grabitz/Hilf/Randelzhofer/Forsthoff vor Art. 39–55 EGV Rn. 172 m.w.Nachw.; a. A. Schroeder EuGRZ 1994 373, 379. 105 Schwintowski ZVW 2007 449 ff., der diese Gefahr aber letztlich nicht verwirklicht sieht; zum Folgenden ebd. 457 f. 106 Vgl. auch Schwintowski ZVW 2007 449, 458, wo betont wird, dass „… der Wettbewerb um das Produkt Lebensversicherung nur beschränkt funktioniert“. 137

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Allerdings ist diese Annahme immer noch recht umstr. Die Gegner des vorrangigen Transparenzschutzes leugnen schon lange effektiven Klauselwettbewerb, weil der Kunde die Klauseln nicht zur Kenntnis nehme, dieses Vertrauen in Kleingedrucktes auch ökonomisch sinnvoll sei, und zudem keine hinreichend Verstehensmöglichkeit bestehe.107 Auch bei Zugrundelegung des sog. Leitbildes mündiger und informationsbereiten Verbraucher108 sei es unrealistisch anzunehmen, der durchschnittliche VN lese kreditvertragliche ABG oder Zillmerungsklauseln und verstehe sie.109 Hingegen spricht für wettbewerbliche Effizienz von preisnahen und besonders wichtigen anderen AVBs schon immer, dass die Veröffentlichungspflicht nicht nur durch Aushänge gem. § 305 Abs. 2 BGB zu veröffentlichen110 sondern sogar in Form der Verbraucherinformation bei Vertragsschluss an den VN zu übermitteln sind, um zu vermeiden, dass das Widerspruchsrecht des § 5a Abs. 3 VVG a. F. bis zu 1 Jahr nach Zahlung der ersten Prämie andauern sollte.111 Nach neuem Recht sind die Präventivwirkungen dieser Art sogar noch verstärkt, da das Widerrufrecht auch nach Jahresfrist gegeben sein kann und erst bei Treuwidrigkeit jahrelang unbeanstandender Prämienzahlung ausgeschlossen wird.112 Nimmt man dies mit dem europarechtlichen Leitbild des mündigen und informationsbereiten Verbrauchers (näher so zu Rn. 20 ff. und s. u. zu E.I, Rn. 85 f.), zusammen, so verlieren die zahlreichen empirischen Untersuchungen113 zu Informationsmängeln beim Verbraucher an Gewicht. Hinzu kommen jetzt die Beratungs- und Warnpflichten nach §§ 42a–d VVG 2007, §§ 6, 60 ff. sowie das Produktinformationsblatt gem. § 4 VVG-InfoV. Dadurch wird bewirkt, dass der VN zumindest auf wichtige Risiken der AVB aufmerksam gemacht wird, und v. a. dass die Versicherungsmittler davon Kenntnis nehmen und tendenziell von der Vermittlung problematischer Produkte Abstand nehmen.114 Die europarechtliche Kritik hat erhebliche praktische Bedeutung, da nach § 4 Abs. 2 41 EGVVG 2008 auf Altverträge der Lebensversicherung nicht § 169, sondern § 176 a. F. anzuwenden ist. Demzufolge ist, wenn die hier vertretene europarechtliche Ansicht sich durchsetzt, für alle Altverträge nicht mehr der Zeitwert zur Berechnung heranzuziehen, sondern wie in § 169 Abs. 3 S. 1 auf das Deckungskapital115 abzustellen. Zudem gilt nicht das Hälftelungsgebot der europarechtswidrigen Rspr., sondern die Fünfjahresverteilung ohne Untergrenze. Das müsste bei der vom BGH in 2005 vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung bei sämtlichen Altverträgen auch nach dem 1.1.2008 zu berücksichtigen sein. Dennoch handelt es sich bei § 169 solange um geltendes Recht, bis der EuGH die Vorschrift 42 auf eine etwaige Vorlage gem. Art. 267 AEUV als nicht europafest beurteilt hat. Der BGH und das BAG haben insoweit auch in ihren neueren Entscheidungen keine Vorlage zum EuGH verfügt, sondern selbst weitgehende Transparenzanforderungen gemacht, die mit dem EU-Recht 107 Vgl. nur Adams BB 1989 781, 784; speziell zum Versicherungsrecht Schmelzl/Klute ZIP 1989 1509, 1517; trotz anderen Ansatzes auch Breidenbach Die Voraussetzungen von Informationspflichten bei Vertragsschluss, 1989, 27; dagegen im Ansatz richtig Köndgen NJW 1989 943, 949; zust. Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998) S. 360 f. 108 Vgl. – grdl. – EuGH 6.7.1995 – Rs. C-470/93, Slg. 1995, I-1923, 1944 „Mars“. 109 Vgl. Reifner VuR 1989 63; ders. VuR 1990 185, 186; zu entsprechenden Umfrageergebnissen s. die Nachw. b. Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998) S. 486. 110 Zu dieser sog. Aushangspublizität vgl. Herrmann Grundlehren BGB/HGB 2006 S. 153 ff. 111 Heute ist die Jahresfrist als europarechtswidrig beurteilt (EuGH 18.12.2013 – C-209/12, NJW 2014 452), so dass die o. a. wettbewerbliche Präventivwirkung sogar noch ausgedehnt ist; zu der in dieser Rspr. liegenden Präventivwirkung vgl. schon Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998)S. 486; zur ab Jan. 2015 gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 VVG-InfoV verpflichtenden Effektivkostenquote und deren wettbewerblichen Normzwecken vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 63 m. w. N. 112 Vgl. nur BVerfG 2.2.2015 – 2 BvR 2437/14, WM 2015 514, Tz. 30 ff.; keine „ewige“ Widerspruchfrist, wenn eine Fristenbelehrung erfolgt ist; näher H. Roth VersR 2015 1 ff. 113 Dazu s. nochmals Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998) S. 485 f. 114 Zum Zusammenhang der Beratungspflichten und des Transparenzgebots s. auch Bruck/Möller/Herrmann § 7 Rn. 26. 115 Nur zur fondsgebundenen Lebensversicherung bleibt es bei der Zeitwertberechnung (§ 169 Abs. 4 VVG n. V.). Herrmann

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vereinbar sein sollen (s. o. Rn. 37), was im Falle des § 169 Abs. 3 sogar mit über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehenden Modalitäten anerkannt wäre.116 Zwar ist die hier mitgeteilte Rspr. spätestens seit den Entscheidungen des BGH vom 25.7.2012117 und v. 24.2.2016118 weitgehend gefestigt; doch bleibt die hier vertr. Ansicht immer noch relevant, da der BGH, wie gesagt, die – u. a. vom Europarecht vorgegebenen – Transparenzanforderungen selbst gemacht hat und bei Abweichungen der str. Zillmerungsklauseln von § 169 Abs. 3 VVG nicht notwendig die gesetzliche Lösung gilt, sondern ergänzende Vertragsauslegung nach dem hypothetischen Parteiwillen geboten ist. Insofern können auch anderweitige Modifikationen naheliegen.119

5. Kick-Backs-Fallrecht und EU-Versicherungsrecht Durchaus aufsehenerregend Neues hat der BGH indessen zu den Rückvergütungen (Kick-Backs) 43 entschieden. Zunächst wurde zum Bankrecht geurteilt, es sei nicht mit der vertraglichen Offenlegungspflicht als beratungsvertragliche Nebenpflicht bei Vermittlung von Immobilienfonds zu vereinbaren, wenn dem Vermittler eine Art Innenprovision für dessen Anlageempfehlung bezahlt werde, die dem Kunden nicht vor dessen Investitionsentscheidung offengelegt werde (BGH, Urteil v. 20.1.2009, Az. XI ZR 510/07 mit Verweis auf BGH v. 19.12.2006, Az. XI ZR 56/05). Sodann urteilte das Gericht, auch ohne Abschluss eines Beratungsvertrages sei die Bank zur Offenlegung von kickbacks verpflichtet, weil es sich um eine allgemeine Aufklärungspflicht handele, den Kunden darüber zu informieren, weshalb die Bank die betr. Empfehlung auch im Interesse des Kunden abgebe, obgleich die Rückvergütung einen erheblichen Vorteil der Bank und nicht des Kunden begründe (BGH v.9.3.2011, Az. XI ZR 191/10). Bei unterbliebener Aufklärung trage die Bank die Beweislast dafür, dass die Anlageentscheidung nicht kausal durch den Aufklärungsfehler verursacht sei (BGH v. 24.8.2011, auch zum Az. XI ZR 191/10). Anders sei dies allerdings, wenn der Anlageprospekt die kick-backs als „offen ausgewiesene Innenprovision“ ausweise (BGH v.9.3.2011, Az. XI ZR 191/10). Die instanzgerichtliche Rspr. hat sich z. T. für Verallgemeinerbarkeit der Offenlegungspflicht 44 bei freier Anlageberatung und andere Finanzdienstleister ausgesprochen;120 doch wurde das vom BGH zurückgewiesen.121 Das mag unter Aspekten des Finanzanlagerechts haltbar sein; doch steht jetzt die Ansicht zur gebotenen Transparenz bei Gefahren unvereinbarer Interessen entgegen, eine versicherungsrechtliche Besonderheit, die auf die neue EU-Richtl. zum Versicherungsvertrieb zurückgeht und teils in der 2018er Neufassung des § 48b Abs. 1 VAG (BGBl. I. S. 434), teils in der neuen VersVermV 2018 (Versicherungsvermitlungsverordnung v. 17.12.2018, BGBl. I S. 2483) geregelt ist. Danach dürfen an Versicherungsnehmer grdsl. keine „Sondervergütungen“ gewährt oder versprochen werden, sofern diese nicht geringwertig sind, d. h. 15 % pro Versicherungsverhältnis p.a. nicht überschreiten (§ 48b Abs. 1, Abs. 2 S. 2 VAG). Gem. § 19 VersVermV n. F. muss bei jeder Zuwendung an Dritte oder von Dritten dafür gesorgt werden, dass diese sich „nicht nachteilig auf die Qualität der Vermittlung auswirkt“ und insbes. nicht die Pflicht beeinträchtigt, „im besten Interesse“ des VN zu handeln. Ob es dabei ausreicht, dass Zuwendungen des VR an den Vermittler dem Kunden und/oder einer Prospektöffentlichkeit offengelegt werden, ist bislang nicht geklärt. Zieht man verallgemeinernd die o. a. Rspr. zur Innenprovision bei Anlagevermittlung heran (BGH v.9.3.2011, Az. XI ZR 191/10), so würde jede Offenle-

116 Vgl. BGH 9.4.2002 – XI ZR 91/99, BGHZ 150 248, 254 ff.; dazu und zu EuGH 17.4.2008 – Rs. C 404/06, ZIP 2008 794 „Quelle“ s. Mörsdorf ZIP 2008 1409, 1415 f.

117 BGH 25.7.2012 -IV ZR 201/10, BGH NJW 2012 3023. 118 BGH 24.2.2016 – XII ZR 5/15, NJW 2016 1646. 119 Zu solchen näher LAG Bremen 22.6.2011 – 2 Sa 76/10, BB 2013 635; zust. Beckmann/Matusche-Beckmann/ Schwintowski § 43 Rn. 30. 120 Vgl. OLG Düsseldorf 8.7.2010 – I-6 U 136/09; LG München 25.2.2010 – I 22 O 1797/09. 121 BGH 9.3.2011 – XI ZR 191/10, BGH NJW 2011 3227. 139

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gung in Prospektmaterialien genügen. Im Vergleich zum englischen Recht scheinen individuelle Aufklärungspflichten naheliegend.122

6. Widerrufsregeln des EuGH 45 Bei Vertrieb eines Versicherungsprodukts ohne Übergabe der AVB und der Verbraucherinformation war nach dem früheren VVG vorgesehen, dass dem VN ein 14-tägiges Widerrufsrecht zustand und die Frist erst zu laufen begann, wenn eine vollständige Widerrufsbelehrung erfolgte (§ 5a Abs. 1 und 2 VVG i. d. F. v. 21.7.1994, BGBl. I S. 1630). Abs. 2 S. 4 sah aber vor, dass die Frist jedenfalls 1 Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlosch. Dazu entschied der EuGH auf Vorlage, dass keine europarechtskonforme Umsetzung der zugrundeliegenden 2. Und 3. EU-Richtlinien Lebensversicherung vorlag (EuGH v. 12.1.2013 – C-459/12 BeckRS 2013 82372). Dadurch wurde aber kein „ewiges“ Widerrufsrecht begründet, sondern bei mehrjähriger Prämienzahlung ohne Widerspruch handelt es sich um eine gegen § 242 BGB verstoßende widersprüchliche Rechtsausübung, wenn der Widerspruch gem. § 5a ausgeübt wird (Verwirkung; BGHZ 202, 102 = VersR 2014, 1065; dazu H. Roth, VersR 2015, 1 ff.). Eine Vorlagepflicht zum EuGH gem. Art. 267 AEUV verneinte der BGH unter Hinweis darauf, dass es nicht um eine zeitliche Begrenzung des Rechts aus § 5a VVG a. F., sondern darum gehe, die allgemeinen Voraussetzungen widersprüchlichen Verhaltens i. S. § 242 BGB zu klären. 46 Mit §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 VVG ist ebenfalls eine 14-tägige Widerspruchsfrist geregelt worden, die des früheren § 5a weitgehend entspricht und kein belehrungsunabhängiges Fristende regelt. Ob hierzu die o. a. Rspr. zur Treuwidrigkeit des Widerrufs bei fehlender oder nicht ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung gelten soll, ist umstr.123 Gegen Übertragung des Verwirkungsarguments der § 5a-Rspr. soll es sprechen, dass die Regelung zum Fristbeginn wegen § 18 VVG zu den halbzwingenden Normen rechnet und deshalb unabdingbar ist. Was nicht verzichtbar sei, könne auch nicht verwirkt werden (so Schürnbrand JZ 2009 133; zust. Ebers Die Reform des VVG vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts). Jedoch hat sich der BGH in seiner diesbezgl. Entsch. BGHZ 202 102 über entspr. Einwände gegen die Verwirkung zur 5a-Frist hinweggesetzt. Dem ist zuzustimmen, da Verwirkungshandeln nicht mit Abdingbarkeit durch Vertragsvereinbarungen gleichgesetzt werden kann. Unklar bleibt hingegen, ob 9-10 Jahre ausreichen. Die o. a. Rspr. ist nicht einheitlich. Der BGH hat in ähnlichen Fällen v. a. darauf abgestellt, dass der Unternehmen auch berechtigter Weise darauf vertraut habe, dass das Widerrufsrecht nicht ausgeübt werde.124 Dafür spielen nicht nur Zeitumstände in jeweiligen Individualfall eine Rolle, sondern es geht auch um den generellen Umgang mit der Kundschaft in diesem Punkt. Unbekümmertes Hinwegsetzen über die – auch nachholbare125– Belehrungspflicht begründet kein berechtigten Vertrauen auf Nicht-Ausübung des Widerrufsrechts. Andererseits spielt es nach der Rspr. in vergleichbaren Fällen auch eine Rolle oder der Verbraucher Kenntnis von seinem Widerrufsrecht hätte erlangen können, ohne belehrt worden zu sein.126 – Zudem dürften auch die verjährungsrechtlichen Fristenreglungen von Bedeutung sein, da es auch insofern um objektivierende Normen zum Eintritt des Rechtsfriedens geht. Der Grenze von 10 Jahren, die nicht nur § 196 BGB für Grundstücksrechte regelt, sondern die auch nach § 199 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 für Schadensansprüche u. a. Ansprüche gilt, kommt wohl auch in der widerrufsrechtlichen Frage eine zeitbegrenzende Bedeutung zu. Dafür braucht man nicht der Pönalisierung des Versicherungsprivatrechts oder der Pflichtenbindung des VR zur Beleh122 Näher Herrmann/Eifler British Insurance Law, www.assurances.de/ttt-4htm, unter British Insurance Law (Version 2020).

123 Für Verwirkung OLG München 16.10.2000 – 31 U 3100/00, WM 2001 680: 9 Jahre; a. A. OLG Frankf. 16.10.2000 – 9 U 59/00, NJW-RR 2001 1279; näher s. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 38 f. m. w. N.). 124 Vgl. nur BGH 16.10.2018 – XI ZR 45/18, WM 2018 2274, mit Bezugn. auf ältere HRR. 125 Vgl. nur EuGH 13.12.2001 – C-481/99, NJW 2002, 281, 282 f. „Heininger“. 126 EuGH 10.4.2008 – Rs. C-412/06, NJW 2008 1865, Tz. 34 „Hamilton“; a. A. Kulke VuR 2008 22. Herrmann

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rung das Wort zu reden (so aber Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 38 f.). Es genügt, die Durchgängigkeit der 10-Jahresregel zu erkennen. Zwar hat der BGH darauf verwiesen, dass der Zeitablauf allein nicht hinreicht, Verwirkung anzunehmen;127 doch spricht das nicht gegen Berücksichtigung i. V. mit den o. a. Vertrauensaspekten und Gesichtspunkten des Kennenmüssens. Verwirkung sollte deshalb nach 10 Jahren i. V. mit bes. Umständen der Vertrauensbildung des VR bzw. fahrlässigen Nichtwissens des VN eintreten.

7. PRIP-VO, VVG-InfoV 2018 und Basisinformationsblatt Europarechtlich Neues gibt es auch zum Recht der Verbraucherinformation, die nach § 7 VVG vor 47 Vertragsschluss dem VN mitzuteilen ist. Die damit bezweckte AVB-Publizität ist einerseits für die sog. Anlageversicherungsprodukte (Packaged Retail Investments Products (PRIP) bestätigt und ausgeweitet worden. Die PRIP-VO v. 9.12.2014 (ABl. L 352 v. 9.12.2014) enthält europaweite Vorgaben für die Verbraucherinformation und das damit auszufertigende „Basisinformationsblatt“. Hinzu kommt die IPID-VO 2017 (EU 2017/1469, ABl. L 209, s. o. Rn. 21), die das EU-Informationsblatt für Nicht-LV geregelt hat und auf die der neue § 4 Abs. 2 VVG-InfoV 2018 Bezug nimmt. Beides wird im Folgenden zunächst inhaltlich charakterisiert (zu a) und sodann kritisch überprüft (b).

a) Gesetzgebungsstand. Die Regulierungsziele der PRIP-VO sind ganz besonders auf die Ver- 48 besserung europaweiter Wettbewerbsbedingungen der verbundenen („packaged“) Versicherungs- und Anlageprodukte gerichtet (PRIPS-VO Erwägungsgrund Nr. 3, a. a. O.; näher Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 161 f.). Das Nähere zum Basisinformationsblatt“ wird zu § 7 behandelt (dort zu C III.). Der Gesetzgeber der VVG-InfoV hat erhebliche Unterschiede zwischen § 4 VVG-InfoV gesehen und deshalb ausdrücklich bestimmt, dass die InfoV nicht für Verbundprodukte i. S. der PRIP-VO gilt (§ 4 Abs. 3 VVG-InfoV). Hinzu kommt die IPID-VO 2017 (a. a. O.), die verhältnismäßig neuartige Regelungen zum 49 sog. Informationsblatt zu Versicherungsprodukten trifft, sich dabei aber auf Nicht-LV-, NichtRenten- und Nicht-KV-Produkte begrenzt (Art. 1 Abs. 1), jedoch keinen Vorbehalt für Verbraucherverträge kennt, wie § 4 Abs. 1 VVG-Info vorgesehen. In Art. 4 wird ein Informationskatalog festgelegt, der dem des Produktinformationsblattes des § 4 Abs. 2 VVG-InfoV a. F. weitgehend entspricht. Neben den Angaben zu Art und Umfang des Versicherungsschutzes (Art. 4 lit. a– e)128 sind Informationen zu Obliegenheiten des VN (lit. f.) und zur Prämienhöhe und –zahlungsmodalitäten mit Deckungsbeginn (lit. g–h) sowie zur Kündigung (lit. i) zu machen (näher Herrmann § 7 Anhang Rn. 99 ff.). Dadurch wird erreicht, dass das Anforderungsgefälle zwischen Produkten der Nicht-LV im EU-Binnenmarkt angeglichen wird. Bisherige nicht-tarifäre Handelshemmnisse, die durch die Versicherungsrichtlinien der 1.-3. Generation nur z. T. beseitigt werden konnten (s. o. Rn. 14 ff.), sollen nunmehr entfallen, um den grenzübergreifenden Wettbewerb zu stärken (vgl. nur Dokument des Rates der Europäischen Union Nr. 8486/14, download unter http://www.consilium.europa.eu; dazu Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 162 mit entspr. Bezug auf die PRIP-VO). Die IPID-VO 2017 kennt im Übrigen keine Informationspflichten während der Laufzeit des 50 Versicherungsvertrages, wie § 6 VVG-InfoV sie vorsieht. Das erklärt sich zwanglos damit, dass keine Verträge der LV, RentenV und KV gemeint sind, für die Längerfristigkeit mit besonderem Informationsbedarf über Veränderungen nach Vertragsschluss typisch ist. Aber eine längere Laufdauer ist in den meisten Ländern etwa auch bei der Kredit- und KautionsV oder bei ReiserücktrittsV etc. üblich. Informationspflichten nach Vertragsschluss sind insofern dennoch im Europarecht 127 Vgl. nochmals BGH 16.10.2018 – XI ZR 45/18, WM 2018 2274. 128 Zur Versicherungsart derzeit aktuell der Hinweis, dass die BetriebsunterbrechungsV von der Versicherung für seuchenbedingte Betriebsschließungen zu unterscheiden ist; vgl. Schreier VersR 2020 513. 141

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nicht vorgesehen, in § 6 VVG-InfoV indessen doch. Ob darin ein echter Normkonflikt zwischen IPID-VO bzw. der VVG-InfoV-Novelle 2018 zu sehen ist, ist in der Literatur, soweit ersichtlich, bisher noch ungeklärt (erste Hinweise allerdings bei Langheid/Rixecker/Gal Rn. 4) und kann demzufolge auch hier nicht umfänglicher belegt werden. Dennoch ergibt sich schon aus dem Praxisbedarf der o. a. Versicherungstypen, dass die Fragen keineswegs bloß akademischer Natur sind. Deshalb sind im Folgenden wenigstens die bereits absehbaren Lösungsansätze aufgezeigt.

51 b) Umsetzungsfehler deutschen Rechts. Auszugehen ist von den Normzwecken der IPIDVO ebenso wie denen VVG-InfoV, die beide um europaweite Rechtsangleichung bemüht sind (s. o. Rn. 43). Nach dem auf PRIP-Abweichungen bezogenen § 4 Abs. 3 VVG-InfoV liegt es fern anzunehmen, der deutsche Gesetzgeber hätte Unstimmigkeiten des EU-Rechts übersehen. Zudem ist mindestens die Abweichung zum Verbraucherschutz i. S. § 13 BGB in § 4 Abs. 1 VVGInfoV eigens hervorgehoben, so dass Fragen bewusst unterbliebener Rechtsangleichung naheliegen, wie sie auch zu anderen Normbereichen des Informationsblattes längst erörtert worden sind.129 Da man es bisher bei Verletzung des EU-Rechts durch deutschen versicherungsrechtlichen Verbraucherschutz ausschließlich mit Konflikten zum Richtlinienrecht zu tun hatte (s. die Nachweise zum Mindestrückkaufs- und Mindestwiderspruchswert o. Rn. 37 ff., 45), scheiden die Erfahrungen hierzu für die hier gekennzeichneten Normkonflikte aus. Insbes. kennt das Verordnungsrecht keinen Umsetzungsspielraum, wie der für Richtlinien mit Minimal- und Maximalgrenzen vorgesehen ist.130 Verordnungsrecht hat nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar zwingende Wirkung. Auch wenn dazu immer wieder ergänzende und weiterführende nationale Gesetze erlassen werden,131 so dürfen diese den Vorgaben der EU-VO doch nicht zuwider laufen. 52 Gibt es dennoch solche Umsetzungsfehler, so kommen entweder teleologische Restriktionen des nationalen Rechts in Betracht (so etwa der BGH zur Frage der Befristung des Widerspruchsrechts des § 5a VVG a. F., s. o. Rn. 44 f.); oder das Vorlageverfahren zum EuGH gem. Art. 267 AEUV ist einzuhalten (vgl. nochmals die Angaben o. Rn. 45). Die Vorlage kann nur von einem nationalen Obergericht ausgehen, so dass insofern die Entwicklung der Rspr. abzuwarten bleibt. Zur Geltungseinschränkung für internationale Vertragsschlüsse und zur Fortführung des § 4 Abs. 1 VVGInfoV (Verbraucherverträge) kommt es sicherlich darauf an, ob man auf die IPID-VO den Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 12 lit. b EUV anwendet. Zwar bietet der Wortlaut der VO keine Anhaltspunkte dafür; und sie ist im Kern auch noch auf die IDD-Richtl. 2016 gestützt (vgl nochmals Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 162), die gerade einen informationsrechtlichen Pflichtenrahmen für die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten bezweckt hat. Dennoch muss letztlich wohl ein anderer Normzweck den Ausschlag geben: die Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse im Binnenmarkt.132 Man wird deshalb die unmittelbare Anwendbarkeit der IPID-VO auf grenzübergreifende Versicherungsverträge zu begrenzen haben; denn nur dazu kann das EURecht besser und somit legitim subsidiär regulatorisch wirksam werden.133 129 Vgl. nur Reiff VersR 2019, 661; zu Voraussetzungen des Erfordernisses der Hervorhebung bestimmter Verbraucherinformationen nach § 1 Abs. 2 VVG-InfoV und deren europarechtlichen Bezügen vgl. auch Kirsten/Fritzau VersR 2019 1275; zu Bedenken wegen der IDD vgl. auch Beenken/Teichler RuS 2019, 241. 130 Dazu – grdl. – EuGH 5.3.2002 – Rs. C-386/00, VersR 2002 1011 – „Axa Royal Belge SA/Georges Ochoa et al“.; verallgemeinernd Langheid NJW 2003 399; Herrmann VersR 2003 1333, 1337 f.; in ähnlichem Zusammenhang auch Präve VW 2002 1836, 1838; Bürkle EuZW 2006 685. 131 Vgl. nur die EU-VO über die Europäische AG, VO EG 2157/2001, ABl. L 294, S. 1 mit deutschem Begleitgesetz im Gesetz über die Einführung der Europ. AG v. 29.12.2004, BGBl. I 3675. 132 Zur teleolog. Auslegung im Rahmen des sog. effet utile vgl. nur EuGH Rs. C-267/97 Slg. 1999 I-2543, Rn. 30 „Coursier“; Immenga/Mestmäcker/Baudenbacher/Buschle Eur. und Dt. Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. (2015) VerfahrensR Rn. 38 m. w. N. 133 So wohl auch die Einschätzung des dt. Verordnungsgebers, der die Geltung der IPID-VO für innerstaatliche Verträge durch § 4 Abs. 2 VVG-InfoV eigens vorschreibt und in Abs. 1 die Begrenzung auf Verbraucherverträge insoweit fortführt. Herrmann

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Nicht so leicht einzuschätzen ist die durch § 4 Abs. 2 VVG-InfoV n. F. erfolgte Streichung der 53 Informationspflicht für Beratung nach Vertragsschluss i. S. § 4 Abs. 2 Nr. 6 VVG-InfoV a. F. Nach dieser Vorschrift sollte der VN durch das PIB in die Lage versetzt werden, die erst durch die Reform des VVG 2008 eingeführte Sonderberatungspflicht des VR zu erkennen. Andere nationale Rechte in der EU (auch das damals noch innereuropäische englische Recht) kennen diese Pflicht nicht und haben sie deshalb auch nicht in ihren dem PIB entsprechenden „key features“ vorgesehen.134 Das deutsche Recht enthält insofern einen in der EU einzigartigen Verbraucherschutz, den die IPID-VO sicher nicht für alle Mitgliedsländer einheitlich verordnen wollte. Mit dem Verweis des § 4 Abs. 2 VVG-InfoV auf die IPID-VO konnte und sollte deshalb wohl auch keine Hinweispflicht i. S. des § 4 Abs. 2 Nr. 6 a. F. aufrecht erhalten werden. Dennoch gilt § 6 VVG-InfoV unverändert weiter, so dass lediglich für das PIB kein besonderer Hinweis darauf mehr angeordnet sein soll (vgl. auch Langheid/Rixecker/Gal § 6 VVG-InfoV, Rn. 7 f.). Berücksichtigt man dies, so hat die Neufassung der VVG-InfoV insoweit eine Einengung des PIB-Inhalts ermöglicht. Es bedarf deshalb im PIB keines Hinweises mehr auf Informationsobliegenheiten des VR während der Laufzeit des Vertrages. Man kann das zwar rechtspolitisch kritisieren, weil es sich um eine wenig sachgerechte Verkürzung des informationellen Verbraucherschutzes handelt. Aber des lege lata wird man diese Unstimmigkeit wohl hinzunehmen haben, zumal dadurch ja immerhin dem Knappheitsgebot genügt ist. Heftig umstritten ist zudem die Vereinbarkeit der Verzichtsregel des § 7 Abs. 1 S. 3 VVG mit 54 dem EU-Recht.135 Darauf wird in der Kommentierung zu § 7 näher eingegangen (§ 7 Rn. 127 ff.). Hier bleibt nur der Hinweis darauf, dass die EU-Rechtswidrigkeit nach hier vertr. Ansicht vermieden werden kann, wenn man dem in § 7 vorausgesetzten Drängen („Verlangen“) des VN auf telekommunikativen Vertragsabschluss einiges Gewicht beilegt. Ein Verzicht auf vorvertragliche Zuleitung der Verbraucherinformation ist nur zulässig, wenn der Vertrag auf Drängen des VN im Wege eines Telefonkontakts oder sonstiger Formen des Fernabsatzes zustande kommt. Organisiert der VR die Vertragsanbahnung hingegen von vornherein so, dass die rechtlich bindende Erklärung des VN regelmäßig via Internet, Telefon etc. erfolgt, so scheidet ein Verzicht auf vorherige Verbraucherinformation aus, weil die Art des Vertragsschlusses nicht auf „Verlangen“ des VN gestaltet ist. Bloßer download von der Internet-Seite des VR genügt also nicht (a. A. Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 74, 106). Dahin gehende AVB-Verzichtsklauseln stehen zudem nicht im Einklang mit § 7 Abs. 1 S. 3 VVG. Sie halten deshalb auch der AGB-Kontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand, weil mit den Voraussetzungen eines Verzichts auf Verbraucherinformation die Funktionsfähigkeit des informationellen Verbraucherschutzes berührt ist und deshalb eine auf gerechten Interessenausgleich gerichtete Leitbildnorm vorliegt.136

IV. Freier Prämienwettbewerb und Prämienschleuderei Aufgrund der Deregulierung hat auf vielen Gebieten nicht nur ein Wettbewerb mit neuen Versi- 55 cherungsprodukten und den dafür maßgeblichen AVB stattgefunden (Rn. 8), sondern es gab auch heftigen Preiswettbewerb und Wettbewerb mit Prämiengestaltungen. Dazu wurden in Rspr. und Lehre schon nach § 81 Abs. 1 S. 5 VAG a. F. Grenzen gezogen, die nach § 294 VAG fortgelten und deren europarechtliche Relevanz erst aufgrund einer neueren Entscheidung des

134 Vgl. Nr. 6.5 des Sourcebook Conduct of Business im Handbook der Financial Services Authority, abrufbar unter http://www.fsa.gov.uk; dazu. Wambach/Herrmann/Wilkens 111, 119 f. 135 Für einschränkende europarechtskonforme Auslegung Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 83 m. w. N.; a. A. Brömmelmeyer VersR 2009 584, 587 f.; Marlow/Spuhl § 7 Rn. 67. 136 Vgl. Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 18 f. mit Hinweis auf die meist fehlende Ernstlichkeit, die Verzichtsklausel zur Disposition des VN zu stellen; ähnlich in rechtpolit. Hinsicht schon Römer VuR 2007 94; Schimikowski RuS 2007 133; zur Leitbildfunktion dispositiven Gesetzesrechts i. S. § 307 Abs. 2 Nr. 1 vgl. nur BGH 23.11.2018 – V ZR 33/18 BGH NJW-RR 2019 755. 143

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EuGH137 zum Niedrigpreiswettbewerb deutlich geworden ist. Das Privatrecht ist insoweit berührt, als bei Verletzung des VAG auch Konkurrentenklagen wegen Vorsprungs durch Rechtsbruch nach § 3a UWG in Betracht kommen.138 56 V. a. in der Kfz-Versicherung hat sich seit Mitte der 90er Jahre in verschiedenen Sparten ein heftiger Preiswettbewerb entwickelt.139 Von großen Billigversicherern wird berichtet, dass sie „Dumpingpreise“ für neue Kunden angeboten haben, die bis zu 15 % unter den marktüblichen Prämien lagen.140 Unter dumping wird dabei verstanden, dass die Prämie nicht die Kosten des Versicherers deckt, d. h. nicht ausreicht, die statistisch begründete Erwartung des künftigen Schadensaufwandes plus Verwaltungskosten zu decken. Marktkenner stellen v. a. auf Motive des sog. cross-selling ab. D. h. mit dem Einwerben des Kfz-Kunden wird eine Art „Türöffner“ für den Absatz weiterer Versicherungsprodukte erreicht, der es betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheinen lässt, zum Ausgangprodukt der Kfz-Versicherung unter Kosten anzubieten.141 Es kommt also eine Quersubventionierung der übrigen angebotenen Versicherungssparten für die Kfz-Versicherung in Betracht. 57 Rechtliche Stellungnahmen zur Prämienschleuderei wurden bisher, soweit ersichtlich, allein zum Aufsichtsrecht erarbeitet.142 Z. T. wird die Ansicht vertreten, dass Eingriffsbefugnisse nach § 294 Abs. 4 VAG in Betracht kommen (Finanzaufsicht), da die „Erfüllbarkeit“ der Verpflichtungen des VR i. S. dieser Vorschrift für jeden Versicherungszweig gesondert zu beurteilen sei, und Quersubventionierungen nicht zugelassen werden könnten, wenn ohne diese die Erfüllung der Verpflichtungen nicht gesichert werde.143 Die Gegenansicht leugnete zum früheren Recht das Quersubventionsverbot unter Hinweis darauf, dass die §§ 53c, 81b VAG a. F. hinreichenden Schutz bieten.144 Der EuGH hat in Cipolla145 für Verbote von Niedrigpreiswettbewerb bei freien Berufen gefordert, dass sie dem strengen Übermaßverbot der Dijon-Doktrin genügen müssen. Da Entsprechendes auch für Versicherungen zu gelten hat146 wird man sich zum VAG der Ansicht anzuschließen haben, die ein generelles Verbot der Quersubventionierung leugnet. Aber der neue § 7a Abs. 1 VVG verlangt jetzt für jeden Bestandteil des Pakets nicht nur eine Information des VN, ob auch ein getrenntes Angebot möglich ist, sowie einen „gesonderten Nachweis über Kosten und Gebühren“. Abs. 2 regelt Einzelheiten zur Versicherungsdeckung. Die Vorschrift entspricht fast wörtlich den Vorgaben des Art. 24 IDD (EU-Vertriebsrichtl. EU 2016/ 97, ABl. L 26), so dass europarechtliche Bedenken zu marktwidriger Preiskontrolle wohl auszuschließen sind (vgl. Reiff/Köhne VersR 2017 649, 654; Reiff VersR 2018 193, 203). Durch die Regelung soll nicht nur für die Aufsicht, sondern auch für den Kunden transparent werden, ob Gefahren der Erfüllbarkeit begründet sind, die ohne den „Querverkauf“ nicht bestünden.

137 V. 5.12.2006 Rs. C-94/04 und C-202/04 „Cipolla“ Slg. 2007 I 82. 138 Zur entsprechenden Regelung nach § 4 Nr. 11 UWG bzw. § 1 UWG a. F. s. BGH 7.6.1996 – I ZR 114/94, GRUR 1996 786, 788; zu den Neuerungen seit dem UWG 2004 s. Baumbach/Hefermehl/Köhler Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 23. Aufl. (2004) § 4 Rn. 11.54 ff. 139 Vgl. nur Knospe VW 1999 541; Müller VW 1993 548, 549 f. 140 Vgl. nochmals Knospe VW 1999 541; der GDV prognostiziert für 2008 erstmals seit 2003 wieder „rote Zahlen“, weil sich die Preiskämpfe verschärfen vgl. T. Schmitt HBl. 13.6.2008 S. 21. 141 Vgl. Knospe VW 1999 541. 142 Daneben gibt es eine langjährige Rspr. zur Preisunterbietung nach dem UWG (s. – grdl. – RG 18.12.1931, RGZ 134 342 „Benrather Tankstelle“; zur modernen Entwicklung s. Baumbach/Hefermehl/Köhler Kommentar zum Wettbewerbsrecht 23. Aufl. (2004) § 3 Rn. 60 f.; § 4 Rn. 10.185 f., 10.192, deren Verhältnis zum Versicherungsaufsichtsrecht bislang, soweit ersichtlich, nicht untersucht ist. 143 Vgl. nur H. Müller Versicherungsbinnenmarkt 1995 Rn. 652, 658; Präve ZfV 1994 199, 204. 144 Prölss/Kollhosser § 81 Rn. 34, 36; ähnlich Dreher VersR 1993 1443, 1453; ders. ZVersWiss 1996 499. 145 Rs. C-94/04 und C-202/04 „Cipolla“ Slg. 2007 I 82 Rn. 66–70; dazu Kleine-Cosack NJW 2007 1405 f. 146 Zur Verallgemeinerung für das Architektenrecht s. Mailänder NJW 2007 883 ff.; zur ökonomischen Ähnlichkeit von Versicherungen und freien Berufen s. bereits Akerlof Quartely Journal of Economics 1970 488 492; Fleischer Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2000) 517; Wein ZVW 1997 103, 104 f. Herrmann

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D. Recht der Versicherungsvermittlung Erhebliche Neuerungen für das deutsche Versicherungsprivatrecht hat zuletzt die EU-Richtlinie 58 zur Versicherungsvermittlung (VermRL) 2003 gebracht.147 Diese wurde – reichlich verspätet148 – zum 22.5.2007149 in deutsches Recht umgesetzt (§§ 42a bis k a. F.) und in §§ 6, 59 bis 68 einer weiteren Novellierung unterzogen. Die Vorschriften sind an den dafür vorgesehenen Stellen des Kommentars150 und anderwärts151 ausführlich kommentiert, so dass für das deutsche Recht darauf verwiesen werden kann. Hier kommt es nur auf ausgewählte übergreifende Fragen an, die das Grundanliegen der Richtlinie und der Umsetzungsvorschriften verdeutlichen.

I. Grundanliegen der EU-Vermittler- und Vertriebsrichtlinie 1. Professionalisierung Art. 3 Abs. 1 VermRL legt fest, dass Versicherungs- und Rückversicherungsvermittler bei der zustän- 59 digen „Behörde“ im Herkunftsmitgliedstaat einzutragen sind. Nach Abs. 3 der Vorschrift muss die Eintragung von beruflichen Anforderungen abhängig gemacht werden, die in Art. 4 Abs. 1 S. 1 VermRL u. a. dahin gehend geregelt sind, dass „angemessene Kenntnisse und Fertigkeiten“ nachzuweisen sind. Zudem werden Informations- und Beratungspflichten in Anlehnung an die Wertpapierhandelsrichtlinie152 geregelt, die auf die Wünsche und Interessen des Kunden angemessen abgestimmt sind (suitable advice). Für Verletzungen der aufgrund der VermRL geregelten Pflichten müssen die Mitgliedstaaten „angemessene Sanktionen“ festlegen (Art. 8 Abs. 3 VermRL). Des Näheren bestimmt Art. 12 VermRL zu den Informationspflichten, dass sowohl der Mak- 60 ler als auch der Agent dem Kunden vor Vertragsabschluss mitteilt, ob Kapitalverflechtungen mit einem Versicherungsunternehmen (VU) bestehen (Abs. 1 lit. c/d), und ob er seinen Rat auf eine „ausgewogene Untersuchung“ stützt (Abs. 1 lit. e (I)), oder ob er vertraglich verpflichtet ist, Versicherungsgeschäfte ausschließlich mit einem oder mehreren VU zu tätigen (lit. e (II)). Im ersteren Fall muss er nach Abs. 2 „seinen Rat auf eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen … stützen, sodass er … eine Empfehlung dahin gehend abgeben kann, welcher Versicherungsvertrag geeignet wäre, die Bedürfnisse des Kunden zu erfüllen“. Die notwendige Orientierung an den Kundenwünschen setzt voraus, dass vor Abschluss eines Versicherungsvertrags anhand der vom Kunden gemachten Angaben, zumindest dessen „Wünsche und Bedürfnisse“ erfasst werden; und schließlich sind die Gründe für „jeden … zu einem bestimmten Versicherungsprodukt erteilten Rat genau anzugeben“ (Abs. 3). Die genannten Informationen müssen nach Art. 13 Abs. 1 VermRL auf Papier oder auf ande- 61 ren dauerhaften Datenträger dokumentiert werden. Anderes gilt nur dann, wenn der Kunde dies wünscht oder wenn eine Sofortdeckung erforderlich ist. Aber dann muss die Dokumentation unmittelbar nach Abschluss des Versicherungsvertrages erteilt werden. Ebenso ist es bei Telefonverkauf (Art. 13 Abs. 2 und 3 VermRL).

147 RL 2002/92/EG v. 9.12.2002 ABl. v. 15.1.2003 L 9/10; abgedruckt bei Herrmann/Wambach Erster Nürnberger Versicherungstag (2003) 145 ff. Die Umsetzungsfrist lief nach Art. 16 Abs. 1 VermRL am 15.1.2005 aus; dazu näher Herrmann DZWiR 2006 309. Art. 4 S. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Vermittlerrechts v. 19.12.2006. Bruck/Möller/Schwintowski § 6 Rn. 1 ff. Zum neuen VVG ausführlich Beenken/Sandkühler; zu den Vorschriften der §§ 11a, 34d GewO s. die Kommentierungen zur GewO von Landmann/Rohmer GewO-Kommentar Bd. 1, 51. Aufl. (2008); Friauf/Stahlhacke/Bleistein Kommentar zur Gewerbeordnung. 152 RL 93/22 EWG über Wertpapierdienstleistungen v. 10.5.1993 ABl. L 141/27; mittlerweile ersetzt durch die RL 2004/39/EG v. 30.4.2004 ABl. L 145; zur Ähnlichkeit des Vermittlerrechts und der sog. Wohlverhaltenspflichten der Wertpapierdienstleistungen s. Wambach/Herrmann 79 ff.

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Nach Nr. 8 der Begründung geht es im Kern um die Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften zur Versicherungsvermittlung, um dadurch „sowohl zur Vollendung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen als auch zur Verbesserung des Verbraucherschutzes in diesem Bereich beizutragen“. Während im englischen Recht bereits seit den 70er Jahren eine Registerpflicht eingeführt war, gab es in Deutschland bis 2007 nichts dergleichen. Zwar waren Informations- und Beratungspflichten von der Rspr. entwickelt worden.153 Aber es fehlte v. a. die Dokumentationspflicht, so dass der VN im Prozess regelmäßig wenig Aussicht auf Schadensersatz hatte, wenn er sich auf fehlenden oder fehlerhaften Anlagerat berief.154 Die EU-Vertriebsrichtlinie (IDD, Richtl. EU 2016/97, ABl. L 26 v.2.2.2016.) beruht im Wesentli63 chen auf den gleichen Zielen wie die Mittlerrichtl., will aber in praktisch wichtigen Punkten eine Weiterführung und Ergänzung. Das betrifft bestimmte Annäherungen der Berufe des Vermittlers und Beraters mit besonderem Bezug auf sog. Nettopolicen, die Errichtung eines Vermittlerregisters, um mehr Publizität für die Berufe der Versicherungsvermittlung zu schaffen (dazu s. u. zu II.1) sowie einige Neuerungen über die Vermeidung von Interessenkonflikten und die Offenlegung bestimmter Vergütungsmethoden mit Kollisionsgefahren (insbes. Staffelprovisionen; dazu s. o. Rn. 1 und 28). Die Umsetzung ist bereits mit Gesetz v. 20.7.2017 geschehen (BGBl. I S. 2789). Doch folgte die Umsetzung wichtiger Einzelheiten erst mit der VersVermV v. 17.12.2018 (BGBl. I 2483). 62

2. Nettopolicen 64 Schon seit 2005 ist es Versicherungsmaklern erlaubt, auf das ihnen von Gesetzes wegen zustehende Erfolgshonorar zu verzichten, dafür aber ein Tätigkeitsentgelt als Beratungshonorar vertraglich zu vereinbaren (BGHZ 162 67=BGH VersR 2005 406; VersR 2007 1127; 1144; VersR 2012 3718 Tz. 13: „gefestigte Rspr.). Für Agenten als Vertreter des VR gilt seit 2014 wesentlich Gleiches155 und das IDD-UmsetzungsG v. 23.2.2018 (BGBl. 2017 I 2789) hat dies – entgegen einer Empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – bestätigt (näher Reif VersR 2018 193, 194 m. w. N.). Zudem haben Makler – anders als Agenten – bei Verträgen mit Unternehmen die Möglichkeit, sich ein Honorar für erbrachte Beratungsleistungen versprechen zu lassen (§ 34d Abs. 6 S. 8 GewO). Die Einschränkung erlaubter Verbindung von Nettopolicen und Beratungshonoraren auf Nicht-Verbrauchergeschäfte zeigt, wie detailliert mit der Gefahr umgegangen wird, dass der Kunde die werbliche Irreführung gar nicht bemerkt, die damit verbunden ist, dass ihm einerseits eine „Netto“- Abrechnung in Aussicht gestellt, er dann aber doch wegen Beratungsleistungen zur Kasse gebeten wird. Trotz des Leitbildes mündiger Verbraucher darf eine solche Intransparenz im Verbrauchergeschäft nicht sein (näher Heymann/Horn/Herrmann HGB-Komm. 3. Aufl. (2019) Einf. vor § 93 HGB, Rn. 15 f.). Dem unternehmerischen Kunden wird indessen zugetraut, dass er die Differenzierung durschaut und sich auf die damit verbundenen Anreizwirkungen für den Makler.

3. Provisionsabgabeverbote und Honorargestaltung 65 Das Verbot der Provisionsabgabe gilt für Makler und Agenten, nicht aber für Versicherungsberater. Denn diese müssen Nettopolicen anbieten (§ 34d Abs. 2 S. 5 GewO n. F.). Also bleibt ihnen 153 Vgl. nur BGH 18.12.1991 – IV ZR 299/90, BGHZ 116 387; Römer VersR 1998 1313; Römer/Langheid § 159 Rn. 1 ff.; z. T. weitergehend, aber auch ohne Dokumentationspflichten, das engl. Recht vgl. Basedow u. a./Hodgin Anlegerund objektgerechte Beratung, Anforderungen an die optimale Beratung im englischen Versicherungsrecht (1999) 79, 86 ff. 154 Besonders instruktiv das Beispiel OLG Stuttgart 9.6.2004 – 7 U 211/03 VersR 2004 1161; dazu Wambach/Herrmann 82 ff. 155 BGH 12.3.2014 – IV ZR 295/13, NJW 2014 1658 m.Anm. Schwintowski ebd. S. 1662 f.; und BGH 25.9.2014 – III ZR 440/13, VersR 2014 1328.. Herrmann

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eigentlich nur das Beratungshonorar; doch können sie mit dem VR eine Provisionsabgabe vereinbaren, müssen für diese aber darauf hinwirken, dass sie zu bis zu 80 % an den VN ausgekehrt wird (§ 34 Abs. 2 S. 6 GewO; 48c VVG). Die Berechnung der 80 % bezieht sich auf den Gegenwert der in den ersten 5 Jahre zu entrichtenden Prämien (näher Reif VersR 2018 193, 195 m. w. N.). Trotz der recht genauen Festlegung bleibt ein gewisser Spielraum für Honorargestaltungen. 66 U. a. dürfen dem Makler und dem Agenten sog. Staffelprovisionen zugesagt werden. Dabei handelt es sich um Abschlussprovisionen, die nicht linear in Prozentsätzen vom Prämienbetrag des vermittelten Einzelgeschäfts berechnet werden, sondern mit Erreichung von Gesamtumsätzen des Mittlers prozentual gestaffelt ansteigen. Dadurch bietet der VR dem Mittler einen Anreiz, dem Kunden einen Abschluss mit ihm nahezulegen, damit der Absatz dieses VR insges. ansteigt und der Prozentsatz der Staffelprovision entsprechend höher ausfällt. Darin liegt sicherlich eine erhebliche Gefahr, dass der Mittler zu einem Vertrag rät, der seine Provisionsstaffelung begünstigt, auch wenn den Interessen des VN damit nur wenig oder gar nicht gedient ist. Das soll nicht sein. Deshalb bestimmt Art. 17 Abs. 3 IDD, dass Versicherungsvermittler ihre Beschäftigten nicht so vergüten dürfen, dass diese in Konflikt mit ihrer best interest-Pflicht geraten (dazu schon o. Rn. 1 und 62). Die erwähnten Fehlanreize der Staffelprovision stehen damit nicht notwendig und v. a. dann nicht in Konflikt, wenn der VN darüber hinreichend informiert wird, dass der vermittelte Vertrag sich günstig auf die Staffelung auswirken kann. Deshalb sieht etwa die britische Umsetzung der IDD, die noch vor dem BREXiT erfolgt ist, und damit auch nachdem Austrittsdatum v. 31.1.2020 verbindliches englisches Recht darstellt, nicht ein Verbot von Staffelprovisionen vor, sondern eine grundsätzliche Informationsvorschrift. Man kann darin nur ein weiteres Beispiel dafür sehen, dass informationelle Regulierung Vorrang vor Verbotsnormen hat, wo in die Freiheit funktionsfähigen Wettbewerbs eingegriffen wird (näher Herrmann Staffelprovisionen, a. a. O.; Herrmann/Eifler British Insurance Law (2020)). Für deutsches Recht gehen die Meinungen auseinander (vgl. Gruber/Baier VersR 2018 1093 ff). Zwar wird klar gesehen, dass nicht nur Versicherungsmittler, sondern auch VR von den Staffelprovisionsregeln erfasst sind (vgl. nur Reif VersR 2018 193, 198), und dass auch ähnliche Gestaltungsformen unter die neue Regulierung fallen (Beenken/Radtke ZfV 2017 708/710). Aber teils wird eine generelle Verbotswirkung gefolgert (z. B. bei Reif VersR 2018 193, 198); teils wird der Vorrang informationeller Regulierung beachtet und deshalb ein Verbot nur dann angenommen, wenn besondere Umstände dafür sprechen, dass Informationseffekte nicht ausreichen (Fenyves/Schauer Die neue Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (2017) 69, 80) Jedenfalls spricht es für ein Verbot, wenn der Mittler es etwa entgegen § 61 Abs. 1 VVG unterlassen hat, ein Kundenprofil über dessen Risikoneigung zu erstellen (näher Herrmann Staffelprovisionen, a. a. O. zu V.1).

II. Umsetzung in deutsches Recht 1. Nochmals: Provisions- und Honorarregeln Die genannten Register- und Informationspflichten sind inzwischen durchweg in deutsches 67 Recht umgesetzt.156 Doch gibt es eine Reihe von Zweifelsfragen, die nur unter Berücksichtigung auf die europarechtlichen Wurzeln zutreffend gelöst werden können. Für die bereits o. (zu I.2-3) erörterten Provisions- und Honorarreglungen bleibt dazu nur noch der Hinweis darauf, dass nicht nur Minimaleffekte der IDD in Betracht kommen, sondern auch deren etwaige Maximalwirkung in Betracht kommt. Soweit hier etwa der Vorrang transparenter Regulierung in Betracht gezogen und deshalb kein unbedingtes Verbot für Staffelprovisionen gefolgert wurde, ist besonders zu begründen, dass der IDD Normzwecke maximal begrenzender Regulierung zugrunde liegen. Das ist in der Literatur bisher noch wenig erörtert worden (s. aber Goretzky VersR 2018 1, 2; Reiff/Köhne VersR 2017, 649, 650). Aber es gibt auch mittelbare Hinweise. So wird z. T. eine zu weitgehende 156 S. die Nachw. o. Rn. 37. 147

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Umsetzung der Regelungen zum Vermittlungsregister und zum Schutz für „Hinweisgeber“ (sog. whistle blower) diskutiert. Die nationalen Recht sollen Vorschriften erlassen, die unanfechtbare Sanktionen öffentlich bekannt machen, ohne dass der Hinweisgeber identifiziert wird (Art. 32 Abs. 1 IDD; Umsetzung in § 34d Abs. 12 GewO). Das wird z. T. krit. als naming and shaming bezeichnet (Wendt VersR 2016 1277; Rüll VuR 2017 128, 136) und mit historisch überholten Prangermethoden verglichen (näher Uwer/Rademacher BKR 2015 145; Schmieszek/Langner WM 2014 1893) Auch das Vermittlerregister wird z. T. unter solchen Aspekten angegriffen (dazu sogleich zu II.2). Soweit dies nur rechtspolitisch gemeint ist, ist damit lediglich das politische Auswahlermessen angesprochen. Soweit jedoch erwogen wird, ob die Vorgaben der IDD mit der deutschen Umsetzung überzogen streng gehandhabt werden, betrifft die Kritik das Übermaßverbot geltenden Rechts, mit dem die Maximalwirkung des EU-Richtlinienrechts begründet wird (näher Rn. 32).

2. Registerzwang und Ausbildungsanforderungen 68 Nach § 11a GewO wird bei jeder IHK ein Register für Versicherungsvermittler geführt. Zweck des Registers soll es sein, der Allgemeinheit, vor allem Versicherungsnehmern und Versicherungsunternehmen, die Überprüfung der Zulassung sowie des Umfangs der zugelassenen Tätigkeit der Eintragungspflichtigen zu ermöglichen. Die Registerbehörde unterliegt der Aufsicht der obersten Landesbehörde. Die IHK ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die dem Allgemeinwohl verpflichtet ist und deshalb als Behörde i. S. der Richtlinie angesehen werden kann. Es bedarf nach § 34d GewO i. V. § 48 Abs. 2 VAG, § 2 VersVermV157 der Sachkundeprüfung, 69 die entweder als Abschluss von Kursen von mindestens 222 Unterrichtseinheiten zu 45 Min. durchgeführt wird oder im Selbststudium erarbeitet werden kann. Einzelheiten regeln die IHKs der Bundesländer. Bei einem Vollzeitstudium beträgt der Zeitaufwand ca. eineinhalb Semester. Doch ist es realistischer, von Studienzeiten neben vollberuflicher Tätigkeit auszugehen, so dass sich ein bis zwei Jahre Studiendauer ergeben. Die Angemessenheit des Ausbildungszeitraums ist, soweit ersichtlich, unbestritten. Weitere Regelungen des neuen Versicherungsvermittlerrechts gehen dahin, dass unanfecht70 bare Sanktionen von Verstößen gegen das Berufsrecht im IHK-Register öffentlich bekannt zu machen sind. Das Register ist nach § 11a GewO bei jeder IHK zu führen und betrifft die nach § 34d GewO Eintragungspflichtigen. Zugang haben nur Versicherungsunternehmen, und Löschung erfolgt bereits 1 Monat nach Speicherung im Verzeichnis (§ 11a Abs. 2 Satz 3/4 GewO). Wie von der IDD erfordert, sind sämtliche unanfechtbare Sanktionen erfasst werden und Art und Charakter des Verstoßes erkennen lassen. In der Literatur wird dagegen vorgebracht, es handele sich um ein öffentliches Anprangern, das dem mittelalterlichen Strafrecht des Pranger-Vollzugs zu vergleichen sei (Belege s. o. Rn. 67 f.). Doch zeigt diese Kommentierung weder Anschluss an strafrechtsgeschichtliche Forschungen und Toleranzkritik (vgl. nur Thomasius Über die Folter, 1705/1969; Weigelt Friedr. II. von Preußen und die Schwenkenfelder in Schlesien. Ein Beitrag zum Toleranz-Verständnis, Ztschr. f. Religions- u. Geistesgeschichte 22, 1970 230 ff.; Möseneder Bilder der Toleranz (2013) 67 ff.) noch an Pönalisierungsfragen des Wirtschaftsprivatrechts (vgl. nur Wagner Prävention und Verhaltenssteuerung durch Privatrecht, AcP 2006 352 ff.). Eine rechtshistorische tiefergehende Untersuchung müsste jedenfalls berücksichtigen, dass Registerpublizität nicht nur ohne körperliche Folter abgeht, wie sie beim Pranger-Vollzug die Regel waren. Nicht Öffentlichkeitsanreize zur Normbefolgung waren bezweckt, sondern Vergeltung für gemeinschaftswidriges Handeln. Abschreckende Präventiveffekte mögen eine gewissen Rolle gespielt haben, waren aber allenfalls als untergeordnete Nebenwirkung bezweckt. 71 Man wird deshalb zur rechtssystematischen Einordnung eher an diejenigen Öffentlichkeitsregeln zu denken haben, die das Wirtschaftsrecht bei öffentlicher Rechnungslegung im Bilanzrecht 157 V. 15. Mai 2007 BGBl. I 733; Neufassung v. 17.12.2018 BGBl. I 2483. Herrmann

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von Kapitalgesellschaften nach § 325 ff. HGB vorsieht und für die corporate governance bei Befolgung des Kodex oder abweichendem Verhalten gem. § 161 AktG bereithält. Auch diese Parallelen sind allerdings nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich. Vor allem kommt es bei der Registereinsicht nach § 11a GewO darauf an, dass die Normbefolgung lediglich aus der Tatsache gefolgert werden kann, dass der Registerinhalt im Hinblick auf den fraglichen Versicherungsvermittler negativ ist, d. h. kein Vorgang ersichtlich ist. Es wird nicht positiv festgestellt, dass den Anforderungen des Gewerberechts an die Weiterbildung, ordnungsgemäße Handhabung der Aufklärungspflichten und Dokumentation gem. §§ 61 ff. VVG entsprochen wird. Sondern nur rechtswidrige Abweichungen treten in Erscheinung. Dennoch spricht das „Schweigen“ des Registers dafür, dass jedenfalls keine auffälligen, schwerwiegenden und wiederholten Zuwiderhandlungen vorliegen. Ob damit eine hinreichende Publizitätssteuerung erreicht werden kann, die der des Bilanz- und KodexRechts entspricht, mag bezweifelt werden. Doch ist die funktionelle Nähe und rechtssystematische Vergleichbarkeit bei weitem eher gegeben als die mit dem mittelalterlichen Pranger-Strafrecht. Ebenfalls nicht ganz einfach sind die Ausnahmebestimmungen zu beurteilen. Die Mit- 72 gliedstaaten dürfen nach Art. 4 Abs. 6 VermRL nur Verschärfungen der Eintragungspflicht, nicht aber Abschwächungen oder Geltungsausnahmen vorsehen, die in der RL nicht geregelt sind. Das hatte der deutsche Gesetzgeber in § 34 GewO getan, ist dafür aber in der Lit. stark kritisiert worden.158 Mit § 34 Abs. 8 GewO n. F. sind erhebliche Änderungen vorgenommen worden, zu deren Kommentierung hptsl. auf die Spezialliteratur zu verweisen ist.159 § 34d Abs. 8 Nr. 1 GewO regelt nach wie vor, dass eine Ausnahme von der Genehmigungs- 73 pflichtigkeit für Personen gilt, die zwar nicht hauptberuflich Versicherungsvermittlung betreiben160 aber deren Tätigkeit den Vertrieb einer Versicherung als „Nebentätigkeit“ zum Gegenstand hat (sog. Produktakzessorietät).161 Das entspricht dem Art. 2 Nr. 7 VermRL, der schon bisher bestimmte, dass die Tätigkeit mit Versicherungen als „Ergänzung“ zur Lieferung von Waren oder erbrachten Dienstleistungen verbunden sein darf. Das Merkmal der Produktakzessorietät ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen,,162 ist aber auf Geschäfte mit relativ geringfügigem Prämienumfang begrenzt (Abs. 8 Nr. 1 lit. c/aa und bb). Unbestritten, dass Kfz-Verkäufer, die im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit KH- und Kaskoversicherungen vermitteln, benötigen keine Erlaubnis.163 Andererseits ist die Vermittlung von Lebensversicherungen bei Darlehensvergabe durch eine Bank eindeutig nicht erlaubnisfrei, wenn der Prämienumfang 500,- A überschritten wird (Abs. 8 Nr. 3). Aber umkämpft ist, ob Gleiches auch für den Versicherungsvertrieb als Baustein eines Finanzierungsmodells gilt, also auf die hauptsächlichen Geschäftsbereiche der sog. Strukturvertriebe Anwendung findet.164 Die Befürworter erlaubnisfreier Tätigkeit stellen auf den sachlichen Zusammenhang des Finanzprodukts mit dem Versicherungsangebot und auf den standardisierten Vertrieb mit ebendiesem Baustein ab Jedoch kommt es darauf bei der gebotenen engen Auslegung nicht an. Vielmehr kann von einer Ergänzung i. e. S. nur dann ausgegangen werden, wenn das Hauptprodukt nicht versicherungsgeschäftlicher Art ist. Davon kann jedoch bei vielen Finanzierungsmodellen jedenfalls dann keine Rede sein, wenn die Prämienhöhe und die Versicherungskonditionen im Rahmen des Wettbewerbs der betr. Finanzprodukte eine nicht ganz untergeordnete Rolle spielen. Denn dann entsteht in dieser Hinsicht ein erheblicher Beratungsbedarf, den die VermRL und ebenso die VertriebsRL gerade auch dort fördern

158 S. Bruck/Möller/Herrmann8 Rn. 45 ff.; zu § 34d Abs. 8 Nr. 2 betr. Bausparkassen vgl. Reiff VersR 2007 717; zur Restschuldversicherung auch Stellungnahme des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. v. 7.4.2006 S. 16 zitiert nach Reiff VersR 2007 717. 159 Vgl. nur H. Stolzlechner/W.Seider/K. Vogelsang Kurzkomm. GewO, 2. Aufl. (2018). 160 Dann Befreiung nach § 32d Abs. 9 Nr. 1 GewO. 161 S. die Nachweise bei Reiff VersR 2007 717; § 34d Abs. 10 GewO ordnet aber durchweg die Eintragung in das Vermittlerregister nach § 11a GewO an. 162 BTDrucks. 19/1635 S. 19; Beenken/Sandkühler 37. 163 Ebenso Vermittlung einer Brillenversicherung bei Verkauf einer Brille Beenken/Sandkühler 37. 164 Ablehnend Reiff VersR 2007 717; Beenken/Sandkühler 178. 149

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wollen, wo der Absatz herkömmlich über Strukturvertriebe organisiert ist. Kennzeichen dafür ist, dass der eingeworbene Kunde selbst weitere Vertriebsleistungen übernimmt, und dadurch eine mehr oder weniger ausgeprägte Absatzpyramide entsteht. Die Gefahr, dass in solchen Systemen keine facjlich qualifizierte und sorgfältige Beratung im Interesse des Abnehmers der jeweils letzten Stufe erfolgt, dürfte regelmäßig größer sein als bei ungestuftem Absatz. Einschränkungen der Erlaubnispflichtigkeit wegen nebenberuflicher Tätigkeit wird man demzufolge eher skeptisch gegenüber zu stehen haben.

3. Informations- und Beratungspflichten nach dem VVG 74 Auch nach dem VVG sind zahlreiche Fragen ungeklärt, die mit dem Zentralanliegen der VermRL und der VertriebsRL (IDD 2016) verbunden sind. Wiederum kann aus Raumgründen nur exemplarisch ausgewählt werden.

75 a) Lückenlosigkeit der Pflichtensanktionierung. Zur Umsetzung des Sanktionsgebots des Art. 8 Abs. 3 VermRL legt die § 63 VVG. fest, dass Schadensersatzansprüche bei Verletzung der Informations- und Beratungsvorschriften gegeben sind. Dabei wird aber die Verletzung der Dokumentationspflicht nach § 62 nicht als Schadensersatz begründende Normverletzung aufgeführt. In der Literatur wird dies als Regelungslücke angesehen, die auch nicht durch die cic-Norm des § 311 BGB geschlossen werden könne, weil das Recht der Versicherungsvermittlung als abschließende Regelung aufzufassen sei.165 Das steht in einem gewissen Gegensatz zu § 6 Abs. 3, wo auf Abs. 1 insgesamt, also auch auf Abs. 1 S. 2 mit der dort geregelten Dokumentationspflicht verwiesen wird. Der Widerspruch wird noch dadurch verschärft, dass § 6 – anders als die VermRL – Beratungspflichten des VU regelt, aber hiervon nach Abs. 6 S. 2 der Vorschrift die Fälle ausnimmt, in denen der Vertrag durch einen Makler vermittelt wird; denn die Beratungspflicht des Maklers nach § 61 VVG soll genügen, da dieser für den VN tätig wird.166 Jedoch trägt der Makler nach § 61 VVG keine Beratungspflichten nach Vertragsschluss, so dass sich insoweit eine vom Normzweck nicht gedeckte Ungleichbehandlung des VN ergeben würde. Zur Behebung wird in der Lit. treffend darauf abgestellt, dass die Beratungspflichten nach 76 allgemeinem Schuldrecht Ausfluss des besonderen Vertrauensverhältnisses sind. § 61 VVG ist zwar speziell gegenüber §§ 241 Abs. 2, 311 BGB. Doch schließt das nicht aus, dass dies Vorschriften eingreifen, soweit das VVG sich als lückenhaft erweist und das allgemeine Schuldrecht eine passende Ergänzung bereit hält. Das kann man dann annehmen, wenn für den VR erkennbar ist, dass der Makler keine laufende Betreuung übernommen hat und eine rechtserhebliche Veränderung eintritt, die für den VN mit unerwartetem Schaden verbunden sein könnte.167 Insoweit ist § 6 Abs. 6 teleologisch zu reduzieren.168

77 b) Vermittlerpflichten, Vertriebswandel und AVB-Wettbewerb. Bereits in den vorausgehenden Abschnitten wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die VermRL auf einen Strukturwandel abgezielt hat. Anstelle der verbreiteten Drückerkolonnen soll der Vertrieb auf verantwortungsbewusste Information und Beratung durch angemessen ausgebildete Vermittler umgestellt werden. Das ergab sich schon aus der Zielangabe zur VermRL, die nicht nur auf 165 Marlow/Spuhl 29. 166 Vgl. nur die Begr. RegE, Drs. BT 16/3945 S. 58. 167 Für dahin gehende Analogie der §§ 241, 311 BGB vgl. Ch. Armbrüster/F. Baumann Aktuelle Fragen der Beratungspflichten von Versicherern und Vermittlern (§§ 6, 61 VVG), 2008 S. 19 ff., 21.

168 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 53. Herrmann

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Rechtsangleichung, sondern auch auf Verbraucherschutzzwecke abstellt (Rn. 38). Auch bei den Umsetzungsregeln deutschen Rechts wurde besonderes Gewicht auf dieses Grundanliegen der Richtlinie gelegt. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass nicht etwa gerade der Strukturvertrieb in wesent- 78 lichen Teilen vom Registerzwang und den Ausbildungsanforderungen ausgenommen werden kann (Rn. 47). Beratungspflichten müssen ganz besonders dort angeordnet und durchgesetzt werden, wo das Vertriebskonzept wesentlich darauf ausgerichtet ist, den Kunden massenhaft und standardisiert zu versorgen und dabei auf Individualisierungen des wunsch- und bedarfsgerechten Rates (suitable advice) zu verzichten. Selbstverständlich wird auch bei dem neuen Konzept wieder auf Rationalisierung und Automatisierung gesetzt, so wie Entsprechendes auch in der Anlageberatung durch discount broker erfolgt ist.169 Aber auch hier gibt es nach umstrittener, aber zutreffender Meinung keine generelle Befreiung von den Wohlverhaltenspflichten des § 31 WpHG.170 Auch die hier aus europarechtlichen Gründen geforderte Lückenlosigkeit der Pflichten- 79 sanktionierung (Rn. 49 f.) weist in die Richtung von Normzwecken zum vertrieblichen Wandel. Nochmals sei betont und vertieft, dass neben den Informations-, Beratungs- und Warnpflichten auch die Dokumentationspflichten schadensersatzbewehrt sein müssen, und dass bloße Beweisnachteile trotz erheblicher praktischer Bedeutung im Gerichtsverfahren nicht als „angemessene“ Sanktionen i. S. Art. 8 Abs. 3 VermRL angesehen werden können. Eigenständige und besonders weit reichende Bedeutung hat zudem der Nachweis, dass 80 mit den Informationshilfen zugleich auch eine Förderung des Wettbewerbs von AVB im Binnenmarkt bezweckt ist. Dazu ist in der Literatur schon länger anerkannt, dass die bereits mit der Deregulierung durch die Dritten Richtlinien erforderte Verbraucherinformation auf dem Konzept des sog. mündigen171 und informationsbereiten172 Verbrauchers aufbaut.173 Auch die Entwurfsbegründung zum VVG 2008 hat betont, dass man den „Bedürfnissen eines modernen Verbraucherschutzes“ gerecht werden solle und dafür von den Voraussetzungen „funktionsfähigen Wettbewerbs“ auszugehen sei.174 Nicht immer wird allerdings erkannt, dass mit dieser Schutzrichtung die ältere und wohl immer noch herrschende Lehre aufgegeben wird, das Recht der AGB-Kontrolle setze prinzipiell voraus, dass der Kunde keine kleingedruckten Klauseln lese und verarbeite, und dass deshalb ein Klauselwettbewerb generell vom AGB-Kontrollrecht nicht intendiert sei.175 Doch gibt es durchaus auch Stimmen, die jedenfalls implizit der Ansicht sind, dass Klauselwettbewerb funktionsfähig176 und jedenfalls 169 Vgl. nur Schimansky/Bunte/Lwowski/Kienle Bankrechtshandbuch 2. Aufl. (2017) § 110 Rn. 48; zu den Entsprechungen der versicherungs- und bankrechtlichen Beratungspflichten s. Wambach/Herrmann 79, 87 ff. 170 S. Assmann/Schneider/Koller Wertpapierhandelsgesetz, 7. Aufl. (2019) vor § 31 Rn. 135 f.; Köndgen ZBB 1996 361, 365; Schwark/Zimmer Kapitalmarktrechtskommentar, 5. Aufl. (2020) § 31 Rn. 65 ff.; a. A. allerdings noch BGH 5.10.1999 – IX ZR 280/98, NJW 2000 352; BGH 5.10.1999 – IX ZR 296/98, BGHZ 142 345, 355; Schimansky/Bunte/ Lwowski/Kienle Bankrechtshandbuch, § 110 Rn. 48; Horn/Schimansky/Nobbe Bankrecht 1998 (1999) 235, 253. 171 Vgl. nur Marlow/Spuhl 9. 172 Vgl. insbes. BGH 20.10.1999 – 1 ZR 167/97, BGH NJW-RR 2000 1490: „situationsadäquate Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers“; dazu Emmerich Unlauterer Wettbewerb, 7. Aufl. (2004) 266; Herrmann Wirtschaftsprivatrecht BGB/HGB (2007) 200. 173 Speziell zur Verbraucherinformation vgl. schon Grundmann JZ 2000 1133, 1143; Fleischer ZEuP 2000 772, 777 f.; Prölss/Präve § 10a Rn. 1. 174 BTDrucks. 16/3945. 175 Vgl. – ausführlich – Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998) 485 ff.; Basedow VersR 1999 1045, 1046; Rehberg Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem, Diss. Berlin 2003 39 ff. mit empirischen Angaben 43 ff.; Schäfer/Lwowski Konsequenzen wirtschaftsrechtlicher Normen, Theorie der AGB-Kontrolle (2002) 279, 305 ff. 176 Vgl. nur Schwintowski Der private Versicherungsvertrag zwischen Recht und Markt (1987) 161; Basedow/Meyer/ Rückle/Schwintowski Transparenz und Verständlichkeit, Berufsunfähigkeitsversicherung und Unfallversicherung – Das Transparenzgebot im Privatversicherungsrecht (2000) 85, 89. 151

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dort möglich ist, wo Informations- und Beratungspflichten einhergehen, und wo deren wesentlicher Inhalt in einem Produktinformationsblatt zusammengefasst ist.177 Nachdem ein solches Übersichtsblatt zu den AVB inzwischen nach § 4 der VVG-InfoV178 zwingend vorgeschrieben ist, kann eigentlich kein Zweifel mehr bestehen, dass damit die Informationsverarbeitung des Verbrauchers bezweckt ist, um den vom Europarecht intendierten Klauselwettbewerb im Binnenmarkt zu fördern.179 Ergänzend kann man darauf abstellen, dass die wettbewerbliche Informationsverarbei81 tung unter Anleitung des beratenden Versicherungsvermittlers zu erfolgen hat, nachdem sowohl die VermRL als auch die VertriebsRL (IDD 2016) umgesetzt sind.180 Eine isolierte Entscheidung ohne Beratungshilfe ist jedenfalls im Regelfall nicht mehr erfordert.181 Zwar soll das Produktinformationsblatt i. S. § 4 VVG-InfoV so einfach gefasst sein, dass der Inhalt vom VN auch ohne Beratung verstanden werden kann. Aber die vom Gesetz gewollte wettbewerbliche Entscheidung muss v. a. bei den Leistungs- und Risikoausschlüssen i. S. § 4 Nr. 4 VVG-InfoV und deren Berücksichtigung durch Prämienab- oder -zuschlägen ansetzen. Das kann nach wie vor nur der qualifizierte Vermittler beurteilen. Man kann deshalb auch davon ausgehen, dass die Vermittler ihre Informationen und Ratschläge nicht nur auf die Einzelregeln der viel zu langwierig nachzulesenden AVB, sondern auch auf das Informationsblatt stützen werden. Zwar wird aus der Tätigkeit des Ombudsmannes berichtet, dass schon in 2007 Beratungsformulare entwickelt worden sind, die als Hilfestellung für die Vermittler gedacht sind, nichts zu übersehen und sich nach allen Seiten gegen etwaige Vorwürfe mangelnder Erfüllung der Beratungspflichten abzusichern.182 Aber die Abstimmung dieser Formularhilfen auf das Informationsblatt scheint doch zumindest in gewissem Umfang nahe liegend, zumal hierzu die Bezugnahme auf die Fundstellen innerhalb der AVB ausdrücklich vorgeschrieben ist.183

4. Beratungsausschlüsse 82 Die hier vertretene Ansicht wettbewerblicher Normzwecke der EU-VermRL hat weit reichende Auswirkungen auf das deutsche Vermittlerrecht und auf die damit zusammenhängenden Vorschriften. Das betrifft in erster Linie die Beratungsregeln als solche, deren Geltungsumfang bereits behandelt ist (Rn. 48 ff.). Auch zum Pflichtenumfang wurde bereits auf den Markt- und Wettbewerbsbezug der auf das Recht der Anlageberatung zurückgehenden Suitability-Doktrin hingewiesen (Rn. 38). Hier sei noch – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ergänzt, dass etwa auch die Ausgestal83 tung der Hinweispflicht des Maklers auf eine eingeschränkte Auswahl nach § 60 Abs. 1 S. 2 (§ 42b Abs. 2 S. 2 a. F.) von diesem Systemzusammenhang beeinflusst wird. Besondere prakti177 Vgl. nur Römer VersR 2007 618: „Vorblatt“ zu den AVB; ähnlich auch Schimikowski RuS 2007 133; GDV-Stellungnahme zur Anhörung im Rechtsausschuss am 28.3.2007 S. 26 zitiert nach Marlow/Spuhl Das neue VVG kompakt, 2. Aufl. (2007) 11. 178 V. 18.12.2007 BGBl. I 2007 3004. 179 So schon früher für das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 und dessen europarechtl. Grundlage in der EURL gegen missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen v. 5.4.1993 (1993/13/EWG ABl. L 95/29 v. 21.4.1993) Herrmann DZWiR 1994 45 ff.; 95 ff.; 2004, 45 ff. 180 Diesen Zusammenhang sieht auch Römer VersR 2007 618 zu I.; vgl. auch Franz DStR 2008 303, 305; Wambach/ Herrmann/Wilkens 111, 119 f. unter Hinweis auf das Informationsblatt mit key features gem. Nr. 6.5 des Sourcebook Conduct of Business im Handbook der Financial Services Authority, abrufbar unter http://www.fsa.gov.uk/.; unlängst mit ausführlicher ökon. Begründg. Th Fiederling, Das Verfahren der Zillmerung in der Kapitallebensversicherung, Diss. Würzburg 2010, S. 85 ff. unter Hinweis auf Heinen, ZVersWiss. 2002 155 ff., 161; näher s. o. Rn. 50 m. w. N. 181 Zu den Ausnahmen von der Beratungspflicht s. die Kommentierung zu § 6. 182 Römer VersR 2007 618 f. zu III. 183 Betonung in der ursprünglichen Verordnungsbegründung zu § 4 InfoV Abdruck in VersR 2008 183, 190. Herrmann

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sche Bedeutung hat diese Frage für den Fall, dass der Makler keine Direktversicherer in seine Marktanalyse einbeziehen will, weil er von diesen keine Courtage erhält.184 Die genannten Vorschriften lassen den Ausschluss zu, wenn der Makler eine dahin gehende „ausdrückliche“ Mitteilung macht. Dabei brauchen die ausgeschlossenen Direktanbieter nicht individualisiert mitgeteilt zu werden, sondern es genügt die bloße Bezeichnung der Anbietergruppe185 z. B. „Direktversicherer“. Auch braucht wegen des Begriffs der Ausdrücklichkeit in § 60 Abs. 1 S. 2 (§ 42b Abs. 2 S. 1 a. F.) insoweit keine gesonderte Erklärung mit textlicher Abgrenzung von sonstigen Vertragsmodalitäten zu erfolgen. Denn das hat der Gesetzgeber nur für den Fall des Abs. 2 vorgesehen, wonach der Verzicht des VN auf die Mitteilung gesonderter schriftlicher Erklärung bedarf. Aber zu weit geht es wohl, wenn der Ausschlusshinweis auch noch in die AGB des Maklers einbezogen wird. Denn das Überraschungsverbot des § 305c Abs. 1 BGB steht wegen der erheblichen wettbewerblichen Bedeutung einer derartig beschränkten Marktauswahl auch dann entgegen, wenn eine klare textliche Hervorhebung an systematisch geeigneter Stelle vorliegt. Es liegt ein Fall des sog. Überrumpelungsverbots vor.186 Der Ausschluss dieses wichtigen Marktsegments ist für den VN erwartungswidrig, da er die fehlende Courtagezahlung durch Direktversicherer nicht kennt. Auch braucht er nicht damit zu rechnen, dass der Makler sein Courtageinteresse maßgeblich sein lässt. Das ergibt sich deutlich aus § 60 Abs. 1 S. 1 (§ 42b Abs. 2 S. 1 a. F.), wonach der Rat auf „fachliche Kriterien“ und nicht auf persönliche Interessen des Maklers zu stützen ist.187

5. Rechtzeitigkeit der Verbraucherinformation und Produktinformationsblatt Auch für das Recht der Verbraucherinformation ergeben sich Rückschlüsse, insbesondere zur 84 Frage der Rechtzeitigkeit der Übermittlung an den Kunden und zum neuartigen Produktinformationsblatt. Dafür kann auf die Kommentierung zu § 7 verwiesen werden.188 Wesentliche Ergebnisse sind: Die Verbraucherinformation wird auch dann rechtzeitig übergeben, wenn der Vermittler sie 85 aushändigt und dabei Gelegenheit besteht, die wesentlichen Punkte in die Beratung des Kunden einzubeziehen. Ein zweiter Vermittlerbesuch ist also nicht erforderlich. Das Produktinformationsblatt ist mit der Beratung zu verbinden. Die Transparenzanforde- 86 rungen zu den AGB können auch deshalb z. T. abgesenkt werden, um übermäßig wettbewerbsbeeinträchtigende Wirkungen zu vermeiden. Zur Zillmerung kann entgegen dem BGH189 nicht mehr an der Ansicht festgehalten werden, das VU müsse vor Vertragsschluss dem Kunden vortragen, er werde wegen der Zillmerung in den ersten Jahren einen Rückkaufwert von Null zu erwarten haben, falls er kündigt. Das kann in der Beratung vorzutragen sein, zumal hier auch die Erläuterung erfolgen kann, dass entsprechend geringere Anteile an den Vermittlungs- und Verkaufskosten in späteren Jahren anfallen. Es braucht aber nicht als Transparenzanforderung in den AVB dergestalt zum Ausdruck gebracht zu werden, dass eine Abschreckung vor gezillmerten Produkten geradezu die notwendige Folge ist.

184 Vgl. Marlow/Spuhl 143. 185 Vgl. Marlow/Spuhl 143. 186 BGH 17.5.1982 – VII ZR 316/81, BGHZ 84 109, 112 ff.; MüKo-BGB/Basedow § 3 AGBG Rn. 10; Herrmann Grundlehren BGB/HGB (2006) 181 f. 187 S. dazu nochmals Marlow/Spuhl 141. 188 Dort Rn. 46 ff. 189 BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354 = VersR 2001 841; z. T. krit. Präve VW 2002 1836, 1838; Herrmann VersR 2003 1333, 1337 f. 153

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E. Recht unlauteren Wettbewerbs 87 In einen VVG-Kommentar gehören Anmerkungen zum UWG nur bedingt. Nicht ganz vorbeigehen kann man aber an solchen Lauterkeitsregeln, die unmittelbar im Anschluss an VVG-Normen Geltung erlangt haben und geradezu deren weiterer Sanktionierung dienen. Exemplarisch sei insofern auf die Unlauterkeit der Werbung von Kreditversicherern verwiesen, wenn diese öffentlich darauf verweisen, sie seien schließlich die eigentlichen Fachleute eines geeigneten risk management; und deshalb gebe es allen Anlass, dass Unternehmen mit erheblichen Außenständen von Forderungen Kreditversicherungen abschließen und sich dafür am besten an den werbenden KreditVR wenden (Beispiele b. Herrmann VersR 2015 275, 276 f). Eigentlich entspricht das dem Wesen der KreditV und auch der Kernkometenz der KreditVR,190 doch gibt es in der Rspr. zahlreiche Beispiele dafür, dass nicht nur Banken, sondern auch VR anstelle eines sorgfältigen risk management es darauf ankommen lassen, ob sich schließlich konkrete Insolvenzgefahren abzeichnen und verwirklichen (vgl. nur OLG Köln 22.1.2013–9 U 188/11; dazu nochmals Herrmann VersR 2015 275, 277). Indessen liegt in einem solchen Verhalten grdsl. weder eine unlautere geschäftl. Handlung i.S § 3 UWG noch ein sog. Vorsprung durch Rechtsbruch i. S. § 3a UWG i. d. F. v. 3.10.2010 (BGBl. I 254), da es sich lediglich um eine Obliegenheitsverletzung i. S. § 6 VVG handelt und diese Vorschrift nach h. M. keinen besonderen Wettbewerbsbezug aufweist, wie ihn die Rspr. für eine UWG-Widrigkeit seit Langem voraussetzt.191 Anders kann es ausnahmsweise nur dann sein, wenn die betr. Werbemaßnahme nicht nur als unwahre Tatsachenbehauptung angegriffen wird, sondern auch noch geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Maßnahme zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (§ 5 Abs. 1 S. 1 UWG). Dafür genügt es aber nicht, dass der VN darauf hinweist, er selbst hätte sonst keine KreditV mit diesem VR abgeschlossen. Vielmehr bedarf es des Nachweises, dass das angebotene Produkt von den Werbeangaben abweicht, die die Marktentscheidung von Kunden generell fälschlich beeinflussen können.192 Dafür dürften auch nachweisliche Einzelfallverletzungen der Risiko-Beratungspflicht i. S. § 6 VVG nicht ausreichen. 88 Wieder anders liegt es, wenn über neue Anforderungen der Zulassung von Zweigstellen englischer VR nach dem BREXIT getäuscht wird (näher s. o. B II.2). Zu entsprechenden Fehlangaben über die Zulassung von Rechtsanwälten ist die Anwendung des Rechtsbruchstatbestandes anerkannt193 (heute § 3a UWG). Reaktionen der VR auf die Neuerungen zum EU-Passport werden deshalb auch in lauterkeitsrechtlicher Hinsicht zwingend erforderlich sein.

F. Kartellrecht Schrifttum Baudenbacher Neueste Entwicklungen im europäischen und internationalen Kartellrecht (2003); Bechtold Grundlegende Umgestaltung des Kartellrechts: Zum Referentenentwurf der 7. GWB-Novelle, DB 2004 235; Bechtold Maßstäbe der Selbstveranlagung nach Art. 81 Abs. 3 EG, WuW 2003 343; Brinker/Schädle Versicherungspools und EGKartellrecht – Erste praktische Erfahrungen mit der neuen Gruppenfreistellungsverordnung für den Versicherungssektor, VersR 2003 1475; dies. Kartellrechtliche Marktabgrenzung in der Versicherungswirtschaft, VersR 2004 673; Bunte Eine Gruppenfreistellungsverordnung für die Versicherungswirtschaft, WuW 1992 893; ders./Stanke Leitfaden Versicherungskartellrecht, 2. Aufl. (2011); Dreher Das europäische Kartellrecht der Mitversicherungsgemeinschaften, Festschrift Immenga (2004) 93; ders. Die kartellrechtliche Abgrenzung der Mitversicherung im Einzelfall von der

190 Vgl. nur Meyer Die Kreditversicherung (1997) 17; zur sog. protracted default-Abrede s. Wick/Feldmann Neue Rahmenbedingungen für die Kredit- und Kautionsversicherung (1998) 35 f. 191 Vgl. – grdl. – BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98, BGHZ 144 255, 262 f.=NJW 2000 3351; dazu V. Emmerich Unlauterer Wettbewerb, 10. Aufl. (2016) § 20 II. 192 So etwa BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99, BGH WRP 2003 747, 750. 193 BGH 23.10.2003 – I ZR 64/01, BGH NJW 2004 1099 f. „KPMG“. Herrmann

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Bildung einer Mitversicherungsgemeinschaft, Festschrift Larenz (2004) 211; Emmerich Kartellrecht, 13. Aufl. (2014); Dreher/Hoffmann/Kling Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen, 2. Aufl. (2015); Europäische Kommission Bericht an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der VO (EWG) Nr. 3932/92 v. 12.5.1999 – Komm (1999) 192 endg., abrufbar unter http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/ins_rep1999_ de.pdf; Europäische Kommission Leitlinien zur Anwendung von Art. 81, ABl. 2004 C 101/97; Europäische Kommission Commission Staff Working Document, Impact Assessment, HAT. 4012 v. 14.12.2016, http://ec.europa.eu/competition/sectors/financial_services/iber_impact_assessment_en.pdf (zuletzt abgerufen 15.3.2020); Herrmann Die Gleichgewichtskontrolle in der EU-kartellrechtlichen Freistellung von Muster-AVB – Von der Europäisierung zur neuen rechtlichen Ordnung Europas, Festschrift Schirmer (2005) 199; Hirsch/Montag/Säcker Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (2007); Hoffmann Die Zukunft der Gruppenfreistellungsverordnung Versicherungswirtschaft, VersR 2016 821; Hollenders Die Bereichsausnahme für Versicherungen nach § 102 GWB, Diss. 1985; Hübner Rechtliche Rahmenbedingungen des Wettbewerbs in der Versicherungswirtschaft – Eine vergleichende Untersuchung zu den Rechtsordnungen Großbritanniens, Frankreich, der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika Rechtliche Rahmenbedingungen des Wettbewerbs in der Versicherungswirtschaft (1988); Immenga/Mestmäcker/Ellger Kommentar zum Europäischen Kartellrecht, 5. Aufl. (2012); Kirscht Versicherungskartellrecht: Problemfelder im Lichte der Europäisierung (2003); Königs Die VO 1/2003, DB 2003 755; Martinek/Habermeier Das Chaos der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, ZHR 158/1994 107; Schaloske Das Recht der sogenannten offenen Mitversicherung (2007); Schnelle/Bartosch/Hübner Das neue EU-Kartellverfahrensrecht (2004); Schroeter/Jakob/Mederer Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht (2003); Schümann Die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 3932/92 für die Versicherungswirtschaft (1998); Stanke Vorsicht beim Informationsaustausch! VW 2004 1479; ders. Stand und Perspektiven des Versicherungskartellrechts nach Auslaufen der GVO Versicherungswirtschaft, VersR 2017 518 ff.; Vernimmen Die Gruppenfreistellungsverordnung für die Versicherungswirtschaft, VW 1993 559; Wagner Der Systemwechsel im EG-Kartellrecht, WRP 2003 1369; Wiedemann Kommentar zu den Gruppenfreistellungsverordnungen des EG-Kartellrechts (1998).

Im Folgenden wird das europäische Versicherungskartellrecht behandelt, soweit es Sonder- 89 regeln für Versicherungen enthält. Z. T. geht es dabei immer noch um die EU-Gruppenfreistellungsverordnung 2003 (GVO), obgleich diese 2010 teilw. verändert und 2016 vollständig aufgehoben worden ist (Europäische Kommission, Commission Staff Working Document, Impact Assessment, HAT. 4012 v. 14.12.2016). Wie zur GVO selbst194 wird keine vollständige Kommentierung angestrebt195 sondern nur ein Überblick gegeben, der dem primär privatrechtlich interessierten Leser eine Orientierung ermöglicht und Zusammenhänge von Kartell- und Wirtschaftsprivatrecht erkennen lässt.

I. Zur Frage der Geltungsausnahmen von Art. 101 AEUV Das europäische Kartellverbot setzt tatbestandlich voraus, dass der Wettbewerb durch Verein- 90 barungen von Unternehmen, durch Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen oder durch abgestimmte Verhaltensweisen beschränkt wird oder werden soll. Sowohl zu den Verhaltenssubjekten als auch zu den Verhaltensweisen gibt es umfängliche Zweifelsfragen, für die auf die allgemeine Kommentarliteratur zum Kartellrecht verwiesen werden muss. Spezifisch privatversicherungsrechtliche Probleme ergeben sich aber zur Geltungsausnahme vom Kartellverbot.

1. Das Feuerversicherungsurteil des EuGH 1987 Seit der Entscheidung des EuGH von 1987 im Fall Feuerversicherung196 ist geklärt, dass weder 91 das Europarecht implizite Geltungsausnahmen für Versicherungskartelle oder sonstige Wettbe194 s. Voraufl. 195 S. aber Immenga/Mestmäcker/Veelken Teil 1 GVO Versicherungen 1113 ff.; Hirsch/Montag/Säcker/Herrmann Bd. 1 Versicherungs-GVO 1050 ff. 196 EuGH 27.1.1987 – Rs. C-45/85 Slg. 1987 405 – „Verband der Sachversicherer“. 155

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werbsbeschränkungen durch Versicherungsunternehmen enthält, noch Geltungseinschränkungen aus den nationalen Aufsichtsrechten heraus abzuleiten sind. Die Entscheidung steht auch mit der neueren Rspr. zu Geltungsausnahmen bei freien Berufen in Einklang, weil hierzu festgestellt ist, dass Art. 101 AEUV nur dann keine Anwendung findet, wenn der Staat sich zu der betreffenden Regelung die Letztentscheidung vorbehalten hat.197 Bloße Aufsichtsbefugnisse i. S. einer Rechtsaufsicht über die Freiberufskammern genügen dafür nach h. L. nicht.198 Dem entsprechend ist auch zur Versicherungsaufsicht zu urteilen, die zwar über eine bloße Rechtsaufsicht insbesondere mit Blick auf die Missstandsaufsicht hinausgeht, aber ebenfalls keine volle Kontrollbefugnis hat. Das EU-Kartellrecht ist also nicht verdrängt.

2. Reichweite 92 Das gilt für die privaten und öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen gleichermaßen. Sogar die Ersatzkassen unterliegen dem Kartellrecht, obgleich sie funktional zum System der Sozialversicherung zu rechnen sind. Nur die echten Sozialversicherungsträger und die RVOPflichtkassen sind ausgenommen, weil deren Rechtsverhältnisse mit abschließender Wirkung im SGB geregelt sind.199 Aber auch hierzu gibt es wichtige Rückausnahmen, nämlich überall dort, wo die Sozialversicherer durch die Nachfrage nach Heil- und Hilfsmitteln sowie nach Krankenhausdiensten als Unternehmen i. S. Art. 101 AEUV tätig werden.200 Soweit dies der Fall ist, und Kartells- oder sonstige Wettbewerbsbeschränkungen praktiziert werden, kommen die Art. 101 AEUV zur Anwendung; denn es kann nicht angehen, dass der Staat mit seinem Recht zur Wahl öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Rechtsform bei Betätigung in der Wirtschaft selbst die Entscheidungsbefugnis darüber erlangt, ob er das Kartellrecht zur Anwendung gelangen lassen will oder nicht.201 Anderes gilt entsprechend Art. 106 Abs. 2 S. 1 AEUV (früher Art. 86 EGV) nur dann, wenn dem Staat oder seinen Unternehmen ausnahmsweise durch Gesetz besondere Aufgaben übertragen worden sind, deren Erfüllung nicht ohne Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des Kartellrechts möglich ist.202 Beispiele aus der Kartellrechtspraxis gegen Versicherungsunternehmen sind die Missbrauchsaufsicht des BKartA gegen Konditionenempfehlungen mit unnötigen Benachteiligungen gegenüber Kunden,203 Einschreiten gegen Prämienanpassungsklauseln mit einseitiger Risikoabwälzung auf Versicherungsnehmer,204 überhöhte Prämienempfehlungen in der Hausratsversicherung205 oder Empfehlung zu niedriger Mietwagensätze in der Kfz-Versicherung, durch die Autovermieter im Unfallersatzgeschäft benachteiligt werden.206 Soweit es sich um Aktivitäten handelt, die im Zusammenhang mit den von der GVO freigestellten Kooperationen stehen, kommen aber heute die dort geregelten Eingriffsbefugnisse der Wettbewerbsdirektion in Betracht.

197 EuGH 19.2.2002 – Rs. C-35/99 „Arduino“ Slg. 2002 I 1529 = NJW 2002 882. 198 Vgl. nur Kilian WRP 2002 802, 807; Römermann/Wellige BB 2002 633, 637; a. A. Eichele EuZW 2002 182, 183; Lörcher NJE 2002 1092, 1093; Hartung EWS 2002 133. 199 Vgl. nur EuGH 16.3.2004 – C-264/01 Slg. 2004 I 2524, 2542 ff. = NJW 2004 2723; Emmerich § 31 m. w. N. 200 Vgl. nur – grdl. – BGH 12.3.1991 – KZR 26/89, BGHZ 114 218, 221 f., betr. die Beauftragung von Transportunternehmen; Immenga/Mestmäcker/Emmerich § 130 Rn. 25. 201 Vgl. – außer den Nachweisen in der vorigen Fn. – Immenga AG 1998 547, 551; Möschel Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1983) Tz. 107; a. A. aber T. Schwarz Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand im Kartellrecht (1969). 202 Vgl. nur Immenga/Mestmäcker/Emmerich § 130 Rn. 27 f. m. w. N. 203 Dazu – noch zum früheren Recht – Hollenders 325 ff. 204 BKartA TB 1983/1984 111 – „Carpartner“. 205 BKartA TB 1989/90 118. 206 BKartA TB 1991/92 140. Herrmann

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II. Leitbildfunktion der Gruppenfreistellungsverordnungen Versicherungen 1992 bis 2010207 Nach dem bereits erwähnten (Rn. 63) Feuerversicherungsurteil des EuGH von 1987, das implizite 93 Ausnahmen vom Kartellrecht ablehnte, gingen bei der Kommission über 300 Anmeldungen von Versicherungskooperationen ein, so dass es angezeigt erschien, das „Massenproblem“208 im Verordnungswege zu lösen. Zunächst erließ der Rat am 31.5.1991 eine Ermächtigungsverordnung (ErmächtigungsVO).209 Es folgte die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 3932/92 v. 21.12.1992 (GVO 1992)210 die die materiellen Regelungen des bis 2003 geltenden Freistellungsrechts enthielt. Hierin wurde der Ermächtigungsrahmen zwar nicht voll ausgeschöpft, da insoweit nach 94 umstrittener Ansicht211 noch keine hinreichenden Erfahrungen vorlagen, aber sogleich auf eine künftige weitere GVO hingewiesen.212 Mit der nach gut zehn Jahren erlassenen neuen GVO v. 2003, die gem. ihrem Art. 12 am 1.4.2003 für 7 Jahre bis zum 31.3.2010 in Kraft getreten war, wurde diese Ankündigung zwar wahr gemacht, doch blieben nach wie vor die praktisch wichtige Freistellung für Vereinbarungen zur gemeinsamen Abwicklung von Schadensfällen213 sowie die Erstellung von Verzeichnissen und der Austausch von Informationen über erhöhte Risiken ausgespart.214 Entsprechendes gilt jetzt, nachdem die GVO im Dez. 2016, wie bemerkt, aufgehoben ist, aus der gesetzlichen Geltungsausnahme (vgl. nur Stanke, VersR 2017, 513, 520 ff. mit w. N.; Bunte/ders., Leitfaden, a. a. O.) Risikobelastet sind deshalb nach wie vor Rahmenverträge der Versicherer mit den Leistungserbringern über die Bedingungen, zu denen diese im Verhältnis zum VN tätig werden können.215 Es gab lediglich einen letter of comfort für die Fälle von Direktregulierungsabkommen zwischen Kfz-Haftpflichtversicherern.216 Neu war dann seit 2004 die Regelung des Art. 1 lit. d, die auf Art. 1 Abs. 1 lit. f der ErmächtigungsVO beruht. Nach wie vor fallen also vier Vereinbarungsinhalte nicht unter das Kartellverbot: gemeinsa- 95 me Risikoprämientarife, die auf gegenseitig abgestimmten Statistiken oder dem Schadensverlauf beruhen; die Erstellung von AVB-Mustern; die gemeinsame Deckung bestimmter Arten von Risiken und die Prüfung und Anerkennung von Sicherheitsvorkehrungen. Die Regelungen sind aber im Vergleich zur bisherigen Fassung der GVO erheblich detailliert und präzisiert, womit teils Verschärfungen, teils aber auch Erleichterungen bewirkt worden sind, v. a. aber mehr Rechtssicherheit hergestellt wurde. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund der gestrichenen Einzelfreistellung und des damit verbundenen Risikos für die Unternehmen zu begrüßen. Hinzu kommt, dass mit der Streichung der bisherigen „weißen Klauseln“ der sog. Zwangs207 Verordnung der Kommission über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor, v. 27.2.2003, 358/2003/EG ABl. L 53; Abdruck bei Prölss Anh. I 1714 ff.; für die Novellierung in 2020 und die Aufhebung in 2016 s. Commission Staff Working Document, Impact Assessment, HAT. 4012 v. 14.12.2016, http://ec.europa.eu/competition/sectors/financial_services/iber_impact_assessment_en.pdf (zuletzt abgerufen 15.3.2020). 208 7. Begründungserwägung der VO 1534/91; ähnlich schon Kom., 19. Wettbewerbsbericht 1989 Tz. 30. 209 VO 1534/91 v. 31.5.1991 über die Anwendung von Art. 85 (3) des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Bereich der Versicherungswirtschaft ABl. L 143/1. 210 ABl. L 143/1. 211 Für Zweifel insoweit vgl. nur Bunte WuW 1992 893, 894. 212 Kom. Dok. IV/1004/92-D Tz. 3; s. auch 22. Wettbewerbsbericht 1992 Tz. 276. 213 Vgl. Brinker/Siegert VersR 2006 30, 34. 214 Neu war aber die Regelung des Art. 1 lit. b, die auf Art. 1 (1) lit. f der ErmächtigungsVO beruht hat. 215 So auch Brinker/Schädle VersR 2003 1475, 1476 unter Hinweis auf langjährige Erfahrungen in Großbritannien. Art. 81 (3) kann aber direkt Anwendung finden (Art. 1 (1) VO 1/2003 v. 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln ABl. 2003 L 1/1). 216 Schroeter/Jakob/Mederer/Schumm Rn. 44–47; zu den Nichteinschreitensverfügungen gem. Art. 5 VO 1/2003 s. Schaloske Mitversicherung, S. 313 m. w. N. 157

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Europäisches Versicherungsrecht

jackeneffekt217 entfallen ist, der vielfach auch zu anderen GVO kritisiert wurde.218 Es gibt also jetzt nur noch schwarze Klauseln (sog. Kernbeschränkungen).219 Die Kommission verfolgt damit einen stärker wirtschafts- und weniger „vorschriftenorientierten“ Ansatz.220 Dass damit allerdings „grundsätzlich alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist“221 scheint übertrieben, da die schwarzen Klauseln und die Entzugsgründe unstreitig nicht als abschließender Katalog aufzufassen sind. 96 Die von Ende März 2010 bis Ende März 2017 geltende Verordnung (EU) 267/2010 stellte nur noch zwei der ursprünglich vier Arten von Vereinbarungen auf dem Versicherungssektor, nämlich die Risikoprämientarife und die gemeinsame Deckung bestimmter Arten von Risiken. Sie orientierte sich ebenfalls an Marktanteilsgrenzen. Insbesondere mussten allgemeine Versicherungsbedingungen sowie die Prüfung und Anerkennung von Sicherheitsvorkehrungen individuell beurteilt werden. (Langheidt/Wandt Rn. 160; Kirscht Versicherungskartellrecht Rn. 3). Die VO (EU) 267/2010 ist zum 31.3.2017 ersatzlos ausgelaufen, so dass die versicherungsspezifischen Besonderheiten bei Anwendung des allgemeinen Kartellrechts berücksichtigt werden müssen.222

III. Weiterer Überblick und Folgerungen zur Freistellung geltenden Rechts 97 Die Freistellungsgegenstände ergeben sich nicht mehr unmittelbar, aber indirekt aus Art. 1 GVO und können, wie folgt, überblickt werden: Erfasst sind „Vereinbarungen“, die aber nach Art. 2 Nr. 1 GVO ausdrücklich mit Beschlüssen einer Unternehmensvereinigung und abgestimmten Verhaltensweisen gleichgestellt sind. Liegt eine bloße Empfehlung durch den Verbandsgeschäftsführer vor, so hat man darin jedenfalls dann einen Verbandsbeschluss zu sehen, wenn sich aus der Satzung ein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass die Mitglieder eine diesbezügliche generelle Ermächtigung gegeben haben.223 Die Freistellung gilt zunächst für die gemeinsame Berechnung von Durchschnittskosten 98 auf Grundlage von Statistiken über die Zahl der Schadensfälle und der einzelnen versicherten Risiken gem. Art. 1 lit. a, 3–4 GVO. Derartige Häufigkeitstabellen, wie Sterbetafeln, Tafeln über die Häufigkeit von Krankheiten, Invalidität und Unfällen, sollen die Risikokenntnis der VR verbessern und ihnen dadurch die Risikobewertung erleichtern. Gleiches gilt für die gemeinsamen Studien über wahrscheinliche Auswirkungen risikoerheblicher Umstände i. S. Art. 1 lit. b GVO. Doch muss es sich um Auswirkungen allgemeiner, außerhalb des Einflussbereichs der beteiligten Unternehmen liegende Umstände handeln, d. h. beispielsweise um Trends der künftigen Schadensentwicklung, Auswirkungen von Franchisen auf die Schadensentwicklung. Studien über die künftige Entwicklung von Kosten und Gewinnen sind hingegen nicht freigestellt. Die Informationen müssen, wie bei industriellen open price systems224 auf überindividuelle und 217 Brinker/Schädle VersR 2003 1475, 1476; „straitjackets forcing agreements“ ohne explizite ökonomische Fundierung Korah Cases and Materials on EC Competition Law (2006) 357. 218 Vgl. nur Wiedemann Kommentar zu den Gruppenfreistellungsverordnungen des EWG-Kartellrechts (1990) I 33. 219 GVO F&E, Begründungserwägung Tz. 7; GVO Spezialisierungsvereinbarungen, Begründungserwägung Tz. 5. 220 Pressemitteilung der Kommission, abrufbar unter http://europa.eu.int/rapid/start/cgi/guesten.ksh?p_action. gettxt = gt&doc = IP/02/10.htm. 221 Brinker/Schädle VersR 2003 1475, 1476; für Analogie zur GVO s. aber Schaloske Mitversicherung, S. 379 f.; Bechtold WaW 2003 343. 222 So schon angedeutet im Bericht der Kommission über das Funktionieren der VO (EU) Nr. 267/2010 aus März 2016, Report from the Commission to the European Parliament and the Council on the functioning of Commission Regulation (EU) No 267/2010 on the application of Article 101 (3) of the Treaty on the functioning of the European Union to certain categories of agreements, decisions and concerted practices in the insurance sector, COM (2016) 153 final.; zur Kritik am Wegfall der GVO J. Hoffmann VersR 2016 821, 823 ff. 223 EuGH 27.1.1987 – 45/85 Slg. 1987 447, 455 Rn. 32 – „Verband der Sachversicherer“; Hootz Gemeinschaftskommentar GVO Versicherungswirtschaft VO 358/2003 Art. 1 Rn. 8. 224 Vgl. nur EuGH 28.5.1998 – C-7/95 Slg. 1998 I, 3138, 3161 – „J. Deere“; Emmerich § 378a m. w. N. Herrmann

158

Kartellrecht

Einf. B

anonyme Daten begrenzt bleiben und dürfen mit keiner Information über innerbetriebliche Kalkulationsgrößen verbunden werden.225 Denn sonst wird der Verhaltensspielraum der Mitbewerber mehr, als für die statistischen Zwecke erforderlich, abschätzbar und dadurch für abgestimmtes Verhalten i. S. Art. Art. 101 AEUV zugänglich. Nur teilweise übereinstimmend sind die Regelungszwecke zu den Muster-AVB i. S. Art. 1 99 lit. c/d, Art. 5–6, Art. 10 lit. b GVODurch die bessere Vergleichbarkeit des Leistungsumfangs der VR wird zunächst die Erstellung von Verbandsstatistiken und Nettoprämienempfehlungen erleichtert.226 Zugleich wird aber auch die Transparenz für den Verbraucher gefördert, so dass dieser seine Auswahl am Markt gezielter auf erhebliche Unterschiede im Leistungsangebot richten kann.227 Dazu passt es wiederum nur teilweise, dass die Freistellung nach Art. 10 lit. b GVO entzogen werden kann, wenn das AVB-Muster ein „erhebliches Ungleichgewicht“ von Rechten und Pflichten bewirkt. Denn neben den Transparenzschutz tritt insofern auch eine Art Inhaltskontrollbefugnis der Kommission. Unstrittig sind sowohl die wettbewerblichen als auch die verbraucherschützenden Wirkungen vom Schutzzweck der Normen umfasst, doch besteht Streit zur Reichweite des verbraucherschutzpolitischen Anliegens.228 Nicht immer wird dabei hinreichend beachtet, dass die inhaltliche Kontrollkompetenz ein kartellrechtliches Novum darstellt und daher wohl eher eng auszulegen ist. Jedenfalls auf der Ebene der Freistellungsmerkmale des Art. 6 sind primär Zwecke zu erkennen, die das freie Wettbewerbsverhalten der Marktteilnehmer betreffen, indem Abstimmungsverhalten verhindert (Abs. 1 lit. a, b, Abs. 2, 3 und 5 GVO) oder die Beweglichkeit der VN im Markt gesichert werden (Abs. 1 lit. d–j GVO). Die Freistellung von Mitversicherungs- und Mit-Rückversicherungsgemeinschaften soll 100 den Marktzutritt für Unternehmen erleichtern, die aufgrund ihrer Größe allein nicht zur Deckung von Großrisiken, selten auftretenden oder neuartigen Risiken in der Lage wären. Andererseits werden bei der gemeinsamen Risikodeckung natürlich einheitliche Versicherungsbedingungen und Bruttoprämien erforderlich, so dass der Rest-Wettbewerb zwischen den Beteiligten beeinträchtigt wird. Deshalb sind in Art. 7 (2) lit. a/b GVO Marktanteilsschwellen von 20 bzw. 25 % der Mitversicherungs- bzw. Mit-Rückversicherungsgemeinschaften, statt bisher 10 bzw. 15 %229 vorgesehen. Die Erfahrungen mit der bisherigen Regelung haben also eine Lockerung nahe gelegt. Die Freistellung für Kooperationen bei Sicherheitsvorkehrungen gem. Art. 1 lit. f, 7–8 GVO 101 betrifft nur Anlagen (engl. devices), d. h. keine Dienste, wie z. B. Überwachungsverfahren. Sie hat den Sinn, Sicherheitsstandards auf europäischer Ebene zu vereinheitlichen, um durch Reduzierung übergroßer Produktvielfalt den Wettbewerb auf homogenere Produkte zu konzentrieren und dadurch zu intensivieren.230 Auf Gemeinschaftsebene geregelte Normungen haben allerdings Vorrang, soweit es sich um Gesetzgebung im traditionellen Sinn oder um qualifizierte Verbandsnormungen handelt.231 Entgegenstehenden Gefahren der Diskriminierung, Inobjektivität und Unverhältnismäßigkeit soll durch die Freistellungsvoraussetzungen des Art. 8 GVO entgegengewirkt werden, weil insoweit erhebliche Marktzutrittsschranken künstlicher Art errichtet werden könnten.232

225 Näher Art. 3 (1) lit. c, (2) lit. a. 226 Vgl. Vernimmen VW 1993 559, 560. 227 Dazu bes. Begründungserwägung Nr. 7 zur GVFO 1992; Baudenbacher/Honsel 215, 218; Basedow/Schwark/ Schwintowski/Schumm Die Gruppenfreistellungsverordnung für die Versicherungswirtschaft 75, 81. 228 Vgl. nur Immenga/Mestmäcker/Veelken GVO 1992 Teil H Rn. 6: „primär wettbewerbsbezogene Regelung“; a. A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 45 f.: „verbraucherschützende Seite“ des Wettbewerbsrechts. 229 Art. 11 (1) lit. a/b GVO 1992. 230 Begründungserwägungen 15–17. 231 Vgl. Art. 9 lit. l. 232 Begründungserwägungen 17 f; dazu Vernimmen VW 1993 559, 562 f. 159

Herrmann

C. Allgemeine Versicherungsbedingungen Schrifttum Armbrüster Wirksamkeitsvoraussetzungen für Prämienanpassungsklauseln, RuS 2012 365; ders. AGB-Kontrolle der Leistungsbeschreibung in Versicherungsverträgen – Neues vom EuGH? NJW 2015 1788; ders. Inhaltskontrolle von D&O-Klauseln. Zugleich ein Beitrag zur Leitbildkontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr, FS 100 Jahre Hamburger Seminar (2016) 313; Bauer Das AGB-Gesetz und seine Auswirkungen auf das Recht der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), BB 1978 476; Baumann Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte für die Auslegung von Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, RuS 2005 513; Beckmann Die neue Rolle des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen bei der Inhaltskontrolle von AVB am Beispiel unzulässiger Vollmachtsbeschränkungen, NVersZ 1998 19; ders. Nichtigkeit und Personenschutz (1998) Kap. 12: Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen, S. 348; Bunte/Honsel Allgemeine Versicherungsbedingungen in: Bunte Lexikon des Rechts, Versicherungsrecht (1998); Buz Immer noch „allgemeine“ Geschäftsbedingungen, AcP 219 2019 1; Diringer Prinzipien der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (2015); Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt. Die Privatversicherung und ihre rechtliche Gestaltung (1991); Evermann Die Anforderungen des Transparenzgebots an die Gestaltung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (2002); Helm AGB-Gesetz und Allgemeine Versicherungsbedingungen, NJW 1978 129; Heinrichs Die EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, NJW 1993 1817; Hermes Die Schutzfähigkeit von besonderen AGB-Klauselwerken (2013); S. Hoffmann Verbraucherschutz im deutschen Privatversicherungsrecht nach dem Wegfall der Vorabkontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen (1998); U. Hübner Allgemeine Versicherungsbedingungen und AGB-Gesetz, 5. Auflage (1997); ders. Auswirkungen der europarechtlich vorgegebenen Änderungen des AGB-Gesetzes und des Versicherungsaufsichtsrechts auf die richterliche Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Karlsruher Forum 1997 43; Kieninger Nochmals – Grenzen der Inhaltskontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen, VersR 1999 951; Koch Abschied von der Rechtsfigur der verhüllten Obliegenheiten, VersR 2014 283; ders. Die Auslegung von AVB, VersR 2015 133; Langheid AVB-Kontrolle im Lichte der neueren Rechtsprechung, GS U. Hübner (2012) 137; Leuschner Gebotenheit und Grenzen der AGB-Kontrolle, AcP 207 (2007) 491; Martin Inhaltskontrolle von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) nach dem AGBG, VersR 1984 1107; ders. Die Auswirkungen des AGBG auf Ausarbeitung und Verwendung von AVB, Symposion „80 Jahre VVG“ (1988) 305; Matusche-Beckmann/Beckmann Einbeziehung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen in den Versicherungsvertrag nach der VVG-Reform, Festschrift Fiedler (2011) 915; Niebling Die Schranken der Inhaltskontrolle nach § 8 AGB-Gesetz (1988); Nitschke Maßstäbe für die Transparenz Allgemeiner Versicherungsbedingungen (2002); Pilz Missverständliche AGB (2010); Präve Allgemeine Versicherungsbedingungen, in: Graf v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke Stand: Dezember 2018 (zit.: AGB-Klauselwerke/Präve); ders. Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die Versicherungswirtschaft, NVersZ 1998 49; ders. Versicherungsbedingungen und AGB-Gesetz (1998); Prölss 50 Jahre BGH – ein Streifzug durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den AVB, VersR 2000 1441; ders. Die Berücksichtigung des versicherungswirtschaftlichen Zwecks einer risikobegrenzenden AVB-Klausel nach den Methoden der teleologischen Gesetzesanwendung, NVersZ 1998 17; ders. Gerichtliche Kontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen nach den §§ 8, 9 AGBG, NVersZ 1999 97; Römer Der Prüfungsmaßstab bei der Missstandsaufsicht nach § 81 VAG und der AVBKontrolle nach § 9 AGBG (1996); Schaffrin Die Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Allgemeinen Versicherungsbedingungen: Ein Vergleich (2016); Schimikowski Das rechtliche Gebot zu transparenter und inhaltlich angemessener Gestaltung von AVB, RuS 1998 353; ders. Einbeziehung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen in den Vertrag, RuS 2007 309; Schirmer Die Auswirkungen des AGBG auf Ausarbeitung und Verwendung von AVB, Symposion „80 Jahre VVG“ (1988) 265; ders. Symposion AGBG und AVB (1993) 61; Schwab AGB-Recht, 3. Auflage (2019); Sieg Auswirkungen des AGB-Gesetzes auf Justiz und Verwaltung im Bereich der Privatversicherung, VersR 1977 489; ders. Die Bedeutung der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen für die AVB, VersR 1995 1305; Stadler Verständliche Gestaltung Allgemeiner Versicherungsbedingungen am Beispiel der AKB (2009); Stagl Geltung und Transparenz Allgemeiner Geschäfts- und Versicherungsbedingungen (nach österreichischem Recht) (2006); Staudinger Die Kontrolle grenzüberschreitender Versicherungsverträge anhand des AGBG, VersR 1999 401; Stoffels AGB-Recht, 3. Auflage (2015); Stöhr Die Bestimmung der Transparenz im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, AcP 216 558; Terno Gerichtliche Inhaltskontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen, RuS 2004 45; Thüsing Rechtsfolgen unwirksamer AGB, VersR 2015 927; van de Loo Die Angemessenheitskontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen nach dem AGBG (1987); Waller AVB und Quote (2018); Wandt Die Kontrolle handschriftlicher AGB im Verbandsklageverfahren gem. § 13 AGBG, VersR 1999 917; ders. Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen (2000); ders. Transparenz als allgemeines Prinzip des Versicherungsrechts, GS U. Hübner (2012) 341.

Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522600-003

160

Übersicht

Einf. C

Übersicht 1

1.

A.

Funktion und Bedeutung

B.

Rechtliche Rahmenbedingungen Allgemei7 ner Versicherungsbedingungen

I. 1.

7 AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) Grundsätzliche Anwendbarkeit des AGB7 Rechts Bedeutung der AGB-rechtlichen Kontrolle Geltungsumfang bei internationalem Be9 zug

2. 3.

II. 1. 2.

8

11 EU-Recht EU-Recht und Harmonisierung des Versiche11 rungsaufsichtsrechts Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Ver12 braucherverträgen a) Anwendungsbereich und Schutzzweck 13 16 b) Umsetzung in Deutschland c) Weitere Inhalte der Klauselrichtlinie und Bedeutung für die Inhaltskontrolle gem. 17 §§ 305 ff. BGB d) Reichweite der Inhaltskontrolle und kont21 rollfreier Bereich 23 e) Frühere EU-Datenbank „CLAB“ 24

III.

Versicherungsaufsicht

IV.

Kartellrecht

C.

Begriff der AGB bzw. der AVB (§ 305 Abs. 1 39 BGB)

I. 1. 2. 3.

39 Vertragsbedingungen 39 Grundsätze Bezeichnung und Standort Einseitige Rechtsgeschäfte

II.

Vorformulierung von Vertragsbedingun55 gen

28

45 52 2.

59

III.

Für eine Vielzahl von Verträgen

IV.

Stellen der Vertragsbedingungen durch den Ver62 wender

V.

Vorbehalt bei ausgehandelten Vertragsbedingun70 gen (§ 305 Abs. 1 Satz 3 BGB)

D.

Einbeziehung der AVB in den Versicherungs76 vertrag

I.

Grundsätze

161

76

3.

Einbeziehung von AVB gemäß § 305 Abs. 2 78 BGB a) Hinweis auf die Versicherungsbedingun79 gen (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB) b) Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme 85 (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB) 86 aa) Schriftlicher Vertragsschluss 87 bb) Mündlicher Vertragsschluss cc) Fernmündlicher Vertrags88 schluss dd) Vertragsschluss über das Inter90 net 91 ee) Kenntnisnahmemöglichkeit 95 ff) Rücksichtnahmegebot c) Einverständnis des Versicherungsnehmers 96 (§ 305 Abs. 2 letzter Hs. BGB) d) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfüllung der Einbeziehungsvoraussetzungen gem. 98 § 305 Abs. 2 BGB 100 e) Beweislast f) Behandlung einer gem. § 305 Abs. 2 BGB 101 misslungenen Einbeziehung aa) Geltung dispositiven Rechts/ergän104 zende Vertragsauslegung bb) Ausnahmsweise Gesamtunwirksam109 keit (§ 206 Abs. 3 BGB) cc) Nachträgliche Einbeziehung nach all110 gemeinen Grundsätzen dd) Versicherungsvertragsrechtliche Be111 sonderheiten 111 (1) Frühere Rechtslage (2) Einbeziehung von AGB nach Wegfall des § 5a VVG 112 a. F (3) „Versicherungsvertragliche Einbeziehung“ von AVB nach misslungener Einbeziehung gem. 115 § 305 Abs. 2 BGB Einbeziehung von AVB beim Vertrag über eine 118 vorläufige Deckung Einbeziehung von AVB bei Verträgen mit Unter119 nehmen

II. 1.

2.

126 Überraschende Klauseln 126 Grundsätze 130 a) Ungewöhnlichkeit 133 b) Überraschungseffekt 139 c) Begünstigende Klausel 140 Judikatur (Auswahl)

E.

Einbeziehung geänderter Versicherungsbe174 dingungen in laufende Verträge

I.

Allgemeines

174

Beckmann

Einf. C

Allgemeine Versicherungsbedingungen

II.

Anpassungsmöglichkeit an die Regelungen des 177 VVG 2008

III. 1.

178 Prämien- und Bedingungsänderung Änderung aufgrund gesetzlicher Befug178 nis a) Gesetzliche Regelungen in Bezug auf die 179 Lebensversicherung b) Gesetzliche Regelungen in Bezug auf die 182 Krankenversicherung Anpassung aufgrund vertraglicher Änderungs184 klauseln a) Neue Bedingungen für Zeitraum nach möglicher Vertragsbeendigung durch Kündi187 gung b) Neue Bedingungen für Zeitraum ohne ordentliches Kündigungsrecht des Versiche189 rers

2.

253

III.

Kontrollgegenstand

IV.

Klauselverbote nach §§ 308, 309 BGB

V.

Unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 265 Satz 1 BGB) 265 Grundsätze 273 Judikatur (Auswahl)

1. 2. VI. 1. 2.

255

Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 283 BGB) 283 Grundsätze 294 Judikatur (Auswahl)

VII. Abweichung von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Norm 318 (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) 318 1. Grundsätze 321 2. Judikatur (Auswahl)

198

IV.

Ersetzung unwirksamer AVB-Klauseln

F.

Auslegung von AVB

I.

Allgemeines

II.

Judikatur (Auswahl)

G.

Mehrdeutige Klauseln

I.

Allgemeines

II.

Judikatur (Auswahl)

H.

Inhaltskontrolle Allgemeiner Versicherungs244 bedingungen

I.

Überblick

II.

Umfang und Schranken der Kontrolle

VIII. Vertragszweckgefährdende Einschränkung wesentlicher Rechte und Pflichten (§ 307 Abs. 2 357 Nr. 2 BGB) 357 1. Grundsätze 358 2. Judikatur (Auswahl)

204

204 211

IX. 1. 2.

227

227 3. 233

244

4. 5.

387 Unwirksamkeitsfolgen 387 Grundsatz Verbot der geltungserhaltenden Reduk389 tion Rechtsgeschäftlich begründete Ersatzklau393 seln 395 Ergänzende Vertragsauslegung 398 Weitere Unwirksamkeitsfolgen a) Aufsichtsrechtliche und wettbewerbsrecht398 liche Auswirkungen b) Weitere zivilrechtliche Auswirkun400 gen

247

A. Funktion und Bedeutung 1 Bei Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) handelt es sich um vorformulierte Vertragsbestimmungen, die Grundlage der allermeisten Versicherungsverträge sind. Sie stellen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der VR dar und unterliegen daher insbesondere dem AGBRecht gem. §§ 305–310 BGB. In aller Regel werden die AVB vom VR vorformuliert und einseitig durch den VR in den Versicherungsvertrag eingebracht.1 Von VN vorformulierte Klauselwerke sind hingegen unüblich.2 AVB bilden im Privatversicherungsrecht mehr noch als in vielen anderen Wirtschaftsberei2 chen eine bedeutende Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses. Das folgt bereits daraus, dass die wirtschaftliche und auch rechtliche Besonderheit von Versiche1 Denkbar sind auch von einem Versicherungsmakler vorformulierte Vertragsbedingungen (sog. Maklerbedingungen) dazu Rn. 64 ff.

2 Staudinger/Wendt (2019) Anh. zu §§ 305-310 Rn. J 4. Beckmann

162

Funktion und Bedeutung

Einf. C

rungen unter anderem darin besteht, dass es sich um ein „nicht greifbares“,3 „unsichtbares“4 Produkt handelt. Eine Versicherung ist kein gegenständliches Produkt; es wird erst durch die rechtliche Ausgestaltung des Vertrages und Beschreibung der gegenseitigen Leistungspflichten sowie des angebotenen Versicherungsschutzes fassbar, weshalb auch treffend von „Versicherung als Rechtsprodukt“5 die Rede ist. Gerade AVB geben dabei dem Versicherungsvertrag erst sein rechtlich ausgestaltetes Gerüst und konstituieren die vertraglichen Rechte und Pflichten.6 Indem sie hierbei gesetzliche Regelungen weniger ändern als vielmehr ergänzen, bestimmen und konkretisieren AVB den Vertragsinhalt; AVB kommt damit produktkonstituierende Funktion zu.7 Darüber hinaus kommt AVB eine nicht unerhebliche Informationsfunktion zu.8 Diese Auf- 3 gabe von AVB, dem VN das durch sie maßgeblich geprägte Leistungsgefüge transparent zu machen, wird insbesondere durch § 7 Abs. 1 VVG deutlich. Danach hat der VR dem VN rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen einschließlich der AVB sowie die in der VVG-Informationspflichtenverordnung (VVG-InfoV)9 bestimmten Informationen in Textform mitzuteilen. Wie allen AGB kommt auch AVB im Massengeschäft des Versicherungswesens Rationalisie- 4 rungsfunktion zu.10 Über ein solches, allgemeines Rationalisierungsinteresse des VR hinaus kommt die versicherungsspezifische Besonderheit hinzu, dass die Verwendung von AVB es begünstigt, homogene Risikogruppen zu bilden. Die Vereinheitlichung des Versicherungsschutzes gegenüber allen VN ermöglicht eine verlässliche Prämienkalkulation und ist damit wichtiger Grundstein der Versicherungstechnik.11 Zwar ist umstritten, ob sich über die spezialgesetzlichen Gebote der Gleichbehandlung – insbe- 5 sondere für die Personenversicherung (vgl. §§ 138 Abs. 2, 146 Abs. 2 Satz 1, 147, 161 Abs. 1 VAG); für Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit als vereinsrechtlicher Grundsatz (§ 177 Abs. 1 VAG); aufgrund des AGG (§§ 19 Abs. 1 Nr. 2, 20 Abs. 2 AGG) – hinaus ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot im Privatversicherungsrecht ableiten lässt.12 Jedenfalls im Rahmen einer solchen Geltung trägt die Verwendung von AVB dem Gebot zur Gleichbehandlung Rechnung. Zudem kann eine Gleichbehandlung der VN als Maßstab der Inhaltskontrolle von AVB Bedeutung entfalten.13

3 Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt, 148; Werber VersR 1986 1, 2; Farny ZVersWiss 1975 168; Martin VersR 1984 1108.

4 Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt, 148; S. Hoffmann, Verbraucherschutz im deutschen Privatversicherungsrecht nach dem Wegfall der Vorabkontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen, 70 ff.; R. Schmidt ZVersWiss 1973 529, 539; L. Raiser ZVersWiss 1978 375, 386; Schimikowski RuS 1998 353; Kieninger AcP 199 (1999) 191, 208 f.; Präve VersR 2018, 1349, 1355; Armbrüster JuS 2019 299. 5 Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt 145 ff.; Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 1; vgl. auch Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 Klauseln V 64. 6 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 1; Terno RuS 2004 45. 7 Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 3. 8 Bunte/Bunte/Honsel Allgemeine Versicherungsbedingungen 6 f.; Evermann Die Anforderung des Transparenzgebots an die Gestaltung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen 28 f.; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 348. 9 Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen v. 18.12.2007 (BGBl. I 3004); geändert durch Verordnung v. 6.3.2018 (BGBl. I 225). 10 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 348. 11 Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 4; Armbrüster2 Rn. 127; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 348; Halm/Engelbrecht/Krahe/ Wandt6 1. Kap. Rn. 134 f.; Kupper Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (1969) 29. 12 Ablehnend Armbrüster2 Rn. 345 ff.; Wandt6 Rn. 149; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 62 ff.; befürwortend Bruns § 6 Rn. 9 ff.; Hofmann Privatversicherungsrecht4 § 2 Rn. 14; Jannott FS E.Lorenz (1994) 341, 352 ff. (insbesondere kritisch ggü. partiellen Einschränkungen aufgrund des Entwurfs des Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG im Jahre 1994); Hartwig Die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für Versicherungsaktiengesellschaften als Ausfluss verfassungsrechtlicher Grundsätze (2002) 57 ff., 149 ff. (jedenfalls im Hinblick auf „Jedermannversicherungen“); dazu auch Bruck/Möller/Baumann/Koch10 § 1 Rn. 274 ff. 13 Langheid/Wandt/Bruns2 Vorbemerkung zu §§ 307 bis 309 BGB Rn. 72; ders. Privatversicherungsrecht § 10 Rn. 3; dazu noch unter Rn. 268. 163

Beckmann

Einf. C

6

Allgemeine Versicherungsbedingungen

Die Bedeutung Allgemeiner Versicherungsbedingungen wird darüber hinaus nicht zuletzt bei Betrachtung der Entstehungsgeschichte des Versicherungsvertragsgesetzes deutlich. Der Gesetzgeber fand bei Schaffung des VVG bereits ein System von Versicherungsbedingungen vor.14 Dieses lässt sich als Wurzel des AGB-Rechts insgesamt einordnen15 und sollte nicht durch gesetzliche Regelungen ersetzt werden. Vielmehr bestand das Ziel in der Schaffung eines allgemeinen Rahmens sowie der Ergänzung der vorhandenen AVB.16 Auch im Rahmen der VVG-Reform 2008 erörterte die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, ob in die Vorschriften über die Verträge der einzelnen Versicherungszweige Grundsätze über die Vertragsgestaltung aufzunehmen sind. Dies wurde indes verworfen, weil ein sinnvolles Maß an Regelungsvorgabe schwer zu finden sei. Ein „lückenhaftes Teilleitbild‘“ empfand die Kommission ebenso wenig sinnvoll wie einen verbindlich ausgestalteten Standardvertrag.17 Lediglich für die Berufsunfähigkeitsversicherung wurde Regelungsbedarf angenommen.18 Durch die §§ 172–177 VVG wurden vertragliche Mindeststandards eingeführt, von denen teilweise zum Nachteil des VN gem. § 175 VVG nicht abgewichen werden darf; andererseits wurde den VR Spielraum für neue, sich verändernde Produktentwicklungen gelassen.19

B. Rechtliche Rahmenbedingungen Allgemeiner Versicherungsbedingungen I. AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) 1. Grundsätzliche Anwendbarkeit des AGB-Rechts 7 Anwendung findet das AGB-Recht – namentlich die §§ 305–310 BGB – auf AVB als Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. v. § 305 Abs. 1 BGB. Danach sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt (dazu noch Rn. 39). Diese Voraussetzung ist bei AVB in aller Regel erfüllt. Solche vorformulierten Vertragsbedingungen sind nicht nur AVB, sondern ebenso etwa „Besondere Bedingungen“ oder Zusatzbedingungen; auf ihre Bezeichnung kommt es nicht an (vgl. noch Rn. 45).

2. Bedeutung der AGB-rechtlichen Kontrolle 8 Neben der aufsichtsbehördlichen (dazu Rn. 24) spielt vor allem die zivilgerichtliche AGB-Kontrolle der von VR verwendeten Regelwerke eine große Rolle. Die stetig steigende Zahl der Inanspruchnahme der zivilgerichtlichen Inhaltskontrolle ist nicht zuletzt Folge der europarechtlich bedingten Deregulierung des Versicherungsrechts.20 Die bis 1994 gesetzlich vorgeschriebene Vorabgenehmigung der Versicherungsbedingungen durch die Aufsichtsbehörde hatte zum einen branchenspezifisch einheitliche Regelwerke entstehen lassen. Gleichzeitig bestand eine gewisse Gewähr, dass rechtlich bedenkliche Klauseln ausschieden, bevor sie Eingang in die versicherungsvertragliche Praxis finden konnten; nichtsdestotrotz konnte die behördliche Vorabkontrolle eine zivilgerichtliche Inhaltskontrolle nicht ausschließen. Durch den Wegfall der präventiven Be14 Zur geschichtlichen Entwicklung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt, 21 ff. 15 Armbrüster2 Rn. 129. 16 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 1. Kap. Rn. 160; Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt, 28 f. 17 KomE 16 f. 18 KomE 130 f.; RegE 54. 19 Römer VersR 2006 870; Meixner/Steinbeck2 § 8 Rn. 2. 20 Siehe näher Rn. 11. Beckmann

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dingungskontrolle ist die Schaffung einer Bedingungsvielfalt am Versicherungsmarkt erleichtert, jedoch richten auch heute noch die meisten VR ihre AVB an den seitens des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) empfohlenen Musterbedingungen21 aus. Dies bedeutet jedoch auch, dass die zivilgerichtliche Überprüfung der AVB an Bedeutung und Umfang weiter zugenommen hat.22 Im Mittelpunkt der gerichtlichen Nachkontrolle als Eckpfeiler des Versicherungsnehmerschutzes stehen dabei die AGB-rechtlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB, die im Kern eine Kodifikation früherer Rspr. und im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelter Grundsätze darstellen.23 Die AGB-Kontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB rechtfertigt sich dabei insbesondere durch ihre Funktion zum Schutz des Vertragspartners des Klauselverwenders vor Fremdbestimmung sowie zum Ausgleich der Informationsasymetrie, die dadurch begründet ist, dass der Klauselverwender im Unterschied zu seinem Vertragspartner das Bedingungswerk ohne zeitlichen Druck und i. d. R. unter Hinzuziehung von Rechtsbeistand ausformulieren konnte, während der Vertragspartner unter dem zeitlichen Druck der Abschlusssituation zumeist überfordert ist, deren Angemessenheit zu beurteilen.24 Hinzu kommt, dass es für Versicherungskunden – seien es Verbraucher, seien es Gewerbetreibende – praktisch nicht möglich ist, auf den Inhalt der AVB Einfluss zu nehmen. Im Gegensatz zu anderen Schuldverhältnissen wie z. B. Kauf- oder Werkverträgen gestalten Allgemeine Geschäftsbedingungen im Versicherungsgeschäft nicht lediglich Modalitäten und Abwicklung einer vertraglichen Leistungsbeziehung; vielmehr konstituieren sie das vom VR angebotene Versicherungsprodukt (siehe schon oben Rn. 2).

3. Geltungsumfang bei internationalem Bezug Bei Versicherungsverträgen mit Auslandsbezug kann sich die Frage der Anwendbarkeit deut- 9 schen AGB-Rechts stellen. Kollisionsrechtliche Vorschriften auch für Versicherungsverträge sind insbesondere in den Art. 3-18 Rom I-VO25 (bei Vertragsschluss nach deren Inkrafttreten) aufzufinden,26 welche die zuvor etwa im EGVVG anzutreffenden Normen ablösen.27 Die Versicherungsbedingungen (insbesondere die mit der Wirksamkeit verbundenen Fragen) folgen als Vertragsteil den auf den Vertrag anwendbaren Vorschriften; eine gesonderte Anknüpfung ist nicht vorgesehen.28 Als zentrale Vorschrift erfasst Art. 7 Rom I-VO in seinem Abs. 2 Großrisiken, unabhängig 10 von der Belegenheit des Risikos (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO) sowie in Abs. 3 sonstige Versicherungsverträge (Massenrisiken), deren versichertes Risiko in einem Mitgliedstaat (im Sinne der VO) belegen ist. Ausgenommen von dem Anwendungsbereich sind insbesondere Rückversicherungsverträge (Art. 7 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO). Für alle weiteren Versicherungsverträge, also Rückversicherungsverträge sowie solche, deren versichertes Risiko nicht in einem Mitgliedstaat belegen ist, kann das allgemeine Kollisionsrecht der Verordnung unmittelbar herangezogen werden.29 Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang der zunächst hinter Art. 7 Rom I-VO zurückgetretene Art. 6 Rom I-VO für Verbraucherversicherungsverträge, Art. 3 Rom I-VO (Rechts21 Armbrüster2 Rn. 134; Baumann RuS 2005 315; zu deren kartellrechtlicher Zulässigkeit siehe Rn. 32. 22 Beckmann ZEuP 1999 814; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 1. Kap. Rn. 217; Berliner Kommentar/Roth Europ. VersR Rn. 1. Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 4. Leuscher AcP 207 2007 492 ff.; Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 3. VO (EG) Nr. 593/2008. Vgl. Staudinger/Armbrüster (2016) Vorbemerkung zu Art 7 Rom I-VO, Rn. 9; die Vorschriften finden zunächst ganz allgemein für alle nach dem 17.12.2009 abgeschlossenen Versicherungsverträge (Art. 28, 29 Rom I-VO) Anwendung. 27 Ausführlich zu den hier nur kursorisch angesprochenen Fragen des internationalen Versicherungsvertragsrechts s. Bruck/Möller/Dörner9 Bd. XI Int. VersR. 28 Staudinger/Hausmann (2016) Art. 10 Rom I-VO Rn. 80. 29 Langheid/Wandt/Looschelders2 1. Teil. Nebengesetze 30. Internationales Versicherungsvertragsrecht Rn. 39.

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wahlklauseln) sowie die durch Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO im Übrigen gegebene Berufung des Rechts am Sitz des VR.30 Hinzu treten die weiteren Kollisionsregeln (Besonderheiten bestehen etwa für Geschäftsfähigkeit, Vertretung, den ordre-public Vorbehalt oder auch vorvertragliche Haftungsfragen z. B. im Zusammenhang mit der Verwendung von unwirksamen Klauseln). Ist das deutsche Recht aber Vertragsstatut, so gilt damit gem. Art. 10 Rom I-VO das deutsche AGB-Recht, also die §§ 305 ff. BGB, auch dann wenn der Vertrag bzw. die Klausel sich als unwirksam erweisen sollte. Dies betrifft sowohl die Frage, ob die AGB insgesamt oder bestimmte Klauseln in den Vertrag einbezogen wurden (Einbeziehungskontrolle) als auch die Frage nach der inhaltlichen Gültigkeit wirksam einbezogener Klausen (Inhaltskontrolle).31

II. EU-Recht 1. EU-Recht und Harmonisierung des Versicherungsaufsichtsrechts 11 Auch das EU-Recht, insbesondere die Harmonisierung des Versicherungsaufsichtsrecht hat erheblichen Einfluss auf die rechtliche Behandlung von AVB. Das VAG 1901 sah in Deutschland eine behördliche Genehmigungspflicht für AVB vor.32 Diese präventive Vorabkontrolle wurde im Zuge der Umsetzung der sog. Dritten Richtliniengeneration33 mit Wirkung in Deutschland zum 27.7.1994 abgeschafft.34 Hintergrund und Ziel dieser Dritten Richtliniengeneration waren die Schaffung eines Versicherungsbinnenmarkts in Europa durch Harmonisierung des Versicherungsaufsichtsrechts.35 Die zur Durchsetzung dieser Ziele nötige Angleichung der nationalen Aufsichtsrechte erfolgte im Rahmen der „drei Richtlinien-Generationen“36 und wurde in den 1990er-Jahren mit Verabschiedung und Umsetzung der Dritten Richtliniengeneration37 vollendet. Die bedeutsamste Änderung in Bezug auf das materielle Versicherungsvertragsrecht und damit auch auf AVB stellt dabei die Deregulierung des Versicherungsmarktes und der damit einhergehende Wegfall der behördlichen Vorabgenehmigungspflicht für AVB und diesen zugrundliegenden Versicherungstarifen dar.38 Mit Umsetzung der dritten Richtlinie durch das dritte Durchführungsgesetz/ EWG zum VAG mit Wirkung zum 27.7.199439 sind AVB grundsätzlich nicht länger Bestandteil des 30 Für Rückversicherungen ggf. auch Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO, vgl. Bruck/Möller/Dörner9 Art. 4 Rom I-VO Rn. 8, 10– 12; vgl. weiter auch jurisPK-BGB/Junker8 Art. 7 Rom I-VO Rn. 31-33 zur analogen Anwendung von Art. 7 Abs. 3 Rom IVO. 31 Vgl. Staudinger/Hausmann (2016) Art. 10 Rom I-VO Rn. 80, 94; zu Rechtswahlklausen in AVB vgl. Beckmann/ Matusche-Beckmann/Roth3 § 4 Rn. 38. 32 Rauh Versicherungsverbände und Kartellrecht (2013) S. 61. 33 Art. 29 der RL 92/49/EWG des Rates v. 18.6.1992 ABl. EG 1992 Nr. L 228/1 (Dritte Richtlinie Schadenversicherung); Art. 29 der RL 92/96/EWG des Rates v. 10.11.1992 ABl. EG 1992 Nr. L 360/1 (Dritte Richtlinie Lebensversicherung). Diese Richtlinien sind in der Folgezeit aufgegangen und zusammengefasst durch die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 25.11.2009 ABl. EU 2009 Nr. L 335 („Solveny II“); dazu Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2 Rn. 88 ff. 34 Drittes Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) vom 21.7.1994, BGBl. I 1630. 35 Vertieft H.Müller Versicherungsbinnenmarkt (1995); Beckmann ZEuP 1999 809; Hübner/Matusche-Beckmann EuZW 1995 263, 264; Matusche-Beckmann ERPL 1996 201; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2. 36 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2 Rn. 18 ff.; Matusche-Beckmann ERPL 1996 201, 205. 37 RL 92/49/EWG des Rates v. 18.6.1992 ABl. EG 1992 Nr. L 228/1 (Dritte Richtlinie Schadenversicherung); RL 92/ 96/EWG des Rates v. 10.11.1992 ABl. EG 1992 Nr. L 360/1 (Dritte Richtlinie Lebensversicherung). Diese Richtlinien sind in der Folgezeit aufgegangen und zusammengefasst durch die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 25.11.2009 ABl. EU 2009 Nr. L 335; dazu Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2 Rn. 88 ff. 38 Statt aller Beckmann ZEuP 1999 812. 39 Drittes Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) vom 21.7.1994, BGBl. I 1630. Beckmann

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Zulassungsverfahrens und bedürfen, wie auch spätere Änderungen, keiner Genehmigung durch die zuständige Aufsichtsbehörde. Wie bereits zum Ausdruck gebracht (Rn. 8) hat der Wegfall der behördlichen Präventivkontrolle von AVB dazu geführt, dass primär eine zivilgerichtliche Kontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB (bis 31.12.2001 nach dem AGB-Gesetz) nunmehr ganz im Vordergrund steht; gleichwohl ist es rechtlich möglich, dass die Aufsichtsbehörde auf der Grundlage von § 298 VAG gegen die Verwendung unangemessener AVB vorgeht (dazu noch Rn. 25). Der Wegfall der Vorabkontrolle, die im Ergebnis zur Verwendung weitgehend standardisierter Versicherungsbedingungen geführt hatte, ermöglicht nunmehr ein vielfältigeres und individueller gestaltetes Angebotsspektrum. In einzelnen Versicherungsarten – etwa für die Berufsunfähigkeitsversicherung oder die D&O-Versicherung – hat dies tatsächlich zu unterschiedlichen Produktvarianten geführt.40 Folglich werden an den Versicherungskunden nunmehr höhere Anforderungen bei der Suche nach geeignetem Versicherungsschutz gestellt, weil er sich einer stetig wachsenden Angebotspalette gegenübersieht.41 Eine präventive Bedingungskontrolle und die grundsätzlich damit verbundene Richtigkeitsgewähr steht als Schutzmechanismus dabei nicht mehr zur Verfügung. Zur Kontrolle von AVB verbleibt es bei der (indes nachträglichen) behördlichen Missstandsaufsicht gem. § 298 VAG sowie der gerichtlichen Nachkontrolle anhand der AGB-rechtlichen Vorschriften.42

2. Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen gehört des Weiteren die Richtlinie 93/13/EWG über 12 missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.1993 (sog. Klauselrichtlinie).43 Zur Erreichung allgemeiner verbraucherschützender Ziele bedurfte es ausweislich der Erwägungsgründe der Richtlinie auch einer – zumindest teilweisen – gemeinschaftsweiten Harmonisierung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen.44 Klauseln in Versicherungsverträgen finden in Erwägungsgrund 19 Satz 3 der Richtlinie im Zusammenhang mit einem kontrollfreien Bereich ausdrücklich Erwähnung (dazu noch Rn. 22). Inhaltlicher Kern der Richtlinie sind Regelungen über die Inhaltskontrolle missbräuchlicher Klauseln gem. Art. 3, 4 sowie zum Transparenzgebot gem. Art 5. Neben den folgenden Ausführungen finden sich Bezugnahmen auf die Klauselrichtlinie noch im jeweiligen inhaltlichen Zusammenhang.

a) Anwendungsbereich und Schutzzweck . Gem. Art. 1 Abs. 1 RL 93/13/EWG gilt die Klausel- 13 richtlinie nur für Verbraucherverträge, also zwischen Gewerbetreibenden (Art. 2 lit. c) und Verbrauchern (Art. 2 lit. b). Im Hinblick auf das Versicherungsrecht findet die Klauselrichtlinie damit nur Anwendung auf Versicherungsverträge, die der VN nicht im Zusammenhang mit einer gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit, sondern in seiner Eigenschaft als Verbraucher ab-

Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 1. Kap. Rn. 213. Vgl. z. B. Matusche-Beckmann ERPL 1996 201, 204. Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 1. Kap. Rn. 217 f. Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl.EG 1993 Nr. L 95/29; zu deren Auswirkungen auf das Versicherungsvertragsrecht siehe auch Basedow/Schwark/Schwintowski/Brandner Auswirkungen der EU-Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln auf Versicherungsverträge 67 ff.; Hübner Auswirkungen der europarechtlich vorgegebenen Änderungen des AGB-Gesetzes und des Versicherungsaufsichtsrechts auf die richterliche Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in: Karlsruher Forum (1997) 43 ff.; Schmidt-Salzer EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, Inhaltskontrolle von AVB und Deregulierung der Versicherungsaufsicht, VersR 1995 1261 ff.; Sieg Die Bedeutung der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen für die AVB, VersR 1993 1305 ff. 44 Vgl. etwa Erwägungsgründe 6, 8, 12 der RL 93/13/EWG.

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schließt.45 Hierin liegt bereits ein wesentlicher Unterschied zum AGB-Recht gem. §§ 305 ff. BGB, das nicht nur bei Verbraucherverträgen Anwendung findet. 14 Durch diesen Unterschied im Hinblick auf den Anwendungsbereich kommen auch nicht übereinstimmende Schutzzwecke zwischen Klauselrichtlinie und den §§ 305 ff. BGB zum Ausdruck. Während das AGB-Recht bezweckt, die einseitige Ausnutzung der Vertragsgestaltungsfreiheit durch eine Vertragspartei zu verhindern,46 liegt das Ziel der Klauselrichtlinie vorrangig im Verbraucherschutz;47 nach der Rechtsprechung des EuGH beruht die Klauselrichtlinie auf dem Gedanken, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können.48 Trotz der nicht ganz übereinstimmenden Schutzzwecke geht es beiden Rahmenbedingungen gleichermaßen darum, den Vertragspartner, der praktisch keinen Einfluss auf die Vertragsgestaltung hat, vor den hiermit verbundenen Nachteilen zu schützen. 15 Im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie wird im Schrifttum – speziell das Versicherungswesen betreffend –vertreten, dass die Klauselrichtlinie nicht auf Satzungsbestimmungen von VVaG gegenüber Mitgliedern anzuwenden sei.49 Insoweit fehle es an einer gewerblichen bzw. beruflichen Tätigkeit des VVaG i. S. d. Art. 2 lit. c RL 93/13/EWG; im Vordergrund stehe eine auf dem Gegenseitigkeitsprinzip basierende Verknüpfung der Positionen von VN und VR. Dieser Sichtweise ist im Hinblick auf den Zweck der Richtlinie und des im Vordergrund stehenden Verbraucherschutzes indes nicht zu folgen. Der zuvor (s. Rn. 14) zum Ausdruck gebrachte Zweck der Klauselrichtlinie spricht auch für ihre Anwendbarkeit auf Satzungsbestimmungen eines VVaG (vgl. zur Einordnung von Satzungsbestimmungen eines VVaG auch noch Rn. 42).

16 b) Umsetzung in Deutschland. In Deutschland ist die Klauselrichtlinie, die bis zum 31.12.1994 in nationales Recht zu überführen war, mit Gesetz vom 19.7.1996,50 in Kraft getreten am 25.7.1996, umgesetzt worden. Neben einer Neufassung des damaligen § 12 AGBG a. F. zum zwischenstaatlichen Geltungsbereich wurde im Rahmen einer „Minimallösung“51 insbesondere eine Vorschrift für Verbraucherverträge (§ 24a AGBG a. F., heute § 310 Abs. 3 BGB) neu eingefügt. Danach gelten AGB gem. § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB als vom Unternehmer gestellt, es sei denn, dass sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden. Gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB finden wesentliche Vorschriften des AGB-Rechts (insbesondere § 305c Abs. 2 und die §§ 306 und 307 bis 309 BGB) auch auf vorformulierte Vertragsbedingungen Anwendung, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte.52 Zudem sind gem. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB im Rahmen der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen neben dem generell-abstrakten Maßstab des 45 Entsprechend dem Wortlaut von Art. 2 lit. b RL 93/13/EWG hat der EuGH die Beschränkung der Verbrauchereigenschaft i. S. d. Richtlinie auf natürliche Personen klargestellt EuGH 22.11.2001 – C 541/99, C-542/99, NJW 2002 205, 205 (Rn. 15). 46 BGH 30.6.1994 – VII ZR 116/93, BGHZ 126 326, 332 = NJW 1994 2825, 2826 (juris Rn. 23); BGH 1.3.2013 – V ZR 31/12, NJW-RR 2013 1028, 1029 (Rn. 17); BGH 27.1.2017 – V ZR 130/15, NJW 2017 1540, 1542 (Rn. 17); Ulmer/Brandner/ Hensen/Ulmer/Habersack12 Einleitung Rn. 48; vgl. aber auch BGH 10.10.2013 – VII ZR 19/12, NJW 2014 206, 208 (Rn. 27), wo auch auf „einen Schutz des schwächeren Vertragspartners und einen Ausgleich wirtschaftlichen Machtgefälles“ abgestellt wird. 47 Erman/Roloff15 Vorbemerkung vor § 305 Rn. 7. 48 Vgl. etwa EuGH 23.4.2015 – C-96/14, VersR 2015 605, 607 (Rn. 26); EuGH 3.4.2019 – C-266/18 (juris Rn. 27). 49 Langheid/Wandt/Bruns2 Vorbemerkung zu §§ 307 bis 309 BGB Rn. 18. 50 BGBl. 1996 I 1013. 51 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 Einleitung Rn. 92. 52 Vgl. die Vorgaben in Erwägungsgrund 12 und Art. 3 Abs. 2 RL 93/13/EWG. Beckmann

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§ 307 Abs. 1 BGB (= § 9 Abs. 1 AGBG a. F.) auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen.53 Letztlich waren die damaligen Änderungen des früheren seit dem 1.4.1977 geltenden AGBG jedoch gering, da das deutsche Recht bereits eine weitgehende Übereinstimmung mit den inhaltlichen Vorgaben der Richtlinie aufwies.54 Dies gilt insbesondere für die Missbrauchskontrolle gem. Art. 3 der Klauselrichtlinie. Das in Art. 5 der Klauselrichtlinie verankerte Transparenzgebot ist demgegenüber erst durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.200155 ausdrücklich in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kodifiziert worden, nachdem der EuGH eine Pflicht zur klaren und eindeutigen Richtlinienumsetzung zum Ausdruck gebracht hatte.56

c) Weitere Inhalte der Klauselrichtlinie und Bedeutung für die Inhaltskontrolle gem. 17 §§ 305 ff. BGB. Die Klauselrichtlinie erfasst gem. Art. 3 Abs. 1 „nicht im Einzelnen ausgehandelte“ Klauseln. Sie sind als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursachen. Vom Wortlaut unterscheidet sich damit die Missbrauchskontrolle nach der Klauselrichtlinie von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, auch wenn beide Regelungen auf das (die) Gebot(e) von Treu und Glauben abstellen. Unterschiedlich interpretiert wird, ob der unterschiedliche Wortlaut auch zu unterschiedlichen Kontrollmaßstäben führt. Mancherorts wird geäußert, die „unangemessene Benachteiligung“ sei im Vergleich zur Missbräuchlichkeit der strengere Maßstab,57 was anderseits auch bestritten wird.58 Indes kann nicht allein auf die beiden in § 307 Abs. 1 BGB und Art. 4 Abs. 1 RL 93/13/EWG verwendeten Begriffe abgestellt werden. Insbesondere die Konkretisierung der Unangemessenheit in § 307 Abs. 2 BGB lässt sich dafür ins Feld führen, dass die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB den strengeren Maßstab enthält. Letztlich hängt die Beantwortung dieser Frage aber auch von der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 RL 93/13/EWG durch den EuGH ab. Insoweit wird nicht ganz zu Unrecht geäußert, dass ein schärferer europäischer Schutzstandard durch die Rechtsprechung des EuGH jedenfalls möglich ist.59 Die Richtlinie enthält einen Anhang mit als Hinweis auf möglicherweise missbräuchliche 18 Klauseln dienenden Klauselbeispielen. Ausweislich von Erwägungsgrund 17 der RL 93/13/EWG kann die „Liste der Klauseln im Anhang für die Zwecke dieser Richtlinie nur Beispiele geben“; anders ist in demselben Erwägungsgrund von einem „Minimalcharakter“ die Rede, so dass durch die Mitgliedstaaten Ergänzungen oder restriktivere Formulierungen möglich seien. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass dem Richtlinienanhang unterschiedliche Bedeutung zugeschrieben wird. Nach Ansichten im Schrifttum entfalten die Klauselbeispiele eine Indizwirkung bzgl. der Unangemessenheit im Rahmen der Klauselkontrolle in Verbraucherverträgen.60 Eine Vermutungswirkung oder gar Verbindlichkeit wird man dem Klauselanhang indes nicht zuschreiben können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH. Dieser hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass der Anhang der Richtlinie lediglich eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln enthält, die für missbräuchlich erklärt werden können. Eine in der Liste aufgeführte Klausel sei nicht zwangsläufig

53 Art. 4 Abs. 1 RL 93/13/EWG. 54 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 356; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 16 f.; Erman/Roloff15 Vorbemerkung vor § 307 Rn. 7; v. Westpfahlen BB 1996 2101, 2105. 55 BGBl. 2001 I 3138. 56 EuGH 10.5.2001 – C-144/99, NJW 2001 2244, 2245 (Rn. 17); vgl. Erman/Roloff15 § 307 BGB Rn. 18. 57 Heinrichs NJW 1993 1817, 1819; Ulmer EuZW 1993 337, 345 f. 58 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 397; juris-BGB/Lapp/Salomon8 § 307 Rn. 15. 59 Langheid/Wandt/Bruns2 Vorbemerkung zu §§ 307 bis 309 BGB Rn. 31. 60 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 310 Rn. 94; MüKo-BGB/Wurmnest8 § 308 Rn. 12; Langheid/Wandt/ Bruns2 Vorbemerkung zu §§ 307 bis 309 BGB Rn. 34; zurückhaltender Palandt/Grüneberg78 § 310 Rn. 29. 169

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als missbräuchlich anzusehen und umgekehrt kann eine nicht darin aufgeführte Klausel gleichwohl für missbräuchlich erklärt werden.61 Den Gerichten der Mitgliedstaaten steht es folglich frei, eine Klausel auch dann als wirksam anzusehen, wenn sie gegen ein Verbot des Richtlinienanhangs verstößt, etwa weil sich deren Wirksamkeit unter Berücksichtigung des rechtlichen Umfelds des Vertrages bzw. der Klausel ergibt. 19 Ziel der Richtlinie ist eine Mindestharmonisierung. Ausweislich von Erwägungsgrund 12 und Art. 8 RL 93/13/EWG bleiben strengere Bestimmungen, die ein höheres Schutzniveau für den Verbraucher gewährleisten, daher möglich. Im Hinblick auf die Bedeutung der Klauselrichtlinie für eine Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB hat dies zunächst zur Folge, dass im Falle einer Entscheidung zugunsten des Verbrauchers – mithin wenn eine Kontrolle nach Maßgabe der §§ 307 ff. BGB zur Unwirksamkeit einer Vertragsklausel führt – eine Kollision mit dem Inhalt der Klauselrichtlinie und damit eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht kommt.62 Denkbar ist indes noch, dass eine Unwirksamkeitsentscheidung mit den Grundfreiheiten der EU in Konflikt gerät.63 20 Ergibt eine Klauselkontrolle ausschließlich nach Maßgabe der §§ 307 ff. BGB hingegen die Wirksamkeit der geprüften Vertragsbedingung, stellt sich die Frage der Richtlinienkonformität dieses Ergebnisses. Als Folge der Harmonisierung der AGB-rechtlichen Vorschriften im Wirkungsbereich der Richtlinie sind die §§ 305 ff. BGB jedenfalls richtlinienkonform auszulegen.64 Danach ist im Zweifel die Auslegung vorzuziehen, die der Richtlinie entspricht.65 Bei Zweifelsfragen kann aufgrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung der EuGH i. R. d. Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV angerufen werden.66 Dabei gilt jedoch zu beachten, dass der EuGH keine Feststellungen zur Missbräuchlichkeit von konkreten Vertragsklauseln treffen kann, d. h. ihm obliegt nicht die Anwendung von Gemeinschaftsrecht auf Einzelfälle.67 Die Aufgabe besteht vielmehr darin, die zur Definition des Begriffs der missbräuchlichen Klausel verwendeten allgemeinen Kriterien auszulegen.68 Die Kontrolle einer bestimmten Klausel erfordert die Prüfung und Beachtung der Umstände des Vertragsschlusses und der Folgen dieser Klausel im jeweiligen nationalen Rechtssystem.69 Diese Aufgabe obliegt den nationalen Gerichten.70 Allerdings hat der EuGH in einer früheren Entscheidung selbst die Missbräuchlichkeit einer konkreten Klausel festgestellt.71 Dies wurde später damit begründet, dass es sich um eine Klausel handelte, die ausschließlich und ohne Gegenleistung zugunsten des Verbrauchers für den Gewerbetreibenden vorteilhaft war, da sie unabhängig vom Vertragstyp die Wirksamkeit des gerichtlichen Schutzes der Rechte in Frage stellte, die die Richtlinie dem Verbrau61 EuGH 1.4.2004 – C-237/02, NJW 2004 1647, 1647 (Rn. 20); EuGH 7.5.2002 – C-478/99, EuZW 2002 465, 466 (Rn. 20); EuGH 19.9.2019 – C-34/18 (Rn. 45); ebenso MüKo-BGB/Basedow8 Vorbemerkung vor § 305 Rn. 24. 62 Heinrichs NJW 1996 1447, 1454; Staudinger/Mäsch (2019) Vorbemerkungen zu §§ 305 ff. Rn. 18. 63 Staudinger/Wendland (2019) Vorbemerkungen zu §§ 307-309 Rn. 23. 64 Siehe nur Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack 12 Einleitung Rn. 96 ff.; MüKo-BGB/Basedow8 Vorbem. zu § 305 Rn. 34 ff.; Erman/Roloff15 Vorbemerkung vor § 305 Rn. 8; Palandt/Grüneberg78 Einl. Rn. 43; Heinrichs NJW 1998 1447, 1454; ders. NJW 1996 2190, 2195; Schmidt-Salzer, VersR 1995 1261. 65 Siehe EuGH 16.12.1993 – C-334/92, NJW 1994 921, 922 (Rn. 20); EuGH 17.9.1997 – C-54/96, NJW 1997 3365, 3367 (Rn. 43); BGH 9.3.1993 – XI ZR 179/92, NJW 1993 1594, 1595 (juris Rn. 12); BGH 9.4.2002 – XI ZR 91/99, BGHZ 150 248, 252 f. = NJW 2002 1881, 1882 (juris Rn. 14). 66 Palandt/Grüneberg78 § 310 Rn. 23; MüKo-BGB/Basedow8 Vorbem. zu § 305 Rn. 43. 67 EuGH 4.6.2009 – C-243/08, NJW 2009 2367, 2369 (Rn. 42); EuGH 1.4.2004 – C-237/02, NJW 2004 1647, 1647 (Rn. 22); EuGH 9.11.2010 – C-137/08, EuZW 2011 27, 29 (Rn. 40 ff.); Staudinger/Mäsch (2019) Vorbemerkungen zu §§ 305 ff. Rn. 18 f.; Borges NJW 2001 2061, 2062; Nassall JZ 1995 689, 690; Dreher VersR 1995 1, 3. 68 EuGH 4.6.2009 – C-243/08, NJW 2009 2367, 2369 (Rn. 42); EuGH 1.4.2004 – C-237/02, NJW 2004 1647, 1647 (Rn. 22); EuGH 23.4.2015 – C-96/14, VersR 2015 605, 607 (Rn. 28); Palandt/Grüneberg78 § 310 Rn. 25 m.w.N; Staudinger/Mäsch (2019) Vorbemerkungen zu §§ 305 ff. Rn. 19 (auch zu den hiermit verbundenen Schwierigkeiten). 69 EuGH 1.4.2004 – C-237/02, NJW 2004 1647, 1647 (Rn. 21); EuGH 23.4.2015 – C-96/14, VersR 2015 605, 607 (Rn. 28). 70 EuGH 4.6.2009 – C-243/08, NJW 2009 2367, 2369 (Rn. 42 f.). 71 EuGH 27.6.2000 – C-240/98, NJW 2000 2571, 2572 (Rn. 24). Beckmann

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cher zuerkennt; daher habe die Missbräuchlichkeit dieser Klausel festgestellt werden können, ohne dass alle Umstände des Vertragsschlusses geprüft und die mit dieser Klausel verbundenen Vor- und Nachteile im Rahmen des auf den Vertrag anwendbaren nationalen Rechts gewürdigt werden mussten.72

d) Reichweite der Inhaltskontrolle und kontrollfreier Bereich. Daneben ist zu beachten, 21 dass nach Art. 4 Abs. 2 der RL 93/13/EWG Klauseln, die den Hauptgegenstand eines Vertrages oder das Preis-/Leistungsverhältnis der Dienstleistung beschreiben, nicht als missbräuchlich beurteilt werden dürfen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind. Mithin bestimmt diese Regelung einen kontrollfreien Bereich. Dies entspricht im Wesentlichen § 307 Abs. 3 BGB, auch wenn der kontrollfreie Bereich in Art. 4 Abs. 2 RL 93/13/EWG deutlicher beschrieben wird als in § 307 Abs. 3 BGB73 (vgl. hierzu Rn. 247). Gleichwohl besteht auch bei der Bestimmung des Hauptgegenstandes des Vertrages i. S. d. Art. 4 Abs. 2 der RL 93/13/EWG – speziell des Versicherungsvertrages – durchaus Interpretationsbedarf.74 Der im Schrifttum geäußerten generellen Kritik gegenüber einer eingeschränkten Bedeutung des kontrollfreien Bereichs im Versicherungswesen, da unter anderem Risikoausschlüsse und Obliegenheiten der Inhaltskontrolle unterlägen,75 kann indes nicht pauschal gefolgt werden. Vertragliche Obliegenheiten oder Risikoausschlüsse können den Versicherungsschutz ganz erheblich einschränken, so dass eine Inhaltskontrolle auch solcher Bestimmungen durchaus gerechtfertigt ist. Unabhängig hiervon haben sich zur Wirkung von Art. 4 Abs. 2 der RL 93/13/EWG und 22 insbesondere aufgrund des hiermit zusammenhängenden Erwägungsgrundes 19 der Klauselrichtlinie auf das nationale Recht unterschiedliche Auffassungen gebildet. So wurde aus dem – im Schrifttum als „widersprüchlich und unverständlich“ und deshalb „als Auslegungshilfe schlechterdings völlig ungeeignet“76 bezeichneten –Erwägungsgrund 19 Satz 3 („Daraus folgt unter anderem, daß bei Versicherungsverträgen die Klauseln, in denen das versicherte Risiko und die Verpflichtung des VR deutlich festgelegt oder abgegrenzt werden, nicht als missbräuchlich beurteilt werden, sofern diese Einschränkungen bei der Berechnung der vom Verbraucher gezahlten Prämie Berücksichtigung finden.“) geschlossen, dass Risikobeschränkungen (Einschränkungen) kontrollfrei wären und lediglich einer Transparenzkontrolle unterlägen, wenn solche Einschränkungen bei Berechnung der zu zahlenden Prämie Berücksichtigung gefunden hätten.77 Befeuert wurde diese Einschätzung durch eine Entscheidung des EuGH.78 So wurde aus dieser Entscheidung der Schluss gezogen, dass der kontrollfreie „Hauptgegenstand“ eines Versicherungsvertrags weiter zu fassen sei als bisher. So seien als Hauptleistungsgegenstand –  nach den Vorgaben des EuGH – alle Klauseln einzubeziehen, die das Leistungsversprechen des VR im Einzelnen festlegen. Dazu gehörten ganz unzweifelhaft die sogenannten primären und sekundären Leistungsbeschreibungen (also zunächst die eigentliche Definition des Versicherungsfalls [primär] und sodann dessen Einschränkungen durch Ausschlüsse [sekundär]).79 Hiergegen spricht indes, dass die Mitgliedstaaten selbst klare und verständliche Klauseln, die den Vertragshauptgegenstand betreffen, der vertraglich-inhaltlichen Missbrauchskontrolle unter-

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EuGH 1.4.2004 – C-237/02, NJW 2004 1647, 1647 (Rn. 23). Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 15. Langheid/Wandt/Bruns2 Vorbemerkung zu §§ 307 bis 309 BGB Rn. 20. Langheid/Wandt/Bruns2 Vorbemerkung zu §§ 307 bis 309 BGB Rn. 19. Langheid/Wandt/Bruns2 Vorbemerkung zu §§ 307 bis 309 BGB Rn. 23 („widersprüchlich und unverständlich“ und deshalb „als Auslegungshilfe schlechterdings völlig ungeeignet“). 77 So bereits Fausten VersR 1999 413, 417. 78 EuGH 23.4.2015 – C-96/14, VersR 2015 605. 79 Langheid VersR 2015 1071, 1074. 171

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werfen dürfen.80 (Prämienwirksame) Einschränkungen des Versicherungsschutzes unterliegen deshalb der vollen Inhaltskontrolle und nicht nur der Transparenzkontrolle.81 Zum Umfang und Schranken der Inhaltskontrolle vgl. im Übrigen noch Rn. 247 ff.

23 e) Frühere EU-Datenbank „CLAB“. Eine Liste von in der EU auf ihre Missbräuchlichkeit hin überprüften Allgemeinen Geschäftsbedingungen stellte die European Database on Case Law concerning Unfair Contractual Terms (CLAB Europa) online zur Verfügung;82 diese wurde seit 2001 nicht mehr aktualisiert83 und so dann aus Kostengründen bedauerlicherweise wieder eingestellt.84 Der genaue Einstellungszeitpunkt ist dabei nicht bekannt, der Link unter welchem die Datenbank abrufbar war85 funktionierte irgendwann einfach nicht mehr.

III. Versicherungsaufsicht 24 Bis zum Inkrafttreten des 3. Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG am 29.7.199486 mit dem Ziel der Deregulierung des Versicherungsrechts zur Schaffung eines europäischen Versicherungsmarktes unterlagen AVB als Teil des Geschäftsplans der Genehmigung des damaligen Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen (jetzt Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin). Eine solche präventive Bedingungskontrolle87 durch die Versicherungsaufsicht besteht seit diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht mehr (vgl. bereits oben Rn. 11). Ausnahmen gelten für Sterbekassen; so gilt gem. § 219 Abs. 3 Nr. 1 VAG für Sterbekassen die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Nr. 2 VAG mit der Maßgabe, dass zusätzlich unter anderem die AVB miteinzureichen sind. Die AVB von Sterbekassen unterliegen deshalb der Genehmigungsbedürftigkeit.88 Entsprechendes gilt für Pensionskassen gem. § 234 Abs. 2 Satz 1 VAG; eine Vorabkontrolle der AVB erfolgt indes nur bei regulierten Pensionskassen, was mittelbar aus den §§ 233 Abs. 3 Satz 1, 219 Abs. 3 Nr. 1 sowie § 234 Abs. 2 Satz 2 VAG folgt, wonach die Vorschrift über die Genehmigungspflicht von Geschäftsplänen mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass die Genehmigungspflicht nicht für die AVB gilt.89 Die für die Pflichtversicherung und die substitutive Krankenversicherung bestehende Vorlagepflicht nach § 9 Abs. 4 Nr. 4 bzw. § 9 Abs. 4 Nr. 5 lit. b VAG hinsichtlich der zur Verwendung beabsichtigten AVB lässt diese hingegen nicht zum Bestandteil des Geschäftsplans werden, so dass auch in diesem Bereich ein Genehmigungserfordernis nicht besteht.90 Die Inhaltskontrolle von AVB ist damit in erster Linie zivilrechtlich im Rahmen des AGB-Rechts gem. §§ 305 ff. BGB ausgerichtet.

80 So zu Recht Koch EuZW 2015 520 unter Hinweis auf EuGH 3.6.2010 – C-484/08, NJW 2010 2265, 2267 (Rn. 44); ebenso Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 105 unter Hinweis auf Art. 8 RL 93/13/EWG. 81 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 105 unter Hinweis auf BGH 22.11.2000 – IV ZR 235/99, VersR 2001 184, 185 f. (juris Rn. 20); BGH 15.2.2006 – IV ZR 192/04, VersR 2006 641, 642 (Rn. 10 f.); OLG Köln 17.7.2001 – 9 U 3/ 01, VersR 2002 182, 182 f. (juris Rn. 10); Römer Festschrift 50 Jahre BGH (2000) 375, 382; ebenso Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 57. 82 Hierzu Micklitz/Radeideh CLAB Europa – Die europäische Datenbank missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen, ZEuP 2003 85. 83 Nebbia Unfair Contract Terms in European Law: A Study in Comparative and EC Law (2007) S. 2. 84 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 Einleitung Rn. 92; MüKo-BGB/Basedow8 Vorbemerkung vor § 305 Fn. 59. 85 Ehemals abrufbar unter: http://europa.eu.int/clab/index.htm. 86 Gesetz vom 21.7.1994 BGBl. I 1630. 87 BVerwG 25.6.1998 – 1 A 6/96, BVerwGE 107 101, 105 = VersR 1998 1137, 1138 (juris Rn. 34). 88 Brand/Baroch Castellvi/Waldkirch § 219 Rn. 8. 89 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Schäfers6 § 234 Rn. 14; vgl. auch Prölss/Dreher/Weigel13 § 234 Rn. 12 f. 90 Brand/Baroch Castellvi/Brand § 9 Rn. 60, 65. Beckmann

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Unabhängig von der zivilgerichtlichen Kontrolle kann die Aufsichtsbehörde allerdings nach 25 wie vor gegen unwirksame Bestimmungen in AVB im Rahmen der nachträglichen Missstandsaufsicht nach § 298 Abs. 1 VAG vorgehen und ggf. die Verwendung von AVB untersagen.91 Gem. § 294 Abs. 2 Satz 2 VAG achtet die Aufsichtsbehörde auch auf die Einhaltung der Gesetze, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten. § 294 Abs. 3 Satz 1 VAG konkretisiert dies insoweit, als dass zum Gegenstand der rechtlichen Aufsicht die ordnungsgemäße Durchführung des Geschäftsbetriebs einschließlich der Einhaltung der aufsichtsrechtlichen, der das Versicherungsverhältnis betreffenden und aller sonstigen die Versicherten betreffenden Vorschriften sowie der rechtlichen Grundlagen des Geschäftsplans gehört. Zu den Gesetzen i. S. d. Abs. 2 Satz 2 bzw. zu den Vorschriften i. S. d. Abs. 3 Satz 1 gehören auch AGB-rechtliche Regelungen des BGB.92 Europarechtliche Erwägungen stehen einer nachträglichen Kontrolle in diesem Umfang nicht entgegen.93 Aus den entsprechenden Versicherungs-Richtlinien (heute Art. 21 Abs. 1 RL 2009/138/EG, Solvency II-Richtlinie) ergibt sich lediglich ein grundsätzliches Verbot der vorherigen aufsichtsbehördlichen AGB-Kontrolle im Zulassungsverfahren. Anlassbezogene nachträgliche Kontrollen im Zuge der laufenden Aufsicht werden dadurch nicht ausgeschlossen. An der Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität der allgemeinen Missstandsauf- 26 sicht gem. § 298 Abs. 1 VAG sowie den Maßstäben des § 294 Abs. 2 Satz 2 VAG (§ 81 Abs. 1 Satz 2 VAG a. F.) „zur ausreichenden Wahrung der Belange der Versicherten“ sind im Schrifttum Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht geäußert worden.94 So wird etwa vorgebracht, der BaFin werde die Ausfüllung des Missstandsbegriffes i. S. d. § 298 Abs. 1 VAG ohne abschließende gesetzliche Vorgabe übertragen.95 Im Zusammenhang mit den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist nicht der Raum dieser Frage näher nachzugehen. Indes kann es kaum Zweifel daran geben, dass auch die Aufsichtsbehörde gegen VR, die unangemessene AVB verwenden, grundsätzlich vorgehen können muss. Die entscheidende Frage ist insbesondere, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Situationen ein aufsichtsrechtliches Vorgehen angezeigt ist. Das Verhältnis aufsichtsrechtlicher Maßnahmen und zivilgerichtlicher Inhaltskont- 27 rolle ist geprägt durch ein grundsätzliches Nebeneinander.96 Die Aufsichtsbehörde kann auch dann von ihren Aufsichtsbefugnissen Gebrauch machen, wenn gegen die Verwendung bestimmter Klauseln zivilrechtliche Schritte von dritter Seite bisher nicht unternommen worden sind.

91 Brand/Baroch Castellvi/Brand § 294 Rn. 11; BVerwG 25.6.1998 – 1 A 6/96, BVerwGE 107 101, 106 f. = VersR 1998 1137, 1138 (juris Rn. 39) (noch zu § 81 VAG a. F.).

92 Gesetzesbegründung BRDrucks. 23/94 S. 244; BVerwG 25.6.1998 – 1 A 6/96, BVerwGE 107 101, 103 = VersR 1998 1137, 1138 (juris Rn. 26); Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr6 § 294 Rn. 33; Beckmann NVersZ 1998, 19; Groepper NVersZ 1998 103, 105; S. Hoffmann Verbraucherschutz im deutschen Privatversicherungsrecht nach dem Wegfall der Vorabkontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen 247 ff.; Miersch Versicherungsaufsicht nach den Dritten Richtlinien (1996) 94 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/ders. § 10 Rn. 53; Prölss/Martin/Prölss28 Vorbem. I Rn. 8, 19 f. 93 So auch, wenngleich grds. kritisch Prölss/Dreher/Dreher13 VAG § 294 Rn. 33; noch zu § 81 VAG a. F.: Berliner Kommentar/Schwintowski Vorbem. §§ 159–178 Rn. 37; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 53; Präve NVersZ 1998 49, 53; Hohlfeld Auswirkungen der Deregulierung aus aufsichtsbehördlicher Sicht (1996) 29 f.; ders. Was bleibt von der materiellen Versicherungsaufsicht nach Vollendung des Binnenmarktes? (1992) 13 f.; Korinek Rechtsaufsicht über Versicherungsunternehmen (2000) 107 f.; a. A. etwa Eberhard Die Missbrauchsaufsicht des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (1997) 177; Römer Der Prüfungsmaßstab bei der Missstandsaufsicht nach § 81 VAG und der AVB-Kontrolle nach § 9 AGBG 16 ff. 94 Prölss/Dreher/Dreher13 § 294 Rn. 18 ff., § 298 Rn. 39 ff., 56; noch zu § 81 Abs. 1 S. 2 VAG a. F. Dreher Die Konkretisierung der Missstandsaufsicht nach § 81 VAG (1997) 7 ff.; ders. VersR 1993 1443, 1452; Römer Der Prüfungsmaßstab bei der Missstandsaufsicht nach § 81 VAG und der AVB-Kontrolle nach § 9 AGBG 7; Vespermann/Niewerth VersR 1996 1186, 1191. 95 Prölss/Dreher/Dreher13 VAG, § 298 Rn. 28 ff.; Dreher WM 1995 509 ff. 96 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 56; für generelle Subsidiarität aufsichtsbehördlicher Tätigkeit etwa Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr6 § 294 Rn. 23; Winter VersR 2000 1453, 1463. 173

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Anordnungen nach § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG dürfen nicht nur zur Beseitigung, sondern auch zur Vermeidung von Missständen ergehen. Die Aufsichtsbehörde kann daher auch bei „ungeklärten Klauseln“ eingreifen; eines vorherigen Zivilverfahrens und einer vorherigen Missbilligung der Klausel durch die Zivilgerichte bedarf es nicht.97 Die Kontrolle der AVB i. R. d. Versicherungsaufsicht ist ebenso notwendig und unabdingbar wie der zivilgerichtliche Rechtsschutz; beide Kontrollverfahren sind von unterschiedlichen Intentionen geleitet. Während die Aufsichtsbehörde gemäß § 294 Abs. 8 VAG die ihr zugewiesenen Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt, zielt die zivilgerichtliche Überprüfung der AVB auf die Gewährung von Individualrechtsschutz.98 Eine völlige Beziehungslosigkeit besteht gleichwohl nicht.99 So ist die Aufsichtsbehörde, der zur Abwehr benachteiligender Versicherungsbedingungen nach § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG die Möglichkeit der Untersagungsverfügung gegeben ist, im Rahmen von Verbandsklageverfahren nach §§ 1, 3 UKlaG von dem entscheidenden Zivilgericht zu hören (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG). Neben der Verzahnung von behördlichem und gerichtlichem Verbraucherschutz dient das Anhörungsrecht vor allem der Einbringung der besonderen Sachkenntnis der Aufsichtsbehörde in das Zivilverfahren.100

IV. Kartellrecht 28 Auch das Kartellrecht kann neben Fragen etwa im Bereich der Kooperation von VR insbesondere auch bei der Erstellung von Statistiken, Unfallforschung, der Mitversicherung u. ä. auch im Hinblick auf die Empfehlung gleichförmiger AVB durch Musterbedingungen (dazu Rn. 31) sowie die Festsetzung von Versicherungsbedingungen durch marktbeherrschende VU (dazu Rn. 37) Bedeutung erlangen. Im Zuge der im Jahre 2005 in Kraft getretenen 7. GWB-Novelle101 wurde das nationale Kar29 tellrecht des GWB weitreichend in Einklang mit den wettbewerbsrechtlichen Regelungen des AEUV gebracht.102 Entsprechender Anpassungsbedarf ergab sich zuvor als Folge der EGKartellverordnung 1/2003.103 Seitdem enthält § 1 GWB ein allgemeines Kartellverbot, indem er nicht mehr nur horizontale, sondern auch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen erfasst und entspricht damit Art. 101 Abs. 1 AEUV. Die vorigen Freistellungstatbestände (§§ 2-8 GWB a. F.) sind einer Generalklausel (§ 2 Abs. 1 GWB) gewichen, die sich an Art. 101 Abs. 3 AEUV orientiert.104 Eine „dynamische“ Verweisung105 auf die auf Grundlage von Art. 101 Abs. 3 AEUV erlassenen EG-Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) enthält § 2 Abs. 2 GWB, wenngleich die maßgebliche Verordnung für das Versicherungswesen zum 31.3.2017 ausgelaufen ist (dazu Rn. 32). Neben Sachverhalten, die den zwischenstaatlichen Handel betreffen,106 gelten die Freistellungstatbestände – insbesondere die europäischen Gruppenfreistellungsverordnungen – gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 GWB auch für Inlandssachverhalte.107 Durch die Angleichung der Rege97 BVerwG 25.6.1998 – 1 A 6/96, BVerwGE 107 101, 106 f. = VersR 1998 1137, 1138 (juris Rn. 39); Halm/Engelbrecht/ Krahe/Wandt6 1. Kap. Rn. 218.

98 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 50, 51. 99 Siehe bereits Rn. 8, 25. 100 Siehe Ulmer/Brandner/Hensen/Witt12 § 8 UKlaG Rn. 9 f. 101 BGBl. 2005 I 1954; Bekanntmachung der GWB-Neufassung, BGBl. 2005 I 2144. 102 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vorbem. v. § 307 Rn. 83. 103 VO Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG Nr. L 1 v. 4.1.2003 S. 1; vgl. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann GWB2 § 2 Rn. 1. 104 Kahlenberg/Haellmigk BB 2005 1509, 1510. 105 Bechtold/Buntscheck NJW 2005 2966, 2967. 106 Für die sich die Anwendung der GVO bereits aus Art. 3 Abs. 2 der VO 1/2003 ergibt. 107 Görner ZVersWiss 2005 739, 740 f.; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vorbem. v. § 307 Rn. 83; Kahlenberg WuW 1994 985, 987. Beckmann

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lungen entfällt die Gefahr einer abweichenden Beurteilung von Unternehmensabsprachen aufgrund nationalen Kartellrechts.108 Eine Befreiung vom Kartellverbot gem. Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB tritt kraft Gesetzes ein, wenn die Tatbestände nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB erfüllt sind; eine präventive behördliche Kontrolle erfolgt nicht.109 Unternehmen finden sich daher außerhalb des Anwendungsbereichs einer GVO in der unkomfortablen Situation wieder, die kartellrechtliche Zulässigkeit ihrer Absprachen und Empfehlungen selbst bewerten zu müssen (zu den Rechtsfolgen kartellrechtswidriger Absprachen s. Rn. 36).110 Eine Sonderregelung für den Bereich der Versicherungswirtschaft enthält das GWB durch Streichung des § 29 a. F. seit 2005 nicht mehr.111 Ein spezielles Freistellungsverfahren für von Versicherungsverbänden erarbeitete und empfohlene Musterbedingungen besteht nicht. Somit ist zu prüfen, ob eine solche Empfehlung vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB erfasst wird. Ist dies der Fall, bestimmt sich deren Freistellungsfähigkeit grundsätzlich nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB. Bis zu ihrem Auslaufen am 31.3.2010 war zunächst die Gruppenfreistellungsverordnung für den Versicherungssektor (GVO Nr. 358/2003) maßgebend.112 Nach dem zuvor geltenden Art. 1c i. V. m. Art. 5 GVO Nr. 358/2003 und den dort genannten Voraussetzungen war die Erstellung von Muster-AVB vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen aus Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB ausgenommen.113 Eine neue Gruppenfreistellungsverordnung für den Versicherungssektor (GVO Nr. 267/2010) ist am 1.4.2010 in Kraft getreten.114 Eine Verlängerung auch der neuen Freistellungsverordnung lehnte die Kommission zwischenzeitlich ab,115 sodass diese gemäß ihres Art. 9 zum 31.3.2017 ausgelaufen ist. Die GVO Nr. 267/ 2010 enthielt indes bereits keine Regelung über Muster-AVB mehr. Die Begründung der Kommission hierfür116 blieb nicht unbeanstandet,117 gleichwohl wurde zeitlich bereits nach der GVO Nr. 358/2003 der Weg für die Anwendung des Kartellrechts auch auf gemeinsam erarbeitete Vertragsbedingungsvorschläge grundsätzlich frei. Gleichwohl ist im Ergebnis keine gravierende Änderung kartellrechtlicher Bewertungen eingetreten.118 Die Kommission vertrat bereits im Vorfeld die Ansicht, dass Musterbedingungen 108 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vorbem. v. § 307 Rn. 83. 109 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vorbem. v. § 307 Rn. 84; Immenga/Mestmäcker/Fuchs GWB5 § 2 Rn. 3. 110 Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 9; Ulmer/ Brandner/Hensen/Fuchs1 Vorbem. v. § 307 Rn. 84 f. 111 Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 3 Rn. 2. 112 VO Nr. 358/2003 der Kommission vom 27.2.2003 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. EG Nr. L 53 v. 28.2.2003 S. 8; zur Entstehungsgeschichte Brinker/Schädle VersR 2003 1475. 113 Zur Rechtslage unter Geltung der VO Nr. 358/2003 vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann2 § 10 Rn. 23 ff. 114 Verordnung (EU) Nr. 267/2010 der Kommission vom 24.3.2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor ABl. EU L 83 vom 30.3.2010 S. 1; dazu etwa v. Hülsen/Manderfeld VersR 2010 559; vgl. zum Inhalt auch Dauses/Ludwigs/Beckmann (2015) E. VI. Rn. 355 ff. 115 Vgl. hierzu den vorbereitenden Abschlussbericht der Kommission: Report from the Commission to the European Parliament and the Council on the functioning of Commission Regulation (EU) No 267/2010 on the application of Article 101 (3) of the Treaty on the functioning of the European Union to certain categories of agreements, decisions and concerted practices in the insurance sector, COM (2016) 153 final. 116 Mitteilung der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. EU 2010 Nr. C 82 v. 30.3.2019 S. 20, Rn. 21 f. 117 Zu den einzelnen Argumenten s. Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 10, 11. 118 v. Hülsen/Manderfeld VersR 2010 559, 566; ausführlich zu der seit 2010 geltenden Rechtslage Pohlmann WuW 2010 1106. 175

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häufig schon keine Beschränkung des Wettbewerbs bewirken und daher in der Regel nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst würden, sofern sie keine der in der GVO Nr. 358/2003 a. F. aufgeführten „schwarzen“ Klauseln enthalten.119 Zur Erleichterung der Anwendung des Kartellrechts hat die Kommission sodann Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit120 erlassen. Wie schon früher wird in diesen Leitlinien (dort Rn. 301) insbesondere darauf abgestellt, dass die Wettbewerber an der Erstellung der Bedingungen zu beteiligen sind und es sich um nicht verbindliche Vorschläge und uneingeschränkt zugängliche Standardbedingungen handelt; dann sei nicht damit zu rechnen, dass derartige Vereinbarungen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben. Gleichwohl könnten Standardbedingungen zu wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV führen.121 Im Schrifttum wird der Standpunkt vertreten, dass die in Art. 6 der GVO Nr. 358/2003 a. F. aufgeführte Liste sog. schwarzer Klauseln insoweit weiterhin eine Orientierungshilfe darstellt.122 Selbst wenn indes eine nach Art. 101 AEUV wettbewerbsbeschränkende Absprache vorliegt, bleibt gerade für Muster-AVB im Einzelfall zu prüfen, ob für diese nicht eine Freistellungsmöglichkeit nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB anzunehmen ist; die Kommission hielt positive wirtschaftliche Effekte durch Musterbedingungen (in einer unverbindlichen Erklärung) jedenfalls für wahrscheinlich, soweit es sich um eine unter Geltung der GVO Nr. 358/2003 zulässige Kooperation handelt.123 Besonderheiten birgt die Erstellung von Muster-AVB insoweit, als dass die einmal koopera34 tiv erstellten bzw. empfohlenen AVB über längere Zeiträume hinweg Verwendung durch unterschiedliche VR finden können. Insoweit ist denkbar, dass die Zusammenarbeit zum Zeitpunkt der Erstellung dem Kartellverbot (etwa wegen der zeitlichen Geltung der GVO Nr. 358/2003) nicht unterfiel, das Ergebnis in Gestalt der Verwendung der Muster-AVB (bzw. einzelner Klauseln) indes nach aktueller Rechtslage dem Verbot unterliegt.124 Ob und in welchem Umfang die weitere Verwendung der belasteten AVB möglich oder einzustellen ist, bedarf einer sorgfältigen Prüfung. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erlangt eine funktionierende Kartellrechtscompliance zunehmend Bedeutung auch für VR.125 35 Zu beachten bleibt, dass aus der Vereinbarkeit mit dem AGB-Recht nicht auf kartellrechtliche Unbedenklichkeit geschlossen werden kann und umgekehrt aus der Vereinbarkeit der Bedingungen mit Kartellrecht nicht eine Vereinbarkeit mit AGB-Recht folgt (zu Zusammenhängen bei Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Rn. 37 f.).126 36 Als Rechtsfolge bei Verletzung von kartellrechtlichen Bestimmungen durch die gemeinsame Erstellung von Muster-AVB drohen etwa Sanktionen seitens der zuständigen Behörden 119 Report from the Commission to the European Parliament and the Council on the functioning of Commission Regulation (EC) No 358/2003 on the application of article 81(3) of the Treaty to certain categories of agreements, decisions and concerted practices in the insurance sector, SEC (2009) 364 Rn. 86 f. 120 ABl. EU 2011 Nr. C 11 v. 14.1.2011; dazu Pohlmann WuW 2010 1106; Auf’mkolk WuW 2011 699. 121 Rn. 303 ff. der Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit; übersichtlich zu möglichen Problemfeldern Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 17-36. 122 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 365; Pohlmann WuW 2011 1106, 1110; vgl. bereits Report from the Commission to the European Parliament and the Council on the functioning of Commission Regulation (EC) No 358/2003 on the application of Article 81 (3) of the Treaty to certain categories of agreements, decisions and concerted practices in the insurance sector, SEC (2009) 364 Rn. 86 f. Zur früheren Rechtslage vgl. Vorauflage (2. Aufl. 2009) Rn. 25 ff. 123 Ausführlich Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 37 ff; Langheid/Wandt/Dreher/Hoffmann2 160. Versicherungskartellrecht Rn. 109; vgl. Commission staff working document SEC (2009) 364 accompanying the report from the Commission to the European Parliament and the Council on the functioning of Commission Regulation (EC) No 358/2003 on the application of Article 81(3) of the Treaty to certain categories of agreements, decisions and concerted practices in the insurance sector Rn. 81. 124 Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 55. 125 Langheid/Wandt/Dreher/Hoffmann2 160. Versicherungskartellrecht Rn. 128. 126 Stoffels AGB-Recht3 Rn. 410. Beckmann

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(„Konditionenkartell“), eine jedenfalls zu erwägende Unwirksamkeit etwaiger Vereinbarungen (Art. 101 Abs. 2 AEUV, §§ 134, 139 BGB) und Schadensersatz- bzw. Unterlassungsansprüche (§§ 33a, 33 GWB).127 Im Zusammenhang mit der Frage nach der Wirksamkeit von Vereinbarungen ist hervorzuheben, dass der gemeinsamen Erarbeitung und Empfehlung von Musterbedingungen typischerweise ohnehin keine Verbindlichkeit innewohnt;128 von vorrangigem Interesse ist daher die Frage, welche Konsequenzen sich aus der Verwendung kartellrechtswidrig erstellter/empfohlener Muster-AVB für das Verhältnis zu den Versicherten ergeben. Überwiegend anerkannt ist für die insoweit maßgeblichen nationalen Vorschriften (insb. § 134 BGB), dass Folgeverträge – anders als Ausführungsverträge – nicht von der Nichtigkeitsfolge erfasst werden.129 Ob dieser allgemeine Grundsatz (von welchem im Einzelfall bereits Ausnahmen zugelassen werden)130 auch auf die Verwendung kartellrechtswidrig entstandener AVB gegenüber Verbrauchern zu übertragen ist, bleibt im Einzelfall diskutabel.131 Jedenfalls aber verbleiben weitere mögliche Nichtigkeitsgründe, wie etwa die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§§ 142 Abs. 1, 123 BGB).132 Hinzuweisen sei schließlich darauf, dass unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 1, 2 37 Nrn. 2 und 3 GWB (ggf. auch Art. 102 AEUV) die Verwendung von AVB durch ein marktbeherrschendes133 bzw. mehrere marktbeherrschende Unternehmen unzulässig sein kann.134 Im Verhältnis zum beschriebenen Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV spielt der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Versicherungsrecht allgemein zwar typischerweise in Ermangelung derart weitreichender Marktmacht bei der Erstversicherung eine eher untergeordnete Rolle,135 darf indes für die gemeinsame Erstellung von AVB nicht unberücksichtigt bleiben. Kartellbehördliche Eingriffsmöglichkeiten ergeben sich dann aufgrund von § 32 GWB. Erforderlich ist ein missbräuchliches Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung im Rahmen der Bedingungsgestaltung: Konkret liegt ein Missbrauch gem. § 19 Abs. 2 GWB insbesondere grundsätzlich vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen – Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden (Nr. 2) oder – ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, als sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern ohne sachliche Rechtfertigung fordert (Nr. 3). 127 Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 9; Ulmer/ Brandner/Hensen/Fuchs12 Vorbem. v. § 307 Rn. 84 f; Langheid/Wandt/Dreher/Hoffmann2 160. Versicherungskartellrecht Rn. 123-126. 128 Hierzu, so wie zu der Frage eines womöglich vorangehenden Verbandsbeschlusses (z. B. der GDV) Dreher/ Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 56. 129 BGH 4.5.1956 – I ZR 194/54, NJW 1956 1201, 1201; Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder/Roth Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht (93. EL. April 2019) Vorbemerkungen zu den §§ 33–33h GWB Rn. 44; Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder/Roth/Ackermann Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht (93. EL. April 2019) § 1 GWB Rn. 119; differenzierender hierzu aber Beckmann Nichtigkeit und Personenschutz (1998) S. 369 ff. 130 Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder/Roth Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht (93. EL. April 2019) Vorbemerkungen zu den §§ 33–33h GWB Rn. 44, 45; vgl. K. Schmidt FS Möschel (2011) S. 563 f. 131 Für eine unbedingte Wirksamkeit der Folgeverträge Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 56; allgemein gegen eine derivative Kartellnichtigkeit, aber für eine selbstständige Bemessung von Vertikalbindungen am Kartellverbot K. Schmidt FS Möschel (2011) 559, 568 ff. 132 In den Voraussetzungen str., vgl. Ackermann FS Canaris (2017) 1057, 1073; Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder/ Roth/Ackermann Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht (93. EL. April 2019) § 1 GWB Rn. 120. 133 Zur Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung vgl. Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 14. 134 Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 9 Rn. 4, § 15. 135 Dauses/Ludwigs/Beckmann (2015) E. VI. Rn. 370; Dreher/Hoffmann/Kling2 Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen § 15 Rn. 4. 177

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38 Aufgrund der Wettbewerbsorientierung der Missbrauchsaufsicht nach dem GWB findet dabei jedoch keine allgemeine Verhaltenskontrolle im Sinne eines umfassenden Verbraucherschutzes vor benachteiligenden Vertragsklauseln statt; dies ist nicht Ziel der kartellbehördlichen Arbeit.136 Die Rechtsprechung stellt im Rahmen der Missbrauchsaufsicht grundsätzlich auf ein Vergleichsmarktkonzept ab; bei der Prüfung, ob bestimmte Geschäftsbedingungen und bestimmte Verhaltensweisen als missbräuchlich zu werten sind, ist bei der Anwendung des Vergleichsmarktkonzepts eine „Gesamtbetrachtung des Leistungsbündels“ geboten.137 Wegen der dabei auftretenden Schwierigkeiten werden im Schrifttum andere Kriterien vorgeschlagen. Heranziehen lässt sich als Beurteilungsmaßstab danach die einseitig belastende Abweichung von den Gerechtigkeitsvorstellungen, wie sie dem dispositiven Recht zugrunde liegen; Anhaltspunkte dafür gäben namentlich die §§ 305 ff. BGB.138 Diesem Ansatz ist die Rechtsprechung insoweit gefolgt, als dass bei der Prüfung des Tatbestands von § 19 Abs. 1 GWB die gesetzliche Wertentscheidung, die der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB zu Grunde liegt, berücksichtigt wird.139 Ein zwingender Rückschluss auf den wettbewerbsrechtlichen Missbrauchstatbestand ergibt sich aus der Wertung des § 307 BGB hiernach allerdings nicht unmittelbar; ein solcher Rückschluss ist indes dann möglich, wenn die Vereinbarung der unwirksamen Klausel gerade Ausdruck der großen Marktmacht des Vertragspartners ist.140 Hält die Kartellbehörde eine von ihr geprüfte Vertragsklausel für wirksam, hat dies jedoch keinen Einfluss auf die gerichtliche „Expost“-Kontrolle. Die Entscheidung der Verwaltungsbehörde begründet nicht einmal ein Indiz hinsichtlich einer Vereinbarkeit der AGB mit den §§ 307 ff. BGB.141

C. Begriff der AGB bzw. der AVB (§ 305 Abs. 1 BGB) I. Vertragsbedingungen 1. Grundsätze 39 Der Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) wird in § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB definiert. Danach sind AGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt (zu den Ausnahmen bei Verbraucherverträgen gem. § 310 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 BGB vgl. noch Rn. 63 bzw. 61). Neben dieser Begriffsbestimmung erfolgt gem. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB eine Abgrenzung von AGB gegenüber individuell ausgehandelten Vertragsbestandteilen. Darüber hinaus besteht die Funktion des § 305 Abs. 1 BGB darin, den Anwendungsbereich der

136 Schultz VW 1994 1597, 1599. 137 BGH 6.11.1984 – KVR 13/83, NJW 1986 846, 847 (juris Rn. 23); OLG Frankfurt a. M. 20.12.2018 – 11 U 95/13 Kart, NZKart 2019 228, 229 (juris Rn. 102); OLG Düsseldorf 14.3.2018 – VI-U (Kart) 7/16 (juris Rn. 304); Immenga/Mestmäcker/Fuchs/Möschel GWB5 § 19 Rn. 254 ff. m. w. N. 138 Immenga/Mestmäcker/Fuchs/Möschel GWB5 § 19 Rn. 254 ff. m. w. N.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 36; vgl. Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 Einleitung BGB Rn. 78; offen gelassen durch BGH 6.11.1984 – KVR 13/83, NJW 1986 846, 848 (juris Rn. 31). 139 BGH 6.11.2013 – KZR 58/11, BGHZ 199 1, 14 = VersR 2014 759, 765 (Rn. 65) („VBL-Gegenwert I“); vgl. hierzu auch Immenga/Mestmäcker/Fuchs/Möschel GWB5 § 19 Rn. 86, die hierin ein Abrücken von der beschriebenen Gesamtbetrachtung sehen; kein Abrücken sehen in der Entscheidung indes Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 Einleitung BGB Rn. 78. 140 Hervorgehoben durch BGH 24.1.2017 – KZR 47/14, VersR 2017 775, 777 (Rn. 35) („VBL-Gegenwert II“); vgl. hierzu Anm. Thomas LMK 2017 392671. 141 OLG Hamm 24.9.1980 – 20 U 143/80, ZIP 1980 1102, 1103 f.; Palandt/Grüneberg78 Überbl. vor § 305 Rn. 20; differenzierend Stoffels AGB-Recht3 Rn. 411; vgl. auch Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 Einleitung BGB Rn. 76 f. Beckmann

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§§ 305–310 BGB festzulegen.142 Nach der Begriffsbestimmung des § 305 Abs. 1 BGB richtet sich zugleich die Anwendbarkeit des Unterlassungsklagengesetz (UKlaG).143 Der Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingung setzt gem. § 305 Abs. 1 Satz 1 eine Vertrags- 40 bedingung, d. h. eine Erklärung des Verwenders, die den Vertragsinhalt regeln soll, voraus;144 sie müssen auf die Regelung des Inhalts von Verträgen abzielen.145 Solche allgemeinen (verbindlichen) Vertragsbedingungen sind von (unverbindlichen) Bitten, Empfehlungen oder tatsächlichen Hinweisen abzugrenzen; für die Unterscheidung ist auf den Empfängerhorizont abzustellen. Eine Vertragsbedingung liegt demnach vor, wenn ein allgemeiner Hinweis nach seinem objektiven Wortlaut bei den Empfängern den Eindruck hervorruft, es solle damit der Inhalt eines vertraglichen oder vorvertraglichen Rechtsverhältnisses bestimmt werden.146 AVB sind auf die Regelung des Vertragsinhalts gerichtet und sind deshalb als Vertragsbedingung i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB einzuordnen. Strittig ist jedoch, ob dies auch für Vertragsklauseln gilt, die den Inhalt gesetzlicher Vorschriften lediglich wiedergeben und somit ausschließlich deklaratorischer Natur sind. Dies wird mit dem Hinweis darauf abgelehnt, solche Bedingungen seien dem VN nicht einseitig auferlegt worden.147 Der grundsätzliche AGB-Charakter deklaratorischer Klauseln ergibt sich jedoch aus § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Danach erstreckt sich die Inhaltskontrolle nur auf Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen beinhalten. Daraus folgt, dass deklaratorische Klauseln, auch wenn sie nicht der Inhaltskontrolle unterliegen, gleichwohl Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen.148 Eine deklaratorische Klausel unterliegt jedoch dann der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB, wenn sie die Rechtslage nicht zutreffend wiedergibt, da es sich dann tatsächlich nicht um eine deklaratorische Klausel handelt. Die Klausel enthält vielmehr eine von Rechtsvorschriften abweichende Regelung.149 Die früher – vor Inkrafttreten des 3. Durchführungsgesetz/EWG zum VAG im Jahre 1994 (oben 41 Rn. 11, 24) praxisrelevanten – von Versicherern gegenüber der Aufsichtsbehörde abgegebenen geschäftsplanmäßigen Erklärungen (dazu A. Einleitung Rn. 248 ff.) sind nicht Bestandteil der AVB150 und stellen damit keine AGB dar,151 auch wenn sie z. B. Aussagen eines VR gegenüber der Aufsichtsbehörde über die Handhabung von AVB-Klausel enthalten können. Auch wenn geschäftsplanmäßige Erklärungen damit keinen AGB-Charakter aufweisen, kann sich zugunsten des VN ein eigenes Recht gegenüber dem VR auf Beachtung einer geschäftsplanmäßigen Erklärung entsprechend der Kriterien gem. § 328 Abs. 2 BGB ergeben152 (auch dazu A. Einleitung Rn. 256). Nach § 10 Abs. 2 VAG a. F. war es möglich, AVB in die Satzung eines Versicherungsvereins 42 auf Gegenseitig (VVaG) aufzunehmen. Nach ersatzlosem Wegfall dieser Vorschrift im VAG 2016 wird diese Möglichkeit aus einem Umkehrschluss zu § 9 Abs. 2 Nr. 1 VAG weiterhin für zulässig erachtet.153 Insbesondere vor dem Hintergrund von § 310 Abs. 4 BGB, wonach das AGB-Recht bei Verträgen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts keine Anwendung findet, stellt sich die 142 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 2 f. 143 Ulmer/Brandner/Hensen/Witt12 § 1 UKlaG Rn. 4. 144 BGH 9.4.2014 – VIII ZR 404/12, BGHZ 200 362, 371 = VersR 2014 1254, 1256 (Rn. 23); BGH 3.7.1996 – VIII ZR 221/95, BGHZ 133 184, 187 = NJW 1996 2574, 2575 (juris Rn. 18). 145 MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 9. 146 BGH 9.4.2014 – VIII ZR 404/12, BGHZ 200 362, 371 = VersR 2014 1254, 1256 (Rn. 24); BGH 3.7.1996 – VIII ZR 221/95, BGHZ 133 184, 188 = NJW 1996 2574, 2575 (juris Rn. 18). 147 Niebling WM 1992 845, 848 f.; im Ergebnis so auch Fehl BB 1983 223, 225. 148 BGH 14.7.1988 – IX ZR 254/87, nur auszugsw. abgedruckt in BGHZ 105 160 = VersR 1989 87, 87 = NJW 1988 2951, 2951 (juris Rn. 6); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 101 (a. A. noch Prölss/Martin/Prölss28 Vorbem. I Rn. 66); AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 267. 149 BGH 14.7.1988 – IX ZR 254/87, BGHZ 105 160, 164 = VersR 1989 87, 88 = NJW 1988 2951, 2952 (juris Rn. 12). 150 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 151 f. = VersR 1988 1062, 1065 (juris Rn. 24); BGH 7.2.1996 – IV ZR 155/95, VersR 1996 486, 487 (juris Rn. 16). 151 Schimikowski6 Versicherungsvertragsrecht Rn. 19; Neuhaus3 Berufsunfähigkeitsversicherung A. Rn. 44. 152 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 151 = VersR 1988 1062, 1065 (juris Rn. 25). 153 BeckOK-VAG/Schwenzer (Stand: 1.3.2019) § 173 Rn. 3. 179

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

Frage, ob AGB-Recht auf AVB anwendbar ist, die in Satzungen von VVaG enthalten sind. Regelt die Satzungsbestimmung allein das Versicherungsverhältnis zwischen VR und VN, handelt es sich lediglich um eine nur äußerlich (als unechter Satzungsbestandteil) in die Satzung aufgenommene vorformulierte Regelung versicherungsrechtlicher Vertragsbeziehungen ohne materiellen Satzungscharakter, die mithin dem AGB-Recht unterliegt.154 Dies gilt auch für Satzungsbestimmungen mit Doppelcharakter; damit sind Satzungsbestimmungen gemeint, die sowohl das vereinsrechtliche als auch das versicherungsrechtliche Verhältnis betreffen. Für eine auf die Ermächtigungsgrundlage des § 41 Abs. 3 VAG a. F. (heute § 197 Abs. 3 VAG) gestützte Anpassungsklausel für Versicherungsbedingungen, Tarifbestimmungen und Beiträge mit Wirkung für bestehende Versicherungsverhältnisse hat dies der BGH angenommen.155 Ob eine versicherungsrechtliche Regelung Gegenstand einer Satzung oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt ist, bedeutet hinsichtlich des Schutzbedürfnisses des VN keinen Unterschied; die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB für Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts greift daher nicht ein.156 Sind Versicherungsverhältnisse eines öffentlich-rechtlichen VR privatrechtlich ausgestal43 tet – was seit der Abschaffung der Gebäudeversicherungsmonopole regelmäßig der Fall sein dürfte –,157 so findet auf die entsprechenden Vertragsbedingungen AGB-Recht Anwendung.158 Dies ist auch anzunehmen, wenn sich die Vertragsbeziehungen zum VN betreffenden Bestimmungen in Satzungen des VR finden; z. B. bei kirchlichen Zusatzversorgungskassen,159 bei einem Kommunalen Schadensausgleich mehrerer Bundesländer,160 der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten161 bzw. der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL);162 eine Inhaltskontrolle ist bei Satzungen der VBL aber ausgeschlossen, wenn eine Satzungsregelung auf einer maßgeblichen Grundentscheidung der Tarifpartner beruht.163 44 Im Falle einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung des Versicherungsverhältnisses sind die Vorschriften des AGB-Rechts zumindest entsprechend anwendbar.164 Der Schutz des VN vor missbräuchlichen Klauseln gebietet auch hierbei eine an die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle angelehnte Überprüfung. Zudem soll insofern ein Ausweichen auf eine öffentlich-rechtliche Ge-

154 BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394, 397 = VersR 1997 1517, 1518 (juris Rn. 26); BGH 24.10.2007 – IV ZR 94/05, VersR 2008 337, 338 (Rn. 12); Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 15; insoweit ebenso Lorenz VersR 1996 1206 („satzungsrechtliche AVB“). 155 BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394, 397 ff. = VersR 1997 1517, 1518 f. (juris Rn. 27 ff.); Langheid/ Wandt/Reiff2 AVB Rn. 15; insoweit a. A. Lorenz VersR 1996 1206 ff. 156 BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394, 400 = VersR 1997 1517, 1519 (juris Rn. 31 f.); Präve RuS 1996 249, 251. 157 Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 16. 158 Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 16; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B. Rn. 6; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 275. 159 BGH 6.7.2005 – IV ZR 141/04, VersR 2005 1270, 1271 (juris Rn. 25); Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 16. 160 OLG Dresden 19.2.2009 – 4 U 1721/08, VersR 2009 1260, 1260 f. (juris Rn. 19); Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 16. 161 BGH 10.9.2003 – IV ZR 387/02, VersR 2003 1386, 1387 (juris Rn. 4); Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 16. 162 Siehe BGH 10.10.2012 – IV ZR 10/11, BGHZ 195 93, 97 = VersR 2013 46, 47 (Rn. 15); BGH 12.3.2003 – IV ZR 56/ 02, VersR 2003 719, 720 (juris Rn. 15); BGH 23.6.1999 – IV ZR 136/98, BGHZ 142 103, 106 = VersR 1999 1390, 1391 (juris Rn. 11); Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 16; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B. Rn. 6; AGBKlauselwerke/Präve Rn. 275. 163 BGH, 20.7.2011 – IV ZR 76/09, BGHZ 190 314, 331 = VersR 2011 1295, 1299 (Rn. 50) m. w. N. 164 Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 Teil 2 (54) Versicherungsbedingungen (AVB) Rn. 3; Schirmer Symposion 80 Jahre VVG 265, 276; wohl auch Sieg VersR 1977 489, 489; Helm NJW 1978 129, 129; in diese Richtung AGBKlauselwerke/Präve Rn. 275 („an den AGB-rechtlichen Vorschriften orientierte Inhaltskontrolle“); zurückhaltender Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 17 (Beachtung der „Grundgedanken des AGB-Rechts“); a. A. tendenziell ablehnend Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B. Rn. 6. Beckmann

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staltung des Versicherungsverhältnisses mit dem Ziel, sich den Anforderungen des AGB-Rechts zu entziehen, verhindert werden.165

2. Bezeichnung und Standort Ohne Bedeutung für die Qualifizierung als AGB ist die Bezeichnung der Bedingungen. So sind auch 45 als „Besondere Versicherungsbedingungen“ bezeichnete Versicherungsbedingungen grundsätzlich als AGB einzuordnen.166 Dies gilt in gleicher Weise für „Klauseln“,167 „Sonder168- oder Zusatzbedingungen“.169 Dennoch ist es möglich, dass eine als „Besondere Versicherungsbedingung“ oder ähnlich bezeichnete Bestimmung eine Individualabrede darstellt.170 Dies setzt indes voraus, dass gerade nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt sind und die Bestimmung gem. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB „im Einzelnen ausgehandelt“ ist (zur Abgrenzung noch Rn. 70 ff.). Vor diesem Hintergrund erscheinen instanzgerichtliche Urteile, wonach die sog. Diabetesklausel als einzelvertragliche Regelung nicht dem AGB-Recht unterliege,171 diskussionswürdig. Insbesondere aus dem Urteil des LG Dresden ergibt sich, dass die im Vertrag vereinbarte besondere Bedingung jedenfalls vorformuliert war, was wiederum gegen eine im Einzelfall ausgehandelte Klausel spricht.172 Soweit das Gericht äußert, es handele sich um einen persönlichen Risikoausschluss, steht eben noch nicht fest, dass die Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht erfüllt sind. Insoweit einzuschränken ist deshalb die an anderer Stelle geäußerte Auffassung, ein auf die besondere Situation des VN zugeschnittener Risikoausschluss stelle eine individuelle rechtsgeschäftliche Vertragsregelung dar, auch wenn dieser vorformuliert sei.173 Zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zählen auch Tarifbestimmungen,174 so dass 46 auf diese, die Prämie festlegenden Bedingungen, grundsätzlich AGB-Recht Anwendung findet;175 zur Inhaltskontrolle noch Rn. 244 ff. Auch wenn sich die AVB regelmäßig in einer entsprechenden Zusammenfassung finden, 47 die der VN vom VR erhält (zu den Einbeziehungsvoraussetzungen im Einzelnen noch Rn. 76 ff.), 165 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 275; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 Einl. Rn. 24; insofern zustimmend Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 17. 166 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 20; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 268; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/ Reiff6 Klauseln V 71; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 9. 167 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 20. 168 Siehe VerBAV 1990 275 ff.; 1992 9; AGB-Klauselwerke/Präve, Rn. 268; zur Einordnung von „Sonderbestimmungen“ als Allgemeine Versicherungsbedingungen noch lange vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes BGH 12.6.1968 – IV ZR 774/68, VersR 1968 762, 762. 169 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 20; Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 Teil 2 (54) Versicherungsbedingungen Rn. 3; Hofmann Privatversicherungsrecht 16. 170 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 1. Kap. Rn. 212. 171 LG Kassel 17.6.1996 – 3 O 710/96, VersR 1997 1474, 1474; LG Dresden 22.11.1993 – 8 O 3078/93, VersR 1994 923, 924; zustimmend Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 21; ebenso noch Vorauflage Bruck/Möller/Beckmann9 Einführung C. Rn. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann3 § 10 Rn. 31. 172 Zu Recht Grimm5 Unfallversicherung Vorbemerkung Rn. 15; Wolf/Horn/Lindacher/Pfeiffer/Reiff6 Klauseln V Rn. 72 f.; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 10; kritisch auch Präve Lebensversicherung 2016 Einleitung Rn. 51 Fn. 268. 173 Vgl. noch Bruck/Möller/Beckmann, 9. Aufl. 2008 Einführung C. Rn. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann3 § 10 Rn. 31. 174 BGH 31.1.2001 – IV ZR 185/99, VersR 2001 493, 494 (juris Rn. 18) (Tarifänderungsklausel in der Kfz-HaftpflichtV); BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 746 (juris Rn. 14); BGH 14.12.1994 – IV ZR 3/94, VersR 1995 328, 329 = NJW 1995 784, 784 (juris Rn. 18) (Tarifbedingung in der KrankheitskostenV); OLG Köln 2.9.2016 – I-20 201/15, VersR 2016 1551, 1552 (juris Rn. 52); Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 25; Terno RuS 2004 45, 46; Römer NVersZ 1999 97; Wandt Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen (2000) Rn. 210; Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 Teil 2 (54) Versicherungsbedingungen Rn. 3. 175 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 1. Kap. Rn. 211; Wandt Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen (2000) Rn. 210. 181

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so kommt es nicht darauf an, wo die AVB aufgeführt sind. Soweit es sich um vorformulierte Vertragsbedingungen handelt, können AVB etwa auch im Versicherungsschein aufgenommen sein.176 Als AVB lassen sich des Weiteren vom VR vorformulierte Klauseln im Antragsformular einordnen (vgl. auch noch Rn. 52 f.).177 Dies ist auch dann der Fall, wenn der Kunde nur die Wahl zwischen bestimmten, vom Verwender vorgegebenen Alternativen hat (vgl. näher auch Rn. 72).178 Unterschiedlich beantwortet wird speziell die Einordnung von Antragsfragen gem. § 19 48 Abs. 1 VVG. Gegen den AGB-Charakter wendet die wohl h. M. ein, dass solche Antragsfragen keine Regelung enthielten, sondern (lediglich) als Grundlage der Risikoeinschätzung durch den VR dienten.179 Letztlich spiele die Einordnung im Ergebnis keine Rolle, da völlig undurchsichtige Fragen als nicht gestellt gelten, so dass es der Heranziehung des Transparenzgebotes gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht bedürfe.180 Dem wird entgegengehalten, eine Antragsfrage begründe i. V. m. § 19 Abs. 1 VVG die Obliegenheit des VN, sie zu beantworten; erst die konkrete Antragsfrage lasse eine Obliegenheit bestimmten Inhalts entstehen, so dass letztlich eine Regelung vorliege.181 Indes ergibt sich die Pflicht zur Erfüllung der Anzeigeobliegenheit nicht aus der Frage als solche, sondern aus § 19 Abs. 1 VVG und damit aus dem Gesetz. Zudem setzt eine Vertragsbedingung i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB eine Erklärung des Verwenders voraus, die den Vertragsinhalt regeln soll (vgl. bereits oben Rn. 40).182 Im Vordergrund der konkret gestellten Antragsfrage steht das Interesse des VR zur Einschätzung des zu übernehmenden Risikos. Der AGB-Charakter von Antragsfragen erscheint deshalb zweifelhaft. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass § 19 Abs. 1 VVG abgesehen vom Formerfordernis keine weiteren Anforderungen an solche Antragsfragen stellt. Auch wenn im Einzelnen strittig ist, ob zu weit gefasste Fragen zulässig sind,183 so besteht zumindest darüber Einigkeit, dass die Zulässigkeitsgrenze jedoch überschritten ist, wenn Fragen so weit gefasst sind, dass der VN das Risiko der Fehleinschätzung trägt, ob ein Umstand gefahrrelevant ist.184

176 Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 12; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 271. 177 BGH 13.7.1994 – IV ZR 107/93, BGHZ 127 35, 39 f. = VersR 1994 1049, 1050 (juris Rn. 11); BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 277 = VersR 1982 841, 842 (juris Rn. 16); OLG Saarbrücken 21.6.2006 – 5 U 720/05, VersR 2007 235, 235 (juris Rn. 16) (analoge Anwendung von § 305c BGB); OLG Frankfurt 23.6.1989 – 2 U 152/88, VersR 1990 1103, 1103; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 12; Terno RuS 2004 45, 46; Berliner Kommentar/Schwintowski § 5a Rn. 29; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 25; Hübner Rn. 34 f.; Römer NVersZ 1999 97; Ulmer/Brandner/ Hensen/H. Schmidt12 Teil 2 (54) Versicherungsbedingungen Rn. 3; Römer/Langheid4 Vorbem. zu § 1 Rn. 12. 178 BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95, VersR 1996 485, 485 f. = NJW 1996 1676, 1677 (juris Rn. 17); BGH 13.3.2018 – XI ZR 291/16, VersR 2018 1255, 1255 (Rn. 16); BGH 3.12.1991 – XI ZR 77/91, NJW 1992 503, 504 (juris Rn. 15); a. A. wohl Staudinger /Wendt (2019) Anh. zu §§ 305-310 Rn. J 42. 179 OLG Bremen 16.11.1993 – 3 U 67/93, VersR 1996 314, 314 (red. Leitsatz); OLG Saarbrücken 1.2.2006 – 5 U 207/ 05, VersR 2006 1482, 1483 (juris Rn. 20); Prölss/Martin/Armbrüster30 § 19 Rn. 58; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 13; BeckOK-VVG/Spuhl (Stand: 15.10.2019), § 19 Rn. 62; Heinemann VersR 1992 1319, 1321; offen lassend Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 31; a. A. wohl OLG Frankfurt/Main 23.6.1989 – 2 U 152/88, VersR 1990 1103, 1103 (betr. eine vom VR vorformulierte Bestimmung im Antrag auf Abschluss einer Krankenversicherung, unter welchen Voraussetzungen Behandlungen und Gesundheitsstörungen des VN nicht angegeben werden zu brauchen); Looschelders/ Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B. Rn. 9 f. 180 Prölss/Martin/Armbrüster30 § 19 Rn. 58. 181 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B. Rn. 9 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle3 § 19 Rn. 29 f. 182 BGH 9.4.2014 – VIII ZR 404/12, BGHZ 200 362, 371 = VersR 2014 1254, 1256 (Rn. 23); BGH 3.7.1996 – VIII ZR 221/95, BGHZ 133 184, 187 = NJW 1996 2574, 2575 (juris Rn. 18). 183 BeckOK-VVG/Spuhl (Stand: 15.10.2019), § 19 Rn. 63; Looschelders VersR 2011 697; näher dazu Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann3 § 14 Rn. 27 ff. 184 BeckOK-VVG/Spuhl (Stand: 15.10.2019), § 19 Rn. 66 unter Hinweis auf BTDrucks. 16/3945 S. 64; Prölss/Martin/ Armbrüster30 § 19 Rn. 58 betr. völlig undurchsichtige Fragen; Looschelders/Pohlmann/Looschelders3 § 19 Rn. 23 (betr. ganz allgemeine, pauschale oder völlig nichts sagende Fragen). Beckmann

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Des Weiteren wird wohl herrschend und zu Recht vertreten, dass Antragsfragen jedenfalls 49 wie AGB auszulegen sind185 und damit auch § 305c Abs. 2 BGB entsprechend gilt.186 Bei der Auslegung ist auf das Verständnis eines durchschnittlichen VN abzustellen (vgl. im Einzelnen zur Auslegung von AVB noch Rn. 204 ff.). Unklarheiten gehen zu Lasten des VR;187 Antragsfragen sind im Zweifel also zugunsten des VN auszulegen.188 Unterschiedlich wird die Frage behandelt, welche Rechtsfolgen bei einer zu unklaren und zu pauschalen Antragsfrage ausgelöst werden. Teilweise wird angenommen, dies sei auf der Ebene des Verschuldens zu berücksichtigen.189 Nach anderer Ansicht wird schon keine Anzeigeobliegenheit ausgelöst.190 Vielfach wird auch differenziert. Eine zu weit gefasste Frage sei nicht von vorneherein irrelevant; die Anzeigepflicht beschränke sich aber auf gefahrerhebliche Umstände; die Anzeigeobliegenheit entfalle erst in Extremfällen, in denen die Frage völlig nichtssagend oder schlicht unverständlich sei.191 Nimmt man indes mit der wohl überwiegenden Ansicht zu Recht die entsprechende Anwendung von § 305c BGB auf Antragsfragen ernst, so ist bei Zweifeln bei der Auslegung der Antragsfragen auf das Verständnis eines durchschnittlichen VN im Einzelfall abzustellen. Deshalb kann nicht pauschal angenommen werden, objektiv gefahrerhebliche Umstände seien auch bei unklaren oder pauschalen Antragsfragen stets anzuzeigen. Entsprechendes wird man für Antragsfragen annehmen können, deren Beantwortung dem VN ein Werturteil abverlangt. Deshalb löst z. B. die Frage, ob der VN gewohnheitsmäßig Medikamente nimmt, keine Anzeigeobliegenheit aus.192 Neben einer entsprechenden Anwendung des § 305c BGB wird für Antragsfragen auch eine 50 Anwendung der Angemessenheitskontrolle gem. § 307 BGB diskutiert. Diejenigen, die den AGB-Charakter von Antragsfragen bejahen,193 gelangen konsequenterweise auch zu einer Angemessenheitsprüfung. Die überwiegende Meinung lehnt indes entweder den AGB-Charakter194 oder aber ausdrücklich eine Angemessenheitskontrolle ab.195 Vielfach – bei unklaren, zu weit gefassten Fragen oder Fragen, die Werturteile beinhalten – lässt sich über § 305c BGB und die für AVB geltende Auslegung eine angemessene Lösung finden, so dass sich die Frage in der Regel nicht stellt. Hinzu kommt, dass ohnehin nur Fragen nach gefahrerheblichen Umständen eine Anzeigeobliegenheit auslösen. Auch gibt es Grenzen des Fragerechts (wie z. B. durch das AGG).196 Vor diesem Befund bleibt für eine Angemessenheitsprüfung vermutlich ohnehin nicht viel Raum. Gleichwohl erscheint es nicht ausgeschlossen, im Einzelfall Kriterien der Angemessenheitskontrolle bei zweifelhaften Antragsfragen mitzuberücksichtigen. Gem. § 7 Abs. 1 VVG hat der VR dem VN rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklä- 51 rung seine Vertragsbestimmungen einschließlich der AVB sowie die in der VVG-Informations185 BGH 22.9.1999 – IV ZR 15/99, VersR 1999 1481, 1482 (juris Rn. 17); betr. Fragen in einem Schadensanzeigeformular siehe BGH 26.10.1988 – IVa ZR 243/87, RuS 1989 5, 6 (juris Rn. 15); Bruck/Möller/Rolfs9 § 19 Rn. 29; Römer RuS 1998 45, 46. 186 OLG Saarbrücken 1.2.2006 – 5 U 207/05, VersR 2006 1482, 1483 (juris Rn. 20); Prölss/Martin/Armbrüster30 § 19 Rn. 41; a. A. Heinemann VersR 1992 1319, 1321 f. (mangels Anwendbarkeit der Unklarheitenregel ließe sich ggf. Verschulden des VN i. R. d. Obliegenheitsverletzung ablehnen); gegen eine Verlagerung auf die Ebene des Verschuldens Looschelders VersR 2011 697 mit der Begründung, dies sei mit der Beweislastumkehr zulasten des VN nicht vereinbar. 187 Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 31 f. 188 Siehe Prölss/Martin/Prölss28 § 19 Rn. 23; 189 HK-VVG/Schimikowski4 § 19 Rn. 23; Heinemann VersR 1992 1319, 1321. 190 BeckOK-VVG/Spuhl (Stand: 15.10.2019), § 19 Rn. 66. 191 Looschelders/Pohlmann/Looschelders3 § 19 Rn. 23; Prölss/Martin/Armbrüster30 § 19 Rn. 36; Bruck/Möller/ Rolfs9 § 19 Rn. 31. 192 BeckOK-VVG/Spuhl (Stand: 15.10.2019), § 19 Rn. 68; OLG Oldenburg 1.12.1993 –2 U 102/93, VersR 1994 1169, 1169 (juris Rn. 2 f.); Karczewski RuS 2012 521, 523. 193 Oben Fn. 181. 194 Oben Fn. 179. 195 Prölss/Martin/Armbrüster30 § 19 Rn. 58; BeckOK-VVG/Spuhl, (Stand: 15.10.2019), § 19 Rn. 71. 196 BeckOK-VVG/Spuhl (Stand: 15.10.2019), § 19 Rn. 71. 183

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pflichtenverordnung bestimmten Informationen in Textform mitzuteilen. Auch wenn es naheliegt, dass sich den Vertragsinhalt regelnde Bestimmungen ohnehin in den AVB finden, ist es denkbar, dass – außerhalb der eigentlichen AVB – diese Informationen Regelungen des Vertragsinhalts zum Gegenstand haben. Dann lassen sich solche Informationen gleichfalls unter den Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen i. S. d. § 305 Abs. 1 BGB einordnen.197

3. Einseitige Rechtsgeschäfte 52 Der Wortlaut des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB („Vertragsbedingungen“) sowie die Stellung der §§ 305 ff. BGB im Recht der Schuldverhältnisse legen auf den ersten Blick nahe, deren Anwendungsbereich auf zweiseitige Rechtsgeschäfte zu beschränken. Gleichwohl kann es erforderlich sein, den Schutz AGB-rechtlicher Vorschriften ebenso auf vorformulierte einseitige Rechtsgeschäfte zu erstrecken, um dem Schutzbedürfnis des VN angemessen Rechnung zu tragen. Dies gebietet auch der Schutzzweck der Vorschriften über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen.198 Dies gilt insbesondere für die Vorformulierung einseitiger Erklärungen des VN durch den VR. Der VR nutzt in einem solchen Fall die seinerseits bestehende überlegene Vertragsgestaltungsmacht, was eine Kontrolle anhand der Regelungen des AGB-Rechts notwendig macht. 53 Hervorzuheben sind hierbei vorformulierte Erklärungen des VN zur Entbindung von der Schweigepflicht199 oder bezüglich des Einverständnisses mit telefonischen Beratungsgesprächen.200 Auch die Einziehungsermächtigung des VR bzgl. der vom VN zu zahlenden Versicherungsprämie stellt eine Vertragsbedingung i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.201 Ebenso kann ein vom VR vorformulierter Verzicht auf eine Beratung gem. § 6 Abs. 3 VVG oder ein Verzicht auf die Information gem. § 7 Abs. 1 Satz 3 a. E. VVG die Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 BGB verwirklichen;202 zur Frage der Wirksamkeit vgl. noch Rn. 113. Ebenso unterlagen nach alter Rechtslage Klauseln, die die Empfangszuständigkeit des Versicherungsvertreters einschränkten, der AGB-rechtlichen Kontrolle.203 Zum Teil wurde dies jedoch mit der Begründung abgelehnt, es handle sich dabei nicht um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, die AVB habe selbst keine entsprechende Regelung zum Inhalt;204 vielmehr setzt der VR ausschließlich seine eigene Gestal-

197 Präve VersR 2008 151, 152. 198 BGH 16.3.1999 – XI ZR 76/98, BGHZ 141 124, 126 = VersR 1999 971, 972 (juris Rn. 11); BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 150 f. = VersR 1999 710, 714 (juris Rn. 64) betr. eine Vollmachtsbeschränkung; BGH 10.2.1999 – IV ZR 324/97, VersR 1999 565, 567 (juris Rn. 32) betr. eine Vollmachtsbeschränkung; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/ Habersack12 § 305 Rn. 16; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 88. 199 BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669; OLG Hamburg 2.7.1993 – 1 U 28/93, VersR 1994 1170, 1170 (red. Leitsatz); Schwabe JZ 2007 579; Borchert NVersZ 2001 1. Insoweit sind auch spezielle Vorgaben, namentlich des § 213 VVG und der DSGVO zu beachten; vgl. etwa Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 213 Rn. 15 ff. 200 BGH 25.10.2012 – I ZR 169/10, NJW 2013 2683, 2684 (Rn. 16); BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 149 = VersR 1999 710, 713 (juris Rn. 53); BGH 16.3.1999 – XI ZR 76/98, BGHZ 141 124, 126 f. = VersR 1999 971, 972 (juris Rn. 12); AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 270; BRHP/J. Becker4 § 305 Rn. 14; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einl. B Rn. 8. 201 BGH 14.10.1981 – VIII ZR 149/80, BGHZ 82 50 = NJW 1982 164, 164 ff.; Staudinger/Mäsch (2019) § 305 Rn. 16; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 19 (mit weiteren Beispielen). 202 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einl. B Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 6 Rn. 120; und § 7 Rn. 48. 203 BGH 10.2.1999 – IV ZR 324/97, VersR 1999 565, 566 f. (juris Rn. 31); BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 150 = VersR 1999 710, 714 (juris Rn. 64); BVerwG 25.6.1998 – 1 A 6/96, BVerwGE 107 101, 108 = VersR 1998 1137, 1139 (juris Rn. 42); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 89 u. 95; Beckmann NJW 1996 1378, 1379; ders. NVersZ 1998 19, 20. 204 Schütte NJW 1979 592; Weigel MDR 1992 728, 729; ähnlich noch Prölss/Martin/Prölss 28, Vorbem. I Rn. 68: „schlichtes Faktum“. Beckmann

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Begriff der AGB bzw. der AVB (§ 305 Abs. 1 BGB)

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tungsmacht um.205 Allerdings berührten entsprechende Klauseln nicht nur das Verhältnis zwischen VR und Versicherungsvertreter, sondern tangierten auch die Rechtsstellung des VN, indem von dem in § 43 VVG a. F. festgelegten und durch die Rechtsprechung des BGH konkretisierten Umfang der Empfangsvollmacht abgewichen wurde.206 Bereits seit der Umsetzung der Reform des VVG 2008 ist dieser konkrete Streit jedoch hinfällig. Im Ergebnis ist der Gesetzgeber der zutreffenden Ansicht gefolgt: Aus § 72 VVG folgt, dass die gesetzliche Vollmacht des Versicherungsvertreters nicht durch AVB eingeschränkt werden kann; die gesetzliche Vollmacht des Versicherungsvertreters gem. § 69 VVG ist nicht abdingbar.207 Die Vorschrift schließt zum Schutz des VN generell (sowohl betreffend Erklärungen vor, als auch hinsichtlich solcher nach Vertragsschluss, § 69 Abs. 1 Nr. 2 VVG) aus, dass diesem Beschränkungen der dem Vertreter nach den §§ 69, 71 VVG eingeräumten Vollmacht über AVB entgegengehalten werden können. Eine Beschränkung der Empfangsvollmacht i. S. d. § 69 Abs. 1 VVG liegt etwa auch in einer Klausel, die für Erklärungen des VN gegenüber dem Vertreter Schrift- oder Textform verlangt.208 Der Kontrolle des AGB-Rechts unterliegen derartige einseitige Erklärungen auch, wenn sie 54 vom VN zusätzlich unterschrieben wurden.209 Auch Wahl- oder Ergänzungsmöglichkeiten z. B. beim Ausfüllen eines vom VR vorformulierten Antragsformulars schließen den AGB-Charakter grundsätzlich nicht aus;210 vgl. noch sogleich Rn. 57.

II. Vorformulierung von Vertragsbedingungen Vertragsbedingungen sind gem. § 305 Abs. 1 BGB nur dann als AGB einzuordnen, wenn sie „vor- 55 formuliert“ sind. Vorformuliert sind die Bedingungen schon dann, wenn sie für eine mehrfache Verwendung aufgezeichnet oder in sonstiger Weise fixiert sind.211 Dabei kommt es nicht darauf an, auf welche Weise der Verwender die Klausel vorformuliert hat. Nach heute h. M. lässt sich aus § 305 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach die Schriftart der AGB unerheblich ist, nicht das Erfordernis einer schriftlichen Vorformulierung herleiten.212 Vielmehr macht es keinen Unterschied, ob der Verwender die Vertragsbedingungen in schriftlicher Form vorformuliert hat oder elektronisch als Textbaustein;213 auch Vertragsbedingungen, die ausschließlich „im Kopf“ des Verwenders bzw. seiner Abschlussgehilfen „gespeichert“ sind214 und in den Vertrag aufgenommen werden, 205 Weigel MDR 1992 728, 729; Fricke VersR 1993 399, 402; Reiff VersR 1998 976; differenzierend und nur bei Verbraucherverträgen eine AGB-Kontrolle bejahend Heinrichs NJW 1996 2190, 2194; ebenso Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 6. 206 BGH 10.2.1999 – IV ZR 324/97, VersR 1999 565, 566 f. (juris Rn. 32); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 89; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 270. 207 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 78. 208 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 78. 209 BGH 16.3.1999 – XI ZR 76/98, BGHZ 141 124, 126 f. = VersR 1999 971, 972 (juris Rn. 12); AGB-Klauselwerke/ Präve Rn. 269. 210 BGH 13.3.2018 – XI ZR 291/16, VersR 2018 1255, 1255 (Rn. 16); BGH 2.11.2000 – I ZR 154/98, VersR 2001 315, 316 (juris Rn. 18); BGH 27.1.2000 – I ZR 241/97, VersR 2000 864, 865 (juris Rn. 17). 211 St. Rspr. vgl. BGH 3.4.1998 – V ZR 6/97, NJW 1998 2600, 2600 (juris Rn. 16); BGH 17.4.2018 – XI ZR 238/16, VersR 2019 427, 428 (Rn. 12); BGH 4.7.2017 – XI ZR 233/16, BB 2017 2066, 2066 (Rn. 20); BGH 11.7.2019 – VII ZR 266/ 17, BGHZ 223 1-12 = NJW 2019 2997, 2999 (Rn. 31). 212 BGH 30.9.1987 – IVa ZR 6/86, VersR 1988 184, 184 = NJW 1988 410, 410 (juris Rn. 9) mit Nachweisen zur damaligen Gegenansicht; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 13; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 3; Staudinger /Wendt (2019) Anh. Zu §§ 305-310 Rn. J. 41. 213 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 13; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 13. 214 BGH 10.3.1999 – VIII ZR 204/98, BGHZ 141 108, 109 f. = VersR 1999 741, 741 (juris Rn. 9); BGH 30.9.1987 – IVa ZR 6/86, VersR 1988 184, 184 = NJW 1988 410, 410 (juris Rn. 9); BGH 19.5.2005 – III ZR 437/04, NJW 2005 2543, 2544 (juris Rn. 17); BGH 13.5.2014 – XI ZR 170/13, NJW-RR 2014 1133, 1134 (Rn. 20); OLG Köln 24.3.1995 – 6 U 217/92, VersR 1995 647, 648; OLG Nürnberg 4.4.2017 – 14 U 612/15, BKR 2017 251, 253 (juris Rn. 43); AGB-Klauselwerke/ Präve Rn. 271; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 20, 34. 185

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

lassen sich als vorformulierte Vertragsbedingungen einordnen (zu den Anforderungen im Einzelnen noch Rn. 58). Die Schutzbedürftigkeit des VN als Bedingungsempfänger unterscheidet sich hierbei nicht von den Fällen, in denen die entsprechenden Klauseln bereits vor Vertragsschluss in schriftlicher Form vorliegen und an den VN weitergereicht werden. Nach der Rechtsprechung des BGH lassen sich auch vom Kunden beim Vertragsschluss mündlich akzeptierte Formulierungen als AGB einordnen;215 Letzterem wird im Versicherungsrecht im Regelfall keine besondere praktische Bedeutung zukommen, da Versicherungsverträge – obgleich rechtlich nicht erforderlich – aber üblicherweise schriftlich oder auf elektronischem Wege geschlossen werden. Bei telefonischem Abschluss (§ 7 Abs. 1 Satz 3 VVG) oder unter Umständen beim Zustandekommen eines Versicherungsvertrages über einen digitalen Sprachassistenten (Smart Speaker) kann dieser Befund gegebenenfalls Bedeutung erlangen. 56 Hand- oder maschinenschriftliche Ergänzungen und Zusätze an hierfür vorgesehenen zu ergänzenden Lücken nehmen dem Vertragstext nicht unbedingt die Eigenschaft als AGB. Dies gilt insbesondere für unselbständige Ergänzungen vorformulierter Vertragsklauseln, die den sachlichen Gehalt der Vertragsregelung nicht beeinflussen, sondern für den konkreten Vertrag notwendige ergänzende Angaben beinhalten, wie etwa Namen des VN oder Bezeichnung des Vertragsgegenstands etc.216 Handelt es sich dagegen um selbständige Ergänzungen, d. h. solche, die den Gehalt der 57 Regelung mit beeinflussen,217 hängt die Einordnung als AGB insbesondere davon ab, ob für den VN erkennbar ist, eine eigene Wahl treffen zu können; ist dies nicht der Fall, handelt es sich um eine AGB. So liegt eine AGB dann vor, wenn der Kunde nur die Wahl zwischen bestimmten, vom Verwender vorgegebenen Alternativen hat,218 z. B. wenn der VN lediglich zwischen einer Laufzeit von fünf oder zehn Jahren durch entsprechendes Ankreuzen wählen kann. Dies hat der BGH selbst für den Fall angenommen, in dem der VR zwar eine Vertragsdauer von zehn Jahren als eine Alternative vorgegeben, andererseits aber neben dem vorgedruckten Wortlaut „10 Jahre“ einen Freiraum mit dem Zusatz „Jahre“ hinzugefügt und damit als weitere Möglichkeit offengelassen, dass in diesen Freiraum eine vom Antragsteller gewünschte Zahl zur Angabe einer anderen Vertragsdauer eingetragen wird.219 Die dem Antragsteller mit der Klausel formal eingeräumte Möglichkeit, den Vertragsinhalt hinsichtlich der Vertragsdauer durch eigene Erklärung zu bestimmen, werde durch den ihr vorausgehenden vorformulierten Vorschlag des VR über eine Vertragsdauer von zehn Jahren überlagert. Der vorformulierte Vorschlag steht danach im Vordergrund, die Wahlmöglichkeit einer anderen Vertragsdauer trete dahinter zurück. Diese Struktur der Klausel verdeutliche dem durchschnittlichen Antragsteller nicht ausreichend, dass er ohne Rücksicht auf die Vorgaben des VR gleichwohl aufgerufen werden soll, eine eigene Wahl über die Dauer des abzuschließenden Versicherungsvertrages zu treffen.220 Lässt das Formular demgegenüber offen, z. B. für welche Dauer der Vertrag geschlossen 58 werden soll, und hat damit der Antragsteller nicht nur formal, sondern tatsächlich und unbeeinflusst durch Vorformulierungen die freie Wahl einer ihm richtig erscheinenden Vertragsdauer, 215 BGH 12.6.2001 – XI ZR 274/00, BGHZ 148 74, 77 = NJW 2001 2635, 2636 (juris Rn. 11); BGH 30.9.1987 – IVa ZR 6/86, VersR 1988 184, 184 = NJW 1988 410, 410 (juris Rn. 9); AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 271. 216 BGH 2.7.1998 – IX ZR 255/97, NJW 1998 2815, 2816 (juris Rn. 9) (maschinenschriftliches Einsetzen des Worts „Geschäftskredite“ in die entsprechende Lücke des vorgedruckten Texts); BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95, VersR 1996 485, 485 f. (juris Rn. 17); BGH 10.6.1999 – VII ZR 365/98, BGHZ 142 46, 48 = NJW 1999 3260, 3260 (juris Rn. 9); MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 15; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 13; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 18; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 56. 217 BGH 6.12.2002 – V ZR 220/02, BGHZ 153 148, 151 = NJW 2003 1313, 1314 (juris Rn. 6). 218 BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95, VersR 1996 485, 486 (juris Rn. 17); BGH 3.12.1991 – XI ZR 77/91, NJW 1992 503, 504 (juris Rn. 15); ebenso Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 19. 219 BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95, VersR 1996 485, 486 (juris Rn. 18); hierauf bezugnehmend BGH 18.12.1996 – IV ZR 60/96, VersR 1997 345, 346 (juris Rn. 14). 220 BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95, VersR 1996 485, 486 (juris Rn. 18); hierauf bezugnehmend BGH 18.12.1996 – IV ZR 60/96, VersR 1997 345, 346 (juris Rn. 14); ebenso Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 20. Beckmann

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so liegt grundsätzlich keine vorformulierte Vertragsbedingung vor. Dadurch, dass der Antragsteller z. B. die Daten für Beginn und Ende der Vertragsdauer eintragen kann, denen seine eigene Entscheidung zugrunde liegt, hat der Verwender des Formulars nicht einseitig von seiner Gestaltungsmacht Gebrauch gemacht.221 Indes können auch in einem solchen Fall AGB vorliegen. Da – wie vorstehend zum Ausdruck gebracht (s. Rn. 55) – für die Frage der Vorformulierung nicht entscheidend ist, dass die Klausel schriftlich gefasst oder elektronisch gespeichert ist, sondern es für die Annahme der Vorformulierung ausreicht, dass sie „im Kopf“ des Verwenders oder des Vertreters „gespeichert“ ist und in den Vertrag mitaufgenommen wird. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der VR seine Vertreter dazu anhält, bei allen künftigen Vertragsschlüssen eine bestimmte Regelung akzeptieren zu lassen.222 Eine solche generelle Anweisung, dieselbe Ergänzung in allen Verträgen aufzunehmen, wird indes zu Recht nicht für erforderlich gehalten.223 Aus § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB lässt sich nicht ein zusätzlich erforderliches Merkmal – ausnahmslose Verwendung oder generelle Anweisung – entnehmen; entscheidend ist, ob es sich um „für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen“ i. S. d. Regelung handelt.224 AGB können deshalb auch dann vorliegen, wenn sonstige ausgearbeitete oder übernommene Klauseln aus dem Gedächtnis in den Vertrag üblicherweise oder gegenüber einer Mehrzahl von Kunden eingefügt werden.225 Diesen Aspekt hat der IV. Zivilsenat des BGH in Verbandsklageverfahren indes nicht berücksichtigt, da für solche tatsächlichen Voraussetzungen im abstrakten Verbandsverfahren kein Raum sei.226 In einer späteren Entscheidung hat der VIII. Zivilsenat hingegen die Überprüfbarkeit von handschriftlichen Ergänzungen von Druckstücken im Verbandsverfahren unter Hinweis auf § 24a Nr. 1 AGBG a. F. (heute § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB) bejaht.227 Nach Auffassungen im Schrifttum ist eine Differenzierung zwischen Verbandsund Individualprozess mit einem einheitlichen AGB-Begriff nicht vereinbar.228 Zu Recht sind sowohl für die Frage der Vorformulierung als auch für die Frage der Verwendereigenschaft die Umstände konkreter Fallgestaltungen im Verbandsprozess zu berücksichtigen.229

III. Für eine Vielzahl von Verträgen Der AGB-Begriff setzt gem. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformu- 59 lierte Vertragsbedingungen voraus. Keine AGB sind damit vorformulierte Vertragsbedingungen, deren Einsatz nur für einen einzigen Vertragsschluss bestimmt ist. Vertragsbedingungen 221 BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95, VersR 1996 485, 486 (juris Rn. 22); BGH 13.11.1997 – X ZR 135/95, NJW 1998 1066, 1067 (juris Rn. 28); ebenso Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 20; kritisch Prölss VersR 2000 1441,1441. 222 BGH 30.9.1987 – IVa ZR 6/86, VersR 1988 184, 184 (juris Rn. 9); vgl. BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95, VersR 1996 485, 486 (juris Rn. 24); BGH 3.4.1996 – IV ZR 98/95, VersR 1996 741, 742 (juris Rn. 16); Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 21. 223 BGH 10.3.1999 – VIII ZR 204/98, BGHZ 141 108, 110 = VersR 1999 741, 742 (juris Rn. 11) betr. Warenkaufverträge, in denen in ca. 15 % aller Vertragsabschlüsse Mitarbeiter des Verkäufers unter der Rubrik „Zahlung am: …“ neben dem Anzahlungsbetrag handschriftlich die Ergänzung „Restzahlung vor Lieferung“ eintragen; Langheid/Wandt/ Reiff2 AVB Rn. 20; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 22; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 271; a. A. OLG Koblenz 14.8.1998 – 10 U 1273/97, VersR 1999 875, 875 f. (juris Rn. 10 f.). 224 BGH 10.3.1999 – VIII ZR 204/98, BGHZ 141 108, 110 = VersR 1999 741, 742 (juris Rn. 11); Wandt VersR 1999 917, 918. 225 BGH 10.3.1999 – VIII ZR 204/98, BGHZ 141 108, 110 = VersR 1999 741, 741 f. (juris Rn. 10); Langheid/Wandt/ Reiff2 AVB Rn. 21; Wandt VersR 1999 917, 918; kritisch Prölss VersR 2000 1441, 1441. 226 BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95, VersR 1996 485, 486 (juris Rn. 24); BGH 3.4.1996 – IV ZR 98/95, VersR 1996 741, 742 (juris Rn. 17). 227 BGH 10.3.1999 – VIII ZR 204/98, BGHZ 141 108, 112 = VersR 1999 741, 742 (juris Rn. 13) vgl. oben Fn. 223 betr. eine im Möbelhandel verwendete Klausel mit gleich lautender Ergänzung in 15 % aller Vertragsabschlüsse. 228 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 271; i. E. ebenso Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 21. 229 Wandt VersR 1999 917, 919. 187

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sind für eine Vielzahl von Verträgen aufgestellt, wenn sie entweder für eine unbestimmte Zahl künftiger Verwendungen bestimmt sind oder für eine nicht ganz unbedeutende Zahl bestimmter Fälle.230 AGB gelten bereits dann als vorformuliert, wenn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihre dreimalige Verwendung beabsichtigt ist.231 Nach dem Wortlaut der Vorschrift („für eine Vielzahl“) kommt es indes nicht auf eine tatsächliche Mehrfachverwendung an. Entscheidend ist vielmehr eine entsprechende Absicht des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.232 Nach Ansichten im Schrifttum wird dieses Vielzahlkriterium für entbehrlich erachtet, da 60 sich der Zweck individualschützender Klauselkontrolle nicht aus der Mehrfachverwendungsabsicht des Verwenders bzw. des Verfassers ergebe; für die Schutzwürdigkeit des Vertragspartners sei es irrelevant, ob die Klausel für eine Vielzahl von Verträgen oder für einen Vertrag bestimmt sei.233 Dieser Auffassung ist zuzugeben, dass der Vertragspartner primär nicht deshalb schutzwürdig ist, weil die entsprechenden Klauseln für eine Vielzahl von Verträgen konzipiert sind, sondern vielmehr, weil er auf den vorformulierten Vertragsinhalt keinen Einfluss nehmen kann. Zwar lässt sich dagegen argumentieren, dass die Kombination von Vorformulierung und Mehrfachverwendungsabsicht zum Ausdruck bringe, dass der Klauselverwender auf Verhandlungen nicht angewiesen ist und die notwendige Verhandlungsmacht besitzt, die einseitig aufgestellten Bedingungen durchzusetzen.234 Indes wird dieser Aspekt auch durch die Tatbestandsvoraussetzung des Stellens erfasst (dazu Rn. 62). Für AVB ist diese Frage indes ohnehin kaum relevant, da AVB in aller Regel für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind.235 61 Bei Verbraucherverträgen bedarf es des Merkmals „für eine Vielzahl von Verträgen“ ohnehin nicht. Nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB sind auf Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einer natürlichen Person abgeschlossen wurden und der Vertrag weder deren gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zuzuordnen ist, die Vorschriften der §§ 305c Abs. 2, 306 und 307–309 BGB auch dann anwendbar, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Im Bereich des Versicherungsrechts ist die Bedeutung dieser Ausnahmevorschrift jedoch gering, da die AVB – wie vorstehend bereits zum Ausdruck gebracht – regelmäßig für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind.236

IV. Stellen der Vertragsbedingungen durch den Verwender 62 § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt weiter voraus, dass der Verwender die Vertragsbedingungen der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrages stellt. Zweck dieser Voraussetzung der Annahme Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist es, jener Vertragspartei, auf deren Initiative die Einbringung eines vorformulierten Bedingungswerkes in den Vertrag basiert, die Rolle des Verwenders zuzuschreiben.237 Das Merkmal des Stellens ist nach der Rechtsprechung des BGH vor dem Hintergrund des wesentlichen Charakteristikum von AGB zu sehen, das der Gesetzgeber in der Einseitigkeit ihrer Auferlegung sowie in dem Umstand gesehen hat, dass der andere Vertragsteil, der mit einer solchen Regelung konfrontiert wird, auf ihre Ausgestaltung gewöhnlich 230 BGH 3.4.1998 – V ZR 6/97, NJW 1998 2600, 2600 (juris Rn. 16). 231 BGH 11.7.2019 – VII ZR 266/17, BGHZ 223 1-12 = NJW 2019 2997, 2999 (Rn. 31). 232 BGH 13.9.2001 – VII ZR 487/99, NJW-RR 2002 13, 14 (juris Rn. 24); BGH 10.3.1999 – VIII ZR 204/98, BGHZ 141 108, 111 = VersR 1999 741, 742 (juris Rn. 11); MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 18; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/ Habersack12 § 305 Rn. 23 ff. 233 In diesem Sinne etwa Buz AcP 2019 1, 18 ff.; Hellwege Allgemeine Geschäftsbedingungen, einseitig gestellte Vertragsbedingungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre (2010) 571 ff.; Niebling MDR 2017 742, 750. 234 Larenz/Wolf9 § 42 Rn. 30. 235 Schmidt-Salzer VersR 1991 1261; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 264. 236 Schmidt-Salzer VersR 1991 1261; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 264. 237 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 26 m. w. N.; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 21; Erman/ Roloff15 § 305 Rn. 12. Beckmann

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Begriff der AGB bzw. der AVB (§ 305 Abs. 1 BGB)

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keinen Einfluss nehmen kann.238 Ein Stellen der Vertragsbedingungen ist danach gegeben, wenn die Formularbestimmungen auf Initiative einer Partei oder ihres Abschlussgehilfen in die Verhandlungen eingebracht und ihre Verwendung zum Vertragsschluss verlangt werden.239 Der (einseitige) Wunsch einer Partei, bestimmte, von ihr bezeichnete, vorformulierte Vertragsbedingungen zu verwenden, ist danach grundsätzlich ausreichend.240 Verwender von AGB ist danach diejenige Partei, auf deren Veranlassung die Einbeziehung der vorformulierten Bedingungen in den Vertrag zurückgeht.241 In aller Regel bereitet es gerade für Versicherungsverträge keine Schwierigkeiten, denjenigen, der als Klauselverwender die AVB stellt, zu bestimmen; denn in aller Regel werden die AVB durch den VR gestellt. Aufgrund der Fiktion des § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB gilt dies erst recht für Verbraucherverträge (dazu sogleich Rn. 63). Schwierigkeiten können insbesondere dann bestehen, wenn ein Dritter Vertragsbedingungen formuliert hat. In diesem Fall ist entscheidend, ob eine der Vertragsparteien sie sich zurechnen lassen muss;242 diese Frage hat insbesondere Bedeutung bei sog. Maklerbedingungen (dazu Rn. 64). Die Verwendereigenschaft der AVB kann sich nach der Lebenserfahrung aus einem ersten Anschein auf Grund von Inhalt und Gestaltung eines Vertrags, der Logogestaltung sowie der Angabe bestimmter Vertretungsverhältnisse ergeben.243 Bei Verbraucherverträgen wird das „Stellen“ der AGB durch den Unternehmer gem. § 310 63 Abs. 3 Nr. 1 BGB fingiert, es sei denn, dass sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden. Diese Fiktion spielt insbesondere eine Rolle, wenn die Einbeziehung von Vertragsbedingungen auf Vorschlag eines Dritten erfolgt (sog. Drittbedingungen).244 Die Regelung hat insbesondere für sog. Maklerbedingungen Auswirkungen (dazu sogleich unter Rn. 64). Von Bedeutung ist die Verwendung von Maklerbedingungen.245 Damit sind grundsätzlich 64 Vertragsbedingungen gemeint, die nicht vom VR, sondern vom – im Auftrag des VN handelnden – Versicherungsmakler entworfen und auf dessen Veranlassung in den Versicherungsvertrag einbezogen werden.246 In diesem Zusammenhang gilt es grundsätzlich zu differenzieren. Bei Bedingungen, die der 65 Versicherungsmakler zwar entworfen, diese aber mit dem VR ausgehandelt hat, handelt es sich bereits aufgrund von § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht um AGB.247 Ein VR dürfte vom Versicherungsmakler entworfene Bedingungen in der Regel erst nach sachkundiger Prüfung akzeptieren.248 238 BGH 20.1.2016 – VIII ZR 26/15, VersR 2017 1287, 1289 (Rn. 24); BGH 17.2.2010 – VIII ZR 67/09, BGHZ 184 259, 264 = VersR 2010 1036, 1037 (Rn. 12) jeweils unter Hinweis auf BTDrucks. 7/3919 S. 15 f. 239 BGH 20.1.2016 – VIII ZR 26/15, VersR 2017 1287, 1289 (Rn. 24); BGH 20.2.2014 – IX ZR 137/13, NJW-RR 2014 937, 937 (Rn. 9); BGH 13.5.2014 – XI ZR 170/13, NJW-RR 2014 1133, 1134 (Rn. 24); BGH 17.2.2010 – VIII ZR 67/09, BGHZ 184 259, 264 = VersR 2010 1036, 1037 (Rn. 11). 240 BGH 20.1.2016 – VIII ZR 26/15, VersR 2017 1287, 1289 (Rn. 24); BGH 17.2.2010 – VIII ZR 67/09, BGHZ 184 259, 264 f. = VersR 2019 1036, 1037 (Rn. 12). 241 BGH 20.7.2011 – IV ZR 180/10, VersR 2011 1173, 1175 (Rn. 25); BGH 27.1.2017 – V ZR 130/15, NJW 2017 1540, 1541 (Rn. 11); BGH 22.7.2009 – IV ZR 74/08, VersR 2009 1477, 1477 (Rn. 3); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 27. 242 BGH 1.3.2013 – V ZR 31/12, NJW-RR 2013 1029, 1030 (Rn. 17); BGH 27.1.2017 – V ZR 130/15, NJW 2017 1540, 1541 (Rn. 11). 243 BGH 20.7.2011 – IV ZR 180/10, VersR 2011 1173, 1175 (Rn. 25); Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 24; Langheid, GS Hübner (2012) 137, 139. 244 Ob man hierin die eigentliche Bedeutung dieser Fiktion sieht (so Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 310 Rn. 73 unter Hinweis auf eine tendenziell andere, aber nicht ganz klare Gegenposition des BGH 10.3.1999 – VIII ZR 204/98, BGHZ 141 108, 112 f. = VersR 1999 741, 742 (juris Rn. 14)), ist letztlich nicht entscheidend. 245 Literaturhinweise: Thiel Über Maklerbedingungen in Versicherungsverträgen, RuS 2011 1; Hösker Maklerbedingungen und AGB-Recht, VersR 2011 29; Golz D&O-Maklerbedingungen als AGB?, VersR 2011 727; Joost Maklerbedingungen in der deutschen Seekaskoversicherung (1972). 246 Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 8. 247 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 266; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 26; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 8; Thiel RuS 2011 1, 5 ff; Schirmer Symposion 80 Jahre VVG 265, 295. 248 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 26; Golz VersR 2011 727, 728. 189

Beckmann

Einf. C

Allgemeine Versicherungsbedingungen

Allein eine solche Prüfung begründet aber noch kein Aushandeln i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB, so dass man nicht sagen kann, dass vom Makler vorgeschlagene AVB stets ausgehandelt sind.249 Es lässt sich aber annehmen, dass bei Verwendung zumindest einzelner vom Versicherungsmakler entworfener Bedingungen ein konkretes Aushandeln vielfach jedenfalls nicht fernliegt.250 66 Fehlt es an einem Aushandeln zwischen Versicherungsmakler und VR und sind die Versicherungsbedingungen durch einen vom VN beauftragten Makler entworfen und auf dessen Betreiben in den Versicherungsvertrag einbezogen worden, handelt es sich nach der Rechtsprechung des BGH nicht um AVB des VR;251 in dem zugrunde liegenden Fall war zudem unstreitig, dass der VR anders gestaltete eigene Bedingungen für die in Rede stehende D&O-Versicherung für diejenigen Verträge verwendet, die nicht unter Vermittlung des VM abgeschlossen werden. Vom BGH in der genannten Entscheidung zwar nicht entschieden, aber nach wohl h. L. sind die AVB in diesem Falle vom VN gestellt.252 Die dogmatische Begründung dieser Zurechnung ist indes umstritten. Vielfach wird auf der Basis der grundsätzlichen versicherungsmaklerrechtlichen Lagertheorie253 eine Zurechnung damit begründet, dass der Versicherungsmakler „im Lager“ des VN steht.254 Ähnlich soll auf die Nähe desjenigen, der die Bedingungen formuliert hat, abgestellt werden.255 Weiter vertreten wird eine Zurechnung über § 278 BGB;256 hiergegen spricht indes, dass § 278 BGB eine Verschuldenszurechnung regelt. Näher liegt demgegenüber eine Zurechnung über den Grundgedanken des § 166 BGB.257 Des Weiteren wird auch die Initiative zur Einbeziehung mit herangezogen.258 Zu Recht hat der BGH indes der Auffassung eine Absage erteilt, jeweils denjenigen Vertragspartner als Verwender anzusehen, den die einzelne Klausel begünstigt;259 für die Frage des Stellens einer AGB kommt es nicht auf deren Inhalt an. Hat der Versicherungsmakler eine vom VN erteilte Abschlussvollmacht, sind rechtsgeschäftliche Handlungen des Maklers dem VN gem. § 164 Abs. 1 BGB zuzurechnen. Werden die Vertragsbedingungen auf Initiative des Versicherungsmaklers in die Verhandlungen eingebracht, so wird dies mithin dem VN zugerechnet.260 Selbst wenn der Versicherungsmakler keine Abschlussvollmacht inne hat, so lässt sich in aller Regel – insbesondere wenn er aufgrund eines Maklervertrags mit dem VN handelt – ein Einbringen der Bedingungen dem VN zurechnen. Dies lässt sich zum einen damit begründen, dass in diesem Fall der Makler als Abschlussgehilfe des VN eingeordnet werden kann und ein Stellen der Vertragsbedingungen gegeben ist, wenn die Formularbestimmungen auf Initiative einer Partei oder ihres Abschlussgehilfen in die Verhandlungen eingebracht und ihre Verwendung zum Vertragsschluss verlangt werden261 (vgl. bereits oben Rn. 62).262 Zum anderen lässt sich eine Zurechnung mit der zuvor genannten Ansicht damit begründen, dass der Versicherungsmakler „im Lager“ des VN steht. 249 Zutreffend Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 21; so bereits gemeint, aber teilweise missverstanden Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann3 § 10 Rn. 48 und Vorauflage.

250 Zu den Voraussetzungen eines solchen Aushandelns Thiel RuS 2011 1, 5 ff.; Golz VersR 2011 727 f.; vgl. hier auch noch Rn. 71. 251 BGH 22.7.2009 – IV ZR 74/08, VersR 2009 1477, 1477 (Rn. 4) betr. eine D&O-Versicherung. 252 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 18; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 8; Thiel RuS 2011 1, 3 f.; Hösker VersR 2011 29, 34 f.; v. Westphalen NJW 2010 2254 f.; Schirmer Symposion 80 Jahre VVG 265, 295. 253 BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14, VersR 2016 1118, 1120 (Rn. 19) auf der Grundlage der Sachwalter-Entscheidung BGH 22.5.1985 – IVa ZR 190/83, BGHZ 94 356, 359 = VersR 1985 930, 931 (juris Rn. 11); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 59 Rn. 7; Bruck/Möller/Schwintowski9 § 59 Rn. 64. 254 Hösker VersR 2011 29, 35; Thiel RuS 2011 1, 4; Langheid/Müller-Frank NJW 2010, 34. 255 Frey ZIP 1993 572, 577; Sieg VersR 1993 1305, 1306. 256 Bartsch NJW 1986 28, 30 (für das Bauherrenmodell). 257 Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 27. 258 BGH 24.5.1995 – XII ZR 172/94, BGHZ 130 50, 58 = NJW 1995 2034, 2035 f. (juris Rn. 22). 259 BGH 24.5.1995 – XII ZR 172/94, BGHZ 130 50, 57 = NJW 1995 2034, 2035 (juris Rn. 22). 260 So zu Recht Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 18. 261 BGH 20.1.2016 – VIII ZR 26/15, VersR 2017 1287, 1289 (Rn. 24). 262 Im Ergebnis ebenso Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 20 (analog § 164 Abs. 1 BGB). Beckmann

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Steht der Versicherungsmakler ausnahmsweise nicht im Lager des VN, sondern agiert er als 67 Vertreter des VR, so sind vom Makler formulierte Vertragsbedingungen dem VR zuzurechnen.263 Das Gleiche gilt, wenn der Versicherungsmakler AVB des VR verwendet. Auch dann handelt es sich um vom VR gestellte AVB; man kann schon nicht von Maklerbedingungen sprechen. Auf diese Weise kann sich der VR nicht der AGB-rechtlichen Kontrolle entziehen.264 Schließlich ist es denkbar, dass bei Bedingungen, die von einem neutralen Dritten – z. B. 68 einem Notar, Treuhänder, Internet-Plattformen (z. B. bei Internetauktionen) – formuliert worden sind, eine Zurechnung zu Lasten einer der Vertragsparteien ganz entfallen kann, weil eben eine Zurechnung gegenüber einer der Parteien nicht angenommen werden kann.265 Entsprechendes gilt für die Einbeziehung von Vertragsmustern, die von dritter Seite aufgestellt sind, wenn der andere Vertragsteil in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und insbesondere Gelegenheit erhält, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlungen einzubringen.266 Im Versicherungsrecht dürfte dieser Befund keine allzu große Rolle spielen. Relevanz können Drittbedingungen im Versicherungsrecht erlangen, wenn z. B. Versicherungsanfragen über Internetplattformen – bzw. internetbasierte Sprachassistenten o. Ä. – erfolgen. Insoweit lassen sich die Geschäftsbedingungen des Betreibers der Plattform für die Nutzung der Plattform grundsätzlich als Vertragsbedingungen eines neutralen Dritten einordnen.267 Wie bereits zum Ausdruck gebracht (oben Rn. 63), bleibt § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB zu beachten, 69 wonach bei Verbraucherverträgen AGB als vom Unternehmer gestellt gelten, es sei denn der Verbraucher hat sie in den Vertrag eingeführt. Ggf. muss der VR im Rahmen von § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB beweisen, dass die AVB vom Verbraucher eingeführt sind.

V. Vorbehalt bei ausgehandelten Vertragsbedingungen (§ 305 Abs. 1 Satz 3 BGB) Allgemeine Geschäftsbedingungen und damit auch AVB liegen nach der Einschränkung des 70 § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht vor, soweit die Bedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind, es sich also um Individualabreden handelt.268 Hinsichtlich der eingangs erwähnten Richtlinie 93/13 EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (sog. Klauselrichtlinie dazu Rn. 12 ff.) über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen hatte die Kommission zwar zunächst einen Entwurf vorgelegt, nach dem sogar individuell ausgehandelte Verträge der Inhaltskontrolle unterworfen werden sollten,269 ausweislich Erwägungsgrund 12 findet aber auch die RL nunmehr keine Anwendung auf solche Vertragsklauseln, welche einzeln ausgehandelt wurden. Voraussetzung für ein Aushandeln der Vertragsbedingungen ist, dass der Verwender den 71 in seinen AGB enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen mit zumindest 263 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 23; vgl. auch BGH 17.1.2001 – IV ZR 282/99, VersR 2001 368, 369 (juris Rn. 13). 264 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 266; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 26; Thiel RuS 2011 1, 8; Langheid/ Wandt/Reiff2 AVB Rn. 8; grds. auch Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 22. 265 BGH 27.1.2017 – V ZR 130/15, NJW 2017 1540, 1541 (Rn. 11); BGH 1.3.2013 – V ZR 31/12, NJW-RR 2013 1028, 1029 (Rn. 17); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 31. 266 BGH 17.2.2010 – VIII ZR 67/09, BGHZ 184 259, 267 f. = VersR 2010 1036, 1038 (Rn. 18) m. w. N.; Looschelders/ Pohlmann/Pohlmann3, Einl. B Rn. 23; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 29. 267 Vgl. Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 29; OLG Hamm 14.12.2000 – 2 U 58/00, NJW 2001 1142, 1143 (juris Rn. 92). 268 BGH 15.12.1976 – IV ZR 197/75, NJW 1977 624, 625 (juris Rn. 24); BGH 27.3.1991 – IV ZR 90/90, VersR 1991 692, 692 (juris Rn. 12); BGH 10.10.1991 – VII ZR 289/90, NJW 1992 1107, 1107 f. (juris Rn. 22); MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 37; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 41 ff. 269 Sieg VersR 1993 1305, 1305. 191

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der realen Möglichkeit einräumt, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen.270 Dies ist jedenfalls nach h. M. dann zu bejahen, wenn es als Folge von Verhandlungen zu individuellen Änderungen des vorformulierten Bedingungstextes kommt.271 Gemeint sind damit jedoch inhaltliche Änderungen, bloße Umformulierungen des Vertragstextes genügen jedenfalls nicht.272 Wurde der vorformulierte Vertragstext in unveränderter Form Grundlage des Vertragsschlusses, kann dies zwar ein Hinweis auf mangelnde Einflussmöglichkeit sein;273 dies hindert die Annahme einer ausgehandelten Individualabrede jedoch nicht grundsätzlich.274 Allerdings kann ein „Aushandeln“ dabei nur in Ausnahmefällen angenommen werden; erforderlich ist, dass der Verwender zur Abänderung der Bedingungen bereit und der Vertragspartner sich dessen bei Abschluss des Vertrages auch bewusst war.275 Eine bloße Erläuterung der Vertragsklauseln durch den Verwender276 oder dessen Erklärung zur Verhandlungsbereitschaft, ohne dass es tatsächlich zu konkreten Verhandlungen kommt,277 reicht dafür nicht aus. Die Ausnahme greift vielmehr nur dann, wenn eine „gründliche Erörterung“278 der einzelnen Klausel stattgefunden hat und wenn zusätzlich „besondere Umstände“279 es rechtfertigen, nicht länger von AGB-Klauseln zu sprechen.280 Unzureichend ist hingegen eine vom Vertragspartner unterschriebene, vorformulierte Erklärung, dass die Vertragsklauseln ausgehandelt wurden und seinen Wünschen entsprechen,281 ebenso die Unterschrift unter eine Allgemeine Geschäftsbedingung.282 Im Massengeschäft des Versicherungswesens wird ein Aus-

270 BGH 28.1.1987 – IVa ZR 173/85, BGHZ 99 374, 377 = NJW 1987 1634, 1634 (juris Rn. 18); BGH 19.3.2019 – XI ZR 9/18, NJW 2019 2080, 2081 (Rn. 14); BGH 20.3.2014 – VII ZR 248/13, BGHZ 200 326, 334 = VersR 2014 960, 962 (Rn. 27) BGH 27.4.1988 – VIII ZR 84/87, BGHZ 104 232, 236 = NJW 1988 2465, 2466 (juris Rn. 26); BGH 30.9.1987 – IVa ZR 6/86, VersR 1988 184, 185 (juris Rn. 10); BGH 30.10.1987 – V ZR 174/86, BGHZ 102 152, 157 f. = NJW 1988 558, 559 (juris Rn. 17); BGH 27.3.1991 – IV ZR 90/90, VersR 1991 692, 692 (juris Rn. 14); BGH 10.10.1991 – VII ZR 289/ 90, NJW 1992 1107, 1108 (juris Rn. 22); BGH 25.6.1992 – VII ZR 128/91, NJW 1992 2759, 2760 (juris Rn. 17); BGH 23.1.2003 – VII ZR 210/01, BGHZ 153 311, 321 = NJW 2003 1805, 1807 (juris Rn. 47); siehe auch Ulmer/Brandner/ Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 48 m. w. N.; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 35. 271 OLG Köln 16.4.1984 – 8 U 48/83, 8 U 49/83, BB 1984 1388, 1389; BGH 19.3.2019 – XI ZR 9/18, NJW 2019 2080, 2081 (Rn. 14); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 47. 272 BGH 18.5.1995 – X ZR 114/93, WM 1995 1455, 1456 (juris Rn. 10); MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 35. 273 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 108. 274 BGH 15.12.1976 – IV ZR 197/75, NJW 1977 624, 625 (juris Rn. 25); BGH 9.10.1986 – VII ZR 245/85, NJW-RR 1987 144, 145 (juris Rn. 11); BGH 23.1.2003 – VII ZR 210/01, BGHZ 153 311, 321 = NJW 2003 1805, 1807 (juris Rn. 47); BGH 26.3.2015 – VII ZR 92/14, BGHZ 204 346, 355 = VersR 2016 467, 468 (Rn. 33); BGH 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, BGHZ 143 103, 112 = NJW 2000 1110, 1112 (juris Rn. 27). 275 BGH 26.2.1981 – IVa ZR 99/80, BB 1981 756, 757 (juris Rn. 11); OLG Karlsruhe 1.12.1994 – 12 U 253/94, VersR 1995 645, 646. 276 Vgl. BGH 25.6.1992 – VII ZR 128/91, NJW 1992 2759, 2760 (juris Rn. 17); BGH 27.3.1991 – IV ZR 90/90, VersR 1991 692, 692 (juris Rn. 14 f.); BGH 27.4.1988 – VIII ZR 84/87, BGHZ 104 232, 236 = NJW 1988 2465, 2466 (juris Rn. 26); BGH 30.9.1987 – IVa ZR 6/86, VersR 1988 184, 185 (juris Rn. 10); OLG Düsseldorf 11.10.1996 – 22 U 66/96, NJW-RR 1997 659, 660. 277 Vgl. BGH 10.10.1991 – VII ZR 289/90, NJW 1992 1107, 1108 (juris Rn. 23 f.); BGH 27.3.1991 – IV ZR 90/90, VersR 1991 692, 692 (juris Rn. 14 f.); BGH 20.1.2016 – VIII ZR 26/15, VersR 2017 1287, 1290 (Rn. 30); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 50 m. w. N.; anders die frühere Rspr., BGH 18.11.1982 – VII ZR 305/81, NJW 1983 385, 386 (juris Rn. 12 f.); BGH 15.12.1976 – IV ZR 197/75, NJW 1977 624, 625 (juris Rn. 24 ff.); BGH 19.5.2005- III ZR 437/04, NJW 2005 2543, 2544(Rn. 20). 278 BGH 23.1.2003 – VII ZR 210/01, BGHZ 153 311, 321 = NJW 2003 1805, 1807 (juris Rn. 47); BGH 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, BGHZ 143 103, 112 = NJW 2000 1110, 1112 (juris Rn. 27); zum Begriff s. v. Westphalen ZIP 2007 149, 153. 279 BGH 23.1.2003 – VII ZR 210/01, BGHZ 153 311, 321 = NJW 2003 1805, 1807 (juris Rn. 47); BGH 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, BGHZ 143 103, 112 = NJW 2000 1110, 1112 (juris Rn. 27). 280 v. Westphalen ZIP 2007 149, 152. 281 BGH 18.11.1982 – VII ZR 305/81, BGHZ 85 305, 308 = NJW 1983 385, 386 (juris Rn. 12); BGH 15.12.1976 – IV ZR 197/75, NJW 1977 624, 625 f. (juris Rn. 27). 282 BGH 16.3.1999 – XI ZR 76/98, BGHZ 141 124, 127 = VersR 1999 971, 972 (juris Rn. 12). Beckmann

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Begriff der AGB bzw. der AVB (§ 305 Abs. 1 BGB)

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handeln der Vertragsbedingungen in aller Regel fernliegen. Individuelle Abreden i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB können im Versicherungssektor eher bei besonderen Großrisiken und individuellen Risiken (z. B. bei Sportausfallversicherungen im Rahmen großer Sportereignisse) Bedeutung zukommen.283 Während sich die Beweislast dafür, dass eine Klausel die Voraussetzungen der AGB-Definition erfüllt, grundsätzlich bei demjenigen liegt, der sich auf das Eingreifen des AGB-Rechts beruft,284 obliegt es dem Verwender ein Aushandeln im Einzelnen darzulegen und zu beweisen.285 Sieht das Vertragsformular die Möglichkeit der Abwahl bestimmter Regelungen, etwa 72 durch Streichung einzelner Klauseln vor, handelt es sich gleichwohl nicht um eine Individualvereinbarung.286 Soweit dem VN Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Klauselinhalten geboten werden, führt auch dies nicht automatisch zur Annahme einer Individualvereinbarung. Beschränkt sich die Wahlmöglichkeit auf vorformulierte und damit vorgegebene, standardisierte Bedingungen, liegt ein tatsächliches Aushandeln nach h. M. grundsätzlich nicht vor.287 Erforderlich ist auch hierfür die Entscheidung für eine bestimmte Regelungsalternative als Folge echter Wahlfreiheit.288 Dies ist z. B. der Fall, wenn ein Formular ergänzungsbedürftige Leerräume enthält, deren Ausfüllen der freien Entscheidung unterliegt.289 An einer solchen Wahlfreiheit fehlt es jedoch, soweit das Formular neben einer Leerstelle vorformulierte Regelungsalternativen enthält, die aufgrund der Struktur der Klausel aus Sicht eines durchschnittlichen VN im Vordergrund stehen und dessen Möglichkeit, eine individuelle Wahl zu treffen, überlagern.290 Um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt es sich daher, wenn ein Antragsformular hinsichtlich der Vertragslaufzeit vorgedruckte Alternativen („drei Jahre“, „zwei Jahre“) enthält, welche die darüber hinaus bestehende Möglichkeit, eine abweichende Vertragsdauer einzutragen, überdecken.291 Gleiches gilt auch, wenn dem VN die Wahl überlassen wird, ein bestimmtes Risiko in die Versicherung einzubeziehen oder dieses auszuschließen.292 Eine Individualvereinbarung liegt auch nicht vor, wenn der Verwender eine vom VN wider- 73 sprochene Klausel durch eine andere, aber ebenfalls vorformulierte, ersetzt.293 Ausgangspunkt für die Feststellung des Aushandelns sind die Umstände des Vertrags- 74 schlusses, d. h. der Standort der daran beteiligten Parteien. Geschäftsbedingungen werden da283 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 109. 284 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 60 m. w. N. 285 BGH 19.3.2019 – XI ZR 9/18, NJW 2019 2080, 2082 (Rn. 13) m. Anm. Pfeiffer; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/ Habersack12 § 305 Rn. 60 m. w. N. 286 BGH 9.4.1987 – III ZR 84/86, NJW 1987 2011, 2011 (juris Rn. 10); Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 22. 287 BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95, VersR 1996 485, 486 (juris Rn. 17); BGH 10.10.1991 – VII ZR 289/90, NJW 1992 1107, 1108 (juris Rn. 22); BGH 3.12.1991 – XI ZR 77/91, NJW 1992 503, 504 (juris Rn. 15); BGH 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, BGHZ 143 103, 112 = NJW 2000 1110, 1112 (juris Rn. 27 f.); BGH 17.2.2010 – VIII ZR 67/09, NJW 2010 1131, 1133 (Rn. 18); BGH 13.3.2018 – XI ZR 291/16, VersR 2018 1255, 1255 (Rn. 16); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 53; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 11; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 282; kritisch Prölss VersR 2000 1441; siehe aber auch OLG München 16.5.1997 – 21 U 2090/97, VersR 1998 93, 94, wonach das Nichtankreuzen der im Antragsvordruck enthaltenen Frage „Einschluss von Überspannungsschäden durch Blitz“ eine individuelle Vereinbarung über den Ausschluss dieser von den einschlägigen VHB dem Grunde nach mitumfassten Schäden darstelle; dazu krit. Anm. Klimke VersR 1998 94. 288 Vgl. BGH. 6.12.2002 – V ZR 220/02, BGHZ 153 148, 151 = NJW 2003 1313, 1314 (juris Rn. 6). 289 BGH 13.11.1997 – X ZR 135/95, NJW 1998 1066, 1067 (juris Rn. 28); BGH 15.2.2017 – IV ZR 91/16, VersR 2017 538, 539 (Rn. 10). 290 BGH 6.12.2002 – V ZR 220/02, BGHZ 153 148, 151 = NJW 2003 1313, 1314 (juris Rn. 6); BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/ 95, VersR 1996 485, 486 (juris Rn. 18); BGH 18.12.1996 – IV ZR 60/96, VersR 1997 345, 346 (juris Rn. 14); Palandt/ Grüneberg78 § 305 Rn. 11. 291 Vgl. Rn. 57. 292 OLG Hamburg 27.9.1995 – 4 U 183/94, VersR 1998 92, 93; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 11; a. A. OLG München 16.5.1997 – 21 U 2090/97, VersR 1998 93, 94. 293 Vgl. Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 53. 193

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her nicht allein deshalb zu Individualvereinbarungen, weil sie zuvor in kollektiver Weise, z. B. von Repräsentanten von Versicherungswirtschaft und Verbraucherverbänden ausgehandelt und erstellt wurden.294 Dies gilt ebenso für die Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, auch wenn die Tarifvertragsparteien an deren Änderung mitwirken.295 Nach der Rechtsprechung des BGH erfordert § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB als Voraussetzung eines Individualvertrages ein „Aushandeln“ auch im unternehmerischen Bereich.296 Beschränkt sich das Aushandeln auf einzelne Klauseln, so handelt es sich auch nur inso75 weit um eine Individualvereinbarung, das restliche Klauselwerk stellt nach dem Wortlaut des § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB („soweit“) Allgemeine Geschäftsbedingungen dar.297

D. Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag I. Grundsätze 76 Für die Einbeziehung von AVB können unterschiedliche Rahmenbedingungen zur Anwendung gelangen. Zum einen gelten die allgemeinen AGB-rechtlichen Regelungen über die Einbeziehung von AGB: Grundsätzlich gelten die Einbeziehungsvoraussetzungen nach § 305 Abs. 2 BGB. § 305 Abs. 2 BGB findet indes gem. § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB keine Anwendung, wenn AGB gegenüber einem Unternehmer verwendet werden (dazu Rn. 119). Eine spezielle Regelung zur Einbeziehung von AVB in Versicherungsverträgen findet sich in § 49 Abs. 2 VVG für den Vertrag über die vorläufige Deckung (dazu Rn. 118). 77 Unabhängig von solchen Regelungen über die Einbeziehung enthält auch das VVG im Hinblick auf AVB besondere Mitteilungserfordernisse. Gemäß § 7 Abs. 1 VVG ist grundsätzlich erforderlich, dass der VR dem VN rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen einschließlich der AVB in Textform mitteilt.298 Indes betrifft § 7 Abs. 1 VVG nicht die Einbeziehung von AVB in den Vertrag, die Vorschrift bezweckt die Information des VN über den Vertragsinhalt. Die Verletzung des § 7 Abs. 1 VVG führt deshalb auch nicht zu Rechtsfolgen im Hinblick auf die Einbeziehung von AVB in den Vertrag: Vielmehr kann die Frist zum Widerruf durch den VN gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 VVG erst beginnen, wenn dem VN die Informationen (und damit auch die AVB) zugegangen sind; des Weiteren kann die Verletzung der Pflicht des VR gem. § 7 Abs. 1 VVG Schadensersatzansprüche zugunsten des VN auslösen.299 Umgekehrt lässt sich aber sagen, dass bei Einhaltung der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 VVG in der Regel auch die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB erfüllt sein dürften.300 Grundsätzlich sind beide Regelungskomplexe – § 7 Abs. 1 VVG einer-

294 Siehe Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 114; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 59; Hansen VersR 1988 1110, 1111.

295 BGH 23.6.1999 – IV ZR 136/98, BGHZ 142 103, 108 = VersR 1999 1390, 1391 (juris Rn. 17 ff.), wonach dieser Umstand u. U. allerdings im Rahmen der Inhaltskontrolle zu berücksichtigen sei, dazu auch BGH 3.11.1994 – I ZR 100/92, BGHZ 127 275, 281 = VersR 1995 604, 605 (juris Rn. 20 f.); BGH 4.5.1995 – I ZR 90/93, BGHZ 129 323, 327 f. = VersR 1995 1212, 1212 f. (juris Rn. 21). 296 BGH 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, BGHZ 143 103, 112 = NJW 2000 1110, 1111 f. (juris Rn. 27); v. Westphalen ZIP 2006 150; Berger ZIP 2006 2149, 2152 kritisiert die Auffassung der Rechtsprechung als praxisfern. 297 Vgl. BGH 16.1.1985 – VIII ZR 153/83, BGHZ 93 252, 254 f. = NJW 1985 853, 853 (juris Rn. 9); BGH 6.3.1986 – III ZR 195/84, BGHZ 97 212, 215 = NJW 1986 1803, 1803 (juris Rn. 21); BGH 3.4.1998 – V ZR 6/97, NJW 1998 2600, 2601 (juris Rn. 20); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 55 m. w. N.; a. A. etwa Michel/Hilper DB 2000 2513, 2514; v. Westphalen DB 1977 947. 298 Gem. § 7 Abs. 5 VVG finden die Abs. 1-4 auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko i. S. d. § 210 Abs. 2 VVG keine Anwendung. 299 Marlow/Spuhl4 Das Neue VVG Rn. 72; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 18. 300 So auch Schimikowski RuS 2007 309, 310; dazu noch unten Rn. 113. Beckmann

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seits und § 305 Abs. 2 BGB andererseits – im Hinblick auf Tatbestand und Rechtsfolgen nebeneinander anwendbar.301

1. Einbeziehung von AVB gemäß § 305 Abs. 2 BGB § 305 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass der VR den VN bei Vertragsschluss auf die Verwendung der 78 AVB hinweist (dazu Rn. 79) und dass der VN in zumutbarer Weise Kenntnis von ihrem Inhalt nehmen kann (dazu Rn. 85); des Weiteren muss der VN mit der Verwendung der AVB zumindest stillschweigend einverstanden sein (dazu Rn. 96). Diese Einbeziehungsvoraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.

a) Hinweis auf die Versicherungsbedingungen (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Gemäß § 305 79 Abs. 2 Nr. 1 BGB muss der Verwender grundsätzlich ausdrücklich auf die AGB hinweisen, damit diese Vertragsbestandteil werden. Diese Voraussetzung trägt dem Umstand Rechnung, dass ein bloßes Kennenmüssen des VN im Hinblick auf den Einbeziehungswillen des VR und der fehlende Widerspruch bei Vertragsschluss nicht zu einer Einbeziehung der AVB führen können.302 Der Hinweis muss bei Vertragsschluss für den VN klar erkennbar, d. h. selbst bei flüchtiger Betrachtung und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen Aufmerksamkeitsmaßstabes nicht zu übersehen sein.303 Ein missverständlicher oder versteckter Hinweis genügt nicht.304 Nicht ausreichend ist daher ein an der Randleiste des Dokuments oder in einer im Vergleich zum sonstigen Vertragstext deutlich kleineren Schrift angebrachter Abdruck.305 Der Hinweis muss sich zudem auf bestimmte Vertragsbedingungen beziehen, woran es etwa mangelt, wenn der Verwender mehrere Fassungen verwendet, ohne dass dem Vertragspartner diejenige erkennbar ist, die dem Vertrag zugrunde gelegt werden soll. Unklarheiten gehen hier zu Lasten des Verwenders.306 Auch die bloße Aushändigung einer Broschüre oder einer CD mit allen AVB, die Verträgen mit Privatkunden zu Grunde liegen können, genügt ohne Hinweis auf die vertragsrelevanten Bedingungen nicht den gesetzlichen Anforderungen.307 Die AVB, die dem angestrebten Vertrag zugrunde liegen sollen, müssen dem Kunden präzise bezeichnet werden.308 Im Falle schriftlichen Vertragsschlusses, der üblichen Vorgehensweise im Bereich von Versi- 80 cherungsverträgen,309 ist grundsätzlich auch ein schriftlicher Hinweis auf die einzubeziehenden Versicherungsbedingungen notwendig. Bei einem beidseitig bedruckten Antragsformular ist der 301 Ähnlich Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 31 betr. andere über § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB hinausgehende Pflichten, z. B. gem. § 312a Abs. 1 BGB (§ 312c Abs. 2 BGB a. F.) oder aufgrund der Art. 246 ff. EGBGB; umfassend MatuscheBeckmann/Beckmann FS Fiedler (2011) 915 ff.; a. A. Funck VersR 2008 163, 165; ähnlich Gaul VersR 2007 21, 24; Marlow/Spuhl4 Das neue VVG Rn. 44 ff.; zum Verhältnis zwischen § 305 Abs. 2 BGB und § 7 Abs. 1 VVG, vgl. noch Rn. 90 ff. 302 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 123. 303 BGH 18.6.1986 – VIII ZR 137/85, NJW-RR 1987 112, 114 (juris Rn. 30 f.); OLG Nürnberg 21.3.1990 – 4 U 3979/89, BB 1990 1998, 1999 (juris Rn. 4 f.); vgl. auch BGH 21.2.2017 – X ZR 49/16, VersR 2017 696, 697 (Rn. 20); Beckmann/ Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 116; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 27; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 64. 304 Vgl. OLG Düsseldorf 15.10.1981 – 18 U 50/81, VersR 1982 872, 872; OLG Nürnberg 21.3.1990 – 4 U 3979/89, BB 1990 1998, 1999 (juris Rn. 5). 305 OLG Düsseldorf 15.10.1981 – 18 U 50/81, VersR 1982 872, 872; BGH 21.2.2017 – X ZR 49/16, VersR 2017 696, 697 f. (Rn. 20). 306 Etwa BGH 24.3.1988 – III ZR 21/87, NJW 1988 2106, 2108 (juris Rn. 35); MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 64; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 125 f. m. w. N. 307 Schimikowski RuS 2007 309, 310. 308 Schimikowski RuS 2007 309, 310. 309 Vgl. BGH 1.10.1975 – IV ZR 202/73, VersR 1975 1090, 1092 (juris Rn. 16); BGH 22.5.1991 – IV ZR 107/90, VersR 1991 910, 910 (juris Rn. 11); Beckmann/Matusche-Beckmann/K. Johannsen3 § 8 Rn. 44. 195

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Hinweis auf dessen Vorderseite anzubringen, ein bloßer Abdruck der Versicherungsbedingungen auf der Rückseite genügt nicht.310 Ebenso unzureichend ist die Beifügung der AVB als Anlage ohne Bezugnahme im Vertragsformular.311 Soweit sich der Hinweis am Fußende des Formulars unterhalb der Unterschriftenzeile des Formulars befindet, muss er durch eine deutliche Form in besonderer Weise hervorgehoben sein, um die Einbeziehung der Vertragsbedingungen zu gewährleisten.312 Bei Formularverträgen, bei denen die Vertragsklauseln als Teil des Vertragstextes in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen worden sind und somit keinen äußerlich gesonderten Bestandteil bilden (§ 305 Abs. 1 Satz 2 BGB), ist ein zusätzlicher Hinweis nicht notwendig.313 Bei Vertragsabschlüssen über das Internet ist ebenfalls ein an diese Vertriebsform angepasster Hinweis auf die Vertragsbedingungen erforderlich. Der ausdrückliche Hinweis kann durch eine individuelle E-Mail erfolgen.314 Im Rahmen des Hinweises ausschließlich über das Internet genügt nicht die bloße Möglichkeit, die Vertragsbedingungen von der Internetseite des Verwenders herunterzuladen.315 Seinen Einbeziehungswillen dokumentiert der Verwender vielmehr erst dann, wenn er an geeigneter Stelle, etwa durch einen Link, hierauf verweist. Ein Hinweis auf der Eingangsseite des Internetauftritts, außerhalb des Bestellformulars, ist jedenfalls nicht ausreichend. Es genügt auch nicht, dass der Vertragspartner lediglich die Möglichkeit hat, bei einer Recherche im Internet-Auftritt auf AGB des Verwenders zu stoßen, etwa, weil sich die AGB auf einer unteren Ebene des Internetauftritts befinden.316 Somit wird grundsätzlich zu fordern sein, den Hinweis in deutlicher, nicht zu übersehender Form in die Antragsmaske aufzunehmen.317 Um Schadensersatzansprüche auszuschließen, kann der VR über die allgemeine Hinweispflicht hinaus gehalten sein, den VN auf bestimmte Vertragsklauseln von besonderer Bedeutung zusätzlich gesondert aufmerksam zu machen.318 Dies ist etwa der Fall, wenn es dem Versicherungskunden erkennbar auf den Schutz vor einem bestimmten Risiko ankommt, dessen Abdeckung nach den Versicherungsbedingungen gerade ausgeschlossen ist. Während nach alter Rechtslage ein entsprechender Schadensersatzanspruch aus c. i. c. herzuleiten war, ergibt sich eine mögliche Haftung des VR nunmehr aus § 6 Abs. 1 und 5 VVG. Die besondere Regelung des § 305 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 BGB ist für Abschlüsse von Versicherungsverträgen regelmäßig nicht einschlägig. Danach genügt ein Hinweis durch deutlich sichtbaren Aushang, wenn die Art des Vertragsschlusses einen ausdrücklichen Hinweis nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zuließe. Gedacht ist dabei an typische Massengeschäfte 310 Vgl. BGH 14.1.1987 – IVa ZR 130/85, NJW 1987 2431, 2432 (juris Rn. 19 ff.); OLG Nürnberg 21.3.1990 – 4 U 3979/ 89, BB 1990 1998, 1999 (juris Rn. 4); LG Münster 25.7.1979 – 1 S 174/79, VersR 1980 100, 100; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 64; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 27. 311 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 118; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 129. 312 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 129; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 73. 313 Zumal ein solcher Hinweis darauf gerichtet wäre, den Vertragspartner auf die AGB-Eigenschaft des Vertragstextes aufmerksam zu machen, was nicht Sinn und Zweck des § 305 Abs. 2 BGB ist; siehe MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 65. 314 Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner3 § 9 Rn. 51. 315 OLG Hamburg 13.6.2002 – 3 U 168/00, MMR 2002 677, 678 (juris Rn. 33). 316 Mehring BB 1998 2373, 2376; Hoeren/Oberscheidt VuR 1999 371, 378; siehe auch OLG Hamburg 13.6.2002 – 3 U 168/00, MMR 2002 677, 678 (juris Rn. 34). 317 BGH 14.6.2006 – I ZR 75/03, VersR 2007 1436, 1437 (Rn. 16): Möglichkeit des Aufrufens und Ausdruckens über einen auf der Bestellseite gut sichtbaren Link; Dilger Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Internet (2002) 43; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 116; Mehrings BB 1998 2373, 2377; v. Westphalen NJW 2003 1635, 1636. 318 OLG Frankfurt 20.11.1997 – 7 U 138/97, VersR 1998 1103, 1104 (juris Rn. 5); Römer VersR 1998 1313, 1319 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 120; BRHP/Sutschet4 § 311 Rn. 96; siehe auch OLG Saarbrücken 8.10.2004 – 5 U 87/04 – 13, 5 U 87/04, VersR 2005 971, 972 (juris Rn. 24 f.). Beckmann

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des täglichen Lebens mit nur geringem wirtschaftlichen Wert.319 Dies trifft auf Versicherungsverträge auch aufgrund deren inhaltlicher Komplexität grundsätzlich nicht zu.320

b) Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Als weitere Einbe- 85 ziehungsvoraussetzung bestimmt § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB, dass dem VN die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme der AGB zu gewähren ist.321 Ob der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Möglichkeit zur Kenntnisnahme tatsächlich Gebrauch macht, ist für die Frage der Einbeziehung der AGB in den Vertrag unerheblich. Die Anforderungen gem. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB richten sich insbesondere nach der Art des Vertragsschlusses.

aa) Schriftlicher Vertragsschluss. Bei einem schriftlichen Vertragsschluss unter Abwesen- 86 den ist grundsätzlich erforderlich, dass der Klauselverwender die vollständigen AGB dem Vertragspartner übersendet322 (zum Zeitpunkt noch Rn. 98). Geht das Angebot vom Klauselverwender aus, so ist ein ausdrücklicher schriftlicher Hinweis auf die AGB im Angebotstext erforderlich. Die bloße Beifügung der AGB ohne Hinweis im Vertragsangebot ist nicht ausreichend. Gibt umgekehrt der Kunde ein schriftliches Angebot ab und möchte der Klauselverwender nicht ohne seine AGB abschließen, so muss er seinerseits ein neues Angebot unter ausdrücklichem Hinweis auf seine AGB abgeben.323 Letzteres ist aber nicht erforderlich, wenn schon der Kunde sein Angebot unter Bezugnahme von AGB des Klauselverwenders abgibt; das ist etwa dann der Fall, wenn der Klauselverwender dem Kunden zuvor im Rahmen von Vertragsverhandlungen ein Antragsformular mit Hinweis und die AGB ausgehändigt hat und der Kunde dieses Formular bei Abgabe seines Antrags verwendet. Diese Vorgehensweise entspricht letztlich dem Antragsmodell.324

bb) Mündlicher Vertragsschluss. Beim mündlichen Vertragsschluss (im Versicherungsge- 87 schäft zwar möglich,325 aber allenfalls ein Ausnahmefall) muss der Klauselverwender auf die Einbeziehung der AGB hinweisen, um die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu erfüllen. Die weiteren Voraussetzungen werden unterschiedlich beurteilt: Nach der Rechtsprechung ist jedenfalls ein bloßer Hinweis auf die Geltung der AGB nicht ausreichend.326 Im Schrifttum wird dementsprechend auch verlangt, dass der Klauselverwender dem Vertragspartner den AGB-Text aushändigt.327 Demgegenüber wird es für ausreichend erachtet, wenn der Klauselverwender auf die Geltung seiner AGB hinweist, da hierin die Bereitschaft des Klauselverwenders zum Ausdruck komme, dem Kunden Einblick zu gewähren.328 Indes ist dieser zuletzt genannte Standpunkt mit den Erfordernissen des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht vereinbar; allein der Hin319 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 136. 320 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 119, mit Hinweis auf eine abweichende Beurteilung z. B. für den Fall der Garderobenversicherung.

321 Für Einordnung als Obliegenheit des Klauselverwenders etwa Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 145; str. 322 OLG München 15.10.1991 – 9 U 1979/91, NJW-RR 1992 349, 350; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 33; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 121; Staudinger/Mäsch (2019) § 305 Rn. 161. 323 Zum Vorstehenden Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 129, 130 m. w. N. 324 Dazu Beckmann/Matusche-Beckmann/K.Johannsen3 § 8 Rn. 8 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schwintowski3 § 18 Rn. 20 f.; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 7 Rn. 23. 325 Deutsch/Iversen7 Rn. 52; OLG Hamm 6.5.1992 – 20 U 344/91, VersR 1992 1462, 1462 (juris Rn. 6); LG Saarbrücken 5.8.1998 – 14 O 288/97, NVersZ 1999 371, 371 (Rn. 37). 326 BGH 9.11.1989 – VII ZR 16/89, BGHZ 109 192, 196 = NJW 1990 715, 716 (juris Rn. 17) (betr. Einbeziehung von VOB); OLG Düsseldorf 26.10.2010 – I 21 U 159/09, BauR 2012 1662, 1663 (juris Rn. 27). 327 Staudinger/Mäsch (2019) § 305 Rn. 161. 328 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 148. 197

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

weis auf die Geltung der AGB verschafft dem Kunden nicht die Möglichkeit, in zumutbarer Weise vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen. Unabhängig von diesen unterschiedlichen Auffassungen entspricht der von Ulmer vertretene Standpunkt ohnehin nicht den Erfordernissen des § 7 Abs. 1 VVG, auch wenn beide Regelungen (§ 305 Abs. 2 BGB einerseits und § 7 Abs. 1 VVG andererseits) gesondert zu beachten sind (vgl. oben Rn. 77).

88 cc) Fernmündlicher Vertragsschluss. Schwierigkeiten, die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu erfüllen, können im Falle des fernmündlichen Vertragsabschlusses entstehen. Keine Probleme bereitet aber zunächst die Situation, dass dem Kunden bei dem Telefonat z. B. aufgrund vorhergehender Vertragsgespräche bereits die AGB in gedruckter Form vorliegen und der Klauselverwender auf die Geltung hingewiesen hat. Ist dies nicht der Fall vertritt die wohl h. M. den Standpunkt, dass auch beim fernmündlichen 89 Vertragsschluss AGB miteinbezogen werden können. Teilweise wird diese Möglichkeit auf der Grundlage eines individualvertraglich vereinbarten Verzichts auf die Einhaltung der Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB befürwortet; es sei widersinnig, die Obliegenheit zur Kenntnisverschaffung auch gegenüber einem Kunden zu bejahen, der „erklärtermaßen“ keine Kenntnis nehmen will.329 Nach weiterer Ansicht soll bei fernmündlichem Vertragsschluss offenbar sogar schon der ausdrückliche Hinweis des Verwenders auf die Einbeziehung der AGB ausreichen; halte der Kunde in Fällen dieser Art trotz des AGB-Hinweises des Verwenders seine Bestellung kraft individueller Entscheidung aufrecht, so liege hierin ein wirksamer Verzicht auf die Einräumung der Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme.330 Der Unterschied dieser beiden Ansätze liegt darin, dass nach dem Standpunkt von Ulmer die Anforderungen an das Vorliegen eines Verzichts offenbar geringer beurteilt werden. Grundsätzlich ist jedenfalls diesem Ansatz über eine Verzichtslösung zuzustimmen, da der Kunde nach h. M. insbesondere auf die Einhaltung von § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB jedenfalls durch Individualvereinbarung verzichten kann.331 Weist der Klauselverwender zudem in dem Telefonat auf seine AGB hin und hält der Kunde gleichwohl am Vertragsschluss fest, so spricht dies in der Tat dafür, dass er auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme gem. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB verzichtet. Auch wenn § 7 VVG und § 305 Abs. 2 BGB grundsätzlich gesondert zu beachten sind (oben Rn. 77 sowie noch Rn. 113), spricht für die grundsätzliche Möglichkeit des fernmündlichen Vertragsschlusses ohne Vorliegen der AGB beim Kunden – insbesondere für den Abschluss von Versicherungsverträgen – auch die spezielle Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 3 Hs. 1 VVG: Wird der Vertrag auf Verlangen des VN telefonisch oder unter Verwendung eines anderen Kommunikationsmittels geschlossen, das die Information in Textform vor der Vertragserklärung des VN nicht gestattet, muss die Information nach dieser versicherungsvertraglichen Regelung unverzüglich nach Vertragsschluss nachgeholt werden. Nichtsdestotrotz verbleibt es für die Frage der Einbeziehung der AVB gem. § 305 Abs. 2 BGB dabei, dass der Klauselverwender (VR) den Kunden auf die Geltung der AVB jedenfalls hinweisen muss und der Kunde auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Individualabrede verzichtet; an das Vorliegen der Verzichtserklärung sind indes keine besonders hohen Anforderungen zu stellen (dazu noch Rn. 113).

90 dd) Vertragsschluss über das Internet. Beim Zustandekommen eines Versicherungsvertrages über das Internet werden die AVB gleichfalls nur in den Vertrag miteinbezogen, wenn die 329 Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 35. 330 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 149. 331 LG Braunschweig 17.10.1985 – 7 S 128/85, NJW-RR 1986 639, 639; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 73; Palandt/ Grüneberg78 § 305 Rn. 35; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 149; a. A. AG Krefeld 1.4.1996 – 7 C 1114/95, NJW-RR 1997 245, 245. Ein formularmäßiger Verzicht ist nach h. M. allerdings unwirksam, BGH 24.3.1988 – III ZR 21/87, NJW 1988 2106, 2108 (juris Rn. 35); Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 110; Ulmer/Brandner/ Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 149 Fn. 465. Beckmann

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Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

Einf. C

Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB erfüllt sind. Im Hinblick auf die hier in Rede stehende Voraussetzung gem. § 305 Abs. 2 Nr. 2 werden die gesetzlichen Voraussetzungen jedenfalls dann erfüllt, wenn der VR die AVB dem VN bei Vertragsschluss (dazu unten Rn. 98) in elektronischer Form übersandt hat.332 Darüber hinaus (und praktisch relevanter als die Übersendung per EMail) genügt nach wohl inzwischen h. M. und richtiger Auffassung der Klauselverwender den Anforderungen des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wenn der VN den Text der AVB von der Internetseite des VR mit gängiger Software herunterladen und auf seinen eigenen Datenträger speichern bzw. ausdrucken kann.333/334 Dabei hat der VR den AVB-Text graphisch so zu platzieren, dass er vom VN nicht übersehen werden kann.335 Das Internet ist geprägt durch hohe Übertragungsgeschwindigkeiten und der damit verbundenen Möglichkeit, auch umfangreichere Texte in überschaubarer Zeit verfügbar zu machen.336 Das gebührenfreie Herunterladen und Ausdrucken der Versicherungsbedingungen ist mit Hilfe der gängigen Technik problemlos möglich. Eine zumutbare Möglichkeit für den VN, sich deren Inhalte zugänglich zu machen, ist daher grundsätzlich gegeben. Inwieweit er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, obliegt letztlich dem VN selbst; die Aufgabe des VR beschränkt sich darauf, die von ihm zur Verwendung bestimmten Versicherungsbedingungen zur Verfügung zu stellen und den VN in die Lage zu versetzen, hiervon Kenntnis zu erlangen.337 Die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme durch den VN setzt dabei jedoch, ebenso wie bei der Verwendung der Papierform,338 deren Lesbarkeit und Übersichtlichkeit voraus.339 Eine entsprechende grafische Aufbereitung kann etwa bei längeren Versicherungsbedingungen durch das Voranstellen eines Inhaltsverzeichnisses gewährleistet werden.340

ee) Kenntnisnahmemöglichkeit. Die Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit muss für 91 den VN in zumutbarer Weise erfolgen. Dies setzt voraus, dass der Klauselinhalt lesbar und verständlich gehalten ist, so dass auch der Durchschnittskunde mühelos von dessen Inhalt Kenntnis nehmen kann.341 Auch wenn das Transparenzgebot systematisch als Maßstab der Inhaltskontrolle in der Generalklausel des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verankert ist,342 findet es auch bereits im Rahmen der Einbeziehungskontrolle nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB entsprechende Berücksichtigung.343 Im Unterschied zu § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB geht es hier jedoch in erster Linie 332 Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner3 § 9 Rn. 52. 333 BGH 14.6.2006 – I ZR 75/03, VersR 2007 1436, 1437 (Rn. 16); Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner3 § 9 Rn. 52 m. w. N.; a. A. noch Abram NVersZ 2000 551, 556, wonach die Menge an Informationen in den komplexen Versicherungsbedingungen keine adäquate Vermittlung über das Internet erlaube. 334 Für einen Vertragsabschluss per Bildschirmtext (BTX) hatte die Rechtsprechung zunächst Einschränkungen entwickelt (vgl. OLG Köln 21.11.1997 – 19 U 128/97, VersR 1998 725, 725 f. (juris Rn. 7)); diese Einschränkungen finden aber auf das Internet wegen dessen wesentlich benutzerfreundlicherer Oberfläche keine Anwendung, vgl. MüKoBGB/Basedow8 § 305 Rn. 75. 335 Stoffels AGB-Recht3 Rn. 271. 336 Hoeren/Spindler/Hoeren Versicherungen im Internet – Rechtliche Rahmenbedingungen 15; Leverenz Rechtliche Aspekte zum Versicherungsgeschäft im Internet 75; Hoppmann/Moos NVersZ 1999 197, 198; Waldenberger BB 1996 2368. 337 Siehe Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 126 und 134. 338 Allgemein zur Zumutbarkeit der Kenntnisnahme Rn. 85. 339 Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 88; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 150; Hübner ZVersWiss 2001 351, 357; Hoppmann/Moos NVersZ 1999 197, 198 f. 340 Hoeren/Spindler/Hören Versicherungen im Internet – Rechtliche Rahmenbedingungen 15; siehe auch Hoppmann/Moos NVersZ 1999 197, 199. 341 BGH 3.2.1986 – II ZR 201/85, VersR 1986 678, 679 (juris Rn. 7); LG Frankfurt 10.6.2016 – 2-3 O 364/15, CR 2017 597, 600(juris Rn. 215); OLG Düsseldorf 10.4.2014 -I-6 U 132/13 (juris Rn. 39); MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 78; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 37. 342 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 359; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 80. 343 Siehe OLG Schleswig 27.3.1995 – 4 RE-Miet 1/93, NJW 1995 2858, 2859 (juris Rn. 16 ff.); Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 39; einschränkend Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 38. 199

Beckmann

Einf. C

Allgemeine Versicherungsbedingungen

um die Präsentation der Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit sowie insbesondere um eine formal-sprachliche Würdigung der AVB.344 92 Die Lesbarkeit eines Klauselwerkes setzt zunächst eine Darstellung voraus, die auf unangemessenen Kleindruck verzichtet, um die optische Erkennbarkeit der vorformulierten Regelungsinhalte zu gewährleisten.345 AVB in einer Schriftgröße und mit einem Zeilenabstand von je 1 mm erfüllen das Erfordernis der Lesbarkeit damit nicht mehr.346 Über rein äußerliche Gestaltungsvorgaben hinaus geht das Gebot der Verständlichkeit, das ein Mindestmaß an Übersichtlichkeit erfordert. Daran fehlt es beispielsweise, wenn eine Klausel auf nicht abgedruckte gesetzliche Vorschriften verweist und daher nur für Juristen, nicht mehr hingegen für den durchschnittlichen Vertragspartner aus sich heraus verständlich ist.347 Verweisungen auf andere Regelwerke sind jedoch grundsätzlich zulässig,348 solange das dadurch geschaffene Regelwerk nicht so komplex wird, dass es für den Vertragspartner nicht mehr zu durchschauen ist.349 Ein übermäßiger Gebrauch juristischer oder technischer Fachausdrücke kann ebenso die Verständlichkeit beeinträchtigen.350 Ein Maß an Unverständlichkeit, welches letztlich die Nichteinbeziehbarkeit eines entsprechende Formulierungen enthaltenden Klauselwerkes zur Folge hat, dürfte allerdings erst dann erreicht sein, wenn dem durchschnittlichen VN der wesentliche Regelungsgehalt der Versicherungsbedingungen hierdurch verschlossen bleibt.351 Die Notwendigkeit des maßvollen Einsatzes von fachspezifischem Vokabular ist Folge der fachlichen Komplexität des Versicherungsvertragsrechts. 93 Probleme betr. die Verständlichkeit ergeben sich durch die Verwendung salvatorischer Klauseln wie „soweit gesetzlich zulässig“. Nach überwiegender Ansicht können solche Klauseln zumindest dann nicht wirksam vereinbart werden, wenn dem Verwender eine genauere Formulierung aufgrund einer unzweifelhaften Rechtslage möglich ist.352 Da rechtliche Unklarheiten jedoch nicht zu Lasten des Vertragspartners gehen dürfen, ist eine entsprechende Klausel allerdings auch dann nicht Vertragsbestandteil, wenn der Verwender zur Formulierung einer verständlicheren Klausel aufgrund einer unklaren Rechtslage nicht zweifelsfrei in der Lage ist.353 Im Hinblick auf das Erfordernis der Verständlichkeit ist zu beachten, dass Allgemeine Ge94 schäftsbedingungen grundsätzlich in der von den Vertragsparteien gewählten Verhandlungssprache auszufertigen sind.354 Das bedeutet, dass der Verwender nach in deutscher Sprache geführten Vertragsverhandlungen und in Deutschland geschlossenen Verträgen gegenüber Ausländern nicht zur Übersetzung des Klauselwerkes verpflichtet ist.355 Im Falle mehrsprachiger 344 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 150; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 80. 345 Siehe BGH 30.5.1983 – II ZR 135/82, VersR 1983 1077, 1079 (juris Rn. 13); OLG Hamm 20.11.1987 – 26 U 243/86, NJW-RR 1988 944, 944; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 131; Schimikowski RuS 1998 553, 558. 346 OLG Hamburg 14.4.1987 – 12 U 89/85, BB 1987 1703, 1704; LG München I 13.7.1995 – 7 O 23878/94, VuR 1996 36, 36. 347 OLG Schleswig 27.3.1995 – 4 RE-Miet 1/93, NJW 1995 2858, 2859 (juris Rn. 18); siehe auch BGH 19.1.2005 – XII ZR 107/01, BGHZ 162 39, 47 f. = VersR 2005 414, 415 (juris Rn. 28). 348 BGH 19.1.2005 – XII ZR 107/01, BGHZ 162 39, 47 f. = VersR 2005 414, 415 (juris Rn. 28); OLG Nürnberg 29.2.2000 – 3 U 3127/99, VersR 2000 713, 714 (juris Rn. 105). 349 BGH 21.6.1990 – VII ZR 308/89, BGHZ 111 388, 390 f. = NJW 1990 3197, 3198 (juris Rn. 18). 350 Mehrings BB 1998 2373, 2377. 351 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 131. 352 BGH 12.10.1995 – I ZR 172/93, VersR 1996 651, 653 (juris Rn. 30); BGH 20.11.2012 – VIII ZR 137/12, WuM 2013 293, 293 (Rn. 3); OLG Stuttgart 19.12.1980 – 2 U 122/80, NJW 1981 1105, 1106 (juris Rn. 53); v. Westphalen WM 1983 974, 985; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 82. 353 MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 82; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 153; zur a. A. OLG Stuttgart 19.12.1980 – 2 U 122/80, NJW 1981 1105, 1106 (juris Rn. 54); Bunte NJW 1981 2657, 2661; Lindacher BB 1983 154, 157. 354 Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 89. 355 BGH 10.3.1983 – VII ZR 302/82, BGHZ 87 112, 114 f. = NJW 1983 1489, 1489 (juris Rn. 9); BRHP/J. Becker4 § 305 Rn. 62; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 40 m. w. N. Beckmann

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Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

Einf. C

AGB-Fassungen, die inhaltlich voneinander abweichen, wird die in der Verhandlungssprache verfasste Version Vertragsinhalt.356

ff) Rücksichtnahmegebot. Ist der Vertragspartner für den Verwender erkennbar körperlich 95 behindert, hat der AGB-Verwender hierauf angemessen Rücksicht zu nehmen. Dieser sich bereits aus der Notwendigkeit der Ermöglichung zumutbarer Kenntnisnahme ergebende Grundsatz ist in § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB nunmehr ausdrücklich geregelt. Eine die Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigende Behinderung liegt insbesondere bei Sehbehinderten vor.357 Um auch diesem Personenkreis die Möglichkeit einer inhaltlichen Erfassung der AVB zu gewährleisten, sind die Vertragsbedingungen in geeigneter Weise, etwa durch Aushändigung in Braille-Schrift bzw. in elektronischer oder akustischer Form zugänglich zu machen.358 Angemessene Rücksichtnahme bedeutet allerdings nicht, dass der Klauselverwender jede konkret mentale Erkenntnismöglichkeit zu berücksichtigen hat.359 Eine der individuellen Sehkraft des jeweiligen Vertragspartners in der Schriftgröße angepasste Abfassung der Vertragsbedingungen durch den Verwender ist daher nicht erforderlich.360 Nicht in den Regelungsbereich des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB fallen Analphabeten, da deren Behinderung für den Verwender in der Regel nicht erkennbar ist und diese Einschränkung auch nicht als körperliche Behinderung verstanden werden kann.361 c) Einverständnis des Versicherungsnehmers (§ 305 Abs. 2 letzter Hs. BGB). § 305 96 Abs. 2 BGB enthält als weitere Einbeziehungsvoraussetzung das Einverständnis der anderen Vertragspartei, d. h. des VN, mit der Geltung der Vertragsbedingungen. Das Einverständnis kann dabei auf die AVB in ihrer Gesamtheit bezogen sein. Die Kenntnis des VN vom Inhalt der einzelnen Klauseln ist nicht erforderlich.362 Das Einverständnis kann zudem nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent erklärt werden.363 Es ist anzunehmen, wenn das Verhalten des Vertragspartners den Umständen nach als Einverständnis mit der Geltung der AGB angesehen werden kann. Auf die Kenntnis des Inhalts der AGB kommt es dabei nicht an.364 Nach h. M. ist es in der Regel zu bejahen, wenn nach vorheriger Erfüllung von § 305 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BGB der Vertrag zustande kommt.365 An das Einverständnis werden keine hohen Anforderungen gestellt; deshalb reicht es nach wohl h. M. aus, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders der Einbeziehung der AGB nicht ausdrücklich widerspricht.366 Auf Versicherungsverträge bezogen bedeutet dies, dass ein VN, der mit der Geltung der AVB nicht einverstanden ist, dies im Regelfall erklären und deren Einbeziehung ausdrücklich widersprechen muss.

356 BGH 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996 1819, 1819 (juris Rn. 9). 357 Vgl. RegBegr. BTDrucks. 14/6040 S. 150. 358 Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 38; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 137; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 79. 359 Siehe Gesetzesbegründung, BTDrucks. 14/6040 S. 151. 360 BTDrucks. 14/6040 S. 150; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 79; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 38. 361 Heinrichs NZM 2003 6, 8; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 38; differenzierend jurisPK/Lapp/Salamon8 § 305 Rn. 110; a. A. NK-BGB/Kollmann3 § 305 Rn. 85. 362 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 161; Staudinger/Mäsch (2019) § 305 Rn. 179. 363 BGH 1.3.1982 – VIII ZR 63/81, NJW 1982 1388, 1389 (juris Rn. 8); OLG Köln 21.11.1997 – 19 U 128/97, VersR 1998 725, 725 (juris Rn. 6); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 161; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 105. 364 Erman/Roloff15 § 305 Rn. 41. 365 Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 41; Erman/Roloff15 § 305 Rn. 41; Schimikowski RuS 2007 309, 310; Nomos Kommentar BGB/Kollmann3 § 305 Rn. 83. 366 BRHP/J. Becker4 § 305 Rn. 67; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 105; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/ Habersack12 § 305 Rn. 161. 201

Beckmann

Einf. C

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

Im Falle eines Widerspruchs durch den Kunden gegen die Einbeziehung der AGB in den Vertrag scheitert gem. § 154 Abs. 1 BGB der Vertragsschluss, wenn die Parteien nicht erkennen lassen, dass sie gleichwohl am Vertrag festhalten wollen.367 Grundsätzlich denkbar ist des Weiteren – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – die Anfechtung des Einverständnisses durch den Kunden.368

98 d) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfüllung der Einbeziehungsvoraussetzungen gem. § 305 Abs. 2 BGB. Die Voraussetzungen insbesondere gem. § 305 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB369 müssen „bei Vertragsschluss“ vorliegen.370 Für den maßgeblichen Zeitpunkt wird zwischen den unter Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 genannten Voraussetzungen unterschieden. Der ausdrückliche Hinweis nach Nr. 1 (dazu oben Rn. 79) hat in dem Zeitpunkt zu erfolgen, in dem der Verwender ein bindendes Angebot abgibt. Gibt hingegen der Kunde das Angebot ab und hat der Verwender zuvor noch nicht auf die AGB hingewiesen, gilt die mit einem Einbeziehungsverlangen versehene Annahmeerklärung des Verwenders als neues Angebot.371 Der Klauselverwender genügt aber den Anforderungen der Nr. 1, wenn zwar das Angebot vom Kunden ausgeht, dieses Angebot aber bereits z. B. aufgrund entsprechender vom Verwender erstellter Antragsformulare schon den Hinweis auf die AGB umfasst.372 Das Erfordernis nach Nr. 2 (dazu oben Rn. 85) muss nach h. M. erfüllt sein, bevor sich 99 der VN durch Abgabe einer Willenserklärung bindet.373 Man wird aus § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG („rechtzeitig vor Abgabe“ der Vertragserklärung des VN) auch nicht herleiten können, dass nach neuer Rechtslage nun auch die Möglichkeit der zumutbaren Kenntnisnahme i. S. d. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein zeitliches Element haben muss;374 insoweit wirkt sich § 7 Abs. 1 VVG nicht auf die Einbeziehung der AVB aus. Des Weiteren muss auch das Einverständnis des Kunden gem. § 305 Abs. 2 letzter Hs. BGB (dazu Rn. 96) grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt vorliegen.375

100 e) Beweislast. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB trägt derjenige, der sich auf die AGB beruft; das ist in der Regel der Klauselverwender.376

367 BGH 26.9.1973 – VIII ZR 106/72, BGHZ 61 282, 288 f. = WM 1973 1269, 1270 (juris Rn. 16); Ulmer/Brandner/ Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 161; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 42. 368 Dazu Erman/Roloff15 § 305 Rn. 41; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 162. 369 MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 83; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 155. 370 Im Hinblick auf die Erfordernisse des § 7 Abs. 1 S. 1 VVG ist im Schrifttum ein sog. Bedingungsmodell vorgeschlagen worden (Baumann VW 2007 1955). Danach kann der VN einen bedingten und deshalb noch nicht bindenden Antrag abgeben: Der Antrag könne unter der vom VR vorformulierten Bedingung gestellt werden, dass dem VN in einer bestimmten Frist vom VR die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt werden, und der weiteren Bedingung, dass der VN den Antrag wiederum in bestimmter Frist nicht widerruft. Unabhängig von der Vereinbarkeit mit § 7 Abs. 1 VVG stellt sich aber daneben auch die Frage, ob aufgrund des Bedingungsmodells die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB eingehalten werden können. Im Hinblick auf den nach § 305 Abs. 2 BGB maßgeblichen Zeitpunkt und dessen Zweck erscheint dies aber eher fraglich. 371 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 156; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 83. 372 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 156. 373 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 156; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 97; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 84; Erman/Roloff15 § 305 Rn. 40; ähnlich Schimikowski RuS 2007 309, 310. 374 Gaul VersR 2007 21, 22. 375 Schimikowski RuS 2007 309, 310. 376 BGH 24.10.2002 – I ZR 104/00, NJW-RR 2003 754, 754 (juris Rn. 13); BGH 18.6.1986 – VIII ZR 137/85, NJW-RR 1987 112, 113 (juris Rn. 21); Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 43; NK-BGB/Kollmann3 § 305 Rn. 89; Drettmann WuM 2012 535, 536. Beckmann

202

Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

Einf. C

f) Behandlung einer gem. § 305 Abs. 2 BGB misslungenen Einbeziehung. Grundsatz. 101 Liegen die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB nicht vor, so kommt der Vertrag grundsätzlich gem. § 306 Abs. 1 BGB ohne Einbeziehung der AGB zustande. Auch wenn der Inhalt eines Versicherungsvertrags maßgeblich durch die AVB bestimmt wird (vgl. Rn. 2), kann ein Versicherungsvertrag ohne Einbeziehung von AVB zustande kommen, wenn der Inhalt des Versicherungsvertrages auch ohne Einbeziehung von AVB ausreichend bestimmt ist.377 An die Stelle der vorgesehenen Bedingungen treten nach § 306 Abs. 2 BGB grundsätzlich die Vorschriften des dispositiven Rechts. Wenn das Festhalten an dem Vertrag auch unter Berücksichtigung der nach Absatz 2 vorgesehenen Änderung indes eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei darstellen würde, so ist der Vertrag unwirksam. Aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des EuGH zu Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG 102 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.1993 (Klauselrichtlinie; dazu oben Rn. 12) ist die gesetzlich angeordnete und über Jahrzehnte selbstverständliche Praxis der Lückenfüllung für Verträge, welche in den Anwendungsbereich der RL über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen fallen, in Frage gestellt worden.378 Hat der EuGH bislang grundsätzlich die Ersetzung einer missbräuchlichen Klausel durch dispositives Gesetzesrecht gebilligt, da dies im Einklang mit dem Zweck des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie stünde, welcher darauf abziele, „die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so ihre Gleichheit wiederherzustellen, nicht aber die Nichtigkeit sämtlicher Verträge herbeizuführen, die missbräuchliche Klauseln enthalten“,379 so kam es mit den Entscheidungen Unicaja Banco und Demba380 zu einer Abkehr von dieser bisherigen Judikatur des EuGH.381 Eine Klauselersetzung durch dispositives Recht ist danach nur noch unter engen Voraussetzungen zulässig.382 Der EuGH führt im Urteil Demba aus: „Zwar hat der EuGH die Möglichkeit für das nationale Gericht anerkannt, eine missbräuchliche Klausel durch eine dispositive nationale Vorschrift zu ersetzen, doch geht aus seiner Rechtsprechung hervor, dass diese Möglichkeit auf Fälle beschränkt ist, in denen die Ungültigerklärung der missbräuchlichen Klausel das Gericht verpflichten würde, den Vertrag insgesamt für nichtig zu erklären, wodurch der Verbraucher Konsequenzen ausgesetzt würde, die derart sind, dass er dadurch bestraft würde“.383 Im Schrifttum ist dies so verstanden worden, dass eine Lückenschließung durch dispositives Gesetzesrecht nur im Falle einer andernfalls drohenden Gesamtnichtigkeit des Vertrags nach nationalem Recht in Frage kommt,384 und dies auch nur dann, wenn der Verbraucher aufgrund der Gesamtnichtigkeit in unvertretbarer Weise bedeutend schlechter gestellt würde als bei Eintreten des dispositiven Ersatzrechts. Eine Klauselersetzung durch dispositives Recht wäre demnach folglich immer dann ausgeschlossen, wenn der Vertrag auch ohne die Anwendung der entsprechenden dispositiven Vorschrift Gültigkeit haben kann;385 ebenso wäre eine Lückenschließung grundsätzlich nur zulässig zur Vermeidung einer den Verbraucher – nicht hingegen den Verwender – belastenden Gesamtnichtigkeit.386 Als Sanktion solle fortan dispositives Gesetzesrecht nicht mehr lediglich zur Erreichung eines materiell-rechtlichen Gleichgewichtes zum Einsatz kommen; vielmehr solle der Verbraucherschutz gestärkt werden. Dieser finde seine Grenze sodann in der Gesamtnichtgkeit des Vertrages mit

377 378 379 380

BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14, BGHZ 215 126, 130 = RuS 2017 409, 410 (Rn. 15). Gsell JZ 2019 751, 751. EuGH 30.4.2014 – C/26/13, NJW 2014 2335, 2339 (Rn. 82). EuGH 21.1.2015 – C 482/13, C 484/13, C 485/13, C 487/13 (Unicaja Banco), juris; EuGH 7.8.2018 – C 96/16 (Demba) und C-94/17, NZM 2018 1029. 381 v. Westphalen BB 2019 67, 69. 382 Fevers/Gsell NJW 2019 2569, 2569. 383 EuGH 7.8. 2018 – C 96/16, NZM 2018 1029 (Rn. 74). 384 v. Westphalen BB 2019 67, 69. 385 Gsell JZ 2019 751, 753. 386 Gsell JZ 2019 751, 753; v. Westphalen BB 2019 67, 70. 203

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der Folge einer erheblichen Schlechterstellung des Verbrauchers.387 Es ist teilweise vorgeschlagen worden, die nationale Regelung des § 306 Abs. 2 BGB im Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie richtlinienkonform teleologisch zu reduzieren,388 teilweise wird eine Novellierung der Vorschrift in Spiel gebracht.389 Diese neuere Rechtsprechung des EuGH ist indes auf Kritik gestoßen.390 So wird bspw. hervorgebracht, diese sei zu eng; insbesondere beachte sie – was zutrifft – nicht die Konstellation, in welcher das dispositive Gesetzesrecht den Verbraucher begünstige. In der Regel sei das dispositive Recht für den Verbraucher günstiger.391 Ein sachlicher Grund für die Versagung dieser positiven Wirkung sei in diesem Falle nicht ersichtlich.392 Weiterhin begegne es Bedenken, einer Abschreckungswirkung gegenüber der materiellen Ausgewogenheit den Vorrang einzuräumen und somit dem Verbraucher den Vorteil eines einseitig begünstigenden Vertrages zukommen zu lassen. Dies müsse zumindest gelten, wenn die Unwirksamkeit der Klausel ex-ante zweifelhaft war und das Verhalten des Verwenders nicht leichtfertig erscheint.393 Jedenfalls besteht zwischen dieser neueren Rechtsprechung des EuGH und der bisher geüb103 ten Rechtspraxis ein gewisses Spannungsverhältnis.394 Gemäß der Rechtsprechung des BGH395 und auch der nationalen Regelung des § 306 Abs. 2 BGB kann eine als missbräuchlich einzustufende Klausel ohne weiteres durch dispositives Recht ersetzt werden.396 Jedenfalls bedarf es einer Klärung, die letztlich nur durch Vorlage an den EuGH erfolgen dürfte.397

104 aa) Geltung dispositiven Rechts/ergänzende Vertragsauslegung. Gerade im Versicherungsrecht wird es jedoch häufig an konkreten, als Ersatzregelung zur Verfügung stehenden gesetzlichen Vorschriften fehlen.398 Die inhaltliche Ausgestaltung der jeweiligen Versicherungsprodukte erfolgt aufgrund der lediglich rudimentären399 gesetzlichen Vorgaben gerade mittels Allgemeiner Versicherungsbedingungen. Bedeutung kommt daher dem Rechtsinstitut der ergänzenden Vertragsauslegung zu, welche ihre Grundlage in den Bestimmungen der §§ 157, 133 BGB findet, die als Teil der gesetzlichen Vorschriften i. S. v. § 306 Abs. 2 BGB zu verstehen sind.400 Eine Schließung der durch die Nichteinbeziehung von AGB-Klauseln entstandenen Lücke setzt dabei voraus, dass konkrete gesetzliche Regelungen zur Ausfüllung der Lücke nicht zur Verfügung stehen und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Vertragsklauseln nicht zu einer angemessenen, den typischen Interessen des Klausel-Verwenders und des Kunden Rechnung tragenden Lösung führt.401 Bedingung ist zudem, dass sich die Parteien, unabhängig von 387 388 389 390

v. Westphalen BB 2019 67, 71. Gsell JZ 2019 751, 758. v. Westphalen BB 2019 67, 74. BeckOGK-BGB/Bonin (Stand: 1.3.2020) § 306 Rn. 96; BeckOK-BGB/H. Schmidt (Stand: 1.2.2020) § 306 Rn. 3 („bedenklich“); Gsell JZ 2019 751, 756 f. 391 BeckOGK-BGB/Bonin (Stand: 1.3.2020) § 306 Rn. 96. 392 Gsell JZ 2019 751, 753 f. 393 Gsell JZ 2019 751, 756. 394 v. Westphalen BB 2019 67, 67. 395 BGH 6.4.2016 – VIII ZR 79/15, BGHZ 209 337, 349 = NJW 2017 320, 322 (Rn. 28); BGH 23.1.2013 – VIII ZR 80/12, NJW 2013 991, 992 (Rn. 25). 396 v. Westphalen BB 2019 67, 71. 397 BeckOGK-BGB/Bonin (Stand: 1.3.2020) § 306 Rn. 96; BeckOK-BGB/H. Schmidt (Stand: 1.2.2020) § 306 Rn. 3. 398 Siehe BGH 22.1.1992 – IV ZR 59/91, BGHZ 117 92, 98 = VersR 1992 477, 478 (juris Rn. 24). 399 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 162. 400 Grundlegend BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69, 75 = NJW 1984 1177, 1178 (juris Rn. 21); BGH 22.1.1992 – IV ZR 59/91, BGHZ 117 92, 98 = VersR 1992 477, 478 f. (juris Rn. 25); BGH 11.9.2013 – IV ZR 17/13, BGHZ 198 195, 200 f. = VersR 2013 1429, 1431 (Rn. 14); siehe auch Rn. 395. 401 BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69, 75 = NJW 1984 1177, 1178 (juris Rn. 21); BGH 31.10.1984 – VIII ZR 220/83, NJW 1985 621, 622 (juris Rn. 13); BGH 28.2.1985 – IX ZR 92/84, NJW 1985 2585, 2587 (juris Rn. 37); BGH Beckmann

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Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

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den nicht einbezogenen Versicherungsbedingungen, hinsichtlich der wesentlichen Vertragspunkte, den essentialia negotii, geeinigt haben. § 306 BGB regelt nicht das Zustandekommen des Vertrages, sondern dessen grundsätzlichen Fortbestand mit verändertem Inhalt, weil die vom Verwender beabsichtigte Ausformung durch die unwirksamen AGB nicht Vertragsbestandteil wurde.402 Die ergänzende Vertragsauslegung hat sich dabei ebenso wie die Auslegung und Inhalts- 105 kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen an einem objektiv generalisierenden Maßstab auszurichten, der sich am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise orientiert.403 Aufgrund dieses erhöhten, von den individuellen Umständen des konkreten Vertragsschlusses grundsätzlich abgekoppelten Abstraktionsgrades bei der Suche nach einem inhaltlich tragfähigem Lückenschluss wäre es verfehlt, eine ergänzende Vertragsauslegung bereits immer dann auszuschließen, sobald mehrere Gestaltungsmöglichkeiten zur Behebung der Regelungslücke denkbar sind.404 Eine Verneinung der Möglichkeit richterlicher Vertragsergänzung würde, da Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung gerade die Ausfüllungsbedürftigkeit der lückenhaften vertraglichen Regelung bei fehlendem dispositivem Recht ist, eine Vielzahl von Verträgen der Unwirksamkeitsfolge des § 306 Abs. 3 BGB aussetzen und zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen; ein Ergebnis, mit dem in den überwiegenden Fällen keiner Vertragspartei gedient sein dürfte.405 Eine ergänzende Vertragsauslegung muss sich dabei insoweit eher an der inneren Systema- 106 tik des ohne die nicht wirksam einbezogenen Klauseln zu betrachtenden vertraglich Vereinbarten orientieren, als dass sie zu keiner Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen darf.406 Das aus einem grundsätzlich objektiv generalisierenden Blickwinkel gewonnene Auslegungsergebnis scheint dabei aber unmittelbare, selbstverständliche Folge des vertraglichen Regelungszusammenhangs zu sein. Die ergänzende Vertragsauslegung bedarf damit einer Stütze im Ver-

12.7.1989 – VIII ZR 297/88, NJW 1990 115, 116 (juris Rn. 20); BGH 22.1.1992 – IV ZR 59/91, BGHZ 117 92, 98 f. = VersR 1992 477, 479 (juris Rn. 26); BGH 13.11.1997 – IX ZR 289/96, BGHZ 137 153, 157 = NJW 1998 450, 451 (juris Rn. 11); BGH 4.7.2002 – VII ZR 502/99, BGHZ 151 229, 234 = NJW 2002 3098, 3099 (juris Rn. 29); BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/ 03, BGHZ 164 297, 312 f. = NJW 2005 3559, 3564 (juris Rn. 37); BGH 18.7.2007 – IV ZR 258/03, VersR 2007 1211, 1212 (Rn. 8); BGH 26.9.2007 – IV ZR 20/04, NJW-RR 2008 188, 189 (Rn. 7); BGH 6.4.2016 – VIII ZR 79/15, BGHZ 209 337, 349 f. = NJW 2017 320, 322 (Rn. 29); OLG Karlsruhe 8.3.2019 – 12 U 33/18, VersR 2019 935, 938 (juris Rn. 78); MüKoBGB/Basedow8 § 306 Rn. 32 f.; Staudinger/Mäsch (2019) § 306 Rn. 37; Prütting/Wegen/Weinreich/Berger14 § 306 Rn. 14; Ulmer NJW 1981 2025, 2031. 402 Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt 12 § 306 Rn. 10 m. w. N.; vgl. auch BGH 21.12.1981 – II ZR 76/81, VersR 1982 381 zum Inhalt der Deckungszusage einer (Motorsportboot-)Kaskoversicherung bei Nichteinbeziehung der AVB des Kaskoversicherers. 403 BGH 7.3.1989 – KZR 15/87, BGHZ 107 273, 277 = NJW 1989 3010, 3011 (juris Rn. 13); BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/ 03, BGHZ 164 297, 317 = NJW 2005 3559, 3565 (juris Rn. 47); BGH 18.7.2007 – IV ZR 258/03, VersR 2007 1211, 1212 (Rn. 13); BGH 28.10.2015 – VIII ZR 13/12, MDR 2015 1350, 1350 (Rn. 72); Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt 12 § 306 Rn. 32; für grundsätzliche Beachtlichkeit des (hypothetischen) Willens der konkret am Vertrag Beteiligten etwa Staudinger/Mäsch (2019) § 306 Rn. 38. 404 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164 297, 317 = NJW 2005 3559, 3565 (juris Rn. 47); tendenziell bereits BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69, 78 ff. = NJW 1984 1177, 1179 (juris Rn. 26); Ulmer/Brandner/Hensen/ H. Schmidt12 § 306 Rn. 38; Staudinger/Mäsch (2019) § 306 Rn. 47; a. A. BGH 17.5.1982 – VII ZR 316/81, BGHZ 84 109, 117 = NJW 1982 2309, 2310 (juris Rn. 23); BGH 7.3.1989 – KZR 15/87, BGHZ 107 273, 276 = NJW 1989 3010, 3011 (juris Rn. 13); BGH 6.2.1985 – VIII ZR 61/84, BGHZ 93 358, 370 = NJW 1985 3013, 3016 (juris Rn. 28); BGH 20.7.2005 – VIII ZR 397/03, NJW-RR 2005 1619, 1621 (juris Rn. 9); BGH 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, NJW 2006 996, 999 (Rn. 37); MüKo-BGB/Basedow8 § 306 Rn. 39; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 162. 405 So auch Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 § 306 Rn. 38. 406 BGH 25.6.1980 – VIII ZR 260/79, BGHZ 77 301, 304 = NJW 1980 2347, 2347 (juris Rn. 15); BGH 22.1.1992 – IV ZR 59/91, BGHZ 117 92, 99 = VersR 1992 477, 479 (juris Rn. 28 f.); BGH 6.7.2016 – IV ZR 44/15, BGHZ 211 51, 65 = VersR 2016 1177, 1181 (Rn. 47) OLG Saarbrücken 15.12.1999 – 5 U 539/99–37, VersR 2001 318, 319 (juris Rn. 22); Staudinger/Mäsch (2019) § 306 Rn. 46. 205

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

trag.407 Kontrollfunktion erlangt hierbei die Feststellung, dass die Ersatzregelung von den Parteien, das Wissen um die Unwirksamkeit der Vertragsbedingung vorausgesetzt, bei redlicher, sachgerechter Abwägung aller Interessen getroffenen worden wäre, um die vertragliche Lücke zu schließen. Bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, welche Regelung die Parteien getroffen hätten, scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus.408 107 Als Ergebnis einseitiger und daher nicht auf die Bedürfnisse aller am Vertrag Beteiligten abzielenden Interessenwahrnehmung können die von den Versicherungsverbänden erstellten und empfohlenen Musterbedingungen dabei keine geeignete Grundlage für die am Interesse beider Seiten ausgerichtete ergänzende Vertragsauslegung liefern.409 Vgl. zur ergänzenden Vertragsauslegung noch die Ausführungen bei Unwirksamkeit einer AVB unter Rn. 395. Im Gegensatz zum Individualprozess findet die ergänzende Vertragsauslegung im Ver108 bandsprozess nach §§ 1, 3 UKlaG keine Anwendung.410

109 bb) Ausnahmsweise Gesamtunwirksamkeit (§ 206 Abs. 3 BGB). Bei Nichtgeltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen kommt gem. § 306 Abs. 3 BGB als Ausnahme zu Abs. 1 die Gesamtunwirksamkeit des Vertrages in Betracht, wenn einem Vertragsteil das Festhalten als unzumutbare Härte nicht abverlangt werden kann. Erforderlich ist hierfür eine durch die Unwirksamkeit der Vertragsklauseln hervorgerufene, grundlegende Störung des vertraglichen Gleichgewichts. Bezüglich der Frage einer unzumutbaren Härte ist dabei nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern auf den der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Vertrag abzustellen.411 Dabei genügt jedoch nicht schon das Auftreten eines jeden, wenn auch nicht unbedeutenden wirtschaftlichen Nachteils für den Klauselverwender, weil er infolge des Wegfalls der AGB-Klausel nunmehr Risiken zu tragen hat, die er bei der Kalkulation seiner Prämie oder bei der sonstigen Vertragsgestaltung nicht berücksichtigt hat; der Verwender trägt vielmehr die Verantwortung für den Inhalt und die Einbeziehung der AGB.412 Eine notwendige einschneidende und krasse Äquivalenzstörung wird nicht allein dadurch begründbar, der Verwender hätte den Vertrag unter Geltung dispositiven Rechts nicht geschlossen.413 In einem vom BGH zu entscheidenden Fall waren die AVB des Kaskoversicherers eines Motorsportbootes mangels Einbeziehung nicht Bestandteil der von diesem erteilten Deckungszusage geworden. Das Gericht lehnte eine Unwirksamkeit des Vertrages ab und zog zur Bestimmung dessen Inhalts die gesetzlichen Regelungen der §§ 129 ff. VVG a. F., nunmehr §§ 130 ff. VVG, heran.414

110 cc) Nachträgliche Einbeziehung nach allgemeinen Grundsätzen. Soweit eine Einbeziehung der Versicherungsbedingungen unter den Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB nicht zu Stande kommt, bleibt es den Vertragsparteien unbenommen, eine hierauf gerichtete gesonderte,

407 BGH 25.6.1980 – VIII ZR 260/79, BGHZ 77 301, 304 = NJW 1980 2347, 2347 (juris Rn. 15); BGH 15.10.2012 – V ZR 222/11, NJW-RR 2013 494, 495 (Rn. 12); OLG Saarbrücken 15.12.1999 – 5 U 539/99–37, VersR 2001 318, 319 (juris Rn. 22); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 162. 408 BGH 22.1.1992 – IV ZR 59/91, BGHZ 117 92, 98 f. = VersR 1992 477, 479 (juris Rn. 26); OLG Saarbrücken 15.12.1999 – 5 U 539/99–37, VersR 2001 318, 319 (juris Rn. 22). 409 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 163; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Lindacher/Hau6 § 306 Rn. 19 ff.; offener Stag Geltung und Transparenz Allgemeiner Geschäfts- und Versicherungsbedingungen (nach österreichischem Recht) 63. 410 Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 § 306 Rn. 36; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 162. 411 BGH 27.6.1995 – XI ZR 8/94, BGHZ 130 115, 122 = NJW 1995 2221, 2223 (juris Rn. 25); BGH 14.5.1996 – XI ZR 257/ 94, BGHZ 133 25, 34 = NJW 1996 2092, 2094 (juris Rn. 38). 412 MüKo-BGB/Basedow8 § 306 Rn. 45. 413 Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Lindacher/Hau6 § 306 Rn. 61; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 164. 414 BGH 21.12.1981 – II ZR 76/81, VersR 1982 381, 382. Beckmann

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Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

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nachträgliche Vereinbarung zu treffen.415 Hierin liegt indes eine Vertragsänderung, so dass neben dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB ein eindeutiges Einverständnis des Kunden vorliegen muss; dabei sind an ein solches Einverständnis zur Vertragsänderung strengere Anforderungen zu stellen als an das Einverständnis im Rahmen von § 305 Abs. 2 letzter Hs. BGB; anders als bei der anfänglichen Einbeziehung gem. § 305 Abs. 2 BGB kann nicht ohne Weiteres auf ein Einverständnis des Kunden geschlossen werden.416 Deshalb wird man in diesem Fall grundsätzlich ein ausdrückliches Einverständnis des Kunden verlangen müssen;417 vgl. im Übrigen Rn. 115.

dd) Versicherungsvertragsrechtliche Besonderheiten (1) Frühere Rechtslage. Unter Geltung des § 5a VVG a. F. wurden diese Grundsätze durch die 111 Ermöglichung des Vertragsabschlusses im Wege des Policenmodells weitgehend zurückgedrängt. Versicherungsverträge konnten danach auch dann unter Geltung der vom VR verwendeten Bedingungen zustande kommen, wenn diese dem VN erst mit dem Versicherungsschein zugänglich gemacht wurden.418 Zudem sah § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. eine Jahresfrist vor, mit deren Ablauf das Widerspruchsrecht des VN erlosch, selbst wenn ihm die nach § 10a VAG a. F. erforderlichen Informationen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu keinem Zeitpunkt zugänglich gemacht wurden. Auch in diesem Fall sah die wohl h. M. den Versicherungsvertrag mit Fortfall des Widerspruchsrechts als auf Grundlage der vom VR verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen geschlossen an.419 § 5a VVG a. F. wurde daher als Modifikation des § 305 BGB420 mit weitgehender „Reparaturmöglichkeit“421 mangelhafter Einbeziehung angesehen. Nach diesem Standpunkt kam der Versicherungsvertrag auf der Grundlage der AVB zustande, die entweder in dem Antragsformular bezeichnet waren oder bei Fehlen einer solchen Angabe, die der VR zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses üblicherweise einem vergleichbaren Vertrag zugrunde zu legen pflegte.422

(2) Einbeziehung von AGB nach Wegfall des § 5a VVG a. F. Eine vergleichbare Regelung 112 enthält das VVG in seiner Neufassung nicht mehr, der Gesetzgeber wollte das Policenmodell vielmehr ausdrücklich aufgeben.423 Nichtsdestotrotz werden die Auswirkungen für die Frage nach der Einbeziehung von AVB unterschiedlich beurteilt: Teilweise wird konsequent gefolgert, dass sich die Beantwortung dieser Frage nach neuer Rechtslage „ausschließlich nach den allgemeinen Regeln des AGB-Rechts“ richtet.424 Nach anderer Ansicht soll auch nach dem Wegfall des

415 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 157; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 86. 416 MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 86. 417 BGH 22.9.1983 – I ZR 40/81, NJW 1984 1112, 1112 (juris Rn. 17); MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 86; BRHP/J. Becker4 § 305 Rn. 66.

418 Etwa Bruck/Möller/Sieg/Johannsen8 Bd. III, Anm. D 20; Schimikowski, RuS 2007 309; Baumann RuS 2008 315. 419 OLG Koblenz 24.1.2003 – 10 U 1319/01, VersR 2003 851, 852; OLG Köln 25.6.2002 – 9 U 126/01, VersR 2003 101, 102 (juris Rn. 3); Bruck/Möller/Sieg/Johannsen8 Bd. III Anm. D 20; Berliner Kommentar/Schwintowski § 5a Rn. 74; Prölss/Martin/Prölss27 § 5a Rn. 56; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 158; Römer/Langheid/Römer2 § 5a Rn. 46; Schimikowski RuS 2007 309; a. A. Wandt Verbraucherinformation und Vertragsschluss nach neuem Recht 27 ff.; Dörner/Hoffmann NJW 1996 153, 158; aus der Perspektive österreichischen Versicherungsvertragsrecht auch Stagl Geltung und Transparenz Allgemeiner Geschäfts- und Versicherungsbedingungen (nach österreichischem Recht) 65 ff. 420 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 36a. 421 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 158. 422 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 158; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 36a. 423 RegEVVGRefG S. 60; ebenso etwa Baumann VW 2007 1955. 424 Schimikowski RuS 2007 309; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2691. 207

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

§ 5a VVG a. F. der Vertragsschluss nach dem Policenmodell weiterhin möglich sein.425 Für die hier in Rede stehende Frage nach der Einbeziehung der AVB soll nach dieser Ansicht „die konstitutive Funktion der Versicherungsbedingungen für den Vertragsinhalt es rechtfertigen, ihre Einbeziehung selbst bei im Policenmodell – also gerade ohne Vorlage der Bedingungen – geschlossenen Verträgen anzunehmen“.426 Zur Begründung dieser Ansicht wird zum einen die Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 VVG angeführt, die die Möglichkeit eines Vertragsschlusses ohne Aushändigung der Versicherungsbedingungen voraussetze; des Weiteren wird die Regelung über die vorläufige Deckung gem. § 49 Abs. 2 VVG sowie die Verzichtslösung nach § 7 Abs. 1 Satz 2 VVG ins Feld geführt. Insbesondere mit dieser Regelung werde ein materiell-rechtliches Tor für die Beibehaltung des Policenmodells geöffnet.427 In eine ähnliche Richtung wird zumindest der Standpunkt vertreten, dass „für die Einbeziehung von AVB § 7 Abs. 1 Satz 3 VVG 2008 als speziellere Norm vorgehe“.428 Indes wird man jedenfalls aus der offensichtlichen Spezialregelung des § 49 Abs. 2 VVG für den 113 Vertrag über die vorläufige Deckung (dazu noch Rn. 118) keine so weitreichenden Schlüsse für sämtliche Vertragsabschlüsse ziehen können, da der Gesetzgeber bewusst vom Policenmodell Abstand nehmen wollte (oben Rn. 112). Auch wenn der Fristbeginn des zweiwöchigen Widerspruchsrechts des VN gem. § 8 Abs. 2 VVG ebenso wie § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a. F. an den Zugang der Allgemeinen Versicherungsbedingungen anknüpft, folgt daraus keine generelle Abweichung von Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB. Anders als § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a. F. enthält § 8 VVG keine Bestimmung, wonach der Versicherungsvertrag mit Ablauf der Widerspruchsfrist als auf Grundlage der Versicherungsbedingungen geschlossen gilt. Eine von § 305 Abs. 2 BGB abweichende (nachträgliche) Einbeziehung von AVB ist somit nicht vorgesehen.429 Auch die in § 7 Abs. 1 Satz 3 VVG für bestimmte Konstellationen eröffnete Möglichkeit nachträglicher Information des VN schafft insofern keine erleichterten Einbeziehungsvoraussetzungen für AVB. Die Vorschrift lässt sich erkennbar auch als Spezialregelung über die Einbeziehung von AVB verstehen (bereits oben Rn. 89). Die dort aufgeführten Fälle, Vertragsschlüsse mittels Telefon oder anderer Kommunikationsmittel, die eine Information in Textform vor Abgabe der Vertragserklärung des VN nicht gestatten bzw. der gesondert und schriftlich erklärte Verzicht auf eine Vorabinformation, hindern bereits nach § 305 Abs. 2 BGB eine Einbeziehung der Vertragsbedingungen trotz fehlender Kenntnisnahmemöglichkeit bei Vertragsschluss nicht (oben Rn. 88 f.). Dabei darf der Verzicht des VN jedoch nicht formularmäßig vereinbart werden. Vielmehr muss sich der Verzicht auf Überlassung der Vertragsklauseln vor Abschluss des Versicherungsvertrages als Individualvereinbarung darstellen, so dass zu dessen Wirksamkeit eine ausdrückliche Erklärung in einem gesonderten, vom VN unterschriebenen Schriftstück erforderlich ist.430 Im Hinblick auf die andere Fallgruppe des § 7 Abs. 1 Satz 3 Hs. 1 VVG ist für die Einbeziehung der AVB gem. § 305 Abs. 2 BGB gleichfalls grundsätzlich ein jedenfalls individual vertraglicher zulässiger Verzicht möglich (siehe oben Rn. 89). Jedenfalls kann man nicht davon ausgehen, dass § 7 Abs. 1 Satz 3 Hs. 1 und 2 VVG sämtliche Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB verdrängen soll; die Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 VVG enthält insoweit keine Hinweise. Demgegenüber weist die Gesetzesbegründung im Rahmen des Vertrags über die So Marlow/Spuhl4 Das neue VVG Rn. 34. So Marlow/Spuhl4 Das neue VVG Rn. 45. So Marlow/Spuhl4 Das neue VVG Rn. 45. Funck VersR 2008 163, 165; ähnlich Gaul VersR 2007 21 24. Anders offenbar Römer VersR 2006 740, 742, der einzig auf den verzögerten Beginn der Widerrufsfrist als Sanktion für die nachträgliche (und damit verspätete) Überlassung der Vertragsunterlagen an den VN abstellt und die Einbeziehung der Versicherungsbedingungen auch in diesen Fällen weiterhin für möglich hält („planmäßige Handhabung zur Aufrechterhaltung des Policenmodells“); bei planmäßiger Handhabung entstünden allerdings Unterlassungsansprüche der Verbraucherverbände sowie Eingriffsbefugnisse der Aufsichtsbehörde aufgrund eines Missstandes nach § 298 Abs. 1 VAG; nicht eindeutig diesbezüglich allerdings auch die Begründung zum RegEVVGRefG S. 60, wo es (lediglich) heißt: „Verletzt der Versicherer seine Informationspflicht nach Absatz 1, so ergibt sich aus § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VVG-E als Sanktion, dass die Widerrufspflicht nicht zu laufen beginnt und der VN somit zum Widerruf seiner Vertragserklärung berechtigt bleibt“. 430 RegEVVGRefG S. 60.

425 426 427 428 429

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Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

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vorläufige Deckung darauf hin, dass § 49 Abs. 2 Satz 1 VVG die Regelung des § 305 Abs. 2 BGB verdrängt.431 Zudem soll § 7 Abs. 1 VVG den Schutz des VN im Vergleich zur früheren Rechtslage letztlich erhöhen; sollten indes durch § 7 Abs. 1 Satz 3 VVG gänzlich die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB verdrängt werden, würde man diesem Zweck aber nicht gerecht werden können; dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einhaltung der Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB auch bei der in § 7 Abs. 1 Satz 3 VVG genannten Modalität erfüllbar sind. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass sich das zeitliche Element des § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG (Mitteilung der Informationen „rechtzeitig vor Abgabe“ der Vertragserklärung des VN) umgekehrt auch nicht zulasten des VR bei der Einbeziehung der AVB gem. § 305 Abs. 2 BGB auswirkt.432 Deshalb bleibt auch im Falle des § 7 Abs. 1 Satz 3 Hs. 1 VVG daneben § 305 Abs. 2 BGB anwendbar. Insbesondere muss der VR gem. § 305 Abs. 1 Nr. 1 BGB ausdrücklich auf die AVB hinweisen; im Hinblick auf Möglichkeit zur Kenntnisverschaffung gem. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB hilft bereits nach allgemeinen Grundsätzen die „Verzichtslösung“ weiter. Weist der Klauselverwender in dem Telefonat auf seine AGB hin und hält der Kunde gleichwohl am Vertragsschluss fest, so spricht dies dafür, dass er auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme gem. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB verzichtet (oben Rn. 89). Entsprechendes gilt für den Fall des § 7 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 VVG. Auch insoweit verbleibt 114 es daneben bei den grundsätzlichen Voraussetzungen gem. § 305 Abs. 2 BGB, d. h. insbesondere bei der Notwendigkeit eines Hinweises gem. Abs. 2 Nr. 1. Konsequenterweise muss im Hinblick auf das Erfordernis nach Abs. 2 Nr. 1 auch die Verzichtslösung greifen können. Insbesondere wenn – wie § 7 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 VVG voraussetzt – der VN durch „eine gesonderte schriftliche Erklärung“ auf eine Information verzichtet; indes muss dabei klar sein, dass er auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme gem. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB verzichtet.

(3) „Versicherungsvertragliche Einbeziehung“ von AVB nach misslungener Einbezie- 115 hung gem. § 305 Abs. 2 BGB. Im Schrifttum sind bereits verschiedene Konstellationen von „Störfällen“ diskutiert worden, mit deren Beurteilung sich die Rechtspraxis zukünftig beschäftigen könnte.433 Für den Fall, dass der Kunde den Antrag stellt, indes entgegen den Vorgaben des § 305 Abs. 2 BGB die AVB erst nach Antragstellung, aber vor dem Zugang der Police erhält, hat Schimikowski die Geltung der AVB gleichwohl für möglich erachtet: Wenn der VN den verspäteten Erhalt der AVB widerspruchslos akzeptiere, sei von einem Einverständnis mit der Geltung der AVB auszugehen.434 Indes stellt die Übersendung der Police durch den VR unter Bezugnahme auf die verspätet (nach dem Antrag durch den VN) übersandten AVB die Ablehnung des Antrags des VN und damit gemäß § 150 Abs. 2 BGB einen neuen Antrag durch den VR dar. Nimmt der VN diesen neuen Antrag des VR nicht an, fehlt es letztlich am wirksamen Vertragsschluss. Unabhängig von dieser Ausgangslage besteht indes die Möglichkeit, aufgrund der Umstände des Einzelfalls einen Vertragsschluss unter Einbeziehung der AVB anzunehmen;435 ohne entsprechende Anhaltspunkte kann eine Einbeziehung aber nicht ohne Weiteres angenommen werden und wäre mit dem Zweck von § 305 Abs. 2 BGB nicht einfach zu vereinbaren. Sind die Einbeziehungsvoraussetzungen gem. § 305 Abs. 2 BGB nicht erfüllt – z. B. weil der 116 VN die AVB erst mit der Police oder zu einem späteren Zeitpunkt erhält –, gelten die unter f) dargestellten Grundsätze (Rn. 101 ff.). Zur Einbeziehung bedarf es einer Änderungsvereinbarung (oben Rn. 110). Für den Fall, dass der VN während der Vertragslaufzeit den Erhalt der AVB bestreitet und der VR daraufhin dem VN die AVB und die gem. § 7 Abs. 1 VVG erforderlichen Unterlagen zusendet, hat Schimikowski eine Absenkung der Einbeziehungsvoraussetzungen befür431 432 433 434 435

RegEVVGRefG S. 74. Oben Rn. 99; Gaul VersR 2007 21, 22. Vgl. etwa bei Schimikowski RuS 2007 309, 310 f. Schimikowski RuS 2007 309, 310 f. Vgl. z. B. die von Schimikowski (RuS 2007 309, 310 unter 5.1) beschriebene besondere Konstellation, dass der VN das Fehlen der AVB bemängelt hat und nachträgliche Übersendung verlangt hat. 209

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

wortet:436 Erst mit der vollständigen Zusendung der Informationen beginne gem. § 8 Abs. 2 VVG die Widerrufsfrist zu laufen. Widerrufe der VN dann nicht, sei dies als Einverständnis mit der nachträglichen Einbeziehung der ihm nunmehr vorliegenden AVB zu bewerten. Indes erscheint dies fraglich; ein Widerruf gem. § 8 Abs. 1 VVG hat weitergehende Wirkungen als ein mangelndes Einverständnis zur Einbeziehung von AVB. Deshalb kann ein nicht erfolgter Widerruf nicht ohne Weiteres mit einem Einverständnis gleichgestellt werden. 117 Des Weiteren erachtet es Schimikowski für möglich, eine Änderungsvereinbarung zur Einbeziehung von AVB über § 5 VVG zustande kommen zu lassen:437 Der VR könne die AVB mit der Police übersenden; er müsse den Kunden auf die AVB hinweisen und ihn über das Widerspruchsrecht belehren; nutze der Kunde das Widerspruchsrecht nicht, seien die AVB Bestandteil. Indes betrifft § 5 VVG den Inhalt des Versicherungsscheins, die AVB sind grundsätzlich aber nicht Inhalt des Versicherungsscheins. Die pauschale Einbeziehung von AVB ist deshalb nicht vom Anwendungsbereich des § 5 VVG erfasst.438

2. Einbeziehung von AVB beim Vertrag über eine vorläufige Deckung 118 Besonderheiten bei der Einbeziehung Allgemeiner Versicherungsbedingungen ergeben sich gem. § 49 VVG hingegen für Versicherungsverträge, die eine vorläufige Deckung beinhalten. Um den Bedürfnissen der Praxis nach Gewährung eines raschen vorläufigen Versicherungsschutzes Rechnung zu tragen, kann in diesen Fällen vereinbart werden, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen sowie die sonstigen Informationen nach § 7 VVG nur auf Anforderung und spätestens mit dem Versicherungsschein in Textform zur Verfügung zu stellen sind. Eine entsprechende Vereinbarung kann auch stillschweigend zustande kommen und entspricht dem Interesse des VN an frühzeitiger Deckungszusage.439 Abweichend von § 305 Abs. 2 BGB bestimmt § 49 Abs. 2 VVG, dass die Allgemeinen Versicherungsbedingungen des VR auch dann Vertragsbestandteil werden, wenn diese nicht bei Vertragsschluss übermittelt wurden.440 Ein Hinweis auf die Versicherungsbedingungen ist dabei nicht erforderlich.441 In erster Linie werden dabei die vom VR für den vorläufigen Deckungsschutz verwendeten Bedingungen Inhalt des geschlossenen Vertrages. Fehlen solche speziellen Bedingungen, gelten die Bedingungen des VR für den angestrebten Hauptvertrag, § 49 Abs. 2 Satz 1 VVG.442 Verwendet der VR unterschiedliche AVB und wird die maßgebliche Variante für die vorläufige Deckungszusage nicht ausreichend genau bezeichnet, ist den dadurch aufgeworfenen Zweifeln zunächst durch Auslegung der Texte zu begegnen. Führt dies zu keinem Ergebnis, so gelten gem. § 49 Abs. 2 Satz 2 VVG die für den VN im konkreten Fall günstigsten Bedingungen.443 Bedeutsam ist diese Ausnahme von den Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB sowie den Informationspflichten nach § 7 VVG insbesondere in der Kfz-Haftpflichtversicherung im Rahmen des Deckungskartenverfahrens.444 Keine Anwendung findet die Möglichkeit einer Vereinbarung nach § 49 Abs. 1 436 Schimikowski RuS 2007 309, 311; dagegen Beckmann/Matusche-Beckmann/Schwintowski3 § 18 Rn. 35. 437 Schimikowski RuS 2007 309, 311. 438 Wohl auch Prölss/Martin/Rudy30 § 5 Rn. 4, wonach § 5a VVG a. F. gelte. Eine andere Frage ist, ob einzelne Bestimmungen der AVB über § 5 VVG Vertragsbestandteil werden können (so Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 135). 439 RegEVVGRefG S. 73; im Einzelnen Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann3 § 7 Rn. 18 ff. 440 Zur Geltung der AVB in diesen Fällen nach altem Recht siehe OLG Saarbrücken 12.3.2003 – 5 U 460/01 – 33, 5 U 460/01, NJW-RR 2003 814, 816; OLG Frankfurt 22.11.2016 – 14 U 24/15 (juris Rn. 28); Prölss/Martin/Klimke30 § 49 Rn. 9. 441 RegEVVGRefG S. 74; Prölss/Martin/Klimke30 § 49 Rn. 9; Schaffrin 21; a. A. etwa Berliner Kommentar/Schwintowski § 5a Rn. 105. 442 RegEVVGRefG S. 74. 443 RegEVVGRefG S. 74. 444 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 167 (im Rahmen von § 5a Abs. 3 VVG a. F.). Beckmann

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Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

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Satz 1 VVG allerdings für Fernabsatzverträge, § 49 Abs. 1 Satz 2 VVG i. V. m. § 312c Abs. 1 und 2 BGB (§ 312b Abs. 1 und 2 BGB a. F.). Eine nachträgliche Unterrichtung des VN über die Allgemeinen Versicherungsbedingungen als Teil der vertragsrelevanten Informationen ist in diesen Fällen nur unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 3 VVG möglich. Dies setzt die Unmöglichkeit vorheriger Informationserteilung aufgrund des gewählten Kommunikationsmittels bzw. eine gesonderte schriftliche Verzichtserklärung des VN voraus.445

3. Einbeziehung von AVB bei Verträgen mit Unternehmen § 305 Abs. 2 BGB findet im geschäftlichen Verkehr gegenüber Unternehmern (§ 14 BGB) oder 119 juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach § 310 Abs. 1 BGB keine Anwendung. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass hierdurch den Bedürfnissen des Geschäftsverkehrs und der in diesem Bereich notwendigen Flexibilität entsprochen werden soll, sowie auf die im Unterschied zu Privatpersonen eingeschränktere Schutzbedürftigkeit unternehmerisch Handelnder.446 Der Begriff des Unternehmers i. S. d. § 310 Abs. 1 BGB entspricht dem des § 14 BGB. Dabei steht der Scheinunternehmer, der fälschlich vorgibt, einer unternehmerischen Tätigkeit nachzugehen, einem Unternehmer gleich.447 Allgemeine Geschäftsbedingungen werden allerdings auch im Verkehr zwischen Unterneh- 120 mern grundsätzlich nur unter der Voraussetzung rechtsgeschäftlicher Einbeziehung Vertragsbestandteil. Ausschlaggebend sind insofern die allgemeinen Vorschriften des BGB und HGB. Erforderlich ist grundsätzlich eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Vertragspartner über die Geltung der Vertragsbedingungen.448 Dabei muss die Absicht des Verwenders, Geschäftsbedingungen zum Vertragsinhalt machen zu wollen, hinreichend zum Ausdruck kommen. Hierfür kann ein stillschweigender, konkludenter Hinweis auf die Vertragsbedingungen genügen.449 Etwas Anderes kann gelten, wenn es sich bei dem Vertragspartner um einen Kleinunternehmer handelt, da diese zumeist nur über geringere Geschäftserfahrung verfügen.450 Zudem ist auch im Geschäftsverkehr mit Unternehmern dem Vertragspartner die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme vom Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu gewähren. Eine Aushändigung der Vertragsbedingungen ist dabei jedoch grundsätzlich nicht erforderlich.451 Ein klarer und eindeutiger Hinweis auf die AGB sowie die Möglichkeit, sich ohne weiteres – z. B. durch Anforderung beim Verwender – Kenntnis verschaffen zu können, genügt jedenfalls.452

445 446 447 448

RegEVVGRefG S. 73 f. Vgl. BTDrucks. 7/3919 S. 43; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 310 Rn. 8. Palandt/Grüneberg78 § 310 Rn. 2. BGH 28.6.1990 – IX ZR 107/89, NJW-RR 1991 357, 357 (juris Rn. 16); BGH 3.12.1987 – VII ZR 374/86, BGHZ 102 293, 304 = NJW 1988 1210, 1212 (juris Rn. 28); BGH 20.3.1985 – VIII ZR 327/83, NJW 1985 1838, 1839 (juris Rn. 15); Schifffahrtsobergericht Karlsruhe 1.8.1997 – U 2/96 BSch, VersR 1998 1127, 1127; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Präve1 § 10 Rn. 144; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 170; Prütting/Wegen/Weinreich/Berger14 § 305 Rn. 31. 449 BGH 6.12.1990 – I ZR 138/89, VersR 1991 480, 481 (juris Rn. 24); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 144; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 170; Palandt/Grüneberg78 § 310 Rn. 4. 450 BGH 4.7.2017 – XI ZR 562/15, BGHZ 215 172, 175 = NJW 2017 2986, 2987 (Rn. 12 ff.); OLG Celle 2.12.2015 – 3 U 113/15 (juris Rn. 51); Müller/Schmitt NJW 2017 1991, 1994. 451 BGH 11.5.1989 – VII ZR 150/88, NJW-RR 1989 1104, 1104 (juris Rn. 14); BGH 3.12.1987 – VII ZR 374/86, BGHZ 102 293, 304 = NJW 1988 1210, 1212 (juris Rn. 28); BGH 30.6.1976 – VIII ZR 267/75, NJW 1976 1886, 1887 (juris Rn. 11); Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 53; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 169. 452 BGH 31.10.2001 – VIII ZR 60/01, BGHZ 149 113, 119 = NJW 2002 370, 372 (juris Rn. 16), allerdings für Übersendung der AGB bei einem dem CISG unterliegenden Vertrag (Übersendung oder sonstige Zugangsverschaffung hier jedenfalls erforderlich); BGH 3.12.1987 – VII ZR 374/86, BGHZ 102 293, 304 = NJW 1988 1210, 1212 (juris Rn. 28). 211

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

Selbst ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Hinweis gelten Geschäftsbedingungen als in den Vertrag einbezogen, wenn deren Verwendung branchenüblich ist.453 Von einer Branchenüblichkeit wird dabei auch hinsichtlich Allgemeiner Versicherungsbedingungen ausgegangen.454 Werden dem Vertragspartner die Vertragsbedingungen zur Verfügung gestellt, sind auch hierbei die Grenzen der Verständlichkeit und Lesbarkeit zu beachten. Kaum lesbare Vertragsbedingungen werden daher auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr nicht Vertragsbestandteil.455 Auch die Bezugnahme auf Geschäftsbedingungen in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben kann zu deren Einbeziehung in den Vertrag führen, selbst wenn diese nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen waren, sofern der andere Teil nicht widerspricht.456 Das Schweigen des Vertragspartners gilt dann als Einverständnis.457 Erforderlich ist der ausdrückliche Hinweis auf die AGB im Bestätigungsschreiben. Die bloße Beifügung des Klauseltextes bzw. der kommentarlose Abdruck auf der Rückseite genügen nicht.458 Der Beifügung des AGB-Textes bedarf es jedoch auch in diesem Falle nicht.459 Dem Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben kommt allerdings nur dann Bedeutung zu, wenn darin keine erheblichen Abweichungen von Inhalt und Gegenstand der zuvor geführten Vertragsverhandlungen enthalten sind.460 Dies ergibt sich aus dem Vorrang der Individualabrede nach § 305b BGB.461 Die Grenze der Zustimmungsfiktion ist dabei nicht erst bei Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung gem. § 307 BGB erreicht.462 Auch unter dieser Schwelle liegende wesentliche Verkürzungen der Rechtsposition des Vertragspartners, die durch die erstmalige oder geänderte Einführung der Vertragsklauseln im Bestätigungsschreiben entstehen, führen dazu, dass der Verwender nicht mehr auf dessen Einverständnis vertrauen darf.463 Allgemeine Geschäftsbedingungen können auch, soweit die Voraussetzungen rechtsgeschäftlicher Einbeziehung nicht vorliegen, aufgrund Handelsbrauchs (§ 346 HGB) Vertragsinhalt werden. Voraussetzung ist eine auf dem Konsens der beteiligten Verkehrskreise beruhende tatsächliche und nicht nur vorübergehende Übung.464 Ein solcher Brauch kommt nur selten in Betracht und ist daher auch nur vereinzelt, etwa für die Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen (ADS), anerkannt worden.465 Überlagert wird diese vereinfachte Form der Einbeziehung vorformulierter Vertragsklauseln im geschäftlichen Verkehr in Bezug auf Allgemeine Versicherungsbedingungen durch die Rege453 BGH 3.2.1953 – I ZR 61/52, BGHZ 9 1, 6 (juris Rn. 17); BGH 8.3.1955 – I ZR 109/53, BGHZ 17 1, 3 = WM 1955 839 (juris Rn. 7); Schmidt NJW 2011 3329, 3332; a. A. MüKo/Wurmnest § 307 BGB Rn. 250; BGH 15.1.2014 – VIII ZR 111/13; NJW 2014 1296, 1296 (Rn. 17). 454 OLG Koblenz 24.1.2003 – 10 U 1319/01, VersR 2003 851, 852; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 175. 455 BGH 7.6.1978 – VIII ZR 146/77, JR 1979 104, 106 (juris Rn. 14); OLG Hamm 20.11.1987 – 26 U 243/86, NJW-RR 1988 944, 944. 456 BGH 7.6.1978 – VIII ZR 146/77, NJW 1978 2243, 2244 (juris Rn. 12); OLG Hamm 19.5.2015 – I-7 U 26/15, IHR 2016 30, 31 (juris Rn. 33); BGH 22.1.1964 – VIII ZR 111/63, Kurzwiedergabe in NJW 1964 589, 589 (juris Rn. 18); Palandt/ Grüneberg78 § 305 Rn. 52. 457 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 145; Baumbach/Hopt/Hopt38 HGB § 346 Rn. 17. 458 OLG Düsseldorf 30.12.1964 – 5 U 237/62, NJW 1965 761, 762; MüKo-BGB/Basedow8 § 305 Rn. 113. 459 Staudinger/Mäsch (2019) § 305 Rn. 228; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 178. 460 Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 305 Rn. 135; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 179; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 145; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 52; Prütting/Wegen/Weinreich/ Berger14 § 305 Rn. 36; Staudinger/Mäsch (2019) § 305 Rn. 227. 461 Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 52; § 305b Rn. 3. 462 Zur Frage der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr s. Berger ZIP 2006 2149; v. Westphalen ZIP 2007 149. 463 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 145. 464 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 180 f.; Baumbach/Hopt/Hopt38 HGB § 346 Rn. 1, 12. 465 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack12 § 305 Rn. 181; Palandt/Grüneberg78 § 305 Rn. 57; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 146. Beckmann

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Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

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lung der Informationspflichten gem. § 7 VVG. Im Gegensatz zu § 10a VAG a. F. ist die Pflicht des VR nach § 7 Abs. 1 VVG, dem VN die in § 7 Abs. 2 VVG in Verbindung mit der hiernach erlassenen Rechtsverordnung vom 18.12.2007 (BGBl. I 3004) bestimmten Informationen und die Versicherungsbedingungen in Textform mitzuteilen, nicht auf natürliche Personen als Adressaten beschränkt.466/467 Das Gesetz verzichtet auf eine Differenzierung zwischen natürlichen und juristischen Personen, da die Rechtsform kein geeignetes Kriterium für die Beurteilung des Schutzbedürfnisses darstellt. Lediglich in § 7 Abs. 5 Satz 2 VVG wird die von der Richtlinie 92/49/ EWG468 ursprünglich vorgegebene Differenzierung übernommen, da es sich hierbei um weniger bedeutsame Informationen handelt.469 Indes sind AGB-rechtliche Einbeziehung und die versicherungsvertraglichen Informationspflichten gem. § 7 VVG grundsätzlich voneinander unabhängig (oben Rn. 77). Deshalb führt die Verletzung der Informationspflichten im unternehmerischen Bereich grundsätzlich nicht zum Scheitern der Einbeziehung der AVB.470

II. Überraschende Klauseln 1. Grundsätze Überraschende Klauseln in AGB werden nach § 305c Abs. 1 BGB nicht Bestandteil des Vertra- 126 ges. Das rechtsgeschäftliche und auch für die Einbeziehung von Geschäftsbedingungen dem Grunde nach maßgebende Konsensprinzip erfährt dabei zugunsten des Kundenschutzes Einschränkungen, indem ungewöhnliche Klauseln trotz Einigung der Vertragsparteien über die grundsätzliche Einbeziehung der AGB des Verwenders als nicht einbezogen gelten.471 So kann der Vertragspartner des Klauselverwenders darauf vertrauen, dass sich die einzelnen Regelungen im Großen und Ganzen im Rahmen dessen halten, was nach den Umständen bei Abschluss des Vertrages erwartet werden kann.472 Als Ausprägung des für vorformulierte Vertragsklauseln geltenden Transparenzgebots 473 sanktioniert die Vorschrift dabei nicht – wie die §§ 307 bis 309 BGB – die Unbilligkeit von Vertragsbestimmungen, sondern deren Ungewöhnlichkeit angesichts einer möglichen Überrumpelungssituation zulasten des Bedingungsadressaten. Ihr Schutzzweck ist darüber hinaus auch auf die Wahrung des Vertrauens in die Redlichkeit des Geschäftsverkehrs im Umgang mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen gerichtet.474 § 305c Abs. 1 BGB statuiert dazu eine negative Einbeziehungsvoraussetzung und ist dadurch von der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unabhängig. So kommt eine Nichteinbeziehung nach § 305c Abs. 1 BGB auch für Klauseln in Betracht, die der Inhaltskontrolle wegen § 307 Abs. 3 BGB entzogen sind.475 § 305c Abs. 1 BGB ist nicht auf Verbraucherverträge beschränkt und gilt daher grundsätzlich 127 auch gegenüber Unternehmern (vgl. § 310 Abs. 1 BGB). Dabei gilt allerdings zu beachten, dass Letztere in der Regel über ein erweitertes Maß an Geschäftserfahrung verfügen. Die Feststellung

466 RegEVVGRefG S. 59. 467 Die Anforderung an die Informationserteilung durch den VR besteht nach § 7 Abs. 5 VVG nicht bei Versicherungsverträgen über Großrisiken i. S. v. § 210 Abs. 2 VVG. 468 Richtlinie ist zwischenzeitlich außer Kraft getreten; abgelöst durch Richtlinie 2009/138/EG (Solvency-II). 469 RegEVVGRefG S. 60. 470 Im Ergebnis wohl auch Schimikowski RuS 2007 309, 310. 471 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 1. 472 BTDrucks. 7/3919 S. 19. 473 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 2. 474 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 2; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 317. 475 Vgl. BGH 10.11.1989 – V ZR 201/88, BGHZ 109 197, 200 = NJW 1990 576, 577 (juris Rn. 13); OLG Düsseldorf 10.11.1983 – 6 U 240/82, WM 1984 82, 83; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 5. 213

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

des überraschenden Charakters auch ungewöhnlicher Vertragsbedingungen unterliegt daher – im Vergleich zur Klauselverwendung gegenüber Verbrauchern – erhöhten Anforderungen.476 128 Einzelnen AGB-Klauseln wird nach § 305c Abs. 1 BGB die Einbeziehung in den Vertrag versagt, wenn sie „nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht“; die Rede ist dann von einer überraschenden Klausel. Für die Tatbestandsverwirklichung des § 305c Abs. 1 BGB stellt die wohl überwiegende, aber nicht unbestrittene Ansicht im Schrifttum darauf ab, ob die in Rede stehende Klausel aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nach den Gesamtumständen objektiv ungewöhnlich und subjektiv für den Vertragspartner überraschend ist.477 Die auf den ersten Blick klare Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Überraschungsmomente lässt sich indes nicht stringent durchhalten.478 So wird im Hinblick auf die Ungewöhnlichkeit einer Klausel auch auf die Gesamtumstände des konkreten Vertragsschlusses 479 bzw. auf den Gang und den Inhalt der Vertragsverhandlungen abgestellt.480 Hierfür spricht im Übrigen auch der Tatbestand des § 305c Abs. 1 BGB, der im Hinblick auf die Ungewöhnlichkeit auf die Umstände, und damit nicht zwingend allein auf objektive Kriterien, abstellt. Bei der Beurteilung des subjektiven Überraschungsmoments wiederum werden grundsätzlich die typischen Erkenntnis- und Verständnismöglichkeiten des betroffenen Kundenkreises – mithin eine „objektivierte“ Sichtweise bzw. ein genereller Maßstab – zugrunde gelegt.481 Schließlich lässt sich auch nicht zwingend sagen, dass (objektive) Ungewöhnlichkeit und Überraschungsmoment kumulativ vorliegen müssen; so ist es denkbar, dass eine Klausel zwar nicht objektiv ungewöhnlich ist, aber angesichts der individuellen Begleitumstände von den berechtigten Erwartungen des Kunden abweicht und bei ihm zu einer Überrumpelung führt.482 Nach der Rechtsprechung des BGH hat eine Regelung in AGB dann überraschenden Cha129 rakter, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Die Erwartungen des Vertragspartners werden dabei von allgemeinen und von individuellen Begleitumständen des Vertragsschlusses bestimmt. Zu ersteren zählen der Grad der Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht und die für den Geschäftskreis übliche Gestaltung einerseits, zu letzteren der Gang und der Inhalt der Vertragsverhandlungen sowie der äußere Zuschnitt des Vertrages andererseits.483 Auch wenn der BGH insoweit nicht ausdrücklich zwischen einer objektiven Ungewöhnlichkeit

476 Vgl. BGH 30.10.1987 – V ZR 174/86, BGHZ 102 152, 162 = NJW 1988 558, 560 (juris Rn. 21); OLG Frankfurt 3.2.1981 – 3/7 O 36/80, DB 1981 1459, 1459; OLG Hamburg 26.10.1982 – 12 U 202/80, ZIP 1982 1421, 1423; Ulmer/ Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 54; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 317. 477 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 11; BeckOK-BGB/H.Schmidt (Stand: 1.5.2019) § 305c Rn. 13; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 66; Wolf/Neuner11 BGB AT, § 47 Rn. 38; in diese Richtung BGH 21.7.2011 – IV ZR 43/ 10, AnwBl. 2011 783, 784 (Rn. 16); abweichend etwa Stoffels3 AGB-Recht Rn. 335 ff.; MüKo-BGB/Basedow8 § 305c Rn. 6 ff. (dreistufige Prüfung); zu den unterschiedlichen Herangehensweisen Schaffrin 52 ff. 478 BeckOGK-BGB/Bonin (Stand: 1.9.2019) § 305c Rn. 29; Stoffels3 AGB-Recht Rn. 335; vgl. auch Ulmer/Brandner/ Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 13a. 479 BeckOK-BGB/H.Schmidt (Stand: 1.5.2019) § 305c Rn. 13; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 13a. 480 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 19. 481 BeckOK-BGB/H.Schmidt (Stand: 1.5.2019) § 305c Rn. 18; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 13; die typisierende Betrachtungsweise gilt indes nur, sofern nicht der Verwender dem Vertragspartner besonderen Anlass gegeben hat, mit der verwendeten Klausel nicht rechnen zu müssen, vgl. BGH 9.4.1987 – III ZR 84/86, NJW 1987 2011, 2011 (juris Rn. 15). 482 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 13a unter Hinweis auf BGH 30.10.1987 – V ZR 174/86, BGHZ 102 152, 158 f. = NJW 1988 558, 559 f. (juris Rn. 19); OLG Saarbrücken 27.10.1993 – 5 U 197/93, VersR 1994 720, 720; Stoffels3 AGB-Recht Rn. 338; a. A. offenbar OLG Hamm 4.10.1985 – 20 W 20/85, VersR 1986 55, 56. 483 BGH 30.10.1987 – V ZR 174/86, BGHZ 102 152, 158 f. = NJW 1988 558, 559 f. (juris Rn. 19); BGH 10.9.2002 – XI ZR 305/01, NJW 2002 3627, 3627 (juris Rn. 13); BGH 26.2.2013 – XI ZR 417/11, NJW 2013 1803, 1804 (Rn. 23); BGH 28.5.2014 – VIII ZR 179/13, BGHZ 201 271, 278 = NJW 2014 2940, 2940 f. (Rn. 19). Beckmann

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Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

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und einem subjektiven Überraschungsmoment unterscheidet, wird eine Annäherung zum herrschenden Schrifttum angenommen.484 Der Rechtsprechung des BGH lässt sich zudem eine zweistufige Prüfung entnehmen.485

a) Ungewöhnlichkeit. Die Ungewöhnlichkeit einer Klausel kann sich nach dem Tatbestand 130 des § 305c Abs. 1 BGB bereits aus dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages ergeben. Davon sind Angaben im Vertrag erfasst, wegen derer der Vertragspartner widersprechende Regelungen oder unübliche Ergänzungen nicht erwarten muss.486 So können der ungewöhnliche äußere Zuschnitt einer Klausel und ihre Unterbringung an unerwarteter Stelle die Bestimmung zu einer ungewöhnlichen und damit überraschenden Klausel machen.487 Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des BGH allerdings nicht darauf an, an welcher Stelle des Klauselwerks die entsprechende Klausel steht, weil alle Bestimmungen grundsätzlich gleich bedeutsam sind und nicht durch die Platzierung einer Vorschrift im Klauselwerk auf deren Bedeutung geschlossen werden kann. Aus der Stellung der Klausel kann sich danach ein Überraschungseffekt vielmehr dann ergeben, wenn diese in einem systematischen Zusammenhang steht, in dem der Vertragspartner sie nicht zu erwarten braucht.488 Das kann der Fall sein, wenn sie im Vertragstext falsch eingeordnet und dadurch geradezu „versteckt“ ist.489 Für AVB kann dies Relevanz haben, wenn z. B. ein bestimmter Risikoausschluss an einer Stelle untergebracht wird, wo mit ihm nicht gerechnet zu werden braucht, etwa weil die übrigen Ausschlussklauseln an anderer Stelle zu finden sind.490 So braucht der Vertragspartner bei Verwendung eines Anlageblattes nicht damit zu rechnen, das sich an späterer Stelle des Blattes eine Bestimmung findet, die den Versicherungsschutz zum weit überwiegenden Teil wieder aufhebt.491 Andererseits kann von einem VN auch erwartet werden, dass er beispielsweise die gesamten das Versicherungsende durch Kündigung des VN betreffenden Bestimmungen zur Kenntnis nimmt und auf besondere Voraussetzungen achtet, die zu erfüllen sind, wenn ein Versicherungsvertrag für andere versicherte Personen gekündigt wird;492 sind die Anforderungen also im Zusammenhang geregelt, kann nicht von einer „versteckten“ Klausel gesprochen werden. Die Ungewöhnlichkeit einer Klausel kann sich des Weiteren aus dem Grad der Abweichung 131 vom dispositiven Gesetzesrecht und die für den Geschäftskreis übliche Gestaltung493 bzw. der Abweichung vom vertraglichen Leitbild494 ergeben. Entscheidend ist grundsätzlich die Sicht des typischerweise zu erwartenden Kundenkreises. Die grundsätzlich gebotene generali-

484 Stoffels3 AGB-Recht Rn. 334; Schaffrin 55. 485 BeckOGK-BGB/Bonin (Stand: 1.9.2019) § 305c Rn. 29; vgl. auch BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257, 1258 (Rn. 16).

486 BeckOGK-BGB/Bonin (Stand: 1.9.2019) § 305c Rn. 36 f. 487 BGH 16.1.2013 – IV ZR 94/11, VersR 2013 305, 306 (Rn. 15); BGH 5.12.2012 – IV ZR 110/10, VersR 2013 2019, 223 (Rn. 40); BGH 26.7.2012 – VII ZR 262/11, NJW-RR 2012 1261, 1261 (Rn. 10).

488 BGH 21.7.2010 – XII ZR 189/08, NJW 2010 3152, 3153 f. (Rn. 27). 489 BGH 16.1.2013 – IV ZR 94/11, VersR 2013 305, 306 (Rn. 15) auch zum Vorstehenden; BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/ 10, VersR 2011 1257, 1258 (Rn. 16); OLG Saarbrücken 29.8.2018 – 5 U 16/18 (juris Rn. 33). 490 Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 68. 491 Vgl. LG München I 29.6.1988 – 14 S 1876/88, NJW-RR 1989 417, 417 (Ausschlussbestimmung auf einem Anlagenblatt). 492 BGH 16.1.2013 – IV ZR 94/11, VersR 2013 305, 306 (Rn. 16); teilweise als „Leseobliegenheit“ bezeichnet, vgl. etwa Langheid/Wandt/Armbrüster2 Vor §§ 6, 7 Rn. 45. 493 BGH 21.11.1991 – IX ZR 60/91, NJW 1992 1234, 1235 (juris Rn. 18); BGH 28.5.2014 – VIII ZR 179/13, BGHZ 201 271, 278 = NJW 2014 2940, 2941 (Rn. 19). 494 BGH 22.12.1992 – VI ZR 341/91, BGHZ 121 107, 113 = VersR 1993 481, 482 (juris Rn. 18). 215

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Einf. C

Allgemeine Versicherungsbedingungen

sierende Betrachtung kann im Einzelfall jedoch durch die individuellen Umstände des Vertragsschlusses überlagert werden.495 132 Im Hinblick auf die Ungewöhnlichkeit einer Klausel ist des Weiteren die Erwartungshaltung an die inhaltliche Vertragsgestaltung maßgeblich, wie sie sich aus Sicht der jeweiligen (redlichen) Verkehrskreise bzw. aufgrund des Verhaltens des Klauselverwenders bei Vertragsschluss (Werbung, Ausgestaltung des Vertrages etc.) ergibt.496 Auf die Anwendungsverbreitung der Klausel kommt es dabei grundsätzlich nicht an, soweit der als Klauseladressat umworbene uninformierte Verkehrskreis mit ihrer Verwendung nicht zu rechnen brauchte.497 Daher genügt allein die Branchenüblichkeit bzw. Brancheneinheitlichkeit einer Klausel nicht, um deren Ungewöhnlichkeit auszuschließen.498 Dies gilt namentlich auch bei der Übernahme von Musterbedingungen der Versichererverbände.499 Gleiches gilt für vormals noch aufsichtsbehördlich genehmigte oder weiterhin der Genehmigung unterliegende500 Versicherungsbedingungen.501 Im Hinblick darauf, dass die Branchenüblichkeit die Ungewöhnlichkeit einer Klausel grundsätzlich nicht ausschließt, hat Reiff indes darauf hingewiesen, dass in der Rechtsprechung eine Verletzung von § 305c Abs. 1 BGB auch mit der Begründung abgelehnt wurde, dass entsprechende Klauseln „schon immer“ bzw. „seit jeher“ verwendet worden seien.502 Trotz dieses Befunds lässt sich – wie zum Ausdruck gebracht – nicht sagen, dass eine Branchenüblichkeit die Ungewöhnlichkeit einer Klausel ausschließt. Schließlich besteht auf der anderen Seite auch kein Automatismus dergestalt, eine Klausel bereits deshalb als überraschend einzustufen, weil sie von üblicherweise verwendeten Bedingungen abweicht.503

133 b) Überraschungseffekt. § 305c Abs. 1 BGB setzt des Weiteren einen Überraschungseffekt der Klausel voraus.504 So stellt die Rechtsprechung darauf ab, ob einer Klausel ein Überrumpelungseffekt innewohnt.505 Erforderlich ist, dass die Klausel so ungewöhnlich ist, dass der Kunde vernünftigerweise mit ihr nicht zu rechnen brauchte.506 Ob dies der Fall ist, richtet sich grundsätzlich nach einem generellen Maßstab, mithin der Verständnismöglichkeit des typischerweise 495 Vgl. etwa BGH 30.10.1987 – V ZR 174/86, BGHZ 102 152, 159 = NJW 1988 558, 560 (juris Rn. 19); OLG Karlsruhe 29.2.2000 – 8 U 44/99 (juris Rn. 50) BGH 11.12.2003 – III ZR 118/03 NJW-RR 2004 780, 780 (juris Rn. 17).

496 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 1. 497 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 14. 498 Etwa OLG Saarbrücken 27.10.1993 – 5 U 197/93, VersR 1994 720, 720; OLG Hamm 21.10.2011 – 20 U 41/11, VersR 2012 479, 483 (juris Rn. 41); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 14, 20; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 69. 499 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 172; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 319; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12§ 305c Rn. 14; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 69. 500 Mithin die AVB von Sterbekassen gem. § 219 Abs. 3 Nr. 1 VAG und Pensionskassen gem. § 233 Abs. 1 Satz 4 VAG. 501 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 64; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 176; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 319; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 7a; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 67; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer/Lindacher/Hau6 § 305c Rn. 43, Schaffrin 59; a. A. etwa Helm NJW 1978 129, 132. 502 OLG Frankfurt a. M. 7.4.1999 – 7 U 136/98, VersR 2001 321, 321 (juris Rn. 3); OLG Hamm 1.3.1995 – 20 U 313/ 94, VersR 1995 908, 909 (juris Rn. 10) (zur Angehörigenklausel des § 4 Abs. 2 Nr. 2 a der AHB); OLG Celle 13.4.2000 – 8 U 40/99, VersR 2001 182, 184 (juris Rn. 8) (zum Ausschluss für ärztliche Behandlungen durch Verwandte nach § 5 Abs. 1 g MB/KK 76); Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 69. 503 Vgl. BGH 28.3.2001 – IV ZR 180/00, VersR 2001 752, 754 (juris Rn. 29); Thüringer OLG 23.8.2000 – 4 U 149/00, VersR 2002 229, 230 (juris Rn. 32). 504 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 13. 505 BGH 21.11.1991 – IX ZR 60/91, NJW 1992 1234, 1235 (juris Rn. 18); BGH 16.1.2001 – XI ZR 84/00, NJW 2001 1416, 1416 (juris Rn. 15); BGH 30.9.2009 – IV ZR 47/09, VersR 2009 1622, 1623 (Rn. 13); OLG Saarbrücken 29.8.2018 – 5 U 16/18 (juris Rn. 33); OLG Saarbrücken 27.10.1993 – 5 U 197/93, VersR 1994 720, 720. 506 BGH 21.11.1991 – IX ZR 60/91, NJW 1992 1234, 1235 (juris Rn. 18); BGH 16.1.2001 – XI ZR 84/00, NJW 2001 1416, 1416 (juris Rn. 15); BGH 30.9.2009 – IV ZR 47/09, VersR 2009 1622, 1623 (Rn. 13); OLG Saarbrücken 27.10.1993 – 5 U 197/93, VersR 1994 720, 720. Beckmann

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Einbeziehung der AVB in den Versicherungsvertrag

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bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden.507 Dieser generelle Maßstab kann durch die konkreten Verhältnisse beim Vertragsschluss modifiziert werden,508 wenn sich die enttäuschte Kundenerwartung gerade auf individuelle Umstände bei Vertragsschluss stützt.509 Eine solche Kundenerwartung kann sich auch aus Äußerungen des VR bzw. des Versiche- 134 rungsvertreters gegenüber dem Kunden im Rahmen der Vertragsverhandlungen ergeben. Äußert der VR oder der Versicherungsvertreter z. B., dass ein bestimmter Schaden oder ein bestimmtes Risiko vom Versicherungsschutz erfasst sei, so kann dies berechtigterweise eine entsprechende Kundenerwartung begründen. Enthalten indes die AVB entgegen solcher Äußerungen einen entsprechenden Risikoausschluss, so kann die entsprechende Klausel als überraschend eingeordnet werden;510 denkbar ist in solchen Konstellationen zudem das Eingreifen des § 305b BGB (Vorrang der Individualabrede). Zwar wird man die den AVB widersprechenden Äußerungen zugleich als Beratungsfehler gem. § 6 Abs. 1 VVG bzw. § 61 VVG einordnen können; wenn der Risikoausschluss indes nicht Vertragsbestandteil geworden ist, dürfte es grundsätzlich an einem Schaden des VN fehlen. Unterschiedlich beurteilt wird dies indes, wenn die Äußerung des VR oder des Versicherungsvertreters hingegen nur einen Teil der vom Risikoausschluss erfassten Fälle betrifft. Im Schrifttum wird als Beispiel genannt, dass der Versicherungsvertreter gegenüber dem VN äußert, die Privathaftpflichtversicherung decke auch Haftpflichtansprüche aus Schadensfällen seiner mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehefrau ab; in diesem Fall ist der Risikoausschluss gem. 7.5 Abs. 1 AHB,511 wonach Ansprüche gegen den VN aus Schadensfällen seiner Angehörigen, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, ausgeschlossen sind, für den VN jedenfalls insoweit überraschend, als es um die Schädigung seiner Ehefrau geht.512 Für diese Fallkonstellation wird vertreten, dass die fehlerhafte Äußerung von VR-Seite nicht dazu führen könne, den gesamten Risikoausschluss zu streichen, der für alle mit dem VN in häuslicher Gemeinschaft lebenden Angehörigen gilt.513 Der VN hätte dann nämlich auch Deckungsschutz für Schadensfälle etwa seiner Kinder, obwohl sich die Äußerung hierauf gar nicht bezog. Nach anderer Ansicht wird die gesamte Klausel nicht Vertragsbestandteil.514 Argumentiert wird unter anderem mit der Gesetzbegründung, wo es heißt, dass der Vertragspartner des Verwenders an AGB, die ganz ungewöhnlich sind, nicht gebunden sein soll;515 dass teilweise überraschende Klauseln zumindest mit dem vom Vertragspartner erwarteten Inhalt in den Vertrag einbezogen werden sollten, lasse sich der Gesetzesbegründung hingegen nicht entnehmen. Indes erscheint fraglich, ob die Gesetzesbegründung diese spezielle Konstellation erfassen sollte. Mithin ist der erstgenannten Auffassung zu folgen. Die Klausel ist objektiv nicht gänzlich ungewöhnlich, vielmehr basiert ein Überraschungseffekt allein aufgrund der Äußerung des VR bzw. des Versicherungsvertreters; diese

507 BGH 30.6.1995 – V ZR 184/94, BGHZ 130 150, 154 = NJW 1995 2637, 2638 (juris Rn. 9); Ulmer/Brandner/Hensen/ Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 13. 508 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 13a. 509 BGH 30.10.1987 – V ZR 174/86, BGHZ 102 152, 159 = NJW 1988 558, 560 (juris Rn. 19); OLG Karlsruhe 29.2.2000 – 8 U 44/99 (juris Rn. 50); Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Lindacher/Hau6 § 305c Rn. 38. 510 Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 72; Prölss VersR 2000 1441, 1449; vgl. hierzu auch Prölss/Martin/Rudy30 § 6 Rn. 79, der indes darauf hinweist, dass – soweit ersichtlich – die Einbeziehung einer Klausel wegen falscher oder unterlassener Auskünfte von Agenten von der Rspr. kaum je abgelehnt worden sei. 511 Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB), Musterbedingungen des GDV (Stand: Februar 2016), abrufbar unter https://www.gdv.de/de/private-und-gewerbliche-haftpflichtbedingungen6022 (Abrufdatum: 3.9.2019); entsprechende AHB 2012 abgedruckt bei Bruck/Möller/Koch9, Bd. 4 Haftpflichtversicherung. 512 Beispiel nach Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 72; Schaffrin 65. 513 Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 72; Prölss VersR 2000 1441, 1449; wohl auch Prölss/Martin/Rudy30 § 6 Rn. 79. 514 Schaffrin 65 ff. 515 Schaffrin 67 unter Hinweis auf BTDrucks. 7/3919 S. 19. 217

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

bezog sich im Beispiel allein auf Versicherungsschutz für Ansprüche aus Schadensfällen der Ehefrau des VN. Nur im Hinblick auf diese Falschauskunft ist der VN schutzwürdig. Deshalb hält es Rudy für möglich, dem durch die Auskünfte des VR provozierten Überraschungseffekt einer Klausel durch eine den Vorstellungen des VN entsprechende Reduktion der Klausel für den Einzelfall Rechnung zu tragen; das für die Inhaltskontrolle geltende Verbot einer geltungserhaltenden Reduktion stehe dem nicht entgegen.516 Zwar lässt sich annehmen, dass das Verbot der geltungserhaltenen Reduktion auch im Rahmen von § 305c Abs. 1 BGB gilt.517 Andererseits ist der Sinn des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion zu berücksichtigen. Dieses Verbot dient dem Präventions- und dem Transparenzgesichtspunkt: Einerseits soll der AGBVerwender nicht zur Verwendung überzogener Klauseln animiert, sondern zur rechtskonformen Gestaltung seiner AGB angehalten werden; zugleich soll mit dem Verbot erreicht werden, dass AGB klare, für den Kunden verständliche Regelungen enthalten.518 Wendet man § 305c Abs. 1 BGB allein auf den Teil der Klausel an, auf die sich die Äußerungen der VR-Seite beziehen, so werden die Zwecke des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion nicht tangiert.519 Die Klausel als solche ist objektiv nicht ungewöhnlich, sondern der Überraschungseffekt wird durch die Äußerungen der VR-Seite hervorgerufen. Nach dem Schutzzweck des § 305c Abs. 1 BGB soll der Vertragspartner des Klauselverwenders darauf vertrauen können, dass sich die einzelnen Regelungen im Großen und Ganzen im Rahmen dessen halten, was nach den Umständen bei Abschluss des Vertrages erwartet werden kann.520 Im Beispielsfall kann der VN aufgrund der Äußerungen lediglich erwarten, dass die Privathaftpflichtversicherung auch Ansprüche aus Schadensfällen seiner Ehefrau deckt. Nur insoweit hat der genannte Risikoausschluss überraschenden Charakter. Deshalb ist die Rechtsfolge des § 305c Abs. 1 BGB auch nur hierauf zu beschränken. 135 Der Überraschungscharakter einer allgemein ungewöhnlichen – etwa nicht vertragstypkonformen – Klausel entfällt indes, wenn sie inhaltlich ohne weiteres verständlich und drucktechnisch so hervorgehoben ist, dass erwartet werden kann, der Gegner des Verwenders werde von ihr Kenntnis nehmen.521 Eine mehrfach erfolgte deutliche Herausstellung der (ungewöhnlichen) Klausel im Antragsformular und deren Verständlichkeit aus Sicht eines durchschnittlichen VN genügt hierfür.522 Neben der erforderlichen optischen Hervorhebung des Hinweises oder der betreffenden Klausel muss gewährleistet sein, dass sie der Adressat auch inhaltlich erfassen und so deren Tragweite bewerten kann.523 Unter Umständen bedarf es neben der grundsätzlich erforderlichen optischen Hervorhebung zusätzlich eines individuellen Hinweises; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Klausel ihren ungewöhnlichen Charakter aufgrund der Umstände des Vertragsschlusses erhält.524 Ob sich vor diesem Hintergrund pauschal sagen lässt, dass trotz der Ungewöhnlichkeit einer Klausel das Überra-

516 Prölss/Martin/Rudy30 § 6 Rn. 79. 517 In diesem Sinne wohl Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt12 § 306 Rn. 15. 518 Präve Lebensversicherung Einleitung Rn. 162; Graf v. Westphal/Thüsing/Präve AGB (4.2019) Rn. 212; BeckOGKBGB/Bonin (Stand: 1.9.2019) § 306 Rn. 33; Thüsing VersR 2015 927, 930; BGH 17.5.1982 – VII ZR 316/81; NJW 1982 2309, 2310 (juris Rn. 22). 519 In diesem Sinne wohl auch Prölss VersR 2000 1441, 1449 wonach solchen Diskrepanzen nicht ex ante durch eine „erwartungsgerechte“ Abfassung der AGB begegnet werden kann. 520 BTDrucks. 7/3919 S. 19; vgl. bereits Rn. 126. 521 BGH 21.6.2001 – IX ZR 69/00, NJW-RR 2002 485, 487 (juris Rn. 17) m. w. N.; OLG Hamm 5.7.2013 – 20 U 79/13, ZfS 2014 463, 464 (juris Rn. 6); Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 37; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 70. 522 OLG Düsseldorf 2.7.1996 – 4 U 108/95, VersR 1997 1134, 1135 (juris Rn. 13). 523 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 23 f. 524 BGH 21.6.2001 – IX ZR 69/00, NJW-RR 2002 485, 487 (juris Rn. 18) m. w. N.; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 6. Beckmann

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schungsmoment entfällt, „wenn dem Kunden der Inhalt der Klausel bekannt ist“,525 erscheint zumindest diskussionswürdig; denn nach dem zuvor Gesagten muss die Klausel für den VN auch verständlich sein. Unabhängig von dieser Frage hat das OLG Bremen in der genannten Entscheidung eine entsprechende Abstimmung einer Klausel zwischen VR und Versicherungsmakler dem VN zugerechnet und deshalb den Überraschungseffekt einer Klausel verneint. Die bloße formale Erfüllung der Informationspflicht gem. § 7 VVG durch den VR lässt 136 einen etwaigen Überraschungscharakter einer Klausel nicht entfallen.526 Etwas anderes kann sich im Falle einer individuellen Aufklärung durch den VR ergeben.527 Unabhängig von der Frage, ob eine Klausel im Einzelfall als überraschend einzustufen ist, kann eine Klausel bei entsprechendem Beratungsanlass Gegenstand der Beratungspflicht gem. § 6 VVG sein.528 Auch das Produktinformationsblatt gem. § 4 VVG-InfoV kann grundsätzlich den Überraschungscharakter einer Klausel nicht ausschließen;529 zum einen da es von den AVB bereits körperlich zu trennen ist, so dass von einem Verbraucher nicht erwartet werden kann, dass er sowohl AVB und Produktinformationsblatt tatsächlich liest und auch eine entsprechende Erläuterung versteht. Darüber hinaus dürfte es in der Regel in unmittelbarem räumlichen Umfeld an einem auffälligen Hinweis fehlen. Vielmehr gelten die allgemeinen Anforderungen (vgl. Rn. 135), deren Vorliegen den Überraschungscharakter entfallen lassen können. Zum Teil wird in Zusammenhang mit den AVB auch von einer sog. „Leseobliegenheit“ 137 des VN gesprochen.530 Hieraus wird man indes nicht generell schließen können, dass der VN stets die AVB lesen muss mit der Folge, dass der Überraschungseffekt dann entfällt. Zum einen ergibt sich aus § 305c Abs. 1 BGB keine Obliegenheit des Vertragspartners, die AVB zu lesen; zum anderen ging es in der zuvor zitierten Entscheidung des BGH vom 16.1.2013 um die Frage, ob die entsprechende Klausel „versteckt“ untergebracht war (zum Überraschungscharakter wegen der versteckten Unterbringung einer Klausel vgl. bereits oben Rn. 130). Risikobegrenzungen und -ausschlüsse sind typischer Inhalt Allgemeiner Versiche- 138 rungsbedingungen. Jeder VN muss dabei vernünftigerweise davon ausgehen, dass der VR nicht sämtliche Gefahren, die mit der in Überschriften oder werbenden Anpreisungen benutzten allgemeinen Bezeichnung des versicherten Risikos verbunden sind, zu tragen bereit oder auch nur in der Lage ist.531 Der Verwendung entsprechender Klauseln wohnt daher nicht bereits per se ein überraschender Charakter inne.532 Dies gilt ebenso für Ausschlüsse bestimmter Sonderrisiken, da die Deckung der allgemeinen Risiken des jeweils versicherten Gefahrenbereichs auch aus Sicht eines verständigen VN die vorrangige Aufgabe des Versicherungsschutzes darstellt.533

525 526 527 528 529

So OLG Bremen 18.11.2008 – 3 U 14/08, VersR 2009 776, 776 (juris Rn. 6). Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 38. Langheid/Wandt/Armbrüster2 Vor §§ 6,7 Rn. 45. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 68; Prölss/Martin/Rudy30 § 6 Rn. 22 (Informationspflicht). Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 38; a. A. tendenziell Prölss/Martin/Rudy30 § 4 VVG-InfoV Rn. 1; Langheid/Wandt/Armbrüster2 Vor §§ 6,7 Rn. 45; § 7 Rn. 152. 530 Vgl. etwa Langheid/Wandt/Armbrüster2 Vor §§ 6,7 Rn. 45 unter Bezugnahme auf BGH 16.1.2013 – IV ZR 94/11, VersR 2013 305, 306 (Rn. 16); BGH 20.6.2012 – IV ZR 39/11, VersR 2012 1113, 1115 (Rn. 24) ohne Bezug auf § 305c BGB; Prölss/Martin/Rudy30 § 6 Rn. 22. 531 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 65. 532 OLG Köln 26.2.2003 – 5 U 89/01, VersR 2003 899, 890 (juris Rn. 22); OLG Düsseldorf 22.9.2017 – I-4 U 90/16, NJW-RR 2018 97,98 (juris Rn. 25); OLG Köln 27.5.1998 – 5 U 28/98, NVersZ 2000 23, 23 (juris Rn. 27); Ulmer/Brandner/ Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 27 und 44. 533 Siehe BGH 6.2.1991 – IV ZR 49/90, VersR 1991 803, 804 (juris Rn. 20); BGH 1.6.1983 – IVa ZR 152/81, VersR 1983 821, 822 (juris Rn. 20 ff.); OLG Hamm 11.12.1990 – 20 W 49/90, VersR 1991 798, 799 (juris Rn. 27); OLG München 12.10.1982 – 25 U 1495/82, NJW 1983 53, 53 (juris Rn. 23). 219

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139 c) Begünstigende Klausel. Soweit der Inhalt einer ungewöhnlichen Klausel den VN begünstigt, kommt eine Nichteinbeziehung nach § 305c Abs. 1 BGB wegen des am Schutz des Bedingungsadressaten orientierten Charakters der Vorschrift nicht in Betracht.534

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Die folgenden Ausführungen – ebenso wie entsprechende Übersichten an anderer Stelle dieses Abschnitts – enthalten ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine Auswahl von Einzelfällen, die Gegenstand der Rechtsprechung gewesen sind. Allmählichkeitsschäden/ Haftpflichtversicherung: Der Ausschluss von sog. Allmählichkeitsschäden in den AVB der Privathaftpflichtversicherung (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 AHB a. F.) wurde teilweise als nicht überraschend und auch als nicht unangemessen eingeordnet.535 Nachdem das OLG Nürnberg536 den Ausschluss indes als intransparent qualifizierte, findet sich dieser in aktuelleren AHB nicht mehr.537 Anspruchsverzicht/ Haftpflichtversicherung: Die Klausel in einem Vordruck, den ein Haftpflichtversicherer für Abfindungserklärungen verwendet, wonach sich der Verzicht des Geschädigten auf weitergehende Ansprüche nicht nur auf den VN und den VR, sondern uneingeschränkt auf „jeden Dritten“ erstreckt, ist überraschend und benachteiligt den Geschädigten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie ist daher unwirksam.538 Anzeigeerfordernis/ Lebensversicherung: Das Anzeigeerfordernis im Rahmen einer Lebensversicherung hinsichtlich der Abtretung von Versicherungsansprüchen bzw. der Benennung von Bezugsberechtigten stellt für den VN keine überraschende Bestimmung dar, da Versicherungsbedingungen regelmäßig Abtretungsbeschränkungen oder auch Verbote enthalten.539 Apothekenklausel/ Krankheitskostenversicherung: Eine Klausel in den AVB einer Krankheitskostenversicherung, wonach die Kostenerstattungspflicht für Arzneimittel sich auf solche beschränkt, die in Apotheken vertrieben werden, ist wirksam. Die Klausel verstößt weder gegen § 307 BGB noch gegen § 305c Abs. 1 BGB. Es handelt sich um eine zulässige Bestimmung der Leistungsgrenzen, welche letztlich der Qualitätssicherung der medizinischen Versorgung dient.540 Beschränkung der Leistungsdauer/ Krankheitskostenversicherung: Grundsätzlich rechnen muss der VN einer privaten Krankenversicherung mit einer Beschränkung der Leistungsdauer im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung, so dass entsprechenden Klauseln zumindest kein Überraschungseffekt innewohnt.541 Sie stellt jedoch dann eine unangemessene Benachteiligung dar, soweit die Begrenzung sich auf die gesamte Vertragslaufzeit bezieht, da Krankenversicherungsverträge regelmäßig auf lange Dauer angelegt sind.542 claims-made-Prinzip/ D&O-Versicherung: Die Beschreibung des Versicherungsfalles auf der Grundlage des Anspruchserhebungsprinzips (claims-made-Prinzip) hat das OLG München 534 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 21. 535 AG Mainz. 16.11.1998 – 82 C 296/98, VersR 2000 45, 45; LG Hannover 19.8.2008 – 6 S 39/08, ZfS 2009 215, 215 f. (juris Rn. 3 ff.) betreffend die Wirksamkeit der Klausel. 536 OLG Nürnberg 20.12.2001 – 8 U 2497/01, VersR 2002 967, 967 f. (juris Rn. 10 ff.); befürwortend HK-VVG/Schimikowski4 AHB Ziff. 7 Rn. 4; a. A. LG Hannover 19.8.2008 – 6 S 39/08, ZfS 2009 215, 215 f. (juris Rn. 3 ff.); Langheid/ Wandt/Büsken2 Allgemeine Haftpflichtversicherung Rn. 144; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einleitung Rn. 184. 537 Vgl. Prölss/Martin/Lücke30 AHB § 7 Rn. 111; HK-VVG/Schimikowski4 AHB Ziff. 7 Rn. 1. 538 BGH 25.10.1984 – VII ZR 95/83, VersR 1985 165, 165 f. (juris Rn. 13 ff.). 539 OLG Hamm 31.5.1996 – 20 U 34/96, VersR 1997 729, 729 (juris Rn. 5 f.). 540 LG Düsseldorf 22.3.2002 – 20 S 162/01, VersR 2003 53, 53 (juris Rn. 6). 541 BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 748 (juris Rn. 25 f.). 542 BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 748 (juris Rn. 27 ff.); wirksam bei Beschränkung auf 20 Sitzungen pro Jahr nach OLG Köln 26.2.2003 – 5 U 89/01, VersR 2003 899, 900 (juris Rn. 24 ff.); detaillierte Darstellung bei Prölss/Martin/Voit30 MB/KK 2009 § 4 Rn. 7. Beckmann

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als nicht überraschend eingestuft.543 Dies gilt auch für eine einjährige Nachmeldefrist.544 Zur Wirksamkeit Rn. 276. Dynamik/ Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Nicht überraschend ist eine Bestimmung, nach der ein bedingungsgemäß vorgesehenes Recht auf planmäßige Erhöhung von Beiträgen und Versicherungsleistungen in der Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung bei Eintritt der Berufsunfähigkeit erlischt.545 Ermittlungsverfahren/ Gruppenstrafrechtsschutzversicherung: Bei einer Gruppenstrafrechtsschutzversicherung ist nach einer Entscheidung des OLG Köln die Anknüpfung des Versicherungsfalls an die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wirksam. Es handelt sich dabei nicht um eine überraschende Klausel, da Strafrechtsschutz für nur vorsätzlich zu begehende Straftaten sonst regelmäßig gar nicht versicherbar ist und der VN daher mit Einschränkungen rechnen müsse.546 Auch eine Klausel, die eine Gesamtversicherungssumme vorsieht ist danach wirksam, selbst wenn sie in der Gruppenversicherung im Einzelfall dazu führen kann, dass einzelne versicherte Personen keine Leistungen mehr beziehen können.547 Erstattung der Mehrwertsteuer/ Wiederbeschaffungskosten/ Kaskoversicherung: Nicht überraschend ist eine Klausel in der Kaskoversicherung, durch die der Anspruch auf die Kosten für eine fiktive Reparatur auf die Wiederbeschaffungskosten begrenzt wird.548 Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, wenn darüber hinaus die Mehrwertsteuer beim Ausgleich der Wiederherstellungskosten nur im Falle von deren tatsächlicher Entrichtung durch den VN, d. h. bei tatsächlich durchgeführter Reparatur, erstattet wird.549 Die Begrenzung auf die tatsächlich bezahlte Mehrwertsteuer kann allerdings im Einzelfall intransparent formuliert sein, soweit der VN sie dahingehend verstehen kann, dass auch die Mehrwertsteuererstattung bei einer mehrwertsteuerpflichtigen Ersatzbeschaffung ohne vorherige Reparatur ausgeschlossen sein solle.550 Gegenstände in unbeaufsichtigten Fahrzeugen/ Reisegepäckversicherung: Nicht überraschend sind Bestimmungen in der Reisegepäckversicherung, wonach Versicherungsschutz bei unbeaufsichtigt abgestellten Fahrzeugen nur besteht, wenn das Gepäck in einem umschlossenen und mittels Verschluss gesicherten Innen- oder Kofferraum verwahrt wurde.551 Gemischte Anstalten/ Krankheitskostenversicherung: Ebenfalls nicht überraschend ist die Klausel § 4 Abs. 5 MB/KK, nach denen Kosten für einen Aufenthalt in sog. gemischten Anstalten, die sowohl klinische als auch Kur- und Sanatoriumsbehandlungen durchführen, grundsätzlich nicht und nur bei schriftlicher Leistungszusage des VR vom Versicherungsschutz umfasst sind.552

543 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067 (juris Rn. 22). 544 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067 (juris Rn. 25). 545 OLG Koblenz 16.4.1999 – 10 U 791/98, VersR 1999 876, 877 (juris Rn. 23 ff.); stillschweigend von der Wirksamkeit ausgehend auch BGH 3.7.2002 – IV ZR 145/01, VersR 2002 1089.

546 OLG Köln 8.11.2016 – 9 U 38/16, RuS 2017 472, 473 (juris Rn. 16). 547 OLG Köln 8.11.2016 – 9 U 38/16, RuS 2017 472, 475 f. juris Rn. 26 ff.). 548 OLG Frankfurt 12.11.1998 – 15 U 269/97, VersR 2000 1010, 1011 (juris Rn. 27); auch kein Verstoß gegen § 307 BGB: OLG Hamm 25.2.1999 – 6 U 190/98, DAR 1999 313, 313 (juris Rn. 18). 549 BGH 4.11.2009 – IV ZR 35/09, VersR 2010 208, 208 (Rn. 8 f.); OLG Celle 28.3.2008 – 8 W 19/08, VersR 2008 1204, 1204 f. (juris Rn. 4 ff.); OLG Köln 8.11.2005 – 9 U 44/05, RuS 2006 102, 103 (juris Rn. 10); OLG Frankfurt 15.6.2004 – 14 U 200/03, VersR 2004 1551, 1551 f. (juris Rn. 19 f.); LG München I 14.6.2000 – 14 S 22159/99, NJW-RR 2001 169, 169; AG Köln 26.6.2003 – 264 C 264/02, SP 2004 134, 134; AG Koblenz 21.3.2002 – 161 C 3903/01, VersR 2002 1231, 1231; AG Karlsruhe 7.9.2001 – 8 C 318/01, VersR 2002 310, 310; Maier NVersZ 2002 106; a. A. LG Braunschweig 14.6.2001 – 10 S 30/01 (7), VersR 2001 1279, 1279; LG Deggendorf 5.3.2002 – 1 S 132/01, RuS 2002 322, 322 f.; AG Heinsberg 12.11.2001 – 16 C 328/01, NVersZ 2002 132, 132. 550 BGH 24.5.2006 – IV ZR 263/03, VersR 2006 1066, 1066 f. (Rn. 5, 13 ff.). 551 OLG München 30.11.1984 – 18 U 3917/84, VersR 1986 284, 284 f.; LG Freiburg 2.2.1990 – 5 O 605/89. 552 LG Köln 5.10.1994 – 25 O 295/93, VersR 1995 1474, 1474 f.; stillschweigend von der Wirksamkeit ausgehend auch BGH 29.1.2003 – IV ZR 257/01, VersR 2003 360; BGH 2.12.1981 – IVa ZR 206/80, VersR 1982 285; BGH 7.7.1971 – IV ZR 6/71, VersR 1971 949. 221

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Geschäftsgeld/ Hausratversicherung: Nicht überraschend ist der Ausschluss von Geschäftsgeld aus dem Versicherungsschutz in der Hausratversicherung, zumindest wenn der VN die Klausel bewusst in Kauf nimmt, um eine höhere Versicherungssumme für Wertsachen zu vereinbaren.553 Höchstsätze der ärztlichen Gebührenordnung/ Krankheitskostenversicherung: Es liegt keine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB vor, wenn der VR in seinen AVB regelt, dass die Kostenerstattung bis zu den Höchstsätzen der jeweils gültigen amtlichen ärztlichen Gebührenordnungen sowie den Verordnungen über Krankenhauspflegesätze begrenzt ist und gleichzeitig in einer Zusammenfassung eine Erstattung zu 100 % im Hinblick auf dort genannte ambulante Heilbehandlungen beschreibt.554 Invaliditätsentschädigung/ Unfallversicherung: Nicht überraschend ist eine Bestimmung, welche die Invaliditätsentschädigung auf Fälle des Totalverlustes eines Gliedes und die Ganzinvalidität beschränkt.555 Dies gilt ebenso, soweit eine Entschädigung bei Teilinvalidität nur nach Maßgabe festgelegter Invaliditätsgrade geleistet wird.556 Kostentragungspflicht: siehe Tarifklausel Rn. 163. Krankhafte Störungen („Psychoklausel“)/ Unfallversicherung: Ein Ausschluss des Versicherungsschutzes im Rahmen eines privaten Unfallversicherungsvertrages für krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen wird als nicht überraschend angesehen;557 vgl. auch Rn. 371. Logopäden/ Krankheitskostenversicherung: Zulässig ist die Beschränkung des Versicherungsschutzes für Stimm-, Sprach- und Sprachübungstherapie auf ärztliche Behandler (Logopäden) im Rahmen einer Krankheitskostenversicherung.558 Lückenloser Versicherungsschutz/ Haftpflichtversicherung: Überraschend ist eine Klausel in der Privathaftpflichtversicherung, welche die Schäden durch einen in der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht mitversicherten Besitzer von der Deckung ausnimmt, wenn dadurch der vom VR propagierte und sich auch aus dem sonstigen Bedingungswerk ergebende lückenlose Versicherungsschutz unterlaufen würde.559 Mehrfachversicherungsklausel/ Krankenhaustagegeldversicherung: Die Mehrfachversicherungsklausel in der Krankentagegeldversicherung, die dem VR die fristlose Kündigung ermöglicht, soweit der VN ohne Zustimmung eine weitere gleichartige Versicherung abschließt, ist nicht überraschend.560 Mehrvergleich/ Rechtsschutzversicherung: Der Ausschluss für Kosten im Rahmen einer einverständlichen Regelung für Forderungen, die selbst nicht streitig waren nach § 5 Abs. h PRIVARB 2010, ist nach Auffassung des AG Kassel überraschend. Der durchschnittliche VN muss nicht damit rechnen, dass er für einen solchen „Mehrvergleich“, der bei arbeitsgerichtlichen Vergleichen gängige Praxis ist, keinen Deckungsschutz erhält;561 vgl. aber dazu auch Rn. 238.

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Thüringer OLG 23.8.2000 – 4 U 149/00, VersR 2002 229, 230 f. (juris Rn. 29 ff.). BGH 6.3.2019 – IV ZR 108/18, VersR 2019 806, 807 (Rn. 18 ff.). OLG Frankfurt 20.9.2000 – 7 U 158/99, VersR 2001 451, 451 (juris Rn. 20). OLG Frankfurt 3.5.2000 – 7 U 160/99, VersR 2001 853, 854 (juris Rn. 37). Zur Wirksamkeit der Klausel insgesamt BGH 23.6.2004 – IV ZR 130/03, BGHZ 159 360, 365 ff. = VersR 2004 1039, 1040 (juris Rn. 25 ff.); zu § 3 AGBG LG Waldshut-Tiengen 9.11.2000 – 4 O 165/00, VersR 2002 430, 431 (zu § 2 Abs. 4 AUB 94); näher Bruck/Möller/Leverenz9 Bd. IX, AUB 2008 Ziff. 5.2.6 Rn. 41. 558 BGH 27.10.2004 – IV ZR 141/03, VersR 2005 64, 65 (juris Rn. 29 f). 559 OLG Hamm 9.12.1988 – 20 W 76/88, VersR 1989 696, 697 (juris Rn. 8); zustimmend Späte/Schimikowski/Schimikowski2 BB PHV Rn. 132. 560 BGH 4.10.1989 – IVa ZR 220/87, VersR 1989 1250, 1252 (juris Rn. 27 ff.); a. A. vorinstanzlich OLG Karlsruhe 4.6.1987 – 12 U 268/86, VersR 1988 709, 711. 561 AG Kassel 8.1.2015 – 414 C 5614/13, NJW-RR 2015 1130, 1131 f. (juris Rn. 28); MAH Versicherungsrecht/Lensing4 § 27 Rn. 457; a. A. LG München I 1.12.2017 – 25 S 17954/16, BeckRS 2017 148923 (juris Rn. 45 f.), dazu noch Rn. 238; Beckmann

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Nachtzeit/ Hausrat- und Reisgepäckversicherung: Unbedenklich ist grundsätzlich ein Ausschluss in der Hausrat- bzw. Reisegepäckversicherung bezüglich Sachen in einem während der Nachtzeit unbewacht abgestellten Kfz.562 Planmäßige Erhöhung: siehe oben Dynamik Rn. 146. Psychotherapeutische Behandlungen/ Krankheitskostenversicherung: Das Erfordernis, im Rahmen einer privaten Krankenversicherung psychotherapeutische Behandlungen durch einen approbierten Arzt vornehmen zu lassen, ist auch nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PsychThG) nicht überraschend.563 Rechtskräftige Verurteilung/ Feuerversicherung: Kein Verstoß gegen § 305c Abs. 1 BGB beinhaltet eine Bestimmung, wonach die vorsätzliche Schadensherbeiführung im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung des VN wegen vorsätzlicher Brandstiftung als erwiesen gilt.564 Ruhende Versicherung: siehe Wiederinkraftsetzung Rn. 171. Stichtagsmeldung/ Feuerversicherung: Als überraschend wurde eine Klausel in der Feuerversicherung eingestuft, wonach eine fristgerechte Stichtagsmeldung als nicht rechtzeitig gilt, sobald vorher der Versicherungsfall eingetreten ist.565 Tarifklausel/ Krankheitskostenversicherung: Nicht überraschend ist im Ergebnis eine Tarifklausel, wonach die Kostentragungspflicht des VR für zahnärztliche Behandlungen unter Berücksichtigung der Vertragsdauer begrenzt ist,566 sowie für ein dem VR eingeräumtes Recht, Rechnungen bestimmter Ärzte, die überhöht und unangemessen abrechnen, von der Erstattung auszuschließen.567 Tierkrankheiten/ Haftpflichtversicherung: Nicht überraschend ist eine Bestimmung in der allgemeinen Haftpflichtversicherung, wonach der Versicherungsschutz für Sachschäden durch Tierkrankheiten ausgeschlossen ist, es sei denn der VN hat weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt.568 Übergangsleistung/ Unfallversicherung: Das Erfordernis der sechsmonatigen ununterbrochenen unfallbedingten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit für die Gewährung einer Übergangsleistung ist so auszulegen, dass bei sog. mehraktigen Unfallereignissen der Unfallverlauf gesamtschauend zu betrachten ist; andernfalls wäre eine entsprechende Klausel mit § 305c Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren.569 Umstellungsklausel/ Lebensversicherung: Eine AGB-Klausel in der Lebensversicherung, wonach bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze des VN eine mitversicherte Berufsunfähig-

Harbauer/Obarowski9 ARB 2020 § 2 Rn. 90; Prölss/Martin/Armbrüster30 ARB 2010 § 5 Rn. 76a. Vgl. auch BGH 14.9.2005 – IV ZR 145/04, VersR 2005 1725 (Rn. 10) zur Auslegung von § 5 Abs. 3 b ARB 95. 562 OLG München 12.10.1982 – 25 U 1495/82, NJW 1983 53, 53 (juris Rn. 23); LG Berlin 2.8.2001 – 7 O 46/01, VersR 2002 975, 976; anders für die Reisegepäckversicherung LG Frankfurt 12.5.1981 – 2/19 O 354/80, VersR 1984 32, 32; so i. E. wohl auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 190. 563 BGH 22.5.1991 – IV ZR 232/90, VersR 1991 911, 912 (juris Rn. 12 ff.); bestätigt durch BGH 15.2.2006 – IV ZR 192/ 04, VersR 2006 643, 643 f. (Rn. 8 ff.). 564 BGH 21.10.1981 – IVa ZR 167/80, VersR 1982 81, 82 (juris Rn. 14); OLG Düsseldorf 28.1.2014 – I-4 U 182/09, VersR 2014 1121, 1123 f. (juris Rn. 82); OLG Bamberg 8.8.2002 – 1 U 134/00, VersR 2003 59, 59. 565 BGH 27.3.1991 – IV ZR 94/90, VersR 1991 921, 922 (juris Rn. 26); a. A. Wälder RuS 1998, 28, 31. 566 BGH 14.12.1994 – IV ZR 3/94, VersR 1995 328, 329 f. (juris Rn. 24 f.); OLG Hamm 14.11.2018 – 20 U 136/18, VersR 2019 1006, 1007 (juris Rn. 24 ff.). 567 OLG Köln 21.12.1995 – 5 U 82/94, NJW 1996 3088, 3088; OLG Köln 27.5.1998 – 5 U 28/98, NVersZ 2000 23, 23 (juris Rn. 27 f.); stillschweigend von der Wirksamkeit ausgehend auch BGH 10.1.1984 – VI ZR 103/83, VersR 1984 274, 274. 568 OLG Oldenburg 8.3.2000 – 2 U 2/00, VersR 2001 91, 92 (juris Rn. 16); kritisch zur mit der Klausel begründeten Beweislastverteilung: R. Johannsen, RuS 2000 136; ZVersWiss. 2005, 179, 187. 569 OLG München 7.7.1999 – 15 U 5902/98, VersR 2000 93, 93 f. (juris Rn. 55 ff.). 223

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keitsrente zugunsten einer Erhöhung der Versicherungssumme wegfällt, falls dieser nicht etwas anderes verlangt, ist nicht überraschend, sondern wirksamer Vertragsbestandteil.570 Verkehrsanwalt/ Rechtsschutzversicherung: Die Begrenzung der Kostenerstattung für einen Verkehrsanwalt in der Rechtsschutzversicherung gem. § 5 Nr. 1 Buchst. a S. 2 ARB 2000, nach der der VR, wenn der VN mehr als 100 km vom Gerichtsort entfernt wohnt, neben den Kosten des Hauptbevollmächtigten (nur) die Kosten für einen im Landgerichtsbezirk des VN ansässigen Verkehrsanwalt übernimmt, ist nicht überraschend. Der VN muss damit rechnen, dass der VR nur die für die Rechtsverfolgung notwendigen Kosten übernimmt. Die Klausel stellt dabei einen Kompromiss zwischen den Interessen der Versichertengemeinschaft an der Vermeidung sachlich nicht gebotener Kosten und dem Interesse des VN am persönlichen Kontakt mit einem Verkehrsanwalt dar.571 Verminderung der Versicherungssumme/ Hausratversicherung: Die Klausel in einer kombinierten Hausratversicherung, nach der die Versicherungssumme um den Betrag einer durch den VR erbrachten Versicherungsleistung für den Rest der Versicherungsperiode und bezüglich sämtlicher versicherter Risiken gemindert wird, ist überraschend.572 Verzicht: siehe Anspruchsverzicht Rn. 141. Vorherige Zusage/ Krankheitskostenversicherung: Unbedenklich sind Klauseln in der Krankheitskostenversicherung, die die Erbringung der Versicherungsleistung für bestimmte Behandlungsarten von der vorherigen Zusage des VR abhängig machen.573 Etwas anderes gilt jedoch, soweit sie dem VR ein Ermessen über die Bewilligung einräumen.574 Widerrufsfälle/ Rechtsschutzversicherung: Enthält eine Klausel (hier Ziffer 2.10 der ARB 2014) außerhalb der Definition des Versicherungsfalls ein Beispiel, welches die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelte Auslegung der insoweit gleichlautenden Definition des Versicherungsfalles nach dem 3-Säulenmodell575 in Frage stellt, so ist diese für den durchschnittlichen VN zumindest dann überraschend, wenn sie sich in einer anderen Klausel als der des Versicherungsfalls befindet. Vorliegend enthielt die Klausel ein Beispiel, in dem der VR zum Ausdruck brachte, bei einem Widerruf bereits die bei Vertragsschluss nicht oder fehlerhaft erteilte Widerrufsbelehrung als Versicherungsfall anzusehen, womit die Deckung für vor Versicherungsbeginn geschlossene Verträge entfällt.576 Wiederinkraftsetzung/ Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Als überraschend wurde eine Klausel in der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung eingestuft, welche die Leistungspflicht des VR nach Wiederinkraftsetzung einer vormals ruhenden Versicherung für Versicherungsfälle ausschließt, deren Ursache in der Zeit der Unterbrechung liegt.577 Zeigt der VN bei Beantragung der Wiederinkraftsetzung zuvor eingetretene gesundheitsrelevante Umstände an und nimmt der VR diesen Antrag ohne Einschränkung an, muss der VN mit einer solch weitgehenden Einschränkung des Versicherungsschutzes nicht rechnen.

570 571 572 573

BGH 28.3.2001 – IV ZR 180/00, VersR 2001 752, 754 (juris Rn. 29 f.). LG Coburg 19.2.2016 – 33 S 74/15, VersR 2016 844, 844 f. (juris Rn. 19). BGH 14.11.1984 – IVa ZR 60/83, NJW 1985 971, 971 f. (juris Rn. 6 ff.); a. A. Voigt VersR 1985, 876, 877. BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 747 (juris Rn. 23); OLG Köln 22.10.2010 – 20 U 30/10, VersR 2011 656, 656 f. (juris Rn. 3); LG Berlin 10.12.2002 – 7 S 33/02, VersR 2003 722, 723 (juris Rn. 25 ff.). 574 so auch Prölss/Martin/Voit30 MB/KK 2009 § 4 Rn. 10; anders bei reinen Kulanzleistungen, dazu OLG Köln 26.11.1992 – 5 U 131/92, RuS 1993 231, 232 (juris Rn. 9). 575 BGH 19.11.2008 – IV ZR 305/07, BGHZ 178 346, 352 = VersR 2009 109, 110 (Rn. 20); vgl. auch BGH 24.4.2013 – IV ZR 23/12, VersR 2013 899, 900 (Rn. 12, 16); BGH 25.2.2015 – IV ZR 214/14, VersR 2015 485, 486 (Rn. 10) m.w.N; a. A.: LG Frankenthal 25.8.2016 – 3 O 162/16, BeckRS 2016 128816 (juris Rn. 23 ff.); i. E. ebenso Versicherungsombudsmann Az.: Ombudsmann 4513/2016-B, soweit ersichtlich unveröffentlicht; jeweils dazu Süss RuS 2017 65, 67. 576 LG Köln 21.7.2016 – 24 O 88/16, BeckRS 2016 19778 (juris Rn. 29); dazu Süss RuS 2017 65, 67 f. 577 OLG Hamm 29.9.1998 – 20 W 15/98, VersR 1998 1538, 1538 (juris Rn. 6); zustimmend Beckmann/MatuscheBeckmann/Rixecker3 § 46 Rn. 6. Beckmann

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Wohnsitzlose Schädiger/ Forderungsausfallversicherung: Nicht überraschend ist eine 172 Ausschlussklausel bei einer in die Privathaftpflichtversicherung einbezogenen Forderungsausfallversicherung in Bezug auf Ansprüche gegen wohnsitzlose Schädiger.578 Zahlungsunfähigkeit/ Warenkreditversicherung: Eine Klausel in der Warenkreditversi- 173 cherung, wonach der Versicherungsfall mit der Zahlungsunfähigkeit des Kunden eintritt und Zahlungsunfähigkeit mit der gerichtlichen Entscheidung über den Konkursantrag vorliegt, ist nicht überraschend, da eine solche Regelung im Interesse der Rechtssicherheit notwendig ist.579 Gleiches gilt für den Wegfall des Versicherungsschutzes hinsichtlich versicherter Forderungen bei Zahlungsunfähigkeit des Kunden nach der Beendigung des Versicherungsvertrages.580

E. Einbeziehung geänderter Versicherungsbedingungen in laufende Verträge I. Allgemeines Versicherungsverträge sind als langfristige Dauerschuldverhältnisse einer stetigen Verände- 174 rung des wirtschaftlichen und rechtlichen Umfeldes unterworfen. In gleichem Maße wie beispielsweise der wissenschaftlich-technische Fortschritt die Lebenserwartung und die Instrumente wirksamer medizinischer Versorgung wachsen lässt, verändern sich damit einhergehend die finanziellen Belastungen. Die sich hierdurch ergebenden Änderungsrisiken581 lasten um so mehr auf Versicherungsverträgen, je langfristiger sie angelegt sind. Auch wenn ein umsichtiger VR diesen Umstand bereits im Stadium der Produktgestal- 175 tung durch vorausschauende Prämien- und Risikoberechnung sowie durch entsprechende Sicherheitszuschläge berücksichtigen wird,582 ist eine letztlich allumfassend zweifelsfreie Abschätzung zukünftiger Änderungsmomente schwerlich möglich. Grundsätzlich kann ein VR zwar oftmals einem dauerhaften Auseinanderfallen von Prämienaufkommen und versicherungsvertraglich geschuldeter Leistung durch ordentliche Kündigung entgehen; eine Kündigung dürfte jedoch nur in Ausnahmefällen dem Interesse der am Vertrag Beteiligten entsprechen.583 Zudem versagt diese Möglichkeit in der Lebens- und Krankenversicherung, die ein ordentliches Kündigungsrecht des VR nicht vorsehen.584 Logische Folge dessen ist das Bedürfnis nach einer Änderungsbefugnis des VR hinsichtlich der vertraglichen Gestaltung der Prämie und/oder des gebotenen Versicherungsschutzes. In gleicher Weise wie Änderungen der Kalkulationsbasis aufgrund wirtschaftlicher und ge- 176 sellschaftlicher Prozesse können auch rechtliche Entwicklungen in Form der Feststellung der Unwirksamkeit von Klauseln in Allgemeinen Versicherungsbedingungen einschneidenden Einfluss auf den Versicherungsvertrag haben. Dadurch entstandene Regelungslücken können die weitere Abwicklung des Vertrages erschwerend beeinflussen und dadurch letztlich unmöglich machen.585 578 OLG Hamm 26.1.2005 – 20 U 170/04, VersR 2005 1527, 1527 (juris Rn. 27 ff.). 579 Siehe BGH 2.12.1992 – IV ZR 135/91, VersR 1993 223, 225 (juris Rn. 46 ff.); OLG Koblenz 13.12.1996 – 10 U 222/ 96, VersR 1997 874, 874.

580 BGH 17.9.1986 – IVa ZR 73/85, NJW-RR 1987 605, 606 f. (juris Rn. 22 ff.); OLG Koblenz 8.11.2002 – 10 U 1779/01, VersR 2003 854, 855 (juris Rn. 44); zur Wirksamkeit nach § 307 BGB auch BGH 26.11.2003 – IV ZR 6/03, VersR 2004 858, 859 (juris Rn. 20). 581 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 1; Farny Versicherungsbetriebslehre5 S. 89 ff. 582 Prölss/Martin/Reiff30 § 40 Rn. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 2. 583 Vgl. BGH 31.1.2001 – IV ZR 185/99, VersR 2001 493, 495 f. (juris Rn. 39 ff.); BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 155 f. = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 19). 584 Vgl. § 206 Abs. 1 VVG für die Krankenversicherung; Prölss/Martin/Reiff30 § 166 Rn. 1 für die Lebensversicherung. 585 Siehe BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 155 = VersR 1999 697, 697 f. (juris Rn. 18); Beckmann/ Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 6. 225

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

II. Anpassungsmöglichkeit an die Regelungen des VVG 2008 177 Gem. Art. 1 Abs. 3 EGVVG hatte der VVG-Reformgesetzgeber Versicherungsunternehmen eine Möglichkeit eingeräumt, ihre AVB für Altverträge an das durch die VVG-Reform 2008 veränderte Recht anzupassen. Dieses einseitige Anpassungsrecht586 zugunsten von VR bestand bis zum 1.1.2009 und ist damit abgelaufen. Eine Anpassung alter AVB kommt damit nur noch nach allgemeinen Anpassungsgrundsätzen in Betracht. Insbesondere für den Fall, dass sich in früheren AVB Obliegenheiten finden, die – mangels Anpassung gem. Art. 1 Abs. 3 EGVVG – keine dem § 28 VVG entsprechenden Rechtsfolgen für den Fall einer Obliegenheitsverletzung durch den VN enthalten, war die Rechtslage zunächst umstritten.587 Indes hat der BGH entschieden, dass eine Sanktionsregelung bei Verletzung vertraglich vereinbarter Obliegenheiten unwirksam sei, wenn der VR von der Möglichkeit der Vertragsanpassung gem. Art. 1 Abs. 3 EGVVG keinen Gebrauch gemacht hat.588

III. Prämien- und Bedingungsänderung 1. Änderung aufgrund gesetzlicher Befugnis 178 Gesetzliche Regelungen, die es dem VR ermöglichen, durch einseitige Vertragsänderungen auf Veränderungen des versicherten Bedarfs reagieren zu können, bestanden (eingefügt durch das Dritte DurchführungsG/EWG zum VAG vom 21.7.1994589) gem. §§ 172, 178g VVG a. F. bereits nach altem Recht für die Lebens- und Krankenversicherung.590

179 a) Gesetzliche Regelungen in Bezug auf die Lebensversicherung. Das Recht des VR zur Neufestsetzung der Prämie in der Lebensversicherung findet sich in § 163 Abs. 1 VVG.591 Die Vorschrift hat im Wesentlichen die Regelung des § 172 VVG a. F. übernommen. Inhaltliche Änderungen hinsichtlich der Neufestsetzung der Prämie waren damit nicht intendiert; die Änderungen des Wortlautes dienten lediglich der Verdeutlichung.592 Die Vorschrift ist anders als § 172 VVG a. F. auf sämtliche Lebensversicherungsverträge anwendbar und nicht mehr auf solche beschränkt, die Versicherungsschutz für ein Risiko anbieten und bei dem der Eintritt der Verpflichtung des VR ungewiss ist.593 Eine Neufestsetzung der Prämie setzt zum einen eine nicht nur vorübergehende und nicht voraussehbare Änderung des Leistungsbedarfs gegenüber den Rechnungsgrundlagen der vereinbarten Prämie voraus. Zum anderen muss die Prämienanpassung angemessen und erforderlich sein, um die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsleistung zu gewährleisten. Zuletzt sind diese Voraussetzungen einschließlich der Rechnungsgrundlagen von einem unabhängigen Treuhänder zu überprüfen und zu bestätigen. Der Treuhänder hat damit die Angemessenheit der Änderung festzustellen.594 Als Änderung zur Vorgängerregelung bestimmt § 163 VVG in Abs. 1 Satz 2, dass eine geänderte Prämienfestsetzung ausgeschlossen

586 Zu den Voraussetzungen etwa Beckmann Einf. A Rn. 95 ff. 587 Vgl. etwa Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 15; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 3a.

588 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191 159, 165 = VersR 2011 1550, 1551 (Rn. 31 f.); dazu Beckmann/MatuscheBeckmann/Wandt3 § 11 Rn. 15; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3, § 13 Rn. 3a. 589 BGBl. I 1630, in Kraft getreten am 29.7.1994. 590 Siehe die Übersicht Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 13 ff. 591 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 19. 592 RegEVVGRefG S. 99. 593 Prölss/Martin/Schneider30 § 163 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Grote6 § 163 Rn. 5. 594 RegEVVGRefG S. 99. Beckmann

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ist, soweit die Versicherungsleistung ursprünglich erkennbar unzureichend kalkuliert war.595 Dies entspricht der Regelung des § 155 Abs. 3 Satz 4 VAG für den Bereich der Krankenversicherung.596 Nachteilige Risikoentwicklungen, die bereits bei Vertragsschluss abschätzbar waren, sollen somit nicht auf die VN durch Prämienerhöhungen abgewälzt werden können.597 Maßstab für die Bestimmung einer unzureichenden Kalkulation ist dabei die Sichtweise eines ordentlichen und gewissenhaften Aktuars und damit die Frage, ob dieser die unzureichende Kalkulation aufgrund der verfügbaren statistischen Kalkulationsgrundlagen hätte erkennen müssen.598 Gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 VVG kann der VN verlangen, dass anstelle einer Erhöhung der Prä- 180 mie die Versicherungsleistung entsprechend herabgesetzt wird. Damit wird dem Interesse derjenigen VN entsprochen, die bei einer erhöhten Prämie ihre Verträge nicht mehr weiterführen könnten.599 Besteht eine prämienfreie Versicherung, ist eine Prämienerhöhung durch einseitige Erklärung des VR nicht möglich. Daher sieht § 163 Abs. 2 Satz 2 VVG unter den Voraussetzungen, die eine Erhöhung der Prämie rechtfertigen würden, die Herabsetzung der Versicherungsleistung vor. Hierdurch wird eine individualvertragliche Vereinbarung, in der die Vertragsparteien die Aufrechterhaltung der ungekürzten Leistung gegen eine neu aufzunehmende Prämie vereinbaren, nicht ausgeschlossen.600 Die Regelung des § 163 VVG ist gem. § 176 VVG auf die Berufsunfähigkeitsversicherung 181 entsprechend anzuwenden.

b) Gesetzliche Regelungen in Bezug auf die Krankenversicherung. Die Befugnis zur 182 Neufestsetzung der Prämie im Bereich der Krankenversicherung ergibt sich aus § 203 Abs. 2 VVG. Die Vorschrift ist auf Krankenversicherungen anwendbar, bei denen das Kündigungsrecht des VR vertraglich oder gesetzlich ausgeschlossen ist. Als Bezugspunkt für die Änderungsbefugnis des VR dient, anders als dies § 178g Abs. 2 VVG a. F. vorsah, nicht die Veränderung des Schadensbedarfes, sondern die Veränderung der für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage. Als Rechnungsrundlagen sieht § 203 Abs. 2 Satz 3 VVG dabei die Versicherungsleistungen und die Sterbewahrscheinlichkeiten vor. Im Falle vertraglicher Vereinbarung ermöglicht § 203 Abs. 2 Satz 2 VVG die Änderung betragsmäßig festgelegter Selbstbehalte und Risikozuschläge. Das Prüfungs- und Genehmigungserfordernis durch einen unabhängigen Treuhänder601 ergibt sich aus § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG. Hinsichtlich der dabei zu beachtenden Kriterien verweist § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG auf § 155 VAG i. V. m. der aufgrund des § 160 VAG erlassenen Rechtsverordnung.602 Das Anpassungsrecht des VR hinsichtlich Versicherungsbedingungen und Tarifbestim- 183 mungen folgt aus § 203 Abs. 3 VVG. Die Vorschrift hat im Wesentlichen die Regelung des § 178g Abs. 3 Satz 1 VVG a. F. übernommen. Inhaltliche Änderungen wurden nicht vorgenommen. Ein Anpassungsrecht ist danach für Krankenversicherungen eröffnet, deren Prämie nach Art der Lebensversicherung berechnet wird (§ 203 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 VVG). Ebenso wie im Falle der Neufestsetzung der Prämie ist ein gesetzlicher oder vertraglicher Ausschluss des ordent595 In § 172 Abs. 1 Satz 1 VVG a. F. hieß es: „[…] nicht vorhersehbaren Änderung des Leistungsbedarfs […]“. 596 Für das entsprechende Prämienanpassungsrecht in der Krankenversicherung wird § 155 Abs. 3 Satz 4 VAG durch den Verweis in § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in das materielle Versicherungsvertragsrecht implementiert. 597 RegEVVGRefG S. 99. 598 RegEVVGRefG S. 99. 599 RegEVVGRefG S. 99. 600 RegEVVGRefG S. 99. 601 Der BGH hat die umstrittene Frage, ob die Unabhängigkeit des Treuhänders von den Zivilgerichten im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung gesondert zu prüfen ist, verneint; BGH 19.12.2018 – IV ZR 255/17, BGHZ 220 297, 305 ff. = VersR 2019 283, 284 ff. (Rn. 30 ff.); dazu Bruck/Möller/Brand9 § 203 Rn. 50 f. 602 Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Altersrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung – KalV) v. 18.11.1996 (BGBl. I 1783). 227

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Allgemeine Versicherungsbedingungen

lichen Kündigungsrechts des VR grundlegende Voraussetzung. Weiter ist eine nicht nur vorübergehende Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens, die im Ergebnis eine Änderung zur hinreichenden Wahrung der Belange der VN notwendig macht, erforderlich. Dies umfasst sowohl gesetzliche als auch rein tatsächliche Änderungen, wie beispielsweise die Kostensteigerung i. R. d. Krankenversicherung durch den medizinischen Fortschritt. Dabei muss sich die Änderung derart auf die Belange der VN auswirken, dass diese ohne die Anpassung eine Beeinträchtigung ihrer Interessen befürchten müssten (Erforderlichkeit der Anpassung).603 Ob allein die Änderung einer langjährigen Rechtsprechung für sich genommen zu einer dauerhaften Veränderung des Gesundheitswesens führt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.604 Zu beachten ist jedoch, dass sich nicht jede einschlägige Änderung der Rechtsprechung auch dauerhaft auf das Gesundheitswesen auswirken muss. Richtigerweise ist daher zu differenzieren: Änderungen der Rechtsprechung können zwar zu einer Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens führen, stellen diese selbst aber noch nicht dar.605 Eine Rechtsprechungsänderung ist vielmehr erst dann mit einer Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens verbunden, wenn es tatsächlich gerade deshalb zu einer signifikanten Steigerung der Kosten im Gesundheitswesen kommt.606 Wenn eine Klausel in AVB der Krankenversicherung von der Rechtsprechung in einer dem Verwender ungünstigen Weise ausgelegt wird, liegt allein deshalb keine Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens i. S. d. Vorgängervorschrift des § 178g Abs. 3 VVG a. F. vor.607 Wie nach alter Rechtslage wird die Mitwirkung eines unabhängigen Treuhänders bei der Anpassung der AVB und der Tarifbestimmungen an geänderte Verhältnisse im Gesundheitswesen vorgeschrieben; insoweit geht es auch um die Auswirkungen auf die Kosten und die Prämienkalkulation, so dass versicherungsmathematische Kenntnisse erforderlich sind.608 Ist hingegen eine Bestimmung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen durch höchstrichterliche Entscheidung oder durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt für unwirksam erklärt worden, so bestimmt § 203 Abs. 4 VVG, dass § 164 VVG Anwendung findet. Abweichend von § 178g Abs. 3 Satz 2 VVG a. F. wird in diesen Fällen von der Einschaltung eines Treuhänders abgesehen, da es hier im Wesentlichen um eine rechtliche Beurteilung geht; 609 vgl. im Übrigen zur gesetzlichen Ermächtigung gem. 164 VVG (Lebensversicherung) und § 203 Abs. 4 i. V. m. § 164 VVG (Krankenversicherung) zur einseitigen Ersetzung von Klauseln, die für unwirksam erklärt worden sind Rn. 198)

2. Anpassung aufgrund vertraglicher Änderungsklauseln610 184 Änderungsklauseln sind, wie sich bereits aus §§ 309 Nr. 1, 308 Nr. 4 BGB ergibt, grundsätzlich zulässig. Welchen inhaltlichen Voraussetzungen sie unterliegen, bestimmt sich nach den Vorgaben des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, insbesondere der §§ 308 Nr. 4, 307 BGB, die eine umfassende Abwägung der Interessen der am Vertrag Beteiligten erforderlich ma603 Prölss/Martin/Voit30 § 203 Rn. 35 ff. 604 Dafür LG Nürnberg-Fürth 14.2.2005 – 2 O 6750/04, VersR 2005 492, 492; Langheid/Grote VersR 2004 823; Langheid/Grote VersR 2003 1469; dagegen: OLG Celle 15.6.2006 – 8 U 26/06, VersR 2006 1105, 1107 (juris Rn. 41); LG Köln 29.6.2005 – 23 O 476/04, VersR 2005 1421, 1421 (juris Rn. 38); Schünemann VersR 2004 817. 605 So auch OLG Celle 15.6.2006 – 8 U 26/06, VersR 2006 1105, 1107 (juris Rn. 41); LG Köln 29.6.2005 – 23 O 476/ 04, VersR 2005 1421, 1421 (juris Rn. 38); Schünemann VersR 2004 817. 606 OLG Celle 15.6.2006 – 8 U 26/06, VersR 2006 1105, 1107 (juris Rn. 41). 607 BGH 12.12.2007 – IV ZR 130/06, BGHZ 175 28, 32 f. = VersR 2008 246, 247 f. (Rn. 12); Boetius/Rogler/Schäfer/ Boetius § 24 Rn. 13. 608 RegEVVGRefG S. 113 f. 609 RegE S. 113; siehe hierzu auch Rn. 196. 610 Dazu Matusche-Beckmann Die Bedingungsanpassungsklausel – Zulässiges Instrument für den Fall der Unwirksamkeit Allgemeiner Versicherungsbedingungen? NJW 1998 112; Reimann Bedingungsanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen (2007); Schauer Die Anpassungsklauseln im Versicherungsvertragsrecht, VR 1999 21; Wandt Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen (2000); Beckmann/Matusche-Beckmann/ders.3 § 11 Rn. 69 ff. Beckmann

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chen.611 Der dabei gebotene generalisierende Bewertungsmaßstab hat sich aufgrund der Vielschichtigkeit der unterschiedlichen Versicherungsarten an der Typizität der jeweils zu betrachtenden Vertragsart mit ihren jeweiligen Besonderheiten zu orientieren.612 Um auf Änderungsrisiken auf wirtschaftlicher Ebene reagieren zu können, stehen dem VR 185 im Wesentlichen zwei Instrumente zur Verfügung. Er kann zum einen mittels Prämien- und Tarifänderungsklauseln Prämie und Tarifbestimmungen den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen suchen.613 Andererseits besteht die Möglichkeit der Implementierung von Bedingungsänderungsklauseln zur Absenkung des gewährten Versicherungsschutzes. Nachträgliche Einschränkungen der vertraglich geschuldeten Leistungen berühren das versicherungsvertragliche Synallagma dabei unter Umständen grundlegender als reine Prämienanpassungen. Zudem schränkt ein einseitiges Bedingungsanpassungsrecht das allgemein im Vertragsrecht geltende Konsensprinzip ein.614 Dieses ist im AGB-Recht explizit in § 305 Abs. 2 BGB aufgegriffen; danach werden Allgemeine Geschäftsbedingungen nur dann Vertragsbestandteil, wenn der Vertragspartner mit deren Einbeziehung einverstanden ist. Ebenso wie im Bereich der gesetzlich vorgesehenen Änderungsbefugnis in der Krankenversicherung615 ist daher von einem Stufenverhältnis beider Instrumente auszugehen, so dass bei Betrachtung der Interessen des VR an einer Vertragsanpassung und der Zumutbarkeit für den VN Prämienanpassungen grundsätzlich vorrangig in Betracht zu ziehen sind.616 Die rechtliche Beurteilung von Änderungsklauseln hängt zudem vom zeitlichen Bezugs- 186 punkt der Entfaltung ihrer beabsichtigten Wirkung ab. So ist danach zu differenzieren, ob sich die Änderung des Vertrages auf einen Zeitraum bezieht, für den sich der VR durch ordentliche Kündigung lösen könnte oder ob für die fragliche Versicherungsperiode ein solches Kündigungsrecht nicht besteht.617

a) Neue Bedingungen für Zeitraum nach möglicher Vertragsbeendigung durch Kündi- 187 gung. Im Falle des Bestehens eines Kündigungsrechts des VR lässt sich für den VN ein nur eingeschränktes Vertrauen in die Weitergeltung von Tarifen und Bedingungen über den Zeitpunkt einer möglichen Vertragsbeendigung hinaus annehmen. Dennoch bedarf es auch in diesem Fall zur Wirksamkeit der Änderung der Bedingungen durch den VR der Zustimmung des VN. Bleibt dieser untätig, kommt ein Vertrag unter den geänderten Bedingungen nicht zustande.618 Dabei genügt seitens des VN auch eine konkludente Zustimmung. Diese ist dann anzunehmen, wenn die neuen AVB für den VN eindeutig vorteilhaft sind und dieser auf das Änderungsangebot des VR schweigt. Eine konkludente Zustimmung ist jedoch dann zu verneinen, wenn die Änderung der Versicherungsbedingungen mit einer Prämienerhöhung verbunden ist.619 Auch die Nichtkündigung des VN trotz Information über die Vertragsänderung kann nicht ohne Weiteres als Zustimmung gewertet werden.620 Enthält der Vertrag hingegen eine (wirksa-

611 Siehe Wandt Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen (2000) Rn. 29; Matusche-Beckmann NJW 1998 112, 114.

612 Zur Kfz-Haftpflichtversicherung BGH 31.1.2001 – IV ZR 185/99, VersR 2001 493, 495 (juris Rn. 39). 613 Zu Prämienanpassungsklauseln vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 16, 69 ff.; Armbrüster RuS 2012 365 ff.; Bruck/Möller/Beckmann9 § 40 Rn. 27 ff.; Prölss/Martin/Reiff30 § 40 Rn. 30 ff. 614 Matusche-Beckmann NJW 1998 112, 114. 615 Dazu oben Rn. 182 f. 616 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 111, aus dem „Gebot des geringstmöglichen Eingriffs“; Prölss/ Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 54. 617 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 77 ff. 618 Siehe Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 89; vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 43. 619 LG Düsseldorf 6.5.1998 – 23 S 452/97, RuS 1999 377, 378; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 41. 620 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 43. 229

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me) Änderungsklausel, erfordert dies ein Tätigwerden auf Seiten des VN (Kündigung oder Widerspruch), um sich der Vertragsänderung zu entziehen.621 188 Ob Änderungsklauseln in Verträgen mit Kündigungsmöglichkeit des VR auch inhaltlichen Schranken unterworfen sind, ist umstritten.622 Gegen die Notwendigkeit eines besonderen Anpassungsbedürfnisses und der Bezogenheit der beabsichtigten Änderung hierauf wird u. a. eingewandt, das Kündigungsrecht und der Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt gewährleiste ausreichenden Schutz vor überzogenen Änderungsverlangen durch die VR.623 Allerdings ist zu beachten, dass kürzere Laufzeiten von Versicherungsverträgen, die den Schutz des VN vor überlanger Bindung bezwecken, nichts daran zu ändern vermögen, dass die Mehrzahl der Verträge auf längerfristige Laufzeiten angelegt sind. Die Kontinuität des Versicherungsverhältnisses dürfte den Interessen einer Mehrheit der VN eher entsprechen als eine jährliche Suche nach neuem Versicherungsschutz. Von einer verbesserten Planbarkeit aufgrund längerfristiger Bindungen profitieren zuletzt auch die VR. Daher erscheint es notwendig, dem Änderungsrecht des VR auch in Fällen mit Kündigungsmöglichkeit inhaltliche Grenzen zu setzen.624 Die dabei zugrunde zulegenden Veränderungskriterien hängen nicht zuletzt vom jeweils in Rede stehenden Versicherungszweig ab. So bietet sich für Prämienanpassungsklauseln etwa die Orientierung an der Entwicklung des Schadensbedarfes an. In jedem Fall muss das in Bezug genommene Veränderungskriterium sicherstellen, dass Prämienanpassungen hierbei nur jene VN betreffen, deren versicherte Risiken von der Änderung berührt werden.625

189 b) Neue Bedingungen für Zeitraum ohne ordentliches Kündigungsrecht des Versicherers. Im Gegensatz zu der soeben beschriebenen Fallgruppe ist das Interesse des VN an einer Fortgeltung der einmal vereinbarten Vertragsbedingungen als wesentlich gewichtiger einzustufen, wenn sich das Änderungsverlangen des VR auf einen Zeitraum bezieht, in dem diesem ein ordentliches Kündigungsrecht nicht zur Seite steht. Die Unkündbarkeit des Vertrages für einen bestimmten Zeitraum indiziert gerade die Bindung des VR an das von ihm abgegebene Leistungsversprechen. Auf der anderen Seite bestünde bei einer vorbehaltlosen Geltung des gesamten Klauselinhalts über einen u. U. langen Zeitraum die Gefahr, auf eine eingetretene Änderung der tatsächlichen Grundlagen des Versicherungsvertrages nicht angemessen reagieren zu können und so die Erfüllbarkeit der zugesagten Leistungen nicht garantieren zu können. Änderungsvorbehalte für versicherte Zeiträume ohne ordentliches Kündigungsrecht des VR sind daher nicht von vornherein unzulässig.626 Der VN bedarf hierbei jedoch insbesondere des Schutzes durch die Inhaltskontrolle entsprechender Vorbehaltsklauseln, um seine durch den Vertragsschluss dokumentierte und den Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechtes verstärkte Leistungserwartung aufrecht zu erhalten. Änderungs-

621 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 89; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 43 ff.; generell zur Zulässigkeit von Bedingungsanpassungsklauseln Matusche-Beckmann NJW 1998 112; Reimann Bedingungsanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen (2007) 109 ff. 622 Dagegen Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 44; Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 96 f.; vgl. aber für den Bereich von Änderungsklauseln für Prämie und Tarifbestimmungen dafür Beckmann VersR 1996 540, 544 f. 623 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 96; Schauer VR 1999 21. 624 Siehe Beckmann VersR 1996 540, 544 f. für Prämienanpassungsklauseln; allgemein zur Zulässigkeit von Prämienanpassungsklausen Armbrüster RuS 2012 365 ff.; Bruck/Möller/Beckmann9 § 40 Rn. 27 ff.; Prölss/Martin/Reiff30 § 40 Rn. 30 ff. 625 Vgl. BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12/78, BVerwGE 61 59, 68 = VersR 1981 221, 224 (juris Rn. 137). 626 Vgl. BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 155 f. = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 19); OLG Celle – 8 U 26/06, VersR 2006 1105, 1107 (juris Rn. 49); Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 47; Präve Versicherungsbedingungen und AGB-Gesetz Rn. 446. Beckmann

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vorbehalte unterliegen daher strengen Anforderungen und ermöglichen eine Revision ursprünglich vereinbarter Vertragsbedingungen nur in begrenzter Weise.627 Soweit eine AVB-Änderung auf eine Änderung der Leistung abzielt, bestimmt sich die Zulässigkeit nach § 308 Nr. 4 BGB,628 andernfalls nach § 307 BGB. Da § 308 Nr. 4 BGB jedoch nur die äußerste Wirksamkeitsgrenze einer entsprechenden Klausel beschreibt und ein Rückgriff auf die Kontrollmaßstäbe des § 307 BGB dadurch möglich bleibt, bestehen i. E. keine differenzierten Wirksamkeitsvoraussetzungen.629 Kontrollmaßstab ist damit letztlich der Grundsatz von „Treu und Glauben“ sowie die Konkretisierungen gem. § 307 Abs. 2 BGB.630 Folgende grundsätzliche Anforderungen lassen sich im Wesentlichen nennen: Der Anpassungsvorbehalt muss hinreichend bestimmt und verständlich sein. So muss für den VN vorhersehbar sein, in welchen Bereichen und unter welchen Voraussetzungen mit einer Änderung zu rechnen ist und in welchem Umfang ihn zusätzliche Belastungen treffen werden.631 Der generelle Vorbehalt, „einzelne Bedingungen“ ergänzen oder ersetzen zu dürfen, bedarf daher in seinen Gestaltungsmöglichkeiten der Konkretisierung.632 Des Weiteren setzen Anpassungsklauseln nach der Rechtsprechung des BGH die Festlegung eines umgrenzten Änderungsanlasses voraus. Erforderlich sind externe, vom VR weder vorherseh- noch beeinflussbare Umstände,633 durch die das vertragliche Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich gestört ist. Dies ist dann der Fall, wenn den Parteien ohne die Vertragsanpassung die Durchführung und Fortsetzung des Vertrages nicht oder nur mit Schwierigkeiten möglich ist. Die aufgrund des Vorbehalts vorgesehene Änderung muss verhältnismäßig sein. So darf der VN bei relativer Betrachtung nicht schlechter gestellt werden als er bei Vertragsschluss stand. Grenze der Vertragsänderung ist daher die Wiederherstellung des ursprünglichen Äquivalenzverhältnisses, d. h. eine Verschiebung des bei Vertragsschluss festgelegten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung zu Lasten des VN ist ausgeschlossen.634 Die mögliche Änderung muss zudem zur Wiederherstellung des Äquivalenzverhältnisses erforderlich sein.635 Aufgrund dieser Orientierung am ursprünglichen Äquivalenzverhältnis ist es dabei unerheblich, ob die beabsichtigte Neuregelung für sich genommen den Anforderungen einer Inhaltskontrolle nach AGB-rechtlichen Vorschriften entspräche. Der VR als Klauselverwender soll nicht berechtigt werden, das Risiko der Unwirksamkeit der von ihm verwendeten Klausel auf den VN abwälzen zu können. Dem VR soll nicht durch ein nachträgliches Anpassungsrecht ermöglicht werden, zunächst eine seinem Vorteil gereichende Klausel in den Vertrag einzubeziehen, die gerade noch vertretbar erscheint, um dann bei nachträglich festgestellter Unwirksamkeit in der Form gelassen reagieren zu können, weil ihm die Möglichkeit zusteht, ohne Zustimmung des VN eine Ersatzbestimmung neu in den Vertrag einzufügen.636 Stehen mehrere Möglichkeiten der Wiederherstellung des Äquivalenzverhältnisses zur Verfügung, ist der VR zur Wahl des mildesten Mittels gehalten. Risiko- oder Kostenänderungen berechtigen daher, die sonstigen Voraussetzun627 Siehe die grundlegende Entscheidung BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153 = VersR 1999 697 zu einer Bedingungsanpassungsklausel in der Rechtsschutzversicherung; bereits BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394 = NJW 1998 454 zu Änderungsvorbehalten in einer VVaG-Satzung. 628 Siehe hierzu auch Rn. 259. 629 Vgl. BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 157 = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 22). 630 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 48. 631 Siehe BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394, 402 = VersR 1997 1517, 1519 (juris Rn. 35); BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 157 f. = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 24 ff.); LG Kiel 17.3.2011 – 18 O 243/10 (juris Rn. 36); Bruck/Möller/Sieg/Johannsen8 Bd. III Anm. A 38. 632 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 158 = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 27). 633 Vgl. BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 155 = VersR 1999 697 (juris Rn. 18). 634 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 156 = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 20); BGH 11.10.2007 – III ZR 63/07, NJW-RR 2008 134, 134 (juris Rn. 11); OLG Düsseldorf 4.9.1997 – 6 U 143/96, VersR 1997 1272, 1273 (juris Rn. 53). 635 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 156 = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 20). 636 Matusche-Beckmann NJW 1998 112, 115. 231

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gen wie etwa Erheblichkeit etc. vorausgesetzt, lediglich zu Prämienanpassungen, da diese im Vergleich zu Änderungen der Versicherungsbedingungen mit dem Ziel einer Absenkung des Versicherungsschutzes unter Umständen den geringeren Eingriff in das Versicherungsverhältnis darstellen.637 Darüber hinaus untersteht jede Maßnahme des VR dem Gebot der Rücksichtnahme. Dessen Anforderung bestimmt sich unter Zugrundelegung eines generalisierenden Maßstabes an den Interessen der Versichertengesamtheit und ist vom jeweiligen Änderungsanlass und der Versicherungsart abhängig. Das gerade mit dem Abschluss von Versicherungsverträgen typischerweise verfolgte Interesse von VN an Planungssicherheit macht z. B. Prämienanpassungen daher nur zu Beginn der neuen und nicht in der laufenden Versicherungsperiode möglich.638 Obgleich sich die Zulässigkeitsschranke eines Änderungsvorbehalts an den Interessen der 194 Gesamtheit der VN zu orientieren hat, kann ein unter diesen Voraussetzungen grundsätzlich berechtigtes Änderungsverlangen des VR aus individueller Sicht des einzelnen VN eine nicht mehr zumutbare Belastung darstellen. Daraus folgt die Notwendigkeit der Einräumung eines außerordentlichen Kündigungsrechtes zugunsten des VN.639 Auf dieses Kündigungsrecht muss der VR den VN hinweisen. Für Prämienerhöhungen aufgrund einer Anpassungsklausel640 ergibt sich ein solches 195 Kündigungsrecht aus § 40 Abs. 1 VVG.641 Die Vorschrift erfasst auch den Fall, dass mit der Prämienerhöhung eine Ausweitung des Versicherungsschutzes verbunden ist, diese jedoch bei verhältnismäßiger Betrachtung hinter der Prämienanhebung zurückbleibt (sog. „verdeckte Prämienerhöhung“).642 Durch § 40 Abs. 2 VVG wird klargestellt, dass dem VN auch dann ein außerordentliches Kündigungsrecht i. S. v. § 40 Abs. 1 VVG zusteht, wenn der Versicherungsschutz mittels Anpassungsklausel vermindert wird, ohne dass dies durch entsprechende Prämiensenkungen kompensiert wird. Auch außerhalb des Anwendungsbereiches des § 40 VVG, d. h. bei Anpassungsvorbehalten, die nicht mit einer (wenn auch versteckten) Prämienerhöhung verbunden sind, muss dem VN i. R. d. Anpassungsklausel ein Kündigungsrecht zugesprochen werden;643 ist dies nicht der Fall, ist die Anpassungsklausel infolge unangemessener Benachteiligung des VN unwirksam. Erhöht der VR die Prämie aufgrund einer unwirksamen Anpassungsklausel, zieht dies nach zutreffender Auffassung dennoch das Kündigungsrecht des VN nach § 40 Abs. 1 VVG nach sich (zu Rechtsfolgen im Allgemeinen noch Rn. 387 ff.).644 Im Falle von Prämienerhöhungen beträgt die Kündigungsfrist einen Monat (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VVG). Ob für andere, nicht in den Anwendungsbereich der Regelung fallende Änderungsklauseln eine andere (insbesondere längere) Kündigungsfrist vorzusehen ist, ist zweifelhaft. Der BGH hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Bedingungsanpassungsklausel (§ 10 A ARB 94) in der Rechtsschutzversicherung eine Frist von einem Monat als zu kurz erachtet.645 Die dort geprüfte Klausel bezog sich allerdings im Wesentlichen auf das Instrument der Lückenfüllung bei Unwirksamkeit

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Siehe bereits Rn. 185. Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 114 (auch zum Vorstehenden). Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 117 ff. m. w. N. Dazu grds. Bruck/Möller/Beckmann9 § 40 Rn. 33 ff. Zu den Auswirkungen des § 31 VVG a. F. auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen siehe Beckmann VersR 1996 540 ff.; zur Zulässigkeit von Prämienanpassungsklauseln vgl. auch Armbrüster RuS 2012 365; Bruck/Möller/Beckmann9 § 40 Rn. 27 ff. 642 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 3; Prölss/Martin/Reiff30 § 40 Rn. 11, 51; vgl. noch zu § 31 VVG a. F. Wandt Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen (2000) Rn. 173; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 45. 643 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 56. 644 Prölss/Martin/Reiff30 § 40 Rn. 15; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 40 Rn. 15; Bruck/Möller/Beckmann9 § 40 Rn. 60. 645 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 158 = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 29), allerdings unter dem Aspekt einer Widerspruchsfrist. Beckmann

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einzelner Bestimmungen in AVB im Wege der Einfügung von Ersatzregelungen durch den VR.646 Für die übrigen Anpassungsvorbehalte, die weder der Ersetzung unwirksamer Klauseln dienen, noch mit Prämienerhöhungen verbunden sind und daher nicht der Kündigungsregelung des § 40 VVG unterfallen, scheint eine von § 40 Abs. 1 VVG abweichende (verlängerte) Kündigungsfrist kaum begründbar; eine längere Kündigungsfrist sollte angesichts der genannten Entscheidung des BGH und zur Vermeidung des Unwirksamkeitsrisikos allerdings bedacht werden.647 Die Wirksamkeit einer Anpassungsklausel setzt nach wohl h. M. zudem die Einschaltung 196 eines unabhängigen Treuhänders voraus, der die Änderung ex ante daraufhin untersucht, ob ein zulässiger Anlass zur Vertragsanpassung vorliegt und ob der VR die ihm auferlegten Grenzen seines Anpassungsrechts wahrt.648 Hierfür lassen sich anderenorts genannte Gründe anführen: Gerade die hinsichtlich Anlass und Inhalt einer möglichen Änderung aufgrund des Bestimmtheits- und Transparenzgebots besonders genau gefassten und detaillierten Klauseln ermöglichen eine eigenständige Prüfung ihrer Anwendung im Einzelfall durch einen durchschnittlichen VN aufgrund fehlender versicherungsmathematischer sowie -rechtlicher Kenntnisse kaum. Dies gilt umso mehr im Falle vorhandener Beurteilungsspielräume des VR. Dadurch bestehende Kontrolldefizite auf Versicherungsnehmerseite können letztlich nur durch die Einschaltung eines Treuhänders ausgeglichen werden. Den VN lediglich auf die gerichtliche Nachkontrolle der erfolgten Vertragsänderung oder sein Kündigungsrecht zu verweisen,649 ist schon deshalb nicht angezeigt, weil dieser aufgrund der erwähnten Kontrolldefizite die Erfolgsaussichten einer Klage nur schwerlich abschätzen kann. Zudem würde diese Verschiebung der Überprüfungslast zu Ungunsten des VN eine kaum begründbare weitere Privilegierung des VR bedeuten, der bereits durch die Ermöglichung einseitiger Vertragsänderung begünstigt ist.650 Andererseits ist zu berücksichtigen, dass für Fälle gesetzlicher Bedingungsanpassungen nach der VVG-Reform auf das Erfordernis der Einschaltung eines unabhängigen Treuhänders verzichtet worden ist.651 Zur Begründung ist darauf hingewiesen worden, dass nach den Erfahrungen durch die Einschaltung des Treuhänders der damit verfolgte zusätzliche Schutz der Interessen der VN nicht erreicht werde. Im Gegenteil könne durch die Einschaltung eines Treuhänders für den VN der nicht gewollte Eindruck entstehen, dass eine gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der neuen Klausel von vornherein erfolglos wäre. Diese Aspekte sind bei der Beurteilung rechtsgeschäftlicher Bedingungsanpassungsklauseln gleichfalls zu bedenken und sprechen auch dafür, in diesem Bereich auf dieses Erfordernis zu verzichten. Die aufgrund eines Änderungsvorbehalts neu gefasste Vertragsbestimmung unterliegt wie 197 auch die Änderungsklausel selbst der Inhaltskontrolle. Nichtsdestotrotz sind für Bedingungsanpassungsklauseln hohe Zulässigkeitsvoraussetzungen zu stellen.652 Den Interessen beider Vertragsparteien muss Rechnung getragen werden. Unabhängig von weiteren Voraussetzungen kann ein nachträgliches umfassenden Anpassungsrecht jedenfalls nur dann – auch mittels Zustimmungsfiktion – zulässig sein, wenn die Durchführung des Vertrages ohne die ergänzende Regelung für eine der Vertragsparteien unzumutbar würde.653

646 Dazu Rn. 199 ff. 647 Siehe Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 56: mehr als vier Wochen; Wandt Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen (2000) Rn. 70 ff.: sechs Wochen. 648 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 121; Beckmann VersR 1996 540, 545 für Prämienanpassungen; Bruck/Möller/Beckmann9 § 40 Rn. 57; a. A. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 57; Armbrüster RuS 2012 365, 376 f. (aber sinnvoll). 649 So Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 57. 650 Vgl. Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1715. 651 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 100. 652 So auch Matusche-Beckmann NJW 1998 112 ff. 653 Matusche-Beckmann NJW 1998, 112, 116. 233

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IV. Ersetzung unwirksamer AVB-Klauseln654 198 Eine gesetzliche Ersetzungsbefugnis des VR hinsichtlich unwirksamer Klauseln in AVB sieht das neue VVG wie bisher nur für die Lebens- (§ 164 VVG) und Krankenversicherung (§ 203 Abs. 4 VVG i. V. m. § 164 VVG) vor;655 auch auf die Berufsunfähigkeitsversicherung ist gemäß § 176 VVG die Regelung des § 164 VVG entsprechend anwendbar.656 Von der Aufnahme einer allgemeinen Regelung zur Anpassung unwirksamer Klauseln in AVB wie dies § 16 des Kommissionsentwurfes im Rahmen der VVG-Reform noch vorsah, wurde abgesehen. Allgemeine Anpassungsmöglichkeiten seien ausreichend, da mit unzumutbaren Problemen im Hinblick auf das Fehlen einer über § 306 BGB hinausgehenden Regelung nicht zu rechnen sei. Damit ist es grundsätzlich bei der bisherigen Rechtslage geblieben, das Risiko der Unwirksamkeit einer vom VR verwendeten Bedingung wird – außerhalb der gesetzlich geregelten Bereiche – damit auch weiterhin dem VR auferlegt.657 199 Außerhalb der gesetzlich geregelten Bereiche besteht daher nur die Möglichkeit der Vereinbarung einer vertraglichen Ersetzungsklausel, die es dem VR erlaubt, statt der unwirksamen Klauseln geänderte Bedingungen nachträglich in den Vertrag einzuführen.658 Solche Ersetzungsklauseln sind grundsätzlich zulässig, unterliegen dabei jedoch – soweit als AGB ausgestaltet – der vollen Inhaltskontrolle nach § 307 BGB.659 Da nachträglich abändernd in einen bestehenden Vertrag eingegriffen werden soll, sind zur Wahrung der Wirksamkeit indes strenge Voraussetzungen zu beachten (vgl. oben Rn. 197). Diese orientieren sich im Wesentlichen am Leitbild der §§ 164, 176, 203 Abs. 3 VVG sowie an § 306 BGB.660 Der BGH hat die grundsätzliche Zulässigkeit einer Anpassungsklausel in Versicherungsverträ200 gen bejaht und ausgeführt, bei Versicherungsverträgen mit einer nicht nur kurzen Laufzeit könne die Störung des Äquivalenzverhältnisses eine Anpassung erforderlich machen, wenn die Parteien ohne sie nicht oder nur mit Schwierigkeiten in der Lage sind, den Vertrag fortzusetzen und durchzuführen; ebenso könne eine im Regelungswerk entstandene Lücke – etwa wenn die Rechtsprechung eine Klausel für unwirksam erklärt – Schwierigkeiten bei der Durchführung des Vertrags entstehen lassen, die nur durch Anpassung oder Ergänzung zu beseitigen sind.661 Indes hat der BGH auch klar gestellt, dass nur unter diesen Voraussetzungen der Vertragslücke und der Störung des Äquivalenzverhältnisses eine nachträgliche Anpassung des Vertragsinhalts gerechtfertigt sei, die durch eine Anpassungsklausel geregelt werden könne. Zudem hat der BGH für solche Bedingungsanpassungsklauseln hohe Hürden aufgestellt und erklärt, die Anpassung durch neue, allein vom VR aufgestellte Regelungen stellten einen Eingriff in ein bestehendes Vertragsverhältnis dar; dieser lasse sich nach den gemäß § 9 Abs. 1 AGBG a. F. (heute § 307 Abs. 1 BGB) zu berücksichtigenden Interessen beider Vertragsparteien nur rechtfertigen, wenn durch unvorhersehbare Änderungen, die der VR nicht veranlasst und auf die er auch keinen Einfluss habe, das bei Vertragsschluss vorhandene Äquivalenzverhältnis in nicht unbedeutendem Maße gestört wurde.662 Unter anderem hat der BGH – man kann schon sagen als eine Selbstverständlichkeit – klargestellt, eine solche Klausel sei bereits unwirksam, wenn sich der VR mit ihr das Recht vorbehält, den VN nach Vertragsschluss durch Änderung vereinbarter Bedingungen schlechter zu stellen, als er bei Ab-

654 Dazu Matusche-Beckmann NJW 1998 112; Präve VersR 1999 699. 655 Insofern vgl. die Kommentierung zur Lebensversicherung Bruck/Möller/Winter9 § 164 und zur Krankenversicherung Bruck/Möller/Brand9 § 203 Rn. 73 ff. 656 Insofern vgl. die Ausführungen zur Berufsunfähigkeitsversicherung Neuhaus4 Berufsunfähigkeitsversicherung, Kap. 1 Rn. 82 ff. 657 RegEVVGRefG S. 100. 658 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 207; Matusche-Beckmann NJW 1998 112. 659 Berliner Kommentar/Schwintowski § 175 Rn. 5; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 207; vgl. hierzu auch Rn. 184; Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 168 ff. 660 Kollhosser VersR 2003 807. 661 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 155; VersR 1999 697 (juris Rn. 18 f.). 662 BGH a. a. O. (Fn. 661) juris Rn. 18. Beckmann

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schluss des Vertrages stand.663 Zudem hat er die seinerzeit zu überprüfende Bedingungsanpassungsklausel im Rahmen eines Vertrags über eine Rechtsschutzversicherung gleich unter zahlreichen Aspekten für unangemessen erklärt.664 Vor diesem Hintergrund bestehen letztlich hohe Anforderungen, damit eine Bedingungsanpassungsklausel AGB-rechtlich als zulässig eingestuft werden kann. Gem. §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 306 Abs. 2 BGB ist eine auf Seiten des VR bestehende Ersetzungs- 201 befugnis dann unzulässig, wenn das dispositive Gesetzesrecht bereits eine Regelung zur Lückenfüllung bereit hält, die den Besonderheiten des in Rede stehenden Vertrages angemessen Rechnung trägt.665 Mit der Ersetzungsbefugnis darf der VR nicht über das hinausgehen, was zur Füllung der entstandenen Lücke erforderlich ist. Der VN darf nicht schlechter gestellt werden, als er bei Vertragsschluss stand.666 Die Klausel muss auch klar zum Ausdruck bringen, wem die Kompetenz zugewiesen ist, eine 202 Bedingung für unwirksam zu erklären.667 Aufgrund des Erfordernisses der Notwendigkeit einer Anpassung ist die Einschätzung des VR insofern nicht maßgeblich.668 Meist wird hinsichtlich der Unwirksamkeit einer Klausel auf deren Feststellung durch eine bestandskräftige Entscheidung der BaFin oder der Kartellbehörden sowie durch eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts abgestellt.669 Dabei ist nicht erforderlich, dass die maßgebliche Entscheidung gegen den zur Ersetzung befugten VR ergangen ist. Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass dieser inhaltsgleiche AVB verwendet.670 Bei der Beurteilung solcher rechtsgeschäftlichen Bedingungsanpassungsklauseln sollte Berücksichtigung finden, dass der Gesetzgeber aus guten Gründen auf ein allgemeines gesetzliches Bedingungsanpassungsrecht verzichtet hat (vgl. oben Rn. 198). Zu Recht heißt es in der Regierungsbegründung zum neuen VVG, es erscheine angemessen, „außerhalb der Lebensversicherung und der Krankenversicherung das Risiko der Unwirksamkeit einer vom VR verwendeten Bedingung dem VR aufzuerlegen“.671 Dieser Ansatz gilt auch für rechtsgeschäftliche Bedingungsanpassungsklauseln und spricht gleichfalls für hohe Anforderungen an deren Zulässigkeit. Hohe Anforderungen an Bedingungsanpassungsklauseln kommen auch durch eine spätere 203 Entscheidung des BGH zum Ausdruck. So hat der BGH zudem klargestellt, dass Klauseln in Krankenversicherungsverträgen, die dem VR erlauben, mit Zustimmung eines Treuhänders die Bedingungen zu ändern, wenn sich die höchstrichterliche Rechtsprechung ändert oder Auslegungszweifel beseitigt werden sollen, unwirksam sind.672

F. Auslegung von AVB I. Allgemeines Der heutigen Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen geht eine abwechslungsrei- 204 che Geschichte voraus, welche auf die Argumentation zu verschiedenen Fragen fortwirkt. Maßgeblicher Ausgangspunkt der Entwicklung ist hierbei das Reichsgericht, welches in Allgemeinen Versi663 664 665 666 667 668

BGH a. a. O. (Fn. 661) juris Rn. 17, 20. BGH a. a. O. (Fn. 661) juris Rn. 23 ff. BGH a. a. O. juris Rn. 23; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 207. BGH a. a. O. juris Rn. 17, 20; Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 172. BGH a. a. O. juris Rn. 25; Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 173. BGH a. a. O. juris Rn. 25; BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164 297, 308 = VersR 2005 1565, 1568 (juris Rn. 25); a. A. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 207 f. 669 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 173; Römer VersR 1994 124; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 20. 670 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 173. 671 RegEVVGRefG S. 100. 672 BGH 23.1.2008 – IV ZR 169/06, VersR 2008 482, 483 (Rn. 13); vgl. bereits BGH zur Formulierung „zur Beseitigung von Auslegungszweifeln“ a. a. O. (Fn. 661) juris Rn. 31. 235

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cherungsbedingungen (soweit diese nicht individuell ausgehandelt waren) eine einseitige Vorgabe der VR sah, welcher sich alle VN zu unterwerfen hatten.673 Insoweit blieb nach Auffassung des Gerichtes kein Raum für eine Anknüpfung an individuelle Gesichtspunkte; es wurden verstärkt solche Aspekte ausschlaggebend, wie sie üblicherweise im Zuge der Auslegung von Gesetzen anzutreffen sind.674 Mithin wurde der Begriff einer „gesetzesähnlichen Auslegung“ geprägt. Der BGH übernahm diese Grundzüge zunächst in seinen Entscheidungen, entwickelte nachfolgend jedoch die heute überwiegend anerkannten und folgend näher beschriebenen Grundsätze.675 Die Aufgabe der Auslegung einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorformulierten 205 Klausel besteht zunächst in der Bestimmung ihres Anwendungsbereiches, d. h. des Tatbestandes und der damit verbundenen Rechtsfolge. Dies ist bei Allgemeinen Versicherungsbedingungen aufgrund der darin enthaltenen Vielzahl technischer und juristischer Begriffe und Formeln von hervorgehobener Bedeutung. Zugleich stellt der dadurch gewonnene Klauselinhalt den Prüfungsgegenstand der Inhaltskontrolle dar, so dass die Auslegung einer Prüfung der Vertragsbestimmungen anhand der §§ 307 ff. BGB vorgelagert ist.676 Die Auslegung orientiert sich, wie bei sämtlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, auch 206 bei AVB, unabhängig ob es sich um Individual- oder Verbandsprozesse handelt, an einem objektiven Maßstab. Die besonderen Umstände des Einzelfalles bleiben dabei grundsätzlich außer Betracht.677 Dies folgt aus der Funktion vorformulierter Vertragsklauseln, eine generalisierende Regelung ohne Einflussnahme des individuellen Klauseladressaten zu erreichen.678 Auszugehen ist dabei vom Wortlaut der vorformulierten vertraglichen Bedingung, wie er aus Sicht der typischerweise beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist. Der standardisierende Auslegungsmaßstab richtet sich dabei nach dem Willen verständiger und redlicher Vertragspartner,679 wobei auch die systematische Stellung der jeweiligen Vertragsregelung im Bedingungswerk680 und der mit ihr verfolgte erkennbare Sinn und Zweck681 Berücksichtigung finden. Entscheidend bei der Auslegung von AVB ist demnach grundsätzlich die Sicht eines rechtsun-

673 Vgl. RG 13.12.1912 – VII 228/12, RGZ 81 117, 119; indes noch einige Zeit im Einzelnen umstr., vgl. Diringer 60 f.; Prölss VersR 2000 1441.

674 Diringer 59 ff.; RG 13.10.1942 – I 129/41, RGZ 170 233, 240 f. (zu AGB); deutlich RG 26.3.1943 – VI (VII) 144/42, RGZ 171 43, 47 ff.

675 BGH 19.1.1951 – I ZR 53/50, BGHZ 1 83, 85 f. (juris Rn. 13 ff.); BGH 28.6.1952 – II ZR 215/51, BGHZ 6 373, 375 f. (juris Rn. 4); vgl. Diringer S. 59 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 259; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 79.

676 Siehe etwa BGH 30.10.2002 – IV ZR 60/01, BGHZ 152 262, 265 ff. = VersR 2002 1546, 1547 (juris Rn. 16 ff.); BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709, 709 (juris Rn. 11); BGH 27.1.2010 – VIII ZR 326/08, NJW-RR 2010 1205, 1208 (Rn. 29); BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 746 (juris Rn. 14); vgl. zur Auslegung von AVB auch Pilz Missverständliche AGB 5 ff. 677 MüKo-BGB/Basedow8 § 305c Rn. 33; Rüßmann BB 1987 845; Pilz Missverständliche AGB 38; Wolf/Lindacher/ Pfeiffer/Reiff6 Klauseln V 130 f.; a. A. AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 223. 678 Dazu nur BGH 14.6.2006 – IV ZR 54/05, VersR 2006 1246, 1248 (Rn. 15); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 73 ff. 679 Siehe BGH 19.1.2005 – XII ZR 107/01, BGHZ 162 39, 44 = VersR 2005 414, 414 f. = NJW 2005 1183, 1184 (juris Rn. 22); BGH 14.1.1999 – IX ZR 140/98, NJW 1999 1105, 1106 (juris Rn. 28); BGH 17.2.1993 – VIII ZR 37/92, NJW 1993 1381, 1382 (juris Rn. 37); BGH 29.3.1974 – V ZR 22/73, BGHZ 62 251, 254 = NJW 1974 1135, 1136 (juris Rn. 20); BGH 8.3.1955 – I ZR 109/53, BGHZ 17 1, 3 = WM 1955 839 (juris Rn. 7); Brandenburgisches Oberlandesgericht 30.4.2019– 11 U 157/18 (juris Rn. 3). 680 BGH 4.5.1995 – I ZR 70/93, BGHZ 129 345, 348 = VersR 1995 1334, 1335 (juris Rn. 16); BGH 15.10.1991 – XI ZR 192/90, BGHZ 116 1, 4 = NJW 1992 179, 180 (juris Rn. 12); BGH 11.2.1992 – XI ZR 151/91, NJW 1992 1097, 1099 (juris Rn. 23); BGH 19.2.1992 – VIII ZR 65/91, NJW 1992 1236, 1237 (juris Rn. 9); BGH 9.7.1991 – XI ZR 72/90, NJW 1991 2559, 2559 (juris Rn. 11); BGH 4.4. 2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018 532, 534 (Rn. 16). 681 BGH 22.1.2020 – IV ZR 125/18, VersR 2020 414, 415 (Rn. 10); BGH 6.11.1967 – VIII ZR 81/65, BGHZ 49 84, 88 (juris Rn. 24 f.); BGH 14.1.1999 – IX ZR 140/98, NJW 1999 1105, 1106 (juris Rn. 28); BGH 17.2.1993 – VIII ZR 37/92, NJW 1993 1381, 1382 (juris Rn. 37); BGH 14.2.1968 – VIII ZR 220/65, NJW 1968 885, 885 (juris Rn. 26); zur Auslegung von AVB auch Baumann RuS 2005 313 ff., der auch für eine Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte plädiert. Beckmann

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kundigen durchschnittlichen VN ohne einschlägige versicherungsspezifische Fachkenntnis.682 Zu fragen ist, wie dieser die konkrete Klausel bei verständiger Würdigung und aufmerksamer Durchsicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses683 verstehen musste.684 Das Verständnis Dritter ist unerheblich,685 bei Gruppenversicherungen ist hingegen nach dem Verständnis der betroffenen Versicherten zu fragen.686 Nicht ausschlaggebend ist grundsätzlich das individuelle Verständnis des einzelnen VN.687 Dies gilt allerdings nicht, soweit ein übereinstimmendes Verständnis der betreffenden Klausel auf Seiten von VR und VN festzustellen ist, welches in diesem Fall maßgeblich ist.688 Besitzt der als Klauseladressat angesprochene Personenkreis für die Auslegung relevante Vorkenntnisse, sind diese zu berücksichtigen.689 Neben dem Wortlaut der Klausel sind – wie zum Ausdruck gebracht – auch der verfolgte 207 Zweck und der Sinnzusammenhang zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind.690 Der Wortlaut der Bedingungen kann also nicht allein maßgebend sein; von wesentlicher Bedeutung für die Auslegung ist vielmehr auch, was ein durchschnittlicher VN billigerweise vom Versicherungsschutz erwarten kann. Diese Erwartungen werden zwar in erster Linie vom Text des Versicherungsvertrages – also des Antrags, des Versicherungsscheins und der Allgemeinen Versicherungsbedingungen – bestimmt; es muss dabei aber auch die Verkehrsauffassung und die Interessenlage in Betracht gezogen werden.691 Die Auslegung von AVB erfolgt dabei aus ihrem Sinnzusammenhang, wie er für den VN erkennbar ist. Daher bilden nur die vereinbarten Vertragsklauseln den Gegenstand der Auslegung.692 Andere Klauselwerke

682 Vgl. etwa BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541, 542 (Rn. 12); BGH 22.1.2020 – IV ZR 125/18, VersR 2020 414, 415 (Rn. 10); BGH 9.10.2019 – IV ZR 235/18, VersR 2020 25, 26 (Rn. 12); BGH 22.4.2015 – IV ZR 419/13, VersR 2015 706, 707 (Rn. 12);. 683 Dazu Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Lindacher/Hau6 § 305c Rn. 107. 684 Vgl. BGH 26.2.2020 – IV ZR 235/19, VersR 2020 549, 550 (Rn. 9); BGH 18.12.2019 – IV ZR 65/19, VersR 2020 276, 277 f. (Rn. 13); BGH 27.11.2019 – IV ZR 314/17, VersR 2020 154 (Rn. 12); BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018 532, 533 (Rn. 9); BGH 13.12.2006 – IV ZR 120/05, BGHZ 170 182, 184 = VersR 2007 388, 388 (Rn. 8); BGH 19.2.2003 – IV ZR 318/02, VersR 2003 454, 455 (juris Rn. 11); BGH 12.3.2003 – IV ZR 278/01, BGHZ 154 154, 167 = VersR 2003 581, 584 (juris Rn. 29); BGH 26.3.2003 – IV ZR 270/02, VersR 2003 641, 642 (juris Rn. 9); BGH 3.7.2002 – IV ZR 145/01, VersR 2002 1089, 1090 (juris Rn. 25); BGH 25.9.2002 – IV ZR 248/01, VersR 2002 1503, 1504 (juris Rn. 10); BGH 30.10.2002 – IV ZR 60/01, BGHZ 152 262, 265 = VersR 2002 1546, 1547 (juris Rn. 17); BGH 21.2.2001 – IV ZR 259/99, VersR 2001 489, 490 (juris Rn. 12); BGH 17.5.2000 – IV ZR 113/99, VersR 2000 1090, 1091 (juris Rn. 15); BGH 26.9.2001 – IV ZR 220/00, VersR 2001 1502, 1503 (juris Rn. 10); BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709, 709 (juris Rn. 11); BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 746 (juris Rn. 14); BGH 21.4.1999 – IV ZR 192/98, BGHZ 141 214, 217 = VersR 1999 877, 878 (juris Rn. 10); Koch VersR 2015 133, 139. 685 BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, VersR 2003 1389, 1389 (juris Rn. 16) bzgl. des Geschädigten eines Berufshaftpflichtversicherten. 686 BGH 14.6.2006 – IV ZR 54/05, VersR 2006 1246, 1247 (Rn. 15); BGH 12.3.2003 – IV ZR 56/02, VersR 2003 719, 720 (juris Rn. 16); BGH 27.9.2000 – IV ZR 140/99, VersR 2000 1530, 1531 (juris Rn. 20); BGH 16.3.1988 – IVa ZR 154/ 87, BGHZ 103 370, 383 = VersR 1988 575, 578 (juris Rn. 26); Staudinger/Wendt (2019) Anh. zu §§ 305-310 Rn. J 76. 687 BGH 9.12.1987 – IVa ZR 151/86, VersR 1988 282, 283 (juris Rn. 10); BGH 15.6.1983 – IVa ZR 31/82, VersR 1983 850, 850 (juris Rn. 5); Koch VersR 2015 133, 138. 688 BGH 22.3.2002 – V ZR 405/00, NJW 2002 2102, 2103 (juris Rn. 12); BGH 14.6.2006 – IV ZR 54/05, VersR 2006 1246, 1248 (Rn. 15); Palandt/Grüneberg78 § 305c Rn. 15. 689 Späte/Schimikowski/Schimikowski2 Teil A. Einl. Rn. 119; Berliner Kommentar/Dallmayr Vorbem. §§ 129–148 Rn. 124; Roth WM 1991 2125, 2129; vgl. dazu auch BGH 9.5.1984 – IVa ZR 176/82, VersR 1984 830, 831 (juris Rn. 24 f.); OLG Frankfurt 22.9.1994 – 1 U 103/93, VersR 1995 449, 451 (juris Rn. 29). 690 BGH 26.2.2020 – IV ZR 235/19, VersR 2020 549, 550 (Rn. 9); BGH 22.1.2020 – IV ZR 125/18, VersR 2020 414, 415 (Rn. 10); BGH 27.11.2019 – IV ZR 314/17, VersR 2020 154 (Rn. 12); vgl. auch BGH 18.12.1995 – II ZR 193/94, VersR 1996 500, 500 (juris Rn. 10); BGH 23.1.1991 – IV ZR 173/90, VersR 1991 417, 418 (juris Rn. 15). 691 Vgl. BGH 16.10.1991 – IV ZR 257/90, VersR 1992 47, 47 (juris Rn. 9 f.); BGH 4.12.1980 – IVa ZR 32/80, BGHZ 79 76, 80 = VersR 1981 173, 174 (juris Rn. 17). 692 BGH 17.9.1986 – IVa ZR 73/85, VersR 1987 68, 69 (juris Rn. 12); OLG Koblenz 23.1.1998 – 10 U 963/96, VersR 1998 1146, 1147 (juris Rn. 31). 237

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können nicht herangezogen werden, da von einer Kenntnis des VN hiervon nicht ausgegangen werden kann. Auch geschäftsplanmäßige Erklärungen des VR kommen für die Auslegung und die Wirksamkeitsprüfung der vertraglich maßgebenden AVB nicht in Betracht.693 208 AVB-Klauseln, die Risikoausschlüsse oder -begrenzungen vorsehen, sind grundsätzlich eng auszulegen, da der VN mit Verkürzungen des Versicherungsschutzes, die ihm nicht hinreichend verdeutlicht wurden, nicht zu rechnen braucht.694 Entscheidend ist dabei der für den VN erkennbare Sinn der jeweiligen Regelung unter Beachtung ihres Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise. Nach der Rechtsprechung des BGH ist auch hierbei die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen VN maßgebend, eine „gesetzesähnliche“ Auslegung von AVBBestimmungen soll daraus nicht folgen.695 Danach spielt nach h. M. auch die Entstehungsgeschichte eines bestimmten Klauselwerkes aufgrund grundsätzlich fehlender Kenntnis des VN bei dessen Auslegung keine Rolle.696 Aus diesem Grund sind auch von VR-Seite bei der Klauselerstellung angestellte Zweckerwägungen bei der Auslegung unerheblich, solange sie sich nicht im Wortlaut und dadurch für den VN erkennbar wiederspiegeln.697 Dies soll nach gefestigter Rechtsprechung allerdings selbst dann gelten, wenn die Berücksichtigung von Entstehungsgeschichte oder versicherungstechnischem Zweck der Klausel zu einem für den VN günstigeren Ergebnis als die an seiner Verständnismöglichkeit orientierte Auslegung führen würde.698 Eine solche Sichtweise läuft jedoch dem eigentlichen Schutzzweck einer auf den Verständnishorizont des VN ausgerichteten Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen zuwider und wird daher i. E. zu Recht kritisiert.699 Der VN soll durch die Orientierung der Auslegung an der Sichtweise eines durchschnittlichen Klauseladressaten vor einer Verkürzung seines Versicherungsschutzes bewahrt werden, mit der er aufgrund der erkennbaren Interessenlage und des Zwecks der Vertragsbestimmung redlicherweise nicht zu rechnen brauchte. In Anbetracht dieser Schutzrichtung wäre es unbillig, dem VR die Vorteile einer entsprechenden Klausel nur deshalb zu versagen, weil dem VN der mit ihr verfolgte versicherungswirtschaftliche (und zur einschränkenden Auslegung berechtigende) Zweck verborgen geblieben ist.700 Es gibt deshalb gute Gründe, sowohl die Entstehungsgeschichte als auch den Zweck einer AVB-Klausel im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen, soweit dies zu einem für

693 BGH 7.2.1996 – IV ZR 155/95, VersR 1996 486, 487 (juris Rn. 14 f.); zum Begriff A. Einleitung Rn. 250 ff. 694 Siehe nur BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257 (Rn. 12); BGH 15.9.2010 – IV ZR 113/08, VersR 2011 66 (Rn. 6); BGH 13.12.2006 – IV ZR 120/05, BGHZ 170 182, 184 = VersR 2007 388, 388 (Rn. 8); BGH 17.12.2008 – IV ZR 9/08, VersR 2009 341, 342 (Rn. 17); BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, VersR 2003 1389, 1390 (juris Rn. 21); BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, VersR 2003 187, 188 (juris Rn. 29); BGH 19.2.2003 – IV ZR 318/02, VersR 2003 454, 455 (juris Rn. 11); BGH 17.3.1999 – IV ZR 89/98, VersR 1999 748, 749 (juris Rn. 10). 695 BGH 17.5.2000 – IV ZR 113/99, VersR 2000 1090, 1091 (juris Rn. 15); BGH 17.3.1999 – IV ZR 89/98, VersR 1999 748, 749 (juris Rn. 10); BGH 8.5.2013 – IV ZR 174/12, RuS 2013 334, 335 (Rn. 12). 696 BGH 6.3.1996 – IV ZR 275/95, VersR 1996 622, 622 (juris Rn. 11); BGH 18.12.1991 – IV ZR 204/90, VersR 1992 349, 350 (juris Rn. 13); BGH 13.2.2013 – IV ZR 260/12, VersR 2013 709, 711 (Rn. 16); Beckmann/Matusche-Beckmann/ Präve1 § 10 Rn. 212; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 82; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 284; vgl. aber Baumann RuS 2005 313 ff. 697 BGH 17.5.2000 – IV ZR 113/99, VersR 2000 1090, 1091 (juris Rn. 15); BGH 17.12.2008 – IV ZR 9708, VersR 2009 341, 342 (Rn. 16); BGH 5.7.1989 – IVa ZR 24/89, VersR 1989 908, 909 (juris Rn. 10); BGH 2.10.1985 – IVa ZR 184/83, VersR 1986 177, 178 (juris Rn. 6). 698 BGH 27.6.2012 – IV ZR 212/10, VersR 2012 1253, 1254 (Rn. 19 f.); BGH 25.9.2002 – IV ZR 248/01, VersR 2002 1503, 1504 (juris Rn. 10); BGH 17.5.2000 – IV ZR 113/99, VersR 2000 1090, 1091 (juris Rn. 16). 699 Siehe Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 213 f.; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 266 ff., 284; Koch VersR 2015 133, 140; Pilz VersR 2010 1289; Prölss NVersZ 1998 17, 18; Baumann RuS 2005 313 ff.; a. A. Langheid/ Rixecker/Rixecker6 § 1 Rn. 36 f; zur Entstehungsgeschichte auch Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 85. 700 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 225; Prölss NVersZ 1998 17, 18; im Ergebnis deswegen in solchen Fällen sogar für eine gesetzesähnliche Auslegung Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 266. Beckmann

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den VN günstigen Ergebnis führt; unabhängig von dessen darauf bezogener Verständnismöglichkeit.701 Beinhalten AVB juristisches Vokabular, mit dem die Rechtssprache feststehende Begriffe 209 verbindet, sind die verwendeten Fachbegriffe in diesem Sinne zu verstehen.702 Dies ergibt sich einschränkungslos, wenn der Begriff auch dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Weicht der Begriff jedoch in seiner rechtssprachlichen Bedeutung vom allgemeinen Sprachverständnis in einem Randbereich deutlich ab, ist das von der Rechtssprache abweichende Verständnis maßgebend.703 Gleiches gilt, wenn sich aus dem Sinnzusammenhang der vertraglichen Regelung eine Begriffsfunktion ergibt, der eine Beschränkung auf die gesetzessprachliche Interpretation nur unzureichend gerecht würde.704 Ist der verwendete Begriff gleichzeitig auch Teil der Umgangssprache und wird der VN damit nicht zwangsläufig auf dessen rechtssprachlichen Inhalt verwiesen, ist die Bedeutung des Begriffs aus Sicht eines verständigen VN zu ermitteln.705 Bei Wiedergabe dispositiven Gesetzesrechts unterliegen die entsprechenden AVB-Bestimmungen allgemeiner Gesetzesauslegung.706 Schließt der VN für dasselbe Risiko mehrere Versicherungsverträge ab und enthalten diese 210 jeweils Subsidiaritätsklauseln, die einen Ausschluss der Haftung bei Bestehen anderweitiger Schadensdeckung bedeuten, führt deren Auslegung eine jedenfalls bei Vorliegen einfacher Klauseln grundsätzlich zur gegenseitigen Aufhebung, so dass Mehrfachversicherung nach § 78 VVG besteht.707 Maßgeblich für die Auslegung der kollidierenden Klauseln ist auch hier nicht die Sicht der beteiligten VR, sondern vielmehr das Verständnis eines durchschnittlichen VN bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs.708 Darüber hinaus wird in der Literatur weiter differenziert zwischen der Kollision ei701 So auch OLG Nürnberg 20.9.2001 – 8 U 1024/01, VersR 2002 605, 605 = NVersZ 2002 136, 137 (juris Rn. 35 ff.); OLG Nürnberg 9.3.2000 – 8 U 3929/99, VersR 2000 1363, 1364 (juris Rn. 19); Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 266 ff.; Lorenz VersR 2000 1092, 1093; in diesem Sinne auch Schimikowski6 Rn. 26 a. E.; umfassend und i. E. ebenso Pilz Missverständliche AGB 43 ff. 702 BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018 532, 533 (Rn. 14); BGH 20.7.2016 – IV ZR 245/15, VersR 2016 1184, 1185 (Rn. 22); BGH 8.12.1999 – IV ZR 40/99, VersR 2000 311, 312 (juris Rn. 17); BGH 6.3.2019 – IV ZR 72/18, VersR 2019 542, 543 (Rn. 16); BGH 8.5.2013 – IV ZR 174/12, RuS 2013 334, 335 (Rn. 12); BGH 11.12.2002 – IV ZR 226/01, BGHZ 153 182, 186 = VersR 2003 236, 237 (juris Rn. 19); BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709, 709 (juris Rn. 11); BGH 21.4.1999 – IV ZR 192/98, BGHZ 141 214, 219 = VersR 1999 877, 878 (juris Rn. 20); BGH 26.9.2001 – IV ZR 220/00, VersR 2001 1502, 1503 (juris Rn. 11); BGH 5.7.1995 – IV ZR 133/94, VersR 1995 951, 952 (juris Rn. 14); BGH 18.3.1992 – IV ZR 87/91, VersR 1992 606, 607 (juris Rn. 17); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 216; Palandt/Grüneberg78 § 305c Rn. 16; einschränkend Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 83; a. A. Roth WM 1991 2125, 2129 f. 703 BGH 20.7.2016 – IV ZR 245/15, VersR 2016 1184, 1185 (Rn. 22); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 216; BGH 8.12.1999 – IV ZR 40/99, VersR 2000 311, 312 (juris Rn. 17); BGH 6.3.2019 – IV ZR 72/18, VersR 2019 542, 543 (Rn. 16); BGH 26.3.1986 – IVa ZR 86/84, VersR 1986 537, 538 (juris Rn. 9); BGH 29.4.1998 – IV ZR 21/97, VersR 1998 887, 887 (juris Rn. 12); OLG Saarbrücken 1.2.1995 – 5 U 321/94 – 22, 5 U 321/94, VersR 1996 97, 97 (juris Rn. 14). 704 BGH 18.3.1992 – IV ZR 87/91, VersR 1992 606, 607 (juris Rn. 17); BGH 6.3.2019 – IV ZR 72/18, VersR 2019 542, 543 (Rn. 16); BGH 26.3.1986 – IVa ZR 86/84, VersR 1986 537, 538 (juris Rn. 9). 705 BGH 8.12.1999 – IV ZR 40/99, NJW 2000 1194, 1196 (juris Rn. 17); BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018 532, 533 (Rn. 14); siehe auch MüKo-BGB/Basedow8 § 305c Rn. 37; anders Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 216; Staudinger/Mäsch (2019) § 305c Rn. 119, Geltung der dem Klauseladressaten günstigeren Alternative. 706 Siehe Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 83. 707 BGH 19.2.2014 – IV ZR 389/12, VersR 2014 450, 450 f. (Rn. 11, 18); siehe auch LG Hamburg 11.1.1978 – 2 S 142/ 77, VersR 1978 933, 935; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 239; Berliner Kommentar/Schauer § 59 Rn. 52; zur Differenzierung bei Vorliegen sog. qualifizierter Subsidiaritätsklauseln Prölss/Martin/Armbrüster30 § 78 Rn. 31 f.; Bruck/Möller/Schnepp9 § 78 Rn. 182 ff. 708 BGH 19.2.2014 – IV ZR 389/12, VersR 2014 450, 450 (Rn. 13); Langheid/Rixecker/Langheid6 § 78 Rn. 24; Prölss/ Martin/Armbrüster30 § 78 Rn. 33; ausführlich zu den Arten und Wirkungen von Subsidiaritätsklauseln Bruck/Möller/ Schnepp9 § 78 Rn. 167 ff. 239

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ner einfachen, mit einer qualifizierten (auch: uneingeschränkten) Klausel709 sowie dem Aufeinandertreffen zweier qualifizierter Subsidiaritätsklauseln.710 In letzterem Fall kann über die Auslegung der Klauseln hinaus auch das Vorliegen überraschender Klauseln (§ 305c Abs. 1 BGB) erwogen werden.711

II. Judikatur (Auswahl) 211 Arztwahl/ Krankheitskostenversicherung: AVB, die eine Einschränkung der Arztwahl auf niedergelassene Ärzte vorsieht, meint Ärzte, die unter Zugrundelegung des Sprachgebrauchs des ärztlichen Berufsrechts die öffentlich erkennbare Bereitschaft zur Ausübung des Arztberufs in selbständiger Praxis an einem bestimmten Ort besitzen.712 Betriebsschäden/ Kaskoversicherung: Soweit in den AVB der Kfz-Versicherung reine Be212 triebsschäden von der Haftung für Unfallschäden ausgeschlossen sind, bedeutet dies, dass kein Versicherungsschutz für durch gewöhnliche Abnutzung, Material- oder Bedienungsfehler am Kfz bzw. dessen Teilen entstandene Schäden besteht.713 Bewusstseinsstörung/ Unfallversicherung: Eine Bewusstseinsstörung als Ausschlusstatbe213 stand in der Unfallversicherung liegt vor, wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit den Versicherten außer Stande setzen, den Sicherheitsanforderungen seiner Umwelt zu genügen; eine völlige Bewusstlosigkeit muss hierfür nicht vorliegen, es kann auch ein Zustand genügen, bei welchem dem Versicherten kurzzeitig „schwarz vor Augen“ wird.714 Corona-Virus bzw. Covid-19/ Betriebsschließungsversicherung: Nach einem Beschluss 214 des OLG Hamm kann im Rahmen einer Betriebsschließungsversicherung der Wortlaut „nur die im Folgenden aufgeführten (vgl. §§ 6 und 7 IfSG)“ und die anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern nicht dahingehend verstanden werden, dass der VR auch für weitere als die aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger Deckungsschutz gewähren möchte; der Verweis auf das IfSG – also das Infektionsschutzgesetz – führe nicht dazu, dass dynamisch auf spätere Änderungen dieses Gesetzes infolge neuer Krankheitserreger (hier Sars-Cov-2 bzw. Corona) verwiesen werden soll. Vielmehr soll der Aufzählung abschließende Wirkung zukommen, was für den durchschnittlichen VN auch erkennbar sei.715 Eintritt des Versicherungsfalls/ Rechtsschutzversicherung: Für die zeitliche Festlegung 215 des Eintritts des Rechtsschutzfalles kommt es alleine auf die Tatsachen an, mit denen der VN sein Rechtsschutzbegehren begründet. Bei einem Gebrauchtwagenkauf ist maßgeblicher Ver709 Hier soll sich stets die qualifizierte Klausel gegenüber der eingeschränkten (einfachen) Klausel durchsetzen, s. Bruck/Möller/Schnepp9 § 78 Rn. 185; Prölss/Martin/Armbrüster30 § 78 Rn. 34; Langheid/Wandt/Halbach2 § 78 Rn. 22. 710 In diesem Fall soll grundsätzlich kein Versicherungsschutz für den VN bestehen, vgl. Bruck/Möller/Schnepp9 § 78 Rn. 183; Prölss/Martin/Armbrüster30 § 78 Rn. 35; Langheid/Wandt/Halbach2 § 78 Rn. 23. 711 Langheid/Wandt/Halbach2 § 78 Rn. 23; indes im Ergebnis abgelehnt von Prölss/Martin/Armbrüster30 § 78 Rn. 35 unter Hervorhebung potentieller Beratungspflichten der VR. 712 BGH 30.11.1977 – IV ZR 69/76, BGHZ 70 158, 162 = VersR 1978 267, 268 (juris Rn. 13); OLG Düsseldorf 9.2.1993 – 4 U 7/92, VersR 1994 207, 207; OLG Hamm 24.6.1992 – 20 U 90/92, VersR 1993 427, 427 (juris Rn. 5); OLG Karlsruhe 1.4.1993 – 12 U 233/92, VersR 1994 1459, 1459; OLG München 6.2.1992 – 6 U 5645/91, VersR 1993 428, 429 (juris Rn. 9). 713 BGH 6.3.1996 – IV ZR 275/95, VersR 1996 622, 622 (juris Rn. 12), wonach ein solcher Betriebsschaden mangels einheitlicher Betriebseinheit nicht vorliegt, wenn ein Kfz mit Anhänger dadurch beschädigt wird, dass der Anhänger durch die Sogwirkung vorbeifahrender Lastwagen instabil wird und gegen das Kfz schleudert; BGH 23.10.1968 – IV ZR 515/68, VersR 1969 32, 33 (juris Rn. 7). 714 BGH 17.5.2000 – IV ZR 113/99, NJW-RR 2000 1341, 1343 (juris Rn. 19, 21 f.). 715 OLG Hamm 15.7.2020 – 20 W 21/20, RuS 2020 506 m. Anm. Armbrüster RuS 2020 507; zum Eingreifen einer Betriebsschließungsversicherung vgl. demgegenüber LG München I 1.10.2020 – 12 O 5895/20, BeckRS 2020 24634; Rolfes VersR 2020 1021; grds. zu privatversicherungsrechtlichen Problemen der Corona-Krise vgl. Rixecker in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. (2020) § 11. Beckmann

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stoß und damit Versicherungsfall die ungerechtfertigte Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gegen den VN.716 Auch im Passivprozess des VN einer Rechtsschutzversicherung ist bei der zeitlichen Festlegung des Rechtsschutzfalles (hier nach § 14 (3) ARB 1975/95) nur auf denjenigen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften abzustellen, den der VN seinem Gegner im Ausgangsrechtsstreit anlastet.717 Ereignis/ Haftpflichtversicherung: Unter dem Ereignis, das nach den AVB der Haftpflicht- 216 versicherer während der Wirksamkeit der Versicherung eingetreten sein muss, ist nicht der Eintritt des „realen Verletzungszustands“, sondern vielmehr der vom VN gesetzte oder von ihm zu vertretende Haftungsgrund zu verstehen, der die Schädigung des Dritten zur Folge gehabt hat. Entscheidend ist demnach, dass das haftungsbegründende Ereignis in den Haftungszeitraum fällt; damit muss der VR auch dann vollen Versicherungsschutz gewähren, wenn die schädigenden Folgen erst nach dem Ende der vereinbarten Versicherungszeit hervortreten.718 Heilbehandlung/ Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung: Der den Versi- 217 cherungsfall auslösende Umstand in der Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung beginnt mit der medizinisch notwendigen Heilbehandlung. Nicht der Eintritt eines unter den Krankheitsbegriff fallenden Zustandes oder ein Unfall allein begründet den Anspruch auf Versicherungsleistungen, sondern erst eine wegen dieses Zustandes oder Ereignisses vorgenommene medizinisch notwendige Heilbehandlung. Als Heilbehandlung ist jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung, Besserung oder auch Linderung der Krankheit abzielt. Dem ist eine ärztliche Tätigkeit gleichzustellen, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist. Gegenstand der Beurteilung können dabei nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein. Demgemäß liegt eine „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung jedenfalls dann vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen.719 Eine Vertretbarkeitskontrolle unter Kostengesichtspunkten findet nach Ansicht des BGH grundsätzlich nicht statt; eine Beschränkung der Leistungspflicht des VR im Rahmen des medizinisch Notwendigen auf die billigste Behandlungsmethode erschließe sich dem VN nicht.720 Kapitalanlagegeschäfte/ Rechtsschutzversicherung: In der Rechtsprechung umstritten 218 war die Frage, inwieweit Streitigkeiten aus einer kapitalbildenden Lebensversicherung unter den Risikoausschluss für Streitigkeiten aus Kapitalanlagegeschäften nach § 3 (2) f) ARB fallen. Nach einer Ansicht sollen kapitalbildende Lebensversicherungen stets unter den Ausschluss

716 BGH 3.7.2019 – IV ZR 195/18, NJW 2019 3299, 3300 f. (Rn. 8 ff.); m. Anm. Münkel jurisPR-VersR 10/2019 Anm. 1. 717 BGH 3.7.2019 – IV ZR 111/18, BGHZ 222 354, 358 = VersR 2019, 1011 f. (Leitsatz sowie Rn. 16 ff.); m. Anm. Münkel jurisPR-VersR 10/2019 Anm. 1; Fortführung von BGH 30.4.2014 – IV ZR 47/13, BGHZ 201 73, 77 = VersR 2014 742, 743 f. (Rn. 15 ff.). 718 BGH 4.12.1980 – IVa ZR 32/80, BGHZ 79 76, 79 ff. = VersR 1981 173, 174 ff. (juris Rn. 16 ff.); Beckmann/MatuscheBeckmann/Präve1 § 10 Rn. 230; a. A. OLG Karlsruhe 17.7.2003 – 12 U 228/02, VersR 2003 1436, 1437 (juris Rn. 54); vgl. insbesondere die Ausführungen zur Haftpflichtversicherung bei Bruck/Möller/Koch9 Bd. IV, AHB Ziff. 1 Rn. 4 f. 719 BGH 10.7.1996 – IV ZR 133/95, BGHZ 133 208, 212 f. = NJW 1996 3074, 3075 (juris Rn. 16); BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123 83, 89 f. = VersR 1993 957, 959 (juris Rn. 25); BGH 30.10.2013 – IV ZR 307/12, VersR 2013 1558, 1559 (Rn. 13); BGH 29.3.2017 – IV ZR 533/15, VersR 2017 608, 610 (Rn. 28); so auch OLG Koblenz 17.2.2006 – 10 U 664/05, VersR 2007 680, 681 (juris Rn. 24). 720 BGH 12.3.2003 – IV ZR 278/01, BGHZ 154 154, 168 = NJW 2003 1596, 1599 (juris Rn. 30); BGH 29.3.2017 – IV ZR 533/15, VersR 2017 608, 609 (Rn. 25); a. A. etwa OLG Köln 30.9.1998 – 5 U 168/96, VersR 1999 302, 302 f. (juris Rn. 21); OLG Köln 13.7.1995 – 5 U 94/93, VersR 1995 1177, 1178 (juris Rn. 6); OLG Düsseldorf 7.5.1996 – 4 U 43/95, VersR 1997 217, 218; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 219. Vgl. insgesamt zur medizinischen Notwendigkeit Bruck/Möller/Brand9 § 192 Rn. 39 ff. 241

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fallen, da der Schwerpunkt des Geschäfts in der Kapitalanlage liege.721 Eine andere Ansicht sieht den Ausschluss als nicht gegeben an, da es sich bei der kapitalbildenden Lebensversicherung um eine Mischform zwischen Versicherung und Kapitalanlagegeschäft handele. Gerade im Hinblick darauf, dass kapitalbildende Lebensversicherungen regelmäßig mit anderen Versicherungen, z. B. zur Absicherung der Berufsunfähigkeit, verbunden werden, erscheine die Reichweite des Ausschlusses für den durchschnittlichen VN kaum ersichtlich. Auch fehle der Klausel die im sonstigen Bedingungswerk vorhandene Klarstellung, dass ein bloßes Mitwirken bereits für den Ausschluss ausreicht, weshalb im Umkehrschluss davon ausgegangen werden müsse, dass Mischformen vom Versicherungsschutz umfasst seien.722 Der BGH hat die Klausel unlängst streng nach ihrem Wortlaut ausgelegt und betont, dass es sich zwar grundsätzlich um ein Kapitalanlagegeschäft handeln kann, die Klausel aber weiter voraussetzt, dass die Streitigkeit ihren Ursprung gerade (bzw. zumindest auch) im Anlagecharakter finden müsse.723 Dies erscheint konsequent, da die Reichweite der Klausel somit effektiv begrenzt wird und sonstige Streitigkeiten, bspw. über das Bezugsrecht, nicht vom Ausschluss erfasst sind;724 zur Wirksamkeit der Klausel siehe Rn. 303. 219 „Kleine Benzinklausel“/ Haftpflichtversicherung: Die sogenannte „kleine Benzinklausel“ der AVB der Privathaftpflichtversicherung stellt auf Gefahren ab, die mit dem Führen und Halten von Kraftfahrzeugen und ihrem Gebrauch verbunden sind. Diese Gefahren sind dem Versicherungsschutz nach der Privathaftpflichtversicherung entzogen. Die Klausel dient der Abgrenzung zwischen den Deckungsbereichen der Privat- und der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und bezweckt die Verhinderung von Doppelversicherungen. Zur Aufrechterhaltung eines lückenlosen Anschlusses von Privat- an Kfz-Haftpflichtversicherung ist nach der Art des jeweiligen Risikos zu unterscheiden und die Sachlage der entsprechenden Haftpflichtversicherung zuzuweisen.725 Indes folgt aus der Versagung des Versicherungsschutzes innerhalb der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht zwangsläufig, dass der Schaden deswegen in den Bereich der Privathaftpflichtversicherung fällt, weil sonst eine Deckungslücke bestehen würde.726 220 Leistungsmangel/ Bauwesenversicherung: Ein den Haftpflichtversicherungsfall ausschließender Leistungsmangel liegt dann vor, wenn der Mangel der Leistung des VN unmittelbar anhaftet. Eine unversehrte Leistung hat demnach nicht bestanden, so dass ein durch den VN verursachter Sachschaden auszuschließen ist. Dagegen liegt ein Sachschaden dann vor, wenn von außen eine schädigende oder zerstörende Einwirkung erfolgt.727 Rückkaufswert/ Direktversicherung zur betrieblichen Altersvorsorge: Der Rückkaufs221 wert einer zur betrieblichen Altersversorgung abgeschlossenen Direktversicherung gebührt in der Insolvenz des Arbeitgebers grundsätzlich dem versicherten Arbeitnehmer, auch wenn dessen unwiderrufliches Bezugsrecht für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis eingeschränkt ausgestaltet wurde. Der durch Auslegung zu erzielende Zweck eines solchen Vorbehalts besteht zumindest auch in dem Bemühen des Arbeitsgebers, den versicherten Arbeitnehmer zur Betriebstreue anzuhalten; nämlich zu verhindern, dass dieser bereits nach kurzer Zeit unter Mitnahme der versicherungsvertraglichen Ansprüche aus dem Arbeitsverhält-

721 LG Paderborn 21.1.2015 – 5 S 49/14 (juris Rn. 15); zur fondgebundenen Rentenversicherung LG Kiel 5.8.2016 – 1 S 257/15 (juris Rn. 13); 722 LG Nürnberg-Fürth 31.1.2018 – 2 S 1925/17, RuS 2018 248, 249 f. (juris Rn. 18 ff.). 723 BGH 10.4.2019 – IV ZR 59/18, VersR 2019 811, 812 f. (Rn. 22 ff.). 724 Rixecker NJW 2019 2172, 2175. 725 BGH 16.10.1991 – IV ZR 257/90, VersR 1992 47 (juris Rn. 13); BGH 21.2.1990 – IV ZR 271/88, VersR 1990 482, 482 (juris Rn. 13 f.); BGH 14.12.1988 – IVa ZR 161/87, VersR 1989 243, 244 (juris Rn. 8 f.). 726 BGH 16.10.1991 – IV ZR 257/90, VersR 1992 47 (juris Rn. 13). 727 BGH 27.6.1979 – IV ZR 176/77, BGHZ 75 62, 69 (juris Rn. 38); OLG Saarbrücken 29.11.1995 – 5 U 300/95 – 20, 5 U 300/95, VersR 1996 1356, 1357 grds. zu der Abgrenzung Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 36 Rn. 47 ff. Beckmann

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nis ausscheidet. Eine (vom Arbeitnehmer unverschuldete) insolvenzbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird hiervon nicht erfasst.728 SARS-Cov-2: siehe oben Rn. 214. Serienschadensklausel/ Vermögensschadenshaftpflichtversicherung: Eine sog. Serienschadensklausel, die hinsichtlich aller Folgen eines, wenn auch mehrfach begangenen, aber auf gleicher Fehlerquelle beruhenden Tun oder Unterlassen eine (lediglich) einmalige Versicherungsleistung bestimmt, ist u. U. einschränkend auszulegen. In der Berufshaftpflichtversicherung bedeutet danach jede einzelne Schlechterfüllung selbstständiger Beratungsverhältnisse eines Vermittlers von Immobilienfondsbeteiligungen einen separaten Haftungsfall, selbst wenn hierfür dieselbe Fehlvorstellung des VN ursächlich war.729 Tätigkeitsklausel/ Haftpflichtversicherung: Eine Leistungsausgrenzung i. R. v. Haftpflichtversicherungsbedingungen bei gewerblicher oder beruflicher Tätigkeit des VN an oder mit fremden Sachen entstandenen Schäden erfasst über die unmittelbaren Sachschäden hinausgehende Folgeschäden nicht.730 Übermaßbehandlung/ Krankheitskostenversicherung: Klauseln in Bedingungen der Krankheitskostenversicherung, die eine Leistungsherabsetzung für den Fall einer sog. Übermaßbehandlung vorsehen, erstrecken sich nach dem Verständnis eines durchschnittlichen VN nicht auf Fälle überhöhter Vergütungsansätze des Arztes oder Krankenhausträgers (Übermaßvergütung).731 Wildschaden/ Kaskoversicherung: Der Ersatz von Wildschäden in der Teilkaskoversicherung setzt i. d. R. den Zusammenstoß mit dem Wild voraus, wodurch eine Wildberührung als Ursache des Unfallschadens vorliegen muss.732 Umfasst ist dabei jedoch auch ein unfallstiftendes Verhalten des Fahrers, dessen adäquate Ursache in dem Zusammenstoß mit dem Wild liegt.733 Wissenschaftlichkeitsklausel/ Krankenversicherung: Früheren Fassungen der Krankenversicherungsbedingungen enthielten noch die sog. Wissenschaftlichkeitsklausel. Danach bestand keine Leistungspflicht für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungsoder Behandlungsmethoden und Arzneimittel (so etwa § 5 Abs. 1f MB/KK 76). Nach dem Verständnis eines durchschnittlichen VN besteht unter Zugrundelegung dieses Leistungsausschlusses keine Leistungspflicht für solche Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die nicht der Schulmedizin entsprechen;734 ein solches Verständnis der Klausel führt indes zu einer wesentlichen Einschränkung der Rechte des VN, weshalb die Wissenschaftlichkeitsklausel für unwirksam erklärt wurde.735 Zum Begriff der notwendigen medizinischen Behandlung vgl. bereits Rn. 217.

728 BGH 8.6.2005 – IV ZR 30/04, NJW-RR 2005 1412, 1414 = VersR 2005 1134, 1135 f. (juris Rn. 23); BGH 3.5.2006 – IV ZR 134/05, NJW-RR 2006 1258, 1260 = VersR 2006 1059, 1061 (Rn. 16); BAG 22.5.2007 – 3 AZR 334/06, ZIP 2007 1869, 1879 (juris Rn. 45). 729 BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, NJW 2003 3705, 3705 (juris Rn. 14). 730 BGH 17.3.1999 – IV ZR 89/98, VersR 1999 748, 749 (juris Rn. 11); BGH 12.11.1997 – IV ZR 338/96, VersR 1998 228, 229 (juris Rn. 15). 731 BGH 12.3.2003 – IV ZR 278/01, BGHZ 154 154, 169 f. = NJW 2003 1596, 1600 (juris Rn. 34); Prölss VersR 2003 981, 982; OLG Köln 14.1.2020 – 9 U 39/19 (juris Rn. 6); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 219; a. A. noch BGH 30.11.1977 – IV ZR 69/76, BGHZ 70 158, 171 f. = VersR 1978 267, 270 (juris Rn. 31); OLG Köln 13.6.1985 – 5 U 41/85, VersR 1986 378, 378; OLG Düsseldorf 7.5.1996 – 4 U 43/95, VersR 1997 217, 218; OLG Hamm 14.8.1998 – 20 U 223/97, NVersZ 1999 133, 133 (juris Rn. 21). 732 BGH 18.12.1991 – IV ZR 204/90, VersR 1992 349, 350 (juris Rn. 14). 733 BGH 18.12.1991 – IV ZR 204/90, VersR 1992 349, 350 (juris Rn. 19). 734 BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123 83, 86 = VersR 1993 957, 958 (juris Rn. 15). 735 BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123 83, 88 = VersR 1993 957, 959 (juris Rn. 21 ff.); dazu sowie auch zur danach erfolgten Neufassung der Klausel Rn. 385; vgl. auch Bruck/Möller/Brand9 § 192 Rn. 51. 243

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G. Mehrdeutige Klauseln I. Allgemeines 227 Bestehen bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen Zweifel, d. h. sind diese unklar, geht dies zu Lasten des VR (§ 305c Abs. 2 BGB). Als Folge der einseitigen Vertragsgestaltungsmacht des Verwenders Allgemeiner Geschäftsbedingungen wird diesem im Ergebnis das Auslegungsrisiko736 auferlegt, denn es ist Sache des Verwenders, sich klar und verständlich auszudrücken. Die Vorschrift des § 305c Abs. 2 BGB gilt auch für kollektiv ausgehandelte und von dritter Seite empfohlenen AVB.737 Voraussetzung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB ist die Zwei- oder Mehrdeu228 tigkeit einer vorformulierten Vertragsbestimmung.738 Dafür genügt es nicht, dass eine Vertragsbestimmung bei erster Ansicht unklar erscheint oder über deren Auslegung Streit herrscht. Die Unklarheitenregelung ist vielmehr gegenüber der objektiven Auslegung subsidiär. Voraussetzung ist nach h. M. vielmehr, dass nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar sind.739 Auf rein theoretische oder abstrakte Auslegungszweifel ist nicht abzustellen. Nach vernünftiger Auslegung aus Sicht der grundsätzlich mit der Klausel beschäftigten Verkehrskreise müssen sich relevante Zweifel an der Kernaussage der Klausel ergeben.740 Einer Abgrenzung bedarf die Unklarheit einer Vertragsbestimmung nach § 305c Abs. 2 BGB zudem von ihrer Verständlichkeit. Soweit sich Allgemeine Versicherungsbedingungen als unverständlich erweisen, hindert dies bereits deren Einbeziehung in den Vertrag (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB). 229 Klauseln, die isoliert betrachtet als klar einzustufen wären, können aufgrund der Verwendung weiterer Klauseln zu einer Unklarheit i. S. v. § 305c Abs. 2 BGB führen.741 So hat der BGH beispielsweise in einer Betriebshaftpflichtversicherung umfassenden Versicherungsschutz für zulassungs- und versicherungspflichtige Gabelstapler angenommen, auch wenn der VR die Haftung für zulassungspflichtige Kraftfahrzeuge ausschließt, gleichzeitig aber in einer positiven Risikobeschreibung den Versicherungsschutz auf nichtzulassungs- und versicherungspflichtige Fahrzeuge unter Nennung des Beispiels „Gabelstapler“ erstreckt.742 Die Anwendung der Unklarheitenregelung folgte im Individual- und im Verbandsprozess 230 lange Zeit grundsätzlich unterschiedlichen Prinzipien. Danach führte § 305c Abs. 2 BGB im Individualprozess zum Gebot der kundenfreundlichen Auslegung. Eine objektiv mehrdeutige Klausel war danach im Sinne derjenigen Auslegungsalternative zu verstehen, die sich typischerweise am stärksten zu Gunsten des Klauseladressaten auswirkte.743 Im Verbandsprozess ist eine mehrdeutige Vertragsbestimmung hingegen grundsätzlich in ihrer kundenfeindlichsten Auslegung Grundlage der Inhaltskontrolle nach §§ 307–309 BGB.744 Dies erfordert der mit der 736 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 251. 737 Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Lindacher/Hau6 § 305c Rn. 125; Palandt/Grüneberg78 § 305c Rn. 15. 738 BGH 19.1.2005 – XII ZR 107/01, BGHZ 162 39, 44 f. = NJW 2005 1183, 1184 (juris Rn. 22); BGH 22.3.2002 – V ZR 405/00, NJW 2002 2102, 2103 (juris Rn. 12); BGH 20.1.2016 – VIII ZR 152/15, NJW-RR 2016 526, 527 (Rn. 19). 739 BGH 21.4.1999 – IV ZR 192/98, BGHZ 141 214, 219 f. = VersR 1999 877, 879 (juris Rn. 21); BGH 20.1.2016 – VIII ZR 152/15, NJW-RR 2016 526, 527 (Rn. 19); BGH 6.3.1996 – IV ZR 275/95, VersR 1996 622, 622 (juris Rn. 9); BGH 5.7.1995 – IV ZR 133/94, VersR 1995 951, 952 (juris Rn. 13); BGH 5.5.2010 – III ZR 209/09, BGHZ 185 310,315 f. = NJW 2010 2197, 2198 (Rn. 14). 740 BGH 30.10.2002 – IV ZR 60/01, BGHZ 152 262, 265 = NJW 2003 294, 294 (juris Rn. 17); BGH 10.7.1990 – XI ZR 275/89, BGHZ 112 115, 120 = NJW 1990 2383, 2384 (juris Rn. 20); BGH 3.7.2002 – XII ZR 327/00, WM 2003 389, 390 (juris Rn. 24). 741 Siehe Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 288 mit Beispielen. 742 BGH 5.7.1995 – IV ZR 133/94, VersR 1995 951, 952 (juris Rn. 15). 743 Siehe Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 90; MüKo-BGB/Basedow8 § 305c Rn. 50. 744 BGH 8.7.1998 – VIII ZR 1/98, BGHZ 139 190, 199 = NJW 1998 3119, 3121 (juris Rn. 30); BGH 19.9.1985 – III ZR 214/83, BGHZ 95 350, 353 = NJW 1986 43, 44 (juris Rn. 19); BGH 19.9.1985 – III ZR 213/83, BGHZ 95 362, 366 Beckmann

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Verbandsklage verbundene Zweck des Schutzes des Rechtsverkehrs vor unangemessenen Vertragsbedingungen. Eine kundenfreundliche Auslegung im Verbandsprozess mit dem Ergebnis der Klauselwirksamkeit könnte Verwender dazu verleiten, sich in späteren Fällen gegenüber ihren Kunden auf eine Auslegungsalternative zu berufen, die einer Inhaltskontrolle nicht standgehalten hätte. Diese Gefahr besteht jedoch ebenso bei Zugrundelegung des Prinzips der kundenfreundli- 231 chen Auslegung im Individualprozess, soweit man auch hier von einer gewissen Breitenwirkung richterlicher Bedingungskontrolle ausgeht.745 Im Interesse einer Harmonisierung von Individual- und Verbandsprozess wird daher zunehmend zu Recht davon ausgegangen, die Unwirksamkeit einer Klausel sei auch im Individualprozess auszusprechen, wenn sie zunächst in ihrer kundenfeindlichsten Auslegung einer Inhaltskontrolle nicht standhält.746 Daraus ergibt sich ein gestaffeltes Vorgehen im Anwendungsbereich des § 305c Abs. 2 BGB. 232 Zunächst ist zu überprüfen, ob die nach objektiver Auslegung mehrdeutige Klausel im Rahmen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB in ihrer kundenfeindlichsten Version Bestand haben kann. Ist dies nicht der Fall, verbleibt es bei der Unwirksamkeit der Vertragsbestimmung. Bewegen sich hingegen alle Auslegungsalternativen im Bereich inhaltlicher Wirksamkeit, ist der Bedeutungsgehalt der jeweils kundenfreundlichsten heranzuziehen.

II. Judikatur (Auswahl) Beamtenklausel/ Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Eine Beamtenklausel, wonach Berufsunfähigkeit bei Versetzung in den Ruhestand wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit vorliegt, ist zugunsten des VN grundsätzlich so zu verstehen, dass der VR auf eine eigene Prüfung der Dienstfähigkeit verzichtet und sich der beamtenrechtlichen Beurteilung anschließt.747 Bedingungsanpassungsklausel/ Rechtsschutzversicherung: Eine Klausel einer Rechtsschutzversicherung, wonach der VR „im Falle der Unwirksamkeit von Bedingungen“ zur Anpassung berechtigt sein soll, ist unklar, da aus dieser Formulierung nicht hervorgeht, wem die Kompetenz zugewiesen ist, eine Bedingung für unwirksam zu erklären.748 Fluguntauglichkeit/ Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Sonderklauseln für Piloten, die den Verlust der Flugtauglichkeit aus gesundheitlichen Gründen abdecken, führen auch für den Fall temporärer Fluguntauglichkeit aufgrund einer Schwangerschaft zur Leistungspflicht des VR, da hierunter jeder körperlich bedingte Verlust der Flugtauglichkeit verstanden werden kann und diese Auslegungsmöglichkeit den VN begünstigt.749 Gliedertaxe/ Unfallversicherung: Die in der Gliedertaxe enthaltene Bestimmung „Funktionsunfähigkeit […] einer Hand im Handgelenk […]“ ist unklar, so dass für deren Anwendungsbe-

= NJW 1986 46, 47 (juris Rn. 18); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 94; MüKo-BGB/Basedow8 § 305c Rn. 49; a. A. etwa Soergel/Stein12 § 5 AGBG Rn. 17. 745 Siehe MüKo-BGB/Basedow8 § 305c Rn. 51. 746 OLG Hamm 3.11.1999 – 20 U 102/99, NJW-RR 2000 763, 765 (juris Rn. 21); OLG Schleswig 23.3.1995 – 5 W 47/94, ZIP 1995 759, 762; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 286; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 114; Ulmer/Brandner/ Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305c Rn. 91; Palandt/Grüneberg78 § 305c Rn. 18; MüKo-BGB/Basedow8 § 305c Rn. 51; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer/Lindacher/Hau6 § 305c Rn. 133; wohl auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 245; zustimmend, aber im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich BGH 11.2.1992 – XI ZR 151/91, NJW 1992 1097, 1099 (juris Rn. 24); BGH 10.5.1994 – XI ZR 65/93, NJW 1994 1798, 1799 (juris Rn. 18); anders BGH 9.5.2001 – VIII ZR 208/00, NJW 2001 2165, 2167 (juris Rn. 29); BGH 19.10.1994 – IV ZR 159/93, VersR 1994 1465, 1467 (juris Rn. 27). 747 OLG Düsseldorf 29.4.2003 – I-4 U 175/02, 4 U 175/02, VersR 2004 1033, 1034 (juris Rn. 21). 748 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 157 = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 25); dazu Rn. 202. 749 OLG Bremen – 23.5.1995 3 U 149/94, VersR 1996, 22. 245

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reich i. E. die Funktionsunfähigkeit (nur) des Gelenks genügt.750 Entsprechendes gilt für die Wendung „Funktionsunfähigkeit eines Armes im Schultergelenk“.751 Kutschpferde/ Tierhalterhaftpflichtversicherung: Die Klausel, nach der Kutschpferde vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, ist unklar i. S. v. § 305c Abs. 2 BGB. Sie kommt daher nicht zum Tragen, wenn auch ein zu anderen Zwecken eingesetztes Pferd als Kutschpferd eingesetzt wird.752 Mehrvergleich/ Rechtsschutzversicherung: Eine Klausel, wonach „der Eintritt des Rechtsschutzfalls auch bei miterledigten Angelegenheiten erforderlich ist“ (sog. Mehrvergleichsklausel), ist nach Ansicht des LG München I weder überraschend noch aus anderen Gründen unwirksam.753 Die Regelung wiederhole lediglich klarstellend den allgemeinen und für den verständigen VN nachvollziehbar niedergelegten Grundsatz, dass nur bei dem Vorliegen eines Rechtsschutzfalles ein Anspruch des VN auf Rechtsschutz ggü. dem VR bestehe. Die Regelung schränke folglich den Anspruch auf Übernahme der Kosten, welche durch eine einverständliche Erledigung entstanden sind, für miterledigte Angelegenheiten, bei denen der Rechtsschutzfall (noch) nicht eingetreten ist, ein.754 Das AG Dresden vertritt hingegen die Ansicht, eine solche Klausel sei mehrdeutig und unklar, da die Regelung so verstanden werden könne, dass miterledigte Angelegenheit nur vom Versicherungsschutz umfasst seien, wenn die ursprüngliche Angelegenheit einen gedeckten Sicherungsfall darstelle.755 Öffentliche Verkehrsmittel/ Verkehrsmittel-Unfallversicherung: Die Unklarheit, ob eine Versicherung (hier im Rahmen einer Verkehrsmittel-Unfallversicherung eines Kreditkarteninhabers), die Unfälle während der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln abdeckt, auch für Unfälle im Zusammenhang mit umsteigebedingten Aufenthalten an Bahnhöfen einstandspflichtig ist, geht zu Lasten des VR.756 Pilot: siehe Fluguntauglichkeit oben Rn. 235. Rückschauende Befundung/ Krankentagegeldversicherung: Soweit sich nach einer Klausel in der Krankentagegeldversicherung der Eintritt von Berufsunfähigkeit „nach medizinischem Befund“ beurteilt, kommt die Möglichkeit einer rückschauenden Befundung des VN mit der eventuellen Folge einer rückwirkenden Feststellung der Berufsfähigkeit als kundenfeindliche Auslegungsalternative dieser Vertragsbedingung nicht in Betracht.757 Stationäre Heilbehandlung/ Krankenhaustagegeldversicherung: Der Versicherungsfall der stationären Heilbehandlung in der Krankenhaustagegeldversicherung liegt auch vor, wenn eine sog. teilstationäre Behandlung durchgeführt wurde. Zugunsten des VN ist von einer Vergleichbarkeit der rein stationären Behandlung mit einer Behandlung, die sich aus ambulanten und stationären Phasen zusammensetzt, auszugehen, so dass die weitere Auslegungsalternative, wonach ein durchgehender Krankenhausaufenthalt vorauszusetzen wäre, wegen § 305c Abs. 2 BGB unbeachtlich bleibt.758 Versicherte Reise/ Reiserücktrittversicherung: Eine Klausel einer Reiserücktrittsversicherung, wonach „als versicherte Reise […] sowohl Pauschalreisen wie auch einzeln gebuchte Transport- oder Mietleistungen (z. B. nur Flug, ein gebuchtes Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung)“ gelten ist mehrdeutig.759 Der durchschnittliche VN kann die Klausel sowohl dahinge-

750 BGH 9.7.2003 – IV ZR 74/02, VersR 2003 1163, 1164 (juris Rn. 14). 751 BGH 24.5.2006 – IV ZR 203/03, VersR 2006 1117, 1118 (Rn. 19). 752 OLG Oldenburg 18.2.2004 – 3 U 93/03, NJW-RR 2004 1029, 1030 (juris Rn. 29); MüKo-BGB/Basedow8 § 305c Rn. 54. 753 LG München I 1.12.2017 – 25 S 17954/16, BeckRS 2017 148923 (juris Rn. 45 f.). 754 LG München I 1.12.2017 – 25 S 17954/16, BeckRS 2017 148923 (juris Rn. 45 ff.). 755 AG Dresden 13.1.2017 – 105 C 3867/16, RuS 2017 527, 527 (juris Rn. 12). 756 LG Dresden 9.6.1995 – 8 O 2158/94, VersR 1996 368, 369. 757 OLG Saarbrücken 8.9.2004 – 5 U 90/03, 5 U 90/03 – 10, RuS 2005 515, 517 (juris Rn. 65). 758 OLG Hamm 23.5.1986 – 20 U 327/85, VersR 1986 883, 884. 759 BGH 14.6.2017 – IV ZR 161/16, VersR 2017 1012, 1013 (Rn. 13). Beckmann

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hend verstehen, dass Ferienwohnungen vom Begriff der versicherten Reise erfasst sein sollen, als auch so, dass diese nur dann erfasst sein sollen, wenn die Buchung das rechtliche Gepräge eines Miet- oder Reisvertrages hat.760 Zerstörung/ Kaskoversicherung mit GAP-Deckung: Definieren die AVB den Begriff der 243 Zerstörung nach A.5.5 AKB nicht, so ist dieser mehrdeutig und zugunsten des VN so zu verstehen, dass bereits dann eine Zerstörung vorliegt, wenn die Reparaturkosten den um den Restwert geminderten Wiederbeschaffungswert übersteigen. Auf die objektive Unmöglichkeit der Reparatur kommt es hingegen nicht an.761

H. Inhaltskontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen I. Überblick Die Inhaltskontrolle von AVB folgt den §§ 307–309 BGB. Die §§ 308 und 309 BGB regeln dabei 244 spezielle Klauselverbote, während § 307 BGB die Grundvorschrift zur Unwirksamkeit wegen unangemessener Benachteiligung des Klauseladressaten darstellt. Insofern dient sie in den Fällen auch als Auffangtatbestand der Inhaltskontrolle, in denen die §§ 308 und 309 BGB wegen § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB unanwendbar sind. Zudem kann eine Klausel, die in den Anwendungsbereich der §§ 308, 309 BGB fällt, auch nach § 307 BGB unwirksam sein, obwohl sie aufgrund der Klauselverbote der §§ 308, 309 BGB nicht zu beanstanden war.762 Der Schutzzweck der Inhaltskontrolle ist dabei nach ständiger Rechtsprechung auf den 245 Ausgleich der einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender und den sich hieraus ergebenden Gefahren für den Klauseladressaten gerichtet.763 Ein Aushandeln vertraglicher Regelungen mit der Vermutung einer dabei gewonnenen inhaltlichen Ausgewogenheit findet bei der Verwendung vorformulierter Vertragsklauseln nicht statt, so dass der Adressat auf wirksame Mechanismen zum Schutz vor einer Übervorteilung durch den Verwender angewiesen ist.764 Eine Angemessenheitskontrolle nach dem Vorbild des § 307 BGB findet daher bei Individualverträgen grundsätzlich nicht statt.765 Der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen kommt in diesem Sinne auch verfassungsrechtliche Bedeutung zu, indem sie den Schutz der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten materiellen Vertragsfreiheit gewährleistet.766 Auch wenn eine Klausel der Inhaltskontrolle nach §§ 307–309 BGB standhält, kann eine 246 Berufung des VR hierauf im Einzelfall nach dem Gebot von Treu und Glauben, § 242 BGB, rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig sein.767 Voraussetzung einer solchen, nur in Individualprozessen statthaften sog. Ausübungskontrolle ist das Vorliegen einer atypischen Situation; in

760 BGH 14.6.2017 – IV ZR 161/16, VersR 2017 1012, 1013 (Rn. 20). 761 OLG Celle 7.8.2014 – 8 U 94/14, VersR 2015 184, 185 (juris Rn. 36). 762 BegrRegE BTDrucks. 7/3919 S. 22; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vorbem. vor § 307 Rn. 8; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 1. 763 BGH 4.12.1986 – VII ZR 354/85, BGHZ 99 160, 161 f. = NJW 1987 837, 838 (juris Rn. 15); BGH 4.7.2017 – XI ZR 562/15, BGHZ 215 172, 190 = NJW 2017 2986, 2991 (Rn. 65); BGH 30.6.1994 – VII ZR 116/93, BGHZ 126 326, 332 = NJW 1994 2825, 2826 (juris Rn. 23); Palandt/Grüneberg78 Überbl. v. § 305 Rn. 8. 764 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 275; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vorbem. vor § 307 Rn. 26. 765 Stoffels AGB-Recht3 Rn. 383. 766 BVerfG 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96, VersR 2006 489, 493 (juris Rn. 60); Leuscher AcP 207 2007 509 ff. 767 BGH 21.2.2001 – IV ZR 11/00, VersR 2001 576, 577 = NVersZ 2001 266, 267 (juris Rn. 18); BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709, 711 (juris Rn. 28); BGH 24.2.1999 – IV ZR 122/98, VersR 1999 700, 701 (juris Rn. 17). 247

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einem solchen Ausnahmefall kann offen bleiben, ob eine entsprechende Klausel gem. §§ 307 ff. BGB unwirksam ist.768

II. Umfang und Schranken der Kontrolle 247 Die Inhaltskontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen beschränkt sich nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB auf solche, die von Rechtsvorschriften abweichende oder ergänzende Regelungen enthalten. Vertragsbestimmungen, die mit Regelungen des VVG übereinstimmen oder den VN im Vergleich dazu besser stellen, sind also einer Inhaltskontrolle entzogen.769 Etwas Anderes gilt wegen § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB für das Transparenzgebot, welches uneingeschränkt Anwendung findet.770 Unter dem Einfluss der auch bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, wenn auch der besonderen Abschlusssituation Rechnung tragenden, modifiziert geltenden Vertragsfreiheit ist der Grundsatz kontrollfreier Festsetzung von Leistung und Gegenleistung zu beachten. Die Festlegung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Prämie und Versicherungsleistung ist Aufgabe des Wettbewerbs und nicht der gerichtlichen Bedingungskontrolle.771 Regelungen in Geschäftsbedingungen, die den Hauptleistungsgegenstand des Vertrages bestimmen, sind einer inhaltlichen Kontrolle nach AGB-rechtlichen Vorschriften danach grundsätzlich entzogen.772 Dazu gehören die Bestimmungen zu Prämienhöhe und Versicherungssumme.773 Nicht ausgeschlossen ist jedoch wiederum eine Kontrolle anhand des Transparenzgebots gem. § 307 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 BGB, wobei Prüfungsmaßstab nicht die Angemessenheit, sondern die Klarheit und Verständlichkeit des Leistungsversprechens ist.774 Für die Beurteilung kommt es indes nicht darauf an, ob Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können.775 Welche Regelungen im Einzelnen vom Bereich der kontrollfreien Bestimmung des Hauptgegenstands umfasst sind, wird allerdings nicht eindeutig beurteilt. Erschwert wird eine entsprechende Festlegung durch die bereits beschriebene „produktkonstituierende“ Wirkung Allgemeiner Versicherungsbedingungen.776 Das Wesen von AVB ist in hohem Maße von deren leistungsbeschreibender Funktion bestimmt.777 So beschreiben auch Risikobegrenzungen die Leistung des VR und damit den Hauptgegenstand des Versicherungsvertrages. Diesen Bereich deshalb aber von vornherein einer

768 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 4; Langheid/Wandt/Bruns2 § 307 Rn. 137; vgl. aber Ulmer/Brandner/Hensen/ Fuchs12 Vorbem. vor § 307 BGB Rn. 63 f., wonach eine Ausübungskontrolle nur in Betracht kommt, wenn die Wirksamkeit der fraglichen AVB-Bestimmung nach §§ 307–309 BGB bereits eindeutig anerkannt ist. 769 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 85; Schimikowski6 IV. Inhaltskontrolle von AVB Rn. 390. 770 Vgl. BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57, 66 f. = VersR 2019 1284, 1287 (Rn. 23); vgl. aber BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625, 627 (Rn. 34 f.), wonach eine Leistungsbeschreibung (hier: Nr. 1 AHB 2008), die einer Inhaltskontrolle nicht unterliegt (dazu im Folgenden), auch nicht einer Transparenzkontrolle unterliegen soll, weil es ansonsten – mangels gesetzlicher Regelung zum Versicherungsschutz – keine Regelung zum Versicherungsschutz gäbe. 771 Römer NVersZ 1999 97, 98; MüKo-BGB/Wurmnest8 § 307 Rn. 17; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 57. 772 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 BGB Rn. 37 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 280 ff.; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 7; Stoffels AGB-Recht3 Rn. 438; Schimikowski6 Versicherungsvertragsrecht Rn. 390. 773 Vgl. AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 16; etwas anderes gilt, wenn gesetzliche Vorgaben zur Versicherungssumme existieren (z. B. gem. § 4 Abs. 2 PflVG). 774 Siehe etwa BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 143 = VersR 1999 710, 711 (juris Rn. 31); OLG Hamm 3.11.1999 – 20 U 102/99, VersR 2000 750, 752 (juris Rn. 16 f.); Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 103; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 292; Römer NVersZ 1999 97, 98; Schwintowski NVersZ 1998 97, 100. 775 BGH 7.2.2019 – III ZR 38/18, VersR 2019 1077, 1078 f. (Rn. 23); BGH 13.2.2013 – IV ZR 260/12, VersR 2013 709, 711 (Rn. 15); BGH 20.6.2012 – IV ZR 39/11, VersR 2012 1113, 1115 (Rn. 26). 776 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 60. 777 Vgl. Rn. 2. Beckmann

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gerichtlichen Inhaltskontrolle zu entziehen, wäre mit der Komplexität der Regelungen und dem daraus folgenden Kontrolldefizit auf Seiten der VN nicht zu vereinbaren.778 Nach Ansicht des BGH bleiben jedenfalls reine Leistungsbezeichnungen von der AGB- 248 rechtlichen Inhaltskontrolle ausgenommen.779 Dabei handelt es sich um Klauseln, welche die vertraglich geschuldete Leistung hinsichtlich Art, Umfang und Güte beschreiben.780 Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren.781 Der kontrollfreie Kernbereich leistungsbezeichnender Klauseln bezieht sich danach nur auf solche Bestimmungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann.782 Als Kern der Leistungsbeschreibung – und damit die Kontrollfähigkeit abgelehnt – hat der BGH die Definition des Versicherungsfalles gem. Nr. 1 AHB 2008 angesehen.783 Eine solche Beschränkung der Kontrollfreiheit auf den Bereich der versicherungsvertraglichen 249 „essentialia negotii“ und damit auf ein kontrollfreies Minimum784 ist interessengerecht. Die Komplexität von Versicherungsprodukten bedingt, dass sich eine am Verständnishorizont des VN orientierende Vergleichbarkeit verschiedener Versicherungsangebote nur auf die grundlegenden Charakteristika wie Art und Umfang der Versicherungsleistung beziehen kann. Allein eine solche Vergleichbarkeit bietet jedoch Gewähr für die privatautonome Abschlussfreiheit des Klauseladressaten mit der Folge einer sich daraus rechtfertigenden Kontrollfreiheit entsprechender Bestimmungen.785 Hinzu kommt, dass die VN gerade nach Wegfall der aufsichtsrechtlichen Vorabkontrolle der Versicherungsbedingungen auf eine wirksame gerichtliche Nachkontrolle angewiesen sind.786 Etwas Anderes ergibt sich im Ergebnis auch nicht aus der EG-Richtlinie über missbräuchli- 250 che Klauseln in Verbraucherverträgen.787 Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie sind Hauptgegenstand und Preis-/Leistungsverhältnis von der Inhaltskontrolle, soweit transparent gestaltet, freigestellt. Erwägungsgrund 19 Satz 3 leitet daraus ab, dass bei Versicherungsverträgen Klauseln, in denen das versicherte Risiko und die Verpflichtung des VR deutlich festgelegt oder abgegrenzt werden, nicht als missbräuchlich gewertet werden, sofern diese Einschränkungen bei der Berechnung der Prämie Berücksichtigung finden. Daraus jedoch zu folgern, transparente Leistungsbeschreibungen seien deshalb einer Inhaltskontrolle generell entzogen, weil sie der

778 So auch Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 87. 779 Etwa BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 831 (juris Rn. 13); BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625, 627 (Rn. 34) zu Nr. 1 AHB 2008. 780 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 60; Staudinger/Wendt (2019) Anh. Zu §§ 305-310 Rn. J 88; BGH 24.3.2010 – VIII ZR 304/08, NJW 2010 2793, 2795 (Rn. 25). 781 BGH 19.11.1997 – IV ZR 348/96, BGHZ 137 174, 175 = VersR 1998 175, 175 (juris Rn. 7); BGH 29.4.2010 – Xa ZR 5/09, NJW 2010 1958, 1959 (Rn. 20); BGH 25.10.2016 – XI ZR 387/15, MDR 2017 161, 161 (Rn. 18); BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 141 = VersR 1999 710, 711 (juris Rn. 27). 782 BGH 22.11.2000 – IV ZR 235/99, VersR 2001 184, 185 (juris Rn. 20); BGH 28.3.2001 – IV ZR 19/00, VersR 2001 714, 715 (juris Rn. 17); BGH 5.10.2017 – III ZR 56/17, VersR 2018 685, 685.(Rn. 15); BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354, 360 = VersR 2001 841, 843 (juris Rn. 30); BGH 12.3.2014 – IV ZR 295/13, BGHZ 200 293, 303 = VersR 2014 567, 569 (Rn. 27); BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 141 = VersR 1999 710, 711 (juris Rn. 27); BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 831 (juris Rn. 13); BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123 83, 84 = VersR 1993 957, 958 (juris Rn. 10); Armbrüster NJW 2015 1788,1789; ähnlich i. E. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 90, wonach der Bereich allgemeinster Beschreibung der Voraussetzungen und des Umfangs der Leistung des VR kontrollfrei sein soll. 783 BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625, 627 (Rn. 34). 784 BGH 6.7.2011 – VIII ZR 293/10, VersR 2012 1448, 1450 (Rn. 20); BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 141 = VersR 1999 710, 711 (juris Rn. 28); BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 747 (juris Rn. 21); BGH 12.3.1987 – VII ZR 37/86, BGHZ 100 157, 173 ff. = VersR 1987 712, 715 f. (juris Rn. 54 ff.). 785 Vgl. Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 BGB Rn. 56; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 44. 786 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 286; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 11 f. 787 Richtlinie 93/13/EWG 5.4.1993 (ABl. Nr. L 95 21.4.1993 S. 29); dazu Rn. 12 ff. 249

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Prämienkalkulation zugrunde liegen,788 wäre schon in Ansehung der umfassenden Missbrauchskontrolle als Richtlinienziel verfehlt.789 Die Richtlinienvorgaben stellen vielmehr lediglich ein Schutzminimum zugunsten des Verbrauchers dar.790 Ein darüber hinausgehendes Schutzniveau in einzelnen Mitgliedstaaten bleibt nach Art. 8 der Richtlinie davon unberührt.791 Modifikationen des Versicherungsschutzes sind daher, ungeachtet deren Prämienwirksamkeit oder transparenter Gestaltung, kontrollfähig.792 Kontrollfrei sind nach alledem zunächst Klauseln, die lediglich deklaratorischer Natur 251 sind, d. h. mit dem objektiven Recht übereinstimmen bzw. solche, die das Gesetz wörtlich wiedergeben,793 allerdings nur, wenn die Klauseln die Rechtslage tatsächlich korrekt wiedergeben.794 So ist dies etwa bei Klauseln in Lebensversicherungsverträgen anzunehmen, die gesetzliche Vorschriften zur Überschussermittlung und -beteiligung wiedergeben.795 Eine Verwerfung würde dem VN i. E. auch nichts nutzen, da die gesetzliche Regelung in diesem Fall unmittelbar gelten würde.796 Anders ist – unter dem Gesichtspunkt der Transparenz – zu entscheiden sein, wenn aufgrund der Tragweite und Komplexität der wiedergegebenen Regelung die Notwendigkeit zusätzlicher Information des VN besteht (hierzu unten Rn. 285).797 Der BGH hat dies etwa hinsichtlich von Klauseln zur Kündigung und Beitragsfreistellungen in Lebensversicherungsverträgen bejaht.798 Ergänzt eine Klausel Rechtsvorschriften oder füllt sie diese aus, indem sie entweder vom Gesetz eröffnete Spielräume ausfüllt oder sich die zitierte Vorschrift als von vornherein ausfüllungsbedürftig erweist, kann kontrolliert werden, ob und wie der Verwender das Gesetz ergänzt hat.799 Nicht um deklaratorische Klauseln handelt es sich bei Vertragsbestimmungen aufgrund gesetzlicher Ermächtigung. Bleibt eine Regelung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen innerhalb der ihr durch Vorschriften des VVG gesetzten Grenzen, so hindert dies eine Inhaltskontrolle grundsätzlich nicht.800 Als Beispiel kommen AVB, welche die in § 153 VVG vorgesehene Überschussbeteiligung ausfüllen, in Betracht.801 Eine Überprüfung nach § 309 BGB hat wegen der dort fehlenden Wertungsmöglichkeit allerdings zu unterbleiben, da die auf-

788 So etwa Langheid NVersZ 2000 63, 65. 789 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 298 a. E. 790 BGH 22.11.2000 – IV ZR 235/99, VersR 2001 184, 185 = NJW 2001 1132, 1133 (juris Rn. 21); BGH 15.2.2006 – IV ZR 192/04, VersR 2006 641, 642 (juris Rn. 11). 791 Siehe Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 BGB Rn. 57; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 105. 792 BGH 22.11.2000 – IV ZR 235/99, VersR 2001 184, 185 = NJW 2001 1132, 1133 f. (juris Rn. 20 ff.); BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57, 66 f. = VersR 2019 1284, 1287 (Rn. 23 betreffend transparente Gestaltung). 793 BGH 18.6.2019 – XI ZR 768/17, WM 2019 2153 (Rn. 23); BGH 11.7.2019 – VII ZR 266/17, BGHZ 223 1-12 = NJW 2019 2997, 2999 (Rn. 27); BGH 13.1.2016 – IV ZR 38/14, VersR 2016 312, 314 (Rn. 19); Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 50; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 BGB Rn. 25; Schaffrin 2016 S. 113. 794 BGH 14.7.1988 – IX ZR 254/87, BGHZ 105 160, 164 = VersR 1988 87,88 (juris Rn. 12); Staudinger/Wendt (2019) Anh. Zu §§ 305-310 J 89. 795 OLG Nürnberg 29.2.2000 – 3 U 3127/99, VersR 2000 713, 714 (juris Rn. 104); LG Hamburg 15.5.1998 – 324 O 637/96, VersR 1998 877, 881; offenlassend BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354, 369 = VersR 2001 841, 845 (juris Rn. 54). 796 BGH 13.1.2016 – IV ZR 38/14, VersR 2016 312, 314 (Rn. 19); BGH 11.7.2019 – VII ZR 266/17, BGHZ 223 1-12 = NJW 2019 2997, 2999 (Rn. 27). 797 BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57, 66 f. = VersR 2019 1284, 1287 (Rn. 23); BGH 13.1.2016 – IV ZR 38/ 14, VersR 2016 312, 314 (Rn. 19). 798 BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, BGHZ 147 373, 376 = VersR 2001 839, 840 (juris Rn. 25); offenlassend BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354, 358 f. = VersR 2001 841, 843 (juris Rn. 29); kritisch etwa Prölss/Martin/ Armbrüster30 Einl. Rn. 105. 799 BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57-72 = VersR 2019 1284, 1287 (Rn. 23); 800 BGH 18.3.2009 – IV ZR 298/06, VersR 2009 769, 769 f. (juris Rn. 8); BGH 13.1.2016 – IV ZR 38/14, VersR 2016 312, 314 (Rn. 19). 801 BGH 13.1.2016 – IV ZR 38/14, VersR 2016 312, 314 (Rn. 19 f.). Beckmann

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grund der Vorgabe des VVG geschaffene Regelungsmöglichkeit sonst vollständig unterbunden würde.802 Kontrollfähig sind hingegen sämtliche Regelungen, die das generelle Leistungsverspre- 252 chen des VR modifizieren bzw. ergänzen. Dazu zählen namentlich Risikobeschränkungen und -ausschlüsse,803 aber auch (positive) Risikoabgrenzungen, die über die vom VN bereits nach dem Vertragszweck und dem Gebot von Treu und Glauben unter Rücksicht auf die Verkehrssitte zu erwartende Einschränkung des Deckungsumfangs hinausgehen.804 Die Regelung der Dauer des Versicherungsschutzes, d. h. etwa die Laufzeit des Versicherungsvertrages, unterliegt ebenso der Inhaltskontrolle.805 Gleiches gilt für Klauseln, welche die Obliegenheiten des VN festlegen.806 Hierzu gehören auch Klauseln, die in gleicher Weise bestimmte Verhaltensweisen des VN sanktionieren, jedoch als Risikoausschluss gestaltet sind, sog. verhüllte Obliegenheiten.807

III. Kontrollgegenstand Die Inhaltskontrolle bezieht sich auf den im Wege objektiver Auslegung gewonnenen Rege- 253 lungsinhalt einer Klausel.808 Bei einem mehrdeutigen Auslegungsergebnis, d. h. im Falle der Unklarheit einer Klausel ist im Individualprozess wegen § 305c Abs. 2 BGB die dem Klauseladressaten günstigste Version maßgebend, während im Verbandsprozess der Grundsatz kundenfeindlicher Auslegung gilt. Nicht zuletzt um der Gefahr widersprüchlicher Ergebnisse in beiden Verfahrensarten zu begegnen, ist dies jedoch dahingehend zu modifizieren, dass der Regelungsgehalt einer Vertragsbestimmung auch im Individualprozess nur dann in seiner kundenfreundlichsten Auslegungsalternative zu verstehen ist, wenn er in seiner jeweils kundenfeindlichsten Auslegung einer Inhaltskontrolle standhält. Andernfalls ist die Unwirksamkeit der Klausel auszusprechen.809 Die Inhaltskontrolle bezieht sich grundsätzlich auf einzelne Klauseln des Vertragswerkes, 254 dabei ist aber auch die gegenseitige Verstärkung oder Summierung der belastenden Wirkung mehrerer für sich allein betrachtet hinnehmbarer Klauseln zu beachten (sog. Summierungsoder Verstärkungseffekt).810

IV. Klauselverbote nach §§ 308, 309 BGB Die in den §§ 308 und 309 BGB enthaltenen speziellen Klauselverbote sind auch für Allgemeine 255 Versicherungsbedingungen von Relevanz. Die beiden Vorschriften unterscheiden sich im Kern dadurch, dass i. R. d. § 308 BGB zur Feststellung der Unwirksamkeit einer Klausel aufgrund der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe eine Interessenabwägung und damit richterliche

802 Hansen VersR 1988 1110,1111; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 186 (keine Überprüfung nach § 308 und § 309 BGB); a. A. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 100. 803 Siehe Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 299 f. mit Beispielkatalog; Ulmer/Brandner/Hensen/ Fuchs12 § 307 Rn. 58; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 92. 804 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 BGB Rn. 58. 805 BGH 18.12.1996 – IV ZR 60/96, VersR 1997 345, 346 (juris Rn. 24); BGH 13.7.1994 – IV ZR 107/93, BGHZ 127 35, 41 f. = VersR 1994 1049, 1050 f. (juris Rn. 15 f.); BGH 12.3.2014 – IV ZR 295/13, VersR 2014 567, 569 (Rn. 27). 806 Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 Besondere Klauseln, Vertragstypen und AGB-Werke Teil 2 (54) Rn. 13; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 28; Schirmer ZVersWiss 1986 550. 807 Vgl. dazu BGH 14.12.1994 – IV ZR 3/94, VersR 1995 328, 329 (juris Rn. 19); zur einsichtigen Kritik an der Rechtsfigur Armbrüster2 Rn. 1758; Koch VersR 2014 283. 808 Siehe Rn. 206. 809 Siehe Rn. 231 f. 810 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 155; Schaffrin 142 f. 251

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Wertung erforderlich ist.811 Während die Verbote in § 308 BGB also entsprechende Wertungsmöglichkeiten enthalten, ist dies bei § 309 BGB nicht vorgesehen. Hierin liegt zugleich der Grund, dass § 309 BGB auf Vertragsbedingungen, die sich im Rahmen halbzwingender Vorschriften des VVG halten, nicht anwendbar ist. Die Regelung des VVG ist insofern spezieller und steht einer wertungsunabhängigen Verbotsanordnung nach § 309 BGB entgegen.812 Entsprechendes gilt demgegenüber weder für eine Anwendung des § 308 BGB813 noch für eine Prüfung entsprechender Klauseln anhand von § 307 BGB.814 Nicht anwendbar sind die speziellen Klauselverbote der §§ 308 und 309 BGB im Rechtsverkehr insbesondere mit Unternehmern (§ 310 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die in den dortigen Klauselverboten zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen sind allerdings im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle nach § 307 BGB von Bedeutung (§ 310 Abs. 1 Satz 2 BGB). Klauseln, die nach §§ 308 und 309 BGB unbedenklich sind, können gleichwohl unter Berücksichtigung der konkreten vertraglichen Situation eine unangemessene Benachteiligung i. S. v. § 307 BGB darstellen.815 Folgende Klauselverbote der §§ 308, 309 BGB können für Allgemeine Versicherungsbedingungen Bedeutung erlangen (Auswahl): § 308 Nr. 1 BGB betrifft Antragsbindungsklauseln oder Bestimmungen, nach denen die Entschädigungsauszahlung hinausgeschoben wird. Wirksam ist dabei die in der Lebensversicherung verwandte sechswöchige Antragsbindungsfrist,816 was sich aus der Notwendigkeit vorheriger Risikoprüfung und der damit einhergehenden Befassung mit medizinischen Fragen ergibt. Auszahlungsfristen bis zu zwei Wochen nach Feststellung der Entschädigungspflicht, wie etwa in der Feuerversicherung, sind unbedenklich.817 § 308 Nrn. 4 und 5 BGB sind etwa für AVB-Änderungsklauseln von Bedeutung. Leistungsbezogene Änderungsvorbehalte fallen dabei unter Nr. 4, während entsprechende Klauseln, die eine Erklärungsfiktion enthalten, an Nr. 5 zu messen sind. Letzteres ist etwa anzunehmen bei der Einbeziehung geänderter AVB nach unterlassenem Widerspruch des VN.818 Durchgreifende Unterschiede ergeben sich aufgrund der jeweiligen Einordnung entsprechender Klauseln allerdings nicht. Dies folgt bereits daraus, dass auch im Anwendungsbereich beider Klauselverbote ein Rückgriff auf die Grundvorschrift des § 307 BGB nicht ausgeschlossen ist.819 Änderungsvorbehalte sind danach grundsätzlich nur unter engen Voraussetzungen hinsichtlich der Rechtfertigung von Anlass und Inhalt der beabsichtigten Änderung zulässig.820 Anerkennenswerte Gründe für eine nachträgliche einseitige Vertragsänderung durch den VR sind dabei namentlich eine tiefgreifende Äquivalenzstörung sowie die Ersetzung unwirksamer Klauseln.821 Keine Leistungsän811 Palandt/Grüneberg79 § 308 Rn. 1; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 185. 812 Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 Besondere Klauseln, Vertragstypen und AGB-Werke Teil 2 (54) Rn. 19; a. A.: Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 100.

813 A.A. AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 186. 814 Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 Besondere Klauseln, Vertragstypen und AGB-Werke Teil 2 (54) Rn. 19; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 100; Hansen VersR 1988 1110, 1111; a. A. für § 308 BGB, Beckmann/MatuscheBeckmann/Präve1 § 10 Rn. 467. 815 Vgl. BGH 4.12.1996 – XII ZR 193/95, NJW 1997 739, 740 (juris Rn. 16); BGH 29.4.1987 – VIII ZR 251/86, BGHZ 100 373, 378 f. = NJW 1987 2012, 2013 (juris Rn. 19). 816 OLG Hamm 12.7.1985 – 20 U 205/85, VersR 1986 82, 83 (juris Rn. 34 ff.); OLG Frankfurt 12.5.1982 – 17 U 245/81, VersR 1983 528, 529 (juris Rn. 33 f.); Langheid/Wandt/Bruns2 § 308 Rn. 2; siehe zur Nichtigkeit wegen Unbestimmtheit einer solchen Klausel hingegen LG Köln 8.4.1987 – 26 S 250/86, MDR 1987 676, 676. 817 Hansen VersR 1988 1110, 1116; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 186, wonach Fristen, „die zwei Wochen […] überschreiten, bedenklich sind“. 818 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 46; der BGH betrachtete eine entsprechende Klausel in seiner grundlegenden Entscheidung zu § 10 A ARB 94 allerdings unter dem Gesichtspunkt eines Änderungsvorbehalts i. S. v. § 308 Nr. 4 BGB, BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 154 f. = VersR 1999 697, 697 (juris Rn. 17). 819 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153 = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 19). 820 Siehe hierzu auch Matusche-Beckmann NJW 1998 112; Römer RuS 2000 177. 821 So auch Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 48; siehe auch Rn. 192. Beckmann

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derung i. S. v. Nr. 4 ist der Ausschluss der Leistungspflicht in der Krankenversicherung aus wichtigem Grund.822 Eine nach Nr. 5 unwirksame Erklärungsfiktion liegt etwa in einer Klausel in der Reparaturkostenversicherung, nach der Versicherungsschutz für ein bei Wahl des sog. Neukaufzuschusses durch den VN angeschafftes Ersatzgerät begründet wird.823 Nicht anwendbar ist diese Vorschrift hingegen, wenn entsprechende Erklärungen des VN bereits bei Vertragsschluss abgegeben wurden. So ist dies beispielsweise im Falle einer Vertragsumstellungsbestimmung, wodurch eine im Zusammenhang mit einer Lebensversicherung mit Unfallzusatzversicherung mitversicherte Berufsunfähigkeitsrente bei Vollendung des 30. Lebensjahres wegfällt.824 Eine Unwirksamkeit nach § 308 Nr. 6 BGB wegen einer unzulässigen Zugangsfiktion ergibt sich etwa für eine Klausel, nach der eine Mahnung oder Kündigung allein durch einen Aktenvermerk nachgewiesen werden kann.825 Die Leistungsfreiheit des VR wegen Obliegenheitsverletzungen des VN unterfällt nicht dem Klauselverbot nach § 309 Nr. 5 BGB, da es sich hierbei nicht um pauschalierte Schadensersatzansprüche handelt.826 Ein wegen § 309 Nr. 7 BGB verbotener Haftungsausschluss bei grobem Verschulden des Verwenders bzw. dessen Erfüllungsgehilfen ist gegeben, wenn der VR seine Haftung unabhängig vom Verschuldensgrad dadurch abbedingt, dass der Versicherungsagent keine verbindlichen Erklärungen über die Erheblichkeit von Fragen im Antragsformular oder Erkrankungen erteilen darf.827 Der Anwendungsbereich von § 309 Nr. 12 BGB, wonach eine Beweislastumkehr zum Nachteil des Klauseladressaten verboten ist, ist immer dann eröffnet, wenn die Versicherungsbedingungen von Vorschriften des VVG zur Beweislastumkehr, wie etwa § 28 Abs. 2 VVG, abweichen. Im Übrigen verbleibt es bei einer Kontrolle nach § 307 BGB. § 309 Nr. 13 BGB erklärt besondere Zugangs- und Formerfordernisse für Anzeigen und Erklärungen des VN für unwirksam. Nach § 309 Nr. 13 lit. b sind Klauseln in Verträgen, welche nach dem 30.9.2016 geschlossen wurden828 und eine strengere Form als die Textform vorsehen, unwirksam. § 309 Nr. 13 lit c. BGB erklärt solche Klauseln für ungültig, welche die Wirksamkeit von Anzeigen oder Erklärungen vom Zugang bei bestimmten Stellen oder von der Verwendung bestimmter Formulare oder Übermittlungsmöglichkeiten (bspw. Einschreiben) abhängig machen.829 Mit Wirkung vom 26.2.2016 wurde das Klauselverbot des § 309 Nr. 14 BGB eingefügt;830 es dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten.831 Gem. § 309 Nr. 14 BGB ist eine Bestimmung unwirksam, wonach der andere Vertragsteil seine Ansprüche gegen den Verwender gerichtlich nur geltend machen darf, nachdem er eine gütliche Einigung in einem Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung versucht hat. Insbesondere im Hinblick auf formularmäßige Vereinbarungen von Sachverständigenverfahren gem. § 84 VVG wird unterschiedlich beurteilt, ob diese mit dem Klauselverbot gem § 309 Nr. 14 BGB vereinbar sind. § 84 VVG ermöglicht, dass Feststellungen zur Höhe des Schadens nach Eintritt eines Versicherungsfalles im Rahmen eines Sachverständigenverfahrens getroffen werden können. Dies setzt gem. § 84 Abs. 1 VVG eine entsprechende

822 823 824 825 826 827 828 829 830 831

OLG Köln 27.5.1998 – 5 U 28/98, NVersZ 2000 23, 23 (juris Rn. 29). BGH 28.6.1995 – IV ZR 19/94, VersR 1995 1185, 1187 f. (juris Rn. 41 ff.). BGH 28.3.2001 – IV ZR 180/00, VersR 2001 752, 753 f. (juris Rn. 20 ff.). OLG Hamburg 27.6.1980 – 11 U 14/80, VersR 1981 125, 126; Präve Lebensversicherung Einleitung Rn. 153. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 192; Hansen VersR 1988 1110, 1113. BGH 18.12.1991 – IV ZR 299/90, BGHZ 116 387, 391 = VersR 1992 217, 218 (juris Rn. 23). Art. 229 § 37 EGBGB. AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 209. Eingef. durch Art. 6 Nr 2 Buchst. b G v. 19.2.2016 BGBl 2016 I 254. Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.5.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG 2013/11/EU, ABl. v. 18.6.2013, L 165/63. 253

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Vereinbarung im Vertrag voraus;832 zudem ergibt sich aus dieser Vorschrift, dass eine Feststellung über einzelne Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder die Höhe des Schadens durch einen Sachverständigen nicht verbindlich ist, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht. Teilweise wird bei entsprechender formularmäßigen Vereinbarung über ein Sachverständigenverfahren nach § 84 VVG kein Verstoß gegen § 309 Nr. 14 BGB gesehen, da es sich beim Sachverständigenverfahren nicht um ein Verfahren handele, in welchem eine gütliche Einigung in einem Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung versucht werde.833 Indes lässt sich das Sachverständigenverfahren sehr wohl als ein Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung einordnen. So ist das Sachverständigenverfahren nach § 84 VVG auf eine bindende Feststellung gerichtet.834 Der BGH hat den Zweck des Sachverständigenverfahren dahingehend beschrieben, „dass die Schadensregulierung möglichst rasch mit sachverständiger Hilfe erledigt und gerade kein – möglicherweise langwieriger und kostspieliger – Streit vor den staatlichen Gerichten um die oftmals komplizierte Schadensfeststellung ausgetragen wird“.835 Das Klauselverbot soll ausweislich der Gesetzesbegründung das unbeschränkte Wahlrecht zwischen außergerichtlicher Streitbeilegung und Gang zum Gericht aufrechterhalten und verhindern, dass der Vertragspartner des Verwenders durch die Notwendigkeit einer erneuten Geltendmachung von der Beschreitung des Rechtsweges abgehalten wird.836 Vor diesem Hintergrund überzeugt die Ansicht, wonach Klauseln, die verbindliche Feststellungen durch Sachverständige zwingend vorsehen, nicht mit § 309 Nr. 14 BGB vereinbar sind.837

V. Unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) 1. Grundsätze 265 § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB stellt die Generalklausel und damit die Grundvorschrift der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen dar. Rechtstechnisch handelt es sich bei § 307 Abs. 1 BGB um einen den speziellen Klauselverboten der §§ 308, 309 BGB nachrangigen Auffangtatbestand. Vertragsbestimmungen, die den Klauseladressaten entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, sind hiernach unwirksam. Zur Feststellung der unangemessenen Beeinträchtigung oder Verkürzung der rechtlichen Stellung des Vertragspartners bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung der widerstreitenden Interessen, nicht jedoch einer vom Standpunkt des VN aus optimalen Gestaltung der Bedingungen.838 Eine vertragliche Gestaltung, die dem Interesse des VR dient, ist nicht von vornherein unwirksam.839 Ziel der Interessenabwä-

832 Bruck/Möllere/K. Johannsen9 § 84 Rn. 21; Prölss/Martin/Voit30 § 84 Rn. 4; Berliner Kommentar/Beckmann § 64 Rn. 9.

833 LG Dortmund 10.1.2019 – 2 O 160718 RuS 2019 196 (juris Rn. 18 f.); LG Düsseldorf 24.7.2018 – 9 O 372/17 BeckRS 2018, 24124 (Rn. 10); Staudinger/Coester-Waltjen (2019) BGB § 309 Nr 14 Rn. 2; i. E. ebenso BeckOK-VVG/Car (Stand: 15.3.2020) § 84 Rn. 1; Prölss/Martin/Voit30 § 84 Rn. 5. 834 HK-VVG/Rüffer4 § 84 Rn. 1; vgl. zu den Bindungswirkungen Bruck/Möller/K. Johannsen9 § 84 Rn. 15. 835 BGH 1.4.1987 – IVa ZR 139/85 RuS 1987 205 (juris Rn. 10); fast wörtlich auch BGH 10.12.2014 – IV ZR 281/14 VersR 2015 182, 183 (Rn. 14). 836 LG Kaiserslautern 19.3.2018 – 1 S 115/16, juris Rn. 30 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu § 309 Nr. 14 BGB BTDrucks. 18/6904 S. 74. 837 LG Kaiserslautern 19.3.2018 – 1 S 115/16, juris 30; vgl. auch LG Kleve 14.11.2017 – 4 O 194/16, juris Rn. 23; Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch10 § 84 Rn. 33 (in Erscheinung); Vater SVR 2017 453, 454; Maier RuS 2019 83, 84. 838 BGH 18.12.1985 – IVa ZR 81/84, VersR 1986 257, 258 (juris Rn. 10); vgl. auch Langheid/Wandt/Bruns2 § 307 Rn. 57 ff. 839 BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709, 710 (juris Rn. 18). Beckmann

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gung ist dabei die Vermeidung einer treuewidrigen Benachteiligung des Klauselgegners.840 Beschränkungen der Rechtsposition des Vertragspartners können jedoch aufgrund überwiegender Interessen des Klauselverwenders zulässig sein.841 Dies gilt auch für Verkürzungen des Versicherungsschutzes.842 Gefordert ist vielmehr eine gewichtige Benachteiligung des VN.843 Ist der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle für Leistungsbezeichnungen eröffnet,844 konkurrieren im Rahmen der Interessenabwägung das Interesse des VN an einem umfassenden Versicherungsschutz und das Interesse des VR an einer sachgerechten Risikobegrenzung sowie gleichförmigen Konditionen.845 Ansatzpunkt der Kontrolle einzelner Klauseln im Allgemeinen sowie auch im Hinblick auf 266 AVB ist eine „überindividuell-generalisierende und typisierende Betrachtungsweise“,846 bei der Gegenstand, Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen sind.847 Die Beachtung individueller Umstände des einzelnen Versicherungsverhältnisses scheidet im Verbandsprozess aufgrund der vom Einzelfall losgelösten Wirksamkeitsprüfung grundsätzlich aus.848 Im Individualprozess gilt dies für Verbraucherverträge wegen § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB (Art. 4 Abs. 1 RL 93/13/EWG) indes nicht. Danach sind auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen.849 Für Verbraucherverträge ist zudem die EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Ver- 267 braucherverträgen zu berücksichtigen.850 Beispiele für missbräuchliche Klauseln enthält der Richtlinienanhang. Eine Klausel, die sich im Richtlinienanhang wiederfindet, ist nicht ohne Weiteres unwirksam.851 Die Feststellung der Unwirksamkeit bedarf vielmehr auch in einem solchen Fall einer umfassenden Interessenabwägung.852 Wertungsgesichtspunkte der Interessenabwägung können sich auch aus anderem höher- 268 rangigen Recht, wie etwa dem Grundgesetz ergeben. Insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung findet bereits aufgrund einzelner spezialgesetzlicher Vorgaben unmittelbar Anwendung. Die gilt insbesondere für die Personenversicherung (vgl. §§ 138 Abs. 2, 146 Abs. 2 Satz 1, 147, 161 Abs. 1 VAG); für Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit als vereinsrechtlicher Grundsatz (§ 177 Abs. 1 VAG); aufgrund des AGG (§§ 19 Abs. 1 Nr. 2, 20 Abs. 2 AGG).853 Darüber hinaus findet der Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG unmittelbare Anwendung auf öf-

840 Grundsätzlich ist auf die Interessen des jeweiligen Vertragsgegners des Klauselverwenders abzustellen; Drittinteressen sind grundsätzlich nicht relevant, vgl. BGH 20.7.2011 – IV ZR 75/09, VersR 2011 1261, 1263 (Rn. 29). 841 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs 12 § 307 Rn. 107. 842 BGH 6.12.1995 – IV ZR 363/94, VersR 1996 322, 323 (juris Rn. 21); BGH 28.11.1990 – IV ZR 184/89, VersR 1991 175, 176 (juris Rn. 20). 843 BGH 21.2.2001 – IV ZR 11/00, VersR 2001 576, 577 (juris Rn. 18); vgl. BGH 6.12.1995 – IV ZR 363/94, VersR 1996 322, 323 (Rn. 21); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 326. 844 Siehe Rn. 247. 845 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 64. 846 BGH 10.10.2013 – VII ZR 19/12, NJW 2014 206, 208 (Rn. 25); BGH 23.6.1988 – VII ZR 117/87, BGHZ 105 24, 31 = NJW 1988 2536, 2537 (juris Rn. 31); Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B Rn. 64; Langheid/Wandt/ Bruns2 § 307 Rn. 45; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 116; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 8. 847 BGH 8.1.1986 – VIII ARZ 4/85, NJW 1986 2102, 2103 (juris Rn. 15); BGH 9.2.1990 – V ZR 200/88, BGHZ 110 241, 244 = NJW 1990 1601, 1602 (juris Rn. 14); BGH 13.12.2001 – I ZR 41/99, NJW 2002 1713, 1715 (juris Rn. 31); BAG 15.11.2016 – 3 AZR 182/16 (Rn. 72); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 327. 848 BGH 10.3.1999 – VIII ZR 204/98, BGHZ 141 108, 113 = VersR 1999 741, 742 (juris Rn. 16). 849 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 114; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 123; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Einleitung3 Rn. 55; BAG 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, BAGE 115 372, 383 f. = NZA 2006 324, 328 (juris Rn. 46). 850 Siehe Rn. 12. 851 EuGH 7.5.2002 – C-478/99, EuZW 2002 465, 466 (Rn. 20). 852 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 324 f. 853 Langheid/Wandt/Bruns2 Vor § 307 Rn. 72; Präve Lebensversicherung Einleitung Rn. 94. 255

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fentlich-rechtliche VR854 und Zusatzversorgungskassen.855 Auch Privatunternehmen in öffentlicher Hand sind hieran gebunden.856 Für rein privat-rechtliche Unternehmen bildet § 307 BGB ein Einfallstor für die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte.857 Der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts, im Rahmen der §§ 138, 242 BGB zu einer Korrektur von Verträgen, die in ihrer Unausgewogenheit Folge strukturell ungleicher Verhandlungspositionen der beteiligten Parteien sind und damit eine Vertragspartei ungewöhnlich stark belasten (Fälle gestörter Vertragsparität), zu gelangen,858 ist auch der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB immanent.859 Aus einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere auch dem Grundsatz der Gleichbehandlung, lässt sich als Mindestschutz ganz allgemein schlussfolgern, dass die Gestaltung von AVB auf sachlichen Erwägungen beruhen muss und willkürliche Ungleichbehandlungen unzulässig sind.860 Neben dem Gleichheitsgrundsatz kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG über eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte als Maßstab Bedeutung erlangen.861 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Kontrolle der Wirksamkeit einer Klausel ist 269 der Vertragsschluss.862 Dies gilt bereits nach Art. 4 Abs. 1 der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, im Übrigen aber auch allgemein. Eine Rückwirkung zwischenzeitlich eingetretener Rechtsprechungsänderungen ist dadurch jedoch nicht zwangsläufig ausgeschlossen.863 Auch wenn sich die Inhaltskontrolle grundsätzlich auf einzelne Klauseln des Vertragswer270 kes bezieht, kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch durch die gegenseitige Verstärkung oder Summierung der belastenden Wirkung mehrerer für sich allein betrachtet hinnehmbarer Klauseln ergeben (sog. Summierungs- oder Verstärkungseffekt).864 Dies ist selbst dann der Fall, wenn sie rein äußerlich nicht in einem einzigen Klauselwerk zusammengefasst sind, aber in derart engem Sachzusammenhang stehen, dass sie hierdurch untrennbar miteinander verbunden sind.865 Die unangemessen benachteiligende Wirkung einer Klausel kann unter Umständen auch 271 durch die Einräumung eines rechtlichen Vorteils für den Klauseladressaten kompensiert und

854 Vgl. BGH 5.5.2015 – XI ZR 214/14, BGHZ 205 220, 224 = VersR 2015 1388, 1389 (Rn. 12); BGH 11.3.2003 – XI ZR 403/01, BGHZ 154 146, 150 = NJW 2003 1658, 1658 (juris Rn. 16); vgl. auch BVerfG 22.3.2000 – 1 BvR 1136/96, VersR 2000 835, 837 (juris Rn. 22 ff.). 855 BGH 16.3.1988 – IVa ZR 154/87, BGHZ 103 370, 383 = VersR 1988 575, 577 f. (juris Rn. 25); BGH 14.5.2003 – IV ZR 72/02, VersR 2003 893, 894 (juris Rn. 26 ff.); BGH 14.5.2003 – IV ZR 76/02, VersR 2003 895, 896 (juris Rn. 31 ff.). 856 Vgl. BGH 2.12.2003 – XI ZR 397/02, NJW 2004 1031, 1031 (juris Rn. 11 f.). 857 Vgl. BVerfG 22.3.2000 – 1 BvR 1136/96, VersR 2000 835, 836 f. (juris Rn. 21); Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 307 Rn. 176; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 166; Langheid/Wandt/Bruns2 Vor § 307 Rn. 72. 858 BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, BVerfGE 89 214, 231 = NJW 1994 36, 38 f. (juris Rn. 51 ff.); BVerfG 5.8.1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994 2749, 2750 (juris Rn. 21 f.); BVerfG 2.5.1996 – 1 BvR 696/96, NJW 1996 2021, 2021 (juris Rn. 12). 859 AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 46; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 166. 860 Langheid/Wandt/Bruns2 Vor § 307 Rn. 72. 861 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127, 133 = VersR 2017 469, 470 (Rn. 22 ff.) (zur Mitwirkungsobliegenheit des VN zur Erhebung von Daten nach Eintritt eines Versicherungsfalls in der Berufsunfähigkeitsversicherung); AGBKlauselwerke/Präve Rn. 46. 862 BGH 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, BGHZ 143 103, 117 = NJW 2000 1110, 1113 (juris Rn. 38); BGH 9.4.2014 – VIII ZR 404/12, BGHZ 200 362, 375 = VersR 2014 1254, 1257 (Rn. 37); BGH 18.3.2015 – VIII ZR 242/13, BGHZ 204 316, 323 = NJW 2015 1871, 1873 (Rn. 30); Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 117; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 7. 863 BGH 24.9.1998 – IX ZR 425/97, NJW 1998 3708, 3709 f. (juris Rn. 14 f.); BVerfG 9.5.1984 – 1 BvR 1279/83, NJW 1984 2345, 2345. 864 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 155; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 13. 865 BGH 25.6.2003 – VIII ZR 335/02, NJW 2003 3192, 3192 (juris Rn. 27); BGH 14.5.2003 – VIII ZR 308/02, NJW 2003 2234, 2235 (juris Rn. 20); BGH 26.10.1994 – VIII ARZ 3/94, BGHZ 127 245, 251 ff. = NJW 1995 254, 255 (juris Rn. 17 ff.); BGH 2.12.1992 – VIII ARZ 5/92, NJW 1993 532, 532 f. (juris Rn. 21). Beckmann

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dadurch vor dem Verdikt der Unwirksamkeit bewahrt werden.866 Dabei muss es sich allerdings um eine funktionsgleiche Regelung handeln, d. h. sie muss in einem Regelungszusammenhang mit der zu kontrollierenden nachteiligen Klausel stehen und dem Adressaten einen ausreichenden Vorteil mit dem Ergebnis eines angemessenen Ausgleichs für den Nachteil bieten.867 Nicht ausreichend ist jedenfalls das Versprechen freiwilliger Leistungen im Falle leistungseinschränkender Vertragsbestimmungen. Dem VN wird ein Rechtsanspruch auf weitere Leistungen hierdurch gerade nicht gewährt.868 Der Wettbewerb zwischen den VR stellt keine ausreichende Kompensation nachteiliger AVB- 272 Bestimmungen dar. Ausschlaggebend ist allein das Klauselwerk des jeweiligen VR; ein Verweis des VN auf möglicherweise günstigere Vertragsbestimmungen anderer VR hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeitsprüfung nach § 307 BGB.869 Auch die Prämienkalkulation des VR ist nicht entscheidend für die Frage der Unangemessenheit einer Klausel. Der VR als Verwender von AGB muss seine Prämie nach Gesichtspunkten kalkulieren, die sich mit Treu und Glauben vereinbaren lassen.870 Etwas Anderes kann sich bei der Frage ergeben, ob der jeweiligen Prämienhöhe kompensierende Wirkung hinsichtlich nachteiliger Vertragsbestimmungen zukommen kann. Zu beachten bleibt dabei jedoch zunächst, dass auch ein niedriger Preis die Verwendung unangemessener Vertragsbedingungen grundsätzlich nicht zu rechtfertigen vermag. Dem VN soll der Schutz vor einer unangemessenen Benachteiligung nicht „abgekauft“ werden.871 Von dieser grundsätzlichen Unbeachtlichkeit des Preisarguments macht die h. M. im Falle einer „echten“ oder „offenen“ Tarifwahl durch den VN eine Ausnahme. Kann der VN zwischen niedriger Prämie bei reduzierter Haftung und höherer Prämie bei vollem Versicherungsschutz wählen, kann dies eine ausreichende Kompensation der unvorteilhafteren Vertragsgestaltung aufgrund der jeweilig günstigeren Versicherungsalternative darstellen.872 Voraussetzung ist dabei eine angemessene Preisdifferenzierung, die namentlich bei einer überhöhten und damit abschreckenden Prämiengestaltung des „teureren“ Versicherungsmodells nicht nur Alibifunktion erfüllt.873 Zudem darf der Haftungsausschluss aus objektiver Sicht nicht die zentralen Risiken des Versicherungsverhältnisses erfassen, so dass seitens des VN kein vernünftiges Interesse an der Versicherung der restlichen Risiken bestehen kann.874 Darüber hinaus hat die Preisgestaltung transparent zu erfolgen. Dies folgt bereits aus den Vorgaben der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.875 Abgesehen von der Möglichkeit einer Tarifwahl ergibt sich demgegenüber auch aus der Richtlinie keine Notwendigkeit, Klauseln allein wegen der Günstigkeit des Versicherungsangebots einer Inhaltskontrolle zu entzie-

866 BGH 23.4.1991 – XI ZR 128/90, BGHZ 114 238, 246 f. = NJW 1991 1886, 1888 (juris Rn. 29); BGH 25.6.1991 – XI ZR 257/90, BGHZ 115 38, 43 f. = NJW 1991 2414, 2415 (juris Rn. 21); BGH 4.7.2017 – XI ZR 562/15, BGHZ 215 172, 185 = MDR 2017 1196, 1197 (Rn. 44). 867 BGH 29.11.2002 – V ZR 105/02, BGHZ 153 93, 102 f. = NJW 2003 888, 891 (juris Rn. 20); BGH 17.12.1998 – VII ZR 243/97, BGHZ 140 241, 245 = NJW 1999 942, 943 (juris Rn. 22); Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 151. 868 BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 748 (juris Rn. 32). 869 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 150; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 332. 870 BGH 3.3.1982 – IVa ZR 256/80, BGHZ 83 169, 180 = VersR 1982 482, 484 (juris Rn. 31); BGH 29.10.1956 – II ZR 79/55, BGHZ 22 90, 98 = WM 1956 1542, 1544 f. (juris Rn. 23). 871 BGH 25.2.1998 – VIII ZR 276/96, BGHZ 138 118, 132 = NJW 1998 1640, 1644 (juris Rn. 37); BGH 16.11.1992 – II ZR 184/91, BGHZ 120 216, 226 = VersR 1993 312, 314 (juris Rn. 21); BGH 12.5.1980 – VII ZR 166/79, BGHZ 77 126, 131 = NJW 1980 1953, 1954 (juris Rn. 19); Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 145; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 119. 872 van de Loo Die Angemessenheitskontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen nach dem AGB-Gesetz 96.; Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 Besondere Klauseln, Vertragstypen und AGB-Werke Teil 2 (54) Rn. 10; Ulmer/ Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 148; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 14; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 55. 873 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 335; offenlassend BGH 12.5.1980 – VII ZR 166/79, BGHZ 77 126, 132 = NJW 1980 1953, 1955 (juris Rn. 21). 874 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 117; BGH 11.11.2015 – IV ZR 402/14, VersR 2016 241, 243 (Rn. 26). 875 Siehe Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 der Richtlinie. 257

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hen.876 Zwar heißt es in Erwägungsgrund 19 der Richtlinie, dass bei Versicherungsverträgen die Klauseln, in denen das versicherte Risiko und die Verpflichtung des VR deutlich festgelegt oder abgegrenzt werden, nicht als missbräuchlich beurteilt werden, sofern diese Einschränkungen bei der Berechnung der vom Verbraucher gezahlten Prämie Berücksichtigung finden. Dies muss jedoch auch im Hinblick auf Sinn und Zweck der Richtlinie – Schutz des Verbrauchers vor Machtmissbrauch des Klauselverwenders877 – dahin verstanden werden, dass mit Ausnahme des Falls der offenen Tarifwahl die Höhe der Prämie im Übrigen für die Inhaltskontrolle nicht von Bedeutung ist.878

2. Judikatur (Auswahl) 273 Abtretungsverbot/ Haftpflichtversicherung: Für den Bereich der Haftpflichtversicherung ist gem. § 108 Abs. 2 VVG die Vereinbarung eines Abtretungsverbotes durch AVB unwirksam. Demnach kann der VN seinen Freistellungsanspruch gegen den VR auf den geschädigten Dritten – und nur auf diesen – abtreten, so dass dieser in die Lage versetzt wird, den VR direkt in Anspruch zu nehmen.879 Unwirksam ist das Abtretungsverbot jedoch nur, wenn es durch AVB vereinbart wird. Individualvereinbarungen hingegen bleiben sowohl bei Abschluss des Versicherungsvertrages als auch nach Eintritt des Versicherungsfalles zulässig.880 Für die übrigen Versicherungsarten bleibt es bei der bisherigen Regelung, wonach in AVB die Abtretung von Versicherungsansprüchen vor ihrer endgültigen Feststellung von der Zustimmung des VR abhängig gemacht werden kann.881 Dadurch soll verhindert werden, dass der VR im Schadensfall das Vertragsverhältnis mit einem Dritten abwickeln muss und für den Fall eines Prozesses der VN nicht die Stellung eines Zeugen erhält.882 274 Anrechnungsklausel/ Warenkreditversicherung: AVB in Warenkreditversicherungen, nach denen Beträge, die nach Beendigung des Versicherungsschutzes eingehen, unabhängig von abweichenden Tilgungsbestimmungen grundsätzlich auf die jeweils älteste Forderung angerechnet werden, sind unwirksam.883 Durch diese einschränkungslose Formulierung werde der VN gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt, weil solche Klauseln einseitig die Interessen des VR berücksichtigen, ohne dass ein besonderes, die Belange des VN übersteigendes, Schutzbedürfnis vorliegt;884 zur Kostenanrechnungsklausel in der D&O-Versicherung Rn. 304. Bedingungsanpassungsklausel/ Rechtsschutzversicherung: Die Anpassungsbefugnis 275 zugunsten des VR schon „zur Abwendung einer kartell- oder aufsichtsbehördlichen Beanstandung“ benachteiligt den VN (hier im Rahmen einer Rechtsschutzversicherung) unangemessen.885 Damit wird die Schwelle einer notwendigen Anpassung zu sehr vorverlegt. Nach dieser Regelung wäre der VR schon im Vorfeld behördlicher Maßnahmen zur Änderung der vereinbarten Bedingung berechtigt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Behörde nicht einmal einen Verwaltungsakt erlassen hat. Dem VR, der die Verantwortung für die Zulässigkeit seiner Allge876 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 57, 145; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 56. 877 Siehe Erwägungsgrund 9 der Richtlinie. 878 Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 Art. 4 RL Rn. 26; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 54; Kieninger VersR 1999 951; a. A. wohl Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B Rn. 64. 879 VVG RegE BTDrucks. S. 87; Langheid VersR 2007 865; Deutsch/Iversen7 Rn. 309. 880 VVG RegE BTDrucks. S. 87, Franz VersR 2008 298, 308. 881 BGH 3.12.1987 – VII ZR 374/86, BGHZ 102 293, 300 = NJW 1988 1210, 1211 (juris Rn. 20); BGH 26.3.1997 – IV ZR 137/96, VersR 1997 1088, 1090 (juris Rn. 25); BGH 12.10.2011 – IV ZR 163/10, VersR 2012 230, 231 (Rn. 11). 882 BGH 26.3.1997 – IV ZR 137/96, VersR 1997 1088, 1090 (juris Rn. 25); BGH 13.7.1983 – IVa ZR 226/81, VersR 1983 945, 945 (juris Rn. 11). 883 OLG Hamburg 16.10.2012 – 9 U 48/12, VersR 2013 310, 312 f. (juris Rn. 38 ff.); BGH 22.1.2014 – IV ZR 344/12 (Rn. 11 ff.), RdTW 2014 355, 356 ff. 884 Autovermietung: zum Wegfall der Haftungsfreistellung siehe Rn. 334. 885 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 158 = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 26); BGH 23.1.2018 – IV ZR 169/06, VersR 2008 482, 483 (Rn. 11 f.). Beckmann

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meinen Versicherungsbedingungen trägt, kann aber zugemutet werden, zumindest die konkrete Entschließung der Behörde abzuwarten, um dann deren Begründung bei nachträglichen Anpassungen der Bedingungen auch zu berücksichtigen.886 claims-made-Prinzip/ D&O-Versicherung: Die Beschreibung des Versicherungsfalles auf der Grundlage des Anspruchserhebungsprinzips (claims-made-Prinzip) hat das OLG München nicht als unangemessen eingestuft, sofern sie unter anderem durch eine Nachhaftungsregelung kompensiert werden.887 Einzugsermächtigung: Eine unangemessene Benachteiligung ist nicht anzunehmen, wenn in AVB dem VN für die Prämienzahlung eine Einzugsermächtigung abverlangt wird und dieser dadurch gezwungen wird, ein Girokonto zu unterhalten. Die Lastschriftklausel ist für den VR dazu geeignet, einen erheblichen und wirtschaftlich sinnvollen Rationalisierungserfolg zu erzielen. Er bekommt die Initiative für den Einzug seiner Außenstände in die Hand. Er erhält das ihm zustehende Geld in aller Regel auf den Tag genau rechtzeitig, was mit erheblichen Liquiditäts- und Zinsvorteilen verbunden ist. Im Verhältnis zum Gesamtumsatz ist dieser Rationalisierungseffekt besonders groß, wenn es sich darum handelt, von einer Vielzahl von Kunden jeweils einen relativ geringfügigen Betrag einzuziehen. Dem stehen auf Seiten des VN keine unangemessenen Nachteile gegenüber, da der bargeldlose Zahlungsverkehr inzwischen allgemein verbreitet und üblich ist und im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses regelmäßig ein bestimmter Betrag gezahlt werden muss. Daher dient das Lastschriftverfahren einer wirtschaftlich sinnvollen Abwicklung des Versicherungsvertrages.888 Krankenhaustagegeld/ Unfallversicherung: In einer privaten Unfallversicherung ist nach Ansicht des OLG Köln eine Klausel, nach der ein Anspruch auf Zahlung von Krankenhaustagegeld voraussetzt, dass der Krankenhausaufenthalt innerhalb von 90 Tagen nach dem Unfall beginnt, nicht zu beanstanden.889 Die damit verbundene Leistungseinschränkung dient erkennbar dem mit zunehmendem zeitlichen Abstand vom Unfallereignis immer schwerer feststellbaren Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Krankenhausaufenthalt.890 Künstliche Befruchtung Nichtverheirateter/ Krankheitskostenversicherung: Nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe benachteiligt eine Klausel, nach der die Kosten für eine künstliche Befruchtung nur übernommen werden, sofern die versicherte Person verheiratet ist und ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden, den VN unangemessen. Für die Differenzierung nach dem Familienstand besteht im Verhältnis der Vertragsparteien kein sachlicher Grund.891 Nicht abgestellt werden dürfe dabei auf eine vergleichbare Regelung in der gesetzlichen Krankenversicherung, da sich der private VR im Gegensatz zum Gesetzgeber nicht auf gesellschaftspolitische Erwägungen berufen dürfe.892 Schweigepflichtentbindungserklärung/ Krankheitskosten- und Berufsunfähigkeitsversicherung: Die Schweigepflichtentbindung erlaubt den privaten Krankenversicherungen zum einen, sich nach dem Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrages unter anderem 886 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153, 158 = VersR 1999 697, 698 (juris Rn. 26); dazu allgemein zur Bedingungsanpassung Rn. 178 ff. 887 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067 (juris Rn. 26 ff.); OLG Hamburg 8.7.2015 – 11 U 313/333, VersR 2016 245, 246 (juris Rn. 19); OLG Frankfurt 5.12.2012 – 7 U 74/11, RuS 2013 329, 332 f. (Rn. 63 ff.). 888 BGH 10.1.1996 – XII ZR 271/94, NJW 1996 988, 989 (juris Rn. 16); Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 192b; a. A. OLG Koblenz 12.11.1993 – 2 U 366/92, NJW-RR 1994 689, 691. 889 OLG Köln 13.1.2012 – I-20 U 142/11, 20 U 142/11, VersR 2013 575, 576 (juris Rn. 8). 890 Lediglich in Ausnahmefällen kann in Anwendung des Gebots von Treu und Glauben nach § 242 BGB die Berufung des VR auf eine solche Bestimmung ausgeschlossen sein (OLG Köln 13.1.2012 – I-20 U 142/11, 20 U 142/11, VersR 2013 575, 576 (juris Rn. 11). 891 OLG Karlsruhe 13.10.2017 – 12 U 107/17, VersR 2017 1453, 1454 (juris Rn. 42 ff.); bereits zuvor: OLG Hamm 11.11.2016 – 20 U 119/16, VersR 2017 474, 476 (juris Rn. 66); LG Dortmund 10.4.2008 – 2 O 11/07, VersR 2008 1484, 1485 (juris Rn. 55); LG Berlin 24.2.2004 – 7 O 433/02, RuS 2004 203, 204 (juris Rn. 36 ff.); Krumscheid RuS 2018 578, 580 f.; Marlow VersR 2004 1123. 892 OLG Karlsruhe 13.10.2017 – 12 U 107/17, VersR 2017 1453, 1454 (Rn. 51). 259

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auch bei Ärzten zur Prüfung möglicher Versicherungsrisiken des zukünftigen VN zu informieren (sog. Risikoprüfung). Zum anderen wird die Versicherung ermächtigt, im Versicherungsfalle bei Ärzten und Krankenhäusern die maßgeblichen Daten zu erfragen, die zur Beurteilung der Leistungspflicht erforderlich sind (sog. Leistungsprüfung). Aufgrund des datenschutzrechtlichen Transparenzgebotes muss erkennbar bleiben, welche Daten aufgrund der Einwilligung übermittelt werden dürfen und aus welchem Grund diese Übermittlung erforderlich ist.893 Dies ergibt sich nunmehr ausdrücklich aus § 213 VVG, welcher unter Vorgabe einer Entscheidung des BVerfG894 in das Gesetz eingeführt wurde.895 Diese Vorschrift ist mit Vorschriften der DSG-VO896 vereinbar, hinsichtlich der Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten geht sie dieser als lex specialis vor.897 Dies folgt bereits aus der Entstehungsgeschichte der Norm, die eine Sonderregelung des versicherungsvertraglichen Datenschutzes bezweckt hat.898 Allerdings muss die Schweigepflichtentbindung den Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Einwilligung des Art. 6 DSGVO entsprechen, der Schriftform bedarf es aber nicht.899 So muss der Versicherte zum Zeitpunkt der Abgabeerklärung klar erkennen können, welche Patientendaten das VU wann, bei welchen Stellen und zu welchem Zweck erheben darf.900 Weiterhin muss der VN darauf hingewiesen werde, dass er seine Einwilligung jederzeit widerrufen kann. Eine Klausel zur Verpflichtung der Entbindung von der Schweigepflicht darf nicht so weit und umfassend sein, dass das Grundrecht des VN auf informationelle Selbstbestimmung verletzt ist.901 Der VN kann dem VR zwar grundsätzlich eine uneingeschränkte Schweigepflichtentbindung erteilen, da es ihm als Träger des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung freisteht, Daten gegenüber anderen zu offenbaren.902 Der VR darf dem VN jedoch regelmäßig eine solch allgemeine Schweigepflichtentbindung nicht abverlangen.903 Als unangemessene Benachteiligung des VN sind danach Bestimmungen in allgemeinen Versicherungsbedingungen anzusehen, die einen informationellen Selbstschutz vereiteln oder unzumutbar werden lassen.904 Eine Klausel, die einer Generalermächtigung nahekommt, sensible Informationen zum Versicherungsfall zu erheben, deren Tragweite der VN kaum zuverlässig abschätzen kann, ist daher unwirksam.905 Das BVerfG hat einen Verstoß gegen das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung bei einer Klausel angenommen, durch die der VR ermächtigt wird, von allen Ärzten, Krankenhäusern und Krankenanstalten, bei denen der VN in Behandlung war oder sein wird sowie von seiner Krankenkasse und von Versicherungsgesellschaften, Sozialversicherungsträgern, Behörden, derzeitigen und früheren Arbeitgebern sachdienliche Auskünfte einzuholen.906 Möglich wäre jedoch, dass das VU im Zusammenhang mit der Mitteilung, welche Infor-

893 VerBAV 1989 345 f. 894 BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669. 895 Hinsch Das neue Versicherungsvertragsgesetz in der anwaltlichen Praxis 234; Marlow/Spuhl4 Das Neue VVG Rn. 1455.

896 Verordnung 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016; eingehender Sydow Europäische Datenschutzgrundverordnung Handkommentar 2017; Schantz NJW 2016 1841, 1841 ff. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 213 Rn. 2; Langheid/Wandt/Eberhardt2 § 213 Rn. 33. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 213 Rn. 2. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 213 Rn. 2. RegEVVgRefG S. 117; Fitzau VW 2008 448. BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669, 1672 (juris Rn. 57); Schwabe JZ 2007 579. BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127, 141 =VersR 2017 469, 472 (Rn. 49). BGH 5.7.2017 – IV ZR 121/15, BGHZ 215 200, 207 = VersR 2017 1129, 1130 Rn. 24). BGH 13.7.2016 – IV ZR 292/14, VersR 2016 1173, 1175 (Rn. 29), BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, VersR 2017 469, 470 (Rn. 24). 905 BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669, 1671 (juris Rn. 41); Staudinger/Gutmann (2019) Anh. zu §§ 305-310 Rn. D 38; Schwabe JZ 2007 579. 906 BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669, 1670 (juris Rn. 23).

897 898 899 900 901 902 903 904

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mationserhebungen beabsichtigt sind, dem Versicherten die Möglichkeit zur Beschaffung der Informationen oder jedenfalls eine Widerspruchsmöglichkeit einräumt.907 Übereignungsklausel/ Oldtimer-Versicherung: Eine Klausel, wonach bei einer Oldtimer- 281 Versicherung das Fahrzeug im Falle eines Diebstahls Eigentum des VR wird, wenn es nicht binnen eines Monats wieder ausfindig gemacht wird (sog. Übereignungsklausel), benachteiligt den VN unangemessen und ist zudem überraschend. In der allgemeinen Kfz-Kaskoversicherung ist die Übereignungsklausel hingegen üblich und begegnet keinen Bedenken.908 Anders als bei gewöhnlichen Kraftfahrzeugen hat der VN einer speziellen Oldtimer-Kaskoversicherung aber für gewöhnlich ein besonderes Interesse daran, auch dann Eigentümer des Oldtimers zu bleiben, wenn dieser erst nach langer Zeit wieder aufgefunden wird.909 Zwangsmediation/ Rechtsschutzversicherung: Nach Ansicht des BGH kann die Gewäh- 282 rung von Versicherungsleistung in der Rechtsschutzversicherung von einem vorherigen (erfolglosen) Mediationsversuch abhängig gemacht werden. Der VR darf sich dabei auch die Auswahl des Mediators vorbehalten.910 Das OLG Frankfurt hingegen vertritt in seiner vorgehenden Entscheidung die Auffassung, dass eine Klausel, die die Übernahme von Kosten für die gerichtliche Wahrnehmung rechtlicher Interessen von einem vorherigen Mediationsversuch abhängig macht, den VN unangemessen benachteilige, da er ohne vorherige Kenntnis der Rechtslage in einem Mediationsversuch eintreten müsste. Dabei liefe er Gefahr auf Rechtspositionen zu verzichten, die er bei insoweit klarer Rechtslage und entsprechender Deckungszusage problemlos durchsetzen könnte.911

VI. Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) 1. Grundsätze Verankert ist das Transparenzgebot912 nunmehr in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, während es früher 283 i. R. d. § 9 AGBG a. F. Berücksichtigung fand. Ein ausdrückliches Transparenzgebot enthält auch die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen913 in Art. 5 Satz 1, welches von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB übernommen wurde. Die von dem Verwender aufgestellten AGB müssen den Vorgaben des Transparenzgebotes entsprechen.914 Zudem beinhalten auch die Vorschriften der §§ 305 Abs. 2, 305c BGB parallel zum § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB Anknüpfungspunkte im Hinblick auf das Transparenzgebot.915 Aus letztgenannter Vorschrift ergibt sich aus den vor ihr aufgestellten Voraussetzungen eine eigenständige (formelle) Transparenzkontrolle, welche über den Anwendungsumfang der materiellen Inhaltskontrolle hinausgeht.916 Dabei kommt die

907 908 909 910 911

BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669, 1672 (juris Rn. 56). OLG Karlsruhe 1.9.2016 – 12 U 90/16, VersR 2016 1432, 1434 (juris Rn. 44 f.). OLG Karlsruhe 1.9.2016 – 12 U 90/16, VersR 2016 1432, 1434 (juris Rn. 49). BGH 14.1.2016 – I ZR 98/15, VersR 2016 1113, 1114 (Rn. 6 f.). OLG Frankfurt a. M. 9.4.2015 – 6 U 110/14, VersR 2016 188, 189 (juris Rn. 24 ff.); s. auch Böhm/Fries VersR 2016 1092; zu europarechtlichen Bezügen Maier RuS 2015 351, 353 f.; kritisch zur Vorinstanz bereits Lauda NJW 2014 2204, 2209. 912 Zur Entstehungsgeschichte des Transparenzgebotes Stöhr AcP 216 558, 560 f. 913 Richtlinie 93/13/EWG 5.4.1993 (ABl. Nr. L 95 v. 21.4.1993, S. 29). 914 BGH 30.4.1991 – XI ZR 223/90, NJW 1991 1889, 1889 (juris Rn. 10); BGH 15.10.1991 – XI ZR 192/90, BGHZ 116 1, 2 = NJW 1992 179, 179 (juris Rn. 7); BGH 18.7.2012 – VIII ZR 337/11, NJW 2013 291, 295 (Rn. 41); Prölss/Martin/ Armbrüster30 Einl. Rn. 152. 915 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 152; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 358. 916 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 68. 261

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Grenze des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB hier gem. § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht zur Anwendung.917 Für den Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie folgt dies aus Art. 4 Abs. 2 RL 93/13/EWG.918 284 Das Transparenzgebot findet in seiner Ausprägung sowohl im Individual- als auch im Verbandsprozess umfassend Anwendung.919 Aufgrund der Tatsache, dass das Transparenzgebot auch im unternehmerischen Verkehr gilt,920 kann somit durch die Verpflichtung zur Abfassung eindeutiger und klarer Regelungen der Gefahr entgegengewirkt werden, dass AGB-Verwender unklare Formulierungen zu ihrem Vorteil gereichen lassen. Sinn und Zweck des Transparenzgebotes ist die Gewissheit des Kunden über seine Rechte und Pflichten in Bezug auf das Vertragsverhältnis sowie durch Preisinformation die Möglichkeit das Preis-Leistungsverhältnisses zu beurteilen.921 Das Transparenzgebot ist auf AVB umfassend anwendbar.922 Dabei gilt der Transparenz285 grundsatz nicht nur bei schriftlich abgefassten AVB, sondern selbstverständlich auch bei der Bereitstellung via Internet.923 Eine für den VN nachteilige Abweichung von halbzwingenden Vorschriften des VVG führt unabhängig von deren AGB-Wirksamkeit zur Unwirksamkeit der Klausel.924 Lässt sich hingegen ein solcher Verstoß gegen eine halbzwingende Vorschrift nicht zweifelsfrei nachweisen, kann sich die Unwirksamkeit immer noch aus einem Verstoß gegen das Transparenzgebot ergeben.925 Im Versicherungsvertragsrecht ergibt sich der Grundsatz des Transparenzgebotes neben § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zudem auch aus § 7 Abs. 1 Satz 2 VVG, wonach dem VN die maßgeblichen Informationen klar und verständlich zu übermitteln sind; gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG gilt dies damit auch für AVB. Dies steht aber einer Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und fachlich determinierter Ausdrücke in AVB nicht entgegen. Die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und deutlich zu formulieren, besteht nur i. R. d. Möglichen.926 AGB können nicht stets so formuliert werden, dass dem Kunden jedes eigene Nachdenken erspart bleibt.927 Der Kunde muss allerdings in der Lage sein, die Wirkung einer Klausel ohne Rechtsrat zu erkennen.928 Dabei ist zu beachten, dass zur Beurteilung der Einhaltung des Transparenzgebotes gerade auf den durchschnittlichen und verständigen VN abzustellen ist.929 Handelt es sich bei dem VN hingegen etwa um einen Unternehmer, so ist dessen erweiterter Kenntnisstand als

917 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 103; Eckert WM 1993 1070; Schmitt/Salzer BB 1995 1493; Wolf/Lindacher/ Pfeiffer/Pfeiffer6 § 307 Rn. 236; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 68. 918 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 103, 105. 919 Schäfer Das Transparenzgebot im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1992) 172; Hansen WM 1990 1521, 1526 f; AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 71. 920 v. Westphalen NJW 2003 1635; BGH 15.10.2017 – XII ZR 1/17, NJW-RR 2018 198, 199 (Rn. 13). 921 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 359; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 338. 922 BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 143 = VersR 1999 710, 711 (juris Rn. 32); BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394, 401 = VersR 1997 1517, 1519 (juris Rn. 34); Schwintowski VuR 1999 186. 923 Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 Art. 5 RL Rn. 5; BGH 21.9.2005 – VIII ZR 284/04, VuR 2005 458, 461 (juris Rn. 20); BGH 9.12.2014 – X ZR 147/13, NJW-RR 2015 618, 621 (Rn. 25). 924 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 18. 925 Vgl. etwa Bruck/Möller/Waldkirch § 11 MB/KK Rn. 17. 926 BGH 3.6.1998 – VIII ZR 317/97, NJW 1998 3114, 3116 (juris Rn. 23); BGH 10.7.1990 – XI ZR 275/89, BGHZ 112 115, 119 = NJW 1990 2383, 2384 (juris Rn. 18); BGH 20.7.2005 – VIII ZR 121/04, BGHZ 164 11, 15 f. = VersR 2006 261, 262 (juris Rn. 9); Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 22; Jauernig/Stadler17 § 307 Rn. 6. 927 BGH 10.7.1990 – XI ZR 275/89, BGHZ 112 115, 121 = NJW 1990 2383, 2384 (juris Rn. 22); BGH 23.2.2005 – IV ZR 273/03, VersR 2005 639, 639 (juris Rn. 15). 928 OLG Hamburg 20.7.1999 – 9 U 152/99, VersR 1999 1482, 1483 (juris Rn. 34); OLG Düsseldorf 6.7.2000 – 6 U 136/ 99, VuR 2001 331, 333 (juris Rn. 70); BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, VersR 2019 1284, 1286 f. (Rn. 21), wonach auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist. 929 BGH 24.11.1988 – III ZR 188/87, BGHZ 106 42, 49 = VersR 1989 82, 84 (juris Rn. 27); BGH 13.9.2017 IV ZR 302/ 16, VersR 2017 1330, 1331 (Rn. 13); vgl. auch BGH 11.7.2019 – VII ZR 266/17, BGHZ 223 1-12 = NJW 2019 2997, 3000 (Rn. 41); aus dem Schrifttum Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 11; Stoffels AGB-Recht3 Rn. 567; Armbrüster NJW 2015 1788, 179. Beckmann

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entscheidend anzusetzen.930 Inhaltlich umfasst das Transparenzgebot keine zusätzliche Belehrungs- und Informationspflicht gegenüber dem VN, aufgrund der maßgeblichen Umstände des Einzelfalles kann sich eine solche jedoch durchaus ergeben.931 Dem VN soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden.932 So muss beispielsweise der VN bei einer den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklausel den danach noch bestehenden Umfang der Versicherung erkennen können.933 Eine Regelung ist deshalb auch dann intransparent, wenn sie etwa an verschiedenen Stellen in den Bedingungen niedergelegt ist, die nur schwer miteinander in Zusammenhang zu bringen sind, oder wenn der Regelungsgehalt auf andere Weise durch die Verteilung auf mehrere Stellen verdunkelt wird.934 Das Transparenzgebot zeichnet sich zum einen durch den Grundsatz der Verständlichkeit 286 aus. Dementsprechend müssen sich die vom VR verwendeten AVB für den durchschnittlichen VN als verständlich darstellen.935 Treu und Glauben gebieten es, dass die Vertragsklauseln die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen des Versicherungsverhältnisses gefordert werden kann.936 Dabei ist die Verwendung von Fachausdrücken grundsätzlich ebenso zulässig wie die Übernahme von Teilen der gesetzlichen Vorschriften. Wäre der VR gehalten, sämtliche der in den AVB verwendeten Begriffe näher zu erläutern, würde dies zu sehr umfangreichen und in der Folge unübersichtlichen Klauselwerken führen.937 Dennoch entspricht die bloße Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesvorschriften (deklaratorische AVB, siehe oben Rn. 40) oder die Verwendung von Fachbegriffen nicht notwendigerweise dem Verständlichkeitsgebot. Etwa aufgrund schwer verständlicher und umfangreicher gesetzlicher Regelungen bleibt gerade im Bereich von Versicherungsverträgen dem durchschnittlichen VN die notwendige Klarheit oft verborgen. In diesem Fall sind die Vertragsklauseln einer auf § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB gestützten selbständigen Transparenzkontrolle zu unterziehen.938 Von einer hinreichenden Klarheit wird man nur ausgehen können, wenn die Rechtssprache mit dem verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff verwendet und ihm darüber einen bestimmten Inhalt vorgibt. Alle anderen Fachbegriffe scheiden als objektive Verständnisvorgabe aus, weil dies in Abweichung vom vorgenannten maßgeblichen Auslegungsgrundsatz zu einer gesetzesähnlichen Auslegung von Versicherungsbedingungen führen würde. Gibt es in der Rechtssprache keinen

930 BGH 10.7.1990 – XI ZR 275/89, BGHZ 112 115, 118 f. = NJW 1990 2383, 2383 (juris Rn. 17); Wolf/Lindacher/ Pfeiffer/Pfeiffer6 § 307 Rn. 252; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 21.

931 Koch WM 2002 2173; Armbrüster ZVersWiss 2003 745. 932 BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57-72 = VersR 2019 1284, 1287 (Rn. 21); BGH 20.11.2019 – IV ZR 159/18, VersR 2020 95 (Rn. 7); BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018, 532 f. (Rn. 8); BGH 6.7.2016 – IV ZR 44/15 – BGHZ 211 5, 60 f. = VersR 2016 1177, 1180 (Rn.  30). 933 BGH 11.9.2013 – IV ZR 303/12, VersR 2013 1397, 1398 (Rn. 12). 934 BGH 20.6.2012 – IV ZR 39/11, VersR 2012 1113, 1115 (Rn. 21); BGH 13.1.2016 – IV ZR 38/14, VersR 2016 312, 314 (Rn. 24); BGH Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B Rn. 69. 935 BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354, 362 f. (juris Rn. 34); BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018 532 (Rn. 8); BGH 4.7.2018 – IV ZR 200/16, VersR 2018 992, 993 (Rn. 25); BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57-72 = VersR 2019 1284, 1289 (Rn. 18); zur Verständlichkeit vgl. auch Rn. 92. 936 BGH 20.11.2019 – IV ZR 159/18, VersR 2020 95 (Rn. 7); BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018, 532 f. (Rn. 8); BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, BGHZ 147 373, 378 = VersR 2001 839, 841 (juris Rn. 27); BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 143 = VersR 1999 710, 711 (juris Rn. 32); BGH 6.7.2016 – IV ZR 44/15, BGHZ 211 51, 60 f. = VersR 2016 1177, 1180 (Rn. 30); BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018 532, 532 f. (Rn. 8); BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57-72 = VersR 2019 1284, 1289 (Rn. 18); Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 307 Rn. 253. Zu hieraus folgenden Wirksamkeitsbedenken im Hinblick auf § 11 Abs. 1 MB/KK vgl. Bruck/Möller/Waldkirch9 § 11 MB/KK Rn. 10 ff. m. w. N. 937 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 161; BGH 21.6.1990 – VII ZR 308/89, BGHZ 111 388, 391 f. = NJW 1990 3197, 3198 (juris Rn. 19 ff.) (zur Zulässigkeit der Verweisung auf das Regelwerk der VOB/B); BGH 25.11.2015 – VIII ZR 360/ 14, BGHZ 208 52, 69 f. = NJW 2016 936, 941(Rn. 38). 938 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 35; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 69; a. A. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 162. 263

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umfassenden, in seinen Konturen eindeutigen Begriff, ist für die Begriffsklärung auf die Sicht eines verständigen VN unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs der Klausel abzustellen.939 Sofern möglich, hat der VR dem VN zum besseren Verständnis Erläuterungen etwa in Form von Tabellen oder sonstigen erklärenden Legenden außerhalb der AVB anhand zu geben und in den AVB auf diese zu verweisen.940 Informationen in solchen Tabellen müssen sich jedoch auch dort an geeigneter Stelle finden lassen und hinreichend transparent sein.941 Zudem hat er für eine Zusammenfassung der wichtigsten Gesichtspunkte zu sorgen, pauschale Verweisungen auf den Gesetzeswortlaut können zu Intransparenz führen.942 Gleiches gilt für eine völlig ohne Zusammenhang erfolgende Auflistung von Regelungen. Eine AVB wird man in der Regel als intransparent einzuordnen haben, wenn sie auf eine nicht mehr geltende gesetzliche Vorschrift verweist bzw. die bezuggenommene Vorschrift mittlerweile an einer anderen Stellen im Gesetz verankert ist.943 Bei umfangreichen AVB muss der VR zudem durch Verwendung von Überschriften und Untergliederungspunkten für Verständlichkeit sorgen.944 Die Verwendung von Fachtermini widerspricht wiederum dem Transparenzgebot, wenn diese die Regelung unübersichtlich und unverständlich machen und damit den VN davon abhalten, die Durchsetzung seiner Rechte zu verfolgen.945 Bezug nehmend auf Haftungsausschlussklauseln muss sich folglich für den VN unmissverständlich erschließen, wann der VR von seiner Leistungspflicht befreit ist.946 Der Grundsatz der Verständlichkeit ist auch dann nicht eingehalten, wenn der VR neben 287 Allgemeinen Bedingungen zur Regelung des Versicherungsverhältnisses zudem auf Besondere sowie Sonderbedingungen Bezug nimmt.947 Das Transparenzgebot ist des Weiteren auch dann verletzt, wenn der VR es unterlässt, einen 288 ergänzungsbedürftigen gesetzlich vorgegebenen Rahmen auszufüllen. Ob ein gesetzlicher Gestaltungsspielraum konkretisiert werden muss, richtet sich im Einzelfall danach, ob ein über die gesetzliche Regelung hinausgehendes Informationsbedürfnis des VN besteht.948 Eine Verletzung des Transparenzgebotes wurde etwa bei unterbliebener Konkretisierung des gesetzlichen Rahmens zur Bestimmung des Rückkaufswertes von Lebensversicherungen, § 169 Abs. 3 VVG, angenommen.949 Das Transparenzgebot schließt auch das Bestimmtheitsgebot ein. Dieses verlangt, dass 289 die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass einerseits für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Andererseits soll der Vertragspartner ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte feststellen können, damit er nicht von deren Durchsetzung abgehalten wird. Eine Klausel genügt dem Bestimmtheitsgebot nur dann, wenn sie im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders so klar und präzise wie möglich umschreibt.950 Unter dem Gesichtspunkt der Unbestimmtheit ist demnach ein Ver939 940 941 942 943

Zum Vorstehenden BGH 8.5.2013 – IV ZR 84/12, VersR 2013 995, 997 (Rn. 21). Vgl. BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, BGHZ 147 373, 377 = VersR 2001 839, 840 f. (juris Rn. 26). Vgl. BGH 14.11.2012 – IV ZR 198/10, VersR 2013 1116, 1119 f. (Rn. 23). Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 337. Vgl. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 Art. 1 EGVVG Rn. 28; Marlow/Spuhl4 Rn. 1523; Muschner/Wendt MDR 2008 949, 950. 944 Schäfer Das Transparenzgebot im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1992) 10; Nitschke Maßstäbe für die Transparenz Allgemeiner Versicherungsbedingungen 83. 945 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 368. 946 BGH 22.11.2000 – IV ZR 235/99, VersR 2001 184, 186 (juris Rn. 25); BGH 12.10.1995 – I ZR 172/93, VersR 1996 651, 652 (Rn. 27 ff.). 947 OLG Frankfurt 22.9.1994 – 1 U 103/93, VersR 1995 449, 451 (juris Rn. 29). 948 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 69. 949 BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, BGHZ 147 373, 377 = VersR 2001 839, 841 (juris Rn. 27); BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354, 363 f. = VersR 2001 841, 844 (juris Rn. 37 f.). 950 BGH 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, BGHZ 165 12, 21 f. = NJW 2006 996, 997 f. (juris Rn. 23); vgl. OLG Düsseldorf 17.6.1999 – 6 U 84/98, VersR 2000 1093, 1094 (juris Rn. 21); BAG 21.4.2016 – 8 AZR 474/14 NZA 2016 1409, 1417 (Rn. 78); Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 338; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 307 Rn. 258. Beckmann

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stoß gegen das Transparenzgebot dann zu bejahen, wenn eine Klausel vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält951 und so unpräzise formuliert ist, dass für den VN selbst der Kern der von der Klausel erfassten Fälle nicht überblickt werden kann.952 Auf Bestimmtheit ist dabei umso mehr Gewicht zu legen, je weitreichender und nachteiliger die Folgen sind.953 Dies gilt insbesondere für Bedingungs- und Prämienanpassungsklauseln. Der VR muss Änderungsgründe und -folgen hinreichend genau konkretisieren. Deshalb verstoßen Anpassungsklauseln, die dem Verwender ein uneingeschränktes Änderungsrecht vorbehalten, ohne dass der Kunde vorhersehen kann, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang ihn höhere oder weitere Gebühren treffen, gegen das Transparenzgebot und sind unwirksam. Auch einseitige Bestimmungsvorbehalte können nur hingenommen werden, soweit sie bei unsicherer Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig sind und den Anlass, aus dem das Bestimmungsrecht entsteht, sowie die Richtlinien und Grenzen seiner Ausübung möglichst konkret angeben.954 Als Ausprägung des Transparenzgebotes ist auch das Täuschungs- und Irreführungsver- 290 bot zu sehen. Danach müssen die AVB auch zutreffend und unverschleiert wiedergegeben werden, um unrichtige und den VN irreführende Klauselwerke zu vermeiden.955 Eine Klausel verletzt dieses Verbot, wenn sie die Rechtslage unzutreffend oder missverständlich darstellt und auf diese Weise dem Verwender die Möglichkeit eröffnet vom Vertragspartner unzulässige Pflichten abzuverlangen oder begründete Ansprüche unter Hinweis auf die entsprechende Klausel abzulehnen.956 Schließlich müssen AVB auch vollständig (Vollständigkeitsgebot) wiedergegeben wer- 291 den;957 das Bemühen um Verständlichkeit darf mithin nicht zur Unvollständigkeit der Darstellung führen.958 Zur Unwirksamkeit führt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot jedoch nur dann, wenn 292 sich hieraus inhaltlich eine unangemessene Benachteiligung des VN ergibt.959 Bloße Unklarheit oder optisch unübersichtliche Gestaltung genügt nicht. Die Ansicht, nach welcher alleine der Verstoß gegen das Transparenzgebot die Unwirksamkeit der Klausel zu begründen vermag, ohne dass es auf die Gefahr einer inhaltlichen Benachteiligung des anderen Teils ankommt,960 ist bereits aufgrund des entgegenstehenden Wortlautes des § 307 BGB abzulehnen. Nach der Gesetzesfassung des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich (muss aber nicht) eine unangemessene

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BGH 5.11.2003 – VIII ZR 10/03, NJW 2004 1598, 1600 (juris Rn. 26). Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 160. Wolf/Ungeheuer JZ 1995 176. BGH 19.10.1999 – XI ZR 8/99, NJW 2000 651, 652 (juris Rn. 18); vgl. BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394, 402 = VersR 1997 1517, 1519 (juris Rn. 35). 955 Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 307 Rn. 27; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 375, 377 Staudinger/Wendt (2019) Anh. Zu §§ 305-310 Rn. J 109. 956 BGH 23.3.1988 – VIII ZR 58/87, BGHZ 104 82, 93 = NJW 1988 1726,1728 (juris Rn. 29); Schaffrin 184 f. 957 Staudinger/Wendt (2019) Anh. Zu §§ 305-310 Rn. J 110. 958 Langheid/Wandt/Bruns2 § 307 Rn. 86. 959 OLG Brandenburg 3.5.2000 – 7 U 243/99, NJW-RR 2001 488, 489 (juris Rn. 21); Ulmer/Brandner/Hensen/ Fuchs12 § 307 Rn. 330, 365 f; BRHP/H.Schmidt4 § 307 Rn. 44, 46; Stoffels AGB-Recht3 Rn. 564; BeckOGK-BGB/Eckelt (Stand: 1.11.2018) § 307 Rn. 122; Erman BGB/Roloff15 § 307 Rn. 22; Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 174; Prölss/ Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 165; Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 174. 960 BGH 22.11.1995 – VIII ZR 57/95, NJW 1996 455, 456 (juris Rn. 31) sowie BGH 5.11.1998 – III ZR 95/97, BGHZ 140 25, 31 f. = NJW 1999 635, 637 (juris Rn. 33) zu § 9 AGBG, dessen Wortlaut das Transparenzgebot noch nicht unmittelbar enthielt; BGH 24.5.2006 – IV ZR 263/03, VersR 2006 1066, 1066 ff. (Rn. 9, 24 ff.) unter Geltung des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB; offen gelassen in BGH 23.2.2011 – XII ZR 101/09, NJW-RR 2011 1144, 1145 f. (Rn. 16); nicht eindeutig BGH 29.4.2015 – VIII ZR 104/14, VersR 2016, 471, 472 f. (Rn. 15, 26) m. Anm. H.Schmidt, LMK 2015, 370815; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 24; Terno RuS 2004 45, 51; Höra/Höra4 § 1 Rn. 68; Lange ZGS 2004 208, 212 unter Annahme einer Rechtsfolgenverweisung auf § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB; Stöhr AcP 216 558, 563 f. 265

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Benachteiligung auch aufgrund einer unklaren und unverständlichen Regelung ergeben.961 Weiter bestimmt § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB, dass eine Unwirksamkeit aus der Intransparenz „in Verbindung mit“ einer unangemessenen Benachteiligung folgt.962 Zusätzlich muss auch die Historie Berücksichtigung finden, wonach im Gesetzgebungsverfahren die Einordnung des Transparenzgebotes als Regelbeispiel, welches im Sinne des § 307 Abs. 2 BGB „im Zweifel“ zu einer unangemessenen Benachteiligung führt, zugunsten der jetzigen Fassung aufgegeben wurde, nach der die Intransparenz nur einen möglichen Fall der unangemessenen Benachteiligung darstellt.963 Demnach müssen beide Voraussetzungen derart erfüllt sein, dass die Intransparenz als solche die unangemessene Benachteiligung darstellt.964 Diese Benachteiligung wird sich regelmäßig daraus ergeben, dass der Vertragspartner infolge der Intransparenz gehindert ist, die Günstigkeit des Vertragsschlusses zu beurteilen (Abschlusstransparenz), oder er seine Rechte nicht wahrnimmt (Abwicklungstransparenz).965 Eine materielle Benachteiligung im Sinne einer inhaltlichen Unausgewogenheit ist jedenfalls nicht nötig.966 Eine andere Frage ist es, wenn die Klausel – trotz ihrer Intransparenz – für den VN inhaltlich vorteilhaft ist. Der Schutzzweck der Inhaltskontrolle spricht dafür, dem VN einen solchen Vorteil zu belassen.967 Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, ob eine sog. verhüllte Obliegenheit mit dem Trans293 parenzgebot gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vereinbar ist. Als verhüllte Obliegenheiten werden Klauseln bezeichnet, die wie ein Risikoausschluss formuliert sind, in Wahrheit den Versicherungsschutz aber von einem bestimmten Verhalten des VN abhängig machen.968 Das Problem verhüllter Obliegenheiten besteht darin, dass sie für einen nicht rechtskundigen VN den unrichtigen Eindruck erwecken, dass – bei Verletzung der entsprechend in einer AVB angeordneten Verhaltensanforderung – der Versicherungsschutz vollständig entfällt. Dies entspricht aber nicht dem gesetzlich vorgegebenen Rechtsfolgensystem gem. § 28 Abs. 2 bis 4 VVG bei vertraglichen Obliegenheitsverletzungen; dieses Rechtsfolgensystem findet bei verhüllten Obliegenheiten aufgrund ihres Erscheinens als Risikoausschluss gerade keine Berücksichtigung. Vor diesem Hintergrund werden verhüllte Obliegenheiten heutzutage zu Recht als intransparent gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB eingeordnet;969 von ihnen geht die Gefahr aus, dass der VN von der Geltendmachung tatsächlicher bestehender Rechte abgehalten wird. Hieran kann es keinen Zweifel geben. Die hierdurch entstandene Lücke kann zudem nicht über § 306 Abs. 2 BGB i. V. m. § 28 Abs. 2 VVG bzw. über eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden.970 Beide Lösungen können nicht darüber hinweg helfen, dass der VN, der sich durch einen Blick in die AVB über die Rechtslage informiert, einen falschen Eindruck erhält und deshalb von der Geltendmachung möglicher Rechte aus dem Versicherungsvertrag abgehalten wird; dies ist nicht hinnehmbar. Vor diesem Hintergrund ist die entgegenstehende Rechtsprechung des OLG Naumburg971 abzulehnen. 961 962 963 964

Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 174; BeckOGK-BGB/Eckelt (Stand: 1.11.2018) § 307 Rn. 122. Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 174; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B Rn. 70. BTDrucks. 14/7052, S. 188; BRHP/H.Schmidt4 § 307 Rn. 42, 46; Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 174. Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 174; BeckOGK-BGB/Eckelt (Stand: 1.11.2018) § 307 Rn. 122.1; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung B Rn. 70. 965 Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 174 ff.; BeckOGK-BGB/Eckelt (Stand: 1.11.2018) § 307 Rn. 122.1; Ulmer/ Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 332 ff. 966 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. B Rn. 165; Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 174; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 70; a. A. Müko-BGB/Wurmnest8 § 307 Rn. 58, wonach die Stoßrichtung der AGBKontrolle vor allem in der Überprüfung der inhaltlichen Angemessenheit liege. 967 Pilz Missverständliche AGB 210 f.; Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 174; BeckOGK-BGB/Eckelt (Stand: 1.11.2018) § 307 Rn. 122; Müko-BGB/Wurmnest8 § 307 Rn. 58; vgl. auch im Rahmen der Unwirksamkeitsfolgen die Fälle der sog. „personalen Teilunwirksamkeit“ Rn. 392. 968 Vgl. etwa BeckOK-VVG/Marlow (Stand: 15.3.2020) § 28 Rn. 21. 969 BeckOK-VVG/Marlow (Stand: 15.3.2020) § 28 Rn. 30; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 31; Felsch RuS 2015 53, 59; Rattay VersR 2015 1075, 1078 ff. 970 BeckOK-VVG/Marlow (Stand: 15.3.2020) § 28 Rn. 21; differenzierend Koch VersR 2014 283, 291. 971 OLG Naumburg 28.3.2014 – 10 U 5/13, VersR 2015 102, 106 (juris Rn. 60). Beckmann

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2. Judikatur (Auswahl) Ausland/ Auslandsreisekrankenversicherung: Undurchschaubar und nicht verständlich ist eine Regelung in AVB einer Auslandsreisekrankenversicherung, wonach Ausland nicht das Staatsgebiet ist, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt oder in dem sie einen ständigen Wohnsitz hat. Diese Beschränkung des Versicherungsschutzes wird aber sogleich teilweise wieder dadurch aufgehoben, indem VN mit Doppelstaatsbürgerschaft – also der deutschen und einer anderen Staatsbürgerschaft – und VN mit der Staatsangehörigkeit eines EUStaates bei Reisen in das Staatsgebiet, dessen Staatsangehörigkeit der VN besitzt, Versicherungsschutz zugesagt wird.972 Ausschlussklausel/ Restschuldversicherung: Eine Ausschlussklausel im Rahmen einer Restschuldversicherung – jedenfalls wenn sie im Rahmen eines Massengeschäfts verwendet werden soll – muss dem VN bzw. der versicherten Person in einem dem in §§ 16 ff. VVG a. F. (jetzt §§ 19 ff. VVG) vorgesehenen Verfahren und der damit einhergehenden Beratungsintensität vergleichbaren Umfang und einer vergleichbaren Deutlichkeit vor Augen führen, welche Gesundheitsrisiken von dem Versicherungsschutz für welchen Zeitraum nicht gedeckt sind und welche Risiken in Bezug auf das gesicherte finanzierte Geschäft deshalb beim VN verbleiben. Genügt die Klausel diesen Anforderungen nicht, ist sie wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam.973 Einmalprämie/ Ratenschutz-Arbeitsunfähigkeitsversicherung: Eine Klausel in den Allgemeinen Bedingungen einer Ratenschutz-Arbeitsunfähigkeitsversicherung, die bestimmt, dass der Anspruch auf Arbeitsunfähigkeitsleistung erlischt, wenn die versicherte Person unbefristet berufs- oder erwerbsunfähig wird, und gleichzeitig dem VR die Befugnis einräumt, die bei Vertragsschluss gezahlte Einmalprämie zu behalten, verstößt weder gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB noch stellt sie eine unangemessene Benachteiligung des VN nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.974 Ernstliche Erkrankung/ Ratenschutzversicherung: Eine Klausel, nach der der Versicherungsschutz für ernstliche Erkrankungen, die der versicherten Person vor Vertragsschluss bekannt waren, ausgeschlossen ist, ist intransparent und damit unwirksam. Für den durchschnittlichen VN ist trotz einer beispielhaften Aufzählung zunächst nicht erkennbar, ob eine bei ihm vorliegende Erkrankung ernstlich ist. Dies stellt sich erst heraus, wenn sie den Versicherungsfall ausgelöst hat. Das Transparenzgebot verlangt hingegen, dass die Ausschlussklausel dem Versicherten bereits bei Vertragsschluss den Umfang seines Versicherungsschutzes vor Augen führt.975 Daher ist auch in selbiger Klausel vorhandener Ausschluss für in den letzten 12 Monaten vor Beginn des Versicherungsschutzes ärztlich behandelter Unfallfolgen intransparent, da der Versicherte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht weiß, wann der Versicherungsschutz beginnen wird.976 Ersatz der Mehrwertsteuer/ Kaskoversicherung: Eine Klausel in den Bedingungen der Kaskoversicherung, wonach der VR die Mehrwertsteuer nur ersetzt, wenn der VN diese tatsächlich bezahlt hat, ist wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam, wenn der VN nicht deutlich erkennen kann, dass bei einer Ersatzbeschaffung die Erstattung der dafür gezahlten Mehrwertsteuer ausgeschlossen sein soll.977 Fiktion Versicherungsfall/ Berufsunfähigkeitsversicherung: Eine Klausel, welche als versicherten Beruf „die vor Eintritt des Versicherungsfalls zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit 972 BGH 22.11.2000 – IV ZR 235/99, VersR 2001 184, 185 (juris Rn. 25); OLG München 14.10.1999 – 29 U 2875/99, VersR 2000 1098, 1099 (juris Rn. 48); OLG Hamburg 20.7.1999 – 9 U 152/99, VersR 1999 1482, 1483 f. (juris Rn. 37). 973 OLG Brandenburg 25.4.2007 – 4 U 183/06, VersR 2007 1071, 1072 (juris Rn. 35); a. A. OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 63 (juris Rn. 43). 974 BGH 11.9.2013 – IV ZR 303/12, VersR 2013 1397, 1398 f. (Rn. 11, 19). 975 BGH 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318, 320 (Rn. 25 ff.). 976 BGH 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318, 321 (Rn. 32). 977 BGH 24.5.2006 – IV ZR 263/03, VersR 2006 1066, 1068 (Rn. 24 ff.). 267

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mit der Maßgabe, dass sie zu mindestens 90 % als Schreibtischtätigkeit […] ausgeübt wird“ verstehen will, ist intransparent. Bei dieser Klausel wird auf einen fingierten Beruf abgestellt, welcher mit der tatsächlichen Berufstätigkeit des VN nichts zu tun haben muss. Diese Abweichung des Prüfungsmaßstabes und die sich daraus möglicherweise ergebenden erheblichen Deckungslücken erschließen sich dem VN nicht hinreichend.978 Fluggast/ Unfallversicherung: Keine unangemessene Benachteiligung ergibt sich auch bei Ausschluss des Versicherungsschutzes im Rahmen einer Unfallversicherung für Unfälle als Pilot, Begleitpersonal oder Flugschüler, wenn sich nach den AVB der Versicherungsschutz auf Unfälle erstreckt, die der Versicherte als Fluggast erleidet.979 Gesunkenes Einkommen/ Krankentagegeldversicherung: Eine Klausel, nach der der VR bei gesunkenem Nettoeinkommen des VN den Tagessatz und die Prämie herabsetzen kann, ist intransparent. Zunächst lässt sich der Klausel nicht entnehmen, welcher Bemessungszeitraum für die Feststellung des gesunkenen Nettoeinkommens zugrunde zu legen ist und wie dieses bei selbstständigen VN zu bemessen ist. Die Rechtssprache verbindet mit dem Begriff Nettoeinkommen keinen fest umrissenen Begriff, weshalb dieser ohne nähere Erläuterung im Bedingungswerk als intransparent eingeordnet werden muss.980 Gezogenes Fahrzeug/ Kaskoversicherung: Die Klausel A.2.3.2 AKB, die unter anderem einen Risikoausschluss für Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen enthält, ist wirksam. Der durchschnittliche VN kann durch die Abgrenzung des ebenfalls in der Klausel zu lesenden Wortes PKW zum Wort Fahrzeug erkennen, dass Fahrzeuge nicht nur solche sind, die wie ein PKW aktiv fahren können, weshalb auch Anhänger gemeint sind. Sie hält daher der Transparenzkontrolle stand.981 Kapitalanlagegeschäfte/ Rechtsschutzversicherung: Der Risikoausschluss für alle Kapitalanlageschäfte, z. B. zu finden in § 3 Nr. 2f ARB 2002, ist wirksam.982 Insbesondere die Formulierung „alle“ ist nicht intransparent, da sie für den durchschnittlichen VN erkennbar macht, dass Kapitalanlagegeschäfte insgesamt vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sein sollen. Auch wenn es keine allgemeingültige Bestimmung dessen gibt, was ein Kapitalanlagegeschäft ausmacht, kann der durchschnittliche VN im Rahmen seiner Erkenntnismöglichkeiten aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauchs entnehmen, dass es sich um Geschäfte handelt, die eine Kapitalanlage zum Gegenstand haben, wobei jeglicher Einsatz von Geldvermögen gemeint ist, der nicht zum Verbrauch, sondern zum Zwecke des Erhalts oder der Vermehrung erfolgt.983 Zur Auslegung s. bereits oben Rn. 218. Kostenanrechnungsklausel/ D&O-Versicherung: Das OLG Frankfurt hat eine Klausel, wonach in der Versicherungssumme u. a. Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten enthalten sind, als intransparent und daher nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB als unwirksam angesehen.984 Zur Angemessenheitskontrolle noch Rn. 337. Schadensminderungsklausel/ Rechtsschutzversicherung: Die Schadensminderungsklausel gem. § 17 Abs. 1c) bb) ARB 2010, wonach die Rechtsverfolgungskosten so gering wie möglich ge978 BGH 15.2.2017 – IV ZR 91/16, VersR 2017 538, 539 (Rn. 16). 979 LG München I 6.10.1989 – 18 O 3717/89, VersR 1990 298, 299. 980 BGH 6.7.2016 – IV ZR 44/15, BGHZ 211 51, 61, 63 = VersR 2016 1177, 1180 (Rn. 32, 39); dazu auch Sauer VersR 2016 1160, 1161 ff. Zu einer wegen der Klauselunwirksamkeit erfolgten Bedingungsanpassung zur Herabsetzung des Krankentagegeldes bei Arbeitslosigkeit vgl. OLG Düsseldorf 31.1.2020 – 4 U 60/19, RuS 2020 464, 465 ff. 981 BGH 4.3.2015 – IV ZR 128/14, VersR 2015 571, 572 (Rn. 14 f.). 982 BGH 10.4.2019 – IV ZR 59/18, VersR 2019 811, 813 (Rn. 26); OLG Düsseldorf 27.11.2014 – 6 U 78/14, RuS 2015 18, 19 (juris Rn. 28); kritisch dazu BeckOK-BGB/H. Schmidt (Stand: 1.8.2019) BGB § 307 Rn. 168; Beckmann/MatuscheBeckmann/Obarowski3 § 37 Rn. 333. 983 BGH 10.4.2019 – IV ZR 59/18, VersR 2019 811, 813 (Rn. 19 ff.); a. A. OLG Düsseldorf 27.11.2014 – 6 U 78/14, RuS 2015 18, 18 ff. (juris Rn. 35). 984 OLG Frankfurt 9.6.2011 – 7 U 127/09, VersR 2012 432, 434 (juris Rn. 65); offen gelassen OLG Düsseldorf 13.12.2019 – 4 U 23/18, VersR 2020 683, 685 (juris Rn. 56); grundsätzlich zu Kostenanrechnungsklausel Koch VersR 2016 1405. Beckmann

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halten werden sollen, hat der BGH als intransparent angesehen. Unter anderem stellt der BGH darauf ab, dass der um Verständnis bemühte VN nicht erkennen könne, welches bestimmte Verhalten von ihm verlangt wird, um seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung nicht zu gefährden.985 Stehlgutliste/ Hausratversicherung: Eine Klausel, nach der der VN nach einem Einbruch unverzüglich eine Stehlgutliste bei Polizei und VR einzureichen hat, ist weder intransparent986 noch stellt sie eine unangemessene Benachteiligung dar. Die streitgegenständliche Klausel wird sowohl in Literatur als auch in Rspr. für wirksam gehalten.987 Touristenfahrt/ Kaskoversicherung: Die individuelle Klausel A.2.17.4 AKB, wonach Touristenfahrten auf offiziellen Rennstrecken vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, entspricht den Erfordernissen des Transparenzgebotes. Hiergegen spricht insbesondere nicht, dass Fahrsicherheitstraining nicht ausdrücklich in Form einer Rückausnahme wieder einbezogen ist, da für den durchschnittlichen VN diese schon begrifflich nicht unter den Begriff der Touristenfahrt fallen.988 Unbestimmte Rechtsbegriffe/ Reiserücktrittsversicherung: Kein Verstoß gegen das Transparenzgebot liegt vor, wenn der VR in den AVB einer Reiserücktrittskostenversicherung unbestimmte Rechtsbegriffe wie „schwere Unfallverletzung“ oder „unerwartete schwere Krankheit“ verwendet. Eine Konkretisierung der Leistungspflicht ist anderweitig, etwa durch enumerative Aufzählung oder Regelbeispiele, nicht möglich.989 Unfallbegriff/ Unfallversicherung: Ziff. 1.4 AUB 2010, wonach als Unfall auch gilt, wenn „durch eine erhöhte Kraftanstrengung“ an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden (…), hat der BGH als nicht intransparent angesehen. Auf der Grundlage des Wortlauts, des systematischen Zusammenhangs sowie des erkennbaren Zwecks Ziff. 1.4 AUB 2010 sei die Formulierung „durch eine erhöhte Kraftanstrengung“ hinreichend transparent.990 Unfreiwillige Arbeitslosigkeit/ Arbeitslosenversicherung: Eine Klausel in der privaten Arbeitslosenversicherung, die die unfreiwillige Arbeitslosigkeit als Voraussetzung für den Versicherungsschutz in der Weise definiert, dass sie sie auf die Fälle beschränkt, in denen der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Gründen kündigt, die nicht in der Person des VN liegen, ist wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam.991 Unterlassen von Angaben durch VN/ Rechtsschutzversicherung Eine Klausel in den Allgemeinen Bedingungen einer Rechtsschutzversicherung, nach welcher kein Versicherungsschutz besteht, wenn der VN innerhalb eines Monats nach Zugang einer Aufforderung die zur Beitragsrechnung erforderlichen Angaben vorsätzlich unrichtig macht oder vorsätzlich unterlässt und der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, in dem die Angaben dem VR hätten zugehen müssen bzw. der Versicherungsschutz gekürzt wird, wenn das Unterlassen der erforderlichen Angaben oder die unrichtige Angabe auf grober Fahrlässigkeit beruht und der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, in dem die Angaben dem VR hätten zugehen müssen, verstößt gegen das Transparenzgebot und benachteiligt den VN unangemessen (§ 11 Abs. 3 ARB 2000/10).992 Der Passus „die zur Beitragsrechnung erforderlichen Angaben“ fordert dem VN eine Wertung ab, ohne ihm hierfür klare Kriterien an die Hand zu geben. Der durchschnittliche VN wird nicht in die Lage versetzt, klar 985 BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57-72 = VersR 2019 1284, 1286 (Rn. 14 ff.) mit zust. Anm. Rixecker WuB 2019 615 f. In dieser Entscheidung hat der BGH zugleich die Zurechnungsklausel nach § 17 Abs. 7 ARB für unangemessen erachtet; dazu Rn. 356. 986 OLG Köln 15.8.2017 – 9 U 12/17, VersR 2017 1265, 1265 (juris Rn. 32 ff.). 987 so schon stillschweigend BGH 17.2.1988 – IVa ZR 205/86, NJW-RR 1988, 728; BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830; BGH 17.9.2008 – IV ZR 317/05, VersR 2008 1491; BGH 13.1.2010 – IV ZR 28/09, VersR 2010 903; OLG Karlsruhe 20.9.2011 – 12 U 89/11, VersR 2011 1560; Günther VersR 2011 1560, 1562. 988 OLG Hamm 8.3.2017 – I-20 U 213/16, 20 U 213/16, RuS 2017 346, 346 (juris Rn. 15). 989 LG München I 30.3.2000 – 12 O 19386/99, VersR 2001 504, 505. 990 BGH 20.11.2019 – IV ZR 159/18, VersR 2020 95 ff. (Rn. 9 ff.). 991 BGH 24.3.1999 – IV ZR 90/98, BGHZ 141 137, 143 = VersR 1999 710, 711 (juris Rn. 31); Präve VersR 1999 755. 992 OLG Karlsruhe 8.3.2019 – 12 U 33/18, VersR 2019 935, 936 f. (juris Rn. 48 f.); dazu Piontek RuS 2019 262 f. 269

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zu erkennen, was er mitteilen muss bzw. welche Umstände nicht mitteilungsbedürftig sind und seinen Versicherungsschutz nicht gefährden.993 Versicherungsfall gem. Ziff. 1.1 AHB 2008/ Betriebshaftpflichtversicherung: (Schadenereignis, jetzt Ziff. 1.1 AHB 2016): Den in Ziff. 1.1 AHB umschriebenen Versicherungsfall hat der BGH nicht als intransparent angesehen. Zur Begründung hat der BGH darauf abgestellt, dass eine Transparenzkontrolle ausscheide; Ziff. 1.1 AHB sei von vornherein von einer Unwirksamkeitsfolge ausgeschlossen, weil es ansonsten – mangels gesetzlicher Definition des Versicherungsfalls in der Haftpflichtversicherung – keine Regelung zum Versicherungsschutz als solchem und zur Einordnung des Versicherungsfalls gäbe.994 Versicherungsumfang/ Forderungsausfallversicherung: Die Klausel 6.1 S 2 BBR 2003, nach der sich Inhalt und Umfang der versicherten Schadensersatzansprüche spiegelbildlich nach dem Deckungsumfang der Privat-Haftpflichtversicherung richten, ist intransparent.995 Die Entscheidung bezieht sich dabei auf die Altfassung der Klausel, aus welcher für den durchschnittlichen VN nicht erkennbar wird, ob sich der Verweis auf die Person des Schädigers oder ihn selbst bezieht. Eine unmissverständliche und damit wirksame Regelung des Deckungskonzeptes findet sich, so der BGH, u. a. in Ziffer 8.8 BBR 2011,996 welche der Klausel A3-1.2 AVB PHV der Musterbedingungen des GdV (Stand April 2016) entspricht. Verweis auf gesetzliche Rechtsfolgen/ Gebäudeversicherung: Nach Ansicht des OLG Saarbrücken ist eine Klausel, die die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung zunächst nur mit der Möglichkeit der vollständigen Leistungsfreiheit umschreibt und sodann für die nähere Ausgestaltung auf die §§ 28 und 82 VVG verweist, transparent. Letztendlich entspreche es gerade dem Verständlichkeitsgebot, wenn die Bedingungen nicht durch eine detaillierte Wiedergabe der möglichen Rechtsfolgen überfrachtet werden. Der VN könne schließlich durch die ausdrückliche Nennung der im Raum stehenden Leistungsfreiheit erkennen, dass ihn im Falle einer Obliegenheitsverletzung unter Umständen gravierende Rechtsfolgen treffen können. Ferner könnten für das Bedingungswerk nicht dieselben Anforderungen wie für eine Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG bei Eintritt des Versicherungsfalls herangezogen werden.997 In der Literatur wird die Wirksamkeit der Klausel unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert.998 Vorerstreckungsklausel/ Rechtsschutzversicherung: Eine sog. Vorerstreckungsklausel in der Rechtsschutzversicherung, wonach kein Rechtschutz besteht, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß des VN ausgelöst hat, ist intransparent.999 Die von dieser Klausel vorausgesetzte Ursächlichkeit der Willenserklärung oder Rechtshandlung für einen späteren Verstoß im Sinne der ARB 2008 ist nicht so beschrieben, dass der VN nachvollziehen kann, inwieweit der Versicherungsschutz eingeschränkt werden soll.1000 Der BGH hat dabei Zweifel hinsichtlich der Transparenz der Klausel auch aus dem Grunde, dass dem Begriff der Rechtshandlung im Gesetz kein einheitlicher Sinn beigemessen wird bekundet, dies im Ergebnis aber offengelassen.1001 Wirtschaftliche Nachteile/ Lebensversicherung: Unwirksam sind auch Klauseln in AVB der Lebensversicherung über Beitragsfreistellung, Kündigung, Abschlusskosten und Rückkaufswert, wenn diese dem VN die hierdurch entstehenden erheblichen wirtschaftlichen Nachteile 993 OLG Karlsruhe 8.3.2019 – 12 U 33/18, VersR 2019 935, 937 (juris Rn. 53 ff.). 994 BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625, 627 (Rn. 35) zu Ziff. 1.1 AHB 2008. 995 BGH 13.9.2017 – IV ZR 302/16, VersR 2017 1330, 1331 (Rn. 12 ff.); Schimikowski jurisPR-VersR 10/2017 Anm. 1; Koch WuB 2018 77, 81; a. A. Langheid NJW 2017 3711, 3714; Fortmann jurisPR-VersR 11/2016 Anm. 1.

996 BGH 13.9.2017 – IV ZR 302/16, VersR 2017 1330, 1331 (Rn. 14). 997 OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, RuS 2019 507, 509 f. (juris Rn. 23 f.). 998 Die Verweisung für unwirksam haltend: Jungmann RuS 2018 356, 362; Marlow RuS 2015 591, 593; Marlow VersR 2017 1500, 1504; zu Kfz-Mietverträgen Maier RuS 2012 14, 16; kritisch auch Piontek RuS 2019 507, 513; a. A. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 6; Günther/Spielmann VersR 2012 549, 551. 999 BGH 4.7.2018 – IV ZR 200/16, VersR 2018 992, 993 (Rn. 23). 1000 BGH 4.7.2018 – IV ZR 200/16, VersR 2018 992, 993 (Rn. 27). 1001 BGH 4.7.2018 – IV ZR 200/16, VersR 2018 992, 993 (Rn. 38 ff.). Beckmann

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nicht deutlich erkennen lassen.1002 Als transparent gelten hingegen Klauseln, mit denen die Rechtsfolgen einer ordentlichen Kündigung auf eine Beitragsfreistellung begrenzt werden.1003 Zusage vor Behandlungsbeginn/ Krankheitskostenversicherung: Ist die Leistungs- 317 pflicht des VR im Rahmen einer privaten Krankenversicherung von einer Zusage vor Behandlungsbeginn abhängig, muss sich aus der Klausel eindeutig entnehmen lassen, unter welchen Voraussetzungen eine entsprechende Zusage erteilt wird.1004

VII. Abweichung von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Norm (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) 1. Grundsätze § 307 Abs. 2 BGB konkretisiert mit den darin enthaltenen zwei Regelbeispielen die Generalklau- 318 sel des § 307 Abs. 1 BGB. Bei Vorliegen eines Verstoßes gegen wesentliche Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung bzw. Gefährdung der Erreichung des Vertragszweckes wird eine widerlegliche Vermutung für das Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung und damit die Unwirksamkeit der maßgeblichen Klausel begründet.1005 Die Vermutungswirkung ist dann widerlegt, wenn sich unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles ergibt, dass die Klausel den Vertragspartner nicht unangemessen benachteiligt.1006 Das kann z. B. dann der Fall sein, wenn die den Vertragspartner benachteiligende Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht durch Gewährung anderer rechtlicher Vorteile ausgeglichen (kompensiert) wird oder wenn sie durch höherrangige Interessen des AGB-Verwenders gerechtfertigt ist.1007 Dabei gebietet sich ein restriktiver Umgang bzgl. der Annahme von Kompensationswirkungen. Eine erleichterte Geschäftsabwicklung oder ansonsten höhere Versicherungsprämie genügen jedenfalls nicht.1008 Ebenso räumt die Branchenüblichkeit einer Klausel in AVB die Unangemessenheit nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht aus.1009 Um Nachteile durch Vorteile kompensieren zu können, müssen die maßgeblichen Regelungen in sachlichem Zusammenhang stehen und einen wechselseitigen Bezug aufweisen.1010 Gesetzliche Regelungen i. S. d. Vorschrift sind alle formellen und materiellen Gesetze, also 319 auch Rechtsverordnungen ebenso wie Gewohnheitsrecht.1011 Erfasst werden zudem auch in Rechtsprechung und Lehre durch Auslegung, Analogie und Rechtsfortbildung aus einzelnen 1002 BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, BGHZ 147 373, 377 f. = VersR 2001 839, 841 (juris Rn. 27); BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354, 361 f. = VersR 2001 841, 843 (juris Rn. 34); LG Köln 9.1.2002 – 26 O 90/01, VersR 2002 741, 742 (juris Rn. 33); gilt auch für fondgebundene Lebensversicherung LG Aachen 11.10.2002 – 9 O 355/01, VersR 2003 716, 716. 1003 BGH 20.9.2011 – IV ZR 255/10, VersR 2012 302, 303 (Rn. 10 ff.). 1004 LG Köln 4.7.2007 – 23 O 367/04 (juris Rn. 34, 35). 1005 BGH 7.5.1996 – XI ZR 217/95, BGHZ 133 10, 15 f. = NJW 1996 2032, 2033 (juris Rn. 18); BGH 13.7.2004 – KZR 10/ 03, WRP 2004 1378, 1386 (juris Rn. 99); OLG Karlsruhe 26.6.2018 – 17 U 147/17, MDR 2018 1135, 1136 f. (juris Rn. 46); Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 28; a. A. Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 195; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 107. 1006 BGH 28.1.2003 – XI ZR 156/02, BGHZ 153 344, 350 = NJW 2003 1447, 1448 (juris Rn. 26); BGH 19.12.2007 – XII ZR 61/05, NJW-RR 2008 818, 821 (juris Rn. 45). 1007 BGH 25.6.1991 – XI ZR 257/90, BGHZ 115 38, 43 f. = NJW 1991 2414, 2415 (juris Rn. 21); BGH 1.12.1981 – KZR 37/80, BGHZ 82 238, 240 ff. = NJW 1982 644, 645 f. (juris Rn. 17 ff.); Wolf/Ungeheuer JZ 1995 176. 1008 BGH 16.11.1992 – II ZR 184/91, BGHZ 120 216, 225 ff. = VersR 1993 312, 314 f. (juris Rn. 21 ff.); BGH 23.4.1991 – XI ZR 128/90, BGHZ 114 238, 246 f. = NJW 1991 1886, 1888 (juris Rn. 29). 1009 BGH 25.6.1991 – XI ZR 257/90, BGHZ 115 38, 46 = NJW 1991 2414, 2416 (juris Rn. 27). 1010 Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 14; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 112. 1011 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 207; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 29; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/ Pfeiffer6 § 307 Rn. 105a. 271

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Bestimmungen entwickelte Rechtssätze.1012 Verkehrssitte oder Handelsbrauch scheiden hingegen als Maßstab der Inhaltskontrolle aus.1013 Als Anknüpfungspunkt für eine wertende Auseinandersetzung mit bestehenden gesetzlichen Vorschriften ist zudem das dispositive Recht heranzuziehen. Zwingende Gesetzesregelungen entziehen sich dem Vergleichsmaßstab des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, da AGB bei einem Verstoß gegen zwingendes Recht von vornherein keine Wirkung entfalten.1014 Dem dispositiven Gesetzesrecht sowie den im Übrigen von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfassten „gesetzlichen Regelungen“ kommt insoweit bzgl. der Vergleichskontrolle mit den maßgeblichen AGB Leitbildfunktion zu.1015 Je weitreichender von dem daraus hervorgehenden gesetzlichen Leitbild abgewichen wird, desto größer ist die Gefahr einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners. Die Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung indiziert dabei eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung.1016 Entscheidend ist, dass von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Vorschrift ab320 gewichen wird. Nicht ausreichend ist, wenn es sich lediglich um eine Randbestimmung handelt.1017 Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit auch, ob die dispositive gesetzliche Regelung nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt. Dabei brauchen Grundgedanken eines Rechtsbereichs nicht in Einzelbestimmungen formuliert zu sein. Es reicht aus, dass sie in allgemeinen, am Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten und auf das betreffende Rechtsgebiet anwendbaren Grundsätzen ihren Niederschlag gefunden haben.1018 Zudem ist auch maßgeblich, ob die Klausel dem Schutz und Interesse des VN Rechnung trägt. Wird diese Intention durch die Vertragsgestaltung lediglich auf andere Weise als vom Gesetz vorgegeben verfolgt, der Schutzmaßstab des VN im Vergleich hierzu jedoch nicht herabgesetzt, kann nicht von einem Verstoß gegen Grundgedanken des Gesetzes ausgegangen werden.1019 Hierzu ist eine umfassende Abwägung der berechtigten Interessen aller am Vertragsverhältnis Beteiligten vorzunehmen.1020

2. Judikatur (Auswahl) 321 Abschluss- und Vertriebskosten/ „Riester“-Rentenversicherung: Eine in zertifizierten Altersvorsorgeverträgen verwendete Klausel, nach der die Abschluss- und Vertriebskosten gleichmäßig auf die ersten fünf Laufzeitjahre verteilt werden, benachteiligt die Anleger nicht unange1012 BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 831 (juris Rn. 16); BGH 21.12.1983 – VIII ZR 195/82, BGHZ 89 206, 209 f. = NJW 1984 1182, 1182 (juris Rn. 9); BGH 12.3.1987 – VII ZR 37/86, BGHZ 100 158, 163 = VersR 1987 712, 713 (juris Rn. 27); BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57-72 = VersR 2019 1284, 1288 (Rn. 29); Wolf/Lindacher/ Pfeiffer/Pfeiffer6 § 307 Rn. 108; Beckmann NJW 1996 1378, 1380. 1013 Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 386; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 207. 1014 v. Hoyningen-Huene Rn. 252; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 29; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 208; a. A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 385. 1015 BRHP/H.Schmidt4 § 307 Rn. 50; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 28; BGH 21.12.1983 – VIII ZR 195/82, BGHZ 89 206, 210 f. = NJW 1984 1182, 1182 f. (juris Rn. 12); BGH 17.2.1964 – II ZR 98/62, BGHZ 41 151, 153 ff. = WM 1964 472, 474. 1016 BGH 19.10.1999 – XI ZR 8/99, NJW 2000 651, 652 (juris Rn. 17); BGH 21.4.2009 – XI ZR 78/08, BGHZ 180 257, 265 f. = VersR 2010 950, 952 (Rn. 21). 1017 v. Hoyningen-Huene Rn. 262; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 387. 1018 BGH 25.6.1991 – XI ZR 257/90, BGHZ 115 38, 42 = NJW 1991 2414, 2415 (juris Rn. 17); BGH 11.10.2011 – VI ZR 46/10, BGHZ 191 150, 153 f. = VersR 2011 1524, 1524 f; (Rn. 10); BGH 21.12.1983 – VIII ZR 195/82, BGHZ 89 206, 210 f. = NJW 1984 1182, 1182 f. (juris Rn. 12); BGH 9.10.1985 – VIII ZR 217/84, BGHZ 96 103, 109 = NJW 1986 179, 180 (juris Rn. 20). 1019 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 108; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer6 § 307 Rn. 114; BRHP/H. Schmidt4 § 307 Rn. 57. 1020 BGH 28.1.2003 – XI ZR 156/02, BGHZ 153 344, 350 f. = NJW 2003 1447, 1448 (juris Rn. 26). Beckmann

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messen.1021 Nach einer in der Literatur auf Kritik1022 gestoßenen Entscheidung des OLG Köln hingegen ist eine Klausel, welche vorsieht, dass der VR die Abschluss- und Vertriebskosten in einem zweiwegigen Modell sowohl in den ersten 5 Jahren nach Vertragsschluss als auch zusätzlich auf die sonstige Prämienlaufzeit ansetzen darf, wodurch sich der Rückkaufswert reduzieren kann, unwirksam.1023 Abtretung/ Lebensversicherung: Eine Klausel einer Lebensversicherung, wonach die Abtretung der Versicherungsansprüche nur und erst dann wirksam ist, wenn sie der bisherige Verfügungsberechtigte schriftlich angezeigt hat, hält einer Inhaltskontrolle stand.1024 Die Abweichung vom Leitbild des § 398 BGB ist nicht unangemessen. Im Übrigen handelt es sich nur um einen abgeschwächten Abtretungsausschluss. Der neue und der alte Gläubiger haben es in der Hand, die Abtretung durch die Anzeige wirksam werden zu lassen;1025 vgl. im Übrigen indes § 108 Abs. 2 VVG (dazu bereits Rn. 273). Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB/ Handelsvertretervertrag: Eine Klausel, wonach der Handelsvertreter mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB auf ein unternehmerfinanziertes Treuegeld verzichtet, ist wirksam.1026 Es ist in das freie Ermessen des Unternehmers gestellt, durch Vereinbarung mit dem Vertreter von Anfang an den Anspruch auf ein Treuegeld nur in dem eingeschränkten Sinne entstehen zu lassen. Unwirksam ist hingegen eine Klausel, wonach in Höhe des Kapitalwerts einer auf der Grundlage eines Versicherungsvertreterverhältnisses von den VU finanzierten Versorgung aus Billigkeitsgründen kein Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB entsteht.1027 Bedingungsanpassungsklausel/ Krankheitskostenversicherung: Eine Klausel im Rahmen einer Krankheitskostenversicherung, die dem VR eine Änderung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen unter anderem bei Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung erlaubt, verstößt gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil sie mit Grundgedanken des § 203 Abs. 3 VVG nicht zu vereinbaren ist.1028 Die Klausel würde dem VR bei jeder Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Anpassungsmöglichkeit eröffnen, ohne dass es einer nachhaltigen Störung des Äquivalenzverhältnisses bedarf. Auch eine Klausel, die dem VR bei Auslegungszweifeln von Allgemeinen Versicherungsbedingungen eine Änderungsmöglichkeit einräumt, verstößt gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 305c Abs. 2 BGB.1029 Der VR entzieht sich durch eine solche Klausel den Folgen des § 305c Abs. 2 BGB, der bezweckt, denjenigen die Nachteile tragen zu lassen, der den Vorteil für sich in Anspruch nimmt, vorformulierte Bedingungen zum Vertragsinhalt werden zu lassen.1030 (vgl. im Übrigen bereits Rn. 227). Beschränkungen der Vollmacht eines Versicherungsvertreters: Beschränkungen der dem Versicherungsvertreter nach den §§ 69 und 71 VVG zustehenden Vertretungsmacht durch Allgemeine Versicherungsbedingungen sind gegenüber dem VN und Dritten bereits gemäß § 72 VVG unwirksam. Ebenfalls unwirksam ist eine Klausel, wonach der Vermittler über die Erheblich-

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BGH 7.11.2012 – IV ZR 292/10, VersR 2013 88, 88 f. (Rn. 9 ff.). Engeländer VersR 2016, 1542, 1545 f.; Armbrüster NJW 2017 1039, 1042. OLG Köln 2.9.2016 – 20 U 201/15, VersR 2016 1551, 1552 (juris Rn. 55). OLG Hamm 31.5.1996 – 20 U 34/96, VersR 1997 729 (juris Rn. 4). Vgl. BGH 31.10.1990 – IV ZR 24/90, VersR 1991 89, 90 (juris Rn. 24); BGH 19.2.1992 – IV ZR 111/91, VersR 1992 561, 562 (juris Rn. 17 ff.). 1026 BGH 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, VersR 2003 1253, 1253 f. (juris Rn. 11 ff.). 1027 BGH 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, BGHZ 153 6, 12 = VersR 2003 323, 324 (juris Rn. 14 ff.). 1028 OLG Celle 15.6.2006 – 8 U 26/06, VersR 2006 1105, 1106 (juris Rn. 32 ff.); BGH 23.1.2008 – IV ZR 169/06, VersR 2008 482, 483 (Rn. 7 ff.). 1029 OLG Celle 15.6.2006 – 8 U 26/06, VersR 2006 1105, 1111 (juris Rn. 89 ff.); BGH 23.1.2008 – IV ZR 169/06, VersR 2008 482, 483 (Rn. 13). 1030 OLG Celle 15.6.2006 – 8 U 26/06, VersR 2006 1105, 1111 (juris Rn. 90); BGH 23.1.2008 – IV ZR 169/06, VersR 2008 482, 483 (Rn. 13). 273

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keit von Antragsfragen oder Erkrankungen keine verbindlichen Erklärungen abgeben darf.1031 Für Erklärungen des Kunden, die das bestehende Vertragsverhältnis betreffen, billigte der BGH jedoch eine solche vollmachtsbeschränkende Klausel.1032 Der BGH begründete seine Auffassung damit, dass § 47 VVG a. F. eine Beschränkung der Empfangsvollmacht im Grundsatz zulasse. § 72 VVG hingegen lässt die Wirksamkeit einer solchen Klausel nicht mehr zu. Eine Differenzierung zwischen Erklärungen vor Vertragsschluss und solchen nach Vertragsschluss nimmt das Gesetz nicht vor. Die neue Vorschrift schließt daher zum Schutz des VN zu Recht generell aus, dass ihm Beschränkungen der dem Vertreter nach §§ 69 und 71 VVG eingeräumten Vollmacht über die Allgemeinen Versicherungsbedingungen entgegengehalten werden können.1033 Bezugsberechtigungen/ Lebensversicherung: Eine Klausel, wonach die Änderung der Bezugsberechtigung nur und erst dann wirksam ist, wenn sie der bisherige Verfügungsberechtigte schriftlich angezeigt hat, hält einer Inhaltskontrolle stand.1034 Datenübermittlung: Eine Klausel, wonach eine Datenübermittlung uneingeschränkt infolge einer pauschalen Einwilligung und ohne Interessenabwägung im Einzelfall möglich ist, wurde wegen eines Verstoßes gegen den wesentlichen Grundgedanken des § 14 BDSG a. F. für unwirksam gehalten1035 (vgl. im Übrigen bereits Rn. 280). Entsprechendes wird man auch unter Geltung der Neuregelung des Art. 6 DS-GVO annehmen müssen, da gem. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a DS-GVO i. V. m. Art. 4 Nr. 11 DS-GVO eine Einwilligung unter Beachtung des Bestimmtheitsgebots1036 von Nöten ist.1037 Ebenfalls unwirksam ist eine Klausel, in der der Kunde sich durch Ankreuzen in der betreffenden Rubrik damit einverstanden erklärt, zusätzliche Angebote und Informationen des Vertragspartners und seiner Partnerunternehmen auch im Wege telefonischer Werbekontakte zu erhalten.1038 Entschädigungsgrenze/ Hausratversicherung: Weder als ungewöhnlich noch überraschend ist § 28 VHB 2003 angesehen worden, der die Entschädigung für Wertsachen wie Schmucksachen, die sich außerhalb verschlossener Wertschutzschränke befinden, auf 25 000 EUR begrenzt.1039 Entschädigungsgrenze, insbesondere Gesamtentschädigungsgrenze bei Mehrfachversicherung/ Hausratversicherung: Eine Klausel einer Hausratsversicherungsbedingung, wonach sich beim Bestehen mehrerer Versicherungsverträge der Anspruch auf die Versicherungsleistung in der Weise ermäßigt, dass aus allen Verträgen insgesamt keine höhere Entschädigung geleistet wird, als wenn der Gesamtbetrag der Versicherungssummen im vorliegenden Vertrag in Deckung gegeben worden wäre, ist mit den wesentlichen Grundgedanken des § 59 Abs. 1 VVG a. F. (jetzt geregelt in § 78 Abs. 1 VVG) vereinbar.1040 Ohne die Vereinbarung einer solchen Gesamtentschädigungsgrenze wäre es einem VN möglich, statt eines Vertrages mit hoher Versicherungssumme mehrere Verträge mit niedrigen Versicherungssummen zu schließen, um dadurch ohne zusätzliche Prämie mehr Versicherungsschutz zu erhalten. Solche Umgehungen zu 1031 BGH 18.12.1991 – IV ZR 299/90, BGHZ 116 387, 391 = VersR 1992 217, 218 (juris Rn. 23). 1032 BGH 10.2.1999 – IV ZR 324/97, VersR 1999 565, 567 f. (juris Rn. 39 ff.); kritisch hierzu Ulmer/Brandner/Hensen/ H. Schmidt12 Besondere Klauseln, Vertragstypen und AGB-Werke Teil 2 (60) Rn. 7. RegEVVGRefG 78. Vgl. für den Fall der Abtretung OLG Hamm 31.5.1996 – 20 U 34/96, VersR 1997 729, 729 (juris Rn. 4 ff.). Vgl. BGH 19.9.1985 – III ZR 213/83, BGHZ 95 362, 367 f. = NJW 1986 46, 47 (juris Rn. 21 ff.). BeckOK-DatenschutzR/Stemmer (Stand: 1.11.2019) DS-GVO Art. 7 Rn. 74 ff. Vgl. Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Klement DSGVO Art. 7 Rn. 69. LG München I 1.2.2001 – 12 O 13009/00, VuR 2001 229, 230 ff.; zum Datenschutz im privaten Versicherungsrecht vgl. auch BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669. 1039 OLG Celle 23.9.2010 – 8 U 47/10, VersR 2011 211, 212 (juris Rn. 34); vgl. auch Saarländisches OLG 7.7.2010 – 5 U 613/09 – 124, 5 U 613/09, VersR 2011 489 f. (juris Rn. 28 ff.) betr. § 19 Nr. 3c VHB 92 mit einer Wertgrenze von 40.000 DM (also 20.452 EUR); vgl. auch LG Hamburg 20.2.2009 – 302 O 143/08, VersR 2009 1618, 1618 f. (juris Rn. 18) betr. § 28 Nr. 3 VHB 2002 mit einer Wertgrenze von 20 000 EUR. 1040 BGH 6.12.1995 – IV ZR 363/94, VersR 1996 322, 323 (juris Rn. 17); Saarländisches OLG 28.3.2012 – 5 U 378/ 11 – 54, 5 U 378/11, VersR 2012 1298, 1299 (juris Rn. 32).

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verhindern, entspricht einem berechtigten Interesse des VR, aber auch einem solchen der Versichertengemeinschaft.1041 Entschädigungsgrenze: siehe auch bereits vorstehend Rn. 328. Erfüllungsort: § 36 Abs. 1 VVG, der den Wohnsitz des VN als Leistungsort für die Zahlung der Prämie festlegt, ist grundsätzlich abänderbar, da die Vorschrift nicht in § 42 VVG genannt ist.1042 Soweit jedoch infolge abweichender Bestimmungen in AVB der VN ohne eigenes Verschulden durch Verzögerungen der Bank des VR um den Versicherungsschutz gebracht werden könnte, sind sie im Hinblick auf § 307 BGB bedenklich.1043/1044 Ersatz der Mehrwertsteuer/ Wiederbeschaffungswert/ Kaskoversicherung: Eine Klausel, wonach der Kaskoversicherer bei Beschädigung des Fahrzeuges in den Fällen, in denen das Fahrzeug nicht oder nicht vollständig repariert wird, die geschätzten erforderlichen Kosten der Wiederherstellung bis zur Höhe der Wiederbeschaffungskosten ersetzt, so dass die Leistungsgrenze dann der um den Restwert des Fahrzeugs verminderte Wiederbeschaffungswert ist, ist mit § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu vereinbaren.1045 Auch eine Klausel in den Bedingungen, wonach der VR die Mehrwertsteuer nur ersetzt, wenn der VN diese tatsächlich bezahlt hat, verstößt nicht gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.1046 Sofern jedoch der VN nicht deutlich erkennen kann, dass bei einer Ersatzbeschaffung die Erstattung der dafür gezahlten Mehrwertsteuer ausgeschlossen sein soll, liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vor.1047 Diese Rechtsprechung zum Ausschluss einer Mehrwertsteuererstattung bei fiktiver Abrechnung des Schadens wurde nunmehr fortgeführt.1048 Gerichtsstandsvereinbarungen: Gemäß § 215 Abs. 1 VVG ist für Klagen aus dem Versicherungsvertrag oder der Versicherungsvermittlung auch das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der VN zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für Klagen gegen den VN ist dieses Gericht ausschließlich zuständig.1049 Gemäß § 215 Abs. 3 VVG kann hiervon nur abgewichen werden, wenn der VN nach Vertragsschluss seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich des VVG verlegt oder sein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klageerhebung unbekannt ist. Des Weiteren ist gemäß § 210 VVG eine Abweichung möglich, wenn es sich um ein in § 210 Abs. 2 Satz 1 VVG genanntes Großrisiko handelt. Grobe Fahrlässigkeit/ Kaskoversicherung für Wassersportfahrzeuge: Die Bestimmung in § 5 Nr. 1 lit. a AVB Wassersportfahrzeuge 1993, wonach grob fahrlässig durch den VN oder durch den Fahrzeugführer herbeigeführte Schäden nicht versichert sind, verstößt gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.1050 Haftungsfreistellung/ Vertragslückenschließung/ Autovermietung: Eine in den AVB eines Autovermietungsunternehmens enthaltene Klausel, wonach die gegen Zahlung eines zusätzlichen Entgelts gewährte Haftungsfreistellung entfällt, wenn der Mieter gegen die ebenfalls in den AGB enthaltene Verpflichtung verstößt, bei einem Unfall die Polizei hinzuzuziehen, ist nach § 307 BGB unwirksam. In dieser Konstellation haben sich nach Ansicht des BGH die AGB 1041 BGH 6.12.1995 – IV ZR 363/94, VersR 1996 322, 323 (juris Rn. 22). 1042 Prölss/Martin/Reiff30 § 36 Rn. 19; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 24; a. A. wohl allein AGB-Klauselwerke/Präve Rn. 131, welcher in der Vorschrift ein gesetzliches Leitbild i. S. d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB sieht.

1043 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 36 Rn. 3; Prölss/Martin/Knappmann29 § 36 Rn. 3; HK-VVG/Karczewski4 § 36 Rn. 3; Wolf/Horn/Lindacher/Horn4 § 23 Rn. 474; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 403.

1044 Vgl. dazu auch Bruck/Möller/Beckmann9 § 36 Rn. 43. 1045 OLG Frankfurt 12.11.1998 – 15 U 269/97, VersR 2000 1010, 1011 (juris Rn. 29); OLG Saarbrücken 22.4.2020 – 5 U 55/19, VersR 2020 899 f. (juris Rn. 16). 1046 BGH 24.5.2006 – IV ZR 263/03, VersR 2006 1066, 1067 (Rn. 17). 1047 BGH 24.5.2006 – IV ZR 263/03, VersR 2006 1066, 1068 (Rn. 24, 26). 1048 BGH 4.11.2009 – IV ZR 35/09, VersR 2010 208 (Rn. 11); BGH 2.10.2018 – VI ZR 40/18, VersR 2018 1530 (Rn. 6). 1049 Zum Meinungsstreit zur Anwendbarkeit des § 215 Abs. 1 VVG auf juristische Personen Beckmann/MatuscheBeckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 6 f. 1050 OLG München 6.12.2005 – 25 U 3834/04, VersR 2006 970, 971 (juris Rn. 28). 275

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der Autovermietung am Leitbild der Kaskoversicherung zu orientieren. Eine Vertragsbestimmung in AGB eines VR, nach der eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung des VN grundsätzlich zur Leistungsfreiheit des VR führt, verstieße indes gegen das Leitbild des § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG und wäre deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Die durch die Unwirksamkeit der Klausel entstehende Vertragslücke kann durch die Heranziehung von § 28 Abs. 2 und 3 VVG geschlossen werden.1051 Heilbehandlung/ Krankheitskostenversicherung: Die Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskostenversicherung, wonach sich der Versicherungsschutz auch (und nur) auf die Psychotherapie erstreckt, soweit sie eine medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit ist und von einem niedergelassenen approbierten Arzt oder in einem Krankenhaus durchgeführt wird, ist AGB-rechtlich nicht zu beanstanden.1052 Inhaberklausel/ Lebensversicherung: Eine Klausel eines Lebensversicherungsvertrages, wonach der VR den Inhaber des Versicherungsscheins als berechtigt ansehen kann, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere Leistungen in Empfang zu nehmen, ist mit den wesentlichen Grundgedanken des § 4 VVG zu vereinbaren.1053 Kostenanrechnungsklausel/ D&O-Versicherung: Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass eine Anrechnung derjenigen Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten, die der VR selbst veranlasst hat, auf die Versicherungssumme dem Leitbild des § 150 Abs. 2 VVG a. F. widerspricht, so dass eine unangemessene Benachteiligung des VN § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzunehmen sei.1054 Zur Frage der Transparenz siehe Rn. 304. Kündigung: Klauseln, in denen sich der VR ein sofortiges Kündigungsrecht für den Fall vorbehält, dass der VN trotz Mahnung mit den Beiträgen in Verzug gerät, und in denen dem VN eine Ablösungspauschale von drei Monatsbeiträgen auferlegt wird, wenn er von seinem nach dem Vertrag allein zulässigen Kündigungsrecht aus wichtigem Grund Gebrauch macht, sind unwirksam.1055 Sie verstoßen bereits gegen die strengen Anforderungen des § 38 VVG. Zugleich liegt eine unangemessene Benachteiligung des VN vor.1056 Kündigung/ Rentenversicherung: Hingegen ist eine Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen wirksam, die bei einer privaten Rentenversicherung gegen Einmalbeitrag das ordentliche Kündigungsrecht ausschließt, da es bei Rentenversicherungen mit sofort beginnender Rentenzahlung gegen Einmalbetrag ein gesetzliches Leitbild der Kündbarkeit solcher Versicherungen nicht gibt.1057 Mehrfachversicherung: siehe Entschädigungsgrenzen (Rn. 329). Obliegenheitsverletzungen: Unabhängig von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB bestimmt bereits § 32 VVG, dass von den §§ 19–28 Abs. 4 VVG und § 31 Abs. 1 Satz 2 VVG nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden darf. Zwar ist § 28 Abs. 5 VVG in § 32 VVG nicht ausdrücklich genannt, jedoch ergibt sich dessen Unabdingbarkeit aus der Vorschrift selbst.1058 Auch pauschale Quoten in AVB im Rahmen von § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG sind zum Nachteil des VN unzulässig.1059 Diese können dazu führen, dass diese im Einzelfall über dem tatsächlichen Schweregrad des Verschuldens liegen; dies ist bereits mit § 32 VVG nicht vereinbar. 1051 BGH 24.10.2012 – XII ZR 40/11, VersR 2013 197, 198 (Rn. 21); BGH 14.3.2012 – XII ZR 44/10, VersR 2012 1573, 1575 (Rn. 27); so auch OLG Saarbrücken 24.6.2015 – 2 U 73/14 (juris Rn. 20); a. A. Maier RuS 2013 14. 1052 BGH 15.2.2006 – IV ZR 305/04, VersR 2006 643 (Rn. 7 ff.). 1053 BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709, 710 (juris Rn. 24); BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936, 937 (Rn. 10). 1054 OLG Frankfurt 9.6.2011 – 7 U 127/09, VersR 2012 432, 434 (juris Rn. 65); a. A. Koch VersR 2016 1405 ff. 1055 BGH 16.3.1988 – IVa ZR 247/84, NJW-RR 1988 819, 821 (juris Rn. 16). 1056 BGH 16.3.1988 – IVa ZR 247/84, NJW-RR 1988 819, 821 (juris Rn. 19). 1057 LG Dortmund 23.11.2006 – 2 O 52/06, RuS 2008 159, 160 f. (juris Rn. 40); OLG Hamm 17.8.2007 – 20 U 284/ 06, VersR 2008 383, 383 (juris Rn. 29). 1058 RegEVVGRefG S. 70. 1059 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 246; Prölss/Martin/Armbrüster30 § 28 Rn. 239; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 203; vgl. grds. Waller AVB und Quote (2018) 323. Beckmann

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Policendarlehen/ Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Eine Klausel, wonach der Verzug des VN mit Zinsen für ein sog. Policendarlehen die Rechtsfolgen des § 39 VVG a. F. (jetzt § 38 VVG) auslöst, benachteiligt den VN entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist damit gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.1060 Sie weicht von den wesentlichen Grundgedanken des § 38 Abs. 2 VVG erheblich ab.1061 Rabattklausel/ Luftfahrtkaskoversicherung: Eine Bestimmung in AVB einer Luftfahrtkaskoversicherung, nach der der VR zu Beginn des Versicherungsjahres einen prozentualen Nachlass auf den Jahresbeitrag gewährt, welcher wieder entfallen soll, wenn der VR während des Versicherungsjahres einen Schaden bezahlt oder der VN den Vertrag nicht um ein weiteres Jahr bei bestimmten VU verlängert, unterliegt als Rabattklausel, welche die Prämienhöhe unmittelbar bestimmt, nicht der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 Abs. 1 und 2, 308, 309 BGB.1062 Repräsentant: § 61 VVG a. F. (seit der VVG-Reform 2008 § 81 VVG) enthält den wesentlichen Grundgedanken, dass der VN (hier einer Feuerversicherung) grundsätzlich nur für sein eigenes Handeln haftet.1063 Jedoch rechnet die Rechtsprechung das Handeln und Wissen eines Dritten dem VN in engen Grenzen zu und bejaht die Repräsentanteneigenschaft des Dritten dann, wenn ihm die alleinige Obhut über die versicherte Sache und die Risikoverwaltung nicht nur vorübergehend übertragen war.1064 Zwar ist die Vorschrift des § 81 Abs. 1 VVG grundsätzlich abänderbar, da sie nicht in § 87 VVG genannt ist. Dieser Umstand erlaubt dem VR aber nicht, die Norm schrankenlos durch die Gestaltung seiner AVB auszudehnen. In der Ausgestaltung, die § 81 Abs. 1 VVG durch die Rechtsprechung erfahren hat, kommt dieser Vorschrift jedenfalls für die Hausratversicherung eine Leitbildfunktion zu. Der wesentliche Grundgedanke ist, dass grundsätzlich nur der VN haftet und das Handeln oder Wissen eines Dritten ihm nur in den Grenzen der Repräsentantenhaftung zugerechnet wird.1065 Eine Klausel in der Hausratversicherung, wonach Schäden nicht versichert sind, die eine mit dem VN in häuslicher Gemeinschaft lebende volljährige Person vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt, ist daher gemäß § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.1066 Ebenfalls unwirksam ist eine Klausel, wonach sich in der Hausratversicherung der Versicherungsschutz gegen Einbruchdiebstahl und Raub nicht auf Schäden durch vorsätzliche Handlungen von Hausangestellten oder Personen erstreckt, die bei dem VN wohnen.1067 Risikoausschlussklauseln/ Reisekrankenversicherung: Die Zulässigkeit von Risikoausschlussklauseln ist vorrangig an den §§ 19 ff. VVG zu messen. Gemäß § 32 VVG darf von den §§ 19–28 Abs. 4 VVG und § 31 Abs. 1 Satz 2 VVG nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. Die wichtigste Neuerung ist darin zu sehen, dass der VN grundsätzlich nur solche ihm bekannten Umstände anzeigen muss, nach denen der VR in Textform gefragt hat. Von den Grundsätzen der §§ 19 ff. VVG kann auch dann nicht abgewichen werden, wenn Verträge betroffen sind, die kurzfristig im Massengeschäft getätigt und nur zu einer relativ kurzen Vertragsdauer geschlossen werden, wie dies beispielsweise in der Reisekrankenversicherung der Fall ist.1068 Sachkosten/ Krankheitskostenversicherung: Die Erstattungsfähigkeit zahnärztlicher Sachkosten kann durch Einführung von Höchstgrenzen unter Anknüpfung an bestimmte Leistungen in einer dem gewählten Tarif angehängten sog. Sachkostenliste beschränkt werden.1069 Ein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt nicht vor. In diesem Zusammenhang können 1060 1061 1062 1063 1064

BGH 27.1.1999 – IV ZR 72/98, BGHZ 140 319, 325 = VersR 1999 433, 434 (juris Rn. 19). BGH 27.1.1999 – IV ZR 72/98, BGHZ 140 319, 325 = VersR 1999 433, 434 (juris Rn. 19). BGH 13.7.2005 – IV ZR 83/04, VersR 2005 1417, 1418 (juris Rn. 15). BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 831 (juris Rn. 16, 18). BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 831 (juris Rn. 16); BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 230 f. = VersR 1989 737 (juris Rn. 8). 1065 BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 831 (juris Rn. 18). 1066 BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 831 (juris Rn. 15, 19). 1067 BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 831 (juris Rn. 19). 1068 BGH 2.3.1994 – IV ZR 109/93, VersR 1994 549, 551 (juris Rn. 43); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 400 m. w. N. 1069 BGH 18.1.2006 – IV ZR 244/04, VersR 2006 497, 498 (Rn. 11 ff.). 277

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Regelungen aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, wie etwa insbesondere die sog. BEL-Liste (Bundeseinheitliches Leistungsverzeichnis), nicht herangezogen werden. Private Versicherungen sind nach ihren eigenen privatrechtlichen Regelungen und ihrem eigenen Vertragszweck zu beurteilen. Die Gesetze zur Sozialversicherung geben wegen ihrer Andersartigkeit und ihrer anderen Leistungsvoraussetzungen insoweit keinen tauglichen Maßstab für die Beurteilung, ob der VN einer privaten Krankenversicherung unangemessen benachteiligt wird.1070 Sachverständigenkosten/ Hausratversicherung: Eine Klausel im Rahmen einer Hausratversicherung, wonach der VN abweichend von § 66 Abs. 2 VVG a. F. (jetzt § 85 Abs. 2 VVG) die Kosten eines Sachverständigen auch dann zu tragen hat, wenn er zu der Zuziehung vertraglich verpflichtet oder vom VR dazu aufgefordert wurde, stellt eine unangemessene Benachteiligung des VN dar. Die Bestimmung verstößt gegen wesentliche Grundgedanken des § 85 Abs. 2 VVG und ist daher gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.1071 Schlüsselklausel/ Hausratversicherung: Die Beurteilung der sog. Schlüsselklausel, wonach Versicherungsschutz für einen Diebstahl von Hausrat mittels eines echten Schlüssels nur dann besteht, wenn der VN glaubhaft macht, dass der Diebstahl des Schlüssels weder durch eigene Fahrlässigkeit noch die eines anderen Gewahrsamsinhabers begünstigt wurde, ist umstritten. Nach teilweise vertretener Ansicht verstößt die Klausel gegen den wesentlichen Grundgedanken des § 81 Abs. 1 VVG und ist daher gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.1072 Eine beachtliche Gegenansicht vermag eine unangemessene Benachteiligung nicht zu erkennen und geht von der Wirksamkeit der Klausel aus.1073 Auch das OLG Köln hat keine AGB-rechtlichen Bedenken an einer Schlüsselklausel, die als Einbruchdiebstahl gelten lässt, wenn der Dieb mittels richtiger Schlüssel eindringt, die er durch Raub oder ohne fahrlässiges Verhalten des berechtigten Besitzers durch Diebstahl an sich gebracht hat. Eine unzulässige Abweichung von dem wesentlichen Grundgedanken des § 81 VVG kann nicht festgestellt werden, da es sich nicht um eine unzulässige Einschränkung der „Einbruchsversicherung“ handelt, sondern um eine inhaltlich klar beschränkte Erweiterung des Versicherungsschutzes über eine reine Einbruchsversicherung hinaus (besondere primäre Risikobeschreibung für ein atypisches Risiko).1074 Schriftform/ Lebensversicherung: Klauseln eines Lebensversicherungsvertrages, wonach bestimmte Willenserklärungen oder Anzeigen des VN gegenüber dem VR, z. B. die Änderung eines Bezugsrechts oder die Anzeige einer Abtretung, der Schriftform bedürfen, sollen wirksam sein.1075 Serienschadenklausel/ Vermögensschadenhaftpflichtversicherung: Die Wirksamkeit einer sog. Serienschadenklausel in der Haftpflichtversicherung, wonach mehrfaches, auf gleicher oder gleichartiger Fehlerquelle beruhendes Tun oder Unterlassen als einheitlicher Verstoß gilt, wenn die betreffenden Angelegenheiten miteinander in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, hat der BGH ausdrücklich offengelassen.1076

1070 BGH 18.1.2006 – IV ZR 244/04, VersR 2006 497, 498 f. (Rn. 16). 1071 BGH 3.3.1982 – IVa ZR 256/80, BGHZ 83 169, 174 = VersR 1982 482, 483 (juris Rn. 18). 1072 Prölss/Martin/Armbrüster30 § 81 Rn. 82; OLG Karlsruhe 19.9.1996 – 12 U 128/96, VersR 1997 1230, 1231; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 411; zur Schlüsselklausel vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Rüffer3 § 33 Rn. 43 ff. 1073 OLG Braunschweig 13.2.2013 – 3 U 46/12, VersR 2013 859, 860 (juris Rn. 28); OLG Hamm 21.7.2004 – 20 U 86/ 04, VersR 2005 220, 221 (juris Rn. 25); OLG Koblenz 28.6.2002 – 10 U 328/01, VersR 2002 1146, 1146 f.; OLG Frankfurt 21.12.1988 – 7 U 180/87, VersR 1989 623, 624. 1074 OLG Köln 21.8.2012 – I-9 U 42/12, 9 U 42/12, VersR 2013 715, 716 (juris Rn. 11); kritisch gegenüber dieser Rechtsprechung Wälder RuS 2013 176, welcher insbesondere das Scheitern des Versicherungsschutzes an einfacher Fahrlässigkeit entgegen § 81 Abs. 2 VVG sowie das ausreichende schuldhafte Verhalten anderer Personen als des VN hinterfragt. 1075 RegEVVGRefG S. 78; ebenso BGH 31.10.1990 – IV ZR 24/90, BGHZ 112 387 (zu kurz abgedruckt) = VersR 1991 89, 90 (juris Rn. 24); BGH 19.2.1992 – IV ZR 111/91, VersR 1992 561, 562 (juris Rn. 18 f.). 1076 BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, VersR 2003 1389, 1390 (juris Rn. 22). Beckmann

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Sozienklausel/ Vermögensschadenhaftpflichtversicherung: Eine Ausschlussklausel, durch die nicht nur berufshaftpflichtversicherte Sozien einer Anwaltskanzlei, sondern auch sog. Scheinsozien erfasst werden, ist nach Ansicht des BGH weder überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB noch werde damit vom Leitbild des § 152 VVG a. F. (jetzt § 103 VVG) abgewichen.1077 Telefonwerbung: Eine Klausel, in der der Kunde sich durch Ankreuzen in der betreffenden Rubrik damit einverstanden erklärt, zusätzliche Angebote und Informationen des Vertragspartners und seiner Partnerunternehmen auch im Wege telefonischer Werbekontakte zu erhalten, ist unwirksam.1078 Vergütung des Versicherungsmaklers/ Vermittlungsvereinbarung: Die Geltung des sog. Schicksalsteilungsgrundsatzes, wonach die Maklerprovision das Schicksal der Versicherungsprämie „im Guten wie im Schlechten“ teilt, kann in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Provisionsvereinbarung zwischen dem Makler und dem Kunden für die Vermittlung einer Lebensversicherung mit Nettopolice wirksam ausgeschlossen werden. Darin liegt weder eine gegen die Gebote von Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Maklerkunden, noch weicht eine derartige Abrede von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab.1079 Vertragsanpassung/ Krankheitskostenversicherung: Eine Klausel in Bedingungen der Krankheitskostenversicherung, die dem VR eine Änderung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen unter anderem bei Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung erlaubt, verstößt gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil sie mit dem Grundgedanken des § 178g Abs. 3 VVG a. F. (jetzt § 203 Abs. 3 VVG) nicht zu vereinbaren ist.1080 Zudem ist eine Klausel unwirksam, die dem VR bei Auslegungszweifeln von Allgemeinen Versicherungsbedingungen eine Änderungsmöglichkeit einräumt, weil sie dem Leitbild des § 305c Abs. 2 BGB widerspricht.1081 Zahlungen vor Reisebeginn/ Reiseinsolvenzversicherung: In einem Versicherungsvertrag zwischen Reiseveranstalter und VR, mit dem der Reiseveranstalter seiner Verpflichtung aus § 651r BGB zur Absicherung des Risikos der Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz entsprechen will, sind Klauseln unwirksam, die den Versicherungsschutz des Reisenden für Anzahlungen auf Zahlungen bis zu einem bestimmten Höchstbetrag und für weitere Zahlungen auf solche beschränken, die binnen bestimmter Frist vor Reisebeginn erfolgen.1082 Zahlungsverzug: Eine Klausel, wonach der VR im Falle des Verzugs mit der Zahlung der Folgeprämie bereits nach Mahnung zur sofortigen Kündigung berechtigt ist, verstößt gegen den wesentlichen Grundgedanken des § 38 VVG und ist daher gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.1083 Zurechnungsklausel/ Rechtsschutzversicherung: Die Zurechnungsklausel in der Rechtsschutzversicherung gem. § 17 Abs. 7 ARB 2010, wonach der VN sich bei der Erfüllung seiner Obliegenheiten die Kenntnis und das Verhalten des von ihm beauftragten Rechtsanwalts zurechnen lassen muss, sofern dieser die Abwicklung des Rechtsschutzfalls gegenüber dem VR übernimmt, hat

1077 BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257, 1257 (Rn. 8); zur Sozienklausel vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 84 sowie Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 26 Rn. 294, 323. 1078 LG München I 1.2.2001 – 12 O 13009/00, VuR 2001 229, 230 ff. 1079 BGH 20.1.2005 – III ZR 207/04, VersR 2005 404, 405 (juris Rn. 23); so auch OLG Frankfurt 25.9.2001 – 8 U 70/ 01, VersR 2003 1571, 1572; OLG Nürnberg 24.4.2001 – 3 U 4515/00, VersR 2003 1574, 1574; entgegen LG Karlsruhe 3.7.2003 – 5 S 25/03, VersR 2004 110, 110 (juris Rn. 13); LG Nürnberg-Fürth 10.9.1999 – 16 S 4835/98, VersR 2000 1235, 1235 und AG Berlin-Neukölln 27.6.2002 – 10a C 102/02, VersR 2003 504, 504 f. 1080 OLG Celle 15.6.2006 – 8 U 26/06, VersR 2006 1105, 1106 (juris Rn. 34); BGH 23.1.2008 – IV ZR 169/06, VersR 2008 482, 483 (Rn. 7). 1081 OLG Celle 15.6.2006 – 8 U 26/06, VersR 2006 1105, 1111 (juris Rn. 90); BGH 23.1.2008 – IV ZR 169/06, VersR 2008 482, 483 (Rn. 13). 1082 BGH 28.3.2001 – IV ZR 19/00, VersR 2001 714, 715 f. (juris Rn. 19 ff.); anders Vorinstanz OLG Köln 17.12.1999 – 6 U 59/99, VersR 2000 1494, 1496 (juris Rn. 22 ff.). 1083 BGH 16.3.1988 – IVa ZR 247/84, NJW-RR 1988 819, 821 (juris Rn. 16). 279

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der BGH gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB für unwirksam erklärt.1084 Sie übertrage das Zurechnungsmodell des § 278 BGB auf die Obliegenheiten des VN und setze sich damit in Widerspruch zu der Rechtsprechung, die dem VN das Handeln und Wissen eines Dritten nur in engen Grenzen zurechnet und die Repräsentanteneigenschaft des Dritten nur unter besonderen Voraussetzungen bejaht.

VIII. Vertragszweckgefährdende Einschränkung wesentlicher Rechte und Pflichten (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) 1. Grundsätze 357 Gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Eine Einschränkung wesentlicher Rechte und Pflichten reicht demnach zur Unwirksamkeit der Klausel nicht aus. Hinzukommen muss als weiteres Tatbestandsmerkmal die Gefährdung des Vertragszwecks.1085 Entsprechend der Unvereinbarkeitsprüfung in § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt hier die abschließende und entscheidende Wertungsstation für den Rechtsanwender; gleichzeitig kommt in ihm der Aushöhlungsgedanke als eigenständiger Wertungsgesichtspunkt besonders deutlich zum Ausdruck.1086 In sachlicher Hinsicht tritt eine Fokussierung auf bestimmte zentrale Kundeninteressen ein.1087 Außerhalb des eigentlichen Vertragszwecks liegende Interessen werden vom Schutz des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht erfasst.1088 Ebenso gefährdet nicht schon jede Leistungsbegrenzung den Vertragszweck. Eine solche Gefährdung liegt vielmehr erst dann vor, wenn mit der Begrenzung der Leistung der Vertrag ausgehöhlt werden kann und damit der Versicherungsvertrag in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird.1089

2. Judikatur (Auswahl) 358 Abschlusskostenverrechnung/ Lebensversicherung: Formularklauseln in Lebensversicherungsverträgen, die eine Verrechnung der Abschlusskosten im Wege des sog. Zillmerverfahrens mit den ersten Beiträgen des VN vorsehen, stellen eine unangemessene Benachteiligung des VN dar und sind somit materiell unwirksam.1090 Es müsse nicht hingenommen werden, dass durch solche Kostenverrechnungsklauseln ein Rückkaufswert nicht vorhanden oder nur sehr niedrig

1084 BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223 57-72 = VersR 2019 1284, 1287 f. (Rn. 29). 1085 BGH 3.3.1988 – X ZR 54/86, BGHZ 103 316, 321 = VersR 1988 847, 847 (juris Rn. 25); BGH 12.3.2014 – IV ZR 295/13, BGHZ 200 293, 303 f. VersR 2014 567, 569 (Rn. 28); Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 36.

1086 Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 278. 1087 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 263. 1088 BGH 9.11.1989 – IX ZR 269/87, VersR 1990 91, 93 (juris Rn. 42); Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 263; Palandt/Grüneberg78 § 307 Rn. 36.

1089 BGH 19.11.1997 – IV ZR 348/96, BGHZ 137 174, 176 = VersR 1998 175, 176 (juris Rn. 11); BGH 12.3.2014 – IV ZR 295/13, BGHZ 200 293, 304 = VersR 2014 567, 569 (Rn. 28); BGH 25.7.2012 – IV ZR 201/10, BGHZ 194 208, 216 = VersR 2012 1149, 1153 (Rn. 18); BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257, 1258 (Rn. 26). 1090 BGH 25.7.2012 – IV ZR 201/10, BGHZ 194 208, 214 = VersR 2012 1149, 1152 (Rn. 14); inzwischen von BGH 17.10.2012 – IV ZR 202/10, VersR 2013 213, 216 (Rn. 11); BGH 14.11.2012 – IV ZR 198/10, VersR 2013 1116, 1118 (Rn. 11) bestätigt. Beachte auch die Anwendbarkeit dieser Grundsätze bei der Klauselverwendung durch einen VVaG, vgl. BGH 19.12.2012 – IV ZR 200/10, VersR 2013 565, 569 (Rn. 11). Zu den sich aus der materiellen Unwirksamkeit dieser Klausel ergeben Rechtsfolgen BGH 11.9.2013 – IV ZR 17/13, BGHZ 198 195, 199 ff. = VersR 2013 1429, 1430 ff. (Rn. 10 ff.). Beckmann

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sei. Die „Zillmerabrede“ gefährdet somit aufgrund der unverhältnismäßigen Belastung des VN mit den Abschlusskosten den Vertragszweck.1091 Akute Behandlungsbedürftigkeit/ Reisekrankenversicherung: Die Klausel in einer Reisekrankenversicherung: „Keine Leistungspflicht besteht für solche Krankheiten oder Unfallfolgen, die bereits vor Beginn des Versicherungsschutzes akut behandlungsbedürftig waren“, ist wegen Verstoßes gegen § 307 BGB unwirksam.1092 Apothekenklausel/ Krankheitskostenversicherung: Eine Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer Krankheitskostenversicherung, wonach die Kostenerstattungspflicht für Arzneimittel sich auf solche beschränkt, die in Apotheken vertrieben werden, ist wirksam.1093 Ausschluss Rückkaufswert/ „Rürupp“-Rentenversicherung: Eine Kündigung mit der Folge der Beitragsfreistellung unter Ausschluss eines Anspruchs auf einen Rückkaufswert ist in Verträgen, bei denen der VN vom Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG profitiert, zulässig. Es liegt danach keine Aushöhlung des Vertragszwecks nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB vor, da es gerade dem gesetzlichen Leitbild entspricht, dass der VN nicht über das staatlich geförderte Vorsorgekapital verfügen kann.1094 Eintritt der Invalidität/ Unfallversicherung: Die Ausschlussfristklausel in der privaten Unfallversicherung, wonach die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht sein muss, verstößt nicht gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.1095 Der BGH hat wiederum die Klausel in einer InvaliditätsZusatzversicherung „Versicherungsschutz besteht nicht für Invalidität, die ganz oder überwiegend eingetreten ist aufgrund angeborener oder solcher Krankheiten, die im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten sind“, für unwirksam erklärt; durch einen derart weitreichenden Leistungsausschluss würde Sinn und Zweck der zugrunde liegenden Versicherung verfehlt, die das Risiko einer Invalidität der versicherten Person vom vollendeten ersten bis zum vollendeten 16. Lebensjahr durch schwere Krankheit oder Unfall erfasse.1096 Genesungsgeld/ Krankenhaustagegeldversicherung: Die pauschalierte Begrenzung des Genesungsgeldes auf die Dauer des Krankenhausaufenthalts in den besonderen Bedingungen der Krankenhaustagegeldversicherung benachteiligt den VN nicht unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.1097 Inhaberklausel/ Lebensversicherung: Eine Klausel einer Lebensversicherung, wonach der VR den Inhaber des Versicherungsscheins als berechtigt ansehen kann, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere Leistungen in Empfang zu nehmen, hält einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB stand.1098 Invaliditätsgrad/ Unfallversicherung: Eine Klausel, nach der Versicherungsschutz erst ab einem Invaliditätsgrad von mindestens 20 % gewährt wird, ist wirksam. Der Versicherungs-

1091 Vgl. Reiff VersR 2013 785, 786, der die Durchführung eines Klauselersetzungsverfahrens nach § 164 VVG zur Vermeidung schwerer Rechtsnachteile für geboten hält und ausführlich auf die Auswirkungen für die zwischen 2001 und 2007 geschlossenen Verträge im Hinblick auf die „Zehn-Euro-Klausel“ sowie die Stornoabzugsklauseln eingeht. 1092 BGH 2.3.1994 – IV ZR 109/93, VersR 1994 549, 551 (juris Rn. 43). 1093 LG Düsseldorf 22.3.2002 – 20 S 162/01, VersR 2003 53, 53 (juris Rn. 6). 1094 BGH 11.11.2015 – IV ZR 402/14, VersR 2016 241, 243 (Rn. 29 ff.). 1095 BGH 19.11.1997 – IV ZR 348/96, BGHZ 137 174, 177 = VersR 1998 175, 176 (juris Rn. 13); OLG Frankfurt 8.5.2003 – 3 U 136/02, RuS 2003 519, 519 (juris Rn. 18); OLG Koblenz 23.3.2001 – 10 W 88/01, RuS 2002 84, 84 (juris Rn. 8); OLG Koblenz 27.8.1999 – 10 U 1848/98, NVersZ 2000 174, 174 (juris Rn. 12). 1096 BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, VersR 2007 1690, 1692 (Rn. 24); anders noch KG Berlin 15.8.2006 – 6 U 175/ 05, VersR 2007 53, 55 f. (juris Rn. 38). 1097 OLG Rostock 24.11.2004 – 6 U 204/02, VersR 2006 207, 208 (juris Rn. 49). 1098 BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709, 709 ff. (juris Rn. 10 ff.). 281

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schutz für besonders schwerwiegende Unfallfolgen wird gewährleistet, weshalb keine Gefährdung des Vertragszwecks vorliegt.1099 Kostenausgleichsvereinbarung/ Rentenversicherung: Wird vom VR mit dem VN neben dem Vertrag über eine fondsgebundene Rentenversicherung eine gesonderte Kostenausgleichsvereinbarung geschlossen, wonach der VN die Abschlusskosten in monatlichen Raten unabhängig vom Fortbestand des Versicherungsvertrages zu zahlen hat, so ist eine Regelung in AGB über den Ausschluss des Kündigungsrechts für die Kostenausgleichsvereinbarung gem. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam, da diese eine unzulässige Beeinträchtigung des Rechts auf den Rückkaufswert darstellt.1100 Kündigungsrecht/ Krankentagegeldversicherung: Eine Klausel, mit welcher sich der VR in den ersten drei Jahren der Versicherung ein Recht zur ordentlichen Kündigung zum Jahresende vorbehält, mit dem er auch die Leistungen für bereits eingetretene Versicherungsfälle einstellen kann, ist wirksam. Es liegt insbesondere keine unangemessene Benachteiligung vor, soweit das Recht auf die ersten drei Jahre beschränkt wird.1101 Diese stelle eine Art Probezeit dar, die nicht den Vertragszweck gefährdet, da die private Krankentagegeldversicherung nur die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, nicht die langfristige Berufsunfähigkeit absichert.1102 Logopädenklausel/ Krankheitskostenversicherung: Eine Klausel, wonach Aufwendungen für eine Stimm-, Sprech- und Sprachübungsbehandlung nur erstattet werden, wenn die Behandlung vom Logopäden ausgeführt ist, gefährdet nicht den Vertragszweck im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.1103 Die Begrenzung der Erstattungspflicht im Bereich der Stimm-, Sprechund Sprachübungstherapie auf ärztliche Behandlung führt nicht zu einer Aushöhlung des Vertrages und damit dazu, dass der Versicherungsvertrag in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird.1104 Es wird insbesondere keine bestimmte Behandlungsmethode vom Leistungsumfang ausgenommen, sondern über die Klausel wird die Erstattungsfähigkeit lediglich auf die Behandlung durch niedergelassene approbierte Ärzte beschränkt. Das primäre Leistungsversprechen der Kostenübernahme für die medizinisch notwendige ärztliche Heilbehandlung bleibt unangetastet.1105 Medizinische Notwendigkeit betr. Auslandsreisekrankenversicherung siehe Staatsangehörigkeit Rn. 379. Nachweis medizinischer Notwendigkeit/ Krankheitskostenversicherung: Eine Klausel in der Krankheitskostenversicherung, wonach in Bezug auf Zahnersatzleistungen nur eine bestimmte Quote der Aufwendungen bis zu einem gestaffelten Rechnungshöchstbetrag pro Versicherungsjahr erstattet wird, wobei vom vierten Versicherungsjahr an unbegrenzte Leistungen gewährt werden, wenn dem VR vor Beginn der Behandlung die medizinische Notwendigkeit der Maßnahmen durch einen Heil- und Kostenplan nachgewiesen wird, ist wirksam.1106 Obliegenheitsbegriff als gesetzliches Leitbild/ Sportlermarktwertversicherung: Es gehört zum gesetzlichen Leitbild i. S. d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, dass das Wesen einer vertraglich vereinbarten Obliegenheit darin besteht, anhand der auferlegten Handlung klar und eindeutig erkennen zu können, was im Einzelnen verlangt wird (Transparenz). Hierbei ging es um die Vorlage des Nachweises einer dauernden Vollinvalidität innerhalb von 20 Tagen nach deren Beginn.1107

1099 OLG Karlsruhe 23.12.2014 – 9a U 13/14, VersR 2015 837, 838 (juris Rn. 13 f.). 1100 BGH 12.3.2014 – IV ZR 295/13, BGHZ 200 293, 304 f. = VersR 2014 567, 570 (Rn. 30); im Ergebnis zustimmend Reiff VersR 2014 571, 574. BGH 11.1.2017 – IV ZR 152/16, VersR 2017 540, 541 (Rn. 11); Hütt/Rauscher NJW 2017, 1543, 1545 f. BGH 11.1.2017 – IV ZR 152/16, VersR 2017 540, 541 (Rn. 14 ff.). BGH 27.10.2004 – IV ZR 141/03, VersR 2005 64, 66 (juris Rn. 31). Vgl. BGH 19.11.1997 – IV ZR 348/96, BGHZ 137 174, 176 = VersR 1998 175, 176 (juris Rn. 11 f.). BGH 27.10.2004 – IV ZR 141/03, VersR 2005 64, 66 (juris Rn. 31). BGH 14.12.1994 – IV ZR 3/94, VersR 1995 328, 329 f. (juris Rn. 24 ff.). BGH 16.9.2009 – IV ZR 246/08, VersR 2009 1659, 1661 (Rn. 16).

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„Psychoklausel“/ Unfallversicherung: Insbesondere im Bereich der Unfallversicherung 371 finden sich Risikoausschlüsse im Hinblick auf krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, z. B. in Ziff. 5.2.6 AUB 2008 (jetzt Ziff. 5.2.6 AUB 2014).1108 Vereinzelt wurden AGB-rechtliche Bedenken gegenüber entsprechenden Klauseln erhoben, zum einen im Hinblick auf das Transparenzgebot,1109 aber auch im Hinblick auf eine Gefährdung des Vertragszwecks gem. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.1110 Die wohl ganz überwiegende Ansicht betrachtet entsprechende Klauseln als wirksam gem. § 307 BGB; dabei wird insbesondere auf entsprechende Entscheidungen des BGH zu Vorgängerklauseln1111 hingewiesen;1112 in diesen Entscheidungen hat der BGH eine Auslegung dieser Klausel vorgegeben.1113 Psychotherapieklausel/ Krankheitskostenversicherung: Die in einem Krankheitskosten- 372 versicherungsvertrag aufgenommene sog. Psychotherapieklausel, der zufolge nur die Kosten einer psychotherapeutischen Behandlung durch einen niedergelassenen approbierten Arzt ohne Weiteres uneingeschränkt erstattet werden, während die Behandlung durch einen Diplom-Psychologen der vorherigen Zustimmung bedarf, ist keine überraschende Klausel.1114 Die Klausel stellt auch keine unangemessene Beeinträchtigung des VN durch Gefährdung des Vertragszwecks dar.1115 Ebenfalls wirksam ist die Tarifklausel einer privaten Krankenversicherung, der zufolge Versicherungsschutz auch für „Psychotherapie“ besteht, aber nur, soweit sie von einem approbierten Psychotherapeuten vorgenommen wird, der entweder die hierfür erforderliche staatliche Prüfung bestanden hat oder über eine abgeschlossene Zusatzausbildung an einem anerkannten Institut verfügt.1116 Unwirksam ist die in einer privaten Krankenversicherung enthaltene Tarifbedingung, nach 373 der Leistungen des VR für psychotherapeutische Behandlungen auf 30 Sitzungen oder 30 stationäre Behandlungstage während der Vertragsdauer beschränkt werden.1117 Eine solche Beschränkung der Leistungspflicht kommt in ihrer Auswirkung einem Leistungsausschluss nahe. Denn schon nach einer Behandlung, die zur Ausschöpfung der zugesagten Leistungen von 30 Sitzungen/Behandlungstagen führt, besteht ein Anspruch auf weitere Leistungen nicht mehr. Das gilt uneingeschränkt selbst in Fällen, in denen sich auch nach Erreichen der Leistungshöchstgrenze die Fortsetzung der Behandlung zur Heilung einer Krankheit als medizinisch notwendig erweist; es gilt auch dann, wenn sich nach einer Behandlung – und sei es nach vielen Jahren – eine weitere Behandlung als medizinisch notwendig darstellt, etwa weil eine Erkrankung wieder auftritt oder der VN an einer anderen Krankheit oder einer Unfallfolge leidet. Eine solche Regelung führt zu einer so wesentlichen Beschränkung der Rechte des VN, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.1118 Hingegen hat eine Regelung in AVB, nach der Aufwendungen für Psychotherapie höchstens für 30 Behandlungen beziehungsweise bei stationärem Krankenhausaufenthalt für 30 Behandlungstage je Kalenderjahr erstattet werden, einer Inhaltskontrolle ge-

1108 Vgl. auch OLG Köln 13.8.2010 – 20 U 43/10, I-20 U 43/10, VersR 2011 201 (zu einer formularmäßigen Klausel zum Leistungsausschluss bei Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung in einer Restschuld-Arbeitsunfähigkeitsversicherung). 1109 Schwintowski NVersZ 2002 395, 396 (zu § 2 Abs. 4 AUB 88). 1110 Thüringer OLG 20.3.2002 – 4 U 240/01, VersR 2002 1019, 1019 f. (zu § 2 Abs. 4 AUB 88). 1111 Etwa BGH 23.6.2004 – IV ZR 130/03, BGHZ 159 360 = VersR 2004 1039; BGH 29.9.2004 – IV ZR 233/03, VersR 2004 1449 (zu § 2 Abs. 4 AUB 94); BGH 15.7.2009 – IV ZR 229/06, VersR 2010 60 m. Anm. Abel. 1112 Bruck/Möller/Leverenz9 Bd. IX, AUB 2008 Ziff. 5.2.6 Rn. 39 m. w. N.; Prölss/Martin/Knappmann30 AUB 2010 Ziff. 5 Rn. 69; Langheid/Wandt/Dörner2 § 178 Rn. 196. 1113 Dazu etwa Marlow/Tschersich RuS 2013 157, 162; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen3 § 47 Rn. 104 ff. 1114 LG Köln 7.1.2004 – 23 S 68/03, VersR 2005 258, 259 (juris Rn. 10). 1115 LG Köln 7.1.2004 – 23 S 68/03, VersR 2005 258, 259 (juris Rn. 11). 1116 LG Berlin 10.12.2002 – 7 S 33/02, VersR 2003 722, 722 (juris Rn. 11, 15). 1117 BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 748 (juris Rn. 27 ff.). 1118 BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 748 (juris Rn. 29). 283

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mäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB standgehalten.1119 Nach einer Entscheidung des OLG Köln gilt dies auch für eine Regelung, die Leistungen für psychotherapeutische Behandlungen auf 20 Sitzungen pro Kalenderjahr beschränkt.1120 Rabattklausel/ Luftfahrtkaskoversicherung: siehe bereits oben Rn. 342. Rentenbezugsberechtigung/ Krankentagegeldversicherung: Mit dem Vertragszweck einer Krankentagegeldversicherung ist es unvereinbar, wenn das Versicherungsverhältnis mit der Rentenbezugsberechtigung des VN aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung endgültig und ersatzlos endet; denn damit verliert der VN die Möglichkeit, sich bei einer späteren Rückkehr ins Erwerbsleben wieder sachgerecht zu angemessenen Bedingungen gegen Arbeitsunfähigkeit zu versichern.1121 Unwirksam ist auch eine Klausel, wonach das Versicherungsverhältnis bei Arbeitslosigkeit des VN bedingungsgemäß beendet wird.1122 Sachkosten/ Krankheitskostenversicherung: Die Erstattungsfähigkeit zahnärztlicher Sachkosten kann durch Einführung von Höchstgrenzen unter Anknüpfung an bestimmte Leistungen in einer dem gewählten Tarif angehängten sog. Sachkostenliste beschränkt werden.1123 Im Hinblick auf den auch im Interesse des einzelnen VN liegenden Zweck der Sachkostenliste, dem VR eine sichere, vertretbare Prämiengestaltung zu ermöglichen und so die Prämie niedrig zu halten, werden die Belange des VN hinreichend berücksichtigt.1124 Schimmelschäden/ Gebäudeversicherung: Eine Klausel, nach der Schäden durch Schimmel in der Leitungswasserschadenversicherung ausgeschlossen sind, kann unwirksam sein, soweit es sich bei Schimmelbildung um eine regelmäßige oder zumindest sehr häufige, zwangsläufige und kennzeichnende Folge des Austritts von Leitungswasser handeln würde. Der durchschnittliche VN würde sich dann mit dem Abschluss einer Leitungswasserschadenversicherung vorwiegend auch vor solchen Schimmelschäden schützen wollen, sodass der Vertragszweck gefährdet wäre.1125 Schulmedizinklausel/ Krankheitskostenversicherung: Als wirksam erachtet wurde folgende Klausel: „Der VR leistet im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen; der VR kann jedoch seine Leistungen auf den Betrag herabsetzen, der bei der Anwendung vorhandener schulmedizinischer Methoden oder Arzneimittel angefallen wäre“.1126 Die Klausel hat nach Ansicht des BGH weder eine Gefährdung des Vertragszwecks noch sonst eine unangemessene Benachteiligung des VN zur Folge.1127 Selbstbeteiligung/ Krankheitskostenversicherung: Die Vereinbarung einer prozentualen Selbstbeteiligung des VN für den Fall der Krankenhausbehandlung in den alten Bundesländern ist

1119 BGH 16.6.2004 – IV ZR 257/03, VersR 2004 1037, 1038 f. (juris Rn. 11 ff.); OLG Oldenburg 26.9.2001 – 2 U 171/ 01, VersR 2002 696, 696 f. (juris Rn. 7 ff.). 1120 OLG Köln 26.2.2003 – 5 U 89/01, VersR 2003 899, 900 (juris Rn. 24 ff.). 1121 BGH 22.1.1992 – IV ZR 59/91, BGHZ 117 92, 95 = VersR 1992 477, 478 (juris Rn. 19); anders noch BGH 12.7.1989 – IVa ZR 201/88, VersR 1989 943, 944 (juris Rn. 11). 1122 OLG Koblenz 24.3.2000 – 10 U 700/99, VersR 2000 1008, 1009 (juris Rn. 10); OLG Saarbrücken 15.12.1999 – 5 U 539/99 – 37, 5 U 539/99, VersR 2001 318, 319 (juris Rn. 21). 1123 BGH 18.1.2006 – IV ZR 244/04, VersR 2006 497, 498 (Rn. 11). 1124 BGH 18.1.2006 – IV ZR 244/04, VersR 2006 497, 499 (Rn. 17). 1125 BGH 12.7.2017 – IV ZR 151/15, VersR 2017 1076, 1077 (Rn. 15 ff.), Schwintowski VuR 2018 181, 184; a. A. wohl Selk NJW 2017 2831, 2835. 1126 BGH 30.10.2002 – IV ZR 60/01, BGHZ 152 262, 264 = VersR 2002 1546, 1546 (juris Rn. 12); OLG Karlsruhe 31.8.2000 – 19 U 243/99, VersR 2001 180, 180 (juris Rn. 10); OLG Köln 26.3.2001 – 5 U 140/00, VersR 2001 851, 851 (juris Rn. 29); OLG Frankfurt 18.4.2001 – 7 U 154/99, VersR 2001 848, 848 (juris Rn. 4). Die Klausel wurde entwickelt, nach dem die sog. Wissenschaftlichkeitsklausel (dazu Rn. 226, 385) für unwirksam erklärt worden war (Wandt6 Rn. 1381); sie findet sich heute in § 4 Abs. 6 MB/KK 2009 (dazu Bruck/Möller/Brand9 § 4 MB/KK Rn. 67 ff.). 1127 BGH 30.10.2002 – IV ZR 60/01, BGHZ 152 262, 267 = VersR 2002 1546, 1547 (juris Rn. 23). Beckmann

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auch dann wirksam, wenn der VN unfreiwillig in einem dort gelegenen Krankenhaus behandelt wird.1128 Staatsangehörigkeit/ Auslandsreisekrankenversicherung: In der Auslandsreisekrankenversicherung verstößt die Klausel „Als Ausland gilt nicht das Staatsgebiet, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt“ gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB und ist deshalb unwirksam.1129 Teilweise wird eine Unwirksamkeit der Klausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot angenommen.1130 Ebenfalls unwirksam ist die Klausel eines Auslandsreisekrankenversicherungsvertrags, nach der die Erstattungsfähigkeit von Kosten des Rücktransports kumulativ von der medizinischen Notwendigkeit und der ärztlichen Anordnung der Maßnahme abhängt.1131 Summenbegrenzung/ Krankheitskostenversicherung: Unwirksam ist auch die Summenbegrenzung des Versicherungsschutzes in der privaten Krankenversicherung für Psychotherapie auf einen Rechnungsbetrag von 2500 DM pro Geschäftsjahr.1132 Die Klausel würde dazu führen, dass eine psychotherapeutische Kurzzeitbehandlung im durchschnittlichen Behandlungsumfang von ca. 25 Sitzungen (entsprechend der Psychotherapie-Richtlinie des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen) nicht von der Versicherungsleistung gedeckt wäre. Diese Nichtabdeckung würde eine Aushöhlung des Versicherungsschutzes bewirken, da die durchschnittlich erfolgversprechende Heilbehandlung im ambulanten Bereich grundsätzlich von vornherein nicht gewährleistet wäre.1133 Verwandtenklausel/ Krankheitskostenversicherung: Eine Klausel in der Krankheitskostenversicherung, wonach keine Leistungspflicht für Behandlungen durch Ehegatten, Eltern oder Kinder besteht, hält einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB stand und ist wirksam.1134 Die Auslegung der Klausel ergibt jedoch, dass die Klausel nur dann eingreift, wenn die darin genannten nahen Angehörigen für die Behandlung selbst liquidationsberechtigt sind.1135 Vorherige Zusage des VR/ Krankheitskostenversicherung: Eine Klausel in der Krankheitskostenversicherung, die die Leistungspflicht für bestimmte Behandlungsarten von der vorherigen Zusage des VR abhängig macht, stellt weder eine Gefährdung des Vertragszwecks dar noch lässt die Klausel sonst eine unangemessene Benachteiligung des VN erkennen.1136 Wirksam ist daher auch die Klausel eines Krankenversicherers, wonach für medizinisch notwendige stationäre Heilbehandlungen in Krankenanstalten, die auch Kuren beziehungsweise Sanatoriumsbehandlungen durchführen oder Rekonvaleszenten aufnehmen, die tariflichen Leistungen nur dann gewährt werden, wenn der VR diese vor Beginn der Behandlung schriftlich zugesagt hat.1137 Vorläufige Deckung/ Lebensversicherung: Eine Klausel bei der vorläufigen Deckung in der Lebensversicherung, wonach die Leistungspflicht ausgeschlossen ist für Versicherungsfälle 1128 BGH 14.5.2003 – IV ZR 140/02, VersR 2003 897, 898 (juris Rn. 13). 1129 OLG Frankfurt a. M. 20.1.2000 – 1 U 230/98, VersR 2000 1097, 1097 (juris Rn. 14); OLG München 14.10.1999 – 29 U 2875/99, VersR 2000 1098, 1099 (juris Rn. 47 f.); a. A. LG Frankfurt 22.10.1998 – 2/2 O 24/98, 2-02 O 24/98, VersR 1999 1356, 1356; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 441. 1130 BGH 22.11.2000 – IV ZR 235/99, VersR 2001 184, 185 (juris Rn. 23); OLG Hamburg 20.7.1999 – 9 U 152/99, VersR 1999 1482, 1483 (juris Rn. 33); a. A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 441. 1131 OLG Karlsruhe 7.5.2015 – 12 U 146/14, VersR 2015 1281, 1282 (juris Rn. 26); OLG Saarbrücken 27.2.2002 – 5 U 724/01 – 55, 5 U 724/01, VersR 2002 837, 837 f. (juris Rn. 23). 1132 LG München I 23.7.2003 – 6 S 8983/03, VersR 2005 260, 261. 1133 LG München I 23.7.2003 – 6 S 8983/03, VersR 2005 260, 261. 1134 BGH 21.2.2001 – IV ZR 11/00, VersR 2001 576, 576 (juris Rn. 7). 1135 BGH 21.2.2001 – IV ZR 11/00, VersR 2001 576, 576 (juris Rn. 9); OLG Celle 13.4.2000 – 8 U 40/99, VersR 2001 182, 182 (juris Rn. 3); LG Aachen 11.11.1998 – 7 S 180/98, VersR 1999 1099, 1099 (juris Rn. 6); a. A. LG Lüneburg 24.10.1996 – 1 S 169/96, VersR 1997 689, 689 f. 1136 BGH 17.3.1999 – IV ZR 137/98, VersR 1999 745, 747 f. (juris Rn. 24); OLG Köln 22.10.2010 – 20 U 30/10, VersR 2011 656, 656 f. (juris Rn. 2 f.). 1137 BGH 16.2.1983 – IVa ZR 20/81, VersR 1983 576, 577 (juris Rn. 13); OLG Stuttgart 19.2.1982 – 2 U 110/81, VersR 1983 576, 576. 285

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aufgrund von Ursachen, die vor Unterzeichnung des Antrags erkennbar geworden sind, auch wenn diese im Antrag angegeben wurden, ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam.1138 Die Klausel ist dahin auszulegen, dass mit der Wendung „Versicherungsfälle aufgrund von Ursachen“ jeder Umstand erfasst wird, der für den Eintritt des Versicherungsfalles ursächlich, wenn auch nur mitursächlich geworden ist. In dieser Auslegung schränkt die Ausschlussklausel wesentliche Rechte des VN, die sich aus der Natur eines Vertrages über vorläufigen Versicherungsschutz ergeben, so sehr ein, dass der Vertragszweck gefährdet wird.1139 Wartefrist/ Arbeitsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Die Klausel in den Bedingungen für 384 die Arbeitsunfähigkeits-Zusatzversicherung, wonach eine Wartefrist für die Zahlung einer Arbeitsunfähigkeitsrente auch besteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer Erkrankung infolge desselben Grundleidens beruht, dessentwegen der VR bereits früher Arbeitsunfähigkeitsrente bezahlt hat, hält der Kontrolle nach dem AGB-Recht nicht stand und ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam.1140 Wissenschaftlichkeitsklausel/ Krankheitskostenversicherung: Eine Klausel, wonach 385 für den Krankenversicherer keine Leistungspflicht besteht für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, verstößt gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB und ist deshalb unwirksam.1141 Zu der daraufhin erfolgten Neufassung vgl. bereits Rn. 377. Zeitliche Befristung/ Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Die Klausel in der Berufs386 unfähigkeitszusatzversicherung, wonach der VR dem VN schriftlich mitteilt, ob, in welchem Umfang und für welche Dauer er den geltend gemachten Anspruch anerkennt, ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam, da sie dem VR die Möglichkeit einräumt, ein Leistungsanerkenntnis generell zeitlich zu befristen.1142

IX. Unwirksamkeitsfolgen 1. Grundsatz 387 § 306 Abs. 1 BGB enthält eine Sonderregelung gegenüber § 139 BGB. Im Gegensatz zu § 139 BGB, der im Zweifel die Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts anordnet, bleibt gemäß § 306 Abs. 1 BGB der Vertrag bei Unwirksamkeit einer AGB im Übrigen bestehen. Hiermit wird dem Schutzbedürfnis des Kunden Rechnung getragen, der in der Regel trotz der unwirksamen Klausel ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Vertrages hat. Gemäß § 306 Abs. 2 BGB treten an die Stelle der unwirksamen Klausel die gesetzlichen Vorschriften, indes nur soweit entsprechende Vorschriften vorhanden sind. Lediglich für den Fall, dass ein Festhalten am Vertrag auch unter Berücksichtigung der nach § 306 Abs. 2 BGB vorgesehenen Änderungen für eine Vertragspartei eine unzumutbare Härte darstellen würde, bestimmt § 306 Abs. 3 BGB seine Unwirksamkeit insgesamt. Nach jüngeren Entscheidungen des EuGH zu Art. 6 der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Klauselrichtlinie) ist indes das Rechtsfolgensystem zu § 306 Abs. 2 und 3 BGB für Verbraucherverträge unter Umstän-

1138 1139 1140 1141

BGH 21.2.2001 – IV ZR 259/99, VersR 2001 489, 490 (juris Rn. 11). BGH 21.2.2001 – IV ZR 259/99, VersR 2001 489, 490 (juris Rn. 17). OLG Nürnberg 9.3.2000 – 8 U 3929/99, VersR 2000 1363, 1363 (juris Rn. 15). BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123 83, 88 ff. = VersR 1993 957, 959 f. (juris Rn. 12, 21 ff. betreffend § 5 Abs. 1f MB/KK 76); OLG München 31.1.1996 – 8 U 2456/93, 8 U 6053/93, VersR 1997 439, 440; LG Stuttgart 5.3.1991 – 20 O 372/90, VuR 1991 311, 311; LG Düsseldorf 21.8.1992 – 20 S 192/91, NJW-RR 1993 488, 489; a. A. zuvor OLG Frankfurt/M. 11.6.1987 – 22 U 208/86, VersR 1988 733, 733; LG Braunschweig 17.5.1990 – 7 S 383/89, VersR 1990 1341, 1341; LG Nürnberg-Fürth 23.10.1991 – 11 S 4489/91, VersR 1992 688, 689; LG Duisburg 4.6.1992 – 5 S 16/91, VersR 1992 1082, 1083. 1142 OLG Köln 22.6.2005 – 5 U 196/04, VersR 2006 351, 351 (juris Rn. 27). Beckmann

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den im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem Richtlinienrecht und der europäischen Rechtsprechung neu zu justieren (dazu bereits oben im Rahmen der Frage der Folge nicht einbezogener AVB Rn. 102). Die praktischen Auswirkungen der Ausnahmeregelung des § 306 Abs. 3 BGB werden im Ver- 388 sicherungsrecht für den Bereich der Lebensversicherung, der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Krankenversicherung durch die §§ 164, 176 VVG und § 203 VVG weiter eingeschränkt. Nach diesen Vorschriften kann der VR in den genannten Versicherungszweigen unter bestimmten engen Voraussetzungen eine unwirksame Klausel ersetzen. Ein allgemeines Bedingungsanpassungsrecht für andere Versicherungszweige findet sich im VVG hingegen nicht.1143

2. Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion wurde von der Rechtsprechung entwickelt und 389 in der Literatur weitgehend befürwortet.1144 Es findet auch im Bereich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen Anwendung.1145 Nach dieser Regel ist es unzulässig, eine unwirksame Klausel mit gerade noch zulässigem 390 Inhalt aufrecht zu erhalten. Bei der geltungserhaltenden Reduktion geht es daher um Klauseln, die zulässige und unzulässige Tatbestände sprachlich nicht trennbar verbinden, bei denen daher die Ausgrenzung der unzulässigen und die Aufrechterhaltung der zulässigen Teile nur durch eine sprachliche Umgestaltung erreicht werden könnte, so wenn etwa globale Regelungen über Haftungsausschlüsse, Aufrechnungsverbote oder Beweislastübertragungen auf zulässige Einzeltatbestände beschränkt, überlange oder zu kurze Fristen auf die zulässige Dauer verkürzt oder verlängert, überhöhte Pauschalen für Schadensersatz oder Nutzungsentschädigung auf die zulässige Höhe herabgesetzt werden sollen.1146 Auch salvatorische Klauselzusätze wie z. B. „soweit gesetzlich zulässig“ sind unbeachtlich.1147 Die Sanktion der vollständigen Unwirksamkeit soll verhindern, dass Klauselverwender bewusst unwirksame Klauseln in ihre AGB aufnehmen können, ohne dabei ein Risiko der Gesamtunwirksamkeit der Klausel einzugehen.1148 Eine geltungserhaltende Reduktion liegt jedoch nicht vor, wenn in einer Klausel mehrere 391 eigenständige Regelungen enthalten sind, so dass sich die Aufrechterhaltung zulässiger Teile durch bloße Streichungen unzulässiger Passagen bewerkstelligen lässt (sog. „blue-pencil-

1143 Sowohl im Entwurf der VVG-Kommission (Abschlussbericht, S. 203), als auch im Referentenentwurf (RefEVVGRefG S. 20) fand sich indes in § 16 noch ein allgemeines gesetzliches Bedingungsanpassungsrecht. Mit guten Gründen konnte sich ein solches allgemeines Recht aber nicht durchsetzen. 1144 BGH 17.5.1982 – VII ZR 316/81, BGHZ 84 109, 115 f. = NJW 1982 2309, 2310 (juris Rn. 20 ff.); BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69, 81 f. = NJW 1984 1177, 1179 (juris Rn. 29); BGH 16.10.1984 – X ZR 97/83, BGHZ 92 312, 314 = NJW 1985 319, 319 f. (juris Rn. 11); BGH 24.9.1985 – VI ZR 4/84, BGHZ 96 18, 25 = VersR 1986 153, 154 f. (juris Rn. 26); BGH 17.1.1989 – XI ZR 54/88, BGHZ 106 259, 267 = NJW 1989 582, 583 (juris Rn. 27); BGH 10.10.1991 – III ZR 141/90, BGHZ 115 324, 326 = NJW 1992 575, 576 (juris Rn. 31); BGH 13.2.2001 – XI ZR 197/00, BGHZ 146 377, 385 = NJW 2001 1419, 1421 (juris Rn. 25); BGH 16.1.2003 – IX ZR 171/00, BGHZ 153 293, 300 = NJW 2003 1521, 1523 (juris Rn. 20); Staudinger/Mäsch (2019) § 306 Rn. 23; Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 § 306 Rn. 14; Stoffels AGBRecht3 Rn. 595; zur Unvereinbarkeit einer geltungserhaltenden Reduktion mit der Klauselrichtlinie (RL 93/13/EWG) siehe EuGH 14.6.2012 – C-618/10, NJW 2012 2257, 2258 (Rn. 38 ff.). 1145 BGH 17.5.1982 – VII ZR 316/81, BGHZ 84 109, 115 f. = NJW 1982 2309, 2310 (juris Rn. 20 ff.); Prölss/Martin/ Armbrüster30 Einl. Rn. 201; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 73. 1146 BGH 28.5.1984 – III ZR 63/83, NJW 1984 2816, 2817 (juris Rn. 24); Schmidt JA 1980 402; Ulmer NJW 1981 2025. 1147 BAG 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, BAGE 116 66, 70 f. = NJW 2006 795, 796 (juris Rn. 21); BGH 12.10.1995 – I ZR 172/93, VersR 1996 651, 653 (juris Rn. 30); Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 § 306 Rn. 14; Beckmann/MatuscheBeckmann/Präve1 § 10 Rn. 507. 1148 So auch Staudinger/Mäsch (2019) § 306 Rn. 23; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 73. 287

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test“).1149 Demnach ist für die Zulässigkeit der Klauselteilung erforderlich, dass der inhaltlich zulässige Teil von dem unzulässigen Teil inhaltlich wie sprachlich trennbar ist und diese Trennbarkeit nicht dazu führt, dass der inhaltlich zulässige Teil einen insgesamt anderen Sinn erlangt als ursprünglich. Weiter darf der inhaltlich unzulässige Teil nicht von solcher Bedeutung sein, dass ohne diesen von einer völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss.1150 Dabei geht es nicht darum, für eine unzulässige Klausel eine neue Fassung zu finden, die für den Verwender möglichst günstig, aber rechtlich gerade noch zulässig ist. Eine sprachlich und inhaltlich teilbare AGB-Bestimmung wird hier vielmehr ohne ihre unzulässigen Bestandteile mit ihrem zulässigen Inhalt aufrechterhalten.1151 Hiervon zu unterscheiden ist wiederum die sog. personale Teilunwirksamkeit. Sie kann 392 dann zur Anwendung kommen, wenn eine Bestimmung eine für den Verwender und für den Kunden einheitlich geltende Regelung vorsieht. Dies kann zum Beispiel bei einem Preisänderungsvorbehalt oder der Pflicht zur Zahlung einer Schadenspauschale oder einer Vertragsstrafe der Fall sein.1152 Aufgrund des Schutzzwecks des AGB-Rechts kann hier geboten sein, zwar von einer Unwirksamkeit der Klausel auszugehen, dem Verwender jedoch das Recht abzusprechen, sich darauf berufen zu können.1153 Weitergehend muss es sogar möglich sein, dass sich der Vertragspartner des Klauselverwenders auf den Inhalt einer solchen (an sich unangemessenen) Klausel berufen kann.1154

3. Rechtsgeschäftlich begründete Ersatzklauseln 393 Insbesondere zur Schließung einer Vertragslücke infolge der Unwirksamkeit einer AVB, ist es denkbar, dass der VR durch Individualvereinbarung eine Ersatzbestimmung in den Vertrag aufnimmt. Angesichts der Tatsache, dass es sich in aller Regel um Massenverträge handelt, ist diese Möglichkeit indes schon mit praktischen Schwierigkeiten verbunden, zumal sich der VN auf ein entsprechendes, notwendiges Angebot auf Vertragsänderung durch den VR grundsätzlich nicht einlassen muss. 394 In Betracht kommt zudem eine Ersetzungs- bzw. Bedingungsanpassungsklausel in AVB; hierzu siehe oben Rn. 199 ff.

4. Ergänzende Vertragsauslegung 395 Von der geltungserhaltenden Reduktion ist die ergänzende Vertragsauslegung zu unterscheiden. Bei ihr geht es nicht um eine Rückführung einer unwirksamen Klausel auf einen noch wirksamen Kern; die Klausel bleibt vielmehr vollen Umfangs unwirksam.1155 Es gilt vielmehr, in Ausrichtung 1149 BGH 28.5.1984 – III ZR 63/83, NJW 1984 2816, 2817 (juris Rn. 24); BGH 19.9.1985 – III ZR 213/83, BGHZ 95 362, 374 = NJW 1986 46, 48 (juris Rn. 47); BGH 10.10.2013 – III ZR 325/12, VersR 2014 1220, 1221 (Rn. 14); OLG Hamm 9.8.2017 – I-30 U 53/17, NJW- RR 2018 263, 264 (juris Rn. 74). 1150 Schaffrin 216. 1151 BGH 28.5.1984 – III ZR 63/83, NJW 1984 2816, 2817 (juris Rn. 24); Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 73. 1152 Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 § 306 Rn. 16. 1153 BGH 4.12.1997 – VII ZR 187/96, NJW-RR 1998 594, 595 (juris Rn. 21); BGH 25.3.1987 – VIII ZR 71/86, NJW 1987 2506, 2507 (juris Rn. 27); Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 § 306 Rn. 16; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 512; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 201; Beckmann Nichtigkeit und Personenschutz (1998) 349 ff. 1154 Beckmann Nichtigkeit und Personenschutz (1998) 352 ff. 1155 BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69, 81 = NJW 1984 1177, 1179 (juris Rn. 29); BGH 30.10.1984 – VIII ARZ 1/84, BGHZ 92 363, 369 ff. = NJW 1985 480, 481 (juris Rn. 21 ff.); BGH 7.3.1989 – KZR 15/87, BGHZ 107 273, 276 f. = NJW 1989 3010, 3010 f. (juris Rn. 13); BGH 15.4.2015 – VIII ZR 59/14, BGHZ 205 43, 51 f. = NJW 2015 2566, 2568 (Rn. 24). Beckmann

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an dem hypothetischen Parteiwillen und dem Maßstab von Treu und Glauben eine lückenausfüllende Ersatzregelung zu finden.1156 Die ergänzende Vertragsauslegung findet ihre Grundlage in den §§ 133, 157 BGB. Wie der BGH in seinem Urteil zur Tagespreisklausel ausführt, handelt es sich bei diesen Bestimmungen um „gesetzliche Vorschriften“ im Sinne des § 306 Abs. 2 BGB.1157 Der Wortlaut des § 306 Abs. 2 BGB biete keinen Anhaltspunkt dafür, den Begriff der „gesetzlichen Vorschrift“ auf Normen mit „sachlichem Regelungsgehalt“ zu beschränken und „methodische Vorschriften“ auszugrenzen.1158 Dennoch greift die ergänzende Vertragsauslegung grundsätzlich nur ein, wenn dispositives Gesetzesrecht nicht zur Verfügung steht.1159 Hinzukommen muss, dass die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel keine angemessene, den typischen Interessen des AGB-Verwenders und des Kunden Rechnung tragende Lösung bietet. Als Folge tritt nach dieser Rechtsprechung diejenige Gestaltungsmöglichkeit ein, die die Parteien bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bekannt gewesen wäre.1160 Eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet jedoch aus, wenn verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten zur Ausfüllung einer vertraglichen Regelungslücke in Betracht kommen, aber kein Anhaltspunkt dafür besteht, welche Regelungen die Parteien getroffen hätten;1161 so hat der BGH wiederholt zu Recht klargestellt: „Eine ergänzende Vertragsauslegung setzt allerdings voraus, dass sich Anhaltspunkte dafür finden lassen, wie die Vertragsparteien den Vertrag gestaltet hätten, wenn ihnen die nicht bedachte Unwirksamkeit der Klausel bewusst gewesen wäre. Kommen dagegen unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht, ohne dass erkennbar ist, welche die Vertragsparteien gewählt hätten, sind die Gerichte zu einer ergänzenden Vertragsauslegung weder in der Lage noch befugt.“1162 Zu Recht wird die in anderen Zusammenhang erfolgte Annahme des BGH, in einer solchen Situation könne dem Verwender im Wege ergänzender Vertragsauslegung eine einseitige Ersetzungsbefugnis zugestanden werden,1163 ausgesprochen kritisch gesehen.1164 Eine solche Annahme ist auch mit dem Verbot geltungserhaltender Reduktion nicht vereinbar. Auch im Schrifttum wird die grundsätzliche Zulässigkeit der Lückenfüllung durch richterli- 396 che Vertragsergänzung von der ganz überwiegenden Ansicht bejaht.1165 Die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung gelten danach auch für das Versicherungsrecht.1166 Indes bleibt 1156 BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69, 81 = NJW 1984 1177, 1179 (juris Rn. 29); BGH 6.7.2016 – IV ZR 44/ 15, BGHZ 211 51, 65 = VersR 2016 1177, 1181 (Rn. 47); BGH 14.3.2017 – XI ZR 508/15, VersR 2017 1417, 1418 (Rn. 26).

1157 BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69, 75 = NJW 1984 1177, 1178 (juris Rn. 21). 1158 BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69, 76 = NJW 1984 1177, 1178 (juris Rn. 22). 1159 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 207; Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 § 306 Rn. 33; Staudinger/ Mäsch (2019) § 306 Rn. 37; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 Einleitung Rn. 74.

1160 BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69, 75 = NJW 1984 1177, 1178 (juris Rn. 21). Der BGH musste sich auch in neuerer Zeit mit den Grenzen der ergänzenden Auslegung von AGB befassen, vgl. BGH 10.10.2012 – IV ZR 10/11, BGHZ 195 93 = VersR 2013 46, worin es um die Unwirksamkeit einer Satzungsregelung der VBL ging, die bei Beendigung des Beteiligungsverhältnisses an dem Umlageverfahren der VBL die Pflicht zu einer Gegenwertzahlung des ausscheidenden Beteiligten vorsah. Insbesondere die Rechtsfolge der Unwirksamkeit, in diesem Fall das einseitige Ersetzungsrecht, wird von Thüsing/Fütterer VersR 2013 552 kritisiert. 1161 BGH. 6.2.1985 – VIII ZR 61/84, BGHZ 93 358, 370 = NJW 1985 3013, 3016 (juris Rn. 28); BGH 7.3.1989 – KZR 15/87, BGHZ 107 273, 276 = NJW 1989 3010, 3011 (juris Rn. 13); BGH 17.10.2019 – I ZR 34/18, juris (Rn. 37). 1162 BGH 3.12.2015 – VII ZR 100/15, VersR 2016 459, 461 (Rn. 29); BGH 1.10.2014 – VII ZR 344/13, BGHZ 202 309, 316 = NJW 2015 49, 51 f. (Rn. 24); BGH 26.10.2005 – VII ZR 48/05, BGHZ 165 12, 28 = NJW 2006 996, 999 (juris Rn. 37). 1163 BGH 7.9.2016 – IV ZR 172/15, BGHZ 211 350, 372 f. = VersR 2016 1420, 1426 f. (Rn. 55); 1164 Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 202; Thüsing VersR 2015 927, 929 ff. 1165 Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt12 § 306 Rn. 33b; Staudinger/Mäsch (2019) § 306 Rn. 37 ff.; Palandt/Grüneberg78 § 306 Rn. 13; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve1 § 10 Rn. 510 f.; Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt6 1. Kap. Rn. 238; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 201. 1166 BGH 6.7.1983 – IVa ZR 206/81, BGHZ 88 78, 85 = VersR 1983 848, 849 (juris Rn. 19); BGH 22.1.1992 – IV ZR 59/91, BGHZ 117 92, 99 = VersR 1992 477, 479 (juris Rn. 28); BGH 30.9.1998 – IV ZR 262/97, BGHZ 139 333, 339 f. = VersR 1999 210, 212 (juris Rn. 19). 289

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es bei der in Rn. 395 genannten wesentlichen Voraussetzung. Die Wertungen des EuGH zur Klauselrichtlinie1167 stehen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht entgegen, sie bestärken vielmehr das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion.1168 397 Unterschiedlich wird die Frage beurteilt, ob eine ergänzende Vertragsauslegung auch in Betracht kommt, wenn eine Klausel wegen Intransparenz gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam ist. Dies wird im Schrifttum für möglich erachtet;1169 davon geht im Grundsatz auch der BGH aus, da § 306 Abs. 2 BGB nicht nach dem Grund der Unwirksamkeit unterscheidet. 1170 Indes hat der BGH grundsätzlich zu Recht entschieden, dass es nicht angängig sei, „an die Stelle der unwirksamen, weil den Vertragspartner unangemessen benachteiligenden Klausel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine inhaltsgleiche Bestimmung zu setzen“.1171 Soweit die intransparente Klausel zugleich auch inhaltlich unangemessenen ist, versteht sich die Aussage. Der im Schrifttum vorzufindenden Ansicht, bei allein formeller Intransparenz komme eine Klauselersetzung mit gleichem Inhalt, aber in transparenter Form in Betracht,1172 hat der BGH indes eine Absage erteilt; dies greife zu kurz.1173 Im Schrifttum ist dem BGH zwar entgegengehalten worden, dass die Reichweite der Äußerungen des BGH letztlich unklar bliebe; man könne den BGH aber dahin gehend verstehen, dass nach seiner Ansicht die Intransparenz per se eine unangemessene Benachteiligung mit sich bringe.1174 Dafür könnte vor allem die vom BGH vorgenommene Betonung der Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit bei Eingehung des Vertrages infolge der Intransparenz der entsprechenden Klausel sprechen; denn die Intransparenz verhindere immer, dass die Vereinbarung „in voller Kenntnis des Inhalts des Vertrages“ abgeschlossen wird. Auf der anderen Seite erscheine es unangebracht, jede Intransparenz bei irgendeiner AGB-Klausel als Eingriff in die Entschließungsfreiheit zu qualifizieren. Wenn der Kunde aufgrund der Intransparenz der Klausel nicht in der Lage wäre, die bei verständiger Betrachtung für den Vertragsschluss wesentlichen Informationen zu erfahren (etwa weil wesentliche wirtschaftliche Nachteile nicht deutlich werden), müsse man aber infolge der Intransparenz einer Klausel eine unangemessene Benachteiligung annehmen.1175 Außerdem müsse man eine inhaltlich unangemessene Benachteiligung annehmen, wenn der Vertragspartner durch eine intransparente Klausel von der Geltendmachung der ihm (sonst) zustehenden Rechte abgehalten werde oder diese erheblich erschwert würden.1176 Diese Differenzierung überzeugt; immer dann, wenn der Kunde durch die Intransparenz einer Klausel in seiner Entschließungsfreiheit beeinträchtigt oder die Geltendmachung zustehender Rechte erschwert wird, führt die Intransparenz zugleich zu einer inhaltlich unangemessenen Benachteiligung; in dieser Situation ist es nicht zulässig, an die Stelle der unwirksamen, weil den Vertragspartner unangemessen benachteiligenden Klausel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine inhaltsgleiche Bestimmung zu setzen. Dies zeigt sich z. B. auch bei der Behandlung sog. „verhüllter Obliegenheiten“, die AGB-rechtlich als intransparent einzustufen sind; verhüllte Obliegenheiten führen letztlich dazu, dass der VN von der Geltendmachung etwaiger versicherungsrechtlicher Ansprüche abgehalten wird. Vor diesem Hintergrund kommt insbesondere bei unwirksamen „verhüllten Obliegenheiten“ eine Lückenfüllung über eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht (vgl. oben Rn. 293).

1167 1168 1169 1170 1171

EuGH 14.6.2012 – C 618/10; EuGH 30.5.2013 – C 488/11; EuGH 30.4.2014 – C 26/13. Staudinger/Wendt (2019) Anh. Zu §§ 305-310 Rn. J 124. Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 203; Langheid/Wandt/Reiff2 AVB Rn. 114. BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164 297, 318 = RuS 2005 519, 524 (juris Rn. 49). BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164 297, 315 = RuS 2005 519, 523 (juris Rn. 43); bereits in einem der Tagespreisklausel-Urteile BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, NJW 1984 1177, 1179 = BGHZ 90 69, 78 (juris Rn. 25). 1172 Wandt VersR 2001 1449, 1445; Kischt VersR 2003 1072, 1075 f. 1173 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164 297, 316 = RuS 2005 519, 523 (juris Rn. 44). 1174 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 365. 1175 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 365. 1176 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 366. Beckmann

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5. Weitere Unwirksamkeitsfolgen a) Aufsichtsrechtliche und wettbewerbsrechtliche Auswirkungen. Die Verwendung un- 398 wirksamer AVB stellt einen Missstand i. S. d. § 298 Abs. 1 i. V. m. § 294 Abs. 2 VAG dar, so dass die Aufsichtsbehörde im Rahmen der laufenden Aufsicht entsprechende aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen einen VR ergreifen kann (auf die entsprechenden Ausführungen oben Rn. 25 wird verwiesen). Des Weiteren können Verstöße gegen das AGB-Recht auch wettbewerbsrechtliche Konse- 399 quenzen haben. So besteht zwischen den Vorschriften des AGB-Rechts und des Lauterkeitsrechts wegen des grundsätzlich unterschiedlichen Regelungsansatzes grundsätzlich Gesetzeskonkurrenz.1177 Vor diesem Hintergrund können sich entsprechende Konsequenzen aus dem Lauterkeitsrecht ergeben.1178 Zu kartellrechtlichen Fragen vgl. bereits oben Rn. 28 ff. b) Weitere zivilrechtliche Auswirkungen. Die Verwendung unwirksamer Klauseln lässt sich 400 vertragsrechtlich als Verletzung der Nebenpflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB einordnen, so dass eine solche Verwendung eine Schadensersatzpflicht des Verwenders begründen kann.1179 So hat der BGH zu Recht klargestellt, dass bei Verwendung unwirksamer Klauseln in AGB eine Haftung nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB in Betracht kommt.1180 Indes kommt nicht nur die Verletzung vorvertraglicher Pflichten, sondern selbstverständlich auch die Verletzung während der Vertragslaufzeit bestehender Pflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB in Betracht. Im Falle einer höchstrichterlichen Entscheidung mit dem Ergebnis der Unwirksamkeit versicherungsrechtlicher Klauseln wird man von einem VR grundsätzlich verlangen können, dass dieser als Reaktion auf die Entscheidung seine bestehenden Klauselwerke dahingehend prüft, ob diese von ihm verwendeten Klauseln identisch mit den für unwirksam erklärten sind und ob die Urteilsgründe auch der Verwendung seiner Klausel allgemein oder zumindest in ähnlichen Fallkonstellationen entgegenstehen könnte. Unterbleibt eine solche Prüfung des VR und beruft er sich sodann ohne Rücksicht auf die entsprechende Entscheidung auf eine identische, im konkreten Einzelfall ebenfalls unwirksame Klausel, scheint es nur gerechtfertigt, eine Pflichtverletzung des VR anzunehmen. Neben dieser möglichen Schadensersatzpflicht im Falle der Verwendung gerichtlich für un- 401 wirksam erklärter Klauseln kommt gerade bei Dauerschuldverhältnissen, wie es der Versicherungsvertrag ist, eine entsprechende Hinweispflicht des Verwenders gegenüber seinen Vertragspartner in Betracht. Vielfach wird ein VN, der selbst nicht an dem entsprechenden Prozess beteiligt gewesen ist, keine Kenntnis davon erlangen, dass eine AVB gerichtlich als unwirksam eingestuft worden ist. Der VR – insbesondere dann, wenn er selbst Partei des entsprechenden Verfahrens gewesen ist – hat entsprechende Kenntnis. In dieser Situation stellt sich die Frage nach den Auswirkungen auf die übrigen Versicherungsverhältnisse, die die für unwirksam erklärte Klausel enthalten. Es versteht sich, dass der VR sich gegenüber seinen Kunden auf solche Klauseln nicht mehr berufen darf; tut er dies doch, so liegt hierin eine Vertragsverletzung; außerdem könnte die Aufsichtsbehörde bei entsprechender Kenntnis eingreifen (vgl. oben Rn. 398). Zudem stellt sich aber auch die Frage, ob der VR nicht am Prozess beteiligte VN über die Unwirksamkeit der Klausel aufklären muss, insbesondere wenn die Klausel höchstrichterlich und in einem rechtskräftigen Urteil festgestellt worden ist. Hierfür kommen verschiedene rechtliche Ansätze in Betracht: Zum einen eine Informationspflicht gem. § 7 VVG, eine Bera1177 Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vorbem. zur Inhaltskontrolle Rn. 89 m. w. N. 1178 Vgl. dazu Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vorbem. zur Inhaltskontrolle Rn. 89 ff. 1179 BeckOGK-BGB/Bonin (Stand: 1.9.2019) § 306 Rn. 90; BeckOK-BGB/H.Schmidt (Stand: 1.2.2020) § 306 Rn. 31; Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 221. 1180 BGH 11.6.2010 – V ZR 85/09, NJW 2010 2873, 2875 (Rn. 24); BGH 28.5.1984 – III ZR 63/83, NJW 1984 2816, 2817 (juris Rn. 30); BGH 12.11.1986 – VIII ZR 280, BGHZ 99 101, 106 f. = NJW 1987 639, 640 (juris Rn. 15). 291

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tungspflicht gem. § 6 VVG sowie allgemeine zivilrechtliche Aufklärungspflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB. 402 Informationspflichten bestehen unter den Voraussetzungen gem. § 7 Abs. 3 VVG i. V. m. § 6 Abs. 1 VVG-InfoV auch während der Laufzeit des Vertrages. Gem. § 7 Abs. 3 VVG ist in der Rechtsverordnung nach Absatz 2 (also in der VVG-InfoV) zu bestimmen, was der VR während der Laufzeit des Vertrags in Textform mitteilen muss; dies gilt insbesondere bei Änderungen früherer Informationen. Soweit eine AVB für unwirksam erklärt wird, wird man von einer „Änderung früherer Informationen“ sprechen können; indes hat der VR dem VN während der Laufzeit des Versicherungsvertrages (neben anderen Informationen, die für die hier in Rede stehende Frage nicht relevant sind) gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 VVG-InfoV Änderungen bei den Angaben u. a. nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe b VVG-InfoV mitzuteilen „sofern sie sich aus Änderungen von Rechtsvorschriften ergeben“. Indes verweist § 6 Abs. 1 Nr. 2 VVG-InfoV zum einen nicht auf § 1 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe a VVG-InfoV, also der Regelung, die sich auf die AVB bezieht; zum anderen greift die Mitteilungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 VVG-InfoV nur ein, sofern sich entsprechende Änderungen aus „Änderungen von Rechtsvorschriften“ ergeben. Dies lässt sich bei einer gerichtlichen Feststellung einer AVB nicht sagen. Dies spricht gegen eine entsprechende Informationspflicht aufgrund von § 6 Abs. 1 Nr. 2 VVG-InfoV. Vom Sinn der Informationspflicht, die ein Informationsdefizit des VN ausgleichen soll, sowie vom Tatbestand des § 7 Abs. 3 VVG überrascht dieser Befund. Es ließe sich lediglich erwägen, ob § 6 Abs. 1 Nr. 2 VVG-InfoV überhaupt den Vorgaben von § 7 Abs. 3 VVG nachkommt, bzw. nach dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 3 VVG eine entsprechende Informationspflicht herzuleiten. Auch wenn vieles dafür spricht, kann diese Frage letztlich offen bleiben, wenn sich eine Hinweispflicht aus anderen Gründen ergibt. 403 Unabhängig von den vorstehenden lässt sich aber eine Beratungspflicht gem. § 6 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 VVG bejahen. Die Unkenntnis eines VN von der Unwirksamkeit einer AVB kann dazu führen, dass er nach einem Blick in den Vertrag seine rechtliche Situation falsch einschätzt und bspw. aufgrund eines unwirksamen Risikoausschlusses ihm zustehende Versicherungsleistungen nicht einfordert. Ohne Kenntnis der Unwirksamkeit der Klausel erweckt der Vertrag den falschen Eindruck, dass die entsprechende Klausel (unverändert) gilt. Aufgrund einer solchen Unkenntnis von der Unwirksamkeit der Klausel kann der Kunde letztlich von der Geltendmachung von Rechten abgehalten werden. Eine durch die Person des VN veranlasste Beratungspflicht kann insbesondere dann erwachsen, wenn sich dieser für den VR erkennbar irrige Vorstellungen über Inhalt und Umfang der Versicherung macht.1181 Dies gilt umso mehr, wenn der VR den Irrtum des VN hervorgerufen hat. Nach der Rechtsprechung soll eine Aufklärungspflicht bei einem Irrtum über die Versicherung sogar dann bestehen, wenn die zugrundeliegenden AVB eindeutig gefasst sind.1182 Wenn aber selbst in diesem Fall eine Aufklärungspflicht des VR besteht, dann muss sie erst recht bestehen, wenn die entsprechende Klausel in den AVB unwirksam und Quelle des Irrtums des VN ist. Diese durch die Unwirksamkeit einer Klausel entstehende, für den VN nachtteilige Situation stellt hinreichenden Anlass für eine Beratungspflicht des VR gegenüber dem VN dar, da der Kunde aufgrund der Unkenntnis von der Unwirksamkeit der Klausel (z. B. eines Risikoausschlusses) von der Geltendmachung der ihm (sonst) zustehenden Rechte abgehalten wird oder diese erheblich erschwert werden. Im Übrigen wird man eine entsprechende Pflicht auch aus allgemeinen Aufklärungspflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB begründen können.1183

1181 BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61, NJW 1963 1978, 1979 f. (betr. entsprechende Pflicht des Versicherungsagenten). 1182 BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61, NJW 1963 1978, 1979 f. (betr. entsprechende Pflicht des Versicherungsagenten). 1183 BeckOGK-BGB/Bonin (Stand: 1.9.2019) § 306 Rn. 93; BeckOK-BGB/H.Schmidt (Stand: 1.2.2020) § 306 Rn. 31; Martin Symposion „80 Jahre VVG“ 316; van de Loo 128; a. A. wohl Prölss/Martin/Armbrüster30 Einl. Rn. 221. Beckmann

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D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Schrifttum (ausgewählte versicherungsaufsichtsrechtliche Monographien, Handbücher, Kommentare) Bähr Handbuch des Versicherungsaufsichtsrechts (2011); BAV 100 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, Bd. 1 und 2 (2001); Bürkle Compliance im Versicherungsunternehmen, 2. Auflage (2015); Braumüller Versicherungsaufsichtsrecht (1999); Dreher/Wandt Solvency II in der Rechtsanwendung (2009); dies. Solvency II in der Rechtsanwendung 2012 (2012); dies. Solvency II in der Rechtsanwendung 2013 (2014); dies. Solvency II in der Rechtsanwendung 2014 (2014); dies. Solvency II in der Rechtsanwendung 2015 (2015); dies. Solvency II in der Rechtsanwendung 2016 (2017); dies. Solvency II in der Rechtsanwendung 2017 (2018); Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie (2013); Goldberg/Müller VAG – Großkommentar der Praxis (1980); Gründl/Kraft Solvency II – Eine Einführung, 2. Auflage (2016); Heukamp Das neue Versicherungsaufsichtsrecht nach Solvency II (2016); Krimphove/ Kruse Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen – Kommentar (2018); Laars/Both Versicherungsaufsichtsgesetz, 4. Auflage (2017); Rohrbeck 50 Jahre materielle Versicherungsaufsicht, Bd. 3 (1952/55); Sehrbrock Die „Aufsichtsleiter“ für Versicherungsunternehmen in kritischen Solvenzsituationen (2016); Weber/Baisch Versicherungsaufsichtsrecht, 2. Auflage (2017); Winter Versicherungsaufsichtsrecht (2007); Zöbisch Solvency II: Risikoadäquanz von Standardmodellen (2009).

Schrifttum zu speziellen aufsichtsrechtlichen Fragestellungen Armbrüster Die These von der Optimierungspflicht des Versicherers – eine Betrachtung aus heutiger Sicht, in: Wandt u. a., Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht – Festschrift für Egon Lorenz zum 80. Geburtstag (2014) 3; Armbrüster/Schilbach Nichtigkeit von VersVerträgen wegen Verbots- und Sittenverstößen, RuS 2016 109; Baltzer Meeting an leeren Tischen – Drittstaatenregelung blockiert Erneuerungsgespräche in der Rückversicherung, VW 2016, Heft 12, 26; Basedow Die Gesetzgebung zum Versicherungsvertragsrecht zwischen europäischer Integration und Verbraucherpolitik, in: Reichert-Facilides/Schnyder, Versicherungsrecht in Europa – Kernperspektiven am Ende des 20. Jahrhunderts: Referate und Diskussionsbeiträge eines in Basel am 24./25. September 1998 durchgeführten internationalen Symposiums (2000) 13; Baur/Boegl Die neue europäische Finanzmarktaufsicht – Der Grundstein ist gelegt, BKR 2011 177; Behrendt The Solvency II Capital Requirement for Insurance Groups – On the Tension Between Regulatory Law and Company Law (2018); Benkel Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (2002); Berger Die neue Aufsicht über Aufsichtsräte nach dem VAG, VersR 2010 422; Beyer Die Kapitalanlagevorschriften des VAG und des englischen Rechts aus europarechtlicher Sicht (2005); Bödiker Die Reichs-Versicherungsgesetzgebung (1898); Brinker/Siegert EU-Kommission: Wettbewerb in der Industrieversicherung stärker im Visier – Was haben die Beteiligten zu erwarten, VW 2005 971; Brown The Development of International Norms for Insurance Regulation, Brooklyn Journal of International Law 2009 953; Bürkle Die Compliance-Praxis im Finanzdienstleistungssektor nach Solvency II, CCZ 2008 50; ders. Die rechtlichen Auswirkungen der MaRisk VA auf die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen, VersR 2009 866; ders. Aufsichtsbehördliche Sachkundeanforderungen für Aufsichtsratsmitglieder im Versicherungsunternehmen, VersR 2010 1005; ders. Europarechtliche Vorgaben für die interne Governance im Versicherungssektor, WM 2012 878; ders. Berliner Sprachverwirrung im Regierungsentwurf des 10. VAG-Änderungsgesetzes, VersR 2012 829; Cho/Kelly Promises and Perils of New Global Governance: A Case of the G20, Chicago Journal of International Law 2012 491; Collins Towards a Mature Approach to Data Collection in EU Financial Regulation, Journal of Decision Systems 2016 589; Dreher Das Risikomanagement nach § 64a VAG und Solvency II, VersR 2008 998; ders. Die Veröffentlichungspflichten von Versicherungsunternehmen gegenüber der BaFin, ZVersWiss 2009 187; ders. Ausstrahlungen des Aufsichtsrechts auf das Aktienrecht, ZGR 2010 496; ders. Solvenzanforderungen in der Versicherungsaufsicht nach Solvency II und künftigem VAG, ZVersWiss 2012 381; ders. Begriff und Inhaber der Schlüsselfunktionen nach Solvency II und VAG 2012, VersR 2012 933; ders. Die aufsichtsbehördliche Kontrolle der Inhaber von Schlüsselfunktionen nach Solvency II und künftigen VAG, VersR 2012 1061; ders. Begriff, Aufgaben und Rechtsnatur der versicherungsaufsichtsrechtlichen Compliance nach Solvency II, VersR 2013 929; ders. Treatises on Solvency II (2015); Dreher/Ballmaier Das aufsichtliche Überprüfungsverfahren nach Art. 36 Solvency II-Richtlinie und § 289 VAG-RegE, in: Dreher/Wandt Solvency II 2012 73, dies. Das Verhältnis von Aufsichts- und Gesellschaftsrecht bei der Gruppenaufsicht über Versicherungsunternehmen unter Einbeziehung der Gruppenaufsicht über Kreditinstitute und Finanzkonglomerate, in: Dreher/Wandt Solvency II 2013 45; Dreher/Häußler Die Aufsicht über Versicherungsunternehmen durch die BaFin und die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrates, ZGR 2011 471; Dreher/Lange Die Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder von Versicherungsunternehmen nach VAG und Solvency II, ZVersWiss 2011 211; Dreher/Schaaf Inhalt und Organisation des Risiko- sowie des Revisionsberichtes, VersR 2009 1151; dies. Die Veröffentlichungspflichten von Versicherungsunter-

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nehmen gegenüber der Allgemeinheit nach Solvency II – Der Bericht über Solvabilität und Finanzlage und die Publizität nach Handels- sowie Kapitalmarktrecht, in: Dreher/Wandt Solvency II 2009 129; Drews Gefahr für die Gültigkeit von Treuhänderverfahren VW 2002 452; Eilert Die Zwecke des VAG im Lichte der Urteile des BVerfG zur Lebensversicherung, VersR 2009 709; Fekonja BaFin-Verlautbarungen: Möglichkeiten und Grenzen der rechtlichen Bindungswirkung (2014); Fischer zu Cramburg EU-Finanzaufsicht: Verschärfte Vorschriften und neue Behörden, NZG 2009 1179; Fleischmann Korrespondenzvertrag und § 140 VAG, VersR 1961 769; Frank Die Rechtswirkungen der Leitlinien und Empfehlungen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (2012); von Fürstenwerth/ Gause Die Erweiterung des Lamfalussy-Verfahrens auf den Versicherungssektor, in: Wandt u. a., Kontinuität und Wandel des Versicherungsrechts – Festschrift für Egon Lorenz zum 70. Geburtstag (2004) 253; Gal Europäische Streitbeilegungsmechanismen bei Meinungsverschiedenheiten zwischen nationalen Versicherungsaufsichtsbehörden – EIOPA als Schlichter, Mediator, Schiedsrichter oder in genuinem Kleide? ZVersWiss 2013 7; ders. Legitimationsdefizite und Kompetenzen der EIOPA im Lichte der Meroni-Rechtsprechung, ZVersWiss 2013 325; ders. Rechtsschutz gegen die Leitlinien der EIOPA, in: Koch/Werber/Winter (Hrsg.), Der Forschung – der Lehre – der Bildung: 100 Jahre Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e.V. (2016) 713; ders. Die Korrespondenzversicherung – Vergangenheit und Weiterentwicklung eines überkommenen Rechtsinstituts, VersR 2020 948; Gal/Sehrbrock Taking Stock of the Solvency II Reform Project – Towards a new European Insurance Supervisory Framework, EPL 2013 295; dies. Solvency II – Europäischer Rechtsrahmen einer neuen Versicherungsaufsicht, CFL 2012 140; Gillessen/Prossner/Spengler Wann ist eine Abweichung für die Aufsicht signifikant? VW 2012 434; Golla/Pastwa/Hoppe/Nebelung Nur wenige sind auf die neuen Offenlegungspflichten vorbereitet, VW 2012 445; von Graevenitz Mitteilungen, Leitlinien, Stellungnahmen – Soft Law der EU mit Lenkungswirkung, EuZW 2013 169; Grote Die aufsichtsbehördlichen Eingriffsbefugnisse nach Solvency II: Die besonderen Eingriffsbefugnisse, in: Dreher/Wandt Solvency II 2009 225; Grote/Schaaf Zum Referentenentwurf der 10. VAG-Novelle zur Umsetzung der Solvency II-Richtlinie in deutsches Recht – eine erste Analyse, VersR 2012 17; Hartig Abweichkultur und Befolgungsdruck bei Leitlinien der europäischen Aufsichtsbehörden im Finanzbereich vor dem Hintergrund des § 161 AktG und des DCGK, BB 2012 2959; Hasse Informations- und Offenlegungspflichten der Versicherungsunternehmen nach Solvency II, in: Dreher/Wandt Solvency II 2009 61; ders. Auswirkungen des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht auf die Corporate Governance von Versicherungsunternehmen, VersR 2010 18; Heiss From Contract Certainty to Legal Certainty for Reinsurance Transactions: The Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL), Scandinavian Studies in Law 2018 91; Helleiner/Pagliari Towards a New Bretton Woods? The First G20 Leader Summit and the Regulation of Global Finance, New Political Economy 2009 275; Hoffmann/Detzen ESMA – Praktische Implikationen und kritische Würdigung der neuen Europäischen Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde, DB 2011 1261; Hübner Vertragsschluß und Probleme des Internationalen Privatrechts beim E-Commerce, ZVersWiss 2001 351; Iglesias Rodríguez Towards a new European Supervision Architecture, Col. J. Europ. L. online 16 (2009/2010) Heft 1, 1; Isenbart Meilenstein am großen Teich – USA und EU bauen aufsichtsrechtliche Hindernisse für die Rückversicherung ab, VW 2017, Heft 11, 20; Kaufhold Systemaufsicht – Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken im Finanzsystem als Ausprägung einer neuen Aufsichtsform, Die Verwaltung 2013 21; Kaufmann Fehlt die Lizenz – gilt der Vertrag? VW 1998 681; Keune Rechtliche Grundlagen und Grenzen der EIOPA (2015); Kilian Das Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen von 1901 (2015); P. Koch Geschichte der Versicherungswirtschaft in Deutschland (2012); Krauel/Broichhausen Zu den Qualifikationsanforderungen an Aufsichtsräte in Versicherungsunternehmen vor dem Hintergrund von Solvency II – Eine Analyse anlässlich der Vorlage des Regierungsentwurfs zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, VersR 2012 823; Lehmann/ Manger-Nestler Die Vorschläge zur neuen Architektur der europäischen Finanzaufsicht, EuZW 2010 87; dies. Das neue Europäische Finanzaufsichtssystem, ZBB 2011 2; Loacker Insurance soft law? VersR 2009 289; Louven/Raapke Aktuelle Entwicklungen in der Corporate Governance von Versicherungsunternehmen, VersR 2012 257; Lüttringhaus Solvency II – Grundlagen der Reform des europäischen Versicherungsaufsichtsrechts und Auswirkungen der neuen Eigenmittelvorschriften, EuZW 2011 822; ders. Neue Governance- und Aufsichtsregeln für die europäische Versicherungswirtschaft nach Solvency II, EuZW 2011 856; ders. Die risikolose Welt der Staatsanleihen unter Solvency II und Basel III, EuZW 2012 321; Maier/Nielsen Die Gruppenaufsicht unter Solvency II aus Sicht der Aufsicht, in: Dreher/Wandt Solvency II 2013 1; Mankowski Internationales Versicherungsvertragsrecht und Internet, VersR 1999 923; Michael Rechts- und Außenwirkungen sowie richterliche Kontrolle der MaRiskVA, VersR 2010 141; Möllers Auf dem Weg zu einer neuen europäischen Finanzmarktaufsichtsstruktur – Ein systematischer Vergleich der Rating-VO (EG) Nr. 1060/2009 mit der geplanten ESMA-VO, NZG 2010 285; Nguyen Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (2008); Partsch, Die Harmonisierung der Europäischen Finanzaufsicht, ZBB 2010 72; Papathanassiou/Zagouras Mehr Sicherheit für den Finanzsektor: Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken und die Rolle der EZB, WM 2010 1584; Peschetz/Brandstätter Änderungen der RL 2009/138/EG – Solvabilität II durch den Kommissionsvorschlag „Omnibus II“, ZFR 2011 67; Pohlmann Aufsichtsrechtliche Anforderungen an Schlüsselfunktionsträger in

Gal

294

Übersicht

Einf. D

Versicherungsunternehmen, in: Looschelders, Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungsrecht 2012 (2013) 29; Präve Aufsicht auf neuem Fundament, VW 2007 1380; Preuss Grenzüberschreitender Versicherungsverkehr unter Staatsaufsicht – Eine Betrachtung nach geltendem deutschen Recht (1972); J. Prölss Der Versicherer als „Treuhänder der Gefahrengemeinschaft“ – Zur Wahrnehmung kollektiver Belange der Versicherungsnehmer durch den Privatversicherer, in: Canaris/Diederichsen, Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag am 23. April 1983 (1983) 487; Püttgen/Maur Wenig Spielraum – Bafin erschwert Rückversicherern aus Drittstaaten den Zugang zum deutschen Markt, VW 2016, Heft 10, 30; Reese/Ronge Aufgaben und Struktur der Compliance-Funktion im Versicherungsunternehmen unter besonderer Berücksichtigung von Solvency II, VersR 2011 1217; Rötting/Lang Das Lamfalussy-Verfahren im Umfeld der Neuordnung der europäischen Finanzaufsichtsstrukturen, EuZW 2012 8; Sasserath-Alberti Aufgaben und Befugnisse von EIOPA: Möglichkeiten und Grenzen der Leitlinienbefugnis nach Art. 16 EIOPA-VO, in: Dreher/Wandt Solvency II 2013 129; Schmid/Radtke Die Karten liegen auf dem Tisch, VW 2019 Heft 1, 74; Schradin/Ehrlich, QIS 4 − Konzeption des Gesamtbilanzansatzes für Schaden-Unfallversicherer: Analyse und Beurteilung, in: Mitteilungen des Instituts für Versicherungswissenschaft an der Universität Köln 1/2009; Schüller/Mitzner Die neuen Eigenkapitalanforderungen für (Rück-)Versicherungsunternehmen nach Solvency II, ZHR 175 (2011) 338; Schwarze Soft Law im Recht der Europäischen Union, EuR 2011 3; Sehrbrock Gruppenaufsicht unter Solvency II, ZVersWiss 2008 (Supplement) 27; ders. Rechtsprobleme des Kapitalaufschlags, ZVersWiss 2010 (Supplement) 665; Siekmann, Neuorganisation der Finanzaufsicht, in: Kadelbach, Nach der Finanzkrise (2012) 131; Spindler Versicherungsaufsicht über Internetangebote ausländischer Versicherer, VersR 2002 1049; Thomas Die Bindungswirkung von Mitteilungen, Bekanntmachungen und Leitlinien der EG-Kommission, EuR 2009 423; Tigges Geschichte und Entwicklung der Versicherungsaufsicht (1985); Tröger Konzernverantwortung in der aufsichtsunterworfenen Finanzbranche, ZHR 177 (2013) 475; Voit Der Treuhänder bei Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung, VersR 2017 727; Wagner Versicherungsrundschau 9/2010 23; Wagner Der Weg zum neuen Versicherungsaufsichtsgesetz, Versicherungsrundschau 9/2010 23; Walla Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) als Akteur bei der Regulierung der Kapitalmärkte Europas – Grundlagen, erste Erfahrungen und Ausblick, BKR 2012 265; Wandt Prinzipienbasiertes Recht und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (2012); ders. Transparency as a General Principle of Insurance Law, in: ders./Ünan, Transparency in Insurance Law (2012) 9; Wandt/Bork Der moderne Guidon de la Mer – Die Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL), VersR 2019 1113 = The modern Guidon de la Mer – The Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL), VersR 2019 1468; Wandt/Gal Grenzbereiche der Befugnisse von EIOPA, in: Dreher/Wandt Solvency II 2013 147; dies. Europäisierung und Transnationalisierung im Versicherungsrecht, in: Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität, 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt (2014) 629; dies. Solvency II’s Unexpected Indirect Regulation of the Reinsurance Contract – The Creation of Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL) as a Means to Safeguard a Centuries-Old Tradition of Self-Regulation, in: International Center of Insurance Regulation, Annual Report 2016/2017 60; Wandt/Sehrbrock Solvency II: Rechtsrahmen und Rechtssetzung, in: Dreher/Wandt Solvency II 2009 1; dies. Regelungsziele der Solvency II-Rahmenrichtlinie, in: FS 50 Jahre Schweizerische Gesellschaft für Haftpflicht- und Versicherungsrecht (2010) 689; dies. Regelungsziele der Solvency II-Rahmenrichtlinie, ZVersWiss 2011 193; dies. Die Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der Solvency II-Richtlinie im VAG-Regierungsentwurf – Eine kritische Würdigung der §§ 290, 291 VAG-RegE mit alternativen Regelungsvorschlägen, in: Dreher/Wandt, Solvency II 2012 21; Wang The Prudential Carve-Out, in: Alexander/Andenas, The World Trade Organization and Trade in Services (2008) 601; Weber-Rey Neue Finanzaufsichtsarchitektur für Europa, AG 2010 R453; Weber-Rey/Rhiel Die Auswirkungen der Finanzkrise sowie von Solvency II auf Insurance-Linked Securities, ZVersWiss 2011 245; Winter Internationale Online-Versicherung als Korrespondenzversicherung – Aufsichtsrechtliche und internationalprivatrechtliche Konsequenzen, VersR 2001 1461; Wymeersch The Structure of Financial Supervision in Europe: About Single Financial Supervisors, Twin Peaks and Multiple Financial Supervisors, EBOR 2007 237; ders. Das neue europäische Finanzmarktregulierungs- und Aufsichtssystem, ZGR 2011 443.

Übersicht A.

Überblick über das deutsche Aufsichts1 recht

2.

Gemeinschaftsrechtliche Harmonisierungsbe8 strebungen

I.

Begriff des Versicherungsaufsichtsrechts und Ab1 grenzung

III.

II. 1.

Genesis des Versicherungsaufsichtsrechts 5 Autonome Entwicklung

Gesetzliche Grundlagen und europäisches Versi14 cherungsaufsichtssystem 14 Deutsches Versicherungsaufsichtsrecht 18 Unionsrechtliches Aufsichtsrecht

295

5

1. 2.

Gal

Einf. D

3.

4. 5.

Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen

Hierarchisierung der anwendbaren 24 Rechte 24 a) Regelungshierarchie 28 b) Umsetzungsprobleme 32 Einbindung im ESFS Zu beachtendes Internationales Versicherungs40 aufsichtsrecht a) GATS und andere Überreinkom42 men b) International Association of Insurance Su46 pervisors (IAIS)

IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

50 Ziele der Aufsicht 53 Hauptziel 56 Nebenziele 61 Weitere Nebenziele 63 Transparenzpflicht 64 Weitere Unterziele Internationaler Standard

V. 1. 2.

66 Mittel der Aufsicht 68 Informationsmittel 70 Berichtigungsmittel a) Eingriffsbefugnisse im Allgemeinen 73 b) Sonderfall Aufsichtsleiter 79 c) Vorgehen 81 Sanktionen

3. VI.

65

71

Gegenstand und Adressaten der Auf85 sicht 90

VII. Organisation der Aufsicht

2.

Anforderungen an Schlüsselfunktionsträ145 ger

III.

Aufsichtsrechtliche Transparenzpflich155 ten Publizitätspflichten gegenüber der Aufsicht (Su156 pervisory Reporting) 157 a) Periodische Anzeigepflichten 165 b) Ad hoc-Anzeigepflichten 170 c) Auskunftspflichten Publizitätspflichten gegenüber der Allgemein171 heit (Public Disclosure)

1.

2.

Gruppenaufsicht

D.

Besonderheiten der Rückversicherungsauf188 sicht und der Aufsicht über VVaG

I.

Rückversicherungsaufsicht

II.

Besonderheiten bezüglich der Aufsicht über 192 VVaG

E.

Verknüpfungen von Versicherungsaufsichts193 und Versicherungsvertragsrecht

I.

Aufsichtsrechtliche Sanktionierung von Verstö194 ßen gegen das Zivilrecht Verstöße der Versicherungsbedingungen gegen Normen des Versicherungsvertragsgesetzes 195 (VVG) Verstöße der Versicherungsbedingungen gegen Normen des sonstigen Zivilrechts, insbesondere 200 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) 203 Sonstige Verstöße gegen Zivilrecht

1.

2.

91

B.

Zulassungsaufsicht

C.

Laufende Aufsicht

I. 1.

100 Quantitativen Anforderungen Bewertung der Vermögenswerte und Verbind104 lichkeiten Berechnung der versicherungstechnischen Rück106 stellungen 110 Solvabilitätskapitalanforderung 111 a) Standardformel 116 b) Internes Modell 119 Mindestkapitalanforderung Bestimmung der anrechenbaren Eigenmit121 tel 126 Kapitalanlage

3.

3.

4. 5. 6. II. 1.

Gal

189

99 II.

2.

180

IV.

132 Qualitative Anforderungen 135 Allgemeine qualitative Anforderungen a) Allgemeine Grundsätze der Unternehmens136 organisation b) Strukturanforderungen der Schlüsselfunkti137 onen

1. 2. 3. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Zivilrechtliche Sanktionierung von Verstößen ge206 gen das Versicherungsaufsichtsrecht Wirksamkeit des Vertrags bei Verstö207 ßen 208 Anfechtung des Vertrags 209 Schadenersatzpflichten 210 Unmittelbare Verknüpfungen 211 Bedingungs- und Prämienänderungen 221 AVB-Regelungen bei VVaG Informationspflichten des Versicherers (und Ver223 mittlers) 227 Antragsbündelung 228 AVB-Inhalte 242 Insolvenz des Versicherers Überschussbeteiligung in der Lebensversiche243 rung

296

Überblick über das deutsche Aufsichtsrecht

Einf. D

A. Überblick über das deutsche Aufsichtsrecht I. Begriff des Versicherungsaufsichtsrechts und Abgrenzung Das Versicherungsaufsichtsrecht ist der Teil des öffentlichen Rechts, umfasst werden hierbei neben Rechts- auch Verwaltungsvorschriften, der die Beaufsichtigung von Versicherungsunternehmen und Rückversicherungsunternehmen durch Aufsichtsbehörden zum Gegenstand hat. Das Versicherungsaufsichtsrecht ist hierbei über drei Ebenen verteilt, die sich jedoch vielfach gegenseitig bedingen und beeinflussen: nämlich das internationale, das europäische und das nationale Versicherungsaufsichtsrecht. In diesem Zusammenhang sind diese einzelnen Rechtsebenen hinsichtlich ihrer Rechtsnatur und ihrem jeweiligen Geltungsverhältnis sehr unterschiedlich. Während das internationale Versicherungsaufsichtsrecht grundsätzlich nur die Unterzeichnerstaaten völkerrechtlich bindet, was aber nicht zu der Annahme führen sollte, dass dieses heutzutage unbedeutsam wäre, greifen das europäische und nationale Versicherungsaufsichtsrecht stets stärker ineinander und beide können heute kaum noch isoliert betrachtet werden. Hierbei knüpft zumindest das europäische und deutsche Versicherungsaufsichtsrecht als Aufsichtsgegenstand an die Tätigkeit von VU, also an den Begriff des Versicherungsgeschäfts (siehe Rn. 85), an. Das Versicherungsaufsichtsrecht ist entsprechend, wie auch das Banken- und Finanzmarktaufsichtsrecht, auf eine vertikale Aufsicht gerichtet. Spezifikum einer solchen vertikalen Aufsicht ist eine sektorspezifische Festlegung und Überwachung von Regelungen für eine fest umgrenzte Wirtschaftsbranche. Hierdurch unterscheidet sich die Versicherungsaufsicht von horizontalen Aufsichtsregimen, wie insbesondere dem Kartellrecht und dem Gewerberecht, bei denen die gesamte Wirtschaft hinsichtlich bestimmter Aspekte einer weitgehend einheitlichen Kontrolle unterworfen wird. Ohne hierdurch bereits die Ziele des Versicherungsaufsichtsrechts vorwegnehmen zu wollen (siehe hierzu unten Rn. 50 ff.), ist der Grund für die Statuierung des Versicherungsaufsichtsrechts in der gesteigerten wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung der Versicherungsleistungen für die Wirtschaftssubjekte, die solchen Versicherungsschutz nachfragen, und in der gesamtvolkswirtschaftlichen Bedeutung der Versicherungswirtschaft zu sehen. In der Gesamtschau ist das Versicherungsaufsichtsrecht dem Gewerbepolizei- und Gefahrenabwehrrecht zuzuordnen.1 Gerade auch im Hinblick auf das versicherungsaufsichtsrechtliche Optimierungsverbot (siehe unten Rn. 55 und 137) kann im Versicherungsaufsichtsrecht weder in Vergangenheit noch Gegenwart ein Regulierungsverwaltungsansatz erkannt werden, da der BaFin und anderen beteiligten Akteuren gerade keine Gestaltungs- und Lenkungsaufgaben zukommen.

1

2

3

4

II. Genesis des Versicherungsaufsichtsrechts 1. Autonome Entwicklung Das einheitliche Versicherungsaufsichtsrecht ist im Vergleich zu einigen anderen europä- 5 ischen Staaten2 in Deutschland eher jüngeren Datums. So erfolgte die Regulierung der Versicherung noch während des gesamten 19. Jahrhunderts allein auf der Ebene der Partikular-

1 So bereits Mot. VAG, S. 22; vgl. auch Brandt/Baroch Castellvi/Brandt Einf. Rn. 8. 2 S. zur historischen Entwicklung in der Schweiz mit dem VAG 1885 etwa Weber/Baisch Versicherungsaufsichtsrecht Rn. 1; zur österreichischen Entwicklung seit dem Versicherungspatent von 1852 siehe Braumüller Versicherungsaufsichtsrecht S. 2 ff. 297

Gal

Einf. D

Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen

staaten. Diese sahen hierbei typischerweise Konzessionssysteme vor, welche einerseits nicht immer sämtliche Versicherungstypen und -klassen erfassten und auch andererseits hinsichtlich der Anforderungen recht heterogen waren. Dies war schon von daher bedenklich, als die Zulassung zum Versicherungsbetrieb in einem Partikularstaat nicht zwingend auf einen anderen ausgeweitet war, sodass deutsche VR wie ausländische behandelt wurden, wenn sie deutschlandweit agieren wollten. Auch fehlte es weitflächig an einer laufenden Aufsicht.3 Zwar wurden bereits 1867 durch Art. 4 Nr. 1 der Verfassung des Norddeutschen Bundes4 6 und daran anschließend 1871 durch Art. 4 Nr. 1 der Reichsverfassung5 die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz in Behandlung des Versicherungswesens dem Bund respektive dem Reich zugewiesen, ein einheitliches Versicherungsaufsichtsrecht verzögerte sich jedoch noch um ein Vierteljahrhundert. Obgleich es bereits Anfang der 1880er-Jahre einen Entwurf durch den späteren ersten Präsidenten des sozialversicherungsbezogenen Reichsversicherungsamtes (RVA), Tonio (recte Anton) Bödiker, gegeben hatte,6 erging das Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen – das spätere und im weiteren so bezeichnete VAG – erst 1901.7 Das VAG trat am 1.1.1902 in Kraft und das mit der Ausführung des Gesetzes betraute Kaiserliche Aufsichtsamt für Privatversicherung (KAP) nahm gemäß § 125 VAG 1901 bereits am 1.7.1901 seine Arbeit auf.8 Hierbei war es ein Glücksfall, dass Ernst Gruner, nachdem der erste Präsident des KAP, Erich von Woetkes, bereits einige Monate nach Ernennung verstorben war, zum zweiten Präsidenten ernannt wurde. Durch dessen Wirken wurde das VAG auf wissenschaftlichem Niveau in die Praxis umgesetzt.9 Es galt nunmehr ein reichseinheitliches Konzessionierungssystem gekoppelt mit einer materiellen Staatsaufsicht. 7 Im Laufe der über hundertjährigen Geschichte des VAG wurden an diesem eine Vielzahl von Änderungen vorgenommen, die dem Aufsichtsgesetz von 1901 seine spätere, wenig übersichtliche und zum Teil nur noch schwer verständliche Form gegeben haben.10 Im Kern verharrte das deutsche Versicherungsaufsichtsrecht jedoch bis 1994 in seinem Ausgangszustand – ausgespart sei hier insbesondere die Rechtsentwicklung während der NS-Diktatur, in der die Missstandsaufsicht in ein Instrument der staatlichen Wirtschaftslenkung umgestaltet wurde11 – einer materiellen Staatsaufsicht „von der Wiege bis zur Bahre“, bei der auch die Tarife und AVB mittels einer Vorlage- und Genehmigungsanforderung beaufsichtigt wurden, sodass es zu keinem nennenswerten Preis- oder Produktwettbewerb kam.12 Auch die praktische Aufsicht blieb hierbei recht konstant, obgleich sich die jeweiligen Aufsichtsbehörden (zumindest im Namen) vielfach wandelten, nämlich neben den Versicherungsaufsehern der Bundesländer (die für klei-

3 Für einen guten Überblick zur rechtlichen Entwicklung des Versicherungsaufsichtsrechts im 19. Jahrhundert siehe Kilian Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen S. 30 ff.; Tigges Geschichte der Versicherungsaufsicht insb. S. 20 ff.; siehe auch Langheid/Wandt/Langheid AufsichtsR Rn. 4–10. 4 BGBl. NDB 1867 Nr. 1, S. 1. 5 BGBl. DB 1871, Nr. 16, S. 63. 6 S. Bödiker Die Reichs-Versicherungsgesetzgebung S. 41 et passim. 7 RGBl. 1901, S. 139. 8 Näheres siehe BAV, 100 Jahre Versicherungsaufsicht Bd. 1, S. 5. 9 So P. Koch Geschichte der Versicherungswirtschaft 183; siehe zur Herausarbeitung der Grundsätze des Versicherungsaufsichtsrechts bspw. Prölss/Schmidt/Präve12 Vorbem. Rn. 1; BAV/Ruge 100 Jahre Versicherungsaufsicht Bd. 1, S. 27, 28 ff.; und besonders Rohrbeck/Starke 50 Jahre materielle Versicherungsaufsicht, Bd. 3, S. 15 ff. 10 So Bruck/Möller/Müller/Präve9 Einf. D. Rn. 1. 11 Vgl. hierzu Tigges Geschichte der Versicherungsaufsicht 107 ff.; Langheid/Wandt/Langheid AufsichtsR Rn. 27; die Konzeptänderung hin zu einem Wirtschaftslenkungsrecht zeigt sich insbesondere auch in der Einfügung eines neuen Versagungsgrundes in § 8 VAG a. F., nach dem die Zulassung verwehrt werden konnte, wenn ein mangelndes (Markt-)Bedürfnis bestand. 12 Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 3. Gal

298

Überblick über das deutsche Aufsichtsrecht

Einf. D

nere VU etc. zuständig waren und sind13) zunächst das Kaiserliche Aufsichtsamt für Privatversicherung (KAP), dann nach dem Ersten Weltkrieg das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung (RAPV), während des Zweiten Weltkriegs das Reichsaufsichtsamt für das Versicherungswesen (RA), danach zunächst die zonalen Aufseher, und ab 1952 das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen (BAV), ab 1973 als Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV), welches 2002 mit dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred) und dem Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) zur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vereinigt wurde.

2. Gemeinschaftsrechtliche Harmonisierungsbestrebungen Wesentliche Änderungen erfuhr das deutsche Versicherungsaufsichtsrecht dann aber unter dem 8 Umsetzungsdruck des Gemeinschaftsrechts (siehe bereits Herrmann Einl. B Rn. 7 ff.). Hierbei war die Schaffung des Gemeinsamen Versicherungsbinnenmarktes, also die Verwirklichung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Versicherungssektor jedoch stark verzögert. Zwar erging bereits 1964 die Rückversicherungsrichtlinie,14 aufgrund derer alle Beschränkungen der Niederlassung und Dienstleistungserbringung in der Rückversicherung aufgehoben werden mussten (was letztlich dem bisherigen deutschen Verständnis entsprach), jedoch sah diese Richtlinie zum einen kein harmonisiertes Konzept der Aufsicht über Rückversicherungsunternehmen vor und zum anderen ließ eine Harmonisierung der Aufsicht über Erstversicherungsunternehmen noch weiter auf sich warten. Erst Anfang der 1970er unternahm die Gemeinschaft Anstrengungen, zumindest die Nieder- 9 lassungsfreiheit im Versicherungssektor zu gewährleisten. Hierbei bewirkten die Liberalisierungsrichtlinie,15 die Erste Richtlinie Schaden16 und die Erste Richtlinie Leben17 (erste Richtliniengeneration) die Aufhebung bestehender Beschränkungen für die Errichtung von Zweigniederlassungen und Agenturen, vereinheitlichten die Bedingungen zur Erteilung und zum Widerruf der Zulassung, führten die in den Mitgliedstaaten zulässigen Rechtsformen zum Betrieb aus, vereinheitlichten die Versicherungszweige und regelten das Mindestniveau der Solvabilitätsbestimmungen. Die Auswirkungen zumindest auf das deutsche Aufsichtsrecht – sieht man vielleicht von der Konstituierung eines unbegrenzten Zulassungszwangs (also auch für bisher zulassungsbefreite Sparten wie die Transportversicherung) und der Aushöhlung der Spartentrennung ab – waren eher gering. Einen Versuch zur Verbesserung der Dienstleistungsfreiheit gibt es in diesem Zeitraum mit Erlass der Mitversicherungsrichtlinie,18 die jedoch aus mehreren Gründen relativ wirkungslos blieb.19 Ein nennenswerter Impuls hin zu einer Beförderung der Dienstleistungsfreiheit ging dann 10 vom Mitversicherungsurteil des EuGH aus dem Jahr 1986 aus, in welchem der EuGH die zwingende Niederlassungspflicht eines VU als einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit gesehen hatte.20 Die hierdurch angeschobene zweite Richtliniengeneration – die Zweite Richtlinie

13 Die Zuständigkeit, die sich heute aus §§ 320 Abs. 1, 321 Abs. 1 VAG ergibt, beschränkt sich im Wesentlichen auf kleinere private VU und öffentlich-rechtliche Wettbewerbsversicherungsunternehmen, deren Geschäftsgebiet auf das Territorium des betreffenden Landes beschränkt ist. 14 RL 64/225/EWG ABl. L 56 v. 4.4.1964, S. 878. 15 RL 73/240/EWG ABl. L 228 v. 16.8.1973, S. 20. 16 RL 73/239/EWG ABl. L 228 v. 16.8.1973, S. 3. 17 RL 79/267/EWG ABl. L 63 v. 13.3.1979, S. 1. 18 RL 78/473/EWG ABl. L 151 v. 7.6.1978, S. 25. 19 Die Transformationsnormen der Mitversicherungsrichtlinie haben spätestens mit Einführung des single licenceGrundsatzes aufsichtsrechtlich an Bedeutung verloren, wenn sie denn je Bedeutung hatten; letzteres verneint bspw. Wöhrle in: BAV, 100 Jahre Versicherungsaufsicht, Bd. 1, S. 65, 83. 20 EuGH 20.3.1986 – Rs. 205/84 (Ksion ./. Deutschland), Slg. ECLI:EU:C:1986:463. 299

Gal

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Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen

Schaden21 und die Zweite Richtlinie Leben22 – ermöglichten nunmehr zumindest einen begrenzten Dienstleistungsverkehr. Hierbei wurde zunächst die Abgrenzung des Dienstleistungs- vom Niederlassungsverkehr vereinheitlicht, was insbesondere, da ein Dienstleistungsverkehr nur anzunehmen war, wenn der Vertrag über eine inländische Mittelsperson mediiert wurde, auch das bereits vorher in Deutschland bekannte Rechtsinstitut der aufsichtsfreien Korrespondenzversicherung europaweit unberührt ließ.23 Zudem nahm die Zweite Richtlinie Schaden eine Unterscheidung von Groß- und sonstigen Risiken vor, wobei für die Großrisiken ein Dienstleistungsverkehr ohne gesonderte Zulassungserfordernis (und vor allem ohne Vorabgenehmigung der AVB) im Tätigkeitsland gewährt wurde. Trotz der unverkennbaren Fortschritte in der Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Versicherungsaufsichtsrechte erschienen diese Schritte im Vergleich zu anderen Sektoren immer noch recht marginal. 11 Die wirkliche Wende brachte erst die dritte Richtliniengeneration. Die Dritte Richtlinie Schaden24 und Leben25 begründeten insbesondere die Grundsätze der einheitlichen Zulassung („single licence“ bzw. Europapass) und der Herkunftslandaufsicht.26 Entsprechend ermächtigt die Zulassung in einem Mitgliedstaat oder seit dessen Begründung eines Unterzeichnerstaates des EWR zum Betrieb der Versicherung in der gesamten EWG bzw. dann EG oder heute EU respektive dem EWR. Zur Aufnahme der Versicherungstätigkeit im Dienstleistungs- oder Niederlassungsverkehr bedarf es seitdem nur noch einer qualifizierten Anzeige gegenüber dem Sitzlandaufseher (sogenanntes Notifikationsverfahren). Um dieses System der gegenseitigen Kooperation und des gegenseitigen Vertrauens zu befördern, wurde auch eine Mindestkoordinierung und gegenseitige Anerkennung der Aufsichtssysteme vorgenommen. Besonders einschneidend wurde insbesondere auch die Vorabkontrolle der AVB und Tarife europaweit untersagt. Zusammen mit zahlreichen weiteren Detailharmonisierungsmaßnahmen (etwa Abschaffung der Versicherungsmonopole, vertieftere Regelungen zur Solvenzaufsicht, Regelungen zur Bestandsübertragung) bewirkten diese Richtlinien die einschneidendste Änderungen, die das VAG in seiner damals nahezu hundertjährigen Geschichte erlebt hatte. Obgleich diese Deregulierung (insbesondere hinsichtlich der Aufgabe der Vorabgenehmigung der AVB und Tarife) eine grundlegende Systemänderung bewirkte, so blieb aber zumindest der Aufsichtsansatz (zumal aus Sicht des BAV und dann der BaFin) gleich, nämlich in Form einer materiellen Staatsaufsicht in der besonderen Gestalt einer fragwürdigen Missstandsaufsicht.27 In den folgenden Jahren wurden die Richtlinien der dritten Generation und mithin die Har12 monisierung des Versicherungsaufsichtsrechts durch zahlreiche weitere Richtlinien vertieft und ausgeweitet. Die Gruppenaufsichtsrichtlinie,28 die Sanierungsrichtlinie,29 die Finanzkonglomeratsrichtlinie,30 die Solvabilitätsspannenrichtlinien31 und die Vermittlerrichtlinie32 sind hier nur einige Beispiele. Insgesamt wurde dieses System, obgleich dies genau genommen nur für die 21 RL 88/357/EWG ABl. L 172 v. 4.7.1988, S. 1. 22 RL 90/619/EWG ABl. L 330 v. 29.11.1990, S. 50. 23 Vgl. zum damaligen Konzept der Korrespondenzversicherung allgemein bspw. Bähr/Bähr/Püttgen § 3 Rn. 93 ff.; Bähr/Schöps § 7 Rn. 24 ff.; Langheid/Wandt/Gause1 AufsichtsR Rn. 417; Winter Versicherungsaufsichtsrecht S. 518 ff.; vertieft Preuss Grenzüberschreitender Versicherungsverkehr 25 ff.; Gal VersR 2020 948 ff. 24 RL 92/49/EWG ABl. L 228 v. 11.8.1992, S. 1. 25 RL 92/96/EWG ABl. L 360 v. 9.12.1992, S. 1. 26 Hierdurch wurde die bisherige Tätigkeitslandskontrolle nahezu vollständig aufgegeben; allein hinsichtlich der Rechtsaufsicht kommt dem Tätigkeitslandsaufseher eine Parallelzuständigkeit zu; siehe vertieft etwa P. Koch in: BAV, 100 Jahre Versicherungsaufsicht, Bd. 1, S. 136 ff. 27 S. zur Kritik an § 81 VAG a. F. mit einem guten Überblick Winter Versicherungsaufsichtsrecht 8 f. 28 RL 97/78/EG ABl. L 24 v. 30.1.1998, S. 9. 29 RL 2001/17/EG ABl. L 110 v. 20.4.2001, S. 28. 30 RL 2002/87/EG ABl. L 35 v. 11.2.2003, S. 1. 31 RL 2002/83/EG (Lebensversicherung) ABl. L 345 v. 19.12.2002, S. 1 und RL 2002/13/EG (Schaden) ABl. L 77 v. 20.3.2002, S. 17. 32 RL 2002/92/EG ABl. L 9 v. 15.1.2003, S. 3. Gal

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Solvabilitätsspannenrichtlinie zutrifft, als das Solvency I-System bezeichnet.33 Alle Harmonisierungsbestrebungen haben jedoch nichts daran geändert – dies scheint ein beständiger Dorn in der Pranke der Kommission –, dass die Versicherungsmärkte (abgesehen vom Großrisikogeschäft und der Rückversicherung) ausgesprochen national geblieben sind.34 Dies beruht letztlich darauf, und wird sich auch unter dem Solvency II-System nicht ändern, dass es sich bei der Versicherung um ein reines Rechtsprodukt handelt35 und die vielfach (halb-)zwingenden Vorschriften des Versicherungsvertragsrechts nicht harmonisiert wurden und außerhalb des Großrisikobereichs im Internationalen Versicherungsvertragsrechts kaum eine Rechtswahl getroffen werden kann. Unter diesen Prämissen erscheint es einem EWR-Versicherer nahezu unmöglich, mit nationalen Anbietern im Jedermanngeschäft zu konkurrieren, ohne dass lokale Expertise aufgebaut wird, indem kostenintensiv eine Niederlassung aufgebaut wird, die hinsichtlich der Personaldecke eher einem Tochterunternehmen gleicht. Obgleich also die Begründung eines funktionierenden Binnenmarktes für Versicherungs- 13 produkte wohl an einer Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechtes ansetzen müsste, was sich zahlreiche Mitgliedstaaten jedoch aus durchaus nachvollziehbaren Gründen verbieten,36 versucht die Europäische Union weiterhin die Errichtung eines einheitlichen Marktes über die Harmonisierung des Aufsichtsrechts zu verwirklichen. Der letzte Schritt ist hierbei die Errichtung des Solvency II-Systems, durch welches das Versicherungsaufsichtsrecht nahezu vollständig, im Schwerpunkt bleiben das Verwaltungsverfahrensrecht und die hierdurch vorgezeichneten Aufsichtsmittel national (wenn auch stark unionsrechtlich überprägt), unionsrechtlich harmonisiert werden. Von einem deutschen Versicherungsaufsichtsrecht kann man ob der Einfügung des VAG in das Solvency II-Systems und der BaFin in das Europäische Finanzaufsichtssystem (European System of Financial Supervision – ESFS) fürderhin nur noch mit Bedacht sprechen.

III. Gesetzliche Grundlagen und europäisches Versicherungsaufsichtssystem 1. Deutsches Versicherungsaufsichtsrecht Die wichtigste gesetzliche Grundlage des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts ist das Ge- 14 setz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG –), das in Umsetzung der Solvency II-Richtlinie vollständig überarbeitet und als Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen neu verkündet (BGBl. 2015 I 434) und zuletzt durch Art. 6 des Gesetzes zur Einführung von Sondervorschriften für die Sanierung und Abwicklung von zentralen Gegenparteien (BGBl. 2020 I 529) geändert wurde.

33 So etwa Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle Einl. Rn. 18. 34 Vgl. etwa Basedow in: Reichert-Facilides/Schnyder, Versicherungsrecht in Europa (2000) 13, 17; Basedow u. a./ Heiss Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) (2016) Introduction Rn. 14. So betrug der Anteil an den Bruttoprämien europäischer VU, die im Dienstleistungs- und (!) im Niederlassungsverkehr vereinnahmt wurde noch 2007 nur ca. 4 %; siehe Final Report of the Commission Expert Group on European Insurance Contract Law, 2014, S. 9; siehe auch Loacker VersR 2009 289 (insb. dort Fn. 9 m. w. N.); so beispielsweise noch Anfang des Jahrtausends die Kommission spezifisch zur Unternehmensversicherung; siehe Ksion, Pressemitteilung v. 13.6.2005 (IP/05/ 719); siehe hierzu Brinker/Siegert VW 2005 971. 35 So insbesondere begriffsprägend Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt, 1991. 36 Eine Vollharmonisierung – jenseits eines alternativen, optionalen Versicherungsvertragsregimes, wie es mit den PEICL grundsätzlich bereits erarbeitet wurde – würde ganz erhebliche Umsetzungskosten generieren, da sämtliche AVB umgestellt werden müssten und auch der sonstige Geschäftsbetrieb an die neuen Gegebenheiten anzupassen wäre. Im Hinblick auf die Heterogenität der einzelnen europäischen Versicherungsmärkte wären die Mehrkosten wohl astronomisch. Vgl. zu den PEICL m. w. N. Wandt/Gal FS 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt (2014) 629, 632 ff. 301

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Das VAG wird ergänzt durch eine reiche Zahl von Verordnungen, in denen durch das hierzu ermächtigte Bundesministerium für Finanzen vor allem technische Einzelheiten des Aufsichtsrechts geregelt werden. Zu nennen sind hier37 die Sachverständigenprüfverordnung (SachPrüfV), Versicherungs-Vergütungsverordnung (VersVergV), Deckungsrückstellungsverordnung (DeckRV), Anlageverordnung (AnlV), Aktuarverordnung (AktuarV), Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV), Versicherungs-Meldeverordnung (VersMeldeV), KapitalausstattungsVerordnung (KapAusstV), Verordnung über die Finanzierung des Sicherungsfonds für die Lebensversicherer (SichLVFinV), Mindestzuführungsverordnung (MindZV), Finanzrückversicherungsverordnung (FinRVV), Pensionsfonds-Aufsichtsverordnung (PFAV), Verordnung über den kollektiven Teil der Rückstellungen für Beitragsrückerstattung (RfBV), Verordnung über die Anforderungen an die Sachkunde der mit der Vergabe von Immobiliar-Verbraucherdarlehen befassten internen und externen Mitarbeiter von Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds (VersImmoDarlSachkV) und Inhaberkontrollverordnung (InhKontrollV). 16 Ergänzende Bedeutung kommt in Deutschland dem Behördenbinnenrecht der BaFin zu, in Form des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG).3839 Daneben erlangt für das konkrete Verfahren auch das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) und für den gerichtlichen Rechtsschutz die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Bedeutung, soweit diese nicht durch VAG oder FinDAG abgeändert werden. 17 In Anbetracht des Regelungsansatzes des Solvency II-Systems – sogenanntes prinzipienbasiertes Recht (principle based law) – kommt neben den gesetzlichen Regelungen im engeren Sinne heute sogenannten soft law-Instrumenten40 im Versicherungsaufsichtsrecht eine selbst gegenüber der früheren Rechtslage gesteigerte Bedeutung zu. Auch hier ist jedoch eine starke europäische Harmonisierungstendenz zu konstatieren. So gehen die meisten Runderlasse, Rundschreiben, Auslegungsentscheidungen und Merkblätter der BaFin heute im Wesentlichen auf Leitlinien der EIOPA zurück. Da letztere jedoch typischerweise nur an die nationalen Aufseher adressiert sind, also in Deutschland an die BaFin, haben sie eigentlich keine unmittelbare Relevanz für die aufsichtsunterworfenen Unternehmen. Vielmehr bedürfen sie der Umsetzung durch die BaFin. Die BaFin hat mehrere solche soft law-Instrumente erlassen, wobei gerade dem Rundschreiben 2/2017 (VA) – Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen (MaGo) überragende Bedeutung zukommt. 15

2. Unionsrechtliches Aufsichtsrecht 18 Mit der vorgehenden Darstellung des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts ist jedoch das in Deutschland geltende Versicherungsaufsichtsrecht allenfalls im Ansatz beschrieben. Vielmehr sind die deutschen Umsetzungs- und Ergänzungsnormen eingelassen in ein über weite Felder vollharmonisiertes Europäisches Versicherungsaufsichtsrecht. Durch die hierbei verwandte Regelungstechnik – insbesondere das Lamfalussy-Verfahren (siehe Rn. 19 ff.) – hat das Versicherungsaufsichtsrecht eine Gestalt angenommen, die es selbst dem Experten teilweise schwer

37 Die Verordnungen werden hier in der Verkündungsreihenfolge im BGBl. wiedergegeben (siehe BGBl. 2016 I 760), wobei solche Verordnungen, die noch unter Geltung des alten VAG erlassen und nur angepasst wurden, am Ende stehen. Die meisten noch unter Geltung des alten VAG ergangenen Verordnungen wurden durch eine Aufhebungsverordnung jeweils zu unterschiedlichen Terminen in den Jahren 2016 und 2017 aufgehoben (BGBl. 2015 I 2345). 38 Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BGBl. 2002 I 1310. 39 S. zu detaillierten Kommentierungen etwa Prölss/Dreher/Redenz §§ 1 ff. FinDAG; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/ Schäfers §§ 1 ff. FinDAG; Laars in: NomosOnline Bundesrecht, Finanzdienstleistungsgesetz. 40 Vgl. hierzu bspw. zu Leitlinien der Kommission Thomas EuR 2009 423, 424 ff.; von Graevenitz EuZW 2013 169, 169 ff. und zu Rundschreiben (und vergleichbaren Instrumenten) der BaFin Fekonja BaFin-Verlautbarungen 65 ff. S. zu Leitlinien der EIOPA Gal FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft (2016) 713; Prölss/ Dreher/Gal Art. 16 EIOPA-VO Rn. 1 ff. Gal

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macht, die einzelnen einschlägigen Normen und ihr jeweiliges Regelungsverhältnis mit Leichtigkeit und hinreichender Sicherheit zu identifizieren. Wenn sich das Europäische Versicherungsaufsichtsrecht also grundsätzlich der Entstehung eines single rule book angenähert hat, so ist dieses Regelwerk doch selbst bei gutmütiger Betrachtung kaum mit dem Qualitätssiegel der Transparenz auszuzeichnen. Das Solvency II-Regime ist am 1.1.2016 in Kraft getreten.41 Solvency II ist hierbei im sogenannten Lamfalussy-Verfahren42 erlassen worden, was ein mehrstufiges Rechtssetzungsverfahren impliziert, wobei die Rechtssetzung und Implementierung auf vier Ebenen (sogenannte level) erfolgt. Hierbei ist bei der weiteren Darstellung die vierte Ebene, auf der die Kommission gemeinsam mit EIOPA über die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechtes wacht, ausgespart, da es sich dabei gerade nicht um eine Regulierungs- sondern eine Aufsichtsaufgabe handelt. Auf oberster Ebene (Level 1) haben der Europäische Rat und das Europaparlament die Solvency II-Richtlinie43 erlassen. Entsprechend dem Rechtssetzungskonzept des Lamfalussy-Verfahrens werden durch diese (nur) die wesentlichen Grundentscheidungen getroffen und im Weiteren ausgeführt, für welche Regelungskonzepte die Kommission (eventuell ergänzt durch die EIOPA) ausführende und ergänzende Detailregelungen zu treffen hat. Hierbei hat die Solvency II-Richtlinie – die ob ihrer Funktion im Gesamtsystem Solvency II vielfach auch als Rahmenrichtlinie oder Basisrechtsakt bezeichnet wird – bereits zahlreiche Änderungen erfahren, besonders einschneidend durch die Omnibus II-Richtlinie.44 Entsprechend der europarechtlichen Eigenart der Richtlinie, sind die Normen der Solvency II-RL jedoch nur für den nationalen Gesetzgeber hinsichtlich seiner Transformation verbindlich, nicht jedoch für die VU. Für diese greifen eben die nationalen Umsetzungsnormen, also die des VAG. Gleichwohl bleiben die Normen der Solvency II-RL bedeutsam, da die deutschen Transformationsnormen europarechtskonform also am Maßstab der Solvency II-Richtlinie ausgelegt werden (richtlinienkonforme Auslegung). Diese regulatorischen Vorgaben werden auf der nächsten Ebene (Level 2) durch den unmittelbar gegenüber den in einem beliebigen EWR-Staat beaufsichtigten VU geltenden Normen der Delegierten Verordnung (EU) 2014/35 (Solvency II-DVO)45 ergänzt, die die Kommission als delegierten Rechtsakt nach Art. 290 AEUV erlassen hat. Durch die Solvency II-DVO macht die Kommission von den insgesamt 76 Ermächtigungen durch die Solvency II-RL Gebrauch. Ergänzt wird diese klassische zweite Ebene des Lamfalussyverfahrens im Solvency II-System durch eine sogenannte Ebene 2,5. Hier werden durch die EIOPA bei Ermächtigung auf Level 1 (oder Level 2) sogenannte Technische Standards entworfen. Gemäß Art. 10 Abs. 1 UA 2 EIOPA-VO sind technische Regulierungsstandards „technischer Art und beinhalten keine strategischen oder politischen Entscheidungen, und ihr Inhalt wird durch die Gesetzgebungsakte, auf denen sie beruhen, begrenzt“, während die technischen Durchführungsstandards gemäß Art. 15 Abs. 1 UA 1 Satz 2 EIOPA-VO „technischer Art [sind] und […] keine strategischen oder 41 S. Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungsunternehmen BGBl. 2015 I 434; die Solvency II-DVO ist zwar ausweislich ihres Art. 381 bereits früher in Kraft getreten, konnte jedoch zumindest vor Ablauf der Umsetzungsfrist und genaugenommen vor Transformation der Solvency II-RL im jeweiligen Mitgliedstaat trotz unmittelbarer Anwendbarkeit aufgrund fehlender Normen, die durch sie auszufüllen waren, keine Wirkung – jenseits der Berücksichtigung in der Vorbereitungsphase – erzeugen. 42 S. hierzu (wenn auch etwas veraltet) Rötting/Lang EuZW 2012 8. 43 RL 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) ABl. L 335 v. 17.12.2009, S. 1. 44 RL 2014/51/EU in: ABl. L 153 v. 22.5.2014, S. 1; vgl. zu diesem Richtlinienvorschlag ausführlich Peschetz/Brandstätter ZFR 2011 67. 45 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 der Kommission zur Ergänzung der RL 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) ABl. L 12 v. 17.1.2015, S. 1; diese wurde wiederum geändert durch Delegierte VO (EU) 2016/467 und Delegierte Verordnung (EU) 2016/2283. 303

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politischen Entscheidungen [beinhalten], und ihr Inhalt [dazu] dient, die Bedingungen für die Anwendung der genannten Gesetzgebungsakte festzulegen“. Eine sinnvolle Abgrenzung hat hierbei am Maßstab des Art. 290 AEUV (zu delegierten Rechtsakten), der die primärrechtliche Grundlage der technischen Regulierungsstandards darstellt, und des Art. 291 Abs. 4 AEUV (zu Durchführungsrechtsakte), der die primärrechtliche Grundlage der technischen Durchführungsstandards darstellt, zu erfolgen.46 Hierbei darf jedoch nicht verkannt werden, dass diese technischen Standards zwar durch die EIOPA erarbeitet, aber grundsätzlich wie die allgemeinen Level2-Rechtsinstrumente durch die Kommission als delegierte Rechtsakte nach Art. 290 AEUV oder als Durchführungsrechtsakte nach Art. 291 Abs. 4 AEUV erlassen werden. Sie unterscheiden sich von diesen also im Wesentlichen nur durch die formelle Einbindung der EIOPA in das Erlassverfahren und das konkrete gesetzgeberische Verfahren. Diese Einschränkung der Befugnis der Kommission als Delegatar nach Art. 290 AEUV, die der Ermächtigung zum Erlass eines technischen Regulierungsstandards statt eines gewöhnlichen delegierten Rechtsaktes inhärent ist, hat gleichwohl zu starken Verwerfungen geführt, da die Kommission hierdurch ihre institutionellen Rechte beschnitten sah. Gegenwärtig sind deshalb weitaus weniger technische Regulierungsstandards ergangen, als dies ursprünglich für das Solvency II-System geplant war, sondern vielmehr die meisten Regelungen im Rahmen der Solvency II-DVO getroffen worden (allerdings unter freiwilliger Einbindung der EIOPA). Für die technischen Durchführungsstandards trifft dieser Befund jedoch nicht zu. Solche wurden bereits vielfach durch die Kommission auf Grundlage der Entwürfe der EIOPA erlassen und es kommen beständig neue hinzu.47 Auf Level 3 finden sich schließlich die Leitlinien (und Empfehlungen) der EIOPA. Hierbei 23 ist zu beachten, dass diese sich grundsätzlich allein an die nationalen Aufseher (das heißt die BaFin) richten und auch diesen gegenüber nicht verbindlich sind.48 Die Leitlinien haben also, wie noch auszuführen (Rn. 25 ff.), keine Verbindlichkeit gegenüber den VU. Gleiches lässt sich grundsätzlich auch für die „Transformationsnormen“ der BaFin (also insbesondere die MaGo) zu diesen Leitlinien sagen, wobei bekanntermaßen hier ein faktischer (und rechtsdogmatisch bedenklicher)49 Befolgungsdruck auf die VU wirkt. Die EIOPA hat von ihrer Befugnis nach Art. 16 Abs. 1 EIOPA-VO, solche Leitlinien zu erlassen, bereits sehr regen Gebrauch gemacht.50

3. Hierarchisierung der anwendbaren Rechte 24 a) Regelungshierarchie. Entsprechend dem vorstehenden Vorgehen der Gesetzgebung im Lamfalussyverfahren (siehe Rn. 19 ff.) stellt sich die Hierarchie durchaus kompliziert dar. Grundsätzlich enthält die Solvency II-Richtlinie, entsprechend dem unionsrechtlichen Verhältnis von Sekundär- und Tertiärrecht, die vorrangig zu beachtenden Normen. Da dieser Rahmenrechtsakt jedoch als Richtlinie ergangen ist, sind die Normen der Solvency II-RL nur für den nationalen Gesetzgeber hinsichtlich seiner Transformation verbindlich und haben ansonsten (abgesehen von den Ermächtigungsnormen für die Kommission [und EIOPA]) nur Auslegungsrelevanz. Entsprechend müssten nach dem Level-System von Lamfalussy auf oberster Regulierungsebene die Transformationsnormen des VAG stehen. Diese sind jedoch nationales Recht, sodass gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV

46 So bspw. auch Walla BKR 2012 265, 267 f. 47 S. hierzu etwa Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 55 ff. 48 Vgl. zum Ganzen bspw. Prölss/Dreher/Gal Art. 16 EIOPA-VO Rn. 13 ff. und 22 ff.; ders. ZVersWiss 2013 325, 344 ff.; Dreher/Wandt/Wandt/Gal Solvency II 2013 147, 166; so auch Nr. 13.1 Rn. 237 MaGo. 49 Vgl. zum Ganzen detailliert Dreher/Wandt/Wandt/Gal Solvency II 2013 147, 166 ff.; Gal ZVersWiss 2013 325, 344 ff.; Prölss/Dreher/Gal Art. 16 EIOPA-VO Rn. 5 ff.; Fekonja BaFin-Verlautbarungen 71 ff. et passim; Frank Leitlinien und Empfehlungen 130 ff. und 153 ff. 50 Zum Zeitpunkt der letzten Zählung [Stand Dezember 2017] hat EIOPA vierunddreißig Leitlinienbündel (exklusive der außer Kraft getretenen preparatory guidelines) herausgegeben, die insgesamt 730 Leitlinien enthalten. Zur Umsetzungspraxis der nationalen Aufseher vgl. bspw. Prölss/Dreher/Gal Art. 16 EIOPA-VO Rn. 50. Gal

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i. V. m. der Rechtsprechung des EuGH zum Anwendungs- und Geltungsvorrang des Unionsrechts51 sämtliche unmittelbar anwendbaren Unionsnormen Geltungsvorrang genießen. Dies bedeutet, dass grundsätzlich die Normen der Solvency II-DVO auch gegenüber den Umsetzungsnormen des VAG vorrangig gelten. Gleiches gilt ebenfalls für alle auf Ebene 2,5 erlassene Technische Standards. Vollumfänglich kann dies natürlich nur gelten, solange sich der Delegatar bei Erlass der Normen an die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage gehalten hat. Da jedoch der BaFin (und deutschen Gerichten) gegenüber europäischen Normen keine Verwerfungskompetenz zukommt, haben diese Normen grundsätzlich bis zu einem abweichenden Urteil durch den EuGH als vorrangig zu gelten. Der deutsche Rechtsanwender hat also etwaige Regelungswidersprüche in Anwendung der Normen des VAG im Zweifelsfall zugunsten der Normen der Solvency II-DVO oder der Technischen Standards aufzulösen, hierbei dürfte ein echter Widerspruch zu einer Norm des VAG, die korrekt aus der Solvency II-RL transformiert wurde, jedoch als Indiz dafür gelten, dass die Normen des Tertiärrechts sich nicht im Rahmen der Ermächtigungsnorm gehalten haben. Art. 16 Abs. 1 EIOPA-VO ermächtigt die EIOPA zum Erlass von Leitlinien und Empfehlungen 25 (also der Ebene 3-Maßnahmen des Lamfalussy-Systems), um innerhalb des ESFS (siehe Rn. 32 ff.) kohärente, effiziente und wirksame Aufsichtspraktiken zu schaffen und eine gemeinsame, einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen. Von dieser Befugnis zum Erlass von Leitlinien hat EIOPA bereits regen Gebrauch gemacht.52 Den Leitlinien und Empfehlungen kommt nach der Regelungssystematik der EIOPA-VO keine Bindungswirkung i. e. S. – eine echte Bindungswirkung besteht allenfalls für die EIOPA (allerdings nur gegenüber den Aufsichtsbehörden) und hinsichtlich der Mitteilung zur Befolgungsabsicht – zu.53 Sie sind insofern weder als Akte der Gesetzgebung noch als Verwaltungsakte zu qualifizieren. Gleichwohl handelt es sich bei ihnen um abstrakt-generelle Vorgaben an die nationalen Aufsichtsbehörden (oder an die beaufsichtigten Unternehmen), denen zumindest – wie noch auszuführen ist – ein gesteigerter faktischer Befolgungs- bzw. Umsetzungsdruck zuzusprechen ist, und diese insofern in die Nähe eines Gesetzes rückt. Bei den Leitlinien handelt es sich faktisch um ein besonders wirkmächtiges Instrument der EIOPA zur Annäherung an ein single rule book, wobei hier die Gefahr besteht, dass EIOPA über das Instrument der Leitlinien und Empfehlungen sich die Rechtstellung des Gesetzgebers anmaßt. Aus dem Charakteristikum der fehlenden rechtlichen Verpflichtung wird weit verbreitet ge- 26 schlussfolgert, dass es sich bei den Leitlinien um sogenanntes soft law handele.54 Für eine solche Qualifizierung als soft law ist jedoch typisch, dass den Normen lediglich ein Appellcharakter zukommt.55 Dies trifft jedoch auf die durch EIOPA zu erlassenden Leitlinien und Empfehlungen nur bedingt zu. Bei den Leitlinien handelt es sich um abstrakt-generelle Vorgaben an die nationalen Aufsichtsbehörden (oder an die beaufsichtigten Unternehmen), denen zumindest ein gesteigerter faktischer Befolgungs- bzw. Umsetzungsdruck zuzusprechen ist, sodass es sich zumindest um relativ hartes soft law handelt.56 Dies beruht insbesondere auf dem für die nationalen Aufsichtsbehörden geltenden Comply-or-Explain-Prinzip, das auch noch durch einen Naming-and-Shaming-Mechanismus57 ergänzt wird. Dies bedeutet, dass die Behörden der EIOPA anzuzeigen haben, ob sie die Leitlinien einhalten, gedenken einzuhalten oder gedenken

51 Es besteht grundsätzlich nur ein Anwendungs- und kein Geltungsvorrang; siehe insb. EuGH 15.7.1964 – Rs. 6/ 64 (Costa ./. ENEL), Slg. ECLI:EU:C:1964:66; dass. 17.12.1970 – Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft ./. Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel), Slg. ECLI:EU:C:1970:114. 52 Vgl. bereits Fn. 50. 53 S. Prölss/Dreher/Gal Art. 16 EIOPA-VO Rn. 5, 15 ff. 54 So beispielsweise Walla BKR 2012 265, 267. 55 Kadelbach/Siekmann Nach der Finanzkrise 131, 199; für ein etwas weiteres Verständnis siehe Schwarze EuR 2011 3. 56 So bereits Dreher/Wandt/Wandt/Gal Solvency II 2013 147, 166 ff. 57 Übertragung dieses Begriffes auf die vorliegende Konstellation bereits in Gal ZVersWiss 2013 325, 344. Dieser Begriff wird im Kontext von Solvency II typischerweise für die Konstellation verwendet, dass die Aufsicht die gegen 305

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nicht einzuhalten und die EIOPA ist verpflichtet, die Namen der nicht-umsetzenden Behörden zu veröffentlichen, und kann zudem „von Fall zu Fall“ die von der nationalen Aufsichtsbehörde angegebenen Gründe für die Nichteinhaltung der Leitlinie veröffentlichen.58 Auch wenn eine Nichtbefolgung der Leitlinien keine weiteren Rechtsfolgen – insbesondere keine hieran anknüpfenden Einzelmaßnahmen – nach sich zieht, kann man unter diesen Gegebenheiten schwerlich von einem reinen Appellcharakter sprechen. Die Einschätzung als relativ hartes soft law wird noch dadurch bestätigt, dass die Leitlinien – anders als anderes soft law, das gewöhnlich dem Bereich der freiwilligen Selbstverpflichtung entstammt59 – in der hierarchischen Struktur des Europäischen Finanzaufsichtssystems ergeht, sodass die nationalen Aufsichtsbehörden (als eigentliche Aufsichtsobjekte der EIOPA60) sich viel stärker zur Umsetzung veranlasst sehen, als dies im gänzlich freien Ermessensbereich der Fall wäre.61 Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass die mit zwei Monaten für viele Fälle wohl sehr knappe Frist des Art. 16 Abs. 3 UA 2 Satz 1 EIOPA-VO den Befolgungsdruck erhöht. Viele Aufsichtsbehörden werden wohl schon aus schlichter Zeitnot eine comply- oder intend to comply-Aussage und eine eins-zu-eins Umsetzung der Leitlinien einer differenzierten Auseinandersetzung mit den Leitlinien verbunden mit einer Begründung, weshalb die Leitlinien teilweise nicht national umgesetzt werden sollen, vorziehen.62 Ob unter diesen Umständen die Entstehung einer teilweise herbeigesehnten Abweichkultur63 wahrscheinlich ist, begegnet Zweifeln.64 Stattdessen wird es wohl in Deutschland und den meisten Mitgliedstaaten dabei bleiben, 27 dass Leitlinien weitgehend durch die nationalen Aufsichtsbehörden (zumindest hinsichtlich des avisierten Inhalts) durchgereicht und allenfalls noch mittels eines Pseudo-Gold-Plating um weitere appellative Normen angereichert werden. Obgleich diese „Umsetzungsmaßnahmen“ der BaFin zu den Leitlinien typischerweise auch als soft law ergehen, also etwa als Rundschreiben, Auslegungsentscheidungen oder Merkblätter, kann der tatsächliche Lenkungseffekt dieser Maßnahmen kaum überschätzt werden. In vielerlei Hinsicht dürften etwa die Normen der MaGo, im Hinblick auf die Justizvermeidungsstrategie der Versicherungswirtschaft, praktisch eine größere Bindungswirkung erzeugen als die eigentlichen Rechtsnormen, die durch diese konkretisiert werden.

28 b) Umsetzungsprobleme. Das reformierte VAG und die Begründung zum Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen erwecken an einigen Stellen den Eindruck, grundlegende europarechtliche Gesichtspunkte nicht vollständig nachvollzogen zu haben. So insinuieren die neuen Normen und Begründungen teilweise Fehlvorstellungen über die generelle Transformationsbedürftigkeit von Richtlinienvorgaben, etwa wenn die Rahmenvorschriften für die Berechnung der Mindestkapitalanforderung mit der Begründung nicht in den GesetzesVU verhängten Maßnahmen veröffentlicht; vgl. Wandt VW 2007 473, 476. Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011 2, 13 sprechen hier von einer Prangerwirkung. 58 S. vertieft Prölss/Dreher/Gal Art. 16 EIOPA-VO Rn. 51 ff. 59 S. bspw. Haar FS 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt (2014) 471. 60 EIOPA ist vorrangig der „Aufseher der Aufseher“, vgl. Gal ZVersWiss 2013 325, 346. 61 Angedeutet bereits bei Dreher/Wandt/Sasserath-Alberti Solvency II 2013 129, 137. 62 So Dreher/Wandt/Sasserath-Alberti Solvency II 2013 129, 138 f. 63 Insb. Hartig BB 2012 2959, 2961 f.; Dreher/Wandt/Sasserath-Alberti Solvency II 2013 129, 139 f. 64 Zu den bereits vorhandenen punktuellen Abweichungen einiger Aufsichtsbehörden siehe Prölss/Dreher/Gal Art. 16 EIOPA-VO Rn. 50. Hierbei haben sich insbesondere die Aufsichtsbehörden Frankreichs und in geringerem Maße Dänemarks, Luxemburgs und Sloweniens zu punktuellen Nichtbefolgungen der preparatory guidelines entschieden (die zahlenmäßig besonders bedeutenden Abweichentscheidungen Islands und Kroatiens beschränken sich auf die vollständige Nichtumsetzung der Vorgenehmigungsleitlinien). Auch diese „Abweichungen“ sind jedoch mit Vorsicht zu genießen: So wurde teilweise aus Kreisen von Insurance Europe berichtet, dass Frankreich – unter vollständiger Verkennung des Aussagewertes einer non comply-Aussage – zu zahlreichen Leitlinien deshalb eine non-comply-Antwort gegeben habe, da diese Leitlinien bereits Bestandteil des gegenwärtigen Rechts seien. Gal

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entwurf übernommen werden, die Vorgaben seien bereits in der Richtlinie geregelt (aus der sich aber gerade eine Umsetzungspflicht ergibt).65 Für einige weitgehend vorgabengemäß transformierte Regelungsbereiche scheint der Gesetzgeber dagegen der Auffassung zu sein, dass trotz gravierender normativer Änderungen materiell „alles beim Alten“ bleibe, wie etwa der Entwurfsersteller im Hinblick auf die neuen Informationspflichten postuliert, dass sich „keine grundlegend neuen Anforderungen im Vergleich zur bisherigen Rechtslage“ ergeben.66 Kritisch muss auch das scheinbar etwas weite Verständnis vom Umsetzungsspielraum des 29 deutschen Gesetzgebers gegenüber der Rahmenrichtlinie gesehen werden.67 Dies zeigt sich etwa, wenn die Regierungsbegründung feststellt: „Das neue VAG hat […] die bestehenden Regelungen, auch wenn sie strenger sind, beibehalten, soweit sie nicht im Widerspruch zur Richtlinie stehen“.68 Diesem Ansatz ist aus systematischer Sicht entgegenzuhalten, dass Regelungen, die strenger sind, als in der Richtlinie vorgegeben, mit dieser grundsätzlich im Widerspruch stehen, da in der Solvency II-Richtlinie prinzipiell eine Vollharmonisierungsrichtlinie gesehen wird.69 Nach diesem Regelungskonzept sind die Vorgaben der Richtlinie keine Mindestvorgaben,70 sondern müssen „eins zu eins“ umgesetzt werden. Ist Vollharmonisierung geboten, sind selbst strengere, die Schutzobjekte einer Richtlinie intensiver schützende Normen des nationalen Rechts (sog. gold-plating) unzulässig, sofern sie nicht punktuell ausdrücklich gestattet sind. Allgemeinere Öffnungsklauseln für eine Verschärfung der europäischen Standards im Rahmen der nationalen Transformation – wie sie in den Solvency I-Richtlinien enthalten waren71 – wurden in die Solvency II-Richtlinie bewusst nicht übernommen. Nur in einzelnen Feldern wird den Mitgliedstaaten ein gewisser Gestaltungsspielraum hinsichtlich der europäischen Vorgaben eingeräumt.72 In Regelungsbereichen, die von der Richtlinie − ausdrücklich oder implizit − bewusst ungeregelt gelassen wurden, ist eine umfassendere Gestaltungskompetenz der nationalen Gesetzgeber hingegen eröffnet. Die Solvency II-Richtlinie erwähnt insoweit beispielsweise den

65 BR-Drucks. 430/14 S. 309: „Ebenso findet sich in § 122 keine Bestimmung zur Berechnung der Mindestkapitalanforderung wieder, da sich die entsprechenden Vorgaben bereits in unmittelbar anwendbarem EU-Recht finden“; so bereits BR-Drucks. 90/12 S. 297. 66 So zumindest noch BR-Drucks. 90/12 S. 278. Dieser Passus ist jedoch zumindest in der Begründung des dann ergangenen Entwurfes gestrichen worden. 67 Dies verwundert umso mehr, berücksichtigt man, dass in der Regierungskoalition eigentlich bekannt war, „dass unser Gestaltungsspielraum auf nationaler Ebene hierbei [sc. bei Umsetzung der Richtlinie] sehr gering ist“; so MdB Brinkhaus (CDU-Fraktion) in: BT-Plenarprotokoll 17/175 v. 26.4.2012 (Stenografischer Bericht), Sp. 20850 A (20851 A a. E.). 68 BR-Drucks. 430/14 S. 263 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 255. 69 Vgl. Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 83 ff. m. w. N. 70 Zu einem anderen Ergebnis kann man nur dann kommen, wenn man dem Recast-Ansatz folgt, der insbesondere der Stellungnahmen aus Österreich zur Solvency II-RL zugrunde liegt. Hier wird der vollharmonisierende Charakter der Richtlinie zwar nicht per se in Frage gestellt, aber vertreten, dass es sich bei der Richtlinie (auch) um einen Recast der bisherigen Richtlinien des Solvency I-Systems handele, sodass wenn und soweit der reformierte Text der Solvency II-RL mit dem Text der bisherigen Richtlinien unverändert übereinstimmt, für diese Passagen der Grundsatz der Mindestharmonisierung gelte, siehe Wagner Versicherungsrundschau 9/2010 23, 24 und 26. 71 Vgl. Erwägungsgrund 28 der RL Solvency I-Leben (RL 2002/83/EG v. 5.11.2002 [ABl. L 345 v. konsolidierten 19.12.2002, S. 1]): „In einigen Artikeln dieser Richtlinie sind nur Mindestvorschriften festgelegt. Der Herkunftsmitgliedstaat kann für die von seinen zuständigen Behörden zugelassenen VU strengere Regelungen erlassen“ sowie Erwägungsgrund 14 der Richtlinie Solvency I-Schaden (RL 2002/13/EG v. 5.3.2002 zur Änderung der RL 73/239/EWG [ABl. L 77 v. 20.3.2002, S. 17]): „Mit dieser Richtlinie sollten Mindeststandards für die Berechnung der Solvabilitätsspannen festgelegt werden, und die Herkunftsmitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, strengere Vorschriften für die von ihren zuständigen Behörden zugelassenen Versicherungsunternehmen festzulegen“. 72 Die Solvency II-RL sieht insgesamt 46 Öffnungsklauseln vor (und einige Normen verwenden die Begriffe „zumindest“ oder „mindestens“ und sind insofern als verdeckte Öffnungsklauseln zu verstehen); siehe für eine Auflistung Dreher/Lange VersR 2011 825, 828 f. Der Spielraum beschränkt sich mitunter nur auf die Ausübung von Wahlrechten, beispielsweise hinsichtlich der Frage, ob neben der europäischen Gruppenaufsicht zusätzlich auch eine 307

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aufsichtsrechtlichen Rahmen für Unternehmen, die nach Art. 4 aufgrund ihrer Größe von den Solvency II-Vorgaben ausgenommen werden.73 30 Aufgrund des Vollharmonisierungsbefehls aber auch mit Blick auf die Besonderheiten der Lamfalussy-Rechtsetzung und die neuen Aufgaben der EIOPA ist dem deutschen Gesetzgeber neben der überschießenden Umsetzung auch die Konkretisierung der Richtlinienvorgaben verwehrt. Soweit die Richtlinie eine detaillierte Ausgestaltung der Rahmenvorgaben auf der zweiten Lamfalussy-Regelungsebene vorsieht, obliegt die Konkretisierung originär der Kommission.74 Auch soweit die Richtlinie keine entsprechenden Ermächtigungsnormen enthält, hat die Konkretisierung nicht durch den deutschen Gesetzgeber, sondern im Rahmen der Rechtsanwendung unter der Ägide der EIOPA zu erfolgen. Zur grundsätzlichen Kritikwürdigkeit der angemaßten Über-Regelungs- und Konkretisie31 rungskompetenz kommt hinzu, dass die dergestalt usurpierte Befugnis in vielen Punkten nicht zur Weiterentwicklung der Unionsvorgaben im Sinne eines effet utile eingesetzt wird, sondern genutzt wird, um die Vorgaben der Richtlinie mit zahlreichen, für erhaltungsbedürftig befundenen nationalen Normen75 und Verwaltungsusancen76 zu verschneiden und diese ins neue Recht „hinüberzuretten“. Diese konzeptionell fragwürdige Melange ist der Herausbildung einer konsistenten europäischen Aufsichtspraxis nicht förderlich. Trotz der löblichen Entscheidung für die „große Lösung“ der VAG-Reform scheint insgesamt der Wille zum Systemwechsel beim europäischen Gesetzgeber deutlich ausgeprägter zu sein als beim deutschen.

4. Einbindung im ESFS 32 Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EIOPA-VO konstituiert im Zusammenspiel mit Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der EBAVO, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der ESMA-VO und Art. 1 Abs. 2 der ESRB-VO das neue Europäische Finanzaufsichtssystem (European System of Financial Supervision/ESFS),77 in das die Regulierung und Beaufsichtigung der Versicherungswirtschaft und mithin die Aufseher nunmehr integriert sind. Ursprünglich war das ESFS – damals noch unter dem Namen European System of Financial 33 Supervisors – geplant als ein Netzverbund der sektoriellen Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) und der jeweiligen zuständigen (sektoriellen) Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten (d. h. für Deutschland der BaFin), mithin als reiner Mikrofinanzaufsichtsverbund.78 Nunmehr ruht er jedoch auf den zwei Säulen der Mikro- und Makroaufsicht. Hierbei kommt dem ESFS

nationale oder mitgliedstaatenübergreifende Teilgruppenaufsicht erfolgen soll (vgl. dazu weiterführend bereits Sehrbrock ZVersWiss 2008 (Supplement-Sonderausgabe) 27, 31 f. 73 Erwägungsgrund 6: „Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, von Unternehmen, die eine Versicherungs- bzw. Rückversicherungstätigkeit ausüben und die vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, zu verlangen, sich registrieren zu lassen. Die Mitgliedstaaten können diese Unternehmen auch einer fachlichen und rechtlichen Beaufsichtigung unterwerfen“. 74 Vgl. weiterführend zur Rolle des Lamfalussyverfahrens im Rahmen der Verwirklichung von Solvency II Dreher/ Wandt/Wandt/Sehrbrock Solvency II 2009 1, 5; v. Fürstenwerth/Gause FS Lorenz (2004) 253; allgemein zum Lamfalussyverfahren im Finanzmarktrecht etwa Rötting/Lang EuZW 2012, 8. 75 Etwa § 25 Abs. 4, 5 VAG i. V. m. BR-Drucks. 430/14 S. 279; siehe bereits vorher § 125 Abs. 3 Satz 3–5 VAG-E i. V.m BR-Drucks. 90/12 S. 300; vgl. zur Kritik unter Rn. 75. 76 Etwa § 124 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 VAG i. V. m. BR-Drucks. 430/14 S. 310 f.; § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 VAG-E i. V.m BRDrucks. 90/12 S. 298; vgl. zur Kritik unter Rn. 129. 77 Vgl. insg. Prölss/Dreher/Gal Art. 2 EIOPA-VO Rn. 1 ff.; für einführende Darstellungen hierzu siehe Wymeersch ZGR 2011 443; Baur/Boegl BKR 2011 177; noch zu den Entwürfen Partsch ZBB 2010 72; Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010 87; grober Überblick bereits bei Fischer zu Cramburg NZG 2009 1179. 78 S. Ksion Mitteilung v. 27.5.2009 zur Europäischen Finanzaufsicht KOM (2009) 252 endg., S. 3 und passim; vgl. hierzu Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010 87, 89; Iglesias Rodríguez Col. J. Europ. L. online 16 (2009/2010) Heft 1, 1. Gal

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selbst keine eigene Rechtspersönlichkeit zu,79 sondern es hat als integriertes Netzwerk zu gelten.80 Man mag sich das ESFS insofern analog zur Europäischen Union nach dem Maastrichter, aber vor dem Lissaboner Vertrag vorstellen, die zumindest nach vielfacher Meinung über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügte,81 aber den Rahmen für die beinhalteten Europäischen Gemeinschaften und Politikbereiche gab. Demgemäß dürfte dem ESFS nach keiner Auslegung, eine Rechtspersönlichkeit zukommen, da es letztlich nicht mehr beinhaltet als die Summe seiner Teile. Auf der einen Seite umfasst das ESFS die Säule der Makroaufsicht, die auf Unionsebene 34 gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. a EIOPA-VO der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board/ESRB) verkörpert.82 Auf der anderen Seite umfasst das ESFS die Säule der Mikroaufsicht, die auf Unionsebene 35 neben der durch Art. 1 Abs. 1 EIOPA-VO errichteten Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (European Insurance and Occupational Pensions Authority/EIOPA) mit Sitz in Frankfurt, noch gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. b–e EIOPAVO verkörpert werden durch die Europäische Bankaufsichtsbehörde (European Banking Authority/EBA)83 mit damaligem Sitz in London (nunmehr Paris), die Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority/ESMA)84 mit Sitz in Paris und durch den zwischen den dreien stehenden Gemeinsamen Ausschuss (siehe Artt. 54 ff. EIOPA-VO). Entgegen dem wohl vom Europäischen Parlament verfolgten Konzept – und entgegen dem Trend in den Nationalstaaten hin zur Allfinanzaufsicht85 – wurde also keine monolithische europäische Allfinanzaufsichtsbehörde,86 sondern drei unabhängigen sektorielle europäischen Aufsichtsbehörden und ein gemeinsamen Ausschuss errichtet. Die Säule der Makroaufsicht verfügt zumindest nach dem Regelungskonzept des Art. 2 36 Abs. 2 EIOPA-VO nur über eine Ebene, nämlich die Unionsebene. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass das ESRB als nur teilselbständiges Gremium der EZB87 indirekt in das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) eingebunden ist und in seinem „Hauptbeschlussorgan“, dem Das ESRB wäre zu diesem Zeitpunkt also nicht Bestandteil des ESFS gewesen, was sich aber nunmehr geändert hat (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. a EIOPA-VO). 79 So bereits Gal ZVersWiss 2013 7, 10. 80 S. Erwägungsgrund 8 Satz 1. 81 Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Dörr Das Recht der Europäischen Union (Stand: 68. Ergänzungslieferung 2019), Art. 47 EUV Rn. 1 ff. 82 Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24. November 2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken ABl. 2010 L-331/1; für eine einführende Darstellung siehe bspw. Kaufhold Die Verwaltung 2013 21. 83 Verordnung (EU) 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission ABl. 2010 L-331/12.; zur EBA einleitend bspw. Baur/Boegl BKR 2011 177, insb. 181 ff. 84 Verordnung (EU) 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/ 2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission ABl. 2010 L-331/84; zur ESMA einleitend bspw. Möllers NZG 2010 285; Hoffmann/Detzen DB 2011 1261. 85 Für eine umfassende Übersicht Wymeersch EBOR 2007 237, insb. 289 ff.; knapper ders. ZGR 2011, 443, 443 und 450. 86 Das Konzept von einer monolithischen Behörde mit drei Abteilungen, das dem Europäischen Parlament wohl vorschwebte (vgl. die Fehldeutung des de Larosière-Berichts durch Committee on Economic and Monetary Affairs des EP, Bericht A7-0170/2010 v. 26.5.2010, S. 118 f.), hat sich zumindest vorerst noch nicht durchgesetzt; unverständlich insofern Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010 87, 88 die in den Kommissionsentwürfen ein Konzept der Allfinanzaufsicht erkennen wollen. 87 S. Erwägungsgrund 15 Satz 3 Hs. 2 der ESRB-VO; so auch Papathanassiou/Zagouras WM 2010 1584, 1587: neuartiges Gremium. Anders anscheinend Kadelbach/Siekmann Nach der Finanzkrise 131, 173, der das ESRB wohl für eine Unionsagentur hält, was gleichzeitig eine Rechtspersönlichkeit implizieren würde. 309

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Verwaltungsrat (siehe Art. 6 Abs. 1 und 2 ESRB-VO), neben den Leitern der nationalen Zentralbanken, auch die Leiter der mitgliedstaatlichen Mikrofinanzaufsichtsbehörden – wenn letztere auch ohne Stimmrecht – vertreten sind. Ferner werden die notwendigen Informationen an das ESRB durch die sektoriellen ESA (die diese wiederum bei den nationalen Aufsichtsbehörden erheben) und das ESZB mithin mittelbar durch die nationalen Zentralbanken übermittelt und Warnungen und Empfehlungen können vom ESRB auch direkt an Mitgliedstaaten und nationale Aufsichtsbehörden adressiert werden. Hieraus wird deutlich, dass auch die Makroaufsicht des ESFS über eine teilintegrierte zweite nationalstaatliche Ebene verfügt. 37 Die Säule der Mikroaufsicht des ESFS – die noch einmal sektoriell in die drei Finanzsektoren unterteilt, dann aber wieder durch den Gemeinsamen Ausschuss zusammengefügt ist – verfügt hingegen über zwei Ebenen, nämlich die jeweilige Unionsebene und die nachgeordnete nationalstaatliche Aufsichtsebene. So man den Gemeinsamen Ausschuss, dem jedoch im Hinblick auf die fehlende Rechtspersönlichkeit und die mangelnden Befugnisse keine Zwangsgewalt gegenüber den ESA zukommt, im Hinblick auf seine Koordinierungsfunktion als eigenständige Ebene sehen möchte, könnte man auch von einer dreiebigen Mikroaufsichtssäule sprechen. Die Ebenenstruktur sieht hier so aus, dass die ESA, die durch Umwandlung der vormals bestehenden Stufe-3-Ausschüsse (für das Versicherungswesen war dies CEIOPS, siehe Art. 76 EIOPAVO) entstanden, die obere Ebene des Europäischen Mikroaufsichtssystems bilden, wobei die drei Teilsegmente durch den Gemeinsamen Ausschuss verbunden werden, über den sektorübergreifende Problemstellungen adressiert werden. Die untergeordnete zweite Ebene, der ganz überwiegend das Tagesgeschäft der Aufsicht obliegen soll,88 bilden nach wie vor die nationalen Aufsichtsbehörden – für Deutschland also nach momentanem Stand für alle drei Finanzsektoren die BaFin –, die gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. f EIOPA-VO auch eigenständiger Bestandteil des ESFS werden. In diesem Konzept kommen den ESA auf Unionsebene (d. h. der EIOPA) also vorrangig Regulierungskompetenzen zu. Die Aufsichtskompetenzen sind hingegen eher Aufsichtskompetenzen über die nationalen Aufsichtsbehörden – gleichsam als „Aufseher der Aufseher“ – und nur im Einzelfall unmittelbar gegenüber den Finanzinstituten (vgl. hierzu Artt. 17– 19 EIOPA-VO). 38 Nicht Teil des ESFS ist die EZB Bankenaufsicht (ECB SSM), der Ausschuss für die einheitliche Abwicklung (Single Resolution Board – SRB) und das ESZB mit seinen Komponenten.89 Unter Aussparung der nur assoziierten Akteure besteht das ESFS mithin aus 4 Unionsbehörden90 und über 60 nationalen zuständigen Behörden in den (vormals) 29 Mitgliedstaaten, die gemeinsam über 100.000 beaufsichtigten Finanzinstituten in den (vormaligen) 29 Mitgliedstaat kontrollieren.91 Ohne hier auf die einzelnen Aufgaben (insbesondere Kooperationsaufgaben), die den im 39 ESFS verbundenen Akteuren zukommen, einzugehen, ist festzuhalten, dass die ESA-Verordnungen für das ESFS zusätzliche Aufsichtsziele statuieren, die mithin neben der EIOPA auch die BaFin binden. Inhaltlich ist das durch Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EIOPA-VO definierte Aufsichtsziel, die Wahrung der angemessenen Anwendung der für den Finanzsektor geltenden Vorschriften, eher eine Aufsichtsaufgabe. Die eigentlichen Aufsichtsziele schließen an diese als Hauptziel ausgegebene Aufgabe an, und sind mit Wahrung der Finanz(markt)stabilität, Stärkung des Vertrauens in das (Gesamt-)Finanzsystem und Sicherstellung eines ausreichenden Finanzkundenschutzniveaus zu umschreiben. Hierbei ist wie beispielsweise auch unter § 294 Abs. 1 VAG der

88 Erwägungsgrund 8 Satz 1; vgl. Weber-Rey AG 2010 R453, R455; Wymeersch ZGR 2011 443, 448 verweist aber natürlich zu Recht darauf, dass es allein die Finanzaufsichtsaufgaben sind, die generell bei den nationalen Behörden verbleiben, während die Finanzregulierungsaufgaben zunehmend auf die europäische Ebene gehoben werden. 89 S. zu den Verbindungen dieser „Akteure“ zum ESFS detailliert Prölss/Dreher/Gal Art. 2 EIOPA-VO Rn. 8 ff. 90 Wobei hier die EZB, deren Bestandteil das ESRB ist, als Unionsorgan und der Gemeinsame Ausschuss nicht gezählt werden. 91 S. für einen Überblick Collins Journal of Decision Systems 2016 589, 590. Gal

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Schutz des Kunden von Finanzdienstleistungen als der Schutz von Kollektivinteressen und nicht als die Berücksichtigung von Individualinteressen zu verstehen.

5. Zu beachtendes Internationales Versicherungsaufsichtsrecht Auf globaler Ebene werden Normen des Versicherungsaufsichtsrechts – wobei die Rechtsquali- 40 tät jenseits einer faktischen Bindungswirkung hier je nach Akteur sehr unterschiedlich zu beurteilen ist – grob gesagt in drei unterschiedlichen Weisen gesetzt.92 Zum einen werden solche Normen im Rahmen von völkerrechtlichen Verträgen, zu nennen ist insbesondere das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services [GATS]),93 oder von anderen völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen niedergelegt. Zum anderen wird eine Angleichung der Standards teilweise dadurch erreicht, dass die Staaten ohne eine rechtliche Bindung hierzu einzugehen, ihre Aufsichtsregime aneinander ausrichten,94 oftmals noch dadurch verstärkt, dass einzelne nationale Versicherungsaufsichtsbehörden zur Koordinierung der Aufsichtspraxis sogenannte unverbindliche memoranda of understanding (MOUs) abschließen.95 Schließlich, und diese Art der Regulierung hat in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen, werden in unterschiedlichen transnationalen Foren Versicherungsaufsichtsstandards erarbeitet, die dann als nominelles soft law96 die Gesetzgebung auf europäischer und nationaler Ebene erheblich determinieren. Während die Tiefenwirkung völkerrechtlicher Abkommen und insbesondere des GATS 41 auf die Regulierung von VU eher vernachlässigbar geblieben ist, kann der Einfluss der transnational gesetzten Standards, insbesondere solcher der International Association of Insurance Supervisors (IAIS), heute kaum noch überschätzt werden. Entsprechend der Natur des Völkerrechts und erst recht des transnationalen Rechts sind diese Instrumente niemals unmittelbar durch die BaFin anzuwenden. Jedoch sind diese Instrumente in der Auslegung zu berücksichtigen und können gerade auch im Rahmen von Ermessensentscheidungen konkretisierend wirken.

a) GATS und andere Überreinkommen. Das GATS ist ausweislich der Nr. 5 lit. a der Anlage 42 zu Finanzdienstleistungen auf Versicherungsdienstleistungen anwendbar. Insofern haben die nationalen Versicherungsaufsichtsregime grundsätzlich eine Inländergleichbehandlung (national treatment), eine Meistbegünstigtenbehandlung (most-favoured nation status), einen Marktzugang und ausreichende Transparenz zu gewährleisten. Allerdings lässt das GATS zahlreiche Ausnahmen von diesen vier Grundprinzipien zu (Artt. XIV f.), die gerade auch im Versicherungsbereich einschlägig sein können. Insofern hat das GATS zwar eine Signalwirkung für die nationalen Gesetzgeber und hat auch zweifelsohne einen Beitrag zur Liberalisierung der Versicherungsmärkte und der Deregulierung geleistet. Der inhaltliche Einfluss auf die zu fordernden Aufsichtsstandards ist jedoch bestenfalls marginal geblieben. Dies liegt darin begründet, dass das GATS gerade keine Standards für die Regulierung (sei es bezüglich der prudential oder die systemic regulation) oder das Marktverhalten setzt.97 Vielmehr stellen die durch das 92 Vgl. vertiefend zum Ganzen Wandt/Gal FS 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt (2014) 629, 649 ff. 93 S. ABl. 1994 L-336/191; für einen Überblick siehe bspw. Welf Das WTO-Finanzdienstleistungsabkommen, 1999. 94 Diese Art der tatsächlichen Angleichung wird auf Grund der Gleichwertigkeitsprüfung, die zahlreiche nationale Aufsichtssysteme – insbesondere das europäische Solvency II-System – vorsehen, in den kommenden Jahren erheblich zunehmen. 95 S. hierzu insbesondere Brown Brooklyn Journal of International Law 2009 953, 962 f. 96 Vgl. zu diesem Begriff im Recht der europäischen Union bspw. Kadelbach/Siekmann Nach der Finanzkrise 131, 199; für ein etwas weiteres Verständnis siehe Schwarze EuR 2011 3 ff. 97 Brown Brooklyn Journal of International Law 2009 953, 960. 311

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GATS aufgestellten Ausnahmen einen sogenannten prudential carve-out dar,98 sodass es in der Entscheidung des jeweiligen Unterzeichnerstaats bleibt, sein Aufsichtsregime in weiten Teilen selbstbestimmt auszugestalten. 43 Daneben mögen auch andere völkerrechtlichen Übereinkommen einen geographisch unterschiedlich großen Einfluss auf das Versicherungsaufsichtsrecht gehabt haben. Jedoch sehen solche Übereinkommen, soweit ersichtlich, zumindest bisher allenfalls punktuelle Verpflichtungen zur Anpassung des Versicherungsaufsichtsrechts vor und verfolgten nicht das Ziel einer systematischen Angleichung. In neuerer Zeit hat zumindest die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verstärkt begonnen, über sein Insurance and Private Pension Committee Standards der Versicherungsregulierung zu entwickeln. Diesen Standards kommt jedoch keine (völker-) rechtliche Verbindlichkeit zu, sie können aber, wie später am Beispiel der Standards der IAIS gezeigt werden soll, eine hohe faktische Bindungswirkung erzeugen. Sehr gewichtige Bedeutung hatte hinsichtlich des Dienstleistungsverkehrs – in Form der sogenannten Korrespondenzversicherung – jedoch zumindest der OECD-Kodex der Liberalisierung der laufenden unsichtbaren Operationen,99 der seinerseits auch die OECDStaaten, soweit keine Vorbehalte erklärt wurden, völkerrechtlich bindet. 44 Schließlich ist das Thema der Anpassung des Versicherungsaufsichtsrechts spätestens seit Beginn der Finanzkrise auch von der G8 (bzw. nunmehr wieder G7) und insbesondere der G20 aufgegriffen worden.100 Hierbei werden jedoch im Rahmen der Gipfeltreffen – ebenso wie auch in anderen Sektoren – keine Detailregelungen vereinbart. Mit der Ausarbeitung solcher Details bleiben vielmehr andere Akteure betraut, im Versicherungssektor regelmäßig die International Association of Insurance Supervisors (IAIS). 45 Es zeigt sich insofern, dass die traditionellen Mechanismen des Völkerrechts in der Angleichung des Versicherungsaufsichtsrechts eher bedeutungslos geblieben sind.101

46 b) International Association of Insurance Supervisors (IAIS). Das derzeit wichtigste Forum zur Angleichung des Versicherungsaufsichtsrechts ist die International Association of Insurance Supervisors (IAIS).102 Dieses funktionale Gegenstück zum Basler Ausschuss für Bankenaufsicht103 wurde 1994 als Verein nach Art. 60 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches gegründet. Ihr gehören als Mitglieder derzeit über 200 Versicherungsaufsichtsbehörden aus beinahe 140 Ländern an, die ergänzt werden, um über 130 Beobachter.104 Ihr Vereinszweck besteht neben einer Beitragsleistung zur Wahrung der globalen Fi47 nanz(markt)stabilität insbesondere in der Förderung einer effizienten und global konsistenten Beaufsichtigung der Versicherungsindustrie zum Zwecke der Begründung und Erhaltung fairer, sicherer und stabiler Versicherungsmärkte zum Vorteil der VN.105 Zur Verwirklichung dieses Vereinszwecks erarbeitet die IAIS sogenannte globale Standards und Grundsätze der Versicherungsaufsicht. Ein Beispiel geben die supervisory standards on on-site inspections, on group98 S. hierzu insbesondere Alexander/Andenas/Wang The World Trade Organization and Trade in Services (2008) 601.

99 Code of Liberalisation of Current Invisible Operations (2019), abrufbar unter http://www.oecd.org. 100 S. bspw. Helleiner/Pagliari New Political Economy 2009 275. 101 Bedeutsam dürfte hierbei sein, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika die Versicherungsregulierung (anders als beispielsweise die Bankenregulierung) in die Zuständigkeit der Bundesstaaten fällt, sodass der ein international ausgehandeltes Übereinkommen abschließende Bund eine Implementierung auf Länderebene nicht sicherstellen kann, während die Bundesstaaten nicht zum Abschluss der Übereinkommen in der Lage sind. 102 Für einen guten Überblick zur Geschichte, Funktionsweise und Arbeit der IAIS siehe Hale/Held/Masciandaro Handbook of Transnational Governance – Institutions & Innovations (2011) S. 71. 103 Vgl. bspw. Macht Basler Ausschuss für Bankenaufsicht und Basel II – Bankenregulierung auf einem internationalen level playing field, 2007; Buck-Heeb/Dieckmann Selbstregulierung im Privatrecht, 2010, S. 118 f. 104 Für eine vollständige Liste siehe http://www.iaisweb.org. 105 Vgl. Art. 2 der Vereinssatzung (sog. by-laws) in der Fassung v. 19.10.2013. Gal

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coordination, on the exchange of information und on fit and proper requirements. Noch bedeutsamer sind jedoch die von der IAIS herausgegebenen Grundsätze (principles) geworden. Hervorzuheben sind insbesondere die principles on capital adequacy & solvency und for conduct of insurance business und noch vor allen anderen die insurance core principles and methodology.106 All diesen Instrumenten ist gemein, dass sie formal betrachtet keinerlei rechtliche Ver- 48 bindlichkeit besitzen, sondern als soft law allein eine Appellfunktion haben. Im Hinblick darauf, dass diese Rechtsinstrumente durch die Mitgliederversammlung der IAIS mit einer Zweidrittelmehrheit der Aufsichtsbehörden beschlossen werden,107 kommt ihnen jedoch eine hohe Überzeugungskraft zu. Diese Prinzipien werden international als Mindeststandards einer effizienten Aufsicht aufgefasst108 und viele dieser Standards haben bereits Gesetzesänderungen auf nationaler (bzw. europäischer) Ebene stark beeinflusst. Daneben können diese Prinzipien in völkerrechtlicher Hinsicht auch eine gewisse faktische Rechtskraft gewinnen, da sie durch bestimmte internationale Organisationen, wie insbesondere den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank (in begrenzterem Maße auch die Welthandelsorganisation) als Referenzpunkte für die Evaluierung der nationalen Aufsichtssysteme herangezogen werden.109 Insofern besteht ein faktischer Druck, zumindest für wirtschaftlich schwächere Länder, ihre Aufsichtssysteme an den Vorgaben dieser Standards auszurichten. Für Deutschland dürfte dieser Druck jedoch eher vernachlässigbar sein. Solange die Standards tatsächlich einen Mindeststandard beschreiben sowie ausreichend 49 Handlungsalternativen aufzeigen und zulassen, ist dies im Sinne der Förderung eines Minimalschutzes sicherlich begrüßenswert. Da diese Standards jedoch immer stärker Detailregelungen entwerfen, zeigt sich auch hier eine ernstzunehmende Gefährdung des demokratischen Gesetzgebungsverfahrens (und des völkerrechtlichen Grundsatzes der Gleichrangigkeit der Staaten). Hier etablieren sich schrittweise die fachkundigen Versicherungsaufseher – handelnd als Mitglieder in dieser internationalen Organisation – als faktische Gesetzgeber. Ob jedoch eine so technisch komplexe Materie wie das Versicherungsaufsichtsrecht in anderer Weise und durch andere Personen international einer Harmonisierung zugeführt werden könnte, diese Frage steht auf einem anderen Blatt.

IV. Ziele der Aufsicht Das Ziel der deutschen Versicherungsaufsicht ergab sich seit 1901 und seit jeher aus dem 50 Gesetz. Der Aufseher hatte stets darauf zu achten, dass die Belange der Versicherten gewahrt und die Gesetze eingehalten werden, die für den Versicherungsbetrieb gelten (§§ 8 und 81 VAG a. F.). Dazu gehörten zum einen die dauernde Erfüllbarkeit der vom VU eingegangenen Verpflichtungen (sog. Finanzaufsicht) und zum anderen der sonstige Schutz der Versicherten im weiteren Sinne (VN, versicherte Personen, Begünstigte, Drittgeschädigte) vor Verletzung ihrer Interessen. Der Schutz der Versicherten wurde vom Gesetzgeber stets für erforderlich gehalten, weil „selbst der sorgsame und verständige Bürger nicht zu eigener zuverlässiger Beurteilung“ der VR, denen er sich anvertrauen muss, in der Lage ist.110

106 Die Insurance Core Principles, Standards, Guidance and Assessment Methodology in der Fassung v. 1.10.2011 (zuletzt geändert am 19.10.2013) haben viele der vorgenannten Standards und Grundsätze in sich aufgenommen, sodass jene keine Außenwirkung mehr beanspruchen. Eines der wichtigsten Projekte der IAIS war die Erarbeitung des Common Framework for the Supervision of Internationally Active Insurance Groups (ComFrame), die im November 2019 angenommen wurden. Diese beinhalten insbesondere auch den Insurance Capital Standard (ICS). 107 S. Art. 12 Abs. 1 lit. c der Vereinssatzung in der Fassung v. 19.10.2013. 108 So bspw. Brown Brooklyn Journal of International Law 2009 953, 964, die die Standards als „floor“ bezeichnet. 109 S. zu dieser Evaluierungspraxis bspw. Cho/Kelly Chicago Journal of International Law 2012 491, 544. 110 Motive VAG, Berlin 1963, S. 24. 313

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Der Schutz der Versicherten durch die Aufsichtsbehörde beschränkte sich also weder in der Vergangenheit noch tut er dies heute nur auf die finanzielle Sicherheit, sondern betraf und betrifft darüber hinaus das, was man heute als Verbraucherschutz im weitesten Sinne bezeichnet. Der Versicherte soll vor Übervorteilung geschützt werden, er soll fair behandelt werden, die Vertragsgrundlagen müssen verständlich und transparent, die Schadenregulierung muss zügig und vertragsgemäß sein etc. Zusammenfassend kann man sagen, dass Ziel der Versicherungsaufsicht der Schutz der Versicherten ist, und zwar sowohl in finanzieller als auch in sonstiger Hinsicht. Dieses Ziel, das sich z. B. vom Ziel der Bankenaufsicht fundamental unterscheidet,111 ist 52 auch in den EU-Versicherungsrichtlinien festgeschrieben worden. Daran ändert sich auch unter dem gegenwärtigen Solvency II-System nichts Wesentliches. Gleichwohl erfolgte im Detail eine Neujustierung, sodass die Zielverfolgung heute durchaus komplexer geworden ist. Gleich bleibt jedoch zumindest die Begrenzungswirkung, die einer Zieldefinition inhärent ist, nämlich, dass die Aufsicht Maßnahmen nur dann und soweit ergreifen darf, wenn durch diese das Haupt- oder etwaige Nebenziele zumindest befördert werden. 51

1. Hauptziel 53 Das Hauptziel der Beaufsichtigung von VU ist nach § 294 Abs. 1 VAG der Schutz der VN und der Begünstigten von Versicherungsleistungen. Diese Zielbestimmung stimmt überein mit dem insoweit umgesetzten Art. 27 Solvency II-RL. Soweit § 294 Abs. 1 VAG dies als Hauptziel definiert, ist dies in richtlinienkonformer Auslegung auch hierarchisch zu verstehen, da Erwägungsgrund 16 Satz 1 Solvency II-RL eine klare Wertigkeit festlegt und dieses Hauptziel gegenüber anderen Nebenzielen als vorrangiges Ziel definiert. Hierbei ist der Begriff des Begünstigten entgegen dem üblichen deutschen Sprachge54 brauch weit zu verstehen, sodass es hier eben nicht nur um den Begünstigten eines Lebensversicherungsvertrages geht. Erwägungsgrund 16 Satz 2 Solvency II-RL, der trotz der Verwendung des Begriffs des Anspruchsberechtigten den Begünstigtenbegriff des Art. 27 Solvency II-RL konkretisiert,112 legt hierzu fest, dass unter einem Anspruchsberechtigten „eine natürliche oder juristische Person, die einen Anspruch aufgrund eines Versicherungsvertrags besitzt“, zu verstehen ist. Dies umfasst mithin neben dem Begünstigten (zumindest) auch den Versicherten einer Versicherung für (auch) fremde Rechnung und wohl auch wie unter dem bisherigen Versicherungsaufsichtsrecht den Drittbegünstigten. 55 Die genaue Höhe des Schutzniveaus bleibt hingegen unter dem gegenwärtigen Versicherungsaufsichtsrecht bedenklich intransparent. Das frühere deutsche Versicherungsaufsichtsrecht definierte demgegenüber das Ziel der ausreichenden Wahrung der Belange der Versicherten,113 das neben einer Zielbestimmung auch als Generalklausel des Aufsichtsmaßstabs der Missstandsaufsicht im Rahmen der Befugnisnorm diente. Demgegenüber geht Erwägungsgrund 16 Satz 1 Solvency II-RL nunmehr von einem angemessenen Schutz der VN und Anspruchsberechtigten aus, während das VAG hierzu schweigt. Gleichwohl geht die herrschende Auffassung richtig davon aus, dass der Maßstab des „angemessenen Schutzes“ sich in vielfacher Hinsicht nach wie vor auf den eines „ausreichenden Schutzes“ verdichtet.114 So findet sich 111 Vgl. § 6 KWG. 112 So sehen bspw. die englische („beneficiairies“), französische („bénéficiaires“), niederländische („begunstigden“), spanischen („beneficiarios“) und portugiesischen („beneficiários“) Sprachfassung im Erwägungsgrund und der materiellen Norm jeweils den gleichen Begriff vor. 113 S. zur alten Rechtslage hinsichtlich des zu schützenden Personenkreises bspw. Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Kaulbach5 § 8 VAG Rn. 21; Prölss/Präve12 § 8 VAG Rn. 16; Winter Versicherungsaufsichtsrecht S. 80 ff.; Eilert VersR 2009 709 ff.; Dreher/Häußler ZGR 2011 471, 483 ff. 114 So bspw. auch Wandt/Sehrbrock ZVersWiss 2011 193, 195 f.; Bürkle WM 2012 878, 879. Gal

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dieser Schutzniveaumaßstab eben doch noch in § 294 Abs. 2 Satz 2 VAG – zumindest dort zu Recht.115 Wollte man das europäische Merkmal der Angemessenheit der Wahrung der Versicherteninteressen hier erweiternd verstehen, so würde dies letztlich ein Optimierungsrecht und eine ebensolche -pflicht der BaFin begründen.116 Dies würde jedoch letztlich die Aufsicht zum Unternehmer sublimieren und so letztlich dem deutschen, aber auch dem europäischen Rechtsverständnis zuwiderlaufen, welche geschäftspolitische Entscheidungen gerade dem VU überlassen wollen. Entsprechend besteht die Aufgabe der Aufsicht weiterhin darin, die Einhaltung der rechtlich vorgegebenen Mindeststandards durch die VU zu überwachen und nur im Falle einer Nichterfüllung (oder gegebenenfalls drohenden Nichterfüllung) aufsichtlich einzugreifen.117

2. Nebenziele Andere Ziele nennt das VAG nicht. Obgleich sich das reformierte Versicherungsaufsichtsrecht 56 somit unbedingt dem Ziel des Schutzes der Gläubiger verschreibt, kann nicht übersehen werden, dass eine beträchtliche Zahl versicherungsaufsichtsrechtliche Regelungen auf die Systemstabilität der Versicherungswirtschaft gerichtet ist. Darin kommt zumindest mittelbar das schon unter dem früheren VAG anerkannte Ziel eines kollektiven Funktionsschutzes zum Ausdruck.118 Im Hinblick darauf, dass § 294 Abs. 1 VAG gerade vom Hauptziel spricht, wird deutlich, dass es noch Nebenziele geben muss. Hierdurch wird nahegelegt, dass die Finanzmarktstabilität und die Prozyklizität, die gemäß § 294 Abs. 2 Satz 3 und 4 VAG jeweils zu berücksichtigende Faktoren sind, in Übereinstimmung mit der Solvency II-Richtlinie als Nebenziele zu verstehen sind. Die Solvency II-RL nennt in ihrem Art. 28 diese zwei Nebenziele explizit. Vorrangig und 57 allzeit zu berücksichtigen ist die Erhaltung der Finanzsystemstabilität. Hiernach haben die Mitgliedstaaten mittels ihrer Transformation auch sicherzustellen, „dass die Aufsichtsbehörden im Rahmen der Ausübung ihrer allgemeinen Aufgaben den potenziellen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf die Stabilität der betroffenen Finanzsysteme in der Europäischen Union insbesondere in Krisensituationen unter Berücksichtigung der zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegenden Informationen gebührend Rechnung tragen“. Bezugspunkt ist entsprechend nicht die Finanzmarktstabilität des jeweiligen Mitgliedstaates, sondern die der betroffenen Mitgliedstaaten. § 294 Abs. 2 Satz 3 VAG erweitert dies hinsichtlich des Schutzobjektes richtig auf die Finanzmarktstabilität sämtlicher Vertragsstaaten des EWR. Als zweites Nebenziel legt Art. 28 Abs. 2 Solvency II-RL die Vermeidung prozyklischer Ef- 58 fekte fest.119 Anders als das Nebenziel der Erhaltung der Finanzmarktstabilität, das zwar besonders in Krisensituationen relevant werden wird, aber auch ansonsten zu beachten ist, ist das Nebenziel der Vermeidung prozyklischer Effekte „auf Zeiten außergewöhnlicher Bewegungen auf den Finanzmärkten“ beschränkt. Dies kommt auch in der Umsetzungsnorm des § 294 Abs. 2 Satz 4 VAG zum Tragen. Zu berücksichtigen hat die Aufsicht hier allein solche prozyklischen Effekte, die Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben und nicht etwa auch auf andere Märkte etwa die Realwirtschaft.120 Soweit die Regierungsbegründung klarstellt, dass die Gegebenheiten für das Vorlie115 So insb. Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 9. Hiervon zu scheiden ist die Frage, ob die nach §§ 294 Abs. 2 Satz 2, 298 Abs. 1 VAG vorgesehene Aufsichtsbefugnis auf eine Missstandsaufsicht jenseits einer Legalitätsaufsicht erstreckt werden darf oder dies einen Umsetzungsfehler darstellen würde, vgl. dazu unter Rn. 194 und Beckmann Einl. A Rn. 242. 116 S. zu diesem Problemkomplex bspw. Brand/Baroch Castellvi/Brand § 294 VAG Rn. 12 f. m. w. N. (vornehmlich zum VAG a. F.); das maßgebliche Urteil hierzu BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 223. 117 Vgl. zum Wandel hin zu einer alleinigen Legalitätsaufsicht unter Rn. 194 und Beckmann Einl. A Rn. 242. 118 Vertieft zum alten Recht Dreher/Häußler ZGR 2011 471, 484; zum gegenwärtigen VAG Brand/Baroch Castellvi/ Brand § 294 VAG Rn. 34 f.; Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 10. 119 Vgl. zur Prozyklizität unter Solvency II näher Dreher ZVersWiss 2012 381, 400 ff. 120 So BR-Drucks. 430/14 S. 338 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 321 f.; insoweit offenlassend Wandt/Sehrbrock ZVersWiss 2011 193, 197. 315

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gen „außergewöhnlicher Bewegungen auf den Finanzmärkten“ schwerwiegender sein müssen als „die normalen Tiefpunkte eines wirtschaftlichen Zyklus“, hierbei aber nicht die gleiche „krisenhafte […] Intensität und Dynamik“ aufweisen müssen, wie ein außergewöhnlicher Einbruch an den Finanzmärkten im Sinne des § 138 Abs. 4 VAG,121 ist dem zuzustimmen. Wenig überzeugend ist dagegen das apodiktische Postulat in der Regierungsbegründung, bei der Finanzsystemstabilität und der Berücksichtigung prozyklischer Auswirkungen handele es sich nicht um Neben- bzw. weitere Ziele der Aufsicht, sondern lediglich um Aspekte.122 Der Wortlaut des Gesetzes123 und der Richtlinie124 steht der Regierungsbegründung in dieser primär terminologischen − und im Ergebnis für die Anwendung eher wenig bedeutsamen − Frage eindeutig entgegen. 59 Erwägungsgrund 16 Satz 3 Solvency II-RL benennt als zweites Nebenziel – anstatt des in Art. 28 Abs. 2 Solvency II-RL definierten zweiten Nebenziels der Vermeidung prozyklischer Effekte – die Gewährleistung fairer und stabiler Märkte. Dieses Nebenziel findet sich weder im normativen Teil der Solvency II-RL noch in den Transformationsnormen des VAG. Es wird jedoch der Rechtsnatur der europäischen Erwägungsgründe – also eines im Wesentlichen erläuternden Gesetzesvorsatzes – nicht gerecht, dass durch diese selbständig Recht gesetzt wird.125 Davon abgesehen erscheint ein vermeintliches Nebenziel der Gewährleistung fairer (und stabiler) Märkte so unkonturiert, dass deutlich wird, dass dieses kaum justiziabel abgewogen werden könnte, sodass es sich bei dieser Nennung letztlich nur um einen politischen Programmsatz handelt, dessen sich der europäischer Gesetzgeber zumindest in diesem Kontext besser enthalten hätte. 60 Die Nebenziele des Solvency II-Systems sind dem Hauptziel hierbei nach dem Normengefüge (grundsätzlich) vollständig subordiniert. Soweit sie im Einzelfall nicht bereits nur dienende Funktion zur Beförderung des Hauptzieles haben, sodass es ihrer Normierung letztlich allenfalls zur Klarstellung bedurfte, können sie nach Erwägungsgrund 16 Satz 3 Solvency II-RL nur soweit berücksichtigt werden, als hierdurch „das vorrangige Ziel nicht [beeinträchtigt]“ wird. Eine Beeinträchtigung ist hierbei nicht erst im Falle einer absoluten Verletzung des Hauptziels – also, wenn dieses auf Grund der Maßnahme nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann – zu sehen, sondern bereits in jeder Erschwerung oder Behinderung der Zielerreichung.126 121 BR-Drucks. 430/14 S. 338; siehe bereits BR-Drucks. 90/12 S. 322. 122 BR-Drucks. 430/14 S. 338; so bereits BR-Drucks. 90/12 S. 322. 123 § 298 Abs. 1 Satz 2 VAG spricht im Plural von den „Aufsichtszielen des § 294 Absatz 2“. Damit kann nicht die in § 294 Abs. 2 Satz 1, 2 VAG erwähnte Überwachung des Geschäftsbetriebs und der Einhaltung der Gesetze, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten, gemeint sein, da es sich insoweit um Tätigkeiten der Aufsicht und nicht um Ziele handelt. 124 Erwägungsgrund 16: „Vorrangiges Ziel […] ist ein angemessener Schutz der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten. […] Finanzstabilität sowie faire und stabile Märkte sind weitere Ziele der Versicherungs- und Rückversicherungsregulierung und -aufsicht […]“ (Hervorhebung durch Verf.). Entsprechend ist zum einen fraglich, ob die Berücksichtigung prozyklischer Auswirkungen als eigenständiges Nebenziel anzusehen ist oder nur als Unterfall der Finanzsystemstabilität. Die Tatsache, dass in Erwägungsgrund 16 nur die Finanzsystemstabilität, nicht aber die Berücksichtigung prozyklischer Wirkungen genannt wird, spricht für das Vorliegen eines Unterfalles. Im Hinblick auf die Rechtswirkung von Erwägungsgründen ist dies jedoch eine fragwürdige Auslegung Soweit nach Erwägungsgrund 16 „faire und stabile Märkte“ ein weiteres Nebenziel sein sollen muss gleiches gelten. Der Begriff wird nur in den Erwägungsgründen, nicht aber im Regelungsteil der Richtlinie genannt und stellt daher letztlich kein verbindliches Neben- bzw. weiteres Ziel dar; vgl. ausführlicher Wandt/Sehrbrock FS 50 Jahre Schweizerische Gesellschaft für Haftpflicht- und Versicherungsrecht (2010) 689, 695 f., dies. ZVersWiss 2011 193, 197 f., zustimmend auch Bürkle WM 2012 878, 879; dem haben sich auch die Regierungsentwürfe angeschlossen, in denen faire und stabile Märkte keine Erwähnung finden. 125 So i. E. auch Wandt/Sehrbrock ZVersWiss 2011 193, 199 und Bürkle WM 2012 878, 879; Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 12 stützt seine Ablehnung der Bindungswirkung auf den europäischen Wesentlichkeitsgrundsatz des Art. 290 AEUV, der hier jedoch nicht unmittelbar greifen kann, da die Erwägungsgründe gerade Bestandteil des Rechtsaktes sind; a. A. anscheinend Langheid/Wandt/Sasserath-Alberti/Vogelsang AufsichtsR Rn. 420, die dieses Nebenziel nennen, ohne dies kritisch auseinanderzusetzen. 126 So auch Langheid/Wandt/Sasserath-Alberti/Vogelsang AufsichtsR Rn. 420; Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 13.; Bürkle WM 2012 878, 879; terminologisch leicht abweichend Wandt/Sehrbrock ZVersWiss 2011 193, 199, die den Gal

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3. Weitere Nebenziele Der Gesetzgeber kann darüber hinaus die Aufsichtsbehörde verpflichten, weitere Nebenziele 61 zu verfolgen, was auch nicht in jedem Fall den unionsrechtlichen Vorgaben widersprechen dürfte. So soll in Deutschland die Aufsichtsbehörde etwa bei der Bekämpfung der Geldwäsche und der Verhinderung der Finanzierung von Terrorismus mitwirken. Wichtig ist nur, dass die der Versicherungsaufsicht zusätzlich auferlegten, gewissermaßen aufsichtsfremden Ziele nicht mit dem Hauptziel „Schutz der Versicherten“ kollidieren. Gemäß § 4 Abs. 1a FinDAG kommt der BaFin auch die Aufgabe des Schutzes der kollekti- 62 ven Verbraucherinteressen zu, was sich entsprechend auch als ein (Neben-)Ziel des Versicherungsaufsichtsrechts auffassen lässt. Dies erscheint europarechtlich durchaus nicht unproblematisch. Hierzu ist zunächst zu sagen, dass das Hauptziel des Schutzes der Versicherten nicht deckungsgleich mit einem Schutz des Verbrauchers ist, mag es diesen auch vielfach im Reflex bewirken. Versichertenschutz ist hier zum einen ratione personae wesentlich weiter, als eben alle, also auch kaufmännische Versicherte als Schutzobjekt umfasst werden. Zum anderen aber ist der Verbraucherschutz weiter, als er grundsätzlich eben auch alle anderen Verbraucher, also auch nicht Versicherte, als Schutzobjekt umfasst. Es erscheint durchaus fragwürdig, ob die Aufsicht zur Abstellung eines Missstandes, der im Schwerpunkt in anderen verbraucherschutzrelevanten Bereichen als dem Versicherungsbetrieb herrscht, tätig werden darf. Die BaFin ist trotz der Aufgabenbestimmung des § 4 Abs. 1a FinDAG keine generelle Verbraucherschutzbehörde. Insgesamt dürfte dieser Aufgabe des kollektiven Verbraucherschutzes nach § 4 Abs. 1a FinDAG in der Versicherungsaufsicht, anders als in den anderen durch die BaFin beaufsichtigten Sektoren, jedoch eine nur geringe Bedeutung zukommen. Ein mögliches Anwendungsfeld wurde in der Beaufsichtigung über die Darlehnsvergabe an Verbraucher gesehen, wenn hierbei die verbraucherschützenden Normen der §§ 491–505 BGB beeinträchtigt wären.127 Hierbei würde es aber zumindest noch um Normen gehen, die grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der BaFin fallen. Ob hingegen die BaFin auch gegen einen VR einschreiten darf, wenn dieser im Rahmen seiner Investitionen als Vermieter auftritt und die hierbei verwendeten AGB gegen das Wohnraummietrecht verstoßen, muss doch arg bezweifelt werden.

4. Transparenzpflicht Daneben verpflichtet Art. 31 Abs. 2 lit. e Solvency II-RL im Spiegel von Art. 31 Abs. 1 Solven- 63 cy II-RL die Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten grundsätzlich auf eine „transparente und verantwortliche“ Aufgabenausführung d. h. auch auf eine Offenlegung ihrer Ziele. Das VAG sieht in Umsetzung dieser Normen eine besondere Transparenzregelung in § 318 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VAG vor. Nach dieser veröffentlicht die BaFin „die Ziele der Beaufsichtigung und ihre Hauptfunktionen und -tätigkeiten“. Nach § 318 Abs. 3 VAG müssen (auch) die zielbezogenen Angaben „unter einer einzigen elektronischen Adresse“, d. h. also auf der Internetpräsenz der BaFin, allzeit abrufbar sein.

5. Weitere Unterziele In der Vorauflage wurde noch ausgeführt, dass, um die Hauptziele näher zu konkretisieren, 64 der Gesetzgeber oder die Aufsichtsbehörde Unterziele identifizieren müsse, die verfolgt werden müssten, um das Hauptziel zu erreichen. Zu den wichtigsten Unterzielen der Finanzaufsicht Einleitungssatz „als ein Verbot verstehen, das Hauptziel des Schutzes der Versicherten zu verletzen“ [Hervorh. im Original] oder Brand/Baroch Castellvi/Brand § 294 VAG Rn. 38, der von einem „Verstoß“ gegen das Hauptziel spricht. 127 Prölss/Dreher/Redenz § 4 FinDAG Rn. 17. 317

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gehörten nach dieser Ansicht vor allem ausreichende versicherungstechnische Rückstellungen, vorsichtige, risikogerechte Kapitalanlagen, angemessene Rückversicherung, Einhaltung der kaufmännischen Grundsätze (ordnungsgemäße Buchführung und Rechnungslegung, Controlling, Risikomanagement, interne Revision etc.), ausreichende Ertragslage und eine risikoangemessene Eigenmittelausstattung. Nach hiesiger Ansicht ist es jedoch fraglich, ob es sich hierbei um (Unter-)Ziele der Aufsicht handelt und nicht letztlich nur um Mittel zur Zielerreichung, also um konkrete Aufgaben, denen die Aufsicht nachzukommen hat.

6. Internationaler Standard 65 Das deutsche und europäische Versicherungsaufsichtsrecht stehen mit ihren Zielrichtungen in Übereinstimmung mit den internationalen best practice-Regeln. So hat sich der internationale Standardgeber für das Versicherungswesen, die International Association of Insurance Supervisors (IAIS),128 in den IAIS Insurance Core Principles (ICP)129 in ähnlicher Weise geäußert: In ICP 2 (Ziele der Aufsicht) heißt es unter anderem, dass das Hauptziel („key objective“) der Aufsicht „efficient, fair, safe and stable insurance markets for the benefit and protection of policyholders“ sein müsse.

V. Mittel der Aufsicht 66 Traditionell wurden die Aufsichtsmittel den Haupt- und Unterzielen zugeordnet (siehe Vorauflage, Generaleinführung D Rn. 7). Selbst wenn man heute ob der Harmonisierung des Versicherungsaufsichtsrechtes nicht mehr von Unterzielen spricht (siehe oben Rn. 64), so ändert dies nichts daran, dass es spezielle Aufsichtsmittel gibt, die etwa der Sicherung der Solvenz oder der ordnungsgemäßen Governance eines VU (also früherer Unterziele) dienen, und solche, die nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar auf den Schutz der Versicherten ausgerichtet sind. Das gilt sowohl für die Aufsichtsmittel im Zulassungsverfahren (Zulassungsaufsicht) als auch für die im Rahmen der laufenden Aufsicht. Unterschieden wird hierbei die rechtliche Aufsicht im Allgemeinen (Rechtsaufsicht) und die finanzielle Aufsicht im Besonderen (Finanzaufsicht). 67 Man unterscheidet zwischen Mitteln zur Informationsgewinnung und zur Informationsverarbeitung (die allesamt gebündelt der Beobachtungsfunktion der Aufsicht zugehören) sowie Berichtigungsmitteln, Zwangsmitteln und Sanktionen (die sich insgesamt als Berichtigungsfunktion bezeichnen lassen, wenn sich dies auch für die Sanktionen allenfalls für die in die Zukunft gerichtete präventive Wirkung reklamieren lässt). Zumindest im Rahmen der Zulassungsaufsicht sind die Aufsichtsmittel auch noch der Konzession und der Registrierung zuzuordnen.

1. Informationsmittel 68 Zu den Informationsmitteln gehören etwa das allgemeine Auskunftsrecht der Aufsichtsbehörde (§ 305 VAG)130 sowie spezielle Aufsichtsmittel (SFCR, örtliche Prüfungen, Berichte des verant128 S. zu dieser etwa Hale/Held/Masciandaro Handbook of Transnational Governance – Institutions & Innovations (2011) 71; Wandt/Gal FS 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt (2014) 629, 652 ff.; siehe auch unter Rn. 46 ff. 129 S. etwa Oleschak-Pillai, Lemma ‚Insurance Core Principles‘ in: Cottier/Schefer (Hrsg.), Encyclopedia of International Economic Law, 2017, S. 563–566. 130 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass § 42 Abs. 1 VAG grundsätzlich eine Informationsübermittlungspflicht des Unternehmens sua spontane statuiert. Da eine solche Bringschuld besteht, kann und wird die Aufsicht bei Bedarf typischerweise solche Informationen, die sie benötigt, informell anfragen, bevor sie von einem formellen Auskunftserteilungsrecht Gebrauch macht. Gal

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wortlichen Aktuars und des Abschlussprüfers, Beschwerden der Versicherten u. a. m.). Für die Auswertung der erhaltenen Informationen gibt es keine bestimmten Regeln. Sie hängt sehr vom Einzelfall ab. Immerhin gibt die Aufsichtsbehörde in der Regel interne Leitlinien für die Informationsverarbeitung und -bewertung heraus (nicht zuletzt für Zwecke der Einarbeitung neuer Mitarbeiter), wobei sich die Informationsverarbeitung heute über weite Flächen an der Datenschutzgrundverordnung auszurichten hat. Allerdings hat das reformierte Versicherungsaufsichtsrecht zumindest insoweit eine Änderung erfahren, als durch § 294 Abs. 5 VAG das sogenannte aufsichtliche Überprüfungsverfahren eingeführt wurde, welches durch den Supervisory Review Process (SRP) des Basel II-Bankaufsichtssystems inspiriert wurde,131 und eine wesentlich klarere Kontur hinsichtlich der Informationsgewinnung aufweist, als unter dem bisherigen Recht. Das formelle, turnusmäßig durchzuführende, aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren 69 (Supervisory Review Process, SRP) ist in § 294 Abs. 5 VAG geregelt.132 In diesem prüft die Aufsicht die „Strategien, Prozesse und Meldeverfahren“, um festzustellen, ob die Solvency IIVorgaben eingehalten werden. Der SRP durch die Aufsicht ist eng verzahnt mit der in § 27 VAG geregelten unternehmenseigenen Beurteilung des Risikos und der Solvabilität (Own Risk and Solvency Assessment, ORSA; siehe unter Rn. 140), das gleichsam ein eigenes Urteil des Unternehmens über seine Risikotragfähigkeit darstellt. Durch das Ineinandergreifen von ORSA und SRP soll, ein integrierter Prozess aus Selbst- und Fremdprüfung des Unternehmens implementiert werden. Schwerpunkte der Prüfung des SRP sind dabei vor allem die Compliance mit den Vorgaben zum Governancesystem, den Kapitalanforderungen und (gegebenenfalls) den zusätzlichen qualitativen Anforderungen an ein internes (Teil-)Modell.133

2. Berichtigungsmittel Die Aufsichtsbehörde muss weitreichende, flexibel zu handhabende korrigierende Eingriffs- 70 möglichkeiten (Berichtigungsmittel) für den Fall haben, dass die Interessen der Versicherten gefährdet oder gar verletzt werden. Auch hier unterscheidet man zwischen einem allgemeinen Eingriffsrecht und speziellen Interventionsrechten.

a) Eingriffsbefugnisse im Allgemeinen. Die allgemeine Eingriffsbefugnis ist in der Gene- 71 ralklausel des § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG geregelt. Diese Vorschrift ermächtigt die Aufsichtsbehörde, alle Anordnungen zu treffen, die geeignet und erforderlich sind, um Missstände zu vermeiden oder zu beseitigen. Unter Missständen versteht der Gesetzgeber gemäß § 298 Abs. 1 Satz 2 VAG jedes Verhalten eines VU, das den Aufsichtszielen widerspricht (siehe detaillierter unter Rn. 194). Spezielle Eingriffsmöglichkeiten finden sich an vielen Stellen des VAG. Hier seien nur 72 genannt das Verfahren zur Abberufung von Vorständen und anderen Schlüsselfunktionsträgern (§ 303 VAG), zur abweichenden Bestellung von Abschlussprüfern (§ 36 Abs. 1 VAG) oder Verantwortlichen Aktuaren (§ 141 Abs. 2 VAG), die Einsetzung von Sonderbeauftragten (§ 307 VAG), 131 Vgl. Dreher/Wandt/Dreher/Ballmaier Solvency II 2012 73, 78; Dreher/Wandt/Grote Solvency II 2009 225, 226 ff. 132 Hierbei wird der Mindestprüfbereich in § 294 Abs. 4 VAG leider nicht in ausreichender Tiefe definiert, da die Mindestinhalte nur grob umschrieben werden und eine Transformation des Katalogs des Art. 36 Abs. 2 Solvency IIRL unterbleibt; vgl. zur Kritik hierzu bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 56 f. Die Aufsicht, die nach § 294 Abs. 5 Satz 3 VAG neben dem Turnus auch den Mindestanwendungsbereich der Prüfung festzulegen hat, ist mithin nach dem Grundsatz der Unionstreue gehalten, diese Mindestinhalte der Richtlinie zwingend in den Prüfungsumfang zu übernehmen. 133 Die Regierungsbegründung sieht als Hauptaufgabe des SRP die Ermittlung solcher Unternehmen, die auf Grund finanzieller, organisatorischer oder sonstiger Merkmale ein höheres Risikoprofil aufweisen (BR-Drucks. 430/ 14 S. 339 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 322). 319

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das Verlangen eines Solvabilitäts- oder Finanzierungsplans (§§ 134 Abs. 2, 135 Abs. 2 VAG), die Festsetzung eines Kapitalaufschlages (§ 301 Abs. 1 VAG, Artt. 276 ff. Solvency II-DVO), die Untersagung einer Beteiligung (§ 302 VAG), die Einschränkung oder Untersagung der freien Verfügung über die Vermögensgegenstände des VU (§§ 134 Abs. 7, 135 Abs. 3 VAG), ein Zahlungsverbot oder die Herabsetzung von Leistungen in der Lebensversicherung (§ 314 VAG) oder der Widerruf der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb (§ 304 VAG).

73 b) Sonderfall Aufsichtsleiter. Eine Sonderstellung unter den speziellen Eingriffsmöglichkeiten nimmt die Aufsichtsleiter ein.134 Falls sich die Solvenz des VU verschlechtert oder die Solvabilitätskapital- bzw. die Mindestkapitalanforderung unterschritten werden, sehen die §§ 132–137 VAG verschiedene Pflichten des Unternehmens und Interventionsmöglichkeiten der Aufsicht vor. Der Maßnahmenkatalog wird anschaulich als „Aufsichtsleiter“ (supervisory ladder) bezeichnet, da die freiheitsbeschränkende Wirkung der jeweils statuierten Pflicht(en) und die Eingriffsintensität der jeweils zulässigen Verwaltungsmaßnahme umso größer sind, je schlechter sich die Solvenzsituation des Unternehmens darstellt. Obgleich der Begriff der Aufsichtsleiter sehr geläufig ist, wird er weder im VAG noch in der Solvency II-Richtlinie definiert oder verwendet. In den Erwägungsgründen der Richtlinie wird lediglich erwähnt, dass „zwischen der Solvenzkapitalanforderung und der Mindestkapitalanforderung angemessener Raum für abgestufte Maßnahmen bestehen“,135 innerhalb dem eine „schrittweise Verschärfung der aufsichtlichen Maßnahmen“136 erfolgen soll. Die §§ 132−137 VAG weisen in Struktur und Inhalt teilweise signifikante Parallelen zum früheren § 81b VAG a. F. auf. 74 Die Eingriffsstufen der Aufsichtsleiter stellen sich hierbei wie folgt dar: Im Falle einer Verschlechterung der finanziellen Lage (vgl. aber einschränkend sogleich) muss das Unternehmen nach § 132 Abs. 2 VAG – unabhängig davon, ob eine Kapitalschwelle unterschritten wurde – die Aufsicht entsprechend informieren. Die Norm fungiert gleichsam als Frühwarnindikator. Hintergrund ist, dass in jeder wesentlichen Verschlechterung der Beginn einer Entwicklung liegen könnte, an deren Ende eine konkrete oder mögliche Gefährdung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens stehen kann. Dabei beschränkt § 132 Abs. 2 VAG die Informationspflicht (anders als der zugrunde liegende Art. 136 Hs. 2 Solvency II-RL)137 auf Verschlechterungen, die „die Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus Versicherungen oder die Zahlungsfähigkeit des Versicherungsunternehmens gefährden könnte[n]“. Durch die Hinzufügung soll, der Regierungsbegründung zufolge, klargestellt werden, „dass nicht bereits jede geringe Verschlechterung der finanziellen Situation des Unternehmens die Anzeigepflicht auslöst“.138 Diese Einschränkung stellt nicht nur eine fragwürdige Umsetzung der sekundärrechtlichen Vorgaben dar, sondern wirft auch die Frage auf, welcher eigenständige Anwendungsbereich § 132 Abs. 2 VAG dann noch gegenüber § 134 Abs. 1 VAG zukommen soll. Letzterer schreibt dem Unternehmen vor, die Aufsicht zu informieren, sofern die Solvenzkapitalanforderung unterschritten wurde oder eine Unterschreitung binnen 3 Monaten droht (vgl. zu § 134 VAG sogleich). Die Höhe des SCR wurde nach der Maßgabe kalibriert, dass im Betrachtungsjahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,5 % keine Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens eintritt (siehe unter Rn. 110). Soweit die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit also 0,5 % oder höher ist, wäre § 134 Abs. 1 als lex specialis einschlägig, nicht § 132 Abs. 2 VAG. Die bloße „Möglichkeit“ einer künftigen Verschlechterung der finanziellen Lage fällt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ebenfalls nicht in den Anwendungsbe134 135 136 137

S. tiefgreifend zur Aufsichtsleiter Sehrbrock Die „Aufsichtsleiter“ 169 ff. et passim. Erwägungsgrund 60 Satz 3 Solvency II-RL. Erwägungsgrund 70 Satz 2 Solvency II-RL. Art. 136 Solvency II-RL: „Versicherungs[…]unternehmen müssen über Verfahren verfügen, um eine Verschlechterung ihrer finanziellen Lage festzustellen; sie benachrichtigen unverzüglich die Aufsichtsbehörden, wenn eine solche Verschlechterung eintritt“. 138 BR-Drucks. 430/14 S. 312 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 300. Gal

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reich des § 132 Abs. 2 VAG, der unmissverständlich von einer eingetretenen „Verschlechterung“ spricht, die eine (mögliche) Gefährdung der Zahlungsfähigkeit darstellt. Der Anwendungsbereich dieser Norm wäre durch die Einschränkung im VAG demnach in erster Linie auf die – wohl eher theoretischen – Fälle begrenzt, in denen die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens konkret gefährdet ist, die Wahrscheinlichkeit einer Zahlungsunfähigkeit im kommenden Geschäftsjahr aber weniger als 0,5 % beträgt. Der dem § 132 Abs. 2 VAG zugrundeliegende Art. 136 Solvency II-RL hat dagegen einen erheblich größeren Anwendungsbereich, da er sämtliche (wesentlichen [siehe dazu sogleich]) Verschlechterungen der Finanzlage des Unternehmens umfasst, auch wenn die Zahlungsfähigkeit noch nicht konkret gefährdet ist. Die gegenüber dem Richtlinienwortlaut hinzugefügte Einschränkung in § 132 Abs. 2 VAG sollte dementsprechend richtlinienkonform reduziert werden. Das hätte – anders als von der Regierungsbegründung insinuiert – nicht zur Folge, dass jede unerhebliche Verschlechterung der Finanzlage eine Anzeigepflicht auslösen würde. § 132 Abs. 2 VAG bzw. Art. 136 Solvency II-RL sind teleologisch auf die Fälle einer wesentlichen Verschlechterung zu reduzieren, da nur in diesen Fällen die Auferlegung einer Anzeigepflicht verhältnismäßig ist, und so eine „Inflation der Meldepflichten“ abgewendet werden kann.139 Unterschreitet das Unternehmen die Schwelle der Solvabilitätskapitalanforderung oder 75 droht eine Unterschreitung innerhalb von drei Monaten, ist dies der Aufsicht unmittelbar anzuzeigen (§ 134 Abs. 1 VAG). Im Falle der tatsächlichen Unterschreitung hat das Unternehmen der Behörde innerhalb von zwei Monaten einen realistischen, geeigneten Sanierungsplan zur Genehmigung vorzulegen.140 In diesem ist aufzuzeigen, durch welche Maßnahmen das Unternehmen innerhalb von sechs Monaten seine anrechnungsfähigen Eigenmittel aufzustocken oder sein Risikoprofil zu senken gedenkt, um die Solvabilitätskapitalanforderung wieder zu erfüllen. Der Sanierungsplan tritt an die Stelle des Solvabilitätsplans, der nach dem früheren § 81b Abs. 1 Satz 1 VAG a. F. im Falle einer Unterschreitung der Solvabilitätsspanne vorzulegen war.141 Die Frist kann von der Behörde um drei Monate verlängert (§ 134 Abs. 3 Satz 2 VAG) und um eine weitere, angemessene Zeitspanne ausgedehnt werden, wenn ein außergewöhnlicher Einbruch an den Finanzmärkten eintritt (§ 134 Abs. 4 VAG). Die Feststellung, dass ein Einbruch an den Finanzmärkten vorliegt, „obliegt“ der Regierungsbegründung zufolge EIOPA, nicht der nationalen Aufsichtsbehörde selbst.142 In der EIOPA-Verordnung143 findet sich allerdings keine entsprechende Kompetenz der europäischen Aufsichtsbehörde, vielmehr wird die Feststellung eines „außergewöhnlichen Einbruchs an den Finanzmärkten“ in dem genannten Rechtstext überhaupt nicht erwähnt. Art. 18 Abs. 3 EIOPA-Verordnung sieht lediglich die Feststellung eines „Krisenfalles“ vor, an den aber völlig andere Rechtsfolgen geknüpft sind. Zudem ist ein Krisenfall nach Art. 18 Abs. 3 EIOPA-Verordnung gerade nicht durch EIOPA, sondern durch den Rat festzustellen. Welche Folgen die Nichtvorlage eines Sanierungsplanes oder die Vorlage eines nicht genehmigungsfähigen Sanierungsplanes hat, regeln § 134 VAG und die Solvency II-Richtlinie 139 S. hierzu bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 60 ff. 140 Bereits die Regierungsbegründung zum ersten Novellenentwurf sprach unglücklich davon, dass der Sanierungsplan „nach Auffassung der Aufsichtsbehörde“ realistisch sein muss (BR-Drucks. 90/12 S. 300) und erweckte damit den Eindruck, dass insoweit die subjektive Betrachtung der Behörde maßgeblich sei bzw. die Entscheidung der Aufsicht gerichtlich nicht oder nur eingeschränkt überprüfbar sein könnte. Da insoweit aber ein unbestimmter Rechtsbegriff der Tatbestandsseite vorliegt und die Voraussetzungen für eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung nicht gegeben sind, ist uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar, ob der Sanierungsplan objektiv betrachtet realistisch ist. Der zitierte Passus hätte somit besser aus der Regierungsbegründung gestrichen werden sollen; so bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 62 (dort Fn. 242). Der Passus hat es freilich auch in die überarbeite Regierungsbegründung gebracht; BR-Drucks. 430/14 S. 313. 141 So auch BR-Drucks. 430/14 S. 313; vorher BR-Drucks. 90/12 S. 300. Anders als der Sanierungsplan war der Solvabilitätsplan allerdings bereits bei einer drohenden Unterschreitung vorzulegen; vgl. hierzu Prölss/Kollhosser12 § 81b VAG Rn. 3. 142 BR-Drucks. 430/14 S. 313 f. und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 300. 143 VO 1094/2010 ABl. L 331 v. 15.12.2010, S. 48. 321

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nicht. Demnach besteht die Pflicht zur Vorlage eines Sanierungsplanes fort. Ferner ist davon auszugehen, dass die Behörde dann auch auf Basis der Generalklausel allgemeine Maßnahmen ergreifen kann. Fraglich ist jedoch, ob die Behörde in diesem Fall dem Unternehmen den Inhalt des Sanierungsplanes vorgeben und auf dieser Basis umfassende Sanierungsmaßnahmen anordnen bzw. vornehmen darf (wie die Regierungsbegründung nahelegt)144 oder ob sich – was überzeugender scheint – die Befugnis der Behörde darauf beschränkt, einzelne, gleichsam „sichernde“ Maßnahmen bis zur Vorlage des Sanierungsplanes durch das Unternehmen zu treffen.145 Die Nichtvorlage oder Nichterfüllung des Sanierungsplans stellt – anders als im früheren Recht die Nichterfüllung des Solvabilitätsplans, vgl. § 87 Abs. 2 VAG a. F. – keinen ausdrücklichen Tatbestand für den Entzug der Genehmigung dar. Steht fest, dass dem Unternehmen die Vorlage eines realistischen Sanierungsplanes nicht möglich ist, kommt aber ein Entzug der Genehmigung nach § 304 Abs. 3 Nr. 2 VAG wegen schwerwiegender Verletzung einer gesetzlichen Pflicht in Betracht. Nach § 25 Abs. 4 VAG kann die Aufsicht im Falle einer tatsächlichen oder drohenden Unterschreitung des SCR darüber hinaus die Auszahlung variabler Vergütungsbestandteile an Geschäftsleiter, Aufsichtsratsmitglieder oder Mitarbeiter untersagen oder beschränken. Die Regelung entspricht dem früheren § 81b Abs. 1a VAG a. F.146 Da sich diese Befugnis aber in der europäischen Vorgabe (Art. 138 Solvency II-RL) nicht findet, muss sie mit Blick auf die von der Rahmenrichtlinie verlangte Vollharmonisierung eher kritisch gesehen werden. Ist eine weitere Verschlechterung der Solvabilität zu befürchten, kann die Aufsicht ferner die freie Verfügung über die Vermögenswerte des Unternehmens einschränken oder untersagen (§ 134 Abs. 7 VAG). Tritt eine weitere Verschlechterung der Solvabilität tatsächlich ein, kann die Aufsicht nach § 137 VAG wohl auf Grundlage der Generalklausel (§ 298 Abs. 1 VAG) alle sonstigen Maßnahmen ergreifen, die zur Wahrung der Interessen der VN erforderlich, geeignet und angemessen sind. 76 Unterschreiten die Eigenmittel die Mindestkapitalanforderung hat das Unternehmen binnen eines Monats auf Grundlage eines Finanzierungsplans darzulegen, wie es innerhalb der nächsten drei Monate eine Wiedereinhaltung der Mindestkapitalanforderung erreichen will.147 Anders als bei einer Unterschreitung des SCR ist in diesem Fall keine Fristverlängerung durch die Aufsicht möglich. Ist der Finanzierungsplan offensichtlich unzureichend oder gelingt dem Unternehmen die Einhaltung des MCR innerhalb von drei Monaten nicht, ist die Geschäftserlaubnis zwingend zu entziehen (§ 304 Abs. 1 Nr. 2 VAG). Nicht notwendigerweise an eine Verschlechterung der Solvabilität geknüpft, aber vielfach 77 damit einhergehend, ist die in § 133 Abs. 1 VAG niedergelegte Befugnis der Aufsicht, die freie Verfügung über die Vermögenswerte einzuschränken oder zu untersagen, wenn das Unternehmen unzureichende versicherungstechnische Rückstellungen bildet. § 310 Abs. 2 VAG ordnet für die meisten im Rahmen der Aufsichtsleiter vorgesehenen 78 behördlichen Verwaltungsakte an, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen sie keine aufschiebende Wirkung entfalten.148 Die Suspensivwirkung wird aber nicht in allen Fällen ausgeschlossen. Für Rechtsmittel gegen Verwaltungsakte nach § 25 Abs. 4 VAG (Beschränkung oder Untersagung der Auszahlung variabler Vergütungsbestandteile bei Unterschreitung des SCR) wird − wie im früheren Recht für den vergleichbaren § 81b Abs. 1a VAG a. F. − kein Ausschluss vorgesehen. Auch bei einer Einschränkung oder Untersagung der 144 Nach der Regierungsbegründung „müsste [sic!] die Aufsichtsbehörde selbst über Maßnahmen […] entscheiden“ (BR-Drucks. 430/14 S. 313 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 300). 145 Der letztgenannte Ansatz entspricht der früheren Rechtslage unter § 81b Abs. 1 Satz 1 VAG a. F., vgl. Prölss/ Kollhosser12 § 81b VAG Rn. 5. 146 BR-Drucks. 430/14 S. 313 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 300. 147 § 135 Abs. 2 VAG. Darüber hinaus kann die Aufsicht die freie Verfügung über die Vermögenswerte einschränken oder untersagen (§ 135 Abs. 3 VAG). 148 Entsprechendes galt auch im früheren Recht nach § 89a VAG a. F. für fast alle nach § 81b VAG a. F. ergriffenen Maßnahmen. Gal

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freien Verfügung über die Vermögenswerte im Falle unzureichender Bildung versicherungstechnischer Rückstellungen (§ 133 Abs. 1 VAG) greift § 310 Abs. 2 VAG nicht.149 Vor allem der letztgenannte Fall ist problematisch. Die nicht ausreichende Bildung versicherungstechnischer Rückstellungen stellt eine erhebliche Gefährdung der Belange der Versicherten dar, auch weil damit zu konstatieren ist, dass die Eigenmittelsituation des Unternehmens tatsächlich schlechter ist als in der Solvabilitätsübersicht ausgewiesen. § 133 Abs. 1 VAG hätte somit in den Katalog des § 310 Abs. 2 VAG aufgenommen werden sollen. Für Rechtsmittel gegen Maßnahmen nach § 25 Abs. 4 VAG ist ein Ausschluss der aufschiebenden Wirkung hingegen nicht zwingend geboten, da die Beschränkung der Auszahlung von Boni für die finanzielle Sanierung des Unternehmens von untergeordneter Bedeutung ist und primär (politische) Signalwirkung bezweckt.

c) Vorgehen. In der Praxis macht die Aufsichtsbehörde von zahlreichen dieser formellen Ein- 79 griffsmitteln, zumindest wenn diese als Kann-Vorschriften formuliert sind, nur dann Gebrauch, wenn andere, weniger einschneidende Mittel erfolglos waren. Dies ist im Hinblick auf den in § 296 Abs. 1 VAG nunmehr speziell enthaltenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz typischerweise auch geboten. In der Regel erreicht die Behörde ihre Ziele im Wege der sog. schlicht-verwaltenden Tätigkeit (Hinweise auf gesetzliche Bestimmungen oder Standards, Ratschläge, Mahnungen etc.). Dies soll aber nicht bedeuten, dass die BaFin stets veranlasst wäre, zunächst informell auf eine „Abstellung des Missstandes“ hinzuwirken, vielmehr kann je nach Art des Verstoßes, der gefährdeten Interessen und der Person des Anordnungsgegners auch eine sofortige Einleitung eines formellen Verwaltungsverfahrens angezeigt sein. Formelle Interventionen, also Verwaltungsakte, kann die Aufsichtsbehörde im Wege des 80 Verwaltungszwangs nach den Bestimmungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes durchsetzen.

3. Sanktionen Sanktionen sind u. a. in den Straf- und Bußgeldtatbeständen des VAG enthalten. Straftatbestände sind vor allem Handlungen im Zusammenhang mit der nicht ordnungsgemäßen Bestellung oder Überwachung des Abschlussprüfers (§ 331 Abs. 2a VAG), falsche Erklärungen des Verantwortlichen Aktuars oder des Treuhänders für das Sondervermögen (§ 331 Abs. 2 Nr. 2 VAG), die Nicht-, Falsch- oder verspätete Anzeige der Zahlungsunfähigkeit (§ 331 Abs. 2 Nr. 3 VAG) und unbefugter Betrieb des Versicherungsgeschäfts (§ 331 Abs. 1 VAG). Die Strafbarkeit von Falschangaben gegenüber der Aufsichtsbehörde (§ 134 VAG a. F.), wegen Falschbericht des Abschlussprüfers (§ 137 VAG a. F.) und Verletzung der Geheimhaltungspflicht (§ 138 VAG a. F.) sind hingegen als Sonderstrafrecht im VAG weggefallen,150 was aber nicht zwingend bedeutet, dass bestimmte dieser Handlungen nicht trotzdem strafbar sein können (siehe etwa §§ 332 f. HGB). Beispiele für Bußgeldtatbestände (geregelt in § 332 VAG) sind widerrechtliche Handlungen im Zusammenhang mit dem Sicherungsvermögen, Verstoß gegen bestimmte Rechtsverordnungen, unbefugte Versicherungsvermittlung, Verstoß gegen bestimmte vollziehbare Anordnungen der Aufsichtsbehörde, Nichtveröffentlichung oder Nichteinreichung bestimmter Dokumente. Zuständige Verwaltungsbehörde für die Bußgeldverfahren ist gemäß § 333 VAG die BaFin.

149 S. ferner zu Maßnahmen, bei denen früher die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen war, dies aber heute nicht mehr gilt Prölss/Dreher/Dreher § 310 VAG Rn. 3. 150 Kritisch hierzu Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 430/14 (Beschluss) S. 11. 323

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VI. Gegenstand und Adressaten der Aufsicht 85 Gegenstand der Versicherungsaufsicht ist der Betrieb von Versicherungsgeschäften (Erstund Rückversicherung) mit Ausnahme der Sozialversicherung (siehe § 7 Nr. 33 VAG). Auch der Betrieb von Pensionsfondsgeschäften, auf den im Folgenden nicht weiter eingegangen wird, ist Gegenstand der Versicherungsaufsicht. 86 Hierbei definiert § 7 Nr. 33 VAG den Begriff der Versicherung nicht, sondern setzt diesen lediglich voraus. Aufgrund dieser fortdauernden Abwesenheit einer Legaldefinition der Versicherung hat sich in Deutschland eine sehr reichhaltige Diskussion entwickelt, was unter Versicherung zu verstehen ist.151 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass zahlreiche der Ansätze philosophischer, soziologischer, wirtschaftlicher oder betriebswirtschaftlicher Natur sind und sich nicht problemlos für eine rechtliche Bewertung gewinnbar machen lassen. Auch die rechtswissenschaftlichen Ansätze sind teilweise eher vertragsrechtlich teilweise eher aufsichtsrechtlich geprägt und verfolgen sehr heterogene Zielsetzungen. Ohne hierdurch die bestehenden Meinungsverschiedenheiten entscheiden zu wollen, wird gemäß der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, die wohl auch unter dem harmonisierten Aufsichtsrecht aufrecht erhalten bleiben kann, ein Versicherungsgeschäft dann angenommen, wenn gegen Entgelt (Entgeltlichkeit) für den Fall eines ungewissen Ereignisses (Risikoübernahme) bestimmte Leistungen versprochen werden (Rechtsanspruch), wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird (Gleichartigkeit der Gefahr) und der Risikoübernahme eine nach dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt (Planmäßigkeit).152 Adressaten (und Objekte) der deutschen Aufsicht sind gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 VAG VU (ge87 mäß § 7 Nr. 33 und 34 VAG also Erst- und Rückversicherer mit Sitz im Inland, EWR-Ausland oder einem Drittstaat) wobei sich die Aufsichtspflichtigkeit gemäß dem Regelungskonzept nur auf solche Unternehmen erstreckt, die im Inland Versicherungsgeschäfte betreiben. Entsprechend sind nur VU mit Sitz im Inland einer unbedingten und unbegrenzten Aufsicht unterworfen, während sich für EWR- oder Drittstaatenversicherer eine solche nur dann ergibt, wenn sie entweder im Inland eine Niederlassung errichten oder im aufsichtspflichtigen Dienstleistungsverkehr Versicherungsgeschäfte im Inland betreiben. Bezüglich der Aufsicht über EWR- oder Drittstaatenversicherer unterscheiden sich die Aufsichtsbefugnisse dann teilweise erheblich, von denen im Verhältnis zu inländischen VU und zu einander. Sämtliche Adressaten bedürfen vor Aufnahme des Geschäftsbetriebs einer Erlaubnis. Die Erlaubnisvoraussetzungen sind im Einzelnen im VAG festgelegt und unterscheiden sich wiederum nach Art des Adressaten und aufgrund der europarechtlichen Harmonisierung ganz erheblich. Dies gilt entsprechend § 1 Abs. 1 Nr. 5 VAG mutatis mutandis für Pensionsfonds. 88 Adressaten der Versicherungsaufsicht sind ferner auch der Sicherungsfonds für die Lebens- und Krankenversicherer, d. h. die Protector AG und die Medicator AG (§§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 223 VAG),153 und Versicherungs-Zweckgesellschaften (§§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 168 VAG). Im Bereich der Gruppenaufsicht (Versicherungsgruppen, Finanzkonglomerate) werden als Adressaten auch (gemischte) Versicherungs-Holdinggesellschaften und Versicherungs-Pensionsfonds-Holdinggesellschaften (siehe § 293 Abs. 4 VAG) erfasst. Weitere Adressaten von Aufsichtsmaßnah151 S. für einen Überblick bspw. Prölss/Dreher/Präve § 1 VAG Rn. 24 ff.; Langheid/Wandt/Grote AufsichtsR Rn. 155 ff. 152 So in st. Rspr. BVerwG 29.9.1992 – 1 A 26.91, VersR 1993 1217 f.; dass. 12.5.1992 – 1 A 126.89, VersR 1992 1381, 1382; dass. 11.11.1986 – 1 A 45.83, VersR 1987 273, 274; dass. 15.7.1980 – 1 A 9.78, VersR 1980 1013. 153 Eigentlich handelt es sich bei den Sicherungsfonds gemäß § 223 Abs. 1 Satz 1 VAG um nichtrechtsfähiges Sondervermögen des Bundes, das jeweils durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu errichten ist. Jedoch kann diese Aufgabe gemäß § 224 Abs. 1 Satz 1 VAG per Rechtsverordnung auf eine Kapital- oder eine Personengesellschaft übertragen werden, was geschehen ist. Somit fungieren die Protektor AG und die Medicator AG als Beliehene, die entsprechend der Aufsicht als Sicherungsfonds unterliegen; vgl. hierzu bereits Winter Versicherungsaufsicht 453. Gal

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men können, obgleich nicht explizit in § 1 VAG genannt, auch Aktionäre und Gesellschafter von VU oder Pensionsfonds (Inhaber bedeutender Beteiligungen) sein (siehe etwa §§ 16 ff. VAG). Im Falle der Ausgliederung von Funktionen oder Versicherungstätigkeiten wird auch der sogenannte Insourcer begrenzt zum Adressaten des Versicherungsaufsichtsrechts. Gleichfalls können auch Vorstandsmittglieder und sonstige Geschäftsleiter von Versicherern und Rückversicherern durch Aufsichtsmaßnahmen adressiert werden.154 Nicht zum Adressatenkreis der Versicherungsaufsicht gehören grundsätzlich auch weiter- 89 hin nach Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie bzw. nunmehr der IDD (Insurance Distribution Directive) die Versicherungsvermittler. Dieser Personenkreis wird, wenn überhaupt, durch die Industrie- und Handelskammern beaufsichtigt und eine versicherungsaufsichtsrechtliche Aufsicht erfolgt nur mittelbar, nämlich über die Aufsicht der VU, etwa über §§ 23, 26, 48 VAG. Damit ist nicht gesagt, dass die Vorschriften des VAG für Versicherungsvermittler sämtlich irrelevant wären. So ist etwa § 332 Abs. 1 Nr. 3b VAG hinsichtlich der Vermittlung von Versicherungsanlageprodukte unmittelbar auf diese anwendbar.

VII. Organisation der Aufsicht Von 1901 bis 2002, also über einhundert Jahre, wurde die Versicherungsaufsicht durch eine 90 Behörde, die zwar einige Male den Namen ändern musste (Kaiserliches Aufsichtsamt, Reichsaufsichtsamt, Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen – BAV –), ansonsten aber eigenständig und auf die Wahrnehmung der Ziele des VAG beschränkt arbeitete, wahrgenommen. Seit Mai 2002 hat auch Deutschland nach britischem Vorbild155 eine sog. integrierte Aufsicht (Allfinanzaufsicht) in Form der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin), die an die Stelle der früheren Aufsichtsämter für das Kreditwesen, das Versicherungswesen und den Wertpapierhandel trat (siehe hierzu bereits unter Rn. 7). Kernstück der BaFin sind drei Säulen, in denen jeweils die Aufgaben der bisherigen Aufsichtsämter erledigt werden. Sektorübergreifende Aufgaben sollen von einer Querschnittsabteilung erfüllt werden. Gegenwärtig gliedert sich die BaFin zur Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben nach § 6 Abs. 4 FinDAG und § 1 Abs. 2 der Satzung der BaFin in die fünf Geschäftsbereiche „Innere Verwaltung und Recht“ (IVR), „Bankenaufsicht“ (BA), „Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht“ (VA)„ Wertpapieraufsicht/Asset-Management“ (WA) und Abwicklung, die sich dann weiter in Abteilungen und Referate untergliedern.156 Daneben bestanden längere Zeit „selbständige“ Organisationseinheiten, wie etwa die Zentrale Rechtsabteilung (ZR), die Abteilung Geldwäscheprävention (GW) und die Abteilung Verbraucherschutz (VBS) ebenso wie die Abteilung für die Erlaubnispflicht und Verfolgung unerlaubter Geschäfte (EVG), die nach dem sog. EfA-Prinzip („Einer für Alle“) arbeiten und für alle Aufsichtsbereiche tätig sind.157 Nunmehr sind diese als Abteilungen in den Geschäftsbereich IVR und teilweise in den Geschäftsbereich Abwicklung eingegliedert. Insgesamt zeigt sich aber, dass die BaFin zwar eine Allfinanzaufsichtsbehörde ist, aber nach wie vor eine starke sektorielle Gliederung aufweist (selbst geografisch mit einem geteilten Sitz in Frankfurt und Bonn).

154 S. hierzu insgesamt §§ 298 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 299 VAG. 155 Als Inspiration diente hierbei die damalige Financial Service Authority (FSA), die jedoch später in die Financial Conduct Authority (FCA) und die Prudential Regulation Authority (PRA) aufgespalten wurde, wobei PRA, die für die Solvenzaufsicht (auch über VU) zuständig ist, dann auch noch in die britische Zentralbank, die Bank of England, eingegliedert wurde. Davon abgesehen existiert für die Aufsicht über EbAV seit 2004 (wobei es auch Vorgängerbehörden gab) mit The Pension Regulator (TPR) eine Sonderaufsichtsbehörde. Man kann also heute für England nicht mehr von einer Allfinanzaufsicht sprechen. 156 S. die Organisationsmatrix auf der Homepage der BaFin. Hierbei ist auch das Präsidium noch einmal in Organisationseinheiten, Abteilungen und Referate untergliedert, worauf aber nicht weiter eingegangen werden soll. 157 Prölss/Dreher/Redenz § 7 FinDAG Rn. 15. 325

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B. Zulassungsaufsicht 91 Wie historisch schon seit den Zeiten vor Inkrafttreten des VAG (siehe unter Rn. 5) – wenn auch nicht immer für alle Sparten – sieht das deutsche Recht für die Versicherungstätigkeit ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vor. Entsprechend bedürfen VU zur Aufnahme ihres Geschäftsbetriebes gemäß § 8 VAG (unter entsprechender Umsetzung des Art. 14 Abs. 1 Solvency II-RL) der Genehmigung durch die BaFin. Die Genehmigungsvoraussetzungen und das Verfahren sind hierbei in den §§ 8 ff. VAG niedergelegt, die weitgehend dem Genehmigungsverfahren nach §§ 5 VAG a. F. entsprechen. 92 Eine Zulassung erfolgt gemäß § 9 VAG auf Antrag,158 wobei sich der Umfang der Erlaubnis nach § 10 VAG richtet und die Versagungs- und Beschränkungsgründe sich aus § 11 VAG ergeben. Hierbei kann die Erlaubnis etwa versagt werden, wenn nach dem Geschäftsplan und weiteren Unterlagen die dauernde Erfüllbarkeit der einzugehenden Verpflichtungen nicht dargetan ist, die Geschäftsleiter oder Mitglieder des Aufsichtsrates nicht fit und proper sind, oder Inhaber bedeutender Beteiligungen (oder deren Geschäftsführer) als nicht zuverlässig anzusehen sind, die Belange der Versicherten nicht hinreichend gewahrt sind, Tatsachen vorliegen, die erwarten lassen, dass eine wirksame Aufsicht beeinträchtigt wird oder der Antrag nicht die erforderlichen Angaben und Unterlagen enthält. Ferner greift nach § 8 Abs. 2 VAG weiterhin der Rechtsformzwang, sodass nur einer AG (oder SE), einem VVaG oder einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts die Erlaubnis erteilt werden kann. Auch greift hier nach § 8 Abs. 4 VAG der Spartentrennungsgrundsatz. Hierbei ist zunächst hervorzuheben, dass das VU, wie sich aus § 10 Abs. 2 Satz 3 VAG ergibt, grundsätzlich mehrere Sparten parallel betreiben darf. Das Spartentrennungsgebot des § 8 Abs. 4 VAG erfasst vielmehr nur den Betrieb der Lebens- und der substitutiven Krankenversicherung. Diese sollen im Hinblick auf ihre soziale Bedeutung nicht mit anderen Sparten gemeinsamen betrieben werden, um sie von den Risiken jener freizuhalten. Kein Fall der Spartentrennung, aber durchaus mit dieser verwandt, ist hingegen das Gebot des § 164 Abs. 1, 2 VAG, im Falle der kombinierten Betreibung der Rechtsschutzversicherung mit anderen Sparten die Leistungsbearbeitung auf ein eigenständiges Schadensabwicklungsunternehmen zu übertragen. 93 Eine einmal erteilte Zulassung kann anders als nach dem alten Recht nicht mehr erlöschen, sondern nur noch nach § 304 VAG widerrufen werden. 94 Keiner formalen deutschen Zulassung bedürfen bereits in einem anderen EWR-Staat zugelassene VU. Für diese greift das Sitzlandprinzip bzw. hier der single licence-Grundsatz (sogenannter Europass). Hierbei ist EWR-Versicherern159 sowohl der Niederlassungs- als auch der Dienstleistungsverkehr eröffnet. Anders als noch unter § 110a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VAG a. F., der hinsichtlich der Definition des Dienstleistungsverkehrs auf das Merkmal des Abschluss über eine Mittelsperson (im Inland) abstellte, erfolgt die Abgrenzung des Dienstleistungsverkehrs vom Niederlassungsverkehr nunmehr im Schwerpunkt negativ, sodass es grundsätzlich keine Versicherung mehr gibt, die nicht entweder im Niederlassungs- oder im Dienstleistungsverkehr geschlossen wird (siehe aber zur Korrespondenzversicherung unter Rn. 98). 95 EWR-Versicherer können nach § 61 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Satz 2, Abs. 2 i. V. m. § 57 Abs. 2 VAG im Inland eine Niederlassung zum Betrieb des Versicherungsgeschäftes errichten.160 Dies erfordert allein, dass diese in ihrem Sitzland ein Notifikationsverfahren anstoßen, also bei der Sitz158 Für einen eingängigen Überblick zum Erlaubnisverfahren siehe etwa Erdmann/Kaulbach Grundzüge des Versicherungsaufsichtsrechts 17 ff.

159 Hierbei wird im Folgenden davon abgesehen, jeweils die entsprechenden Vorschriften des EWR-Abkommens zusätzlich zu zitieren; der Begriff des EWR-Versicherers gilt also pars pro toto für alle VU mit einem Sitz in einem Mitgliedstaat der EU und einem EFTA-Vertragsstaat (exklusive der Schweiz). 160 Hinsichtlich der Sonderbehandlung von Mitversicherern bei Lloyd’s, die im Rahmen des Niederlassungsverkehrs ein Risiko zeichnen, siehe jedoch § 64 VAG und die diesbezüglichen Kommentierungen. Hierbei wird diese Sonderbehandlung durch den Brexit jedoch einer Neujustierung bedürfen. Gal

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landbehörde einen entsprechenden Antrag stellen und diese der BaFin entsprechend § 61 Abs. 2 VAG i. V. m. Art. 145 Abs. 2 f. Solvency II RL (i. V. m. der jeweiligen nationalen Transformationsnorm) die notwendigen Informationen übermittelt.161 Hinsichtlich der Geschäftstätigkeit dieser Niederlassung eines EWR-Versicherers verbleibt es bezüglich der Finanzaufsicht gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 VAG bei einer alleinigen Zuständigkeit des Herkunftslandaufsehers. Hinsichtlich der Rechtsaufsicht, faktisch wird dies wohl im Schwerpunkt für die Legalitätsaufsicht in Bezug auf die Vertragsverhältnisse relevant, ist jedoch eine ergänzende Zuständigkeit der BaFin begründet. Daneben ist EWR-Versicherern ein grenzüberschreitender Geschäftsbetrieb im deutschen In- 96 land auch im Dienstleistungsverkehr gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Abs. 3, Satz 2 VAG i. V. m. § 57 Abs. 3 VAG möglich. Gestattet ist ein solcher grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr gemäß § 61 Abs. 3 VAG i. V. m. Art. 148 Abs. 1 und 2 Solvency II-RL (i. V. m. der jeweiligen nationalen Transformationsnorm) bei Durchlaufen des Notifikationsverfahrens vor der erstmaligen Aufnahme der Geschäftstätigkeit.162 Wie schon im Niederlassungsverkehr greift hier das Sitzlandprinzip, sodass die Finanzaufsicht gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 VAG beim Herkunftslandaufseher verbleibt und der BaFin nur eine ergänzende Rechtsaufsicht, typischerweise beschränkt auf eine Legalitätsaufsicht, zukommt. Soweit es um den Geschäftsbetrieb eines Drittstaatenversicherers geht, kann dieser grund- 97 sätzlich nicht im Dienstleistungsverkehr, sondern allein im Niederlassungsverkehr erfolgen. Drittstaatenversicherer bedürfen nach § 67 Abs. 1 Satz 1 VAG zur Aufnahme des Geschäftsbetriebes über eine inländische Niederlassung einer Erlaubnis durch die BaFin. Hierbei richtet sich das Erlaubnisverfahren nach § 69 VAG, wobei an den Antrag ähnliche, wenn auch reduzierte Anforderungen gestellt werden, wie an einen originären Zulassungsantrag nach § 9 VAG. Besonders relevant sind hier neben den Anforderungen an den Hauptbevollmächtigten, die Anforderungen, die an die Belegenheit der Vermögenswerte, die zur Deckung der Solvabilitätskapitalanforderungen dienen, im Inland bzw. im EWR gestellt werden. Auch wird hinsichtlich eines Bruchteils des MCR die Stellung einer festen Kaution verlangt, § 69 Abs. 2 Satz 4, 5 und 6 VAG. Soweit der Geschäftsbetrieb über die inländische Niederlassung des Drittstaatenversicherers nach § 68 VAG aufgenommen wird, greift dann hinsichtlich der laufenden Aufsicht § 67 Abs. 2 VAG, sodass hier neben den Sondervorschriften der §§ 67 ff. VAG auch sämtliche anderen Vorschriften des VAG und auch die im Solvency II-System ergehenden delegierten Rechtsakte, technischen Regulierungsstandards und technischen Durchführungsstandards entsprechend zur Anwendung gelangen. Ohne hier im Detail darauf einzugehen, wie eine solche Anwendung mutatis mutandis im Einzelfall erfolgt,163 greift also neben einer Rechtsaufsicht auch eine angepasste Finanzaufsicht.164 Ein zulassungsfreier inländischer Geschäftsbetrieb durch ausländische VU kann auch über 98 Verwendung des Instrumentes der Korrespondenzversicherung erfolgen. Bereits § 85 des Reichsgesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen165 – das heutige VAG – knüpfte die Pflicht zur Erlaubnisbeantragung beim Kaiserlichen Aufsichtsamt für Privatversicherung (KAP) daran, dass ein ausländischer VR im Inland „durch Vertreter, Bevollmächtigte, Agenten oder sonstige Vermittler“ betreiben wollte. Bereits Rehm leitete hieraus richtig ab, dass mithin nur der Inlandsbetrieb über Mittler der Aufsicht unterlag, während eine reine Korrespondenz161 Hinsichtlich der aufsichtsrechtlichen Anforderungen für die Aufnahme einer Geschäftstätigkeit über eine Niederlassung im Rahmen des Notifikationsverfahrens vgl. bspw. Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 61 VAG Rn. 17 ff.; Prölls/Dreher/Präve § 60 VAG Rn. 12 ff.; Brand/Baroch Castellvi/Baroch Castellvi § 61 VAG Rn. 14 ff.; Prölss/ Dreher/Grote § 61 VAG Rn. 37 ff. und 41 ff. 162 So Prölss/Dreher/Grote § 61 VAG Rn. 47; Brand/Baroch Castellvi/Baroch Castellvi § 61 VAG Rn. 20. 163 S. hierzu mit einem guten Überblick Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 67 VAG Rn. 68 ff.; Prölss/Dreher/ Grote § 67 VAG Rn. 78 ff. 164 Vgl. hierzu einführend Prölss/Dreher/Grote § 68 VAG Rn. 13 ff. 165 Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen v. 12.5.1901 RGBl. v. 22.5.1901, S. 139. 327

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versicherung aufsichtsfrei bleiben musste.166 Auch die Motive zum VAG stellten klar, dass „zu dem lediglich im Korrespondenzwege zu betreibenden Geschäfte […] es einer Erlaubnis nicht [bedarf]“.167 Das Konzept der aufsichtsfreien Korrespondenzversicherung war seit jeher nicht auf EWR-Versicherer beschränkt, sondern fand schon immer auf alle ausländischen VU Anwendung.168 Für die Versicherung durch Drittstaatenversicherer würde dieser aufsichtsrechtliche Grundsatz jedoch (zumindest heute) noch weit bedeutsamer sein. Während er den EWR-Versicherer lediglich von der Notifikationspflicht und der resultierenden laufenden Rechtsaufsicht durch die Tätigkeitslandsbehörde freistellt, ermöglicht er Drittstaatenversicherern überhaupt erst, im Dienstleistungsverkehr zu kontrahieren. Und so erforderten § 105 Abs. 2 Satz 1 (für Drittstaatenversicherer) und § 110a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VAG a. F. (für EWR-Versicherer) und ihre Vorgängernormen bis 2016 jeweils nur für einen solchen Dienstleistungsbetrieb im Inland eine Erlaubnis, der über Mittelspersonen erfolgen sollte. Obgleich dies in den letzten Jahren im Hinblick auf die Online-Versicherung vermehrt rechtspolitische hinterfragt wurde,169 verblieb es mithin beim Konsens, dass zumindest die reine Korrespondenzversicherung in Abgrenzung zum Dienstleistungsverkehr, der definitorisch die Einbindung einer inländischen Mittelsperson erforderte, aufsichtsfrei blieb.170 Unklar ist jedoch, ob und wie dies nach Umsetzung der Vollharmonisierungsrichtlinie171 Solvency II fort gilt. Zumindest die Bundesregierung geht ausweislich ihrer Begründung des Regierungsentwurfes der zehnten VAG-Novelle von einer fortwährenden Freistellung der Korrespondenzversicherung aus, da dies zur Einhaltung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung im Rahmen der Position Deutschlands zum OECD-Kodex der Liberalisierung der laufenden unsichtbaren Operationen172 notwendig sei.173 Die wohl herrschende Meinung geht hieran anschließend davon aus, dass die Korrespondenzversicherung weiterhin aufsichtsfrei bleibt.174 Auch die BaFin vertritt zumindest für die Rückversicherung die Ansicht, dass eine aufsichtsfreie Versicherung im Korrespondenzwege möglich sei.175 Anstatt auf die Mittelsperson ist nunmehr wohl richtig auf die Initiative des VN hinsichtlich der unmittelbaren Ansprache an den ausländischen VR abzustellen. Der unterliegende Grund für die Freistellung der reinen Korrespondenzversicherung lag seit jeher darin, dass der VN sich bewusst auf einen fremden

166 Rehm Reichsgesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen v. 12. Mai 1901, 3. Aufl. 1911, § 85 Anm. 4. 167 S. Mot. VAG S. 53. 168 Dies zeigt sich bereits darin, dass die bis zur 10. Novelle des VAG geltende Definition der Korrespondenzversicherung zu einer Zeit entwickelt wurde, als es noch keine Sondervorschriften zur Dienstleistungsfreiheit von EWRVersicherern gab; siehe Hartung VerBAV 1961 85, 86; vgl. auch BAV, Geschäftsbericht 1966, S. 52 und 53. Diese Freistellung von der Aufsicht galt mithin wie selbstverständlich für alle ausländischen VR unabhängig von ihrem Sitzstaat. 169 Schon Prölss/Schmidt/Frey10 § 105 VAG Rn. 5 (zum Abschluss über BTX); sehr kritisch und zmd. in der Tendenz für eine Ausklammerung der Online-Versicherung aus der Korrespondenzversicherung Hübner ZVersWiss 2001 351; Spindler VersR 2002 1049; Mankowski VersR 1999 923; a. A. insb. Winter VersR 2001 1561. 170 S. zur Korrespondenzversicherung allgemein bspw. Bähr/Bähr/Püttgen § 3 Rn. 93 ff.; Bähr/Schöps § 7 Rn. 24 ff.; Langheid/Wandt/Gause1 AufsichtsR Rn. 417; Winter Versicherungsaufsichtsrecht S. 518 ff.; vertieft Preuss Grenzüberschreitender Versicherungsverkehr 25 ff.; Gal VersR 2020 948. 171 Die Solvency II-RL ist zumindest in weitem Umfang eine Vollharmonisierungsrichtlinie; siehe zu den Ausnahmen etwa die Auflistung bei Dreher/Lange VersR 2011 825, 828 f. 172 Code of Liberalisation of Current Invisible Operations (2019), abrufbar unter http://www.oecd.org. 173 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 255. 174 Prölss/Dreher/Präve § 1 VAG Rn. 49; Prölss/Dreher/Grote § 61 VAG Rn. 25 ff.; Gal VersR 2020 948, 955; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 61 VAG Rn. 9 ff. (allerdings nur für EWR-Versicherer, die auch OECD-Mitgliedsstaat sind); stark eingrenzend Brand/Baroch Castellvi/Baroch Castellvi § 61 VAG Rn. 8 ff. 175 BaFin, Auslegungsentscheidung „Betrieb des Rückversicherungsgeschäfts im Inland durch Versicherer mit Sitz in [sic!] Drittstaat“ v. 30.8.2016, dort unter der Überschrift „Ausnahmen von der Erlaubnispflicht“; sehr kritisch hierzu Püttgen/Maur VW 2016, Heft 10, 30, 32; etwas „milder“ Baltzer VW 2016, Heft 12, 26; Isenbart VW 2017, Heft 11, 20 bezeichnet dies als restriktive Voraussetzungen. Gal

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Markt begibt und insofern auch keines Schutzes bedarf.176 Entsprechend nimmt die Bundesregierung (wohl) an, dass die Abgrenzung zwischen der aufsichtsfreien Korrespondenzversicherung und den sonstigen Versicherungen im Dienstleistungsverkehr am Merkmal der Initiative zu erfolgen hat.177 Die BaFin sieht zumindest für die Korrespondenzversicherung im Rückversicherungsbetrieb auch das Merkmal der Initiative des VN (bzw. hier des Zedenten) für prägend an, hält daneben aber auch noch (bedenklich kategorisch) am Merkmal der fehlenden inländischen Vermittlung fest.178

C. Laufende Aufsicht Die laufende Aufsicht gliedert sich im reformierten Recht im Wesentlichen in drei Bereiche, 99 nämlich die quantitativen, qualitativen und Transparenzanforderungen, wobei diese jeweiligen Bereiche im Rahmen der Gruppenaufsicht noch eine Erweiterung erfahren.

I. Quantitativen Anforderungen Die neuen quantitativen Anforderungen an die Finanzausstattung der VU bilden − wie bereits 100 der Terminus Solvabilität II nahelegt179 − den Kern des Reformwerks des Solvency II-Regimes.180 Unter Solvency II muss das VU neben dem handelsrechtlich vorgegebenen Jahresabschluss eine zusätzliche, nach originär aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu fertigende Solvabilitätsübersicht – häufig anschaulicher als Solvenzbilanz bezeichnet181 – erstellen. Zu den Regeln der ersten Säule des Solvency II-Regimes zählen die diesbezüglichen Vorschriften über die Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten (vor allem der versicherungstechnischen Rückstellungen) in der Solvabilitätsübersicht sowie die Regeln zur Kalkulation der Solvabilitätsund Mindestkapitalanforderung und ihrer Bedeckung mit Eigenmitteln. Darüber hinaus sieht Solvency II auch einen grundlegend novellierten Rechtsrahmen für die Kapitalanlage vor. Zentrale Frage der Solvabilitätsprüfung ist, ob die Eigenmittel (sofern sie anrechenbar 101 sind, vgl. dazu sogleich Rn. 102) eine Bedeckung der Solvabilitätskapitalanforderung (Solvency Capital Requirement, SCR) und der Mindestkapitalanforderung (Minimum Capital Requirement, MCR), die ein Teilbetrag des SCR ist, gewährleisten. Das SCR (siehe dazu Rn. 110 ff.) dient gleichsam als Risikopuffer und soll das Unternehmen in die Lage versetzen, im Betrachtungsjahr seinen Verpflichtungen gegenüber den VN auch unter adversester Entwicklung des Geschäftsumfeldes nachzukommen. Es ist mindestens jährlich − an der konkreten Risikosituation des Unternehmens orientiert − zu berechnen. Die Kalkulation geschieht entweder auf Grundlage 176 Vgl. KG Berlin 2.10.1998 – 5 Ws (B) 406/98, VersR 1999 173, 174; Langheid/Wandt/Gause1 AufsichtsR Rn. 417; Bähr/Bähr/Püttgen § 3 Rn. 93; Bähr/Schöps § 7 Rn. 25; Fleischmann VersR 1961 769, 770; Gal VersR 2020 948, 955.

177 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 255.; siehe zur früheren Einordnung der Online-Versicherung als Korrespondenzversicherung bspw. Bähr/Bähr/Püttgen § 3 Rn. 99; Winter VersR 2001 1461, 1461 ff.; ders. Versicherungsaufsichtsrecht 520 ff. 178 BaFin, Auslegungsentscheidung „Betrieb des Rückversicherungsgeschäfts im Inland durch Versicherer mit Sitz in [sic!] Drittstaat“ v. 30.8.2016, dort unter der Überschrift „Ausnahmen von der Erlaubnispflicht“; sehr kritisch hierzu Püttgen/Maur VW 2016, Heft 10, 30, 32; etwas „milder“ Baltzer VW 2016, Heft 12, 26; Isenbart VW 2017, Heft 11, 20 bezeichnet dies als restriktive Voraussetzungen. 179 Vgl. aber zur Gefahr eines Missverständnisses der Kurzbezeichnung „Solvabilität II“ im Sinne einer vermeintlich ausschließlichen Erstreckung auf Kapitalanforderungen bereits Bürkle WM 2012 878, 878. 180 Einen empfehlenswerten frühen Kurzüberblick über die Regelungen der ersten Säule unter Solvency II gibt Lüttringhaus EuZW 2011 822, 824 ff.; detailliertere heute insbesondere Heukamp Versicherungsaufsichtsrecht nach Solvency II § 2 Rn. 1–112; Gründl/Kraft/Gründl/Schlütter S. 39–48; Gründl/Kraft/Post S. 48–58; Gründl/Kraft/Schulze S. 58–88; Dreher Treatises on Solvency II 99 ff. 181 Vgl. Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 13. 329

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der gesetzlich vorgegebenen sog. Standardformel oder anhand eines vom Unternehmen selbst entwickelten, genehmigungsbedürftigen sog. internen Modells, wobei auch interne Teilmodelle implementiert werden können. Das MCR (siehe dazu unter Rn. 119 f.) beträgt zwischen 25 % und 45 % des SCR und markiert gleichsam die aufsichtsrechtliche Todeslinie für das Unternehmen, also die absolute Untergrenze für sein Verbleiben am Markt. Es wird in Anlehnung an das SCR, aber mindestens vierteljährlich und nach erheblich einfacheren Grundsätzen ermittelt. 102 Wie oben angedeutet kann nicht jeder Eigenmittelbestandteil uneingeschränkt zur Bedeckung der beiden Eigenmittelanforderungen herangezogen werden. Die Eigenmittelpositionen sind entsprechend dem Grad ihrer Verlustausgleichsfähigkeit drei Qualitätsstufen (tiers) zuzuordnen (sog. tiering); Eigenmittel der zweiten und dritten Qualitätsstufe können zur Bedeckung von SCR und MCR nur eingeschränkt, teilweise überhaupt nicht eingesetzt werden (siehe dazu unter Rn. 121 ff.). 103 Wird das SCR unterschritten, stehen der Aufsicht in dem durch die SCR- und die MCRSchwelle markierten Korridor verschiedene Interventionsmaßnahmen zu − man spricht auch anschaulich vom „Werkzeugkasten“ der Aufsicht bzw. dem supervisory tool kit; vor allem entstehen auch verschiedene Pflichten des Unternehmens. Dabei fällt die Eingriffsintensität der jeweils zulässigen Maßnahmen und die aus den jeweiligen Pflichten erwachsende Beschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit umso höher aus, je schlechter die Solvabilitätslage des Unternehmens ist (sog. Aufsichtsleiter, siehe dazu unter Rn. 73 ff.).

1. Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten 104 In der Solvabilitätsübersicht sind die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten nach den Vorgaben der §§ 74–78 VAG marktnah, ökonomisch zu bewerten (fair value-Bewertung).182 Ihre Bewertung orientiert sich − in Anlehnung an die IFRS/IAS-Definition des beizulegenden Zeitwerts − an dem Betrag, zu dem sie aktuell zwischen „sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern“ getauscht (bei Vermögenswerten) oder übertragen respektive beglichen (bei Verbindlichkeiten) werden könnten (§ 74 Abs. 2, 3 VAG). Die Bewertung orientiert sich im Grundsatz an den IFRS/IAS-Normen, soweit diese im Einzelfall eine aus Aufsichtssicht angemessene ökonomische Bewertung gewährleisten.183 Die starke Orientierung an Markt- und Zeitwerten bewirkt eine hohe Schwankungsanfälligkeit, vor allem des Eigenmittelniveaus und wird der Langfristigkeit vieler Geschäftsmodelle im Versicherungsbereich nicht immer gerecht. Darüber hinaus kann eine marktnahe Bewertung in Krisenzeiten prozyklisch, als „Brandbeschleuniger“ wirken. Daher sehen die Bewertungsvorgaben (wie auch einzelne Kalkulationsvorgaben für die Solvabilitätskapitalanforderung) verschiedene Korrekturmechanismen vor.184 105 Da für Vermögenswerte häufig Börsen- und Marktpreise verfügbar sind oder anerkannte Berechnungsmethoden vorliegen, kann ihr fair value regelmäßig zuverlässig bestimmt werden. Für versicherungstechnische Verpflichtungen existieren hingegen keine aktiven Märk-

182 VU sind somit nunmehr gezwungen, eine fair value-Bilanz zu erstellen, was viele kleine und mittlere Unternehmen, die sich in der Vergangenheit ausschließlich für einen Jahresabschluss nach HGB entschieden haben, eine erhebliche Umstellung und Herausforderung bedeutet (Rockel/Helten/Ott/Sauer Versicherungsbilanzen, 3. Aufl. 2012, 4.1.). 183 EU Kommission QIS 5 Technical Specifications, 5.7.2010, Rn. V.4. Die Kommission hat bereits für QIS 5 verschiedene asset- und liability-Bestandteile aufgelistet, bei denen eine Anwendung der IFRS-Ansätze als nicht angemessen angesehen wird und für diese Fälle alternative, Solvency II-spezifische Bewertungsansätze formuliert (vgl. EU Kommission QIS 5 Technical Specifications, 5.7.2010, Rn. V.1.4. [S. 10–19]); daran hat sich auch unter der Solvency IIDVO nichts geändert. 184 Vgl. dazu auch Lüttringhaus EuZW 2011 822, 825. Gal

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te185 − ihre Bewertung gestaltet sich problematischer (dazu unter Rn. 106 ff.). Durch die starke Orientierung an den Grundsätzen der IFRS/IAS soll eine weitgehende Harmonisierung von Aufsicht und Rechnungslegung erreicht und die Verwendung gleicher Zahlen für Rechnungslegungs- und Aufsichtszwecke („single set of accounts“) ermöglicht werden.186 Insofern eignet sich vor allem eine nach IFRS erstellte Bilanz als Grundlage für die Fertigung der Solvabilitätsübersicht. Die Solvabilitätsübersicht kann aber auch aus einem HGB-Abschluss oder einem vergleichbaren bilanziellen Jahresabschluss abgeleitet werden. Die Unterschiedlichkeit in der Bewertung macht in diesen Fällen jedoch erhebliche Modifikationen erforderlich.187

2. Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen In der Solvabilitätsübersicht sind für sämtliche Versicherungsverpflichtungen gegenüber VN 106 und Anspruchsberechtigten versicherungstechnische Rückstellungen zu bilden (§ 75 Abs. 1 VAG). Kommt das Unternehmen dieser Pflicht nicht nach, kann die Aufsicht unter anderem die freie Verfügung über die Vermögenswerte untersagen (§ 133 Abs. 1, vgl. auch unter Rn. 77).188 Die Höhe der versicherungstechnischen Rückstellungen entspricht gemäß § 75 Abs. 2 VAG dem Betrag, den das VU zum Betrachtungszeitpunkt zahlen müsste, um seine vertraglichen Rechte und Pflichten auf ein anderes VU zu übertragen (sogenannter aktueller Veräußerungswert, current exit value). Er wird durch die erwarteten ein- und ausgehenden Zahlungsströme bestimmt, die das Vertragsportfolio bis zum Zeitpunkt seiner vollständigen Abwicklung wahrscheinlich produzieren wird.189 Zur Ermittlung ihres Zeitwertes sind die ermittelten Zahlungsströme gemäß § 81 VAG i. V. m. Artt. 52 ff. Solvency II-DVO mit dem risikolosen Marktzins zu diskontieren.190 Der Grundansatz der Bewertung eines einzelnen Zahlungsstroms hängt davon ab, ob ihm 107 absicherbare Risiken zugrunde liegen (sog. hedgable risks, die zumindest indirekt einen Rückgriff auf Marktwerte erlauben, § 76 Abs. 2 VAG), sodass der Wert für das segmentierte Portfolio in seiner Gesamtheit berechnet werden kann, oder nicht-absicherbare Risiken (sog. non-hedgable risks, die nur eine Wertermittlung im Modellwege gestatten, §§ 76 Abs. 1, 77 f. VAG). Hierbei spielen hedgable risks für deutsche VU generell keine bedeutende Rolle.191 Bei solchen Verpflichtungen, denen nicht-absicherbare Risiken zugrunde liegen, sind mangels Anknüpfbarkeit

185 Hingewiesen sei aber auf die wachsende Bedeutung von Insurance Linked Securities (ILS), die versicherungsspezifische Zahlungsströme in handelbare Wertpapiere verbriefen, und andere Formen des alternativen Risikotransfers (vgl. dazu Swiss Re [Hrsg.], The fundamentals of Insurance-linked securities, 2011; Weber-Rey/Rhiel ZVersWiss 2011 245 ff.). 186 Vgl. Schradin/Ehrlich QIS 4 (2009) 3. 187 EU Kommission QIS 5 Technical Specifications, 5.7.2010, Rn. V.15; zustimmend auch Schüller/Mitzner ZHR 175 (2011) 338, 342. 188 Verwiesen sei darüber hinaus auf § 88 Abs. 2 VAG. 189 Vgl. bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 16; siehe aktueller Brand/Baroch Castellvi/ Axer § 75 VAG Rn. 12 ff.; siehe ergänzend insb. auch Artt. 17 f. Solvency II-DVO. 190 Vgl. zu den Vor- und Nachteilen der Abzinsung weiterführend IASB, Preliminary Views on Insurance Contracts, Part 1 (Mai 2007), Rn. 63 ff.; zur Eignung bspw. auch Prölss/Dreher/Kölschbach/Hammers/Reich § 81 VAG Rn. 17 ff. Anstatt einer Matchinganpassung kann nach § 82 VAG auch eine Volatilitätsanpassung vorgenommen werden. 191 Solche absicherbaren Risiken liegen vor, wenn sie durch Erwerb und Veräußerung von in aktiven Märkten gehandelten Finanzinstrumenten effektiv neutralisiert werden können. In diesem Fall werden also nicht die jeweiligen Versicherungsverbindlichkeiten selbst auf aktiven Märkten gehandelt, die jeweiligen Zahlungsströme lassen sich aber auf Grundlage der dort gehandelten Finanzinstrumente verlässlich nachbilden; vgl. Schradin/Ehrlich QIS 4 (2009) 9; Prölss/Dreher/Kölschbach/Hammers/Reich § 76 VAG Rn. 6 („replizieren“). Solche absicherbaren Risiken liegen nur relativ selten vor, etwa wenn die Verpflichtung des VU in der Übertragung eines Portfolios besteht oder ein ausgehender Zahlungsstrom ausschließlich auf dem Marktwert eines Portfolios zu einem bestimmten Zeitpunkt basiert (wie bei den im britischen Raum verbreiteten, rein fondsgebundenen Lebensversicherungspolicen); so bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 16 f. 331

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an Marktpreise kompliziertere Berechnungen erforderlich. Der fair value ist gemäß §§ 76 Abs. 1, 77 f. VAG modellbasiert als Summe eines besten Schätzwertes (best estimate) und einer Risikomarge (risk margin) zu ermitteln.192 108 Der beste Schätzwert soll den Gesamtwert der Verbindlichkeiten mit Blick auf alle erwarteten Zahlungsströme abbilden. Umfasst werden sämtliche künftigen Ein- und Auszahlungen bis zur vollständigen Geschäftsabwicklung aller am Bewertungsstichtag abgeschlossenen Versicherungsverträge. Der beste Schätzwert entspricht somit nach § 77 Abs. 1 VAG dem wahrscheinlichkeitsgewichteten Durchschnitt künftiger Zahlungsströme unter Berücksichtigung ihres erwarteten Barwerts und unter Verwendung der maßgeblichen risikofreien Zinskurve.193 Im Rahmen der best estimate-Bestimmung gestattet Art. 56 Nr. 2, 3, 4 Solvency II-DVO die Nutzung vereinfachter Berechnungsmethoden, wenn Art, Umfang und Komplexität der involvierten Risiken dies zulässt.194 Auf vereinfachte Methoden kann auch zurückgegriffen werden, wenn das Unternehmen nicht über genügend Datenmaterial ausreichender Qualität verfügte, um sophistiziertere Methoden anwenden zu können.195 109 Mit der Erfordernis der Hinzurechnung einer Risikomarge soll das Risiko kompensiert werden, dass die Rückstellungsbildung deshalb unzureichend ist, weil die Berechnung des besten Schätzwertes der Verpflichtungen – wie der Name schon sagt – auf Grundlage einer Schätzung erfolgt.196 Da die stochastische Modellierung der Zahlungsströme mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist, würde kein Unternehmen die Versicherungsverpflichtungen zum Preis des unsicherheitsbehafteten besten Schätzwertes übernehmen. Die Risikomarge stellt − im Sinne einer marktorientierten Bewertung − sicher, dass die Höhe der versicherungstechnischen Rückstellungen dem Betrag entspricht, den ein Unternehmen realiter vernünftigerweise aufschlagen würde, um die Verpflichtungen zu übernehmen.197 Hinsichtlich der Berechnungsmethode hat sich der europäische Gesetzgeber für den Kapitalkosten- bzw. cost-of-capitalAnsatz entschieden; die Höhe der Risikomarge muss nach § 78 Abs. 3 VAG den Kapitalkosten des Eigenmittelbetrages entsprechen, der notwendig ist, um die aus den versicherungstechnischen Verpflichtungen folgende Solvenzkapitalanforderung zu bedecken.198 192 Zöbisch Solvency II: Risikoadäquanz von Standardmodellen 111; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle § 76 VAG Rn. 2. 193 Zur Abzinsung der künftigen Zahlungsströme siehe bereits unter Fn. 190. Der beste Schätzwert ist brutto, also ohne Abzug der aus Rückversicherungsverträgen und von Zweckgesellschaften einforderbaren Beträge (recoverables) zu berechnen, die gesondert zu kalkulieren sind (§ 77 Abs. 4 VAG; vgl. auch Ksion, QIS 5 Technical Specifications, 5.7.2010, Rn. TP.1.4.); vgl. bspw. Brand/Baroch Castellvi/Axer § 75 VAG Rn. 77 ff. 194 So bereits vorher unter QIS 5; siehe Ksion, QIS 5 Technical Specifications, 5.7.2010, Rn. TP.1.6.; vgl. hierzu Prölss/Dreher/Kölschbach/Hammers/Reich § 75 VAG Rn. 24. 195 Dies kann etwa bei Neuaufnahme des Versicherungsgeschäfts bzw. einer Sparte der Fall sein oder wenn nur ein geringer Vertragsbestand vorliegt; so bereits Schradin/Ehrlich QIS 4 (2009) 12; Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 17 a. E.; dies dürfte auch heute generell unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes richtig sein; allgemein zur geforderten Datenqualität Prölss/Dreher/Kölschbach/Hammers/Reich § 79 VAG Rn. 6 ff. 196 Diese Zielsetzung ist v. Zweck des ebenfalls als Risikopuffer fungierenden SCR abzugrenzen. Das SCR adressiert lediglich die Risiken eines Geschäftsjahres infolge unerwarteter Änderungen des Geschäftsumfeldes (siehe dazu bspw. Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Stahl § 96 VAG Rn. 9 ff.). Die Risikomarge soll hingegen das Risiko erfassen, dass sich die Rückstellungsbildung bis zur vollständigen Abwicklung des Gesamtportfolios ohne die Berücksichtigung unerwarteter Ereignisse deshalb als unzureichend herausstellt, weil die Zahlungsströme im Modellwege bestimmt wurden (IASB, Preliminary Views on Insurance Contracts, Part 1 [Mai 2007], Rn. 86; Schradin/Ehrlich QIS 4 (2009) 8; Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 18; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle § 78 VAG Rn. 2). 197 So auch Regierungsbegründung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, BR-Drucks. 90/12 S. 287; Zöbisch Solvency II: Risikoadäquanz von Standardmodellen 111; Brand/Baroch Castellvi/Axer § 78 VAG Rn. 3, der auch richtig darauf hinweist, dass es sich im Wesentlichen um ein theoretisches Konzept handelt, da es im Schwerpunkt keinen Markt für solche Transaktionen gibt; wobei im Rahmen einer Bestandsübertragung durchaus auch eine Übertragung des Gesamtportfolios möglich ist. 198 Die genaue Höhe des Kapitalkostensatzes wird auf der zweiten Lamfalussy-Regelungsebene niedergelegt (§ 78 Abs. 2 Satz 3 VAG); entsprechend sind hier Art. 37 Abs. 2 und für Vereinfachungen Art. 58 Solvency II-DVO anzuwenden. 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3. Solvabilitätskapitalanforderung Die Solvabilitätskapitalanforderung (Solvency Capital Requirement, SCR) ersetzt die früher in 110 § 53c VAG a. F. geregelte Solvabilitätsspanne.199 Während sich die Kalkulationsvorgaben der Solvabilitätsspanne nur sehr begrenzt am tatsächlichen Risikoprofil des Unternehmens orientierten,200 ist das SCR unter Einbeziehung aller Risiken, denen das Unternehmen ausgesetzt ist, auf Grundlage der im VAG in Grundzügen niedergelegten Standardformel (§§ 96−110 VAG) oder eines vom Unternehmen selbst entwickelten internen Modells (§§ 111−121 VAG) zu berechnen. Sie dient als Risikopuffer gegen unerwartete Veränderungen im Geschäftsumfeld und soll gewährleisten, dass im Berechnungsjahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,5 % (sogenanntes Konfidenzniveau) keine Insolvenz des Unternehmens eintritt. Unterschreitet der Betrag der anrechnungsfähigen Eigenmittel die Solvabilitätskapitalanforderung stellt dies − je nach Grad der Unterschreitung − noch keinen per se existenzbedrohlichen Zustand dar, sofern sich das Unternehmen noch über der Höhe des Betrages der Mindestkapitalanforderung bewegt.201 Das SCR ist gemäß § 98 Abs. 1 VAG mindestens jährlich − an der konkreten Risikosituation des Unternehmens orientiert − zu berechnen.202

a) Standardformel. Die gesetzlich vorgegebene Standardformel bezieht holistisch das ge- 111 samte Risikoprofil des Unternehmens ein, also sämtliche wesentlichen, quantifizierbaren Risiken, denen das Unternehmen im Geschäftsbetrieb ausgesetzt ist. Die Gesamtheit der Risiken wird gemäß § 97 Abs. 3 VAG in sechs Risikomodule untergliedert (modularer Ansatz).203 Die Risiken, die sich spezifisch aus dem Versicherungsgeschäft ergeben (versicherungstechnische Risiken, vergleiche § 7 Nr. 32 VAG), sind den drei Risikomodulen zum nichtlebensversicherungs-, lebensversicherungs-, und krankenversicherungstechnischen Risiko zugeordnet. Die übrigen Risiken werden von den Risikomodulen des Marktrisikos,204 des Gegenparteiausfallrisikos205 und des operationellen Risikos206 abgedeckt.207

199 Anders als der Begriff nahelegt, handelt es sich bei der Solvabilitätsspanne nicht um eine Bandbreite, sondern einen festen Kapitalbetrag − der Begriff selbst wird von Kaulbach (Fahr/Kaulbach/Bähr/Kaulbach5 § 53c VAG Rn. 4) daher in erfrischender Einprägsamkeit als „Sprachmüll der Brüsseler Art“ bezeichnet. 200 Vgl. weiterführend Prölss/Lipowsky12 § 53c VAG Rn. 5 ff. 201 Vgl. BR-Drucks. 430/14 S. 338 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 288. Die SCR-Schwelle dient vielmehr dazu, „ein angemessenes und zeitiges Eingreifen der Aufsichtsbehörden sicherzustellen“ (Erwägungsgrund 60). 202 Vgl. Brand/Baroch Castellvi/Axer § 98 VAG Rn. 1; Prölss/Dreher/Ellenbürger/Dotterweich/Hammers § 98 VAG Rn. 4 ff.; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Stahl § 98 VAG Rn. 1; wobei jedoch die Berechnung und Meldung typischerweise quartalsmäßig zu erfolgen hat; siehe zu den Berichtspflichten auch Artt. 304 ff. Solvency II-DVO. 203 Vgl. überblickhaft Prölss/Dreher/Ellenbürger/Dotterweich/Hammers § 97 VAG Rn. 6 ff.; Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 263; bereits vorher Regierungsbegründung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, BR-Drucks. 90/12 S. 291. Zusätzlich ist eine Anpassung für die Verlustausgleichsfähigkeit der versicherungstechnischen Rückstellungen und latenten Steuern vorzunehmen (§ 90 Nr. 3 i. V. m. § 99 VAG). 204 Das Modul hat dem Risiko Rechnung zu tragen, das sich aus der Höhe oder der Volatilität der Marktpreise von Finanzinstrumenten ergibt, die sich auf die Bewertung des Vermögens und der Verbindlichkeiten des Unternehmens auswirken (§ 104 Abs. 1 VAG, vgl. auch § 7 Nr. 20 VAG). 205 Das Gegenparteiausfallrisikomodul trägt möglichen Verlusten Rechnung, die sich aus einem unerwarteten Ausfall oder der Bonitätsverschlechterung einer Gegenpartei (beispielsweise Rückversicherer, Versicherungsvermittler oder Schuldner aus Kreditverbriefung bzw. Derivat) ergeben (§ 105 Abs. 1 VAG). 206 Das operationelle Risiko umfasst das Verlustrisiko, das sich aus der Unangemessenheit oder dem Versagen von internen Prozessen, Mitarbeitern oder Systemen oder durch externe Ereignisse ergibt (§ 7 Nr. 24 VAG). 207 Die Module für die versicherungstechnischen Risiken, das Marktrisikomodul und das Gegenparteiausfallrisiko werden in einem Zwischenschritt zur sog. Basissolvenzkapitalanforderung (Basis-SCR) aggregiert (§ 99 Nr. 1 VAG i. V. m. § 100 VAG), um sodann in einem zweiten und dritten Schritt unter Einbeziehung des operationalen Risikos 333

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Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen

Die genannten Risikomodule werden weiter in zahlreiche Submodule unterteilt.208 Auf der zweiten Lamfalussy-Regelungsebene der Solvency II-DVO werden auch diese Submodule ausgeführt und ihrerseits in weitere Subkategorien bzw. Risikoarten (dort wiederum als Untermodule bezeichnet) untergliedert.209 Auf der untersten Ebene wird die Risikomessung bzw. -modellierung auf Basis faktorbasierter oder szenariobasierter Ansätze vorgenommen. Die Ergebnisse in den jeweiligen Subkategorien werden dann (unter Berücksichtigung der zwischen den Risiken bestehenden Abhängigkeitsstrukturen) jeweils zum nächsthöheren (Sub-)Modul zusammengeführt und schließlich auf der höchsten Stufe zur Gesamtsolvenzkapitalanforderung aggregiert (sog. bottom-up-Ansatz).210 113 Im Bereich der versicherungstechnischen Module kann das Unternehmen unter bestimmten Umständen − und nach entsprechender Genehmigung − die in der Standardformel verwendeten Marktparameter durch unternehmensspezifische Parameter (USP) ersetzen, die auf Basis unternehmensinterner Daten oder geeigneter externer Daten kalibriert werden und daher die tatsächliche Risikoexposition des Unternehmens besser abbilden.211 Umgekehrt kann die Aufsichtsbehörde, wenn das Risikoprofil des Unternehmens wesentlich von den Annahmen abweicht, die der Standardformel zugrunde liegen, die Verwendung unternehmensspezifischer Parameter verlangen (§ 110 VAG), um so eine risikoadäquate Kapitalanforderung herbeizuführen. USP haben für die Unternehmen somit in zweierlei Hinsicht Vorteile: Ist das tatsächliche Risikoprofil des Unternehmens niedriger als von der Standardformel zugrunde gelegt, können durch USP die Kapitalanforderungen gesenkt werden; ist das tatsächliche Risikoprofil dagegen höher, kann das Unternehmen mittels USP die Vorgaben des Standardmodells korrigieren, ohne den erheblich strengeren und kostenintensiveren qualitativen Anforderungen des internen Teilmodells ausgesetzt zu sein.212 114 § 109 Abs. 1 VAG erlaubt VU, in einzelnen Risikomodulen oder Untermodulen vereinfachte Berechnungsverfahren (simplified methods bzw. simplifications) zu nutzen, sofern Art, Umfang und Komplexität der Risiken im jeweiligen Modul bzw. Untermodul dies rechtfertigen, es also unangemessen wäre, vom Unternehmen eine Kalkulation nach der Standardformel zu verlangen. In der Regierungsbegründung des ersten (nicht verabschiedeten) Entwurfes wurde noch einschränkend von „standardisierte[n] Vereinfachungen für kleine und mittlere Unterneh112

und dann einer Anpassung (adjustments) wegen risikomindernder Wirkungen der Überschussbeteiligungen und latenten Steuern zum (Gesamt)-SCR zusammengezogen zu werden; vgl. bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 20. 208 Das Marktrisikomodul beispielsweise setzt sich (mindestens) aus den Untermodulen Zinsänderungsrisiko, Aktienrisiko, Immobilienrisiko, Spread-Risiko und Wechselkursrisiko zusammen (§ 104 Abs. 2 Satz 1 VAG). 209 S. Artt. 114–204 Solvency II-DVO. So wird beispielsweise das dem nichtlebensversicherungstechnischen Risikomodul zugehörige Submodul (nichtlebensversicherungstechnisches) Katastrophenrisikio gemäß Art. 119 Abs. 1 Solvency II-DVO unterteilt in die Untermodule Naturkatastrophenrisiko, Katastrophenrisiko von nichtproportionaler Sachrückversicherung, Risiko v. Menschen verursachter Katastrophen (sog. man-made-Katastrophen) und sonstiges Nichtlebenskatastrophenrisiko. Das Untermodul Naturkatastrophenrisiko wird dann beispielsweise weiter durch Art. 120 Abs. 1 Solvency II-DVO untergliedert in die Untermodule Sturmrisiko, Erdbebenrisiko, Überschwemmungsrisiko, Hagelrisiko und Bodensenkungsrisiko. 210 Vgl. Zöbisch Solvency II: Risikoadäquanz von Standardmodellen 163 ff.; siehe detailliert hierzu auch mit Blick auf unternehmensspezifische Parameter (USP) und vereinfachte Berechnungsverfahren (sog. simplifications) Gal/ Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 20 f. 211 § 109 Abs. 2 VAG. Die Möglichkeit zur Verwendung von USP hängt vor allem davon ab, ob das Unternehmen über genügend Datenmaterial ausreichender Qualität verfügt (vgl. CEIOPS, Advice for Level 2 […] Undertakingspecific parameters, CEIOPS-DOC-71/10, Rn. 3.1.3.3. ff.). Gerade kleine und mittlere Unternehmen − denen unternehmensspezifische Parameter eine weniger belastende Alternative zum internen Teilmodell eröffnen sollen − werden sich in dieser Hinsicht vor Probleme gestellt sehen. Hierbei spezifiziert Art. 218 Solvency II-DVO welche Standardparameter durch USP ersetzt werden dürfen und Art. 219 Solvency II-DVO welche (hohen) Anforderungen an die Daten zu stellen sind. 212 Vgl. aber zur Gefahr, durch die Nutzung von USP gezielt die qualitativen Anforderungen an ein internes Modell zu umgehen, auch CEIOPS, Advice for Level 2 […] Undertaking-specific parameters, CEIOPS-DOC-71/10, Rn. 3.12. Gal

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men“213 (sog. kmU) gesprochen, was prima facie dahingehend ausgelegt werden könnte, dass Nicht-kmU die Nutzung vereinfachter Berechnungsmethoden verwehrt sei. Eine solche Beschränkung auf kleine und mittlere Unternehmen ergibt sich aber weder aus § 109 Abs. 1 VAG noch aus dem § 109 Abs. 1 VAG zugrundeliegenden Art. 109 Solvency II-RL.214 Auch dieser lässt vereinfachte Methoden dann zu, „wenn die Wesensart, der Umfang und die Komplexität der Risiken dies rechtfertigen“. Die Frage der Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)215 bestimmt sich − als Teilaspekt der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne − nach Art. 29 Abs. 3 Solvency II-RL ausschließlich mit Blick auf das Risikoprofil (vgl. dazu unter Rn. 115).216 § 109 Abs. 1 VAG und Art. 109 Solvency II-RL stellen somit einzig auf die Risikosituation im Modul bzw. Untermodul ab. Danach wäre auch größeren Unternehmen in den Bereichen, in denen sie ein niedriges Risikoprofil aufweisen, die Nutzung vereinfachter Methoden nicht grundsätzlich verwehrt.217 Dieser Eindruck wird durch Art. 111 Abs. 1 lit. l Solvency II-RL bestätigt, der hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit vereinfachter Berechnungen Regelungskompetenzen an die zweite Lamfalussy-Regelungsebene delegiert. Danach soll die Kommission „die vereinfachten Berechnungen […] sowie die Kriterien, die die Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen […] einhalten müssen, um zur Verwendung jeder dieser Vereinfachungen gemäß Artikel 109 berechtigt zu sein“ festlegen. Der europäische Gesetzgeber reklamiert damit die Regelungszuständigkeit zur Konkretisierung der Zulässigkeitskriterien für sich; den Mitgliedstaaten ist die Statuierung weiterer, über Art. 109 Solvency II-RL hinausgehender Beschränkungen verwehrt. Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu Erwägungsgrund 66,218 der seinem Wortlaut nach lediglich die Motivation des Gesetzgebers für die Statuierung vereinfachter Methoden klarstellt: Motiv ist, einer Situation Rechnung zu tragen, die typischerweise bei kleinen und mittleren Unternehmen vorliegt. Dadurch ergibt sich im Umkehrschluss nicht, dass allen übrigen Unternehmen, bei denen die Konstellation (atypischerweise) ebenfalls vorliegt, der Rückgriff auf vereinfachte Methoden generell versagt sein muss. Selbst wenn man Erwägungsgrund 66 aber entgegen seinem Wortlaut auslegte, würde sich an der Regelungslage in der Richtlinie letztlich nichts ändern. 213 BR-Drucks. 90/12 S. 292. Der Passus entspricht, wie auch andere Passagen der ursprünglichen Regierungsbegründung, wörtlich entsprechenden Ausschnitten aus der dem Richtlinienentwurf vorangestellten Kurzzusammenfassung („standartisierte[…] Vereinfachungen für KMU“, KOM(2007) 361 endg., S. 14). Die Kurzzusammenfassung (KOM[2007] 361 endg., S. 1–18) wurde in den Richtlinienentwürfen den Erwägungsgründen vorangestellt und bietet − anders als die Überschrift „Begründung“ insinuiert − nur eine knappe Übersicht über die Neuerungen der drei Säulen. Die Kurzzusammenfassung ist kein Bestandteil der Erwägungsgründe und wurde nicht mit diesen von Parlament und Rat verabschiedet. Sie kann daher zur Auslegung nur sehr eingeschränkt herangezogen werden, da im europäischen Recht als Auslegungsmaterial originär die Erwägungsgründe fungieren. 214 Darüber hinaus regeln VAG, Richtlinie und DVO auch nicht, nach welchen Kriterien eine Klassifizierung als kleineres bzw. mittleres Unternehmen überhaupt erfolgen würde, definiert wird lediglich das kleine VU unter § 211 VAG, für das das VAG nur beschränkt zur Anwendung gelangt. Mutmaßlich würde hierzu die kartellrechtliche Empfehlung 2003/361/EG der Kommission v. 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen ABl. L 124 v. 20.5.2003, S. 36 herangezogen werden. 215 Angemerkt sei, dass in den englischen und französischen Fassungen des Art. 109 Solvency II-RL die Formulierungen disproportionate bzw. disproportionné verwendet werden und damit (in Übereinstimmung mit den jeweils in Art. 29 Abs. 3 Solvency II-RL gewählten Termini proportionate bzw. proportionnée) nicht von Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, sondern von der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne gesprochen wird. 216 Art. 29 Abs. 3 Solvency II-RL − der nicht in den ursprünglichen Regierungsentwurf übernommen wurde − hätte über das Gebot richtlinienkonformer Auslegung auch für die Anwendung des § 100 Abs. 1 VAG-E Geltung verlangt. Nunmehr wird diese Ausrichtung am Risikoprofil aber durch § 296 Abs. 1 VAG hervorgehoben. 217 In diesem Sinne bereits CEIOPS: „[…] where a (simplified) valuation technique is proportionate to the underlying risks […], it would be appropriate for application by the (re)insurance undertaking irrespective of its size“ (CEIOPS, Advice for Level 2 Implementing Measures […] Simplified methods and techniques to calculate technical provisions [CEIOPS-DOC 72-10], Rn. 3.6). 218 „Um der besonderen Situation kleiner und mittlerer Unternehmen Rechnung zu tragen, sollten vereinfachte Ansätze für die Berechnung der Solvenzkapitalanforderung gemäß der Standardformel vorgesehen werden“. 335

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Die Erwägungsgründe haben gegenüber dem Regelungstext der Richtlinie nämlich nur eingeschränkte Wirkung.219 So ist allgemein anerkannt, dass Erwägungsgründe ohne Bestimmungen im verfügenden Teil keine Rechte Einzelner begründen können.220 Umgekehrt muss gelten, dass einem Normadressaten ein Recht, das ihm durch den Regelungstext zugesprochen wird, nicht von den Erwägungsgründen genommen werden kann. 115 Somit kann festgestellt werden, dass der in der ursprünglichen Regierungsbegründung enthaltene Passus „standardisierte[…] Vereinfachungen für kleine und mittlere Unternehmen“ mit Blick auf den Wortlaut des § 109 Abs. 1 VAG und des Art. 109 Solvency II-RL im Sinne einer Klarstellung des gesetzgeberischen Motivs und dahingehend auszulegen ist, dass die standardisierten Vereinfachungen primär für kleine und mittlere Unternehmen vorgesehen sind.221 Gleichwohl steht grundsätzlich allen Unternehmen, unabhängig von ihrer Größe die Nutzung vereinfachter Methoden offen, sofern − was bei großen VU eher selten der Fall sein dürfte − das Risikoprofil im jeweiligen Betrachtungsbereich ([Sub-]modul oder weitere Unterkategorien) niedrig im Sinne des Art. 29 Abs. 3 Solvency II-RL ist. Die genaueren Bedingungen zur Verwendung der simplifications bestimmen nunmehr Artt. 56 ff. Solvency II-DVO. Hierbei bestimmt Art. 88 Abs. 1 lit. a Solvency II-DVO nunmehr explizit, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich der Zulässigkeit von Vereinfachungen am Maßstab von „Art, Umfang und Komplexität der Risiken des Unternehmens in dem entsprechenden Modul oder Untermodul“ zu erfolgen hat, was klarstellt, dass dies grundsätzlich für jedes VU einschlägig sein kann.

116 b) Internes Modell. Alternativ zur Standardformel bietet das Solvency II-System den VU die Möglichkeit, ein internes Modell zur Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung zu entwickeln, das von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden muss (§ 111 Abs. 3 Satz 1 VAG). Das Unternehmen kann mit dem internen Modell sämtliche Risikomodule abbilden (sog. Vollmodell) oder das interne Modell auf einzelne Risiko(sub)module beschränken und im Übrigen auf die Standardformel zurückgreifen (sog. Teilmodell). Da an die Entwicklung und Zertifizierung des internen Vollmodells hohe Anforderungen gestellt werden und erhebliche finanzielle, technische und personelle Kapazitäten erforderlich sind, werden nur wenige, große Unternehmen die Implementierung leisten können.222 117 Um zu verhindern, dass der Einsatz von Partialmodellen zu einem unerwünschten Rosinenpicken führt, stellt § 112 Abs. 2−4 VAG insoweit zusätzliche Anforderungen auf.223 Will das Unternehmen nach der Implementierung eines internen Voll- oder Teilmodells zur Standardformel zurückkehren oder von einem Voll- auf ein Teilmodell „downgraden“, bedarf es er219 Vgl. bspw. EuGH 13.7.1989 – Rs. C-215/88 (Casa Fleischhandel ./. BALM), Slg. ECLI:EU:C:1989:331 (insb. Rn. 31); GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 25.11.2003 – Rs. C-222/02 (Paul u. a. ./. Deutschland), Slg. ECLI:EU:C:2003:637 (Rn. 132); siehe zur Kritik an den Erwägungsgründen allgemein etwa Gal myops 37 (2019) 4. 220 Vgl. etwa Riesenhuber/Köndgen Europäische Methodenlehre, 2. Aufl. (2010) § 7 Rn. 40 f. 221 In diesem Sinne ist auch die entsprechende Formulierung in der Kurzzusammenfassung zu verstehen. Die Kurzzusammenfassung (KOM[2007] 361 endg., S. 1–18) wurde in den Regierungsentwürfen den Erwägungsgründen vorangestellt und bietet − anders als die Überschrift „Begründung“ insinuiert − nur eine knappe Übersicht über die Neuerungen der drei Säulen. Die Kurzzusammenfassung ist kein Bestandteil der Erwägungsgründe und wurde nicht mit diesen von Parlament und Rat verabschiedet. Sie kann daher zur Auslegung nur sehr eingeschränkt herangezogen werden, da im europäischen Recht als Auslegungsmaterial originär die Erwägungsgründe fungieren. 222 So hatte sich im März 2012 etwa die Kölner Versicherungsgruppe Gothaer nach eingehender Prüfung gegen die Implementierung eines internen Vollmodells entschieden (vgl. Fromme Gothaer spart sich eigenes Risikomodell FTD v. 28.3.2012, S. 15). Insgesamt haben nur wenige VU (und Versicherungsgruppen) die Verwendung eines Internen Modells (vielfach eines partialen) beantragt; siehe Grund BaFin Journal 1/2017 14, 15. Allerdings repräsentieren diese Internen Modelle einen erheblichen Marktanteil der eingenommenen Prämien. 223 Das Unternehmen muss einerseits rechtfertigen, warum das Partialmodell gegenüber der Standardformel das Risikoprofil des Unternehmens besser wiedergibt (§ 112 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VAG). Andererseits hat das Unternehmen darzulegen, warum kein Vollmodell implementiert wird (§ 112 Abs. 3 VAG). Gal

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neut der Genehmigung der Aufsicht (§ 111 Abs. 3 Satz 1 VAG). Werden die Anforderungen an das interne Modell nachhaltig nicht eingehalten, kann die Aufsicht die Rückkehr zur Standardformel verlangen.224 Umgekehrt kann die Aufsicht, wenn das Risikoprofil eines Unternehmens, das die Standardformel nutzt, wesentlich von den Annahmen abweicht, die der Standardformel zugrunde liegen, die Implementierung eines internen (Teil-)Modells fordern.225 Da sich das Risikoprofil des Unternehmens im Laufe der Zeit verändert, werden Anpassun- 118 gen am internen Modell erforderlich. Nicht alle Änderungen betreffen die Interessen der VN aber in einem Grad, der eine aufsichtsbehördliche Genehmigung erforderlich macht. Der Gesetzgeber verlangt daher als Teil des internen Modells die Implementierung interner Leitlinien zur Änderung des Modells (§ 111 Abs. 2 VAG), die festlegen, welche Änderungen als „kleinere“ angesehen und vom Unternehmen eigenständig vorgenommen werden können und welche Modifikationen als „größere“ und damit als genehmigungsbedürftig zu qualifizieren sind.226

4. Mindestkapitalanforderung Die Mindestkapitalanforderung (Minimum Capital Requirement, MCR) tritt funktional an die Stel- 119 le des in § 53c Abs. 1 Satz 2 VAG a. F. geregelten Garantiefonds (und des Mindestgarantiefonds) und markiert das Eigenmittelniveau, „unterhalb dessen die VN und Anspruchsberechtigten bei einer Fortführung der Geschäftstätigkeit des VU einem unannehmbaren Risikoniveau ausgesetzt sind“. Das MCR markiert gleichsam die aufsichtsrechtliche Todeslinie für das Unternehmen − eine Unterschreitung rechtfertigt „die härtesten aufsichtlichen Maßnahmen, bis zum Widerruf der Zulassung“227 (siehe dazu unter Rn. 76). Es ist vierteljährlich nach einer im Vergleich zu den SCRKalkulationsvorgaben wesentlich einfacheren Formel zu berechnen.228 Anders als die Rahmenrichtlinie (Art. 129 Solvency II-RL) sieht § 122 VAG keine Rahmenvorgaben für die Kalkulation des MCR vor.229 Die genauen Modalitäten seiner Berechnung werden aber auch in Art. 129 Solvency II-RL nur rudimentär niedergelegt:230 Das Niveau des MCR liegt zwischen 25 % und 45 % des SCR,231 seine absolute Untergrenze bei 2,2 Mio. Euro für Nichtlebensversicherungsunternehmen und 3,2 Mio. Euro für Lebens- und Rückversicherer.232 Die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen innerhalb eines Jahres nicht insolvent wird, beträgt nur noch 85 %.233

224 § 114 Abs. 2 VAG. Zuvor hat das Unternehmen jedoch den Versuch zu unternehmen, die Mängel zu beseitigen und der Aufsicht einen entsprechenden Plan vorzulegen bzw. dazulegen, dass es sich lediglich um eine unwesentliche Auswirkung auf das interne Modell handelt (§ 114 Abs. 1 VAG). 225 § 96 Abs. 2 VAG. Vorrangig ist aber zu prüfen, ob ein Einsatz unternehmensspezifischer Parameter nach § 110 VAG in Betracht kommt. Ist weder der Einsatz von USP noch die Implementierung eines internen (Teil-)Modells möglich oder zumutbar, kann die Aufsicht nach § 301 Abs. 1 Nr. 1 VAG einen Kapitalaufschlag verhängen (vgl. ausführlich Sehrbrock ZVersWiss 2010 665, 671 ff.). 226 Änderungen an den Leitlinien selbst stellen grundsätzlich immer größere Änderungen dar (§ 111 Abs. 3 Satz 1, 2 VAG). 227 BR-Drucks. 90/12 S. 296 und BR-Drucks. 430/14 S. 309. 228 § 123 Abs. 1 VAG; BR-Drucks. 90/12 S. 296 und BR-Drucks. 430/14 S. 309; Erwägungsgrund 70. 229 § 122 Abs. 2 VAG enthält lediglich eine Verordnungsermächtigung. Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund des Wesentlichkeitsgrundsatzes bedenklich. Solange die Verordnung nicht wirksam ist, liegt keine richtlinienkonforme Umsetzung des Art. 129 Solvency II-RL vor. Darüber hinaus sollen ausweislich der Regierungsbegründung lediglich die in Art. 129 Abs. 1 lit. d Solvency II-RL aufgeführten absoluten Mindestbeträge in die Verordnung aufgenommen werden, nicht aber die übrigen Rahmenvorgaben des Art. 129 Solvency II-RL. 230 Art. 130 Solvency II-RL delegiert die Regelungskompetenz zur detaillierten Ausgestaltung an die zweite Lamfalussy-Regelungsebene. 231 Art. 129 Abs. 3 Solvency II-RL. 232 Art. 129 Abs. 1 lit. d Solvency II-RL. Die absolute Untergrenze ist dem Mindestbetrag des Garantiefonds vergleichbar (§ 53c Abs. 2 Nr. 2 VAG a. F. i. V. m. § 5 KapAusstV a. F.). 233 Art. 129 Abs. 1 lit. c Solvency II-RL. 337

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Die genannten Rahmenvorgaben des Art. 129 Solvency II-RL wurden mit der kryptischen Begründung nicht in den VAG-Entwurf übernommen, dass „sich die entsprechenden Vorgaben bereits im EU-Recht finden“.234 Da mit „EU-Recht“ nur die Solvency II-Richtlinie gemeint sein kann − sie war der einzige damals in Kraft getretene Solvency II-Rechtstext − erweckt die Regierungsbegründung den Eindruck, aus den Vorgaben des Art. 129 Solvency II-RL keine Umsetzungspflicht, sondern widersinniger Weise gerade ein Argument gegen das Erfordernis einer Transformation abzuleiten.235 Nunmehr sind die genauen Voraussetzungen durch Artt. 248 ff. Solvency II-DVO normiert, wobei Art. 253 Solvency II-DVO gerade auch die Mindestbeträge durch Verweis auf die Solvency II-RL (erneut) definiert.

5. Bestimmung der anrechenbaren Eigenmittel 121 Wie im früheren Aufsichtssystem müssen auch unter dem Solvency II-Regime den Solvenzanforderungen ausreichende Eigenmittel gegenüberstehen. Die Eigenmittel sollen hierbei als Haftungskapital dienen und hohe unerwartete Verluste ausgleichen können (Risikopuffer).236 Während Solvency I den Kapitalanforderungen aber Eigenmittel gegenüberstellt, die sich aus dem deutschen Handelsrecht (HGB) herleiten, erfolgt unter Solvency II ein Vergleich der modellbasiert gewonnenen Solvenzanforderung mit Eigenmitteln, die sich aus einer fair value-Bilanz ableiten. Wie im früheren Recht kann die Solvabilitätskapitalanforderung mit dem aus der ökonomischen Bilanz ermitteltem Eigenkapital (dem vom Bewertungsmaßstab abgesehen die Eigenmittel zunächst entsprechen) und außerbilanziellen Positionen bedeckt werden. § 89 VAG nimmt begrüßenswerter Weise den unklare Terminus „freie, unbelastete Eigenmittel“ des § 53c Abs. 1 VAG a. F. nicht auf, sondern spricht von „anrechnungsfähigen Eigenmitteln“.237 Unter Solvency II werden die Beträge der zur Deckung der beiden Kapitalanforderungen anrechenbaren Eigenmittel auf Grundlage eines dreistufigen Verfahrens ermittelt: (1) Bestimmung der Eigenmittel, (2) Klassifizierung der Eigenmittel und (3) Bestimmung der Anrechnungsfähigkeit der Eigenmittel auf die jeweilige Solvenzanforderung.238 Obgleich das neue Recht mit dem System des „tiering“ (dazu sogleich) formell einen neuen, aus dem Bankaufsichtsrecht entliehenen

234 BR-Drucks. 90/12 S. 297 und BR-Drucks. 430/14 S. 309. Lediglich hinsichtlich der in Art. 129 Abs. 1 lit. d aufgestellten absoluten Mindestbeträge wird darauf verwiesen, dass diese „nicht in der Vorschrift aufgenommen, sondern […] in einer Verordnung festgelegt werden [sollen], da sich die Beträge […] häufiger ändern können und eine Verordnung leichter zu ändern ist als ein formelles Gesetz“. Von einer häufigen Änderung des Mindestbetrages scheint der europäische Gesetzgeber indes nicht auszugehen, da er die Mindestbeiträge seinerseits in der Rahmenrichtlinie niedergelegt hat. 235 Eher fernliegend ist die Auslegung, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff der „Vorgaben“ die einschlägigen detaillierten Normen im Regelungstexte der zweiten Regelungsebene meinen könnte. Dagegen spricht nicht nur der Wortlaut in BR-Drucks. 90/12 S. 297 („findet sich in § 113 VAG-E keine Bestimmung zur Berechnung der Mindestkapitalanforderung wieder, da sich die entsprechenden Vorgaben bereits im EU-Recht finden“ [Hervorhebung durch Verf.]) genauso auch BR-Drucks. 430/14 S. 309; die Detailregelungen statuieren auch nicht (erneut) die Rahmenvorgaben der zweiten Regelungsebene, sondern knüpfen mit dem Ziel der Konkretisierung und Ausfüllung lediglich an den sekundärrechtlich determinierten Rahmen an. 236 BR-Drucks. 430/14 S. 302; ebenso vorher BR-Drucks. 90/12 S. 289. 237 Die frühere Begrifflichkeit ist insoweit irreführend, als kein Eigenmittelbetrag völlig frei und unbelastet zur Deckung von Verlusten verfügbar ist. Bilanzielle Positionen sind in irgendeiner Art investiert, außerbilanzielle Positionen sind mit Ausfallrisiken oder anderen Risiken behaftet (so auch Nguyen Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen, 2008, 7.2.2.2.). 238 Solvency II-Richtlinienentwurf [KOM(2008) 119 endg. v. 26.2.2008], S. 12. Die Regierungsbegründung zum ersten Entwurf sprach in Zusammenfassung des zweiten und dritten Schritts noch von einem zweistufigen Verfahren (BR-Drucks. 90/12 S. 287). Die Regierungsbegründung zum gesetzgewordenen Entwurf hat demgegenüber nunmehr richtig die Dreistufigkeit erkannt, BR-Drucks. 430/14 S. 302. Gal

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Klassifizierungsansatz verfolgt, bestehen deutliche Parallelen zwischen den alten und neuen Vorgaben zur Ermittlung der bedeckungsfähigen Positionen. Im ersten Schritt sind die verfügbaren Eigenmittelpositionen des Unternehmens zu be- 122 stimmen. Diese setzen sich gemäß § 89 Abs. 2 VAG zusammen aus verschiedenen Bestandteilen der Bilanz (den sog. Basiseigenmitteln) und außerbilanziellen Instrumenten (sog. ergänzende Eigenmittel). Zu den Basiseigenmitteln zählen der Überschuss der Vermögenswerte über die Verbindlichkeiten (ohne eigene Aktien) und nachrangige Verbindlichkeiten (§ 89 Abs. 3 VAG). Die ergänzenden Eigenmittel (§ 89 Abs. 4 VAG) umfassen Verbindlichkeiten, die die Unternehmen zur Aufstockung ihrer Mittel abrufen können, beispielsweise Beitragsnachzahlungen oder Kreditbriefe.239 Da die ergänzenden Eigenmittelpositionen nicht unter die vorgesehenen Bewertungsstandards fallen, bedarf ihre Einbeziehung jeweils einer vorherigen aufsichtlichen Genehmigung (§ 90 VAG). Unter dem früheren Recht legt § 53c Abs. 3 Satz 1 VAG a. F. in einem abschließenden Katalog fest, welche bilanziellen und außerbilanziellen Positionen zu den freien, unbelasteten Eigenmitteln gerechnet werden können. Die Vorschrift differenziert zwischen drei Eigenmittelklassen: (1) Eigenmitteln, die in jedem Fall als freie, unbelastete Eigenmittel anzusehen sind,240 (2) solchen, die nur unter bestimmten Voraussetzungen als freie, unbelastete Eigenmittel zu klassifizieren sind241 und (3) Eigenmitteln, die nur auf Antrag und mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde als freie, unbelastete Eigenmittel eingeordnet werden können.242 Insoweit liegt im Grundsatz − abgesehen von der neuen Bezeichnung der Eigenmittelblöcke als Basisbzw. ergänzende Eigenmittel − keine gravierende systemische Änderung im Vergleich zum früheren Recht vor. Auf der zweiten und dritten Prüfungsstufe findet eine „Qualitätsprüfung“ und -klassifi- 123 zierung der eigenmittelfähigen Positionen statt, an die wiederum Anrechnungslimite geknüpft sind. Auch der frühere § 53c VAG a. F. sah die Eigenmittelelemente, die nicht auch Eigenkapital sind, aus verschiedenen Gründen nicht generell und vollumfänglich als „frei und unbelastet“ an und knüpft ihre Anrechenbarkeit an Bedingungen und/oder Limite. Auf der zweiten Stufe erfolgt das sog. tiering der Eigenmittel. Entsprechend ihrer Verlust- 124 ausgleichsfähigkeit werden sie in drei Qualitätsstufen (sog. tiers) eingeteilt. Die Einstufung hängt unter anderem von der Art der Bestandteile ab und richtet sich auch danach, ob es sich um Basis- oder ergänzende Eigenmittel handelt. Für die Klassifizierung ist auch maßgebend, in welchem Umfang die Eigenmittel den fünf, ihre Verlustausgleichsfähigkeit bestimmenden Schlüsselkriterien entsprechen: Nachrangigkeit, Verlustausgleichsfähigkeit, Permanenz, keine festgelegte Laufzeit und kein obligatorischer Bedienungsaufwand (§ 91 Abs. 2−4 VAG i. V. m. § 92 VAG). Diese Gesichtspunkte ähneln den in § 53c Abs. 3a, 3b VAG a. F. niedergelegten Kriterien des früheren Rechts, nach denen zu entscheiden war, ob Genussrechtskapital und nachrangige Verbindlichkeiten als freie, unbelastete Eigenmittel eingestuft werden können. Auch hinsichtlich des zweiten Schritts ist zu konstatieren, dass sich hinter dem (etwas effektheischenden) Schlagwort des „tiering“ die im Grundansatz bereits im früheren Recht praktizierte Prüfung verbirgt, inwieweit Finanzmittel eigenkapitalähnlich sind, vor allem ob sie im Insolvenzfall zur Befriedigung der Forderungen der Versicherten herangezogen werden können. Die Schlüsselkriterien des tiering werden auf der zweiten Regelungsebene konkretisiert. In diesem Rahmen wird

239 S. bereits Solvency II-Richtlinienentwurf [KOM(2008) 119 endg. v. 26.2.2008], S. 12.; vgl. nunmehr § 89 Abs. 4 Satz 2 VAG. 240 Hierzu zählten vor allem dem Eigenkapital zurechenbare Elemente, vgl. vertiefend Prölss/Lipowski12 § 53c VAG Rn. 22 ff. 241 Dies betraf vor allem Genussrechtskapital und nachrangige Verbindlichkeiten (§ 53c Abs. 3 Satz 1 Nr. 3a, 3b i. V. m. Abs. 3a, 3b VAG a. F.; vgl. vertiefend Fahr/Kaulbach/Bähr/Kaulbach5 § 53c VAG Rn. 19 ff.). 242 Dazu zählten beispielsweise die Hälfte des noch nicht eingezahlten Grundkapitals bzw. Gründungsstocks sowie der sog. „Jahresnachschusskapazität“ oder nicht als temporär zu qualifizierende stille Reserven (§ 53c Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 VAG a. F., vgl. vertiefend Prölss/Lipowski12 § 53c VAG Rn. 29 ff.). 339

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auch eine Liste gesetzlich voreingestufter Bestandteile festgelegt.243 Einzelne Einstufungen nimmt bereits der Gesetzestext des VAG vor. So werden etwa die freien Rückstellungen für Beitragsrückerstattung dem tier 1 Kapital zugeordnet (§ 93 Abs. 1 VAG) oder gewisse Garantien sowie Kreditbriefe244 in die zweite Qualitätskategorie eingestuft (§ 93 Abs. 2 VAG). 125 Auf der dritten Stufe ist unter Beachtung der an die einzelnen Qualitätsstufen geknüpften Anrechnungsbeschränkungen die letztendliche Eigenmittelausstattung zu bestimmen. Eigenmittel werden − wie dargestellt − den Qualitätsstufen 2 und 3 zugeordnet, wenn sie nicht vollständigen Verlustausgleich bieten können. Aus diesem Grund wird ihre Anerkennung für Aufsichtszwecke dahingehend begrenzt, dass sie nur bis zu einem gewissen Grad zur Bedeckung der Solvenzanforderungen herangezogen werden können. Das SCR muss zu mindestens einem Drittel mit tier 1-Kapital und darf zu höchstens einem Drittel mit tier 3-Kapital bedeckt sein (§ 94 Abs. 2 VAG). In Bezug auf die Mindestkapitalanforderung sind die ergänzenden Eigenmittel generell nicht anrechnungsfähig; tier 2-Kapital darf maximal zur Bedeckung von 50 % des MCR herangezogen werden (§ 95 VAG). Angemerkt sei, dass sich auch die eingeschränkte Anrechenbarkeit von nicht zum Eigenkapital zählenden Finanzmitteln bereits im alten Recht fand.245 Auch insoweit liegt im Ansatz also „alter Wein in neuen Schläuchen“ vor.

6. Kapitalanlage 126 Der Systemwechsel vom regel- zum prinzipienbasierten Recht wird im Bereich der Kapitalanlagevorschriften besonders deutlich.246 Früher waren die aufsichtsrechtlichen Anlagevorgaben in § 54 VAG a. F. sowie der alten Anlageverordnung (AnlV a. F.) geregelt und betrafen nur das gebundene Vermögen des VU. Neben verschiedenen prinzipienbasierten Anlagegrundsätzen wurden die zulässigen Anlageformen im klassischen, regelbasierten Sinne vorgegeben, indem in der AnlV Höchstquoten für bestimmte Anlageformen (Mischung) und für Anlagen, die vom selben Schuldner ausgestellt sind (Streuung), statuiert wurden.247 Unter Solvency II finden die in § 124 VAG niedergelegten Anlagevorschriften für das ge127 samte Anlageportfolio eines Unternehmens Anwendung.248 Die gesamten Vermögenswerte sind gem. § 124 Abs. 1 Satz 1 VAG nach dem Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht (prudent person principle) anzulegen.249 Der Grundsatz wird in § 124 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–8 VAG durch „Unterprinzipien“ konkretisiert, die sich teilweise bereits im früheren Recht fanden. So sind etwa Sicherheit, Qualität, Liquidität und Rentabilität des Portfolios als Ganzes sicherzustellen (§ 124 243 Solvency II-Richtlinienentwurf [KOM(2008) 119 endg. v. 26.2.2008], S. 12; siehe nunmehr Artt. 69 Solvency IIDVO.

244 Im früheren Gesetzesentwurf zur 10. VAG-Novelle wurde noch nicht die in der deutschen Richtlinienfassung verwendete Bezeichnung „Kreditbriefe“ übernommen, sondern anlehnend an die englische Fassung („letters of credit“) unnötigerweise von „sogenannten Letters of Credit“ gesprochen und damit − anders als in der Richtlinie − insinuiert, dass sich der Bedeutungsgehalt des Begriffs (zumindest auch) nach dem jeweils vorherrschenden Sprachgebrauch im Wirtschaftsverkehr richte; siehe zur Kritik Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 28 (dort Fn. 95). Da sogar der wesentlich gebräuchlichere Begriff des fair value als „Marktwert“ eingedeutscht wurde, erschien die genannte „Re-Anglizierung“ besonders merkwürdig und es ist erfreulich, dass zumindest diese begriffliche Verwirrung korrigiert wurde. 245 So konnte beispielsweise die Solvabilitätsspanne nur bis zu 50 % mit Genussrechtskapital und nachrangigen Verbindlichkeiten (§ 53c Abs. 3c VAG a. F.) oder der Garantiefonds nicht mit außerbilanziellen Eigenmitteln bedeckt werden (§ 2 Abs. 1 KapAusstV a. F.). 246 Vgl. auch Sehrbrock, zitiert in Steinbiß/Bubel (Tagungsbericht der Fachgruppentagung der Deutsch-Amerikanischen Juristenvereinigung 2012), DAJV-Newsletter 2/2012 67. 247 Vgl. umfassend Beyer Kapitalanlagevorschriften 19 ff. 248 Vgl. auch BR-Drucks. 90/12 S. 297 und BR-Drucks. 430/14 S. 309. 249 In den Solvency II-Entwurfsfassungen wurde insoweit noch v. „konservativen Anlageprinzip“ gesprochen (vgl. Art. 129 in: KOM [2007] 361 bzw. Art. 130 in: KOM [2008] 119). Gal

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Laufende Aufsicht

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Abs. 2 Nr. 2 VAG). Mit Blick auf den Schutz der VN, dem Hauptziel der Versicherungsaufsicht, wird wohl auch künftig dem Aspekt der Sicherheit prioritäre Bedeutung zukommen.250 Fraglich ist, welche eigenständige Bedeutung dem neu eingeführten Kriterium der „Qualität“ jenseits der Begriffe der Sicherheit, Liquidität und Rentabilität verbleibt.251 Eine detaillierte Beschränkung der Anlageformen oder feste Mischungs- und Streuungs- 128 quoten sieht § 124 VAG nicht vor − die AnlV fällt ersatzlos weg.252 In Ergänzung zu den prinzipienbasierten Anlagevorgaben werden die Belange der VN nicht durch feste Streuungs- und Mischungsvorgaben gewahrt, sondern dadurch, dass das der jeweiligen Kapitalanlage inhärente Marktrisiko mit (anrechenbaren) Eigenmitteln zu unterlegen ist (siehe dazu unter Rn. 130 f.).253 Die auf der zweiten Lamfalussy-Regelungsebene statuierten Eigenmittelanforderungen des Marktrisikomoduls sowie die Vorgaben zur Klassifizierung und Anrechenbarkeit von Eigenmitteln wirken somit gleichsam als indirekte Anlagevorschriften. Nach § 124 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 VAG sind die Anlagen aber „in angemessener Weise so zu mischen und zu streuen“, dass im Portfolio eine „übermäßige Abhängigkeit“ von einem Vermögenswert, Emittenten, einer Unternehmensgruppe oder einem geographischen Raum und eine übermäßige Risikokonzentration vermieden werden. Die Unternehmen haben somit eigenständig zu bestimmen, wann eine übermäßige Abhängigkeit vorliegt und entsprechende Limitsysteme zu implementieren.254 Da die den Kapitalanlagen innewohnenden Marktrisiken aber unterlegt und damit kapitalmäßig kompensiert werden, ist davon auszugehen, dass das individuelle Limitsystem der Kapitalanlage bei weitem nicht den Restriktionsgrad der früheren AnlV aufweisen muss. Klargestellt sei, dass die Pflicht zur Implementierung eines individuellen Anlagelimitsystems nicht dahingehend missverstanden werden darf, dass die Aufsicht dazu ermächtigt wäre, im Wege allgemeinverbindlicher Vorgaben an die Anlagelimitsysteme de facto eine „Anlageverordnung light“ zu etablieren und so den europarechtlich vorgegebenen Systemwechsel gleichsam durch die Hintertür zu unterlaufen. Gleichwohl ist zu erwarten, dass die jeweiligen Berechnungsregeln die hinsichtlich der diversification und des spread (siehe insb. Artt. 175 ff. Solvency II-DVO) aufgestellt werden, sich eben doch gewisse Obergrenzen etablieren, jenseits derer weitere Investitionen wirtschaftlich nicht mehr tragbar wären. Nach § 124 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Hs. 1 VAG ist die Verwendung derivativer Finanzinstrumen- 129 te – in Übereinstimmung mit Art. 132 Abs. 4 Satz 2 Solvency II-RL – nur zulässig, „sofern diese zur Verringerung von Risiken oder zur Erleichterung einer effizienten Portfolioverwaltung beitragen“. § 124 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 VAG nennt allerdings in Hs. 2 Arbitragegeschäfte und Leerverkäufe als Beispiele unzulässiger Verwendungszwecke und geht damit über die Vorgaben des Art. 132 Abs. 4 Satz 2 Solvency II-RL hinaus. Diese Missachtung des Gebots der Vollharmonisierung255 wird damit begründet, dass die Regelung „gefestigter Verwaltungspraxis“256 entspräche. 250 Vgl. zum prioritären Stellenwert des Aspekts der Sicherheit im alten Recht etwa Prölss/Lipowski12 § 54 VAG Rn. 3; Fahr/Kaulbach/Bähr/Kaulbach5 § 54 VAG Rn. 9; so auch noch zum neuen Recht bspw. Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Lemmer § 124 VAG Rn. 19. Relevant ist diese Frage etwa dann, wenn es zu einem Zielkonflikt zwischen dem Kriterium der Sicherheit und der Rentabilität kommt (wie im gegenwärtigen Niedrigzinsumfeld sehr relevant); vgl. hierzu Brand/Baroch Castellvi/Winter § 124 VAG Rn. 40. 251 Vgl. zum Bedeutungsgehalt der Begriffe Rentabilität und Liquidität auch heute noch übertragbar Beyer Kapitalanlagevorschriften 36 ff.; aktueller etwa Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Lemmer § 124 VAG Rn. 23 ff. Eine eigenständige Bedeutung des Merkmals der Qualität verneint (ebenfalls) Prölss/Dreher/Lipowsky § 124 VAG Rn. 13. 252 So auch BR-Drucks. 90/12 S. 297 und BR-Drucks. 430/14 S. 309. Die neue AnlV erfasst gerade nicht mehr VU, die vom Solvency II-System erfasst werden, sondern findet nur auf freigestellte kmU-Versicherer Anwendung. 253 So auch die Regierungsbegründung (BR-Drucks. 430/14 S. 309 f. und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 297), die darauf verweist, dass „[d]ie neuen ökonomischen Bewertungsstandards, die auf Risikoadäquanz ausgerichtete Solvabilitätskapitalanforderung und die Verpflichtung auf den Grundsatz unternehmerischer Vorsicht […] – in Verbindung mit den entsprechenden Offenlegungspflichten – für eine gleichwertige Sicherheit sorgen [sollen]“. 254 So auch BR-Drucks. 430/14 S. 310 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 298. 255 Kritisch hierzu bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 30 f.; ebenfalls erkannt aber offengelassen Heukamp Versicherungsaufsichtsrecht nach Solvency II § 2 Rn. 104. 256 BR-Drucks. 430/14 S. 311 und BR-Drucks. 90/12 S. 297. 341

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Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen

Die oben als indirekte Anlagevorschriften bezeichneten konkreten Eigenmittelanforderungen des Marktrisikomoduls werden auf der zweiten Lamfalussy-Regelungsebene niedergelegt. In QIS 5 wurden insoweit Vorgaben getestet, die in der Praxis erhebliche Steuerungswirkungen für die Anlageentscheidung haben würden. So waren etwa Aktien (Submodul Aktienrisiko) mit einem Anteil von 30 % zu unterlegen,257 Immobilien (Submodul Immobilienrisiko) mit 25 %,258 Investitionen in Private Equity oder Hedge Fonds (Submodul Aktienrisiko) gar mit 40 %,259 wohingegen Staatsanleihen von EWR-Staaten (Submodul Spread-Risiko) keine Unterlegungspflicht nach sich zogen.260 Dies wurde im Wesentlichen auch durch die Solvency II-DVO übernommen: mit einem Anteil von 39 % bei Typ I-Aktien (Art. 169 Abs. 1 lit. b Solvency II-DVO), 25 % bei Immobilien (Art. 174 Solvency II-DVO), bei Typ II-Aktien gar 49 % (Art. 169 Abs. 2 lit. b Solvency II-DVO). Für Lebensversicherungsunternehmen wird die Anlageentscheidung, vor allem in risikoreichere, renditeträchtigere Anlageformen, zusätzlich durch § 4 Abs. 3 MindZV beeinflusst, wonach − vereinfacht gesprochen − mindestens 90 % der Erträge aus den Kapitalanlagen an die VN auszukehren sind (§ 4 Abs. 3 Satz 1 MindZV), Verluste in der Kapitalanlage aber vom Unternehmen nur begrenzt weitergegeben werden können und im Übrigen vom Unternehmen getragen werden müssen (§ 4 Abs. 3 Satz 5 MindZV). 131 Die 0 %-Eigenmittelunterlegungspflicht für Staatsanleihen aus EWR-Staaten (siehe Artt. 180 Abs. 2 lit. b, 187 Abs. 3 lit. b Solvency II-DVO) entspricht offenkundig häufig nicht den diesen Anlagen tatsächlich inhärenten Risiken.261 Die insoweit implizierte Steuerungswirkung scheint weniger dem Hauptziel der Richtlinie − dem Versichertenschutz − zu dienen, sondern vielmehr der Sicherstellung einer (günstigen) Finanzierung der EWR-Staaten am Kapitalmarkt. Angemerkt sei, dass das Angebot an entsprechend problematischen Anleihen aufgrund der Vereinbarungen des sogenannten Fiskalpaktes262 mittelfristig wohl gegenüber der Vergangenheit verknappt bleiben wird. Vor allem die im Fiskalpakt vorgesehene Schuldenbremse, sieht nämlich eine drastische Begrenzung der weiteren Verschuldung der EU-Staaten vor.263 Unabhängig davon sieht das Solvency II-System zwar keine Unterlegungspflicht unter der Standardformel vor, zumindest die BaFin nimmt aber an, dass im Rahmen eines internen Modells die spezifischen Risiken eines emittierenden EWR-Staates zu berücksichtigen sind und sämtliche VU sich im Rahmen des ORSA-Prozesses mit der tatsächlichen Risikoexponierung (und nicht dem rechtsfiktiven Nichtrisiko) auseinandersetzen müssen.264

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257 Dies galt für Aktien, die an einem geregelten Markt im EWR- oder OECD-Raum gehandelt werden, vgl. EU Kommission QIS 5 Technical Specifications v. 5.7.2010, Rn. SCR 5.31, SCR 5.33. 258 EU Kommission QIS 5 Technical Specifications v. 5.7.2010, Rn. SCR.5.50. 259 EU Kommission QIS 5 Technical Specifications v. 5.7.2010, Rn. SCR.5.31, SCR 5.33. 260 EU Kommission QIS 5 Technical Specifications v. 5.7.2010, Rn. SCR.5.88. Diese Behandlung war wohl maßgeblich beeinflusst durch die damalige Regelung im Bankensektor, wo die Kapitalanlage in EWR-Staatsanleihen ebenfalls mit 0 % zu unterlegen waren (§ 26 Nr. 2b SolvV a. F.); siehe so auch noch Art. 114 Abs. 4 CRR-VO (VO [EU] 575/ 2013). 261 So auch Lüttringhaus EuZW 2011 822, 828; ders. EUZW 2012 321, 322. 262 Als Fiskalpakt wird der dritte Titel („Fiskalpolitischer Pakt“) des Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (SKS-Vertrag) bezeichnet, der am 2. März 2012 von den Staatsund Regierungschefs aller EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und der Tschechischen Republik unterzeichnet wurde. Auch Kroatien hat den Fiskalpakt nach seinem Beitritt nicht unterzeichnet. 263 Art. 3 Abs. 1 SKS-Vertrag: „[…] a) Der gesamtstaatliche Haushalt einer Vertragspartei ist ausgeglichen oder weist einen Überschuss auf. b) Die Regel […] gilt als eingehalten, wenn der jährliche strukturelle Saldo des Gesamtstaats […] einem strukturellen Defizit von 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen, entspricht. […]“. Ähnlich bereits die Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Eurowährungsgebiets v. 9. Dezember 2011, Punkt 4 („Die staatlichen Haushalte müssen ausgeglichen sein oder einen Überschuss aufweisen. Dieser Grundsatz gilt als eingehalten, wenn das jährliche strukturelle Defizit generell 0,5 % des nominellen BIP nicht übersteigt.“). 264 S. BaFin-Publikation „Staatsanleihen: Behandlung von Risiken unter Solvency II“ v. 20.7.2016. Gal

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II. Qualitative Anforderungen Die zweite Säule von Solvency II beinhaltet – neben den Befugnissen der Aufsicht265 – die 132 sogenannten qualitativen Regelungen, also Vorschriften zur aufsichtsrechtlich vorgegeben Governance des Unternehmens und hierbei vor allem zum Risikomanagement. Die Notwendigkeit dieser zweiten Säule – die in den §§ 23 ff. VAG umgesetzt wurde – ist mit der Regierungsbegründung darin zu sehen, dass nicht alle Risiken, denen ein VU ausgesetzt ist, hinreichend durch quantitative Kapitalanforderungen adressiert werden können. Vielmehr ist ein effektives Governancesystem, durch das alle Risiken angemessen gesteuert und überwacht werden können, für die risiko- und solvabilitätsorientierte Steuerung eines VU unerlässlich.266 Die §§ 23 ff. VAG regeln hierbei einzig die aufsichtsrechtlich geforderte Geschäftsorganisation; daneben bestehende gesellschaftsrechtliche Governanceanforderungen bleiben grundsätzlich unangetastet.267 Daneben werden die Normen des VAG teilweise vollständig durch die mit Anwendungsvorrang versehenen Artt. 258 ff. Solvency II-DVO überlagert und in der Praxis werden sich die meisten Unternehmen nahezu vorrangig an der MaGo der BaFin orientieren. Hierbei hatte der deutsche Gesetzgeber bereits 2010 im Vorgriff auf das Solvency II-System 133 in §§ 64a, 64b VAG a. F. ergänzt durch die MaRisk VA268 der BaFin zahlreiche Elemente des neuen Governance-Systems eingeführt, wenn auch bei weitem nicht alle.269 Im Kern erfordert eine ordentliche Unternehmensleitung, dass die Geschäftsorganisation 134 nach allgemeinen (aufsichtsrechtlich vorgegebenen) Grundprinzipien ausgerichtet wird und bestimmte strukturelle Vorgaben umgesetzt werden, was insbesondere die entsprechende Einrichtung der vier Schlüsselfunktionen bedeutet, und das alle Unternehmensleiter, Schlüsselfunktionsträger, aber auch sonstige Mitarbeiter die erforderlichen Qualifikationen (und weitere Anforderungen) erfüllen, um eine ordentliche Unternehmensleitung sicherzustellen.

1. Allgemeine qualitative Anforderungen In Umsetzung der qualitativen Anforderungen der Artt. 41 ff. Solvency II-RL statuieren die 135 §§ 23 ff. VAG – neben hier zunächst ausgeblendeten Eignungsanforderungen der Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrates und der Schlüsselfunktionsträger270 und den später zu behandelnden Regeln zum Outsourcing271 – detaillierte Vorgaben für das Governancesystem eines VU, 265 S. zur deutschen „Umsetzung“ der Aufsichtsbefugnisse bspw. Brand/Baroch Castellvi/Brand § 298 VAG Rn. 8 ff.; Prölss/Dreher/Dreher § 298 VAG Rn. 10 ff.; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr § 298 VAG Rn. 5 ff.; zu den speziellen Eingriffsbefugnissen im Rahmen der sogenannten Aufsichtsleiter siehe insb. Sehrbrock Die „Aufsichtsleiter“ 169 ff. et passim. 266 Vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 238; bereits vorher Regierungsbegründung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, BR-Drucks. 90/12 S. 271 und bereits zuvor Erwägungsgrund 29 Solvency II-RL. 267 Diese vor allem im AktG geregelten Governanceanforderungen wurden zwar nicht durch die Reform des VAG abgeändert, könnten aber gleichwohl durch das Inkrafttreten der §§ 23 ff. VAG beeinträchtigt werden, da letztere als leges speciales einen Geltungsvorrang verlangen oder aber konkretisierend wirken könnten; vgl. zu diesem Problemkomplex (und dem hier bestehenden Meinungsstreit) bspw. Bürkle WM 2012 878, 881 m. w. N.; Dreher ZGR 2010 496, 502 ff. und 529 ff.; Tröger ZHR 2013 475, 480 ff. et passim. 268 Rundschreiben 3/2009 (VA) – Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an das Risikomanagement. 269 Für einen Vergleich der alten und neuen Anforderungen, wenn auch etwas veraltet, siehe Louven/Raapke VersR 2012 257 ff. 270 Vgl. hierzu einführend bspw. Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 38 ff.; Heukamp Versicherungsaufsichtsrecht nach Solvency II § 3 Rn. 102 ff.; detailliert zu den Schlüsselfunktionsträgern Dreher VersR 2012 1061; Pohlmann in: Düsseldorfer Vorträge 2012 29. 271 S. hierzu unter Rn. 144. 343

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deren primärer Zweck darin besteht, eine solide und umsichtige Leitung des Unternehmens sicherzustellen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 VAG).272

136 a) Allgemeine Grundsätze der Unternehmensorganisation. Die zu implementierende Unternehmensorganisation muss hierbei als originäre Leitungsaufgabe in der alleinigen Kompetenz des Vorstandes verbleiben, dieser hat hierbei jedoch allgemeine Grundprinzipien ordentlicher Unternehmensorganisation zu berücksichtigen. Hierbei verbieten sich grundsätzlich absolute Vorgaben, da gerade im Rahmen der Organisation der Proportionalitätsgrundsatz des § 23 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 VAG, als konkretisierter Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, zu beachten ist, sodass die Organisation nach Art, Umfang und Komplexität des Geschäftsbetriebes angemessen sein muss. Zu beachtende Strukturprinzipien sind hierbei das Vorsichtigkeitsprinzip, das Bedürfnis einer transparenten Organisationsstruktur, ein effektives unternehmensinternes Kommunikationssystem, zur Wahrung der Steuerung durch den Vorstand die Niederlegung schriftlicher interner Leitlinien, die Aufsetzung von Vorkehrungsmaßnahmen (insbesondere Notfallpläne) und eine ordnungsgemäße Dokumentation interner Vorgänge.

137 b) Strukturanforderungen der Schlüsselfunktionen. Neben den allgemein zu beachtenden Grundsätzen der Unternehmensleitung wird die solide und umsichtige Leitung vorrangig gewährleistet durch die Pflicht zur Implementierung eines Risikomanagementsystems, eines internen Kontrollsystems, einer internen Revisionsfunktion und einer versicherungsmathematischen Funktion.273 Dadurch soll das Unternehmen in die Lage versetzt werden, die Ermittlung, Erfassung, Überwachung und das Management der Risiken, die mit dem Geschäftsbetrieb verbunden sind, zu optimieren.274 Das Unternehmen kann das „wie“ der Umsetzung – unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – grundsätzlich in eigener Organisationshoheit bestimmen.275 272 Art. 41 Abs. 1 Solvency II-RL spricht dementgegen von der Gewährleistung eines „soliden und vorsichtigen Managements“ [Hervorh. durch Verf.]. Ob die Begriffe der „Umsichtigkeit“ und der „Vorsicht“ tatsächlich synonym sind, mag bezweifelt werden, tatsächlich scheint die Verwendung des deutschen Umsetzungsbegriffs auf einer Stärkung der „business judgement rule“ auch im aufsichtsrechtlichen Kontext hinzudeuten. Unabhängig davon dient aber der Begriff der „Vorsicht“ (bzw. der „Umsichtigkeit“) dazu, dem Risikoappetit des Vorstandes gewisse rechtliche Grenzen zu setzen; vgl. Bürkle WM 2012 878, 881; so bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 33. 273 Der Funktionsbegriff ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff der „Abteilung“, sondern bezeichnet „eine interne Kapazität innerhalb der Geschäftsorganisation zur Übernahme praktischer Aufgaben“ (§ 7 Nr. 9 Hs. 1 VAG). 274 Dies heißt aber natürlich nicht, dass die Aufsichtsbehörde auf eine Optimierung des Versicherungsbetriebes hinwirken könnte, was diese letztlich auf die Position des Vorstandes sublimieren würde. Vielmehr gilt immer noch das versicherungsaufsichtsrechtliche Optimierungsverbot; vgl. bspw. Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 146 ff.; ob es hingegen eine Optimierungspflicht des VR gegenüber der Gefahrengemeinschaft gibt, wie einst von Jürgen Prölss proklamiert (J. Prölss FS Larenz [1983] 487), muss bezweifelt werden; vgl. hierzu Armbrüster FS Lorenz (2014) 3. 275 Erwägungsgrund 31 Satz 2 Solvency II-RL. So auch CEIOPS, Advice for Level 2 Implementing Measures on Solvency II: System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.18; Einleitung Rn. 1.3 EIOPA, Leitlinien zum Governance-System (EIOPA-BoS-14/253). Nun auch Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 238, wo festgestellt wird, dass „[s]ofern sich aus dem Gesetz oder den delegierten Rechtsakten nicht etwas anderes ergibt, […] die Unternehmen frei [sind] in ihrer Entscheidung, wie sie eine Funktion in der Praxis organisieren“; so bereits vorher Regierungsbegründung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, BR-Drucks. 90/12 S. 271. Die Unternehmen müssen hierbei aber die Einhaltung des „Proportionalitätsgrundsatzes“ (siehe kritisch zur linguistischen Einführung dieses „verkappten“ Anglizismus und stattdessen weiterhin Verwendung des tradierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bspw. Wandt Prinzipienbasiertes Recht 19 ff.; Dreher/Wandt/Wandt/Sehrbrock Solvency II 2012 21, 25 ff.; Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 124) und „der anderen genannten Ziele einer angemessenen Geschäftsorganisation“ sicherstellen; vgl. BT-Drucks. 18/2956 S. 239 (zu § 23). Gal

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Der deutsche Gesetzgeber hatte bereits früh den Versuch unternommen, Teile der qualitati- 138 ven Vorgaben des Solvency II-Regimes im deutschen Aufsichtsrecht vorwegzunehmen, etwa durch Einfügung des § 64a VAG a. F. und der ihn konkretisierenden, umstrittenen MaRisk VA276 oder die Verschärfung und Ausweitung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben durch das „Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht“.277 Inhaltlich weisen die §§ 23 ff. VAG nur relativ geringe Abweichungen zu dem vormals die Geschäftsorganisation regelnden, in Vorgriff auf Solvency II erlassenen § 64a VAG a. F. auf, sind jedoch vom Wortlaut deutlich an die umzusetzenden Artt. 41 ff. Solvency II-RL angenähert worden.278 § 26 VAG schreibt die Implementierung eines effizienten Risikomanagementsystems vor, das 139 durch eine unabhängige279 Risikomanagementfunktion (im VAG wird diese teilweise irreführend auch als Risikocontrollingfunktion bezeichnet280) koordiniert wird.281 Der Begriff des Risikomanagements umfasst alle Strategien, Prozesse und internen Meldeverfahren (das heißt interne Kommunikationsabläufe), die erforderlich sind, um Risiken, denen ein Unternehmen tatsächlich oder möglicherweise ausgesetzt ist, zu identifizieren, zu bewerten, zu überwachen, zu steuern und über sie zu berichten (§ 26 Abs. 1 Satz 2 VAG). Ein zentrales Element des Risikomanagements ist die in § 27 VAG geregelte unternehmens- 140 eigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (Own Risk and Solvency Assessment, ORSA). Wichtigste Aufgabe des ORSA ist die Prüfung, ob die auf Basis der Standardformel kalkulierte Solvenzanforderung tatsächlich ausreicht, um die konkret vorhandenen Risiken adäquat zu adressieren.282 Dazu ist das spezifische Risikoprofil des Unternehmens zu ermitteln und insbe-

276 BaFin-Rundschreiben 3/2009 v. 22.1.2009. Vgl. dazu weiterführend Michael VersR 2010 141; Bürkle VersR 2009 866; Dreher VersR 2008 998.

277 Vgl. dazu auch Hasse VersR 2010 18. 278 Die Notwendigkeit dieser sprachlichen Abänderung sieht die Regierungsbegründung zum RegE- 2012 richtigerweise darin begründet, dass es gilt, das Risiko von Inkonsistenzen mit den zu erwartenden europäischen Durchführungsmaßnahmen auf der zweiten Lamfalussy-Ebene zu vermeiden; so BR-Drucks. 90/12 S. 271 (freilich hätte die Vermeidung sprachlicher Inkonsistenzen bereits im Rahmen der Konzeption des § 64a VAG im Jahr 2007 erfolgen können, da bereits zu diesem Zeitpunkt der Solvency II-Richtlinienentwurf vorlag); insofern bewirken die §§ 24 ff. eher eine Verfeinerung gegenüber § 64a VAG, hierzu bereits Grote/Schaaf VersR 2012 17, 19. Zu den konzeptionellen Veränderungen siehe ibidem und Louven/Raapke VersR 2012 257, 262 f. 279 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 242, stellt hierzu fest, dass im Gegensatz zur internen Revision, „bei der die gesamte Funktion als solche einer strikten Unabhängigkeitsanforderung unterliegt und diese Funktion daher ohne jede Abstufung unabhängig von operativen Tätigkeiten auszugestalten ist, […] sich die Anforderungen an die Risikocontrollingfunktion nach dem Grundsatz der Proportionalität [bemessen]. Dabei müssen die jeweiligen Personen bezogen auf die Aufgaben, die sie im Rahmen der Ausübung der Risikocontrollingfunktion wahrzunehmen haben, soweit als möglich prozessunabhängig sein. Dies kann bei entsprechender Komplexität und Risikoträchtigkeit des Geschäftes auch eine ebenso strikte Unabhängigkeit der Funktion wie die der internen Revision erforderlich machen. Die geforderte Unabhängigkeit schließt dabei eine Zusammenarbeit mit den operativen Bereichen (Einforderung von Zuarbeiten und Einbeziehen von Fachwissen) nicht aus“; so bereits Regierungsbegründung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, BR-Drucks. 90/12 S. 273. 280 So wird zwar in § 7 Nr. 9 Hs. 2 VAG die Risikomanagementfunktion als eine der Schlüsselfunktionen definiert, in § 26 Abs. 8 Satz 1 VAG jedoch die Einrichtung einer Risikocontrollingfunktion verlangt; kritisch zu dieser terminologischen Inkonsistenz Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 35 f.; so auch Bürkle VersR 2012 829, 829 (dort Fn. 6); Dreher VersR 2012 933, 934; Nr. 9.5 Rn. 144 Satz 2 MaGo stellt fest, dass die beiden Begriffe synonym sind. 281 Vgl. dazu den von EIOPA für die zweite Regelungsebene erarbeiteten, umfassenden Katalog an Elementen, die ein effektives Risikomanagementsystem enthalten soll: CEIOPS, Advice for Level 2 Implementing Measures on Solvency II: System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.72; siehe nunmehr Art. 269 Solvency II-DVO; auf dritter Lamfalussyebene auch Leitlinien 17 ff. EIOPA, Leitlinien zum Governance-System (EIOPA-BoS-14/253) und Nr. 9.5 Rn. 146 ff. MaGo. 282 Darüber hinaus ist im Rahmen des ORSA beispielsweise zu prüfen, ob SCR, MCR und die versicherungstechnischen Rückstellungen dauerhaft bedeckt werden (vgl. CEIOPS-IGSRR 09/08 v. 27.5.2008 [„Own Risk and Solvency 345

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sondere zu prüfen, ob signifikante oder (im Duktus des VAG) wesentliche Abweichungen des Risikoprofils von den Annahmen vorliegen, die der Standardformel zugrunde liegen.283 Auch für VU, die ein internes Modell verwenden, kommt dem ORSA jedoch eine bedeutende Funktion zu, da über dieses die Risikosituation nicht nur unter einem Einjahreshorizont (wie im Rahmen der SCR-Berechnung) beurteilt wird. 141 Das interne Kontrollsystem (§ 29 VAG) hat – auch dies ein Beispiel prinzipienbasierter Rechtssetzung284 – zumindest Verwaltungs- und Rechnungslegungsverfahren, einen internen Kontrollrahmen und angemessene Berichterstattung auf allen Unternehmensebenen zu umfassen.285 In diesem Rahmen ist auch eine Compliance-Funktion zu installieren, die die Konformität der Unternehmensorganisation mit den externen, gesetzlichen Vorgaben und den internen Vorgaben, wie Strategien, Leitlinien, Prozessen und Meldeverfahren überwacht.286 Angemerkt sei, dass sich der Aufgabenkatalog der Compliance-Funktion unter dem Solvency II-Regime nicht auf die ihrem Wortsinn immanente klassische Kontrollfunktion im Sinne einer Überwachungsfunktion beschränkt, sondern weit darüber hinausgeht.287 Da ihr nach § 29 Abs. 2 VAG nunmehr auch Beratungsfunktionen (gegenüber dem Vorstand hinsichtlich der Compliance mit den für den Versicherungsbetrieb relevanten Gesetzen und Verwaltungsvorschriften),288 Frühwarnfunktionen (über mögliche Auswirkungen von Änderungen des Rechtsumfelds) und Risikomanagementfunktionen (vor allem von Compliancerisiken) zukommen, wird die ComplianceFunktion für die Unternehmenssteuerung und den Unternehmenserfolg erheblich an Bedeutung gewinnen.289 142 Der internen Revision (§ 30 VAG) obliegt die Prüfung und Bewertung, ob das interne Kontrollsystem und die anderen Bestandteile des Governancesystems angemessen organisiert und wirksam sind.290 Die Entscheidung über Abhilfemaßnahmen bezüglich etwaig festgestellter Mängel obliegt einzig dem Vorstand, an den die interne Revision ihre Erkenntnisse und Empfehlungen richtet.291 Obgleich die Organisationsfreiheit grundsätzlich auch für die interne Revision gilt, legt § 30 Abs. 2 Satz 1 VAG fest, dass sie „objektiv und unabhängig von anderen operativen Assessment (ORSA)“], Rn. 34); vgl. Prölss/Dreher/Dreher § 27 VAG Rn. 57 ff.; Brand/Baroch Castellvi/Herold/Korte/ Weiterer § 27 VAG Rn. 55 ff. 283 Vgl. ausführlicher zu den Rechtsfolgen im Falle einer Risikoprofilabweichung Sehrbrock ZVersWiss 2010 665, 671 ff.; Gillessen/Prossner/Spengler VW 2012 434, 437. 284 Eine Konkretisierung ist auch auf der zweiten Lamfalussy-Ebene erfolgt, wobei Unternehmen ein internes Kontrollsystem zu implementieren haben, das den individuellen Bedürfnissen angemessen ist; siehe Artt. 266 f., 270 Solvency II-DVO. Hierbei mag aber auf internationale Standards (wie die Insurance Core Principles oder die Guidelines on Insurer Governance) zurückgegriffen werden können; dazu sehr instruktiv Bürkle WM 2012 878, 884. 285 S. bereits CEIOPS, Advice for Level 2 Implementing Measures on Solvency II: System of Governance (CEIOPSDoc. 29/09), Rn. 3.228. 286 Vgl. umfassend und instruktiv Reese/Ronge VersR 2011 1217; Bürkle CCZ 2008 50; ders. in: Bürkle, Compliance in Versicherungsunternehmen § 1 Rn. 6. 287 Trotz der Wortgleichheit zur Compliance-Funktion in § 33 Abs. 1 Nr. 1 WpHG (vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 245), sind die beiden Funktionen insofern nicht deckungsgleich. Die WpHG-Compliance-Funktion deckt vielmehr nur einen Teilaspekt der VAG-Compliance-Funktion ab; vgl. zur erstgenannten bspw. Schwark/Zimmer/Fett Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 33 WpHG Rn. 15 ff.; Ebenroth u. a./Grundmann Handelsgesetzbuch, § 33 WpHG Rn. VI 298 ff. 288 Hinsichtlich der Ausgestaltung der Beratungsfunktion in § 29 Abs. 2 VAG ist festzustellen, dass dieser über den umzusetzenden Art. 46 Abs. 2 Solvency II-RL hinausgeht, der nur hinsichtlich der Compliance mit Solvency IIRegelungen eine Beratungspflicht statuiert, vgl. hierzu kritisch Bürkle VersR 2012 829, 829 f.; siehe auch Dreher VersR 2013 929, 937. 289 Bürkle CCZ 2008 50, 56. 290 Vgl. hierzu auch CEIOPS, Advice for Level 2 Implementing Measures on Solvency II: System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.260 ff.; Prölss/Dreher/Dreher § 30 VAG Rn. 31 ff. 291 Vgl. § 30 Abs. 2 Satz 2, 3 VAG; siehe ferner Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 245 f. Gal

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Tätigkeiten“ sein muss, es also ungeachtet der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Bezug auf die interne Revision (grundsätzlich) nicht möglich ist, dass Personen neben den Aufgaben der internen Revision noch andere operationelle oder Kontroll- und Steuerungsaufgaben wahrnehmen.292 Hiervon geht grundsätzlich auch Art. 271 Abs. 1 Solvency II-DVO aus, lässt jedoch unter den strengen Voraussetzungen des Art. 271 Abs. 2 Solvency II-DVO hiervon gewisse Ausnahmen zu. Durch diese partielle Einschränkung des Grundsatzes der Organisationsfreiheit unterstreichen Richtlinien- und VAG-Gesetzgeber die Bedeutung, die der unabhängigen Überprüfung des internen Kontroll- und Steuerungssystems durch die interne Revision zukommt.293 Vor allem kleine Unternehmen sehen sich dabei vor das Problem gestellt, dass die mit der internen Revision betraute Person (grundsätzlich) keine weiteren Funktionen im Unternehmen wahrnehmen kann.294 Genau dies wird jedoch durch den Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, der solchen Unternehmen anrät, der neuen gesetzlichen Anforderung mit einer Ausgliederung der Funktion zu begegnen.295 Als vierte Governancefunktion ist die versicherungsmathematische Funktion zu installie- 143 ren (§ 31 VAG), die in erster Linie mit Fragen der versicherungstechnischen Rückstellungen betraut ist. Dies erfordert nicht zwingend die Einstellung eines Aktuars296 und ist davon abgesehen auch nicht deckungsgleich mit dem verantwortlichen Aktuar.297 Da es sich auch bei der versicherungsmathematischen Funktion per definitionem um eine Schlüsselfunktion handelt, müssen die Funktionsträger jedoch die Qualifikationsanforderungen des § 24 Abs. 1 Satz 1–3 VAG erfüllen. § 31 Abs. 3 VAG konkretisiert diese Anforderungen zudem dahingehend, dass die Ausübung der versicherungsmathematischen Funktion versicherungs- und finanzmathematische Kenntnisse voraussetzt, die aber nicht in bestimmter Weise erworben worden sein müssen – der Umfang der erforderlichen Kenntnisse bestimme sich vielmehr nach Art, Umfang und Komplexität des Geschäfts des betreffenden VU.298 Die versicherungsmathematische Funktion überwacht nicht nur die korrekte Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen, sondern überwacht und berät auch hinsichtlich der Zeichnungs- und Annahme- und der Rückversicherungs292 Hierzu Regierungsbegründung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, BR-Drucks. 90/12 S. 271: „Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Richtlinie von einer völligen Unabhängigkeit der internen Revision von anderen betrieblichen Funktionen ausgeht und eine angemessene Trennung von Zuständigkeiten im Rahmen der allgemeinen Anforderungen an die Geschäftsorganisation zwingend verlangt wird;“ siehe ferner Art. 271 Abs. 1 Solvency II-DVO. 293 Vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 245. 294 Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch auch, dass gerade in kleineren und mittleren Unternehmen eine Person oder organisatorische Einheit mehr als eine Funktion wahrnehmen kann, solange dies nicht die interne Revision beinhaltet; vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 242. Inwieweit dies im konkreten Fall zulässig ist, haben die Unternehmen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der anderen genannten Ziele einer angemessenen Geschäftsorganisation zu eruieren, vgl. a. a. O., S. 239 (zu § 23). 295 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 245; so bereits vorher Regierungsbegründung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, BR-Drucks. 90/12 S. 276. 296 So auch explizit Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 246, wo festgestellt wird, dass schon im Rahmen des Verantwortlichen Aktuars nach § 141 VAG (§ 132 VAG a. F.) die betreffende Person nicht zwingend ein Versicherungsmathematiker (Aktuar) sein müsse, sodass gleiches (erst recht) im Rahmen des § 31 VAG gelte; ebenso CEIOPS, Advice for Level 2 Implementing Measures on Solvency II: System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.281 („does not need to acquire the occupational title of ‚actuary‘ in jurisdictions where such a title is available“). 297 So richtig bspw. Heukamp Versicherungsaufsichtsrecht nach Solvency II § 3 Rn. 87; Prölss/Dreher/Dreher § 31 VAG Rn. 8; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 31 VAG Rn. 4; Brand/Baroch Castellvi/Schaaf § 31 VAG Rn. 1. 298 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BT-Drucks. 18/2956 S. 246, vgl. auch CEIOPS, Advice for Level 2 Implementing Measures on Solvency II: System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.280 f. 347

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politik. Hier hat die versicherungsmathematische Funktion beispielsweise auch zu eruieren, ob die Zeichnungsleitlinien in bestimmten Segmenten, in denen kein fester Tarif greift, angemessen sind oder die Prämien eventuell hinsichtlich des Risikos nicht auskömmlich erscheinen (also die Bezugsprämie negativ von der Bedarfsprämie abweicht). 144 Gerade um die Steuerungsfähigkeit des Vorstandes allzeit zu gewährleisten sieht das Solvency II-System auch detaillierte Regelungen zur Ausgliederung von Versicherungsfunktionen und -tätigkeiten vor (sogenanntes Outsourcing). Auf oberster Ebene (Level 1) regeln Artt. 13 Nr. 28, 49, 50 Abs. 1 lit. d Solvency II-RL das Outsourcing, die wiederum durch §§ 7 Nr. 2, 32, 47 Nr. 8 VAG umgesetzt werden, wo der von der Solvency II-Richtlinie auch in der deutschen Fassung gewählte Begriff des Outsourcings mit Ausgliederung übersetzt wird, wobei sich hieraus kein abweichendes Verständnis ergibt.299 Diese regulatorischen Vorgaben werden auf der nächsten Ebene (Level 2) durch den unmittelbar gegenüber den in einem beliebigen EWR-Staat beaufsichtigten VU geltenden Art. 274 Solvency II-DVO ergänzt. Hierbei werden Annexpflichten bezogen auf die Ausgliederung auch noch in Artt. 258 Abs. 2, 294 Abs. 8, 308 Abs. 8 und 324 Abs. 2 lit. a Solvency II-DVO adressiert. Auf Level 3 finden sich nunmehr die Leitlinien der EIOPA zum Outsourcing. Hierbei ist zu beachten, dass diese sich allein an die nationalen Aufseher (das heißt die BaFin) richten und auch diesen gegenüber nicht verbindlich sind.300 Die das Outsourcing betreffenden Vorgaben finden sich in den Leitlinien zum Governance-System.301, 302 Weitere Regelungen des Outsourcings finden sich auch in anderen Leitlinien verstreut.303 Die Leitlinien haben, wie dargestellt, keine Verbindlichkeit gegenüber den VU (siehe unter Rn. 26 f.). Gleiches lässt sich grundsätzlich auch für die Transformationsnormen der BaFin zu diesen Leitlinien sagen, wobei bekanntermaßen hier ein faktischer (und rechtsdogmatisch bedenklicher)304 Befolgungsdruck auf die VU wirkt. Nachdem die BaFin zunächst die der Umsetzung der vorbereitenden Leitlinien der EIOPA dienende Verlautbarung „Outsourcing“ vom 28. April 2015 (Vorbereitungsleitlinien 44–47)305 erlassen hatte, finden sich die konkretisierenden Anforderungen an das Outsourcing nunmehr in Abschnitt 13 MaGo.306 Hierbei wird in der Rechtsfolge zwischen wichtigen (und kritischen) Ausgliederungen und „normalen“ Ausgliederungen unterschieden. Die Anforderungen sind hierbei teilweise sehr tiefgehend, etwa ist nach Meinung der EIOPA und der BaFin eventuell ein Ausgliederungsbeauftragter als neue Schlüsselfunktion einzurichten. In jedem Fall müssen detaillierte Ausgliederungsleitlinien festgesetzt werden und es muss eine angemessene Risikoanalyse erfolgen und die Ausgliederungsvereinbarung muss detaillierte Bedingungen einhalten, die alle auf eine vollumfängliche Steuerung durch den Vorstand des outsourcenden VU zielen.

299 So etwa auch Krimphove/Kruse/Bierschenk Kap. 13.1 MaGo Rn. 1; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 32 VAG Rn. 1; siehe auch Nr. 13.1 Rn. 237 MaGo. 300 Vgl. zum Ganzen bspw. Prölss/Dreher/Gal Art. 16 EIOPA-VO Rn. 13 ff. und 22 ff.; ders. ZVersWiss 2013 325, 344 ff.; Dreher/Wandt/Wandt/Gal Solvency II in der Rechtsanwendung 2013 147, 166; so auch Nr. 13.1 Rn. 237 MaGo. 301 EIOPA, Leitlinien zum Governance-System (EIOPA-BoS-14/253) dort in Rn. 1.14 ff. der Einleitung und die Leitlinien 14, 60–64. 302 Auf die vorbereitenden Leitlinien zum Governance-System (EIOPA-CP-13/08), deren Regelungen zum Outsourcing nicht maßgeblich von den Regelungen der finalisierten Leitlinien abweichen, wird nicht weiter eingegangen; vgl. zu diesen bspw. Dreher/Wandt/Wandt/Gal Solvency II 2013 147, 174 ff. 303 S. bspw. EIOPA, Leitlinien über die Berichterstattung und die Veröffentlichung (EIOPA-BoS-15/109), Leitlinie 19 (Rn. 1.33). 304 Vgl. zum Ganzen detailliert in Dreher/Wandt/Wandt/Gal Solvency II 2013 147, 166 ff.; Gal ZVersWiss 2013 325, 344 ff.; Prölss/Dreher/Gal Art. 16 EIOPA-VO Rn. 5 ff.; Fekonja BaFin-Verlautbarungen 71 ff. et passim; Frank Leitlinien und Empfehlungen 130 ff. und 153 ff. 305 Diese die Vorbereitungsphase strukturierenden Leitlinien sind gegenwärtig nicht mehr auf der Internetseite der BaFin verfügbar. 306 BaFin, Rundschreiben 2/2017 (VA) – Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen (MaGo). Gal

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2. Anforderungen an Schlüsselfunktionsträger Alle Geschäftsleiter und Träger sog. Schlüsselfunktionen im Unternehmen müssen die in § 24 VAG niedergelegten fit and proper-Kriterien erfüllen, also – ähnlich wie in § 7a Abs. 1, Abs. 4 VAG a. F., der allerdings in personeller Hinsicht nur für Geschäftsleiter und Mitglieder des Aufsichtsrats galt – in fachlicher Hinsicht qualifiziert und in persönlicher Hinsicht zuverlässig sein. EIOPA vertritt hierzu die Rechtsauffassung – und geht damit über den Adressatenkreis der früheren fit and proper-Vorgaben des VAG hinaus –, dass die Anforderungen für alle Führungskräfte gelten, die für Entscheidungen an der Unternehmensspitze und die Umsetzung der beschlossenen Strategien und Leitlinien zuständig sind.307 Diese Rechtsauffassung nimmt der deutsche Gesetzgeber auf und erweitert den personellen Anwendungsbereich der Qualifikationsanforderungen auf Personen, die unterhalb der Ebene der Geschäftsleitung zum Treffen „für das Unternehmen wesentliche[r] Entscheidungen […] befugt sind“ (§ 24 Abs. 2 Satz 1 VAG).308 Nach allgemeinem Verständnis sind entsprechend zumindest solche Personen erfasst, die das Unternehmen zwar nicht qua Organstellung, aber faktischer Entscheidungsmacht führen.309 Die zweite Ausweitung des personellen Anwendungsbereichs der Qualifikationsanforderungen gegenüber § 7a VAG a. F. ist in der Einbeziehung sogenannter Träger von Schlüsselfunktionen zu sehen. Als solche gelten „Personen, die […] andere Schlüsselaufgaben310 [als die Geschäftsleitung] innehaben“ (§ 24 Abs. 1 VAG).311 Eine genaue Definition, welche Funktionen als solche Schlüsselaufgaben/-funktionen anzusehen sind, enthalten weder das VAG noch die Solvency II-RL oder die Level 2-Normen. Die Solvency II-Richtlinie legt in ihren Erwägungsgründen 30, 33 jedoch zumindest fest, dass die vier genannten Governancefunktionen als Schlüsselfunktionen zu qualifizieren sind. Ob die Schlüsselfunktionen damit im Sinne der Richtlinie abschließend enumeriert sind, ist nicht eindeutig geklärt.312 In jedem Fall gesichert ist mithin, dass diejenigen Personen, denen die Governancefunktion übertragen wurde (resp. werden soll), die fit and proper-Anforderungen erfüllen müssen. Es verbleibt jedoch die Frage, ob die vier Governancefunktionen einen numerus clausus begründen, für solche Personen, die andere Schlüsselaufgaben wahrnehmen. Erwägungsgrund 33 beschreibt die vier Governancefunktionen als „Schlüsselfunktionen und damit auch als wichtige und kritische Funktionen“, was im Sinne einer abschließenden Auflistung verstanden, aber auch in dem Sinne gemeint sein kann, dass alle wichtigen und kritischen Funktionen als Schlüsselfunktionen anzusehen sind.313 Im letztgenannten Sinne fasst die Regierungsbegründung die Vorgaben der Richtlinie auf und stellt fest, dass „[a]bhängig von den Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens […] weitere Bereiche als Schlüsselaufgaben angesehen werden [können], wenn sie für den Geschäftsbetrieb des Unternehmens von erheblicher 307 S. Nr. 1.21 Gs 1 Satz 2 EIOPA Leitlinien zum Governancesystem (EIOPA-BoS 14/253); vorher CEIOPS, Advice for Level 2 […] System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.38 (dort v. a. Fn. 5). 308 Laut Regierungsbegründung sind dies Personen der nachgelagerten Führungsebene, die auf Unternehmensentscheidungen „erheblichen Einfluss“ haben, vgl. BR-Drucks. 430/14 S. 278 und BR-Drucks. 90/12 S. 272. Offen bleibt insofern, inwieweit der Einfluss seinen Ausdruck in einer eigenen (letztverbindlichen) Entscheidungskompetenz finden muss oder ob eine faktische Beeinflussung bzw. Beeinflussungsmöglichkeit ausreichend sein kann. 309 Dreher VersR 2012 933, 937; Heukamp Versicherungsaufsichtsrecht nach Solvency II § 3 Rn. 104. 310 Der Begriff der „Schlüsselaufgabe“ in § 24 VAG et passim ist hierbei trotz terminologischer Inkonsistenz als Synonym zu dem der „Schlüsselfunktion“ (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 VAG) zu sehen; so auch Dreher VersR 2012 933, 934 f. 311 So auch Art. 42 Abs. 1 Solvency II-RL. 312 Vgl. kritisch zur Unbestimmtheit des Adressatenkreises in Art. 42 Solvency II-RL bereits Präve VW 2007 1380, 1384. 313 Im letzteren Sinne Nr. 1.4 Satz 2 und 3 EIOPA Leitlinien zum Governancesystem (EIOPA-BoS 14/253); vorher CEIOPS, Advice for Level 2 […] System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.39. 349

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Bedeutung sind“.314 Es ist insofern zu berücksichtigen, dass der deutsche Gesetzgeber – in der Form eines scheinbaren aufsichtsrechtlichen goldplating315 – davon ausgeht, dass die vier Governancefunktionen keinen numerus clausus darstellen, sondern je nach den Gegebenheiten des betroffenen VU auch andere Bereiche Schlüsselfunktionen darstellen können.316 Diese Sichtweise möglicher weiterer Schlüsselfunktionen hat sich jedoch auch die EIOPA317 zu eigen gemacht, die ein Recht der Aufsichtsbehörden reklamiert, je nach Natur, Wesensart und Komplexität der Risiken oder der Unternehmensorganisation weitere Funktionen als Schlüsselfunktionen einzuordnen.318 Hiergegen wird teilweise vorgetragen, dass sich aus dem Zusammenspiel der Erwägungsgründe und des Art. 42 Solvency II-RL ergebe, dass die Schlüsselfunktionen mit den vier Governancefunktionen abschließend definiert seien.319 Indes scheint zumindest das Argument, dass Erwägungsgrund 33 einen numerus clausus der Schlüsselfunktionen statuiert und insofern keine weiteren Funktionsträger unter Art. 42 Solvency II-RL fallen können, inkonsistent. Hierbei würde verkannt, dass Art. 42 Solvency II-RL (und ihm folgend § 24 VAG) gerade in Abgrenzung zur Unternehmensleitung von anderen Schlüsselaufgaben/-funktionen spricht. Insofern sieht der Gesetzgeber also zumindest die Unternehmensleitung trotz ihrer Nichtnennung im Erwägungsgrund 33 als weitere Schlüsselfunktion an, was nahelegt, dass dieser Katalog doch nicht abschließend sein kann. Der Zweck des Erwägungsgrunds 33 liegt wohl vielmehr in einer Klarstellung, dass die vier Governancefunktionen genauso wie die Unternehmensleitung ipso iure immer als Schlüsselfunktionen anzusehen sind, während andere Schlüsselfunktionen erst durch Auslegung im Einzelfall ermittelt werden müssen. Davon abgesehen hat sich auch die BaFin dieser Auslegungsvariante angeschlossen,320 sodass im deutschen Recht VU schon aus Sicherheitsgesichtspunkten angehalten sind, zu evaluieren, ob weitere Bereiche Schlüsselfunktionen darstellen und auch insofern eine fit and proper-Prüfung und Meldung vorzunehmen ist. 149 Entscheidend ist die Frage vor allem für solche Personen, die wichtige und kritische Funktionen ausfüllen,321 aber nicht der Unternehmensleitung zuzurechnen sind, etwa Mitglieder des Aufsichtsrats,322 die nicht mehr wie noch unter § 7a Abs. 4 Satz 1 VAG

314 BR-Drucks. 430/14 S. 278 und BR-Drucks. 90/12 S. 272: „Als andere ‚Schlüsselaufgaben‘ gelten mindestens die in diesem Abschnitt genannten vier Funktionen (Risikocontrolling-Funktion, Compliance-Funktion, versicherungsmathematische Funktion, interne Revision). Abhängig von den Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens können aber weitere Bereiche als Schlüsselaufgaben angesehen werden, wenn sie für den Geschäftsbetrieb des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind. 315 So bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 39 ff.; genauso auch Prölss/Dreher/Dreher § 24 VAG Rn. 43; ders. VersR 2012 933, 935 f.; Pohlmann Düsseldorfer Vorträge 2012 29, 46 f.; bereits früher zur Problematik der Offenheit des Begriffes der weiteren Schlüsselfunktionen Präve VW 2007 1380, 1384; Grote/Schaaf VersR 2012 17, 19. 316 So Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht für Versicherer, BR-Drucks. 430/14 S. 278 (zu § 24 VAG-RegE 2014); siehe bereits vorher Regierungsbegründung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes), BR-Drucks. 90/12 S. 272 (zu § 25 VAGRegE 2012). 317 Einleitung Rn. 1.4 Satz 2 und 3 EIOPA, Governance-Leitlinien (EIOPA-BoS-14/253). 318 So bereits vorher CEIOPS, Advice for Level 2 […] System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.39. 319 So zuletzt Dreher VersR 2012 933, 935 f. 320 S. BaFin, Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Personen, die für Schlüsselfunktionen verantwortlich oder für Schlüsselfunktionen tätig sind, gemäß VAG v. 23.11.2016, S. 1 [dort fettgedruckter Absatz]; Nr. 9.1 Rn. 75 Satz 2 MaGo. 321 Dreher VersR 2012 933, 936 nennt hier beispielhaft die Leiter der Rechtsabteilung, der Abteilung Geldwäscheprävention und -bekämpfung und leitende Angestellte im Bereich Investment, Kapitalanlagen, Rechnungslegung und Marketing; hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Dreher dieser Erweiterung auf „andere“ Schlüsselfunktion zu Recht zweifelnd gegenübersteht; siehe nunmehr auch Prölss/Dreher/Dreher § 24 VAG Rn. 43. 322 Hinsichtlich der Frage, ob Aufsichtsräte nicht doch eine Leitungsfunktion wahrnehmen – dies würde insbesondere relevant, wenn es um die Frage geht, ob das Erfordernis der Leitungserfahrungen (§ 24 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2, Satz 4 VAG) anwendbar ist – sei verwiesen auf Krauel/Broichhausen VersR 2012 823, 827, die eine europäische TenGal

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a. F.323 explizit genannt werden. Der deutsche Gesetzgeber geht – ohne dies weiter zu problematisieren – davon aus, dass Mitglieder des Aufsichtsrats „andere Schlüsselaufgaben“ erfüllen und somit von der Qualifikationsanforderung des § 24 VAG erfasst werden.324 In der Ausfüllung des Begriffs der „anderen Schlüsselaufgabe“ oder des Begriffs der für „das Unternehmen wesentlichen Entscheidung“ ist insofern eine gewisse Rechtsunsicherheit zu erwarten,325 die jedoch im Hinblick auf den Wechsel zu einem prinzipienbasierteren Ansatz als durchaus gesetzgeberisch gewollt angesehen werden kann. Nach Vorstellung des deutschen Gesetzgebers soll gerade jeweils am konkreten Einzelfall 150 bestimmt werden, welche Funktionen jenseits der Geschäftsleitung und den Governance-Funktionen als Schlüsselfunktionen zu qualifizieren sind.326 In einem Fall wurde bereits angedeutet, dass eventuell eine andere Funktion einzurichten ist, die im Einzelfall als Schlüsselfunktion anzusehen sein kann, namentlich ein Ausgliederungsbeauftragter. Inhaltlich verlangen die Qualifikationsanforderungen des § 24 VAG von allen Normadressa- 151 ten persönliche Zuverlässigkeit (proper-Kriterium) und fachliche Eignung (fit-Kriterium) (siehe hierzu auch unter Rn. 213 ff.). Das proper-Kriterium wird in der Richtlinie als erfüllt angesehen, wenn die betreffende Person „zuverlässig und integer“ ist. § 24 VAG sieht hingegen keine konkretisierende Ausfüllung des Zuverlässigkeitsbegriffs vor. Seitens der Lehre wird vertreten, dass der Begriff der Zuverlässigkeit weiterhin wie unter Geltung des § 7a VAG als Vorliegen der „charakterliche[n] Eignung“ zu verstehen sei.327 Nach Vorstellung des Gesetzgebers ist der Terminus der persönlichen Zuverlässigkeit als statische, einheitliche Qualifikationsanforderung zu verstehen, die unabhängig von der betroffenen Funktion und dem individuellen Risikoprofil des Unternehmens immer den gleichen Voraussetzungen unterliegt.328 Es wäre hiernach also nicht zulässig, einen gestuften Zuverlässigkeitsbegriff zu verwenden, der beispielsweise für Positionen der nachgeordneten Führungsebene einen geringeren Grad an charakterlicher Gewähr verlangen würde. Hinsichtlich des Begriffes der „fachlichen Eignung“ (fit-Kriterium) sind Richtlinie und VAG 152 transparenter. § 24 Abs. 1 Satz 2 VAG legt fest, dass das Vorliegen fachlicher Eignung berufliche Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen voraussetzt, die eine solide und umsichtige Lei-

denz zu erkennen meinen, Aufsichtsräte als Unternehmensleiter zu behandeln. Zumindest für das deutsche Recht ist eine solche Tendenz allerdings nicht zu erkennen. 323 Vgl. zur Erfassung des Aufsichtsrats v. früheren Recht Bürkle VersR 2010 1005, 1006; Berger VersR 2010 422; kritisch zu einer Einbeziehung schon 2001 Hoppmann VersR 2001 561; weiterhin zweifeln hinsichtlich der Richtlinienkonformität Grote/Schaaf VersR 2012 17, 22. 324 BR-Drucks. 430/14 S. 278 und 292 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 272 und 278. Auch EIOPA plädiert für eine Einbeziehung der Aufsichtsräte in den personellen Anwendungsbereich; bereits CEIOPS, Advice for Level 2 […] System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.38 und EIOPA Leitlinien Rn. 1.21, wo der Begriff der „Personen, die das Unternehmen tatsächlich leiten“ erweiternd definiert wird als „Mitglieder des Verwaltungs-, Managementund Aufsichtsorgans“ [Hervorh. durch Verf.]. Dass Aufsichtsräte von § 25 VAG erfasst werden (sollen), ergibt sich ferner aus §§ 11 Abs. 1 Nr. 2, 47 Nr. 1 VAG; so bereits zur Anwendbarkeit des Solvency II-Textes auf Aufsichtsräte Dreher/Lange ZVersWiss 2011 211, 220. 325 Kritisch zur Unbestimmtheit der Richtlinie in diesem Punkt bereits Präve VW 2007 1380, 1384; kritisch zum Referentenentwurf Grote/Schaaf VersR 2012 17, 19. 326 BR-Drucks. 430/14 S. 278 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 272. Louven/Raapke VersR 2012 257, 260 heben hervor, dass weder der Referentenentwurf noch die bis dahin veröffentlichten Stellungnahmen Kriterien anführen, nach denen diese Evaluierung vorgenommen werden könnte. Einen Ansatz bietet Dreher VersR 2012 933, 939, der hinsichtlich der Frage, welche Personen die Schlüsselaufgabe innehaben, darauf abstellt, ob die Person innerhalb der Schlüsselfunktion in herausgehobener und (selbst-)verantwortlicher Weise Kernaufgaben erfüllt – insoweit also einem Unternehmensleiter zumindest ähnlich ist. 327 Louven/Raapke VersR 2012 257, 260; hierbei darf jedoch nicht verkannt werden, dass der Begriff der Zuverlässigkeit spätestens heute kein autonomer deutscher mehr ist; vgl. zur Zuverlässigkeit unter § 7a VAG bspw. Prölss/ Präve12 § 7a VAG Rn. 9 ff. 328 BR-Drucks. 430/14 S. 278 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 272. 351

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tung des Unternehmens erwarten lassen.329 Anders als der damit umzusetzende Art. 41 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL bleibt das VAG aber hierbei nicht stehen, was im Hinblick auf die Richtlinienkonformität bedenklich ist. Vielmehr führt das reformierte VAG (in Anlehnung an § 7a Abs. 1 Satz 2, 3 VAG a. F.) weiter aus, dass dies angemessene theoretische und praktische Kenntnisse in Versicherungsgeschäften sowie im Fall der Wahrnehmung von Leitungsaufgaben ausreichende Leitungserfahrungen erfordere (§ 24 Abs. 1 Satz 3 VAG), wobei letztere in der Regel anzunehmen sind, wenn eine dreijährige leitende Tätigkeit bei einem VU von vergleichbarer Größe und Geschäftsart nachgewiesen wird (§ 24 Abs. 1 Satz 4 VAG). Diesem fit-Kriterium unterliegen sämtliche Personen, die in einer als Schlüsselaufgabe identifizierten Position tätig sind, wobei hier anders als für das proper-Kriterium keine einheitlichen Anforderungen statuiert werden. Vielmehr gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass bei Auslegung der Anforderungen an die fachliche Eignung den konkreten Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist. Praktisch heißt dies, dass sich die konkreten Anforderungen an die fachliche Eignung nach der jeweiligen Schlüsselaufgabe und den individuellen Zuständigkeiten einer Person im Rahmen ihrer Erfüllung richten, wobei auch Art, Umfang und Komplexität der Risiken, die mit dem Geschäftsbetrieb eines Unternehmens verbunden sind, Einfluss auf die Anforderungen an die fachliche Eignung haben.330 Dies alles entspricht weitgehend den Anforderungen des § 7a Abs. 1 Satz 1 VAG a. F., so153 dass – anders ist dies für Personen der nachgeordneten Führungsebene und Schlüsselfunktionsträger – für Geschäftsleiter keine gravierende Änderung eintritt. Für Mitglieder des Aufsichtsrats, die nach Vorstellung des Gesetzgebers von § 24 Abs. 1 VAG erfasst werden,331 scheint jedoch auf den ersten Blick eine Anforderungsverschiebung vorzuliegen, da es nun nicht mehr auf die „zur Wahrnehmung der Kontrollfunktion sowie zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte, die das Unternehmen betreibt, erforderliche Sachkunde“ (§ 7a Abs. 4 Satz 1 Hs. 2 VAG a. F.) ankommt, sondern wie für alle anderen Träger von Schlüsselfunktionen auf die „fachliche Eignung“. Nach Vorstellung des Gesetzgebers bedeutet dies jedoch keine inhaltliche Änderung für Aufsichtsratsmitglieder.332 Vielmehr bleibe – auf Grund der funktionsspezifischen Flexibilität des Begriffs der fachlichen Eignung – alles beim Alten.333, 334 Dass sich diese apodiktische Prophezeiung bewahrheiten wird, muss im Hinblick auf die Bedeutungssteigerung der Qualifi-

329 Die Tatsache, dass Art. 42 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL davon spricht, dass Berufsqualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen ausreichend sein müssen, um ein solides und vorsichtiges Management zu gewährleisten, dürfte nicht als ein niedrigerer Standard verstanden werden. Auch im § 24 Abs. 1 Satz 1 VAG wird die Schwelle des „(noch) ausreichend“ entscheidend sein. Zu der begrifflichen Verschiebung von „vorsichtig“ zu „umsichtig“, siehe oben Fn. 272. 330 S. hierzu BR-Drucks. 430/14 S. 278 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 272; ausführlich auch Krauel/Broichhausen VersR 2012 823, 824. 331 S. oben Fn. 324 und allgemein Rn. 149. 332 BR-Drucks. 430/14 S. 278 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 272: „Für diese [sc. Mitglieder des Aufsichtsrates] ergeben sich trotz des Abstellens auf die fachliche Eignung anstatt auf die erforderliche Sachkunde wie bisher nach § 7a Absatz 4 a. F. VAG keine geänderten Anforderungen. 333 Dies mag prima vista von daher erstaunen, als der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht (FMVAStärkG) bewusst den Begriff der „erforderlichen Sachkunde“ vorzog, um die Gefahr zu vermeiden, dass Aufsichtsratsmitglieder unter Anwendung des Standards der „fachlichen Eignung“ den gleichen Anforderungen wie Mitglieder der Geschäftsleitung unterstellt werden; vgl. BR-Drucks. 277/09 (Beschluss) S. 7 und BT-Drucks. 16/13684 S. 17 f. Diese damals geäußerten Bedenken kommen jedoch heute nicht mehr zum Tragen, da „fachliche Eignung“ nicht mehr ausschließlich von Geschäftsleitern, sondern von allen Trägern von Schlüsselaufgaben verlangt wird, sodass dieser Begriff in jedem Fall mit Bezug auf den Einzelfall ausgelegt werden muss. 334 Alles beim Alten bleibt es (tatsächlich) hinsichtlich der Mandatsbeschränkungen von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern (siehe § 7a Abs. 1 Satz 5, 6, Abs. 4 Satz 3, 4 VAG und § 24 Abs. 3, 4 VAG), vgl. BR-Drucks. 430/ 14 S. 278 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 272. Gal

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kationsanforderungen im Gefüge des Solvency II-Projekts und der voranschreitenden Verrechtlichung und Verfahrensformalisierung im aufsichtsrechtlichen Kontext bezweifelt werden.335 Hiermit wurde jedoch nur die individuelle Eignung adressiert. Inwieweit die Führungsebe- 154 ne (oder der Aufsichtsrat) eines Unternehmens in Zukunft (auch) als Kollektiv geeignet erscheinen muss, also in seiner Gesamtheit die notwendigen beruflichen Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen in sich vereinen muss, die eine solide und umsichtige Leitung des Unternehmens erwarten lassen, darüber schweigt das VAG.336 Diese Frage sollte jedoch auf der zweiten Regelungsebene adressiert werden,337 sodass eine Nichtregelung durch den deutschen Gesetzgeber – in Vermeidung unnötiger Konflikte zwischen den Regelungsebenen – durchaus zu begrüßen war.338 Nunmehr wird die kollektive Anforderung durch Art. 258 Abs. 1 lit. c Solvency II-DVO adressiert. Eine solche Betrachtung der Führungsebene (oder des Aufsichtsrats) als Kollektiv sollte hierbei bei richtigem Verständnis in zwei Richtungen wirken. Zum einen als zusätzliche, das Organ als Ganzes betreffende, qualifikatorische Anforderung, die durch die Unternehmen zu erfüllen ist. Zum anderen ist aber umgekehrt auch an die Möglichkeit einer qualifikatorischen Kompensation der fachlichen Defizite einzelner Funktionsträger in bestimmten Bereichen zu denken. So verstanden wäre die Kollektivbetrachtung auch ein Instrument, um eine breit gestreute Sachkunde in den Organen zu vereinen. Anstatt nur Generalisten in die Organe berufen zu können, wäre (auch) die Bestellung spezialisierter Fachleute zu Vorständen und Aufsichtsräten möglich, deren partielle Defizite durch die komplementäre Sachkunde anderer Mitglieder des jeweiligen Organs kompensiert werden könnten.339

III. Aufsichtsrechtliche Transparenzpflichten Die Vorschriften der dritten Säule legen VU Berichtspflichten gegenüber den Aufsichtsbehörden 155 (sogenanntes supervisory reporting) und dem Markt (sogenanntes public disclosure) auf. Bereits früher sah das deutsche Versicherungsaufsichtsrecht vielfältige supervisory reporting-Pflichten vor. So wies § 13d VAG a. F. aber auch andere Vorschriften − ganz im Sinne des klassischen regelbasierten Rechts − eine Fülle einzelner anzeigepflichtiger Tatbestände auf.340 Auch hatte der deutsche Gesetzgeber, um die Solvency II-Vorgaben teilweise vorwegzunehmen, § 55c VAG a. F. eingefügt, der – in Anknüpfung an § 64a VAG a. F. – vom Unternehmen die Vorlage des Risiko- und des Revisionsberichts verlangte.341 Solvency II und mithin das reformierte VAG verfolgen mit der Statuierung der Offenlegungspflichten jedoch einen anderen Ansatz als das frühere VAG.342 335 So insb. Dreher/Lange ZVersWiss 2011 211, 221; aber auch Krauel/Broichhausen VersR 2012 823, 827 f. 336 Dass eine solche kollektive Bewertung der Führungsgremien bzw. Aufsichtsräte wohl erfolgen sollte, war für den deutschen Gesetzgeber auch erkennbar, wurde es doch angedeutete durch: CEIOPS, Issues Paper Risk Management and Other Corporate Issues (CEIOPS-PII 11/07), Rn. 22; dies., Advice for Level 2 […] System of Governance (CEIOPS-Doc. 29/09), Rn. 3.42. 337 Vgl. bereits Art. 249 Abs. 1 lit. c Entwurf Durchführungsbestimmungen; zitiert nach Krauel/Broichhausen VersR 2012 823, 824. 338 A.A. hingegen Krauel/Broichhausen VersR 2012 823, 829, die bedauerten, dass der erste Regierungsentwurf keine Vorschrift zur Kollektivtauglichkeit vorsah. 339 Vgl. zu diesem Regelungskomplex bereits früh Dreher/Lange ZVersWiss 2011 211, 225 ff.; Krauel/Broichhausen VersR 2012 823, 824 und 829. 340 Eine hilfreiche Übersicht gibt Dreher/Wandt/Hasse Solvency II 2009 97 ff. 341 Vgl. dazu instruktiv Dreher/Schaaf VersR 2009 1151. Diese Norm ist im reformierten VAG entfallen, da die im Rahmen des Risiko- und des Revisionsberichts zu übermittelnden Informationen von § 43 Abs. 1 VAG umfasst werden, wobei Prognoserechnungen zumindest nach § 44 VAG durch die Aufsicht verlangt werden können. 342 Insofern erscheint die Behauptung der Regierungsbegründung zum ersten Entwurf, im Hinblick auf die Informationspflichten ergeben sich „keine grundlegend neuen Anforderungen im Vergleich zur bisherigen Rechtslage“ (BR-Drucks. 90/12 S. 278), äußerst fragwürdig. Die Regierungsbegründung zum dann umgesetzten Entwurf enthält sich dieser Formulierung dann zurecht. 353

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1. Publizitätspflichten gegenüber der Aufsicht (Supervisory Reporting) 156 Die Transparenzpflichten gegenüber der Aufsicht gliedern sich hierbei entsprechend den Vorgaben des Art. 35 Abs. 2 lit. a Solvency II-RL (umgesetzt durch die Generalklausel des § 43 VAG) in drei Gruppen von Offenlegungspflichten, nämlich die periodischen Offenlegungspflichten, vor allem der „Report to Supervisors [RTS]“, die ad hoc-Anzeigepflichten, die bei Verwirklichung bestimmter Tatbestände durch die Unternehmen zu erfüllen sind, und Auskunftspflichten, die auf Ersuchen des Aufsehers im Rahmen von Nachforschungen entstehen.

157 a) Periodische Anzeigepflichten. Unter periodischen Berichts- und Anzeigepflichten sind solche Offenlegungspflichten zu verstehen, die ohne das notwendige Hinzutreten weiterer Umstände in (festgelegten) Zeitabständen routinemäßig gegenüber der Aufsichtsbehörde zu erfüllen sind. Unter Geltung des reformierten VAG wird dem Unternehmen eine umfassende, periodische Offenlegungspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde auferlegt – EIOPA sprach insoweit vom „Report to Supervisors“ (RTS), wobei sich mittlerweile der Begriff „Regular Supervisory Report“ (RSR), also regelmäßiger aufsichtlicher Bericht, durchgesetzt hat, der der Aufsicht mindestens jährlich zuzuleiten ist.343 Zahlreiche der bisher bestehenden periodischen Anzeigepflichten sind in diesem Regular Supervisory Report aufgegangen.344 Die genaue Gestalt des RSR im gegenwärtigen deutschen Recht, lässt sich nur sehr rudi158 mentär dem VAG entnehmen, da dessen spezielle Vorschriften hierzu zu fragmentarisch erscheinen.345 Dies ist jedoch teilweise systembedingt, da auch die Solvency II-RL lediglich eine allgemeine Regelung zu den der Aufsicht beizubringenden Informationen vorsieht (Art. 35 Solvency II-RL). Art. 35 Abs. 9 Solvency II-RL sieht hier vor, dass der genaue Inhalt, die Form und die Frist der periodischen Anzeigepflichten auf der zweiten Lamfalussyebene konkretisiert werden sollen, sodass das VAG hier Zurückhaltung walten lassen musste.346 Sekundärrechtlich und durch die Umsetzungsnormen wird hinsichtlich des groben Inhalts 159 vorgegeben, dass der Report to Supervisors grundsätzlich alle Informationen enthalten muss, die für die Zwecke der Beaufsichtigung erforderlich sind.347 Art. 305 Hs. 1 Solvency II-DVO konkretisiert dies dahingehend, dass der RSR alle wesentlichen Informationen enthalten muss. Hierbei wird der Begriff der Wesentlichkeit allerdings durch Art. 305 Hs. 2 Solvency II-DVO dahingehend verdichtet, dass eine wesentliche Information dann anzunehmen ist, wenn eine diesbezüglich fehlende oder fehlerhafte Angabe den Entscheidungsprozess oder das Urteil der Aufsichtsbehörden beeinflussen könnte. Allerdings wird, wie erwähnt, auf der zweiten Lamfalussyebene eine Konkretisierung dieser 160 sehr weiten Anzeigepflicht vorgenommen, als insbesondere auch die Form dort konkretisiert werden soll. Hierbei wurde vor Inkrafttreten der Solvency II-DVO insinuiert, dass die Melde343 CEIOPS, Advice for Level 2 […] Supervisory Reporting and Public Disclosure Requirements (CEIOPS-Doc. 50/ 09), Rn. 3.45; nunmehr als RSR bezeichnet hingegen EIOPA Leitlinien über die Berichterstattung und die Veröffentlichung (EIOPA-BoS-15/109) Nr. 1.2. 344 So ist wohl bereits der Vorschlag des CEIOPS zu verstehen: „information to be reported on a regular basis should be sent to the supervisory authority through the RTS“ (CEIOPS, Advice for Level 2 […] Supervisory Reporting and Public Disclosure Requirements [CEIOPS-Doc. 50/09], Rn. 3.29). 345 Es sei denn man will in der Verordnungsermächtigung des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 VAG (die aber eigentlich nur den internen Bericht betreffen) Regelungen erkennen, die die Form des RSR mittelbar determinieren. Eine periodische Übermittlungspflicht die unmittelbar im VAG normiert ist, die jedoch bestenfalls einen kleinen Teil des RSR darstellt, ist die zur Übermittlung des SCR (§ 98 Abs. 1 Satz 1 VAG) und des MCR (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VAG). 346 Diese Unklarheit selbst hinsichtlich der Frage, ob ein RSR nun quartalsmäßig oder jährlich zu erstellen ist, wurde von der Praxis naturgemäß wenig geschätzt, vgl. Golla/Pastwa/Hoppe/Nebelung VW 2012, 445. Durch Art. 312 Abs. 1 lit. a, 2 Solvency II-DVO wird nunmehr festgelegt, dass der RSR mindestens alle drei Jahre der Aufsicht vorzulegen ist, während die Aufsicht einen vollständigen RSR für jedes Geschäftsjahr verlangen kann. 347 Vgl. bereits Lüttringhaus EuZW 2011 856, 858. Gal

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pflicht in Form von Meldeformularen erfolgen könne.348 Im Hinblick auf die Struktur des RSR, wie sie durch CEIOPS – den Vorgänger der EIOPA – bereits in einem Vorschlagspapier skizziert wurde,349 war jedoch bereits damals deutlich, dass sich der Entwurf eines schlichten Meldeformulars schwierig gestalten würde, da die Informationsanforderungen einen immer noch erheblichen Umfang einnehmen, sodass ein Meldeformular letztlich nur eine grobe Grundstruktur vorgeben könnte. Entsprechend war allzeit absehbar, dass ein im Freitext zu verfassender RSR (also eine narrative Meldepflicht), ergänzt um einzelne Meldeformulare, verlangt werden würde.350 Die Artt. 304 ff. und der Anhang XX Solvency II-DVO machen entsprechend zwar sehr detaillierte Vorgaben zu der Struktur und den Inhalten des RSR, gehen aber von einem im Schwerpunkt im Fließtext zu erstellenden Bericht aus und eben nicht von einem einheitlichen, zu befüllenden Formular. Um eine Konvergenz und Vergleichbarkeit der Informationen herzustellen, muss der RSR grundsätzlich eine ähnlichen Struktur aufweisen wie der an die Öffentlichkeit zu richtende Solvency and Financial Condition Report (SFCR) (siehe dazu unter Rn. 171 ff.), wobei ersterer adressatenbedingt eine größere Detaildichte erreichen und gegebenenfalls Informationen aufnehmen muss, die der Öffentlichkeit gegenüber nicht offenzulegen sind.351 Dies wird dadurch erreicht, dass Art. 304 Abs. 1 lit. b Satz 3 Solvency II-DVO für den RSR und Art. 290 Abs. 1 Hs. 1 Solvency II-DVO für den SFCR beide bezüglich der Struktur auf Anhang XX Solvency II-DVO verweisen. Der RSR ist hierbei hinsichtlich Struktur und Inhalt gemäß der Artt. 307 ff. Solvency II-DVO in fünf große Abschnitte gegliedert: die Geschäftstätigkeit und Leistung des VU, die Geschäftsorganisation (Governance-System), das Risikoprofil, die Bewertung für Solvabilitätszwecke und das Kapitalmanagement. Die Artt. 307 ff. Solvency II-DVO sehen hierbei für jeden dieser Abschnitte weitere im RSR zu behandelnde Unterabschnitte vor. Hierbei muss der RSR gemäß Art. 304 Nr. 1 lit. b Satz 2 Solvency II-DVO insbesondere auch auf solche Informationen Bezug nehmen, deren Veröffentlichungspflicht gegenüber der Öffentlichkeit im SFCR nach § 41 VAG (in Umsetzung des Art. 53 Solvency II-RL) ausgeschlossen wurde. Eine interessante Frage im Zusammenhang mit der Implementierung im deutschen Recht war es, wie sich die Vorlagepflicht des § 37 VAG hinsichtlich des (Einzel- und/oder Konzern-) Jahresabschlusses und Lageberichts und andere periodische Anzeige- und Berichtspflichten (etwa die Einreichung der Solvabilitätsübersicht) sowie die hierzu ergänzend vorgesehene Verordnungsermächtigung des § 39 VAG in die noch zu konkretisierende allgemeine periodische Anzeigepflicht einpassen sollten.352 Unabhängig von der Frage der hinreichenden Koordinierung des nationalen mit dem europäischen Berichtswesen werden auch unter dem neuen Recht noch weitere periodische Berichtspflichten existieren, die nicht in den RSR integriert werden, sondern zumindest ergänzend auch neben dem RSR bestehen. Dies gilt geradezu notwendig für solche Berichtspflichten, die einen unterjährigen Turnus vorsehen, wie beispielsweise die quartalsweise zu erfüllende Pflicht, das MCR zu berechnen und an die Aufsichtsbehörde zu übermitteln (§ 123 Abs. 1 Satz 1 348 S. Golla/Pastwa/Hoppe/Nebelung VW 2012 445, 449 (und Fn. 1). 349 CEIOPS, Advice for Level 2 […] Supervisory Reporting and Public Disclosure Requirements (CEIOPS-Doc. 50/ 09), Rn. 3.316 f., 3.329. 350 So bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 46. 351 Vgl. hierzu CEIOPS, Advice for Level 2 […] Supervisory Reporting and Public Disclosure Requirements (CEIOPSDoc. 50/09), Rn. 3.330. Anekdotische Bekanntheit hat hier ein Zitat von Karel van Hulle erlangt, nach dem VU „vor der Aufsicht nackt dastehen müssen. Vor der Öffentlichkeit können sie eine Badehose anlegen, bei der wir bestimmen, wie groß sie ist“. Mit Blick auf die in Artt. 304 ff. Solvency II-DVO festgelegten Mindestinhalte handelt es sich eher um einen Tanga. 352 Hier bestand eine gewisse Gefahr, dass die auf Grundlage des § 39 Abs. 1 VAG zu erlassende Verordnung neben die Solvency II-Verordnung der zweiten Lamfalussyebene tritt und so zu Unstimmigkeiten führt. Die VAGBerichtsverordnung war insofern stark koordiniert mit der vorgenannten Verordnung zu erlassen. Dies ist zumindest Großteils gelungen. 355

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VAG) oder unterjährige Reportingpflichten in Verbindung mit dem ORSA (vgl. Artt. 304 Abs. 1 lit. c, d, 306, 312 Abs. 1 lit. b, c Solvency II-DVO). Diese Berichtspflichten werden allerdings häufig durch Verwendung standardisierter Formulare erfüllt werden können, was die Vergleichbarkeit der Informationen und die Verarbeitungseffizienz der Aufsicht verbessert. Ferner müssen wie unter § 55 VAG a. F. gemäß § 37 Abs. 1 und 5 VAG der Jahresabschluss, der Lagebericht, der Bericht des Abschlussprüfers der Aufsicht übermittelt werden. Ferner sind der BaFin nach §§ 1 ff. BerVersV (fußend auf § 39 Abs. 1 Nr. 1 VAG) der interne Bericht mit Bilanz, sowie Gewinn- und Verlustrechnung bzw. gemäß §§ 19 f. BerVersV die vierteljährlichen Zwischenberichte einzureichen. Auch die Solvabilitätsübersicht ist nach § 37 Abs. 2 VAG inklusive des Prüfberichts gesondert vom RSR einzureichen.

165 b) Ad hoc-Anzeigepflichten. Die Gestalt der anlassbezogen zu erfüllenden Anzeigepflichten lässt sich schon wesentlich besser unmittelbar aus dem VAG erschließen. Hier scheint sich prima facie der Paradigmenwechsel vom regelbasierten zum prinzipienbasierten Recht besonders deutlich zu zeigen. Kernstück der Meldepflichten wird die „Generalklausel“ des § 43 Abs. 1 VAG, die den Umfang der zu übermittelnden Informationen umfassend und ergebnisorientiert bestimmt und eine Übermittlung aller Informationen vorschreibt, die „erforderlich“ sind, um die Einhaltung der qualitativen und quantitativen Anforderungen zu überprüfen. Allerdings enthält das VAG auch heute noch trotz des Wandels hin zum prinzipienbasierten Recht weiterhin zahlreiche spezielle Meldepflichten für besondere Tatbestände (beispielsweise § 98 Abs. 1 Satz 1 VAG [Ergebnis der SCR-Berechnung], § 123 Abs. 1 Satz 1 VAG [Ergebnis der MCR-Berechnung], § 274 Abs. 1 Satz 1 VAG [gruppeninterne Transaktionen] und § 47 VAG [zahlreiche weitere Anzeigepflichten, siehe dazu unter Rn. 167]). Angesichts dieser immer noch sehr große Zahl an besonderen Meldepflichten drängt sich die Vermutung auf, dass die Einfügung des § 43 Abs. 1 VAG nicht vorrangig eine einzelfallgerechte Lösungen ermöglichende Verschiebung zum prinzipienbasierten Recht bewirkt, sondern in erster Linie eine zusätzlichen Öffnung zur Einforderung noch weiterer Meldungen statuiert. 166 Nach der Generalklausel des § 43 Abs. 1 VAG sollen die Unternehmen, den Aufsichtsbehörden „diejenigen Informationen […] übermitteln, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben […] benötigen“.353 Der Umfang der im Rahmen dieser Bringschuld konkret zu übermittelnden Informationen ist somit in einer wertenden Gesamtschau solcher Umstände zu ermitteln, die der Aufsicht durch die BaFin unterworfen sind, da die diese Umstände betreffenden Informationen zu Zwecken der Beaufsichtigung und mithin zur Erfüllung der aufsichtlichen Aufgaben erforderlich sind. Auch diesbezüglich fehlt jedoch eine abschließende Auflistung oder Definition im VAG (und in der Rahmenrichtlinie). Vielmehr sind diese der Aufsicht unterworfenen Umstände ihrerseits wiederum – wie später noch zu erläutern sein wird (siehe unter Rn. 201) – zumindest teilweise aus den Eingriffsbefugnissen der Aufsicht zu deduzieren. Angesichts der aus dieser weiten Formulierung folgenden Rechtsunsicherheit wird eine deutlichere Konkretisierung und Eingrenzung der Berichtspflichten gefordert.354 Um eine stärkere Systematisierung zu erreichen, wird in der Literatur eine Kategorisierung der Berichtspflichten in formale Offenlegungspflichten, Offenlegungspflichten der Finanzberichterstattung und Offenlegungspflichten der Risiko353 Vgl. dazu umfassend allerdings zur Richtlinie Dreher/Wandt/Hasse Solvency II 2009 61 ff.; vgl. heute etwa Prölss/Dreher/Kölschbach/Hammers/Engländer § 43 VAG Rn. 4 ff. 354 CEIOPS schlug für die zweite Regelungsebene Vorgaben zur Struktur des RTS vor (vgl. CEIOPS, Advice for Level 2 […] Supervisory Reporting and Public Disclosure Requirements [CEIOPS-Doc. 50/09], Rn. 3.330). Der Vorteil läge in einer stärkeren Vergleichbarkeit der Berichte sowie in der Schaffung einer groben – aber noch immer nicht zureichenden – Richtschnur für die Unternehmen. Vgl. auch Hasse in: Dreher/Wandt Solvency II 2009 61, 68, der eine Mustergliederung berichtspflichtiger Kenngrößen oder Vorgaben zum Berichtsumfang vorschlägt. Zumindest hinsichtlich der Struktur des RSR und des SFCR ist es zu dieser Strukturgleichheit, wie gleich zu erörtern, gekommen. Dies ändert jedoch nichts an der verbleibenden Offenheit der allgemeinen Berichtspflicht. Gal

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berichterstattung vorgeschlagen.355 Es bliebt – da auch die Solvency II-DVO hier keine abschließende Klarheit herstellt – bei dem bedenklichen Rechtszustand, dass VU höchstvorsorglich dazu angehalten sind, grundsätzlich „alles immer“ offenzulegen.356 Diesem bedenklichen Rechtszustand begegnet das VAG zumindest partiell, indem es in § 47 167 VAG einzelne Katalogtatbestände aufführt, die der Aufsichtsbehörde unverzüglich mitzuteilen sind. Die aufgeführten Tatbestände, die eine solche anlassbezogene ad hoc-Anzeigepflicht eröffnen, sind hierbei weitgehend deckungsgleich mit denen des § 13d VAG a. F.357 Während die Bündelung zahlreicher der in der Rahmenrichtlinie verstreut normierten besonderen Anzeigepflichten in einer zentralen Norm aus Transparenzgründen durchaus begrüßenswert ist,358 lassen die einzelnen dort aufgelisteten Umstände dennoch einige Probleme erkennen. So stellt beispielsweise § 47 Nr. 1 VAG hinsichtlich des Übermittlungszeitpunkts der Unterlagen, aus denen sich die Qualifikation avisierter neuer Träger von Schlüsselfunktionen ergeben soll, auf deren vorgesehene Einsetzung ab.359 Eine solche Anzeigepflicht ante factum,360 obgleich eine solche durchaus praktisch vorzugswürdig erscheint, wird aber von Art. 42 Abs. 2 Solvency II-RL, der hier umgesetzt wird, gerade nicht vorgesehen. Dort wird gefordert, dass alle Informationen übermittelt werden, „die zur Beurteilung notwendig sind, ob die […] bestellten Personen fachlich qualifiziert und zuverlässig sind“ (Hervorhebung durch Verf.).361 Unabhängig von der Frage eines möglichen Umsetzungsfehlers, wird auch von der BaFin nunmehr eine Anzeige zu dem Zeitpunkt (innerhalb von 2 Wochen) verlangt, zu dem die Willensbildung beim VU zur Bestellung abgeschlossen ist, dieses aber noch keine rechtlich verbindlichen Schritte zur Vornahme der Bestellung getroffen hat.362 Neben der Frage nach den Tatsachen, die offengelegt werden müssen, geht aus dem VAG 168 auch nicht immer hinreichend hervor, wann offengelegt werden muss (Zeitpunkt der Offenlegung). Lediglich hinsichtlich der Anzeigepflichten des § 47 VAG ist der Zeitpunkt – sc. unverzüglich nach Verwirklichung des tatbestandseröffnenden Umstandes – verbindlich festgelegt. Deutlich wird hierdurch, dass die Anzeige ohne schuldhaftes Zögern nach Entstehung des die Anzeigenpflicht auslösenden Umstandes zu erfolgen hat.363 Im Einzelfall mag diese offene Formulierung jedoch weiterhin zu einer bedenklichen Rechtsunsicherheit führen.364 In der Generalklausel des § 43 sieht das VAG in Abs. 2 Satz 3 Hs. 1 lediglich vor, dass das Unternehmen die anzeigepflichtigen Informationen „fristgerecht“ zu übermitteln habe. Was dies für die einzelnen 355 Vgl. Dreher ZVersWiss 2009 187, 189 ff.; Dreher/Wandt/Hasse Solvency II 2009 61, 71 f. 356 So treffend Dreher/Wandt/Hasse Solvency II 2009 61, 71. 357 Die Regierungsbegründung zum ersten Entwurf (BR-Drucks. 90/12 S. 278) führte hierzu aus: „Die Regelung entspricht mit inhaltlich [sic!] dem bisherigen § 13d VAG a. F. Einige Anzeigepflichten mussten aber im Lichte der Änderungen durch Solvabilität II angepasst oder zusätzlich eingeführt werden“. BR-Drucks. 430/14 S. 292 hat dies grammatikalisch korrigiert, aber am Inhalt der Aussage festgehalten. 358 Genau um diese Erleichterung für die Rechtsanwender ging es dem Gesetzgeber nach eigenem Bekunden; so zumindest BR-Drucks. 430/14 S. 294 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 279 hinsichtlich der Überführung des bisherigen § 54 Abs. 4 Nr. 2 und 3 VAG in § 47 Nr. 11 f. VAG. Man könnte dann allerdings fragen, weshalb die Ersteller der Regierungsentwürfe hierbei stehengeblieben sind und nicht auch noch die übrigen, weiterhin verstreut normierten Anzeigepflichten zumindest teilweise gebündelt haben. 359 So bereits im alten Recht für Geschäftsleiter und Aufsichtsräte § 13d Nr. 1, 12 VAG a. F. 360 BR-Drucks. 430/14 S. 292 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 278 führt aus, dass die „Regelung […] weiterhin auf die Absicht der Bestellung ab[stellt], […] also die Verpflichtung zur vorherigen Anzeige bei[behält]“. 361 Auch die Anzeigepflicht des § 47 Nr. 2 VAG hinsichtlich des Ausscheidens eines Schlüsselfunktionsträgers weist erhebliche (sprachliche) Abweichungen zu dem umzusetzenden Art. 42 Abs. 3 Solvency II-RL auf, sodass eine einheitliche europäische Aufsichtspraxis konterkariert werden könnte; vgl. hierzu auch BR-Drucks. 430/14 S. 293 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 278 f. 362 S. BaFin, Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Personen, die für Schlüsselfunktionen verantwortlich oder für Schlüsselfunktionen tätig sind, gemäß VAG, v. 6.12.2018, S. 5. 363 S. Heukamp Versicherungsaufsichtsrecht nach Solvency II § 5 Rn. 37 (dort Fn. 45). 364 Dreher/Wandt/Hasse Solvency II 2009 61, 95; Heukamp Versicherungsaufsichtsrecht nach Solvency II § 5 Rn. 39. 357

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Gruppen von Anzeigepflichten bedeutet, bleibt weitgehend unklar. Auch diese Unklarheit kann jedoch als systembedingt bezeichnet werden. So mag es einerseits sinnvoll erscheinen, die Frage offenzulassen, um es der Rechtsanwendung zu überlassen, hier eine Kasuistik herauszuarbeiten, die der Besonderheit bestimmter anzeigepflichtiger Tatsachen gerecht wird. Anderseits könnten Form, Inhalt und Frist auch dieser ad hoc-Anzeigepflichten entsprechend der Ermächtigung des Art. 35 Abs. 9 Solvency II-RL auf der zweiten Lamfalussyebene konkretisiert werden. In jedem Fall scheint die Aufnahme einer offenen Formulierung wie „fristgerecht“ in das VAG nachvollziehbar. 169 Von den Katalogtatbeständen des § 47 VAG abgesehen, finden sich weitere enumerierte ad hoc-Meldepflichten über das VAG verstreut.365

170 c) Auskunftspflichten. Der Vollständigkeit halber muss noch darauf hingewiesen werden, dass die Unternehmen – und mit Ihnen eine Plethora anderer natürlicher und juristischer Personen – einer Auskunftspflicht im Falle des Ersuchens durch den Aufseher unterworfen sind (§ 305 VAG). Diese Auskunftspflicht ist, wie schon seine Stellung im sechsten Teil des VAG signalisiert, als Bestandteil der laufenden Aufsicht zu verstehen und flankiert die Beobachtungsfunktion der Aufsicht (siehe hierzu unter Rn. 67), um den Aufseher in die Lage zu versetzten, ausreichende Informationen für die Entscheidung über die Notwendigkeit eines Eingriffs zu gewinnen. Eine gravierende Änderung gegenüber § 83 VAG a. F. besteht hinsichtlich des Kreises der Subjekte der Auskunftspflicht. Nach § 305 VAG sind nunmehr nicht nur die VU und die Mitglieder ihrer Organe, sondern alle Beschäftigten auskunftspflichtig.

2. Publizitätspflichten gegenüber der Allgemeinheit (Public Disclosure) 171 Zur Gewährleistung der Transparenz und zur Nutzung des Marktes als zusätzliches Korrektiv sieht das Solvency II-System auch Publizitätspflichten gegenüber der Öffentlichkeit vor. Diese erstrecken sich – vereinfacht gesprochen – auf die für die erste und zweite Säule relevanten Daten und treten − zumindest für börsennotierte VU − neben die kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungspflichten. Die Offenlegungspflichten gegenüber der Allgemeinheit sind in erster Linie in §§ 40 ff. VAG niedergelegt, die dem Unternehmen aufgeben, jährlich einen Bericht über Solvabilität und Finanzlage (Solvency and Financial Condition Report, SFCR) zu publizieren.366 Diese wesentlichen Informationen über ihre Solvabilitäts- und Finanzlage müssen VU (min172 destens) einmal jährlich der Öffentlichkeit in elektronischer und gegebenenfalls zusätzlich in gedruckter Form kostenlos zugänglich machen.367 Der SFCR – der gemäß § 44 Abs. 1 Satz 4 VAG auch bei der BaFin einzureichen ist – erstreckt sich hierbei auf einen einjährigen Berichtszeitraum, der mit dem zurückliegenden Geschäftsjahr des VU identisch ist,368 und muss umfangreiche qualitative und quantitative Informationen über das Unternehmen enthalten. Bei Eintreten einer „wichtigen Entwicklung“,369 die die Bedeutung einer im SFCR veröffentlichten 365 S. für eine Auflistung Heukamp Versicherungsaufsichtsrecht nach Solvency II § 5 Rn. 35 und die Checkliste a. a. O. nach Rn. 45 (dort S. 216 f.). 366 Vgl. dazu umfassend Dreher/Wandt/Dreher/Schaaf Solvency II 2009 129. Vgl. zur Frage, ob Transparenz ein allgemeiner Grundsatz des Versicherungsrechts ist Wandt/Ünan/Wandt Transparency in Insurance Law (2012) 9. 367 BR-Drucks. 430/14 S. 289 und BR-Drucks. 90/12 S. 281. Die Zugänglichmachung weiterer Informationen – die gegebenenfalls wertpapierrechtlich zwingend gefordert sein könnten – bleibt dem VU möglich, vgl. ibidem, S. 289 resp. S. 281 a. E., wobei der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, diese in Art. 54 Abs. 2 Solvency II-RL enthaltene Klarstellung explizit ins Gesetz aufzunehmen, vgl. ibidem, S. 291 resp. S. 283. 368 BR-Drucks. 430/14 S. 289 und BR-Drucks. 90/12 S. 282. 369 Die Aufzählung wichtiger Ereignisse in § 42 Abs. 1 Satz 2 VAG ist, wie bereits die Verwendung des Adverbs „insbesondere“ indiziert, nur beispielhaft und stellt keinen numerus clausus dar, vgl. BR-Drucks. 430/14 S. 291 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 283. Gal

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Information erheblich verändert,370 besteht eine Pflicht zur öffentlichen Aktualisierung (§ 42 VAG).371 Der Mindestinhalt des Solvabilitätsberichts ist in § 40 Abs. 2 VAG katalogisiert, der den für das supervisory reporting relevanten Inhalten sehr ähnelt und sich daher ebenfalls in die drei zum RSR dargestellten Kategorien – sc. formale Offenlegungspflichten, Offenlegungspflichten der Finanzberichterstattung und Offenlegungspflichten der Risikoberichterstattung – einteilen lässt.372 Eine nähere Konkretisierung, welche Informationen offenzulegen, welche Gliederung für den Bericht vorzusehen und welche Fristen für die Veröffentlichung und für die Mitteilung an die Aufsichtsbehörde einzuhalten sind, erfolgt durch die von der Kommission erlassene Solvency II-DVO.373 Aufgrund der unterschiedlichen Schutzzwecke der beiden Berichtspflichten sind, wie zu erwarten war, die Anforderungen an Umfang und Detailgrad der im Solvabilitätsbericht zu publizierenden Informationen geringer ausgefallen als im Rahmen des supervisory reporting. Insbesondere sind der Umfang der mitteilungspflichtigen Gesichtspunkte und der erforderliche Detailgrad durch Art, Umfang und Komplexität des Geschäfts und der Risiken des Unternehmens determiniert (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 VAG). In der Struktur und Substruktur ist der SFCR mit dem RSR (weitgehend) identisch. Dies ergibt sich daraus, dass sowohl hinsichtlich des SFCR (Art. 290 Abs. 1 Hs. 1 Solvency II-DVO) als auch des RSR (Art. 304 Abs. 1 lit. b Satz 3 Solvency II-DVO) bezüglich der Struktur der Anhang XX Solvency II-DVO für anwendbar erklärt wird.374 Bezüglich des gegenüber der Öffentlichkeit offenzulegenden Inhalts weicht der SFCR vom RSR ab. Die offenzulegenden Informationen sind hier deutlich reduziert, wenn auch immer noch sehr tiefgehend. So fordert etwa Art. 293 Solvency II-DVO anders als Art. 307 Solvency II-DVO hinsichtlich des Absatzes zur Geschäftstätigkeit bezüglich der versicherungstechnischen Leistungen und der Anlageergebnisse nur eine zusammenfassende Darstellung und keine Auskünfte zu künftigen Strategien, sondern verlangt eher formale Angaben. Unabhängig vom Granularitätsgrad der offenzulegenden Informationen bleibt es bei einer enormen Zunahme der Offenlegungspflichten gegenüber der Allgemeinheit im Vergleich zum Solvency I-System. Im Einzelfall gewährt das VAG Ausnahmen und Erleichterungen von der Veröffentlichungspflicht. So erlaubt etwa § 40 Abs. 8 VAG, dass bestimmte Angaben im SFCR durch Verweise auf anderweitig veröffentlichte Informationen (wie etwa kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungen) ersetzt werden, wenn die BaFin hierzu ihre Zustimmung erteilt. Vorbehaltlich einer Genehmigung durch die BaFin, kann gemäß § 41 VAG von der Veröffentlichung bestimmter Informationen abgesehen werden, wenn durch die Veröffentlichung Wettbewerber einen wesentlichen, ungerechtfertigten Vorteil erlangen würden oder das VU durch die Publikation Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflichten verletzen würde. Eine bisher ungeklärte Rechtsfrage ist die nach dem Adressaten der Veröffentlichung und damit auch nach dem erforderlichen Grad der Verständlichkeit der Angaben, da die zu veröffentlichenden Informationen mit Blick auf den Empfängerhorizont dieser Personengruppe darzustellen sind. Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass die gesamte Versicherungsnehmer370 Hierunter sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht nur solche Entwicklungen zu sehen, die sich direkt auf die veröffentlichten Informationen auswirken, sondern auch solche, deren Kenntnis die Beurteilung von Informationen aus dem Bericht durch die Adressaten des SFCR (mittelbar) wesentlich verändern würde; so BRDrucks. 430/14 S. 291 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 283. 371 Die Verhängung eines Kapitalaufschlags löst regelmäßig keine Aktualisierungspflicht aus (vgl. Sehrbrock ZVersWiss 2010 665, 685). 372 Vgl. Dreher/Wandt/Dreher/Schaaf Solvency II 2009 129, 141, einschränkend aber ibidem Fn. 21. Vgl. die auch insoweit von CEIOPS für die zweite Regelungsebene vorgeschlagene Strukturvorgabe unter CEIOPS, Advice for Level 2 […] Supervisory Reporting and Public Disclosure Requirements [CEIOPS-Doc. 50/09], Rn. 3.85). 373 Vgl. Art. 56 Solvency II-RL; siehe auch BR-Drucks. 430/14 S. 289 und vorher BR-Drucks. 90/12 S. 282; siehe nunmehr Artt. 290 ff. und Anhang XX Solvency II-DVO. 374 S. entsprechend zur Struktur des RSR unter Rn. 157 ff. 359

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schaft primärer Adressat der Veröffentlichungspflicht sei.375 Die Gegenmeinung sieht als primäre Adressaten den (Kapital-)Markt und als Sekundäradressaten die VN, was hinsichtlich Umfang und Tiefe der Publizitätspflichten zu signifikant geringeren Anforderungen führen würde.376 Der deutsche Gesetzgeber meint, diese Unklarheit lösen zu müssen, indem er in § 40 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 VAG festlegt, dass die Angaben des Berichts „allgemein verständlich“ sein müssen. Abgesehen davon, dass nicht ganz klar wird, was der Gesetzgeber (respektive der Ersteller des Regierungsentwurfs) unter Allgemeinverständlichkeit verstanden wissen will, fällt auch auf, dass das legislative Begriffspaar der „allgemeinen Verständlichkeit“ sich in Deutschland ansonsten eher in Produktsicherheitsvorschriften findet.377 Hier mag der bis Mitte 2012 geltende § 5 Abs. 2 Satz 2 WpPG a. F. Vorbildcharakter gehabt haben. Dieser forderte – allerdings nur für die Zusammenfassung –, dass Wertpapierprospekte „allgemein verständlich“ abgefasst sein müssen.378 Eine Forderung der allgemeinen Verständlichkeit für den gesamten SFCR scheint letztlich nicht dem europäischen Konzept zu entsprechen. Art. 292 Abs. 1 Satz 2 Solvency II-DVO fordert nunmehr allein für die dem Solvabilitätsbericht beizugebende klare, knappe Zusammenfassung, dass diese für VN und Versicherte verständlich sein muss. Dies spricht im Umkehrschluss dafür, dass für den restlichen Bericht ein angepasster Verständlichkeitsgrad greift.379 Außerhalb des SFCR bestehen nur vereinzelte aufsichtsrechtliche Veröffentlichungs179 pflichten gegenüber der Allgemeinheit. So sind etwa VVaG gemäß § 183 Abs. 2 VAG dazu verpflichtet, ihre Vereinsbekanntmachungen im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Besondere Veröffentlichungspflichten (wiederum im Bundesanzeiger) bestehen gemäß §§ 13, 63, 73, 166 VAG auch im Rahmen einer Bestandsübertragung.

IV. Gruppenaufsicht 180 Während das deutsche Recht bereits seit Ende 2000 in Umsetzung der Gruppenrichtlinie380 über ein Aufsichtssystem für Versicherungsgruppen verfügt,381 hat die Solvency II-Reform auch hier einschneidende Änderungen gebracht. Das alte Versicherungsaufsichtsrecht implementierte eine sogenannte Solo-Plus-Aufsicht, das heißt die Gruppenzugehörigkeit bewirkte lediglich einen zusätzlichen Prüfungsannex in der Beaufsichtigung des Einzelunternehmens, während eine genuine Beaufsichtigung der Gruppe als solcher nicht vorgesehen war. Entsprechend erschöpfte 375 So Dreher/Wandt/Dreher/Schaaf Solvency II 2009 129, 136 ff., die vor allem aus dem Richtlinienziel des Versichertenschutzes in Art. 27 Solvency II-RL zwingend ableiten, dass die zu veröffentlichenden Informationen primär an die VN und die Versicherten gerichtet seien („Gemessen an dem Hauptziel der Richtlinie können die primären Publizitätsadressaten der Veröffentlichungspflichten gegenüber der Allgemeinheit nur die VN und die Versicherten sowie sonstige begünstigte Personen wie Bezugsberechtigte sein“ [ibidem, S. 137 f.]). Zustimmend Grote/Schaaf VersR 2012, 17, 23 f. die zudem auf Grundlage einer teleologischen Interpretation des Art. 51 Solvency II-RL unter Heranziehung der Richtlinienziele eine unionsrechtliche Forderung nach Allgemeinverständlichkeit ausmachen. 376 Vgl. Nguyen Rechnungslegung in Versicherungsunternehmen 927 f.; Sehrbrock/Gal CFL 2012 140, 147; dies. EPL 2013 295, 312 f. 377 Vgl. bspw. § 3 Abs. 4 MedGV a. F. (Beschriftung von Maschinenstellteilen) – siehe gegenwärtig (vor Inkrafttreten der neuen europäischen Medizinprodukte-VO) § 15 Abs. 1 Nr. 1 lit. a MPBetreibV (allgemein verständliche Informationen zu Verhaltensweisen bezüglich implantierter Medizinprodukte), § 22 Abs. 5 Satz 3 ChemG a. F. (Gestaltung des Biozid-Verzeichnisses). 378 Nunmehr allerdings müssen (zurückgehend auf Art. 1 Nr. 5 RL 2010/73/EU [ABl. L 327, S. 7]) nach § 4 Abs. 7 Satz 2 Hs. 2 WpPG n. F. sogenannte Schlüsselinformationen in „allgemein verständlicher Sprache“ [Hervorhebung durch Verf.] abgefasst sein, was wohl einer Abschwächung hinsichtlich der Transparenzanforderungen gleichkommt. 379 So im Ergebnis bereits Gal/Sehrbrock Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie 52. 380 RL 98/78/EG in ABl. L 330 v. 5.12.1998, S. 1. 381 Geregelt war dies in §§ 104a–104i VAG a. F., der SolBerV und den BaFin-Rundschreiben 4/2009 und 3/2003. Gal

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sich die Gruppenaufsicht in materieller Hinsicht im Wesentlich darin, dass die Pflicht bestand, neben der Solvabilitätsspanne auch eine sogenannte Gruppensolvabilität zu berechnen, und dass die gruppeninternen Geschäfte der Aufsicht unterworfen werden.382 Im Solvency II-System wird diese Solo-Plus-Aufsicht nunmehr durch eine von der Einzel- 181 aufsicht getrennte Beaufsichtigung der Gruppe als Ganzes ersetzt.383 Die Zuständigkeit für die Aufsicht über die Gruppe wird grundsätzlich bei einer nationalen Aufsichtsbehörde, die üblicherweise als „Group Supervisor“ bezeichnet wird, gebündelt. Adressat der gruppenaufsichtlichen Regeln ist folglich auch nur noch die Gruppe als Ganzes, bzw. genauer das oberste Mutterunternehmen resp. die oberste Versicherungsholdinggesellschaft mit Sitz innerhalb der EU.384 Hierbei fungiert gemäß § 279 Abs. 1 und 2 VAG grundsätzlich diejenige nationale Aufsichtsbehörde als Group Supervisor, die das VU an der Spitze der Gruppe zugelassen hat. Zuständig ist der Gruppenaufseher etwa für die Beaufsichtigung der Finanzlage der Gruppe (Solvabilität, Risikokonzentration, interne Geschäfte), die Beurteilung von deren Governance-System und allgemein für die Planung und Koordinierung der Aufsicht über die Gruppe.385 Soweit es jedoch um Zwangsmaßnahmen gegenüber einem bestimmten gruppenzugehörigen Unternehmen geht, verbleibt die Zuständigkeit grundsätzlich beim Einzelaufseher.386 Genaugenommen verbleibt es jedoch nicht bei einer solchen konzentrierten Alleinzustän- 182 digkeit des Group Supervisors. Vielmehr erfolgt die Aufsicht über die Gruppe (und die zugehörigen Unternehmen) in einer stark koordinierten Weise über das Instrument der Aufsichtskollegien. Obgleich das Instrument des Aufsichtskollegiums (college of supervisors, oftmals auch supervisory college) kein Novum ist,387 sondern im europäischen Versicherungsaufsichtsrecht bereits seit 2000 existiert,388 hat es durch die Umsetzung der Solvency II-Rahmenrichtlinie als bedeutendes Organisationsvehikel zur europäischen Aufsichtskooperation einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren. Aus dem reinen Zahlenwerk lässt sich dieser Bedeutungszuwachs jedoch nicht zwingend entnehmen. So hatte die Vorgängerin der EIOPA, CEIOPS, 2010 in ihrer Aufstellung noch 102 europäische Versicherungsgruppen verzeichnet, für die ein Aufsichtskollegium eingerichtet worden war (davon 16 Versicherungsgruppen, für die die BaFin der Gruppenaufseher war: ADAC, Allianz, ARAG, Concordia, Continentale Krankenversicherung, DEVK, HDI, INTER Krankenversicherung, Münchener Rück, Nürnberger, Rheinland Gruppe, R + V, Signal, VHV, Wertgarantie, Wüstenrot und Württembergische).389 In der aktuellen Auflistung der EIOPA finden sich hingegen „nur“ noch 92 über Aufsichtskollegien beaufsichtigte europäische Versicherungsgruppen (davon 15 Versicherungsgruppen, für die die BaFin der Gruppenaufseher ist: ADAC, Allianz, ARAG, Concordia, DEVK, Gothaer, HanseMerkur, HDI, INTER Krankenversicherung, LV 1871, Münchener Rück/ERGO, Nürnberger, R + V, Signal Iduna, Versicherungskammer Bayern und VHV).390 Der Grund für die Abnahme dürfte hierbei im fortschrei382 S. hierzu damals Sehrbrock ZVersWiss 2008 (Supplement) 27. 383 Wohlgemerkt bedeutet dies nicht, dass es für die gruppenzugehörigen Unternehmen keiner Einzelaufsicht mehr gäbe. Vielmehr werden diese weiterhin in ihrem Sitzland einer Einzelaufsicht unterstellt, wobei der Einzelaufseher im Hinblick auf seine Kooperationspflicht stark durch die Vorgaben in den Aufsichtskollegien determiniert wird. 384 S. § 247 Abs. 1 VAG. Daneben besteht aber auch noch die Möglichkeit, dass nationale oder mitgliedstaatsübergreifende Teilgruppen einer gesonderten Aufsicht unterstellt werden; siehe hierzu bereits früh kritisch Sehrbrock ZVersWiss 2008 (Supplement) 27, 31 f. 385 Vgl. detaillierter, aber nicht abschließend (da weitere Übertragungen möglich sind) § 281 Abs. 1 VAG. 386 S. im deutschen Recht § 287 Abs. 1 VAG in Umsetzung von Art. 262 Abs. 1 Solvency II-RL. 387 A.A. Keune Rechtliche Grundlagen und Grenzen der EIOPA 103. 388 S. Dreher/Wandt/Maier/Nielsen Solvency II 2013 1, 7. 389 CEIOPS list of groups for which a College of supervisors is in place – established on the basis of the Helsinki Protocol and including relevant groups where the Swiss Financial Market Supervisory Authority (FINMA) participates in Colleges –; abrufbar unter https://eiopa.europa.eu/Publications/Administrative/6.pdf. 390 EIOPA list of identified insurance groups for which a college of supervisors is in place – including, per insurance group, an overview of the EU/EEA countries’ National Competent Authorities participating as member in the Colleges [as per 28 October 2016] (EIOPA-BoS/16-306). 361

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tenden Konsolidierungsprozess auf den Versicherungsmärkten zu sehen sein,391 wobei auch zu berücksichtigen ist, dass die Versicherungsgruppen teilweise zu Finanzkonglomeraten geworden sind, wodurch sie nicht mehr durch ein versicherungsrechtliches Aufsichtskollegium, sondern ein finanzkonglomeratsrechtliches Aufsichtskollegium beaufsichtigt werden. Gegenwärtig bestehen in der Union 79 europäische Finanzkonglomerate (hiervon 6, für die die BaFin der Gruppenaufseher ist: Allianz, DEBEKA, Inter Group, LVM Group, Signal Iduna Gruppe, Wüstenrot und Württembergische Gruppe).392 Die Art der Zusammenarbeit in den Aufsichtskollegien ist im deutschen Recht durch 183 §§ 283–285 VAG vorgegeben. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der EIOPA über Art. 21 EIOPA-VO neben einer Überwachungs-, Koordinierungs-, Förderungs- und Teilnahmefunktion auch eine ergänzende Führungsfunktion zugewiesen wird.393 Mittels ihrer Leitlinien zu den Aufsichtskollegien, aber auch sonstiger Koordinierungsanstrengungen, aber auch bedungener Eingriffsrechte kann die EIOPA gerade in den Aufsichtskollegien wirkliche Aufsichtsaufgaben auf Unternehmensebene wahrnehmen, sodass diese neben dem eigentlichen Gruppenaufseher als Pseudo-Übergruppenaufseher erscheint. Nicht nur in organisatorischer, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht bringt das Solven184 cy II-Systems erhebliche Änderungen. Hierbei gliedern sich die gruppenaufsichtlichen Anforderungen in Spiegelung der Einzelaufsichtsvorgaben in die bekannten drei Säulen. Ein durch die Solvency II-Reform nicht gelöstes und verschärftes Problem ist das des Verhältnisses des Versicherungsaufsichtsrechts zum Gesellschaftsrecht. Hierbei geht es insbesondere um die Frage, wie aufsichtsrechtliche Pflichten der Gruppenspitze zu bewerten sind, die von dieser konzernrechtlich nicht gegenüber den anderen konzernzugehörigen Unternehmen zwangsweise durchgesetzt werden können. Leicht zu lösen ist dieser Konflikt allenfalls dann, wenn man im Versicherungsaufsichtsrecht ein vorrangiges „Sonderkonzernrecht“ sehen möchte, welches das allgemeine Gesellschaftsrecht überlagert.394 Geht man hingegen mit der richtigen Auffassung davon aus, dass das Aufsichtsrecht den Konzern grundsätzlich so zu nehmen hat, wie er besteht (sodass etwa das Versicherungsaufsichtsrecht nicht Anlass dazu geben darf, dass Anteile zugekauft werden müssen, um eine beherrschende Stellung zu erlangen oder bestimmte Unternehmen abgestoßen werden müssen), so stehen Versicherungsaufsichtsrecht und Gesellschaftsrecht grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind soweit möglich in praktische Konkordanz zu bringen.395 Hierbei muss berücksichtigt werden, dass das Versicherungsaufsichtsrecht die Versicherungsgruppe sehr verengt wie eine Einheit betrachtet, die sie jedoch konzernrechtlich nicht (zwingend) ist. Insofern wird es dem Adressaten der Gruppenaufsicht, dem Mutterunternehmen, vielfach nicht möglich sein, bestimmte die Gruppe als Ganze betreffende Anforderungen gegenüber den untergeordneten Konzerngliedern durchzusetzen und es muss fraglich sein, ob diese, wenn sie gesellschaftsrechtlich hierzu nicht veranlasst sind, aufsichtsrechtlich zu einer Mitwirkung verpflichtet sind. Am deutlichsten dürfte dies wohl im Hinblick auf die Bedeckung des Gruppen-SCR sein: Ein Unternehmensleiter eines untergeordneten Konzernunternehmens, das nicht mittels eines Ergebnisabführungsvertrages nach oben verbunden ist, wird im Hinblick auf seine Pflicht zum Schutz der Aktionäre des Unternehmens (und nicht des Konzerns) kaum als verpflichtet angesehen werden können, Kapital an die Mutter zur „Rettung“ anderer verbundener Unternehmen zu transferieren, um hierdurch das Gruppen-SCR 391 Dies zeigt beispielsweise auch, dass die Liste der EIOPA 2015 noch 102 europäische Versicherungsgruppen auswies; siehe EIOPA list of identified insurance groups for which a college of supervisors is in place – and including relevant groups where the Swiss Financial Market Supervisory Authority (FINMA) participates in Colleges [as per 30 November 2015] (EIOPA-BoS-15-292). 392 Für eine Liste der Finanzkonglomerate siehe Joint Committee, List of Financial Conglomerates 2016—Financial conglomerates with head of group in the EU/EEA (JC 2016 77). 393 S. zum Ganzen Prölss/Dreher/Gal Art. 21 EIOPA-VO Rn. 6 ff. 394 So etwa zum Bankenaufsichtsrecht Tröger ZHR 2013 475, 476 ff. 395 Vgl. in diese Richtung Dreher ZGR 2010 496, 501 ff.; Dreher/Wandt/Dreher/Ballmaier Solvency II 2013 45, 70 ff. Gal

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Besonderheiten der Rückversicherungsaufsicht und der Aufsicht über VVaG

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zu gewährleisten.396 Die Frage, wann eine etwaige aufsichtsrechtliche Pflicht gemäß dem Grundsatz ultra posse nemo obligator nicht greifen kann oder wann die Gruppenspitze zumindest gehörige Anstrengungen zur Durchsetzung innerhalb der Gruppe nachweisen muss, bleibt mithin ein Diskussionsfeld der Zukunft. In quantitativer Hinsicht ist neben den Solvenz- und Mindestkapitalanforderungen auf 185 Einzelebene für die gesamte Gruppe eine Gruppensolvenzkapitalanforderung (Gruppen-SCR) auf der Ebene des Unternehmens an der Gruppenspitze zu ermitteln.397 Die Berechnung des Gruppen-SCR erfolgt hierbei grundsätzlich auf Grundlage des konsolidierten Abschlusses.398 Alternativ zur (Gruppen-)Standardformel kann auch ein internes Modell für die gesamte Gruppe implementiert werden.399 Hinsichtlich der Bedeckung des SCR und des MCR (auf der Solo-Ebene) ist bedeutsam, dass der ursprüngliche Entwurf der Solvency II-RL vorgesehen hatte, dass die gruppenzugehörigen Unternehmen Unterstützungserklärungen des Mutterunternehmens (also im Wesentlichen das aufsichtsrechtliche Äquivalent einer harten Patronatserklärung) hierzu verwenden könnten.400 Dies hätte ein ganz erhebliches Cash-Pooling (bzw. genauer eine Optimierung des Kapitalmanagement und der Kapitalallokation) ermöglicht, aber umgekehrt den Gruppenaufseher zum alleinigen echten Wahrer der Finanzaufsicht erstarken lassen, was in einigen Mitgliedstaaten die Befürchtung nährte, dass hierdurch die Belange der Versicherten auf ihren Märkten, die durch Tochterunternehmen der Gruppenspitze bedient werden, nicht hinreichende Berücksichtigung finden würden. Entsprechend ist das Instrument der Unterstützungserklärung in das nunmehrige Solvency II-System nicht übernommen worden. In qualitativer Hinsicht wird durch § 275 Abs. 1 Satz 1 VAG festgelegt, dass die auf Einzel- 186 ebene geltenden Anforderungen der Säule 2 auf Gruppenebene entsprechend gelten. So sind etwa die Governancefunktionen innerhalb der Gruppe einheitlich umzusetzen und auch auf Gruppenebene als Gesamtkomplex zu installieren, wodurch sicherzustellen ist, dass das Governancesystem (und das Berichtswesen) auf Gruppenebene gesteuert und kontrolliert werden kann (§ 275 Abs. 1 Satz 2 VAG). Auch die Berichtspflichten der Solo-Ebene werden entsprechend auf die Gruppen-Ebene 187 übertragen. Bedeutsam ist hierbei, dass bestimmte Transparenzpflichten hierbei auf der Gruppenebene zentralisiert werden können, was insbesondere hinsichtlich der Durchführung des ORSA und der Übermittlung des Berichtes (§ 274 Abs. 4 VAG) und der Erstellung und Publikation des SFCR (§ 277 Abs. 2 VAG) bedeutsame Erleichterungen bewirkt.

D. Besonderheiten der Rückversicherungsaufsicht und der Aufsicht über VVaG Das reformierte VAG sieht zahlreiche Sonderregelungen für Rückversicherungsunternehmen 188 und für VVaG vor, wobei beide grundsätzlich einer gleichartigen Aufsicht unterworfen werden, wie (gewöhnliche) Erstversicherer.

396 S. hierzu sehr vertieft Behrendt Capital Requirement for Insurance Groups 297 ff., 410 ff. et passim. 397 Ein Gruppen-MCR ist hingegen nicht vorgesehen. 398 S. hierzu § 261 VAG. Alternativ kann das Gruppen-SCR auch gemäß § 265 VAG nach der sogenannten Abzugsund Aggregationsmethode berechnet werden, allerdings nur dann, wenn die Verwendung der Konsolidierungsmethode unangemessen wäre. 399 § 262 VAG. Hierbei ist der Gruppenaufseher für die Genehmigung des gruppeninternen Modells zuständig, wobei gerade bei dieser Entscheidung dem Aufsichtskollegium und mithin auch der EIOPA eine bedeutende Mitsprache zukommt. 400 S. Artt. 243–256 in: KOM (2007) 361; bzw. Artt. 234–247 in: KOM (2008) 119 und a. a. O. Begründung Nr. 5; vgl. ausführlich hierzu Sehrbrock ZVersWiss 2008 (Supplement) 27, 33 f. 363

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I. Rückversicherungsaufsicht 189 Die Rückversicherungswirtschaft wurde historisch im Schwerpunkt nur mittelbar beaufsichtigt, nämlich über den Erstversicherer (den Zedenten), der der Aufsicht nachzuweisen hatte, dass er über angemessenen Rückversicherungsschutz (bei einem soliden Rückversicherer) verfügte. Gleichwohl gab es bereits seit über hundert Jahren auch eine punktuelle Aufsicht über Rückversicherungsunternehmen, da § 116 VAG 1901 eine Ermächtigung vorsah, auf dessen Grundlage Normen des VAG auch auf Rückversicherer erstreckt werden konnten. Hiervon wurde Gebrauch gemacht und es kamen etwa die Vorschriften zum Rechnungsabschluss, zu Prüfungsund Auskunftsrechten, zur Berichtserstattung und den statistischen Nachweisen entsprechend zur Anwendung.401 Die Aufsicht wurde 1931 dann noch einmal auf Grundlage des damaligen § 148 VAG erheblich ausgeweitet,402 blieb jedoch ungeachtet sehr fragmentarisch. Obgleich zwischenzeitig, in Umsetzung der Rückversicherungsrichtlinie und einiger anderer Richtlinien punktuelle Änderungen vorgenommen wurden, blieb es bei diesem Rechtszustand, eines weitgehenden Regulierungsverzichtes. Erst durch die VAG-Novelle von 2004403 wurde die Rückversicherung einer systematisierten Aufsicht unterworfen, die obgleich immer noch im Verhältnis zum Erstversicherungssektor stark vermindert, einen deutlichen Paradigmenwechsel anzeigte. 190 Durch die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie wurde das Rückversicherungsaufsichtsrecht ganz erheblich ausgeweitet und weitläufig an die Aufsicht über die Erstversicherung angeglichen. Gleichwohl herrscht nach wie vor ein abgestuftes Aufsichtssystem, da zahlreiche in der Erstversicherung vorgesehene Bestimmungen im Rückversicherungssektor weiterhin nicht gelten. So greift etwa für in einem EWR-Staat zugelassenes Rückversicherungsunternehmen kein Notifikationsverfahren, wie für EWR-Erstversicherer vorgesehen (siehe Rn. 95 f.), sondern diese können gemäß § 169 VAG unmittelbar über eine Niederlassung oder im Dienstleistungsverkehr Rückversicherungsgeschäft im Inland betreiben. 191 Ohne hier alle säulenbezogenen Besonderheiten zusammenzufassen, ist zumindest zu konstatieren, dass die Legalitätsaufsicht über Rückversicherer sich anders als bei Erstversicherern (siehe unter Rn. 194) wohl stark auf die Einhaltung aufsichtsrechtlicher Normen beschränken wird. Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass der „(Rück-)Versicherte“ (d. h. der Zedent) hier kein Verbraucher oder sonstig schützenswerte Person ist, sondern eben ein VR, der üblicherweise über vergleichbare Kenntnisse über das Rückversicherungsgeschäft verfügen wird, wie der Rückversicherer selbst.404 Gerade eine Legalitätsaufsicht über die Einhaltung rückversicherungsvertragsrechtlicher Normen ist hierbei vor nahezu unlösbare Probleme gestellt, da das VVG für die Rückversicherung keine Anwendung findet und insofern unklar bleibt, welche Normen (evtl. punktuelle Analogie zum VVG, Rückgriff auf das allgemeine Schuldrecht nach BGB) zwingend zur Anwendung gelangen. Vielmehr ist das Rückversicherungsgeschäft heute maßgeblich durch Usanzen geprägt, die jedoch außerhalb der Rückversicherungswirtschaft, dies dürfte auch auf die meisten Mitarbeiter der BaFin zutreffen, weitgehend unbekannt sind. Hier mag ein gegenwärtiges Projekt, nämlich die Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL), durch die die globalen Handelsbräuche in Form eines Restatements verschriftlicht und in die Form eines optionalen Kodex gebracht werden,405 mittelfristig Besserung bewirken. 401 402 403 404

S. Verordnung v. 18.6.1908 RGBl. 1908, S. 409. RGBl. 1931 I 696. BGBl. 2004 I 3416. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die verwandten Klauseln vielfach eben nicht durch den Rückversicherer, sondern durch den Zedenten bzw. den Rückversicherungsmakler gestellt werden. 405 S. zu diesen bspw. Wandt/Bork VersR 2019 1113 und auf Englisch ebd. 1468; Heiss Scandinavian Studies of Law 2018 91; vorher bereits Wandt/Gal ICIR Annual Report 2016/2017 1; vgl. zu den besonderen Vorzügen der PRICL insbesondere in der Schiedsgerichtsbarkeit bereits im Ansatz Langheid/Wandt/Gal SchiedsVf Rdn. 52. Hierbei sind die PRICL in ihrer ersten Stufe bereits veröffentlicht, werden aber gegenwärtig noch weiter vertieft. Gal

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Verknüpfungen von Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertragsrecht

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II. Besonderheiten bezüglich der Aufsicht über VVaG Das VAG enthält zahlreiche Sondervorschriften zur Behandlung des Versicherungsvereins 192 auf Gegenseitigkeit (VVaG), wobei die §§ 171–210 VAG weitgehend mit den §§ 15–53b VAG a. F. übereinstimmen. Hierbei darf jedoch nicht verkannt werden, dass man einen großen Teil dieser Vorschriften eher als ein Sondergesellschaftsrecht verstehen sollte, welches gerade die organschaftlichen und mitgliedschaftlichen Besonderheiten des VVaG reguliert und nur mittelbar aufsichtsrechtliche Bedeutung hat. Hierbei gelten für die VVaG (abgesehen von kleinen Versicherungsvereinen nach § 210 VAG) weitgehend die gleichen Anforderungen wie an alle VU. Wirkliche aufsichtsrechtliche Sonderbehandlungen ergeben sich typischerweise aus der Besonderheit, dass die VN (grundsätzlich) auch Mitglieder des VVaG sind, also das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses Voraussetzung einer Mitgliedschaft ist und die Mitglieder als Eigner auch am Gewinn beteiligt werden.406

E. Verknüpfungen von Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertragsrecht Obgleich das Versicherungsaufsichtsrecht vom Versicherungsvertragsrecht zu scheiden ist, es 193 also jeweils um unabhängige Rechtsmaterien geht, beeinflussen sich beide gegenseitig, sodass zum einen Verstöße gegen zivilrechtliche Normen aufsichtsrechtliche Folgen zeitigen können und zum anderen aufsichtsrechtliche Verstöße zivilrechtlich sanktioniert werden können. Zudem sind beide Rechtsgebiete teilweise unmittelbar miteinander verknüpft.407

I. Aufsichtsrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen das Zivilrecht Eine besonders relevante Einbruchstelle zur aufsichtsrechtlichen Beachtung von zivilrechtlichen 194 Verstößen ist in § 298 Abs. 1 VAG zu sehen. Nach dieser Norm kann die BaFin gegenüber VU (und den weiteren enumerierten Personen) alle Maßnahmen ergreifen, die geeignet und erforderlich sind, um Missstände zu vermeiden oder zu beseitigen. Hierbei sind nach § 298 Abs. 1 Satz 2, 3 VAG Missstände jedes Verhalten eines VU, das den Aufsichtszielen des § 294 Abs. 2 VAG widerspricht, aber auch Schwächen oder Mängel, die die Aufsichtsbehörde im Rahmen des aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens festgestellt hat. Hierbei mag die Frage offenbleiben, ob diese fortgesetzte Missstandsaufsicht des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts eine Fehlumsetzung impliziert und insofern diese richtlinienkonform auf eine Legalitätsaufsicht zurückzuführen ist.408 Da es gemäß § 294 Abs. 2 und 3 VAG gerade auch zu den Aufgaben der Aufsicht gehört über die Einhaltung aller, also nicht nur aufsichtsrechtlicher Normen zu wachen, die für den Versicherungsbetrieb gelten, sodass eben auch der (systematische) Verstoß gegen zivilrechtliche Bestimmungen ein Eingreifen mittels der Legalitätsaufsicht rechtfertigen kann.

406 Für einen guten Überblick siehe etwa Langheid/Wandt/Langheid AufsichtsR Rn. 513 ff.; eine sehr gute Detailkommentierung etwa Prölss/Dreher/Weigel Vor §§ 171 ff.; immer noch sehr empfehlenswert, wenn auch zum alten Recht Benkel VVaG. 407 Der folgende Abschnitt zur Verknüpfung des Versicherungsaufsichts- und Vertragsrechts wurde über weite Flächen der Vorauflage entnommen (siehe dort Müller/Präve Einf. D Rn. 16 ff.). Dieser Abschnitt wurde jedoch aktualisiert, teilweise umgearbeitet und ausgeweitet. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass einer der Vorkommentatoren diese Ausführungen zumindest teilweise ebenfalls weiterentwickelt und insbesondere durch Beigabe zahlreicher Quellenangaben wissenschaftlich vertieft hat; siehe bspw. Prölss/Dreher/Präve § 142 VAG Rn. 19 ff. (zur Eignung des Treuhänders). 408 S. hierzu detailliert Prölss/Dreher/Dreher § 298 VAG Rn. 27 ff.; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr § 294 VAG Rn. 5. 365

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1. Verstöße der Versicherungsbedingungen gegen Normen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) 195 Der wesentliche Inhalt von Versicherungsverträgen wird in den Versicherungsbedingungen, sei es in den Allgemeinen, sei es in den Besonderen Versicherungsbedingungen sowie in den dazu vereinbarten Klauseln festgehalten. Diese standardisierten Vertragsbestandteile, die (typischerweise) von den VR erarbeitet und verwendet werden, waren bis zur so genannten Deregulierung durch die Umsetzung der EU-Versicherungsrichtlinien der zweiten und dritten Generation Teil des genehmigungsbedürftigen Geschäftsplans der Unternehmen, d. h. sie durften nur nach erfolgter Genehmigung durch die Versicherungsaufsichtsbehörde verwendet werden. Das galt auch für Änderungen der Bedingungs- und Klauselwerke. Spätestens seit 1994, dem Jahr der Umsetzung der Dritten EU–Richtlinien, sind die Versi196 cherungsbedingungen nicht mehr Teil des Geschäftsplans (Ausnahmen gelten für Altverträge in der Lebensversicherung sowie für Sterbekassen und regulierte Pensionskassen). Nicht mehr Geschäftsplanbestandteil sind auch die so genannten geschäftsplanmäßigen Erklärungen, die auf Verlangen der Aufsichtsbehörde vor allem dann von den VU abzugeben waren, wenn es galt, im Interesse der Rechtssicherheit eine z. B. im Hinblick auf neue Entwicklungen unklar gewordene Versicherungsbedingung auszulegen. Das VU verpflichtete sich dann, die Bedingung in bestimmter Weise auszulegen und danach zu handeln. Eine umständliche und kostenträchtige formelle Vertragsänderung wurde damit vermieden. Da die Bedingungen nicht mehr zum Geschäftsplan gehören, haben auch die geschäftsplanmäßigen Erklärungen, die gesetzlich nie ausdrücklich im Gesetz erwähnt waren, ihre Daseinsberechtigung verloren (siehe zu GP [inkl. AVB] und GE und den früheren Auswirkungen auf das Vertragsrecht Beckmann Einl. A Rn. 250 ff.). 197 Vor allem hatte nun aber die Aufsichtsbehörde die Möglichkeit verloren, etwaige Verstöße der Versicherungsbedingungen und Klauseln gegen das VVG als Geschäftsplanverstoß zu ahnden. Die Frage stellte sich sofort, ob die Aufsichtsbehörde nunmehr solchen Verstößen tatenlos zusehen und die Ahndung den Versicherten oder Verbraucherschutzorganisationen überlassen musste, die dann im Klagewege für Rechtsklarheit zu sorgen hatten. Die Frage war und bleibt zu verneinen. Die Aufsichtsbehörde kann auf der Grundlage der Generalklausel des § 298 VAG korrigierend eingreifen. Ein Verstoß gegen Bestimmungen des VVG (bzw. hier der §§ 306 ff. BGB) stellt einen Missstand im Sinne des § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG dar, da es ein Verhalten beinhaltet, dass den Aufsichtszielen und -aufgaben des § 294 Abs. 1, 2 Satz 2 VAG widerspricht, nämlich für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten. Zu diesen Gesetzen gehört unzweifelhaft das VVG, aber eben auch die verbraucherschützenden Vorschriften des BGB, soweit sie den VN als Verbraucher zum Objekt haben (siehe hierzu unter Rn. 51, 62 und 201). Die Aufsichtsbehörde kann daher nach § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG die Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, um den Missstand zu vermeiden oder zu beseitigen. 198 Die Behörde wird also wie bisher vielfach zunächst schlicht-verwaltend tätig werden. Sind die Bedingungen noch nicht in den Verkehr gebracht worden, so wird sie unter Bekanntgabe ihrer Rechtsansicht dem VU nahelegen, die Bedingungen zu ändern. Sind die Bedingungen bereits Vertragsbestandteil geworden, wird sie dem VU dringend empfehlen, für eine Bedingungsänderung zu sorgen, sei es durch Verhandlungen mit den VN, sei es nach den gesetzlichen Anpassungsverfahren nach § 164 VVG (Lebensversicherung), § 203 VVG (Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung) bzw. unter Verwendung einer vertraglichen Anpassungsklausel oder durch Kündigung der Verträge, verbunden mit dem Angebot auf neuer, gesetzeskonformer Vertragsgrundlage abzuschließen. 199 Haben die schlicht-verwaltenden Bemühungen keinen Erfolg, so kann die Aufsichtsbehörde im Rahmen ihres Eingriffsermessens durch Verwaltungsakt die oben beschriebenen Maßnah-

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men verlangen409 und notfalls im Verwaltungszwangsverfahren durchsetzen. Sie kann allerdings nicht mehr selbst vertragsgestaltend eingreifen, wie das vor der Deregulierung der Fall war. Die entsprechende Vorschrift des § 300 Satz 2 VAG (früher § 81a Satz 2 VAG a. F.) ist nicht mehr anwendbar, da die Bedingungen nicht mehr Teil des Geschäftsplans sind.

2. Verstöße der Versicherungsbedingungen gegen Normen des sonstigen Zivilrechts, insbesondere des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) Verstoßen Versicherungsbedingungen gegen andere Normen des Zivilrechts, so gilt im We- 200 sentlichen das oben zu den Verstößen gegen das VVG Gesagte entsprechend: Die Aufsichtsbehörde kann im Wege schlicht-verwaltender Tätigkeit, und wenn dies nicht hilft, durch Verwaltungsakt nach § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG eingreifen. Bedacht werden muss allerdings, dass diese Vorschrift der Aufsicht keine Befugnis zur lü- 201 ckenlosen Rechtskontrolle gibt. Nur Vorschriften aus Gesetzen, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten, unterliegen dieser Kontrolle. Im Hinblick auf den nunmehrigen europarechtlichen Ursprung der § 294 Abs. 2 Satz 2, 298 Abs. 1 VAG wurde in der Lehre vereinzelt resümiert, dass nur solche Rechtsnormen erfasst werden, die spezifisch an VU adressiert sind und die das europaweit vereinheitlichte Versicherungsaufsichtsrecht betreffen.410 Durch § 294 Abs. 2 Satz 2, 298 Abs. 1 VAG soll Art. 29 Abs. 1 Satz 2 Solvency II-RL umgesetzt werden,411 der seinerseits von der „Einhaltung der Aufsichtsvorschriften“ spricht, was terminologisch deutlich enger erscheint, und im Sinne eines „VAG-solo-Ansatzes“ nahelegt, dass nur im Versicherungsaufsichtsgesetz und den darauf basierenden Verordnungen (oder anderen nationalen Transformationsgesetzen) niederzulegende Normen erfasst werden. Ein solches Verständnis würde allerdings bedenkliche Folgen nach sich ziehen. Man denke hier nur daran, dass die gesetzgeberische Abkehr vom Policenmodell letztlich zivilrechtlich verankert, aber eine Zuwiderhandlung (soweit mit einem Verzichtsmodell gearbeitet würde) nicht zivilrechtlich, sondern nur aufsichtsrechtlich sanktioniert wird.412 Würden die Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes nicht mehr unter die Aufsichtsbefugnis fallen, so wäre es der Versicherungsindustrie entgegen dem gesetzgeberischen Willen unbenommen, auf Umwegen zum Policenmodell zurückzukehren. Insofern spricht der Wille, auf Umwegen einen umfassenden Schutz der Belange der Versicherten zu gewährleisten, dafür, dass auch der Rahmenrichtlinie ein „VAG-plus-Ansatz“ zugrunde liegt, dass also auch die Einhaltung anderer Gesetze, mit denen die Aufsichtsziele verfolgt werden, der Aufsicht unterliegen. Hierfür spricht auch, dass die Aufsichtsbefugnis unionsrechtlich dahingehend ergänzt wird, dass auch die „ordnungsgemäße Funktionsweise des Versicherungs- bzw. des Rückversicherungsgeschäfts“ (Art. 29 Abs. 1 Solvency II-RL) mitumfasst wird. Betrachtet man hierzu ergänzend, dass im Rahmen der allgemeinen Eingriffsbefugnisse in Art. 34 Abs. 1 Solvency II-RL den Aufsichtsbehörden die Aufgabe zugewiesen wird, dafür zu sorgen, dass die VU die Rechts- und Verwaltungsvorschriften einhalten, die sie in jedem Mitgliedstaat zu erfüllen haben, ist – in Rückschluss von der Eingriffs- auf die Aufsichtsbefugnis – davon auszugehen, dass eine Aufsichtsbefugnis über alle Gesetze, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten, auch unionsrechtlich gefordert ist. Entsprechend sind auch die umsetzenden §§ 294 Abs. 2 Satz 2, 298 Abs. 1 VAG nicht so zu verstehen, dass sie auf eine Einhaltung dieser Aufsichtsvorschriften beschränkt wären.413 Es verbleibt mithin unter dem reformierten Recht dabei, dass sich die Aufsicht auf all solche (materiellen) Gesetze erstreckt, deren Normauslegung ergibt, dass sie in einem in-

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Vgl. BVerwG 21.3.2007 – 6 C 26/06, VersR 2007 1253. So Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle5 Solvabilität II Rn. 54. So noch explizit BR-Drucks. 90/12 S. 321. Vgl. zu diesem Themenkomplex etwa Wandt Rn. 319, 324. Prölss/Dreher/Dreher § 298 VAG Rn. 62. Gal

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neren Regelungszusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb der VU stehen,414 was für gewöhnlich voraussetzt, dass sie zumindest mittelbar dem Schutz der Belange der Versicherten dienen sollen.415 Maßgebend ist danach, ob es die Zielsetzung der jeweiligen Gesetze (bzw. genauer der jeweiligen Norm) ist, zumindest mittelbar auch den Versicherteninteressen zu dienen. Zu diesen „Gesetzen“ gehört neben den Normen des Pflichtversicherungsgesetz und denen des UWG vor allem auch solche des BGB, insbesondere die Vorschriften der §§ 305 ff. über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Das Bundesverwaltungsgericht416 hat dies für das alte Versicherungsaufsichtsrecht bereits ausdrücklich bestätigt, was auch heute noch Geltung verlangen muss. Das BVerwG hat darüber hinaus (noch zum Solvency I-System) klargestellt, dass weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken, die vereinzelt geäußert worden sind, gegen die oben dargelegte Auffassung der Aufsichtsbehörde bestehen. Danach ist auch hier eine anlassbezogene Inhaltskontrolle von Versicherungsbedingungen durch den Wegfall der Genehmigungsbedürftigkeit nicht ausgeschlossen. Insbesondere, so das BVerwG, dürfe die Aufsichtsbehörde auch bei „ungeklärten Klauseln“ eingreifen; eines vorherigen Zivilverfahrens oder einer Missbilligung der Klausel durch die Zivilgerichte bedarf es nicht. Eine andere Auffassung ließe die Befugnis, Missstände aufzugreifen und zu beseitigen, von Zufälligkeiten der zivilrechtlichen Rechtsverfolgung abhängig werden, eine Beschränkung der Aufgaben und Befugnisse der Aufsichtsbehörde, die sich dem Aufsichtsrecht nicht entnehmen lässt und dessen Schutzzweck widerspräche. 202 Ebenso wie bei Verstößen gegen das VVG kann die Aufsichtsbehörde hier nicht vertragsgestaltend eingreifen. Sie kann aber auch hier vom VU verlangen, dass Bedingungen, die Verstöße zum Beispiel gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB enthalten, gar nicht erst in den Verkehr gebracht werden oder, wenn sie bereits Vertragsinhalt geworden sind, und sich jetzt als unwirksam erweisen, sei es durch ein zivilrechtliches Urteil oder durch Feststellung der Aufsichtsbehörde, notfalls unverzüglich durch unbedenkliche Bestimmungen ersetzt werden, und zwar in der oben bei den Verstößen gegen das VVG genannten Weise.417 Dasselbe gilt bei Verstößen etwa gegen gesetzliche Verbote (§ 134 BGB) oder gegen die guten Sitten (§ 138 BGB).

3. Sonstige Verstöße gegen Zivilrecht 203 Denkbar ist auch, dass VR in anderer Weise als durch Versicherungsbedingungen gegen Zivilrecht in einer Weise verstoßen, die eine Gefährdung oder gar Verletzung der Versicherteninteressen zum Gegenstand haben. Das kann vor allem durch tatsächliches Verhalten geschehen. Erfüllt z. B. ein VR laufend (und systematisch) die nach VVG vorgeschriebenen Mitteilungs- und Belehrungspflichten nicht, so stellt sein Verhalten einen Missstand im Sinne des § 298 Abs. 1 Satz 2 VAG dar, der die Aufsichtsbehörde zum Eingreifen ermächtigt. Auch eine schlechte, zögerliche Regulierungspraxis kann diesen Tatbestand erfüllen. Ebenso ist der Fall zu beurteilen, dass der VR zwar dem Vertrag gesetzeskonforme Versicherungsbedingungen zugrunde legt, sich in der Praxis aber nicht an diese hält. Werden Schriftformgebote oder Begründungszwang, Gleichbehandlungsgrundsatz, Kontrahierungszwang (siehe etwa § 5 Abs. 2 PflVG, § 193 Abs. 5 VVG oder § 23 Abs. 6 SGB VII zur privaten Pflegeversicherung) oder Diskriminierungsverbote missachtet, so gilt das Gleiche. Die zivilrechtlichen Gesetze, allen voran das VVG, enthalten immer mehr Vorschriften, die den VR ein bestimmtes Tun oder Unterlassen auferlegen. Fast immer handelt es sich um 414 So zum alten Recht etwa Laars 1. Aufl. (2012) § 81 VAG Rn. 5; Prölss/Kollhosser12 § 81 VAG Rn. 21. 415 So insb. Prölss/Kolhosser12 § 81 VAG Rn. 21; siehe bereits Goldberg/Müller § 81 VAG Rn. 12. Fahr/Kaulbach/ Bähr/Bähr5 § 81 VAG Rn. 26 a. E. spricht hier davon, dass sich die Auslegung am Grad der Gefährdung bzw. Beeinträchtigung der aufsichtsrechtlichen Schutzgüter zu orientieren habe. 416 BVerwG 25.6.1998 – 1 A 6.96, VersR 1998, 113. 417 Vgl. dazu zum alten Recht das BAV-Rundschreiben R 1/2001 VerBAV 2001 251; zum heutigen Recht etwa Langheid/Wandt/Sasserath-Alberti/Vogelsang AufsichtsR Rn. 424. Gal

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Vorschriften, die dem Schutz der Versicherten dienen sollen. Häufig enthalten die Vorschriften zivilrechtliche Sanktionen für den Fall, dass die Verpflichtungen durch den VR nicht erfüllt werden. Auch zivilrechtliche Schadenersatzansprüche können unter Umständen gegeben sein. Das alles darf aber die Aufsichtsbehörde nicht daran hindern, tätig zu werden, wenn 204 Missstände der oben genannten Art festgestellt werden. Die Belange der Versicherten werden durch die Aufsichtsbehörde im öffentlichen Interesse wahrgenommen. Der Staat hat m. a. W. ein Interesse an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Versicherungsgeschäfts. Dieser Aufgabe kann sich die Aufsichtsbehörde nicht entziehen, auch dann nicht, wenn einzelne Versicherte sich selbst helfen könnten. Die Behörde ist nach der Generalklausel des § 298 Abs. 1 VAG zum Eingriff berechtigt, und 205 zwar – zumindest, wenn man am Konzept der Missstandsaufsicht festhält – auch dann, wenn keine bestimmte gesetzliche Vorschrift, die das Verhalten des VU rügt, gegeben ist. Die Aufsicht hat sich bei diesem überkommenen Verständnis nämlich nicht lediglich in formaler Richtung in der Überwachung der Einhaltung der Gesetze und Satzungen zu erschöpfen, sondern durch Prüfungen und Entscheidungen materieller Art darüber zu wachen, dass in der Geschäftsführung nicht Missbräuche Platz greifen, welche die Interessen der Versicherten gefährden würden.418 An diesem, 1901 in das VAG übernommene System der materiellen Staatsaufsicht hat sich nach der Deregulierung nichts geändert und hieran wurde zumindest formell – europarechtliche Bedenken außenvor – auch in der deutschen Implementierung des Solvency II-Systems festgehalten. Durch die nach der Deregulierung immer mehr zu beobachtende Flut der gesetzlichen Regelung von Einzelfällen hat die Frage, ob die unbestimmten Rechtsbegriffe in der Generalklausel der Aufsichtsbehörde eine zu große Machtbefugnis geben, wenn nicht belanglosen, so doch zumindest nebensächlichen Charakter bekommen.

II. Zivilrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen das Versicherungsaufsichtsrecht Das Versicherungsaufsichtsrecht ist im Grundsatz autark. Das bedeutet, dass Verstöße gegen 206 aufsichtsrechtliche Vorschriften aufsichts- und ggf. straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Folgen haben, grundsätzlich aber keine zivilrechtlichen. Gleichwohl können im Einzelfall Rückwirkungen entstehen.

1. Wirksamkeit des Vertrags bei Verstößen Versicherungsverträge, die mit einem nicht zum Geschäftsbetrieb bzw. zu einem nicht mit der 207 entsprechenden Versicherungssparte oder Risikoart zugelassenen Unternehmen geschlossen werden, sind zivilrechtlich wirksam.419 Das gilt auch für etwaige Abreden zur Provisionsteilung bzw. zu sonstigen Begünstigungen, die aufsichtsrechtlich unzulässig sind.420 Die aufsichtsrechtlichen Regelungen zielen nämlich regelmäßig ausschließlich auf die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Versicherungsbetriebs.

418 Motive zum VAG, Berlin 1963 S. 25. 419 Es handelt sich eben nicht um ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB, so VGH Kassel 20.5.2009 – 6 A 1040/ 08, WM 2009 1889; OLG Hamm 10.12.2009 – I-2 U 111/09, VersR 2010 609, 610; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 67 VAG Rn. 65; vgl. vertieft m. w. N. zum (geringen) Streitstand Prölss/Dreher/Schmidt § 331 VAG Rn. 81; Kaufmann VW 1998 681. 420 BGH 17.6.2004 – III ZR 271/03, VersR 2004 1029; vertieft Armbrüster/Schilbach RuS 2016 109, 116 f. 369

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2. Anfechtung des Vertrags 208 Wird ein Versicherungsvertrag mit einem Unternehmen geschlossen, das hierfür nicht über die notwendige Zulassung bzw. sonstige Genehmigung verfügt, kommt allerdings eine Anfechtung des Vertrags nach § 119 Abs. 2 BGB wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft in Betracht.421

3. Schadenersatzpflichten 209 Das VAG enthält Straf- und Ordnungswidrigkeitenvorschriften (siehe Rn. 81 ff.). So ist etwa der unbefugte Geschäftsbetrieb strafbar (§ 331 Abs. 1 VAG); eine Ordnungswidrigkeit ist beispielsweise die unbefugte Zusammenarbeit mit einem nicht zugelassenen Versicherungsvermittler (§ 332 Abs. 3 Nr. 3 VAG; demgegenüber wird die unbefugte Vermittlung durch den Versicherungsvermittler nicht mehr wie früher durch § 144a VAG a. F. im VAG als Ordnungswidrigkeit geregelt). Diese Vorschriften, und einige andere, stellen Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar, so dass sich bei Verstößen Schadenersatzpflichten für den VR ergeben können.422

III. Unmittelbare Verknüpfungen 210 Zwischen Versicherungsvertrags- und Versicherungsaufsichtsrecht gibt es einzelne unmittelbare Verknüpfungen. So gibt es gemeinsame Regelungsgegenstände, d. h. es finden sich zu bestimmten Sachverhalten sowohl vertrags- als auch aufsichtsrechtliche Bestimmungen.

1. Bedingungs- und Prämienänderungen 211 Das Recht zur Änderung der Bedingungen und Prämien bei bestehenden Versicherungsverträgen ist genuin vertragsrechtlicher Natur. Demgemäß sieht das VVG für die Lebens- und die Krankenversicherung – in Anknüpfung an das frühere Recht – gesetzliche Anpassungsregelungen vor. Sie erfassen Prämien- und Leistungsänderungen (§§ 163 resp. 203 Abs. 1 und 2 VVG) sowie Bedingungsanpassungen (§§ 164 resp. 203 Abs. 3 und 4 VVG). Die Anpassung der Prämien und Leistungen bedarf dabei der Bestätigung eines unabhängigen Treuhänders. Die Anpassung der Bedingungen erfordert die Beteiligung eines Treuhänders in der Krankenversicherung im Falle von § 203 Abs. 3 VVG; ansonsten bedarf eine Bedingungsänderung – anders als dies das frühere Recht vorsah – nicht mehr der Mitwirkung eines Treuhänders. Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Treuhänder sind in § 142 i. V. m. § 157 und § 157 VAG geregelt. 212 Das VAG nennt für den Prämienänderungstreuhänder (respektive den Bedingungsänderungstreuhänder) drei Eignungsvoraussetzungen. Er muss zuverlässig, fachlich geeignet und unabhängig sein. Hierbei sind die Kriterien der Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung mit denen für Schlüsselfunktionsträger nach § 24 Abs. 1 VAG (siehe dazu unter Rn. 151 ff.) weitgehend deckungsgleich. Diese Voraussetzungen für den Prämientreuhänder sind jedoch eventuell nicht nur aufsichtsrechtlich relevant, sondern sie könnten zugleich eine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Vertragsanpassung nach § 163 und § 203 VVG bilden. Diesen Vorschriften ist immanent, dass ohne die Einbindung einer entsprechend geeigneten Person ein Eingriff in bestehende Ver421 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz § 1 Rn. 56; vgl. Schmid/Radke VW 2019 Heft 1, 74, 78 f. m. w. N. (insb. dort Fn. 11). 422 Vgl. etwa Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Göertz § 331 VAG Rn. 1; Brand/Baroch Castellvi/Kuhli § 331 VAG Rn. 3; Prölss/Dreher/Schmidt § 331 VAG Rn. 82 jeweils m. w. N. Gal

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sicherungsverträge nicht zu rechtfertigen ist.423 Insofern unterliegt deren Eignung – zumindest nach verbreiteter Ansicht in der Literatur – nicht nur der aufsichtsrechtlichen, sondern auch der zivilgerichtlichen Kontrolle.424 Hiervon ist nunmehr allerdings der BGH unter Anwendung des neuen VAG deutlich abgewichen, der zumindest das Merkmal der Unabhängigkeit (aber wohl auch erweiternd die anderen Merkmale), soweit es den Prämienanpassungstreuhänder in der Krankenversicherung betrifft, für zivilgerichtlich nicht überprüfbar erachtet. Nach diesem Konzept werden die Eignung und Zuverlässigkeit des Treuhänders also nur noch durch die Mitwirkung der Aufsicht im Rahmen der Bestellung sichergestellt.425 Die Zuverlässigkeit ist gegeben, wenn der Treuhänder charakterlich imstande ist, die ihm 213 gesetzlich zugewiesene Aufgabe zu erfüllen. Das setzt auch unbeschränkte Geschäftsfähigkeit voraus. Die Zuverlässigkeit soll anhand von bestimmten Unterlagen, die der Aufsicht vorzulegen sind, dargetan werden. Hierzu zählen vornämlich ein Führungszeugnis und eine Erklärung der betreffenden Person zu möglichen Straf-, Ordnungswidrigkeiten- und anderen relevanten Verfahren. Unzuverlässigkeit wird namentlich bei gravierenden bzw. einschlägigen Straftaten anzunehmen sein. Dasselbe gilt, wenn die betreffende Person durch ihr privates oder geschäftliches Verhalten gezeigt hat, dass sie zu einer soliden Aufgabenerledigung nicht in der Lage ist, etwa durch Trunk- oder Spielsucht. Abzulehnen ist hingegen eine starre Höchstaltersgrenze. Entscheidend ist insofern die körperliche und geistige Verfasstheit, die die Ausübung der Tätigkeit erlauben muss. Dem Treuhänder muss die Erfüllung seiner Aufgaben auch in zeitlicher Hinsicht möglich 214 sein, weshalb er grundsätzlich bei nicht mehr als zehn VU (oder Pensionsfonds) gleichzeitig als Treuhänder oder Verantwortlicher Aktuar tätig sein darf (§ 142 Satz 2 i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 3 und § 157 Abs. 1 Satz 3 VAG). Die Möglichkeit, dass die Aufsicht Abweichungen von diesem Grundsatz zulassen darf (§ 142 Satz 2 i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 3 und § 157 Abs. 1 Satz 3 VAG), ist im Lichte des Schutzzwecks der Vorschrift zu sehen. Sichergestellt werden soll eine ordnungsgemäße Ausübung der Treuhändertätigkeit. Danach ist zu berücksichtigen, dass in der Lebensversicherung kein regelmäßiger Anpassungsbedarf besteht, also nur zu seltenen Anlässen ein Treuhänder heranzuziehen ist. Anders sieht dies namentlich für den regelmäßigen Prämienänderungsbedarf in der Krankenversicherung aus. Der Arbeitsaufwand ist demzufolge in der Lebensversicherung entsprechend beschränkt, weshalb hier in besonderer Weise Abweichungen angebracht erscheinen. In der Krankenversicherung gibt es wiederum mit dem Standardtarif und der Pflegepflichtversicherung Tarife, die unternehmensübergreifend Bedeutung haben, weshalb hier eine Begrenzung (für den Bedingungsanpassungstreuhänder) von vornherein nicht sachgerecht ist. Ansonsten ist aber gerade in der Krankenversicherung, in der angenommen wird, dass VU einen Prämienanpassungstreuhänder dauerhaft und nicht nur im Bedarfsfall bestellen müssen, ob der zu erwartenden Arbeitsbelastung die zahlenmäßige Begrenzung im Zweifelsfall zu beachten. Die Entscheidung der Aufsichtsbehörde nach § 142 Satz 2 i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 3 und § 157 Abs. 1 Satz 3 VAG hat unmittelbare Wirkung gegenüber dem Unternehmen sowie Drittwirkung gegenüber dem jeweiligen Treuhänder bzw. der für dieses Amt nominierten Person.

423 S. Prölss/Dreher/Präve § 142 VAG Rn. 19 m. w. N. gerade auch zur punktuell abweichenden Auffassung; siehe auch vertiefend Langheid/Wandt/Wandt § 163 VVG Rn. 59 f. 424 Hierzu bestand schon seit langem, also bereits während der Zeit als die §§ 163, 203 VVG auf die §§ 11b, 12b VAG a. F. verwiesen, ein reicher Meinungsstreit, wobei nach richtiger Ansicht nicht jede noch so geringe Abweichung von den aufsichtsrechtlichen Anforderungen automatisch die Unwirksamkeit der Anpassung bewirkten; siehe etwa Langheid/Wandt/Wandt § 163 VVG Rn. 59 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt § 11 Rn. 66 m. w. N. 425 BGH 19.12.2018 – IV ZR 255/17, VersR 2019 283, 284 ff. Entsprechend fällt die Verknüpfung des Versicherungsvertragsrechts und -aufsichtsrechts nach diesem Verständnis anders aus, als keine Definitionsleihe mehr erfolgt, sondern nur ein verfahrensgemäßes aufsichtsrechtliches Mitwirken bei der Bestellung als zivilrechtliche Tatbestandsvoraussetzung gefordert wird. 371

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Die fachliche Eignung (§ 142 Satz 2 i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 und § 157 Abs. 1 Satz 2 VAG) soll sich aus dem Lebenslauf ergeben, der der Aufsicht vorzulegen ist. Hierzu hat der Lebenslauf Angaben über die Ausbildungsstationen und den beruflichen Werdegang zu enthalten, wobei die Tätigkeit als Prämienänderungstreuhänder grundsätzlich eine mathematische Ausbildung an einer Hoch- oder Fachhochschule voraussetzt. Dabei sind auch entsprechende versicherungsmathematische Kenntnisse nachzuweisen. Die Kenntnisse können sowohl im In- als auch im Ausland erworben worden sein. Zusätzlich zu diesen theoretischen Erkenntnissen ist es regelmäßig unverzichtbar, dass die jeweilige Person praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Prämienkalkulation in der Lebens- bzw. Krankenversicherung gesammelt hat. Auch wenn das Gesetz – anders als im Fall des Geschäftsleiters (§ 24 Abs. 1 Satz 4 VAG) und des Verantwortlichen Aktuars (§ 141 Abs. 1 Satz 4 VAG) – nicht ausdrücklich auf eine dreijährige Berufserfahrung abstellt, ist auch hier von einem zumindest vergleichbaren Zeitrahmen auszugehen. Neben dem reinen Versicherungsmathematiker kommt für die Tätigkeit ein entsprechend mathematisch geschulter Betriebswirt oder Wirtschaftsprüfer in Betracht, vorausgesetzt er verfügt über eine adäquate praktische Erfahrung. Auch eine sonstige gleichwertige berufspraktische Qualifikation reicht aus. Rechtskenntnisse können nur insoweit erwartet werden, wie sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der versicherungsmathematischen Eignung stehen. 216 Anders sieht dies für die fachliche Eignung des Bedingungsänderungstreuhänders in der Krankenversicherung aus. Dieser hat über die hierzu primär notwendigen juristischen Kenntnisse zu verfügen (§ 157 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 VAG). Solche sind regelmäßig anzunehmen, wenn die betreffende Person ein Studium der Rechtswissenschaften an einer Hochschule aufzuweisen hat und über adäquate berufliche Erfahrung verfügt. Diese hat sich insbesondere auf das Privatversicherungsrecht zu erstrecken, hier namentlich auf das Krankenversicherungsrecht. Nicht ausreichend sind während einer anderen Tätigkeit erworbene juristische Kenntnisse, es sei denn, sie können als einem Studium gleichwertig angesehen werden. Mathematische Kenntnisse können hingegen nicht verlangt werden, sieht man einmal von gewissen Grundkenntnissen ab, die im Zusammenhang mit der Erstellung von Bedingungen verbunden sind. Hinreichende berufliche Erfahrung setzt wie beim Prämienänderungstreuhänder regelmäßig eine mindestens dreijährige, einschlägige Tätigkeit voraus. Im Ausland erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten genügen nur dann, wenn sie der Rechtslage in Deutschland entsprechen (also im Wesentlichen wohl nur zum österreichischen und im geminderten Maße zum schweizerischen Versicherungsrecht). Die unterschiedlichen Anforderungsprofile für einen Prämien- und einen Bedingungsänderungstreuhänder führen in der Praxis dazu, dass als Treuhänder unterschiedliche Personen bestellt werden, wenngleich eine Personalunion nicht per se auszuschließen ist. 217 Die vom Treuhänder zu erfüllende Unabhängigkeit (§ 142 Satz 2 i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 oder § 157 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VAG) verbietet einen Anstellungs- oder anderweitigen Dienstvertrag mit dem jeweiligen Unternehmen. Ebenso wenig dürfen entsprechende Verträge mit verbundenen Unternehmen i. S. v. § 15 AktG426 geschlossen sein. Dienstverhältnisse des VU mit Angehörigen des Treuhänders schließen die Unabhängigkeit zumindest nicht automatisch aus. Die Auffassung, jedenfalls bei nahen Angehörigen (Ehegatten, Geschwistern, Kindern und Eltern) sei die Unabhängigkeit wegen der Gefahr einer Interessenkollision nicht gewahrt,427 ist im Gesetz zumindest nicht als zwingende Folge angelegt. § 142 Satz 2 i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 oder § 157 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VAG erklärt ausdrücklich nur Dienstverhältnisse des Treuhänders selbst für unzulässig. Es würde auch eine Überbetonung der Unabhängigkeit bedeuten, würde jede mögliche Interessenkollision von vornherein zum Ausschluss der betreffenden Person führen. Eine verwandtschaftliche Bindung begründet zudem nicht per se Gefahren für die Unabhängigkeit. Aufgrund der Formulie215

426 Hierbei ist es nicht erforderlich, dass es sich um ein verbundenes Unternehmen nach § 7 Nr. 30 VAG handelt, dass in die Gruppenaufsicht miteinbezogen ist. Auch ein Dienstvertrag mit einem Nichtversicherungsunternehmen des Konzerns begründet eine Gefahr der Befangenheit und schließt mithin die Unabhängigkeit aus. 427 Drews VW 2002 452, 454. Gal

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rung des § 157 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VAG („insbesondere“) kann jedoch ein Anstellungsverhältnis von Verwandten durchaus gewichtend in die Gesamtabwägung der Unabhängigkeit eingebracht werden, als hierdurch im jeweiligen Einzelfall durchaus die Besorgnis der Befangenheit begründet sein kann. Dass der Treuhänder als solcher vom Unternehmen bestellt und bezahlt wird, steht seiner Unabhängigkeit nicht entgegen. Dies ist vielmehr zwangsläufige Folge der gesetzlichen Ausgestaltung. Allerdings ist es mit der Unabhängigkeit nicht vereinbar, wenn die Vergütung eines Prämienänderungstreuhänders die Mehrprämie als Bezugspunkt hat, die mit der beabsichtigten Prämienänderung erreicht werden soll. Mit der Unabhängigkeit unvereinbar wäre ferner eine Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat, eine Berufung als Beiratsmitglied oder eine frühere Vorstandstätigkeit innerhalb des betreffenden Unternehmens (oder der Versicherungsgruppe). Versorgungsansprüche aus einer vormaligen Tätigkeit stehen einer Treuhändertätigkeit ebenfalls entgegen. Hingegen schaden eigene Versicherungsverträge des Treuhänders bei dem betreffenden VR nicht, da es nur um eine Unabhängigkeit vom VR und nicht von der Versichertengemeinschaft geht. Der Treuhänder muss nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich unabhängig 218 sein.428 So ist die vom Gesetz vorausgesetzte Eigenständigkeit der Beurteilung als gefährdet anzusehen, wenn die Lebensgrundlage eines Treuhänders auf der Tätigkeit für ein Unternehmen und für die mit ihm verbundenen Gesellschaften fußt. Das gilt in besonderem Maße, wenn sich ein Treuhänder an diese Gesellschaften über einen längeren Zeitraum gebunden hat. Insofern ist die für Abschlussprüfer geltende Regelung entsprechend heranzuziehen (§ 319 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 HGB), derzufolge Abschlussprüfer nicht sein darf, wer in den letzten fünf Jahren jeweils mehr als dreißig Prozent der Gesamteinnahmen aus der Tätigkeit für die betreffende Gesellschaft und von solchen Unternehmen bezogen hat, an denen diese Gesellschaft mehr als zwanzig Prozent der Anteile besitzt. Eine Unabhängigkeit ist ferner nicht mehr gegeben, wenn die betreffende Person eine bedeutende Beteiligung i. S. v. § 7 Nr. 3 VAG an dem jeweiligen Unternehmen hält. Verfahren zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung gemäß § 807 ZPO bzw. eine Überschuldung können nicht nur der Zuverlässigkeit, sondern auch der Unabhängigkeit entgegenstehen. Auch darüber hinaus ist – ebenfalls wie beim Abschlussprüfer – jede Besorgnis der Befan- 219 genheit zu vermeiden, die im Einzelfall auch bei Tätigkeiten für ein VU gegeben sein kann, die nicht das genannte Ausmaß erreichen. Auch für einen Rechtsanwalt gilt insofern nichts Abweichendes. Seine berufsrechtliche Bindung allein begründet noch nicht die Annahme ausreichender Unabhängigkeit im hier geforderten Sinne. Im Falle einer Anwaltssozietät gilt das Gesagte entsprechend, sofern die Sozietät und damit alle Sozii entsprechende Verpflichtungen eingegangen sind. Mit den Erfordernissen der Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung hat der Gesetzgeber mit- 220 telbar auch eine Entscheidung darüber getroffen, dass als Treuhänder nur eine natürliche Person in Betracht kommt. Die Anforderungen kann nämlich nur eine natürliche Person erfüllen. Hätte der Gesetzgeber auch juristische Personen zulassen wollen, hätte er regeln müssen, welche natürliche Personen anstelle der jeweiligen juristischen Person die Voraussetzungen zu beachten haben, wie er dies etwa für die Inhaber bedeutender Beteiligungen festgelegt hat (vgl. § 16 Satz 2 VAG).

2. AVB-Regelungen bei VVaG Zu VVaG finden sich im VAG spezielle Regelungen, die vornehmlich auf die körperschaftliche 221 Verfasstheit und das Mitgliedschaftsverhältnis zielen, aber auch das Vertragsverhältnis berühren. So gibt es eine Regelung zur Änderung von AVB (§ 197 VAG). Diese Kompetenz ist grund-

428 Vgl. zu diesem Komplex etwa vertieft Voit VersR 2017 727, 728 ff.; siehe insb, auch Prölss/Dreher/Präve § 142 VAG Rn. 24 m. w. N. 373

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sätzlich der obersten Vertretung zugewiesen. Die Satzung kann den Vorstand aber ermächtigen, mit Zustimmung des Aufsichtsrats Bedingungen zu ändern. Zu beachten ist darüber hinaus, dass in Bezug auf das Mitgliedergeschäft Satzungsregelungen auch unmittelbar auf das Vertragsverhältnis einwirken können. Insofern ist von einer Doppelnatur derartiger Regelungen auszugehen.429 Sie haben eine mitgliedschaftliche und eine vertragsrechtliche Komponente. Entscheidend ist aber, dass die allgemeinen vertragsrechtlichen, insbesondere die AGB-rechtlichen Anforderungen auch für VVaG ohne Abstriche gelten.430 Insofern gibt es auch keine rechtsformbedingten Wettbewerbsverzerrungen, die anderenfalls logische Folge unterschiedlicher rechtlicher Parameter wären. 222 Bei VVaG (und öffentlich-rechtlichen VU) durften die in § 10 Abs. 1 VAG a. F. genannten Regelungsinhalte statt in den AVB auch in der Satzung enthalten sein (§ 10 Abs. 2 VAG a. F.). Mit Wegfall des § 10 Abs. 1 VAG a. F. sieht das deutsche Recht jedoch genaugenommen keinen Mindestinhalt für AVB mehr vor. Allerdings ergeben sich aus § 7 Abs. 2 VVG i. V. m. § 1 VVGInfoV zahlreiche zwingend zu erteilende Informationen. Man wird zahlreiche dieser Informationspflichten wohl auch so verstehen können, dass eine Information über die betroffenen Tatsachen, eben eine vorherige Regelung in den AVB voraussetzt (siehe hierzu unter Rn. 229). So diese Rechtsfragen geregelt werden sollen, muss dies im Falle eines VVaG auch heute noch nicht zwingend in den AVB, sondern kann auch in der Satzung erfolgen. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, ergeben sich materiell-rechtlich keine abweichenden Anforderungen als im Falle der Aufnahme der Bestimmungen in die Bedingungswerke. Aufsichtsrechtlich gilt, dass insofern auch keine zusätzlichen Genehmigungserfordernisse bestehen. Im Übrigen finden auf die Bestimmungen die allgemeinen Gesetze Anwendung, namentlich die AGB-rechtlichen Vorschriften des BGB. Die Schutzbedürftigkeit des VN besteht nämlich unabhängig davon, ob eine entsprechende Bestimmung in der Satzung oder in den AVB getroffen wird.431

3. Informationspflichten des Versicherers (und Vermittlers) 223 Die Informationspflichten, die VR und Versicherungsvermittler zu erfüllen haben, sind im VVG und der VVG-InfoV geregelt. Das frühere Recht lokalisierte die Pflichten der VR im VAG, für Vermittler gab es überhaupt keine derartigen Vorgaben. Letztes Relikt432 dieser gespaltenen Rechtslage (aufsichtsgesetzliche Vorgabe, aber genuin vertragsrechtlicher Regelungskern) waren bis 2016 die unverändert in § 10a VAG a. F. samt Anlage Teil D vorgesehenen Informationspflichten in der betrieblichen Altersversorgung (§ 10a Abs. 2 VAG a. F.). Dasselbe galt in Bezug auf das amtliche Informationsblatt, das in der privaten Krankenversicherung vorzusehen war (§ 10a Abs. 3 VAG a. F.). Daran hat auch die Solvency II-Reform nicht grundsätzlich gerüttelt, sodass § 144 i. V. m. § 234k–234p VAG für Lebensversicherer, § 234k–234p VAG für Pensionskassen, § 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 234k–234p VAG für Pensionsfonds und § 146 Abs. 1 Nr. 6 VAG für (substitutive Krankenversicherer) weiterhin spezielle Informationspflichten vorsehen. 224 Die Rechtsänderung, also die Verlagerung der Informationspflichten schwerpunktmäßig in das Vertragsrecht (wie sie im Wesentlichen bereits 2008 vollzogen wurde), ist folgerichtig. Sie 429 BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, Vers 1997 1517, 1518 f. 430 Aber eben nur für die AVB (unabhängig davon, ob sie in der Satzung niedergelegt werden oder nicht), nicht jedoch für genuin mitgliedschaftliche Regelungen; siehe Prölss/Dreher/Weigel § 197 VAG Rn. 25. 431 Vgl. zu diesem Komplex Prölss/Dreher/Weigel § 176 VAG Rn. 18. 432 Dies ist genaugenommen kein Relikt, sondern dient heute der neuen Richtlinie (EU) 2016/2341 über die Tätigkeit und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung ABl. v. 23.12.2016, S. 37; umgesetzt durch Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2341 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14. Dezember 2016 über die Tätigkeit und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) BGBl. 2018 I 2672. Gal

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bedeutet aber nicht, dass die Erfüllung dieser Pflichten aufsichtsrechtlich irrelevant ist. Ein planmäßiger Verstoß gegen diese Pflichten begründet einen Missstand, der die Aufsicht unverändert nach § 298 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 294 Abs. 3 Satz 1 VAG zum Eingreifen berechtigt.433 Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung (bAV) sind neben dem VN (hier greift die 225 VVG-InfoV) auch die Versorgungsanwärter und -empfänger zu informieren (§ 144 oder § 234k– 234p oder 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 234k–234p VAG). Das Gesetz verpflichtet insofern Lebensversicherer einschließlich Pensionskassen sowie Pensionsfonds. Damit werden alle der Aufsicht nach dem VAG unterstellten Anbieter im Bereich der betrieblichen Altersversorgung erfasst. Nicht erfasst werden Rückdeckungsversicherungen (zur Finanzierung einer Direktzusage), bei denen die Versorgungsanwärter und empfänger über keinen direkten Anspruch gegen den VR verfügen. Die Information umfasst zu Beginn des Versorgungsverhältnisses im Wesentlichen die Adresse des Unternehmens, die Vertragsbedingungen, die Laufzeit und Angaben über die Steuerregelung und Risiken sowie während des Versorgungsverhältnisses Angaben über Änderungen der Adresse (und anderer wesentlicher Änderungen), jährlich die voraussichtliche Höhe der Leistungen, die Vermögensanlage und -verwaltung. Auf Anfrage sind weitere Informationen zu geben, u. a. der Jahresabschluss, die Erklärung über Anlagegrundsätze sowie die Modalitäten der Übertragung von Anwartschaften. Als maßgeblichen Zeitpunkt der dem Versorgungsanwärter zu erteilenden vorvertraglichen Information bestimmt § 234m Abs. 1 VAG den Beginn des Versorgungsverhältnisses. Insofern wird ein von § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG abweichender Zeitpunkt festgelegt. Damit ist eine Information nach § 144 i. V. m. § 234m oder § 234m oder § 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 234m VAG noch rechtzeitig, wenn sie mit Aufnahme des Versorgungsverhältnisses erfolgt. Hintergrund ist die Einbettung der Versorgung in das Arbeitsverhältnis, so dass es vertretbar ist, keinen vorgelagerten Zeitpunkt wie für die Versicherteninformation nach der Informationspflichtenverordnung einhalten zu müssen. Eine Ausnahme greift aber dann, wenn das entsprechende bAV-System so ausgestaltet ist, dass ein Beitritt des Arbeitnehmers nicht automatisch erfolgt. Hier muss die Information gemäß § 144 i. V. m. § 234n oder § 234n oder § 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 234n VAG zur Verfügung gestellt werden, bevor der Arbeitnehmer dem bAV beitritt und hierdurch zum Versorgungsanwärter wird. In der privaten Krankenversicherung hat der Versicherungsinteressent vor Abschluss des 226 Vertrags ein aufsichtsbehördliches Informationsblatt zu erhalten, welches über die verschiedenen Prinzipien der Krankenversicherung aufklärt (§ 146 Abs. 1 Nr. 6 VAG). Das Blatt selbst ist nicht unmittelbarer Gegenstand der Versicherteninformation, deren Inhalt die Informationspflichtenverordnung (VVG-InfoV) vorgibt. Das Blatt muss vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt werden. Dies wird teilweise so verstanden, dass der VN über das Blatt verfügen muss, bevor er eine Bindung eingeht, also vor Abgabe seiner Vertragserklärung (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG).434 Dass diese Vertragserklärung widerrufen werden kann (§ 8 Abs. 1 VVG), stehe dem nicht entgegen. Mag man hier auch gewisse Zweifel haben, da gerade die Übergabe nicht „vor der Vertragserklärung“ des VN verlangt wird, sondern vor dem Vertragsschluss. So erscheint dies doch überzeugend. Es wird gerade auch nicht statuiert, dass die Information „mit dem Vertragsschluss“ übermittelt wird. Da der Empfang des Blatts darüber hinaus zu bestätigen ist, hat dessen Aushändigung bzw. sonstige Übermittlung auch bereits faktisch vor Abgabe der Vertragserklärung des VN zu erfolgen. Ein Verstoß gegen die Informationspflicht, begründet aufsichtsrechtliche Folgen, ggf. auch Schadenersatzforderungen. Der Lauf der Widerrufsfrist wird hierdurch, anders als bei verspäteter Übermittlung der Versicherteninformation (§ 8 Abs. 2 VVG), nicht beeinflusst. Das Blatt (BAV-Verlautbarung VerBAV 2000, 23 angepasst und neu verkündet durch BaFin Rundschreiben 1/2016 [VA]) hat folgenden Wortlaut:

433 Etwa Prölss/Dreher/Dreher § 298 VAG Rn. 66, der richtig feststellt, dass versicherungs(-vertrags-)rechtliche Gesetze grds. ohne weiteres Gegenstand der Legalitätsaufsicht sind.

434 Prölss/Dreher/Hilgenstock § 146 VAG Rn. 24. 375

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„Informationsblatt Krankenversicherung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. In der Presse und in der Öffentlichkeit werden im Zusammenhang mit der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung Begriffe gebraucht, die erklärungsbedürftig sind. Dieses Informationsblatt will Ihnen die Prinzipien der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung kurz erläutern. 1 Prinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung In der gesetzlichen Krankenversicherung besteht das Solidaritätsprinzip. Dies bedeutet, dass die Höhe des Beitrages nicht in erster Linie vom im Wesentlichen gesetzlich festgelegten Leistungsumfang, sondern von der nach bestimmten Pauschalregeln ermittelten individuellen Leistungsfähigkeit des versicherten Mitglieds abhängt. Die Beiträge werden regelmäßig als Prozentsatz des Einkommens bemessen. Weiterhin wird das Versicherungsentgelt im Umlageverfahren erhoben. Dies bedeutet, dass alle Aufwendungen im Kalenderjahr durch die in diesem Jahr eingehenden Beiträge gedeckt werden. Außer einer gesetzlichen Rücklage werden keine weiteren Rückstellungen gebildet. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Ehegatten und Kinder beitragsfrei mitversichert. 2 Prinzipien der privaten Krankenversicherung In der privaten Krankenversicherung ist für jede versicherte Person ein eigener Beitrag zu zahlen. Die Höhe des Beitrages richtet sich nach dem Alter, Geschlecht und nach dem Gesundheitszustand der versicherten Person bei Vertragsabschluss sowie nach dem abgeschlossenen Tarif. Es werden nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnete risikogerechte Beiträge erhoben. Die altersbedingte höhere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen wird durch eine Altersrückstellung berücksichtigt. Bei der Kalkulation wird unterstellt, dass sich die Kosten im Gesundheitswesen nicht erhöhen und die Beiträge nicht allein wegen des Älterwerdens des Versicherten steigen. Dieses Kalkulationsverfahren bezeichnet man als Anwartschaftsdeckungsverfahren oder Kapitaldeckungsverfahren. Ein Wechsel des privaten Krankenversicherungsunternehmens ist in der Regel zum Ablauf des Versicherungsjahres möglich. Dabei ist zu beachten, dass für die Krankenversicherer – mit Ausnahme der Versicherung im Basistarif – keine Annahmeverpflichtung besteht, der neue Versicherer wiederum eine Gesundheitsprüfung durchführt und die Beiträge zum dann erreichten Alter erhoben werden. Ein Teil der kalkulierten Alterungsrückstellung kann an den neuen Versicherer übertragen werden1. Der übrige Teil kann bei Abschluss eines Zusatztarifes auf dessen Prämie angerechnet werden, andernfalls verbleibt er bei dem bisherigen Versichertenkollektiv. Eine Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung ist in der Regel, insbesondere im Alter, ausgeschlossen. 1 Waren Sie bereits vor dem 1.1.2009 privat krankenversichert, gelten für Sie Sonderregelungen. Bitte informieren Sie sich ggf. gesondert über diese Regelungen.“

4. Antragsbündelung 227 Die früher im VAG enthaltene Regelung zur Antragsbündelung (§ 10a Abs. 1 VAG a. F.) ist dort nicht mehr enthalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass hier keine Informations- und Transparenzpflichten mehr greifen würden. Unter einer gebündelten Versicherung versteht man den Abschluss mehrerer rechtlich selbständiger Verträge durch mehrere Anträge, die jedoch in einem Antragsvordruck zusammengefasst werden.435 Bei solchen wird die nachvertragliche Transparenz etwa dadurch hergestellt, dass es bei Erstellung einer Sammelpolice für Bündelanträge verpflichtend ist, dass diese nicht nur die Gesamtprämie, sondern auch die auf die einzel435 Gebräuchlich sind solche gebündelten Versicherungen, gemeint sind hier selbständige Versicherungsverträge, die aber vertrieblich gebündelt abgesetzt werden, etwa in der Industrieversicherung, aber auch in der Kfz-Versicherung (Kasko- und Haftpflichtversicherung) und der Familienversicherung (Hausrats-, Privathaftpflicht- und private Unfallversicherung); vgl. etwa Wandt Rn. 456, der dies wie hier als „gebündelte Versicherung“. Dieser Begriff wird vielfach jedoch abweichend – was linguistisch mit dem Begriff des Bündels, allerdings nur sehr undeutlich beschrieben ist – als ein einziger Versicherungsvertrag verstanden, der mehrere ansonsten auch einzeln deckbare Gefahren beinhaltet; so etwa bei Staudinger/Halm/Wendt/Reusch § 3 VVG Rn. 18; Prölss/Martin/Armbrüster § 3 VVG Rn. 18. Dies ist jedoch besser mit dem BAV als kombinierte Versicherung zu bezeichnen und das hier beschriebene Phänomen als gebündelte Versicherung (BAV, Rundschreiben R 4/54 VerBAV 1954 52). Gal

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nen Versicherungsverträge entfallende Einzelprämie ausweist.436 Da es sich bei gebündelten Anträgen um selbständige Anträge handelt, muss auch für jeden abzuschließenden Vertrag eine gesonderte Information nach § 7 Abs. 1 VVG erfolgen, schon allein da diese Verträge gesondert beendigt (bspw. durch Widerruf) werden können. Entsprechend ist der VR schon vertragsrechtlich in besonderer Weise gehalten, auf eine transparente Gestaltung zu achten. Es dürfte mithin auch der Rechtsgedanke der früheren Regelung fortgelten, dass nur so viele Anträge gebündelt werden dürfen, dass die Übersichtlichkeit, Lesbarkeit und Verständlichkeit nicht beeinträchtigt wird. Ziel bleibt auch heute stets die Sicherstellung hinreichender Transparenz. Der Antragsteller muss ferner auf die rechtliche Selbständigkeit der Verträge sowie auf die jeweiligen Bindefristen und Laufzeiten hingewiesen werden, was sich heute aus § 7 VVG und dem AGB-Recht ergibt. Wenn auch das VAG hierzu keine gesonderten Regelungen mehr enthält, so kann doch ein planmäßiger Verstoß gegen diese Pflichten einen Missstand begründet, der die Aufsicht unverändert nach § 298 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 294 Abs. 3 Satz 1 VAG zum Eingreifen berechtigt.

5. AVB-Inhalte Vorgaben zum Inhalt der AVB fanden sich bis 2016 im VAG (§ 10 VAG a. F.). Diese Regelung war 228 im Wesentlichen historisch zu erklären. Sie hat ihren Ursprung in der aufsichtsbehördlichen Bedingungsgenehmigung, wie sie bis Jahresmitte 1994 im Gesetz vorgesehen war. Bei den Vorgaben des § 10 VAG a. F. handelte es sich um Mindestbedingungen. Den VR stand es mithin frei, über § 10 VAG a. F. hinaus noch weitere Angaben und Regelungen, selbst wenn diese rein deskriptiv waren, da sich die Rechtsfolge bereits aus dem VVG ergeben hätte, in ihre AVB aufzunehmen. Mit der Solvency II-VAG wurde diese Reminiszenz an die Zeit der Genehmigungspflicht der AVB ersatzlos aus dem VAG gestrichen. Mit Wegfall des § 10 Abs. 1 VAG a. F. sieht das deutsche Recht mithin keinen Mindestinhalt 229 für AVB mehr vor. Allerdings ergeben sich aus § 7 Abs. 2 VVG i. V. m. § 1 VVG-InfoV zahlreiche zwingend zu erteilende Informationen. Man wird zahlreiche dieser Informationspflichten wohl auch so verstehen können, dass eine Information über die betroffenen Tatsachen, eben eine vorherige Regelung in den AVB voraussetzt. Eine solcher indirekter Mindestinhalt ergab sich wohl insbesondere aus § 4 Abs. 5 Satz 4 VVG-InfoV a. F., der für das Produktinformationsblatt forderte, dass dort aufzuführende Informationen einen Verweis auf die vertragliche Regelung enthalten mussten, was im Umkehrschluss bedeutete, dass solche vertraglichen Regelungen in den AVB auch vorgesehen werden mussten. Jedoch wurde § 4 Abs. 5 VVG-InfoV a. F. 2018 aufgehoben und § 4 VVG-InfoV insgesamt an die europäischen Vorgaben angepasst und der Inhalt des Informationsblattes ergibt sich heute wesentlich aus der IDD-DVO.437 Diese sieht (zumindest explizit) jedoch keine „Verweispflicht“ mehr vor. Es erscheint gleichwohl fraglich, ob eine Information, die so wesentlich erscheint, dass über sie gesondert informiert werden muss, nicht auch so wesentlich ist, dass ihre Nicht-Nennung in den AVB letztere der Gefahr der AGB-rechtlichen Intransparenz aussetzen. Insgesamt ist dies aber eher ein theoretisches Problem, da die meisten (im Jedermanngeschäft) auf dem Markt befindlichen AVB sich an den Musterbedingungen des GDV ausrichten und diese wiederum nach wie vor Regelungen enthalten die sämtliche Mindestinhalte des § 10 VAG a. F. abdecken. Wenn insofern auch kein aufsichtsrechtlicher Mindestinhalt greift, so wirkt doch eine ge- 230 wisse Restvermutung nach, dass ein Klauselwerk, das eine ehemalige aufsichtsrechtliche Mindestinhaltsanforderung nicht erfüllt – und insofern auch vom heutigen Marktstandard erheblich abweicht –, eventuell erforderlichen Transparenzanforderungen nicht gerecht wird. Es erscheint insofern auch heute noch zumindest aus Rechtssicherheitsgesichtspunkten für VR ange436 Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 VVG Rn. 23; Staudinger/Halm/Wendt/Reusch § 3 VVG Rn. 18. 437 Durchführungsverordnung (EU) 2017/1469 ABl. L 209 v. 12.8.2017, S. 19. 377

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bracht, den Mindestinhalt des § 10 Abs. 1 VAG a. F. in den AVB vorzuhalten, sodass im Folgenden überblickhaft die ehemals zu machenden Angaben skizziert werden sollen. Die AVB hatten die Leistungstatbestände aufzuführen (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 VAG a. F.). Hierzu waren die versicherten Gefahren zu nennen und, sofern gegeben, diesbezügliche Ausschlusstatbestände. Anzugeben sind ferner Art, Umfang und Fälligkeit der Leistungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 VAG a. F.). Hierbei ist festzulegen, ob eine Geld- oder eine Naturalleistung versprochen wird. Auf dem deutschen Markt wird sich wohl keine AVB finden, die diese Anforderungen nicht sowieso einhält, da die Risikobeschreibung gerade der Festlegung der Primärleistungspflicht dient und insofern ein Rückgriff auf gesetzliche Regelungen unmöglich ist (allenfalls für bestimmte Pflichtversicherung wäre dies denkbar). Aufzuführen waren immer auch Bestimmungen zur Prämienfälligkeit und zu den Rechtsfolgen eines Prämienverzugs (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 VAG a. F.). Dabei war den Vorschriften der §§ 37, 38 VVG folgend zwischen der Erst- und der Folgeprämie zu unterscheiden und auf Besonderheiten des Lastschriftverfahrens einzugehen. Die AVB hatten ferner Regelungen zu den vertraglichen Gestaltungsrechten, den Obliegenheiten und den Anzeigepflichten zu enthalten (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 VAG a. F.). Unter Gestaltungsrechten versteht man einseitige Rechte auf unmittelbare Rechtsänderung. Sie können sich auf Erwerb, Änderung oder Aufhebung einer Rechtsstellung richten und ergeben sich entweder aus dem Gesetz oder werden vertraglich eingeräumt. Die Verpflichtung des § 10 Abs. 1 Nr. 4 VAG bezog sich ausschließlich auf vertragliche und nicht auf gesetzliche Gestaltungsrechte, erfasste hierbei aber sowohl Gestaltungsrechte des VN als auch des VR. Hinsichtlich der gesetzlicher Gestaltungsrechte konnten sich aus anderen Rechtsgründen Informationspflichten ergeben (siehe heute VVG-InfoV oder die Pflicht aus § 8 Abs. 2 Nr. 2 VVG den VN über sein Widerrufsrecht zu belehren), denen auch außerhalb der AVB Rechnung getragen werden konnte. Auch können sich aus dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB bzw. aus § 242 BGB weiterreichende Verpflichtungen ergeben, etwa die, auf Nachfrage dem VN den Namen des Treuhänders mitzuteilen, der an einer Prämien- bzw. Leistungs- und Bedingungsanpassung nach §§ 163, 203 Abs. 2 u. 3 VVG mitgewirkt hat. Insofern war die Einhaltung des § 10 Abs. 1 Nr. 4 VAG a. F. früher eine Selbstverständlichkeit und muss dies auch heute bleiben, da die vertragliche Vereinbarung von Gestaltungsrechten eben erfordert, dass diese vertraglich niedergelegt werden, was im Jedermanngeschäft unweigerlich die Aufnahme in die AVB voraussetzt. Die Information über Obliegenheiten bezieht sich auf Verhaltensregeln des VN. Diesem wird mit einer Obliegenheit ein Tun oder ein Unterlassen auferlegt, deren Nichtbefolgung u. a. zum gänzlichen oder teilweisen Verlust des Versicherungsschutzes führen kann. Über derartige Regeln war in den AVB umfassend zu informieren, d. h. diese waren dort niederzulegen. Das galt, anders als bei den Gestaltungsrechten, sowohl für die gesetzlichen als auch die vertraglichen Vorgaben. Erfasst wurden Obliegenheiten vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls. Gesetzliche Obliegenheiten enthalten die Vorschriften der § 13 VVG (Anzeige einer Wohnungsänderung), § 19 VVG (Vorvertragliche Anzeigepflicht), § 23 VVG (Anzeige oder Nichtvornahme einer Gefahrerhöhung), § 30 VVG (Anzeige des Versicherungsfalls) sowie § 31 VVG (Auskunfts- und Belegpflicht), ferner für bestimmte Versicherungszweige § 77 VVG (Mitteilung der Nebenversicherung), § 82 VVG (Schadenabwendungs- und -minderungspflicht), § 97 (Anzeige der Veräußerung) und § 104 VVG (Anzeigepflichten in der Haftpflichtversicherung). Hinsichtlich vertraglicher Obliegenheiten ist § 28 VVG zu beachten. Hier hatte der § 10 Abs. 1 Nr. 4 VAG a. F. eine tatsächliche redaktionssteuernde Wirkung, als es vertragsrechtlich durchaus zulässig gewesen wäre, die gesetzlichen Obliegenheiten nicht in die AVB aufzunehmen. Zumindest im Produktinformationsblatt sind Hinweise zu den Obliegenheiten (und zwar auch den gesetzlichen) gemäß Artt. 4 lit. f, 6 Abs. 1 lit. g IDD-DVO i. V. m. Art. 20 Abs. 8 lit. e, f, g IDD-RL weiterhin verpflichtend. Wenn sich hieraus auch keine zwingende vertragliche oder aufsichtsrechtliche Pflicht ableiten lässt, dass die gesetzlichen Obliegenheiten auch in den AVB im Gesetzeswortlaut wiederholt werden müssen, so entspricht dies in Deutschland doch immer noch dem Üblichen. Gal

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Die Information über den Verlust des Anspruchs aus dem Versicherungsvertrag, wenn Fristen versäumt werden (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 VAG a. F.), erzwang insbesondere Angaben über die Verjährung (§§ 195 ff. BGB, § 15 VVG). Das galt freilich nur insoweit, als sich der VR entsprechende Rechte vorbehalten wollte, sodass eine Niederlegung solcher konstitutiven Rechte in den AVB auch heute eine Selbstverständlichkeit ist. Angaben über die inländischen Gerichtsstände (§ 10 Abs. 1 Nr. 6 VAG a. F.) mussten sich sowohl auf Klagen des Versicherten als auch auf Klagen des VR beziehen (§ 215 VVG). Hiermit soll für den Versicherten Klarheit geschaffen werden. Nunmehr sieht § 1 Abs. 1 Nr. 17 VVG-InfoV nur noch eine Informationspflicht über eine etwaige Gerichtsstandsvereinbarung vor, sodass es durchaus denkbar erscheint, dass ein VR, der nicht von der sehr begrenzten Dispositionsbefugnis des § 215 Abs. 3 VVG Gebrauch macht, keine Gerichtsstandsregelung in die AVB aufnehmen muss. Solche Regelungen gehören gleichwohl zum Standard. Angaben über Grundsätze und Maßstäbe, wonach die Versicherten an den Überschüssen teilnehmen (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 VAG a. F.), gewannen Bedeutung nur dort, wo eine Überschussbeteiligung gewährt wird. Das ist in der Personen- (Lebens-, Kranken- und Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr) und der Kraftfahrtversicherung der Fall. Sparten, die keine Überschussbeteiligung kennen, wurden durch § 10 Abs. 1 Nr. 7 VAG a. F. seit jeher nicht zu einer Negativregelung verpflichtet. In der Lebensversicherung erstreckt sich die Angabe auch auf die Beteiligung an den Bewertungsreserven (§ 153 Abs. 1 und 3 VVG). Zutreffende Verweise auf einschlägige Gesetze (etwa das VAG, das HGB und danach erlassene Rechtsverordnungen) waren hierbei zulässig. Spielräume, die sich für unternehmerische Entscheidungen hinsichtlich der Ausgestaltung aus den aufsichtsrechtlichen Anforderungen ergeben, mussten nicht expressis verbis dargelegt werden. Weitergehende Erläuterungen zu den gesetzlichen Vorschriften waren ebenso entbehrlich. Auch mussten die VR nicht die Maßstäbe dergestalt konkretisieren, dass schon bei Vertragsschluss bestimmte Prozentsätze für die Überschussbeteiligung in den AVB genannt werden, ansonsten erschiene auch die verhaltene Pflicht zur Übermittlung einer Modelrechnung nach § 154 VVG verzichtbar. Schließlich ginge es zu weit, wenn man verlangt hätte, dass die Angaben jeden VN befähigen sollten, einen bestimmten, jährlich nachprüfbaren Anspruch festzustellen. Diese AGB-rechtlich geprägten Wertungen korrespondierten auch mit den öffentlich-rechtlichen Anforderungen, da diese auch nicht weiterreichten als das AGB-rechtliche Transparenzgebot. Insofern war von einem Gleichklang zwischen § 10 Abs. 1 Nr. 7 VAG a. F. auf der einen Seite und den sich aus dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebenden Anforderungen auf der anderen Seite auszugehen. Heute wird das Informationsbedürfnis des VN im Schwerpunkt über § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 6 Abs. 1 Nr. 3 VVG-InfoV abgedeckt. Da jedoch für manche Sparten die Überschussbeteiligung überhaupt erst vereinbart werden muss und für andere zumindest die Verteilungsgrundsätze geregelt werden müssen, bedarf es auch heute noch einer Niederlegung in den AVB. § 10 Abs. 1 VAG a. F. verpflichtet bereits seinem Wortlaut nach zu vollständigen Angaben. Das bezieht sich allerdings nur auf die in § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 VAG a. F. genannten Regelungsgegenstände. Insoweit harmoniert § 10 VAG a. F. mit dem Vollständigkeitsgebot, das Ausfluss des AGB-rechtlichen Transparenzgebots (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) ist. Das Vollständigkeitsgebot ist nicht dahingehend zu verstehen, dass auch konkrete, einzelvertragliche Absprachen in den AVB ihren Niederschlag finden müssen. Derartige Inhalte können im Bedingungswerk auch gar nicht abgebildet werden, da dieses regelmäßig für eine Vielzahl von Verträgen konzipiert ist. Bei einzelvertragsbezogenen Angaben kommt daher nur eine Offenbarung außerhalb der Bedingungswerke in Betracht (d. h. insbes. in der Police). § 10 VAG a. F. war als gewerberechtliche Ordnungsvorschrift konzipiert, der zunächst einmal aufsichtsrechtliche Bedeutung zukommt. Soweit AVB noch genehmigungs- (wie bei regulierten Pensions- und Sterbekassen; siehe § 234 Abs. 2 [wobei hier anders als noch bis vor kurzem unter § 234 Abs. 3 Nr. 1 VAG 2016 a. F. gerade kein Genehmigungsvorbehalt mehr gilt] resp. § 219 Abs. 3 Nr. 1 lit. a VAG) oder vorlagebedürftig sind (wie bei der substitutiven Krankenversicherung und bei Pflichtversicherungen; siehe § 9 Abs. 4 Nr. 5 lit. b resp. § 47 Nr. 13 VAG), könnte 379

Gal

235

236

237

238

239

Einf. D

Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen

die Vorschrift trotz ihres Außerkrafttretens noch eine gewisse Zulassungsrelevanz haben. In jedem Fall wird angenommen, dass die Tatsache, dass hier die AVB eingereicht werden müssen, dafür spricht, dass der Aufsicht hier eine AGB-Kontrollkompetenz zukommt.438 Es ist zu erwarten, dass hierbei auch den früheren Mindestvorgaben des § 10 VAG a. F. eine Leitbildfunktion zukommen wird. Bezüglich aller anderen AVB, namentlich auch der im Rahmen der laufenden Aufsicht vorzulegenden Bedingungen (bei der substitutiven Krankenversicherung und bei Pflichtversicherungen), gilt, dass die Aufsicht die Unternehmen zur Einhaltung der Regelungsgehalte von § 10 VAG a. F., wenn sich diese auch aus dem AGB-rechtlichen Transparenzgebot herleiten lassen, nach § 298 Abs. 1 VAG i. V. m. § 294 Abs. 3 Satz 1 VAG anhalten kann. 240 Eine Nichtbeachtung von § 10 VAG a. F. als fortwirkendes Leitbild kann heute gerade auch zivilrechtliche Konsequenzen haben. Allerdings führte ein Verstoß bereits in der Vergangenheit nicht zur Nichtigkeit nach § 134 BGB, da es sich bei § 10 VAG a. F. um kein gesetzliches Verbot handelte, was nach dem Außerkrafttreten der Norm erst recht zu gelten hat. Zu sehen ist aber der Konnex zum AGB-rechtlichen Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Diesem ist ein Vollständigkeitsgebot immanent, das mit § 10 VAG a. F. und dem daraus fortwirkenden Leitbild eine Entsprechung findet. Sofern also eine Verletzung von § 10 VAG a. F. auch zu einem Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB führt, treten die Rechtsfolgen des § 306 BGB ein, also Unwirksamkeit der vertraglichen Bestimmung. Heranzuziehen ist dann dispositives Gesetzesrecht. Wenn solches, wie im Versicherungsrecht oftmals gegeben, nicht vorhanden ist, sind entstehende Vertragslücken durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. In Betracht können ferner Schadenersatzansprüche aus den Rechtsgründen der culpa in contrahendo bzw. der positiven Forderungsverletzung kommen. Voraussetzung ist allerdings der Nachweis eines Schadens durch die unterbliebene Information. Ob solche Schadensersatzansprüche tatsächlich bestehen, muss heute jedoch sehr zweifelhaft sein, wenn zwar die AVB die „Pflichtinhalte“ nicht enthielten, aber eine ordnungsgemäße Information nach der VVG-InfoV vorgenommen wurde. Ein deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch ließ sich aus einem Verstoß gegen § 10 VAG a. F. bereits zum Zeitpunkt von dessen Geltung nicht ableiten, da diese Bestimmung kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellte. 241 Keine Anwendung fand § 10 VAG a. F. seit jeher gemäß § 10 Abs. 3 VAG a. F. auf die Rückversicherung und auf Versicherungen über Großrisiken im Sinne von § 210 Abs. 2 VVG (früher Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EGVVG a. F.). Ausdrücklich wurde nur Absatz 1 der Vorschrift für nicht anwendbar erklärt. Hiermit war aber zwangsläufig auch die Nichtgeltung von Absatz 2 erfasst, da für diesen ohne Absatz 1 kein Regelungsinhalt verbleibt. Hintergrund des Ausschlusstatbestandes war die verbraucherschützende Wirkung sensu lato, die § 10 VAG a. F. zugedacht war. Diese Schutzrichtung kann in der Rückversicherung und bei der Versicherung von Großrisiken ob der dort gedeckten Interessen nicht verfangen. Allerdings blieb der Ausschluss hierauf beschränkt und konnte auch nicht im Wege einer teleologischen Reduktion zu einem generellen Ausschluss gegenüber jeglichen Nicht-Verbrauchern, beispielsweise sämtlichen Kaufleuten bei der Versicherung von Nicht-Großrisiken, umgedeutet werden. Der Tatbestand der Rückversicherung erfasste dabei nicht nur die Rückversicherer im Sinne von § 7 Nr. 33 Hs. 2, 8 Abs. 4 Satz 1 VAG, sondern auch Erstversicherer, soweit sie auch das Rückversicherungsgeschäft betreiben. Ohnehin sind in der Rückversicherung (aber im abgeschwächten Maße auch in der Versicherung von Großrisiken) AVB wie in der Jedermannversicherung unüblich, so dass dem alten Absatz 3 in dieser Hinsicht vor allem Klarstellungsfunktion zukam. Diese Regelung sollte, obgleich nicht mehr in Kraft, auch im Rahmen der Transparenzkontrolle über §§ 307 Abs. 1 Satz 2, 310 Abs. 1 Satz 1 BGB weiterhin berücksichtigt werden, sodass im Rahmen einer Kontrolle von in der Rückversicherung und der Versicherung von Großrisiken im Einzelfall verwendeten AVB nicht dieselben Anforderungen an die Vollständigkeit gestellt werden, wie an AVB in der Jedermannversicherung.

438 S. so Prölss/Dreher/Präve § 11 VAG Rn. 21. Gal

380

Verknüpfungen von Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertragsrecht

Einf. D

6. Insolvenz des Versicherers Zur Beendigung der Versicherungsverhältnisse im Falle der Insolvenz des VU findet sich neben 242 einer vertragsgesetzlichen Bestimmung (§ 16 VVG) auch eine Regelung des VAG (§ 316 VAG), die allerdings nur für bestimmte Versicherungsverträge gilt, nämlich insbesondere für die Lebensund Krankenversicherung. Die Wirkungen der Insolvenzeröffnung werden im Übrigen ansonsten aufsichtsrechtlich geregelt, wobei hier unter anderem besondere Informationspflichten gegenüber den Gläubigern, insbesondere also auch den VN, greifen (§ 313 VAG).

7. Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung Das Recht der Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung (ein solches gibt es auch in der 243 privaten Krankenversicherung, siehe § 151 VAG) ist sowohl aufsichts- als auch vertragsrechtlich geregelt. Dabei enthält das VVG mit § 153 VVG vornehmlich das grundsätzliche Recht zur Beteiligung an den Überschüssen (und an den Bewertungsreserven) und die Vorgaben zum Verfahren. Letzteres muss verursachungsorientiert sein. Dies ist für die Beteiligung an den Bewertungsreserven zwingend. Ansonsten kommen auch andere vergleichbare Verteilungsgrundsätze in Betracht, sofern diese angemessen sind. Die Angemessenheit der Überschussbeteiligung ist ausdrücklich nur aufsichtsrechtlich vorgegeben (§§ 139 f., 145 VAG i. V. m. der MindZV) und nur mittelbar § 153 VVG zu entnehmen.

381

Gal

E. Reform Schrifttum Abram Neue Informations- und „Beratungs“pflichten des Versicherers, NVersZ 2004 428; ders. Informations- und Beratungspflichten des Versicherungsvermittlers, VersR 2005 43; ders. Schützt das neue Recht den Versicherungsnehmer gegen Folgen einer Pflichtverletzung seines Versicherungsvermittlers? VersR 2008 724; Adams Revolution im Versicherungsgewerbe, ZIP 1997 1224; ders. Gutachten „Reform des Versicherungsrechts“, Friedrich-Ebert-Stiftung (1999); Armbrüster Künftige Sanktionen der Herbeiführung des Versicherungsfalls, ZVersWiss 2001 501; ders. Das Alles-oder-nichts-Prinzip im Privatversicherungsrecht (2003); ders. Abstufungen der Leistungsfreiheit bei grob fahrlässigem Verhalten des VN, VersR 2003 675; Basedow/Meyer/Rückle/Schwintowski (Hrsg.) Erneuerung des Versicherungsvertragsgesetzes, VersWiss.Stud Bd. 6; dies. Aspekte langfristiger Versicherungsverhältnisse, VersWiss.Stud Bd. 13; dies. Transparenz und Verständlichkeit, VersWiss.Stud Bd. 15; dies. Lebensversicherung – betriebliche Altersversorgung, VersWiss.Stud Bd. 26; dies. VVG-Reform – Abschlussbericht, VersWiss.Stud Bd. 29; Baumann Quotenreglung contra Alles-oder-Nichts-Prinzip im Versicherungsfall – Überlegungen zur Reform des § 61 VVG, RuS 2005 1; Brand Problemfelder des Übergangsrechts zum neuen VVG, VersR 2011 557; Deutsch Die grobe Fahrlässigkeit im künftigen Versicherungsvertragsrecht, VersR 2004 1485; Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft (Hrsg.) 43. Deutscher Verkehrsgerichtstag (2005); Dörner/Staudinger Kritische Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, WM 2006 1710; Franz Das Versicherungsvertragsrecht in neuem Gewand, Vers. 2008 298; ders. Die Reform des Versicherungsvertragsrechts – ein großer Wurf? DStR 2008 303; Hartwig/Möhrle Aspekte der VVG-Reform, VW 2001 722; Herrmann Ist der VVG-Reformvorschlag zum Recht der Obliegenheiten europarechtskonform? VersR 2003 1333; Knospe Rätselraten um VVG-Reform, ZfV 2005 71; Koch Zum Reformbedarf im Versicherungsrecht, VW 1998 1750; Langheid Auf dem Weg zu einem neuen Versicherungsvertragsrecht, NJW 2006 3317; Lorenz Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, VersR 1997 945; Mudrack Änderungsbedarf beim Regierungsentwurf zum Versicherungsvertragsrecht, ZfV 2007 41; Niederleithinger Ein neues Versicherungsvertragsgesetz (2003); ders. Aktuelle Einzelfragen aus der Arbeit der VVG-Kommission, ZfV 2003 246; ders. Der Abschlussbericht der VVG-Kommission, ZfV 2004 316; ders. Auf dem Weg zu einer VVG-Reform, VersR 2006 437; ders. Das neue VVG (2007); Präve Versicherungsbedingungen – Grundsätze zur Reform, VW 2000 374; ders. Auf dem Weg zu einem neuen Vertragsrecht, VW 2002 1836, 1934; Prölss Künftige Sanktionen der Verletzung von Obliegenheiten, ZVersWiss 2001 471; ders. Das versicherungsrechtliche Alles-oder-nichtsPrinzip in der Reformdiskussion, VersR 2003 669; Reiff Europäische Richtlinie über Versicherungsvermittlung und VVG-Reform, ZVW 2001 451; Römer Fünf Thesen zur Reform des Versicherungsrechts, NVersZ 2005 131; ders. Zu ausgewählten Problemen der VVG-Reform, VersR 2006 740, 865; Reimer Schmidt Gedanken zur Arbeit an einem neuen Versicherungsvertragsgesetz, ZVersWiss 1998 705; ders. Weitere Überlegungen aus Anlass einer Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (1999); Schimikowski VVG-Reform, RuS 2007 133; Schneider Neues Recht für alte Verträge, VersR 2008 859; Schubach Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, AnwBl. 2007 215; Schwintowski Ein neues Versicherungsvertragsgesetz, NVersZ 2003 37; ders. Neuerungen im Versicherungsvertragsrecht, ZRP 2006 139; SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, BTDrucks. 13/8163; Surminski Auf dem Weg zur VVG-Reform, ZfV 1998 705; Wandt Haben sich die Neuregelungen zum Allgemeinen Teil des VVG 2008 bewährt? Gedanken aus der Perspektive der Rechtswissenschaft, FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e. V. (2016) 229; Weidner Notwendige Korrekturen am Gesetzentwurf der Bundesregierung zur VVG-Reform, RuS 2007 138; Werber Status und Pflichten des Versicherungsvermittlers, ZfV 2004 419.

Übersicht A.

Die Reform aus der Sicht eines Beteilig1 ten

B.

Ausgangslage und erste Phase

4

4

I.

Stand der Gesetzgebung

II.

Entscheidung des BMJ zum Beginn der Reform8 arbeiten

Niederleithinger/Koch https://doi.org/10.1515/9783110522600-005

C.

Vorarbeiten der Kommission in der zweiten 12 Phase

I. 1. 2. 3.

Struktur und Aufgabe der Kommission Zusammensetzung der Kommission Auftrag des BMJ an die Kommission 18 Zusammenarbeit mit dem BMJ

II.

Arbeitsweise der Kommission

12 14 16

21

382

Übersicht

1. 2. 3. 4.

Einvernehmlichkeit als Ziel 21 22 Geschäftsordnung Erörterungen und Beschlussfassung 28 Berichte und Stellungnahmen

III.

Schwerpunkte der Kommissionsvor32 schläge 33 Versicherungsbegriff 34 Abschluss von Versicherungsverträgen 39 Prämienzahlung Vertragsverletzungen und Obliegenheiten des 40 Versicherungsnehmers 43 Vorläufige Deckung 47 Verzicht auf einige Sonderregelungen 49 Haftpflichtversicherung 49 a) Allgemeine Vorschriften b) Besondere Vorschriften für Pflichtversiche52 rungen 56 Lebensversicherung 57 a) Zusätzliche Informationen 61 b) Überschussbeteiligung c) Beteiligung an den Bewertungsreser63 ven 64 d) Bedingungsanpassung 65 e) Rückkaufswert 70 Berufsunfähigkeitsversicherung 72 Unfallversicherung 73 Krankenversicherung a) Übertragung von Alterungsrückstellun73 gen 75 b) Wirtschaftlichkeitsklausel 76 c) Managed care

24

4. 5. 6. 7.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8.

9. 10. 11.

Dritte Phase: Gesetzgebung

I.

Ablauf der Gesetzgebung

II.

„Externe“ Einflüsse auf das Gesetzgebungsver80 fahren Zwei richtungsweisende Gerichtsentscheidun80 gen Vier weitere Gesetzgebungsverfahren zum VVG82 alt Änderungen durch das 2. Änderungsgesetz zum 85 Pflichtversicherungsgesetz

2. 3.

III. 1. 2. 3.

IV. 1. 2. 3.

I. 1. 2.

115 Gesetzgebung 115 Allgemeiner Teil (§§ 1–99) Einzelne Versicherungszweige (§§ 100– 129 208) 130 a) Lebensversicherung b) Kranken- und Pflegeversicherung 145 Schlussvorschriften (§§ 209–216)

3. II. 1.

2.

III. 1. 2.

383

Änderungen gegenüber dem Regierungsent104 wurf Einschränkung des Direktanspruchs gegen den 105 Haftpflichtversicherer Rückkaufswert bei Altverträgen in der Lebens106 versicherung Änderungen der §§ 192 bis 208 aufgrund des 107 GKV-WSG Rechtsentwicklung nach der VVG-Re115 form

77

Änderungen gegenüber dem Kommissionsent86 wurf 87 Regelungen für den Vertragsabschluss 90 Vorzeitige Vertragsbeendigung Rückwirkende Beseitigung des vorläufigen Versi91 cherungsschutzes

Bedingungsanpassung 92 93 Beschränkung der Vermittlerpflichten Schutzvorschriften für die Gläubiger von Grund94 pfandrechten Rechtsschutzversicherung bei Sammelverfah95 ren 96 Lebensversicherung 99 Krankenversicherung 100 Einbeziehung der Altverträge

E.

77

D.

1.

8. 9. 10.

Einf. E

135

151 Rechtsprechung 151 BVerfG 152 a) Allgemeiner Teil (§§ 1–99) b) Einzelne Versicherungszweige (§§ 100– 154 208) 154 aa) Lebensversicherung 155 bb) Krankenversicherung 156 BGH 157 a) Allgemeiner Teil (§§ 1–99) b) Einzelne Versicherungszweige (§§ 100– 168 208) 168 aa) Haftpflichtversicherung 170 bb) Rechtsschutzversicherung 172 cc) Lebensversicherung dd) Berufsunfähigkeitsversiche175 rung 176 ee) Krankenversicherung 178 c) Schlussvorschriften (§§ 209–216) 180 Offene Fragen im Allgemeinen Teil § 6 Abs. 1 (Verhältnis von Beratungsaufwand 181 und Prämie) § 6 Abs. 5 VVG (Fortgeltung der sog. gewohn182 heitsrechtlichen Erfüllungshaftung)

Niederleithinger/Koch

Einf. E

3. 4. 5.

Reform

§ 7 Abs. 1 (Rechtzeitigkeit der und Verzicht auf 183 Information) 184 § 22 (Spontane Anzeigeobliegenheit) § 26 (Kausalitätsgegenbeweis bei arglistigem Ver189 halten des VN)

6.

7.

§ 28 Abs. 2 S. 2 (Quotelung bezüglich einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungs190 falles) § 86 Abs. 2 S. 1 (Umfang der Obliegenheit zur 192 Anspruchswahrung)

A. Die Reform aus der Sicht eines Beteiligten 1 Im Nachhinein lassen sich deutlich drei Phasen der Reform des Versicherungsvertragsrechts unterscheiden. Zunächst gab es die internen Überlegungen und schließlich die Entscheidung des Bundesministeriums der Justiz (BMJ), ob, wann und wie man von dort aus die Initiative zu einer umfassenden Reform ergreifen sollte. Diese erste Phase endete mit der Leitungsentscheidung, eine Kommission einzusetzen, deren Vorarbeiten über vier Jahre hinweg die zweite Phase bildeten. Daran schloss sich die entscheidende dritte Phase – Vorbereitung eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung und dessen Beratung im Bundestag und Bundesrat – an, die mit den Entscheidungen dieser Gesetzgebungsorgane abgeschlossen worden ist. Die drei Phasen sind eng miteinander verknüpft. Ohne die Entscheidung der Leitung des 2 BMJ, sich ernsthaft einer Reform zuzuwenden, wäre es nicht zur zweiten und dritten Phase gekommen. Wäre die Arbeit der Kommission in der zweiten Phase gescheitert, weil sich die Kommission auf einen gemeinsam von den Mitgliedern getragenen Gesetzentwurf nicht hätte einigen können, wäre es zumindest auf absehbare Zeit nicht zu einem Regierungsentwurf gekommen, der Aussicht auf Akzeptanz bei den Gesetzgebungsorganen gehabt hätte. Darüber hinaus hat die Existenz eines Kommissionsentwurfs wohl auch dazu beigetragen, dass der weithin ihm entsprechende Regierungsentwurf in der Schlussphase der parlamentarischen Beratung kaum noch Widerstand gefunden hat. 3 Im folgenden Abschnitt wird der Ablauf der VVG-Reform in diesen drei Phasen im Einzelnen dargestellt. Dies ist für den Verfasser nicht ohne Risiko. Er war in der ersten Phase des Reformprozesses im BMJ als Leiter der Abteilung III „Handels- und Wirtschaftsrecht“, die u. a. für den Bereich des Versicherungsvertragsrechts zuständig ist, und nach dem Eintritt in den Ruhestand in der zweiten Phase als Vorsitzender der Kommission an Vorentscheidungen und Vorarbeiten unmittelbar beteiligt. Während die anderen Autoren der Beiträge zu diesem Kommentar Ergebnisse der Reform erläutern und bewerten, kann man von dem Verfasser dieses Abschnitts zwar den Versuch einer objektiven Darstellung des Reformprozesses erwarten; bei einer Bewertung von Zwischenergebnissen und endgültigen Entscheidungen besteht aber die Gefahr, dass die Mitwirkung in den ersten beiden Phasen zu einer subjektiven Färbung führt.

B. Ausgangslage und erste Phase I. Stand der Gesetzgebung 4 Geht man zunächst einmal in die Mitte der 90erJahre zurück, dann war die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Versicherungsvertragsrechts dadurch gekennzeichnet, dass das grundlegende Gesetz über den Versicherungsvertrag bereits aus dem Jahr 1908 stammte, also bald 100 Jahre alt war. Ausschlaggebend für Reformüberlegungen konnte das allerdings nicht sein, da das hohe Alter einer gesetzlichen Regelung kein Hinweis darauf ist, dass es inhaltlich überholt sein könnte. Sicherlich hatten am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Interessen der Versicherungswirtschaft höheres Gewicht als die der privaten VN, die damals weder organisiert waren noch einflussreiche Fürsprecher hatten. Das konnte nicht ohne Einfluss auf die Gesetzgebung und die Verwaltungspraxis der Versicherungsaufsicht sein. Der Rechtsprechung gelangen aber Niederleithinger/Koch

384

Ausgangslage und erste Phase

Einf. E

in der Folgezeit immer wieder angemessene Lösungen, wenn sich in unveränderten Vorschriften Lücken oder Spielräume zeigten. Die Gesetzgebung war nach 1908 nicht untätig geblieben. Sie „pflegte“ das Versicherungs- 5 vertragsgesetz nicht nur, wenn Änderungen in anderen Bereichen Anpassung erforderlich machten. Auch neue Entwicklungen im Versicherungswesen wurden berücksichtigt. So wurden z. B. die Vorschriften über die im Jahre 1908 noch unwichtige Kfz-Haftpflichtversicherung ausgebaut, allerdings teilweise außerhalb des Gesetzes über den Versicherungsvertrag, soweit dieses nicht durch allgemeine Vorschriften für die Pflichtversicherung (§§ 158b bis 158k a. F.) ergänzt wurde. Wichtiger war der Einbau des Verbraucherschutzes, der mit der primär anderen Zwecken dienenden Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung1 verbunden war. Mit einem Schlag wurden die wichtigsten vertragsrechtlichen Vorgaben, die inhaltlich weitgehend unverändert blieben, als „halbzwingend“ der Disposition des VR durch abweichende AVB zum Nachteil des VN entzogen. Ambivalent waren dagegen die zahlreichen Änderungen und Ergänzungen des Gesetzes, 6 die der Gesetzgeber aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben vorgenommen hat. So wurden zwar durch das Zweite und das Dritte Durchführungsgesetz/EWG zum VAG2 die vertragsrechtlichen Konsequenzen aus der grundlegenden Umgestaltung der Versicherungsaufsicht insbesondere durch Verzicht auf die Vorabgenehmigung von Geschäftsplänen und AVBs gezogen; dabei erhielt das Gesetz erstmals auch besondere Vorschriften für die Rechtsschutz- und für die Krankenversicherung. Man beschränkte sich dabei aber auf das unbedingt Notwendige; für eine bei dieser Gelegenheit angeratene Überarbeitung des Gesetzes fehlte es an Bereitschaft, Zeit und Personal. Deutlicher wurde das noch bei der Umsetzung spezifisch vertragsrechtlicher Vorgaben des Gemeinschaftsrechts. Diese wurden vom deutschen Gesetzgeber widerstrebend und jeweils nur punktuell nach dem Grundsatz umgesetzt, im deutschen Versicherungsvertragsrecht gerade einmal das unbedingt Nötige zu ändern; selbst einer gemeinschaftsrechtlich zweifelhaften Umsetzung gab man den Vorzug vor einer insgesamt sachgerechten Neuregelung, die etwas über das unbedingt Erforderliche hinausgehen würde. Dies entsprach dem erheblichen Einfluss der Versicherungswirtschaft innerhalb der Gesetzgebungsorgane. Der bei der parlamentarischen Beratung der Reform eintretende Meinungsumschwung, der schließlich sogar dem Policenmodell das Leben kostete,3 war damals undenkbar. Mitte der 90erJahre war außerdem absehbar, dass weitere Richtlinien für die Versicherungs- 7 vermittler und für Fernabsatzverträge und damit weiterer Umsetzungsbedarf auch im Vertragsrecht bevorstanden. Sollte die bisherige Politik beibehalten werden, konnte es deshalb zu einer weiteren Zersplitterung der Vorschriften für die einzelnen Typen von Versicherungsverträgen und für die unterschiedlichen Vertriebsformen der Versicherungswirtschaft kommen. Dieser Entwicklung wäre bei einer regelmäßig unter Zeitdruck stehenden Umsetzung der einzelnen Richtlinie nicht zu begegnen gewesen.

II. Entscheidung des BMJ zum Beginn der Reformarbeiten Nach der Bundestagswahl 1998 und dem Antritt einer von SPD und Grünen gebildeten neuen 8 Regierung entschied die Bundesministerin der Justiz in den ersten Monaten des Jahres 1999, die Reform des Versicherungsvertragsrechts durch die Einsetzung einer Sachverständigenkommission in Gang zu setzen. Die beteiligten Kreise wurden dadurch keineswegs überrascht, denn BMJMitarbeiter hatten solche Pläne nicht nur seit langem intern entwickelt und diskutiert, sondern auch gesprächsweise mit einzelnen Verbands- und Unternehmensvertretern, mit sachverständigen Richtern und Rechtsanwälten erörtert, ohne damit die Leitungsentscheidung vorwegneh1 Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939, RGBl. I 2443. 2 BGBl. 1990 I 2002, und BGBl. 1994 I 1630, 3134. 3 Vgl. die Ausführungen von Vertretern aller Fraktionen, Ausschussbericht, S. 95 ff. 385

Niederleithinger/Koch

Einf. E

Reform

men zu können. Dabei hatten die BMJ-Mitarbeiter durchaus Verständnis und Bereitschaft zur Mitwirkung gefunden. 9 Die Entscheidung, zunächst eine Sachverständigenkommission einzuberufen und mit umfassenden Vorarbeiten zu beauftragen, war keineswegs unumstritten, weil dadurch ein kurzfristiger Abschluss der Vorarbeiten und eine Verabschiedung noch in der laufenden 15. Legislaturperiode ausgeschlossen wurde. Für die Kommission sprachen aber hauptsächlich zwei Argumente. Zunächst sah sich das BMJ außer Stande, langfristig mehrere sachkundige Mitarbeiter von den laufenden Arbeiten freizustellen, damit sie sich ausschließlich der Vorbereitung eines umfassenden Reformprojektes widmen könnten. Das für Versicherungsvertragsrecht zuständigen Referat allein hätte die Reformarbeiten immer wieder unterbrechen müssen, wenn andere unaufschiebbare Arbeiten die wenigen Mitarbeiter in Anspruch nahmen; wer seine Überlegungen und die Arbeiten an der Reform auch nur für wenige Monate zurückstellen müsste, würde anschließend wieder von vorne anfangen. 10 Daneben stand die Überzeugung, dass ein Reformvorschlag einer Gruppe von Sachverständigen, die das breite Spektrum der am Versicherungsrecht interessierten Kreise umfasst, eine größere Überzeugungs- und Durchsetzungskraft haben würde als ein noch so fundierter Vorschlag eines Ministerialreferats. Sicherlich konnte eine solche Arbeitsweise weder die Versicherungswirtschaft noch die VN in der Weise einbinden, dass diese einen Gesamtkompromiss der Kommission als verbindliche Grundlage anerkennen; dies ist schon wegen der Heteroginität der Versicherungswirtschaft, wegen des Konkurrenzverhältnisses mehrerer Versichertenverbände und aufgrund der Vielzahl der mit dem Versicherungsrecht befassten Wissenschaftler ausgeschlossen. Es sollte aber möglich sein, durch eine Kommission zu einem umfassenden Gesetzesvorschlag zu kommen, der als Grundlage für die weiteren Diskussionen in der Weise dient, dass nur noch Korrekturen zu einzelnen Punkten erörtert werden. 11 Mit der Entscheidung über den Beginn und die Form der Reformarbeiten war keine inhaltliche Vorentscheidung über möglicherweise strittige Einzelfragen verbunden. Man wird zwar davon ausgehen können, dass die verantwortliche Ministerin eine Verbesserung des Versichertenschutzes erwartete und dies auch gegen ein anderes Votum einer Kommission durchsetzen würde. Bei „Verbraucherschutz“ handelt es sich aber zunächst nur um ein Schlagwort, das erst durch konkrete Vorschläge ausgefüllt werden muss. Es gab auch kein Eckwertepapier mit Einzelheiten, die ein zukünftiges Gesetz vorsehen müsste; jedenfalls ist der Kommission ein solches Papier weder übergeben worden noch auf andere Weise bekannt geworden. Das war auch schon deswegen ausgeschlossen, weil andere Ressorts der Bundesregierung in das Vorgehen nur allgemein eingebunden waren, ohne dass eine inhaltliche Abstimmung auch nur versucht worden wäre. Die Kommission wurde aber von wichtigen Einzelpunkten unterrichtet, die nach Meinung des BMJ zur Diskussion stehen sollten.4 Auch die Frage, ob ein Änderungsgesetz ausreichen sollte oder eine Neufassung des Gesetzes anzustreben sei, war zunächst offen geblieben.

C. Vorarbeiten der Kommission in der zweiten Phase I. Struktur und Aufgabe der Kommission 12 Am 7.6.2000 hat das Bundesministerium der Justiz die „Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts“ eingesetzt, ihre Aufgabe umrissen und die Mitglieder berufen. Die Verzögerung nach der Leitungsentscheidung, die schon in den ersten Monaten des Jahres 1999 gefallen war, beruhte auf der ungeklärten Finanzierungsfrage; sie war erst geklärt, als die FriedrichEbert-Stiftung ihre Tagesstätten für die Vollsitzungen kostenlos zur Verfügung stellte und insoweit auch die Reisekosten der ohne Vergütung und deshalb recht preiswert tätigen Mitglieder übernahm. 4 Vgl. die Presseinformation Nr. 40/00 des BMJ vom 7.6.2000, zitiert in Abschlussbericht S. 1. Niederleithinger/Koch

386

Vorarbeiten der Kommission in der zweiten Phase

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Mit der Übergabe des Abschlussberichts vom 19.4.2004 an das BMJ als Auftraggeber war 13 die Kommission ohne weiteres tatsächlich aufgelöst; sie ist deshalb nicht durch eine formelle Handlung rechtlich aufgelöst worden.

1. Zusammensetzung der Kommission Mit Ausnahme des Verfassers, der sich vor seiner Versetzung in den Ruhestand nur am Rande mit 14 dem Versicherungsvertragsrecht befasst hatte, sollten alle Mitglieder der Kommission aufgrund langjähriger Tätigkeit besonderen Sachverstand für die Aufgabe – Reform des Gesetzes über den Versicherungsvertrag – mitbringen. Außerdem sollte jeder einzelne unabhängig in dem Sinne sein, dass er weder rechtlich noch faktisch den Weisungen z. B. eines Arbeitgebers unterliegt, der an dem Ergebnis der Reformarbeiten interessiert ist. Deshalb schieden nicht nur aktive Beamte von Ministerien und Behörden, sondern auch Mitarbeiter von Unternehmen und Verbänden als Mitglieder aus. Damit wurde zwar auf manchen Sachverstand verzichtet, aber es sollte vermieden werden, dass einzelne Mitglieder in den Diskussionen nicht ihre eigene Meinung vortragen können, sondern die von übergeordneten Verbandsgremien oder Unternehmensleitungen vertreten müssen. Der damit verbundene Ausschluss der Justiziare der VR konnte nur deswegen hingenommen werden, weil sich unter den Vorständen von Versicherungsunternehmen und -vereinen weit mehr erfahrene Juristen befinden als in anderen Wirtschaftsbereichen.5 Die Zusammensetzung der Kommission sollte die Gesamtheit der interessierten Kreise 15 abbilden. Dies dürfte einigermaßen gelungen sein mit der Einschränkung, dass kein Mitglied gefunden wurde, das dem Bereich der Versicherungsvertreter zugeordnet werden könnte. Dagegen wurde vom BMJ nicht der Versuch unternommen, die Kommission so zusammenzusetzen, dass die Interessengruppen durch gleich starke „Fraktionen“ ausgewogen vertreten sind. Dies war schon deswegen unmöglich, weil sich viele Mitglieder einer Zuordnung zu einer Interessengruppe schlicht entzogen und mehr als zwei Gruppen, jeweils mit Untergruppen, zu definieren gewesen wären; außerdem hätte die Bildung von Koalitionen vorweggenommen werden müssen. Eine solche Ausgewogenheit war auch entbehrlich, solange das Ziel verfolgt wurde, einen von der Kommission insgesamt getragenen Gesetzesentwurf vorzulegen; dieser musste mehr sein als eine Sammlung von mit unterschiedlichen Mehrheiten angenommenen Einzelvorschlägen. Tatsächlich zeigte sich später in der Arbeit der Kommission, dass sich die Mitglieder einem Fraktionszwang nicht unterworfen hätten, solange Diskussionsbeiträge und Abstimmungen intern blieben. Dies ändert aber nichts daran, dass die Mitglieder, den Verfasser eingeschlossen, ihre Meinung auch auf der Grundlage ihrer Tätigkeiten und Erfahrungen gebildet haben werden.

2. Auftrag des BMJ an die Kommission Der Auftrag des BMJ an die Kommission war denkbar umfassend. Sie sollte nicht nur allgemeine 16 Grundsätze entwickeln, sondern einen durchformulierten und in sich geschlossenen Gesetzentwurf mit einer Begründung vorlegen, wie sie nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung den formellen Vorschlägen an Bundesrat und Bundestag beigefügt wird. Angesichts der Arbeitsbelastung war dem BMJ mit einem Eckwertepapier allein oder mit einem Gutachten einschließlich einer Sammlung von Einzelvorschlägen nicht gedient; Ziel war ein Gesetzentwurf, der wie ein Referentenentwurf von der Leitung akzeptiert oder verworfen werden konnte. Die Kommission hat keine Vorgaben zum Inhalt des Gesetzentwurfs erhalten. Sie konnte 17 sowohl vorschlagen, das Versicherungsvertragsrecht weitgehend unverändert zu lassen, als 5 Die Mitglieder der Kommission sind im Abschlussbericht (S. 427 ff.) namentlich mit ihren aktuellen und früheren Berufen und Funktionen aufgeführt. Das während der Kommissionsarbeiten ausgeschiedene Mitglied Dr. Christoph Klaas musste die weitere Mitarbeit wegen einer unvorgesehenen zusätzlichen beruflichen Arbeitsbelastung aufgeben. 387

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auch ein Änderungsgesetz mit Detailänderungen vorlegen. Sie konnte aber auch ein neues Versicherungsvertragsgesetz vorschlagen, in das diejenigen Vorschriften des geltenden Gesetzes integriert sind, die unverändert bleiben sollen. Die Kommission konnte auch ein völlig neues Vertragsrechtssystem für den Versicherungsvertrag entwickeln. Erst recht war sie bei allen Einzelfragen inhaltlich völlig frei. Diese Offenheit des Auftrags war weder ein Zeichen der Entscheidungsschwäche des BMJ noch ein Hinweis auf seine Großzügigkeit, sondern Voraussetzung für die Arbeit eines großen Kreises von unabhängigen Sachverständigen. Diese waren wohl bereit, sich viel Arbeit und große Mühe mit der Erarbeitung von Vorschlägen zu machen; einen Auftrag zur Umsetzung von vorgegebenen Entscheidungen des BMJ hätten sie nicht übernommen.

3. Zusammenarbeit mit dem BMJ 18 Über die Zusammenarbeit mit dem BMJ während des langen Zeitraums von fast vier Jahren berichtete die Kommission am Ende nur mit verhältnismäßig dürren Worten.6 Dies könnte darauf beruhen, dass eine gewisse Enttäuschung über die sehr begrenzte Unterstützung bestand, zu der das für Versicherungsvertragsrecht zuständige Referat bei geringer und zudem wechselnder Personalausstattung in der Lage war. Die Kommissionsmitglieder hätten sicher gerne manche Arbeit einem BMJ-Mitarbeiter übertragen, die sie schließlich selbst erledigen mussten. Dies alles stellte die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den einzelnen BMJ-Mitarbeitern zu keinem Zeitpunkt in Frage. In der Schlussphase war dann ein erfahrener Ruhestandsbeamter bereit, die Umsetzung von Einzelbeschlüssen in einen Gesetzentwurf samt Begründung vorzubereiten; die Kommission verdankt ihm einen entscheidenden Beitrag.7 19 Da in allen Sitzungen der Kommission und einzelner Arbeitsgruppen BMJ-Mitarbeiter anwesend waren und alle verteilten Dokumente auch an das BMJ gingen, war dieses ständig über den Stand der Überlegungen und Vorarbeiten unterrichtet. Darüber hinaus nahmen die BMJMitarbeiter auch nicht nur als Zuhörer an den Sitzungen teil; ihre Meinung war ebenso gefragt wie ihre Informationen z. B. über den Ablauf anderer Gesetzgebungsverfahren, die sich mit den Arbeiten der Kommission überschnitten. Die Mitarbeiter waren selbstverständlich berechtigt, ihre Vorgesetzten über den Stand der Arbeiten der Kommission zu unterrichten, und haben dies sicher auch getan. Unzuträglichkeiten haben sich daraus nie ergeben. 20 Eine Einschränkung betrifft die nicht ausdrücklich in Auftrag gegebene schriftliche Stellungnahme zur Frage der Verwendung von Gentests durch VR.8 Nach intensiver Vorbereitung hat die Kommission dieses Papier, das bei einer Gegenstimme angenommen worden war, im Dezember 2001 dem BMJ zugeleitet. Nach Inhalt und Zeitpunkt entsprach es nicht den Vorstellungen der Bundesministerin der Justiz. Die Kommission hat es dann dem Zwischenbericht als Teil C noch einmal beigefügt, sodass es seit September 2002 der Öffentlichkeit zur Verfügung steht.

II. Arbeitsweise der Kommission 1. Einvernehmlichkeit als Ziel 21 Ziel der Zusammenarbeit der Kommissionsmitglieder war es, bei allen Punkten des späteren Gesamtvorschlags zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen. Zumindest sollte vermieden werden, dass einzelne Vorschläge gerade noch von einer Mehrheit der Mitglieder gebilligt würden, währen eine fast ebenso große Minderheit eine andere Lösung präferiert. Wenn solche knappen 6 Abschlussbericht S. 6. 7 Abschlussbericht S. 6, 2. Absatz. 8 Abschlussbericht S. 8. Niederleithinger/Koch

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Entscheidungen bei wichtigen, für die eine oder andere Seite ausschlaggebenden Punkten zustande gekommen wären, hätte die Überzeugungskraft des Gesamtvorschlag sicher entschieden gelitten. Unabhängig von Meinungsverschiedenheiten im Detail wurde das Ziel eines einvernehmlichen Gesamtvorschlags auch tatsächlich erreicht.

2. Geschäftsordnung Die Kommission hat darauf verzichtet, sich zu Anfang der Arbeiten eine Geschäftsordnung zu 22 geben, in der verbindliche Regeln insbesondere für die Vorbereitung und Abwicklung der Sitzungen und der Abstimmungen festzulegen wären. Angesichts der Zahl der Mitglieder und der vorauszusehenden Meinungsverschiedenheiten in Sachfragen mag dies überraschen, aber die Argumente gegen eine Festlegung durch eine vorangestellte Geschäftsordnung haben sich durchgesetzt. Ob die Vorstellungen von einem etwas ungeordneten, aber immer kollegialen Zusammenwirken realistisch waren, konnte am Anfang niemand sagen. In der Tat konnte aber anschließend immer Übereinstimmung erzielt werden, wenn es galt, Einzelheiten eines weiteren Vorgehens festzulegen. Wenn eine Geschäftsordnung bestanden hätte und später nach den Vorstellungen einer Mehrheit ein konkretes Bedürfnis für eine Änderung oder eine zusätzliche Regelung aufgetreten wäre, hätte es vielleicht zu dem Vorwurf einer Minderheit kommen können, mit Hilfe der Änderung der Geschäftsordnung werde ihre Meinung unterdrückt. In einer immer wieder auftretenden Situation bestand dann aber doch die Notwendigkeit 23 für eine verbindliche Verfahrensregelung aller zukünftigen Fälle. Da nahezu alle Mitglieder Schwierigkeiten hatten, die meist dreitägigen Vollsitzungen immer bis zum Ende wahrzunehmen, ergab sich – meist am dritten Tag und in den letzten Stunden – eine geringe Präsenz. Beschlüsse in diesem Teil der Sitzung zu fassen, war fragwürdig; die Sitzung selbst abzubrechen oder wenigstens auf Abstimmungen zu verzichten, hätte die Arbeiten der Kommission sehr verzögert. Unter diesen Umständen gab sich die Kommission die allgemeine Regelung, dass Abstimmungen ohne Rücksicht auf die Zahl der anwesenden Mitglieder durchgeführt werden, aber bei zu geringer Präsenz der Wiederholung am Anfang der nächsten Sitzung bedürfen; in dieser Sitzung wurde dann – ohne Rücksicht auf die Zahl der anwesenden Mitglieder und ohne Wiederaufnahme der Diskussion – noch einmal und endgültig abgestimmt.

3. Erörterungen und Beschlussfassung Dem umfassenden Auftrag entsprechend hat die Kommission zunächst aufgelistet, welche Rege- 24 lungen des bisherigen Gesetzes einer Erörterung bedürfen, nämlich ob sie beibehalten, geändert, ergänzt oder gestrichen werden sollten. Jedes Mitglied konnte dazu Diskussionsbedarf anmelden; wenn später bestehende Regelungen ohne weiteres in den Gesetzesvorschlag übernommen worden sind, bedeutet das nicht, dass über ihre Beibehaltung nicht vorher kontrovers gesprochen worden ist. Dabei ist lange die Frage offengehalten worden, ob ein neues Versicherungsvertragsgesetz oder ein Änderungsgesetz zum bestehenden Gesetz vorgeschlagen werden soll; die letztlich gefallene Entscheidung für ein neues Gesetz ergab sich am Ende fast von selbst, weil die Vielzahl der inhaltlichen Änderungen und Ergänzungen des bisherigen Rechts nicht mehr sinnvoll in einem Änderungsgesetz unterzubringen waren. Die Kommission hat alle Diskussionen in Vollsitzungen geführt und alle Entscheidungen 25 dort getroffen. Insgesamt wurden 16 Arbeitssitzungen durchgeführt, die sich in der Regel über drei Tage erstreckten. Um Überraschungen zu vermeiden und jedem Mitglied die Vorbereitung zu ermöglichen, wurden die zu behandelnden Themen durch eine Tagesordnung des Vorsitzenden vorher festgelegt. Nur bei der Formulierung des Berichts wurde unter Zeitdruck davon abgewichen, indem vom Vorsitzenden versandte Abschnitte einvernehmlich als genehmigt galten, wenn kein Mitglied innerhalb einer festgelegten Frist Änderungsbedarf anmeldete. 389

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Die einzelnen Tagesordnungspunkte wurden durch Dokumente der Kommission vorbereitet, die von einzelnen Mitgliedern oder von BMJ-Mitarbeitern gefertigt und so gekennzeichnet wurden. In einer fortgeschrittenen Phase der Arbeiten enthielten diese zum Teil sehr umfangreichen Papiere neben der Argumentation für bestimmte Alternativen auch einen abstimmungsfähigen Entscheidungsvorschlag. In besonders schwierigen Fällen wurde die Vorbereitung einer Arbeitsgruppe anvertraut, von der aber kein interessiertes Mitglied ausgeschlossen war. Insgesamt lag den Mitgliedern dann am Ende ein beachtlicher Berg von 216 Dokumenten vor, wobei es von manchen Dokumenten mehrere Fassungen – je nach Fortschritt der Meinungsbildung – gab. 27 Diese Dokumente wie auch alle anderen internen Papiere (Protokolle) wurden mit dem Vermerk „Nur für Mitglieder“ versehen. Damit sollte die Verwendung der Papiere auf die Kommission und ihre Mitglieder beschränkt und ihre Vertraulichkeit betont werden. Sicherlich enthielt keines dieser Papiere Geheimnisse, die nach den Vorstellungen der Kommission oder des Verfassers vorübergehend oder auf Dauer verborgen bleiben sollten; es war also auch kein „Geheimnisbruch“, wenn ein Mitglied Papiere der Kommission inhaltlich mit Dritten erörtert hat. Ziel des Vermerks „Nur für Mitglieder“ war nur, die Verwertung und die Verwertbarkeit der Papiere in der Öffentlichkeit auszuschließen. Diese Ziel wurde erreicht. Der Verfasser kennt keinen Fall, in dem ein Dritter solche Papiere der Kommission schriftlich oder mündlich in die Öffentlichkeit getragen hätte, um sich darauf zu stützen oder um sie zu kritisieren.

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4. Berichte und Stellungnahmen 28 Neben der bereits erwähnten (Rn. 20) unerbetenen und unwillkommenen Stellungnahme zur Verwendung von Gentests durch VR hat die Kommission dem BMJ insgesamt drei Berichte bzw. Stellungnahmen zugeleitet: Die Kommission hat am 30.5.2002 über ihre Arbeit einen Zwischenbericht verabschiedet und dem BMJ übergeben.9 Die Kommission entsprach damit einem Wunsch des Ministeriums, das mit dem Bericht deutlich machen wollte, dass eine Reform des Versicherungsvertragsrechts zwar nicht mehr in der laufenden Legislaturperiode, aber weiterhin mit Nachdruck angestrebt wird. Aus der Sicht der Kommission sollte dieser Bericht außerdem jedermann einen Einblick in den Stand der Überlegungen der Kommission und damit die Möglichkeit zu Gegenäußerungen geben, bevor die Kommission zu ihren endgültigen Vorschlägen kommt. Davon ist vielfach Gebrauch gemacht worden. Die Kommission hat eine ausführliche Diskussion insbesondere mit interessierten Verbänden geführt und umfangreiche schriftliche Stellungnahmen erhalten. 29 Die Kommission hat am 2.6.2003 eine Stellungnahme zur Umsetzung der Richtlinien 2002/65/EG (Fernabsatz-Richtlinie II) und 2002/92/EG (Vermittler-Richtlinie) verabschiedet und dem BMJ zugeleitet.10 Beide Richtlinien mussten bereits vor einer grundlegenden Reform umgesetzt werden. Die Kommission wollte die Bundesregierung noch rechtzeitig vor Beginn der Arbeiten an der unvermeidlichen Zwischenlösung darüber unterrichten, wie diese und die anschließende endgültige Lösung im Rahmen der Reform nach Auffassung der Kommission gestaltet werden sollte. 30 Die Kommission hat am 19.4.2004 ihren Abschlussbericht fertiggestellt und dem Bundesministerium übergeben. Er enthält, dem Auftrag des BMJ entsprechend, nicht nur „Grundsätze für ein neues VVG“,11 sondern auch einen fast vollständigen Entwurf eines „Gesetzes zur Reform 9 Dazu Abschlussbericht S. 4. Der Zwischenbericht ist im September 2002 als Schreibmaschinenmanuskript und als Datei vom BMJ und von der Kommission jedermann – zumindest auf Nachfrage – zur Verfügung gestellt worden. Er ist nicht im Druck erschienen. 10 Dazu Abschlussbericht S. 4 f. Diese Stellungnahme ist als Schreibmaschinenmanuskript und als Datei vom BMJ zumindest den interessierten Kreisen zur Verfügung gestellt worden; sie ist nicht im Druck erschienen. 11 Abschlussbericht S. 6 bis 194. Niederleithinger/Koch

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des Versicherungsvertragsrechts“,12 insbesondere mit einem in Artikel 1 enthaltenen Entwurf „Versicherungsvertragsgesetz 2006“, und eine Gesetzesbegründung.13 Dieser Abschlussbericht ist ohne Gegenstimme verabschiedet und nicht mit abweichen- 31 den Voten einzelner Mitglieder verbunden worden.14 Der Gesetzesvorschlag werde von den Mitgliedern insgesamt getragen, lautet die gefundene Formel. Allerdings weist die Kommission darauf hin, dass der von ihr gebilligte Vorschlag Regelungen enthält, zu denen einzelne Mitglieder eine abweichende Meinung vertreten. Insoweit erwähnt die Kommission den Begriff der Versicherung (Rn. 33) und die Weitergabe der individuellen prospektiven Alterungsrückstellung (Rn. 73 f.). „Die bei Einzelpunkten ohne Unterstützung oder in der Minderheit gebliebenen Mitglieder stellen damit das Reformprojekt insgesamt nicht in Frage“.15

III. Schwerpunkte der Kommissionsvorschläge Der Vorschlag, ein insgesamt neues Versicherungsvertragsgesetz zu entwerfen, stellt zahlreiche 32 geltende Regelungen, die inhaltlich unverändert beibehalten werden sollen, nicht in Frage; die Praxis kann fortfahren wie bisher und muss nur den eventuell neuen Standort berücksichtigen. Der rechtspolitische Gehalt besteht hierbei nur darin, dass sich eventuelle Diskussionsbeiträge zu möglichen Änderungen nicht durchgesetzt haben. Insoweit kann also nicht von einem neuen Versicherungsvertragsrecht, sondern nur von einem neuen Versicherungsvertragsgesetz gesprochen werden – oder von altem Wein in einem neuen Schlauch. Etwas anderes gilt, soweit die Kommission Neuregelungen vorgeschlagen hat, die vom bisherigen Recht deutlich abweichen oder es ergänzen. Für die Praxis ist allerdings die selbstverständliche Einschränkung zu machen, dass Vorschläge der Kommission letztlich nur relevant sind, soweit der Gesetzgeber sie später in der dritten Phase übernommen hat. Mit dieser Einschränkung sollen im Folgenden zumindest Vorschläge der Kommission referiert werden, die nach Meinung des Verfassers Schwerpunkte innerhalb des Gesamtvorschlags bilden; auf Einzelheiten wird dabei weitgehend verzichtet.

1. Versicherungsbegriff Die Frage, ob „Versicherung“ letztlich eine eigennützige geschäftliche Tätigkeit selbstständiger 33 Unternehmen, unter ihnen auch die sehr unterschiedlich strukturierten Versicherungsvereine, oder eine fremdnützige Geschäftsbesorgung ist, hat keinen großen Raum in den Diskussionen der Kommission eingenommen. Sie ging davon aus, dass der VR die versicherte Gefahr gegen Entgelt auf seine Rechnung übernimmt (§ 1 KomE). Das hat zur Konsequenz, dass die Risiken eines höheren Schadensbedarfs und höherer Kosten einerseits und die Chancen niedrigerer Aufwendungen andererseits beim VR liegen und zugunsten bzw. zulasten seiner Ertragslage gehen. Eine solche Vertragsgestaltung soll zumindest zulässig bleiben. Sollte es in Zukunft Versicherung in Form der Geschäftsbesorgung geben, bei der ein Dienstleister den Versicherungsschutz gegen ein Entgelt nur organisiert, während sich die Summe der Risiken und Chancen unmittelbar bei der Gemeinschaft der Versicherten verwirklicht, soll das Versicherungsvertragsrecht auf die Einzelbeziehung des Versicherten zu der vom Geschäftsbesorger vertretenen Versichertengemeinschaft anwendbar sein.16

12 13 14 15 16 391

Abschlussbericht S. 195 bis 285. Abschlussbericht S. 286 bis 426. Dazu Abschlussbericht S. 5. Abschlussbericht S. 5, vorletzter Satz. Abschlussbericht S. 7 ff. Niederleithinger/Koch

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2. Abschluss von Versicherungsverträgen 34 Die Einführung einer Beratungspflicht des VR nach § 6 KomE (jetzt § 6) mag hier zunächst im Vordergrund stehen, weil es sich um die – teilweise – Erfüllung einer zentralen Forderung des Verbraucherschutzes handelt. Eine rechtspolitische Großtat ist dies aber nicht, weil die gemeinschaftsrechtlich erzwungene Beratungspflicht der Vermittler (jetzt §§ 61, 62) vorausgegangen ist. Sie wird wörtlich übereinstimmend auf den VR erstreckt; deswegen war es zwingend erforderlich, Voraussetzungen und Inhalt der Beratungspflicht des Vermittlers wörtlich zu übernehmen, ganz gleich wie die gemeinschaftsrechtliche Vorgabe im deutschen Recht umgesetzt wird. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Vertreter zugleich die Beratungspflicht seines VR und umgekehrt erfüllt. 35 Die vorgeschlagene Erstreckung der Schutzvorschriften auf alle VN, ausgenommen Verträge über Großrisiken und die laufende Versicherung, hat ebenfalls größere Bedeutung. Die verschiedenen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hätten i. d. R. eine Beschränkung auf private Verbraucher (§ 13 BGB) gestattet. Demgegenüber sah die Kommission auch alle anderen VN (insbesondere Gewerbetreibende, Landwirte und Freiberufler, im Ergebnis auch die öffentliche Hand, immer ausgenommen die Großrisiken und die laufende Versicherung) als ebenso schutzwürdig und -bedürftig an.17 Soweit einzelne Schutzvorschriften nach dem Kommissionsentwurf (§ 11 Abs. 4 KomE für die Höchstfestlaufzeit der Versicherungsverträge und § 55 Abs. 4 Satz 2 KomE bei der vorläufigen Deckung) nur für Verbraucher gelten sollten, handelt es sich um einen Fehler der Schlussredaktion; die sehr spät gefallene Entscheidung für eine Erstreckung der Schutzvorschriften über den Verbraucherbereich hinaus wurde bei früher verabschiedeten Teilvorschlägen nicht mehr umgesetzt. 36 Die Zusammenfassung aller Schutzvorschriften ohne Rücksicht auf Vertragstyp und Vertriebsweg grundsätzlich zu einheitlichen Normen insbesondere über Information, Beratung, Widerruf und Widerrufsfolgen einschließlich des zu beachtenden Zeitpunkts und der Fristen (§§ 6 bis 9, §§ 60 bis 67 KomE) stellt in diesem Bereich den eigentlichen Fortschritt für das neue Versicherungsvertragsrecht dar. Ohne diesen Kunstgriff hätte man die Vielfalt der Vorschriften noch weiter treiben können oder sogar müssen, da die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nach Versicherungsart und Vertriebsweg (Verträge über Finanzdienstleistungen und über andere Waren und Dienstleistungen; Verträge über Lebensversicherung einerseits und alle anderen Versicherungen andererseits; Haustürgeschäfte; Fernabsatzverträge; vermittelte Verträge) unterscheiden. Allerdings war man aber gezwungen, die gemeinsame Regelung vorbehaltlich von Ausnahmen so zu fassen, dass auch die jeweils anspruchsvollste gemeinschaftsrechtliche Vorgabe erfüllt wird. 37 Zur Aufgabe des Policenmodells, bei dem der VN die vorgeschriebenen Informationen erst mit dem Versicherungsschein erhält, konnte sich die Kommission nicht entschließen. Hintergrund ist zunächst die zwar schon immer umstrittene, lange Zeit aber in der Praxis überwiegend vertretene Übereinstimmung mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben; die Kommission war der Auffassung, dass die von ihr vorgeschlagene Fassung des § 7 Abs. 1 Satz 1 KomE mit dem Gemeinschaftsrecht zu vereinbaren ist, auch mit der sicherlich kritischeren Fassung des Art. 3 und 5 der Richtlinie 2002/65/EG (Fernabsatzrichtlinie II).18 Mitentscheidend war nicht nur die Sicherung des Widerrufsrechts des VN nach vollständiger Information, sondern auch der Zweifel an einer besseren Funktionsfähigkeit vorgeschlagener Alternativen. So bleibt abzuwarten, zu welchen Erlebnissen die jetzt vom Gesetzgeber präferierte Alternative zum Policenmodell (§ 7 Abs. 1 Satz 1 – vor der Abgabe der Vertragserklärung des VN) führen wird. 38 Die Verlagerung der Vorschriften über den Informationsinhalt in die Rechtsverordnung nach § 7 Abs. 2 schien der Kommission ebenfalls ein wesentlicher Fortschritt zu sein. Es ist wohl unangemessen, wenn sich der Gesetzgeber selbst mit Einzelinformationen im letzten Detail be17 Abschlussbericht S. 11 f. 18 Abschlussbericht S. 12 f. Niederleithinger/Koch

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fasst, die nur in ihrer Gesamtheit wesentliche Bedeutung haben. Außerdem führt die Aufnahme in das Gesetz selbst zu einem erheblichen Aufwand, wenn sich später herausstellen sollte, dass eine bestimmte Information nicht ganz zufriedenstellend umschrieben ist und das Gesetz entsprechend geändert werden muss; eine Verordnung ist nun einmal einfacher und vor allem schneller zu ändern als ein Gesetz.

3. Prämienzahlung Neben der Einführung des Verzugs, der Verschulden voraussetzt, in § 40 Abs. 1 KomE (ebenso 39 jetzt § 37 Abs. 1) unterscheiden sich die Vorschläge der Kommission in diesem Bereich vom bisher geltenden Recht nur durch die Aufgabe des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Prämie (§§ 2, 40, 41a, 59, 60, 70, 95, 113, 119 und 158 a. F.) durch § 42 Abs. 1 KomE.19

4. Vertragsverletzungen und Obliegenheiten des Versicherungsnehmers Die Regelung der Pflichten des VN und der Rechtsfolgen ihrer Verletzung stellt – jedenfalls 40 nach Meinung des Verfassers – den rechtspolitisch wichtigsten Beitrag der Kommission zu den allgemeinen Vorschriften dar; sein Gewicht wird nur noch von den vorgeschlagenen Verbesserungen bei der Lebensversicherung und der teilweise realisierten Forderung zur Übertragbarkeit der Alterungsrückstellungen in der Krankenversicherung erreicht. Den Praktiker wird zunächst berühren, dass hier „kein Stein auf dem anderen geblieben“ ist. Aber nicht nur Wortlaut und Systematik haben sich verändert. Wichtiger sind im Ergebnis die inhaltlichen Abweichungen vom geltenden Recht. Nicht nur das sog. Alles-oder-Nichts-Prinzip soll bei grobem Verschulden durch eine Quotelung ersetzt werden, sondern an die Stelle der §§ 6, 15 ff. a. F. soll eine systematisch ganz anders gegliederte neue Regelung treten; das schließt nicht aus, dass die Rechtsfolgen eines bestimmten Fehlverhaltens des VN in Zukunft mit den Rechtsfolgen übereinstimmen, die das bisherige Recht für diesen Fall vorgesehen hat. Hier können nur die allgemeinen Ziele der Kommission dargestellt werden; die Einzelhei- 41 ten der neuen Vorschriften der §§ 19 bis 32, die mit geringen Ausnahmen dem Kommissionsvorschlag entsprechen, sind Gegenstand der Darstellung und Kommentierung an anderer Stelle. Diese Ziele können nicht komprimierter als durch die (leicht gekürzte) Wiedergabe der Ausführungen im Abschlussbericht (S. 37 f.) dargestellt werden: „Der Entwurf beschränkt sich nicht auf Korrekturen bei den einzelnen Vorschriften, sondern 42 sieht für sämtliche Verletzungen vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten des Versicherungsnehmers (Anzeige von Gefahrumständen, Verbot der Gefahrerhöhung) ein weitgehend einheitliches Regime von Rechtsfolgen vor. …. Die Grundsätze dieses Systems sind: – Auf die Leistungsfreiheit als Rechtsfolge wird nicht verzichtet; in manchen Fällen erscheint es aber ausreichend, wenn der VR kündigen oder eine höhere Prämie verlangen kann. – Zur Leistungsfreiheit können grundsätzlich nur solche Verstöße führen, die kausal für den Versicherungsfall oder den Umfang der Leistung des VR sind. Nur betrügerisches Verhalten des VN vor und nach dem Versicherungsfall führt ausnahmsweise, auch wenn es nicht kausal geworden ist, zur Leistungsfreiheit. – Einfach fahrlässig verursachte Verstöße bleiben folgenlos. – Vorsätzliche Verstöße führen – vorbehaltlich des zweiten Grundsatzes – immer zur Leistungsfreiheit.

19 Das Gesetz hat die von der Kommission vorgeschlagene Aufteilung nach dem getragenen Risiko in § 39 Abs. 1 durch die einfachere zeitanteilige Aufteilung ersetzt; dazu Rn. 90. 393

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Bei grob fahrlässigen Verstößen des Versicherungsnehmers gegen Obliegenheiten kann der Versicherer seine Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens kürzen. Der VN soll nicht von der Leistungsfreiheit überrascht werden: Es werden Belehrungspflichten des VR vorgesehen, die den VN warnen und ihn zu richtigem Verhalten anhalten sollen. Die Beweislast wird klar und einheitlich geregelt: Bei objektiver Tatbestandsverwirklichung wird von grober Fahrlässigkeit ausgegangen, d. h. die Beweislast für Vorsatz trägt der VR, von grober Fahrlässigkeit muss sich der VN entlasten. Die Beweislast für Kausalität soll dagegen unverändert bleiben; Obliegenheitsverletzungen bleiben folgenlos, wenn der VN nachweist, dass sein Verhalten nicht kausal war.“

5. Vorläufige Deckung 43 Während dieser Vertragstyp trotz der großen wirtschaftlichen Bedeutung bisher nicht gesondert gesetzlich geregelt war, hat die Kommission in §§ 52 ff. KomE für einige Schwerpunktfragen der vorläufigen Deckung eine Regelung vorgeschlagen. Dabei dürften weniger die praktischen Abweichungen der neuen Vorschriften von der Vertragspraxis im Vordergrund stehen, sondern eher das Interesse an einem gesetzlichen Rahmen für einen – jedenfalls hinsichtlich der Vertragsbeendigung – doch sehr eigenartigen Versicherungsvertrag. Um den Abschluss des Vertrags über vorläufige Deckung zu erleichtern, soll nach § 52 44 Abs. 2 KomE (jetzt § 49 Abs. 1) ein Vertrag auch ohne Übergabe der eigentlich unentbehrlichen AVB zustande kommen. Darüber hinaus sollen die einschlägigen AVB des VR „auch ohne ausdrücklichen Hinweis“ Vertragsbestandteil werden; damit wird von § 305 Abs. 2 BGB abgewichen. Wenn sich nicht feststellen lässt, welche von mehreren AVB des VR Vertragsbestandteil werden sollen, gelten die für den VN günstigsten AVB des VR (§ 52 Abs. 2 Satz 2 KomE; jetzt § 49 Abs. 2 Satz 2). Dies ist sicher nur deswegen vertretbar, weil die Kommission und der Gesetzgeber von zwei getrennten Verträgen über den vorläufigen und über den endgültigen Versicherungsschutz ausgehen; dies gilt auch dann, wenn beide Verträge mit demselben VR und zur gleichen Zeit abgeschlossen werden. Die Erleichterungen für den Abschluss des Vertrags über vorläufige Deckung gelten also nicht zugleich für den Hauptvertrag; dessen Mängel bei der Erfüllung von Informations- und Beratungspflichten des VR werden nicht durch den vorangegangenen oder gleichzeitigen Abschluss des vereinfachten Vertrags über vorläufige Deckung geheilt. 45 Die Regelung für die Beendigung des Vertrags über vorläufige Deckung stellen den Kern des Vorschlags der Kommission dar. Der Vertrag soll immer dann enden, wenn der VN gleichartigen Versicherungsschutz durch einen Hauptvertrag oder durch einen weiteren Vertrag über vorläufige Deckung erlangt (§ 55 Abs. 1 und 2 KomE = jetzt § 52 Abs. 1 und 2). Dies gilt auch dann, wenn der neue Versicherungsschutz durch einen anderen VR gewährt wird. Der Abschluss des neuen Vertrags soll allein nicht ausreichen, vielmehr muss der Versicherungsschutz tatsächlich eintreten. Dessen nachträglicher Wegfall bleibt unbeachtlich; wenn der neue Vertrag den Versicherungsschutz von der Zahlung der Prämie abhängig macht, endet der zunächst abgeschlossene Vertrag über vorläufige Deckung trotz des fehlenden neuen Versicherungsschutzes, sobald der VN mit der Prämienzahlung in Verzug ist. Die jederzeit zulässige, nicht fristgebundene Kündigung eines auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Vertrags über vorläufige Deckung (§ 55 Abs. 4 Satz 1 KomE = jetzt § 52 Abs. 4 Satz 1) soll erst zwei Wochen nach Zugang der Kündigung wirksam werden (§ 55 Abs. 4 Satz 2 KomE = jetzt § 52 Abs. 4 Satz 2); diese auf die Kündigung des VR beschränkte Regelung soll sicherstellen, dass der VN sich rechtzeitig neuen Versicherungsschutz suchen kann. 46 Der rückwirkende Wegfall des vorläufigen Versicherungsschutzes bei Verzug des VN mit der Prämie für den Hauptvertrag ist bisher durch § 9 Satz 2 KfzPflVV ausdrücklich zugelassen; der VR kann sich gegenüber einem geschädigten Dritten darauf aber nicht berufen, sondern muss Rückgriff bei seinem säumigen Vertragspartner nehmen. Die Kommission hielt diese Rege-

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lung nicht für sachgerecht;20 sie dürfte darauf beruhen, dass die VR in der Kfz-Haftpflicht aus Wettbewerbsgründen ganz großzügig und fast formlos vorläufige Deckungen zusagen. Deshalb hat die Kommission vorgeschlagen, durch § 54 Abs. 2 Satz 1 KomE die Rückwirkung beim Verzug mit der Prämie für die vorläufige Deckung oder für den Hauptvertrag auszuschließen (dazu Rn. 90).

6. Verzicht auf einige Sonderregelungen Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung und fehlender Regelungen für wichtigere Versiche- 47 rungszweige z. B. für die Berufsunfähigkeitsversicherung wirken die bisher aufrechterhaltenen besonderen Abschnitte für die Hagel- und für die Tierversicherung (§§ 108 ff., §§ 116 ff. a. F.) als unangemessen, vielleicht sogar als kurios; überflüssig sind diese Abschnitte in jedem Fall. Deshalb hat die Kommission deren Streichung vorgeschlagen.21 Dies schließt einzelne Sondervorschriften für die Hagelversicherung (§ 94 Abs. 3 KomE = jetzt § 92 Abs. 3) und für die Tierversicherung (§ 85 Abs. 4 KomE = jetzt § 83 Abs. 4) nicht aus, da insoweit besondere Verhältnisse anzuerkennen sind. Auch für die Gebäudefeuerversicherung hat die Kommission eine Streichung der Sonder- 48 vorschriften (§§ 81 ff. a. F.) vorgeschlagen.22 Begünstigte dieser Regelung sind vor allem die Unternehmen der Kreditwirtschaft, die über andere Mittel zur ausreichenden Absicherung eines Brandschadens bei unversicherten Gebäuden verfügen und diese Mittel in der Praxis bisher schon einsetzen. Wenn den Grundpfandrechtsgläubigern Sonderrechte auf Versicherungsleistungen eingeräumt wurden, obwohl der VN den Versicherungsschutz verloren hat, ist dies nur im Zusammenhang mit überkommenen, aber überholten Vorstellungen von den Aufgaben einer öffentlich-rechtlichen Feuerversicherung im Rahmen des allgemeinen Feuerschutzes zu verstehen. Das gilt insbesondere für § 102 Abs. 1 a. F. bei der Brandstiftung durch den VN und für den Kontrahierungszwang nach § 105 a. F. Deshalb sind diese Vorschriften in §§ 142 ff. nicht mehr enthalten, mit denen sich der Gesetzgeber dem Vorschlag der Kommission zum grundsätzlichen Verzicht auf die besonderen Regelungen der Gebäudefeuerversicherung nicht insgesamt angeschlossen hat.

7. Haftpflichtversicherung a) Allgemeine Vorschriften. Bei den allgemeinen Vorschriften (§§ 101 ff. KomE = jetzt 49 §§ 100 ff.) stehen die Regelungen für Anerkenntnis, Befriedigung und Abtretung im Vordergrund, da sie von den bisherigen Vorschriften grundsätzlich abweichen. Demgegenüber ist die vorgeschlagene Modernisierung der Umschreibung des Anspruchs des VN (§ 101 KomE = jetzt § 100) ohne sachliche Auswirkung, da nach der Vertragspraxis schon bisher nicht nur ein Zahlungsanspruch, sondern ein Freistellungsanspruch des VN bestand. Vertragliche Anerkenntnis- und Befriedigungsverbote sollen unwirksam sein (§ 106 50 KomE = jetzt § 105), wodurch auch § 154 Abs. 2 a. F. obsolet wird. Die Kommission hielt diese Verbote nicht nur für ungerechtfertigt, sondern auch für ineffektiv, weil der VN nicht gehindert ist, die möglicherweise falschen Tatsachen, die einen Anspruch des Dritten begründen sollen, verbindlich zu bestätigen.23 Der VN trägt aber auch nach dem Vorschlag der Kommission in jedem Fall das Risiko eines voreiligen Anerkenntnisses, muss also seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung mit der Begründung durchsetzen, er sei dem Dritten gegenüber ersatz20 21 22 23 395

Abschlussbericht S. 55 f. Abschlussbericht S. 77 f. Abschlussbericht S. 76 f. Abschlussbericht S. 79 f.; vgl. dazu auch ausführlich BTDrucks. 16/3945, zu § 105 VVG-E, S. 86. Niederleithinger/Koch

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pflichtig gewesen. Das Anerkenntnis des VN kann einen Freistellungsanspruch gegen den VR wegen eines in Wirklichkeit nicht bestehenden Schadensersatzanspruchs des (angeblich) geschädigten Dritten nicht begründen. 51 Ein vertragliches Abtretungsverbot durch AVB soll ausgeschlossen werden; nur entsprechende Einzelvereinbarungen, die in der Praxis wegen des weiten AGB- und AVB-Begriffs nur nach einem Versicherungsfall vorkommen werden (§ 109 Abs. 2 KomE = jetzt § 108 Abs. 2), sollen zugelassen werden.24 Nach dem weitgehenden Scheitern des von der Kommission vorgesehenen Direktanspruchs gegen den Versicherer in der Pflichtversicherung (Rn. 53, 105) könnte die Unwirksamkeit von vertraglichen Abtretungsverboten erhebliche Bedeutung erlangen; diese Regelung ermöglicht es den Beteiligten bei einem Einvernehmen des VN mit dem angeblich oder tatsächlich geschädigten Dritten, die Geltendmachung der Schadensersatzforderung wie beim Direktanspruch auf den VR zu fokussieren.

52 b) Besondere Vorschriften für Pflichtversicherungen. Die Mindestversicherungssumme soll erstmals im Versicherungsvertragsgesetz festgelegt werden, aber nur für den Fall, dass die Rechtsvorschrift, durch die eine Versicherungspflicht eingeführt worden ist, keine Regelung trifft (§ 115 KomE = jetzt § 114 Abs. 1). Es ist anzunehmen, dass diese Fälle selten sind. Deshalb gewinnt das Gesetz insoweit erst durch die Ergänzung in § 114 Abs. 2, die im Gesetzgebungsverfahren vorgesehen wurde, seine eigentliche Bedeutung. Die Grenzen, in denen der Versicherungsvertrag Inhalt und Umfang der Pflichtversicherung einschließlich des Selbstbehalts bestimmen kann, werden nämlich erstmals ausdrücklich festgelegt. 53 Der Vorschlag der Kommission sah weiter einen Direktanspruch des geschädigten Dritten gegen den VR bei allen Pflichtversicherungen vor (§ 116 KomE). Vorbild war dafür die gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Regelung bei der Kfz-Haftpflicht. Damit sollte die Stellung des Geschädigten verbessert, insbesondere die Realisierung seiner Ersatzansprüche erleichtert werden. Die vorgesehene Beschränkung auf die Fälle der Pflichtversicherungen beruhte auf dem Umstand, dass andere Haftpflichtversicherungen vom Schädiger nur im eigenen Interesse und aufgrund eigener Entscheidung abgeschlossen werden; über den tatsächlichen Vorteil bei der Realisierung einer Schadensersatzforderung hinaus hat der geschädigte Dritte keinen Anspruch darauf, aufgrund der Entscheidung des Schädigers, sich entgeltlich Versicherungsschutz zu verschaffen, auch rechtlich besser gestellt zu werden. Im Übrigen bestehen aber keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Fällen einer Versicherungspflicht, sodass die Beschränkung des Direktanspruchs auf die Kfz-Haftpflicht zu einer systemwidrigen Spaltung der Rechtsfolgen von Pflichtversicherungen führte. Der Gesetzgeber hat trotzdem entschieden, den Direktanspruch über die Kfz-Haftpflicht hinaus nur auf zwei seltene Fälle auszudehnen – formelle Insolvenz und unbekannter Aufenthalt des VN (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3). 54 Für die Leistungspflicht des VR gegenüber dem Dritten sieht der Vorschlag der Kommission nach dem Vorbild des § 158c a. F. in § 117 KomE (jetzt weitgehend übereinstimmend § 117) Leistungen auch dann vor, wenn der Versicherer gegenüber dem VN leistungsfrei ist. Damit sollten zunächst die geltenden Regelungen für die Kfz-Versicherung übernommen, diese aber auch ergänzt und erweitert werden.25 Die Vorschriften gelten über die Kfz-Haftpflicht hinaus auch in den anderen Fällen, in denen es jetzt zu einem gesetzlichen Direktanspruch des geschädigten Dritten gegen den VR kommt. Neu sind schließlich die Vorschläge der Kommission zur Rangfolge mehrerer Ansprüche 55 bei unzureichender Versicherungssumme (§ 118 KomE; jetzt § 118) und zum Rückgriff bei mehreren Versicherten (§ 124 KomE; jetzt § 123).

24 Abschlussbericht S. 80 f. 25 Abschlussbericht S. 82 f.; dazu auch BTDrucks. 16/3945, zu § 117, S. 89. Niederleithinger/Koch

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8. Lebensversicherung Unzuträglichkeiten bei der Lebensversicherung, insbesondere bei der kapitalbildenden Le- 56 bensversicherung – sowohl hinsichtlich der bestehenden gesetzlichen Regelungen als auch in der tatsächlichen Vertrags- und Vertriebspraxis – wurden vom BMJ bei der Auftragserteilung nicht nur erwähnt, sondern hatten dabei ersichtlich größeres Gewicht als entsprechende Anmerkungen zu anderen Bereichen. Schon deshalb lag hier ein besonderer Schwerpunkt der Überlegungen der Kommission; im Schlussbericht nehmen die allgemeinen Erörterungen zur Lebensversicherung deshalb breiten Raum ein.26 Im Folgenden werden nur fünf Problemfelder herausgegriffen, auf denen die Hauptaufmerksamkeit lag; nicht referierte Fragen und Vorschläge verdienen trotzdem Beachtung. Grundlage aller dazu gemachten Vorschläge der Kommission ist deren Auffassung, dass weder die Aufteilung der Geschäftstätigkeit der Versicherer nach dem von der SPD-Fraktion in ihrer Oppositionsrolle eingebrachten Entwurf (BTDrucks. 13/8163) übernommen27 noch eine Aufteilung der Prämie für eine kapitalbildende Lebensversicherung in ihre Kalkulationsbestandteile vorgenommen28 werden sollte.

a) Zusätzliche Informationen. Da eine Lebensversicherung, meist in der Form einer kapital- 57 bildenden Lebensversicherung abgeschlossen, ein ungewöhnlich langfristiger, gewichtiger und zumindest wegen der Verbindung von Risikoschutz und Sparvorgang komplexer Vorgang ist, hat bereits die Kommission zusätzliche Informationspflichten vorgeschlagen.29 Da diese erst durch die auch von der Kommission für richtig gehaltene Rechtsverordnung, die in dem Abschlussbericht nicht mehr formuliert werden konnte, konkret ausgefüllt werden sollten, ergeben die Ausführungen der Kommission allein kein vollständiges Bild; sie werden deshalb hier nicht im Einzelnen wiedergegeben. Insoweit soll hier der Hinweis genügen, dass das Gesetz, wie es verabschiedet worden ist, die folgenden zusätzlichen Informationen vorschreibt: • Modellrechnung (§ 154 Abs. 1), verbunden mit einem zusätzlichen Unverbindlichkeitshinweis (§ 154 Abs. 2) und einer Ergänzung während der Vertragslaufzeit (§ 155 Satz 2), • Entwicklung der Ansprüche des VN unter Einbeziehung der Überschussbeteiligung (§ 155 Satz 1), • Höhe der Leistung im Falle der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung (für jedes Versicherungsjahr bereits im Vertrag, § 165 Abs. 2), • Nichtzahlung der Prämie durch den Arbeitgeber im Rahmen von Verträgen der betrieblichen Altersvorsorge (§ 166 Abs. 4) und • Höhe des Rückkaufswerts (für jedes Versicherungsjahr bereits im Vertrag, § 169 Abs. 3 Satz 2). Zusätzlich erweitert die VVG-Informationspflichtenverordnung die dem VN vor dem Vertragsabschluss zu erteilenden Informationen erheblich. Mit der Modellrechung (§ 146 KomE; jetzt § 154; ausgenommen Risikoversicherungen und 58 fondsgebundene Versicherungen) soll der VN wenigstens etwas Klarheit über die durch die Überschussbeteiligung maßgeblich mitbestimmte voraussichtliche Versicherungsleistung erhalten; er will und soll wissen, inwieweit der in Aussicht genommene Vertrag seinem Absicherungsbedarf entspricht. VR verwenden derartige Informationen immer schon als Vertriebsargument. Mit diesen Informationen, bislang meist als Beispielsrechnungen bezeichnet, sind aber spezifische Gefahren verbunden. Die mitgeteilten Werte können unverantwortlich optimistisch sein und der VN kann über Unverbindlichkeit und Unsicherheit auch realistischer Prognosen

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Abschlussbericht S. 91 bis 129. Abschlussbericht S. 93 f. Abschlussbericht S. 94. Abschlussbericht S. 117 ff. Niederleithinger/Koch

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im Unklaren bleiben. Deshalb soll für alle VR eine gesetzlich normierte Information, als Modellrechnung bezeichnet, eingeführt werden.30 59 Als Voraussetzung der Verpflichtung, dem zukünftigen VN die derart normierte Modellrechnung zu übermitteln, sah die Kommission eine Vertriebspraxis des VR vor, bei der er dem VN – im Zusammenhang mit dem Angebot einer Lebensversicherung – bezifferte Angaben „zur Höhe von möglichen Leistungen über die vertraglich garantierten Leistungen hinaus“ macht. Allein der unbezifferte Hinweis, aus der Überschussbeteiligung könnten sich zusätzliche Leistungen über die Versicherungssumme hinaus ergeben, reicht nicht aus. Die Verpflichtung zur Modellrechnung setzt aber schon ein, wenn der VR dem VN Informationsmaterial mit einer bezifferten Beispielrechnung zur Verfügung stellt; nicht erforderlich ist eine konkrete Beispielrechnung mit den Faktoren (Prämie, Versicherungssumme, Laufzeit) des angebotenen Vertrags. 60 Die normierte Modellrechnung berechnet die (mögliche) Ablaufleistung auf der Grundlage der vom VR verwendeten Rechnungsgrundlagen für die Prämienkalkulation des angebotenen Vertrags mit drei Zinssätzen, die sich nach dem aufsichtsrechtlich festgelegten Höchstrechnungszinssatz richten (§ 146 Abs. 1 KomE), der mit dem Faktor 1,67 zu multiplizieren ist; die beiden weiteren Zinssätze liegen dann einen Prozentpunkt über und unter dem durch die Multiplikation gefundenen Wert.31

61 b) Überschussbeteiligung. Die Vorschläge der Kommission zur Überschussbeteiligung im engeren Sinn (also ohne die Beteiligung an den Bewertungsreserven – dazu Rn. 63, 95) sind eher konservativ. Etwas gekürzt lauten die entsprechenden Ausführungen der Kommission wie folgt:32 „Bei denjenigen Lebensversicherungsverträgen, die eine Überschussbeteiligung des VN vorsehen, soll der VR verpflichtet werden, die jährliche Verteilung (Deklaration) aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattung auf die Gesamtheit der berechtigten VN nach einem verursachungsorientierten Verfahren durchzuführen (§ 145 Abs. 2 E). Für die Ermittlung des Überschusses eines Versicherungsunternehmens bleiben die entsprechenden handelsrechtlichen Vorschriften maßgebend. Für die Verwendung des so festgestellten Überschusses zu Gunsten der Gesamtheit der Versicherten bleibt es bei der aufsichtsrechtlichen Regelung des § 81c VAG. … Die aufsichtsund steuerrechtlichen Begrenzungen der nicht zugeteilten Rückstellung bleiben allerdings bestehen; daraus ergeben sich … nur tatsächliche Vorteile des einzelnen VN. Der Betrag, den der VR jeweils für ein Jahr aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattung zur Beteiligung aller VN an den Überschüssen der vergangenen Jahre – als laufende Überschussanteile oder als Finanzierungsbeiträge für den Schlussüberschussanteilfonds (vgl. § 28 Abs. 6 RechVersV) – verwendet bzw. den er als Direktgutschrift unmittelbar dem handelsrechtlich ermittelten Überschuss entnimmt, soll auf die einzelnen VN grundsätzlich nach anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik verursachungsorientiert verteilt werden; insoweit sieht der Entwurf einen gesetzlichen Anspruch vertragsrechtlicher Art vor. Das bedeutet, dass wie bisher gleichartige Versicherungsverträge nach anerkannten versicherungsmathematischen Grundsätzen zu Bestandsgruppen und Gewinnverbänden zusammengefasst werden können und dass sich die Verteilung des Überschusses auf diese daran zu orientieren hat, in welchem Umfang die Gruppe oder der Gewinnverband zur Entstehung des Überschusses beigetragen hat. … Eine Berechnung des individuellen, verursachungsgerechten Anteils des einzelnen Vertrags am Gesamtüberschuss ist nicht durchführbar und wird deshalb auch nicht vorgesehen. … Diese gesetzliche Regelung soll im Interesse der Produktgestaltungsfreiheit des VR in zweifacher Hinsicht dispositiv sein.

30 Dazu im Einzelnen Abschlussbericht S. 121 ff. 31 Das Gesetz kommt zu einer entsprechenden Lösung, indem die Zinshöhe durch die Verordnung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 festgelegt wird; die Verordnung soll in gleicher Weise auf den Höchstrechnungszinssatz Bezug nehmen, wie § 146 Abs. 1 KomE dies für das Gesetz vorgesehen hat. 32 Abschlussbericht S. 105 ff. Niederleithinger/Koch

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Zunächst soll die Regelung nur gelten, wenn der Vertrag die Überschussbeteiligung nicht ausschließt. Der VR soll also durch die gesetzliche Vorgabe nicht gehindert werden, Verträge ohne Überschussbeteiligung abzuschließen; allerdings muss er dabei allgemein gültige Vorgaben insbesondere des Aufsichtsrechts beachten, das ihn zu einer Überschussbeteiligung verpflichten kann. … Allerdings muss der VR den VN auf den Ausschluss der Überschussbeteiligung als eine Abweichung vom Regelfall ausdrücklich aufmerksam machen; dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um einen Vertragstyp handelt, bei dem sonst allgemein eine Überschussbeteiligung eingeräumt wird. Von Sonderfällen abgesehen, wird ein VR im Wettbewerb ohnehin kaum in der Lage sein, Verträge ohne Überschussbeteiligung durchzusetzen. Außerdem soll die gesetzliche Vorgabe eines verursachungsorientierten Verfahrens eine ausdrückliche Vereinbarung anderer Verteilungsgrundsätze nicht ausschließen, sofern sie angemessen sind. Es ist möglich, dass ein VR für die Verteilung bestimmte Grundsätze vertraglich vereinbart, die zwar nicht streng verursachungsorientiert, trotzdem aber angemessen sind. Die Interessen des VN werden in diesem Fall durch die notwendige Information, durch die transparente Gestaltung der entsprechenden AVB (§§ 305 ff. BGB) und durch die gesetzliche Vorgabe der Angemessenheit gewahrt; durch die letzte Voraussetzung wird das zentrale Kriterium der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB ausdrücklich aufgenommen.“

Diese Ausführungen finden ihren Niederschlag in dem Vorschlag eines § 145 KomE, der in 62 § 153 Abs. 1 und 2 praktisch unverändert Gesetz geworden ist. Damit werden aber im Wesentlichen nur die bisher bereits geltenden Vorgaben der Aufsichtsrechts, verbunden mit den entsprechenden Vereinbarungen in den Versicherungsverträgen, in gesetzliche Vorgaben vertragsrechtlicher Art übernommen. Deshalb dürften die tatsächlichen Auswirkungen gering sein. Dies könnte nur anders werden, wenn es im Zivilprozess möglich werden sollte, ein bestimmtes vom VR praktiziertes Verteilungsverfahren grundsätzlich und betragsmäßig – sicherlich mit Sachverständigenhilfe – gerichtlich zu überprüfen. Wirklich neu ist nur die erstmals im Referentenentwurf entwickelte Beteiligung an den Bewertungsreserven durch deren Einbeziehung in § 153 Abs. 1 in Verbindung mit der zwingenden Ausschüttungsregelung des § 153 Abs. 3 (Rn. 63, 95).

c) Beteiligung an den Bewertungsreserven. Die wesentlich weiter gehende Beteiligung der 63 VN an nicht realisierten Überschüssen hat die Kommission ergebnisoffen diskutiert und im Abschlussbericht dargestellt.33 Dasselbe gilt für die Überlegungen zur Aufteilung des Vermögens des Lebensversicherers in eine gebundene und in ein freie Vermögenmasse,34 wobei der erste Teil der Überschussbeteiligung unbeschränkt unterliegen würde. Die Kommission nennt hier nur die Probleme sehr deutlich beim Namen, ohne eigene Lösungsvorschläge zu machen. Trotzdem dürfte der Abschlussbericht Einfluss auf die jetzt im neuen Gesetz gefundene Lösung und vorher auf die Entscheidung des BVerfG (Rn. 80) gehabt haben.

d) Bedingungsanpassung. Da die Kommission in § 16 Abs. 2 KomE für alle Versicherungs- 64 zweige die Möglichkeit einer Ersetzung unwirksamer AVB-Klauseln vorgesehen hat, konnte sie sich für die Lebensversicherung auf § 157 KomE beschränken, der zusätzlich die Einschaltung eines Treuhänders vorsah. Im Ergebnis hätte dies zu demselben Ergebnis geführt, das jetzt durch § 164 Gesetz geworden ist. Unterschiede liegen nur in der Einführung der höchstrichterlichen Unwirksamkeitserklärung bzw. des bestandskräftigen Verwaltungsakts als Voraussetzung für das Anpassungsverfahren und in dem Verzicht auf den Treuhänder; der zuletzt genannte Punkt ist wohl nur für wenige Personen von Interesse.

e) Rückkaufswert. Die Neuregelung des Rückkaufswerts ist mit Sicherheit derjenige Vorschlag, 65 der die größten finanziellen Auswirkungen hat. Dies gilt sowohl für den Lebensversicherer als 33 Abschlussbericht S. 102 ff. 34 Abschlussbericht S. 100 ff. 399

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auch für den einzelnen VN. Allerdings liegen die Vorteile der vorgeschlagenen Neuregelung nicht bei allen, sondern vor allem bei denjenigen VN, die relativ frühzeitig, also in den ersten Jahren der vorgesehenen Vertragslaufzeit, den Rückkaufswert nach einer Kündigung in Anspruch nehmen. Die zukünftig höheren Zahlungen an diese Gruppe der VN müssen in die Prämienkalkulation der VR eingehen und belasten damit alle VN, also vor allem auch diejenigen, die ihre Verträge bis zum vertraglichen Ablauf durchhalten. Der vorgeschlagene Übergang auf das Deckungskapital als Berechnungsgrundlage des Rückkaufswert (§ 161 Abs. 3 Satz 1 KomE = jetzt § 169 Abs. 3 Satz 1) soll insbesondere die Unsicherheit über die Berechnung des Zeitwerts, der erst im Jahre 1994 als Berechnungsgrundlage eingeführt worden ist, beseitigen; er ist nämlich wesentlich von dem für die Abzinsung der zukünftigen Leistungen gewählten Zinsfuß abhängig und sehr missbrauchsanfällig. Für die Berechnung soll der VR an anerkannte Regeln des Versicherungsmathematik und an die Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation für den konkreten Vertrag gebunden werden. Zusätzlich soll der VR die bereits zugeteilten Überschussanteile und den für den Kündigungsfall bereits deklarierten Schlussüberschussanteil auszahlen (§ 161 Abs. 6 KomE = jetzt § 169 Abs. 7). Abzüge von dem errechneten Deckungskapital sollen nur zulässig sein, wenn sie bereits in dem Vertrag beziffert festgelegt und außerdem angemessen sind (§ 161 Abs. 5 Satz 1 KomE = jetzt § 169 Abs. 5 Satz 1). Der VN soll also nur diejenigen Beträge als Abzüge hinnehmen müssen, die sich – in Euro angegeben – bereits aus dem Vertrag entnehmen lassen; Rechenformeln oder verbale Umschreibungen sind nicht „beziffert“ und damit ausgeschlossen. Dies dürfte für viele VR eine deutliche Einschränkung ihrer Praxis bedeuten. Abzüge für noch nicht getilgte Abschlusskosten sollen ausgeschlossen werden (so unter Beschränkung auf „überrechnungsmäßige“ Abschlusskosten § 161 Abs. 5 Satz 2 KomE; sachlich übereinstimmend unter Verzicht auf „überrechnungsmäßig“ und erweitert auf „Abschluss- und Vertriebskosten“ § 169 Abs. 5 Satz 2). Damit wird eine verbreitete Praxis mancher VR, meist solcher mit besonders hohen Vertriebskosten, verworfen. Sie belasten die Verträge einerseits in den ersten Jahren mit Vertriebskosten im Rahmen der Höchstzillmersätze und verrechnen andererseits zusätzliche Vertriebskosten auf die gesamte Laufzeit; im Fall der Kündigung holen sie dann die in Zukunft entfallenden Amortisationsbeiträge mittels Stornoabzug wieder herein. Die Kommission hat diese Praxis als eine undurchsichtige Vertragsstrafe im Falle der Wahrnehmung des gesetzlichen Kündigungsrechts verworfen.35 Schließlich hat die Kommission eine Sonderregelung für Frühstornofälle vorgeschlagen. Nach § 161 Abs. 3 Satz 1 KomE soll der Rückkaufswert mindestens die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals betragen. Bei ungezillmerten Tarifen ist diese Regelung naturgemäß unanwendbar und überflüssig; bei den weit überwiegenden gezillmerten Tarifen wird der so bestimmte Mindestbetrag nur bei einem vorzeitigen Vertragsende in den ersten Jahren relevant, da anschließend das volle gezillmerte Deckungskapital höher sein wird als die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals.

9. Berufsunfähigkeitsversicherung 70 Die Bedeutung der von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (§§ 164 bis 169 KomE = jetzt §§ 172 bis 177) liegt wesentlich darin, dass erstmals überhaupt ein gesetzlicher Rahmen für diesen Versicherungszweig geschaffen wird. Die Freiheit des VR bei der Produktgestaltung soll durch § 164 KomE gewahrt werden; insbesondere soll es nach den Vorstellungen der Kommission bei der grundsätzlichen Zulässigkeit von Verweisungsklauseln bleiben (§ 164 Abs. 3 KomE = jetzt § 172 Abs. 3). Das inhaltliche Schwergewicht liegt bei der Regelung für das Anerkenntnis.

35 Abschlussbericht S. 110 f. Niederleithinger/Koch

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Der VR soll verpflichtet werden, ein Anerkenntnis abzugeben, wenn die Voraussetzungen 71 seiner Leistungspflicht vorliegen; bei Meinungsverschiedenheiten über die Voraussetzungen entscheidet selbstverständlich das angerufene Gericht, wenn die Beteiligten sich nicht auf einen Vergleich einigen. An das abgegebene Anerkenntnis ist der VR auf Dauer gebunden, es sei denn, er stellt später fest, die Voraussetzungen seiner Leistungspflicht seien entfallen, und er teilt die Veränderung dem VN in Textform mit (§ 166 Abs. 1 KomE = jetzt § 174 Abs. 1). Eine zeitliche Begrenzung des Anerkenntnisses ist möglich, aber nur einmal zulässig; bei einem derartigen Anerkenntnis ist der VR auch bei Änderung der Voraussetzungen bis zum Zeitablauf gebunden (§ 165 Abs. 2 KomE = jetzt § 173 Abs. 2).

10. Unfallversicherung Hier hat die Kommission einen vorsichtigen Ausbau der gesetzlichen Rahmenbedingungen vor- 72 geschlagen (§§ 170 bis 183 KomE = jetzt §§ 178 bis 191).36 Von Bedeutung ist dabei insbesondere die Definition des Unfalls (§ 171 Abs. 2 Satz 1 KomE = jetzt § 178 Abs. 2 Satz 1) und der Invalidität (§ 172 KomE = jetzt § 180). Beide Definitionen stimmen mit den bisher gebräuchlichen Umschreibungen in den AVB überein und sind nicht halbzwingend (§ 183 KomE = jetzt § 191). Erwähnenswert ist auch die demgegenüber halbzwingende Festschreibung der Beweislast des VR bei der Unfreiwilligkeit (§ 171 Abs. 2 Satz 2 KomE = jetzt § 178 Abs. 2 Satz 2).

11. Krankenversicherung a) Übertragung von Alterungsrückstellungen. Die Forderung, beim Versichererwechsel in- 73 nerhalb der privaten Krankenversicherung eine Übertragung von Alterungsrückstellungen einzuführen, stellt einen zentralen Schwerpunkt der Überlegungen der Kommission dar. Angesichts der verbreiteten Auffassung, die Nichtübertragbarkeit entspreche nicht nur dem geltenden Recht, sondern sei auch in Zukunft aus sachlichen Gründen schlechthin ausgeschlossen,37 brechen die gegenteiligen Ausführungen der Kommission38 mit einer festgefügten Tradition. Allerdings erkennt die Kommission dabei an, dass die Einführung einer Übertragbarkeit auch in anderer Hinsicht zu Systemänderungen zwingt, weil in das Gefüge der Krankenversicherung und ihrer Kalkulation eingegriffen würde; insbesondere lässt die Kommission offen, in welchem Umfang dem einzelnen wechselnden VN eine Übertragung zugestanden werden soll; offen blieben auch die sonstigen Änderungen, die mit der Einführung einer Übertragbarkeit verbunden werden müssten. Eine entsprechende Problematik besteht bei dem gesetzlichen Beitragzuschlag nach § 12 74 Abs. 4a VAG. Hier schlägt die Kommission eine (uneingeschränkte) Übertragung der angesammelten Mittel auf den neuen VR vor; dieser Vorschlag wird nur von einer Mehrheit der Mitglieder getragen, während eine Minderheit die bisherige Nichtübertragbarkeit fortführen will.39 Hier sieht die Kommission auch Änderungsbedarf bei den Vorschriften über die Verwendung der angesammelten Beträge.40

b) Wirtschaftlichkeitsklausel. Die Kommission hat die Einführung einer dispositiven Wirt- 75 schaftlichkeitsklausel in § 186 Abs. 3 KomE vorgeschlagen.41 Damit sollte die rechtliche Situati36 37 38 39 40 41 401

Abschlussbericht S. 135 ff. Vgl. z. B. Gutachten der Unabhängigen Expertenkommission, BTDrucks. 13/4945 S. 42 ff. Abschlussbericht S. 141 ff. Abschlussbericht S. 156 ff. Abschlussbericht S. 163. Dazu Abschlussbericht S. 172 f. Niederleithinger/Koch

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on wiederhergestllt werden, die vor dem Urteil des BGH vom 12.3.200342 jedenfalls die Regulierungspraxis der Versicherer bestimmt hat; eine entsprechende AVB-Klausel hat der BGH aber als intransparent für unwirksam erklärt. Die Kommission wollte durch ihren Vorschlag nur Übermaßbehandlungen und Übermaßvergütungen treffen; die Wahlfreiheit des Versicherten, für den u. a. auch die Risiken, Belastungen und Erfolgschancen einer Behandlung zählen, sollte nicht wesentlich eingeschränkt werden.

76 c) Managed care. Unter diesem Schlagwort werden zusätzliche Aufgaben und Befugnisse der privaten Krankenversicherer über die bloße Kostenerstattung hinaus diskutiert. Dazu gehört auch der fakultative Übergang zu Sachleistungstarifen, die voraussetzen würden, dass der VR entweder über eigene Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Polykliniken verfügt oder ein Netz von Verträgen mit medizinischen Leistungserbringern aufbaut. Dazu sah die Kommission „nach dem derzeitigen Stand der Entwicklung im Gesundheitswesen“ keinen vertragsrechtlichen Handlungsbedarf. Dagegen hat sie einen Einstieg durch den Katalog zusätzlicher Leistungen in § 186 Abs. 5 KomE (jetzt § 192 Abs. 3) vorgeschlagen, der mit einem mittelbaren Einfluss des VR auf die Leistungserbringer verbunden ist.

D. Dritte Phase: Gesetzgebung I. Ablauf der Gesetzgebung 77 Das eigentliche Gesetzgebungsverfahren nach den Vorarbeiten der Kommission ist durch einige unerklärte Verzögerungen ebenso gekennzeichnet wie durch beschleunigte Beratungen, die man bei einem Vorhaben dieser Bedeutung nicht erwarten konnte. Ersteres gilt insbesondere für die Fertigstellung und Veröffentlichung eines Referentenentwurfs, den man wenige Monate nach der Anhörung der interessierten Kreise zu dem Abschlussbericht erwartet hatte. Ob diese Verzögerung an Schwierigkeiten auf der Arbeitsebene oder an einer Zurückhaltung der BMJ-Leitung lag, ist offiziell nie bekannt geworden. Jedenfalls lag ein Referentenentwurf immer noch nicht vor, als die 15. Legislaturperiode im Sommer 2005 ein vorzeitiges Ende fand; in der für die Gesetzgebung nicht nutzbaren Zeit zwischen Auflösung des Bundestages und Neuwahlen wurde auch ein vorläufiger Entwurf, in anderen Fällen als Diskussionsentwurf bezeichnet, nicht vorgelegt. Nach dem Zusammentritt der neuen Regierung dauerte es dann noch wenige Monate, bis der Referentenentwurf – immer noch ohne Abstimmung mit den anderen Ressorts der Bundesregierung – in der Fassung vom 13.3.2006 an die interessierten Kreise und damit an die Öffentlichkeit verteilt wurde.43 78 Anschließend ging es dann ganz schnell. Nach der in der Geschäftsordnung vorgeschriebenen Anhörung der interessierten Kreise wurde im Sommer 2006 im BMJ der Regierungsentwurf fertiggestellt und im Frühherbst mit den anderen Bundesressorts abgestimmt, sodass er am 11.10.2006 vom Bundeskabinett förmlich beschlossen und anschließend dem Bundesrat zugeleitet werden konnte. Dieser gab seine Stellungnahme am 24. November 2006 ab. Schon am 20. Dezember 2006 wurde der Entwurf samt Begründung44 mit der Stellungnahme des Bundesrates45 und der Gegenäußerung der Bundesregierung46 dem Bundestag zugeleitet. Die Beratungen des Bundestages wurden binnen weniger Monate abgeschlossen. Nach 79 der ersten Lesung am 1.2.200747 führte der federführende Rechtsausschuss am 28.3.2007 ein 42 43 44 45 46 47

BGH 12.3.2003 – IV ZR 278/01, BGHZ 154 154 = VersR 2003 581. Nicht veröffentlicht. BTDrucks. 16/3945 Anlage 1 S. 5 ff. BTDrucks. 16/3945 Anlage 2 S. 125 ff. BTDrucks. 16/3945 Anlage 3 S. 130 ff. 79. Sitzung, Niederschrift S. 7875 ff.

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wohl bewusst klein gehaltene Sachverständigenanhörung durch.48 Nach sicherlich ausgiebigen Vorbereitungen durch die Berichterstatter, wie üblich auch unter Beteiligung von Vertretern des BMJ, hat der Ausschuss am 20.6.2007 seine endgültigen Beschlussempfehlung verabschiedet, die unverändert der Annahme des Gesetzes in zweiter und dritter Lesung am 5.7.200749 zugrunde lag. Bedingt durch die Sommerpause hat der Bundesrat erst in der 836. Sitzung am 21.9.2007 beschlossen, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen,50 sodass das nicht zustimmungspflichtige Gesetz anschließend verkündet werden konnte.

II. „Externe“ Einflüsse auf das Gesetzgebungsverfahren 1. Zwei richtungsweisende Gerichtsentscheidungen Während der Vorbereitung des Referentenentwurfs ergingen höchstrichterliche Entscheidun- 80 gen, die erhebliche Auswirkungen auf das Gesetzgebungsverfahren haben sollten. Das BVerfG verwarf durch Urteil vom 26.7.200551 die bisherige Nichtregelung der Berechnung der Überschussbeteiligung hinsichtlich der Bewertungsreserven als verfassungswidrig und setzte dem Gesetzgeber für den Erlass einer verfassungsgemäßen Regelung eine Frist bis zum 31. Dezember 2007. Wenig später verwarf der BGH durch Urteil vom 12.10.200552 die von der Versicherungswirtschaft im sogenannten Treuhänderverfahren entwickelten Ersatzklauseln zur Zeitwertberechnung des Rückkaufswerts in der Lebensversicherung53 und forderte im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung, dass der Rückkaufswert einen Mindestbetrag nicht unterschreiten dürfe; dabei schloss sich das Gericht dem Vorschlag der Kommission54 ausdrücklich an, die Grenze bei der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals zu ziehen. In einer kurz darauf ergangenen Kammerentscheidung vom 15.2.3.2006 sah wiederum das BVerfG auf der Basis der durch den BGH geschaffenen Vertragslage keinen Anlass mehr für verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Rückkaufswerts, stellte dabei aber hohe Anforderungen an die Transparenz der entsprechenden Vertragsklauseln.55 Genau genommen kann diese Entscheidung aber nicht für alle Lebensversicherungsverträge gelten, sondern nur für diejenigen, für die eine Verbesserung des Rückkaufswerts nach der BGH-Entscheidung vom 12.10.2005 vorzunehmen war; das betrifft nicht die später abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge. Diese Entscheidungen brachten den Gesetzgeber in Zugzwang. Die vom BVerfG für erforder- 81 lich gehaltene Regelung der Beteiligung der VN an den jeweiligen Bewertungsreserven („stille Reserven“ genannt) musste bis zum 1.1.2008 in Kraft treten. Anderenfalls war nicht abzusehen, welche Grundsätze das Gericht selbst als geltendes Recht in späteren Verfahren bis zu einer gesetzlichen Regelung anwenden würde. Das hätte für die Versicherungsunternehmen eine Unsicherheit mit Risiken in kaum abschätzbarer Höhe bedeutet. Auch die Entscheidung des BGH erforderte eine baldige Reaktion des Gesetzgebers insbesondere dann, wenn er die von dem Gericht für die bestehenden Verträge gefundene Lösung nicht uneingeschränkt für das Vertragsrecht allgemein übernehmen würde; außerdem musste die zeitliche Lücke zwischen der Ent-

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Dazu Ausschussbericht, S. 95; 56. Sitzung des Rechtsausschusses, Prot. Nr. 56. 108. Sitzung, Tagesordnungspunkt 9, Niederschrift S. 11165 ff. BR-Drucks. 583/07 (Beschluss). BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, BVerfGE 114 73=VersR 2005 1127; die gleichzeitig erlassenen Urteile in den Verfahren 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96 betreffen Bestandsübertragungen, die für die VVG-Reform nicht unmittelbar relevant sind. 52 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164 297=VersR 2005 1565. 53 Zur Unwirksamkeit der ursprünglichen Klauseln BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354, BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, BGHZ 147 373; zu den Bewertungsreserven vgl. auch Abschlussbericht S. 102 ff. 54 Abschlussbericht S. 112 ff., 258 f. – § 161 KomE. 55 BVerfG 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96, VersR 2006 489. 403

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scheidung und dem Inkrafttreten der Reform möglichst klein gehalten werden, da die VR selbstverständlich laufend neue Verträge ohne die Besserstellung der VN für den Frühstornofall abgeschlossen haben, jetzt möglicherweise in nach AGB-Recht unangreifbarer Form.

2. Vier weitere Gesetzgebungsverfahren zum VVG-alt 82 Während des Gesetzgebungsverfahrens zur VVG-Reform sind vier weitere Gesetzgebungsverfahren durchgeführt worden, mit denen Vorschriften des geltenden alten Gesetzes über den Versicherungsvertrag unabhängig von der kurz bevorstehenden Reform noch einmal geändert und ergänzt worden sind. Es handelt sich um folgende Gesetze: • Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2. Dezember 200656 • Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 10. Dezember 200657 • Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge vom 26.3.200758 • Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.200759 83 Die so erlassenen Ergänzungen und Änderungen des bisher geltenden Gesetzes über den Versicherungsvertrag wären verloren gegangen, wenn das Reformgesetz sie nicht aufgenommen hätte. Deshalb sind die ersten drei der genannten Gesetze im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zur Reform als vorweggenommene Reformteile behandelt und vom Bundestag im neuen Versicherungsvertragsgesetz berücksichtigt worden. Soweit sie nicht ohnedies schon im Regierungsentwurf ohne Begründung vorgesehen waren, wurden die Änderungen von dem federführenden Rechtsausschuss in seine Beschlussempfehlung60 ohne weitere Erörterung inhaltlich unverändert aufgenommen. Niemand konnte erwarten, dass der Bundestag in einem Punkt seine Meinung ändern würde, nachdem er kurz zuvor eine bestimmte Regelung verabschiedet hatte. Nur eine Fraktion nahm die an sich selbstverständliche Einspielung der Änderungen durch das GKVWettbewerbsstärkungsgesetz zum Anlass, dem Reformgesetz insgesamt nicht zuzustimmen.61 84 Die Änderungen des bisherigen Gesetzes durch Art. 43 des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes haben inhaltlich eine andere Qualität und ein besonderes Gewicht (Rn. 107). Sie enthalten nicht nur bestimmte vertragsrechtliche Regelungen für den neuen Basistarif, sondern bewirken darüber hinaus eine Annäherung der privaten Krankenversicherung an die GKV mit der Einführung einer Versicherungspflicht aller Personen und einem entsprechenden Kontrahierungszwang der VR. Schließlich wird durch § 204 Abs. 1 Nr. 2 VVG (Fassung ab 1.1.2009) die teilweise Übertragbarkeit der Alterungsrückstellungen eingeführt. Für diese Änderungen, die erst am 1.1.2009 in Kraft treten sollten, musste eine besondere Vorgehensweise gewählt werden. Nach Art. 10 des Reformgesetzes ist der noch nicht in Kraft getretene Art. 43 des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes insgesamt wieder aufgehoben und durch Art. 11 des Reformgesetzes eine ab 1.1.2009 geltende Neufassung der §§ 192 bis 208 VVG-neu eingeführt worden, die alle von dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vorgenommenen, durch Art. 10 des Reformgesetzes aber rückgängig gemachten Änderungen der versicherungsvertragsrechtlichen Vorschriften mit einigen redaktionellen Korrekturen berücksichtigt und mit Wirkung vom 1.1.2009 (Art. 12 Abs. 2 des Reformgesetzes) in Kraft setzt. 56 BGBl. I 2742. 57 BGBl. I 3232; dazu BTDrucks. 16/1935 und 3162. Das Gesetz ist hinsichtlich der Einfügung der §§ 42a bis 42j in das bisherige Gesetz über den Versicherungsvertrag am 22.5.2007 in Kraft getreten. 58 BGBl. I 368; dazu BTDrucks. 16/886 und 3844. Das Gesetz ist am 31.3.2007 in Kraft getreten (Art. 4 des Gesetzes). 59 BGBl. I 378; dazu insbesondere BTDrucks. 16/3100 4020, 4200 und 4247. Das Gesetz sollte hinsichtlich der Änderungen des bisherigen Gesetzes über den Versicherungsvertrag am 1.1.2009 in Kraft treten (Art. 46 Abs. 10 in Verbindung mit Art. 43 des Gesetzes). 60 BTDrucks. 16/5862 S. 4 ff. 61 Ausschussbericht, S. 96; vgl. auch den nicht angenommenen Entschließungsantrag, BTDrucks. 16/5974 S. 3 f. Niederleithinger/Koch

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3. Änderungen durch das 2. Änderungsgesetz zum Pflichtversicherungsgesetz Noch vor seinem Inkrafttreten ist das neue Versicherungsvertragsgesetz bereits wieder geändert 85 worden. Allerdings handelt es sich dabei um die Beseitigung eines Fehlers, der in der Schlussphase der Beratungen des Rechtsausschusses des Bundestages zur VVG-Reform unterlaufen ist. Durch die Beschränkung des Direktanspruchs nach § 115 und die Aufrechterhaltung der Verweisung des § 117 auf den (nun eingeschränkten) § 115 waren die zu Lasten des VR gehenden Schutzvorschriften bei „kranken“ Versicherungsverhältnissen nur noch in der Kfz-Haftpflichtversicherung und in den seltenen Ausnahmefällen des § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 anwendbar. Dieses Zurückgehen hinter das geltende Recht des § 158c a. F. wurde durch Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes vom 10.12.200762 wieder rückgängig gemacht. Da dieses Gesetz vor dem 1.1.2008 in Kraft getreten ist, gilt die geänderte Regelung des Versicherungsvertragsgesetzes von Anfang an.

III. Änderungen gegenüber dem Kommissionsentwurf Die Abweichungen des Regierungsentwurfs von den Vorschlägen der Kommission sind zahl- 86 reich und vielfältig. Stellt man sie aber dem großen Umfang übernommener Vorschläge gegenüber, ist nicht zu übersehen, dass in der zweiten Phase – wie immer beabsichtigt – die entscheidende Grundlage für die Reform gelegt worden ist. Trotzdem haben die Änderungen insgesamt erhebliches Gewicht. Keinesfalls lässt sich dabei der Vorwurf erheben, die Bundesregierung habe durch ihre Änderungen den Kommissionsentwurf verwässert; vielmehr hat sie die Linie der Kommission fortgeführt, die Interessen der VR und die der VN ausgewogen zu beachten. Dabei hat sie auch viel politisches Fingerspitzengefühl bewiesen, denn anschließend hatte der Regierungsentwurf in den parlamentarischen Beratungen fast ausnahmslos Bestand. Die wichtigsten Unterschiede zwischen den Kommissionsvorschlägen und dem Regierungsentwurf, wie er sich in dem verabschiedeten Gesetz wiederfindet, werden im Folgenden kurz referiert. Die Bundesregierung war selbstverständlich nicht an die Vorstellungen der Kommission gebunden. Außerdem verdienen ihre abweichenden Vorschläge auch aus der Sicht eines Kommissionsmitglieds zumindest zu einem erheblichen Teil Zustimmung, da sie den Kommissionsvorschlag weiterentwickelt haben; bei anderen Vorschriften hat die Bundesregierung Alternativen gewählt, die den Kommissionsvorschlägen mindestens gleichwertig sind. Kritische Bemerkungen beschränken sich auf einige wenige Regelungen.

1. Regelungen für den Vertragsabschluss Während die der Einschränkung der Beratungspflicht dienende Prämienklausel („… auch unter 87 Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der … zu zahlenden Prämien …“ – § 6 Abs. 1 Satz 1, § 61 Abs. 1 Satz 1, übernommen aus § 42c Abs. 1 Satz 1 a. F. in der Fassung des Vermittlergesetzes) möglicherweise keine zusätzliche Bedeutung erlangen wird, ist die zweifache Einschränkung des Kreises der beratungspflichtigen VR und Vermittler von erheblichem Gewicht. Ausgenommen werden nun nach § 6 Abs. 6 ganz allgemein Fernabsatzverträge, sodass nicht nur sog. Direktversicherer, sondern auch VR mit überwiegendem Vermittlervertrieb, keine Beratungspflicht haben, soweit sie einen Teil ihres Geschäfts unter den Voraussetzungen des Fernabsatzes abschließen. Sie können das Direktgeschäft in Tochtergesellschaften verlagern. Sie können aber auch für einen Teil ihres Geschäfts geltend machen, der einzelne Vertrag sei ein Fernabsatzvertrag ohne Beratungspflicht, da er ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln und im Rahmen eines (auch) für den Fernabsatz 62 BGBl. I 2833. 405

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organisierten Vertriebssystem zustande gekommen sei; die entsprechenden Pflichten eines trotzdem eingeschalteten Vertreters nach § 60 bleiben aber bestehen. Ausgenommen von der Beratungspflicht sind weiterhin bestimmte nicht hauptberuflich tätige Versicherungsvertreter durch § 66 in Verbindung mit § 34d Abs. 9 Nr. 1 GewO; dies lässt allerdings die Beratungspflicht des betreffenden VR unberührt. 88 Durch die Vorverlagerung der Informationspflicht nach § 7 Abs. 1 („… vor Abgabe von dessen Vertragserklärung …“) wird die uneingeschränkte Weiterverwendung des bisherigen Policenmodells ausgeschlossen. Offen bleibt in diesem Zusammenhang, ob alle VR allein durch drohende aufsichtsrechtliche Maßnahmen wirksam an der verspäteten Lieferung der Informationen gehindert werden können; auch die Wirksamkeit der möglichen Schadensersatzpflicht ist offen, solange ungeklärt ist, worin der Schaden desjenigen VN liegt, der die später nachgelieferten Informationen nicht zur Kenntnis genommen hat; es stellt sich die Frage, ob er sich bei rechtzeitiger Lieferung der Informationen anders verhalten hätte. 89 Wichtiger ist, dass die Bundesregierung und der Gesetzgeber in § 9 die Regelung des § 48c Abs. 5 a. F. für die Rechtsfolgen des Widerrufs übernommen haben. Danach bleibt der Vertrag im Regelfall – nämlich bei ausreichender Belehrung des VN und seiner ausdrücklichen Zustimmung zum Versicherungsbeginn vor Ablauf der Widerrufsfrist – für die Zeit bis zum Zugang der Widerrufserklärung wirksam; der VR hat nur die für die Folgezeit schon bezahlte Prämie zu erstatten. Damit entspricht der Widerruf insoweit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung. Nur bei fehlender oder nicht ausreichender Belehrung hat der VR „zusätzlich“ die für das erste Jahr gezahlte Prämie zu erstatten; auch dies entfällt, wenn der VN Leistungen des VR in Anspruch genommen hat.

2. Vorzeitige Vertragsbeendigung 90 In § 39 Abs. 1 Satz 1 sehen Bundesregierung und Gesetzgeber die zeitanteilige Prämie als vom VN geschuldet vor, während die Kommission insoweit von der risikoentsprechenden Prämienteilung ausgegangen ist. Damit hat sich eine einfachere Regelung durchgesetzt; die kompliziertere Regelung nach dem Kommissionsvorschlag hätte wohl in den meisten Fällen ebenfalls zu einer Prämienteilung nach der Zeitdauer des Versicherungsschutzes geführt.

3. Rückwirkende Beseitigung des vorläufigen Versicherungsschutzes 91 Die Kommission wollte die Rückwirkung des Ausschlusses des vorläufigen Versicherungsschutzes durch § 54 Abs. 2 Satz 1 KomE ausschließen (Rn. 46). Diesen Vorschlag haben die Bundesregierung und der Gesetzgeber nicht übernommen. Es bleibt also bei der bisherigen Rechtslage, die einen rückwirkenden Verlust des Versicherungsschutzes bei dem Verzug des VN mit der vereinbarten Prämie für den vorläufigen Schutz oder mit der Prämie für den anschließend abgeschlossenen Hauptvertrag zulässt (§ 9 Satz 2 KfzPflVV). Ein ordnungsgemäß versichertes Fahrzeug wird also rückwirkend unversichert; gegenüber dem geschädigten Dritten kann der VR aber den Wegfall nicht geltend machen (§ 3 Nr. 4 PflVG). Es bleibt dabei erklärungsbedürftig, wie die öffentliche Verwaltung ein Kraftfahrzeug zulassen kann, für das nur ein rückwirkend widerruflicher Versicherungsschutz nachgewiesen ist.

4. Bedingungsanpassung 92 Den von der Kommssion in § 16 KomE vorgesehenen Ersatz unwirksamer AVB-Klauseln beschränken die Bundesregierung und der Gesetzgeber auf die sicherlich wichtigsten Fälle der Lebensversicherung (§ 164), Berufsunfähigkeitsversicherung (§ 176 i. V. m. § 164) und KrankenNiederleithinger/Koch

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versicherung (§ 203 Abs. 4 i. V. m. § 164 VVG). Neben der Unwirksamkeit wird eine entsprechende höchstrichterliche Entscheidung oder eine bestandskräftiger Verwaltungsakt – mit Wirkung für alle VR, die eine solche Klausel verwenden – vorausgesetzt. Dies kann zu Zweifeln darüber führen, ob eine Gerichtsentscheidung auch die möglicherweise nur ähnliche Klausel eines an dem Rechtsstreit nicht beteiligten VR erfasst; umgekehrt sind überflüssige Rechtsstreite nicht ausgeschlossen, wenn eine bestimmte Klausel ganz offenbar unwirksam ist.

5. Beschränkung der Vermittlerpflichten Bereits in § 42h a. F. hat der Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Pflichten 93 der §§ 42b bis 42f a. F. nicht auf bestimmte nebenberufliche Vertreter (§ 34d Abs. 9 Nr. 1 GewO) zu erstrecken. Dies wird jetzt in § 66 VVG beibehalten. Obwohl nicht zu erwarten war, dass der Gesetzgeber seine gegen Ende des Jahres 2006 getroffene Entscheidung bei der Verabschiedung der Reform umstoßen würde, muss doch auf die Bedeutung dieser Regelung aufmerksam gemacht werden. Auch diese Vertreter werden Versicherungsverträge wegen der dabei zu erzielenden Provisionseinnahmen vermitteln. Das Risiko einer Übervorteilung der Interessenten ist deshalb jedenfalls nicht kleiner als bei hauptberuflichen Vertretern. Hinzu kommt die besondere Unerfahrenheit der nebenberuflichen Vertreter mit Versicherungsfragen; sie raten dem Interessenten möglicherweise in gutem Glauben und bei eigener Unwissenheit zu unvorteilhaften Abschlüssen. Allerdings schließt § 66 die eigenen Pflichten des VR nach § 6 nicht aus; er muss also je nach den gegebenen Umständen bei von nebenberuflichen Vertretern eingereichten Verträgen und Vertragsanträgen besondere Vorsicht walten lassen.

6. Schutzvorschriften für die Gläubiger von Grundpfandrechten Abweichend von dem Vorschlag der Kommission hat die Bundesregierung und jetzt der Gesetz- 94 geber in §§ 94 und 142 bis 149 besondere Schutzvorschriften für die Gläubiger von Grundpfandrechten beibehalten, dabei aber einige besonders fragliche alte Sonderregelungen aufgegeben.

7. Rechtsschutzversicherung bei Sammelverfahren Dem Vorschlag der Kommission, durch § 128 Abs. 1 Satz 3 KomE eine Einschränkung der Leis- 95 tungspflicht des VR bei Sammelverfahren zu ermöglichen, ist die Bundesregierung nicht gefolgt. In solchen Fällen kann also weiterhin jeder Versicherte einen Rechtsanwalt seines Vertrauens beauftragen, auch wenn das Sammelverfahren insgesamt von einzelnen Rechtsanwälten im Interesse aller Geschädigten geführt wird.

8. Lebensversicherung Die entscheidende Änderung für die Lebensversicherung stellt die grundsätzliche Einbezie- 96 hung der Bewertungsreserven („stille Reserven“) in die Überschussbeteiligung dar (§ 153 Abs. 1 und 3). Sie sind analog der bisherigen Überschussberechnung jährlich zu berechnen und den Verträgen zuzuordnen (§ 153 Abs. 3 Satz 1). Die Auszahlung ist eingeschränkt; sie erfolgt erst bei Beendigung des Vertrags (durch Ablauf, Todesfall oder Kündigung) und auch zu diesem Zeitpunkt nur in Höhe der Hälfte des inzwischen zugeordneten Betrags (§ 153 Abs. 3 Satz 2). Dass es sich um einen Mittelweg zwischen den Interessen der Vertragsbeteiligten handelt, wird damit deutlich. Die Zuordnung in einem Jahr schließt nicht aus, dass diese Vermögensposition

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durch Abschmelzen der Bewertungsreserven in den Folgejahren schwindet; die Auszahlung nur zur Hälfte sichert dem VR eine erhebliche Dispositionsmasse für die Zukunft. 97 Bei der Sonderregelung des Rückkaufswerts für Frühstornofälle verwerfen die Bundesregierung und der Gesetzgeber das Modell der Kommission (mindestens die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals, § 163 Abs. 3 Satz 1 KomE). Stattdessen wird eine Verteilung der Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Jahre im Rahmen der aufsichtsrechtlichen Höchstzillmersätze fingiert (§ 169 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1). Diese für die sog. Riester-Verträge bereits eingeführte Lösung des geänderten Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes führt zu etwas höheren Rückkaufswerten als der Kommissionsvorschlag; die VR haben damit bereits Erfahrung. Deshalb war die Übernahme für Lebensversicherungen allgemein im Wesentlichen unbestritten. 98 Die Notfallklausel nach § 169 Abs. 6 ist jetzt in das Gesetz selbst und damit in das Vertragsrecht aufgenommen worden. Die Kommission hatte eine entsprechende aufsichtsrechtliche Regelung vorgeschlagen.63 Als Vorsichtsmaßnahme soll die Regelung für den Fall einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des VR vorsorgen. Voraussichtlich wird sie nur bei der Liquidation eines VR zur Anwendung kommen, da er sein aktives Geschäft kaum fortsetzen kann, wenn er selbst die Erfüllung der Ansprüche seiner bisherigen Kunden in Frage stellt.

9. Krankenversicherung 99 Die von der Kommission vorgeschlagene Wirtschaftlichkeitsklausel der § 186 Abs. 3 KomE wurde von der Bundesregierung verworfen und schließlich durch § 192 Abs. 2 ersetzt. Allerdings ist die Bundesregierung dabei von der Auffassung ausgegangen, dass durch die neue Vorschrift der Rechtszustand vor der BGH-Entscheidung vom 12. März 2003 wiederhergestellt wird.64 Dies hat der Rechtsausschuss nachdrücklich bestätigt.65 Unter dieser Voraussetzung wäre dem Anliegen der Kommission auch durch die Gesetzesfassung entsprochen.

10. Einbeziehung der Altverträge 100 Einige der wichtigsten Abweichungen des Regierungsentwurfs von den Vorschlägen der Kommission finden sich bei den Vorschriften über das Inkrafttreten und über die Erstreckung auf Altverträge; der Gesetzgeber hat sie mit einer Ausnahme aus dem Regierungsentwurf übernommen. So sollte das Gesetz nach den Vorstellungen der Bundesregierung am 1.1.2008 in Kraft treten (Art. 10 RegE). Damit deutete sich die erhebliche Verkürzung der Umstellungsfrist auf wenige Monate bereits an. Ausschlaggebend dafür war die Entscheidung des BVerfG zu den Bewertungsreserven (Rn. 80), sodass daran auch in den parlamentarischen Beratungen festgehalten wurde. 101 Auf Altverträge (vor dem 1.1.2008 geschlossen) sollen nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG (Fassung nach Art. 2 Nr. 2 des Reformgesetzes) die Vorschriften des neuen Gesetzes erstreckt werden. Dies soll allerdings nur nach einer Übergangsfrist von einem Jahr, d. h. ab 1.1.2009 gelten. Die Vorschrift des Art 1 Abs. 1 EGVVG bringt das etwas eigenartig zum Ausdruck, indem umgekehrt die Weitergeltung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag in der bis dahin geltenden Fassung bis zum 31. Dezember 2008 angeordnet wird; im Gegenschluss führt dies zur Anwendung des neuen Rechts auf Altverträge ab 1.1.2009. Der Gesetzgeber folgt damit der Regelung bei der Schuldrechtsreform; die Kommission hatte eine vorsichtigere Erstreckung des neuen Rechts auf

63 Abschlussbericht S. 114 ff. 64 BTDrucks. 16/3945 S. 110, zu § 192 Abs. 2 VVG-E. 65 Ausschussbericht, BTDrucks. 16/5862 S. 100. Niederleithinger/Koch

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Altverträge zu demjenigen Zeitpunkt vorgeschlagen, zu dem die Verträge für beide Seiten erstmals kündbar sind.66 Die frühzeitige Einbeziehung der Altverträge macht aber Einschränkungen insbesondere in 102 den Fällen erforderlich, in denen das neue Recht zusätzliche oder höhere Leistungen vorsieht als das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Recht. Dies gilt erst recht, wenn der VR diese weiteren Leistungen mit Wirkung für die Zukunft durch eine Kündigung nicht vermeiden kann, weil diese durch Vertrag oder Gesetz ausgeschlossen ist. Deshalb sah der Regierungsentwurf die Fortgeltung des bisherigen Rechts für die Vereinbarung einer Überschussbeteiligung, trotzdem aber die Ablösung der Rückaufswertberechnung des § 176 a. F. durch die Neuregelung des § 169 auch bei Altverträgen vor (Art. 4 EGVVG in der Fassung des Art. 2 des Entwurfs zum Reformgesetz). Umgekehrt hat die Bundesregierung ein Vorziehen neuer Vorschriften für Altverträge 103 bereits ab 1.1.2008 vorgesehen (Art. 2 EGVVG in der Fassung des Art. 2 des Reformgesetzes). Das betrifft die Vertretungsmacht der Versicherungsvertreter und der von § 73 erfassten Vermittler nach §§ 69 bis 73 und den gesamten Abschnitt über die Krankenversicherung (§§ 192 bis 208), letzteres unter der Voraussetzung, dass der VR die AVB und die Tarifbestimmungen entsprechend ändert und die VN davon unterrichtet. Außerdem kann jeder VR seine vom neuen Recht abweichenden AVB bereits ab 1.1.2008 mit Wirkung vom 1.1.2009 ändern (Art. 1 EGVVG in der Fassung nach Art. 2 des Reformgesetzes).

IV. Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf Die eigentliche Überraschung bestand darin, dass der Regierungsentwurf nahezu ohne Ände- 104 rungen vom Gesetzgeber verabschiedet worden ist. Gegen diese Wertung stehen nicht die zahlreichen Änderungen, die vom Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung vorgesehen worden sind. Mit zwei Ausnahmen handelt es sich nämlich entweder um Klarstellungen oder um Ergänzungen von im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelungen oder um den Einbau von Regelungen, die vorher bereits Gesetz geworden waren (Rn. 82 ff.). Erfahrungsgemäß gehen solche Änderungen und Ergänzungen auf Anregungen des BMJ in seinen vielfältigen Formulierungshilfen zurück.

1. Einschränkung des Direktanspruchs gegen den Haftpflichtversicherer 105 Der Direktanspruch nach § 115 Abs. 1 ist beschränkt worden auf die Fälle der • Kfz-Versicherungspflicht nach dem Pflichtversicherungsgesetz (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und der • Insolvenz des VN (Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse oder Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters – § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) sowie des • unbekannten Aufenthalts des VN (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3). Entscheidend war hier wohl der entschiedene Widerstand der Versicherungswirtschaft, die kein Interesse an der Vereinfachung der Geltendmachung von gedeckten Schadensersatzansprüchen haben kann67 und Verbände der betroffenen VN mit angeblich drohenden Prämienerhöhungen 66 Abschlussbericht S. 191 ff. 67 Welche wirtschaftlichen Auswirkungen eine Ausdehnung des Direktanspruchs auf alle Pflichtversicherungen haben würde, ist ungeklärt. Die behauptete Gefahr erheblicher Prämienerhöhungen hätte zur Voraussetzung, dass die Geschädigten Ansprüche gegen den VR erheben würden, die sie nicht oder nicht in derselben Höhe gegen den Schädiger erheben würden. Sie können sich jetzt aber mit dem VN über eine Abtretung seines Freistellungsanspruchs einigen und dann gegen den VR klagen. 409

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mobilisieren konnte. Damit bleibt für die Kfz-Haftpflicht die bisherige Rechtslage unverändert erhalten. In den beiden anderen – seltenen – Anwendungsfällen wird dagegen die Position des geschädigten Dritten bei allen anderen Pflichtversicherungen zunächst verfahrensmäßig68 wesentlich verbessert; darüber hinaus kommt ihm die Regelung des § 117 zu gute. Sachlich war von Anfang an kein Grund ersichtlich, die Vorteile der Regelung des § 117, die § 158c a. F. ablöst, nur im Falle eines Direktanspruchs zu gewähren; die ursprüngliche Bezugnahme auf § 115 beruhte allein auf dem Umstand, dass diese Vorschrift im Regierungsentwurf für alle Pflichtversicherungen gelten sollte. Deshalb ist die Verweisung auf § 115 nachträglich aufgegeben worden.69 Insgesamt könnte die Einschränkung des Direktanspruchs auch nur eine Frage des Prestiges gewesen sein, wenigstens eine Änderung gegenüber dem Regierungsentwurf durchzusetzen. Jedenfalls hat das BMJ damit keinen hohen Preis für die Verabschiedung des Gesetzes zahlen müssen.

2. Rückkaufswert bei Altverträgen in der Lebensversicherung 106 Damit bleibt als einzige gewichtige Änderung im Rahmen der Verabschiedung die Rücknahme der Geltung des neuen Rechts für die Rückkaufswerte der Altverträge in der Lebensversicherung. Begründet wird dies vom Rechtsausschuss nicht; seine Ausführungen zu Art. 2 ReformG stellen bei Art. 4 Abs. 2 EGVVG nur lapidar die vorgeschlagene Fortgeltung des alten Rechts (§ 176 a. F.) fest. Es lässt sich aber annehmen, dass der Rechtsauschuss die Auffassung übernommen hat, eine Erstreckung des neuen Rechts mit seinen erheblich höheren Rückkaufswerten werde das vertragliche Gleichgewicht der Altverträge nachträglich erheblich stören. Deshalb hatte schon die Kommission insoweit keine Erstreckung auf Altverträge vorgesehen.70 Ihr war insoweit auch der Referentenentwurf gefolgt.

3. Änderungen der §§ 192 bis 208 aufgrund des GKV-WSG 107 Da nach Art. 10 ReformG sämtliche noch nicht in Kraft getretene Änderungen des bisherigen Gesetzes über den Versicherungsvertrag, die Art. 43 GKV-WSG zum 1.1.2009 vorgesehen hatte, rückgängig gemacht worden sind, führt Art. 11 die entsprechenden Änderungen, die inhaltlich in der Regierungskoalition als Bestandteil des Kompromisses über die aktuelle Gesundheitsreform weiterhin unumstritten waren, wieder ein. Dabei sind mit einer Ausnahme (Rn. 108) die Änderungen, die Art. 43 GKV-WSG ursprünglich vorgesehen hatte, sinngemäß übernommen worden – nur eben jetzt auf die durch Art. 1 ReformG geänderten Regelungen für die Krankenversicherung bezogen. Es handelt sich vor allem um die Einführung einer Versicherungspflicht (§ 193 Abs. 3 – Fassung nach Art. 11 ReformG), eines Kontrahierungszwangs für die VR (§ 193 Abs. 5 – Fassung nach Art. 11 ReformG) und einer Ruhensregelung als neue ausschließliche Verzugsfolge (§ 193 Abs. 6 – Fassung nach Art. 11 ReformG) sowie um vertragsrechtliche Sonderregelungen im Zusammenhang mit dem neuen Basistarif. Auf diese Regelungen wird im Folgenden nicht eingegangen; es handelt sich nur in einem sehr weiten Sinn um Vertragsrecht. 108 Die einzige inhaltliche Änderung durch Art. 11 ReformG betrifft § 194 Abs. 2 (Fassung nach Art. 1 ReformG), der in der ab 1.1.2009 geltenden Fassung nach Art. 11 ReformG ersatzlos entfallen ist. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein Redaktionsversehen; den Grund für die Streichung, die in den Drucksachen nicht angesprochen wird, wird man darin sehen, dass ab 1.1.2009 Kündigungen durch den VR kaum noch zulässig sein werden; sie werden weitgehend 68 So entfallen z. B. die öffentliche Zustellung einer Klage und die Pfändung und Überweisung des Deckungsanspruchs des VN nach erfolgreichem Schadensersatzprozess.

69 Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes vom 10.12.2007, BGBl. 2007 I 2833. 70 Abschlussbericht S. 192. Niederleithinger/Koch

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durch die Ruhensregelung bei Prämienverzug ersetzt, damit sich der VN seiner Versicherungspflicht nicht durch absichtlichen Zahlungsverzug entziehen kann. Deshalb kann auf besondere Kündigungsschutzvorschriften verzichtet werden. Die Regelung des § 204 für den Tarifwechsel bleibt auch ab 1.1.2009 grundsätzlich erhalten, da das Gesetz in § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 1 bis 3 (Fassung nach Art. 11 des Reformgesetzes) eine inhaltlich übereinstimmende Regelung trifft. Entfallen ist nur die Nennung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften, die von der Bundesregierung im Entwurf des Reformgesetzes für erforderlich gehalten wurde;71 da dies der alten Fassung des § 178f a. F. entspricht, sollten sich daraus keine Schwierigkeiten ergeben. Es bleibt also beim Tarifwechsel insbesondere die vollständige Berücksichtigung der Alterungsrückstellung. Zugleich enthält § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (Fassung nach Art. 11 ReformG) aber auch noch zwei Sonderregelungen für den Basistarif, der ab 1.1.2009 eingeführt wird. Bei einem vom VN verlangten Wechsel aus dem Basistarif kann der VR „den bei Vertragsschluss ermittelten Risikozuschlag verlangen“ (§ 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 4 – Fassung nach Art. 11 des Reformgesetzes);72 im Übrigen ist dieser Tarifwechsel wie jeder andere Wechsel zu behandeln. Für den Wechsel in den Basistarif stellt § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 5 (Fassung nach Art. 11 des Reformgesetzes) keine besonderen Voraussetzungen auf; der VN mit Basistarif hat also dieses Wechselrecht wie beim Wechsel zwischen normalen Tarifen. Für die „Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung“ stellt die Vorschrift aber drei alternative Voraussetzungen auf: Neuvertrag, Tarifwechsel für Altvertrag vor dem 1.7.2009 oder VN mindestens 55 Jahre alt (jüngere VN bei Rentenberechtigung gleichgestellt). Für die Fälle des Versichererwechsels führt § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (Fassung nach Art. 11 ReformG) erstmals die Übertragung von Alterungsrückstellungen ein. Dies gilt ohne weitere Voraussetzungen nur für Neuverträge, die nach dem 1.1.200973 abgeschlossen werden, und ist hinsichtlich des Betrags beschränkt auf die „kalkulierte(n) Alterungsrückstellung des Teils der Versicherung, dessen Leistungen dem Basistarif entsprechen“ (§ 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) in der Fassung des Art. 11 des Reformgesetzes). Für Altverträge, die vor dem 1.1.2009 abgeschlossen wurden, ist dieselbe Übertragung vorgesehen, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Kündigung vor dem 1.7.2009 erfolgt (§ 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b) in der Fassung des Art. 11 des Reformgesetzes). Beide Neuregelungen – für den Tarifwechsel und für den Versichererwechsel – gelten nicht für befristete Versicherungsverhältnisse (§ 204 Abs. 2 in der Fassung nach Art. 11 des Reformgesetzes). Die ergänzende Regelung nach § 204 Abs. 1 Satz 2 (Fassung nach Art. 11 ReformG),74 nach der derjenige Teil der bisherigen Versicherung, der über den Basistarif hinaus geht, mit dem bisherigen VR fortgesetzt werden kann, bekommt beim Versichererwechsel praktische Bedeutung. Der wechselnde VN könnte den Vertrag mit dem neuen VR auf den Basistarif oder jedenfalls auf einen niedrigen Tarif beschränken, da die Alterungsrückstellung vom alten auf den neuen VR nur begrenzt auf die Leistungen des Basistarifs übertragen wird. Hinsichtlich der 71 BTDrucks. 16/3945, S. 114 zu § 204 VVG-E. 72 Der VR darf einerseits im Basistarif keinen Risikozuschlag verlangen, kann aber auch bei einem Wechsel in einen anderen Tarif nur den Zuschlag verlangen, der „bei Vertragsabschluss“ ermittelt worden ist. Deshalb muss der VR bei einem neuen Versicherungsantrag, den der VN auf den Basistarif beschränkt, eine Risikoüberprüfung nur für den Fall eines späteren Übergangs in einen anderen Tarif vornehmen. 73 Durch diese Abgrenzung zwischen Neu- und Altverträgen bleiben genau genommen Verträge, die am 1. Januar 2009 abgeschlossen werden sollten, insgesamt ungeregelt. 74 Da die satztechnische Gestaltung der Worte „Soweit die Leistungen in dem Tarif … nach Sätzen 1 und 2 kann nicht verzichtet werden.“ in Art. 43 GKV-WSG einerseits und in Art. 11 ReformG in der Fassung nach BTDrucks. 16/ 5862 S. 90, andererseits nicht übereinstimmt, war zunächst ungeklärt, ob die beiden genannten Sätze Bestandteil des § 204 Abs. 1 insgesamt sind oder sich nur auf § 204 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 2 beziehen. Die vom Gesetzgeber gewollte Unverzichtbarkeit ergibt allerdings nur Sinn, wenn damit alle Ansprüche nach § 204 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 1 und 2 und darüber hinaus der Anspruch auf den Zusatztarif erfasst wird. Die verbleibende Unsicherheit ist durch die im Bundesgesetzblatt verkündete Fassung in diesem Sinne geklärt. 411

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höheren Leistungen könnte er den Vertrag mit dem bisherigen VR fortzusetzen wollen; für die Abrechnung der Erstattungen ergeben sich dann allerdings Probleme durch das Bereicherungsverbot des § 200. Es bleiben schließlich die Schwierigkeiten der Berechnung der Prämie für solche „Restversicherung“. Bei Krankenversicherungen, die nach der Art der Lebensversicherung betrieben werden, haben VN und versicherte Personen das Recht auf Fortführung der gekündigten Versicherung als Anwartschaftsversicherung (§ 204 Abs. 3 – Fassung nach Art. 11 ReformG). Die Ansprüche nach § 204 Abs. 1 Satz 1 (Fassung nach Art. 11 ReformG) sind unverzichtbar (§ 204 Abs. 1 Satz 3), eine neue Formulierung für die sonst übliche Umschreibung der halbzwingenden Qualität. 113 Das Kündigungsrecht des VN wird durch § 205 Abs. 6 (Fassung nach Art. 11 ReformG) ausgeschlossen, es sei denn, er hat für die Zeit ab Wirksamkeit der Kündigung bereits einen der Versicherungspflicht genügenden Krankenversicherungsvertrag mit einem anderen VR abgeschlossen. Die Kündigung wird erst wirksam, wenn der VN den neuen Versicherungsschutz nachweist. 114 Jegliches Kündigungsrecht des VR wird durch § 206 Abs. 1 Satz 1 (Fassung nach Art. 11 ReformG) ausgeschlossen, soweit der Vertrag eine Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 (Fassung nach Art. 11 ReformG) erfüllt. Dies gilt auch für Verträge, die vor dem 1.1.2009 nach altem oder neuen Recht abgeschlossen worden sind, denn der VN erfüllt auch mit Altverträgen seine neu eingeführte Versicherungspflicht. Der Ausschluss erstreckt sich auch auf die Kündigung wegen Zahlungsverzug, die durch die Ruhensregelung des § 193 Abs. 6 (Fassung nach Art. 11 Reformgesetz) ersetzt wird.

E. Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform I. Gesetzgebung 1. Allgemeiner Teil (§§ 1–99) 115 Die Änderungen im Allgemeinen Versicherungsvertragsrecht waren im Wesentlichen der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben geschuldet. Im Einzelnen: Zu Anpassungen der §§ 6 Abs. 6, 7 Abs. 5 S. 1, 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 4, 65 führte das Inkrafttreten 116 der Rom I-VO. Da die Definition des Großrisikos aus Art. 10 Abs. 1 S. 2 und 3 EGVVG in § 210 Abs. 2 übernommen wurde, mussten die Verweise in § 6 Abs. 6, § 7 Abs. 5 S. 1, § 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 und § 65 durch Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 25.6.2009 angepasst werden.75 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen 117 Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29.7.200976 kam es zu Änderungen in § 8, die dem Ziel dienten, das Versicherungsvertragsrecht an die Entwicklung im Allgemeinen Schuldrecht anzupassen. Die in § 8 Abs. 1 S. 1 a. F. vorgesehene Widerrufsfrist von „zwei Wochen“ ist durch eine Frist von„14 Tagen“ ersetzt worden. Das entspricht den Änderungen im Allgemeinen Schuldrecht (§ 355 Abs. 2 S. 1 BGB). Durch die Änderung des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 wurde präzisiert, dass es sich bei der in der Widerrufsbelehrung anzugebenden Anschrift des Unternehmers um die ladungsfähige Anschrift handeln muss. Auch hierdurch wurde ein Gleichklang mit den Anforderungen an die Widerrufsbelehrung im Allgemeinen Schuldrecht (§ 360 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BGB a. F.) hergestellt. § 8 Abs. 2 S. 2 a. F. wurde aufgehoben und mit geändertem Wortlaut in einen neu gefassten § 8 Abs. 5 übernommen. Die Neufassung des § 8 Abs. 3 S. 2 beinhaltet eine terminologische Klarstellung und Anpassung an § 312d Abs. 3 BGB a. F. ohne inhaltliche Änderung. Die 75 BGBl. 2009 I 1574. 76 BGBl. 2009 I 2355. Niederleithinger/Koch

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vollständige Vertragserfüllung auf ausdrücklichen Wunsch des VN führt nicht zum Ausschluss des Widerrufsrechts, sondern hat zur Folge, dass es erlischt. Durch § 8 Abs. 5 wird den VR für die Belehrung nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ein standardisiertes Muster zur Verfügung gestellt. Die Fälligkeit der Erstprämie in § 33 Abs. 1 wurde entsprechend der Änderung in § 8 Abs. 1 S. 1 nunmehr als 14-Tages-Frist (anstelle von zwei Wochen) ausgestaltet. Bei den Änderungen in § 8 Abs. 4 durch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften über den Wertersatz bei Widerruf von Fernabsatzverträgen und über verbundene Verträge vom 27.7.201177 handelt es sich um Folgeänderungen, die daraus resultieren, dass § 312e Abs. 1 S. 1 BGB a. F. zu § 312g Abs. 1 S. 1 BGB wurde. Durch das Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 24.4.201378 ist § 9 um Abs. 2 erweitert worden. Mit dieser Erweiterung, die zur (vollständigen) Umsetzung des Art. 6 RL 2002/65/EG diente, wird geregelt, dass sich der Widerruf des Versicherungsvertrages nach § 8 auch auf andere mit dem Versicherungsvertrag zusammenhängende Verträge erstreckt. Zudem wird bestimmt, wann ein zusammenhängender Vertrag vorliegt. Das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.201379 enthält Anpassungen in §§ 6 Abs. 6, 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und 3, 8 Abs. 4, 49 Abs. 1 S. 2, die aufgrund von Neuverortungen der Regeln zum Fernabsatzvertrag und zum elektronischen Geschäftsverkehr im Allgemeinen Schuldrecht erforderlich wurden. Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb (IDD) und zur Änderung weiterer Gesetze vom 20.7.201780 enthält ergänzende Regelungen zur Beratung und Information des VN. § 1a Abs. 1 S. 1 setzt Art. 17 Abs. 1 IDD um. Die Richtlinie verpflichtet den Versicherungsvertreiber, stets ehrlich, redlich und professionell zu handeln. § 1a Abs. 1 gilt für den VR, der nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 IDD Versicherungsvertreiber ist. Für Vermittler, die ebenfalls Versicherungsvertreiber i. S. von Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 IDD sind, werden die entsprechenden Änderungen in § 59 vorgenommen. Der Richtlinie folgend werden die unbestimmten Rechtsbegriffe „ehrlich“, „redlich“ und „professionell“ verwendet. Mit dieser Regelung ist nach Einschätzung des Gesetzgebers allenfalls eine geringfügige Änderung des deutschen Rechts verbunden, weil nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in vertraglichen Beziehungen weitgehend entsprechend gehandelt werden muss.81 Im Übrigen folgt aus §§ 6 Abs. 1, 61 Abs. 1 die Verpflichtung zur ehrlichen, redlichen und professionellen Beratung. § 1a Abs. 1 übernimmt außerdem die Definition der Richtlinie für „Vertriebstätigkeit“. Hierzu gehören die Beratung, Vorbereitungshandlungen, der Abschluss von Versicherungsverträgen und die Mitwirkung bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall. § 1a Abs. 2 setzt Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 IDD um. Danach umfasst der Versicherungsvertrieb auch das Bereitstellen von Informationen insbesondere auf einer Website und das Erstellen von Ranglisten. Hinsichtlich der Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür verweist der neue § 6 Abs. 2 auf § 6a. Die Ergänzung von § 6 Abs. 3 durch einen weiteren Satz trägt dem Umstand Rechnung, dass nach der IDD auch dann beraten und dokumentiert werden muss, wenn der Vertrag im Fernabsatz abgeschlossen wird. Der grundsätzlich mögliche Verzicht auf Beratung und Dokumentation durch gesonderte schriftliche Erklärung erschien dem Gesetzgeber bei einem Abschluss im Fernabsatz nicht sinnvoll. Deshalb lässt § 6 Abs. 3 S. 2 einen Verzicht in Textform zu. Dies gilt auch für eine Beratung nach Abschluss des Vertrages, was nunmehr durch § 6 Abs. 4 S. 1 letzter Halbs. klargestellt wird. Die in Abs. 6 zweiter Halbs. vorgesehene Ausnahme für den 77 78 79 80 81 413

BGBl. 2011 I 1600. BGBl. 2013 I 932. BGBl. 2013 I 3642. BGBl. 2017 I 2789. Vgl. BTDrucks. 18/11627 S. 42. Niederleithinger/Koch

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Abschluss des Vertrages im Fernabsatz ist nach der IDD nicht mehr zulässig – eine derartige Ausnahme ist in der Richtlinie nicht vorgesehen – und auch nicht mehr sinnvoll, da inzwischen auch beim Abschluss eines Vertrages im Fernabsatz nach § 6 beraten und dokumentiert werden kann. Der neue § 6a übernimmt Art. 23 IDD, der detailliert regelt, wie der VN zu unterrichten ist. Danach ist, abweichend vom geltenden deutschen Recht, das die Textform zulässt, grundsätzlich in Papierform zu unterrichten, es sei denn, die in den Abs. 2 und 4 geregelten Ausnahmen greifen. Neu ist, dass der VN auch über eine Website unterrichtet werden kann, wenn der VN nachweislich regelmäßig Internetzugang hat, insbesondere dann, wenn er eine E-Mail-Adresse für die Zwecke des Geschäfts mitgeteilt hat. Die Änderungen des § 7 Abs. 2 aktualisieren und ergänzen die Verordnungsermächtigung. Der neue S. 2 ist der Aufhebung der RL 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.11.2002 über Lebensversicherungen82 durch die RL 2013/58/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.201383 geschuldet. Ansonsten bleibt die Regelung unverändert, da die beiden anderen angeführten Richtlinien noch in Kraft sind, auch wenn sich die Vorgaben der Richtlinien zum Teil überschneiden. Durch den neuen S. 3 wird die Möglichkeit eröffnet, diejenigen Regelungen, die nach Art. 20 Abs. 9, Art. 29 Abs. 4 lit. b) und Art. 30 Abs. 6 RL (EU) 2016/97,84 jeweils in Verbindung mit Artikel 38 dieser Richtlinie, erlassen werden, durch Rechtsverordnung umzusetzen, soweit dies erforderlich ist. Mit der Einfügung der §§ 7a, 7b und 7c setzt der Gesetzgeber Art. 24 und 26 ff. RL (EU) 2016/ 97 um. § 7a betrifft sog. Querverkäufe, die bisher im VVG nicht geregelt waren. Den VR treffen Informationspflichten insbesondere darüber, ob einzelne Teile eines Pakets, das er anbietet, gesondert erworben werden können. § 7b setzt Art. 29 Abs. 1 RL (EU) 2016/97 um; der europäische Gesetzgeber sieht für Versicherungsanlageprodukte besondere Informationspflichten vor, die der deutsche Gesetzgeber übernimmt. Es müssen „angemessene Informationen“ über das Versicherungsanlageprodukt – in erster Linie geht es insoweit um die fondsgebundene Lebensversicherung – erteilt werden; ebenso muss über Kosten und Gebühren informiert werden. § 7c enthält entsprechend Art. 30 RL (EU) 2016/97 besondere Pflichten im Zusammenhang damit, wie zu beurteilen ist, ob ein Versicherungsanlageprodukt geeignet und zweckmäßig ist. Den Versicherungsvertreiber treffen besondere Pflichten, Berichte zur Verfügung zu stellen (§ 7c Abs. 5). § 7d, der nicht auf der RL (EU) 2016/97 basiert, stärkt die Rechtsstellung der Gefahrsperson, die zugleich Darlehensnehmerin ist, in der Restschuldgruppenversicherung. § 59 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 dehnt die §§ 1a, 6a, 7a, 7b und 7c auf den Versicherungsvermittler und auf den Versicherungsberater aus. Art. 1 Abs. 4 der RL (EU) 2016/97 wird in § 66 S. 2 und 3 umgesetzt. Danach sind auch Vermittler in Nebentätigkeit zu bestimmten Informationen verpflichtet und müssen das Produktinformationsblatt übergeben.

2. Einzelne Versicherungszweige (§§ 100–208) 129 Die Änderungen des VVG im Besonderen Versicherungsvertragsrecht betreffen vor allem die Krankenversicherung und die Lebensversicherung. Im Recht der Krankenversicherung erwiesen sich einige Regeln nicht als zweckmäßig und bedurften der Korrektur, Ergänzung oder Klarstellung. Im Recht der Kapitallebensversicherung gab das Zinsumfeld Anlass zu Gesetzesänderungen. Im Einzelnen:

130 a) Lebensversicherung. Das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts vom 25.5.2009 hat § 153 Abs. 2 um einen S. 2 ergänzt, durch den sichergestellt wird, dass die ausschüttungs82 ABl. EG L 345/1 v. 19.12.2002. 83 ABl. EU L 341/1 v. 18.12.2013. 84 ABl. EU L 26/19 v. 2.2.2016. Niederleithinger/Koch

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und abführungsgesperrten Erträge im Sinne des § 268 Abs. 8 HGB bei der Ermittlung der Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung außer Betracht bleiben.85 Durch das Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz vom 14.4.201086 ist in § 168 Abs. 3 S. 1 Halbs. 1 nach dem Wort „Ruhestand“ das Wort „unwiderruflich“ eingefügt worden. Mit dem Lebensversicherungsreformgesetz vom 1.8.201487 wurden §§ 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 sowie § 153 Abs. 3 S. 3 geändert. Mit der Änderung in § 7 Abs. 1 S. 1 trug der Gesetzgeber der seit der 18. Legislaturperiode geänderten Organisation der Bundesregierung Rechnung. § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 wurde ergänzt um die Pflicht des Lebens- und Krankenversicherers, Verwaltungskosten anzugeben, auf die in der Regel ein Betrag zwischen drei und zehn Prozent der Prämie entfällt. Durch die Aufnahme des Verweises auf aufsichtsrechtliche Bestimmungen zur Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungen in § 153 Abs. 3 S. 2 (§ 53c, § 54 Abs. 1 und 2, § 56a Abs. 3 und 4 sowie § 81c Abs. 1 und 3 VAG a. F. = §§ 89, 124 Abs. 1, § 139 Abs. 3 und 4 und die §§ 140 sowie 214 VAG) wollte der Gesetzgeber verdeutlichen, dass die Beteiligung der VN an den Bewertungsreserven nicht dazu führen darf, dass ein VR dieser Verpflichtung nicht mehr nachkommen kann. Es ging/geht um solche Situationen (niedrige Zinsen), in denen durch die hälftige Beteiligung der ausscheidenden VN an den ihnen zugeordneten Bewertungsreserven kein ausreichender Interessenausgleich zwischen den ausscheidenden und den im Versicherungskollektiv verbleibenden VN hergestellt wird. Das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.201588 hatte aufgrund der Neufassung des VAG eine Änderung aller Vorschriften des VVG zur Folge, die einen Verweis auf das VAG enthielten (§§ 153 Abs. 3 S. 3, 154 Abs. 1 S. 2, 169 Abs. 4 S. 1). Durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz vom 17.8.201789 wurde in § 150 Abs. 2 S. 1 das Wort „Kollektivlebensversicherungen“ durch das Wort „Lebensversicherungen“ ersetzt. Hierdurch wird die in der Praxis teilweise bestehende Unsicherheit beseitigt, ob es sich im jeweiligen Einzelfall um eine Kollektivlebensversicherung handelt und somit kein Schriftformerfordernis besteht. Die Änderung ermöglicht eine vereinfachte Abwicklung der betrieblichen Altersvorsorge auf Betriebsebene und erleichtert damit auch die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung insbesondere in kleinen Unternehmen mit einer geringen Anzahl an Mitarbeitern.90

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b) Kranken- und Pflegeversicherung. Bereits kurz nach der Reform hat der Gesetzgeber 135 durch das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung vom 28.5.2008 die Portabilität der individuellen Alterungsrückstellungen auch für den Bereich der privaten Pflege-Pflichtversicherung entsprechend dem Grundsatz „Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung“ durch Einfügung des § 204 Abs. 2 geregelt.91 Mit dem Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 136 17.7.200992 ist die Ausnahme von der Krankenversicherungspflicht in § 193 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 auf alle nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Anspruchsberechtigten ausgeweitet worden, um die vom Asylbewerberleistungsgesetz eigenständig getroffene Entscheidung zur Regelung der Leistungen bei Krankheit beizubehalten.93

85 86 87 88 89 90 91 92 93 415

BGBl. 2009 I 1102. BGBl. 2010 I 410. BGBl. 2014 I 1330. BGBl. 2015 I 434. BGBl. 2017 I 3214. Vgl. BR-Drucks. 18/12612 S. 38. BGBl. 2008 I 874. BGBl. 2009 I 1990. BTDrucks. 16/13428 S. 75. Niederleithinger/Koch

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Durch das Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 24.4.201394 wurde eine gesetzliche Auskunftspflicht des Krankenversicherers über den Umfang des Versicherungsschutzes für eine beabsichtigte Heilbehandlung in § 192 Abs. 8 eingeführt. In § 202 wurde die bis dato nur dem (vom VN oder der versicherten Person benannten) Arzt zustehende Befugnis zur Auskunft über und Einsicht in Gutachten oder Stellungnahmen auf den VN oder die versicherte Person übertragen. Nur in dem in § 202 S. 2 genannten Ausnahmefällen bleibt die Einsichtnahme einem Arzt oder Rechtsanwalt vorbehalten. § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 6 schließt den Wechsel aus einem Tarif, der im Anschluss an das Unisex-Urteil des EuGH vom 1.3.201195 geschlechtsunabhängig kalkuliert wurde, in einen herkömmlichen, das heißt unter Berücksichtigung des Geschlechts kalkulierten Tarif aus. Die Ergänzung des § 204 Abs. 3 um einen S. 2 stellt klar, dass die nach § 196 Abs. 1 mögliche Befristung einer Krankentagegeldversicherung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres keine Befristung im Sinne des den Tarifwechsel regelnden § 204 ist. Die Befristung der Kündigung des Krankenversicherungsvertrags durch den VN bei Prämienerhöhung in § 205 Abs. 4 wurde auf zwei Monate verlängert, da sich die Monatsfrist als zu kurz erwiesen hatte. § 205 Abs. 6 S. 2 wurde dahin modifiziert, dass der Nachweis der Anschlussversicherung innerhalb von zwei Monaten nach der Erklärung der Kündigung des früheren VR vorliegen muss (S. 2 Halbs. 1). Wenn allerdings die Kündigung früher als zwei Monate vor der gewollten Vertragsbeendigung ausgesprochen wird, ist die Frist entsprechend verlängert (S. 2 Halbs. 2). 138 Mit dem Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.201396 korrigierte der Gesetzgeber die in § 193 Abs. 6 a. F. enthaltene Sonderregelung für den Fall des Zahlungsverzugs des VN und ergänzte § 193 a. F. um die Absätze 7 bis 11. § 193 Abs. 6 a. F. hatte sich offenbar in der Praxis als zum Teil unzweckmäßig erwiesen. Dies 139 betraf insbesondere das Verfahren, mit dem das Ruhen der Leistungen festgestellt wurde, die Bestimmung des Umfangs der Notfallleistungen, die Bestimmung aller Beitragsschulden, die vom VN nachzuentrichten waren, sowie die Verteilung der Kosten dieses Verfahrens auf die Gesamtheit der privat Krankenversicherten. Als problematisch hatte sich insbesondere gezeigt, dass eine Fortsetzung der Versicherung im Basistarif vorgesehen war, sofern die Rückstände nicht innerhalb eines Jahres nach Beginn des Ruhens beglichen wurden. Die Umstellung auf den Basistarif hätte jedoch in vielen Fällen zu einer Beitragserhöhung geführt. Dies wäre sowohl mit einer stärkeren finanziellen Belastung der betroffenen VN als auch einer Erhöhung der gegebenenfalls nicht eintreibbaren Außenstände der VR verbunden gewesen. Daher wurde in der Praxis in vielen Fällen von einer Umstellung in den Basistarif abgesehen. Die Kosten der Nichtzahler wurden dann dem Tarif zugeordnet, der ursprünglich vereinbart worden war. Dies führte zu Verzerrungen bei der Kalkulation der Tarifprämien, wodurch die „vertragstreuen“ VN des betroffenen Unternehmens ungleichmäßig mit den durch die Nichtzahler verursachten Kosten belastet wurden. 140 Im neuen Abs. 6 von § 193 sind vor allem die Bestandteile des zu mahnenden Betrags präzisiert worden. Für VN, die hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII sind oder werden, gab es keine Änderungen. § 193 Abs. 7 vollzieht die Einführung eines Notlagentarifs in § 12h VAG a. F. (= § 153 VAG). Es wurde zudem klar gestellt, dass das Tarifwechselrecht nach § 204 Abs. 1 für den Notlagentarif nicht besteht. Risikozuschläge, Leistungsausschlüsse und Selbstbehalte entfallen während der Zeit der Versicherung im Notlagentarif. In § 193 Abs. 8 ist vorgegeben, dass und wie der VR den VN über den Wechsel in den Notlagentarif und die zu zahlende Prämie zu informieren hat. § 193 Abs. 9 stellt klar, dass der VN, nachdem er sämtliche Rückstände ausgeglichen hat, in seinen alten Tarif zurückkehrt. Er ist damit grundsätzlich so gestellt wie VN im selben Tarif, die in diesem Zeitraum ihre Beiträge regulär gezahlt haben. Daraus ergibt sich, dass es für den Vertragsinhalt nunmehr auf den Zeitpunkt der Rückkehr ankommt und nicht auf den Eintritt des Ruhens. Zwischenzeitlich eingetretene Änderungen des Tarifs, zum Beispiel Bedingungsänderungen oder 137

94 BGBl. 2008 I 874. 95 EuGH 1.3.2011 – C-236/09 VersR 2011 377 ff. 96 BGBl. 2013 I 2423. Niederleithinger/Koch

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Beitragsanpassungen, gelten also ohne weitere Voraussetzungen auch für den „Rückkehrer“. § 193 Abs. 10 stellt klar, dass die Abs. 6 bis 9 auch gelten, wenn der VN die Krankenversicherung auf die Person eines anderen genommen hat. Nach § 193 Abs. 11 kann der VR bei einer Versicherung im Basistarif nach § 152 VAG verlangen, dass Zusatzversicherungen ruhen, wenn und solange ein Versicherter auf die Halbierung des Beitrags nach § 152 Abs. 4 VAG angewiesen ist. Das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.201597 hatte aufgrund der Neufassung des VAG eine Änderung aller Vorschriften des VVG zur Folge, die einen Verweis auf das VAG enthielten (§§ 192 Abs. 7 S. 1, 193 Abs. 5 S. 1, 193 Abs. 7, 9, 193 Abs. 8, 193 Abs. 11, 203 Abs. 1 S. 1, 203 Abs. 1 S. 2, 203 Abs. 1 S. 3, 203 Abs. 2 S. 4). Das Bundesteilhabegesetz vom 23.12.201698 hatte eine Änderung des § 193 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 zur Folge, die am 1.1.2020 in Kraft getreten ist. Danach sind von der Krankenversicherungspflicht auch Empfänger von Leistungen nach Teil 2 des SGB IX für die Dauer dieses Leistungsbezugs und während Zeiten einer Unterbrechung des Leistungsbezugs von weniger als einem Monat befreit, wenn der Leistungsbezug vor dem 1.1.2009 begonnen hat. Das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz vom 4.4.201799 brachte Änderungen der §§ 192 Abs. 5, 197 Abs. 1 S. 1 und 208 S. 1 mit sich. Der Leistungsanspruch für schwangere Versicherte wurde durch eine Ergänzung des § 192 Abs. 5 ausgeweitet. Mit dem neuen S. 2 erster Halbs. ist ein Anspruch auf Krankentagegeld zur Kompensation eines Verdienstausfalls während der gesetzlichen Schutzfristen vor und nach der Entbindung sowie am Entbindungstag unabhängig vom Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit der Versicherten geschaffen. Der Anspruch besteht nur, soweit die Versicherte in den genannten Zeiträumen nicht oder nur eingeschränkt beruflich tätig ist und daher tatsächlich einen Verdienstausfall erleidet. Bei einem teilweisen Verdienstausfall besteht der Anspruch auf das vereinbarte Krankentagegeld anteilig. Durch den zweiten Halbs. in S. 2 wird ein Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld ausgeschlossen, soweit den betroffenen Frauen im Zeitraum der gesetzlichen Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz ein anderweitiger Anspruch auf angemessenen Ersatz ihres Verdienstausfalls durch Entgeltersatzleistungen zusteht. Damit werden insbesondere Arbeitnehmerinnen, die über eine private Krankentagegeldversicherung verfügen, denen jedoch aufgrund ihres Anspruchs auf das Mutterschaftsgeld nach § 13 MuSchG und auf den Arbeitgeberzuschuss nach § 14 MuSchG bereits eine weitgehende Kompensation ihres Verdienstausfallszusteht, vom Umfang des neu geschaffenen Leistungsanspruchs ausgeschlossen.100 In § 197 Abs. 1 S. 1 wurden nach dem Wort „Entbindung“, die Wörter „Krankentagegeld nach § 192 Abs. 5 S. 2“, eingefügt. Durch die Ergänzung erhalten VR die Möglichkeit, das Risiko auszuschließen, dass kurz vor der Entbindung stehende Frauen unmittelbar nach Abschluss einer Krankentagegeldversicherung das neue Krankentagegeld nach § 192 Abs. 5 S. 2 in Anspruch nehmen. Damit wird ein Gleichlauf hinsichtlich der Leistungen in Zusammenhang mit Entbindungen erreicht, für die ebenfalls eine besondere Wartezeit von acht Monaten statt der allgemeinen Wartezeit von drei Monaten vertraglich vereinbart werden kann.101 Mit der Änderung in § 208 wird erreicht, dass die Regelung des § 192 Abs. 5 S. 2 nicht abbedungen werden kann.102

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3. Schlussvorschriften (§§ 209–216) Mit dem Inkrafttreten der Rom I-VO wurde durch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften 145 des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008103 die Definition des 97 BGBl. 2015 I 434. 98 BGBl. 2016 I 3234. 99 BGBl. 2017 I 778. 100 BTDrucks. 18/11205 S. 8. 101 BTDrucks. 18/11205 S. 82. 102 BTDrucks. 18/11205 S. 82. 103 BGBl. 2009 I 1574. 417

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Großrisikos aus Art. 10 Abs. 1 S. 2 und 3 EGVVG a. F. in § 210 Abs. 2 übernommen und § 216 trat an die Stelle des wortgleichen Art. 14 EGVVG a. F. Das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013104 enthält Anpassungen in § 211 Abs. 2 Nr. 1, die aufgrund von Neuverortungen der Regeln zum Fernabsatzvertrag und zum elektronischen Geschäftsverkehr im Allgemeinen Schuldrecht erforderlich wurden. Das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.2015105 hatte aufgrund der Neufassung des VAG eine Änderung der Vorschriften des VVG zur Folge, die einen Verweis auf das VAG enthielten (§§ 210 Abs. 2 S. 1, 211 Abs. 1 Nr. 1). Das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 17.7.2015,106 mit dem der Gesetzgeber die Vorgaben der Richtlinie 2013/34/EU107 in deutsches Recht umsetzte, machte eine Anpassung des § 210 Abs. 2 S. 2 erforderlich. Durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten vom 19.2.2016108 wurde § 214 Abs. 1 und 2 neu gefasst. Hierdurch wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die nach § 214 anerkannten Schlichtungsstellen Verbraucherschlichtungsstellen sind und den Anforderungen des VSBG entsprechen. Die Anerkennung einer Schlichtungsstelle und der Widerruf oder die Rücknahme der Anerkennung sind im Bundesanzeiger bekanntzumachen. Der neue Abs. 2 stellt klar, dass das VSBG für die Voraussetzungen der Anerkennung anwendbar ist und für die anerkannte Stelle Geltung hat. Die Entgeltregelung in § 214 Abs. 4 ist an die Vorgabe der RL 2013/11/EU angepasst worden, wonach ein Streitbeilegungsverfahren für Verbraucher kostenlos oder allenfalls gegen eine „Schutzgebühr“ zugänglich sein muss; vgl. auch § 23 Abs. 1 S. 1 VSBG. Soweit keine privatrechtliche Einrichtung als Schlichtungsstelle anerkannt wird, kann die Aufgabe einer Bundesoberbehörde oder einer Bundesanstalt zugewiesen werden. § 214 Abs. 5 stellt klar, dass es sich in diesem Fall um eine (behördliche) Verbraucherschlichtungsstelle im Sinne des VSBG handelt. Wird von der Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht, so ist bei der Regelung der Gebühren § 31 VSBG zu berücksichtigen. Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 30.11.2019109 ergänzt § 214 Abs. 4 um einen neuen Abs. 5, wonach eine durch das Bundesamt für Justiz als Schlichtungsstelle anerkannte privatrechtlich organisierte Einrichtung zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten im Sinne des § 214 Abs. 1 die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht über Geschäftspraktiken eines Unternehmers zu unterrichten hat, die ihr bei ihrer Schlichtungstätigkeit bekanntgeworden sind und die die Interessen einer Vielzahl von Verbrauchern erheblich beeinträchtigen können.

II. Rechtsprechung 1. BVerfG 151 Das BVerfG hatte sich seit Inkrafttreten des reformierten VVG im Rahmen von Verfassungsbeschwerden in erster Linie mit Altregelungen zu befassen. Hinsichtlich des reformierten VVG

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BGBl. 2013 I 3642. BGBl. 2015 I 434. BGBl. 2015 I 1245. ABl. EU L 182/19 v. 29.6.2013. BGBl. 2016 I 254. BGBl. 2019 I 1942.

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standen Normen aus den Bereichen der Kranken- und Lebensversicherung auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, den sie unbeschadet überstanden haben.

a) Allgemeiner Teil (§§ 1–99). Die Verfassungsbeschwerden richteten sich zumeist gegen 152 richterliche Entscheidungen und waren insoweit auf die Prüfung beschränkt, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen110 oder die Entscheidung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, weil sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht.111 Letzteres hat das BVerfG hinsichtlich der Annahme des AG Köln bejaht, die Bitte des VN um zeitweise Aussetzung des Vertrages und anschließende Fortführung der Prämienzahlung führe in entsprechender Anwendung von § 8 Abs. 3 S. 2 VVG zu einem Erlöschen seines Widerrufsrechts.112 In mehreren Entscheidungen hatte sich das BVerfG mit Nichtvorlagen der Zivilgerichte an 153 den EuGH und/oder der Zurückweisung der Berufung in Fällen zu befassen, in denen es um die Wirksamkeit des bis zum 31.12.2007 gemäß § 5 a VVG a. F. geltenden „Policenmodell“ ging. Soweit die Gerichte die Nichtvorlage an den EuGH, die Zurückweisung der Berufung oder die Nichtzulassung der Revision damit begründeten, dass das „Policenmodell“ für den Abschluss eines Versicherungsvertrags offenkundig mit Unionsrecht vereinbar sei, hat das BVerfG eine Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes in seiner Ausprägung als allgemeiner Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) 113 und/oder eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) bejaht.114 In seinem Beschluss vom 23.5.2016 hat das BVerfG keinen Anstoß an der Rechtsprechung des BGH genommen, die Jahresfrist für einen Widerruf beim „Policenmodell“ im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung teleologisch auf andere Versicherungsarten als Renten- und Lebensversicherung zu reduzieren und die Abschluss- und Verwaltungskosten im Falle des Widerspruchs bereicherungsmindernd in Ansatz zu bringen.115

b) Einzelne Versicherungszweige (§§ 100–208) aa) Lebensversicherung. Im Bereich der Lebensversicherung hatte sich das BVerfG mit einer 154 Verfassungsbeschwerde zur Überschussbeteiligung nach § 153 VVG bei der kapitalbildenden Lebensversicherung zu befassen, die es nicht annahm, weil der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dargelegt hatte. Er habe nicht hinreichend dargelegt, dass die in Umsetzung des Urteils des BVerfG vom 26.7.2005 getroffenen gesetzlichen Regelungen und die angegriffenen Entscheidungen dem Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG gegenüber den VN einer kapitalbildenden Lebensversicherung nicht gerecht würden. In Bezug auf die Bestimmung des Umfangs und des Inhalts von Auskunftsansprüchen im Zusammenhang mit der Überschussbeteiligung erfordere die Effektivität des Grundrechtsschutzes Maßstäbe und Möglichkeiten einer rechtlichen Überprüfung daraufhin, ob die maßgebenden Vermögenswerte bei der Berechnung des Schlussüberschusses angemessen berücksichtigt worden 110 111 112 113

St. Rspr., vgl. nur BVerfG 17.7.2013 – 1 BvR 3167/08 NJW 2013 3086, 3087. St. Rspr., vgl. BVerfG 10.10.2013 – 1 BvR 1848/13 RuS 2014 6. BVerfG 10.10.2013 – 1 BvR 1848/13 RuS 2014 6. BVerfG 9.5.2014 – 1 BvR 2020/11 BeckRS 2014 52555 – Nichtzulassung der Revision; BVerfG 10.6.2014 – 1 BvR 669/14 BeckRS 2015 41987; BVerfG 3.3.2014 – 1 BvR 2534/10 NJW 2014 1796 ff. – Zurückweisung der Berufung. 114 BVerfG 2.2.2015 – 2 BvR 2437/14 RuS 2015 332; BVerfG 2.12.2014 – 2 BvR 655/14 BeckRS 2014 59450; BVerfG 4.11.2014 – 2 BvR 892/12, 2 BvR 893/12, 1969/12, 2 BvR 1990/12 BeckRS 2014 59306. 115 BVerfG 23.5.2016 – 1 BvR 2230/15, 1 BvR 2231/15 RuS 2016 407 ff. 419

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seien, weil im Versicherungsaufsichtsrecht nach wie vor eine bloße Missstandsaufsicht und keine Rechtmäßigkeitsaufsicht besteht.116

155 bb) Krankenversicherung. In einer Reihe von Urteilen hatte sich das BVerfG mit Verfassungsbeschwerden zu befassen, mit denen sich private Krankenversicherer und einzelne VN gegen den Zwang zum Abschluss von Krankenversicherungsverträgen ab dem 1.7.2007 im Standardtarif und ab dem 1.1.2009 im branchenweit einheitlichen Basistarif, das Kündigungsverbot und die Einführung der Notversorgungspflicht wendeten. Zudem griffen sie die Vorschriften über die Portabilität von Alterungsrückstellungen und die ergänzenden versicherungsmathematischen Vorschriften in der Kalkulationsverordnung an. Mit Urteil vom 10.6.2009 hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.117 Nach Ansicht des BVerfG beeinträchtigt der Basistarif mit seinen Kalkulationsbeschränkungen die Berufsausübung der privaten Krankenversicherer nicht schwerwiegend. Bei kleinen VVaG, die nur das Mitgliedergeschäft betreiben dürfen und sich gem. § 210 Abs. 1 S. 1 VAG durch einen sachlich, örtlich oder dem Personenkreis nach eng begrenzten Wirkungskreis auszeichnen, seien § 193 Abs. 5 S. 1 und § 152 Abs. 2 VAG verfassungskonform (Art. 9 Abs. 1 GG) dahin auszulegen, dass kein Kontrahierungszwang im Basistarif bestehe.118 Das absolute Kündigungsverbot stelle zusammen mit der Versicherungspflicht sicher, dass die VN die gleiche Absicherung wie in der gesetzlichen Krankenversicherung hätten.119 Die Übertragung der Alterungsrückstellungen beim Versichererwechsel gefährde die privaten Krankenversicherer nicht, weil nicht die volle Alterungsrückstellung übertragen werde, sondern nur der dem Basistarif entsprechende Teil. Das mit der Portabilität der Alterungsrückstellung verfolgte Ziel, im Markt der privaten Krankenversicherungen einen funktionierenden Wettbewerb herzustellen und den Versicherten einen Wechsel zu einem anderen Versicherungsunternehmen zu erleichtern, sei legitim.120 In seinem Beschluss vom 26.6.2013 hat das BVerfG in der Beschränkung der Mitnahme von Alterungsrückstellungen auf ab dem 1.1.2009 abgeschlossene Verträge durch § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b) VVG keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen.

2. BGH 156 Die nachstehende Übersicht der Rechtsprechung des BGH beschränkt sich im Wesentlichen auf die Urteile, die die Auslegung und Anwendung von Vorschriften betreffen, die im Zuge der Reform neu aufgenommen oder Vorschiften des VVG a. F. geändert haben. Im Vordergrund stehen die Entscheidungen, die Eingang in die amtliche Sammlung gefunden haben.

157 a) Allgemeiner Teil (§§ 1–99). Mit der Frage, welches Schicksal vertragliche Obliegenheiten haben, wenn die Rechtsfolgen von deren Verletzungen nicht an das reformierte VVG angepasst worden sind, hatte sich der BGH in seiner Entscheidung vom 12.10.2011 zu befassen. Er lehnte eine Korrektur der gesetzlichen Unwirksamkeitsfolge auf der Rechtsfolgenebene ab, so dass die Verletzung der Obliegenheit im konkreten Fall folgenlos blieb. Wenn der VR von der in Art. 1 Abs. 3 EGVVG eingeräumten Möglichkeit zur Anpassung seiner Allgemeinen Versicherungsbe-

116 BVerfG 17.2.2017 – 1 BvR 781/15 NJW 2017 1593 ff. 117 BVerfG 10.6.2009 – 1 BvR 706/08, 1 BvR 814/08, 1 BvR 819/08, 1 BvR 832/08, 1 BvR 837/08 VersR 2009 957 ff. 118 BVerfG 10.6.2009 – 1 BvR 706/08, 1 BvR 814/08, 1 BvR 819/08, 1 BvR 832/08, 1 BvR 837/08 VersR 2009 957, 961.

119 BVerfG 10.6.2009 – 1 BvR 706/08 u. a. NJW 2009 2033, 2041. 120 BVerfG 10.6.2009 – 1 BvR 706/08 u. a. NJW 2009 2033, 2041 ff. Niederleithinger/Koch

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dingungen keinen Gebrauch gemacht habe, so der BGH, müsse es bei der sich aus dem Gesetz ergebenden Unwirksamkeit bleiben.121 Mit Urteil vom 28.6.2017 hat der BGH klargestellt, dass es erstens für die Wirksamkeit der Einigung über den Abschluss eines Versicherungsvertrages gem. §§ 145 ff. BGB unerheblich ist, ob der VR die in § 7 Abs. 1 S. 1 bestimmten Informationspflichten erfüllt und zweitens die Widerrufsfrist gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 auch dann mit dem Zugang der Unterlagen zu laufen beginnt, wenn der VR entgegen § 7 Abs. 1 S. 1 dem VN nicht vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen und die weiteren Informationen mitgeteilt hat. Dem VN könne im Falle einer verspäteten Mitteilung der in § 7 Abs. 1, 2 genannten Vertragsbestimmungen und Informationen ein ggf. auf Vertragsaufhebung gerichteter Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 zustehen.122 Im Zusammenhang mit dem Widerruf eines Rentenversicherungsvertrages zwei Jahre nach bereits erfolgter Kündigung hat der BGH festgestellt, dass ein ausdrücklicher Wunsch des VN nach vollständiger Vertragserfüllung i. S. v. § 8 Abs. 2 S. 2 ebenso wie dessen Zustimmung zum Beginn des Versicherungsschutzes vor Ende der Widerrufsfrist gem. § 9 Abs. 1 S. 1 VVG voraussetze, dass der VN entweder über sein Widerrufsrecht belehrt wurde oder der VR aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, dem VN sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen.123 Hinsichtlich der Anforderungen an die Widerrufsbelehrung gem. § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 muss der VR nach dem Urteil des BGH vom 27.3.2019 allein über diejenigen Rechtsfolgen belehren, die eintreten, wenn er die gesetzlichen Anforderungen an die Belehrung einhält. Eine darüber hinausgehende Belehrung über die die Folgen einer unrichtigen Belehrung gem. § 9 Abs. 1 S. 2 und § 152 Abs. 2 S. 2 VVG ist nicht erforderlich. Welche Mitwirkungsobliegenheiten den VN bei der Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistung des VR notwendigen Erhebungen i. S. d. § 14 Abs. 1 treffen, ist Gegenstand des Urteils des BGH vom 22.2.2017.124 Hierzu zählen nach Ansicht des BGH auch Erhebungen, die klären sollen, ob der VN bei Vertragsschluss seine vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten i. S. v. § 19 Abs. 1 S. 1 erfüllt hat. Diesbezüglich treffe den VN auch die Obliegenheit nach § 31 Abs. 1 S. 1 VVG. Des Weiteren hat der BGH festgestellt, dass der VN bei der Erhebung von Daten durch den VR grundsätzlich nur insoweit mitzuwirken hat, als diese zur Prüfung des Leistungsfalles relevant sind. Könne der Umfang der Datenerhebung nicht von vornherein auf entsprechende Informationen beschränkt werden, weil dem VR noch unbekannt sei, worauf er sein Augenmerk zu richten habe, so erstrecke sich die Obliegenheit des VN zunächst auf die Einholung solcher weniger weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen, die dem VR eine Konkretisierung ermöglichen, welche Informationen im Weiteren tatsächlich für die Leistungsprüfung relevant seien. Verletzt der VN seine Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 arglistig, so kann der VR auch dann vom Vertrag zurücktreten, wenn er den VN nicht entsprechend den Anforderungen des § 19 Abs. 5 belehrt hat. Der BGH führt hierfür gesetzessystematische Erwägungen an. So sei im Falle der Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung gem. § 22 VVG i. V. m. § 123 BGB eine derartige Belehrung im Gesetz nicht vorgesehen. Es könne für die Belehrungspflicht indessen keinen Unterschied machen, ob der VR im Falle des Vorliegens einer arglistigen Täuschung durch den VN gem. § 22 VVG anfechte oder nach § 19 VVG vom Vertrag zurücktrete.125 Zum Verhältnis zwischen dem VVG und den Vorschriften des BGB hat der BGH in seinem Urteil vom 25.11.2015 festgestellt, dass sich auch durch das Inkrafttreten des neuen VVG die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten abschließend nach §§ 19–22 bestimmen und der VR gegen den VN keine Ansprüche aus Pflichtverletzung bei Ver121 122 123 124 125 421

BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191 159 Rn. 32 ff. BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14, RuS 2017 409 Rn. 11 ff. BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784 Rn. 13 ff. BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 14 ff. BGH 12.3.2014 – IV ZR 306/13, BGHZ 200 286 Rn. 10 ff. Niederleithinger/Koch

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tragsschluss (§§ 280 Abs. 1 und 3, 282, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB) hat, wenn der VN bei Anbahnung des Versicherungsvertrags über einen gefahrerheblichen Umstand täuscht.126 In seiner Entscheidung vom 10.9.2014 hat der BGH klargestellt, dass sich nicht allein aus der Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände i. S. v. § 23 Abs. 1 ein zum Leistungsausschluss führender Vorsatz des VN i. S. v. § 26 Abs. 1 S. 1 ergibt. An einem zum Leistungsausschluss führenden vorsätzlichen Verhalten kann es etwa fehlen, wenn dem VN Beurteilungsfehler im Hinblick auf den gefahrerhöhenden Charakter der in Frage stehenden Umstände oder der Relevanz der Gefahrerhöhung i. S. von § 27 unterlaufen sind, wenn er irrig davon ausging, dass die erhöhte Gefahrenlage durch andere Maßnahmen kompensiert wird, auf das Urteil eines Sachverständigen über das Fehlen einer Gefahrerhöhung vertraut hat oder irrig eine Einwilligung des VR in die Gefahrerhöhung annahm.127 Bei schwerwiegenden Obliegenheitsverstößen kann gem. § 28 Abs. 2 ausnahmsweise eine Leistungskürzung auf null gerechtfertigt sein.128 Wie der VR dem Erfordernis einer gesonderten Mitteilung in Textform i. S. von § 28 Abs. 4 genügt, war Gegenstand des Urteils vom 9.1.2013. Nach Ansicht des BGH reicht es, wenn der VR die Belehrung des VN in einen Schadenmeldungsfragebogen oder ein sonstiges Schreiben aufnimmt, in welchem dem VN Fragen zur Aufklärung des Versicherungsfalls gestellt werden. In diesen Fällen müsse sich die Belehrung durch ihre Platzierung und drucktechnische Gestaltung vom übrigen Text derart abheben, dass sie für den VN nicht zu übersehen sei.129 Mit Urteil vom 6.2.2013 beendete der BGH die Diskussion darüber, ob die vertraglich vereinbarte unterjährige Zahlungsweise von Versicherungsprämien als Kreditgewährung in Form eines entgeltlichen Zahlungsaufschubs zu behandelt ist. Teilweise war die Ansicht vertreten worden, dass eine unterjährige Zahlungsweise von Versicherungsprämien als entgeltlicher Zahlungsaufschub i. S. von § 1 Abs. 2 VerbrKrG a. F. zu behandeln sei, weil die Versicherungsperiode den Zeitraum eines Jahres umfasse und deshalb die Jahresprämie nach § 271 Abs. 1 BGB sofort fällig sei. Eine Vereinbarung, die ein späteres Zahlungsziel vorsehe, enthalte daher einen Zahlungsaufschub. Da die Zahlung der vollen Prämie zu Beginn der Versicherungsperiode der „Normalfall“ sei, bestehe eine Vermutung für einen Preisaufschlag. Es sei davon auszugehen, dass die zu zahlende Versicherungsprämie auf der Basis vorschüssiger Jahresbeiträge kalkuliert werde mit der Folge, dass bei unterjähriger Zahlungsweise mit Beitragszuschlägen gearbeitet werde. Dieser Argumentation vermochte sich der BGH nicht anzuschließen, da sich aus der einjährigen Versicherungsperiode i. S. des § 9 a. F. nicht ergebe, dass als Zahlungsweise kraft Gesetzes eine jährliche Zahlungsweise vorgesehen sei.130 Deshalb sei die vertraglich vereinbarte unterjährige Zahlungsweise von Versicherungsprämien keine Kreditgewährung in Form eines entgeltlichen Zahlungsaufschubs. Dies gelte unabhängig davon, ob dem VN zunächst eine Jahresprämie angeboten und ihm dann davon abweichend die Möglichkeit eingeräumt werde, eine unterjährige Zahlungsweise zu wählen oder ob von vornherein eine unterjährige Zahlungsperiode vorgesehen sei. Mit den Beratungspflichten des Versicherungsvermittlers hatte sich der BGH in seinem Urteil vom 12.12.2013 zu befassen. Anders als ein Versicherungsmakler hat ein Versicherungsvertreter den VN über die Auswirkungen des Abschlusses einer Nettopolice im Fall einer vorzeitigen Kündigung aufzuklären. Er muss insbesondere deutlich auf den Umstand hinzuweisen, dass der VN bei der Nettopolice auch dann zur Zahlung der (vollen) Vergütung verpflichtet bleibt, wenn der vermittelte Versicherungsvertrag nach kurzer Zeit beendet wird. Fehlt es an einer solchen Belehrung, besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sich der VN bei gehöriger Belehrung nicht für eine „Nettopolice“ entschieden hätte.131 Um die Beratungs- und Doku126 127 128 129 130 131

BGH 25.11.2015 – IV ZR 277/14, NJW 2016 394 Rn. 15 ff. BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, RuS 2014 543 Rn. 11 f. BGH 11.1.2012 – IV ZR 251/10, VersR 2012 341 Rn. 9 ff. BGH 9.1.2013 – IV ZR 197/11 BGHZ 196 67 Rn. 14 ff. BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12 BGHZ 196 150 Rn. 14 ff. BGH 12.12.2013 – III ZR 124/13 VersR 2014 240 Rn. 11 ff.

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mentationspflichten des Versicherungsvermittlers bei der Lebensversicherung ging es auch in dem Urteil vom 13.11.2014. Der BGH hob hervor, dass es sich bei einer Kapitallebensversicherung um einen komplizierten und damit auch besonders beratungsbedürftigen Versicherungsvertrag handelt, weshalb der Versicherungsvermittler seinen Kunden insbesondere auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hinweisen müsse.132 In seinem Urteil vom 22.6.2011 stellte der BGH klar, dass der VR bei grob fahrlässiger Herbei- 167 führung des Versicherungsfalles durch den VN in Ausnahmefällen nach § 81 Abs. 2 die Leistung vollständig versagen darf (Kürzung auf null bei absoluter Fahruntüchtigkeit).133

b) Einzelne Versicherungszweige (§§ 100–208) aa) Haftpflichtversicherung. Der BGH hat in seinem Urteil vom 26.3.2014 umfänglich Ausfüh- 168 rungen zur Kontrollfähigkeit/-freiheit formularmäßiger Versicherungsfalldefinitionen in der Haftpflichtversicherung getroffen. Danach sollen solche Versicherungsfalldefinitionen weder der Inhaltskontrolle (auf Unangemessenheit) noch der Transparenzkontrolle unterliegen.134 Die Auslegung der Neuregelung des § 108 Abs. 2 war Gegenstand einer Deckungsklage, 169 über die der BGH am 13.4.2016 entschied. Konkret ging es darum, ob die Gesellschaft, die als Tochtergesellschaft in den Versicherungsschutz der Muttergesellschaft einbezogen war, Dritter i. S. von § 108 Abs. 2 sein kann. Die Frage war insoweit bedeutsam, als der von der Tochtergesellschaft auf Schadensersatz in Anspruch genommene Geschäftsführer seinen Freistellungsanspruch gegen den D&O-VR an die Tochtergesellschaft abgetreten hatte und die Wirksamkeit der Abtretung davon abhing, dass die Tochtergesellschaft Dritter im Sinne der vorbezeichneten Bestimmung war. Nach Ansicht des BGH gilt in Innenhaftungsfällen der D&O-Versicherung auch der geschädigte VN oder sein in den Versicherungsschutz einbezogenes Tochterunternehmen als Dritter i. S. von § 108 Abs. 2.135

bb) Rechtsschutzversicherung. In seiner Entscheidung vom 4.12.2013 stellt der BGH fest, 170 dass die durch §§ 127, 129, § 3 Abs. 3 BRAO gewährleistete freie Anwaltswahl finanziellen Anreizen eines VR in Bezug auf eine Anwaltsempfehlung (hier: Schadenfreiheitssystem mit variabler Selbstbeteiligung) nicht entgegen steht, wenn und soweit die Entscheidung über die Auswahl des Rechtsanwalts beim VN liegt und die Grenze unzulässigen psychischen Drucks nicht überschritten wird.136 Das Schadensabwicklungsunternehmen eines Rechtsschutz-VR ist nicht nur für Ansprüche 171 aus dem Versicherungsvertrag selbst, sondern nach dem Urteil des BGH vom 11.7.2018 auch dann gemäß § 126 Abs. 2 S. 1 passiv prozessführungsbefugt, wenn der VN Deckungsschutz im Wege eines auf „Quasideckung“ gerichteten Schadensersatzanspruchs begehrt.137

cc) Lebensversicherung. Nach der Rechtsprechung liegt in der Sicherungsabtretung der Rech- 172 te aus einer Lebensversicherung im Allgemeinen nicht auch der konkludente Widerruf bestehender Bezugsrechtsbestimmungen. Ein anlässlich der Sicherungsabtretung erklärter Widerruf ist vielmehr regelmäßig dahin zu verstehen, dass etwaige Bezugsrechte im Rang hinter das ver132 133 134 135 136 137 423

BGH 13.11.2014 – III ZR 544/13 VersR 2015 107 Rn. 12 ff. BGH 22.0.2011 – IV ZR 225/10 BGHZ 190 120 Rn. 20 ff. BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625 Rn. 34 ff. BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 Rn. 17 ff. BGH 4.12.2013 – IV ZR 215/12, RuS 2014 68 Rn. 25 ff. BGH 11.7.2018 – IV ZR 243/17, VersR 2008 1119 Rn. 19 ff. Niederleithinger/Koch

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einbarte Sicherungsrecht zurücktreten sollen. Dies gilt nach dem Urteil vom 27.10.2010 auch dann, wenn der VN den Anspruch auf die Todesfallleistung zur Sicherung der Schuld einer dritten Person abgetreten und somit eine Fremdsicherheit gestellt hat.138 Bei einer solchen Konstellation tritt mit dem Versicherungsfall nicht regelmäßig auch der Sicherungsfall mit anschließender Verwertung der Sicherheiten ein. Während im Fall der Gestellung einer Eigensicherheit regelmäßig eine Aufteilung des Anspruchs auf die Todesfallleistung unmittelbar mit Eintritt des Versicherungsfalls anzunehmen sei, soll bei Sicherung der Schuld eines Dritten der Sicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls der Anspruch auf die Versicherungsleistung – oder, wenn der Sicherungsnehmer zur Einziehung berechtigt ist, die an dessen Stelle tretende Valuta – bis zum Eintritt des Sicherungsfalls als Sicherheit behalten dürfen. Die im Rang zurückgesetzte Bezugsrechtsbestimmung besteht nur im Rahmen der Sicherungsabrede, was dazu führt, dass dem Bezugsberechtigten ein Anspruch gegen den Sicherungsnehmer zusteht, wenn und soweit die Versicherungsleistung im Sicherungsfall die gesicherte Forderung übersteigt. 173 Die Entscheidung des BGH vom 11.2.2015 hatte die Beteiligung eines VN an Überschüssen und Bewertungsreserven einer kapitalbildenden Lebensversicherung zum Gegenstand. Der Kläger war der Auffassung, der VR habe ihm aus einer 2008 ausgelaufenen kapitalbildenden Lebensversicherung zu wenig an Zinsen ausbezahlt. Der VR habe Bewertungsreserven oder stillen Lasten unzulässigerweise mit anderen Überschüssen verrechnet. Der BGH vermochte sich dieser Ansicht nicht anzuschließen und stellte klar, dass aus den vom VR zu bildenden Rückstellungen für Beitragsrückerstattung sowohl die Beteiligung an dem Überschuss gem. § 153 Abs. 2 als auch die Bewertungsreserven gem. § 153 Abs. 3 zu bilden sind. Hat der VR die Bewertungsreserven nach einem verursachungsorientierten Verfahren ermittelt, sind diese aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattung auszuzahlen.139 174 Nach dem Urteil des BGH vom 11.9.2013 steht dem VN, der bis Ende 2007 einen Vertrag über eine Lebensversicherung geschlossen hat, im Falle der Kündigung bei Unwirksamkeit der in den allgemeinen Bedingungen enthaltenen Klauseln über die Berechnung des Rückkaufswertes und die Verrechnung der Abschlusskosten im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ein Mindestbetrag zu, der die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals nicht unterschreiten darf. § 169 Abs. 3 S. 1 findet auf solche Verträge weder über § 306 Abs. 2 BGB noch über die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung Anwendung.140

175 dd) Berufsunfähigkeitsversicherung. Ein befristetes Anerkenntnis in der Berufsunfähigkeitsversicherung setzt sowohl das Vorliegen eines sachlichen Grundes als auch eine Begründung der Befristung durch den VR gegenüber dem VN voraus.141

176 ee) Krankenversicherung. In seinem Urteil vom 7.12.2011 hatte sich der BGH mit der Frage zu befassen, ob eine Krankheitskostenversicherung und eine Pflegepflichtversicherung außerordentlich nach § 314 BGB gekündigt werden können.142 Der BGH bejahte die Frage, für Krankenversicherung und verneinte sie für die Pflegepflichtversicherung. Zur Begründung berief sich der BGH auf die Gesetzesmaterialien zu § 206 Abs. 1 S. 1, aus denen sich die Intention des Gesetzgebers ergebe, den VN nur vor den Folgen des Verlustes des Versicherungsschutzes durch eine Kündigung wegen Verzugs mit der Prämienzahlung zu schützen und ihm seine Altersrückstellungen zu erhalten. Eine Kündigung aus sonstigen wichtigen Gründen sei des138 139 140 141 142

BGH 27.10.2010 – IV ZR 22/09, BGHZ 187, 220 Rn. 12 ff. BGH 11.2.2015 – IV ZR 213/14, BGHZ 204 172 Rn. 11 ff. BGH 11.9.2013 – IV ZR 17/13, BGHZ 198 195 Rn. 9 ff. BGH 9.10.2019 – IV ZR 235/18, RuS 2019 715 Rn. 11 ff. BGH 7.12.2011 – IV ZR 105/11, BGHZ 192 67 Rn. 7 ff.

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halb nicht ausgeschlossen. Anders liege der Fall in der Pflegepflichtversicherung, bei der nach § 110 Abs. 4 SGB XI Rücktritts- und Kündigungsrechte der VR ausgeschlossen seien, solange der Kontrahierungszwang bestehe. Mit Urteil vom 14.1.2015 hat der BGH festgestellt, dass sich der seinen Prämienanspruch 177 geltend machende VR nicht auf die Unwirksamkeit einer vom VN ausgesprochenen Kündigung wegen Fehlens eines Anschlussversicherungsnachweises gem. § 205 Abs. 6 berufen kann, wenn er den VN nicht nachweisbar auf dessen Fehlen hingewiesen hat.143 Im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung in der Krankenversicherung gemäß § 203 Abs. 2 S. 1 soll nach Ansicht des BGH die Unabhängigkeit des zustimmenden Treuhänders von den Zivilgerichten nicht gesondert zu überprüfen und nur Voraussetzung für die Bestellung des Treuhänders, nicht aber für die Wirksamkeit der von ihm nach Bestellung abgegebenen Erklärung sein.144

c) Schlussvorschriften (§§ 209–216). § 213 ist auf die Gewinnung von Gesundheitsdaten des 178 Versicherten durch eine vom privaten Krankenversicherer veranlasste ärztliche Untersuchung weder unmittelbar noch analog anwendbar, da die Vorschrift ausschließlich die Erhebung von Gesundheitsdaten bei Dritten, nicht aber bei dem Betroffenen selbst regelt.145 In seinem Urteil vom 5.7.2017 knüpft der BGH hinsichtlich der Wirksamkeit von Schweigepflichtentbindungen an sein Urteil vom 22.2.2017 (Rn. 160) an. Allgemeine Schweigepflichtentbindungen dürfen demnach regelmäßig nicht abverlangt werden. Dem VN bleibt es jedoch unbenommen, diese selbst zu erteilen – vorausgesetzt, er wird darüber informiert, dass er nur zur Abgabe gestufter Erklärungen verpflichtet ist. Ohne entsprechenden Hinweis fehlt es an einer wirksamen Einwilligung in die Datenerhebung.146 Bei Nichtbeachtung der Vorgaben des § 213 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 und 4 kann der VR nach § 242 BGB gehindert sein ist, sich auf die Ergebnisse seiner Ermittlungen zu berufen und insbesondere darauf gestützt von dem Gestaltungsrecht der Arglistanfechtung Gebrauch zu machen. Um den zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Gerichtsstandsregel des § 215 179 Abs. 1 S. 1 ging es in dem Urteil vom 8.3.2017. Der BGH stellt fest, dass diese Regel auch für vor der Reform des Versicherungsvertragsrechts abgeschlossene Verträge gilt. Zudem spricht er sich für eine weite Auslegung dieser Formulierung aus. Umfasst werden alle Ansprüche, bei denen das Bestehen, Nichtbestehen oder Nichtmehrbestehen eines Versicherungsverhältnisses bedeutsam ist. Dies schließt Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Anbahnung, dem Abschluss, der Durchführung oder der Rückabwicklung eines Versicherungsvertrags sowie Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen ein, sofern diese im Zusammenhang mit einem Versicherungsvertrag stehen, wie z. B. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung nach Widerspruch oder aus deliktischer Haftung.147 In seinem Urteil vom 8.11.2017 stellt der BGH ergänzend fest, dass § 215 Abs. 1 S. 1 nach seiner Gesetzgebungsgeschichte sowie seinem Sinn und Zweck auch Klagen aus einem Versicherungsvertrag erfasst, dessen VN eine juristische Person ist, wobei auf deren Sitz im Sinne des § 17 ZPO abzustellen ist.148

III. Offene Fragen im Allgemeinen Teil Nachstehend wird für den Allgemeinen Teil des VVG auf offene Fragen und Streitpunkte hin- 180 sichtlich der Auslegung und Anwendung der Neuregelungen eingegangen, die im Rahmen der 143 144 145 146 147 148

BGH 14.1.2015 – IV ZR 43/14, NJW 2015 1105 Rn. 9 ff. BGH 19.12.2018 – IV ZR 255/17, RuS 2019 155 Rn. 30 ff. BGH 13.7.2016 – IV ZR 292/14, RuS 2016 472 Rn. 36 ff. BGH 5.7.2017 – IV ZR 121/15, NJW 2017 3235 Rn. 25 ff. BGH 8.3.2017 – IV ZR 435/15, BGHZ 214 160 Rn. 15 ff.; vgl. BGH 8.3.2017 – IV ZR 435/15, NJW 2017 1967 Rn. 15 f. BGH 8.11.2017 – IV ZR 551/15, BGHZ 216 358 Rn. 13 ff.

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Reform Anlass zu Diskussionen in der Literatur gegeben haben und höchstrichterlich noch nicht geklärt sind.

1. § 6 Abs. 1 (Verhältnis von Beratungsaufwand und Prämie) 181 Nach § 6 Abs. 1 S. 1 hat der VR den VN, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des VN und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom VN zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Diese Proportionalitätsregel ist auf Kritik gestoßen, weil es auch Versicherungen mit niedrigen Prämien – wie bspw. die Privathaftpflichtversicherung – gibt, bei denen der Beratungsaufwand im Hinblick auf die nachteiligen Folgen von Deckungslücken nicht unerheblich ist.149 Armbrüster hat sich dafür ausgesprochen, den Umfang der Beratung danach zu bestimmen, ob ein durchschnittlicher VN bereit wäre, die Kosten der Beratung auch dann zu tragen, wenn der VR sie als Zusatzleistung separat vom Versicherungsvertrag anbieten würde, sie also eine separate und vermeidbare Kostenposition innerhalb der Gesamtprämie bilden würde.150 Ob diese Vorgehensweise praktikabel ist, scheint fraglich. Da der VR den Beratungsaufwand bei der Prämienbemessung mitberücksichtigt, trägt ihn letztlich der VN.151 Wenn aber der Beratungsaufwand vom VN getragen wird, ist es nicht gerechtfertigt, die Beratungspflicht des VR zu begrenzen. Es verwundert deshalb nicht, dass es bislang keine instanzgerichtliche Rechtsprechung gibt, die eine Beratungspflicht mit Blick auf die Höhe der Prämie verneint hat.152

2. § 6 Abs. 5 VVG (Fortgeltung der sog. gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung) 182 Weder zur Existenz noch zum Fortbestand der sog. gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung finden sich Ausführungen in den Gesetzgebungsmaterialien. Die Statuierung einer Schadensersatzpflicht in § 6 Abs. 5 gekoppelt mit dem Argument, es handele sich bei der Reform des VVG um eine Gesamtreform, wird von der Mehrheit in der Literatur als Begründung zur Abschaffung der sog. gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung angeführt.153 Die Befürworter einer Fortgeltung weisen unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung darauf hin, dass es dem Gesetzesgeber bei der Reform des VVG nicht um eine Neukodifikation des Versicherungsvertragsrechts gegangen sei.154 Ebenso wenig sei es bei der Reform darum gegangen, dem VN die Besserstellung zu nehmen, die aus der Gewährung der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung resultiere. Die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat an diesem Rechtsinstitut festgehalten.155

149 150 151 152

Z. B. Reiff VersR 2007 717, 725. Armbrüster Aktuelle Rechtsfragen der Beratungspflichten von Versicherern und Vermittlern (2009) 15. Vgl. auch Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 32. Vgl. auch Pohlmann VersR 2009 327 ff. („Viel Lärm um nichts – Beratungspflichten nach § 6 VVG und das Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und Prämie“). 153 Vgl. Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 332 f.; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 78; Langheid/Rixecker/Rixecker § 6 Rn. 3. 154 Vgl. Bruck/Möller/Schwintowski § 6 Rn. 43; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 68; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 6 Rn. 14 f. 155 OLG Frankfurt/M. 19.5.2011 – 7 U 67/08 BeckRS 2012 06605; LG Saarbrücken 5.8.2013 – 14 O 152/12 VersR 2014 317, 318 f.; vgl. auch OLG Brandenburg 9.8.2019 – 11 U 192/15 BeckRS 2019 18745: „Da mit Schadensersatzansprüchen gemäß § 6 Abs. 5 VVG grundsätzlich nur das sogenannte negative Interesse ausglichen wird, lässt sich ein Bedarf dafür nicht ohne Weiteres von der Hand weisen.“, a. A. LG Stuttgart 22.10.2015 – 22 O 113/15 VersR 2016 1235, 1236. Niederleithinger/Koch

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3. § 7 Abs. 1 (Rechtzeitigkeit der und Verzicht auf Information) Nach § 7 Abs. 1 S. 1 hat der VR dem VN „rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung“ 183 seine Vertragsbestimmungen einschließlich der AVB sowie alle nach der VVG-InfoV erforderlichen Informationen in Textform mitzuteilen. Mit dieser Formulierung wird der Wortlaut von § 312d Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 246b § 1 S. 1 EGBGB übernommen. Der Gesetzgeber hat die Ausfüllung des Begriffs „rechtzeitig“ ausdrücklich der Rechtsprechung überlassen. Es ging ihm darum sicherzustellen, dass der Verbraucher eine informierte Entscheidung treffen kann.156 Über die Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals herrscht gleichwohl Streit, bei dem es aus praktischer Sicht – auch heute noch – darum geht, ob der Vertrag bei einem einzigen Vermittlerbesuch abgeschlossen werden kann. Einige Autoren wollen dem Rechtzeitigkeitskriterium – so wörtlich – „keine eigenständige Bedeutung“ zumessen. Es sei ausreichend, wenn der VN die Informationen vor seiner Vertragserklärung verfügbar und die Möglichkeit hat, vor der Vertragserklärung von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen und Nachfragen zu stellen.157 Damit ist gemeint, dass ein Informationserfolg i. S. eines nachprüfbaren Erkenntnisgewinns beim VN nicht geschuldet ist.158 Mit dieser Auslegung bleibt jedoch nach wie vor unklar, wie viel Bedenkzeit dem VN eingeräumt werden muss.159 Offen ist zudem, ob ein formularmäßiger Verzicht auf Information gem. § 7 Abs. 1 S. 3 wirksam ist.160

4. § 22 (Spontane Anzeigeobliegenheit) Gem. § 19 Abs. 1 besteht eine Anzeigeobliegenheit des Antragstellers nur bei solchen Gefahrum- 184 ständen, nach denen der VR in Textform (§ 126b BGB) gefragt hat. Umstritten ist, ob und inwieweit darüber hinausgehend eine Obliegenheit zur Anzeige auch hinsichtlich solcher Umstände besteht, nach denen der VR nicht in Textform gefragt hat und die bei arglistigem Verschweigen ein Anfechtungsrecht des VR nach § 22 i. V. m. § 123 BGB begründen. Zum Teil wird eine Aufklärungsobliegenheit bereits dann bejaht, wenn es um Umstände 185 geht, die auch nach Einschätzung des VN trotz des Unterbleibens diesbezüglicher Fragen gefahrerheblich sind.161 Nach wohl überwiegender Auffassung sind demgegenüber jedoch Einschränkungen vorzunehmen. Dabei wird darauf verwiesen, dass der VN nach der gesetzlichen Wertung des § 19 Abs. 1 S. 1 grundsätzlich darauf vertrauen dürfe, dass der Fragenkatalog des VR alle gefahrerheblichen Umstände erfasse. Eine darüber hinausgehende Aufklärungspflicht des VN wird danach nur ausnahmsweise angenommen, wobei sich die hieran gestellten Anforderungen im Detail unterscheiden. Nach einer Auffassung ist zwischen verschiedenen Arten von Versicherungsverträgen zu 186 differenzieren.162 Bei Versicherungen im Alltagsgeschäft („Jedermannsverträgen“), die weitgehend standardisiert seien, wie Verträgen in der Kranken- und der Lebensversicherung, sei dem VR zuzumuten, seinen Fragenkatalog abschließend zu formulieren. Eine allgemeinzivilrechtliche Aufklärungspflicht des VN bestehe hier deshalb nicht. Nach der Grundwertung der §§ 19 ff. dürfe er sich bei solchen Verträgen darauf verlassen, dass der VR den Kreis der gefahrerhebli-

156 157 158 159 160

Vgl. BTDrucks. 14/2658 S. 38. Z. B. Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 62 ff.; Langheid/Rixecker/Langheid § 7 Rn. 25. Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 63. Vgl. auch Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 11. Ablehnend Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 7 Rn. 21; Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 18; Bruck/Möller/Herrmann § 7 Rn. 93; offengelassen BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14, RuS 2017 409 Rn. 20; bejahend LG Saarbrücken 30.3.2012 – 13 S 49/11 RuS 2013 275; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 7 Rn. 48, 49; Wandt Rn. 319; Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 81 f. 161 Z. B. Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 3. 162 Brand VersR 2009 715, 721. 427

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chen Umstände überblicken könne und seinem Informationsbedürfnis entsprechend abgesteckt habe. Er trage das Risiko, seinen Fragenkatalog so zu gestalten, dass er, etwa in der Krankenversicherung, neue oder vermeintlich ausgestorbene Krankheiten erfasse. 187 Nach anderer Auffassung hat der VN eine Aufklärungspflicht, die über die Beantwortung der Antragsfragen hinausgeht, nur in dem Ausnahmefall, dass der nicht erfragte Umstand einerseits offensichtlich gefahrerheblich, aber andererseits so selten und fernliegend ist, dass es verständlich und ihm nicht vorzuwerfen ist, wenn der VR ihn nicht erfragte.163 Für die Krankenversicherung wird eine Aufklärungspflicht in Bezug auf Krankheiten in Betracht gezogen, die erstmals in jüngerer Zeit aufgetreten oder medizinisch erforscht worden sind und die deshalb in den Fragenkatalog des VR noch keinen Eingang gefunden haben, oder solche, die vom Antragsteller nur deshalb nicht abgefragt worden sind, weil der Versicherungsvertreter eine Frage aus dem Katalog nicht oder nur sinnentstellend vorgelesen hat.164 188 Nach obergerichtlicher Rechtsprechung kommt eine solche aus Treu und Glauben resultierende (spontane) Anzeigeobliegenheit nur dann in Betracht, wenn es sich um die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders grundlegender Informationen handelt, die das Aufklärungsinteresse des VR so grundlegend berühren, dass sich dem VN ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen musste. Anderseits müssten die Gefahrumstände so selten und fernliegend sein, dass dem VR nicht vorzuwerfen ist, sie nicht abgefragt zu haben.165

5. § 26 (Kausalitätsgegenbeweis bei arglistigem Verhalten des VN) 189 Der VR bleibt abweichend von § 26 Abs. 1 und 2 zur Leistung verpflichtet, soweit die Gefahrerhöhung nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war. Einschränkungen dieses Kausalitätsgegenbeweises gibt es nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht, so dass sie an sich auch bei arglistigem Verhalten des VN eingreift. Die herrschende Ansicht in der Literatur spricht sich mit Blick auf die gesetzgeberischen Wertungen der §§ 21 Abs. 2 S. 2, 28 Abs. 3 S. 2 und 82 Abs. 4 S. 1 dafür aus, diese Regelungen gesamtanalog anzuwenden.166

6. § 28 Abs. 2 S. 2 (Quotelung bezüglich einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles) 190 Wie zuvor dargelegt (Rn. 167), hat der BGH klargestellt, dass der VR im Falle besonders schwerer grober Fahrlässigkeit (an der Schwelle zum Vorsatz) vollständig leistungsfrei sein kann („Kürzung auf null“). Im engen Grenzbereich zur einfachen Fahrlässigkeit kann umgekehrt im Einzelfall volle Leistung zugesprochen werden („Kürzung um null“). Rechtsprechung hierzu liegt noch nicht vor. Ungeklärt ist zudem, wie die Beweislast bei der Quotierung verteilt ist. Das von Teilen des Schrifttums vorgeschlagene Mittelwertmodell, das von einer Einstiegsquote von 50 % ausgeht, wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum abgelehnt. Vielmehr hat der Richter auf der Basis des unstreitigen Vortrags beider Parteien eine Quote zu bilden. Umstände, die zu einer höheren Kürzungsquote berechtigen, hat der VR zu beweisen. Umgekehrt muss der VN, will er eine niedrigere Quote erreichen, zusätzliche Tatsachen beweisen, die das Gewicht der groben Fahrlässigkeit mindern.167 163 164 165 166

Knappmann VersR 2011, 724, 726; ähnlich Looschelders/Pohlmann § 22 Rn. 9. Bruck/Möller/Rolfs § 22 Rn. 11. Vgl. OLG Hamm 27.2.2015 – 20 U 26/15 RuS 2017 68, 69; OLG Celle 9.11.2015 – 8 U 101/15 RuS 2016 500, 503. Langheid/Rixecker/Langheid § 26 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 26 Rn. 19; Langheid/Wandt/ Reusch § 26 Rn. 35; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 26 Rn. 20. 167 Wandt Rn. 651. Niederleithinger/Koch

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Höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt auch noch zu der Frage, wie die Kürzungsquote 191 zu bestimmen ist, wenn dem VN eine grob fahrlässige Verletzung mehrerer Obliegenheiten, gegebenenfalls zusätzlich die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls, vorzuwerfen ist. Nachdem anfänglich starre Lösungsmodelle vertreten wurden (z. B. Addition der für jeden Verstoß isoliert ermittelten Quoten, Quotelung entweder nach der zeitlichen Reihenfolge der verschiedenen Verstöße oder nach der Höhe der isoliert ermittelten Quoten, Maßgeblichkeit allein der höchsten Quote unter Konsumtion geringerer Quoten)168 hat sich mittlerweile die Ansicht durchgesetzt, die Quotelung grundsätzlich auf Grund einer wertenden Gesamtbeurteilung vorzunehmen.169 All diese Ansätze berücksichtigen nicht ausreichend, dass zunächst einmal für jede Obliegenheitsverletzung gesondert der daraus resultierende Nachteil für den VR zu ermitteln ist. Die Frage nach der Bestimmung des Umfangs der Leistungsfreiheit bei mehrfacher Verletzung von Rettungsobliegenheiten stellt sich nämlich erst dann, wenn der Nachteil, der aus der Verletzung verschiedener Rettungsobliegenheiten resultiert, auf demselben Kausalitätsbeitrag beruht.170

7. § 86 Abs. 2 S. 1 (Umfang der Obliegenheit zur Anspruchswahrung) Zum Inhalt und Umfang der Obliegenheit des VN zur Wahrung von Regressansprüchen gem. 192 § 86 Abs. 2 S. 1 VVG gibt es bislang keine veröffentliche Rechtsprechung. Lediglich das OLG Saarbrücken hat sich mit der Frage befasst, ob der VN einer Krankenversicherung durch Abschluss eines Abfindungsvergleichs mit dem Schädiger, der sämtliche materiellen und immateriellen Ansprüche aus einem Verkehrsunfalls für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfasst, gegen § 86 Abs. 2 VVG verstößt. In der Literatur wird aus der Formulierung „unter Beachtung der geltenden Form- und Fristvorschriften zu wahren“ hergeleitet, dass der VN erforderlichenfalls auch Feststellungsklage erheben muss, um die Verjährung des Anspruchs zu unterbrechen.171 Bejahte man diese Frage, müsste der VN ggf. erheblich in die Vorleistung (Gerichts- und Anwaltskosten) treten, da § 86 Abs. 2 VVG keine Kostenerstattung vorsieht, was wiederum die Frage nach der Zumutbarkeit der Klageerhebung aufwirft. Die Mehrheit der Kommentatoren billigt dem VN als Ausgleich einen Kostenerstattungsanspruch analog § 83 VVG zu.172

168 Vgl. Wandt FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft 249. 169 Vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch § 28 Rn. 212; Looschelders ZVersWiss 2009 13, 30; Langheid/Wandt/ Wandt § 28 Rn. 249; ders. FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft 249 f.

170 Bruck/Möller/R. Koch9 § 82 Rn. 177. 171 Bruck/Möller/Voit9 § 86 Rn. 151 Langheid/Wandt/Möller/Segger § 86 Rn. 291; Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 74 f.

172 Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 74 f.; Bruck/Möller/Voit9 § 86 Rn. 153; Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung (2014) § 18 Rn. 77; a. A. Langheid/Wandt/Möller/Segger § 86 Rn. 289. 429

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F. InsurTech Schrifttum (ausgewählte Monographien, Handbücher, Kommentare) Bamberger/Roth/Hau/Poseck Beck'scher Online-Kommentar BGB, 53. Edition, Stand: 1.2.2020; Bähr Handbuch des Versicherungsaufsichtsrechts (2011); Beckmann/Scholtz/Vollmer Investment, Handbuch für das gesamte Investmentwesen (1970), Lfg. 3/19; Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Auflage (2015); Boetius/ Rogler/Schäfer Rechtshandbuch Private Krankenversicherung (2020); Brand/Baroch Castellvi Versicherungsaufsichtsgesetz (2018); Bruck/Möller/Baumann VVG, 10. Auflage 2020; Diehl Versicherungsunternehmensrecht – Handbuch (2020); Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze, VAG, Werkstand: 228. EL Januar 2020; Erdmann/Kaulbach Grundzüge des Versicherungsaufsichtsrechts, 2. Auflage 2019; Gebert/Erdmann/Schradin Beck’scher Online-Kommentar VAG, 8. Edition, Stand 1.3.2020; Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann beck-online. Grosskommentar zum Zivilrecht, Stand: 15.11.2018; Höra Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 4. Auflage 2017; Kaulbach/Bähr/Pohlmann VAG, 6. Auflage 2019; Krimphove/Kruse Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen – Kommentar (2018); Kunschke/Schaffelhuber, FinTech, Grundlagen – Regulierung – Finanzierung – Case Studies (2018); Landmann/Rohmer Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, Band I, Gewerbeordnung Kommentar, 83. EL Dezember 2019; Langheid/Wandt Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 2. Auflage 2016; Langheid/Rixecker VVG, 6. Auflage 2019; Looschelders/Pohlmann Versicherungsvertragsgesetz Kommentar, 3. Auflage 2017; Marlow/Spuhl Beck'scher Online-Kommentar VVG, 6. Edition, Stand: 15.10.2019; Möslein/Omlor FinTech-Handbuch, Digitalisierung, Recht, Finanzen (2019); Oelschlägel/Scholz Rechtshandbuch Online-Shop, 2. Aufl. 2017; Pielow Beck'scher Online-Kommentar GewO, 49. Edition, Stand: 1.3.2020; Prölss/Dreher Versicherungsaufsichtsgesetz, 13. Auflage 2018; Prölss/Martin Versicherungsvertragsgesetz, 30. Auflage 2018; Rüffer/Halbach/Schimikowski Versicherungsvertragsgesetz, 4. Auflage 2020; Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band I, 8. Auflage 2018; Sassenberg/Faber, Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things, 2. Auflage (2020); Schwintowski/Brömmelmeyer Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 3. Auflage 2017; Söbbing Fundamentale Rechtsfragen zur künstlichen Intelligenz (2019); Van der Linden/Millie/Anderson/Chishti The InsurTech Book (2018).

Schrifttum zu speziellen rechtlichen Fragestellungen zu InsurTechs Armbrüster Der Abschluss von Versicherungsverträgen über das Internet, RuS 2017 57; Armbrüster/Pfeiffer Rechtsfragen rund um Versicherungs-Apps, ZfV 2016 277; Armbrüster/Prill Künstliche Intelligenz im Versicherungssektor – rechtliche Herausforderungen, ZfV 2020 110; Beenken/Lüger IDD: Braucht ein Schadensachbearbeiter keine Qualifikation? ZfV 2017 621; Beenken/Teichler Mängel in der Umsetzung der IDD und praktische Folgen, RuS 2019, 241; Beyer Unionsrechtliche Neuregelung der Beratungs- und Informationspflichten für Versicherungsanlageprodukte, VersR 2016 293; Bierschenk FinTechs und InsurTechs aus Perspektive der Finanzaufsicht ZfV 2016 707; Borges Rechtliche Rahmenbedingungen für autonome Systeme, NJW 2018 977; Boslak Die Pflichten des Versicherungsvermittlers im Internet- und Telefonvertrieb, VW 2008 636; Broichhausen/Winter In der Höhle der Versicherungslöwen, VW 2020 70 Brunotte Virtuelle Assistenten – Digitale Helfer in der Kundenkommunikation, Haftung und Verbraucherschutz, CR 2017 583; Conreder/Schild Provisionsabgabeverbot: FinTech darf Provision an Kunden weitergeben, jM 2016 366; Dahmen Auslagerungen an Cloud-Dienste Voraussetzungen und Beschränkungen durch neues BaFin Merkblatt, BKR 2019 533; Dreher Versicherungsaufsichtsrechtliche Fragen bei Assistance-Leistungen in der D&Ound Cyber-Versicherung, VersR 2020 129; ders. Versicherungsaufsicht über IT und Governance VersR 2019 1177; Dreher/Ballmeier Der Dienstleistungsvertrag bei der Auslagerung nach § 64a Abs. 4 VAG, VersR 2014 8; Emde/van der Veer § 34 d GewO und die Übertragung von Hilfstätigkeiten auf Tochtergesellschaften von Versicherungsunternehmen, VersR 2018 1285; Fischer Versicherungsvermittlung im Internet – der Vertriebskanal der Zukunft?, BB 2012 2773; dies. Versicherungsvertrieb 4.0 – Auswirkungen des Check24-Urteils und der Versicherungsvertriebs-RL, BB 2016 3082; Freitag Fernabsatz von Bankdienstleistungen im Digitalkanal, ZIP 2018 1805; Gausling Künstliche Intelligenz im Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung, PinG 2019 61; dies. Künstliche Intelligenz im Marketing ZD 2019 335; Goretzky Die Umsetzung der IDD in deutsches Recht: Eine Bestandsaufnahme unter digitalem Blickwinkel, VersR 2018 1; ders. Online durchgeführte Risikoprüfungen und Schadenregulierung, VersR 2019 916; Haas Stille Post: Webseiten als dauerhafte Datenträger: Anmerkung zu EuGH, C-375/15 – BAWAG, GRUR Int. 2018 217; Heckmann/Kaspereit Information über Kundenmailbox beim E-Banking als Mitteilung auf dauerhaftem Datenträger, NJW 2017 871; Hufeld Aufsicht und Regulierung in Zeiten von Big Data und künstlicher Intelligenz, BaFin Perspektiven 1/2018 1; Jakl Das Recht der Künstlichen Intelligenz, MMR 2019 711; Klar Künstliche Intelligenz und Big Data – algorithmenbasierte Systeme und Datenschutz im Geschäft mit Kunden, BB 2019 2243; Koch Haftung des Versicherers für fehlerhafte Assistanceleistungen, VersR 2019 449; Köhn/Leonhardt Insurtech eine Einordnung,

Fischer https://doi.org/10.1515/9783110522600-006

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Übersicht

BaFin Journal 1/2019 13; Krimphove/Rohwetter Regulatory Sandbox – Sandkastenspiele auch für Deutschland?, BKR 2018 494; Krug Haftung im Rahmen der Anwendung von künstlicher Intelligenz, beck.digitax 2020 74; Lehmann/ Rettig Rechtliche Vorgaben für Kunden-Online-Postfächer NJW 2020 569; Linardatos Künstliche Intelligenz und Verantwortung, ZIP 2019 504; Lüttringhaus Rechtsfragen der künstlichen Intelligenz in der Versicherungsindustrie, VW 2020 88; Notthoff Der Versicherungsvertragsabschluss im Internet, RuS 2018 523; Pieper Wenn Maschinen Verträge schließen: Willenserklärungen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz; GRUR-Prax 2019, 298; Pohl/Ghaffari Die Neufassung des § 203 StGB – der Befreiungsschlag für IT-Outsorucing am Beispiel der Versicherungswirtschaft?!, CR 2017 489; Pohlmann Unwirksamer Verzicht des Versicherungsnehmers auf vorvertragliche Informationen, NJW 2017 3341; Präve Das Verbot versicherungsfremder Geschäfte, FS Schirmer 2005 492; Reiff VersR 2018 193; Richartz/Willmann „Pseudo-Assekuradeure“ – wenn so etwas von so etwas kommt, ZfV 2020 147; Rüsing Die Aufsicht über Versicherungsvermittler nach Umsetzung der IDD, VersR 2019, 129; Schulze-Werner Die neue Regelung des Versicherungsvertriebs in der Gewerbeordnung (§ 34d GewO), GewArch 2017 418; Schwintowski Internetplattformen im Spannungsfeld zwischen Versicherungsvermittlungs- und Lauterkeitsrecht, VersR 2015 1062; Sehrbrock Die Rechtsfolgen der „Aufsichtsleiter“ – Pflichten und Eingriffsbefugnisse der §§ 132–137 VAG, VersR 2016 1017; Spindler IT-Sicherheit und Produkthaftung – Sicherheitslücken, Pflichten der Hersteller und der Softwarenutzer NJW, 2004 3145; ders. Der Jahr-2000-Fehler: Vertragsrechtliche Haftungsfragen des Softwareveräußerers, DB 1999, 1991; Ulrich Die Zurechnung der Erklärungen autonomer Systeme – noch reicht das BGB, GmbHR 2019 R 135; Wagner/Radstaak Kunden sehen Lebenswelten, keine Produktsparten, VW 2018 68; Weber/Kiefner/Jobst Künstliche Intelligenz und Unternehmensführung, NZG 2018 1131; Wolf Die Beteiligung von Versicherungsunternehmen an Gesellschaften anderer Wirtschaftszweige, WM 2003 1058; Zdanowiecki Die Cloud im Fokus der Bank-, Börsen- und Versicherungsaufsicht – Herausforderungen und Lösungsansätze, CR 2016 773; Zech Künstliche Intelligenz und Haftungsfragen, ZfPW 2019 198.

Übersicht 4.

1

A.

Einführung

I.

Begriff des InsurTechs

II.

3. 4.

Überblick über die derzeitigen Geschäftsmo4 delle 7 Digitalversicherer InsurTechs in der Versicherungsvermitt9 lung 12 Peer-to-Peer Versicherung 16 InsurTechs als Dienstleister

B.

Die Beaufsichtigung von InsurTech

I. 1.

21 Versicherungsunternehmen 24 Zulassungsaufsicht 26 a) Allgemeines 31 b) Geschäftsplan 34 c) Sonstige Unterlagen d) Wesentliche Aspekte bei Digitalversiche35 rern Kapitalanforderungen an Versicherungsunter41 nehmen Anforderungen an die Geschäftsorganisation 50 (Governance) 51 a) Allgemeines b) Qualifikationen, fachliche Eignung und Zu54 verlässigkeit 65 c) Anforderungen an Mitarbeiter 69 d) Vergütung

1. 2.

2. 3.

431

2

18

5.

6.

Verbot des versicherungsfremden Ge71 schäfts a) (Dienst)Leistungen an Versicherungsneh77 mer 80 b) Dienstleistungen an Dritte 82 c) Kooperationen 85 d) Rechtsfolgen 86 Outsourcing 89 a) Allgemeines 92 b) Auslagerung an Cloud-Dienste 96 Inhaberkontrolle

3.

100 Versicherungsvermittler 100 Allgemeines 102 Erlaubnispflichtige Tätigkeiten 104 a) Mitwirkung im Schadenfall 106 b) Abgrenzung zum „Tippgeber“ 108 Erlaubnis nach § 34d GewO

III. 1. 2.

112 Sonstige InsurTechs 112 Assekuradeur Peer-to-Peer Versicherung

C.

Digitaler Vertrieb

I.

Informationspflichten des Versicherungsvertrei123 bers Erstinformationen des Versicherungsvermitt124 lers 125 a) Mitteilung

II. 1. 2.

1.

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2.

II. 1.

InsurTech

b) Erster Geschäftskontakt 127 Vorvertragliche Informationspflichten des Versi131 cherers Befragungs- und Beratungspflichten des Versi141 cherungsvertreibers 144 Bestehen eines Beratungsanlasses a) Produktbezogene Beratungsan145 lässe b) Personenbezogene Beratungsan149 lässe c) Erkennbarkeit des Beratungsanlas151 ses

153

2. 3.

Erteilung einer Handlungsempfehlung 155 Sonstige Pflichten

D.

Rechtliche Aspekte bei Nutzung von Big Data 157 und Einsatz künstlicher Intelligenz

I.

Aufsichts- und gesellschaftsrechtliche As160 pekte

II.

Zivilrechtliche Aspekte

III.

Datenschutzrechtliche Aspekte

166 174

A. Einführung 1 Die Assekuranz befindet sich aktuell in einem fundamentalen Wandel, der auch stark durch die Digitalisierung der Branche getrieben wird. Das Kundenverhalten und die Erwartungen der Kunden haben sich durch die allgemein fortschreitende Digitalisierung in vielen Lebensbereichen wesentlich geändert. Dies führt zum einen zu der großen Herausforderung für traditionelle Marktteilnehmer, neudeutsch auch Incumbents, ihre Geschäftsmodelle an die geänderten Kundenwünsche anzupassen. Zum anderen hat der Wandel auch zahlreiche neue Marktteilnehmer auf den Plan gerufen, diese werden allgemein als InsurTechs (oder auch InsureTechs) bezeichnet. Nachstehend wird ein Überblick zu rechtlichen relevanten Aspekten für InsurTechs gegeben und auf allgemeine Fragestellungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Versicherungssektors insoweit eingegangen, als dieser ein spezifischen Bezug zu InsurTechs hat.1

I. Begriff des InsurTechs 2 Der Begriff „InsurTech“ ist ein Akronym, bestehend aus den jeweiligen Anfangsbestandteilen von „Insurance“ und „Technology“.2 Eine allgemeingültige Definition des Begriffes „InsurTech“ gibt es bis heute nicht.3 In Anlehnung an die weitgehend akzeptierte Beschreibung des Finanzstabilitätsrats FSB des Begriffs „FinTech“, soll der Begriff „InsurTech“ im Folgenden technologiegestützte Innovationen im Versicherungssektor beschreiben und umfasst auch junge und jüngere Unternehmen, die auf Basis von technologie- und datengetriebenen Geschäftsmodellen neu in den Versicherungsmarkt eintreten, etwa als Dienstleister für Versicherer oder als Risikoträger.4 Die Begriffsbeschreibung ist bewusst weit gefasst. Das Phänomen der InsurTechs wird 3 häufig ausschließlich mit Start-ups in Verbindung gebracht. Dies greift allerdings zu kurz, die Wesensmerkmale der InsurTechs sind vielmehr das technologie- und datenbasierte Geschäftsmodell und der Marktneueintritt. Damit gelten traditionelle Versicherungsunternehmen, die ihr traditionelles Geschäftsmodell auf ein technologie- und datengetriebenes um1 Die Entwicklung spezifischer Produkte unter Nutzung von Big Data (beispielsweise Telematiktarife in der KfZVersicherung oder die Nutzung von Daten zur Lebensführung (sportliche Aktivitäten, Ernährung, etc.) im Bereich der Krankenversicherung) werden hier ebenso wie die Cyber-Versicherung nicht erörtert. 2 Möslein/Omlor/Heukamp § 18 Rn. 6. 3 EIOPA Report on Best Practices on Licencing Requirements, Peer-to-Peer Insurance and the Principle of Proportionality in an InsurTech Context v. 19.3.2019, S. 10. 4 In diesem Sinne auch Köhn/Leonhardt BaFin Journal 1/2019 13, 14. Fischer

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Einführung

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stellen, nicht als InsurTechs, weil sie nicht neu in den Versicherungsmarkt eintreten. Von der Begriffsumschreibung umfasst sind hingegen Direktversicherer, Preisvergleichsportale und auf den Versicherungssektor spezialisierte IT-Anbieter, weil diese bereits bei Markteintritt in der Regel ein technologiebasiertes Geschäftsmodell verfolgt haben.5 Um als InsurTech bezeichnet zu werden, ist es schließlich auch nicht erforderlich, dass das betreffende Unternehmen ausschließlich im Versicherungsmarkt tätig ist. Dies gilt besonders für Dienstleister. Das jeweilige Geschäftsmodell muss aber jedenfalls auch eine spezifische Ausrichtung oder gar den wesentlichen Fokus auf den Versicherungsmarkt haben. Dies fehlt beispielsweise bei Anbietern von Lösungen für qualifizierte elektronische Signaturen. Diese sind zwar im Versicherungssektor von Relevanz, das zugrundeliegende Geschäftsmodell funktioniert aber ohne wesentliche Anpassungen als Dienstleistung für unzählige Branchen.

II. Überblick über die derzeitigen Geschäftsmodelle Die InsurTech-Branche ist sehr dynamisch, so dass jede Darstellung von Geschäftsmodellen 4 nur eine Momentaufnahme sein kann. In den ersten Jahren war in Deutschland eine starke Fokussierung auf Geschäftsmodelle im Bereich der Versicherungsvermittlung zu beobachten; zahlenmäßig sind die meisten InsurTechs auch nach wie vor im Bereich oder jedenfalls in Teilbereichen der Versicherungsvermittlung tätig. Ab 2017 folgten die ersten Lizenzierungen von Digitalversicherern. Mittlerweile ist das Bild der InsurTech-Branche bezüglich der einzelnen Geschäftsmodelle so vielfältig, dass eine weitere Kategorisierung in Wellen dem tatsächlichen Bild nicht hinreichend gerecht würde. Bereits heute sind auf dem deutschen Markt in jedem Segment der Versicherungswertschöpfungskette InsurTechs tätig. Hieran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, weil technologiegetriebene Geschäftsmodelle in allen Segmenten der Wertschöpfungskette wesentliche Effizienzsteigerungen bieten können. Es wird allerdings zu weiteren Innovationen und Verschiebungen in der Gewichtung der einzelnen Segmente der Wertschöpfungskette kommen. In dem Wissen, dass eine Darstellung der Geschäftsmodelle der InsurTech-Branche in 5 Deutschland weder in Bezug auf den Status Quo noch auf die zukünftigen Entwicklungen abschließend sein kann, wird nachfolgend eine Kategorisierung der wesentlichen Geschäftsmodelle vorgenommen, um einen Referenzpunkt für deren rechtlichen Rahmenbedingungen zu haben. Vorab sei darauf hingewiesen, dass in Abhängigkeit vom Geschäftsmodell der Bezeich- 6 nungsschutz nach § 6 VAG vor Aufnahme des Geschäftsbetriebs von großer Bedeutung ist. Für InsurTechs ist die Firmierung im Hinblick auf Marktplatzierung und weiteres Marketing naturgemäß sehr wesentlich. Die Beachtung des in § 6 VAG geregelten Bezeichnungsschutzes besitzt daher nicht nur rechtlich, sondern auch geschäftspolitisch hohe Relevanz. Um den Bezug zur Versicherungswirtschaft herzustellen, besteht häufig ein gewisses Bedürfnis, eine Firma zu wählen, die dies auch zum Ausdruck bringt. Hier ist allerdings für alle InsurTechs, die keine Versicherungsunternehmen im Sinne von § 7 Nr. 33 VAG sind, Vorsicht geboten. Der Bezeichnungsschutz umfasst die Bezeichnungen „Versicherung“, „Versicherer“, „Assekuranz“, „Rückversicherung“, „Rückversicherer“ oder entsprechende fremdsprachliche Bezeichnungen. Diese Bezeichnungen dürfen nur von einem Versicherungsunternehmen (§ 7 Nr. 33 VAG) verwendet werden sowie von Versicherungsvermittlern, wenn sie bei letzteren mit einem Zusatz versehen sind, der die Vermittlereigenschaft klarstellt (§ 6 Abs. 1 VAG). Bei einem Verstoß gegen den Bezeichnungsschutz muss das Registergericht die Firma, den Firmenzusatz oder den Unternehmensgegenstand von Amts wegen löschen (§ 6 Abs. 4 VAG).

5 Van der Linden/Millie/Anderson/Chishti/Ricciardi S. 7. 433

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InsurTech

1. Digitalversicherer 7 Als Digitalversicherer bezeichnet man neu etablierte Risikoträger, die unter Nutzung einer modernen IT-Anwendungsstruktur und ohne bestehende Produkte, Systeme, Strukturen und Personal einen Geschäftsbetrieb aufbauen, um vollständig digital Produkte anbieten zu können. Dabei bilden Digitalversicherer regelmäßig alle Kernversicherungsprozesse, also Produktentwicklung, Vertrieb und Marketing sowie Schadenmanagement, aus einer Hand ab und versprechen ihren Kunden effizientere und transparente Prozesse aufgrund der Nutzung moderner Technologien. 8 Mitte 2020 waren in Deutschland zehn sogenannte digitale Versicherer zugelassen; mit einer Ausnahme6 alle als Schaden- und Unfallversicherer. Darüber hinaus sind auch einige Digitalversicherer im Wege des freien Dienstleistungsverkehrs in Deutschland tätig. Die meisten Digitalversicherer machen zu der Anzahl ihrer Kunden keine konkreten Angaben. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass die Kundengewinnung eine, wenn nicht gar die wesentliche Herausforderung für die Digitalversicherer darstellt. So hat beispielsweise ein Digitalversicherer, der zunächst bewusst auf einen Maklervertrieb und Provisionszahlungen verzichtet hat, um die Vertriebskosten gering zu halten, nach mehreren Monaten der Geschäftstätigkeit verkündet, das Geschäftsmodell entsprechend anzupassen.7

2. InsurTechs in der Versicherungsvermittlung 9 Zahlenmäßig sind in Deutschland gegenwärtig die meisten InsurTechs zumindest teilweise im Bereich der Versicherungsvermittlung tätig. Dort sind die Geschäftsmodelle sehr vielfältig. Sie reichen von reinen Digitalvermittlern über Vergleichsportale, Versicherungsordner mit Maklervollmacht bis hin zu Anbietern von Ausschnittsdeckungen, um nur Einige zu nennen. Eine besondere Ausprägung von Versicherungsvermittlern sind Assekuradeure. Hierbei 10 handelt es sich um mit weitreichenden Vollmachten ausgestattete Mehrfachversicherungsvertreter im Sinne des § 59 Abs. 2 VVG, die als Vertreter im Sinne der §§ 164 ff. BGB für die Versicherer agieren.8 Die Rechtsfigur des Assekuradeurs, die traditionell in der Transportund Seeversicherung eine große Rolle spielt,9 erlebt im InsurTech-Sektor gerade eine Art Renaissance.10 Da Assekuradeure regelmäßig mit Abschlussvollmachten im Sinne des § 71 VVG ausgestat11 tet sind11 und je nach Ausgestaltung des Agenturvertrags mit dem Versicherer unter anderem auch weitreichende Kompetenzen bei der Schadenbearbeitung, der Produktgestaltung und Tarifierung haben, bietet diese Rechtsfigur wesentliche Vorteile für InsurTechs. InsurTechs haben als Assekuradeure eine größere Freiheit ihre Versprechen in Bezug auf ihr sich vom traditionellen Markt unterscheidenden Geschäftsmodell auch tatsächlich umzusetzen, als ein gewöhnlicher Versicherungsvertreter, der lediglich die fertigen Versicherungsprodukte eines Versicherers vertreibt. Im Rahmen des mit dem Versicherer abgeschlossenen Agenturvertrags können InsurTechs als Assekuradeure neben den Prozessen aber auch die Produkte an die von ihnen angestrebte Customer Experience anpassen. Darüber hinaus besteht für sie die Möglichkeit die aus dem Abschluss- und Schadenbearbeitungsprozess gewonnenen Erkenntnisse und Daten zur 6 Die Ausnahme ist der digitale Krankenversicherer ottonova. 7 https://versicherungsmonitor.de/2019/07/11/ottonova-arbeitet-mit-provisionen. 8 Höra/Gercke/Gerhard § 11 Rn. 34. 9 Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 59 Rn. 29. 10 Vgl. bezüglich haftungsrechtlicher und steuerlicher Implikationen für Assekuradeure und „Pseudo-Assekuradeure“ Richartz/Willmann ZfV 2020 147. 11 Beckmann/Matusche-Beckmann/Heiss/Trümper § 38 Rn. 114. Fischer

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Verbesserung ihres Angebots heranziehen. Schließlich müssen sie nicht die strengen Kapitalanforderungen eines Versicherungsunternehmens erfüllen. Einige InsurTechs nutzen die Rechtsfigur des Assekuradeurs aber auch nur als Durchgangsstadium zum Risikoträger.12

3. Peer-to-Peer Versicherung Eine der ersten Erscheinungsformen auf dem deutschen InsurTech-Markt war ein Peer-to-Peer Versicherungsmodell. Solche Modelle basieren auf einem Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Gemeinschaft, die Risiken selbst trägt und im Schadenfall hierfür haftet. Die einzelnen Mitglieder einer Gemeinschaft schließen untereinander Vereinbarungen und bilden gemeinsam eine bestimmte Haftungsmasse. Die jeweilige Haftungsmasse dient in den meisten Modellen allerdings nur zur Deckung eines Teils der Schäden der Gemeinschaft. Der verbleibende Teil wird dann häufig durch einen Risikoträger versichert. Auf dem Markt sind gegenwärtig im Wesentlichen die folgenden drei Ausprägungen von Peer-to-Peer Versicherungen zu beobachten.13 Die Peer-to-Peer Plattform wird von einem Risikoträger betrieben.14 Neben der Bereitstellung der technischen Infrastruktur versichert er dann die Risiken der Mitglieder einer solchen Gemeinschaft, die nicht von der Vereinbarung zwischen den Mitgliedern der jeweiligen Gemeinschaft erfasst sind, zumeist eine Art Exzedenten, sowie das Risiko, dass die Haftungsmasse nicht zur Deckung sämtlicher Schäden für die die Mitglieder untereinander einstehen, ausreicht. Der Plattformbetreiber der Peer-to-Peer Versicherung ist Versicherungsvermittler.15 Er stellt wie im Falle einer durch einen Risikoträger betriebenen Plattform die technische Infrastruktur und vermittelt den Mitgliedern einer Gemeinschaft dann den entsprechenden Versicherungsschutz. Schließlich gibt es im Bereich der Peer-to-Peer Versicherung auch Betreiber von Plattformen, die lediglich als technischer Dienstleister der Plattform fungieren.16 Auch sie stellen den jeweiligen Gemeinschaften regelmäßig die erforderliche technische Infrastruktur zur Verfügung und bieten darüber hinaus administrative Dienste, wie die Zusammenstellung einer Gemeinschaft oder den effektiven Einsatz von Blockchain-Modellen, an. Allerdings gewähren sie den Mitgliedern einer Gemeinschaft weder Versicherungsschutz noch vermitteln sie ihn.

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4. InsurTechs als Dienstleister Zahlreiche technologiebasierte Dienstleister werden dem InsurTech-Sektor zugerechnet, weil sie 16 zumindest auch eine spezifische Ausrichtung auf den Versicherungsmarkt haben. Die Bandbreite ist hier ebenfalls sehr groß. Sie reicht von Anbietern von Chatbots, Authentifizierungssoftware über Anbieter im Bereich Predictive Analytics und der Kundenschnittstellen bis hin zu Dienstleister im Schaden- und Leistungsmanagement. Die Leistungen, die von diesen Dienstleistern erbracht werden, bedienen häufig nur einen 17 sehr speziellen Aspekt eines Segments in der Wertschöpfungskette. Aufgrund der Vielfältigkeit der Geschäftsmodelle wird in diesem Beitrag auf diese Dienstleister nur sehr punktuell eingegangen. 12 So auch Bierschenk ZfV 2016 707. 13 Siehe hierzu auch EIOPA Report on Best Practices on Licencing Requirements, Peer-to-Peer Insurance and the Principle of Proportionality in an InsurTech Context v. 19.3.2019, S. 26.

14 So beispielsweise Lemonade. 15 So beispielsweise friendsurance. 16 So beispielsweise elinor. 435

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InsurTech

B. Die Beaufsichtigung von InsurTech 18 Ein digitales Geschäftsmodell oder die Nutzung spezifischer Technologien haben für sich genommen keinen Einfluss auf die aufsichtsrechtliche Einordnung eines Unternehmens.17 Ob und inwieweit InsurTechs beaufsichtigt sind, hängt vielmehr von dem konkreten Geschäftsmodell des einzelnen InsurTechs ab.18 In Deutschland unterliegen Digitalversicherer der Aufsicht der BaFin (siehe hierzu im Einzelnen Rn. 21 ff.). InsurTechs, die als Versicherungsvermittler tätig sind, werden durch die örtliche Industrie- und Handelskammer (IHK) nach gewerberechtliche Vorschriften beaufsichtigt (siehe hierzu im Einzelnen Rn. 111 ff.). Sonstige Dienstleister der Versicherungsbranche unterliegen hingegen regelmäßig keiner spezifischen Aufsicht. Je nach Geschäftsmodell sind allerdings beispielsweise besondere berufsständische Regelungen zu beachten. 19 Im Hinblick auf die Förderung innovativer digitaler Geschäftsmodelle unterscheiden sich auch innerhalb der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums die Herangehensweisen der nationalen Aufsichtsbehörden in Bezug auf die Beaufsichtigung von InsurTechs. Während manche Mitgliedstaaten gar keine besonderen Initiativen ergriffen haben, richteten einige wenige Mitgliedstaaten sogenannte regulatorische Sandkästen19 ein. Die Mehrzahl aber greift auf sogenannte Innovation Hubs zurück.20 Sowohl die regulatorischen Sandkästen als auch die Innovation Hubs sollen InsurTechs den Eintritt in eine stark regulierte Industrie wie der Versicherungswirtschaft erleichtern. Die Innovation Hubs dienen Unternehmen regelmäßig als Anlaufstelle, um InsurTech-spezifische Fragestellungen, die sich in Bezug auf innovative Produkte oder Geschäftsmodelle dieser InsurTech im Zusammenhang mit der Zulassung und der laufenden Aufsicht stellen, mit den zuständigen Behörden zu klären. Regulatorische Sandkästen hingegen ermöglichen den InsurTechs ihr Produkt oder Geschäftsmodell im Rahmen eines mit der Aufsichtsbehörde abgestimmten Testplans unter strenger Beobachtung der Aufsichtsbehörde in einer „realen“ Umgebung auszuprobieren.21 Die „reale“ Umgebung bezieht sich beispielsweise in Großbritannien entweder auf Kunden, die hierzu explizit ihre Einwilligung erklärt haben, oder auf eine Umgebung, in der die anwendbaren Regelungen von der Aufsichtsbehörde auf den spezifischen Fall zugeschnitten wurden.22 20 Die Unterschiede in der Förderung innovativer Geschäftsmodelle im Versicherungssektor dürfen aber nicht dahingehend verstanden werden, dass auch in der Aufsicht über InsurTechs fundamentale Unterschiede bestehen. Vielmehr sind die Regelungen zur Beaufsichtigung von Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittlern durch das Solvency II-Regime und die IDD-Richtlinie innerhalb der Europäischen Union in weiten Teilen harmonisiert. Es besteht zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden auch prinzipiell Einigkeit darüber, dass die Aufsicht von InsurTech grundsätzlich den gleichen Regeln folgt, wie die Beaufsichtigung der traditionellen Marktteilnehmer.23 Auf europäischer Ebene wird darauf hingewiesen, dass die nationalen Aufsichtsbehörden auch bei den regulatorischen Sandkästen die einschlägigen EU-Finanzmarktvorschriften anwenden müssen und nur bestehende Ermessenspielräume bei der Ausgestaltung nutzen dürfen.24 Allerdings bewegen sich nicht alle Testläufe tatsächlich klar in diesem Rahmen.25 17 EIOPA Report on Best Practices on Licencing Requirements, Peer-to-Peer Insurance and the Principle of Proportionality in an InsurTech Context v. 19.3.2019, S. 10. 18 Siehe EIOPA Report on Best Practices on Licencing Requirements, Peer-to-Peer Insurance and the Principle of Proportionality in an InsurTech Context v. 19.3.2019, S. 34; Kunschke/Schaffelhuber/Fischer Teil F. Rn. 8. 19 Dabei handelt es sich um Dänemark, Litauen, Polen, die Niederlande und bis zum Brexit auch Großbritannien. 20 Siehe auch FinTech: Regulatory sandboxes and innovation hubs, Joint Report der ESAs v. 7.1.2019; abrufbar unter: https://eba.europa.eu/esas-publish-joint-report-on-regulatory-sandboxes-and-innovation-hubs. 21 Vgl. zu den Verfahren der regulatorischen Sandkästen Krimphove/Rohwetter BKR 2018 494, 495 f. 22 Siehe hierzu im Einzelnen: Kunschke/Schaffelhuber/Huertas Teil E. Rn. 19. 23 EIOPA Report on Best Practices on Licencing Requirements, Peer-to-Peer Insurance and the Principle of Proportionality in an InsurTech Context v. 19.3.2019, S. 10. 24 EU-Kommission FinTech-Aktionsplan COM (2018) 109 final. 25 Krimphove/Rohleder BKR 2018 494, 496; Sassenberg/Faber/Schaloske/Wagner § 18 Rn. 6. Fischer

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Die Beaufsichtigung von InsurTech

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I. Versicherungsunternehmen Die Solvency II-Richtlinie26 gibt für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor, dass Ver- 21 sicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, die in ihren Anwendungsbereich fallen, einer Zulassung bedürfen. Die Richtlinie sieht bestimmte Ausnahmen vom Anwendungsbereich vor (Artikel 4 bis 12 Solvency II-Richtlinie). Die Ausnahmetatbestände umfassen auch Versicherungsunternehmen, die bestimmte Anforderungen im Hinblick auf Schwellenwerte zum Geschäftsvolumen und zur Reichweite der Geschäftstätigkeit erfüllen (Artikel 4 Solvency II-Richtlinie). Für diese sogenannten kleinen Versicherungsunternehmen ist das Aufsichtsregime durch den nationalen Gesetzgeber zu bestimmen. Insgesamt ist das Aufsichtsrecht neutral gegenüber allen Aufsichtsobjekten. Im Zusammen- 22 hang mit der Beaufsichtigung von InsurTechs betont die BaFin stets, dass sie basierend auf ihrer technologieneutralen, prinzipienbasierten, verhältnismäßigen und proportionalen Regulierung eine risikoorientierte und wettbewerbsneutrale Aufsicht über etablierte wie neue Marktteilnehmer betreibe und sich der Herstellung eines einheitlichen Level Playing Fields anders ausgedrückt an dem bewährten Grundsatz „gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regulierung“ orientiere.27 Dies bedeutet für InsurTechs, dass ein digitales Geschäftsmodell oder die Nutzung spezifischer Technologien als solches keine besondere Erlaubnis- oder Genehmigungspflicht auslösen. Gleichzeitig heißt das aber auch, dass allein aus dem Umstand des neuen Markteintritts keine Erleichterungen im Hinblick auf die Beaufsichtigung folgen. Ein InsurTech mit Sitz in Deutschland, das den Betrieb von Versicherungsgeschäft zum 23 Gegenstand hat, ohne Träger der Sozialversicherung zu sein, ist ein Versicherungsunternehmen im Sinne des § 7 Nr. 33 VAG. Als solches bedarf es zum Geschäftsbetrieb einer Erlaubnis der BaFin (§ 8 Abs. 1 VAG). Nach Erlaubniserteilung unterliegt die weitere Geschäftstätigkeit dieses InsurTechs dann der laufenden Aufsicht der BaFin (§§ 294 ff. VAG). Für kleine Versicherungsunternehmen hat der deutsche Gesetzgeber ein gesondertes Aufsichtsregime implementiert (§§ 211 ff. VAG). Danach gelten grundsätzlich auch für kleine Versicherungsunternehmen die gleichen Regelungen wie für Versicherungsunternehmen, die dem Solvency II-Regime unterfallen, sofern nicht Kapitel 5 des Versicherungsaufsichtsgesetzes Sonderregelungen vorsieht.28 Die Sonderregelungen beziehen sich insbesondere auf die Governance-Anforderungen, Kapitalanforderungen und das Berichtswesen. Insgesamt gelten sie als weniger belastend. Mit Ausnahme derjenigen Digitalversicherer, die unmittelbar grenzüberschreitend tätig werden möchten oder Haftpflicht-, Kredit- oder Kautionsversicherungsrisiken decken, dürften viele jedenfalls in der Anfangsphase die Anforderungen an kleine Versicherungsunternehmen erfüllen.29 Die BaFin macht von der Möglichkeit, diese Erleichterungen auch für InsurTechs anzuwenden, allerdings nur recht zurückhaltend Gebrauch.

1. Zulassungsaufsicht Ein InsurTech benötigt eine Erlaubnis nach § 8 Abs. 1 VAG, wenn es Versicherungsgeschäft im 24 Sinne des § 7 Nr. 33 VAG betreibt. Der Begriff des „Versicherungsgeschäfts“ wurde vom Gesetzgeber bewusst nicht definiert, um etwaige Entwicklungen in diesem Bereich nicht von vorneherein auszuschließen.30 Auch wenn es zahlreiche unterschiedliche Definitionsansätze u. a. rechtswis26 RL 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) ABl. L 335 v. 17.12.2009, S. 1. 27 Beispielsweise Digitalisierungsstrategie der BaFin aus August 2018, S. 6 abrufbar unter https://www.bafin.de/ SharedDocs/Downloads/DE/dl_digitalisierungsstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=5. 28 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Kaulbach § 212 Rn. 1. 29 Bierschenk ZfV 2016 707, 708; Kunschke/Schaffelhuber/Fischer Einleitung F. Rn. 13. 30 Vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 56. 437

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InsurTech

senschaftlicher Natur gibt,31 orientiert sich die Praxis weitgehend an der merkmalbezogenen Definition des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1992. Danach betreibt ein Unternehmen Versicherungsgeschäft, wenn es gegen Entgelt für den Fall eines ungewissen Ereignisses bestimmte Leistungen übernimmt, wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt.32 Zudem muss die Risikoübernahme selbständiger Inhalt der vertraglichen Verpflichtung sein und ein Rechtsanspruch auf die Leistung bestehen.33 Sollte nicht eindeutig sein, ob aufgrund des Geschäftsmodells erlaubnispflichtiges Versiche25 rungsgeschäft betrieben wird, wie dies beispielsweise je nach Ausgestaltung bei Peer-to-Peer Versicherungsmodellen der Fall ist (siehe hierzu ausführlicher Rn. 12 ff.), klären InsurTechs dies in der Praxis häufig im Vorfeld mit der BaFin. Hierdurch kann einer Sanktionierung für unerlaubtes Betreiben von Versicherungsgeschäft vorgebeugt werden. Das unerlaubte Betreiben von Versicherungsgeschäft ist zum einen nach § 331 Abs. 1 Nr. 1 VAG strafbewehrt und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden. Zum anderen kann es zur unmittelbaren Untersagung des Geschäftsbetriebs durch die BaFin führen. Die BaFin kann in einem solchen Fall die sofortige Einstellung des Geschäftsbetriebs und die unverzügliche Abwicklung der Geschäfte anordnen (§ 308 Abs. 1 VAG).

26 a) Allgemeines. Das Erlaubnisverfahren kann nicht von Amts wegen durch die Aufsichtsbehörde eingeleitet werden, sondern der Digitalversicherer muss einen Antrag nach § 8 Abs. 1 S. 1 VAG stellen.34 Als Bestandteil der Antragsunterlagen sind von dem Digitalversicherer die in § 9 VAG spezifizierten Unterlagen einzureichen. Anhand dieser Unterlagen prüft die BaFin, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis für die Versicherungstätigkeit des Digitalversicherers erfüllt sind.35 Der Erlaubnisantrag unterliegt keinen besonderen gesetzlichen Formerfordernissen; das Ge27 setz sieht insbesondere nicht zwingend einen Antrag in Schriftform vor.36 Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es vielmehr grundsätzlich auch möglich, den Antrag z. B. per E-Mail zu stellen. Zahlreiche mit dem Erlaubnisantrag einzureichende Unterlagen können ebenfalls per E-Mail eingereicht werden. Diese Möglichkeit besteht hingegen nicht für die gesellschaftsrechtliche Gründungsdokumentation,37 die Niederschrift über die Hauptversammlung, in der die zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts erforderlichen Satzungsänderungen beschlossen worden sind,38 die Dokumentation zur Zuverlässigkeit der Organmitglieder und der Personen mit Schlüsselfunktionen sowie bestimmte Unterlagen im Zusammenhang mit den Angaben zu Inhabern einer bedeutenden Beteiligung an dem Digitalversicherer. 28 Für Versicherungsunternehmen besteht ein Rechtsformzwang (§ 8 Abs. 2 VAG), so dass einem Digitalversicherer nur die Erlaubnis zum Betrieb des (Rück-) Versicherungsgeschäfts erteilt werden kann, wenn es die Rechtsform einer deutschen oder europäischen Aktiengesellschaft, eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit besitzt oder eine Anstalt oder Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. In der Praxis kommen Digitalversicherer bislang und wohl 31 32 33 34 35 36 37

Vgl. hierzu u. a. Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 7 Rn. 70 ff.; Prölss/Dreher/Präve § 1 Rn. 24 ff. St. Rspr. BVerwG, vgl. nur BVerwG v. 29.9.1992 – 1 A 26/91 –, VersR 1993, 1217 f. m. w. N. BVerwG v. 29.9.1992 – 1 A 26/91 –, VersR 1993, 1217, 1218. Prölss/Dreher/Präve § 9 Rn. 6. Vgl. hierzu auch Looschelders/Pohlmann/Schröder Einleitung D. Rn. 72. Bähr/Kaulbach § 2 Rn. 10. Die Gründungsdokumentation ist der BaFin entweder als Ausfertigung oder in notariell beglaubigter Form einzureichen; vgl. hierzu BaFin Merkblatt zur Zulassung von Versicherungs-Aktiengesellschaften zum Betrieb von Schaden- und Unfallversicherung v. 15.12.2016 Ziffer I. 38 Das Protokoll ist der der BaFin entweder als Ausfertigung oder in notariell beglaubigter Form einzureichen; vgl. hierzu BaFin Merkblatt zur Zulassung von Versicherungs-Aktiengesellschaften zum Betrieb von Schaden- und Unfallversicherung v. 15.12.2016 Ziffer II., 3. Fischer

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Die Beaufsichtigung von InsurTech

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auch zukünftig nur in der Rechtsform der Aktiengesellschaft vor; die übrigen Rechtsformen sind in der Regel etwas starrer oder öffentlichen Trägern vorbehalten. Die BaFin muss bzw. kann die Erteilung der Erlaubnis nur verweigern, wenn ein zwingender 29 Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 oder ein relativer Versagungsgrund im Sinne des § 11 Abs. 2 VAG vorliegt. Ein zwingender Versagungsgrund im Sinne des § 11 Abs. 1 VAG liegt vor, wenn sich aus den Antragsunterlagen nicht hinreichend ergibt, dass die Verpflichtungen aus den Versicherungen als dauernd erfüllbar dargetan sind (Nr. 1) oder die Mitglieder der Geschäftsleitung und/oder des Aufsichtsrats nicht den Anforderungen an die Zuverlässigkeit und fachliche Eignung genügen (Nr. 2). Gleiches gilt bei Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass ein Inhaber einer bedeutenden Beteiligung bzw. der gesetzlichen Vertreter nicht zuverlässig ist oder aus sonstigen Gründen nicht den im Interesse einer soliden und umsichtigen Leitung des Unternehmens zu stellenden Ansprüche genügt oder wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die aufgebrachten Mittel aus einer Straftat stammen (Nr. 3). Schließlich sieht § 11 Abs. 1 Nr. 4 VAG für Erstversicherungsunternehmen noch zusätzliche absolute Untersagungsgründe bei fehlender Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern der Mutter vor, wenn diese eine Versicherungsholding-Gesellschaft ist (Nr. 4b), wenn nach dem Geschäftsplan die Belange der Versicherten nicht ausreichend gewahrt sind (Nr. 4a) und – im Fall eines Krankenerstversicherers – wenn ein Verdacht auf Umgehung von § 204 VVG besteht (Nr. 4c). Die BaFin kann die Erlaubnis versagen (§ 11 Abs. 2 VAG), wenn zu befürchten ist, dass eine 30 wirksame Aufsicht über das Versicherungsunternehmen beeinträchtigt wird. Als Regelbeispiele führt § 11 Abs. 2 VAG das Bestehen einer komplexen Beteiligungsstruktur, das Fehlen einer wirksamen Beaufsichtigung von Personen innerhalb einer komplexen Beteiligungsstruktur aufgrund anderer aufsichtsbehördlicher Zuständigkeiten oder das Fehlen einer Beaufsichtigung in angemessener Weise an.

b) Geschäftsplan. Herzstück eines jeden Erlaubnisantrags zum Betreiben des Versicherungs- 31 geschäfts ist der Geschäftsplan. Der Geschäftsplan soll den Umfang des Geschäftsbetriebs sowie die nachhaltige Kapitalausstattung des Unternehmens abbilden und legt bei erfolgreicher Erlaubnis den Umfang der Tätigkeit des Versicherungsunternehmens fest.39 Er muss den Zweck und die Einrichtung des Versicherungsunternehmens, das Gebiet des 32 beabsichtigten Geschäftsbetriebs sowie die Verhältnisse darlegen, aus denen sich die künftigen Verpflichtungen des Versicherungsunternehmens als dauerhaft erfüllbar ergeben sollen (§ 9 Abs. 1 VAG). Als weitere Bestandteile des Geschäftsplans sind nach § 9 Abs. 2 VAG die Satzung, Angaben über die Versicherungsparten und die Risiken einer Versicherungssparte, die gedeckt werden sollen, Grundzüge der Rückversicherung und Retrozession, Angaben über die Basiseigenmittelbestandteile, die die absolute Grenze der Mindestkapitalanforderungen bedecken sollen und, sofern erforderlich, Angaben zum Organisationsfonds einzureichen. Zusätzlich hat das antragstellende Unternehmen eine Plan-Gewinn-und-Verlustrechnung 33 sowie Schätzungen der Aufwendungen für die ersten drei Geschäftsjahre als Bestandteil des Geschäftsplans vorzulegen (§ 9 Abs. 3 Nr. 1–4 VAG). Nichtlebensversicherer und Rückversicherer müssen zudem eine Übersicht über alle voraussichtlichen Verwaltungskosten sowie eine Übersicht über die voraussichtlichen Beitragsaufkommen und Schadenbelastungen einreichen (§ 9 Abs. 3 Nr. 5 VAG). Lebensversicherer hingegen müssen einen Plan einreichen, aus dem die Schätzungen der Einnahmen und Ausgaben bei Erstversicherungsgeschäften und im aktiven und passiven Rückversicherungsgeschäft im Detail hervorgehen (§ 9 Abs. 3 Nr. 6 VAG).

c) Sonstige Unterlagen. Neben dem Geschäftsplan sind mit dem Erlaubnisantrag nach § 9 34 Abs. 4 VAG Angaben zur Geschäftsorganisation einschließlich der Angaben zur Beurteilung von 39 Erbs/Kohlhaas/Wache/Lutz § 9 Rn. 2. 439

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Eignung und Zuverlässigkeit der Geschäftsleiter und Schlüsselfunktionsinhaber, Angaben zu Unternehmensverträgen und zu Ausgliederungsverträgen über wichtige Funktionen und Tätigkeiten (Nr. 1 VAG), sofern bedeutende Beteiligungen an dem Digitalversicherer gehalten werden, Angaben und Unterlagen zu Inhabern einer bedeutenden Beteiligung (Nr. 2), Angaben zu engen Verbindungen (Nr. 3) sowie gegebenenfalls noch spartenspezifische Angaben beizufügen.

35 d) Wesentliche Aspekte bei Digitalversicherern. In dem Geschäftsplan ist das Gebiet des beabsichtigten Geschäftsbetriebs anzugeben. Der antragstellende Digitalversicherer muss also darstellen, ob und in welchen anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums das Versicherungsgeschäft betrieben werden soll. Digitalversicherer sollten diesen Aspekt sowohl im Erlaubnisverfahren, aber auch nach Erlaubniserteilung besonders im Blick haben, da aufgrund der digitalen Kundenansprache ein gewisses Risiko besteht, dass Versicherungsverträge auch von Versicherungsnehmern nachgefragt werden, die sich außerhalb des räumlichen Anwendungsbereiches der Erlaubnis des Digitalversicherers befinden.40 Deckt ein Digitalversicherer Risiken in einem anderen EU/EWR-Staat, so betreibt er grund36 sätzlich Versicherungsgeschäft in diesem Staat und muss die entsprechende Geschäftstätigkeit bei der BaFin gemäß § 59 VAG anzeigen. Vor dem Hintergrund, dass der Online-Abschluss eines Versicherungsvertrags auch mit Kunden außerhalb Deutschlands über im Ausland belegene Risiken technisch problemlos möglich, ist in diesem Zusammenhang seitens des Digitalversicherers darauf zu achten, dass ohne erfolgreich durchlaufenes Notifikationsverfahren keine Risiken gedeckt werden. Zwar erfordert die Pflicht zur Notifikation in Bezug auf die Aufnahme der Geschäftstätigkeit im Ausland grundsätzlich auch ein voluntatives Element auf Seiten des Digitalversicherers.41 In der Praxis zeigt sich jedoch, dass EU/EWR-Staaten den Begriff des Betreibens von Versicherungsgeschäft nicht einheitlich auslegen. Insbesondere der Abschluss eines Versicherungsvertrags im Wege der Korrespondenzversicherung42 wird in den meisten anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten nicht als erlaubnisfreie Tätigkeit angesehen. Damit besteht die Möglichkeit, dass den Digitalversicherer in Deutschland keine Verpflichtung zur Anzeige nach § 59 VAG trifft, die Geschäftstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat jedoch als Betreiben von Versicherungsgeschäft gilt. Aufgrund dessen müssen Digitalversicherer die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um sicherzustellen, dass kein unerlaubtes Versicherungsgeschäft in anderen EU/EWR-Staaten betrieben wird. Neben Zeichnungsrichtlinien, die eine Zeichnung von Risiken ausschließen, die nicht in einem EU/EWR-Staat belegen sind, in dem der Digitalversicherer aufgrund seiner Erlaubnis berechtigt ist Geschäft zu betreiben, sollte gegebenenfalls ein Geoblocking-Tool43 eingesetzt werden. Nach dem sogenannten Single-License Prinzip gilt die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb eines 37 Versicherungsunternehmens grundsätzlich für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Vertragsstaaten des europäischen Wirtschaftsraums.44 Die tatsächliche Tätigkeit im Wege des freien Dienstleistungsverkehrs oder über eine Niederlassung in anderen EU/EWR-Staaten setzt allerdings eine Anzeige bei der Herkunftslandbehörde voraus.45 Ein Digitalversicherer, der seiner Geschäftstätigkeit auch in anderen EU/EWR-Staaten nachgehen möchte, wird in der Regel im Rahmen

40 Kunschke/Schaffelhuber/Fischer Teil F. Rn. 28. 41 Langheid/Wandt/Grote Versicherungsrecht Rn. 381. 42 Zu den Voraussetzungen für das Vorliegen einer Korrespondenzversicherung siehe Bruck/Möller/Baumann/Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 98.

43 Die Verordnung (EU) 2018/302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.2.2018 über Maßnahmen gegen ungerechtfertigtes Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarktes findet nach Erwägungsgrund (8) keine Anwendung auf Finanzdienstleistungen. 44 U. a. Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 60 Rn. 5; Prölss/Dreher/Präve § 10 Rn. 5. 45 Prölss/Dreher/Präve § 60 Rn. 2. Fischer

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des freien Dienstleistungsverkehrs und nicht über eine Niederlassung tätig werden. Hierzu muss der Digitalversicherer der BaFin gemäß § 59 VAG den oder die EU/EWR-Staaten mitteilen, in denen er tätig werden möchte und die Versicherungssparten und Risiken, die er beabsichtigt in den betreffenden Staaten zu decken, anzeigen.46 Sofern dies nicht bereits im Rahmen des ursprünglichen Erlaubnisverfahrens erfolgt, prüft die BaFin innerhalb von einem Monat ab Einreichung der vollständigen Unterlagen, ob die rechtlichen Voraussetzungen, u. a. die erforderlichen Spartenzulassungen in Deutschland, vorliegen und der Digitalversicherer auch nach der Ausdehnung des Geschäftsgebiets und -betriebs über ausreichend Eigenmittel verfügt. Ist dies der Fall, übermittelt sie der Aufsichtsbehörde des Staates, in dem die Geschäftstätigkeit im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit aufgenommen werden soll, die eingereichten Unterlagen und eine von ihr ausgestellte Solvabilitätsbescheinigung und setzt den Digitalversicherer hierüber in Kenntnis. Der Digitalversicherer kann nach Kenntniserlangung die entsprechende Geschäftstätigkeit im Wege der Dienstleistungsfreiheit aufnehmen. Dem Erlaubnisantrag ist nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 VAG ein Antrag auf Genehmigung der Satzung 38 beizufügen, die zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts beschlossen wurde. Bei der Ausgestaltung der Satzung sind die für Versicherungsunternehmen geltenden Besonderheiten zu berücksichtigen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf den Unternehmensgegenstand und die Anzahl der Vorstandsmitglieder. Im Hinblick auf den Unternehmensgegenstand ist von Erstversicherungsunternehmen vor allem § 15 Abs. 1 VAG zu beachten, wonach ein Versicherungsunternehmen nur Geschäfte betreiben darf, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft stehen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf Zusatzleistungen oder sonstige Dienstleistungen, die in den Geschäftsmodellen von Digitalversicherern häufig eine besondere Rolle spielen, zu berücksichtigen. Hier ist zwingend darauf zu achten, dass die Schwelle zum versicherungsfremden Geschäft nach § 15 Abs. 1 VAG nicht überschritten wird (vgl. Rn. 74 ff.). Im Hinblick auf die Anzahl der Vorstandsmitglieder fordert das Versicherungsaufsichtsgesetz, dass der Vorstand eines Versicherungsunternehmens mindestens über zwei Mitglieder verfügt (§§ 33 Abs. 1, 188 Abs. 1 S. 1 VAG), sog. Vier-Augen-Prinzip. Es weicht insoweit von den aktienrechtlichen Vorgaben ab, nach denen auch ein Einzelvorstand möglich ist (§ 77 AktG). Des Weiteren muss der Geschäftsplan Angaben dazu enthalten, welche Versicherungs- 39 sparten betrieben und welche Risiken innerhalb dieser Sparten gedeckt werden sollen (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 VAG). Hierbei soll neben der formellen Bezeichnung der Versicherungssparten entsprechend Anlage 1 zum VAG auch dargestellt werden, was wogegen versichert werden soll.47 Bei neuartigen Produkten und Deckungskonzepten ist genau zu analysieren, welche Spar- 40 tenerlaubnisse benötigt werden. Dies kann insbesondere im Hinblick auf die relevanten Untersparten nicht immer ganz eindeutig sein. Zudem ist im Zusammenhang mit den Angaben zu den Versicherungssparten der in Deutschland geltende strenge Spartentrennungsgrundsatz zu beachten. Nach diesem Grundsatz dürfen Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen keine weitere Sparte betreiben. Dies bedeutet, dass sich die Erlaubnis zum Betrieb der Lebensversicherung bzw. der Krankenversicherung und die Erlaubnis zum Betrieb einer anderen Versicherungssparte gegenseitig ausschließen (vgl. § 8 Abs. 4 S. 2 VAG).

2. Kapitalanforderungen an Versicherungsunternehmen Versicherungsunternehmen müssen nicht nur die gesellschaftsrechtlichen Eigenkapitalanforde- 41 rungen erfüllen, sondern zusätzlich den speziellen aufsichtsrechtlichen Eigenmittelanforde46 Sofern die Tätigkeit auch die Kraftfahrthaftpflichtversicherung umfasst, muss der Digitalversicherer zusätzlich in dem jeweiligen EU/EWR-Staat einen sogenannten Regulierungsbeauftragten bestimmen (§ 59 Abs. 1 Satz 3 VAG). 47 BaFin Merkblatt zur Zulassung von Versicherungs-Aktiengesellschaften zum Betrieb von Schaden- und Unfallversicherung v. 15.12.2016 (abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ VA/mb_161215_zulassung_schaden_unfall_erstversicherer_va.html). 441

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rungen entsprechen. Die Eigenmittel dienen als Haftungskapital und als Risikopuffer, um hohe unerwartete Verluste ausgleichen zu können.48 Deshalb muss jedes Versicherungsunternehmen anrechnungsfähige Eigenmittel in Höhe der Solvenzkapitalanforderungen und anrechnungsfähige Basiseigenmittel in Höhe der Mindestkapitalanforderungen vorhalten. Aufsichtsrechtlich werden in Bezug auf die unterschiedlichen Kapitalanforderungen also nicht alle Eigenmittel eines Versicherungsunternehmens berücksichtigt, sondern nur solche, die den qualitativen Anforderungen im Sinne der §§ 94, 95 VAG entsprechen. Abgesehen von der Höhe der vorzuhaltenden Eigenmittel stellen die aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen InsurTechs vor eine besondere Herausforderung, da im Vergleich zu Start-ups außerhalb der Finanzbranche ein höheres Maß an Eigenkapital bzw. hybriden Finanzierungsmittel, wie Nachrangdarlehen, Genussrechte oder stille Beteiligungen, vorgehalten werden muss.49 Dabei ist eine Finanzierung von Versicherungsunternehmen in Deutschland durch Fremdmittelinstrumente aufgrund des Fremdmittelaufnahmeverbots (§ 15 Abs. 1 Satz 3 VAG) nur in dem Maße möglich, wie die Fremdmittelinstrumente nach § 89 VAG als Eigenmittel einzustufen sind. Die meisten der typischen Venture Capital Finanzierungsinstrumente können auch bei der Finanzierung von Digitalversicherern eingesetzt werden, allerdings müssen diese teilweise an die aufsichtsrechtlichen Besonderheiten angepasst werden, damit sie als anrechnungsfähige Eigenmittel anerkannt werden. Dies führt nicht nur zu einem erhöhten Beratungsbedarf des Digitalversicherers in der Anfangsphase, sondern regelmäßig auch zu einem erhöhten Erklärungsbedarf gegenüber den Wagniskapitalgebern, die häufig mit diesen aufsichtsrechtlichen Besonderheiten nicht vertraut sind. Ob ein Versicherungsunternehmen den Kapitalanforderungen entspricht, wird in mehreren Stufen festgestellt.50 Zunächst werden durch die Aufstellung der Solvabilitätsübersicht nach § 74 VAG die vorhandenen Eigenmittel des Versicherers festgestellt. Dabei handelt es sich um den Überschuss der Vermögenswerte des Versicherungsunternehmens über seine Verbindlichkeiten.51 In einem zweiten Schritt werden die vorhandenen Eigenmittel in die unterschiedliche Qualitätsklassen (Tiers) eingeteilt (sogenannte qualitative Anforderungen). In einem dritten und letzten Schritt wird dann ermittelt, ob und inwieweit es sich um Eigenmittel handelt, die anrechenbar sind. Die qualitativen Anforderungen an die Eigenmittelausstattung eines Versicherungsunternehmens orientieren sich für den jeweiligen Eigenmittelbestandteil an dessen Eignung zur Verlustausgleichsfähigkeit im Zusammenhang mit der Unternehmensfortführung. Dementsprechend unterteilt das Solvency II-Regime die Eigenmittelbestandteile in drei Qualitätsklassen (§§ 91–95 VAG).52 Die Eigenmittel sind zunächst in Basiseigenmittel (§ 89 Abs. 3 VAG) und ergänzende Eigenmittel (§ 89 Abs. 4 VAG) zu unterteilen. Die ergänzenden Eigenmittel bedürfen zur Heranziehung als anrechnungsfähige Eigenmittel der vorherigen Genehmigung durch die BaFin (§ 90 Abs. 1 VAG). Sodann sind diese dann im Wege der Selbsteinschätzung in die drei Qualitätsklassen einzugruppieren. Die Einstufung erfolgt grundsätzlich anhand der Kriterien, die in § 92 VAG niedergelegt sind.53 Durch die entsprechend ermittelten Eigenmittel und deren Qualifizierung für eine der drei Qualitätsklassen wird anhand der in den §§ 94, 95 VAG bestimmten Limits ermittelt, ob die quantitativen Anforderungen an die Eigenmittelausstattung eines Versicherungsunternehmens, die das Solvency II-Regime vorsieht, erfüllt sind. Dabei sind zwei Solvabilitätsschwellen 48 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen v. 22.10.2014, BT-Drs. 18/2956, S. 260. 49 Möslein/Omlor/Heukamp § 18 Rn. 14. 50 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle § 89 Rn. 2. 51 Vgl. hierzu instruktiv Diehl/Schradin § 18 Rn. 91 f. 52 Diehl/Schradin § 18 Rn. 5. 53 Vgl. zu den Einzelheiten der Bestimmung der Qualitätsklassen u. a. Diehl/Schradin § 18 Rn. 96 ff. Fischer

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maßgeblich; zum einen die Mindestkapitalanforderungen (Minimum Capital Requirements, MCR) und zum anderen die Solvenzkapitalanforderungen (Solvency Capital Requirements, SCR). Die MCR stellen die absolute Untergrenze der Eigenmittelausstattung eines Versicherungs- 47 unternehmens dar. § 95 VAG definiert die Anforderungen und Grenzen für die Zusammensetzung der Eigenmittel für die MCR. Bei Unterschreitung der MCR wird eine ernsthafte Gefährdung der Interessen der Versicherungsnehmer unterstellt54 und aufsichtsrechtliche Maßnahmen sind gerechtfertigt.55 Ultima ratio der aufsichtsrechtlichen Maßnahmen ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 304 Abs. 1 Nr. 2 VAG, d. h. bei unzureichendem Finanzierungsplan oder bei andauernder Unterdeckung der MCR, der Entzug der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb. Die SCR sollen sicherstellen, dass das Versicherungsunternehmen über hinreichend Eigen- 48 mittel verfügt, um signifikante Verluste auszugleichen und fällige Zahlungen zu gewährleisten.56 § 94 VAG definiert die Anforderungen und Grenzen für die Zusammensetzung der Eigenmittel für die SCR. Kommt ein Versicherungsunternehmen zu dem Ergebnis, dass seine anrechenbaren Eigenmittel die SCR unterschreiten oder dass dies in den nächsten drei Monaten droht, hat es die BaFin hierüber unverzüglich zu unterrichten (§ 134 VAG). Das Unternehmen muss in diesem Fall einen realistischen genehmigungspflichtigen Sanierungsplan erstellen, der die Wiederbedeckung der SCR kurzfristig sicherstellt. Umfassende aufsichtliche Eingriffsbefugnisse bestehen allerdings beim erstmaligen Unterschreitend der SCR nicht, § 137 VAG greift erst bei einer fortschreitenden Verschlechterung der Solvabilität.57 In diesem Fall kann die BaFin u. a. Dividendenausschüttungen untersagen. Gerade Digitalversicherer, die wagniskapitalfinanziert sind, sollte die Solvabilitätssituati- 49 on des Unternehmens sehr genau im Blick haben, um etwaig erforderliche Finanzierungsrunden frühzeitig anstoßen oder eine auch aufsichtsrechtlich geeignete und zulässige Zwischenfinanzierung rechtzeitig implementieren zu können. Auch in diesem Zusammenhang ist Zeit ein wesentlicher Faktor.

3. Anforderungen an die Geschäftsorganisation (Governance) Aufgrund der Erkenntnis, dass sich nicht alle Risiken eines Versicherungsunternehmens durch 50 die quantitativen Kapitalanforderungen abbilden lassen, sieht das Solvency II-System umfangreiche Vorgaben58 zu einem Governance-System für Versicherungsunternehmen vor.59 Diese hat der deutsche Gesetzgeber – teils überschießend60 – in den §§ 23–34 VAG umgesetzt. Wesentliche Bestandteile des Governance-Systems eines Versicherungsunternehmens nach dem Solvency II-System sind eine Geschäftsorganisation entsprechend der allgemeinen Grundprinzipien (§ 23 VAG), die Einrichtung der vier Schlüsselfunktionen: Risikomanagement, Compliance, interne Revision und versicherungsmathematische Funktion (§§ 26, 27, 29 – 31 VAG) sowie die Einhaltung der Anforderung an Qualifikation von Mitarbeitern, an Vergütungssysteme und an die Ausgliederung von wesentlichen Tätigkeiten und Funktionen (§§ 24, 25 und 32 VAG). Zudem hat die BaFin in ihrem Rundschreiben 2/2017 (VA) „Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen (MaGo)“ vom 2.3.2018 verbindliche Hinweise zur Auslegung

54 Erdmann/Kaulbach S. 68; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bürkle § 89 Rn. 9. 55 Diehl/Schradin § 18 Rn. 216. 56 Bruck/Möller/Baumann/Gal Generaleinführung D. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen Rn. 110; Kaulbach/ Bähr/Pohlmann/Bürkle § 89 Rn. 8; Prölss/Dreher/Kölschbach/Hammers/Engeländer § 89 Rn. 3. Ausführlicher hierzu Sehrbrock VersR 2016 1017, 1019. Insbesondere Artikel 41 – 49 Solvency II-Richtlinie. BeckOK VAG/Armbrüster § 23 Rn. 1; Prölss/Dreher/Dreher § 23 Rn. 5. Vgl. hierzu Diehl/Bürkle § 13 Rn. 30.

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der relevanten Vorschriften der Solvency II-DVO61 und des Versicherungsaufsichtsgesetzes veröffentlicht, die es ebenfalls zu berücksichtigen gilt.

51 a) Allgemeines. Sinn und Zweck der Anforderungen an die Geschäftsorganisation ist es, dem Versicherungsunternehmen zu ermöglichen, auch durch die vorgegebenen qualitativen Kontrollelemente all seine Risiken zu erkennen und aktiv zu bewältigen.62 Insgesamt folgen die Anforderungen an die Geschäftsorganisation einem prinzipienbasierten Ansatz:63 Allerdings spielt auch das Proportionalitätsprinzip nach § 296 Abs. 1 VAG eine erhebliche Rolle.64 Das Proportionalitätsprinzip knüpft nämlich stets an das individuelle Risikoprofil des jeweiligen Versicherungsunternehmens an.65 Die Anforderungen an die Geschäftsorganisation sind also stets im Lichte der Art, des Umfangs und der Komplexität des mit der Geschäftstätigkeit des Digitalversicherers verbundenen Risikos zu betrachten. 52 Für die BaFin ist das Risikoprofil eines Versicherungsunternehmens Dreh- und Angelpunkt in Bezug auf die Governance-Anforderungen.66 Es hat damit einen wesentlichen Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der gesetzlich geforderten wirksamen, ordnungsgemäßen und angemessenen Geschäftsorganisation (§ 23 Abs. 1 VAG). Aufsichtsrechtlich ist es anhand der folgenden sechs Risikokategorien zu bestimmen: versicherungstechnisches Risiko, Kreditrisiko, Marktrisiko, operationelles Risiko, Liquiditätsrisiken und andere wesentliche Risiken.67 53 Bei Digitalversicherern spielen operationelle Risiken regelmäßig eine größere Rolle als bei traditionellen Versicherern. Unter operationellen Risiken versteht man Verluste, die durch inadäquate interne Prozesse und Systeme, menschliche Fehler und externe Ereignisse verursacht werden.68 Die wesentlichen Risikotreiber für Digitalversicherer sind in diesem Zusammenhang die IT-Anwendungen. Das Geschäftsmodell dieser InsurTechs beruht auf einer weitest möglichen Digitalisierung der wesentlichen Geschäftsprozesse, so dass eine fehlerhafte oder fehlende IT-Struktur das Geschäft erheblich beeinträchtigen würde. Darüber hinaus nutzen die meisten Digitalversicherer in großem Umfang sogenannte Cloud-Dienste. Hierbei handelt es sich in der Regel um eine Ausgliederung im Sinne des § 32 VAG, so dass jedenfalls dann, wenn es sich um eine Ausgliederung wichtiger Funktionen und Versicherungstätigkeiten handelt, im Besonderen darauf zu achten ist, dass eine übermäßige Steigerung des operationellen Risikos vermieden wird (§ 32 Abs. 3 VAG).

54 b) Qualifikationen, fachliche Eignung und Zuverlässigkeit. Art. 258 Solvency II-DVO fordert sowohl eine gewisse Gesamtqualifikation des Verwaltungs-, Management- oder Aufsichtsorgans als auch eine bestimmte Qualifikation des einzelnen Mitglieds. Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder69 eines Versicherungsunternehmens müssen danach in ihrer Gesamtheit über die Qualifikationen, Kompetenzen, Fähigkeiten und Berufserfahrungen in den Bereichen verfügen, die erforderlich sind, um das Unternehmen effektiv und professionell zu leiten und 61 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 der Kommission zur Ergänzung der RL 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) ABl. L 12 v. 17.1.2015, S. 1; diese wurde wiederum geändert durch Delegierte Verordnung (EU) 2016/ 467 und Delegierte Verordnung (EU) 2016/2283. 62 BeckOK VAG/Armbrüster § 23 Rn. 8; Prölss/Dreher/Dreher § 23 Rn. 6. 63 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 23 Rn. 2. 64 BaFin Rundschreiben 2/2017 (VA) – Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen (MaGo), Rn. 12. 65 Krimphove/Kruse/Hartig Kapitel 4 Rn. 19; Prölss/Dreher/Dreher Einl. Rn. 126. 66 Vgl. Krimphove/Kruse/Hartig Kapitel 4 Rn. 21. 67 Diehl/Rohlfs § 16 Rn. 118. 68 BeckOK VAG/Unkel § 107 Rn. 1. 69 Diese sind als Verwaltungs-, Management- oder Aufsichtsorgan gemeint (vgl. Prölss/Dreher/Dreher § 23 Rn. 84). Fischer

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zu überwachen (Abs. 1 lit c.). Darüber hinaus muss jedes Vorstandsmitglied über Qualifikationen, Kompetenzen, Fähigkeiten und Berufserfahrung in den Geschäftsbereichen verfügen, die es zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben benötigt (Abs. 1 lit. d.). Zudem normiert Art. 273 Solvency II-DVO zusätzliche spezifische und individuelle Anforderungen an die fachliche Eignung und die persönliche Zuverlässigkeit der Geschäftsleiter und der verantwortlichen Personen für die Schlüsselfunktionen des Versicherungsunternehmens. Dies gilt ebenfalls für Mitglieder des Aufsichtsrats, wenn auch die Herleitung dieser Anforderung in der Literatur umstritten ist.70 Gerade im Anfangsstadium kann es für InsurTechs insbesondere herausfordernd sein, zuverlässige und fachliche geeignete (fit and proper) Geschäftsleiter71 und verantwortliche Personen für die Schlüsselfunktionen zu gewinnen.72 Im Sinne einer Individualqualifikation setzt die fachliche Eignung der Geschäftsleiter und verantwortlichen Personen für die Schlüsselfunktionen voraus, dass die betreffende Person über die beruflichen Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, die eine solide und umsichtige Leitung des Unternehmens gewährleisten (§ 24 Abs. 1 Satz 2 VAG). Die Geschäftsleiter, also die Mitglieder des Vorstands, müssen zusätzlich über ausreichende Leitungserfahrung verfügen (§ 24 Abs. 1 Satz 3 VAG). Im Hinblick auf die Kenntnisse präzisiert § 24 Abs. 1 Satz 3 VAG, dass die betreffenden Personen über angemessene theoretische und praktische Kenntnisse im Versicherungsgeschäft verfügen müssen. Die BaFin hält für alle Versicherungsunternehmen versicherungsspezifische Kenntnisse im Risikomanagement und – angesichts der Möglichkeiten und Bedrohungen – im Bereich der Informationstechnologie73 für besonders relevant.74 Bei Digitalversicherern reicht dies aufgrund der Besonderheiten im Risikoprofil (Rn. 56) gegebenenfalls nicht aus. Unter Berücksichtigung des Proportionalitätsprinzips müssen die Geschäftsleiter und auch die verantwortlichen Personen für Schlüsselfunktionen vielmehr zusätzlich über ausreichende theoretische und praktische Kenntnisse in Bezug auf das digitale Geschäftsmodell verfügen, soweit dies für ihre jeweilige Tätigkeit relevant ist. Insgesamt ist § 24 VAG allerdings aufgrund der unmittelbar anwendbaren Bestimmungen von Art. 273 Solvency II-DVO im Lichte der europarechtlichen Vorgaben zu interpretieren.75 Art. 273 DVO stellt in Bezug auf die Individualqualifikation stärker auf die spezifische Tätigkeit der betreffenden Person ab und fordert nicht für alle Mitglieder des Vorstands Kenntnisse im Versicherungsgeschäft. Vielmehr sollen auch einschlägige Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen in anderen Finanzsektoren oder anderen Unternehmen berücksichtigt werden und, soweit dies für die jeweilige Tätigkeit relevant ist, Qualifikation auf den Gebieten Versicherung, Finanzen, Rechnungslegung, Versicherungsmathematik und Management. In Bezug auf die praktischen Kenntnisse erwartet die BaFin eine tatsächliche praktische Erfahrung im Versicherungsgeschäft,76 wobei auch diese Anforderung in dem vorstehenden Sinne europarechtskonform auszulegen ist. Für die geforderten theoretischen Kenntnisse sind die Berufsausbildung sowie eine ständige Aus- und Weiterbildung von besonderer Bedeutung. Insbesondere die Anforderung an die theoretischen Kenntnisse sind nicht statisch auf den Zeit70 Vgl. hierzu sehr instruktiv Prölss/Dreher/Dreher § 24 Rn. 48 ff. 71 Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland andere Personen als die Geschäftsleiter nur in den seltensten Fällen das Versicherungsunternehmen leiten (vgl. hierzu Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 24 Rn. 21), wird hier vereinfachend von Geschäftsleitern gesprochen. 72 EIOPA Report on Best Practices on Licencing Requirements, Peer-to-Peer Insurance and the Principle of Proportionality in an InsurTech Context v. 19.3.2019, S. 16f; Möslein/Omlor/Heukamp § 18 Rn. 26. 73 Vgl. hierzu ausführlich Dreher VersR 2019 1177, 1181 f. 74 BaFin Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG v. 6.12.2018 unter Ziffer II.1. 75 U. a. Diehl/Bürkle § 13 Rn. 98; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 24 Rn. 59; Prölss/Dreher/Dreher § 24 Rn. 61. 76 BaFin Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG v. 6.12.2018 unter Ziffer II.1.c). 445

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punkt der Bestellung zu verstehen, sondern vielmehr relativ und dynamisch auf die jeweilige Situation des Unternehmens.77 Die BaFin zählt zur fachlichen Eignung auch die je nach Geschäftsmodell des Unternehmens erforderlichen Sprachkenntnisse.78 Diese aufsichtsbehördliche Präzisierung ist aber weder dahingehend zu verstehen, dass jedes Vorstandsmitglied eines international ausgerichteten Unternehmens über deutsche Sprachkenntnisse verfügen muss, noch dass bei stark national ausgerichteten Geschäftsmodellen weitreichende englische Sprachkenntnisse vorhanden sein müssten. Das Erfordernis zielt vielmehr darauf ab, die Kommunikationsfähigkeit des Leitungsorgans unternehmensintern wie – extern sicherzustellen.79 Auch wenn dies im Gesetzeswortlaut des § 24 Abs. 1 VAG nicht unmittelbar angelegt ist, 60 müssen für verantwortliche Personen in Schlüsselfunktionen abweichende Maßstäbe gelten, weil diese anders als die Mitglieder des Vorstands keine Gesamtverantwortung trifft.80 Vielmehr sind sie für die ordnungsgemäße Erfüllung der jeweiligen Funktion verantwortlich. Dies bedeutet, dass von verantwortlichen Personen für Schlüsselfunktionen ein höheres Maß an Spezialisierung gefordert wird, aber den allgemeinen Kenntnissen eine geringe Bedeutung beigemessen wird. Gleichwohl fordert das Versicherungsaufsichtsgesetz mit Ausnahme der versicherungsmathematischen Funktion (§ 31 Abs. 3 VAG) keine spezifischen funktionsbezogenen Kenntnisse von verantwortlichen Personen für Schlüsselfunktionen.81 Insgesamt wird davon ausgegangen, dass eine fachliche Eignung der verantwortlichen Personen jedenfalls vorliegt, wenn sie ein einschlägiges Studium absolviert haben82 und eine einschlägige Berufserfahrung nachgewiesen wird.83 61 Die Vorstandsmitglieder müssen zudem über angemessene Leitungserfahrung verfügen.84 Nach der gesetzlichen Regelvermutung liegt diese vor, wenn die betreffende Person mindestens eine dreijährige leitende Position in einem Versicherungsunternehmen von vergleichbarer Größe und Geschäftsart nachweisen kann (§ 24 Abs. 1 S. 4 VAG). Die Regelvermutung kann auch bei der Leitung von größeren Organisationseinheiten greifen.85 Die BaFin nimmt darüber hinaus auch eine angemessene Leitungserfahrung an, wenn ein Unternehmensleiter in seinem bisherigen Berufsleben Unternehmen geleitet hat oder ihm die Leitung von Organisationseinheiten, in denen ihm Mitarbeiter unterstellt waren, übertragen wurden und er Eigenverantwortung mit Entscheidungskompetenz ausgeübt hat, auch wenn es sich dabei nicht um Versicherungsunternehmen handelt.86 In Bezug auf ein Vorstandsmitglied für Informationstechnologie hat die BaFin verlautbaren lassen, dass nach einer Einzelprüfung gegebenenfalls auch eine Leitungserfahrung im Versicherungsbereich von sechs Monaten ausreichen kann.87 62 Die Marktkapazitäten an Personen, die über die Kombination von Kenntnissen des Versicherungsgeschäfts und von digitalen Geschäftsmodellen verfügen, sind jedenfalls heute noch vergleichsweise gering. Aufgrund der entsprechenden Anforderungen an die Individualqualifikation u. a. der Geschäftsleiter, tun sich Digitalversicherer teils schwer, geeignetes Führungspersonal einzustellen. Zu einer besonderen Herausforderung kann dies werden, wenn eine dieser 77 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 24 Rn. 54. 78 BaFin Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG v. 6.12.2018 unter Ziffer II.1.c). 79 So wohl auch Prölss/Dreher/Dreher § 24 Rn. 67. 80 So auch Prölss/Dreher/Dreher § 24 Rn. 69. 81 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 24 Rn. 73. 82 Als einschlägig gilt jedenfalls für die Risikomanagementfunktion ein Studium der Betriebswirtschaft, für die versicherungsmathematische Funktion der Mathematik und für die Compliance-Funktion der Rechtswissenschaft. 83 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 24 Rn. 73; Prölss/Dreher/Dreher § 24 Rn. 70 f. 84 Diese Anforderung wird teils für europarechtswidrig erachtet so Diehl/Bürkle § 13 Rn. 99; Prölss/Dreher/Dreher § 24 Rn. 77 f.; a. A. Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 24 Rn. 60. 85 BaFin Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG v. 6.12.2018 unter Ziffer II.1.d). 86 BaFin Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG v. 6.12.2018 unter Ziffer II.1.d). 87 BaFin Jahresbericht 2017, S. 20. Fischer

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Personen das Unternehmen auf eigene Initiative verlässt. Da die EIOPA zu recht noch einmal explizit darauf hingewiesen hat, dass Ressourcenknappheit nicht von den aufsichtsrechtlichen Verpflichtungen befreie,88 müssen Digitalversicherer versuchen, Vorkehrungen zu treffen, indem sie beispielsweise vergleichsweise lange Kündigungsfristen vereinbaren. Sowohl die Zuverlässigkeit als auch die fachliche Eignung von Unternehmensleitern und 63 verantwortlichen Personen für eine Schlüsselfunktion sind der BaFin nachzuweisen. Hierzu sind der BaFin bestimmte Unterlagen, namentlich ein eigenhändig unterzeichneter Lebenslauf, mit detaillierten Angaben zu den beruflichen Stationen, ein eigenhändig unterzeichnetes Formular „Persönliche Erklärung zur Zuverlässigkeit“, ein polizeiliches Führungszeugnis und ein Auszug aus dem Gewerbezentralregister, einzureichen, auf deren Grundlage die Aufsichtsbehörde die fachliche Eignung sowie die Zuverlässigkeit der betreffenden Person prüfen kann.89 Zudem wird eine fachliche Eignung und Zuverlässigkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats 64 verlangt.90 Letztere setzt voraus, dass die Aufsichtsratsmitglieder in der Lage sind ihre Kontrollfunktion wahrzunehmen und die Geschäfte, die das Versicherungsunternehmen betreibt, beurteilen und überwachen zu können. Zudem müssen die Aufsichtsratsmitglieder das Geschäft des Unternehmens verstehen, die Risiken beurteilen können und mit den wesentlichen rechtlichen Regelungen, die für das Unternehmen relevant sind, vertraut sein.91 Auch bei der fachlichen Eignung der Aufsichtsratsmitglieder ist das individuelle Risikoprofil des Versicherungsunternehmens zu berücksichtigen. Dies bedeutet für Mitglieder des Aufsichtsrats eines Digitalversicherers, dass auch hier die Besonderheiten des digitalen Geschäftsmodells Berücksichtigung finden müssen. Die fachliche Eignung von Aufsichtsratsmitgliedern kann auch durch eine adäquate Fortbildung erworben werden.92

c) Anforderungen an Mitarbeiter. Neben den Anforderungen an die Unternehmensleiter und 65 die verantwortlichen Personen für Schlüsselfunktionen bestehen auch für einige Mitarbeiter(gruppen) spezifische aufsichtsrechtliche Vorgaben. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um den internen verantwortlichen Aktuar, Mitarbeiter im Bereich Immobiliendarlehen, Mitarbeiter im Vertriebsbereich und Mitarbeiter in der Produktentwicklung.93 Gemäß § 48 Abs. 2 VAG müssen Versicherer sicherstellen, dass ihre unmittelbar oder maß- 66 geblich am Versicherungsvertrieb beteiligten Angestellten zuverlässig sind, in geordneten Vermögensverhältnissen leben sowie über die zur Vermittlung der jeweiligen Versicherung angemessene Qualifikation verfügen und sich regelmäßig fortbilden. Da Digitalversicherer häufig nicht mehr oder nur noch in geringem Maße über klassische 67 Vertriebsmitarbeiter, wie Mitarbeiter im Außendienst oder im Call-Center, verfügen, stellt sich für diese in besonderem Maße die Frage, ob noch ein weiterer Personenkreis von § 48 Abs. 2 VAG erfasst wird. Teils wird vertreten, dass alle Angestellten, die eine vertriebliche Tätigkeit im Sinne des Versicherungsvertragsgesetzes einschließlich Schadenregulierungstätigkeiten ausüben, von der Definition erfasst sind.94 Dies ist jedoch zu weitreichend, denn bei Versicherern 88 EIOPA Report on Best Practices on Licencing Requirements, Peer-to-Peer Insurance and the Principle of Proportionality in an InsurTech Context v. 19.3.2019, S. 16.

89 Vgl. hierzu zum Beispiel für den Vorstand im Detail das von der BaFin veröffentlichte „Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG“ v. 6.12.2018 (abrufbar unter https://www.bafin.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/VA/dl_mb_181206_ar_va.pdf?__blob=publicationFile&v=4.). 90 Vgl. zum Diskussionsstand zur Rechtsgrundlage für das Erfordernis einer fachlichen Eignung von Aufsichtsratsmitgliedern, Prölss/Dreher/Dreher § 24 Rn. 48 ff. 91 BeckOK VAG/Armbrüster § 24 Rn. 27 m. w. N. 92 BaFin Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG v. 6.12.2018 Ziffer II.1.; abrufbar: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/ VA/dl_mb_181206_ar_va.pdf?__blob=publicationFile&v=4. 93 Vgl. näher Diehl/Bürkle § 13 Rn. 14 ff. 94 Beenken/Lüger ZfV 2017 621, 622 f. 447

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stehen Schadenregulierungstätigkeiten nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der vertrieblichen Tätigkeit und sollten deswegen nicht erfasst sein.95 Auch die BaFin geht davon aus, dass es sich um Tätigkeiten bei der Beratung oder dem Abschluss von Versicherungsverträgen, einschließlich Leistungsänderungen oder Vertragsverlängerungen, handeln muss, wobei es nach ihrer Auffassung aber schon ausreicht, wenn die Angestellten im Rahmen einer solchen Tätigkeit nur gelegentlich mitwirken.96 Damit müssen die Mitarbeiter von Digitalversicherern, die per Live-Chat (einschließlich Videochat) oder Telefon beraten, die Anforderungen des § 48 VAG erfüllen. Nicht erfasst sind allerdings die Personen, die digitale Vertriebsprozesse entwickeln. Im Ergebnis handelt es sich bei Digitalversicherern damit zumeist um einen sehr kleinen Personenkreis, der von § 48 Abs. 2 VAG erfasst ist. 68 Schließlich muss der Versicherer nach § 48 Abs. 2a VAG im Sinne einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass auch die Anforderungen nach Abs. 2 erfüllt, überwacht und dokumentiert werden. Hierzu muss der Versicherer interne Leitlinien erlassen, angemessene interne Verfahren schaffen und eine Funktion einrichten, die die ordnungsgemäße Umsetzung sicherstellt. Dies kann aber nur solange gelten, wie der Versicherer noch Angestellte hat, die in den Anwendungsbereich des § 48 Abs. 2 VAG fallen, und der gesamte Abschluss- und Beratungsprozess volldigitalisiert ist.

69 d) Vergütung. Bei der Etablierung von Vergütungsmodellen müssen Start-ups, die als Risikoträger zugelassen sind, die Vorgaben zu den Vergütungssystemen (Art. 275 Solvency II-DVO,97 § 25 VAG und Versicherungsvergütungsverordnung) beachten. Insbesondere bei der Ausgestaltung der in der Start-up Szene als Vergütungsbestandteile nahezu unverzichtbaren Incentivierungsprogramme für die Geschäftsleiter, wesentliche sonstige Mitarbeiter und die Gründer,98 soweit diese in den Anwendungsbereich fallen, muss auf eine rechtskonforme Implementierung geachtet werden.99 Artikel 275 Abs. 2 lit. c Solvency II-DVO bestimmt im Hinblick auf variable Vergütungsbestandteile für Geschäftsleiter, Personen, die Schlüsselfunktionen innehaben und sonstige sogenannte Risk-Taker,100 dass ein wesentlicher Teil der variablen Vergütung eine flexible, aufgeschobene Komponente haben muss. Die Art und der Zeithorizont sind dabei grundsätzlich im Einzelfall zu bestimmen. Der Zeitaufschub ist unter Berücksichtigung der Risiken und Tätigkeiten des jeweiligen Mitarbeiters zu bestimmen; es muss aber mindestens drei Jahre betragen. Zudem muss die Möglichkeit der Reduzierung des variablen Anteils sogar bis auf Null bestehen.101 Die Möglichkeit einer Rückforderung gezahlter variabler Vergütungsbestandteile (claw back) ist im Anwendungsbereich des Versicherungsaufsichtsrechts anders als unter der Institutsvergütungsverordnung für den Banksektor nicht erforderlich.102 70 Bei der Ausgestaltung von Incentivierungsprogrammen (z. B. sogenannte ESOPs oder Vesting-Rights) liegen die wesentlichen Fallstricke für Digitalversicherer bei der Ausgestaltung der Abwärtskorrektur (Art. 275 Abs. 2 lit. e Solvency II-DVO) und des Aufschubs der Vergütungskomponente.

95 Reiff VersR 2018 193, 197 f.; BeckOK VAG/Franz/Monsig § 48 Rn. 53c. 96 BaFin Rundschreiben 11/2018 zur Zusammenarbeit mit Versicherungsvermittlern sowie zum Risikomanagement im Vertrieb v. 17.7.2018 Tz. 57. 97 Die BaFin hat einige Aspekte in einer Auslegungsentscheidung v. 20.12.2016 konkretisiert. 98 Z. B. als Aufsichtsratsmitglieder. 99 So auch Broichhausen/Winter VW 2020 70, 72. 100 Vgl. hierzu Diehl/Kästel § 14 Rn. 40 ff. 101 Diehl/Kästel § 14 Rn. 65. 102 Prölss/Dreher/Dreher § 25 VAG Rn. 94; Diehl/Kästl § 14 Rn. 66. Fischer

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4. Verbot des versicherungsfremden Geschäfts Die Geschäftsmodelle der Digitalversicherer sind regelmäßig nicht auf die reine Risikoübernahme beschränkt, sondern sehen häufig weitere Leistungen und Dienste an die Versicherungsnehmer vor. Außerdem spielen einige Digitalversicherer jedenfalls mit dem Gedanken bestimmte Leistungen, die sie im Zusammenhang mit ihrer modernen IT-Landschaft entwickelt haben, auch anderen Versicherern anzubieten oder sie gehen Kooperationen mit branchenfremden Dritten ein. Die Zulässigkeit solcher Geschäfte ist stets am Maßstab des § 15 VAG zu messen, der Art. 18 der Solvency II-Richtlinie umsetzt. Sowohl die EIOPA103 als auch die BaFin104 haben explizit darauf hingewiesen, dass InsurTechs ihr Geschäftsmodell so ausgestalten müssen, dass sie lediglich Versicherungsgeschäft oder Geschäfte, die unmittelbar damit im Zusammenhang stehen, betreiben. Das in § 15 Abs. 1 VAG normierte Verbot des versicherungsfremden Geschäfts für Erstversicherer105 soll die Versicherungsnehmer und Versicherten vor finanziellen Risiken schützen, die aus der Ausübung von Aktivitäten des Versicherungsunternehmens in anderen Wirtschaftsbereichen als dem eigentlichen Versicherungsgeschäft resultieren.106 Bei dem Verbot des versicherungsfremden Geschäfts handelt es sich um eine besondere Ausgestaltung der Solvenzaufsicht in Form des Schutzes der finanziellen Risiken der Versichertengemeinschaft.107 Es ist, obwohl sich die Bestimmung in dem Abschnitt der Vorschriften über die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb befindet, keine reine Zulassungsvoraussetzung, sondern auch im laufenden Geschäftsbetrieb zu berücksichtigen.108 Sofern ein Digitalversicherer Leistungen oder Dienste erbringt, die nicht unmittelbar in der Übernahme des Risikos bestehen, sind diese gemäß § 15 Abs. 1 VAG nur zulässig, wenn es sich dabei um ein Versicherungsgeschäft oder um ein Geschäft handelt, das damit in unmittelbarem Zusammenhang steht (Satz 1) und nicht mit zusätzlichen finanziellen Risiken verbunden ist (Satz 4). Der Begriff des Versicherungsgeschäfts109 im Sinne des § 15 Abs. 1 VAG ist dort nicht näher definiert. Nach zutreffender Auffassung umfasst er sämtliche Tätigkeiten des Versicherungsunternehmens in den Kernbereichen und den gesetzlich vorgeschriebenen Governance-Funktionen.110 Damit umfasst das Versicherungsgeschäft nicht nur den Abschluss und die Durchführung der Versicherungsverträge,111 sondern neben der Bestandsverwaltung und der Leistungsbearbeitung jedenfalls auch das Rechnungswesen, die interne Revision, die Vermögensanlage und die Vermögensverwaltung sowie die Governance-Funktionen. Der Begriff des unmittelbaren Zusammenhangs ist sowohl funktional als auch wirtschaftlich zu verstehen.112 Außerdem ist auch die Verkehrsauffassung, die einem ständigen Wandel

103 EIOPA Report on Best Practices on Licencing Requirements, Peer-to-Peer Insurance and the Principle of Proportionality in an InsurTech Context v. 19.3.2019, S. 16. 104 BaFin InsurTech; abrufbar unter https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/FinTech/Insurtech/insurtech_node.html. 105 Für Rückversicherungsunternehmen regelt § 15 Abs. 2 VAG, dass diese nur Rückversicherungsgeschäfte sowie damit verbundene Geschäfte und Dienstleistungen betreiben dürfen. Es besteht damit nicht das strenge Erfordernis eines unmittelbaren Zusammenhangs zum Rückversicherungsgeschäft. 106 U. a. BeckOK VAG/Viencens § 15 Rn. 11; Prölss/Dreher/Präve § 15 Rn. 2; Wolf WM 2003 1058, 1060. 107 U. a. BeckOK VAG/Viencens § 15 Rn. 11. 108 U. a. Bähr/Eilert § 5 Rn. 13; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 15 Rn. 4; Prölss/Dreher/Präve § 15 Rn. 5; Wolf WM 2003 1058, 1059; anders noch LG Düsseldorf Urt. v. 15.9.1995 – 40 O 226/94, ZIP 1995, 1985. 109 Siehe auch Dreher VersR 2020, 129 zu der Abgrenzung von Assistanceleistungen als Versicherungsgeschäft oder im unmittelbaren Zusammenhang mit diesem stehend. 110 BeckOK VAG/Viencens § 15 Rn. 19; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 15 Rn. 11, die darüber hinaus auch noch die Produktentwicklung und den Vertrieb vom Begriff des Versicherungsgeschäfts erfasst sieht. 111 So aber wohl Bähr/Eilert § 5 Rn. 32; VerBAV 1991, 302. 112 Bähr/Eilert § 5 Rn. 31; Brand/Baroch Castellvi/Brand § 15 Rn. 24; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 15 Rn. 12. 449

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unterliegt, zu berücksichtigen.113 Ein funktionaler Zusammenhang besteht sowohl bei Hilfsgeschäften, die der Erfüllung der Versicherungsgeschäfte dienen,114 als auch bei sonstigen Hilfsgeschäften, wenn diese der zweckmäßigen und rationellen Durchführung des Versicherungsgeschäfts dienen, wie beispielsweise die Anmietung von Büroräumen, der Betrieb der Kantine und die Beschaffung von Arbeitsmaterialien.115 76 Zusätzlich zum funktionalen Zusammenhang muss ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft bestehen oder anders ausgedrückt, dürfen aus dem Geschäft keine zusätzlichen finanziellen Risiken für das Versicherungsunternehmen resultieren (§ 15 Abs. 1 Satz 4 VAG). Die Einschränkung des § 15 Abs. 1 Satz 4 VAG darf jedoch nicht absolut verstanden werden, da es letztlich kein vollständig risikoloses Geschäft gibt.116 Vielmehr ist die Beschränkung dahingehend auszulegen, dass die Verwirklichung eines dem Geschäft inhärenten Risikos eine spürbare Auswirkung auf die Solvabilität des Versicherungsunternehmens haben können müsste, eine ernsthafte Bedrohung der Solvabilität ist hingegen nicht erforderlich.117

77 a) (Dienst)Leistungen an Versicherungsnehmer. Wie auch traditionelle Versicherer bieten Digitalversicherer häufig Leistungen an, die über den reinen Versicherungsschutz hinausgehen. Solche Leistungen werden sowohl im Zusammenhang mit der Schadenprävention als auch der Schadenbeseitigung angeboten. Aber auch sonstige Dienste, die im Allgemeinen eine inhaltliche Nähe zu dem jeweiligen Versicherungsprodukt aufweisen, sind Bestandteil des Angebots von Digitalversichern.118 Diese Zusatzleistungen werden als Assistance-Leistungen bezeichnet.119 Der Versicherungsschutz erfolgt dabei nicht in Natura, sondern stets als Geldleistung.120 Unproblematisch sind Assistance-Leistungen kein unzulässiges versicherungsfremdes Ge78 schäft, wenn sie der Schadenprävention dienen121 oder bei eingetretenem Versicherungsfall entweder durch das Versicherungsunternehmen selbst oder durch einen vom Versicherungsunternehmen beauftragten Dritten erbracht werden. Diese stehen unzweifelhaft in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft.122 Bei der Hausratversicherung würde eine Beratung zum Einbruchschutz, bei einem digitaler Krankenversicherer die Vermittlung an Krankenhäuser oder die Vereinbarung von (Fach-)Arztterminen oder bei einer Kaskoversicherung die Vermittlung einer Werkstatt hierunter fallen. Weniger eindeutig wäre es aber zum Beispiel bei einer Unterstützung im Hinblick auf das Verständnis von Arztbriefen. Auch ein solcher Dienst kann allerdings letztlich zur Minimierung der zu erbringenden Versicherungsleistungen beitragen, weil so keine Missverständnisse bei dem Versicherungsnehmer entstehen, die unnötige Kosten verursachen. Je weiter eine Leistung allerdings vom Kernversicherungsgeschäft entfernt ist, umso empfehlenswerter ist eine vorherige Abstimmung mit der BaFin, ob es sich nicht bereits um versicherungsfremdes Geschäft handelt. 79 Mit Inkrafttreten sämtlicher Vorschriften des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze (IDD-Umsetzungsgesetz) zum 23.2.2018 ist im Zu113 114 115 116 117 118

Präve FS Schirmer, S. 492. BeckOK VAG/Viencens § 15 Rn. 21. Siehe Brand/Baroch Castellvi/Brand § 15 Rn. 28 m. w. N. So auch Brand/Baroch Castellvi/Brand § 15 Rn. 71. Brand/Baroch Castellvi/Brand § 15 Rn. 72; Prölss/Dreher/Präve § 15 Rn. 11. So bieten digitale Krankenversicherer nicht nur die Vereinbarung von Arztterminen an, sondern beispielsweise auch Unterstützung bei dem Verständnis von Arztbriefen. 119 Siehe hierzu ausführlich Dreher VersR 2020, 129; zu Haftungsfragen bei Assistance-Leistungen siehe Koch VersR 2019, 449. 120 Koch VersR 2019, 449, 451. 121 Beispielsweise besonderer Diebstahlschutz durch den Einbau eines GPS-Senders mit entsprechender TrackingApp. 122 U. a. Brand/Baroch Castellvi/Brand § 15 Rn. 31 f.; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 15 Rn. 13. Fischer

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sammenhang mit etwaig angebotenen Assistance-Leistungen auch § 7a VVG zu beachten. Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer darüber informieren, ob der Versicherungsschutz und die Assistance-Leistungen getrennt voneinander gekauft werden können (§ 7a Abs. 1 VVG) und, sofern dies der Fall sein sollte, für jeden Bestandteil einen gesonderten Nachweis über Kosten und Gebühren zur Verfügung stellen.

b) Dienstleistungen an Dritte. Digitalversicherer stellen gelegentlich Überlegungen an, ob 80 und inwieweit sie gewisse bestimmte Leistungen, die sie im Zusammenhang mit ihrer modernen IT-Umgebung oder aufgrund ihrer digitalen Herangehensweise entwickelt haben, als Dienstleister auch anderen Versicherern anbieten können. Grundsätzlich sind Dienstleistungen, die eine Ausgliederung von Funktionen oder Versiche- 81 rungstätigkeiten im Sinne des § 32 VAG für das dienstleistungsempfangende Versicherungsunternehmen darstellen, kein versicherungsfremdes Geschäft.123 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Spartentrennungsgrundsatz beachtet wird und das Haftungsrisiko nicht ungewöhnlich hoch ist.124 Allerdings ist nicht immer eindeutig bestimmbar, ob es sich um eine solche Ausgliederung im Sinne des § 32 VAG handelt; dies ist detailliert zu analysieren und gilt ganz besonders, wenn sich die Dienstleistung auf eine Tätigkeit bezieht, die nicht eindeutig als Versicherungstätigkeit qualifiziert werden kann. c) Kooperationen. Auch Kooperationen mit branchenfremden Dritten stellen nicht per se 82 versicherungsfremdes Geschäft für ein Versicherungsunternehmen dar. Allerdings muss auch diese Kooperation unmittelbar mit dem Versicherungsgeschäft im Zusammenhang stehen. Bei reinen Vertriebskooperationen ist dies regelmäßig der Fall.125 Im InsurTech-Sektor wird diese Frage aber häufig auch im Zusammenhang mit sogenannten Ökosystemen, also Angeboten, die eine ganzheitliche Kundenlösung für bestimmte Lebenswelten, z. B. Smart Home, Automotive oder Financial Home, offerieren,126 diskutiert. In diesem Zusammenhang kommt es unter anderem darauf an, wie diese Kooperation gesellschaftsrechtlich strukturiert ist und welche Rolle das Versicherungsunternehmen in dem jeweiligen Ökosystem konkret hat. Bei einer vertraglichen Konstruktion stellt sich die Frage, welche Geschäfte das Versiche- 83 rungsunternehmen in diesem Ökosystem betreibt. Regelmäßig dürfte sich der Beitrag des Versicherungsunternehmens darauf beschränken, den Risikoschutz zu stellen und etwaige Daten zur Schadenprävention zu verarbeiten. Bei beiden Leistungen handelt es sich um Versicherungsgeschäft bzw. damit unmittelbar im Zusammenhang stehende Geschäfte. Auch der Vertrieb von Hardware, die Bestandteil des jeweiligen Ökosystems ist, wie beispielsweise die Telematik-Box für das Fahrzeug oder das smarte Feueralarmsystem für die Wohnung, gilt trotz etwaig damit verbundener Haftungsrisiken nicht als versicherungsfremdes Geschäft.127 Sofern die Leistungen des Versicherers allerdings darüber hinausgehen, ist eine eingehende Analyse erforderlich, inwieweit es sich noch um Geschäfte im unmittelbaren Zusammenhang mit Versicherungsgeschäften handelt. Wenn ein Ökosystem beispielsweise durch ein Joint Venture mehrerer Partner etabliert wird, 84 stellt sich zusätzlich die Frage, ob sich ein Versicherungsunternehmen an einem Unternehmen, das versicherungsfremde Geschäfte betreibt, beteiligen darf. Eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist grundsätzlich kein versicherungsfremdes Geschäft, wenn die finanziellen Risiken 123 In Bezug auf die Kernversicherungsprozesse u. a. Bähr/Eilert § 5 Rn. 92 ff; Brand/Baroch Castellvi/Brand § 15 Rn. 51; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 15 Rn. 17. 124 Bähr/Eilert § 5 Rn. 93, 94. 125 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 15 Rn. 18. 126 Wagner/Radstaak VW 2018 68. 127 So auch Brand/Baroch Castellvi/Brand § 15 Rn. 33; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 15 Rn. 14. 451

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auf den Anteil am Vermögen beschränkt sind.128 Dies soll selbst dann gelten, wenn es sich nicht um reine Beteiligungsinvestments des Versicherers handelt, sondern der Versicherer eine Beteiligung hält, die auch einen Einfluss auf die Geschäftsführung der Kapitalgesellschaft erlaubt.129

85 d) Rechtsfolgen. Ein Verstoß gegen das Verbot versicherungsfremden Geschäfts führt nicht zur Nichtigkeit des Vertrages. Da sich § 15 VAG an den Versicherer und somit nur an eine Partei richtet, handelt sich nicht um ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB, sondern lediglich um ein aufsichtsrechtliches Verbot.130 Ein Verstoß kann daher grundsätzlich Maßnahmen der BaFin im Wege der Missstandsaufsicht rechtfertigen. Bei schwerem oder anhaltendem Verstoß besteht auch die Möglichkeit, die Abberufung von Geschäftsleitern zu verlangen, die Einsetzung eines Sonderbeauftragten anzuordnen oder als ultima ratio die Erlaubnis nach § 304 Abs. 3 Nr. 1 VAG zu widerrufen.

5. Outsourcing 86 Das Outsourcing gewinnt aus Gründen der Kosteneffizienz, der Steigerung der Flexibilität und der Spezialisierung der Dienstleister auch im Versicherungssektor immer mehr an Bedeutung. Gliedert ein Versicherungsunternehmen Funktionen oder Versicherungstätigkeiten aus, sind die Regelungen des § 32 VAG zu beachten. 87 Die allgemeinen aufsichtsrechtlichen Anforderungen an eine solche Ausgliederung sollen an der für Digitalversicherer regelmäßig besonders wesentlichen Auslagerung von Cloud-Diensten dargestellt werden. Es soll zudem auf einige aufsichtsrechtliche Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Outsourcing an Cloud-Anbieter eingegangen werden. Bei Cloud-Diensten handelt es sich um „Dienste, die mithilfe von Cloud-Computing erbracht werden, d. h. ein Modell, das ortunabhängigen, komfortablen und bedarfsgesteuerten Netzwerkzugriff auf einen gemeinsamen Pool konfigurierbarer Rechenressourcen (wie Netzwerke, Server, Speicher, Anwendungen und Services) ermöglicht und sich schnell sowie mit einem Mindestmaß an Verwaltungsaufwand oder Interaktion des Dienstleisters implementieren und freischalten lässt.131 88 Ein wesentlicher Vorteil der Inanspruchnahme von Cloud-Diensten für die Unternehmen ist, dass sie die entsprechenden IT-Ressourcen nicht selbst vorzuhalten brauchen.132 Dies ist insbesondere für Unternehmen, die noch nicht über die entsprechenden IT-Ressourcen verfügen, von großem Interesse, weil so der Geschäftsbetrieb ohne eine signifikante eigene IT-Infrastruktur aufgebaut werden kann. Die Kosten für den Aufbau einer eigenen IT-Landschaft stellen üblicherweise einen wesentlichen Kostenfaktor dar, den Start-ups gegebenenfalls auch nur schwer stemmen könnten.

89 a) Allgemeines. § 7 Abs. 2 VAG definiert Ausgliederung als „eine Vereinbarung jeglicher Form zwischen Versicherungsunternehmen und einem Dienstleister, aufgrund derer der Dienstleister direkt oder durch weitere Ausgliederung einen Prozess, eine Dienstleistung oder eine Tätigkeit erbringt, die ansonsten durch das Versicherungsunternehmen selbst erbracht werden würde“. Ausgliederungen sind damit aufsichtsrechtlich nur relevant, wenn sie sich auf Funktionen im 128 129 130 131

U. a. BeckOK VAG/Viencens § 15 Rn. 33; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 15 Rn. 19. Bähr/Eilert § 5 Rn. 66; Brand/Baroch Castellvi/Brand § 15 Rn. 47, 48. Prölss/Dreher/Präve § 15 Rn. 7. EBA/GL/2019/02 v. 25.2.2019, S. 20; abrufbar unter: https://eba.europa.eu/sites/default/documents/files/documents/10180/2551996/38c80601-f5d7-4855-8ba3-702423665479/EBA%20revised%20Guidelines%20on%20outsour cing%20arrangements.pdf. 132 Dahmen BKR 2019 533, 536. Fischer

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Sinne des § 7 Nr. 9 VAG oder Versicherungstätigkeiten beziehen.133 Typische Beispiele für Leistungen, die nicht hierzu zählen, sind das Gebäudemanagement, der Betrieb der Betriebskantine und das Fuhrparkmanagement.134 Zudem müssen die Leistungen für eine gewisse Dauer bezogen werden. Die Ausgliederung von Funktionen oder Versicherungstätigkeiten gehört zu der Governance 90 von Versicherungsunternehmen. § 32 Abs. 1 VAG stellt klar, dass es keine Flucht aus dem Aufsichtsrecht durch Ausgliederung gibt, sondern ein Versicherungsunternehmen bei einer Ausgliederung von Funktionen oder Versicherungstätigkeiten für die Erfüllung aller aufsichtsrechtlichen Vorschriften und Anforderungen verantwortlich bleibt. Darüber hinaus finden auch die allgemeinen Anforderungen an die Geschäftsorganisation auf Ausgliederungen nach § 32 VAG Anwendung, so dass beispielsweise ausgelagerten Funktionen oder Versicherungstätigkeiten im Risikomanagement und im internen Kontrollsystem des Versicherungsunternehmens angemessen Rechnung getragen werden und der Solvabilitäts- und Finanzbericht des Versicherungsunternehmens eine Darstellung der Outsourcing-Politik beinhalten muss. Bevor ein Versicherungsunternehmen eine Ausgliederung vornimmt, ist ein Outsourcing- 91 prozess durchzuführen. Dieser Prozess beinhaltet zunächst eine Prüfung, ob die Herausgabe einer Aktivität von der Definition der Ausgliederung erfasst ist. Falls dies der Fall ist, ist im Rahmen der durchzuführenden Risikoanalyse135 eigenständig zu bewerten, ob es sich um eine wichtige Funktion handelt oder nicht. Schließlich muss eine Due Diligence bezüglich des Dienstleisters vorgenommen werden. Erst wenn dieser Prozess positiv abgeschlossen ist, kann der entsprechende Ausgliederungsvertrag unter Berücksichtigung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen abgeschlossen werden. Ein Ausgliederungsvertrag, der sich auf wichtige Funktionen oder Versicherungstätigkeiten bezieht, ist der BaFin rechtzeitig vor Inkrafttreten anzuzeigen. In der Praxis wird der Aufsicht häufig der finale Entwurf des Vertrags angezeigt, um noch etwaige Änderungswünsche der BaFin vor Vertragsschluss berücksichtigen zu können, zwingend ist dies allerdings nicht. Eine starre Frist für die Anzeige gibt es nicht, jedoch sollte sie im eigenen Interesse so rechtzeitig erfolgen, dass etwaige Änderungswünsche der BaFin noch umgesetzt werden können.136

b) Auslagerung an Cloud-Dienste. Die Nutzung von Cloud-Diensten ist regelmäßig eine Aus- 92 gliederung im Sinne des § 32 VAG,137 sofern sie sich nicht nur auf den Bezug von Software beschränkt, die für die versicherungstechnischen Abläufe keine besondere Relevanz besitzt. Ob es sich um eine wichtige Ausgliederung handelt, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung des Proportionalitätsprinzips zu beurteilen. Bei SaaS (Software as a Service) sind Applikationen bezüglich der Bestandsverwaltung oder das Schadenmanagement sicherlich wichtige Ausgliederungen. Dies dürfte in der Regel allerdings nicht für SaaS-Applikationen zu internen Zwecken, wie Textverarbeitungsprogramme, gelten;138 dies ist häufig nicht einmal eine Ausgliederung. Bei IaaS-Diensten (Infrastructure as a Service) dürfte ein wesentlicher Aspekt für die Bewertung die Kritikalität der in der Cloud gehosteten bzw. gespeicherten Anwendungen bzw. Daten

133 So auch Diehl/Havers § 15 Rn. 15. 134 Dreher/Ballmeier VersR 2014 8, 12. 135 Im Rahmen der Risikoanalyse sind insbesondere die Vor- und Nachteile einer Ausgliederung im Vergleich zur internen Leistungserbringung abzuwägen und die mit einer Ausgliederung einhergehenden Risiken zu identifizieren, zu bewerten und entsprechende Maßnahmen zur Steuerung festzulegen. So auch Zdanowiecki CR 2016 773, 775. 136 Brand/Baroch Castellvi/Baroch Castellvi § 47 Rn. 18; Diehl/Havers § 15 Rn. 92. 137 Zdanowiecki CR 2016 773, 774 f.; wohl auch Dahmen BKR 2019 533, 534 f. bezugnehmend auf BaFin Merkblatt – Orientierungshilfe zu Auslagerungen an Cloud-Anbieter v. 8.11.2018, S. 5. 138 Vgl. Zdanowiecki CR 2016 773, 775. 453

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sein.139 Bei PaaS-Diensten, die für Kernversicherungssysteme genutzt werden, wird in der Regel eine wichtige Ausgliederung vorliegen. 93 Bei der Beurteilung sollten vor allem auch die Aspekte berücksichtigt werden, die aus Sicht BaFin bei der entsprechenden Risikoanalyse des Versicherungsunternehmens zugrunde zu legen sind.140 Die BaFin hat in den VAIT141 noch einmal explizit hervorgehoben, dass eine Risikoanalyse für die Auslagerung auf Cloud-Dienste zu erfolgen hat (Tz. 65 VAIT), wobei es die Aufsichtsbehörde für zulässig erachtet, dass auf bestehende Risikoanalysen für gleichartige sonstige Dienstleistungsbeziehungen im IT-Bereich zurückgegriffen wird (Tz. 66 VAIT). Die BaFin weist in Bezug auf das Outsourcing auf Cloud-Dienste explizit darauf hin, dass die für Informationssicherheit und Notfallmanagement verantwortlichen Funktionen oder Personen in die Risikoanalyse einzubinden sind. 94 In dem Dienstleistungsvertrag mit dem Cloud-Anbieter sind gewisse aufsichtsrechtliche Besonderheiten für Ausgliederungsverträge zwingend zu berücksichtigen. Zunächst erwartet die BaFin eine klare Leistungsbeschreibung in einem Service Level-Agreement.142 Darüber hinaus soll der Vertrag Regelungen zu Informations- und Prüfungsrechten sowohl des Versicherungsunternehmens als auch der BaFin, Weisungsrechten für das Versicherungsunternehmen, zur Sicherstellung von Datensicherheit und -schutz, zu Weiterverlagerungen, Kündigungsmodalitäten und Informationspflichten des Cloud-Anbieters gegenüber dem Versicherungsunternehmen vorsehen. Darüber hinaus sind die Ergebnisse der Risikoanalyse in dem Dienstleistungsvertrag zu reflektieren, so sind ggf. unternehmensspezifische Regelungen zum Informationsrisikomanagement oder zum Notfallmanagement zu vereinbaren (Tz. 67 VAIT). Die BaFin hat in ihrem Merkblatt – Orientierungshilfe zu Auslagerungen an Cloud-Anbieter vom 8.11.2018 detaillierte Angaben zur Ausgestaltung der entsprechenden Regelungen veröffentlicht. Diese sind vor allem in den Einzelheiten nicht immer problemlos gegenüber dem Cloud-Anbieter durchzusetzen, wobei das Verständnis der Cloud-Anbieter für die aufsichtsrechtlichen Besonderheiten in jüngster Zeit stark gewachsen ist. Vor dem Hintergrund, dass die meisten Cloud-Anbieter ihre Dienste nicht nur regulierten Unternehmen anbieten, werden in der Praxis für Versicherungsunternehmen nicht die Standardverträge angepasst, sondern Zusatzvereinbarungen geschlossen, um die aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu erfüllen. 95 Ist der Digitalversicherer im Bereich der Kranken-, Lebens- oder Unfallversicherung tätig, sind im Zusammenhang mit den Regelungen zu Datenschutz und -sicherheit die besonderen Vorgaben des § 203 StGB zur Offenbarung fremder Geheimnisse zu berücksichtigen. Lange Zeit war diese Vorschrift eine wesentliche Herausforderung für rechtmäßige Auslagerungen in diesen Bereichen, auch in Bezug auf die Auslagerung von IT-Services.143 Seit der Novellierung des § 203 StGB sind einige der früheren Hemmnisse beseitigt worden, wobei nicht geklärt ist, welche Cloud-Dienste der Gesetzgeber durch die Neuregelungen erfassen wollte.144 In jedem Fall sind im Ausgliederungsvertrag in Bezug auf den Datenschutz klare Regelungen dazu zu treffen, welche Zugriffsrechte dem Cloud-Anbieter und seinen Mitarbeitern gewährt werden. Denn eine Weitergabe von sensiblen Daten im Sinne des § 203 StGB an mitwirkende Personen ist nur gestattet, soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der sonstigen mitwirkenden Personen erforderlich ist (§ 203 Abs. 3 Satz 2 StGB).

139 Vgl. Zdanowiecki CR 2016 773, 775. 140 BaFin Merkblatt – Orientierungshilfe zu Auslagerungen an Cloud-Anbieter v. 8.11.2018, S. 6. 141 BaFin Rundschreiben 10/2018 (VA) – Versicherungsaufsichtliche Anforderungen an die IT (VAIT) in der Fassung vom 20.03.20. 142 Zu der Fixierung der Einzelheiten des Leistungsgegenstands, vgl. BaFin Merkblatt – Orientierungshilfe zu Auslagerungen an Cloud-Anbieter v. 8.11.2018, S. 8. 143 Siehe hierzu Pohl/Ghaffari CR 2017 489. 144 Siehe hierzu Pohl/Ghaffari CR 2017 489, 492. Fischer

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6. Inhaberkontrolle Inhaber einer bedeutenden Beteiligung an einem Versicherungsunternehmen unterfallen ebenfalls einer aufsichtsrechtlichen Kontrolle (§§ 16 ff. VAG). Eine bedeutende Beteiligung liegt bereits vor, wenn eine Person direkt oder indirekt mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte des Versicherungsunternehmens hält oder anderweitig maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsleitung des Versicherungsunternehmens ausüben kann. Hinsichtlich einer bedeutenden Beteiligung aufgrund eines Kapital- oder Stimmrechtsanteils erfolgt die Betrachtung aufgrund einer Durchrechnung der Beteiligungen (§ 7 Nr. 3 VAG). Die Inhaber von bedeutenden Beteiligungen an Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmen müssen zuverlässig sein und auch im Übrigen den Ansprüchen an eine solide und umsichtige Leitung eines Versicherungsunternehmens genügen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 VAG e contrario). Darüber hinaus muss ein Inhaber einer bedeutenden Beteiligung über die notwendige finanzielle Solidität verfügen (§ 18 Abs. 1 Nr. 6 VAG e contrario). Eine Kontrolle der Inhaber bedeutender Beteiligungen findet nicht nur im Rahmen des Erlaubnisverfahrens statt, sondern insbesondere auch, wenn nach erteilter Erlaubnis eine bedeutende Beteiligung erworben oder so erhöht wird, dass der Schwellenwert von 20 %, 30 % oder 50 % überschritten wird. Der Vollzug des Erwerbs oder der entsprechenden Erhöhung einer bedeutenden Beteiligung an einem Versicherungsunternehmen setzt ein erfolgreich abgeschlossenes Inhaberkontrollverfahren nach § 17 VAG voraus. Dazu müssen die Personen, die beabsichtigen eine bedeutende Beteiligung zu erwerben, entsprechend der Vorgaben der Inhaberkontrollverordnung umfangreiche Unterlagen bei der BaFin einreichen, auf deren Grundlage die BaFin ihre Zuverlässigkeit und finanzielle Solidität prüfen kann. Hierfür steht der BaFin ein Beurteilungszeitraum von 60 Arbeitstagen145 ab Eingang aller erforderlicher Unterlagen zu (§ 17 Abs. 4 VAG). Die Versagungsgründe für den Erwerb einer bedeutenden Beteiligung sind in § 18 VAG niedergelegt. Aber auch nach erfolgreichem Erwerb einer bedeutenden Beteiligung stehen der Aufsichtsbehörde Eingriffsbefugnisse in den Fällen zu, in denen der Erwerb ohne (erfolgreich durchgeführtes) Inhaberkontrollverfahren vollzogen wurde oder die Untersagungsvoraussetzungen der BaFin erst nachträglich bekannt wurden (§§ 19, 20 VAG).146 So kann die BaFin die Ausübung der Stimmrechte oder ggf. sogar die Veräußerung der Anteile verlangen. Außerdem kann sie, sofern Zweifel an der Zuverlässigkeit oder finanziellen Solidität des Inhabers einer bedeutenden Beteiligung bestehen oder an einer wirksamen Aufsicht bestehen, hat die BaFin die Möglichkeit eine Prüfung durch einen unabhängigen Prüfer durchführen zu lassen. Für Digitalversicherer, die sich einer typischen Venture Capital Finanzierung bedienen möchten, sind die Vorschriften bezüglich der Inhaberkontrolle damit vor allem unter drei Gesichtspunkten relevant. Zunächst ist im Vorfeld von Finanzierungsrunden zu prüfen, inwieweit ein Inhaberkontrollverfahren von einzelnen Investoren durchzuführen ist, und das Ergebnis bei der zeitlichen Planung der Finanzierungsrunden zu berücksichtigen. Es kann also ein deutlich längerer Vorlauf erforderlich sein als für nicht regulierte Unternehmen. Auch können die Vorschriften über die Inhaberkontrolle auf Investoren abschreckend wirken, weil sowohl die Prüfung der Beteiligungsstruktur nach § 20 VAG als auch die Eingriffsbefugnisse der BaFin für Investoren ein rechtliches Risiko darstellen.147 Schließlich sind bei der Ausgestaltung der üblicherweise in der Gesellschaftervereinbarung eines solchen Digitalversicherers vorgesehenen Mitveräußerungspflichten (drag-along), Mitveräußerungsrechten (tag-along) und Vorkaufsrechten die Implikationen eines etwaigen Inhaberkontrollverfahrens zu berücksichtigen.

145 Der Beurteilungszeitraum kann unter bestimmten Umständen auf bis zu 90 Arbeitstagen verlängert werden. 146 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr § 19 VAG Rn. 1. 147 So auch Möslein/Omlor/Heukamp § 18 Rn. 52. 455

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II. Versicherungsvermittler 1. Allgemeines 100 Viele InsurTechs sind in unterschiedlichen Kleidern als Versicherungsvermittler tätig (siehe Rn. 9 ff.). Für Versicherungsvermittler besteht gemäß § 34d GewO grundsätzlich eine Erlaubnispflicht. Zuständige Behörde für die Zulassung und Beaufsichtigung von Versicherungsvermittlern ist nicht die BaFin, sondern die örtlich zuständige Industrie- und Handelskammer (IHK). Schon länger wird das zweigliedrige Aufsichtssystem zwischen der BaFin und den der Landesaufsicht unterstehenden IHK kritisiert und eine einheitliche Übertragung auf die BaFin befürwortet.148 Aufschwung bekommt die Diskussion nun durch den kürzlich eingebrachten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Übertragung der Aufsicht für Finanzanlagenvermittler auf die BaFin.149 Da 80 % der Finanzanlagevermittler auch als Versicherungsvermittler tätig sind,150 könnte als logischer Folgeschritt auch die Übertragung der Zuständigkeit bei Versicherungsvermittlern erfolgen. Andere hingegen sind für eine einheitliche Bündelung der Aufsicht für Finanz- und Versicherungsvermittler bei der IHK.151 Der weitere Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens könnte insoweit prägenden Charakter für die Diskussion haben und bleibt daher abzuwarten. 101 Versicherungsvermittler ist der Oberbegriff und das Gesetz unterscheidet zwischen Versicherungsvertretern und Versicherungsmaklern. Versicherungsvertreter ist, wer durch ein oder mehrere Versicherungsunternehmen oder durch einen Versicherungsvertreter mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Versicherungsverträgen betraut ist (§ 34d Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GewO, § 59 Abs. 2 VVG). Typische Erscheinungsformen des Versicherungsvertreters im InsurTech-Sektor sind die Assekuradeure. Versicherungsmakler ist, wer die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen für den Auftraggeber übernimmt, ohne von einem Versicherungsunternehmen oder einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GewO, § 59 Abs. 3 VVG). Preisvergleichsportale oder Anbieter von digitalen Versicherungsordnern sind in der Regel als Versicherungsmakler tätig.

2. Erlaubnispflichtige Tätigkeiten 102 Einer Erlaubnis bedarf ein Versicherungsvermittler, wenn er gewerbsmäßig den Abschluss von Versicherungsverträgen vermitteln will. Die Tätigkeit muss den konkreten Abschluss eines Versicherungsvertrages umfassen, auf ihn abzielen oder zumindest die Möglichkeit eines späteren

148 Beenken/Teichler RuS 2019, 241, 247; Rüsing VersR 2019, 129; siehe auch Stellungnahme des BDV zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie:Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb, S. 20, abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Stellungnahmen/Stellungnahmen-idd/bund-derversicherten.pdf?__blob=publicationFile&v=7. 149 Siehe Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht v. 17.12.2019, abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_VII/19_Legislaturperiode/2019-12-23-Fin AnlVUEG/0-Gesetz.html. 150 BT-Drucks. 19/8105, S. 1. 151 BVK, Pressemitteilung v. 6.1.2020, abrufbar unter https://www.bvk.de/themen/publikation/pressemitteilung/ bvk-gegen-bafin-aufsicht-fur-finanzanlagenvermittler.545/, sowie GDV, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler und Honorar-Finanzanlagenberater auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht v. 21.4.2020, S. 3 ff., abrufbar unter https://www.gdv.de/ resource/blob/58834/127603ffe5d13b6091a95f3491ae75dd/rege--uebertragung-der-aufsicht-ueber-finanzanlagever mittler-auf-bafin-stellungnahme---download-data.pdf. Fischer

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Vertragsschlusses eröffnen.152 Ohne das Konkretisierungserfordernis wäre eine Abgrenzung zum bloßen „Tippgeber“, der lediglich vorbereitende Handlungen vornimmt, noch schwieriger. Auf einen Erfolg der Vermittlungstätigkeit kommt es hingegen nicht an.153 Der Begriff der Gewerbsmäßigkeit stimmt nicht mit dem allgemeinen Gewerbebegriff überein und muss im Lichte der IDD-Richtlinie154 insbesondere im Hinblick auf die Merkmale der Gewinnerzielungsabsicht, der Selbstständigkeit und der gewissen Dauer richtlinienkonform ausgelegt werden.155 Infolge der Umsetzung der IDD-Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber nunmehr auch 103 explizit das Mitwirken bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall als Versicherungsvermittlungstätigkeit aufgenommen (§ 34 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 GewO). Zudem handelt es sich auch um eine erlaubnispflichtige Tätigkeit, wenn dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit geboten wird, einen Versicherungsvertrag unmittelbar oder mittelbar über eine Website abzuschließen, sofern dem Versicherungsnehmer durch von ihm gewählte Kriterien Informationen über Versicherungsverträge bereitgestellt werden oder eine Rangliste von Versicherungsprodukten erstellt wird (§ 34d Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 GewO).

a) Mitwirkung im Schadenfall. Bei Dienstleistungen von InsurTechs im Zusammenhang mit 104 Schadenfällen handelt es sich nicht per se um eine erlaubnispflichtige Vermittlungstätigkeit. Vielmehr sind die reine Schadenregulierung und die sachverständige Schadenbegutachtung, also Tätigkeiten, die sich auf die Schadenfeststellung oder die Schadenbeseitigung beziehen, nicht erlaubnispflichtig nach § 34d GewO.156 Ob die reine Beratung im Schaden- oder Leistungsfall, die grundsätzlich als Mitwirkung bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen im Schadensfall qualifiziert wird,157 eine Erlaubnispflicht auslöst, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift.158 Der Gesetzgeber scheint aber davon auszugehen, dass die Tätigkeiten als solche noch keine Erlaubnispflicht auslösen; vielmehr soll klargestellt werden, dass die entsprechenden Tätigkeiten durch einen Versicherungsvermittler ausgeübt werden dürfen.159 Demnach bedürfen InsurTechs, die ausschließlich Dienstleistungen im Schaden- und Leistungsmanagement erbringen, also beispielsweise digitale Lösungen für den Schadenaufnahme- oder Schadenregulierungsprozess liefern, keiner Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO. Im Zusammenhang mit der Schadenbearbeitung müssen InsurTechs zudem berücksichti- 105 gen, dass die Schadenregulierung durch Versicherungsmakler grundsätzlich eine unzulässige Rechtsdienstleistung im Sinne des § 5 Abs. 1 RDG darstellt, da sie im Regelfall nicht als Nebenleistung zu dessen Berufs- oder Tätigkeitsbild gehört.160 Folglich dürfen auch InsurTechs, die als Versicherungsmakler tätig sind, keine Schadensregulierung übernehmen. Andernfalls sind sie nach § 5 Abs. 1 RDG unzulässig, auch wenn ihnen eine Erlaubnis nach § 34d GewO erteilt wurde.

b) Abgrenzung zum „Tippgeber“. Die Tätigkeit als Versicherungsvermittler muss vom bloßen, 106 erlaubnisfreien „Tippgeber“ abgegrenzt werden. Letzterer agiert nicht als Vermittler im Sinne des 152 Landmann/Rohmer/Schönleiter § 34d Rn. 34. 153 Landmann/Rohmer/Schönleiter § 34d Rn. 34b. 154 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze v. 20.7.2017, BGBl. I 2017, 2789. 155 BeckOK GewO/Will § 34d Rn. 40 ff. 156 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, S. 38; so auch BeckOK GewO/Will § 34d Rn. 32; Landmann/Rohmer/Schönleiter § 34d Rn. 37; Schulze-Werner GewArch 2017 418, 419. 157 Emde/van der Veer VersR 2018 1285, 1294; Landmann/Rohmer/Schönleiter § 34d Rn. 36. 158 Emde/van der Veer VersR 2018 1285, 1294. 159 Hierzu sehr ausführlich und instruktiv Emde/van der Veer VersR 2018 1285, 1293 ff. 160 BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 – VersR 2016, 1118. 457

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§ 34d und unterfällt daher nicht der Erlaubnispflicht. Er beschränkt sich darauf, die Möglichkeit zum Abschluss eines Versicherungsvertrages namhaft zu machen oder Kontakte zwischen einem möglichen Versicherungsnehmer und einem Versicherungsvermittler oder Versicherungsunternehmen herzustellen.161 Die Abgrenzung zum Vermitteln erfolgt nach dem objektiven Erscheinungsbild der Tätigkeit.162 Ob dabei auch weiterhin auf das Erfordernis eines konkreten Produktbezuges abzustellen ist, wurde von der Rechtsprechung bisher nicht geklärt. Die Literatur scheint zutreffend überwiegend davon auszugehen.163 Durch die Konkretisierung soll dem Versicherungsnehmer bewusstgemacht werden, dass der Vermittler nicht unabhängig agiert. Dies wird für den Versicherungsnehmer aber vor allem dann klar, wenn ihm zu einem späteren Zeitpunkt noch eine Beratung durch einen Versicherungsvertreter zuteilwird. Denn dann ist für ihn erkennbar, dass der Tippgeber lediglich im Vorfeld tätig wird und Kontakte herstellt, ein konkreter Vertragsabschluss hingegen noch von einer konkreten Beratung abhängt.164 Durch die Neuregelung des § 34d Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 GewO wird die Tätigkeit als Tippgeber 107 ohne Erlaubnis beim Einsatz digitaler Medien eingeschränkt, da nicht nur Vergleichsrechner, die dem Versicherungsnehmer durch Weiterleitung auf die Website eines Versicherers die Möglichkeit eines Vertragsabschlusses geben, erfasst sind, sondern auch Websites, die zwar lediglich generische Informationen zu Versicherungsverträgen geben, aber dadurch ebenfalls die Möglichkeit einräumen über diese Websites auf Seiten eines Online-Vermittlers oder eines Versicherers einen Vertrag abzuschließen.165 Keine Versicherungsvermittlung liegt hingegen vor, wenn sich der Kunde zwar online informieren kann, aber der Abschluss des Versicherungsvertrags nicht über die Website oder eine App erfolgen kann, sondern beispielsweise eine Vermittlung an einen Versicherungsvermittler in der Umgebung des Interessenten erfolgt.166 Ein typisches Beispiel hierfür sind sogenannte Research online Purchase offline-Anbieter. In diesem Fall ist der Betreiber der Website oder der App erlaubnisfreier Tippgeber.

3. Erlaubnis nach § 34d GewO 108 Personen, die als Versicherungsvermittler tätig sind, bedürfen gemäß § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO einer Erlaubnis der zuständigen IHK, sofern kein Ausnahmefall nach den Absätzen 6–8 vorliegt. Die Erlaubnis wird nur auf Antrag und nur typenspezifisch entweder für die Tätigkeit als Versicherungsvertreter oder Versicherungsmakler erteilt.167 Ein Versicherungsvertreter mit entsprechender Erlaubnis darf nicht (auch) als Versicherungsmakler auftreten und umgekehrt.168 Der Antrag ist gemäß § 34d Abs. 1 S. 1 GewO bei der zuständigen IHK, also der IHK, in deren 109 Bezirk der Vermittler seine Betriebsstätte hat oder seine Tätigkeit schwerpunktmäßig ausübt, zu stellen. Der Antrag kann auch von juristischen Personen mit eigener Rechtspersönlichkeit gestellt werden. Dabei müssen auch die in § 1 VersVermV verlangten Angaben über etwaige Beteiligungen und Interessenkonflikte erfolgen. Gleichzeitig muss die Eintragung in das Vermittlerregister nach § 34d Abs. 10 i. V. m. § 11a Abs. 1 S. 1 beantragt werden. Die IHK ist nicht nur für die Erteilung sondern auch für die nachträgliche Änderung, Rücknahme oder den Widerruf der Erlaubnis zuständig („actus contrarius“).169

161 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – VersR 2014, 497, 499. 162 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – GRUR 2014, 398, 401. 163 BeckOK VVG/Gansel/Gängel § 59 Rn. 81; Boetius/Rogler/Schäfer/Eichelberger § 14 Rn. 51; Prölss/Martin/Dörner § 34d Rn. 8 ff. 164 Vgl. auch Beckmann/Scholtz/Vollmer Schreiben 160, Rn. 66, 127; Landmann/Rohmer/Schönleiter § 34d Rn. 43. 165 So wohl auch Schulze-Werner GewArch 2017, 418, 420. 166 So auch Landmann/Rohmer/Schönleiter § 34d Rn. 46. 167 Landmann/Rohmer/Schönleiter § 34d Rn. 20. 168 OLG München 16.1.2020 – 29 U 1834/18, GRUR-RS 2020, 3146. 169 BeckOK GewO/Will § 34d Rn. 138. Fischer

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Die Erlaubnis ist gemäß Abs. 5 zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die erforderliche 110 Zuverlässigkeit, Sachkunde und Berufshaftpflichtversicherung besitzt oder in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt. Bei einer juristischen Person gilt dies entsprechend für deren gesetzliche Vertreter. Weist der Antragsteller das positive Vorliegen dieser Voraussetzungen nach, hat er einen Anspruch auf Erlaubniserteilung. Gemäß § 34d Abs. 10 GewO müssen nicht nur der Versicherungsvermittler, sondern auch 111 dessen Mitarbeiter in leitender Position sich unverzüglich nach Tätigkeitsaufnahme in das Vermittlerregister nach § 11a GewO eintragen lassen. Dies gilt nicht für alle unmittelbar an der Vermittlung oder Beratung mitwirkenden Personen.170 Hinweise über die Speicherung der Angaben und Mitwirkungspflichten des Antragstellers finden sich in §§ 8–10 VersVermV.

III. Sonstige InsurTechs 1. Assekuradeur Allgemein ist bei Assekuradeuren zu prüfen (Rn. 10 f.), ob deren Tätigkeit Versicherungsvermitt- 112 lungsleistungen gegenüber dem Endkunden umfasst. Nur in diesem Fall besteht eine Erlaubnispflichtigkeit.171 Ist ein Assekuradeur hingegen als reiner Schadenregulierer des Versicherungsunternehmens tätig, fällt die Tätigkeit nicht unter § 34d GewO. Die Assekuradeure im InsurTech-Sektor haben allerdings in der Regel die direkte Exponie- 113 rung gegenüber dem Kunden und streben diese auch ganz gezielt an. Sie müssen sich dann als Versicherungsvertreter nach § 34d GewO zulassen. In Ausübung ihrer Tätigkeit müssen sie darauf achten, dass sie nicht wie ein Versicherungsmakler agieren, weil sie dann als Pseudomakler haften.

2. Peer-to-Peer Versicherung Bei Peer-to-Peer Versicherungsmodellen (Rn. 12 ff.) stellt sich insbesondere die Frage, ob die 114 Rolle, die die Personen in der Gemeinschaft übernehmen, eine erlaubnispflichtige Tätigkeit als Versicherungsunternehmen darstellt. Auf diese Frage richtet auch die BaFin ihren Fokus.172 Ob dies der Fall ist, hängt maßgeblich davon, ab wie die Einstandsvereinbarungen zwischen den Mitgliedern konkret ausgestaltet sind. Fehlt es an einer Einstandspflicht der Mitglieder untereinander, vor allem wenn die Haftungsmaße, die in der Regel für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung steht, aufgebraucht ist, dann sprechen gute Gründe gegen eine Erlaubnispflichtigkeit der Tätigkeit der Mitglieder der Gemeinschaft. Insgesamt ist aber jeder Einzelfall sorgfältig zu analysieren und gegebenenfalls im Vorfeld mit der Aufsichtsbehörde abzustimmen.

C. Digitaler Vertrieb Bis zur Umsetzung der IDD-Richtlinie unterschied sich der Rechtsrahmen für Vertriebstätigkei- 115 ten eines Digitalversicherers und denen eines digitalen Versicherungsvermittlers erheblich. Durch die Umsetzung der IDD-Richtlinie sind die Unterschiede, die ohne sachliche Rechtferti-

170 Schulze-Werner GewArch 2017 418, 423. 171 Landmann/Rohmer/Schönleitner § 34d Rn. 57. 172 So Grund beim Zukunftsforum Assuekuranz am 10. September 2019 in Köln; abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Reden/re_190910_ZukunftsforumAssekuranz_EDVA.html. 459

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gung bestanden, beseitigt. Selbstverständlich bestehen aber insbesondere im Hinblick auf die Informationspflichten einige Unterschiede, die aus den unterschiedlichen Rollen resultieren. Vor Umsetzung der IDD-Richtlinie waren Formerfordernisse, die stark bis ausschließlich auf den analogen Vertrieb ausgerichtet waren, eine große Herausforderung für den digitalen Vertrieb.173 Durch eine nahezu flächendeckende Einführung174 des Textformerfordernisses sind die Hürden deutlich gesunken. Wenn das Versicherungsvertragsgesetz oder die einschlägigen Verordnungen175 ein Textformerfordernis nach § 126b BGB für die Übermittlung von Informationen oder die Abgabe von Willenserklärungen vorsehen, stellt sich die Frage, wie diesem Erfordernis genüge getan werden kann. Beim Bestehen eines Textformerfordernisses muss eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Ein dauerhafter Datenträger ist „jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraum zugänglich ist und geeignet ist die Erklärung unverändert wiederzugeben“ (§ 126b Satz 2 BGB). Üblicherweise wird darauf verwiesen, dass eine DVD, ein Fax oder ein USB-Stick ein dauerhafter Datenträger in diesem Sinne sei.176 Die vorstehend genannten Datenträger helfen allerdings für einen Vertragsabschluss ohne Medienbruch kaum weiter. Für den Versicherungsvertreiber macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob er dem Kunden eine Dokumentation auf Papier oder auf einer DVD übersendet. Allerdings ist zusätzlich zu den vorstehend genannten Medien grundsätzlich auch eine Übermittlung per E-Mail, über einen Zwangs-Download oder an eine Online-Kundenmailbox, die den Anforderungen an eine sogenannte sophisticated Website erfüllt,177 ausreichend, um das Textformerfordernis zu erfüllen. In der Praxis wird das Schriftformerfordernis vor allem durch die Übersendung von E-Mails mit entsprechendem Angang, per Zwangs-Download und sehr verstärkt durch individuelle Online-Kundenmailboxen erfüllt. Der gewählte dauerhafte Datenträger muss im Rahmen des getätigten Geschäfts angemessen sein.178 Eine Informationserteilung per E-Mail ist angemessen, wenn der Vertragsinteressent bei dem Versicherungsvertreiber eine E-Mailadresse angibt. Damit macht er deutlich, dass er mit der Übermittlung von Informationen per E-Mail einverstanden ist.179 Nicht jeder Download von einer Website entspricht jedoch dem Textformerfordernis. Vielmehr muss zwischen den verschiedenen Ausgestaltungen einer Website unterschieden werden. Ein nur optionaler Download oder die Einrichtung der Website in der Weise, dass der Versicherungsnehmer zumindest zum Download angehalten wird, reicht nicht aus.180 Um die Pflicht zu erfüllen, bedarf es entweder der individuellen Übermittlung an den Versicherungsnehmer, z. B. per E-Mailanhang, oder aber es wird durch Einrichtung eines Zwangs-Downloads auf der Website sichergestellt, dass der Versicherungsnehmer die Informationen herunterlädt und tatsächlich abspeichert.181 Das könnte dergestalt erfolgen, dass der Versicherungsantragsprozess im

173 Vgl. hierzu u. a. Fischer BB 2012, 2773; Goretzky VersR 2018 1, 4 f. 174 Vgl. zu den naoch bestehenden Schriftformerfordernissen Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 70 ff. 175 Hier sind im Wesentlichen die Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-Informationspflichtenverordnung – VVG-InfoV) und die Verordnung über die Versicherungsvermittlung und –beratung (Versicherungsvermittlungsverordnung – VersVermV) zu nennen. 176 Vgl statt Vieler Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Einsele § 126a Rn. 6. 177 Eine einfache Website reicht hingegen nicht aus, vgl. dazu ausführlicher Fischer BB 2012 2773, 2774. 178 Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 76. 179 Fischer BB 2016 3082(3087); Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 84. 180 Fischer BB 2012, 2773, 2774; Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 88; a. A. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 7 VVG Rn. 32 ff.; wohl auch Langheid/Rixecker/Langheid § 7 VVAG Rn. 26. 181 So auch BGH 15.5.2014 – III ZR 368/13 – NJW 2014, 2857, 2858; Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 VVG Rn. 106; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 7 VVG Rn. 15. Fischer

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Internet nicht fortgeführt werden kann, bevor der Versicherungsnehmer die Informationen gespeichert oder ausgedruckt hat.182 Allerdings ist fraglich, wie dies vom Versicherer nachgewiesen werden kann und wer für die 120 ordnungsgemäße Übermittlung das Risiko trägt. Eine bloße Bestätigung des Versicherungsnehmers genügt jedenfalls nicht.183 Grundsätzlich hat der Gesetzgeber dem Versicherungsvertreiber eine Informationsverschaffungspflicht auferlegt. Es obliegt ihm, die Informationen dem Versicherungsnehmer zu übermitteln, dieser muss sie sich nicht selbst verschaffen.184 Geregelt ist aber nicht, wer das Übermittlungsrisiko trägt, wenn der Versicherer seinerseits alles Erforderliche für die ordnungsgemäße Übermittlung unternommen hat und die Störung in der Sphäre des Versicherungsnehmers liegt.185 Richtigerweise sind in diesem Falle die Grundsätze über den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen entsprechend anzuwenden.186 Es liegt in der Sphäre des Versicherungsnehmers und damit auch in seiner Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass ausreichend Speicherplatz auf dem genutzten Speichermedium sowie eine konstante Internetverbindung zur Verfügung stehen.187 Der Versicherer hat seinerseits jedoch darauf zu achten, dass die von ihm übermittelte Datei keinen außergewöhnlich großen Umfang hat. Zudem ist der Versicherer nach Treu und Glauben verpflichtet, die Übermittlung zu wiederholen, wenn für ihn erkennbar ist, dass sie vorher fehlgeschlagen ist.188 Der Nachweis der Übermittlung kann beispielsweise durch ein verpflichtendes Empfangsbekenntnis oder eine sog. Log-File erfolgen.189 Bei einem Zwangs-Download genügt der Nachweis einer solchen Einrichtung, um die Übermittlung zu beweisen.190 Für die Zukunft ist eine klare Entwicklung hin zu Online-Kundenmailboxen zu erwarten. 121 Diese erfüllen, wenn sie richtig ausgestaltet sind, das Textformerfordernis und bieten darüber hinaus für den Kunden den Vorteil, dass er mobil einen vollständigen Zugriff auf dort hinterlegten Informationen hat. So soll es ausreichen, wenn dem Nutzer ein passwortgeschützter, persönlicher Bereich zusteht, in dem er die Informationen herunterladen, sowie dauerhaft speichern und abrufen kann.191 Allerdings muss gewährleistet sein, dass eine Änderung der dort hinterlegten Informationen durch den Versicherungsvertreiber oder den mit der Verwaltung betrauten Administrator ausgeschlossen ist.192 Hierbei handelt es sich um das wesentliche Merkmal bei der Ausgestaltung einer Online-Kundenmailbox. Einigkeit besteht darüber, dass eine Online-Kundenmailbox, die sich im Machtbereich, konkret auf dem Server des Versicherungsvertreibers befinden, den Anforderungen nicht gerecht wird.193 Vor dem Hintergrund, dass eine Veränderbarkeit ausgeschlossen sein muss, sind insgesamt hohe Anforderungen an eine OnlineKundenmailbox zu stellen. Nicht ausreichend ist, wenn lediglich der Administrator über Schreibrechte verfügt, eine rein vertragliche Verpflichtung keine Änderungen vorzunehmen und zwar auch dann nicht, wenn technisch sichergestellt ist, dass Änderungen für den Kunden sichtbar gemacht würden.194 Vielmehr bedarf es der Einschaltung eines Dritten, der sich auch gegenüber dem Kunden verpflichtet, keine Änderungen an den oder eine Löschung der Informa-

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Oelschlägel/Scholz/Mönnig B. Versicherungen, Rn. 7.251. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 7 Rn. 1. BGH 15.5.2014 – III ZR 368/13 – NJW 2014, 2857, 2858. Notthoff RuS 2018, 523, 526. Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 102. Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 104. Notthoff RuS 2018, 523, 526. Notthoff RuS 2018, 523, 526. Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 113, in diesem Sinne auch Fischer BB 2012 2773, 2774. EFTA-Gerichtshof 27.1.2010 (E-4/09) – VersR 2010, 793, 796 f.; EuGH 25.1.2017 – C-375/15 (BAWAG/VKI) – NJW 2017, 871, 872; Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 91. 192 EuGH 25.1.2017 – C-375/15 (BAWAG/VKI) – NJW 2017, 871, 872. 193 Haas GRUR Int. 2018 217, 220; Lehmann/Rettig NJW 2020 569, 572 ff. 194 Vgl. hierzu ausführlich Lehmann/Rettig NJW 2020 569, 572 ff. 461

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tionen vorzunehmen. Nur so kann eine hinreichende organisatorische Trennung sichergestellt werden, die sicherstellt, dass die Informationen unverändert abrufbar sind.195 122 Zudem müssen die Informationen während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich sein. Erforderlich ist, dass diese Auskünfte auf der Website so lange verfügbar bleiben, wie sie für den Versicherungsnehmer vernünftigerweise abrufbar sein müssen. Der Zeitraum unterscheidet sich je nach Normzweck. Im Hinblick auf die übermittelten Informationen des Versicherers nach § 6 VVG über eine Website wird davon ausgegangen, dass dem mit § 16 Abs. 2 VersVermV wortgleichen Erfordernis der Verfügbarkeit nach § 6a Abs. 2 VVG nur Genüge getan ist, wenn diese vor Vertragsabschluss erteilten Informationen über die gesamte Vertragslaufzeit vorgehalten werden.196 Für die Erstinformationen des Versicherungsvermittlers ist dies aber nicht die richtige Frist. Vielmehr erscheint es bei Versicherungsvermittlungsleistungen angemessen, wenn die Erstinformationen dem Versicherungsnehmer bis zum Ablauf der absoluten Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche wegen Beratungsfehlern zur Verfügung stehen.197

I. Informationspflichten des Versicherungsvertreibers 123 Die Informationspflichten unterscheiden sich je nach Versicherungsvertreiber. Während Versicherungsvermittler die Informationspflichten der VersVermV zu beachten haben, müssen Versicherer die Vorgaben des § 7 VVG und der VVG-InfoV einhalten.

1. Erstinformationen des Versicherungsvermittlers 124 Gemäß § 15 VersVermV hat der Versicherungsvermittler dem Vertragsinteressenten beim ersten Geschäftskontakt bestimmte – insbesondere statusbezogene – Angaben, die sogenannten Erstinformationen, mitzuteilen. Diese Informationspflicht gilt nicht für Rückversicherungsverträge und Versicherungsverträge über Großrisiken im Sinne von § 210 Abs. 2 VVG (§ 15 Abs. 3 VersVermV). Im Grundsatz verlangt § 16 VersVermV zur Erfüllung der Informationspflicht nach § 15 VersVermV eine Mitteilung in Papierform. Damit setzt der Gesetzgeber genau die durch die IDDRichtlinie198 vorgegebenen Anforderungen um.199 Allerdings erlaubt § 16 Abs. 2 VersVermV unter bestimmten Voraussetzungen eine Ersetzung der Papierform durch einen dauerhaften Datenträger oder über eine Website.200 Schließlich bestehen im Zusammenhang mit dem digitalen Vertrieb in Bezug auf die Mitteilung der Erstinformation noch einzelne Sonderfragen.

125 a) Mitteilung. Die erforderlichen Angaben sind dem Versicherungsnehmer mitzuteilen. Eine Mitteilung im Sinne des § 15 VersVermV erfordert eine aktive Kommunikation seitens des Versicherungsvermittlers und nicht nur ein passives Informationsangebot.201 Die bloße Abrufbarkeit der Erstinformation, kann nicht als Mitteilung angesehen werden.202 Vielmehr muss sie dem Vertragsinteressenten dergestalt präsentiert werden, dass sie sich ihm darstellt und er nicht

195 Freitag ZIP 2018 1805, 1812; Heckmann/Kaspereit NJW 2017 871, 873. 196 Langheid/Rixecker/Langheid § 6a Rn. 14 jedenfalls für Versicherungsverträge mit langer Laufzeit; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6a Rn. 11.

197 Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 77. 198 RL (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb ABl. L 26 v. 2.2.2016, S. 19. 199 Vgl. Art. 23 IDD-Richtlinie. 200 Siehe hierzu im Einzelnen die Ausführungen unter Rn. 117 ff. 201 LG München I 13.7.2016 – 37 O 15268/15 VersR 2016 1315. 202 OLG München 6.4.2017 – 2 9 U 3139/16 VersR 2017 1270, 1273. Fischer

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danach suchen muss.203 Die Erstinformation muss seitens des Versicherungsvermittlers also so platziert werden, dass sie für den Vertragsinteressenten beim Besuch der Website oder beim Öffnen der App unmittelbar sichtbar ist.204 Hierbei ist allerdings zusätzlich zu beachten, dass die Mitteilung der Erstinformation in Textform zu erfolgen hat; die Information dem Vertragsinteressenten also dauerhaft zugänglich gemacht wird. Diesem Formerfordernis kann in vielfältiger Weise entsprochen werden (siehe Rn. 120 ff.). 126 In der Praxis haben sich aber im Wesentlichen zwei Formen durchgesetzt. Entweder übermitteln Versicherungsvermittler die Erstinformationen als Anhang einer E-Mail oder sie sehen einen Zwangs-Download vor. Hierzu programmieren sie ihre Website oder App so, dass der Versicherungsnehmer versicherungsvermittlungsrelevante Funktionen erst in Anspruch nehmen kann, wenn er die Erstinformationen runtergeladen hat oder sie ihm per E-Mail übersandt wurden.205 Zunehmend sind aber auch Lösungen über Online-Kundenmailboxen zu beobachten.

b) Erster Geschäftskontakt. Der Versicherungsvermittler muss dem Vertragsinteressenten die 127 Erstinformationen beim ersten Geschäftskontakt mitteilen. Der Begriff des ersten Geschäftskontakts ist insbesondere im Zusammenhang mit der digitalen Vermittlung von Versicherungsverträgen auslegungsbedürftig.206 Die Erstinformationen sollen den Vertragsinteressen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt 128 darüber in Kenntnis setzen, mit wem und insbesondere mit welchem Vermittlertyp er es zu tun hat.207 Der Versicherungsmakler wird als Sachwalter des Versicherungsnehmers und der Versicherungsvertreter als Vertriebsorgan des Versicherers tätig, so dass es für den Versicherungsinteressenten wesentlich ist, zu wissen, welchem Vermittlertypus der jeweilige Versicherungsvermittler zuzuordnen ist, um einschätzen zu können, mit welchem Maß an Unabhängigkeit der Vermittler agiert.208 Allerdings hat der Verordnungsgeber, sicherlich noch mit einer analogen Vermittlungssituation vor Augen, festgehalten, dass bei einer Kontaktaufnahme durch den Versicherungsinteressenten die Erstinformationen nicht zu erteilen seien, solange noch nicht klar ist, aus welchem Grund der Vertragsinteressent den Kontakt sucht. Eine Kontaktaufnahme zwecks Terminabsprache löse noch keine entsprechenden Informationspflichten aus.209 Ein Geschäftskontakt soll aber auf jeden Fall dann vorliegen, wenn das Gespräch schon mit dem Ziel geführt wird, einen bestimmten Versicherungsvertrag zu vermitteln.210 Eine wesentliche Literaturmeinung geht davon aus, dass bei einer Online-Vermittlung be- 129 reits im Aufrufen der Website des Versicherungsvermittlers durch den Vertragsinteressenten der erste Geschäftskontakt liegt.211 Diese weite Auslegung dient dem Schutz des Versicherungsnehmers. Sie berücksichtigt jedoch Sinn und Zweck der Vorschrift nicht hinreichend, wonach die Informationspflicht gerade nicht bestehen soll, solange der Grund des Besuchs der Website noch nicht klar ist. Wird also beispielsweise ein rein informatorisches Anliegen verfolgt212 oder hat sich der Websitebesucher bei dem Aufruf der Website schlicht vertan,213 besteht noch kein Schutzbedürfnis des Vertragsinteressenten.

203 204 205 206 207 208 209 210 211

LG München I 13.7.2016 – 37 O 15268/15 VersR 2016 1315. So schon Fischer BB 2016 3082, 3084. Vgl. hierzu auch schon Fischer BB 2016 3082, 3086. Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 124. Höra/Baumann § 4 Rn. 185; Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 124. Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 124; in diesem Sinne auch Höra/Baumann § 4 Rn. 185. BR-Drs. 207/07, 30 f. Höra/Baumann § 4 Rn. 185. U. a. Notthoff RuS 2018 523, 527; Prölss/Martin/Dörner § 11 VersVermV Rn. 3; wohl auch Schwintowski VersR 2015 1062, 1065. 212 Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 12. 213 Fischer BB 2012 2073, 2274; Goretzky VersR 2018 1, 4. 463

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Nach zutreffender Auffassung liegt der erste Geschäftskontakt im digitalen Vertrieb daher erst in dem Moment vor, in dem sich des Wille des Vertragsinteressenten manifestiert hat, Versicherungsvermittlungsleistungen in Anspruch zu nehmen.214 Wann dies der Fall ist, hängt von der Art der digitalen Vermittlung ab. Bei einer Website manifestiert sich ein entsprechender Wille entweder, wenn der Vertragsinteressent eine bestimmte Kategorie von Versicherungsprodukten auswählt215 oder – sofern dies zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt – der Vertragsinteressent individuelle Daten von sich preisgibt216. Bei Apps hingegen bereits dann, wenn sich der Nutzer registriert,217 denn zu diesem Zeitpunkt gibt der Nutzer individuelle Daten von sich preis. Auch der europäische Gesetzgeber und der deutsche Verordnungsgeber können nichts Anderes gewollt haben. Würde man der weiten Auslegung folgen, würden die speziell für den digitalen Vertrieb konzipierten Regelungen ad absurdum geführt. Dem Vertragsinteressenten müssten dann bereits Informationen zur Verfügung gestellt werden, ehe er darauf verzichten kann, dass ihm diese in der gesetzlich standardmäßig vorgesehenen Papierform mitgeteilt werden und damit würde die Verzichtsmöglichkeit ins Leere laufen.218

2. Vorvertragliche Informationspflichten des Versicherers 131 Den Versicherer treffen gemäß § 7 VVG gegenüber dem Versicherungsnehmer vorvertragliche Informationspflichten. Dadurch soll dem Versicherungsnehmer bereits vor Vertragsschluss ein Überblick über die relevanten Informationen verschafft und so seine Entscheidung für ein Versicherungsprodukt erleichtert werden. Die Vorschrift wurde im Rahmen der VVG-Reform 2008 eingeführt und umfasst alle unionsrechtlich vorgeschriebenen Informationspflichten. § 7 Abs. 1 VVG regelt die Art und Weise der Information. Absatz 2 ermächtigt den materiellen Gesetzgeber zur Regelung von Einzelheiten, insbesondere bezogen auf bestimmte Versicherungsverträge, von der er mit Einführung der Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) vom 18.12.2007 Gebrauch gemacht hat. 132 Die Norm richtet sich an alle Versicherer, unabhängig von der Art der Versicherung, dem Status des Versicherungsnehmers und dem Zustandekommen des Vertrages.219 Ausgenommen vom Anwendungsbereich sind nach Abs. 5 ausschließlich Versicherungsverträge über Großrisiken im Sinne des § 210 Abs. 2 VVG. Die Informationen sind entweder dem Versicherungsnehmer selbst oder, wenn er durch einen Versicherungsmakler vertreten wird, diesem zu erteilen (§ 166 Abs. 1 BGB).220 Erteilt werden müssen Informationen über die Vertragsbestimmungen einschließlich der AVB sowie über die nach der VVG-InfoV vorgeschriebenen Einzelheiten. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG muss dem Versicherungsnehmer die Information rechtzeitig 133 vor Abgabe von dessen Vertragserklärung erteilt werden. Die Auslegung ist umstritten, da sich hieraus keine feste Frist ableiten lässt. Nach wohl h. M. hängt der Zeitpunkt von der wirtschaftlichen Bedeutung und der Komplexität des jeweiligen Versicherungsprodukts ab.221 Dementsprechend ist eine einzelfallabhängige Betrachtung erforderlich.222

214 Hierzu ausführlich bereits Fischer BB 2016 3082, 3085 f.; so auch Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 125; anders noch Fischer BB 2012 2773, 2774, die davon ausging, dass der Eintritt in die konkrete Beratungsphase maßgeblich sei. 215 Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 125; in diesem Sinne auch Fischer BB 2016 3085, 308. 216 Armbrüster/Pfeiffer ZfV 2016 277, 278. 217 So auch schon Fischer BB 2016 3082, 3086. 218 Siehe hierzu auch Kunschke/Schaffelhuber/Fischer Teil F. Rn. 95. 219 Langheid/Rixecker/Langheid § 7 Rn. 14, 16. 220 Langheid/Rixecker/Langheid § 7 Rn. 19. 221 Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 137; Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 7 Rn. 9; a. A. Langheid/Rixecker/Langheid § 7 Rn. 25; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 7 Rn. 44. 222 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 7 Rn. 43. Fischer

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In zwei Fallgestaltungen kann die Information ausnahmsweise erst nach Vertragsschluss erfolgen (§ 7 Abs. 1 Satz 3 VVG). Erstens, wenn der Vertragsschluss auf Verlangen des Versicherungsnehmers über ein Kommunikationsmittel erfolgt, dessen technische Einrichtung eine vorherige Information nicht zulässt, wie z. B. telefonisch oder via SMS. Nicht erfasst wird hiervon der Vertragsschluss über das Internet, da dort eine elektronische Mitteilung möglich ist.223 Zweitens dann, wenn der Versicherungsnehmer auf die vorvertragliche Information wirksam verzichtet hat. Durch eine gesonderte schriftliche Erklärung kann der Versicherungsnehmer auf eine Information vor Abgabe seiner Vertragserklärung ausdrücklich auf die Informationserteilung verzichten (§ 7 Abs. 1 Satz 3 letzter Halbsatz VVG). Der Verzicht ist nicht nur bei Verwendung eines Kommunikationsmittels im Sinne des 1. Halbsatz zulässig, sondern bei allen Vertragsschlüssen.224 Die Erklärung bedarf der Schriftform nach § 126 BGB und somit einer eigenhändigen Unterschrift des Versicherungsnehmers. Ausreichend ist eine gesonderte Erklärung und Unterschrift, die sich aber nicht auf einem gesonderten Schriftstück befinden muss.225 Das Schriftformerfordernis hat bis vor Kurzem in der Praxis noch zwingend zu einem Medienbruch beim digitalen Abschluss eines Versicherungsvertrags geführt. Zwar konnte die Schriftform nach §§ 126 Abs. 3, 126a BGB schon seit längerem auch durch die elektronische Form ersetzt werden. Der Verzicht muss dafür auf einem elektronischen Dokument erfolgen und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein. An der qualifizierten elektronischen Signatur scheiterte der Verzicht in der Vergangenheit in elektronischer Form regelmäßig. Das elektronische Dokument kann z. B. eine E-Mail oder PDF-Datei sein.226 Voraussetzung ist die Möglichkeit einer dauerhaften Wiedergabe.227 Der Aussteller der Erklärung, d. h. derjenige, der sie in eigener Verantwortung abgibt,228 muss seinen Namen hinzufügen. Darunter ist nicht die Unterzeichnung des Dokuments zu verstehen.229 Für die qualifizierte elektronische Signatur ist Art. 3 Nr. 12 eIDAS-VO230 maßgeblich. Erforderlich ist danach ein qualifiziertes Zertifikat. Die elektronische Form ist auch bei Verträgen mit Verbrauchern auf dem Vormarsch, weil es mittlerweile zahlreiche Anbieter entsprechender digitaler Lösungen gibt. Angesichts der steigenden Tendenz des Online-Versicherungsabschlüsse wäre daher eine Formerleichterung wie beim Verzicht nach § 6 Abs. 3 S. 2 VVG, der bei Fernabsatzverträgen seit der Gesetzesänderung zur Umsetzung der IDD-Richtlinie vom 23.2.2018 Textform ausreichen lässt, gleichwohl wünschenswert. Umstritten ist, inwieweit ein vorformulierter, formularmäßiger Verzicht zulässig ist. Richtigerweise wird dieser vom Wortlaut des Abs. 1 Satz 3 nicht von vornherein ausgeschlossen, sodass eine Vorformulierung durch den Versicherer zulässig ist.231 Unzulässig ist es aber, wenn der Kunde aufgrund der Gestaltung der App oder Website selbst aktiv werden muss, um die Abgabe einer Verzichtserklärung zu vermeiden.232

223 Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 138; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 7 Rn. 19. 224 Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 16. 225 Langheid/Rixecker/Langheid § 7 Rn. 30; Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 12; a. A. Pohlmann NJW 2017, 3341; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 7 Rn. 22. 226 BeckOGK BGB/Primaczenko/Frohn § 126a Rn. 22. 227 BeckOK BGB/Wendtland § 126a Rn. 3. 228 Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Einsele § 126a Rn. 5. 229 BeckOGK BGB/Primaczenko/Frohn § 126a Rn. 24. 230 Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG, ABl. L 257/73 v. 28.8.2014. 231 So auch Langheid/Rixecker/Langheid § 7 Rn. 30; Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 81; im Ergebnis auch Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 12; a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 7 Rn. 21. 232 Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 222. 465

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Der Verstoß gegen die Informationspflichten hindert das wirksame Zustandekommen des Versicherungsvertrages nicht.233 Allerdings hemmt er die Ingangsetzung der Widerrufsfrist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VVG. Solange der Versicherer seine Informationspflichten nicht erfüllt, beginnt die Frist nicht zu laufen. Dies führt zu einem ewigen Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers, da eine absolute Frist in § 8 VVG nicht vorgesehen ist.234 Der Verstoß kann außerdem einen Schadensersatzanspruch, gerichtet auf Vertragsaufhebung, aus § 280 Abs. 1 BGB und eine Inanspruchnahme nach UWG oder UKlaG begründen.235 Die Verletzung der Pflicht aus § 7 VVG kann auch einen Missstand im Sinne des § 294 VAG darstellen und zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen führen.236 140 Die vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erlassene VVG-InfoV erläutert die Anforderungen an die Informationspflichten nach § 7 Abs. 1 und 2 VVG im Einzelnen. In § 1 VVG-InfoV sind die Informationspflichten geregelt, die bei sämtlichen Versicherungszweigen zu erfüllen sind (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG).237 Sie umfassen Informationen zum Versicherer, zur angebotenen Leistung, zum Vertrag und zum Rechtsweg. §§ 2 und 3 VVG-InfoV regeln weitere Informationspflichten für spezifische Versicherungsverträge. § 4 VVG-InfoV regelt die Anforderungen an das Produktinformationsblatt, das einem Versicherungsnehmer, der Verbraucher ist, zur Verfügung gestellt werden muss. § 5 VVG-InfoV regelt spezielle Informationspflichten bei Telefongesprächen, die auf Veranlassung des Versicherers stattfinden. Welche Informationen dem Versicherungsnehmer während der Vertragslaufzeit zu erteilen sind, ist in § 6 VVGInfoV genauer geregelt.238 139

II. Befragungs- und Beratungspflichten des Versicherungsvertreibers 141 Sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsvermittler unterliegen als Versicherungsvertreiber anlassbezogenen Befragungs- und Beratungspflichten. Die des Versicherers sind in § 6 VVG und die des Versicherungsvermittlers in § 61 VVG normiert. Anders als für die Versicherungsvermittler besteht die gesetzliche Beratungspflicht von Versicherern im digitalen Vertrieb allerdings erst seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der IDD-Richtlinie239 am 23.2.2018. Der deutsche Gesetzgeber hat die bis dahin bestehende Bereichsausnahme in § 6 Abs. 6 VVG a. F. für Direktversicherer bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz, die lange Jahre zu intensiven Diskussionen bezüglich einer analogen Anwendung auf die Versicherungsvermittlung im Fernabsatz geführt hat,240 ersatzlos gestrichen.241 Vor dem Hintergrund, dass die IDDRichtlinie keine Beratungspflicht statuiert,242 war diese Streichung europarechtlich nicht erforderlich. 142 Ein wesentlicher Bestandteil der Frage- und Beratungspflicht besteht darin, dass der Versicherungsvertreiber den Vertragsinteressenten zu seinen Wünschen und Bedürfnissen befragen

233 234 235 236 237 238 239

BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14 – RuS 2017, 409, 410. Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 143. Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 38 ff. Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 145. BAnz. 2008, 98 ff. BT-Drucks. 16/1935 S. 24 (in Bezug auf Versicherungsvermittler). Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze v. 20.7.2017, BGBl. I 2789, 2798. 240 Vgl. hierzu nur Fischer BB 2016 3085, 3087 f. 241 Vgl. Art. 3 Nr. 3 Buchst. d) des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze v. 20.7.2017, BGBl. I 2789, 2798. 242 Armbrüster RuS 2017 617, 618; Beyer VersR 2016 293, 296; Reiff VersR 2016 1533, 1540; a.A. Schwintowski VersR 2015 1062, 1067. Fischer

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muss.243 Diese Bedarfsabfrage ist stets durchzuführen, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht (§§ 6 Abs. 1 Satz 1, 61 Abs. 1 Satz 1 VVG). Sie entfällt auch nicht, wenn der Vertragsinteressent in der Folge wirksam auf die Beratung verzichtet.244 Allerdings geht die Verpflichtung zur Bedarfsabfrage nicht soweit, dass der Versicherungsvertreiber ohne Anlass hierfür eine umfassende Risikoanalyse durchführen muss.245 In diesem Sinne hat das OLG München in dem sogenannten Check24-Urteil auch klargestellt, dass durch § 61 Abs. 1 Satz 1 VVG keine eigenständige Pflicht des Versicherungsvermittlers zur Prüfung, ob die Voraussetzungen vorliegen, die eine Befragung oder Beratung des Vertragsinteressenten erforderlichen machen, besteht.246 Im digitalen Vertrieb liegt damit, stärker als im klassischen analogen Vertrieb, das Risiko, 143 dass ein Beratungsanlass nicht zu Tage tritt. Da sich die meisten Versicherer und Versicherungsvermittler, die im Wesentlichen oder gar ausschließlich auf den digitalen Vertrieb setzen, aber auch besonders für ihre Kundenzentrierung rühmen, führt dies in der Praxis gegenwärtig nicht zwingend zu einer schlechteren Beratung,247 vielmehr ist grundsätzlich zu beobachten, dass die Digitalversicherer versuchen, diesem Thema dadurch zu begegnen, dass sie beispielsweise Kunden einen Fragebogen zur „Bedarfsanalyse“ ausfüllen lassen oder je nach Versicherungssparte primär andere digitale Informationskanäle nutzen.

1. Bestehen eines Beratungsanlasses Sowohl für den Versicherer als auch für den Versicherungsvermittler besteht die Beratungs- 144 pflicht nur, wenn es einen Anlass für die Beratung gibt. Der Anlass kann dabei produkt- oder personenbezogen sein (§§ 6 Abs. 1, 61 Abs. 1 VVG). Unabhängig davon, ob nach den folgenden Ausführungen grundsätzlich ein Beratungsanlass bestehen könnte, entfällt dieser für Versicherer, wenn der Vertragsinteressent durch einen Versicherungsmakler beraten worden ist (§ 6 Abs. 6 VVG).248

a) Produktbezogene Beratungsanlässe. Beratungsanlässe aufgrund der Schwierigkeit, die 145 Versicherung zu beurteilen, werden auch als produktbezogene Beratungsanlässe bezeichnet. Diese können vor allem aus der Komplexität des Versicherungsprodukts oder einzelner vertraglicher Abreden resultieren. Solche produktbezogene Beratungsanlässe sind für den Versicherungsvertreiber leicht zu erkennen241,249 weil ein objektiver Maßstab, nämlich das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers, anzulegen ist. Maßgeblich für die Annahme eines Beratungsanlasses aufgrund der Komplexität des Versi- 146 cherungsprodukts ist, ob es sich bei dem Produkt aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers um ein einfaches Standardprodukt handelt oder um einen komplizierten Versicherungsvertrag, der bei ihm Beratungsbedarf auslöst.250 Entsprechender Beratungsbedarf wird beispielsweise für die kapitalbildenden Lebensversicherungen,251 die privaten Krankenversiche-

243 U. a. Langheid/Wandt/Reiff § 61 VVG Rn. 4. 244 Dies ist nach der zutreffenden Auffassung von Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 148 auch europarechtlich geboten. 245 BT-Drucks. 16/1935 S. 24 (in Bezug auf Versicherungsvermittler). 246 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 – VersR 2017 1270, 127. 247 Siehe auch Goretzky VersR 2018 1, 4. 248 Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 7. 249 U. a. Langheid/Wandt/Reiff § 61 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 24. 250 U. a. Langheid/Rixecker/Rixecker § 6 Rn. 8; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 22. 251 U. a. Langheid/Rixecker/Rixecker § 6 VVG Rn. 14; BeckOK VVG/Gandel/Meister § 61 VVG Rn. 32. 467

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rungen252 oder auch für neuartige Deckungskonzepte wie die Cyber-Versicherung253 angenommen. 147 Ein produktbezogener Beratungsanlass wird ebenfalls angenommen, wenn einzelne vertragliche Abreden komplex sind oder bei Abschluss oder während der Laufzeit des Versicherungsvertrages besondere Rechtsfolgen haben, die von dem Vertragsinteressenten ggf. nicht ohne Weiteres überblickt werden können. Beispiele für komplexe einzelne vertragliche Abreden sind die Regelungen zur Berechnung des Versicherungswertes in der Sachversicherung, Verweisungsklauseln in der Berufsunfähigkeitsversicherung oder Ausschlüsse in der Privathaftpflicht.254 Bei einer Lebensversicherung in Form einer Nettopolice mit separater Vergütungsvereinbarung 148 liegt der Beratungsanlass beispielsweise in der besonderen Rechtsfolge einer frühzeitigen Kündigung des Versicherungsvertrags.255 Bei Umdeckungen kann ein Beratungsanlass bestehen, wenn der Wechsel des Versicherers mit Nachteilen verbunden ist oder zumindest sein kann.256

149 b) Personenbezogene Beratungsanlässe. Zu den sogenannten personenbezogenen Beratungsanlässen, also solchen die in der Person des Vertragsinteressenten oder dessen Situation liegen, zählen je nach Versicherungsprodukt beispielsweise verfügbares Einkommen, Alter, Beruf, Personenstand, vorhandene Vorerkrankungen. Im Falle einer Hausratversicherung wäre dies zum Beispiel die Abfrage des Berufes. Da es bei Studenten zu einer Doppelversicherung kommen kann, wenn dessen Eltern bereits Versicherungsnehmer einer Hausratversicherung sind, ist die Studenteneigenschaft zu erfragen.257 Ein Beratungsanlass kann aber beispielsweise auch daraus folgen, dass der Vertragsinteres150 sent nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügt oder über unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten verfügt.258

151 c) Erkennbarkeit des Beratungsanlasses. Grundsätzlich besteht eine Pflicht zur Beratung nur, wenn der Anlass für den Versicherungsvertreiber erkennbar war. Insbesondere personenbezogenen Beratungsanlässen können im digitalen Vertrieb nicht unmittelbar erkennbar sein. Der digitale Versicherungsvertreiber kann sich aber nicht darauf zurückziehen, sondern muss vielmehr im Rahmen seiner Fragepflicht mögliche Beratungsanlässe ermitteln. Anlässe, die einem Versicherungsvertreiber im klassischen analogen Vertrieb erkennbar wären, muss der digitale Vertreiber ggf. auch durch Fragen ins Blaue hinein, für sich erkennbar machen.259 Die Fragepflicht umfasst nicht nur einen standardisierten Fragenkatalog, sondern die Abschlussstrecke muss so ausgestaltet sein, dass in Abhängigkeit der Antworten auch Nachfragen gestellt werden oder die Möglichkeit die Befragung in einem geeigneteren digitalen Medium fortzusetzen.260 Nach § 6 Abs. 3 VVG bzw. § 61 Abs. 2 VVG kann der Versicherungsnehmer durch gesonderte 152 schriftliche Erklärung, also in Textform nach § 126b BGB, auf die Beratung und Dokumentation,

252 U. a. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 VVG Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 VVG Rn. 22.

253 Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 160. 254 Vgl. statt Vieler Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 165 ff. 255 LG Köln 15.10.2018 – 18 O 270/16 – BeckRS 2018, 25728; so auch BeckOK VVG/Gandel/Meister § 61 Rn. 24; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 14.

256 In diesem Sinne BGHZ 203, 174; OLG München VersR 2012, 1292. (siehe auch Langheid/Rixecker/Rixecker § 6 VVG Rn. 10. 257 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 – VersR 2017, 1270, 1272. 258 Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 175. 259 Fischer BB 2012 2773, 2777 f. 260 Fischer BB 2016 3082, 3088; Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 187 f.; Prölss/Martin/Dörner § 61 VVG Rn. 42 ff. Fischer

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nicht jedoch auf die Bedarfsabfrage, verzichten.261 Dem Versicherungsnehmer soll es dadurch freistehen, die Beratungsleistung in Anspruch zu nehmen, sie soll ihm nicht aufgezwungen werden. Um ihn dennoch ausreichend zu schützen, muss er sich aktiv dagegen entscheiden. Eine missbräuchliche Anwendung der Vorschrift stellt es dar, wenn der Versicherungsnehmer sich aktiv für eine Beratung entscheiden muss, wenn also beispielsweise ein Verzicht auf der Website oder in der App bereits voreingestellt ist.262 Zwar hat der Gesetzgeber die Anforderungen an den Verzicht durch die Änderung des § 61 Abs. 2 bereits gelockert, indem keine Schriftform mehr verlangt wird. Dennoch geht er mit dieser Regelung über die Vorgaben der IDDRichtlinie hinaus, denn danach können Versicherungsprodukte sogar ohne Beratung angeboten werden.263

2. Erteilung einer Handlungsempfehlung Der Versicherungsvertreiber muss eine konkrete Produktempfehlung auf der Grundlage der 153 ihm bekannten Informationen aussprechen264 und diese auch begründen. Bei dieser Empfehlung müssen für die Entscheidung des Versicherungsnehmers wesentliche Informationen mitgeteilt werden. So ist der Versicherungsnehmer auf wesentliche Risikoausschlüsse und Deckungslücken genauso hinzuweisen, wie auf die Prämienhöhe, den Leistungsumfang oder etwaige steuerliche Implikationen des jeweiligen Vertrags hinzuweisen.265 Bei mehreren Optionen sind die Unterschiede bezüglich der wesentlichen Merkmale aufzuzeigen, wobei der Vertreiber stets nur die von ihm vertriebenen Produkte in einen entsprechenden Vergleich einbeziehen muss, so dass ein der Versicherungsvertreter oder ein Versicherer nicht auf geeignetere Produkte der Konkurrenz hinweisen müssen.266 Der Umfang der Beratung hängt zum einen von der Komplexität des Produkts ab, allerdings soll der Aufwand für die Beratung in einem angemessenen Verhältnis zur Prämienhöhe stehen (§ 6 Abs. 1 Satz 1, § 61 Abs. 1 Satz 1 VVG). Der Gesetzgeber stellt mittlerweile nicht mehr grundsätzlich in Frage, dass eine Beratung 154 auch in digitalen Vertriebswegen erfolgen kann.267 Grundsätzlich hängt die Beratungsqualität sowohl im digitalen als auch im analogen Vertrieb von dem implementierten Beratungsprozess ab. Wenn allerdings teils vertreten wird, dass Produktempfehlungen über digitale Vertriebskanäle wesentliche Aspekte, wie Finanzstärke des Anbieters, Service und Regulierungsverhalten, einer begründeten Produktempfehlung häufig nicht berücksichtigt würden, sondern die Empfehlung im Wesentlichen auf den finanziellen Merkmalen des Produkts, also der Prämie und der Versicherungssumme, basiere,268 entspricht dies so nicht mehr Wirklichkeit und blendet darüber hinaus aus, dass es auch im analogen Vertrieb zu Beratungsdefiziten kommt. Insgesamt führt die ständige Verbesserung der den digitalen Beratungstools zugrundeliegenden Algorithmen dazu, dass die Produktempfehlungen auch im digitalen Vertrieb die Empfehlungen vielschichtiger werden, die entsprechenden „Softfaktoren“ einbeziehen. Die Algorithmen können diese möglicherweise in Zukunft sogar besser abbilden, weil sie auf einer strukturierteren und ggf. größeren Datenbasis agieren. Zudem bestehen jedenfalls für Versicherungsvermittler erhebliche Haftungsrisiken,269 die mit einer Beratung, die nicht lege artes ist, einhergehen, was Digitalvertreiber ebenfalls zu einer rechtskonformen Beratung anhält. 261 262 263 264 265 266 267 268 269 469

Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 62. Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 222. Vgl. Art. 20 IDD-Richtlinie. Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner § 9 Rn. 82. Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner § 9 Rn. 82; Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 191 f. OLG Hamm 1.8.2007 – 20 U 259/06 – VersR 2008, 523. So aber noch BT-Drucks. 16/3945, S. 58. Langheid/Wandt/Dörner § 61 VVG Rn. 46. Langheid/Wandt/Dörner § 61 VVG Rn. 46. Fischer

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3. Sonstige Pflichten 155 Der Versicherungsvertreiber hat eine umfangreiche Dokumentationspflicht (§§ 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 6a VVG bzw. §§ 59 Abs. 1 Satz 2, 61 Abs. 1 Satz 2, 62 Abs. 1 erster Halbsatz VVG). Im Zuge der IDD-Umsetzung wurde anstelle des bis dahin geltenden Textformerfordernisses die Papierform eingefügt. Für den digitalen Vertrieb sieht jedoch auch die Möglichkeit vor, dass der Dokumentationspflicht auch über eine Website oder durch einen dauerhaften Datenträger nachgekommen werden kann (§ 6a Abs. 2 VVG), vorausgesetzt der Versicherungsnehmer stimmt der abweichenden Form zu. In der Praxis erfolgt zumeist eine Übermittlung per Email oder aber über eine Online-Kundenmailbox. 156 Den Versicherer treffen gemäß § 6 Abs. 4 VVG auch nach Vertragsschluss noch Beratungspflichten, die sich weitgehend an den entsprechenden vorvertraglichen Pflichten orientieren. Allerdings trifft den Versicherer keine diesbezügliche Fragepflicht;270 er hat nur zu beraten, wenn von dem Beratungsanlass Kenntnis bekommt, was bei einem reinen Digitalvertrieb regelmäßig nicht oder jedenfalls deutlich seltener der Fall sein dürfte. Wenn Digitalversicherer allerdings in der Zukunft stärker auch Datenanalysen setzen und diese mit Einverständnis des Versicherungsnehmers auch dessen konkreten Daten betrifft, kann sich hieraus ein Beratungsanlass entwickeln. Der Nutzen der Datenanalyse auch für den Versicherungsnehmer ist vor diesem Hintergrund nicht zu unterschätzen. Ein gesetzliches Äquivalent für die laufende Beratung durch Versicherungsvermittler gibt es nicht; für Makler dürfte eine entsprechende Pflicht jedoch regelmäßig aus dem Maklervertrag folgen.271

D. Rechtliche Aspekte bei Nutzung von Big Data und Einsatz künstlicher Intelligenz 157 Auch in der Assekuranz werden zunehmend Anwendungsfälle für den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) gesehen. Diese reichen von individualisierte Kundenansprache (sogenanntes Micro-Targeting z. B. durch Push- oder Cross-Selling-Ansätze), differenziertere Produkt- und Preisgestaltung durch bessere Risikoselektion, verbesserte Schadenregulierung und KI-basierte Schadenprävention.272 So kann – wie ein Beispiel aus den Niederlanden zeigt – in der Hausratversicherung eine 158 Schadenregulierung teilautomatisiert erfolgen, wenn das Versicherungsunternehmen basierend auf historischen Schadendaten von Versicherungsnehmern auch ohne dezidierte Nachweise entscheiden kann, ob der Schaden zu begleichen ist oder nicht. Die Überprüfung durch einen Sachbearbeiter findet nur noch in streitigen Fällen statt.273 Im Bereich der Schadenprävention kann aufgrund historischer oder aktueller Daten ein Ereignis vorhergesagt werden, das einträte, wenn man keine präventiven Maßnahmen ergriffe, beispielsweise die Wartung von Maschinen aufgrund des Verschleißes bestimmter Bauteile oder die Sicherung von Fahrzeugen vor bestimmten Wetterphänomen. Im Underwriting- und Schadenmanagementprozess wird künstliche Intelligenz eingesetzt, um Betrugstatbestände zu identifizieren. Es gibt keine allgemeingültige Definition des Begriffs der künstlichen Intelligenz.274 Ansatz159 punkt sämtlicher Definitionsvorschläge sind jedoch Erkenntnisse, die durch maschinelles Ler-

270 271 272 273

Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 226. Möslein/Omlor/Armbrüster § 17 Rn. 231. Siehe auch Lüttringhaus VW 2020 88. BaFin Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen v. 16.7.2018. 274 Vgl. aber zu den Begriffsbeschreibungen und Definitionsansätzen Gausling PinG 2019 61, 61 f.; Klar BB 2019 2243 m. w. N. Fischer

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nen beispielsweise aufgrund von Big-Data Analysen gewonnen werden.275 Für die nachfolgende Betrachtung soll ausreichen, dass es zu den Wesensmerkmalen von KI gehört, dass es sich um intelligente Maschinen, insbesondere Computerprogramme handelt, die aufgrund eines maschinellen Lernprozesses die Entscheidungsfindung in bestimmten Bereichen unterstützt (sogenannte schwache KI), in der Lage ist, jegliche intellektuelle Aufgabe zu erfüllen, die ein Mensch mit einem vergleichbaren Niveau an Fachwissen erfüllen kann (sogenannte starke KI) oder gar weit über die menschliche Intelligenz außerhalb des menschlichen Vorstellungsvermögen (sogenannte Superintelligenz) agieren können.276 Die aktuellen Anwendungsfälle von KI bewegen sich nahezu ausschließlich im Bereich der schwachen KI, allerdings steht der Schritte in die starke KI für die nächsten Jahre bevor.

I. Aufsichts- und gesellschaftsrechtliche Aspekte Bei der Nutzung von KI-Systemen durch ein Versicherungsunternehmen stellen sich diverse aufsichtsrechtliche Fragen, die teils auch noch im aufsichtsrechtlichen Diskurs sind.277 Neben Fragestellungen zu der Einbettung von KI-Systemen in die Governance-Strukturen von Versicherungsunternehmen, stehen Aspekte des kollektiven Verbraucherschutzes im Fokus, auf die in der Folge aber nicht näher eingegangen werden soll.278 In ihrer Studie „Big Data trifft künstliche Intelligenz“ hat die BaFin hervorgehoben, dass der der Einsatz von KI-Systemen einer angemessenen Einbettung in die Governance-Strukturen des Versicherungsunternehmens bedürfe und nichts daran ändere, dass Verantwortung für Entscheidungen nicht mehr bei der Geschäftsleitung liege.279 Mit diesem Hinweis stellt die Aufsichtsbehörde letztlich noch einmal das gesellschaftsrechtliche Korsett für eine Aktiengesellschaft dar. Gleichwohl hat sie den Hinweis wohl noch einmal für nötig erachtet, weil der Sinn und Zweck von KI-Systemen gerade darin besteht, dass diese ihre Erkenntnisse auch daraus gewinnen kann und eigentlich sogar soll, dass sie Fragestellungen eigenständig abarbeitet, sich dabei selbst auf sich verändernde Bedingungen einstellen und neue Daten in den Entscheidungsfindungsprozess einbeziehen kann. Ein KI-System dient der Effizienzsteigerung des Entscheidungsprozesses, indem es entweder Information aufbereitet, die für die Entscheidung durch die verantwortlichen Personen wesentlich ist, eine Entscheidung in einem vom Nutzer festgelegten Rahmen eigenständig trifft oder durch eigenständige Weiterentwicklung des Algorithmus eigene Entscheidungen trifft, die über vordefinierte Grenzen hinausgehen.280 Die Geschäftsleiter nehmen ihre Verantwortlichkeit für die Entscheidung grundsätzlich wahr, sowohl wenn sie auf einer KI-basierten Informationsbasis eine Entscheidung treffen als auch, wenn das KI-System im Rahmen der vordefinierten Grenzen eine automatisierte Entscheidung trifft, den in diesem Fall liegt die Entscheidung in der ursprünglichen Setzung der Grenzen für die Entscheidungskompetenz.281 Schon aus Risikomanagementgesichtspunkten, müssen die durch das KI-System generierten Erkenntnis bzw. Entscheidungen erklärbar, nachvollziehbar und damit überprüfbar sein. Dies unterstreicht die BaFin dadurch, dass sie explizit darauf hin-

275 So Klar BB 2019 2243, 2244. 276 Siehe hierzu Gausling PinG 2019 61, 62. 277 Vgl. hierzu BaFin Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen v. 16.7.2018. 278 Bezüglich des kollektiven Verbraucherschutzes werden insbesondere der Einfluss von KI-basierten Erkenntnissen auf das Underwriting bzw- die Prämiengestaltung diskutiert. 279 Vgl. hierzu BaFin Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen v. 16.7.2018. 280 Weber/Kiefner/Jobst NZG 2018 1131, 1134. 281 Weber/Kiefner/Jobst NZG 2018 1131, 1134; in diesem Sinne wohl auch Armbrüster/Prill ZfV 2020 110, 111. 471

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weist, dass von ihr das Blackbox282-Argument nicht akzeptiert werde.283 Vor diesem Hintergrund müssen Unternehmen im Vorfeld des Einsatzes von KI-Systemen genau prüfen, ob zumindest eine grobe Nachvollziehbarkeit der Kriterien, die für die Entscheidungsfindung des Systems verantwortlich waren, möglich ist. 164 In dem derzeitigen rechtlichen Rahmen dürfte es für den Vorstand eines (Versicherungs-)Unternehmens kaum machbar sein, seiner Letztentscheidungskompetenz für KI-System, die Entscheidungen auch außerhalb des gesetzten Rahmens treffen. Spätestens wenn die entsprechende Technik verfügbar ist und einen Mehrwert liefert, wird der Forderung nach eigenen aufsichtsrechtlichen Standards für KI-Systeme284 nachgekommen werden müssen, um nicht einen gesamten Sektor und dessen Kunden von sinnvollen technischen Entwicklungen abzuschneiden. Schließlich sind die Entscheidungsprozesse angemessen zu dokumentieren. Dies dient zum 165 einen der aufsichtsrechtlichen Überprüfbarkeit des Handelns des Unternehmens.285 Zum anderen tut der Vorstand aber auch selbst gut daran, die Entscheidungsprozesse bezüglich der KISysteme angemessen zu dokumentieren, um in einem etwaigen Haftungsprozess der Gesellschaft gegen die Geschäftsleiter entsprechende Nachweise erbringen zu können.

II. Zivilrechtliche Aspekte 166 Bei der Nutzung von künstlicher Intelligenz bestehen aus zivilrechtlicher Sicht vor allem zwei Problemkreise. Zum einen stellt sich die Frage, ob bzw. wie die Entscheidung der KI gegenüber dem Erklärungsempfänger Rechtsverbindlichkeit entfaltet. Zum anderen steht beim Einsatz von KI-Systemen vor allem die haftungsrechtliche Ausgestaltung im Mittelpunkt. Beispielsweise bei einem vollständig KI-gesteuerten Schadenbearbeitungsprozess stellt sich 167 die Frage, wer die Regulierungsentscheidung gegenüber dem Versicherungsnehmer erklärt. Mangels eigener Rechtspersönlichkeit kann die KI nicht als rechtsgeschäftlicher Vertreter des Versicherungsunternehmens handeln.286 Dies ist aber jedenfalls solange sich der Einsatz von KI darauf beschränkt Entscheidung vorzubereiten oder in einem zuvorgesetzten Rahmen Entscheidungen zu treffen unproblematisch. Der BGH287 hat in einer Entscheidung im Zusammenhang mit automatischen Flugbuchungssystemen aus dem Jahr 2012 entschieden, dass es bei einem automatisierten Buchungssystem nicht auf den Computer ankomme, sondern auf den dahinterstehenden menschlichen Willen. Demnach wird die durch die KI generierte Erklärung der dahinterstehenden Person zugerechnet.288 Der BGH schränkt dies nicht weiter ein, so dass letztlich auch bei KI-Systemen, die autonome und nicht nur automatisierte Entscheidungen in einem vorgegebenen Entscheidungsrahmen treffen, ausgelegt werden muss, ob die (freie) Entscheidung dem Willen der Person entspricht, die das KI-System einsetzt. 168 Mangels Rechtspersönlichkeit der KI werden auch die durch die Aktivitäten der KI ausgelösten Haftungsereignisse nicht von der KI selbst übernommen, fallen autonomes Handeln der KI und Verantwortung auseinander.289 Es stellt sich also auch im Rahmen des Haftungsrechts die Frage, wer beispielsweise bei Störungen der Software oder Programmierungsfehlern haften

282 Vgl. zu dem Begriff „Blackbox“ im Zusammenhang mit KI, Gausling ZD 2019 335. 283 BaFin Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen v. 16.7.2018, S. 175; Hufeld, BaFin Perspektiven 1/2018 1, 12. 284 Von Hufeld, BaFin Perspektiven 1/2018 1, 12, auch als MaAlgo und MaData bezeichnet. 285 Hierzu Armbrüster/Prill ZfV2020 110, 111 f. 286 So auch Armbrüster/Prill ZfV 2020 110, 111; Ulrich GmbHR 2019 R 135. 287 BGH v. 16.10.2012 – X ZR 37/1, NJW 2013, 598, 599. 288 Armbrüster/Prill ZfV 2020 110, 111; Pieper GRUR-Prax 2019, 298. 289 Linardatos ZIP 2019 504, 409. Fischer

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muss. In Betracht kommen Hersteller, Betreiber und Benutzer selbst.290 Da die Software für den Anwender oft undurchsichtig und unkontrollierbar ist, erscheint es aber billiger, eine direkte Haftung des Herstellers oder Betreibers zu erwägen.291 Rückt man den Hersteller in den Vordergrund, so kann sich durch das Zurverfügungstellen 169 von Software zur Nutzung künstlicher Intelligenz eine vertragliche und eine deliktische Haftung ergeben.292 Die vertragliche Haftung entsteht z. B. aufgrund von Sicherheitslücken in Form von Gewährleistungsansprüchen.293 Soweit es sich bei beiden Parteien um Unternehmer handelt, wird die vertragliche Haftung in der Regel weitgehend ausgeschlossen worden sein.294 Aber auch ohne Haftungsausschluss wird ein vertraglicher Anspruch jedenfalls gegen den Softwarehändler in der Regel an dessen Verschulden scheitern, da er selbst nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Überprüfungsmöglichkeiten verfügt und dazu auch nicht verpflichtet ist.295 Weitere Ansprüche gegen den Hersteller könnten sich aus dem Produkthaftungsgesetz 170 (ProdHaftG) ergeben. Insoweit bedarf es jedoch zunächst der Klärung, ob eine Software überhaupt ein „Produkt“ im Sinne des ProdHaftG darstellt. Berücksichtigt man den maschinensteuernden Charakter der KI, liegt eine bewegliche Sache im Sinne des § 90 BGB vor und ist damit eine Subsumtion unter § 2 ProdHaftG durchaus möglich.296 Außerdem ist das ProdHaftG gerade darauf ausgelegt, Fälle mehrstufigen Absatzes von Massenprodukten zu regeln, egal ob maschinell oder handwerklich gefertigt.297 Nicht anwendbar ist das ProdHaftG aber bei Individualsoftware, da hier nicht das vom Gesetzgeber intendierte differenzierte Vertriebsnetz vom Hersteller über den Händler bis hin zum Endverbraucher vorliegt, sondern nur die Verbindung zwischen Hersteller und Anwender.298 Ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB könnte sich aus der Verletzung einer Ver- 171 kehrssicherungspflicht durch den Software-Hersteller ergeben.299 Allerdings muss auch hier berücksichtigt werden, dass § 823 Abs. 1 BGB nur das Integritäts-, nicht das Äquivalenzinteresse schützt.300 Der Verstoß kann dabei z. B. in dem Inverkehrbringen einer unbeherrschbaren Gefahrenquelle liegen, wenn der Hersteller nicht alle objektiv möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Abwendung von Schädigungen ergriffen hat.301 Unbeherrschbar sind nach derzeitigem Stand vor allem autonome Hardware-Systeme, die ohne Überwachung lernfähig sind.302 Maßgeblich ist, ob dem Hersteller die Sicherheitslücken bereits bei Inverkehrgabe bekannt sein mussten.303 Auch nach dem Inverkehrbringen treffen den Hersteller Beobachtungspflichten dahingehend, dass keine weiteren Gefahren entstehen.304 Möglich ist auch eine Mithaftung weiterer Personen im Falle einer kumulativen oder alternativen Kausalität, die zur Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB führen kann.305 Auch kommt eine analoge Anwendung von § 831 BGB in Betracht, wenn Vertrieb und Anwendung des Systems ordnungsgemäß erfolgt sind.306

290 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306 473

Zech ZfPW 2019, 198, 207. Jakl MMR 2019, 711. 714; Raue NJW 2017, 1841, 1843. Krug beck.digitax 2020, 74, 76. Raue NJW 2017, 1841, 1843. Krug beck.digitax 2020, 74, 76. Spindler NJW 2004, 3145; ders. DB 1999, 1991, 1995. Zech ZfPW 2019, 198, 212. Söbbing Kapitel L.1.g). Söbbing Kapitel L.1.g). Krug beck.digitax 2020, 74, 77; Zech ZfPW 2019, 198, 207. Söbbing Kapitel L.1.f). Zech ZfPW 2019, 198, 210. Zech ZfPW 2019, 198, 210. Spindler NJW 2004, 3145, 3146. Raue NJW 2017, 1841, 1844; Spindler NJW 2004, 3145, 3147. Zech ZfPW 2019, 198, 207 f. Zech ZfPW 2019, 198, 211. Fischer

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Eine Haftung des Betreibers eines KI-Systems kann sich aus der Verkehrssicherungspflicht ergeben, die ihn wegen des Betriebs einer potenziellen Gefahrenquelle trifft.307 Die Pflichten können dabei in der Festlegung des Einsatzes des Systems, in der Sicherung, Überwachung und einem möglichen Eingreifen bei Fehlfunktionen bestehen.308 Zudem muss der Betreiber die Benutzer in geeigneter und ihm zumutbarer Weise über die Nutzung des Systems informieren.309 Demzufolge können sich auch hier Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB, § 823 BGB oder dem ProdHaftG ergeben. Diskutiert wird auch eine analoge Anwendung des § 833 BGB.310 Somit bietet bereits das bestehende Recht einige Möglichkeiten, rechtliche Probleme mit KI173 Systemen zu lösen. Dennoch verlangen einige Stimmen, dass der Gesetzgeber künftig spezielle (Haftungs-)Regeln für den digitalen Rechtsverkehr schafft.311 Auch wird die Einführung einer Art Haftpflichtversicherung für Hersteller und professionelle Betreiber in Erwägung gezogen, die sämtliche durch KI verursachte Schäden abdeckt, um die finanziellen Folgen der Haftung weitestgehend einzudämmen.312 172

III. Datenschutzrechtliche Aspekte 174 Datenschutz ist im Zusammenhang mit KI einer der wesentlichsten Faktoren. Er spielt sowohl bei KI-Generierung eine wichtige Rolle,313 als auch im Zusammenhang mit KI-basierten Entscheidungen, also der KI-Implementierung. Die zentrale Norm im Datenschutz bezüglich KIbasierter Entscheidungen ist Artikel 22 DSGVO. Gemäß Art. 22 Abs. 1 DSGVO hat „die betroffene Person das Recht, nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung – einschließlich Profiling – beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden, die ihm gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt“. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, den Betroffenen nicht zum bloßen Objekt der künstlichen Intelligenz zu machen.314 Allerdings sehen sowohl das deutsche als auch das europäische Datenschutzrecht Ausnahmen von diesem Grundsatz vor. 175 Der deutsche Gesetzgeber hat von der Möglichkeit nach Artikel 22 Abs. 2 lit. b) DSGVO Gebrauch gemacht und in § 37 Abs. 1 BDSG eine Ausnahme zum Verbot der automatisierten Entscheidung speziell für den Versicherungsbereich aufgenommen. Danach sind automatisierte Entscheidung im Rahmen der Leistungserbringung unter einem Versicherungsvertrag gestattet. Dies gilt für sämtliche Sparten allerdings nur, wenn dem Begehren des Versicherungsnehmers stattgegeben wird (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 BDSG). Für den Bereich der privaten Krankenversicherung sieht § 37 Abs. 1 Nr. 2 BDSG vor, dass auch eine automatisierte ablehnende Entscheidung getroffen werden kann, soweit diese auf den verbindlichen Entgeltlösungen für Heilbehandlungen beruht. In beiden Fällen gibt es jedoch auch keine Beschränkung auf bestimmte Datenkategorien, sondern beispielsweise auch Gesundheitsdaten können verarbeitet werden.315 Nicht klar ist in diesem Zusammenhang allerdings, ob beispielsweise nur Fälle von dem Ausnahmetatbestand erfasst sind, die dem Begehren vollständig stattgeben, oder auch – jedenfalls insoweit – wenn nur teilweise stattgegeben wird.316 Von dem Ausnahmetatbestand der § 37 BDSG nicht erfasst ist die KI-Nutzung außerhalb der Leistungserbringung, also im Bereich der Vertragsanbahnung, der Durchführung

307 308 309 310 311 312 313 314 315 316

Söbbing Kapitel L.2.a). Söbbing Kapitel L.2.a). Söbbing Kapitel L.2.a). Darstellung bei Söbbing Kapitel L.2.c). U. a. Borges NJW 2018, 977, 982; Brunotte CR 2017, 583, 586. Zech ZfPW 2019, 198, 216. Ausführliche Darstellungen bei Gausling PinG 2019 61, 64 f.; Söbbing Kapitel M. Armbrüster/Prill ZfV 2020 110, 111; Gausling PinG 2019 61, 68. Zu dem konkreten Umfang siehe Taeger/Gabel/Taeger § 37 BDSG Rn. 30 f. Lüttringhaus VW 2020 88.

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und Beendigung von Versicherungsverträgen oder im Marketing. In diesen Bereichen können automatisierte Entscheidungen jedenfalls nicht auf § 37 BDSG gestützt werden. Aufgrund seines eingeschränkten Anwendungsbereichs kann § 37 BDSG nur für sehr spezi- 176 elle Anwendungsfälle als Erlaubnisnorm herangezogen werden. Für das Massengeschäft bietet die Regelung allerdings durchaus die Möglichkeit der Effizienzsteigerung, selbst wenn ablehnende Entscheidung stets über den Schreibtisch eines Schadenbearbeiters gehen muss. Denn die Entscheidung des Schadenbearbeiters wird jedenfalls durch den Einsatz der KI bereits vorbereitet sein. Artikel 11 Abs. 2 lit. a), Abs. 4 DSGVO sieht einen weiteren Ausnahmetatbestand vor. Da- 177 nach sind automatisierte Entscheidungen zulässig, soweit sie für den Abschluss und die Durchführung des Vertrags erforderlich sind. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang ob der Abschluss bzw. die Durchführung des Vertrags auch möglich wäre, wenn die Überprüfung, die durch das KI-System erfolgt, durch eine natürliche Person erfolgen würde.317 Bei der Bewertung kommt es nicht ausschließlich darauf an, dass die Entscheidung auch durch eine natürliche Person getroffen werden kann, vielmehr muss die Entscheidung ähnlich effizient sein und darf nicht mit unvertretbarem Mehraufwand verbunden sein.318 Der Anwendungsbereich dieses Ausnahmetatbestands ist nicht eindeutig.319 Teilweise wird jedoch maßgeblich auf das Effizienzkriterium abgestellt und aufgrund dessen davon ausgegangen, dass ein weitreichender Einsatz von KI für automatisierte Entscheidungen im Bereich des Vertragsschlusses und der Schadenregulierung zulässig ist.320 In Zweifelsfällen sollte jedoch immer die Einwilligung des Betroffenen eingeholt werden, wobei diese bereits im Zeitpunkt der Einholung den Informationspflichten nach Artikel 13 Abs. 3 lit. f) DSGVO bzw. Artikel 14 Abs. 2 lit g) DSGVO entsprochen werden muss. Dies ist in der Praxis eine erhebliche Hürde, weil der Umfang der Informationspflicht noch nicht abschließend geklärt ist.321

317 318 319 320 321 475

Armbrüster/Prill ZfV 2020 110, 111. Taeger/Gabel/Taeger Artikel 22 DSGVO Rn. 50; so wohl auch Armbrüster/Prill ZfV 2020 110, 111 f. Lüttringhaus VW 2020 88, 89. Armbrüster/Prill ZfV 2020 110, 112; Goretzky VersR 2019 916, 919 f. Lüttringhaus VW 2020 88, 89. Fischer

Versicherungsvertragsgesetz vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1653)

Teil 1 Allgemeiner Teil Kapitel 1 Vorschriften für alle Versicherungszweige Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften § 1 Vertragstypische Pflichten 1

Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat. 2Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten.

Schrifttum Armbrüster Der Schutz von Haftpflichtinteressen in der Sachversicherung (1994) (zit.: Armbrüster Schutz von Haftpflichtinteressen); ders. Bedeutung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes für private Versicherungsverträge, VersR 2006 1297; ders. Versicherung des Finanzinteresses in internationalen Versicherungsprogrammen, VersR 2008 853; ders. Anrechnung von Rabatten bei der Schadensregulierung, VersR 2008 1154; ders. Versicherungswert und Privatautonomie, Festschrift J. Prölss (2009) 1; ders. Die These von der Optimierungspflicht des Versicherers – eine Betrachtung aus heutiger Sicht, Festschrift für Egon Lorenz zum 80. Geburtstag (2014); ders. Garantieversprechen für Gebrauchsgüter als erlaubnispflichtige Versicherungsgeschäfte, VersR 2015 1453; Armbrüster/Schreier Abgrenzung von Änderung und Neuabschluss (Novation) eines Versicherungsvertrags, VersR 2015 1053; Bartholomäus Das versicherungsrechtliche Bereicherungsverbot (1997); Basedow/Fock (Hrsg.) Europäisches Versicherungsvertragsrecht Bd. I (2002), Bd. II (2002), Bd. III (2003); Baumann Leistungspflicht und Regress des Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen (1969) (zit.: Baumann Entschädigungsfonds); ders. Versicherungswirtschaft, Kartellrecht und Gesamtrechtsordnung, ZHR 139 (1975) 298; ders. Abgrenzung von Sozialversicherung und Privatversicherung in der sozialen Marktwirtschaft, Festschrift von Lübtow (1980) 667; ders. Überschussbeteiligung, rechtliche Grundlagen HdV (1988) 895; ders. Rechtliche Grundprobleme der Umstrukturierung von VVaG in Versicherungs-Aktiengesellschaften, VersR 1992 905; ders. Die Kapitallebensversicherung mit Überschussbeteiligung als partiarisches Versicherungsverhältnis und ihre Bedeutung bei der Umstrukturierung von Versicherungsgruppen (1993) (zit.: Baumann Kapitallebensversicherung); ders. Versicherungs-, verfassungs- und europarechtliche Probleme monopolistischer Entschädigungsfonds (1998) (zit.: Baumann Monopolistische Entschädigungsfonds); ders. Zur Überwindung des „Trennungsprinzips“ im System von Haftpflicht und Haftpflichtversicherung – Die Bedeutung des Abtretungsverbots gemäß § 7 Nr. 3 AHB, Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935 (1999) 13; ders. Zur Bedeutung von Gentests beim Abschluss von Lebens- und Krankenversicherungsverträgen, ZVersWiss 2002 169; ders. Quotenregelung contra Alles-oder-Nichts-Prinzip im Versicherungsfall, RuS 2005 1; ders. Ein zusätzliches Vertragsmodell für das neue VVG, VW 2007 1955 (vgl. auch Festschrift Adomeit (2008) 41); Benkel Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, 2. Aufl. (2002); Benzin Versicherbarkeit von Terrorismusrisiken, ZVersWiss 2005 709; Bieta/Siebe Strategisches Risikomanagement in Versicherungen, ZVersWiss 2002 203; Boetius Gegen den Wind – der Basistarif der Gesundheitsreform bricht Europaund Verfassungsrecht, VersR 2007 431; Braeß Elemente einer dynamischen Versicherungskonzeption aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, ZVersWiss 1970 1; Bruns Die Privatversicherung zwischen Gefahrengemeinschaft und Individualvertrag, Wendepunkte der Rechtswissenschaft – Aspekte des Rechts in der Moderne (2014) 144; Büchner/Jürss VVG-Reform – Die Seeversicherung unter der Flagge des § 203 n. F. (§ 187 a. F.) VVG? VersR 2004 1090; Dörner/Staudinger Kritische Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechgts, WM 2007 1710; Donati Der Begriff des Versicherungsvertrages in der Entwicklung der italienischen Versicherungslehre, ZVersWiss 1960 289; Dreher Der Versicherungsvertrag als Rechtsprodukt (1991) (zit.: Dreher Rechtsprodukt); ders. Konkurssicherungsfonds statt Wirtschaftsaufsicht? Festschrift Rittner zum 70.

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H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

Geb. (1991) 93; ders. Das Risikomanagement nach § 64a VAG und Solvency II, VersR 2008 998; Dreher/Kling Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen (2007); dies. Die Mitversicherung bei der Ausschreibung von Versicherungsdienstleistungen, VersR 2007 1040; Dreher/Stockmann Kartellvergaberecht (2008); Ebers Die Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung (2001); Eszler Versicherbarkeit und ihre Grenzen (1999); Fahr Alte und neue Grenzfälle der Versicherungsaufsicht, Geburtstagsschrift G. Büchner (1992) 367; Felsch Neuregelung von Obliegenheiten und Gefahrerhöhung, RuS 2007 485; Ganster Die Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008); Gärtner Das Bereicherungsverbot (1970); ders. Die Entwicklung der Lehre vom versicherungsrechtlichen Interesse von den Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, ZVersWiss 1963 337; Gaul Zum Abschluss des Versicherungsvertrags, VersR 2007 21; Grote/Schneider VVG 2008: Das neue Versicherungsvertragsrecht, BB 2007 2689; Günther/Spielmann Vollständige und teilweise Leistungsfreiheit nach dem VVG 2008 am Beispiel der Sachversicherung, RuS 2008 133 und 177; Hannemann Neubegründung der Lehre vom gedehnten Versicherungsfall und ihre Bedeutung für moderne versicherungsrechtliche Probleme (1996); Heidel Die Regelung im VAG über Sicherungsfonds unter besonderer Berücksichtigung einer zukünftigen EU-Richtlinie über Sicherungssysteme für Versicherte im Falle der Liquidation des Versicherungsunternehmens (2007); Hähnchen Obliegenheiten und Nebenpflichten (2010); Henke Die Leistung (1991); Henssler Das Risiko als Vertragsgegenstand (1994); Heiss Treu und Glauben im Versicherungsvertragsrecht (1989); Jabornegg Das Risiko des Versicherers (1979); Jaskolla Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung (2004); R. Johannsen Haftpflichtversicherungsschutz gegen Umweltschäden durch Verunreinigung des Erdbodens und der Gewässer (1987); ders. Bemerkungen zur zeitlichen Abgrenzung des Versicherungsschutzes in der Umwelthaftpflichtversicherung, Festschrift E. Lorenz zum 60. Geburtstag (1994) 363; P. Jung Privatversicherungsrechtliche Gefahrengemeinschaft und Treuepflicht der Versicherers, VersR 2003 282; Karten Versicherung – Gefahrengemeinschaft oder Marktleistung? VW 1981 1604; Karten/Werber/Winter (Hrsg.) Lebensversicherung und Geschäftsbesorgung (1998); Klaue/Schwintowski Grenzen der Zulässigkeit von Wahltarifen und Zusatzversicherungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (2008); Klimke Die halbzwingenden Vorschriften des VVG (2004); König Der Anleger als „Rückversicherer“, VersR 1997 1042; R. Koch Haftung des Versicherers für fehlerhafte Assistanceleistungen, VersR 2019 449; ders. Das Verhältnis des Versicherungsvertragsrechts zum allgemeinen bürgerlichen Recht nach der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, Festschrift 100 Jahre Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg (2019) 693; ders. Kontrollfähigkeit/-freiheit formularmäßiger Haftpflichtversicherungsfalldefinitionen? VersR 2014 1277; ders. (Fort-)Geltung des gewohnheitsrechtlichen Erfüllungsanspruchs nach der Reform des VVG, Festschrift Egon Lorenz zum 80. Geburtstag (2014) 199; ders. Geschäftsleiterpflicht zur Vorerstreckung der Schadensabwendungsobliegenheit nach der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, Festschrift Wälder (2009) 163; ders. Versicherung von Haftungsrisiken nach dem AGG, VersR 2007 288; ders. Sicherstellung risikoadäquaten Versicherungsschutzes, ZGR 2006 184; Kollhosser Bereicherungsverbot, Neuwertversicherungen, Entwertungsgrenzen und Wiederherstellungsklauseln, VersR 1997 521; Krömmelbein Der versicherungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen Deregulierung und Diskriminierung (2007); Kruse Die vorvertragliche Anzeigepflicht in der Reform des VVG, Diss. FU Berlin 2008; Lange Die vorvertragliche Anzeigepflicht nach der VVG-Reform, RuS 2008 56; Langheid Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes NJW 2007 3665 und 3745; Leverenz Vertragsschluss nach der VVG-Reform (2008); E. Lorenz Der subjektive Risikoausschluss durch § 61 VVG und die Sonderregelung in § 152 VVG, VersR 2000 2; ders. Die „gewohnheitsrechtliche“ Erfüllungshaftung des Versicherers im bisherigen und im künftigen Versicherungsvertragsrecht, Festschrift Canaris (2007) 757; ders. Gefahrengemeinschaft und Beitragsgerechtigkeit aus rechtlicher Sicht (1983) (zit. E. Lorenz Gefahrgemeinschaft); Looschelders Gefahrtragung als Gegenstand des Versicherungsvertrags, 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e. V. (2016) 209 (zit.: Looschelders 100 Jahre Hamburger Seminar); ders. Aktuelle Auswirkungen des EU-Rechts auf das deutsche Versicherungsvertragsrecht unter besonderer Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Tarifierung, VersR 2011 421; ders. Schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalls nach der VVG-Reform, VersR 2008 2; U. Meyer Versicherung als Risikotransformation, VersWiss.Stud. Bd. 6 (1997) 11; Möller Summen- und Einzelschaden (1937); ders. Moderne Theorien zum Begriff der Versicherung und des Versicherungsvertrages, ZVersWiss 1962 269; Müller-Güldemeister/Rollmann Die Prozessfinanzierung der FORIS AG ist keine Versicherung, NJW 1999 3540; Neuhaus Die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung im neuen VVG, RuS 2008 45; Noch/Sittner Rechtsprechung zur öffentlichen Ausschreibung von Versicherungsverträgen, VersR 2006 1445; Pataki Der Geschäftsbesorgungsgedanke im Versicherungsvertragsrecht (1998); Pohlmann Beweislast für das Verschulden des Versicherungsnehmers bei Obliegenheitsverletzungen, VersR 2008 437; Präve Das Für und Wider einer gesetzlichen Fixierung außerordentlicher Kündigungsrechte, VersR 1993 265; ders. Der Sicherungsfonds für die Lebensversicherung, VersR 2005 1023; ders. Das Individuelle und das Kollektive in der Privatversicherung – dargestellt am Beispiel der Lebensversicherung, VersR 2006 1190; J. Prölss Der Versicherer als „Treuhänder der Gefahrengemeinschaft“ – Zur Wahrnehmung

H. Baumann/Koch

478

Übersicht

VVG § 1

kollektiver Belange der Versicherungsnehmer durch den Privatversicherer, Festschrift Larenz zum 80. Geb. (1983) 487 (zit.: Prölss FS Larenz 80. Geb.); ders. Die Rechtsprechung des BGH zu ausgewählten Bereichen des allgemeinen Versicherungsvertragsrechts, 50 Jahre BGH Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. II (2000) 551 (zit.: Prölss 50 Jahre BGH II); Rapp Das Äquivalenzprinzip im Privatversicherungsrecht (2019); Rehberg Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem (2003); Reichert-Facilides Zur Konkretisierung der Gefahrtragungsschuld des Versicherers, Festschrift Sieg (1976) 421; Reiner Derivate Finanzinstrumente und Recht (2002); Reusch Die vorvertraglichen Anzeigepflichten im neuen VVG 2008, VersR 2007 1313; Rudkowski Grundrechte als Grenze von SelfTracking-Tarifen in der Privatversicherung, 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e. V. (2016) 209 (zit. Rudkowski 100 Jahre Hamburger Seminar) 679; Sachs Grundgesetzliche Gleichberechtigung im privaten Versicherungsrecht, Gedächtnisschrift U. Hübner (2012) 251; Scherpe Das Prinzip der Gefahrengemeinschaft im Privatversicherungsrecht (2011); Schimikowski Die Invitatio-Lösung und das neue VVG, VW 2007 715; Schirmer Die Haftpflichtversicherung nach der VVGReform, ZVersWiss 2006 427; Schmidt-Rimpler Zum Begriff der Versicherung, VersR 1963 493; ders. Die Gegenseitigkeit bei einseitig bedingten Verträgen, insbesondere beim Versicherungsvertrag (1968); Schmidt-Salzer „Versicherung“ als Technik bestimmter finanzieller Dienstleistungen, „Versicherungsvertrag“ als Grundtypus und einzelne Arten von Versicherungsverträgen, Festschrift E. Lorenz zum 60. Geb. (1994) 587; Schnitzler Der Schaden als Leistungsgrenze in der Sachversicherung (§ 55 VVG) (2002); R. Scholz Verfassungsrechtliche Strukturfragen der Versicherungsaufsicht, ZVersWiss 1984 1; Schünemann Rechtsnatur und Pflichtenstruktur des Versicherungsvertrages, JZ 1995 430; Schweitzer Das versicherte Interesse (im Binnenversicherungsrecht) 1990; Schwintowski Der private Versicherungsvertrag zwischen Recht und Markt 1987 (zit.: Schwintowski Versicherungsvertrag zwischen Recht und Markt); ders. Die Rechtsnatur des Versicherungsvertrages, JZ 1996 702; ders. Rechtsnatur und ökonomische Funktionen des Versicherungsvertrages, VersWiss. Stud Bd. 6 (1997) 27; ders. Das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Kollektiv – aus juristischer Sicht, ZVersWiss 2007 449; ders. Vom Alles-oderNichts-Prinzip zum Quotensystem, VuR 2008 1; Schwintowski/Ebers Lebensversicherung – stille Reserven – Überschussbeteiligung, ZVersWiss 2002 393; Sieg Grenzfälle der aufsichtspflichtigen Versicherungsunternehmen, ZVersWiss 1969 495; ders. Rezension zu J. Prölss FS Larenz 80. Geb., ZVersWiss 1983 696; Simon Die Sachversicherung in der Insolvenz des Versicherungsnehmers, in Dörner (Hrsg.) Forum Versicherungsrecht 2006 179 (zit.: Dörner/Simon Forum Versicherungsrecht 2006); Sinn Gedanken zur volkswirtschaflichen Bedeutung des Versicherungswesens, ZVersWiss 1988 1; Sodan Private Krankenversicherung und Gesundheitsreform 2007 (2007); Sommer Risiken des Arbeitskampfes und Versicherungsschutz (2017); Stöbener Informations- und Beratungspflichten des Versicherers nach der VVG-Reform, ZVersWiss 2007 465; Stockmeier Das Vertragsabschlussverfahren nach neuem VVG, VersR 2008 717; Thomas/Dreher Der Kautionsversicherungsvertrag im System des Privatversicherungsrechts, VersR 2007 731; Thüsing/Hoff Private Versicherungen und das AGG, VersR 2007 1; Tietgens Die Vergabe von Versicherungsdienstleistungen nach dem Kartellvergaberecht durch kommunale Auftraggeber, Diss. FU Berlin 2004; Wälder Über das Wesen der Versicherung (1971); F. Wagner Risk Securitization als alternatives Mittel des Risikotransfers von Versicherungsunternehmen, ZVersWiss 1997 511; Weidner/Schuster Quotelung von Entschädigungsleistungen bei grober Fahrlässigkeit des VN in der Sachversicherung nach neuem VVG, RuS 2007 363; Werber Information und Beratung des Versicherungsnehmers vor und nach Abschluss des Versicherungsvertrages, VersR 2007 1153; ders. § 6 VVG und die Haftung des Versicherers für Fehlberatung durch den Vermittler, VersR 2008 285; ders. Veränderte rechtliche Rahmenbedingungen für die Mitwirkung des Versicherungsmaklers an Verfahren zur Vergabe von Versicherungsdienstleistungen, VersR 2008 1026; Winter Konkrete und abstrakte Bedarfsdeckung in der Sachversicherung 1962 (zit.: Winter Bedarfsdeckung); ders. Das Provisionsabgabeverbot in der Lebensversicherung – Grenzen und zivilrechtliche Auswirkungen, VersR 2002 1055; ders. Versicherungsaufsichtsrecht – Kritische Bemerkungen (2007); ders. Die Verabschiedung des allgemeinen Bereicherungsverbots, Festschrift Wälder (2009) 103; Wriede Konkurrenz zwischen Versicherungsfall im Sinne des VVG und davon abweichende Definitionen in der Haftpflicht- und Krankenversicherung, VersR 1998 178.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

479

1

5

III.

Anwendungsbereich

IV.

Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 über den 6 Versicherungsvertrieb

2

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

B.

Funktionen und „Begriff“ der privaten Versi7 cherung

I. 1. 2.

7 Funktionen 7 Überblick Risikoabsicherung und Ausgleichsleis9 tung Versicherung als Element der Risikosteuerung 11 im Rahmen des Risikomanagements a) Risiko – Risikotransfer – Risikotransforma11 tion 13 b) Risikoprävention

3.

II. 1. 2. 3. 4.

5.

14 „Begriff“ 14 Typologische Methode Unterschiedliche Kennzeichnungen in der Versi15 cherungswissenschaft 16 Herrschende Meinung 17 Einzelmerkmale a) Versicherer/ 17 Versicherungsunternehmen 18 b) Leistungspflicht des VR 19 c) Ungewisses Ereignis d) Bestimmtes Risiko als selbstständiger Ver20 tragsgegenstand e) Risikokollektiv und Kalkulation nach Ge21 setz der großen Zahl 23 f) Entgeltlichkeit 24 g) Rechtsanspruch des VN 25 Abgrenzungen

III.

Auswirkungen von Big Data und Digitalisie26 rung

C.

Vertragstypische Pflichten des VR

I. 1.

27 Grundsatzproblematik Herkömmlicher Streitstand: Gefahrtragungs27 oder Geldleistungstheorie Stellungnahme: Pflicht des VR zur Sicherungs32 und Ausgleichsleistung Materiale und nicht nur formale Sicherungs37 pflicht des VR 37 a) Grundsatzproblematik 39 b) Schadensersatzansprüche der VN c) Verhältnis zum a.o. Kündigungsrecht der 43 VN d) Bedeutung für Merkmal Risikokollek45 tiv

2. 3.

II. 1. 2. 3.

Bestimmtes Risiko des VN 46 Begriff des Risikos 47 Risiko des VN Risikotransfer auf den VR

H. Baumann/Koch

46

50

27

a)

4.

Versicherung bestimmter Einzelrisiken versus pauschale Vermögensversiche50 rung b) Bedeutung der Vermögensgestaltungs- und 51 der Plansicherungstheorie c) Nähere Systematisierung nach Risikosphä52 re und Bedarfsdeckung aa) Personen- und Nichtpersonenversicherung, Schadens- und Summenver53 sicherung 54 bb) Schadensversicherung 54 (1) Aktivenversicherung 57 (2) Passivenversicherung cc) Schadensversicherung in Nichtpersonen- und Personenversiche58 rung dd) Summenversicherung in Personenver59 sicherung ee) Bedeutung der Systematisie60 rung d) Systematisierung nach Schutzbedürf61 nis aa) Großrisiken und Normal- bzw. Mas62 senrisiken bb) Unternehmens-, Verbraucher- und So63 zialrisiken 65 Einzelmerkmale des Risikos 65 a) Überblick 67 b) Versichertes Interesse 68 aa) Begriff 70 bb) Rechtspolitische Problematik cc) Versicherbares und versichertes Inte71 resse dd) Bedeutung für Schadensversiche72 rung 73 (1) Aktivenversicherung 74 (2) Passivenversicherung ee) Bedeutung für Summenversiche79 rung 80 (1) Lebensversicherung 83 (2) Unfallversicherung 84 (3) Krankenversicherung 86 ff) Problemfelder 86 (1) Gewinninteressen 90 (2) Neuwertversicherung 91 (3) Bereicherungsverbot? (4) Ausgestaltung des Regres96 ses (a) Schadensversiche96 rung (b) Krankentagegeldversiche98 rung 99 c) Versicherte Gefahr 99 aa) Deckung spezieller Gefahren 100 bb) Allgefahrendeckung

480

VVG § 1

Übersicht

cc)

d) e) f) III. 1. 2. 3. 4.

5.

IV. 1. 2.

3.

4.

5. 6.

V. 1. 2.

481

Konkrete Gefahrenlage bei Vertragseingehung, Gefahrerhöhung und ver101 tragliche Obliegenheiten (1) Vorvertragliche Anzeige101 pflicht 103 (2) Gefahrerhöhung (3) Vertragliche Gefahrstandsoblie105 genheiten 107 Versicherter Schaden/Bedarf 108 Versicherungsort 109 Versicherungszeit

113 Versicherungsfall 113 Begriff und Bedeutung Vereinbarter Versicherungsfall im Normenge114 füge 117 Gedehnter Versicherungsfall Fixierter oder zusammengesetzter Versicherungsfall 118 (in der Haftpflichtversicherung) Herbeiführung des Versicherungsfalls (subjekti122 ver Risikoausschluss) Ausgleichsleistung im Versicherungs128 fall 128 Einführung Nichtpersonenversicherung/ 129 Schadensversicherung a) Unterschiede zwischen Aktiven- und Passivenversicherung sowie gegenüber dem zi129 vilrechtlichen Schadensersatz 130 b) Einzelheiten 134 Personenversicherung 135 a) Schadensversicherung 138 b) Summenversicherung Insbes.: Überschussbeteiligung in der Lebensver139 sicherung 139 a) Problematik 141 b) Urteile des BVerfG vom 26.7.2005 142 c) Umsetzung durch ReformG Exkurs: Rückkaufswert in der Lebensversiche143 rung Inhalt der Ausgleichsleistung (und Zusatzleis146 tungen) 146 a) Allgemein b) Naturalleistungen in Form von Dienstleis149 tungen 151 c) Assistanceleistungen 154 Deckung eines Drittrisikos 154 Vorbemerkung und Überblick Versicherung für fremde Rechnung in der Nicht156 personenversicherung a) Grundsätze, insbes. zur Aktiven- bzw. Sach156 versicherung

b)

3.

4.

5. 6. 7. 8.

VI. 1. 2.

Abgrenzung zum Regressaus157 schluss c) Fremdversicherung in der Passivenversicherung, insbes. Haftpflichtversiche161 rung Versicherung für fremde Rechnung in der Personenversicherung – Abgrenzung zur Versicherung für eigene Rechnung mit Drittem als Ge162 fahrsperson 162 a) Neuregelung 163 b) Lebensversicherung 165 c) Berufsunfähigkeitsversicherung 166 d) Unfallversicherung 169 e) Krankenversicherung Rechtsstellung des Dritten in der Haftpflichtver171 sicherung 171 a) Allgemein b) Pflichtversicherungen und (partieller) Di172 rektanspruch des Dritten c) Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs 173 an den Dritten und Folgerungen 175 Bezugsberechtigung 177 Eintrittsrecht Sicherung des Grundpfandrechtsgläubi178 gers Sicherung des Kreditgebers durch Sicherungs179 schein Verletzung der Sicherungs- und Ausgleichs180 pflicht 180 Verletzung der Sicherungspflicht 181 Verletzung der Ausgleichspflicht 181 a) Geldleistung 182 b) Naturalleistung 184 c) Assistanceleistung 185

D.

Prämienzahlungspflicht des VN

I.

Begriff und Bedeutung

II.

Bestandteile der Prämie

III.

Fälligkeit und sonstige Aspekte

IV.

Verletzung der Prämienzahlungspflicht

E.

Der Versicherungsvertrag und seine Qualifi191 zierung

I.

Der Versicherungsvertrag als schuldrechtlicher 191 Vertrag eigener Art 191 Vertrag 192 Parteien des Vertrags 192 a) Versicherer 192 aa) Überblick 196 bb) Insbes.: der VVaG

1. 2.

185 188 189 190

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

b)

3. 4.

Versicherungsnehmer 200 200 aa) Allgemein 201 bb) Insbes.: Großrisiken cc) Insbes.: Natürliche Personen 204 Schuldrechtlicher Vertrag 205 Vertrag eigener Art

1.

203

II. 1. 2.

206 Gegenseitiger Vertrag 206 Grundsatzproblematik Rückabwicklung bei Mängeln des Vertragsab208 schlusses a) Folgerungen aus unterschiedlichen Kon208 zeptionen zur Leistung des VR 210 b) Gesetzliche Neuregelung

III.

Dauerschuldverhältnis

IV.

Handelsgeschäft

V.

Abgrenzung zu abweichenden Qualifizierun222 gen 222 Geschäftsbesorgungsvertrag 222 a) Allgemein 223 b) Kautionsversicherungsvertrag 224 Hedge-ähnliches Geschäft

2.

211

218 3.

1.

2. VI. 1. 2.

Nähere Differenzierungen bei einzelnen Versi225 cherungszweigen 225 Allgemein Insbes.: KLV mit Überschussbeteiligung als par226 tiarisches Versicherungsverhältnis

4. 5.

IV. 1. 2.

227

F.

Vertragsfreiheit und ihre Schranken

I.

Einführung und Überblick

II. 1. 2.

230 Abschlussfreiheit und ihre Schranken 230 Grundsatz der Abschlussfreiheit 231 Abschlusspflichten des VN 231 a) Überblick b) Beispiele für einzelne Versicherungs232 zweige 232 aa) Sachversicherung 233 bb) Haftpflichtversicherung cc) Unfallversicherung und ähnliche Ver234 sicherungen dd) Krankenversicherung und Pflegeversi235 cherung 236 Kontrahierungszwang des VR Exkurs: Steuerliche Anreize zum Abschluss von 237 Versicherungsverträgen Vergabeverfahren bei öffentlichen Auftragge238 bern

3.

3. 4. 5.

III.

227

Gestaltung des Vertragsabschlusses und Be239 schränkungen

H. Baumann/Koch

4.

5.

V. 1. 2. 3.

240 Rechtslage vor der Reform des VVG 240 a) Antragsmodell 241 b) Policenmodell aa) Vereinbarkeit des Erlöschens des Widerspruchsrechts mit dem Unions242 recht bb) Vereinbarkeit des Policenmodells mit 243 dem Unionsrecht Rechtslage nach dem reformierten 244 VVG a) Abschaffung des Policenmodells bei Mas244 senrisiken b) Sonstige Vertragsabschlussmo247 delle 248 aa) Invitatio-Modell 249 bb) Vorschlagsmodell 250 cc) Bedingungsmodell 251 c) Widerruf und Widerrufsfolgen Sonderregelung des § 5 VVG – Abweichung des Versicherungsscheins von dem Antrag oder den 254 getroffenen Vereinbarungen Besonderheiten bei Vertragsabschlüssen im In258 ternet Besonderheiten bei Pflichtversicherungsverträ260 gen 261 Inhaltsfreiheit und Schranken 261 Grundsatz der Inhaltsfreiheit (Halb-)Zwingende Vorschriften des 262 VVG 262 a) Überblick b) Freistellung für Großrisiken und laufende 263 Versicherungen 265 Allgemeine zivilrechtliche Schranken 265 a) §§ 134, 138, 242 BGB 268 b) AVB und AGB-Recht 269 Gleichbehandlungsgrundsatz a) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 269 (AGG) b) Geschlechtsunabhängige Altersversorgung 272 nach AltZertG c) Gleichbehandlung für VVaG-Mitglieder ge273 mäß § 177 Abs. 1 VAG d) Allgemeine Gleichbehandlungs274 pflicht? 279 Optimierungspflicht des VR? 279 a) Allgemein b) Optimierungspflicht beim VVaG und allge281 meine Rückwirkungen Ausprägungen des Informationsmodells neben 282 materialem Schutzmodell 282 Allgemeines 283 AGB-Rechtliches Transparenzgebot Allgemeine Informations- und Beratungspflich284 ten

482

VVG § 1

A. Einführung

4. 5.

VI. 1.

2.

VII. 1. 2. 3. 4.

Bedeutung der „Auge-und-Ohr“-Dokt285 rin Spezielle Hinweisobliegenheiten des 286 VR Verfassungsrechtliche Gewährleistung und 287 Schranken der Vertragsfreiheit Entscheidungen des BVerfG vom 26.7.2005 zur Überschussbeteiligung in der Lebensversi287 cherung Rückwirkungen auf andere Problem291 kreise 294 Vertragsänderungen 294 Überblick 295 Individuelle Vertragsänderungen Prämien- und Bedingungsanpassungsklauseln 298 in den neuen AVB Gesetzliche Ermächtigungen zu Vertragsände301 rungen 301 a) Lebensversicherung b) Berufsunfähigkeits- und Krankenversiche303 rung

3.

Beispiele für ordnungspolitische und verfassungsrechtliche Problemfelder (insbes. Kranken314 versicherung)

II. 1. 2.

316 Fonds 316 Überblick 317 Sicherungs- bzw. Insolvenzfonds 317 a) Entwicklung b) Sicherungsfonds für die Lebensversicherung und für die Krankenversiche318 rung c) Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen/Verkehrsopferhilfe 320 e.V Sonstige Entschädigungsfonds (Aus322 wahl) a) Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen/Verkehrsopferhilfe 322 e.V b) Entschädigungsfonds für Klärschlamm323 schäden 324 Zusammenfassende Betrachtung

3.

4. III.

VIII. Besondere Vertragsgestaltungen: vorläufige Deckung, laufende Versicherung, Gruppen- bzw. 304 Kollektivversicherung

Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteili327 gung

IV.

Sonstige

G.

Unanwendbarkeit des VVG auf Rückversiche307 rung und Seeversicherung

I.

Hinweise zum Verfahren

I.

Rückversicherung

I. 1. 2.

331 Gerichtsstand 331 Allgemein 332 Wohnsitz des VN

II.

Exkurs: Tätigkeit von Versicherungs-Zweckge308 sellschaften (ART)

II. 1. 2.

Schlichtungsstellen/Ombudsmann 334 Versicherungsombudsmann 336 PKV-Ombudsmann

III. 1. 2.

337 Beweislast 337 Allgemeine Grundsätze Beweiserleichterungen in Entwendungsfäl338 len

J.

Rechtsvergleichende Hinweise/ 339 PEICL

307

309

III.

Seeversicherung

H.

Abgrenzungen

I. 1. 2.

311 Sozialversicherung 311 Systematik und Rechtsgrundlagen Typische Unterschiede zwischen Privat- und So313 zialversicherung

310

329 330

333

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 1 a. F. ist seit Schaffung des VVG im Jahre 1908 bis zur Ablösung durch das ReformG unverändert 1 geblieben. Die Vorschrift wird zur Verdeutlichung der durch die Neufassung erfolgten Änderungen im Folgenden abgedruckt:

483

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

§ 1 VVG a. F. [1] Bei der Schadensversicherung ist der Versicherer verpflichtet, nach dem Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherungsnehmer den dadurch verursachten Vermögensschaden nach Maßgabe des Vertrages zu ersetzen. Bei der Lebensversicherung und der Unfallversicherung sowie bei anderen Arten der Personenversicherung ist der Versicherer verpflichtet, nach dem Eintritt des Versicherungsfalls den vereinbarten Betrag an Kapital oder Rente zu zahlen oder die sonst vereinbarte Leistung zu bewirken. [2] Der Versicherungsnehmer hat die vereinbarte Prämie zu entrichten. Als Prämien im Sinne dieses Gesetzes gelten auch die bei Versicherungsunternehmungen auf Gegenseitigkeit zu entrichtenden Beiträge.

Die Neufassung der Vorschrift deckt sich in S. 1 mit den Vorschlägen der VVG-Reformkommission,1 des RefE2 und des RegE.3 S. 2 hatte im KomE4 und im RefE5 jeweils eine etwas andere Fassung.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 Die Fassung von § 1 hat insgesamt gegenüber der bisherigen erhebliche Änderungen erfahren: Die bisherige Gegenüberstellung von Schadensversicherung und Personenversicherung, die allgemein als misslungen galt und gilt,6 wurde aufgegeben zugunsten einer allgemeinen Umschreibung der vertragstypischen Pflichten der Vertragsparteien für alle Arten von Versicherungen. Auf eine Definition des Begriffs der Versicherung wurde dabei wie bisher verzichtet, um „zukünftige Entwicklungen der Versicherungsprodukte“ nicht unbeabsichtigt vom Anwendungsbereich des VVG auszuschließen.7 Deutlich wird in S. 1 als „entscheidendes Merkmal“ der Leistungspflicht des VR die Absicherung eines bestimmten Risikos festgelegt: Sie bestehe in der Verpflichtung des VR, im Versicherungsfall die „versprochene Ausgleichsleistung“ zu erbringen.8 Diese Formulierung spricht gegen die Maßgeblichkeit der sog. Geldleistungstheorie (Rn. 27). Entsprechend dem zuvor Gesagten sieht die Neufassung davon ab, den Inhalt der zu erbringenden Leistung des VR näher zu spezifizieren. Es wird nur allgemein auf die nach dem Versicherungsvertrag zu erbringende Leistung abgestellt. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang bereits darauf, dass es im VVG 2008 kein Pendant mehr zu § 49 a. F. gibt.9 3 Wie bisher soll § 1 beide grundsätzlichen Organisationsformen der Versicherung, den privatrechtlichen Vertrag zwischen zwei rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen Parteien (also i. d. R. mit einer Aktiengesellschaft oder einem öffentlich rechtlichen Unternehmen) wie auch den Versicherungsschutz durch einen VVaG erfassen.10 Falls eine dritte denkbare Form der Versicherung – ein Geschäftsbesorgungsvertrag – „in Zukunft realisiert werden sollte“, sollen auch derartige Verträge in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen.11 Der generellen Deutung der Versicherung als Geschäftsbesorgungsvertrag hat der Gesetzgeber damit eine Absa-

1 Vgl. Anhang zum KomE. 2 Vgl. S. 11 des RefE. 3 BTDrucks. 16/3945 S. 8. 4 „Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, dem Versicherer die vereinbarte Prämie zu zahlen. 5 „Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, dem Versicherer das vereinbarte Entgelt (Prämie) zu zahlen. 6 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 23. 7 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 8 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 9 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 10 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 11 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. H. Baumann/Koch

484

VVG § 1

B. Funktionen und „Begriff“ der privaten Versicherung

ge erteilt.12 Mit der in S. 2 verankerten Pflicht des VN, die „vereinbarte Zahlung (Prämie)“ zu leisten, erschien den Gesetzesredaktoren die bisherige Klarstellung in § 1 Abs. 2 S. 2 a. F. hinsichtlich der beim VVaG zu leistenden Beiträge entbehrlich.13 Insgesamt führt die Neufassung einerseits zu einer stärkeren Abstrahierung der gesetzli- 4 chen Aussagen und damit zu einer stärkeren Betonung des jeweiligen Vertragsinhaltes, andererseits aber zu einer Verdeutlichung der Leistungspflicht des VR.

III. Anwendungsbereich Als Leitvorschrift im Allgemeinen Teil bezieht sich § 1 auf alle vom VVG erfassten Versicherungs- 5 verträge (nicht Rückversicherung und Seeversicherung, vgl. § 209). Durch die Formulierung „verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag“ in S. 1 wird deutlich gemacht, dass das VVG nur auf vertraglich begründete Versicherungsverhältnisse Anwendung findet.14

IV. Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 über den Versicherungsvertrieb Nach § 1a Abs. 1 ist der VR verpflichtet, bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber VN stets ehrlich, 6 redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln. Diese Verpflichtung, die Teil der Umsetzung der Richtlinie über den Versicherungsvertrieb ist (Art. 17),15 ist für sich genommen weder typisierend für den Versicherungsvertrag noch synallagmatisch.16 Zu Einzelheiten s. Kommentierung von § 1a.

B. Funktionen und „Begriff“ der privaten Versicherung I. Funktionen 1. Überblick Die private Versicherung hat, wie die Fassung von § 1 jetzt verdeutlicht, zunächst Sicherungs- 7 funktion.17 Durch das außerordentlich effiziente System Versicherung erübrigt sich dadurch für den VN zugleich die Notwendigkeit, im Hinblick auf Schadensfälle vorsorglich in anderer Weise für Liquidität zu sorgen (Liquiditätsfunktion).18 Ebenfalls als Bestandteil der Sicherungsfunktion ist die Erhöhung der Wagnisbereitschaft19 zu begreifen, die häufig mit einer Innovationsfunktion20 verbunden ist. Die Sicherungsfunktion findet unter Umständen – im Versicherungsfall – durch die Ausgleichsleistung des VR ihre bestimmungsmäßige Vollendung.

12 13 14 15

Zu Recht: Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 2. Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. Vgl. zum österreichischen Recht Fenyves/Schauer/Fenyves § 1 VersVG Rn. 2. Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über den Versicherungsvertrieb, ABl. EU L 26/19 v. 2.2.2016. 16 Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über den Versicherungsvertrieb, ABl. EU L 26/19 v. 2.2.2016. 17 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1 Rn. 10. 18 Sinn ZVersWiss 1988 1, 3 ff.; Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 14; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 5. 19 Sinn ZVersWiss 1988 1, 15 ff. 20 Schwintowski VersWiss.Stud Bd. 6 (1997) 27, 40 f. m. w. N. 485

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Diese Funktionen haben nicht nur einzelwirtschaftliche, sondern auch erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung.21 Wichtigster Effekt ist die Stabilisierung der Wirtschaftsprozesse, indem der sichere und schnelle Ersatz eines Primärschadens bei der versicherten Wirtschaftseinheit die sich aus der Verbindung mit anderen Wirtschaftseinheiten ergebenden Folgeschadensmöglichkeiten begrenzt oder mindert.22

2. Risikoabsicherung und Ausgleichsleistung 9 Sicherungsfunktion bedeutet i. S. v. § 1 konkret Risikoabsicherung (Risikovorsorge durch Versicherung). Ungeachtet des schillernden Begriffs „Risiko“ besteht die Sicherung von vornherein darin, dass der VR verspricht, im Versicherungsfall die vertraglich vorgesehene „Ausgleichsleistung“23 zu erbringen. 10 Umstritten ist seit Langem was konkret im Versicherungsfall ausgeglichen wird. Die Schadensersatztheorie24 stellt auf Schadensbeseitigung ab, die Bedarfsdeckungstheorie25 auf Deckung des durch den Versicherungsfall entstehenden Geldbedarfs. Beide Theorien haben insbes. Schwierigkeiten, die Summenversicherung (Rn. 53) plausibel zu erklären, wenngleich sie diese Schwierigkeiten durch Differenzierung nach konkretem und abstraktem/typischem Schaden bzw. Bedarf26 zu beheben versuchen.27 Weiterführend ist insoweit die von Braeß entwickelte Plansicherungstheorie,28 die die Funktion der Versicherung bzw. des Versicherungsvertrages darin sieht, durch ungewisse Ereignisse ausgelöste Störungen in den Wirtschaftsplänen (bei Haushalten eher: „Programmen“29) der VN (planwidrig entgehende Einnahmen, außerplanmäßige Ausgaben) auszugleichen. Diese Theorie ermöglicht plausibel die Erfassung der Schadens- und auch der Summenversicherung. Ferner kann sie bisher schwer einzuordnende Schadenversicherungsarten, wie beispielsweise die Neuwertversicherung und auch die Einbettung der Versicherung im Kontext des Risikomanagements, erklären.30 Der Unterschied gegenüber der herkömmlichen Betrachtung liegt darin, dass sie sich zwar auch am Bedarf orientiert, diesen aber nicht (nur) an statischen Vermögensdaten, sondern (auch) an dynamischen Zielprojektionen (Diskrepanz zwischen Plandaten und durch den Versicherungsfall ausgelösten faktischen Daten)31 ausrichtet. Rechtliche Bedenken gegen die Plansicherungstheorie bestanden schon bisher auch mit Blick auf die Schadensversicherung nicht, da der im VVG a. F. verwendete Begriff des (Vermögens-)Schadens jedenfalls flexible Vertragsabreden zuließ.32 Dies ist schon angesichts der offeneren Fassung von § 1, aber auch angesichts der „liberalisierteren“ Regelungen in §§ 74 ff. erst recht so zu sehen. Allerdings wird man von jedem Bedarf abgekoppelte Summenvereinbarungen in der Nicht-Personenversicherung (Rn. 53) auch

21 22 23 24 25 26

Armbrüster Rn. 219 ff. Farny 96. So die Formulierung in der Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. Vgl. vor allem Donati ZVersWiss 1960 289, 294. Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 7, 23–26 m. w. N. So auch BGH 26.9.1979 – IV ZR 94/78 VersR 1979 1120, 1121; vgl. auch BGH 17.12.1997 – IV ZR 136/96 VersR 1998 305, 306 f.; 4.7.2001 – IV ZR 307/00 VersR 2001 1100, 1101; Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 24, 25. 27 Zusammenfassend kritisch Dreher Rechtsprodukt 38–40. 28 Braeß ZVersWiss 1970 1. Zustimmend Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 17; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 3. 29 Braeß ZVersWiss 1970 1, 9. 30 Vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 3. Näher Rn. 86. 31 Braeß ZVersWiss 1970 1, 7. 32 So auch Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 4. H. Baumann/Koch

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nach Aufgabe eines zwingenden Bereicherungsverbotes (Rn. 91) für unzulässig halten müssen.33 Der Plansicherungstheorie steht die von Schmidt-Rimpler34 entwickelte Theorie der Sicherung von Vermögensgestaltungszielen nahe, die ebenfalls durchaus eine Symbiose mit den herkömmlichen Theorien zulässt.

3. Versicherung als Element der Risikosteuerung im Rahmen des Risikomanagements a) Risiko – Risikotransfer – Risikotransformation. Risiko ist ein mehrdimensionaler Be- 11 griff.35 In der ökonomischen Theorie und vor allem im Investitions- und Investmentbereich umfasst er allgemein die Möglichkeit, dass es anders (sowohl schlechter als auch besser) kommen kann als erwartet.36 Diese weite Begriffsfassung umfasst also auch die Chancen, d. h. positive Abweichungen von einem Erwartungswert.37 Traditionell und umgangssprachlich wird Risiko jedoch eindimensional, nämlich allein als Verlust- oder Schadensgefahr verstanden (Risiko i. e. S.). Dieses enge Verständnis vom Begriff des Risikos liegt § 1 S. 1 VVG zugrunde. Er umfasst zunächst die Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen, des Weiteren die konkreten (versicherten) Gefahren (z. B. Brandrisiko, Haftpflichtrisiko, Krankheitsrisiko), die gefährdeten Wirtschaftsgüter (z. B. Sachen) und auch die Bestimmungsgrößen des versicherten Schadens bzw. Bedarfs (z. B. Ertragsausfall nach Betriebsunterbrechung, Einkommensausfall bei Krankheit). Des Weiteren kann zwischen objektiven und subjektiven Risikofaktoren unterschieden werden. Effizientes Risikomanagement setzt voraus, dass die aktuellen und die potentiellen Risiken 12 identifiziert, die Ursachen analysiert und das Ausmaß der Risiken bewertet werden. Auf der Grundlage dieser Informationen sind dann unter Berücksichtigung der Gesamtunternehmensziele geeignete Maßnahmen zur Steuerung dieser Risiken festzulegen und zu überwachen (sog. Regelkreislauf des Risikomanagements).38 Zu den Risikosteuerungsmaßnahmen zählt die Abwälzung der Risiken auf Dritte. Versicherung bewirkt einen solchen Risikotransfer:39 Durch den Versicherungsvertrag verpflichtet sich der VR, genau definierte Versicherungsleistungen zum Ausgleich genau definierter ungünstiger Planabweichungen zu gewähren. Risikotransfer bedeutet mithin bereits danach Sicherungsabrede und ggf. Ausgleichsleistung. Noch klarer sind neuere Erklärungen einer Risikotransformation:40 Die Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen mit einer Gefährdung der Pläne durch hohe, im Einzelnen unschätzbare Schäden bzw. Bedarfe wird transformiert in Sicherheit, vermittelt durch die Gewähr klarer Ausgleichsleistungen im Versicherungsfall. Erkauft wird der Transformationsprozess durch Prämienzahlungen in feststehender Höhe. Unsicherheit mit der Gefahr hoher Plandefizite wird mithin transformiert in Plansicherheit bei gleichbleibenden, klar kalkulierbaren Kosten.

33 Ebenso Prölss/Martin/Prölss § 1 Rn. 28. Näher Rn. 90. 34 Schmidt-Rimpler VersR 1963 493, 500 ff.; zustimmend zu Schmidt-Rimpler Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 11; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 25; Dreher Rechtsprodukt 40– 46 m. w. N.; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann VAG § 7 Rn. 71. 35 Näher Farny 26 ff. 36 Vgl. Kromschröder/Lück DB 1998 1573; Romeike DuD 2003 193. 37 Kirchner Der Betriebswirt 2002 15, 16 f.; Kromschröder/Lück DB 1998 1573. 38 S. hierzu R. Koch ZGR 2006 184, 190. 39 Farny 35 ff.; Albrecht Zur Risikotransformationstheorie der Versicherung: Grundlagen und ökonomische Konsequenzen (1992), 159. 40 Der Sache nach auch Farny 35 ff. m. w. N.; andere Akzentuierung bei U. Meyer VersWiss.Stud. Bd 6 (1997) 11, 16 ff. 487

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13 b) Risikoprävention. Big Data und die Digitalisierung der Wirtschaft verändern die vorstehend skizzierte Rolle der Versicherung.41 Besonders deutlich wird das bei den Telematiktarifen, die Eingang in verschiedene Versicherungssparten gefunden haben. Bei diesen Tarifen wird das risikorelevante Verhalten (z. B. sichereres Autofahren in der Kfz-Versicherung, gesundheitsbewusstes Verhalten in der Risikolebens-, Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung) im laufenden Vertragsverhältnis mittels digitaler Technologie dauernd beobachtet und analysiert.42 Hier geht es nicht mehr nur um Risikotransformation, sondern auch um Risikoprävention, weil das individuelle Risiko ausgewertet und dem VN eine Rückmeldung in Form der Festsetzung/Anpassung der Versicherungstarife gegeben wird. In der Hausratversicherung bieten einige VR sog. Smart-Home-Module an, bei denen der VN eine Grundausstattung eines Kooperationspartners mit technischen Einrichtungen erhält, die bestimmte Informationen über die Räume des VN und mögliche Schäden erfassen und über eine Funkverbindung übermitteln. Diese Form der Datennutzung ermöglicht es dem VR, das versicherte Risiko aktiv zu steuern, etwa wenn das „Smart Home“ die Wasserzufuhr bei Rohrbruch automatisch absperrt.43

II. „Begriff“ 1. Typologische Methode 14 Der Gesetzgeber des ursprünglichen VVG hat auf eine begriffliche Definition der Versicherung verzichtet und sie bewusst Wissenschaft und Praxis überlassen.44 Dies hat in der Rechts- u. Wirtschaftswissenschaft zu einer Fülle von Theorien geführt.45 Auch der Reformgesetzgeber hat „weiterhin“ auf eine Definition des Begriffs der Versicherung verzichtet, da damit „unbeabsichtigt künftige Entwicklungen der Versicherungsprodukte vom Anwendungsbereich des VVG ausgeschlossen werden könnten.“46 Methodisch ist es daher angemessen, die Versicherung als einen an der Empirie orientierten, vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Geschäftstyp zu begreifen, dessen Merkmale nicht durchgehend eindeutig begrifflich fixiert sind, sondern die eine wertende, „typologische“47 Zuordnung erforderlich machen.48

2. Unterschiedliche Kennzeichnungen in der Versicherungswissenschaft 15 Nach Möller ist Versicherung im Rechtssinne eine Gemeinschaft gleichartig Gefährdeter, also eine Gefahrengemeinschaft mit selbstständigen Rechtsansprüchen auf wechselseitige Be-

41 Zur Rolle der Versicherung im Zuge der Digitalisierung s. Abschlussbericht der Projektgruppe der Arbeitsgemeinschaft Wirtschaftlicher Verbraucherschutz, Telematiktarife im Versicherungsbereich, https://www.verbraucherschutzministerkonferenz.de/documents/anlage-1_1559131158.pdf (abgerufen am 23.7.2019); The Geneva Association Insurance in the Digital Age https://www.genevaassociation.org/sites/default/files/research-topics-document-type/ pdf_public/insurance_in_the_digital_age_01.pdf (abgerufen am 23.7.2019). 42 Brand VersR 2019 725 (zur Funktionsweise von Telematiktarifen); Klimke RuS 2015 217 ff. (Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung). 43 Näher Brand VersR 2019 725, 726; Brömmelmeyer RuS 2017 225 ff.; Hammel VersR 2016 281; Klimke RuS 2015 217 ff.; Schaper/Teubert ZfV 2016 613. 44 Motive 69 f. 45 Vgl. Nachw. bei Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 2; Dreher Rechtsprodukt 31 ff.; Möller ZVersWiss 1962 269, 271 ff.; Wälder 24 ff. 46 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 47 Zur typologischen Rechtsfindung vgl. Larenz/Canaris 113 ff.; Leenen Typus und Rechtsfindung (1971) 66 ff. 48 Vgl. auch Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 39; Dreher Rechtsprodukt 66 ff.; H. Baumann Monopolistische Entschädigungsfonds 11; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 101 f. H. Baumann/Koch

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darfsdeckung.49 In der Wissenschaft sind die verschiedensten „Begriffe“ entwickelt worden.50

3. Herrschende Meinung Heute wird nach herrschender Meinung in Wissenschaft51 und Rechtsprechung, vor allem 16 des BVerwG52 und des BGH,53 das Vorliegen einer (privaten) Versicherung mit mehr oder weniger einheitlichen Formulierungen54 so bestimmt: Eine Versicherung liegt dann vor, wenn sich ein Unternehmen gegen Entgelt für den Fall eines ungewissen Ereignisses zur Erbringung bestimmter Leistungen verpflichtet, wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt, und wenn schließlich die Risikoübernahme selbstständiger Gegenstand des Vertrages und nicht nur (gesetzliches oder vertraglich erweitertes) Akzessorium eines auf eine andere Hauptleistung gerichteten Vertrages ist.55

4. Einzelmerkmale a) Versicherer/Versicherungsunternehmen. Als (deutsche)56 VR/VU57 kommen nach Auf- 17 sichtsrecht (vgl. § 8 Abs. 2 VAG) nur Aktiengesellschaften einschließlich der Europäischen Gesellschaften (SE), VVaG sowie Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts in Betracht (Rn. 192 ff.). Denkbar ist aber auch, dass ein aufsichtsrechtlich nicht zum Geschäftsbetrieb zugelassenes Unternehmen im weitesten Sinne (vgl. § 14 BGB) – unzulässigerweise – Versicherungsgeschäfte betreibt.58

b) Leistungspflicht des VR. Der VR verspricht seine (Ausgleichs-)Leistung für den Fall des 18 Eintritts eines ungewissen, wirtschaftlich nachteiligen Ereignisses, des Versicherungsfalles. Bereits mit diesem Versprechen erlangt der VN, wie § 1 jetzt verdeutlicht, eine Absicherung des versicherten Risikos (Rn. 27 ff.). Hiermit wird nach Aussage der Gesetzesredaktoren59 das „entscheidende Merkmal“ der vertragstypischen Pflicht des VR festgelegt.

49 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 3. 50 Vgl. nur den Überblick bei Dreher Rechtsprodukt 32 ff. 51 Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 19 ff.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 6 f.; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 41 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 113 ff.; Prölss/Dreher/Präve VAG § 1 Rn. 31 ff.; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 7 Rn. 70 ff.; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 101, 128 ff.; Dreher Rechtsprodukt 34 ff. 52 Vgl. etwa BVerwG 12.5.1992 – 1 A 126/89 VersR 1992 1381, 1382. 53 Vgl. etwa BGH 23.11.2016 – IV ZR 50/16 VersR 2017 118 Rn. 12; BGH 29.9.1994 – I ZR 172/92 VersR 1995 344, 345 f. 54 Trotz gewisser, von § 1 VAG oder § 1 VVG ausgehende Akzentuierungen haben sich die Typusbeschreibungen nach Aufsichtsrecht und nach Privatrecht weitgehend angeglichen. 55 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 30. 56 Für Unternehmen aus einem EU- oder EWR-Staat vgl. §§ 61 ff., für Unternehmen aus einem Drittstaat vgl. §§ 67 ff. VAG. 57 Deutlich auf Unternehmen abstellend § 1 Abs. 1 Nr. 1 VAG. 58 Vgl. aus aufsichtsrechtlicher Sicht auch Prölss/Dreher/Präve VAG § 1 Rn. 15; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann VAG § 7 Rn. 73 ff. 59 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 489

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19 c) Ungewisses Ereignis. Die Ungewissheit des Ereigniseintritts kann darin bestehen, ob ein bestimmtes Ereignis überhaupt eintritt (incertus an et quando, typisch für die Schadensversicherung) oder wann ein mit Bestimmtheit zu erwartendes Ereignis tatsächlich eintreten wird (certus an, incertus quando, kennzeichnend für die Todesfallversicherung). Bei der Lebensversicherung mit festem Auszahlungstermin – Termfixversicherung – tritt der Bedarf mit dem zeitlich ungewissen Tode ein, nur die Fälligkeit der Versicherungssumme ist auf einen bestimmten Zeitpunkt verschoben.60 Eine rein subjektive Ungewissheit über die Realisierung der versicherten Gefahr reicht aus, vgl. § 2 Rn. 2.

20 d) Bestimmtes Risiko als selbstständiger Vertragsgegenstand. Die „Risikoübernahme“ muss dabei selbstständiger Gegenstand des Vertrages und nicht nur unselbstständige Nebenabrede zu einem Hauptgeschäft sein, dass seinerseits kein Versicherungsgeschäft (z. B. Kauf- oder Werkvertrag) ist.61 So erhält eine „Langzeitgarantie“ eines Verkäufers (Versandhandelsunternehmen) trotz der gegen zusätzliches Entgelt angebotenen Verlängerung der gesetzlichen Sachmängelhaftung sein rechtliches Gepräge aus den dispositiven Kaufrechtsregeln.62 Die Verlängerung der „Garantiezeit“ um ein Jahr verbunden mit einem verhältnismäßig geringen Aufpreis hat kein solches Gewicht, dass sie als ein gegenüber dem Kaufvertrag eigenständiges, mit ihm nur lose oder gar willkürlich verbundenes Geschäft zu werten wäre.63 Wird eine solche Garantie allerdings von einem Drittunternehmen als eigenständiger Vertragsgegenstand angeboten, so wäre sie durchaus als Versicherung zu werten.64 Im Rahmen einer wertenden Zuordnung kommt die Bejahung einer Versicherung auch in Betracht, wenn die „Nebenabrede“ wirtschaftlich den Schwerpunkt des Geschäfts bildet, die Hauptabrede eher vorgeschoben erscheint.65

21 e) Risikokollektiv und Kalkulation nach Gesetz der großen Zahl. Das Risiko muss schließlich nach h. M. auf ein Risikokollektiv (missverständlich: „Gefahrengemeinschaft“) verteilt werden, es muss eine Kalkulation nach dem mathematischen Gesetz der großen Zahl (Rn. 16) stattfinden. Darüber, dass die „Gefahrengemeinschaft“ weder Gemeinschaft i. S. v. §§ 741 ff. BGB noch sonst eine juristische Organisation ist, besteht heute kaum noch Streit.66 Immerhin haben Risikokollektive z. B. bei der Schaffung von AVB und bei der (Risiko-)Prämienberechnung für bestimmte Versicherungszweige bzw. Versicherungsarten ihre Bedeutung.67 Typischerweise handelt es sich dabei um gleichartig bedrohte Gemeinschaftsmitglieder. Abstrakt gesehen kann eine Versicherung aber auch bei einem versicherungsmathematischen, stochasti-

60 Vgl. nur BGH 11.2.1953 – II ZR 51/52 VersR 1953 106, 109. Im Sinne der Vermögensgestaltungstheorie wird das Vermögensgestaltungsziel durchkreuzt bzw. durch Versicherung gesichert, vgl. Schmidt-Rimpler VersR 1963 493, 496. 61 Vgl. bereits Motive zum VAG 30; zum Vertragsrecht BGH 29.9.1994 – I ZR 172/92 VersR 1995 344, 345; zum Aufsichtsrecht BVerwG 19.5.1987 – 1 A 88/83 VersR 1987 701, 702; 12.5.1992 – 1 A 126/89 VersR 1992 1381, 1382. 62 BVerwG 12.5.1992 – 1 A 126/89 VersR 1992 1381, 1382. 63 BVerwG 29.9.1992 – 1 A 26/91 VersR 1993 1217, 1218: Garantieübernahme des Verkäufers eines Kfz-Schmierölzusatzes für den Fall der Wirkungslosigkeit des Öls. 64 Vgl. bereits Motive zum VAG 30 und auch BVerwG 12.5.1992 – 1 A 126/89 VersR 1992 1381, 1382; aus jüngerer Zeit OLG Celle 4.1.2007 – 8 U 156/06 VersR 2007 834 = NJW-RR 2007 469: Reparaturkostenversicherung mit Subsidiaritätsklausel. 65 Vgl. BVerwG 29.9.1992 – 1 A 26/91 VersR 1993 1217, 1218; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 43 a. E. Zu weiteren Fallgestaltungen vgl. Bruck/Möller/Möller8 § 1 Rn. 10 sowie Prölss/Dreher/Präve VAG § 1 Rn. 40 ff. 66 Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 117; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 158; Dreher Rechtsprodukt 124 ff. 67 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 4; Wandt Rn. 136 f. H. Baumann/Koch

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schen Risikoausgleich zwischen ungleichartig bedrohten Personen vorliegen.68 Die erforderliche Kalkulation nach dem Gesetz der großen Zahl bedarf nicht notwendigerweise versicherungsmathematischer Grundlagen. Ausreichend ist die (wenigstens angestrebte) planmäßige Zusammenführung einer Vielzahl gefährdeter Personen, so dass aus den von diesen aufzubringenden Mitteln ein Risikoausgleich ermöglicht wird und diejenigen befriedigt werden können, die von einem nachteiligen Ereignis, dem Versicherungsfall, betroffen werden.69 Neben dem Risikoausgleich im Kollektiv gibt es den Risikoausgleich in der Zeit,70 der al- 22 lerdings in seiner Bedeutung nachgeordnet ist und in der juristischen Betrachtung bisher kaum eine Rolle spielt.

f) Entgeltlichkeit. Die Entgeltlichkeit des Geschäfts ist wie in § 1 Abs. 2 a. F. auch durch § 1 23 S. 2 ausdrücklich festgelegt und (jedenfalls als Typusmerkmal) unbestritten.71 „Unentgeltliche“ vorläufige Deckungszusagen (in der Lebensversicherung) sind daher zumindest problematisch.72 Die Risikoübernahme und das zu leistende Entgelt müssen in einem rechtsgeschäftlich begründeten Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehen.73 Der allgemein gehaltene Zweck eines Vereins, Menschen – auch Nichtmitglieder – bei Unglücksfällen, Erkrankungen und Katastrophen durch den Einsatz von Luftfahrzeugen zu retten, stellt daher keine entgeltliche Risikoübernahme seitens des Vereins da, wenn für Mitglieder des Vereins aus den Beiträgen bei einem VR eine Gruppenversicherung abgeschlossen wird, die die für Hilfs- und Dienstleistungen des Vereins entstehenden Kosten abdecken soll, und wenn kein Fehleindruck über darüber hinausgehende Rechtsansprüche gegen den Verein geweckt wird.74 g) Rechtsanspruch des VN. Allgemein anerkannt und in § 1 S. 1 festgelegt ist schließlich, 24 dass der Begriff der Versicherung einen Rechtsanspruch des VN auf die Versicherungsleistung erfordert. (Unterstützungs-)Einrichtungen, die einen Rechtsanspruch ausschließen, sind keine VU, vgl. auch § 3 Abs. 1 Nr. 1 VAG.75 Der vereinsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch reicht nach neuerer Rechtsprechung des BVerwG76 nicht für die Bejahung eines Versicherungsgeschäfts i. S. v. § 1 VAG aus, da er nicht positiv auf die Erbringung einer bestimmten Versicherungsleistung gerichtet ist, sondern nur negativ willkürliche Ungleichbehandlungen verbietet.77 Eine gleiche Beurteilung ergibt sich daraus für § 1 VVG. 68 Vgl. Farny 46 ff.; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann VAG § 7 Rn. 84 f.; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 164 ff.; wohl auch Dreher Rechtsprodukt 37. Enger Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 6; Prölss/Dreher/Präve VAG § 1 Rn. 38 und Formulierungen in der Rechtsprechung, z. B. BGH 11.7.1960 – II ZR 254/58 BGHZ 33 97, 99 ff.; BVerwG 12.5.1992 – 1 A 126/89 VersR 1992 1381, 1382. 69 BGH 14.7.1962 – III ZR 21/61 VersR 1962 974, 976; BVerwG 21.9.1967 – I C 31.65 VersR 1967 1085, 1086; Prölss/ Dreher/Präve VAG § 1 Rn. 43. Vgl. auch BVerwG 29.9.1992 – 1 A 26/91 VersR 1993 1217; Prölss/Martin/Prölss27 § 1 Rn. 12; a. A. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 15; zum österreichischen Recht Fenyves/Schauer/Fenyves § 1 VersVG Rn. 15. 70 Farny 50 ff. 71 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 8. Vgl. aber auch Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann VAG § 7 Rn. 73 ff.: Entgeltlichkeit (aufsichtsrechtlich) nicht in jedem Einzelfall erforderlich. 72 Vgl. Werber ZVersWiss 1984 321, 330; Sieg VersR 1986 929. 73 BVerwG 11.11.1986 – 1 A 45/83 VersR 1987 273 ff.; 25.11.1986 – 1 C 54/81 VersR 1987 297, 298. 74 BVerwG 11.11.1986 – 1 A 45/83 VersR 1987 273 ff. (Im Einzelnen nicht unproblematisch. Maßgebend war eher, dass der Verein selbst keinen Risikoausgleich nach dem Gesetz der großen Zahl anstrebte, sondern diesbezüglich einen professionellen Versicherer einschaltete). 75 Näher Prölss/Dreher/Präve VAG § 1 Rn. 65. 76 BVerwG 25.11.1986 – 1 C 54/81 VersR 1987 297, 299 unter Aufgabe der früheren Rspr. 77 Zur Frage der Aufsichtspflicht, wenn die Satzung einer Vereinigung den Rechtsanspruch lediglich formal ausschließt, und zur Frage des Vertrauensschutzes vgl. BVerwG 25.11.1986 – 1 C 54/81VersR 1987 297, 300. 491

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5. Abgrenzungen 25 Neben vorgenannten Merkmalen können in problematischen Grenzfällen weitere Aspekte beachtlich sein. Verwiesen wird hierzu auf Abschnitt H (Rn. 310). Ob ein Unternehmen der Versicherungsaufsicht unterstellt ist, ist privatrechtlich unerheblich. Ein unbeaufsichtigtes Unternehmen kann also VR sein. Eine Feststellung der Aufsichtspflicht i. S. v. § 2 VAG bindet nur Verwaltungsbehörden.78

III. Auswirkungen von Big Data und Digitalisierung 26 Wie zuvor bereits erwähnt (Rn. 13), ist zu erwarten, dass die Bedeutung der Versicherung als Instrument der Risikoprävention zunimmt. Dies dürfte vor allem für Privatpersonen von Nutzen sein. Da Telematiktarife letztlich darauf abzielen, das Verhalten des VN zu steuern, stellt sich im Hinblick auf die Privatautonomie jedoch die Frage nach den verfassungs- und einfachrechtlichen Grenzen einer solchen Produktgestaltung.79 Telematiktarife werden zudem durch das Prinzip der Versicherung als Solidargemeinschaft begrenzt. Dieses Prinzip wäre freilich erst dann in Frage gestellt, wenn durch den Einsatz digitaler Techniken die Prämie so kalkuliert würde, dass jeder Vertrag aus sich selbst heraus finanziert würde und ein Risikoausgleich im Kollektiv deshalb nicht mehr stattfinden müsste.80 Solche Verträge wären nicht mehr als Versicherungsverträge zu qualifizieren und dürften deshalb aufsichtsrechtlich (Verbot versicherungsfremder Geschäfte, § 15 Abs. 1 VAG) auch nicht von VR abgeschlossen werden. Soweit anstelle des Menschen autonome Systeme zum Einsatz kommen, ist für Telematiktarife kein Raum.

C. Vertragstypische Pflichten des VR I. Grundsatzproblematik 1. Herkömmlicher Streitstand: Gefahrtragungs- oder Geldleistungstheorie 27 In der Literatur ist seit langem ist heftig umstritten, welche Hauptleistung der VR zu erbringen hat. Vor allem stehen sich die Gefahrtragungstheorie81 und die Geldleistungstheorie82 gegenüber. 28 Nach der Gefahrtragungstheorie verschafft der VR dem VN bereits vom materiellen Versicherungsbeginn an eine auch wirtschaftlich bewertbare Anwartschaft, bei Gefahrverwirklichung Bedarfsdeckung zu erlangen. Diese Anwartschaft erhält der VN vom VR in Erfüllung des von diesem bei Vertragsschluss – dem formellen Versicherungsbeginn – gegebenen Leistungsversprechens. Dadurch wird der VN der Notwendigkeit enthoben, anderweitige Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Bei Eintritt des Versicherungsfalles verwirklicht sich die dem VN bereits vorher verschaffte Anwartschaft, die Gefahrtragungsleistung tritt aus einem latenten Stadium

78 Näher Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 11. 79 Zur Kompatibilität mit dem VAG, dem VVG und dem AGB-Recht s. Brömmelmeyer RuS 2017 225, 228 ff.; Brand VersR 2019 725, 727 ff. (auch zum Datenschutz und zum Verfassungsrecht).

80 Näher Armbrüster Rn. 211 ff.; ders. VersR 2015 1453, 1460. 81 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 37–45. 82 Überblick bei Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 121 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers Einf. Rn. 30, Dreher Rechtsprodukt 93 ff.; Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 27; Schmidt-Rimpler Gegenseitigkeit S. 66 ff. H. Baumann/Koch

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C. Vertragstypische Pflichten des VR

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in ein akutes Stadium über, bleibt aber einheitlich.83 Außerdem soll nach der Gefahrtragungstheorie unter Umständen eine – notfalls durch den VN einklagbare – Verpflichtung des VR bestehen, eine Gefahrengemeinschaft zu organisieren, Rückversicherung zu nehmen, Reserven zu schaffen etc.,84 bei deren Verletzung der VN beispielsweise Schadensersatz verlangen kann, wenn er bei Unsicherwerden des VR eine Umdeckung mit höherer Prämie und neuen, zusätzlichen Kosten vornimmt oder ein an sich deckungspflichtiger „Versicherungsfall“ nach Beendigung des Vertrages ohne anderweitige Deckung eintritt.85 Die Anhänger der Geldleistungstheorie vertreten demgegenüber die Auffassung, der VR 29 verspreche (nur) eine durch den Eintritt des Versicherungsfalls bedingte (Schadensersatz-)Leistung, gemäß § 49 a. F. also i. d. R. eine aufschiebend bedingte Geldleistung.86 Die Gefahrtragung des VR ist danach nicht Leistung i. S. v. § 241 BGB, sondern reine Vorbereitungshandlung bzw. ein Haftungszustand, der aus dem „bedingten Leistungsversprechen“ folgt.87 Die zivilgerichtliche Rechtsprechung hat zu dem Theorienstreit bislang nicht eindeutig 30 Stellung bezogen. Die Instanzgerichte – soweit sie auf diesen Streit eingehen – folgen überwiegend der Geldleistungstheorie.88 Eine höchstrichterliche Entscheidung fehlt jedoch. Die Finanzgerichtsbarkeit folgt der Gefahrtragungstheorie.89 Die praktische Relevanz der Zuordnung unter die eine oder andere Theorie ist gering und überwiegend dogmatischer Natur. Vor Inkrafttreten der Rom I-VO war sie für die Bestimmung des Versicherungsvertragsstatuts bedeutsam, weil Art. 28 Abs. 2 EGBGB a. F. an die charakteristische Leistung anknüpfte, die sich unter Zugrundelegung der Geldleistungstheorie nicht ohne weiteres bestimmen ließ, wenn beide Parteien Geld schuldeten. Diesem Streit ist durch die Rom I-VO bei Versicherungsverträgen über außerhalb der Mitgliedstaaten belegene Massenrisiken (Art. 7 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO) und bei Versicherungsverträgen über Großrisiken die Grundlage entzogen worden. Nach Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO unterliegen Dienstverträge grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Da Versicherungsverträge unter den Dienstleistungsbegriff des Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO fallen, führt diese Anknüpfung bei Versicherungsverträgen über außerhalb der Mitgliedstaaten belegenen Massenrisiken in der Regel zur Anwendung des Rechts am Sitz des VR.90 Für Großrisiken ergibt sich diese Rechtsfolge aus Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO, der eine mit Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO korrespondierende Regelung enthält. Auf die Belegenheit des versicherten Risikos kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.91 Nach wie vor relevant ist der Streit, wenn es um die Rückabwicklung von Leistungen bei 31 Fällen geht, bei denen der Versicherungsvertrag bspw. in Folge eines rechtzeitigen Widerspruchs gem. § 5a VVG a. F. nicht wirksam zustande gekommen ist. Nach dem Urteil des BGH vom 7.5.2014 ist bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nämlich zu berücksichtigen, 83 So insbes. Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 42; ders. Versicherungsvertragsrecht 154 f., 194 f.; Sieg Versicherungsvertragsrecht 27. 84 So Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 41; einschränkend aber ders. Versicherungsvertragsrecht 193. 85 So Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 41 sowie § 13 Anm. 38. 86 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 41; Beckmann/Matusche/Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 135 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 132 f.; Looschelders/Paffenholz Rn. 364. 87 Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 129; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1 Rn. 37; Schmidt-Rimpler Gegenseitigkeit 52 ff.; Dreher Rechtsprodukt 84 ff. 88 OLG München 26.10.2011 – 25 U 5425/10 –, juris; OLG Nürnberg 23.12.1999 – 8 U 3364/99 VersR 2000 437; OLG Karlsruhe 2.7.1987 – 12 U 12/87 NJW-RR 1988 151, 152; LG Kiel 7.5.2014 – 5 O 138/13 BeckRS 2014 12025; LG Bremen 6.12.2007 – 6 S 424/06 VersR 2008 1388; LG Frankfurt/M. 13.4.1999 – 2/8 S 114/98 RuS 1999 433; AG Münster 9.12.2011 – 28 C 2433/11 BeckRS 2012 7367. 89 BFH 14.12.2005 – X R 20/04 DStRE 2006 218, 231 („Die Hauptleistungspflicht des Versicherungsträgers liegt in der Übernahme der versicherten Gefahr und nicht erst in der Geldleistung bei Eintritt des Versicherungsfalls, so dass der Versicherungsschutz der Natur der Sache nach stets aktuell Sicherheit bietet“); BFH 10.7.1970 – III R 112/ 69 BStBl II 1970 779. 90 BeckOGK/Lüttringhaus Rom I-VO Art. 7 Rn. 178, 179, 179.1. 91 Bruck/Möller/Dörner Bd. 12 Art. 7 Rom i_VO Rn. 23. 493

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Vertragstypische Pflichten

dass der VN (vorübergehend) Versicherungsschutz d. h. einen Vermögensvorteil genossen hat, dessen Wert nach §§ 812 Abs. 1 S. 1, 818 Abs. 2 BGB zu ersetzen ist und unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden kann.92 Insoweit misst der BGH der Gefahrtragung durch den LebensVR bereits einen Vermögenswert zu, was sich mit der Geldleistungstheorie nicht in Einklang bringen lassen dürfte.93

2. Stellungnahme: Pflicht des VR zur Sicherungs- und Ausgleichsleistung 32 Die Gefahrtragungslehre wird maßgeblich deshalb abgelehnt, weil sie dem VN klagbare Ansprüche gegen den VR auf Rückversicherungsnahme etc. einräumen will.94 Insoweit ist der Kritik an dieser Lehre zu folgen: Solche privatrechtlichen Ansprüche waren und sind im Gesetz nicht verankert. Sie würden auch zu weitgehend in die unternehmerische Freiheit der Unternehmensorgane des VR eingreifen. Unter dem Aspekt der Leistung des VR i. S. v. § 241 Abs. 1 BGB wären diesbezügliche Ansprüche auch zu unbestimmt.95 Die Bezeichnung „Gefahrtragung“96 ist zudem verkürzt, da der VR genau besehen nicht die Gefahr trägt, sondern Sicherungs- und ggf. Ausgleichsleistungen zu erbringen hat. Der zutreffende Kern dieser Lehre liegt aber darin, dass der VR in Erfüllung seines bei Vertragsschluss – dem formellen Versicherungsbeginn – gegebenen Leistungsversprechens ab dem materiellen Versicherungsbeginn nicht nur Vorbereitungshandlungen erbringt, sondern eine wirtschaftlich bewertbare Leistung97 i. S. v. § 241 Abs. 1 BGB,98 die dem VN anderweitige Sicherungsmaßnahmen erspart: eine Sicherungsleistung. So wie das Einstehen aus einem Gewähr- bzw. Garantievertrag eine Leistung i. S. v. § 241 Abs. 1 darstellt,99 ist dies auch für den Versicherungsvertrag zu bejahen. Mit Abschluss des Versicherungsvertrages, dem formellen Versicherungsbeginn, verpflichtet sich der VR, wie § 1 deutlich zum Ausdruck bringt, ein bestimmtes Risiko durch eine Leistung abzusichern, was mit dem materiellen Versicherungsbeginn einsetzt. Ab diesem Zeitpunkt besteht für den VN „Versicherungsschutz“ (vgl. z. B. § 2 Abs. 1) bzw. „Deckung“ (vgl. z. B. § 49 Abs. 1). 33 Bei Eintritt des Versicherungsfalls geht die Verpflichtung, das Risiko abzusichern, über in die Verpflichtung, die Leistung zu „erbringen“. Aus der Pflicht zur Sicherungsleistung wird eine solche zur „Ausgleichsleistung“.100 Vergleichbar der Garantie (und anderen Sicherungsrechten) tritt im (Ver-)Sicherungsfall eine Änderung, Umformung des geschuldeten Leistungsinhalts ein. Ob man für die erste Phase von einer Anwartschaft101 oder gar von einem Anwartschaftsrecht des VN sprechen kann, hängt von der näheren Umschreibung dieses Instituts102 ab und davon, ob man die Rechtsstellung des VN erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalles als Inhaberschaft eines „Vollrechts“ begreift, für die Zeit davor dagegen (lediglich) ein „wesensgleiches Minus“103 annimmt. Die Gesetzesredaktoren haben die Absicherung des Risikos als „entscheidendes Merkmal“ der Leistungspflicht des VR herausgestellt.104 92 BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11 VersR 2014 817 mit Anm. R. Koch, LMK 2014 359159. 93 Vgl. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 20; Rubin VuR 2015 391, 392; Heyers NJW 2014 2619, 2621; aA Armbrüster NJW 2015 3065; Reiff RuS 2015 105, 108. 94 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1 Rn. 35; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 53. 95 Zutreffend Dreher VersR 2007 731, 732. 96 Vgl. allerdings auch § 68 Abs. 3 a. F. und demgegenüber jetzt § 80. 97 Zutreffend Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 53; zustimmend Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 133 ff. 98 Vgl. auch Henke Die Leistung (1991) 26. 99 Palandt/Grüneberg § 241 Rn. 4 i. V. m. Palandt/Sprau § 765 Rn. 16. 100 Deutlich Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 101 Vgl. Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 42. 102 Allgemein Palandt/Ellenberger § 158 Rn. 9. 103 Vgl. z. B. BGH 24.6.1958 – VIII ZR 205/57 BGHZ 28 16, 21; Palandt/Ellenberger Rn. 9 vor § 158. 104 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. H. Baumann/Koch

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Auf jeden Fall weicht ein Anwartschaftsrecht im vorliegenden Anwendungsbereich in sei- 34 ner Bedeutung erheblich ab von Anwartschaftsrechten allgemeiner Art: Typischerweise zeichnet sich das Anwartschaftsrecht durch eine gesicherte Rechtsposition aus, die bei der Verwirklichung mehraktiger Entstehungstatbestände zum Vollrecht erstarkt und damit zur vollständigen Erfüllung der eingegangenen Verpflichtung führt. Paradebeispiel ist beim Kaufvertrag der Eigentumserwerb aufgrund eines Eigentumsvorbehalts. In vorliegendem Anwendungsbereich erlangt der VN bei Eintritt des Versicherungsfalls das Recht auf die Ausgleichsleistung. Den VR trifft nunmehr eine entsprechende Pflicht. Damit ist aber die Ausgleichsleistung noch nicht erbracht, die Verpflichtung des VR mithin noch nicht vollständig erfüllt. Die ursprüngliche Leistungshandlung ist hier somit nicht auf den vollständigen, bei Bedingungseintritt automatisch eintretenden Leistungserfolg ausgerichtet, sondern dieser bedarf zusätzlicher Akte. Undeutliche Formulierungen zur Gefahrtragungstheorie105 haben (dann) auch die Frage provoziert, welche Rolle die tatsächliche Geldleistung bei Eintritt des Versicherungsfalls (im Gegenseitigkeitsverhältnis) noch spielen kann, wenn bereits die Anwartschaft die maßgebliche Leistung (Gegenleistung für die Prämienzahlung) darstelle.106 Zwar stellt § 1 allein auf die Pflicht zur Leistung ab. Nicht zuletzt bei Regelungen zum gegenseitigen Vertrag (vgl. Rn. 43 und 185 ff.) kommt es aber auch auf die Erfüllung der Pflicht und auf den diesbezüglichen Zeitpunkt an. Ein dogmatisch stimmiges System muss von vornherein diese Zusammenhänge beachten und zugleich berücksichtigen, dass § 1 gesetzgebungstechnisch auch den typischen Willen der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB) zum Ausdruck bringen soll, der wiederum mit in den (beiderseits akzeptierten) AVB seinen Niederschlag findet.107 Am treffendsten erscheint danach eine „kombinierte Theorie“: Der VR schuldet kombi- 35 niert Sicherung und ggf. Ausgleich. Die Pflicht zur Ausgleichsleistung entwickelt sich zwar automatisch aus der Sicherungsleistung, ist aber auch vom (typischen) Willen der Vertragspartner mitumfasst. Eine vollständige Erfüllung ist bei Eintritt eines Versicherungsfalles nicht bereits mit der Sicherungsleistung gewährleistet, sondern bedarf zusätzlicher Leistungshandlungen des VR und tritt erst mit Bewirkung der Ausgleichsleistung ein.108 Der eingeführte Begriff „Gefahrtragung“ bringt aber, mit den genannten und noch zu 36 erörternden Modifikationen, durchaus plastisch die Leistung des VR zum Ausdruck. Missverständlich ist die Formulierung, der VR gebe ein „bedingtes Leistungsversprechen“109 ab. Sein Versprechen ist unbedingt, die Ausgleichsleistung hängt aber bedingt vom Eintritt des Versicherungsfalls ab. Was die inhaltliche Umwandlung der Leistungspflicht des VR anbelangt, so sei als Parallele auch auf die Umwandlung einer Befreiungs- bzw. Freistellungspflicht des HaftpflichtVR in eine Zahlungspflicht110 hingewiesen.

3. Materiale und nicht nur formale Sicherungspflicht des VR a) Grundsatzproblematik. Die Gefahrtragungstheorie versteht das vom VR geschuldete Dau- 37 erverhalten material, nicht nur formal: Wird ein VR, weil er das geschuldete Leistungsverhalten nicht beobachtet, unsicher, so kann der VN nicht nur ein Leistungsverweigerungsrecht gelten

105 Vgl. Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 42. Missverständlich ders. a. a. O. § 49 Anm. 2: „Der VR … schuldet und leistet Gefahrtragung. Auch schon vor Eintritt eines Versicherungsfalles, nämlich vom materiellen Versicherungsbeginn an, hat hiernach der VR ein Leistungsverhalten zu beobachten, einen Leistungserfolg herbeizuführen. Der Leistungserfolg liegt darin, dass dem VN sogleich die Anwartschaft verschafft wird, bei Gefahrverwirklichung eine Ersatzleistung, also konkrete Bedarfsdeckung zu erlangen.“ 106 Schmidt-Rimpler Gegenseitigkeit 22 f.; Dreher Rechtsprodukt 90 f. 107 Vgl. auch Schmidt-Salzer FS E. Lorenz zum 60. Geburtstag 587, 604, 621 ff. 108 Vgl. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 20; Fenyves/Schauer/Fenyves § 1 VersVG Rn. 26. 109 So Prölss/Martin/Prölss27 § 1 Rn. 21 f. 110 Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 109 ff.; Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 15. 495

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§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

machen, sondern unter Umständen auch Schadensersatz verlangen (Rn. 28). Ein privatrechtlich geschuldetes, ggf. einklagbares Dauerverhalten in Gestalt der Rückversicherungsnahme, der Organisation einer Gefahrengemeinschaft bzw. sonstiger Organisationsmaßnahmen ist indes nicht zu bejahen. Nach neuerer Auffassung soll die – dauernde – Leistungspflicht des VR nur formal zu begreifen sein: Sie folge juristisch aus dem Leistungsversprechen des VR. Die Gewährleistung der Solvenz und Sicherheit des VR sei hingegen allein Sache der Versicherungsaufsicht. Privatrechtlich gilt danach in dieser Hinsicht nichts anderes als für sonstige schuldrechtliche Verträge.111 Zumindest nach neuer Rechtslage, wonach der VR deutlich Absicherung des Risikos schuldet, ist indes eine stärker material ausgerichtete Sicht angezeigt. Einigkeit sollte allerdings darüber bestehen, dass Sicherheit gewährende Organisationstätigkeiten des VR nicht Gegenstand der vertraglichen, einklagbaren Verpflichtung sind. Es sind aber folgende Zusammenhänge zu beachten: 38 Allgemein privatrechtlich bezweckt das Institut der Sicherheitsleistung (§§ 232 ff. BGB), den Sicherungsnehmer/Gläubiger vor diesbezüglichen Rechtsnachteilen zu schützen.112 Auffälligerweise besteht in der Rechtsordnung verschiedentlich für den Schuldner die Möglichkeit, statt geschuldeter Sicherheitsleistung einschlägigen Versicherungsschutz zu verschaffen (vgl. z. B. § 650f BGB, § 2 MaBV, § 2 ÖlschadenG). Von der Rechtsprechung wurden ähnliche Fallgestaltungen entwickelt:113 Die gemäß § 843 Abs. 2 S. 2 BGB und einschlägigen Nebengesetzen zu leistende Sicherheit ist entbehrlich, soweit ein HaftpflichtVR leistungspflichtig ist. Hieraus kann man die naheliegende Folgerung ableiten, dass die Versicherung nicht nur auf einer Ebene mit den üblichen Sicherheitsstandards normaler Schuldverhältnisse steht, sondern in Parallele mit den erhöhten Standards zu sehen ist, wie sie im Allgemeinen Schuldrecht nur ausnahmsweise im Falle einer Sicherheitsleistung vorkommen. Diese erhöhten Sicherheitsstandards werden im Bereich der Versicherung durch das Aufsichtsrecht vorgegeben (und begrenzt) (Rn. 41). Ein zivilrechtlich einklagbarer Anspruch des einzelnen VN gegen den VR auf Einhaltung dieser Sicherheitsstandards ist trotz der Fassung des § 1 bereits deshalb zu verneinen, weil isolierte Sicherheit für den einzelnen VN angesichts der Wesensmerkmale der Versicherung (Rn. 21) auch nach Sinn und Zweck des § 1 nicht erzielbar ist. Sicherheit für das Risikokollektiv der Versicherten zu gewährleisten, ist Aufgabe der Aufsichtsbehörde.114

39 b) Schadensersatzansprüche der VN. Anders sieht es mit einer etwaigen Schadensersatzpflicht des VR aus. Wird ein (Schadens-)VR unsicher, weil sich seine bei Vertragsschluss bestehende finanzielle Lage wesentlich verschlechtert und deshalb beispielsweise eine Umdeckung seitens des VN erforderlich wird (Rn. 28), so lässt sich ein dadurch verursachter Schaden des einzelnen VN genau beziffern. Eine Schadensersatzpflicht des VR ist auch nach Sinn und Zweck des § 1 nach näherer Maßgabe der §§ 280 ff. BGB – bei Abstimmung mit den aufsichtsrechtlichen Regelungen115 zu bejahen.116 Schadensersatzansprüche für andere Konstellationen (Rn. 28) sind auf Basis dieses Ansatzes zu prüfen, ebenso andere Rechte (Rn. 43). 111 112 113 114

Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 133; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 55. Palandt/Ellenberger § 232 Rn. 1. Vgl. RG 7.5.1938 – VI 1/38 RGZ 157 348, 350 ff. sowie Berliner Kommentar/H. Baumann § 155 Rn. 34. Stellung und Funktionen der Aufsichtsbehörde sind umstritten, vgl. nur Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr VAG § 294 Rn. 28; Prölss/Dreher VAG § 294 Rn. 9, 13; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 73 ff.; ähnlich wie hier Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 133. 115 Vgl. z. B. 314 Abs. 1 VAG sowie für die Lebensversicherung und für die substitutive Krankenversicherung §§ 221 ff. VAG (Sicherungsfonds). Einzelheiten der Abstimmung bedürfen weiterer Untersuchungen. 116 Im Ergebnis ähnlich Reichert-Facilides FS Sieg 421, 428, 434. Für Schadensersatzansprüche bei Umdeckung auch (auf Basis der Geldleistungstheorie allerdings inkonsequent) Schmidt-Rimpler Gegenseitigkeit 78. Vgl. auch OLG Bremen 26.1.1977 – 3 U 77/76 (b) NJW 1977 638, 639: Nichterfüllung einer gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsleistung ist als positive Vertragsverletzung zu werten, die ein Recht auf Schadensersatz oder Rücktritt vom Vertrag gewährt. H. Baumann/Koch

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Die Absicherungspflicht gibt der Leistungspflicht des VR (neben der Ausgleichs- 40 pflicht) ihr Gepräge, sie ist daher als Hauptpflicht und nicht als bloße – unselbstständige – Nebenpflicht117 zu qualifizieren.118 Gerade bei Nebenpflichten ist es allerdings geläufig, dass sie grundsätzlich nicht einklagbar sind, sondern lediglich ihre Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führen kann.119 Das schließt aber nicht aus, auch bei einer Hauptpflicht zu gleichartigen Ergebnissen zu kommen,120 wenn eine derartige Pflicht, wie dargelegt, nach ihrer besonderen Eigenart und den speziellen gesetzlichen Regelungen derartige Ergebnisse bedingt. Im Übrigen ist die Nähe zur Leistungstreue(neben-)pflicht121 unverkennbar. Der Unterschied zwischen materialer Sicherung durch Versicherung und eher forma- 41 ler Sicherung im Sinne des allgemeinen Schuldrechts kommt sinnbildlich darin zum Ausdruck, dass die VR – abgesehen von den sonstigen Vorschriften über die Finanzausstattung – nach dem VAG bereits von Anfang an, prospektiv, „zur Sicherung der dauernden Erfüllbarkeit der Verträge“ (vgl. nur §§ 9 Abs. 4, 89 VAG) für eine hinreichende, von der Aufsichtsbehörde kontrollierte Finanzausstattung zu sorgen haben,122 während „normalerweise“ ähnliche Haftungsverhältnisse bilanztechnisch nicht so scharf123 zu behandeln sind, vgl. §§ 251, 268 Abs. 7 HGB. An versteckter Stelle ist im VAG neuerdings sogar von „versicherungsförmigen Garantien“ die Rede, vgl. § 236 Abs. 1 Nr. 2 VAG.124 Hinsichtlich der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen über die Finanzausstattung kann man 42 von gesetzlichen Regelungen sprechen, die an die VR adressiert sind und von der Aufsichtsbehörde kontrolliert werden, aber klare Schutzwirkung zugunsten der Versicherten entfalten sollen.125 Privatrechtlich wird dieser Schutz durch die Regelungen in § 1 VVG i. V. m. §§ 280 ff. BGB abgerundet. In der Zusammenschau führt das zu einem Ergebnis, das gewisse Parallelen zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aufweist: Den geschützten Personen wird privatrechtlich kein klagbarer Anspruch auf Erfüllung, sondern nur ein Schadensersatzanspruch126 und – subsidiär – nur bei Schutzbedürftigkeit gewährt.127 Aufsichtsrecht und Privatrecht werden an dieser Stelle zu einem spannungsfreien, funktionsfähigen Gesamtsystem zusammengeführt.

c) Verhältnis zum a.o. Kündigungsrecht der VN. Dieser Ansatz baut konsequent die schon 43 bisher ganz herrschende Auffassung aus, wonach den VN ein a.o. Kündigungsrecht zusteht, wenn der VR unsicher wird.128 Dem VN kann dann gemäß bisheriger Rechtsprechung nach Treu und Glauben ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden, so dass sich im Wege der Vertragsauslegung aufgrund der §§ 133, 157 BGB für ihn ein Recht zur fristlosen Kündigung 117 Vgl. dazu Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 23 ff. Für Nebenpflicht Reichert-Facilides a. a. O. 118 So auch OLG Bremen 26.1.1977 – 3 U 77/76 (b) NJW 1977 638, 639 im Hinblick auf eine gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsleistung. 119 Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 25. 120 Bedenken bei Dreher Rechtsprodukt 90 als Anhänger der Geldleistungstheorie. Siehe aber auch Rn. 40. 121 Dazu allgemein Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 27. 122 Vgl. allgemein, von den Solvabilitätsanforderungen bis hin zum Sicherungsvermögen, den Überblick bei Winter Versicherungsaufsichtsrecht 721 ff. 123 Vgl. aber immerhin § 249 HGB. 124 Näher dazu Prölss/Dreher/Weigel VAG § 236 Rn. 85. 125 Zu diesbezüglichen grundrechtlichen Schutzpflichten zugunsten der VN, allerdings mit anderer Stoßrichtung, vgl. Winter Versicherungsaufsichtsrecht 56 ff. 126 Bekanntlich wurde der Schadensersatzanspruch beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ursprünglich nur bei Verletzung von Nebenpflichten, seit längerem aber auch bei Verletzung von Hauptpflichten gewährt, vgl. Palandt/Grüneberg § 328 Rn. 15. 127 Vgl. Palandt/Grüneberg § 328 Rn. 13 ff., 18. 128 RG 28.1.1905 – VII 554/04 RGZ 60 56, 59, 65 (Rücktrittsrecht); BGH 4.4.1951 – II ZR 32/50 BGHZ 1, 334, 337 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 10 m. w. N.; Berliner Kommentar/Gruber § 13 Rn. 16 f.; Präve VersR 1993 265, 271 f. 497

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Vertragstypische Pflichten

ergibt.129 Heute wird § 314 BGB als Rechtsgrundlage herangezogen.130 Einschlägig ist auch § 321 Abs. 2 BGB. Der Versicherungsvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag (Rn. 206). Bei Zugrundelegung der „kombinierten Theorie“ (Rn. 35) kann nicht zweifelhaft sein,131 dass der VN vorleistungspflichtig ist. Anders als nach früherem Recht kommt es nach § 321 BGB nicht mehr darauf an, ob die Gefährdung des maßgeblichen Anspruchs erst nach Vertragsschluss entstanden ist oder objektiv bereits vorher bestand.132 Statt des in § 323 Abs. 2 S. 2 BGB vorgesehenen Rücktrittrechts kommt beim Versicherungsvertrag als Dauerschuldverhältnis (Rn. 211) ein Kündigungsrecht in Betracht, vgl. § 313 Abs. 3 S. 2 BGB.133 Grundsätzlich ist in § 321 Abs. 2 S. 1 wie in § 314 Abs. 2 BGB zunächst eine Fristsetzung zwecks Abhilfe vorgesehen. In den hier angesprochenen Grenzfällen134 wird sie allerdings in der Regel entbehrlich sein, vgl. auch § 314 Abs. 2 S. 2 und § 321 Abs. 2 S. 3 BGB. 44 In Ergänzung vorgenannter Konsequenzen ist jedenfalls heute aus § 1 als gesetzlicher Ausformung der typischen, an §§ 133, 157 BGB orientierten Vertragsauslegung auch abzuleiten, dass den VR von Anfang an gegenüber dem VN eine Sicherungspflicht in materialem Sinne trifft und deren schuldhafte Verletzung zu einer Schadensersatzpflicht in dem umrissenen Sinne führen kann. Angesichts der staatlichen Aufsicht und der erforderlichen Abstimmung mit den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen mag dies im Regelfall ohne besondere praktische Bedeutung sein.135 Anders sieht es aber insbes. aus, wenn ein Unternehmen Versicherungsgeschäfte ohne die erforderliche Erlaubnis bzw. Befugnis betreibt. Dann können zwar für die VN ggf. über §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. 331 Abs. 1 VAG Schadensersatzansprüche in Betracht kommen.136 Auf der Basis von § 1137 sind aber ggf. auch vertragliche Schadensersatzansprüche gemäß §§ 280 ff. BGB zuzuerkennen.

45 d) Bedeutung für Merkmal Risikokollektiv. Akzentuiert man in vorgenannter Weise den Sicherungsaspekt, so strahlt dies auch auf die heftig umstrittene Frage aus, welche Bedeutung der Gefahrengemeinschaft138 bzw. Risikogemeinschaft139 oder dem Risikokollektiv (Rn. 21) zuzumessen ist. Der VR schuldet entsprechend den vorangegangenen Ausführungen Sicherung im materialen Sinne. Die Bildung eines Risikokollektivs durch den VR ist sicherlich typprägend, das Vorhandensein eines Kollektivs aber in Grenzfällen – insbes. beim Aufbau des Geschäfts –140 nicht völlig unverzichtbar für die Bejahung des Typus Versicherung. Die Bildung eines angemessenen Risikokollektivs beim einzelnen VR dient nicht zuletzt der Gewährleistung von Sicherheit. Rechtlich entscheidend ist aber, dass der Sicherungspflicht überhaupt entsprochen wird. Dies führt zurück zur aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Finanzausstattung (Rn. 41). Ein VR muss allerdings, um diesen Status zu erlangen, zumindest die Absicht

129 130 131 132 133 134 135 136

BGH 4.4.1951 – II ZR 32/50 BGHZ 1 334, 337 mit zahlreichen N. Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 10. Zu solchen Zweifeln bei Zugrundelegung der Gefahrtragungstheorie Präve VersR 1993 265, 271 f. Palandt/Grüneberg § 321 Rn. 4 ff. Ebenso Präve VersR 1993 265, 271 f. Vgl. insbes. § 314 Abs. 1 VAG. Vgl. auch Präve VersR 1993 265, 272 im Hinblick auf das a.o. Kündigungsrecht. Prölss/Dreher/Schmidt VAG § 331 Rn. 82; vgl. auch Hans. OLG Hamburg 3.7.2002 – 14 U 36/02 VersR 2002 1507, wonach § 144a VAG a. F. als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen ist. 137 In Anlehnung an §§ 133, 157 BGB orientiert sich die Sicherungspflicht auch dann an den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen. 138 Zur Problematik vgl. Dreher Rechtsprodukt 34 ff.; P. Jung VersR 2003 282; Karten VW 1981 1604; Präve VersR 2006 1190; Schmidt-Salzer FS E. Lorenz zum 60. Geb. 587; Schwintowski ZVersWiss 2007 449. 139 So treffender die Formulierungen BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95 VersR 2005 1127, 1134; BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03 VersR 2005 1565, 1571; BVerfG 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96 VersR 2006 489, 492. 140 Eindringlich Schmidt-Salzer FS E. Lorenz zum 60. Geb. 587, 598 ff. H. Baumann/Koch

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C. Vertragstypische Pflichten des VR

VVG § 1

haben, die Planung verfolgen141 zum Risikoausgleich im Kollektiv142 (und in der Zeit) (Rn. 22). Die Pflichten des VR aus dem Individualvertrag mit dem VN, die in das Gegenseitigkeitsverhältnis (Rn. 206) eingestellt werden, werden freilich allein durch § 1 und die vertraglichen Abreden bestimmt: Pflicht zur Sicherungs- und ggf. Ausgleichsleistung. Das Streben des VR nach Risikoausgleich im Kollektiv ist allerdings zumindest Geschäftsgrundlage des Versicherungsvertrages.143

II. Bestimmtes Risiko des VN 1. Begriff des Risikos Risiko ist ein mehrdimensionaler Begriff (Rn. 11), der vor allem in der Versicherungsökonomie 46 und in der Versicherungspraxis eine breite Entfaltung erfahren hat.144 Angesichts der herausgehobenen Stellung dieses Begriffs in § 1 bedarf es der systemverträglichen Einfügung in das (Versicherungs-)Recht und in die wissenschaftliche Systembildung.145

2. Risiko des VN Zu unterscheiden ist das Risiko des VN und die Risikoübernahme durch bzw. der Risikotransfer 47 auf den VR (Rn. 12). Betrachtet man als VN zunächst die natürlichen Personen, so stehen unmittelbar auf ihre Person bzw. ihre Körperlichkeit bezogene Risiken wie insbes. Tod, Krankheit, Berufsunfähigkeit, Unfall, Pflegebedürftigkeit146 im Vordergrund. Mittelbar hat eine Realisierung dieser Risiken Auswirkungen auf das Vermögen:147 Weithin entstehen Ausgabenotwendigkeiten, unter Umständen auch Einnahmeausfälle. Übertragen auf die Versicherungsdeckung könnte man von der Personenversicherung als „mittelbarer Vermögensversicherung“ sprechen.148 Im unmittelbaren Vermögensbereich sind Aktivgüter in vielfältiger Weise von Gefahren be- 48 droht. Außerdem ist die Gefahr von Passivbelastungen gegeben, z. B. durch Haftpflichtverbindlichkeiten oder notwendige Aufwendungen für Rechtsstreitigkeiten.149 Transferiert auf den VR ließe sich dieser Bereich – der „Nichtpersonenversicherung“ – auch als „unmittelbare Vermögensversicherung“ bezeichnen.150 Das Interesse der VN geht generell dahin, sich vor Beeinträchtigungen ihres Vermögens entsprechend ihrer Lebensplanung151 abzusichern. Stellt man außerhalb der natürlichen Personen statt auf juristische Personen, rechtsfähige 49 Personengesellschaften etc. vereinfachend auf Unternehmen ab, so geht es darum, sich vor Störungen der Unternehmensplanung zu sichern. Kennzeichnend ist ein, zum Beispiel in § 91 Abs. 2

141 Zu Parallelen beim Kaufmannsbegriff vgl. Baumbach/Hopt/Hopt § 1 Rn. 13, 51. 142 So auch Kaulbach/Bähr/Pohlmann VAG § 7 Rn. 86; Prölss/Dreher/Präve VAG § 1 Rn. 39; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 167; Schmidt-Salzer FS E. Lorenz zum 60. Geb 587, 592 ff., 600; Sieg ZVersWiss 1969 495, 503. 143 Vgl. dazu Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 50; v. Gierke Versicherungsrecht I 82 f. 144 Farny 26 ff.; v. Fürstenwerth/Weiß 534 ff.; Möller Versicherungsvertragsrecht 155. 145 Allgemein hierzu, aber unter Ausklammerung des Versicherungsvertrages: Henssler 12 ff. 146 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 21. 147 Vgl. zum Bürgerlichen Recht Palandt/Grüneberg Vorb v § 249 Rn. 7 ff. Die Terminologie zum unmittelbaren und mittelbaren Schaden ist allerdings uneinheitlich. 148 So auch Schmidt-Rimpler VersR 1963 493, 496 f. 149 Passivbelastungen ergeben sich auch im Bereich der Personenversicherung, vgl. Rn. 57. 150 Schmidt-Rimpler VersR 1963 493, 496 f. 151 Allgemein aufschlussreich die Rechtsprechung des BGH zu Schäden durch Unterhaltspflichten bei entgegen der Lebensplanung geborenen Kindern, vgl. z. B. BGH 14.11.2006 – VI ZR 48/06 NJW 2007 989, 990. 499

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§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

AktG konkretisiertes, Risikomanagement.152 Allgemein sind alle Wirtschaftseinheiten bzw. Marktteilnehmer bestrebt, ihre mehr oder weniger konkreten Zielsetzungen und Planungen gegen Störungen abzusichern.

3. Risikotransfer auf den VR 50 a) Versicherung bestimmter Einzelrisiken versus pauschale Vermögensversicherung. Der missverständliche Ausdruck „Risikotransfer“ (bzw. aus Sicht des VR: „Risikoübernahme“) bedeutet gemäß § 1 konkret: Risikoabsicherung und ggf. Risikoausgleich (Rn. 32 ff.) durch den VR. Risikotransfer im Sinne einer pauschalen Sicherung des Vermögens wäre zwar bei vielen Versicherungsinteressenten sehr begehrt,153 ist aber versicherungstechnisch mangels Eindeutigkeit der Risiken und mangels hinreichender Schätzbarkeit der erforderlichen Ausgleichsleistungen nicht möglich.154 In diesem Sinne formuliert § 1, dass ein „bestimmtes“ Risiko des VN versichert wird, allerdings nach Maßgabe des Versicherungsvertrages, das heißt auch: nach Maßgabe des versicherungstechnisch Machbaren und rechtlich Zulässigen.

51 b) Bedeutung der Vermögensgestaltungs- und der Plansicherungstheorie. Ungeachtet dieser Restriktionen besteht aber wissenschaftssystematisch im Ansatz kein Hinderungsgrund, die Personenversicherung als mittelbare Vermögensversicherung und die Nichtpersonenversicherung (deutlicher als nach herkömmlicher negativer Terminologie)155 als unmittelbare Vermögensversicherung zu bezeichnen. Auf dieser Grundlage trägt neben der von Braeß entwickelten Plansicherungstheorie156 auch die von Schmidt-Rimpler erarbeitete Theorie der Vermögensgestaltungsziele157 zur Erhellung der Funktionen der Versicherung bei. Zur Ausräumung von Bedenken158 lässt sich bei letztgenannter Theorie auch davon sprechen, dass sie sowohl auf Vermögenserhaltung als auch auf Vermögensgestaltung abstellt, allgemein formuliert: auf Vermögenssicherung.

52 c) Nähere Systematisierung nach Risikosphäre und Bedarfsdeckung. Eine derartige Abstraktionshöhe159 wird allerdings weder voll der gesetzlichen Einteilung noch der praktisch seit langem gehandhabten Systematisierung gerecht.

53 aa) Personen- und Nichtpersonenversicherung, Schadens- und Summenversicherung. Das Gesetz160 unterscheidet wie bisher, wenn auch nicht in § 1 wie früher deutlich zum Ausdruck gebracht, hinsichtlich der Bedarfsdeckung bzw. der zu erbringenden Ausgleichsleistung 152 Vgl. zur Problematik Hüffer/J. Koch § 91 Rn. 8 f. Für VR weitergehend jetzt § 26 VAG. 153 Die D&O-Versicherung und die Vertrauensschadenversicherung kommen diesen Wünschen entgegen. Zur Problematik einer „Versicherung des finanziellen Interesses“ einer Konzernmutter am Wert ihrer Beteiligungen an Tochtergesellschaften vgl. Langheid/Grote VW 2008 630 und 1510; Laupichler/Post VW 2008 914 sowie Armbrüster VersR 2008 853. 154 Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 4; Farny 35–37. 155 Die Nichtpersonenversicherung wird weder im VVG alter noch neuer Fassung als eigene Kategorie benannt, sondern ist eine systemprägende Schöpfung der Wissenschaft. 156 ZVersWiss 1970 1 ff.; zustimmend z. B. Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 3. 157 Schmidt-Rimpler VersR 1963 493 ff.; zustimmend z. B. Dreher Rechtsprodukt 40 ff.; BeckOK-VVG/Pilz § 1 Rn. 9. 158 Diesbezügliche Bedenken bei Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 7. 159 So Richter PVR 50. 160 Die in § 1 a. F. vorgenommene Gegenüberstellung von Schadens- und Personenversicherung war allerdings misslungen, vgl. auch Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. H. Baumann/Koch

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C. Vertragstypische Pflichten des VR

VVG § 1

zwischen Schadensversicherung (Kapitel 2 des Allgemeinen Teils) und (als Gegensatz daraus abzuleiten) der „Nicht-Schadensversicherung“ (= Summenversicherung). Nach der Art der Risikosphäre ist zwischen Personenversicherung (Kapitel 5–8 der „Einzelnen Versicherungszweige“: Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Unfall- und Krankenversicherung) und der Nichtpersonenversicherung (Kapitel 1–4 der „Einzelnen Versicherungszweige“ sowie [einzelnen Zweigen der] Sachversicherung) zu differenzieren.

bb) Schadensversicherung (1) Aktivenversicherung. Ein Unterbereich der Schadensversicherung ist allgemein deutlich 54 die Sachversicherung (Abschnitt 2 des Kapitels Schadensversicherung), speziell aber auch die Transportversicherung (Kapitel 3 der „Einzelnen Versicherungszweige“) und die Gebäudefeuerversicherung (Kapitel 4 der „Einzelnen Versicherungszweige“, in dem allerdings nur der Schutz der Grundpfandrechtsgläubiger besonders geregelt ist) (Rn. 178). Diesen Unterbereich zusammen mit der (gesetzlich nicht besonders geregelten) Forderungsversicherung und der Gewinnversicherung (zur Problematik der systematischen Einordnung siehe Rn. 86) zur Aktivenversicherung zusammenzufassen, ist bereits deshalb sinnvoll, weil hier und nur hier der Versicherungswert (vgl. §§ 88, 136) eine Rolle spielt und spezifische Folgeprobleme (vgl. vor allem §§ 74 und 75: Über- und Unterversicherung) auslösen kann. Speziell in diesem Unterbereich ist auch immer wieder zu betonen, dass aus versicherungs- 55 technischen Gründen (Rn. 50) nicht das Gesamtvermögen Gegenstand eines Versicherungsvertrages zu sein pflegt, sondern einzelne (auch mehrere zusammengefasste) Gegenstände. Unter Umständen geht es auch um einen Inbegriff von Sachen (vgl. §§ 88, 89),161 d. h. um mehrere selbstständige Sachen, die im Verkehr (unter einer einheitlichen Bezeichnung) zusammengefasst und durch räumlichen Zusammenhang und ihre Zweckverbundenheit als Einheit behandelt werden.162 Zur präzisen Bestimmung des vom VR zu tragenden Risikos werden auch nicht sämtliche aus 56 einem Versicherungsfall resultierenden Schäden ohne weiteres vom VR ausgeglichen, sondern nur die im Versicherungsvertrag konkret festgelegten. Schlagwortartig kann man sagen: Zum bürgerlichen Schadensersatzrecht gilt das Prinzip der auf das Gesamtvermögen bezogenen Differenzhypothese,163 im Versicherungsrecht hingegen das Prinzip des auf den versicherten Einzelgegenstand bezogenen und konkret gedeckten Einzelschadens („Summenschaden“ versus „Einzelschaden“).164 Dieser Gegensatz relativiert sich allerdings bereits durch gewisse gegenläufige Entwicklungen im bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzrecht,165 außerdem auch dadurch, dass der vom VN versicherte Einzelgegenstand Bestandteil seines Gesamtvermögens ist und von seinen Vermögensgestaltungszielen und Planungen erfasst wird. Neben mehr statischer Vermögenserhaltung geht es dem VN auch um dynamische, planerische Vermögensgestaltung. Dies ist vom Versicherungsvertragsrecht unter Betonung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit so weit wie möglich zu begleiten. Gerade, aber nicht nur für den Bereich der Aktivenversicherung ergibt sich dadurch eine gewisse „Überwölbung“ der herkömmlichen Systematisierung durch die Vermögensgestaltungs- und Plansicherungstheorie (Rn. 51). Für die Aktivenversicherung gibt es schließlich auch eine spezifische Bedeutung des versicherten Interesses (Rn. 67).

161 Synonym wird der Begriff Sachgesamtheit verwendet. 162 Begr. zu § 89 Abs. 1 BTDrucks. 16/3945 S. 82; Bruck/Möller/Möller8 § 54 Anm. 9; Prölss/Martin/Armbrüster § 89 Rn. 2. 163 Palandt/Grüneberg Vorb v § 249 Rn. 9 MüKo-BGB/Oetker § 249 Rn. 18; Staudinger/Schiemann Vorbemerkungen zu §§ 249–254 Rn. 4 ff. 164 Grundlegend Möller Summen- und Einzelschaden (1937); näher Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 4. 165 Palandt/Grüneberg Vorb v § 249 Rn. 9 ff.; 19 ff. Staudinger/Schiemann Vorbemerkungen zu §§ 249–254 Rn. 34 ff. 501

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§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

57 (2) Passivenversicherung. Der andere große Unterbereich der Schadensversicherung ist damit bereits vorgezeichnet: die Passivenversicherung. Dazu zählen vor allem die Haftpflichtversicherung (Kapitel 1 der „Einzelnen Versicherungszweige“) und (eingeschränkt) die Rechtschutzversicherung (Kapitel 2 der „Einzelnen Versicherungszweige“), aber auch die Krankheitskostenversicherung (§ 192 Abs. 1) und die Pflegekostenversicherung (§ 192 Abs. 6). Für die Passivenversicherung, insbes. die Haftpflichtversicherung, gibt es mangels spezieller Beziehung des VN zu einem konkretem Gegenstand, anders als für die Aktivenversicherung, herkömmlicherweise keinen Versicherungswert, so dass beispielsweise die Regelungen über die Über- und Unterversicherung (§§ 74, 75) nicht eingreifen.166 Eine höhenmäßige Begrenzung der Leistungspflicht des VR folgt nur über den Schaden und die Versicherungssumme = Deckungssumme. Demgemäß geht es hier (gleichsam „ungefiltert“) um Belastungen des Vermögens des VN und um ungewollte Verbindlichkeiten bzw. Aufwendungen. Die Lehre vom versicherten Interesse hat eine andere Bedeutung als bei der Aktivenversicherung (Rn. 74 ff.).

58 cc) Schadensversicherung in Nichtpersonen- und Personenversicherung. Die Schadensversicherung ist charakteristisch für die Nichtpersonenversicherung, kommt aber auch in der Personenversicherung vor. Herkömmlicherweise ist in der Nichtpersonenversicherung nur die Schadensversicherung zulässig, in der Personenversicherung hingegen Schadens- und Summenversicherung. Dieser Grundsatz für die Nichtpersonenversicherung kann aufgelockert, aber nicht völlig aufgegeben werden (Rn. 91 f.).

59 dd) Summenversicherung in Personenversicherung. Bei der Personenversicherung wird eine versicherte Person, ihre Körperlichkeit oder doch ihr persönlicher Lebensbereich, unmittelbar vom Versicherungsfall betroffen,167 mittelbar aber ebenfalls das Vermögen (Rn. 94). Planungen, Vermögensgestaltungsziele und deren Durchbrechung durch den Versicherungsfall haben auch in diesem Bereich eine zunehmend reflektierte Bedeutung: Der Versicherungsfall führt zu Einnahmeausfällen und/oder zu Ausgabenotwendigkeiten. Sicherung des eigenen finanziellen Bedarfs, aber auch Sicherung von Unterhaltspflichten oder sonstigen Verbindlichkeiten gegenüber Dritten168 bilden häufig die Motivation für den Abschluss des Versicherungsvertrages. Da der Bedarf häufig nicht konkretisierbar ist,169 das subjektive Risiko einer Manipulation des Versicherungsfalles angesichts der Körperbezogenheit auch geringer erscheint,170 ist die vom konkreten Schaden abstrahierte Summenversicherung zur Deckung eines „abstrakten Bedarfs“ (Rn. 10) zulässig. Daneben gibt es aber auch Anwendungsfälle der Schadensversicherung, z. B. die Krankheitskosten- und die Pflegekostenversicherung. Ein Erfordernis des „versicherten Interesses“ im Sinne einer Abgrenzung von Spiel und Wette (Rn. 68), einer Verhinderung der Spekulation auf das Leben stößt für die Summenversicherung auf Schwierigkeiten (Rn. 80 ff.). Ähnlich der Passivenversicherung gibt es in der Summenversicherung keinen Versicherungswert mit entsprechenden Konsequenzen: keine Über- und Unterversicherung.171 Für die Höhe der Versicherungsleistung spielt in der Regel allein die Versicherungssumme172 eine zentrale Rolle.

Bruck/Möller/R. Koch9 Vor §§ 100–112 Rn. 6; Berliner Kommentar/H. Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 11. Bruck/Möller/Winter9 Vor §§ 150–171 Einf Rn. 143. Vgl. z. B. Bruck/Möller/Winter9 Vor §§ 150–171 Einf Rn. 172 ff. So bereits Begr. zu § 1 a. F., Motive 71. Begr. zu § 1 a. F., Motive 71. Die §§ 74, 75 gelten nur für die Schadensversicherung. Neben der garantierten Versicherungssumme kommt aber z. B. in der Lebensversicherung eine Überschussbeteiligung in Betracht, näher Rn. 139 ff.

166 167 168 169 170 171 172

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C. Vertragstypische Pflichten des VR

VVG § 1

ee) Bedeutung der Systematisierung. Bei dieser Systematisierung geht es um die möglichst 60 klare Zuordnung der hauptsächlichen Versicherungszweige und Versicherungsarten (oder der Sparten entsprechend Anlage 1 zum VAG) bzw. ihrer Unterbereiche zu den genannten Gruppierungen mit entsprechenden Folgen, nicht hingegen soll diese Einteilung ein Prokrustesbett schaffen für jedwede Zuordnung sämtlicher, insbes. kraft Privatautonomie geschaffener moderner Versicherungsprodukte. Letztlich geht es darum, durch vertraglich vereinbarte Versicherungsdeckung bestimmter Risiken Vorsorge zu treffen gegen nachteilige Auswirkungen auf das Vermögen des VN, die unmittelbar oder (bei Personenbezogenheit der Versicherung) mittelbar (Rn. 47) durch die Realisierung einer drohenden Gefahr eintreten können. Allerdings kommt es bei der Personenversicherung in Form der Summenversicherung und auch bei der Nichtpersonenversicherung in Form der Aktivenversicherung einzelner Gegenstände in der Regel nicht zu einem „Durchgriff“ im Hinblick auf Auswirkungen des Versicherungsfalls für das Gesamtvermögen.173

d) Systematisierung nach Schutzbedürfnis. Unter dem Aspekt des Schutzbedürfnisses der 61 VN hat sich gegenüber dem VVG 1908 im Laufe der letzten Jahre, angestoßen durch die Wissenschaft,174 eine Einteilung unter den nachstehend genannten Kriterien herausgebildet.

aa) Großrisiken und Normal- bzw. Massenrisiken. Das VVG 2008 enthält zahlreiche Auflo- 62 ckerungen des (halb-)zwingenden Gesetzesrechts im Hinblick auf ein „Großrisiko“ (im Bereich der Nichtpersonenversicherung), das unter § 210 Abs. 2 VVG fällt.175 Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass die VN geschäftsgewandt sind und eines geringeren rechtlichen Schutzes bedürfen als VN im Normal- bzw. Massengeschäft.176 Abgesehen von der in Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO vorgesehenen erweiterten Rechtswahlmöglichkeit177 sind gemäß § 210 Abs. 1 VVG die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG nicht auf ein Großrisiko anzuwenden. Gemäß § 6 Abs. 6 Alt. 1 besteht keine besondere Beratungspflicht seitens des VR, gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 nicht die besondere Informationspflicht nach dieser Bestimmung; entsprechende Ausnahmen enthält § 65 im Hinblick auf die einschlägigen Pflichten des Versicherungsvermittlers. Gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 besteht kein Widerrufsrecht des VN im Hinblick auf die Vertragserklärung.

bb) Unternehmens-, Verbraucher- und Sozialrisiken. Während es für das allgemeine privat- 63 rechtliche Verbraucherschutzrecht zunehmend auf die Unterscheidung von Verbrauchern (§ 13 BGB) und Unternehmern (§ 14 BGB) ankommt, ist im Versicherungsvertragsrecht der nicht dem „Großrisiko“ unterfallende „Kleinunternehmer“ im Grundsatz vergleichbar dem Verbraucher geschützt.178 Auf die Unterscheidung nach „Verbraucher“ oder „Unternehmer“ kommt es aber maßgeblich in dem, für die AVB zentral bedeutsamen, AGB-Recht179 an: Nach Maßgabe des § 310 Abs. 1 BGB wird generell den Unternehmern nur ein geringerer AGB-rechtlicher Schutz gewährt als den Verbrauchern. Außerdem gelten für Verbraucherverträge i. S. v. § 310 Abs. 3 BGB die dort genannten besonderen Vorschriften. Des Weiteren hat der VR gemäß § 4 VVG – InfoV das Produkt173 Zur Bedeutung für Fragen der Vorteilsausgleichung vgl. Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 51 ff. 174 Vgl. etwa H. Baumann ZHR 139 (1975) 291, 298 ff. m. w. N. 175 Zu Einzelheiten vgl. Bruck/Möller/Renger § 210 Rn. 5 ff.; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 3 ff.; Prölss/ Martin/Klimke 210 Rn. 3; Freitag RuS 2008 96 ff. 176 Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 1; Bruck/Möller/Renger § 210 Rn. 5.; Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 1. 177 Bruck/Möller/Dörner Art. 7 Rom I VO Rn. 8 ff. 178 Zu andersartigen Überlegungen der VVG-Reformkommission vgl. Niederleithinger und H. Baumann in Baumann/Schirmer/Zschockelt (Hrsg.) Ein neues VVG – der große Wurf für den Verbraucher? (2003) 10 f. und 32 f. 179 Näher Bruck/Möller/Beckmann Einf C. 503

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§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

informationsblatt nur Verbrauchern zur Verfügung zu stellen. Auch ist die Anerkennung von Schlichtungsstellen für die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten (Rn. 333 ff.) gemäß § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 auf Versicherungsverträge mit Verbrauchern i. S. v. § 13 BGB bezogen. 64 Bei der Bezeichnung „Sozialrisiken“ handelt es sich (noch) nicht um einen gesetzlich fixierten Begriff. Man kann aber insbes. die Lebensversicherung, die (substitutive) Krankenversicherung, die Pflegeversicherung und die Kfz-Haftpflichtversicherung unter dieser Bezeichnung zu einer Gruppe von Risiken zusammenfassen, für die mannigfache besondere Schutzvorschriften bestehen180 bis hin zu besonderen Schutzregeln bei Insolvenz des VR (Rn. 320 f.).

4. Einzelmerkmale des Risikos 65 a) Überblick. Im Sinne einer möglichst präzisen Bestimmung des vom VR zu übernehmenden Risikos ist vertraglich zunächst der gefährdete Risikobereich festzulegen: gefährdete Person, gefährdetes Aktivgut oder gefährdeter Passivbereich. Des Weiteren haben Praxis und Theorie seit jeher auf bestimmte Risikomerkmale abgestellt, insbes. auf – bestimmte versicherte Interessen, – bestimmte versicherte Gefahren, – bestimmte versicherte Schäden bzw. bestimmte Summenleistungen zur Deckung eines abstrakten Bedarfs, – Festlegung der Versicherungszeit – und unter Umständen des Versicherungsorts. 66 Anhand der genannten Merkmale [vgl. nachstehend b) bis f)] wird das vom VR zu tragende Risiko in materieller Hinsicht festgelegt und abgegrenzt.181 In formeller Hinsicht erfolgt die Festlegung und Abgrenzung des übernommenen Risikos im Versicherungsvertrag – also in der Regel in den AVB –in mehreren, hierarchisch gegliederten Ebenen: primäre Risikoabgrenzung (allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos), sekundäre Risikoabgrenzung (Risikoausschlüsse – objektiver und subjektiver Art – sowie Obliegenheiten182), u. U. tertiäre Risikoabgrenzung und Klarstellungen.183 Dieses System von Grundsatz, Ausnahmen und Gegenausnahmen hat Konsequenzen für die Beweislast,184 hingegen kaum noch für Fragen der AGBrechtlichen Inhaltskontrolle.185

67 b) Versichertes Interesse. Die Bedeutung des versicherbaren oder versicherten Interesses ist höchst umstritten.

68 aa) Begriff. Gemeint ist damit zweierlei: Der allgemeine Interessebegriff soll die Versicherung (außerhalb der Summenversicherung) gegenüber Wette und Spiel abgrenzen.186 Nur wer 180 Darauf wird bei der Kommentierung verschiedentlich hingewiesen. 181 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 13; Berliner Kommentar/Schauer Vorbem. §§ 49–68a Rn. 13 ff.; vgl. auch Jabornegg 51 ff. 182 Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 191 (Leistungsfreiheit des VR wegen der Verletzung gefahrbezogener Obliegenheiten stellt eine sekundäre Risikobegrenzung im weiteren Sinne dar). 183 Näher Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 13; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 187 ff.; Berliner Kommentar/ Schauer Vorbem. §§ 49–68a Rn. 6 ff. 184 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 14; Berliner Kommentar/Schauer Vorbem. §§ 49–68a Rn. 12, 65 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 191. 185 Näher Bruck/Möller/Beckmann Einf C. Zum früheren Streitstand vgl. H. Baumann VersR 1991 490. 186 Begr. zu § 1 a. F., Motive 70 f.; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 74–99 Rn. 23; Langheid/Wandt/ Looschelders § 1 Rn. 100; Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 36 mit umfängl. Nachw. in Anm. 28; Berliner Kommentar/ Schauer Vorbem. §§ 49–68a Rn. 44; zur Entwicklung ausführlich Gärtner ZVersWiss 1963 337. H. Baumann/Koch

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C. Vertragstypische Pflichten des VR

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durch die Beeinträchtigung eines Interesses einen Nachteil erleidet, soll Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag geltend machen können. In beiden Bereichen sind zwar die Leistungen auf ein ungewisses Ereignis bezogen und davon abhängig. Während aber die Versicherung an ökonomischen Zielsetzungen und Planungen, an Vermögenssicherung orientiert ist, geht es bei Spiel und Wette (§ 762 BGB) darum, mit Hilfe des Zufalls spekulative Gewinne zu erlangen.187 Der „technische Interessebegriff“ bringt hingegen enger (für die Aktivenversicherung) die 69 Wertbeziehung einer Person zu einer Sache, allgemeiner: zu einem Aktivgut, zum Ausdruck. In einem etwas weiteren Sinne lässt sich (unter Einbeziehung der Passivenversicherung) formulieren, dass die Interessen desjenigen versichert sind, der durch den Versicherungsfall einen Vermögensnachteil erleidet.188 Nicht nur der Eigentümer, sondern auch Dritte können Träger eines versicherten Interesses sein (und durch den Versicherungsfall einen Nachteil erleiden).189 Umstritten ist zum technischen Interessebegriff, ob Gegenstand der Versicherung nicht eine Sache usw., sondern das Interesse190 ist. Das Gesetz spricht z. T. von versicherter Sache (z. B. in §§ 46, 88, 93, 95, 96, 99), z. T. von versichertem Interesse (Rn. 72 ff.). Zutreffend wird regelmäßig sein, dass sowohl die Sache als auch das Interesse Gegenstand der Versicherung sind. Die Sache ist dann hinsichtlich einiger Risikomerkmale (versicherte Gefahr, Versicherungsort) bedeutsam, das Interesse im Hinblick auf den daraus ableitbaren Schaden und den Interesseträger.

bb) Rechtspolitische Problematik. Rechtspolitisch wurde und wird (weltweit) über Erforder- 70 nis und Sinn dieser Kategorie gestritten (Rn. 340).191 In den AVB wird der Begriff des Interesses nur verhältnismäßig selten verwendet.192 Vermehrt ist die Praxis bemüht, den sehr abstrakten Begriff des Interesses näher zu konkretisieren. Gerade in komplexen Rechtsverhältnissen muss jedoch häufig auf die (unvermeidbaren) Wertbeziehungen verschiedener Personen zu einem Gegenstand oder mehreren Gegenständen zurückgegriffen werden.193 Das VVG alter und neuer Fassung legt zumindest partiell diese Kategorie zugrunde, und dementsprechend arbeitet die h. M. damit.

cc) Versicherbares und versichertes Interesse. Jedenfalls für die Aktivenversicherung sind 71 als versicherbar anzuerkennen nur Interessen, die auf rechtlichen Beziehungen beruhen (z. B. neben dem Interesse des Eigentümers auch das Interesse des Pfandgläubigers, Mieters usw. an der Unversehrtheit einer Sache) bzw. rechtlich schützenswerte wirtschaftliche Interessen (z. B. Gewinnchancen).194 Ob im Einzelfall ein versicherbares Interesse wirklich versichert ist, ergibt sich aus der Auslegung des Vertrages.

187 Vgl. hierzu, mit unterschiedlichen Formulierungen, Palandt/Sprau § 762 Rn. 1 ff. m. w. N.; Henssler 459; Wandt Rn. 689 f.

188 Vgl. BGH 20.1.1988 – IVa ZR 165/86 RuS 1988 86 f.; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 17; Prölss/Martin/ Armbrüster Vorbemerkung zu §§ 74–99Rn. 23 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 121. 189 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 19; Looschelders/Pohlmann/Koch § 43 Rn. 1 ff.; näher unten Rn. 146 ff. 190 I.d.S. die h. M.: RG 9.11.1934 – VII 169/34 RGZ 145 384, 387; Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 36; Berliner Kommentar/Schauer Vorbem. §§ 49–68a Rn. 44; Martin SVR J I Rn. 2; Kisch Privatversicherungsrecht Bd. III 26 ff. m. w. N.; kritisch Dreher Rechtsprodukt 253. 191 Jabornegg 79 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 124 ff. 192 Berühmt § 1 Abs. 1 ADS: Jedes in Geld schätzbare Interesse, welches jemand daran hat, dass Schiff oder Ladung die Gefahr der Seeschifffahrt besteht, kann versichert werden. Vgl. auch Nr. 1.1.1 DTV-Güter 2000/20011. 193 Bruck/Möller/Sieg/R.Johannsen8 Bd. III Anm. C 22. 194 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 17: Prölss/Martin/Armbrüster Vor § 74–99 Rn. 29; Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 53–55; Schweitzer 100 f. und passim. 505

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

72 dd) Bedeutung für Schadensversicherung. Auch das neue VVG bedient sich der Kategorie des versicherten Interesses in verschiedenen Bestimmungen, vor allem zur Schadensversicherung, vgl. z. B. §§ 74, 75, 76, 77, 78, 80; daneben aber auch in Vorschriften, die für alle Versicherungszweige gelten sollen, vgl. z. B. §§ 48, 53.

73 (1) Aktivenversicherung. Bei der Aktivenversicherung geht es, wie bereits gesagt, um die Wertbeziehung einer Person zu einer Sache, allgemeiner zu einem Aktivgut. Dazu gehören auch Forderungen195 und sonstige Rechte.196 Damit ist zugleich die Bedeutung des Interesses im allgemeinen Sinne – als Abgrenzungsmerkmal zu Spiel und Wette – belegt.

74 (2) Passivenversicherung. Schwieriger ist die Bedeutung dieses Kriteriums für die Haftpflichtversicherung und generell für die Passivenversicherung zu begreifen. Die Gefährdung, das Risiko liegt hier nicht darin, dass eine Wertbeziehung zu einem Aktivgut beeinträchtigt werden kann. Ein versichertes Interesse in einem derartigen technischen Sinne besteht daher insbes. bei der Haftpflichtversicherung nicht. Die Passivenversicherung bietet dem VN vielmehr Schutz im Falle der Entstehung von Passiven, die durch – aus Gesetz oder Vertrag folgende – Verpflichtungen oder faktisch notwendig werdende Aufwendungen entstehen können.197 Der BGH hat verschiedentlich formuliert: „Versichert bei der Haftpflichtversicherung ist das Interesse, das der VN hat, dass sein Vermögen nicht mit Haftpflichtverbindlichkeiten belastet wird.“198 Gegen diese Betrachtungsweise wird eingewendet, dass sich auch ein Überschuldeter oder Vermögensloser gegen Haftpflicht versichern könne.199 Diesem Einwand lässt sich aber begegnen, indem man auf das Interesse abhebt, dass der Vermögensstatus nicht mit Haftpflichtverbindlichkeiten bzw. notwendigen Aufwendungen verschlechtert wird.200 So wird auch bürgerlich-rechtlich heute anerkannt, dass ein ersatzfähiger Vermögensschaden in der Belastung mit einer Verbindlichkeit zu sehen ist und ein Vermögensschaden selbst dann gegeben sein kann, wenn der Belastete weder Vermögen noch Einkommen hat.201 Der Interessebegriff erhält dabei zwar einen etwas anderen Sinn als bei der Aktivenversicherung,202 behält aber einen Erkenntniswert in der Verdeutlichung der Beziehung VN – Vermögen – Vermögensbelastung und auch in der Abgrenzung zur reinen Summenversicherung.203 Unter dem Aspekt des „bestimmten Risikos“ ist bei der Haftpflichtversicherung der Grund75 satz der „Spezialität des versicherten Risikos“ von zentraler Bedeutung: Aus dem Gesamthaftpflichtrisiko des VN wird vertraglich typischerweise nur ein bestimmter Ausschnitt versichert, der in der „Risikobeschreibung“ des Versicherungsvertrages festgelegt wird, vgl. hierzu allein Ziff. 3.1 (1) AHB 2015, der die Überschrift „Versichertes Risiko“ trägt und wie folgt lautet

195 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 74–99 Rn. 34; Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 39 und Vorbem. §§ 49–80 Anm. 16.

196 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 74–99 Rn. 34; Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 70 und Vorbem. §§ 49–80 Anm. 15. 197 Bruck/Möller/R. Koch9 Vor §§ 100–112 Rn. 5; Berliner Kommentar/H. Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 8; Sieg Versicherungsvertragsrecht 46. 198 BGH 24.1.1951 – II ZR 12/50, VersR 1951 76; vgl. auch BGH 18.12.1979 – VI ZR 27/78, NJW 1980 1623, 1624. 199 Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 6; Späte AHB (1992) Vorbem. Rn. 5. 200 Bruck/Möller/R. Koch9 Vor §§ 100–112 Rn. 5; Berliner Kommentar/H. Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 9. 201 BGH 10.10.1985 – IX ZR 153/84, NJW 1986 581, 582 f.; 13.12.2004 – II ZR 17/03, NJW 2005 981, 982 in Abkehr von der gegenteiligen Rechtsprechung des Reichsgerichts, z. B. RG 2.4.1935 – III 259/34, RGZ 147 248, 251. 202 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 74–99 Rn. 33; Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 6. 203 Vgl. auch Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 6; Sieg Versicherungsvertragsrecht 46; skeptisch Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. IV Anm. B 3. H. Baumann/Koch

506

C. Vertragstypische Pflichten des VR

VVG § 1

„Der Versicherungsschutz umfasst die gesetzliche Haftpflicht aus den im Versicherungsschein und seinen Nachträgen angegebenen Risikendes Versicherungsnehmers.“204 Wegen der fehlenden Verknüpfung des Interesses mit Aktivgütern gibt es keinen Versiche- 76 rungswert i. S. v. § 88 und grundsätzlich keine natürliche Begrenzung denkbarer Haftpflichtschulden. Neben der genannten „Spezialität des Risikos“ ist daher die Versicherungssumme = Deckungssumme, abgesehen von sonstigen Deckungsschranken, von größter Bedeutung.205 Regelungen des VVG hinsichtlich eines versicherten Interesses können dennoch auf die Haftpflichtversicherung Anwendung finden. So sind die Bestimmungen des § 80 über fehlendes versichertes Interesse im Sinne der „Spezialität des versicherten Risikos“ auf objektbezogene Haftpflichtversicherungen (z. B. auf die Kfz-Haftpflichtversicherung)206 und auf Haftpflichtversicherungen für spezifische Berufsbetätigungen oder persönliche Beziehungen207 grundsätzlich anwendbar.208 Für die Mehrfachversicherung enthält § 78 Abs. 1 2 Alt.209 eine besondere Regelung für mehrfache Passivenversicherungen, insbes. Haftpflichtversicherungen.210 Auch die Bestimmungen zur Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ gemäß § 48 sind auf die Passivenversicherung anwendbar.211 Das Gleiche gilt grundsätzlich für die laufende Versicherung (§ 53).212 Alles in allem kann man daher sagen: Gegenstand (besser: Bezugspunkt) der Haftpflichtversicherung ist das gesamte Vermögen des VN, weil dieses ggf. mit einer Verpflichtung belastet wird. Das versicherte Interesse wird aber entsprechend dem Grundsatz der „Spezialität des versicherten Risikos“ jeweils auf einen Ausschnitt des „Gefährdungspotentials“ des VN („statusbezogene“213 Haftpflichtversicherung: Gefahrenpotential aus bestimmten Eigenschaften, Berufstätigkeiten etc.; „objektbezogene“ Haftpflichtversicherung: Gefahrenpotential aus Kraftfahrzeugen etc.) kanalisiert. Insofern besteht eine gewisse Reziprozität zur Aktivenversicherung. Und de lege lata ist nach dem Gesagten der versicherungstechnische Interessebegriff jedenfalls in einem weiteren Sinne anzuerkennen (Rn. 69). Zur Passivenversicherung zählen auch die in Gestalt der Schadensversicherung betriebenen 77 Kosten der Personenversicherung, z. B. die der Krankheitskostenversicherung. Dabei werden notwendige Aufwendungen ausgeglichen.214 Auch hier besteht zwar keine Wertbeziehung der Person zu einem Aktivgut, also kein versichertes Interesse im engen technischen Sinne wie bei der Aktivenversicherung, wohl aber ein versichertes Interesse im weiteren Sinne, nämlich ähnlich wie bei der Haftpflichtversicherung gegen Belastungen des Vermögens durch notwendige Aufwendungen geschützt zu sein,215 und zwecks Abgrenzung zu Spiel und Wette. Bisweilen wird das Interesse in der Passivenversicherung auch als Beziehung zu einem Un- 78 gut, einem Passivum (Entstehung einer Unwertbeziehung), bezeichnet.216 Diese „Analogisierung“ zur Aktivenversicherung verdeutlicht, dass auch die Passiva wie die Aktiva einer näheren 204 Näher Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 3 AHB 2012 Rn. 13 ff.; Berliner Kommentar/Bauman Vorbem. §§ 149– 158k Rn. 10, 18. 205 Bruck/Möller/R. Koch9 Vor §§ 100–112 Rn. 7; Berliner Kommentar/H. Baumann Vorbem. § 149 Rn. 11, 12. 206 Näher Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 G. AKB 2015 Rn. 120 ff.; 5; Prölss/Martin/Armbrüster § 80 Rn. 17. 207 Näher Bruck/Möller/Schnepp § 80 Rn. 29 m. w. N. 208 Gemäß Ziff. 17 AHB 2015 erlischt die Versicherung, wenn versicherte Risiken vollständig und dauernd in Wegfall kommen, bezüglich dieser Risiken. Zur Rechtslage beim Todesfall des VN vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 17 AHB 2012 Rn. 4 f.; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 17 AHB Rn. 4. 209 Einschlägige Formulierung: „… oder übersteigt aus anderen Gründen die Summe der Entschädigungen … den Gesamtschaden …“. 210 Näher Bruck/Möller/Schnepp § 78 Rn. 37 ff.; Langheid/Rixecker § 78 Rn. 9. 211 Bruck/Möller/Brand § 48 Rn. 17. 212 So auch Bruck/Möller/Renger § 53 Rn. 30. 213 Vgl. Berliner Kommentar/H. Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 18. 214 Vgl. § 192 Abs. 1. 215 BGH 12.3.2003 – IV ZR 278/01, BGHZ 154 171 Rn. 11; OLG Celle 15.7.2019 – 8 U 83/19, BeckRS 2019 14992; Langheid/Rixecker/Muschner § 192 Rn. 6. 216 Bruck/Möller/Möller8 § 49 Rn. 72. 507

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

Unterteilung bedürfen, wirft allerdings auch die Gefahr auf, die bestehenden Unterschiede zwischen beiden Bereichen zu verwischen.

79 ee) Bedeutung für Summenversicherung. Besonders problematisch ist die Bedeutung des versicherten Interesses bei der in Form der Summenversicherung betriebenen Personenversicherung.

80 (1) Lebensversicherung. Paradigmatisch zeigt sich dies bei der Lebensversicherung. Eine Wertbeziehung zu einer Sache im Sinne des technischen Begriffs des versicherten Interesses besteht hier naturgemäß nicht, auch ein konkreter Vermögensnachteil lässt sich im Versicherungsfall nicht immer ausmachen. Aber selbst ein Interesse im weiteren Sinne – zur Abgrenzung von Spiel und Wette – ist nach ganz h. L. weder dem Grunde noch der Höhe nach erforderlich.217 Die Summenversicherung nach dem Prinzip der abstrakten Bedarfsdeckung ist danach gerade entwickelt worden, weil ein konkreter Schaden oder Bedarf bzw. ein dem vorgelagertes konkretes Interesse regelmäßig nicht bezifferbar ist.218 Der Sache nach219 war dies bereits in § 1 Abs. 1 S. 2 a. F. bestimmt, wonach in Abgrenzung zur Schadensversicherung unter anderem „bei der Lebensversicherung“ der VR verpflichtet war, nach dem Eintritt des Versicherungsfalls „den vereinbarten Betrag an Kapital oder Rente zu zahlen oder die sonst vereinbarte Leistung zu bewirken.“ Gegen diesen Ansatz werden allerdings Bedenken dahingehend geltend gemacht, dass § 1 Abs. 1 S. 2 a. F. bei seiner Regelung einen Versicherungsvertrag voraussetze, zuvor aber entschieden werden müsse, ob überhaupt ein Versicherungsvertrag oder nicht vielmehr ein § 762 BGB unterfallender aleatorischer Vertrag vorliege.220 Diesem methodischen Weg stand indes bereits der eindeutig geäußerte Wille des Gesetzgebers zum VVG alter Fassung entgegen,221 und der Gesetzgeber des ReformG wollte von dieser liberalen Haltung keinesfalls abgehen. Insbes. Winter hat allerdings unter Berücksichtigung geschichtlicher und rechtsverglei81 chender Aspekte Grenzfälle der Lebensversicherung herausgearbeitet, bei denen das uneingeschränkte Summenleistungsprinzip nicht gelten solle. Wenn beispielsweise auszuschließen ist, dass der Erlebensfall eines Dritten beim VN Vermögenseinbußen oder Aufwendungsnotwendigkeiten entstehen lässt, handelt es sich danach nicht mehr um Versicherung, sondern um Wettverträge.222 Ähnliche Grenzfälle sollen auch bei der Versicherung auf (den eigenen Todesfall oder auf) fremden Tod in Betracht zu ziehen sein.223 Die höchstrichterliche Rechtsprechung224 vertritt demgegenüber mit der h. L.225 den Standpunkt, dass es gerade bei der Versicherung auf den Tod eines anderen für die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages allein auf die schriftli-

217 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 17; Langheid/Wandt/Heiss § 150 Rn. 3; Prölss/Martin/Schneider § 150 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Grote VVG § 150 Rn. 1; Berliner Kommentar/Schauer Rn. 45 vor §§ 49–86a; Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 1; Schweitzer 104 ff. aber auch 231 ff.; Möller ZVersWiss 1962 269, 288; Bedenken bei Gärtner Bereicherungsverbot 119 ff. 218 Bruck/Möller/Winter Einf vor §§ 150–171 Rn. 141. 219 Zu der verfehlten Terminologie vgl. Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 220 Gärtner Bereicherungsverbot 89. 221 Vgl. Begr. zu §§ 1 und 159 a. F., Motive 71, 216 f. 222 Bruck/Möller/Winter9 Einf vor §§ 150–171 Rn. 194. 223 Bruck/Möller/Winter9 Einf vor §§ 150–171 Rn. 197 und 222. 224 OLG Celle 4.11.1993 – 8 U 93/92 VersR 1995 405, 406 mit Hinweis auf Beschluss des BGH 5.10.1994 – IV ZR 18/ 94 über Nichtannahme der Revision. 225 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 21; Langheid/Wandt/Heiss § 150 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Grote VVG § 150 Rn. 1; Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 4; Prölss/Martin/Kollhosser § 159 Rn. 5; Prölss/Martin/ Schneider § 150 Rn. 4; a.M. Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 145; Hülsmann VersR 1995 501. H. Baumann/Koch

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C. Vertragstypische Pflichten des VR

VVG § 1

che Einwilligung des Dritten i. S. v. § 150 Abs. 2226 ankommt. Weitere Gültigkeitserfordernisse stellt das Gesetz für einen solchen Vertrag nicht auf. Ein besonderes Interesse des VN am Fortleben des Dritten ist nicht erforderlich.227 Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH zielt (allein) das Einwilligungserfordernis des Dritten umfassend darauf ab, jeder Möglichkeit einer Spekulation mit dem Leben anderer vorzubeugen.228 Allerdings haben die Gesetzesredaktoren zum alten VVG durchaus das Interesse betont, das 82 den „Anstoß zur Schließung eines Lebensversicherungsvertrages“ gibt, sei es auf eigenes oder auf fremdes Leben.229 Die Rechtsprechung des BGH kann daher in ihrer Absolutheit nicht recht überzeugen. System- und gesetzeskonform ist es zwar einerseits, auch im Sinne der Plansicherungs- und der Vermögensgestaltungstheorie, in liberaler Weise auf die Privatautonomie zu setzen. Andererseits ist aber jegliches fehlende Interesse in einschlägigen, heute praktisch wohl seltenen Fällen, jedenfalls als ein Faktor bei einer Überprüfung des Vertrages unter dem Aspekt der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) mitzuberücksichtigen, und zwar bei der Würdigung des Gesamtcharakters des Vertrages.230 Bei einer derartigen Gesamtwürdigung sind Inhalt, Beweggrund und Zweck des Rechtsgeschäfts einzubeziehen.231 Selbst wenn die Gesetzesredaktoren mit dem „Anstoß“ zur Schließung eines Lebensversicherungsvertrages lediglich das Motiv232 gemeint haben sollten, wäre dieser Aspekt bei der genannten Gesamtwürdigung doch beachtlich.

(2) Unfallversicherung. Auch bei der Unfallversicherung soll es nur auf die Zustimmung 83 des „anderen“ ankommen (§ 179 Abs. 2), wenn Versicherung für eigene Rechnung auf einen Dritten als Gefahrsperson genommen wird.233 Ein wirtschaftliches Interesse des VN an der körperlichen Unversehrtheit des Dritten ist demnach nicht erforderlich. Hiergegen werden im Schrifttum vergleichbare Bedenken geäußert wie zur Lebensversicherung.234 Auch hier ist ggf. § 138 BGB zu prüfen.

(3) Krankenversicherung. Zur Krankenversicherung regelt das Gesetz in § 194 Abs. 4 – beja- 84 hend – die Frage, ob die Vorschriften über die Versicherung für fremde Rechnung auf die Krankenversicherung Anwendung finden sowie wer die Versicherungsleistung verlangen kann (Rn. 169 f.). Unklar bleibt, wie eine Versicherung auf eigene Rechnung mit dem Dritten als Gefahrsperson zu behandeln ist, insbes. wenn der VN kein wirtschaftliches Interesse an der Versicherung dartun kann, bei ihm mithin keinerlei Bedarf im Falle der Krankheit des Dritten entsteht. Ein Zustimmungserfordernis ist im Gesetz (weiterhin) nicht vorgesehen, und zwar weder im Hinblick auf schadensversicherungsrechtliche (Krankheitskostenversicherung, § 192 Abs. 1) noch auf summenversicherungsrechtliche (Kranken[haus]tagegeldversicherung, § 192 Abs. 4 und 5) Posten.

226 227 228 229

Vgl. auch § 179 Abs. 2 zur Unfallversicherung und dazu Rn. 79. OLG Celle 4.11.1993 – 8 U 93/92, VersR 1995 405, 406. Vgl. BGH 8.2.1989 – IVa ZR 197/87, VersR 1989 465, 466; 9.12.1998 – IV ZR 306/97, BGHZ 140 167, 170. Vgl. Begr. zu § 159 a. F. Motive zum VVG 216. Die Gesetzesbegründung zum ReformG enthält hierzu keinerlei einschlägige Überlegungen. 230 Allgemein Palandt/Ellenberger § 138 Rn. 7 f. 231 Palandt/Ellenberger § 138 Rn. 8 m. w. N. 232 Dazu, dass Interesse und Motiv grundsätzlich auseinanderzuhalten sind, vgl. Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 56 a. E. 233 Prölss/Martin/Knappmann § 179 Rn. 15 unter Hinweis auf OLG Celle 4.11.1993 – 8 U 93/92 VersR 1995 405, 406 (Lebensversicherung). 234 Bruck/Möller/Leverenz § 178 Rn. 6 f.; Prölss/Martin/Knappmann § 179 Rn. 15 unter Hinweis auf Hülsmann VersR 1995 501. 509

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§ 1 VVG

85

Vertragstypische Pflichten

Hinsichtlich der Schadensversicherung erscheint eine Zustimmung entbehrlich, zumal gemäß § 194 Abs. 1 auch § 80 zur Anwendung kommt. Hinsichtlich der Summenversicherung wurde in Analogie zu § 179 Abs. 3 S. 1 a. F. vereinzelt die Zustimmungspflicht des Dritten angenommen.235 Angesichts dessen, dass das Gesetz weiterhin ein solches Erfordernis nicht aufstellt und die Summenleistungen in der Krankenversicherung nicht die Dimension wie in der Lebens- und Unfallversicherung zu erreichen pflegen, wird man die Wirksamkeit des Vertrages nicht von einer Einwilligung der Gefahrsperson abhängig machen können. Bei fehlendem Interesse des VN kann aber wiederum – in Grenzfällen – § 138 BGB zum Zuge kommen (Rn. 82). Eine Umdeutung von einer Versicherung für eigenes Interesse in eine solche für fremdes Interesse236 kann nur vorgenommen werden, wenn ernstlich zweifelhaft sein kann, ob eine Versicherung auf eigenes Interesse gewollt war (vgl. § 48). Immerhin finden die Vorschriften der Versicherung für fremde Rechnung auch auf die Summenversicherung Anwendung (Rn. 162). Eine Umdeutung kommt unter den Voraussetzungen des § 140 BGB in Betracht.

ff) Problemfelder 86 (1) Gewinninteressen. Ein versichertes Interesse ist auch relevant im Hinblick auf einen angestrebten Gewinn.237 Erweiternd gegenüber der Regelung in § 252 BGB kommt dabei – vertraglich – nicht nur die Versicherung eines wahrscheinlichen Gewinns in Betracht, sondern auch eines Gewinns, dessen Realisierung (nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen) möglich ist.238 Strittig ist die systematische Zuordnung des Gewinninteresses. Der Zuordnung von Gewinnchancen bzw. Gewinnanwartschaften zu den Aktivwerten wird entgegengehalten, dass Gewinnchancen bilanztechnisch nicht zu aktivieren seien.239 Mit der Systematisierung nach Aktiv- und Passivwerten ist indes keine Anknüpfung an Regeln der Bilanztechnik für laufende Jahresabschlüsse erfolgt.240 Vielmehr geht es um eine systematisch sachgerechte Zuordnung. Beispielsweise gibt es bei der Versicherung von Gewinninteressen wie bei anderen Fällen der Aktivenversicherung (häufig) einen Versicherungswert.241 Im Übrigen bietet sich jedenfalls für die der Sachversicherung akzessorisch verbundene Gewinnversicherung die akzessorische Zuordnung zu Aktivwerten, konkret: zur Sachversicherung an.242 87 Da die Gewinnversicherung an dynamische Größen (Gewinn-/Ertragsminderungen) anknüpft, wurde sie bisweilen schon bisher in Abgrenzung zur Sachversicherung als Form einer Vermögensversicherung bezeichnet und damit als Spiegelbild zur Haftpflichtversicherung begriffen.243 Knüpft man generell stärker an Ziele und Pläne als dynamische Instrumentarien an (Rn. 51), so verwischen die Unterschiede. Bei aller Spiegelbildlichkeit zur Haftpflichtversicherung ist jedoch auch zu beachten, dass bei der Gewinnversicherung, wie gesagt, häufig ein Versicherungswert (und damit insbes. eine Unterversicherung) feststellbar ist, bei der Haftpflichtversicherung dagegen grundsätzlich nicht. Letztlich kommt es für die Bejahung eines „bestimmten Risikos“ ungeachtet der systematischen Einordnungsprobleme entscheidend nur

235 Bruck/Möller/Wriede8 Bd. VI 2 Anm. H 5; a. A. aber OLG Saarbrücken 18.12.1996 – 5 U 800/95 VersR 1997 863, 865.

236 Vgl. zum Streitstand Bruck/Möller/Wriede8 Bd. VI 2 Anm. H 5; Prölss/Martin/Prölss27 § 178a Rn. 8, jeweils m. w. N.

237 Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 71 und Vorbem. §§ 49–80 Anm. 16. 238 Bruck/Möller/Möller8 § 53 Anm. 4 unter Hinweis u. a. auf § 100 Abs. 2 ADS: Gewinn, der „bei der Schließung des Vertrages nach kaufmännischer Berechnung möglicherweise zu erwarten war.“ 239 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu §§ 74–99 Rn. 35. 240 Vgl. ausdrücklich Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 6. 241 Bruck/Möller/Möller8 § 53 Anm. 33. 242 Bruck/Möller/Möller8 § 53 Anm. 11, 40; Bruck/Möller/Sieg8 § 68 Anm. 18, jeweils zur analogen Anwendung der §§ 69 ff. a. F. 243 Bruck/Möller/Sieg8 § 68 Anm. 18; Bruck/Möller/Sieg/R. Johannsen8 Bd. III Anm. A 10 m. w. N. H. Baumann/Koch

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C. Vertragstypische Pflichten des VR

VVG § 1

darauf an, ob Gewinninteressen als möglicher Vermögenszufluss so weit verfestigt sind, dass ein versicherbares bzw. versichertes Interesse identifiziert werden kann. § 53a a. F. bestimmte ausdrücklich, dass die Versicherung (einer Sache) den durch den Ein- 88 tritt des Versicherungsfalls entgehenden Gewinn nur umfasst, soweit dies besonders vereinbart ist. Diese Vorschrift war überflüssig, weil das Versicherungsrecht vom Einzelschadensprinzip beherrscht wird, so dass – selbstverständlich – jedes Interesse gesondert versichert werden muss.244 Konsequenterweise enthält das neue VVG eine entsprechende Vorschrift nicht mehr. § 89 Abs. 1 a. F. enthielt im Rahmen der Bestimmungen über die Feuerversicherung ein Verbot, für die Versicherung entgangenen Gewinns eine Taxe245 zu vereinbaren. Diese Bestimmung wurde bereits bisher rechtspolitisch kritisiert.246 Folgerichtig existiert im neuen VVG eine solche Schranke der Vertragsfreiheit nicht mehr. Die bisher in § 90 a. F. für die Feuerversicherung vorgeschriebene Anzeigepflicht ist in § 77 89 Abs. 2 verallgemeinert worden: Wenn entgehender Gewinn bei einem VR, sonstige Schäden bei einem anderen VR versichert werden, ist auch247 dies dem jeweils anderen VR anzuzeigen, wenn die Versicherungen „bezüglich desselben Interesses“ bestehen. Diese Formulierung248 ist misslungen. Deutlicher wäre gewesen „bezüglich desselben Gegenstandes“.

(2) Neuwertversicherung. Bemerkenswert ist der Verlauf zur rechtlichen Akzeptierung der 90 Neuwertversicherung. Ursprünglich wegen eines vermeintlich zwingenden Bereicherungsverbots überhaupt für unzulässig erachtet,249 wurde sie später mit unterschiedlichen Begründungen250 u. a. als Kombination einer Sachversicherung (Zeitwert) mit einer Passivenversicherung (Differenz zum Neuwert) begriffen, die Passivenversicherung dabei als solche gegen notwendige Aufwendungen.251 Diese Konstruktion ist aber zu Recht auf Kritik gestoßen.252 Auf der Grundlage der Theorie zur Sicherung von Vermögensgestaltungszielen und der Plansicherungstheorie (Rn. 51) lässt sich, zumal auch ein angeblich zwingendes Bereicherungsverbot gefallen ist (Rn. 91 ff.), die Neuwertversicherung zwangslos begründen: Ziele und Pläne sind ggf. auf Errichtung eines neuwertigen Gebäudes etc. ausgerichtet. Dem entsprechen – in Abgrenzung zu Spiel und Wette – schützenswerte Interessen.253 Der Versicherungsvertrag baut nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit254 hierauf auf. § 88 bringt jedenfalls auch für die Sachversicherung klar zum Ausdruck, dass der Neuwert als Versicherungswert vertraglich vereinbart werden kann.255 (3) Bereicherungsverbot? Die h. M. hat früher für den Bereich der Schadensversicherung ein 91 absolut zwingendes Bereicherungsverbot aufgestellt.256 Gestützt wurde das Bereicherungsverbot

Bruck/Möller/Möller8 § 53 Anm. 24. Vgl. dazu allgemein § 76 sowie § 57 a. F. Bruck/Möller/R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III Anm. K 2; Prölss/Martin/Kollhosser27§ 89 Rn. 1. Generell zur Anzeigepflicht bei Mehrfachversicherung § 77 Abs. 1. Zur „redaktionellen Anpassung“ vgl. Begr. zu § 77 Abs. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 79. So die aufsichtsbehördliche Stellungnahme in VA 1926 149–151; Bruck/Möller/Möller8 § 52 Anm. 27. Überblick bei Kollhosser VersR 1997 521. Bruck/Möller/Möller8 § 52 Anm. 28. Berliner Kommentar/Schauer § 55 Rn. 36 m. w. N.; Sieg Versicherungsvertragsrecht 47. Vgl. auch Schmidt-Rimpler VersR 1963 493, 494; Schweitzer 180 ff. Ausführlich Bruck/Möller/R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III Anm. H 144, 147 mit Darstellung der BGH-Rechtsprechung. BGH 23.5.2007 – IV ZR 93/06, VersR 2007 1411 legt zuletzt die (gleitende) Neuwertversicherung als selbstverständlich zulässig seiner Entscheidung zugrunde. 255 Ausdrücklich i. d. S. Begr. zu § 88 BTDrucks. 16/3945 S. 82. 256 Ausführlich Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 45; Berliner Kommentar/Schauer § 55 Rn. 31 ff. Gegen die h. M. schon frühzeitig Winter Konkrete und abstrakte Bedarfsdeckung in der Sachversicherung (1962); Gärt-

244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254

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H. Baumann/Koch

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Vertragstypische Pflichten

maßgeblich auf § 55 a. F.257 Danach war der VR, auch wenn die Versicherungssumme höher als der Versicherungswert zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls ist, nicht verpflichtet, dem VN mehr als den Betrag des Schadens zu ersetzen. Der BGH hat aber in jüngerer Zeit in mehreren Entscheidungen klargelegt, dass weder aus § 55 a. F. ein zwingendes Bereicherungsverbot folge noch ein ungeschriebener Rechtssatz dieses Inhalts bestehe.258 Diesem Standpunkt ist das Schrifttum im Wesentlichen gefolgt.259 Gemäß dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung muss der VR halten, was er vertraglich versprochen hat, es sei denn, aus dem Gesetz ergäben sich Leistungsbeschränkungen.260 Die Problematik des – angeblichen – Bereicherungsverbots verschiebt sich damit hin zu der Frage nach den rechtlichen Schranken einer vertraglich vereinbarten Bereicherung. Auch nach neuem Recht besteht diesbezüglich keine völlige Rechtsklarheit. 92 Eine Regelung wie in § 55 a. F. findet sich im neuen VVG nicht mehr. Der RefE enthielt aber noch in § 74 eine Regelung (die im RegE und im Gesetz entfallen ist)261 folgenden Inhalts: „Bei der Schadensversicherung ist der VR verpflichtet, dem VN nach Eintritt des Versicherungsfalls den dadurch verursachten Vermögensschaden nach Maßgabe des Vertrages zu ersetzen oder die sonst vereinbarte Leistung zu erbringen.“ In der Begründung des RefE hieß es u. a., dass die Vorschrift die bei der Schadensversicherung typische Leistung des VR umschreibe und im Wesentlichen die Regelung des bisherigen § 1 S. 1 (richtig: § 1 Abs. 1 S. 1 a. F.) übernehme. Zusätzlich werde berücksichtigt, dass der VR in einzelnen Versicherungszweigen nicht oder nicht nur zum Ersatz des dem VN entstandenen Schadens, sondern zu sonstigen Leistungen verpflichtet sei; dies gelte z. B. für die Sachversicherung, wenn sie den Ersatz des Neuwertes vorsehe.262 In der Begründung wurde zudem ausgeführt, dass § 74 auch den Regelungsgehalt des bisherigen – „dispositiven“ – § 55 umfasse: „Da auch künftig ein allgemeines versicherungsrechtliches Bereicherungsverbot nicht vorgesehen werden soll, kann auf die Regelung des § 55 VVG verzichtet werden.“263 93 Die Leistungspflicht des VR – auch im Rahmen der Schadensversicherung – ist heute mithin vor allem in § 1 umschrieben, wonach er sich mit dem Versicherungsvertrag zu einer „Leistung“ verpflichtet. Eine Verpflichtung zum „Ersatz des Vermögensschadens“ wie nach § 1 a. F. und § 74 RefE ist danach nicht mehr gesetzlich formuliert. Allerdings ergibt sich aus den Bestimmungen der §§ 74–87 das gesetzliche Leitbild der Schadensversicherung und damit die Pflicht zum Ersatz des Schadens. Dieses Leitbild bedarf aber i. d. R. der Effektuierung durch vertragliche Bestimmungen, i. d. R. also in AVB. Lediglich vereinzelt enthält das Gesetz Konkretisierungen der Leistungspflicht des (Schadens-)VR, so z. B. zur Haftpflichtversicherung in § 100. 94 Bereits zur alten Rechtslage bedeutete Ersatz des Vermögensschadens „nach Maßgabe des Vertrages“ (§ 1 a. F.) zumindest nach der referierten Rechtsprechung des BGH (Rn. 91), dass der zu ersetzende Schaden sich nach den vertraglichen Abreden richtet. Der VR ist danach an sein Wort gebunden. Es herrscht grundsätzlich Vertragsfreiheit. Nichts anderes kann im Ansatz angesichts der genannten Entwicklung zum neuen VVG und damit zur neuen Rechtslage gelten. Problematisch sind die Schranken einer – vertraglich vereinbarten – „Bereicherung“. Anders ner Das Bereicherungsverbot (1970); ablehnend gegenüber der h. M. auch Kollhosser VersR 1997 521; differenzierend Bartholomäus Das versicherungsrechtliche Bereicherungsverbot (1997) 41 ff. 257 Vgl. Bruck/Möller/Möller8 § 55 Rn. 6–9. 258 BGH 17.12.1997 – IV ZR 136/96, BGHZ 137 318, 325–327 = VersR 1998 305; 4.4.2001 – IV ZR 138/00, VersR 2001 749, 750, jeweils m. w. N.; ebenso OLG Frankfurt a. M. 8.7.2004 – 3 U 130/03, RuS 2006 112 m. Anm. Wälder und Hinweis auf Beschluss BGH 30.11.2005 über Zurückweisung der Beschwerde gegen Revisionsnichtzulassung. 259 Bruck/Möller/R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III Anm. H 144; Berliner Kommentar/Schauer § 55 Rn. 32 ff.; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 55 Rn. 1 ff.; Römer/Langheid2 § 55 Rn. 2 ff., 11. 260 BGH 17.12.1997 – IV ZR 136/96, BGHZ 137 318, 327; 4.4.2001 – IV ZR 138/00, VersR 2001 749, 750. 261 Die Vorschrift wurde nach Auskunft des BMJ als überflüssig auf Vorschlag eines Bundeslandes nicht in das Gesetz übernommen. 262 So Begr. RefE zu § 74 S. 83. 263 So Begr. RefE zu § 74; vgl. auch Begr. zu § 78 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 79. H. Baumann/Koch

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formuliert geht es darum, ob auch in der Aktivenversicherung, vor allem in der Sachversicherung als Nichtpersonenversicherung, reine Summenvereinbarungen wie in der Personenversicherung zulässig sind.264 Das ist abzulehnen. Auch bei Heranziehung der Vermögensgestaltungs- bzw. Plansicherungstheorie müssen Ziele bzw. Pläne und die damit verbundenen Interessen ökonomisch unterlegt, möglich und plausibel sein. Andernfalls gelangt man in den Bereich der Spekulation von Spiel und Wette (§ 762 BGB) (Rn. 68). Nichtpersonenversicherung und Personenversicherung können in diesem Punkt auch265 deshalb nicht gleichbehandelt werden, weil das subjektive Risiko hier und dort nach zutreffender gesetzlicher Einschätzung sehr unterschiedlich ist (vgl. nur § 81 Abs. 2 einerseits sowie §§ 161 und 176, 183, 201 andererseits) (Rn. 122 ff.). Die Sicherung eines bestimmten Risikos (§ 1), das interessenbasiert im engeren Sinne ist (§§ 74 ff.) (Rn. 69) bedeutet auch, dass eine Akzessorietät zwischen Sicherung und Interesse in Betracht kommen muss. Unbeschadet der Regelung des § 80 Abs. 3 (Nichtigkeit des Vertrages bei betrügerischer Versicherung), trüge ein VR, der sich vertraglich auf eine „interessenlose“ Versicherung einließe, zudem das Prämienzahlungsrisiko des § 80 Abs. 1.266 Zwischen Personen- und Nichtpersonenversicherung ist für solche, heute mehr akademisch anmutenden, Grenzfälle deutlich zu unterscheiden. Planungsautonomie und Vertragsfreiheit stoßen an rechtliche Grenzen.267 Im Sinne interessenbasierter, zielorientierter Planungen könnten allerdings durchaus wei- 95 tergehende Versicherungsprodukte als heute üblich entwickelt werden, z. B. durch Neuherstellungs- und Neubeschaffungsklauseln (statt Wiederherstellungs- und Wiederbeschaffungsklauseln), die Aufwendungen entsprechend dem ökonomisch-technologischen Fortschritt eindeutig mitberücksichtigen.268 Interessenbasierte Zielsetzungen und Planungen müssten aber wohl vom VN ökonomisch unterlegt werden (Abschreibungen, Rücklagen).

(4) Ausgestaltung des Regresses (a) Schadensversicherung. § 67 a. F. (vgl. § 86) wurde bisher von der h. M. als Ausfluss des 96 zwingenden Bereicherungsverbots innerhalb der Schadensversicherung gewertet und die Möglichkeit einer Abbedingung selbst nach Verneinung des zwingenden Charakters eines Bereicherungsverbots verneint.269 Das war bisher bereits deshalb schon problematisch, weil § 67 a. F. nur halbzwingender Natur war (§ 68a a. F.), also für sich gesehen einer vertraglichen Regelung zu Gunsten des VN offen stand.270 Letztgenannte Sicht wird durch die, auf Basis der BGH-Rechtsprechung (Rn. 91) vorgenommene, Neuregelung des VVG bestätigt: Wenn ein zwingendes Bereicherungsverbot ausdrücklich verneint wird, ist es nur folgerichtig, auch § 86 nicht als zwingende, sondern lediglich als halbzwingende Norm auszugestalten (§ 87). Auch angesichts der liberaleren Gesamtkonzeption des reformierten VVG ist es danach denkbar, dass VR Produkte anbieten, bei denen (ein Übergang der Ansprüche gegen Drittschädiger und) ein Regress

264 In diese Richtung gehen Winter Bedarfsdeckung 111 ff. und Gärtner Bereicherungsverbot 81. 265 Hierzu und zum zusätzlichen Aspekt der schwierigen Schätzbarkeit des abstrakten Bedarfs bei der Summenversicherung vgl. bereits Rn. 80. 266 Diese Vorschrift wird man als lex specialis gegenüber § 762 BGB ansehen können. Sie kann auch nicht zum Nachteil des VN vertraglich abgeändert werden, § 87. Gelten die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nicht (§ 210), ist jedenfalls § 762 BGB zu beachten. Anderer Ansicht wohl Bruck/Möller/Sieg8 § 68 Anm. 114. 267 Ähnlich Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 142; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 29; Bartholomäus 70 f.; Prölss 50 Jahre BGH II (2000) 551, 554 ff., 559; wohl auch Winter Bedarfsdeckung 116; unentschieden Berliner Kommentar/Schauer § 55 Rn. 35. 268 Zu den Zweifelsfragen nach herkömmlichen AVB vgl. Martin SVR Q IV Rn. 11 ff.; Bruck/Möller/K. Johannsen §§ 93, 94 Rn. 48 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 93 Rn. 158, jeweils m. w. N. 269 Ausdrücklich Prölss/Martin/Prölss27 § 67 Rn. 50; ders. § 1 Rn. 28. Für Auflockerungen Berliner Kommentar/H. Baumann § 67 Rn. 4, 189. Differenzierend auch Bruck/Möller/Sieg8 § 67 Anm. 16–18, 173. 270 Berliner Kommentar/H. Baumann § 67 Rn. 4, 7, 189. 513

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gegen Drittschädiger in den AVB ausgeschlossen wird.271 Dies könnte für VR angesichts der komplizierten und kostenträchtigen Regressabwicklung von Interesse sein. Bereits bisher war die Legalzession neben seinen beiden im Vordergrund stehenden negativen Zwecken, Bereicherungen des Geschädigten und Entlastungen des Schädigers zu vermeiden,272 auch positiv als Präzisierung der Leistungspflicht des VR zu begreifen, womit zugleich dem vermuteten, für vernünftig erachteten Willen der „beteiligten Kreise“ entsprochen wurde.273 Vor diesem Hintergrund kann dann auch einem abweichenden Willen der Beteiligten zum Durchbruch verholfen werden. Tendenziell würden derartige Produkte höhere Prämien erfordern. 97 Auf der anderen Seite wäre es nunmehr der VN = Geschädigte, der – neben der Versicherungsentschädigung – von dem Drittschädiger Schadensersatz einfordern könnte. Allerdings soll der Drittschädiger häufig durch das Bestehen einer Versicherung mit (modifiziertem) Regressverzicht entlastet werden, vgl. nur A.2.8 AKB 2015) und ähnliche Fallgestaltungen (Rn. 157 ff.).274 Soweit der VN begünstigt wird, käme es damit wie bei Summenversicherungen zu einer Bereicherung des VN. Wie schon bisher im Hinblick auf die Situation bei Summenversicherungen275 ließe sich diese Bereicherung aber damit rechtfertigen, dass der Geschädigte sich freiwillig eine Versicherung erkauft und dafür auch (u. U. höhere als für ein gesetzliches Standardprodukt) Prämien aufgebracht hat. Ein solches, der Summenversicherung angenähertes, Produkt geriete noch nicht in den Geruch des Spekulationsgeschäfts (§ 762 BGB).276 Denn jedenfalls eine Aktivenversicherung, und darum geht es bei den hier angestellten Überlegungen, wird vornehmlich für Versicherungsfälle abgeschlossen, die unabhängig von einem schadensersatzpflichtigen Verhalten eines Dritten (gegen den ein etwaiger Schadensersatzanspruch auch tatsächlich realisierbar ist!) eintreten. Werden bisher die vom VR erlangten Regresserlöse als „windfall profits“ bezeichnet,277 so kämen solche „Profits“ bei der erörterten Gestaltung dem Geschädigten zugute. Das ist nur ein eher zufälliges Nebenresultat der gewählten Gestaltungsform, nicht ein bewusst angestrebtes Hauptziel des Rechtsgeschäfts. Nur bei letztgenannter Zwecksetzung käme aber eine Annäherung an ein Spekulationsgeschäft in Betracht.278

98 (b) Krankentagegeldversicherung. Insbes. zur Krankentagegeldversicherung war eine (direkte oder analoge) Anwendung des § 67 a. F. für den Fall umstritten, dass diese sich nach den AVB zwar nicht automatisch an den tatsächlichen Verdienstausfall anpasst, jedoch erhebliche Einkommensminderungen für die Zukunft zu berücksichtigen sind (vgl. nur § 4 MB/KT 94/MB/ KT 2008).279 Der BGH hat eine direkte oder analoge Anwendung abgelehnt.280 Diese Rechtsprechung ist schon angesichts der insoweit unveränderten Fassung des § 194 Abs. 1 S. 1 im Vergleich zu § 178 Abs. 2 a. F. weiterhin akzeptabel.281 Unbenommen ist es dem VR allerdings, in

271 A.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 144. 272 Bruck/Möller/Sieg8 § 67 Anm. 5; Berliner Kommentar/H. Baumann § 67 Rn. 1. 273 Vgl. auch RG 1.11.1919 – I 86/19 RGZ 97 76, 78; BGH 20.11.1980 – III ZR 31/78, BGHZ 79 35, 37; Berliner Kommentar/H. Baumann § 67 Rn. 7; Prölss/Martin/Prölss27 § 67 Rn. 1. 274 Allgemein Martin SVR J I Rn. 10 ff.; zu rechtspolitischen Betrachtungen vgl. Gärtner Bereicherungsverbot 160 ff. 275 Bruck/Möller/Sieg8 § 67 Rn. 17; Palandt/Grüneberg Rn. 84 vor § 249. 276 A.A. Prölss/Martin/Prölss27 Vorbemerkung zu § 51 Rn. 7; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 55 Rn. 38. 277 Wachsmuth Voraussetzungen und Wirkungen der versicherungsrechtlichen Legalzession, Diss. FU Berlin (1978) 163. 278 Überzeugend Gärtner Bereicherungsverbot 64 f. und passim. 279 Bejahend: Prölss/Martin/Prölss27 § 67 Rn. 2 und § 178b Rn. 8–10; verneinend: Berliner Kommentar/H. Baumann § 67 Rn. 25 f.; unentschieden bzw. differenzierend: Bruck/Möller/Sieg8 § 67 Anm. 20 f.; Römer/Langheid/Langheid2 § 67 Rn. 7. 280 BGH 19.12.1973 – IV ZR 130/72, VersR 1974 184, 185; 15.5.1984 – VI ZR 184/82, VersR 1984 690; 4.7.2001 – IV ZR 307/00 VersR 2001 1100. 281 Vgl. Berliner Kommentar/H. Baumann § 67 Rn. 26 a. E. H. Baumann/Koch

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den AVB eine Abtretungsvereinbarung vorzunehmen282 oder die Krankentagegeldversicherung überhaupt als Schadensversicherung mit unmittelbarer Anwendbarkeit des § 86 auszugestalten.283

c) Versicherte Gefahr aa) Deckung spezieller Gefahren. Jede Versicherung schützt gegen die (Folgen der) Verwirk- 99 lichung bestimmter Gefahren, z. B. Brand, Explosion, Blitzschlag, Einbruchdiebstahl, Hagelschlag, Tod des versicherten Tieres; Gefahren der Beförderung, der gesetzlichen Haftpflicht aus näher bezeichneten Eigenschaften, Rechtsverhältnissen oder Tätigkeiten; Gefahren des Erforderlichwerdens von Rechtsschutz; Gefahren eines Unfalls, einer Krankheit, der Berufsunfähigkeit, des Todes etc. Gefahr ist die Möglichkeit der Entstehung eines Bedarfs bzw. Schadens.284 Mit dem Beginn des Versicherungsfalls (Rn. 113 ff.) beginnt sich die versicherte Gefahr zu verwirklichen.285

bb) Allgefahrendeckung. Versicherungstechnik und Versicherungspraxis sind im Allgemei- 100 nen auf die Deckung spezieller Gefahren ausgerichtet, wobei allerdings häufig mehrere Gefahren zusammengefasst werden (vgl. z. B. § 1 AFB 2010: Brand, Blitzschlag, Explosion etc.). Dem steht eine Allgefahrendeckung oder All-Risk-Deckung gegenüber, herkömmlicherweise vor allem in der technischen Versicherung (z. B. Maschinenversicherung, Elektronikversicherung, Monatgeversicherung, Bauleistungsversicherung)286 und in der Transportversicherung (vgl. z. B. § 130 Abs. 1 und 2). In der Transportversicherung ist die Allgefahrendeckung beschränkt auf bestimmte Bereiche, z. B. „Gefahren der Beförderung zu Lande oder auf Binnengewässern sowie der damit verbundenen Lagerung“ (§ 130 Abs. 1)287 oder „Gefahren der Binnenschifffahrt“ (§ 130 Abs. 2 S. 1). Hingewiesen sei auch auf § 27 S. 1 DTV-ADS 2009.288

cc) Konkrete Gefahrenlage bei Vertragseingehung, Gefahrerhöhung und vertragliche Obliegenheiten (1) Vorvertragliche Anzeigepflicht. Damit der VR ein bestimmtes Risiko des Versicherungs- 101 interessenten ganz konkret und präzise einschätzen sowie prämienkalkulatorisch zutreffend bewerten kann, besteht die Anzeigeobliegenheit des VN gemäß § 19: Er hat die ihm bekannten „Gefahrumstände“, die für den Entschluss des VR, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, erheblich sind und nach denen der VR in Textform gefragt hat, dem VR anzuzeigen.289 Bei Verletzung dieser Obliegenheit kann der VR nach Maßgabe des § 19 Abs. 2–6 und des § 21 vom Vertrag zurücktreten bzw. den Vertrag kündigen, u. U. auch nur eine Vertragsände-

282 Vgl. H. Baumann JZ 1979 81 (zur Unfallversicherung); Prölss 50 Jahre BGH Bd. II (2000) 551, 557; Prölss/Martin/ Prölss27 § 67 Rn. 2 m. w. N. zum Streitstand. 283 Vgl. den Wortlaut des § 192 Abs. 5 = 178b Abs. 3 a. F. und dazu BGH 4.7.2001 – IV ZR 307/00, RuS 2001 431, 432; Berliner Kommentar/Hohlfeld § 178b Rn. 14; Prölss/Martin/Voit § 192 Rn. 179; Langheid/Wandt/Hütt § 192 Rn. 130. 284 Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 22. 285 Näher Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 49 sowie Vorbem. §§ 49–80 Anm. 32–33. 286 Langheid/Wandt/Eckes/Günther 220. Technische Versicherungen Rn. 1 ff. 287 Allgemeiner z. B. Ziff 1.1.1 der DTV-Güterversicherungsbedingungen 2000/2011 mit alternativer Möglichkeit einer „Vollen Deckung“ oder einer „Eingeschränkten Deckung“, vgl. Bruck/Möller/Riemer9 Bd. 6/1 DTV-Güter „Volle Deckund“ und „Eingeschränkte Deckung“. 288 Näher Bruck/Möller/Jaeger Bd. 6/2 Ziff. 27 DTV-ADS Rn. 2. 289 Vgl. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49, 64. Zum früheren Rechtszustand vgl. die Kommentierungen zu §§ 16 ff. a. F. sowie Karczewski RuS 2012 521 ff. 515

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rung (mit Prämienerhöhung) verlangen. Im Falle eines Rücktritts ist der VR für zwischenzeitliche Versicherungsfälle grundsätzlich nicht zur Leistung verpflichtet (vgl. näher § 21 Abs. 2). 102 Gegenüber der früheren Regelung in den §§ 16 ff. a. F. enthalten die neuen Bestimmungen eine Reihe von Änderungen zugunsten des VN,290 vor allem: Der VN hat nur Gefahrumstände anzuzeigen, nach denen der VR gefragt hat (§ 19 Abs. 1). Den VN trifft zweifelsfrei291 die Anzeigepflicht grundsätzlich nur bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung (§ 19 Abs. 1 S. 1, vgl. aber auch § 19 Abs. 1 S. 2); anschließend setzen die Regeln über die Gefahrerhöhung ein (vgl. § 23 Abs. 1). Die Rechte des VR sind im Sinne der Abschaffung des „Alles-oder-Nichts-Prinzips“ vornehmlich je nach dem Verschuldungsgrad auf Seiten des VN – Vorsatz, grobe oder einfache Fahrlässigkeit – zu differenzieren. Bei schuldloser Anzeigepflichtverletzung kommt nur ein Kündigungsrecht oder ein Recht zur Anpassung des Vertrages in Betracht. Die Rechte des VR erlöschen nach 5 bzw. 10 Jahren seit Vertragsschluss (§ 21 Abs. 3), in der Krankenversicherung wie bisher (§ 178k S. 1 a. F.) i. d. R. nach drei Jahren (§ 194 Abs. 1 S. 3). Zur Lebensversicherung ist auf die Sonderregel des § 157 (unrichtige Altersangabe), zur Krankenversicherung auf die des § 194 Abs. 1 S. 3 hinzuweisen.

103 (2) Gefahrerhöhung. Auch später ist der VR naturgemäß daran interessiert, dass sich die von ihm übernommene bestimmte Gefahr nicht erhöht oder doch jedenfalls weiterhin eine Äquivalenz von Gefahr und Prämie hergestellt wird. Dem dienen die Vorschriften über das „Verbot“ bzw. die Anzeige„pflicht“ einer Gefahrerhöhung gemäß §§ 23–27. Auch zu dieser Materie hat das ReformG einige Änderungen gegenüber dem früheren Rechtszustand (§§ 23–30 a. F.) gebracht, z. B. die gesetzliche Regelung einer Anpassung durch Prämienerhöhung statt Kündigung (§ 25)292 sowie wiederum eine Differenzierung der Rechte des VR je nach Verschuldensgrad auf Seiten des VN.293 An Sonderregelungen sind zu beachten: § 132 für die Transportversicherung; § 158 für die 104 Lebensversicherung (über § 176 auch auf die Berufsunfähigkeitsversicherung anwendbar); § 181 für die Unfallversicherung; § 194 Abs. 1 S. 2 für die Krankenversicherung, wonach die Bestimmungen über die Gefahrerhöhungen überhaupt nicht anwendbar sind (so bereits § 178a Abs. 2 S. 2 a. F.); § 57 für die laufende Versicherung.

105 (3) Vertragliche Gefahrstandsobliegenheiten. Vertragliche Obliegenheiten bezwecken häufig (ebenfalls) die Verminderung der Gefahr294 oder die Verhinderung einer Gefahrerhöhung.295 Dabei hing die Leistungsfreiheit des VR bei Verletzung einer derartigen Obliegenheit schon bisher von der Kausalität ab (§ 6 Abs. 2 a. F.). Die neue Regelung des § 28 legt nunmehr in Abs. 3 generell ein Kausalitätserfordernis fest.296 Die wichtigste Neuregelung ist aber sicherlich auch hier die Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips: Während der VR bisher (bei vor dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheiten) leistungsfrei war, wenn der VN die Oblie290 Näher Reusch VersR 2007 1313; Neuhaus RuS 2008 45; Lange RuS 2008 56 sowie Kruse Diss. FU Berlin 2008. 291 Zur umstrittenen Rechtslage nach altem Recht vgl. die Kommentierungen zu § 29a a. F. bei Bruck/Möller/Möller8 einerseits und bei Prölss/Martin/Prölss27 andererseits. Zweifel allerdings auch zur neuen Rechtsfolge bei Reusch VersR 2008 1179. 292 Bei Prämienerhöhung kann der VN nach Maßgabe des § 25 Abs. 2 seinerseits kündigen. Vgl. zu allem Loacker VersR 2008 1285. 293 Näher Felsch RuS 2007 485, 486 f.; Loacker VersR 2008 1285 ff. 294 So z. B. die Führerscheinklausel gemäß § 2b Nr. 1c AKB a. F. (=D.1.1.3 AKB 2015), vgl. BGH 10.3.1966 – II ZR 61/ 64, VersR 1966 433. 295 So z. B. die Verwendungsklausel in § 2b Nr. 1a AKB a. F. (=D.1.1.1 AKB 2015), vgl. BGH 1.3.1972 – IV ZR 107/70, VersR 1972 530, 531. 296 Allerdings liegt die Beweislast weiterhin beim VN: Er muss den Kausalitätsgegenbeweis führen, vgl. Begr. zu § 28 BTDrucks. 16/3945 S. 69. H. Baumann/Koch

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genheit schuldhaft – und sei es auch nur leicht fahrlässig – verletzt hatte, besteht jetzt nur dann Leistungsfreiheit wenn die Obliegenheit vorsätzlich verletzt wird. Einfache Fahrlässigkeit schadet nicht mehr. Bei grober Fahrlässigkeit ist der VR berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechendem Verhältnis zu kürzen (näher § 28 Abs. 2). AVB-rechtliche Vereinbarungen müssen berücksichtigen, dass die genannte Regelung halb- 106 zwingend ist, von ihr mithin nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden kann (§ 32). Insoweit besteht ein wesentlicher Unterschied gegenüber der Regelung des § 81 (vgl. § 87) (Rn. 123). In der Praxis sehen die VR zum Teil in den AVB auch bei grobfahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit volle Entschädigung vor.297 Vereinbarungen über eine pauschalierte Quotelung sind – nur – insoweit zulässig, als sie nicht mit einer Benachteiligung des VN verbunden sind.298 Demgemäß kann man z. B. nicht in AVB festlegen, dass bei grober Fahrlässigkeit „max. 50 %“ des entstandenen Schadens reguliert werden.

d) Versicherter Schaden/Bedarf. Zum Risiko des VN gehört, dass er bei Eintritt des Versiche- 107 rungsfalls einen Schaden erleidet bzw. ein (konkreter oder abstrakter) Bedarf zum Ausgleich für ausbleibende Einnahmen oder erforderlich werdende Ausgaben entsteht. Inwieweit der VR eine „Leistung erbringt“ (§ 1) bzw. zu erbringen hat, hängt von der näheren Ausgestaltung in Gesetz und Versicherungsvertrag ab (Rn. 128 ff.).

e) Versicherungsort. Versicherungsschutz besteht häufig nur, wenn sich z. B. die versicherte 108 Sache an einem bestimmten Ort, dem Versicherungsort, befindet. Dies spielt beispielsweise in der Feuerversicherung eine erhebliche Rolle.299 Durch eine Außenversicherung wird Versicherungsschutz für Sachen gewährt, die sich vorübergehend außerhalb des Versicherungsortes befinden.300 Hingewiesen sei weiter auf die „Europadeckung“ gemäß A.2.4 AKB 2015 sowie auf die einschlägigen Bestimmungen in § 1 Abs. 4 und § 15 Abs. 3 MB/KK 2009 sowie in § 1 Abs. 7 und 8 MB/KT 2009. f) Versicherungszeit. Der VR gewährt Versicherungsschutz für ein bestimmtes Risiko nur für 109 eine gewisse Zeit. Dabei kann das Versicherungsverhältnis auf bestimmte (vgl. § 11 Abs. 1) oder auf unbestimmte (vgl. § 11 Abs. 2) Zeit eingegangen werden. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen formeller, materieller und technischer Versicherungsdauer.301 Die materielle Versicherungsdauer („Haftungszeitraum“) ist der Zeitraum, innerhalb dessen der Versicherungsfall grundsätzlich eintreten muss, um eine Ausgleichsleistung des VR auszulösen. Die materielle Versicherungsdauer richtet sich zunächst nach den vertraglichen Vereinba- 110 rungen. § 10 legt (mangels abweichender Vereinbarungen, vgl. § 18) den Beginn der Versicherung auf den Beginn des Tages fest, an dem der Vertrag geschlossen wird, dementsprechend das Ende auf den Ablauf des letzten Tages der Vertragszeit. § 7 Abs. 1 a. F. hatte demgegenüber auf den Mittag des jeweiligen Tages abgestellt. Mit der Neufassung wird eine einheitliche Rege-

297 Vgl. Stadler VW 2006 1339; Wagner/Elert/Schmidt VW 2011 1108 (jeweils (Kfz-Kaskoversicherung); Rokas VersR 2008 1457, 146.

298 Darauf weist die Begründung zu § 28 Abs. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 69 ausdrücklich hin; Schwintowski VuR 2008 1, 4 f.; Mergner NZV 2007 385, 389; Franz VersR 2008 298.

299 Bruck/Möller/Sieg/R. Johannsen8 Bd. III Anm. C 4–7; Bruck/Möller/R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III Anm. H 120–136 und Bruck/Möller/K. Johannsen9 Bd. 6 § 6 AFB 2008/2010 Rn. 4 ff.

300 Bruck/Möller/Johannsen9 Bd. 6 § 6 AFB 2008/2010 Rn. 10. 301 Vgl. Bruck/Möller/R. Johannsen/R. Koch § 2 Rn. 8; H. BaumannPrölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 2; Berliner Kommentar/H. Baumann § 2 Rn. 1. 517

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Vertragstypische Pflichten

lung unter Einschluss der Krankenversicherung (vgl. demgegenüber bisher § 7 Abs. 2 a. F.)302 und der Kfz-Pflichthaftpflichtversicherung (vgl. § 1 Abs. 2 KfzPflVV) gewonnen. 111 Wie nach § 38 Abs. 2 a. F. bleibt auch nach § 37 Abs. 2 das Einlösungsprinzip bedeutsam: Ist die Erstprämie bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht gezahlt, ist der VR nicht zur Leistung verpflichtet. Gegenüber der bisherigen Rechtslage bestehen aber wesentliche Unterschiede: Der VN hat jetzt eindeutig nach dem Gesetz (§ 33 Abs. 1)303 die Erstprämie erst unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 BGB) nach Ablauf von zwei Wochen304 nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen. Der VR bleibt gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 letzter Halbs. leistungspflichtig, wenn der VN die Nichtzahlung der Prämie nicht zu vertreten (vgl. § 276 BGB) hat. Und schließlich muss der VR den VN auf die Rechtsfolge der Nichtzahlung hinweisen (§ 37 Abs. 2 S. 2).305 Durch Vereinbarung einer Rückwärtsversicherung i. S. v. § 2 und/oder durch Nachhaf112 tungsklauseln306 lässt sich der „Haftungszeitraum“ des VR erweitern. Durch vertraglich vereinbarte vorläufige Deckung (§§ 49–52) wird im Allgemeinen sofortiger Versicherungsschutz für ein bestimmtes Risiko ohne vorherige Prämienzahlung gewährt.307

III. Versicherungsfall 1. Begriff und Bedeutung 113 Der Versicherungsfall ist das wesentliche Ereignis, mit dessen Eintritt die Pflicht des VR zur Ausgleichsleistung dem Grundsatz nach entsteht. Anders als nach der Geldleistungstheorie, die den Versicherungsfall als notwendige Bedingung begreift, um überhaupt die Leistungspflicht des VR auszulösen,308 verwandelt nach (der Gefahrtragungstheorie und nach) der jetzigen Konzeption des § 1 der Versicherungsfall nur die Pflicht zur Sicherungsleistung in eine Pflicht zur Ausgleichsleistung (Rn. 32 ff.). Begrifflich stellt der Versicherungsfall die Verwirklichung der versicherten Gefahr (Rn. 99 f.) dar,309 was aber nicht selten der näheren Konkretisierung bedarf.310 In der Schadensversicherung muss der versicherte Schaden nicht notwendigerweise bereits mit dem Versicherungsfall entstehen;311 der Versicherungsfall kann auch nur Ursachenereignis für einen möglicherweise später entstehenden Schaden sein.312 Dass der VR die Ausgleichsleistung

302 Die jetzige Regelung des § 10 herrschte für die private Krankenversicherung schon bisher, um beim Wechsel zur/von der gesetzlichen Krankenversicherung ununterbrochenen Versicherungsschutz zu gewährleisten, vgl. Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 62 f. 303 Entsprechendes galt allerdings mit Blick auf die 14-tägige Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 a. F. bereits bisher beim Policenmodell, vgl. Prölss/Martin/Knappmann27 § 35 Rn. 5. Zur Problematik der vertraglichen Vorverlagerung von Prämienfälligkeit und Leistungspflicht des VR vgl. Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1039. Allgemein zu einschlägigen Problemen im reformierten VVG vgl. Ganster Die Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008). 304 Für die Lebensversicherung nach Ablauf von 30 Tagen, vgl. § 152 Abs. 3. Beide Regelungen sind allerdings dispositiver Natur, vgl. § 42 und § 171. 305 Näher Begr. zu § 37 BTDrucks. 16/3945 S. 71. 306 Zur Haftpflichtversicherung vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 8 UmweltHM 2009; Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 170–176. 307 Vgl. § 51 mit Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 74; dort auch Hinweise zu Besonderheiten in der Kfz-Haftpflichtversicherung. 308 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 31; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 166. 309 Vgl. nur BGH 14.11.1957 – II ZR 176/56 VersR 1957 781, 782; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 31; Armbrüster Rn. 1298; Wandt Rn. 907; E. Lorenz VersR 2000 2, 3. 310 Vgl. z. B. zur Haftpflichtversicherung Rn. 118. 311 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 32; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 166; a.M. E. Lorenz VersR 2000 2, 3. 312 Vgl. § 5 Nr. 1 AVB Vermögen: „Versicherungsfall im Sinne dieses Vertrages ist der Verstoß, der Haftpflichtansprüche gegen den VN zur Folge haben könnte.“, s. a. Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 166. H. Baumann/Koch

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C. Vertragstypische Pflichten des VR

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gemäß § 1 „bei“ Eintritt des Versicherungsfalls zu erbringen hat, kann nur so verstanden werden, dass dies „in Fällen“ eines Versicherungsfalls zu geschehen hat. Zur Fälligkeit der zu erbringenden Ausgleichsleistung ist damit nichts gesagt.313

2. Vereinbarter Versicherungsfall im Normengefüge Das Gesetz enthält nur verhältnismäßig wenige Regelungen zur Bestimmung des Versicherungs- 114 falls, die konkrete Festlegung ergibt sich aus den AVB, ist mithin vereinbart. So hat der VR gemäß § 100 den VN von Drittansprüchen freizustellen, die aufgrund einer während der Versicherungszeit eintretenden Tatsache geltend gemacht werden. In den AVB der verschiedenen Haftpflichtversicherungsarten ist vor allem der „Verstoß“,314 das „Schadensereignis“,315 die „Manifestation“316 oder die Geltendmachung von Ansprüchen seitens Dritter („claims made“)317 festgelegt. Hingewiesen sei noch auf die gesetzlichen Bestimmungen in § 172 (Berufsunfähigkeitsversicherung), § 178 (Unfallversicherung) und § 192 (Krankenversicherung). Einschlägige AVB-Bestimmungen unterliegen insbes. dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB und der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB, teilweise auch gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.318 Für die Frage einer Vertragszweckgefährdung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB müssen mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehende AVB-Regelungen mitberücksichtigt werden, z. B. bei der Haftpflichtversicherung Klauseln über Rückwärtsdeckung und Nachhaftung.319 Abzulehnen ist das Urteil des IV. Zivilsenats des BGH vom 26.3.2014, in dem er in Abkehr zu seiner früheren Rechtsprechung320 eine Inhalts- und Transparenzkontrolle der Versicherungsfalldefinition in der Haftpflichtversicherung mit der Begründung ablehnt, sie gehöre zum Kern der Leistungsbeschreibung, weshalb sie einer inhaltlichen Kontrolle entzogen sei;321 eine Transparenzkontrolle sei unzulässig, weil sie wegen des Fehlens einer Definition in § 100 VVG die Unwirksamkeit des gesamten Vertrages zur Folge habe.322 Das Urteil steht auch im Widerspruch zu dem nahezu zeitgleich ergangenen Urteilen des IV. Zivilsenats zur Inhaltskontrolle der Versicherungsfalldefinition in der Rechtsschutzversicherung, die er für zulässig erachtet, obgleich es auch dort an einer gesetzlichen Definition des Versicherungsfalls fehlt.323 Der Versicherungsfall spielt bei der Anwendung zahlreicher Normen des VVG eine Rolle, 115 vgl. allgemein z. B. §§ 2, 21, 26, 28, 30, 31, 37, 38, 56, 57, 58, 75, 76, 81, 82, 88, 90, 91, 92. Diese Vorschriften sind großenteils halbzwingend, so dass davon vertraglich nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden kann, vgl. nur §§ 32, 42, 87. Zum früheren Recht ist bisweilen angenom313 314 315 316 317 318 319 320

Zur Fälligkeit von Geldleistungen vgl. § 14. Näher Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 7; Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 157. Näher Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 7; Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 157. Näher Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 7; Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 157. Bruck/Möller/H. Baumann Bd. 4 Ziff. 2 AVB/AVG 2011/2013 Rn. 1 ff. R. Koch VersR 2014 1277; Fenyves/Schauer/Fenyves § 1 VersVG Rn. 45. Näher Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 156. BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, VersR 2003 1389 f. = RuS 2003 500; BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, VersR 2003 187, 188 f. = NJW 2003 511; BGH 28.11.1990 – IV ZR 184/89, VersR 1991 175, 176; 321 BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625 Rn. 34; ausführliche kritische Auseinandersetzung s. R. Koch VersR 2014 1277 ff. 322 BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625 Rn. 35; zustimmend Littbarski NJW 2014 2042; Kubiak VersR 2014 932; Schneider/Schlüter PHi 2014 154; Schimikowski jurisPR-VersR 6/2014 Anm. 2; Langheid/Wandt/Büsken Bd. 3 AllgHaftPflV Rn. 12; Prölss/Martin/Armbrüster Einleitung Rn. 91; dagegen OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067; OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 332; R. Koch VersR 2014 1277 ff.; Prölss/ Martin/Voit Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 2; vgl. auch zu § 149 VVG a. F. Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 155 f. 323 BGH 30.4.2014 – IV ZR 47/13, VersR 2014 742 Rn. 17; nahezu wortgleich: BGH 30. 4.2014 – IV ZR 61/13,  BeckRS 2014, 09828 Rn. 17; BGH 30. 4. 2014 – IV ZR 60/13, BeckRS 2014 09827 Rn. 17; BGH 30. 4.2014 – IV ZR 62/13, BeckRS 2014, 09829 Rn. 17. 519

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Vertragstypische Pflichten

men worden, dass vertragliche Festlegungen des Versicherungsfalls – in der Kranken- und Haftpflichtversicherung – gegen einen aus den Normen des VVG ableitbaren „gesetzlichen Versicherungsfall“ und halbzwingende Vorschriften vorgenannter Art verstoßen würden und deshalb unwirksam seien bzw. gegenüber dem „gesetzlichen Versicherungsfall“ zurückzutreten hätten (wenn andernfalls der VN benachteiligt würde).324 116 Dem ist jedenfalls für die Haftpflichtversicherung so nicht zu folgen. § 100 lässt eine vertragliche Konkretisierung des Versicherungsfallbegriffs zu (vgl. auch § 1: „vereinbarter Versicherungsfall“!). Wie zuvor ausgeführt, sind daher die AVB-Bestimmungen – unter Berücksichtigung des Zusammenhangs mit den genannten allgemeinen VVG-Regelungen – an § 307 BGB zu messen, was flexible Lösungen erlaubt.

3. Gedehnter Versicherungsfall 117 Ist der Versicherungsfall eindeutig auf einen Zeitpunkt fixiert, so bereitet die Einordnung in das und die Abstimmung mit dem Normengefüge in der Regel keine Schwierigkeiten. Derartige Schwierigkeiten ergeben sich aber bei gedehnten Versicherungsfällen,325 die (vor allem nach der Rechtsprechung326) bei der zeitlichen Fortdauer eines eingetretenen Zustands vorliegen, nicht hingegen beim schrittweisen Eintreten eines Ereignisses.327 Um einen gedehnten Versicherungsfall kann es sich beispielsweise in der Feuerversicherung,328 Krankenversicherung,329 Berufsunfähigkeits- und Betriebsunterbrechungsversicherung330 handeln, nicht hingegen in der Tierversicherung331 und in der Unfallversicherung.332 Für die Anwendung der Vorschriften des VVG, die an den Versicherungsfall anknüpfen (Rn. 115), ist jeweils gemessen an Sinn und Zweck der Vorschrift zu prüfen, welcher zeitliche Aspekt maßgebend ist.333 Die h. M. sieht bei Bestimmungen des VVG, die an den „Eintritt des Versicherungsfalls“ anknüpfen, i. d. R. den Beginn des gedehnten Versicherungsfalls als maßgeblich an.334 Hinsichtlich des Kündigungsrechts nach Eintritt des Versicherungsfalls (vgl. §§ 92, 111) soll es auf das Ende des Versicherungsfalls ankommen.335 Dem ist schon angesichts der besonderen Kautelen des Kündigungsrechts beizupflichten.336 Auch was den Deckungszeitraum des Versicherungsschutzes (Rn. 109 ff.) anbelangt, haftet der VR nur, wenn schon der Beginn des Versicherungsfalles in diesen Zeitraum fällt.337 Dauert der während dieses Zeitraums eingetretene Versicherungsfall über das Ende des Zeitraums hinaus, so sind nach

324 Wriede VersR 1997 794, 795; vgl. auch ders. VersR 1998 178 f. 325 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 35; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 167 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 1 Rn. 7; Wandt Rn. 912.

326 BGH 22.2.1984 – IVa ZR 63/82, VersR 1984 630, 632; 12.4.1989 – IVa ZR 21/88, VersR 1989 588. ÖOGH 27.6.2001 – 7 Ob 143/01 g, VersR 2002 1539, 1540.

327 BGH 12.4.1989 – IVa ZR 21/88, VersR 1989 588, 589; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 35; Fenyves/Schauer/Fenyves § 1 VersVG Rn. 48. BGH 6.3.1991 – IV ZR 82/90, VersR 1991 460; näher Hannemann 43 f. Vgl. z. B. BGH 24.3.1976 – IV ZR 208/74, VersR 1976 851; näher Hannemann 44–46 m. w. N. BGH 12.4.1989 – IVa ZR 21/88, VersR 1989 588, 589; ÖOGH 27.6.2001 – 7 Ob 143/01 g, VersR 2002 1539. BGH 12.4.1989 – IVa ZR 21/88, VersR 1989 588 f. Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 168; a.M. OLG München 28.2.1958 – 8 U 2032/57, VersR 1959 262, 263. Näher Hannemann 76 ff. Vgl. BGH 13.3.1974 – IV ZR 36/73, VersR 1974 741; BGH 22.2.1984 – 22.2.1984, VersR 1984 630, 632; offen lassend BGH 12.7.2017 – IV ZR 151/15, BeckRS 2017 119229 Rn. 39 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 169; Langheid/Rixecker/ Rixecker § 1 Rn. 7; differenzierend Hannemann 59 ff. 335 Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 173. 336 Näher Hannemann 90–91. 337 BGH 13.3.1974 – IV ZR 36/73, VersR 1974 741, 742; BGH 22.2.1984 – IVa ZR 63/82, VersR 1984 630, 632; KG 8.11.2016 – 6 U 52/16, VersR 2017 809, 810; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 169; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 38.

328 329 330 331 332 333 334

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h. M.338 auch die Schäden gedeckt, die das nach diesem Zeitraum weiterlaufende Geschehen mit sich bringt. Allerdings können die AVB etwas anderes bestimmen, was dann – auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Nachhaftung für einen bestimmten Zeitraum – der Kontrolle nach § 307 BGB unterliegt.339

4. Fixierter oder zusammengesetzter Versicherungsfall (in der Haftpflichtversicherung) Besonders problematisch ist seit jeher die Fixierung des Versicherungsfalls in der Haftpflichtver- 118 sicherung.340 Versuche, die im Gesetz genannte „Tatsache“341 für einen gesetzlich festgelegten eindeutigen Versicherungsfall zu reklamieren,342 ist zur alten Rechtslage eine Absage erteilt worden.343 Die Begründung zu § 100 scheint diese Sicht zu bestätigen: Das Gesetz „enthält keine Definition des Versicherungsfalles, der gerade in der Haftpflichtversicherung sehr unterschiedliche Ausprägungen erfährt.“344 Indessen knüpfen die nach § 100 geschuldeten Leistungspflichten an eine (behauptete) haftungsbegründende Handlung des VN an, so dass es nicht unvertretbar ist, die Pflichtverletzung (Verstoß) als „Tatsache“ i. S. v. § 100 aufzufassen, und die Formulierung des Gesetzgebers als Klarstellung zu begreifen, dass es bezüglich des Versicherungsfalls kein Leitbild gibt.345 In den jeweiligen AVB der verschiedenen Haftpflichtversicherungsarten ist der Verstoß, das Schadensereignis, die Manifestation oder die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches („claims made“)346 als Versicherungsfall vertraglich festgelegt. Einzugehen ist in diesem Zusammenhang auf Lehren vom „zusammengesetzten Versi- 119 cherungsfall“: Wenn auch beispielsweise in der allgemeinen Haftpflichtversicherung gemäß Ziff. 1.1 AHB 2016) das Schadensereignis als Versicherungsfall vertraglich bestimmt ist, könnte gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 doch bereits (in den seltenen Fällen des Auseinanderfallens beider Zeitpunkte) der Verstoß anzeigepflichtig sein347 (in Ziff. 25.1 AHB 2016 wird allerdings auch diesbezüglich auf den Versicherungsfall, also auf das Schadensereignis abgestellt). Des Weiteren ist bisher die Entstehung des einheitlichen, auf Rechtsschutz und Befreiung gerichteten Haftpflichtversicherungsanspruchs i. S. v. § 12 Abs. 1 S. 2 a. F. erst mit dem Zeitpunkt bejaht worden, in dem der Dritte Ansprüche gegen den VN erhebt.348 Vor einer derartigen Geltendmachung des Drittanspruchs wurde beispielsweise der Haftpflichtversicherungsanspruch nicht fällig und die Verjährung konnte nicht zu laufen beginnen.349 Nach neuem Recht ist statt § 12 Abs. 1 S. 2 a. F. nunmehr § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB einschlägig. Neben dem Schadensereignis kann mithin in der allgemeinen Haftpflichtversicherung 120 auch der Verstoß und/oder die Geltendmachung des Drittanspruchs gegenüber dem VN Rele338 BGH 6.3.1991 – IV ZR 82/90, VersR 1991 460, 461 (Feuerversicherung) ÖOGH 27.6.2001 – 7 Ob 143/01g VersR 2002 1539, 1540 (Arbeitsunfähigkeit als Versicherungsfall für Betriebsunterbrechungsversicherung); Prölss/Martin/ Armbrüster § 1 Rn. 170. 339 Im Einzelnen strittig, vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 171; Hannemann 109 ff. mit Darstellung des Streitstandes. 340 Ausführlich Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 7 ff. 341 Vgl. § 100 bzw. § 149 a. F. 342 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 23; ders. Umweltschäden 96 und 156 ff.; ders. FS E. Lorenz zum 60. Geburtstag 363, 366 Wriede VersR 1997 794, 795; ders. VersR 1998 178 f., jeweils m. w. N. 343 Näher Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 152–156. 344 Begr. zu § 100 BTDrucks. 16/3945 S. 85. 345 Näheres Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 14 ff. 346 Vgl. Rn. 110 und Begr. zu § 100 BTDrucks. 16/3945 S. 85. 347 Bruck/Möller/R. Koch9 § 104 Rn. 9. 348 Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. IV Anm. B 28; Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 9. 349 Vgl. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 28; Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 9. 521

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Vertragstypische Pflichten

vanz erlangen. Aufgrund solcher und anderer Gestaltungen sind zur Haftpflichtversicherung verschiedene Facetten350 einer Lehre vom „zusammengesetzten Versicherungsfall“ entwickelt worden, wonach sämtliche Anknüpfungspunkte – Ursachenereignis, Schadensereignis und Anspruchserhebung – den Versicherungsfall bilden (können) bzw. je nach Problemvariante auf das eine oder andere Ereignis abzustellen ist.351 Treffender erscheint es, im Rahmen der jeweiligen Haftpflichtversicherungsart vom (essentiellen) Versicherungsfall mit (akzidentiellen) Begleitereignissen zu sprechen. Nach den verhältnismäßig offenen gesetzlichen Bestimmungen zur Haftpflichtversicherung352 kann in der Tat im Sinne einer problemadäquaten Lösung jeweils an das eine oder andere Ereignis angeknüpft werden. In den AVB erfolgt hierzu ggf. eine – über § 307 BGB zu kontrollierende – Präzisierung. 121 Überholt ist es, auch bei solchen Problemgestaltungen durchgehend von einem gedehnten Versicherungsfall zu sprechen.353 Dieser Begriff ist heute den Versicherungsfällen vorbehalten, deren Besonderheit in der zeitlichen Fortdauer eines eingetretenen Zustandes liegt.354 Für die Haftpflichtversicherung ergeben sich hierzu Anwendungsfälle insbes. im Bereich der Umwelthaftpflichtversicherung.355

5. Herbeiführung des Versicherungsfalls (subjektiver Risikoausschluss) 122 Während objektive Risikoausschlüsse (Rn. 66) bei den einzelnen Versicherungszweigen nach den vertraglichen Bestimmungen zu vielfältig zu sein pflegen, als dass auf sie in diesem Rahmen eingegangen werden könnte, sind einige allgemeine Bemerkungen zu den – im Gesetz verankerten – subjektiven Risikoausschlüssen356 angezeigt. 123 Die stärkste Veränderung hat § 81 im Vergleich zu § 61 a. F. durch die Aufgabe des Allesoder-Nichts-Prinzips im Bereich der Schadensversicherung erfahren. Während bisher bei (vorsätzlicher und) grobfahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls kraft Gesetzes uneingeschränkte Leistungsfreiheit des VR bestand, ist dies jetzt nur noch bei Vorsatz des VN der Fall (§ 81 Abs. 1). Bei grober Fahrlässigkeit des VN ist demgegenüber ähnlich357 wie bei der Gefahrerhöhung (§ 26 Abs. 1 S. 2) und der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit (§ 28 Abs. 2 S. 2) eine Quotelung entsprechend der Schwere des Verschuldens vorgesehen (§ 81 Abs. 2). Für alle diese Bereiche sind langwierige und aufwendige Auseinandersetzungen vorhergesagt worden.358 Der Vorschlag, für Fälle der groben Fahrlässigkeit eine Leistungspflicht des VR von „max. 50 %“ vorzusehen,359 wurde von den Gesetzesverfassern nicht aufgegriffen. Die Regelung des § 81 ist zwar nicht (halb-)zwingend (§ 87), so dass von ihr versicherungsvertragsrechtlich auch zum Nachteil des VN abgewichen werden könnte.360 Grenzen derartiger Klauseln ergeben sich aber aus dem AGB-Recht. Pauschalierte Quotenregelungen in den AVB361 sind daher bis 350 Neben der Lehre vom „zusammengesetzten Versicherungsfall“ gibt es auch die des „gespaltenen Versicherungsfalls“ und die des „Versicherungsfall-Tatbestandes“. 351 Vgl. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 21; Hannemann 48 ff., jeweils m. w. N. 352 So jetzt ausdrücklich Begr. zu § 100 BTDrucks. 16/3945 S. 85. 353 So Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 34; Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. IV Anm. B 21 f. 354 Hannemann 59 ff. 355 Hannemann 131–146. 356 Zur Rechtsnatur H. Baumann RuS 2005 1, 2; Bruck/Möller/Möller8 § 61 Anm. 17. 357 Unterschiede ergeben sich z. B. hinsichtlich der Beweislast. 358 Armbrüster Das Alles-oder-Nichts-Prinzip im Privatversicherungsrecht (2003); Prölss VersR 2003 669; H. Baumann RuS 2005 1; vgl. auch Nugel MDR 2007 Sonderbeilage zu Nr. 22 S. 23 bis S. 33; Weidner/Schuster RuS 2007 363; Schwintowski VuR 2008 1; Looschelders VersR 2008 1; Günther/Spielmann RuS 2008 133, 177. 359 H. Baumann RuS 2005 1, 4. 360 Zu entsprechenden AVB-Klauseln in der Schweiz, die mit § 14 Abs. 2 schweizVVG eine Parallelvorschrift zu § 81 Abs. 2 kennt, vgl. H. Baumann RuS 2005 1, 8. 361 Vgl. Begr. zu § 81 Abs. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 80. H. Baumann/Koch

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zur Klärung durch die Gerichte mit starker Rechtsunsicherheit behaftet. Am ehesten werden sich Auseinandersetzungen vermeiden lassen, wenn grobe Fahrlässigkeit (wie bisher bereits zum Teil in den AVB geschehen)362 voll mitgedeckt wird (gegen Prämienzuschlag) oder den VN die Wahl zwischen zwei Produkten offensteht.363 Für die Transportversicherung legt das Gesetz abweichend von § 81 in § 137 Abs. 1 den Standard entsprechend § 61 a. F. fest: volle Leistungsfreiheit des VR, wenn der VN den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt. Die Regierungsbegründung betont, dass es hier beim Alles-oder-Nichts-Prinzip verbleibe, da die für dessen Aufhebung maßgeblichen Gesichtspunkte auf Versicherungsverträge über Großrisiken nicht zuträfen.364 Dementsprechend müssten eigentlich einschlägige AVB für sonstige Großrisiken künftig (häufig) eine vergleichbare Regelung wie in § 137 Abs. 1 vorsehen. Ob dies tatsächlich geschieht und gegenüber den VN durchsetzbar ist, muss sich erst noch erweisen. Immerhin: die Wertung des § 137 Abs. 1 kann erhebliche Bedeutung für die AGB-rechtliche Beurteilung einschlägiger AVB gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erlangen: Eine Abweichung von § 81 Abs. 2 lässt sich eher mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vereinbaren, wenn das Gesetz in § 137 Abs. 1 für Großrisiken selbst eine derartige Wertung vornimmt. Ob sich die Wertung des § 137 Abs. 1 AGB-rechtlich sogar auf andere Bereiche der Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips (vgl. insbes. § 28 Abs. 2) (Rn. 105 f.) übertragen lässt, bedarf noch weiterer Prüfung. Die diesbezügliche Regelung des § 28 Abs. 2 gehört anders als § 81 zu den halbzwingenden Vorschriften (vgl. § 32). § 210 Abs. 1 hebt zwar die VVG-rechtliche Sperre der Vertragsfreiheit für Großrisiken auf. Es bleibt jedoch bei einer AGB-rechtlichen Kontrolle einer entsprechenden AVB-Bestimmung.365 Insoweit könnte eine mittelbare Ausstrahlung der Wertung des § 137 Abs. 1 bedeutsam werden. Für die Haftpflichtversicherung hält § 103 der Sache nach die bisherige Rechtslage fest, wie sie sich zu § 152 a. F. (und den AHB)366 entwickelt hat. Klargestellt wird,367 dass sich der die Leistungsfreiheit des VR bewirkende Vorsatz des VN nicht nur auf die Herbeiführung des Versicherungsfalls, sondern auch auf den bei dem Dritten eingetretenen Schaden beziehen muss. Die Vorschrift ist wie bisher abdingbar (§ 112). Für eine Todesfallversicherung enthält § 161 Abs. 1 der Sache nach die gleiche Regelung wie § 169 a. F.: Der VR ist nicht zur Leistung verpflichtet bei vorsätzlicher Selbsttötung der versicherten Person.368 Dies gilt allerdings grundsätzlich369 nur für die ersten drei Versicherungsjahre.370 Eine entsprechende Regelung – Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls – enthält § 201 für die Krankenversicherung (vgl. auch bereits § 178l a. F.). Ähnliche Ergebnisse folgen für die Unfallversicherung aus dem Unfallbegriff,371 der jetzt gesetzlich in § 178 Abs. 2 verankert ist.372

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Vgl. die Hinweise bei H. Baumann RuS 2005 1, 6. Vgl. H. Baumann RuS 2005 1, 6. BTDrucks. 16/3945 S. 93. Dass einschlägige AVB für Großrisiken trotz der Regelung in § 210 Abs. 1 einer AVB-rechtlichen Kontrolle unterliegen, ist allgemein anerkannt, vgl. BGH 1.12.2004 – IV ZR 291, VersR 2005 266, 267; BGH 2.12.1992 – IV ZR 135/91, BGHZ 120 290, 295; BGH 9.5.1984 – IVa ZR 176/82, VersR 1984 830, 831; Bruck/Möller/Renger9 § 210 Rn. 15; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Wolf § 210 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner § 210 Rn. 10; Langheid/Rixecker/Rixecker § 210 Rn. 3; Berliner Kommentar/Schwintowski § 187 Rn. 7 f.; für eine einschränkende Inhaltskontrolle Werber VersR 2010 1253, 1256 ff. 366 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 § 103 Rn. 26 ff.; Berliner Kommentar/H. Baumann § 152 Rn. 17 ff. m. w. N. 367 Vgl. Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 85. 368 Einzelheiten bei Bruck/Möller/Winter9 § 161 Rn. 16 ff.; Prölss/Martin/Schneider § 161 Rn. 3 f. 369 Nach § 161 Abs. 2 kann die Frist durch Einzelvereinbarung erhöht werden. 370 Entsprechende Regelungen enthielten bisher weithin die AVB. 371 Bruck/Möller/Leverenz9 § 178 Rn. 126 ff.; Prölss/Martin/Knappmann § 178 Rn. 20 ff. 372 Vgl. auch den in § 183 Abs. 1 geregelten Sonderfall. 523

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IV. Ausgleichsleistung im Versicherungsfall 1. Einführung 128 Gemäß § 1 S. 1 verpflichtet sich der VR mit dem Versicherungsvertrag, bei Eintritt des Versicherungsfalls die Ausgleichsleistung373 zu erbringen. Gemäß § 1 Abs. 1 a. F. war dies für den Bereich der Schadensversicherung Schadensersatz nach Maßgabe des Vertrags, für den Bereich der Personenversicherung (Summenversicherung) Zahlung des vereinbarten Betrags an Kapital oder Rente bzw. Bewirkung der sonst vereinbarten Leistung. Die neue Regelung soll offenkundig die bisherige starre Grenze zwischen den beiden Bereichen auflockern. Wie dargelegt (Rn. 96 f.), sind auch für den Bereich der Nichtpersonenversicherung vertragliche Regelungen als zulässig anzusehen, die von einem Regress gemäß § 86 absehen, also in Richtung auf die Summenversicherung zulaufen. Auch großzügigere Neuwertdeckungen sind akzeptabel. Von plausiblen ökonomischen Daten völlig losgelöste Planungen und Zielsetzungen mit entsprechenden Summenvereinbarungen erscheinen demgegenüber nach wie vor als nicht zulässig (Rn. 94 f.). Gewisse Pauschalierungen sind in der Aktivenversicherung als Schadensversicherung bereits im Wege der Festsetzung des Versicherungswerts durch eine Taxe möglich,374 § 76. Die bisherige Einschränkung der Vertragsfreiheit durch § 87 a. F. ist zu Recht entfallen.375

2. Nichtpersonenversicherung/Schadensversicherung 129 a) Unterschiede zwischen Aktiven- und Passivenversicherung sowie gegenüber dem zivilrechtlichen Schadensersatz. Erleidet ein VN einen Verlust oder eine Beschädigung im Hinblick auf Aktivgüter oder wird er z. B. mit Schadensersatzansprüchen als Passivbelastungen überzogen, so handelt es sich für ihn um Vermögensschäden.376 Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 a. F. war, wie gesagt, der VR verpflichtet, nach Eintritt des Versicherungsfalls dem VN den dadurch verursachten Vermögensschaden nach Maßgabe des Vertrages zu ersetzen. Anders als nach dem gesetzlichen (Haftpflicht- und) Schadensersatzrecht, das auf Totalreparation („Summenschaden“) (Rn. 57) ausgerichtet ist, hatte danach der VR nur die im Vertrag vorgesehenen „Einzelschäden“, bei der Aktivenversicherung in der Regel bezogen auf einzelne Aktivgüter (Gebäude, Hausrat, Kfz etc.) zu ersetzen. Diese Eingrenzung ist aus Sicht der VR der Kalkulierbarkeit des übernommenen Risikos geschuldet (Rn. 50). § 1 S. 1 ist erheblich allgemeiner gefasst als die bisherige Leitnorm. Erst aus Kapitel 2 des „Allgemeinen Teils“ ergeben sich in „Abschnitt 1“ leitbildartig „Allgemeine Vorschriften“ für die Schadensversicherung, die in „Abschnitt 2“ für die Sachversicherung ergänzt werden. Inwieweit es sich bei den einzelnen Versicherungszweigen um Schadens- und/oder Summenversicherung handelt, muss aus den speziellen Regelungen für die Versicherungszweige und – vor allem – aus den jeweiligen AVB ermittelt werden. In der Nichtpersonenversicherung kann nach herkömmlicher Auffassung und, wie dargelegt (Rn. 94 f.), auch weiterhin keine reine Summenversicherung vereinbart werden.

130 b) Einzelheiten. Eine konkrete Anspruchsgrundlage ergibt sich i. d. R. erst aus den vertraglichen Bestimmungen, also typischerweise aus den AVB. So ersetzt der VR beispielsweise in

373 So Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 374 Zum Anwendungsbereich vgl. Bruck/Möller/Schnepp9 § 76 Rn. 8 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 76 Rn. 2. Zur Frage der erheblich überhöhten Taxe vgl. BGH 4.4.2001 – IV ZR 138/00, VersR 2001 749, 750 (Tierseuchen-Betriebsunterbrechungsversicherung); OLG Köln 15.4.2014 – 9 U 202/13, VersR 2014 1251, 1252. 375 Vgl. Begr. zu § 76 BTDrucks. 16/3945 S. 78 f. 376 Palandt/Grüneberg Vorb v § 249 Rn. 9 ff. H. Baumann/Koch

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der Kfz-Kaskoversicherung als praktisch besonders relevanter Form der Aktivenversicherung lediglich den unmittelbaren Schaden am versicherten Fahrzeug (und an gewissen damit im Zusammenhang stehenden Teilen), nicht hingegen einen merkantilen Minderwert, einen Nutzungsausfall oder erforderliche Mietkosten eines notwendigen Ersatzwagens.377 Genau letztgenannte Schadensposten sind aber bei einem Haftpflichtschaden nach §§ 249, 251 BGB und haftpflichtrechtlichen Nebenbestimmungen zusätzlich zu dem unmittelbaren Sachschaden auszugleichen378 (und ggf. durch den HaftpflichtVR zu regulieren). Gemäß § 252 BGB umfasst der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch in einschlägigen Fällen automatisch auch einen entgangenen Gewinn. Im Versicherungsrecht muss die Deckung entgehenden Gewinns hingegen besonders vereinbart werden.379 Immerhin hat der VR Aufwendungsersatz (§ 83) – in der Sachversicherung sogar erweiterten Aufwendungsersatz (§ 90) – und Schadensermittlungskosten (§ 85) zu leisten.380 Die genannten Unterschiede zwischen gesetzlichem Schadensersatzrecht nach den §§ 249 ff. 131 BGB und vertraglichen Ersatzbestimmungen nach Versicherungsrecht führen seit jeher – und nach neuem VVG erst recht – dazu, dass die zum gesetzlichen Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze nicht unbesehen auf das Versicherungsrecht übertragen werden können. Dies gilt z. B. für die Vorteilsausgleichung.381 Auch wenn die Leistung des VR in der Aktivenversicherung auf Einzelschäden abstellt, handelt es sich allerdings doch (da die Aktiva zum Vermögen des VN gehören) letztlich beim VN um Vermögensschäden382 (allerdings nicht um „reine“ Vermögensschäden). Nach der Konzeption von Gesetz und Vertrag (Versicherung von bestimmten Interessen an bestimmten Gegenständen im Hinblick auf bestimmte Schäden)383 erfolgt aber in der Regel kein „Durchgriff“ auf das Gesamtvermögen. In der Passivenversicherung wird demgegenüber der Schaden bereits im Ansatz auf das 132 Gesamtvermögen bezogen (Rn. 74), zum Teil ebenso in der Gewinnversicherung (Rn. 86). Stellt man überwölbend generell (auch) auf Vermögensziele und -planungen ab (Rn. 51), so verwischen sich die Unterschiede. Maßgebend sind die vertraglichen Vereinbarungen, basierend auf ökonomisch plausiblen Daten. Werden z. B. Aktivgüter im Rahmen von Vermögensgestaltungszielen und -planungen prognostizierend zum Neuwert entsprechend der künftigen technologisch-ökonomischen Entwicklung versichert (Rn. 95), so ist auch etwa bei der Vorteilsausgleichung eher ein „Durchgriff“ auf das Gesamtvermögen und die dazu entwickelten Grundsätze zu bejahen. An Unterschieden zwischen Aktiven- und Passivenversicherung sind wichtig: In der 133 Aktivenversicherung, insbes. in der Sachversicherung, gibt es einen Versicherungswert (§ 88)384 mit den aus § 74 (Überversicherung), § 75 (Unterversicherung), § 76 (Taxe) und §§ 78 f. (Mehrfachversicherung) folgenden Konsequenzen. Die Versicherungssumme erlangt dabei neben dem Versicherungswert Bedeutung. In der Passivenversicherung, insbes. der Haftpflichtversicherung, spielt hingegen der Versicherungswert keine Rolle. Allein maßgebend für die höhenmäßige Begrenzung der Leistungspflicht ist – neben dem Schaden – die Versicherungssumme = Deckungssumme.385

377 378 379 380 381

Vgl. A 2.5.7 AKB 2015. Palandt/Grüneberg § 249 Rn. 31 ff., § 251 Rn. 4, 14 ff. Vgl. oben Rn. 88 sowie § 88. Die Regelungen sind halbzwingend, § 87. Näher Langheid/Wandt/Möller/Segger § 86 Rn. 20 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu §§ 74–99 Rn. 109 ff. m. w. N.; Bruck/Möller/Möller8 Vorbem. §§ 49–80 Anm. 51 f.; Schnitzler 31 ff. 382 Missverständlich bisweilen Formulierungen zum Versicherungsrecht. 383 Vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu §§ 74–99 Rn. 32 ff. m. w. N. 384 Zur Transportversicherung vgl. § 136. 385 Näher Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 6 AHB 2012 Rn. 2 ff. 525

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Vertragstypische Pflichten

3. Personenversicherung 134 Für den Bereich der Personenversicherung (insbes. Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Unfall- und Krankenversicherung) ist seit jeher unstrittig, dass die Leistungen des VR nach dem Prinzip der Schadensversicherung und/oder der Summenversicherung ausgestaltet werden können.

135 a) Schadensversicherung. Typisch für die Schadensversicherung in diesem Bereich ist insbes. die Krankheitskostenversicherung (§ 192 Abs. 1) als Passivenversicherung für die Erstattung von Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlung.386 § 194 Abs. 1 S. 1 erklärt bestimmte Regelungen der Allgemeinen Vorschriften über die Schadensversicherung für anwendbar. Diese Verweisung passt teilweise nicht recht auf die als Passivenversicherung zu qualifizierende Krankheitskostenversicherung, so z. B. § 74 Abs. 1 (Überversicherung) und § 75 (Unterversicherung). § 192 Abs. 2 will eine „Übermaßvergütung“ verhindern und damit Zweifel ausräumen, die 136 durch die – wenig überzeugende387 – Entscheidung des BGH vom 12.3.2003388 aufgeworfen worden sind.389 Der Rechtsausschuss des Bundestags hat besonders bekräftigt, dass § 192 Abs. 2 die durch die BGH-Entscheidung geschaffene Unklarheit beseitigen und die vor der BGH-Entscheidung allgemein angenommene Rechtslage wieder herstellen soll.390 § 200 stellt erstmals spezifisch für die Krankenversicherung ein Bereicherungsverbot 137 auf: Die Gesamterstattung mehrerer Erstattungsverpflichteter (PKV, GKV, private Pflegepflichtversicherung, soziale Pflegeversicherung, Beihilfe)391 darf die Gesamtaufwendungen nicht übersteigen. In der Begründung ist klargestellt, dass sich das Bereicherungsverbot nur auf die Schadensversicherung bezieht, nicht auf Summenversicherungen.392

138 b) Summenversicherung. Ganz charakteristisch für die Personenversicherung sind Summenleistungen. Demgemäß hieß es in § 1 Abs. 1 S. 2 a. F. noch (unter Vernachlässigung der auch möglichen Leistungen nach den Grundsätzen der Schadensversicherung), dass der VR in der Personenversicherung verpflichtet ist, nach dem Eintritt des Versicherungsfalls den vereinbarten Betrag an Kapital oder Rente zu zahlen oder die sonst vereinbarte Leistung zu bewirken. § 1 ist wesentlich allgemeiner gefasst und verweist auf den Inhalt des Versicherungsvertrages. Auch die gesetzlichen Spezialbestimmungen zu Lebens-, Berufsunfähigkeits- und Unfallversicherung enthalten keine konkretisierenden Regelungen. Lediglich zur Krankenversicherung enthält das Gesetz Bestimmungen zu den „vertragstypischen Leistungen des Versicherers“ (§ 192). Die Krankenhaustagegeldversicherung (§ 192 Abs. 4) und die Krankentagegeldversicherung (§ 192 Abs. 5) sind Summenversicherungen. Bei der Krankentagegeldversicherung ist das trotz der Fassung des Gesetzes393 jedenfalls nach den AVB der Fall (vgl. §§ 1, 4 MB/KT

386 Vgl. Langheid/Wandt/Kalis § 192 Rn. 18; Langheid/Rixecker/Muschner § 192 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1 Rn. 30.

387 Vgl. zum Streitstand Prölss/Martin/Prölss § 1 MB/KK 94 Rn. 36 m. w. N. 388 BGH 12.3.2003 –IV ZR 278/01, VersR 2003 581. Die Entscheidung des BGH hielt u. a. ein Leistungskürzungsrecht des VR AVB-rechtlich nicht für zulässig, ohne sich mit der Bedeutung von § 178b Abs. 1 S. 1 a. F. auseinanderzusetzen. Wichtig in diesem Zusammenhang auch BGH 12.12.2007 – IV ZR 130/06, VersR 2008 246. 389 Vgl. Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 110. 390 Vgl. Begr. BTDrucks. 16/5862 S. 100. 391 Vgl. Begr. zu § 200 BTDrucks. 16/3945 S. 113. 392 Vgl. Begr. zu § 200 BTDrucks. 16/3945 S. 113. 393 „… der Versicherer (ist) verpflichtet, … den Verdienstausfall durch das vereinbarte Krankentagegeld zu ersetzen.“ H. Baumann/Koch

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C. Vertragstypische Pflichten des VR

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2009).394 In seiner Stellungnahme zum RegE hat der Bundesrat vorgeschlagen, durch Einfügung eines zweiten Satzes in § 192 Abs. 5 eine stärkere Anlehnung an schadensversicherungsrechtliche Grundsätze vorzusehen.395 Dieser Änderungsvorschlag ist aber nicht aufgegriffen worden.396 Unstrittig ist jedoch seit jeher, dass die Unternehmen in den AVB andersartige Gestaltungen – Krankentagegeldversicherung als Schadensversicherung – vornehmen können.397

4. Insbes.: Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung a) Problematik. Ein besonderes Grundsatzproblem stellt die Überschussbeteiligung in der (kapi- 139 talbildenden) Lebensversicherung dar. Sie ist Konsequenz der Langfristigkeit der Verträge und der in § 138 VAG aus Sicherheitsgründen vorgeschriebenen vorsichtigen und so hoch anzusetzenden Prämienkalkulation, dass das Versicherungsunternehmen allen seinen Verpflichtungen nachkommen, insbes. ausreichende Deckungsrückstellungen bilden kann. Bei einschlägigen Verträgen erhält daher der VN eine garantierte Versicherungsleistung und außerdem eine Überschussbeteiligung, die häufig ebenso hoch oder noch höher als die garantierte Leistung ist.398 Das VVG enthielt bisher keinerlei Regelung über die Überschussbeteiligung. Kern der Rege- 140 lungsmaterie war vielmehr § 81c VAG a. F. i. V. m. der Verordnung über die Mindestbeitragsrückerstattung in der Lebensversicherung (ZRQuotenV).399 Auf diese Vorschriften wurde in den AVB400 Bezug genommen und so eine vertragliche Inkorporation erreicht.401 Danach waren die VN zu mindestens 90 % an den aus der Kapitalanlage resultierenden Überschüssen und in angemessener Weise an Überschüssen zu beteiligen, die aus einer (zu) vorsichtigen Kalkulation der Sterblichkeit und von Kosten folgten. Stark umstrittenes Problem war indes, dass die Überschüsse, die jährlich bei Jahresabschluss festgestellt werden,402 durch Bildung stiller Reserven (Bewertungsreserven) in ihrer Höhe beeinflusst werden können und dass zudem durch Bestandsübertragungen i. S. v. § 14 VAG a. F. auch Vermögensteile unter Einschluss stiller Reserven (bzw. die entsprechenden Erträge) den betroffenen VN nicht zugute kamen.403 BAV,404 BGH405 und BVerwG406 haben die diesbezügliche Praxis auf Basis der normativen Bestimmungen indessen im Kern akzeptiert.

b) Urteile des BVerfG vom 26.7.2005. Auf einschlägige Verfassungsbeschwerden hat je- 141 doch das BVerfG mit Urteilen vom 26.7.2005 sowohl die Regelungen über die Bestandsübertra-

394 So BGH 4.7.2001 – IV ZR 307/00, VersR 2001 1100, 1101; vgl. auch Prölss/Martin/Voit § 192 Rn. 179; Langheid/ Wandt/Hütt § 192 Rn. 131; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Rogler § 192 Rn. 39; Bach/Moser/Staudinger Teil A. Einleitung Rn. 48; Spickhoff/Eichelberger Medizinrecht, 3. Aufl. (2018) § 194 Rn. 5; MAH/Schubach § 23 Rn. 55; a. A. Prölss/ Martin/Prölss27 § 178b Rn. 9. 395 BTDrucks. 16/3945 S. 128. 396 Vgl. die Gegenäußerung der Bundesregierung BTDrucks. 16/3945 S. 132. 397 BGH 4.7.2001 – IV ZR 307/00, VersR 2001 1100, 1101; vgl. nur MAH Versicherungsrecht/Schubach § 23 Rn. 57; Spickhoff/Eichelberger Medizinrecht, 3. Aufl. (2018) § 194 Rn. 3; Prölss/Martin/Voit § 192 Rn. 179. 398 Zusammenfassend Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 51 f. 399 I.d.F. vom 23.7.1996 BGBl. I 1190. 400 Vgl. z. B. § 2 der Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung (ALB). 401 Kritik an dieser Regelungstechnik bei H. Baumann in H. Baumann/Schirmer/Zschockelt (Hrsg.) Ist das VVG für die Lebensversicherung reformbedürftig? (1999) 92 ff. 402 Vgl. § 2 ALB. 403 Näher z. B. H. Baumann Kapitallebensversicherung 13 ff., 83 ff.; ders. JZ 1995 446; ders. VersR 1992 905; Ebers Die Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung (2001); Schwintowski/Ebers ZVersWiss 2002 393. 404 Beschlusskammerentscheidung 11.5.1989 VerBAV 1989 235; 16.7.1991 VerBAV 1992 3. 405 BGH 23.11.1994 – IV ZR 124/93, VersR 1995 77. 406 BVerwG 11.1.1994 – 1 A 72/89, VersR 1994 541; BVerwG 12.12.1995 – VI ZR 223/94, NJW 1996 985. 527

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Vertragstypische Pflichten

gung407 wie allgemein die Regelungen über die Überschussbeteiligung408 als nicht mit Art. 2 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG vereinbar angesehen und dem Gesetzgeber aufgegeben, bis spätestens 31.12.2007 für die Zukunft409 Neuregelungen zu schaffen, die dem aus Art. 2 und 14 GG folgenden Schutzauftrag410 Rechnung tragen.

142 c) Umsetzung durch ReformG. Sieht man von Problemen der einschlägigen Bestandsübertragungen ab,411 so hat der Reformgesetzgeber die vom BVerfG generell hinsichtlich der Überschussbeteiligung angemahnten Änderungen insbes. durch drei Neuregelungen umgesetzt: 1. § 153 enthält erstmals eine privatgesetzliche Regelung über die Überschussbeteiligung. Nach Aufstellung des Grundsatzes in Abs. 1 ist festgelegt, dass der VR die Beteiligung an den Überschüssen grundsätzlich nach einem verursachungsorientierten Verfahren durchzuführen hat (§ 153 Abs. 2). Die stillen Reserven (Bewertungsreserven) sind jährlich zu ermitteln und nach einem verursachungsorientierten Verfahren rechnerisch zuzuordnen; jedenfalls bei Beendigung des Vertrages erfolgt eine 50 %ige Zuteilung der stillen Reserven an den einzelnen VN und eine entsprechende Auszahlung (§ 153 Abs. 3).412 2. Bilanztechnisch sind die stillen Reserven aus dem Saldo zwischen Anschaffungswert/Nennwert einerseits und dem im Anhang anzugebenden Zeitwert413 andererseits ermittelbar. 3. Schließlich wird durch Neuregelungen über die Information (vgl. § 7 Abs. 1 und 2 sowie die VVG-InfoV414), über Modellrechnungen (§ 154) und über eine jährliche Unterrichtung des VN (§ 155) die Transparenz für den VN verbessert.

5. Exkurs: Rückkaufswert in der Lebensversicherung 143 Ein anderes Kernproblem der Lebensversicherung415 betrifft den Rückkaufswert, geregelt in § 169. Es geht dabei nicht um eine i. S. v. § 1 bei Eintritt des Versicherungsfalls, sondern um eine insbes. bei Kündigung des VN416 vom VR zu erbringende Leistung. Der VN kann seit jeher seine Lebensversicherung, ein häufig über Jahrzehnte laufender Vertrag, kündigen (§ 168 Abs. 1 und 2).417 Dann steht ihm der Rückkaufswert zu. Die Ausgestaltung dieses Werts ist seit langem – z. T. rechtspolitisch – umstritten. Insbes. führt die sogenannte „Zillmerung“ in Frühstornofällen dazu, dass der VN in den ersten zwei bis drei Jahren keinerlei Rückkaufswert erhält; denn der VR verrechnet die ersten Prämien des VN vollständig zur Deckung seiner Abschlusskosten, so dass der VN trotz Zahlung der Prämien(-sparanteile) nichts zurückerhält.

407 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 782/94 und BvR 957/96, VersR 2005 1109. Dazu und zum folgenden Urteil H. Baumann RuS 2005 401; Knappmann NJW 2005 2892; Schenke VersR 2006 871. 408 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, VersR 2005 1127. 409 Das BVerfG betont, dass es bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber „bei der gegenwärtigen Rechtslage“ bleibe, vgl. BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, VersR 2005 1127, 1134. Vgl. dazu auch den Fall BVerwG 13.12.2006 – 6 A 3/05, NJW 2007 2199 sowie den Fall BGH 7.11.2007 – IV ZR 116/04, RuS 2008 158. 410 Vgl. BVerfG 6.7.2005 – 1 BvR 80/95, VersR 2005 1127, 113. 411 Vgl. dazu das 9. G zur Änderung des VAG vom 23.12.2007 BGBl. I 3248 und den RegE BTDrucks. 16/6518 vom 24.9.2007. 412 Hierzu und zum Folgenden vgl. näher Begr. zu § 153 BTDrucks. 16/3945 S. 95–97. Siehe auch die Übergangsregelung in Art. 4 Abs. 1 EGVVG i. d. F. von Art. 2 des ReformG. 413 Vgl. § 54 der Versicherungsunternehmens-RechnungslegungsVO i. d. F. von Art. 6 ReformG. 414 Vom 18.12.2007 BGBl. I 3004. 415 Zur früheren Rechtslage umfassend Bruck/Möller/Winter8 Bd. V 2 Anm. G 386 ff. 416 Näher § 169 Abs. 1. 417 Zu Ausnahmen vgl. § 168 Abs. 3. H. Baumann/Koch

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VVG § 1

Der BGH hatte mit Urteilen vom 9.5.2001418 entschieden, dass die in den AVB getroffene 144 Regelung intransparent und wegen unangemessener Benachteiligung des VN unwirksam sei. Daraufhin haben die VR im Wege des Treuhandverfahrens gemäß § 172 Abs. 2 a. F.419 eine neue, nunmehr transparentere AVB-Klausel geschaffen, die es aber in der Sache bei der früheren Regelung beließ. Auf der verfassungsrechtlichen Basis der zur Überschussbeteiligung ergangenen Rechtsprechung des BVerfG (Rn. 141) hat später der BGH420 die AVB-Regelungen auch materiell als unangemessen i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB eingestuft und daher erneut für unwirksam erklärt. In Anlehnung an Vorschläge der VVG-Reformkommission hat der BGH einen Rückkaufswert nur dann als angemessen angesehen, wenn er stets mindestens 50 % des Wertes erreicht, der sich ohne Zillmerung ergäbe.421 Gesetzlich ist demgegenüber jetzt in § 169 Abs. 3 eine Regelung getroffen worden, die sich an der jüngeren422 Regelung zur Riester-Rente orientiert: Der Rückkaufswert muss mindestens den Betrag des Deckungskapitals ausmachen, der sich errechnet, wenn die Abschluss- und Vertriebskosten rechnerisch auf die ersten fünf Versicherungsjahre verteilt werden.423 Der VR kann also nicht, wie in der Vergangenheit, die genannten Kosten voll auf die ersten Prämienzahlungen des VN verrechnen. Vor allem424 ist damit für die angesprochenen Fallkonstellationen ein besserer Schutz des VN erreicht.425 Dieser Schutz kann allerdings zu Lasten derjenigen VN gehen, die „vertragstreu“ den Ver- 145 trag langfristig bis zum Ende durchhalten: Kündigt ein VN seinen Vertrag, wie vorstehend dargelegt, frühzeitig, so bleiben die genannten Abschluss- und Vertriebskosten ungedeckt. Der Außendienst beanspruchte jedenfalls früher in der Regel426 die mit Abschluss des Vertrages verdiente volle Provision. Da der betroffene VN infolge seiner Kündigung keine hinreichenden Prämien zum Ausgleich der Kosten zahlt, fällt dann der ungedeckte Teil der Provision letztlich den sonstigen VN zur Last. Sonderlich gerecht ist ein solches Ergebnis sicherlich nicht. Vertragstreue VN, die diese Konsequenz erst einmal erkennen, würden sich dagegen aussprechen. Es ist daher vorgeschlagen worden, zumindest als vom VN wählbare Alternative ein Produkt zu entwickeln, in dem zwischen normalen Kündigungen und solchen aus wichtigem Grund, z. B. wegen Arbeitslosigkeit, unterschieden wird.427 Nur bei letztgenannten Kündigungen soll danach auch in den ersten Vertragsjahren ein gewisser Mindestrückkaufswert gewährleistet werden, bei Kündigungen ohne wichtigen Grund hingegen nicht. Ob die in § 171 angeordnete halbzwingende Regelung des § 169 ein solches – der Vertragsfreiheit mehr Raum gebendes – Produkt zulässt,

418 BGH 9.4.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147 354, 361 = VersR 2001 841 und BGH IV ZR 138/99 BGHZ 147 373, 377 = VersR 2001 839. Ebenso BGH 24.10.2007 – IV ZR 94/05, VersR 2008 337, 338 (zum VVaG).

419 § 164 sieht jetzt aufgrund der am bisherigen Verfahren geübten Kritik die Beteiligung eines Treuhänders nicht mehr vor. 420 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, VersR 2005 1565. In diesem Sinne auch BVerfG 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96, VersR 2006 489, 490 ff. Vgl. auch BGH 26.9.2007 – IV ZR 321/05, VersR 2007 1547, 1548 (fondsgebundene Lebensversicherung); 21.11.2007 – IV ZR 321/05, VersR 2008 381 (Anhörungsrüge) und 24.10.2007 – IV ZR 94/05, VersR 2008 337, 338 (zum VVaG). 421 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, VersR 2005 1565, 1571. 422 Diese Regelung gilt ab 1.1.2005. Vorher sah § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 AltZertG eine Verteilung auf mindestens 10 Jahre vor. 423 Begr. zu § 169 Abs. 3 BTDrucks. 16/3945 S. 102. 424 Hingewiesen sei zusätzlich noch darauf, dass für die Berechnung des Rückkaufswerts künftig statt auf den Zeitwert (so § 176 a. F.) auf das Deckungskapital abzustellen ist und dass aufsichtsrechtliche Höchstzillmersätze (von deutschen Unternehmen) zu beachten sind; § 7 Abs. 2 Nr. 2 und die VVG-InfoV sollen für stärkere Transparenz sorgen. Zum Begriff „Zeitwert“ Schwintowski VersR 2008 1425. 425 Zu Übergangsproblemen vgl. Art. 4 Abs. 2 EGVVG i. d. F. von Art. 2 des ReformG. 426 Zu Vorbehalten gegenüber der üblichen Praxis s. BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, VersR 2005 1565, 1569. Auf Grund der Neuregelung wurden allerdings z. T. auch in den Vermittler-Verträgen Vereinbarungen getroffen bzw. aktualisiert, wonach unverdiente Provisionen vom Vermittler zurückzuzahlen sind. Zu aufsichtsrechtlichen Implikationen vgl. Stunz/Wilhelm VW 2008 734. 427 H. Baumann FS Schirmer (2005) 15. 529

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Vertragstypische Pflichten

ist allerdings zweifelhaft. Immerhin: die Bestimmungen des § 169 stoßen auch auf europarechtliche Bedenken, soweit sie einschlägige ausländische VR in ihrer Produktgestaltungsfreiheit beschränken.428 Mittelbar kann dies auch für deutsche Unternehmen relevant werden.429 So gesehen, bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.

6. Inhalt der Ausgleichsleistung (und Zusatzleistungen) 146 a) Allgemein. Gemäß §§ 1, 49 a. F. hatte der VR in der Schadensversicherung den Schadensersatz in Geld zu leisten und in der Personenversicherung den vereinbarten Betrag an Kapital oder Rente zu zahlen (oder die sonst vereinbarte Leistung zu bewirken). Die Geldleistungspflicht war damit als Leitbild vorgegeben, allerdings nicht zwingend. Die Leistungspflicht des HaftpflichtVR gegenüber seinem VN ging schon bisher (primär) nicht auf Zahlung, sondern auf Freistellung.430 Von § 49 a. F. gab es Abweichungen in den AVB.431 Im neuen VVG fehlen allgemeine Bestimmungen einer Geldleistungspflicht.432 Selbst 147 § 74 RefE, der eine ausdrückliche Verpflichtung des VR zum Ersatz des Vermögensschadens vorsah, aber in den RegE und in das Gesetz nicht aufgenommen worden ist (Rn. 92), enthielt keinen Ausspruch einer Geldleistungspflicht des VR, da „hierfür kein Bedürfnis besteht“.433 Grundsätzlich kann der VR seine Leistung bei entsprechender Vereinbarung somit auch als Naturalleistung in Form von Sach- oder Dienstleistungen erbringen, die – wenn sie nicht in den Versicherungsvertrag eingebettet wären – Gegenstand eines Kauf-, Dienst-, Werk- oder Geschäftsbesorgungsvertrages wären.434 Daraus ergibt sich zugleich, dass es sich bei Naturalleistungen des VR, wenn und soweit das Risiko der Leistungserbringung auf eine Mehrzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt, um keine versicherungsfremden Geschäfte i. S. d. § 15 Abs. 1 VAG handelt (vgl. Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 Solvency II-Richtlinie: „Die materielle Hilfe kann in Geld- oder in Naturalleistungen bestehen. Die Naturalleistungen können auch durch Einsatz des eigenen Personals oder Materials des Erbringers der Leistung erbracht werden.“).435 Für die Einordnung als Versicherungsvertrag ist insoweit entscheidend, dass die Gegenleis148 tung des VN (Prämie) nicht danach bemessen wird, dass jeder Vertrag aus sich selbst heraus finanziert wird. Die Prämie muss vielmehr so kalkuliert werden, dass zur Abdeckung von Verlusten aus einem Vertrag mit ungünstigem Risikoverlauf auf die Einnahmen aus Verträgen zurückgegriffen werden kann, die einen günstigen Risikoverlauf aufweisen.436 Das Risiko der Leistungserbringung muss somit eine Schwankungsbreite aufweisen. Als klassisches Beispiel einer Sachleistung, die auf die Wiederherstellung des vor dem Eintritt des Versicherungsfalls vorhandenen Zustands gerichtet ist, ist die Glasversicherung zu nennen. Nach Abschn. A § 7.1 Nr. 1 a und b AGlB gewährt der VR „im Versicherungsfall eine Sachleistung, zu der er den Auftrag erteilt. Sachleistung bedeutet, dass auf Veranlassung und Rechnung des Versicherers die zerstörten oder beschädigten Sachen entsorgt und in gleicher Art und Güte … an den Schadenort geliefert und wieder eingesetzt werden.“

428 429 430 431 432 433 434 435

H. Baumann FS Schirmer (2005) 18 ff., 26 f. H. Baumann FS Schirmer (2005) 18 ff., 26 f. Berliner Kommentar/Schauer § 49 Rn. 3; Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 4 ff. Näher Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 12 ff.; Berliner Kommentar/Schauer § 49 Rn. 12 f. § 115 Abs. 1 S. 3 legt eine Geldersatzpflicht des HaftpflichtVR im Rahmen des Direktanspruchs des Dritten fest. So Begr. zu § 74 RefE S. 83; vgl. auch Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 25; Langheid/Rixecker § 1 Rn. 5. Vgl. R. Koch VersR 2019 449, 450; Werber VersR 2006 1010 unter B I 3 c; Sieg ZVersWiss 1969 495, 498. Vgl. auch EuGH 7.12.2006 – C-13/06 BeckRS 2006, 70947 Rn. 11  f. (keine Umsatzsteuer auf Pannenhilfe-Dienstleistungen); aus der Literatur Armbrüster VersR 2015, 1453, 1456 ff.; Dreher VersR 2020 129, 132 f. 436 Vgl. R. Koch VersR 2019 449, 450; Armbrüster VersR 2015, 1453, 1455 f. H. Baumann/Koch

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b) Naturalleistungen in Form von Dienstleistungen. Naturalleistungen, und zwar in Form 149 von Dienstleistungen, schuldet der VR aber auch in anderen Sparten. In der Sachversicherung hat der VR den VN bei der Feststellung des Schadens zu unterstützen (Korrelat zur Auskunftsobliegenheit gem. § 31 Abs. 1 VVG), z. B. durch Beauftragung eines Architekten (vgl. A.18.1.1.1 VGB 2016)). HaftpflichtVR, die nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis kommen, dass der gegenüber dem VN geltend gemachte Schadensersatzanspruch dem Grund und/oder der Höhe nach unbegründet ist, sind zur Organisation der Anspruchsabwehr verpflichtet (vgl. Nr. 5.1 AHB 2016). RechtsschutzVR haben nicht nur Rechtsschutzkosten zu tragen, sondern auch Dienstleistungen zur Wahrnehmung rechtlicher Interessen zu erbringen und zu vermitteln (vgl. Nr. 2.3 ARB 12: „Wir erbringen und vermitteln Dienstleistungen, damit Sie Ihre Interessen im nachfolgend erläuterten Umfang wahrnehmen können.“). In der Autoschutzbriefversicherung erbringt der VR seine Leistungen „als Service oder erstatte[n] die … Kosten“ (vgl. A.3.1 AKB 15). § 192 Abs. 3 enthält eine (nicht abschließende) Aufzählung möglicher Zusatzleistungen des VR in der Krankheitskostenversicherung („managed care“). Der VR, der herkömmlicherweise keine direkten Vertragsbeziehungen mit dem Leistungserbringer (Arzt/Krankenhaus etc.) hat, kann nun vertraglich mit seinem VN vereinbaren, diesen in vielfältiger Weise in seinem Verhältnis zum Leistungserbringer zu unterstützen.437Die Fälligkeit des Anspruchs auf Beistandsleistungen richtet sich nicht nach § 14 VVG, sondern nach § 271 BGB438 und für die Rechtsschutzleistung des HaftpflichtVR nach § 100 VVG.439 Aufsichtsrechtlich lassen sich solche Dienstleistungen als Beistandsleistung i. S. v. Nr. 18 150 Anl. 1 zum VAG qualifizieren. Nach dieser Vorschrift bilden Beistandsleistungen zugunsten von Personen, die sich in Schwierigkeiten befinden, eine eigene Sparte. Dabei wird unterschieden, ob sich die Personen auf Reisen oder während der Abwesenheit von ihrem Wohnsitz oder ständigem Aufenthaltsort befinden (Buchst. a) oder nicht (Buchst. b). Im letztgenannten Fall bedarf es keiner gesonderten Zulassung zum Betrieb dieser Sparte, wenn die Beistandsleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit einem (Haupt-)Risiko stehen, das unter eine andere Versicherungssparte fällt.440 So liegt der Fall bei den zuvor beispielhaft aufgeführten Beistandsleistungen in der Sach-, Haftpflicht-, Rechtsschutz- und Krankheitskostenversicherung. Lediglich die im Rahmen einer Autoschutzbriefversicherung (Kfz-Haftpflicht-, Kasko-, Autoschutzbrief-, Kfz-Unfall- und Fahrerschutzversicherung sind selbstständige Verträge) geschuldeten Versicherungsleistungen werden von keiner Spezialsparte erfasst und fallen deshalb unter Nr. 18 Anl. 1 zum VAG.441

c) Assistanceleistungen. VR gewähren mehr und mehr Versicherungsschutz für Beratungs-, 151 Informations-, Organisations- und Unterstützungsleistungen nach Eintritt des Versicherungsfalls.442 Besonders zahlreich und vielfältig finden sich solche Assistanceleistungen in den Wachstumssparten D&O-Versicherung443 und Cyber-Versicherung.444 Dort bieten die VR den VN 437 Zu sonstigen zusätzlichen Dienstleistungen s. Langheid/Wandt/Kalis § 192 Rn. 113 ff. 438 Vgl. OLG Oldenburg 13.11.2012 – 5 U 140/12, VersR 2013 845, 846; Bruck/Möller/K. Johannsen/R. Koch § 14 Rn. 5; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1; Langheid/Rixecker § 14 Rn. 2. 439 Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 20 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1. 440 Dreher VersR 2020 129, 131 f. 441 Vgl. auch EuGH 7.12.2006 – C-13/06 BeckRS 2006 70947 Rn. 12; Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 A.3 AKB 2015 Rn. 5. 442 Vgl. Armbrüster VW 13/2012, 990; Müller-Reichart/Geist VW 4/2014, 35; Kolhagen VW 12/2013, 11; Pohl VW 12/ 2012, 858; Esser/Helmberger/Hertel Assistance: Neue Serviceleistung der Assekuranz 1999 S. 19 ff., 48 ff. 443 Vgl. Lange VersR 2014 1413, 1414; Gisch/Koban/Ratka/Aichinger Haftpflicht und D&O-Versicherung (2016) 35; Gisch/Koban/Ratka/Gisch Haftpflichtversicherung, D&O-Versicherung und Manager-Rechtsschutz (2016) 131 f.; kritisch Ramharter D&O-Versicherung (2018) Rn. 2, 8. 444 Kugler/Ahnrich Digitale Transformation im Mittelstand mit System (2018) 89 f.; Choudhry Der Cyber-Versicherungsmarkt in Deutschland: Eine Einführung (2014) 6 f. 531

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Vertragstypische Pflichten

und versicherten Personen als Versicherungsleistung u. a. Notfall- und Krisenunterstützung, Krisenkommunikationsberatung, Call-Center-Leistungen, psychologische/psychiatrische Betreuung, Personenschutzmaßnahmen bis hin zur Karriereberatung durch spezialisierte Dienstleister an. 152 Bei diesen Assistanceleistungen erbringt der VR Versicherungsschutz nicht in Form einer Naturalleistung, sondern stets in Form einer Geldleistung. Der Versicherungsschutz beschränkt sich auf die Erstattung der Kosten für die von den VN/versicherten Personen in Auftrag gegebenen Dienstleistungen.445 In diesem Punkt unterscheiden sich Assistanceleistungen von Beistandsleistungen im zuvor beschriebenen Sinn, bei denen der VR Versicherungsschutz nicht nur in Form von Kostenerstattung, sondern zusätzlich oder alternativ auch in Form von Hilfe, Unterstützung, Sorgetragung u. Ä. verspricht. Bei der Versicherung von Assistanceleistungen handelt es sich insoweit um eine reine Kostenversicherung, die isoliert betrachtet aufsichtsrechtlich nicht unter Nr. 18 Anl. 1 zum VAG, sondern in die Sparte „Verschiedene finanzielle Verluste“ i. S. v. Nr. 16 Anl. 1 zum VAG fällt. Die Fälligkeit des Anspruchs auf Kostenerstattung bestimmt sich nach § 14 VVG.446 153 Die Erstattung von Kosten für Assistanceleistungen ist zu unterscheiden von dem Ersatz von Rettungskosten i. S. v. § 83 Abs. 1 S. 1. Bei den Kosten für Assistanceleistungen handelt es sich um einen Versicherungsschaden im engeren Sinn, deren Erstattung der VR als Hauptleistung schuldet.447 Soweit Assistanceleistungen dazu dienen, die Auswirkungen eines Schadens zu mindern, für den Versicherungsschutz ebenfalls als Hauptleistung besteht, stellt sich vor dem Hintergrund, dass den VN gem. § 82 Abs. 1 die Obliegenheit zur Abwendung und Minderung des Schadens trifft, die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Anspruch auf Kostenerstattung für Assistanceleistungen und dem Anspruch auf Aufwendungsersatz gem. § 83 Abs. 1 S. 1. Bei der Antwort ist zu beachten, dass der Aufwendungsersatzanspruch akzessorisch an die Obliegenheit zur Schadensabwendung und -minderung anknüpft.448 Die Kosten für die Beauftragung eines Dienstleisters wären somit nur dann nach § 83 Abs. 1 S. 1 ersatzfähig, wenn dem VN nach § 82 Abs. 1 eine Obliegenheit zur Beauftragung eines Dienstleisters träfe. Eine solche Obliegenheit besteht jedoch nach der gegenwärtigen Bedingungspraxis nicht,449 so dass es zu keiner Überschneidung kommt.

V. Deckung eines Drittrisikos 1. Vorbemerkung und Überblick 154 Nach § 1 verpflichtet sich der VR mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des VN oder eines Dritten zu decken. Was darunter zu verstehen ist, wird in der Begründung450 in keiner Weise erläutert. Der Sache nach fällt hierunter sicherlich die Versicherung für fremde Rechnung gemäß §§ 43 bis 48. Denn entsprechend diesen Bestimmungen wird das Interesse eines Dritten, das von einer bestimmten versicherten Gefahr bedroht ist, gedeckt. Dem Wortlaut nach ist allerdings in den genannten Vorschriften nicht von einem „Dritten“, sondern von dem „anderen“

445 Zu weiteren Einzelheiten s. R. Koch VersR 2019 449 ff. 446 A. A. Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 2; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1 (jeweils § 271 BGB). 447 Zum Versicherungsschaden im engeren und weiteren Sinne ausführlich Bruck/Möller/R. Koch9 § 82 Rn. 56 ff.; s. auch Langheid/Wandt/Looschelders § 82 Rn. 30.

448 Vgl. BGH 21.3.1977 – II ZR 30/75, VersR 1977 709, 710 (Verpflichtung des VR, dem VN die Rettungskosten ist „die unentbehrliche Kehrseite der dem VN im Interesse des VR auferlegten Pflicht, beim Eintritt des Versicherungsfalls nach Möglichkeit den Schaden abzuwenden oder zu mindern“); s. a. Bruck/Möller/R. Koch9 § 83 Rn. 4; Langheid/Wandt/Looschelders § 83 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 83 Rn. 1. 449 Zu Klauselbeispielen aus der Cyber- und D&O-Versicherung s. R. Koch VersR 2019 449, 450. 450 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 56. H. Baumann/Koch

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bzw. vom „Versicherten“ die Rede. Als „Dritter“ werden der Bezugsberechtigte, insbes. in der Lebensversicherung (§ 159 f.), und auch der Geschädigte in der Haftpflichtversicherung (§§ 100 bis 124) bezeichnet. Ihr Risiko ist aber stärker als bei der Versicherung für fremde Rechnung vom Risiko des VN abgeleitet bzw. antagonistisch mit ihm gekoppelt (näher unten 4. und 5.). Wieder etwas anders ist es bei der Sicherung des Grundpfandrechtsgläubigers (§§ 142 bis 149), ähnlich aber doch durchaus nicht gleich bei den durch Sicherungsschein geschützten „Dritten“. Ein eigenartiges Rechtsinstitut ist das Eintrittsrecht bestimmter Dritter in den Versicherungsvertrag (§ 170). Eine vergleichende Betrachtung aller dieser Rechtsfiguren ist bisher selten.451 Sie werden 155 im Folgenden in aller Kürze, unter besonderer Berücksichtigung etwaiger Neuregelungen erörtert, wenn auch zweifelhaft sein kann, ob sie durchweg von § 1 erfasst sein sollen. Eins steht fest: Der VR kann sich mit einem Versicherungsvertrag auch verpflichten, bestimmte Risiken des VN und eines Dritten zu decken. Und letztlich kommt es für die Rechtsstellung eines Dritten nicht auf die Subsumtion unter § 1 an, sondern auf die konkrete Ausgestaltung seiner Rechtsposition durch Gesetz und/oder Vertrag.

2. Versicherung für fremde Rechnung in der Nichtpersonenversicherung a) Grundsätze, insbes. zur Aktiven- bzw. Sachversicherung. Das typische versicherungs- 156 rechtliche Institut zur Deckung des Risikos eines Dritten ist die Versicherung (fremden Interesses) für fremde Rechnung (§§ 43 bis 48 bzw. §§ 74 bis 80 a. F.). Dabei handelt es sich um eine Abart des Vertrages zugunsten Dritter i. S. v. §§ 328 ff. BGB.452 Materiell Berechtigter aus dem Versicherungsvertrag ist dabei nicht der VN, sondern der Dritte als Versicherter (§ 44 Abs. 1). Der VN als Vertragspartner des VR kann aber über die Rechte des Versicherten grundsätzlich im eigenen Namen verfügen (§ 45 Abs. 1), ist jedoch im Rahmen eines gesetzlichen Treuhandverhältnisses453 grundsätzlich verpflichtet, die Entschädigung für den Versicherten einzuziehen und sie an diesen auszukehren. Allerdings kann sich der VN aus der Versicherungsentschädigung vorrangig befriedigen, wenn er zivilrechtliche Ansprüche gegen den Versicherten „in Bezug auf die versicherte Sache“454 hat (§ 46). In dieser reflexhaften Begünstigung eigener Interessen455 liegt häufig die Motivation für den VN zum Abschluss einer Versicherung für fremde Rechnung. Hingewiesen sei auf die Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ gemäß § 48. Sie betrifft Fallgestaltungen, bei denen unbestimmt bleiben soll, ob eigenes oder fremdes Interesse versichert ist. b) Abgrenzung zum Regressausschluss. Aufgrund der Privatautonomie456 ist denkbar, dass 157 der Eigentümer einer Sache neben seinem Sacherhaltungsinteresse (Versicherung für eigene Rechnung) zugleich auch das Sachersatzinteresse eines Dritten (z. B. Mieters)457 als Versiche-

451 Vgl. aber Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster § 6. 452 Bruck/Möller/Brandt9 Vor §§ 43–48 Rn. 19; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 43 Rn. 10. 453 Bruck/Möller/Brand9 § 46 Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 46 Rn. 12 ff.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 46 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke § 46 Rn. 5 § 76 Rn. 1. 454 Die Fassung des § 46 ist (ebenso wie § 77 a. F.) zu eng geraten. Die Vorschrift bezieht sich nicht nur auf die Sachversicherung, sondern das Sicherungsrecht gilt schlechthin bei der Versicherung für fremde Rechnung, vgl. Bruck/Möller/Sieg8 § 77 Anm. 2. 455 Vgl. Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 6. 456 Anders die frühere, inzwischen überholte BGH-Rechtsprechung, vgl. BGH 23.1.1991 – IV ZR 284/89, VersR 1991 462 f.; 13.12.1995 – VIII ZR 41/95 VersR 1996 320 ff. 457 Mitversichert werden kann zusätzlich auch das Sachnutzungsinteresse eines Dritten (Mieters etc.), näher Bruck/Möller/Brand9 § 43 Rn. 35. 533

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Vertragstypische Pflichten

rung für fremde Rechnung mitversichert. Der Mieter soll dann gegenüber Schadensersatzansprüchen wegen schuldhafter Verletzung der Mietsache geschützt sein.458 In der Regel ist im Wege der (ergänzenden) Vertragsauslegung bei solchen Fallgestaltungen allerdings anzunehmen, dass der Schutz des Dritten (Mieters etc.) nicht im Wege der (Fremd-)Versicherung dieses Interesses, sondern durch einen Regressverzicht erfolgt. Nach vielfältigen Schwankungen hat sich die Rechtsprechung jetzt in diesem Sinne dahingehend konsolidiert, dass (im Wege der sogenanten versicherungsrechtlichen Lösung) der Versicherungsvertrag zwischen VR und VN dahingehend (ergänzend) auszulegen ist, dass angesichts der bestehenden Interessenlage zwischen den Beteiligten der den Schaden regulierende SachVR gegen den Dritten nicht Regress nehmen kann, falls dieser – so die h. M. zur bisherigen Rechtslage459 – die versicherte Sache nur leicht fahrlässig verletzt hat. Bei grob fahrlässiger und natürlich auch bei vorsätzlicher Schädigung war hingegen wegen der Ausrichtung der (ergänzenden) Vertragsauslegung an § 61 a. F. ein Regress zulässig. Die Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips (auch) in § 81 führt nach Ansicht des BGH nicht dazu, den Regress des GebäudeVR beim Mieter nur in Höhe der ihn nach § 81 Abs. 2 treffenden Kürzungsquote zu beschränken.460 Kraft Gesetzes war bisher in § 67 Abs. 2 a. F. der Übergang der Ersatzansprüche ausgeschlos158 sen, wenn sich der Ersatzanspruch gegen einen mit dem VN in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen richtete.461 In § 86 Abs. 3 ist jetzt anstelle des Ausschlusses des Anspruchsübergangs ein Regressausschluss normiert, und zwar im Hinblick auf alle Personen, mit denen der VN in häuslicher Gemeinschaft lebt.462 Für den Bereich der AVB ist auf A.2.8 S. 3 AKB 2015 (Regressverzicht der KaskoVR gegen159 über dem Fahrer etc.), § 7 Ziff. 4 Abs. 2 AVB Vermögen (Regressverzicht gegen Angestellte des VN) sowie auf den Regressverzicht der FeuerVR gegenüber den Nachbarn des VN hinzuweisen.463 Sieg spricht für solche Fallgestaltungen von „faktischer Versicherung für fremde Rechnung“.464 Zwar ist die Stellung des Begünstigten schwächer, da er keinen eigenen Anspruch gegen den VR hat und vor einer Inanspruchnahme durch den VN nicht geschützt ist. Jedoch ist der VN wegen § 241 Abs. 2 BGB hierzu nur berechtigt, wenn besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine Inanspruchnahme des Dritten rechtfertigen. Liegen solche besonderen Umstände nicht vor, ist der VN verpflichtet, zunächst den VR in Anspruch zu nehmen.465 160 Der Grundsatz der faktischen Mitdeckung des Sachersatzinteresses eines Dritten (Mieters etc.) im Wege des Regressausschlusses ist nach der jüngsten BGH-Rechtsprechung sogar dann anzunehmen, wenn der Dritte Haftpflichtversicherungsschutz genießt.466 SachVR und HaftpflichtVR haben sich dann aber intern auszugleichen, was die Anwendung der Bestimmungen

458 Vgl. BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, VersR 2008 634; umfassend zur Entwicklung des Streitstands Bruck/Möller/ R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III Anm. J 106; Prölss/Martin/Prölss27 § 80 Rn. 9, jeweils m. w. N. 459 Vgl. nur BGH 8.11.2000 – IV ZR 298/99, BGHZ 145 393, 396; BGH 12.12.2001 – XII ZR 153/99, VersR 2002 433; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster § 6 Rn. 133–137. 460 BGH 26.10.2016 – II ZR 52/14, RuS 2017 74 Rn. 14; vgl. auch OLG Rostock 1.2.2018 – 9 U 94/15, VersR 2018 677, 678; OLG München VersR 2009 1112, 1114;Langheid/Wandt/Möller/Segger § 86 Rn. 232; a. A. Bruck/Möller/K. Johannsen9 Bd. 7 B § 14 AFB 2008/2010 Rn. 2; Staudinger/Kassing, VersR 2007 10 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hormuth § 22 Rn. 145; Looschelders/Pohlmann/von Koppenfels-Spies § 86 Rn. 86. 461 Näher Bruck/Möller/Sieg8 § 67 Anm. 104 ff.; Berliner Kommentar/H. Baumann § 67 Rn. 150 ff. 462 Dazu Begr. zu § 86 Abs. 3 BTDrucks. 16/3945 S. 82. 463 Bruck/Möller/K. Johannsen9 B § 14 AFB 2008/2010 Rn. 3. 464 Bruck/Möller/Sieg8 Anm. 13 vor §§ 74–80; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 43 Rn. 22. 465 Vgl. BGH 21.1.2014 – VIII ZR 48/13, RuS 2014 501 Rn. 5; BGH 10.11.2006 – V ZR 62/06, VersR 2007 411, 412; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster § 6 Rn. 136. 466 BGH 13.9.2006 – IV ZR 273/05, VersR 2006 1536, 1537; BGH 20.12.2006 – VIII ZR 67/06, VersR 2007 539, 540; OLG Karlsruhe 16.10.2018 – 12 U 69/18, RuS 2019 22; hierzu Wälder RuS 2007 381 sowie Günther VersR 2007 1652. H. Baumann/Koch

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VVG § 1

über die Mehrfachversicherung (§ 78) nahelegt.467 Damit rückt der Regressausschluss, der begrifflich als pactum de non petendo zu qualifizieren ist,468 funktional noch stärker in die Nähe der Haftpflichtversicherung.

c) Fremdversicherung in der Passivenversicherung, insbes. Haftpflichtversicherung. 161 Die (Mit-)Versicherung fremden Interesses ist auch in der Passivenversicherung bedeutsam, z. B. in der Rechtschutzversicherung469 und in der Haftpflichtversicherung.470 In der Haftpflichtversicherung besteht bereits gemäß § 102 Abs. 1 S. 2, also kraft Gesetzes, für bestimmte Unternehmensangehörige eine – gegenüber § 151 Abs. 1 S. 2 a. F. erweiterte – Versicherung für fremde Rechnung.471 Beispielhaft sei auch auf die den Halter eines Kfz nach § 1 PflVG treffende Pflicht zum Abschluss einer KH-Versicherung nicht nur für sich, sondern auch für den Eigentümer und Fahrer hingewiesen. Entsprechend den Vorgaben des § 2 Abs. 3 KfzPflVV ist in den AKB472 dem Eigentümer und Fahrer als mitversicherten Personen473 abweichend von § 44 Abs. 2 VVG sogar ein Recht auf selbstständige Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen den VR eingeräumt worden.474

3. Versicherung für fremde Rechnung in der Personenversicherung – Abgrenzung zur Versicherung für eigene Rechnung mit Drittem als Gefahrsperson a) Neuregelung. Die §§ 74 bis 80 a. F. gehörten im früheren VVG zu den Vorschriften für die 162 gesamte Schadensversicherung; insoweit waren sie grundsätzlich auch im Bereich der Personenversicherung anwendbar.475 Im neuen VVG wurden die entsprechenden §§ 43 bis 48 hingegen systematisch anders eingeordnet: bei den Vorschriften für alle Versicherungszweige. Prinzipiell kommen die Vorschriften mithin künftig uneingeschränkt auch für die Summenversicherung im Rahmen der Personenversicherung476 in Betracht. Damit werden dort künftig einige Problemfälle neu durchdacht werden müssen. Die Versicherung für fremde Rechnung ist aber weiterhin abzugrenzen von der Versicherung für eigene Rechnung mit einem Dritten als „Gefahrsperson“.477

b) Lebensversicherung. In den speziellen Vorschriften zur Lebensversicherung heißt es in 163 § 150 Abs. 1 wie bisher (§ 159 Abs. 1 a. F.), dass die Lebensversicherung auf die Person des VN oder eines anderen genommen werden kann. Dies wurde vor der Reform des VVG in dem Sinne verstanden, dass der „andere“ (im Falle einer Todesfallversicherung nur mit seiner Einwilli-

467 468 469 470 471

BGH 13.9.2006 – IV ZR 273/05, VersR 2006 1536, 1537 ff.; 18.6.2008 – IV ZR 108/06, RuS 2008 379. Armbrüster Schutz von Haftpflichtinteressen (1994) 97. Vgl. Ziff. 2.1.2 ARB 2012. Vgl. Ziff. 27 AHB 2016. In Erweiterung der früheren Regelung sind jetzt neben den Mitgliedern des Leitungsorgans kraft Gesetzes alle Arbeitnehmer mitversichert. Entsprechende Regelungen existierten bisher bereits nach den AVB. 472 A.1.2 AKB 2015. 473 Zu weiteren mitversicherten Personen vgl. A.1.2 AKB 2015. 474 Einzelheiten bei Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 F.AKB 2015 Rn. 25. 475 Bruck/Möller/Sieg8 Anm. 12 vor §§ 76–80; Berliner Kommentar/Hübsch § 74 Rn. 2. 476 Zur Problematik nach altem Recht vgl. Bruck/Möller/Sieg8 Anm. 12 vor §§ 74–80 und § 74 Anm. 13–16; Berliner Kommentar/Hübsch § 74 Rn. 2. 477 Näher Bruck/Möller/Brand9 § 43 Rn. 11 f.; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 43 Rn. 18; Berliner Kommentar/ Hübsch § 74 Rn. 7. 535

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gung, vgl. § 150 Abs. 2) als „Gefahrsperson“478 einsetzbar war, es sich bei der Versicherung also um eine solche im eigenen Interesse des VN handelte.479 Für gewisse Fallgestaltungen wurde aber z. B. eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Versicherung für fremde Rechnung befürwortet.480 Das reformierte VVG öffnet das Institut der Versicherung für fremde Rechnung generell für die Lebensversicherung.481 164 § 150 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 regelt eine Streitfrage zur Gruppen- bzw. Kollektiv-Lebensversicherung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung: Schließt der Arbeitgeber als VN eine Todesfallversicherung (oder in der Regel: eine gemischte Lebensversicherung) ab, so bedarf es keiner Einwilligung der Arbeitnehmer als „versicherte Personen“, da es hier an dem „maßgeblichen Schutzbedürfnis der versicherten Personen“ fehle.482 Dies soll offenbar selbst dann gelten, wenn die Arbeitnehmer nicht durch unwiderrufliche Bezugsberechtigung oder (künftig) durch Versicherung für fremde Rechnung begünstigt sind; selbst in solchen oder ähnlichen Fällen wurde bisher eine Einwilligung für erforderlich gehalten.483 Im Abschlussbericht der Reformkommission484 und im RefE485 war die Einwilligung noch vorgeschrieben. Erst im RegE wurde dieses Erfordernis mit der erwähnten Begründung gestrichen unter Hinweis auf den damit verbundenen „erheblichen Verwaltungsaufwand“.486 Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung des Einwilligungserfordernisses und der einhelligen Befürwortung in Rechtsprechung und Schrifttum ist der – uneingeschränkte und lapidar begründete – Verzicht hierauf erstaunlich.

165 c) Berufsunfähigkeitsversicherung. § 150 Abs. 1 ist auch auf die Berufsunfähigkeitsversicherung entsprechend anzuwenden, § 176.487

166 d) Unfallversicherung. In der Unfallversicherung stimmt § 179 der Sache nach mit § 179 a. F. überein; die bisherige Bezugnahme in § 179 Abs. 2 S. 2 a. F. auf die §§ 75 bis 79 a. F. konnte wegen des erweiterten Anwendungsbereich der §§ 43 ff. entfallen (vgl. jetzt § 179 Abs. 1 S. 2). Wie bereits bisher wird in § 179 deutlich unterschieden zwischen einer Versicherung für eigene Rechnung des VN mit dem Versicherten als Gefahrsperson (§ 179 Abs. 2) sowie der Versicherung für fremde Rechnung, also materiell zugunsten des Versicherten (§ 179 Abs. 1 S. 2). Letztgenannte Variante gilt im Zweifel, und sie ist im Sinne des § 1 auf das „Risiko eines Dritten“ bezogen. Der VN kann gegen den Anspruch des Versicherten auf Herausgabe der Entschädigung mit Schadensersatzansprüchen gegen den Versicherten aus demselben Unfallereignis aufrechnen, so wenn dieser als Fahrer das Kfz des VN beschädigt hat.488 Der VN kann auch bestimmen, dass mit der Auszahlung der Versicherungsentschädigung an den Versicherten dessen Schadensersatzansprüche gegen den VN in entsprechender Höhe qua Anrechnung erlöschen.489 Einzelheiten bei Bruck/Möller/Winter8 Bd. V 2 Anm. C 24. Bruck/Möller/Winter8 Bd. V 2 Anm. C 25. Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 13–16. Vgl. auch Begr. zu § 159 Abs. 1 BTDrucks. 16/3945 S. 94. So Begr. zu § 150 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 95. BGH 7.5.1997 – IV ZR 35/96, VersR 1997 1213, 1214 (für Gruppenrückdeckungsversicherung); Bruck/Möller/ Winter8 Bd. V 2 Anm. C 34–35: Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 13. Prölss/Martin/Kollhosser27 § 159 Rn. 14; Römer/Langheid/Römer2 § 159 Rn. 16. 484 § 142 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 KomE: „Bei Kollektivlebensversicherungen kann die Einwilligung in Textform erklärt werden.“. 485 § 150 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 RefE war wie im KomE gefasst. 486 Begr. zu § 150 Abs. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 95. 487 So Begr. zu § 150 Abs. 1 BTDrucks. 16/3945 S. 94. 488 BGH 4.4.1973 VersR – IV ZR 130/71, 1973 634, 635. 489 BGH 13.1.1981 – VI ZR 180/79, NJW 1981 1613, 1614.

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Schließt der VN i. S. v. § 179 Abs. 2 im Hinblick auf den Unfall eines anderen, eine Versiche- 167 rung ab, so ist zur Wirksamkeit des Vertrages die schriftliche Einwilligung der Gefahrsperson erforderlich. Damit soll ähnlich wie bei der Lebensversicherung (Rn. 81) der Gefahr der Spekulation mit der Gesundheit einer anderen Person hinreichend begegnet sein. Ein wirtschaftliches Eigeninteresse des VN an der körperlichen Unversehrtheit des Dritten ist danach nicht erforderlich.490 Wie bei der Lebensversicherung (Rn. 82) wird aber in Grenzfällen § 138 BGB zu beachten sein. Anders als bei der Lebensversicherung (Rn. 164) ist in der Unfallversicherung, was die Ein- 168 willigung anbelangt, keine Sonderregelung im Hinblick auf die Gruppen- bzw. Kollektivversicherung491 getroffen worden. Trotz der gewiss unterschiedlichen praktischen Bedeutung beider Bereiche wird doch eine harmonisierende Handhabung in der Rechtsprechung geboten sein.

e) Krankenversicherung. Besonders kompliziert ist die Entwicklung zur Frage der Anwend- 169 barkeit der Bestimmungen über die Versicherung für fremde Rechnung bei der Krankenversicherung. § 178a Abs. 1 bis 3 VVG i. d. F. des Gesetzes vom 21.7.1994 war nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und auch nach Sinn und Zweck höchst unklar. Daraus wurden im Schrifttum die unterschiedlichsten Folgerungen gezogen.492 Der BGH hat schließlich in seinem Grundsatzurteil vom 8.2.2006493 entschieden: 1. In der privaten Krankheitskostenversicherung ist die Anwendung der §§ 74 bis 80 VVG durch § 178a Abs. 2 VVG ausgeschlossen. 2. Wird der Ehepartner des VN mitversichert (§ 178a Abs. 1 VVG) und enthalten die Versicherungsbedingungen keine besonderen Bestimmungen über seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag, so ist er regelmäßig nicht lediglich als Gefahrsperson einer allein im Eigeninteresse des VN abgeschlossenen Versicherung anzusehen, sondern es liegt ein Krankheitskostenversicherungsvertrag für fremde Rechnung und damit ein echter Vertrag zugunsten Dritter i. S. v. § 328 Abs. 1 BGB vor. Darauf, ob der mitversicherte Ehepartner einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgeht oder durch Tätigkeit im Haushalt zum Familienunterhalt beiträgt, kommt es insoweit nicht an. 3. Der mitversicherte Ehepartner kann nach § 328 Abs. 1 BGB eine ihn betreffende Versicherungsleistung im eigenen Namen geltend machen. Das schließt die Berechtigung ein, den Fortbestand des Versicherungsverhältnisses als grundlegende Anspruchsvoraussetzung gerichtlich feststellen zu lassen. § 194 Abs. 4 enthält jetzt wiederum eine andersartige Regelung: Die §§ 43 bis 48 sind auf die 170 Krankenversicherung (insgesamt) (Rn. 162) mit der Maßgabe anzuwenden, dass ausschließlich die versicherte Person die Versicherungsleistung verlangen kann, wenn der VN sie als Empfangsberechtigten – widerruflich oder unwiderruflich – benannt hat; andernfalls kann nur der VN die Versicherungsleistung verlangen. Diese Regelung beruht auf einem Vorschlag der VVGReformkommission.494 Da der Abschlussbericht der Reformkommission bereits am 19.4.2004 verfasst wurde, konnte die vorgenannte Entscheidung des BGH vom 8.2.2006 noch nicht bekannt sein. Die Gesetzesbegründung zu § 193 Abs. 1 und 2495 lässt jedenfalls erkennen, dass den Gesetzesredaktoren auch die Möglichkeit einer Versicherung für eigene Rechnung des VN mit 490 So Prölss/Martin/Knappmann § 179 Rn. 15 unter Hinweis auf OLG Celle 4.11.1993 – 8 U 93/92, VersR 1995 405 und Hülsmann VersR 1995 501 (jeweils zu § 159 Abs. 2 a. F.). 491 Zu Einzelheiten s. Bruck/Möller/Leverenz9 § 179 Rn. 201. 492 Vgl. Berliner Kommentar/Hohlfeld § 178a Rn. 3–5; Prölss/Martin/Prölss § 178a Rn. 5 ff., jeweils m. w. N. zum Streitstand. 493 BGH IV ZR 205/04 VersR 2006 686–689; vgl. auch BGH 10.10.2007 – IV ZR 37/06, RuS 2008 24 f. 494 Vgl. § 185 Abs. 3 KomE und dazu Begründung im Abschlussbericht unter 1.3.2.4.5.2.2. 495 BTDrucks. 16/3945 S. 111. 537

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Vertragstypische Pflichten

dem Dritten als bloßer Gefahrsperson präsent war. Damit liegen jetzt verschiedene gesetzliche Modelle zur vertraglichen Regelung der einschlägigen Problemgestaltungen vor. Die Deckung für das „Risiko eines Dritten“ ist gesetzlich klarer als bisher ausgestaltet.

4. Rechtsstellung des Dritten in der Haftpflichtversicherung 171 a) Allgemein. Eine andere Rechtstellung, als die eines Versicherten im Rahmen der Versicherung für fremde Rechnung, hat der geschädigte Dritte (vgl. § 100) aus der Haftpflichtversicherung. Er ist nicht Mitversicherter. Aber die (Ausgleichs-)Leistung des HaftpflichtVR, die dieser für seinen VN (oder Versicherten) zu erbringen hat, kommt dem Dritten zugute. Dem dient bereits ganz allgemein die Ausgestaltung der Leistung des VR als Freistellungsverpflichtung (in § 100 gegenüber der Fassung von § 149 a. F. konkretisiert) sowie das Verfügungsverbot gemäß § 108 Abs. 1.496

172 b) Pflichtversicherungen und (partieller) Direktanspruch des Dritten. Für Pflicht Haftpflichtversicherungen sollte ursprünglich ganz generell – wie bisher schon für die KH-Versicherung – sogar ein Direktanspruch des geschädigten Dritten gegen den HaftpflichtVR eingeführt werden, § 115 Abs. 1 i. d. F. des RegE.497 Auf Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags hat der Gesetzgeber indessen letztlich einen Direktanspruch auf die „unter Verbraucherschutzgesichtspunkten wesentlichen Problembereiche zurückgeführt“.498 Soweit es sich nicht um die Kfz-Pflichthaftpflichtversicherung handelt,499 sind nur Fälle der Insolvenz oder des unbekannten Aufenthalts des versicherten Schädigers erfasst (§ 115 Abs. 1 Nr. 2 und 3).500 Die weitere Begründung, durch diese Einschränkung des Direktanspruchs solle ein Anstieg der Beitragssätze vermieden werden,501 ist bedauerlicherweise nicht durch Kalkulationen unterlegt und auch nicht mit dem ursprünglich angestrebten Ziel, moderne und effiziente Verfahrensabläufe zu erreichen,502 abgewogen worden.

173 c) Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs an den Dritten und Folgerungen. Immerhin ist es generell – also für sämtliche Haftpflichtversicherungen – bei der Regelung des § 108 Abs. 2 geblieben: Eine Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten kann nicht durch AVB ausgeschlossen werden.503 Durch eine derartige Abtretung wird der Dritte doch häufig in die Lage versetzt werden, den VR direkt in Anspruch zu nehmen.504 Näher Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 11 ff.; Berliner Kommentar/H. Baumann § 156 Rn. 1–4, 9–18. Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 25 mit Begr. S. 50, 88 f. Vgl. Begr. der Beschlussempfehlung zu § 115 BTDrucks. 16/5862 S. 99. Der diesbezügliche Direktanspruch des § 3 Nr. 1 PflVG a. F. wurde in § 115 Abs. 1 Nr. 1 verankert mit Folgeregelungen in den anschließenden Vorschriften. Durch die vom BT-Rechtsausschuss veranlasste Einschränkung des Direktanspruchs im übrigen Bereich der Pflichthaftpflichtversicherung waren allerdings die Schutzregelungen der bisherigen §§ 158b–k VVG, soweit kein Direktanspruch besteht, zunächst ersatzlos entfallen. Dieses Versehen wurde durch das G vom 10.12.2007 (BGBl. I 2833) bereinigt, zu Einzelheiten vgl. BTDrucks. 16/6627 S. 12–14. 500 In § 115 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 a. E. wird für den Beginn der Verjährung statt auf das „Schadensereignis“ auf den „Eintritt des Schadens“ abgestellt. Damit soll klargestellt sein, dass es auf den Zeitpunkt ankommt, „in dem sich der Schaden offenbart hat und nicht auf das unter Umständen lange Zeit unerkannte Ursachenereignis“, vgl. BTDrucks. 16/5862 S. 99. 501 Vgl. Begr. der SPD-Fraktion zu den Beschlussempfehlungen des BT-Rechtsausschusses, BTDrucks. 16/5862 S. 95. 502 Allgemein bereits H. Baumann Festgabe Zivilrechtslehrer 13, 14 f. 503 Zur Interessenabwägung für diese Regelung vgl. Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 86 f. 504 Grundsätzlich in diesem Sinne bereits H. Baumann Festgabe Zivilrechtslehrer 13, 17 ff.; Einzelheiten zur Problematik bei Bruck/Möller/R. Koch9 § 108 Rn. 35 ff.; Berliner Kommentar/H. Baumann § 149 Rn. 126, § 156 Rn. 39–44; vgl.

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Im Übrigen bleibt es dabei, dass eine Versicherungspflicht immer zumindest auch im Inte- 174 resse der Geschädigten angeordnet wird, um ihnen einen verhandlungs- und zahlungsbereiten, weitgehend insolvenzsicheren „Schuldner“ (und sei es nur mittelbar) zu sichern.505 Und das genannte Verfügungsverbot soll seit jeher für alle Haftpflichtversicherungen gewährleisten, dass die Entschädigung des VR „unter allen Umständen dem Dritten zugute kommt.“506 Von dieser Basis aus erhält die Rechtsstellung des Dritten durch das neue „Verbot eines Abtretungsverbots“ eine neue Qualität, die auf anderem konstruktiven Wege507 in die Nähe des Direktanspruchs gemäß § 115 rückt. In einem weiteren Sinne kann daher die Rechtstellung des Dritten als von § 1 erfasst angesehen werden.

5. Bezugsberechtigung In einem weiteren Sinne kann auch die Bezugsberechtigung (insbes. §§ 159 f. für die Lebensver- 175 sicherung)508 als Deckung des Risikos eines Dritten angesehen werden.509 In ihren unterschiedlichen Ausgestaltungen stellt sie einen Vertrag zugunsten Dritter i. S. v. § 328 BGB dar.510 Abweichend von § 166 a. F. wird jetzt in Abs. 2 und 3 des § 159 schon klar gesetzlich zwischen widerruflicher und unwiderruflicher Bezugsberechtigung unterschieden.511 Der bezugsberechtigte Dritte erwirbt das Recht auf die Leistung des VR zu den in § 159 Abs. 2 und 3 genannten Zeitpunkten, der unwiderruflich Berechtigte bereits mit der Bezeichnung als Bezugsberechtigter (und nicht erst mit Eintritt des Versicherungsfalles). „Damit werden Fälle erfasst, in denen der VN den Bezugsberechtigten – möglicherweise schon bei Abschluss des Vertrages – endgültig sichern (!) will.“512 Bezugsberechtigung bedeutet nicht, dass hinsichtlich des Versicherungsfalles auf die Person des Berechtigten abgestellt wird. „Gefahrsperson“ ist vielmehr regelmäßig513 der VN; sein Tod löst ggf. das Recht des Dritten auf Zahlung der Versicherungssumme aus. Bei der unwiderruflichen Bezugsberechtigung verwandelt sich mithin die Phase der Sicherung in die „akute“ Phase des Geldleistungsanspruchs.514 Das „Risiko des Dritten“ besteht z. B. darin, dass der begünstigte Ehepartner oder das 176 begünstigte Kind des VN durch den Tod des VN rechtlich den Unterhaltsanspruch verliert. Die beim Tode des VN fällige Versicherungssumme ist diesbezüglich zur Kompensation bestimmt.515 Die Bezugsberechtigung kann auch der Kreditsicherung (z. B. bei der Restschuldversicherung) und damit zur Minimierung der einschlägigen Risiken des Kreditgebers dienen.516

jüngst auch OLG Köln 13.11.2007 – 9 U 204/06 VersR 2008 1103; Zur Neuregelung vgl. Schirmer ZVersWiss 2006 427, 435 ff.; Langheid VersR 2007 865; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2697 f.; relativierend Lange VersR 2008 713 m. w. N. 505 So Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 50. 506 Motive 639; Bruck/Möller/R. Koch9 § 108 Rn. 5 ff.; Berliner Kommentar/H. Baumann § 156 Rn. 1 ff. 507 H. Baumann Festgabe Zivilrechtslehrer 13, 21. 508 Vgl. auch § 176 für die Berufsunfähigkeitsversicherung und § 158 für die Unfallversicherung. 509 Bruck/Möller/Brand9 § 43 Rn. 13 f.; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 43 Rn. 16. 510 Näher Bruck/Möller/Brand9 § 43 Rn. 13; Bruck/Möller/Winter9 § 159 Rn. 17 ff.; Prölss/Martin/Schneider § 159 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Grote 159 Rn. 2. 511 Näher Begr. zu § 159 BTDrucks. 16/3945 S. 98. Zur alten Rechtslage vgl. Bruck/Möller/Winter8 Bd. V 2 Anm. H 32 ff.; Prölss/Martin/Kollhosser § 166 Rn. 7 m. w. N. 512 So Begr. zu § 159 BTDrucks. 16/3945 S. 98. 513 Andere Gestaltungen sind denkbar. 514 Vgl. Bruck/Möller/Winter9 § 159 Rn. 57 ff. 515 Näher Bruck/Möller/Winter9 § 159 Rn. 33 ff. 516 Näher Bruck/Möller/Winter9 § 159 Rn. 38 ff. und § 152 Rn. 38 ff. 539

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Vertragstypische Pflichten

6. Eintrittsrecht 177 Die Rechtsstellung des namentlich bezeichneten Bezugsberechtigten wird durch das Eintrittsrecht nach Maßgabe des § 170 Abs. 1 verstärkt. Nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 können auch die dort genannten Personen in den Versicherungsvertrag eintreten. Der bisherige VN ist nach dem Eintritt nur noch Gefahrsperson.517 Gewisse Parallelen weist § 207 Abs. 1 und 2 für die Krankenversicherung auf. Soweit es nicht um die Verstärkung der Rechtsstellung des Bezugsberechtigten geht, können diese Regelungen des Gesetzes nicht mehr als von § 1 erfasst angesehen werden.

7. Sicherung des Grundpfandrechtsgläubigers 178 Bestimmte Versicherungsarten dienen (auch) der Sicherung des Realkredits.518 Dazu enthält bereits das BGB Vorschriften zum Schutze des Grundpfandrechtsgläubigers (§§ 1127 bis 1130, 1192 Abs. 1 BGB). Der „Hypothekengläubiger“519 wurde bisher zusätzlich durch die Regelungen der §§ 97 bis 107c geschützt.520 Entsprechende, allerdings gegenüber dem früheren Rechtszustand nicht unerheblich abweichende Bestimmungen enthalten nunmehr einerseits die §§ 93 f. generell für die Sachversicherung und die §§ 142 bis 149 speziell für die Gebäudefeuerversicherung. Die VVG-Reformkommission hatte auf die genannten Regelungen zum Schutze des Realgläubigers weithin überhaupt verzichten wollen.521 Bereits der RefE hatte demgegenüber zu Recht betont, dass ein weitgehender Verzicht auf den bisherigen Schutz der Grundpfandrechtsgläubiger nicht gerechtfertigt ist.522 Dementsprechend sind die genannten Regelungen – neben § 93 auch § 94 und §§ 142 bis 149 – Gesetz geworden.523 Die dogmatische Qualifizierung einiger Regelungen, insbes. des § 143, wird wie bisher524 weiterhin umstritten bleiben. Dazu kann in diesem Rahmen nicht Stellung genommen werden.525 Jedenfalls legen die gesetzlichen Bestimmungen für den Fall eines einschlägigen Versicherungsvertrages, geschlossen zwischen VR und VN, die umfängliche Sicherung eines Risikos des Grundpfandrechtsgläubigers als eines Dritten fest. In einem weiteren Sinne kann dieser Regelungskomplex daher auch unter § 1 gezogen werden.

8. Sicherung des Kreditgebers durch Sicherungsschein 179 Gewisse – vertraglich vereinbarte – Parallelen bestehen bei der Ausstellung von Sicherungsscheinen zugunsten des Kreditgebers (Kreditinstituts) im Rahmen der Sachversicherung von Mobilien.526 Dadurch wird die Rechtstellung des Kreditgebers (Kreditinstituts), die sich zunächst nach den §§ 43 ff. richtet, vergleichbar den Regelungen zum Schutz des Grundpfand517 Näher Bruck/Möller/Winter9 § 170 Rn. 50. 518 Vgl. Überblick bei Jula Sachversicherungsrecht. 519 § 107b a. F. bzw. §§ 94 Abs. 5 und 148 ordnen eine entsprechende Anwendung auf andere Grundpfandrechte an.

520 Umfassend Bruck/Möller/R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III Anm. J 1–99. 521 Vorgesehen war nur eine Regelung, wie sie sich jetzt in etwas veränderter Form in § 93 findet. Zur Begründung der Reformkommission vgl. Abschlussbericht unter 1.2.4.5. 522 Vgl. Begr. zu § 95 RefE (= § 94) S. 95 f. 523 Begr. zum RegE: BTDrucks. 16/3945 S. 84 und S. 93 f. 524 Ausführlich zu den Vorgängerregelungen §§ 102, 103 a. F. Bruck/Möller/R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III Anm. J 45–68; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 102 Rn. 5, § 103 Rn. 9. 525 Gewisse (im Detail aber doch abweichende) Parallelen bestehen mit § 117 Abs. 1 und 2 = § 158a Abs. 1 und 2 a. F. 526 Näher Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 A.2 AKB Rn. 348 ff.; Martin SVR J IV Rn. 22. H. Baumann/Koch

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rechtsgläubigers verbessert.527 Insgesamt gesehen, ist dieses vertragliche Regelungsmodell von § 1 erfasst.

VI. Verletzung der Sicherungs- und Ausgleichspflicht 1. Verletzung der Sicherungspflicht Verletzt der VR seine Sicherungspflicht, berechtigt dies den VN zum Schadensersatz gem. § 280 180 Abs. 1 BGB, der sich im Wesentlichen auf die Kosten einer erforderlich werdenden Umdeckung beschränkt (Rn. 28, 39).

2. Verletzung der Ausgleichspflicht a) Geldleistung. Verletzt der VR seine Pflicht zum Ausgleich in Form einer Geldleistung (Regel- 181 fall), behält der VN seinen Primäranspruch auf Erfüllung (Ausgleich). Die dem VN erwachsenden Nachteile werden durch § 280 Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB vollständig erfasst. § 281 BGB ist nicht anwendbar.528 b) Naturalleistung. Bei der Erbringung von Naturalleistungen in Form von Sach- und Dienst- 182 leistungen haftet der VR für eigenes Fehlverhalten sowie das Fehlverhalten des von ihm beauftragten Dienstleisters gem. § 278 BGB, wenn er gegenüber dem VN die Verpflichtung übernommen hat, diese Leistungen selbst auf eigenes Risiko zu erbringen. So liegt der Fall in der Sachversicherung, wenn der VR es vertraglich übernommen hat, für die Beseitigung des Schadens selbst Sorge zu tragen. Misslingt die Reparatur durch die vom VR beauftragte Fachfirma, bleibt er dem VN weiterhin zur Leistung verpflichtet und haftet für alle durch die Verzögerung eingetretenen Schäden gem. §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB.529 Anstelle der (Nach-)Erfüllung kann der VN Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 BGB geltend machen.530 Verursacht der Dienstleister bei der Schadensbeseitigung Sach-, Personen- oder Vermögensschäden, haftet der VR dem VN gegenüber nach §§ 280, 241 Abs. 2 BGB, da den VR, der eine Naturalleistung verspricht, bei deren Erbringung (nicht leistungsbezogene) Schutzpflichten treffen.531 Erleiden Dritte Sach-, Personen- oder Vermögensschäden, für die der VN in Anspruch genommen wird, muss der VR ihn freistellen. Eine Haftung des VR nach § 831 BGB, die bei Personen- oder Sachschäden in Betracht kommt, scheidet aus, da der Dienstleister regelmäßig selbstständiger Unternehmer ist.532 Ist der VR nicht zur Erbringung der Dienstleistungen auf eigenes Risiko verpflichtet, so trifft 183 ihn aus § 241 Abs. 1 BGB die (leistungsbezogene Neben-)Pflicht, daran mitzuwirken, dass der mit

527 Näher Bruck/Möller/Brand9 § 43 Rn. 30 ff.; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 26; Martin SVR J IV Rn. 22. 528 OLG München 25.7.2002 – 19 U 1819/02 WuM 2002 492; Palandt/Grüneberg § 281 Rn. 5; Freitag WM 2018 2261, 2264; vgl. auch Kiehnle jurisPR-BKR 2/2019 Anm. 3 unter II. (Leistungsverlangen des Gläubigers kann nicht als Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches gedeutet werden); a. A. Jauernig/Stadler § 281 Rn. 2; MüKo-BGB/ Ernst § 281 Rn. 19. 529 R. Koch VersR 2019 449, 453. 530 Bruns § 14 Rn. 38, der § 281 BGB jedoch zu Unrecht auf den Freistellungsanspruch des VN gegen den HaftpflichtVR anwenden will; vgl. MüKo-BGB/Ernst § 281 Rn. 15: „Das Verlangen, eine dem Gläubiger gebührende Leistung in Geldersatz auszuwechseln, kann bei Dauerschuldverhältnissen zum einen hinsichtlich einer bestimmten, abgrenzbaren Leistung auftreten. Insofern gelten die allgemeinen Bestimmungen des § 281.“ 531 Vgl. OLG Karlsruhe 20.4.1995 – 12 U 278/94 RuS 1995 426; LG Köln 10.1.1990 – 24 O 269/87 RuS 1991 410. 532 R. Koch VersR 2019 449, 453. 541

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

der Dienstleistung angestrebte Erfolg eintritt,533 und alles zu unterlassen, was diesen Erfolg gefährden oder vereiteln könnte.534 Der VR, der eine Dienstleistung in Form der Vermittlung, Schadensbearbeitung oder -prävention oder Organisation verspricht, ist deshalb verpflichtet, nur geeignete, d. h. qualifizierte und zuverlässige Unternehmer mit der Ausführungen der Dienstleistung zu beauftragen. Verletzt der VR schuldhaft diese Pflicht bei der Auswahl des Dienstleisters, ist er dem VN nach § 280 Abs. 1 BGB zum Ersatz des daraus erwachsenden Schadens verpflichtet.535

184 c) Assistanceleistung. Hat der VR lediglich den Ersatz der Kosten für Assistanceleistungen versprochen, haftet er nicht für ein Fehlverhalten des Dienstleisters. Ist der VR in die Auswahl des Dienstleisters eingebunden, haftet er – wie bei den Versprechen zur Erbringung von Dienstleistungen als Naturalleistungen – für die Tauglichkeit und fachliche Eignung des Dienstleisters.536

D. Prämienzahlungspflicht des VN I. Begriff und Bedeutung 185 Die Pflicht zur Zahlung der Prämie gem. § 1 S. 2 ist Hauptleistungspflicht (und nach dem VVG zugleich die einzige echte Rechtspflicht) des VN. Obgleich sie aufgrund der amtlichen Überschrift eine „vertragstypische Pflicht“ ist, verleiht sie dem Versicherungsvertrag nicht seine Eigenart. Maßgeblich erfolgt die Prägung537 des Vertrages als Versicherungsvertrag durch die Leistungspflicht und den Status des VR. 186 Während § 1 Abs. 2 S. 2 a. F. noch bestimmte, dass als Prämie im Sinne des Gesetzes auch die beim VVaG zu entrichtenden „Beiträge“ zu gelten haben, stellt § 1 S. 2 allgemein neutraler auf die „vereinbarte Zahlung“ ab, wofür konkretisierend „der bisherige Begriff der Prämie verwendet wird. Damit erübrigt sich auch die bisherige Klarstellung in § 1 Abs. 2 S. 2 VVG, dass als Prämie auch die bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit zu entrichtenden Beiträge gelten.“538 Die Prämie539 stellt das vertraglich vereinbarte Entgelt, die Gegenleistung des VN540 für 187 die Leistung des VR dar.541 Es gibt nach h. M. keinen unentgeltlichen Versicherungsschutz.542 533 Vgl. MüKo-BGB/Bachmann § 241 Rn. 91; hingegen stuft Staudinger/Olzen (2019) § 241 Rn. 212 diese Pflicht als Schutzpflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB ein; wohl auch BeckOK-BGB/Sutschet § 241 Rn. 71.

534 Vgl. BGH 13. 3.1996 –  VIII ZR 99/94, NJW-RR 1996 949, 950; BGH 14.12.1952 – I ZR 65/53,  BGHZ 16 4, 10 = NJW 1955 460. 535 Vgl. OLG Hamm 11.10.2013 – 20 U 152/13 (juris); OLG Karlsruhe 26.7.2012 – 9 U 64/11, VersR 2013 757; OLG Bremen 26. 9.2011 – 3 U 48/10, BeckRS 2011 24093 (juris). 536 R. Koch VersR 2019 449, 455; Dreher VersR 2020 129, 131. 537 Allgemein zur Prägung des jeweiligen Schuldverhältnisses durch Hauptleistungspflichten Palandt/Grüneberg § 241 Rn. 5. 538 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. Näher zum VVaG Rn. 182 ff. S. 2 des § 1 enthielt im KomE und im RefE noch jeweils eine von der Gesetzesfassung leicht abweichende Fassung, ohne dass dies in den jeweiligen Begründungen erläutert würde, vgl. auch Rn. 1. 539 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 12 Fn. 1 weist auf begriffliche Abweichungen der Bedeutung des Wortes Prämie in anderen privatrechtlichen Zusammenhängen hin. 540 So bereits Motive zum VVG 72. 541 BGH 27.1.1999 – IV ZR 72/98, VersR 1999 433, 434; Näher Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 3. 542 Vgl. Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 37 sowie Rn. 24; Dreher Rechtsprodukt S. 37. Nach Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann VAG § 1 Rn. 18 ändert sich an dem Charakter eines VU nichts, wenn es sein „Garantieversprechen“ in Einzelfällen schenkweise gibt. Zum Status des VR und zur Prägung des Versicherungsvertrages vgl. aber Rn. 172. H. Baumann/Koch

542

D. Prämienzahlungspflicht des VN

VVG § 1

Die Prämienzahlungspflicht stellt (nach dem Gesetz)543 eine unbedingte Leistungspflicht dar.544

II. Bestandteile der Prämie Zur „vereinbarten Zahlung“ sind auch vereinbarte Nebengebühren zu rechnen.545 Ebenso zählt 188 gemäß § 7 Abs. 4 VersStG zum „Versicherungsentgelt“546 die Versicherungssteuer. Die Information gemäß § 7 Abs. S. 1 hat gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 der VVG-InfoV den „Gesamtpreis der Versicherung einschließlich aller Steuern und sonstiger Preisbestandteile“ zu enthalten. Das Produktinformationsblatt gemäß § 4 der VVG-InfoV muss „die Höhe der zu entrichtenden Prämie in Euro“ enthalten; der VN soll dadurch erkennen können, „welchen Betrag“ er zu entrichten hat.547 Beide Informationsgrundlagen sind danach synonym auszulegen.548

III. Fälligkeit und sonstige Aspekte Eine einmalige oder die erste Prämie ist unverzüglich nach Ablauf von zwei Wochen nach 189 Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen, § 33 Abs. 1; für die Lebensversicherung gilt § 152 Abs. 3 (30 Tage). Damit soll das Widerrufsrecht des VN berücksichtigt werden: Erst nach Ablauf der Widerrufsfrist ist der VN endgültig gebunden. Erst dann ist die Prämie zu zahlen.549 Hat der VN die Prämie bereits vorher gezahlt, besteht im Falle des Widerrufs eine Erstattungspflicht u. a. nach Maßgabe des § 9.550 Bezüglich weiterer Einzelheiten, insbes. zum Zahlungsverzug bei Erst- (vgl. § 37) und Folgeprämie (§ 38) ist auf die §§ 33 bis 42 und ihre Kommentierung zu verweisen.

IV. Verletzung der Prämienzahlungspflicht Verletzt der VN seine Pflicht zur Prämienzahlung bestimmen sich die Rechtsfolgen in Abhängig- 190 keit davon, ob es um die Zahlung der einmaligen oder ersten Prämie geht oder um die Folgeprämie geht, nach §§ 37, 38. Daneben bestehen Ansprüche wegen Verzugsschäden gem. §§ 280 Abs. 2, 286 BGB. Ein Rücktritt nach § 323 BGB ist ausgeschlossen.551

543 Nicht völlig ausgeschlossen erscheint die rechtsgeschäftliche Vereinbarung einer Bedingung. 544 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 39. 545 So bereits die bisher h. M., vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 149; a. M. (im Hinblick auf § 38 a. F.) Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 13 (Gegenschluss aus § 39 Abs. 4 a. F., der aber aus Gründen einer „redaktionellen Vereinfachung“ entfallen ist, vgl. Begr. zu § 38 Abs. 1 BTDrucks. 16/3945 S. 71). 546 Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 149; Juristisch nicht zum Versicherungsentgelt zählt demgegenüber die Feuerschutzsteuer nach dem Feuerschutzsteuergesetz, vgl. § 4 Abs. 2 FeuerschStG i. d. F. vom 18.1.1996 BGBl. I 18, zuletzt geändert durch Art. 15 SteueränderungsG 2015 vom 2.11.2015 (BGBl. I S. 1834). Steuerschuldner ist der VR, vgl. § 5 Abs. 1 FeuerschStG. Näher Bruck/Möller/Sieg/R. Johannsen8 Bd. III Anm. A 17 f. sowie Bruck/Möller/R. Johannsen/ K. Johannsen8 Bd. III Anm. G 165. 547 So die Begründung zu § 4 VVG-InfoV. 548 Eine übereinstimmende Wortwahl wäre sicher wünschenswert gewesen. 549 Hierzu und zu weiteren Einzelheiten vgl. Begr. zu § 33 BTDrucks. 16/3945 S. 70. 550 Näher Begr. zu § 9 BTDrucks. 16/3945 S. 62. Einzelheiten sind verwickelt, vgl. Wandt/Ganster VersR 2008 425, 429 ff. sowie die Kommentierung zu § 9. 551 Bruck/Möller/Beckmann9 § 37 Rn. 2, § 38 Rn. 4. 543

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

E. Der Versicherungsvertrag und seine Qualifizierung I. Der Versicherungsvertrag als schuldrechtlicher Vertrag eigener Art 1. Vertrag 191 Privatversicherung ist heute durchgehend Vertragsversicherung. Versicherungsverhältnisse die unmittelbar kraft Gesetzes entstehen (vgl. früher insbes. § 192 Abs. 1 a. F.),552 sind heute nicht mehr vorgesehen.553 Der Vertragscharakter, der in § 1 als konstitutives Merkmal der typischen Pflichten betont wird, ist unzweifelhaft auch bei Versicherungen gegeben, zu deren Abschluss eine gesetzliche Verpflichtung besteht, wie beispielsweise gemäß § 1 PflVG (Rn. 231 ff.).

2. Parteien des Vertrags a) Versicherer 192 aa) Überblick. Als VR kommen theoretisch gesehen die bereits genannten Unternehmen (Rn. 18) in Betracht. Aufsichtsrechtlich darf die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb gemäß § 8 Abs. 1 VAG554 nur Aktiengesellschaften einschließlich der Europäischen Gesellschaft (SE), Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts erteilt werden;555 dies gilt für Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Sonderregelungen gelten für Unternehmen mit Sitz im EWR-Ausland556 oder im sonstigen Ausland.557 § 1 „erfasst weiterhin beide grundsätzlichen Organisationsformen der Versicherung“: den 193 privatrechtlichen Versicherungsvertrag zwischen Aktiengesellschaft oder öffentlich-rechtlichem Unternehmen einerseits und ihrem VN andererseits als jeweils rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Parteien sowie auch den Versicherungsschutz im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit des VN zu einem VVaG.558 Überwiegend sind (unter Bundesaufsicht stehende) Aktiengesellschaften als VR zugelassen.559 Öffentlich-rechtliche Versicherungsunternehmen sind nach Abschaffung von Monopol- und 194 Pflichtanstalten reine Wettbewerbseinrichtungen,560 die zu ihrem VN in privatrechtlichen Vertragsverhältnissen stehen. Gewisse Besonderheiten können sich aus Landesrecht und/oder Satzung ergeben. Systematisch zu beachten ist folgendes: Sämtliche Unternehmen, die den Betrieb von Versi195 cherungsgeschäften zum Gegenstand haben (Rn. 17) und nicht Träger der Sozialversicherung (Rn. 311 ff.) sind, unterliegen als „Versicherungsunternehmen“ der Aufsicht nach dem VAG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 VAG.561 Nicht bzw. nur eingeschränkt unterliegen der Aufsicht die in § 3 Abs. 1 VAG genannten Institutionen.562 Dies enthebt ggf. nicht der Prüfung, ob von § 1 VVG erfasste Versicherungsverträge abgeschlossen werden. Entsprechendes gilt bei Fallgestaltungen, die von §§ 5, 210

552 553 554 555 556 557 558 559 560 561 562

Aufgehoben durch 3. DurchführungsG/EWG vom 21.7.1994 BGBl. I 1630. Vgl. Prölss/Dreher/Präve § 3 VAG Rn. 9; Prölss/R. Schmidt11 § 1 VAG Rn. 62 ff. Zuletzt geändert durch G vom 23.12.2007 BGBl. I 2348. Näher Prölss/Dreher/Präve § 8 VAG Rn. 14 ff. Vgl. nur Prölss/Dreher/Präve § 8 VAG Rn. 19. Vgl. nur Prölss/Dreher/Präve § 8 VAG Rn. 208. So die Formulierungen in der Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. Vgl. zur Entwicklung Prölss/Dreher/Weigel § 171 VAG Rn. 3 ff. Näher Prölss/Dreher/Präve § 8 VAG Rn. 17. Näher Prölss/Dreher/Präve § 1 VAG Rn. 13 ff.; Kaulbach/Bähr/Pohlmann § 1 VAG Rn. 2 ff. Näher Prölss/Dreher/Präve § 3 VAG Rn. 4 ff.; Kaulbach/Bähr/Pohlmann § 3 VAG Rn. 2 ff.

H. Baumann/Koch

544

E. Der Versicherungsvertrag und seine Qualifizierung

VVG § 1

VAG erfasst werden. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Sonderbestimmungen in § 211 VVG.

bb) Insbes.: der VVaG. Beim großen563 VVaG (§§ 171 ff. VAG) sind Versicherungsverhältnis und 196 körperschaftsrechtliches Mitgliedschaftsverhältnis (§ 176 S. 2 VAG) in umstrittener Weise voneinander abhängig bzw. miteinander verwoben, es sei denn, es handelt sich um Versicherungsgeschäfte gegen festes Entgelt mit Nichtmitgliedern (§ 177 Abs. 2 VAG). Ungeachtet der verschiedenen einschlägigen Theorien564 steht das Versicherungsverhältnis – entsprechend dem Zweck des VVaG (§ 17 VAG) – typischerweise im Vordergrund des Interesses des VVaG als VR und des Mitglieds als VN. Anders als bei der AG sind Mitglieder und Kunden i. d. R. identisch. Der Vorstand und die anderen Organe des VVaG stehen – unbeschadet sonstiger Spannungslagen – nicht im Spannungsverhältnis zwischen Shareholder-value- und Stakeholderinteressen wie bei der Aktiengesellschaft. Der Vorstand ist nach Maßgabe der jeweiligen Satzung verpflichtet, sein Handeln vornehmlich am Primärzweck des Vereins, Versicherung auf Gegenseitigkeit zu betreiben, auszurichten, d. h. (bei entsprechender Satzungsbestimmung) „den Verein unter eigener Verantwortung so zu leiten, wie das Wohl der Versicherten es erfordert“.565 Das Versicherungsverhältnis ist im Ansatz auch im Rahmen des VVaG ein vertragliches 197 Austauschverhältnis.566 § 1 erfasst mit den vertragstypischen Pflichten, wie bereits gesagt, „auch den Versicherungsschutz im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit des VN zu einem VVaG.“567 Die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis bestimmen sich im Ansatz regelmäßig wie bei der Versicherungs-AG vornehmlich aus dem VVG und den – branchenweit nach wie vor großenteils einheitlichen – AVB. Allerdings können Bestimmungen über das Versicherungsverhältnis statt in den AVB auch in der Satzung enthalten sein. Allgemeiner formuliert, können die relevanten Bestimmungen über den Versicherungsschutz auf Vereinssatzung und Einzelvertrag unterschiedlich verteilt werden.568 „Die Anwendung des Gesetzes“ (VVG) bleibt davon unberührt.569 Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 8.10.1997570 (im Hinblick auf Abände- 198 rungsklauseln)(Rn. 298 ff.) weitergehend entschieden: 1. AVB, die in Satzungen von VVaG enthalten sind, unterliegen der richterlichen Kontrolle nach dem AGB-Gesetz (bzw. heute nach den §§ 305 ff. BGB). 2. Dies gilt auch für solche Satzungsbestimmungen, die sowohl das vereinsrechtliche als auch das versicherungsrechtliche Verhältnis betreffen, also einen Doppelcharakter haben. Die Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGBG (heute: § 310 Abs. 4 BGB) für Gesellschaftsverträge erfasst solche Bestimmungen nicht. 3. Klauseln, mit denen sich der VR ein uneingeschränktes Recht vorbehält, Prämien, Tarife und sonstige versicherungsvertragliche Rechte und Pflichten abzuändern, sind wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG (heute: § 307 BGB) unwirksam. Konkret wurde ein Verstoß gegen das Transparenzgebot (heute: § 307 Abs. 1 S. 2 BGB) bejaht, da die Klauseln keine dem VVaG irgendwie gezogenen Grenzen für die Anpassung enthielten. Beizupflichten ist dem BGH darin, dass eine AGB-rechtliche Kontrolle nicht ohne weiteres we- 199 gen der Regelung in § 197 Abs. 3 S. 2 VAG ausscheidet.571 Andererseits führt die Entscheidung des

563 Zum kleineren VVaG vgl. die aus § 53 VAG und aus § 211 Abs. 1 Nr. 2 VVG folgenden Besonderheiten. 564 Dazu Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 36; Prölss/Dreher/Weigel § 176 VAG Rn. 12 ff.; Benkel VVaG 116 ff.; Armbrüster FS Stuttgarter Lebensversicherung a.G. (2008) 29. Benkel VVaG 150 mit Fn. 34. Deutlich z. B. BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, VersR 1997 1517, 1518. Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. BGH IV ZR 220/96 VersR 1997 1517, 1518. Vgl. auch BGH 24.10.2007 – IV ZR 94/05, VersR 2008 337, 338. So aber E. Lorenz VersR 1996 1206, 1207.

565 566 567 568 569 570 571 545

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

BGH zu der Gefahr, dass der körperschaftsrechtliche Aspekt, wie er in § 197 Abs. 3 S. 2 VAG in Ansehung der besonderen Struktur des VVaG572 zum Ausdruck kommt, zu stark vernachlässigt wird. Daher ist ein körperschaftsrechtlicher Gestaltungsspielraum im Sinne des § 197 Abs. 3 S. 2 VAG („Erlaubnisnorm“) zu befürworten, wenn für die Mitglieder diesbezüglich Klarheit und hinreichende Einflussmöglichkeiten bestehen.573 Dies setzt eine Organisationsstruktur des Vereins voraus, die jedenfalls im Bereich des Privatkunden- bzw. Massengeschäfts574 heute kaum jemals bestehen dürfte. Dass auch beim VVaG die vereinbarte Zahlung des VN der vom VN der Versicherungs-AG zu zahlenden Prämie gleichsteht, kommt im Wortlaut des § 1 zum Ausdruck.575

b) Versicherungsnehmer 200 aa) Allgemein. Der Begriff des VN ist weder im VVG noch im VAG festgelegt.576 VN können insbes. natürliche und juristische Personen (des privaten und des öffentlichen Rechts) sein, zudem rechtsfähige Personengesellschaften (vgl. § 14 BGB).577 Des Weiteren kommen aus dem Privatrecht in Betracht der nicht eingetragene Verein i. S. v. § 54 BGB,578 u. U. die Wohnungseigentümergemeinschaft579 und die Vorgesellschaften juristischer Personen.580 Die Unterscheidung zwischen Verbraucher und Unternehmer i. S. v. §§ 13, 14 BGB spielt zwar AGB-rechtlich, weniger aber unmittelbar nach VVG eine Rolle.581

201 bb) Insbes.: Großrisiken. Wichtig ist vor allem die Unterscheidung zwischen „Normalrisiken“ und „Großrisiken“ i. S. v. § 210 Abs. 2. Bei letzteren finden gemäß § 210 Abs. 1 die im VVG geregelten Beschränkungen der Vertragsfreiheit keine Anwendung (Rn. 62).582 Im VVG wird mithin nicht nur der Verbraucher i. S. v. § 13 BGB besonders geschützt, sondern auch der Kleinunternehmer, der nicht den Regeln des „Großrisikos“ unterliegt. 202 Gemäß Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO ist zudem für das IPR eine erweiterte Rechtswahl möglich.583 Vergleichbares gilt gemäß Art. 7 Abs. 3 Nr. 4 Rom I-VO für einen VN, der i. V. m. einer von ihm ausgeübten gewerblichen, industriellen oder freiberuflichen Tätigkeit einen Versicherungsvertrag schließt für Risiken, die sowohl in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten als auch in einem anderen Staat belegen sind.584 Die Unterscheidung nach „Großrisiken“ und „Normalrisiken“ ist auch in anderen Beziehungen bedeutsam (vgl. z. B. §§ 6 Abs. 6, 7 Abs. 5 S. 1, 8 Abs. 3 Nr. 4).

572 Zur Finanzierungsstruktur auch BGH IV ZR 220/96 VersR 1997 1517, 1518.; vgl. auch Prölss/Dreher/Weigel § 179 VAG Rn. 1 ff., § 197 Rn. 16 ff. 573 Näher H. Baumann JZ 1999 881, 886 f. 574 BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, VersR 1997 1517, 1518. 575 Vgl. auch Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 576 Vgl. auch Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 577 Seit BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, VersR 2001 510, 511 ist neben der OHG, KG und PartG auch die Außen-GbR regelmäßig als rechtsfähige Personengesellschaft zu qualifizieren. Zu versicherungsrechtlichen Konsequenzen der Qualifizierung der genannten Personengesellschaften als rechtsfähig vgl. z. B. BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, VersR 2008 634: KG als Trägerin des Sacherhaltungsinteresses bei Kfz-Kaskoversicherung, Mitversicherung des Sachersatzinteresses der zur Nutzung berechtigten Gesellschafter. 578 Näher Palandt/Ellenberger § 54 Rn. 2, 7. 579 Vgl. BGH 2.6.2005 – V ZB 32/05, NJW 2005 2061, 2062 und OLG Celle 26.2.2008 – 4 W 213/07, NJW 2008 1537 sowie § 10 WEG i. d. F. des G vom 26.3.2007 BGBl. I 370. 580 Vgl. nur Palandt/Sprau § 705 Rn. 5. 581 Vgl. § 310 Abs. 1 BGB und Rn. 63. 582 Näher Bruck/Möller/Renger9 § 210 Rn. 13. 583 Näher Bruck/Möller/Dörner9 Bd. 11 Art. 7 Rom I-VO Rn. 8 ff. 584 Näher Bruck/Möller/Renger9 § 210 Rn. 65 ff. H. Baumann/Koch

546

E. Der Versicherungsvertrag und seine Qualifizierung

VVG § 1

cc) Insbes.: Natürliche Personen. Gemäß § 7 Abs. 5 S. 2 sind selbst in Fällen eines Großrisi- 203 kos dem VN gewisse Informationen zu geben, wenn er eine „natürliche Person“ ist. Diese Regelung ist im Zusammenhang mit § 10a Abs. 1 S. 1 und 2 VAG a. F. zu sehen.585 Natürliche Personen sind den juristischen Personen gegenüberzustellen.586 Rechtsfähige Personengesellschaften sind demgemäß in diesem Zusammenhang vorsorglich als natürliche Personen („Gruppentheorie“)587 zu werten.588 3. Schuldrechtlicher Vertrag Der Versicherungsvertrag, dessen Parteien § 1 VR und VN nennt, ist ein schuldrechtlicher Ver- 204 trag; er verpflichtet zu (Haupt-)Leistungen i. S. v. § 241 Abs. 1 S. 1 BGB. Daneben kommen auf beiden Seiten weitere (Neben-)Pflichten und Obliegenheiten in Betracht. Darauf ist hier nicht einzugehen. Die Hauptleistung des VR besteht in der Sicherungs- und ggf. in der Ausgleichsleistung (Rn. 32 ff.). Ähnlich der Pflicht zum Einstehen aufgrund eines Garantie- bzw. Gewährvertrages589 ist auch bereits die Pflicht zum Einstehen aufgrund eines Versicherungsvertrages, die dem VN Sicherung gewährt, entsprechend der Fassung des § 1 VVG als Leistungspflicht i. S. v. § 241 Abs. 1 S. 1 BGB zu qualifizieren (Rn. 32). Wenn die Leistung des VR auf Basis der Gefahrtragungstheorie als zu unbestimmt590 bezeichnet wird,591 so ist dem jedenfalls für die vorgenannte Qualifizierung nicht zu folgen. Die Hauptleistungspflicht des VN besteht in der Pflicht zur Prämienzahlung (Rn. 185).

4. Vertrag eigener Art Der Versicherungsvertrag ist ein schuldrechtlicher Vertrag eigener Art592 und nicht unter die 205 Vertragstypen des Besonderen Schuldrechts des BGB zu subsumieren. Die Merkmale der Versicherung593 grenzen den Versicherungsvertrag von anderen Schuldvertragstypen ab.594 Das VVG ist ein (im Wesentlichen) aus dem BGB ausgelagertes Schuldrecht. Soweit nicht im VVG etwas anderes bestimmt ist oder sich aus der besonderen Struktur des Versicherungsvertrages ergibt, kommen die Vorschriften des BGB zur Anwendung.595

585 Begr. zu § 7 Abs. 5 BTDrucks. 16/3945 S. 61 unter Hinweis auf die Erfordernisse der Richtlinie 92/49/EWG (3. Richtlinie Schadensversicherung, Art. 31). § 10a VAG wurde durch Art. 7 Nr. 4 des ReformG neu gefasst, da die Information des VN jetzt im Gegensatz zu früher privatrechtlich in § 7 geregelt ist. Näher Prölss/Präve12 § 10a VAG a. F. Rn. 91 ff. sowie die Kommentierung zu § 7. 586 So wohl auch Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. 587 Vgl. nur Palandt/Ellenberger Rn. 2 vor § 21 unter Hinweis auf die Lehre von Flume. 588 So auch Prölss/Präve12 § 10a VAG a. F. Rn. 91 ff. mit Darstellung des Streitstandes; vgl. auch BGH 23.10.2001 – XI ZR 63/01, NJW 2002 368, 369 (zu §§ 1 Abs. 1, 6 Abs. 2 VerbrKrG, s. heute § 491 BGB). Die Rechtslage ist aber weiterhin zweifelhaft. 589 Vgl. Palandt/Heinrichs § 241 Rn. 4. 590 Allgemein dazu Palandt/Grüneberg § 241 Rn. 3. 591 Dreher VersR 2007 731, 732 m. w. N. in Fn. 21. 592 H.M., vgl. Hans. OLG Hamburg 2.3.1990 – 11 U 160/88 VersR 1990 475, 477; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 73; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 72; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 27; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 49; Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 150; Dreher Rechtsprodukt 61 ff.; ders. VersR 2007 731, 732. 593 Vgl. Rn. 17 ff. 594 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 47; vgl. auch Begr. A.IV. BTDrucks. 16/3945 S. 55 f.: „… Einheitlichkeit des Versicherungsvertragsrechts, das Teil des Schuldrechts ist …“ „… einheitlich geregelte und in sich geschlossene Rechtsmaterie….“ 595 Vgl. Einl. Begr. zum VVG a. F. Motive 65. 547

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

II. Gegenseitiger Vertrag 1. Grundsatzproblematik 206 Durch Abschluss des Versicherungsvertrages, den formellen Versicherungsbeginn,596 verpflichtet sich der VR zur Absicherung des Risikos in vorgenanntem Sinne und ggf. zur Ausgleichsleistung. Die Absicherung oder – anders formuliert – der Versicherungsschutz beginnt allerdings erst mit dem materiellen Versicherungsbeginn.597 Gefahrübernahme seitens des VR in diesem Sinne und Prämienzahlung seitens des VN bzw. die diesbezüglichen Verpflichtungen der Vertragspartner stehen in dem von §§ 320 ff. BGB vorausgesetzten Gegenseitigkeitsverhältnis. Der VN verpflichtet sich zur (unbedingten) Prämienzahlung (Rn. 187), weil und damit ihm der VR von Anfang an Sicherheit in Form des Versicherungsschutzes gewährt; dies geschieht durch das (unbedingte) Versprechen des VR, bei Eintritt einer bestimmten Bedingung (Versicherungsfall) die im Versicherungsvertrag festgelegte Ausgleichsleistung598 zu erbringen. Die Pflicht zur unbedingten Sicherungsleistung, gekoppelt mit der Pflicht zur bedingten Ausgleichsleistung, und die Pflicht zur unbedingten Prämienleistung stehen sich synallagmatisch599 gegenüber. 207 Allerdings wird die Auffassung vertreten, dass die beim Eintritt des Versicherungsfalls vom VR zu erbringende Ausgleichsleistung nicht Gegenleistung, sondern (lediglich) eine Leistung aufgrund der Gegenleistung, also aufgrund des durch die Gefahrübernahme begründeten Versicherungsschutzes sei.600 Dies ist zumindest missverständlich – ähnlich wie Formulierungen zur Lehre von der Anwartschaft (Rn. 34). Die Pflicht zur Ausgleichsleistung ist zwar eine aus der Gefahrübernahme des VR – bei Eintritt des Versicherungsfalls – folgende Leistungspflicht. Beide Ausprägungen der Leistungspflicht sind aber auf Basis des § 1 unter Ausrichtung an §§ 133, 157 BGB als Gegenleistung des VR zu werten. Demgemäß ist z. B. eine Vorleistungspflicht des VN i. S. v. § 321 BGB zu bejahen (Rn. 43) und in einschlägigen Fällen hat der VR erst mit Erbringung der Ausgleichsleistung den Versicherungsvertrag voll erfüllt. Diese Einschätzung wird bei Insolvenz des VN auch am ehesten dem § 103 Abs. 1 InsO gerecht, wonach das dort verankerte Wahlrecht des Insolvenzverwalters davon abhängt, dass der gegenseitige Vertrag z. Z. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beiderseits nicht oder nicht vollständig erfüllt ist. Versicherungsverträge gehören grundsätzlich zu den gegenseitigen Verträgen im Sinne dieser Vorschrift.601 Hat der VR beispielsweise im Falle des Eintritts eines Versicherungsfalls die Ausgleichsleistung noch nicht bewirkt, so hat er (zwar die Sicherungsleistung erbracht, aber) noch nicht vollständig erfüllt.602 Diese Sicht kann weiter für den Ausschluss des Widerrufsrechts gemäß § 8 Abs. 3 S. 2 bedeutsam werden, der für den Fall angeordnet ist, dass beide Vertragsparteien auf ausdrücklichen Wunsch des VN den Versicherungsvertrag vollständig erfüllt haben, bevor der VN sein Widerrufsrecht ausgeübt hat. Diese Regelung geht auf § 48c Abs. 3 a. F. und letztlich auf Art. 6 Abs. 2 lit. c der Fernabsatzrichtlinie II vom 23.9.2002603 zu-

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Vgl. Bruck/Mölller/R. Johannsen/R. Koch § 2 Rn. 8. Hierzu Bruck/Mölller/R. Johannsen/R. Koch § 2 Rn. 8. Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56. Die Geldleistungstheorie stellt heute die „bedingte Schadenszahlung“ in das Gegenseitigkeitsverhältnis ein, vgl. Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 72; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 150; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 71; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1 Rn. 34; Schmidt-Rimpler Gegenseitigkeit 61 ff.; Dreher Rechtsprodukt 89 ff. a. A. Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 35; Schwintowski JZ 1996 702, 703: unvollkommen gegenseitiger Vertrag; zu den dogmatischen Schwierigkeiten siehe aber Dreher Rechtsprodukt 85 ff. 600 Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 136. 601 Näher Bruck/Mölller/K. Johannsen/R. Koch Anhang zu § 16 Rn. 10. 602 Näher Bruck/Mölller/K. Johannsen/R. Koch Anhang zu § 16 Rn. 17; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 7. 603 Vgl. Begr. zu § 8 Abs. 3 BTDrucks. 16/3945 S. 62. H. Baumann/Koch

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E. Der Versicherungsvertrag und seine Qualifizierung

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rück.604 Allein in dem Umstand, dass der VR bereits Versicherungsschutz gewährt (und der VN die Prämie gezahlt hat) kann aber noch nicht eine vollständige Erfüllung des Versicherungsvertrages in diesem Sinne gesehen werden (falls ein Versicherungsfall eingetreten ist).

2. Rückabwicklung bei Mängeln des Vertragsabschlusses a) Folgerungen aus unterschiedlichen Konzeptionen zur Leistung des VR. Die unter- 208 schiedlichen Auffassungen zur Leistung(spflicht) des VR (Rn. 27 ff.) wirken sich auch bei der Beurteilung der Konsequenzen einer Rückabwicklung des Versicherungsvertrages aus. Nach der originären Gefahrtragungstheorie ist die Gefahrtragung eine Leistung, die im Sinne des Rücktritts- und Bereicherungsrechts vom VN nicht zurückgewährt werden kann. Deshalb gebühre dem VR trotz Rücktritts oder Anfechtung grundsätzlich die Prämie,605 was in § 40 Abs. 1 S. 1 a. F. konsequent zum Ausdruck gekommen sei. Auf dem Boden der Geldleistungstheorie kann demgegenüber der VR dem Bereicherungsanspruch des VN auf Rückzahlung der Prämie nicht eine (zeitweilige) Gefahrtragung entgegenhalten.606 Dörner und E. Lorenz knüpfen – zum Bereicherungsrecht – konsequent an die Nichtigkeit des Vertrages an: Ist der Vertrag gemäß §§ 104, 134 oder 138 BGB von Anfang an nichtig oder durch Anfechtung rückwirkend (§ 142 BGB) nichtig geworden, so hat der VR rechtlich keine Gefahr getragen und dementsprechend keinen Bereicherungsanspruch.607 Dem VN steht demgegenüber konzeptionell ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB auf Prämienrückzahlung zu. Entsprechendes soll (unbeschadet spezieller Regelungen) im Falle eines Rücktritts gelten. Überwiegend wird dem VR allerdings im Rahmen des § 818 Abs. 3 BGB ein Abzug für Vertragskosten zugestanden.608 Auf Basis der hier vertretenen Konzeption (Rn. 32 ff.) stehen dem VR, wenn der Vertrag 209 von vornherein nichtig ist oder nach § 142 Abs. 1 BGB rückwirkend vernichtet wird, keine Prämienansprüche zu, da der VN rechtlich keine Sicherungsleistung (und ggf. keine Ausgleichsleistung)609 erlangt hat. Demgemäß kann der VN ggf. nach § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt BGB Rückzahlung der Prämie verlangen. Insoweit besteht Übereinstimmung mit dem Standpunkt von Dörner und E. Lorenz. Dies gilt prinzipiell auch für Fälle des Rücktritts. Allerdings hat der VR entsprechend der hier vertretenen materialen Sicherungskonzeption (Rn. 37 ff.) u. U. Aufwendungen – etwa für Eigenmittel, Rückversicherungsschutz – gehabt, die möglicherweise nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Dann kommt konzeptionell durchaus in Betracht, den Prämienrückzahlungsanspruch des VN über § 818 Abs. 3 BGB entsprechend zu kürzen, soweit es sich um Aufwendungen handelt, die der VR im Vertrauen auf die Beständigkeit des Prämienzuwachses gemacht hat, und soweit der VN das Entreicherungsrisiko zu tragen hat.610 Insoweit steckt in der originären Gefahrtragungstheorie ein zutreffender Kern. b) Gesetzliche Neuregelung. Schon der Rechtssicherheit halber haben indessen spezifische 210 gesetzliche Regelungen Vorrang, zumal wenn mit ihnen in Kenntnis der Problematik detaillierte Entscheidungen getroffen worden sind. Dies ist für § 39 zu bejahen. Die Vorschrift weicht in S. 1

604 In der Begr. zu § 48c Abs. 3 a. F. heißt es, dass es im Bereich des Versicherungsrechts mit Verbrauchern kaum Fälle geben werde, die vor Ende der Widerrufsfrist erfüllt sind, vgl. BTDrucks. 15/2946 S. 30. 605 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 43. 606 Prölss/Martin/Prölss27 § 1 Rn. 25 m. w. N. aus Rspr. und Lehre. 607 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 56; Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 137 ff. 608 Berliner Kommentar/Dörner § 1 Rn. 56; Prölss/Martin/Prölss27 § 1 Rn. 25; vgl. auch Sieg VersR 1988 309, 310 f.; zweifelnd Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 140. 609 Auf Fälle einer zwischenzeitlich vom VR erbrachten Ausgleichsleistung wird in diesem Rahmen nicht eingegangen. 610 Vgl. dazu allgemein Palandt/Sprau § 818 Rn. 30, 40 ff.; Erman/Buck-Heeb § 818 Rn. 37. 549

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§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

nicht nur für Fälle von Kündigungen vom früheren „Prinzip“ der Unteilbarkeit der Prämie ab,611 sondern soll grundsätzlich auch für Fälle der rückwirkenden Vertragsbeendigung durch Anfechtung oder Rücktritt gelten, so dass „kein Prämienanspruch besteht, da die vertragliche Gefahrtragung (!) durch den VR mit Wirkung ex tunc entfällt.“ Ausnahmen hiervon sind in Betrugsfällen612 vorgesehen und in den Fällen des § 39 S. 2.613 Angesichts dieser „grundsätzlichen Neugestaltung“,614 die auch der Klarheit und Vereinfachung dient, ist die vorstehend dargelegte Konzeption derzeit weithin (Rn. 217) nur von rechtspolitischem Interesse. Auch gegen die Zuerkennung von Vertragskosten unter dem Aspekt des § 818 Abs. 3 BGB bestehen angesichts der Neuregelung Bedenken, zumal § 39 Abs. 1 S. 3 dem VR nur sehr speziell, wie nach § 40 Abs. 2 S. 2 a. F., im Falle des Rücktritts gemäß § 37 Abs. 1 eine angemessene Geschäftsgebühr zuspricht. Außerdem sind „Kosten“ in § 39 Abs. 2 (vgl. § 40 Abs. 3 a. F.) wiederum nur für einen Spezialfall angesprochen. Und von § 39 kann nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden, § 42.

III. Dauerschuldverhältnis 211 Dass das Versicherungsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis darstellt, ist heute allgemeine Meinung.615 Kennzeichnend für das Dauerschuldverhältnis sind die zeitliche Dimension und die ständige Pflichtenanspannung der Parteien, so dass während der Laufzeit des Dauerschuldverhältnisses ständig neue Leistungspflichten (sowie Nebenpflichten616 und Obliegenheiten) entstehen. Es werden ein dauerndes Verhalten und/oder wiederkehrende Leistungen geschuldet, und der Gesamtumfang der Leistung hängt von der Dauer der Rechtsbeziehung ab.617 Beim Dauerschuldverhältnis ist es mithin nicht ungewöhnlich, dass immer wieder neue – beiderseitige – Leistungspflichten entstehen, die dann wie bei Abschluss des Vertrages auch laufend typischerweise der gegenseitigen Zweckbindung unterliegen werden. Beim Versicherungsvertrag entstehen auf Seiten des VR noch nicht einmal neue Leistungspflichten. Vielmehr besteht von Anfang an die Sicherungspflicht mit ständiger Pflichtenanspannung, was die Erfordernisse der materialen Sicherung (Rn. 37 ff.) anbelangt. Leistungspflichten in Form einer Ausgleichspflicht können entstehen, je nach Versicherungsvertrag einmalig oder auch im Laufe des Vertragsverhältnisses mehrmalig. Dabei stellt die Ausgleichspflicht eine Fortsetzung der Sicherungspflicht mit verwandeltem Inhalt dar. Sicherungspflicht und Ausgleichspflicht können im Rahmen des gleichen Vertragsverhältnisses sogar nebeneinander bestehen.618 Den VN trifft die Hauptleistungspflicht der Prämienzahlung (Rn. 185). Auch in diesem Rah212 men ist die vom VR bei Eintritt des Versicherungsfalls zu erbringende Ausgleichsleistung als eine in das Synallagma einzustellende Gegenleistung anzusehen. Nur ein derartiges Verständnis dürfte wiederum dem (hypothetischen) Willen der Parteien i. S. v. §§ 133, 157 BGB entsprechen und harmoniert mit einer „kombinierten Theorie“ (Rn. 35).

611 Begr. zu § 39 BTDrucks. 16/3945 S. 72. Kritisch bereits Bruck/Möller/Möller8 § 40 Anm. 4. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der früheren Rechtslage vgl. Prölss/Martin/Prölss27 § 40 Rn. 9–12b.

612 Vgl. § 74 Abs. 2 (Überversicherung), § 78 Abs. 3 (Mehrfachversicherung) und § 80 Abs. 3 (fehlendes versichertes Interesse). 613 Begr. zu § 39 BTDrucks. 16/3945 S. 72. 614 Vgl. Begr. zu § 39 BTDrucks. 16/3945 S. 72. 615 BGH 27.3.1991 – IV ZR 130/90, VersR 1991 580, 581 ff.; OLG Düsseldorf 5.7.2005 – I-4 U 133/04 VersR 2006 250; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 74; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 27; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 83 ff.; Dreher Rechtsprodukt 111 ff.; Fenyves/Schauer/Fenyves § 1 VersVG Rn. 44; skeptisch Schmidt/Rimpler Gegenseitigkeit 67 ff. 616 Palandt/Grüneberg § 314 Rn. 2; Erman/Böttcher § 314 Rn. 3a. 617 Palandt/Grüneberg § 314 Rn. 2. 618 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 49. H. Baumann/Koch

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E. Der Versicherungsvertrag und seine Qualifizierung

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Richtig ist, dass die §§ 320 ff. BGB, deren Bedeutungsgehalt im Übrigen durch die Schuldrechtsreform verringert worden ist,619 nicht ohne weiteres unbesehen auf den Versicherungsvertrag angewendet werden können.620 Diese Vorschriften sind primär auf das „normale“ Schuldverhältnis, nicht auf das Dauerschuldverhältnis zugeschnitten. Und das VVG enthält für den Versicherungsvertrag als Dauerschuldverhältnis zudem zahlreiche Sonderregelungen, die den §§ 320 ff. BGB vorgehen,621 beispielsweise die §§ 37, 38. Auch diese Sonderregelungen sind indessen rechtssystematisch als Ausfluss des „do ut des“-Gedankens des gegenseitigen Vertrages zu begreifen. Als Dauerschuldverhältnis ist die Laufzeit des Versicherungsvertrages i. d. R.622 nach Zeiträumen bemessen (§ 10). Der Zeitraum eines Jahres gilt als Versicherungsperiode, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist (§ 12). Ob und inwieweit der Zeitraum einer Versicherungsperiode eine Rolle spielt623 oder das Versicherungsverhältnis gleichwohl für die gesamte Laufzeit als Einheit aufzufassen ist624 oder auch nur bis zur ersten Kündigungsmöglichkeit,625 muss jeweils besonders geprüft werden. Entsprechendes gilt für die Frage der Teilbarkeit der Leistungen i. S. v. § 105 InsO.626 Als geeignete Form der Beendigung des Vertrages kommt regelmäßig die Kündigung in Betracht (vgl. z. B. §§ 11, 24, 28 Abs. 1, 38 Abs. 3, 40, 52 Abs. 4 innerhalb der Vorschriften für alle Versicherungszweige). Ein Rücktrittsrecht ist im Gesetz nur vorgesehen, wenn das Versicherungsverhältnis von Anfang an Mängel aufweist (vgl. z. B. §§ 19 Abs. 2, 37 Abs. 1). Dem VR steht gleichwohl die Prämie bis zum Wirksamwerden der Rücktrittserklärung (§ 39 Abs. 1 S. 2 1. Alt.) oder eine angemessene Geschäftsgebühr (§ 39 Abs. 1 S. 3) zu. Das seit der Schuldrechtsreform in § 314 BGB verankerte Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grunde gilt – wie vor der gesetzlichen Regelung durch die Rechtsprechung entwickelt627 – auch beim Versicherungsvertrag, soweit das VVG dieses Recht nicht ausschließt.628 Die spezifischen außerordentlichen Kündigungsrechte nach einem Versicherungsfall, die bisher in §§ 96, 113 und 158 VVG für die Feuer-, Hagel- und Haftpflichtversicherung verankert waren,629 haben jetzt in § 92 für die gesamte Sachversicherung und in § 111 für die Haftpflichtversicherung Niederschlag gefunden.630 Die Prämie ist anders als nach alter

619 Palandt/Grüneberg Rn. 16 vor § 320. 620 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 72; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 71; zu weitgehend allerdings Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 36, der den Versicherungsvertrag überhaupt nicht als gegenseitigen Vertrag begreift. 621 Zum Verhältnis des Versicherungsvertragsrechts zum allgemeinen bürgerlichen Recht s. R. Koch FS 100 Jahre Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg 696 ff. 622 Abweichungen gibt es z. B. in der Transportversicherung. 623 Allg. Bruck/Möller/K. Johannsen/R. Koch § 10 Rn. 4; vgl. auch Dörner/Simon Forum Versicherungsrecht 2006, 179, 192 f., 203 ff. für Sachversicherungen in der Insolvenz des VN. 624 So für die (kapitalbildende) Lebensversicherung Bruck/Möller/Winter9 § 169 Rn. 32; Prahl VersR 2006 884, 885. 625 Vgl. für Fälle der Insolvenz des VN Prölss/Martin/Armbrüster Anhang zu § 16 Rn. 7; Berliner Kommentar/Gruber § 14 Rn. 7; Dörner/Simon Forum Versicherungsrecht 2006, 179, 211 ff. 626 Nach allgemeiner Ansicht ist § 105 InsO auf Versicherungsverträge anwendbar, weil die versicherungsvertraglich geschuldeten Leistungen teilbar sind; vgl. OLG Düsseldorf 5.7.2005 – I-4 U 133/04 VersR 2006 250 f.; Uhlenbruck/Wegener InsO 14. Aufl. (2015) § 105 Rn. 24; Andres/Leithaus/Andres Insolvenzordnung 4. Aufl. (2018) § 105 Rn. 4; MüKo-InsO/Kreft 4. Aufl. (2019) § 105 Rn. 15. 627 BGH 27.3.1991 – IV ZR 130/90, VersR 1991 580, 581 f.; OLG Hamm 24.8.1990 – 20 U 302/89, VersR 1991 452, 453 f. 628 BGH 7.12.2011 – IV ZR 105/11, NJW 2012 1365 Rn. 7 ff. (zum Anwendungsbereich des § 206 Abs. 1 S. 1 VVG). 629 Vgl. dazu BGH 27.3.1991 – IV ZR 130/90, VersR 1991 580, 581 f.; Berliner Kommentar/H. Baumann § 158 Rn. 3 ff. 630 Nach der Begr. (BTDrucks. 16/3945 S. 83) ist bei der Sachversicherung ein Bedürfnis der Vertragspartner anzuerkennen, das Versicherungsverhältnis unmittelbar nach dem Eintritt des Versicherungsfalls beenden zu können. 551

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§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

Rechtslage631 nach der Reform grundsätzlich pro rata temporis zu berechnen (§ 39 Abs. 1 S. 1).632 217 Die für die Dauerschuldverhältnisse des Arbeits- und des Gesellschaftsvertrages633 entwickelten Grundsätze über „faktische“ – treffender: „fehlerhafte“ – Verträge gelten für den Versicherungsvertrag nicht.634 Nach den genannten Grundsätzen ist nach der Invollzugsetzung der betreffenden Verträge eine Rückabwicklung wegen Fehlerhaftigkeit – etwa gemäß §§ 119, 123 BGB – nicht mehr zulässig, sondern nur eine in die Zukunft wirkende Beendigung der Verträge. Beim Versicherungsvertrag kommt demgegenüber eine Rückabwicklung aufgrund des § 142 Abs. 1 BGB durchaus in Betracht. § 22 legt das hinsichtlich der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung klar zugrunde. Allerdings steht dem VR die Prämie bis zum Wirksamwerden der Anfechtungserklärung zu (§ 39 Abs. 1 S. 2), was nach der Rechtsprechung des BGH zu §§ 22, 40 Abs. 1 S. 1 a. F. unter dem Aspekt der Generalprävention gerechtfertigt erscheint.635 Allerdings sind gegen diese Rechtsprechung verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden, selbst wenn der VR die Prämie im Falle einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nur bis zu dem Zeitpunkt verlangte, in dem er von der arglistigen Täuschung Kenntnis erhielt.636 Es liege ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vor, wenn der VN die unter Umständen über viele Jahre gezahlte Versicherungsprämie einbüße, ohne jemals Versicherungsschutz genossen zu haben. Eine vergleichbare Konstellation könnte sich hierzu auch nach neuer Rechtslage ergeben. Die zur alten Rechtslage erhobenen Bedenken relativieren sich indessen (abgesehen vom Gedanken der Generalprävention) auch mit Blick auf § 39 Abs. 1 S. 2, wenn (und soweit) sich die zur „materialen Sicherungskonzeption“ entwickelten Vorschläge (Rn. 209) als tragfähig erweisen sollten. – Eine Anfechtung wegen Irrtums i. S. v. § 119 BGB ist für den VR ausgeschlossen, soweit die Regelungen der §§ 19 ff. über die vorvertragliche Anzeigepflicht einschlägig sind.637

IV. Handelsgeschäft 218 Der Versicherungsvertrag kann ein einseitiges oder beiderseitiges Handelsgeschäft (vgl. §§ 345, 343 Abs. 1 HGB) sein. Die Versicherungs-AG gilt als Handelsgesellschaft (§ 3 Abs. 1 AktG), so dass über § 6 Abs. 1 HGB Handelsrecht zur Anwendung kommt. Auf den großen VVaG finden die hier einschlägigen handelsrechtlichen Vorschriften nach Maßgabe des § 16 S. 1 VAG Anwendung, auf den kleineren dagegen nicht (§ 210 Abs. 2 VAG). Öffentlich-rechtliche Unternehmen müssen auch als Wettbewerbsunternehmen nicht notwendigerweise Handelsgesellschaft sein, wenn der Gewerbebegriff nicht erfüllt wird. Soweit der Versicherungsvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag begriffen wird (Rn. 222), müsste im Einzelfall für den Vertragsabschluss auch § 362 HGB zur Anwendung kommen. Das ist aber abzulehnen.638 219 Ist auch der VN Kaufmann und gehört der Versicherungsvertrag zum Unternehmensbereich (§§ 343 Abs. 1, 344 Abs. 1 HGB), so sind Handelsbräuche zu berücksichtigen (§ 346 HGB). Das

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Vgl. insbes. § 40 a. F. Zu Ausnahmen vgl. insbes. § 39 Abs. 1 S. 2. Vgl. nur Palandt/Weidenkaff Rn. 29 vor § 611 m. w. N.; Palandt/Sprau § 705 Rn. 18. Vgl. BGH 1.6.2005 – IV ZR 46/04, VersR 2005 1065; OLG Saarbrücken 13.10.2000 – 5 U 624/00-50, VersR 2001 751. Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 79; a. A. OLG Nürnberg 23.12.1999 – 8 U 3364/99, VersR 2000 437; vgl. auch OLG Nürnberg 26.10.2000 – 8 U 282/00, VersR 2001 1368. 635 BGH 1.6.2005 – IV ZR 46/04, VersR 2005 1065; vgl. auch OLG Nürnberg 2.5.2006 – 8 U 597/06 VersR 2006 1627 sowie zum früheren Streitstand Prölss/Martin/Prölss27 § 22 Rn. 15. 636 Looschelders JR 2006 423 f. (Urteilsanmerkung zu BGH 1.6.2005 – IV ZR 46/04, VersR 2005 1065). 637 BGH 22.2.1995 – IV ZR 158/94, VersR 1995 457, 458; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 152. Vgl. auch BGH 7.2.2007 – IV ZR 5/06, VersR 2007 630 Rn. 15. 638 Baumann/Schirmer/Zschockelt/H. Baumann Ist das VVG für die Lebensversicherung reformbedürftig? (1999) 94. H. Baumann/Koch

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E. Der Versicherungsvertrag und seine Qualifizierung

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kann auch bei der Auslegung von AVB639 und bei der Inhaltskontrolle (vgl. § 310 Abs. 1 S. 2 letzter Halbs. BGB) einschlägiger AVB Relevanz erlangen. Kaufleute untereinander können Fälligkeitszinsen verlangen (§ 353 S. 1 HGB). Der gesetzliche Zinssatz beträgt 5 % (§ 352 Abs. 1 S. 1 HGB), für Verzugszinsen ist § 288 Abs. 2 BGB (8 % über dem Basiszinssatz) einschlägig. Ist die Abtretung einer Geldforderung640 durch Vereinbarung zwischen Gläubiger und 220 Schuldner gemäß § 399 BGB ausgeschlossen und ist das Rechtsgeschäft, das diese Forderung begründet hat, für beide Teile ein Handelsgeschäft, so ist die Abtretung nach § 354a HGB gleichwohl wirksam. Auch eingeschränkte Abtretungsverbote, z. B. die Aufstellung eines Zustimmungserfordernisses, sind von § 354a HGB erfasst.641 Solche (eingeschränkten) Abtretungsverbote sind häufig in AVB enthalten, z. B. in A.2.7.4 AKB. Nach h. M. soll § 354a HGB auf Entschädigungsforderungen aus Versicherungsverträgen, bei denen der VN Kaufmann ist, Anwendung finden.642 Die Anwendung von § 354a HGB auf solche Forderungen ist mit Blick auf den Normzweck sehr fraglich.643 Die zwingende Regelung des § 354a HGB soll sicherstellen, dass Geldforderungen aus Warenlieferungen und Dienstleistungen zediert werden können, sei es zur Sicherung an Waren- und Geldkreditgeber (Vorbehaltslieferanten und Kreditinstitute) oder zur Finanzierung an Factoringinstitute (Verkehrsschutzzweck). Selbst wenn man die Anwendbarkeit bejahte, wäre der VR nach § 354a Abs. 1 S. 2 HGB im Übrigen weiterhin berechtigt, mit befreiender Wirkung an den VN zu leisten. Insofern lässt § 354a Abs. 1 HGB die Wirkungen eines vereinbarten Abtretungsverbots zugunsten des Schuldners, hier also des VR, fortbestehen; anders als nach § 407 BGB kommt es auf die Kenntnis des VR von der Abtretung nicht an.644 Auch ist eine Aufrechnung des VR gegenüber dem Neugläubiger möglich.645 Gemäß § 354a S. 1 HGB gilt das Gesagte auch, wenn der Schuldner eine juristische Person 221 des öffentlichen Rechts ist. Einzelheiten hierzu sind noch nicht geklärt. Es wird (auch) hierbei darauf ankommen, dass das Geschäft zumindest für den VN ein Handelsgeschäft, die Kaufmannseigenschaft der juristischen Person aber nicht gefordert ist. Zur Bedeutung des Handelsrechts vgl. auch Bruck/Möller/Beckmann Einf A Rn. 207 ff.

V. Abgrenzung zu abweichenden Qualifizierungen 1. Geschäftsbesorgungsvertrag a) Allgemein. Nachdem bereits früher der Versicherungsvertrag in die Nähe eines Geschäftsbe- 222 sorgungsvertrages gerückt worden war,646 ist in jüngerer Zeit verschiedentlich die Idee des Versicherungsvertrages als eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit Treuhandcharakter verfochten worden.647 Diese Lehre, die (insbes. in der Lebensversicherung) die Prämie (rechtlich) aufspalten und dem VR allein ein Entgelt für die treuhänderische Organisation der Gefahrengemeinschaft zugestehen will, ist abzulehnen.648 Sie entspricht, wie in jüngster Zeit auch höchstrich639 640 641 642

H. Baumann FS E. Lorenz zum 70. Geb. (2004) 111, 123 ff. Zur Abtretung des Freistellungsanspruchs in der Haftpflichtversicherung vgl. § 108 Abs. 2 und dazu Rn. 165. BGH 26.1.2005 – VIII ZR 275/03, NJW-RR 2005 624, 626; Baumbach/Hopt § 354a Rn. 1. OLG Hamm 5.12.1997 – 20 U 230/96, VersR 1999 44, 45; OLG Köln 13.11.2001 – 9 U 14/00, NVersZ 2002 516; OLG Köln 20.11.2001 – 9 U 39/00 NVersZ 2002 270; Prölss/Martin/Knappmann A.2.14 AKB 2008 Rn. 4. 643 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 A.2 AKB 2015 Rn. 693. 644 BGH 26.1.2005 – VIII ZR 275/03, NJW-RR 2005 624, 626; Baumbach/Hopt § 354a Rn. 1. 645 BGH 13.2.2003 – VII ZR 267/01, NJW 2003 1182, 1183 f.; BGH 26.1.2005 – VIII ZR 275/03, NJW-RR 2005 624, 626. 646 Vgl. Eichler Festgabe Möller (1972) 177, 191 f. m. w. N. 647 Insb. Wolfgang B. Schünemann JZ 1995 430; ausführlich und kritisch Pataki Der Geschäftsbesorgungsgedanke im Versicherungsrecht (1998). 648 So die ganz h. M., vgl. Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 82 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 124; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 73; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 58 f.; Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 29; Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 155 f.; Pataki 98 und passim. 553

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

terlich649 und noch einmal in der Regierungsbegründung des ReformG650 zum Ausdruck gekommen ist, nicht dem geltenden Recht. Als Geschäftsbesorgung ist eine selbstständige Tätigkeit wirtschaftlicher Art zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen anzusehen, für die ursprünglich der Geschäftsherr selbst zu sorgen hat, die ihm aber durch den Geschäftsbesorger abgenommen wird. Zwar mag eine solche Konzeption rechtssystematisch möglich sein.651 Sie setzt aber voraus, dass das unternehmerische Risiko bis hin zu etwaigen Nachschusspflichten der VN nach Gesetz (§§ 675, 670 BGB)652 und Vertrag von diesen zu tragen ist. Dies entspricht jedenfalls im Bereich der Erwerbsversicherung der Aktiengesellschaft653 weder der Konzeption des Gesetzes noch den Vorstellungen und Interessen der Vertragsparteien. Auch ein im Jahr 1997 von der SPD-Fraktion eingebrachter Gesetzesentwurf,654 der de lege ferenda in vorgenannte Richtung zielte, ist nicht Gesetz geworden.

223 b) Kautionsversicherungsvertrag. Speziell für den Kautionsversicherungsvertrag – unter ausdrücklicher Abgrenzung zu andersartigen Versicherungsverträgen, insbes. auch zum Lebensversicherungsvertrag – hat der BGH (9. Zivilsenat) allerdings einen Geschäftsbesorgungsvertrag i. S. v. § 675 BGB bejaht, der seiner wirtschaftlichen Funktion nach mit dem bankrechtlichen Avalkreditvertrag vergleichbar sei. Dieser Vertrag falle insolvenzrechtlich nicht unter § 103 InsO, sondern erlösche mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §§ 116, 115 InsO.655 Selbst angesichts der spezifischen Besonderheiten der Kautionsversicherung kann diese höchstrichterliche Rechtsprechung, die sich mit den Grundlagen des Versicherungsvertrages nicht auseinandersetzt, indes nicht überzeugen.656

2. Hedge-ähnliches Geschäft 224 Gegen eine Qualifikation des Versicherungsvertrages als gegenseitigen Vertrag hat sich Schwintowski ausgesprochen und stattdessen ein zweiseitiges (aber nicht gegenseitiges) Hedge-ähnliches Geschäft angenommen.657 Er verneint – zu Unrecht – eine Sicherungsleistung und/oder eine bedingte Geldleistung als relevante Gegenleistung des VR. Sicherheit sei keine Leistung im Rechtssinne, sondern nur eine im ökonomischen Verständnis.658 Dies ist bereits mit Blick auf §§ 232 ff. BGB659 unzutreffend. Generell ist z. B. das Eingehen einer Bürgschaftsverpflichtung oder das Verschaffen eines dinglichen (Sicherungs-)Rechts eine Leistung im rechtlichen Sin-

649 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, VersR 2005 1565 (Lebensversicherung); BVerfG 29.5.2006 – 1 BvR 240/98 VersR 2006 961, 963 (Unfallversicherung). 650 Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56: „Falls eine dritte denkbare Form der Versicherung – ein Geschäftsbesorgungsbetrag … – in Zukunft (!) realisiert werden sollte …“. 651 Zum Streitstand Pataki 20 ff. 652 Näher Pataki 89 ff.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 73. 653 Auf „deutliche Parallelen zur VVaG-Versicherung“ weist die Begr. zu § 1 BTDrucks. 16/3945 S. 56 hin. 654 BTDrucks. v. 2.7.1997 13/8163 = VersR 1997 946. Näher dazu Pataki 98 ff.; vgl. auch Eppe VersR 2008 1316, 1319. 655 BGH 6.7.2006 – IX ZR 121/05, VersR 2006 1637–1639; ebenso BGH 18.1.2007 – IX ZR 202/05, VersR 2007 1367– 1368. 656 Zu Recht ablehnend: Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 105; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 34 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 16 Rn. 13. Thomas/Dreher VersR 2007 731 in ausführlicher Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur. Vgl. auch Vogel ZIP 2007 2198 sowie Hogrefe VersR 2007 1489. 657 Schwintowski JZ 1996 702; ders. VersWiss. Stud. Bd. 6 (1997) 27 ff., 44 ff. 658 Schwintowsk JZ 1996 702, 703 Fn. 19. 659 Zur Parallelität mit der Sicherungspflicht im materialen Sinne vgl. Rn. 37 f. H. Baumann/Koch

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E. Der Versicherungsvertrag und seine Qualifizierung

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ne.660 Die Übernahme einer Bürgschaft gegen Entgelt ist ein gegenseitiger Vertrag.661 Vergleichbar ist es bei der Garantie und letztlich beim Versicherungsvertrag.662 Ungenau ist es, vom Versicherungsvertrag als bedingtem Vertrag zu sprechen. Er ist unbedingt. Die Ausgleichsleistung des VR hängt vom Eintritt des Versicherungsfalls ab, ist insoweit bedingt. Ausreichend ist hierfür die subjektive Ungewissheit (vgl. § 2 Abs. 2).663 Die §§ 158 ff. BGB können sowieso allenfalls sinngemäß Anwendung finden. Die Argumentation dieser Lehre gegen ein Gegenseitigkeitsverhältnis überzeugt daher nicht. Eine Ähnlichkeit zu Hedge-Geschäften bringt keine erkennbar weiterführenden Erkenntnisse. Es bestehen auch Bedenken gegen eine derartige Ähnlichkeit.664 Die Risiken der Hedge-Geschäfte, der Eintritt der maßgeblichen Sicherungsfälle erscheinen auch stärker spekulationsanfällig als bei der Versicherung. Das Merkmal einer materialen Sicherung, wie hier für die Versicherung zugrunde gelegt (Rn. 37 ff.), fehlt beim Hedging. Dem Ansatz von Schwintowski ist nach allem daher nicht zu folgen.665

VI. Nähere Differenzierungen bei einzelnen Versicherungszweigen 1. Allgemein Eine andere Frage ist, ob die einzelnen Versicherungszweige bzw. Versicherungsarten einer nä- 225 heren Differenzierung unterliegen. Dies ist im Prinzip bereits in den dargestellten systematischen Unterteilungen angelegt und wird ggf. bei der Kommentierung der einzelnen Versicherungszweige weiter auszuführen sein.666

2. Insbes.: KLV mit Überschussbeteiligung als partiarisches Versicherungsverhältnis Speziell zur kapitalbildenden Lebensversicherung (KLV) mit Überschussbeteiligung wurde früh- 226 zeitig darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um ein partiarisches Rechtsverhältnis – konkret: partiarisches Versicherungsverhältnis – handelt und angesichts der konkreten Ausformung dieses Verhältnisses die seit langem gehandhabte zivil- und aufsichtsrechtliche Gestaltungsform insbes. hinsichtlich der Behandlung der stillen Reserven auf rechtliche Bedenken stieß.667 Diese Sicht ist der Sache nach durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt worden (Rn. 141). Das Reformgesetz trägt dem Rechnung (Rn. 142). Einzelheiten der wirtschaftlichen und dogmatischen Durchdringung gehören zur Kommentierung der Lebensversicherung.

660 Palandt/Grüneberg § 241 Rn. 4. 661 RG 28.10.1907 – VI 80/07 RGZ 66 425, 426; Palandt/Grüneberg Einf v § 320 Rn. 10; Staudinger/Horn § 765 Rn. 148 ff. Vgl. Rn. 206 und Reiner 153 f. A.M. offenbar Schwintowski JZ 1996 702, 703. Ausführlich Pataki 203 ff. Ablehnend auch Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 110; Prölss/Martin/Prölss28 § 1 Rn. 86; Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 156 f.; Pataki 203 ff. 666 Vgl. auch Schmidt-Salzer FS E. Lorenz 60. Geb. (1994) 587, 622 ff. 667 HdV/H. Baumann (1988) 895; ders. Kapitallebensversicherung (1993) 7 ff.; ähnlich Basedow ZVersWiss 1992 419; Langheid/Wandt/Heiss § 153 Rn. 1.

662 663 664 665

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F. Vertragsfreiheit und ihre Schranken I. Einführung und Überblick 227 Die Vertragsfreiheit – herkömmlich unterteilt in Abschluss- und Inhaltsfreiheit – gehört zu den grundlegenden Prinzipien unserer Rechtsordnung und ist als Teil des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) verfassungsrechtlich gewährleistet.668 Sie unterliegt aber den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung, die das BVerfG als Summe aller Rechtsnormen definiert, die formell und materiell mit der Verfassung übereinstimmen. Hierzu zählen auch unionsrechtliche Regelungen.669 Bezogen auf den Versicherungsvertrag ist die Einbettung der (beiderseitigen) Vertragsfreiheit in den europa- und verfassungsrechtlichen Rahmen wie auch in den Rahmen der unterverfassungsrechtlichen Ordnung relevant. Die Vertragsfreiheit (faktisch vornehmlich des VR) stößt im Rahmen unseres Wirtschafts- und Rechtssystems allgemein insbes. auf Schranken des Aufsichtsrechts670 wie auch auf Schranken des (europäischen und nationalen) Wettbewerbs- und Kartellrechts.671 Andererseits trägt das Wettbewerbs- und Kartellrecht maßgeblich zur Gewährleistung einer – material verstandenen, beiderseitigen – Vertragsfreiheit bei.672 228 Nach dem Auslaufen der Gruppenfreistellungsverordnung (VO (EU) 267/2010) zum 31.3.2017, die insbes. eine unverbindliche Kooperation der VR für Muster-AVB und für die Berechnung von Nettoprämien ermöglichte, sind Vereinbarungen zwischen VR und zwischen VR abgestimmte Verhaltensweisen an Art. 101 AEUV zu messen.673 Durch die VO 267/2010 wurden die gemeinsame Erhebung und Verbreitung von Daten und Statistiken sowie die gemeinsame Ausarbeitung von Studien über bestimmte Risiken sowie die gemeinsame Deckung bestimmter Risiken durch Mitversicherungs- und Mit-Rückversicherungsgemeinschaften vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt.674 Versicherungssektorspezifische Besonderheiten lassen sich lediglich im Rahmen der allgemeinen Vorschrift des Art. 101 Abs. 3 AEUV berücksichtigen. Daraus folgt, dass selbst im Allgemeininteresse liegende Ziele von VR nur dann durch kartellrechtlich relevante Vereinbarungen durchgesetzt werden dürfen, wenn diese mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden sind, und auch die anderen Voraussetzungen für eine Freistellung vorliegen.675 229 Im Rahmen des Wettbewerbsrechts sind zudem die von den Verbänden der Versicherungswirtschaft und des Versicherungsaußendienstes formulierten „Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft“ (Stand 1.9.2006)676 zu erwähnen. Sie sollen das allgemeine Wettbewerbsrecht für Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittler konkretisieren.677 Die Selbstregulierung im Vertriebsbereich erfolgt weiter durch den Verhaltenskodex des GDV für den Vertrieb von Versicherungsprodukten in der Fassung vom 14.11.2012.678 Mannigfache sonstige Beschränkungen der Vertragsfreiheit sind für den Versicherungsvertrag geradezu charakteris-

668 669 670 671

Vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Rn. 101 m. w. N.; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 111. Vgl. nur BVerfG 3.4.2001 – 1 BvR 2014/95 NJW 2001 1709 m. w. N. Vgl. Bruck/Möller/Gal Einf. D Rn. 193 ff. Vgl. Bruck/Möller/Hermann Einf. B Rn. 87 ff. sowie Dreher/Kling Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen (2007) 3 ff.; zur Grundsatzproblematik s. auch H. Baumann ZHR 139 (1975), 291 ff.; Schwintowski Versicherungsvertrag zwischen Recht und Markt 297 ff. 672 Vgl. nur Canaris AcP 200 (2000) 273, 293. 673 Vgl. Immenga/Mestmäcker/Ellger Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 611 m. w. N. 674 Vgl. Immenga/Mestmäcker/Ellger Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 614. 675 Näher Immenga/Mestmäcker/Ellger Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 611 f. 676 Https://kvoptimal.de/download/Wettbewerbsrichtlinien.pdf (abgerufen am 1.8.2020). 677 Ausführlich zur kartell- und wettbewerbsrechtlichen Relevanz dieser Richtlinien Dreher/Hoffmann/Kling Kartell- und Wettbewerbsrecht der Versicherungsunternehmen 2. Aufl. (2015) Teil 2, § 10 Rn. 200 ff.; Paschke FS Winter 2007, S. 111. 678 Https://www.gdv.de/resource/blob/10302/551f3e81d903f48d890800037fd22251/verhaltenskodex-fuer-denvertrieb-vom-25-09-2018-data.pdf (abgerufen am 1.8.2020). H. Baumann/Koch

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tisch, da jedenfalls außerhalb der „Großrisiken“ ein starkes „intellektuelles und ökonomisches Ungleichgewicht“ zwischen VR und VN besteht.

II. Abschlussfreiheit und ihre Schranken 1. Grundsatz der Abschlussfreiheit Grundsätzlich besteht für VR und VN Abschlussfreiheit, ob sie einen Versicherungsvertrag 230 schließen wollen. Es gibt aber die verschiedensten Schranken dieser Freiheit.

2. Abschlusspflichten des VN a) Überblick. Für den VN können sich Abschlusspflichten aus Gesetz oder aufgrund eines Ge- 231 setzes durch Verordnung oder Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder – wie bei der Haftpflichtversicherung für Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber – durch eine gemeinschaftsrechtliche Verordnung ergeben. Darauf wird bei den einzelnen Versicherungszweigen eingegangen. Im Folgenden wird nur beispielhaft auf einige wichtige Fallgestaltungen hingewiesen. b) Beispiele für einzelne Versicherungszweige aa) Sachversicherung. Der Nießbraucher einer Sache hat diese gemäß § 1045 BGB gegen 232 „Brandschäden und sonstige Unfälle“ zu versichern, wenn dies einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entspricht. Gemäß § 8 der VO über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher679 besteht eine Versicherungspflicht gegen Feuerschäden, Leitungswasserschäden, Einbruchdiebstahl und Beraubung. Aus der Schutz-(neben-)pflicht (§§ 242, 241 Abs. 2 BGB) kann sich die Verpflichtung ergeben, im erforderlichen Umfang für Versicherungsschutz zu sorgen, z. B. für eine Sachversicherung, aber auch für eine Haftpflichtversicherung.680

bb) Haftpflichtversicherung. Praktisch am bedeutsamsten ist die Haftpflicht-Versicherungs- 233 pflicht gemäß § 1 PflVG für Halter eines Kfz oder Anhängers. Des Weiteren besteht eine Haftpflichtversicherungspflicht z. B. für Jäger,681 Wirtschaftsprüfer,682 Steuerberater,683 Rechtsanwälte,684 Notare,685 Versicherungsvermittler,686 Luftverkehrsunternehmen,687 pharmazeutische Unternehmer.688

679 I.d.F. v. 1.6.1976 BGBl. I 1334, zuletzt geändert durch Artikel 2 VO v. 28.4.2016 BGBl. I 1046. 680 Näher Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 36. 681 Vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 4 BJagdG i. d. F. v. 29.6.1976 BGBl. I 2849, zuletzt geändert durch Art. G v. 14.11.2018 BGBl. I 1850.

682 683 684 685 686

§ 54 WPO i. d. F. v. 24.7.1961 BGBl. I 1049, zuletzt geändert durch Art. 9 G v. 30.10.2017 BGBl. I 3618. § 67 StBerG i. d. F. v. 16.8.1961 BGBl. I 1301, zuletzt geändert durch Art. 8 G v. 30.10.2017 BGBl. I 3618. § 51 BRAO i. d. F. v. 1.8.1959, zuletzt geändert durch Art. 3 G v. 30.10.2017 BGBl. I 3618. § 19a BNotO i. d. F. v. 13.2.1937 RGBl. I 191, zuletzt geändert durch Art. 4 G v. 30.10.2017 BGBl. I 3618. Vgl. § 34d Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. Abs. 8 Nr. 3 GewO i. d. F. v. 22.2.1999 BGBl. I 202, zuletzt geändert durch Art. 5 Abs. 11 G v. 21.6.2019 BGBl. I 846. 687 Vgl. § 50 LuftVG i. d. F. v. 10.5.2007 BGBl. I 698, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 11 G v. 20.7.2017 BGBl. I 2808; 2018 I 472. 688 Vgl. § 94 AMG i. d. F. v. 12.12.2005 BGBl. I 3394, zuletzt geändert durch Art. 11 G v. 6.5.2019 BGBl. I 646. 557

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Vertragstypische Pflichten

234 cc) Unfallversicherung und ähnliche Versicherungen. Gemäß § 50 LuftVG früherer Fassung689 waren Luftfahrtunternehmen verpflichtet, die Fluggäste gegen Unfälle zu versichern. Soweit aus der Unfallversicherung geleistet wurde, erlosch der Anspruch auf Schadensersatz. Diese Pflicht ist abgeschafft worden, so dass nur noch eine Haftpflichtversicherungspflicht besteht.690 Gemäß § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8 i. V. m. Abs. 3 AMG691 muss für Personenschäden bei klinischen Prüfungen von Arzneimitteln eine Versicherung genommen werden, die auch Leistungen gewährt, wenn kein anderer für den Schaden haftet. Soweit aus der Versicherung geleistet wird, erlischt ein Anspruch auf Schadensersatz.

235 dd) Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Gemäß § 193 Abs. 3 ist jede natürliche Person verpflichtet, eine Krankheitskostenversicherung abzuschließen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert oder versicherungspflichtig ist. Zu Ausnahmen vgl. ebenda. Nach Maßgabe des § 23 SGB XI (Pflegeversicherung)692 sind privat krankenversicherte Personen verpflichtet, eine Pflegeversicherung bei einem privaten KrankenVR abzuschließen.

3. Kontrahierungszwang des VR 236 Der Versicherungspflicht der VN entspricht – nur zum Teil – einem Kontrahierungszwang693 der VR. Beispielhaft seien dazu genannt: § 5 PflVG (Kfz-Haftpflichtversicherung) (Rn. 260),694 § 193 Abs. 5 VVG (Krankenversicherung im Basistarif nach § 152 Abs. 1 VAG),695 § 110 SGB XI (Pflegeversicherung).696

4. Exkurs: Steuerliche Anreize zum Abschluss von Versicherungsverträgen 237 Beiträge zu bestimmten Versicherungsarten, insbes. im Bereich der „Sozialrisiken“(Rn. 63) werden steuerlich gefördert. Teils handelt es sich dabei um Versicherungen, bei denen eine Abschlusspflicht besteht, teils soll gerade durch die steuerliche Förderung ein Anreiz zum Abschluss solcher Versicherungen geschaffen werden, ohne dass eine Versicherungspflicht besteht. Die einschlägigen Vorschriften haben sich vielfältig gewandelt. Zu nennen sind derzeit: a) Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG697 zum Aufbau einer kapitalgedeckten Altersversorgung („Rürup-Rente“); b) Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG für bestimmte Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsversicherungen sowie zu Kranken-, Pflege-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, des Weiteren für Risikoversicherungen, die nur für den Todesfall eine Leistung vorsehen; c) außerdem gemäß §§ 10a, 82 EStG geförderte Altersvorsorgebeiträge bzw. Altersvorsorgezulagen i. S. v. §§ 79 ff. EStG („Riester-Rente“). 689 I.d.F. v. 19.7.2002 BGBl. I 2674. 690 Vgl. § 50 LuftVG i. d. F. v. 10.5.2007 BGBl. I 698, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 11 G v. 20.7.2017 BGBl. I 2808; 2018 I 472. 691 I.d.F. v. 12.12.2005 BGBl. I 3394, zuletzt geändert durch Art. 11 Gesetzes v. 6.5.2019 BGBl. I 646. 692 Vom 26.5.1994 BGBl. I 1014, zuletzt geändert durch Art. 10 G v. 6.5.2019 BGBl. I 646. 693 Vgl. dazu allgemein Palandt/Ellenberger Einf. vor § 145 Rn. 8 f. 694 G v. 5.4.1965 BGBl. I 213, zuletzt geändert durch Art. 1 VO vom 6.2.2017 BGBl. I 147. 695 Dieser Kontrahierungszwang ist vom BVerfG für verfassungsgemäß erklärt worden (BVerfG 10.6.2009 – 1 BvR 706/08 VersR 2009 957 ff.). 696 I.d.F. v. 26.5.1994 BGBl. I 1014, zuletzt geändert durch Art. 10 G v. 6.5.2019 BGBl. I 646. 697 Diese und die folgenden Bestimmungen i. d. F. des G v. 19.10.2002 BGBl. I 179, zuletzt geändert durch Art. 9 G v. 11.7.2019 BGBl. I 1066. Zur Verfassungswidrigkeit höhenmäßiger Grenzen des Sonderausgabenabzugs von Krankenversicherungsbeiträgen vgl. BVerfG 13.2.2008 – 2 BvL 1/06 VersR 2008 1241. H. Baumann/Koch

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5. Vergabeverfahren bei öffentlichen Auftraggebern Öffentliche Auftraggeber (vgl. §§ 98 f. GWB) sind auch bei der Vergabe von Versicherungsaufträ- 238 gen nach Maßgabe der §§ 115 ff. GWB verpflichtet, ab einem bestimmten Schwellenwert (vgl. § 106 GWB)698 eine Ausschreibung vorzunehmen. Hierzu (häufig zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Einschaltung von Versicherungsmaklern zulässig ist) liegen inzwischen zahlreiche Gerichtsentscheidungen699 und Stellungnahmen im Schrifttum700 vor. Hierauf muss wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

III. Gestaltung des Vertragsabschlusses und Beschränkungen Für den Abschluss von Versicherungsverträgen gelten die §§ 116 ff. BGB über die Willenserklä- 239 rung und die §§ 145 ff. BGB über den Vertrag.701 Danach kommt der Versicherungsvertrag in der Weise zustande, dass der VN einen Antrag im Sinne des § 145 BGB stellt, den der VR innerhalb der vom VN nach § 148 BGB bestimmten Frist annimmt oder ablehnt.

1. Rechtslage vor der Reform des VVG a) Antragsmodell. Nach der Rechtslage vor der VVG-Reform konnte sich der Abschluss des 240 Versicherungsvertrages in der Weise vollziehen, dass der VR dem Kunden bereits bei dessen Antragstellung die allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die sonstigen Verbraucherinformationen zur Verfügung stellte. Der Vertrag kam dann mit Zugang der vom VR ausgefertigten Police zustande. Die Einbeziehung der AVB erfolgte gegenüber Verbrauchern gemäß § 305 Abs. 2 BGB. Bei diesem Vertragsabschlusskonzept (Antragsmodell) stand dem VN bei Versicherungsverträgen mit einer längeren Laufzeit als einem Jahr ein Widerrufsrecht gemäß § 8 Abs. 4 a. F. oder – bei einer Lebensversicherung – ein Rücktrittsrecht gemäß § 8 Abs. 5 a. F. zu.

b) Policenmodell. In der Praxis verfuhren die VR jedoch nicht nach dem Antragsmodell, 241 sondern nach dem Policenmodell. Dies zeichnet sich dadurch aus, dass der VR dem VN die AVB und sonstige Verbraucherinformation erst mit der Übersendung der Versicherungspolice zukommen ließ.702 Seit 1994 war der Vertragsschluss nach dem Policenmodell problematisch, weil nach § 10a VAG a. F. die VR zu gewährleisten hatten, dass der VN in einer Verbraucherinformation über die für das Versicherungsverhältnis maßgeblichen Tatsachen und Rechte vor Abschluss des Vertrages unterrichtet wird. Mit § 10a VAG a. F. setzte der deutsche Gesetzgeber Art. 31 Abs. 1 bis 3 und Art. 43 Abs. 2 und 3 der 3. Schadenversicherungs-Richtlinie703 sowie 698 Zu den Schwellenwerten s. Beck'scher Vergaberechtskommentar/Kau Bd 1: GWB 4. Teil 3. Aufl. (2017) § 106 Rn. 21. 699 Vgl. nur BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05, WRP 2008 1182 OLG Düsseldorf 18.10.2000 – Verg 3/00, VersR 2001 1043, 1046 ff.; OLG Celle 1.3.2001 – 13 Verg 1/01, VersR 2003 625; Schleswig-Holsteinisches OLG 16.4.2002 – 6 Verg 1/02, VergabeR 2002 649; OLG Celle 18.12.2003 – 13 Verg 22/03, VergabeR 2004 397; OLG Naumburg 31.3.2004 – 1 Verg 1/04; OLGR Naumburg 2004 287; VK Lüneburg 29.10.2010 – VGK-5/2010, BeckRS 2011 05284. 700 Dreher/Kling VersR 2007 1040; Noch/Sittner VersR 2006 1445; Tietgens Die Vergabe von Versicherungsdienstleistungen nach dem Kartellvergaberecht durch kommunale Auftraggeber Diss. FU Berlin 2004; Dreher/Stockmann Kartellvergaberecht (2008); Werber VersR 2008 1026. 701 So ausdrücklich Begr. A. II. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 48; 702 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 13. 703 RL 92/49/EWG v. 18.6.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) ABl. Nr. L. 228 v. 11.8.1992 S. 1. 559

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Vertragstypische Pflichten

Art. 31 i. V. m. Anhang II A. der 3. Lebensversicherungs-Richtlinie704 über die Verbraucherinformation vor Abschluss und während der Laufzeit des Vertrages in deutsches Recht um.705 Um einerseits die Policenmodellpraxis weiter zu ermöglichen und anderseits den unionsrechtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen, fügte der Gesetzgeber § 5a VVG a. F. ein, der dem Kunden innerhalb einer Frist von 14 Tagen (in der Lebensversicherung: 30 Tage) ein Widerspruchsrecht einräumte. Während dieser Zeit war der Vertrag schwebend unwirksam und wurde danach aber mit Rückwirkung auf den Zugang der Annahmeerklärung wirksam.706 Die Widerspruchsfrist begann gemäß § 5a Abs. 2 S. 1 VVG aF erst, wenn der VN den Versicherungsschein und alle Unterlagen erhalten hatte und über sein Widerspruchsrecht belehrt worden war. Das Widerspruchsrecht erlosch gem. § 5a Abs. 2 S. 4 a. F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.

242 aa) Vereinbarkeit des Erlöschens des Widerspruchsrechts mit dem Unionsrecht. Nachdem der EuGH in seinem Urteil vom 19.12.2013 diese Rechtsfolge als unvereinbar mit den Lebensversicherungs-RL angesehen hat,707 hat der BGH § 5a Abs. 2 S. 4 a. F. (richtlinienkonform) einschränkend dahin gehend ausgelegt, dass die Vorschrift (nur) im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung nicht anwendbar ist (sog. gespaltene Auslegung).708 Das BVerfG hat diese Rechtsprechung gebilligt.709 Das Widerspruchsrecht eines VN, der über sein Widerspruchsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist und/oder die Versicherungsbedingungen oder eine Verbraucherinformation nicht erhalten hat, besteht somit grundsätzlich fort und erlischt auch nicht aus anderen Gründen (nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung oder nach Treu und Glauben).710 Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen will der BGH nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs beschränken. Jedoch billigt der BGH dem VR einen Bereicherungsanspruch für den bis zur Ausübung des Widerspruchs genossenen Versicherungsschutz zu, dessen Umfang nach dem Risikoanteil der Versicherungsprämie zu bestimmen ist.711

243 bb) Vereinbarkeit des Policenmodells mit dem Unionsrecht. Offen ist die Frage, ob das Policenmodell insgesamt mit Unionsrecht vereinbar ist. Der BGH hat diese Frage bejaht und eine Vorlage an den EuGH nicht für erforderlich gehalten.712 In seinem Beschluss v. 2.2.2015 über die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG die Auffassung des BGH, die richtige Anwendung der Richtlinienbestimmungen stehe bezogen auf das Policenmodell außer

704 RL 92/96/EWG v.10.11.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG ABl. Nr. L 360 v. 9.12.1992 S. 1. 705 Vgl. BTDrucks. 12/6959 S. 53. 706 Vgl. OLG Frankfurt/M. 10.12.2003 – 7 U 15/03, VersR 2005 631; OLG Düsseldorf 5.12.2000 – 4 U 32/00, VersR 2001 837; Prölss/Martin/Prölss27 § 5a Rn. 10. 707 EuGH 19.12.2013 – Rs. C-209/12 (Endress) VersR 2014 225; s. dazu Brand VersR 2014 269 ff.; 708 BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11, VersR 2014 817 Rn. 17 ff. mit Anm. R. Koch LMK 2014 359159; Frohnecke RuS 2014 345 f. 709 BVerfG 23.5.2016 – 1 BvR 2230/15, 1 BvR 2231/15, RuS 2016 407, 408 ff. 710 Vgl. Frohnecke RuS 2014 345. 711 BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11, VersR 2014 817 Rn. 41 ff. zur Verjährung: BGH 8.4.2015 – IV ZR 103/15, VersR 2015 700 Rn. 21 ff.; OLG Karlsruhe 6.12.2016 – 12 U 134/16, RuS 2017 176; R. Koch LMK 2014 359159. 712 BGH 16.7.2014– IV ZR 73/13, NJW 2014 2723 Rn. 32 ff.; vgl. auch BGH 8.3.2017 – IV ZR 98/16, VersR 2017 739 Rn. 12; kritisch Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 7 Rn. 99; R. Koch LMK 2014 359159. H. Baumann/Koch

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F. Vertragsfreiheit und ihre Schranken

VVG § 1

Zweifel, so dass die Vorlagepflicht entfalle,713 als „objektiv unvertretbar und willkürlich“ angesehen und deshalb einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 I 2 GG bejaht.714 Das BVerfG hat die gegen das Urteil des BGH erhobene Verfassungsbeschwerde nur deshalb als unbegründet angesehen, weil der IV. Zivilsenat seine Entscheidung auch auf die Erwägung gestützt hatte, dass es gegen Treu und Glauben verstoße, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen.715 Somit bleibt die Unionsrechtskonformität des Policenmodells weiterhin eine offene Frage, die wohl solange einer Klärung durch den EuGH harren dürfte, bis ein VN aus einem noch nicht durch Kündigung beendigten Vertrag, der vor Inkrafttreten der VVG-Reform abgeschlossen worden ist, den Widerspruch nach § 5a VVG a.F erklärt. Freilich hat der BGH in seinem Urteil vom 12.7.2016716 eine Vorlage auch bei einem Vertrag verneint, der noch nicht vor Ausübung des Widerspruchsrechts durch Kündigung beendet wurde. Eine Klärung durch den EuGH kommt deshalb wohl nur dann noch in Betracht, wenn ein erstinstanzliches Gericht oder ein Obergericht dem EuGH vorlegt.

2. Rechtslage nach dem reformierten VVG a) Abschaffung des Policenmodells bei Massenrisiken. Im reformierten VVG ist § 5a VVG 244 a. F. ersatzlos gestrichen worden. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 hat der VR dem VN rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbedingungen einschließlich der AVB sowie die in der VVG-InfoV bestimmten Informationen in Textform mitzuteilen. Die Mitteilungen sind in einer dem eingesetzten Kommunikationsmittel entsprechenden Weise klar und verständlich zu übermitteln (S. 2). Raum für das Policenmodell ist somit nur in den Fällen des § 7 Abs. 1 S. 3, d. h. bei Vertragsschluss unter Verwendung des Telefons oder eines anderen Kommunikationsmittels, das die Information in Textform vor der Vertragserklärung des VN nicht gestattet, sowie bei einem schriftlichen Verzicht des VN auf eine Information vor Abgabe der Vertragserklärung und bei Versicherungsverträgen über Großrisiken (vgl. § 7 Abs. 5 S. 1).717 Zu Recht weist Looschelders darauf hin, dass es den VR jedoch verwehrt ist, den Verzicht des VN zu einem planmäßigen Abschlussmodell umzugestalten, um so die Abschaffung des Policenmodells zu unterlaufen. Stets ist ein individualvertraglicher Verzicht erforderlich. Ein formularmäßig erteilter Verzicht verstößt gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und entfaltet keine Wirkung.718 Im Bereich des Fernabsatzes und im Bereich der Lebensversicherung ist ein (individual-/ 245 formular-)vertraglicher Verzicht unionsrechtswidrig.719 Gem. Art. 3 Abs. 1 Fernabsatzrichtlinie II720 sind dem Verbraucher „rechtzeitig bevor [er] durch einen Fernabsatzvertrag oder durch ein Angebot gebunden ist“, die im Einzelnen aufgeführten Informationen zur Verfügung zu stel-

713 714 715 716 717

BGH 16.7.2014– IV ZR 73/13, NJW 2014 2723 Rn. 16. BVerfG 2.2.2015 – 2 BvR 2437/14, NJW 2015 1294. BVerfG 2.2.2015 – 2 BvR 2437/14, NJW 2015 1294, 1295. BGH 12.7.2016 – IV ZR 558/15, BeckRS 2016 15208. Vgl. RegE, BTDrucks. 16/3945 S. 60; „Nunmehr ist klargestellt, dass die vorgeschriebenen Informationen nicht erst bei Vertragsschluss, in der Regel mit Übersendung des Versicherungsscheins, erteilt werden dürfen.“; Prölss/ Martin/Rudy § 7 Rn. 18; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 136; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 7 Rn. 74.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 7 Rn. 42; Langheid NJW 2006 3318; Römer VersR 2006 740 742; Schimikowski RuS 2007 136; a. A. Gaul VersR 2007 23, 23; Blankenburg VersR 2008 1446; Franz VersR 2008 298; Landheid/Wandt/ Armbrüster § 7 Rn. 81; offen gelassen in BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14 RuS 2017 409 Rn. 20. 718 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 136; vgl. auch RegE, BTDrucks. 16/3945 S. 60; Bruck/Möller/Herrmann § 7 Rn. 132; Römer VersR 2006 740 742; a. A. Wandt Rn. 319; Landheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 81. 719 Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 83; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 7 Rn. 50; Schimikowski RuS 2007 133, 136; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schwintowski § 18 Rn. 40 ff.; Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1712. 720 RL 2002/65/EG v. 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, Abl. Nr. L 271 v. 9.10.2002 S. 16. 561

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

len; gem. Art. 12 Abs. 1 Fernabsatzrichtlinie II kann „der Verbraucher … auf die Rechte, die ihm durch diese Richtlinie eingeräumt werden, nicht verzichten“. Art. 36 Abs. 1 der Lebensversicherungsrichtlinie721 sieht ebenfalls keine Verzichtsmöglichkeit vor. In der Literatur wird sich deshalb zu Recht dafür ausgesprochen, § 7 Abs. 1 S. 3 unionsrechtskonform einschränkend so auszulegen, dass im Fernabsatz und im Anwendungsbereich der Lebensversicherungsrichtlinie ein Verzicht unwirksam ist.722 Was als rechtzeitig im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist, hängt im Wesentlichen von 246 der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrages ab. Der VN soll eine „informierte Entscheidung treffen können“. Dazu ist es notwendig, dass der VR dem VN eine Informationsmöglichkeit bzw. Beurteilungsgrundlage verschafft, ohne dass er dabei einen Informationserfolg i. S. eines nachprüfbaren Erkenntnisgewinns beim VN schuldet. Dafür genügt es, wenn ihm vor Abgabe seiner Erklärung die Gelegenheit eingeräumt wurde, die Unterlagen zunächst durchzusehen und den Vertragsschluss auf später zu verschieben.723 Ob der VN davon Gebrauch macht, kann der VR nicht beeinflussen. Ziel ist es, einen „Übereilungsschutz“ zu installieren sowie für den VN Vergleichs- und Wahlmöglichkeiten in der Vertragsabschlussphase zu schaffen.724 Eine Verletzung des § 7 Abs. 1 ist dadurch sanktioniert, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, bis der Kunde alle Unterlagen erhalten hat (§ 8 Abs. 2).

247 b) Sonstige Vertragsabschlussmodelle. Die Abschaffung des Policenmodells führt in personeller, zeitlicher und materieller Hinsicht zu einem nicht unbeträchtlichen Mehraufwand bei den VR. Vor diesem Hintergrund sind in der Literatur verschiedene Vertragsabschlussmodelle vorgeschlagen worden, die nachstehend nur kurz skizziert und nicht näher bewertet werden. Zu den näheren Einzelheiten sei auf die Kommentierung von § 7 verwiesen.

248 aa) Invitatio-Modell. Nach diesem Modell teilt der VN dem VR bzw. dem Versicherungsvermittler seine Wünsche und Bedürfnisse mit, ohne sich bindend zu erklären. Der VR fertigt sodann – soweit keine weitere Risikoprüfung notwendig ist – die Police aus und sendet sie nebst AVB dem VN zu. In der Zusendung liegt konkludent ein Antrag des VR zum Vertragsabschluss vor. Dieses kann der VN durch ausdrückliche Erklärung oder einfach konkludent durch Zahlung der ersten Prämie annehmen.725

249 bb) Vorschlagsmodell. Bei diesem Vefahren wird der VN zunächst beraten. Im Anschluss unterbreitet der VR schriftlich einen unverbindlichen Deckungsvorschlag und übersendet zugleich die Beratungsdokumente nach § 6, den vorbereitenden Antrag, die Risikofragen, die nach § 7 erforderlichen Informationen und einen Entwurf des Versicherungsscheins. Auf dieser Grundlage gibt der Kunde sein Angebot ab, in dem er diesen Deckungsvorschlag unterschrieben zurücksendet. Der VR nimmt dieses Angebot an, indem er dem VN die endgültige Police zusendet.726

721 RL 92/96/EWG v.10.11.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG ABl. Nr. L 360 v. 9.12.1992 S. 1. 722 Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 83; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 7 Rn. 51; Schimikowski RuS 2007 133, 137; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schwintowski § 18 Rn. 43. 723 Prölss/Martin/Armbrüster § 3 Rn. 11; Römer VersR 2006 741; Gaul VersR 2007 22, 23; Funck VersR 2008 163; enger – Rechtzeitigkeitserfordernis hat überhaupt keine eigenständige Bedeutung – Landheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 62 ff., 67. 724 Prölss/Martin/Armbrüster § 7 Rn. 11. 725 Vgl. Schimikowski RuS 2006 441, 443 f.; Bruck/Möller/Herrmann § 7 Rn. 93 ff. 726 Vgl. Honsel VW 2007 359, 360. H. Baumann/Koch

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VVG § 1

F. Vertragsfreiheit und ihre Schranken

cc) Bedingungsmodell. Das Bedingungsmodell sieht vor, dass der VN zunächst (beim Besuch 250 des Vermittlers) einen aufschiebenden bedingten Antrag stellt, der erst nach Übersendung der Unterlagen und Nichtwiderruf seitens des VN innerhalb bestimmter Frist bindend wird. Nach Annahme durch den VR (durch Übersendung der Police) läuft dann (zusätzlich) das gesetzliche Widerrufsverfahren i. S. v. § 8.727 c) Widerruf und Widerrufsfolgen. Der VN kann im Rahmen des gesetzlich zugrunde gelegten 251 Antragsmodells seine Vertragserklärung nach Maßgabe des § 8 innerhalb von 14 Tagen, in der Lebensversicherung gemäß § 152 Abs. 1 innerhalb von 30 Tagen widerrufen.728 Falls das „Invitatio-Modell“ zum Zuge kommt (Rn. 232), bedarf es gewisser Modifizierungen der gesetzlichen Vorschriften.729 Beim Modell der „bedingten Antragserklärung“ (Rn. 232) bleibt es bei Anwendbarkeit der Bestimmungen der §§ 8 und 9, wenn der Abschlussprozess in die hierbei vorausgesetzte Phase gelangt ist. Widerruft der VN bereits vorher seine (bedingte) Antragserklärung, so fehlt es schon an einem verbindlichen Antrag.730 Im Regelfall wird der VN daher noch keine Prämie gezahlt haben, andernfalls kann er sie nach § 812 Abs. 1 BGB zurückverlangen. Das Widerrufsrecht des VN gem. § 8 Abs. 1 beginnt nach Erhalt der in § 8 Abs. 2 genannten 252 Unterlagen. Ein Hinweis auf die Widerrufsfrist in den Unterlagen genügt. Eine ausdrückliche Belehrung über die Berechnung der Frist gem. § 187 Abs. 1 BGB ist nicht erforderlich, insbesondere muss nicht darauf hingewiesen werden, dass die Widerrufsfrist erst einen Tag nach Erhalt der Unterlagen zu laufen beginnt.731 Nach § 8 Abs. 3 S. 2 erlischt das Widerrufsrecht, wenn der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des VN vollständig erfüllt ist, bevor der VN sein Widerrufsrecht ausgeübt hat. Für die Annahme eines auf die vollständige Vertragserfüllung gerichteten „ausdrücklichen Wunsches“ des VN ist Voraussetzung, dass dieser vor Abgabe der betreffenden Erklärung entweder über sein Widerrufsrecht belehrt wurde oder der VR aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, dem VN sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen.732 Die Rechtsfolgen des Widerrufs sind in § 9 geregelt, falls die besonderen Voraussetzungen 253 dieser Vorschrift erfüllt sind.733 Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, bestimmen sich die Rechtsfolgen nach § 357 Abs. 1 BGB i. V. m. § 346 BGB. So liegt der Fall, wenn es an der Zustimmung des VN fehlt, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt.734

3. Sonderregelung des § 5 VVG – Abweichung des Versicherungsscheins von dem Antrag oder den getroffenen Vereinbarungen Akzeptiert der VR den Antrag des VN nach einer Risikoprüfung nur mit Abweichungen (z. B. 254 Prämienzuschlag in der Krankenversicherung wegen einer Vorerkrankung), greift § 5 ein. Die Abweichung wird nach § 5 Abs. 1 nur dann Vertragsbestandteil, wenn der VR den VN gem. § 5

727 Einzelheiten bei H. Baumann VW 2007 1955, ablehnend Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 50 f.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 7 Rn. 87; Stockmeier VersR 2008 717, 719 f., der allerdings das für solche Fallgestaltungen zusätzlich entwickelte Vertragsabschlussmodell als ein Alternativ-Modell begreift. 728 Näher Begr. zu § 152 BTDrucks. 16/3945 S. 95. 729 Schimikowski VW 2007 715, 716. 730 Näher H. Baumann VW 2007 1955. 731 BGH 11.2.2015 – IV ZR 310/13, VersR 2015 829 Rn. 18. 732 BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784 Rn. 17; vgl. auch Langheid/Rixecker/Rixecker § 8 Rn. 17; Prölss/ Martin/Armbrüster § 8 Rn. 60; Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 8 Rn. 25; Schwintowski//Brömmelmeyer/ Ebers § 8 Rn. 60; Reusch VersR 2013 13641367 f. 733 BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784 Rn. 20. 734 BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784 Rn. 21 ff. 563

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

Abs. 2 erstens auf die Abweichung und zweitens darauf hingewiesen hat, dass die Abweichung als genehmigt gilt, wenn der VN nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht. Die Genehmigungsfiktion hat konstitutive vertragsgestaltende Wirkung. Mit ihr soll sichergestellt werden, dass alle Bedingungen eines Versicherungsvertrages in einer einheitlichen Urkunde niedergelegt werden und damit im Streitfall leicht beweisbar sind.735 Fehlt es an einem dieser Hinweise, gilt gemäß § 5 Abs. 3 der Vertrag als mit dem Inhalt des 255 Antrags des VN geschlossen. Im Falle einer für den VN günstigen Abweichung des Inhalts des Versicherungsscheins vom zugrunde liegenden Antrag bedarf es keiner Belehrung gemäß § 5 Abs. 2, damit der Versicherungsvertrag nach § 5 Abs. 1 mit dem Inhalt des Versicherungsscheins zustande kommt.736 Dies hat der BGH damit begründet, dass es sich bei § 5 Abs. 2 um eine Schutzvorschrift für den VN handelt, aus deren Verletzung der VR keine Rechte herleiten könne.737 Nachteilige formularmäßige Abreden, die den Versicherungsschutz einschränken (z. B. Ausschlüsse), werden auch nach § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil. § 5 findet Anwendung, wenn der Versicherungsschutz im Rahmen von bereits bestehen256 den Versicherungsverträgen auf ein Verlangen des VN hin verändert werden soll.738 Unanwendbar sind § 5 Abs. 1 und Abs. 2 nur dann, wenn weder ein Vertrag noch ein Antrag des VN vorausgegangen war, sondern der VR durch einen unerwartet übersandten Versicherungsschein einen neuen Vertrag oder die Veränderung eines bestehenden Vertrages beantragt.739 Hat der VR von vornherein – also noch vor Antragstellung – deutlich gemacht hat, er werde auf keinen Fall ein bestimmtes Risiko übernehmen, soll es nach Ansicht des LG Dortmund keines besonderen Hinweises oder keiner besonderen Belehrung durch den VR bedürfen.740 Nach Auffassung des OLG München soll § 5 Abs. 2 unanwendbar sein, wenn die Einstufung 257 des VN durch den VR in einen bestimmten Schadensfreiheitsrabatt in der Kfz-Versicherung allein auf den Angaben beruhen, die der VN bei der elektronischen Anfrage über einen Versicherungsmakler gemacht habe, und wenn die Festsetzung unter dem Vorbehalt der Bestätigung des Vorversicherers erfolgte, der Antrag des VN aber keinen entsprechenden Vorbehalt enthalte.741 Die Rechtsfolge des § 5 Abs. 3 bei Fehlen eines entsprechenden Hinweises soll nach Auffassung des OLG München in jedem Fall dann nicht eintreten, wenn der VN bei der Antragsstellung vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe. Das OLG München begründet dies damit, dass § 5 Abs. 3 dem Schutz des Vertrauens des VN auf das Zustandekommen des Versicherungsvertrages mit dem Inhalt seines Versicherungsantrags in dem Fall diene, dass der VR keinen deutlichen Hinweis auf die Abweichung gibt. Ein VN, der vorsätzlich falsche Angaben (hier: über den Schadensfreiheitsrabatt) macht, verdiene jedoch diesen Schutz nicht.742 Die Entscheidung überzeugt

735 BGH 22.6.2016 – IV ZR 431/14, VersR 2016 1044. Rn. 21; Landheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 54. 736 BGH 22.6.2016 – IV ZR 431/14, VersR 2016 1044 Rn. 15 f.; BGH 22.3.1995 – IV ZR 58/94 VersR 1995 648; vgl. auch OLG Hamm, 3.11.2010 – 20 U 38/10, VersR 2011 470; a. A. Schneider RuS 2012 417, 418. 737 BGH 22.6.2016 – IV ZR 431/14, VersR 2016 1044 Rn. 15 f. 738 BGH 10.3.2004 – IV ZR 75/03, RuS 2004 404, 405=VersR 2004 893; OLG Hamm 10.6.1992 – 20 U 376/91, VersR 1993, 169=RUS 1992 390; LG Dortmund 1.4.2014 – 2 S 9/14, zfs 2015 154; Armbrüster/Schreier VersR 2015 1053, 1056. 739 LG Dortmund 1.4.2014 – 2 S 9/14, zfs 2015 154; Prölss/Martin/Rudy § 5 Rn. 1; Armbrüster/Schreier VersR 2015 1053, 1056. 740 LG Dortmund 1.4.2014 – 2 S 9/14, zfs 2015 154; vgl. auch OLG Saarbrücken 27.5.2009 – 5 U 481/08-58 VersR 2010 63; Langheid/Rixecker/Rixecker § 5 Rn. 16. 741 OLG München 15.12.2016 – 24 U 2174/16, RuS 2017 131, 132 = zfs 2017 330; ablehnend Langheid/Rixecker/ Rixecker § 5 Rn. 7; Piontek RuS 2017 124, 125 f.; abweichende Auffassung auch AG Solingen 18.4.2013 – 13 C 134/12 BeckRS 2013 09627. 742 OLG München 15.12.2016 – 24 U 2174/16, RuS 2017 131, 132 = zfs 2017 330. Zum Abschluss und Abwicklung von Versicherungsverträgen im Internet ausführlich Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner § 9. H. Baumann/Koch

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F. Vertragsfreiheit und ihre Schranken

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nicht. Das OLG München liefert insbesondere keine Begründung für die einschränkende Auslegung des § 5 Abs. 3. Selbst wenn es am Schutzbedürfnis des VN fehlen sollte, rechtfertigte dies nicht, den VR von seiner Verpflichtung aus § 5 Abs. 2 zu entlassen. Dem VR stehen bei falschen Angaben die Rechte aus § 19 Abs. 2–4 zu.743

4. Besonderheiten bei Vertragsabschlüssen im Internet Bedient sich der VR des Internets i. S. d. § 312i Abs. 1 S. 1 BGB zum Zwecke des Abschlusses des 258 Versicherungsvertrages, treffen ihn die besonderen Pflichten aus § 312i Abs. 1 Nr. 1–4 BGB. Das bedeutet u. a., dass er dem Interessenten technische Mittel zur Verfügung zu stellen hat, mit deren Hilfe dieser Eingabefehler vor Abgabe seiner Bestellung erkennen und berichtigen kann, den Zugang des Antrags unverzüglich auf elektronischem Weg zu bestätigen hat und er dem Interessenten die Möglichkeit erschaffen muss, die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Vertragsschluss abzurufen und in wiedergabefähiger Form zu speichern. Da der Vertragsschluss in der Regel auf Initiative des VN zustande kommt, der ein vom VR bereit gestelltes Antragsformular elektronisch übermittelt, findet § 7 Abs. 1 S. 3 Anwendung.744 Verletzt der VR seine Pflichten aus § 312i BGB kann er nach § 2 UKlaG und ggf. auch nach 259 §§ 3,8 UWG auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.745 Daneben kann darin ein Missstand i. S. d. § 298 Abs. 1 S. 2 VAG begründet sein. Nach § 8 Abs. 4 beginnt die Frist für das Widerrufsrecht des VN aus § 8 erst mit Erfüllung der Pflichten aus § 312i BGB zu laufen.746 Daneben greifen die allg. zivilrechtlichen Sanktionen für Pflichtverletzungen, insbes. Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB.747

5. Besonderheiten bei Pflichtversicherungsverträgen Die Vorschriften über den Vertragsschluss gelten auch für Pflichtversicherungsverträge. Eine 260 Ausnahme macht § 5 Abs. 3 PflVG. Nach dieser Vorschrift gilt der Antrag des Kunden zu denen für den Geschäftsvertrieb des VR maßgebenden Grundsätzen und dem allgemeinen Unternehmenstarif als angenommen, wenn der VR ihn nicht innerhalb von 2 Wochen schriftlich ablehnt oder wegen einer nachweisbar höheren Gefahr ein vom allgemeinen Unternehmenstarif abweichendes eigenes Angebot unterbreitet.748

IV. Inhaltsfreiheit und Schranken 1. Grundsatz der Inhaltsfreiheit Der Grundsatz der Inhaltsfreiheit gilt auch im Versicherungsrecht. Des Näheren bestehen indes- 261 sen (neben den bereits genannten) zahlreiche Schranken.

743 Piontek RuS 2017 124, 125 f. 744 Zu näheren Einzelheiten s. Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner § 9; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 68 ff.; Bruck/Möller/Herrmann § 7 Rn. 88; Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 15. Umfassend Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 74 ff. Näher Bruck/Möller/Knops § 8 Rn. 96. Zu näheren Einzelheiten s. Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner § 9 Rn. 70. Zu Einzelheiten s. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 5 PflVG Rn. 34 ff.

745 746 747 748 565

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

2. (Halb-)Zwingende Vorschriften des VVG 262 a) Überblick. Von größter praktischer Bedeutung sind die vielfältigen halbzwingenden Vorschriften des VVG, d. h. Vorschriften, von denen nicht (durch Vertrag) zum Nachteil des VN abgewichen werden kann, vgl. z. B. §§ 18, 32, 42, 52 Abs. 5, 87 und 112.749 Es gibt aber auch absolut zwingende Bestimmungen; Vereinbarungen, die davon abweichen, sind unwirksam, vgl. z. B. §§ 105 und 108 Abs. 1.750

263 b) Freistellung für Großrisiken und laufende Versicherungen. Gemäß § 210 Abs. 1 sind Beschränkungen der Vertragsfreiheit „nach diesem Gesetz“ auf „Großrisiken“ und auf laufende Versicherungen nicht anzuwenden.751 Die einschlägigen Beschränkungen der Vertragsfreiheit dienen mithin wie bisher752 nicht allein dem Schutze von Verbrauchern i. S. v. § 13 BGB, sondern jedenfalls teilweise darüber hinaus auch dem Schutze von Unternehmern als Versicherungsnehmern.753 Zwingende Bestimmungen anderer Gesetze als des VVG bleiben anwendbar. Das hat bereits 264 nach alter Rechtslage zu einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle der AVB für „Großrisiken“ geführt;754 auch nach der Reform gelten die §§ 307 ff. BGB.755 Die Freistellung im Hinblick auf die laufende Versicherung hat kaum eine zusätzliche praktische Bedeutung, da es sich dabei in aller Regel um Verträge über Großrisiken handelt.756

3. Allgemeine zivilrechtliche Schranken 265 a) §§ 134, 138, 242 BGB. Allgemeine Schranken der Inhaltsfreiheit ergeben sich auch im Versicherungsvertragsrecht bereits aus den §§ 134757 und 138 BGB.758 Zu beachten ist, dass § 134 BGB allein inländische Verbotsnormen erfasst. Ein Verstoß gegen ausländische Verbotsnormen kann allerdings zur Sittenwidrigkeit des Vertrages nach § 138 Abs. 1 BGB führen, wenn das Verbot selbst mit den „der deutschen Rechtsordnung immanenten Werten und Prinzipien“ im Einklang steht.759

749 Näher Klimke Die halbzwingenden Vorschriften des VVG (2004) sowie die Kommentierung zu den einzelnen Bestimmungen. 750 Vgl. Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 3; Klimke Die halbzwingenden Vorschriften des VVG (2004) 25. 751 Näher Begr. zu § 210 BTDrucks. 16/3945 S. 115. 752 Vgl. die Kommentierungen zu § 187 a. F. 753 Vgl. Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 9. Armbrüster Rn. 382 ff.; Wandt Rn. 188. 754 Vgl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 187 Rn. 8; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 187 Rn. 5. 755 Bruck/Möller/Renger9 § 210 Rn. 15; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Wolf § 210 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 210 Rn. 10; Langheid/Rixecker/Rixecker § 210 Rn. 3. 756 Begr. zu § 210 BTDrucks. 16/3945 S. 115. 757 Vgl. z. B. BGH 17.6.2004 – III ZR 271/03, VersR 2004 1029, 1030 f.: Provisionsabgabeverbot im Sinne von § 81 Abs. 2 S. 4 VAG a. F. enthält kein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB. LG Karlsruhe 3.7.2003 – 5 S 25/03, VersR 2004 110, 111: Vereinbarung eines unbedingten Provisionsanfalls bei Kündigung einer Lebensversicherung durch VN ist wegen Verstoßes gegen § 165 VVG nach § 134 BGB nichtig. Vgl. im Übrigen Prölss/Martin/Prölss § 1 Rn. 18; Palandt/Heinrichs § 134 Rn. 24. 758 BVerfG 29.5.2006 – 1 BvR 240/98, VersR 2006 961: Keine sittenwidrig überhöhte Prämie bei Unfallversicherung. BGH 12.3.2003 – IV ZR 278/01, VersR 2003 581, 582 f.: Frage sittenwidriger Überhöhung von Fallpauschalen in einer Privatklinik und Deckung durch private Krankenversicherung. BGH 29.3.1995 – IV ZR 2017/94, VersR 1995 698 ff.: Rechtsschutzversicherungsvertrag nicht schon deshalb sittenwidrig nach § 138 BGB, weil VN damit auch für Verfolgung von Rechten anderer Wohnungseigentümer sorgen will. Vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 113 ff. 759 Vgl. BGH 21.12.1960 – VIII ZR 1/60, BGHZ 34 169, 177; BGH 24. 5.1962 – II ZR 199/60,  NJW 1962 1436 (Borsäure); BGHZ 59 82, 85 f. = VersR 1972 849; BGH 25.2.1970 – III ZR 70/93,  BGHZ 128 41, 53; ablehnend betr. ausländischer H. Baumann/Koch

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F. Vertragsfreiheit und ihre Schranken

VVG § 1

In besonderem Maße gilt der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Versiche- 266 rungsrecht,760 und zwar zugunsten und zulasten beider Vertragsseiten.761 In § 13 ADS a. F. heißt es sogar: „wie das höchste Maß von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordert“.762 Generell wird die Intensität der Einwirkung des Grundsatzes auf das Schuldverhältnis vom Inhalt und der Dauer des Schuldverhältnisses wesentlich bestimmt.763 Neben der langen Dauer der Versicherungsverhältnisse sind die Vertragsparteien hier in besonderem Maße auf die Unterstützung durch den anderen angewiesen, weil z. B. der VN allein über die Kenntnisse der für Vertragsschluss und Schadensabwicklung wesentlichen Umstände verfügt und der VR dem VN durch die Beherrschung der Versicherungstechnik, seine Geschäftskunde und Erfahrungen sowie durch die Möglichkeit einer gezielten Nutzbarmachung von Sachverständigen weit überlegen ist.764 Bei der Konkretisierung dieses Grundsatzes spielen Wesen und Funktion der jeweiligen 267 Versicherung eine maßgebliche Rolle.765 Wie allgemein766 hat der Grundsatz von Treu und Glauben verschiedene Funktionskreise mit unterschiedlichen Wirkungen.767 Durch die Reform des VVG wurde die Funktion des § 242 BGB aber teilweise obsolet oder durch konkrete Regelungen ersetzt. So hatte sich die Rechtsprechung immer wieder mit Schranken des Rechts des VR aus § 12 Abs. 3 a. F. auseinanderzusetzen.768 Durch Streichung des § 12 Abs. 3 a. F. ist eine Einzelfallberufung des VN auf § 242 BGB obsolet geworden. Bisher auf § 242 BGB gestützte Aufklärungs- und Beratungspflichten769 sind nunmehr im Kern bei §§ 6, 61, 63 anzusiedeln. Wichtig sind auch die Regelungen in §§ 19 Abs. 4 S. 1, 28 Abs. 4, 37 Abs. 2 S. 2 und 52 Abs. 2 S. 2.

b) AVB und AGB-Recht. Von zentraler Bedeutung ist das AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) für die 268 inhaltliche Kontrolle und die Bewältigung zusätzlicher Probleme der AVB aller Schattierungen.770

Embargobestimmungen: LG Hamburg 3.12.2014 – 401 HKO 7/14, VersR 2015 1024, 1025 mit Anm. Looschelders; Bruck/Möller/Dörner9 Bd. 11 Art. 9 Rom I-VO Rn. 10; Langheid/Wandt/Armbrüster § 1 Rn. 114. 760 RG 15.12.1934 – I 184/34, RGZ 146 221, 224; 23.8.1935 – VII 24/35, RGZ 148 298, 301; 31.1.1936 – VII 150/35, RGZ 150 147, 150 ff.; BGH 28.11.1963 – II ZR 64/62, BGHZ 40 387, 388; Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 202 ff.; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 149; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 243; Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 96; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 92 ff. Prölss/Martin/Prölss Vorbem. II Rn. 6 ff.; Heiss Treu und Glauben im Versicherungsvertragsrecht (1989). 761 Eine für § 242 BGB erforderliche Sonderverbindung ist auch für das Verhältnis HaftpflichtVR und geschädigter Dritter zu bejahen, vgl. BGH 11.6.1996 – VI ZR 256/95, NJW 1996 2724; H. Baumann VersR 2004 944, 945 ff. 762 Vgl. Ritter/Abraham Kommentar zu den Allgemeinen deutschen Seeversicherungsbedingungen Bd. 1 2. Aufl. (1967) § 13 Anm. 5. 763 Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 4. 764 Prölss/Martin/Armbrüster Einleitung B Rn. 245 ff. 765 BGH 7.2.2007 – IV ZR 244/03, VersR 2007 633, 634 (Berufsunfähigkeitsversicherung); 16.11.2005 – IV ZR 120/ 04, VersR 2006 215 (Maschinenbetriebsunterbrechungsversicherung); 22.5.1985 – IVa ZR 153/83, VersR 1985 943, 944 (Zusatzversorgung). 766 Palandt/Heinrichs § 242 Rn. 15, 23 ff. 767 Prölss/Martin/Prölss27 Vorbem. II Rn. 9 ff. 768 BGH 19.10.2005 – IV ZR 89/05, VersR 2006 57; 8.6.2005 – IV ZR 225/04, VersR 2005 1225; 16.2.2005 – IV ZR 18/ 04, VersR 2005 629, 630 f.; OLG Düsseldorf 10.2.2004 – 4 U 146/03, RuS 2004 450; OLG Celle 18.12.2003 – 8 U 39/ 03, VersR 2004 585, 586. 769 Vgl. z. B. BGH 23.5.2007 – IV ZR 93/06, VersR 2007 1411 und 7.12.1988 – IVa ZR 193/87, VersR 1989 472 (gleitende Neuwertversicherung); Prölss/Martin/Prölss27 Vorbem. II Rn. 10 ff. 770 Ausführlich Bruck/Möller/Beckmann Einf. C. 567

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

4. Gleichbehandlungsgrundsatz 269 a) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Ziel des AGG771 ist es gemäß dessen § 1, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Das Gesetz enthält unter anderem in § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG ein einschlägiges zivilrechtliches Benachteiligungsverbot „bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse“, „die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben“. Gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts bei den Prämien oder Leistungen nur (aber immerhin) zulässig, „wenn dessen Berücksichtigung bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist.“ Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen, § 20 Abs. 2 S. 2 AGG. § 20 Abs. 2 S. 3 AGG rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität, wenn diese auf „anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht.“ Gemäß § 21 Abs. 4 AGG kann sich der Benachteiligende auf eine Vereinbarung, die von dem Benachteiligungsverbot abweicht, nicht berufen. Dies ist als Sonderregelung gegenüber § 134 BGB zu verstehen.772 Im Übrigen gewährt § 21 AGG den Benachteiligten Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche. Das Gesetz spielt vor allem eine Rolle für die Kranken-, Lebens- und Rentenversicherung 270 sowie für die Unfallversicherung.773 Allerdings hat das Gesetz praktisch nur Auswirkungen für Neuverträge ab 22.12.2007 (für Altverträge bei späteren Änderungen).774 Die der Ausnahme in § 20 Abs. 2 S. 1 AGG a. F. zugrunde liegende Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 RL 2004/113/EG wurde vom EuGH jedoch wegen Verstoßes gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen (insbes. Art. 21 und 23 Grundrechte-Charta) mit Wirkung ab 21.12.2012 für unwirksam erklärt.775 Mit Wirkung von 21.12.2012 hat der deutsche Gesetzgeber § 20 Abs. 2 S. 1 AGG gestrichen.776 Eine unmittelbare Auswirkung etwa auf die Haftpflichtversicherung dürfte zu verneinen 271 sein.777 Haftpflicht- und RechtschutzVR bieten aber unterschiedliche Deckungskonzepte für einschlägige Haftpflichtrisiken aus Beschäftigungsverhältnissen, zum Teil auch für einschlägige Haftpflichtrisiken im allgemeinen Zivilrechtsverkehr an.778

272 b) Geschlechtsunabhängige Altersversorgung nach AltZertG. Über die Anforderungen des AGG hinausgehend, fordert § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AltZertG779 bei Altersvorsorgeverträgen („Riester-Rente“) eine unabhängig vom Geschlecht berechnete Altersversorgung, was bei den einschlägigen Rentenversicherungen – verglichen mit strengen versicherungsmathematischen Kalkulationen – zu einer nicht unerheblichen Bevorteilung der Frauen führt. Gerechtfertigt 771 Vom 14.8.2006 BGBl. I 1987, zuletzt geändert urch Art. 8 G v. 3.4.2013 BGBl. I 610. Das Gesetz setzt mehrere EURichtlinien um. Für das Versicherungsrecht stehen die Antidiskriminierungs-Richtlinie (RL 2000/43/EG) und die Gender-Richtlinie (RL 2004/113/EG) im Vordergrund. Zu Einzelheiten vgl. insb. Looschelders VersR 2011 421, 423 ff. ders. JZ 2012 105 ff.; Thüsing/Hoff VersR 2007 1 ff.; Armbrüster VersR 2006 1297 ff. Zur Vorgeschichte vgl. Prölss/ Präve12 § 11 Rn. 12, 14 m. w. N. Näher auch Bruck/Möller/Beckmann Einf. A. Rn. 212 ff. 772 So auch Armbrüster VersR 2006 1297, 1305; a. M. offenbar Thüsing/Hoff VersR 2007 1, 9. 773 Dazu Thüsing/Hoff VersR 2007 1, 4 ff. 774 Vgl. die Übergangsbestimmung in § 33 Abs. 4 AGG. 775 EuGH 1.3.2011 – C-236//09, VersR 2011 377 = NJW 2011 907. 776 Art. 8 Nr. 1 G v. 3.4.2013 BGBl I 610. 777 Sitte/Lattwein VW 2007 1141. 778 Näher R. Koch VersR 2007 288 ff. 779 G v. 26.6.2001 BGBl. I 1310, zuletzt geändert durch Arti. 17 G v. 11.12.2018 BGBl. I S. 2338. H. Baumann/Koch

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F. Vertragsfreiheit und ihre Schranken

VVG § 1

erscheint dies trotz der privatversicherungsrechtlichen Zuordnung derartiger Verträge durch deren staatliche/steuerliche Förderung und Heranführung an die Sozialversicherung („Sozialrisiken“)(Rn. 63).

c) Gleichbehandlung für VVaG-Mitglieder gemäß § 177 Abs. 1 VAG. § 177 Abs. 1 VAG ent- 273 hält einen auf den VVaG bezogenen Gleichheitsgrundsatz: Mitgliederbeiträge und Vereinsleistungen an die Mitglieder dürfen bei gleichen Voraussetzungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen sein. Die Vorschrift betrifft nach h. M. nur das Versicherungsverhältnis. Das Verbot, ein einzelnes Mitglied körperschaftsrechtlich schlechter zu behandeln als die übrigen Mitglieder, folgt danach aus allgemeinen Grundsätzen des Vereinsrechts.780 Einzelheiten sind aber umstritten.781 Der Grundsatz besagt nicht, dass Gleichheit aller Mitglieder besteht. Die Gleichbehandlung ist vielmehr davon abhängig, dass die Voraussetzungen782 die gleichen sind.783

d) Allgemeine Gleichbehandlungspflicht? Äußerst strittig ist, ob und inwieweit der Gleich- 274 behandlungsgrundsatz des § 177 Abs. 1 VAG allgemeine Bedeutung auch für die VN von Versicherungs-AG und öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen hat.784 Aufsichtsrechtlich gilt ein dem § 177 Abs. 1 VAG vergleichbarer Grundsatz für die Lebensversicherung (§ 138 Abs. 2 VAG), für die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr (§ 161 VAG) und für die substitutive Krankenversicherung (§ 146 Abs. 2 VAG). Hingewiesen sei auch auf § 5 Abs. 3 PflVG im Hinblick auf die Kfz-Haftpflichtversicherung. Betrachtet man vorgenannte Einzelbestimmungen sowie die neuen Regelungen des AGG, 275 so sind sie vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Vertrags- und Berufsfreiheit des VR785 nur als Spezialbestimmungen verständlich und sprechen, jedenfalls für die VersicherungsAG,786 gerade gegen ein allgemeines zivilrechtliches Gleichbehandlungsgebot.787 Aufsichtsrechtlich ist allerdings auf das Sondervergütungs- und Provisionsabgabeverbot 276 gem. § 48b VAG hinzuweisen. Bis zum 27.2.2018 hatten das Bundesministerium der Finanzen und die Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, per Verordnung ein Provisionsabgabeverbot auszusprechen (Anordnung des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung vom 8.3.1934 hinsichtlich der Lebensversicherung,788 Verordnung vom 5.6.1934789 hinsichtlich der Krankenversicherung sowie die Verordnung des Bundesaufsichtsamts vom 17.8.1982790 hinsichtlich sonstiger Versicherungen). Allerdings hatte das VG Frankfurt/M. die Anordnung des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung vom 8.3.1934 wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebots für unwirksam

780 Vgl. Prölss/Dreher/Weigel VAG § 177 Rn. 2 m. w. N., der aber a. a. O. Rn. 6 ff. selbst eine differenzierende Auffassung vertritt.

781 Zum Teil wird in § 177 Abs. 1 VAG sogar lediglich ein „überholter Programmsatz“ gesehen, vgl. Kaulbach/Bähr/ Pohlmann/Kaulbach § 177 VAG Rn. 2. 782 Näher Prölss/Dreher/Weigel § 177 VAG Rn. 11. 783 Näher Prölss/Dreher/Weigel § 177 VAG Rn. 10; skeptisch zur Effektivität des Grundsatzes Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Kaulbach § 171 VAG Rn. 3 f. 784 Übersicht des Streitstandes bei Prölss/Dreher/Weigel VAG § 177 Rn. 3; ausführlich Krömmelbein 75 ff. 785 Vgl. insbes. den Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG und dazu Jarass/Pieroth/Jarass GG 13. Aufl. (2014) Art. 12 Rn. 19 ff. 786 Eine andere Einschätzung kann für öffentlich-rechtliche VU in Betracht kommen, vgl. Prölss/Dreher/Weigel § 177 VAG Rn. 3; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Kaulbach § 177 VAG Rn. 6. 787 Wie hier Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Kaulbach § 177 VAG Rn. 5; Prölss/Dreher/Weigel § 177 VAG Rn. 4; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 158 ff.; Krömmelbein 369 (Gesamtergebnis). 788 VerAfP 1934 99. 789 VerAfP 1934 100. 790 BGBl. I 1243. 569

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

erklärt.791 Mit der Neuregelung in § 48b VAG ist das Provisionsabgabeverbot nunmehr auf einfachgesetzlicher Ebene verankert worden.792 Nach § 48b Abs. 1 VAG ist es den VR und den Vermittlern i. S. v. § 59 Abs. 1 untersagt, die in § 48b Abs. 2 VAG definierten Sondervergütungen zu gewähren oder zu versprechen. Ausnahmen hiervon sind in Abs. 3 und 4 bestimmt. So findet das Sondervergütungsverbot nach § 48b Abs. 4 S. 1 VAG keine Anwendung, wenn die Sondervergütung zur dauerhaften Leistungserhöhung oder Prämienreduzierung des vermittelten Vertrages verwendet wird. Absatz 4 S. 2 stellt klar, dass die für die Lebensversicherung, die substitutive Krankenversicherung und die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr gesetzlich vorgesehenen besonderen Gleichbehandlungsgrundsätze sowie der Gleichbehandlungsgrundsatz für Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit unverändert fortbestehen.793 In § 34d Abs. 1 S. 6 GewO findet sich eine entsprechende Regelung für Versicherungsvermittler. 277 Ein allgemeines versicherungsrechtliches Gleichbehandlungsgebot lässt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG herleiten.794 Insbesondere wenn man die Problematik an den Wertungen misst, die das BVerfG in seinen Entscheidungen zur Lebensversicherung zum Ausdruck gebracht hat (Rn. 287 ff.). Insgesamt gesehen erscheint es danach sinnvoller, mehr punktuell bestimmte Problemfelder, insbes. im Umfeld von „Sozialrisiken“ (Rn. 63), zu untersuchen, falls dort evidente Funktionsdefizite des Wettbewerbs bestehen, als dass man pauschal einem vermeintlich allgemeinen versicherungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot nachspürt. Hinzuweisen ist immerhin auf folgenden Zusammenhang: Da für VVaG ein allgemeiner 278 Gleichbehandlungsgrundsatz besteht, kann dieser über den Wettbewerb am Markt auch Auswirkungen über das Marktverhalten von Versicherungs-AG und öffentlich-rechtlichen Unternehmen mit sich bringen.

5. Optimierungspflicht des VR? 279 a) Allgemein. J. Prölss hat 1983795 eine Optimierungspflicht796 zu Lasten der VR entwickelt, die er unter anderem aus Bestimmungen des VVG – z. B. den subjektiven Risikoausschlüssen der §§ 61, 152 a. F., der kurzen Verjährung gemäß § 12 Abs. 1 a. F., der Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 a. F., dem als zwingend anzusehenden Bereicherungsverbot (§ 55 a. F.) etc. – ableitet, wobei die Aufsichtsbehörde „Hüterin“ der Optimierungspflicht sein soll mit Sanktionsmöglichkeiten gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 und § 81 Abs. 2 S. 1 VAG a. F. Aus einer derartigen Pflicht soll nicht nur ein zu optimierendes Verhältnis von zu deckenden Schäden zur Prämie, sondern auch eine Gleichbehandlungspflicht der VR ableitbar sein.797 Gegen diese Konzeption ist schon seinerzeit alsbald Kritik aus verfassungs-798 und versiche280 rungsrechtlicher799 Sicht erhoben worden.800 Aus heutiger Sicht ist sie erst recht nicht haltbar: Ein zwingendes Bereicherungsverbot ist abzulehnen (Rn. 91), § 12 Abs. 3 a. F. ist abgeschafft,801 § 61 a. F. durch die Auflockerung des Alles-oder-Nichts-Prinzips maßgeblich verändert (Rn. 123), 791 792 793 794

VG Frankfurt/M. 24.10.2011 – 9 K 105/11.F, VersR 2012 358. Erbs/Kohlhaas/Wache/Lutz § 48b VAG Rn. 2. Erbs/Kohlhaas/Wache/Lutz § 48b VAG Rn. 3. In diesem Sinne Krömmelbein 329 ff.; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 VVG Rn. 65; Armbrüster Rn. 345; Wandt Rn. 140; a.A. Bruns Privatversicherungsrecht (2015) § 6 Rn. 9 f. 795 Prölss FS Larenz zum 80. Geb. (1983); vgl. auch Prölss/Martin/Prölss28 Vorbem. II Rn. 2 ff. und § 1 Rn. 22. 796 Prölss FS Larenz 520: Echte Rechtspflicht, nicht nur eine dem unternehmerischen Kalkül überantwortete Angelegenheit des VR, die dieser nach Belieben und Wettbewerbslage wahrnimmt oder nicht. 797 Prölss FS Larenz 530 ff. und Prölss/Martin/Prölss28 Vorbem. II Rn. 2 f. 798 R. Scholz ZVersWiss. 1984 1, 19 ff. 799 Sieg ZVersWiss 1983 696. 800 Zu weiteren ablehnenden Stellungnahmen vgl. Prölss/Martin/Prölss28 Vorbem. II Rn. 2b; Armbrüster FS E. Lorenz zum 80.Geburtstag 9 ff. 801 Vgl. bereits Abschlussbericht der VVG-Reformkommission unter 1.2.2.12. H. Baumann/Koch

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F. Vertragsfreiheit und ihre Schranken

VVG § 1

die Verjährung durch die Anwendbarkeit der §§ 195 ff. BGB verlängert.802 Einer Minimierung der Nettoprämie bzw. einer Minimierung des Kostenanteils der Prämie als Ratio dieser gesetzlichen Bestimmungen,803 korrespondierend mit einer entsprechenden Optimierungspflicht des VR ist daher diesbezüglich schon gesetzlich der Boden entzogen. Einem Recht des VN auf Versicherungsschutz zu optimaler Prämie804 stehen ganz konkret die Bestimmungen des VAG entgegen, die allein in der Lebens-, Kranken-, Pflege- und zum Teil in der Unfallversicherung eine bestimmte Prämienkalkulation vorschreiben (§§ 139 ff. VAG). Und eine Optimierungspflicht der VR mit der Aufgabe der Aufsichtsbehörde, auf die ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten zu achten (§§ 11 Abs. 1, 294Abs. 2 S. 2 VAG), in Verbindung zu bringen, ist bereits seit der Grundsatzentscheidung des BVerwG vom 14.10.1980,805 erst recht seit der Deregulierung des Aufsichtsrechts des Jahres 1994 jedenfalls in Bereichen, in denen ein funktionsfähiger Wettbewerb herrscht,806 nicht mehr möglich.807 Eine derartige Konzeption steht überdies mit Grundprämissen des gegenseitigen Vertrages als eines Austauschvertrages, der auch im Versicherungsrecht prinzipiell vom Grundsatz privatautonomer Interessenverfolgung gekennzeichnet ist,808 nicht in Einklang. Selbst mit der Beratungspflicht gemäß § 6 ist eine Optimierungspflicht in dem genannten Sinne nicht verbunden.809 Sie lässt sich auch nicht aus § 1a herleiten.810

b) Optimierungspflicht beim VVaG und allgemeine Rückwirkungen. Auf der anderen Sei- 281 te sind die VN nicht allein auf die Resultate der üblicherweise dem Wettbewerb zugeschriebenen Funktionen811 verwiesen. Abgesehen von den verbleibenden Aufgaben der Aufsichtsbehörde ist vor allem auf die Stellung der VVaG (praktisch weniger wahrnehmbar auch die Funktion der öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen) hinzuweisen. Aus dem Umstand, dass die VN hier (im Regelfall) gleichzeitig Mitglieder sind und die Versicherung nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit betrieben wird, ergibt sich ähnlich wie bei der Genossenschaft812 eine Förderpflicht, d. h. eine Pflicht der Leitungsorgane des VVaG, sich maßgeblich an den Interessen der Mitglieder = VN zu orientieren, die durchaus als Optimierungspflicht813 begriffen werden kann. Trotz aller Annäherungen von VVaG und Versicherungs-AG814 verbleiben doch wesentliche Strukturunterschiede zwischen beiden Unternehmensformen.815 Die Optimierungspflicht des VVaG gegenüber den Mitgliedern kommt aber über den Wettbewerb am Markt letztlich auch den VN der Versicherungs-AG zugute. Vergleichbares gilt, wie schon erwähnt,816 für den Grundsatz der Gleichbehandlung, der für den VVaG aus § 177 Abs. 1 VAG folgt. 802 803 804 805 806

Näher Begr. zu § 15 BTDrucks. 16/3945 S. 64. So Prölss FS Larenz 497 ff. Vgl. Prölss FS Larenz 495. BVerwG – 1 A 12/78, VersR 1981 221, 223. Zu Besonderheiten in der Lebensversicherung vgl. die Grundsatzentscheidungen des BVerfG v. 26.7.2005, unten Rn. 259 ff. 807 Prölss/Kollhosser12 § 81 VAG Rn. 29. 808 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, VersR 2005 1127, 1129. 809 Eine Optimierungspflicht ablehnend Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 57; Prölss/Martin/Armbrüster Einleitung Rn. 240 f.; ders. Rn. 333 ff.; vgl. auch OLG Nürnberg 18.1.2000 – 3 U 3127/99 BeckRS 2000, 30091109 („Pflicht des Versicherers, den Gewinn zu optimieren, ist einer Kapital-Lebensversicherung selbst dann, wenn man sie als partiarisches Rechtsverhältnis behandelt, nicht zu entnehmen“). 810 A. A. offenbar Bruck/Möller/Knops § 1a Rn. 18. 811 Vgl. etwa Emmerich § 1 Rn. 5 ff. 812 Näher Prölss/Weigel § 171 VAG Rn. 21. Vgl. auch E. Lorenz FS Stuttgarter Lebensversicherung a.G. (2008) 1. 813 So dem Sinne nach auch Benkel VVaG 149 f. 814 Vgl. nur Prölss/Weigel Vorbem. vor § 171 VAG Rn. 8–10. 815 Prölss/Dreher/Weigel § 171 VAG Rn. 18 m. w. N. 816 Vgl. Rn. 273. Ob bzw. inwieweit sich diesbezügliche Wirkungen durch die in den letzten Jahren weithin vorgenommenen Umstrukturierungen von VVaG-Gruppen relativiert haben, lässt sich schwer abschätzen. 571

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

V. Ausprägungen des Informationsmodells neben materialem Schutzmodell 1. Allgemeines 282 Der „durchschnittliche, verständige VN“817 kann von vornherein in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung einen, seinen Interessen entsprechenden, (Versicherungs-) Vertrag nur abschließen, wenn ihm adäquate Informationen zur Verfügung stehen. Entsprechend diesen Zusammenhängen818 („Informationsmodell“)819 lassen sich verschiedene Ausprägungen von Informationsgeboten feststellen. Das Informationsmodell gewährleistet allerdings (im Versicherungswesen) keine ausreichenden Instrumente für allseits angemessene Problemlösungen; vielmehr steht dieses Modell nach geltendem Recht in Kombination mit den Ausprägungen eines „Regulierungs“- oder „materialen Schutzmodells“, das auf zwingende, an materieller Angemessenheit ausgerichteten Normen setzt. Der Ausbau des Informationsmodells ist jedoch eine wichtige Zielsetzung des reformierten VVG,820 zumal durch die dritte Generation der EG-Richtlinien und ihre Umsetzung in nationales Recht die Regulierungsdichte reduziert worden ist, insbes. durch Beschränkung der Befugnisse der Aufsichtsbehörden.821 Nach Verdeutlichung des Zusammenwirkens dieser unterschiedlichen Prinzipien seien im Folgenden einige Ausprägungen des Informationsmodells nachgezeichnet:

2. AGB-Rechtliches Transparenzgebot 283 Seit langem besteht bereits das, heute vor allem in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verankerte, AGB-rechtliche Transparenzgebot. Im Einzelnen bedeutet es Verständlichkeitsgebot, Bestimmtheitsgebot und Täuschungsverbot bzw. Richtigkeitsgebot.822 Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot kann zur Unwirksamkeit einer entsprechenden AGB- oder AVB-Klausel führen.

3. Allgemeine Informations- und Beratungspflichten 284 Um für den VN möglichst Klarheit über das angebotene Versicherungsprodukt, aber auch über die von ihm selbst zu erbringenden Prämien und Kosten und über sonstige vertragsrelevante Umstände823 zu schaffen, hat der VR dem VN bereits vor Abgabe von dessen Vertragserklärung die Informationen gem. § 7 (einschl. der sich aus der VVG-InfoV ergebenden) zu übermitteln. Gem. § 4 der VVG-InfoV hat der VR dem VN ein Produktinformationsblatt zur Verfügung zu stellen, das diejenigen Informationen enthält, die für den Abschluss oder die Erfüllung des Versicherungsvertrages von besonderer Bedeutung sind. Verletzt der VR seine Informationspflichten, kann für den VN ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht gem. § 311 Abs. 2 BGB in Betracht kommen.824 Außerdem ist nunmehr gesetzlich festgelegt, dass der VR825 den VN nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 nach dessen Wünschen und Bedürfnis817 Zum maßgeblichen Leitbild des durchschnittlichen VN R. Koch VersR 2015 133, 134 f. m. w. N. 818 Vgl. auch Begr. A.II.1 BTDrucks. 16/3945 S. 47. 819 Langheid/Wandt/Bruns Bd. 3 Vorbemerkung zu §§ 307 bis 309 BGB Rn. 37; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Brömmelmeyer § 42 Rn. 67 ff.; Rehberg 73 ff. Begr. A.I. BTDrucks. 16/3945 S. 47. Vgl. nur H. Baumann VersR 1996 1. Näher Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 283 ff. Vgl. §§ 1–3 VVG-InfoV. Begr. zu § 7 BTDrucks. 16/3945 S. 60; Bruck/Möller/Herrmann § 7 Rn. 112 ff. Zur parallel bestehenden Verpflichtung des Versicherungsvermittlers vgl. § 61 Abs. 1, zum Verhältnis der Pflichten zueinander vgl. Begr. zu § 6 BTDrucks. 16/3945 S. 58. Näher Werber VersR 2007 1153 und 2008 285 sowie Kommentierung zu § 6.

820 821 822 823 824 825

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sen zu befragen, ihn zu beraten und dies zu dokumentieren hat. Für den Fall einer – zu vertretenden – Pflichtverletzung ist in § 6 Abs. 5 ausdrücklich eine Schadensersatzpflicht des VR verankert, dessen nähere Qualifizierung hier dahinstehen kann.826

4. Bedeutung der „Auge-und-Ohr“-Doktrin Es ist umstritten, ob mit Einführung dieser schadensersatzbewehrten Pflichten noch ein Rück- 285 griff auf das bisherige Gewohnheitsrecht einer (schadensersatzrechtlich begründeten) Erfüllungshaftung des VR bei Fehlinformationen etc. seitens des Vermittlers möglich ist.827 Das reformierte VVG hat aber in den §§ 69, 70 auch die vom BGH entwickelte „Auge-und-Ohr“-Doktrin berücksichtigt.828 Danach sind unter anderem auch mündliche Ergänzungen, die der VN bei Antragsaufnahme vor dem Versicherungsvertreter abgibt, gegenüber dem VR erklärt mit der Folge, dass – ggf. unter Berücksichtigung von § 5 Abs. 2 und 3 – ein entsprechender Vertragsinhalt zustande kommt.829 Der VN soll und muss auch künftig nicht nur über §§ 6 und 7, sondern auch über diese gesetzlich integrierte höchstrichterliche Rechtsprechung zur Wissenszurechnung geschützt werden,830 so dass in solchen Fällen Information, Beratung und (darauf aufbauende) Erklärungen des VN im Zusammenhang gewürdigt werden müssen.

5. Spezielle Hinweisobliegenheiten des VR In einem weiteren Sinne der Umsetzung des Informationsmodells sind dem VR Hinweisoblie- 286 genheiten auferlegt, die er erfüllt haben muss, wenn er sich auf bestimmte Vertragsverletzungen des VN berufen will, vgl. z. B. § 19 Abs. 5 S. 1, § 28 Abs. 4, § 37 Abs. 2 S. 2, § 52 Abs. 1 S. 2.

VI. Verfassungsrechtliche Gewährleistung und Schranken der Vertragsfreiheit 1. Entscheidungen des BVerfG vom 26.7.2005 zur Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung Aufbauend auf früheren Entscheidungen zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der Privatauto- 287 nomie, bei denen insbes. die Bedeutung der Grundrechte für die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln, vor allem der §§ 138 und 242 BGB, betont wurde,831 hat das BVerfG in seinen Entscheidungen vom 26.7.2005, die zur Bestandübertragung von Lebensversicherungsverträgen832 und zur Überschussermittlung bei kapitalbildenden Lebensversicherun826 Vgl. Bruck/Möller/Schwintowski § 6 Rn. 86 ff.; zur entsprechenden Beratungspflicht während der Versicherungsdauer gem. § 6 Abs. 4 vgl. Bruck/Möller/Schwintowski § 6 Rn. 58 ff. 827 Einen Rückgriff lehnen u. a. ab: E. Lorenz FS Canaris 2007, Bd. 1, S. 757, 772 ff.; Langheit/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 332 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker VVG § 6 Rn. 3; Fricke VersR 2015 1090 ff.; LG Stuttgart VersR 2016 1235; a. A. OLG Frankfurt/M. 19.5.2011 – 7 U 67/08, VersR 2012 342; LG Saarbrücken 5.8.2013 – 14 O 152/12, VersR 2014 317; wohl auch OLG Hamm 13.3.2019 – 20 U 183/18, VersR 2019 928, 930 f.; R. Koch FS E. Lorenz zum 80. Geburtstag 199 ff.; Bruck/Möller/Schwintowski, § 6 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 56; Piltz VuR 2010 167. 828 Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 77. 829 BGH 11.11.1987 – IVa ZR 240/86, VersR 1988 234, 236; BGH 19.9.2001 – IV ZR 235/00, VersR 2001 1498, 1499; BGH 27.2.2008 – IV ZR 270/06, VersR 2008 765, 766; ausführlich Prölss/Martin/Kollhosser27 § 43 Anm. 35a f.; Römer/ Langheid/Römer2 § 5 Rn. 8, 16. 830 A.M. offenbar E. Lorenz FS Canaris (2007) 757, 767 ff. 831 Vgl. z. B. BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, NJW 1994 36; BVerfG 6.2.2001 – 1 BvR 12/92, NJW 2001 957. 832 VersR 2005 1109. Vgl. dazu insbes. die Änderung von § 14 und § 44a VAG durch das 9. G zur Änderung des VAG v. 23.12.2007 BGBl. I 3248; Begr. des RegE in BTDrucks. 16/6518 S. 10 ff. 573

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gen833 ergangen sind, noch einmal grundlegend die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie, ihre Schranken und ggf. den Schutzauftrag des Gesetzgebers zur rechtlichen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses der betroffenen Vertragsparteien dargelegt.834 288 Was insbes. die Entscheidung zur Überschussbeteiligung anbelangt, so hebt das BVerfG maßgeblich auf den Befund ab, dass die einschlägigen Vertragsbedingungen der LebensVR835 praktisch nicht verhandelbar sind und der Wettbewerb um das Produkt Lebensversicherung für die Versicherten nur in beschränkter Weise funktioniert.836 Hierzu befand das BVerfG u. a.: Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben, die ihre Grenzen allerdings in der Entfaltungsfreiheit anderer findet. Die Privatautonomie bedarf deshalb der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, insbes. im Vertragsrecht. Privatautonomie setzt voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung des Einzelnen auch tatsächlich gegeben sind. Maßgebliches Institut ist der Vertrag, mit dem die Vertragspartner im Rahmen des Rechts selbst bestimmen, wie ihre individuellen Interessen bei Vertragsschluss, während der Laufzeit des Vertrages und bei Vertragsende zueinander in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Wenn auch in der Regel der Vertrag auf einen sachgerechten Interessenausgleich schließen lässt, so bestehen doch Ausnahmen, wenn aufgrund erheblicher ungleicher Verhandlungspositionen der Vertragspartner einer von ihnen ein solches Gewicht hat, das er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann. Dann ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtspositionen der beteiligten Parteien hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen oder mehrere Vertragsteile die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt. Gleiches gilt, wenn die Schwäche eines Vertragspartners durch gesetzliche Regelungen bedingt ist. Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatautonomie durch Art. 2 Abs. 1 GG kann dann zu einer Pflicht des Gesetzgebers führen, für eine rechtliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses der davon betroffenen Vertragsparteien zu sorgen, die ihren Belangen hinreichend Rechnung trägt. 289 Mit dieser Deduktion, letztlich mit einer aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG hergeleiteten Schutzpflicht hat das BVerfG den Gesetzgeber für verpflichtet erklärt, hinreichende rechtliche Vorkehrungen dafür vorzusehen, dass bei der Ermittlung eines bei Vertragsende zuzuteilenden Schlussüberschusses die Vermögenswerte angemessen837 berücksichtigt werden, die durch Prämienzahlungen im Bereich der kapitalbildenden Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung geschaffen worden sind. Dabei sei das Gebot der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit zu beachten.838 Dem Gesetzgeber standen danach im Rahmen des ihm zukommenden Gestaltungsspiel290 raums verschiedene Wege zur Beseitigung des Schutzdefizits unter Nutzung der verschiedenen das Versicherungsrecht gestaltenden Teilrechtsordnungen offen.839 Entsprechend diesem Schutzauftrag ist der Gesetzgeber im Rahmen der Lebensversicherung verfahren, indem er insbes. festgelegt hat (Rn. 142), dass fünfzig Prozent der stillen Reserven den Versicherten zumindest im Rahmen des Schlussüberschussanteils zukommen müssen.

833 834 835 836

BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95 VersR 2005 1127. Vgl. auch BVerfG 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96, VersR 2006 489 (zum Rückkaufswert). Konkret ging es vor allem um die Bedingungen zur Überschussbeteiligung. BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, VersR 2005 1127, 1132. Konkret ging es um einen Vertrag aus der Zeit vor der Deregulierung von 1994. Betont wurde, dass die Möglichkeiten der VN, nach Vertragsschluss auf das Vertragsverhältnis Einfluss zu nehmen, sehr begrenzt sind. Insbes. sei es keine wirtschaftlich sinnvolle Option, einen nicht als günstig erkannten Vertrag zu kündigen und den VR zu wechseln. Und das BVerfG stellt fest: Die (zwischenzeitlich) „erfolgten Neuregelungen haben die aufgezeigten Probleme noch nicht bewältigt“, a. a. O. 1134. 837 Und nicht nur, wie in der Rechtsprechung des BVerwG vorgesehen, „nicht unangemessen“, vgl. BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, VersR 2005 1127, 1134. 838 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, VersR 2005 1127, 1134. 839 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, VersR 2005 1127, 1134. H. Baumann/Koch

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2. Rückwirkungen auf andere Problemkreise Auch die gesetzlichen Neuregelungen über den Rückkaufswert sind, allerdings in veränderter 291 Weise (Rn. 140 ff.), mit auf vorgenannte verfassungsrechtliche Wertungen zurückzuführen.840 Bei der Würdigung der Grundsatzentscheidungen des BVerfG sind jedoch die besonderen Gegebenheiten der kapitalbildenden Lebensversicherung zu beachten. Es wäre daher vordergründig, aus den Entscheidungen unbesehen voreilige Schlüsse für andere Versicherungszweige, die mit den Gegebenheiten der kapitalbildenden Lebensversicherung nicht vergleichbar sind, ziehen zu wollen.841 Allerdings wird mit den neuesten Entscheidungen des BVerfG noch einmal deutlich, wie sehr die vorstehend erörterten unterverfassungsrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit auch weithin verfassungsrechtlich determiniert sind. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung zur Überschussbeteiligung hat das BVerfG mit 292 Beschluss vom 23.10.2006 auch das Recht der VN auf informationelle Selbstbestimmung betont,842 was eine umfassende Abwägung der gegenläufigen Belange der Vertragspartner erforderlich mache. Dies wird nicht zuletzt Auswirkung auf die rechtliche Behandlung der Gentestproblematik in verschiedenen Zweigen der Personenversicherung haben.843 Die Entscheidung des BVerfG hat mittelbar auch die Fassung des § 213 über die „Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten bei Dritten“ beeinflusst.844 Interessant ist auf der anderen Seite, dass inzwischen bereits Neuregelungen des VVG 293 2008 teils hinsichtlich der Lebensversicherung,845 teils hinsichtlich der Krankenversicherung846 unter verfassungsrechtlichen Aspekten in Frage gestellt werden. Verfassungsrechtlich fragwürdig erscheinen auch die Regelungen zu den Informationspflichten der VR bei Vertragsschluss, wenn man durchgehend allein und einseitig auf Belange der VN abstellen würde, ohne auf der anderen Seite die technologisch-logistischen Möglichkeiten der VR und der Vermittler hinreichend unter dem verfassungsrechtlichen Aspekt der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen und im Wege der praktischen Konkordanz unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Ausgleichung zu bringen.847

VII. Vertragsänderungen 1. Überblick Gemäß § 311 Abs. 1 BGB ist auch zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses grundsätz- 294 lich ein Vertrag erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Bei Versicherungsverträgen ist, ganz abgesehen von weiteren Differenzierungen, zumindest zu unterscheiden 840 Der BGH (12.10.05 – IV ZR 162/03, VersR 2005 1565, 1567) nahm auf vorgenannte Urteile des BVerfG v. 26.7.2005 Bezug. Nach BVerfG 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96, VersR 2006 489, 494 widersprach die vom BGH gefundene Lösung nicht verfassungsrechtlichen Vorgaben, letztlich habe aber der Gesetzgeber zu entscheiden, welche Lösung er wählen möchte. Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber in § 169 getroffen. 841 Vgl. BVerfG 29.5.2006 – 1 BvR 240/98, VersR 2006 961, 962 f. (Unfallversicherung). 842 BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669 (Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung). 843 Vgl. dazu LG Bielefeld 14.2.2007 – 25 O 105/06, VersR 2007 636; H. Baumann ZVersWiss 2002 169; Prölss/ Martin/Armbrüster §§ 19 Rn. 20 f. m. w. N. 844 Die Fassung des Gesetzes geht auf eine Empfehlung des BT-Rechtsausschusses zurück, der sich dabei auf die Entscheidung der BVerfG beruft, vgl. BTDrucks. 16/5862 v. 28.6.2007 S. 67 f., 100. Zum RegE s. BTDrucks. 16/3945 S. 40, 116. Kritisch Langheid NJW 2007 3665, 3671. 845 Mudrack ZfV 2007 41, 43; Schwintowski ZVersWiss 2007 449, 460: Problematisch, dass den Versicherten in der kapitalbildenden Lebensversicherung nur 50 % der stillen Reserven zukommen sollen. 846 Langheid NJW 2007 3745, 3750 f.; vgl. auch Rn. 315. 847 Vgl. H. Baumann FS Adomeit (2008) 41 und 46. 575

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zwischen individuellen Vertragsänderungen (Rn. 295 ff.), Vertragsänderungen aufgrund von Anpassungsklauseln in den AVB (Rn. 298 ff.) sowie gesetzlichen Ermächtigungen zu Vertragsänderungen (Rn. 301 ff.). Im Folgenden ist nur ein kurzer Überblick über einschlägige Problemkreise zu geben. Ausführliche Kommentierungen erfolgen im Recht der AVB848 sowie bei den Einzelbestimmungen des Gesetzes.

2. Individuelle Vertragsänderungen 295 Individuelle Vertragsänderungen durch Vertrag kommen vielfach vor und werfen zahlreiche Einzelfragen auf.849 Zweifelhaft kann in concreto schon sein, ob die spätere Vereinbarung wirklich eine Änderung des bisherigen Vertrages oder den Abschluss eines neuen Vertrages bedeuten soll.850 Nach der Rechtsprechung ist entscheidend für die Frage, ob das eine oder das andere anzunehmen ist, der Wille der Parteien, insbesondere der im Versicherungsantrag zum Ausdruck gekommene Wille des VN.851 Wegen der weit reichenden Folgen der Ersetzung bestehenden Versicherungsschutzes durch einen neuen, eigenen Versicherungsvertrag muss ein dahin gehender Vertragswille deutlich erkennbar zum Ausdruck kommen.852 Für die Annahme des Abschlusses eines neuen Vertrages ist regelmäßig kein Raum, wenn unter Wahrung der Vertragsidentität lediglich die bisherige Leistungspflicht des VR inhaltlich oder zeitlich erweitert wird.853 Die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins ist unbeachtlich.854 Im Zweifel wird vom VN ein neuer Vertragsschluss nicht gewollt sein.855 296 Neue Fragen wirft bei Vertragsänderungen das Verhältnis von § 5 zu § 7 auf. So wurden bisher bei (nicht durch neue AVB ausgelösten) Vertragsänderungen (z. B. wegen Fahrzeugwechsels) neue AVB des VR, die mit dem geänderten Versicherungsschein (oder „Nachtrag“) ausgehändigt wurden, nicht Vertragsbestandteil, wenn nicht der VR einen Hinweis gemäß § 5 Abs. 2 vornahm.856 Erfolgte jedoch ein Hinweis gemäß § 5 Abs. 2, so griff die Genehmigungsfiktion des § 5 Abs. 1, wenn der VN nicht widersprach, also schwieg. Das mag akzeptabel gewesen sein, solange auch § 5a a. F. auf einer Genehmigungsfiktion durch Schweigen beruhte. Angesichts der Neukonzeption des Vertragsabschlussmodells insbes. in § 7 Abs. 1 (Rn. 230) bedürfen aber solche Fallgestaltungen einer Vertragsänderung auch einer neuen dogmatischen Durchdringung. Auf die Diskussion in der Literatur kann hier nur hingewiesen werden.857 297 Liegt die angestrebte Vertragsänderung darin, dass der Vertrag auf geänderte AVB umgestellt werden soll, ist eine zumindest konkludent erklärte Zustimmung des VN zu den neuen

848 849 850 851 852

Vgl. Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 174 ff. Näher Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 108 ff. OLG Saarbrücken 16.5.2007 – 5 U 590/06, VersR 2007 1681; umfassend Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 152 ff. OLG Saarbrücken 30.5.2007 – 5 U 704/06-89, VersR 2008 57, 58. Vgl. OLG Köln 16.7.2002 – 9 U 48/01, VersR 2002 1226 = NVersZ 2002 469; OLG Hamm 29.9.1978 – 20 W 18/78, VersR 1979 413; ÖOGH 28.6.1984 – 7 Ob 65/83, VersR 1986 27. 853 OLG Saarbrücken 30.5.2007 – 5 U 704/06-89, VersR 2008 57, 58 unter Hinweis auf BGH 9.12.1992 – IV ZR 232/ 91, VersR 1993 213, 214; vgl. im Übrigen OGH VersR 1990 549. 854 OLG Saarbrücken 30.5.2007 – 5 U 704/06-89, VersR 2008 57, 58; ÖOGH 28.6.1984 – 7 Ob 65/83, VersR 1986 271. 855 Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 154. 856 OLG Hamm 3.12.1999 – 20 U 101/99, VersR 2000 719 f.; OLG Frankfurt 7.5.1998 – 3 U 250/97, VersR 1998 1540; OLG Hamm 9.5.1996 – 6 U 217/95, VersR 1997 306; zur Anwendung von § 5 auf Nachträge s. Bruck/Möller/Knops § 5 Rn. 4. 857 Zur Diskussion um die Einbeziehung von AVB über § 5 s. Bruck/Möller/Knops § 5 Rn. 17; Prölss/Martin/Armbrüster Einleitung Rn. 42; Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 50 (§ 5 ist nicht mehr anwendbar), a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 5 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 24; Schimikowski RuS 2007 309, 311; Langheid/Rixecker/Rixecker § 5 Rn. 10. H. Baumann/Koch

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Bedingungen erforderlich.858 Entsprechendes muss erst recht unter der neuen Ägide des § 7 Abs. 1 gelten.

3. Prämien- und Bedingungsanpassungsklauseln in den neuen AVB Sieht der Vertrag in den AVB eine Prämienanpassungsklausel859 vor und erhöht der VR auf- 298 grund einer solchen Klausel die Prämie,860 so steht dem VN das Kündigungsrecht nach Maßgabe des § 40 Abs. 1 zu. Nach umstrittener, aber zutreffender Auffassung unterliegen Prämienanpassungsklauseln trotz des Kündigungsrechts zusätzlich einer AGB-rechtlichen Kontrolle.861 Das zuvor Gesagte gilt entsprechend, wenn der VR aufgrund einer Anpassungsklausel den Umfang des Versicherungsschutzes vermindert,862 § 40 Abs. 2. Auch Bedingungsanpassungsklauseln sind nach bisher h. M. grundsätzlich zulässig.863 299 Die nachträgliche Anpassung des Vertragsinhaltes an veränderte Umstände durch neue, allein vom VR aufgestellte Regelungen stellt aber einen Eingriff in ein bestehendes Vertragsverhältnis dar, der sich – so das vorgenannte Urteil des BGH – nach den gemäß § 307 Abs. 1 BGB zu berücksichtigenden Interessen beider Vertragsparteien nur rechtfertigen lässt, wenn durch für den VR unvorhersehbare Änderungen das bei Vertragsschluss vorhandene Äquivalenzverhältnis in nicht unbedeutendem Maße gestört oder eine im Regelungswerk (wegen Unwirksamkeit einer Klausel) entstandene Lücke notwendigerweise durch Anpassung oder Ergänzung beseitigt werden muss.864 Für durch unwirksame AVB-Klauseln im Vertragswerk entstandene Lücken hatte die VVG- 300 Reformkommission in § 16 KomE eine gesetzliche Anpassungsregelung vorgeschlagen,865 die in modifizierter Weise im RefE übernommen wurde.866 Der RegE hat hingegen eine solche allgemeine Anpassungsklausel nicht in das Gesetz aufgenommen, weil sich „in der Praxis aus dem Fehlen einer über den § 306 BGB867 hinausgehende Anpassungsmöglichkeit“ keine „für die Vertragsparteien unzumutbaren Probleme ergeben hätten.“868 Diese Entwicklung in der Rechtsprechung und im Gesetzgebungsprozess ist im Hinblick auf „lückenfüllende“ Bedingungsanpassungsklauseln, die grundsätzlich als zulässig anzusehen sind,869 zukünftig zu berücksichtigen, desgleichen eine Abstimmung bzw. Abgrenzung gegenüber den gesetzlichen Ermächtigungsklauseln in §§ 164 (Lebensversicherung) und 203 Abs. 4 (Krankenversicherung).870 Bei Bedingungsanpassungsklauseln im Hinblick auf eine Äquivalenzstörung ist zusätzlich § 40 Abs. 2 zu beachten.

858 859 860 861

Näher Prölss/Martin/Armbrüster Einleitung Rn. 39. Zu diesbezüglichen gesetzlichen Ermächtigungen s. Rn. 301 ff. Ohne entsprechende Änderung des Versicherungsschutzes. Vgl. BGH 22.9.2004 – IV ZR 97/03, VersR 2004 1446, 1447; BGH 1.7.1992 – IV ZR 191/91, BGHZ 119 55, 59; OLG Hamm 25.6.1993 – 20 U 342/92, VersR 1993 1342, 1343; näher Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 179 ff.; Prölss/ Martin/Reiff § 40 Rn. 27. 862 Ohne die Prämie entsprechend herabzusetzen. 863 Grundlegend BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 119 55, 59=VersR 1999 697; LG Bonn 24.6.2014 – 10 O 4/14, RuS 2014 416, 417; näher zum Streitstand Prölss/Martin/Prölss Vorbem. I Rn. 28 ff. und Einf. C. 864 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 119 55, 59=VersR 1999 697; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 200; Prölss/ Martin/Armbrüster Einleitung Rn. 48 ff. 865 Begr. Abschlussbericht zu § 16. 866 Vgl. § 16 RefE und Begr. S. 44 ff. 867 Dazu BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03 VersR 2005 1565. 868 Begr. zu § 164 BTDrucks. 16/3945 S. 100. 869 Näher zu allem Bruck/Möller/Beckmann Einf. C. Rn. 200 ff. 870 Bruck/Möller/Beckmann Einf. C. Rn. 198 f. 577

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4. Gesetzliche Ermächtigungen zu Vertragsänderungen 301 a) Lebensversicherung. § 163 Abs. 1 sieht ein gesetzliches Recht des VR zur Neufestsetzung der Prämie unter den dort näher genannten Voraussetzungen vor, ohne eine entsprechende vertragliche Anpassungsklausel vorauszusetzen. Damit werden solche Klauseln für andere Fälle nicht ausgeschlossen, sie unterliegen jedoch der allgemeinen Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB.871 § 163 Abs. 1 lehnt sich zum Teil an § 172 Abs. 1 a. F. an, ist aber z. B. hinsichtlich der erfassten Lebensversicherungen weiter gefasst und sieht entgegen § 172 Abs. 1 S. 2 a. F. keine gesetzliche Ermächtigung zur Änderung von Bestimmungen zur Überschussbeteiligung vor.872 Neu ist auch, dass der VN gemäß § 163 Abs. 2 verlangen kann, dass anstelle einer Erhöhung der Prämie die Versicherungsleistung entsprechend herabgesetzt wird.873 302 Größere praktische Bedeutung dürfte die gesetzliche Ermächtigung gemäß § 164 erlangen, für unwirksam erklärte AVB-Bestimmungen durch neue zu ersetzen. § 164 tritt an die Stelle von § 172 Abs. 2 a. F. und soll bisherige Unklarheiten beseitigen.874 Dies geschieht u. a., indem vom BGH aufgestellte Kriterien in das Gesetz übernommen werden.875 Bemerkenswert ist daneben, dass die bisherige Regelung, wonach ein unabhängiger Treuhänder (nicht nur bei der Prämienanpassung i. S. v. § 163 sondern auch) bei der Bedingungsanpassung mitzuwirken hatte, nicht übernommen wurde, da „der damit verfolgte Schutz der Interessen der VN in diesen Fällen nicht erreicht wird“.876

303 b) Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung. Die Regelungen der §§ 163, 164 sind gemäß § 176 entsprechend auf die Berufsunfähigkeitsversicherung anzuwenden.877 Für die Krankenversicherung enthält § 203 entsprechende Regelungen, die zum Teil von § 178g a. F. abweichen.878 Hinsichtlich der Ersetzung unwirksamer AVB verweist § 203 Abs. 4 auf die vorerwähnte Regelung in § 164 für die Lebensversicherung.

VIII. Besondere Vertragsgestaltungen: vorläufige Deckung, laufende Versicherung, Gruppen- bzw. Kollektivversicherung 304 Erstmals enthält das Gesetz Bestimmungen über die vorläufige Deckung (§§ 49 bis 52),879 die – naturgemäß – in erheblicher Weise von den Regelungen zum normalen Versicherungsvertrag abweichen. 305 Erstmals näher geregelt ist auch die „laufende Versicherung“ (§§ 53 bis 58), die bis zum 30.6.1990 durch § 187 Abs. 2 a. F. ausdrücklich von den Beschränkungen der Vertragsfreiheit ausgenommen war, später aber im VVG keinerlei Regelung fand.880 Wegen ihrer praktischen Bedeutung, vor allem in der Binnen-Transportversicherung,881 sind in das Gesetz einige Rege-

871 872 873 874 875

Begr. zu § 163 Abs. 1 BTDrucks. 16/3945 S. 99. Zur Begr. vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 99. Zur Begr. vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 99. Begr. zu § 164 vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 99 f. Näher Begr. zu § 164 BTDrucks. 16/3945 S. 100 unter Bezugnahme auf BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03 VersR 2005 1565. 876 Näher Begr. zu § 164 BTDrucks. 16/3945 S. 100. Anders noch § 157 KomE der VVG-Reformkommission und § 157 RefE. Kritisch allerdings obiter dicta in BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03 VersR 2005 1565, 1569 m. w. N. 877 Vgl. auch Begr. zu § 176 BTDrucks. 16/3945 S. 107. 878 Näher Begr. zu § 203 BTDrucks. 16/3945 S. 113 f.; vgl. auch Boetius VersR 2008 1431. 879 Vgl. Bruck/Möller/Höra9 Vor §§ 49 ff. Rn. 1 ff. Hingewiesen sei hier auf die Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 73–75. 880 Vgl. Begr. A. II. 6. BTDrucks. 16/3945 S. 50. 881 Näher Bruck/Möller/Renger9 § 53 Rn. 24 ff. H. Baumann/Koch

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G. Unanwendbarkeit des VVG auf Rückversicherung und Seeversicherung

VVG § 1

lungen aufgenommen worden,882 die zum Teil ebenfalls erheblich von den Regelungen für den normalen Versicherungsvertrag abweichen. Gemäß § 210 Abs. 1 ist diese Vertragsgestaltung (wiederum) ausdrücklich von den Beschränkungen der Vertragsfreiheit ausgenommen, was allerdings kaum von praktischer Bedeutung ist, da die laufende Versicherung in aller Regel Großrisiken erfasst.883 Nicht im Gesetz allgemein geregelt ist die Gruppen- bzw. Kollektivversicherung.884 Aller- 306 dings finden sich versprengt Einzelbestimmungen, so in § 150 Abs. 2 (Rn. 163) und § 206 Abs. 5, die der besonderen Vertragsstruktur Rechnung tragen sollen.

G. Unanwendbarkeit des VVG auf Rückversicherung und Seeversicherung I. Rückversicherung Rückversicherung ist die Versicherung des von dem ErstVR übernommenen Risikos.885 Der VN 307 des ErstVR erwirbt keinen direkten Anspruch gegen den RückVR.886 Wie bereits nach § 186 a. F. sind auch nach § 209 die Vorschriften des VVG auf die Rückversicherung nicht anzuwenden. Wegen der großen wirtschaftlichen Bedeutung der Rückversicherung für die Erstversicherung887 ist aber in den letzten Jahren durch mehrere Änderungen des VAG zunehmend die Versicherungsaufsicht über die (ausschließlich das Rückversicherungsgeschäft betreibenden) RückVR intensiviert worden.

II. Exkurs: Tätigkeit von Versicherungs-Zweckgesellschaften (ART) Eine Versicherungs-Zweckgesellschaft ist selbst kein (Erst- oder) Rückversicherungsunterneh- 308 men, übernimmt aber von Erst- oder Rückversicherungsunternehmen Risiken, wobei sie die Schadensrisiken vollständig über die Emission von Schuldtiteln oder einem anderen Finanzierungsmechanismus absichert, bei dem die Rückzahlungsansprüche der Darlehensgeber oder der Finanzierungsmechanismus den „Rückversicherungsverpflichtungen“ der Gesellschaft nachgeordnet sind, vgl. § 168 Abs. 1 VAG. Mit dieser Regelung durch die 8. VAG-Novelle888 hat der deutsche Gesetzgeber eine Option der Richtlinie 2005/68/EG vom 16.11.2005 wahrgenommen, um die Ansiedlung entsprechender Gesellschaften und den Finanzplatz Deutschland zu fördern.889 Zugleich haben damit neuere Entwicklungen zum Alternativen Risikotransfer (ART)890 einen spezifischen Niederschlag im VAG gefunden. Das VVG findet auch im Verhältnis der Zweckgesellschaft zum VR, von dem Risiken übernommen werden, keine Anwendung.

882 Näher Begr. zu §§ 53–58 BTDrucks. 16/3945 S. 75–77. 883 Begr. zu § 210 BTDrucks. 16/3945 S. 165. 884 Einzelheiten bei Millauer Rechtsgrundsätze der Gruppenversicherung (1996); ders. VersR 1966 606 ff. Zu diesbezüglichen aufsichtsrechtlichen Grundsätzen vgl. Prölss/Kollhosser12 § 81 VAG Rn. 82, 88 ff. 885 Zu Einzelheiten vgl. die Kommentierung zu § 209. Überblick bei Berliner Kommentar/Schwintowski § 186 Rn. 12 ff.; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 186 Rn. 2 ff. 886 BGH 15.10.1969 – IV ZR 623/68, VersR 1970 29. 887 Vgl. z. B. die Begr. zur Änderung des VAG in BTDrucks. 14/8017 S. 70 und in BTDrucks. 15/3418 S. 16. Siehe auch bereits Begr. zu § 186 a. F., Motive zum VVG 245 f. 888 Näher Begr. zu § 121g im Entwurf eines 8. Gesetzes zur Änderung des VAG BTDrucks. 16/1937 vom 23.6.2006 S. 30 f. Vgl. auch Prölss/Dreher/Lange § 168 Rn. 1 ff. 889 Begr. Allg. Teil zum Entwurf eines 8. Gesetzes zur Änderung des VAG BTDrucks. 16/1937 vom 23.6.2006 S. 20. 890 Vgl. nur Bieta/Siebe ZVersWiss 2002 203; F. Wagner ZVersWiss 1997 511; König VersR 1997 1042; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 173, 727 f. m. w. N. 579

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§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

III. Seeversicherung 309 Wie bereits nach § 186 a. F. bleibt auch nach neuem Recht (§ 209)891 die Seeversicherung von der Anwendung des VVG ausgenommen. Die Reformkommission hatte zwar vorgeschlagen, die Seeversicherung der Regelung über Großrisiken (§ 210) zu unterstellen.892 Der RegE893 hat davon aber wegen der seitens der Praxis erhobenen Bedenken894 Abstand genommen. Das durch AVB weitgehend verdrängte Seeversicherungsrecht in den §§ 778 ff. HGB ist aufgehoben worden (Art. 4 des ReformG).895

H. Abgrenzungen 310 Privatversicherung und Privatversicherungsvertrag sind von den verschiedensten Institutionen und rechtlichen Erscheinungsformen ähnlicher Art abzugrenzen. Das geschieht im Folgenden im Hinblick auf die Sozialversicherung (Rn. 311 ff.), auf Fonds (Rn. 316 ff.) und auf die Prozessfinanzierung durch Erfolgsbeteiligung (Rn. 327 ff.).

I. Sozialversicherung 1. Systematik und Rechtsgrundlagen 311 Die Sozialversicherung zählt nach traditioneller Einteilung neben Versorgung und Fürsorge/ Sozialhilfe zu den klassischen Gebieten des Sozialrechts. Nach moderner Systematik wird zwischen Vorsorge-, Entschädigungs- und Ausgleichssystemen unterschieden, wobei die soziale Vorsorge sich im Wesentlichen mit der klassischen Kategorie der Sozialversicherung deckt.896 Die Sozialversicherung ist heute im Wesentlichen im Sozialgesetzbuch (SGB) geregelt. Abgesehen von sonstigen Bereichen sind hier vor allem zu nennen: SGB V-Gesetzliche Krankenversicherung, SGB VI-Gesetzliche Rentenversicherung, SGB VII-Gesetzliche Unfallversicherung, SGB XI-Soziale Pflegeversicherung, SGB IV-Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung,897 SGB I-Allgemeiner Teil. Die Zweige der Sozialversicherung sind naturgemäß vor allem mit den entsprechenden Zweigen der privatrechtlichen Personenversicherung („Sozialrisiken“) (Rn. 64) vergleichend zu betrachten. 312 Der Bundesgesetzgeber kann sich für die Privatversicherung auf die verfassungsrechtliche Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 (bürgerliches Recht) und 11 (Recht der Wirtschaft/privatrechtliches Versicherungswesen) GG i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG stützen, für die „Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung“ auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG.898 Sozialversicherungsrecht ist öffentliches Recht, das gerichtliche Verfahren ist im SGG geregelt. Für das private Versicherungsrecht gelten hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens die ZPO sowie das GVG.

891 Zu Einzelheiten vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 § 209 Rn. 206 ff.; Zu § 186 a. F. s. Berliner Kommentar/Schwintowski § 186 Rn. 2 ff.; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 186 Rn. 1. Vgl. Abschlussbericht unter 1.2.2.1.2.3. Ebenso noch § 209 des RefE, vgl. Begr. ebd. zu Art. 4 Nr. 3 (S. 183 f.). Vgl. Begr. zu § 209 BTDrucks. 16/3945 S. 115. Vgl. z. B. Büchner/Jürss VersR 2004 1090. Vgl. Begr. hierzu BTDrucks. 16/3945 S. 120; kritisch Bruck/Möller/R. Koch9 § 209 Rn. 209. Gitter/Schmitt Sozialrecht 5. Aufl. (2001) 1. Teil Rn. 9 f.; Muckel/Ogorek/Rixen Sozialrecht 5. Aufl. (2019) Rn. 1 ff.; Waltermann Sozialrecht 13. Aufl. (2018) Rn. 63 ff. 897 Zum sachlichen Geltungsbereich der Gemeinsamen Vorschriften, insbes. auch hinsichtlich der Arbeitsförderung, vgl. § 1 SGB IV. 898 Aufschlussreich z. B. BVerfG 3.4.2001 – 1 BvR 2014/95 VersR 2001 627 (zur privaten Pflegeversicherung).

892 893 894 895 896

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VVG § 1

H. Abgrenzungen

2. Typische Unterschiede zwischen Privat- und Sozialversicherung Typischerweise unterscheiden sich Privat- und Sozialversicherung in wesentlichen Punkten (im 313 Folgenden teilweise pauschalisierend dargestellt):899 Institutionell wird Privatversicherung von im Wettbewerb zueinander stehenden Unternehmen betrieben, Sozialversicherung von Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, die Glieder der mittelbaren Staatsverwaltung sind und i. d. R.900 nicht in Wettbewerb zueinander stehen. Private Versicherungsverhältnisse entstehen grundsätzlich, nach geltendem Recht durchgehend, kraft Privatautonomie durch Vertrag; Versicherungsverhältnisse der Sozialversicherung unterliegen dem Vorbehalt des Gesetzes (§ 31 SGB I). Die staatliche Aufsicht erfolgt nach unterschiedlichen Prinzipien. Entwicklung und Fixierung des Versicherungsschutzes erfolgen in der Sozialversicherung vorwiegend durch Gesetz, in der Privatversicherung vorwiegend durch (Gesetz und) AVB. Hinsichtlich der Finanzierung dominiert in der Sozialversicherung das Umlageverfahren (Rentenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung), in der Privatversicherung das Kapitaldeckungsverfahren; u. U. kommt es zu erheblichen staatlichen Zuschüssen in der Sozialversicherung. Die Beitragsgestaltung ist sowohl hinsichtlich der Zuständigkeit und der Prinzipien unterschiedlich. Wichtig sind vor allem: individuelles Äquivalenzprinzip in der Privatversicherung, Solidarprinzip in der Sozialversicherung. Dabei besteht ein Zusammenhang mit der prinzipiellen Abschlussfreiheit in der Privatversicherung und der prinzipiellen Versicherungspflicht in der Sozialversicherung. Im Bereich der Privatversicherung besteht insbes. bei den Aktiengesellschaften eine dominante Gewinnerzielungsabsicht, in der Sozialversicherung das Deckungsprinzip (vgl. § 21 SGB IV). In der Sozialversicherung hat das Sachleistungsprinzip ein starkes Gewicht, in der Privatversicherung dominiert das Geldleistungsprinzip.

3. Beispiele für ordnungspolitische und verfassungsrechtliche Problemfelder (insbes. Krankenversicherung) Rechtlich problematisch ist heute kaum noch die positivrechtliche Zuordnung eines Versiche- 314 rungsverhältnisses zur Privatversicherung oder zur Sozialversicherung im Einzelfall. Ordnungspolitisch und verfassungsrechtlich problematisch sind eher Typ- bzw. Prinzipannäherungen oder sogar Verwischungen dieser Art zwischen Privat- und Sozialversicherung. Eine besonders starke Annäherung an die Sozialversicherung hat die 1994 zusammen mit 315 der sozialen Pflegeversicherung eingeführte private Pflegeversicherung erfahren, die bezeichnenderweise maßgeblich im SGB XI (§§ 23, 110 f.) mitgeregelt ist. Das BVerfG hat indes diese Regelungen mit Urteil vom 3.4.2001901 verfassungsrechtlich gebilligt. Durch das Gesetz zur „Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-WSG) haben zahlreiche Neuregelungen Eingang in die Private Krankenversicherung gefunden. Die hiergegen gerichteten verfassungsrechtlichen Bedenken betrafen vor allem902 drei Punkte: 1. Einführung eines Basistarifs mit Kontrahierungszwang für die VR unter Verzicht auf eine Tarifierung nach den Prinzipien der individuellen Äquivalenz (vgl. §§ 193 Abs. 3 bis 7, 203 Abs. 1 S. 2 und 3). 2. Portabilität der Alterungsrückstellung unter bestimmten Voraussetzungen (§ 204). 3. Steuerfinanzierung einer beitragsfreien Mitversicherung von Kindern nur für die GKV, nicht aber für die PKV. 899 Näher H. Baumann FS v. Lübtow 667, 673 ff.; Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 15 ff.; Beckmann/MatuscheBeckmann/E. Lorenz § 1 Rn. 70 ff.; Beckmann Einf. A Rn. 23.

900 Anders in der gesetzlichen Krankenversicherung. 901 BVerfG 3.4.2001 – 1 BvR 2014/95 VersR 2001 627. 902 Vgl. Boetius VersR 2007 431, 440; Klaue/Schwintowski Grenzen der Zulässigkeit von Wahltarifen (2008). 581

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

Das BVerfG hat die von den VR eingelegte Verfassungsbeschwerde jedoch mit Urteil vom 10.6.2009 zurückgewiesen.903

II. Fonds 1. Überblick 316 Der in der Praxis verwendete Begriff des „Fonds“ ist vielfältig und schillernd. Es gibt Hedgefonds, Investmentfonds, unterschiedliche „Feuerwehrfonds“, internationale Entschädigungsfonds für Ölschäden usw. Dem kann hier nicht weiter nachgegangen werden.904 Pauschal verwiesen sei auf den in den §§ 236 ff. VAG minutiös geregelten Pensionsfonds, auf den zum Teil auch Vorschriften des VVG Anwendung finden.905 Einzugehen ist hier allein auf Sicherungsbzw. Insolvenzfonds (Rn. 317 ff.) und Entschädigungsfonds (Rn. 322 f.), die mit dem Versicherungswesen verbunden oder strukturell von besonderem Interesse sind und in besonderer Weise Fragen der Anwendbarkeit des VVG aufwerfen.

2. Sicherungs- bzw. Insolvenzfonds 317 a) Entwicklung. Insbes. vor der Deregulierung des Versicherungswesens war die Schaffung von Sicherungseinrichtungen im Bereich der Versicherungswirtschaft heftig umstritten. Weithin wurde eher für die Beibehaltung der (aufsichtsamtlichen) Regulierung votiert, teilweise für Deregulierung mit Verstärkung des Wettbewerbs und der Einrichtung von Sicherungsfonds zum Schutze der Versicherten.906 Mit der dritten Richtliniengeneration kam die Deregulierung, mit Gesetz vom 15.12.2004907 wurden die §§ 221 ff. über einen Sicherungsfonds für die Lebensversicherung und einen solchen für die Krankenversicherung in das VAG eingefügt. Bereits 1994908 wurde das PflVG durch Einfügung des § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 ergänzt, wodurch im Bereich der KfzHaftpflichtversicherung Insolvenzschutz gewährt wird. Damit ist ein besonderer Schutz der Betroffenen im Rahmen der „Sozialrisiken“ (Rn. 64) geschaffen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch der Pensions-Sicherungs-Verein aG, der auf der Basis der §§ 7 bis 15 BetrAVG bereits seit 1974 als Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung für den Fall fungiert, dass ein Arbeitgeber insolvent wird.

318 b) Sicherungsfonds für die Lebensversicherung und für die Krankenversicherung. Gemäß § 222 Abs. 1, 2 VAG ordnet die Aufsichtsbehörde, falls die Voraussetzungen des § 314 Abs. 1 S. 1 VAG vorliegen und andere Maßnahmen zur Wahrung der Belange der Versicherten nicht ausreichend sind, die Übertragung des Versicherungsbestandes nebst den zur Bedeckung dienenden Vermögensgegenständen auf den zuständigen Sicherungsfonds an.909 Gemäß § 223 VAG wurden vorsorglich bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau ein Sicherungsfonds für die LebensVR und ein solcher für die KrankenVR als teil-rechtsfähige Sondervermögen des Bundes 903 904 905 906

Hierzu Sodan/Kalis Handbuch des Krankenversicherungsrechts 3. Aufl. (2018) § 42 Rn. 15 ff. Näher Dreher FS Rittner (1991) 93 ff.; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 154 ff., 453 ff. Prölss/Dreher/Weigel § 236 VAG Rn. 120 f. Hierzu und generell zum Sicherungsfonds in der Lebensversicherung Präve VersR 2005 1023; siehe auch bereits H. Baumann ZHR 139 (1975) 291, 337 ff. 907 BGBl. I 3416. Ausführlich hierzu Heidel Sicherungsfonds (2007). 908 Näher Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 13 PflVG Rn. 9. 909 Damit erlischt gemäß § 222 Abs. 7 VAG die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb für das übertragende VU, so dass sich ein normales Liquidationsverfahren anschließen kann, vgl. Begr. zu § 126 VAG a. F. BTDrucks. 15/3418 S. 26. H. Baumann/Koch

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H. Abgrenzungen

VVG § 1

gebildet. Auf der Basis des § 127 VAG a. F. (= § 224) wurden aber mit VO vom 11.5.2006910 die Aufgaben und Befugnisse des Sicherungsfonds für die Lebensversicherung an die Protektor Lebensversicherungs-AG911 und mit VO vom gleichen Tage912 die Aufgaben und Befugnisse des Sicherungsfonds für die Krankenversicherung an die Medicator AG übertragen. Beide fungieren als beliehene Unternehmen. Damit wird eine „Pflichtsicherung“ der Versicherungsunternehmen913 geschaffen, zu deren Finanzierung die dem jeweiligen Fonds angehörenden VR herangezogen werden, und zwar unter Berücksichtigung ihrer Finanz- und Risikolage.914 Öffentliche Aufgabe915 der Sicherungsfonds ist der Schutz der Ansprüche der VN, der versicherten Personen, Bezugsberechtigten und sonstiger aus dem Versicherungsvertrag begünstigten Personen, § 223 Abs. 2 S. 1 VAG. „Zu diesem Zweck sorgen sie für die Weiterführung der Verträge eines betroffenen Versicherungsunternehmens“, § 223 Abs. 2 S. 2 VAG. Denkbar sind verschiedene Eingriffe in die vertraglichen Konditionen.916 Die Überschussbeteiligung wird bis zur Sanierung des übernommenen Versicherungsbestandes suspendiert.917 Die Tätigkeit der Sicherungsfonds ist nach allem eine Aufgabe eigener Art und nicht völ- 319 lig gleichbedeutend mit dem des Versicherungsgeschäfts, obwohl in der Praxis große Gemeinsamkeiten vorhanden sind.918 Für die verwalteten, weitergeführten Versicherungsverträge findet das Privat-(Versicherungs-)Recht mit den erwähnten Modifikationen Anwendung.919

c) Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen/Verkehrsopferhilfe 320 e.V. Die Aufgaben aus § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 PflVG (Insolvenz eines Kfz-Haftpflicht-VR) sind der Verkehrsopferhilfe e.V. übertragen worden.920 Davor bestand bereits eine Leistungspflicht der Solidarhilfe e.V.921 Der Dritte kann seine Ersatzansprüche ggf. in voller Höhe922 gegen die Verkehrsopferhilfe geltend machen. Während dem Entschädigungsfonds in den Fällen von § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 PflVG gemäß § 12 Abs. 6 PflVG ein uneingeschränktes Regressrecht gegen den Ersatzpflichtigen zusteht, ist dies konsequenterweise im hier erörterten Fall anders: Der Regress ist gemäß § 12 Abs. 6 S. 4 PflVG auf A 2.500 beschränkt. Bereits zu den früheren Regelungen zur Leistungspflicht des Solidarhilfevereins wurden 321 Überlegungen angestellt, ob diese Regelungen eine versicherungsartige Konstruktion mit sich bringen.923 Die Qualifizierung ist – auch hinsichtlich der gesetzlichen Regelung – schwierig. Letztlich ist aber eine Art der Versicherung zu verneinen. Die einschlägigen Rechtsnormen

910 BGBl. I 1170. 911 Diese war bereits zuvor auf freiwilliger Basis durch die LebensVR gegründet worden und hatte den Bestand der notleidenden „Mannheimer Lebensversicherung AG“ übernommen. 912 BGBl. I 1171. 913 So Begr. zu § 126 VAG a. F. BTDrucks. 15/3418 S. 26. Unzutreffende Wiedergabe bei Präve VersR 2005 1023, 1024: „Pflichtversicherung“. 914 Vgl. § 226 Abs. 7 VAG i. V. m. § 2 der VO über die Finanzierung des Sicherungsfonds für die LebensVR vom 11.5.2006 BGBl. I 1172, geändert durch G v. 1.8.2014 BGBl. I 1330. Hiermit wird einer Verzerrung des Wettbewerbverhaltens entgegengewirkt, vgl. zur Problematik Dreher FS Rittner (1991) 93, 106 ff. 915 So ausdrücklich Begr. zu § 126 Abs. 2 VAG a. F. BTDrucks. 15/3418 S. 27. 916 Vgl. § 222 Abs. 5 (sowie § 222 Abs. 6 bei Weiterübertragung des Bestandes auf einen zugelassenen VR). 917 Vgl. § 222 Abs. 4 S. 2 Halbs. 2 VAG, der allerdings an die neue Rechtslage gemäß § 153 hätte angepasst werden sollen. Näheres zur gesetzlichen Regelung Präve VersR 2005 1023, 1028. 918 So auch Begr. zu § 127 a. F. BTDrucks. 15/3418 S. 27. Unklar Präve VersR 2005 1023, 1024. Zur fehlenden Gewinnorientierung und Steuerbefreiung der Fonds vgl. Begr. BTDrucks. 15/3418 S. 2. 919 Ähnlich Präve VersR 2005 1023, 1024 f. 920 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 13 PflVG Rn. 9. 921 Näher Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. V 1 Anm. B 132 ff. 922 Vgl. allerdings auch § 12 Abs. 1 S. 2–5 und Abs. 4 PflVG. 923 Vgl. nur Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. V 1 Anm. B 135 m. w. N. 583

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§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

sorgen durch fondsadäquate Finanzierung924 für eine garantierte Deckung des Ersatzanspruches des Drittgeschädigten und verschonen die Ersatzpflichtigen nach Maßgabe des § 12 Abs. 6 PflVG vor einem Regress. Ein Fall der Versicherung liegt nicht vor (Rn. 324 ff.).

3. Sonstige Entschädigungsfonds (Auswahl) 322 a) Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen/Verkehrsopferhilfe e.V. Sieht man von den zuvor erörterten Fällen der Insolvenzsicherung ab, so war der Entschädigungsfonds ursprünglich in Fällen der Fahrerflucht (§ 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PflVG) und des Nichtbestehens der erforderlichen Haftpflichtversicherung (§ 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 PflVG), später auch in Fällen der vorsätzlichen und widerrechtlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 PflVG),925 und ist jetzt zusätzlich in Fällen der Versicherungsbefreiung (§ 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a PflVG) leistungspflichtig gegenüber dem ersatzberechtigten Dritten.926 Die Rechtsnatur dieser Leistungspflicht ist ebenfalls umstritten, aber jedenfalls nicht als Ausfluss echter Versicherung zu qualifizieren.927

323 b) Entschädigungsfonds für Klärschlammschäden. Auch dieser Fonds,928 dessen Schaffung sogar das BVerfG beschäftigt hat,929 hat ausführliche Erörterungen ausgelöst, ob es sich um einen VR mit versicherungsmäßigen Leistungspflichten handelt. Dies ist zu verneinen. Vielmehr ist ein Garantiefonds mit garantieartigen Leistungspflichten anzunehmen.930

4. Zusammenfassende Betrachtung 324 Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass die Abgrenzung der Leistungspflicht eines VR zu dem eines Fonds äußerst schwierig ist. Es bedarf auch jeweils einer präzisen Betrachtung der Regelungen über den einzelnen Fonds und seiner Leistungspflicht. Allgemein sind für die Abgrenzung folgende Aspekte von Bedeutung: Der Privatversicherungsvertrag ist ein schuldrechtlicher gegenseitiger Vertrag, bei dem die 325 Prämie (Finanzierung) als Leistung für die Erbringung einer Gegenleistung zu Gunsten spezieller Versicherter erbracht wird. Individualversicherung bedeutet wechselseitige, am Äquivalenzprinzip orientierte Leistungspflicht in privat- und prinzipiell eigennütziger Interessenverfolgung.931 Beim Fonds werden eher pauschalierte gemeinsame Mittel zu gemeinsamen Zwecken, u. U. zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben aufgebracht und verwendet.932 Geht es, wie 924 Vgl. § 8 Abs. 1 und § 13 Abs. 2 PflVG sowie § 16 der Satzung des Vereins „Verkehrsopferhilfe e.V.“ (Satzung ist abgedruckt bei Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 Anhang 2 PflVG). 925 Zur Leistungsfreiheit des VR vgl. jetzt § 103. 926 Ausführlich H. Baumann Leistungspflicht und Regress des Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen (1969); Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 12 PflVG Rn. 50 f. 927 H. Baumann Entschädigungsfonds 89 ff.; Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 12 PflVG Rn. 14 f. 928 Vgl. § 11 DüngG i. d. F. v. 9.1.2009 BGBl. I 54, 136, zuletzt geändert durch Art. 1 G v. 5.5.2017 BGBl. I S. 1068. i. d. F. vom 7.9.1994 BGBl. I 2705 ff. sowie VO über den Klärschlamm-Entschädigungsfonds vom 20.5.1998 BGBl. I 1048, zuletzt geändert durch Art. 2 VO v. 14.12.2017 BGBl. I 3942. Ausführlich H. Baumann Versicherungs-, verfassungs- und europarechtliche Probleme monopolistischer Entschädigungsfonds (1998). 929 BVerfG 18.5.2004 – 2 BvR 2374/99, BVerfGE 110 370. Kritik bei Kloepfer Zeitschrift für Umweltrecht 2005 479, 481; ähnlich bereits H. Baumann Monopolistische Entschädigungsfonds 61 ff. 930 H. Baumann Monopolistische Entschädigungsfonds 7–18. 931 H. Baumann Entschädigungsfonds 96–100; ders. Monopolistische Entschädigungsfonds 15–17. Ähnlich Winter Versicherungsaufsichtsrecht 500 (anders aber S. 214). 932 Fahr Geburtstagsschrift für Georg Büchner (1992) 367. H. Baumann/Koch

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H. Abgrenzungen

VVG § 1

i. d. R., um eine Regelung durch den Gesetzgeber, so steht ihm eine weitgehende Entscheidungsbefugnis zu, in Grenzfällen die eine oder die andere Organisations- und Leistungsform zu schaffen.933 Auch von daher ist die Schaffung von Fonds als Nicht-Versicherern einerseits und z. B. des Pensions-Sicherungs-Vereins aG als VR andererseits begreiflich. Auch wenn keine Versicherung vorliegt, kann eine analoge Anwendung einzelner Vorschriften des VVG in Betracht kommen, sei es aufgrund einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers, sei es im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung. Auch aufsichtsrechtlich werden die behandelten Fonds nicht als dem VAG unterstellte Versi- 326 cherungsunternehmen behandelt.934 Die erörterten, gesetzlich geregelten Einrichtungen unterliegen aber (als beliehene Unternehmen) in anderer, unterschiedlicher Weise der Staatsaufsicht.

III. Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung Verträge über die Finanzierung der Rechtsverfolgung gegen Erfolgsbeteiligung werden verein- 327 zelt als Versicherungsverträge qualifiziert.935 Dies ist aber abzulehnen. Das Vertragsmodell soll es einem „Anspruchsinhaber“, der das Risiko der Prozesskosten nicht tragen will, ermöglichen, den Prozess zu führen. Der Prozessfinanzierer übernimmt nach Prüfung der Erfolgsaussichten eines Prozesses das Kostenrisiko, d. h. er zahlt (zunächst) die Kosten des Rechtsstreits. Der „Anspruchsinhaber“ verpflichtet sich demgegenüber, im Falle des Obsiegens aus dem Erlös der finanzierten Rechtsverfolgung 20 bis 30 % (und zuvor die vorgelegten Kosten) an den Prozessfinanzierer zu leisten. Mithin hat der „Anspruchsinhaber“ gerade im Falle der endgültigen Leistungspflicht des Prozessfinanzierers (also im „Versicherungsfall“) keine Gegenleistung („Prämie“) zu erbringen. Dies verträgt sich nicht mit der Struktur des Versicherungsvertrags.936 Abträglich ist zudem, dass der Prozessfinanzierer u. U. die weitere Finanzierung der Rechtsverfolgung ablehnen kann, wenn Umstände eintreten oder bekannt werden, aufgrund derer der Prozessfinanzierer das Prozessrisiko anders bewertet als bei Vertragsabschluss. Der Anspruchsinhaber steht dann vor der Frage, die Rechtsverfolgung abzubrechen oder auf eigene Kosten fortzuführen. Dies stellt keine hinreichende Absicherung eines bestimmten Risikos i. S. v. § 1 dar. Auf weitere Fragen einer versicherungsrechtlichen Qualifizierung ist danach hier nicht einzugehen. Nach heute h. M. soll der Vertrag als Gesellschaftsvertrag (BGB-Innengesellschaft)937 zu qualifizieren sein. Manche Aspekte sprechen aber auch für eine Garantie gegen Erfolgsbeteiligung (partiarisches Rechtsverhältnis).938 Das Geschäftsmodell der Prozessfinanzierer wird stark tangiert von der Entscheidung des 328 BVerfG vom 12.12.2006,939 wodurch das Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren durch Rechtsanwälte insoweit für verfassungswidrig erklärt wurde, als es keine Ausnahme für den Fall zulässt, dass der Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen. Dem tragen § 49b Abs. 2 BRAO und § 4a Abs. 1 RVG940 in verhältnismäßig großzügiger Weise Rechnung.

933 934 935 936

Vgl. H. Baumann Monopolistische Entschädigungsfonds 15. Vgl. auch Winter Versicherungsaufsichtsrecht 453–502. Fritzsche/Schmidt NJW 1999 2998, 2999; a. M. aber BAV VerBAV 1999 167 f. Näher Jaskolla Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung (2004) 38-41 m. w. N.; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 141–143. 937 Vgl. Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 107; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 23; Dethloff NJW 2000 2225, 2227; Frechen/Kochheim NJW 2004 1213, 1214; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 142 f.; Jaskolla Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung (2004) 62–74 m. w. N. 938 In diese Richtung geht LG Bonn 25.8.2006 – 15 O 198/06, JZ 2007 203. 939 BVerfG 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, NJW 2007 979. 940 I.d.F. des Gesetzes v. 5.5.2004 BGBl. I 718, 788, zuletzt geändert durch Art. 6 G v. 19.6.2019 BGBl. I 840. 585

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

IV. Sonstige 329 Vorstehend konnten nur einige rechtliche Erscheinungsformen im Grenzbereich zur Privatversicherung behandelt werden. Weitere problematische Grenzfälle werden vornehmlich zum Aufsichtsrecht erörtert.941 Die Grenzen der Versicherbarkeit sind generell in der Diskussion.942

I. Hinweise zum Verfahren 330 Hinsichtlich der Einzelheiten des gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahrens in Versicherungsstreitigkeiten muss auf das Spezialschrifttum verwiesen werden.943 Hier sind nur kurze Hinweise auf einige Besonderheiten944 möglich, die bei einem Deckungsprozess nach Eintritt des Versicherungsfalls zu berücksichtigen sind.

I. Gerichtsstand 1. Allgemein 331 Klagen gegen den VR können nach allgemeinen Regeln an seinem Sitz erhoben werden (§ 17 Abs. 1 ZPO und § 29 Abs. 1 ZPO i. V. m. §§ 269, 270 BGB); außerdem am Ort der (Zweig-)Niederlassung („Filialdirektion“, „Bezirksdirektion“ o. ä.), über die der streitige Versicherungsvertrag vermittelt bzw. abgewickelt wurde (§ 21 Abs. 1 ZPO).

2. Wohnsitz des VN 332 Während nach § 48 a. F. außerdem der Gerichtsstand der Agentur in Betracht kam, führt § 215 Abs. 1 S. 1 den besonderen Gerichtsstand des Wohnsitzes des VN ein. Für Klagen gegen den VN ist dieses Gericht sogar ausschließlich zuständig, § 215 Abs. 1 S. 2. Durch diese Regelung soll „auch der prozessuale Rechtsschutz des Verbrauchers“ erheblich verstärkt werden.945 Nach dem Grundsatzurteil des BGH vom 8.11.2017 erfasst § 215 Abs. 1 S. 1 auch Klagen aus einem Versicherungsvertrag, dessen VN eine juristische Person ist, wobei auf deren Sitz im Sinne des § 17 ZPO abzustellen ist.946Abweichende Vereinbarungen sind nur für Fälle des § 215 Abs. 3 zulässig.947

II. Schlichtungsstellen/Ombudsmann 333 Vom GDV und vom Verband der privaten Krankenversicherer e.V. wurden zur Schlichtung von Streitigkeiten institutionelle Vorkehrungen für Ombudsmänner geschaffen. § 214 enthält einen

941 Prölss/Dreher/Präve § 1 VAG Rn. 42; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 7 VAG Rn. 88; Winter Versicherungsaufsichtsrecht 431 ff. 942 Eszler Versicherbarkeit und ihre Grenzen (1999); Dokumentation: Der Umgang mit den Risiken im Grenzbereich der Versicherbarkeit (2002); vgl. auch Benzin ZVersWiss 2005 709, 736. 943 Ausführlich Beckmann/Matusche-Beckmann/Rüther § 23; Höra/Steinbeck MAH § 3. 944 Zur Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 a. F. und zu Übergangsbestimmungen vgl. die Kommentierung im Anh. zu § 15 bzw. bei § 15 Rn. 3. 945 So Begr. zu § 215 BTDrucks. 16/3945 S. 117. Zum Inkrafttreten vgl. OLG Saarbrücken 23.9.2008 – 5 W 220/08, VersR 2008 137 f. 946 BGH 8.11.2017 – IV ZR 551/15, BGHZ 216 358=VersR 2018 182 Rn. 13 ff. 947 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 117. H. Baumann/Koch

586

I. Hinweise zum Verfahren

VVG § 1

gesetzlichen Rahmen, wonach privatrechtlich organisierte Einrichtungen als Schlichtungsstellen zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten anerkannt werden können. Im Zuge der Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten948 durch das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) wurde zum 1.4.2016 insbes. die Anerkennung an die Voraussetzungen des VSBG gebunden und bestimmt, dass nach § 214 anerkannte Schlichtungsstellen Verbraucherschlichtungsstellen i. S. d. VSBG sind.949

1. Versicherungsombudsmann Gemäß § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns i. d. F. vom 23.11.2016 334 (VomVO)950 können Verbraucher (vgl. § 13 BGB) und Kleingewerbetreibende mit einer Beschwerde gegen ein (dem Verein Versicherungsombudsmann e.V. angehörendes) VU den Versicherungsombudsmann insbes. anrufen, wenn es um einen Anspruch aus einem Versicherungsvertrag (außerhalb der Kranken- und Pflegeversicherung) geht. Der Ombudsmann behandelt die Beschwerden erst dann, wenn der Beschwerdeführer seinen Anspruch zuvor gegenüber dem VR geltend gemacht und diesem sechs Wochen Zeit gegeben hat, den Anspruch abschließend zu bescheiden (§ 2 Abs. 3 VomVO). Das Verfahren vor dem Ombudsmann findet u. a. dann nicht statt, wenn der Wert A 100.000 überschreitet (§ 2 Abs. 4 VomVO). Bei einem Beschwerdewert bis zu A 10.000 kann der Ombudsmann eine Entscheidung fällen, die für den VR (nicht für den VN) bindend ist (§ 10 Abs. 3 VomVO). Bei höheren Beschwerdewerten ergeht ggf. eine für beide Seiten unverbindliche Empfehlung. Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 VomVO tritt zugunsten des Beschwerdeführers Hemmung der Verjährung ein. Das Verfahren ist für den Beschwerdeführer kostenfrei. Er kann sich – dies allerdings auf eigene Kosten – jederzeit vertreten lassen (§ 4 VomVO). Entsprechend der Verfahrensordnung für Beschwerden im Zusammenhang mit der Vermitt- 335 lung von Versicherungsverträgen kann der Ombudsmann seit 2007 auch bei Streitigkeiten zwischen VN und Versicherungsvermittlern oder Versicherungsberatern angerufen werden (§ 214 Abs. 1 Nr. 2).

2. PKV-Ombudsmann Für die private Kranken- und Pflegeversicherung ist der sog. „PKV-Ombudsmann“ geschaffen 336 worden. Nach dem „Statut für den Ombudsmann der privaten Krankenversicherung“ ist er für Beschwerden natürlicher Personen, die einen Versicherungsvertrag bei einem (dem Verband angehörenden) privaten Krankenversicherungsunternehmen unterhalten, zuständig.951 Der PKV-Ombudsmann hat eine andersartige institutionelle Stellung als der Versicherungsombudsmann; ihm steht keine Entscheidungsbefugnis zu, sondern er hat nach § 3 Abs. 1 PKV-Ombudsmann-Statut die Aufgabe „zu vermitteln und möglichst eine Versöhnung der Parteien herbeizuführen.“ Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Statut verwiesen.

948 Richtlinie 2013/11/EU v. 21.5.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. EU Nr. L 165 S. 6. 949 Prölss/Martin/Klimke § 214 Rn. 1; allgemein zum VSBG Greger MDR 2016 365 ff. 950 Der Text ist im Internet verfügbar unter https://www.versicherungsombudsmann.de/das-schlichtungsverfahren/verfahrensordnungen/vomvo/ (abgerufen am 1.8.2020). 951 Der Text ist im Internet verfügbar unter https://www.pkv-ombudsmann.de/schlichtungsverfahren/statut/ (abgerufen am 1.8.2020). 587

H. Baumann/Koch

§ 1 VVG

Vertragstypische Pflichten

III. Beweislast 1. Allgemeine Grundsätze 337 Die Beweislast richtet sich im Versicherungsrecht nach den allgemeinen Regeln, d. h. jede Partei hat im Deckungsprozess die Tatsachen zu beweisen, die zum Tatbestand einer ihr günstigen Rechtsnorm gehören.952 Demzufolge trifft den VN in einem Deckungsprozess gegen den VR die Beweislast dafür, – dass der Versicherungsvertrag mit dem behaupteten Inhalt zustande gekommen953und – der Versicherungsfall eingetreten ist sowie die primären Risikomerkmale verwirklicht sind.954 Der VR ist demgegenüber beweispflichtig – für die tatsächlichen Voraussetzungen eines ihm günstigen Ausschlusstatbestandes (sekundäre Risikobegrenzung)955 – und ggf. zumindest für den objektiven Tatbestand einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, Gefahrerhöhung oder sonstigen Obliegenheitsverletzung.956 Gelingt dem VR der Beweis einer Obliegenheitsverletzung, muss der VN im Hinblick auf die Vermutung, dass er grob fahrlässig gehandelt hat, die Tatsachen beweisen, die auf eine lediglich fahrlässige oder schuldlose Obliegenheitsverletzung schließen lassen (§ 28 Abs. 2 S. 2 Hs. 2, ferner § 19 Abs. 2, 26 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 Hs. 2, 82 Abs. 3 S. 2 Hs. 2). Gelingt ihm dies nicht, bleibt ihm die Möglichkeit zu beweisen, dass die Obliegenheitsverletzung folgenlos für den VR geblieben ist (§§ 26 Abs. 3 Nr. 1, 28 Abs. 3 S. 1, 82 Abs. 4). Im Hinblick auf die Bedeutung des Maßes der groben Fahrlässigkeit im Rahmen der Quotelung, trifft den VR die Beweislast für die Tatsachen, die ihn im Vergleich zu dem Vortrag des VN zu einem höheren Abzug berechtigen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu den einzelnen Materien verwiesen.

2. Beweiserleichterungen in Entwendungsfällen 338 Um die typischer Weise bestehende Beweisnot des VN in Fällen einer spurenlosen Entwendung (z. B. eines Fahrzeugdiebstahls) abzumildern, hat der BGH957 für den VN (Darlegungs- und) Beweiserleichterungen entwickelt: Der VN muss zunächst lediglich das „äußere Bild“ einer Entwendung darlegen und ggf. beweisen. Dem kann der VR entgegentreten, indem er Tatsachen vorträgt und ggf. beweist, die zumindest mit erheblicher Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine Vortäuschung des Versicherungsfalles nahelegen. Erst auf einer dritten Stufe muss dann der VN ggf. den Vollbeweis der Entwendung führen. Der BGH hat diese Erleichterungen im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung mit einer stillschweigenden Vereinbarung der Vertragsparteien über die Herabsetzung des Beweismaßes begründet, da andernfalls der Versicherungsschutz in solchen Fällen zu stark entwertet würde.958

952 Jede Partei hat die tatsächlichen Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes zu beweisen, dessen Rechtsfolge sie geltend macht, vgl. nur BGH 3.7.2002 – IV ZR 145/01, VersR 2002 1089, 1090; Baumgärtel/Prölss § 1 Rn. 1. 953 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 151 f. 954 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 151 f. 955 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 152. 956 Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 153; Zur Beweislast für das Verschulden des VN bei Obliegenheitsverletzungen nach neuer Rechtslage vgl. Pohlmann VersR 2008 437. 957 St. Rspr., BGH 17.5.1995 – IV ZR 279/94, BGHZ 130 1, 3 f.=RuS 1995 288; vgl. auch BGH 30.1.2002 – IV ZR 263/ 00, RuS 2002 143, 144; BGH 22.9.1999 – IV ZR 172/98, RuS 1999 495, 496 m. w. N. f. 958 Grundlegend BGH 5.10.1983 – IVa ZR 19/82, VersR 1984 29; umfassend Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 A.2 AKB 2015 Rn. 125 ff. H. Baumann/Koch

588

J. Rechtsvergleichende Hinweise/PEICL

VVG § 1

J. Rechtsvergleichende Hinweise/PEICL Basedow/Fock haben 2002 die Quintessenz einer groß angelegten rechtsvergleichenden Unter- 339 suchung über das Versicherungsvertragsrecht europäischer Staaten gezogen.959 Danach wird über den Gegenstand des Versicherungsvertrages und über die Leistungspflicht des VR nicht nur in Deutschland, sondern auch im Bereich der meisten anderen europäischen Rechtsordnungen diskutiert.960 Geldleistung oder Gefahrtragung sind weithin die Stichworte, um die auch dort die Problemdiskussion kreist.961 Eine in das vertragliche Gegenseitigkeitsverhältnis einzustellende Pflicht auf Sicherungs- und Ausgleichsleistung (Rn. 32 ff.) scheint danach eine neue Variante zu sein; ebenso der Standpunkt, dass den VR zwar eine Sicherungspflicht im materialen Sinne trifft, die aber von dem einzelnen VN nicht eingeklagt werden kann, sondern deren Verletzung nur Schadensersatzpflichten auszulösen vermag (Rn. 39 ff.). Auch das Erfordernis eines (wirtschaftlichen) Interesses wird – jedenfalls im Bereich 340 der Nichtpersonenversicherung – als Seriositätsindiz zur Abgrenzung von Wettgeschäften und als Zuweisungskriterium zur Bestimmung desjenigen, der ggf. einen wirtschaftlichen Nachteil erleidet, allgemein aufgestellt.962 In der Personen-/Summenversicherung wird auch in anderen europäischen Staaten für den Abschluss von Versicherungen auf das Leben einer dritten Person deren Zustimmung verlangt. Bisweilen wird eine gewisse Nähebeziehung zwischen VN und Gefahrsperson, in einigen Ländern durchaus auch ein versicherbares Interesse gefordert.963 Eine von wirtschaftlichen Interessen völlig abgekoppelte Summenversicherung im Bereich der Nichtpersonenversicherung (Rn. 94 f.) wäre danach neu und singulär. Andererseits erscheint die Betonung allgemeiner Schranken der Vertragsfreiheit bei nicht erkennbarem wirtschaftlichen Interesse in der Personenversicherung (Rn. 81 f.) durchaus „europarechts-adäquat“. Die PEICL definieren den Versicherungsvertrag (Art. 1:201) als „a contract under which one 341 party, the insurer, promises another party, the policyholder, cover against a specified risk in exchange for a premium“. Diese Definition entspricht inhaltlich § 1 S. 1.964

959 960 961 962 963 964

Basedow/Fock Bd. I 1 ff. Basedow/Fock Bd. I 52 ff. Vgl. zum österreichischen Recht Fenyves/Schauer/Fenyves § 1 VersVG Rn. 4–16, 20–27. Basedow/Fock Bd. I 56. Basedow/Fock Bd. I 57. Vgl. deutsche Übersetzung in Basedow/Birds/Clarke/Cousy/Heiss/Loacker (Hrsg.) Principles of European Insurance Contract Law (PEICL). 2. Aufl. (2016) 482: „Vertrag, bei dem eine Partei, der Versicherer, einer anderen Partei, dem Versicherungsnehmer, die Deckung eines bestimmten Risikos gegen Zahlung einer Prämie verspricht“. 589

H. Baumann/Koch

§ 1a Vertriebstätigkeit des Versicherers (1) Der Versicherer muss bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber Versicherungsnehmern stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln. Zur Vertriebstätigkeit gehören 1. Beratung, 2. Vorbereitung von Versicherungsverträgen einschließlich Vertragsvorschlägen, 3. Abschluss von Versicherungsverträgen, 4. Mitwirken bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall. (2) Absatz 1 gilt auch für die Bereitstellung von Informationen über einen oder mehrere Versicherungsverträge auf Grund von Kriterien, die ein Versicherungsnehmer über eine Website oder andere Medien wählt, ferner für die Erstellung einer Rangliste von Versicherungsprodukten, einschließlich eines Preis- und Produktvergleichs oder eines Rabatts auf den Preis eines Versicherungsvertrags, wenn der Versicherungsnehmer einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt über eine Website oder ein anderes Medium abschließen kann. (3) Alle Informationen im Zusammenhang mit der Vertriebstätigkeit einschließlich Werbemitteilungen, die der Versicherer an Versicherungsnehmer oder potenzielle Versicherungsnehmer richtet, müssen redlich und eindeutig sein und dürfen nicht irreführend sein. Werbemitteilungen müssen stets eindeutig als solche erkennbar sein.

Schrifttum Augustin/Bauer/Klopp/Moraht/Pollmer/Samuels/Schlichting/Schroeder/Wirtz Versicherungsvermittler/-berater: § 34d Abs. 9 GewO n. F. – Angestellte Vermittler/Berater; Weiterbildungspflicht, GewA 2019 131; Beenken Was ist das bestmögliche Interesse des Kunden? ZfV 2016 347; Egger Die Risikoprüfung des Versicherers im Lichte der umgesetzten Versicherungsvertriebsrichtlinie und der Datenschutz-Grundverordnung, VersR 2019 394; Emde BB-Rechtsprechungsreport zum Vertriebsrecht 2018 – Teil I, BB 2019 2882; ders. Bestandsübertragungsverträge mit Versicherungsvermittlern, VersR 2019 791; Fenyves/Koban/Perner/Riedler (Hrsg.) Die Umsetzung der IDD in das österreichische Recht (2019); Fenyves/Schauer (Hrsg.) Die neue Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (IDD) – Zur Umsetzung in Österreich (2017); Goretzky Die Umsetzung der IDD in deutsches Recht: Eine Bestandsaufnahme unter digitalem Blickwinkel, VersR 2018 1; Gruber Die Versicherungsvertriebsrichtlinie, Zeitschrift für Finanzmarktrecht 2016 211 (Teil 1); 2016 265 ff. (Teil 2); Köhne Ökonomische Aspekte der neuen IMD2 vom 26.2.2014, ZVersWiss 2014 243; Matusche-Beckmann Das Versicherungsvertriebsrecht nach Umsetzung der IDD-Richtlinien, ZVertriebsR 2018 285; Möllers Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. (2019); Potacs Effet utile als Auslegungsgrundsatz, EuR 2009 465 ff.; Reich Kreditbürgschaft und Transparenz, NJW 1995 1857; Reiff Die Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) in das deutsche Recht, VersR 2016 1533; ders. Das Versicherungsvertriebsrecht nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie, VersR 2018 193; Reiff/Köhne Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 (IDD) aus rechtlicher und ökonomischer Sicht, VersR 2017 649; Stöbener Informations- und Beratungspflichten des Versicherers nach der VVG-Reform, ZVersWiss 2007 465; Wendt Das neue Versicherungsvertriebsrecht – Zu Beratungspflichten und Interessenkonflikten –, VersR 2019 257; ders. Vertriebsrecht auf neuen Wegen, VW 2019 100 ff.; Werber Kritische Nachlese zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb, VersR 2019 321; ders. Die Adressaten der IDD im Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie und neue Pflichten, VersR 2017 513; ders. Rechtsvergleichende Betrachtungen zum deutschen und österreichischen Recht der Versicherungsvermittlung, Versicherungsrundschau 2016 Heft 5, 26 f.; ders. Erste Betrachtungen zum Vorschlag einer neuen Vermittlerrichtlinie (IMD 2), VersR 2012 1467.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

2

Knops https://doi.org/10.1515/9783110522600-008

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Kommentierung

3

6

590

A. Einführung

I.

Anwendungsbereich

II.

Vertriebstätigkeiten und Anforderungen (Ab8 satz 1) 10 Ehrlichkeit 11 Redlichkeit 14 Professionalität 15 Im bestmöglichen Kundeninteresse

1. 2. 3. 4. III.

6

IV.

Informationsgehalt (Absatz 3)

V.

Sanktionen

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

VVG § 1a

28

29 30 31

Bereitstellung von Informationen und Erstel23 lung von Ranglisten (Absatz 2)

A. Einführung § 1a formuliert die Anforderungen an den VR hinsichtlich seiner Vertriebstätigkeit gegenüber 1 den VN. Zugleich definiert er, was im Einzelnen zu der Vertriebstätigkeit gehört und welche Anforderungen an die Informationen einschließlich der Werbemitteilungen zu stellen sind, die sich an (potenzielle) VN richten.

I. Entstehungsgeschichte § 1a ist mit dem Gesetz zur Umsetzung der RL (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und 2 des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze vom 20.7.2017 in das VVG mit Geltung ab dem 23.2.2018 eingeführt worden.1 Abs. 1 S. 1 dient der Umsetzung des Art. 17 Abs. 1 der RL (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung),2 die zumeist kurz Insurance Distribution Directive (IDD) genannt wird. In Abs. 2 der Norm wurde Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, zweite Hälfte IDD umgesetzt; in Abs. 3 Art. 17 Abs. 2 IDD.3 Ergänzt werden die gesetzlichen Bestimmungen zum Versicherungsvertrieb im VVG, VAG und der GewO durch die am 20.12.2018 in Kraft getretene Verordnung zur Umsetzung der RL (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb,4 wodurch vor allem die Verordnung über Versicherungsvermittlung und -beratung (VersVermV)5 geändert wurde.6

II. Inhalt und Zweck der Regelung § 1a legt entsprechend der vorgenannten Richtlinienvorgaben der IDD allgemeine, die gesamte 3 Vertriebstätigkeit des Versicherers einzuhaltende Grundsätze fest und verpflichtet somit sowohl VR mit eigenem Vertrieb als auch VR mit einem Vermittlervertrieb. Betroffen sind ausweislich der Überschrift zu Kap. V der IDD sämtliche „Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln“. 1 Zur Umsetzung der IDD in Österreich siehe Fenyves/Schauer (Hrsg.) Die neuen Richtlinien über den Versicherungsvertrieb (IDD) – Zur Umsetzung in Österreich, 2017 passim u. Gruber Zeitschrift für Finanzmarktrecht 5/2016 S. 211 (Teil 1); ZFR 6/2016 S. 265 ff. (Teil 2) sowie rechtvergleichend zur Umsetzung in Deutschland Werber VersRdsch 5-2016 26. 2 ABl. L 26 vom 2.2.2016 S. 19. 3 RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 42. 4 BGBl. I 52, 2789. 5 Versicherungsvermittlungsverordnung vom 17.12.2018 (BGBl. I 2483; 2019 I 411). 6 Zur Systematik des gegenwärtigen Versicherungsvertriebsrechts Wendt VersR 2019 257 ff. 591

Knops

§ 1a VVG

Vertriebstätigkeit des Versicherers

Abs. 1 und 3 übernehmen Art. 17 Abs. 1 und 2 IDD wörtlich und stimmen im Kern mit den Maßstäben des Anlegerschutzes in Art. 24 Abs. 1 RL 2014/65/EU (MiFID II)7 und § 63 Abs. 1 und 6 WpHG überein.8 Wie sich aus Erwägungsgrund 10 ergibt, dienen die Vorschriften der RL neben der Marktharmonisierung und Wettbewerbsentzerrung insgesamt dazu, das Verbraucherschutzniveau in Bezug auf die RL 2002/92/EG zu erhöhen und gelten grundsätzlich für alle Vertriebskanäle, um einen einheitlich hohen Verbraucherschutz zu gewährleisten und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.9 Die Regelung des Art. 17 bestimmt einen allgemeinen Grundsatz, an dem der VR seine ganze Vertriebsstruktur ausrichten muss.10 Außer der Umsetzung der Richtlinienvorgaben hat der nationale Gesetzgeber der Norm kei4 nen darüberhinausgehenden Zweck zugeschrieben, war sich aber sicher, dass sich die nunmehr explizit formulierten Verhaltensanforderungen an die VR bereits weitgehend aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergaben,11 was theoretisch, aber offenbar nicht praktisch der Fall war. Die nunmehrigen Vorgaben werden vielmehr eine deutliche Schärfung und auch eine Ausweitung der an die VR zu stellenden Anforderungen bewirken, wie sich den nachfolgenden Ausführungen entnehmen lässt. Die Vorgaben werden vermutlich auch in der Fläche wirken, weil sie nicht nur konkreter gefasst sind als die aus Treu und Glauben ableitbaren (und von Lit. und Rspr. national bereits entwickelten) Maßstäbe12 vor allem für spezifische Fallkonstellationen, sondern generell auch zu bislang von diesen nicht gedeckten Anforderungen an die VR führen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der VR seit Geltung der Norm im „bestmöglichem Interesse“ des VN zu handeln hat, wovon weder im Rahmen des § 242 BGB noch nach § 241, insbes. dessen Abs. 2 BGB die Rede sein kann13 noch dieser Grundsatz bereits Inhalt von spezielleren anderen Vorschriften ist. Darin liegt ein konkreter, stets nach Optimum strebender Ansatz, der eben nicht statisch, sondern im versicherungsrechtlichen Dauerschuldverhältnis unter Umständen dynamisch (etwa bei Änderungen der Lebensumstände oder Bedarfsinteressen des VN) zu erfüllen ist. Hinzu kommt, dass die Norm im Hinblick auf die Beratung des VN insofern eine Regelungslücke schließt als § 6 nur eine anlassbezogene Beratungspflicht14 vorsieht, und auch nicht die zu erfüllende Beratungsqualität normiert, die nun in § 1 a festgelegt ist.15 Wenn demgegenüber die in Art. 17 Abs. 1 u. 2 niedergelegten Vorgaben des Richtlinienge5 bers und die Umsetzungsvorschriften des deutschen Gesetzgebers unisono als „nicht operable Programmsätze“ gescholten, ihre Sinnhaftigkeit bezweifelt und im Prinzip für überflüssig gehalten16 und als inhaltsleeres unionsrechtliches Heilsversprechen17 kritisiert werden, entspricht dies dem vor allem in Deutschland oft bei Neuerungen durch europäische Rechtsakte zu spürenden Impuls, Verbesserungen gerade beim Unterlegenenschutz als irrelevant zu qualifizieren oder möglichst klein zu reden, wofür etwa in jüngster Vergangenheit die Stellungnahmen zu den Erläuterungspflichten nach § 491a BGB und zur Kreditwürdigkeitsprüfung nach den §§ 505a ff. BGB im Verbraucherkreditrecht paradigmatisch waren.18 Solchen Tendenzen ist ent7 RL 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der RL 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. L 173 v. 12.6.2014 S. 349).

8 Rüffer/Halbach/Schimikowksi/Brömmelmeyer § 1a Rn. 1. 9 BeckOK-VAG/Franz/Monsig 7. Ed. 1.12.2019 VAG § 48a VAG Rn. 1 unter Hinweis auf die delegierte Verordnung der Kommission C (2017) 6229, S. 2. 10 Egger VersR 2019 394; Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018 285; Reiff/Köhne VersR 2017 649, 652. 11 RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 42; vgl. dazu auch Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018 285, 288 u. Werber VersR 2017 513, 517. 12 Richtig Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1a Rn. 1. 13 Vgl. aber die Pflichten des VR zur Beratung des VN nach § 6 s. § 6 Rn. 11 ff. 14 Siehe dazu OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111982 Rn. 24 ff. 15 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1a Rn. 7. 16 So Prölss/Martin/Dörner Vorbem. zu §§ 59–73 VVG, Rn. 37. 17 So Langheid/Rixecker § 1a Rn. 1. 18 Siehe zudem auch den Gegensatz zwischen der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 16 RL 2008/48/EG und der nationalen Umsetzung der Norm in § 501 BGB BeckOGK/Knops 1.1.2020 BGB § 501 BGB Rn. 6 ff. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 1a

schieden mit einer richtlinienkonformen und -geneigten Interpretation im Sinne der EuGHRechtsprechung zum effet utile19 und einer konsequenten Auslegung entsprechend den Vorgaben des Souveräns zu begegnen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die neue Norm im Aufsichtsrecht durch § 48a VAG20 flankiert wird,21 wonach vor allem die Vertriebsvergütung von Versicherungsunternehmen und deren Angestellten nicht mit ihrer Pflicht, im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, kollidieren darf, und bei deren Verletzung zwar nicht der Vertrags nichtig ist,22 parallel aber auch öffentlich-rechtliche Konsequenzen drohen.

B. Kommentierung I. Anwendungsbereich Die Norm verpflichtet ihrem Wortlaut nach allein den VR. Geradezu verwirrend ist es, wenn im 6 RegE davon gesprochen wird, dass ein VR nur „selten mit der Verwaltung und Erfüllung eines Versicherungsvertrages befasst sein [wird], die Regelung der RL (.) aber auch für den Versicherer umzusetzen [ist]“,23 gehört doch gerade die Erfüllung des Versicherungsvertrags auf Seiten des VR allein zu dessen Pflichten und gerade nicht zu denen der sonstigen Versicherungsvertreiber. Art. 17, dessen Umsetzung § 1a dient, adressiert alle „Versicherungsvertreiber“, womit nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 IDD neben dem VR auch die Versicherungsvermittler und Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit gemeint sind.24 Diese werden vom deutschen Gesetzgeber in § 59 Abs. 1 u. 4 spezifisch adressiert und verpflichtet. Zur Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 1a Abs. 1 über „Versicherungsvertreiber“ nach der IDD hinaus auf Betreiber eine Webseite s. Abs. 2 (Rn. 26). Gemäß Erwägungsgrund 14 sind von der IDD allerdings von vorneherein Personen ausgenom- 7 men, die eine andere Berufstätigkeit wie als Steuerexperte, Buchhalter, Rechtsanwalt o. ä. ausüben und im Rahmen dessen nur gelegentlich über Versicherungsschutz beraten oder lediglich allgemeine Informationen über Versicherungsprodukte erteilen – immer vorausgesetzt, dass diese Tätigkeit nicht zum Ziel hat, dem Kunden bei dem Abschluss oder der Abwicklung eines Versicherungs- oder Rückversicherungsvertrags zu helfen. Gerade aber letztgenannte Tätigkeit ist geradezu originäre Aufgabe von Rechtsanwälten, wenn sie ihre Mandanten bei der Durchsetzung von vertraglichen Ansprüchen bis hin zum Widerruf nach den §§ 8 und 9 VVG außergerichtlich wie gerichtlich unterstützen. Ausdrücklich weist der Gesetzgeber in diesem Zusammenhand darauf hin, dass sich insoweit aus dem nationalen Recht Grenzen ergeben können, insbesondere im Hinblick auf § 3 RDG,25 dem VR oder Versicherungsvertreiber mittels § 1a mithin keine Befugnis zukommt, dagegen verstoßende Rechtsdienstleistungen erbringen zu dürfen.26 Klarstellend gilt die IDD nach 19 Vgl. zum effet utile als Auslegungsgrundsatz bspw. Potacs EuR 2009 465 ff. 20 In Umsetzung des Art. 17 Abs. 3, aber auch der Art. 27, 28 u. 29 Abs. 2 IDD hat der Gesetzgeber basierend auf der Verpflichtung zur Sicherstellung, dass Versicherungsvertreiber gegenüber ihren Kunden stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln, in § 48a VAG Regelungen für VR zur Vergütung des Vertreibers und seiner Angestellten sowie zu sonstigen Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten getroffen (siehe BeckOK-VAG/Franz/Monsig 7. Ed. 1.12.2019 VAG § 48a VAG Rn. 4 ff. mit weiteren Einzelheiten). 21 Werber VersR 2019 321, 327; Wendt VersR 2019 257, 260. 22 Bei § 48a VAG handelt es sich nicht um ein Verbotsgesetz i. S. d. § 134 BGB, weil dort anders als in § 48b Abs. 1 S. 3 VAG eine Bestimmung fehlt, dass entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen unwirksam sind (richtig Emde VersR 2019 791 Fn. 28). 23 Siehe RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 42, woraus sich aus dem Nachsatz ergibt, dass hier keine Verwechselung zum Versicherungsvermittler vorgelegen hat. 24 Nach wie vor kritisch zum weiten Vermittlungsverständnis der IDD und deren Umsetzung Werber VersR 2019 321, 324 f. 25 RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 42 unter Hinweis auf BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14, VersR 2016 1118, wonach eine schadensregulierende Tätigkeit eines Versicherungsmaklers eine unzulässige Rechtsdienstleistung sein kann. 26 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1a Rn. 6. 593

Knops

§ 1a VVG

Vertriebstätigkeit des Versicherers

Erwägungsgrund 14 S. 2 denn auch nicht für die berufsmäßige Verwaltung von Schadensfällen im Namen eines Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmens und die Schadensregulierung und Sachverständigenarbeit im Zusammenhang mit Schadensfällen. Trotzdem bleibt ein Graubereich, wenn gerade die Abwicklung eines Versicherungs- oder Rückversicherungsvertrags Hauptaufgabe des professionell Handelnden ist.

II. Vertriebstätigkeiten und Anforderungen (Absatz 1) 8 Abs. 1 übernimmt die Definition der „Vertriebstätigkeiten“ gegenüber Versicherungsnehmern aus der IDD.27 Gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 gehören zu diesen die Beratung (Nr. 1), die Vorbereitung von Versicherungsverträgen einschließlich Vertragsvorschlägen (Nr. 2), der Abschluss von Versicherungsverträgen (Nr. 3) und die Mitwirkung bei deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall (Nr. 4). Gemäß Art. 2 Abs. 1 S. 1 IDD ist unter „Versicherungsvertrieb“ nicht nur die Beratung, das Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen, das Abschließen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall definiert, sondern auch die Bereitstellung von Informationen über einen oder mehrere Versicherungsverträge sowie die Erstellung einer Rangliste von Versicherungsprodukten, wenn der Kunde einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt über eine Webseite oder ein anderes Medium abschließen kann. Entsprechend dem Mindestharmonisierungsansatz der IDD dürfte § 1a Abs. 1 S. 2 daher als nicht abschließend anzusehen sein, weil eben auch schon die Informationsgabe über das Versicherungsprodukt und die Erstellung von Ranglisten im genannten Umfang dazugehören. 9 Der Einschluss der gesamten Verwaltung und Erfüllung des Versicherungsvertrages erfasst über den Wortsinn der Vertriebstätigkeit im engeren Sinn – also dem „Verkauf“ von Versicherungen – hinaus das gesamte Anbahnungs- bis zum Abwicklungsstadium über die (gesamte) Dauer des Vertrages, nicht aber den nachvertraglichen Zeitraum,28 wenngleich sich auch aus dem Versicherungsverhältnis – wie jedem anderen Schuldverhältnis – nachvertragliche Vertrags- und Verhaltenspflichten ergeben können.29 Angesichts des umfassenden Ansatzes des Gesetzes die Vertriebstätigkeit des VR zu erfassen, kommt es auf eine Definition und Abgrenzung der in Satz 2 Nr. 1 bis 4 genannten Stadien nicht an.30 Abs. 1 S. 1 verpflichtet den VR gegenüber dem VN stets ehrlich (dazu 1.), redlich (dazu 2.) und professionell (dazu 3.) in deren bestmöglichem Interesse (dazu 4.) zu handeln. Auch wenn diese unbestimmten Rechtsbegriffe in der IDD selbst nicht definiert werden, lassen sie sich nicht allein unter Rückgriff auf nationale Vorschriften (wie in Deutschland nach den Grundsätzen von Treu und Glauben i. S. d. § 242 BGB) charakterisieren, sondern sind – wie alle anderen europäischen Normen grundsätzlich auch – richtlinienautonom zu bestimmen,31 weil nur dadurch eine einheitliche Interpretation der Unionsrechtsbegriffe gewährleistet werden kann. Das erkennt auch der deutsche Gesetzgeber an, weil eben „möglicherweise keine völlige Deckungsgleichheit zwischen den Grundsätzen, die auf der Basis des § 242 BGB entwickelt worden sind, und der Regelung des Artikels 17 Absatz 1 IDD

27 RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 42. 28 Langheid/Rixecker Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 4. 29 Nachvertragliche Beratungspflichten werden im Versicherungsrecht allerdings bislang zumeist rundweg abgelehnt vgl. etwa Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 45 u. Stöbener ZVersWiss 2007 465, 480. 30 Ebenso Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 5. 31 Dies übersieht Wendt VW 1-2019 100 ff., der zum einen „einen Hinweis in den Gesetzesmaterialien“ vermisst und in VersR 2019 257, 261 f. zum anderen der Auffassung ist, dass „der europäische Gesetzgeber dem in Art. 17 IDD geregelten allgemeinen Grundsatz“ mangels einer „Klarstellung in den Gesetzesmaterialien keine andere Bedeutung (hat) zuordnen wollen als diejenige, die unter mitgliedstaatlicher Sicht dem Grundsatz Treu und Glauben zugesprochen wird“. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 1a

besteht“32 und zwar unabhängig von der Frage, ob der VR und andere Versicherungsvertreiber schon nach bisherigem nationalem Recht so zu handeln gehabt hätten. Anhaltspunkte wie der europäische Gesetzgeber die unbestimmten Rechtsbegriffe verstanden wissen will, sieht der Gesetzgeber lediglich in Erwägungsgrund 46 der IDD,33 was sich aber nach den anerkannten Regeln zur Auslegung des europäischen Rechts34 weiter präzisieren lässt:

1. Ehrlichkeit Abs. 1 S. 1 verpflichtet den VR zu ehrlichem Handeln gegenüber dem VN. Zu allererst besteht da- 10 mit für den VR die Pflicht gegenüber dem VN stets wahrhaftig zu sein. Ehrlichkeit bezeichnet national die sittliche Eigenschaft des Ehrlichseins (von „ehrlich“, ahd. „êrlîh“, mhd. „êrlîch“)35 und bedeutet entweder ohne Verstellung, aufrichtig und redlich36 oder aufgrund der gehörigen Achtung vor fremdem Eigentum[srecht] zuverlässig und ohne Täuschungsabsicht mit Geld- oder Sachwerten umgehend;37 in geldlichen Angelegenheiten,,zuverlässig“.38 Vor allem aber bedeutet „ehrlich“ auch, dass eine ehrliche Person „Wort (hält)“ als auch „nicht stehlend, nicht betrügend“.39 Dies dürfte auch dem europäischen Sprachverständnis von „Ehrlichkeit“ entsprechen, wonach der VR in der Kommunikation nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen hat, also vor allem nicht lügen darf. Alle Informationen, die er dem VN gibt müssen demnach inhaltlich richtig sein, unabhängig davon, ob sich der VR von sich aus äußert oder auf eine Frage des VN antwortet. Ehrlichkeit bedeutet aber nicht, dass der VR den VN von sich aus über alle relevanten oder möglichen Umstände zutreffend unterrichten muss. Deren Umfang ist vielmehr abhängig vom Inhalt des Schuldverhältnisses, nach den gesetzlich zu erfüllenden Informationspflichten etc. pp. oder eben auch nach den Maßstäben der Redlichkeit und Professionalität des VR (dazu unten Rn. 11–14).

2. Redlichkeit Weiter muss der VR gegenüber dem VN redlich handeln, was zwar auch eine sittliche Eigen- 11 schaft darstellt, aber keineswegs nur eine Redundanz zu der zu erfüllenden Ehrlichkeit bedeutet.40 Redliches Handeln geht über diese insoweit hinaus, als dass der Kern der Redlichkeit darin gesehen wird, dass die Person auch tatsächlich tut, was sie sagt und zugleich „über alles, was [sie] tut, mit gutem Gewissen Rede stehen, von allem Rechenschaft ablegen kann“.41 In der Wortbedeutung ist „verantworten“ beinhaltet.42 Ebenso wird unter Redlichkeit neben dem rechtschaffenden Handeln ein aufrichtiges Handeln,43 zugleich Zuverlässigkeit verstanden.44 Ob darin sogleich auch inkludiert ist, dass jemand seine Pflicht unter allen Umständen treu erfüllt, kann dahin gestellt bleiben, weil redliches Handeln auch dann vorliegt, wenn sich je32 33 34 35 36 37 38 39

So RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 42. So RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 42; ebenso Wendt VersR 2019 257, 261. Zum Ganzen instruktiv Möllers Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. (2019) § 12 Rn. 20 ff., insbes. 46 ff. Duden Das Herkunftswörterbuch, 4. Aufl. (2006) Band 7, 170. O. Verf. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen A-G (1989) 331. O. Verf. https://www.duden.de/rechtschreibung/ehrlich#bedeutungen (zuletzt abgerufen am 27.1.2020). Duden Das Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl. (2002) 288. Eberhards Synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache (1910) Stichwort 184. Aufrichtig. Offen, Offenherzig. Treuherzig. Freimütig. Naiv. Ehrlich. 40 So aber Langheid/Rixecker Rn. 5. 41 Eberhards Synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache (1910) Stichwort 183. Aufrichtig. Redlich.; ebenso o. Verf. https://www.duden.de/rechtschreibung/redlich#herkunft (zuletzt abgerufen am 27.1.2020). 42 Kluge Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl. (2011) 752. 43 Duden Deutsch als Fremdsprache, Standardwörterbuch, 2. Aufl. (2010) 753. 44 O. Verf. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen Q-Z (1989) 1390. 595

Knops

§ 1a VVG

Vertriebstätigkeit des Versicherers

mand „redlich“, also mit allem Einsatz bemüht hat, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Für den deutschen Sprachraum ist zu berücksichtigen, dass redlich früher auch so viel wie rechtlich bedeutete, „wozu man ein Recht hat (…), was also bona fide geschieht“ und „in dieser letzteren, bisher veralteten Bedeutung (.) das Wort redlich durch das allgemeine preußische Landrecht wieder in die juristische Sprache eingeführt worden“ ist45 und heute redlich und unredlich nach wie vor im Sprachgebrauch des BGB in den §§ 716 u. 993 vorkommen. 12 In der Rechtsprechung der europäischen Gerichte ist vom EuGH bis zum EGMR zwar häufig von Redlichkeit und den sprachlichen Ableitungen die Rede; allerdings hat sich hier ein einheitliches, präzise fassbares Begriffsverständnis offenbar nicht herausgebildet. Zu berücksichtigen bleibt, dass der in der deutschen Sprachfassung verwendete Begriff „redlich“ in der französischen, italienischen und griechischen Fassung wohl im Sinne von „unparteiisch“, in der lettischen, litauischen, ungarischen als „fair“, in der slowenischen als „anständig“ oder „gehörig“, in der finnischen, slowakischen und schwedischen als „gerecht“, in der niederländischen als „billig“ und in der portugiesischen und rumänischen einfach mit „richtig“ übersetzt werden kann, wenngleich dadurch jeweils andere, aber ganz ähnliche und sinngemäße Bedeutungen nicht ausgeschlossen sind. 13 Im Rahmen des Vertriebs von Versicherungen ist redliches Handeln des VR schon nach § 6 Abs. 1 u. 4 gefordert. Der VR hat die Interessen des VN zumindest im Blick zu behalten und muss entsprechend agieren. So hat er etwa zwar richtige, aber vom VN nicht oder nicht hinreichend verstandene Informationen, Auskünfte etc. in ggf. anderer Weise zu wiederholen oder klarzustellen. Ebenso hat er von ihm erkannte oder einem sorgfältigen, eben redlichen VR nur erkennbare Missverständnisse auf Seiten des VN auszuräumen.46 Weiter wird verlangt, dass der VR das berechtigte Vertrauen des VN auf seine Vertrags- und Gesetzestreue nicht enttäuschen und ihm nicht schaden darf und schlechthin sein Tun seinen Worten entsprechen muss.47 Konkret soll dies auch bedeuten, dass ein redlicher VR weder erkennbar unwirksame AVB weiterverwendet noch sich auf diese beruft und er im Schadensfall, wenn er erkennt, dass der VN berechtigte Ansprüche nicht erhebt, darauf hinweisen muss.48

3. Professionalität 14 Zudem verpflichtet Abs. 1 S. 1 den VR professionell zu handeln, was die Art der Ausübung einer Tätigkeit kennzeichnen soll49 und bereits vom Wortsinn her indiziert, dass sich der VR sich nicht von Stimmungen und Empfindungen leiten lassen darf, sondern stets rational zu handeln hat. Im hiesigen Zusammenhang geht es um eine fachmännisch oder von Fachleuten anerkannte Tätigkeit,50 womit die Qualität des Verhaltens des VR adressiert wird und diese gewährleisten soll. Dabei geht es u. a. um die Beachtung der Gesetze, der in der Versicherungswirtschaft geltenden Sorgfaltsmaßstäbe und Standards, der Einhaltung von Verträgen und der Anwendung von Kodizes,51 die wenn sie im VAG kodifiziert sind drittschützende, also den VN schützende Wirkung entfalten. Dies betrifft auch zum einen selbst geschaffene Verhaltensregeln der Unternehmen wie auch fremde Vorschriften zur Compliance oder Regeln wie bspw. des GDV für den

45 46 47 48 49 50 51

Eberhards Synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache (1910) Stichwort 183. Aufrichtig. Redlich. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 8. Langheid/Rixecker Rn. 5. Langheid/Rixecker Rn. 5. O. Verf. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen H-P (1989) 807. Duden Standard Wörterbuch, 2. Aufl. (2010) 728. Langheid/Rixecker Rn. 5, wonach die Missachtung von in der Versicherungswirtschaft weit überwiegend befolgter, den VN begünstigender Empfehlungen schadensersatzrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 1a

Vertrieb von Versicherungsprodukten,52 denen sich der VR unterworfen hat,53 was allerdings voraussetzt, dass dies von außen erkennbar wird, da sich anderenfalls kein Vertrauen der VN auf deren Einhaltung gründen kann. Professionalität soll zudem bedeuten, dass der VR die Versicherungsverhältnisse mit der Sorgfalt eines ordentlichen VR i. S. d. § 347 HGB erfüllt,54 wodurch allerdings nur allgemein die für jeden Kaufmann (national) geltende Standards adressiert werden und nicht spezifische, gerade auf den Vertrieb von Versicherungen ausgerichtete Verhaltensweisen. Dennoch können auch diese Regeln zur Präzisierung der Verhaltensanforderungen zumindest beitragen.

4. Im bestmöglichen Kundeninteresse Schließlich hat der VR bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber dem VN unter den soeben ge- 15 nannten Vorgaben in deren bestmöglichem Interesse zu handeln (Abs. 1 S. 1) und zwar hinsichtlich der gesamten Vertriebstätigkeit von der Beratung, Vorbereitung, dem Abschluss bis hin zur Verwaltung und Erfüllung des Versicherungsverhältnisses, insbesondere im Schadensfall (Abs. 1 S. 2). Das entspricht insgesamt betrachtet der Lebensdauer des Versicherungsverhältnisses, vom vorvertraglichen Bereich bis zur Beendigung und möglichweise darüberhinausgehend als der noch nachfolgenden Pflicht. „Bestmöglich“ kann in zweierlei Richtungen verstanden werden: Zum einen dahingehend, 16 dass der VR lediglich verpflichtet ist, aus den ihm zumutbaren Handlungsoptionen diejenige auszuwählen, die den erkennbaren (ggf. abgefragten) Interessen des VN im konkreten Einzelfall am besten entspricht.55 Insoweit reicht ein Bemühen i. S. des möglichst besten aus. Die RL wie auch der Wortlaut der Norm sprechen aber von bestmöglich, also dem Superlativ von „möglich“. Dies betrifft den Fall, dass das objektiv „beste“ Interesse anzustreben ist. Nur wenn dies nicht erreichbar, ist das geschuldet, was maximal erreichbar ist, also ist dasjenige auszuwählen, was dem Interesse des Kunden am meisten entspricht. Beispielhaft sei hier eine Kundin mit einer bestimmten körperlichen Einschränkung genannt, die für sämtliche privaten Krankenversicherungen nur mit einem diesbezüglichen Leistungsausschluss versicherbar ist. Deswegen bekommt sie von keiner Gesellschaft das perfekte, beste Angebot. Dennoch muss ihr vom VR (unter dieser einen Einschränkung) der bestmögliche, – objektiv betrachtet – optimale Versicherungsschutz angeboten werden, also der für den jeweiligen VN bestmögliche. Qualitativ wie auch quantitativ lässt eine Interessenwahrung im „bestmöglichen“ Sinne als 17 Superlativ keine Steigerung und damit auch keine weitere Abwägung und Abstufung zu.56 Nicht berücksichtigt wird dabei, dass diese Formulierung in der deutschen Sprachfassung der IDD singulär ist. In der bulgarischen Fassung geht es wohl um den „Einklang mit den Interessen ihrer Kunden“, in der italienischen Fassung darum, „um die Interessen ihrer Kunden besser zu bedienen.“; teils wird auch das Interesse der Kunden wie in der lettischen und niederländischen Fassung gar nicht mit einem Attribut versehen. Ganz überwiegend geht es aber – wie in der dänischen, estnischen, finnischen, französischen, kroatischen, litauischen, maltesischen, polnischen, portugiesischen, rumänischen, schwedischen, slowakischen, slowenischen, tschechischen, ungarischen Fassung – um „im besten Interesse ihrer Kunden“. Dafür spricht aus systematischer Sicht auch, dass unter anderem in Art. 8 Abs. 1 der DVO (EU) 2017/2359 vom 52 Verhaltenskodex des GDV für den Vertrieb von Versicherungsprodukten v. 25.9.2018 (abrufbar und zum Download unter https://www.gdv.de/resource/blob/10302/551f3e81d903f48d890800037fd22251/verhaltenskodex-fuerden-vertrieb-vom-25-09-2018-data.pdf). 53 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 9. 54 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 9. 55 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 10. 56 Egger VersR 2019 394, 395; a. A. Fenyves/Koban/Perner/Riedler/Fenyves 14 u. Werber VersR 2019 321, 327, wonach diese Formulierung keine Steigerung gegenüber einem „besten Interesse“ bedeutet. 597

Knops

§ 1a VVG

Vertriebstätigkeit des Versicherers

21.9.201757 anstatt vom „bestmöglichem“ vom „besten“ Interesse des Kunden gesprochen wird.58 Auch besteht nach Art. 24 Abs. 9 S. 4 2014/65/EU59 für Wertpapierfirmen u. U. die Verpflichtung „im besten Interesse ihrer Kunden ehrlich, redlich und professionell zu handeln“. Durch diese RL wurde auch die RL 2002/92/EG dahingehend geändert, dass nach dem dortigen Art. 13d Abs. 1 die Mitgliedstaaten verpflichtet sind vorzuschreiben, „dass Versicherungsvermittler und -unternehmen bei Versicherungsvertriebstätigkeiten gegenüber ihren Kunden ehrlich, redlich und professionell in deren bestem Interesse handeln.“. Zusammengenommen betrachtet dürfte es sich bei dem in der deutschen Fassung der IDD verwendeten Terminus „bestmöglich“ um eine sprachliche Ungenauigkeit (wenn nicht gar Übersetzungsfehler) handeln60 und europarechtlich i. S. des besten, aber eben nicht objektiv bestmöglichen Kundeninteresse zu verstehen und entsprechend auszulegen sein. Auf das bestmögliche Kundeninteresse bezogen, lassen sich die Begriffe der Ehrlichkeit, Redlichkeit, Professionalität auch nicht immer trennscharf auf die Vertriebstätigkeit des VR (und der anderen Versicherungsvertreiber) ziehen; mal überwiegt das eine, mal das andere Attribut. 18 Generell betrachtet ist das Kundeninteresse zunächst anhand der vom VN selbst stammenden Angaben über dessen Wünsche und Bedürfnisse zu ermitteln, was europarechtlich in Art. 20 IDD und national – auch vor deren Umsetzung bereits – in den §§ 6 Abs. 1 S. 1, 61 Abs. 1 S. 1 VVG normiert61 ist (zu Art und Weise der Bedarfsermittlung s. i. E. § 6 Rn. 21 ff.). Neben der Exploration der Kundenwünsche ist deren Kundeninteresse aber am besten nur gewahrt, wenn der VR als professioneller Anbieter die Bedürfnisse des VN auch unabhängig von dessen (möglichweise laienhaften und falschen) Vorstellungen bestimmt, etwa durch Schätzung des Werts der zu versichernden Sache oder Bewertung eines bereits bestehenden Versicherungsschutzes.62 Damit geht es zum einen um Berücksichtigung der „Wünsche“ des VN mit großer Sorgfalt,63 zum anderen um Bestimmung des „bestmögliche(n) Interesse(s)“ des VN durch den VR „nach objektiven Maßstäben“,64 also nicht lediglich von dem VR abgefragten, sondern den tatsächlich bestehenden Interessen des VN. In Parallele zu dem sog. Bond-Urteil des BGH65 muss die empfohlene Versicherung unter Berücksichtigung seiner Ziele auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten, also „versicherungsnehmergerecht“ sein und die Empfehlung ist in Bezug auf die Versicherung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die Entscheidung des Kunden wesentliche Bedeutung haben oder haben können.66 Der Exploration des Kunden und seiner Interessen kommt dabei ein hohes Gewicht zu. So wäre auch eine vorvertragliche Risikoprüfung, die nicht alle vorhandenen Möglichkeiten der Informationsgewinnung einschließt, sondern solche auslässt, und die Risikoprüfung auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt, ersichtlich keine bestmögliche im Interesse der VN.67 Zusammengenommen gehört es daher zu der Pflicht des VR seine Vertriebstätigkeit versicherungsnehmer- und versicherungsgerecht auszugestalten. Zur Methodik und Tiefe der Ermittlung des Interesses des VN kann ergänzend auf die überaus reichhaltige Literatur und Rechtsprechung zur anleger- und

57 ABl. L 341 v. 20.12.2017 S. 8. 58 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 9. 59 RL 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der RL 2002/92/EG und 2011/61/EU.

60 Vgl. zu anderen sprachlichen Ungenauigkeiten der IDD, die großspurig als „gesetzgeberische Fehler“ gebrandmarkt werden, insgesamt reichlich polemisch Reiff VersR 2016 1533, 1535 ff. 61 Wendt VersR 2019 257, 260 m. w. N. 62 In diesem Sinne wohl auch Wendt VersR 2019 257, 261; vgl. zudem Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 92. 63 Vgl. Wendt VersR 2019 257, 262; Beenken ZfV 2016 347, 348. 64 BTDrucks. 18/11627 S. 43. 65 BGH 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BHGZ 123 126 R. 17 f. = WM 1993 1455 = VersR 1993 1236. 66 Vgl. dagegen die Diskussion, um den „best advice“ und einer daraus abgeleiteten Verpflichtung, stets den „allerbesten Versicherungsschutz“ zu vermitteln Werber VersR 2019 321, 328 m. w. N. 67 Zutreffend Egger VersR 2019 394, 401. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 1a

anlagegerechten Beratung im Kapitalanlagerecht als auch zur Pflicht des Kreditgebers zur kreditnehmergerechten Erläuterung im Verbraucherkreditsektor zugegriffen werden. Eine weitere Parallele ergibt sich insoweit hinsichtlich des vom VR angebotenen Produkts. 19 Hier ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass dem VN das für seine Belange am besten geeignete Versicherungsprodukt aus dem eigenen Portfolio des VR angeboten wird. Auf Angebote der Konkurrenz muss der VR – wie im Übrigen auch der Darlehensgeber beim Verbraucherkredit68 – nicht hinweisen69 und zwar auch dann nicht, wenn diese einen preiswerteren oder sonst wie vorteilhafteren Versicherungsschutz offeriert.70 Es ist eben nicht Aufgabe eines Versicherungsunternehmens, für Produkte eines Konkurrenten zu werben und diese anzubieten;71 das erwartet auch ein durchschnittlicher Kunde nicht.72 Das Optimierungsgebot und spiegelbildlich das Benachteiligungsverbot, aus seiner eige- 20 nen Palette dem VN das für ihn geeignetste Produkt anzubieten,73 hindert den VR aber von vorneherein ein Angebot zu unterbreiten, dass für den Kunden nicht optimal ist – also etwa nicht denselben Versicherungsschutz beinhaltet, dessen Bedingungen schlechter sind oder höher bepreist ist etc. als ein anderes Versicherungsprodukt aus dem eigenen Haus des VR und damit den Interessen des Kunden eben nicht am besten entspricht. Insoweit kann die Abwägung der Vor- und Nachteile zwar schwierig sein, muss aber von einem VR, der im bestmöglichen Kundeninteresse zu handeln hat, aber auch erwartet werden können. Keinesfalls genügend ist es, dem VN nicht das geeignetste Versicherungsprodukt aus sei- 21 nem Portfolio anzubieten, ihn aber über dessen Nachteile zu informieren.74 Eine Aufklärungspflicht besteht jedenfalls auch dann, wenn der VN einen üblichen Bedarf an Versicherungsschutz hat und in der Branche dafür ein weitgehend standardisiertes Produkt angeboten wird, nur eben nicht von diesem VR und dieser dem Kunden ein davon abweichendes Produkt anbietet. Dann muss der VR auf die Nachteile zu dem Standardprodukt deutlich hinweisen. Dies ist für den Kreditsektor längst entschieden: Zwar muss eine Bank den Kunden nicht per se auf Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit einer vom ihm selbst gewählten Kreditart hinweisen;75 sie muss ihn aber von sich aus aufklären und warnen, wenn für ihn besondere Risiken bestehen und die Bank dies erkennen kann. Dies gilt insbesondere für belastende Besonderheiten des angebotenen Kredittyps im Vergleich zu einem normalen Ratenkredit,76 etwa hinsichtlich der für einen Durchschnittskunden nicht zu durchschauenden Nachteile wie bei der Kombination von Kreditvertrag und Lebensversicherung77 wie schlechthin bei sog. Kombinationsfinanzierungen.78 Dies gilt selbstverständlich auch bei einem Wechsel des VR oder Versicherungsverhältnisses. Der substituierende Versicherungsschutz darf – gemessen an den Kundeninteressen – prinzipiell nicht schlechter sein als der vorherige. Der VR darf einen VN also in dessen besten Interesse dazu veranlassen seinen bisherigen Versicherungsvertrag zu beendigen und einen neuen abzuschließen. In aller Regel muss dann aber die neue Versicherung die Risiken ebenso gut decken wie die alte. Möglichweise haben sich aber auch die Prioritäten des VN grundlegend

68 BeckOGK/Knops 1.1.2020 BGB § 491a BGB Rn. 91 m. w. N. 69 So auch Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr § 48a VAG Rn. 4. 70 Prölss/Martin/Dörner Vorbem. § 59 Rn. 19; Langheid/Rixecker Rn. 6; Emde BB 2019 2882, 2887; Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018 285, 288; Reiff VersR 2018 193, 200; Brömmelmeyer RuS 2016 269, 271. 71 Richtig Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr 6. Aufl. 2019 VAG § 48a VAG Rn. 4. 72 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 10. 73 Zu der entsprechenden Pflicht des Versicherungsmaklers vgl. bereits OLG Naumburg 5.12.2013 – 4 U 27/13, RuS 2015 26, 28 u. OLG Hamm 30.4.2012 – I-18 U 141/06, NJW-RR 2013 38, 39 sowie Werber VR 2016 Heft 5, 26, 31 f. 74 A.A. ist offenbar Langheid/Rixecker Rn. 6. 75 BGH 29.5.1978 – II ZR 173/77, WM 1978 896, 897. 76 BGH 4.12.1990 – XI ZR 340/89, WM 1991 179, 181. 77 BGH 20.5.2003 – XI ZR 248/2, WM 2003 1370. 78 Zu den kombinationstypischen Gefahren von Krediten mit Tilgungsersatz, insbes. der Gefahr auftretender Deckungslücken eingehend Knops AcP 206 (2006) S. 867 ff. 599

Knops

§ 1a VVG

Vertriebstätigkeit des Versicherers

geändert, bspw. wenn dieser vor allem weniger Prämien zahlen will (oder nun nicht mehr zahlen kann) und dafür bereit ist, Abstriche beim Versicherungsschutz hinzunehmen. 22 Insgesamt hat die Vertriebstätigkeit gegenüber dem VN nach Erwägungsgrund 46 der IDD hinsichtlich der Vergütungspolitik von Versicherungsvertreibern in Bezug auf ihre Angestellten oder Vertreter so zu erfolgen, dass damit weder ausgeschlossen noch verhindert wird, im Einklang mit dem besten Interesse der Kunden zu handeln, insbesondere diesen gegenüber eine geeignete Empfehlung abzugeben und ihnen Informationen sowohl inhaltlich als auch der Form nach zur Verfügung zu stellen, die redlich, eindeutig und nicht irreführend sind. Besonders betont wird, dass eine auf Verkaufsziele gestützte Vergütung keinen Anreiz dafür bieten sollte, dem Kunden ein bestimmtes Produkt zu empfehlen – m. a. W.: Alles was einen Anreiz schaffen könnte, eine Versicherung zu empfehlen, obwohl eine andere, den Bedürfnissen des Kunden besser entsprechende angeboten werden könnte, ist untersagt.79 Diese Pflicht wird aufsichtsrechtlich durch § 48a Abs. 1 VAG abgesichert, wo nach dessen S. 2 zudem Fehlanreize, die zu der Empfehlung eines bestimmten Produkts führen könnten, obwohl ein anderes den Bedürfnissen des Kunden besser entspräche, zu vermeiden sind.

III. Bereitstellung von Informationen und Erstellung von Ranglisten (Absatz 2) 23 Abs. 2 erstreckt die in Abs. 1 gestellten Anforderungen auf sämtliche vorvertraglichen Informationen über einen oder mehrere Versicherungsverträge – auch durch Dritte: Personell wollte der Gesetzgeber mit Abs. 2 nicht nur Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, zweite Hälfte der IDD umsetzen, sondern zugleich den Anwendungsbereich der Norm über den der RL hinaus ausweiten und zwar dergestalt, dass zwar in dessen Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 die „Versicherungsvertreiber“ definiert sind, aber durch Abs. 2 nun jeder Betreiber einer Webseite, unabhängig davon, ob es sich um einen Vermittler oder um ein Versicherungsunternehmen handelt, erfasst wird, soweit der Kunde die Möglichkeit hat, über die Webseite einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt abzuschließen, was aber an sich schon von Abs. 1 S. 2 Nr. 3 erfasst ist. 24 Gestützt auch auf Erwägungsgrund 12, wonach die RL auch „Personen“ benennt, deren Tätigkeit darin besteht, über eine Webseite oder andere Medien Informationen über Versicherungsprodukte anzubieten, wird Abs. 2 aber als Ausweitung verstanden und sachlich damit begründet, dass anderenfalls Wettbewerbsnachteile für Vermittler und Versicherungsunternehmen, die Webseiten betreiben, entstünden.80 Dementsprechend wird nach § 59 Abs. 1 S. 3 als Versicherungsvermittler auch angesehen, wer eine Vertriebstätigkeit nach Abs. 2 ausführt, ohne dass die Voraussetzungen der Abs. 2 u. 3 des § 59 vorliegen. Erfasst wird damit ausdrücklich auch die „indirekte“ Ermöglichung des Abschlusses eines Versicherungsvertrages, wofür der Gesetzgeber als Beispiel die Ermöglichung des Abschlusses durch Weiterleitung auf andere Webseiten aufführt.81 Angesichts der gesetzgeberischen Intention, Wettbewerbsnachteile für Vermittler und Versicherungsunternehmen zu verhindern, muss daher der Kreis derjenigen, die über Abs. 2 den Anforderungen des Abs. 1 unterliegen, insgesamt weit gezogen werden, womit bspw. auch Internet-Provider, die Vergleichsrechner für Versicherungen betreiben und entsprechende Links zur Ermöglichung eines Versicherungsabschlusses setzen, ebenso dazu gehören können82 wie Verantwortliche anderer Medien, die wenigstens mittelbar den Vertrieb der Versicherungen fördern. Solche Personen unterliegen im Übrigen auch den Beratungs- und Dokumentationspflichten nach § 61.83

79 80 81 82 83

So Emde BB 2019 2882, 2887; Reiff VersR 2018 193, 198. RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 43. Siehe RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 43. Vgl. Goretzky VersR 2018 1, 3. RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 44; a. E. zu Nr. 7.

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600

B. Kommentierung

VVG § 1a

Keine Anwendung findet Art. 17 und damit auch nicht § 1a Abs. 2 nach Erwägungsgrund 25 12 der IDD auf Webseiten, die von öffentlichen Stellen oder Verbraucherverbänden betrieben werden, und nicht das Ziel verfolgen, Verträge abzuschließen, sondern die lediglich auf dem Markt verfügbare Versicherungsprodukte vergleichen. Dies gilt auch dann, wenn auf den Webseiten Ranglisten (etwa für das billigste, beste oder spezifisch geeignetste Versicherungsprodukt o. ä.) erstellt wurden, und pausschale Erwerbsempfehlungen gegeben werden. Nicht erforderlich ist es, dass sich solche Informationsangebote streng auf schlichte Marktübersichten beschränken.84 Verbraucherschutzorganisationen oder auch öffentliche Stellen sind auch dann ausgenommen, wenn sie Vergleiche mit direkten Produktempfehlungen abgeben.85 In Deutschland ist dies die bekannteste gemeinnützige, aufgrund eines staatlichen Auftrags eingerichtete und mit Steuermitteln geförderte Stiftung Warentest, die über ihre Publikationsorgane aber eben keine konkreten Empfehlungen für ein bestimmtes Produkt abgeben, zuweilen aber vor ganz bestimmten (Finanz)Produkten warnen. Zu den von Abs. 2 ausgenommen Verbraucherschutzorganisationen gehören sicher auch die Verbraucherzentralen in den Bundesländern und deren Bundesverband vzbv. Organisationen, die aber von einer geringen Beratungsgebühr abgesehen vom späteren Vertragsschluss durch individuelle oder pauschale Zuwendungen oder auch hohe Entgelte profitieren, gehören sicher nicht dazu. Schließlich gilt § 1a Abs. 2 nach § 66 auch nicht für Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit nach § 34d Abs. 8 Nr. 1 GewO; diese haben dem VN aber nach S. 2 der Norm vor Abschluss eines Versicherungsvertrages Informationen über ihre Identität und ihre Anschrift sowie über die Verfahren, nach denen die VN und andere interessierte Parteien Beschwerden einlegen können, zur Verfügung zu stellen und müssen ihnen das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten vor Abschluss des Vertrags aushändigen. Gegenständlich geht es um die „Bereitstellung“ solcher auf Webseiten oder in anderen 26 Medien, wie bspw. in Broschüren, Prospekten, Flyern, Funk, Fernsehen, sozialen Medien wie Facebook, Twitter, Instagram oder E-Mail- und Instant-Messenger-Systeme wie SMS, WhatsApp & Co.86 etc.; erfasst werden durch die ausdrückliche Benennung von „Ranglisten“ insbesondere Vergleichsportale, die nicht nur im Internet abrufbar sind, sondern sich auch in anderen Medien wie etwa in Zeitschriften finden können. Neben Erstellern von Ranglisten von Versicherungsprodukten sollen bspw. auch „Anbieter von Preisnachlässen“ durch die Norm erfasst sein,87 was ohne den Zusammenhang mit der Erstellung einer Rangliste von Versicherungsprodukten aber nicht genügt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist es, dass ein Kunde nach Erhalt der Informationen 27 die Gelegenheit hat, einen Versicherungsvertrag abzuschließen. Dem Wortlaut der Norm nach spielt es keine Rolle, ob dies über eine Webseite oder ein anderes Medium erfolgt oder erfolgen kann; nach Erwägungsgrund 12 ist entscheidend, ob der VN „anschließend“ die Möglichkeit hat, einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt abzuschließen, womit es offensichtlich auf einen gegenständlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Gelegenheit eines Vertragsschlusses ankommt. Auf den Vergleichsportalen im Internet finden sich häufig direkte Links zu den verglichenen oder auch nur aufgeführten Versicherungsprodukten, also nicht nur zu den Versicherungsgesellschaften, sondern oft direkt zu den deren einzelnen Produkten. Erfasst werden aber beispielsweise auch Informationsangebote, bei denen die Kunden (zumeist nach Angabe verschiedener Parameter) direkt adressiert werden – sei es persönlich per Telefon oder mittels Angeboten auf anderen Kanälen. Eine Kontaktaufnahme durch den Portalbetreiber oder den VR 84 So aber wohl Langheid/Rixecker Rn. 3. 85 Dagegen sehr polemisch noch Reiff/Köhne VersR 2017 649, 651 wonach „Verbraucherschutzorganisationen (.) nämlich flächendeckende Schäden an[richten], wenn sie fragwürdige Empfehlungen abgeben, etwa Briefmarken zu sammeln, Geld unter das Kopfkissen zu legen oder auf klassische Altersvorsorge durch (Kapital-)Lebensversicherungen ganz zu verzichten (…)“. 86 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 14; Goretzky VersR 2018 1, 3. 87 Langheid/Rixecker Rn. 3. 601

Knops

§ 1a VVG

Vertriebstätigkeit des Versicherers

ist aber nicht notwendig; es reicht, wenn der Kunde im Anschluss kausal – auf welche Weise auch immer – Gelegenheit zum Vertragsschluss erhält, auch auf seine Initiative hin. In zeitlicher Hinsicht bedarf es dafür keinen direkten oder unmittelbaren Zusammenhang. Auch Vertragsabschlussgelegenheiten, die sich erst Tage später ergeben, aber auf das Medienangebot kausal zurückzuführen sind, genügen, um die Anwendbarkeit der Norm zu begründen.

IV. Informationsgehalt (Absatz 3) 28 Abs. 3 legt die Anforderungen an sämtliche, im Vertrieb verwandten Informationen einschließlich der Werbemitteilungen fest, die der VR an den (potenziellen) VN richtet und setzt damit Art. 17 Abs. 2 IDD um. Der deutsche Gesetzgeber folgt damit dem RL-geber trotz der ohnehin schon geltenden Regelungen über unlautere Geschäftspraktiken in der RL 2005/29/EG Sonderregelungen für den Versicherungsvertrieb vorzusehen.88 Hinsichtlich der zu erteilenden Information kommt es zunächst wieder auf deren Redlichkeit an (dazu oben Rn. 11). Zudem müssen die Informationen und Werbemitteilungen eindeutig sein. Insoweit kommt es auch darauf an, ob die Informationen für die angesprochenen Verkehrskreise hinreichend klar und verständlich sind. Insoweit ist auf das Transparenzgebot, das der BGH aus § 9 AGBG a. F. entwickelt hat89 und das um die entsprechenden Begriffe der RL 93/13/EWG zu erweitern und zu präzisieren ist,90 zu verweisen, womit etwa auch die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen oder Chancen und Risiken des Versicherungsprodukts für den Durchschnittskunden verständlich benannt werden müssen.91 Zudem dürfen die Informationen nicht irreführend sein. Zur Bestimmung und Auslegung dieses Begriffs kann auf die RL 2005/29/EG92 über unlautere Geschäftspraktiken und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH93 zurückgegriffen werden.94 Schließlich bestimmt Abs. 3 S. 2 speziell für die Werbemitteilungen des VR, dass diese stets (ebenso) eindeutig als auch (überhaupt) als solche erkennbar sein müssen. Sachinformationen und werbende Aussagen muss ein Kunde also deutlich voneinander unterscheiden können. Denn nur bei Erkennbarkeit der Werbung wird ein potentieller Kunde den Aussagen kritischer gegenüberstehen. Unter Umständen kann – je nach Zusammenhang – eine ausdrückliche Kennzeichnung als Werbung wie bei einem Produktplacement erforderlich sein, wenn etwa im Internet oder im Fernsehen redaktionell anmutende Berichterstattungen mit einer nur scheinbar unabhängigen oder objektiven Bewertung einhergeht.95

V. Sanktionen 29 In der Norm selbst werden Pflichten des VR, nicht die Sanktionen bei deren Verletzung benannt. Verstöße gegen die vorgenannten Pflichten des VR nach den Abs. 1–3 können nach dem Willen des Gesetzgebers zu Schadensersatzansprüchen nach § 6 Abs. 5 (siehe dazu § 6 Rn. 78 ff.) füh-

88 89 90 91 92

RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 43. BGHZ 133 25; 118 126; 115 177, 185; 112 115, 117; 10, 52, 57; 106 42, 47; 104 82, 92. S. dazu schon Reich NJW 1995 1857, 1859 f.; ders. ZEuP 1994 381, 392. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 16 m. w. N. RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der RL 84/450/EWG des Rates, der RL 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 149 vom 11.6.2005 S. 22. 93 Siehe bspw. EuGH 16.4.2015 – C-388/13, GRUR 2015 600 (juris) über Geschäftspraktiken, die alle in Art. 6 Abs. 1 dieser RL genannten Voraussetzungen für eine Einstufung als den Verbraucher irreführende Praxis erfüllt. 94 Vgl. dazu aus ökonomischer Sicht auch Köhne ZVersWiss 2014 243, 254 f. 95 Vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 17. Knops

602

D. Beweislast

VVG § 1a

ren.96 Daneben kommen Schadensersatzansprüche gem. § 280 Abs. 1 BGB (ggf. i. V.m §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB) in Betracht,97 wenn der Kunde durch den Informationsmittler in die Irre geführt und bspw. zum Abschluss eines Vertrages veranlasst wird, der entweder die werbeverursachten Erwartungen nicht erfüllt98 oder objektiv betrachtet für ihn nicht tauglich ist. Pflichtverletzungen bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall können ebenfalls über § 280 Abs. 1 BGB sanktioniert werden. Ansprüche eines VR gegen Intermediäre wegen unredlicher Informationen werden allerdings durch Abs. 2 nicht begründet99 ebenso wie mögliche aufsichtsbehördliche Maßnahmen nach § 294 Abs. 2 und 3 VAG, wenn ein VR seine Integritäts-, Professionalitäts- und Loyalitätspflichten systematisch verletzt, unberührt bleiben.100

C. Abdingbarkeit § 1a ist zwingend, also nicht abdingbar,101 auch wenn die Norm (ggf. versehentlich) nicht in 30 den Katalog des § 18 aufgenommen wurde. Entscheidend ist vielmehr, dass die an den VR durch die Norm gestellten Anforderungen zumeist ohnehin schon nach § 242 BGB zu erfüllen sind und diese Norm die Grenze jeder Rechtsausübung markiert. Das gilt nicht nur für Abs. 1 hinsichtlich der Rechtspflicht des VR, bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber VN stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln, sondern auch für die Verpflichtung zur Bereitstellung von Informationen nach Abs. 2 und den Anforderungen hinsichtlich der Informationen einschließlich Werbemitteilungen gemäß Abs. 3, soweit diesen überhaupt AGB-Qualität zukommt.

D. Beweislast Der VR ist zur ordnungsgemäßen Erfüllung der in den Abs. 1 bis 3 genannten Pflichten verant- 31 wortlich und muss dies notfalls auch beweisen. Umgekehrt muss der VN darlegen und beweisen, dass ihm aus der Nichterfüllung derselben ein Schadensersatzanspruch zusteht.

96 So RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 42. 97 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 18. 98 Langheid/Rixecker Rn. 3. 99 Langheid/Rixecker Rn. 4. 100 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 18. 101 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer Rn. 19 u. § 18 Rn. 2. 603

Knops

§ 2 Rückwärtsversicherung (1) Der Versicherungsvertrag kann vorsehen, dass der Versicherungsschutz vor dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses beginnt (Rückwärtsversicherung). (2) 1Hat der Versicherer bei Abgabe seiner Vertragserklärung davon Kenntnis, dass der Eintritt eines Versicherungsfalls ausgeschlossen ist, steht ihm ein Anspruch auf die Prämie nicht zu. 2Hat der Versicherungsnehmer bei Abgabe seiner Vertragserklärung davon Kenntnis, dass ein Versicherungsfall schon eingetreten ist, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet. (3) Wird der Vertrag von einem Vertreter geschlossen, ist in den Fällen des Absatzes 2 sowohl die Kenntnis des Vertreters als auch die Kenntnis des Vertretenen zu berücksichtigen. (4) § 37 Abs. 2 ist auf die Rückwärtsversicherung nicht anzuwenden.

Schrifttum Bartsch Rückwärtsversicherung und vorläufige Deckungszusage in der Fahrzeugvollversicherung, VersR 1987 642; H. Baumann Besprechung von Maenner Theorie und Praxis der Rückwärtsversicherung, ZVersWiss 1987 153; ders. AGBrechtliche Inhaltskontrollfreiheit des Claims-made-Prinzips – Zugleich Grundsatzbetrachtungen zum Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung, VersR 2012 1461; Benkel Rückwärtsversicherung in der Lebensversicherung, VersR 1991 953; Heid/Schmidt Der Beginn des Versicherungsschutzes in der privaten Krankenversicherung, VersR 1981 711; Klimke Die Abbedingung des § 2 Abs 2 S. 2 VVG bei einem vom Versicherer ausgehenden Angebot auf Abschluss der Rückwärtsversicherung, VersR 2005 595; ders. Anzeigepflichten des VN bei Abschluss einer Rückwärtsversicherung, VersR 2004 287; Maenner Theorie und Praxis der Rückwärtsversicherung (1986) (zit. Maenner Theorie und Praxis); ders. Rückwärtsversicherung in moderner Gestalt, VersR 1984 717; Plander Probleme der Rückwärtsversicherung in Fällen des § 5 Abs. 3 VVG, VersR 1986 105; Rohles Zur Frage der Vereinbarkeit der vereinbarten Rückwirkung des § 2 unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, VersR 1986 214; Schramm Claims Made mit deutschen AGB vereinbar, VW 2008 2071; Steinkühler/Kassing Das Claims-Made-Prinzip in der D&O- Versicherung und die Auslegung der Begriffe Anspruchs- sowie Klagerhebung, VersR 2009 607; Wandt/Ganster Zur Harmonisierung von Versicherungsbeginn und Prämienfälligkeit durch AVB im Rahmen des VVG 2008, VersR 2007 1034; Wahle Ist § 2 Abs. 2 VVG abdingbar? VersR 1966 999; Werner Versicherungsbeginn und Zeitpunkt des Vertragsschlusses im privaten Versicherungsrecht, VersR 1985 522.

Übersicht 1

A.

Einleitung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III. 1.

3 Verhältnis zu §§ 19 ff 3 Rückwärtsversicherung a) Versicherungsfälle vor dem beantragten 4 Rückwärtsversicherungszeitraum b) Versicherungsfälle bis zum Zeitpunkt der 5 Abgabe des Antrags c) Versicherungsfälle bis zum Zeitpunkt des 6 Vertragsschlusses Kombinierte Rückwärts- und Vorwärtsversiche7 rung

2.

I.

Formeller, materieller und technischer Versicherungsbeginn 8

II.

Bestimmung des materiellen Versicherungsbe9 ginns

C.

Rückwärtsversicherung

I.

Begriff und Bedeutung

II. 1.

15 Einzelne Versicherungszweige 16 Personenversicherung 16 a) Lebensversicherung b) Berufsunfähigkeitsversicherung 18 c) Unfallversicherung 19 d) Krankenversicherung 21 Sachversicherung 21 a) Transportversicherung 22 b) Feuerversicherung 23 c) Kfz-Kaskoversicherung

1 2

2. B.

Versicherungsbeginn

8

R. Johannsen/Koch https://doi.org/10.1515/9783110522600-009

12 12

17

604

VVG § 2

A. Einleitung

3.

Haftpflichtversicherung 24 a) Privat-, Betriebs- und Berufshaftpflichtver24 sicherung 25 b) Kfz-Haftpflichtversicherung 26 c) D&O-Versicherung

III. 1.

28 Einzelheiten 28 Kenntnisproblematik 28 a) Allgemeines 32 b) Kenntnis des Versicherers aa) Unmöglicher Versicherungs32 fall bb) Eingetretener Versicherungs33 fall c) Kenntnis des Versicherungsneh34 mers aa) Eingetretener Versicherungs34 fall bb) Unmöglicher Versicherungs37 fall

d)

2. 3. 4.

Kenntnis beider Vertragsparteien aa) Unmöglicher Versicherungs38 fall bb) Eingetretener Versicherungs39 fall 42 e) Zurechnung von Drittwissen 46 Unanwendbarkeit des § 37 Abs. 2 50 Beweisfragen 53 Abdingbarkeit

III.

Beratungspflicht des VR

D.

Österreichisches Recht/PEICL

I.

Österreichisches Recht

II.

PEICL

38

54 55

55

57

A. Einleitung I. Entstehungsgeschichte § 2 ist bis zur Reform des VVG unverändert geblieben. Die Neufassung führt zu keiner grundsätz- 1 lichen Umgestaltung des Rechtsinstituts. Sie übernimmt im Wesentlichen die von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Auslegungsgrundsätze. Absatz 1 der Vorschrift führt eine Legaldefinition der Rückwärtsversicherung ein. Nach dieser ist eine Rückwärtsversicherung gegeben, wenn der materielle Versicherungsschutz vor dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt. Durch diese Formulierung wird zudem klargestellt, dass es die Rückwärtsversicherung nicht nur in der in der Praxis allerdings häufigeren, Form der Kombination mit einer Vorwärtsversicherung gibt, sondern auch als ausschließlich in die Vergangenheit gerichtete reine Rückwärtsversicherung. Absatz 2 S. 1 regelt die Situation, dass der VR Kenntnis davon hat, dass der Eintritt eines Versicherungsfalles ausgeschlossen ist; Satz 2 betrifft den Fall, dass der VN Kenntnis davon hat, dass ein Versicherungsfall schon eingetreten ist. Abweichend vom bisher geltenden Recht wird nicht auf die „Schließung des Vertrages“, sondern auf den Zeitpunkt der Abgabe der jeweiligen Vertragserklärung abgestellt. Durch diese Änderung wird dem eigentlichen Zweck der Rückwärtsversicherung, das Risiko des VN für die Zeit zwischen Antrag und Vertragsschluss abzusichern, Rechnung getragen.1 – Siehe dazu im Einzelnen unter Rn. 34 ff. Zur Rechtsnatur von § 2 Abs. 2 S. 2 s. unten Rn. 51 Absatz 3 hat insoweit eine Änderung erfahren, als nicht mehr auf den Vertragsschluss durch einen Bevollmächtigten oder Vertreter ohne Vertretungsmacht abgestellt wird, sondern von „Vertreter“ die Rede ist. In der Gesetzesbegründung findet sich für die Neuformulierung keine Erklärung. Dort heißt es lediglich, dass die Vorschrift sachlich dem geltenden Recht, d. h. § 2 Abs. 3 a. F. entspricht,2 was jedoch nicht der Fall ist. In der Begründung zur entsprechenden Neufassung des § 20 heißt es dagegen, dass die Unterscheidung von Bevollmächtigtem und

1 BTDrucks. 163945 S. 56 f. 2 BTDrucks. 163945 S. 57. 605

R. Johannsen/Koch

§ 2 VVG

Rückwärtsversicherung

Vertreter ohne Vertretungsmacht in § 19 a. F. entbehrlich sei und der neue Text daher nur den Begriff des Vertreters verwende (vgl. dazu unter Rn. 44).3 Absatz 4 kodifiziert die vor der Reform von der Rechtsprechung und Literatur überwiegend gewonnene Auslegung, dass die Vorschrift des § 38 Abs. 2 a. F., wonach der VR von der Verpflichtung zur Leistung frei ist, wenn die Prämie bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht gezahlt ist, in der Rückwärtsversicherung stillschweigend abbedungen ist. – Vergleiche dazu im Einzelnen unter Rn. 45 ff.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 § 2 Abs. 1 ermöglicht den Vertragsparteien, eine Rückwärtsversicherung abzuschließen. Das ist im Gesetz ausdrücklich ausgesprochen worden, weil die Ungewissheit des Schadenseintritts zum Wesen der Versicherung gehört.4 § 2 Abs. 2 stellt ausdrücklich klar, dass subjektive Ungewissheit genügt.5 Insoweit ist der Hinweis geboten, dass bei einer Rückwärtsversicherung bei Vertragsschluss objektiv feststeht, ob ein Versicherungsfall eingetreten ist oder nicht.6 Das Schwergewicht der Regelung liegt darin, Manipulationen zwischen den Vertragsparteien zu verhindern.7 Keine der Vertragsparteien darf von den für sie günstigen Umständen bei Vertragsschluss wissen. Das Vertragsverhältnis zwischen VN und VR ist nämlich wesentlich von der Gleichwertigkeit der Leistungen bestimmt, d. h. davon, dass der Prämienzahlung eine ständig gegenwärtige Gefahr gegenübersteht, der Versicherungsfall könne eintreten. Diese Gleichwertigkeit will § 2 Abs. 2 sicherstellen.8 Der BGH hat zur Vorgängerregelung des § 2 Abs. 2 a. F. zu Recht darauf hingewiesen, dass dieses Gleichgewicht deutlich gestört wäre, wenn man zuließe, dass der VN auch schon bei Antragstellung Kenntnis von dem Versicherungsfall haben dürfte. Der VR verspräche nämlich dann eine sichere Geldleistung, die in der Prämie nicht berücksichtigt sei.9 Gleiches gilt für den Fall, dass der VR weiß, dass der Eintritt des Versicherungsfalls ausgeschlossen ist. Auch hier wäre das Gleichgewicht gestört, wenn man ihm gleichwohl einen Anspruch auf die Prämie zubilligte.10 An diesem Gesetzeszweck hat sich durch die Neufassung nichts geändert.

III. Verhältnis zu §§ 19 ff. 1. Rückwärtsversicherung 3 Hinsichtlich des Verhältnisses von § 2 Abs. 2 S. 2 zu §§ 19 ff. ist zu unterscheiden zwischen Versicherungsfällen vor dem beantragten Rückwärtsversicherungszeitraum, bis zum Zeitpunkt der Abgabe des Antrags auf Abschluss einer Rückwärtsversicherung und bis zum Abschluss des Rückwärtsversicherungsvertrags. 3 BTDrucks. 163945 S. 66. 4 Bruck/Möller/H. Baumann/Koch § 1 Rn. 19 f.; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 32; Berliner Kommentar/H. Baumann § 2 Rn. 29. 5 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 277=VersR 1982 841. 6 Vgl. Fenyves/Schauer/Fenyves § 2 Rn. 5; Schauer Versicherungsvertragsrecht 157; unklar Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 3, der von „objektiv oder subjektiv ungewisse[n] Ereignisse[n]“ spricht. 7 BGH 5.11.2014 – IV ZR 8/13, VersR 2015 89 Rn. 15; BGH 21.3.1990 – IV ZR 39/89, BGHZ 111 44, 50 f. = VersR 1990 729; BGH 19.2.1992 – IV ZR 106/91, BGHZ 117 213, 215=VersR 1992 484; Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 1; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 1; Maenner Theorie und Praxis S. 201, 213. 8 BGH 19.2.1992 – IV ZR 106/91, BGHZ 117 213, 215=VersR 1992 484. 9 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 277=VersR 1982 841; Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 5. 10 Vgl. Fenyves/Schauer/Fenyves § 2 Rn. 10. „Ziel der Regelung sei es, zu verhindern, dass eine Vertragspartei ihren Informationsvorsprung zur Erlangung eines Vermögensvorteils ausnutze“. R. Johannsen/Koch

606

B. Versicherungsbeginn

VVG § 2

a) Versicherungsfälle vor dem beantragten Rückwärtsversicherungszeitraum. Bei Fra- 4 gen nach Vorkommnissen, die vor dem Zeitpunkt der beantragten Rückversicherung liegen und im Fall der Versicherung als Versicherungsfall zu qualifizieren wären, finden die §§ 19 ff. Anwendung.11

b) Versicherungsfälle bis zum Zeitpunkt der Abgabe des Antrags. Nach Sinn und Zweck 5 des § 2 Abs. 2 S. 2 finden die §§ 19 ff. keine Anwendung auf die Rückwärtsversicherung, soweit es um Fragen nach als Versicherungsfall zu qualifizierenden Vorkommnissen geht, die für den vereinbarten Rückwärtsversicherungszeitraum bis zum Zeitpunkt der Abgabe der Vertragserklärung eingetreten sind.12

c) Versicherungsfälle bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Für Fragen nach als Ver- 6 sicherungsfall zu qualifizierenden Vorkommnissen, die nach Abgabe der Vertragserklärung und vor Vertragsschluss eingetreten sind, finden die §§ 19 ff. VVG ebenfalls keine Anwendung, weil § 2 Abs. 2 S. 2 dem VN auch für diesen Zeitraum Schutz gewähren will.13

2. Kombinierte Rückwärts- und Vorwärtsversicherung Hinsichtlich der Vorwärtsversicherung entfaltet § 2 Abs. 2 S. 2 insoweit Sperrwirkung, als bei 7 Fragen nach Versicherungsfällen im Rückwärtsversicherungszeitraum nur die verneinende Antwort, die im Bewusstsein des Eintritts des Versicherungsfalles und damit vorsätzlich gegeben worden ist, die Rechtsfolgen der §§ 19 ff. auslöst (Recht zum Rücktritt gem. § 19 Abs. 2 und Leistungsfreiheit gem. § 21 Abs. 2). Nicht auf Fahrlässigkeit oder nur auf fahrlässiger Unkenntnis beruhende falsche Antworten auf Fragen nach Versicherungsfällen berechtigen den VR somit nicht zur Kündigung gem. § 19 Abs. 3 S. 1. Bei grober Fahrlässigkeit ist der VR nicht zum Rücktritt gem. § 19 Abs. 2 berechtigt und auch weiterhin zur Leistung verpflichtet.14

B. Versicherungsbeginn I. Formeller, materieller und technischer Versicherungsbeginn Im Versicherungsrecht wird gemeinhin zwischen dem formellen, dem materiellen und dem tech- 8 nischen Versicherungsbeginn unterschieden.15 Formell beginnt eine Versicherung, sobald der Versicherungsvertrag durch Antrag und Annahme zustande gekommen ist. Im Regelfall ist das der Zeitpunkt des Zugangs des Versicherungsscheins bei dem VN, dessen Übersendung die Annahmeerklärung des VR darstellt. Die Widerrufsfrist nach §§ 8, 152 braucht für den formellen Versicherungsbeginn nicht abgelaufen zu sein, weil der Vertrag auch vorher, wenn auch „schwebend“ wirksam ist und nur durch die Ausübung des Gestaltungsrechts des Widerrufs

11 Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 37. 12 Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 37. 13 Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 38; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 2 Rn. 30: a. A. Looschelders/Pohlmann/Schneider § 2 Rn. 26; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 60.

14 Einschränkend Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 38; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 2 Rn. 30; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 49: VR darf für die Vorwärtsversicherung Konsequenzen nur aus nach Stellung seines Antrags eintretenden Versicherungsfällen ziehen. 15 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 277=VersR 1982 841; Bruck/Möller/H. Baumann/Koch § 1 Rn. 108 ff. 607

R. Johannsen/Koch

§ 2 VVG

Rückwärtsversicherung

rückabgewickelt werden kann.16 Bei dem Vertragsschluss kann es sich um den endgültigen Versicherungsvertrag handeln oder um die Gewährung von Versicherungsschutz durch eine vorläufige Deckungszusage gemäß §§ 49–52 (Rn. 13). Der materielle Versicherungsbeginn ist der Zeitpunkt des Anfangs der Gefahrtragung, der Dauerleistung des VR, also der Zeitpunkt, von dem an der VN Versicherungsschutz genießt. Dieser ist auch bei einem nach § 8 widerruflichen Vertrag der von den Parteien bestimmte Zeitpunkt. Das ergibt sich deutlich aus § 9 Abs. 1, der für die Rechtsfolgen des Widerrufs darauf abstellt, dass der VN „zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt“. In der Angabe eines Zeitpunkts als Versicherungsbeginn liegt diese Zustimmung. Mit dem Ausdruck technischer Versicherungsbeginn wird der Zeitpunkt bezeichnet, von dem an die Versicherungsprämie berechnet wird.17 Die drei genannten Zeitpunkte fallen häufig auseinander. Liegt der materielle Versicherungsbeginn vor dem formellen, liegt eine Rückwärtsversicherung gemäß § 2 Abs. 1 vor.

II. Bestimmung des materiellen Versicherungsbeginns 9 Wesentlicher Faktor für die Beurteilung der Frage, ab wann materieller Versicherungsschutz besteht, ist der nach objektiven Auslegungsgrundsätzen zu ermittelnde Wille der Parteien. Den Antragsunterlagen mit den zusätzlichen Erklärungen des VN sowie den Angaben des VR und dem Versicherungsschein kommen dabei die entscheidende Bedeutung zu. Nennt der VN im Antrag als Beginn der Versicherung den Tag der Antragstellung oder ein in der Vergangenheit liegendes Datum und ist bereit ab diesem Zeitpunkt, Prämie zu zahlen, ist dieser Antrag auf Abschluss einer Rückwärtsversicherung gerichtet und kann auch nur so vom VR verstanden werden, weil es lebensfremd ist, dass VN für einen bestimmten Zeitraum Prämie bezahlen will, ohne davon einen Vorteil zu haben.18 Zu Recht hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 16.6.1982 in Abkehr von seiner früheren noch auf das RG19 zurückgehenden Rechtsprechung20 entschieden, dass dann, wenn im Versicherungsschein oder in sonstigen Erklärungen des VR ein bestimmter Zeitpunkt als Beginn der Leistungsverpflichtung des VR angegeben wird, damit im Regelfall eine Eintrittsverpflichtung materieller Art begründet werde.21 Das gleiche gilt auch dann, wenn der VR zwar den im Antrag vom VN angegebenen Versicherungsbeginn nicht akzeptiert und in dem Versicherungsschein einen späteren Versicherungsbeginn genannt hat, die Änderung aber nicht gemäß § 5 Abs. 2 kenntlich gemacht hat.22 Dann ist nämlich nach § 5 Abs. 3 der im Antrag genannte Zeitpunkt maßgebend. Diese Auffassung des BGH bezüglich des Beginns der materiellen Eintrittsverpflichtung des VR wird heute im Schrifttum allgemein akzeptiert.23

16 Vgl. Bruck/Möller/Knops § 8 Rn. 7 f. 17 Vgl. BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 276=VersR 1982 841. 18 Vgl. auch Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 4 („Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Beginn der Haftung des VR gemeint sein soll.“); Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 7.

19 RG 27.11.1920 – I 165/20, RGZ 101, 30, 31 f.; zu § 38 Abs. 2 VVG a. F. 20 Vgl. dazu z. B. BGH 30.5.1979 – IV ZR 138/77, VersR 1979 709. 21 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 277=VersR 1982 841 (zur Einbruchdiebstahlversicherung), BGH 21.3.1990 – IV ZR 40/89, BGHZ 111 29, 30 f.= VersR 1990 618 (zur Kaskoversicherung), BGH 21.3.1990 – IV ZR 39/89, BGHZ 111 44, 49= VersR 1990 729 (zur Berufsunfähigkeitszusatzversicherung), BGH 19.2.1992 – V ZR 106/91, BGHZ 117 213, 215 f.=VersR 1992 484 (zur Unfallversicherung); s. auch OLG Hamm 21.8.2002 – 20 U 24/02, NJW-RR 2003 531 f.= VersR 2003 185; OLG Karlsruhe 19.3.1992 – 12 U 213/91, RuS 1992 426= VersR 1992 1123; AG Homburg 12.9.2003 – 16 C 188/03, BeckRS 2003 14351. 22 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 276=VersR 1982 84; OLG Köln 17.1.1995 – 9 U 194/94, RuS 1995 283. 23 So Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 4; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 8; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 7; Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/K. Johannsen § 8 Rn. 73 ff.; SchwinR. Johannsen/Koch

608

C. Rückwärtsversicherung

VVG § 2

Dieser Rechtsprechung sind die Instanzgerichte jedoch für die Krankenversicherung nicht 10 uneingeschränkt gefolgt. Für diese wird zwar ebenfalls überwiegend angenommen, dass die Datumsangabe des VR (oder die von ihm nicht oder nicht wirksam widersprochene des VN) maßgebend für den Beginn des materiellen Versicherungsschutzes sei.24 Es gibt jedoch auch Entscheidungen, die annehmen, dass nach den entsprechenden AVB-Bestimmungen, die vorsehen, dass der Versicherungsschutz nicht vor Abschluss des Versicherungsvertrages beginnt, von einem nur technischen Versicherungsbeginn auszugehen sei.25 Dieser Argumentation ist jedoch im Regelfall nicht zu folgen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn festgestellt werden kann, dass der übereinstimmende Parteiwille dahin ging, dass eine Rückdatierung nur zur Abkürzung der vertraglich sonst geltenden Wartezeiten erfolgt ist oder damit ein niedrigerer Prämiensatz gemäß dem auf das Alter des VN bei dem Versicherungsbeginn abstellenden Tarif erreicht werden sollte. Keineswegs genügt für eine solche Feststellung der Hinweis, dass in den AVB eine für den Standpunkt des VR günstige Regelung festgelegt ist; denn maßgebend ist die vom VR akzeptierte Angabe eines bestimmten Datums, die als Individualangabe den AVB vorgeht.26 Auch für die Lebensversicherung sind Konstellationen denkbar, bei denen ein vor dem 11 Vertragsschluss liegendes Datum im Sinne eines technischen Versicherungsbeginns gedeutet werden kann, nämlich dann, wenn erkennbar ist, dass dem VN durch die Festlegung eines geringeren Eintrittsalters ermöglicht werden soll, in eine für ihn günstigere Tarifkategorie zu kommen und dadurch insgesamt für die Laufzeit des Vertrages weniger Prämien zu zahlen. Von diesem Ausnahmefall abgesehen ist aber auch in der Lebensversicherung ein ausdrücklich als Vertragsbeginn bezeichneter Zeitpunkt, der vor dem Vertragsschluss liegt, als materieller Versicherungsbeginn maßgebend.27

C. Rückwärtsversicherung I. Begriff und Bedeutung Wenn in den Deckungsbereich einer Versicherung ein Ereignis eingeschlossen wird, das vor 12 dem Abschluss des Versicherungsvertrages eingetreten ist, liegt eine unter § 2 Abs. 1 einzuordnende Rückwärtsversicherung vor. Diese wird zumeist nicht ausdrücklich als solche im Versicherungsvertrag bezeichnet. Sie ergibt sich vielmehr im Regelfall daraus, dass der VR im Versicherungsschein oder in einem sonstigen Dokument einen Zeitpunkt als Versicherungsbeginn angibt, der vor dem formellen Vertragsabschluss liegt. Zumeist fällt dieses Datum zusammen mit dem Zeitpunkt, zu dem erstmals vom VN schriftlich oder mündlich gegenüber dem Versicherungsvermittler oder dem VR das Begehren geäußert wird, einen entsprechenden Versicherungsschutz zu erlangen. Nach der gesetzlichen Regelung bleibt es den Parteien des Versicherungsvertrages unbenommen, auch ein vor dem genannten Zeitpunkt liegendes Datum zu wählen, möglicherweise sogar eins, das mehrere Monate, in Ausnahmefällen sogar Jahre zurückliegt. Diese Fälle werden als „echte“ Rückwärtsversicherung bezeichnet. Soll nur der Zeitraum zwischen Antragstellung und formellem Vertragsschluss abgesichert werden, spricht man

towski/Brömmelmeyer/Ebers § 2 Rn. 10; Plander VersR 1986 105; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Anm. 11 Rn. 4: dagegen nur Werner VersR 1985 522 und Bruck/Möller/Sieg/R. Johannsen8 Feuerversicherung Bd. III D 42. 24 OLG Karlsruhe 19.3.1992 – 12 U 213/91, RuS 1992 426=VersR 1992 1123; LG München 17.1.1990 – 13 O 4946/89, VersR 1991 685; OLG Hamm 21.8.2002 – 20 U 24/02, VersR 2003 185. 25 OLG Nürnberg 8.2.1990 – 8 U 2247/89, VersR 1990 1112; OLG Köln 30.7.1992 – 5 U 57/92, VersR 1992 1457, 1458. 26 So BGH 21.3.1990 – IV ZR 39/89, BGHZ 111 44, 48 f.= VersR 1990 729; BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 273 f.=VersR 1982 841; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 7; Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 11; Beckmann/ Matusche-Beckmann/K. Johannsen § 8 Rn. 75; a. A. aber Bach/Moser/Hütt § 2 MB/KK Rn. 33. 27 BGH 21.3.1990 – IV ZR 39/89, BGHZ 111 44, 50 f.=VersR 1990 729. 609

R. Johannsen/Koch

§ 2 VVG

Rückwärtsversicherung

von einer „unechten“ Rückwärtsversicherung.28 Vor dem Hintergrund, dass der materielle Beginn der Versicherung nach § 10 um 0 Uhr morgens des Tages beginnt, an dem der Vertrag geschlossen wird, besteht nach dem Gesetz stets eine solche unechte Rückwärtsversicherung am Tag der Annahme des Antrags durch den VR (Antragsmodell) oder ggf. des VN (Invitatiomodell).29 13 Abzugrenzen ist die Vereinbarung der Rückwärtsversicherung, wenn sie den Zeitraum zwischen Antragstellung und Vertragsschluss erfassen soll, von der einer vorläufigen Deckung (§§ 49–52). Die vorläufige Deckungszusage hat ebenfalls häufig den Zweck, die zeitweilige Lücke im Versicherungsschutz zwischen Antragstellung und Abschluss des Versicherungsvertrages zu schließen.30 Durch sie wird aber ein rechtlich selbstständiger Vertrag begründet, dessen Inhalt sich aus den von den Parteien hierzu getroffenen Vereinbarungen ergibt und der nicht notwendig mit dem des beabsichtigten eigentlichen Versicherungsvertrages übereinstimmt.31 Die vorläufige Deckung ist also im Gegensatz zur Rückwärtsversicherung nicht von dem Abschluss des endgültigen Vertrages abhängig, sondern bietet Versicherungsschutz, auch wenn es nicht zu diesem Abschluss kommt.32 Ob die Parteien mit der Angabe des Datums der Antragstellung oder eines anderen vor dem formellen Vertragsschluss liegenden Datums als Versicherungsbeginn eine Rückwärtsversicherung oder eine vorläufige Deckungsvereinbarung abschließen wollten, ist im Einzelfall durch Auslegung ihrer Erklärungen und aller Umstände zu ermitteln.33 14 Rückwärtsversicherungen können sich allein auf die Vergangenheit beziehen, sei es auf die Zeit ab Antragstellung, sei es auf die Zeit eines davor liegenden Datums bis zum Zustandekommen des Vertrages, ohne in der Zukunft eintretende Schäden mit einzubeziehen. Solche sich allein auf die Vergangenheit beziehenden Rückwärtsversicherungsverträge kommen aber in der Praxis selten vor. Im Regelfall geht das Begehren des VN vielmehr dahin, dass nicht nur die bis zum wirksamen Abschluss des Versicherungsvertrages angefallenen Schäden eingeschlossen werden, sondern dass darüber hinaus auch für die Zukunft Versicherungsschutz besteht. Es liegt dann eine Kombination von Rückwärts- und Vorwärtsversicherung vor. Beide Vertragsformen werden aber von der mit § 2 Abs. 1 eingeführten Legaldefinition der Rückwärtsversicherung erfasst. Zur Bedeutung sog. Kontinuitätsabreden s. Rn. 27

II. Einzelne Versicherungszweige 15 Die Möglichkeit zum Abschluss einer Rückwärtsversicherung ist grundsätzlich für alle Versicherungssparten gegeben.

1. Personenversicherung 16 a) Lebensversicherung. Für die Lebensversicherung hatte der BGH zunächst die Auffassung vertreten, dass eine Rückwärtsversicherung „begrifflich nicht in Betracht“ komme.34 Diese

28 Beckmann/Matusche-Beckmann/K. Johannsen § 8 Rn. 72; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 5; Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 4; Fenyves/Schauer/Fenyves § 2 Rn. 2. 29 Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 10 Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 10 Rn. 11; zu den verschiedenen Vertragschlussmodellen s. Bruck/Möller/H. Baumann/Koch § 1 Rn. 244 ff. 30 BGH 3.4.1996 – IV ZR 152/95, VersR 1996 743, 745; vgl. auch Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 32; Langheid/ Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 2. 31 BGH 21.12.1981 – II ZR 76/81, VersR 1982 381, 382. 32 Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 8; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 5. 33 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 11. 34 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 276=VersR 1982 841; BGH 22.2.1984 – IVa ZR 63/82, VersR 1984 630, 632. R. Johannsen/Koch

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C. Rückwärtsversicherung

VVG § 2

durchaus nachvollziehbare Überlegung trifft aber nur für den Fall zu, dass ein Datum gewählt wird, dass vor dem des Antrags oder der sonstigen auf den Abschluss des Versicherungsvertrages hinwirkenden Erklärung des VN liegt. Das gewählte Datum bezieht sich dann nicht auf den Beginn des materiellen Versicherungsschutzes. Vielmehr liegt eine Vereinbarung über eine vorgezogene Prämienzahlung vor, die deshalb getroffen worden ist, um dem VN die Möglichkeit zu eröffnen, in eine für ihn insgesamt günstigere Tarifkategorie zu kommen oder – bei Altersbeschränkungen – überhaupt versichert zu werden.35 Für den Fall, dass vom VN für die Zeit ab Antragstellung oder ab Beginn der Vertragsverhandlungen Versicherungsschutz begehrt wird, kann aber durchaus das Risiko des eigenen Todesfalles vor Vertragsschluss einbezogen werden, wie sich aus §§ 130 Abs. 2, 153 BGB ergibt.36 Begrifflich ausgeschlossen ist die Rückwärtsversicherung auch nicht für den Fall, dass eine ausnahmsweise rechtlich zulässige Lebensversicherung auf das Leben eines Dritten genommen wird. Soweit der Dritte gem. § 150 Abs. 2 S. 1 in die Versicherung einwilligen muss, beschränkt sich die Rückwärtsversicherung ab dem Zeitraum der Einwilligung. Wird in einem Lebensversicherungsvertrag eine Rückwärtsversicherung vereinbart, hat diese Vereinbarung keine Auswirkung auf die in den AVB vorgesehenen Wartezeiten für Selbsttötungen, deren Berechnung durch ausdrückliche Vereinbarung an die Zahlung des Einlösungsbetrages anknüpft.37

b) Berufsunfähigkeitsversicherung. Auch für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung 17 hatte der BGH38 ursprünglich bei der Angabe eines vor Vertragsschluss liegenden Datums die Annahme einer Rückversicherung abgelehnt, diese Auffassung aber später ausdrücklich aufgegeben.39 Weil die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung aber mit der Lebensversicherung eine Einheit bilde und für die Lebensversicherung eine Rückwärtsversicherung des eigenen Lebens für die Zeit vor Antragstellung nicht in Betracht komme, sei auch bei ihr eine Rückwärtsversicherung erst ab Antragstellung möglich.40 Diese Einschränkung überzeugt nicht. Zu Recht hat das OLG Karlsruhe41 auch einen von den Parteien vereinbarten früheren Versicherungsbeginn zugelassen, weil die Formularklausel, nach der die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit der Lebensversicherung eine Einheit bilde, von dem redlichen VN ohne besondere versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse nicht dahin verstanden werden könne, dass sein Versicherungsschutz gegenüber der ausdrücklich getroffenen Vereinbarung eingeschränkt sei.42

c) Unfallversicherung. Den Abschluss von Rückwärtsversicherungen hat es in der Unfallversi- 18 cherung für die Zeit ab Antragstellung bis zur Schließung des Vertrages schon seit 1910 gegeben. Damals ist auf Veranlassung des Aufsichtsamtes43 eine erweiterte Einlösungsklausel mit folgendem Wortlaut in die AUB eingefügt worden: „Wird der erste Beitrag erst nach dem als Beginn 35 BGH 22.2.1984 – IVa ZR 63/82, VersR 1984 630, 632. 36 So zutreffend BGH 21.3.1990 – IV ZR 39/89, BGHZ 111 44, 49 f.=VersR 1990 729; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 14. 37 BGH 13.3.1991 – IV ZR 37/90, VersR 1991 574=RuS 1991 283; Prölss/Martin/Reiff/Schneider § 5 ALB 16 Rn. 2; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 22; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 14. Vgl. für die Berechnung der Karenzzeit Bruck/Möller/Winter9 § 161 Rn. 49 ff. 38 BGH 22.2.1984 – IVa ZR 63/82, VersR 1984 639, 632. 39 BGH 29.5.1991 – IV ZR 157/90, RuS 1992 12= VersR 1991 986; BGH 21.3.1990 – IV ZR 39/89, BGHZ 111 44, 49 f.= VersR 1990 729. 40 BGH 29.5.1991 – IV ZR 157/90, RuS 1992 12= VersR 1991 986. 41 OLG Karlsruhe 7.4.2005 – 12 U 375/04, VersR 2006 350; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 19; Prölss/Martin Armbrüster § 2 Rn. 14. 42 A.A. OLG Nürnberg 28.6.2011 – 8 U 2330/10, VersR 2012 50, 52; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 2; Benkel/ Hirschberg § 1 BUZ Rn. 6; Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung Rn. 20. 43 VA 1910, 185. 611

R. Johannsen/Koch

§ 2 VVG

Rückwärtsversicherung

der Versicherung festgesetzten Zeitpunkt auf Anforderung ohne Verzug gezahlt, so beginnt der Versicherungsschutz mit dem vereinbarten Zeitpunkt“.44

19 d) Krankenversicherung. Wie vorstehend dargelegt ist eine Rückwärtsversicherung auch in der Krankenversicherung möglich (Rn. 10). Die Rückwärtsversicherung ist zwar nach der Regelung des § 2 MB/KK für die Krankheitskostenversicherung ausdrücklich ausgenommen. Soweit in der Rechtsprechung und Literatur daraus geschlussfolgert wird, dass die Vorverlegung des technischen Versicherungsbeginns (und der damit verbundenen Prämienzahlungspflicht) ausgeschlossen sei, weil sich der VN der Regelung des § 2 MB/KK regelmäßig bereits bei Antragsschluss „unterwerfe“,45 ist diese Betrachtungsweise mit dem AGB-rechtlichen Grundsätzen, insb. mit dem Vorrang der Individualabrede (§ 305b BGB) jedoch nicht vereinbar.46 Es ist daher stets zu prüfen, warum VN und VR sich auf eine Vorverlegung des technischen Versicherungsbeginns geeinigt haben. Insoweit sei erneut auf die obigen Ausführungen verwiesen (Rn. 10).47 Für den Basistarif sieht § 2 Abs. 1 S. 2 MB/BT im Übrigen vor, dass „vor und nach Abschluss des Versicherungsvertrages eingetretene Versicherungsfälle für den Teil von der Leistungspflicht ausgeschlossen sind, der in die Zeit vor Versicherungsbeginn fällt“.48 20 Zu ergänzen ist, dass durch § 198 eine Rückwärtsversicherung für neugeborene oder adoptierte minderjährige Kinder des VN gesetzlich angeordnet ist. Der VR ist verpflichtet, das neugeborene Kind ohne Risikozuschläge zu versichern, wenn die Anmeldung zur Versicherung spätestens zwei Monate nach der Geburt rückwirkend erfolgt. Der Geburt eines Kindes steht nach § 198 Abs. 2 die Adoption eines minderjährigen Kindes gleich. Bei diesem darf eine höhere Gefahr durch einen der Höhe nach beschränkten Risikozuschlag berücksichtigt werden. Es handelt sich um eine aus sozialpolitischen Gründen getroffene Ausnahmeregelung, die von dem allgemeinen Grundsatz, dass nur unbekannte Risiken versicherbar sind, abweicht.49 Bei Neugeborenen fallen angeborene und vererbte Krankheiten unter den Versicherungsschutz, bei Adoptivkindern dürfen VR für Versicherungsfälle, die bereits vor der Adoption eingetreten sind, die Leistungsverpflichtung für die Zukunft nicht ausschließen.50 § 2 Abs. 2 findet auf diese Rückwärtsversicherung keine Anwendung.51

2. Sachversicherung 21 a) Transportversicherung. In der Transportversicherung hat es in früheren Zeiten ein starkes Bedürfnis für den Abschluss von Rückwärtsversicherungen gegeben und zwar auch für vor dem Beginn der Vertragsverhandlungen liegende Zeiträume. Das galt insbesondere für den Fall,

44 Zur Unfallversicherung als Rückwärtsversicherung s. BGH 19.2.1992 – IV ZR 106/91, BGHZ 117 213, 216 = VersR 1992 48.

45 Z. B. OLG Köln 25.9.1996 – 5 U 250/95, RuS 1997 517; OLG Köln 30.7.1992 – 5 U 7/92, RuS 1992 352, 353; OLG Hamm 20.12.1988 – 20 W 64/88, RuS 1989 129, 130; OLG Celle 25.6.1982 – 8 U 133/81 VersR 1983 429; LG Berlin 24.4.2001 – 7 O 421/00, RuS 2002 431, 432; Bach/Moser/Hütt § 2 MB/KK Rn. 34; vgl. auch OLG Köln 20.12.2013 – 20 U 120/13, RuS 2014 134, 135 (dort war im Versicherungsschein lediglich von einem zeitlich zurückliegenden „Tarifbeginn“ (anstelle von „Versicherungsbeginn“)). 46 OLG Karlsruhe 19.3.1992 – 12 U 213/91, VersR 1992 1123; Prölss/Martin/Prölss26 § 2 Rn. 6. 47 Vgl. auch AG Homburg 12.9.2003 – 16 C 188/03, BeckRS 2003 14351. Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 12; Prölss/Martin/Voit § 2 MB/KK Rn. 2; Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 16. 48 Vgl. Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 9. 49 BGH 27.9.2000 – IV ZR 115/99, VersR 2000 1533. 50 BGH 27.9.2000 – IV ZR 115/99, VersR 2000 1533 Prölss/Martin/Voit § 198 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Muschner § 198 Rn. 2; Langheid/Wandt/Hütt § 198 Rn. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowsk/Brömmelmeyer § 2 Rn. 20. 51 So die Begründung des Regierungsentwurfs BTDrucks. 16/3945 S. 281. R. Johannsen/Koch

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C. Rückwärtsversicherung

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dass eine schon unterwegs befindliche Ware für den gesamten Transport versichert wurde52 oder wenn es um die Veräußerung eines auf einer Reise befindlichen Schiffes ging. In der heutigen Zeit der umfassenden Kommunikationsbreite ist ein spezielles Bedürfnis für den Abschluss von Rückwärtsversicherungen im Transportbereich kaum noch gegeben. Im Regelfall sind daher ausdrückliche Abreden für die Annahme eines für die Vergangenheit vor dem Zeitpunkt des Beginns der Vertragsverhandlungen zu gewährenden Risikoeinschlusses erforderlich. Wird eine Transportversicherung nur mit der näheren Kennzeichnung vereinbart, dass es sich um eine „von Haus zu Haus“-Deckung handle, so kann daraus allein nicht eine Vereinbarung über eine Rückwärtsversicherung für Schäden abgeleitet werden, die vor dem Abschluss des betreffenden Versicherungsvertrages entstanden waren.53 Wird aber vom VN dem VR ergänzend unter der Geltung der „von Haus zu Haus“-Deckungsklausel bei dem Versicherungsantrag mitgeteilt, dass die Ware „bereits abgeladen sei“, so kann unter Umständen von einer stillschweigend abgeschlossenen Rückwärtsversicherung ausgegangen werden.54 Ist die Transportversicherung i. S. v. § 53 Abs. 1 in der Weise geschlossen worden, dass das versicherte Interesse bei Vertragsschluss nur der Gattung nach bezeichnet und erst nach seiner Entstehung dem Versicherer einzeln aufgegeben wird (laufende Versicherung) findet § 2 keine unmittelbare Anwendung. Die Anmeldung der einzelnen Transporte stellt keine auf den Abschluss eines Versicherungsvertrages gerichtete Erklärung dar, sondern ist Bestandteil eines bestehenden Rahmenversicherungsvertrages.55 Die Transportversicherung stellt sich insoweit unabhängig von der Anmeldung der einzelnen Transporte als endgültige Versicherung dar.56 In Betracht kommt jedoch eine analoge Anwendung, wenn der VN vor Mitteilung bereits davon wusste, dass in Bezug auf die gemeldeten Sachen der Versicherungsfall bereits eingetreten war.57

b) Feuerversicherung. Für die Feuerversicherung sieht B § 2 AFB 2008/2010 die Möglichkeit 22 einer Rückwärtsversicherung vor.58 c) Kfz-Kaskoversicherung. Grundsätzlich kann auch in der Kfz-Kaskoversicherung eine Rück- 23 wärtsversicherung trotz der in B.1 AKB 2015 vorgesehenen zeitlichen Abhängigkeit des Versicherungsschutzes von der Einlösung des Versicherungsscheins vereinbart werden, weil der vom VR akzeptierte Wunsch des VN nach einem früheren Versicherungsbeginn als Individualvereinbarung Vorrang hat.59

52 Vgl. Begr. zu § 2 VVG a. F. Motive 73. 53 Hans. OLG Hamburg 22.12.1988 – 6 U 210/88, VersR 1989 845; Rüffer/Halbach/Schimikowsk/Brömmelmeyer § 2 Rn. 22. 54 OLG Hamburg 18.11.1927 HansRGZ A 1928 103; zustimmend Bruck Lehrbuch 388 und Ritter/Abraham Das Recht der Seeversicherung, 2. Aufl. (1967) § 5 ADS Rn. 8 m. w. N.; vgl. auch § 5 ADS Rn. 45 dafür, dass in englischen Policen die Klausel „lost or not lost“ durchweg auf den Abschluss von Rückwärtsversicherungen hinweist. 55 OLG Hamm 16.10.2017 – 18 U 11/17, RuS 2018 599, 601. 56 OLG Hamm 16.10.2017 – 18 U 11/17, RuS 2018 599, 601; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbem. zu den §§ 53–58 Rn. 57 Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 8 unter Hinweis auf OLG Hamm 16.10.2017 – 18 U 11/17, RuS 2018 599, 601. 58 Bruck/Möller/K. Johannsen Bd. 7 B § 2 AFB 2008/2010 Rn. 1 ff.; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 29. Früher wurde vom BGH z. B. BGH 30.5.1979 – IV ZR 138/77, VersR 1979 709 eine Rückwärtsversicherung nur in Ausnahmefällen zugelassen, weil der VN das in der Feuerversicherung versicherte Objekt unter seiner ständigen Kontrolle habe und damit in der Regel bei Vertragsschluss wisse, ob der Versicherungsfall schon vorher eingetreten sei. 59 Vgl. BGH 21.3.1990 – IV ZR 40/89, BGHZ 111 29, 30 f.=VersR 1990 618; OLG Karlsruhe 19.12.1990 – 12 U 155/90, VersR 1991 1125; OLG Düsseldorf 11.1.1994 – 4 U 96/93, RuS 1994 85; Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 17; Prölss/Martin/Prölss28 § 2 Rn. 3. 613

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Rückwärtsversicherung

3. Haftpflichtversicherung 24 a) Privat-, Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung. In der Berufshaftpflichtversicherung ist die Rückwärtsversicherung ausdrücklich vorgesehen (vgl. § 2 Abs. 2 AVB-RSW).60 Schon vor dem Inkrafttreten des VVG a. F. wurde rückwirkend Versicherungsschutz angeboten für Versehen eines Beamten oder Rechtsanwalts, die der Vergangenheit angehören, aber erst nach Abschluss des Versicherungsvertrages ermittelt und zur Grundlage eines Anspruchs gegen den VN gemacht werden.61 Eine ausdrückliche Regelung findet sich auch in Ziff. 2.2 der Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Berufshaftpflichtversicherung von Architekten, Bauingenieuren und Beratenden Ingenieuren,62 wobei es sich hierbei insgesamt um Versicherungsschutz nach der Ursachen-(= Verstoß-)theorie handelt. Bei Haftpflichtversicherungen auf Basis der AHB (einschließlich der vom GDV neu strukturierten AVB PHV und AVB BHV63) fehlt es an einer solchen ausdrücklichen Regelung, so dass es stets einer Individualvereinbarung bedarf. Der Grund dürfte darin liegen, dass bei Schadensereignis-basierten Deckungskonzepten das Bedürfnis nach Rückwärtsversicherung geringer ist als bei Verstoß-basierten Deckungskonzepten.64

25 b) Kfz-Haftpflichtversicherung. In der Kfz-Haftpflichtversicherung spielt die Rückwärtsversicherung keine Rolle. Der Versicherungsschutz vor dem formellen Vertragsschluss wird dadurch gewährleistet, dass der VR dem VN durch Ausgabe einer elektronischen Versicherungsbestätigung gemäß § 23 FZV vorläufigen Deckungsschutz zusagt.65

26 c) D&O-Versicherung. In der D&O-Versicherung (und stets bei claims-made-Deckungen) tritt der Versicherungsfall mit der ersten schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs gegen eine versicherte Person ein.66 Eine Rückwärtsversicherung ist zwar begrifflich nicht ausgeschlossen, scheitert jedoch an § 2 Abs. 2 S. 2, da im Rahmen der Innenhaftung sowohl die VN als auch die in Anspruch genommenen Organmitglieder und im Rahmen der Außenhaftung (nur) die in Anspruch genommenen Organmitglieder Kenntnis vom Versicherungsfall haben. Die Kenntnis des betroffenen Organmitglieds ist nach § 47 Abs. 1 zu berücksichtigen.67 Die Kenntnis eines von mehreren Organmitgliedern schadet nur demjenigen, der Kenntnis hat. Da zwischen der Pflichtverletzung und der Inanspruchnahme Jahre liegen können, besteht bei den Organmitgliedern ein besonderes Bedürfnis nach Versicherungsschutz auch für (behauptete) Pflichtverletzungen, die vor Abschluss des Versicherungsvertrages begangen worden sind/sein sollen. Um diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen, wird in der Bedingungspraxis für Pflichtverletzungen, derentwegen das Organmitglied nach Abschluss des Versicherungsvertrages in Anspruch genommen wird, Versicherungsschutz geboten wird, ohne dass es darauf ankommt, ob die Pflichtverletzung vor oder nach Vertragsschluss begangen worden ist. Für vor Vertragsschluss begangene Pflichtverletzungen besteht allerdings – wie bei § 2 Abs. 2 S. 2 – nur dann Versicherungsschutz, wenn und soweit die VN und das betroffene Organmitglied bei Stellung des Antrags oder Abschluss des Vertrages keine positive Kenntnis von der Pflichtverletzung hatten. Diese Form der Rückwärtsdeckung hat mit der Rückwärtsversicherung i. S. v. § 2 nichts gemein60 61 62 63 64 65 66 67

Abgedruckt bei Diller Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte: AVB-RSW 2. Aufl. (2017). Das ist der Begründung zum VVG-Entwurf a. F. Motive 201, 202 zu entnehmen. Abgedruckt bei Prölss/Martin. S. https://www.gdv.de/de/neu-strukturierte-haftpflichtbedingungen--ab-2014--5962 (abgerufen am 1.8.2020). Vgl. auch Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt § 8 AHB Rn. 16. Vgl. Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 27. Bruck/Möller/Baumann Ziff. 2 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 1 ff. Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn. 43.

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sam, weshalb die Verwendung des Begriffs der Rückwärtsversicherung zur Beschreibung des Versicherungsschutzes der Organmitglieder in der D&O-Versicherung68 fehl am Platz ist.69 Ebenfalls um keinen Fall der Rückwärtsversicherung handelt es sich auch bei sog. Konti- 27 nuitätsabreden im Rahmen von Umdeckungen, bei denen der übernehmenden D&O-VR verspricht, den für ihn neuen Vertrag so zu handhaben, als sei er schon immer Vertragspartner der VN gewesen. Durch eine solche Abrede besteht Versicherungsschutz auch für Inanspruchnahmen, die auf während der Dauer der Versicherungszeit eines vorhergehenden Vertrages begangene Pflichtverletzungen sowie auf vor Abschluss des vorhergehenden Vertrages begangene Pflichtverletzungen beruhen, die bei Abschluss des vorhergehenden Vertrages nicht bekannt waren. Damit wird sichergestellt, dass die Rechtsstellung der Organmitglieder durch den Wechsel des VR nicht nachteilig beeinflusst wird.70

III. Einzelheiten 1. Kenntnisproblematik a) Allgemeines. § 2 Abs. 2 stellt auf die Kenntnis der Vertragsparteien von bestimmten Umstän- 28 den ab, während in § 2 Abs. 2 a. F. von dem Wissen der Vertragsparteien die Rede war. Ein sachlicher Unterschied besteht zwischen diesen Begriffen nicht. Die Kenntnis bezeichnet wie das Wissen in § 2 Abs. 2 a. F. den Gegensatz zur subjektiven Ungewissheit, die erforderlich ist, um den Grundgedanken des Versicherungsrechts zu wahren, dass nur ungewisse Risiken versicherbar sind, nicht dagegen bereits feststehende Schäden.71 Kenntnis setzt die Fähigkeit voraus, zu beurteilen, ob ein Versicherungsfall eingetreten ist. Diese Fähigkeit ist vom BGH72 zutreffend bei einem infolge eines erlittenen Unfalls im Wachkoma liegenden VN verneint worden. Unter Kenntnis ist die positive Kenntnis von den im Gesetz aufgeführten Umständen zu 29 verstehen. Kennenmüssen genügt nicht.73 Der BGH, der bereits in der Entscheidung vom 30.4.200874 ausgesprochen hatte, dass in Fällen, in denen eine vertraglich vereinbarte, nach dem Versicherungsfall zu beachtende Obliegenheit an die Kenntnis des VN von einem bestimmten Umstand oder Ereignis anknüpft, ein Kennenmüssen deshalb nicht ausreiche, vielmehr positive Kenntnis erforderlich sei, hat dieses Ergebnis in der noch zu § 2 Abs. 2 a. F. ergangenen Entscheidung vom 5.11.2014 auch für die Rückwärtsversicherung und die dafür vereinbarte Klausel „frei von bekannten Verstößen“ für zutreffend erachtet. Denn diese Regelungen bezwecken ebenfalls, den VN an einer bewussten Manipulation des versicherten Risikos zu hindern. Er soll nicht in die Lage versetzt werden können, rückwirkenden Versicherungsschutz für einen Versicherungsfall zu erlangen, von dem er weiß, dass er bereits eingetreten ist. Eine Unkenntnis von einem bereits eingetretenen Versicherungsfall – und sei sie auch grob fahrlässig – berge diese Manipulationsgefahr hingegen nicht.“75 Das ist überzeugend und gilt auch für die vom 68 Z. B. OLG Frankfurt/M. 9.6.2011 – 7 U 127/09, VersR 2012 432 433; OLG Koblenz 18.6.2010 – 10 U 1185/09, RuS 2011 512, 514; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 26; Steinkühler/Kassing VersR 2009 607, 611; Beckmann/MatuscheBeckmann/Beckmann § 28 Rn. 106 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 24. 69 Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung (2014) § 5 Rn. 46 und § 10 Rn. 4; Bruck/Möller/Baumann Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 22 ff. 70 Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung (2014) § 10 Rn. 45 und § 13 Rn. 23. 71 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270, BGHZ 84 268, 277=VersR 1982 841; BGH 19.2.1992 – IV ZR 106/91, VersR 1992 484; BGH 21.6.2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000 1133, 1134. 72 BGH 21.6.2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000 1133, 1134. 73 BGH 5.11.2014 – IV ZR 8/13, VersR 2015 89, OLG Hamm 16.10.2017 – 18 U 11/17, RuS 2018 599, 601; Langheid/ Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 9; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 33; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 25; Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 32. 74 BGH 5.11.2014 – IV ZR 227/06, VersR 2008 905, 906. 75 BGH 5.11.2014 – IV ZR 8/13, VersR 2015 89 Rn. 15=RuS 2015 445. 615

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Rückwärtsversicherung

BGH noch nicht behandelte Neufassung des § 2, die der ursprünglichen Fassung entspricht (vgl. Rn. 1). 30 Für die Annahme positiver Kenntnis des VN reicht es nicht aus, wenn ihm lediglich Tatsachen bekannt sind, die zwar den möglichen Schluss zulassen oder nahelegen, ein Versicherungsfall könne bereits eingetreten sein. Solange der VN selbst einen solchen Schluss nicht zieht, etwa weil er andere Ursachen für ein ihm bekanntes Schadensbild vermutet oder er keine ausreichenden Überlegungen über die Schadensursache anstellt, erschöpft sich der gegen ihn gerichteter Vorwurf darin, den sich aufdrängenden Schluss auf die Ursache fahrlässig – oder sogar grob fahrlässig – nicht gezogen und deshalb das Vorliegen eines Versicherungsfalls nicht erkannt zu haben. Anders liegt es – so der BGH – nur dann, „wenn der Tatrichter aufgrund der Umstände des Einzelfalls anhand des Beispiels eines durchschnittlichen VN – beweiswürdigend – die Überzeugung gewinnt und darlegt, der VN habe den sich aufdrängenden Schluss auf die naheliegende Schadensursache tatsächlich gezogen und deshalb erkannt, dass dem Schaden Tatsachen zugrunde liegen, die ein versichertes Ereignis beschreiben.“76

Diese Formulierung umschreibt letztlich die Voraussetzungen, die von der Rechtsprechung für das Vorliegen eines sich arglistig Verschließens vor einer besseren Kenntnis aufgestellt worden sind.77 Vorstehende Ausführungen gelten gleichermaßen für die Feststellung positiver Kenntnis 31 des VR vom Nichtvorliegen eines Versicherungsfalles.

b) Kenntnis des Versicherers 32 aa) Unmöglicher Versicherungsfall. § 2 Abs. 2 S. 1 legt fest, dass dem VR ein Anspruch auf Zahlung einer Prämie nicht zusteht, wenn ihm bei Abgabe seiner Vertragserklärung bekannt war, dass der Eintritt eines Versicherungsfalls ausgeschlossen ist. Diese Regelung weicht von der in § 2 Abs. 2 S. 1 a. F. ab. Dort wurde auf die Kenntnis des VR zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abgestellt.78 Hingegen ist nach der Neuregelung der Zeitpunkt maßgebend, in dem der VR seine zum Vertragsschluss führende Willenserklärung (Annahme des Antrages des VN (Antragsmodell) oder Abgabe des Angebots (Invitatio-Modell)) abgibt. Die Wirksamkeit des Vertrages wird durch § 2 Abs. 1 S. 1 nicht geregelt, weshalb die Kenntnis vom Nichteintritt die Wirksamkeit nicht berührt.79

33 bb) Eingetretener Versicherungsfall. § 2 Abs. 1 S. 1 behandelt nicht den Fall, dass der VR Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalles hat. Offenbar geht der Gesetzgeber vom Vorliegen eines Totalschadens aus. Denn wenn nur ein Teilschaden eingetreten war, so ist der Eintritt eines weiteren Schadens nicht ausgeschlossen. Darauf stellt auch die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 2 Abs. 2 ab.80 Akzeptiert der VR in Kenntnis dieses Teilschadens den Vertrag unter Ablehnung seiner Eintrittsverpflichtung für den Vergangenheitsschaden und verbleibt es mit Zustimmung des VN bei diesem auf den eingeschränkten Restbereich des Versicherungsob76 BGH 5.11.2014 – IV ZR 8/13, VersR 2015 89 Rn. 17 =RuS 2015 445. 77 KG 21.9.2010 – 6 U 8/10, VersR 2011 993, 994 unter Hinweis auf § 16 Abs. 2 S. 2 a. F.; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 25; a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 34 („Fälle, in denen sich der VN arglistig besserer Kenntnis verschließt, gibt es nicht“). 78 BGH 21.3.1990 – IV ZR 39/89, BGHZ 111 44, 50=VersR 1990 729. 79 Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 36; Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn. 37; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 25; Fenyves/Schauer/Fenyves § 2 Rn. 11. 80 BTDrucks. 16/3945 S. 143. R. Johannsen/Koch

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jekts bezogenen Versicherungsvertrag, so steht dem VR nur eine anteilige Prämie nach Maßgabe des verbliebenen Versicherungswertes zu.81Gleiches gilt in der Haftpflichtversicherung, wenn der Eintritt weiterer Versicherungsfälle nicht ausgeschlossen werden kann. Übernimmt der VR den Vertrag ohne Einschränkung, liegt eine Abbedingung von § 2 Abs. 2 S. 2 vor, deren Wirksamkeit nach § 138 BGB zu beurteilen ist (Rn. 41).

c) Kenntnis des Versicherungsnehmers aa) Eingetretener Versicherungsfall. Hat der VN bei Abgabe seiner Vertragserklärung Kennt- 34 nis davon, dass ein Versicherungsfall schon eingetreten ist, so ist der VR gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 nicht zur Leistung verpflichtet. Wie in § 2 Abs. 2 S. 1 wird auch hier – abweichend von § 2 Abs. 2 a. F. – nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sondern auf den Wissensstand zum Zeitpunkt der Vertragserklärung abgestellt. Erfolgt diese nicht mündlich, sondern schriftlich, so ist nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung auf den Zeitpunkt der Absendung der Willenserklärung abzustellen und nicht auf den des Zugangs bei dem VR. Die Erklärung muss den Machtbereich des VN verlassen haben.82 Daran fehlt es, wenn sich die Erklärung noch in Händen eines Boten oder eines (Abschluss-)Vertreters befindet.83 Erfährt der VN nach Abgabe seines Vertragsangebots, dass ein Versicherungsfall schon eingetreten ist, so schadet ihm das im Sinne des § 2 Abs. 2 S. 2 nicht. Bei der Fremdversicherung gilt § 47 (Rn. 26 und 42). Auf der Grundlage der früheren Gesetzesfassung hatte die Rechtsprechung angenommen, 35 dass die Vertragsparteien bei Vereinbarung eines vor dem Vertragsschluss liegenden Versicherungsbeginns die Anwendung des § 2 Abs. 2 S. 2 a. F. für Versicherungsfälle, die nach Antragstellung eintreten, stillschweigend abbedungen haben.84 Das war interessengemäß, weil der Zweck der Vorschrift, Manipulationen zu verhindern, nicht eingreift, wenn der Versicherungsfall erst dann eintritt, wenn der VN nach Abgabe seines Antrages keinen Einfluss mehr auf den Inhalt des Vertrages und den Zeitpunkt seines Zustandekommens hat. Nachdem nunmehr die Abgabe der Vertragserklärung der für die Kenntnis relevante Zeitpunkt ist, bedarf es eines Rückgriffs auf diese Überlegungen nur in den Fällen, in denen der VR ein Angebot des VN verspätet oder unter Änderungen annimmt und damit eine neue eigene auf den Abschluss einer Rückwärtsversicherung gerichtete Vertragserklärung abgibt (Antragsmodell) oder ein Angebot auf die Anfrage des VN macht (Invitatio-Modell). In der Literatur wird mehrheitlich die Ansicht vertreten, dass in beiden Konstellationen (Ver- 36 spätung und Annahme unter Änderungen) eine Abbedingung des § 2 Abs. 2 S. 2 anzunehmen

81 Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 19; Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn. 37; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 37; Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 42. 82 KG 10.7.2018 – 6 U 14/17, VersR 2019 405 (Abgabe verneint, wenn der Versicherungsvertreter seinen eigenen Antrag seiner Sekretärin zwecks Weiterleitung im ELAN-Verfahren an den VR übergeben hat); vgl. allgemein BGH 18.12.2002 – IV ZR 39/02, NJW-RR 2003 384; BGH 30.5.1975 – V ZR 206/73, BGHZ 65 13, 14; Palandt/Ellenberger § 130 Rn 4. 83 BGH 21.6.2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000 1133, 1134 (unter dem Aspekt der Abbedingung); LG Düsseldorf 27.2.2018 – 9 O 43/17, VersR 2018 1382; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 40; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 2. 84 BGH 19.2.1992 – IV ZR 106/91, BGHZ 117 213, 215 = VersR 1992 484; BGH 21.3.1990 – IV ZR 40/89, BGHZ 111 29 32= VersR 1990 618; BGH 21.3.1990 – IV ZR 39/89, BGHZ 111 44, 51=VersR 1990 729, 731; OLG Hamm 19.9.1986 – 20 U 114/86, RuS 1987 75, 76; OLG Köln 26.6.1996 – 5 U 182/95, VersR 1997 51; OLG Hamm 21.8.2002 – 20 U 24/02, VersR 2003 185; OLG Saarbrücken 30.4.2003 – 5 U 389/02, VersR 2004 1306; zustimmend Berliner Kommentar/ Baumann § 2 Rn. 55; Maenner VersR 1984 717; Prölss/Martin/Prölss26 § 2 Rn. 17; Klimke VersR 2005 595 f. 617

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sei.85 Indessen bedarf es in diesen Konstellationen keiner Abbedingung von § 2 Abs. 2 S. 2, weil die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck hierauf keine Anwendung findet (teleologische Reduktion). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Versicherungsfall vor oder nach Stellung des Antrags eingetreten ist.86 Entscheidend ist allein, ob der VN Kenntnis im Zeitpunkt seiner Erklärung vom Eintritt des Versicherungsfalls hat. Den Interessen des VR wird dadurch Rechnung getragen, dass er vor Abgabe des Angebots (Invitatio-Modell) bzw. vor Annahme des Antrags (Antragsmodell) erneut (vgl. § 19 Abs. 1 S. 2) die Frage nach einem zwischenzeitlichen Eintritt des Versicherungsfalles stellen kann (wenngleich auch die Konsequenzen einer Falschbeantwortung auf die gleichzeitig beantragte Vorwärtsversicherung beschränkt wären); zum Verhältnis zwischen § 2 Abs. 2 S. 1 und §§ 19 ff. s. Rn. 3 ff. Ohne besondere Nachfrage kann sich der VR auch nicht auf eine Verletzung der Anzeigepflicht gemäß § 30 Abs. 1 berufen; denn zu einer solchen Schadensanzeige ist der VN nur im Rahmen eines bestehenden Versicherungsvertrages, also nach der Vertragsannahme, verpflichtet, sodass der VR zur Entschädigung des vorher eingetretenen Versicherungsfalls verpflichtet bleibt.

37 bb) Unmöglicher Versicherungsfall. Nicht von § 2 Abs. 2 erfasst ist der Fall, dass bei Abgabe der Vertragserklärung allein der VN Kenntnis davon hat, dass der Eintritt des Versicherungsfalls für den zurückliegenden Zeitraum ausgeschlossen ist, Mangels Bestehens eines versicherten Interesses für den rückwärtigen Zeitraum ist der VN gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 nicht zur Zahlung des Teils der Prämie verpflichtet, die für diesen Zeitraum zu entrichten ist. Der VR kann nach § 80 Abs. 1 S. 2 eine angemessene Geschäftsgebühr verlangen.87 Ist eine kombinierte Vorwärtsund Rückwärtsversicherung vereinbart, bleibt der Anspruch auf die Prämie für den Vorwärtsversicherungszeitraum unberührt.

d) Kenntnis beider Vertragsparteien 38 aa) Unmöglicher Versicherungsfall. Wenn beide Vertragsparteien im Zeitpunkt der Abgabe ihrer Vertragserklärungen wissen, dass ein Versicherungsfall seit dem als Versicherungsbeginn vorgesehenen Zeitpunkt nicht eingetreten ist, ergibt die Auslegung ihrer Erklärungen im Regelfall, dass eine Rückwärtsversicherung nicht gewollt ist. Es fehlt an dem notwendigen Merkmal der subjektiven Ungewissheit.88 Ist eine kombinierte Vorwärts- und Rückwärtsversicherung vereinbart, beurteilt sich das Schicksal der Vorwärtsversicherung nach § 139 BGB.89 Wenn der VR nach dem Parteiwillen dennoch für die zurückliegende Zeit eine Prämie erhalten soll, liegt eine bloße Rückdatierung vor, also eine Vorverlegung des technischen Versicherungsbeginns.90

85 Eine Abbedingung nehmen an: Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 28 f.; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 2 Rn. 35; Rüffer/Halbach/Schimikowski//Brömmelmeyer § 2 Rn. 4; einschr. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 2 Rn. 20 (nicht beim Invitatio-Modell); Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn 40 (nur bei einer „vorwerfbar verzögerten“ Antragsannahme); s. auch Römer/Langheid/Rixecker § 2 Rn. 6, der sich im Fall der Verzögerung für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Rücksichtnahmepflichten (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB) ausspricht); vgl. auch Plander VersR 1986 105, 109 und Klimke VersR 2005 595 f. zu § 5 Abs. 3 VVG. 86 Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 27. 87 Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn 45; Rüffer/Halbach/Schimikowski//Brömmelmeyer § 2 Rn. 44; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Ebers § 2 Rn. 30; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 31. 88 Vgl. Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn 44; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 45; Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 31. 89 Vgl. Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 46; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 45 (ohne Bezugnahme auf § 139 BGB). 90 Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 33. R. Johannsen/Koch

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bb) Eingetretener Versicherungsfall. Haben sowohl der VN als auch der VR Kenntnis vom 39 Eintritt des Versicherungsfalls ist zu unterscheiden. Keine Probleme bereitet die beiderseitige Kenntnis der Parteien bei Vertragsschluss von dem Eintritt eines Versicherungsfalls nach Abgabe der Vertragserklärung des VN. In diesem Fall ist der VR wegen § 2 Abs. 2 S. 2 leistungspflichtig.91 Anders liegt der Fall, wenn beide Parteien vor der Abgabe ihrer Vertragserklärungen wissen, 40 dass ein Versicherungsfall bereits eingetreten ist. Diese Kenntnis führt jedoch entgegen dem Urteil des LG Düsseldorf92 und Stimmen in der Literatur93 nicht dazu, dass kein Versicherungsvertrag mehr besteht und deshalb ein nach § 134 BGB (und § 138 BGB) unwirksames versicherungsfremdes Geschäft i. S. v. § 15 VAG vorliegt.94 Abgesehen davon, dass § 15 VAG kein Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB ist,95 können noch weitere Versicherungsfälle (Haftpflichtversicherung) eintreten oder es kann hinsichtlich der Höhe des Schadens Ungewissheit bestehen.96 Möglicherweise liegt auch nur ein Teilschaden vor (Rn. 33). Akzeptiert der VR in Kenntnis des Versicherungsfalls oder des Teilschadens ohne entspre- 41 chenden Vorbehalt das Angebot des VN auf Abschluss einer unbeschränkten Rückwärtsversicherung liegt insoweit eine Abbedingung von § 2 Abs. 2 S. 2 vor, die im Hinblick auf den Schutz und die Interessen der Versichertengemeinschaft an § 138 Abs. 1 BGB zu messen ist. Zu Recht hat der BGH darauf hingewiesen, dass es „Fälle [gibt], in denen die Rückwärtsversicherung eines beiden Vertragspartnern bekannten Schadens die anderen VN nicht belastet, etwa weil der Versicherer schon vor Vertragsschluß verpflichtet war, eine der vertraglich vereinbarten Versicherungsleistung entsprechende Leistung zu erbringen. Ist das der Fall, so verpflichtet sich der Versicherer nicht zu höheren Leistungen, als er ohnehin erbringen muß; die Vertragsgestaltung unter Abbedingung der in § 2 Abs. 2 S. 2 VVG vorgesehenen Folgen stellt dann nichts anderes dar als die einfachste Form der Beurkundung eines bereits bestehenden Rechtszustands in Verbindung mit einer – ohnehin rechtlich unbedenklichen – Vorausversicherung. Ein Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) oder Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB) liegt unter diesen Umständen nicht vor (…).“ 3. Eine Leistungspflicht des Versicherers vor (oder ohne) Abschluß des Versicherungsvertrags kann sich insbesondere aus einer vorläufigen Deckungszusage oder als Schadenersatzpflicht wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen ergeben. Ob sie besteht und in welchem Umfang, wird freilich oft zweifelhaft sein. Dieser Umstand allein macht eine Leistung des Versicherers aber weder sitten- noch rechtswidrig. Die Lage der Beteiligten unterscheidet sich insoweit nicht von derjenigen, die nach wirksamem Vertragsschluß bestehen würde. Auch dann kann die Leistungspflicht des Versicherers und deren Umfang in gleicher Weise Zweifeln unterliegen. Der Versicherer kann und muß unter Wahrung der Belange der Versichertengemeinschaft – zu denen auch der Verwaltungsaufwand und das Prozeßkostenrisiko im Fall unbegründeter Leistungsverweigerung gehören – zunächst selbst darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang er die Leistung erbringt. Nur eine Leistung in Kenntnis nicht bestehender rechtlicher Leistungspflicht wäre ihm untersagt; unter dieser Voraussetzung freilich könnte eine Rückwärtsversicherung eines bereits eingetretenen Schadens unter Abbedingung von § 2 Abs. 2 S. 2 VVG gegen die guten Sitten verstoßen.“97 [Hervorhebung durch den Verfasser]

91 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 32. 92 LG Düsseldorf 27.2.2018 – 9 O 43/17, VersR 2018 1382. 93 Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 11; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 49; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Ebers § 2 Rn. 23 f.

94 Vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 48; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 32; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn .47. 95 Allg.M., vgl. Prölss/Dreher/Präve § 15 VAG Rn. 7; Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Pohlmann § 15 VAG Rn. 33; BeckOKVAG/Viecens § 15 VAG Rn. 18; Rittner VersR 1994 5, 6; Heinrich VersR 1997 1169, 1171. 96 Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 31; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn. 47. 97 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 277 f. =VersR 1982 841. 619

R. Johannsen/Koch

§ 2 VVG

Rückwärtsversicherung

Wie auch sonst bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit ist somit eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der Inhalt, Motiv und Zweck der Vereinbarung zu berücksichtigen sind. Festzuhalten ist somit, dass die Übernahme eines bereits bei Vertragsschluss feststehenden Schadens nicht per se sittenwidrig ist.98

42 e) Zurechnung von Drittwissen. § 2 Abs. 3 regelt die Fälle, in denen der Vertrag von einem Vertreter geschlossen wird. Dann sind sowohl die Kenntnis des Vertreters wie die des Vertretenen zu berücksichtigen. Das gilt für beide Vertragsparteien. Die Vorschrift stellt eine Erweiterung des § 166 Abs. 1 BGB dar, der für die Kenntnis bestimmter Umstände auf die Person des Vertreters abstellt. Dass in § 2 Abs. 3 zusätzlich auch die Kenntnis des Vertretenen erheblich ist, soll Manipulationen beim Vertragsschluss verhindern.99 Als Vertreter kommen nach dem Wortlaut der Vorschrift nur Personen in Betracht, die der 43 VN mit dem Abschluss des Vertrages betraut hat. Maßgeblich kann aber auch die Kenntnis eines Versicherungsmaklers sein, den der VN nur mit der Weitergabe seines Versicherungsantrags betraut hat. Denn dieser ist Wissensvertreter, der dazu berufen ist, die ihm übertragenen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls weiterzugeben. Für solche Wissensvertreter wird in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB ihre Kenntnis dem Geschäftsherrn zugerechnet.100 Gleiches gilt für Wissenserklärungsvertreter.101 Bei der Versicherung für fremde Rechnung erfolgt die Zurechnung nach § 47 Abs. 1. 44 Abweichend von § 2 Abs. 3 a. F. ist in der aktuellen Fassung nicht ausdrücklich die Zurechnung des Wissens eines Vertreters ohne Vertretungsmacht aufgeführt. Das ist auch nicht erforderlich. Wenn auf der einen oder anderen Seite ein Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat, kann ein wirksamer Vertragsschluss nur zustande kommen, wenn das Handeln des Vertreters genehmigt wird. Liegt eine solche Genehmigung vor, so hat das zur Folge, dass damit dem betreffenden Vertragspartner auch das Wissen dieser für ihn handelnden Person zuzurechnen ist. Auf Seiten des VR wird es nur selten zu einem Vertragsabschluss durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht kommen. Denn wenn hier eine Überschreitung der Vertretungsmacht durch einen Dritten vorliegt, so muss sich der VR in der Regel das Handeln dieser Person nach den Grundsätzen des Rechtsscheins zurechnen lassen. Hat der VN, ohne dass ein derartiger Rechtsschein durch ihn oder den vollmachtlos handelnden Dritten gesetzt worden ist, das Vorgehen des Vertreters ohne Vertretungsmacht genehmigt, so ist eine Zurechnung genauso vorzunehmen, als wenn von Anfang an eine wirksame Vertretungsmacht gegeben gewesen wäre. Demgemäß bedurfte es in der Tat nicht der ausdrücklichen Erwähnung des Handelns des Vertreters ohne Vertretungsmacht im Gesetz. 45 Eine Abweichung von § 2 Abs. 3 a. F. liegt jedoch insoweit vor, als nicht mehr auf den Bevollmächtigten, sondern auf den Vertreter abgestellt wird. Die Kommentarliteratur zu § 2 Abs. 3 a. F. beschränkte den Anwendungsbereich auf den rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten und nahm gesetzliche Vertreter aus, sodass grundsätzlich für diese § 166 Abs. 1 BGB galt, wonach nur die Kenntnis des Vertreters schadet. Ausnahmen kamen in Betracht, wenn der Vertretene, der solche Kenntnis besitzt, den gesetzlichen Vertreter arglistig zum Abschluss des Vertrages bestimmte.102 98 Vgl. BGH 21.3.1990 – IV ZR 40/89, BGHZ 111 29, 34 f. f.=VersR 1990 618; BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 277 f. =VersR 1982 841; vgl. auch OLG Hamm 16.10.2017 – 18 U 11/17, RuS 2018 599, 601 (zur Abbedingung der entsprechenden Anwendung des § 2 Abs. 2 S. 2 VVG auf Anmeldungen im Rahmen einer laufenden Versicherung); vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 27. 99 BGH 19.2.1992 – IV ZR 106/91, BGHZ 117 213, 216=VersR 1992 484; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 65. 100 BGH 21.6.2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000 1133, 1134; Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 36; Langheid/Rixecker/ Rixecker § 2 Rn. 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 37; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 68. 101 Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 12; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 68. 102 Berliner Kommentar/Baumann § 2 Rn. 45; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 7 Rn. 8. R. Johannsen/Koch

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Anknüpfend an die sprachliche Neufassung sprechen sich einzelne Stimmen im Schrifttum nunmehr für eine Ausdehnung von § 2 Abs. 3 auf gesetzliche Vertreter aus.103 Die Mehrheit will dagegen im Hinblick auf die Gesetzesbegründung, der zufolge keine sachliche Änderung bezweckt war, bei gesetzlicher Stellvertretung es bei den allgemeinen Regeln des § 166 Abs. 1 BGB belassen.104 Für die herrschende Ansicht spricht die Begründung des Gesetzgebers zur Neufassung des § 19 S. 1 a. F., der einen identischen Wortlaut mit § 2 Abs. 3 a. F. hatte und bezogen auf die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit dem gleichen Zweck dient. Wie in § 2 Abs. 3 wird in § 20 S. 1 nunmehr nur noch auf den Vertreter abgestellt. Zur Begründung führt der Gesetzgeber aus: „Die Vorschrift stimmt in der Sache mit § 19 VVG überein. Die dortige Unterscheidung von Bevollmächtigtem und Vertreter ohne Vertretungsmacht ist entbehrlich; der neue Text verwendet daher nur den Begriff des Vertreters. Die sonstigen redaktionellen Änderungen…“105

Im Hinblick auf den Gleichlauf und die gleichlautende Änderung von § 2 Abs. 3 und § 20 S. 1 ist im Lichte dieser Begründung davon auszugehen, dass es sich bei dem Begriff des Vertreters nur um eine redaktionelle Änderung handelt und der Gesetzgeber auch den Anwendungsbereich von § 2 Abs. 3 nicht auf gesetzliche Vertreter erweitern wollte.

2. Unanwendbarkeit des § 37 Abs. 2 In § 2 Abs. 4 heißt es, dass § 37 Abs. 2 auf die Rückwärtsversicherung nicht anzuwenden sei. 46 Das bedeutet, dass der Versicherungsschutz für die Rückwärtsversicherung nicht von der Zahlung der einmaligen oder ersten Prämie abhängig ist. Der Gesetzgeber hat damit die Rechtsprechung zu § 2 a. F. übernommen, nach der für den zeitlichen Deckungsbereich einer Rückwärtsversicherung § 38 Abs. 2 a. F. im Regelfall stillschweigend abbedungen ist.106 In der Begründung zum Gesetzesentwurf wird dazu bemerkt, dass die gegenteilige Auffas- 47 sung im Widerspruch zum Wesen der Rückversicherung stehe.107 Daran ist richtig, dass die neue gesetzliche Regelung einen wesentlichen Grundgedanken des Rechtsinstituts festlegt. § 2 Abs. 4 ist aber nicht in dem Katalog der halbzwingenden Vorschriften des § 18 aufgeführt. Das bedeutet, dass im Einzelfall von dieser Regelung auch zu Lasten des VN abgewichen werden könnte. Der VR kann danach den Abschluss einer Rückwärtsversicherung ebenso wie die Gewährung vorläufigen Deckungsschutzes von der vorausgegangenen Zahlung einer Prämie abhängig machen oder Leistungsfreiheit für den Fall vorsehen, dass der VN sich mit der Zahlung der Prämie im Verzug befindet (sog. erweiterte Einlöseklausel). Voraussetzung der Leistungsfreiheit ist dann aber in diesem Fall weiter, dass der VR den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge der Nichtzahlung der Prämie aufmerksam gemacht hat.108 Hingegen ist eine formularmäßige Abbedingung von § 2 Abs. 4 im Regelfall als unwirksam zu qualifizieren, da damit nicht nur von einem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung i. S. d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB

103 Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 66; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 28. 104 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 7 Rn. 8; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 2 Rn 27; Prölss/ Martin/Armbrüster § 2 Rn 36; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn . 50; das Problem nicht ansprechend: Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 12. 105 BTDrucks. 163945 S. 66. 106 BGH 30.5.1979 – IV ZR 138/77, VersR 1979 709, 710; Köln 26.6.1996 – 5 U 182/95, VersR 1997 51; OLG Köln 18.5.1989 – 5 U 192/88, VersR 1990 1004, 1005; OLG Hamm 16.10.1987 – 20 U 31/87, VersR 1988 1014, 1016; OLG Hamm 12.10.1988 – 20 U 44/88, VersR 1989 946; vgl. dazu auch Bruck/Möller/Möller8 § 38 Anm. 20; Römer/Langheid/Römer2 § 2 Rn. 6. 107 BTDrucks. 16/3945 S. 173. 108 Langheid/Rixecker/Rixecker § 38 Rn. 22. 621

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Rückwärtsversicherung

abgewichen wird,109 sondern auch der Zweck der Rückversicherung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB beeinträchtigt wird.110 48 § 2 Abs. 4 ordnet die Nichtanwendung des § 37 Abs. 2 ausdrücklich nur für die Rückwärtsversicherung an. Zweifelhaft ist, wie die im Regelfall mit einer Rückwärtsversicherung verbundene Vorwärtsversicherung zu behandeln ist, also in dem Fall, in dem bei einem vereinbarten zurückliegenden Versicherungsbeginn der Versicherungsfall erst nach Übersendung des Versicherungsscheins, aber vor Zahlung der Prämie eintritt. Für das frühere Recht ist vom ÖOGH111 und von Prölss112 vertreten worden, dass dem VN die Nichtzahlung der Erstprämie auch dann nicht schade, wenn der Versicherungsfall erst nach Vertragsschluss einträte. Die Begründung, dass die Unterbrechung des Versicherungsschutzes für die Zeit zwischen Vertragsschluss und Zahlung der Prämie willkürlich und von den Parteien nicht gewollt sei, überzeugt, sodass für diese Fälle eine stillschweigende Abbedingung des § 37 Abs. 2 angenommen werden kann.113 49 Für den Fall des Verzuges mit der Prämienzahlung ist unter der Geltung des früheren Rechts angenommen worden, dass der Versicherungsschutz wieder entfallen soll.114 Ob diese Rechtsfolge dem Parteiwillen entsprach, musste durch Auslegung im Einzelfall ermittelt werden. Unter der Geltung von § 2 Abs. 4 kommt eine solche Rechtsfolge nicht mehr in Betracht. Da § 37 Abs. 2 generell nicht auf die Rückwärtsversicherung anwendbar ist, muss der VR auch dann Leistungen für den Versicherungsfall erbringen, wenn der VN mit der Zahlung der Prämie in Verzug geraten ist.115

3. Beweisfragen 50 Wer sich darauf beruft, dass eine Rückwärtsversicherung besteht, muss deren Vereinbarung beweisen.116 Ein starkes Indiz hierfür liegt vor, wenn in den Vertragsunterlagen für den Versicherungsbeginn ein Zeitpunkt genannt ist, der vor dem formellen Vertragsschluss liegt.117 Die früher vertretene Meinung, dass im Zweifelsfall anzunehmen sei, dass keine Rückwärtsversicherung abgeschlossen sei, da diese die Ausnahme von der die Regel bildenden Vorwärtsversicherung darstelle,118 wird der heutigen Auffassung von der Rückwärtsversicherung nicht mehr gerecht. Bereits durch die Entscheidung des BGH vom 16.6.1982 ist das Regel-Ausnahmeverhältnis dahin neu bestimmt worden, dass es für den durchschnittlichen VN fern liege, unter dem Begriff Versicherungsbeginn etwas anderes zu verstehen als den Beginn des materiellen Versicherungsschutzes, und dass nur in Ausnahmefällen eine andere Auslegung in Betracht komme, wenn diese für ihn vorteilhaft sei.119 Das Vorliegen eines Ausnahmefalls muss der VR darlegen und beweisen. 51 Wenn es gemäß § 2 Abs. 2 auf die Kenntnis einer Vertragspartei von bestimmten Umständen ankommt, muss derjenige sie beweisen, der sich auf sie beruft.120 So trifft den VR die Beweislast 109 Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 31. 110 Langheid/Rixecker/Rixecker § 2 Rn. 13; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 2 Rn. 49; a. A. offenbar Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn. 54. 111 ÖOGH 28.6.1984 – 7 Ob 65/83 VersR 1986 271. 112 Prölss/Martin/Prölss27 § 2 Rn. 3. 113 Wandt Rn. 468 Fn. 32; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 72; a. A. Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 43; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn. 54; Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1039. 114 OLG Karlsruhe 17.12.1998 – 12 U 178/98, NVersZ 1999 558; ÖOGH 28.6.1984 – 7 Ob 65/83, VersR 1986 271; Prölss/Martin/Prölss27 § 2 Rn. 3. 115 Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 31. 116 Baumgärtel/Prölss § 2 Rn. 1; Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 74. 117 Vgl. auch Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 74; Wandt Rn. 470. 118 Bruck/Möller/Möller8 § 2 Anm. 16; E. Prölss VersR 1952 1. 119 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268, 274 f. = VersR 1982 842. 120 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn. 55; Baumgärtel/Prölss § 2 Rn. 2; Römer/Langheid/Römer2 § 2 Rn. 21. R. Johannsen/Koch

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dafür, dass der VN oder sein Vertreter im Zeitpunkt der Absendung des Versicherungsantrages Kenntnis von dem eingetretenen Versicherungsfall hatte.121 Den VN trifft jedoch eine sekundäre Darlegungslast, da der VR den Beweis der Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls vor Abgabe der Vertragserklärung nur führen kann, wenn feststeht, wann der VN seine Vertragserklärung abgegeben hat oder jedenfalls von einem bestimmten, vom VN behaupteten Zeitpunkt ausgegangen werden kann. Da dieser Zeitpunkt der Wahrnehmung des VR regelmäßig nicht zugänglich ist muss der VN substantiiert und plausibel darlegen, wann und unter welchen Umständen er seine Vertragserklärung abgegeben hat bzw. haben will.122 In einer früheren Entscheidung123 hatte der BGH ausgesprochen, dass – wenn ein Versicherungsfall vor dem formellem Vertragsschluss eingetreten sei – der VN beweisen müsse, dass er Kenntnis hiervon erst nach Absendung des Versicherungsantrages erlangt habe, und hat diese Beweislastverteilung mit dem Schutzbedürfnis des VR vor Manipulationen begründet. Das war schon auf Grund der bisherigen Rechtslage nicht überzeugend und kann jedenfalls nach der Neufassung von § 2 Abs. 2 S. 2, in der ausdrücklich auf die Kenntnis bei Abgabe der Vertragserklärung abgestellt wird, nicht mehr aufrechterhalten werden. Aus der Beweislastverteilung für die Kenntnis des VN folgt, dass es sich bei der Regelung 52 des § 2 Abs. 2 S. 2 nicht um eine primäre Risikobegrenzung, sondern um einen Risikoausschluss handelt. Nicht zu folgen ist deshalb dem Urteil des englischen High Court of Justice, in dem das Gericht die Formulierung „frei von bis zum… bekannten Pflichtverletzungen“ in der D&OVersicherung in Analogie zur § 2 Abs. 2 S. 2 als primäre Risikoabgrenzung qualifiziert.124 Abgesehen davon, dass der High Court in seiner Urteilsbegründung nicht auf die deutsche Rechtsprechung zur Beweislastverteilung bei § 2 Abs. 2 S. 2 eingeht, übersieht das Gericht, dass Risikoausschlüsse auch in eine positive Risikobeschreibung gekleidet sein können.125

4. Abdingbarkeit § 2 zählt nicht zu den halbzwingenden Vorschriften (vgl. § 18). § 2 Abs. 2 S. 2 ist zugunsten des 53 VN in den Grenzen des § 138 BGB abdingbar (Rn. 41).126 Formularmäßige Abweichungen zum Nachteil des VN sind an § 307 BGB und individualvertraglich an § 138 Abs. 1 BGB zu messen. Angesichts des Zwecks des § 2 Abs. 2 S. 2, Manipulationen zwischen den Vertragsparteien zu verhindern, ist eine Abweichung, die den VR bereits bei grob fahrlässiger Unkenntnis frei werden lässt sowohl nach § 307 Abs. 2 BGB als auch nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam.127 Zur Abdingbarkeit von § 2 Abs. 4 s. Rn. 46.

III. Beratungspflicht des VR Nicht zuletzt im Hinblick auf die unterschiedliche Bedeutung des Begriffs des Versicherungsbe- 54 ginns trifft den VR die Verpflichtung, beim VN nachzufragen, wenn dieser als Versicherungsbeginn ein Datum angibt, was vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages liegt. In dieser Situa-

121 BGH 21.6.2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000 1133, 1134; OLG Saarbrücken 27.10.2016 – 5 W 62/16 (juris). 122 OLG Saarbrücken 27.10.2016 – 5 W 62/16 (juris); KG 21.9.2010 – 6 U 8/10, VersR 2011, 993; Langheid/Rixecker/ Rixecker § 2 Rn. 9.; Langheid/Wandt/Muschner VVG § 2 Rn. 74. 123 BGH 21.3.1990 – IV ZR 40/89, VersR 1990 618, 620. 124 High Court of Justice (Queen´s Bench Division) 2.3.2018 – [2018] EWHC 358 (QB), RuS 2019 145 (englischsprachiger Volltext unter BeckRS 2018 24357 verfügbar). 125 Vgl. BGH 3.11.2004 – IV ZR 250/03, RuS 2005 57, 58. 126 OLG Hamm 16.10.2017 – 18 U 11/17, RuS 2018 599, 601. 127 A.A. Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 2 Rn. 56 unter Berufung auf Berliner Kommentar/Baumann § 3 Rn. 32. 623

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§ 2 VVG

Rückwärtsversicherung

tion besteht nämlich ein Anlass i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 1, den VN nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen. Unterlässt der VR dies, kommt ein Schadensersatzanspruch des VN gem. § 6 Abs. 5 in Betracht, der unter der Voraussetzung, dass eine Rückwärtsversicherung möglich gewesen wäre, auch zum Inhalt haben kann, dass der VN so gestellt werden muss,128 als wäre ihm von Anfang an materieller Versicherungsschutz gewährt worden. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens kommt dem VN dabei nicht zugute, da diese Beweiserleichterung einen Tatbestand voraussetzt, bei dem der Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beraters und einem bestimmten Verhalten des Beratenen typischerweise gegeben ist.129 Es muss also im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend Beratenen mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen sein. Daran dürfte es bei der Frage der Rückwärtsversicherung fehlen,

D. Österreichisches Recht/PEICL I. Österreichisches Recht 55 In Österreich ist die bis dahin im Wesentlichen mit § 2 a. F. übereinstimmende Regelung über die Rückwärtsversicherung durch die VersVG – Novelle 1994,130 die am 1.1.1995 in Kraft getreten ist, abgeändert worden.131 Durch die neu eingefügte Vorschrift des § 1a Abs. 2 VersVG wird der VR, wenn der Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages auf einem von ihm verwendeten Formblatt gestellt worden ist, verpflichtet darauf hinzuweisen, dass der Versicherungsvertrag erst mit Zugang des Versicherungsscheins oder einer gesonderten Annahmeerklärung zustande kommt. Unterlässt er diesen Hinweis, hat er Versicherungsschutz für die Zeit ab Zugang des Antrages an ihn bis zum Zustandekommen des Vertrages zu gewähren, es sei denn, dass er dieses Risiko nach den für seinen Geschäftsbetrieb maßgebenden Grundsätzen nicht versichert.132 Bei unterlassenem Hinweis ist der VN also wie im Rahmen einer vereinbarten Rückwärtsversicherung geschützt. Die Regelung wird auch als eine „gesetzliche vorläufige Deckungszusage“ bezeichnet.133 56 Im Übrigen ist durch das Reformgesetz der Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie aufgehoben worden und damit auch § 2 Abs, 2 S. 2 VersVG, der wie die deutsche Vorschrift des § 2 Abs. 2 S. 2 a. F. dem VR die Prämie bis zum Schluss der Versicherungsperiode zuerkannte, in welcher er von dem Versicherungsfall Kenntnis erlangt hat134

II. PEICL 57 Die PEICL sehen in Art. 2:401 Abs. 1 und 2 Regelungen zur Rückwärtsversicherung vor, die inhaltlich § 2 Abs. 2 S. 1 und 2 entsprechen.

128 129 130 131 132 133 134

Langheid/Wandt/Muschner § 2 Rn. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski /Brömmelmeyer § 2 Rn. 8. BGH 5.2.2009 – IX ZR 6/06, NJW 2009 1591, 1592 (zu Beratungsfehler des Steuerberaters). BGBl. 1994 I 509. Zu Einzelheiten s. Fenyves/Schauer/Fenyves § 1a Rn. 1 ff. Vgl. zu dieser Regelung im Einzelnen Fenyves/Schauer/Fenyves § 1a Rn. 48 ff. Fenyves/Schauer/Fenyves § 1a Rn. 50. Fenyves/Schauer/Fenyves § 1a Rn. 51.

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§ 3 Versicherungsschein (1) Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer einen Versicherungsschein in Textform, auf dessen Verlangen als Urkunde, zu übermitteln. (2) Wird der Vertrag nicht durch eine Niederlassung des Versicherers im Inland geschlossen, ist im Versicherungsschein die Anschrift des Versicherers und der Niederlassung, über die der Vertrag geschlossen worden ist, anzugeben. (3) Ist ein Versicherungsschein abhandengekommen oder vernichtet, kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins verlangen. Unterliegt der Versicherungsschein der Kraftloserklärung, ist der Versicherer erst nach der Kraftloserklärung zur Ausstellung verpflichtet. (4) Der Versicherungsnehmer kann jederzeit vom Versicherer Abschriften der Erklärungen verlangen, die er mit Bezug auf den Vertrag abgegeben hat. Benötigt der Versicherungsnehmer die Abschriften für die Vornahme von Handlungen gegenüber dem Versicherer, die an eine bestimmte Frist gebunden sind, und sind sie ihm nicht schon früher vom Versicherer übermittelt worden, ist der Lauf der Frist vom Zugang des Verlangens beim Versicherer bis zum Eingang der Abschriften beim Versicherungsnehmer gehemmt. (5) Die Kosten für die Erteilung eines neuen Versicherungsscheins nach Absatz 3 und der Abschriften nach Absatz 4 hat der Versicherungsnehmer zu tragen und auf Verlangen vorzuschießen.

Schrifttum Adam Rechtsnatur des Versicherungsscheins mit Inhaberklausel, ZfV 1961 96 u. 213; Altenhofen/Brömmelmeyer/ Knuf Über digitale Unternehmen aus rechtlicher Sicht, VW 2009 1603; Armbrüster Ansprüche des VN auf Einsicht in Sachverständigengutachten, VersR 2013 944; Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt (1991); Groh Nebenabreden bei Versicherungsverträgen (1965); Güther/Kohly Typische Probleme bei der Feststellung und Verwertung von Lebensversicherungsverträgen in der Unternehmensinsolvenz, ZIP 2006 1229; Kimpel Auskunftsanspruch eines Nachlasspflegers über die Identität des Bezugsberechtigten einer Lebensversicherung, jurisPR-VersR 3/2019 Anm. 1; Kins Der Abschluss des Versicherungsvertrags: eine Untersuchung des Zusammenspiels von vorvertraglicher Informationspflicht und Abschlussmodell 2010; Kisch Der Versicherungsschein (1952); Kriegner Das Invitatiomodell im österreichischen Versicherungsrecht, wbl 2016 809; Langenberg Die Versicherungspolice (1970); Luckey Mündliche Nebenabreden zu AVB (1992); Sarak Der Versicherungsschein: traditionelle Funktion und zukünftige Perspektiven, Diss. Tübingen 2012; Schlossareck Ansprüche des Versicherungsnehmers aus c. i. c. (1999); Schneider Dokumentationsfehler in Maklerpolicen – Zu § 5 VVG und zum „Dornbracht“-Urteil des OLG Hamm, RuS 2012 417; Schulz Die rechtliche Bedeutung des Versicherungsscheins, ZfV 1963 433; Sieg Der Versicherungsschein in wertpapierrechtlicher Sicht und seine Bedeutung bei der Veräußerung der versicherten Sache, VersR 1977 213; Skoufis Der Versicherungsschein und Rechtsgeschäfte über die versicherte Sache oder über die Versicherungsforderung, VersR 1962 492.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Kommentierung

I.

Übermittlung des Versicherungsscheins (Ab6 satz 1) 7 Rechtsnatur des Versicherungsscheins

1.

2

2. 3. 4. 5.

Funktion des Übermittlungszwangs 9 Textform 10 Urkunde 11 Inhalt

II.

Vertragsabschluss durch eine Niederlassung im 13 Ausland (Absatz 2)

III.

Aufforderung zur Ausstellung eines neuen Versi14 cherungsscheins (Absatz 3)

8

3

5

625 https://doi.org/10.1515/9783110522600-010

Knops

§ 3 VVG

Versicherungsschein

IV.

Anspruch auf Ausstellung von Abschriften (Ab16 satz 4)

V.

Kostentragung (Absatz 5)

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

21 22

20

A. Einführung 1 § 3 regelt die Pflicht zur Erstellung, Inhaltsangabe und Übermittlung eines Versicherungsscheins von dem VR an den VN, der eine Beweisurkunde über einen abgeschlossenen Versicherungsvertrag darstellt.

I. Entstehungsgeschichte 2 Im reformierten VVG wurde die Regelung des § 3 a. F. im Wesentlichen übernommen. In der jetzigen Fassung findet sich keine Legaldefinition des Versicherungsscheins mehr, da diese sich in der Praxis als bedeutungslos herausstellte. Nach der vorherigen Fassung musste der Versicherungsschein als Urkunde in Papierform mit eigenhändiger oder nachgebildeter Unterschrift ausgehändigt werden. Da sich dieses Formbedürfnis in der Versicherungspraxis als wenig praktikabel erwies, schreibt § 3 für die Übermittlung nunmehr nur noch die Textform des § 126b BGB vor. Diese Form erfüllt den im Vordergrund stehenden Informationszweck des Versicherungsscheins nach Ansicht des Gesetzgebers in höherem Maß.1 Der VN erhält einen Rechtsanspruch auf Übermittlung des Versicherungsscheins in Papierform; er kann vom VR verlangen, dass ihm über den abgeschlossenen Vertrag ein entsprechender Versicherungsschein als Urkunde zur Verfügung gestellt wird. Der Versicherungsschein dient nicht nur Informationszwecken, sondern dem VN auch zum Beweis über das Bestehen und den Umfang des Versicherungsschutzes sowie der Legitimation als VN, was insgesamt auch der Herstellung von Rechtssicherheit dient.2 Sein Zugang beim VN ist neben dem der Widerrufsbelehrung und der Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie der weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 maßgeblich für den Beginn der Widerrufsfrist nach § 8 Abs. 2 Satz 1 (siehe § 8 Rn. 51 ff.).

II. Inhalt und Zweck der Regelung 3 Absatz 1 bestimmt zunächst, dass der VR dem VN einen Versicherungsschein in Textform, auf dessen Verlangen als Urkunde, zu übermitteln hat. Der Versicherungsschein soll dem VN ermöglichen, sich jederzeit über seine Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag zu informieren. Da der Versicherungsschein die Rechtslage nicht abschließend zu dokumentieren vermag, steht der Informationsaspekt im Vordergrund.3 Erfüllt der ausgehändigte Versicherungsschein die Voraussetzungen einer Urkunde, so kann er dem VN zur Beweisführung bei streitigen Vertragspunkten dienen. Der VN hat einen Anspruch auf Aushändigung des Scheins in Urkundenform. Ergänzt wird die Möglichkeit zur Beweisführung durch das Recht des VN, vom VR Abschriften abgegebener Vertragserklärungen zu fordern. Dem VN wird so ermöglicht, sich über seine Rechte zu informieren und im Streitfall seine Ansprüche auch begründet darlegen zu können. Seit dem 1.1.2008 kann der Versicherungsschein in der Form des § 126b BGB erteilt werden, bis dahin nur in Papierform, weswegen Übergangsvorschriften offensichtlich 1 BTDrucks. 16/3945 S. 57. 2 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmlmeyer § 3 Rn. 1; Föllmer VW 2006 616. 3 BTDrucks. 16/3945 S. 57; vgl. OLG Köln 23.3.2010 – 9 W 95/09, RuS 2012 362; LG Dortmund 22.8.2012 – 2 O 454/ 10, RuS 2014 520. Knops

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B. Kommentierung

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nicht erforderlich waren. Letztlich ist der Versicherungsschein mit der Inhaberklausel in Form einer Urkunde ein qualifiziertes Legitimationspapier i. S. d. § 808 BGB,4 und erfüllt folglich auch eine Legitimationsfunktion. Auch die Regelungen in Absatz 3 und 4 verfolgen durch den Anspruch auf einen Ersatzversicherungsschein bzw. auf Abschriften vertragsrelevanter Erklärungen die Zwecke der Information, Beweissicherung und Legitimation.5 Im Rahmen der Versicherung für fremde Rechnung legitimiert der Schein die versicherte Person, über ihre Rechte zu verfügen (§ 44 Abs. 2), den VN die Leistung des VR anzunehmen und die Rechte der versicherten Person zu übertragen (§ 45 Abs. 2). Bedeutung entfalten diese Funktionen beispielsweise im Rahmen der Versicherung für 4 fremde Rechnung i. S. d. § 43 Abs. 1. So kann die versicherte Person gemäß § 44 Abs. 2 ohne Zustimmung des VN über seine Rechte verfügen und diese gerichtlich geltend machen, wenn sie im Besitz des Versicherungsscheines ist. Gleichwohl kann laut § 44 Abs. 1 Satz 2 nur der VN die Übermittlung des Versicherungsscheines verlangen (vgl. auch § 46 Satz 1). Befindet er sich im Besitz des VN, ist dieser gemäß § 45 Abs. 2 ohne Zustimmung der versicherten Person zur Annahme der Leistung des VR und zur Übertragung der Rechte der versicherten Person befugt. Darüber hinaus sei etwa auf § 55 Abs. 1 im Hinblick auf die Einzelpolice hingewiesen.

B. Kommentierung Der vom VR erstellte Versicherungsschein – im Allgemeinen Police genannt – umfasst den we- 5 sentlichen Inhalt eines Versicherungsvertrages.6 In einem Versicherungsschein können auch mehrere Versicherungen zusammengefasst werden. Solche Versicherungen werden in einem solchen Fall insgesamt als sog. gebündelte Versicherung bezeichnet.7 Der Inhalt des Vertrages wird durch die (in § 7 vorgeschriebene Übermittlung der) Vertragsbestimmungen und die Pflichtinformationen nach der VVG-InfoV konkretisiert. Andere Urkunden werden nur dann ergänzender Bestandteil der Versicherungspolice, wenn sie dieser beigefügt sind und im Versicherungsschein auf die beigefügten Erklärungen Bezug genommen wird.8

I. Übermittlung des Versicherungsscheins (Absatz 1) Der VR ist nach Absatz 1 verpflichtet, bei allen Versicherungsverträgen dem VN einen, dem In- 6 halt des abgeschlossenen Versicherungsvertrages entsprechenden Versicherungsschein in Textform nach § 126b BGB zu übermitteln. Diese Pflicht des VR entsteht unmittelbar mit Abschluss des Versicherungsvertrags und besteht selbst bei kurzfristigen Verträgen und ist – außer in den Fällen des § 210 VVG (siehe dort) – gemäß § 18 nicht abdingbar.9 Lediglich die Pflicht zur Übermittlung einer Urkunde hängt von der Geltendmachung des hierauf gerichteten Anspruchs

4 BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709; OLG Koblenz 4.1.2002 – 10 U 595/01, NVersZ 2002 212; Berliner Kommentar/Schwintowski § 4 Rn. 3.

5 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmlmeyer § 3 Rn. 1. 6 Looschelders/Pohlmann/Schneider § 3 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 3 Rn. 10; Staudinger/Halm/ Wendt/Reusch § 3 Rn. 16; weitergehend etwa Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 15; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmlmeyer § 3 Rn. 18. 7 Halm/Engelbrecht/Krahe/Wandt 1. Kap Rn. 429; Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 18; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 3 Rn. 16. 8 BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, VersR 2001 839, 840; BGH 11.1.1989 – IVa ZR 245/87, VersR 1989 395, 396; OLG Hamm 31.5.1995 – 20 U 63/95 VersR 1996 829 f. 9 Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 14; § 15 a. F. ermöglichte es den Vertragsparteien noch, einen Verzicht der Übermittlung zu vereinbaren. 627

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durch den VN ab.10 Die Übermittlungspflicht ist eine selbständige Nebenpflicht.11 Bei deren Verletzung sieht das VVG keinen spezialgesetzlichen Schadensersatzanspruch vor; bei Verzug des VR (§ 286 BGB) haftet er dem VN aber bereits auf Schadensersatz nach den allgemeinen Vorschriften gemäß § 280 Abs. 2 BGB.12 Die Pflichtverletzung wirkt sich zudem auf den Frist für den Widerruf der Vertragserklärung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 aus. Denn diese beginnt nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 erst zu laufen, wenn dem VN der Versicherungsschein zugegangen ist. Im Übrigen wird die Versicherungsprämie nach § 33 Abs. 1 erst nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins fällig.

1. Rechtsnatur des Versicherungsscheins 7 Für den VN erbringt der Versicherungsschein neben den anderen Vertragsunterlagen primär den Beweis über das Bestehen und den Umfang des Versicherungsschutzes sowie über die Person des VR als Schuldner.13 Wird der Versicherungsschein in Papierform ausgestellt, hat er eine gegenüber der Textform gesteigerte Beweiskraft. So kann er als Ausweispapier (§ 4 Rn. 2) oder auch als Wertpapier (Orderpapier in der Binnenversicherung und Inhaberpapier in der Seeversicherung) ausgestaltet sein.14 Zumindest aber stellt der Versicherungsschein einen Schuldschein i. S. d. §§ 371, 952 BGB dar, weil er zur Bestätigung einer bestehenden Schuld dient.15 Nach § 371 BGB kann der VR vor Leistung die Vorlage bzw. nach Beendigung des Schuldverhältnisses auch die Rückgabe des Versicherungsscheins verlangen. Versicherungsscheine in Form von Order- bzw. Inhaberpapieren können anders als Schuldscheine gemäß § 929 Satz 1 BGB übereignet werden, weshalb der Eigentümer des Papiers auch das Recht aus dem Papier fordern kann. Wird der Versicherungsschein auf den Inhaber ausgestellt (§ 4 Abs. 1) wird der Versicherungsschein zu einem Legitimationspapier i. S. d. § 808 BGB.16 Der VR wird bei einem auf den Inhaber ausgestellten Versicherungsschein von seiner Leistungspflicht befreit, wenn er an den Inhaber des Versicherungsscheins leistet. Dies ist die wesentliche Folge der Legitimationswirkung des § 808 BGB. Die Legitimationswirkung ermöglicht es, Versicherungsscheine auch zur Kreditsicherung zu nutzen. Durch die Verpfändung des Versicherungsscheins kann ein Anspruch gesichert werden, da der VR nur gegen Vorlage des Versicherungsscheins mit schuldbefreiender Wirkung leisten kann.17

2. Funktion des Übermittlungszwangs 8 Der Zugang des Versicherungsscheins beim VN ist für den VR besonders wichtig: Zum einen wird ohne den Zugang des Versicherungsscheins die Prämienzahlungspflicht nicht fällig. Die Fälligkeit tritt gemäß § 33 Abs. 1 erst zwei Wochen nach dessen Zugang ein, bei Lebensversicherungen gemäß § 152 Abs. 3 nach 30 Tagen. Zum anderen ist der Zugang des Versicherungsscheins u. a. für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich. Ohne den Zugang beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen (siehe § 8 Rn. 75), der Vertrag bleibt wirksam, aber im Schwebezu-

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Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 3 Rn. 2. Dreher S. 258; Staudinger/Halm/Wendt/Reusch § 3 Rn. 27. Vgl. dazu bereits Bruck/Möller/Möller8 § 3 Anm. 14. LG Dortmund 22.8.2012 – 2 O 454/10, RuS 2014 520. Siehe dazu Sarak passim. Hofmann PVR, S. 100; Berliner Kommentar/Schwintowski § 3 Rn. 57; Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 30. Meixner/Steinbeck § 3 Rn. 32; Deutsch Rn. 83. Hofmann PVR S. 101.

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stand der jederzeitigen Widerruflichkeit durch den VN. Mit der Übermittlung des Versicherungsscheins kann die konkludente Annahme eines Angebots des VN zum Abschluss eines Versicherungsvertrages verbunden sein. Die Übermittlung des Versicherungsscheins ist aber keine konstitutive Voraussetzung für den Abschluss eines Versicherungsvertrages.18 Der Versicherungsschein kann auch schon vor Zustandekommen des Versicherungsvertrages ausgestellt und übermittelt werden, wie dies beispielsweise beim Vertrieb von Reiseversicherungen durch Dritte nicht unüblich ist. Ein Verstoß gegen § 3 i. V. m. § 18 liegt darin nicht.19

3. Textform Da mit der Übermittlung des Versicherungsscheins die soeben genannten Folgen verbunden 9 sind, entstand im Praxisalltag das Bedürfnis nach einer schnelleren und weniger komplizierten Möglichkeit der Übermittlung, als die frühere Urkundenaushändigung durch Besitzverschaffung.20 Die Textform nach § 126b BGB erleichtert die Praxis des Vertragsschlusses insofern, als eine Übermittlung der relevanten Informationen auch in nicht körperlicher Form ausreicht. Dem Erfordernis der Textform entspricht eine Urkunde in Papierform oder die Übermittlung von Schriftzeichen in einer anderen, zur dauerhaften Wiedergabe geeigneten Form. Entsprechend dem Versicherungsalltag kann nunmehr nicht nur der Versicherungsvertrag im Wege moderner Kommunikationsmittel geschlossen, sondern es können auch andere wichtige Unterlagen auf diesem Wege übermittelt werden. Der Versicherungsschein kann folglich per E-Mail, auf einer CD-ROM, Diskette, USB-Stick oder auf einem anderen Speichermedium übersandt werden,21 wie auch per Computer- bzw. Telefax22 o. ä.23 Die Bereitstellung einer bloßen Downloadmöglichkeit genügt hingegen nicht. Vielmehr erfordert die Übermittlungspflicht, dass der Download durch den VN gewährleistet ist („Zwangsdownload“).24 Unabhängig von anderen Übermittlungsarten bleibt dem VR immer die Möglichkeit, den Versicherungsschein dem VN unaufgefordert in Papierform auszuhändigen. D. h. der VR kann von der Textform des § 126b BGB Gebrauch machen, muss es aber nicht. Die Aushändigung des Versicherungsscheins könnte gegenüber der Textform des § 126b BGB von Vorteil sein, da sich i. d. R. der Nachweis der Übermittlung eines verkörperten Versicherungsscheins leichter führen lässt. Wird der Vertrag per E-Mail, Telefon oder Fax geschlossen, der Versicherungsschein aber in Papierform übersandt, ist von einem ordnungsgemäßen Zugang auszugehen, wenn der Versicherungsschein so in den Herrschaftsbereich des VN gelangt ist, dass er vom Inhalt hätte Kenntnis erlangen können. Der VR kann auch unterschiedliche Kommunikationswege wählen. Im umgekehrten Fall (schriftlicher Vertragsschluss nebst Übermittlung des Versicherungsscheins per E-Mail/Fax/Speichermedium) soll dagegen nicht von einem wirksamen Zugang ausgegangen werden können, da eine entsprechende Empfangsvorrichtung nur vermutet werden darf, wenn der bisherige geschäftliche Kontakt mit dem VN diese Annahme zulässt.25 Für den Zugang entscheidend ist letztendlich nur, ob die Information beim VN tatsächlich angekommen ist oder nicht.

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OLG Frankfurt 14.5.2003 – 7 U 127/02, VersR 2003 1523, 1524; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 3 Rn. 11. Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 9; a. A. Kins S. 229 ohne eigentliche Begründung. Kisch S. 21; Berliner Kommentar/Schwintowski § 3 Rn. 29. Vgl. BTDrucks. 14/7052 S. 195; unter dem Gesichtspunkt der Digitalisierung siehe auch Altenhofen/Brömmelmeyer/Knuf VW 2009 1603. 22 Vgl. BTDrucks. 14/4987 S. 19; für Downloads einschränkend BGH 29.4.2010 – I ZR 66/08, NJW 2010 3566. 23 Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 24. 24 Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 25; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 3 Rn. 16; Staudinger/ Halm/Wendt/Reusch § 3 Rn. 37; wohl auch Prölss/Martin/Rudy § 3 Rn. 3. 25 MüKoBGB/Einsele § 126b Rn. 12. 629

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§ 3 VVG

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4. Urkunde 10 Verlangt der VN, dass ihm der Versicherungsschein in Form einer Urkunde übermittelt wird, so hat ihm der VR den Versicherungsschein als Dokument in Papierform auszuhändigen.26 Eine Unterzeichnung der Urkunde durch den VR ist hierbei nicht erforderlich.27 Insoweit ist die Urkunde nicht mit der Schriftform des § 126 BGB vergleichbar und muss insbesondere nicht die Schriftformerfordernisse des § 126 Abs. 1 BGB erfüllen.28

5. Inhalt 11 Auf die Legaldefinition des Versicherungsscheins wurde in § 3 VVG verzichtet. Auch wird nicht näher konkretisiert, welchen Anforderungen der Inhalt eines Versicherungsscheins entsprechen muss. Da der vorrangige Zweck des Versicherungsscheins die Information des VN und die Dokumentation des Vertragsinhalts ist, hat der Versicherungsschein auch nach neuer Rechtslage die Funktion, den Versicherungsvertrag zu bestätigen und den VN über die wesentlichen Punkte des Vertragsinhalts zu informieren.29 Um diesen Zweck zu erfüllen, muss der Versicherungsschein Informationen über die Vertragsparteien, das versicherte Interesse, die versicherte Gefahr, den Umfang der Leistung, die Leistungsvoraussetzungen, besondere Leistungsausschlüsse, sowie den Beginn und das Ende des Versicherungsschutzes enthalten. Der Versicherungsschein muss zudem den Namen des Erklärenden enthalten und der Abschluss der Erklärung entweder durch Nachbildung der Unterschrift oder auf andere, in Aussagekraft entsprechender Weise, deutlich gemacht werden, vgl. § 126b BGB. Bei Verlängerung des Vertragsverhältnisses wird der Versicherungsschein durch einen Verlängerungsschein ergänzt. Auch ein Nachtrag zum Versicherungsschein ist möglich.30 Werden Änderungen am Vertragsinhalt vorgenommen, muss der VR den Versicherungsschein durch einen neuen angepassten Versicherungsschein ersetzen.31 Irrtümliche Eintragungen kann der VR nach den allgemeinen Vorschriften gemäß § 119 BGB anfechten. Dies gilt auch bei irrtümlichen Eingaben bei der Datenverarbeitung.32 Nach der Rechtsprechung des BGH wird die gewollte Willenserklärung, trotz abweichenden Inhalts des Versicherungsscheins auch ohne Anfechtung Bestandteil des Versicherungsscheins, wenn der VN den Irrtum erkannt hat.33 Wird dem VN ein durch den Versicherungsmakler gefälschter Versicherungsschein weitergeleitet, bleibt für den Versicherungsvertrag der ursprüngliche, unverfälschte Inhalt maßgeblich.34 Der Versicherungsschein kann bei Gegenseitigkeitsvereinen durch eine Eintragung in das Mitgliedsbuch ersetzt werden.35 Sind mehrere Personen von dem Versicherungsverhältnis umfasst, müssen nicht alle namentlich genannt werden. Die unterzeichnende Person muss aber in Vertretung der anderen Personen han26 27 28 29

BTDrucks. 16/3945 S. 57. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmlmeyer § 3 Rn. 17. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmlmeyer § 3 Rn. 17. Langheid/Rixecker § 3 Rn. 1; Prölss/Martin/Rudy § 3 Rn. 1 f.; zum Verweis auf ein Gesamtbedingungswerk siehe LG Dortmund 22.8.2012 – 2 O 454/10, RuS 2014 520; LG Hamburg 30.7.2008 – 302 O 436/07, VersR 2009 389; a. A. Schneider RuS 2012 417, 420; siehe auch Fn. 6. 30 OLG Hamm 10.6.1992 – 20 U 376/91, VersR 1993 169; siehe auch Bruck/Möller/Möller8 § 3 Anm. 3. Zu den diesbezüglichen Anforderungen BGH 10.3.2004 – IV ZR 75/03, VersR 2004 893, 894; OLG München 14.8.2008 – 25 U 2326/ 08, VersR 2008 1521, 1522. 31 Berliner Kommentar/Schwintowski § 3 Rn. 6. 32 OLG Hamm 8.1.1993 – 20 U 249/92, RuS 1996 159. 33 BGH 22.2.1995 – IV ZR 58/94, VersR 1995 648 f.; bestätigt durch BGH 10.3.2004 – IV ZR 75/03, VersR 2004 893, 894. 34 OLG Köln 12.12.1994 – 5 U 266/93, VersR 1995 1226, 1227. 35 Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 4; siehe auch Kisch S. 8; Deutsch Rn. 81; wie auch Bruck/Möller/Möller8 § 3 Anm. 3. Knops

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deln und diese Vollmacht nach den allgemeinen Vorschriften des BGB auch offenkundig machen.36 In enummerierten Fällen schreibt das VVG vor, dass bestimmte Informationen im Versiche- 12 rungsschein enthalten sein müssen oder eine bestimmte Form gewahrt sein muss: – § 3 Abs. 2 bestimmt, dass der Versicherungsschein die Anschrift des VR und der Niederlassung enthalten muss, wenn die Versicherung durch eine Niederlassung im Ausland abgeschlossen wird. – § 5 Abs. 2 Satz 2 sieht bei Abweichungen des Versicherungsscheins vom Versicherungsantrag bzw. Versicherungsvertrag vor, dass ein auffälliger Hinweis im Versicherungsschein erfolgen muss, der auf die Abweichungen und die damit verbundenen Rechtsfolgen aufmerksam macht. – § 126 Abs. 1 regelt Versicherungen, die Gefahren aus dem Bereich der Rechtsschutzversicherung zusätzlich zu anderen Gefahren versichern. Der hier auszustellende Versicherungsschein muss den Umfang der Deckung in der Rechtsschutzversicherung und die für diese Versicherungsleistung zu entrichtende Prämie gesondert ausweisen. Beauftragt der VR mit der Leistungsbearbeitung ein selbstständiges Schadensabwicklungsunternehmen, ist dieses nach Satz 2 im Versicherungsschein zu bezeichnen. – § 37 Abs. 2 Satz 1 entbindet den VR von seiner Leistungspflicht im Versicherungsfall, wenn die einmalige oder erste Prämie vor dem Eintritt des Versicherungsfalls noch nicht bewirkt wurde. Die Befreiung tritt nach Satz 2 jedoch nur ein, wenn der VR den VN durch eine gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge aufmerksam gemacht hat. – § 51 Abs. 1 bestimmt, dass für die vorläufige Deckung der VR den Versicherungsschutz von der Leistung der Prämie abhängig machen kann, wenn er den VN durch eine gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diesen Umstand hingewiesen hat. Werden dem VN Informationen nach der Vorschrift des § 7 VVG übermittelt, so gilt der VN bezüglich der übermittelten Inhalte als informiert. Eine Wiederholung im Versicherungsschein ist nicht erforderlich, so dass bezüglich dieser Informationen die Informationspflicht als erfüllt gilt.

II. Vertragsabschluss durch eine Niederlassung im Ausland (Absatz 2) Der Inhalt des Absatzes 2 entspricht dem des § 3 Abs. 5 a. F. Die bisherigen Voraussetzungen 13 gelten folglich weiterhin. Absatz 2 regelt den Vertragsabschluss durch eine Niederlassung des VR im Ausland. Die Dokumentationspflicht wird in diesem Fall auf die Anschrift des VR und der Niederlassung erstreckt. Verletzt der VR diese Pflicht, kann er sich gem. § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig machen.37

III. Aufforderung zur Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins (Absatz 3) Ist dem VN der Versicherungsschein abhanden gekommen oder ist dieser vernichtet worden, 14 kann er vom VR die erneute Ausstellung fordern. Die entstehenden Kosten sind vom VN zu tragen. Der Wortlaut des § 3 Abs. 3 entspricht dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 a. F. Die einzige Änderung ist der Verzicht auf den Begriff der „Ersatzurkunde“, da gemäß § 3 Abs. 1 der Versicherungsschein auch in Textform übermittelt werden kann. Entgegen der Verwendung des Begriffs der Ausstellung, ist auf Aufforderung des VN insbesondere mit Blick auf die Funktionen der 36 OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469, 473; OLG Hamburg 17.5.1984 – 6 U 244/83, VersR 1984 980; a. A. Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 17. 37 Berliner Kommentar/Schwintowski § 3 Rn. 57; Prölss/Martin/Rudy § 3 Rn. 7. 631

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§ 3 VVG

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Information, Beweissicherung und Legitimation dieser Regelung darüber hinaus auch die Übermittlung des neuen Versicherungsscheins vom VR geschuldet.38 In der Insolvenz ist der Insolvenzverwalter berechtigt, Abschriften der Erklärungen vom VR zu fordern. Zur Beschleunigung des Verfahrens können gleichzeitig auch Informationen über weitere Lebensversicherungen, eventuelle Rückkaufswerte und bestehende Rechte Dritter an den Versicherungen angefordert werden.39 Inwieweit dem VR ein Auskunftsverweigerungsrecht trotz der umfassenden Verfügungsgewalt des Insolvenzverwalters gemäß § 21 InsO zusteht, ist nicht abschließend geklärt,40 sollte aber verneint werden, um den Zweck des Insolvenzverfahrens nicht zu beeinträchtigen. 15 Entspricht der neue Versicherungsschein inhaltlich nicht dem Originalschein, ist darin keine Vertragsänderung zu sehen. Dies begründet sich allein durch das Fehlen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1.41 Die Norm ist auf den Ersatzschein auch nicht entsprechend anzuwenden.42 In der Übermittlung des inhaltlich abweichenden Versicherungsscheins kann aber ein Angebot für den Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages liegen.

IV. Anspruch auf Ausstellung von Abschriften (Absatz 4) 16 Absatz 4 enthält den Anspruch des VN, jederzeit vom VR Abschriften der Erklärungen zu verlangen, die er hinsichtlich des Vertrages abgegeben hat.43 Die Regelung entspricht inhaltlich § 3 Abs. 3 a. F. Einzige Änderung ist der Verzicht auf die Hinweispflicht des VR. Nach neuem Recht ist der VR mithin nicht mehr verpflichtet, den VN auf sein Recht, Abschriften zu fordern, hinzuweisen. Von Relevanz ist die Abschrift des Versicherungsantrages bzw. der Annahmeerklärung insbesondere für die Beweisführung bei Prozessen über die Unwirksamkeit des Vertrages wegen Rücktritts oder Anfechtung. Der Anspruch richtet auf Erklärungen des VN, die Vertragsbestandteil geworden sind, unabhängig davon, ob sie in schriftlicher, elektronischer oder textlicher Form abgegeben wurden.44 Der Anspruch besteht, solange das Versicherungsverhältnis noch nicht beendet und vollständig abgewickelt ist.45 Der Anspruch aus § 3 Abs. 4 Satz 1 VVG ist auch vererblich und zwar unabhängig davon, ob es bereits zu einer Auszahlung der Versicherungssumme an den Bezugsberechtigten gekommen ist.46 17 Anstelle einer Abschrift kann der VN auch nur eine Auskunft über den Inhalt seiner Erklärungen, die Vertragsbestandteil geworden sind, verlangen.47 Dies resultiert einerseits daraus, dass die Auskunft über den vertragswesentlichen Erklärungsinhalt ein Minus zur Abschrift der Erklärung darstellt und andererseits hierdurch zumindest das diesbezügliche Informations- und Beweisinteresse des VN gewahrt wird. Im Übrigen kann Abs. 3 ebenso wie § 810 BGB48 grundsätzlich nicht als Grundlage für eine Einsichtnahme in die Akteninhalte des VR oder etwaiger 38 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmlmeyer § 3 Rn. 26. 39 Looschelders/Pohlmann/Schneider § 3 Rn. 26; Güther/Kohly ZIP 2006 1229, 1231. 40 Versicherungen und Banken beziehen sich hierzu auf die Entscheidung des LG Göttingen 22.10.2002 – 10 T 57/ 02, ZIP 2002 2269 f. zum Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO; vgl. Mitlehner EWiR 2003 279.

41 Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 49. 42 OLG Karlsruhe 29.8.1991 – 12 U 217/90, VersR 1992 1121, 1122. 43 Für die Behandlung von Erben siehe OLG Hamm 23.11.2018 – 20 U 72/18, VersR 2019 341 m. Anm. Kimpel jurisPR-VersR 3/2019 Anm. 1; OLG Saarbrücken 17.5.2017 – 5 U 35/16, NJW-RR 2018 35, 38; OLG Saarbrücken 3.3.2010 – 5 U 233/09 – 62, NJW-RR 2010 1333, 1334; für Erklärungen gegenüber Dritten siehe dahingegen LG Dresden 27.11.2013 – 8 S 269/13 Rn. 28 (juris); Armbrüster VersR 2013 944, 945. 44 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmlmeyer § 3 Rn. 29. 45 OLG Saarbrücken 3.3.2010 – 5 U 233/09 – 62, NJW-RR 2010 1333; OLG Köln 23.2.1989 – 5 U 215/88, RuS 1989 171. 46 OLG Hamm 23.11.2018 – 20 U 72/18, VersR 2019 341 m. Anm. Kimpel jurisPR-VersR 3/2019 Anm. 1; OLG Saarbrücken Urt. v. 3.3.2010 – 5 U 233/09 – 62, NJW-RR 2010 1333, 1334; Langheid/Wandt/Armbrüster § 3 Rn. 54. 47 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmlmeyer § 3 Rn. 29. 48 MüKoBGB/Habersack § 810 Rn. 4 ff. Knops

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VVG § 3

Gutachten herangezogen werden.49 Können dagegen Informationen des VR einen Anspruch des VN begründen bzw. konkretisieren, so resultiert bereits aus dem Zweck des Versicherungsvertrags den VN im Versicherungsfall schadlos zu stellen, ein Anspruch auf Einsichtnahme in Akten oder Gutachten, die dem VR vorliegen.50 Als Erklärung i. S. d. Absatzes 4 sind nicht zwingend Willenserklärungen im bürgerlich- 18 rechtlichen Sinne zu verstehen.51 Hierzu gehören aber in jedem Fall Vertragserklärungen i. S. d. § 7 Abs. 1, Erklärungen über Bezugsrechte i. S. d. §§ 159 f., 185 sowie Beitragsfreistellungen i. S. d. § 165 Abs. 1 und Kündigungs-, Rücktritts sowie Anfechtungserklärungen52 mittels derer aufgrund eines Gestaltungsrechts nachträglich auf ein bestehendes Vertragsverhältnis eingewirkt wird und insoweit ebenfalls vertragswesentlich sind. Entsprechend der Auslegung des Absatzes 353 ist auch hier nicht lediglich die Ausstellung geschuldet, sondern vielmehr die Erteilung und Übermittlung der Abschriften. Die einzuhaltende Form der dem VN zu übermittelnden Abschriften orientiert sich an der Form der von ihm abgegebenen Ausgangserklärung. Fordert der VN eine Erklärungsabschrift vom VR, wird eine eventuell bestehende Frist ge- 19 hemmt (Satz 2), falls er diese zur Vornahme der Rechtshandlung benötigt.54 Die Fristhemmung endet beim Zugang der Abschriften beim VN. Der Ablauf der Frist wird auch hinsichtlich des Widerrufs nach § 8 VVG für die Kündigung nach § 11 VVG und eine Klageerhebung nach §§ 195 ff. BGB gehemmt.

V. Kostentragung (Absatz 5) In Absatz 5 wird angeordnet, dass die Kosten für die Ausstellung eines Ersatzversicherungs- 20 scheins und für eine Abschrift vom VN zu tragen sind. Die Kosten dürften sich im Cent-Bereich zuzüglich etwaiger Versandkosten bewegen, für die der VN allerdings vorleistungspflichtig ist. Hinsichtlich der gesetzlich vorgesehenen Kostentragungspflicht zulasten des VN ist jedoch § 2 Abs. 1 Nr. 2 VVG-InfoV zu berücksichtigen. Danach hat der VR in den Fällen einer Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung den VN über alle Kosten zu informieren, die diesem entstehen können. Wird diese Informationspflicht verletzt, so kann die Kostentragungspflicht des VN entfallen, zumindest entsteht jedoch wegen dieser Pflichtverletzung ein Schadensersatzanspruch des VN nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Höhe der angefallenen Kosten gegen den VR.

C. Abdingbarkeit Bestehen Diskrepanzen zwischen den allgemeinen Vertragsbedingungen und dem Versiche- 21 rungsschein, ist für den Vertragsinhalt der Versicherungsschein bzw. Versicherungsantrag entscheidend (arg: § 5 Abs. 2, 3 VVG).55 Im Versicherungsschein bzw. Versicherungsantrag kommen die individuellen Bedingungen des Versicherungsverhältnisses zum Ausdruck und gehen den AVB als privatautonome Regelungen vor.

49 Langheid/Rixecker § 3 Rn. 9. 50 OLG Karlsruhe 26.4.2005 – 12 W 32/05, RuS 2005 385; OLG Saarbrücken 14.10.1998 – 5 U 1011/97-80, VersR 1999 750; LG Dresden 27.11.2013 – 8 S 269/13 (juris); AG Dortmund 21.5.2008 – 2 O 400/07, ZfS 2009 29. Langheid/Rixecker § 3 Rn. 6. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmlmeyer § 3 Rn. 30. Vgl. Rn. 1. Berliner Kommentar/Schwintowski § 5 Rn. 51. OLG Brandenburg 11.4.2007 – 13 U 132/06 Rn. 17 (juris).

51 52 53 54 55

633

Knops

§ 3 VVG

Versicherungsschein

D. Beweislast 22 Der VN kann vom VR die Aushändigung des Versicherungsscheins in Papierform verlangen.56 Wird dem VN der Versicherungsschein durch den VR in Papierform ausgehändigt, gilt wie bisher nach § 416 ZPO der Urkundenbeweis, d. h. der Versicherungsschein in Form der Urkunde erbringt den vollen Beweis für die vom VR abgegebene Erklärung.57 Einem Versicherungsschein, der der Urkundenform nicht genügt, kommt aufgrund der Manipulationsmöglichkeiten hingegen keine besondere Beweiskraft zu.58 Das betrifft vor allem solche Versicherungsscheine, die nach der Neufassung des Gesetzes in der Form des § 126b BGB ausgestellt wurden.

56 BTDrucks. 16/3945 S. 57. 57 Siehe OLG Karlsruhe 17.6.1993 – 12 U 28/92, VersR 1995 909; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 3 Rn. 38. 58 JurisPK/Junker § 126b Rn. 4; vgl. Looschelders/Pohlmann/Schneider § 3 Rn. 23. Knops

634

§ 4 Versicherungsschein auf den Inhaber (1) Auf einen als Urkunde auf den Inhaber ausgestellten Versicherungsschein ist § 808 des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuwenden. (2) Ist im Vertrag bestimmt, dass der Versicherer nur gegen Rückgabe eines als Urkunde ausgestellten Versicherungsscheins zu leisten hat, genügt, wenn der Versicherungsnehmer erklärt, zur Rückgabe außerstande zu sein, das öffentlich beglaubigte Anerkenntnis, dass die Schuld erloschen sei. Satz 1 ist nicht anzuwenden, wenn der Versicherungsschein der Kraftloserklärung unterliegt.

Schrifttum Fuchs Bürgerrechtliche Grundlagen der Lebensversicherung, JuS 1989 179; Präve Das neue VVG und das AGBRecht, VW 2009 98; Seiffert Die Rechtsprechung des BGH zum Versicherungsrecht. Neuere Entscheidungen des IV. Zivilsenats des BGH zur Lebensversicherung und Anmerkungen zu „Nichtentscheidungen“, RuS 2010 177; Sieg Der Versicherungsschein in wertpapierrechtlicher Sicht und seine Bedeutung bei der Veräußerung der versicherten Sache, VersR 1977 213; Wrabetz Fälle und Entscheidungen aus dem Versicherungsvertragsrecht, ZfV 1978 415.

Übersicht 1

A.

Einführung

B.

Kommentierung

I.

Versicherungsschein auf den Inhaber (Ab2 satz 1)

II.

Leistung nur gegen Rückgabe des Versicherungs7 scheins (Absatz 2)

III.

Abdingbarkeit

2 9

A. Einführung Die Norm soll bewirken, dass der Versicherungsschein nicht zu einem reinen Inhaberpapier 1 ausgestaltet wird.1 Dazu verweist Absatz 1 auf § 808 BGB, womit der auf den Inhaber ausgestellte Versicherungsschein kein Wertpapier mit Inhaberklausel sein kann, sondern zu einem Namenspapier mit Inhaberklausel (also einem qualifizierten Legitimationspapier) wird.2 Soweit zwischen den Vertragsparteien (auch formularmäßig) vereinbart wurde, dass eine Leistungspflicht des VR nur gegen Rückgabe eines als Urkunde ausgestellten Versicherungsscheins zu erfolgen hat, reicht ein öffentlich beglaubigtes Anerkenntnis des VN, dass die Verpflichtung des VR erloschen ist, wenn der VN erklärt, zur Rückgabe des Versicherungsscheins nicht in der Lage zu sein. Der Inhalt des § 4 VVG hat durch die Reform keine Veränderung erfahren. Obwohl der Versicherungsschein nur noch der Textform des § 126b BGB entsprechen muss, ist § 4 Abs. 1 nur auf Versicherungsscheine anwendbar, die als Urkunde ausgestellt wurden. Die Beschränkung besteht weiterhin, weil das BGB immer noch von der Körperlichkeit der Wertpapiere ausgeht, was gemäß § 808 Abs. 2 BGB auch für Legitimationspapiere in Form eines Versicherungsscheins auf den Inhaber gilt.3

1 BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709; OLG Hamm 28.7.1992 – 20 W 51/91, NJW-RR 1993 296; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 4 Rn. 1; Präve VW 2009 98. 2 BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936, 937; BGH 20.5.2009 – IV ZR 16/08, VersR 2009 1061; Looschelders/ Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 4 Rn. 1; Seiffert RuS 2010 177, 183 f. 3 BTDrucks. 16/3945 S. 57. 635 https://doi.org/10.1515/9783110522600-011

Knops

§ 4 VVG

Versicherungsschein auf den Inhaber

B. Kommentierung I. Versicherungsschein auf den Inhaber (Absatz 1) 2 Gedeckt durch eine Vereinbarung im Versicherungsvertrag und § 4 Abs. 1 i. V. m. § 808 BGB können Versicherungsscheine auch sog. Inhaberklauseln enthalten, die den Versicherungsschein zu einem Ausweispapier oder qualifizierten Legitimationspapier i. S. d. § 808 BGB erheben.4 Hinter der Formulierung des Absatzes 1 steht die Absicht, die Gestaltung zu einem reinen Inhaberpapier zu verhindern.5 Nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses kann der VR die Rückgabe des Versicherungsscheins verlangen.6 Durch die Ausstellung des Versicherungsscheines auf den Inhaber (zu dessen Rechtsnatur 3 siehe § 3 Rn. 6) ermöglicht § 4 Abs. 1 dem VR, sich vertraglich vorzubehalten, nur an den Inhaber der Versicherung leisten zu müssen. Diese Form der Vertragsgestaltung wird oft bei Lebensversicherungen gewählt.7 Aufgrund des Verweises auf § 808 BGB kann der VR mit befreiender Wirkung gegen Vorlage des Versicherungsscheines leisten. Der VR ist vor Erbringung der Versicherungsleistung weder verpflichtet die materielle Berechtigung, noch die Verfügungsbefugnis des Inhabers des Versicherungsscheins zu überprüfen.8 Auch kann der VR den Inhaber als berechtigt ansehen, über Rechte aus dem Vertrag zu verfügen.9 Dazu zählen die Empfangnahme der vertraglich zugesicherten Leistung mit befreiender Wirkung für den VR, wie auch die Kündigung des Versicherungsvertrages, um den Rückkaufswert gemäß § 176 VVG zu erlangen.10 Dieser Gutglaubensschutz stellt keine ungerechtfertigte Benachteiligung des VN dar, da es in seiner Entscheidungsgewalt liegt, ob er den Versicherungsschein aus der Hand gibt und damit Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet werden.11 Die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins erstreckt sich auf die Befugnis, vertragsrelevante Rechtshandlungen vorzunehmen, begründet aber keinen Gutglaubensschutz hinsichtlich der Echtheit einer Erklärungsurkunde.12 Wird daher eine gefälschte Urkunde zur Herbeiführung einer Rechtsfolge vom Versicherungsscheininhaber vorgelegt, soll eine wirksame Erklärung vorliegen.13 Liegt eine entsprechende (unwirksame) Kündigung vor, stellt die Rückgabe des Versicherungsscheins mit der Bitte um 4 OLG Hamm 19.6.2017 – I-20 U 39/17, VersR 2017 1325, 1328; OLG München 7.6.2017 – 25 U 203/17, NJOZ 2018 1293, 1295; OLG Saarbrücken 17.5.2017 – 5 U 35/16, NJW-RR 2018 35, 38; OLG München 7.4.2017 – 25 U 4024/16, NJOZ 2018 102, 103; OLG Hamm 24.2.1995 – 20 U 319/94, VersR 1996 615; Prölss/Martin/Rudy § 4 Rn. 1; Berliner Kommentar/ Schwintowski § 4 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 4; Meixner/Steinbeck § 3 Rn. 32; Präve VW 2009 98. 5 BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709; OLG Hamm 28.7.1992 – 20 W 51/91, NJW-RR 1993 296; Langheid/ Wandt/Armbrüster § 4 Rn. 1. 6 Deutsch Rn. 82. 7 OLG Köln 26.5.1994 – 5 U 119/93, RuS 1994 356; OLG Hamm 24.2.1995 – 20 U 319/94, VersR 1996 615; vgl. Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 4. 8 BGH 10.3.2010 – IV ZR 204/08, VersR 2010 936, 937; OLG Hamm 19.6.2017 – I-20 U 39/17, VersR 2017 1325, 1328; OLG München 7.6.2017 – 25 U 203/17, NJOZ 2018 1293, 1296; OLG München 7.4.2017 – 25 U 4024/16, NJOZ 2018 102, 103; OLG Koblenz 29.2.2008 – 10 U 229/07, VersR 2008 1338; OLG Hamm 24.2.1995 – 20 U 319/94, VersR 1996 615; OLG Köln 29.3.1990 – 5 U 151/89, VersR 1990 1338; Meixner/Steinbeck § 3 Rn. 32. 9 BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, NJW 2000 2103; OLG Brandenburg 28.8.2012 – 11 U 120/11 (juris Rn. 20); OLG Bremen 19.2.2008 – 3 U 45/07, VersR 2008 1056; OLG Koblenz 4.1.2002 – 10 U 595/01, NVersZ 2002 212. 10 BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936, 937; BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709; OLG München 7.6.2017 – 25 U 203/17, NJOZ 2018 1293, 1295; OLG München 7.4.2017 – 25 U 4024/16, NJOZ 2018 102, 103; OLG Karlsruhe 18.1.1979 – 12 U 143/78, VersR 1979 929; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 7; Prölss/Martin/Reiff/ Schneider § 8 ALB 2016 Rn. 5; zur Legitimationswirkung zulasten Geschäftsunfähiger vgl. OLG Saarbrücken 30.7.2014 – 5 U 73/13, RuS 2015 512. 11 OLG Koblenz 4.1.2002 – 10 U 595/01, NVersZ 2002 212. 12 KG Berlin 23.3.2007 – 6 U 3/07, RuS 2008 253; vgl. Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 9. 13 BGH 20.5.2009 – IV ZR 16/08, VersR 2009 1061; Langheid/Wandt/Armbrüster § 4 Rn. 8; a. A. noch KG Berlin 23.3.2007 – 6 U 3/07, RuS 2008 253. Knops

636

B. Kommentierung

VVG § 4

Auszahlung keine konkludente Kündigungserklärung dar.14 Der VR kann somit gegen Vorlage des Versicherungsscheins leisten, verpflichtet dazu ist er jedoch nur dann, wenn der Vorlegende den Nachweis der materiellen Berechtigung führt, etwa durch Vorlage des Versicherungsvertrags. Die Qualifizierung des Versicherungsscheins als einen Schuldschein berechtigt den VR auch nach Zahlung der Versicherungssumme den Versicherungsschein gemäß § 371 BGB zurückzuverlangen.15 Bei dem Versicherungsschein auf den Inhaber handelt es sich somit um ein sog. hinkendes 4 Inhaberpapier bzw. ein qualifiziertes Legitimationspapier.16 Da der Versicherungsschein kein echtes Inhaberpapier i. S. d. § 793 BGB ist,17 hat selbst die Benennung des Inhabers des Versicherungsscheins als Bezugsberechtigten nicht die Wirkung der Einräumung eines Bezugsrechts zugunsten des Inhabers.18 Die Bezugsberechtigung liegt erst dann vor, wenn der Inhaber des Versicherungsscheins entsprechend der Grundsätze des § 854 BGB mit Wissen und Wollen des VN den Besitz an dem Versicherungsschein erlangt hat.19 Der Vorteil des Versicherungsscheins in der Form des § 4 Abs. 1 für den VN liegt in der schnellen Abwicklung im Versicherungsfall. Der VN kann einen Vertreter zur Abwicklung einschalten, da auch ein Bevollmächtigter als Inhaber i. S. d. Norm gilt.20 Die Inhaberklausel bewirkt daneben den Schutz des Versicherers vor einer mehrfachen Zahlung und nimmt ihm insoweit das Insolvenzrisiko im Falle einer Kondiktion gegen den Schuldner.21 Der VR wird vielmehr ungeachtet eines materiell-rechtlichen Erfüllungsanspruchs durch die Leistung an den Inhaber der Urkunde von seinen Leistungspflichten befreit.22 Die Regelung des Abs. 1 ist mit Blick auf den Wortlaut als Rechtsfolgenverweisung ausge- 5 staltet.23 Dieser Rechtsfolgenverweis betrifft sowohl die Wirkung der Leistungsbefreiung des § 808 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn den VR die Leistung an den Inhaber der Urkunde bewirkt,24 als auch die Wirkung eines Leistungsverweigerungsrechts des VR bis zur Aushändigung der Urkunde aus § 808 Abs. 1 Satz 2 BGB25 als dilatorische Einrede. Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 vor, so treten die Rechtsfolgen des § 808 BGB zwingend ein und sind insoweit nicht abdingbar.26

14 Siehe im Einzelnen die Fallgestaltung bei KG Berlin 23.3.2007 – 6 U 3/07, RuS 2008 253. 15 Siehe auch Bruck/Möller/Möller8 § 4 Anm. 4. 16 BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936, 937; OLG Hamm 19.6.2017 – I-20 U 39/17, VersR 2017 1325, 1328; OLG Köln 26.5.1994 – 5 U 119/93, RuS 1994 356; Berliner Kommentar/Schwintowski § 4 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 4; Werber/Winter Rn. 89; Seiffert RuS 2010 177, 183 f. 17 OLG Hamm 28.7.1992 – 20 W 51/91, NJW-RR 1993 296; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 1; etwas anderes kann im Falle von Seeversicherungen gelten, da Abs. 1 nach § 209 VVG keine Anwendung findet, vgl. insoweit auch BGH 24.5.1962 – II ZR 199/60, NJW 1962 1436. 18 OLG Hamm 28.7.1992 – 20 W 51/91, NJW-RR 1993 296. 19 OLG Hamm 28.7.1992 – 20 W 51/91, NJW-RR 1993 296. 20 OLG Koblenz 4.1.2002 – 10 U 595/01, VersR 2002 873 (zu § 11 ALB 1986). 21 Vgl. hierzu BGH 20.5.2009 – IV ZR 16/08, VersR 2009 1061; BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709, 710. 22 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 4 Rn. 11. 23 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 4 Rn. 4; Langheid/Wandt/Armbrüster § 4 Rn. 5. 24 In diesem Zusammenhang hat der BGH (22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709) § 8 Abs. 2 ALB 2014 nach der der Lebensversicherer „den Inhaber der Urkunde als berechtigt ansehen kann, über die Rechte aus dem Vertrag zu verfügen, insbes. Leistungen in Empfang zu nehmen“, nicht beanstandet, vor allem liege in dem Fall keine Abweichung vom wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vor; vgl. hierzu auch OLG Bremen 19.2.2008 – 3 U 45/07, VersR 2008 1056; Präve VW 2009 98; siehe auch OLG Brandenburg 28.8.2012 – 11 U 120/11 (juris Rn. 20). 25 OLG München 14.8.2008, RuS 2009 159; vgl. OLG Brandenburg 28.8.2012 – 11 U 120/11 (juris Rn. 20). 26 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 4 Rn. 7; Staudinger/Halm/Wendt/Reusch § 4 Rn. 15; Langheid/Wandt/ Armbrüster § 4 Rn. 17. 637

Knops

§ 4 VVG

6

Versicherungsschein auf den Inhaber

Leistet der VR gegen Vorlage des Versicherungsscheins, obwohl er Kenntnis von der mangelnden Verfügungsberechtigung hat, so wird er von seiner Leistungspflicht nicht befreit.27 Dies gilt auch bei grob fahrlässiger Unkenntnis der mangelnden Verfügungsbefugnis.28 Dagegen soll eine Befreiungswirkung eintreten, wenn dem VR mit dem Versicherungsschein eine gefälschte Kündigung des VN vorgelegt wird, aufgrund welcher er leistet.29 Hat der VR etwa bei lediglich leichter Fahrlässigkeit bezüglich der Unkenntnis der fehlenden Verfügungsbefugnis mit befreiender Wirkung geleistet und merkt danach, dass der Leistungsempfänger materiellrechtlich nicht zum Empfang der Leistung berechtigt war, muss er sich nicht auf die Befreiungswirkung berufen. Stattdessen kann er die ausgezahlte Versicherungssumme nach den §§ 812 ff. BGB zurückverlangen30 und an den wahren Berechtigten auszahlen.

II. Leistung nur gegen Rückgabe des Versicherungsscheins (Absatz 2) 7 Es besteht die Möglichkeit, im Versicherungsvertrag zu bestimmen, dass der VR nur gegen Rückgabe des auf den Inhaber ausgestellten Versicherungsscheines zu leisten hat (§ 4 Abs. 2 Satz 1). Dies betrifft auch die Leistung des Rückkaufswerts bei der Lebensversicherung.31 Durch diese Bestimmung wird der Versicherungsschein zu einem echten Inhaberpapier. Aus diesem Grund ist der VN – anders als nach § 4 Abs. 1 – ohne Vorlage nicht berechtigt, die vertraglich geschuldete Leistung zu verlangen.32 Kann der VN den Versicherungsschein nicht mehr zurückgeben (nach dem Wortlaut der Norm reicht hierfür eine entsprechende Behauptung des VN), genügt gemäß Absatz 2 Satz 1 auch sein öffentlich beglaubigtes Anerkenntnis, dass (mit der Leistung des VR) die Schuld erloschen ist. 8 Zusätzlich kann der VN vom VR aufgefordert werden, die Erklärung mit dem Inhalt abzugeben, dass sich der Versicherungsschein nicht mehr in seinem Besitz befindet. Die Aufforderung wird häufig mit einer Schadensersatzhaftung für den Fall einer doppelten Inanspruchnahme des VR versehen. Eine solche Haftung ist jedoch überflüssig, da es sich bei dem Versicherungsschein um ein qualifiziertes Legitimationspapier oder Inhaberpapier handelt und der VR nur gegen Nachweis der materiellen Berechtigung leisten muss bzw. darf. Andererseits kann sich der VR statt der Rückgabe oder einem beglaubigten Anerkenntnis mit einer schriftlichen Zustimmungserklärung des VN begnügen.33 Unterliegt der Versicherungsschein der Kraftloserklärung (§ 808 Abs. 2 Satz 2 BGB) ist das öffentliche Anerkenntnis entbehrlich.34 27 BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936, 938; BGH 24.2.1999 – IV ZR 122/98, VersR 1999 700; OLG München 7.6.2017 – 25 U 203/17, NJOZ 2018 1293, 1296 f.; OLG München 7.4.2017 – 25 U 4024/16, NJOZ 2018 102, 103; OLG Koblenz 29.2.2008 – 10 U 229/07, VersR 2008 1338; OLG Koblenz 4.1.2002 – 10 U 595/01, VersR 2002 873; OLG Hamm 24.2.1995 – 20 U 319/94, VersR 1996 615; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 9. 28 OLG Karlsruhe 3.9.1998 – 9 U 177/97, NVersZ 1999 67; OLG Düsseldorf 27.11.1986 – 6 U 49/86, NJW 1987 654; OLG Karlsruhe 18.1.1979 – 12 U 143/78, VersR 1979 929; MüKo-BGB/Hüffer § 808 Rn. 15; Prölss/Martin/Reiff/Schneider § 8 ALB 2016 Rn. 10 m. w. N.; wohl auch OLG Koblenz 29.2.2008 – 10 U 229/07, VersR 2008 1338; Seiffert RuS 2010 177, 183; offen lassend BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936, 938; BGH 20.5.2009 – IV ZR 16/08, VersR 2009 1061; BGH 24.2.1999 – IV ZR 122/98, VersR 1999 700; OLG München 7.6.2017 – 25 U 203/17, NJOZ 2018 1293, 1297; OLG München 7.4.2017 – 25 U 4024/16, NJOZ 2018 102, 103; OLG Koblenz 4.1.2002 – 10 U 595/01, NVersZ 2002 212; a. A. OLG Karlsruhe 18.1.1990 – 12 U 290/89, VersR 1990 1338; OLG Hamm 24.2.1995 – 20 U 319/94, VersR 1996 615, wonach eine Befreiungswirkung nur bei positiver Kenntnis der Nichtberechtigung entfalle. 29 BGH 20.5.2009 – IV ZR 16/08, VersR 2009 1061; a. A. noch KG Berlin 23.3.2007 – 6 U 3/07, RuS 2008 253. 30 BGH 19.10.1987 – II ZR 9/87, NJW 1988 700; OLG Düsseldorf 14.6.2005 – I-4 U 109/04, NJW-RR 2006 1470; OLG Hamm 26.11.1991 – 10 U 59/91, OLGR 1992 167. 31 LG Köln 30.6.1976 – 74 O 199/75, RuS 1977 45. 32 LG Köln 30.6.1976 – 74 O 199/75, RuS 1977 45; Berliner Kommentar/Schwintowski § 4 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 10. 33 BGH 11.1.2006 – IV ZR 52/04, VersR 2006 394; Langheid/Wandt/Armbrüster § 4 Rn. 19. 34 Berliner Kommentar/Schwintowski § 4 Rn. 9. Knops

638

B. Kommentierung

VVG § 4

III. Abdingbarkeit Obgleich § 4 Abs. 1 in § 18 nicht ausdrücklich genannt ist, ist dessen zwingender Charakter 9 anerkannt35 und im Hinblick auf den Normzweck folgerichtig.36

35 Langheid/Wandt/Armbrüster § 4 Rn. 17; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 14; Staudinger/Halm/Wendt/ Reusch § 4 Rn. 15, die sich alle auf S. 65 und/oder S. 77 der Motive beziehen.

36 Siehe oben Rn. 1 ff. Vor diesem Hintergrund wäre es missverständlich, eine Klausel, wonach der Inhaber des Versicherungsscheins als verfügungs- und insbesondere als empfangsberechtigt anzusehen ist, als abweichende Vereinbarung anzusehen (so aber Looschelders/Pohlmann/Schneider § 4 Rn. 14). Sie ist in § 4 Abs. 1 nämlich bereits vorausgesetzt (BGH 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709 und unter Berufung darauf etwa OLG Bremen 19.2.2008 – 3 U 45/07, VersR 2008 1056, 1057). 639

Knops

§ 5 Abweichender Versicherungsschein (1) Weicht der Inhalt des Versicherungsscheins von dem Antrag des Versicherungsnehmers oder den getroffenen Vereinbarungen ab, gilt die Abweichung als genehmigt, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt sind und der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht. (2) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer bei Übermittlung des Versicherungsscheins darauf hinzuweisen, dass Abweichungen als genehmigt gelten, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht. Auf jede Abweichung und die hiermit verbundenen Rechtsfolgen ist der Versicherungsnehmer durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein aufmerksam zu machen. (3) Hat der Versicherer die Verpflichtungen nach Absatz 2 nicht erfüllt, gilt der Vertrag als mit dem Inhalt des Antrags des Versicherungsnehmers geschlossen. (4) Eine Vereinbarung, durch die der Versicherungsnehmer darauf verzichtet, den Vertrag wegen Irrtums anzufechten, ist unwirksam.

Schrifttum Glauber Die Empfangsvollmacht des Vermittlungsagenten bei Antragstellung, VersR 1992 937; Kisch Der Versicherungsschein (1952); Klimke Analoge Anwendung des § 5 VVG bei Vertragsschlüssen nach dem „Invitatio-Modell“ (§ 5 VVG), VersR 2011 1244; Koziol Begünstigende Abweichungen im Versicherungsschein, JBl. 1981 575; Martin Verspätete „Annahme“ von Versicherungsverträgen, ZVersWiss 1976 549; Piontek Die Anpassung des Beitragssatzes in der Kraftfahrt-Versicherung aufgrund Vorbehalts im Versicherungsschein – ein Anwendungsfall von § 5 VVG? RuS 2017 124; Prölss Zum Erfordernis der Kausalität bei Verstößen des Versicherers gegen Belehrungsverbote, Festschrift Ernst Klingmüller (1974) 335; Rohles Die Billigungsklausel des § 5 VVG, VW 1984 462; Ruppelt Der § 5 VVG, seine Auslegung und Anwendung durch Lehre und Rechtsprechung, Diss. Hamburg 1951; Schneider Dokumentationsfehler in Maklerpolicen – Zu § 5 VVG und zum „Dornbracht“-Urteil des OLG Hamm, RuS 2012 417; Schreiber Zur Anwendung der „Billigungsklausel“ des § 5 VVG, VersR 1994 760; Schulz Abweichungen zwischen Antrag und Versicherungsschein, ZfV 1957 389; Taupitz Die „Augen und Ohren“ des Versicherers, Festschrift Egon Lorenz (1994) 673.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Kommentierung

I.

Abweichender Versicherungsschein (Absatz 1) 6 7 Abweichung

1.

2 3

9

2.

Widerspruch

II.

Hinweispflicht (Absatz 2)

III.

Rechtsfolgen bei unterbliebenem ordnungsge14 mäßen Hinweis (Absatz 3)

IV.

Abbedingung der Irrtumsanfechtung (Ab15 satz 4)

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

11

4 6

17 18

A. Einführung 1 § 5 unterstreicht die Wichtigkeit des Versicherungsscheins und bestimmt, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn der Versicherungsschein von dem bereits geschlossenen Versicherungsvertrag oder dem gestellten Versicherungsantrag abweicht. Knops https://doi.org/10.1515/9783110522600-012

640

A. Einführung

VVG § 5

I. Entstehungsgeschichte Durch die Reform ist der sachliche Inhalt des § 5 beibehalten worden. Die Norm wurde vor 2 allem sprachlich gegenüber der vorher als Billigungsklausel bezeichneten Regelung des § 5 a. F. modifiziert. Die Vorschrift regelt den Fall, dass das Vertragsangebot und die Angebotsannahme nicht übereinstimmen. So enthält Absatz 1 zur Klarstellung nun den Hinweis, dass eine Vertragsänderung bei abweichendem Versicherungsschein nur unter der Bedingung des Absatzes 2 möglich ist. Auch stellt der Absatz 1 nicht mehr auf den Empfang des Versicherungsscheins ab, sondern – aufgrund der nun möglichen Textform nach § 126b BGB – auf dessen Zugang. Eine Veränderung des Absatzes 2 ist hinsichtlich der Form des Hinweises gegeben. Während nach altem Recht der Hinweis noch gesondert ergehen konnte, muss er nach neuer Regelung im Versicherungsschein selbst vermerkt sein. Dies soll verhindern, dass dieser leichtfertig übersehen werden kann.1

II. Inhalt und Zweck der Regelung Absatz 1 legt fest, dass eine konstitutive Vertragsänderung eintritt, wenn der Inhalt des Versi- 3 cherungsscheins (zum Versicherungsschein siehe § 3 Rn. 1 ff.) von dem Versicherungsantrag oder einer mündlich2 vereinbarten (zusätzlichen) Abrede abweicht und der VN nicht binnen eines Monates nach Zugang des Versicherungsscheins schriftlich widerspricht (Absatz 2). Der abweichende Versicherungsschein stellt somit keine Ablehnung des ursprünglichen Antrags verbunden mit einem neuen Antrag dar. Um dem VN seine Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und ihm die Vertragsänderung im Falle mangelnden Widerspruchs3 bewusst zu machen, tritt die unwiderlegbare Genehmigungsfiktion nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 ein.4 Eine Vertragsänderung durch einen abweichenden Versicherungsschein setzt daher voraus, dass im Versicherungsschein durch einen auffälligen, aus dem übrigen Inhalt hervorgehobenen Hinweis auf die Abweichungen und die hiermit verbundenen Rechtsfolgen aufmerksam gemacht wird (Abs. 2 Satz 2). Des Weiteren tritt die Billigung nur ein, wenn der VR den VN darauf hinweist, dass die Abweichungen als genehmigt gelten, falls der VN nicht binnen eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht (Abs. 2 Satz 1). Entspricht der abweichende Versicherungsschein nicht den genannten Voraussetzungen, so wird nach Absatz 3 der Versicherungsvertrag mit dem Inhalt des Antrages wirksam (sog. umgekehrte Billigungsklausel).5 Wurde ein Versicherungsvertrag bereits geschlossen, bleibt er unverändert bestehen. Zum Schutz des VN normiert Absatz 4 schließlich zwingend die Unabdingbarkeit der Irrtumsanfechtung.

III. Anwendungsbereich Die Genehmigungsfiktion des § 5 Abs. 1 und 2 findet nur Anwendung, wenn dem abweichenden 4 Versicherungsschein ein bindender Antrag des VN auf einen bestimmten Vertragsschluss oder 1 BTDrucks. 16/3945 S. 57. 2 Siehe Schreiber VersR 1994 760; ebenso Bruck/Möller/Möller8 § 5 Anm. 5; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 24.

3 Absatz 1 normiert insofern eine Ausnahme zum allgemeinen Rechtsgrundsatz, nach dem Schweigen grundsätzlich kein Erklärungswert beigemessen werden kann, vgl. hierzu auch BGH 19.9.2002 – V ZB 37/02, NJW 2002 3629.

4 Langheid/Rixecker § 5 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 4; a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Brömmelmeyer § 5 Rn. 38.

5 BGH 28.5.1969 – IV ZR 617/68, VersR 1969 723; ebenso OLG Karlsruhe 15.12.2005 – 12 U 150/05, VersR 2006 783, 784; Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 57. 641

Knops

§ 5 VVG

Abweichender Versicherungsschein

ein bereits geschlossener Vertrag zeitlich voran ging.6 Daher tritt keine Genehmigungsfiktion nach Absatz 1 ein, wenn der VR dem VN unerwartet einen Versicherungsschein übersendet, in dem er einen Antrag oder eine Abweichung von einem bestehenden Vertrag vornimmt.7 Ebenso fallen einseitig zu treffende Bestimmungen, wie etwa die einseitig festzulegende Bezugsberechtigung gemäß § 159 nicht in den Anwendungsbereich des Absatz 1.8 Unanwendbar ist die Billigungsklausel auch in Fällen, in denen ein abweichender Ersatzversicherungsschein übermittelt wird, ohne dass der Originalschein abhandengekommen ist oder eine sonstige Vertragsänderung vorliegt.9 Auch kann sich der VN nicht auf das Fehlen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 berufen, wenn der Versicherungsschein zwar vom schriftlichen Versicherungsantrag abweicht, jedoch dem zuvor vom VN mündlich vorgetragenen Versicherungsantrag entspricht.10 Hingegen werden Nachträge zum Versicherungsvertrag zu einem Bestandteil des Versicherungsscheins und fallen in den Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1.11 Jede Vertragsänderung erfordert daher die Übermittlung eines aktualisierten Versicherungsscheins, da nur so eine Genehmigungsfiktion durch billigendes Schweigen eintreten kann. 5 § 5 ist weiter nicht anwendbar, wenn ein Antrag auf Versicherung wegen verspäteter Annahme keine Bindungswirkung mehr entfaltet.12 Denn nach den allgemeinen Vorschriften über das Zustandekommen von Verträgen, ist die verspätete Annahme nach § 150 Abs. 1 BGB als ein neues Angebot zu werten.13 Zwar könnte der VN auch dieses neue Angebot konkludent durch Zahlung der Prämie annehmen. Davon kann aber nicht ausgegangen werden, wenn der VN mit der Zahlung annimmt, seine Leistungspflicht aus einem bereits geschlossenen Vertrag zu erfüllen. Mithin liegt in solchen Fällen kein Vertragsschluss vor und es besteht auch kein Versicherungsschutz für den VN. Kann der VN dann aber nachweisen, dass er das neue Angebot angenommen hätte, wenn ihm die wahren Umstände bekannt gewesen wären, wird der VR wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung für schadensersatzpflichtig gehalten.14 Zutreffend ist daran, dass der VN in der Regel davon ausgehen darf, einen Versicherungsschein zu erhalten, der seinem Vertragsangebot entspricht und dass Abweichungen gekennzeichnet sind. Daher muss auch in Fällen, in denen der Antrag des VN erloschen ist, auf die Abweichungen im neuen Angebot hingewiesen werden.15 Denn wie bei einem abweichenden Versicherungsschein ergibt sich ein ähnliches Schutzbedürfnis des VN, weswegen § 5 Abs. 2 Satz 2 analog anzuwenden ist.16 Entspricht das neue Angebot außerdem nicht den Hinweisvorgaben des § 5 Abs. 2 Satz 2, verstößt der VR im Übrigen gegen seine vorvertraglichen Schutzpflichten, die bei Dauerschuld-

6 Vgl. auch Bruck/Möller/Möller8 § 5 Anm. 5; Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 4. 7 LG Dortmund 1.4.2014 – 2 S 9/14 (juris Rn. 10); vgl. OLG Braunschweig 4.11.1932 – 1 V 189/32, JRPV 1933 46, 46; LG Hamburg 16.3.1933 – H. X. 328/32, JRPV 1933 289, 290. 8 OLG Frankfurt 31.3.1999 – 7 W 59/98, NVersZ 1999 468. Anders ist dies, wenn ein zweiseitiges Bezugsrecht eingeräumt wurde siehe LG Dortmund 27.9.2007 – 2 S 12/07, BeckRS 2007 17368. 9 OLG Karlsruhe 29.8.1991 – 12 U 217/90, VersR 1992 1121. 10 OLG Düsseldorf 22.9.1998 – 4 U 177/97, NVersZ 1999 339; Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 9; Looschelders/ Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 24. 11 BGH 9.12.1965 – II ZR 165/63, VersR 1966 129; OLG Dresden 18.12.2017 – 4 W 1024/17, RuS 2018 377, 378; OLG München 15.12.2016 – 24 U 2174/16, RuS 2017 131, 132; OLG Hamm 10.6.1992 – 20 U 376/91, VersR 1993 169 f.; Prölss/ Martin/Rudy § 5 Rn. 1. 12 So BGH 9.7.1986 – IVa ZR 5/85, VersR 1986 986; BGH 23.2.1973 – IV ZR 129/71, VersR 1973 409, 410; OLG Köln 2.12.1982 – 5 U 93/82, VersR 1983 849; LG Dortmund 1.4.2014 – 2 S 9/14 Rn. 10 (juris). In einem solchen Fall liegt i. d. R. durch Zahlung der (Erst-)Prämie eine konkludente Annahme des Angebots durch den VN. 13 Berliner Kommentar/Schwintowski § 5 Rn. 7; Prölss/Martin/Rudy § 5 Rn. 2. 14 Martin ZVersWiss 1976 549, 561. 15 Prölss/Martin/Rudy § 5 Rn. 3; Langheid/Rixecker § 5 Rn. 11. 16 Prölss/Martin/Rudy § 5 Rn. 3; Berliner Kommentar/Schwintowski § 5 Rn. 7; zum „Invitatio-Modell“ siehe Klimke VersR 2011 1244, 1248. Knops

642

B. Kommentierung

VVG § 5

verhältnissen besonders stark ausgeprägt sind und macht sich ebenfalls schadensersatzpflichtig.17 Besonderheiten durch den Übergang von der alten zur neuen Regelung bestehen nicht.

B. Kommentierung I. Abweichender Versicherungsschein (Absatz 1) § 5 ist lex specialis zu § 150 Abs. 2 BGB,18 wonach eine Annahme eines Angebots unter Erwei- 6 terungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag gilt. Zugleich stellt die Norm eine Durchbrechung des Grundsatzes dar, wonach Schweigen keine Willenserklärung ist, weil die Abweichung als genehmigt gilt, wenn der VN ihr nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht und die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt sind.

1. Abweichung Abweichungen liegen vor, wenn der Versicherungsschein19 zu dem Angebot des VN auf Ab- 7 schluss eines Versicherungsvertrages, zu dem bereits abgeschlossenen Versicherungsvertrag oder zu schriftlich oder mündlich getroffenen Abreden in irgendeiner Art und Weise Diskrepanzen aufweist. Insbesondere auch mündliche Ergänzungen und Absprachen,20 die mit dem VR oder einem Agenten21 vereinbart werden, gehören zu den getroffenen Abreden.22 Eine hinweispflichtige Abweichung liegt aber nicht bereits dann vor, wenn lediglich der Wortlaut des Versicherungsscheins vom vereinbarten Vertrag oder Antrag abweicht.23 Vielmehr ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der Versicherungsschein den vereinbarten Vertragspunkten materiell entspricht.24 Hier sind insbesondere auch die mit dem Versicherungsschein übersandten Informationen nach § 7, die AVB und die übrigen Vertragsbestimmungen zur Auslegung heranzuziehen. Zu den schriftlichen Unterlagen können auch die zwischen dem VN und den Versicherungsagenten ausgehandelten Ergebnisse, insbesondere auch der vom VN zum Ausdruck

17 Berliner Kommentar/Schwintowski § 5 Rn. 7; Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 6. 18 H.M., vgl. nur OLG Brandenburg 9.8.2019 – 11 U 192/15 Rn. 15 (juris); OLG Dresden 18.12.2017 – 4 W 1024/17, RuS 2018 377, 379; OLG Hamm 12.10.1988 – 20 U 44/88, VersR 1989 946; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 1; Piontek RuS 2017 124, 125. 19 Als konkludente Annahme. 20 OLG Celle 26.2.2009 – 8 U 150/08, VersR 2009 914, 915 f.; OLG Köln 15.7.2008 – I-9 U 121/07, VersR 2009 488; Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 9; a. A. Ehrenzweig S. 64. 21 Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 9. Der Agent als Auge und Ohr des VR siehe BGH 18.12.1991 – IV ZR 299/ 90, VersR 1992 217; BGH 11.11.1987 – IVa ZR 240/86, VersR 1988 234; OLG Celle 26.2.2009 – 8 U 150/08, VersR 2009 914, 915 f. 22 Liegen Abweichungen vor, weil der Agent mündlich getroffene Absprachen mit dem VN nicht an den VR weiterleitet, wird die Abweichung nicht ohne Weiteres Vertragsbestandteil. Zur parallelen Problematik im Leasingdreieck Knops BB 1994 947 ff. Ein pauschaler Hinweis, dass mündliche Absprachen mit dem Agenten nicht zu Vertragsbestandteilen werden oder keine solchen darstellen, entspricht nicht den Voraussetzungen an den im Versicherungsschein zu platzierenden Hinweis nach Absatz 2 Satz 2 (vgl. OLG Saarbrücken 16.11.2011 – 5 U 60/11 – 12, VersR 2012 1120, 1122; Berliner Kommentar/Schwintowski § 5 Rn. 8). 23 OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469, 477; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 14. Nicht überzeugend ist es, wenn davon gesprochen wird, dass der „Versicherungsschein (.) nicht Spiegelbild der Vereinbarung sein“ muss (so AG München 19.11.1991 – 1101 C 24903/91, VersR 1992 1126). Vielmehr muss er die wesentlichen Ergebnisse der Vertragsverhandlungen korrekt wiedergeben oder bei Abweichungen darauf hinweisen. 24 Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 17; Kisch S. 70; vgl. OLG Saarbrücken 29.8.2018 – 5 U 16/18 Rn. 17 ff. (juris); OLG Dresden 18.12.2017 – 4 W 1024/17, RuS 2018 377, 379. 643

Knops

§ 5 VVG

Abweichender Versicherungsschein

gebrachte Versicherungswunsch und die erfolgte Beratungsleistung durch den Agenten, bei der Ermittlung des Vertragsgegenstandes berücksichtigt werden. War hingegen der vom VN gestellte Antrag nicht vollständig, sollen die notwendigen Vertragsergänzungen, die typischerweise vom VR vorgenommen werden, keine Abweichung i. S. d. Absatzes 1 darstellen.25 8 Vorteilhafte Abweichungen zugunsten des VN werden auch ohne Hinweis nach Ablauf der Widerspruchsfrist Vertragsbestandteil.26 Die Absätze 2 und 3 finden nur Anwendung bei Abweichungen, die für den VN ungünstig sind.27 Demgegenüber wird auf den Wortlaut der Norm verwiesen, der nicht zwischen ungünstigen und günstigen Abweichungen differenziere. Fehle ein Hinweis bezüglich der Abweichung werde diese somit unabhängig davon, ob sie für den VN günstig oder ungünstig ist, nicht Vertragsinhalt.28 Nach dem Telos der Norm verbietet sich jedoch eine solche Auslegung. § 5 ist als Schutzvorschrift zugunsten des VN in das VVG eingeführt worden.29 Deswegen besteht hinsichtlich der Interessen des VR nur ein eingeschränktes Schutzbedürfnis.30 Die Beurteilung, ob die Abweichung für den VN vorteilhaft oder nachteilig ist, hat subjektiv erfolgen.31 Zudem ist anzunehmen, dass günstige Abweichungen auch ohne expliziten Hinweis als durch den VN genehmigt gelten.32 Ähnlich wie bei der verspäteten Annahme, ist eine begünstigende Abweichung im Versicherungsschein daher als ein neues Angebot nach § 150 Abs. 2 BGB zu werten. Dem VN steht es mithin zu, auch dem durch den Versicherungsschein zu seinen Gunsten veränderten Vertrag zu widersprechen. Problematisch kann in diesem Fall der Zeitraum zwischen dem Zugang des Versicherungsscheins und dem Zeitpunkt sein, zu dem der VR mit dem Zugang eines Widerspruchs rechnen konnte. Da hier die Genehmigungsfiktion des Absatzes 1 nicht eintritt, wirkt die Annahme auch nicht auf den Zugang des Versicherungsscheines zurück. Bei Eintritt des Versicherungsfalles hätte der VN somit keinen Versicherungsschutz und stünde schlechter als bei der Anwendung des Absatzes 1. Zu seinem Schutz ist daher von der stillschweigenden Vereinbarung einer Rückwärtsversicherung im Sinne des § 2 für den Zeitraum bis zum Wirksamwerden des neuen Vertrages durch eine stillschweigende Annahme des VN auszugehen.33 Bleibt zunächst unklar, ob eine günstige oder ungünstige Abweichung vorliegt, gilt der Vertrag nach Absatz 3 als mit dem Antragsinhalt geschlossen.34

25 Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 17; Schreiber VersR 1994 760, 761. 26 BGH 22.6.2016 – IV ZR 431/14, RuS 2016 554, 555; OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469, 477; Schneider RuS 2012 417, 418 ff.; so wohl auch OLG Hamm 20.2.2019 – I-20 U 2/19, VersR 2019 1364, 1364; OLG Stuttgart 8.4.2013 – 7 U 52/12, VersR 2013 1290, 1293; Piontek RuS 2017 124, 125; a. A. noch Voraufl. sowie OLG Celle 7.12.1959 – 1 U 87/59, VersR 1960 121, 122; Schreiber VersR 1994 760, 762 ff.; siehe auch Koziol Jbl. 1981 575. 27 BGH 22.6.2016 – IV ZR 431/14, RuS 2016 554, 555; BGH 22.2.1995 – IV ZR 58/94, VersR 1995 648; BGH 11.1.1989 – IVa ZR 245/87, VersR 1989 395; BGH 21.1.1976 – IV ZR 123/74, VersR 1976 477, 478; OLG Hamm 20.2.2019 – I-20 U 2/ 19, VersR 2019 1364, 1364; OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469, 477; OLG Düsseldorf 24.4.2001 – 4 U 137/00, RuS 2001 424; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 16; Piontek RuS 2017 124, 125; Schneider RuS 2012 417, 418 ff.; siehe auch ÖOGH 27.4.2001 – 7 Ob 69/01 z, VersR 2002 1310. 28 Kisch S. 74. 29 Rohles VW 1984 462; Schneider VersR 1994 760, 762. 30 Akzentuierter noch Bruck/Möller/Möller8 § 5 Anm. 9. 31 OGH 4.7.2018 – 7 Ob 114/18 t, VersR 2019, 381, 384 unter Hinweis auf „OGH 7 Ob 242/06y – VersR 2007, 1015 = RIS-Justiz RS 0121820; Fenyves Zur Anwendung des § 5 VersVG auf begünstigende und gemischte Abweichungen in Festschrift für Kramer (2004)  813, 821 ff., insbesondere S. 826 m. w. N.; Fenyves/Schauer/Fenyves VersVG § 5 2014 Rn. 31 f.; Langheid/Wandt/Armbrüster2 § 5 Rn. 31. 32 Zugunsten des VN bestehende Abweichungen werden – sogar ohne einen Hinweis nach Ablauf der Widerspruchsfrist des § 5 Abs. 1 (rückwirkend [arg. § 184 Abs. 1 BGB]) Vertragsbestandteil werden (OLG Brandenburg 21.10.2019 – 11 U 147/18 Rn. 19 (juris); vgl. zudem Eichler Versicherungsrecht, 2. Aufl. (1975) S. 183). 33 Prölss/Martin/Rudy § 5 Rn. 7. 34 Vgl. näher Schreiber VersR 1994 760, 764. Knops

644

B. Kommentierung

VVG § 5

2. Widerspruch Widerspricht der VN der Vertragsänderung, die sich aus dem abweichenden Versicherungs- 9 schein ergibt, so bleibt ein bereits geschlossener Vertrag in der ursprünglichen Fassung wirksam bestehen. Liegt bislang lediglich ein bindendes Angebot des VN vor, das der VR unter Abweichung mit der Übersendung mittels des Versicherungsscheins angenommen hat und widerspricht daraufhin der VN, kommt kein Vertrag zustande. Bei dem Widerspruch handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die vom VN vorgenommen werden kann, aber nicht muss. Der Widerspruch des VN bewirkt, dass eine Änderung des Vertrages nicht eintritt und bei Personenmehrheit auch für die anderen VN wie bisher fortbesteht. Ausreichend für einen Widerspruch ist eine unbegründete Mitteilung, die der Textform des § 126b entspricht, so dass eine Erklärung per E-Mail, Telefax oder Computerfax ebenfalls dem Textformerfordernis genügt.35 Ein mündlich abgegebener Widerspruch kann nur unter den Anforderungen des § 242 BGB ausreichen, wenn der VR den Verzicht auf die Einhaltung der Form erklärt hat, indem er etwa den mündlichen Widerspruch akzeptiert hat.36 Die Willenserklärung des VN muss zumindest nach §§ 133, 157 BGB objektiv lediglich zum Ausdruck bringen, dass die Abweichung nicht gebilligt wird und muss binnen eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins erfolgen. Hinsichtlich des Zugangs und der Fristberechnung gelten mangels spezialgesetzlicher Regelungen die allgemeinen Vorschriften der §§ 187 f., 193 BGB. Wird die Ausschlussfrist für den Widerspruch versäumt, soll dies nicht entschuldigt werden können.37 Abzugrenzen ist der Widerspruch nach § 5 Abs. 1 von dem Widerruf gemäß § 8 VVG. Die 10 Widerrufsfrist des § 8 VVG wird regelmäßig mit der Übersendung des Versicherungsscheins beginnen. Zum einen ist die Übermittlung des Versicherungsscheins Voraussetzung für den Fristbeginn des Widerrufs, zum anderen erfolgt oft erst mit der Übersendung des Versicherungsscheins auch die Erteilung der restlichen fristrelevanten Informationen (siehe § 8 Rn. 53 ff.). Das Widerrufsrecht bleibt von dem Recht des VN zum Widerspruch unberührt.38 Widerruft der VN den Versicherungsvertrag gemäß § 8, ist die Möglichkeit zum Widerspruch mangels widerspruchsfähigen Vertrages ausgeschlossen. Welche Rechtsfolge der VN durch seine Willenserklärung erzielen will, ist durch Auslegung zu ermitteln.

II. Hinweispflicht (Absatz 2) Im Versicherungsschein selbst hat der VR den VN auf jede Abweichung und die hiermit verbun- 11 denen Rechtsfolgen zu informieren. Die entsprechenden Informationen müssen durch einen auffälligen Hinweis an den VN erfolgen. Bei mehreren Abweichungen sind somit mehrere deutliche Ausführungen erforderlich. Das Deutlichkeitsgebot verlangt, dass jeder Hinweis schon beim flüchtigen Durchlesen auffällt39 und zudem von einem durchschnittlichen VN verstanden werden kann. Um den Hinweis entsprechend deutlich zu gestalten, sollte er durch eine vom üblichen Text abhebende Farbe, Umrandung, Schriftart und -gestaltung oder Zeichen kenntlich gemacht werden.40 Wie bei der Belehrung über das Widerrufsrecht nach § 8 (siehe dort Rn. 75) können Sperrschrift, größere Lettern, Fett- oder Farbdruck genügen, wohingegen ablenkende 35 36 37 38 39

Siehe hierzu nur Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 42; Palandt/Ellenberger § 126b Rn. 3. Vgl. zum mündlich erklärten Widerspruch auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner § 9 Rn. 96. Prölss/Martin/Rudy § 5 Rn. 10; a. A. noch Bruck/Möller/Möller8 § 5 Anm. 13. BTDrucks. 16/3945 S. 57; vgl. BGH 8.3.2017 – IV ZR 98/16, VersR 2017 739, 739. OLG Karlsruhe 18.10.1990 – 12 U 134/90, VersR 1992 227 f.; Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 44; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 32. 40 Prölss/Martin/Rudy § 5 Rn. 20; Berliner Kommentar/Schwintowski § 5 Rn. 29; Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 44; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 32; Schreiber VersR 1994 760, 769; vgl. nur OLG Karlsruhe 14.1.2016 – 12 U 106/15, RuS 2016 190, 191. 645

Knops

§ 5 VVG

Abweichender Versicherungsschein

oder verwirrende Zusätze zu unterlassen, Erläuterungen nicht nur zulässig, sondern bei komplexen Abweichungen oft erforderlich sind. Die Abweichungen sollten als ein gesonderter Vertragspunkt im Versicherungsschein mit der Überschrift „Änderungen“ oder „Abweichungen“ aufgeführt werden. Unter dem Vertragspunkt ist es sinnvoll, die Änderungen separat aufzuzählen und zudem so zu formulieren, dass der VN beim ersten Durchlesen wahrnimmt, dass und welche nachteilige Vertragsänderung für ihn eintritt, wenn er dieser nicht schriftlich widerspricht. Ausreichend wäre etwa eine Formulierung, die klarstellt, dass von dem Antrag des VN in bestimmten Punkten abgewichen wird und eine Gegenüberstellung des ursprünglichen Antrags mit den Abweichungen nebst den Erläuterungen ihrer Wirkung folgt. 12 Die Hinweispflicht ist echte Rechtspflicht und nicht bloß eine Obliegenheit,41 auch wenn ihr Unterlassen nach Absatz 3 zur Folge hat, dass der Vertrag als mit dem Inhalt des Antrags des Versicherungsnehmers geschlossen gilt. Denn eine konstitutive Vertragsänderung durch einen abweichenden Versicherungsschein ist abhängig von der ordnungsgemäßen Rechtsbelehrung. Ein derartiger Hinweis auf einem gesonderten Papier, das zusätzlich zum Versicherungsschein übermittelt wird, erfüllt die Hinweispflicht gemäß Absatz 2 Satz 2 nach neuer Rechtslage nicht mehr. Hingegen nicht im Versicherungsschein, sondern bei Übermittlung des Versicherungs13 scheins, ist der VN darauf hinzuweisen, dass Abweichungen durch ihn als genehmigt gelten, wenn er diesen nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht. Der VR hat den VN mithin darüber zu unterrichten, dass er ab dem Zugang des Versicherungsscheins einen Monat Zeit hat, der Abweichung zu widersprechen – verbunden mit dem Hinweis, dass bei Widerspruch keine Vertragsänderung eintritt bzw. der Vertrag nicht zustande kommt und bei Unterlassen des Widerspruchs (durch Nichtäußerung) innerhalb dieser Frist sein Schweigen als Zustimmung gewertet und der Vertrag angepasst wird oder – je nachdem – mit der Abweichung zustande kommt.

III. Rechtsfolgen bei unterbliebenem ordnungsgemäßen Hinweis (Absatz 3) 14 Hat der VR den VN bezüglich einer ihn benachteiligenden Änderung nicht ordnungsgemäß belehrt, tritt die Rechtsfolge nach Absatz 3 ein. Danach gilt der Vertrag als mit dem Inhalt des Antrags des VN geschlossen. Vertragsinhalt wird also das, was im Versicherungsantrag des VN steht. Wurde der Versicherungsvertrag bereits geschlossen, bleibt der Vertrag unverändert bestehen. Die nicht ordnungsgemäß erfüllte Hinweis- und Belehrungspflicht steht dabei der unterlassenen gleich. Mit der genannten Rechtsfolge verdrängt die Regelung des § 5 Abs. 3 die allgemeine Regelung des § 150 Abs. 2 BGB. Die Rechtsfolge des Absatzes 3 tritt unabhängig von einem Verschulden des VR ein. Es ist also nicht erforderlich, dass der VR bewusst Abweichungen im Versicherungsschein vornimmt.42 Die Rechtsfolge des Absatzes 3 tritt auch unabhängig von der Kenntnis des VN von der Änderung ein. Selbst wenn dem VN die Änderung aufgefallen ist, wird diese ohne Belehrung nicht Vertragsbestandteil.43 Belehrt der VR den VN ordnungsgemäß, aber über rechtlich unzulässige Änderungen, werden auch diese nicht nach Absatz 1 verbindlich.44 Der Vertrag kommt in diesem Fall mit den zulässigen Vertragsteilen zustande, soweit dies ge41 Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 35; a. A. Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 27; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Brömmelmeyer § 5 Rn. 24.

42 BGH 25.3.1987 – IVa ZR 224/85, VersR 1987 663, 664 f.; OLG Saarbrücken 16.11.2011 – 5 U 60/11 – 12, VersR 2012 1120, 1122; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 48.

43 ÖOGH 27.4.2001 – 7 Ob 69/01 z, VersR 2002 1310, 1311; Staudinger/Halm/Wendt/Reusch § 5 Rn. 48; a. A. Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 43, der § 242 BGB heranzieht.

44 OLG Koblenz 19.2.1976 – 4 U 982/75, VersR 1976 977, 978; LG Aachen 31.3.1989 – 5 S 440/88, RuS 1989 206 f.; zu aufsichtsrechtlichen Folgen für den Versicherer vgl. OLG Karlsruhe 20.11.2008 – 12 U 234/07, VersR 2009 1104, 1105. Knops

646

C. Abdingbarkeit

VVG § 5

mäß § 139 BGB möglich ist, wobei erforderlichenfalls unzulässige Vertragsklauseln durch gesetzliche Regelungen zu ersetzen sind und der Vertrag zu ergänzen ist.45 Dies entspricht dem Schutzzweck des Absatzes 3, damit der VN nicht mangels wirksamen Vertrages ohne Versicherungsschutz bleibt.46 Absatz 3 dient somit als Schutznorm zugunsten des VN, weshalb sich der VR nicht auf das Fehlen einer ordnungsgemäßen Belehrung berufen kann, falls er von einer für den VN vorteilhaften Änderung Abstand nehmen will.47 Verpflichtet sich der VR so ungewollt zu einer Mehrleistung, besteht zu seinen Gunsten kein durchgreifendes Bedürfnis nach Vertragsänderung.48

IV. Abbedingung der Irrtumsanfechtung (Absatz 4) Absatz 4 regelt die Unabdingbarkeit der Irrtumsanfechtung. Dies betrifft sowohl die Irrtumsan- 15 fechtung gemäß §§ 119 ff. BGB als auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB. Eine Anfechtung wegen Irrtums über die Folgen des Schweigens ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht möglich,49 da es sich um eine Rechtsfolge handelt, die kraft Gesetzes eintritt.50 Geht der VN irrigerweise von der korrekten Wiedergabe des Versicherungsvertrages im Versicherungsschein aus, so kann er den Versicherungsvertrag wegen Irrtums nach §§ 119 ff. BGB anfechten. Ficht der VN die Genehmigungsfiktion nicht an, werden alle Abweichungen Vertragsbestandteil. Diese Regelung dient der Rechtssicherheit.51 Insgesamt geht es darum, Streitigkeiten über den Inhalt des Versicherungsvertrages zu vermeiden, und zwar zugunsten des Versicherungsschutzes des VN. Die primäre Funktion der Norm ist somit die Gewährleistung dieses Versicherungsschutzes. Rechtsfolge der angefochtenen stillschweigenden Genehmigung ist dieselbe wie beim Wi- 16 derspruch. Ficht der VN die Genehmigungsfiktion an, bringt er zum Ausdruck, dass er von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht.52 Handelte es sich bei der Übersendung des Versicherungsscheins um die Vertragsannahme, wird der Vertrag rückwirkend aufgehoben. Bei einem bereits geschlossenen Vertrag wird die konstitutive Vertragsänderung aufgehoben und der Vertrag bleibt weiterhin unverändert bestehen. Absatz 4 bezieht sich lediglich auf das Anfechtungsrecht des VN.53

C. Abdingbarkeit Die AVB werden Teil des Versicherungsvertrages, wenn die Voraussetzungen der §§ 305 ff. BGB 17 vorliegen. Da Absatz 1 auch auf den Antrag des VN anwendbar ist, wäre auch eine Einbeziehung der AVB über § 5 durch die Annahme des VR in Form von Übersendung des Versicherungsscheins und der AVB möglich.54 Diese Ergänzung des ursprünglichen Vertragsangebots des VN 45 46 47 48 49 50

OLG Koblenz 19.2.1976 – 4 U 982/75, VersR 1976 977, 978. LG Aachen 31.3.1989 – 5 S 440/88, RuS 1989 206 f. Rohles VW 1984 462; ebenso Schreiber VersR 1994 760, 762. Vgl. Schulz ZfV 1957 389; Koziol JBl. 1981 575, 581. Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 58; a.A. Berliner Kommentar/Schwintowski § 5 Rn. 36. BGH 10.7.2002 – VIII ZR 199/01, NJW 2002 3100; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 58; Prölss/Martin/ Rudy § 5 Rn. 22. 51 BGH 21.1.1976 – IV ZR 123/74, VersR 1976 477, 478; vgl. Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 2. 52 Schreiber VersR 1994 760, 772. 53 So auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 5 Rn. 45; a. A. Luckey VersR 1994, 1261; Prölss/Martin/ Rudy § 5 Rn. 16. 54 Bejahend zum neuen Recht: Schimikowski RuS 2007 309, 311; zum VVG 1908: BGH 28.5.1969 – IV ZR 617/68, VersR 1969 723, 724 f; Langheid/Rixecker § 5 Rn. 10; Prölss/Martin/Rudy § 5 Rn. 4; Berliner Kommentar/Schwintowski § 5 Rn. 6. 647

Knops

§ 5 VVG

Abweichender Versicherungsschein

würde Vertragsbestandteil, wenn der VR seine Hinweispflicht erfüllt und der VN nicht widerspricht. Würde es dem VR erlaubt sein, auf diesem Wege die AVB Vertragsbestandteil werden zu lassen, hätte dies faktisch dieselbe Wirkung als wäre das Policenmodell nicht abgeschafft worden. Dies widerspricht dem Willen des Gesetzgebers, der sich gerade bewusst gegen dieses entschieden hat. Die Anwendung des § 5 auf Fälle, bei denen die AVB erst durch die Annahme miteinbezogen werden sollen, ist daher abzulehnen.55

D. Beweislast 18 Der VN hat die Abweichung des Versicherungsscheins vom ursprünglichen Inhalt des Versicherungsvertrages bzw. -antrages zu beweisen.56 Beruft sich der VR auf die Genehmigungsfiktion des Absatzes 1, hat er als wirtschaftlich überlegene Vertragspartei zu beweisen, dass der Hinweis den Anforderungen nach Absatz 2 entsprach und die Belehrung dem VN auch zugegangen ist.57

55 Vgl. auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 5 Rn. 8. 56 OLG Frankfurt 26.5.1998 – 14 U 207/97, RuS 2000 114; Langheid/Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 16; Looschelders/ Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 61.

57 ÖOGH 11.9.1986 – 7 Ob 39/86, VersR 1988 199; ÖOGH 27.4.2001 – 7 Ob 69/01 z, VersR 2002 1310, 1311; Langheid/ Wandt/Armbrüster § 5 Rn. 35; Looschelders/Pohlmann/Schneider § 5 Rn. 62; Kisch S. 160. Knops

648

§ 6 Beratung des Versicherungsnehmers (1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren. (2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a. (3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten. (4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist. Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzellfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten. (5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Abs. 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.

Schrifttum Armbrüster Zur Verantwortung für die Festlegung des bedarfsgerechten Versicherungswertes in der Gebäudeversicherung, VersR 1997 931; ders. Beratungspflichten des Versicherers nach § 6 VVG n. F.: Grundlagen, Reichweite, Rechtsfolgen, ZVersWiss 2008 425; ders. Online-Vertrieb von Versicherungsprodukten, JuS 2019 299; Brand Beweiserleichterungen im Versicherungsvertragsrecht, VersR 2015 10; Dörner/Staudinger Kritische Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, WM 2006 1710; Fausten Informationsverpflichtung gegenüber dem Versicherungsnehmer bei Änderung oder Neueinführung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen, VuR 2003 366; Fricke Abschied von der Erfüllungshaftung des Versicherers? VersR 2015 1090; Ihle Der Informationsschutz des Versicherungsnehmers, 1. Auflage (2006); Kieninger Aufklärungspflichten bei fremdfinanzierter Lebensversicherung als Kapitalanlage, NVersZ 1999 118; ders. Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten beim Abschluss von Versicherungsverträgen, AcP 198 190; Klimke Die Hinweispflicht des Versicherers bei Einführung neuer AVB, NVersZ 1999 449; Koch (Fort-)Geltung des gewohnheitsrechtlichen Erfüllungsanspruchs nach der Reform des VVG, in: Wandt/Reiff/Looschelders/Bayer (Hrsg.), Festschrift E. Lorenz zum 80. Geburtstag (2014) 199-220; Küster Die vorvertragliche Beratungspflicht des Versicherers nach § 6 Abs. 1 und 2 VVG, VersR 2010 730; Leverenz Rechtliche Aspekte zum Versicherungsgeschäft im Internet, 1. Auflage (2001); Lorenz Die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung des Versicherers im bisherigen und im zukünftigen Versicherungsvertragesrecht, Festschrift Canaris (2007) 757; Makowski Vorvertragliche Informationspflichten des Versicherers nach § 7 Abs. 1 VVG – Informationsverzicht und Rechtsfolgen verspäteter Informationserteilung, ZIP 2015 1475; Mauntel Bedarfs- und produktbezogene Beratung beim Abschluss von Lebensversicherungsverträgen, VersR 2005 207; Münkel Die gesetzliche Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters und ihre Beschränkungen (2003); Notthoff Der Versicherungsvertragsabschluss im Internet, RuS 2018, 523; Pilz Die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung nach der VVG-Reform, VuR 2010 167; Pohlmann Viel Lärm um nichts – Beratungspflichten nach § 6 VVG und das Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und Prämie, VersR 2009 327; Reiff Das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts, VersR 2007 717; Römer Zu ausgewählten

649 https://doi.org/10.1515/9783110522600-013

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§ 6 VVG

Beratung des Versicherungsnehmers

Problemen der VVG-Reform nach dem Referentenentwurf vom 13. März 2006 (Teil 1), VersR 2006 740; ders. Zu ausgewählten Problemen der VVG-Reform nach dem Referentenentwurf vom 13. März 2006 (Teil 2), VersR 2006 865; ders. Informationspflichten in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, VersWissStud Bd. 11 (1999) 23; ders. Beratung nötig – Verzicht möglich – Zur Kunst der Gesetzgebung, VuR 2007 94; ders. Zu den Informationspflichten der Versicherer und ihrer Vermittler, VersR 1998 1313; Rübben Die Pflichten von Internetportalen bei Vertrieb von Versicherungsprodukten im Lichte europäischer Gesetzgebung, Berliner Reihe Bd. 51; Schimikowski Aktuelle Fragen zum Abschluss des Versicherungsvertrags, RuS 2012 577; Schirmer Beratungspflichten und Beratungsverschulden der Versicherer und ihrer Agenten, Teil I, RuS 1999 133; ders. Die Haftung des Versicherungsmaklers bei Hinzuziehung Dritter, insbesondere eines Maklerbetreuers des Versicherungsunternehmens, VersR 1998 661; Schwintowski Anlegerund objektgerechte Beratung in der Lebensversicherung, VuR 1997 83; Schwintowski/Ebers Lebensversicherung – stille Reserven – Überschussbeteiligung, ZVersWiss 2002 393; Stöbener Informations- und Beratungspflichten des VR nach der VVG-Reform, ZVersWiss 2007 465; dies. Beratungspflichten des Versicherers – von der Anlassrechtsprechung zur IDD, Berliner Reihe Bd. 53; Werber Information und Beratung des Versicherungsnehmers vor und nach Abschluss des Versicherungsvertrags, VersR 2007 1153; ders. § 6 VVG 2008 und die Haftung des Versicherers für Fehlberatung durch Vermittler, VersR 2008 285.

Übersicht IV.

1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Kommentierung der Tatbestandsmerkmale 13 des § 6

1 8

5. 6.

13 § 6 Abs. 1 13 Grundsätze Anlassbezogene Beratung – im bestmöglichen 18 Interesse der VN (§ 1a Abs. 1) 38 Wünsche und Bedürfnisse Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und Prä43 mie 46 Rat 47 Dokumentation

II.

§ 6 Abs. 2

50

III.

§ 6 Abs. 3

52

I. 1. 2. 3. 4.

1. 2. 3. 4.

Beratungspflichten nach Vertragsschluss (Ab58 satz 4) 58 Grundsätze 64 Anlass für eine Nachfrage und Beratung 76 Beratungspflicht nach Vertragsende 77 Beratungsverzicht

V. I.

Schadensersatzpflicht des VR (Absatz 5) 78 Grundsätze

II.

Pflichtverletzung

80

III.

Vertretenmüssen

81

VI.

Schadensersatz

86

VII. Mitverschulden

98

VIII. Beweislast

78

100

IX.

Anwendungsgrenzen (Absatz 6)

X.

Verfahrensrecht

102

108

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Das bis zum 31.12.2007 geltende VVG enthielt keine Vorschriften über die Beratung des VN vor Abschluss eines Versicherungsvertrages. Eine Aufklärungspflicht gegenüber dem VN bestand nur dann, wenn dieser nach den im Verkehr herrschenden Anschauungen redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Die Grenzen waren in jedem Einzelfall neu zu bestimmen, so waren weder der VR noch der Versicherungsvertreter verpflichtet, den VN von sich aus über alle Einzel-

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650

A. Einführung

VVG § 6

heiten der Vertragsbeziehungen aufzuklären und auf mögliche Schadensfälle, die von der Versicherung nicht gedeckt werden, hinzuweisen.1 Auch vor in Kraft treten des VVG 2008, bestand in Literatur und Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass den VR Hinweis- und Beratungspflichten treffen, wenn für ihn erkennbar war, dass der VN einer Belehrung bedurfte, weil er über einen für ihn wesentlichen Vertragspunkt – etwa der Reichweite des bestehenden Versicherungsschutzes – irrige Vorstellungen hatte.2 Einem sich daraus ergebende Aufklärungsbedürfnis durfte sich der VR auch nach der bis zum 31.12.2007 geltenden Rechtslage nicht verschließen.3 Folge einer Verletzung von Hinweis- und Beratungspflichten während des laufenden Versicherungsvertragen (heute: § 6 Abs. 4/5) konnte ein Schadensersatzanspruch des falschberatenden VN oder – bei Versicherung für fremde Rechnung – auch des Versicherten aus positiver Vertragsverletzung sein,4 der darauf gerichtet war, den VN so zu stellen, wie er stünde, wenn er ordnungsgemäß beraten worden wäre, wobei in diesem Fall für den VN die Vermutung bedarfsgerechten Verhaltens stritt:5 Im Rahmen der Beratungen der VVG-Reformkommission setzte sich relativ früh die Auffassung durch, dass die damals in VAG (§ 10a) kodifizierten Verbraucherinformationen in das VVG überführt werden müssten.6 Dies ist inzwischen durch Überführung in § 7 VVG geschehen. Bei den weiteren Beratungen der VVG-Reformkommission wurde deutlich, dass das VVG 2008 die vertraglichen Beziehungen zwischen VR und VN insgesamt und ohne Rücksicht darauf regelt, wie der einzelne VR seinen Vertrieb gestaltet. Deshalb legt § 6 dem VR eigene Hinweis- und Beratungspflichten auf.7 Dies gilt nicht nur für VR, die mit selbständigen Vertretern zusammenarbeiten, sondern für alle VR, also auch dann, wenn sie ohne Außendienst oder mit einem aus Arbeitnehmern bestehenden Außendienst arbeiten.8 Jede Beschränkung der Beratungspflicht z. B. der Direktversicherer würde – so die VVG-Reformkommission – dazu führen, dass die Rechte der VN von der unternehmerischen Entscheidung des einzelnen VR über seine Vertriebsorganisation abhängen. Dies sei unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der VN nicht zu rechtfertigen. Die dem VR neben dem Vermittler obliegende Frage- und Beratungspflicht – so die VVGReformkommission weiter – sei nur ein Mal zu erfüllen. Nehme also der VR für den Vertrieb die Dienste eines (gebundenen) Versicherungsvertreters in Anspruch, so erfülle dieser mit seiner Pflicht zugleich diejenige des VR, da er aufgrund des Vertretervertrages mit dem VR für diesen handele. Etwas anderes gelte im Falle einer Vermittlung durch einen Makler; dieser werde auch hinsichtlich der Beratung nicht als Vertreter des VR, sondern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung für den VN tätig. Der VR dürfe jedoch im Falle der Einschaltung eines Versicherungsmaklers davon ausgehen, dass dieser seine gegenüber dem VN obliegende Frage- und Beratungspflicht erfülle. Unter diesen Umständen sei eine zusätzliche, entsprechende Pflicht des VR nicht erforderlich.9 Diese Erwägungen hat sich der Gesetzgeber letztlich zu eigen gemacht. Zwar sei die Vermittlerrichtlinie auf die Versicherungsvermittlung durch den VR oder dessen Angestellte nicht anzuwenden.10 Für das Versicherungsvertragsrecht mache es aber keinen Sinn, dem

1 OLG Köln 29.3.1973 – 10 U 176/72 VersR 1974 199. 2 BGH 7.9.2016 – IV ZR 370/13 BeckRS 2016 17447 Rn. 13; BGH 5.2.1981 – IVa ZR 42/80 VersR 1981 621 623. 3 BGH 13.4.2005 – IV ZR 86/04 RuS 2005 455 unter II 3 m. w. N.; bestätigt; BGH 7.9.2016 – IV ZR 370/13 BeckRS 2016 17447 Rn. 13. 4 BGH 4.7.1989 – VII ZR 2017/88 Rn. 17 (juris). 5 BGH 10.5.2012 – IX ZR 125/10 BGHZ 193 Rn. 36 m. w. N. bestätigt; BGH 7.9.2016 – IV ZR 370/13 BeckRS 2016 17447: die Mitarbeiter des VR hätten sich aufdrängen müssen dass der VN einen Rentenantrag hätte stellen müssen. 6 Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30. Mai 2002 S. 34 f. 7 Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004 S. 14. 8 Abschlussbericht a. a. O. S. 14. 9 Abschlussbericht a. a. O. S. 15. 10 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 651

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2

3

4

5

§ 6 VVG

Beratung des Versicherungsnehmers

für Rechnung eines VR handelnden selbständigen Vermittler Pflichten im Interesse des VN aufzuerlegen, die der VR womöglich nicht haben sollte.11 6 Das Verhalten eines Versicherungsmaklers, der als Sachwalter des VN für diesen tätig ist, kann ausnahmsweise dem VR zuzurechnen sein. Das setzt aber voraus, dass der Makler zugleich Aufgaben, die typischerweise dem VR obliegen, mit dessen Wissen und Wollen übernimmt und damit in dessen Pflichtenkreis tätig wird.12 Mit Wirkung 23.2.2018 ist § 6 (geringfügig) novelliert worden.13 Für die Übermittlung des 7 erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt seit 23.2.2018 § 6a. Der Verzicht im Fernabsatz (Abs. 3) ist in Textform möglich. Der Anwendungsausschluss für Verträge im Fernabsatz im Sinne des § 312c BGB ist seit 23.2.2018 ersatzlos weggefallen, weil die Pflichten des § 6 auch für den Vertrieb von Versicherungen über das Internet, einschließlich eines Preis- und Produktvergleichs, gelten (§ 1a Abs. 2).14

II. Inhalt und Zweck der Regelung 8 Inhalt und Zweck der Regelung besteht darin, einen Gleichlauf zwischen den Beratungspflichten der Vermittler und der VR herzustellen. Für das Versicherungsvertragsrecht macht es keinen Sinn, dem für Rechnung eines VR handelnden selbständigen Vermittler Pflichten im Interesse des VN aufzuerlegen, die der VR womöglich nicht hat.15 Mit der Norm wird die vielfältige Rechtsprechung kodifiziert, die in der Vergangenheit Aufklärungs-, Informations- und Belehrungspflichten entwickelt hat. Dazu gehört etwa die Relevanzrechtsprechung des BGH16 oder auch die Rechtsprechung über die Notwendigkeit, den VN über die Rechtsfolgen der Nichtzahlung der Erstprämie zu belehren.17 Ob § 6 VVG darüber hinaus – im Zusammenwirken mit den Vorschriften über das Vermittler9 recht (§§ 59–73 VVG) – den Zweck hat, die vom Reichsgericht18 und BGH19 gewohnheitsrechtlich entwickelte Erfüllungshaftung des VR zu überwinden, ist letztlich zu verneinen.20 Die Rechtsprechung hält auch für das neue VVG – zu Recht – an der Erfüllungshaftung fest.21 Ebers und andere in der Literatur weisen darauf hin, dass es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass der Gesetzgeber mit § 6 Abs. 5 die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung abschaffen wollte.22 Vor allem besteht nach wie vor, so Ebers ein Bedürfnis für die Erfüllungshaftung, da diese besonderen Voraussetzungen und eigenen Rechtsfolgen unterliege. Mache z. B. der Versicherungsvertreter vor oder nach Vertragsschluss falsche Angaben über 10 den Inhalt des Vertrages oder die Bedeutung einzelner Versicherungsbedingungen, so gelte der Vertrag nach den Regeln der Erfüllungshaftung mit dem Inhalt als zustande gekommen, der 11 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 12 BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/15 ab Rn. 23 (juris); BGH 12.3.2014 – IV ZR 306/13 BGHZ 200 286 Rn. 22; BGH 11.7.2012 – IV ZR 164/11 BGHZ 194 39 Rn. 51. 13 Gesetz 17.8.2017 BGBl. I 3214 zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/9720.1.2016 (IDD) ABl.2.2.2016 L 26/19; Gesetzesbegründung in BTDrucks. 18/11627ab S. 43. 14 So bereits OLG München 6.4.2017 – 29 U 31/3916 BeckRS 2017 111987 für die Zeit bis 22.2.2018. 15 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 16 BGH 16.1.1970 BGHZ 53 160. 17 BGH 5.6.1985 VersR 1985 981. 18 RG 19.1.1915 RGZ 86 128. 19 BGH 9.5.1951 BGHZ 2 87. 20 Vgl. die Diskussion bei: Lorenz FS Canaris 2007 757; Dörner/Staudinger WM 2006 1710 f.; Armbrüster ZVersWiss 2008 425, 434; Fricke VersR 2015 1090; Rüffer/Halbach/Schimikowksi/Münkel § 6 Rn. 47; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 68; Schimikowski RuS 2012 577 582; Koch FS E. Lorenz (2014) 199; Looschelders/Pohlmann/ Pohlmann § 6 Rn. 15; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 77; Langheid/Rixecker/Rixecker § 6 Rn. 3. 21 OLG Frankfurt a.M 19.5.2011 – 7 U 67/08 VersR 2012 342; LG Saarbrücken 5.8.2013 – 14 O 152/12 VersR 2014 317. 22 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 68 m. w. N. Schwintowski

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

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den Erklärungen des Versicherungsvertreters entspreche.23 Die Erfüllungshaftung greife auch dann ein, wenn der Vertreter erkennbar falsche Vorstellungen des VN nicht berichtige. In diesem Fall würde der Vertrag in der Weise umgestaltet, dass er mit den irrigen Leistungserwartungen des VN übereinstimme.24 Vor allem, so Ebers, handle es sich bei der Erfüllungshaftung nicht um einen Schadener- 11 satzanspruch, wie in § 6 Abs. 5, sondern um eine Ausdehnung der Vertragserfüllung.25 Dabei spiele die Frage, ob der Vermittler Vertretungsmacht habe, keine Rolle. Entscheidend sei allein, dass er im Lager des VR stehe und in Erfüllung der ihm obliegenden Beratungs- und Informationspflichten handele.26 Der VR hafte danach, sowohl für Auskünfte seiner Angestellten, als auch für Auskünfte des gebundenen Versicherungsvertreters, wenngleich letzterer kein echter Vertreter im Sinne von § 164 BGB sei, sondern nach wie vor Vermittler, der keine Abschlussvollmacht habe.27 Auch ein solcher Versicherungsvertreter sei hinsichtlich der Beratungs- und Informationspflichten Erfüllungsgehilfe des VR.28 Münkel plädiert dafür, die Rechtsfolgen für die Erfüllungshaftung aus allgemeinen Grundsätzen abzuleiten.29 Das gelte insbesondere für das Zusammenspiel der Empfangsvollmacht des Vertreters (§ 69 Abs. 1 Nr. 1) mit § 5, wenn der VN auf diese Falschauskunft vertraut.30 Der VR haftet allerdings nicht für Auskünfte von Versicherungsmaklern und deren Ange- 12 stellte, da diese Sachwalter des VN sind.31 Ein Verschulden des VR oder seines Vertreters wird nicht vorausgesetzt; es muss allerdings ein Aufklärungs- und Beratungsbedürfnis erkennbar gewesen sein.32 Die Haftung des VR kann ausgeschlossen sein, wenn den VN ein erhebliches eigenes Verschulden trifft.33

B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6 I. § 6 Abs. 1 1. Grundsätze Die Verpflichtung des VR, den VN nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und 13 die Gründe, für den zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben sowie die Dokumentationspflicht nach Satz 2 entsprechen der für Versicherungsvermittler vorgesehenen Regelung (§ 61 Abs. 1). Die sowohl dem VR als auch dem Vermittler obliegende Frage- und Beratungspflicht ist dem VN gegenüber nur einmal zu erfüllen.34 Nimmt der VR für die Akquisition von 23 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 69. 24 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 69 und der Hinweis auf BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61, BGHZ 40 22; BGH 4.7.1989 – VI ZR 217/88, BGHZ 108 200; OLG Karlsruhe 18.4.1996 – 12 U 98/95 RuS 1998 13.

25 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 69. 26 BGH 4.7.1989 – VI ZR 217/88 BGHZ 108 200; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 43 Rn. 29f und 35; Berliner Kommentar/ Gruber § 43 Rn. 32; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 69. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 69. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 69 unter Hinweis auf BTDrucks. 16/3945 S. 58. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 47; unter Hinweis auf Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 78. Vertiefend Münkel Empfangsvollmacht, S. 128 ff. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 69; OLG Oldenburg 7.9.1994 – 2 U 25/94, RuS 1995 107; LG Köln 23.6.1982 – 24 O 353/81 zfs 1983 79. 32 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 70 und der Hinweis auf BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61 BGHZ 40 22 26; vertiefend Ihle der Informationsschutz des Versicherungsnehmers S. 227. 33 BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61 VersR 1963 768; BGH 1.3.1972 – IV ZR 1107/70 VersR 1972 530; OLG Koblenz 27.10.2006 – 10 U 1615/05 VersR 2007 482; vertiefend Beispiele bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 70; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 47. 34 BTDrucks. 16/3945 S. 58.

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Versicherungsverträgen die Dienste von (gebundenen) Versicherungsvertretern in Anspruch (vgl. die Begriffsbestimmung in § 59 Abs. 1), erfüllt der Vertreter gleichzeitig die Pflicht des VR nach § 6 Abs. 1 S. 1.35 Er handelt aufgrund des Vertretervertrages mit dem VR für und gegen diesen; einer gesetzlichen Regelung bedarf es insoweit nicht.36 Etwas anderes gilt im Falle einer Vermittlung durch einen Versicherungsmakler. Dieser wird nicht als Vertreter des VR, sondern als Sachwalter für den VN tätig.37 Der VR darf jedoch im Falle der Einschaltung eines Versicherungsmaklers davon ausgehen, dass dieser seine ihm gegenüber dem VN obliegende Frage- und Beratungspflicht erfüllt.38 Aus diesem Grunde ist es in diesen Fällen nicht erforderlich, auch dem VR eine entsprechende Verpflichtung aufzuerlegen. Aus diesem Grunde ist Absatz 1 nicht anwendbar, wenn der Vertrag von einem Versicherungsmakler vermittelt wird (§ 6 Abs. 6).39 Dies gilt auch, wenn der Vertrag durch einen Versicherungsberater (§ 59 Abs. 4) zustande kommt, da auch dieser im Lager des VN steht und ihn eigenständig berät; einer ausdrücklichen Klarstellung im Gesetz bedarf es insoweit nicht.40 Lässt ein VN durch einen Versicherungsberater eine aktuelle Vertragsübersicht bei seinem privaten Krankenversicherer einholen, so gibt dies allein für den VR keinen Anlass zur Nachfrage und Beratung.41 Etwas anderes gilt bei der Zwischenschaltung von Gelegenheitsvermittlern nach § 34d Abs. 8 GewO (§ 34d Abs. 9 GewO a. F.) GewO, da diese der Frage- und Beratungspflicht nach § 66 nicht unterworfen sind. Das Verhalten eines Versicherungsmaklers, der als Vertragspartners des VN für diesen tätig ist, kann ausnahmsweise dem VR zuzurechnen sein, wenn der Vermittler zugleich Aufgaben, die typischerweise dem VR obliegen, mit dessen Willen und Wollen übernimmt und damit in dessen Pflichtenkreis tätig wird.42 Bis 22.2.2018 entfiel die Informations- und Beratungspflicht für Verträge, die im Fernabsatz (§ 312b BGB a. F.) geschlossen wurden.43 Dieser Passus ist mit Wirkung vom 23.2.2018 ersatzlos gestrichen worden. Derartige Ausnahmen, so die Gesetzesbegründung, sind in der IDD nicht vorgesehen und auch nicht sinnvoll, da inzwischen auch beim Abschluss eines Vertrages im Fernabsatz nach § 6 VVG beraten und dokumentiert werden kann.44 Für Makler, die im Fernabsatz, über das Internet, Vermittlungsleistungen angeboten haben, galten diese Grundsätze auch vor dem 23.2.2018.45 Inzwischen hat der Gesetzgeber in § 1a Abs. 2 ausdrücklich klargestellt, dass die Vermittlung im Internet den gleichen Grundsätzen, wie eine off-line Vermittlung folgt. Das gilt auch für Anbieter, die eine Rangliste von Versicherungsprodukten in das Netz stellen, einschließlich des Preis- und Produktvergleichs.

2. Anlassbezogene Beratung – im bestmöglichen Interesse der VN (§ 1a Abs. 1) 18 Der VR hat den VN nur dann und insoweit zu beraten, als nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen oder der Person des VN und dessen Situation hierfür Anlass 35 36 37 38 39

BTDrucks. 16/3945 S. 58. BTDrucks. 16/3945 S. 58. BTDrucks. 16/3945 S. 58; Werber VersR 2007 1153 ff. BTDrucks. 16/3945 S. 58. So ausdrücklich die Gesetzesbegründung BTDrucks. 18/11627 S. 43 – von der zunächst geplanten Streichung der Ausnahme für Versicherungsmakler hat der Gesetzgeber nach Beratung im Wirtschaftsausschuss BTDrucks. 18/ 13009 28.6.2017 S. 40 zur Vermeidung von Missverständnissen und Unklarheiten Abstand genommen. 40 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 41 OLG Hamm 8.5.2017 – I-6 U 62/16 BeckRS 2017 118811. 42 BGH 5.4.2017 – IV ZR 4/37/15 Rn. 23 (juris). 43 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 44 BTDrucks. 18/11627 S. 43. 45 OLG München 6.4.2018 – 29 U 31 39/16 BeckRS 2017 111987; vertiefend Rübben Die Pflichten von Internetportalen bei Vertrieb von Versicherungsprodukten im Lichte europäischer Gesetzgebung Berliner Reihe Bd. 51. Schwintowski

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besteht. Damit hat sich – gegen die Kritik des Bundesrates46 – das Modell der anlassbezogenen Beratung durchgesetzt. Dieses Modell wurde zuvor bereits in der Rechtsprechung entwickelt.47 Der Anlass, den VN nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen, ergibt sich aus der Schwierigkeit die jeweils angebotene Versicherung zu beurteilen.48 Das gilt auch für einen VN, der die Website eines Versicherungsmaklers besucht.49 Die bloße Möglichkeit, eine Beratung – telefonisch – in Anspruch zu nehmen, stellt für sich genommen noch keine Beratung dar.50 Dagegen begründen §§ 6, 61 keine anlasslose Prüfungs- und Beratungsverpflichtung.51 Bei einer Hausratversicherung besteht die Pflicht nach Umständen, wie der Studenteneigenschaft, zu fragen, um zu klären, ob der Studierende möglicherweise schon über seine Eltern (Außenversicherung) mitversichert ist – andernfalls besteht die Gefahr der Doppelversicherung.52 Das gilt auch bei der Beratung im Internet über eine Webseite.53 Das Gleiche gilt für die Einschaltung von Online-Vermittlern über Internetportale, d. h. für den Onlinevertrieb von Versicherungsprodukten.54 Bei einer PHV sind Risiken aus ehrenamtlichen Tätigkeiten oder besonderen Hobbys nicht immer abgedeckt. Deshalb besteht die Notwendigkeit den, an einer derartigen Versicherung Interessierten, zu fragen, ob er/sie solche Tätigkeiten oder Hobbys wahrnimmt und ob er/sie auch insoweit Versicherungsschutz begehrt.55 Wird ein geleastes Fahrzeug versichert, so besteht die Gefahr einer Kollision zwischen der im Leasingvertrag regelmäßig vereinbarten Verpflichtung des Leasingnehmers, das Fahrzeug in einer Vertragswerkstatt reparieren zu lassen, und dem – zu einer niedrigeren Prämie führenden – Verzicht auf freie Werkstattwahl im Versicherungsvertrag. Daraus folgt die Notwendigkeit den VN danach zu befragen, ob seine Erklärung, auf die freie Werkstattwahl zu verzichten, mit den Regelungen in seinem Leasingvertrag vereinbar sind – das gilt auch bei der Beratung im Internet über eine Website.56 Die vom OLG München entwickelten Hinweispflichten begründen keinen unangemessenen Beratungsaufwand, der zum Ausschluss der Beratungspflichten führen könnte.57 Der Beratungsanlass ergibt sich aus der Schwierigkeit, die jeweils angebotene Versicherung zu beurteilen.58 Der VR muss sich in den durchschnittlichen VN ohne spezifische Rechtskenntnisse versetzen und sich fragen, ob ein solcher VN die eben beschriebenen Schwierigkeiten einer Hausrat-, PHVoder KfZ-Versicherung aufgrund persönlichen Wissens erkennen und beurteilen kann. Bestehen insoweit Zweifel, so besteht umgekehrt ein Anlass für die Befragung des VN. Da der VR in der Regel den Wissensstand des VN nicht kennt, also nicht ausschließen kann, dass der VN die vom OLG München gestellten Fragen aus eigenem Wissen nicht beantworten kann, besteht ein Anlass, den VN (stichprobenartig) so zu befragen, wie es das OLG München entwickelt, sodass der VR sicher sein kann, im bestmöglichen Interesse des VN zu handeln (§ 1a Abs. 1).59 § 1a Abs. 1 ist zur Umsetzung von Art. 17 Abs. 1 IDD60 mit Wirkung 23.2.2018 in Kraft getreten. Danach muss der VR bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber den VN stets ehrlich, redlich 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

BTDrucks. 16/3945 S. 125. BGH 5.2.1981 – IVa ZR 42/80 VersR 1981 621; Kieninger AcP 198 190 195 f.; Stöbener ZVersWiss 2007 467 ff. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 39. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 39. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 40 m. w. N. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 24 ff. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 41. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 43. Vertiefend Notthoff RuS 2018 523 ff.; Armbrüster JuS 2019 299 ff. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 44. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 47. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 50. OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111982 Rn. 39. So schon BTDrucks. 16/1935 S. 24 zu § 42c a. F. Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung), ABl. L. 26 vom 2.2.2016 S. 19.

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und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln.61 Diese Verpflichtung, die Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist, wird, so die Gesetzesbegründung, durch die Pflicht des VR die Wünsche und Bedürfnisse des VN zu erfragen und einen darauf abgestimmten Rat zu erteilen, konkretisiert.62 Der Gesetzgeber spricht von der Pflicht des VR und auch des Vermittlers, die Wünsche und Bedürfnisse des VN zu erfragen. Von einer anlassbezogenen Einschränkung spricht er nicht. Der Gesetzgeber geht, ebenso wie das OLG München, davon aus, dass ein VR nur dann ehrlich, redlich und professionell im besten Interesse des VN beraten kann, wenn er zuvor geklärt hat, ob dem VN die Leistungen der Versicherung und ihre möglichen Leistungsgrenzen bekannt sind. Eine nicht ehrliche, unprofessionelle und unredliche Beratung wäre mit den Vorgaben des geltenden Versicherungsvertragsrechts kaum vereinbar; sie könnte zu Schadensersatzansprüchen nach § 6 Abs. 5 führen.63 Soweit im bestmöglichen Interesse des VN gehandelt werden muss, ist zu berücksichtigen, dass bei Erteilung eines Rates oder einer Empfehlung Wünsche des VN zu berücksichtigen sind.64 Was das bestmögliche Interesse des VN ist, bestimmt sich also nicht ausschließlich nach objektiven Maßstäben.65 Dies bedeutet, dass der VR, so wie es das OLG München entwickelt hat, die Wünsche des VN erfragen und etwaige Missverständnisse über den Versicherungsschutz aufklären muss, weil er sonst nicht im bestmöglichen Interesse des VN handeln kann. Der Begriff des Beratungsanlasses ist somit funktional aus der Perspektive des bestmöglichen Interesses zu entwickeln. Dies schließt nicht aus, dass der VN erklärt, die ihm angebotene Versicherung und ihre Leistungsgrenzen zu kennen und darüber hinaus weder eine Beratung zu wünschen noch zu benötigen (execution only). Darin liegt kein Beratungsverzicht nach § 6 Abs. 3, sondern die (zulässige) Erklärung keinerlei Beratung zu benötigen und/oder zu wünschen. Dies ist zu dokumentieren. Ein Beratungsbedarf ist ohne weiteres erkennbar, wenn der Kunde seine Wünsche und Bedürfnisse, seine persönliche Situation und insbesondere seinen Versicherungsbedarf von sich aus darstellt und um einen adäquaten Rat bittet.66 Das gilt insbesondere auch, wenn der VN konkrete Fragen stellt oder z. B. erklärt: „Ich will rundum abgesichert sein.“67 Gegenüber einem VN, der erkennbar über mangelhafte deutsche Sprachkenntnisse verfügt, können gesteigerte Frage- und Beratungspflichten entstehen.68 Aufklärung und Beratung schuldet der VR jedenfalls dann, wenn er erkennt oder erkennen muss, dass sich der VN in einem offensichtlichen Irrtum befindet. Erkennt der VR, dass VN in zentralen Punkten (Deckungsumfang/Obliegenheiten) falsche Vorstellungen hat oder muss er mit der nahe liegenden Möglichkeit eines derartigen Irrtums rechnen, so muss er den Irrtum korrigieren.69 Dies gilt erst recht, wenn der VR den Irrtum selbst hervorgerufen hat.70 Der Beratungsanlass löst die Beratungspflicht aus, gehört also nicht zum Tatbestand der Beratungspflicht.71 Die Frage, ob ein Beratungsanlass besteht, ist somit objektiv zu entscheiden. Eine Scha61 62 63 64 65 66 67

Das Gleiche gilt für alle Vermittler (§ 59 I). BTDrucks. 18/11627 S. 42. BTDrucks. 18/11627 S. 42. BTDrucks. 18/11627 S. 42. BTDrucks. 18/11627 S. 42. OLG Saarbrücken 8.9.2004 – 5 U 682/03 VersR 2005 1686; Langheid/Rixecker/Rixecker § 6 Rn. 6. OLG Frankfurt a.M 30.1.2002 NVersZ 2002 400; LG Bochum 20.11.1997 – 3 O 345/97 RuS 2000 85; OLG Köln 14.1.1993 – 5 U 175/91 VersR 1993 1385. 68 OLG Karlsruhe 18.3.1987 – 12 U 240/86 VersR 1988 486; zurückhaltender OLG Köln 4.10.1990 – 5 U 21/90 VersR 1990 1381. 69 BGH 9.5.1951 – II ZR 8/51 BGHZ 2 87 90; BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61 BGHZ 40 22; OLG Köln 4.10.1990 – 5 U 21/90 VersR 1990 1381 1382; OLG Hamm 14.6.1991 – 20 U 344/90 VersR 1992 49 50. 70 BGH 28.10.1963 – II ZR 193/62 NJW 1964 244 245; OLG Hamm 23.11.1983 – 20 U 36/83VersR 1984 853 854. 71 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 10 a. A. Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker § 6 Rn. 7; Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 88; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 6 Rn. 70 ff. Schwintowski

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densersatzpflicht des VR setzt allerdings voraus, dass der Beratungsanlass für den VR erkennbar war.72 Der VR trägt somit die Beweislast für die fehlende Erkennbarkeit des Beratungsanlasses.73 Ihm obliegt es Fragen zu stellen, aus denen sich ableiten lässt, ob ein Beratungsanlass besteht.74 Erteilt der VR einen Rat, obwohl hierzu kein Anlass besteht, so muss der Rat dennoch richtig sein – andernfalls haftet der VR zwar nicht aus § 6 aber aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB.75 Der VR schuldet – im Vergleich zum Versicherungsmakler – nur eine eingeschränkte Produktberatung. Er muss grundsätzlich seine eigene Marktposition nicht schwächen.76 Er muss aber über solche Punkte, die für den Abschluss des konkreten Vertrages üblicherweise von wesentlicher Bedeutung sind, aufklären und etwaige irrige Vorstellungen des VN in zentralen Punkten richtigstellen. Dabei ist die Aufklärungsverantwortlichkeit bei einem beabsichtigen Wechsel zu einem neuen Krankenversicherer unter Kündigung des Vertrags beim bisherigen privaten Mitbewerber besonders hoch.77 Bei Versicherungsverträgen, bei denen es sich ersichtlich um eine Kapitalanlage handelt, sind die Grundsätze der anleger- und objektgerechten Beratung heranzuziehen. Wird vom VR der Eindruck erweckt, dass die Policen eine Durchschnittsrendite von 8,5 % erwirtschaften würden, obwohl der VR selbst nur mit einer Rendite von 6 % rechnet, so verletzt er seine Aufklärungs- und Beratungspflichten.78 Den VR trifft die Verpflichtung, den VN auf die Möglichkeit eines von ihm gebotenen, besseren (günstigeren) Versicherungsschutzes hinzuweisen, wenn die ihm bekannten Umstände ein entsprechendes Bedürfnis des Versicherten nahelegen. Das ist etwa beim Wechsel von mitversicherten Kindern in einen Ausbildungstarif der Fall.79 Der VR ist nach Treu und Glauben zur Beratung des VN verpflichtet, wenn der VN ihn um Unterstützung bittet.80 Die bloße Übersendung einer Verbraucherinformation (heute Basisinformationsblatt) in welcher eine bestimmte Neupreisdeckung erläutert ist, vermag die von § 6 I S. 1 aus Anlass des Abschlusses eines neuen Versicherungsvertrages geforderte Bedarfsermittlung nicht zu ersetzen.81 Erkennt der VR eine unzutreffende Vorstellung des VN über den Versicherungsschutz, so ist er nach Treu und Glauben zur Korrektur selbst dann verpflichtet, wenn der VN gegenüber dem Makler eine Verzichtserklärung abgegeben hat.82 Berät der VR den VN, so schuldet er eine sorgfältige und ordnungsgemäße Beratung, auch wenn sich später herausstellt, dass gar kein Anlass für die Beratung bestand.83 Lässt der VN durch einen Versicherungsberater eine aktuelle Vertragsübersicht bei einem privaten Krankenversicherer einholen, so gibt dies allein dem VR allerdings keinen Anlass zur Nachfrage und Beratung; insbesondere besteht keine Verpflichtung des VR den VN vor einem von diesem ge72 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 10, 49. 73 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 10. 74 So auch Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 88; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 6 Rn. 72; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 10. 75 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 11; Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 301; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 16. 76 OLG München 22.6.2012 – 25 U 3343/11 BeckRS 2012 15241. 77 OLG München 22.6.2012 – 25 U 3343/11 BeckRS 2012 15241. 78 OLG Frankfurt a. M. 19.3.2015 – 7 U 134/13 BeckRS 2015 09808 unter Hinweis auf BGH 11.7.2012 – IV ZR 164/11 BeckRS 2012 16292 sowie weitere Nachweise in der Literatur. 79 OLG München 10.6.2015 – 25 U 945/15 BeckRS 2015 874; ähnlich OLG Hamm 24.6.2015 – 20 U 116/13, BeckRS 2015 12224. 80 OLG Saarbrücken 8.9.2004 – 5 U 682/03 VersR 2005 1686; LG Bremen 2.3.2017 – 6 O 584/16 BeckRS 2017 125930 Rn. 22. 81 BGH 26.10.2016 – IV ZR 193/15 BeckRS 2016 20740 Rn. 33. 82 BGH 21.4.2016 – I ZR 151/15 NJW-RR 2017 234 Rn. 39 m. w. N. 83 BGH 28.10.1963- II ZR 193/62 NJW 1964 245; KG Berlin VersR 2007 731; KG 11.5.2007 – 6 U 191/06, NJOZ 2007 2823; LG Flensburg 26.5.1995 – 4 O 257/91 RuS 1995 350; LG Köln 25.11.1992 – 24 O 265/91 RuS 1993 229. 657

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wählten Versicherungsberater zu warnen.84 Erkennt der VR, dass der VN die Voraussetzungen eines bereits eingetretenen Versicherungsfalls verkennt – der VN hätte einen Rentenantrag stellen können – so ist er verpflichtet dem VN einen entsprechenden Hinweis zu geben.85 32 Schließlich sind in der Rechtsprechung Frage- und Beratungspflichten bei erkennbarer Verfehlung des Versicherungszwecks anerkannt, wenn der VR also weiß oder wissen muss, dass der vom VN beantragte Versicherungsschutz seinen individuellen Versicherungsbedarf zu verfehlen droht.86 Vergisst der VR bei Abschluss einer Gebäudeversicherung, dass das vom Heizöltank ausgehende Anlagerisiko noch nicht abgedeckt ist, so steht er dafür ein.87 Ebenso muss der Inhaber eines Rohrreinigungsservices bei Abschluss einer Haftpflichtversicherung darauf hingewiesen werden, dass die für sein Unternehmen im Zentrum stehenden Schäden durch Abwasser gerade nicht eingeschlossen sind.88 Schließt ein VN eine private Krankenversicherung in der Absicht ab, sich bei Heilpraktikern behandeln zu lassen, so muss der VR darauf hinweisen, dass solche Leistungen im angestrebten Vertrag nur eingeschränkt erstattet werden.89 Das Gleiche gilt, wenn der VN für sein Kfz Haftpflichtversicherungsschutz ab Zulassung ausdrücklich wünscht, durch den abgeschlossenen Vertrag aber nicht bekommt.90 Im Dachdeckergewerbe ist es üblich, Gerüste an Dritte zu vermieten. Wenn das hieraus resultierende große Haftpflichtrisiko in der üblichen Betriebshaftpflichtversicherung nicht eingeschlossen ist, so muss der VR darauf ausdrücklich hinweisen.91 Wenn ein türkischer VN eine Kfz-Versicherung nimmt, so muss darauf hingewiesen werden, dass die Deckung auf Europa beschränkt ist und somit den asiatischen Teil der Türkei nicht einschließt.92 Bei einem Deutschen, der eine Ausbildungsstelle im asiatischen Teil der Türkei hatte, wurde die Hinweispflicht mangels erkennbaren Anlasses verneint.93 Verlangt der VN eine hinreichende Gebäude- und Feuerversicherung, so ist der VN grund33 sätzlich selbst dafür verantwortlich, dass er die richtige Verssicherungssumme nennt. Wenn diese Versicherungssumme aber nur schwer zu bestimmen ist, etwa weil sie nach dem Gebäudewert von 1914 ermittelt wird, verlangt der BGH, dass der VR oder sein Vertreter den VN auf die Problematik hinweist und berät.94 Bei pflichtwidriger und schuldhafter Falschberatung oder bei ganz unterlassener Aufklärung ist es dem VR verwehrt, sich im Schadensfalle auf eine Unterversicherung zu berufen.95 Bittet der Inhaber eines freistehenden, eingerichteten aber zurzeit nicht betriebenen Hotels um umfassenden Versicherungsschutz, so muss der VR, der nur den üblichen Versicherungsschutz anbietet, darauf hinweisen, dass – hier nahe liegende – Vandalismusschäden nicht mitversichert sind. Das gilt auch dann, wenn der VR selbst nicht bereit gewesen wäre, seinen Vertrag auf Vandalismusschäden auszudehnen, weil sich der VN bei Kenntnis dieser Sachlage von anderer Seite evtl. ein Angebot hätte einholen können.96

84 OLG Hamm 8.5.2017 I – 6 U 62/16 BeckRS 2017 118811. 85 BGH 7.9.2016 – IV ZR 370/13 BeckRS 2016 17447 Rn. 15b – die Haftung ergibt sich aus § 280 I BGB. 86 BGH 9.10.1974 –IV ZR 118/73VersR 1975 77 78; OLG Köln 12.6.1986 – 5 U 100/86 RuS 1986 273; OLG Köln 9.3.1999 – 9 U 82/98 RuS 1999 272 274. 87 OLG Köln 14.1.1993 – 5 U 175/91 RuS 1993 134 135. 88 OLG Köln 12.6.1986 – 5 U 100/86 RuS 1986 273. 89 OLG Köln 21.3.1991 – 5 U 88/90 VersR 1991 1279 1280. 90 OLG Köln 29.4.1997 – 9 U 48/96 VersR 1998 180. 91 BGH 9.10.1974 – IV ZR 118/73 VersR 1975 77 78. 92 OLG Stuttgart 8.3.1993 Schaden-Praxis 1993 188; OLG Innsbruck 13.12.1990 – 2 R 315/90 VersR 1992 600; OLG Köln 30.8.1990 – 5 U 124/89 RuS 1990 400 (Kunde müsse beweisen dass er Versicherungsschutz auch für den asiatischen Teil gewünscht habe); großzügiger OLG Frankfurt a. M. 20.11.1997 – 7 U 138/97 VersR 1998 1103 das schon aus dem Umstand eine Aufklärungspflicht des VR annahm dass die VN türkische Staatsangehörige war. 93 OLG Koblenz 6.3.1998 – 10 U 134/97 ZfS 1998 261. 94 BGH 7.12.1988 – IV a ZR 193/87 VersR 1989 472 = NJW-RR 1989 410. 95 Römer VersWissStud Bd. 11 23 29. 96 OLG Karlsruhe 5.11.1992 – 12 U 112/91 VersR 1994 1169. Schwintowski

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

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Ist wegen Veräußerung einer Gaststätte eine zuvor mitversicherte Kegelbahn plötzlich nicht mehr mitversichert, so muss der VR hierauf hinweisen.97 Unter Umständen muss sich der VN ein Mitverschulden anrechnen lassen. Bei einer Gebäudeversicherung muss der VR über den Unterschied zwischen Neuwertversicherung und Zeitwertversicherung und den daraus resultierenden Versummen aufklären, weil diese Zusammenhänge für den versicherungstechnischen Laien nicht auf der Hand liegen.98 In diesem Zusammenhang gehören auch falsche Angaben von Vertretern. Macht ein Vertreter schuldhaft falsche Angaben über die steuerliche Abzugsfähigkeit von Lebensversicherungsprämien als betriebliche Ausgaben, so steht der VR für den daraus entstehenden Schaden ein.99 Weiß der Lebensversicherer, dass die Finanzierung eines Realkredits durch eine Lebensversicherung angesichts der bei Vertragsabschluss bestehenden Zinssituation unweigerlich zu einem Verlust führen muss, so hat er den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.100 Der VR haftet dem VN auf Schadensersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten, wenn er in Musterberechnungen mit einer Rendite des Anlagekapitals in einer bestimmten Höhe rechnet, obwohl für diese Prognose keine Grundlage besteht, weil im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht geklärt ist, in welchen Fonds der Einmalbeitrag des VN überhaupt investiert werden soll.101 Der VR muss sich Pflichtverletzungen eines Maklers oder Vertreters nach § 278 BGB zurechnen lassen, wenn dieser mit Wissen und Wollen des VR Aufgaben wahrnimmt, die typischerweise diesem obliegen und damit in seinem Pflichtenkreis tätig wird.102 Regt ein Vertreter die Überführung der Kfz-Versicherung für den Zweitwagen der Ehefrau auf den Ehemann an, so ist auf die Versicherungslücke bei Schäden hinzuweisen, die die Ehefrau mit dem Zweitwagen am Fahrzeug des Ehemannes verursacht.103 Der Vertreter hat vor allem auch dann auf Schutzlücken im VV hinzuweisen, wenn er selbst, wegen seines eigenen Provisionsinteresses, die Verlagerung der Feuer- und HausratV von der Eigentümerin des Anwesens auf deren zweiten Ehemann anregt.104 Das Verhalten eines Versicherungsmaklers, der Vertragspartner und Sachwalter des VN ist, kann nur ausnahmsweise dem VR zugerechnet werden. Dies setzt voraus, dass der Makler zugleich Aufgaben, die typischerweise dem VR obliegen mit dessen Wissen und Wollen übernimmt und damit in dessen Pflichtenkreis tätig wird.105 Eine Fehlberatung liegt auch dann vor, wenn der VR mit der nahe liegenden Möglichkeit eines Irrtums bei dem VN rechnen muss.106 Eine solche naheliegende Möglichkeit ist z. B. dann anzunehmen, wenn sich der VN umfassend durch Abschluss einer Kasko-, Haftpflicht- oder Insassenunfallversicherung absichern will, sich aber zu Risikoausschlüssen nicht äußert, weil er sie offenbar nicht erkannt hat.107 Falsche Vorstellungen des VN können sich auch aus einem offensichtlich verfehlten Versicherungsantrag ergeben.108 Der VR ist auch dann zur Aufklärung berufen, wenn der VN nicht nur unzutreffende, sondern auch unklare Vorstellungen hat, die

97 OLG Köln 3.6.1993 – 5 U 112/92 RuS 1994 185 186. 98 BGH 26.10.2016 – IV ZR 193/15 BeckRS 2016 20740; OLG Köln 12.11.1996 – 9 U 17/96 RuS 1997 30. 99 OLG Hamm 10.4.1987 – 20 W 64/86 VersR 1988 623; ähnlich OLG Karlsruhe 19.1.1995 – 12 U 171/94 VersR 1996 1001 1002. 100 BGH 9.7.1998 – III ZR 158/97 NJW 1998 2898 = VuR 1998 415 m. Anm. Schwintowski. 101 KG 31.1.2018 – 6 U 57/16 BeckRS 2018 4146. 102 KG 31.1.2018 – 6 U 57/16 BeckRS 2018 4146 in Anschluss an BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/15 BeckRS 2017 107624 Rn. 23 m. w. N. 103 OLG Stuttgart 18.4.1986 – 2 U 93/85 NJW-RR 1986 904. 104 OLG Düsseldorf 22.5.1962 – 4 U 342/61 VersR 1963 56 58. 105 BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/15 Rn. 23 (juris). 106 BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61 VersR 1963 768 769 = NJW 1963 1978 1979. 107 OLG Frankfurt a. M. 14.3.1985 – 1 U 196/84 VersR 1987 579; ähnlich OLG Hamm 23.11.1983 – 20 U 36/83 VersR 1984 853 854. 108 BGH 28.10.1963 – II ZR 193/62 VersR 1964 36 = NJW 1964 244. 659

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sich aus geäußerten Zweifeln ergeben können.109 Ein VN, der erkennbar sofortigen Deckungsschutz anstrebt, muss darüber aufgeklärt werden, dass er dieses Ziel mit dem Einreichen eines Antrags auf Abschluss der Versicherung nicht erreichen kann.110

3. Wünsche und Bedürfnisse 38 Der VR hat den VN nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und daran anschließend einen Rat zu geben.111 Im ersten Schritt sind also die (subjektiven) Wünsche des Kunden und im zweiten Schritt seine (objektiven) Bedürfnisse zu erforschen. Wie VR/Vermittler dies tun sollen, wird vom Gesetzgeber nicht vorgegeben. Während die Ermittlung der Wünsche des Kunden noch verhältnismäßig einfach ist (ich 39 möchte für mein Alter vorsorgen, meinen Hausrat versichern oder meine Hinterbliebenen absichern), werden die Dinge auf der Ebene der objektiven Bedürfnisprüfung sehr viel schwieriger. Auf dieser Ebene muss eine Risikoanalyse durchgeführt werden. In einem ersten Grobraster ist zu klären, ob der Kundenwunsch in eine sinnvolle Risikoanalyse überführt werden kann. Wünscht der Kunde Absicherung gegen alle Risiken des Lebens, so kommt der VR nicht weiter. Er muss durch Rückfragen zunächst klären, welche Risiken des Lebens der Kunde meint, z. B. das Risiko des Todes oder des Kreditausfalls oder des Einbruchs oder der Haftung für verursachte Schäden. Erst, wenn durch Rückfragen der Kundenwunsch präzisiert ist, kann in eine Feinrisikoanalyse übergegangen werden. 40 Diese wird mit allgemeinen Daten über die Person des Kunden beginnen, sein Alter, seine Berufsausbildung, sein Einkommen, sein Familienstand, seine Vermögensverhältnisse, seinen Wohnsitz, seine Lebensziele abbilden und wird dann übergehen in eine produktbezogene Risikoanalyse, die stark vom angestrebten Versicherungsschutz (Lebens-, Renten-, Kranken-, Unfall-, Haftpflicht-, Sachversicherung) abhängt und die mitgeprägt ist von den Produktangeboten auf dem Markt. So hat, wie oben dargestellt, das OLG München112 verlangt, dass Studenten, die ihren Hausrat versichern wollen, gefragt werden müssen, ob sie nicht bei den Eltern mitversichert sind (Außenversicherung). Personen, die eine PHV anstreben, müssen befragt werden, ob sie ehrenamtliche Tätigkeiten oder besondere Hobbys haben und ob diese von der angestrebten PHV abgedeckt sind. Wer ein geleastes KfZ Kasko versichern will, muss gefragt werden, ob er die Klausel „freie Werkstattwahl“ nach dem Leasingvertrag abwählen darf, weil dort häufig auf bestimmte Vertragswerkstätten verwiesen wird. 41 Ein VR kann nur das Produkt anbieten, das er selbst zur Verfügung stellen kann. Nur darauf kann sich die Risikoanalyse beziehen. Für ihn besteht keine Beratungspflicht im Hinblick auf Konkurrenzangebote.113 Der VR hat den VN insoweit zu beraten und aufzuklären, als er für ein bestimmtes Risiko Versicherungsschutz anbietet.114 Der VR muss nur über solche Punkte, die für den Abschluss des konkreten Vertrages typischerweise von wesentlicher Bedeutung sind, aufklären und etwaige Vorstellungen des VN in zentralen Punkten richtigstellen, etwa bei einem beabsichtigten Wechsel zu einem neuen Krankenversicherer unter Kündigung des Altvertrages bei einem privaten Mitbewerber.115

109 OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1998 220. 110 BGH 15.3.1978 – IV ZR 115/76VersR 1978 457. 111 BTDrucks. 18/11627 S. 42: Nach § 6 1 besteht die Verpflichtung die Wünsche und Bedürfnisse des VN zu erfragen und einen darauf abgestimmten Rat zu erteilen – damit wird im bestmöglichen Interesse des VN gehandelt (§ 1a I). 112 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 BeckRS 2017 111987 ab Rn. 39. 113 OLG München 22.6.2012 – 25 U 3343/11 BeckRS 2012 15241. 114 BTDrucks. 16/1935 S. 24 zu § 42c a. F.; zum früheren Recht OLG Saarbrücken 14.4.1999 – 5 U 855/98-76 VersR 1999 1367; OLG Hamm 25.11.1994 – 20 U 120/94 VersR 1995 1345. 115 OLG München 22.6.2012 – 25 U 3343/11 BeckRS 2012 15241. Schwintowski

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

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Weder die Vermittlerrichtlinie noch der deutsche Gesetzgeber geben für die Risikoanalysen 42 irgendwelche Hinweise. Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung von Risikoanalysen sind den Marktbeteiligten vorbehalten. Darüber, wie diese Analysen auszusehen haben, muss möglichst große Klarheit geschaffen werden, anderenfalls entstehen Haftungsfragen.

4. Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und Prämie Im Gegensatz zur Vermittlerrichtlinie soll die Beratung nach dem deutschen VVG auch „unter 43 Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom VN zu zahlenden Prämie“ stehen.116 Eine solche Einschränkung ist überraschend, weil sie den Umfang der Beratungspflicht von der Gegenleistung, nämlich der dem VR zufließenden Prämie, abhängig macht. Überträgt man diese Denkweise etwa auf einen Kaufvertrag, so würde dies bedeuten, dass der Verkäufer einer geringwertigen Sache – etwa eines Bleistifts oder eines preiswerten Medikaments, den Käufer nicht darauf aufmerksam machen muss, dass der Stift wegen giftiger Beimischungen in der Karbonmine gerade zurückgerufen wurde oder dass das Medikament Nebenwirkungen schwerster Art hat. Eine solche Reduktion von Rechtspflichten aus der Perspektive der Gegenleistung ist dem allgemeinen Schuldrecht fremd. Reiff weist zutreffend daraufhin, dass es Versicherungsprodukte mit sehr niedrigen Prämien aber gefährlichen Deckungslücken gibt. Beispiel sind Reisekrankenversicherungen mit einer Nachleistungsklausel von 28 Tagen.117 Richtig ist, dass einfache und verständliche Produkte nur einen geringen Beratungsauf- 44 wand verursachen und folglich preiswert angeboten werden können. Der Gesetzgeber meint, eine Hundehaftpflichtversicherung sei ein einfaches Standardprodukt; eine LV demgegenüber ein komplizierter Vertrag.118 Als Standardprodukt wird auch eine Kfz-Versicherung eingeordnet.119 Damit wird angedeutet, es gäbe Standardprodukte deren Schutzumfang allgemein bekannt ist. Ob das unter Wettbewerbsbedingungen, die heute auf Versicherungsmärkten herrschen, zutreffend ist, kann dahingestellt sein. Jedenfalls geht es in § 6 ausschließlich darum, ob gegenüber dem einzelnen VN ein Beratungsanlass und ein Beratungsbedarf besteht. Es ist also immer zu prüfen, ob der VN das Produkt und seine Komplexität tatsächlich kennt, ganz unabhängig von der Frage, ob andere, möglicherweise sogar viele VN, dieses Produkt als Standardprodukt erkennen und begriffen haben. Haftpflichtversicherungen enthalten in der Regel derartig viele juristische Fachbegriffe, sowie Ein- und Ausschlüsse, dass bei ihnen regelmäßig Beratungsbedarf besteht, auch wenn die vom VN zu zahlende Prämie niedrig sein sollte. Will ein VR demgegenüber ein kompliziertes Kombiprodukt verkaufen, so wird er nicht umhin kommen, den Beratungsaufwand in seine Preisgestaltung einzubeziehen. Das bedeutet, der Beratungsaufwand richtet sich nach dem Produkt und dessen Komplexität und nicht nach der zu zahlenden Prämie. Genauso ist auch die Vermittlerrichtlinie konzipiert – die entgegenstehende Einschränkung des deutschen Gesetzes erweist sich als europarechtswidrig und nichtig.120 Auch der Bundesrat hat darauf hingewiesen, dass relativ preisgünstige Versicherungen für den einzelnen VN erhebliche finanzielle Risiken mit sich bringen können, ohne dass diesen ein entsprechender Nutzen gegenüberstünde.121 Mit Wirkung 23.2.2018 ist § 1a Abs. 1 in Kraft getreten. Seither ist der VR verpflichtet stets 45 ehrlich und professionell in bestmöglichem Interesse des VN zu handeln. Aus der Perspektive dieser Grundsätze ist das Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und der dem VN zu zahlenden 116 117 118 119 120 121 661

Pohlmann VersR 2009 327. Versicherungsvermittlerrecht im Umbruch (2006) S. 81. BT Drucks. 16/1935 S. 24. OLG Hamm 4.12.2009 – 20 U 131/09 VersR 2010, 1215; Münkel jurisPR-VersR 8/2010 Anm. Wie hier Römer VersR 2006 740 743. BRDrucks. 303/0616.6.2006 S. 9. Schwintowski

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Beratung des Versicherungsnehmers

Prämie zu bestimmen. Der Gesetzgeber verweist auf Erwägungsgrund 46 der RL (EU) 2016/97.122 Die Vergütungspolitik der VR schließe mit Blick auf ihre Angestellten oder Vertreter nicht aus, im Einklang mit dem besten Interesse des VN zu handeln. Dies schließe eine provisionsgesteuerte Beratung aus. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Dies entspreche dem geltenden deutschen Recht, nach dem für den zu erteilenden Rat die Wünsche und Bedürfnisse maßgeblich seien“.123 Insoweit erweist sich das Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und der vom VN zu zahlenden Prämie als bloße Kontrollüberlegung mit dem Ziel, die Wünsche und Bedürfnisse des VN in einer angemessenen Zeit zu ermitteln.

5. Rat 46 Nach Abschluss der Risikoanalyse hat der VR den VN zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben.

6. Dokumentation 47 Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Vertrages zu dokumentieren. Die Dokumentation ist dem Kunden geschuldet – ihm gegenüber ist sie vor Abschluss des Vertrages klar und verständlich zu übermitteln (§ 6 Abs. 2). Mit Wirkung 23.2.2018 ist § 6 Abs. 2 durch § 6a ersetzt worden. Hat der VR seine Prüfungs- und Beratungspflichten umfassend erfüllt und dokumentiert 48 und entscheidet sich der VN dennoch gegen die ihm vorgeschlagene sach- und interessengerechte Vorgehensweise, so kann der VR für den unzureichenden Versicherungsschutz nicht verantwortlich gemacht werden.124 Dagegen kann die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht zu Beweiserleichterungen zugunsten des VN, bis hin zur Beweislastumkehr zu lasten des VR führen.125 Weist etwa die Dokumentation, die vom VR behauptete Beratung über die Konzeption der Rüruprente nicht aus, so muss der VR beweisen, dass er zutreffend beraten hat.126 Der Hinweis auf die Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrages meint, dass die 49 Dokumentation – es geht hier nicht um die Beratungstiefe – die Komplexität des Produktes widerspiegeln muss. Wünscht der Kunde eine schlichte Teilkaskoversicherung für sein Auto, so genügt bei der Dokumentation der Hinweis auf diese Tatsache. Wünscht der Kunde dagegen eine umfassende Altersvorsorge, so muss die Dokumentation diesen Wunsch und die daraus resultierenden objektiven Bedürfnisse widerspiegeln. Wie weit die Dokumentation die Risikoanalyse aufnehmen muss, ist eine bisher offene Frage. Sinnvoll erscheint es, die Risikoanalyse der Dokumentation beizufügen, damit später im etwaigen Deckungs- und/oder Haftungsprozess die Frage leicht zu klären ist, welche Fragen im Beratungsgespräch erörtert wurden und welche nicht.

II. § 6 Abs. 2 50 Nach dem bis zum 22.2.2018 geltenden § 6 Abs. 2 hatte der VR dem VN den erteilten Rat und die Gründe hierfür klar und verständlich vor dem Abschluss des Vertrags in Textform zu übermitteln (§ 6 Abs. 2 S. 1 a. F.). Die Dokumentationspflicht, die gleichermaßen den Vermittler trifft, 122 123 124 125 126

BTDrucks. 18/11627 S. 42. BTDrucks. 18/11627 S. 42. BGH 10.3.2016 – I ZR 147/14 BGHZ 209 256. BGH 13.11.2014 – III ZR 544/13 BGHZ 203 174; OLG Köln 26.7.2019 – 20 U 185/18 BeckRS 2019 30054. OLG Saarbrücken 26.2.2014 – 5 U 64/13 VersR 2015 1248; VuR 2015 m. Anm. Schwintowski.

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

VVG § 6

soll die Beratungsqualität erhöhen und zugleich zur Bewältigung späterer Beweisprobleme beitragen.127 Die Dokumentation musste vor dem Abschluss des Vertrags übermittelt werden – anders als bei den Informationspflichten nach § 7 musste das Beratungsprotokoll dem VN nicht vor Abgabe von dessen Vertragserklärung bereits zugehen.128 Fragen dieser Art sind seit 23.2.2018 Gegenstand von § 6a. Wenn der VN es wünschte oder vorläufige Deckung gewährt wurde, durften die Angaben 51 statt in Textform auch mündlich übermittelt werden. Sie waren dann unverzüglich nach Vertragsschluss dem VN in Textform zu übermitteln. Das entsprach Art. 13 Abs. 2 S. 1 der Vermittlerrichtlinie.

III. § 6 Abs. 3 Nach § 6 Abs. 3 kann der VN auf die Beratung und Dokumentation durch eine gesonderte 52 schriftliche Erklärung verzichten. Der grundsätzlich mögliche Verzicht auf Beratung und Dokumentation durch gesonderte schriftliche Erklärung erscheint bei einem Abschluss im Fernabsatz nicht sinnvoll; die Regelung lässt deshalb seit 23.2.2018 einen Verzicht in Textform zu.129 Das gleiche gilt nach Abs. 4 auch für eine Beratung nach Abschluss des Vertrages.130 Fernabsatzverträge sind solche, bei denen ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden (§ 312c Abs. 1 BGB). Fernkommunikationsmittel sind Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, über den Mobilfunkdienst versendete Nachrichten (SMS), sowie Rundfunk und Telemedien (§ 312c Abs. 2 BGB). Der VN muss vom VR ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass sich der Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den VR einen Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 5 geltend zu machen. Der Verzicht muss dem VN bewusst vor Augen geführt werden.131 Auf diese Weise wird die Warnfunktion sichergestellt und das Bewusstsein des VN für die möglichen Nachteile dieser Erklärung geschärft.132 Die vom Gesetz geforderte ausdrückliche Erklärung schließt nicht nur stillschweigende Verzichtserklärungen aus, sondern erfordert ein besonderes Erklärungsbewusstsein des VN: Er muss sich bewusst sein, dass er mit der Erklärung darauf verzichtet, konkrete, ihm geschuldete Informationen zu erhalten.133 Nur so kann dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutz des VN Rechnung getragen werden.134 Der VN kann auf die Beratung einerseits und/oder die Dokumentation andererseits oder 53 auch auf beides durch gesonderte schriftliche Erklärung verzichten. Schriftform (§ 126 Abs. 1 BGB) bedeutet, dass die Verzichtserklärung vom Kunden unterschrieben werden muss. Im Fernabsatz genügt die Textform (§ 126b BGB). Bedient sich der VN der Textform, so muss seine Erklärung ihn als Erklärenden benennen und die Erklärung muss auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Diese Anforderungen erfüllt eine E-Mail, die der Empfänger (VR) speichern und ausdrucken kann, aber nicht ausdrucken muss.135 Die Schriftform ist erfüllt, wenn die Urkunde vom VN eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet wird (§ 126 Abs. 1 BGB). Ein Zugangserfordernis enthält § 126 BGB nicht, d. h. die Verzichtserklärung ist mit Unterschrift des VN wirksam. Beweisrechtlich sollte das VU dafür sorgen, dass ihm die Verzichtsurkunde zugeht. 127 128 129 130 131 132 133 134 135

BTDrucks. 16/1935 S. 26 zu § 42e a. F. BTDrucks. 16/1935 S. 25 zu § 42d a. F.; dazu kritisch Reiff VersR 2007 717; zustimmend Römer VersR 2006 740. BTDrucks. 18/11627 S. 43. BTDrucks. 18/11627 S. 43. BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14 Rn. 17 (juris); dazu Makowsky ZIP 2015 1475. BTDrucks. 16/1935 S. 24 sowie BTDrucks. 16/3945 S. 58, 77. BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14 Rn. 18 (juris). BTDrucks. 16/3945 S. 60. Palandt/Ellenberger § 126b Rn. 3 m. w. N.

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Schwintowski

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Beratung des Versicherungsnehmers

Wird formularmäßig verzichtet, so stellt sich die Frage, ob ein solcher Verzicht gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB deshalb verstößt, weil damit wesentliche Rechte, die sie aus der Natur der Versicherungsvertrages ergeben, so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertrageszwecks gefährdet ist.136 Durch eine Erstreckung von § 307 BGB auf § 6 Abs. 3/4 wird das gesetzlich ausdrücklich angeordnete Recht zum Verzicht ausgehebelt. Entspricht die Verzichtserklärung den Anforderungen der Schrift- oder Textform (§ 126, 126b BGB), so sind die Voraussetzungen des Gesetzes erfüllt, d. h. der Verzicht ist zulässig und wirksam.137 Ein standardisiertes Verzichtsverfahren, das dem VN systematisch angetragen wird, stellt allerdings einen Missstand nach § 294 Abs. 2, 298 VAG dar.138 55 Der VR muss in der gesonderten Erklärung ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des VN auswirken kann, gegen den VR einen Schadensersatzanspruch nach Abs. 5 geltend zu machen. Nach Abs. 5 ist der VR bei Verletzung der Beratungs- und Dokumentationspflicht dem VN zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet, es sei denn der VR hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. Verzichtet der VN auf Beratung und Dokumentation, so schuldet der VR ihm insoweit nichts, d. h. der Verzicht schließt den Anspruch gegen den VR aus. So gesehen ist die Formulierung in Abs. 3 verharmlosend139, denn der Verzicht wirkt sich in jedem Fall nachteilig für den VN aus – er verliert seinen Schadensersatzanspruch nach Abs. 5 durch den Verzicht. Um den VN von den unüberlegten Verzicht abzuhalten müssten ihm deshalb die Folgen des Verzichts deutlich vor Augen gehalten werden.140 Bei einem vollständigen Beratungsverzicht ist darauf hinzuweisen, dass dem VN wegen einer etwaigen Fehlberatung keinerlei Schadensersatzansprüche zustehen.141 Formuliert der VN die Verzichtserklärung selbst, so soll es ausreichen, wenn der VR ihn auf die Folgen gesondert schriftlich hinweist.142 Das überzeugt nicht, da die Nachteilshinweise vom VN weder vom Schriftform- noch vom Textformerfordernis umfasst wären. 56 Der Beratungs- und Dokumentationsverzicht ist in der 1. Vermittlerrichtlinie nicht vorgesehen.143 Insbesondere Art. 12 Abs. 3 der 1. Vermittlerrichtlinie enthält eine Dokumentationspflicht, die eine korrespondierende Beratungspflicht voraussetzt.144 Die Möglichkeit eines Beratungsverzichts wird deshalb im Anwendungsbereich der RL für europarechtswidrig gehalten.145 57 Die Richtlinie lässt zwar keinen Beratungsverzicht zu, wohl aber die Dokumentation, dass der VN keine Beratung wünscht.146 Der gelegentliche so bezeichnete Teilverzicht beinhaltet in Wirklichkeit die Dokumentation, dass der VN mit der ihm gegenüber erfolgten Beratung einverstanden ist und es einer darüber hinausgehenden Beratung zu weiteren Leistungsmerkmalen nicht bedarf. In der Literatur wird diskutiert, ob die Beratungs- und Dokumentationspflichten der Vermittler RL zwingender Natur sind.147 Gerichte sollten deshalb dem EuGH nach Art. 267

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136 Dafür Dörner VersWissStud 43 S. 137 143; Franz VersR 2008 2098 300; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 40; Schimikoswki RuS 2007 133 136; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 43. 137 Wie hier: Armbrüster Privatversicherungsrecht S. 23; Blankenburg VersR 2008 1446 1449; Gaul VersR 2007 21, 23; Rüffer/HalbachSchimikowski/Münkel § 6 Rn. 32. 138 So Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 43; ähnlich Armbrüster ZVersWiss 2008 425 432. 139 So Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 41. 140 Wie hier: BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14 (juris); Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 41. 141 Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 41; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 43; a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 33. 142 Küster VersR 2010 37 734. 143 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 44. 144 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 44. 145 Dörner/Staudinger WM 2006 1710 1711; Römer VuR 2007 94 95; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 44. 146 Schwintowski ZRP 2006 139 141. 147 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 44; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 30. Schwintowski

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

VVG § 6

Abs. 2 AEUV die Frage vorlegen, ob ein Beratungs- und Dokumentationsverzicht mit Art. 12 Abs. 3, Abs. 1 Vermittler/RL vereinbar ist.148

IV. Beratungspflichten nach Vertragsschluss (Absatz 4) 1. Grundsätze Der VR ist auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses zur Beratung des VN verpflichtet, soweit für den VR ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des VN erkennbar ist. Die Nachfrage- und Beratungspflicht trifft den VR, nicht den Versicherungsvertreter, der ihn in der Regel aber vertritt.149 Wird der Vertrag mit dem VN von einem Versicherungsmakler vermittelt, ist Abs. 6 nicht anwendbar; der VR schuldet in diesen Fällen keine Nachfrage und Beratung (Abs. 6). Da der Makler, als Sachwalter des Kunden diesen berät, besteht regelmäßig kein Anlass für eine zweite Beratung durch einen VR.150 Eine Ausnahme kann bestehen, wenn der Makler zugleich Aufgaben, die typischerweise dem VR obliegen, mit dessen Wissen und Wollen übernimmt und damit in dessen Pflichtenkreis tätig wird.151 Die Ausnahmeregelung (§ 6 Abs. 6), so der BGH, greift nur ein, wenn bereits der ursprüngliche Vertrag von einem Makler vermittelt wurde.152 Nicht erfasst werden dagegen die Fälle, in denen der Vertrag durch einen anderen Vermittler zustande kam, der VN während des laufenden Vertrages dann aber einen Versicherungsmakler einschaltet. Der Versicherer sei, trotz seiner bestehenbleibenden Beratungspflicht, zu einer Korrespondenz und Auskunft gegenüber dem Makler verpflichtet. Sei dieser Makler selbst sachkundig und erscheine eine Beratung sowohl durch diesen als auch durch den VR überflüssig, so bestehe die Möglichkeit, dass der VN gem. § 6 Abs. 4 S. 2 im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichte.153 Dieses Konzept ist sowohl für den VR als auch für den Makler problematisch, da es letztlich eine Verpflichtung zur Doppelberatung aufstellt. Eine solche Doppelberatung soll aber nicht stattfinden.154 Der dem VN vom BGH quasi aufgedrängte Beratungsverzicht ist nicht sachgerecht, denn der VN soll und will auf eine Beratung nicht verzichten – es geht nur darum, eine Doppelberatung zu vermeiden. Die Doppelberatung wird vermieden, wenn man den Begriff vermittelt in § 6 Abs. 6 funktional interpretiert. Der Vertrag ist nach dem Sinn und Zweck des § 6 Abs. 6 vom Versicherungsmakler immer dann vermittelt, wenn er, der Versicherungsmakler, als Sachwalter für den VN tätig wird. Insoweit ist es irrelevant, ob der Vertrag von Anfang an oder erst während des Laufes des Vertrages vom Versicherungsmakler betreut wird. Dogmatisch beendet der VN durch den Wechsel zum Makler seine Betreuungsbeziehung zum VR und begründet zugleich ein neues Sachwalterverhältnis zum Makler, sodass dieser nunmehr als der Vermittler dieses Vertrages gilt. Umgekehrt folgt aus dieser funktionalen Betrachtung, dass der VR immer dann zur Beratung verpflichtet ist, wenn die Betreuung durch den Makler wegfällt.155 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der VR Kenntnis davon hat, dass das Betreuungsverhältnis zum Makler beendet ist.156

148 149 150 151 152 153 154 155

So Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 44. BTDrucks. 16/3945 S. 59; vertiefend Werber VersR 2008 285. BTDrucks. 18/11627 S. 43. BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/15 (juris Rn. 23). BGH 29.5.2013 – IV ZR 165/12, RuS 2013 415 Rn. 21. BGH 29.5.2014 – IV ZR 165/12, RuS 2013 415 Rn. 21. BTDrucks. 18/11627 S. 43. Armbrüster Aktuelle Rechtsfragen der Beratungspflichten von Versicherern und Vermittlern (2009) S. 19 f.; MüKo-VVG/Armbrüster § 6 Rn. 35; a. A. Grote/Schneider BB 2008 2689 2690. 156 Schimikowski/Höra Das neue Versicherungsvertrags (2008) S. 108. 665

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Für den Makler ergibt sich die Beratungspflicht nach Vertragsschluss aus seinem Status als Sachwalter. Zu den Aufgaben des Maklers gehört es, so der BGH, den Versicherungsvertrag nach Abschluss weiter zu betreuen, indem er den Vertrag ungefragt auf etwaigen Anpassungsbedarf sowie Verlängerungen hin überprüft und den VN rechtzeitig darauf hinweist, den Zahlungsverkehr fördert, im Schadenfall den VN sachkundig berät, für sachgerechte Schadenanzeigen sorgt und bei der Schadenregulierung die Interessen des VN wahrnimmt.157 Durch den individuellen Maklervertrag kann der Makler weitere Pflichten übernehmen, die nicht zum Leitbild des Sachwalters gehören.158 Eine Dokumentation der Beratung ist nicht vorgesehen. Kommt es zu weitgehenden Ver63 tragsänderungen, die es erforderlich erscheinen lassen, die Deckungsbedürfnisse des VN neu festzustellen und zu überdenken, so entsteht im Grunde ein neuer Versicherungsvertrag, auf den § 6 Abs. 2 anzuwenden ist.159 Aus der Perspektive der Beweiszwecke ist allerdings eine Dokumentation in jedem Falle sinnvoll.160 62

2. Anlass für eine Nachfrage und Beratung 64 Für den VR muss ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des VN erkennbar sein. Der VR muss entweder einen Anlass für eine Nachfrage und/oder eine Beratung haben. Besteht der Anlass für eine Nachfrage, so kann sich dadurch herausstellen, dass der VN entweder Beratungsbedarf hat oder nicht. Für den VR kann aber von Vornherein ein Beratungsanlass bestehen, etwa dann, wenn eine gesetzliche Veränderung in alle Versicherungsverhältnisse eingreift, sodass es einer vorgelagerten Nachfrage nicht bedarf. Anlass für eine Nachfrage und/oder Beratung hat der Versicherer dann, wenn er über Informationen verfügt, die ihm erkennbar machen, dass sich der VN über den Umfang seines Versicherungsschutzes nicht (mehr) im Klaren und seine bei Vertragsschluss zutage getretenen Bedürfnisse nicht (oder nicht mehr vollständig) gedeckt sind.161 65 Nach der Gesetzesbegründung können tatsächliche und rechtliche Veränderungen einen Anlass zur Nachfrage und Beratung des VN erforderlich machen.162 Anlass zur Beratung besteht etwa dann, wenn sich für bestimmte Versicherungsverträge die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern.163 Das Gleiche gilt, wenn der VR erkennen kann, dass der vom VN gewählte Versicherungsschutz nicht mehr gewährleistet ist.164 Wird eine Lebensversicherung zum Zwecke der Ablösung eines Baudarlehens geschlossen 66 und zeichnet sich infolge des Rückgangs der Überschüsse eine Finanzierungslücke beim VN ab, so muss der VR hierauf hinweisen.165 Lebensversicherer waren nicht verpflichtet, VN darauf hinzuweisen, dass es nach Umsetzung des Lebensversicherungsreformgesetzes vom 1. August 2014 zu „Reduzierungen“ der Überschussbeteiligung kommen konnte und sich für einen VN womöglich eine Vertragsbeendigung lohnen konnte.166 Wertet der VR die vom VN gewünschte vorübergehen157 BGH 16.7.2009 – III ZR 21/09 (juris); BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 (juris). 158 BGH 10.5.2000 – VI ZR 274/07, VersR 2008 146. 159 OLG Karlsruhe 15.1.2013 – 12 U 121/12, VersR 2013 885 886; Armbrüster/Schreier VersR 2015 1053 1055; Prölss/ Martin/Rudy § 6 Rn. 52; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 36. 160 Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 52; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 45. 161 OLG Karlsruhe 2.12.2013 – 1 U 74/13 RuS 2013 436 437; OLG Saarbrücken 20.9.1995 – 5 U 1054/94-98 RuS 1997 208; OLG Saarbrücken 6.4.2011 – 5 U 428/10 – 68 VersR 2011 1556; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 46; Armbrüster Aktuelle Rechtsfragen der Beratungspflichten von Versicherern und Vermittlern (2009) S. 10; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 ab Rn. 46. 162 BTDrucks. 16/3945 S. 59. 163 BTDrucks. 16/3945 S. 59. 164 OLG Saarbrücken 20.9.1995 – 5 U 1054/94-98 RuS 1997 208 2010. 165 BTDrucks. 16/3945 S. 59. 166 OLG Hamm 12.10.2018 – 20 U 108/18. Schwintowski

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

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de Prämienfreistellung als dessen Antrag, den Vertrag in eine prämienfreie Versicherung umzuwandeln, ohne den VN auf die Folgen der Umwandlung (hier: Gesundheitsprüfung 6 Monate nach der Umwandlung) hinzuweisen, so verletzt der VR seine Beratungspflicht.167 Der Gebäudefeuerversicherer muss dem Grundpfandgläubiger, der sein Recht angemeldet hat, Mitteilung machen, wenn eine Folgeprämie mit Fristbestimmung gegenüber dem VN gemahnt oder wenn nach fruchtlosem Fristablauf der VV gekündigt wird. Unterbleibt diese Information, kann sich der VR auf eine etwaige Leistungsfreiheit gegenüber dem Grundpfandgläubiger nicht berufen.168 Der VR hat den Arbeitnehmer, für den eine Direktversicherung in der betrieblichen Altersversorgung abgeschlossen ist, über den Prämienzahlungsverzug des Arbeitgebers (VN) zu informieren, damit der Arbeitnehmer die Versicherung durch Zahlung fortführen kann.169 Erfährt ein VR, dass ein bei ihm versichertes Unternehmen eine neue Anlage in Betrieb genommen hat, muss auf die etwa entstandene Versicherungslücke aufmerksam gemacht werden.170 Auch bei einer Betriebsverlegung hat der VR Anlass zu prüfen, ob dadurch Veränderungen im VV eintreten oder Ergänzungen erforderlich sind, die dem VN mitgeteilt werden müssen.171 Verändert die Kfz-Industrie die Bauweise von Pkw so, dass es möglich ist, in den bisher verschlossenen Kofferraum hineinzuschauen, so dürfen VR die Kofferraumklausel, nach der Gepäckstücke nur versichert sind, wenn sie im verschlossenen Kofferraum aufbewahrt werden, nicht mehr ohne Klarstellung über die Obliegenheiten des VN verwenden.172 Der VR muss den VN auf die Notwendigkeit der Erhöhung der Versicherungssumme hinweisen, wenn sein Vertreter beim Besuch des VN von umfangreichen werterhöhenden Ausbauten oder einer gefahrerhöhenden Nutzungsänderung erfährt.173 Strebt der VN die Herabsetzung der Versicherungssumme an, so muss der VR auf die Gefahr der Unterversicherung hinweisen.174 Der VR ist zu einer Aufklärung über eine Anwartschaftsversicherung verpflichtet, wenn der VN ihm einen vorübergehenden Wegzug ins Ausland mitteilt.175 Werden gesetzliche Haftpflichtregelungen im Nachhinein verschärft, so muss der VR nachfragen und wenn nötig auch beraten.176 Ferner ist der VR zum Hinweis auf eine zwischenzeitliche Änderung des Bedingungs- und Tarifwerks im Neugeschäft verpflichtet, wenn zwischen den Parteien konkrete Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung oder -änderung geführt werden.177 Dies gilt nach Ansicht der Instanzgerichte zumindest dann, wenn die neuen Versicherungsbedingungen für den VN ausschließlich günstiger sind.178 Überzeugender ist es, in einer Verhandlungssituation stets auf ab-

167 168 169 170

OLG Frankfurt a. M. 22.3.2018 – 12 U 5/16 RuS 2018 380. Schirmer RuS 1999 133 134. BAG 17.11.1992 – 3 AZR 51/92 NJW 1994 276 278. OLG Hamm 23.11.1983 – 20 U 36/83 VersR 1984 853 – VN nahm eine unterirdisch eingebaute Lagerstätte für Benzin in Betrieb, was Vermittler wusste. 171 BGH 5.11.1986 – IVa ZR 32/85, VersR 1987 147 (Feuerversicherung); OLG Hamm 10.11.1992 – 9 U 17/92, VersR 1994 718; 28.2.1997 – 9 U 16/95, VersR 1999 709. 172 BGH 13.12.1978 – IV ZR 177/77, VersR 1979 343 345. 173 BGH 28.10.1963 - II ZR 193/62, NJW 1964 244 245; Armbrüster FS Schirmer (2005) 1 10. 174 OLG Karlsruhe 15.1.2013 – 12 U 121/12, VersR 2013 885. 175 OLG Saarbrücken 14.3.2012 – 5 U 358/11-48, zfs 2013 163 – es ging um eine Krankheitskostenversicherung. 176 Schirmer RuS 1997 133 136; zurückhaltend LG Köln 14.11.1996 – 24 O 133/96, RuS 1997 235 237. 177 BGH 23.9.1981 – IVa ZR 160/80, VersR 1982 37 38; OLG Karlsruhe 15.1.2013 – 12 U 121/12´, VersR 2013 885 (Gefahr der Entstehung von Deckungslücken); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 39; Fausten VuR 2003 366 369; Klimke NVersZ 1999 449; Ihle Der Informationsschutz des Versicherungsnehmers S. 259. 178 OLG Bamberg 13.3.1997 – 1 U 160/96, VersR 1998 833; OLG Düsseldorf 2.7.1996 – 4 U 108/95, VersR 1997 1134; OLG Hamm 21.1.2000 – 20 U 147/99, VersR 2000 1231 a. A. LG Bad Kreuznach 26.2.1991 – 1 S 236/90, NJW-RR 1991 1503 1504. 667

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weichende neue AVB hinzuweisen.179 Außerhalb einer Verhandlungssituation kann Anlass zu einer Beratung bestehen, wenn sich die Veränderungen – z. B. der rechtlichen Rahmenbedingungen – derart stark auf den VN auswirken, dass jedem VR klar ist, dass die VN informiert werden müssen.180 Muss sich einem VR aufgrund einer Anfrage des VN aufdrängen, dass der Versicherungsfall eingetreten ist und der VN nur dessen Voraussetzungen verkennt, ist der VR verpflichtet dem VN einen entsprechenden Hinweis zu geben.181 Der VR muss zutreffende Angaben über den Bestand und den Umfang des Versicherungsschutzes für den konkret eingetretenen Versicherungsfall machen.182 Der VR muss den VN auf die Möglichkeit einer Nachversicherung aufmerksam machen, wenn sich die Versicherungssumme nach Eintritt des Versicherungsfalls um den Betrag der Entschädigung vermindert.183 Hat die Kündigung eines Vertrages Auswirkungen auf den Deckungsumfang eines anderen Vertrages, muss der VR den VN über die möglicherweise eintretende Unterversicherung beraten.184 Beim Wechsel der Krankenversicherung oder der BU oder der LV muss VR über die (möglicherweise) negativen Folgen eines Wechsels (Änderung des Deckungsumfangs oder Prämienerhöhung) beraten und unter Umständen von einem Wechsel abraten.185 Das Gleiche gilt bei einer Falschberatung im Rahmen eines Wechsels von der Gesetzlichen in die Private Krankenversicherung.186 Wird dem VR während des Ruhens einer Krankenversicherung der Eintritt der Hilfebedürftigkeit des VN angezeigt, so ist er verpflichtet den VN über eine Möglichkeit des Wechsels in den Basistarif der Privaten KV zu beraten.187 Verlangt der VN die Umgestaltung seiner LV in „Pfändungsschutz für Altersrente nach § 851c ZPO entsprechend“, hat der VR ihn über die für eine Umwandlung nach § 167 VVG erforderlichen Erklärungen zu beraten.188 Misslingt die Erlangung von Pfändungsschutz wegen eines Fehlers des VR, so hat der VR den Schaden des VN zu ersetzen, sofern die LV bei pflichtgemäßem Verhalten im späteren Insolvenzverfahren nach § 36 Abs. 1 InsO geschützt gewesen wäre.189 Der Versicherer hat auf die Möglichkeit eines von ihm gebotenen besseren (günstigeren) Versicherungsschutzes hinzuweisen, wenn die ihm bekannten Umstände ein entsprechendes Bedürfnis des Versicherten nahelegen, etwa Wechsel von mitversicherten Kindern in einen Ausbildungstarif.190 Der Versicherer hat bei nachträglicher Herabsetzung der Versicherungssumme auf die Risiken einer Unterversicherung hinzuweisen und dies zu dokumentieren.191 Eine Verpflichtung des VR, den VN vor einem von diesem gewählten Versicherungsberater zu warnen, besteht demgegenüber nicht.192 Sollen im Zuge einer Änderung eines Unfallversicherungsvertrags geänderte AVB eingeführt werden, die für den VN teils günstiger, teil ungünstiger sind, so besteht für den VR aus § 6 Abs. 4 keine Verpflichtung über sämtliche Abweichungen

179 Wie hier Armbrüster in FS Schirmer 6 f.; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 50; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 47.

180 Wie hier Fausten VuR 2003 366 372; a. A. OLG Düsseldorf 2.7.1996 – 4 U 108/95, VersR 1997 1134 – allerdings aus der Perspektive des nicht mehr geltenden VVG. 181 BGH 7.9.2016 – IV ZR 370/13, BeckRS 2016 1747. 182 OLG Köln 4.8.1998 – 9 U 20/98, VersR 1999 1364 1365; Armbrüster FS Schirmer (2005) 12. 183 BGH 9.11.1982 – VI ZR 129/81, VersR 1985 129 II.2. 184 OLG Köln 3.6.1993 – 5 U 112/92, RuS 1994 185 186. 185 OLG Frankfurt 13.12.2007 – 12 U 214/06 II.1d zur Maklerhaftung. 186 OLG Hamm 24.6.2015 – 20 U 116/13, BeckRS 2015 12224; ähnlich OLG München 22.6.2012 – 25 U 3343/11, BeckRS 2012 15241. 187 OLG Schleswig 7.2.2019 – 16 U 82/18, NJW-RR 2019 607. 188 OLG Karlsruhe 27.4.2018 – 9 U 62/16, VuR 2019 73 m.Anm. Dörte Busch. 189 OLG Karlsruhe 27.4.2018 – 9 U 62/16, VuR 2019 73 m.Anm. Dörte Busch. 190 OLG München 10.6.2015 – 25 U 945/15, BeckRS 2015 12874. 191 OLG Karlsruhe 15.1.2013 – 12 U 121/12, BeckRS 2013 01975. 192 OLG Hamm 8.5.2017 – I-6 U 62/16, BeckRS 2017 118811. Schwintowski

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

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im Detail zu informieren.193 Die Haftung eines Regulierungsbeauftragten, der mit der Feststellung der Schadenshöhe vom VR betraut wurde, scheidet gegenüber dem VN nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB aus, wenn der Regulierungsbeauftragte nicht in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat.194 Etwas anderes kann gelten, wenn der Regulierungsbeauftragte in pflichtwidriger Weise unmittelbaren Einfluss auf die Art und Weise der Durchführung der Schadensbeseitigung nimmt und objektiv unzureichende Maßnahmen festlegt.195

3. Beratungspflicht nach Vertragsende Die Nachfrage und Beratungspflicht des VR besteht nur während der Vertragslaufzeit, nicht 76 dagegen nach Vertragsende.196 Eine nachvertragliche Aufklärungspflicht des VR im Hinblick auf zweifelhafte Geschäftspraktiken eines Policenaufkäufers besteht nicht.197

4. Beratungsverzicht Der VN kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten. Handelt 77 es sich um einen Vertrag im Fernabsatz (§ 312c BGB), kann der VN auch in Textform verzichten (seit 23.2.2018). Der Verzicht ist nicht generell, sondern nur im Einzelfall zulässig.198 Er kann nicht im Vorhinein erklärt werden, sondern muss sich auf die jeweils erforderliche Beratung beziehen.199Als Folge eines solchen Verzichts entfällt die Pflicht des VR sowohl zur Nachfrage als auch zur Beratung. Werden Verzichtserklärungen für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, so ist dies schon nach § 6 Abs. 4 unzulässig, weil es am Einzelfall fehlt; ergänzend kann in diesen Fällen die Vorformulierung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 unwirksam sein.200

V. Schadensersatzpflicht des VR (Absatz 5) I. Grundsätze Verletzt der VR seine Beratungs- und Dokumentationspflicht bzw. seine Pflicht zur Nachfrage 78 und/oder Beratung während der Vertragslaufzeit, so ist er dem VN zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet (§ 6 Abs. 5 VVG). Dies gilt nicht, wenn der VR die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 6 Abs. 5 S. 2). Es handelt sich um eine § 280 BGB nachgebildete eigenständige Anspruchsgrundlage für Pflichtverletzungen des VR. Die Norm ist halbzwingend (§ 18). Der VR kann sich also nicht für schuldhaft begangene Beratungsfehler, auch nicht seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB), freizeichnen.201 Der VR unterliegt nicht nur versicherungsrechtlichen Hinweis- und Beratungspflichten, 79 sondern darüber hinaus noch weiteren nebenvertraglichen Informationspflichten, die sich aus

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OLG Hamm 23.1.2019 – 20 U 160/18, BeckRS 2019 30943. OLG Hamm 21.11.2018 – 20 U 88/18, BeckRS 2018 33307. OLG Hamm 21.11.2018 – 20 U 88/18, BeckRS 2018 33307 m. w. N. Stöbener ZVersWiss 2007 465 479f; Armbrüster ZVersWiss 2008 425 433 beide zu der Frage ob der LV VR verpflichtet ist, ehemalige VN auf höhere Rückkaufswerte hinzuweisen. 197 OLG Oldenburg 13.11.2012 – 5 U 140/12, VersR 2013 845. 198 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 51. 199 BTDrucks. 16/3945 S. 59. 200 Blankenburg VersR 2008 1446 1449; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 7 Rn. 44; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 51. 201 BTDrucks. 16/3945 S. 59. 669

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§ 6 VVG

Beratung des Versicherungsnehmers

der gegenseitigen Treue-, Rücksichtnahme- und Schutzpflicht nach § 242 Abs. 2 BGB ergeben können. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Versicherungsvertrag zugleich als Anlagegeschäft einzuordnen und unter Mitwirkung eines Maklers zustande gekommen ist.202 Auch die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung des VR für Angaben seines Vertreters besteht unter der Geltung des VVG 2008 fort.203

II. Pflichtverletzung 80 Der VR muss seine Pflicht nach Abs. 1 (Beratung vor Vertragsschluss), nach Abs. 2 (Übermittlung des Rates und der Gründe hierfür), nach § 6a oder nach Abs. 4 (Nachfrage und Beratung nach Vertragsschluss) verletzt haben. Ziel der Beratung ist es, dem VN das Produkt des VR zu empfehlen, das seinen Wünschen und Bedürfnissen gerecht wird.204Eine Pflichtverletzung liegt objektiv vor, wenn der erteilte Rat nicht das Produkt empfiehlt, das dem ermittelten Bedürfnis am besten entspricht.205 Von einem Versicherer kann nur dann Aufklärung und Beratung erwartet werden, wenn sich ein konkretes Bedürfnis hierfür offenbart, welches nach der Konzeption von § 6 Abs. 1 eine Aufklärungs- und Beratungspflicht auslöst.206 Wird über die Laufzeit eines Lebensversicherungsvertrages bei der Vermittlung gesprochen und entscheidet sich der VN aus Kostengründen gegen eine längere Laufzeit eines LV-Vertrages, so liegt keine Beratungspflichtverletzung vor.207

III. Vertretenmüssen 81 Nach § 6 Abs. 5 S. 2 VVG haftet der VR nur dann auf Schadensersatz, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hatte. Zu vertreten hat der VR die Pflichtverletzung, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (§ 276 Abs. 1 BGB). Von diesem Maßstab kann zum Nachteil des VN nicht abgewichen werden (§ 18), sodass es auf § 276 Abs. 3 BGB, wonach die Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus erlassen werden kann, nicht mehr ankommt. Für den Maßstab der Fahrlässigkeit gilt § 276 Abs. 2 BGB. Danach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Der Begriff gilt nicht nur für das Leistungsstörungsrecht – sondern für das gesamte Privatrecht, innerhalb und außerhalb des BGB. Fahrlässigkeit setzt Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit des pflichtwidrigen Erfolgs voraus.208 82 Für das Verhalten des Versicherungsvertreters haftet der VR nach § 278 BGB, wie für eigenes Verschulden.209 Dies gilt sowohl für den selbstständigen Vertreter als auch für den unselbstständigen.210 Eine Abweichung zum Nachteil des VN scheitert an § 18 VVG; der VR kann sich daher für schuldhafte Beratungsfehler seines Vertreters nicht freizeichnen.211 83 Das Verhalten eines Maklers oder selbstständigen Vermittlers, der als Vertragspartner für diesen tätig ist, kann dem VR nur ausnahmsweise zuzurechnen sein. Dies setzt voraus, dass der 202 BGH 11.7.2012 – IV ZR 164/11, BeckRS 2012 16292; Wealthmaster/Nobel; ähnlich OLG Frankfurt a. M. 19.3.2015 – 7 U 134/13, BeckRS 2015 09808; OLG Karlsruhe 31.3.2017 – 12 U 112/16, LSK 2017 2139/14; OLG Nürnberg 27.6.2016 – 8 U 2633/14, BeckRS 2016 12380; OLG Frankfurt a. M. 8.1.2015 – 7 U 224/13, BeckRS 2015 19451. 203 OLG Frankfurt 19.5.2011- 7 U 67/08, BeckRS 2012 06605; LG Saarbrücken 5.8.2013 – 14 O 152/12, VersR 2014 317 Rn. 22; sowie die weiteren Hinweise auf die Diskussion in der Literatur in Rn. 5. 204 Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 24. 205 Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 55; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 53. 206 OLG Saarbrücken 26.6.2019 – 5 U 89/18, BeckRS 2019 23766 Rn. 49 m. w. N. 207 OLG Saarbrücken 26.6.2019 – 5 U 89/18, BeckRS 2019 23766 Rn. 51, 52. 208 BGH 13.3.1963 – V ZR 36/61 BGHZ 39 235. 209 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 50. 210 OLG München 22.6.2012 – 25 U 3343/11, VersR 2012 1292; Armbrüster ZVersWiss 2008 425 434 f. 211 BTDrucks. 16/3945 S. 59. Schwintowski

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

VVG § 6

Vermittler zugleich Aufgaben, die typischerweise dem VR obliegen, mit dessen Willen und Wollen übernimmt und damit in dessen Pflichtenkreis tätig wird.212 Da auch der Vertreter eine vorvertragliche Beratung (§ 61 Abs. 1) schuldet und dafür nach 84 § 63 auf Schadensersatz haftet, besteht zwischen ihm und dem VR eine Gesamtschuld soweit sich die Beratungspflichten decken.213 Dennoch ist der Vertreter Erfüllungsgehilfe des VR, d. h. § 425 Abs. 2 BGB gilt nicht.214 Der VR haftet also für das Verschulden des Vertreters nach § 278 BGB, ohne dass es darauf ankommt, ob er gewerberechtlich die Haftung für den Vertreter übernommen hat.215 Der Vertreter kann sich von seiner Beratungspflicht nach § 67 VVG nicht freizeichnen, sodass Deckungsgleichheit zwischen VR und Vertreter besteht.216 Die Frage, ob der VR Anlass zur Beratung hatte und ob dieser Anlass (nach Vertragsschluss) 85 für ihn erkennbar war, gehört tatbestandlich zu der Pflichtverletzung nach Abs. 1 oder Abs. 4.217 Steht die Pflichtverletzung durch den VR fest, so ist es an ihm darzutun und zu beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hatte.218

VI. Schadensersatz Der VR ist zum Ersatz des durch die Pflichtverletzung entstehenden Schadens verpflichtet. Es 86 handelt sich um eine gesetzlich angeordnete Schadensersatzpflicht aus einem Rechtsgeschäft (Versicherungsvertrag) wegen Nichteinhaltung einer Leistungspflicht (Nachfrage-, Informations- und Beratungspflicht nach Abs. 1/2/4). Für die Nichteinhaltung von Leistungspflichten aus Verträgen ist, wie hier, das volle Erfüllungsinteresse zu ersetzen. Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Schuldner ordnungsgemäß erfüllt hätte.219 Dieser Schadensersatzanspruch statt der Leistung (§§ 281, 283 BGB) geht, entgegen § 249 Abs. 1 BGB, regelmäßig auf Leistung in Geld.220 Das heißt der VN ist so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn ihm die richtige Auskunft erteilt worden wäre.221 Entscheidend ist, ob der VN bei ordnungsgemäßer Beratung den Vertrag nicht geschlossen 87 hätte oder nur zu günstigeren Konditionen.222 Hätte der VN bei zutreffender Beratung den Vertrag nicht geschlossen, so kann er die Aufhebung des Vertrages ferner verlangen.223 In diesem Falle sind dem VN die Prämien zurückzuerstatten, ebenso etwaige Aufwendungen, die bei Vertragsschluss entstanden sind und schließlich ein entgangener Gewinn.224 Das Gleiche gilt, wenn der Versicherungsfall eingetreten ist. Allerdings wird der VN in diesen Fällen regelmäßig nicht Aufhebung des Vertrages verlangen, weil dies für ihn nachteilig ist. Hätte der VN bei angemessener Beratung einen anderen Vertrag mit umfassenderer De- 88 ckung und/oder günstigeren Konditionen abgeschlossen, so ist er so zu stellen, wie er bei Ab212 213 214 215

BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/15 (juris Rn. 23). OLG Naumburg 12.3.2015 – 4 U 61/14, VersR 2016 988 990 Unterziffer 2; Michaelis ZfV 2010 215. Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 58. Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 58; Werber VersR 2008 285 287 ff.; Armbrüster Aktuelle Rechtsfragen der Beratungspflichten von Versicherern und Vermittlern (2009) 29. 216 Deshalb spielen die Grundsätze der gestörten Gesamtschuld keine Rolle, vertiefend Werber VersR 2010 553 558. 217 Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 59. 218 Reiff Versicherungsvermittlerrecht im Umbruch S. 80; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 55. 219 BGH 27.5.1998 – VIII ZR 362/96, NJW 1998 2902. 220 BGH 20.5.1994 – V ZR 64/93, NJW 1994 2480. 221 BGH 12.12.1980 – V ZR 168/78, NJW 1981 1035; BGH 3.12.1991 – XI ZR 300/90, NJW 1992 555; BGH 16.4.1996 – XI ZR 302/95, NJW-RR 1996 828; BGH 10.7.2003 – III ZR 155/02, NJW 2003 3049. 222 Dörner Karlsruher Forum 2000 (2001) S. 56 ff; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 57. 223 BGH 26.9.1991 – VII ZR 376/89, BGHZ 115 213 221; BGH 22.12.1999 – VIII ZR 111/99, NJW 2000 1254 1256. 224 OLG Oldenburg 25.6.1997 – 2 U 94/97, VersR 1998 220; OLG Düsseldorf 15.8.2000 – 4 U 139/99, VersR 2001 705 f. 671

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schluss dieses Vertrages stünde.225 Wählt der VN einen umfassenderen Versicherungsschutz, so muss er die Differenzprämie, die sich bei richtiger Beratung ergeben hätte, nachentrichten; wäre die Prämie günstiger gewesen, so wird ihm die Differenz erstattet.226 Für den VN spricht die Vermutung beratungsrichtigen Verhaltens.227 Die Vermutung ist entkräftet, wenn der VR beweisen kann, dass er einen umfangreicheren Versicherungsschutz, wegen der damit verbundenen höheren Prämie nicht vereinbart hätte.228 Versäumt es der VR den VN darauf hinzuweisen, dass der gewünschte Versicherungsschutz am Markt nicht angeboten wird, so fehlt es am Schaden.229 Die Pflichtverletzung muss zu einem Vermögensschaden beim VN führen.230 Dies ist nicht der Fall, wenn der VR seine fehlerhafte Auskunft so rechtzeitig korrigiert, dass dem VN ein angemessener Zeitraum bleibt, sich anderweitig um Versicherungsschutz zu bemühen – es fehlt an der Kausalität.231 Wäre der Vertrag nicht zustande gekommen, so fehlt es am Vermögensschadens.232 Entspricht der Versicherungsvertrag trotz der Pflichtverletzung den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden, so fehlt es sowohl am Vermögensschaden als auch an den Voraussetzungen den Vertrag aufzuheben. Im Rahmen der Haftung des VR für das schuldhafte Verhalten des Vertreters als Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) hat der VR dem VN den Vertrauensschaden (negatives Interesse) zu ersetzen. Der VN ist so zu stellen, als wäre er nicht falsch beraten oder – im Fall der unterlassenen Beratung – als wäre er richtig beraten worden. Der Vertrauensschaden ist, anders als in den Fällen der §§ 122, 179 BGB, der Höhe nach nicht auf das Erfüllungsinteresse beschränkt.233 Der Vertrauensschaden kann mit dem Erfüllungsinteresse identisch sein, wenn feststeht, dass der VN ohne den Beratungsfehler vollen Versicherungsschutz erhalten hätte.234 Das Gleiche gilt, wenn der VN beweist, dass er den gewünschten Versicherungsschutz bei einem anderen VR zu vergleichbaren Bedingungen erhalten hätte.235 In diesen Fällen kann der VN die Erstattung der bezahlten Prämien verlangen.236 Hätte der VN ohne das schuldhafte Verhalten des Vertreters einen Vertrag mit einem anderen VR geschlossen, gehört zum negativen Interesse auch der aus diesem Vertrag entgangene Gewinn, bzw. die entgangene Versicherungsleistung. Das Erfüllungsinteresse ist zu ersetzen, wenn der Vertrag ohne die Pflichtverletzung mit dem VR zu günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre.237 Ist der Vertrag infolge der Pflichtverletzung zu ungünstigen Bedingungen zustande gekommen, hält der VN aber gleichwohl am Vertrag fest, gibt ihm die Rechtsprechung einen Anspruch auf Vertragsanpassung. Er kann Herabsetzung seiner Leistung auf das angemessene Maß und Rückzahlung des Mehrbetrages (der überzahlten Prämie) fordern.238 225 BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61, BGHZ 40 22; BGH 4.7.1989 – VI ZR 217/88, BGHZ 108 200. 226 BGH 3.2.2011 – IV ZR 171/09, VersR 2011 623; BGH 7.12.1988 – IVa ZR 193/87, VersR 1989 472 473; OLG Saarbrücken 4.2.1998 – 5 U 490/97 – 49, RuS 1998 384 385. 227 BGH 7.12.1988 – IVa ZR 193/87, VersR 1989 472 473; OLG Hamm 23.8.2000 – 20 U 22/00, RuS 2001 334 336; OLG Saarbrücken 4.12.1998 – 5 U 490/97 – 49 RuS 1998 384 385; OLG Karlsruhe 3.3.1988 – 12 U 105/87, VersR 1990 889; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 58. 228 BGH 4.12.2013 – IV ZR 409/12, VersR 2014 861 Rn. 12. 229 OLG Düsseldorf 28.4.1998 – 4 U 84/97, RuS 1998 361 362; OLG Köln 4.10.1990 – 5 U 21/90, VersR 1990 1381 1382. 230 BGH 26.9.1991 – VII ZR 376/89, BGHZ 115 221; BGH 22.12.1999 – VIII ZR 111/99, NJW 2000 1254 1256. 231 LG Köln 5.12.1984 – 24 O 109/84, VersR 1985 381. 232 Fleischer AcP 200 (2000) 91 111; Grigoleit NJW 1999 900. 233 BGH 28.10.1977 BGHZ 57 191 193; BGH 25.5.1977 BGHZ 69 53 56. 234 OLG Hamm 24.10.1990 – 20 U 294/89, VersR 1991 914. 235 OLG Köln 30.8.1990- 5 U 124/89, RuS 1990 325; OLG Frankfurt a. M. 5.4.1989 – 22 U 80/88, VersR 1990 782; OLG Karlsruhe 3.3.1988 VersR 1990 889. 236 OLG Nürnberg 11.11.1993 – 8 U 1742/93, RuS 1994 81. 237 BGH 4.6.1989 BGHZ 108 200; BGH 24.6.1998 – XII ZR 126/96, NJW 1998 2900. 238 BGH 6.4.2001 – V ZR 394/99, NJW 2001 2875. Schwintowski

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

VVG § 6

Neben dem Anspruch aus § 6 Abs. 5 kann auch ein Anspruch aus der weitergeltenden gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung bestehen.239 Werden Belehrungspflichten verletzt, so kann sich der VR auf die für ihn günstige Rechtsfolge nicht berufen.240 Der VN hat einen vertraglichen Erfüllungsanspruch, wenn bei einer Rentenversicherung gegen Einmalzahlung eine bestimmte monatliche Rente einschließlich einer Überschussbeteiligung vereinbart wird. Erklärt der VR in der Anlage zum Versicherungsschein, dass die gegenwärtige Höhe der Überschussbeteiligung solange gilt, bis die Überschussanteilssätze neu festgelegt werden, so schließt dies eine Neufestsetzung nach Vertragsschluss insoweit aus, als der VR bei Vertragsschluss bereits wusste, dass die zugrunde gelegte Sterbetafel (DAV R 1987) bereits überholt war.241 Es kommt also nicht darauf an, dass der VN anderweitig keinen günstigeren Versicherungsschutz bekommen hätte, sondern darauf, dass der VR ihm ein bindendes Versprechen gegeben hat. In einem ähnlichen Fall entschied das OLG Düsseldorf242, dass der VN den geschlossenen Rentenversicherungsvertrag kündigen darf, um den Zustand wieder herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestand (§ 249 BGB). Der VR habe dem VN die bereits erbrachten Prämien in vollem Umfang zu ersetzen und darüber hinaus den Zinsschaden zu erstatten, der bei einer alternativen kurzfristigen Geldanlage hätte erzielt werden können (das Gericht schätzt nach § 287 ZPO den Schaden auf 4 %). Bei einer fehlerhaften Beratung und einem Wechsel von der Gesetzlichen in die Private Krankenversicherung ist der VN so zu stellen, als wäre er in der Gesetzlichen Krankenkasse nach wie vor gesetzlich versichert.243 Bei vollständiger Information hätte der VN das SKR-Konzept mit dem Abschluss der Police des VR nicht gezeichnet.244

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VII. Mitverschulden Ein leichtes Mitverschulden berührt die Erfüllungshaftung nicht; ein schweres Mitverschulden 98 schließt sie aus.245 Daran hat sich durch die Neuregelungen in § 6 nichts geändert. Demgegenüber ist ein Mitverschulden des VN bei der Haftung des VR aus §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB quotenmäßig zu berücksichtigen (§ 254 BGB).246 Das gilt auch für den Anspruch aus § 6 Abs. 5. Dem VN ist kein Mitverschulden vorzuwerfen, weil er auf eine falsche Auskunft des VR 99 vertraut.247Anders soll es sein, wenn sich der VN nicht ausreichend über den Umfang des Versicherungsschutzes anhand der ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen informiert.248 Zutreffend wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass eine Obliegenheit des VN zur Selbstinformation nicht bestehen kann, wenn und soweit der VR zur Beratung verpflichtet ist.249 239 OLG Frankfurt a. M. 19.5.2011 – 7 U 67/08, VersR 2012 342 S. 8; LG Saarbrücken 5.8.2013 – 14 O 152/12, VersR 2014 317 Rn. 22; vgl. die weiteren Hinweise in Rn. 5.

240 BGH 8.5.1967 – II ZR 17/65, BGHZ 48 7; BGH 14.12.1967 – II ZR 169/65, BGHZ 49 130; BGH 5.6.1985 – Iva ZR 113/83, VersR 1985 981; Römer VersR 1998 1313 (1316). OLG Koblenz 26.5.2000 – 10 U 1342/99, NVersZ 2000 423 = VersR 2000 1357. OLG Düsseldorf 18.8.2000 NVersZ 2001 15 = VersR 2001 705. OLG Hagen 24.6.2015 – 20 U 116/13, BeckRS 2015 12224 Rn. 78. OLG Frankfurt a. M. 8.1.2015 – 7 U 224/13, BeckRS 2015 19451 Rn. 30 bestätigt von BGH 25.5.2016 – IV ZR 110/ 15 (juris). 245 OLG Köln 26.11.1990 – 5 W 55/90, RuS 1991 6; vertiefend Lorenz FS Canaris 2007 757 ff. 246 BGH 4.3.1968 VersR 1968 467; OLG Köln 4.10.1990 – 5 U 21/90, RuS 1991 113. 247 BGH 26.9.1997 – V ZR 29/96, VersR 1998 905. 248 BGH 20.6.1963 – II ZR 199/61, BGHZ 40 22; OLG Köln 29.4.1997 – 9 U 48/96, VersR 1998 180 181; OLG Köln 12.11.1996 – 9 U 17/96, VersR 1997 1530 1531. 249 Grigoleit Vorvertragliche Informationshaftung S. 158 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 59 m. w. N.; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 64.

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Beratung des Versicherungsnehmers

VIII. Beweislast 100 Die Beweislast für das Vorliegen der Pflichtverletzung liegt beim VN.250 Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen sind heranzuziehen.251 Dem VR obliegt es zu zeigen, wie die Beratung konkret erfolgt ist; dem VN obliegt es, die unterlassene oder fehlerhafte Beratung zu beweisen.252 Dabei kann die Beratungsdokumentation beiden Seiten helfen. Ein Verstoß gegen Dokumentationspflichten (§ 6a) kann Beweiserleichterungen zugunsten des VN rechtfertigen.253 Dabei kann es zur Umkehr der Beweislast kommen.254 Bei fehlender oder unvollständiger Dokumentation wird widerleglich vermutet, dass die nicht dokumentierte Beratung auch nicht erfolgt ist; der VR muss diese Vermutung entkräften.255 101 Nach der Formulierung von Abs. 5 muss der VR beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Dem VN kommt die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens zu Gute. Diese Vermutung gilt auch dann, wenn sich der VN bei richtiger Beratung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte.256 Es wird somit vermutet, dass sich der VN der richtigen Beratung nicht verschlossen hätte, also den Vertrag beratungsgemäß abgeschlossen oder auch nicht abgeschlossen hätte.257 Beim Wechsel eines Versicherers kann sich die Vermutung auch darauf erstrecken, dass der VN an einem alten Vertrag festgehalten hätte.258 Der VR kann beweisen, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßer Beratung entstanden wäre.259 Wurde der VN über die Folgen einer vorzeitigen Beendigung einer LV in Form der Nettopolice nicht ordnungsgemäß belehrt, so wird vermutet, dass der VN sich nicht für die Nettopolice entschieden hätte.260

IX. Anwendungsgrenzen (Absatz 6) 102 § 6 ist auf Großrisiken (Art. 10 Abs. 1 EGVVG) nicht anzuwenden. Ferner ist § 6 dann nicht anzuwenden, wenn der Vertrag von einem Versicherungsmakler vermittelt wird (§ 59 Abs. 3). Der VR darf bei Einschaltung eines Versicherungsmaklers davon ausgehen, dass der Makler die ihm gegenüber dem VN obliegenden Frage- und Beratungspflichten nach § 61 erfüllt.261 Das Gleiche gilt bei einer Vermittlung mit einem Versicherungsberater (§ 59 Abs. 4) oder durch einen nicht gewerbsmäßig tätigen Vermittler (§ 66). Bei erkennbaren Fehlvorstellungen des VN oder fehlender Sachkunde des Maklers, die für den VR erkennbar ist, ergeben sich die Hinweispflichten für den VR aus § 242 BGB.262

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Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 65 m. w. N. BT Drucks. 16/1935 S. 25 f.; hierzu Brand VersR 2015 10, 15. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 56. BTDrucks. 16/1935 S. 25 zu § 42e VVG a. F. BGH 25.9.2014 – III ZR 440/13, VersR 2014 1328; BGH 13.11.2014 – III ZR 544/13, VersR 2015 107; BTDrucks. 16/ 1935 S. 25 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 56. 255 BGH 13.11.2014 – III ZR 544/13, VersR 2015 107; OLG Saarbrücken 27.1.2010 – 5 U 337/09, VersR 2010 1181; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 56. 256 BGH 16.7.2016 – V ZR 168/15, MDR 2017 23; OLG Saarbrücken 26.2.2014 – 5 U 64/13, VersR 2015 1248. 257 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 57. 258 OLG Saarbrücken 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018 480 (zu § 61). 259 BGH 23.10.2014 – III ZR 82/13, VersR 2015 187; Rüffer/Halbach/Schimikowski/münkel § 6 Rn. 57. 260 BGH 12.12.2013 – III ZR 124/13 VersR 2014 240; BGH 5.6.2014 – III ZR 557/13 VersR 2014 877; OLG München 5.7.2016 – 20 U 1011/16 VersR 2017 616; OLG Hamm 23.8.2017 – 20 U 38/17 VersR 2018 222; dazu Reiff VersR 2014 243. 261 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 262 Stöbener ZVersWiss 2007 465 479; Schirmer/Höhne VersR 1998 661 665. Schwintowski

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B. Kommentierung der Tatbestandsmerkmale des § 6

VVG § 6

Wechselt der VN zur Betreuung zu einem Makler, so soll eine Verpflichtung zur Doppelberatung entstehen; es sei denn, der VN verzichtet auf eine Beratung des VR.263 Diese Rechtsprechung ist nicht überzeugend, da es eine Verpflichtung zur Doppelberatung nicht geben darf.264 Auch der Verzicht auf eine Beratung, die der BGH dem VN aufdrängt, ist nicht zielführend, denn der VN soll und will nicht auf eine Beratung verzichten. Es gehe nur darum eine Doppelberatung zu vermeiden. Diese wird vermieden, wenn man den Begriff vermittelt in § 6 Abs. 6 funktional interpretiert. Danach ist der Vertrag vom Versicherungsmakler dann vermittelt, wenn dieser als Sachwalter für den VN tätig wird. Insoweit ist es irrelevant, ob der Vertrag von Anfang an oder erst während des Laufes des Vertrages vom Versicherungsmakler betreut wird. Dogmatisch beendet der VN durch den Wechsel zum Makler seine Betreuungsbeziehung zum VR und begründet zugleich ein neues Sachwalterverhältnis zum Makler, sodass dieser nunmehr als Vermittler des Vertrages gilt. Hiervon unabhängig kann der VR nach Treu und Glauben zur Beratung des VN dann verpflichtet sein, wenn für den VR eine unzutreffende Vorstellung des VN oder seines Versicherungsmaklers erkennbar wird, oder wenn der VN Beratungsbedarf ausdrücklich anmeldet.265 Umgekehrt folgt aus dieser funktionalen Betrachtung, dass der VR immer dann zur Beratung verpflichtet ist, wenn die Betreuung durch den Makler wegfällt.266 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der VR Kenntnis davon hat, dass das Betreuungsverhältnis zum Makler beendet ist.267 Ein Versicherungsmakler kann einem VR nicht untersagen, im Rahmen von Korrespondenz mit VN andere Ansprechpartner als die von dem VN beauftragten Maklern zu benennen.268 Die Bereichsausnahme für Fernabsatzverträge (§ 312 b BGB) ist mit Wirkung 23.2.2018 ersatzlos gestrichen worden. Eine derartige Ausnahme, so die Gesetzesbegründung ist in der Richtlinie nicht vorgesehen und im Fernabsatz auch nicht mehr sinnvoll, da inzwischen auch beim Abschluss eines Vertrages im Fernabsatz nach § 6 beraten und dokumentiert werden kann.269 Diese Grundsätze galten für Versicherungsvermittler, die Leistungen im Internet anboten, auch schon vor dem 23.2.2018.270

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106 107

X. Verfahrensrecht Ein Revisionszulassungsgrund (Beratungspflicht des VR über Produktentwicklungen im laufen- 108 den Vertrag) führt nicht zur Zulässigkeit der Revision, wenn er nicht entscheidungserheblich ist, weil die angefochtene Entscheidung zusätzlich auch auf Umstände des Einzelfalls (Kausalität der unterstellten Beratungspflichtverletzung) gestützt wird.271

263 BGH 29.5.2013 – IV ZR 165/12 RuS 2013 415. 264 BTDrucks. 18/11627 S. 43; ähnlich: Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 60. 265 BGH 21.4.2016 – I ZR 151/15 NJW-RR 2017 234 Rn. 39 m. w. N.; OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16 RuS 2017 238; Stöbener ZVersWiss 2007 465, 479. 266 Armbrüster Aktuelle Rechtsfragen der Beratungspflichten von Versicherern und Vermittlern (2009) S. 19 f.; MüKo-VVG/Armbrüster § 6 Rn. 35; a. A. Grote/Schneider BB 2008 2689, 2690. 267 Schimikowski/Höra Das neue Versicherungsvertrags (2008) S. 108. 268 OLG Hamm 18.11.2014 – I – 4 U 90/14 BeckRS 2015 0072. 269 BTDrucks. 18/11627 S. 43; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 63. 270 OLG München 6.4.2017 – 29 U 31/39/16 BeckRS 2017 111987; vertiefend Rübben Die Pflichten von Internetportalen bei Vertrieb von Versicherungsprodukten im Lichte europäischer Gesetzgebung Berliner Reihe Bd. 51. 271 BGH 4.12.2013 – IV ZR 409/12 BeckRS 2014 04463. 675

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§ 6a Einzelheiten der Auskunftserteilung (1) Der nach § 6 zu erteilende Rat und die Gründe hierfür sind dem Versicherungsnehmer wie folgt zu übermitteln: 1. auf Papier; 2. in klarer, genauer und für den Versicherungsnehmer verständlicher Weise 3. in einer Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem das Risiko belegen ist oder in dem die Verpflichtung eingegangen wird, oder in jeder anderen von den Parteien vereinbarten Sprache und 4. unentgeltlich. (2) Abweichend von Absatz 1 Nummer 1 dürfen die Auskünfte dem Versicherungsnehmer auch über eines der folgenden Medien erteilt werden: 1. über einen anderen dauerhaften Datenträger als Papier, wenn die Nutzung des dauerhaften Datenträgers im Rahmen des getätigten Geschäfts angemessen ist und der Versicherungsnehmer die Wahl zwischen einer Auskunftserteilung auf Papier oder auf einem dauerhaften Datenträger hatte und sich für diesen Datenträger entschieden hat oder 2. über eine Website, wenn der Zugang für den Versicherungsnehmer personalisiert wird oder wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: a) die Erteilung dieser Auskünfte über eine Website ist im Rahmen des getätigten Geschäfts angemessen; b) der Versicherungsnehmer hat der Auskunftserteilung über eine Website zugestimmt; c) dem Versicherungsnehmer wurden die Adresse der Website und die dortige Fundstelle der Auskünfte elektronisch mitgeteilt; d) es ist gewährleistet, dass diese Auskünfte auf der Website so lange verfügbar bleiben, wie sie für den Versicherungsnehmer vernünftigerweise abrufbar sein müssen. (3) 1Die Auskunftserteilung mittels eines anderen dauerhaften Datenträgers als Papier oder über eine Website im Rahmen eines getätigten Geschäfts wird als angemessen erachtet, wenn der Versicherungsnehmer nachweislich regelmäßig Internetzugang hat. Die Mitteilung einer E-Mail-Adresse seitens des Versicherungsnehmers für die Zwecke dieses Geschäfts gilt als solcher Nachweis. (4) Handelt es sich um einen telefonischen Kontakt, werden, selbst wenn sich der Versicherungsnehmer dafür entschieden hat, die Auskünfte gemäß Absatz 2 auf einem anderen dauerhaften Datenträger als Papier zu erhalten, die Auskünfte dem Versicherungsnehmer gemäß Absatz 1 oder Absatz 2 unmittelbar nach Abschluss des Versicherungsvertrags erteilt.

Schrifttum Goretzky Die Umsetzung der IDD in deutsches Recht: Eine Bestandsaufnahme unter digitalem Blickwinkel, VersR 2018 1; Reiff Das Versicherungsvertriebsrecht nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie, VersR 2018 193.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

1 2

Schwintowski https://doi.org/10.1515/9783110522600-014

7

B.

Spezielle Kommentierung

I.

Tatbestandsvoraussetzungen von § 6a 7 Abs. 1 7 Informationen auf Papier (Nr. 1)

1.

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A. Einführung

2. 3. 4.

Informationen klar, genau und verständlich 8 (Nr. 2) 15 Sprache (Nr. 3) 19 Unentgeltlich (Nr. 4)

II. 1.

21 § 6a Abs. 2 Dauerhafter Datenträger

22

VVG § 6a

27

2.

Website

III.

Fiktionen (Abs. 3)

IV.

Telefonischer Kontakt (Abs. 4)

V.

Rechtsfolgen

34 35

39

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 6a ist am 23.2.2018 in Kraft getreten.1 Die Regelung übernimmt Art. 23 IDD2 bis auf geringfügige 1 gestalterische Veränderungen wort- und inhaltsgleich.

II. Inhalt und Zweck der Regelung Nach Art. 23 IDD ist, abweichend vom früher geltenden deutschen Recht, das die Textform zuließ, grundsätzlich in Papierform zu unterrichten, es sei denn, die in den Abs. 2 und 4 geregelten Ausnahmen greifen.3 Erwägungsgrund 50 der Richtlinie (EU) 2016/97 führt insoweit aus, dass dem Kunden eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Mediums geboten werden soll, über das Informationen erteilt werden.4 Dies gestatte die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel, wenn es bei dem betreffenden Geschäft sinnvoll sei.5 Dem Kunden solle jedoch – so Erwägungsgrund 50 – freigestellt werden, die Information auf Papier zu erhalten. Im Interesse des Informationszugangs, so Erwägungsgrund 50 weiter, sollten alle vorvertraglichen Informationen kostenlos zugänglich sein.6 Neu ist, dass der VN auch über eine Website unterrichtet werden kann (Abs. 3), wenn davon ausgegangen werden kann, dass eine Unterrichtung über eine Website angemessen im Sinne der Regelung ist. Dies ist nach dem Wortlaut von Abs. 3 dann der Fall, wenn der VN nachweislich regelmäßig Internetzugang hat. Die Mitteilung einer E-Mail-Adresse seitens des VN für die Zwecke dieses Geschäfts gilt als solcher Nachweis. Nimmt der VR mit dem VN telefonischen Kontakt auf, muss er seine Identität und den geschäftlichen Zweck des Kontakts bereits zu Beginn eines jeden Gesprächs ausdrücklich offenlegen (§ 5 Abs. 1 VVG-InfoV). Wird ein Vertrag abgeschlossen, sind die Informationen unmittelbar nach Abschluss des Vertrages entsprechend Abs. 1 oder 2 zu erteilen (Abs. 4).7 Die Regelungen über die Auskunftserteilung in § 6a gelten ab 23.2.2018 für Vermittler entsprechend (§ 59 Abs. 1). Versicherungsvermittler ist auch, wer eine Vertriebstätigkeit im Sinne von § 1a Abs. 2 ausführt, ohne dass die Voraussetzungen von § 59 Abs. 2 oder 3 vorliegen. Das bedeutet, dass die Regelungen des § 6a auch dann gelten, wenn Informationen für einen oder mehrere Versicherungsverträge über eine Website oder andere Medien bereit gestellt werden. 1 Gesetz v. 17.8.2017 – BGB1. I S. 3214; Begründung im Gesetzentwurf vom 22.3.2017 BT-Drucks. 18/11627, ab S. 43; Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie vom 28.6.2017 BT-Drucks 18/ 13009, ab S. 40 hat die Norm unverändert übernommen. 2 Richtlinie (EU) 2016/97 v. 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb ABl. L. 26/19, ab S. 43. 3 BT-Drucks. 18/11627 S. 43; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6a ab Rn. 1. 4 BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 5 BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 6 BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 7 BT-Drucks. 18/11627 S. 44. 677

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§ 6a VVG

Einzelheiten der Auskunftserteilung

Das gleiche gilt für die Erstellung einer Rangliste von Versicherungsprodukten, einschließlich eines Preis- und Produktvergleichs oder eines Rabatts auf den Preis eines Versicherungsvertrags, wenn der VN einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt über eine Website oder ein anderes Medium abschließen kann (§ 1a Abs. 2). 6 Dies bedeutet, dass jeder Betreiber einer Website, unabhängig davon, ob es sich um einen Vermittler oder ein Versicherungsunternehmen handelt, erfasst wird, soweit der Kunde die Möglichkeit hat, über die Website einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt abzuschließen.8 Damit knüpft der deutsche Gesetzgeber an Erwägungsgrund 12, wonach die Richtlinie Personen betrifft, deren Tätigkeit darin besteht, über eine Website oder andere Medien Informationen über Versicherungsprodukte anzubieten.9 Diese Ausweitung, so die Gesetzesbegründung, ist sachgerecht. Andernfalls entstünden Wettbewerbsnachteile für Vermittler und Versicherungsunternehmen, die Websites betreiben.10 Das deutsche Versicherungsvertragsrecht übernimmt die Regelung und zwar durch Änderung des § 59 Abs. 1, auch wenn es nicht um Vertragsrecht im eigentlichen Sinne geht.11 Erfasst wird auch die „indirekte Ermöglichung des Abschlusses eines Versicherungsvertrages“, z. B. wenn durch Weiterleitung auf anderen Websites der Abschluss ermöglicht wird.12

B. Spezielle Kommentierung I. Tatbestandsvoraussetzungen von § 6a Abs. 1 1. Informationen auf Papier (Nr. 1) 7 Der VR hat den VN nach § 6 Abs. 1, wenn hierfür Anlass besteht, zu beraten, sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Für die Übermittlung des erteilten Rats und die Gründe gilt nach § 6 Abs. 2 seit 23.2.2018 § 6a. Danach sind der zu erteilende Rat und die Gründe hierfür dem VN auf Papier zu übermitteln (Nr. 1).13 Dies entspricht der Vorgabe in Art. 23 Abs. 1a IDD.14 Allerdings dürfen die Auskünfte dem VN auch über andere Medien, die in Abs. 2 bezeichnet sind, erteilt werden.

2. Informationen klar, genau und verständlich (Nr. 2) 8 Der Rat und die Gründe hierfür sind in klarer, genauer und für den VN verständlicher Weise zu erteilen (Nr. 2). Der Gesetzgeber lehnt sich nahezu wortwörtlich an Art. 23 Abs. 1b IDD an. Auch vor dem 23.2.2018 waren der Rat und die Gründe hierfür „klar und verständlich“ und zwar vor Abschluss des Vertrages in Textform zu übermitteln (§ 6 Abs. 2). Nach dem neuen § 6a Abs. 1 Nr. 2 soll der VN außerdem genau informiert werden. Die Begriffe „klar, genau und verständlich“ knüpfen an das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) an. Alle drei Begriffe bilden Schnittmengen. Es geht im Kern darum, dass der Rat und die Gründe für den VN klar und durchschaubar so dargestellt werden, dass er etwaige Vor- und Nachteile der Versicherung er-

8 BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 9 BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 10 BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 11 BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 12 BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 13 Hierzu Goretzky VersR 2018, 1, 6. 14 Richtlinie (EU) 2016/97 v. 20.1.2016, ABl. L. 26/1943. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 6a

kennen kann.15 Die klare, genaue und verständliche Information soll es dem VN ermöglichen eine eigenständige Entscheidung für oder gegen die empfohlene Versicherung zu treffen, d. h. die drei Begriffe konkretisieren den Gedanken der Privatautonomie.16 Abzustellen ist auf den verständigen Durchschnittskunden ohne spezifische Rechtskenntnisse.17 Der Rat ist dann klar und genau, wenn er an die im Beratungsgespräch zutage getretenen Wünsche und Bedürfnisse des VN anknüpft. Die Wünsche und Bedürfnisse des VN werden in aller Regel in Leistungsmerkmalen der Versicherung konkretisiert. Beispiel: Der VN wünscht für den Hausrat Leistungen bei Feuer, Blitzschlag, Sturm sowie Glas- und Einbruch, aber keine Deckung für Elementarschäden, weil diese über die Gebäudeversicherung des Hauseigentümers erfasst sind. Infolgedessen rät der VR zu einer Hausratversicherung mit diesen Leistungsmerkmalen und weist in verständlicher Form auf den Grund für die Nicht-Erfassung der Elementarschäden hin. Ist der Ersatz für Geld und Schmuck bei Einbrüchen der Höhe nach begrenzt, so sollte auch diese Grenze benannt sein. Je nach Fall sollte darauf hingewiesen werden, dass der VN kein Fahrrad besitzt, sodass er für den Diebstahl auf der Straße keine Deckung benötigt. Es geht darum, den Rat und die Gründe dafür an den Wünschen und Bedürfnissen des VN auszurichten und ihm vor Augen zu führen, ob die Versicherung, die ihm empfohlen wird, jene Risiken abdeckt, die für ihn von Bedeutung sind. Wichtig ist der Hinweis, ob neu hinzukommende Risiken (VN schafft sich Fahrrad an) automatisch mitversichert sind oder ob es insoweit einmal einer Vertragsergänzung bedarf. Dies kann z. B. auch eine Rolle spielen bei minderjährigen Kindern, die das Haus verlassen und das Studium an einem anderen Ort aufnehmen – sind sie mit ihrem Hausrat oder mit Blick auf ihre Private Haftpflicht weiterhin mitversichert oder muss über eigenständigen Versicherungsschutz nachgedacht werden? Insoweit handelt es sich nicht um Informationen des VR nach Vertragsschluss (§ 6 Abs. 4), sondern um Informationen über den Deckungsumfang der ins Auge gefassten Versicherung. Für VN mit Kindern, die in Kürze ihr Studium aufnehmen werden, könnte es wichtig sein, dass sich der Versicherungsschutz auch auf bestimmte Risiken der Kinder erstreckt. Verständlich, klar und genau sind Rat und Begründung dann, wenn der VN die ihn und die versicherten Personen treffenden Risiken ohne Rechtskenntnisse erkennen und in ihren quantitativen Wirkungen gewichten kann, sodass ihm klar ist, welche Risiken letztlich abgedeckt sind und bei welchen eine Deckungslücke bleibt, die er möglicherweise akzeptieren muss, weil die Prämie zu hoch ist oder weil es dafür bei keinem anderen VR Deckung gibt. Im zuletzt genannten Fall muss der VR zumindest darauf hinweisen, dass er die Deckungslücke mit seinem Versicherungskonzept nicht schließen kann. Der VR muss ferner darauf hinweisen, dass damit die Wünsche und Bedürfnisse des VN nicht optimal abgedeckt sind. Er muss nicht darauf hinweisen, dass der VN die verbleibende Deckungslücke möglicherweise bei einem Wettbewerber des VR abdecken kann. Er schuldet keinen Wettbewerb gegen sich selbst. Eine Ausnahme gilt in jenen Fällen, in denen die Deckungslücke für den VN erkennbar wichtig und womöglich existenziell ist. In solchen Fällen kann eine Schutzpflicht zugunsten des VN aus dem sich anbahnenden Vertragsverhältnis (§ 311 Abs. 1 BGB) aus dem Gedanken der Ingerenz entstehen. Der VR müsste zumindest darauf aufmerksam machen, dass es Anbieter gibt, die Deckung gewähren. Namen und vertiefte Hinweise schuldet der VR nicht – der VN müsste nunmehr nach den geeigneten Anbietern suchen oder sich an einen Makler mit hinreichendem Marktüberblick wenden. Der Rat und die Gründe hierfür sind dem VN zu übermitteln, um ihm eine eigenverantwortliche Entscheidung für oder gegen den Abschluss des ihm empfohlenen Versicherungsvertrages zu treffen. Daraus folgt implizit, dass die Informationen nur dann ihre Funktion, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen, erfüllen können, wenn sie vor Abgabe der Vertragserklä15 BGH v. 24.11.1988 – III ZR 188/87, BGHZ 106 42; BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394; BGH v. 6.7.2016 – IV ZR 44/15, VersR 2016 1177 Rn. 30.

16 BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 124/93, BGHZ 128 54; BGH v. 16.1.2013 – IV ZR 232/10, VersR 2013 344 Rn. 17. 17 BGH v. 24.11.1988 – III ZR 188/87, BGHZ 106 42. 679

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§ 6a VVG

Einzelheiten der Auskunftserteilung

rung des VN gewährt werden. Implizit liegt in den Begriffen klar, genau und verständlich auch die Rechtzeitigkeit der Information, denn eine Information, die erst nach Vertragsschluss käme, wäre möglicherweise immer noch klar und genau, aber keinesfalls mehr verständlich, denn sie kommt zu spät. 14 Dieser Funktionsbezug ergibt sich systematisch aus § 7 Abs. 1, wonach der VR die ihm obliegenden Informationen vor Abgabe der Vertragserklärung des VN (verbindlichen Antrag) mitzuteilen hat. Die Notwendigkeit die Informationen vor Abschluss der Vertragserklärung des VN diesem mitzuteilen, ergibt sich aber auch aus § 6a Abs. 4, wonach ausnahmsweise bei einem telefonischen Kontakt die Auskünfte an den VN erst nach Abschluss des Versicherungsvertrags erteilt werden dürfen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass sie in allen anderen Fällen vorher, das meint vor Abgabe der verbindlichen Vertragserklärung des VN, zu gewähren sind. Die Anknüpfung an den Vertragsschluss kommt jedenfalls in den Fällen zu spät, in denen die Abgabe der verbindlichen Vertragserklärung durch den VN und die Annahme des Antrags durch den VR zeitlich auseinanderfallen. Die Funktionslogik von § 6a Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 belegt, dass die Informationen zu einer Zeit dem VN zur Verfügung stehen müssen, in der er über die Frage nachdenkt, ob er dem Rat und der Empfehlung, die ihm gegeben wird, folgen soll oder nicht. Das ist der Zeitpunkt, in dem er sich entscheidet, seine verbindliche Vertragserklärung abzugeben.

3. Sprache (Nr. 3) 15 Der Rat und die Gründe sind in der von den Parteien vereinbarten Sprache zu übermitteln. Haben die Parteien nichts vereinbart, so gilt die Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem das Risiko belegen ist oder in dem die Verpflichtung eingegangen wird. Das Gesetz könnte den Gebrauch einer bestimmten Sprache vorschreiben, so wie es § 483 16 Abs. 1 BGB für Verträge über bestimmte Teilzeitnutzungsrechte vorschreibt.18 Einen solchen Sprachzwang enthält § 6a Abs. 1 Nr. 3 nicht. Vielmehr folgt die Formulierung dem deutschen Sachrecht, das in der Regel den Gebrauch jeder Sprache für Rechtsgeschäfte erlaubt.19 Das gilt auch für Informationspflichten bei Verbraucherverträgen, etwa nach Art. 246 Abs. 3 EGBGB. Die Belehrung über das Widerrufsrecht muss zwar deutlich gestaltet sein und dem Verbraucher seine wesentlichen Rechte in einer dem benutzten Kommunikationsmittel angepassten Weise deutlich gemacht werden. Dies muss jedoch nicht in deutscher Sprache erfolgen. Ein französischer Staatsangehöriger, der in der Bundesrepublik wohnt und hier ein Teilzeitwohnrecht erwerben will, kann französisch als Sprache wählen (§ 483 Abs. 1 S. 2 BGB).20 17 Wählen die Vertragsparteien eine Sprache, zum Beispiel die deutsche, als Verhandlungsund Vertragssprache, so muss der ausländische Vertragspartner den gesamten deutschsprachigen Vertragsinhalt einschließlich der zugrunde gelegten AGB gegen sich gelten lassen.21 Vereinbaren die Parteien eine bestimmte Sprache, so folgt daraus noch nicht, dass der Verbraucher den Rat und die Gründe in dieser Sprache tatsächlich versteht. Es könnte ein versteckter Einigungsmangel (§ 155 BGB) vorliegen, etwa dann, wenn sich die Parteien über die Sprachwahl in Wirklichkeit nicht geeinigt haben, zum Beispiel weil eine Seite der fremden Sprache nicht mächtig ist und die Konsequenzen der Sprachwahl gar nicht verstanden hat. Ein solcher Dissens führt

18 Grundlage ist die RL 1994/47/EG ABl. 1997 C 280 S. 83. 19 BGH 28.6.1956 – II ZR 12/55, BGHZ 21 155, 158; BGH 7.12.1981 – II ZR 187/81, BGHZ 82 200, 203; BayObLG 22.4.1988 – BReg. 1 Z 64/87, Rpfleger 1988 366; vertiefend Kling Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr (2008) 142 ff., 305 ff. 20 Palandt/Weidenkaff § 483 Rn. 2. 21 BGH 10.3.1983 – VII ZR 302/82, NJW 1983 1489; Schmidt Einbeziehung von AGB im Verbraucherverkehr, NJW 2011 1633, 1636. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 6a

in der Regel zum Nichtzustandekommen des Vertrages.22 Fraglich ist in diesen Fällen auch, ob der Rat und die Gründe in verständlicher Weise übermittelt werden können, wenn der Versicherungsnehmer die gewählte Sprache nicht versteht. Mit Blick auf die Informationspflichten beim Verbrauchervertrag (Art. 246 EGBGB) gilt jedenfalls der Grundsatz, dass die Informationen in deutscher Sprache erfolgen müssen, um dem Transparenzgebot des Abs. 3 zu genügen.23 Umgekehrt kann eine Information in deutsch entbehrlich sein, wenn sich das Angebot ausschließlich an Angehörige einer anderen Sprache wendet.24 Daraus folgt, dass die Sprachwahl dem Grundgedanken des § 6a Abs. 1 folgen muss, nämlich den Versicherungsnehmer verständlich zu informieren. Vereinbaren die Parteien – wie üblich – keine bestimmte Sprache, so sind Rat und die 18 Gründe dafür in der Amtssprache des Mitgliedstaates, in dem das Risiko gelegen ist oder in dem die Verpflichtung eingegangen wird, zu übermitteln. Bei Versicherungsverträgen werden die Verpflichtungen regelmäßig in Deutschland eingegangen – der Großteil der Risiken ist ebenfalls in Deutschland belegen. Daraus folgt, dass der Rat und die Gründe hierfür dem VN in deutsch zu übermitteln sind.25 Ist für den VR allerdings erkennbar, dass der VN der deutschen Sprache nicht mächtig ist, so gelten die allgemeinen Grundsätze. Ein versteckter Einigungsmangel (§ 155 BGB) liegt jedenfalls dann vor, wenn eine Partei in Ermangelung von Sprachkenntnissen gar nicht weiß, worüber sie sich in Wirklichkeit geeinigt hat. In diesen Fällen führt der versteckte Dissens regelmäßig zum Nichtzustandekommen des Vertrages. Außerdem ist das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 3 BGB) verletzt, weil die Bestimmungen, die den Vertrag ausmachen, für den VN nicht klar und nicht verständlich sind.

4. Unentgeltlich (Nr. 4) Der zu erteilende Rat und die Gründe sind dem VN unentgeltlich zu übermitteln. Diese Grund- 19 sätze gelten auch für den Vermittler (§ 59 Abs. 1 S. 2). Dies bedeutet, dass Versicherer und Vermittler für den zu erteilenden Rat und die Gründe hierfür kein Entgelt verlangen dürfen.26 Auch indirekte geldwerte Leitungen sind davon umfasst. Das heißt, eine Vereinbarung, wonach, der, der kurdischen Sprache mächtige, VN als Gegenleistung für den Rat, eine kurdische Urkunde ins Deutsche überträgt, wäre nichtig. Die Anordnung der Unentgeltlichkeit ist ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB. Eine entgegengesetzte Vereinbarung ist folglich nichtig. Die Unentgeltlichkeit bezieht sich ausschließlich auf den zu erteilenden Rat und die Gründe 20 hierfür. Damit ist nicht die Versicherung als solche gemeint. Auch das vom Vermittler mit dem VN möglicherweise vereinbarte Beratungshonorar wird hiervon nicht berührt. Die Beratung als solche ist selbstverständlich entgeltlich; nur für den speziellen Rat und die Gründe hierfür darf kein eigenständiges (zusätzliches) Entgelt berechnet werden.

II. § 6a Abs. 2 Nach § 6a II dürfen der Rat und die Gründe hierfür nicht nur auf Papier (Abs. 1 Nr. 1) sondern 21 auch auf einem dauerhaften Datenträger und über eine Website erteilt werden, wenn jeweils bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

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Palandt/Ellenberger § 155 Rn. 5. BeckOK-BGB/Martens Art. 246 Rn. 8. BeckOK-BGB/Martens Art. 246 Rn. 8 m. w. N. Wie hier: Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6a Rn. 4; Langheid/Rixecker/Langheid § 6a Rn. 6. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6a Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid § 6a Rn. 7. Schwintowski

§ 6a VVG

Einzelheiten der Auskunftserteilung

1. Dauerhafter Datenträger 22 Der VN hat die Wahl zwischen einer Auskunftserteilung auf Papier oder auf einem dauerhaften Datenträger. Damit wird an Erwägungsgrund 50 IDD27 angeknüpft. Ein dauerhafter Datenträger ist (wie § 126b BGB klärt) jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraum zugänglich ist (Nr. 1) und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben (Nr. 2). Diese Definition ist angelehnt an Art. 2 Nr. 10 und Erwägungsgrund 23 der Verbraucherrechterichtlinie.28 Dauerhafte Datenträger sind danach USB-Sticks, CD-Rom ´ s, Speicherkarten, Festplatten, Computerfaxe29 und auch Emails. Bei elektronischen, durch Email übermittelten Erklärungen genügt es, dass der Empfänger sie speichern und ausdrucken kann.30 Nicht erforderlich ist, dass auch tatsächlich ein Ausdruck erfolgt.31 23 Bei Texten, die über eine Homepage in das Internet eingestellt sind, ist das Merkmal der Übermittlung erst dann gewahrt, wenn es tatsächlich zu einem Abspeichern oder Ausdrucken (Download) kommt.32 24 Eine Website, die jederzeit geändert werden kann, eignet sich folglich nicht als dauerhafter Datenträger.33 Etwas anderes gelte, so der EFTA-Gerichtshof, für „fortgeschrittene Websiten“, also solche, die den Kunden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck oder zur Speicherung der Information auf einem anderen dauerhaften Datenträger anhalten.34 Diese vom EFTA-Gerichtshof entwickelten Grundsätze finden sich heute konkretisiert in Abs. 2 Nr. 2 a-d wieder. Seit dem 23.2.2018 differenziert der Gesetzgeber somit zwischen der Übermittlung der Informationen über einen anderen dauerhaften Datenträger als Papier auf der einen Seite und über eine Website auf der anderen Seite. Die Frage, ob die Information über eine Website möglicherweise zugleich die Anforderungen eines dauerhaften Datenträgers erfüllt, kann sich dann stellen, wenn die Voraussetzungen für eine zulässige Information über die Website nicht oder nicht vollständig erfüllt sind. 25 Übermittelt der VR dem VN den Rat und die Gründe hierfür per Email, die sich der VN ausdrucken kann – aber nicht ausdrucken muss – so sind die Voraussetzungen von Abs. 2 jedenfalls dann erfüllt, wenn die Nutzung des dauerhaften Datenträgers im Rahmen des getätigten Geschäfts angemessen ist und der VN sich dafür entschieden hat. 26 Die Auskunftserteilung mittels eines anderen dauerhaften Datenträgers wird nach Abs. 3 als angemessen erachtet, wenn der VN nachweislich regelmäßig Internetzugang hat. Dabei gilt die Mitteilung einer Emailadresse seitens des VN für die Zwecke dieses Geschäftes als solcher Nachweis (Abs. 3 S. 2). In der Mitteilung einer Emailadresse seitens des VN liegt zugleich (konkludent) auch die Entscheidung für diesen Datenträger. Der VR muss seinerseits dem VN die Möglichkeit der Information auf Papier angeboten und dem VN alternativ die Möglichkeit der Information auf einem dauerhaften Datenträger eröffnet haben. Wählt der VN Papier, so genügt die Übermittlung der Informationen per Email nicht. Der VN müsste dem VR den Ausdruck auf Papier zunächst bestätigen, damit die Voraussetzung „Papier“ erfüllt ist. Entscheidet sich der VN dagegen für den dauerhaften Datenträger indem er seine Emailadresse mitteilt, so genügt die Übermittlung der Informationen per Email – ob sich der VN diese Email tatsächlich ausdruckt, bleibt ihm überlassen.

27 28 29 30 31

RL 2016/97, 20.1.2016, ABl. L 26/19, 25. RL 2011/83/EU, 25.10.2011 ABI. L 304/64, 67, 73. LG Kleve 22.11.2002 – 5 S 90/02, NJW-RR 2003 196. Palandt/Ellenberger § 126b Rn. 3. Palandt/Ellenberger 126b Rn. 3; Reiff VersR 2018 193, 201; Langheid/Rixecker/Langheid § 6a Rn. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6a Rn. 7. 32 BGH 29.4.2010 – I ZR 66/08, NJW 2010 3566, Rn. 19; EuGH 5.7.2012 − C-49/11, EuZW 2012 638; BT-Drucks. 17/12637 S. 44. 33 EFTA-Gerichtshof 27.1.2010-E-4/09, VersR 2010 793, 776. 34 AaO VersR 2010 793, 796 f. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 6a

2. Website Nach § 6a II Nr. 2 können die Informationen an den VN auch über eine Website übermittelt werden. Das ist dann möglich, wenn der Zugang für den VN personalisiert ist oder wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, die a–d enthalten. Der Zugang ist für den VN personalisiert, wenn die Informationen in einem passwort-geschützten Bereich eingestellt sind und nicht mehr verändert werden können.35 Ist der Zugang für den VN nicht personalisiert, so kann die Information über eine Website erfolgen, sofern die Voraussetzungen der Ziffern a-d vorliegen. Nach lit. a muss die Erteilung der Auskünfte über die Website im Rahmen des getätigten Geschäfts angemessen sein. Dies ist nach Abs. 3 der Fall, wenn der VN nachweislich regelmäßig Internetzugang hat. Die Mitteilung einer Emailadresse seitens des VN für die Zwecke des Geschäftes, gilt als solcher Nachweis.36 Ferner muss der VN der Auskunftserteilung über eine Website zugestimmt haben. Diese Zustimmung liegt regelmäßig in der Übermittlung einer Emailadresse seitens des VN für die Zwecke des Geschäftes, denn dadurch erweist sich die Auskunftserteilung über eine Website als angemessen (Abs. 3). Ferner muss dem VN die Website und die dortige Fundstelle der Auskünfte elektronisch mitgeteilt werden. Das bedeutet, der VR muss dem VN auf die mitgeteilte Emailadresse den Rat und die Gründe hierfür elektronisch (seinerseits per Email) mitteilen. Ferner muss gewährleistet sein, dass diese Auskünfte auf der Website solange verfügbar bleiben, wie sie für den VN vernünftigerweise abrufbar sein müssen, Hiernach genügt es nicht, dass der VN die Informationen auf einem dauerhaften Datenträger gespeichert hat. Damit würde die Übermittlung nach Abs. 2 Nr. 1 erfolgen. Es genügt auch nicht, dass der VN dem VR den Ausdruck der Informationen auf Papier bestätigt. Damit liegt zwar die Übermittlung nach § 6a Abs. 1 vor aber nicht nach § 6a Abs. 2 Nr. 2 d. Lit. d ist erst dann erfüllt, wenn die Website so lange verfügbar bleibt, wie sie für den VN vernünftigerweise abrufbar sein muss. Das ist ein Zeitraum, der sehr lang werden kann, denn die Informationen, um die es geht, betreffen nicht nur den Vertragsschluss sondern können während des Laufes des Vertrages dann eine Rolle spielen, wenn der VN Leistungen verlangt, die der VR ablehnt. Dann kann es auf den Rat und die Gründe hierfür ankommen, weil sich aus diesen Informationen der empfohlene Deckungsumfang ergeben kann. Auf diese Dokumentation von Rat und Gründen kann der VN aber auch nach Beendigung des Vertrages angewiesen sein, wenn der Versicherungsfall während der Vertragslaufzeit eingetreten, aber erst zeitlich nach Beendigung des Vertrages zutage getreten ist (Allmählichkeitsschaden). Mit Blick auf Fälle dieser Art ist der VN auf den Abruf dieser Auskünfte auf der Website bis zum Ablauf der jeweiligen Verjährungsfrist angewiesen. Ob es unter diesen Umständen für den VR sinnvoll ist den Rat und die Gründe hierfür über eine Website zu übermitteln, ist eine Frage der Technik und der Praxis. Jedenfalls kann sich der VR helfen, indem er Rat und Gründe dem VN an dessen Emailadresse mitteilt, nachdem er ihm zuvor die Wahl zwischen der Auskunftserteilung auf Papier oder auf einem dauerhaften Datenträger angeboten hatte.

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III. Fiktionen (Abs. 3) Abs. 3 enthält die eben beschriebenen Fiktionen. Die Auskunftserteilung auf anderen Medien 34 als Papier wird als angemessen erachtet, wenn der VN nachweislich regelmäßig Internetzugang hat. Die Mitteilung einer Emailadresse seitens des VN für Zwecke dieses Geschäfts gilt als solcher Nachweis. Zugleich liegt in der Mitteilung der Emailadresse seitens des VN regelmäßig auch seine Entscheidung für diesen Datenträger. 35 EFTA-Gerichtshof 27.1.2010 – E-4/09; VersR 2010 793, 796 f; dazu Fischer BB 2010 2773 m. w. N. 36 Reiff VersR 2018 193 ff. 683

Schwintowski

§ 6a VVG

Einzelheiten der Auskunftserteilung

IV. Telefonischer Kontakt (Abs. 4) 35 Bei einem telefonischen Kontakt gilt zunächst § 5 VVG-InfoV.37 Danach muss der VR, der mit dem VN telefonischen Kontakt aufnimmst, seine Identität und den geschäftlichen Zweck des Kontakts bereits zu Beginn eines jeden Gesprächs ausdrücklich offen legen (Abs. 1). Nimmt der VN demgegenüber den telefonischen Kontakt mit dem VR auf, so bedarf er keines Schutzes, da er sich selbstbestimmt entschieden hat, den VR wegen einer Frage, die er selbst stellen will, zu kontaktieren. Der Anwendungsbereich der Norm ist somit immer dann eröffnet, wenn der VR ohne Einverständnis des VN den telefonischen Kontakt aufnimmt.38 Inhaltsgleiche Pflichten treffen die Versicherungsvermittler nach § 11 I VersVermV. Wettbe36 werbsrechtlich sind Anrufe ohne vorherige Zustimmung des Verbrauchers (cold calling) nach § 7 Abs. 2 UWG unzulässig. Der Anwendungsbereich von § 5 Abs. 2 VVG-InfoV ist weiter. Er erfasst generell alle Tele37 fongespräche, ganz gleichgültig von wem sie ausgehen. Der VR hat den VN über seine Identität und Anschrift (§ 1 Abs. 1 Nr. 1-3 VVG-InfoV), die wesentlichen Merkmale der Versicherungsleistung (§ 1 Abs. 1 Nr. 6b VVG-InfoV), den Gesamtpreis der Versicherung einschließlich aller Steuern und sonstigen Preisbestandteile (Nr. 7), sowie zusätzlich anfallende Kosten (Nr. 8), Einzelheiten hinsichtlich der Zahlung und Erfüllung (Nr. 9), sowie die Gültigkeitsdauer befristeter Angebote (Nr. 10) und Angaben darüber, wie der Vertrag zustande kommt (Nr. 12) zu informieren. Dies gilt nur, wenn der VR den VN zuvor darüber informiert hat, dass auf Wunsch weitere Informationen mitgeteilt werden können und welcher Art diese Informationen sind und der VN ausdrücklich auf die Mitteilung der weiteren Information zu diesen Zeitpunkt (gemeint ist das Telefongespräch) verzichtet. Die Beweislast dafür trägt der VR.39 Der Lauf der Widerrufsfrist (§ 8) wird von der Erfüllung der Pflichten nach § 5 VVG-InfoV nicht berührt, da sie immer erst mit der (im Zweifel nachzuholenden) vollständigen Informationen nach § 8 Abs. 2 beginnt.40 Die Regelung in § 6a Abs. 4 betrifft Fälle, in denen ein Vertrag abgeschlossen wird.41 In 38 diesem Fall sind die Informationen nach Abs. 1 oder 2 unmittelbar nach Abschluss des Vertrags zu erteilen. Damit wird Art. 23 Abs. 7 IDD42 umgesetzt. Dies gilt auch dann, wenn sich der VN dafür entschieden hat, die Auskünfte auf einem anderen dauerhaften Datenträger als Papier zu erhalten (Abs. 2). Das bedeutet, dass der VR die Informationen nicht schon während es Telefongespräches und auch nicht vor der Antragsbearbeitung sondern unmittelbar nach Abschluss des Versicherungsvertrages übermitteln muss. Dies kann auf Papier geschehen oder nach Wahl des VN über einen anderen dauerhaften Datenträger, zum Beispiel per Email, sofern der VN die Emailadresse für die Zwecke dieses Geschäftes mitgeteilt hat. Eine Auskunftserteilung über eine Website kommt nach dem Wortlaut von § 6a Abs. 4 nicht in Betracht. Das ist auch sachgerecht, denn andernfalls ist nicht gewährleistet, dass Rat und die Gründe hierfür dem VN tatsächlich übermittelt werden. Das gilt auch dann, wenn der Zugang zur Website für den VN personalisiert ist, da nach einem Telefongespräch nicht gesichert ist, dass der VN diesen Zugang nutzt.

37 BT Drucks. 18/11627, S. 44; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6a Rn. 12. 38 Schwintowski/Brömmelmeyer/Sajkow § 5VVG-InfoV Rn. 3, unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in VersR 2008 183, 191, sowie BGH 25.10.1989 – VIII ZR 345/88, BGHZ 109 127, 131 zu § 312 BGB a. F.; m. w. N. 39 Schwintowski/Brömmelmeyer/Sajkow § 6 VVG-InfoV Rn. 10; zu möglichen Rechtsfolgen Schwintowski VuR 2010 477. 40 Prölss/Martin/Rudy § 6 VVG-InfoV Rn. 4, m. w. N. 41 BT Drucks. 18/11627 S. 44. 42 RL 2016/97 20.1.2016 ABl. L. 26/19/44. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 6a

V. Rechtsfolgen Übermittelt der VR den zu erteilenden Rat und die Gründe hierfür gar nicht oder fehlerhaft, so 39 ist er dem VN zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet (Abs. 5). Dies gilt nicht, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (Abs. 5 S. 2). Der Rat und die Gründe hierfür sind nach § 6 Abs. 1 S. 2 zu dokumentieren. Die Dokumentation visualisiert somit den Rat und die Gründe hierfür. Es besteht eine weitgehende Deckungsgleichheit zwischen der Dokumentation auf der einen und dem Rat einschließlich der Gründe hierfür auf der anderen Seite. Verletzt der VR die Pflichten bei der Übermittlung von Rat und Gründen nach § 6a, so liegt es nahe auf die Grundsätze zurückzugreifen, die die Rechtsprechung zu Dokumentationsfehlern entwickelt hat. Erfüllt der VR seine Prüfungs- und Beratungspflichten umfassend und entscheidet sich der VN gegen die ihm vorgeschlagene sach- und interessengerechte Vorgehensweise, so kann der VR für den nunmehr unzureichenden Versicherungsschutz nicht verantwortlich gemacht werden.43 Beachtet der VR die Dokumentationspflicht nicht oder erfüllt er sie nur fehler- oder lückenhaft, so kann dies zur Beweiserleichterung zugunsten des VN bis hin zur Beweislastumkehr zulasten des VR führen.44 Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des VR nach § 6 Abs. 1 S. 2 führt dazu, dass der VR eine ordnungsgemäße Beratung des VN, insbesondere die Erteilung erforderlicher Hinweise, zu beweisen hat.45 Es spricht eine zumindest tatsächliche Vermutung dafür, dass die Beratung so stattgefunden hat, wie dokumentiert und dem VN übermittelt, wenngleich die Dokumentation, so zutreffend Rudy, keine Urkunde im Sinne des § 416 ZPO ist.46 Weist die Dokumentation die behauptete Beratung über die Leistungsmerkmale der Rürup-Rente nicht aus, so obliegt es dem VR zu beweisen, dass er zutreffend beraten hat.47

43 44 45 46

BGH 10.3.2016 – I ZR 147/14 (juris). BGH 13.11.2014 – III ZR 544/13 (juris). OLG Köln 26.7.2019 – 20 U 185/18 BeckRS 2019 30054 m. w. N. Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 33; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 27, 56; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 38. 47 OLG Saarbrücken 26.2.2014 – 5 U 64/13 VuR 2015 471 mit Anm. Schwintowski. 685

Schwintowski

§ 7 Information des Versicherungsnehmers (1) Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die in einer Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmten Informationen in Textform mitzuteilen. Die Mitteilungen sind in einer dem eingesetzten Kommunikationsmittel entsprechenden Weise klar und verständlich zu übermitteln. Wird der Vertrag auf Verlangen des Versicherungsnehmers telefonisch oder unter Verwendung eines anderen Kommunikationsmittels geschlossen, das die Information in Textform vor der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers nicht gestattet, muss die Information unverzüglich nach Vertragsschluss nachgeholt werden; dies gilt auch, wenn der Versicherungsnehmer durch eine gesonderte schriftliche Erklärung auf eine Information vor Abgabe seiner Vertragserklärung ausdrücklich verzichtet. (2) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates zum Zweck einer umfassenden Information des Versicherungsnehmers festzulegen, 1. welche Einzelheiten des Vertrags, insbesondere zum Versicherer, zur angebotenen Leistung und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie zum Bestehen eines Widerrufsrechts, dem Versicherungsnehmer mitzuteilen sind, 2. welche weiteren Informationen dem Versicherungsnehmer bei der Lebensversicherung, insbesondere über die zu erwartenden Leistungen, ihre Ermittlung und Berechnung, über eine Modellrechnung sowie über die Abschluss- und Vertriebskosten und die Verwaltungskosten, soweit eine Verrechnung mit Prämien erfolgt, und über sonstige Kosten mitzuteilen sind, 3. welche weiteren Informationen bei der Krankenversicherung, insbesondere über die Prämienentwicklung und -gestaltung sowie die Abschluss- und Vertriebskosten und die Verwaltungskosten, mitzuteilen sind, 4. was dem Versicherungsnehmer mitzuteilen ist, wenn der Versicherer mit ihm telefonisch Kontakt aufgenommen hat und 5. in welcher Art und Weise die Informationen zu erteilen sind. Bei der Festlegung der Mitteilungen nach Satz 1 sind die vorgeschriebenen Angaben nach der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/ EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) (ABl. L 228 vom 11.8.1992, S. 1) und der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/ 27/EG (ABl. L 271 vom 9.10.2002, S. 16) zu beachten. Bei der Festlegung der Mitteilungen nach Satz 1 sind ferner zu beachten: 1. die technischen Durchführungsstandards, die die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung nach der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung) (ABl. L 26 vom 2.2.2016, S. 19; L 222 vom 17.8.2016, S. 114) erarbeitet und die von der Kommission der Europäischen Union nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der KomHerrmann https://doi.org/10.1515/9783110522600-015

686

Schrifttum

VVG § 7

mission (ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 48), die zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 258/2014 (ABl. L 105 vom 8.4.2014, S. 1) geändert worden ist, erlassen worden sind, 2. die delegierten Rechtsakte, die von der Kommission nach Artikel 29 Absatz 4 Buchstabe b und Artikel 30 Absatz 6 der Richtlinie (EU) 2016/97, jeweils in Verbindung mit Artikel 38 der Richtlinie (EU) 2016/97, erlassen worden sind. (3) In der Rechtsverordnung nach Absatz 2 ist ferner zu bestimmen, was der Versicherer während der Laufzeit des Vertrags in Textform mitteilen muss; dies gilt insbesondere bei Änderungen früherer Informationen, ferner bei der Krankenversicherung bei Prämienerhöhungen und hinsichtlich der Möglichkeit eines Tarifwechsels sowie bei der Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung hinsichtlich der Entwicklung der Ansprüche des Versicherungsnehmers. (4) Der Versicherungsnehmer kann während der Laufzeit des Vertrags jederzeit vom Versicherer verlangen, dass ihm dieser die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen in einer Urkunde übermittelt; die Kosten für die erste Übermittlung hat der Versicherer zu tragen. (5) Die Absätze 1 bis 4 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden. Ist bei einem solchen Vertrag der Versicherungsnehmer eine natürliche Person, hat ihm der Versicherer vor Vertragsschluss das anwendbare Recht und die zuständige Aufsichtsbehörde in Textform mitzuteilen.

Schrifttum Armbruster Privatversicherungsrecht, 2. Aufl. (2019); ders. „Ewige“ Widerrufsrechte und ihre Folgen, VersR 2012 513; ders. Wirksamkeitsvorraussetzungen für Prämienanpassungskauseln, RuS 2012 365; Basedow/Meyer/Rückle/ Schwintowski Transparenz und Verständlichkeit, Berufsunfähigkeitsversicherung und Unfallversicherung (2000); Baumann Es gibt den dritten Weg, VW 2007 1955; ders. Ein zusätzliches Vertragsmodell für das neue VVG, VW 2007 1955; Blankenburg Verzicht auf Beratung und Informationsrecht nach dem neuen VVG, VersR 2008 1446; van Bühren (Hrsg.) Handbuch Versicherungsrecht, 7. Aufl. (2017); Bürkle Die Bedeutung der Information für Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch Verbraucherinteressen, EuZW 2006 685; Dörner/Staudinger Kritische Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, WM 2006 1710; Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998); EIOPA Consultation Paper on Technical Advice on the integration of sustainability risk and factors in the delegated acts under Solvency II and IDD, EIOPa-BoS-18/483 vom 26.11.2018 (zit EIOPA Consultation Paper); Emmerich Unlauterer Wettbewerb, 10. Aufl. (2016); Frank Mentaler Kapitalismus (2005); Franz Die Reform des Versicherungsvertragsrechts – ein großer Wurf? DStR 2008 303; ders. Informationspflichten gegenüber Versicherten bei Gruppenversicherungsverträgen – ein weißer Fleck auf der Landkarte des VVG? VersR 2008 1564; Fleischer Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2000); ders. Vertragsschlussbezogene Informationspflichten im Gemeinschaftsprivatrecht, ZEuP 2000 772; ders. Corporate Social Responsibility, AG 2017 509; Fricke Die VAG-Novelle 2000 – Ein kurzer Überblick über die wichtigsten Änderungen, NVersZ 2001 97; Funck Ausgewählte Fragen aus dem Allgemeinen Teil zum neuen VVG aus der Sicht einer Rechtsabteilung, VersR 2008 163; Gaul Zum Abschluss des Versicherungsvertrags, VersR 2007 21; Gruber/Baier Vergütungen nach der IDD, VersR 2018 1093; dies. Die Umsetzung der IDD im österreichischen Gewerberecht, VersR 2019 1457; Grundmann Privatautonomie im Binnenmarkt – Informationsregeln als Instrument, JZ 2000 1133; Herrmann Der VVG-Reformvorschlag zum Recht der Obliegenheiten europarechtskonform? VersR 2003 1333; ders. Die Gleichgewichtskontrolle in der EU-kartellrechtlichen Freistellung von Muster-AVB, Festschrift Schirmer (2005) 199; ders. Rechtsethik in globalen Krisenzeiten, 2020 (i. Ersch); Heyers Richtlinienkonforme Derogation der Ausschlussfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F., NJW 2014 2619; ders. Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung fondsgebundener Lebensversicherungen, NJW 2016 1357; Hoffmann Verbraucherschutz in der Privatversicherung nach dem Wegfall der Vorabkontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen, Diss. Düsseldorf 1998; Honsell u. a. (Hrsg.) Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, Bd. 1 (1998/2012); ders. Vertreterdirekteingabe nach Abschaffung des Policenmodells – Fortführung des Verfahrens auch nach neuem Recht, VW 2007 359; R. Johannsen Zum Einlösungsprinzip und seinen Abweichungen gemäß dem VVG-Entwurf, Festschrift Schirmer (2005) 263; Kath/Kronsteiner/Kunisch Praxishandbuch Versicherungsvertragsrecht, Bd. 1 (2019); Kerst/Jäckel Versicherungsrecht (2010); Kirsten/Fitzau Voraussetzungen des Erfordernisses der Hervorhebung bestimmter Verbraucherinformationen gem. § 1 Abs. 2 VVG-InfoV, VersR 2019 1275; Köndgen Sustainable Finance: Wirtschaftsethik-Ökonomik-Regulierung, in:Boele-Woelki u. a. (Hrsg.), 687

Herrmann

§ 7 VVG

Information des Versicherungsnehmers

Festschrift K- Schmidt zum 80. Geburtstag (2019) 671; Langheid Auf dem Weg zu einem neuen Versicherungsvertragsrecht, NJW 2006 3317; ders. Die Reform des VVG, NJW 2007 3665; Lenk Schemainterpretation (2017); ders. Human-soziale Verantwortung, (2017); Leverenz Vertragsschluss nach der VVG-Reform (2008); ders. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts v. 19. April 2004 (2004); Marlow/Spuhl Das Neue VVG kompakt, 4. Aufl. (2010); Meixner/Steinbeck Das neue Versicherungsrecht (2008); Mattern Das Informationsmodell im VVG unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die AGB-Kontrolle (2011); Merkt Unternehmenspublizität (2001); Präve Die VVG-Informationsverordnung, VersR 2008 (151); Rehberg Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem (2003); Reiff Rechtswidrige Umsetzung des „Informationsblattes zu Versicherungsprodukten“, VersR 2019, 661; ders. Das Gesetz zur Neuregelung des Vermittlerrechts, VersR 2007 717; ders. Die Richtlinie 2016/97 über Versicherungsvertrieb, RuS 2016 593; Reinecke Hinweis-, Informations- und Beratungspflichten im Betriebsrentenrecht, RdA 2009 13; Römer Zu den Informationspflichten nach dem neuen VVG, VersR 2007 618; ders. Zu den Informationspflichten nach dem neuen VVG, RuS 2007 140; ders. Vorvertragliche Informationspflichten des Versicherers und des Versicherungsnehmers, RuS-Beil. 2011 96; ders., Aktuelle Fragen zum Abschluss des Versicherungsvertrages RuS 2012 577; Schäfer Theorie der AGB-Kontrolle, Festschrift Ott (2002) 279; Schimikowski Abschluss des Versicherungsvertrags nach neuen Recht, RuS 2006 441; ders. Beratungs- und Informationspflichten des Versicherers, 9. Kölner Versicherungssymposium. Die Vorschläge der Reformkommission für ein neues Versicherungsvertragsrecht (2005) 1; ders. VVG-Reform: Die vorvertraglichen Informationspflichten des Versicherers und das Rechtzeitigkeitserfordernis, RuS 2007 133; ders. Informationspflichten des Versicherers bei echten Gruppenversicherungen, Festschrift Wälder (2009) 51; Schirmer Änderungen des VVG nach der Deregulierung mit den Schwerpunkten: Abschluss des Versicherungsvertrages und Einbeziehung von AVB, VersR 1996 1045; Schmitz-Elvenich § 5a VVG a. F. und der „Mindestwiderspruchswert“, VersR 2017 266 ff.; Schneider Zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge: Information, Beratung und Belehrung im Versicherungsvertragsrecht, RuS 2015 477; Schumacher Der Rückkaufswert in der Lebensversicherung (2012); Schwintowski Das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Kollektiv – aus juristischer Sicht, ZVW 2007 449; Wambach/Herrmann Solvency II, Vermittlerrichtlinie (2005); Wandt/Ganster Zur Harmonisierung von Versicherungsbeginn und Prämienfälligkeit durch AVB im Rahmen des VVG 2008, VersR 2007 1034; dies. Die Rechtsfolgen des Widerrufs eines Versicherungsvertrags gem. § 9 VVG, VersR 2008 425; Werber Transparenzgebot und Verbraucherinformation, VersR 2003 148; ders. § 6 VVG 2008 und die Haftung des VR für Fehlberatung durch Vermittler, VersR 2008 285 Wilkens Aufklärung und Beratung des Versicherungskunden in Großbritannien, in: Wambach/Herrmann (Hrsg.) Solvency II (2004) 111.

Übersicht a)

Überschussermittlung und -beteili37 gung 40 b) Modellrechnung 42 c) Rückkaufswerte und Kosten d) Besonderheiten bei der substitutiven Kran50 kenversicherung Gruppenverträge, insbes. zur betrieblichen Altersversorgung und Restschuldversiche54 rung

A.

Zur Gesetzgebungsgeschichte und Entwick2 lung der Rechtsprechung

I.

Verbraucherinformation und EU-Deregulierungs2 richtlinien

II.

Gesetzgebungsmotive zu § 7 VVG 2008

III.

Weitere Neuerungen im Überblick

B.

Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-In14 foV

II.

Informationspflichten während des Vertra56 ges

I.

Informationspflichten vor Vertrags15 schluss 16 Transparenzgebot und Publizität Kennzeichnung des VU und des übernommenen 18 Risikos Einbeziehung von AVB und Risikoaus21 schlüsse Informationen zu Prämie, Abschlusskosten und 29 „Mindestwiderspruchswert“ Besonderheiten in der Lebens- und Krankenver37 sicherung

III.

Offenlegung, Transparenz und Registerpublizi64 tät Transparenzzwecke und Marktöffentlich65 keit Bedeutung des Vermittlerregisters: Wettbewerbssteuerung und Social Responsibility Gover70 nance

1. 2. 3. 4. 5.

Herrmann

5

6.

9

1. 2.

C.

Produktinformationsblatt, Marktinformati72 onsblatt und Basisinformationsblatt

688

A. Zur Gesetzgebungsgeschichte und Entwicklung der Rechtsprechung

I.

Wesentlicher Inhalt allgemeiner Produktinfor72 mation

II.

Informationsblatt und Beratung

III.

Das Basisinformationsblatt gem. PRIP-VO 2014 80 und Marktinformationsblatt 2017

D.

Informationsverfahren

I.

Art und Zeitpunkt der Informationsertei85 lung Textform und Gebote der Klarheit und Verständ85 lichkeit Rechtzeitigkeit im Verfahren des Vertragsab87 schlusses

1. 2.

II.

76

84

Abschaffung des Policenmodells, Invitatio- und 90 Bedingungsmodell 90 Zur Kritik des § 5a VVG a. F Invitatiomodell und Besonderheiten bei Versi93 cherungsvermittlung Bedingung und Befristung des Angebots/vorbe97 haltene Genehmigung

1. 2. 3.

VVG § 7

E.

Folgen bei Verletzung der Informations102 pflicht

I.

Widerrufsfolgen und Prämienzahlung

II.

Schadensersatz, Bereicherungsausgleich und 112 aufsichtsrechtliche Sanktionen

III.

Nichtigkeitsfolgen und ergänzende Vertragsaus117 legung

F.

Geltungsausnahmen und Verzicht

I.

Großrisiken, Telefon- und Internetver123 träge

II.

Verzicht: Form, Inhalt und Grenzen

G.

Verfahrensfragen, insbes. Beweislastvertei135 lung

103

122

127

§ 7 gehört in vielerlei Hinsicht zu den grundlegenden Neuerungen des VVG 2008. Das wird 1 an vielen Stellen des Kommentars deutlich, wo es um die Einzelbereiche geht, zu denen die neuartigen Informationspflichten gehören. Die Kommentierung in diesem Abschnitt wird deshalb auf diejenigen Regelungsgehalte konzentriert, die für die Stellung der Vertragspartner zueinander und für den Wettbewerb der VU untereinander von besonderer Bedeutung sind. – Die Vorschrift wird ergänzt durch die VVG-Informationspflichtenverordnung (VVG-InfoV),1 deren Ermächtigungsgrundlagen in § 7 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und in den durch Abs. 2 S. 2 mit umgesetzten EU-Richtlinien enthalten sind. Auch diese Regelungen werden im Kommentarwerk an verschiedenster Stelle mit behandelt, um den Zusammenhang mit den Einzelnormen aufzuzeigen, zu denen die Informationen gehören. Gleichwohl wird hier versucht, das Ganze der neuartigen Informationsverpflichtungen zu verdeutlichen und die systematischen Zusammenhänge der einzelnen Informationsinhalte auszuweisen.

A. Zur Gesetzgebungsgeschichte und Entwicklung der Rechtsprechung I. Verbraucherinformation und EU-Deregulierungsrichtlinien Mit der Deregulierung durch die Dritten Versicherungsrichtlinien von 19922 wurde den Versiche- 2 rungsunternehmen die Pflicht auferlegt, die sog. Verbraucherinformation an jeden potentiellen Kunden vor Abschluss des Versicherungsvertrages zuzuleiten. Auch dies wurde mit dem § 10a VAG 1994 zusammen mit einer Anlage D umgesetzt.3 Schon damals gab es in der Literatur Stimmen, die sich für eine privatrechtliche Verankerung der Verbraucherinformation einsetzten.4 1 2 3 4

BGBl. I 2007 3004. 3. RL – Schaden 92/49 EWG ABl. L 228; und 3. RL – Leben 92/96 EWG ABl. L 360/1. Art. 1 Nr. 8 u. 81 lit. c Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG v. 21.7.1994 BGBl. I 1630. Vgl. nur Reichert-Facilides VW 1994 561; Präve VW 1994 556.

689

Herrmann

§ 7 VVG

Information des Versicherungsnehmers

Aber die Gegenansicht setzte sich unter Hinweis darauf durch, dass die Deregulierungsrichtlinien wesentlich das öffentliche Recht betreffen, die Verbraucherinformation als Annex dazu zu verstehen sei, und die behördliche Kontrolle über die Einhaltung der Informationsregeln so erleichtert werde.5 Mit Umsetzung der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher v. 23.9.20026 wurde dann eine inhaltlich leicht erweiterte Fassung als Anlage zu § 48b diesem Gesetz beigefügt. Doch war diese Privatisierung des Informationsrechts noch auf den Fernabsatz beschränkt. Erst mit der VVG-InfoV v. 18.12.20077 baute man die Informationspflichten mit Wirkung v. 1.1.2008 voll zu einem privatrechtlichen Instrument aus, das außer den Aufsichtsbefugnissen nach § 294 Abs. 1 VAG auch von Konkurrenten und Verbänden mit den Mitteln des UKlaG durchgesetzt werden kann.8 Gänzlich Neues haben schließlich die Neufassung der VVG-InfoV v. 2018 mit der Bezugnahme auf die DurchführungsVO (EU) 2017/1469 (s. Anhang) und die PRIP-VO 2014 mit dem Basisinformationsblatt (s. Rn. 77 ff.) gebracht. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass das Informationsrecht im Versicherungsprivatrecht wie kaum ein anderes Rechtsgebiet ständig in Bewegung ist und, wie in der Lit. z. T. angenommen, auf dem Weg ist, der früher vorwiegenden Schutzregulierung den Rang abzulaufen.9 Aus der Entstehung und Entwicklung der Verbraucherinformation wird zugleich deutlich, 3 dass mit der Umsetzung ins Privatrecht nicht etwa der Zusammenhang mit den Deregulierungszwecken der Dritten Versicherungsrichtlinien verloren gegangen ist. Schon in der zitierten Diskussion der 90er Jahre wurde darauf hingewiesen, dass bei privatrechtlicher Verankerung kein Grund besteht, die mit der Deregulierung neu gestaltete Versicherungsaufsicht nicht auch auf die Einhaltung der Informationspflichten zu erstrecken. Insbesondere verwies man auf die Rechtsaufsicht des § 294 S. 1 VAG, die selbstverständlich auch dann eingreifen würde, wenn die privatrechtlich geregelte Verbraucherinformation nicht eingehalten wird.10 Aber auch die Einbeziehung der Verbraucherinformation in das Policenmodell des § 5a a. F. lässt erkennen, dass sie zur Effektuierung der Deregulierungszwecke auch in privatrechtlicher „Ummantelung“ gedacht war11 und ist.12 4 Im Abschnitt zum Europarecht wurde bereits ausführlich der Nachweis geführt, dass die Deregulierungsrichtlinien im Kern auf die Effektuierung von mehr Wettbewerb auf den Versicherungs-Binnenmärkten gerichtet waren.13 Diese Normzwecke wurden mit den Vorschriften zur Verbraucherinformation dahingehend spezifiziert, dass der Kunde in die Lage versetzt werden sollte, als mündiger Verbraucher über die Vorzugswürdigkeit eines Versicherungsprodukts selbst und unter Bedingungen funktionsfähigen Wettbewerbs zu entscheiden.14 Der bis heute nicht enden wollende Streit15 über die ökonomische Haltbarkeit wettbewerblicher Funktionsannahmen bei begrenzter Informationsverarbeitung durch VN ist also seit Langem rechtsnormativ entschieden, so dass es auf juristischer Ebene nur noch darum gehen kann, die betreffenden Normen mehr oder weniger weit im Rahmen der zugrunde liegenden ökonomischen Zwecke auszulegen.16 5 6 7 8

Vgl. die Angaben bei Präve VersR 2008 151 f. ABl. L 271 v. 9.10.2002. BGBl. I 2007 3004. Zum Fortbestehen aufsichtsrechtlicher Spezialregelungen im AltZert und zum amtl. Informationsblatt in der KV s. Schwintowski/Brömmelmeyer/Mauntel vor § 1 VVG-InfoV Rn. 3. 9 Zum Vorrangsverhältnis vgl. nur S. 404 ff., passim m. w. N. 10 Vgl. nur Hoffmann 166 f. 11 Vgl. Präve VersR 2001 133, 139; Fricke NVersZ 2001 97, 101. 12 Präve VersR 2008 151, 152. 13 S. Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 2 f. 14 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 47 unter II.1. 15 Für wettbewerbliche Sichtweise auch Schwintowski 161; Basedow/Meyer/Rückle/Schwintowski Das Transparenzgebot im Privatversicherungsrecht 85, 89; weitgehend a. M. Rehberg 39 ff.; recht ambivalente empirische Angaben ebd. 43 ff. 16 Näher s. Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 22, 31. Herrmann

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A. Zur Gesetzgebungsgeschichte und Entwicklung der Rechtsprechung

VVG § 7

II. Gesetzgebungsmotive zu § 7 VVG 2008 Mit dem neuen § 7 sollte in erster Linie das Policenmodell des bisherigen § 5a abgeschafft werden, das dahin ging, dem Kunden die Verbraucherinformation erst mit der Annahmeerklärung des VU zuzuleiten und ihm dann ein 14-tägiges Widerspruchsrecht einzuräumen. Die Einwände dagegen gingen v. a. dahin, dass das Europarecht es nicht gestatte, den VN eine – wenngleich widerrufbare – Vertragspflicht eingehen zu lassen, bevor er die Verbraucherinformation zur Kenntnis nehmen konnte.17 Das war zwar umstritten,18 sollte aber mit der Reform ausgeräumt werden.19 Zugleich sollte noch mehr als bisher der Ungleichgewichtslage der Information zwischen VU und VN bezüglich der AVB entgegengewirkt werden, wobei aber der Entwicklung der Rspr. vom Schutz des durchschnittlich informierten Verbrauchers zu dem des informationsbereiten Verbrauchers zu entsprechen war. Schon durch das öffentliche Recht des § 10a VAG war bereits seit 1994 zwingend vorgeschrieben, dass die Bedingungswerke nicht bloß mit zumutbarer Möglichkeit der Kenntnisnahme in den Vertrag einbezogen werden müssen,20 sondern vor Abgabe der für den Vertragsschluss maßgebenden Willenserklärung des Verbrauchers diesem vorgelegt werden müssen. Mit dieser Verstärkung der Informationslage des Verbrauchers war bezweckt, die Legitimation der AVB durch die Vertragsfreiheit und den Wettbewerb auf den liberalisierten Versicherungsmärkten entscheidend zu verbessern.21 Alsbald entwickelte der EuGH22 die Lehre vom mündigen Verbraucher, die der BGH23 dann in der Folgezeit übernommen und mit Kriterien der situationsadäquaten Informationsbereitschaft weiter entwickelt hat. Auch die Entwurfsbegründung zum VVG 2008 betont, dass man den „Bedürfnissen eines modernen Verbraucherschutzes“ gerecht werden solle und dafür von den Voraussetzungen „funktionsfähigen Wettbewerbs“ auszugehen sei.24 Auf diesen Ansatz muss die Auslegung des § 7 und der VVG-InfoV abgestimmt werden.25 Schon zur Zeit der öffentlich-rechtlichen Konzeption war auf europarechtlicher Ebene betont worden, dass die Verbraucherinformationspflicht auf Stärkung der Privatautonomie und Marktmechanismen zielt.26 Denn jedenfalls war auch hier daran gedacht, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, informiert über die Auswahl des für ihn am besten passenden und preisgünstigsten Produkts zu entscheiden. Andererseits wurde in der Literatur immer wieder betont, dass die Annahmen über rationales Entscheidungsverhalten angesichts der Kompliziertheit der AVB unrealistisch sind.27 Dennoch gibt es schon länger Ansätze, die auf die Informationsverarbeitung im Rahmen von Markttrends und dergleichen abstellen, da es hier genügt, wenn

17 Vgl. die Antwort der Europäischen Kommission auf die Beschwerde von Verbraucherverbänden, berichtet bei E. Lorenz VersR 1997 773. Vgl. Herrmann ZEuP 1999 663, 669 ff. m. w. N. S. nochmals RegE BTDrucks. 16/3945 S. 47 unter II.1. So § 305 Abs. 2 BGB. Vgl. nur Erwägungsgrund 18 der RL Schadensversicherung v. 18.6.1992 ABl. L. 228; dazu schon Herrmann ZEuP 1999 663, 666 f. 22 Vgl. – grdl. – EuGH 6.7.1995 – C-470/93 Slg. 1995 1923 – Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe e.V. gegen Mars GmbH; EuGH 4.4.2000 – C-465/98 Slg. 2000 I-2321, 2334-6 – Darbo; näher Emmerich 266; Herrmann Grundlehren BGB/HGB Bd. 1 (2006) 25 f. 23 BGH v. 20.10.1999-I ZR 167/97, BGH NJW-RR 2000 1490. 24 RegE BTDrucks. 16/3945. 25 Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 15, 16 ff. 26 Vgl. nur Grundmann 1133, 1143; Fleischer 772, 777 f.; Prölss/Präve § 10a Rn. 1. 27 Drexl 486 mit Hinweisen auf empirische Forschungen v. Anfang der 90er Jahre; Basedow VersR 1999 1045, 1046; Schäfer FS Ott 279, 305 ff.

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§ 7 VVG

Information des Versicherungsnehmers

Marktsignale entstehen und von der Masse der Nachfrager wahrgenommen werden.28 Daran knüpfen wohl auch die Deregulierungsrichtlinien an, soweit sie auf die Öffentlichkeitswirkungen der Verbraucherinformation setzen; denn bei massenhafter Versendung an Nachfrager wird allgemein bekannt, welche Bedingungen der Anbieter verwendet. Seit geraumer Zeit werden deshalb durch spezialisierte Rating-Agenturen29 im Internet und in Zeitschriften Produktvergleiche angestellt. Ein Teil der Lehre nimmt deshalb zu Recht an, dass das VU diese Publizität antizipiert und deshalb Produkte mit AVB anbietet, die im Rating möglichst günstig abschneiden.30

III. Weitere Neuerungen im Überblick 9 Überblickt man, was sich seit der großen Gesetzgebungsreform von 2008 zu § 7 Neues getan hat, so fällt das Augenmerk nicht so sehr auf die Novellierungen des VVG und der InfoV. Denn hier ist – zumindest was den Wortlaut angeht – fast Alles beim Alten geblieben. Wesentlich sind hingegen zahlreiche Klärungen der Rspr. und einige grundlegende Sinnveränderungen zu informationsrechtlichen Regulierungsfragen. Teils geht es dabei gar nicht um § 7 selbst, sondern um den Vorläufer dieser Bestimmung in § 5a VVG a.F., dessen Abs. 2 Satz 4 nach einer Entscheidung des EuGH vom Dez.2013 weggefallen ist.31 Dazu hatte der BGH zu klären, ob es nunmehr zu einem „ewigen“ Widerspruchsrecht kommen sollte, was von der Werbewirtschaft mit einiger Begeisterung aufgegriffen und auf dem Markt als „Widerrufsjoker“ gepriesen wurde (zit. n. Schmitz-Elvenich VersR 2017 266, 267). Der BGH nahm ein Fristende wegen Treuwidrigkeit bei jahrelang beanstandungsloser Prämienzahlung an.32 Der Markt für widerspruchsfähige Policen dürfte dadurch zwar ebenso wenig zum Erliegen gekommen sein wie der für kündbare Lebensversicherungen mit zu niedrigen Rückkaufswerten, nachdem § 169 Abs. 3 die sog. Mindest-Rückkaufswerte normiert hatte.33 10 Dennoch gibt es auch jetzt wieder Klärungsbedarf zu sog. Mindest-Widerspruchswerten (s. u. zu B I.4; F I.). Hervorhebenswert scheint dazu, dass neue Fragen zur Berechnung der sog. Effektivkosten i. S. § 2 Abs. 1 Nr. 9 VVG-InfoV aufgetreten sind, die ebenfalls weitgehend auf die Abwicklung nach Ausübung von Widerspruchs- bzw. Widerrufsrechten zurückzuführen sind. Soweit es um die Rückkaufswerte in der LV geht, haben sich neue Fragen der ergänzenden Vertragsauslegung bei erfolgreicher Beanstandung von dahin gehenden Klauseln in der Lebensversicherung ergeben, die die Rspr. zu klären hatte/hat. 11 Zudem wurden durch das Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte v. 1.8.2014 (BGBl. I, 1330) die Regeln zur verursachungsgerechten Überschussbeteiligung erheblich verändert, um den Folgen der Finanzkrise von 2008 Rechnung zu tragen. Das Notwendige dazu wird zu § 153 Abs. 3 mitgeteilt. Zu § 7 ist aber zudem relevant, dass sich auch die informationsrechtlichen Auswirkungen teilweise verändert haben. Das gilt insbes. auch für die in § 2 Abs. 3 VVG-InfoV vorgeschriebene Modellrechnung.

28 Zur theoretischen Bedeutung der Signal-Theorie s. grundlegend Akerlof Quartely Journal of Economics 1970 488 ff.; zum Versicherungsrecht s. Fleischer 497 ff.; verallgemeinernd für das Unternehmensrecht Merkt Unternehmenspublizität (2001) 213 ff.; s. auch Herrmann Grundlehren BGB/HGB Bd. 1 (2006) 29 f. 29 Allen voran Finanztest als Unterorgan der Stiftung Warentest; näher s. Fiala/Kohrs/Leuschner VersR 2005 742; Achleitner/Everling Handbuch Ratingpraxis (2004); Häfele/Ruß/Seyboth Versicherungsmagazin 3/2000 12. 30 Vgl. nur Schwintowski 168 f.; a. M. Rehberg 40 f. 31 EuGH v. 19.12.2013, Rs. C-459/12 VersR 2014 225 „Endress“. 32 BGH v. 16.7.2013 – IV ZR 73/13, BGHZ 202 102=NJW 2014 2723. 33 Zu Cash Life-Angeboten vor 2008 s. Wambach/Hermann/Herrmann Solvency II; für neure Werbung vgl. auch https://www.policendirekt.de/lebensversicherung-verkaufen/?refid=bing-pd-ankauf-lv&refdet=pd-18msclkid= d5e694c615d; download 23.3.2020. Herrmann

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B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV

VVG § 7

Last, not least, hat sich die wissenschaftliche Diskussion zu Normzwecken informationeller 12 Regulierung und damit verbundener Publizitätssteuerung stark weiter entwickelt. Immer mehr wird erkannt, dass der informationelle Verbraucherschutz auf die Autonomie und Entscheidungsfreiheit der Vertragspartner unter Markt- und Wettbewerbsbedingungen abzielt. Nachdem diese Dimension wettbewerbsadäquater Verhaltenssteuerung zuletzt v. a. zu den Transparenzanforderungen für gezillmerte LV-Verträge sogar vom BVerfG anerkannt worden ist,34 hat die PRIP-VO 2014 das „Basisinformationsblatt“ als Weiterführung des Produktinformationsblattes i. S. § 4 VVG-InfoV eingeführt und insofern für die betroffenen Versicherungsprodukte ausdrücklich markt- und wettbewerbsbezogene Transparenzanforderungen aufgestellt. Die Reichweite dieser Neuerung wird derzeit in der Literatur heftig diskutiert.35 Inzwischen ist die Novellierung der VVG-InfoV v. 6.3.2018 (BGBl. I 225) hinzugekommen, die v. a. zum Produktinformationsblatt eine ganz neuartig Rückverweisung auf das EU-Recht enthält. Nach § 4 Abs. 2 VVG-InfoV soll die DurchführungsVO (EU) 2017/1469 (Abl. V. 12.8.2017) auf das deutsche Recht der Verbraucherinformation anwendbar sein, obgleich eine unmittelbare Geltung des EU-Verordnungsrechts bereits durch Art. 288 Abs. 2 AEUV vorgesehen ist. Die genauere Einschätzung dieser Gesetzesverweisungen ist bisher in der Literatur noch wenig geklärt, kann aber unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips des Art. 12 lit. b EUV differenziert werden (näher s. u. Rn. 101 ff.). Die Lehre hat zudem längst weitere Konzepte informationeller Steuerungszwecke des Kapi- 13 talmarkt, Bank- und Versicherungsrechts herausgearbeitet. Schlagworte dafür sind „mentaler Kapitalismus“,36 leistungsbezogene „Schemainterpretation“,37 „corporate social responsibility“ und Nachhaltigkeit von Investitions- und Versicherungsangeboten.38 Die Diskussion ist derzeit noch stark auf Fragen allgemeiner philosophischer Ethik, Wirschaftsrechts- und der Wettbewerbsethik im Bank und Kapitalmarktrecht fokussiert. Doch fehlt es längst nicht mehr an spezifisch versicherungsökonomischen und versicherungsrechtlichen Beiträgen sowie zum Recht der Solvency II-Regulierung und der Insurance Distribution Directive (IDD) von 2016.39 Auch dazu ist die Diskussion der Literatur noch recht kontrovers und insbes. das Verhältnis dieser Umweltregulierung zu den wettbewerblichen Steuerungsperspektiven ungeklärt.40

B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV Die Darstellung folgt der Trennung von Inhalten (Rn. 9 ff., 46 ff.) und Verfahren (Rn. 58 ff.) 14 der in § 7 und in der VVG-InfoV vorgeschriebenen Informationen. Zu den Informationsinhalten bestehen wesentliche Unterschiede zwischen den Pflichten vor (Rn. 10 ff.) und nach Vertragsschluss (Rn. 37 ff.), da die Information bei Ersteren darauf abzielt, dem „mündigen“ Verbraucher eine marktgerechte Entscheidung über den Abschluss des Vertrages zu geben, während es danach um Entscheidungen über die Vertragsanpassung bzw. über eine Kündigung mit Wechsel des Anbieters geht. Zu Beginn der vorvertraglichen Informationspflichten sind die spartenübergreifenden Vorschriften geregelt, die die Einschätzung des VU und des übernommenen Risikos bzw. die Prämien, die Abschlusskosten und den sog. Mindestwiderspruchswert betreffen.

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BVerfG v. 15.2.2006 – 1BvR1317/96, BVerfG NJW 2006 1783 = VersR 2006 489. Vgl. vorerst nur Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 161 ff., näher s. u. zu Rn. 77 ff. Frank Mentaler Kapitalismus (2005) S. 2 f., passim. Lenk Schemainterpretation (2017); ders. Human-soziale Verantwortung (2017) S. 34 f.; Herrmann Rechtsethik Wettbewerb, 2021 7n III. 4 (i. Ersch.). 38 Vgl. nur Fleischer AG 2017 509; Köndgen S. 671, 681 ff. m. w. N. 39 Vgl. v. a. EIOPA Consultation Paper. 40 Näher Köndgen a. a. O., vorvorige Fn. S. 677 s. u. zu Rn. 68. 693

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§ 7 VVG

Information des Versicherungsnehmers

I. Informationspflichten vor Vertragsschluss 15 Mit wenigen Erweiterungen wurde die frühere Anlage zu § 10a VAG a. F. und die bisherige Anlage zu § 48b VVG a. F. übernommen, d. h. vom Fernabsatzrecht losgelöst und auf alle Absatzwege für Versicherungen und Versicherungssparten übertragen. Dennoch bleiben die besonders im EU-Fernabsatzrecht entwickelten Normzwecke informationeller Marktregulierung zu beachten.41 Das Folgende ist auf diese Zusammenhänge konzentriert, während für Einzelheiten der VVG-InfoV auf den Anhang verwiesen werden muss.

1. Transparenzgebot und Publizität 16 Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 VVG-InfoV sind transparente42 Angaben zur tatsächlichen und rechtlichen Identität des VU und der für dieses handelnden Vertretungspersonen zu machen. Dabei tritt neben das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB noch das des § 1 Abs. 1 S. 2 VVGInfoV,43 was die Frage aufwirft, ob damit noch eine weitere Verschärfung eingeführt werden soll, die im Unterschied zur allgemeinen BGB-Regelung spezielle Anforderungen für Versicherungsprodukte begründen soll.44 Das ist aber schon deshalb im Prinzip abzulehnen, weil Wortlaut und Zweck der Vorschrift keinen Anhalt dafür geben, dass eine „Verdoppelung“ der Informationslast des VU gewollt ist.45 Erst recht ist nicht Verständlichkeit i. S. „Volkstümlichkeit“46 gemeint, da die Vorgaben des Europarechts zum mündigen Verbraucher47 eingehalten werden sollen und sind. Unter einem mündigen Verbraucher im europarechtlich vorgegebenen Sinn48 ist schon nach deutschem AGB-Recht der situationsadäquat informationsbereite Verbraucher zu verstehen,49 so dass Differenzierungen mit Blick auf besondere Anforderungen im Versicherungsvertragsrecht auch nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB bereits erfolgen müssen. Wenn darüber noch hinausgegangen werden soll, so widerspricht es der sog. Maximalwirkung des europäischen Verbraucherschutzes. 17 Neben das Transparenzgebot des § 1 VVG-InfoV tritt noch ein nicht minder wichtiges Publizitätsgebot. Denn es werden genaue Angaben zur Eintragung im Handelsregister vorgeschrieben, die seit dem 1.1.2007 durch das Gesetz über das elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG)50 größte Publizität erhalten

41 Zur Verletzung des Art. 12 Abs. 1 FernabsRichtl. durch die Verzichtbarkeitsregel des § 7 Abs. 1 S. 3 vgl. vorerst nur Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1712. 42 Abweichend vom Vorentwurf der VVG-InfoV muss diese Reihenfolge allerdings nicht zwingend eingehalten werden, wenn nur hinreichende Transparenz erreicht wird, vgl. das gesonderte Transparenzgebot des § 7 Abs. 1 S. 2 VVG-InfoV („klar und verständlich“); Präve VersR 2008 151, 152. 43 Zur Entsprechung derselben Bestimmung in der Anl. zu § 10a VAG mit § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vgl. nur Armbrüster ZVersWiss 2003 745 und 765 f.; Werber VersR 2003 148, 149; Prölss/Präve § 10a Rn. 56. 44 Dafür (schon zu § 10a VAG) OLG Stuttgart 28.5.1999 – 2 U 219/98 VersR 1999 832 m. Anm. Präve; AG Hamburg 7.8.2001 – 12 C 68/01 VersR 2002 874, JZ 2002 460 m. Anm. Schünemann; dagegen Werber VersR 2003 152; vermittelnd Prölss/Martin § 5a Rn. 26a; Römer/Langheid § 5a Rn. 15. 45 So auch Prölss/Martin § 5a Rn. 26a. 46 Formulierung bei Prölss/Martin § 5a Rn. 26a. 47 S.o. Rn. 2 ff. und Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 51 ff. 48 Vgl. – grdl. – EuGH 5.3.2002 – Rs. C-386/00 VersR 2002 1011 – Axa Royal Belge SA/Georges Ochoa et al.; näher Langheid Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht 2002, NJW 2003 399; Herrmann VersR 2003 1333, 1337 f.; in ähnlichem Zusammenhang auch Präve VW 2002 1836, 1838; Bürkle EuZW 2006 685. 49 Vgl. – grdl. – BGH 20.10.1999 – I ZR 167/97, BGH NJW-RR 2000 1490: „situationsadäquate Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers“; dazu Emmerich 266; Herrmann Wirtschaftsprivatrecht BGB/HGB (2007) 200. 50 BGBl. I 2006 2553. Herrmann

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B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV

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haben.51 Die Bedeutung der Publizität ist nicht darauf begrenzt, dass der VN die Identitätsdaten des Vertragspartners und der Repräsentanten kennt, um im Streitfalle evt. die richtige Klageanschrift leicht ermitteln zu können.52 Vielmehr soll es ihm ermöglicht werden, vor oder nach Vertragsschluss jedenfalls dann selbst Eckdaten zur finanziellen Lage des VU und Konzernzugehörigkeit per Mausklick zu erfassen,53 wenn in der Öffentlichkeit etwa Zweifel in dieser Hinsicht aufkommen sollten, oder die Angaben des Versicherungsvertreters gem. § 60 Abs. 2 S. 2 Anlass zu Zweifeln geben sollten. Die Publizitätswirkung geht sogar dahin, auf die Seriosität der im Handelsregister zu veröffentlichenden Informationen hinzuwirken, da leichte Überprüfbarkeit durch die Allgemeinheit und die Fachöffentlichkeit gegeben ist.54 Zu diesem Zweck ist ergänzend das Vermittlerregister eingeführt worden, in dem u. a. auch Beschwerden gegen Vertragsmittler, wie Makler und Agenten aufzuführen sind (näher Einl. B zu D II.2, Rn. 68).

2. Kennzeichnung des VU und des übernommenen Risikos „Hauptgeschäftstätigkeit“ i. S. § 1 Abs. 1 Nr. 4 VVG-InfoV ist bei international tätigen VU der 18 Sitz der Gesellschaft, an dem die Zulassung nach dem Herkunftslandprinzip erreicht worden ist, und an dem deshalb auch die Versicherungsaufsicht im Zusammenwirken mit der Gastlandsbehörde gem. § 57 ff. VAG stattfindet.55 Etwaige Beschwerden zur Verbraucherinformation sind bei der nach § 1 Abs. 1 Nr. 20 VVG-InfoV anzugebenden Aufsichtsbehörde einzureichen. § 1 Abs. 1 Nr. 5 VVG-InfoV verlangt Angaben über das Bestehen eines Garantiefond56 oder 19 entsprechender Entschädigungsregelungen, die nicht unter bestimmte EU-Richtlinien57 fallen und deshalb schon wegen Umsetzung dieser angabepflichtig sind. Anders als noch in der Anlage zu § 48b a. F. (Rn. 1). ist jetzt auch der Name und die Anschrift dieses Garantiefonds aufzuführen. Auch wird bewusst nicht danach unterschieden, ob es sich um einen deutschen oder ausländischen Garantiefonds handelt.58 Die Kennzeichnung des übernommenen Risikos ergibt sich im Wesentlichen aus den bei- 20 zufügenden AVB (Rn. 58 f.). Aber davon gesondert muss nach Nr. 12 etwas darüber gesagt werden, wie der Vertrag genau zustande kommt. Wird das Invitatiomodell (Rn. 93 ff.) benutzt, so muss das kurz und allgemeinverständlich umrissen und insbesondere dahingehend gekennzeichnet werden, dass der VN auch als Nicht-Jurist erkennt, wann genau der Vertrag zustande gekommen ist, und wann davon u. U. abweichend der Versicherungsschutz beginnt.

3. Einbeziehung von AVB und Risikoausschlüsse Auch die Pflicht, in die Verbraucherinformation die AVB mit einzubeziehen, ist nicht neu, so 21 dass für manche Einzelheiten auf die älteren Kommentierungen zu § 10a VAG verwiesen werden 51 Das Gesetz ist nicht ganz zu Unrecht als „Big Bang im Recht der Unternehmenspublizität“ gefeiert worden, s. Seibert/Decker DB 2006 2446; zuvor habe man registerrechtlich in der „telekommunikativen Steinzeit“ gelebt, Gernot BB 2004 837; dagegen allerdings Ries BB 2004 2145. 52 Dazu s. § 1 Abs. 1 Nr. 3 VVG-InfoV. 53 Zur handels- und unternehmensrechtlichen Bedeutung der Handelsregisterpublizität vgl. – grdl. – Merkt Unternehmenspublizität (2001); 231 ff., der ein „umfassendes Publizitätsprinzip“ analysiert, 239 Fn. 61; zust. Herrmann Grundlehren BGB/HGB (2006), zu II.1; ders. Privatrecht für Bachelor-Studiengänge BWL/VWL, 2008/2018 Kap 1 II. 54 Zu solchen Drittwirkungen als Kennzeichen der Publizität s. nochmals Merkt Unternehmenspublizität (2001) 207 ff., 467 ff.; zur „Breitenwirkung“ und „Befolgungsdynamik“ s. auch Köndgen AcP 2006 477, 479 ff. 55 Zum EU-Passport und den Neuerungen seit dem BREXIT s. o. Einl. B zu B II.2, Rn. 11 ff. 56 Zum deutschen Recht s. § 66 VAG. 57 Fundstellen in § 1 Abs. 1 Nr. 5 VVG-InfoV. 58 Begründung zur VVG-InfoV Bundesanzeiger Ausg. Nr. 8 v. 16.1.2008 S. 98 = VersR 2008 186, 187 zu B § 1. 695

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Information des Versicherungsnehmers

kann.59 Hervorzuheben ist, dass die Notwendigkeit, die AVB zu übermitteln, sich schon aus § 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB ergibt, da eine andere Möglichkeit, dem Kunden eine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Aushang am Orte des Vertragsschlusses zu verschaffen, nicht besteht. § 1 Abs. 1 Nr. 6a VVG-InfoV hat also weitgehend bloß klarstellende Bedeutung.60 Ein Hinweis auf die bei früheren Vertragsschlüssen verwendeten und gleich lautenden AVB genügt nach § 305 Abs. 2 BGB ebenso wenig,61 wie nach § 1 Abs. 1 Nr. 6a VVG-InfoV; denn dann fehlt es an der gesetzlich bezweckten Publizitätswirkung (Rn. 5 ff., 10 ff.) im Zeitpunkt des früheren Vertragsschlusses. Spezifisch versicherungsrechtlich ist allein das Erfordernis der Rechtzeitigkeit vor Abgabe der Willenserklärung des VN gem. § 7 Abs. 1 S. 1, da nach allgemeinem Recht auch die Zuleitung „bei Vertragsschluss“ genügen würde (Rn. 60 ff.). 22 Etwaige Risikoausschlüsse müssen in den AVB nur dann besonders hervorgehoben werden, wenn sie ohne dem überraschend i. S. § 305c Abs. 1 BGB wären. Ergänzend greift aber § 4 Abs. 2 Nr. 2 VVG-InfoV ein, wonach auf ausgeschlossene Risiken nicht nur hingewiesen werden muss, sondern diese sogar zu beschreiben sind, soweit es die dort gebotene Kürze62 erlaubt. Fehlen die AVB, so gilt nur noch für Altverträge § 5a a. F.63 mit den Folgen des Wider23 spruchsrechts des VN und der bis zum Ablauf der 14-tägigen Widerspruchsfrist herrschenden schwebenden Unwirksamkeit.64 Bei Vertragsschluss nach dem 1.1.2008 gibt es nach § 8 Abs. 1 immer ein Widerrufsrecht von 14 Tagen, dessen Befristung nach Abs. 2 erst dann zu laufen beginnt, wenn die Verbraucherinformation mit Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß übermittelt wurde. Anders als nach dem früheren § 5a a. F. gelten aber ohne Einbeziehung nicht die AVB, sondern die gesetzlichen Regeln.65 In der Lit. wird z. T. angenommen, dass die AVB wenigstens dann als implizit einbezogen gelten können, wenn sie zwar nach der Willenserklärung des VN, aber vor der Police zugesendet werden.66 Zwar sei für das allgemeine Vertragsrecht allgemein anerkannt, dass keine stillschweigende Einbeziehung in Betracht kommt.67 Für den Versicherungsvertrag müsse aber Anderes gelten, weil die AVB die „Seele“ des Vertrags als sog. Rechtsprodukt sei, und der Kunde deshalb überrascht werde, wenn auf einmal keinerlei AVB gelten sollen.68 Dem wird man jedoch nur für den Fall zustimmen können, dass es der VN selbst war, der die fehlende Einbeziehung der AVB beanstandet hat. Denn dann wurde der Rechtszustand nach Abgabe der Willenserklärung des VN aufgehoben, und dieser hat seinen früheren Antrag mit den inzwischen zugeleiteten AVB stillschweigend erneuert. Bei unaufgeforderter Zusendung der AVB durch das VU kommt man aber v. a. am systematischen Gegensatz zur Sonderregel des § 49 Abs. 2 S. 1 nicht vorbei. Zu den AVB müssen auch die „Tarifbestimmungen“, d. h. solche Regelungen hinzugefügt 24 werden, die die genauen Zahlen oder Berechnungen für die Prämien, Rabatte oder dergleichen enthalten. Das Europarecht hat dazu nach z. T. vertretener Ansicht keine Vorgaben geregelt.69 Dennoch sind die Rechtsfolgen bei Fehlen der Tarifregeln dieselben wie bei fehlenden AVB i. e. S.; denn die Tarifbestimmungen sind nichts anderes als AVB.70

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Vgl. nur Prölss/Präve § 10a Rn. 10 f. Vgl. nur Prölss/Präve § 10a Rn. 10 m. w. N. BGH 18.6.1986 – VIII ZR 137/85, NJW-RR 1987 113; Palandt/Grünberg § 305 Rn. 30. Bes. eindringlich Römer VersR 2007 618 zu IV.1: max. 1 Seite. Art. 1 Abs. 1 EGVVG 2008. OLG Frankfurt am Main 10.12.2003 VersR 2005 631; Palandt/Grünberg § 305 Rn. 46; die Gegenansicht schwebender Wirksamkeit (vgl. Herrmann ZEuP 1999 663, 677) scheint sich nicht durchzusetzen. 65 Anders nur nach § 49 Abs. 2 S. 1 bei vorläufiger Deckung. 66 Schimikowski RuS 2007 309, 310 f.; weitergehend – für Analogie des § 49 Abs. 2 S. 1 wohl Marlow/Spuhl 15. 67 Vgl. nur BGH 24.3.1988 – III ZR 21/87, NJW 1988 2106. 68 So Schimikowski RuS 2007 309, 311. 69 Prölss/Präve § 10a Rn. 10, obgleich auch hier gesehen wird, dass die Tarifbestimmungen AVB sind, ebd. § 5 Rn. 22. 70 S. die Nachweise bei Prölss/Präve § 10a Rn. 10. Herrmann

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B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV

VVG § 7

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 6b VVG-InfoV sind zudem auch Angaben über „Art, Umfang, Fälligkeit und Erfüllung“ der Leistung des VU zu machen. Im Wortlaut der aktuellen InfoV v. 2018 heißt es jetzt leicht abgewandelt: „Art, Umfang und Fälligkeit der Leistung des Versicherers“. D. h. es geht nicht nur um die Hauptleistungspflicht, sondern auch um Nebenpflichten, soweit diese für den Charakter des Vertrages von wesentlicher Bedeutung sind.71 Wichtig ist deshalb nicht nur, aber v. a., dass etwaige Höchstsummen oder Selbstbeteiligungen des VN aufgeführt werden, da diese eine erhebliche Rolle bei einem Vergleich mit Versicherungsprodukten anderer Anbieter spielen. Wie hoch die Prämienwirksamkeit solcher Regeln bemessen ist, braucht nicht erläutert zu werden, was die Vergleichbarkeit im Markt erschwert, aber nicht unmöglich macht.72 Für die Reichweite dieser Bestimmung ist die nähere Einordnung in die Dogmatik der Vertragspflichten derzeit noch weitgehend ungeklärt. Vom Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 6b her scheint keine umfassende Mitteilungspflicht für sämtliche übernommenen Kardinalpflichten i. S. des § 7 Abs. 2 Nr. 2 BGB geregelt zu sein (so wohl Gansel a. a. O.), sondern nur der Leistungsbezug erheblich. Das bedeutet in Bezug auf Nebenpflichten, dass nur die sog. Nebenleistungspflichten, nicht dagegen „bloße“ Schutzpflichten relevant sind (zu dieser Unterscheidung vgl. BAG NZA 2017 740; MüKo/Bachmann § 241 BGB Rn. 47 ff.; Palandt/Grüneberg § 241 Rn. 6). Aber auch diese Abgrenzung trifft wohl noch nicht ganz den Normzweck des § 1 Abs. 1 Nr. 6b VVG-InfoV. Vielleicht passt es am besten, wenn man den gebotenen Informationsumfang auf solche Nebenleistungspflichten begrenzt, die eine qualifizierte Vertrauensstellung des VR begründen (vgl. – für Versicherungsmakler – BGH NJW 2005 1357), oder geradezu treuhänderisch übernommen sind (so OLG Celle NJW 1986 260). Für die Sparte der Kredit- und Kautionsversicherung scheint es wesentlich, dass ein sorgfältiges risk management betrieben wird (vgl. Herrmann VersR 2015 275, 280 ff. m. w. N.). Zur fondsgebundenen LV wird, wie für Fondsinvestments mit Nachhaltigkeitswerbung, darauf abzustellen sein, ob eine treuhänderische Selbstverpflichtung übernommen wurde.73 Rechtsethisch muss man diese Entwicklung im Zusammenhang sehen mit der Bedeutung weltweiter Interpretationsgemeinschaften, die zur kulturellen Überzeugungsbildung über schützenswerte Güter im (globalen) Wettbewerb beitragen und dabei die Grenzen freier Entscheidungsbildung einengen (vgl. – erkenntniskritisch –Lenk Schemainterpretation (1995); ders. Human-soziale Verantwortung (2017)) auch i. S. von leistungssportlichem Engagement (vgl. auch Sloterdijk Du musst dein Leben ändern (2012) S. 592 f., 710 f. mit Aspekten der „Ko-Immunität“) und Leistungswettbewerb (Herrmann Rechtsethik, a. a. O.), disziplinieren. Mit den Rechtsinformationen zusammen muss auch mitgeteilt werden, welches nationale Recht nach Ansicht des VU anwendbar ist. Das war auch nach altem Recht schon geboten, ist aber jetzt wegen Sachzusammenhangs in Nr. 17 geregelt.74 Die Angabe betrifft das Recht, das unabhängig von etwaigen Möglichkeiten der Rechtswahl der Parteien gilt.75 Jedoch ist, wiederum wie schon bisher, keine Mitteilung oder Aushändigung von Rechtsvorschriften vorgesehen.76

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4. Informationen zu Prämie, Abschlusskosten und „Mindestwiderspruchswert“ Prämien sind nicht nur einzeln auszuweisen, sondern es muss auch der „Gesamtpreis“ der Ver- 29 sicherung mit allen Steuern und sonstigen Preisbestandteilen angegeben werden (Nr. 7). Das 71 Vgl. – wenngleich nur andeutend – nur Schwintowski/Brömmelmeyer/Gansel § 1 VVG-InfoV Rn. 24: „…je nach Versicherungssparte notwendig“.

72 S. die verbreiteten Produktratings. 73 Zum dahingehenden EU-Bassisinformationsblatt nach der PRIP-VO 2014 s. u. Rn. 69, 77 ff.; näher auch United Nations Environment Programme, Principles for Responsible Investment/Insurance, 2012, zit.n. Köndgen S. 698 f.

74 Begründung zur VVG-InfoV VersR 2008 186, 187. 75 Vgl. nur BAV-Verlautbarung VerBAV 1995 283, 284; Präve VW 1995 90, 92 f. 76 Begründung zum VAG BRDrucks. 23/94 S. 297. 697

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muss im Gegensatz zum Vorentwurf77 und zu §§ 2 Abs. 2, 3 Abs. 2 VVG-InfoV nicht zwingend in Euro geschehen, wenn dies unmöglich ist oder aus bestimmten Gründen nicht der Transparenz dient. Dann müssen aber die Berechnungsgrundlagen so genau offenbart werden, dass der VN den Preis überprüfen kann. In die Prämie etwa eingerechnete Abschluss- und Vertriebskosten sind – anders als bei der Lebensversicherung78 – nicht auszuweisen. Mit welchen Kosten das VU arbeitet, geht den VN im Prinzip nichts an, da angenommen wird, dass der Preis die Kosten deckt und im Wettbewerb mit der Entscheidung über den Preis auch Kostensenkungspotentiale beeinflusst werden.79 Die Nennung des Gesamtpreises folgt auch aus § 1 Abs. 1 PreisangabenVO80 und hat damit den Zweck, dem Kunden vor Vertragsschluss einen möglichst präzisen Preisvergleich für seine Entscheidung unter Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen. Der VN nach § 1 Abs. 1 Nr. 8 VVG-InfoV recht genau über ggf. zusätzlich anfallende Kosten unterrichtet werden. Dazu zählen ausdrücklich auch die (Abschluss-) Kosten, soweit diese „nicht über den Versicherer abgeführt oder von ihm in Rechnung gestellt“ werden. Auch mit dieser Genauigkeit soll der Kunde davor bewahrt werden, dass er den wettbewerblichen Preisvergleich auf unvollständiger Grundlage durchführt.81 Bei unterlassener oder unvollständiger Vebraucherinformation kommt es zum Widerrufsrecht, das im Wesentlichen dem Widerspruchsrecht des § 5a VVG a. F. nachgebildet ist. Der Einfachkeit halber wird im Folgenden durchgängig vom Widerspruchsrecht gesprochen, soweit es nicht um Besonderheiten des aktuelleren Widerrufsrechts geht. Seit dem LV-ReformG v. 1.8.2014 (BGBl. I 1330) und der Neufassung der VVG-InfoV v. Jan. 2015 (s. Anhang) muss der VR die Verwaltungskosten und die „Effektivkostenquote“ mitteilen.82 Die Berechnung dieser Kosten ist in der Lit. umstritten, und wird dort z. T. als Problem eines „Mindestwiderspruchswerts“ behandelt (Schmitz-Elvenich VersR 2017 266, 267). Richtig daran ist, dass die Verrechnung von Kosten und Aufwänden auf den Widerspruchswert keineswegs nur in das Gebiet der Versicherungsmathematik gehört, sondern – ähnlich dem Streit um die Richtlinien-Konformität der „Mindestrückkaufswerte“ i. S. § 169 Abs. 3 VVG – Grundfragen der EU-Richtlinienumsetzung berührt. Dazu sogleich mehr (Rn. 25 f.). Vorab sind aber einige zusammenhängende praktische Probleme zur Berechnungsmethode weitgehend abgetrennt davon einer Lösung zuzuführen. Auch diese Fragen sind nicht bloß für einzelne Versicherungszweige, wie die Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung relevant, sondern lassen sich nur anhand allgemeiner Grundlagen beurteilen. Allem voran ist dem Gedanken Rechnung zu tragen, dass der VN in der Zeit zwischen Vertragsschluss und Widerspruch bzw. Widerruf tatsächlich Versicherungsschutz genossen hat und dieser zu vergüten ist. Das gilt für alle Versicherungssparten gleichermaßen, da der VR nicht nur mit Zahlung der ersten Prämie, sondern potentiell seit verbindlicher Erklärung der Angebotsannahme zur Risikotragung verpflichtet ist. Für die Höhe dieses Widerrufs- bzw. Widerspruchswertes kommen Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung zur Anwendung. Bei den Lebensversicherungen ist zunächst zwischen reinen Lebensversicherungen mit bloßem Lebensrisikoschutz und denen mit Kapitalanlagezwecken sowie mit solchen zu unterscheiden, die auch den Schutz vor Berufsunfähigkeitsrisiken einbeziehen. Für erstere ist str., ob der Widerspruchswert sich nach dem Prämienanteil richtet, den der VR seinen Verträgen mit oder ohne Anrechnung von Abschluss- und Verwaltungskosten zugrunde legt. Ein Teil der Lit. verneint die Abziehbarkeit, weil § 818 Abs. 3 BGB nur die Anrechnung 77 S. den dortigen § 1 Abs. 2 im Verordnungsentwurf (Stand 18.6.2007), Abdruck bei Marlow/Spuhl Das neue VVG kompakt, 2. Aufl. (2007) 197 ff. 78 S. § 2 Abs. 1 Nr. 1 VVG-InfoV. 79 Anders nur bei Geschäftsbesorgungsverträgen i. S. § 675 BGB (auch Kommissionen gem. §§ 383 ff. HGB), zu den ökonomischen Gründen dafür vgl. Koller BB 1979 1725, 1727 f.; Staub/Staub4 § 396 Rn. 31. 80 I.d.F. v. 8.7.2004 BGBl. I 2004 1414 ff. 81 Zu etwaigen Kick Backs s. Einl B zu C III.5, Rn. 42 ff. 82 § 2 Nr. 1/9 VVG-InfoV; näher Schmitz-Elvenich VersR 2017, 266 ff. Herrmann

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B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV

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von Kosten erlaube, die konkret für eben diesen Vertrag verursacht worden sind.83 Die Gegenmeinung beruft sich auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise i. w. S. (vgl. nur Rudy RuS 2015 115, 120). Teils argumentiert man mit „richtlinienkonformer Auslegung“ zu den o. a. EU-Informationsregeln. Dieser EU-Verbraucherschutz werde entwertet, weil die Abziehbarkeit die eingezahlten Prämien zwischen Vertragsschluss und Widerspruch zu weitgehend aufzehren würde (Schmitz-Elvenich VersR 2017 266, 268). Eine Stellungnahme des EuGH liegt derzeit noch nicht vor. Vorab bleibt anzumerken, dass die Berücksichtigung der EU-Richtlinienzwecke neben denen des BGB-Bereicherungsrechts jedenfalls insoweit unstr. ist, als es um die sog. Mindest-Umsetzung geht (näher s. o. Einl B zu C III.3a, Rn. 32 ff.). Da dies mit dem vorstehenden Entwertungsargument außer Frage steht, wird man sich ohne Weiteres der h. M. anzuschließen haben. Des weiteren ist zweifelhaft, ob Prämienanteile abzuziehen sind, die der Laufzeit zwischen 34 Vertragsabschluss und Widerspruch entsprechen (vgl. Armbrüster NJW 2015, 3065, 3066), oder ob auch die Laufzeit des ursprünglich vorgesehenen Vertrages zu berücksichtigen ist (so Schmitz-Elvenich VersR 2017 266, 267 f.). Für Letzteres spricht, dass bei Kapitallebensversicherungen neben dem Risikoschutz immer auch die im Zeitablauf des Vertrages eintretende Verbilligung der Lebensrisiko-Absicherung zu berechnen ist, die dadurch eintritt, dass der VN mit laufender Prämienzahlung die Risikotragung des VR mindert, je mehr Prämienbeträge in die Risikoabsicherung eingehen. Auch gibt es insoweit wohl keine Vorgaben der EU-Richtlinienkonformität zu beachten, so dass allein nach deutschem Bereicherungsrecht entschieden werden kann. Danach kommt es auf den Bereicherungsausgleich i. S. der durch die Unwirksamkeit des Vertrages ungerechtfertigt erlangten Vermögensvorteile an. Wirtschaftliche Beurteilung unter Risikotragungsaspekten scheint geboten, so dass man sich der Meinung von Schmitz-Elvenich auch unter diesem Aspekt anschließen kann.84 In dogmatischer Hinsicht hat die Lit. z. T. darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht nur 35 um die Berechnung des Mindestwiderspruchswertes, sondern auch darum geht, möglichste Transparenz für den VN zu schaffen, damit dieser aufgrund der vorgeschriebenen Effektivkostenquote sinnvoll entscheiden kann, ob er den Widerspruch ausübt oder nicht. Dieses „Transparenzanliegen“ ist von den maßgebenden EU-Richtlinien vorgeschrieben und darf weder verfehlt (Minimalwirkung) noch übertrieben (Maximalwirkung) werden.85 Nur solche Berechnungen und Angaben dürften vom VR nach nationalem Umsetzungsrecht verlangt werden, die für das Verständnis der Police notwendig sind und dem VN die Entscheidung darüber ermöglich, sich ohne Nachteile für Aufrechterhaltung des Vertrags oder dagegen und für den Abschluss bei einem anderen Anbieter zu entscheiden.86 Bei diesem Meinungsstand besteht Anlass, neben der o. a. Mindestwirkung auch die Höchstbegrenzung des Richtlinienrechts einzubeziehen.87 Der damals entschiedene Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitstest für die Erreichung von Richtlinienzielen durch nationale Umsetzungsregeln ist heute eine Selbstverständlichkeit (Nachw., wie vor). Der Ausweis der Effektivkostenquote dient demzufolge nicht nur den Verbraucherschutz- 36 zwecken, sondern auch den wettbewerblichen Normzwecken der Dienstleistungsfreiheit und der o. a. EU-Richtlinien. Das spricht zwar gegen die Regulierung von Mindest-Rückkaufswerten,

83 BGH v. 29.7.2015 – IV ZR 448/14, BGH VersR 2015 1104 Tz. 46 ff.; BGH v. 29.7.2015 – IV ZR 384/14, BGH VersR 2015 1101 Tz. 41 ff.; Schmitz-Elvenich VersR 2017, 266, 268, h. M.

84 Zum Abzug von etwaigen Fondsverlusten, evtl. ausgezahlten Rückkaufswerten und Saldierungsfragen etc. vgl. ebd. S. 268 ff.

85 Vgl. nur Beckmann/Matusche-Beckmann/Brömmelmeyer § 42 Rn. 84; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 63; Präve VersR 2008 151; Langheid/Wandt/Armbruster § 2 VVG-InfoV Rn. 8.

86 Vgl. nur EuGH v. 5.3.2002 – C-386/00 EuGH VersR 2002 1011=VuR 2002 292 m.Anm. Schwintowski. Letztlich sind die Normzwecke der Dienstleistungsfreiheit maßgebend (Bürkle EuZW 2006 685, 687; Beckmann/MatuscheBeckmann/Brömmelmeyer § 42 Rn. 84). 87 Vgl. – grdl. – EuGH v.5.3.2002 – Rs. C-386/00 VersR 2002 1011 Axa Royal Belge SA./. Georges Ochoa et al.; dazu näher Langheid NJW 2003 399; Herrmann VersR 2003 1333, 1336 f. 699

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Information des Versicherungsnehmers

wie sie mit dem nach wie vor angreifbaren § 169 Abs. 3 VVG erfolgt ist.88 Der Vorrang informationeller Transparenzregeln war nicht gewahrt. Beim „Mindest-Widerspruchswert“ sieht es insofern etwas anders aus, als das Bemühen des Gesetzgebers um Transparenz geradezu besonders hervorgehoben wird und es dabei auch in der Rspr. die erklärte Absicht ist, den VN durch die Anordnung des Ausweises von Effektivkostenquoten zu einer wettbewerbsadäquaten Entscheidung zu befähigen, wie sie bei Beurteilung der Rückkaufswerte sogar vom BVerfG so klar eingefordert wurde (vgl. insbes. BVerfG NJW 2006 1783 = VersR 2006 489). Wie es bei den zu niedrigen Rückkaufswerten dazu kam, dass pfiffige Marktanbieter Lebensversicherungen zu Preisen aufkauften, die erheblich über den vom VR errechneten Rückkaufswert lagen,89 so wird jüngst über Werbeunterlagen zum „Widerrufsjoker“ berichtet, die für den Widerspruchswert ein „Vielfaches des Rückkaufswerts“ anbieten.90 Man geht deshalb wohl nicht fehl in der Annahme, dass auch zum Mindest-Widerspruchswert europarechtliche Regulierungsgrenzen i. S. der erörterten Höchstnormwirkung bestehen. Doch scheinen diese jedenfalls dann noch nicht überschritten, wenn die vorgeschriebene Berechnung festlegt, dass Risikoabzüge zu kalkulieren sind, die die gesamte ursprünglich vorgesehene Laufzeit des schwebend unwirksamen Vertrages erfassen.

5. Besonderheiten in der Lebens- und Krankenversicherung 37 a) Überschussermittlung und -beteiligung. Schon Art. 36 Abs. 1 i. V. Anh. III A der EG-Lebensversicherungsrichtlinie91 sah vor, dass die Berechnungsgrundsätze und Maßstäbe für die Überschussermittlung und -beteiligung sowie die Rückkaufswerte anzugeben sind. Das wurde nun durch § 2 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VVG-InfoV auch auf die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr (UPR) übertragen, was zulässig war, da die Richtlinie insoweit nicht als Maximalbestimmung92 einzuschätzen ist. Auch die Gleichstellung der UPR ist sachgemäß, weil es sich um eine Unfallversicherung mit Lebensversicherungselementen handelt.93 Unproblematisch ist zunächst der Fall, dass die AVB ausdrücklich eine Überschussbeteili38 gung ausschließen; denn nur dann ist sie nach § 153 Abs. 1 Halbs. 2 ausgeschlossen. Die Verbraucherinformation muss auf die diesbezügliche AVB-Nummer mit Kennzeichnung des Ausschlusstatbestands hinweisen und braucht keine weiteren Erläuterungen zu enthalten.94 Bei fehlendem Ausschluss ist strittig, wie weit die Darlegungspflicht reicht. Teils wird 39 angenommen, es genüge aus Transparenzgründen eine kurze Kennzeichnung der Maßstäbe des § 81c VAG und der ausnahmsweisen Heranziehung des Überschusses zur Abwendung eines Notstands oder zur Verlustabdeckung oder zur Erhöhung der Deckungsrückstellung gem. § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 VAG.95 Angaben zur Beteiligung an den Bewertungsreserven mit Informationen über etwaige Direktgutschrift oder Entnahme aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung sollen dabei ebenso geboten sein wie Hinweise auf die jeweils maßgeblichen Wartezeiten und Stichtage.96 Teils will man weitergehende Erläuterungspflichten, die über die Umschrei-

88 Vgl. Herrmann VersR 2009 7, 13 f.; Schumacher Der Rückkaufswert in der LV (2012) 341 f., 344. 89 Vgl. insbes. die Münchener Fa. Cash Life, https://www.cashlife.de/; dazu Wambach/ Herrmann Solvency II und Vermittlerrichtlinie (2005) 79, 85 f.

90 Zit. n. Schmitz-Elvenich VersR 2017 267 Fn. 15; zu entspr. Zwecksetzung beim Ausweis von Effektivzinsen vgl. Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB, § 6 PreisAngV, § 494 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BGB. 91 3. RL Leben 92/96 EWG v. 10.11.1992 ABl. L 360/1. 92 Dazu näher Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 17 ff. 93 Vgl. Präve VersR 2008 151, 153. 94 Ebd. 95 I.d.F. v. 23.12.2007 BGBl. 2007 3248. 96 Claus ZfV 1994 110, 115; zust. Präve VersR 2008 151, 153. Herrmann

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B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV

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bung der gesetzlichen Festlegungen hinausgehen und zudem u. a.97 Spielräume für unternehmerische Entscheidungen kennzeichnen.98 Aber gegen die zuletzt genannte Ansicht spricht neben dem schon erwähnten Argument aus dem Transparenzgebot auch der Umstand, dass § 4 Abs. 3 VVG-InfoV sich für das Produktinformationsblatt gänzlich mit dem Hinweis auf die Modellrechnung begnügt. Diese ist ja in jedem Fall gem. § 154 Abs. 1 mit den in § 2 Abs. 3 VVG-InfoV festgelegten drei Zinssätzen auszuarbeiten und zu übermitteln. Zusätzliche Angaben würden auch in dem weiter gefassten Wortlaut der AVB zur Unübersichtlichkeit führen und damit das Ziel der Informationsverbesserung nicht nur verfehlen, sondern sogar gefährden. Nach hier vertretener Meinung ist schließlich auch auf die Beratungspflichten des VU bzw. des Vermittlers gem. §§ 6, 61 abzustellen, so dass es durchaus der Einschätzung des Beratungsschuldners überlassen werden kann, gerade auf die komplizierteren wettbewerbserheblichen Besonderheiten der Überschussbeteiligung näher einzugehen.99 In jedem Fall sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 VVG-InfoV jährlich Informationen über den Stand der Überschussbeteiligung zu geben, sofern keine Klausel zur Abbedingung der Beteiligung vorgesehen ist.

b) Modellrechnung. Mit dem Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Le- 40 bensversicherte v. 1.8.2014 (BGBl. I 1330) wurden weitgehend neue Bestimmungen über eine verursachungsgerechte Überschussbeteiligung erlassen. Damit sollte bestimmten Folgen der Finanzkrisen von 2003/8 Rechnung getragen werden. Einzelheiten werden in diesem Kommentar zu § 153 Abs. 3 analysiert. Zu § 7 ist lediglich zu sagen, dass es auch Veränderungen im Hinblick auf informationsrechtliche Auswirkungen gibt. teilweise verändert haben. Das gilt insbes. auch für die in § 2 Abs. 3 VVG-InfoV vorgeschriebene Modellrechnung. § 7 Abs. 2 VVG i. V. § 2 Abs. 3 VVG-InfoV ordnet für die LV-Modellrechnung lediglich an, 41 dass auf das Vorhandensein einer Beispielsrechnung aufmerksam zu machen ist, wenn diese denn erstellt ist. Denn nach § 154 Abs. 1 VVG kann eine solche Rechnung aufgestellt werden. Sie muss es aber nicht. Der Abdruck dieses (fakultativen) Rechenwerks ist separat vorzusehen, um eine Überfrachtung des Dokuments zu vermeiden (Knappheitsgebot, § 5 S. 2 VVG-InfoV). Aber die bloße Information, dass es die Modellrechnung gibt, sorgt für zusätzliche Transparenz.100

c) Rückkaufswerte und Kosten. § 2 Abs. 1 Nr. 4 VVG-InfoV schreibt die „Angabe der in Be- 42 tracht kommenden Rückkaufswerte“ vor. Damit ist gemeint, dass auf die konkreten Besonderheiten der einzelnen Verträge eingegangen werden muss, und es nicht etwa ausreicht, allgemeine Angaben zu machen. Schon die Rspr. hatte nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verlangt, dass bei 30jähriger Laufzeit mehr als sieben Werte aufzuführen sind.101 Daraus muss man aber nicht schließen, wie es die Begründung zur VVG-InfoV nahe legt, dass jährliche oder sogar unterjährige Modellberechnungen erfolgen müssen. Denn der Verordnungsgeber hat sich die allzu strenge Ansicht der Entwurfsbegründung nicht zueigen gemacht,102 was schon mit der Formulierung „…der (nicht aller)…in Betracht…“ impliziert ist. Hinzu kommt aber, dass die Struktur des nicht linearen Verlaufs, nicht aber jeder Jahreswert, interessiert, solange der VN keinen besonderen Zeitpunkt für eine Vertragsbeendigung in Erwägung zieht. Zieht man die jahresgenaue Ausweis97 Näher s. Präve VersR 2008 151, 153. 98 So AG Hamburg 7.8.2001, 12 C 68/01, VersR 2002 874, 875 m. zust. Anm. Schünemann; Schwintowski VuR 1996 223, 236. 99 Zu den Gründen dafür s. Rn. 25 ff., und Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 51. 100 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Schwintowski § 18 Rn. 8. 101 BGH 9.5.2001 VersR 2001 839, 841; 844. 102 So auch Präve VersR 2008 151, 154. 701

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pflicht des § 165 Abs. 2 zum Vergleich heran, so fällt differenzierend ins Gewicht, dass hier die vom Normalverlauf abweichende Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung vorangeht. Dadurch ist kein Vergleich, sondern ein Kontrast zum Ausweis der Rückkaufswerte begründet. Im Allgemeinen interessieren nur konkrete Angaben zum Verlauf der Wertkurve. Auch Erläuterungen zur Berechnung müssen nach hier vertretener Ansicht nicht gegeben werden,103 zumal diese der geschuldeten Beratung überlassen bleiben dürfen (Rn. 24). Die Vorschläge der Literatur gehen dahin, für die ersten fünf bis zehn Jahre Jahresangaben zu machen, dann Zweier- bzw. Dreierschritte vorzunehmen und den Jahreswert vor Ablauf auszuweisen.104 Unstreitig ist stets anzugeben, ob es sich um garantierte oder nicht garantierte Werte handelt (§ 2 Abs. 1 Nr. 6). Dafür sind die Vorgaben des § 169 Abs. 3 maßgebend, wonach bei Zillmerung (Rn. 26 ff.) das Deckungskapital zugrunde zu legen ist, und eine gleichmäßige Verteilung der Kosten auf die ersten fünf Jahre erfolgen muss.105 Das bedeutet aber nicht, dass die so errechneten Beträge in vollem Umfang garantiert sein müssen. 43 Für die nicht lineare Anrechnung der Abschluss- und Vertriebskosten ist die sog. Zillmerung verbreitet, aber in der Rspr.106 unter AGB-rechtlichen Aspekten stark kritisiert und weitgehend für unzulässig erklärt worden. In der europarechtlichen Kommentierung wurde dargelegt, dass dies nur insoweit mit 56 AEUV/Art. 49 EGV in Einklang zu bringen ist, als keine hinreichende Transparenz der Zillmerungsklauseln vorliegt.107 Auch der neue § 169 Abs. 3 wäre dahin gehend vom EuGH zu korrigieren gewesen, auch wenn die Vorschrift selbstverständlich bis zu einem Verdikt aus Luxemburg uneingeschränkt gilt.108 Die Informationsvorschriften des § 7 und der VVG-InfoV erhalten dadurch zusätzliche Bedeutung, weil hinreichend transparente Zillmerung auch künftig dafür ausschlaggebend sein wird, ob ein Mindestrückkaufswert eingehalten werden muss oder nicht. Wird nun durch weitgehende Neufassung der Verbraucherinformation zusätzlich Transparenz erreicht, so kann dies dazu beitragen, dass schwer verständliche AVB vom Vorwurf mangelnder Transparenz i. S. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB befreit werden. Dagegen lässt sich einwenden, dass die VVG-InfoV lediglich Verbesserungen der Informationslage des VN bezweckt, nicht aber auf Abschwächungen des Transparenzschutzes abzielt. Aber zu Recht ist in der Literatur darauf aufmerksam gemacht worden, dass nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB für die Auslegung der AGB auch die Umstände des Vertragsschlusses zu berücksichtigen sind.109 Die informationelle Verbesserung durch die Verbraucherinformation steht in diesem Zusammenhang. Auch insoweit handelt es sich um „Umstände“ des Vertragsschlusses, die nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB für die Auslegung der AVB und deren notwendige Transparenz berücksichtigt werden müssen. 44 Einigkeit besteht zunächst darüber, dass zur Verständlichkeit nicht auf den Horizont des ungebildetsten möglichen Marktteilnehmers abzustellen ist (sog. Dummentransparenz), sondern auf den des mündigen Verbrauchers.110 Deshalb soll etwa die Radiowerbung für Eierspeisen mit Unterlegung durch Hühnergegacker nicht irreführend in dem Sinne sein, dass es sich 103 Vgl. OLG Nürnberg 11.7.2005 – 8 U 3187/04 VersR 2005 1375, 1377; AG Karlsruhe 30.10.1998 – 4 C 232/98 VersR 1999 435; AG Köln v. 6.11.1998 – 111 C 10 /98 VersR 1999 435, 436.

104 Präve VersR 2008 151, 154. 105 Gegen Mindestrückkaufswerte in diesem Sinne auch Präve VW 2005 566 mit europarechtlichen Gründen; ders. VersR 2008 151, 154; Bürkle VersR 2006 1042, 1047 f., 1049; Schumacher Der Rückkaufswert in der LV (2012) 341 f., 344. 106 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, NJW 2005 3559 f. = VersR 2005 1565; BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95 NJW 2005 2376 f. 107 Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 25, 29 ff. 108 Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 33; der BGH hat jedoch eine Vorlage an den EuGH bereits wiederholt nicht für nötig gehalten (BGH v. 14.11.2012 – IV ZR 198/10 VersR 2012 1116; v. 25.7.2012 – IV ZR 201/10 VersR 2012 1149; v. 26.6.2013 – IV ZR 39/10 VersR 2013 1381). 109 Vgl. Römer VersR 2007 618 f. zu IV.1; Franz DStR 2008 303, 305. 110 Vgl. – grdl. – EuGH 6.7.1995 Slg. 1995 I 1923 „Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe e.V. gegen Mars GmbH“; EuGH 4.4.2000 Slg. 2000 I-2321, 2334, 2336, Tz. 20, 28 „Darbo“. Herrmann

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B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV

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um Verwendung von Landeiern und nicht von Eiern aus Legefabriken handelt.111 Der BGH hat die Mündigkeitskonzeption noch dahin gehend präzisiert, dass es auf den „situationsadäquat“ informationsbereiten Verkehrsteilnehmer ankommt.112 Zur Situationsadäquanz in diesem Sinne zählt in dem vom BGH entschiedenen Fall, dass einem Kaufinteressent für Orientteppiche beim Lesen einer Zeitungsanzeige mit Fußnote über Einschränkungen der handwerklichen Herstellung zugemutet wird, die Werbung auch in dieser Hinsicht genau zu lesen. – Diese Ansätze der Rspr. lassen sich auch für den Schutz mündiger Verbraucher durch das Transparenzgebot im Versicherungsvertragsrecht fruchtbar machen. Denn vergleichsweise scheint es nicht weniger situationsadäquat, wenn die Informationsbereitschaft des Verbrauchers in Verbindung mit dem gesetzlich erforderten Rat des Vermittlers gebracht wird. Die Hinzuziehung von Verständnishilfen, wie Fußnoten113 wird zugemutet, so dass es nicht fern liegt anzunehmen, dass auch bei Versicherungsrat hinreichende Hilfestellung zum Verständnis der AVB vorliegt. Der BGH hat zur Transparenz bei der Zillmerung strenge Anforderungen entwickelt. In sei- 45 nem ersten Zillmerungsurteil von 2001 hatte das Gericht noch verlangt, dass der Anbieter gezillmerter Produkte dem Kunden deutlich macht, dass er bei kurzfristiger Kündigung nichts von seinen eingezahlten Prämien als Rückkaufswert ausgezahlt erhält, weil die überproportionale Zurechnung der Abschluss- und Vertriebskosten in der Anfangszeit Nullwerte verursacht.114 Davon ist in den neueren Urteilen zur AGB-Kontrolle von Zillmerungsklauseln zwar keine Rede mehr, doch scheiterten die Klauseln hier bereits aus anderen Gründen. Deshalb ist derzeit nicht abzusehen, dass das Gericht von seinen damals schon überzogenen115 Transparenzanforderungen abrücken wird. – Aufgrund der Beratungsvorschriften der §§ 42e bis k VVG a. F. und der hier vertretenen Lehre vom wettbewerblichen Zweck dieser Vorschriften ist aber noch deutlicher als bisher nahe gelegt, dass die Transparenzanforderungen keine derart abschreckende Aufklärung durch das VU verlangen, wie sie der BGH noch zum alten Recht bejaht hat. Im Wettbewerb sind zwar Warnpflichten der Anbieter vor Nachteilen ihrer Produkte durchaus nichts Ungewöhnliches, beispielsweise die Warnung vor Nebenwirkungen bei Medikamenten oder vor Sicherheitsgefahren bei ungeschützter Verwendung.116 Aber niemals braucht der Anbieter vom Erwerb seines eigenen Produkts abzuschrecken. Dem entspricht es, dass auch das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht so weit geht und es der Beratung durch den Vermittler überlässt, den u. U. abschreckenden Sinn der Zillmerungsvorschriften zu erläutern.117 Nach 169 Abs. 3 muss der Rückkaufswert in der europarechtlich unkorrigierten Fassung 46 auch bei transparenter Zillmerung mindestens den Betrag des Deckungskapitals ausmachen, das sich bei gleichmäßiger Verteilung der Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre ergibt.118 Die VVG-InfoV enthält keine besondere Regelung darüber, ob dieser Mindestwert neuen Rechts nun dazu führt, dass die Anforderungen zur geradezu abratenden Warnung abgesenkt werden können. Doch wird diese Auslegung nicht nur durch die Beratungsvor-

111 Anders noch BGH 27.6.1961 – I ZR 135/59, GRUR 1961 544 „Eigold“; krit aber Emmerich 270. 112 Vgl. insbes. BGH 20.10.1999 – II ZR 179/99, NJW-RR 2000 1490; dazu Emmerich 266; Herrmann Wirtschaftsprivatrecht BGB/HGB (2007) 200. Vgl. den Sachverhalt in BGH 20.10.1999- II ZR 179/99, BGH NJW-RR 2000 1490. BGH 9.5.2001- IV ZR 121/00, BGHZ 147 354 VersR 2001 841. Dazu Präve VW 2002 1836, 1838; Herrmann VersR 2003 1333, 1337 f. Bei Verletzung liegt ein sog. Instruktionsmangel vor, vgl. nur BGH 24.1.1989 BGHZ 106 273; Palandt/Sprau § 3 ProdHaftG Rn. 10. 117 Damit muss er zwar die ökonomischen Folgen seiner eigenen Honorarforderungen aufdecken, doch wird ihm auch abverlangt, dass er seine etwaigen Kapitalverflechtungen oder Weisungsabhängigkeiten zum VU aufdeckt, s. § 60 Abs. 2. 118 Die Regelung ist allerdings nur dann europarechtskonform, wenn sie auf intransparente Zillmerungsklauseln beschränkt wird; s. Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 29 ff.

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schriften der der §§ 6, 61, sondern auch deshalb nahe gelegt, weil § 169 Abs. 3 jetzt von vornherein einen – wenngleich etwas abgeschwächten – Mindestrückkaufswert vorschreibt.119 47 § 2 Abs. 1 Nr. 1 VVG-InfoV sieht vor, dass die in die Prämie einkalkulierten Kosten auch der Höhe nach auszuweisen sind. Für Abschlusskosten geht es dabei nicht um Offenlegung von in Einzelfällen gewährten Vermittlerprovisionen, sondern um den „Gesamtbetrag“. Die bislang ungeklärte Frage120 ist also jetzt eindeutig i. S. des aggregierten Ausweises entschieden worden.121 Umstritten ist, ob neben den Abschluss- und Vertriebskosten auch weitere Kosten, insbe48 sondere Verwaltungskosten ausgewiesen werden müssen, oder ob eine strenge Begrenzung auf die mit dem Absatz verbundenen Kosten erfordert wird.122 Während die Rechtsgrundlage der VVG-InfoV in § 7 Abs. 2 vom Wortlaut her eher für die letztgenannte Ansicht spricht, hebt die VVG-InfoV unzweifelhaft die Abschluss- und Vertriebskosten nur exemplarisch hervor („insbesondere“). Die enge Auslegung der Rechtsgrundlage scheint wegen des Bestimmtheitsgebots gem. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zwingend geboten, so dass der Text der VVG-InfoV grundlagenkonform einzuengen ist.123 § 4 Abs. 4 VVG-InfoV schreibt sodann den Euro-Ausweis nur für die Abschluss- und Vertriebskosten vor, obgleich dies auch bei Verwaltungskosten sinnvoll und geboten wäre, hätte man sie wirklich ebenfalls ausweispflichtig stellen wollen. Vor allem aber spricht die Maximalwirkung des Art. 36 Abs. 3 der EU-Richtlinie Leben für eine Ausklammerung der Verwaltungskosten. Danach dürfen über die Vorschriften zur Prämienaufgliederung hinausgehende Regeln nur dann erlassen werden, „wenn diese für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice …notwendig“ sind.124 Eine solche Notwendigkeit ist unter Wettbewerbsbedingungen gerade nicht gegeben, da es dem Anbieter überlassen bleiben soll, seine Kosten so abzusenken, dass ein Verbleiben im Markt gesichert ist.125 Das verkennt das BVerfG, wenn es in der auch ansonsten zu kritisierenden126 Entscheidung über die Zillmerung dem Gesetzgeber u. a. Regelungen zur Information über „Abschluss- und Verwaltungskosten“ aufgibt.127 § 2 Abs. 1 Nr. 2 VVG-InfoV macht zudem angabepflichtig „sonstige Kosten, insbesondere 49 Kosten, die einmalig oder aus besonderem Anlass entstehen können“. Im Unterschied zu Nr. 1 der Vorschrift handelt es sich um nicht in die Prämie einkalkulierte Kosten, z. B. solche für eine Ersatzurkunde. Ein konkreter Anlass für den Kostenausweis wird nicht erfordert, so dass andere Gründe für eine Begrenzung maßgebend sein müssen, will man nicht alle erdenklichen Nebenund Zusatzkosten in die Ausweispflicht einbeziehen und dadurch zur Informationsüberlastung beitragen. Richtig dürfte es sein, auf typischerweise anfallende Kosten abzustellen.

119 Vgl. nochmals die Kritik an der Rspr. zu § 176 VVG 2007 bei Präve VW 2002 1836, 1838; Herrmann VersR 2003 1333, 1337 f. 120 Vgl. die Ermächtigungsgrundlage in § 7 Abs. 2 Nr. 3: „die Abschluss- und Vertriebskosten“. 121 Anders z. B. der individualisierte Ausweis von Vorstandsgehältern gem. Nr. 4.2.4 Corporate Governance Kodex; dazu befürwortend (mit Aspekten der Kapitalmarktpublizität) Fleischer DB 2005 1611, 1613; Hüffer AktG-Kommentar, 7. Aufl. (2006) § 87 Rn. 14; krit. Marsch-Barner Unternehmensinsolvenz: Reorganisation des Rechtsträgers oder Vertragsnachfolge bei übertragender Sanierung, Festschrift Röhricht (2005) 401, 407 f.; krit. Pressestimmen, zitiert bei Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder Deutscher Corporate Governance Kodex, Kommentar (2003) Rn. 552; vgl. auch Herrmann/Roth Gesellschafts- und Konzernrecht für Wirtschaftsjuristen (2008). 122 Für Ersteres Begründung zur VVG-InfoV VersR 2008 183, 188; dagegen Präve VersR 2008 151, 155 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Mauntel § 2 VVG-InfoV Rn. 3. 123 Ähnlich auch Präve VersR 2008 151, 155. 124 So auch die allgemeine Theorie der Maximalwirkung vgl. Einsele NJW 1996 2681, 2688 f. m. w. N.; Langheid NJW 2003 399; Herrmann VersR 2003 1333, 1337 f.; Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 17 ff. 125 Ausnahmen nur bei Aufwandsersatz im Geschäftsbesorgungsrecht vgl. Koller BB 1979 1725, 1727 f.; Staub/ Staub4 § 396 Rn. 31. 126 Näher Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 29 ff. 127 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 80/95 VersR 2005 1127, 1134. Herrmann

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B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV

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d) Besonderheiten bei der substitutiven Krankenversicherung. Schon nach § 10a Abs. 3 50 VAG ist dem VN vor Abschluss des KV-Vertrages ein amtliches Informationsblatt der BaFin auszuhändigen, das die grundsätzlichen Unterschiede der privaten und gesetzlichen KV erläutert. Dabei handelt es sich aber um eine öffentlich-rechtliche Pflicht des VU, so dass bei Verstößen der Beginn der Widerrufsfrist gem. § 8 nicht gehindert wird. Hinzu kommen jetzt die Informationspflichten der VVG-InfoV, die sich neben den Kosten auf die vergangene und zukünftige Beitragsentwicklung sowie auf die eingeschränkten Wechselmöglichkeiten im Alter beziehen. Der Gesamtumfang der Informationen ist groß und scheint unabhängig von den Beratungspflichten und dem Produktinformationsblatt übermäßig. Trotz rechtspolitischer Kritik128 ist die VVG-InfoV unstreitig verfassungskonform und von uneingeschränkter Rechtsgeltung. Zu den Kosten mit und ohne Prämieneinrechnung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 VVG- 51 InfoV) gibt es keine wesentlichen Unterschiede zum LV-Recht, so dass hierauf verwiesen werden kann. (Rn. 9–36). Nach Nr. 3 der Vorschrift sind Informationen über die Auswirkungen steigender Krankheitskosten auf die zukünftige Beitragsentwicklung zu geben. Diese dürfen nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut allgemeiner Natur sein und müssen nicht wie die Informationen zu § 2 Abs. 1 Nr. 4 oder die zu § 3 Abs. 1 Nr. 7 auf den konkreten Einzelvertrag zugeschnitten sein. Wertende Werbeangaben dürften zulässig sein, weil vollständig wertfreie Informationen nicht vorstellbar sind. Aber dadurch darf der Informationsgehalt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.129 Passend erscheinen beispielhafte Angaben über die Beitragsentwicklung bei typischen Vertragsgestaltungen.130 § 3 Abs. 1 Nr. 4 VVG-InfoV sieht Hinweise auf Möglichkeiten zur Beitragsbegrenzung im 52 Alter vor. Besonders erwähnt wird die Möglichkeit eines Wechsels in den Standard- oder Basistarif oder in andere Tarife nach § 204. Zusätzlich muss erwähnt werden, dass Leistungsausschlüsse prämienmindernd wirken können, und dass die Möglichkeit einer Prämiensenkung nach § 12 Abs. 1c VAG besteht. Auch der Hinweis auf ergänzende Rentenversicherungen zur Finanzierung der erhöhten KV-Beitragslast im Alter kann an dieser Stelle der Verbraucherinformation untergebracht werden, da § 3 Abs. 1 Nr. 4 VVG-InfoV keine abschließende Aufzählung enthält. Die Hinweise zu Nr. 5 und Nr. 6 ergänzen die Angaben und können ebenfalls abstrakt erfolgen, da der VN lediglich einen Eindruck von der Tragweite seiner Entscheidung erhalten soll.131 Nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 VVG-InfoV ist eine Übersicht über die Beitragsentwicklung in der 53 Vergangenheit zu geben. Dabei muss der Ausweis in Euro erfolgen (Abs. 2) und den monatlichen Betrag nennen, der für den Vertrag zu zahlen gewesen wäre, wenn er zuvor von einer Person gleichen Geschlechts mit einem Eintrittsalter von 35 Jahren geschlossen worden wäre. Besteht der Tarif noch keine 10 Jahre, so muss dies besonders kenntlich gemacht werden. Zudem muss ein vergleichbarer Tarif herangezogen und nach gleichen Kriterien in seiner Entwicklung aufgeführt werden.

6. Gruppenverträge, insbes. zur betrieblichen Altersversorgung und Restschuldversicherung Bei der „echten“ Gruppenversicherung bestehen die Informationspflichten des § 7 lediglich 54 gegenüber der Gruppenspitze, da der Vertrag nicht mit den einzelnen Gruppenmitgliedern abgeschlossen wird, sondern mit der Gruppe, vertreten durch die Gruppenspitze.132 Die Versiche128 So Präve VersR 2008 151, 156, der aber das Zusammenwirken mit der Beratung und Produktinformationsblatt unberücksichtigt lässt. Gesetzesbegründung BTDrucks. 14/1245 S. 122. Vgl. Präve VersR 2008 151, 156. Gesetzesbegründung BTDrucks. 14/1245 S. 122 und Begründung zur VVG-InfoV VersR 2008 186. Vgl. nur Franz VersR 2008 1565, 1566; zust. Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 17 m. w. N.

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rungsleistung ist aber dem Mitglied der Gruppe gegenüber zu erbringen, das u. U. seinen Beitritt zur Gruppe durch einseitige Erklärung bewirkt. Gläubiger des Deckungsanspruchs kann das Gruppenmitglied sein, so dass die „echte“ Gruppenversicherung insofern ein „echter“ Vertrag zu Gunsten Dritter i. S. § 328 BGB ist. Hauptbeispiele dafür sind die Versicherungsabreden im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung und Pensionskassen. VN ist der Arbeitgeber. Der AN wird „nur“ als Begünstigter in den Schutzkreis der Gruppe einbezogen. Für die echte Gruppenversicherung wurde schon gleich nach der VVG-Reform 2008 von der inzwischen h. L. angenommen, dass den Gruppenmitgliedern keine Verbraucherinformation i. S. § 7 zugeleitet werden musste.133 Wichtigster Grund dafür ist, dass die Vertragskonditionen bereits bei Abschluss des Gruppenvertrages festgelegt werden und bei Einbeziehung der AN als Gruppenmitglieder keine für den Versicherungsmarkt wettbewerbserhebliche Entscheidungsinformation benötigt wird.134 – Darin liegt der für das allgemeine Recht der Verbraucherinformation tragende Gedanke: Normzweck des § 7 ist auch im Hinblick auf die Gruppenversicherung nicht nur die Vertragsfreiheit als individuelles Persönlichkeitsrecht, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs durch Stärkung marktorientierter Entscheidungsautonomie. Da die Entscheidung am Versicherungsmarkt durch die Gruppenspitze getroffen wird, haben die Informationen i. S. des § 7 auch dieser gegenüber zu erfolgen und müssen nicht dem versorgten Arbeitnehmer zugeleitet werden.135 Z. T. wird an einer derartigen Konstruktion bemängelt, dass das Produktinformationsblatt i. S. des § 4 VVG-InfoV nicht erstellt werden müsste, da die Gruppenspitze als Empfänger der Verbraucherinformation nicht Verbraucher i. S. § 13 BGB ist.136 Doch lässt sich das wohl hinnehmen, wenn nur dem Transparenzgebot des § 7 Genüge getan ist. 55 U.U. können auch Restschuldversicherungen echte Gruppenversicherungen sein. Dennoch legt § 7d VVG (i. d. F. v. 30.11.2019137) die Informationspflichten des § 7 dem VR gegenüber dem Kreditnehmer auf.138 Abgedeckt wird das Risiko nicht zurückgeführter Kredite im Todesfall des VN oder bei Arbeitslosigkeit und dergl. in Höhe des nicht getilgten Restbestandes der Schuld. VN ist entweder der Kreditgeber (auch Verkäufer beim Kauf auf Ratenzahlung) oder der Kreditnehmer.139 Die Versicherungsleistung geht an den Kreditgeber. Oft hat dieser den Gruppenvertrag mit dem VR geschlossen, so dass der Kreditnehmer nur noch den Gruppenbeitritt erklären muss. Um dafür eine informierte Marktentscheidung hinsichtlich des Kredits einschließlich der Versicherung treffen zu können, wird jetzt nach § 7d die Entstehung des Informationsrechts an die Gruppenbeitrittserklärung gebunden, obgleich diese typischer Weise nur durch Ankreuzen auf einem Formular der kreditgebenden Bank erfolgt.140 Dafür verspricht der VR der Bank häufig eine Art Vermittlerprämie,141 ohne dass diese als Versicherungsvermittler tätig wird und zu besonderen Mittler-Beratungspflichten i. S. § 61 VVG verpflichtet ist (str.).142 § 7d S. 3 f. sieht deshalb eine Widerrufsbelehrung eine Woche nach Abgabe der Vertragserklä133 Vgl. nur Leverenz Vertragsschluss nach der VVG-Reform, 2008 Rn. 3, 7 ff. 134 So richtig Franz VersR 2008 1565, 1568 f.; zust. Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 16. 135 Zwar regelte § 10a Abs. 2 i. V. Anl. D des bis 2015 geltenden VAG eine dem heutigen § 7 VVG bis in viele Einzelheiten entsprechende Informationspflicht; und diese diente zumindest auch dem Schutz des versicherten Gruppenmitglieds. Doch galt dies nur in aufsichtsrechtlicher Hinsicht. Vgl. Armbrüster a. a. O., Fn. 134 Rn. 17; a. A. Reinicke RdA 2009 13, 16 ff.; allerdings wird dadurch nicht ausgeschlossen, dass die Gruppenspitze den Gruppenmitgliedern gegenüber entsprechend informationsverpflichtet ist; zu entspr. vorvertraglichen Informationspflichten des Kreditinstituts bei Gruppen-Restschuldversicherungen vgl. nur Franz VersR 2008 1565, 1575. 136 Vgl. Brömmelmeyer VersR 2015 1460, 1464. 137 BGBl. I 1942 (in Kraft seit 6.12.2019). 138 Näher s. u. zu § 7d. 139 Vgl. nur Terbille/Hörer/Fitzau Münchener Anwaltshandb. Versicherungsrecht, 4. Aufl. (2017) § 25 Rn. 14. 140 Vgl. BGH v. 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318; zur Behandlung vor der 2019er VVG-Novelle vgl. den Vorschlag von Brömmelmeyer VersR 2015 1460, 1465, § 7 analog als Recht des Kreditnehmers zu behandeln. 141 Zu Provisionen von 30 % vgl. Brömmelmeyer VersR 2015 1460, 1461 m. w. N. 142 Für Aufklärungs- und Beratungspflichten gem. §§ 6, 61 vgl. nur Herrmann VersR 2015 275, 280. Herrmann

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B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV

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rung vor und regelt die Aushändigung des Produktinformationsblattes i. S. § 4 VVG-InfoV, um die Entscheidungsfreiheit des Kreditnehmers zu fördern. Das ist nicht nur zu § 7d de lege lata eindeutig, sondern auch von Bedeutung für das allgemeine Recht der Verbraucherinformation. Das Risiko des VR, der Vertrag könnte doch noch widerrufen werden, soll nicht dadurch abgesenkt werden, dass der Kreditnehmer, der mit dem Effektivzins letztlich auch die Versicherungsprämien zu vergüten hat, aus der Willensbildung über den Gruppenversicherungsvertrag herausgenommen wird. – Ist die Versicherung– wie bei Bauverträgen verbreitet – auf den Todesfall des Kreditnehmers (Bauherr) bezogen, so werden dessen Erben als Gruppenmitglied der Familie berechtigt, die Tilgung der Restschuld zu verlangen. Hier kann die Verbraucherinformation nicht den Gruppenmitgliedern gegenüber geschuldet sein, zumal die Familienangehörigkeit und Erbberechtigung u. U. im Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages noch gar nicht feststehen. Jedoch handelt die Bank u. U. als Vertreterin des Kreditnehmers, was ohne Weiteres zulässig ist, da weder der Kredit- noch der Versicherungsvertrag vertretungsfeindliche höchstpersönliche Geschäfte sind.

II. Informationspflichten während des Vertrages Nach Abschluss des Vertrages gibt es weitere Informationspflichten nach § 6 VVG-InfoV, die 56 nun allerdings nicht mehr den Abschluss des Vertrages betreffen. Damit ist die hier betonte Wettbewerbsorientierung keineswegs aufgegeben, sondern die Vorschriften zielen auf Hilfen zur Entscheidung über etwaige Abänderungsmöglichkeiten der Verträge oder Kündigungen mit Wechsel des Vertragspartners ab. § 7 Abs. 3 bildet die Rechtsgrundlage und unterscheidet drei Gegenstandsbereiche: – Änderung früherer Informationen – Prämienerhöhungen bei der Krankenversicherung – Möglichkeiten des Tarifwechsels gem. § 204 (bei der LV mit Überschussbeteiligung: Entwicklung der Ansprüche des VN). Da hierzu noch kaum kommentierende Literatur veröffentlich ist, wird im Folgenden der Wortlaut der VVG-InfoV in den Vordergrund gestellt und erläuternd zumeist die Begründung zur VVG-InfoV143 herangezogen: § 6 Abs. 1 VVG-InfoV: „Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer während der Laufzeit 57 des Versicherungsvertrages folgende Informationen mitzuteilen: „1. Jede Änderung der Identität oder der ladungsfähigen Anschrift des Versicherers und der etwaigen Niederlassung, über die der Vertrag abgeschlossen worden ist;“ Damit werden, wie auch im Übrigen, die bisher in Anlage D Abschnitt II (Nr. 1) zu § 10a VAG enthaltenen Verpflichtungen übernommen, welche ihrerseits auf Anhang III Abschnitt B der Richtlinie 2002/83/EG zurückgeht. Der Sinn der Angaben zur Identität und Anschrift des VU ist hier der Gleiche wie zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 VVG-InfoV, so dass auf die Ausführungen dazu verwiesen wird. „2. Änderungen bei den Angaben nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe b, Nr. 7 bis 9 und 14 sowie 58 nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 bis 7, sofern sie sich aus Änderungen von Rechtsvorschriften ergeben;“ Die Zusammenstellung ergibt sich daraus, dass nur dann Mitteilungen erfordert werden, wenn sich die Änderung aus abgeänderten Rechtsvorschriften ergibt. Gemeint sind zunächst spartenübergreifend vorgeschriebene Angaben über „Art, Umfang, Fälligkeit und Erfüllung der Leistung“ des VU (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 b VVG-InfoV), Preis-, Kosten- und Zahlungsänderungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 bis 9) und Änderungen der Laufzeit (Nr. 14). Es folgen spartenspezifische Angaben zu den für die Überschussermittlung geltenden Berechnungsgrundsätzen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3)

143 Abgedruckt in VersR 2008 186 ff. 707

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sowie zu den Rückkaufwerten (Nr. 4)144 und zum Mindestversicherungsbetrag bei Umwandlung in eine prämienfreie oder prämienreduzierte Versicherung (Nr. 5), schließlich Angaben über die bei fondsgebundenen Versicherungen zugrunde liegenden Fonds und die Art der darin enthaltenen Vermögenswerte (Nr. 7). „3. soweit nach dem Vertrag eine Überschussbeteiligung vorgesehen ist, alljährlich eine Information über den Stand der Überschussbeteiligung sowie Informationen darüber, inwieweit diese Überschussbeteiligung garantiert ist; dies gilt nicht für die Krankenversicherung“. § 6 Abs. 1 Nr. 3 verlangt Änderungen zu Angaben gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6, wonach garantierte Beträge zu kennzeichnen sind. Zugleich wird klargestellt, dass Entsprechendes nicht für die KV gilt. Denn hier werden Überschüsse in der Regel nicht ausgekehrt, sondern zur Senkung der Prämien verwendet. § 6 Abs. 2: „Bei der substitutiven Krankenversicherung nach § 12 Abs. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes hat der Versicherer bei jeder Prämienerhöhung unter Beifügung des Textes der gesetzlichen Regelung auf die Möglichkeit des Tarifwechsels (Umstufung) gemäß § 204 des Versicherungsvertragsgesetzes hinzuweisen. Bei Versicherten, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, ist der Versicherungsnehmer auf Tarife, die einen gleichartigen Versicherungsschutz wie die bisher vereinbarten Tarife bieten und bei denen eine Umstufung zu einer Prämienreduzierung führen würde, hinzuweisen. Der Hinweis muss solche Tarife enthalten, die bei verständiger Würdigung der Interessen des Versicherungsnehmers für eine Umstufung besonders in Betracht kommen. Zu den in Satz 2 genannten Tarifen zählen jedenfalls diejenigen Tarife mit Ausnahme des Basistarifs, die jeweils im abgelaufenen Geschäftsjahr den höchsten Neuzugang, gemessen an der Zahl der versicherten Personen, zu verzeichnen hatten. Insgesamt dürfen nicht mehr als zehn Tarife genannt werden. Dabei ist jeweils anzugeben, welche Prämien für die versicherten Personen im Falle eines Wechsels in den jeweiligen Tarif zu zahlen wären. Darüber hinaus ist auf die Möglichkeit eines Wechsels in den Standardtarif oder Basistarif hinzuweisen. Dabei sind die Voraussetzungen des Wechsels in den Standardtarif oder Basistarif, die in diesem Falle zu entrichtende Prämie sowie die Möglichkeit einer Prämienminderung im Basistarif gemäß § 12 Abs. 1c des Versicherungsaufsichtsgesetzes mitzuteilen. Auf Anfrage ist dem Versicherungsnehmer der Übertragungswert gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 5 des Versicherungsaufsichtsgesetzes anzugeben; ab dem 1. Januar 2013 ist der Übertragungswert jährlich mitzuteilen.“ § 6 Abs. 2 bezieht sich ausschließlich auf die substitutive KV i. S. § 12 VAG. Im Grundsätzlichen ist wichtig, dass es im Kern um Mitteilungen zum neuen Umstufungsrecht gem. § 204 geht, das auf mehr Wettbewerb in den KV-Märkten zielt. Es soll sichergestellt werden, dass dem VN mehrere vergleichbare Tarife angeboten werden, unter denen er bei funktionsfähigem Wettbewerb entscheiden kann. Das Kriterium der Gleichartigkeit des Versicherungsschutzes ist nach Ansicht der Begründung zur VVG-InfoV weit auszulegen,145 was schon aus der weiten Umschreibung mit „verständiger Würdigung der Interessen des Versicherungsnehmers“ folgt. Eine Abwägung mit Interessen des VU ist nicht vorgeschrieben, da diese in der Form der Angebote am Markt zur Auswahlentscheidung der Nachfrager gestellt werden. Nur beispielhaft ist die Vergleichbarkeit von bis zu 10 Einzeltarifen mit einem diese umfassenden Gesamttarif aufgeführt: Tarife für ambulante und stationäre Heilbehandlung; Tarife für Zahnbehandlung und Zahnersatz u. dgl. Der Basistarif ist ausgenommen. Weiterer Kernpunkt ist der Hinweis auf die Möglichkeiten des Wechsels in den Standardtarif oder den Basistarif nach den zum 1.1.2009 in Kraft tretenden Bestimmungen der Gesundheitsreform. Auch die damit verbundenen Entscheidungsalternativen zur Minderung der Prämi-

144 Vgl. die Initiative des Ombudsmann Römer, die VU zu veranlassen, die Kunden über die neue Rspr. zu Mindestrückkaufswerten zu unterrichten, soweit keine Verjährung etwaiger Ansprüche auf Nachzahlung gegeben ist, Handelsblatt v. 15.11.2005 S. 19. 145 VersR 2008 186, 191. Herrmann

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B. Gegenstandsbereiche des § 7 und der VVG-InfoV

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en sind mitzuteilen. Einige Modalitäten zur Mitteilung des Übertragungswertes nach § 12 Abs. 1c VAG werden zusätzlich aufgeführt: zunächst auf Antrag, ab 1.1.2013 jährlich.

III. Offenlegung, Transparenz und Registerpublizität In Rspr. und Literatur wird zunehmend beachtet, dass die informationsrechtlichen Vorschriften 64 des Verbraucherschutzes nicht nur regulatorische Eingriffe in die wettbewerbliche Handlungsfreiheit des VR bezwecken, sondern auch auf Markttransparenz und auf wettbewerblichen Selbstschutz des Verbrauchers als Nachfrager von Versicherungsleistungen gerichtet sind.146 Die Lehre hat längst erkannt, dass es insofern um wirtschaftsprivatrechtliche Regulierungszwecke geht.147 Wesentlich dafür ist die Selbststeuerung durch Transparenz und Publizität.

1. Transparenzzwecke und Marktöffentlichkeit Fragen der Kunden- und Markttransparenz wurden schon aufgrund der Vermittler-Richtl. 65 2002148 diskutiert.149 Schon damals war nicht nur Kundentransparenz bezweckt, sondern es war auch bereits mit dem Vermittlerregister für den Schutz der Markttransparenz durch Registerpublizität gesorgt. Mit der Implementation der IDD 2016 (a. a. O.) wurden dann diese Normzwecke weiter entwickelt, indem u. a. das Registerrecht für Versicherungsvermittler ausgebaut worden ist.150 Zwar gilt das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB allein für die Beurteilung der Billigkeit von AVBs; doch ist schon diese informationelle Billigkeitskontrolle – trotz zögerlicher Anerkennung des Wettbewerbs um bestmöglich interessengerechte Geschäftsbedingungen – auch auf Schutz der Marktöffentlichkeit gerichtet.151 Die wirtschaftsrechtliche Natur und Zweckausrichtung auf marktökonomische Folgen ist – trotz verbreiteter Ansichten zum „Marktversagen“ des AGB-Rechts (Kunz AcP 209 (2009) 242, 259) im Grunde von der h. L. anerkannt.152 Zum allgemeinen AGB-Recht wird das besonders dadurch deutlich, dass die Bedingungs- 66 werke nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB nur bei Möglichkeit der Kenntnisnahme und allgemeinzugänglichem Aushang am Orte des Vertragsschlusses wirksam werden (bes. deutlich jetzt BGH GRUR 2017, 397). Zwar wird mit der Aushangspublizität nicht direkt ein Schutz allgemeiner Marktöffentlichkeit normiert, da die nötige Allgemeinzugänglichkeit sich nur auf mögliche Vertragskunden bezieht; doch sind als Solche sogar Personen anerkannt, die noch gar nicht zum Vertragsabschluss entschlossen sind, sondern lediglich derart im vorvertraglichen Vertrauenskontakt stehen, dass Möglichkeiten zur Einwirkung auf Rechtsgüter gegeben sind (vgl. nur BGH NJW 2013, 3366). Bei einem derart weiten Kreis geschützter Personen kann man für die Klauseltransparenz durchaus von einem Schutz der Markttransparenz sprechen. Jedenfalls muss der AGB-Verwender immer bedenken, dass die Allgemeinheit aktueller und potentieller Marktteilnehmer Kenntnis von den AGBs und etwaigen übervorteilenden Klauseln erlangt. Er wird des146 Vgl. – grdl. – BVerfG v. 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96 NJW 2006 1783 = VersR 2006 489; dazu o. Rn. 25 ff. 147 Vgl. nur Hellgardt Regulierung und Privatrecht (2016); Eidenmüller Regulierung und Privatrecht, Überblick https://books/google.de/books?id=Kh0zU1…sachenrecht+governance (download 12.9.2017), die auf eine Art corporate und private governance abzielen (vgl. – grdl. – Köndgen AcP 206 (2006) 477 ff.; zum Recht des Versicherungsmaklers s. Heymann/Horn/Herrmann vor § 93 Rn. 2 m. w. N.). 148 ABl. 2003 L 9 S. 3; Umsetzung durch das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlersrechts v. 19.12.2006, BGBl. I 3232. 149 Vgl. Herrmann VersR 2003 1333, 1338 ff. m. w. N. 150 Zu den Informationspflichten i. S. § 7 vgl. nur Schneider RuS 2015, 477; verallgemeinernd und mit Folgerungen zur AVB-Kontrolle Mattern Das Informationsmodell im VVG unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die AGBKontrolle (2011); zum Ganzen auch Herrmann Einf.B, zu D II.3b Rn. 75 ff. 151 Vgl. nochmals BVerfG v. 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96 NJW 2006 1783 = VersR 2006 489. 152 Vgl. nur Palandt/Grüneberg vor § 305 BGB, Rn. 6 f.: „wirtschaftsrechtliche“ Normzwecke“. 709

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halb v. a. aus Gründen der Pflege seines Unternehmens-Image von unbilligen Klauseln Abstand nehmen. Darauf gerichtete präventive Normzwecke der §§ 305 BGB sind denen der handels- und unternehmensrechtlichen Publizität durchaus vergleichbar, so dass man insofern in der Literatur längst von „private governance“ gesprochen hat, die Wesentliches gemein hat mit der „corporate governance“ i. S. des Governance-Kodex gem. § 161 AktG.153 67 Zur Überwindung der typischen Schwächen des Durchschnittsverbrauchers, AVBs zur Kenntnis zu nehmen und marktökonomisch sinnvoll zu verstehen, ist durch § 4 VVG-InfoV des Produktinformationsblatt vorgeschrieben (dazu näher s. u. Rn. 45 ff.). Mögen aufgrund des vorerwähnten Meinungsstandes zum allgemeinen AGB-Recht noch Zweifel am gesetzlichen Schutzzweck für die Marktöffentlichkeit bestehen, so sind diese für das Versicherungsprivatrecht spätestens mit der Regulierung zum Produktinformationsblatt überwunden. Die europarechtliche Grundlage dazu ist die EU-Vermittlerrichtl. 2002 (ABl. 2003 L 9 S. 3), die ihrerseits auf englisches Recht zur Publikation von sog. key features mit dezidiert wettbewerbsökonomischer Zielrichtung zurückgeht.154 68 Neuerdings hat die Ausrichtung der Verbraucherinformation und der darin enthaltenen AVG-Publizität v. a. für die Packaged Retail Investments Products (PRIPs-VO v. 15.4.2014) und die PRIP-VO v. 9.12.2014 (ABl. L 352 v. 9.12.2014) europaweite Vorgaben; denn die darin geregelten besonderen Transparenzanforderungen für Versicherungsanlageprodukte haben ausdrücklich marktökonomische Öffentlichkeitszwecke. Die Regulierungsziele gehen dahin, die Wettbewerbsbedingungen der verbundenen („packaged“) Versicherungs- und Anlageprodukte aneinander anzupassen (PRIPS-VO Erwägungsgrund Nr. 3, a. a. O.; näher Beckmann/MatuscheBeckmman/Mönnich § 2 Rn. 161 f). Die PRIP-VO verlangt für verbunden Versicherungs- und Anlagegüter ein europaweites „Basisinformationsblatt“ (näher s. u. zu C III.). 69 Zuletzt wurde vom EU-Recht noch das sog. Informationsblatt reguliert, das vom Basisinformationsblatt zu unterscheiden ist (Durchführungsverordnung (EU) 2017/1469, ABl. L 209). In dieser hier sog. IPID-VO sind EU-einheitlich geltend Regeln für die zusammengefasste Produktinformation enthalten, die die deutsche Regelung zum PIB inzwischen in § 4 Abs. 2 VVG-InfoV übernommen hat. Neben den Einzelheiten dazu155 interessiert die grundsätzliche europaweite Ausdehnung des wettbewerblichen Informationsschutzes im gesamten EU-Binnenmarkt. Durch die Pflichtangaben zum spezifischen Schutzgegenstand („Art der Versicherung“; „Was ist (nicht) versichert“, Art. 4 Abs. 4 lit a-c IPID-VO) soll grenzübergreifend sichergestellt werden, dass der Kunde eine zutreffende Grundvorstellung vom angebotenen Versicherungsprodukt entwickelt, bevor er eine Entscheidung als Nachfrager am Markt trifft.

2. Bedeutung des Vermittlerregisters: Wettbewerbssteuerung und Social Responsibility Governance 70 Bereits älteren Datums ist das Register für Versicherungsvermittler, das schon in § 11a GewO und in der VersVermV v. 15.5.2007 vorgesehen war (BGBl. I, 733), aber mit der VO v. 17.12.2018 (BGBl. I 2483) einige Neuerungen erfahren hat. Das Register ist bei den IHKs zu führen (§ 11a GewO); doch haben diese beim Dt. IHK-Tag eine gemeinsame Stelle eingerichtet, die für die Koordination der Registerführung sorgt. Neben persönlichen Identifikationsangaben ist anzumelden, ob der Eintragungspflichtig als Makler, Versicherungsvertreter oder als Berater mit den entsprechenden Erlaubnisvoraussetzungen tätig wird (§ 8 Nr. 3 VO). Automatisierter Datenabruf ist untersagt, und nur bestimmten Behörden darf Auskunft erteilt werden (§§ 10 VO, 11a GewO). 153 Vgl. nochmals Köndgen AcP 206 (2006) 477 ff.; Herrmann Privatrecht, Bd. 1 2008/18 zu VII.3b; zur Abgrenzung gegenüber der handelsrechtlichen Publizität vgl. allerdings Merkt Unternehmenspublizität, S. 11 ff. 154 Näher Wambach/Herrmann/Wilkens Solvency II S. 111, 116 ff.; zur neusten Entwicklung in dieser Hinsicht s. u. Rn. 39 ff. 155 S. auch Langheid/Rixecker/Gal § 4 InfoV; Herrmann Einl. B zu C III.7; dies. Anhang). Herrmann

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C. Produktinformationsblatt, Marktinformationsblatt und Basisinformationsblatt

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Dennoch sieht man die (begrenzte) Publizität des Registers in der Literatur z. T. extrem kri- 71 tisch, zumal wegen der Angabe von Erlaubnissen i. S. der GewO zugleich auch eine Verbindung zu § 34d Abs. 12 GewO geschaffen ist. Die Vorschrift beruht auf Art. 32 Abs. 1 IDD, wonach auf Hinweis von sog. whistle blowers bestimmte „unanfechtbare Sanktionen“ öffentlich bekannt zu machen sind, ohne dass der Hinweisgeber identifizierbar gemacht werden kann. Die IHKs müssen Verfahren „zur Annahme von (anonym bleibenden) Meldungen über mögliche oder tatsächliche Verstöße“ einrichten. Dagegen richtet sich z. T. Kritik, die die Regelung mit Kampfbegriffen wie „naming and shaming“ angreift156 und als mittelalterliche Prangermethoden herabsetzt.157 Richtig mag daran sein, dass die Vorschrift als Ermächtigungsgrundlage für die Kammerrechte reichlich unbestimmt sind und modernen rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen. Aber das Anliegen zur Registerpublizität bleibt doch bemerkenswert. Das moderne Kammerwesen ist gerade, was die Sanktionierung etwaiger Berufspflichtverletzungen angeht, verstärken rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen worden,158 so dass man vielleicht erwarten darf, dass die durch § 34d Abs. 12 GewO auferlegte Verfahrenseinrichtung verfassungskonform bewerkstelligt wird. Doch müssen Einzelheiten dazu künftiger Untersuchung vorbehalten bleiben.

C. Produktinformationsblatt, Marktinformationsblatt und Basisinformationsblatt I. Wesentlicher Inhalt allgemeiner Produktinformation Nach § 4 Abs. 1 VVG-InfoV ist das Produktinformationsblatt (PIB) notwendiger Bestandteil der 72 Verbraucherinformation, wenn der VN ein Verbraucher ist. Mit dem Verbraucherbegriff ist auf § 13 BGB verwiesen, so dass nicht nur gewerbliche, sondern auch andere selbständig tätige Nachfrager, d. h. insbes. freiberuflich Tätige ausgeschlossen sind. Man geht davon aus, dass von diesem Personenkreis keine zusammenfassenden Informationen benötigt werden. Das ist zwar rechtstatsächlich wenig fundiert, entspricht aber den normativen Motivangaben zum PIB, wonach man ausdrücklich auf einen entsprechenden Vorschlag von Römer159 eingehen wollte (vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Gansel § 4 VVG-InfoV Rn. 1 mit Verweis auf Römer VersR 2007 618, 619: „Basisinformation“; Brömmelmeyer VersR 2009 584, 592). Schon damals sprach man also von Basisinformation. Seit der Reform v. 2017/18 ist sogar noch treffender von „Marktinformationsblatt“ die Rede, um die marktadäquate Dimension des Normzwecks zu verdeutlichen. Folgende inhaltliche Schwerpunkte sind hervorzuheben: § 4 VVG-InfoV gilt im Kern seit dem 1.1.2008, ist aber durch Neufassung v. 6.3.2018 (BGBl. I 73 225) v. a. insofern verändert worden, als in Abs. 2 zu den Einzelinhalten der gebotenen Überblicksinformation kein 9 Punkte-Katalog mehr geregelt ist, sondern insofern auf die Durchführungsverordnung (EU) 2017/1469 verwiesen ist (IPID-VO, ABl. L 209 S. 19). Beide Rechtsquellen sind im Anhang zu § 7 abgedruckt und kommentiert. Hier ist nur hervorzuheben, dass es im deutschen weiterhin Produktinformationsblatt heißt, obgleich jetzt die Buchst. a–i des Art. 4 IPID-VO zum „Marktinformationsblatt“ gelten; doch sind die wesentlichen mitzuteilenden Inhalte deckungsgleich, soweit es um die Nicht-LV geht. a) „Um welche Art von Versicherung handelt es sich?“ b) „Was ist versichert?“ c) „Was ist nicht versichert?“ 156 Wendt VersR 2016 1277; Rüll VuR 2017 128, 136. 157 Näher Uwer/Rademacher BKR 2015 145; Schmieszek/Langner WM 2014 1893; gegen die rechtshistor. Einordnung s. schon o. Einl B zu D.II.2 Rn. 67 ff. 158 Vgl. – zur BRAK – BVerfG v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81 BVerfGE 76 171, 187. 159 Römer VersR 2007 618 zu IV.2. 711

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d) „Gibt es Deckungsbeschränkungen?“ e) „Wo bin ich versichert?“ f) „Welche Verpflichtungen habe ich?“ g) „Wann und wie zahle ich?“ h) „Wann beginnt und endet die Deckung?“ i) „Wie kann ich den Vertrag kündigen?“ 74 Beispielhaft für den Modellcharakter des VVG-InfoV seien die vorerwähnten lit. a/c des Art. 4 DVO hervorgehoben. Es handelt es sich um Angaben zur Art des angebotenen Versicherungsvertrages. Im Wesentlichen geht es dabei, wie bisher gem. § 4 Abs. 2 Nr. 1 f., um eine rechtliche Kurzkennzeichnung als Lebens-, Unfall- oder Haftpflichtversicherung,160 die zwar für den NichtJuristen wenig Aussagekraft hat, aber in Verbindung mit lit. b (bzw. § 4 Nr. 2) Sinn macht. Danach wird eine Beschreibung des durch den Vertrag versicherten Risikos und der ausgeschlossenen Risiken (Nr. 1 und 2 entsprechen ungefähr den Nr. 3 bis 5 des Römer-Vorschlags). Die positive Risikobezeichnung steht sinnvoller Weise am Anfang, da erst auf dieser Grundlage die Risikoausschlüsse verständlich werden. Letztere betreffen nicht nur Ausschlussklauseln in den AVB, sondern auch Ausschlüsse, die durch den Versicherungstyp als solchen bedingt sind.161 Typische Missverständnismöglichkeiten sollen anhand von eng begrenzten Beispielen ausgeschlossen werden.162 Ein Hinweis auf die nach § 172 Abs. 3 zulässige Ausschlussklausel in der Berufsunfähigkeitsversicherung wäre etwa zwingend erforderlich. 75 Allerdings sind Fragen zur Prämienhöhe und -zahlung (bislang § 4 Nr. 3 VVG-InfoV a. F.) als solche nicht gekennzeichnet, sondern fallen unter „welche Verpflichtungen habe ich?“, lit. f. Lit. g ergänzt: „Wann und wie zahle ich?“; lit h: Deckungsbeginn und Ende. Der VN soll auf einen Blick erkennen, welche Zahlung er zu welchem Zeitpunkt zu leisten hat, und für welchen Zeitraum er dafür Versicherungsschutz als Gegenleistung erhält. Hinweise auf Deckungsverlust bei Nichtzahlung müssen hinzugefügt werden. Dabei reichen Verweise auf §§ 37 f. (§§ 38 f. a. F.) nicht aus. Es bedarf vielmehr einer konkreten Kurzbeschreibung ohne allzu voraussetzungsvolle Rechtsbegriffe: z. B. „Zahlungsverspätung“ statt Verzug.

II. Informationsblatt und Beratung 76 Das PIB soll eine weitere Ebene der Verbraucherinformation eröffnen, die Vereinfachungen schafft, um den VN zu einer mündigen Entscheidung unter Wettbewerbsbedingungen zu befähigen. Die privatrechtliche Umqualifikation (Rn. 5 ff) der Verbraucherinformation durch die VVG-InfoV und das in § 4 VVG-InfoV geregelte PIB sind geeignet, rechtstechnisch exakt formulierte, aber für den Laien schwer oder gar nicht verständliche AVB als hinreichend transparent i. S. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB erscheinen zu lassen. Das ergibt sich, v. a. daraus, dass § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB vorschreibt, für die Auslegung der AVB auch auf die „Umstände“ bei Abschluss des Vertrages abzustellen. Das PIB ist ein solcher Umstand.163 Hinzu kommt, dass zu solchen Umständen auch die Beratung i. S. §§ 6, 61 zählt. 77 Beispielhaft sei abgekürzt noch einmal auf die verfehlte Rspr. des BGH zur Transparenzanforderung bei der Zillmerung hingewiesen. Das Gericht hatte 2001 noch verlangt, dass der Anbieter gezillmerter Produkte dem Kunden deutlich macht, dass er bei kurzfristiger Kündigung

160 Begründung zur VVG-InfoV VersR 2008 186, 190. 161 Sog. primäre Risikoausschlüsse vgl. nur BGH 7.5.1991 – XI ZR 244/90, NJW 1991 1953; BGH 24.11.1988 – III ZR 188/87, VersR 1989 82, 83; dazu Bach VersR 1993 659 zu Nr. III 1 m. w. N. 162 Begründung zur VVG-InfoV VersR 2008 186, 190. 163 So Römer VersR 2007 618 f. zu IV. 1. Herrmann

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C. Produktinformationsblatt, Marktinformationsblatt und Basisinformationsblatt

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nichts von seinen eingezahlten Prämien als Rückkaufwert ausgezahlt erhält, weil die überproportionale Zurechnung der Abschluss- und Vertriebskosten in der Anfangszeit Nullwerte verursacht.164 Neuere Urteile zur Unzulässigkeit von Zillmerungsklauseln kommen darauf zwar nicht mehr zurück, weil sie die betreffenden Klauseln mangels sog. Mindestrückkaufswerte für AGBrechtswidrig halten. Doch ist kaum anzunehmen, dass die bisherige Rspr. damit aufgegeben werden soll. Sie ist aber nach wie vor verfehlt. Das wurde oben mit den Beratungsvorschriften der §§ 6, 61 und der hier vertretenen Lehre vom wettbewerblichen Zweck dieser Vorschriften begründet. Im Wettbewerb gibt es zwar auch Warnpflichten der Anbieter vor Nachteilen ihrer Produkte.165 Jedoch geht das Informationsrecht niemals so weit, dass der Anbieter vom Erwerb seines eigenen Produkts abzuschrecken hat. Dem entsprechend darf auch das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht so weit gefasst werden. Weiterer Begründung bedarf diese Ansicht unter dem Aspekt des PIB, bei dem § 4 VVGInfoV die Vereinfachung gerade deshalb geschaffen hat, um eigenständige Informationsverarbeitung des VN zu erreichen. Da dies jedoch nicht ausschließt, dass die Beratung mit dem Informationsblatt verbunden wird, müssen die Angaben gem. § 4 Abs. 5 S. 4 VVG-InfoV nach Möglichkeit genaue Verweise auf die Rechtsgrundlagen in den AVB enthalten. Daraus folgt zwar nicht zwingend, dass der Vermittler seine Beratung auch in der Reihenfolge des PIB durchführt, aber ein rechtlicher Zusammenhang der PIB-Angaben mit denen der AVB und der sich hierauf erstreckenden Beratung ist doch hergestellt. Des Weiteren kann man daraus folgern, dass auch zum PIB keine abschreckenden Hinweise auf besonders niedrige Rückkaufswerte verlangt werden. Denn die Hinweise auf die Modellrechnung und die Abschluss- und Vertriebskosten sind abschließend. Wegen der Zusammenhänge von PIB und Beratung sei ergänzend noch der Frage nachge- 78 gangen, ob in der Beratung derart abschreckende Informationen zwingend verlangt werden müssen. Das erscheint ebenfalls zweifelhaft. Dagegen spricht zwar nicht, dass der Berater auf diesem Wege gezwungen wäre, die ökonomischen Folgen seiner eigenen Honorarforderungen aufzudecken. Denn es wird ihm ja sogar abverlangt, seine etwaigen Kapitalverflechtungen oder Weisungsabhängigkeiten zum VU offen zu legen.166 Jedoch konnte hier gezeigt werden, dass das VU nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 VVG-InfoV über die „in Betracht kommenden“ Rückkaufswerte nicht mit Jahresangaben zu berichten hat, sondern Angaben zur Illustration der Verlaufsstruktur der nicht linearen Zillmerungskurve ausreichen (Rn. 26). Dabei dürfen selbstverständlich die Auffälligkeiten des Verlaufs nicht ausgespart werden, die den Rückkaufswert auf Null oder nahe Null bringen. Aber das kann in aller Sachlichkeit geschehen, ohne zu betonen, dass die Mathematik der Zillmerung gerade bei kurzfristiger Kündigung aufgrund von Arbeitslosigkeit u. dgl. besonders nachteilige Folgen hat. Auch der Hinweis auf die Modellrechnung im PIB gem. § 4 Abs. 3 VVG-InfoV ist abschließend und darf nicht durch verbale Hervorhebungen ergänzt werden (Rn. 50). Abschreckende Beratungshinweise des Vertragsmittlers passen dazu schlecht. Man wird den beratenden Versicherungsmittler lediglich dann zu einer Hervorhebung der 79 Zillmerungsnachteile veranlasst zu sehen haben, wenn sich besondere Risiken der Vertragsfortführung erkennbar abzeichnen. Der VN hat etwa kein geregeltes Einkommen, oder es besteht ein besonderes Arbeitslosigkeitsrisiko. Dann ist die Empfehlung eines gezillmerten Produkts ohne entsprechenden Hinweis u. U. nicht bedürfnisgerecht i. S. § 61 Abs. 1. Solche Sondersituationen werden dem Agenten oder Makler auch bekannt, da er nach denselben Vorschriften verpflichtet ist, durch Befragung die persönliche Lage des Kunden kennen zu lernen.

164 BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00 VersR 2001 841; krit. Präve VW 2002 1836, 1838; Herrmann VersR 2003 1333, 1337 f. 165 Zum Instruktionsmangel bei Verletzung solcher Pflichten vgl. nur BGH 24.1.1989 – IV ZR 112/88 BGHZ 106 273; Palandt/Sprau § 3 ProdHaftG Rn. 10. 166 § 11 Abs. 1 Nr. 5 und 6 VersVermV v. 15.5.2007 BGBl. I 733. 713

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III. Das Basisinformationsblatt gem. PRIP-VO 2014 und Marktinformationsblatt 2017 80 Diese zusätzliche Informationsquelle ist von der PRIP-VO mit unmittelbarer Wirkung für alle EU-Mitgliedsstaaten angeordnet worden.167 Das Inkrafttreten ist auf den 1.1.2018 verschoben worden (VO (EU) 2016/2340). Erfasst sind verbundene/verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsprodukte, um der Unterschiedlichkeit nationaler Regelungen und der Heterogenität der Finanzprodukte in den Mitgliedstaaten der EU gerecht zu werden (Castellvi VersR 2017, 129). Schon diese Zielangabe macht den Bezug auf wettbewerbliche Transparenzzwecke deutlich, da insbes. die grenzübergreifende Vereinheitlichung der wettbewerblichen Rahmenbedingungen angestrebt wird. Die nähere Abgrenzung der erfassten Versicherungsanlageprodukte erfolgt negativ, in81 dem Art. 4 Nr. 2b i. V. Art. 2 Abs. 2a Nichtlebensversicherungsprodukte mit Bezug auf weitere Bestimmungen ausnimmt. Das bedeutet nach deutschem Verständnis, dass Kranken-, Rechtsschutz-, Haftpflicht-, Unfall und Kraftfahrtversicherungen sowie weitere Sachversicherungen nicht berührt werden. Auch reine Risikolebensversicherungen, Altersvorsorge- und Basisrentenverträge werden nach Art. 2 Abs. 2b, e PRIP-VO ausgenommen (ebenso LV der „dritten Schicht“, amtlich anerkannte Altersversorgungssysteme nach lit. f.168 Es bleiben Versicherungsprodukte, die „einen Fälligkeitswert oder einen Rückkaufswert bieten, der vollständig oder Teilweise direkt oder indirekt Marktschwankungen ausgesetzt ist“ (Art. 4 Nr. 2 PRIP-VO). 82 Die Pflichtinhalte gehen nicht über die der deutschen Produktinformation hinaus, so dass im Wesentlichen darauf verwiesen werden kann (s. o. zu C I und unten D I.1). Das gilt auch für die Gebote der Klarheit, Präzision und Redlichkeit (Art. 6 Abs. 1 PRIP-VO), die Form einer eigenständigen Urkunde von nicht mehr als 4 Din A4-Seiten (Art. Abs. 2/4). Doch liegt der Hauptzweck der Regulierung nicht in der Verschärfung deutschen Rechts, sondern darin, die Pflichten grenzübergreifend zu vereinheitlichen, um auf dem EU-Binnenmarkt gleiche informationelle Rahmenbedingungen zu schaffen und so die dahin gehenden nicht-tarifären Handelshemmnisse zu beseitigen. Dadurch soll es Kunden ermöglicht werden, qualifizierte Entscheidungen zu den eingegangenen wirtschaftlichen Risiken zu treffen.169 Darin liegt keineswegs nur ein individueller Verbraucherschutz, sondern ein Anliegen zur Markttransparenz. 83 Zu diesen Neuregelungen kommt nun noch hinzu, dass im EU-Recht die Vorschriften zum Binnenmarktstandard von Versicherungsinformationsblättern erlassen wurden (IPID-VO 2017 (VO (EU) 2017/1469, ABl. L 209), sondern auch das deutsche Recht hat darauf reagiert, indem § 4 Abs. 2 VVG-InfoV die Inhalte des Produktinformationsblattes auf die des europ. Marktinformationsblattes abgestimmt hat. Sowohl zur IPID-VO als auch zur derzeit geltenden Fassung des § 4 VVG-InfoV sind an anderer Stelle bereits mehrfach Kommentierungen angemerkt.170 Hier genügt deshalb der Hinweis darauf im Zusammenhang der Entwicklung des informationellen Verbraucherschutzes zur markt- und wettbewerbsadäquaten Regulierung.

D. Informationsverfahren 84 Die Verfahrensregeln des § 7 und der VVG-InfoV betreffen die Art und den Zeitpunkt der Informationserteilung und damit auch Besonderheiten zur Abschaffung des Policenmodells des § 5a a. F.

167 Dokument des Rates der EU Nr. 8486/14; VO (EU) 1286/14. 168 Näher Castellvi VersR 2017, 129, 130 f. mit Angaben zu Zweifelsfällen. 169 Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich Rn. 166; Gisch/Kronsteiner/Riedlsperger/Mönnich Versicherungsvermittlung in Österreich (2013) S. 129, 138.

170 Überblick s. o. Rn. 46; ausführl. s. u. Anhang Rn. 32 ff.). Auch findet sich eine Beurteilung zur Vereinbarkeit des 3 4 Abs. 2 VVG-InfoV mit den europarechtlichen Vorgaben ist im Teil Einl B zu C III.7b, Rn. 50 ff. Herrmann

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D. Informationsverfahren

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I. Art und Zeitpunkt der Informationserteilung 1. Textform und Gebote der Klarheit und Verständlichkeit Die zuvor erläuterten Informationsinhalte sind dem Versicherungsnehmer nicht bloß mündlich 85 zu übermitteln, sondern es bedarf nach § 7 Abs. 1 S. 1 mindestens der Textform i. S. § 126b BGB. Damit wird einem Bedürfnis der Praxis Rechnung getragen, da die einfache Textform im Wege der elektronischen Versendung (E-Mail) bewirkt werden kann.171 Bloßes Einstellen der Verbraucherinformation und des PIB in die Internetseite des Anbieters genügt allerdings nicht, da insoweit kein „zur Verfügung Stellen“ i. S. § 1 Abs. 1 vor Nr. 1 VVG-InfoV vorliegt, das eine dem Kunden verfügbare Unterlage voraussetzt.172 Aber außer E-Mails sind Fax, Diskette oder CDROM zulässig, wenn der individuell passende Text der Informationen ausgewählt ist, und der VN sich damit einverstanden erklärt und hierdurch die Verfügbarkeit seinerseits verbindlich festlegt.173 Nicht ganz sicher ist, ob es auch ausreicht, wenn das VU technisch erzwingt, dass der VN die betr. Internetseiten kostenlos herunterlädt und auf seine Kosten ausdruckt.174 Nach der hier vertretenen wettbewerblichen Grundposition gibt es aber keinen Zweifel, dass diese Form genügt. Der VN hat durch Herunterladen seine Zustimmung unter Wettbewerbsbedingungen signalisiert. Mit den Begriffen der Klarheit und Verständlichkeit werden die entsprechenden Regeln 86 des AGB-Kontrollrechts nachgebildet.175 Das ist für die in der Verbraucherinformation enthaltenen AVB eine Art Doppelwirkung, hat aber selbständige Bedeutung für die reinen Informationsteile, wie das PIB. Die Rechtsfolgen bei Verletzung werden unten (Rn. 74 ff.) behandelt.

2. Rechtzeitigkeit im Verfahren des Vertragsabschlusses Die Verbraucherinformation muss dem VN rechtzeitig vor Abgabe seiner Willenserklärung mit- 87 geteilt werden (§ 7 Abs. 1 S. 1). Hierzu ist strittig, was das Gesetz mit dem Begriff der Rechtszeitigkeit als Zeitbestimmung für die Mitteilung der Verbraucherinformation vor Abgabe der Willenserklärung des VN meint. Teils wird analog dem Fernabsatzrecht eine mehrtägige Überlegungsfrist des VN verlangt, wenn es sich um ein komplexes Produkt, wie eine Lebensoder Krankenversicherung handelt. Bei einfachen Produkten soll hingegen eine „mehrminütige Überlegungsfrist“ ausreichen.176 Teils nimmt man aber schon zum Fernabsatzrecht eine statische Mindestfrist von 3 Tagen an.177 Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums steht die Ansicht, dass der Gesetzgeber mit § 7 lediglich das Policenmodell abschaffen,178 nicht aber die Notwendigkeit eines zweiten Vertreterbesuchs einführen wollte, und dass es deshalb in jedem Fall zur sofortigen Entscheidung des VN nach Übergabe der Verbraucherinformation kommen dürfe.179

171 Zum heute überholten Streitstand nach § 10a VAG s. Prölss/Präve § 10a Rn. 54 f. 172 Hoeren/Spindler/Hoeren Versicherungen im Internet (2002) 19, 24 f. 173 Hoeren a. a. O.; E. Lorenz Abschlussbericht Reformkommission VVG 2004 27; wohl auch Micklitz/Ebers VersR 2002 641, 658.

174 Dafür Hoeren WM 2004 2461, 2465; offen gelassen bei Micklitz/Ebers VersR 2002 641, 658. 175 Zum Transparenzgebot vgl. insofern Armbrüster ZVersWiss 2003 745 und 765 f.; Werber VersR 2003 148, 149; Prölss/Präve § 10a Rn. 56. 176 Franz DStR 2008 303, 305; Schimikowski RuS 2007 133, 135. 177 Vgl. Micklitz/Reich/Micklitz Die Fernabsatzrichtlinie im deutschen Recht (1998) 21; Micklitz/Tonner/Micklitz Vertriebsrecht (2002) § 312c Rn. 32; a. A. die h. M., die hierfür keinen Anhalt im Gesetzeswortlaut sieht Palandt/ Grünberg § 312c Rn. 5; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring/Ring Anwaltkommentar Schuldrecht (2002) § 312c Rn. 13. 178 Das betont auch Franz VersR 2008 298, 301. 179 Funk VersR 2008 163 zu Nr. II. 1. 715

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Information des Versicherungsnehmers

Im Ansatz ist der nach der Komplexität des Produkts differenzierenden Ansicht auch aus der Sicht des AVB-Wettbewerbs der Vorzug zu geben. Stärkerer Betonung bedarf es aber auch hierbei, dass der VN seit Mai 2007 im Prinzip zu beraten ist.180 Zwar soll der VN ähnlich wie nach der Gesetzesbegründung zum Fernabsatzrecht vor kurzfristigem Entscheidungszwang geschützt werden.181 Aber beim Fernabsatz von Waren gibt es gerade keine Entscheidungshilfe durch Vermittler, die zwingend als Berater tätig werden müssen. Für die Rechtzeitigkeit kommt es deshalb im Regelfall auf die Möglichkeit eines durch den Berater gesteuerten Studiums der AVB und nicht darauf an, dass der Kunde – noch dazu bei komplexen Produkten – selbständig das oft viele Seiten umfassende Klauselwerk liest und versucht zu verstehen. Das Produktinformationsblatt ist in der VVG-InfoV nach § 4 VVG-InfoV eigens so gestaltet, dass der VN es selbständig lesen kann. Aber das nimmt keinen großen Zeitumfang in Anspruch und stützt, wie gezeigt, die Beratung zum Volltext der AVB. Ein weiterer Vertreterbesuch wird also in diesen Fällen auch dann nicht zwingend erfordert, wenn es sich um ein komplexes Produkt handelt.182 Anders ist es allerdings, wenn ein Beratungsverzicht gem. § 6 Abs. 3 S. 1, bzw. § 61 Abs. 2 88 vorliegt. Verzichtet der VN, so kommt es allein auf seine eigene Informationsverarbeitung an, d. h. er benötigt ohne Hilfe des Vermittlers bei komplexen Produkten mehr Zeit. Ein zweiter Besuch des Maklers oder Vertreters wird erforderlich. Bei einfachen Versicherungsarten muss aber nicht etwa auch eine statische Dreitagesfrist gewahrt bleiben. Auch zu § 312 Abs. 2 Nr. 1 BGB hat sich diese Ansicht nicht durchgesetzt.183 Zudem ist die Parallele zum Fernabsatzrecht wegen der dort gar nicht vorgesehenen Beratungspflichten doch weniger nahe liegend, als allgemein angenommen.184 Dadurch entsteht sogar u. U. ein gewisser Anreiz für den Mittler, keinen Beratungsverzicht 89 zu veranlassen, oder dies nur dann zu tun, wenn der Kunde von sich aus keinen Rat benötigt. Soweit Letzteres der Fall ist, kann die Rechtzeitigkeit im Einzelfall sogar, wie bei erfolgter Beratung, im Rahmen eines einzigen Besuchstermins des Vermittlers gegeben sein. Hat der Kunde etwa selbst hinreichenden Sachverstand und kennt er vielleicht sogar das angebotene Klauselwerk aus früherer Beschäftigung mit einem derartigen Vertragsschluss, so dass er deswegen keine Hilfe durch den Vermittler benötigt, so ist nicht einzusehen, weshalb das Studium der AVB erneut erfolgen sollte. Es genügt ein kurzer Check, ob keine Abweichungen gegenüber dem bekannten Inhalt vorliegen; und die maßgebende Willenserklärung kann während der ersten und einzigen Besuchszeit des Vermittlers abgegeben werden.

II. Abschaffung des Policenmodells, Invitatio- und Bedingungsmodell 1. Zur Kritik des § 5a VVG a. F. 90 § 5a Abs. 1 a. F. schrieb vor, dass „…bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen übergeben“ werden müssen. Wenn das nicht geschieht, gilt der Vertrag nach Maßgabe des Versicherungsscheins und mit Einbeziehung der Versicherungsbedingungen als abgeschlossen, wenn der VN innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der Unterlagen keinen schriftlichen Widerspruch einlegt. Nach Abs. 2 beginnt der Lauf der Frist erst, wenn der VN bei Aushändigung des Versicherungsscheins „schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form“ über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Abweichend von Satz 1 erlischt das Recht zum Widerspruch jedoch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie. 180 181 182 183

So auch Franz DStR 2008 303, 305. RegE BTDrucks. 14/2658 S. 38. Ähnlich auch Gaul VersR 2007 21, 22 mit Betonung der Betreuung durch den Vermittler. Vgl. nochmals Palandt/ Grünberg § 312c Rn. 5; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring/Ring Anwaltkommentar Schuldrecht (2002) § 312c Rn. 13. 184 Für Analogie bei komplexen Produkten aber Schimikowski RuS 2007 133, 134. Herrmann

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Die AVB mussten nach bisherigem Recht also nicht notwendig vor dem Ausfüllen und Un- 91 terschreiben des Antrags des Versicherungsnehmers (sog. Antragsmodell), sondern erst mit der Zusendung der Versicherungspolice überlassen werden, d. h. mit der Annahme des Antrags durch den Versicherer (sog. Policenmodell). Deshalb ist zunächst streitig, ob insoweit eine Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben vorliegt. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände hat eine dahingehende Beschwerde bei der Europäischen Kommission vorgebracht. Darauf hat die Kommission im Mai 1995 geantwortet,185 auch sie sei der Meinung, dass es Zweck des Art. 31 (1) der 3. Richtlinie Leben ist, den Versicherungsnehmer zu informieren, bevor er eine Verpflichtung eingeht. Selbst wenn ein Vertrag nach § 5a VVG nur schwebend wirksam ist, ist der Versicherungsnehmer in diesem Sinne „verpflichtet“. Vor allem wegen der europarechtlichen Probleme ist des Weiteren die dogmatische Einord- 92 nung des Policenmodells streitig. In der Literatur ist man z. T. der Meinung, vor Zusendung der Police mit den AVB komme nur ein schwebend unwirksamer Versicherungsvertrag zustande.186 Demzufolge könne auch keine Verletzung des Art. 31 der Richtlinie Leben gegeben sein.187 Die Antragsbindung mit Zugang des Antrags beim VR gem. § 145 BGB ist zwar unbestritten. Aber durch das Widerspruchsrecht nach Zusendung der Police mit den Unterlagen werde lediglich diese Bindungswirkung dahingehend gelockert, dass der Antrag unter der aufschiebenden Bedingung unterbliebenen Widerspruchs gestellt werde. Dass die Annahme des Antrags bei dieser Konstruktion vor Eintritt der Bedingung erfolgt, wird damit erklärt, dass § 158 BGB auch auf Potestativbedingungen, also auf solche Bedingungen anwendbar sei, die von einer Vertragspartei willkürlich herbeigeführt werden können.188 Schon diese Ansicht zeigt europarechtliche Konformität. Das wird noch dadurch bestätigt, dass das englische Recht schon seit Langem ein ähnliches Widerspruchsrecht kennt, und dafür im nationalen Fallrecht eine Wochenfrist vorgesehen ist, die nur für internationale Verträge aus Gründen der europäischen Anpassung189 auf zwei Wochen ausgedehnt wurde.190 Im Rahmen der Übergangsregeln des Art. 1 EGVVG wird also das Policenmodell noch eine gewisse Rolle spielen, weil für Altverträge noch die Widerspruchsfrist läuft. Für Verträge, die nach dem 1.1.2008 abgeschlossen wurden, ist dagegen das Policenmodell dadurch abgeschafft, dass jetzt ausnahmslos vorgeschrieben wird, die Verbraucherinformation „rechtzeitig“ (60 f.) vor Abgabe der Willenserklärung des VN zu übermitteln.

2. Invitatiomodell und Besonderheiten bei Versicherungsvermittlung Doch ist durch den Federstrich des Gesetzgebers nicht etwa alles beseitigt und überwunden 93 worden, was bisher die Praxis dazu veranlasst hat, das Policenmodell anzuwenden. Zu groß wäre insbesondere der Verwaltungs- und Kostenaufwand, wenn der VN, wie bisher ein „Antragsformular“ ausfüllen würde, für das ihm schon die AVB und das PIB vorgelegen haben. Nicht nur müsste der Agent oder Makler für sämtliche in Betracht kommenden Verträge die passenden Informationsunterlagen bereithalten und die richtigen ausgedruckt oder auf einer individuell gebrannten CD übergeben (Rn. 58 f.). Sondern der Vorgang müsste auch noch

185 Zit. nach E. Lorenz VersR 1997 773. 186 Vgl. E. Lorenz VersR 1997 773; ders. VersR 1995 616; ders. Anmerkung zu LG Essen 26.2.1997 VersR 1997 993; ähnlich bereits Schirmer VersR 1996 1045, 1053; Reiff VersR 1997 267; zust. Römer § 5a Rn. 46 m. w. N.

187 Wenn in der zitierten Stellungnahme der Kommission von einer schwebend „wirksamen“ Vertragsbindung gesprochen wird, so ist dies gerade der umstr. Punkt; dagegen E. Lorenz VersR 1997 773; Herrmann ZEuP 1999 663, 669 ff. m. w. N. 188 E. Lorenz VersR 1997 773, 775. 189 Art. 35 Dritte RL Leben schreibt 14-30 Tage Rücktrittszeitraum für die LV vor. 190 Art. 41 Insurance Companies Regulation 1994 Schedule 7, Abdruck in Butterworths Insurance Law Handbook, 15. Aufl. (2017). 717

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bei jeder Änderung, die von Seiten des VU erforderlich erscheint, wiederholt werden, da es sich nach § 150 Abs. 2 BGB um eine Ablehnung, verbunden mit einem neuen Antrag handelt, der wiederum der Annahmeerklärung bedarf. Es müsste also erneut die passende Verbraucherinformation beigefügt werden, wobei es nicht selten vorkommt, dass nochmals eine Änderung oder Ergänzung begehrt wird. 94 Deshalb wurde das sog. Invitatiomodell entwickelt,191 das den VN veranlasst, das bisherige Antragsformular als Einladung zur Angebotserklärung an das VU zu übersenden. Nach dortiger Prüfung erhält der VN dann ein Angebot mit individuell passender Verbraucherinformation, das er bei voller Möglichkeit der Kenntnisnahme annehmen kann. Damit sind die europarechtlichen Probleme zur quasi-Vertragsbindung vor Übermittlung der Verbraucherinformation vermieden. Zugleich wird das bisher nach § 5a a. F. bestehende 14-tägige Lösungsrecht nicht ausgehebelt, da § 8 Abs. 1 jetzt in jedem Fall ein Widerrufsrecht von zwei Wochen vorsieht. 95 Probleme können sich wegen der vorvertraglichen Anzeigepflichten nach § 19 ergeben, da diese auf einen bestimmten Vertrag bezogen sein müssen. Bei Abweichungen des Angebots des VU von der invitatio können sich auch veränderte Inhalte der Anzeigepflicht ergeben. Hinzu kommt, dass die Vorschrift auf die Informationslage im Zeitpunkt der Erklärung des VN abstellt. Aber das macht keinen Sinn, weil dadurch der Vertrag ohne Zutun des VU zustande kommt, obgleich die Anzeige doch den Sinn hat, die Entscheidung über die Risikotragung seitens des VU vorzubereiten. In der Literatur ist deshalb vorgeschlagen worden, § 19 Abs. 1 im Hinblick auf den Anzeigezeitpunkt analog auf die invitatio anzuwenden.192 Entsprechendes müsste dann auch für § 23 Abs. 1 mit der Maßgabe gelten, dass die ergänzende Mitteilungspflicht auch für Gefahrerhöhungen nach Abgabe der invitatio geschuldet ist. Doch scheinen insoweit die Rechtsfolgen des § 19 Abs. 2 bis 5 passender als die der §§ 25 bis 27. Die Entwicklung in Forschung und Rspr. bleibt abzuwarten. 96 Bei Versicherungsvermittlung fragt sich, auf welchen Zeitpunkt die Beratungsschuld des § 61 bezogen werden soll. Sicher muss bereits vor der invitatio alles zu diesem Zeitpunkt Nötige und Mögliche zur Information und Beratung getan werden. Doch wie ist es bei Änderungen zwischen dem Zeitpunkt der invitatio und der Annahmeerklärung des VN? § 6 VVG-InfoV sieht nur bei Änderungen nach Vertragsschluss die Informationspflichten des VU vor. § 62 stellt auf den Zeitraum vor Abgabe der Willenserklärung des VN ab. Demzufolge muss wohl in der Schwebelage zwischen invitatio und Annahmeerklärung noch etwas von der Beratungspflicht des Vertragsmittlers übrig bleiben. Andererseits scheint es wenig sachgerecht, die Informationspflicht des VU nach § 6 VVG-InfoV noch gänzlich unberührt zu sehen. Auch insoweit bleibt Klärungsbedarf.193

3. Bedingung und Befristung des Angebots/vorbehaltene Genehmigung 97 Eine weitere zuerst von Baumann194 konstruierte Gestaltungsform, die durch die Vertragsfreiheit eröffnet bleibt, besteht darin, dass der VN, wie bisher, eine Angebotsverlautbarung an den VR zuleitet, die er mit seinem Agenten oder Makler mit entsprechender Beratung vorbereitet. Darin wird der Vorbehalt aufgenommen, dass eine rechtliche Bindung unter der aufschiebenden Bedingung i. S. § 158 Abs. 1 BGB erfolgt, dass der VR eine hierauf abgestimmte Verbraucherinfor191 Vgl. – mit rechtsvergl. Angaben Schimikowski RuS 2006 441; Honsel VW 2007 359. 192 Marlow/Spuhl 42. 193 Der Rechtsvergleich zum englischen Recht spricht für vorvertragliche Informationspflichten bei Änderung der Umstände nach Absendung der invitatio ad offerendum; vgl. Canning vs Farquhar (1886) 16 Q.B.D.727; Birds Birds‘ Modern Insurance Law, 11. Aufl. (2019) Nr. 5-05; vergleichend Herrmann/Eifler British Insurance Law, 2020 S. 44 f. m. w. N. 194 Baumann VW 2007 1955; Diskussion bei Leverenz 174 ff., der allerdings fälschlich von einer auflösenden Bedingung spricht. Herrmann

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D. Informationsverfahren

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mation zusendet und der VN nicht aufgrund dessen einen Widerruf seines Angebots erklärt. Diese doppelte Bedingung (und zugleich Befristung195) führt dazu, dass gem. § 7 Abs. 1 keine „Vertragserklärung“ i. S. eines verbindlichen Angebotes abgegeben wird, bevor die Verbraucherinformation nicht zugegangen ist. Sendet der VR die beantragte Police mit der dazu gehörigen Verbraucherinformation, so hat der VN die in seiner bedingten Angebotserklärung festgelegte Frist, um sich endgültig zu entscheiden. Mit Verstreichen der Frist ist der Vertrag bindend zustande gekommen. Die Vorteile dieses Modells liegen darin, dass nur eine anstatt – wie beim Invitatiomodell – zwei Erklärungshandlungen des VN erfordert werden, und dass die Unsicherheiten zum Rechtzeitigkeitserfordernis privatautonom überwunden werden.196 Auch den Beratungspflichten des Mittlers kann mit einem einzigen Besuch bei Abgabe der bedingt-befristeten Erklärung genügt werden. Aber schon bei dem Vorbereitungsgespräch werden Angebotsunterlagen erforderlich, und mit der Annahmeerklärung müssen diese nochmals zugeleitet werden. Zudem bedarf es jedenfalls bei erheblichen Abweichungen der Annahmeerklärung des VR eines zweiten Besuchs des Mittlers. Der VR wird also nur dann zu dieser Variante greifen, wenn er aus Erfahrung weiß, dass in der großen Vielzahl der Fälle so beraten wird, dass die vertragsannehmende Zuleitung der Police passgenau den Wünschen des VN entspricht, oder zumindest keinen Widerruf der Angebotserklärung durch den VN innerhalb der von ihm selbst gesetzten Frist hervorruft. Gegen das Bedingungsmodell ist eingewendet worden, dass es zur Vertragsbindung „nach Ablauf einer logischen Sekunde“ führt, und deshalb das Kriterium der Rechtzeitigkeit kaum erfüllt sein kann.197 Aber dabei wird nicht berücksichtigt, dass – wie bei Baumann nicht ausdrücklich betont – neben den Bedingungen auch noch eine Befristung ausreichender Überlegungszeit für den Widerruf des VN vorgesehen werden kann. Ist dies geschehen, so entfallen die Bedenken zur Rechtzeitigkeit i. S. § 7 Abs. 1 S. 1. Schwerer wiegt der Einwand, dass es sich um ein abgewandeltes Policenmodell handelt,198 das der Gesetzgeber ausdrücklich abschaffen wollte (Rn. 64 f.); denn auch beim Bedingungsmodell verstreicht letztlich für die Vertragsbindung bloß eine Frist, innerhalb derer der Widerruf erklärt werden müsste. Zudem ist für den Beginn der Frist – im Gegensatz zu § 5a Abs. 3 a. F. – keine besondere Belehrung vorgesehen. Aber auch hier ist die zutreffende Lösung mit der neuartigen Pflicht zur Beratungshilfe nahe gelegt: der VN muss und wird über die Bedingungs- und Befristungskonstruktion notwendig derart belehrt, dass er als informationsbereiter Verbraucher199 auf das Verstreichen der von ihm selbst gesetzten Widerspruchsfrist hinreichend aufmerksam sein kann. Das Bedingungsmodell ist deshalb geeignet, die Schwierigkeiten zur Abschaffung des Policenmodells im Wege vertragsautonomer Gestaltung zu überwinden, ohne den Normzweck des Verbraucherschutzes, der schon nach § 5a a. F. nicht wirklich bedroht war,200 zu verletzen. In der Praxis hat sich zudem eine weitere Abwandlung des Policenmodells durchgesetzt, die man als Genehmigungsmodell bezeichnen kann.201 Danach geht nicht bloß eine invitatio, sondern ein echter und bindender Antrag vom VR aus, der lediglich unter Genehmigungsvorbehalt steht. Die Genehmigung hat Rückwirkung gem. § 184 BGB und gilt als erteilt, wenn dem VN kein Widerspruchsrecht mehr zusteht, was bei ordnungsgem. Belehrung nach Ablauf von 14 Tagen der Fall ist (§ 8 Abs. 1).

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Mit bedingungsgleicher Wirkung aufgrund § 163 BGB. So Baumann selbst VW 2007 1955, 1956. Leverenz 175. So Leverenz 175: „modifiziertes Policenverfahren“. Vgl. nur BGH 20.10.1999 – I ZR 167/97, NJW-RR 2000 1490. Vgl. Herrmann ZEuP 1999 663, 679 f. Vgl. nur OLG Frankfurt/M v. 10.12.2003 – 7 U 15/03 VersR 2005 631; Matusche/Matusche-Beckmann/Bearbeiter § 8 Rn. 14 m. w. N.; Schimikowski 2. Teil zu I.2. 719

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E. Folgen bei Verletzung der Informationspflicht 102 Werden die Vorgaben des § 7 und der VVG-InfoV nicht eingehalten, so wird dadurch nicht etwa die Vertragserklärung des VN unwirksam mit der weiteren Folge, dass auch der Versicherungsschutz keine Vertragsgrundlage mehr hat. Damit würden dem VN Steine statt Brot gegeben, so dass es trotz der Ähnlichkeit202 mit dem Policenmodell des abgeschafften § 5a a. F. lediglich dazu kommt, dass dem VN eine Verlängerung seiner Widerrufsfrist gewährt wird. Fast alle weiteren Rechtsfolgen sind noch nicht hinreichend geklärt. § 8 Abs. 2 enthält zwar die klare Regelung, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, wenn die „Unterlagen“ nicht „zugegangen“ sind. Doch lässt schon dies Fragen offen. Hinzu kommen Fragen zum maximalen Fristaufschub. Zudem ist das Verhältnis zu § 280 BGB zu bedenken, der seit 2002 als Grundtatbestand für Pflicht- und Nebenpflichtverletzungen aus Vertrag gefasst ist.

I. Widerrufsfolgen und Prämienzahlung 103 Wird dem VN überhaupt keine Verbraucherinformation zugeleitet, so ist der Tatbestand des § 8 Abs. 2 Nr. 1 eindeutig erfüllt,203 so dass die 14-tägige Frist nicht zu laufen beginnt. Es liegt keine „Unterlage“ i. S. des Gesetzes vor, die mindestens in Textform zugegangen sein muss. Die Rechtsfolge des § 8 Abs. 2 Nr. 1 wird unmittelbar ausgelöst. Bei bloß mündlicher oder fernmündlicher Information oder bei Fehlern der Textform i. S. § 126b BGB ist die Verbraucherinformation analog § 125 S. 1 BGB nichtig, so dass sie als nicht erfolgt anzusehen ist.204 Sind einzelne AVB nicht klar oder nicht verständlich, so sind die betreffenden Klauseln 104 nach § 306 Abs. 1 BGB nichtig.205 Dennoch sind sie nach wohl überwiegender Ansicht dem VN ordnungsgemäß übermittelt, so dass kein Widerspruchsrecht nach § 5a a. F. ausgelöst wird206 und der Fristbeginn i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 nicht gehindert wird. Bei bloßen Informationen, die den Geboten der Klarheit und Verständlichkeit nicht entsprechen, gilt das Gleiche.207 Denn die Lösungsrechte sind als Rechtsfolgen der Einbeziehungskontrolle208 und nicht als Auffangtatbestand der Inhalts- und Transparenzkontrolle des BGB zu verstehen.209 Hinzu kommt die analoge Anwendbarkeit des § 139 BGB auf Wissenserklärungen,210 wonach entscheidet, ob der unklare oder unverständliche Teil der Mitteilung vertragswesentlich ist oder nicht. Der BGH scheint die Vertragswesentlichkeit intransparenter Zillmerungsklauseln zu bejahen, indem hervorgehoben wird, dass der VN bei Unverständlichkeit gehindert wurde, hinreichend informiert über den Vertragsabschluss zu entscheiden.211 Das hat den o. a. Meinungsstreit gefördert. Aber daraus kann man lediglich herleiten, dass Transparenzfehler dann Wesentlichkeit für den Vertragsabschluss haben, wenn die vom Gericht geforderte Untergrenze 202 Vgl. auch Marlow/Spuhl 21. 203 Vgl. nur Römer/Langheid § 5a Rn. 16; Prölss/Martin § 5a Rn. 20, 26a. 204 Zur Analogie der §§ 125 ff. bei Wissenserklärungen vgl. nur BGH 13.5.1987- VIII ZR 137/86, BGHZ 101 49, betr. Mängelanzeige; Palandt/Ellenberger § 130 Rn. 3.

205 Keine geltungserhaltende Reduktion, aber u. U. ergänzende Vertragsauslegung s. BGH 1.2.1984 – VIII ZR54/ 83, BGHZ 90 69, 78 ff. 206 Vgl. nur Römer/Langheid § 5a Rn. 16; Prölss/Martin § 5a Rn. 20, 26a; Lorenz VersR 1995 619; Baroch Castellvi NVersZ 2001 532; Werber VersR 2003 150 f.; für Widerspruchsrecht AG Berlin-Lichtenberg VersR 2003 451; Berliner Kommentar/Schwintowski § 5a Rn. 25; ders. VersR 2001 339. 207 S. die Nachweise in der vorigen Fn. 208 Zu den Entsprechungen des § 7 Abs. 2 zu § 305 Abs. 2 BGB s. o. Rn. 14 ff. 209 Werber VersR 2003 151; Römer/Langheid § 5a Rn. 16; Prölss/Martin § 5a Rn. 20, 26a. 210 S. nochmals BGH 13.5.1987 – VIII ZR 137/86, BGHZ 101, 49, betr. Mängelanzeige; Palandt/Ellenberger § 130 Rn. 3. 211 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, NJW 2005 3559; BGH 9.5.2001 – IV ZR 138/99, NJW 2001 2012, 2013; BGH 9.5.2001 – IV ZR 121/00, NJW 2001 2014, 2016; dazu Elfring NJW 2005 3677, 3679. Herrmann

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des Rückkaufswertes in Höhe der Hälfte des ungezillmerten Prämienkapitals gebilligt wird und unterschritten ist. Nach hier vertretener Ansicht ist dem aber nicht beizutreten, sondern nur die Vorgabe des § 169 Abs. 3 ohne feste Untergrenze zu rechtfertigen, wonach eine Verteilung auf 5 Jahre erfolgen muss.212 Abweichungen davon sind in der Regel nicht derart schwerwiegend, dass man deshalb die Verbraucherinformation zur Gänze als entwertet anzusehen hätte. Ähnlich ist die Ansicht, die das Widerspruchsrecht des § 5a a. F. zubilligen will, wenn durch 105 den Fehler der AGB das Regelwerk „wirklich ‚verworren‘ war“.213 Das soll nach Annahme des OLG Oldenburg214 auch wegen Intransparenz der Zillmerung anzunehmen sein. Aber zu Recht wird in der Literatur bezweifelt, ob dies in casu gegeben war.215 Man wird vorauszusetzen haben, dass weitere Teile des Klauselwerks von der Intransparenz erfasst sind, so dass insgesamt Verwirrung gegeben ist. Soweit der Fristbeginn des Widerspruchs- bzw. Widerrufsrechts verhindert wird, ist eine 106 Höchstdauer zu bedenken, da ein „ewiges“ Lösungsrecht mit dem Vertrauen in die Vertragsbindung nicht vereinbar ist (näher schon o. Einl. B Rn. 15, 58 ff.). § 5a Abs. 2 S. 4 a. F. sah deshalb bis zur entgegenstehenden Entscheidung des EuGH 2013216 eine Jahresgrenze nach Zahlung der ersten Prämie vor. Jetzt gilt nur noch eine zeitlich nicht genau fixierbare Grenze des Vertrauensschutzes des VR.217 Da § 8 Abs. 2 keine entsprechende Regelung enthält, wird man sie dennoch nicht einfach gem. § 242 BGB hineindeuten können. Aber in der Literatur wird überwiegend angenommen, dass Verwirkung in Betracht kommt, wenn ein längerer Zeitraum verstrichen ist.218 Hierbei wird ergänzend auf § 8 Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 4 a. F. abgestellt, wonach schon ein Monat nach Zahlung der ersten Prämie ausreicht. Aber auch die allgemeine widerrufsrechtliche Regelung des § 355 Abs. 3 S. 1 BGB enthält keine Maximalfrist. Nach § 242 BGB wird Verwirkung erst nach Ablauf von mehr als 10 Jahren angenommen,219 weil mangels Widerrufsbelehrung lange Zeit kein Vertrauenstatbestand erfüllt sei.220 Bloßer Zeitablauf soll deshalb nur bei „Uralt-Verträgen“ mit nicht genannter Jahreszahl in Betracht kommen.221 Entsprechungen des Arbeitsrechts bei dreimal wiederholter Zahlung von Gratifikationen ohne Vorbehalt222 liegen zwar nahe, sind aber in der Literatur, soweit ersichtlich, nicht diskutiert. Zudem wird in den Gratifikationsfällen nicht weiter auf die Gegenseitigkeit der Vertrauensbildung abgestellt (so aber hier Rn. 100 ff.). Nach hier vertr. Ansicht muss auf Umstände der Vertrauensbildung abgestellt werden (s. o. 107 Herrmann Einf. B Rn. 44 ff.). Dazu hat der BGH bereits 2015 hervorgehoben, dass der VR selbst seinen Informationspflichten im Übrigen nachgekommen sein muss, auch wenn die Widerrufsbelehrung nicht den Anforderungen genügt, um den Fristbeginn auszulösen.223 Allgemein gilt, dass sich derjenige nicht auf Vertrauensschutz berufen darf, der selbst vertrauenswidrig handelt.224 Man geht deshalb wohl nicht fehl in der Annahme, dass auch dann kein fristbegrenzend schützenswertes Vertrauen vorliegt, wenn der VR oder sein Agent zwar für Zuleitung der Ver-

212 S.o. Rn. 29 Bruck/Möller/Herrmann Einl B Rn. 29 ff. 213 So die Annahme des Gerichts im Fall OLG Oldenburg 31.1.2001 – 2 U 265/00 NVersZ 2002 255; zweifelnd, aber im Grundsatz zustimmend Römer/Langheid § 5a Rn. 16. OLG Oldenburg 31.1.2001 – 2 U 265/00 NVersZ 2002 255. S. nochmals Römer/Langheid § 5a Rn. 16. V. 19.12.2013 – Rs. C-209/12 VersR 2014 225 Endress. BGH v. 7.5.2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201 101=NJW 2014 2646; v. 29.7.2015 – IV ZR 384/14 und IV ZR 448/14 VersR 2015 1101. 218 Vgl. nur Marlow/Spuhl 34. 219 Vgl. BGH 18.10.2004 – II ZR 352/02, NJW-RR 2005 180. 220 Vgl. BGH 17.10.2006 – XI ZR 205/05, NJW-RR 2007 257; OLG Karlsruhe 23.12.2005 – 13 U 56/02, WM 2006 676. 221 Palandt/Grünberg § 242 Rn. 109. 222 Vgl. nur BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Gratifikation; Lieb/Jacobs Arbeitsrecht 9. Aufl. (2006) Rn. 57. 223 BGH v. 16.7.2014 – IV ZR 73/13, BGHZ 202 101 Tz. 24 ff. 224 Vgl. nur BGH v. 12.7.2016 – XI ZR 501/15, NJW 2016 3518; zust. Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 66.

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braucherinformation gesorgt, es aber unterlassen hat, den Beratungs- und Dokumentationspflichten gem. §§ 6, 61 ff. nachzukommen (so schon o., Herrmann Einf. B Rn. 44 ff.). Weitere Informationspflichten gelten seit dem LV-ReformG v. 1.8.2014 (BGBl. I 1330) und der Neufassung der VVG-InfoV v. Jan. 2015 (s. Anhang). Der VR muss die Verwaltungskosten und die sog. Effektivkostenquote mitteilen.225 Beides dient dem Transparenzanliegen, das besondere Rechtsgrundlagen im EU Verbraucherschutzrecht hat (Herrmann/Eifler Einf. B Rn. 82 f.) und seit der EU-Verordnung für Packaged Retail Investment Products v. 15.4.2014 (PRIPs-VO, Nr. 1286/ 2014) und der entsprechenden VO für Versicherungsprodukte v. 26.11.2014 (PRIP-VO, ABl. L 352) hat. Etwaige Bedenken wegen Überschreitung der Maximalwirkung des Verbraucherschutzes zur Richtl. 2009/138/EG, wie sie in der Lit. früher z. T. gerügt wurden,226 dürften damit entfallen sein.227 Wo der VR pflichtwidrig keine Effektivkosten ausweist, handelt er selbst vertrauenswidrig, so dass ihm der Vertrauensschutz zum Fristbeginn gem. § 8 Abs. 2 VVG grdsl. nicht zustehen sollte. Tritt ein Versicherungsfall ein, den das VU deckt, so ist es schon ab Entgegennahme der Versicherungsleistung treuwidrig, den Vertrag wegen Fehlens der Verbraucherinformation aufzulösen.; denn der Vertrag ist „auf Wunsch des VN vollständig erfüllt“ (§ 7 Abs. 3 S. 2). Allerdings dürfte der Fall in der Praxis keine selbständige Bedeutung erlangen, da der VN bei zulässigem Widerruf die erhaltene Deckung zurückzuzahlen hätte. Das Widerrufsrecht hat nicht nur die Folge, dass der VN den Vertrag von Anfang an wirkungslos machen kann, sondern während der Widerrufsfrist wird auch die Prämie nicht mit voller Wirksamkeit fällig. Nach wohl überwiegender Ansicht zu § 5a a. F. soll es sogar zur Vermeidung der Leistungsfreiheit gem. § 37 Abs. 2 (§ 38 Abs. 2 a. F.) ausreichen, dass der VN die Erstprämie bis zum Ablauf der Widerrufsfrist zahlt.228 Die Gegenansicht lässt den Versicherungsschutz zu Recht auch in diesen Fällen nicht ohne Zahlung der Erstprämie beginnen.229 Zwar verlangt das Europarecht, dass keinerlei Vertragsbindung ohne die Verbraucherinformation erzeugt wird, doch bedeutet das nicht, dass auch Versicherungsschutz ohne Vertragsbindung erzielt werden kann. Wer Schutz will, muss zahlen, kann aber bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist sein Geld zurückverlangen, wenn der Widerspruch – bei ausgebliebenem Versicherungsfall – ausgeübt wird.230 Wird nicht gezahlt, kann aber kein Verzug entstehen und kein Verzugszins geschuldet sein, da der Vertrag erst schwebend wirksam ist. Die Parteien können (auch in AVB231) vereinbaren, dass die Prämie vor Ablauf der Widerrufsfrist zu zahlen ist. Darin liegt zwar ein Nachteil für den VN, so dass die halbzwingende Wirkung des § 18 entgegenstehen könnte. Aber der VN erlangt zugleich den Vorteil, dass er wegen des Einlösungsprinzips232 des § 37 Abs. 2 bereits mit der geschuldeten Zahlung der Erstprämie Deckungsschutz erhält. Dadurch wird sowohl die Individualabrede von der halbzwingenden Wirkung des § 18 befreit, als auch die Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB überwunden.233

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§ 2 Nr. 1/9 VVG-InfoV; näher Schmitz-Elvenich VersR 2017 266 ff. Vgl. nur Langheid/Wandt/Armbruster § 2 VVG-InfoV Rn. 8. Wie hier Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 63. Vgl. OLG Köln 9.5.2000 – 9 U 127/99 VersR 2000 1266; Wandt Verbraucherinformation und Vertragsschluss nach neuem Recht (1995) 24; Peters DZWiR 1997 188; Prölss/Martin § 5a Rn. 67. 229 Vgl. LG Essen 26.2.1997 – 2 S 139/96 VersR 1997 993 m. zust. Anm. Hofmann VersR 1997 1257, der der sog. Rumpfvertragstheorie folgt, abl. Anm. Lorenz VersR 1997 994. 230 Herrmann ZEuP 1999 663, 679 f. mit Ablehnung der Rumpfvertragslehre unter Hinweis auf die i.E gleiche Lehre von der schwebenden Wirksamkeit. 231 Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1039. 232 Zur Diskussion eines erweiterten Einlösungsprinzips vgl. R. Johannsen FS Schirmer 263 einerseits; Wandt/ Ganster VersR 2007 1034, 1035 f. andererseits. 233 Vgl. nochmals Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1039. Herrmann

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II. Schadensersatz, Bereicherungsausgleich und aufsichtsrechtliche Sanktionen Außer den bereicherungsrechtlichen Widerrufsfolgen führt die unterlassene Verbraucherinfor- 112 mation u. U. zu Schadensersatzansprüchen gem. § 280 Abs. 1 BGB,234 weil § 7 Abs. 1 VVG und die VVG-InfoV privatrechtliche Pflichten begründen (Rn. 5 ff.). Soweit Pflichten vor Vertragsschluss verletzt sind (§§ 1 bis 5 VVG-InfoV), handelt es sich um Unterfälle der culpa in contrahendo (cic. i. S. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Bei Verletzung der Informationspflichten während der Laufzeit des Vertrages gem. § 6 VVG-InfoV ist die Rechtsnatur des Schadensersatzanspruches die einer positiven Vertragsverletzung (pVV). Die Unterscheidung hat Bedeutung für den Umfang des zu ersetzenden Schadens i. S. positiven (pVV) oder negativen Interesses (cic.). Zum cic-Schaden gehört es, so gestellt zu werden, wie man stünde, wenn die Pflichtverlet- 113 zung nicht stattgefunden hätte. In erster Linie geht es deshalb bei fehlerhafter Verbraucherinformation um Fälle, in denen der VN bei hinreichender Kenntnis den Vertrag gar nicht oder nicht mit diesem Deckungsumfang abgeschlossen hätte. Darin liegt ein Vermögensschaden.235 Der Ersatzanspruch geht dann auf (völlige oder teilweise) Vertragsaufhebung, die bei Verschulden i. S. § 280 Abs. 1 BGB unabhängig vom Widerrufsrecht und nach Ablauf der Widerrufsfrist i. S. § 8 verlangt werden kann.236 Schwierigkeiten kann dabei der vom VN zu erbringende Nachweis bereiten, für ihn sei der tatsächlich abgeschlossene Vertrag ungeeignet. Str. ist hierzu, ob dem VN mit einer Kausalitätsvermutung bei (abstrakter) Entscheidungserheblichkeit der unzureichenden Information geholfen wird,237 oder lediglich eine konkrete Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens eingreift.238 Für die erstgenannte Ansicht wird angeführt, dass die Rspr. bei Beratungsfehlern i. S. des heutigen § 61 VVG eine Vermutung dahingehend anerkennt, dass der VN sich bei ordnungsmäßiger Information ausreichend versichert hätte.239 Aber auch diese an das Recht der Aufklärungs- und Beratungspflichten angelehnte Vermutung geht nach neuerer Rspr. nicht so weit, dass der Nachweis eines in Aussicht genommenen günstigeren Vertrags gänzlich entfallen könnte.240 Deshalb wird für die Übertragung auf die Schadenskausalität fehlerhafter Verbraucherinformation eine typisierende Beweiserleichterung vorgeschlagen. So soll die Kausalitätsvermutung etwa bei Fehlern von Identitätsangaben des VR nicht anzuwenden sein, wohl aber dann Anwendung finden, wenn unpassende Risiken abgedeckt werden oder wesentliche Merkmale der Versicherungsleistung im Unklaren bleiben.241 Von den genannten Ansprüchen zu unterscheiden sind solche wegen Verletzung von Bera- 114 tungspflichten gem. § 6. Die Rechtslage ist insoweit z. T. immer noch recht neu und kann hier nicht näher behandelt werden.242 Konkurrenzprobleme zu Ansprüchen aus Verletzung von § 7 i. V. VVG-InfoV können sich ergeben, soweit derselbe Schaden sowohl durch Beratungsfehler als auch durch Informationspflichtverletzungen bedingt ist: Anspruchskonkurrenz. Die Beweislage des VN ist günstig, da bei nachgewiesener Pflichtwidrigkeit und Kausalität ein Verschulden des VU widerleglich vermutet wird (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Für eine verschuldensunabhängige Prospekthaftung, die schon nach altem Recht von der wohl überwiegenden Leh-

234 Vgl. nur BGH v. 28.6.2017 – IV ZR 440/14, BGH RuS 2017 409 Rn. 34 ff. (zumindest Anspruch auf Vertragsaufhebung unabh. v. Widerrufsrecht); Begr.RegE, S. 60; Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 40; a. A. Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 119; zum älteren Recht vgl. schon OLG Düsseldorf 5.12.2000 VersR 2001 837, 838; Römer VersR 1998 1313, 1318 f.; Beckmann ZEuP 1999 809, 818. 235 Prölss/Martin/Rudy, § 7 Rn. 40 m. w. N. 236 BGH a. a. O., vorvorige Fn. 237 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, § 7 Rn. 61. 238 Vgl. Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 40 m. w. N. 239 BGH VersR 1989, 472, 473; Prölss/Martin/Rudy, § 6 Rn. 67. 240 Vgl. nur BGH 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168 35=NJW 2006 3139, 3141. 241 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Eber § 7 Rn. 61. 242 Näher s. Bruck/Möller/Schwintowski § 6 Rn. 6 ff. 723

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re abgelehnt wurde,243 gibt es allerdings auch nach dem seit 2008 geltenden Recht keine Anhaltspunkte.244 115 Ebenso wie § 10a VAG i. V. mit Anlage Teil D I ist auch § 7 i. V. VVG-InfoV nicht als Schutzgesetz i. S. § 823 Abs. 2 BGB anerkannt.245 Dem steht zwar entgegen, dass die Vorschriften jetzt nicht mehr öffentlich-rechtlicher Natur sind.246 Sie zielen mithin auch und v. a. auf den Schutz Einzelner ab, so dass damit eine wesentliche Voraussetzung für die Schutzgesetzeigenschaft247 erfüllt ist. Aber der Kreis der geschützten Personen geht nicht über den der VN hinaus. Deren Ansprüche aus § 280 BGB stehen wegen der hier nicht gegebenen Exkulpationsmöglichkeit aus § 831 BGB in der Praxis im Vordergrund. In der Lit. ist die Überlegung angestellt worden, es auch nach neuem Recht beim kosten116 günstigen Policenmodell zu belassen, weil die Rechtsfolgen nicht wesentlich anders als zum alten Recht seien.248 Dagegen hat man zunächst richtig eingewendet, dass es sich insofern um einen Rechtsmissbrauch i. S. § 294 Abs. 2 S. 1 VAG handelt, und dass schon deshalb eine Umstellung auf das neue Recht geboten sei.249 Aber auch in privatrechtlicher Hinsicht könnte man eine solche Empfehlung gleich aus mehreren Gründen nicht aufrechterhalten: der VN kann zwar nach hier vertretener Ansicht nicht auf Kosten des VU spekulieren, doch liegt insoweit noch keine gesicherte Rspr. vor. Es bleibt also das Risiko, dass die Gerichte anders entscheiden, und das VU Deckung ohne Prämienzahlung gewähren muss. Hinzu kommt auch unabhängig hiervon, dass verzögerte Prämienzahlungen keinen Verzugszinsanspruch auslösen, der nach § 288 i. V. § 286 Abs. 3 BGB bereits auch ohne Mahnung 30 Tage nach Fälligkeit250 entstehen würde.

III. Nichtigkeitsfolgen und ergänzende Vertragsauslegung 117 Klauselnichtigkeit tritt bei Verletzungen des § 7 nicht generell, sondern nur dann ein, wenn besonders festzustellen ist, dass die betr. Klausel ohne die Verbraucherinformation überraschend bzw. intransparent i. S. §§ 305c Abs. 2 Nr. 2, 307 Abs. 1, S. 2 BGB ist. Ebenso wie KlauselIntransparenz behoben werden kann, wenn die Verbraucherinformation zum besseren Verständnis hinreichend beiträgt,251 so kann es auch sein, dass fehlende oder unzureichende Verbraucherinformation zur Überraschung bzw. Intransparenz führt.252 In solchen Fällen kommt zur Rechtsfolge des Widerrufsrechts auch noch die Nichtigkeit i. S. § 306 Abs. 1 BGB hinzu, so dass wegen der dort angeordneten Teilnichtigkeit der betr. Einzelklausel die sog. ergänzende Vertragsauslegung mit bes. Berücksichtigung des hypothetischen Parteiwillens geboten ist. Haben die Parteien z. B. eine Preisanpassung als solch gewollt, so kommt die Entwicklung der Marktpreise für andere Käufe derselben Art in Betracht.253 243 Prölss/Präve § 10a Rn. 87; a. A. Biagosch/Scherer VW 1995 370, 374 f.; Ressos Prospekthaftung von Lebensversicherungsunternehmen (2004) 104 ff. Ebenso Präve VersR 2008 151, 152. Abl. Präve VersR 2008 151, 152. Zur Ablehnung der Schutzgesetzeigenschaft aus diesem Grunde s. Prölss/Präve § 10a Rn. 90. Vgl. BGH 18.11.2003 NJW 2004 356 und BGH 16.3.2004 NJW 2001 1949; Palandt/Sprau § 823 Rn. 57. Vgl. – wohl mehr hypothetisch – Schimikowski RuS 2006 441, 443. Zu § 81 VAG a. F. siehe Meixner/ Steinbeck § 1 Rn. 75. Zur Fälligkeit bedarf es allerdings wiederum entweder des Rückgriffs auf die Rumpfvertragslehre i. S. von Hofmann (vgl. Anm. zu LG Essen 26.2.1997 VersR 1997 1257) oder auf die Lehre von der schwebenden Wirksamkeit (vgl. Herrmann ZEuP 1999 663, 679 f.). 251 Vgl. BGH 4.10.1995 – XI ZR 215/94, BGHZ 131 55 zu II.4; Lindacher NJW 1997 2741. 252 Vgl. nur Römer VersR 2007, 618 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 7 VVG-InfoV Rn. 52, allerdings mit europarechtlichen Zweifeln. 253 Vgl. – grdl. – BGH 1.2.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90 69 „Daimler II“; dazu – verallgemeinernd – Herrmann WM 1987 1029, 1033; ders. DZWiR 1994 45, 48 f., 55; ders. DZWiR 1994 95, 99 f.; z. T. krit. Baur Vertragliche Anpassungsregeln (1983) S. 98 ff.; wie vor aber BGH 15.2.2019 – V ZR 77/18, BGH NJW 2019 2602.

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Auch für AVB hat der BGH die erg. Vertragsauslegung – trotz anfänglicher Zweifel– 118 schlussendlich doch anerkannt.254 Dort ging es um Klauselnichtigkeit zur Berechnungsmethode des Rückkaufswertes. Der BGH hat zu Recht nicht auf subsidiäre Geltung des Gesetzesrechts von § 169 Abs. 3 VVG abgestellt, jedoch zugelassen, dass die Anpassung, wie in BGHZ 164 297, 318, 322 f., einen Mindestbetrag der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals nicht unterschreitet. Die Lehre hat dem teils zugestimmt,255 teils aber auch eine stärkere Anlehnung an § 169 Abs. 3 VVG n. F. befürwortet.256 Einig ist man sich immerhin dahingehend, dass der zu berücksichtigende Parteiwille einerseits nicht gänzlich ohne Berücksichtigung des Gesetzesrechts beurteilt werden muss, andererseits aber Marktaspekte zu berücksichtigen hat, sofern diese hinreichende Markttransparenz aufweisen. Legt man die Hälfte des eingezahlten Deckungskapitals zugrunde, so ist das sicherlich eine hinreichend transparente Lösung, die – zumindest nach den richtungsweisenden Entscheidungen von 2005 – eine gewisse Anerkennung durch Vorschlag der VVG-Reformkommission gefunden haben,257 so mag darin auch eine Orientierung am hypothetischen Parteiwillen liegen. Eine Verbreitung im Markt ist damit aber nicht explizit berücksichtigt, sondern allenfalls die Anlehnung an eine Kommissionsempfehlung, die von anerkannter Sachkunde und pluralistischer Entscheidungsorganisation geprägt war.258 Die zutreffende Einschätzung der marktlichen Willenshypothese dürfte damit noch nicht abschließend geklärt sein. Ein eigener Lösungsansatz kann auch in einem Großkommentar nicht ausgearbeitet wer- 119 den. Immerhin lässt sich aber sagen, dass die ältere und die neuere Rspr. zur ergänzenden Vertragsauslegung von fehlerhaften Zillmerungsklauseln keine reine Marktorientierung mehr billigt. Vielmehr muss eine Art hoheitlicher Legitimation hinzukommen, die entweder am Gesetz (§ 169 Abs. 3) oder an der Empfehlung einer Kommission mit öffentlicher Aufgabenstellung und mit pluralistischer Zusammensetzung (Reformkommission) ausgerichtet ist. Zur Gesetzesorientierung muss man zudem bedenken, dass § 169 Abs. 3 VVG n. F. im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, den der BGH in der o. a. Entscheidung von 2013 zu beurteilen hatte noch gar nicht geltendes Recht war, sondern „nur“ als Expertenmeinung in der Wissenschaft erörtert wurde. In Wahrheit liegt also auch bei der von Wandt vorgeschlagenen Vertragsanpassung (Langheid/ Wandt § 164 Rn. 55) keine ergänzende Auslegung anhand einer dispositiv geltenden Gesetzesnorm vor, sondern der Anschluss an eine damals diskutierte Literaturansicht, die später im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zur Durchsetzung kam. Dabei handelte es sich auch nicht um eine bloße Einzelmeinung, sondern um eine Meinungsrichtung, die in der Lit. prominent veröffentlicht war.259 In neuerer Zeit dürfte sich die Vertragspraxis allerdings eher auf die Rückkaufswert-Unter- 120 grenze des § 169 Abs. 3 VVG (plus Zuschlag von 2-4 %) als auf die 50 %-Regel eingerichtet haben (Werbebeispiel folgt). Hinzu kommt, dass der Eingriff des § 169 Abs. 3 im Regelfall weniger weitgehend in die wettbewerbliche Handlungsfreiheit eingreift als die Hälftigkeits-Untergrenze. Dennoch ist unverkennbar, dass der Markt für LV-Policen mit Zillmerungsklauseln nicht zum Erliegen kommt, obgleich es sich inzwischen weitgehend um Verträge handeln dürfte, die § 169 VVG entsprechen. Die Werbung geht derzeit dahin, dass der Verkauf 2-4 % mehr bringt als die

254 BGH 11.9.2013 – IV ZR 17/13, BGH NJW 2013, 3240; dafür auch schon BVerfG 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96 BVerfG NJW 2006 1783. 255 Vgl. Armbrüster, Anm. zu BGH NJW 2013, 3240, ebd. 3243. 256 Langheid/Wandt § 164 Rn. 55 m. w. N. 257 Dazu Armbrüster a. a. O. vorvorige Fn. 3243. 258 Vgl Armbrüster a. a. O. 259 Insbes. Berliner Kommentar/Schwintowski § 176 Rn. 21 mit Bezug auf § 9 Abs. 4 des 5. VermBG; vgl. auch den Meinungsstand zu § 176 VVG a. F. bei Looschelders/Pohlmann/Krause § 169 Rn. 7) und immerhin die höchstrichterliche Rspr. ab 2005 überzeugt hat (vgl. – grdl. – BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGH NJW 2005 3559; BGH 26.9.2007 – IV ZR 20/04, BGH NJW-RR 2008 188. 725

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Kündigung.260 Hier ist nicht der Ort, diese Angaben und die Marktverbreitung genauer zu überprüfen. Doch wäre eine Berücksichtigung von Marktdaten für die Vertragsanpassung lückenhafter LV-AVBs durchaus möglich und auch als Ergänzung des o. a. Lösungsansatzes (Rn. 115 f.) angebracht. 121 Denkbar und mit den allgemeinen Regeln ergänzender Vertragsauslegung wohl bestens vereinbar wäre derzeit nach Allem die 169er Regel mit 3-%igem Zuschlag. Doch war nach älterer Rspr. auf die Marktverhältnisse im Zeitpunkt der Vertragsanpassung abzustellen. Insofern muss bei künftigen Anpassungsfällen auf die im Einzelfall maßgebenden Zeitpunkte und die zu dieser Zeit vorherrschenden Marktgegebenheiten Bezug genommen werden.

F. Geltungsausnahmen und Verzicht 122 Das VVG-Informationsrecht enthält nicht nur gesetzliche, sondern auch privatautonome Geltungsausnahmen, um den Schutzbedürfnissen und den Erfordernissen der Praxis auch in dieser Hinsicht gerecht zu werden. Die Sorge um Entwertung des Informationsrechts durch zu weitläufig gefasste Ausnahmetatbestände und Ausweichmöglichkeiten ist in der Literatur sehr verbreitet261 und im Kern auch berechtigt. Doch dürfen dabei die Anforderungen an die Flexibilität unter Markt- und Wettbewerbsbedingungen nicht vernachlässigt werden.

I. Großrisiken, Telefon- und Internetverträge 123 In § 7 Abs. 5 werden Großrisiken insoweit von der Geltung der Vorschriften zur Verbraucherinformation ausgenommen, als der VN keine natürliche Person ist. Zur Definition von Großrisiken wird auf § 10 Abs. 1 S. 2 EGVVG Bezug genommen, so dass auch hier auf die Kommentierung zu dieser Vorschrift verwiesen werden kann. Bei VN als natürlichen Personen, die Großrisiken versichern, muss das anwendbare Recht und die zuständige Aufsichtsbehörde mitgeteilt werden. Gegensatz ist aber nicht nur die juristische Person, sondern auch Personenhandelsgesellschaften wie die oHG und KG sind wegen § 124 Abs. 1 HGB nicht den natürlichen Personen zuzurechnen. Entsprechendes wird man seit der Anerkennung der quasi-juristischen Persönlichkeit für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts262 auch für diese anzuerkennen haben. 124 Bei Telefon- und Internetverträgen, die auf Verlangen des VN so zustande kommen sollen, kann es sein, dass die Mitteilung der Verbraucherinformation in Textform vor Abschluss des Vertrages nicht möglich ist. Dann muss sie aber nach Vertragsschluss gem. § 7 Abs. 1 S. 3 „unverzüglich“ nachgeholt werden, damit der VN sie für die etwaige Ausübung seines Widerrufsrechts gem. § 8 Abs. 1 heranziehen kann. Die Ausnahme von der vorvertraglichen Informationspflicht geht aber nicht so weit, dass die Widerrufsfrist sogleich zu laufen beginnt, sondern dafür bedarf es des Zugangs der nachgeholten Verbraucherinformation. Dennoch ist die unverzügliche Nachholung der geschuldeten Informationen praktisch wichtig, damit die Schwebelage der Vertragsbindung nicht länger als nötig anhält. 125 Weiteres ist in § 5 VVG-InfoV auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 Nr. 4 geregelt. Bei telefonischer Kontaktaufnahme muss der VR seine Identität und den geschäftlichen Zweck des Kontakts sogleich zu Beginn „ausdrücklich offen legen“ (§ 5 Abs. 1 VVG-InfoV). Die Identitätskennzeich260 Vgl. nur https://www.policendirekt.de/lebensversicherung-verkaufen/?refid=bing-pd-ankauf-lv&refdet=pd18msclkid=d5e694c615d.; download 23.3.2020). 261 Vgl. nur – unter Hinweis auf mögliche Verletzung des EU-Rechts – Dörner/Staudinger WM 2006, 1710, 1712; Schimikowski RuS 2007 133, 136 f.; a. A. Brömmelmeyer VersR 2009 584, 587 f. 262 Vgl. – grdl. – BGH 29.1.2001 BGHZ 146 341 = ZIP 2001 330; BGH 23.10.2001 – XI ZR 63/01, ZIP 2001 2224; näher Westermann NZG 2001 289; Herrmann/Roth Gesellschaft- und Konzernrecht für Wirtschaftsjuristen (2008) Kap. 2 II. 3. Herrmann

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F. Geltungsausnahmen und Verzicht

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nung muss sogar so weit gehen, wie in § 2 Abs. 2 Nr. 1 VVG-InfoV, und insbesondere auch die Publizitätspflicht mit Angabe der Handelsregisterdaten (Rn. 10 f.) umfassen. Dass die betroffenen Daten ohne schriftliche Notiz nicht im Gedächtnis bleiben, schadet nicht. Es genügt, dass der VN über die Identität des Partners im Geschäftsverkehr Klarheit gewinnt.263 Auch auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 f., 6b, 7 bis 10, 12, 14 VVG-InfoV ist verwiesen, wobei es ebenfalls die mündliche Form mit sich bringt, dass der VN den Kern der Information begreife, anstatt veranlasst zu werden, alle Einzelheiten zu notieren. Zusätzlich muss ein Hinweis auf die „Art“ der übrigen Informationen erfolgen, was als 126 zusammenfassende Kennzeichnung nicht leicht fallen dürfte. So unterschiedliche Dinge wie die Mitteilung der zuständigen Aufsichtsbehörde (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 VVG-InfoV), Angaben über einen Garantiefonds (Nr. 5) und Hinweis über das Widerrufsrecht (Nr. 13), aber auch alle nach §§ 2 f. VVG-InfoV geschuldeten Informationsinhalte müssen der Art nach gekennzeichnet werden. Man wird deshalb nicht mehr als recht abstrakte Ausführungen verlangen können, wie: „Genaueres über besondere Risikoumstände und die behördliche Aufsicht…“. Der bloße Begriff „Näheres“ reicht aber nicht aus, weil der VN in die Lage versetzt werden soll, auf möglichst informierter Grundlage einen Verzicht auf weitere telefonische Informationen zu diesem Zeitpunkt auszusprechen.

II. Verzicht: Form, Inhalt und Grenzen Ein Verzicht i. S. § 7 Abs. 1 S. 3 VVG soll stets vom VN „ausdrücklich“ erklärt werden müssen 127 (§ 5 Abs. 2 S. 2 letzter Halbs. VVG-InfoV). Schweigen oder konkludentes Einverständnis genügen also auf keinen Fall. Darüber hinaus besteht aber schon im Ansatz einiger Meinungsstreit, ob die Verzichtsregeln wegen Verletzung des Art. 12 Abs. 1 FernabsRichtl.264 bzw. Art. 36 Abs. 1der LV-Richtl. 2002265 europarechtswidrig sind.266 Art. 12 Abs. 1 FernabsRichtl. besagt ausdrücklich, dass kein Verzicht auf Rechte möglich ist, die dem Verbraucher „aufgrund der Umsetzung dieser Richtl… zustehen“. Darin liegt zwar explizit ein gewisses Verzichtsverbot, doch werden dem nationalen Gesetzgeber keine Beschränkungen des Gestaltungsspielraums für bloße Modifikationen der Verbraucherinformation auferlegt. Die LV-Richtl. 2002 enthält zwar nicht einmal eine solche Regelung, wird aber in der Literatur z. T. wegen Schweigens über Verzichtsmöglichkeiten als Verzichtssperre interpretiert.267 Vorzugswürdig erscheint die Ansicht des RegE, die ein europäisches Verzichtverbot für das 128 Umsetzungsrecht nicht annimmt268 oder nur für den AGB-Verzicht bejaht.269 Als eine Art mittlerer Lösung wird hier besonders darauf abstellt, dass § 7 Abs. 1 S. 3 VVG den Verzicht nur bei „Verlangen“ des VN nach einem telefonisch verbindlichem Vertragsabschluss eingreift. Denn Verlangen ist schon nach allgemeinem Sprachempfinden gesteigertes Wollen. Ein solcher Fall scheint vom Verzichtsverbot des Art. 12 Abs. 1 FernabsRichtl. nicht erfasst, zumal der Wortlaut auf die nationale Umsetzung abstellt und die deutschen Bestimmungen zur Verbraucherinformation beim Fernabsatz im FAG a.F und §§ 312b–i270 eine verzichtsfreie Verbraucherinformation gar nicht erst vorsehen. § 312d Abs. 1 S. 2 BGB erlaubt zwar dispositive Vertragsabreden, stellt diese aber ebenfalls unter den Vorbehalt ausdrücklicher Vereinbarung bzw. unter AGB-Kontrol263 264 265 266

Begründung zur VVG-InfoV zu § 5 VersR 2008 186, 191. Richtl. 97/7/EG v. 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabs, ABl. Nr. L 144. Richtl. 2002/83/EG v. 5.11.2002. So Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1712; Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 83 m. w. N.; rechtspolit. Kritik schon bei Römer VuR 2007 94; Schimikowski RuS 2007 133. 267 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 7 Rn. 42. 268 Geradezu verneinend Brömmelmeyer VersR 2009 584, 587 f. 269 So Begr. RegE, Drs. BT 16/3945, S. 60; Leverenz Vertragsschluss nach der VVG-Reform (2008) Rn. 3/78. 270 FernabsG v. 27.2.2000, BGBl. I 897; außer Kraft seit 1.1.2002 Schuldrechtsreform, §§ 312b–i BGB. 727

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Information des Versicherungsnehmers

le.271 § 7 VVG gehört zum Umsetzungsrecht der FernabsRichtl. und lässt den Verzicht aber unter der besonderen Voraussetzung zu, dass ein Verlangen des VN nach Telefonkommunikation feststellbar ist. Hauptsächlich dürfte gemeint gemeint sein, dass der VN seinen Wunsch mit gesteigerter Intensität vorgetragen haben muss. Jedenfalls darf nicht primär auf Initiative des VR beruhen, das Mittel der Fernkommunikation zur Vertragsanbahnung bis zum Schluss vorzusehen. Ist der Internet-Auftritt des VR etwa von vornherein so eingerichtet, dass der Kunde seine Vertragserklärung via e-mail abgeben kann, so kann nicht mehr von einem Verlangen des VN sowie davon gesprochen werden, dass der VN sich mit einem solchen Verlangen beim VR durchgesetzt habe.272 Soweit sich die Befürworter der Verzichtsmöglichkeit auf den Grundsatz der Privatautonomie berufen, ist dem zwar entgegen gehalten worden, dass die geschützte Entscheidungsfreiheit leerlaufen würde, wenn sie ohne Verbraucherinformation ausgeübt werden müsste.273 Dennoch ist einzuräumen, dass es eine gewissen „Entmündigung“ bedeuten würde, wenn man das Informationsrecht des VN für zwingend hält.274 Aber solche Erwägungen kommen primär für die AVB-Kontrolle gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Betracht. Darauf wird zurückzukommen sein (Rn. 93). Im Übrigen könnte man ein europarechtliches Verzichtsverbot allenfalls darauf zu stützen haben, dass dem EU-Richtlinienrecht zur Verbraucherinformation vor Vertragsschluss eine Minimalwirkung zukommt, deren untere Schutzgrenze bei Verzichtsmöglichkeit unterlaufen würde.275 Dafür soll v. a. die LV-Richtl. 2002 in Betracht kommen.276 Doch dürfte bei der hier vorgeschlagenen strengen Auslegung des Verbraucherverlangens keine derartige Absenkung des Verbraucherschutzes gegeben sein. Denn jedenfalls droht kein Leerlauf der Richtlinienbestimmungen, da für den Regelfall immer noch davon auszugehen ist, dass der VR die Modalitäten der Vertragsanbahnung organisiert. Man wird für die hier befürwortete europarechtskonforme Auslegung des § 7 Abs. 1 S. 3 lediglich anzunehmen haben, dass der Verzicht ausgeschlossen ist, wenn der VR den Abschlusskontakt ersichtlich auf eine Verzichtserklärung des VN als Regelfall durchorganisiert hat. Für einen zulässigen Verzicht auf Verbraucherinformation bedarf es nach § 7 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 einer gesonderten schriftlichen Erklärung. Der Schriftform i. S. § 126 Abs. 1 BGB wird nicht durch Fax oder E-Mail genügt, weil die eigenhändige Namensunterschrift nicht oder nicht auf der Urkunde vorgenommen ist, die der VR in Händen hält. Ein Fax enthält nach der Rspr. nur das Abbild einer eigenhändigen Unterschrift, nicht die Unterschrift selbst.277 Auch die Textform i. S. § 126b BGB genügt nicht, während die elektronische Form i. S. § 126a die Schriftform ersetzen kann. Strittig ist, ob der Verzicht auch in einem Formular formuliert sein darf, das der VR den Unterlagen beifügt und der VN unterschreibt.278 Die Gegner sehen den Formularverzicht zutreffend als AGB i. S. § 305 Abs. 1 BGB an und gehen davon aus, dass die Inhaltskontrolle wegen unbillig benachteiligender Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht i. S. § 307 Abs. 2 Nr. 1 271 Näher Kramme NJW 2015 279. 272 Z. T. ähnlich Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 18 f. mit Hinweis auf die meist fehlende Ernstlichkeit, die Verzichtsklausel zur Disposition des VN zu stellen; zur Leitbildfunktion dispositiven Gesetzesrechts i. S. § 307 Abs. 2 Nr. 1 vgl. nur BGH 23.11.2018 – V ZR 33/18 BGH NJW-RR 2019 755. 273 Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1712; zust. Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 83 m. w. N. 274 So das Argument b. Beckmann/Matusche-Beckmann/Schwintowski § 18 Rn. 41; dagegen s. nochmals Dörner/ Staudinger WM 2006 1710, 1712. 275 Zur Unterscheidung von Minimal- und Maximaleffekten von EU-Richtl. vgl. Einf. B Rn. 51 ff. 276 Vgl. nochmals Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 7 Rn. 42. 277 Vgl. BGH 28.1.1993 – IX ZR 259/91 BGHZ 121 224; BGH 30.7.1997 – VIII ZR 244/96 NJW 1997 3169; BGH 17.12.1998 – III R 87/96 NJW 1999 1422; Palandt/Ellenberger § 126 Rn. 11. 278 Dagegen Schimikowski RuS 2007 133, 137, der sogar ein Einschreiten der BAFin. für möglich hält, ders. RuS 2006 441, 443; dafür Gaul VersR 2007 21, 23; mit Einschränkungen auch Franz VersR 2008 298, 301; differenzierend Langheid NJW 2006 3317, 3318; Römer VersR 2006 740, 742. Herrmann

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G. Verfahrensfragen, insbes. Beweislastverteilung

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BGB eingreife. Z. T. wird auch für den Formularverzicht mangelnde EU-Festigkeit gerügt und, wie im Gesetz bisher nur für einen Sonderfall vorgesehen, eine gesonderte schriftliche Erklärung verlangt.279 Von den Befürwortern des Formularverzichts wird darauf hingewiesen, dass das Gesetz die Verzichtsmöglichkeit eigens vorsieht (Abs. 1 S. 3 Halbs. 2), diese aber bei Anwendung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB in der Praxis undurchführbar werde.280 Der erstgenannte Gesichtspunkt dieser Meinungsgruppe verdient besondere Vertiefung. Trotz der ausdrücklichen Regelung des Verzichts durch § 7 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 und § 5 Abs. 2 S. 3 VVG-InfoV liegt eine Abweichung vom dispositiven Gesetzrecht mit Leitbildfunktion281 vor; denn man hat praktisch durchaus damit zu rechnen, dass der VR oder der Vermittler darauf hinwirken, den Verzicht zum Regelfall werden zu lassen,282 obgleich diese Gestaltung vom Gesetz eigentlich nur für Ausnahmefälle vorgesehen ist, in denen der VN sich in seiner Entscheidung besonders sicher fühlt und deshalb die Komplikationen der Information vor Vertragsschluss nicht wünscht. Die Formerfordernisse gelten nicht für den Verzicht i. S. § 5 Abs. 2 S. 3 VVG-InfoV, da die 133 Regelung zum Schriftformzwang nach § 7 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 durch die Spezialregelung zu Telefonaten verdrängt ist. Es wäre zudem widersinnig, wenn die VVG-InfoV zunächst die Telefonkommunikation besonders erleichtert, sie dann aber wieder durch einen Schriftformzwang im untergeordneten Teil des Verzichts auf Sonderinformationen unmöglich machen würde. Gleichwohl muss die vollständige Verbraucherinformation in Textform nachgeholt werden 134 (§ 7 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2). Auch die bereits telefonisch übermittelten Daten zur Identität des VU etc. müssen noch einmal wiederholt werden, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass die telefonischen Angaben durch Notizen des VN festgehalten worden sind. Der VR hat die einschlägigen Unterlagen unmittelbar nach telefon. Abschluss von sich aus zusammenzustellen und zu übermitteln.283

G. Verfahrensfragen, insbes. Beweislastverteilung Zu den für § 7 insgesamt erheblichen Verfahrensfragen gehört die Beweislastverteilung. Grund- 135 sätzlich obliegt es dem VN, eine obj. Pflichtverletzung des VR zur vorvertraglichen Verbraucherinformation darzulegen und die dafür erheblichen Tatsachen nachzuweisen. Das gilt etwa für die Fälle, in denen der VN auf Schadensersatz klagt, weil eine vorvertragliche Informationspflichtverletzung gem. § 311 BGB vorliege. Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind vom Kläger vorzutragen und zu beweisen.284 Soweit es um den Beginn der Widerrufsfrist gem. § 8 Abs. 1 S. 3 geht, trägt der VR die Beweislast (§ 8 Abs. 2). Besonders geregelt sind zudem die Beweisfragen in den Fällen, in denen von der Verbrau- 136 cherinformation vor Abgabe der Vertragserklärung des VN abgesehen werden kann. Zwei Grundfälle sind zu unterscheiden: Telefonverträge (Abs. 1 S. 3 erster Halbs.) und Verzicht (zweiter Halbs.). Oben (Rn. 100 ff.) wurde bereits darauf hingewiesen, dass die wesentliche Rechtsfolge bei Verletzung der Informationspflichten des § 7 darin besteht, dass die Widerrufsfrist i. S. § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 nicht zu laufen beginnt. Nach Satz 3 obliegt der Nachweis des Zugangs der Unterlagen dem VR.

279 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 7 Rn. 4. 280 Gaul VersR 2007 21, 23. 281 Zur Leitbildfunktion dispositiven Gesetzesrechts i. S. § 307 Abs. 2 Nr. 1 vgl. nur BGH v. 23.11.2018 – V ZR 33/18, BGH NJW-RR 2019 755; z. T. wie hier Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 18 f. mit Hinweis auf die meist fehlende Ernstlichkeit, die Verzichtsklausel zur Disposition des VN zu stellen. 282 So auch Franz VersR 2008 298, 301. 283 Vgl. Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 1. 284 Vgl. Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 42. 729

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Information des Versicherungsnehmers

Zugang bedeutet, dass die Unterlagen dergestalt in die Einflusssphäre des Empfängers gelangen, dass dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme erlangt.285 Auch hierüber hat der Gesetzgeber die Beweislast mit § 8 Abs. 2 S. 3 dem VR auferlegen wollen,286 obgleich es sich insoweit großenteils um Umstände handelt, die in der Sphäre287 des VN liegen. Das gilt zwar nicht für den Nachweis rechtzeitiger Absendung, wohl aber für das Eintreffen beim Empfänger. Lediglich ein Anscheinsbeweis bei rechtzeitiger Absendung und Normalverlauf der Postzustellung könnte helfen, die Beweisnot des VR zu überwinden. Doch lehnt die Rspr. den Beweisanschein selbst bei Standard-Einschreiben nach wie vor ab.288 Es bleibt also – will man sicher gehen – nur die Versendung der Verbraucherinformation per kostspieligen Einschreibens mit Rückschein. 138 Brauchen die Unterlagen wegen Telefonvertrages oder wegen Verzichts nicht vor der Vertragserklärung des VN vorgelegt zu werden, so muss der hierüber zu führende Beweis ebenfalls vom VR geführt werden; und es kommt noch hinzu, dass auch der Beweis über die für diese Fälle angeordneten nachgeschobenen Informationen gem. § 7 Abs. 1 S. 2 und S. 3 ebenfalls vom VR zu erbringen ist. Kommt es wegen der hierzu erforderten Unverzüglichkeit wiederum auf Zugangsfragen an, so müssen auch insoweit Anscheinserleichterungen gelten. 137

285 Vgl. nur BGH 21.1.2004 – XII ZR 214/00 NJW 2004 1320; Palandt/Ellenberger § 130 Rn. 5. 286 Vgl. Leverenz 64 f. Rn. 3.57 f. 287 Zur beweisrechtlichen Sphärentheorie vgl. nur BGH 17.3.1981 – VI ZR 191/79 BGHZ 80 186, 199 = NJW 1981 1603 „Apfelschorf“; zur Verkennung dieser Zusammenhänge durch die VVG-Reformkommission s. Herrmann/Wambach/ Hermann Reform des Versicherungsvertragsrechts (2003) 101, 122. 288 Vgl. nur BGH 24.4.1996 – VIII ZR 150/95 NJW 1996 2033, 2035; a. A. Palandt/Ellenberger § 130 Rn. 21. Herrmann

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Anhang § 7 VVG-InfoV Schrifttum Akerlof The Market for Lemons, Quarterly Journal of Economics, 84 (1970) 488 ff.; Ackermann Th. Das Informationsmodell im Recht der Dienstleistungen, ZEuP 2009 230 ff.; Bürkle Die Bedeutung der Information für Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch Verbraucherinteressen, EuZW 2006 685; EIOPA Consultation Paper on Technical Advice on the integration of sustainability risk and factors in the delegated acts under Solvency II and IDD. EIOPaBoS-18/483 vom 26.11.2018; Fleischer Corporate Social Responsibility, AG (2017) 509; Gruber/Baier Vergütungen nach der IDD, VersR 2018 1093; dies. Die Umsetzung der IDD im österreichischen Gewerberecht, VersR 2019 1457; Herrmann Die Gleichgewichtskontrolle in der EU-kartellrechtlichen Freistellung von Muster-AVB, in: Bielefeld/Marlov (Hrsg.), Ein Leben mit der Versicherungswirtschaft – Festschrift Schirmer (2005) 199; ders. Antitrust Law Compliance and Professional Governance, in: Ehlermann/Atanasiu (Hrsg.), European Competition Annual 2004, (2006) 101; ders. Risikomanagement in der Kreditversicherung, VersR 2015 275; ders./Eifler British Insurance Law (2020); Horsch Agency und Versicherungsintermediation, in: Horsch/Meinhövel/Paul, Institutionenökonomie und Betriebswirtschaftslehre (2005) 80, 82; ders./Rathmann Kredittransfer durch Kreditversicherung (2012); Kieninger InformationsAufklärungs- und Beweispflichten beim Abschluss von Versicherungsverträgen, AcP 199 (1999) 190; Kirsten/Fitzau Voraussetzungen des Erfordernisses der Hervorhebung bestimmter Verbraucherinformationen gem. § 1 Abs. 2 VVGInfoV, VersR 2019 1275; Marlow/Spuhl Das Neue VVG kompakt, 4. Aufl. (2010); Mattern Das Informationsmodell im VVG unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die AGB-Kontrolle (2011) (zit. Mattern Das Informationsmodell); Micklitz Regulierungsprivatrecht, GPR 2009 254, Prölss/Martin VVG, 30. Aufl. (2018); Rehberg Der staatliche Umgang mit Information, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 284; Reiff Rechtswidrige Umsetzung des „Informationsblattes zu Versicherungsprodukten“, VersR 2019 661; ders. Die Richtlinie 2016/97 über Versicherungsvertrieb, RuS 2016 593; Römer Zu den Informationspflichten nach dem neuen VVG, VersR 2007 618; ders. Zu den Informationpflichten nach dem neuen VVG, RuS 2007 140; ders., Aktuelle Fragen zum Abschluss des Versicherungsvertrages RuS 2012 577; Rückle Ökonomische Fehlsteuerung und ökonomische Fehlanreize bei intransparenten Versicherungsbedingungen in: Basedow (Hrsg.), Rechtsdurchsetzungsdefizite und aktuelle Probleme der Versicherungspraxis, VersWissSd 2006 35 ff; Rüffer/Halbach/Schimikowski (Hrsg.), Versicherungsvertragsgesetz, 4. Aufl. (2019); Schimikowski VVG-Reform: Die vorvertraglichen Informationspflichten des Versicherers und das Rechtzeitigkeitserfordernis, RuS 2007 133; Schneider Zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge: Information, Beratung und Belehrung im Versicherungsvertragsrecht, RuS 2015 477; Schön Zwingendes Recht oder informierte Entscheidung – Zu einer (neuen) Grundlage unserer Zivilrechtsordnung, in: Heldrich/ Prölss/Koller, Festschrift Canaris (2007) 1191 ff.; Schumacher Der Rückkaufswert in der Lebensversicherung (2012); Wilkens Aufklärung und Beratung des Versicherungskunden in Großbritannien, in: Wambach/Herrmann (Hrsg.), Solvency II und Vermittlerrichtlinie (2004) S. 111.

Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-Informationspflichtenverordnung – VVG-InfoV) vom 18. Dezember 2007 (BGBl. I 3004), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 6. März 2018 (BGBl. I 225) Die Verordnung dient der Umsetzung der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG (ABl. EG Nr. L 228 S. 1), der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. EG Nr. L 271 S. 16) sowie der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. EG Nr. L 345 S. 1).

Eingangsformel Auf Grund des § 7 Abs. 2 und 3 des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) verordnet das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und im Benehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:

Die in der Eingangsformel angegebene parlamentarische Rechtsgrundlage der VVG-InfoV ist 1 mit § 7 Abs. 2 und 3 VVG erschöpfend, so dass der in § 7 Abs. 2 S. 2 VVG vorgeschriebene Beacht731 https://doi.org/10.1515/9783110522600-016

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Anh § 7 VVG

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lichkeit europäischen Rechts lediglich Bedeutung für die Auslegung zukommt. Es dient deshalb dem Bestimmtheitserfordernis des Art. 80 Abs. 1 GG, dass § 7 Abs. 2 S. 1 VVG die in der VO zu konkretisierenden Pflichten vor Vertragsschluss auf detailliert auflistet. Abs. 3 tut das Gleiche für die nach Vertragsschluss angeordneten Pflichten und legt dafür zugleich fest, dass etwas abweichende Bestimmungen gelten, was die erforderliche Textform angeht. Die Hinweise des § 7 Abs. 2 S. 2 VVG auf zu beachtendes Gemeinschaftsrecht wurden in Nr. 1–5 und S. 3, 4 Nr. 1 f. durch weitere Hinweise auf das umzusetzende EU-Recht ergänzt, die seit der 2008er Novellierung des VVG hinzugekommen sind.1 Die bei Redaktionsschluss letzte Neufassung der InfoV wurde am 6.3.2018 veröffentlicht,2 so dass mit diesem Datum auch ihr Inkrafttreten angeordnet ist. Doch räumt § 7 VO noch eine Schonfrist für Produktinformationsblätter bis zum 31.12.2018 ein, wenn diese der Fassung des § 4 VO entsprechen, die bis zum 13.3.2018 galt. – Die Eingangsformel und die §§ 1, 5 VO sind seit der Erstverkündung der VO am 18.12.2007 unverändert geblieben. Neuerungen gelten aber zu § 2 ab 1.8.2014, zu § 3 ab 1.4.2015, zu § 4 ab 6.3.2018, zu § 6 ab 1.4.2015 und zu § 7 ab 6.3.2018 mit einer Schonfrist (s. Rn. 1). 2 Verordnungsspezifische Normzwecke sind nur insoweit zugelassen, als sie innerhalb des Bestimmtheitsrahmens des § 7 VVG bleiben und lediglich die Berücksichtigung dort genannten der EU-Richtlinien sicherstellen. Da das derzeit neuste Datum der EU-rechtlichen Änderungen mit 2016 erfasst ist und das VVG derzeit i. d. F. v. 30.11.20193 gilt, können für die Zweckbestimmung auch die neueren informationsrechtlichen Forschungen berücksichtigt werden. Hierzu sind v. a. zu nennen: – die Arbeiten zur Publizitätssteuerung durch öffentliches Kammerwesen und unternehmensethische Kommissionen (professional governance) auf Freiberufsmärkten4 sowie auf Märkten für ähnliche Vertrauensgüter;5 – die Forschungen zum Risikomanagement und zu den Transparenzgeboten der §§ 91 Abs. 2 AktG,6 307 Abs. 1 S. 2 BGB;7 – die Anreizregulierung durch Börsen-imaging von Bank- und Versicherungs-AGs;8 – verallgemeinernde Analysen zum Systemwettbewerb hoheitlicher Regulierungsstellen, die um die Ansiedelung bzw. den Verbleib von Unternehmen in ihrem Hoheitsgebiet konkurrieren,9 bis hin zu – (primär) geisteswissenschaftlich ansetzenden Konzepten informationeller Markt- und Wettbewerbssteuerung durch den sog. mentalen Kapitalismus (auch „Aufmerksamkeitsökonomie“).10

1 Zur Bedeutung von EU-Richtl. für das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 GG vgl. nur Jarass/Pieroth11 Art. 80 GG Rn. 12a.

2 BGBl. 2018 I 22. 3 BGBl. 2019 I 1942. 4 Vgl. – grdl. – Akerlof) 488 ff.; international vergleichende Folgerungen bei Ehlermann/Atanasiu/Herrmann S. 101; zur jüngsten Entwicklung einer professional governance auf Steuerberatungsmärkten bei der Großkanzlei Freshfields s. Jung, Freshfields gibt sich Ethikregeln, FAZ v. 20.5.2020, S. 19; zu verfassungs-völkerrechtlichen Zusammenhängen im sog. Neo-Korporatismus s. Teubner Verfassungsfragmente, Gesellschaftlicher Konstitutionalismus der Globalisierung (2012) S. 64 ff. 5 Vgl. nochmals Akerlof 488 ff.; Basedow/Rückle VersWissSd 2006 35 ff.; Luhmann Vertrauen,(1989). 6 I.d.F. des KonTraG v. 27.4.1998, BGBl. I 786; dazu – grdl. – Hommelhoff/Matheus AG 1998 249 ff. 7 Schön FS Canaris (2007) 1191 ff.; Mattern Das Informationsmodell S. 351 ff. 8 Vgl. nur Hommelhoff/Hopt/v. Werder Hdb. Corporate Governance (2003) 3, 12 ff.; zu Besonderheiten der Finanzwirtschaft Horsch/Meinhövel/Paul/Horsch 80, 82. 9 Vgl. nur Ehlermann/Atanasiu/van den Bergh Towards Efficient Self-Regulation in Markets for Professional Sevices, S. 155, 170 ff.; Ehlermann/Atanasiu/Herrmann Antitrust Law Compliance and Professional Governance, S. 101, 111 f.; krit. Kieninger Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt (2002) S. 99 ff. 10 Vgl. – grdl. – Franck Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes (2005); ders. Ökonomie der Aufmerksamkeit, 1998/2007; Davenport The Attention Economy (2001); Bernardy Aufmerksamkeit als Kapital (2014). Herrmann

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Schon die Vielzahl unterschiedlicher und außerrechtlich fundierter Forschungsansätze zeigt, dass in kurzen Zeitintervallen mit erheblich veränderten Erkenntnissen zu rechnen ist und diese laufend überprüft werden müssen, um kurzfristig regulatorisch reagieren zu können. Dafür ist weniger das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung des VVG geeignet, obgleich die jüngsten Neuregelungen der §§ 7a-d VVG immerhin einige Reformfähigkeit auch auf diesem Wege belegen; sondern es geht in erster Linie um die für die Verordnungstechnik wesentlichen Normelemente. Obgleich weder der Gesetzgeber zu § 7 VVG noch der Verordnungsgeber der VVG-InfoV nähere Angaben zu informationsökonomischen Forschungen gemacht hat,11 und auch der Literatur bislang noch wenig dazu zu entnehmen ist,12 liegt deren Berücksichtigung unter Aspekten der versicherungstypischen Vertrauensbildung nahe. Allgemein verbreitet ist dazu immerhin die Erkenntnis, dass der Versicherungsvertrag ein „Rechtsprodukt“ ist,13 das nicht gleichgesetzt werden darf mit den sog. Suchgütern, sondern als „Vertrauensgut“ mit besonderen Informationspflichten verbunden werden muss.14 Teils wir mehr auf den Schutz der Entscheidungsrationalität zum Wettbewerb mit Vertragsinhalten abgestellt,15 teils geht es aber auch schon um indirekte Selektionsmechanismen16 marktlicher image-Bildung der am Vertragsschluss beteiligten Rechtspersonen.17 Beides wird im Folgenden zu berücksichtigen sein. § 1 Informationspflichten bei allen Versicherungszweigen (1)

Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes folgende Informationen zur Verfügung zu stellen: 1. die Identität des Versicherers und der etwaigen Niederlassung, über die der Vertrag abgeschlossen werden soll; anzugeben ist auch das Handelsregister, bei dem der Rechtsträger eingetragen ist, und die zugehörige Registernummer; 2. die Identität eines Vertreters des Versicherers in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hat, wenn es einen solchen Vertreter gibt, oder die Identität einer anderen gewerblich tätigen Person als dem Anbieter, wenn der Versicherungsnehmer mit dieser geschäftlich zu tun hat, und die Eigenschaft, in der diese Person gegenüber dem Versicherungsnehmer tätig wird; 3. die ladungsfähige Anschrift des Versicherers und jede andere Anschrift, die für die Geschäftsbeziehung zwischen dem Versicherer, seinem Vertreter oder einer anderen gewerblich tätigen Person gemäß Nummer 2 und dem Versicherungsnehmer maßgeblich ist, bei juristischen Personen, Personenvereinigungen oder -gruppen auch den Namen eines Vertretungsberechtigten; 4. die Hauptgeschäftstätigkeit des Versicherers; 5. Angaben über das Bestehen eines Garantiefonds oder anderer Entschädigungsregelungen, die nicht unter die Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme (ABl. EG Nr. L 135 S. 5) und die Richtlinie 97/9/EG des Europäischen

11 Vgl. aber immerhin zur VVG-Reform 2008 BegrRegE, Drs. BT 16/3945, S. 48: „Eigenverantwortung“ des Verbrauchers; dazu Mattern Das Informationsmodell, S. 15 f. 12 Vgl. aber Kieninger AcP 199 (1999) 190 ff.; Fleischer Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001) 206 f.; Ihle Der Informationsschutz des Versicherungsnehmers (2006) S. 315 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schwintowki § 18 Rn. 50 ff., 93 ff., 124; Heiss ZVersWiss 2007 503, 515 ff.; Schön FS Canaris (2007) 1191 ff.; Eger/Schäfer/Rehberg Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 284 ff.; Mattern Das Informationsmodell, S. 63 ff. 13 Vgl. nur Dreher Die Versicherung als Rechtsprodukt (1991). 14 Basedow/Rückle VersWissSd 2006 35 ff. 15 Am ausführlichsten bisher wohl Mattern Das Informationsmodell im VVG unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die AGB-Kontrolle (2011) 325 ff., passim. 16 Vgl. schon Ackermann ZEuP 2009 230 ff. 17 Mattern Das Informationsmodell, S. 62 ff. Ausführl. jetzt Hopt/Binder/Böcking (Hrsg.), Hdb. Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020 (i.Ersch.), jeweils m. w. N.; zum imaging von Maklern und Agenten und den dazu geltenden „statusbezogenen Informationspflichten“ vgl. zudem Reiff VersR 2007 717; Schönleiter GewASrch 2007 265. 733

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Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger (ABl. EG Nr. L 84 S. 22) fallen; Name und Anschrift des Garantiefonds sind anzugeben; 6. a) die für das Versicherungsverhältnis geltenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen einschließlich der Tarifbestimmungen; b) die wesentlichen Merkmale der Versicherungsleistung, insbesondere Angaben über Art, Umfang und Fälligkeit der Leistung des Versicherers; 7. den Gesamtpreis der Versicherung einschließlich aller Steuern und sonstigen Preisbestandteile, wobei die Prämien einzeln auszuweisen sind, wenn das Versicherungsverhältnis mehrere selbständige Versicherungsverträge umfassen soll, oder, wenn ein genauer Preis nicht angegeben werden kann, Angaben zu den Grundlagen seiner Berechnung, die dem Versicherungsnehmer eine Überprüfung des Preises ermöglichen; 8. gegebenenfalls zusätzlich anfallende Kosten unter Angabe des insgesamt zu zahlenden Betrages sowie mögliche weitere Steuern, Gebühren oder Kosten, die nicht über den Versicherer abgeführt oder von ihm in Rechnung gestellt werden; anzugeben sind auch alle Kosten, die dem Versicherungsnehmer für die Benutzung von Fernkommunikationsmitteln entstehen, wenn solche zusätzlichen Kosten in Rechnung gestellt werden; 9. Einzelheiten hinsichtlich der Zahlung und der Erfüllung, insbesondere zur Zahlungsweise der Prämien; 10. die Befristung der Gültigkeitsdauer der zur Verfügung gestellten Informationen, beispielsweise die Gültigkeitsdauer befristeter Angebote, insbesondere hinsichtlich des Preises; 11. gegebenenfalls den Hinweis, dass sich die Finanzdienstleistung auf Finanzinstrumente bezieht, die wegen ihrer spezifischen Merkmale oder der durchzuführenden Vorgänge mit speziellen Risiken behaftet sind, oder deren Preis Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegt, auf die der Versicherer keinen Einfluss hat, und dass in der Vergangenheit erwirtschaftete Beträge kein Indikator für künftige Erträge sind; die jeweiligen Umstände und Risiken sind zu bezeichnen; 12. Angaben darüber, wie der Vertrag zustande kommt, insbesondere über den Beginn der Versicherung und des Versicherungsschutzes sowie die Dauer der Frist, während der der Antragsteller an den Antrag gebunden sein soll; 13. das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung, insbesondere Namen und Anschrift derjenigen Person, gegenüber der der Widerruf zu erklären ist, und die Rechtsfolgen des Widerrufs einschließlich Informationen über den Betrag, den der Versicherungsnehmer im Falle des Widerrufs gegebenenfalls zu zahlen hat; 14. Angaben zur Laufzeit und gegebenenfalls zur Mindestlaufzeit des Vertrages; 15. Angaben zur Beendigung des Vertrages, insbesondere zu den vertraglichen Kündigungsbedingungen einschließlich etwaiger Vertragsstrafen; 16. die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Recht der Versicherer der Aufnahme von Beziehungen zum Versicherungsnehmer vor Abschluss des Versicherungsvertrages zugrunde legt; 17. das auf den Vertrag anwendbare Recht, eine Vertragsklausel über das auf den Vertrag anwendbare Recht oder über das zuständige Gericht; 18. die Sprachen, in welchen die Vertragsbedingungen und die in dieser Vorschrift genannten Vorabinformationen mitgeteilt werden, sowie die Sprachen, in welchen sich der Versicherer verpflichtet, mit Zustimmung des Versicherungsnehmers die Kommunikation während der Laufzeit dieses Vertrages zu führen; 19. einen möglichen Zugang des Versicherungsnehmers zu einem außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren und gegebenenfalls die Voraussetzungen für diesen Zugang; dabei ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit für den Versicherungsnehmer, den Rechtsweg zu beschreiten, hiervon unberührt bleibt; 20. Name und Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde sowie die Möglichkeit einer Beschwerde bei dieser Aufsichtsbehörde. Soweit die Mitteilung durch Übermittlung der Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen erfolgt, bedürfen die Informationen nach Absatz 1 Nr. 3, 13 und 15 einer hervorgehobenen und deutlich gestalteten Form.

3 Zur Identitätsangabe des VR und der von ihm u. U. eingeschalteten Zweigstelle muss nach Abs. 1 Nr. 1 lediglich das Handelsregister mit Registernummer angegeben werden. Hierzu kann sich der VN dann wenigstens online über die Servicestelle des Registerportals bei AG Hagen/ Herrmann

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Westf. (Heinitzstr. 42, 58097 Hagen) weiter informieren. Da für etwaige Klagen des VN die örtliche Zuständigkeit am Sitz des Schuldners maßgebend ist (§§ 12, 17 ZPO), hilft es manchmal, sich nicht auf die Angaben der im Schriftverkehr verwendeten Briefköpfe zu verlassen, sondern den genauen Sitz des Bekl. via Handelsregister zu ermitteln. Der VN kann allerdings gem. § 215 I 1 VVG auch vor dem Gericht an seinem Sitz klagen. Jedenfalls gehört die in der Verbraucherinformation anzugebende Identitätsbezeichnung zu den vertrauensbildenden Angaben i. S. der Informationsökonomik.18 Deshalb ist für die Rechtsfolgen bei Fehlangaben zur Firmenbezeichnung str., ob die Kausalitätsvermutung für Schadensersatzansprüche gem. § 280 BGB ausgelöst wird. Richtiger Weise wir man danach zu differenzieren haben, ob vertrauenserhebliche Bezeichnungsfehler vorliegen.19 Will ein VR etwa vermeiden, dass seine Firmenbezeichnung in Zusammenhang gebracht wird mit bestimmten Medienberichten über Insolvenzgefahren oder Vertriebspannen und verwendet er deshalb in der Verbraucherinformation eine Firma, die nicht mit der Eintragung des Handelsregisters übereinstimmt, so liegt darin sicherlich eine für die Vertrauensbildung nicht unerhebliche Fehlinformation vor. Anders ist es hingegen, wenn lediglich formale Ungenauigkeiten vorliegen, die Identitätsvorstellung aber eindeutig gewahrt wird. Nicht angabepflichtig sind – trotz erheblicher Relevanz für die informationsökonomisch 4 maßgebende Vertrauensbildung20 – jegliche organisatorische Besonderheiten des VR zur sog. Vertriebscompliance, wie Einrichtungen zur Vertriebssteuerung, Wahrung der Unabhängigkeit und Qualifikationsüberprüfung der Makler etc.21 Nach geltendem Recht lässt sich lediglich darauf verweisen, dass der VR, der notwendig die Rechtsform einer AG hat (§ VAG) über ein geeignetes Risikomanagement-System verfügen muss, dessen Eignung aus der Bilanz und deren Überprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer nach § 91 Abs. 2 AktG i. V. § 317 Abs. 1 HGB22 ersichtlich sein muss. Die nach § 1 Nr. 1 VVG-InfoV vorgeschriebenen Identifikationsdaten ermöglichen zwar nicht dem durchschnittlich informationsbereiten VN, wohl aber dem anwaltlich beratenen Kunden und der Medienöffentlichkeit die Nachprüfung, inwiefern diese Mindestvorschriften zur Versicherungscompliance gewahrt sind. – Rechtpolitisch bleibt anzumerken, dass zusätzlich eine Art knapp gefasster compliance-Erklärung vorgesehen werden könnte, die zumindest darauf hinweist, ob der des § 161 AktG entsprochen wurde. Auch wenn damit noch keine Offenlegung von Compliance-Einrichtungen im Unternehmen geboten wäre, so könnten doch gesetzliche Anreize in dieser Richtung geschaffen werden. Doch ist die Praxis davon bislang noch weit entfernt, obgleich der BDV bereits in 2010 einen Vertriebs-Verhaltenskodex entwickelt und diesen 2012 fortentwickelt hat.23 Weicht der Sitz des VR von dem Mitgliedstaat der EU ab, in dem der VN seinen Wohnsitz/ 5 Niederlassung hat, muss auch die Identität eines Vertreters des VR angegeben werden (Nr. 2). Anhand dieser Information lässt sich dann feststellen, ob die Vorgaben des EU-passport eingehalten sind.24 Gibt es keine solche Niederlassung oder keine, die einen VR aus dem EU-Binnenmarkt vertritt, so muss diejenige Stelle entsprechend ausgewiesen werden, über die der Kontakt mit dem VN hergestellt wird (zu englischen Filialen nach dem BREXIT s. o. Ein. B zu II.2, Rn. 11 f.). Auch ist die „Eigenschaft“ der Kontaktperson zu bezeichnen, d. h. ob sie als Agent, Berater oder Makler tätig wird. – Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift besteht u. a. darin, dass der VN selbst oder der von ihm beauftragte Makler bereits vor Vertragsschluss prüfen kann,

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Nachw. s. o. Rn. 2. Näher zu § 7 Rn. 109 ff. Nachw. s. o. Rn. 2. Zu den Feldern der Versicherungscompliance s. Ernst&Young GmbH (Hrsg.), Compliance-Management für Versicherungen, 2013. 22 Zur strengeren Prüfung bei börsennotierten AGs s. § 317 Abs. 4 HGB. 23 GDV-Verhaltenskodex, 2012; dazu Gabler Versicherungslexikon, 2. Aufl. (2017), o.Verf., Stichwort: Compliance im VU; abrufbar unter https://www.versicherungsmagazin.de/lexikon/compliance-im-versicherungsunternehmen1985658.html.; zur entspr. Entwicklung bei Steuer- und Unternehmensberatern vgl. Jung FAZ v. 20.5.2020, S. 19. 24 vgl. Bruck/Möller/Hermann Einf. B Rn. 7 ff. 735

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bei welchem örtlich zuständigen Register der vorvertraglich tätige Agent gemeldet ist. Der Registerausweis ist schon als solcher ein vertrauensbildendes Merkmal i. S. des o. a. Vertrauenstatbestandes von Versicherungsverhältnissen.25 Hinzu kommt, dass im Register bestimmte Vorfälle aufzuführen sind, die in der Vergangenheit als Rechtsverletzungen des betr. Agenten beurteilt worden sind. Wie an anderer Stelle diskutiert,26 wird dies rechtspolitisch als Prangerwirkung kritisiert. Aber das ist nicht nur historisch unzutreffend, sondern auch informationsökonomisch unpassend.27 Es kommt beim Versicherungsvertragsschluss als Geschäft über ein Vertrauensgut weit mehr als bei Verträgen über sog. Suchgüter darauf an, dass das Unternehmensimage des VR und der für ihn tätigen Vertretungspersonen makelfrei ist und insbes. auch keine Skandalberichte28 in der Öffentlichkeit kursieren bzw. in begrenzter Öffentlichkeit von Registern ersichtlich sind. Mitteilungspflichtig ist nach Nr. 3 die ladungsfähige Anschrift, um u. U. eine Zeugenladung bei Gericht zu ermöglichen. Bleibt der Zeuge aus, so kann nach § 380 ZPO u. U. die Ordnungshaft angeordnet werden. Die richtige Anschrift des zu ladenden Zeugen ist dazu vorausgesetzt. Allerdings dürfte es sich insoweit nicht um eine Angabe handeln, bei der Fehler zur Kausalitätsvermutung i. S. des Schadensersatzrechts führen.29 Die Nennung der „Hauptgeschäftstätigkeit“ des VR wird nach Nr. 4 v. a. deshalb angeordnet, weil sich daraus die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde ergibt (bei Inlandssitz die BAFin., Graurheindorfer Str. 108, 53117 Bonn/[email protected]). Auch insoweit handelt es sich nicht etwa um eine Angabe, bei der Fehler zur Kausalitätsvermutung i. S. des Schadensersatzrechts führen müssen.30 Informationen zum Garantiefonds etc. nach Nr. 5 sind für die LV Protektor LV AG, Wilhelmstr. 42/43 G, 50968 Köln; für die KV Medicator AG, Bayernthalgürtel 26, Köln ebd.; bei Sachversicherungen gibt es keine Garantiefonds. Ein Negativ-Hinweis darauf ist nicht angeordnet und ergibt sich auch nicht aus § 1 Nr. 11 (Rn. 11). Der vielleicht wichtigste Pflichtinhalt der Verbraucherinformation ist die Angabe der maßgebenden AVB (Nr. 6a). Dadurch wird eine über die Aushangspublizität des § 305 Abs. 2 BGB hinausgehende Publizität der AVB bezweckt, so dass sich die Ansichten zum Fehlen eines wettbewerblichen AVB-Verbraucherschutzes31 erübrigen (s. zu § 7 Rn. 62 ff.). Richtig ist hingegen, dass die zutreffende AVB-Information und hinreichend transparente AVB-Klauseln u. U. dazu führen können, eine Inhaltskontrolle wegen materieller Unbilligkeit zu überwinden, weil insofern eine abgestufte Prüfung im Rahmen des sog. Informationsmodells gilt.32 Mit Benennung der „wesentlichen Merkmale der Versicherungsleistung“ (Nr. 6b) ist in erster Linie gemeint, dass die Höhe etwaiger Geldleistung bezeichnet wird. Aber es gehört auch dazu die Bezeichnung von sog. Nebenleistungspflichten, wie die des risk management bei entsprechend beworbenen Kreditversicherungen (näher s. o. zu § 7 Rn. 20). Als Beispiel mag der Versicherungsschutz für „protracted default“ (PD) dienen: der VR verspricht die Deckung des Kreditrisikos nicht erst für den Eintritt der Insolvenz oder für schwere Verzugsfälle, sondern bereits in vorgezogener Weise („protracted“), d. h. für den Fall AVB-mäßig genauer umschriebener Zahlungsstörungen.33 Ist schon für die einfache Kreditversicherung das Risikomanagement als wichtigste ökonomische 25 26 27 28

Näher s. o. Rn. 2. Siehe Bruck/Möller/Hermann Einf. B Rn. 68 ff. Belege s. o. Rn. 2 Fn. 4 f. Zur Bedeutung von Skandalnachrichten für die Aufmerksamkeitsökonomie s. Franck Ökonomie der Aufmerksamkeit, Rn. 2; Honneth Kampf um Anerkennung, 1994/2008; Bernardy Aufmerksamkeit als Kapital (2014) S. 175. Die bekannten Einwände zur Manipulierbarkeit und fake news (vgl. nur Schweiger Der (des)informierte Bürger, im Netz 2017) dürften bei Eintragung in öffentl. Registern weniger schwer wiegen. 29 S.o. Bruck/Möller/Herrmann zu § 7 Rn. 109 ff. 30 S.o., Text mit Fn 28. 31 Vgl. nur Kunz AcP 209 (2009) 242, 259. 32 Vgl. nur Schön FS (2007) 1191 ff.; Mattern Das Informationsmodell S. 403 ff. 33 Näher v. Wick/Feldmann Neue Rahmenbedingungen für die Kredit- und Kautionsversicherung (1998) S. 35 f. Herrmann

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Funktion in verschiedener Hinsicht durchaus anerkannt,34 so gilt das natürlich erst recht für die PD-Klauseln.35 Dem entsprechend fällt auch der Öffentlichkeitsauftritt der VR aus, die z. T. in der Werbung darauf hinweisen, dass ihre „wichtigste Funktion…nicht (darin besteht)…Ausfälle zu kompensieren…Viel wichtiger aber ist die Schadensverhütung durch aktives Risikomanagement“ (RM).36 Verf. hat daraus an anderer Stelle Nebenpflichten des VR zur Risikowarnung gem. § 6 VVG hergeleitet.37 Nicht minder wichtig ist, dass zumindest bei der o. a. Selbsteinschätzung zum RM als Vertragskern auch eine Angabepflicht in der Verbraucherinformation gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6b VVG-InfoV besteht, deren Verletzung Rechtsfolgen des Widerrufs bzw. der Schadensersatzhaftung i. S. §§ 280, 311 BGB auslöst und bei besonderer Vertrauenswidrigkeit sogar eine Kausalitätsvermutung zur Schadensverursachung begründen kann.38 Obgleich es zu dieser Auslegung bislang, soweit ersichtlich, keine speziellen Stellungnah- 11 men in der Literatur gibt, lassen sich bereits Verallgemeinerungen angeben.39 Die Übertreibungen der Werbung auf den Kreditversicherungsmärkten sind selbstverständlich keine singuläre Besonderheit der Versicherungswirtschaft. Vielmehr lassen sich auch für andere Produkte äußerst phantasiereiche Werbesprüche feststellen, die der sog. Alleinstellung des VR im Markt dienen.40 Oft ist der Kunde dann enttäuscht, wenn bestimmte Risiko-Definitionsklauseln oder Risiko-Ausschlussklauseln den geweckten Erwartungen nicht entsprechen. Beispielsweise wirbt ein VR für seine Angebote für Haushaltsrisiken damit, dass er Risiken „umfassend“ („comprehensive“) abdeckt, schließt dann aber eine Unfallhaftung für Haushaltshilfen aus, die nicht nur im Haus arbeiten, sondern auch dort wohnen.41 Auch die meisten „All Risk“-Versicherungen enthalten Risiko-Einschränkungen, selbst wenn sie keine besonderen Ausschlussklauseln vorsehen oder dies in unzureichend geklärtem Widerspruch zum Versprechen umfassender Risikodeckung tun.42 Nicht immer handelt es sich in solchen Fällen um Werbe-Unredlichkeiten. Aber wenn das 12 der Fall ist, gibt es nicht nur den Schutz vor überraschenden, unklaren bzw. intransparenten AVBs gem. §§ 305c Abs. 1/2, 307 Abs. 1 S. 2 BGB und den des § 1 Nr. 6a VVG-InfoV,43 sondern auch § 1 Nr. 6b VVG-InfoV sorgt in krassen Fällen für einen präventiven informationsrechtlichen Verbraucherschutz. Der VR soll auch mit seiner Verbraucherinformation offen ausweisen, dass und inwiefern der Produktkern seines Angebots aufrecht erhalten bleibt. Das dürfte, wenn überhaupt möglich, oft nicht ganz leicht fallen, zumal Kürze der Angaben geboten ist. Vielleicht kann dem Hausherrn klar gemacht werden, weshalb die Haftung für Schäden von bei ihm woh-

34 Vgl. nur v. Wick/Feldmann a. a. O.; Horsch/Rathmann Kreditrisikotransfer durch Kreditversicherung (2012) 38 ff., 49 ff. 35 Näher s. Herrmann VersR 2015 276 f., 181 f. 36 Werbung der Atevis, zit. n. Herrmann VersR 2015 276. 37 Herrmann VersR 2015 276, 280 ff. 38 Näher s. o. Rn. 2, 6 f. 39 Zur allgemeinen Reziprozitätshaftung wegen „intentionaler Selbstdarstellung“ aus c. i. c. bzw. § 311 BGB vgl. aber Köndgen Selbstbindung ohne Vertrag (1981) 174 ff.; Luhmann Vertrauen, 2. Aufl. (1973) 67. 40 Zur Alleinstellungswerbung und Werbung für Spitzenstellungen vgl. nur Gloy/Loschelder/Erdmann Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. (2010) §§ 5/5a Rn. 205 m. w. N. 41 Das Beispiel ist der Rspr. zum amerikanischen Recht entnommen (SC of New Jersey in Gerhardt vs. Continental Insurance Companies, (1967) 1 Lloyds Rep.380), wird aber auch in der Lit. zum englischen Recht beachtet, Birds Birds‘ Insurance Law, 11th ed. 2019, § 13–04, S. 237 f. m. w. N.). 42 Leitentscheidung dazu ist der Fall in British and Foreign Marine Insurance Co. vs. Gaunt (1921) 2 A.C. 41; der eine All Risk Marine-Versicherung mit Deckungsversprechen für jeden Vermögensverlust, der aus „accidental causes“ entstand. Davon waren aber solche Schäden ausgenommen, die zwar unfallartig verursacht sein würden, aber auch bei gewöhnlichem Ablauf unvermeidliche Wertminderungen herbeiführen („such damage as is inevitable from ordinary wear and tear and inevitabel depreciation“). Der englische Supreme Court ließ das durchgehen, betonte aber die Besonderheit ausnahmsweiser und unvermeidlicher Tatsachen, die nicht mehr zur All Risk-Deckung zählen sollten; vgl. nochmals Birds Birds‘ Insurance Law, a. a. O. Fn. 41, § 13–14, S. 250 f. 43 Näher vgl. o. Rn. 9. 737

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nenden Hausangestellten nicht gedeckt sein soll, obwohl das Produkt als „umfassender“ Versicherungsschutz nicht nur werblich angepriesen, sondern auch vertraglich gekennzeichnet ist.44 Aber das muss offengelegt werden, wenn der gesetzlich gebotene Informationsschutz des Verbrauchers nicht verletzt werden soll. Sonst ist der Produktkern i. S. v. § 1 Nr. 6b VVG-InfoV fehlerhaft bezeichnet. Zu den Rechtsfolgen bei Verletzung von Verbraucherinformationspflichten ist neben dem Widerrufsrecht zu bedenken, dass auch Schadensersatzansprüche gem. §§ 280, 311 BGB in Betracht kommen. Schon zur Kreditversicherung mit PD-Klauseln und entsprechender Werbung wurde betont, dass § 1 Nr. 6b VVG-InfoV in besonderer Weise mit der vorvertraglichen Vertrauenshaftung wegen „intentionaler Selbstdarstellung“ zu tun hat.45 Die Diskussion zur Schadenskausalität bei solchen Fehlangaben in der Verbraucherinformation wird hieran anzuknüpfen haben, insbes. wenn es um die sog. Kausalitätsvermutung i. S. dieser Vorschriften geht.46 Doch ist hierzu mangels einschlägiger Rspr. und mangels spezifischer Stellungnahmen der Fachliteratur einstweilen nur der Verweis auf den Eingangsfall verfehlter Kreditversicherungswerbung möglich, in dem der VR seinen überragenden Sachverstand zum risk management angepriesen hatte, dann aber gar kein kundenbezogenes Management zur Erfassung und Bewältigung der versicherten Kreditrisiken organisiert hatte. Bei derart gesteigerten Vertrauensverletzungen47 und dem entsprechenden Fehlern zur Verbraucherinformation wird man wohl auch die Kausalitätsvermutung i. S. §§ 280, 311 BGB zur Anwendung zu bringen haben.48 Nr. 7 und 8 beziehen sich auf Preise und Kosten. Auch dazu ist im integrierten Teil der VO-Kommentierung das Wesentliche bereits angemerkt. Zusatzkosten i. S. Nr. 8 sind nicht nur die bes. aufgeführten Kosten für die Benutzung von Fernkommunikationsmitteln, sondern auch solche, die mehr oder weniger unabhängig von der Inanspruchnahme bestimmter Leistungen des VR entstehen (Beisp. bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Gansel § 1 VVG-InfoV Rn. 26). Auch der Ausweis von „Effektivkosten“ bei Ausübung des Widerspruchs gem. § 7 bzw. § 5a VVG a. F. gehört dazu (s.§ 7 Rn. 8, 25 ff.). Nach Nr. 9 anzugebende Modalitäten zur Prämienzahlung betreffen in erster Linie die monatlich oder jährliche Zahlungsweise, ob die zu überweisen ist oder abgebucht wird, etc. Unterbleibt ein Hinweis auf Verzugsfolgen, so ist §§ 38 f. VVG zu beachten, dass die dort vorgesehenen Folgen für die Nicht-Entstehung der Deckungspflicht des VR wegbleiben. Dazu gibt es nach Nr. 12 eine bes. Regelung. Nach Nr. 10 und 11 sind normaler Weise keine Angaben zu machen. Jedoch sind Fehlangaben hierzu informationsökonomisch besonders vertrauensrelevant.49 Befristung ist etwas Anderes als Prämienanpassung aus besonderem Anlass. Nr. 11 betrifft Versicherungen für „Finanzinstrumente“. Dazu gehören auch und v. a. Absicherungen für Wertpapierrisiken, die im Finanzmarktskandal v. 2008 eine maßgebende Rolle gespielt haben;50 denn es waren und sind weiterhin Papiere versichert, deren Preise „Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegen“, um dadurch Risiken von Hypotheken oder von ganzen Wertpapierfonds abzusichern. Die dafür maßgeblichen „Umstände und Risiken“ sind im Rahmen gebotener Knappheit und Verständlichkeit für „mündige“ Verbraucher zu bezeichnen. Dazu gibt es eine Sonderregelung bei fondsgebundenen LV, die besagt, dass die „zugrunde liegenden Fonds“ und die „Art der darin liegen-

44 S. die in Fn. 39 f. zitierten Beispiele der anglo-amerikanischen Rspr. 45 Vgl. nochmals Köndgen Selbstbindung ohne Vertrag (1981) 174 ff.; näher s. o. Rn. 8a/b mit Verweis auf. Rn. 2, 6 f.

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Näher s. Rn. 6 f. Näher Herrmann VersR 2015 281 ff. Vgl. – allgemein – Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, § 7 Rn. 61 m. w. N.; insoweit zust Rn. 3, 6 f. Vgl. die Nachw. zu Rn. 2. Vgl. Horsch/Rathmann Kredittransfer, 143 ff.; Herrmann VersR 2015 275, 277 f. m. w. N.; allerdings besteht bei solchen Versicherungen nach geltendem IPR weitgehende Freiheit der Rechtswahl (vgl. – zu ROMA I – Herrmann British Insurance Law (2020) S. 47 ff.). Herrmann

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den Vermögenswerte“ zu benennen sind (s. u. zu § 2 Nr. 7 VVG-InfoV). Daraus wird man zu folgern haben, dass solche Angaben im Grundfall des § 1 Nr. 11 VVG-InfoV nicht gemacht werden müssen.51 Wohl aber dürften allgemeine Hinweise nicht nur darüber erforderlich sein, dass es sich um „spezielle Risiken“ handelt – so schon der Wortlaut der Vorschrift –, sondern auch darüber inwiefern das der Fall ist.52 Mit Blick auf die Rspr. zu den Aufklärungspflichten i. S. § 61 VVG53 wird man allerdings auch zu § 1 Nr. 11 VVG-InfoV keinen besonderen Hinweis auf allgemein bekannte Risiken zu (fehlender) Insolvenzsicherung zu erwarten haben. Doch kann dazu § 1 Nr. 5 zu beachten sein, wenn ein Einlagensicherungssystem tatsächlich besteht (Rn. 7). In Nr. 13 werden die Informationspflichten zum Widerrufsrecht geregelt. Nach § 8 Abs. 17 beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen, wenn keine ordnungsgem. Belehrung erfolgt ist. Dennoch kann der VR solche Mitteilung nicht einfach unterlassen, sondern Nr. 13 verlangt, dass eine umfassende Aufklärung über das Widerrufsrecht erfolgt. Wird diese Pflicht verletzt, so verhält sich der VR treuwidrig, und er kann sich dann nicht seinerseits auf treuwidrige Verzögerung des Widerrufs/Widerspruchs des VN berufen (s. o. Rn. 8, 39 ff.). Zu Nr. 14–19 ist der Wortlaut der VO hinreichen detailliert und aussagekräftig. Zu Nr. 16 18 genügt der bloße Hinweis auf den EU-Mitgliedsstaat. Ausführungen über besonders verbraucherschützende Besonderheiten im betr. nationalen Recht des genannten Staates werden nicht verlangt, obgleich dies aus Gründen des internationalen Systemwettbewerbs54 eigentlich nahe gelegt wäre. Aber dem Verbraucher wäre mit Angaben dazu wenig gedient, zumal das Für und Wider systemwettbewerblicher Vergleichserwägungen viel zu stark von der subjektiven Einschätzung des VR abhängen würde. – Zu Nr. 20 vgl. schon o zu Nr. 4, Rn. 6. Die Formvorschriften des Abs. 2 interessieren hauptsächlich. im Hinblick auf die AVB-Mit- 19 teilungen gem. Nr. 6a (s. o. Rn. 8). Nochmals wird das Anliegen zur Transparenz und zur Klauselpublizität unterstrichen. Textliche Hervorhebungen sind ganz besonders bei Kleingedrucktem von Bedeutung. Weshalb sollten Markierungen durch Fettdruck und dergl. geboten sein, wenn der Gesetzgeber gar nicht mit verständigem Lesen durch Verbraucher bzw. durch Öffentlichkeitsvertreter rechnen würde? Auch dies muss der Ansicht entgegengehalten werden, die den AVBs keine Bedeutung im wettbewerblichen Marktgeschehen zutraut (Nachw. s.o zu Rn. 9). § 2 Informationspflichten bei der Lebensversicherung, der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr (1)

Bei der Lebensversicherung hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes zusätzlich zu den in § 1 Abs. 1 genannten Informationen die folgenden Informationen zur Verfügung zu stellen: 1. Angaben zur Höhe der in die Prämie einkalkulierten Kosten; dabei sind die einkalkulierten Abschlusskosten als einheitlicher Gesamtbetrag und die übrigen einkalkulierten Kosten als Anteil der Jahresprämie unter Angabe der jeweiligen Laufzeit auszuweisen; bei den übrigen einkalkulierten Kosten sind die einkalkulierten Verwaltungskosten zusätzlich gesondert als Anteil der Jahresprämie unter Angabe der jeweiligen Laufzeit auszuweisen; 2. Angaben zu möglichen sonstigen Kosten, insbesondere zu Kosten, die einmalig oder aus besonderem Anlass entstehen können;

51 Zur Angabe von Wertpapierkennnummern s. die EFTA Court Entscheidung v. 13.6.2013, Rs. E-11/12, Rn. 77; dazu Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 57.

52 Zu Risikomanagementpflichten von KreditVRn, die mit ihrer überlegenen Kompetenz zum risk management (RM) werben vgl. Herrmann VersR 2015 275, 280 f.; ob man daraus auch eine Pflicht zur Angabe nach § 1 Nr. 11 VVGInfoV zu folgern hat, ist bisher, soweit ersichtlich, noch nicht untersucht. Nr. 11 verlangt einen Hinweis dazu nur dann, wenn Risiken zu erwarten sind, die mit dem bestehenden RM des VR nicht verarbeitet werden können. 53 Vgl. nur OLG Hamburg v. 23.4.2010 – 13 U 117/09 und 13 U 118/09; BGH 27.9.2011 – XI ZR 178/10, NJW-RR 2012 43 betr. unterbliebener Hinweis auf fehlende Insolvenzsicherung der Lehman Bank nach U.S.-amerikanischem Bankrecht; a. A. noch LG Hamburg 10.7.2009 – 329 O 44/09, WM 2009 1511. 54 Vgl. die Nachw. zu Rn. 2. 739

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Angaben über die für die Überschussermittlung und Überschussbeteiligung geltenden Berechnungsgrundsätze und Maßstäbe; 4. Angabe der in Betracht kommenden Rückkaufswerte; 5. Angaben über den Mindestversicherungsbetrag für eine Umwandlung in eine prämienfreie oder eine prämienreduzierte Versicherung und über die Leistungen aus einer prämienfreien oder prämienreduzierten Versicherung; 6. das Ausmaß, in dem die Leistungen nach den Nummern 4 und 5 garantiert sind; 7. bei fondsgebundenen Versicherungen Angaben über die der Versicherung zugrunde liegenden Fonds und die Art der darin enthaltenen Vermögenswerte; 8. allgemeine Angaben über die für diese Versicherungsart geltende Steuerregelung; 9. bei Lebensversicherungsverträgen, die Versicherungsschutz für ein Risiko bieten, bei dem der Eintritt der Verpflichtung des Versicherers gewiss ist, die Minderung der Wertentwicklung durch Kosten in Prozentpunkten (Effektivkosten) bis zum Beginn der Auszahlungsphase. Die Angaben nach Absatz 1 Nr. 1, 2, 4 und 5 haben in Euro zu erfolgen. Bei Absatz 1 Nr. 6 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass das Ausmaß der Garantie in Euro anzugeben ist. Die vom Versicherer zu übermittelnde Modellrechnung im Sinne von § 154 Abs. 1 des Versicherungsvertragsgesetzes ist mit folgenden Zinssätzen darzustellen: 1. dem Höchstrechnungszinssatz, multipliziert mit 1,67, 2. dem Zinssatz nach Nummer 1 zuzüglich eines Prozentpunktes und 3. dem Zinssatz nach Nummer 1 abzüglich eines Prozentpunktes. Auf die Berufsunfähigkeitsversicherung sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der in den Versicherungsbedingungen verwendete Begriff der Berufsunfähigkeit nicht mit dem Begriff der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsminderung im sozialrechtlichen Sinne oder dem Begriff der Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen in der Krankentagegeldversicherung übereinstimmt. Auf die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr sind Absatz 1 Nr. 3 bis 8 und Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

20 Zu den für die Lebensversicherung vorgeschriebenen Informationen verweist § 2 Abs. 1 vor Nr. 1 zunächst darauf, dass § 1 Abs. 1 nicht aus Gründen der Spezialität verdrängt sein soll, sondern die Angaben der Nr. 1–9 kumulativ gelten. Nr. 1 regelt die in die Prämie einkalkulierten Kosten, wobei die Abschlusskosten als einheitlicher Gesamtbetrag auszuweisen sind, während die Nicht-Abschlusskosten als jährliche bzw. unterjährige Prämienanteile angegeben werden müssen. Weitere Kostenangaben haben neben den Prämien-%-Angaben auch die einkalkulierten „Verwaltungskosten“ darzustellen und diese als weiteren Anteil der Jahresprämie gesondert und mit Angabe der zuzurechnenden jeweiligen Laufzeit zu berechnen (Halbs. 2). Man kann diese Komplikationen bereits als Überfrachtung der Verbraucherinformation betrachten, muss aber dabei bedenken, dass erst das Produktinformationsblatt das sog. Knappheitsgebot regelt. Ansonsten genügt es, wenn die Angaben klar und verständlich sowie mit Hervorhebungen abgefasst sind, damit die nötige Transparenz gewahrt wird. 21 Auch alle bisher nicht erfasste Kosten müssen angegeben werden (Nr. 2), damit Alles in die Effektivbelastung des VN einbezogen werden und mit den entsprechenden Angaben konkurrierender Anbieter marktadäquat verglichen werden kann (Quotenangabe der Effektivkosten s. zu § 7, Rn. 31). Hauptsächlich sind hierzu, wie die VO eigens hervorhebt, etwaige einmalig berechneten bzw. aus besonderem Anlass (u. U. in mehreren Laufzeiten) entstandenen Kosten zu berücksichtigen. Ob alle sonstigen Kosten gemeint sind, oder nur die mit ganz bestimmten Verwaltungsvorgängen Verbundenen, ist str.55 Für die umfassende Angabepflicht spricht nicht nur der Umstand, dass die Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 8 ergänzt wird, sondern auch der bereits erwähnte Normzweck vollständiger Kostentransparenz. 22 Eine bestimmte Zurechnung auf die Prämien ist insoweit nicht vorgeschrieben. Doch ergibt diese sich aus der Kostenart. Bei einmaligen Kosten muss angegeben werden, ob sie auch einmalig angerechnet werden; ansonsten wird Angabe der Zeitanteile zumindest dann erfordert, 55 Für Ersteres s. Präve VersR 2008 151, 156; a. A. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann/Schäfers § 2 InfoV Rn. 1. Herrmann

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wenn die Kosten für die Beurteilung der Prämienhöhe erheblich sind; denn andern falls wäre eine genaue Einschätzung i. S. des Transparenzzecks erschwert oder gänzlich versperrt.56 Zur Behandlung der Überschussermittlung und –beteiligung bzw. der Rückkaufswerte Nr. 3 und 4 kann auf die Angaben im Kommentar des § 7 VVG verwiesen werden (s. zu § 7 Rn. 34 ff., 39). Was die Umwandlung in eine prämienfreie bzw. -reduzierte Lebensversicherung nach Nr. 5 angeht, so wird die Regelung dazu in §§ 165 f. VVG vorausgesetzt. § 165 Abs. 2 i. V. § 169 Abs. 3–5 enthält Regelungen zum Rückkaufswert, die auch zu § 2 Nr. 5 zu beachten sind. Garantiebeträge sind nach Nr. 6 gesondert anzugeben. Für fondsgebundene Produkte müssen nicht nur die diesen zugrunde liegenden Fonds benannt, sondern auch die „Art der darin enthaltenen Vermögenswert“ bezeichnet werden (Nr. 7). V.a. müssen die Angaben Schlüsse auf die Schwankungserwartungen zulassen, was bei Verkaufsprospekten gem. § 19 Abs. 2 KAGG der Fall ist, aber durch Angaben über versicherungsspezifische Besonderheiten zu ergänzen ist.57 Nr. 8 verlangt diesbezügliche steuerliche Angaben. Zur bereits erörterten Effektivkostenquote der Nr. 9 reicht es nicht, die aufgelisteten Kosten lückenlos anzugeben, sondern es muss zudem ein %-Satz berechnet werden, der es ermöglicht, den Produktvergleich unter Zugrundelegung einer einzigen Zahl marktadäquat durchzuführen. Die Regelung ist durch das LV-ReformG v. 1.8.2014 (BGBl. I 1330) und die Novellierung der VVG-InfoV v. Jan. 2015 eingefügt worden.58 Durch die Vorschrift zur E-Angabe gem. Abs. 2 soll ebenfalls bewirkt werden, dass keine transparenzwidrigen Währungsziffern verwendet werden. Nach Abs. 3 wird die Modellrechnung i. S. § 154 Abs. 1 VVG in dreierlei Hinsicht spezifiziert: Höchstzinssatz (Nr. 1), Modellzinssätze zuzüglich/abzüglich 1 % (Nr. 2 und 3). Darin liegt der Kern zur Beurteilung der Zinsschwankungen. Gem. Abs. 4 muss auf begriffliche Missverständnisse der Berufsunfähigkeit gegenüber den im Sozialrecht (SGB) verwendeten Termini und solchen der Krankentagegeldversicherung hingewiesen werden. Abs. 5 stellt klar, dass die Angabepflichten zur Prämienrückgewähr in Abs. 1 Nr. 3–8 analog für die Unfallversicherung gelten, soweit diese entsprechende Regelungen vorsieht, also etwa eine Überschussbeteiligung, wie Abs. 1 Nr. 3 verspricht, etc. § 3 Informationspflichten bei der Krankenversicherung (1)

Bei der substitutiven Krankenversicherung (§ 146 Absatz 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes) hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes zusätzlich zu den in § 1 Abs. 1 genannten Informationen folgende Informationen zur Verfügung zu stellen: 1. Angaben zur Höhe der in die Prämie einkalkulierten Kosten; dabei sind die einkalkulierten Abschlusskosten als einheitlicher Gesamtbetrag und die übrigen einkalkulierten Kosten als Anteil der Jahresprämie unter Angabe der jeweiligen Laufzeit auszuweisen; bei den übrigen einkalkulierten Kosten sind die einkalkulierten Verwaltungskosten zusätzlich gesondert als Anteil der Jahresprämie unter Angabe der jeweiligen Laufzeit auszuweisen; 2. Angaben zu möglichen sonstigen Kosten, insbesondere zu Kosten, die einmalig oder aus besonderem Anlass entstehen können; 3. Angaben über die Auswirkungen steigender Krankheitskosten auf die zukünftige Beitragsentwicklung; 4. Hinweise auf die Möglichkeiten zur Beitragsbegrenzung im Alter, insbesondere auf die Möglichkeiten eines Wechsels in den Standardtarif oder Basistarif oder in andere Tarife gemäß § 204 des Versicherungsvertragsgesetzes und der Vereinbarung von Leistungsausschlüssen, sowie auf die Möglichkeit einer Prämienminderung gemäß § 152 Absatz 3 und 4 des Versicherungsaufsichtsgesetzes; 5. einen Hinweis, dass ein Wechsel von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung in fortgeschrittenem Alter in der Regel ausgeschlossen ist;

56 Vgl. Präve VersR 2008, 151, 15. 57 Schwintowski/Brömmelmeyer/Gansel § 4 VVG-InfoV, Rn. 12. 58 S. § 7 Rn. 15 ff.; näher Schmitz-Elvenich VersR 2017, 266 ff.

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einen Hinweis, dass ein Wechsel innerhalb der privaten Krankenversicherung in fortgeschrittenem Alter mit höheren Beiträgen verbunden sein kann und gegebenenfalls auf einen Wechsel in den Standardtarif oder Basistarif beschränkt ist; 7. eine Übersicht über die Beitragsentwicklung im Zeitraum der dem Angebot vorangehenden zehn Jahre; anzugeben ist, welcher monatliche Beitrag in den dem Angebot vorangehenden zehn Jahren jeweils zu entrichten gewesen wäre, wenn der Versicherungsvertrag zum damaligen Zeitpunkt von einer Person gleichen Geschlechts wie der Antragsteller mit Eintrittsalter von 35 Jahren abgeschlossen worden wäre; besteht der angebotene Tarif noch nicht seit zehn Jahren, so ist auf den Zeitpunkt der Einführung des Tarifs abzustellen, und es ist darauf hinzuweisen, dass die Aussagekraft der Übersicht wegen der kurzen Zeit, die seit der Einführung des Tarifs vergangen ist, begrenzt ist; ergänzend ist die Entwicklung eines vergleichbaren Tarifs, der bereits seit zehn Jahren besteht, darzustellen. Die Angaben zu Absatz 1 Nr. 1, 2 und 7 haben in Euro zu erfolgen.

29 Der Normzweck dieser Bestimmungen geht, wie der zu ihrer Rechtsgrundlage des § 7 Abs. 2 Nr. 3 VVG dahin, die hohe wirtschaftliche Bedeutung der substitutiven KV zu sichern (vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Gansel § 3 VVG-InfoV Rn. 1). Denn durch die Substitutionsmöglichkeit mit Übertragung der Alterungsrückstellungen wurde der Wettbewerb auf diesen sachlich und räumlich abgegrenzten Märkten erst eröffnet (Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen KV v. 30.3.2007, BGBl. I 378), so dass ein Wettbewerbsschutz insofern dringend erforderlich schien.59 Davon werden nicht erfasst die Pflegepflichtversicherung und die freiwillige Pflegeversicherung.60 Zu den Norminhalten des § 3 Abs. 1 Nr. 1–7 und Abs. 2 ist starke Anlehnung an die Rege30 lungen der §§ 1–2 festzustellen, so dass insoweit hier auf die diesbezüglichen Angaben verwiesen werden kann. KV-Spezifisches gehört in die Spezialliteratur, die u. a. auf die VorgängerRegelung in Anl. D, Abschnitt 1 Nr. 3 VAG bezogen ist.61 Auf zusätzliche Angaben wird deshalb hier verzichtet. § 4 Produktinformationsblatt (1) (2)

(3)

Ist der Versicherungsnehmer ein Verbraucher, so hat der Versicherer ihm ein Produktinformationsblatt zur Verfügung zu stellen. Das Produktinformationsblatt ist nach der Durchführungsverordnung (EU) 2017/1469 der Kommission vom 11. August 2017 zur Festlegung eines Standardformats für das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten (ABl. L 209 vom 12.8.2017, S. 19) in ihrer jeweils geltenden Fassung zu erstellen; unter den Überschriften, die nach Artikel 4 Absatz 1 in Verbindung mit dem Anhang oder nach Absatz 4 der Durchführungsverordnung zu verwenden sind, sind die entsprechenden Informationen zu geben. Zusätzlich sind bei Versicherungsprodukten, die kein Versicherungsprodukt im Sinne des Anhangs I der Richtlinie 2009/ 138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. L 335 vom 17.12.2009, S. 1) sind, die Prämie, die Abschluss- und Vertriebskosten und die Verwaltungskosten (§ 2 Absatz 1 Nummer 1) sowie die sonstigen Kosten (§ 2 Absatz 1 Nummer 2) jeweils in Euro gesondert auszuweisen; die Information ist unter der Überschrift „Prämie; Kosten“ als letzte Information zu geben. Diese Regelung gilt nicht für Versicherungsanlageprodukte im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) (ABl. L 352 vom 9.12.2014, S. 1; L 358 vom 13.12.2014, S. 50), die durch die Verordnung (EU) 2016/2340 (ABl. L 354 vom 23.12.2016, S. 35) geändert worden ist.

59 Überblick zum Schutzbedarf aufgrund der Reform b. Wandt Rd. 1299. 60 Vgl. Rüffer/Halbach/Schwintowski/Baroch/ Castelvi § 3 VVG-InfoV Rn. 3. 61 Näher auch RegBegr. zur VVG-InfoV, VersR 2008 186, 189. Herrmann

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IPID-VO v. 11.8.2017 zur Festlegung eines Standardformats für das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten (ABl. L 209/19 v. 12.8.2017) Artikel 1 Name und Unternehmenslogo des Herstellers (1)

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(3)

Auf die Überschrift „Informationsblatt zu Versicherungsprodukten“ oben auf der ersten Seite folgen unmittelbar der Name des Herstellers des Nichtlebensversicherungsprodukts, der Mitgliedstaat, in dem der Hersteller registriert ist, der Rechtsstatus des Herstellers und gegebenenfalls dessen Genehmigungsnummer. Der Hersteller kann sein Unternehmenslogo rechts neben der Überschrift einfügen. 12.8.2017 L 209/19 Amtsblatt der Europäischen Union DE (1)ABl. L 26 vom 2.2.2016, S. 19. (2) Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. L 335 vom 17.12.2009, S. 1). Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 48).

Artikel 2 Hinweis auf vollständige vorvertragliche und vertragliche Informationen Das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten enthält einen deutlich sichtbaren Hinweis darauf, dass dem Kundendie vollständigen vorvertraglichen und vertraglichen Informationen über das Nichtlebensversicherungsprodukt in anderen Dokumenten erteilt werden. Dieser Hinweis ist unmittelbar unter dem Namen des Herstellers des Nichtlebensversicherungsprodukts einzufügen. Artikel 3 Länge Das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten umfasst ausgedruckt zwei Seiten im A4-Format. Wird mehr Platzbenötigt, darf das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten in Ausnahmefällen ausgedruckt bis zu maximal dreiSeiten im A4-Format umfassen. Nutzt ein Hersteller drei Seiten im A4-Format, muss er auf Verlangen der zuständigen Behörde nachweisen können, dass mehr Platz nötig war. Artikel 4 Darstellung und inhaltliche Reihenfolge (1)

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Das in Artikel 20 Absatz 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 genannte Informationsblatt zu Versicherungsprodukten ist in unterschiedliche Rubriken eingeteilt und entspricht in Bezug auf Struktur, Anordnung, Überschriften und Reihenfolge dem im Anhang dieser Verordnung beschriebenen Standardformat, wobei eine Schriftgröße mit einer x-Höhe von mindestens 1,2 mm zu verwenden ist. Die Länge der Rubriken hängt von der in den einzelnen Rubriken enthaltenen Menge an Informationen ab und kann daher unterschiedlich ausfallen. Den Angaben zu etwaigen Zusatzversicherungen und optionalen Versicherungen werden keine Häkchen, Kreuze oder Ausrufezeichen vorangestellt. Wird das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten auf einem anderen dauerhaften Datenträger als Papierabgebildet, darf die Größe der angeordneten Komponenten geändert werden, sofern Anordnung, Überschriften und Reihenfolge des Standardformats sowie die Verhältnismäßigkeit bei der Hervorhebung und Größe der einzelnen Elemente beibehalten werden. Lässt der andere dauerhafte Datenträger als Papier aufgrund seiner Dimensionen keine Anordnung in zwei Spalten zu, darf eine Darstellung in einer einzigen Spalte erfolgen, sofern die Rubriken in folgender Reihenfolge abgebildet sind: a) „Um welche Art von Versicherung handelt es sich?“ b) „Was ist versichert?“ c) „Was ist nicht versichert?“ d) „Gibt es Deckungsbeschränkungen?“ e) „Wo bin ich versichert?“ f) „Welche Verpflichtungen habe ich?“ Herrmann

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g) „Wann und wie zahle ich?“ h) „Wann beginnt und endet die Deckung?“ i) „Wie kann ich den Vertrag kündigen?“ Die Verwendung digitaler Instrumente, einschließlich Layer und Pop-ups, ist gestattet, sofern alle in Artikel 20 Absatz 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Informationen im Hauptteil des Informationsblatts zu Versicherungsprodukten enthalten sind und die Verwendung solcher Instrumente den Kunden nicht vom Inhalt des Hauptdokuments ablenkt. Informationen, die mittels Layer oder Pop-ups dargestellt werden, dürfen kein Marketing- oder Werbematerial umfassen.

Artikel 5 Einfache Sprache Das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten wird in einfacher Sprache verfasst, sodass der Inhalt des Dokuments für den Kunden besser verständlich ist, und es enthält die wichtigsten Informationen, damit der Kunde eine Entscheidung in voller Kenntnis der Sachlage treffen kann. Fachjargon ist zu vermeiden. Artikel 6 Überschriften und darunter folgende Informationen (1)

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Die Rubriken des Informationsblatts zu Versicherungsprodukten haben folgende Überschriften mit folgenden Angaben: a) Angaben zu der in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe a der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Art der Versicherung sind unter der Überschrift „Um welche Art von Versicherung handelt es sich?“ oben im Dokument aufgeführt; b) Angaben zu den in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Hauptrisiken sind unter der Überschrift „Was ist versichert?“ aufgeführt. Jeder in dieser Rubrik aufgeführten Einzelangabe ist ein grünes „Häkchen“ vorangestellt; c) Angaben zu der in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Versicherungssumme sind unter der Überschrift „Was ist versichert?“ aufgeführt; d) etwaige Angaben zu dem in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten geografischen Geltungsbereich sind unter der Überschrift „Wo bin ich versichert?“ aufgeführt. Jeder in dieser Rubrik aufgeführten Einzelangabe ist ein blaues „Häkchen“ vorangestellt; e) Angaben zu der in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Zusammenfassung der ausgeschlossenen Risiken sind unter der Überschrift „Was ist nicht versichert?“ aufgeführt. Jeder Angabe in dieser Rubrik ist ein rotes „X“ vorangestellt; f) Angabe zu den in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe d der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten wichtigsten Ausschlüssen sind unter der Überschrift „Gibt es Deckungsbeschränkungen?“ aufgeführt. Jeder in dieser Rubrik aufgeführten Einzelangabe ist ein orangefarbenes Ausrufezeichen vorangestellt; g) Angaben zu den in Artikel 20 Absatz 8 Buchstaben e, f und g der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten einschlägigen Verpflichtungen sind unter der Überschrift „Welche Verpflichtungen habe ich?“ aufgeführt; h) Angaben zu der in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe c der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Prämienzahlungsweise und Prämienzahlungsdauer sind unter der Überschrift „Wann und wie zahle ich?“ aufgeführt; i) Angaben zu der in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe h der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Laufzeit des Vertrags sind unter der Überschrift „Wann beginnt und endet die Deckung?“ aufgeführt; j) Angaben zu der in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe i der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Vertragsbeendigung sind unter der Überschrift „Wie kann ich den Vertrag kündigen?“ aufgeführt. Bei Bedarf dürfen Unterüberschriften verwendet werden.

Artikel 7 Verwendung von Bildzeichen (1)

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Jede Rubrik wird außerdem mit folgenden Bildzeichen eingeleitet, die visuell den Inhalt der jeweiligen Rubrik wiedergeben: a) Angaben zu den in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Hauptrisiken werden durch das Bildzeichen eines weißen Regenschirms auf grünem Hintergrund oder eines grünen Regenschirms auf weißem Hintergrund eingeleitet;

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b)

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Angaben zu dem in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten geografischen Geltungsbereich der Versicherungsdeckung werden durch das Bildzeichen eines weißen Globus auf blauem Hintergrund oder eines blauen Globus auf weißem Hintergrund eingeleitet; c) Angaben zu den in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten ausgeschlossenen Risiken werden durch das Bildzeichen eines „X“ in einem weißen Dreieck auf rotem Hintergrund oder in einem roten Dreieck auf weißem Hintergrund eingeleitet; d) Angaben zu den in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe d der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten wichtigsten Ausschlüssen werden durch ein Ausrufezeichen („!“) in einem weißen Dreieck auf orangefarbenem Hintergrund oder in einem orangefarbenen Dreieck auf weißem Hintergrund eingeleitet; e) Angaben zu den in Artikel 20 Absatz 8 Buchstaben e, f und g der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Verpflichtungen zu Vertragsbeginn, während der Laufzeit des Vertrags und bei der Erhebung eines Anspruchs werden jeweils durch das Bildzeichen eines weißen Händedrucks auf grünem Hintergrund oder eines grünen Händedrucks auf weißem Hintergrund eingeleitet; f) Angaben zu der in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe c der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Prämienzahlungsweise und Prämienzahlungsdauer werden durch das Bildzeichen weißer Münzen auf gelbem Hintergrund oder gelber Münzen auf weißem Hintergrund eingeleitet; g) Angaben zu der in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe h der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Laufzeit des Vertrags werden durch das Bildzeichen einer weißen Sanduhr auf blauem Hintergrund oder einer blauen Sanduhr auf weißem Hintergrund eingeleitet; h) Angaben zu der in Artikel 20 Absatz 8 Buchstabe i der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten Vertragsbeendigung werden durch das Bildzeichen einer in einem weißen Schutzschild auf schwarzem Hintergrund oder in einem schwarzen Schutzschild auf weißem Hintergrund abgebildeten geöffneten Handfläche eingeleitet. Sämtliche Bildzeichen werden im Einklang mit dem im Anhang beschriebenen Standardformat abgebildet. Wird das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten in Schwarz und Weiß ausgedruckt oder fotokopiert, können die in den Absätzen 1 und 2 genannten Bildzeichen auch in Schwarz und Weiß dargestellt werden.

Artikel 8 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Brüssel, den 11. August 2017

Das Produktinformationsblatt (PIB) und das EU-Informationsblatt sind bereits o. zu § 7 VVG 31 Rn. 46 ff. in Kurzfassung kommentiert, um die Zusammenhänge mit den (hauptsächlich wettbewerblichen) Normzwecken des Gesetzesrechts und dem Basisinformationsblatt der PRIP-VO zu verdeutlichen. Dennoch sei hier noch einmal hervorgehoben, dass die abgekürzte und vereinfachende Zusatzinformation eigentlich dem Zweck dient, der informationellen Überlastung des Verbrauchers entgegenzuwirken. Man spricht insofern geradezu von kannibalischen Nebenwirkungen,62 weil jede weitere Information dazu beiträgt, dass der Verbraucher andere ihn ebenfalls schützende Informationen unbeachtet lässt. – Zudem sind an dieser Stelle einige zusätzliche Hinweise angebracht, die v. a. die praxiserheblichen Informationsanforderungen betreffen. Sowohl die Durchführungsverordnung63 als auch die bis dahin maßgebenden Bestimmungen des § 4 VVG-InfoV i. d. F. bis 2017 sind zu berücksichtigen; denn in der Praxis sind natürlich auch ältere Vertragsabschlüsse zu beurteilen, die vor dem 13.8.2017 erfolgt sind.64

62 Eger/Schäfer/Rehberg 284. 63 DVO der Kommission EU 2017/1469 v. 11.8.2017 zur Festlegung eines Standardformats für das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten (IPID-VO). 64 Geltung nach Art. 8 DVO i. V. mit dem Verkündungsdatum v. 12.8.2017. 745

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Die vorstehend im Auszug wörtlich abgedruckte IPID-VO ist auf Versicherungsverträge begrenzt, die grenzübergreifend abgeschlossen werden. § 4 VVG-InfoV sieht die Direktgeltung der IPID-VO eigens vor, obgleich diese Wirkung für EU-Verordnungen nach Art. 288 Abs. 2 AEUV eigentlich bereits angeordnet ist. Das hat folgenden Grund: Zunächst bezieht § 4 Abs. 2 VVG-InfoV die Verweisung auf die IPID-VO lediglich auf die Erstellung (…zu erstellen); d. h. die Geltungsbeschränkung auf Verbraucherverträge, die § 4 Abs. 1 VVG-InfoV anordnet, bleibt von der Verweisung auf die IPID-VO unberührt.65 Außerdem schränkt Art. 1 Abs. 1 IPID-VO mittelbar die Geltung auf Nichtlebensversicherungsprodukte dadurch ein, dass die Identifikation des VR nur für die Nicht-LV vorgesehen ist. Da § 4 VVG-InfoV auch für die LV gilt und für diese in § 4 Abs. 2 S. 2 lediglich Zusatzbestimmungen über den Ausweis von „Abschluss- und Vertriebskosten und…Verwaltungskosten vorsieht,66ist die Beschränkung der IPID-VO im deutschen Recht insoweit wieder aufgehoben, was die nicht grenzübergreifenden Verträge betrifft. Das steht mit der VO im Einklang, da deren Geltung nicht eingeschränkt, sondern allenfalls erweitert wird. – Andererseits ist das dt. PIB auf Verbraucherverträge begrenzt, während die IPID-VO diese Einschränkung nicht kennt. Folglich ist die Verweisung des VVG-InfoV wohl dahin zu verstehen, dass bei der LV nur Verbraucher in den Genuss der Vorschriften zum Informationsblatt gelangen, bei der Nicht-LV aber auch Nicht-Verbraucher. – Hinzu kommt die PRIPVO mit dem Basisinformationsblatt (s. o. § 7 Rn. 77). Diese gilt auch für LV-Produkte, aber dies eingeschränkt auf verbundene Versicherungsanlageprodukte, die LV-Elemente enthalten. Für das Informationsblatt i. S. der Art. 3 ff. IPID-VO ergibt sich, dass es nur für die NichtLV und nur für grenzübergreifende Vertragsabschlüsse gilt. Art. 3 begrenzt den Umfang auf 2 Din A4-Format mit ausnahmsweise behördlich genehmigter Länge von 3 Seiten (Knappheitsgebot). Neben weiteren Formalanforderungen wird der Inhalt in Abs. 4 lit a-i vorgegeben. Zudem ist „einfache Sprache“ geboten (Art. 5) und es müssen die Überschriften der Angaben zu Art. 4 lit a–i wörtlich eingehalten sowie die weiteren inhaltlichen Vorgaben des Art. 20 Abs. 8 Richtl. (EU) 2016/97 befolgt werden (Art. 5 Abs. 1a–j). Für das PIB i. S. § 4 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 VVG-InfoV folgt aus alledem, dass es im Gegensatz zu Art. 4 lit. a–i IPID-VO zwar auch die Nicht-LV betrifft, aber sowohl die Beschränkung auf Verbraucherverträge als auch die auf Inlandsgeschäfte hat. Nach § 4 Abs. 2 S. 2 ist für die LV gesondert auszuweisen: die Prämie, die Abschluss- und Vertriebskosten und die Verwaltungskosten (näher s. u. Rn.). Alles ist in Euro gesondert auszuweisen und am Schluss mit Überschrift „Prämie, Kosten“ zu kennzeichnen (§ 4 Abs. 2 S. 2 a. E.). § 4 VVG-InfoV v. 18.12. 2007 (BGBl. I 3004) war weitgehend dem Versicherungsombudsmann Römer gefolgt, der einen Zehn-Punkte-Vorschlag, wie folgt, veröffentlicht hatte:67 1. und 2.: Beginn und Ende des Versicherungsschutzes; 3. bis 5.: Wer und was ist versichert bzw. nicht versichert? 6. Verhalten nach Eintritt des Versicherungsfalles. 7. Bei unterschiedlicher Auffassung über den Erfolg (bindende Schlichtung bei Streit über die Deckungspflicht). 8. Änderung der Umstände. 9. Freie Wahl des Rechtsanwalts. 10. Prämienzahlung. Daraus wurden dann in § 4 Abs. 2 VVG-InfoV a. F. neun „Gebote“, die „für den Abschluss oder die Erfüllung des Versicherungsvertrages von besonderer Bedeutung sind“ (§ 4 Abs. 1 VVGInfoV a. F.) und in der Reihenfolge der Verordnung zu gliedern waren (Abs. 5 S. 3). Zu lit. a/c des Art. 4 IPID-VO handelt es sich um Angaben zur Art des angebotenen Versicherungsvertrages. Im Wesentlichen geht es dabei, wie bisher gem. § 4 Abs. 2 Nr. 1 f., um eine rechtliche

65 Alles Andere wäre auch mit dem Subsidiaritätsgrundsatz nicht vereinbar, wonach das EU-Recht nur solche Regelungen treffen darf, die nicht besser in den nationalen Rechten der Mitgliedstaaten geregelt werden können (vgl. Art. 12 lit. b EUV). 66 Der Verweis auf Anhang I der Richtl. 2009/138/EG ist doppelt negativ zu verstehen: der verwiesene Richtlinienanhang betrifft nur Nicht-LV (1). § 4 Abs. 2 S. 2 will für Produkte gelten die nicht im Anhang I geregelt sind (2). Folglich geht es um Produktinformationen für die Lebensversicherung. 67 Römer VersR 2007 618 zu IV. 2. Herrmann

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Kurzkennzeichnung als Lebens-, Unfall- oder Haftpflichtversicherung,68 die zwar für den NichtJuristen wenig Aussagekraft hat, aber in Verbindung mit lit. b (bzw. § 4 Nr. 2) Sinn macht. Danach wird eine Beschreibung des durch den Vertrag versicherten Risikos und der ausgeschlossenen Risiken (Nr. 1 und 2 entsprechen ungefähr den Nr. 3 bis 5 des Römer-Vorschlags). Die positive Risikobezeichnung steht sinnvoller Weise am Anfang, da erst auf dieser Grundlage die Risikoausschlüsse verständlich werden. Letztere betreffen nicht nur Ausschlussklauseln in den AVB, sondern auch Ausschlüsse, die durch den Versicherungstyp als solchen bedingt sind.69 Typische Missverständnismöglichkeiten sollen anhand von eng begrenzten Beispielen ausgeschlossen werden.70 Ein Hinweis auf die nach § 172 Abs. 3 zulässige Ausschlussklausel in der Berufsunfähigkeitsversicherung wäre etwa zwingend erforderlich. Auch zu den in der Corona-Krise von 2020 besonders relevant gewordenen Verwechselungsgefahren zwischen der Betriebsunterbrechungsversicherung und der Betriebsschließungsversicherung dürften Hinweise erforderlich sein; denn ersterer Vertragstyp ist bei fehlender Sachbeschädigung als Grund für die Betriebsunterbrechung völlig ungeeignet; bei seuchenbedingter Betriebsschließung muss nach den praxisüblichen AVB eine behördliche Schließungsanweisung vorliegen.71 Fragen zur Prämienhöhe und -zahlung (bislang § 4 Nr. 3 VVG-InfoV a. F.) sind als solche nicht gekennzeichnet, sondern fallen unter „welche Verpflichtungen habe ich?“, lit. f. Lit. g ergänzt: „Wann und wie zahle ich?“; lit h: Deckungsbeginn und Ende. Der VN soll auf einen Blick erkennen, welche Zahlung er zu welchem Zeitpunkt zu leisten hat, und für welchen Zeitraum er dafür Versicherungsschutz als Gegenleistung erhält. Hinweise auf Deckungsverlust bei Nichtzahlung müssen hinzugefügt werden. Dabei reichen Verweise auf §§ 37 f. (§§ 38 f. a. F.) nicht aus. Es bedarf vielmehr einer konkreten Kurzbeschreibung ohne allzu voraussetzungsvolle Rechtsbegriffe: z. B. „Zahlungsverspätung“ statt Verzug. Nach lit. c–d werden Hinweise auf im Vertrag enthaltene Leistungsausschlüsse verlangt (wie bisher zu Nr. 2 und 4). Zu lit. f geht es nicht nur um die Prämie, sondern auch um Obliegenheiten und Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung, wie bisher nach Nr. 5–7. Die Darstellung ist wiederum auf Hinweise auf die AVB und praktisch wichtige Paradebeispiele zu beschränken, um dem VN deutlich zu machen, dass er bei Erfüllung der AVB-Tatbestandsmerkmale mit empfindlichen Einbußen an Versicherungsschutz rechnen muss.72 Genaue Angaben zur Höhe der Einbußen sind nicht einmal bei beispielhaften Angaben erfordert. Es genügt, dass der VN die wirtschaftliche Erheblichkeit erkennen kann. Lit. h verlangt Angaben zu Beginn und Ende des Versicherungsschutzes (s. Nr. 8 VVGInfoV a. F.). Möglichkeiten zur Beendigung des Vertrages (Nr. 9 VVG-InfoV a. F.) sind jetzt unter Kündigungsmöglichkeiten nach lit. i erfasst. Das Schutzende ist besonders deutlich zu kennzeichnen, wenn es zu einem anderen Zeitpunkt als das Vertragsende eintritt. Aber auch bei Übereinstimmung von Vertrags- und Schutzdauer muss letztere kurz und prägnant angegeben werden.73 Nach § 4 Abs. 3 VVG-InfoV a. F. musste bei der LV zu den Angaben zur Risikobeschreibung i. S. Abs. 2 Nr. 2 auch der Hinweis auf die Modellrechnung erfolgen, die nach § 154 nach wie vor zu erstellen ist, und für die § 3 Abs. 3 VVG-InfoV die drei aufzuführenden Zinssätze festlegte,

68 Begründung zur VVG-InfoV VersR 2008 186, 190. 69 Sog. primäre Risikoausschlüsse vgl. nur BGH 7.5.1991 – XI ZR 244/90, NJW 1991 1953; BGH 24.11.1988 – III ZR 188/87, VersR 1989 82, 83; dazu Bach VersR 1993 659 zu Nr. III 1 m. w. N. 70 Begründung zur VVG-InfoV VersR 2008 186, 190. 71 Vgl. nur Kunz Rechtsanwälte, https://www.kunzrechtsanwaelte.de/aktuelles/news/corona-deckung-im-rahmender-betriebsunterbrechungs-oder-betriebsschliessungsversicherung…, letzter Abruf v. 28.3.2020. 72 Kunz Rechtsanwälte, https://www.kunzrechtsanwaelte.de/aktuelles/news/corona-deckung-im-rahmen-der-betriebsunterbrechungs-oder-betriebsschliessungsversicherung…, letzter Abruf v. 28.3.2020. 73 Kunz Rechtsanwälte, https://www.kunzrechtsanwaelte.de/aktuelles/news/corona-deckung-im-rahmen-der-betriebsunterbrechungs-oder-betriebsschliessungsversicherung…, letzter Abruf v. 28.3.2020. 747

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auf die das Rechenmodell zu beziehen war.74 Das erklärt sich ganz einfach daraus, dass die verwiesene Vorschrift der IPID-VO nur für Nicht-LV gilt. 41 § 4 Abs. 4 verlangte schließlich für die LV, KV und Berufsunfähigkeitsversicherung, dass die Abschluss- und Vertriebskosten und die sonstigen Kosten in Euro gesondert auszuweisen waren. Wie zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 waren aber keine Einzelprovisionen auszuweisen, sondern nur aggregiertes Zahlenmaterial aufzuführen. Das fällt jetzt nicht etwa weg, da § 4 Abs. 2 S. 2 für diese Versicherungen eigens vorschreibt, die Prämie, Abschluss- und Vertriebskosten sowie die Verwaltungskosten in Euro gesondert auszuweisen. 42 Nochmals verdient das Knappheitsgebot des § 4 Abs. 5 S. 2 VVG-InfoV a. F. der Hervorhebung, weil es vor Gefahren der Informationsentwertung durch Überflutung schützte. Trotz der Streichung des Abs. 5 im neuen § 4 VVG-InfoV gilt das Gebot möglichster Informationsknappheit und Überschaubarkeit als Normzweck fort. Die Fülle der AVB-Regeln selbst sowie die der Informationsanforderungen nach § 7 und der übrigen Vorschriften der VVG-InfoV wäre selbst für den mündigen und informationsbereiten Verbraucher eine maßlose Überforderung, würde er nicht durch das knapper gefasste Produktinformationsblatt unterstützt.75 § 5 Informationspflichten bei Telefongesprächen (1)

Nimmt der Versicherer mit dem Versicherungsnehmer telefonischen Kontakt auf, muss er seine Identität und den geschäftlichen Zweck des Kontakts bereits zu Beginn eines jeden Gesprächs ausdrücklich offenlegen.

(2)

Bei Telefongesprächen hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer aus diesem Anlass nur die Informationen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 6 Buchstabe b, Nr. 7 bis 10 und 12 bis 14 mitzuteilen. Satz 1 gilt nur, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer darüber informiert hat, dass auf Wunsch weitere Informationen mitgeteilt werden können und welcher Art diese Informationen sind, und der Versicherungsnehmer ausdrücklich auf die Mitteilung der weiteren Informationen zu diesem Zeitpunkt verzichtet.

(3)

Die in §§ 1 bis 4 vorgesehenen Informationspflichten bleiben unberührt.

43 Schon die gebotene Offenlegung der Identität und des Gesprächszwecks zu Beginn des Telefonats ist praktisch wichtig, weil es werblich oft näher liegt, mit anderen Eingangsinformationen zu beginnen oder die Offenlegung ganz zu unterlassen. Sodann ist die VO aber flexibel und sieht von einigen Informationspflichten der §§ 2–4 ab, soweit ein Hinweis auf „weitere Informationen“ und deren Erlangung erfolgt. Abs. 3 lässt die Informationspflichten gem. §§ 1–4 insofern allerdings „unberührt“. § 6 Informationspflichten während der Laufzeit des Vertrages (1)

(2)

Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer während der Laufzeit des Versicherungsvertrages folgende Informationen mitzuteilen: 1. jede Änderung der Identität oder der ladungsfähigen Anschrift des Versicherers und der etwaigen Niederlassung, über die der Vertrag abgeschlossen worden ist; 2. Änderungen bei den Angaben nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe b, Nr. 7 bis 9 und 14 sowie nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 bis 7, sofern sie sich aus Änderungen von Rechtsvorschriften ergeben; 3. soweit nach dem Vertrag eine Überschussbeteiligung vorgesehen ist, alljährlich eine Information über den Stand der Überschussbeteiligung sowie Informationen darüber, inwieweit diese Überschussbeteiligung garantiert ist; dies gilt nicht für die Krankenversicherung. Bei der substitutiven Krankenversicherung nach § 146 Absatz 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes hat der Versicherer bei jeder Prämienerhöhung unter Beifügung des Textes der gesetzlichen Regelung auf die Möglichkeit des Tarifwechsels (Umstufung) gemäß § 204 des Versicherungsvertragsgesetzes hinzuweisen.

74 Kunz Rechtsanwälte, https://www.kunzrechtsanwaelte.de/aktuelles/news/corona-deckung-im-rahmen-der-betriebsunterbrechungs-oder-betriebsschliessungsversicherung…, letzter Abruf v. 28.3.2020. 75 Zur „kannibalischen“ Fehlfunktion von Informationsregeln vgl. nochmals instruktiv Eger/Schäfer/Rehberg 284. Herrmann

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Bei Versicherten, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, ist der Versicherungsnehmer auf Tarife, die einen gleichartigen Versicherungsschutz wie die bisher vereinbarten Tarife bieten und bei denen eine Umstufung zu einer Prämienreduzierung führen würde, hinzuweisen. Der Hinweis muss solche Tarife enthalten, die bei verständiger Würdigung der Interessen des Versicherungsnehmers für eine Umstufung besonders in Betracht kommen. Zu den in Satz 2 genannten Tarifen zählen jedenfalls diejenigen Tarife mit Ausnahme des Basistarifs, die jeweils im abgelaufenen Geschäftsjahr den höchsten Neuzugang, gemessen an der Zahl der versicherten Personen, zu verzeichnen hatten. Insgesamt dürfen nicht mehr als zehn Tarife genannt werden. Dabei ist jeweils anzugeben, welche Prämien für die versicherten Personen im Falle eines Wechsels in den jeweiligen Tarif zu zahlen wären. Darüber hinaus ist auf die Möglichkeit eines Wechsels in den Standardtarif oder Basistarif hinzuweisen. Dabei sind die Voraussetzungen des Wechsels in den Standardtarif oder Basistarif, die in diesem Falle zu entrichtende Prämie sowie die Möglichkeit einer Prämienminderung im Basistarif gemäß § 152 Absatz 4 des Versicherungsaufsichtsgesetzes mitzuteilen. Auf Anfrage ist dem Versicherungsnehmer der Übertragungswert gemäß § 146 Absatz 1 Nummer 5 des Versicherungsaufsichtsgesetzes anzugeben; ab dem 1. Januar 2013 ist der Übertragungswert jährlich mitzuteilen.

§ 6 Abs. 1 VVG-InfoV regelt die Informationspflichten nach Vertragsabschluss. Dazu muss 44 hauptsächlich auf die Kommentierung zu § 6 VVG verwiesen werden. Hier bleiben nur wenige Hinweise zu Besonderheiten mit Auswirkung auf das Verordnungsrecht. Allem voran fragt sich, wie mit neuen Pflichten zu § 6 VVG umzugehen ist, die in Rspr. und Lehre erst nach dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses entwickelt worden sind. Beispielsweise wurde in der Lit. erst kürzlich herausgearbeitet, dass KreditVR u. U. verpflichtet sind, ihren VN Hinweise zu geben, die sich aus vertragsfremden Umständen oder aus ihrem Risiko-Management zu Insolvenzgefahren von Schuldnern ergeben.76 Soweit diese zu den Angaben nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b, Nr. 7–9 und 14 sowie nach § 2 Abs. 1 Nr. 3–7 gehören, schreibt § 6 die Informationspflicht eigens vor. Zu den o. a. Fallbeispielen interessiert v. a. § 1 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b, der „wesentliche Merkmale der Versicherungsleistung“ betrifft. Was wesentlich in diesem Sinne ist, kann sich etwa auch aus der Werbung eines KreditVR ergeben, wenn sich damit hervortut, Fachmann des risk management sei schließlich der VR.77 Zudem ist zu bedenken, dass die IPID-VO Informationspflichten nach Vertragsschluss über- 45 haupt nicht kennt; denn im Kern geht es um die Überschussbeteiligung, die für die Nicht-LV i. S. der IPID-VO keine Bedeutung hat. Auch die PRIP-VO sieht keine Informationen während der Laufzeit des Vertrages vor. Es handelt sich demzufolge weiterhin um eine Besonderheit deutschen Rechts. Wegen der direkten Geltung der IPID-VO gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV78 könnte § 6 VVG-InfoV im Hinblick auf internationale Vertragsabschlüsse des Binnenmarkts aufgehoben sein. Jedoch sieht § 6 eine solche Einschränkung nicht vor; und zwar dies auch dann nicht, wenn der Vertrag grenzübergreifend abgeschlossen und deutsches Recht vereinbart wird. Darin liegt eine europarechtlich umstrittene Regelung, wenn der Verbraucherschutz im deutschen Recht zu weit getrieben wird und mit den Zielen einer wettbewerblichen Rechtsangleichung zur Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse im Binnenmarkt unvereinbar ist. In der Literatur wurden zu weitgehende Alleingänge deutschen Verbraucherschutzes bereits mehrfach kritisiert.79 Auch die Umsetzung der IDD in deutsches Recht wurde bereits verschiedentlich gerügt.80 Jedoch fehlt, soweit ersichtlich, eine spezifische Untersuchung zu EU-rechtlichen Vereinbarkeit des § 4 Abs. 2 VVG-InfoV und dessen Abschaffung der Mitteilung zu Beratungspflich76 Näher Langheid/Rixecker/Rixecker § 6; Herrmann VersR 2005 275, 280 ff.; zu § 4 Nr. 6 VVG-InfoV a. F. s. Prölss/ Martin/Rudy Rn. 7.

77 Beispiele aus der Praxis bei Herrmann VersR 2015 275, S. 276 f. 78 S. Herrmann zu § 7 Rn. 77 ff. 79 Zur Überschreitung von Maximalgrenzen von EU-Richtlinien vgl. nur Beckmann/Matusche-Beckmann/Brömmelmeyer § 42, Rn. 84; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich § 2 Rn. 63; Präve VersR 2008 151; Langheid/Wandt/ Armbruster § 2 VVG-InfoV Rn. 8. 80 Vgl. nur Beenken/Teichler RuS 2019 241; zum neuen Informationsblatt s. Reiff VersR 2019 661. 749

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ten nach Vertragsschluss. Man wird deshalb abzuwarten haben, wie die Rspr. mit dem Problem umgeht. Evtl. kommt eine europarechtskonforme Auslegung in Betracht, die bei der Abschaffung bleibt, bei Verträgen auf innerdeutschen Märkten aber besonderes Gewicht auf § 1 Abs. 1 Nr. 6b VVG-InfoV legt.81 46 Zur substitutiven KV, um die es in Abs. 2 geht, besteht seit der Deregulierung die Möglichkeit des Versicherungswechsels unter Mitnahme der Alterungsrückstellung.82 Deshalb muss in der Verbraucherinformation bei jeder Prämienerhöhung auf ebendiese Möglichkeit mit der sog. Umstufung i. S. des § 204 VVG besonders hingewiesen werden. Ist der VN 60 Jahre alt, müssen sogar Tarifbeispiele mit „gleichartigem Versicherungsschutz“ (nicht mehr als 10) genannt werden, bei denen eine Prämienreduzierung erfolgen würde; und auch der Standardtarif bzw. Basistarif sind in den Hinweis aufzunehmen. Der Übertragungswert i. S. § 146 Abs. 1 Nr. 5 VAG musste bis 2012 nicht genannt werden, war aber auf Anfrage anzugeben. Seit dem 1.1.2013 hat dazu aber doch eine jährliche Mitteilung auch ohne Antrag zu erfolgen (Abs. 2 S. 9). § 7 Übergangsvorschrift Für Versicherungsprodukte, die weder Versicherungsanlageprodukt im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1286/ 2014 noch Versicherungsprodukt im Sinne des Anhangs I der Richtlinie 2009/138/EG sind, kann der Versicherer bis einschließlich 31. Dezember 2018 das Produktinformationsblatt nach § 4 in seiner bis 13. März 2018 geltenden Fassung gestalten.

47 Versicherungsanlageprodukte i. S. dieser Vorschrift sind die zur PRIP-VO und dem darin geregelten Basisinformationsblatt erörterten Verträge.83 Zu Anhang I der Richtlinie 2009/138/EG wurde bei § 4 Abs. 2 VVG-InfoV bereits auf die doppelte Verneinung hingewiesen, aus der sich ergibt, dass nur die von der IPID-VO nicht erfassten Produkte gemeint sind, also die LV, BerufsunfähigkeitsV, UnfallV etc. Für diese Verträge durfte ProduktinfoBl. noch bis 13.3.2018 so weiter verwendet werden, wie es § 4 VVG-InfoV a. F. zuließ. D. h. es durfte noch der 9 Punkte-Katalog verwendet werden (dazu s. Voraufl. § 7 Rn. 46 ff.).

81 Ähnlich § 4 Abs. 3 für Ausn. von Versicherungsanlageprodukten i. S. der PRIP-VO; näher Bruck/Möller/Herrmann Einf. B Rn. 51 ff.

82 S. Herrmann § 7 Rn. 50 ff. 83 S. Herrmann § 7 Rn. 80. Herrmann

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§ 7a Querverkäufe (1) Wird ein Versicherungsprodukt zusammen mit einem Nebenprodukt oder einer Nebendienstleistung, das oder die keine Versicherung ist, als Paket oder als Teil eines Pakets oder derselben Vereinbarung angeboten, hat der Versicherer den Versicherungsnehmer darüber zu informieren, ob die Bestandteile getrennt voneinander gekauft werden können; ist dies der Fall, stellt er eine Beschreibung der Bestandteile der Vereinbarung oder des Pakets zur Verfügung und erbringt für jeden Bestandteil einen gesonderten Nachweis über Kosten und Gebühren. (2) Wird ein Paket angeboten, dessen Versicherungsdeckung sich von der Versicherungsdeckung beim getrennten Erwerb seiner Bestandteile unterscheidet, stellt der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine Beschreibung der Bestandteile des Pakets und der Art und Weise zur Verfügung, wie ihre Wechselwirkung die Versicherungsdeckung ändert. (3) Ergänzt ein Versicherungsprodukt eine Dienstleistung, die keine Versicherung ist, oder eine Ware als Teil eines Pakets oder derselben Vereinbarung, bietet der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit, die Ware oder die Dienstleistung gesondert zu kaufen. Dies gilt nicht, wenn das Versicherungsprodukt Folgendes ergänzt: 1. eine Wertpapierdienstleistung oder Anlagetätigkeit im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 2 der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, 2. einen Kreditvertrag im Sinne des Artikels 4 Nummer 3 der Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates oder 3. ein Zahlungskonto im Sinne des Artikels 2 Nummer 3 der Richtlinie 2014/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates. (4) Versicherer haben in den Fällen der Absätze 1 bis 3 die Wünsche und Bedürfnisse des Versicherungsnehmers im Zusammenhang mit den Versicherungsprodukten, die Teil des Pakets oder derselben Vereinbarung sind, zu ermitteln. (5) Wird eine Restschuldversicherung als Nebenprodukt oder als Teil eines Pakets oder derselben Vereinbarung angeboten, ist der Versicherungsnehmer eine Woche nach Abgabe seiner Vertragserklärung für das Versicherungsprodukt erneut in Textform über sein Widerrufsrecht zu belehren. Das Produktinformationsblatt ist dem Versicherungsnehmer mit dieser Belehrung erneut zur Verfügung zu stellen. Die Widerrufsfrist beginnt nicht vor Zugang dieser Unterlagen.

Schrifttum Brömmelmeyer Ist das Informationsmodell gescheitert? Ein Beitrag zur De- und Rekonstruktion versicherungsrechtlicher Informationspflichten, Festschrift Schwintowski (2017) 44; ders. Gläserner Vertrieb? – Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln in der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb, RuS 2016 269 ff.; Gruber Die Versicherungsvertriebsrichtlinie, ZFR 2016 211 f. (Teil 1), 275 (Teil 2); Knops Aufklärungs- und Beratungspflichten über Innenprovisionen im Restschuldversicherungsvertrieb, JZ 2020 21; ders. Sittenwidrigkeitsprüfung in gestörten Marktlagen – am Beispiel von Restschuldversicherungen, NJW 2019 1847; ders. in Groeben/Schwarze/Hatje Europäisches Unionsrecht 7. Aufl. 2015 Art. 38 GR-Charta (Verbraucherschutz); ders. in Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.) Dt. u. europ. Bank- u. KapitalmarktR, 3. Aufl. 2017, Bd. 1, § 17; Koch Verbraucherschutzvertrag, 2019 449 ff.; SchmitzElvenich/Krokhina Informationspflichten bei Restschuldversicherungen nach dem ders. Restschuldversicherung im Verbrauchskredit, VersR 2006 1455 ff. IDD-Umsetzungsgesetz, VersR 2018 129 f.; Mattern Das Informationsmodell im VVG unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die AGB-Kontrolle, Diss. Erlangen-Nürnberg 2010; Reiff Richtlinienwidrige Umsetzung des „Informationsblatts zu Versicherungsprodukten“ gem. Art. 20 Abs. 5–8 IDD durch § 4 Abs. 1 VVG-InfoV, VersR 2019 661 ff.; Reiff/Köhne Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/ 97 (IDD) aus rechtlicher und ökonomischer Sicht, VersR 2017 649 ff.; Rosenkranz Das Umsetzungsgesetz zur Wohn-

751 https://doi.org/10.1515/9783110522600-017

Knops

§ 7a VVG

Querverkäufe

immobilienkreditrichtlinie und die verbundenen Verträge, NJW 2016 1473 f.; Wandt Zur Auslegung von § 7a Abs. 5 VVG über die Restschuldversicherung, VersR 2019 590 ff.

Übersicht 1

III.

Ergänzung einer Dienstleistung durch eine Versi12 cherung (Absatz 3)

IV.

Ermittlung der Wünsche und Bedürfnisse des 15 VN (Absatz 4)

4

V.

Restschuldversicherung als Zusatzangebot (Ab17 satz 5)

Information des Kunden über das Vorliegen ei4 nes Koppelungsgeschäftes (Absatz 1)

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Kommentierung

I.

II.

2 3

Information des Kunden über den Unterschied der Versicherungsdeckung bei Paketangeboten 11 (Absatz 2)

21 22

A. Einführung 1 § 7a verpflichtet den VR bei sog. Querverkäufen, bei denen mit dem Versicherungsprodukt ein sog. Nebenprodukt oder eine sog. Nebendienstleistung angeboten werden, den VN vor allem über inhärente Besonderheiten dieser Produktkombination zu informieren.

I. Entstehungsgeschichte 2 § 7a ist durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze vom 20.7.2017 mit Geltung ab dem 23.2.2018 in das VVG eingefügt worden. Die Norm dient bis auf Abs. 5 der Umsetzung des Art. 24 Abs. 1 bis 3 und 6 der Richtlinie (EU) 2016/97, kurz Insurance Distribution Directive (im Folgenden nur IDD), die wiederum erkennbar an Regelungen in der MiFid II1 anknüpft.2 Die Regelung zu den Restschuldversicherungen in Abs. 5 ist hingegen nach berechtigter Kritik an dem insoweit defizitären RegE3 auf Empfehlung des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie,4 mithin unabhängig von der IDD auf eigene Initiative des deutschen Gesetzgebers entstanden.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 3 Querverkäufe waren vor Einführung der Norm im VVG nicht geregelt. Durch die Regelung treffen den VR bei solchen Geschäften im Wesentlichen spezifische Informationspflichten. Hinsicht-

1 RL 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der RL 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349–496.

2 Siehe im Einzelnen Gruber ZFR 2016 275 m. w. N. 3 Vgl. BTStenBer. 18/228, 22858, 23076 u. 23077. 4 Siehe Beschlussempfehlung vom 28.6.2017, BTDrucks. 18/13009 S. 52 f. Knops

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B. Kommentierung

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lich des Sinn und Zwecks der Regelung verweist der deutsche Gesetzgeber5 auf Erwägungsgrund 53 der IDD, wonach sog. Querverkäufe in der gesamten Europäischen Union von Versicherungsvertreibern dazu benutzt werden, neben dem eigentlichen Versicherungsprodukt noch eine Nebenleistung zu vertreiben, also mitzuverkaufen. Diese Nebenprodukte oder Nebendienstleistungen können für den Kunden Vorteile bringen, aber eben auch Gefahren in sich bergen, insbesondere, wenn deren Interessen nicht angemessen berücksichtigt werden. Entsprechend dem in der europäischen Gesetzgebung im Verbraucherschutz durchweg verfolgten Informationsmodell6 sollen solche Querverkäufe nicht etwa verboten oder auch nur beschränkt werden, sondern die Kunden lediglich über bestimmte Umstände informiert werden. Ausdrücklich wird in der Begründung der RL betont, dass die IDD nicht das Ziel verfolgt, den Vertrieb von Versicherungspolicen für Mehrfachrisiken zu unterbinden. Nur sollen nach Erwägungsgrund 54 von den Bestimmungen über Querverkäufe diejenigen Rechtsvorschriften der Union unberührt bleiben, die Regelungen über Querverkaufspraktiken bei bestimmten Waren- und Dienstleistungskategorien enthalten. Damit stellte sich für die nationalen Gesetzgeber die Aufgabe in Umsetzung der IDD auch diese Normen hinreichend zu berücksichtigen.

B. Kommentierung I. Information des Kunden über das Vorliegen eines Koppelungsgeschäftes (Absatz 1) „Querverkäufe“ (engl. „cross-selling“) betreffen in der Sache entweder die Koppelung, Bünde- 4 lung eines Versicherungsvertrag mit anderen Waren oder Dienstleistungen7 oder ein Angebot im „Paket“. Die Begriffe „Kopplungsgeschäft“ und „Bündelungsgeschäft“ stammen aus Art. 4 Nr. 26 bzw. 27 der Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17/EU,8 wo ein Immobiliar-Verbraucherdarlehen in einem Paket gemeinsam mit anderen gesonderten Finanzprodukten oder –dienstleistungen angeboten wird.9 Der systematische Unterschied zwischen beiden Geschäftstypen besteht darin, dass bei einem Koppelungsgeschäft der eine Vertrag nicht separat von dem anderen abgeschlossen werden kann, bei einem Bündelungsgeschäft hingegen eine derartige Anhängigkeit nicht vorliegt. Der Begriff des Pakets ist insofern indifferent, weil es beide genannte Formen, ggf. auch in Kombination miteinander beinhalten kann. Zusammen genommen gehören die Produktbündelung und Produktkopplung wie schlechthin Produktpakete zu den „Querverkäufen“ als Oberbegriff, womit die Praxis, bei der zwei oder mehr Produkte oder Dienstleistungen gemeinsam vertrieben werden, bezeichnet wird. Der Unterschied in der rechtlichen Behandlung solcher Geschäfte im Finanzdienstleistungs- 5 bereich besteht darin, dass Koppelungsgeschäfte im Verbraucherkreditbereich durch § 492a Abs. 1 S. 1 BGB weitgehend verboten sind10 und nur die in dem dortigen Abs. 1 S. 2 nicht aus5 RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 43. 6 Siehe dazu grundsätzlich von der Groeben/Schwarze/Hatje/Knops Europäisches Unionsrecht 7. Aufl. 2015, Art. 38 GR-Charta Rn. 20 f.; Derleder/Knops/Bamberger/Knops Dt. u. europ. Bank- u. KapitalmarktR, 3. Aufl. 2017, Bd. 1, § 17 Rn. 3 ff. sowie auf den VV bezogen Brömmelmeyer Festschrift Schwintowski 44 ff. sowie Mattern Das Informationsmodell im VVG unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die AGB-Kontrolle, passim. 7 Langheid/Rixecker § 7a Rn. 1; Brömmelmeyer RuS 2016 269, 276. 8 RL 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.2.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der RL 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (Wohnimmobilienkredit-RL), ABl. 2014 L 60, 34 v. 28.2.2014, zuletzt geändert durch Art. 58 ÄndVO (EU) 2016/1011 v. 8.6.2016 (ABl. 2016 L 171, 1). 9 Hinzuweisen ist zudem auf Art. 8 der RL 2014/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, dem Wechsel von Zahlungskonten und dem Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen, ABl L 257/214. 10 Die Ausnahmen sind in § 492a BGB benannt. 753

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Querverkäufe

drücklich als solche bezeichneten Bündelungsgeschäfte11 zulässig sind. Im Versicherungsbereich sind hingegen sämtliche Querverkäufe, also auch Kopplungsgeschäfte erlaubt, obwohl noch der Vorschlag für die Richtlinie über Versicherungsvermittlung vom 3.7.201212 in Art. 21 ebenfalls ein striktes Verbot von Kopplungsgeschäften in den Mitgliedstaaten vorsah. Beim Verbraucherkredit darf der professionelle Anbieter, weil er dem Kunden gegenüber in der überlegenen Position ist, diesen nicht zu dem Abschluss weiterer, mit dem Darlehensvertrag gekoppelter Verträge anhalten; Ziel ist es, die Betroffenen vor dem Abschluss von für sie nachteiligen, unvorteilhaften oder sonst wie belastenden Verträgen zu schützen. Zudem soll der Verbraucher ohne den Zwang zum Abschluss weiterer Verträge eine sachgerechte Entscheidung über die Inanspruchnahme des Darlehens treffen können. Neben diesem Zweck erwähnt Erwägungsgrund 24 Wohnimmobilienkredit-RL,13 dass der Verbraucher nicht zu Vertragsabschlüssen angehalten werden soll, die seine Mobilität gefährden. Letztlich geht es bei dem Verbot der Koppelungsgeschäfte im Verbraucherkreditsektor darum, die Handlungsfreiheit des Verbrauchers, der eben frei wählen können soll, mit wem er und über welchen Vertragsgegenstand er neben dem eigentlichen Darlehensvertrag kontrahiert, zu erhalten. Das weitgehende Verbot von Koppelungsgeschäften garantiert damit die Vertragsabschluss- und Vertragspartnerwahlfreiheit, in Maßen auch die Inhaltsfreiheit. Das alles zählt im Versicherungsbereich – offenbar nach Lobbyarbeit der Versicherungswirtschaft gegen den o. g. IDD-Richtlinienvorschlag – nichts oder nur wenig: Der Kunde wird bei Koppelungsgeschäften lediglich darüber informiert, dass die Bestandteile eben nicht getrennt voneinander erworben werden können (Abs. 1), was für sich genommen allenfalls einen geringen Informationswert hat, aber in keiner Weise den o. g. Gefahren entgegenwirkt und die Privatautonomie des Kunden gerade nicht stärkt. 6 Anwendbar ist Abs. 1 nur dann, wenn der Versicherungsvertrag das Hauptprodukt ist und dieses mit einem Nebenprodukt oder einer Nebendienstleistung angeboten wird. Beispielhaft können hierzu der Querverkauf von Sachversicherungsverträgen mit Assistance-Dienstleistungen14 oder Reisekrankenversicherungen mit Rücktransportdienstleistungen15 genannt werden. Die praktisch viel größere Gruppe bilden demgegenüber diejenigen Querverkäufen, bei denen die Versicherung die Nebenleistung ist (Abs. 3) – wie vor allem die massenhaft vorkommenden Restschuldversicherungen im Konsumentenkreditsektor (dazu Abs. 5). Zudem sollen Versicherungsanlageprodukte mit Zusatzdienstleistungen unter Abs. 1 fallen wie bspw. fondsgebundene Lebensversicherungen, zu denen ein Fondsmanagement angeboten wird.16 Bei Versicherungsanlageprodukten gelten zudem die spezielle Informationspflichten nach den §§ 7 b und c.17 7 Weiter darf das Nebenprodukt oder die Nebendienstleistung selbst keine Versicherung sein.18 Hinzuweisen ist hier insbesondere auf die zahlreichen Assistance-Dienstleistungen in der D&O- und Cyberversicherung, bei denen es sich um Versicherungsleistungen handelt, obgleich sie Sach- und Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Für die Einordnung als Versicherungsvertrag ist insoweit entscheidend, dass die Gegenleistung des VN (Prämie) nicht danach bemessen wird, dass jeder Vertrag aus sich selbst heraus finanziert wird; die Prämie muss vielmehr so kalkuliert werden, dass zur Abdeckung von Verlusten aus einem Vertrag mit ungünstigem Risikoverlauf auf die Einnahmen aus Verträgen zurückgegriffen werden kann, die einen günsti-

11 Begr RegE, BTDrucks. 18/5922 S. 82; Rosenkranz NJW 2016 1473 (1474). 12 COM(2012) 360 final. 13 RL 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.2.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der RL 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. L 60, 34, ABl. 2015 L 47, 34 und L 246, 11), geändert durch Art. 58 ÄndVO (EU) 2016/1011 v. 8.6.2016 (ABl. L 171, 1). 14 Siehe Langheid/Rixecker Rn. 2; Reiff/Köhne VersR 2017 649 (654): Hausratversicherung zusammen mit einem Dienstleistungsvertrag für Notfälle im Haushalt („Assistance“). 15 Prölss/Martin/Dörner Vorbem. § 59 Rn. 24. 16 Langheid/Rixecker Rn. 2. 17 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi § 7a Rn. 8. 18 Langheid/Rixecker Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 7. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 7a

gen Risikoverlauf aufweisen.19 Belanglos ist aber, von wem die Angebote stammen. Die Norm setzt also keine Personenverschiedenheit der Anbieter voraus, auch wenn der VR aufsichtsrechtlich selbstverständlich § 15 Abs. 1 VAG zu beachten hat. Zudem müssen beide Leistungen entweder „als Paket oder als Teil eines Pakets oder derselben Vereinbarung“ angeboten werden. Eine genaue und trennscharfe Abgrenzung zwischen diesen Begriffen ist nicht möglich20 und wohl auch nicht erforderlich, weil es immer nur darum geht, dass dem VN verschiedene Leistungen zusammen offeriert werden. Entscheidend ist daher, dass die Produkte und Dienstleistungen dem Kunden zusammen 8 angeboten werden und der VN in jedem Fall dahingehend informiert werden muss, ob die Bestandteile getrennt gekauft werden können. Ist das nicht der Fall, liegt natürlich trotzdem ein Fall des § 7a vor,21 nämlich des Abs. 1 1. Halbs., nur muss der VN dann nicht weiter informiert werden. Können die Bestandteile hingegen getrennt erworben werden, muss der VR (und nicht etwa auch ein personenverschiedener Anbieter der Nebendienstleistung oder des Nebenprodukts) den VN entsprechend Abs. 1 2. Halbss. informieren; ein Dritter ist dazu nur verpflichtet, wenn dies anderweitig spezialgesetzlich angeordnet ist. Für den VR wird hinsichtlich dieser Information ggf. die Schwierigkeit bestehen, nicht darüber Auskunft erteilen zu können, ob der Anbieter der Nebenleistung oder des Nebenprodukts diese auch ohne die Versicherung verkauft, sondern kann nur rechtsverbindlich mitteilen, ob er selbst die Versicherung auch ohne die Drittleistung verkauft oder nicht.22 Im Fall der Möglichkeit zum getrennten Erwerb muss der VR die Bestandteile der Vereinba- 9 rung oder des Pakets im Einzelnen beschreiben, also je nach Leistungsinhalt getrennt aufführen. Hinzukommen müssen gesonderte Nachweise über die Kosten und Gebühren für jeden Bestandteil des Angebots. In der Sache geht es dabei um einen getrennten Ausweis und eine getrennte Darstellung der genannten Posten für jeden Teil, mit dem der VR die erforderlichen Informationen über deren Zuordnung und Anfall erbringt. Keineswegs ist es richtig, dass die Information über „Gebühren“ keine eigenständige Bedeutung hätten, weil sie Teil der Kosten wären;23 vielmehr gehören diese nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 IDD zu den „Vergütungen“, wohingegen die Kosten die Aufwendungen des Anbieters meinen. Die in Art. 17 Abs. 1 IDD und § 7a Abs. 1 VVG getroffene Unterscheidung beider Positionen ist aus Kundensicht inhaltlich sinnvoll, weil er daran das Interesse des Anbieters bemessen kann. Erforderlich ist schließlich die ordnungsgemäße Zurverfügungstellung der genannten In- 10 formationen gegenüber dem VN, wofür das Gesetz aber keine weiteren Vorgaben macht und auch die VVG-InfoVO nicht ergänzt wurde. Die Informationserteilung kann daher auch mündlich erfolgen, was sich aber schon aus Beweisgründen nicht empfiehlt.

II. Information des Kunden über den Unterschied der Versicherungsdeckung bei Paketangeboten (Absatz 2) Lediglich für den Fall, dass sich bei Paketangeboten die Versicherungsdeckung von der bei 11 einem getrennten Erwerb seiner Bestandteile unterscheidet, muss der VR dies beschreiben. In Art. 24 Abs. 2 IDD ist über den Wortlaut des Abs. 2 hinaus nicht nur der Unterschied hinsichtlich der Versicherungsdeckung zwischen einem Paket- und Einzelverkauf, sondern ein solches hinsichtlich des Risikos ausdrücklich benannt. Richtlinienkonform und in erweiternder Auslegung ist der VN mithin zudem darüber zu informieren, wenn das Risiko oder der 19 Siehe hierzu ausführlich Koch VersR 2019 449 ff., der zudem darauf hinweist, dass der Themenkreis auch noch eine aufsichtsrechtliche Dimension (Stichwort versicherungsfremdes Geschäft, vgl. § 15 VAG) hat. 20 In diesem Sinne wohl auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 9. 21 A.A. Langheid/Rixecker Rn. 3. 22 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 10. 23 So Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 11. 755

Knops

§ 7a VVG

Querverkäufe

Deckungsschutz auch davon abhängt, ob die Produkte im Paket oder separat erworben werden. Ein echter Schutz des Kunden wie im Verbraucherkreditbereich vorgesehen (o. Rn. 5) liegt auch darin nicht.

III. Ergänzung einer Dienstleistung durch eine Versicherung (Absatz 3) 12 Abs. 3 erfasst allein den Fall, dass der Versicherungsvertrag im Gegensatz zu Abs. 1 nicht das Hauptprodukt, sondern das Nebenprodukt ist.24 So liegt es bspw. bei der Restschuldversicherung, die im Verhältnis zum Darlehensvertrag immer nur Nebenprodukt sein kann, weil es ohne diesen keine Rückzahlungs- und Zinsansprüche gibt, deren Absicherung die Restschuldversicherung dienen könnte. Gleiches gilt für Sachversicherungsverträge, die den Erwerbsgegenstand von Kaufverträgen gegen Gefahren absichern wie z. B. sog. Handyversicherungen.25 Das Hauptprodukt darf zudem nicht auch eine Versicherung sein, sondern muss eine versi13 cherungsfremde Ware oder Dienstleistung betreffen. Entsprechend Art. 23 Abs. 3 S. 2 IDD ausgenommen sind Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 MiFid II,26 mithin jede im dortigen Anhang I Abschnitt A genannte Dienstleistung und Tätigkeit, die sich auf eines der Instrumente in Anhang I Abschnitt C bezieht (Abs. 3 S. 2 Nr. 1). Weiter ausgenommen sind Kreditverträge i. S. d. Art. 4 Nr. 3 Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2014/17/EU,27 also in Deutschland Immobiliar-Verbraucherdarlehen i. S. d. § 491 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, Abs. 3 BGB (Abs. 3 S. 2 Nr. 2) sowie Zahlungskonten i. S. d. Art. 2 Nr. 3 der RL 2014/92/EU,28 demzufolge auf den Namen eines oder mehrerer Verbraucher lautende Konten, die für die Ausführung von Zahlungsvorgängen genutzt werden (Abs. 3 S. 2 Nr. 3). 14 Nach Abs. 3 S. 1 hat der VR dem VN die Möglichkeit zu bieten, die Ware oder die Dienstleistung gesondert zu kaufen. Das aber kann er rechtlich betrachtet in aller Regel nicht, da er weder Anbieter dieser Leistungen ist oder wegen § 15 Abs. 1 VAG sein kann, es sein denn er würde in Vollmacht des anbietenden Dritten handeln dürfen. Damit läuft die Norm aber nicht völlig ins Leere.29 Eine gesetzliche Pflicht des VR, den Kooperationspartner des Hauptprodukts zu verpflichten, dieses auch ohne Versicherungsschutz anzubieten, ist nicht ersichtlich30 – abgesehen davon, dass der Wortlaut der Norm dies nicht einmal andeutet. Sinn und Zweck der Norm bleibt die Umsetzung des Art. 24 Abs. 3 S. 1 IDD, der die Bündelung erlaubt, eine Kopplung hingegen nicht.31

24 Langheid/Rixecker Rn. 4; Reiff/Köhne VersR 2017 654. 25 Vgl. Brömmelmeyer RuS 2016 269 m.w.Bsp. Zu solchen Mobile Phone Insurance (MPI) siehe den Report on Consumer Protection Issues arising from the sale of Mobile Phone Insurance, EIOPA-BoS-15-235, 16 ff.

26 RL 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der RL 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349–496.

27 RL 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.2.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der RL 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (Wohnimmobilienkredit-RL), ABl. 2014 L 60, 34 v. 28.2.2014, zuletzt geändert durch Art. 58 ÄndVO (EU) 2016/1011 v. 8.6.2016 (ABl. 2016 L 171, 1). 28 RL 2014/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen. 29 Dies übersieht Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 14. 30 So aber Langheid/Rixecker Rn. 6; ebenso Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 14. 31 Gruber ZFR 2016 275. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 7a

IV. Ermittlung der Wünsche und Bedürfnisse des VN (Absatz 4) Gemäß Abs. 4 ist der VR in allen genannten Fällen der Abs. 1 bis 3 verpflichtet, die Wünsche 15 und Bedürfnisse des VN zu ermitteln, die im Zusammenhang mit den Versicherungsprodukten, die Teil des Pakets oder derselben Vereinbarung sind, stehen. Aus dem Wortlaut des Abs. 4 lässt sich zunächst eine dreifache Begrenzung der Verpflichtung des VR entnehmen. Unzweideutig hat er zum einen nur insoweit die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zu ermitteln, die sich auf dessen Rolle als VN beziehen. Aus dem Sinnzusammenhang kann es für den VR auch nur um solche Ermittlung bei dem Kunden gehen, die sich auf die vom ihm selbst angebotenen Versicherungen beziehen. Daraus folgt sogleich, dass der VR zum dritten nicht die Wünsche und Bedürfnisse des VN in Bezug auf die von einem oder mehreren Dritten angebotenen Produkte oder Dienstleistungen beziehen muss, gleich ob als Haupt- oder Nebenleistung angeboten. Allerdings geht es immer darum, die Belange des VN zu ermitteln, die im Zusammenhang 16 mit den Versicherungsprodukten, die Teil des Pakets oder derselben Vereinbarung stehen. Insoweit darf sich die Exploration des VN also nicht allein auf die von VR angebotene Versicherung beziehen, sondern sich auf das Verhältnis zu den anderen Produkten oder Dienstleistungen beziehen. Das dürfte je nach Versicherung leicht oder nur überaus schwer zu erfüllen sein. Ohne große Schwierigkeiten kann ein VR beim Verkauf eines Nebenproduktes (dazu Abs. 3) gerade wenn es sich um eine Restschuldversicherung handelt, als Finanzdienstleister feststellen, ob überhaupt ein Bedürfnis nach einer Absicherung des Kreditrisikos besteht, etwa wenn das Darlehen bereits grundpfandlich oder durch eine andere Versicherung wie eine Lebensversicherung besichert ist und die angebotene Restschuldversicherung das Todesfallrisiko nochmals abdecken soll. Schon schwieriger dürften bspw. die Bedürfnisse des VN in Erfahrung zu bringen sein, wenn die Versicherung als Nebenprodukt ein ansonsten nicht gedecktes Risiko sichern soll. Beim Käufer eines Smartphones für das zugleich eine Handyversicherung angeboten werden soll, käme es wohl auf den Wert des Kaufgegenstandes, seine Verwendung und das Risiko der Beschädigung oder dessen Untergangs etc. an. Insoweit dürfte es viele Parameter geben, die für den Kunden, also hinsichtlich der Wünsche und Bedürfnisse des VN eine Rolle spielen. Hinsichtlich des Umfanges der Exploration und der Produktberatung ist generell § 6 als Maßstab anzusehen.32 Deutlich intensiver sind allerdings die Pflichten des VR, wenn die Versicherung das Hauptprodukt ist. Dann spielen die Umstände, die sich daraus ergeben, dass ein oder mehrere Haupt- und Nebenprodukte als Paket oder als Teil eines Pakets oder in derselben Vereinbarung angeboten werden, für ihn eine größere Rolle als wenn die Versicherung nur das Nebenprodukt wäre. Der VR kann die spezifischen Umstände und Auswirkungen der vom ihm selbst angebotenen Versicherungsprodukte in diesem Fall in Bezug auf das Nebenprodukt besser beurteilen als im umgekehrten Fall.

V. Restschuldversicherung als Zusatzangebot (Absatz 5) Häufig werden Restschuldversicherungen (im Folgenden RSV) bei Allgemein-Verbraucherdar- 17 lehensverträgen angeboten. Sie sichern die Ansprüche des Darlehensgebers auf die Vertragszinsen und Rückzahlung des Darlehens.33 Zuweilen werden RSV auch für Leasingverträge oder sonstige Finanzierunghilfen angeboten. Hingegen kommen derartige Versicherungen bei Immobiliar-Verbraucherdarlehen nur selten vor, weil das den Kreditnehmern durchweg abverlangte Sicherungspaket bestehend aus Sicherungsgrundschuld und persönlicher Haftungsübernahme nebst Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung bei Einhaltung der banküblichen Beleihungsgrenzen eine derart hohe Sicherheit für den Darlehensgeber hinsichtlich des Anspru32 Vgl. Langheid/Rixecker Rn. 8. 33 Zum Ganzen Knops VersR 2006 1455 ff. 757

Knops

§ 7a VVG

Querverkäufe

ches auf Rückgewähr der Valuta und Zahlung der Vertragszinsen bietet, dass ein Ausfall statistisch vernachlässigbar ist und solche RSV – von Übersicherungsfragen abgesehen – von Kreditnehmern in aller Regel wegen ihrer exorbitant hohen Kosten vollkommen zurecht nicht akzeptiert werden. Im gewerblichen Kreditbereich existieren – soweit ersichtlich – bislang keine RSV. Gleichwohl gilt die Norm wie schlechthin das Widerrufsrecht nach § 8 für jeden VN, unabhängig davon, ob er Verbraucher oder Unternehmer ist.34 Abs. 5 adressiert nur die Fälle, in den der Darlehensnehmer auch der VN werden soll;35 18 für Vertragsschlüsse im sog. Gruppenversicherungsmodell hat der Gesetzgeber mit § 7d eine Spezialvorschrift geschaffen. Wird einem Darlehensnehmer eine RSV angeboten, hat der VR den VN eine Woche nach Abgabe dessen Vertragserklärung für die RSV erneut, also ein zweites Mal, und zwar wiederum in Textform über sein Widerrufsrecht zu belehren. Hinsichtlich der Pflicht zu erneuten Belehrung wird neuerdings bestritten, dass es überhaupt eine Pflicht des VR gebe, den VN zu belehren, weswegen es auch keine „erneute“ Belehrungspflicht geben könne.36 Dabei folgt die Pflicht zur ersten Belehrung zum einen generell aus der nationalen Regelung des § 8 und zum anderen aus den einschlägigen europäischen Richtlinien, deren Umsetzung § 8 dient (s. § 8 Rn. 4). Der Sinn und Zweck der Regelung besteht darin, dass dem Verbraucher eine zusätzliche Gelegenheit gegeben werden soll, sich erneut überlegen zu können, ob die abgeschlossene Restschuldversicherung bestehen bleiben oder ob die Vertragserklärung, soweit sie sich auf den Versicherungsvertrag bezieht, widerrufen werden soll.37 Mit der Widerrufsbelehrung, die im Übrigen für alle anderen Verträge, für die der Gesetzgeber ein solches Recht vorgesehen hat, einheitlich Widerrufsinformation heißt, muss der VR dem VN zudem das für die RSV bestimmte Produktinformationsblatt gemäß § 4 VVG-InfoV erneut zur Verfügung zu stellen, wenn dieser Verbraucher ist.38 Der VR muss den VN nicht taggenau eine Woche nach Abgabe seiner Vertragserklärung 19 für die RSV erneut belehren, was auch auf fast unüberwindbare praktische Schwierigkeiten stoßen würde, wenn etwa das Fristende auf einen Feiertag fällt.39 Wird sie nach Ablauf der Wochenfrist erteilt, läuft die Widerrufsfrist von dann an eine Woche weiter. Belehrt der VR hingegen zu früh, also vor Ablauf der Wochenfrist, entfaltet die Belehrung keine Wirkung in Bezug auf die Widerrufsfrist. Fraglich ist, ob der VR die Widerrufsbelehrung in diesem Fall nach Ablauf der Wochenfrist nachholen,40 also gänzlich neu erteilen muss. Genügend dürfte sein, dass der VR dem VN die unter Bezugnahme auf die erteilte erneute Belehrung mitteilt, wann die Widerrufsmöglichkeit zeitlich endet. Zu ihrer eigenen Sicherheit sollten VR aber in solchen Fällen den VN nochmals belehren. 20 Die Widerrufsfrist beginnt gem. § 187 Abs. 1 BGB und endet gem. § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB; ein ausdrücklicher Hinweis auf die Berechnung der Frist ist nicht erforderlich.41 Sie beginnt aber nicht vor Zugang der vorgenannten Unterlagen, was zugleich bedeutet, dass die erste Widerrufsbelehrung hinsichtlich der dort genannten Widerrufsfrist ihre Wirkung verliert, de facto also unzutreffend ist, weil die Frist nun um eben die eine Woche verlängert wird. Die Anknüpfung an die Vertragserklärung des VN und nicht an den Vertragsschluss lädt zum Missbrauch ein. Der VR müsste hinsichtlich der Annahme des Vertragsangebots durch den VN nur insgesamt 22 Tage (14 Tage gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 plus 7 Tage nach § 7a Abs. 5 S. 1) warten, damit die

34 35 36 37

Wandt VersR 2019 590, 592 wie generell die IDD s. Gruber ZFR 2016 211, 212. Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129; Langheid/Rixecker Rn. 9. Vgl. Langheid/Rixecker Rn. 11 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 21. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie vom 28.6.2017 BTDrucks. 18/ 13009 S. 53. 38 Schwintowski/Brömmelmeyer/Sajkow § 4 VVG-InfoV Rn. 1; Langheid/Rixecker/Gal § 4 VVG-InfoV Rn. 6; a. A. Reiff VersR 2019 661, 664 f. 39 Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129, 130. 40 So Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129, 130. 41 Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129, 130 m. w. N. Knops

758

D. Beweislast

VVG § 7a

Widerrufsfrist bereits abgelaufen ist, wenn der Vertrag zustande kommt. Die Belehrung über das Widerrufsrecht als solche und erneute Belehrung nach Abs. 5 verliert somit wesentlich ihren Sinn, weil Verbraucher typischerweise oft erst dann über die mit dem Vertrag verbundenen Lasten und damit über die Ausübung des Widerrufsrechtes nachdenken, wenn der Vertrag überhaupt zustande gekommen ist und sie an ihn gebunden sind. Insgesamt empfiehlt es sich daher, das Widerrufsrecht von Versicherungsverträgen einheitlich nach dem Vorbild der §§ 355 ff. BGB zu gestalten oder alternativ gleich auf die Regeln im BGB zu verweisen, wo das Verbraucherrecht mittlerweile konzentriert ist.

C. Abdingbarkeit Die Rechte des VN, vor allem das Widerrufsrecht noch seine Bedingungen wie die genannte 21 Frist können durch AVB oder AGB nicht einschränkt werden.

D. Beweislast Der VR muss darlegen und beweisen, dass er seinen Pflichten nachgekommen ist, insbesondere, 22 dass er den VN ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht § 8 erneut in Textform belehrt und ihm zudem das Produktinformationsblatt mit dieser Belehrung erneut zur Verfügung gestellt hat.

759

Knops

§ 7b Information bei Versicherungsanlageprodukten (1) Bei Produkten, die Versicherungsanlageprodukte im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 17 der RL (EU) 2016/97 sind, sind dem Versicherungsnehmer angemessene Informationen über den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten und sämtliche Kosten und Gebühren rechtzeitig vor Abschluss des Vertrags zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen enthalten mindestens das Folgende: 1. wenn eine Beratung erfolgt, die Information darüber, ob dem Versicherungsnehmer eine regelmäßige Beurteilung der Eignung des Versicherungsanlageprodukts, das diesem Versicherungsnehmer empfohlen wird, gemäß § 7c geboten wird; 2. geeignete Leitlinien und Warnhinweise zu den mit Versicherungsanlageprodukten oder mit bestimmten vorgeschlagenen Anlagestrategien verbundenen Risiken; 3. Informationen über den Vertrieb des Versicherungsanlageprodukts, einschließlich der Beratungskosten und der Kosten des dem Versicherungsnehmer empfohlenen Versicherungsanlageprodukts; 4. wie der Versicherungsnehmer Zahlungen leisten kann, einschließlich Zahlungen Dritter. (2) Die Informationen über alle Kosten und Gebühren, einschließlich Kosten und Gebühren im Zusammenhang mit dem Vertrieb des Versicherungsanlageprodukts, die nicht durch das zugrunde liegende Marktrisiko verursacht werden, sind in zusammengefasster Form zu erteilen; die Gesamtkosten sowie die kumulative Wirkung auf die Anlagerendite müssen verständlich sein; ferner ist dem Versicherungsnehmer auf sein Verlangen eine Aufstellung der Kosten und Gebühren zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen werden dem Versicherungsnehmer während der Laufzeit der Anlage regelmäßig, mindestens aber jährlich, zur Verfügung gestellt.

Schrifttum Andresen/Gerold Basisinformationsblatt – PRIIPs-Verordnung: Neuer EU-weiter Standard der Produktinformationen für Verbraucher, BaFin Journal 8/2015 31; Baier Versicherungsanlageprodukte in: Raschauer (Hrsg.) Versicherungsvertrieb nach IDD (2018) 87 ff.; Baroch Castellvi Zum Anwendungsbereich der PRIIP-Verordnung auf Produkte von Lebensversicherern – was ist ein Versicherungsanlageprodukt? VersR 2017 129 ff.; Beyer Unionsrechtliche Neuregelung der Beratungs- und Informationspflichten für Versicherungsanlageprodukte, VersR 2016 293 ff.; Brömmelmeyer Gläserner Vertrieb? – Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln in der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb, RuS 2016 269 ff.; Bürkle Sind konventionelle deutsche Lebensversicherungen europäische Versicherungsanlageprodukte? VersR 2017 331 ff.; Derleder/Knops/Bamberger Deutsches und europäisches Bank- u. Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2017); Fenyves/Koban/Perner/Riedler (Hrsg.) Die Umsetzung der IDD in das österreichische Recht (2019); Fenyves/Schauer (Hrsg.) Die neue Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (IDD) – Zur Umsetzung in Österreich, 119 ff.; Gerold/Kohleick Aktuelle europäische Vorgaben für das Basisinformationsblatt nach der PRIIPVO, RdF 2017 276 ff.; Gruber/Baier Vergütungen nach der IDD, VersR 2018 1093 ff.; Gruber Die Versicherungsvertriebsrichtlinie, ZFR 2016 211 (Teil 1), 275 (Teil 2); Grüneberg Die Bankenhaftung bei Kapitalanlagen nach der Rechtsprechung des BGH (2017); Karczewski Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des BGH in banknahen Fallgestaltungen – Teil I – WM 2019 381 ff.; Kohleick/Gerold/Werner/Gierse Versicherungsanlageprodukte – Neue Regeln ab 2018: Anwendungsbereich im deutschen Markt, BaFin-Journal 8/2017 34 ff.; Köhne Ökonomische Aspekte der neuen IMD2 vom 26.2.2014, ZVersWiss 2014 243 f.; Poelzig Versicherungsanlageprodukte im Fokus des EU-Rechts – Anlegerschutz im Versicherungsrecht, ZBB 2015 108 ff.; Reiff Die Richtlinie 2016/97 über Versicherungsvertrieb RuS 2016 593 ff.; Reiff/Köhne Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinien (EU) 2016/97 (IDD) aus rechtlicher und ökonomischer Sicht, VersR 2017 649 ff.; Rüll Die neue Versicherungsvertriebsrichtlinien – zugleich Anmerkungen zum Regierungsentwurf des Umsetzungsgesetzes, VuR 2017 128, 133; Schuster/Gatschke Beurteilung von Ratenzahlungszuschlägen, VuR 2004 283 ff.; Werber Rechtsvergleichende Betrachtungen zum deutschen und österreichischen Recht der Versicherungsvermittlung, VersRdsch. 5-2016 26 ff.

Knops https://doi.org/10.1515/9783110522600-018

760

A. Einführung

VVG § 7b

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Kommentierung

I.

Informationen über Versicherungsanlageproduk4 te (Abs. 1) 5 Versicherungsanlageprodukte 12 Informationen 13 a) Angemessene Informationen aa) Vertrieb von Versicherungsanlagepro14 dukten bb) Sämtliche Kosten und Gebüh15 ren 16 cc) Mindestangaben

1. 2.

2 3

4

3. 4. 5.

21 Informationsverpflichtete 22 Rechtzeitigkeit 24 Zurverfügungstellung

II.

5.

Art und Weise der Informationsgabe, insbes. 25 über die Kosten und Gebühren (Abs. 2) 25 Überblick Kosten in zusammengefasster Form (Abs. 2 S. 1 26 Hs. 1) 27 Verständlichkeit (Abs. 2 S. 1 Hs. 2) Kostendarstellung auf Verlangen des VN (Abs. 2 28 S. 1 Hs. 3) 29 Regelmäßige Angaben (Abs. 2 S. 2)

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

1. 2. 3. 4.

30 31

A. Einführung Versicherungsanlageprodukte, die im europ. Sprachgebrauch und demgemäß auch im Folgen- 1 den IBIP1 genannt werden, gehören zu den gängigen Produkten des europäischen Kapitalmarktes.2 Wie im Kapitalanlagerecht auch sonst, ist bei deren Vertrieb grundsätzlich zwischen Informations-, Warn-, Aufklärungs- und Beratungspflichten zu unterscheiden. Informationen werden von Finanzdienstleistern regelmäßig aus eigenem Antrieb und seltener auf Verlangen des Kunden erteilt. Oft geht es für die Anbieter darum, den verschieden gesetzlichen Pflichten zur Information ihrer Kunden wie nach § 7b nachzukommen. Das geschieht sinnvollerweise rechtzeitig vor Eingehung der vertraglichen Bindung – auch damit der Kunde verschiedene Angebote im Binnenmarkt miteinander vergleichen kann. Warnpflichten bestehen zuweilen wie nach § 7c Abs. 2 S. 4 u. 5 auf gesetzlicher Anordnung und betreffen systematisch einen Unterfall der Information. Zumeist sind Warnungen vor einer drohenden Gefahr oder einem drohenden Nachteil aber nicht aufgrund einer spezifischen gesetzlichen Norm, sondern allgemein als Nebenpflicht i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen auch über den Vertragsverlauf hinweg bei konkreten Anlässen geschuldet oder können auch erst auf Hinweise oder Anfragen des Kunden geboten sein. Die Aufklärung des Kunden betrifft auch die Mitteilung von Tatsachen; im Gegensatz zur Information/Auskunft werden aber nicht nur einzelne Tatsachen mitgeteilt, sondern ein systematischer, auf den Vertragsgegenstand bezogener Tatsachenzusammenhang, dessen Umfang vom Wissenstand des Kunden abhängt. Ihr Ziel besteht vor allem darin, dem Kunden Klarheit über den Vertragsgegenstand zu verschaffen. Dabei steht es in der Verantwortung des Finanzdienstleisters, über welche Tatsachen der Kunde im Einzelnen aufzuklären ist. Bei der Beratung geht es wiederum um Mitteilung von Tatsachen und zusätzlich um deren Bewertung, wobei ein Ermessensspielraum besteht. Hierbei muss dem Kunden eine begründete Handlungsoption vorgeschlagen werden, die zumeist, aber nicht notwendig auf gemeinsamen Überlegungen bzw. Absprachen beruhen. Am Schluss eines solchen Prozesses steht 1 Aus dem Englischen „insurance-based investment products“. 2 Siehe nur die Auflistung der Europäische Kommission, Kapitalmarktunion: Fortschritte beim Aufbau eines Kapitalbinnenmarkts für eine starke Wirtschafts-und Währungsunion {SWD (2019) 99 final} v. 15.3.2019 COM (2019) 136 final. 761

Knops

§ 7b VVG

Information bei Versicherungsanlageprodukten

die Empfehlung als gesteigerter Rat, der die Beratung auf eine Alternative beschränkt und dem Kunden eine bestimmte Handlung nahegelegt wird. Hier übernimmt der Finanzdienstleister für Kunden eine Auswahl, doch berücksichtigt er dabei auch zwingend seine konkrete Person und Situation; dazu hat er sich über alle für die Empfehlung relevanten Umstände bei ihm zu erkundigen, wozu in aller Regel auch die Verpflichtung gehört, den Wissensstand und die Risikobereitschaft und Leistungsfähigkeit des Kunden abzufragen.

I. Entstehungsgeschichte 2 § 7b ist durch das Gesetz zur Umsetzung der RL (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze vom 20.7.2017 mit Geltung ab dem 23.2.2018 in das VVG eingefügt worden.3 In die davor gültige Versicherungsvermittlungsrichtlinie 2002/92/EG4 wurden bereits mittels der MiFID II-RL5 Regelungen über Versicherungsanlageprodukte eingefügt, die von den Mitgliedstaaten bis 3.7.2016 umzusetzen und ab dem 3.1.2017 anzuwenden gewesen wären, aber durch Art. 43 IDD mit Wirkung vom 23.2.2016 aufgehoben wurden; an deren Stelle traten die Art. 26 ff. IDD, die bis 23.2.2018 umzusetzen waren.6 Mit der zuvor am 31.12.2017 in Kraft getretenen PRIIP-VO7 sind für IBIP bereits umfangreiche Informationspflichten Pflicht geworden, wonach dem VN vor allem ein sog. Basisinformationsblatt auszuhändigen ist, in dem alle wesentlichen produktbezogenen Informationen enthalten sind, wohingegen die informatorischen Vorgaben der IDD teils auch vertragsbezogen ausgestaltet sind, so dass die Regelungskomplexe des VVG, der VVG-InfoV und der PRIIP-VO nebeneinander stehen.8

II. Inhalt und Zweck der Regelung 3 Sinn und Zweck der Regelung ist die Umsetzung des Art. 29 Abs. 1 IDD.9 Dieser dient dazu, dass der VN rechtzeitig vor Vertragsschluss zusätzlich spezifische Informationen über das in Aussicht genommene IBIP erhält, damit dieser eine rationale Entscheidung über das Für und Wider des Vertragsabschlusses treffen kann. Die europäische Regelung will sicherstellen, dass Kunden, denen Versicherungsanlageprodukte alternativ zu Anlageprodukten i. S. d. RL 2014/65/EU angeboten werden, informatorisch und im Hinblick an die Anforderungen an die Vermittler hinsichtlich der Angemessenheit der Beratung und Beschränkungen hinsichtlich der Vergütung insoweit nicht schlechter stehen. Die IDD intendiert nach Erwägungsgrund 56 insoweit die Gewährleistung eines kohärenten Anlegerschutzes und die Vermeidung des Risikos einer Aufsichtsarbitrage. Der deutsche Gesetzgeber betont bei Übernahme der besonderen Informationspflichten in das deutsche Recht, dass diese zum Teil bereits nach geltendem Recht bestanden

3 Zur Umsetzung der IDD in Österreich siehe Fenyves/Schauer (Hrsg.) Die neue Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (IDD) – Zur Umsetzung in Österreich, 2017 passim u. Gruber Zeitschrift für Finanzmarktrecht 2016 211 ff. (Teil 1), 265 ff. (Teil 2) sowie rechtvergleichend zur Umsetzung in Deutschland Werber VersRdsch. 5-2016 26 ff. 4 RL 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.12.2002 über Versicherungsvermittlung, ABl L 9/3. 5 RL 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der RL 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl L 173/349. 6 Zum Ganzen Gruber ZFR 2016 211 m. w. N. 7 Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.11.2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) (ABl. 2014 L 352/1). 8 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi § 7b Rn. 2 f. 9 RegE, BT-Drucks. 18/11627 S. 43. Knops

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hätten.10 Aufsichtsrechtlich werden die Informationspflichten des VVG hinsichtlich IBIP durch die Reglung § 48a VAG flankiert.11 Beim Vertrieb von IBIP sind überdies die Vorgaben der PRIIPVO hinsichtlich der Erstellung eines Basisinformationsblattes sowie dessen Bereitstellung zu beachten.

B. Kommentierung I. Informationen über Versicherungsanlageprodukte (Abs. 1) Gemäß § 7b Abs. 1 ist der VN verpflichtend über IBIP i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Nr. 17 IDD zu informie- 4 ren.

1. Versicherungsanlageprodukte Nach dieser Norm ist ein IBIP ein „Versicherungsprodukt, das einen Fälligkeitswert oder einen 5 Rückkaufwert bietet, der vollständig oder teilweise direkt oder indirekt Marktschwankungen ausgesetzt ist“; exakt gleich lautet die Definition in Art. 4 Nr. 2 PRIIP-VO.12 Es handelt sich also um kein „einfaches“ Versicherungsprodukt, sondern um eine Kapitalanlage im Versicherungsmantel.13 Die besondere Schutzwürdigkeit und Aufklärungsbedürftigkeit des VN beruht mithin darauf, ob er wie ein Kapitalanleger den Risiken einer Geldanlage ausgesetzt ist oder nicht; wie das Produkt steuerlich nach nationalem Recht behandelt wird, spielt demgegenüber keine Rolle. IBIP sind mithin nur solche, bei denen der VN selbst ein finanzielles Risiko eingeht und übernimmt. Das ist schon der Fall, wenn möglichweise versprochene oder mit dem Produkt verbundene Chancen einfach ausbleiben, der VN als Anleger aber zumindest dahingehende Erwartungen hegen konnte. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass mit der Investition ein konkretes Verlustrisiko verbunden ist, abgesehen von der Insolvenz des VR. Dies erschließt sich aus einem Vergleich zu Finanzdienstleistungsinstrumenten, mit denen – vom Insolvenzrisiko des Emittenten abgesehen – kein Risiko eines Substanzverlustes einhergeht, aber diese trotzdem zu den Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten der MiFID II-RL gehören und deswegen verschärften Informations- und Aufklärungspflichten unterliegen. Maßgeblich ist daher nicht eine formelle juristische Betrachtung, ob die Vertragsstruktur 6 spekulative Elemente aufweist, sondern eine auf das Produkt bezogene, die Chancen und Risiken abwägende wirtschaftliche Betrachtung,14 die in unmittelbaren Bezug zu den möglichen Schwankungen an dem betreffenden Markt steht, dem das Produkt ausgeliefert ist oder auf dem das Produkt gehandelt wird oder von dessen Entwicklung dessen Wert – ggf. auch nur indirekt – abhängig ist. Diesen Kriterien entsprechen vor allem fondsbezogene Lebensversicherungen,15 die zwar den Regeln des entsprechenden Versicherungszweiges unterworfen sind, aber deren Wert sich eben – allein schon weil am Kapitalmarkt handelbar – aus einem Marktpreis ergibt oder ergeben kann und sich Höhe der versprochenen Versicherungsleistung eben nicht

10 RegE, BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 11 Langheid/Rixecker Rn. 10. 12 Aus diesem Grund ist der Begriff des IBIP einheitlich zu verstehen (Prölss/Martin/Schneider Art. 1–4 VO (EU) 1286/2014 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski /Baroch Castellvi Rn. 5; Langheid/Rixecker Rn. 2; Reiff/Köhne VersR 2017 649, 656; Reiff RuS 2016 593, 600; übrigens auch im Verständnis der MiFID II-RL. 13 Treffend Derleder/Knops/Bamberger/Frisch Dt. u. Europ. Bank- u. KapitalmarktR, 3. Aufl. 2017 Bd. I, § 54 Rn. 56. 14 Vgl. BGH 9.1.2013 – IV ZR 197/11, WM 2012 158 = VersR 2013 297 u. BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/15, WM 2017 846 = VersR 2017 677, dazu Karczewski WM 2019 381 ff. 15 RegE, BT-Drucks. 18/11627 S. 43; Poelzig ZBB 2015 108, 109 m.w.N; Rüll VuR 2017 128, 133; Rüffer/Halbach/ Schimikowski /Baroch Castellvi Rn. 6. 763

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absolut oder fest zum Fälligkeitszeitpunkt zu bemessen ist, sondern eben relativ je nach Entwicklung dem Wert der Anteile. Gleiches gilt naturgemäß für indexbezogene Lebensversicherungen.16 7 Anders kann es hingegen liegen, wenn die Lebensversicherung ihren Bedingungen nach einer klassischen Kapitallebensversicherung gleichkommt. Für diese ist umstritten, ob sie von Art. 29 Abs. 1 IDD und damit von § 7b Abs. 1 erfasst werden oder nicht.17 Klassische Kapitallebensversicherungen sind, von der Sache her, und nicht juristisch betrachtet eigentlich atypische stille Beteiligungen mit einer Mindestverzinsung, und entsprechen dem Wortlaut nach der oben genannten Definition: Eine solche Versicherung bietet einen Fälligkeitswert (und einen Rückkaufswert), der zumindest teilweise in Bezug auf die Gewinnbeteiligung, wenn auch zumindest indirekt bei Erzielung eines Überschusses durch die Anlage der Gelder durch den VR in Höhe der dem VN zugutekommenden variablen Leistung – in aller Regel mit einer gewissen Mindestgarantie – von den Schwankungen am Kapital- und auch Geldmarkt abhängig ist.18 8 Ob der Richtliniengeber hingegen primär nur die fonds- und indexbezogenen Lebensversicherungen bei der Regelung des Art. 29 Abs. 1 IDD im Blick hatte, spielt keine Rolle, weil sich eine Begrenzung allein auf solche Produkte im Wortlaut der Norm nicht niedergeschlagen hat.19 Entscheidend ist vielmehr die Abhängigkeit der Leistung von möglichen Schwankungen am Markt. Und gerade die gegenwärtigen und schon länger anhaltenden Entwicklungen an den Finanzmärkten haben die kapitalbildende Lebensversicherung zu einem überaus unattraktiven Instrument der Vermögensvorsoge und Altersabsicherung gemacht. Das für die VN bestehende Risiko jenseits einer Garantie, also einer Minimalverzinsung des eingesetzten Kapitals entweder nur eine geringe oder gar keine Rendite aus dem eingesetzten Kapital zu ziehen, charakterisiert die klassischen Kapitallebensversicherungen heutzutage geradezu als ein Paradebeispiel für eine Assetklasse, die über viele Jahrzehnte in der Bevölkerung als Versicherung gegen Altersarmut und für ein Auskommen gerade nach Ende des Erwerbslebens galt, heute aber gegenüber anderen Möglichkeiten der Kapitalbildung – auch wegen der vergleichsweise exorbitanten Kosten etwa gegenüber sog. Index-ETF’s – vielfach nicht mehr als attraktive Anlage empfunden wird. Dies gilt auch ungeachtet der Tatsache, dass bei Kapitallebensversicherungen die Versicherungs(ablauf)leistungen garantiert sind und insoweit – vom Insolvenzrisiko des VR abgesehen – zwar theoretisch, aber praktisch bislang kein Anlagerisiko bestand; gleichwohl bleibt der Anspruch des VN auf Überschussbeteiligung – als eines der unbestreitbaren Merkmale dieser Versicherung20 – von den Marktschwankungen abhängig. Wie bei fonds- und indexbasierten Lebensversicherungen trifft der VN bereits mit dem Vertragsschluss eine Entscheidung darüber, dass seine Geldmittel am Kapitalmarkt investiert werden können, auch wenn der VR letztlich bestimmt, ob und wie das Kapital angelegt wird. 9 Neben Kapitallebensversicherungen schlechthin – gleichgültig, ob mit oder ohne steuerliche Privilegierung21 – werden auch aufgeschobene private Rentenversicherungsverträge zu den IBIP gezählt;22 solche, die sofort beginnen und lediglich auf den Verzehr des Kapitals und nicht auf dessen Anlage ausgerichtet sind, aber nicht.23 Gleiches dürfte für Sterbegeldversicherungen gelten,24 die dazu bestimmt, Bestattungskosten zu decken. Kapitalversicherungen mit 16 Fenyves/Schauer/FenyvesDie neue Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (IDD) – Zur Umsetzung in Österreich, S. 119, 122 m. w. N.; Raschauer/Baier Versicherungsanlageprodukte, S. 87, 91 m. w. N. 17 Zum Streitstand s. nur Gerold/Kohleick RdF 2017 276, 278 m. w. N. 18 So im Wesentlichen Raschauer/Baier Versicherungsanlageprodukte, S. 87, 96. 19 Richtig Raschauer/Baier Versicherungsanlageprodukte, S. 87, 96. 20 Siehe dazu nur BVerfGE 114, 1, 37 ff. = NJW 2005 2363, 2366; BVerfGE 114, 73, 91 ff. = NJW 2005 2376, 2378. 21 Kohleick/Gerold/Werner/Gierse, BaFin-Journal 8/2017 34 f. 22 Ebenso Gerold/Kohleick RdF 2017 276, 278. 23 Ebenso Rüffer/Halbach/Schimikowski /Baroch Castellvi Rn. 6; Baroch Castellvi VersR 2017 129, 133 f. 24 Siehe einerseits Prölss/Martin/Schneider VO (EU) 1286/2014 Art. 1–4 Rn. 10; Baroch Castellvi VersR 2017 129, 135; unentscheiden Rüffer/Halbach/Schimikowski /Baroch Castellvi Rn. 6; andererseits Reiff/Köhne VersR 2017 649, 654; Kohleick/Gerold/Werner/Gierse BaFin Journal 8/2017 34, 36. Knops

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lebenslangem Todesfallschutz zur Deckung von Kosten und Aufwendungen bei dessen Eintritt (bspw. Erbschaftsteuer, Vermögensnachfolge o. ä.) gehören, wenn die Überschussbeteiligung zur Verkürzung der Laufzeit verwendet wird, also die Versicherung auch auf den Erlebensfall ausgerichtet ist, wiederum dazu. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als oberste Bundesbehörde 10 benennt als Beispiele für IBIPs im deutschen Markt25: – Kapitalbildende Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung (laufende Prämienzahlung oder Einmalbetrag) – Aufgeschobene private Rentenversicherung der dritten Schicht mit Überschussbeteiligung26 – gegen laufende Prämienzahlung oder Einmalbetrag – lebenslange oder abgekürzte Rentenzahlung – Fondsgebundene Lebensversicherung und aufgeschobene fondsgebundene Rentenversicherung – Termfix-Lebensversicherung (beispielsweise Ausbildungsversicherung) – Lebenslange Todesfallversicherung, bei der die Überschussbeteiligung zur Verkürzung der Laufzeit verwendet wird – Kapitalisierungsprodukte mit Überschussbeteiligung In abschließender Aufzählung werden nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 17 IDD von der Definition eines IBIP 11 ausgenommen: – Nichtlebensversicherungsprodukte (lit. a) gemäß Anhang I der RL 2009/138/EG (Versicherungszweige der Nichtlebensversicherung), wozu sämtliche Schadensversicherungen wie Kranken- und Unfallversicherungen gehören, auch solche mit Prämienrückgewähr27 – selbst wenn damit kapitalbildende Elemente verbunden sind.28 – Lebensversicherungsverträge (lit. b), deren vertragliche Leistungen nur im Todesfall oder bei Arbeitsunfähigkeit infolge von Körperverletzung, Krankheit oder Gebrechen zahlbar sind, wozu reine Risikolebensversicherungen,29 Berufsunfähigkeitsversicherungen30 und Sterbegeldversicherungen31 gezählt werden. – Altersvorsorgeprodukte (lit. c), die nach nationalem Recht als Produkte anerkannt sind, deren Zweck in erster Linie darin besteht, dem Anleger im Ruhestand ein Einkommen zu gewähren, und die dem Anleger einen Anspruch auf bestimmte Leistungen einräumen. Hierher sollen jedenfalls die in Deutschland sehr verbreiteten sog. Riester-Renten und Rürup-Versicherungen gehören.32 Schlechthin dürften unter den Begriff alle etablierten Produkte nach dem Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz33 fallen. Kapitallebensversicherungen werden unter Hinweis auf Erwägungsgründe 6 und 7 PRIIP-VO ebenfalls zu den Altersvorsorgeprodukten nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 17 lit. c IDD gezählt, wenn sie einkommensteuerrechtlich der Hälftebesteuerung oder der Ertragsanteilbesteuerung unterlie-

25 BaFin, Versicherungsanlageprodukte – Neue Regeln ab 2018: Anwendungsbereich im deutschen Markt, 16.8.2017, https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2017/fa_bj_1708_Versicherungsanlageprodukte.html (zuletzt abgerufen am 12.2.2020). 26 Siehe aber zu den Altersvorsorgeprodukten unten Rn. 11. 27 Brömmelmeyer RuS 2016 269, 271; Reiff/Köhne VersR 2017 649, 656. 28 Raschauer/Baier Versicherungsanlageprodukte, S. 87, 92. 29 Raschauer/Baier Versicherungsanlageprodukte, S. 87, 92 m. w. N. 30 Baroch Castellvi VersR 2017 129, 133. 31 Reiff/Köhne VersR 2017 649, 656; a. A. Baroch Castellvi VersR 2017, 129, 135. 32 Brömmelmeyer RuS 2016 269, 271; Beyer VersR 2016 293, 295; Baroch Castellvi VersR 2017 129, 130; Reiff/Köhne VersR 2017 649, 656. 33 Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge-und Basisrentenverträgen (Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz – AltZertG) vom 26.6.2001 (BGBl. I S. 1310, 1322), IdF d. Art. 23 Nr. 1 G v. 19.12.2008 I 2794 m. W. v. 25.12.2008. 765

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gen.34 Ob die steuerliche Behandlung auf dem Altersvorsorgecharakter beruht oder nicht,35 ist aber für das Vorliegen eines solchen Produkts nicht entscheidend.36 (s. Rn. 5 u. 9). – betriebliche Altersversorgungssysteme (lit. d), die amtlich anerkannt sind und in den Anwendungsbereich der RL 2003/41/EG oder der RL 2009/138/EG fallen, wozu Pensionskassen, Pensionsfonds und Direktversicherungen gezählt werden.37 – individuelle Altersvorsorgeprodukte (lit. e), für die nach nationalem Recht ein finanzieller Beitrag des Arbeitgebers vorgeschrieben ist und die bzw. deren Anbieter weder der Arbeitgeber noch der Beschäftigte selbst wählen kann, wozu bspw. Rückdeckungsversicherungen von Unterstützungskassenzusagen gehören.38

2. Informationen 12 Der VN ist zum einen über den Vertrieb des IBIP, zum anderen über sämtliche Kosten und Gebühren desselben zu informieren.

13 a) Angemessene Informationen. Insgesamt müssen die dem VN über das IBIP zu erteilenden Informationen „angemessen“ sein. Eine nähere Bestimmung oder Eingrenzung des Begriffs enthält die Gesetzesbegründung nicht, obwohl dieser dort in Anführungszeichen gesetzt, also besonders hervorgehoben wird.39 Adressiert wird damit zwar offensichtlich vor allem die Qualität der an den VN gerichteten Informationen, aber auch deren Quantität. Die Angaben zu den nachfolgend in Abs. 1 S. 2 unter Nr. 1 bis 4 genannten Angaben genügen von der Informationsfülle her betrachtet möglichweise insgesamt nicht, um den VN hinreichend zu informieren – auch wenn die Norm diese Angaben als „mindestens“ verbindlich vorgibt. Allerdings ist dieser Katalog nicht abschließend,40 womit es i. d. R. noch auch weitere Informationen ankommt. Wesentlich sind immer die Informationen, dass der Wert der Kapitalanlage, insbes. ein Fälligkeits- oder Rückkaufswert Marktschwankungen ausgesetzt ist.41

14 aa) Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten. Die Angemessenheit der Informationen bezieht sich insgesamt auf den Vertrieb des IBIP selbst. Der VN kann daher Angaben erwarten zur Vertriebsart und seinen Umständen, also i. S. d. des Abs. 1 S. 2 Nr. 3 (Rn. 19). Die im Zusammenhang mit dem Vertrieb anfallenden Kosten und Gebühren werden in Abs. 2 nochmals gesondert adressiert, wenn auch nur insoweit sie nicht durch das zugrundeliegende Marktrisiko verursacht werden (Rn. 26).

15 bb) Sämtliche Kosten und Gebühren. Des Weiteren geht es um diejenigen Informationen in Bezug auf die Kosten und Gebühren des IBIP selbst. Dies betrifft deren gesamten Umfang

34 Rüffer/Halbach/Schimikowski /Baroch Castellvi Rn. 6; Bürkle VersR 2017 331 ff.; Reiff/Köhne VersR 2017 649, 656; Baroch Castellvi VersR 2017 129, 135; Reiff RuS 2016 593, 600 ff.; Beyer VersR 2016 293, 294 f.; unentschieden wohl Langheid/Rixecker Rn. 5 u. Gruber/Baier VersR 2018 1093, 1099 f. 35 So Reiff RuS 2016 593, 600. 36 Gerold/Kohleick RdF 2017 276, 278. 37 Baroch Castellvi VersR 2017 129, 132; Reiff/Köhne VersR 2017 649, 656; ebenso Langheid/Rixecker Rn. 6. 38 Baroch Castellvi VersR 2017 129, 132; Reiff/Köhne VersR 2017 649, 656; ebenso Langheid/Rixecker Rn. 6. 39 Siehe RegE, BT-Drucks. 18/11627 S. 43. 40 Ebenso Rüffer/Halbach/Schimikowski /Baroch Castellvi Rn. 10 mit deutlicher Kritik am Gesetzgeber. 41 Langheid/Rixecker Rn. 5. Knops

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(„sämtliche“), nach Abs. 2 der Norm ebenfalls „alle“ Kosten und Gebühren, also ohne Ausnahme. Eine ganz besondere Herausforderung stellen in diesem Zusammenhang sog. Dynamisierungen dar. Wenn jede dieser Dynamisierungen in der Zukunft für den Dynamisierungsbetrag als Neuabschluss behandelt wird, führt dies für VN zu immer neuen Kosten. Dieser Zusammenhang und die konkret anfallenden Kosten müssen besonders herausgestellt werden.

cc) Mindestangaben. Das Gesetz schreibt in Abs. 1 S. 2 vier verschiedene Informationen vor, 16 die dem VN auf jeden Fall erteilt werden müssen: Nr. 1 betrifft den Fall, dass der VN beraten wird. Dann soll er wissen, ob eine solche nur ein- oder auch mehrfach erfolgt, oder er regelmäßig, also in bestimmten Zeitabschnitten, eine Beurteilung über das empfohlene IBIP entsprechend den Vorgaben in § 7c Abs. 5 S. 6 erwarten kann. Dies geht über eine Beratung vor Vertragsschluss weit hinaus, in dem immer wieder die Tauglichkeit des IBIP in Bezug auf Interessen des VN als Anleger hin überprüft werden und ihm dies mitgeteilt wird (s. i. E. § 7c Rn. 42). Nr. 2 statuiert, dass der VN vor Vertragsschluss zu den Risiken des angebotenen IBIP informiert wird, aber gleichrangig auch über diejenigen Risiken, die mit der vom Vermittler „bestimmten“ vorgeschlagenen Anlagestrategien verbunden sind. Aufzuteilen sind die Informationen zum einen in echte Warnungen vor konkreten Gefahren des Produkts und der verfolgten Strategie. Hinsichtlich letzterer wird auf die im Basisinformationsblatt nach Art. 8 Abs. 3 Buchst. d VO (EU) Nr. 1286/2014 unter „kurze Beschreibung des Risiko-/Renditeprofils“ vorgesehenen Angaben verwiesen, die in einem Katalog von fünf Punkten nach Maßgabe von Art. 3 DVO (EU) 2017/653, inkl. deren Anhänge II und III konkretisiert werden.42 Zum anderen sind dem VN informatorisch auch „geeignete Leitlinien“ zu vermitteln, also die Risiken beider Elemente in einen Gesamtkontext (zusammen mit den Chancen) einzuordnen, damit sich der VN ein Gesamtbild machen kann. Nr. 3 beinhaltet Informationen über den Vertrieb des IBIP selbst. Hiermit soll der VN die Vertriebsumstände kennenlernen, vor allem auch die Kosten der Beratung43 und die Kosten des empfohlenen IBIP selbst, wofür auf die einschlägigen Normen der VVG-InfoV verwiesen werden kann. Im Vordergrund steht vor allem der Erwerbs- oder Anschaffungspreis des Produkts wie die der Beratung selbst, weniger „die Gebühren der eigentlichen Produktbetreiber“.44 Nr. 4 betrifft die für den VN wichtige Information, wie er selbst seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, vor allem welche Zahlungen er zu leisten hat, (also der Höhe nach), an wen (Leistungsempfänger), wie (Zahlungsweg) und wann (Leistungszeit). Über wesentlichen Angaben gibt bereits das Informationsblatt zu den (sonstigen) Versicherungsprodukten gemäß Art. 20 Abs. 8 VO (EU) 2016/97) Auskunft.45 „Zahlungen Dritter“ können Angaben zu Leistungen Dritter i. S. d. § 267 BGB sein.46

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3. Informationsverpflichtete § 7b nennt zwar konkret den VN als Informationsadressat, lässt aber offen, wer diesen zu infor- 21 mieren hat. Art. 29 Abs. 1 IDD, dessen Umsetzung § 7b dient, ist auf den ersten Blick ähnlich indifferent bezüglich dieser Frage formuliert. Allerdings normiert die IDD dort die zu erteilenden Kundeninformationen in gewissem Rückbezug auf Art. 18 u. 19 Abs. 1 u. 2. „Unbeschadet von“ meint zwar offenbar, dass die Pflichten nach Art. 19 Abs. 1 IDD unabhängig von denen der ge42 43 44 45 46 767

Rüffer/Halbach/Schimikowski /Baroch Castellvi Rn. 13. Zu diesem Begriff kritisch Rüffer/Halbach/Schimikowski /Baroch Castellvi Rn. 14. So Langheid/Rixecker Rn. 6. Langheid/Rixecker Rn. 14. Vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 15. Knops

§ 7b VVG

Information bei Versicherungsanlageprodukten

nannten Auskünfte nach Art. 18 IDD, den Mitteilungen nach Art. 19 Abs. 1 IDD und der Information nach Art. 19 Abs. 1 IDD zu erfüllen sind. Für die Information des VN verantwortlich sind aber grundsätzlich beide in diesen Normen genannte Adressaten, also Versicherungsvermittler wie Versicherungsunternehmen, mithin Versicherungsvertreiber i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 IDD. Nichts Anderes kann daher für Art. 29 Abs. 1 IDD und mithin § 7b gelten.

4. Rechtzeitigkeit 22 Nach S. 1 des Abs. 1 sind die Informationen dem VN „rechtzeitig vor Abschluss des Vertrags“ zur Verfügung zu stellen. Zunächst ist anzumerken, dass die Informationen damit nicht bereits erteilt worden sein müssen, wenn der VN seine, auf den Abschluss der VV gerichtete Willenserklärung verbindlich abgibt, wie es § 7 Abs. 1 S. 1 vorgibt. Wie bei unzähligen Normen des europäischen wie nationalen Rechts, die eine „rechtzeitige“ Information, (Widerrufs-)Belehrung oder sonstige Mitteilung vorsehen,47 ist auch hier die Zeitspanne zu ermitteln, wann der Begünstigte diese spätestens erhalten haben muss. Davon vollkommen unabhängig ist – weil eine andere Norm, einen anderen Regelungszusammenhang und letztlich eine differente gesetzgeberische Intention betreffend –, welche Vorgabe die DVO (EU) 2017/653 hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Überlassung des Basisinformationsblattes für Versicherungsanlageprodukte macht.48 Vielmehr ist Art. 29 Abs. 1 richtlinienautonom auszulegen (s. o. § 1a Rn. 5), wo gerade nicht wie in Art. 17 Abs. 1 DVO (EU) 2017/653 auf die Zeitspanne abgestellt wird, die der Adressat benötigt, um die Unterlagen zu prüfen. 23 Rechtzeitig bedeutet nicht sofort oder unverzüglich; auch fehlt eine Art. 247 § 1 Abs. 2 EGBGB vergleichbare Regelung, wonach die vorvertraglichen Informationen so früh wie möglich zu erteilen sind. Gleichwohl besteht ebenso wie für Verbraucher im Allgemeinen gleichfalls für VN ein Interesse, möglichst früh über alle relevanten Umstände informiert und dadurch in der Lage versetzt zu werden, verschiedene Angebote in Ruhe zu vergleichen und ggf. Rat hierzu einzuholen. Die Informationserteilung genügt in zeitlicher Hinsicht, wenn sie dem Vertragsschluss (rechtspol. wäre noch besser vor der Abgabe einer Willenserklärung des Verbrauchers) so weit vorgelagert ist, dass er die Informationen in ausreichendem Maße in seine Entscheidungsfindung miteinbeziehen konnte, wobei starre Mindestzeiträume oder Mindestfristen abzulehnen sind.49 Wie der Verbraucherkreditnehmer muss der VN die Möglichkeit haben, die Informationen tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen, mithin, die Informationen in Ruhe durchzulesen und zu prüfen, etwa indem er sie mitnimmt. Da es nicht um eine pauschale Beurteilung einer Gruppe von VN, sondern um den konkreten Kunden in Person geht, kommt es darauf an, welche Zeit er im Einzelfall benötigt, um die Information verstehen und in seine Entscheidung miteinbeziehen zu können. Zu berücksichtigen sind – wie im Kapitalanlage- und Kreditrecht – die Komplexität des Produktes und etwaige Vorerfahrungen des Kunden im Umgang mit diesem oder auch anderen Finanzdienstleistungsprodukten; bedeutsam sind mithin auch Art, Umfang, Komplexität und Bedeutung des Vertrages. Keinesfalls darf das der IDD nach zwingend vorgegebene Erfordernis der „rechtzeitig“ zu erteilenden Information übergangen werden; der Schutzzweck der RL wird mit einem unmittelbar nach Informationserteilung geschlossenen Vertrag nicht gewahrt; anderenfalls verlöre das zusätzliche Erfordernis der Rechtzeitigkeit gegenüber

47 Vgl. bspw. nur die §§ 297 Abs. 1, 307 Abs. 5 KAGB, § 15 Abs. 2 VermAnlG, § 121 Abs. 1 InvG a. F. oder außerhalb des Kapitalanlagebereiches die §§ 482 Abs. 1, 491a Abs. 4, 514 Abs. 2 S. 2 BGB, Art. 246b § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, Art. 247 § 1 Abs. 2; § 2 Abs. 1 § 13 Abs. 2 S. 1 u. 2; § 13 b Abs. 1 S. 2, § 15 Abs. 3; Art. 248 § 4 Abs. 1 EGBGB oder § 2 Abs. 4 sowohl des GasGGv als auch des StromGVV. 48 A.A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 9. 49 So für § 491a Abs. 4 BGB wie auch für die folgenden Ausführungen BeckOGK/Knops 1.1.2020 BGB § 491a Rn. 65 ff. m. w. N. Knops

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dem allgemeinen Erfordernis der Informationserteilung vor Vertragsschluss effektiv jedwede relevante Bedeutung.

5. Zurverfügungstellung Die vorvertragliche Informationserteilung muss auf eigenes Betreiben der verpflichteten Person 24 oder Personen (Rn. 21) erfolgen. Mit der Zurverfügungstellung i. S. d. Abs. 1 S. 1 ist anders als nach Abs. 2 S. 1 3. Halbs. (Rn. 28) gesetzgeberisch keine bestimmt einzuhaltende Form verbunden. Vom Wortlaut her betrachtet genügt jede für die Zwecke des VN geeignete, zumutbare Übermittlung. Allein schon um die Erfüllung der Informationspflichten im Bestreitensfalle beweisen zu können, empfiehlt sich eine physische Übermittlung in Papierform.

II. Art und Weise der Informationsgabe, insbes. über die Kosten und Gebühren (Abs. 2) 1. Überblick § 7b Abs. 2 konkretisiert die Art und Weise der Informationserteilung wesentlich genauer, und 25 zwar mit den Attributen „in zusammengefasster Form“, „verständlich“, auf „Verlangen eine Aufstellung“ sowie „regelmäßig“ in gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht. Auch wenn hierdurch noch keine ganz bestimmte Form der Informationserteilung vorgesehen wird, lassen sich diese Pflichten zum Teil sinnvoll nur durch schriftliche Erteilung erfüllen. Dies gilt erst recht, wenn der VN von seinem Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Aufstellung Gebrauch macht. Diese lediglich im Gespräch vermitteln zu wollen, ist für den VN als Informationsadressat wenig hilfreich bis untauglich, so dass er in diesem Fall auf schriftliche Niederlegung bestehen kann. Hauptsache die Informationen sind nicht ohne weiteres flüchtig wie das gesprochene Wort, weil der VN dann die verschiedenen Angebote nicht in Ruhe vergleichen kann. Teleologisch spricht mithin einiges dafür, eine hinreichende Information des VN bei Versicherungsanlageprodukten nach Abs. 2 nur dann zu bejahen, wenn ihm diese auch dauerhaft und eben nicht nur mündlich und damit äußerst flüchtig erteilt werden. Die Übermittlung kann durch Übergabe, im Postweg oder durch eine Übermittlung z. B. per Fax, E-Mail, sonst in elektronischer Form wie zum Download, erfolgen. Die Informationen über alle Kosten und Gebühren, einschließlich Kosten und Gebühren im Zusammenhang mit dem Vertrieb des Versicherungsanlageprodukts, die nicht durch das zugrundeliegende Marktrisiko verursacht werden, sind in zusammengefasster Form zu erteilen (Rn. 26); die Gesamtkosten sowie die kumulative Wirkung auf die Anlagerendite müssen verständlich sein (Rn. 27); ferner ist dem Versicherungsnehmer auf sein Verlangen eine Aufstellung der Kosten und Gebühren zur Verfügung zu stellen (Rn. 28). Diese Informationen werden dem Versicherungsnehmer während der Laufzeit der Anlage regelmäßig, mindestens aber jährlich, zur Verfügung gestellt (Rn. 29).

2. Kosten in zusammengefasster Form (Abs. 2 S. 1 Hs. 1) Zunächst müssen dem VN sämtliche, nicht durch das zugrunde liegende Marktrisiko verursach- 26 te Kosten und Gebühren in zusammengefasster Form erteilt werden. Marktrisikounabhängige Kosten und Gebühren betreffen nur solche, „die“ immer anfallen, gleichgültig, ob das IBIP am Markt oder durch Markteinflüsse erfolgreich ist oder nicht.50 Dies betrifft vor allem die Ab50 Zu einem ganz anderen Verständnis dieses Begriffes Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 16. 769

Knops

§ 7b VVG

Information bei Versicherungsanlageprodukten

schluss- und Verwaltungskosten des IBIP, aber etwa auch Ratenzahlungszuschläge.51 Zu einer Bestimmung, was genau der Europäische RL-geber unter der Verpflichtung zur Erteilung der Informationen in „zusammengefasster Form“ gemeint hat, sah sich der deutsche Gesetzgeber außerstande, geht aber davon aus, dass eine relativ kurze Aufstellung der genannten Kosten und Gebühren dieser Vorgabe des Europäischen Rechts genügt.52 Diese verbliebene Unsicherheit sollte zwar auf Anregung des BRates im Gesetzgebungsverfahren unter Prüfung der durch die IDD ausdrücklich zugelassenen Möglichkeit zur Standardisierung der Informationen entsprechend Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 3 letzter Satz geklärt werden,53 wozu es aber nicht gekommen ist. Angaben den Anforderungen des § 2 Abs. 1 VVG-InfoV entsprechend werden insoweit für genügend gehalten,54 wohingegen es offensichtlich vor allem auf eine kurze, präzise und kompakte Darstellungsweise ankommt wie sie das Basisinformationsblatt nach der PRIIP-VO anstrebt.

3. Verständlichkeit (Abs. 2 S. 1 Hs. 2) 27 Weiter müssen dem VN die Gesamtkosten sowie deren Wirkung auf die Anlagerendite verständlich gemacht werden. Gesamtkosten meinen offensichtlich im Gegensatz zu Abs. 2 S. 1 Hs. 1 alle Kosten, also auch solche, die durch das zugrundeliegende Marktrisiko verursacht werden als auch die dort genannten Gebühren. Der Kostenbegriff ist durch die Verwendung des Attributs „alle“ umfassend zu verstehen, so dass auch die Kosten für das sog. biometrische Risiko miteinzubeziehen sind.55 Gefordert ist zudem eine Relativierung, wie die Gesamtkosten zur (angestrebten) Rendite des IBIP in Beziehung stehen, wie also die Kosten auf die (mögliche) Anlagerendite einwirken, diese schmälern oder auch unbeeinflusst lassen. Hier geht es um die Effizienz der Anlageentscheidung hinsichtlich des IBIP, nicht aber um sog. Effektivkosten.56 Eine solche Darstellung ist eigentlich nur möglich, wenn die Gesamtkosten konkret berechnet und dem möglichen Ertrag unter verschiedenen Risiko- und Marktentwicklungsszenarien gegenübergestellt werden, da ansonsten eine Darstellung für den (durchschnittlichen) VN zu abstrakt bleibt. Unabhängig davon die notwendige Darstellung nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 VVG-InfoV.

4. Kostendarstellung auf Verlangen des VN (Abs. 2 S. 1 Hs. 3) 28 Ferner ist dem Versicherungsnehmer auf sein Verlangen eine Aufstellung der Kosten und Gebühren zur Verfügung zu stellen. Gefordert ist nach Art. 29 Abs. 1 S. 3 IDD eine solche Aufstellung nach Posten, also den Einzelwerten. Der deutsche Gesetzgeber hat hingegen offensichtlich bewusst darauf verzichtet eine solche Postenaufstellung für verpflichtend zu erklären und zwar unter der Annahme „dass eine relativ kurze Aufstellung der in § 7b Abs. 2 genannten Kosten und Gebühren dieser Vorgabe des Europäischen Rechts genügt“.57 Angesichts des Erwägungsgrundes 42 der IDD und der Tatsache, dass nach § 7b Abs. 1 ohnehin sämtliche Kosten und Gebühren offengelegt werden müssen, verbleibt kein Spielraum hinsichtlich des Umfanges der Angaben, sondern lediglich hinsichtlich deren Darstellung. Interessant ist dies ohnehin nur für diejenigen, die ihre Kostenpositionen nicht im Einzelnen offenlegen, vor allem einzelne Vergütungsbestandteile wie Provisionen, Bonifikationen o. ä. dem Kunden verheimlichen wollen. 51 52 53 54 55 56 57

Vgl. dazu Schuster/Gatschke VuR 2004 283, 285 ff. RegE, BT-Drucks. 18/11627 S. 43 f. RegE, BT-Drucks. 18/11627 S. 56 f. So Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 16. A.A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 17. Wiederum a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 17. BTDrucks. 18/11627 S. 4.

Knops

770

D. Beweislast

VVG § 7b

Dies mit einem Rekurs auf „ökonomischen Gesichtspunkte“ und einer Art Geheimhaltungsinteresse der Vermittler rechtfertigen zu wollen,58 verkennt völlig, dass es am Kapitalmarkt, wozu die Investition in Versicherungsanlageprodukte ganz unzweifelhaft gehört, ökonomisch und rechtlich in Theorie wie Praxis um die Herstellung größtmöglicher Transparenz geht und zwar Schutz des Kapitalgebers wie im Übrigen auch der anderen Marktteilnehmer. In die Darstellung der Kosten gehören daher auch Angaben über Provisionen59 wie auch etwaige Bonifikationen, Retrozessionen, Rückvergütungen, Vertriebs-, Innen-, Extra- oder Geheim- oder anders bezeichnete Entgelte. Da die Norm insoweit keine Einschränkung enthält, kann der Kunde eine solche Aufstellung jederzeit verlangen, also auch nach Vertragsschluss. Allerdings hat er diesen Anspruch nicht mehrfach; es geht nach dem Wortlaut lediglich um „eine“ Aufstellung (s. aber im Übrigen Fn. 29).

5. Regelmäßige Angaben (Abs. 2 S. 2) Sämtliche nach Abs. 2 S. 1 geschuldeten Informationen sind dem VN nicht nur einmalig, son- 29 dern nach S. 2 der Norm regelmäßig, mindestens aber jährlich, zur Verfügung zu stellen. Die regelmäßige Informationspflicht ist mithin nicht lediglich auf die unmittelbar zuvor genannte Kostenaufstellung nach S. 1 Hs. 3, sondern auf den gesamten S. 1 von Abs. 2 bezogen. Zeitlich besteht der jährliche Informationsanspruch des VN während der gesamten Laufzeit der Anlage. Eine Begrenzung der Informationspflicht auf eine etwaige „Ansparphase, also den Zeitraum vor Beginn der Auszahlungsphase“ lässt sich schon dem Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 Unterabs 2 IDD60 nicht entnehmen; zudem fehlt in der IDD wie im VVG gerade eine Regelung zur entsprechend einschränkenden Berechnung der Effektivkosten wie in § 8 Nr. 3 AltPIBV, wo nur der Zeitraum bis zum Beginn der Auszahlungsphase maßgebend ist. Die Informationspflichten der VVG-InfoV ergänzen diejenigen nach dem VVG, substituieren oder schränken diese aber nicht ein. Die durch den deutschen Gesetzgeber jährlich vorgesehenen Informationen sind RL-konform, zum einen weil die IDD nur mindest-, und nicht maximalharmonisierend wirkt und den Mitgliedstaaten hierzu zum anderen durch Art. 29 Abs. 1 IDD auch ausdrücklich „gegebenenfalls“ ein Spielraum eröffnet wurde. Endet die Laufzeit des IBIP im Jahresverlauf, ist der VN spätestens dann entsprechend zu informieren. Naturgemäß bezieht sich der Informationsanspruch wie auch nach Abs. 2 S. 1 nur auf die tatsächlich anfallenden Kosten.

C. Abdingbarkeit Gemäß § 18 kann von der Norm nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden.

30

D. Beweislast Die Erfüllung der Informationspflichten hat der Informationsverpflichtete (Rn. 21) zu bewei- 31 sen; sie bildet aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung für das ordnungsgemäße Zustandekommen des VV. Der vorvertragliche Informationsanspruch des (in Aussicht genommenen) VN besteht als eigenständiges Recht unabhängig neben dessen Ansprüchen aus dem (später zustande gekommenen) VV. Will der VN hieraus Ansprüche herleiten, hat er das Vorliegen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses i. S. d. des § 311 Abs. 2 BGB ebenso zu beweisen wie das wirksame Zustandekommen des VV. 58 Reiff/Köhne 649, 655. unter Hinweis auf Köhne ZVersWiss 2014 243, 260 f. 59 Ebenso Gruber/Baier VersR 2018 1093, 1101. 60 Dahingehend RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 57. 771

Knops

§ 7c Beurteilung von Versicherungsanlageprodukten; Berichtspflicht (1) Bei einer Beratung zu einem Versicherungsanlageprodukt hat der Versicherer zu erfragen: 1. Kenntnisse und Erfahrungen des Versicherungsnehmers im Anlagebereich in Bezug auf den speziellen Produkttyp oder den speziellen Typ der Dienstleistung, 2. die finanziellen Verhältnisse des Versicherungsnehmers, einschließlich der Fähigkeit des Versicherungsnehmers, Verluste zu tragen, und 3. die Anlageziele, einschließlich der Risikotoleranz des Versicherungsnehmers. Der Versicherer darf dem Versicherungsnehmer nur Versicherungsanlageprodukte empfehlen, die für diesen geeignet sind und insbesondere dessen Risikotoleranz und dessen Fähigkeit, Verluste zu ertragen, entsprechen. Ein Paket von Dienstleistungen oder Produkten, die gemäß § 7a gebündelt sind, darf der Versicherer bei einer Anlageberatung nur empfehlen, wenn das gesamte Paket für den Kunden geeignet ist. (2) Der Versicherer hat stets zu prüfen, ob das Versicherungsprodukt für den Versicherungsnehmer angemessen ist. Zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit muss der Versicherer von dem Versicherungsnehmer Informationen über seine Kenntnisse und Erfahrung im Anlagebereich in Bezug auf den speziellen Produkttyp oder den speziellen Typ der Dienstleistung erfragen. Wird ein Paket entsprechend § 7a angeboten, hat der Versicherer zu berücksichtigen, ob das Paket angemessen ist. Ist der Versicherer der Auffassung, dass das Produkt für den Versicherungsnehmer unangemessen ist, warnt er den Versicherungsnehmer. Macht der Versicherungsnehmer die in Absatz 1 Satz 1 genannten Angaben nicht oder macht er unzureichende Angaben zu seinen Kenntnissen und seiner Erfahrung, warnt ihn der Versicherer, dass er wegen unzureichender Angaben nicht beurteilen kann, ob das in Betracht gezogene Produkt für ihn angemessen ist. Diese Warnungen können in einem standardisierten Format erfolgen. (3) Versicherer können, wenn sie keine Beratung gemäß Absatz 1 leisten, Versicherungsanlageprodukte ohne die in Absatz 2 vorgesehene Prüfung vertreiben, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: 1. die Tätigkeiten beziehen sich auf eines der folgenden Versicherungsanlageprodukte: a) Verträge, die ausschließlich Anlagerisiken aus Finanzinstrumenten mit sich bringen, die nicht als komplexe Finanzinstrumente im Sinne der Richtlinie 2014/65/EU gelten und keine Struktur aufweisen, die es dem Versicherungsnehmer erschwert, die mit der Anlage einhergehenden Risiken zu verstehen, oder b) andere nicht komplexe Versicherungsanlagen; 2. die Vertriebstätigkeit erfolgt auf Veranlassung des Versicherungsnehmers; 3. der Versicherungsnehmer wurde eindeutig darüber informiert, dass der Versicherer bei der Erbringung der Vertriebstätigkeit die Angemessenheit der angebotenen Versicherungsanlageprodukte nicht geprüft hat; eine derartige Warnung kann in standardisierter Form erfolgen; 4. der Versicherer kommt seinen Pflichten zur Vermeidung von Interessenkonflikten nach. (4) Der Versicherer erstellt eine Aufzeichnung der Vereinbarungen mit dem Versicherungsnehmer über die Rechte und Pflichten der Parteien sowie die Bedingungen, zu denen das Versicherungsunternehmen Dienstleistungen für den Versicherungsnehmer erbringt. Die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien können durch einen Verweis auf andere Dokumente oder Rechtstexte geregelt werden. (5) Der Versicherer muss dem Versicherungsnehmer angemessene Berichte über die erbrachten Dienstleistungen auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung stelKnops https://doi.org/10.1515/9783110522600-019

772

VVG § 7c

Übersicht

len. Diese Berichte enthalten regelmäßige Mitteilungen an den Versicherungsnehmer, die die Art und die Komplexität der jeweiligen Versicherungsanlageprodukte sowie die Art der für den Versicherungsnehmer erbrachten Dienstleistung berücksichtigen, und gegebenenfalls die Kosten, die mit den getätigten Geschäften und den erbrachten Dienstleistungen verbunden sind. Erbringt der Versicherer eine Beratungsleistung zu einem Versicherungsanlageprodukt, stellt er dem Versicherungsnehmer vor Vertragsabschluss auf einem dauerhaften Datenträger eine Erklärung zur Verfügung, in der die erbrachte Beratungsleistung und die dabei berücksichtigten Präferenzen, Ziele und anderen kundenspezifischen Merkmale aufgeführt sind. § 6a findet Anwendung; über eine Website kann die Erklärung jedoch nicht erbracht werden. Wenn der Versicherungsvertrag unter Verwendung eines Fernkommunikationsmittels abgeschlossen wird und die vorherige Aushändigung der Angemessenheitserklärung nicht möglich ist, kann der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Angemessenheitserklärung auf einem dauerhaften Datenträger unverzüglich nach Abschluss des Versicherungsvertrags zur Verfügung stellen, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind: 1. der Versicherungsnehmer hat dieser Vorgehensweise zugestimmt und 2. der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer angeboten, den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu verschieben, damit der Versicherungsnehmer die Angemessenheitserklärung vorher erhalten kann. Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer mitgeteilt, dass er eine regelmäßige Beurteilung der Eignung vornehmen werde, muss der regelmäßige Bericht jeweils eine aktualisierte Erklärung dazu enthalten, inwieweit das Versicherungsanlageprodukt den Präferenzen, Zielen und anderen kundenspezifischen Merkmalen des Versicherungsnehmers entspricht.

Schrifttum Siehe zu § 7 b.

Übersicht 1

III.

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Kommentierung

I.

Übersicht und Begriffsklärung

II. 1. 2. 3. 4. 5.

6 Befragung und Geeignetheit (Abs. 1) 7 Kenntnisse und Erfahrungen des VN 8 Finanzielle Verhältnisse des VN 10 Anlageziele und Verlusttoleranz des VN 12 Besonderheiten je nach Typ des IBIP Art und Weise der Informationseinho13 lung 14 Mitwirkung des VN 16 Geeignetheit der Produktempfehlung 17 Empfehlung bei Bündelung

6. 7. 8.

773

2 3

4

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Befragung und Angemessenheit, Warnpflichten 19 (Abs. 2) 19 Abs. 2 S. 1 20 Abs. 2 S. 2 22 Abs. 2 S. 3 23 Abs. 2 S. 4 24 Abs. 2 S. 5 25 Abs. 2 S. 6

IV.

Beratungsfreier Vertrieb (Abs. 3)

V.

Aufzeichnungen (Abs. 4)

VI. 1.

35 Berichtspflichten (Abs. 5) Berichtspflicht über erbrachte Dienstleistungen 36 (S. 1) 37 Inhalt der Berichte (S. 2) 38 Vorvertragliche Angaben (S. 3 und 4) 39 Form der Erklärung (S. 4) 40 Besonderheiten im Fernabsatz (S. 5)

5

2. 3. 4. 5.

26

32

Knops

§ 7c VVG

Beurteilung von Versicherungsanlageprodukten; Berichtspflicht

6.

Regelmäßige Beurteilung der Eignung 41 (S. 6)

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

43

42

A. Einführung 1 § 7c verpflichtet der VR genau zu prüfen, ob ein Versicherungsanlageprodukt (im Folgenden IBIP1 genannt) für den VN geeignet und zweckmäßig ist und sieht dazu spezielle Frage- und Beratungspflichten vor. Zudem muss der VN hinreichend informiert werden, auch durch Zurverfügungstellung von Berichten während der Vertragslaufzeit. Außerdem setzt die Norm dem Verkauf von IBIP ohne Beratung Grenzen.

I. Entstehungsgeschichte 2 § 7c ist durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze vom 20.7.2017 mit Geltung ab dem 23.2.2018 in das VVG eingefügt worden.2

II. Inhalt und Zweck der Regelung 3 Die Norm dient der Umsetzung von Art. 30 IDD3 und damit dem Schutz des Kunden bei dem Vertrieb von IBIP. Bei der Umsetzung hat der Gesetzgeber die Abs. 1 bis 5 nahezu wortgleich aus der IDD übernommen – ohne das Gesetz mit jeweils eigenen Begründungen zu versehen. Dies begünstigt zum einen die europaweit gleiche Anwendung der inhaltlichen Anforderungen der IDD, lässt zum anderen aber Interpretationsspielräume zu, weil Art. 30 IDD selbst (wie auch bei den Richtliniennormen, die den §§ 1a, 7a, b und d zugrunde liegen) in den Erwägungsgründen nur wenig begründet und erläutert wird. Es wird daher vermutlich eine ganze Zeit dauern, bis sich die Rechtsgrundsätze zum Versicherungsvertrieb durch eine richtlinienautonome Auslegung der Normen (§ 1a Rn. 5) verfestigt haben wird, wozu es vermutlich auch einiger Vorlagen an den EuGH bedürfen wird, der allein das Sekundärrecht verbindlich auszulegen befugt ist. Die verschieden möglichen Interpretationen der Vorgaben sind – wie immer – mit den europäisch anerkannten Auslegungsmethoden aufzulösen; keineswegs ist es Aufgabe des Gesetzgebers, in der Norm die „Chronologie einer sachgerechten Beratung abzubilden“.4 Zudem ist es zur Realisierung eines kohärenten Anlegerschutzes absolut gängig und sinnvoll (!), die Kriterien der Angemessenheit und Zweckmäßigkeit als Beurteilungsmaßstäbe für Finanzdienstleistungsprodukte gesetzlich vorzusehen. Die neuen Anforderungen an den Versicherungsvertrieb werden nun endgültig dazu führen, dass die Beratung von IBIP durchweg nach den Grundsätzen einer anleger- und anlagegerechten Beratung5 wie bei anderen Finanzanlagenprodukte zu erfolgen hat.6 Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Aufklärung bei Anlagegeschäften gel1 Aus dem Englischen „insurance-based investment products“. 2 Zur Umsetzung der IDD in Österreich siehe Fenyves/Schauer (Hrsg.) Die neue Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (IDD) – Zur Umsetzung in Österreich, 2017 passim und Gruber ZFR 2016 211 ff. (Teil 1) u. 265 ff. (Teil 2) sowie rechtvergleichend zur Umsetzung in Deutschland Werber VersRdsch 5-2016 26 ff. 3 RegE, BTDrucks. 18/11627 S. 4. 4 So Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi § 7c Rn. 3. 5 Ständige Rechtsprechung seit BGH 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123 126=VersR 1993 1236. 6 Vgl. dazu auch Brömmelmeyer RuS 2016 269, 275. Knops

774

B. Kommentierung

VVG § 7c

ten für die Empfehlung von Versicherungsprodukten, die sich bei wirtschaftlicher Betrachtung als Anlagegeschäft darstellen (wie z. B. eine kapitalbildende Lebensversicherung)7 auch schon vor Inkrafttreten der §§ 7c, 7d und 1a entsprechend.8 Schon von daher ist die auch an dieser Norm – zum Teil extrem polemisch9 – formulierte Kritik10 inhaltlich ganz entschieden zurückzuweisen. Diese Grundsätze sind im Übrigen bei jeder Beratung eines VN über ein IBIP zu beachten und nicht erst anlassbezogen zu erfüllen. Gleiches gilt nach Maßgabe der in § 1a normierten Grundsätze auch bei anderen Versicherungsverträgen.11 Im Übrigen bestehen parallel sämtliche Pflichten aus § 6 und § 61.

B. Kommentierung Mit der Beratung übernimmt der VR die Verpflichtung, dem Kunden eine nach dessen persönli- 4 chen und wirtschaftlichen Verhältnisse geeignete Versicherung zu empfehlen. Geht es dabei wirtschaftlich betrachtet um ein Anlagegeschäft hat er den Kunden anleger- und objektgerecht zu beraten (Rn. 3 u. 6 ff.). Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen von den Umständen des Einzelfalls ab; maßgeblich sind einerseits der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie bspw. die Konjunkturlage und die Entwicklung der Kapitalmärkte, sowie spezielle Risiken, die sich aus den Besonderheiten des Anlageobjektes ergeben.12

I. Übersicht und Begriffsklärung Um diesen Pflichten einer Beratung von IBIP überhaupt nachkommen zu können, muss der VR 5 den VN zunächst gemäß Abs. 1 eingehend befragen und darf ihm ein solches Produkt nur unter bestimmten Voraussetzungen empfehlen (Rn. 6 ff.). Zudem hat der VR nach Abs. 2 stets zu prüfen, ob das IBIP oder ein damit verknüpftes Paket für den VN angemessen ist und hat dafür von ihm weitere Informationen einzuholen, ggf. verbunden mit spezifischen Warnungen (Rn. 19 ff.). Beratungsfrei dürfen IBIP gemäß Abs. 3 nur unter bestimmten Bedingungen vertrieben werden (Rn. 26 ff.). Abs. 4 verpflichtet den VR zur Erstellung von Aufzeichnungen der Vereinbarungen mit dem VN (Rn. 32 ff.); nach Abs. 5 muss der VR dem VN zudem angemessene Berichte über die erbrachten Dienstleistungen übermitteln (Rn. 35 ff.). Die Norm sieht mithin die für eine anleger- und objektgerechte Beratung des VN notwendig zu erfüllenden Pflichten des VR vor, die nach Maßgabe des § 59 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 4 S. 2 für Vermittler in gleicher Weise gelten.13 7 Siehe BGH 10.4.2019 – IV ZR 59/18, Rn. 28 (juris); zur fondsgebundenen Versicherung: BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/ 15, VersR 2017 677 Rn. 15 ff.; grundlegend: BGH 11.7.2012 – IV ZR 164/11, BGHZ 194 39 Rn. 53, siehe auch BGH 21.3.2018 – IV ZR 353/16, RuS 2018 233 Rn. 16. 8 Siehe Grüneberg Die Bankenhaftung bei Kapitalanlagen nach der Rechtsprechung des BGH, S. 73 f. (Rn. 259) m. w. N. 9 Nach Langheid/Rixecker Rn. 6, ist „Der ganze Abfrage- und Beratungsvorgang (.) genauso lebensfremd wie die entsprechenden Pflichten bei der Bankenberatung“, was in Anbetracht des Argumentationsniveaus für sich selbst spricht. 10 Zur überaus heftigen, zum Teil einem Souverän gegenüber unangemessenen, vor allem rechtspolitischen und nur wenig rechtsdogmatischen Kritik an der Normgebung siehe die Ausführungen von Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 1 u. 4; Reiff/Köhne VersR 2017 649, 655 f.; Ramharter ZVersWiss 2016 221, 245 f. u. Köhne ZVersWiss 2014 243, 259. Langheid/Rixecker Rn. 1 spricht als Praktiker etwa „von vielen sprachlichen Leerformeln“. 11 Dagegen Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 5 u. Wendt VersR 2019 257, 262. 12 Siehe Grüneberg Die Bankenhaftung bei Kapitalanlagen nach der Rechtsprechung des BGH, S. 22 f. (Rn. 79) u. Derleder/Knops/Bamberger/Bamberger § 52 Rn. 32, 107, 143, 145, jew. mit den entsprechenden Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH. 13 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 2; Rüll VuR 2017 128, 133. 775

Knops

§ 7c VVG

Beurteilung von Versicherungsanlageprodukten; Berichtspflicht

II. Befragung und Geeignetheit (Abs. 1) 6 Der VR muss bei der Beratung und damit naturgemäß vor einer Empfehlung eines bestimmten IBIP über die nach § 6 Abs. 1 S. 1 ohnehin in Erfahrung zubringenden Tatsachen weitere Informationen von dem VN einholen, was inhaltlich mit Art. 9 Abs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/235914 korrespondiert. Materiell geht es für den VR zunächst darum, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des VN sowie dessen Anlageziele und Risikotoleranz möglichst genau in Erfahrung zu bringen (know-your-customer-Prinzip15), was keineswegs als „bloße Förmeleien“16 abgetan werden kann, sondern einem äußerst sinnvollen, bewährten und auch international allseits anerkannten Standardverfahren entspricht. Die Fragepflicht besteht nach dem Gesetz unabhängig davon, ob der Berater den Kunden aus einer langjährigen Geschäftsbeziehung bereits kennt und dessen Informationsstand und Anlageziel an und für sich schon dem Grund nach einschätzen kann.

1. Kenntnisse und Erfahrungen des VN 7 Gemäß Abs. 1 S. 1 Nr. 1 hat der VR den VN zunächst über dessen Kenntnisse und Erfahrungen im Anlagebereich in Bezug auf den speziellen Produkttyp oder den speziellen Typ der Dienstleistung zu befragen. Dabei geht es also nicht darum, welches Wissen und welche Empirie der Kunde überhaupt schon mit Finanzdienstleistungen aufzuweisen hat, sondern vor allem darum, ob er mit IBIP als Assetklasse vertraut ist, also insoweit bereits über einschlägiges Fachwissen verfügt.

2. Finanzielle Verhältnisse des VN 8 Gemäß Abs. 1 S. 1 Nr. 2. sind vom VR die finanziellen Verhältnisse des VN, einschließlich seiner Fähigkeit Verluste zu tragen, abzufragen. Dazu gehören Vermögenszuflüsse wie regelmäßige, unregelmäßige oder auch einmalige Einnahmen, nachgewiesen regelmäßig durch die Vorlage von Gehaltsabrechnungen oder anderen Dokumenten, aus denen sich ergibt, dass der VN solche oder auch sonstige Vermögenszuflüsse in einer bestimmten Höhe hat. Ob diese auch in der Zukunft konstant erzielt werden können, ist von vielen Faktoren abhängig. Zu nennen sind beispielhaft die voraussichtliche Sicherheit des Arbeitsplatzes wie die Zusammensetzung der Einnahmen (Festgehalt, Provisionen, Zulagen für Schicht- oder Feiertagsarbeit etc). Wird eine Tätigkeit erst zukünftig aufgenommen oder steht eine zukünftige Zuwendung bereits fest, reichen zumeist entsprechende Belege wie Arbeitsverträge oder Rentenbescheide, um einen entsprechenden Nachweis für die Zukunft zu erbringen; Selbstständige können zum Nachweis Steuerbescheide, Gesellschaftsverträge o.Ä vorlegen. Hinzu kommen Angaben über vorhandene Ersparnisse und Vermögenswerte wie insbesondere Immobilien, auch mit Angabe deren Belastung durch Grundpfandrechte aufgrund von Kreditierungen oder auch Eintragungen in Abt. II des Grundbuches. Den Einkommens- und Vermögensverhältnissen sind die regelmäßigen Ausgaben gegenüberzustellen, um die freie (meist monatliche) Liquidität feststellen zu können. Zu nennen sind hier regelmäßige Ausgaben für Wohnraum, Strom, Wasser etc. wie auch mögliche Schulden und sonstige finanzielle Verbindlichkeiten wie etwa Unterhaltsleistungen. Von einem 14 Delegierte Verordnung (EU) 2017/2359 der Kommission vom 21.9.2017 zur Ergänzung der RL (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die für den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten geltenden Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln, L 341/8. 15 Dazu Möllers ZEuP 2016 325, 333 u. Heiss Anlegerschutz bei Versicherungsprodukten? in: Karlsruher Forum 2014, Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, 2015 S. 41, 60 ff. 16 So Langheid/Rixecker Rn. 5. Knops

776

B. Kommentierung

VVG § 7c

überschießenden Betrag ist nicht selten ein mehr oder weniger hoher Pauschalbetrag für die allgemeine oder auch besondere Lebensführung abzuziehen, um zu dem Betrag zu kommen, der für etwaig laufende Zahlungen an Prämien zur Verfügung stehen würde. Hinsichtlich der Fähigkeit Verluste zu tragen, kommt es zum einen darauf an, welche 9 finanziellen Einbußen der VN glaubt tragen zu können, zum anderen aber auch aus Sicht des VR einzuschätzen, in welcher Größenordnung der VN objektiv angesichts seiner finanziellen Verhältnisse solche tragen kann. Hinsichtlich der subjektiven Einschätzung des VN ist von vornherein Vorsicht geboten, weil vor allem geschäftlich nicht besonders versierte Personen hier leicht Fehleinschätzungen unterliegen – in die eine wie in die andere Richtung. Bezüglich der möglichst objektiven Kriterien wie Einkommen und Vermögen hat der VR – auch im Hinblick auf die Anlageziele des Kunden – eher vorsichtig und konservativ einzuschätzen, in welcher Höhe und über welchen Zeitraum der Kunde befähigt wäre, Vermögensverluste hinzunehmen. Ein Kunde, der hinsichtlich eines Anlageprodukts zur soliden Alterssicherung beraten wird, kann etwa wenn daneben keine oder nur geringe Rentenansprüche bestehen objektiv betrachtet so gut wie gar keine Verluste tragen ohne das Anlageziel zu verfehlen, seine Fähigkeit Einbußen hinzunehmen aber subjektiv völlig anders einschätzen, etwa weil er seine Möglichkeiten zur Einkommenssteigerung oder sonstigen Vermögensbildung überschätzt. Nicht genug kann auch in diesem Zusammenhang betont werden, dass eine anlegergerechte Beratung schon im Explorationsstadium die Einzelumstände genau im Blick zu halten hat.

3. Anlageziele und Verlusttoleranz des VN Ganz besonders wichtig ist daher auch, dass der VR gemäß Abs. 1 S. 1 Nr. 3 verpflichtet ist, 10 die Anlageziele des VN, einschließlich dessen Risikotoleranz in Erfahrung zu bringen, die sich allerdings auch schnell und vor allem im Verlauf der Kapitalanlage ändern können. Sinnvoll kann es gerade bei Privatkunden sein, die Anlageziele in die typischerweise gegebenen fünf Gruppen „Vermögenserhöhung“, „eigene Vorsorge“, „Einkommenserhöhung“, „Familienvorsorge“ oder „Anschaffungen“ zu gliedern.17 Je allgemeiner die Differenzierung, je unbrauchbarer sind die Kriterien; was der Kunde erwartet, ist anhand der Umstände des Einzelfalls festzustellen.18 Sinnvollerweise geht hier darum, auch die Risikogewichtung der gesamten Vermögenssituation und Kapitalanlage im Auge zu behalten und das Augenmerk nicht lediglich auf das einzelne IBIP zu konzentrieren. Während es bei Abs. 1 S. 1 Nr. 2 neben den konkreten finanziellen Verhältnissen vor allem 11 um die Fähigkeit des VN geht, Verluste tragen zu können, kommt es nach Nr. 3 darauf an, inwieweit dieser bereit ist, Verluste tragen wollen. Zu deren Ermittlung bieten sich in der Exploration verschiedene Modelle an, die es dem Kunden leichter machen zu entscheiden, welches Risiko er mit der Anlage eingehen will. Das lässt sich mit einer Einteilung der Risikobereitschaft in verschiedene Klassen in der Praxis regelmäßig gut abfragen, wenngleich bislang bei dem Vertrieb von IBIB die entsprechenden Muster zuweilen weniger inhaltlich und sprachlich ausdifferenziert sind als beim Vertrieb von anderen Kapitalanlagen durch Banken. Tatsächlich scheint die Risikobereitschaft von Anlegern meistens deutlich unter dem zu liegen, was sie (subjektiv wie objektiv) finanziell (noch) verkraften könnten.

4. Besonderheiten je nach Typ des IBIP Bei der Einholung der vorgenannten Informationen spielt es auch eine Rolle, welche Anlagepro- 12 dukte von vornherein im Fokus einer späteren Empfehlung stehen. Große Unterschiede beste17 Oehler Die Erklärung des Verhaltens privater Anleger; theoretische Ansätze und empirische Analysen (1995) 154. 18 Derleder/Knops/Bamberger/Bamberger § 52 Rn. 107. 777

Knops

§ 7c VVG

Beurteilung von Versicherungsanlageprodukten; Berichtspflicht

hen bspw. nach der Art der Beitragszahlung und Flexibilität derselben, auch bei sog. Dynamisierungen (§ 7b Rn. 15). Wenn die Beitragszahlungspflicht des VN regelmäßig besteht sind ganz andere Anforderungen an seine zukünftige Leistungsfähigkeit zu stellen als bei Zahlung des Einmalbeitrags. Üblich sind bei kapitalbildenden Lebensversicherungen monatliche, vierteljährliche, halbjährliche und jährliche Beitragszahlungen. Auch deren Dauer kann eine wichtige Rolle spielen, insbesondere wenn die Vertragsdauer in die Zeit des Rentenbezuges hineinreicht, aber dann viel weniger finanzielle Mittel zur Tilgung der Verbindlichkeiten (auch anderer Art wie bspw. aus einem Immobiliarkredit) zur Verfügung stehen. Auch die Besonderheiten von Verträgen mit flexibler Beitragszahlung sind unter den genannten Kriterien zu berücksichtigen, insbesondere im Hinblick auf das Anlageziel und die finanziellen Bedingungen, wenn es vor allem dem VN allein obliegt zu entscheiden, ob, wann und welcher Höhe er Beiträge leisten wird. Dies kann bei Versicherungen mit laufenden Einmalbeiträgen der Fall sein, ganz besonders aber bei sog. flexiblen Versicherungen, wo die Gestaltungsmöglichkeiten für den VN noch größer wird, aber es unter Umständen auch viel schwieriger wird die angestrebten Ziele zu erreichen und die im Zeitverlauf möglicherweise auftretenden Unsicherheiten oder Bedarfsänderungen mit ins Kalkül zu ziehen. Auch hier gilt es bei einer Befragung nicht schematisch immer gleich vorzugehen, sondern auf die Besonderheiten des Einzelfalls einzugehen.

5. Art und Weise der Informationseinholung 13 An der Person des Kunden und nicht schlechthin an Kunden und Menschen als potentielle VN hat sich auch die Erkundigungs- und Fragepflicht des VR auszurichten. Der Kunde ist also hinreichend klar und verständlich zu befragen wie auf dessen Belange u. U. individuell eingegangen werden muss, auch hinsichtlich möglicher Verständnisschwierigkeiten etwa durch eine nicht sichere Beherrschung der deutschen Sprache oder aufgrund einer nur geringen Bildung.

6. Mitwirkung des VN 14 Insoweit fragt sich sogleich, ob der Kunde hinsichtlich der versicherungsseits nachgefragten Auskünfte zur Mitwirkung verpflichtet ist und wenn ja, in welchem Umfang.19 Regelmäßig wird sich daraus kein Problem ergeben, weil Kunden schon aus Eigeninteresse die nachgefragten Auskünfte erteilen. Grundsätzlich wird man aber den VN auch zur Mitwirkung verpflichtet halten müssen; auch wenn es sich rechtsdogmatisch nicht um eine echte Rechtspflicht handelt, weil § 7c – wie im Übrigen auch die §§ 505a ff. – an die fehlende Mitwirkung des Kunden insofern keine besonderen Rechtsfolgen knüpfen. Allerdings ist der Kunde schon im Rahmen des sich anbahnenden Vertragsverhältnisses im Sinne der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB nicht nur zu richtigen, sondern auch vollständigen Angaben verpflichtet – wenn er denn auf eine Beratung setzt und nicht einen beratungsfreien Kauf (Rn. 26) anstrebt. Dies betrifft aber nicht jegliche Nachfragen. Es gibt solche, die schlicht nicht zu beantworten sind, wie solche die im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht, das AGG und andere Normen schlicht unzulässig sind. Das können insbesondere Fragen sein zu persönlichen Beziehungen zu Dritten, auch wenn diese in das Versicherungsverhältnis in keiner Weise miteinbezogen werden sollen, zu anderen Beziehungen, auch zum Lebenswandel und dem Gesundheitszustand, wenn von vorneherein nur Policenarten ohne Todesfallschutz o. ä. in Betracht kommen. 15 Inhaltlich darf sich der VR auf die Angaben des Kunden prinzipiell verlassen; er muss nur bei besonderen Anhaltspunkten an der Richtigkeit zweifeln und dann ggf. erneut nachfragen und bei Fruchtlosigkeit möglicherweise von einer Beratung insgesamt Abstand nehmen. Die Angaben 19 Zur parallelen Fragestellung bei der Kreditwürdigkeitsprüfung nach den §§ 505a ff. BGB BeckOGK/Knops § 505b Rn. 7 ff. Knops

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sind – auch im Interesse des Kunden selbst – zeitnah, vor allem aber geordnet und in gehöriger Form, also nicht etwa verschmutzt o. Ä., zu erteilen. Lediglich mündliche Auskünfte zum Mitschreiben für den VR scheiden daher regelmäßig ebenso aus wie verwirrende, unklare oder nicht verständliche Angaben. Die üblichen Kommunikationsformen und -normen sind zudem einzuhalten.

7. Geeignetheit der Produktempfehlung Erst auf der Basis der erhaltenen Informationen kann und vor allem darf der VR eine Aussage 16 über die Geeignetheit eines IBIP für den Kunden treffen. Eine Empfehlung darf der VR gemäß Abs. 1 S. 2 nur für solche IBIP aussprechen, die für den VN geeignet sind und insbesondere dessen Risikotoleranz und dessen Fähigkeit, Verluste zu ertragen, entsprechen. Keine Frage ist es daher, dass auch Kunden ohne Vorerfahrungen mit IBIP solche empfohlen werden dürfen,20 kommt es doch auf eine anleger- und anlagegerechte Beratung des VN auch insoweit an. Gerade letztgenannte verpflichtet das Produkt einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen (knowyour-product-Prinzip21).

8. Empfehlung bei Bündelung Abs. 1 S. 3 bezieht sich auf Pakete von Dienstleistungen oder Produkte, die gemäß § 7a gebün- 17 delt sind.22 Ein IBIP kann hierbei das Hauptprodukt, aber selbstverständlich – wie in der Vergangenheit sehr häufig, beinahe massenhaft in der Immobilienfinanzierung vorgekommen – auch lediglich das Nebenprodukt sein23 wie bei sog. Kombinationsfinanzierungen,24 bei denen die an sich zu zahlenden Tilgungsbeträge des Darlehens in eine kapitalbildende Lebensversicherung einbezahlt werden, um mit dessen Ablauflaufleistung den Kredit endfällig zu tilgen.25 Das Darlehen ist hier das Hauptprodukt, der VV über das IBIP die Nebenleistung, weil nur das Tilgungssubstitut wie bei Restschuldversicherungen (s. § 7a Rn. 12). Nicht anders als bei der RSV müssen bei der Kombination von Darlehen und IBIP diese aber weder miteinander verbunden i. S. d. § 358 BGB26 noch gekoppelt sein. Das ist zwar nach § 492b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b. 2. Alt. möglich und auch häufig der Fall, aber eben nicht zwingend – insbesondere, wenn dem Darlehensnehmer die Wahl gelassen wird, ob er die Valuta schrittweise tilgt oder dies eben erst am Ende der Laufzeit durch das IBIP erfolgen soll. Solche IBIP dürfen vom VR gemäß Abs. 1 S. 2 aber nur empfohlen werden, wenn das ge- 18 samte Paket für den Kunden geeignet ist, also nicht schon dann, wenn dies nur für eines seiner Teile zutrifft, sei es auch das Hauptprodukt – wie bei den genannten Kombinationsfinanzierungen eben der Darlehensvertrag. Angesichts der Gefahren auftretender Deckungslücken ist dies bei kapitalbildenden Lebensversicherungen hingegen nur selten der Fall, es sei denn es besteht – wie zumindest in der Vergangenheit fast nie – ein dahingehender Schutz der bereits Gegenstand des VV ist. Diese Lücke konnte in Altfällen mangels Angebote oft auch nicht durch

20 Zu dieser geradezu sophistischen Scheindiskussion Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 6 u. Teichler VersR 2016 1088, 1089.

21 Siehe dazu Derleder/Knops/Bamberger/Tonner § 6 Rn. 27, 30 f. u. Derleder/Knops/Bamberger/Bamberger § 52 Rn. 169 ff. 22 Langheid/Rixecker Rn. 7 glaubt zu wissen, dass „diese Bündelungs- und Kopplungsgeschäfte mit Anlageprodukten nichts zu tun“ haben. 23 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 7 hält das irrig für „kaum vorstellbar“. 24 Hierzu eingehend Knops AcP 206 (2006) 867 ff. 25 Vgl. zu einem solchen Fall bspw. BGH 20.5.2003 – XI ZR 248/02, WM 2003 1370. 26 Vgl. BGH 15.12.2009 – XI ZR 45/09, VersR 2010 469; BGH 5.5.2015 – XI ZR 406/13, BGHZ 205 249 = NJW 2015 2414. 779

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eine Zusatzversicherung (sog. GAP-Versicherung) geschlossen werden, wie sie heute ganz ähnlich bei Leasingverträgen vertrieben werden.

III. Befragung und Angemessenheit, Warnpflichten (Abs. 2) 1. Abs. 2 S. 1 19 Während der VR nach Abs. 1 die Geeignetheit des IBIP für den VN zu prüfen hat, wird diese Prüfung nach Abs. 2 S. 1 auch hinsichtlich der Angemessenheit des IBIP für den VN ausgedehnt. Diese Unterscheidung findet sich auch in Erwägungsgrund 7 der DVO (EU) 2017/2359. Ist das IBIP für den VN ungeeignet, darf es ihm nicht empfohlen werden; ist es unangemessen, muss davor sogar gewarnt werden.27 Hingegen könnten die Begriffe der Angemessenheit in Abs. 2 S. 1 und der Zweckmäßigkeit in Abs. 2. S. 2 auch als Synonyme verstanden werden. Nach der Gesetzesbegründung ist für unterschiedliche Verwendung jedenfalls kein sachliches Erfordernis auszumachen. Ein greifbarer sprachlicher Unterschied könnte darin liegen die Zweckmäßigkeit auf die Geeignetheit für das Anlageziel im Sinne einer Effektivität zu beziehen und die Angemessenheit im Sinne der Wirtschaftlichkeit einer Kosten-Nutzen-Komponente zu begreifen.

2. Abs. 2 S. 2 20 Vollkommen bewusst hat der Gesetzgeber offensichtlich in Abs. 2 S. 2 das Attribut „stets“ eingefügt, womit ein Zweck verbunden sein wird, wenn auch insoweit die Gesetzesbegründung schweigt. Damit könnte eine laufende Verpflichtung des VR begründet sein, zu prüfen, ob das IBIP als „das“ Versicherungsprodukt für den VN während des Vertragsverlaufes (immer noch) angemessen ist (dazu auch Rn. 42). 21 Wie schon nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1 wird dazu vom VR gemäß Abs. 2 S. 2 verlangt in Bezug auf den speziellen Produkttyp oder den speziellen Typ der Dienstleistung die Kenntnisse und Erfahrungen der Versicherungsnehmer abzufragen. Offenbar lediglich als besondere Betonung gemeint, verlangt die Norm aber nicht, dass die Einholung der Informationen beim VN erneut, also zum zweiten Mal zu erfolgen hat. Insoweit kann vollumfänglich auf die vorherigen Ausführungen verwiesen werden (Rn. 7 ff.).

3. Abs. 2 S. 3 22 Abs. 2 S. 3 dehnt die Prüfung der Angemessenheit auf Pakete i. S. d. § 7a aus – ohne die in Abs. 1 S. 3 normierte Beschränkung auf Pakete von Dienstleistungen oder Produkte, die gebündelt sind. Erfasst werden damit auch gekoppelte Verträge. Ein weiterer Unterschied zu Abs. 1 besteht darin, dass der VR gemäß Abs. 2 S. 3 bei Paketangeboten die Angemessenheit schlechthin lediglich zu berücksichtigen hat, während er nach Abs. 1 S. 2 bei gebündelten Paketen von Dienstleistungen oder Produkten diese gar nicht empfehlen darf, wenn das gesamte Paket für den Kunden nicht geeignet ist.

4. Abs. 2 S. 4 23 In gewisser Weise wird dies dadurch kompensiert, dass der VR den VN nach Abs. 2 S. 4 zu warnen hat, wenn er der Auffassung ist, dass das Produkt für den VN unangemessen ist. 27 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 11. Knops

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B. Kommentierung

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Insoweit wird ein abgestuftes Verhältnis zum einen zwischen der Bündelung und Koppelung von Produkten und zum anderen zwischen einer Prüfung der Geeignetheit einerseits und Angemessenheit bzw. Zweckmäßigkeit andererseits deutlich. Nicht ganz aufzuklären ist, ob die unterschiedlichen Begrifflichkeiten letztlich nicht doch auf sprachliche Unschärfen in der deutschen Fassung der IDD zurückzuführen sind, auch wenn in anderen Sprachfassungen der Unterschied fassbar wird wie zwischen suitability (auch Tauglichkeit) und appropriateness (auch Proportionalität). Die Warnpflicht selbst macht allerdings nur beim beratungsfreien Vertrieb Sinn, wenn der VN partout eine bestimmtes IBIP zeichnen möchte, dies aber auch Sicht des VR für ihn nicht geeignet ist; ein solches dürfte er dem VN im Wege der Beratung schon nicht empfehlen und anbieten.

5. Abs. 2 S. 5 Eine weitere Warnung des VN ist nach Abs. 2 S. 5 vorgesehen, wenn er die in Abs. 1 S. 1 vorge- 24 sehene Frage nicht oder nicht hinreichend beantwortet. Beachtenswert ist, dass insoweit eine fehlende Antwort auf alle der in Abs. 1 S. 1 zu Nr. 1 bis 3 genannten Umstände den lediglich unzureichenden Angaben bezüglich Abs. 1 S. 1 Nr. 1 vollkommen gleichstehen, woraus auf die Wichtigkeit der letztgenannten Informationen für den VR und der Beurteilung der Angemessenheit nach Abs. 2 geschlossen werden kann.

6. Abs. 2 S. 6 Schließlich sieht S. 6 von Abs. 2 vor, dass der VR die vorgenannten S. 4 und 5 genannten Warn- 25 pflichten nicht persönlich übermittelt werden müssen, sondern diese auch in einem standardisierten Format erfolgen können, womit in diesem Fall eine mündliche Erteilung ausgeschlossen ist.

IV. Beratungsfreier Vertrieb (Abs. 3) Obwohl ansonsten und für andere VV überaus verbreitet wird es in der Praxis kaum vorkom- 26 men, dass der Vertrieb von IBIP tatsächlich beratungsfrei erfolgt. Das ist im Prinzip nur möglich, wenn sich ein Kunde von sich aus an einen Versicherungsvertreiber wendet und den Abschluss eines bestimmten IBIP wünscht. Nur bei solchen Abschlüssen im sog. execution-only-Vertrieb28 liegt keine Beratung vor, wenn der Vertreiber darüberhinausgehend keinerlei andere Leistungen erbringt. Beinhalten IBIP aber eine Risikoabsicherung muss immer nach den Wünschen und Bedürfnissen des VN gefragt werden. Eine isolierte Betrachtung und Herausnahme der Beratung von Produktteilen ist nicht möglich. Mithin könnten nur IBIP ohne etwa Todesfallabsicherung wirklich beratungsfrei bleiben. Ansonsten kommt zwischen den Parteien in aller Regel ein Vertrag mit Haftungsfolgen zu- 27 stande und zwar zumindest stillschweigend dadurch, wenn ein Interessent deutlich macht, dass er auf eine (bestimmte) Anlageentscheidung bezogen die besonderen Kenntnisse und Verbindungen einer Person, die geschäftlich Beratungs- und Auskunftstätigkeit in Bezug auf Geldanlagen anbietet, in Anspruch nehmen will; dann liegt darin sein Angebot auf Abschluss eines Auskunfts- oder Beratungsvertrags.29 Dieses Angebot nimmt der Dienstleister stillschweigend 28 Vgl. dazu für den Bankenbereich eingehend Derleder/Knops/Bamberger/Bamberger § 52 Rn. 79 ff. 29 Zuletzt BGH 21.11.2019 – III ZR 244/18, Rn. 17 (juris) WM 2020 119 = NJW 2020 387 unter Hinweis auf die st. Rspr. vgl. z. B. Senat 25.10.2007 – III ZR 100/06, VersR 2008 352 Rn. 7; BGH 4.3.1987 – IVa ZR 122/85, BGHZ 100 117, 118 jew. m. w. N. und vom 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123 126, 128. 781

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jedenfalls dadurch an, dass er die gewünschte Tätigkeit beginnt; eine Entgeltvereinbarung ist keine Voraussetzung für einen verbindlichen Vertrag; auch ist es unerheblich, wie lange das Gespräch gedauert hat.30 Abs. 3 erkennt zwar an, dass VR IBIP auch ohne Beratung als reines Ausführungsgeschäft31 vertreiben können, aber nur wenn sämtliche Voraussetzungen des Abs. 3 Nr. 1–4 kumulativ erfüllt sind: Ohne die in Abs. 2 vorgesehene Prüfung ist dies allerdings von vorneherein nur zulässig für bestimmte Produkte. Dazu zählen nach Abs. 3 Nr. 1 lit. a zunächst Verträge, die ausschließlich Anlagerisiken aus Finanzinstrumenten mit sich bringen, die nicht als komplexe Finanzinstrumente im Sinne der MiFiD II-Richtlinie 2014/65/EU, vor allem dessen Art. 25 Abs. 4 lit. a32 gelten und keine Struktur aufweisen, die es dem Versicherungsnehmer erschwert, die mit der Anlage einhergehenden Risiken zu verstehen. Zulässig ist ein beratungsfreier Verkauf nach Abs. 3 Nr. 1 lit. b grundsätzlich auch für andere nicht komplexe IBIP. Maßgeblich für die Kategorisierung solcher Produkte sind insgesamt die „Leitlinien gemäß der Versicherungsvertriebsrichtlinie für Versicherungsanlageprodukte, die eine Struktur aufweisen, die es dem Kunden erschwert, die mit der Anlage einhergehenden Risiken zu verstehen“,33 die gemäß Art. 30 Abs. 7 u 8 IDD von der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) ausgearbeitet wurden und auf die hier schon wegen ihrer Komplexität zu verweisen ist. Weitere Voraussetzung nach Abs. 3 Nr. 2, dass die Vertriebstätigkeit des VR allein auf Veranlassung des VN erfolgt ist. Der VN muss mithin hinsichtlich des Wunsches zum Erwerb eines unter Nr. 1 fallenden Produkts von sich aus oder durch Veranlassung eines Dritten an den VR herangetreten sein. Keinesfalls darf die diesbezügliche Kontaktaufnahme vom VR oder über § 59 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 4 S. 2 vom Vermittler ausgegangen sein. In diesem Zusammenhang muss der VN gemäß Abs. 3 Nr. 3 eindeutig, d. h. unmissverständlich darüber informiert werden, dass der VR die Angemessenheit des gewünschten und letztlich von ihm angebotenen IBIP nicht geprüft hat. Das muss vor Bindung des VN an einen entsprechenden Kaufantrag und mündlich, schriftlich oder sonst wie erfolgen, aber in Gestalt einer an Klarheit und Transparenz keine Zweifel lassende Warnung, die – wie nach Abs. 2 S. 6 (Rn. 25) – auch in standardisierter Form erteilt werden kann. Schließlich muss der VR nach Abs. 3 Nr. 4 seinen Pflichten zur Vermeidung von Interessenkonflikten nachgekommen sein, womit es zum einen auf die Einhaltung der entsprechenden Pflichten nach § 48a VAG geht.34 Nach Art. 29 Abs. 2 IDD sind die Zahlung und der Erhalt von Gebühren und Provisionen nur mit den Wohlverhaltenspflichten vereinbar, sofern die Provision oder der Vorteil die Qualität der Dienstleistung für den Kunden nicht beeinträchtigt. Anders als in Art. 24 Abs. 9 MiFID II ist damit kein grundsätzliches Verbot der Entgegennahme von Provisionen und sonstigen Vorteilen von Dritten formuliert, sondern nur eine Bedingung; ebenso ist es nicht erforderlich, dass die Zuwendung darauf ausgelegt ist, die Qualität der Dienstleistung zu verbessern.35 Zum anderen können Interessenkonflikte auch nach nationalen zivilrechtlichen Maßstäben bestehen wie vor allem beim Vertrieb von Finanzdienstleistungsprodukten bei Zahlung von Schmiergeldern, Bonifikationen, Retrozessionen, Vertriebs-, Innen-, Extra- oder Geheimprovisionen, Rückvergütungen, sog. „Kick-backs“ oder anders bezeichneten Entgelten. Sol-

30 BGH 21.11.2019 – III ZR 244/18, WM 2020 119 = NJW 2020 387 (juris Rn. 18 m. w. N.) m. zust. Anm. Nassall jurisPR-BGHZivilR 4/2020 Anm. 2 u. Henning jurisPR-BKR 1/2020 Anm. 2. 31 Im Kapitalanlagerecht hat sich für diese besondere Vertriebsform die Bezeichnung „execution only“-Geschäfte eingebürgert (s. nur BTDrucks. 19/2087 S. 3 u. Assmann/Schneider/Mülbert/Koller Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. (2019) § 63 WpHG Rn. 141). 32 Art. 30 Abs. 3 lit. a IDD nimmt diese Norm in Bezug. 33 EIOPA-17/651 4.10.2017 (zum Download unter https://kpmg-lexlinks.de/fileadmin/Externe_Dokumente/Versicherungen/EU/IDD/Amtsblatt/Guidelines/EIOPA-IDD-GL-17-651-bei_der_Anlage_schwer_zu_verstehende_Risiken.pdf). 34 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 19 m. w. N. 35 Siehe zum Ganzen Rüll VuR 2017 128, 134. Knops

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B. Kommentierung

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che Zahlungen sind im Kapitalanlagebereich je nach Art und Grad der Verheimlichung und ihrer Höhe anstößig und können in entsprechender Wertung auch den Vertrieb von IBIP nach Abs. 3 Nr. 4 hindern. Allein für den für den Abschluss von Lebens- und Pensionsversicherungen wurden seit 2008 an Versicherungsvermittler 54,8 Mrd. Euro Provisionen gezahlt. (BT-Drucks 19/7101, S. 2).

V. Aufzeichnungen (Abs. 4) Gemäß Abs. 4 S. 1 hat der VR die mit den VN getroffenen Vereinbarungen aufzuzeichnen. Der 32 Begriff der Aufzeichnung wird im VVG ansonsten nicht verwandt;36 zivilrechtlich bedeutet er in aller Regel wie bei § 154 Abs. 1 S. 2 BGB die schriftliche Niederlegung des relevanten Inhalts.37 Europarechtlich ist es aber keineswegs zwingend, unter dem Begriff nur die schriftliche Niederlegung oder die Schriftform zu verstehen. Der Begriff Aufzeichnung stammt aus Art. 30 Abs. 4 S. 1 IDD, wonach der Versicherungsvermittler bzw. das Versicherungsunternehmen eine Aufzeichnung erstellt, die das Dokument oder die Dokumente mit den Vereinbarungen zwischen ihm und dem Kunden enthält (…). Auch in Art. 30 Abs. 4 S. 2 IDD ist von Dokumenten die Rede; Abs. 4 S. 2 spricht zudem von „Verweis auf andere Dokumente“, was impliziert, dass ein solches nach Abs. 4 S. 1 zu erstellen ist. Dokumente können nicht nur schriftlich, sondern auch elektronisch erstellt und aufgezeichnet werden, indem diese auf Datenträgern gespeichert werden. Für ein solches Verständnis spricht, dass der Begriff der Aufzeichnung auch in anderen Rechtsakten der EU, wie etwa in den Art. 56 Abs. 2 Zahlungsdienste-RL 2007 und Art. 72 Abs. 2 Zahlungsdienste-RL 2015 verwandt wird. Bei Zahlungsdienstleistungen sind offensichtlich auch rein elektronisch gespeicherte Aufzeichnungen zulässig. Insofern ist Textform ausreichend, aber auch erforderlich. Gemäß Art. 30 Abs. 6 S. 1 IDD ist zudem die Kommission befugt, den „Inhalt und das Format der Aufzeichnungen und Vereinbarungen für die Erbringung von Dienstleistungen für Kunden und die Erstellung regelmäßiger Berichte für Kunden über die erbrachten Dienstleistungen“ festzulegen. Mit Format dürfte in diesem Zusammenhang allein die optische Gestaltung wie etwa die erforderliche Schriftgröße u. ä. gemeint sein, was einer rein elektronischen Speicherung ebenfalls nicht entgegensteht. Ihrem Inhalt nach haben die Aufzeichnungen sämtliche Rechte und Pflichten und Bedin- 33 gungen des IBIP zu enthalten. Die Aufzeichnung soll also den kompletten Vertragsinhalt abbilden und sowohl für den Anbieter und als auch für den Kunden insoweit Klarheit verschaffen. Enthalten sein müssen mithin sämtliche Vertragsbedingungen einschließlich der AVB. Diese müssen aber nicht neu für den Einzelfall erstellt werden; wie sich aus Art. 30 Abs. 4 S. 1 IDD ergibt, handelt es sich bei der Formulierung „Der Versicherer erstellt eine Aufzeichnung (…) sowie die Bedingungen“ um eine sprachliche Ungenauigkeit. Es geht darum den VR zur Aufzeichnung der Vertragsbedingungen zu verpflichten, keineswegs zur Neuerstellung oder gar um eine Zurverfügungstellung derselben.38 Nach Abs. 4 S. 2 steht es den Parteien offen, die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag mit 34 Ausnahmen der Bedingungen durch einen Verweis auf andere Dokumente oder Rechtstexte zu regeln. Der VR kann also etwa auf andere AVB wie auf gesetzliche Regelungen wie auf das VVG oder spezifische Normen zu IBIP verweisen, soweit vorhanden.

36 Auch nicht in der VVG-InfoV. 37 Mot. I 163; BeckOK BGB/H.-W. Eckert § 154 Rn. 11; vgl. auch BeckOGK/Möslein § 154 BGB Rn. 19. 38 Offensichtlich missverstanden von Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 20 f. 783

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§ 7c VVG

Beurteilung von Versicherungsanlageprodukten; Berichtspflicht

VI. Berichtspflichten (Abs. 5) 35 Gemäß Abs. 5 hat der VR dem VN Informationen in Form von Berichten nach S. 1 und 2 zu erteilen, jedenfalls vor Abschluss des Vertrages nach den S. 3 und 4, im Falle des Fernabsatzes nach S. 5 und nach Vertragsschluss gemäß S. 6.

1. Berichtspflicht über erbrachte Dienstleistungen (S. 1) 36 Nach Abs. 5 S. 1 muss der VR über die erbrachten Dienstleistungen angemessene Berichte erstellen und diese dem VN auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung stellen. Aus der Vergangenheitsform „erbrachten“ ergibt sich nicht, dass damit nur die Situation nach Vertragsschluss gemeint sein kann,39 wie schon Abs. 3 S. 3 zeigt, wo es um Berichtspflichten für eine bereits erbrachte Beratungsleistung des VR vor Vertragsabschluss geht. Inhaltlich muss es demnach auch nicht um bereits übernommene „versicherungstechnische Risiken“, sondern es kann auch rein um die Beratung selbst und eine etwaig daraus resultierende und abgegebene Empfehlung zum Erwerb eines bestimmten IBIP gehen, woraus durchaus ein informatorischer Wert für den VN resultiert, insbesondere wenn die Empfehlung zuvor lediglich mündlich oder vor längerer Zeit erfolgt ist. Gegenstand kann etwa die zwischenzeitliche Entwicklung des IBIP am Kapitalmarkt sein oder zusätzlich aufgekommene oder nun weniger relevante oder gar weggefallene Risiken wie auch jedwede andere, für die Anlageentscheidung des Kunden maßgeblichen Informationen wie zum Erwerbspreis oder der Kostenseite.

2. Inhalt der Berichte (S. 2) 37 Dies bestätigt auch Abs. 5 S. 2, der vorschreibt, welchen Inhalt die Berichte haben müssen. Es geht um regelmäßige Mitteilungen an den VN in Bezug auf die Art und die Komplexität des IBIP sowie die Art der für den Versicherungsnehmer erbrachten Dienstleistung. Nur soweit auch zutreffend hat der VR darin auch die Kosten, die mit den „getätigten“ Geschäften und den erbrachten Dienstleistungen verbunden sind, zu berücksichtigen. Dies entspricht Art. 14 Abs. 5 DVO (EU) 2017/2359.40 Die genannten Kosten beziehen sich auf das IBIP selbst wie auch auf die entstandenen oder möglichweise noch entstehenden Vertriebs- oder Beratungstätigkeiten des VR wie auch Dynamisierungen. Sinn macht die Berichtspflicht des VR für den Kunden vor allem dann, wenn er unmittelbar oder mittelbar von diesen Kosten (ggf. erst zukünftig) als Vertragspartner und VN betroffen ist. Einen wirklichen Gehalt und Nutzen haben solche Angaben für den Kunden erst, wenn sie nicht lediglich Pauschalbeträge nennen, sondern in Einzelheiten angegeben und auf das IPBIP als Anlage- und Renditeobjekt bezogen sind.

3. Vorvertragliche Angaben (S. 3 und 4) 38 Gemäß Abs. 5 S. 3 hat der VR bei Beratung zu einem IBIP dem VN vor Vertragsabschluss auf einem dauerhaften Datenträger eine Erklärung zur Verfügung zu stellen, in der die erbrachte Beratungsleistung und die dabei berücksichtigten Präferenzen, Ziele und anderen kundenspezifischen Merkmale aufgeführt sind. Hinsichtlich der Beratung selbst ist der Inhalt des ohnehin

39 So aber Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 26. 40 Delegierte Verordnung (EU) 2017/2359 der Kommission vom 21.9.2017 zur Ergänzung der RL (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die für den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten geltenden Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln, L 341/8. Knops

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B. Kommentierung

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nach § 6 Abs. 2 zu erstellende Beratungsprotokoll maßgeblich,41 ggf. ergänzt um die Spezifika hinsichtlich der konkret beratenen IBIP. Die Präferenzen des Kunden betreffen insbesondere dessen Risikotoleranz i. S. d. Abs. 1 S. 1 Nr. 3. Aufzuführen sind die ebenfalls nach dieser Norm abgefragten Anlageziele. Zu den kundenspezifischen Merkmalen gehören sowohl dessen Kenntnisse und Erfahrungen im Anlagebereich in Bezug auf den speziellen Produkttyp oder den speziellen Typ der Dienstleistung i. S. d. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 als auch seine finanziellen Verhältnisse, einschließlich seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen i. S. d. Abs. 1 S. 1 Nr. 2. Hinzu kommen möglichweise weitere relevanten Merkmale im Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden. Die lediglich anlassbezogenen Maßstäbe des § 6 Abs. 1 sind bei IBIP auch insoweit nicht maßgeblich.42

4. Form der Erklärung (S. 4) Abs. 5 S. 4 bezieht sich auf die in Abs. 5 S. 3 genannte Erklärung und bestimmt, dass darauf 39 insgesamt die Norm des § 6a Anwendung findet. Zusammen genommen mit der Klarstellung, dass diese über eine Website nicht erbracht werden kann, bezieht sich also Abs. 5 S. 4 vor allem auf die Form der Erklärung i. S. d. Abs. 5 S. 3. Insoweit ist auf die dortige Kommentierung zu verweisen.

5. Besonderheiten im Fernabsatz (S. 5) Abs. 5 S. 5 betrifft den Vertrieb von IBIP im Fernabsatz im Sinne des § 312c BGB. Sollte vor Ver- 40 tragsabschluss über das IBIP die vorherige Aushändigung der Angemessenheitserklärung nach Abs. 5 S. 3 nicht möglich sein, erlaubt es die Norm dem VR ausnahmsweise, diese dem VN auch unverzüglich nach Vertragsschluss auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen. Allerdings muss der VN zum einen dieser Vorgehensweise zugestimmt haben. Zum anderen muss der VR dem VN angeboten haben, den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu verschieben, damit der VN die Angemessenheitserklärung wie an sich vorgesehen vor Abschluss des Kontraktes erhalten kann. Weder für die Zustimmung noch für das Angebot sieht das Gesetz eine besondere Form oder Frist vor; nur muss beides naturgemäß vor Vertragsschluss erfolgen.

6. Regelmäßige Beurteilung der Eignung (S. 6) Abs. 5 S. 6 sieht schließlich vor, dass dem VN regelmäßig über die Eignung des IBIP zu berich- 41 ten ist, wenn sich der VR dazu verpflichtet hat. Erforderlich sind hierzu Angaben, inwieweit das IBIP (noch) den Präferenzen, Zielen und anderen kundenspezifischen Merkmalen des VN entspricht. Das wird nahezu unmöglich, wenn sich die dafür maßgeblichen Parameter auf Kundenseite seit dem Erwerb der Kapitalanlage geändert haben. Die laufende Überprüfung kann sich daher immer nur auf diejenigen Merkmale des VN beziehen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich waren. Den VR trifft insofern also eine Beobachtungs- und Überprüfungspflicht in Bezug auf das erworbene IBIP, nicht aber eine solche hinsichtlich der Belange und maßgeblichen Umstände des VN als Vertragspartner und Person. Geschuldet ist mithin eine laufende Überprüfung, ob das erworbene IBIP weiterhin anlegergerecht ist. Die Kriterien des § 6 Abs. 1, insbesondere das dort angesprochene Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien und die des § 6 Abs. 4, wonach die Beratung lediglich besteht, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des 41 So wohl auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 30. 42 Dafür aber wohl Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 30. 785

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§ 7c VVG

Beurteilung von Versicherungsanlageprodukten; Berichtspflicht

Versicherungsnehmers erkennbar ist, haben damit nichts zu tun, sind also gerade nicht Maßstab.43 Gemäß Art. 14 Abs. 4 S. 1 Delegierte Verordnung (EU) 2017/235944 sind Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen, die eine regelmäßige Eignungsbeurteilung vornehmen, zur Überprüfung der IBIP im besten Interesse ihrer Kunden mindestens einmal jährlich verpflichtet. Nach Abs. 4 S. 2 ist die Häufigkeit der Beurteilungen je nach den Merkmalen des Kunden, etwa hinsichtlich dessen Risikobereitschaft und der Art des empfohlenen IBIP zu erhöhen.

C. Abdingbarkeit 42 Gemäß § 18 kann von der Norm nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden.

D. Beweislast 43 Wie auch hinsichtlich der Informationspflichten nach § 7b bilden auch die nach § 7c durch den VR zu erfüllenden Pflichten keine Wirksamkeitsvoraussetzung für das ordnungsgemäße Zustandekommen des VV. Verletzt der VR seine Pflichten und will der VN daraus Rechte bis hin zur schadensrechtlichen Rückabwicklung geltend machen, hat nicht er nicht nur den Abschluss des VV und den Eintritt der Pflichtverletzung, sondern auch sämtliche anderen Haftungsvoraussetzungen dazulegen und zu beweisen.

43 So aber Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 36 unter Hinweis auf § 6 Abs. 4 und die unter § 6 Rn. 24 ff. zu findenden Ausführungen. 44 Delegierte Verordnung (EU) 2017/2359 der Kommission vom 21.9.2017 zur Ergänzung der RL (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die für den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten geltenden Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln, L 341/8. Knops

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§ 7d Beratung, Information und Widerruf bei bestimmten Gruppenversicherungen Der Versicherungsnehmer eines Gruppenversicherungsvertrags für Restschuldversicherungen hat gegenüber der versicherten Person die Beratungs- und Informationspflichten eines Versicherers. Die versicherte Person hat die Rechte eines Versicherungsnehmers, insbesondere das Widerrufsrecht. Über dieses Widerrufsrecht ist eine Woche nach Abgabe der Vertragserklärung erneut in Textform zu belehren. Das Produktinformationsblatt ist mit dieser Belehrung erneut zur Verfügung zu stellen. Die Widerrufsfrist beginnt nicht vor Zugang dieser Unterlagen.

Schrifttum Armbrüster Vertrieb für Fortgeschrittene, VW 2017 62; Brömmelmeyer Informations- und Beratungspflichten in der Restschuldversicherung, VersR 2015 1460 ff.; Dawe Verbraucherdarlehen und Restschuldversicherung im Insolvenzverfahren – Neue Wege der Massemehrung im Insolvenzverfahren des Verbrauchers, NZI 2008 513; Dreyer/Haskamp Die Gruppenversicherung im Bausparbereich, ZVertriebsR 2019 92 ff.; Franz Informationspflichten gegenüber Versicherten bei Gruppenversicherungsverträgen – ein weißer Fleck auf der Landkarte des VVG? VersR 2008 1565 ff.; Freitag Verbraucherdarlehens- und Restschuldversicherungsvertrag als verbundene Geschäfte? ZIP 2009 1297 f.; Geßner Aufklärungspflichten über Kick-Backs bei der Distribution von Restschuldversicherungsverträgen, VuR 2009 243 ff.; Göbel/Köther Ausgewählte Probleme aus dem Bereich der Restschuldversicherung, VersR 2015 425 f.; Jacob jurisPR-VersR 3/2010 Anm. 5; Knobloch Der Markt der Restschuldversicherungen in Deutschland – zwischen Nischenmonopolen der Versicherer und Annahmezwang der Verbraucher, VuR 2008 91; Knops Aufklärungs- und Beratungspflichten über Innenprovisionen im Restschuldversicherungsvertrieb, JZ 2020 21 f.; ders. Sittenwidrigkeitsprüfung in gestörten Marktlagen – am Beispiel von Restschuldversicherungen, NJW 2019 1847 ff.; ders. Darlehens- und Restschuldversicherungsvertrag als verbundene Geschäfte – Rechtsfolgen für die Praxis, ZIP 2010 1265; ders. Restschuldversicherung im Verbraucherkredit, VersR 2006 1455 ff.; Knops/Martens Darlehenswiderruf bei Mehrheit von Kreditnehmern, Kreditverträgen und Widerrufsrechten, WM 2015 2025 ff.; Reifner/Knobloch/Knops Restschuldversicherung und Liquiditätssicherung, 2010; Schmitz-Elvenich/Krokhina Informationspflichten bei Restschuldversicherungen nach dem IDD-Umsetzungsgesetz, VersR 2018 129 ff.; Schneider Auf der Suche nach Kredit, VersR 2014 1295 ff.; Wendt Das neue Versicherungsvertriebsrecht – Zu Beratungspflichten und Interessenkonflikten, VersR 2019 257; ders. Vertriebsrecht auf neuen Wegen, VW 2019 100 f.

Übersicht 1

III.

Widerrufsbelehrung, Produktinformationsblatt 10 und Widerrufsfrist (S. 3, 4 und 5)

IV.

Ausübung und Rechtsfolgen des Wider13 rufs

5

C.

Abdingbarkeit

I.

Beratung und Information der versicherten Per7 son (S. 1)

D.

Beweislast

II.

Rechte der versicherten Person (S. 2)

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Kommentierung

2 3

15 16

8

A. Einführung Die Norm verpflichtet den VN von bestimmten Restschuldversicherungen zur Beratung und 1 Information der versicherten Person und gibt ihr im Verhältnis zum Versicherer die Rechte 787 https://doi.org/10.1515/9783110522600-020

Knops

§ 7d VVG

Beratung, Information und Widerruf bei bestimmten Gruppenversicherungen

eines Versicherungsnehmers, insbesondere den Anspruch auf die Versicherungsleistung und auf den Rückkaufswert sowie ein eigenes Kündigungs- und Widerrufsrecht.

I. Entstehungsgeschichte 2 § 7d ist – nach berechtigter Kritik an dem insoweit defizitären RegE1 – durch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) ergänzend zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung der IDD-Umsetzung2 in das VVG eingefügt worden, basiert aber nicht auf dieser Richtlinie.3 Die Norm ist zum 23.2.2018 in Kraft getreten.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 3 In der Kreditpraxis werden vor allem Ratenkreditverträge massenweise4 mit Restschuldversicherungen gekoppelt,5 um die Rückzahlungsverpflichtung des Kunden zumeist bei Tod, zuweilen auch bei Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit abzusichern.6 Daneben kommen Restschuldversicherungsverträge auch bei anderen Finanzierungsverträgen, insbesondere bei sonstigen Finanzierungshilfen gemäß § 506 BGB vor.7 Wenn der Kreditnehmer nicht mit der Versicherung direkt einen RSV schließt, sondern lediglich einem zwischen dem Darlehensgeber und Versicherung vorher geschlossenen Gruppenversicherungsvertrag beitritt, wird er nur zur versicherten Person. Insoweit wird er vom VR weder beraten noch umfassend informiert; zudem soll der versicherten Person bei Restschuldgruppenversicherungen nach der Rechtsprechung bei Altverträgen gerade kein Widerrufsrecht, insbesondere auch nicht nach den §§ 8 Abs. 1, 152 analog, zustehen.8 Sinn und Zweck der Neuregelung ist es, zugunsten der versicherten Person zum einen die Transparenz zu verbessern, indem ihr gegenüber die gleichen Informations- und Beratungspflichten des VVG (insbesondere die §§ 6 bis 7a und die VVG-InfoV) gelten wie für solche Kreditnehmer, die mit einem VR direkt einen RSV abgeschlossen haben; zum anderen sollen der versicherten Person die Rechte eines VN zustehen, soweit es um die Absicherung durch Versicherung geht. Zudem wird mit der Neuregelung ausdrücklich das Widerrufsrecht adressiert (§§ 8, 9).9 Hinsichtlich der Pflicht zur erneuten Information über das Widerrufsrecht

1 Vgl. BTStenBer. 18/228, 22858, 23076 u. 23077. 2 RL 2016/97/ EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, BTDrucks. 18/11627.

3 BTDrucks. 18/13009 S. 33, 41 f. 4 Nach dem BaFin Ergebnisbericht zur Marktuntersuchung Restschuldversicherungen vom 21.6.2017, S. 1 ff. (abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Anlage/dl_170620_marktuntersuchung_restschuldversicherungen.pdf?__blob=publicationFile&v=8) führen die dort befragten Versicherungsunternehmen rund 8,2, Millionen versicherte Personen in ihrem Bestand. Über die genaue Anzahl der bestehenden Verträge mit Kunden in Deutschland gibt es bislang keine verlässlichen Zahlen. Allein für 2016 weist die Statistik des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. einen Bestand von knapp 2,5 Mio. Verträgen aus (http://www.gdv.de/zahlenfakten/lebensversicherung/risikoversicherung/), erfasst dabei aber nicht die Verträge von ausländischen Anbietern. 5 Jacob jurisPR-VersR 3/2010 Anm. 5; Knobloch VuR 2008 91; Knops VersR 2006 1455. 6 Die Rückzahlungsverpflichtung ist typischerweise bereits durch die Abtretung pfändbarer Einkommensanteile gesichert (Dawe NZI 2008 513). 7 Im Folgenden soll dennoch immer von Banken die Rede sein, auch wenn der Anbieter von sonstigen Finanzierungshilfen beispielsweise auch ein Leasinggeber o. ä. sein kann. 8 OLG Hamm 24.4.2019 – I-20 U 18/19, VersR 2019 869 = RuS 2019 382 u. LG Düsseldorf 21.7.2016 – 9 S 47/15, BeckRS 2016 14635, jew. gegen Voraufl. § 8 Rn. 9. 9 BTDrucks. 18/13009, S. 53. Knops

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A. Einführung

VVG § 7d

und hinsichtlich der Merkmale des VV über das Produktinformationsblatt verweist der Ausschuss auf die Begründung zu § 7a Abs. 5.10 Angesichts der bisherigen Lage von Kreditnehmern, die als Mitglieder von Gruppen-RSV weit- 4 gehend rechtlos gestellt waren, die Neuregelung als in „bedauerlicher Typizität“ für „überflüssig“ zu halten und zwar weil bei RSV auf den Todesfall „schon aufsichtsrechtlich“ ein „Recht des Kreditnehmers“ bestehen würde, „den Rücktritt innerhalb gesetzlicher Fristen ausüben zu können“,11 ist unzutreffend. Tatsächlich ergab sich für Kreditnehmer ein solches „Rücktrittsrecht“ hinsichtlich ihres Beitrittes zu einer Gruppenversicherung vor Einführung der Norm gerade nicht. Daran änderte auch die Auffassung des Bundesamtes für das Versicherungswesen aus dem Jahre 1994 nichts, dass zur Wahrung der Interessen des versicherten Kreditnehmers, der zwar nicht VN, aber doch effektiver Beitragszahler sei, dieser den Rücktritt (i. S. v. § 8 Abs. 4 VVG 1991) von der Versicherung innerhalb der gesetzlichen Frist verlangen können müsse.12 Vertraglich wurde dies fast nie vorgesehen; eine entsprechende Rechtspflicht wird durch Ansicht einer Aufsichtsbehörden nicht begründet – auch galt und gilt der Vorbehalt des Gesetzes, wonach ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung ein solches Recht, wenn es der Partei nicht vertraglich eingeräumt wird, auch nicht existiert. Ein solches Recht folgte für die Gruppenmitglieder von RSV für Verträge, die zwischen dem 1.1.1991 und dem 28.7.1994 geschlossen wurden, auch nicht – wie ebenfalls fälschlich behauptet wird13 – aus § 8 Abs. 4 VVG a. F., weil sie eben nicht VN waren; an dieser Rechtslage hat sich bis zum Inkrafttreten des § 7d auch nichts geändert. Dementsprechend haben die Anbieter von RSV ihren Kunden auch praktisch nie ein Rücktrittsrecht vertraglich eingeräumt. Folglich war den Kunden ein solches Recht, das nicht einmal zivilrechtlich abgesichert war, auch vollkommen unbekannt und wurde dementsprechend auch nie geltend gemacht. Zudem hätte auch ein Rücktrittsrecht für den Verbraucher strukturelle Nachteile gegenüber einem Widerrufsrecht. Maßgeblich ging es bei der Einführung des § 7d darum, der versicherten Person die Rechte eines VN zuzubilligen und deren Benachteiligung – gerade auch informatorisch im Hinblick auf die Vertrags- und Vertragspartnerwahlfreiheit – zu beseitigen. Angesichts der bislang völlig fehlenden Beratung und nur rudimentären Information der Kreditnehmer davon zu sprechen, diese seien „bereits ähnlich geschützt, wie § 7d es nun vertragsrechtlich anordnet“14 ist nicht einmal mehr nachvollziehbar wie auch die Neuregelung nur jemand für „überflüssig“ halten kann, der die seit Jahrzehnten bestehenden Missstände im Bereich der RSV nicht einmal ansatzweise erfasst hat oder diese gutheißt.15 Den einseitigen Interessenvertretern und rechtpolitischen Kritikern der Regelung sollte zu bedenken geben, dass die Bundesregierung schon seit 2017 explizit vor Restschuldversicherungen warnt, weil sich das auf den ersten Blick als sinnvoll erscheinende Produkt bei genauerer Betrachtung nicht selten als großes Ärgernis entpuppt.16 Angesichts der hohen Provisionen von bis zu 80 %, die von den Versicherungsprämien für den Vertrieb der RSV an die vermittelnden Banken zurückfließen,17 bestehen in Deutschland ebenso große Miss-

10 11 12 13 14 15

BTDrucks. 18/13009, S. 53. So Langheid/Rixecker Rn. 1. Rundschreiben R 3/94, VerBAV 1995 8. So Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129, 130. So Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi § 7d Rn. 2. Siehe dazu bereits Knops VersR 2006 1455 ff. sowie zu den strukturellen Problemen der RSV als Produkt Reifner/ Knobloch/Knops Restschuldversicherung und Liquiditätssicherung, passim. 16 Siehe BReg, Restschuldversicherungen – Häufig teuer und überflüssig (abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/09/2017-09-12-restschuldversicherung-haeufig-teuer-und-ueberfluessig.html). 17 Siehe Protokoll-Nr. 18/113 der 113. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestages vom 31.5.2017 S. 20 und BaFin, Marktuntersuchung Restschuldversicherungen vom 21.6.2017 ergibt (abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Anlage/dl_170620_marktuntersuchung_restschuldversicherungen.pdf?__blob=publicationFile&v=8): Danach erhalten zwölf Kreditinstitute 50 Prozent der Versicherungsprämie, sieben Institute über 50 Prozent, wobei in Einzelfällen die Provisionen mehr als 70 Prozent betragen; so bereits Knops VersR 2006 1455 f. 789

Knops

§ 7d VVG

Beratung, Information und Widerruf bei bestimmten Gruppenversicherungen

stände18 wie in Großbritannien beim sog. PPI-Scandal,19 was erstaunlicherweise in der versicherungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur hierzulande weitgehend ignoriert20 oder in Kenntnis der Umstände sogar noch explizit geleugnet wird21 – was zugleich zumindest in diesem Sektor einiges über den Entwicklungsgrad des Versicherungsrechts in Deutschland aussagt, wogegen bspw. im Bank- oder Maklerrecht Provisionen von wenigen Prozent schon als aufklärungspflichtig und darüber deutlich hinausgehende Beträge als jedenfalls sittenwidrig anzusehen sind.

B. Kommentierung 5 Während § 7a Abs. 5 für RSV gilt, die der Kreditnehmer unmittelbar mit dem VR abschließt, ist § 7d seinem Wortlaut nach nur anwendbar auf Gruppenversicherungsverträge für Restschuldversicherungen. Zu unterscheiden sind hier im Wesentlichen zwei unterschiedliche Vertragsmodelle:22 Im praktisch häufigsten Fall23 wird der Kreditnehmer in einen zwischen dem Darlehensgeber und Versicherung vorher geschlossenen Kollektiv(-rahmen-)vertrag einbezogen (Gruppenversicherungsmodell).24 Bei einem sog. echten Gruppenversicherungsvertrag wird nur die „Gruppenspitze“, also hier der Darlehensgeber Versicherungsnehmer eines einzigen, einheitlichen Vertrages und der Kreditnehmer durch Beitrittserklärung lediglich zur versicherten Person.25 Nach der neueren Rechtsprechung dient die Versicherung in erster Linie dem Interesse der Bank als Darlehensgeberin.26 Bei einem sog. unechten Gruppenvertrag übernimmt das Kreditinstitut als „Gruppenspitze“ für sämtliche Gruppenmitglieder (Kreditnehmer) hingegen nur die Vertragsverwaltung; für die einzelnen Mitglieder ergeben sich aus dieser Zusammenfassung typischerweise gewisse Kosten- und Beitragsvorteile.27 Es kommt aber zu individuellen Versicherungsverträgen zwischen dem Gruppenmitglied und dem Versicherer.28 Das ist der Fall, wenn zwar eine vorherige Rahmenvereinbarung zwischen Versicherer und Bank vorliegt, aber dort nicht alle Vertragskonditionen pauschal und endgültig festgelegt wurden, sondern in Bezug auf den konkreten Versicherungsnehmer etwa die Prämienhöhe an dessen individuelle Bonität und Kreditwürdigkeit angepasst wird oder besondere Leistungsausschlüsse wie etwa zu Vorerkrankungen vereinbart werden. Insoweit ist die Abgrenzung zu einem sog. Gruppenversicherungsrahmenvertrag schwierig.29 Dieser besteht aus einem Versicherungsvorvertrag zwischen dem Versicherer und der Gruppenspitze und betrifft insbesondere die Vermarktung des betreffenden Versicherungsprodukts. Er selbst ist aber kein Versicherungsvertrag,30 weil bei einem solchen erst durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen des Versicherers und des einzelnen Versicherungsnehmers eigenständige Versicherungsverträge abgeschlossen werden.31 Ebenso liegt es bei der Ver18 Zur sittenwidrigen Provisionspraxis der Branche Knops NJW 2019 1847 ff. u. auch JZ 2020 21. 19 Siehe dazu ausführlich die eigens eingerichteten Webseiten der Financial Conduct Authority (FCA) unter https://www.fca.org.uk/ppi.

20 So etwa Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129 f. 21 So ausdrücklich Wandt VersR 2019 590. 22 Siehe dazu zuletzt Knops JZ 2020 21 f. und zuvor Mülbert/Wilhelm WM 2009 2241; Freitag ZIP 2009 1297 f.; Geßner VuR 2009 243, 244 ff. 23 Siehe BaFin (Fn. 1), S. 10 f.; Prölss/Martin/Schneider Vorbem. § 150 Rn. 31. 24 Schimikowski Versicherungsvertragsrecht, 4. Aufl. (2009) 2. Teil Rn. 75 f. 25 Brömmelmeyer VersR 2015 1460; Göbel/Köther VersR 2015 425, 426; Schneider VersR 2014 1295, 1296; Franz VersR 2008 1565, 1566. 26 LG Waldshut-Tiengen – 1 O 185/16, VersR 2017 841 f. = RuS 2017 670. 27 Prölss/Martin/Schneider (Fn. 7), Vorbem. § 150 Rn. 31. 28 Zum Ganzen MüKo-VVG/Armbrüster § 7 Rn. 15 f.; Franz VersR 2008 1565 ff. 29 Vgl. dazu Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2019 92, 94. 30 Siehe BaFin (Fn. 1), S. 9 m. w. N. 31 OLG Köln 8.11.2016 – 9 U 38/16, RuS 2017 472, 473. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 7d

tragsvariante, in der die Rückzahlung des Darlehens und die geschuldeten Zinsen das versicherte Risiko im Rahmen einer Einzelversicherung bilden, die Bank aber nicht an den Versicherer gebunden ist. Zwischen den professionellen Beteiligten besteht lediglich eine (in der Praxis bislang zumeist sittenwidrige!32) Provisionsabrede, weswegen die Bank auch nur als reine Vermittlerin für den Abschluss der Versicherung anzusehen ist; der Darlehensnehmer schließt auf Vermittlung der Bank selbst den Versicherungsvertrag und wird Versicherungsnehmer.33 Von § 7d werden nach dem Wortlaut nur solche Verträge erfasst, in denen der VN und die versicherte Person personenverschieden sind; dies ist nur bei dem o. g. sog. echten Gruppenversicherungsvertrag gegeben. In diesem Fall muss nicht der VR, sondern der VN als Gruppenspitze den Kreditnehmer 6 als versicherte Person beraten und informieren, und zwar wie ein VR. Ob darin gleich ein mehrfacher systematischer Bruch liegt,34 kann de lege lata dahinstehen; jedenfalls ist der VN als professioneller Anbieter von Finanzdienstleistungen dazu in aller Regel ohne weiteres in der Lage und steht in der Vertragsanbahnungsphase bis zu dessen Abschluss zumeist auch allein im Kontakt mit dem Kunden. Mit dem VR hat der Kreditnehmer in aller Regel überhaupt nichts zu tun. Oft sind zudem die Anbieter von RSV Tochterunternehmen der Banken.35 Die Konzernmutter wie die kreditgebenden Banken als Gruppenspitze schlechthin nicht für sach- und kundennäher und für nicht genügend oder gar inkompetent zur Erfüllung der sich aus den § 7d ergebenden Verpflichtungen zu halten, wäre geradezu abenteuerlich.

I. Beratung und Information der versicherten Person (S. 1) Zunächst spielt es nach dem Wortlaut der Norm keine Rolle, ob die versicherte Person Verbrau- 7 cher oder Unternehmer ist. Sie gilt daher wie bspw. § 7a Abs. 5, der den direkten Abschluss von RSV durch einen VN adressiert und § 8, wonach dem VN ein Widerrufsrecht zusteht, ebenfalls für beide Konstellationen. Praktisch ebenfalls nicht relevant ist es, ob die versicherte Person nur Gefahrsperson (z. B. im Rahmen einer Eigenversicherung des Darlehensgebers auf fremdes Leben des Darlehensnehmers i. S. v. § 159 I Alt. 2) oder zugleich auch versicherte Person (im Rahmen einer reinen Fremdversicherung i. S. v. § 43) ist, da in dem einen wie dem anderen Fall dem Darlehensgeber in der Regel ein unwiderrufliches Bezugsrecht (§ 159 Abs. 3) eingeräumt wird und die Lebensversicherung bei Benennung eines Bezugsberechtigten nicht in den Nachlass fällt. Soweit in den Versicherungsverträgen hierzu keine ausdrückliche Bestimmung getroffen ist, ist es letztlich eine Frage der Auslegung des Versicherungsvertrages, welche Rechtsstellung den Darlehensnehmern zukommt. Teils wird die Restschuldversicherung als kombinierte Eigen- und Fremdversicherung eingeordnet mit der Folge, dass dann die §§ 43 ff. anwendbar wären; zumeist sichert sie nicht nur das Interesse des Darlehensgebers an der Rückzahlung des gewährten Darlehens ab, sondern soll – oft als „Todesfallschutz“ bezeichnet – auch die Erben des VN vor möglichen Liquiditätsrisiken schützen.36

32 Knops NJW 2019 1847 ff. 33 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass nach Ansicht der BaFin die Vorgaben über die Vertriebsvergütung auch für Vertriebstätigkeiten bei dem Angebot von Restschuldversicherungen im Rahmen eines Gruppenversicherungsvertrages im Sinne des § 7d VVG gelten, denn die von der Gruppenspitze ausgeübten Vertriebstätigkeiten sind dem Versicherungsunternehmen zuzurechnen (vgl. § 7d S. 2 VVG) (s. Rundschreiben 11/2018 zur Zusammenarbeit mit Versicherungsvermittlern sowie zum Risikomanagement im Vertrieb vom 17.7.2018 (www.bafin.de) unter B.VII 1. Rz. 100). 34 So vor allem in strukturell-formaler Hinsicht, aber wenig überzeugend Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 1. 35 Knops JZ 2020 21; NJW 2019 1847, 1851. 36 Zum Ganzen Brömmelmeyer VersR 2015 1460, 1464, wonach die Rechte aus dem Versicherungsvertrag dem Versicherten nach § 44 Abs. 1 S. 1 zustehen. 791

Knops

§ 7d VVG

Beratung, Information und Widerruf bei bestimmten Gruppenversicherungen

Die Beratung der versicherten Person hat nach dem Programm den §§ 6 f. zu erfolgen.37 Dementsprechend ist auch die Ermittlung des Bedarfs des Kreditnehmers als Kunde hinsichtlich des Versicherungsschutzes nun Sache der Bank. Diese unterscheidet sich maßgeblich von der Kreditwürdigkeitsprüfung nach den §§ 505a ff. BGB. Die kreditgebende Bank als Gruppenspitze ist also dadurch in einer Doppelrolle und darf die unterschiedlichen Maßstäbe in kreditwirtschaftlicher und versicherungswirtschaftlicher Hinsicht – weder privatrechtlich noch aufsichtsrechtlich – durcheinanderwerfen. In aller Regel wird sie diesen Pflichten selbst nachkommen müssen und kann sich keineswegs – auch hinsichtlich der Pflicht zur anlassbezogenen Fragepflicht sowie die Bedarfsermittlung – auf den kreditvermittelnden Händler verlassen,38 die es im Konsumentenkreditbereich zwar für die Darlehensverträge häufig gibt, die aber oft nicht von sich aus den Beitritt zu einem RSV-Gruppenversicherungsvertrag vermitteln. Die zu erteilenden Informationen richten sich nach den Anforderungen der §§ 7, 7a Abs. 3 (dazu § 7a Rn. 12) sowie gemäß S. 3 nach § 8, insbes. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 (dazu § 8 Rn. 55 ff.) sowie den einschlägigen Normen der VVG-InfoV, insbes. dessen § 4. Der VN hat die versicherte Person mithin auch über das ihm zustehende Widerrufsrecht zu belehren.

II. Rechte der versicherten Person (S. 2) 8 Der versicherten Person kommen durch § 7d S. 2 die Rechte eines Versicherungsnehmers zu, womit beabsichtigt war, den Kreditnehmer, obwohl er formal zwar nicht VN geworden ist, aber eben die versicherte Person und auch für sämtliche Prämien aufzukommen hat, nicht weiter nahezu rechtlos zu belassen. Durch S. 2 der Norm werden grundsätzlich sämtliche Rechte erfasst, die einem VN zustehen, mithin auch das Recht zur Einräumung eines Bezugsrechts, zur Abtretung oder Verpfändung sowie das Kündigungsrecht,39 allerdings nur nach Maßgabe des Beitritts zum Gruppenversicherungsvertrag, dessen Bedingungen (und mögliche Einschränkungen der Rechte der versicherten Person) naturgemäß der AGB-Kontrolle unterworfen sind. Dies betrifft das oft den Banken formularmäßig übertragene unwiderrufliche Bezugsrecht der Versicherungsleistung zur Tilgung der noch offen stehenden Valuta und der Zinsen, aber auch das Recht zur Kündigung des Gruppenbeitritts, wobei § 168 zu berücksichtigen ist.40 Ob und welche Auswirkungen eine Kündigung auf die Finanzierung haben soll, ist allein Sache des Verhältnisses zwischen den Parteien des Darlehensvertrages. 9 Nicht erfasst werden von der Regelung in S. 2 diejenigen Rechte, die der Bank in ihrer Eigenschaft als Gruppenspitze und VN des Gruppenversicherungsvertrages zustehen; dies erschließt sich aus dem Umstand, dass in dem Wortlaut der Norm von Rechten „eines“ und nicht von Rechten „des“ VN, also der Gruppenspitze die Rede ist.41 Gemeint sind daher die Rechte, die die versicherte Person hätte, wenn sie Partner eines sog. unechten Gruppenvertrages oder Einzelvertrages über eine RSV wäre.42 Mit der damit verbundenen Einräumung eines Widerrufrechts soll der Kreditnehmer selbstverständlich nicht den gesamten RSV als Gruppenversicherungsvertrag widerrufen können, sondern nur seinen Beitritt zu demselben, um sich aus der Vertragsbindung oder auch nur von der Bindung an seinen Antrag auf Aufnahme befreien zu können.

37 38 39 40 41 42

Wendt VW 2019 100 f.; Armbrüster VW 2017 62. So aber Wendt VW 2019 100 f. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 5. Dazu Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 5. Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129, 132; ebenso Langheid/Rixecker Rn. 7. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi Rn. 4.

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B. Kommentierung

VVG § 7d

III. Widerrufsbelehrung, Produktinformationsblatt und Widerrufsfrist (S. 3, 4 und 5) Hinsichtlich der Pflicht über dieses Widerrufsrecht eine Woche nach Abgabe der Vertragserklä- 10 rung erneut in Textform zu belehren kann – ebenso wie hinsichtlich der Pflicht mit dieser Belehrung das Produktinformationsblatt erneut zur Verfügung zu stellen – auf die Kommentierung zu § 7a Abs. 5 verwiesen werden (§ 7a Rn. 17). Gleiches gilt hinsichtlich der Widerrufsfrist, die nicht vor Zugang dieser Unterlagen beginnt (§ 7a Rn. 20). Entsprechend ist die Widerrufsbelehrung zu formulieren. Nach § 8 Abs. 5 kann die Musterbelehrung nur in den Fällen des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Anwendung finden; ein Verweis auf § 7a Abs. 5 und § 7d fehlt. Das Muster kann auch deswegen nicht verwendet werden, weil es inhaltlich nicht auf den Fall des § 7a Abs. 5 und § 7d ausgerichtet ist.43 Um den Kreditnehmer einem VN hinsichtlich dessen Rechten gleichzustellen, muss er auch 11 das Produktinformationsblatt nach Maßgabe des § 4 VVG-InfoV erhalten, obwohl auch dort wie in § 8 nur von Versicherungsnehmern gesprochen wird.44 Im Unterschied zu § 7a Abs. 5 muss das Produktinformationsblatt der versicherten Person auch dann ausgehändigt werden, wenn diese kein Verbraucher ist;45 ob der Versicherte Verbraucher ist, ist hingegen immer unerheblich.46 Da die Widerrufsfrist ist mit dem Zugang der erneuten Belehrung und des Produktinformati- 12 onsblattes beginnt und dies eine Woche nach Abgabe der Vertragserklärung erfolgen soll, verlängert sich de facto die Widerrufsfrist um eine Woche. Die Frist zur Zahlung der Erstprämie wird in diesem Fall jedoch nicht um eine Woche verlängert. Verbraucher müssten also die Prämie zahlen obwohl, sie den Vertrag noch widerrufen können. Um unnötige Zahlungsvorgänge zu vermeiden, sollte diese Regelungslücke dadurch geschlossen werden, dass die Prämienzahlungspflicht in diesen Fällen an die verlängerte Widerrufsfrist angepasst wird.

IV. Ausübung und Rechtsfolgen des Widerrufs Dem Kreditnehmer steht in Bezug auf den RSV-Gruppenvertragsbeitritt mithin ein eigenes Wi- 13 derrufsrecht zu, dass sich nicht von einem solchem der Gruppenspitze ableitet oder dieses gar substituiert geschweige denn auf ihn übergeht. Zu erklären ist der Widerruf bei einem sog. echten Gruppenversicherungsvertrag an sich gegenüber dem anderen Teil, also dem VR, auch wenn dieser mit dem Darlehensgeber als Gruppenspitze über den Kollektivrahmenvertrag verbunden bleibt. Da es in der Sache um den Widerruf des Beitritts an sich geht, dürfte auch ein Widerruf gegenüber der Bank ausreichend sein. In der Widerrufsbelehrung ist der Widerrufsempfänger klar, deutlich und unzweideutig zu benennen. Mit Wirksamwerden des Widerrufs des Kreditnehmers als versicherte Person scheidet er 14 aus der Gruppe aus, die ansonsten bestehen bleibt. Angesichts des kollusiven Zusammenwirkens von Banken und Versicherungen bei der Ausgestaltung von RSV-Gruppenverträgen, um vor allem unanständig hohe Provisionen in solchen Verträgen zum Nachteil der Kunden zu vereinbaren, bleibt es wohl nur eine akademische Frage, ob der Bank als Gruppenspitze in dieser Konstellation überhaupt noch ein eigenes Widerrufsrecht als VN zustehen kann – nicht nur weil sie eines solchen an sich nicht bedürfte, sondern vor allem, weil sie damit unter Umständen allen zwischenzeitlich beigetretenen Kreditnehmern dem Versicherungsschutz die Grundlage entziehen könnte. Widerrufen kann zwar jeder Widerrufsberechtige für sich selbst und zwar nach seiner eigenen Fasson,47 nicht aber wenn dem schwerwiegende Gründe etwa 43 44 45 46 47 793

Zu Gestaltungsvorschlägen siehe Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129, 132. Vgl. Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129, 132. Langheid/Rixecker/Gal § 4 VVG-InfoV Rn. 6; a.A Marlow/Spuhl/Spuhl Rn. 52 f. A.A. aber Marlow/Spuhl/Spuhl Rn. 52 f. Zu den Rechtsfolgen Knops/Martens WM 2015 2025 ff. Knops

§ 7d VVG

Beratung, Information und Widerruf bei bestimmten Gruppenversicherungen

aus Treu und Glauben entgegenstehen, was die allgemeine Grenze jeder Rechtsausübung bezeichnet. Insoweit dürfte das Kollektivinteresse der Gruppenmitglieder dem der Gruppenspitze eindeutig vorgehen. Zu den Rechtsfolgen des Widerrufs, auch bei derart verknüpften Verträgen (s. § 9 Rn. 37 f.).

C. Abdingbarkeit 15 Gemäß § 18 kann von der Norm nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. Die der versicherten Person durch § 7d zuerkannten Rechte sind ebenfalls unabdingbar, können also weder durch AVB der VR noch durch die Bedingungen des Gruppenversicherungsvertrages oder gar der darin einbezogenen AGB der Banken eingeschränkt werden.

D. Beweislast 16 Grundsätzlich hat der VN zu beweisen, dass er seinen sich aus der Norm ergebenden Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist. Bei Verstößen haftet der VN der versicherten Person auf Schadensersatz nach § 6 Abs. 5 bzw. § 280 Abs. 1 BGB,48 was diese zu beweisen hat.

48 Wendt VW 2019 100 f.; Armbrüster VW 2017 62. Knops

794

§ 8 Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers (1) Der Versicherungsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Der Widerruf ist in Textform gegenüber dem Versicherer zu erklären und muss keine Begründung enthalten; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung. (2) Die Widerrufsfrist beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem folgende Unterlagen dem Versicherungsnehmer in Textform zugegangen sind: 1. der Versicherungsschein und die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 und 2. eine deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs, die dem Versicherungsnehmer seine Rechte entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels deutlich macht und die den Namen und die ladungsfähige Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, sowie einen Hinweis auf den Fristbeginn und auf die Regelungen des Absatzes 1 Satz 2 enthält. Der Nachweis über den Zugang der Unterlagen nach Satz 1 obliegt dem Versicherer. (3) Das Widerrufsrecht besteht nicht 1. bei Versicherungsverträgen mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat, 2. bei Versicherungsverträgen über vorläufige Deckung, es sei denn, es handelt sich um einen Fernabsatzvertrag im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 3. bei Versicherungsverträgen bei Pensionskassen, die auf arbeitsvertraglichen Regelungen beruhen, es sei denn, es handelt sich um einen Fernabsatzvertrag im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 4. bei Versicherungsverträgen über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2. Das Widerrufsrecht erlischt, wenn der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des Versicherungsnehmers vollständig erfüllt ist, bevor der Versicherungsnehmer sein Widerrufsrecht ausgeübt hat. (4) Im elektronischen Geschäftsverkehr beginnt die Widerrufsfrist abweichend von Absatz 2 Satz 1 nicht vor Erfüllung auch der in § 312i Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelten Pflichten. (5) Die nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 zu erteilende Belehrung genügt den dort genannten Anforderungen, wenn das Muster der Anlage zu diesem Gesetz in Textform verwendet wird. Der Versicherer darf unter Beachtung von Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 in Format und Schriftgröße von dem Muster abweichen und Zusätze wie die Firma oder ein Kennzeichen des Versicherers anbringen.

Schrifttum Armbrüster Das allgemeine Widerrufsrecht im neuen VVG, RuS 2008 493 f.; ders. „Ewige“ Widerrufsrechte und ihre Rechtsfolgen, VersR 2012 513 f.; ders. Folgen einer unrichtigen Belehrung bei Abschluss einer Rentenversicherung, NJW 2019 1807; F. Baumann Das neue Versicherungsvertragsgesetz in der Praxis (2008); F. Baumann/Sandkühler Das neue Versicherungsvertragsgesetz (2008); Brand Heiniger Revisited – Zur Europarechtskonformität von § 5a VVG a. F., VersR 2013 1; Brink Neuerungen im Versicherungsvertragsrecht, ZRP 2007 100; Claussen Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen, JR 1991 360; Cebulla/Pützhoven Geschäfte nach dem Haustürwiderrufsgesetz und die Schlüsselgewalt nach § 1357 Abs. 1 BGB, FamRZ 1996 1124; Domke Ewiger Widerruf und treuwidrige Ewigkeit, BB 2005 1582 f.; Ferber/Rosowski Die Widerspruchsmöglichkeit bei Lebens- und Rentenversicherungsverträgen aus den Jahren 1995 bis 2007, VuR 2018 89; Frohnecke Unbegrenzter Widerspruch gleich unbegrenzter Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag? NJW 2015 985; Fuchs Das Fernabsatzgesetz im neuen System des Verbraucherschutzrechts, ZIP 2000 1273 ff.; Funck Ausgewählte Fragen aus dem Allgemeinen Teil zum neuen VVG aus der Sicht einer Rechtsabteilung, VersR 2008 163; Garbe-Emden Die Rückabwicklung von Leibrentenverträgen gegen Einmalzahlung, VersR 2013 1213 f.; Gaul Zum Abschluss des Versicherungsvertrages – Alternativen zum Antragsmodell? VersR 2007

795 https://doi.org/10.1515/9783110522600-021

Knops

§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

21 ff.; Gernhuber Verbraucherschutz durch Rechte zum Widerruf von Willenserklärungen, WM 1998 1797 ff.; Grote/ Schneider VVG 2008: Das neue Versicherungsvertragsrecht, BB 2008 2689; Guski Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und seine Verwirkung: zur prinzipienorientierten Teleologie des Gemeinschaftsprivatrechts, GPR 2009 286 ff.; Habersack Verbraucherkredit- und Haustürgeschäfte nach der Schuldrechtsmodernisierung, BKR 2001 72 ff.; Harsdorf-Gebhardt Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Versicherungsrecht – §§ 5 a und 8 VVG a. F., 8 VVG n. F. sowie § 215 VVG, RuS 2018 625 ff.; Knops Die subjektiven Voraussetzungen der Verwirkung wegen illoyaler Verspätung nach internationalem und deutschem Recht, AöR 143 (2018) 554; ders. Gläubigerkenntnis und Schuldnervertrauen als Verwirkungsvoraussetzungen, NJW 2018 425; ders. Vorteilsausgleichung bei Widerruf und Rücktritt? Festschrift Derleder (2015) 287; ders. Darlehens- und Restschuldversicherungsvertrag als verbundene Geschäfte – Rechtsfolgen für die Praxis, ZIP 2010 1265; ders. Restschuldversicherung im Verbraucherkredit, VersR 2006 1455 f.; ders. Aufklärungs- und Beratungspflichten über Innenprovisionen im Restschuldversicherungsvertrieb, JZ 2020 21 f.; ders. Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers, WuB 2019 459 ff.; Knops/Martens Darlehenswiderruf bei Mehrheit von Kreditnehmern, Kreditverträgen und Widerrufsrechten, WM 2015 2025 ff.; Langheid Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, NJW 2007 3665 (Teil 1) u. 3745 (Teil 2); Lorenz Im BGB viel Neues: Die Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie, JuS 2000 833 ff.; Mankowski Beseitigungsrechte (2003); ders. Erbraucherschutzrechtliche Widerrufsbelehrung und Sprachrisiko, VuR 2001 359; Marlow/Spuhl Das neue VVG kompakt, 3. Aufl. (2008); Masuch Neufassung des Musters für Widerrufsbelehrungen, BB 2005 344 ff.; ders. Musterhafte Widerrufsbelehrung des Bundesjustizministeriums? NJW 2002 2931 f.; Meixner/Steinbeck Das neue Versicherungsvertragsrecht (2011); Niederleithinger Auf dem Weg zu einer VVG-Reform – Zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, VersR 2006 437; Poelzig Versicherungsanlageprodukte im Fokus des EURechts – Anlegerschutz im Versicherungsrecht, ZBB 2015 108 ff.; Pohlmann Unwirksamer Verzicht des Versicherungsnehmers auf vorvertragliche Informationen, NJW 2017 3341 ff.; Präve Das neue Versicherungsvertragsgesetz, VersR 2007 1046; ders. Das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, ZfV 1994 374 ff.; Reiner Der verbraucherschützende Widerruf im Recht der Willenserklärungen, AcP 203 (2003), 1; Reusch Die vollständige Erfüllung nach § 8 Abs. 3 S. 2 VVG – zugleich Besprechung von LG Offenburg, VersR 2012 1417, VersR 2013 1364; Rott Die Umsetzung der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen im deutschen Recht, BB 2005 53 ff.; Schmitz-Elvenich/Krokhina Informationspflichten bei Restschuldversicherungen nach dem IDD-Umsetzungsgesetz, VersR 2018 129 ff.; Schimikowski Abschluss des Versicherungsvertrages nach neuem Recht, RuS 2006 441; ders. Vertragsschluss nach der Invitatio-Lösung und das neue VVG, VW 2007 715 f.; ders. Aktuelle Fragen zum Abschluss des Versicherungsvertrags, RuS 2012 577; Schmidt Das Qualifikationsmerkmal „Einfachheit“ im Versicherungsvertragsrecht, ZVersWiss 1973 529 ff.; Schneider Keine Musterbelehrung in Sicht, VW 2008 1168; Schwintowski Voraussetzungen für den Fristbeginn nach § 5a Abs. 2, S. 1 VVG a. F., VuR 2019 330; v. Koppenfels Das Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen im BGB – eine Untersuchung des § 355 Abs. 1 BGB-RegE, WM 2001 1360 ff.; Werber die Bedeutung des AGBG für die Versicherungswirtschaft, VersR 1986 1 f.

Übersicht 1

(1)

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

IV.

Übergangsrecht

B.

Kommentierung

I. 1. 2.

11 Widerrufsrecht (Abs. 1) 12 Bestehen des Widerrufrechts Informationspflicht und Informationsin13 halt 14 a) Europarechtliche Vorgaben 15 aa) Notwendige Angaben

Knops

2 4

9 10 11

b)

Bestehen oder Nichtbestehen ei16 nes Widerrufsrechts 17 (2) Widerrufsfrist (3) Modalitäten für Ausübung des 18 Widerrufsrechts (4) Praktische Hinweise zur Ausübung des Widerrufs19 rechts (5) Ggf. zu entrichtender Be20 trag (6) Folgen der Nichtausübung die21 ses Rechts bb) Rechtzeitigkeit der Informations22 gabe 23 cc) Keine weiteren Vorgaben dd) Rechtspflicht zur rechtzeitigen Infor24 mation des VN 25 Umsetzung in Deutschland

796

A. Einführung

3. 4. 5. 6. 7. II. 1. 2.

3. 4. III.

aa) Informationspflicht und Informations26 inhalt 28 bb) Belehrungszeitpunkt cc) Weitere oder nochmalige Beleh29 rung? (1) „Verstoß“ gegen § 8 Abs. 1 S. 1 30 Nr. 2? (2) „Verstoß“ gegen die Musterwi32 derrufsbelehrung? dd) Verhältnis zur Belehrung nach § 8 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 35 c) Resultat Belehrungsverpflichteter und Widerrufsberech37 tigter 40 Widerrufsgegenstand 44 Widerrufserklärung 47 Widerrufsempfänger 48 Widerrufsform 50 Widerrufsfrist (Abs. 2) 50 Dauer der Widerrufsfrist 51 Beginn der Widerrufsfrist 52 a) Unterlagen gemäß Abs. 2 S. 1 Nr. 1 53 aa) Versicherungsschein bb) Vertragsbestimmungen und Informati54 onen nach § 7 Abs. 1 und 2 b) Widerrufsbelehrung gemäß Abs. 2 Satz 1 55 Nr. 2 56 aa) Belehrungspflicht 60 bb) Klarheit und Transparenz cc) Belehrung über das Widerrufs61 recht dd) Belehrung über den Fristbe64 ginn 67 (1) Angebot des VR 69 (2) Angebot des VN 72 ee) Zeitpunkt der Belehrung 73 (1) Erteilung der Belehrung (2) Möglichkeit der Nachbeleh74 rung ff) Textform, Zugang und Spra75 che 78 Fortbestand des Widerrufsrechts 80 Ende der Widerrufsfrist

1.

2.

VVG § 8

81 Ausschluss (Abs. 3 S. 1) a) Versicherungsverträge mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat (Abs. 3 S. 1 82 Nr. 1) b) Versicherungsverträge über vorläufige De85 ckung (Abs. 3 S. 1 Nr. 2) c) Versicherungsverträge bei Pensionskassen 86 (Abs. 3 S. 1 Nr. 3) d) Versicherungsverträge über ein Großrisiko 87 (Abs. 3 S. 1 Nr. 4) 88 e) Sonstige Gründe f) Informationspflicht bei Nichtbestehen ei89 nes Widerrufsrechts Erlöschen bei vollständiger Erfüllung (Abs. 3 90 S. 2) 91 a) Ordnungsgemäße Belehrung 94 b) Ausdrücklicher Wunsch des VN c) Vollständige Vertragserfüllung vor Aus95 übung des Widerrufrechts

IV.

Widerrufsfrist im elektronischen Rechtsverkehr 96 (Abs. 4)

V.

Musterwiderrufsbelehrung (Absatz 5)

VI. 1.

Verwirkung und Rechtsmissbrauch Gesetzgeberischer Wille und Vorbehalt 103 setzes 105 Verwirkung a) Verwirkbares Widerrufsrecht? 110 b) Kenntnis des VN 111 c) Zeitmoment im Übrigen 112 d) Umstandsmoment 115 e) Ergebnis 118 Rechtsmissbrauch a) Ordnungsgemäße Belehrung b) Fehlende oder fehlerhafte Beleh120 rung

2.

3.

97 101 des Ge-

108

119

VII. Schadensersatz bei unzureichender Beleh122 rung C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

124 125

Ausschluss und Erlöschen des Widerrufsrechts 81 (Abs. 3)

A. Einführung Neben der Erteilung von vor allem produktspezifischen Informationen gilt das Widerrufsrecht 1 auf europäischer Ebene als das wichtigste Instrument zum Verbraucherschutz und ist nach der Rechtsprechung des EuGH ein Recht von grundlegender Bedeutung.1 Widerrufsrechte ent1 EuGH 23.1.2019 – C-430/17 Rn. 46 (juris) = NJW 2019 1363. 797

Knops

§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

springen historisch betrachtet aber nicht der europäischen Rechtsentwicklung, sondern originär eigener deutscher Rechtstradition, Privatleute neben Anfechtung, Rücktritt und Kündigung durch Schaffung eines Rechts auf Widerruf vor den Gefahren besonders unübersehbarer Geschäfte im Kontakt mit professionell Handelnden zu schützen.2 Anders als bei vielen anderen Widerrufsrechten steht das in § 8 verankerte Recht aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht nur Verbrauchern, sondern allen VN zu, gleich ob sie natürliche oder juristische Personen sind.

I. Entstehungsgeschichte 2 Die früher bestehende Aufteilung der Gestaltungsrechte des VN in Widerspruch (§ 5a a. F.), Widerruf (§§ 8 Abs. 4, 48c a. F.) und Rücktritt (§ 8 Abs. 5 a. F.) hat der Gesetzgeber mit der zum 23.7.2007 in Kraft getretenen Neufassung bereinigt und in ein einheitliches Widerrufsrecht zusammengeführt: Neue Fassung

Entspricht

Alte Fassung

§ 8 VVG n. F. § 8 Abs. 1 VVG n. F. § 8 Abs. 1 S. 1 VVG n. F. § 8 Abs. 1 S. 1 VVG n. F. § 8 Abs. 1 S. 2 VVG n. F. § 8 Abs. 1 S. 2 HS 2 VVG n. F. § 8 Abs. 2 VVG n. F. § 8 Abs. 2 S. 2 VVG n. F. § 8 Abs. 2 S. 3 VVG n. F. § 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 VVG n. F. § 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VVG n. F. § 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 VVG n. F. § 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 VVG n. F. § 8 Abs. 3 S. 2 VVG n. F. § 8 Abs. 5 VVG n. F.

Früher teilweise geregelt in Entspricht mit inhaltlicher Änderung Entspricht ohne inhaltliche Änderung Früher teilweise geregelt in Entspricht mit inhaltlicher Änderung Entspricht ohne inhaltliche Änderung Entspricht mit inhaltlicher Änderung Neu Entspricht ohne inhaltliche Änderung Entspricht ohne inhaltliche Änderung Entspricht mit inhaltlicher Änderung Entspricht mit inhaltlicher Änderung Neu Entspricht ohne inhaltliche Änderung Neu

§ 8 Abs. 4 VVG a. F. § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a. F. § 48c Abs. 1 S. 1 VVG a. F. § 5a Abs. 1 S. 2 VVG a. F. § 48c Abs. 1 S. 2 VVG a. F. § 5a Abs. 2 S. 3 VVG a. F. § 48c Abs. 2 VVG a. F. § 5a Abs. 2 S. 2 VVG a. F. § 48c Abs. 4 VVG a. F. § 5a Abs. 3 S. 3 VVG a. F. § 5a Abs. 1 S. 3 VVG a. F. § 48c Abs. 3 VVG a. F.

3 Wie bereits bei der Überführung der Regeln zu Haustürgeschäften vom HWiG in das BGB hat der Gesetzgeber damit die Konstruktion aufgegeben, dass der Vertrag solange schwebend unwirksam bleibt, bis entweder das Widerspruchsrecht ausgeübt oder die Frist zu dessen Ausübung abgelaufen ist.3 Mit der Vereinheitlichung des Widerrufrechts wurden zugleich geringe Abweichungen der miteinander verknüpften und konkurrierenden Gestaltungsrechte nach alter Rechtslage beseitigt.4 Seitdem war die Norm einem fast ständigen Wandel unterworfen. Seit der Neufassung 2007 hat es bis 2020 inklusive der jetzigen bislang insgesamt fünf neue Fassungen5 gegeben, was für früher abgeschlossene Verträge heute noch praktische Relevanz haben kann, wenn die Widerrufsfrist mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht zu laufen begonnen und deshalb das Widerrufsrecht nicht erloschen ist (Rn. 78 f.).

2 3 4 5

Zur Entwicklung BeckOGK/Knops 1.3.2020, BGB § 495 Rn. 2 ff. Vgl. zur alten Rechtslage Präve ZfV 1994 374, 382 u. ausf. allg. Mankowski § 35. Dazu anschaulich Meixner/Steinbeck Rn. 78 ff. Zum Übergangsrecht Rn. 10.

Knops

798

A. Einführung

VVG § 8

II. Inhalt und Zweck der Regelung Die Vorschrift über das allgemeine Widerrufsrecht des VN entspricht inhaltlich den Vorschriften 4 des § 48c Abs. 1 bis 4 a. F., die durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen6 in das VVG eingefügt worden sind7 und womit Art. 6 der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL8 2002/65/EG für den Bereich des Versicherungsvertragsrechts umgesetzt wird. Mithin beruht das Widerrufsrecht nach § 8 maßgeblich nicht auf deutscher, sondern auf europäischer Grundlage, womit dessen rechtliche Behandlung in allen Belangen mit der genannten Richtlinie und den Grundsätzen des europäischen Rechts vereinbar sein muss. Das Widerrufsrecht soll dem VN die Möglichkeit geben, von seiner auf den Abschluss eines 5 Versicherungsvertrages gerichteten bindenden Willenserklärung Abstand nehmen zu können, um etwa ganz von einem Vertragsschluss abzusehen oder andere Gelegenheiten wahrzunehmen. Es durchbricht bewusst den Grundsatz, dass einmal geschlossene Verträge einzuhalten sind, zur Erreichung verschiedener, voneinander unabhängiger Zwecke.9 Bei Versicherung handelt es sich um „unsichtbare“,10 „nicht greifbare“11 Vertragsgegenstände und Erfahrungsgüter mit Vertrauenselementen, die der VN in aller Regel nur schwer durchschauen und ihre Qualitätsmerkmale unter Umständen auch nicht vollständig beurteilen kann.12 Zudem ist der VN dem VR mangels ausreichender Sachkunde zumeist strukturell unterlegen. Auch kommen Versicherungsverträge oft in besonderen Situationen als Haustürgeschäft, im Fernabsatz oder elektronischen Rechtsverkehr zustande, in denen der Kunde oft situativ benachteiligt ist; wobei das Widerrufsrecht unabhängig von der Vertriebsart eines Versicherungsprodukts besteht.13 Generell kann das Widerrufsrecht auch insofern als eine Sanktion gegen den Unternehmer verstanden werden, als es diesem die durch aggressive oder verdächtige Praktiken gewonnenen Vorteile entziehen soll.14 Das Widerrufsrecht ist – von der Erklärung selbst und der Einhaltung der Widerrufsfrist 6 abgesehen – voraussetzungslos und an keinerlei Begründungen gebunden, womit sich der VN ohne Furcht oder Vorliegen eines bestimmten oder zureichenden Grundes, anders als beispielsweise bei einer außerordentlichen Kündigung, vom Vertrag lossagen können soll. Das Recht zum Widerruf verschafft dem VN mithin die Möglichkeit, seine rechtsgeschäftliche Entscheidung zu überdenken, und zwar im Prinzip ohne dass er dadurch Nachteile zu befürchten hat. Es ist einem Recht auf Bedenkzeit vor Vertragsabschluss systematisch überlegen, weil sich der VN innerhalb der Widerrufsfrist frei entscheiden kann, das für den anderen Teil bindende Geschäft zunächst einzugehen und dann davon abzusehen, oder das Geschäft bis zum vertragsgemäßen Ende abzuwickeln.

6 Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2.12.2004 (BGBl. I 3102).

7 BTDrucks. 16/3945 S. 59. 8 RL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der RL 90/619/EWG des Rates und der RL 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. EG Nr. L 271 S. 16). 9 Vgl. dazu auch BeckOGK/Knops 1.3.2020, BGB § 495 Rn. 4 ff. 10 Schmidt ZVersWiss 1973 529, 539. 11 Werber VersR 1986 1, 2. 12 Poelzig ZBB 2015 108, 112 unter Hinweis u. a. auf Dreher Versicherung als Rechtsprodukt, 147 ff. 13 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 8 Rn. 1. 14 Zum zivilrechtlichen Widerrufsrecht Mankowski S. 882 unter Hinweis auf OLG Brandenburg 17.6.1997 – 6 U 302/ 96, MDR 1998 206, 207; ähnlich Erman/Koch § 355 Rn. 1. 799

Knops

§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

Systematisch ist das Widerrufsrecht ein Gestaltungsrecht, und zwar in Form eines besonders ausgestalteten Rücktrittsrechts,15 das den geschlossenen Vertrag oder die auf Abschluss eines Versicherungsvertrages gerichtete bindende Vertragserklärung beseitigt.16 Anders als bei der Konstruktion einer schwebenden Unwirksamkeit bis zum Ablauf der Widerrufsfrist,17 ist der Versicherungsvertrag schwebend wirksam, bis der Widerrufberechtigte entweder den Vertrag mittels Widerrufes einseitig aufhebt18 oder dieser mit dem Ablauf der Widerrufsfrist voll wirksam wird. Aus der, zwar nur schwebenden Wirksamkeit des Versicherungsvertrages ergibt sich, dass die Parteien ihre gegenseitigen Erfüllungsansprüche gem. § 271 Abs. 1 BGB sofort durchsetzen können.19 Daraus folgt, dass der VN bis zur Ausübung des Widerrufsrechts gegen den VR einen Anspruch auf die Versicherungsleistung hat. Eine klauselmäßige Festlegung des Beginns des Versicherungsschutzes erst zum Ablauf der Widerrufsfrist ist nach § 307 BGB unzulässig, weil es der VR dann durch Erteilung der Belehrung trotz gültigen Vertrages in der Hand hätte, die ihm obliegende Leistung aufzuschieben, wenn der VN bereits nach § 33 Abs. 1 die Prämie geleistet hat. Derartige Vereinbarungen sind gemäß § 308 Nr. 1 Halbs. 1 BGB nur für Widerrufs- oder Rückgaberechte nach den § 355 BGB zulässig. Zudem gelten sie ohnehin nicht im Bereich des Fernabsatzes, wenn die Widerrufsfrist erst mit der Lieferung beginnt.20 Grundsätzlich ist der VN ab Vertragsschluss gem. § 33 Abs. 1 innerhalb von 2 Wochen zur 8 Leistung verpflichtet, kann aber seine Leistung bis zum Ablauf der Widerrufsfrist verweigern,21 weil er ansonsten die Rückforderungslast hinsichtlich der Prämie und das Insolvenzrisiko des VR zu tragen hätte. Daran ändert auch nichts, dass der ordnungsgemäß belehrte VN den zur Leistung verpflichtenden Vertrag durch Widerruf auflösen kann.22 Vielmehr würde er mit einer sofortigen Leistungspflicht hinsichtlich der Entscheidung über das Ausüben des Widerrufsrechts unter Druck geraten, obwohl ihm nach dem Gesetz 14 Tage, bei Lebensversicherungsverträgen 30 Tage (so die Frist gemäß § 152 Abs. 1 und 3) Bedenkzeit zustehen. Ist dem VN keine oder keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt worden oder sind ihm die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 erforderlichen Informationen nicht zugegangen, ohne die die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt (dazu ausf. Rn. 52 ff.), steht dem VN hinsichtlich der ihm obliegenden Zahlungspflicht der Versicherungsprämie ein Leistungsverweigerungsrecht zu, da sowohl die Widerrufsbelehrung als auch die Informationserteilung nach § 8 Abs. 2 eine Rechtspflicht und nicht bloß Obliegenheit darstellen (Rn. 56).23 Macht der Widerrufsberechtigte von seinem Recht Gebrauch, entfällt für beide Parteien die in dem Vertrag vereinbarte Hauptleistungspflicht. Der Versicherungsvertrag wird durch den ex-nunc wirkenden Widerruf in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt. Die Rechtsfolgen des Widerrufs richten sich im Versicherungsrecht nach den Vorgaben des § 9 (dazu § 9 Rn. 16), der als speziellere Norm den allgemeinen Regeln über die Folgen des Widerrufs nach den §§ 357 ff., 346 ff. BGB vorgeht. 7

15 Vgl. BGH 17.3.2004 – VIII ZR 95/03, WM 2004 2451; OLG Koblenz 9.1.2006 – 12 U 740/04, NJW 2006 919, 921; Jauernig/Stadler § 355 Rn. 4; a. A. Reiner AcP 203 (2003) 1, 26 ff., wonach das Widerrufsrecht ein der Anfechtung ähnliches Gestaltungsrecht sei. 16 Zum Verhältnis zu den §§ 312 ff., 355–360 BGB s. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 6 ff. 17 Vgl. zu dieser Vertragskonstruktion etwa beim HWiG a. F. allg. BGHZ 119 283, 298; Bülow/Artz NJW 2000 2049, 2051; Heinrichs FS Medicus (1999) 177, 188. 18 Schulze/Schulte-Nölke/Mankowski Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001) S. 357; v. Koppenfels WM 2001 1360, 1362; Habersack BKR 2001 72, 75. 19 Fuchs ZIP 2000 1273, 1282; Lorenz JuS 2000 833, 835. 20 Vgl. dazu BTDrucks. 14/2658 S. 141. 21 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 33 Rn. 5 m. w. N. auch zur Gegenansicht. Für § 355 BGB ebenso NKBGB/Ring § 355 Rn. 21; Palandt/Grüneberg § 355 Rn. 3; vgl. auch Gernhuber WM 1998 1797, 1804 u. Heinrichs FS Medicus (1999) 177, 192. 22 Vgl. Jauernig/Stadler § 355 Rn. 5. 23 Vgl. für § 355 BGB; BTDrucks. 16/3945 S. 62; MüKoBGB/Fritsche § 356 Rn. 7; NK-BGB/Ring § 355 Rn. 21. Knops

800

A. Einführung

VVG § 8

III. Anwendungsbereich Die Normierung eines allgemeinen Widerrufsrechts für VN dient nicht allein, sondern auch der 9 Umsetzung europäischer Richtlinien.24 Nur im jeweiligen Anwendungsbereich dient die Regelung der Umsetzung von Art. 6 der Richtlinie 2002/65/EG25 und der Richtlinie 2009/138/EG,26 insbes. deren Art. 186.27 Verträge über Versicherungen sowie deren Vermittlung sind aus dem Bereich der Fernabsatzverträge und dem dort geltenden Widerrufsrecht nach § 312g BGB nach § 312 Abs. 6 BGB ausgenommen, um das Widerrufsrecht sachnäher im VVG zu regeln. § 8 ist im Übrigen eine eigenständige Regelung des nationalen, deutschen Gesetzgebers für alle Versicherungsverträge, mithin auch für solche, die nicht in den Anwendungsbereich der vorgenannten Richtlinien fallen. Eine Erweiterung gegenüber den genannten Richtlinien ergibt sich insbesondere hinsichtlich des erweiternd geschützten Personenkreises (Rn. 37 f.) wie auch auf die Art des Zustandekommens des Versicherungsvertrages (s. dazu unten Rn. 26 ff.). Vor der Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie28 war im Bereich der Haustürgeschäfte-Richtlinie 85/577/EWG zusätzlich der Anwendungsbereich von § 312 Abs. 3 BGB a. F. eröffnet. Ein Rückgriff auf § 355 BGB a. F. war indes nicht möglich, da § 8 eine eigenständige Regelung darstellt und als Spezialvorschrift die allgemeinen Widerrufsregelungen des BGB verdrängt. Eine Rückbeziehung auf die bereits entwickelten Rechtsgrundsätze und Wertungen blieb bis dahin aber möglich – soweit dem keine versicherungsvertraglichen Besonderheiten entgegenstanden.

IV. Übergangsrecht § 8 ist in der Fassung auf sämtliche Versicherungsverträge anwendbar, die zum Zeitpunkt 10 des Vertragsschlusses Gültigkeit besaßen, und zwar unabhängig davon, wann die Versicherungsleistung erbracht oder vertragsgemäß vollzogen werden soll. Bedeutsam ist die vorherige Rechtslage im Bereich des Widerrufsrechts vor allem für den Fall, dass der VN nicht oder nicht hinreichend belehrt worden ist. Dann besteht zugunsten des VN weiterhin ein Widerrufsrecht29– ohne dass wenigstens im Anwendungsbereich der europäischen Richtlinien, die dem VN ein Widerrufsrecht einräumen, eine Verwirkung in Betracht kommt (dazu unten Rn. 103 ff.). Im Einzelnen handelt es sich um die Fassungen des § 830 vom 23.11.2007, gültig ab 1.1.2008 bis 16.12.2009, vom 25.6.2009, gültig ab 17.12.2009 bis 10.6.2010, vom 29.7.2009, gültig ab 11.6.2010

24 Siehe Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 61 f. 25 RL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der RL 90/619/EWG des Rates und der RL 97/7/EG und 98/27/ EG, Abl. EG L 271 (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2002:271:0016:0024:DE:PDF). 26 RL 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), Abl. L 335/1 (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009L0138&from=DE). Zuvor RL 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.11.2002 über Lebensversicherungen, Abl. EG 345/1 (http://www.fma.gv.at/cms/site// attachments/0/7/5/CH0237/CMS 1157030617373/rl_lv.pdf). 27 Vgl. Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 61 u. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 2. 28 RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der RL 93/13/EWG des Rates und der RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der RL 85/577/EWG des Rates und der RL 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, Abl. L 304/64 (https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:304:0064:0088:DE:PDF); vgl. Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechte-RL und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013 (BGBl. I 3642). 29 Zum Widerspruchsrecht nach der Rechtslage vor Inkrafttreten der VVG Reform 2008 s. 8. und 9. Aufl. 30 Siehe zu den verschiedenen Fassungen die bei juris unter § 8 VVG dazu aufgeführten Änderungsgesetze. 801

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bis 3.8.2011, vom 27.7.2011, gültig ab 4.8.2011 bis 12.6.2014 und um die bislang letzte Fassung vom 20.9.2013, gültig ab dem 13.6.2014.31

B. Kommentierung I. Widerrufsrecht (Abs. 1) 11 Der VN muss vom VR ordnungsgemäß über das ihm zustehende Widerrufsrecht (Rn. 12 ff.) belehrt werden (Rn. 13 ff. u. 55 ff.). Dann kann er gemäß § 8 Abs. 1 seine Vertragserklärung (Rn. 40 ff.) in Textform (Rn. 48 f.) gegenüber dem VR (Rn. 47) fristwahrend innerhalb von 14 Tagen (Rn. 50 ff) widerrufen (Rn. 44 ff.).

1. Bestehen des Widerrufrechts 12 Gemäß Abs. 1 S. 1 kann der VN seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Diese gesetzliche Festlegung beinhaltet nicht lediglich eine Frist, in der ein Widerrufsrecht ausgeübt werden kann, sondern manifestiert grundlegend, dass jeder VN berechtigt ist, seine auf den Abschluss eines Versicherungsvertrages gerichtete Willenserklärung zu widerrufen. Nicht erforderlich ist eine Formulierung wie bspw. in § 495 BGB, wonach dem Darlehensnehmer bei einem Verbraucherdarlehensvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zusteht, weil das VVG eine derartige Verweisungstechnik nicht kennt und § 8 vielmehr selbst das Widerrufsrecht und die Bedingungen seiner Ausübung enthält. Dieses Recht wird auch in § 7d S. 2 bestätigt, wonach zu den Rechten eines VN „insbesondere das Widerrufsrecht“ gehört. Zu guter Letzt steht dem VN nach den oben unter A. III. genannten Regelungen in den europäischen Richtlinien ein Widerrufsrecht zu, das der Gesetzgeber in Deutschland, obwohl von verschiedenen Richtlinien wie zu den Haustürgeschäften, dem Fernabsatz oder anderen Richtlinien immer nur für Verbraucher vorgesehen, für alle VN, gleich ob Verbraucher oder Unternehmer, in das VVG implementiert hat.

2. Informationspflicht und Informationsinhalt 13 Der VN ist ordnungsgemäß über das ihm zustehende Widerrufsrecht zu informieren. Klarzustellen ist zunächst, dass zwischen einer Widerrufsinformation und einer Widerrufsbelehrung prinzipiell kein Unterschied besteht und die Begrifflichkeiten in der Sprache des Gesetzgebers nicht unterschiedlich, sondern synonym32 verwandt werden.33

14 a) Europarechtliche Vorgaben. Das Widerrufsrecht nach § 8 fußt maßgeblich auf der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65/EG, die maximalharmonisierend ausgestaltet ist (Rn. 4).

31 Zu den nach nationalem Recht für vor dem 1.1.2008 geschlossenen Versicherungsverträgen geltenden Regelungen s. Bruck/Möller/Knops9 Rn. 7. 32 Vgl. nur das Muster für die Widerrufsbelehrung bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen (Anlage 1 zu EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2) und das Muster für eine Widerrufsinformation für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge (Anlage 7 zu EGBGB Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1). 33 Trotzdem soll im Folgenden soweit möglich von der (Widerrufs-)Informationen nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV entsprechend den Vorgaben der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65/EG zum einen und der (Widerrufs-)Belehrung nach § 8 gesprochen werden, um die beiden Instrumente gedanklich leichter auseinanderhalten zu können. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 8

In deren Anwendungsbereich darf also weder zugunsten noch zulasten der Verbraucher von ihr abgewichen werden, wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich einen solchen Spielraum einräumt. Angesichts der Bedeutung des Widerrufsrechts für den Verbraucherschutz ist die vorvertragliche Information über dieses Recht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung und erlaubt ihm, die Entscheidung, ob er den Fernabsatzvertrag mit dem Unternehmer abschließen soll oder nicht, in Kenntnis der Sachlage zu treffen.34

aa) Notwendige Angaben. Gemäß Art. 5 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a und 15 d. RL 2002/65/EG ist der Anbieter verpflichtet, dem Verbraucher hinsichtlich des Widerrufrechts nach Art. 6 RL 2002/65/EG folgende Informationen zur Verfügung zu stellen:35

(1) Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts. Bei dieser gemäß Art. 6 RL 2002/ 16 65/EG zwingenden Angabe geht es lediglich darum dem Verbraucher mitzuteilen, ob ihm überhaupt ein Widerrufsrecht zusteht oder nicht. (2) Widerrufsfrist. Anzugeben ist die Frist von 14 (Kalender-)Tagen gemäß Art. 6 Abs. 1 RL 17 2002/65/EG.36 Weiter gibt die Norm vor, ab wann die Widerrufsfrist zu laufen beginnt und „zwar am Tag des Abschlusses des Fernabsatzvertrags37 oder an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und Informationen gemäß Art. 5 Abs. 1 oder 2 RL 2002/65/EG erhält, wenn dieser Zeitpunkt später als der im ersten Gedankenstrich genannte38 liegt.“ Mithin ist der Tag des Vertragsschlusses nur dann maßgebend, wenn dem Verbraucher zu diesem Zeitpunkt entweder – gemäß Art. 5 Abs. 1 RL 2002/65/EG alle Vertragsbedingungen sowie die in Art. 3 Abs. 1 RL 2002/65/EG und Art. 4 RL 2002/65/EG genannten Informationen in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung stehen oder – gemäß Art. 5 Abs. 2 RL 2002/65/EG der Anbieter der Verpflichtung gemäß Art. 5 Abs. 1 RL 2002/65/EG unverzüglich nach Abschluss des Fernabsatzvertrags nachkommt, wenn der Vertrag auf Ersuchen des Verbrauchers mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wurde, das die Vorlage der Vertragsbedingungen sowie der entsprechenden Informatio-

34 So EuGH 23.1.2019 – C-430/17 Rn. 46 (juris) = NJW 2019 1363. 35 EuGH 11.9.2019 – C-143/18 Rn. 47 (juris). 36 Gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 2 beträgt diese Frist 30 Kalendertage bei Fernabsatzverträgen über Lebensversicherungen, die unter die RL 90/619/EWG fallen, und bei Fernabsatzverträgen über die Altersversorgung von Einzelpersonen. Art. 17 verweist nochmals gesondert auf Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 der RL 90/619/EWG, wonach der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags von dem Zeitpunkt an, zu dem er davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist von 30 Kalendertagen verfügt, um von dem Vertrag zurückzutreten. Diese RL ist jedoch – einschließlich ihrer Änderungen –, worauf Langheid/Wandt/Heiss VVG § 152 Rn. 1 zurecht hinweist, durch Art. 72 Abs. 1 i. V. m. Anhang V Teil A der RL 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.11.2002 über Lebensversicherungen zur Fußnote 5 (RL Lebensversicherung) aufgehoben worden; an ihre Stelle trat mit Inkrafttreten der RL Lebensversicherung am 19.12.2002 die Vorschrift des Art. 35 RL Lebensversicherung; und diese räumt für individuelle Lebensversicherungsverträge zwar ebenfalls ein generelles „Rücktrittsrecht“ ein, die Frist für dessen Ausübung wird aber nicht auf 30 Tage fixiert, sondern nur mit mindestens 14 und maximal 30 Tagen begrenzt. 37 Auch hier findet sich eine Sonderregelung zu den in vorherigen Fn. genannten Lebensversicherungen: Bei diesen beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher über den Abschluss des Fernabsatzvertrags informiert wird. 38 Gemeint ist der Tag des Vertragsschlusses. 803

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§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

nen gemäß Art. 5 Abs. 1 RL 2002/65/EG nicht gestattet. Die Informationen über den Fristenlauf sind nach der Rechtsprechung des EuGH besonders wichtig.39

18 (3) Modalitäten für Ausübung des Widerrufsrechts. Hierzu gehört gemäß Art. 6 Abs. 1 RL 2002/65/EG die Angabe, dass der Verbraucher den Vertrag widerrufen kann, ohne Gründe nennen oder eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen.40

19 (4) Praktische Hinweise zur Ausübung des Widerrufsrechts. Hierzu gehören nach Art. 3 Abs. 3 lit b. RL 2002/65/EG jedenfalls die Angabe der Anschrift, an die die Mitteilung über den Widerruf zu senden ist. Um deren Zugang sicherstellen zu können, ist hierunter die ladungsfähige Anschrift einschließlich des Namens des Widerrufempfängers zu verstehen. Auch die notwendigen Hinweise zur Fristwahrung sind darunter zu fassen.

20 (5) Ggf. zu entrichtender Betrag. Nach dieser Vorgabe ist – soweit dies vom Anbieter überhaupt verlangt wird – der Betrag anzugeben, den der Verbraucher gegebenenfalls gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2002/65/EG41 im Falle des Widerrufs für die bis dahin tatsächlich erbrachte Dienstleistung zu entrichten hat.

21 (6) Folgen der Nichtausübung dieses Rechts. Hier genügt ein Hinweis auf die Fortgeltung der vertraglichen Bindung durch Verlust der Widerrufsmöglichkeit nach Ablauf der Widerrufsfrist. Die damit verbundenen finanziellen Lasten müssen hier nicht nochmals wiederholt werden.

22 bb) Rechtzeitigkeit der Informationsgabe. Dieser Pflicht hat der Unternehmer nachzukommen, und zwar gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2002/65/EG und Art. 5 Abs. 1 RL 2002/65/EG rechtzeitig bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder durch ein Angebot gebunden ist (dazu § 7 Rn. 87 ff.). Eine Widerrufsbelehrung erst „bei“ Vertragsschluss ist damit nicht genügend. Nur wenn der Vertrag auf Ersuchen des Verbrauchers mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wurde, das die Vorlage der Vertragsbedingungen sowie der entsprechenden Informationen gemäß Art. 5 Abs. 1 RL 2002/65/EG nicht gestattet, darf und muss der Anbieter dieser Verpflichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 RL 2002/65/EG unverzüglich nach Abschluss des Fernabsatzvertrags nachkommen.

23 cc) Keine weiteren Vorgaben. Weitere Modalitäten oder eine darüberhinausgehende Verpflichtung zur Belehrung des Verbrauchers über das ihm zustehende Widerrufsrecht sieht die

39 EuGH 23.1.2019 – C-430/17 Rn. 46 (juris) = NJW 2019 1363. 40 Die Vorgabe, dass bei Fernabsatzverträgen über Lebensversicherungen, die unter die RL 90/619/EWG fallen, und bei Fernabsatzverträgen über die Altersversorgung von Einzelpersonen diese Frist jedoch auf 30 Kalendertage verlängert wird, wurde in § 152 Abs. 1 VVG umgesetzt. 41 Dieser lautet: „Übt der Verbraucher sein Widerrufsrecht gemäß Artikel 6 Absatz 1 aus, so darf von ihm lediglich die unverzügliche Zahlung für die vom Anbieter gemäß dem Fernabsatzvertrag tatsächlich erbrachte Dienstleistung verlangt werden. Mit der Erfüllung des Vertrags darf erst nach Zustimmung des Verbrauchers begonnen werden. Der zu zahlende Betrag darf – einen Betrag nicht überschreiten, der dem Anteil der bereits erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der im Fernabsatzvertrag vorgesehenen Dienstleistungen entspricht; – nicht so bemessen sein, dass er als Vertragsstrafe ausgelegt werden kann. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 8

RL 2002/65/EG nicht vor und können von Mitgliedstaaten auch nicht vorgesehen werden, wenn nicht die Richtlinie selbst hierfür Spielräume eröffnet, weil diese eben nicht minimal-, sondern maximalharmonisierende Wirkung hat.

dd) Rechtspflicht zur rechtzeitigen Information des VN. Bekanntlich42 hat sowohl der 24 EuGH43 als auch der BGH44 schon zur alten und längst außer Kraft getretenen Haustürgeschäfterichtlinie 85/577/EWG entschieden, dass diese eine „echte“ Rechtspflicht zur Widerrufsbelehrung enthält. Diesbezüglich unterscheidet der EuGH weder in den diese Richtline betreffenden Entscheidungen noch in solchen, die andere Verbraucherschutzrichtlinien betreffen. Wenn der Unternehmer zur Belehrung oder Information des Verbrauchers über das ihm zustehende Widerrufsrecht verpflichtet ist, muss er dem entweder vor, mit oder spätestens unverzüglich nach Vertragsschluss nachkommen. Die Urteile Heininger, Crailsheimer Volksbank, Hamilton, Endress und nun auch Rust-Hackner sprechen insoweit alle dieselbe klare Sprache. Zu allen betreffenden Richtlinien hat der Gerichtshof im Ergebnis nie auch nur den geringsten Zweifel daran gelassen, dass den Unternehmer eine Rechtspflicht zur ordnungsgemäßen Belehrung des Verbrauchers trifft, gleich wann diese nach der jeweiligen Richtlinienvorgabe zeitlich genau zu erfüllen ist, nach der RL 2002/65/EG in der Regel rechtzeitig vor, spätestens aber unverzüglich nach Vertragsschluss. Daher kann es schon europarechtlich in aller Regel nie Zweifel über den Bestand der Belehrungspflicht überhaupt, den Belehrungsverpflichteten in Person und im Prinzip auch nicht über den Belehrungszeitpunkt geben. Die bereits vorvertraglich zu erfüllende Widerrufsinformation ist, wenn der Vertrag zustande kommt, mithin für diesen bindend und genügend, was zuweilen übersehen wird.

b) Umsetzung in Deutschland. In Deutschland wird zum Teil recht künstlich zwischen der 25 Information über das Widerrufsrecht im vorvertraglichen Stadium, der Widerrufsbelehrung als Voraussetzung für den Beginn der Widerrufsfrist und einer sog. Nachbelehrung nach Vertragsschluss unterschieden und die sich aus dem Zusammenspiel aller Konstellationen ergebenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen diskutiert. Dabei sind die Unsicherheiten mittlerweile offenbar so groß, dass trotz der geschilderten klaren europarechtlichen Vorgaben neuerdings aus der versicherungsberatenden Anwaltschaft heraus bestritten wird, dass der VR überhaupt zur Widerrufsbelehrung verpflichtet ist, sondern dies lediglich eine Obliegenheit sei45 und auch noch die Behauptung aufgestellt wurde „es ist im Gesetz aber nirgendwo vorgeschrieben, dass und wann eine Erstbelehrung zu erfolgen hat“.46 Diese offensichtlichen Irrtümer lassen sich bereits mit einem scharfen Blick in die §§ 7, 7a, und 8 beseitigen. aa) Informationspflicht und Informationsinhalt. Gemäß § 7 Abs. 1 sind dem VN u. a. die in 26 einer Rechtsverordnung nach Abs. 2 bestimmten Informationen in Textform mitzuteilen, wozu nach Abs. 2 S. 1 Nr. 1 gehört, ihm das „Bestehen eines Widerrufsrechts“ „mitzuteilen“. Entsprechend sieht die VVG-InfoV in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 für alle Versicherungszweige vor, dass der VR dem VN gem. § 7 Abs. 1 S. 1 über „das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung, insbesondere Namen und Anschrift derjenigen Person, gegenüber der der Widerruf zu erklären ist, und die Rechtsfolgen des Widerrufs ein42 Das OLG Köln 22.12.2015 – 20 U 99/15 Rn. 44 (juris) sowie 12.6.2015 – I-20 U 25/15 Rn. 41 (juris) stellt hinsichtlich der Rechtspflicht zur Belehrung maßgeblich nur auf diese Entscheidungen ab. 43 EuGH 25.10.2005 C-350/03 Rn. 65 (juris) = WM 2005 2079 m. Bspr. Derleder BKR 2005 442 ff. 44 BGH 19.9.2006 – XI ZR 204/04 BGHZ 169 109 Rn. 41. 45 So Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi § 7a VVG Rn. 21. 46 So Langheid/Rixecker § 7a VVG Rn. 11. 805

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Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

schließlich Informationen über den Betrag, den der Versicherungsnehmer im Falle des Widerrufs gegebenenfalls zu zahlen hat“ zu informieren hat, wozu – man möchte hinzufügen selbstverständlich – auch die zur Ausübung des Widerrufrechts erforderlichen Informationen hinsichtlich zur Widerrufsfrist47 und deren Lauf gehören. 27 Vergleicht man nun diese nationalen Anforderungen direkt mit den o. g. europarechtlich Vorgaben der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL48 2002/65/EG zur Information über (1) das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts, (2) die Angaben zur Widerrufsfrist, und (3) zu den Modalitäten für Ausübung des Widerrufsrechts sowie die (4) Praktischen Hinweise zur Ausübung des Widerrufsrechts wie zu (5) dem ggf. zu entrichtende Betrag und schließlich die Informationen zu den (6) Folgen der Nichtausübung dieses Rechts lässt sich feststellen, dass die Vorgaben ohne Weiteres als deckungsgleich angesehen werden können.

28 bb) Belehrungszeitpunkt. Deckungsgleichheit besteht auch hinsichtlich des Verpflichteten. Unternehmer beim Fernabsatzvertrieb von Versicherungsverträgen ist der VR. Ebenso hat die Informationserteilung über das Widerrufsrecht nach Art. 3 Abs. 1 S. 1, 5 Abs. 1 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65/EG und § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 1 Nr. 13 VVG-InfoV rechtzeitig vor dessen bindender Vertragserklärung zu erfolgen, was richtlinienkonform zudem ohne weiteres darauf zu erstrecken ist, dass die Informationen eben rechtzeitig zu erfolgen haben, bevor der Verbraucher durch den Versicherungsvertrag gebunden ist. Dann spielt es keine Rolle, welcher der beiden Vertragspartner zuerst das Angebot auf Abschluss des Versicherungsvertrages macht; eine Information über das Widerrufsrecht erst „bei“ Vertragsschluss ist mit dieser Vorgabe keinesfalls vereinbar. Dies hat der EuGH jüngst nochmals ausdrücklich bekräftigt; um von dieser Information vollumfänglich profitieren zu können, muss der Verbraucher im Vorhinein die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts kennen.49

29 cc) Weitere oder nochmalige Belehrung? Überaus zweifelhaft ist angesichts der europarechtlichen und deutschen Gesetzeslage, ob es zur ordnungsgemäßen Information des VN über sein Widerrufsrecht – auch zusätzlich noch eine Belehrung nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 bedarf. Dies wird in Deutschland teilweise bestritten, überzeugt aber nicht.

30 (1) „Verstoß“ gegen § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2? Zunächst wird vorgebracht, dass die „bloßen“ Informationen nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV die Belehrung regelmäßig nicht ersetzen könnten, weil es ihnen an der deutlichen Gestaltung fehle, die § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 verlange.50 Diese Vorstellung ist mit den europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. Gemäß Art. 3 Abs. 2 RL 2002/65/EG sind die in Abs. 1 genannten Informationen, zu denen nach Nr. 3 lit. a und d. die genannten Angaben gehören, „auf klare und verständliche Weise in einer dem benutzten Fernkommunikationsmittel angepassten Weise zu erteilen“, womit eine deutliche Gestaltung gefordert, also richtlinienkonform zur Maßgabe für die Informationserteilung über das Widerrufsrecht auch nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV anzusehen ist. Wenn hingegen die Anforderungen an eine „deutliche Gestaltung“ tatsächlich über die Vorgaben der RL 2002/65/EG hinausgehen würden, ist durch deren Maximalharmoni47 Wandt VersR 2019 590, 593. 48 RL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der RL 90/619/EWG des Rates und der RL 97/7/EG und 98/27/ EG (ABl. EG Nr. L 271 S. 16). 49 EuGH 23.1.2019 – C-430/17 Rn. 46 (juris) = NJW 2019 1363. 50 Langheid/Wandt/Armbrüster § 1 VVG-InfoV Rn. 49 u. Staudinger/Halm/Wendt/Reusch § 8 VVG Rn. 32. Knops

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B. Kommentierung

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sierung eine solche – wie auch jede andere über die abschließenden Vorgaben in der RL – hinausgehende Anforderung an die Belehrung europarechtswidrig. Wer dem nicht folgen will, wäre gezwungen einer sog. gespaltenen Auslegung das Wort zu 31 reden. Zusätze wären dann nur unzulässig im Anwendungsbereich der RL 2002/65/EG, also wenn ein Verbraucher einen Versicherungsvertrag im Fernabsatz schließt; hingegen wären weitere Vorgaben hinsichtlich der Belehrung des VR dann zulässig, wenn der VN ein Unternehmer ist. Eine solche gespaltene Auslegung widerspricht allerdings der eindeutig nachweisbaren Intention des Gesetzgebers, eben nicht zwischen Verbrauchern und Unternehmern zu unterscheiden (Rn. 1 u. 9) und gleichzeitig auch den jeweiligen Richtlinienvorgaben entsprechen zu wollen. Ansonsten ist es gleichgültig, wie auch immer man sich zu der in § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 genannten „deutlichen“ gestalteten Belehrung insoweit auch positioniert – nie hätte dies zur Folge, dass der Verbraucher durch die ordnungsgemäß erteilten Angaben nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV nicht zutreffend und ausreichend über das ihm zustehende Widerrufsrecht informiert worden wäre.

(2) „Verstoß“ gegen die Musterwiderrufsbelehrung? Ebenfalls nicht durchgreifend ist, 32 dass die vorvertraglichen Angaben zum Widerrufsrecht allein auch deswegen nicht genügten, weil die Angaben der Musterwiderrufsbelehrung weitergingen51 – womit postuliert wird, dass nationale Verordnungen den Inhalt von Richtliniennormen bestimmen könnten, was natürlich falsch ist. Der EuGH hat sich für Fernabsatzverträge auch hier klar positioniert: „[Der] Unternehmer [ist] nicht verpflichtet, dem Verbraucher zeitgleich mit dem Einsatz dieses Kommunikationsmittels das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B dieser Richtlinie zur Verfügung zu stellen. Zum einen ist nämlich der Umstand, anhand dieses Mittels vor dem Abschluss des Vertrags über ein solches Musterformular zu verfügen, nicht geeignet, die Entscheidung des Verbrauchers zu beeinflussen, einen Fernabsatzvertrag zu schließen oder nicht; zum anderen würde eine Pflicht, dem Verbraucher dieses Musterformular unter allen Umständen zur Verfügung zu stellen, die Gefahr in sich bergen, dem Unternehmer eine unverhältnismäßige – oder in bestimmten Fällen wie insbesondere telefonisch geschlossenen Verträgen – sogar untragbare Last aufzuerlegen. Insoweit ist die Mitteilung dieses Musterformulars auf andere Weise in klarer und verständlicher Sprache ausreichend.“52

dd) Verhältnis zur Belehrung nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2. Nun fragt sich, in welchem Ver- 33 hältnis die bereits vorvertraglich hinreichende Widerrufsinformation des VN mittels der § 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV zu der nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 vorgesehenen Belehrung steht, vor allem welche Funktion und Bedeutung diese hat. Zunächst einmal stärkt die ordnungsgemäße Information des VN nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVGInfoV über das ihm zustehende Widerrufsrecht bereits im Vorfeld des Vertrages eindeutig die Privatautonomie des VN, der nun bereits in einem frühen Stadium, nämlich der Anbahnung des Vertrages genau darüber informiert, wann, wie und unter welchen Bedingungen und Folgen er eine ansonsten dauerhaft eintretende Bindung an seine Willenserklärung oder den Vertrag wieder auflösen könnte. In keiner Weise wird dadurch die Bedeutung und Wichtigkeit des § 8 gemindert oder gar aufgehoben. Das Recht auf Widerruf folgt als solches aus dieser Regelung des § 8,53 die § 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV sorgen nur schon vorvertraglich dafür, dass der VN ordnungsgemäß über das ihm nach § 8 Abs. 1 zustehende Widerrufsrecht informiert wird.

51 Langheid/Wandt/Armbrüster2 VVG-InfoV § 1 Rn. 49. 52 EuGH 23.1.2019 – C-430/17 Rn. 46 (juris) = NJW 2019 1363. 53 Wandt VersR 2019 590, 592. 807

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Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

Eine Funktion der Belehrung nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 besteht darin, dass der VN erneut an das ihm zustehende Widerrufsrecht erinnert wird. Das geht nicht über die Maximalharmonsierung der RL 2002/65/EG hinaus, weil eben nicht diese, sondern die Informationen nach 7 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV zur erforderlichen Kenntnis des VN über das ihm zustehenden Widerrufsrecht gesorgt haben. Die wichtige Bedeutung des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 besteht aber darin, dass ohne die entsprechende Belehrung des VR (zusammen mit dem Zugang der Unterlagen nach S. 2 Nr. 2) die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt. Die Widerrufsfrist beginnt gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 auch dann mit dem Zugang der dort genannten Unterlagen, wenn der VR entgegen § 7 Abs. 1 Satz 1 dem VN nicht vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen und die weiteren Informationen mitgeteilt hat.54 Ob dies allerdings europarechtskonform ist, muss aus den o. g. Gründen bezweifelt werden.

35 c) Resultat. Im Ergebnis wird der VN bei Einhaltung der Vorgaben des § 1 Nr. 13 VVG-InfoV und rechtzeitiger Information über das ihm zustehenden Widerrufsrecht ordnungsgemäß informiert. Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung55 zu § 7a Abs. 5.56 Mit der Erfüllung der zwingenden europäischen Vorgaben der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65/EG wird der VN über das ihm zustehende Widerrufsrecht also schon vollständig und abschließend informiert. Die Informationen nach Nr. 13 sind daher weder unvollständig noch gar eine „Wiederholung“,57 weil sie bereits – der Richtlinienvorgabe gemäß – rechtzeitig vorvertraglich zu erteilen sind und die Belehrung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 diesen Informationen nur (in der Tat wiederholend) nachfolgen würden. Weiter, als die in der RL 2002/65/EG genannten Voraussetzungen kann der nationale Gesetzgeber ohne gegen die Maximalharmonisierung zu verstoßen, keine Bedingungen für die ordnungsgemäße Information des VN vorsehen.58 36 Die Belehrung nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 hat demnach im Wesentlichen nur Bedeutung für den Beginn der Widerrufsfrist, nicht aber für ordnungsgemäße Erfüllung der Information des VN über das ihm zustehende Widerrufsrecht. Zu ihrer Belehrung besteht nach der Konzeption des deutschen Rechts gleichwohl eine Rechtspflicht (dazu Rn. 24); deren Erfüllung ist nach der Gesetzessystematik aber nur für den Anlauf der Widerrufsfrist entscheidend, nicht aber für die Erfüllung der Belehrungspflicht an sich.

3. Belehrungsverpflichteter und Widerrufsberechtigter 37 Der VR ist zur Erteilung der Informationen über das Widerrufsrecht gemäß nach 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV ebenso verpflichtet wie zur Erteilung der nach Abs. 2 S. 1 Nr. 2 vorgesehenen Belehrung gemäß § 8 Abs. 5 S. 1, wofür schon dessen Nennung in § 8 Abs. 5 S. 2 spricht. Noch deutlicher wird dies durch § 8 Abs. 2 S. 2 selbst, wonach der VR den Nachweis über den Zugang der Unterlagen nach Abs. 2 S. 1, wozu gemäß nach dessen Nr. 2 eben die Widerrufsbelehrung gehört, zu führen hat. Mit der Regelung des § 7a Abs. 5 ist ebenfalls klargestellt, dass der VR den VN zu belehren hat. 38 Den Widerruf erklären kann nur der aus der Vertragserklärung Verpflichtete unabhängig davon, ob dieser ein Verbraucher i. S. d. § 13 BGB oder Unternehmer i. S. d. § 14 BGB ist. Diese Erweiterung gegenüber der nur für Verbraucherrechte verbindlichen Finanzdienstleistungs-Fernabsatz54 BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14, RuS 2017 = 409 VersR 2017 997. 55 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie vom 28.6.2017 BTDrucks. 18/ 13009 S. 52 f. 56 Wandt VersR 2019 590, 593. 57 So Langheid/Wandt/Armbrüster2 VVG-InfoV § 1 Rn. 48. 58 Insoweit dürfte allerdings sogleich auch die Frage nach der Europarechtskonformität des § 7a Abs. 5 aufkommen. Knops

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RL 2002/65/EG beruht auf der Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, ein Schutzbedürfnis nicht nur für Verbraucher, sondern gleichermaßen für alle natürlichen und juristischen Personen, ausgenommen Versicherungsverträge über Großrisiken, anzuerkennen.59 Widerrufsberechtigt ist im Regelfall der VN und nicht ein durch den Versicherungsvertrag Begünstigter. Anders kann es liegen, wenn wie bei der Restschuldversicherung der Kreditgeber der VN ist und der Kreditnehmer, dessen Schutz die Versicherung dient, der Versicherte.60 Gemäß § 7d S. 2 steht der versicherten Person bei Gruppenversicherungsvertragen für Restschuldversicherungen die Rechte eines VN, insbesondere das Widerrufsrecht zu.61 Schließen mehrere VN einen Versicherungsvertrag gemeinschaftlich ab, steht trotzdem jedem VN ein eigenes Widerrufsrecht zu.62 Die Widerrufserklärung ist aber keine höchstpersönliche Angelegenheit, so dass Stellver- 39 tretung selbstverständlich möglich ist. Das Widerrufsrecht kann im Falle des § 179 BGB durch den vollmachtlosen Vertreter, den mithaftenden Ehegatten (§ 1357 BGB)63 oder Lebenspartner (§ 8 Abs. 2 LPartG), wie auch durch den Erben ausgeübt werden.64 Zweifelhaft ist, ob das Widerrufsrecht selbst vererblich ist. Jedenfalls geht es im Erbfall auf den Rechtsnachfolger über, wenn dieser mit allen Rechten und Pflichten in den Versicherungsvertrag eintritt. Allerdings ist das Widerrufsrecht ein personales Recht, da es an die Person des VN, dessen Entscheidungsfreiheit es schützen soll, und nicht abstrakt an den Vertrag gebunden ist. Dafür spricht, dass der Widerruf nach dem Gesetz „seine Vertragserklärung“ und gerade nicht den Versicherungsvertrag betrifft. Unstreitig ist jedenfalls das Widerrufsrecht nicht isoliert übertragbar.65 Dem VR steht ebenso wenig wie einem anderen an dem Versicherungsvertrag ggf. nur mittelbar Beteiligten ein Widerrufsrecht zu.

4. Widerrufsgegenstand Gegenstand des Widerrufs ist die Willenserklärung des VN, die auf den bindenden Abschluss 40 eines Versicherungsvertrages gerichtet ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Willenserklärung das Angebot zum Abschluss eines Versicherungsvertrages darstellt oder dessen Annahme nach einem Angebot des VR. Auch wenn im Wortlaut von Absatz 1 von „Vertragserklärung“ die Rede ist, braucht ein wirksamer Vertrag noch nicht zustande gekommen zu sein. Es reicht eine darauf gerichtete Erklärung, die den VN (rechtsgeschäftlich) bindet. Ist mit dem Versicherungsvertrag ein anderer Vertrag nach § 358 BGB verbunden – wie etwa der Restschuldversicherungsvertrag mit dem damit gesicherten Darlehen66 – so reicht die Beseitigung dieses Vertrages, um auch 59 BTDrucks. 16/3945 S. 61. 60 Zu den unterschiedlichen Vertragskonstruktionen beim Abschluss von Restschuldversicherungen bei Kreditgewährung vgl. Pällmann Die Restschuldversicherung beim Konsumentenratenkredit, Diss. Bremen 1985 Nr. 4.2.4; Knops VersR 2006 1455 f. u. zuletzt JZ 2020 21 f. 61 Vor Inkrafttreten des § 7d VVG stand der versicherten Person in einer Restschuldgruppenversicherung allerdings kein Widerrufsrecht zu, insbesondere auch nicht nach § 8 Abs. 1, § 152 analog (OLG Hamm 24.4.2019 – I-20 U 18/19 RuS 2019 382). 62 Grundlegend Knops/Martens WM 2015 2025 ff.; i. Erg. ebenso Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 38; a. A. Staudinger/Kaiser § 355 Rn. 43, wonach ein Widerrufsrecht grds. nur gemeinsam ausgeübt werden könne. 63 Cebulla/Pützhoven FamRZ 1996 1124; ebenso Erman/Koch § 355 Rn. 4. 64 Palandt/Grüneberg § 355 Rn. 2. 65 Vgl. MüKoBGB/Fritsche § 355 Rn. 34; Palandt/Grüneberg § 355 Rn. 2. 66 Siehe BGH 15.12.2009 – XI ZR 45/09, NJW 2010 531; OLG Schleswig 26.4.2007 – 5 U 162/06, NJW-RR 2007 1347; OLG Rostock 23.3.2005 – 1 W 63/03, NJW-RR 2005 1416; LG Berlin 23.9.2014 – 4 O 65/14, BeckRS 2015 5438 m. w. N.; LG Hamburg 11.7.2007 – 322 O 43/07, VuR 2008 111,112; Staudinger/Herresthal § 358 Rn. 208; MüKoBGB/Habersack § 358 Rn. 15; BeckOK BGB/Müller-Christmann 51. Ed. 1.5.2019 § 358 Rn. 12; Erman/Koch § 358 Rn. 21; Palandt/Grüneberg § 358 Rn. 7; Derleder/Knops/Bamberger/Knops § 17 Rn. 64; v. Westphalen/Emmerich/v. Rottenburg/Emmerich VerbrKrG, 2. Aufl. (1996) § 9 Rn. 74; Geßner VuR 2008 84, 85; Knops VersR 2006 1455, 1457; vgl. aber BGH 5.5.2015 – XI ZR 406/13, BKR 2015 367. 809

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den Versicherungsvertrag zu Fall zu bringen. Gegenstand des Widerrufs kann mithin faktisch auch das verbundene Vertragskonvolut in toto sein – rechtlich beinhaltet der Widerruf des Versicherungsvertrages aber nicht den Widerruf eines anderen Vertrages.67 Zur Widerrufserklärung und zum Widerrufsempfänger Rn. 44 ff. 41 Widerrufen werden kann in der Regel nur die gesamte, auf den Vertragsschluss gerichtete Erklärung. Mithin kann bei Neuabschluss nur der gesamte Vertrag widerrufen werden und der Widerruf nicht lediglich einzelne Teile betreffen. Anders liegt es nur, wenn ein bestehender Vertrag geändert wird und für den bisherigen Vertrag kein Widerrufsrecht mehr besteht. Dann kann der VN die ergänzten oder geänderten Vertragsbestandteile, genauer seine auf die Änderung oder Ergänzung gerichtete Willenserklärung, widerrufen und zwar unabhängig von ihrem Umfang und ihrer Bedeutung.68 Der Vertrag bleibt im Übrigen bestehen,69 soweit dann nicht unter Umständen ein Wegfall des gesamten Vertrages wegen Änderung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB in Betracht kommt, wie etwa bei Änderung oder Untergang des versicherten Objekts. Der unveränderte Vertrag wird aber selbst nicht durch den Widerruf der auf seine Änderung abzielenden Vertragserklärung berührt. 42 Eine bloße Laufzeitverlängerung eines bestehenden Vertrages führt aber weder zum Neuabschluss noch zu einer neuen Vertragserklärung, so dass in diesem Fall kein Widerruf nach § 8 möglich ist.70 Gleiches gilt bei der Wahrnehmung einer sog. Aufstockungsoption bei Lebensversicherungsverträgen, wonach der VN eine Erhöhung der Versicherungssumme bei Zahlung höherer Prämien verlangen kann; auch hierdurch entsteht kein neues Widerrufsrecht, weil dieses Recht bereits von Anfang an im Vertragsverhältnis festgeschrieben wurde und dem Kunden eine entsprechende Option eingeräumt wurde. Widerruflich ist aber ein neben dem Hauptvertrag entstehendes Versicherungsvertragsverhältnis wie die vorläufige Deckungszusage, siehe Rn. 40 f. 43 Ein Teilwiderruf eines teilbaren Versicherungsvertrages wird regelmäßig nicht in Betracht kommen, wenn die (objektive) Teilbarkeit (subjektiv) nicht dem nach den §§ 133, 157 BGB zu ermittelnden Parteiwillen entspricht, ist aber im Prinzip nicht ausgeschlossen (siehe auch § 29, der von einer Teilbarkeit ausgeht). Der widerrufene Teil entfällt, während der übrige Vertrag planmäßig durchzuführen ist.71 Ist der Vertrag nicht teilbar, ist auf den Schwerpunkt des Vertrages abzustellen, mit der Folge, dass dann u. U. ein Widerruf entfällt,72 was aber nicht dazu führen darf, durch eine entsprechende Vertragsgestaltung systematisch ein an und für sich bestehendes Widerrufsrecht auszuschalten.

5. Widerrufserklärung 44 Die Erklärung des Widerrufs ist an keinen bestimmten Inhalt gebunden. Vielmehr reicht es aus, wenn der VN zum Ausdruck bringt, an seiner Vertragserklärung nicht festhalten zu wollen. Er muss weder den Ausdruck „Widerruf“73 noch Rechtsbegriffe wie „Rücktritt“, „Widerspruch“, „Abstandnahme“ o. ä. benutzen, sondern lediglich unter Berücksichtigung eines objektiven Empfängerhorizonts hinreichend klar stellen, dass er an seiner Willenserklärung, dem Vertrag oder den daraus folgenden Verpflichtungen und Leistungen nicht festhalten will.74 Gegenständlich reicht es aus, wenn der Vertrag oder die Vertragserklärung identifiziert werden kann. 67 68 69 70 71 72 73 74

Vgl. BGH 26.9.2006 – XI ZR 358/04, ZGS 2007 26; Knops VuR 2006 186, 188. Zum Streitstand, aber letztlich offenlassend BGH 12.9.2012 – IV ZR 258/11, NJW 2013 57 m. w. N. BGH 12.9.2012 – IV ZR 258/11, NJW 2013 57. A.A. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 28 u. Abram VersPrax 2005 42, 44. Siehe MüKoBGB/Busche § 139 Rn. 1 ff.; MüKoBGB/Wendehorst § 312g Rn. 4. Vgl. MüKoBGB/Busche § 139 Rn. 1 ff.; MüKoBGB/Wendehorst § 312g Rn. 4; Fuchs ZIP 2000 1273, 1283. Siehe Meixner/Steinbeck § 3 Rn. 78; Martis/Meinhof MDR 2004 5 m. w. N. Vgl. BGH 25.4.1996 – X ZR 139/94, NJW 1996 1964, 1965; BGH 21.10.1992 – VIII ZR 143/91, NJW 1993 128, 129.

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Wenn der VN hingegen eine Erklärung verwendet, die einem bestimmten Rechtsterminus 45 entspricht, ist ggf. auch zu prüfen, ob er den Vertrag auf andere Weise als durch Widerruf beseitigen will – etwa wenn die Widerrufsfrist abgelaufen ist (Umdeutung bspw. in eine ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin75), ihm nach Absatz 3 der Norm gar kein Widerrufsrecht zusteht, bei fehlerhafter Form76 und wegen der gegenüber der Anfechtung nachteiligen Folgen des § 9. So kann eine als „Widerruf“ bezeichnete Erklärung u. U. als Anfechtung i. S. d. §§ 119, 123 BGB angesehen werden,77 oder als außerordentliche oder ordentliche Kündigung bei Ablauf der Widerrufsfrist. Wegen der ex tunc-Wirkung ist die Anfechtung für den VN gegenüber einem Widerruf im Lichte der Rechtfolgen nach § 9 (s. im Einzelnen unten § 9 Rn. 18 ff.) günstiger, weil der Vertrag rückwirkend aufgehoben wird und keinerlei Leistungen an den VR geschuldet sind; eine ordentliche Kündigung – soweit möglich – ist hingegen für den VN ungünstiger, weil er bis zum Wirksamwerden der Kündigung zur Gegenleistung verpflichtet bleibt. Die außerordentliche Kündigung steht insofern dem Widerruf in etwa gleich, weil durch beide Vertragserklärungen der wirksame Vertrag ex nunc aufgehoben wird und die bis dahin geschuldeten Leistungen ausgetauscht werden. Auch der Rücktritt von einem noch nicht in Vollzug gesetzten Versicherungsvertrages als Dauerschuldverhältnis ist mit dem Widerruf der Vertragserklärung des VN von den wirtschaftlichen Folgen her betrachtet vergleichbar. Eine typische Formulierung für einen Widerruf ist die sinngemäße Erklärung, die Ver- 46 tragsleistungen (nach nochmaliger Überprüfung, nach Rücksprache mit Familienangehörigen oder Fachkundigen etc.) nicht (mehr) in Anspruch nehmen zu wollen. Als einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung ist der Widerruf auslegungsfähig und unter Umständen -bedürftig, aber keinesfalls begründungsbelastet. Zwar sind in der Praxis Widerrufserklärungen ohne jede Begründung eher die Ausnahme. Erläuterungen, Begründungen und Rechtfertigungen der Abstandnahme sind aber keinesfalls erforderlich und bringen eine ansonsten wirksame Widerrufserklärung auch nicht dadurch zu Fall, dass die in der Widerrufserklärung genannten Gründe nicht zutreffen, der Ton unangemessen oder gar ehrverletzend ist. Anders als etwa bei der Anfechtung oder außerordentlichen Kündigung verzichtet das Gesetz ausdrücklich – bis auf die Erklärung an und für sich – auf inhaltliche Anforderungen an die Ausübung eines wirksamen Widerrufs. Abzugrenzen bleibt die Erklärung von allgemeinen Unmutsbekundungen, Erklärungen in Bezug auf den Vertragsinhalt und die wechselseitigen Leistungen etc. Der Gebrauch einer falschen Terminologie durch den VN ist auf den Widerruf hin besehen unschädlich,78 kann aber auch eine andere (Vertrags-)Erklärung als den Widerruf meinen. Als Gestaltungsrecht ist der Widerruf unwiderruflich und bedingungsfeindlich,79 wobei aber ein Eventualwiderruf für den Fall, dass etwa eine primär erklärte Anfechtung nicht durchgreift, zulässig bleibt.80

6. Widerrufsempfänger Richtiger Adressat des Widerrufs ist nach dem Wortlaut des Abs. 1 S. 2 allein der VR. Ausrei- 47 chend ist auch, wenn der VN den Widerruf seiner Vertragserklärung an den Abschlussvertreter oder einen anderen Repräsentanten des VR richtet. Bei einer Versicherungsgemeinschaft oder mehreren VR reicht es, wenn der VN den Widerruf gegenüber einem Partner erklärt. Nicht genügend ist es hingegen, wenn der VN den Widerruf lediglich an den personell verschiedenen Part75 76 77 78 79 80 811

Vgl. OLG Karlsruhe 27.7.2006 – 12 U 34/06, VersR 2006 1625; LG Berlin 9.8.2001 – 7 O 176/01, VersR 2002 695. Vgl. zu § 355 BGB PWW/Stürner § 355 Rn. 2. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 25. MüKoBGB/Wendehorst5 § 312d Rn. 75. Vgl. BGHZ 97, 264. Palandt/Grüneberg § 355 Rn. 5. Knops

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Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

ner des mit dem Versicherungsvertrag verbundenen Geschäfts richtet. Beispielsweise beseitigt der Darlehenswiderruf nicht den mit diesem verbundenen Versicherungsvertrag, sondern dieser wird nach Maßgabe des § 358 BGB in die Abwicklung miteinbezogen, ohne dass dieser selbst widerrufen werden muss.

7. Widerrufsform 48 Der Widerruf ist in Textform gemäß § 126b BGB zu erklären, mithin muss die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeignete Weise übermittelt werden. Die Erklärung muss ferner die Person des Erklärenden benennen und den Abschluss der Erklärung durch die Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar machen. Eigenhändige Unterschrift ist danach nicht erforderlich,81 Vertretung zulässig, immer aber muss die Person des Erklärenden zweifelsfrei bestimmbar sein. Nach dem Grundsatz, dass niedrigere Formerfordernisse stets durch höhere Formen erfüllt werden können,82 kann der Widerruf in notariell beurkundeter Form, in Schriftform oder elektronischer Form erklärt werden. Neben der Manifestierung auf Papier kommt damit auch eine Erklärung auf Medien wie Speicherstick, Diskette, CD-ROM, DVD, Blu-ray etc. ebenso in Betracht wie per E-Mail oder Computer-Fax83 (Verkörperung auf der Festplatte oder auf einem anderen nichtflüchtigen Speicher). Da die Textform zugunsten des Widerrufsempfängers wirkt, können die Parteien auch von dem Textformerfordernis abweichen und eine gewillkürte Art der Widerrufserklärung vereinbaren, die aus Sicht des VN niedrigeren, nicht aber höheren Anforderungen entspricht. Zudem kann der Widerruf in einem gerichtlichen Verfahren mittels Schriftsatzes84 oder zu Protokoll85 erklärt werden, wenn die Erklärung dem VR zugeht. 49 Der Zugang der Widerrufserklärung beim VR ist erforderlich und Bedingung für einen wirksamen Widerruf. Allerdings muss der Zugang nicht innerhalb der Widerrufsfrist erfolgen, da es zur Wahrung der Frist gemäß Absatz 1 Satz 1 2. Halbs. lediglich auf das rechtzeitige Absenden der Erklärung ankommt. Absenden bedeutet, dass sich der VN der Verfügungsmacht über die Widerrufserklärung enthebt und das seinerseits Erforderliche für den Zugang beim Empfänger getan hat, indem er die Erklärung auf den Weg bringt,86 wie durch Hineinwerfen in den Briefkasten, Übergabe an den VR oder dessen Vertreter, Übergabe an den Boten, Absendung des Telefaxes etc. Eine etwaige Verzögerung des Zugangs des Widerrufs beim VR hat der VN nicht zu vertreten, er trägt aber das Verlustrisiko. Der Widerrufende trägt mithin nicht nur die Beweislast für die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung, sondern auch für deren Zugang, wobei der VN bei Verlust des Widerrufs auf dem Weg zum Empfänger die Erklärung unverzüglich wiederholen können soll, um die Frist zu wahren.87 Um in einem solchen Fall ohne schuldhaftes Zögern zu handeln, sollte sich der VN den Zugang der Widerrufserklärung vom VR bestätigen lassen. So wird er bei Ausbleiben des Zugangs in die Lage versetzt seine Widerrufserklärung (vorzugweise als Kopie der ursprünglichen Erklärung) umgehend erneut auf den Weg bringen. Dem trägt auch Rechnung, dass der VR einen aus welchen Gründen auch immer unwirksamen Widerruf unverzüglich zurückweisen muss.88

81 82 83 84 85 86 87

Staudinger/Thüsing § 312d Rn. 16; Erman/Arnold § 126b Rn. 5. Siehe Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 28. Siehe LG Kleve 22.11.2002 – 5 S 90/02, NJW-RR 2003 196; Armbrüster RuS 2008 493, 494. BGH 6.12.1989 – VIII ZR 310/88, NJW 1990 567. BGH 24.4.1985 – VIII ZR 73/84, NJW 1985 1544. Langheid/Rixecker § 8 Rn. 4. So Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 29 unter Hinweis auf OLG Dresden 20.10.1999 – 8 U 2081/99, NJW-RR 2000 354, 354 zum VerbrKrG. 88 Prölss/Martin/Armbrüster § 8 Rn. 46; Langheid/Rixecker § 8 Rn. 20. Knops

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II. Widerrufsfrist (Abs. 2) 1. Dauer der Widerrufsfrist Der Widerruf muss innerhalb von 14 Tagen erklärt werden. Nur bei Lebensversicherungsverträ- 50 gen beträgt die Frist gemäß § 152 Abs. 1 30 Tage, wobei zudem veränderte Regeln über die Rückabwicklung bestehen (s. § 152 Rn. 1 ff.).89 Die Frist berechnet sich nach den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 1. Alt und 193 BGB.

2. Beginn der Widerrufsfrist Nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 beginnt die Widerrufsfrist zu dem Zeitpunkt, zu welchem dem 51 VN die in der Vorschrift im Einzelnen genannten Unterlagen insgesamt in Textform zugegangen sind.90

a) Unterlagen gemäß Abs. 2 S. 1 Nr. 1. Bei den in Absatz 2 genannten Unterlagen handelt 52 es sich um den Versicherungsschein (Rn. 53), die besonderen und allgemeinen Vertragsbestimmungen, die Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 (Rn. 54) und die Widerrufsbelehrung (Rn. 55 ff). Im Einzelnen:

aa) Versicherungsschein. In dem Versicherungsschein (dazu ausf. § 3 Rn. 5 ff.) bestätigt der 53 VR üblicherweise das Bestehen der Versicherung, den Beginn (und das Ende) des Versicherungsschutzes sowie grob den Versicherungsumfang. In einer Reihe von Fällen kommt es dazu, dass der Vertrag schon geschlossen wurde, ohne dass der Versicherungsschein dem VN vorliegt, wie etwa bei der KfZ-Haftpflichtversicherung der Vertrag gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 PflVersG durch bloßes Schweigen des VR als zustande gekommen gilt.91 Die Widerrufsfrist beginnt nach Absatz 2 aber erst dann, wenn dem VN auch der Versicherungsschein vorliegt. Gegenüber den Vorgaben der Richtlinie 2002/65/EG ist diese Regelung für den VN günstiger, da dort in Art. 6 Abs. 1 für den Fristbeginn auf den Vertragsschluss abgestellt wird, der vor der Übersendung der Unterlagen nach Absatz 2 liegen kann. Wegen der mit der Richtlinie 2002/65/EG intendierten Vollharmonisierung, ist diese Abweichung im Anwendungsbereich der Richtlinie zugunsten des VN als europarechtswidrig einzustufen.92 Des Weiteren ist auch ein Verstoß gegen Art. 35 Abs. 1 der Lebensversicherungsrichtlinie 2002/83/EG denkbar, da dort ebenfalls für den Fristbeginn nicht auf die Übersendung des Versicherungsscheins, sondern auf die Mitteilung vom Vertragsschluss an den VN abgestellt wird. Die Absicht des deutschen Normgebers bei Neufassung des Widerrufsrechts für beide Parteien den Fristbeginn klarzustellen,93 wird durch die europarechtlichen Vorgaben verhindert, obwohl auch deren Anliegen ist, für die vertraglichen Bestimmungen Klarheit und Transparenz herzustellen, was Brüssel im zunehmenden Dickicht der eige-

89 Darauf verweist wiederum § 176 für die Berufsunfähigkeitsversicherung (s. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 1). 90 Zur Praxis der VR, der Widerrufsbelehrung und dem Produktinformationsblatt einen so genannten „WelcomeLetter“ beizulegen, für den eine gesetzliche Verpflichtung nicht besteht vgl. die Untersuchung des Marktwächters Finanzen „Der Welcome-Letter in der Restschuldversicherung“ vom November 2019 (download unter https:// www.marktwaechter.de/sites/default/files/downloads/bericht-welcome-letter-rsv.pdf). 91 Buschbell Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. (2006) § 40 Rn. 3; Feyock/Jacobsen/Lemor Kraftfahrtversicherungen, 2. Aufl. (2002) Rn. 11. 92 Offen gelassen bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 35. 93 Siehe BTDrucks. 16/3945 S. 61 f. 813

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Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

nen Regelungen, Reformen und Neufassungen zunehmend weniger gelingt und was auch keineswegs durch einen Paradigmenwechsel zur Vollharmonisierung erreicht werden kann, wenn nationale Regelungen, die zum Vorteil beider Vertragsparteien bestehen, damit ausgehebelt werden. Mittlerweile hat die EU- Kommission wohl auch deshalb zu Recht von der Konzeptionierung von maximalharmonisierenden Richtlinien Abstand genommen.

54 bb) Vertragsbestimmungen und Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2. Der VR hat dem VN gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die in einer Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmten Informationen in Textform mitzuteilen (s. dazu i. E. § 7 Rn. 85 f.). Dazu gehören nach der Gesetzesbegründung „sämtliche“ nach § 7 Abs. 1 und 2 vorgeschriebenen Unterlagen und Informationen. Daraus kann zwanglos geschlossen werden, dass der Gesetzgeber – wie in § 48c Abs. 2 Satz 2 a. F. noch ausdrücklich vorgesehen – wirklich alle relevanten Vertragsbestimmungen gemeint hat, womit die Widerrufsfrist nicht beginnt, wenn dem VN einzelne Klauseln oder Informationen vorenthalten werden.94 Inhaltlich müssen die erforderlichen Informationen und Vertragsbestimmungen als allgemeine Geschäftsbedingungen den Geboten von Klarheit und Transparenz entsprechen.95 Jedenfalls enthalten sein müssen die Angaben nach der Informationspflichtenverordnung zum VVG,96 wobei der VR die in dieser Verordnung bestimmten Informationspflichten bis zum 30.6.2008 auch dadurch erfüllen konnte, dass er nach den Vorgaben des bis zum 31.12.2007 geltenden Rechts informierte.

55 b) Widerrufsbelehrung gemäß Abs. 2 Satz 1 Nr. 2. Der VR muss den VN ordnungsgemäß über das diesem zustehende Widerrufsrecht informieren. Dies ist regelmäßig bereits durch die § 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV vorvertraglich erteilten Informationen nach Maßgabe der RL 2002/65/EG erfolgt, so dass die Belehrung gemäß Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 im Wesentlichen nur noch dazu beiträgt (zusammen mit dem Zugang der Abs. 2 S. 1 Nr. 1 gennannten Unterlagen), dass die Widerrufsfrist zu laufen beginnt (zum Ganzen oben Rn. 15 ff.).

56 aa) Belehrungspflicht. Nun kann man meinen, dass liege allein im Belieben des VR, denn der Fristbeginn wirke ja schließlich nur zu seinen Gunsten, woraus wiederum geschlossen wird, die Belehrung des VN nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 sei nur bloße Obliegenheit97 und könne eben wann auch immer erfolgen. Gerade darum fragt sich, ob der VR nicht in Wahrheit zur Erteilung einer Widerrufsbelehrung nach Abs. 2 S. 1 Nr. 2 rechtlich verpflichtet ist. § 8 Abs. 2 Nr. 2 schreibt vor, wie und mit welchen Angaben der VN über das bestehende 57 Widerrufsrecht zu belehren ist. Die diesen Vorgaben gerecht werdende Belehrung ist gemäß § 8 Abs. 5 S. 1 „zu erteilen“. Im Sprachduktus des deutschen Gesetzgebers98 ist diese Formulierung eindeutig. Der hat dieser Vorgabe im Sinne einer echten Rechtspflicht nachzukommen.99 Dies ergibt sich im Übrigen auch aus § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, wonach der VN eine deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht zu erhalten hat. Dass diese – ebenfalls ganz und gar unmissverständliche – Verpflichtung vom Gesetzgeber sprachlich in den Absatz 2 eingewoben wurde, wonach erst zusammen mit der anderen Voraussetzung des Nr. 1 auch die Widerrufsfrist zu laufen beginnt, ändert an dem Bestehen der Belehrungspflicht nichts. Schließlich „ist“ der VN 94 95 96 97 98 99

Wie hier Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 37. So bereits zur alten Rechtslage Prölss/Martin/Prölss § 5a Rn. 20. VVG-Informationspflichtenverordnung vom 18.12.2007 (BGBl. I 3004). So etwa Rüffer/Halbach/Schimikowski/Baroch Castellvi § 7d Rn. 7. Siehe hierzu Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl. 2008, Rn. 80 ff. Wie hier Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 46.

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nach § 7a Abs. 5 der VN eine Woche nach Abgabe seiner Vertragserklärung für das Versicherungsprodukt „erneut“ in Textform über sein Widerrufsrecht „zu belehren“, was ebenfalls keinerlei Zweifel an der rechtlichen Verbindlichkeit aufkommen lassen kann. Diese Verpflichtung ergibt nur Sinn, wenn der VR (auch) erstmalig zur Belehrung verpflichtet ist.100 Mit der Erfüllung des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 verbunden ist die Aushändigung der Belehrung, 58 mit dem Lauf der Widerrufsfrist auch die der Unterlagen nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2. An diesen Dokumenten hat der VN von vorneherein als ordnungsgemäße Vertragserfüllung auch ein Interesse, insbesondere wenn der spätere Vertragsinhalt von dem vorvertraglich Besprochenen abweicht. Zudem kann die Belehrung nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 auch erst dafür sorgen, dass der VN ordnungsgemäß belehrt wurde, wenn etwa die Informationen nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV nicht oder nur fehlerhaft erbracht wurden und der VR zu diesen aber natürlich gesetzlich verpflichtet ist und durch seinen Fehler auch geblieben ist. Auch wenn der Vertrag ohne die vorvertraglichen Informationen schon geschlossen wurde, kann er solche nicht mehr erteilen. Dann bleibt ihm nur die Belehrung nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2. Zur Belehrung gemäß Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 kann sich der VR an dem Muster der Anlage zum 59 VVG (dazu Rn. 97) orientieren, muss dies aber nicht. Erforderlich ist eine deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht (Rn. 13 ff.) und über die Rechtsfolgen des Widerrufs (§ 9 Rn. 10 f.), die dem VN seine Rechte entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels deutlich macht und die den Namen und die Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, sowie einen Hinweis auf den Fristbeginn und auf die Regelungen des Absatzes 1 Satz 2 enthält.

bb) Klarheit und Transparenz. Wie alle Vertragsklauseln muss insbesondere auch die Wider- 60 rufsbelehrung den Anforderungen an Klarheit und Transparenz entsprechen (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).101 Die Belehrung muss daher (wenigstens) einem Durchschnittsbürger ohne Weiteres das Verständnis ermöglichen, seine Vertragserklärung bzw. den Vertrag zu widerrufen. Schon das Wort „Vertragserklärung“ entspricht nicht dem üblichen Wortschatz, sondern ist ein juristischer Begriff, der entweder ein Angebot zum Abschluss eines Versicherungsvertrages oder die Annahme eines entsprechenden Angebots des VR meint. Kaum ein Bürger kann unterscheiden, ob der VR ein bindendes Angebot macht oder die Werbung für das Sortiment des VR lediglich auf eine Aufforderung zur Abgabe eines eigenen Angebots abstellt. Dies zeigt, dass eine Widerrufsbelehrung möglichst frei von Rechtsbegriffen formuliert werden muss. Verständliche, auf das Umgangsdeutsch abgestimmte Sprache, kurze Sätze, klare Inhalte und eine überschaubare Stofffülle sind notwendig, um den VN – vom Verbraucher bis zum Unternehmer – nicht zu überfordern. Wer je die Vertragswirklichkeit in der täglichen Beratungspraxis über Jahre erlebt hat, weiß, welches geringe Maß an Verständnis und Aufmerksamkeit vom Durchschnittsbürger tatsächlich fernab von Modellannahmen erwartet werden kann. Überzogene Annahmen an das Verbraucherleitbild minimieren den Schutz, anstatt ihn in concreto zu steigern. Dabei geht es nicht darum, Bürger aus der Selbstverantwortung für ihr (vertragliches) Handeln zu entlassen, sondern vielmehr darum, auch dem Schwächsten das Recht zum Widerruf überhaupt erst in die Hand zu geben. Dazu gehört es, das Widerrufsrecht drucktechnisch von dem übrigen Vertragsinhalt deutlich abzusetzen, d. h. räumlich nicht unter anderen Vertragsklauseln untergehen zu lassen und durch eine besondere Überschrift und Druckgestaltung abzusetzen. Die Widerrufsbelehrung kann damit gesondert erfolgen, muss aber jedenfalls in den Vertragsunterlagen beim Durchblättern

100 Es kann mithin keine Rede davon sein, dass der Gesetzgeber hier „dogmatisch verfehlt“ von einer erneuten Belehrung gesprochen hat (so aber Wandt VersR 2019 590, 592). 101 Vgl. zum Deutlichkeitsgebot OLG Karlsruhe 8.3.2019 – 12 U 33/18, RuS 2019 257, 261; Martis/Meinhof MDR 2004 8. 815

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§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

ohne Weiteres erkennbar sein.102 Erforderlich ist eine Form, die darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das Wissen, um das es geht, zu vermitteln.103 Sperrschrift, größere Lettern, Fett- oder Farbdruck kann genügen;104 ablenkende oder verwirrende Zusätze sind zu unterlassen, Erläuterungen sind zulässig, soweit sie den Text nicht überfrachten, sachlich richtig sind und selbst den Geboten von Klarheit und Transparenz entsprechen.

61 cc) Belehrung über das Widerrufsrecht. Nach der Rechtsprechung des BGH muss eine gesetzlich angeordnete Belehrung, damit sie ihren Zweck erreichen kann, inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus der Sicht der Verbraucher eindeutig sein.105 Dabei erscheint die teilweise anzutreffende Bestrebung nach möglichst umfassenden, jede Eventualität erfassende Informationen unter Umständen nicht geeignet, ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht zu belehren, wenn die damit gegebenen Inhalte die Verständnismöglichkeit und Wahrnehmungskraft eines durchschnittlichen VN übersteigen. Richtiger ist bei der Information eines VN die wichtigsten Rechtsfolgen anschaulich und übersichtlich darzustellen, insbesondere wenn es sich um Verbraucher im Sinne des § 13 BGB handelt. Informationen, die für den Verbraucher irrelevant sind, weil sie in seinem konkreten Fall nicht zutreffen, können weggelassen werden, um die Transparenz der Belehrung zu steigern, wie es ohnehin darum geht, nur die wesentlichen Rechte und Pflichten zu verdeutlichen und nicht jede Eventualität abzubilden. 62 Die belehrende Information muss zunächst klarstellen, dass dem VN ein Widerrufsrecht zusteht. Dabei muss der Ausdruck „Widerrufsrecht“, „Recht zum Widerruf“ oder „widerrufen“ verwendet werden und darf nicht durch andere Begriffe oder Umschreibungen ersetzt werden. Formulierungen wie „Sie können durch Erklärung von dem Vertrag Abstand nehmen“ sind daher nicht ausreichend. Sodann ist klarzustellen, was der VN widerrufen kann. Das ist nach der Gesetzesfassung seine eigene Vertragserklärung, die auf den Abschluss des Versicherungsvertrages gerichtet ist. Klarer wird für den Durchschnittsbürger sein, dass ihm das Recht gegeben wird, den Vertrag zu widerrufen, wenn die Widerrufsbelehrung nach oder mit dem Vertragsschluss erteilt wird. Allerdings darf damit nicht verhindert werden, dass der VN seinen bindenden Antrag an den VR auf Abschluss eines Versicherungsvertrages (ohne dass dieser bereits vom VR angenommen wurde) ebenfalls widerrufen kann. Insofern ist die Formulierung, die auf den Widerruf der Vertragserklärung des VN abzielt, weiter als die Erklärung, die den Widerruf (nur) des Vertrages beabsichtigt. Gleichwohl wird auch der informierte Durchschnittsbürger bei Benennung des Vertrages als Widerrufsgegenstand nicht annehmen, dass er damit seine auf Abschluss eben dieses Vertrages bindende Erklärung nicht mittels Widerrufes beseitigen kann. Generell ist die Belehrung nicht an den Wortlaut des Gesetzes gebunden, darf nicht lediglich auf diesen verweisen und muss die Rechte und Pflichten ausgewogen darstellen. Erforderlich ist vielmehr eine in klarer Sprache formulierte, kurze, knappe Formulierung, die alle wesentlichen Elemente und keine fehlerhaften oder verwirrenden Zusätze enthält. 63 Die Belehrung muss den Voraussetzungen des § 8 genügen und daher zwingend folgende Angaben enthalten:

102 Siehe BGH 28.1.2004 – IV ZR 58/03, VersR 2004 497, 498 zu § 5a VVG 1994; OLG Dresden 21.8.2018 – 4 U 1100/ 18, VuR 2019 119; OLG Frankfurt a. M. 26.2.2018 – 3 U 44/18, RuS 2018 418; OLG Karlsruhe 5.12.2017 – 12 U 145/17, RuS 2018 65, 66; OLG Karlsruhe 15.8.2017 – 12 U 97/17, NJW-RR 2017 1377, 1378; OLG Dresden 28.3.2017 – 4 U 1624/ 16, VuR 2017 279. 103 BGH 16.11.1995 – I ZR 175/93, NJW-RR 1996 471. 104 Vgl. BGH 20.12.1989 – VIII ZR 145/88, NJW-RR 1990 368, 370. 105 BGH 12.4.2007 – VII ZR 122/06, VersR 2007 1089, 1090; BGH 4.7.2002 – I ZR 55/00, NJW 2002 3396, 3397; BGH 16.11.1995 – I ZR 175/93, NJW-RR 1996 471 unter Hinweis auf BGH 17.12.1992 – I ZR 73/91, BGHZ 121, 52, 55 = NJW 1993 1013; vgl. Schwintowski VuR 2019 330. Knops

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B. Kommentierung

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(1) Möglichkeit des Widerrufs des geschlossenen Vertrages, der in der Belehrung benannt werden muss,106 (2) Angabe des Fristbeginns durch Zugang der nach § 8 Abs. 2 bezeichneten Unterlagen,107 (3) Angabe der Fristdauer von 14 Tagen bzw. 30 Tagen bei Lebensversicherungen,108 (4) der Fristwahrung durch rechtzeitige Absendung,109 (5) Erforderlichkeit der Erklärung in Textform § 126b,110 (6) Belehrung, dass das Widerrufsrecht an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist und keiner Begründung bedarf,111 (7) Name und Anschrift (Postadresse oder Postfach112) des Widerrufsempfängers, (8) Ausschluss des Widerrufsrechts in bestimmten Fällen, (9) Folgen des Widerrufs,113 sowie (10) (lediglich) im Fall des § 312i Abs. 1 S. 1 einen Hinweis, dass die Frist erst mit Erfüllung aller dort genannten Pflichten beginnt.

dd) Belehrung über den Fristbeginn. Bevor § 8 Abs. 5 Satz 1 auf das Muster der Anlage zum 64 VVG verwies (siehe Rn. 61 f.), war besonders umstritten, wie über den Fristbeginn zu belehren ist. So entsprach etwa die Formulierung „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ des Musters der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV den genannten Anforderungen nach überwiegender

106 Eine Belehrung für mehrere oder künftige Verträge ist ebenso unwirksam wie eine Widerrufsbelehrung, die nicht klarstellt, auf welchen Vertrag sie sich bezieht (Palandt/Grüneberg67 § 355 Rn. 14). 107 Vgl. BGH 29.7.2015 – IV ZR 448/14, NJW 2015 3098, 3099. Hinsichtlich des konkreten Fristbeginns (Zeitpunkt des Zugangs der Unterlagen nach § 8 Abs. 2) kann vielfach kein genaues Datum angegeben werden und ist daher nicht zwingend. 108 Nicht erforderlich ist es, die Grundsätze der Fristberechnung anzugeben (BGH 27.4.1994 – VIII ZR 223/93, NJW 1994 1800). 109 OLG Dresden 21.8.2018 – U 1100/18, VuR 2019 119. Nicht aber durch „Datum des Poststempels“, da es in Wahrheit auf den Einwurf im Briefkasten ankommt s. OLG Oldenburg 9.3.2006 – 1 U 134/05, ZIP 2006 1292 f. Auch eine Belehrung, dass die Widerrufsbelehrung zugehen muss, ist unzulässig (LG Berlin 3.11.2005 – 5 O 261/05, NJWRR 2006 639). 110 Aber keine Erläuterung der Textform s. OLG München 22.6.2004 – 13 U 2315/04, NJW-RR 2005 573. Eine Unterschrift der Widerrufsbelehrung ist entbehrlich, wenn sie ihren Urheber erkennen lässt. Vgl. BGH 29.7.2015 – IV ZR 448/14, NJW 2015 3098, 3099; OLG Karlsruhe 15.8.2017 – 12 U 97/17, NJW-RR 2017 1377, 1378. 111 Siehe OLG Jena 8.3.2006 – 2 U 990/05, GRUR-RR 2006 283; Schneider VW 2008 1168. 112 Entgegen der älteren Rechtsprechung (BGH 11.4.2002 – I ZR 306/99, NJW 2002 2391, 2392 zu § 355 Abs. 2) genügten Postfachangaben im Anwendungsbereich des § 312c BGB a. F. in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 BGBInfoV hingegen nicht mehr, wonach dem Verbraucher bei allen Fernabsatzverträgen (mithin auch bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen wie Versicherungen) die ladungsfähige Anschrift des Unternehmers mitgeteilt werden muss. Die RL 2002/65/EC ließ es zwar genügen, dass der Unternehmer dem Verbraucher seine Anschrift mitteilt. Dort heißt es in Art. 3 Abs. 1 Nr. 1a wörtlich: „die Identität und Hauptgeschäftstätigkeit des Anbieters, die Anschrift seiner Niederlassung“, auch „und jede andere Anschrift, die für die Geschäftsbeziehung zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter maßgeblich ist“. Danach wären an und für sich Postfachanschriften ausreichend. Dies war durch das Erfordernis der Ladungsfähigkeit in § 1 Abs. 1 Nr. 3 BGB-InfoV anders. Nach ganz herrschender Auffassung genügte mit der Konkretisierung auf die Ladungsfähigkeit der Anschrift eine Postfachanschrift nicht mehr (OLG Hamburg 27.3.2003 – 5 U 113/02, NJW 2004 1114, 1115; Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch2 § 1 BGB-InfoV Rn. 10 m. w. N.). Dasselbe galt nach § 48b Abs. 2 i. V. m. Anlage Nr. 1c VVG a. F. für Versicherungsverträge. 113 BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784, 3785; BGH 12.3.2014 – IV ZR 295/13 NJW, 2014 1658, 1662; vgl. auch BGH 23.6.2009 – XI ZR 156/08, NJW 2009 3020, 3021. Unschädlich ist hingegen der fehlende Hinweis auf die Rechtsfolgen des Widerrufs nach § 9 Abs. 1 VVG, siehe BGH 27.3.2019 – IV ZR 132/18, NJW 2019 1807, 1808 m. w. N.; BGH 14.5.2014 – IV ZA 5/14, NJW-RR 2014 1447, 1448. 817

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Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

Auffassung nicht.114 Da auch hier der § 187 Abs. 1 BGB bei der Fristermittlung zu beachten ist, kann die Widerrufsfrist frühestens am Tag nach Erhalt der Belehrung beginnen,115 sodass auch eine Formulierung des Beginns der Widerrufsfrist „ab heute“ zu einem irreparablen Makel der Widerrufsbelehrung führt. Des Weiteren wird dem Widerrufsempfänger durch eine solche Abfassung nicht hinreichend deutlich gemacht, dass sein Widerrufsrecht weit über 14 Tage nach Erhalt der Belehrung bestehen kann,116 womit auch eine formularmäßige Vorgabe, wonach der Widerruf (nur) „innerhalb von 14 Tagen“ erklärt werden könne, ohne dass auf die Möglichkeit eines abweichenden Fristbeginns hingewiesen wird, die Unwirksamkeit der Widerrufsbelehrung zur Folge hat.117 Im Ergebnis ist der VN (wie auch der Verbraucher bei anderen Widerrufsrechten) über den 65 korrekten Fristbeginn (Tag nach der Belehrung oder Tag nach dem Erhalt der fristauslösenden Unterlagen) zu belehren. Ein konkretes Datum muss (und kann häufig auch gar) nicht genannt werden, der VN muss aber das Ereignis identifizieren können, das den Fristbeginn auslöst wie etwa „nach Erhalt dieser Unterlagen“ oder „nach Zugang der Widerrufsbelehrung, der Vertragsbestimmungen, der sonstigen Informationen und des Versicherungsscheins“118 zum einen und der Abgabe seiner Vertragserklärung zum anderen, ohne die es keinen Widerrufsgegenstand gibt. Der Beginn der Widerrufsfrist hängt mithin davon ab, dass dem VN alle Unterlagen i. S. d. 66 § 8 Abs. 2 zugegangen sind.119 Hinsichtlich des Fristbeginns unterscheidet der Gesetzgeber nicht zwischen den beiden möglichen Konstellationen des Vertragsabschlusses, wonach – je nach Versicherungstyp häufiger – entweder der VR dem VN oder umgekehrt der VN dem VR ein bindendes Angebot auf Abschluss eines Versicherungsvertrages macht.

67 (1) Angebot des VR. Wenn der VN auf Nachfrage vom VR ein bindendes Angebot nebst allen in Absatz 2 genannten Unterlagen erhält, kommt der Versicherungsvertrag nach § 151 Satz 1 BGB bereits mit dessen Annahme zustande, ohne dass diese dem VR als Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat. Das ist regelmäßig bei dem Abschluss von Versicherungsverträgen nicht der Fall, so dass zumeist davon auszugehen ist, dass der Vertrag erst mit dem Zugang der Annahmeerklärung des VN beim VR zustande kommt. In diesem Fall hat der VN hinzunehmen, dass er bei der Abgabe seiner Vertragserklärung nicht genau bestimmen kann, wann der Vertrag zustande kommt, wenn er etwa seine Annahmeerklärung auf dem Postweg versendet. Die Widerrufsfrist aber beginnt bereits mit Abgabe seiner Vertragserklärung und nicht erst dann, wenn die Annahmeerklärung dem VR zugeht. Nach anderer Ansicht wird die Widerrufsfrist in einem solchen Fall frühestens in Gang gesetzt, wenn die Annahmeerklärung des VN beim VR zugeht.120 Dies ist aber nicht zwingend, weil nach dem Gesetzeswortlaut für den Beginn der Widerrufsfrist der Zugang der in Absatz 2 genannten Unterlagen ausreicht, aber selbstverständlich nicht vor Abgabe einer Vertragserklärung des VN.121 Auf den Vertrags114 LG Halle 13.5.2005 – 1 S 28/05, NJOZ 2006 1951, 1954; MüKoBGB/Masuch5 § 355 Rn. 56; Erman/Saenger11 § 355 Rn. 12; Masuch BB 2005 344 ff.; ders. NJW 2002 2931 f.; Ott FLF 2006 38 ff.

115 BGH 27.4.1997 – VIII ZR 223/93, BGHZ 126 56 = NJW 1994 1800 z. AbzG a. F.; LG Halle 13.5.2005 – 1 S 28/05 NJOZ 2006 1951, 1954; vgl. Schwintowski VuR 2019 330. 116 Siehe MüKoBGB/Masuch5 § 355 Rn. 56; Masuch NJW 2002 2931, 2932; s. a. LG Halle 13.5.2005 – 1 S 28/05, NJOZ 2006 1951, 1954. 117 Vgl. hierzu BGH 25.4.1996 – X ZR 139/94, NJW 1996 1964 z. AbzG a. F. 118 Zutreffend Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 43 unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum alten AbzG. 119 S. zur Beweislast nach § 8 Abs. 2 Satz 2 unten Rn. 64. 120 So Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 31; Gaul VersR 2007 21, 25. 121 Damit ist entgegen der Auffassung von Gaul VersR 2007 21, 25 f. (ihm folgend Schwintowski/Brömmelmeyer/ Ebers § 8 Rn. 44) für den VN nicht unklar, wann die Widerrufsfrist beginnt. Knops

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schluss durch Zugang der Annahmeerklärung des VN kommt es daher nicht an, da der VN es zudem selbst in der Hand hat, wann der Vertrag in einem solchen Fall zustande kommt. Eine zeitliche Erweiterung des Widerrufsrechts mittels eines sog. „Sicherheitszuschlages“122 für die Zeit der Abgabe der Willenserklärung bis zu deren Zugang beim VR ist daher rechtlich nicht notwendig, aber aus Gründen der Fairness zu empfehlen. Gegenstand des Widerrufs ist die Willenserklärung des VN, die auf den bindenden Ab- 68 schluss eines Versicherungsvertrages gerichtet ist (s. Rn. 7 und nachfolgend Rn. 35 ff). Nichts anderes gilt, wenn der VR auf eine ausdrückliche Annahmeerklärung (formularmäßig) verzichtet. Auch dann beginnt die Widerrufsfrist mit der Annahme des Vertragsangebots durch den VN. Die exakte Bestimmung des Zeitpunktes, in dem die Widerrufsfrist beginnt, ist für den VN ohne Weiteres möglich (Abgabe seiner Vertragserklärung), für den VR aber u. U. nur schwer zu ermitteln und zu beweisen.123

(2) Angebot des VN. Anders liegt es, wenn der VN gegenüber dem VR ein Angebot auf Ab- 69 schluss eines Versicherungsvertrages abgibt, das der VR annimmt. Erst danach wird dem VN regelmäßig der entsprechende Versicherungsschein zugesandt, woraus der VN erkennen kann, dass der Vertrag geschlossen wurde. Vertragsschluss und Zugang des Versicherungsscheins fallen dann – wie oft – zusammen.124 Liegen die anderen in § 8 Abs. 2 genannten Unterlagen dem VN bereits vor, beginnt die Widerrufsfrist nicht bereits mit der Vertragserklärung des VN, der Annahme des Angebots durch den VR,125 sondern erst mit dem Zugang des Versicherungsscheins oder der sonstigen Unterlagen nach Absatz 2 beim VN. Sofern die Annahmeerklärung des VR die spätere der beiden Vertragserklärungen ist, läuft die Widerrufsfrist also erst ab dem Moment, in dem der VN die Annahmeerklärung des VR erhält. Nicht ausgeschlossen ist es, dass der VN vom VR bereits vor Vertragsschluss alle in Absatz 2 70 genannten Informationen nebst Widerrufsbelehrung und Versicherungsschein erhält.126 Der Versicherungsschein ist für den Abschluss des Versicherungsvertrages nicht konstitutiv, wie auch seine Geltung an den Eintritt einer Bedingung geknüpft und relativ allgemein gehalten werden kann (s. § 3 Rn. 1 ff.). Unterbreitet der VN daraufhin dem VR – zumeist mittels dessen Formular – einen Antrag zum Abschluss eines Versicherungsvertragsverhältnisses, beginnt die Widerrufsfrist mit Abgabe der Willenserklärung, d. h. mit der Überreichung, Übersendung oder sonstigen Hingabe des Angebots an den VR und der Annahme dieses Angebots durch den VR. Andernfalls kommt kein Vertrag zwischen den Parteien zustande, von dem der VN mittels Widerruf Abstand nehmen könnte. Würde man dagegen streng am Wortlaut der Norm orientiert für den Beginn der Widerrufsfrist bereits auf den Zeitpunkt abstellen, in dem dem VN die dort genannten Unterlagen zugegangen sind, könnte der VR die Annahme des Angebots um die Widerrufsfrist von 14 Tagen bzw. 30 Tagen bei Lebensversicherungsverträgen verzögern, den Vertrag erst dann annehmen, womit dem VN zwar ein Widerruf seines Angebots zustehen würde, er aber nicht den Vertrag als solchen mittels des Widerrufs beseitigen könnte. Dafür streitet zwar, dass das Gesetz lediglich davon spricht, dass der VN seine Vertragserklärung widerrufen kann, nicht aber davon, dass sich der VN des Vertrages mittels Widerrufsausübung entledigen kann. Allerdings hebt der Gesetzgeber zum Schutz des VN abweichend von § 48c Abs. 2 a. F. für den Fristbeginn gerade nicht auf den Abschluss des Vertrages ab, da dieser Zeitpunkt für den VN häufig unklar

122 Dafür Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 44; Gaul VersR 2007 21, 25 f.; Schimikowski VW 2007 715, 716.

123 Siehe zur Beweislast noch unten Rn. 125 ff. 124 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 34. 125 So aber Grote/Schneider BB 2007 2694; Diller Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte: AVB-RSW, 2. Aufl. 2017, Einl. Rn. 74.

126 So auch Marlow/Spuhl S. 32. 819

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sein kann.127 Vielmehr kam es ihm entscheidend darauf an, dass die Widerrufsfrist nicht bereits mit Abschluss des Vertrages, sondern erst dann zu laufen beginnt, wenn dem VN sämtliche vorgesehenen Informationen und die Widerrufsbelehrung zugegangen sind. Mit dieser Gesetzesausgestaltung hat er sich ausdrücklich an die allgemeine Regelung des Widerrufsrechts in § 355 Abs. 2 BGB angelehnt.128 Zwar wird auch dort der Zeitpunkt der Belehrung nicht bestimmt. Doch gilt für § 355 Abs. 2 BGB, dass nach dem Zweck der Vorschrift, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers zu sichern, die Belehrung grundsätzlich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erfolgen muss und nicht vorher erfolgen darf.129 Diese Überlegungen sind auf § 8 Abs. 2 entsprechend übertragbar, wenn auch angenommen werden kann, dass dem Gesetzgeber diese Unklarheit für den parallelen Fall des § 355 BGB bewusst war, er aber trotzdem keine Klarstellung angebracht hat. Das Widerrufsrecht soll die Entscheidungsfreiheit des Erklärenden nicht nur im Hinblick auf seinen eigenen Antrag schützen, weil dann noch völlig offen sein kann, ob überhaupt ein Vertrag zustande kommt. Erst wenn er Gewissheit über das Zustandekommen des Vertrages hat, können auf Seiten des VN die Gründe greifen, die den nationalen Gesetzgeber wie europäischen Richtliniengeber zur Installation des Widerrufsrechts veranlasst haben. Die Widerrufsfrist beginnt daher erst mit dem Abschluss bzw. dem Wirksamwerden des Versicherungsvertrages.130 Teilweise sehen die Formulare der Versicherungswirtschaft vor, dass der antragende VN 71 auf die Erklärung der Annahme des Vertrages durch den VR verzichtet.131 Dann beginnt die Widerrufsfrist mit der Annahme des Angebots des VN durch den VR, also frühestens zu dem Zeitpunkt, in welchem dem VR der Antrag des VN zugeht. Problematisch ist daran, dass der VN nicht genau bestimmen kann, wann genau der VR das Angebot angenommen hat, der Vertrag zustande gekommen ist und demzufolge die Widerrufsfrist beginnt und endet. Die vom VR vorgegebene Klausel, nach dem der Versicherte auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet, führt somit zur Unklarheit und Intransparenz über Beginn und Ende des Widerrufsrechts und benachteiligt den Kunden unangemessen i. S. d. § 307 Abs. 1 BGB.

72 ee) Zeitpunkt der Belehrung. Der VR muss den VN rechtzeitig über das ihm zustehende Widerrufsrecht belehren. In Rede steht damit zunächst der Zeitraum oder Zeitpunkt, in dem dies zu erfolgen hat. Zudem ist zu klären, ob der VR berechtigt ist, eine unterlassene oder fehlerhafte Widerrufsbelehrung nachzuholen.

73 (1) Erteilung der Belehrung. Nach bislang wohl h. M. zu § 355 BGB ist eine verfrühte Widerrufsbelehrung unwirksam und nicht geeignet, die Widerrufsfrist in Gang zu setzen.132 Vielmehr müsse die Widerrufsbelehrung zumindest zeitgleich mit der Vertragserklärung des Widerrufsempfängers erfolgen oder dann, wenn er seine Vertragserklärung bereits abgegeben hat. § 8 Abs. 2 spricht hingegen nur davon, dass die Widerrufsfrist zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem 127 128 129 130

BTDrucks. 16/3945 S. 61. BTDrucks. 16/3945 S. 62. Eingehend BGH 4.7.2002 – I ZR 55/00, BKR 2002 872; zust. KompaktKomm/Rott § 355 Rn. 6. Für § 355 BGB ebenso: OLG Karlsruhe 9.5.2006 – 8 U 12/06, ZGS 2006 399, 399; Palandt/Grüneberg § 355 Rn. 10; Reich EuZW 1997 581, 585. 131 Im Hinblick auf § 151 BGB, wonach der Vertrag bereits durch die Annahme des Antrags zustande kommt, ohne dass die Annahme dem VN gegenüber erklärt zu werden braucht, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat, wird man nicht davon ausgehen dürfen, dass die Übersendung einer Annahmeerklärung der Verkehrssitte entspricht, wenn der VR dem VN bereits alle für den Vertragsschluss notwendigen Informationen inklusive Widerrufsbelehrung und Versicherungsschein übersandt hat. 132 BGH 4.7.2002 – I ZR 55/00, NJW 2002 3396, 3398; MüKoBGB/Masuch5 § 355 Rn. 53; NK-BGB/Ring § 355 Rn. 37, 53; Erman/Saenger11 § 355 Rn. 9; Fischer LMK 2003 20 f.; Reich EuZW 1997 581, 585; in diesem Sinne wohl auch OLG Hamburg 24.8.2006 – 3 U 103/06, NJW-RR 2007 839. Knops

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dem VN die dort bezeichneten Unterlagen in Textform zugegangen sind. Auch § 355 BGB nennt keinen Zeitpunkt für die Erteilung der Widerrufsbelehrung. Beide Normen gehen aber offensichtlich davon aus, dass über das Widerrufsrecht schon belehrt werden kann, ohne dass es bereits zur Abgabe der Vertragserklärung des Belehrungsempfängers gekommen sein muss. Für eine vorherige Belehrungsmöglichkeit spricht vor allem die Zusammenschau von § 355 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Wenn die Belehrung nach Vertragsschluss erfolgt, verlängert sich die regelmäßige Widerrufsfrist von 14 Tagen auf einen Monat. Mithin ist die Belehrung nach Vertragsschluss die Ausnahme, die Belehrung vor Vertragsschluss die Regel. Wenn aber die Belehrung vor Vertragsschluss der gesetzlichen Vorstellung entspricht, kann diese gar nicht anders als vor Abgabe der Vertragserklärung des zu Belehrenden erfolgen, damit der Unternehmer die Verlängerung der Widerrufsfrist auf einen Monat vermeidet. Auch der VR müsste den VN regelmäßig erst nach Abgabe seiner Vertragserklärung belehren, weil er mit der Unterbreitung eines bindenden Angebots unter Beifügung der Widerrufsbelehrung Gefahr liefe, diesen nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt zu haben.133 Bindende Vertragsangebote unter Beifügung aller notwendigen Unterlagen würden somit unnötigerweise erschwert, was weder Sinn noch Aufgabe der Neuregelung ist. Vielmehr wollte der Gesetzgeber nur sicherstellen, dass die Widerrufsfrist nicht vor Vertragsschluss beginnt, um eine unangemessene Benachteiligung des VN zu vermeiden. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass bei vorheriger Belehrung die Widerrufsbelehrung nicht wirkungslos bleibt, nur die Widerrufsfrist erst mit dem Vertragsschluss zu laufen beginnt.134 Dafür spricht schließlich, dass in § 8 Abs. 2 wie auch nach § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB die Frist nicht zu laufen beginnt, wenn dem Belehrungsgläubiger nicht bestimmte Unterlagen zur Verfügung gestellt wurden. Mithin bleibt die vorherige Übersendung auch der Widerrufsbelehrung zulässig, was einer verbreiteten Vertragspraxis entspricht.

(2) Möglichkeit der Nachbelehrung. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Widerrufsbeleh- 74 rung oder an einer solchen überhaupt, ist fraglich, ob der VR zur Nachbelehrung hinsichtlich des Widerrufsrechts und Nachlieferung des Versicherungsscheins, der Vertragsbestimmungen, der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 befugt ist, um den Lauf der Widerrufsfrist in Gang zu setzen. Anders als in § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB ist in den §§ 8 und 9 eine nachträgliche Belehrung nicht genannt. Doch muss es dem VR wie jedem anderen belehrungspflichtigen Vertragspartner gestattet sein, auch nach Vertragsschluss seiner Belehrungs- und Informationspflicht nachzukommen, wenn dadurch keine unangemessene Benachteiligung des VN im Hinblick auf den bereits in Vollzug gesetzten Vertrag eintritt. Insbesondere gegen eine Nachbelehrung sprechen keine durchgreifenden Gründe, kann der VN doch bis dahin den Vertrag frei widerrufen, sich also bis zum Ablauf der Nachbelehrungsfrist entscheiden, ob er an dem wirksamen, aber eben widerruflichen Kontrakt festhält oder nicht. Der Anbieter ist zwar sowohl europarechtlich als auch nach nationalem Recht verpflichtet, den anderen Teil vor, spätestens bei Vertragsschluss, ordnungsgemäß zu belehren, um ihm die Möglichkeit zu geben, seinen Entschluss nochmals zu überdenken. In aller Regel ist der Vertrag während des Laufs der Widerrufsfrist bereits in Kraft, sodass es für die Entschließungsfreiheit des Widerrufsadressaten bis auf die Rückabwicklungsfolgen keine Rolle spielt, ob er den Vertrag bei ordnungsgemäßer Belehrung in der Anfangsphase des Vertrages widerrufen kann oder bei Nachbelehrung während der Vertragslaufzeit oder sogar nach dem Ende des Kontraktes. Die Widerrufsmöglichkeit behält also ihren Sinn insbesondere dadurch, dass die Frist zur Ausübung des Widerrufs gerade nicht abläuft, solange dem VN nicht die in § 8 Abs. 2 genannten Unterlagen in Textform zugegangen sind. Mithin kann der VR dem VN nicht nur nachträglich über das

133 Zur Frage der Übersendung des Versicherungsscheins siehe unten Rn. 41. 134 Für § 355 BGB im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe – 8 U 12/06 9.5.2006, ZGS 2006 399, 400; MüKoBGB/Ulmer4 § 355 Rn. 41; BeckOK BGB/Müller-Christmann 51. Ed. 1.5.2019 § 355 Rn. 27. 821

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Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

ihm zustehende Widerrufsrecht belehren, sondern ihm auch die in Absatz 2 Nr. 1 genannten Unterlagen zukommen lassen. Zulässig ist es, wenn dem VN die Unterlagen gemäß Absatz 2 sukzessive zugehen. Es ist kein zureichender Grund erkennbar, wieso der VR dem VN nicht zeitlich früher die Widerrufsbelehrung und dann erst die AVB übersenden darf. Die Widerrufsfrist beginnt erst, wenn dem VN alle Unterlagen zugegangen sind, was aus Gründen der Transparenz klargestellt werden sollte. Den VR für verpflichtet zu halten, den VN erneut über sein Widerrufsrecht zu belehren, wenn die AVB nach Vertragsschluss übersandt werden,135 ergibt wenigstens dann keinen Sinn. Vielmehr kann sogar die sukzessive Zurverfügungstellung der Unterlagen zu einer erhöhten Aufmerksamkeit des VN führen, der mit den kumulativ übersandten Unterlagen die darin enthaltenen Informationen nicht selten nur flüchtig oder gar nicht zur Kenntnis nimmt. Fraglich bleibt allerdings in diesem Zusammenhang, ob es auch zulässig ist, dem VN die Unterlagen nach § 8 Abs. 2 sukzessive, u. U. mit einem oder mehreren großen zeitlichen Abständen, zu übermitteln. Der VN kann dann unter Umständen nicht mehr genau erkennen, wann die Widerrufsfrist beginnt, wenn er zwar nach langer Zeit eine Nachbelehrung über sein Widerrufsrecht erhält, aber sich nicht mehr erinnern kann, ob er auch die Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 erhalten hat. Ohne Zustellung wird auch der VR dies nicht immer belegen können, so dass die Unsicherheit über den Beginn der Widerrufsfrist auf beiden Seiten besteht, so dass sich empfiehlt, mit der Nachbelehrung die gesamten, nach Absatz 2 erforderlichen Informationen zu erteilen.

75 ff) Textform, Zugang und Sprache. Die Vertragsunterlagen nebst Widerrufsbelehrung sind in deutscher Sprache zu erteilen – wenn die Vertragsverhandlungen ausschließlich in einer anderen Sprache geführt worden sind, auch in dieser Sprache.136 Sie müssen dem VN in Textform gemäß § 126b BGB zugehen. Eine Bereithaltung der Dokumente auf einer Homepage137 oder einem File-Server reicht nicht aus. Ein Zugang ist erst zu bejahen, wenn der VN diese Unterlagen störungsfrei herunterlädt oder ausdruckt. Beides kann der VR in aller Regel nicht beweisen, weswegen diese Art der Zurverfügungstellung mit erheblichen Risiken verbunden ist und der VR die Last der Informationsmanifestation auf den VN überträgt. Nichts Anderes gilt auch für die Übersendung per E-Mail oder Telefax. In beiden Fällen wird durch das ordnungsgemäße Absendeprotokoll ein Zugang zwar wahrscheinlich, aber nicht bewiesen. Will der VR sichergehen, dass er die ordnungsgemäße Belehrung im Streitfall beweisen kann, muss er sich den Zugang vom VN bestätigen lassen. (Weiteres zur Beweislast unter Rn. 64 ff.) 76 Zudem müssen die Unterlagen, insbesondere die Widerrufsbelehrung dem VN wenigstens für die Dauer der Widerrufsfrist verbleiben,138 weil er sonst nicht einmal nachlesen kann, an wen der Widerruf zu richten ist, wann die Frist beginnt und abläuft etc. Werden die Unterlagen dem VN daher nur temporär zur Verfügung gestellt, etwa wenn der VR die Widerrufsbelehrung unmittelbar nach Unterzeichnung wieder an sich nimmt, wird die Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt.139c) Erneute Belehrung nach § 7a Abs. 5 Wird eine Restschuldversicherung als Nebenprodukt oder als Teil eines Pakets oder dersel77 ben Vereinbarung angeboten, ist der VN gemäß § 7a Abs. 5 S. 1 eine Woche nach Abgabe seiner Vertragserklärung für das Versicherungsprodukt erneut in Textform über sein Widerrufsrecht zu 135 So AG Münster 25.5.1999 – 52 C 598/99, RuS 2000 1 f. zu § 5a VVG 1994 a. F. und Schwintowski/Brömmelmeyer/ Ebers § 8 Rn. 33. 136 So für die Widerrufsbelehrung Römer/Langheid2 § 8 Rn. 62 m. w. N.; vgl. auch LG Köln 8.3.2002 – 32 S 66/01, NJW-RR 2002 1491 zum HWiG. Zum Sprachrisiko bei der Belehrung Mankowski VuR 2001 359. 137 Siehe OLG Hamburg 24.8.2006 – 3 U 103/16, NJW-RR 2007 839, 840; KG Berlin 18.7.2006 – 5 W 156/06, NJW 2006 3215, 3217. 138 Siehe BGHZ 137, 115, 119; BGH 5.11.1997 – VIII ZR 351/96, NJW 1998 540. 139 Zutreffend Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 29 unter Hinweis auf OLG Koblenz 5.9.2002 – 5 U 1886/ 01, WM 2002 2460 zum VerbrKrG. Knops

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B. Kommentierung

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belehren (§ 7a Rn. 17 ff.). Mit dieser Belehrung ist ihm gemäß Abs. 5 S. 2 der Norm zudem das Produktinformationsblatt zur Verfügung zu stellen. Die Widerrufsfrist des § 8 Abs. 2 beginnt nicht vor Zugang dieser Unterlagen.

3. Fortbestand des Widerrufsrechts Bei nicht erfolgter oder nicht ordnungsgemäßer Belehrung des VN über das ihm zustehende 78 Widerrufsrecht, der nicht erfolgten Zurverfügungstellung der AVB, des Versicherungsscheines oder der Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen. Eine dem § 356 Abs. 3 S. 2 BGB entsprechende Regelung fehlt im VVG.140 Die nicht ordnungsgemäße Belehrung steht der unterbliebenen Belehrung gleich,141 79 wenn der VN dadurch nicht sicher erkennen kann, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen er seine Vertragserklärung widerrufen kann. Ein VN, der nicht ordnungsgemäß über das ihm zustehende Widerrufsrecht informiert wurde, kann auch ein etwaig bestehendes Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerspruch nicht sachgerecht ausüben, so dass eine vom VN zwischenzeitlich ausgesprochene Kündigung einem späteren Widerspruch nicht entgegensteht.142

4. Ende der Widerrufsfrist Mit dem Ende der Widerrufsfrist wird der bis dahin schwebend wirksame143 Vertrag endgültig 80 wirksam. Das Widerrufsrecht besteht nicht mehr. Die Dispositionen der Vertragspartner sind endgültig.

III. Ausschluss und Erlöschen des Widerrufsrechts (Abs. 3) 1. Ausschluss (Abs. 3 S. 1) Nach Absatz 3 wird das Widerrufsrecht in bestimmten Fällen entweder von Anfang an oder bei 81 Eintritt bestimmter Voraussetzungen ausgeschlossen, die im Wesentlichen auf den Vorgaben der RL 2002/65/EG vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen beruhen.

a) Versicherungsverträge mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat (Abs. 3 S. 1 82 Nr. 1). Wie in § 48c Abs. 4 a. F. steht dem VN kein Widerrufsrecht zu, wenn die Laufzeit der Versicherung weniger als einen Monat beträgt (Abs. 3 Satz 1 Nr. 1). In der Vorgängernorm war der Ausschluss des Widerrufsrechts allerdings auf Fernabsatzverträge mit derart kurzer Dauer beschränkt, wie dort ausdrücklich bestimmt wurde, dass die Parteien auch Abweichendes vereinbaren können. Letztgenannte Möglichkeit steht den Parteien auch unter neuem Recht zur Verfügung, wie ohnehin die Regelungen des § 8 insgesamt oder teilweise zugunsten des VN durch die Vertragsparteien abgeändert werden können. 140 Armbrüster NJW 2019 1807. 141 BGH 10.5.1995, BGHZ 129 371, 374; Langheid/Rixecker § 8 Rn. 5. 142 Vgl. BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11 Rn. 36, BGHZ 201 101–121 = VersR 2014 817 zu einem Altfall unter Geltung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. in der Fassung vom 21.7.1994.

143 Vgl. zu dieser Einordnung RegE zu § 361 BGB a. F. BTDrucks. 14/2658 S. 41, 47; Erman/Koch § 355 Rn. 4. Zum Teil wird diese Charakterisierung als überflüssig abgelehnt (etwa Palandt/Grüneberg § 355 Rn. 2) sie erscheint aber treffend, weil der Vertrag bis zum Ablauf der Widerrufsfrist nicht endgültig, sondern eben nur vorläufig wirksam ist, weswegen der VN zur Verweigerung der Gegenleistung berechtigt ist (s. o. Rn. 4 m. w. N.). 823

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§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

Zugeschnitten ist die Regelung vor allem auf Reise- und Gepäckversicherungen und ähnliche kurzfristige Versicherungen, wie sich aus der Ausnahmeregelung in Art. 6 Abs. 2 lit b) der RL 2002/65/EG ergibt. Dass damit nicht alle, sondern nur der Struktur nach den Reise- und Gepäckversicherungen ähnliche Verträge gemeint sind, ist nicht nur in Deutschland,144 sondern europaweit umstritten.145 Es ist davon auszugehen, dass die explizit genannten Versicherungstypen nicht lediglich beispielhaft genannt sind, sondern Vorstellungen für die Art von Versicherungen darstellen, die vom Anwendungsbereich mit umfasst sein sollen. Dementsprechend würden auch Versicherungsverträge vom Anwendungsbereich umfasst sein, die hinsichtlich der, durch die typischen Laufzeiten bedingten Risiken und Prämien, den genannten Beispielen ähneln. 84 Die Anknüpfung des Widerrufsausschlusses an die Laufzeit darf jedenfalls nicht dazu führen, dass durch eine praktische Umgestaltung von Verträgen das Widerrufsrecht systematisch ausgeschlossen wird. So sind auch andersartige Versicherungen wie etwa Kfz-Policen denkbar, die an sich länger laufen, aber zeitlich auf unter einen Monat begrenzt werden und sich dann automatisch verlängern. Solche Vertragskonstruktionen stellen eine Umgehung dar, wenn dafür kein triftiger Grund vorhanden ist. Liegt ein solcher nicht vor, steht dem VN gleichwohl ein Widerrufsrecht zu, und zwar dann regelmäßig mangels Belehrung zeitlich unbegrenzt. 83

85 b) Versicherungsverträge über vorläufige Deckung (Abs. 3 S. 1 Nr. 2). Ein Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen über vorläufige Deckung würde dem Sinn und Zweck des vorläufigen Deckungsschutzes widersprechen.146 Das ist zutreffend, insbesondere deshalb, weil dem VN die Möglichkeit verbleibt, den Hauptvertrag nach § 8 zu widerrufen oder diesem nach § 5 Abs. 1 und 2 zu widersprechen, womit spätestens mit dem Zugang des Widerrufs oder des Widerspruchs beim VR der Vertrag über vorläufige Deckung endet, (vgl. § 52 Abs. 3). Unberührt von dem Widerrufsausschluss bleiben solche Verträge, die im Fernabsatz im Sinne des § 312c BGB geschlossen werden, da Verträge über vorläufige Deckung in Art. 6 Abs. 2 der RL 2002/65/EG nicht genannt sind.

86 c) Versicherungsverträge bei Pensionskassen (Abs. 3 S. 1 Nr. 3). Wie in den §§ 5a Abs. 1 Satz 2, 8 Abs. 5 Satz 5 a. F. werden Verträge mit Pensionskassen, die auf arbeitsvertraglichen Regelungen beruhen, von der Widerrufsmöglichkeit ausgenommen. Die Begründung liegt darin, dass insoweit wegen der arbeitsvertraglichen Vorgaben kein Recht auf freie Wahl des VR bestehen soll.147 Auch hier sind auf Grund der Vorgabe durch die RL 2002/65/EG die im Fernabsatz geschlossenen Verträge wie nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ausgenommen.

87 d) Versicherungsverträge über ein Großrisiko (Abs. 3 S. 1 Nr. 4). Für Verträge über Großrisiken, die in § 210 Abs. 2 legal definiert sind, besteht in Übereinstimmung mit den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen148 kein Widerrufsrecht.

88 e) Sonstige Gründe. Ein Ausschluss des versicherungsrechtlichen Widerrufs durch andere als die im VVG genannten Tatbestände, etwa durch das (gleichzeitige) Bestehen eines Widerrufs144 Dafür Schneider VersR 2006 694, 696 ff.; Rott BB 2005 53, 62; dagegen Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 55. 145 Wie auf einer Sitzung der Mitgliedstaaten anlässlich der Vorstellung zweier wissenschaftlichen Studien zur RL 2002/65/EG Anfang 2008 in Brüssel offenbar wurde. 146 BTDrucks. 16/3945 S. 62. 147 Vgl. BTDrucks. 12/7595 S. 11; zust. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 8 Rn. 58. 148 So BTDrucks. 16/3945 S. 62. Knops

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B. Kommentierung

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rechts nach den §§ 312b, 355 ff. BGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ist nicht möglich. Nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur können sich Widerrufsrechte zwar zeitlich und inhaltlich überlappen, aber nicht gegenseitig ausschließen. Ebenso wenig werden die Rechte wie Kündigung, die Auflösung oder die Unwirksamkeit eines Versicherungsvertrags durch andere Vorschriften oder das eventuell eingeräumte Recht zur vorzeitigen Erfüllung, durch das Widerrufsrecht aufgehoben.149

f) Informationspflicht bei Nichtbestehen eines Widerrufsrechts. Über das Nichtbestehen 89 des Widerrufsrechts – gleich aus welchem Grund – ist der VN nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 1 Nr. 13 VVG-InfoV zu unterrichten,150 damit er sich nicht in Sicherheit wiegt, seine Vertragserklärung wie im Regelfall fristgemäß widerrufen zu können. Richtiger Zeitpunkt ist hierbei die Zeit rechtzeitig vor Vertragsschluss. Insgesamt kann von einem durchschnittlichen VN, gleich ob Verbraucher oder Unternehmer, nicht erwartet werden, dass er die Bereichsausnahmen des § 8 Abs. 3 kennt und hinreichend durchschaut. Dies kommt auch in dem Erwägungsgrund Nr. 24 der RL 2002/65/EG zum Ausdruck, wonach der Anbieter den Verbraucher davon unterrichten sollte, wenn durch sein Verlangen der vollständigen Vertragserfüllung das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist (dazu Rn. 90 f.). 2. Erlöschen bei vollständiger Erfüllung (Abs. 3 S. 2) Der Widerrufsausschluss in Abs. 3 S. 2 betreffend Versicherungsverträge, die von beiden Ver- 90 tragsparteien auf ausdrücklichen Wunsch des VN vollständig erfüllt sind, bevor der VN sein Widerrufsrecht ausgeübt hat, geht zurück auf Art. 6 Abs. 2 lit c. der Richtlinie 2002/65/EG und entspricht inhaltlich der Regelung des § 356 Abs. 4 S. 3 BGB für Verträge über die Erbringung von Finanzdienstleistungen im Fernabsatz, die wiederum in sprachlicher Hinsicht § 312d Abs. 3 BGB a. F. gleichkommt.151

a) Ordnungsgemäße Belehrung. Neben der unionsrechtlichen Begründung und Veranke- 91 rung wird der Sinn und Zweck der Regelung vom BGH auf den Gedanken der Rechtssicherheit sowie die Überlegung gestützt, dass für einen Widerruf bei vollständiger Vertragserfüllung kein Anlass mehr besteht, weil das Schuldverhältnis durch einen „lückenlosen“ Leistungsaustausch zwischen den Parteien abgewickelt worden ist; das zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung des auf eine vollständige Vertragserfüllung gerichteten „ausdrücklichen Wunsch“ des VN zum Erlöschen des Widerrufsrechts erkläre sich vielmehr erst bei einem Verständnis der Bestimmung als Ausdruck des Verbots des venire contra factum proprium.152 Daher setze die Annahme eines auf die vollständige Vertragserfüllung gerichteten „ausdrücklichen Wunsches“ des VN voraus, dass dieser vor Erklärung des Wunsches entweder über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist oder der VR aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, dass der VN das Widerrufsrecht gekannt hat.153 Ansonsten setze der VN mit seiner Erklärung keinen rechtlich relevanten Vertrauenstatbestand.154 Diese Rechtsprechung des

149 150 151 152 153

Zum umgekehrten Fall siehe OLG Karlsruhe 19.2.2013 – 12 U 151/12, RuS 2013 483. Siehe auch Derleder/Knops/Bamberger/Kothe § 10 Rn. 33 m. w. N. BeckOGK/Mörsdorf 1.8.2019, BGB § 356 Rn. 55. BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784 Rn. 16; Harsdorf-Gebhardt RuS 2018 625, 638. So schon LG Offenburg – 3 O 410/09, VersR 2012 1417, 1418; Prölls/Martin/Armbrüster Rn. 60; Looschelders/ Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 23; a. A. hingegen Reusch VersR 2013 1364, 1367. 154 BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784 Rn. 17. 825

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Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

IV. Zivilsenates wurde mittlerweile durch den I. Zivilsenates für § 312d Abs. 3 BGB a. F. bestätigt.155 92 Ist keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erfolgt, fragt sich aus wessen Sicht zu beurteilen ist, ob der VR aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, dass der VN das Widerrufsrecht gekannt hat. Nach Ansicht des BGH soll dies nach Maßstab eines „objektive Erklärungsempfänger“ beurteilt werden;156 maßgeblich würden somit die Vorstellung eines Dritten.157 Davon aber ist in den Erwägungen und damit in der Begründung der Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65/EG, die der deutsche Gesetzgeber und das erkennende Gericht als Grund für die Einschränkung des Widerrufsrechts sieht, nichts zu finden. Bemerkenswert ist vielmehr: Für den Fall, dass das Widerrufsrecht nicht (mehr) besteht, weil der Verbraucher die Erfüllung eines Vertrags ausdrücklich verlangt hat, sollte der Anbieter den Verbraucher nach Erwägungsgrund 34 auch davon unterrichten. Nichts anderes gilt für die Verbraucherrechterichtlinie. Insofern müssen für die § 356 Abs. 4 S. 1 und 3 BGB dieselben Grundsätze gelten. Den Verbraucher über den möglichen Verlust des Widerrufrechts zu informieren gehört zur Rechtspflicht des Unternehmers, wie es mittlerweile auch in der Musterinformation vorgesehen ist. Wertungsmäßig kann das VVG dahinter nicht zurückbleiben und darf danach nicht die Sicht eines Dritten für ausschlaggebend erachten, ob der Versicherungsnehmer über das ihm zustehende Widerrufsrecht irgendwie ausreichend informiert sei. Wenn der Grund des Erlöschens des Widerrufrechts in dem Verbot eines venire contra factum proprium liegt, darf es ohnehin nicht auf einen solchen Dritten, sondern nur auf die reale Person ankommen, die sich möglicherweise widersprüchlich zu ihrem eigenen früheren Verhalten verhält. Stattdessen auf einen imaginären Dritten zu verweisen erinnert sehr daran, die Basis für das Erlöschen des Widerrufrechts in Wahrheit nicht in den Grundsätzen von Treu und Glauben und dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens zu sehen, sondern tatsächlich nur auf Gründe des Verkehrsschutzes und der Rechtssicherheit stützen zu wollen, weil dann allein diejenigen Anschauungen relevant wären, die sich aus der Perspektive des Verpflichteten als einem objektiven Dritten ergäben.158 93 Selbstverständlich muss auch der VN wissen, was er tut – sei es er verlangt die vollständige Vertragserfüllung oder stimmt dem Beginn des Versicherungsschutzes vor Ende der Widerrufsfrist zu. Ihm die hierfür nötige Informationsbasis zu verschaffen ist allein Pflicht des VR. Widerruft der VV später den bereits abgewickelten und scheinbar erfüllten Vertrag, so handelt er nicht widersprüchlich, weil zuvor ein (versteckter) Dissens vorlag, der dadurch verursacht wurde, dass der VR seine Informationspflichten nach § 7 Abs. 1 S. 1 nicht erfüllt und als Folge hiervon der VN notwendigerweise Informationslücken hat.159 Zudem gilt: Wer es unterlässt oder gar unter Verletzung einer gesetzlichen Verpflichtung dafür verantwortlich ist, dass der andere Teil von seinem Recht keine hinreichende Kenntnis hat, kann sich seinerseits nicht auf Treu und Glauben berufen – und zwar weder auf ein angebliches widersprüchliches Verhalten des anderen Teils noch auf eine Verwirkung. Solche Unternehmer „verwirken“ vielmehr selbst solche Einwendungen und zwar durch ihr eigenes Fehlverhalten im Sinne eines missbräuchlichen (Vor-)Verhaltens. Trotzdem aber aus der Äußerung eines nicht oder nicht hinreichenden belehrten VN auf dessen Wunsch auf vollständige Vertragserfüllung schließen zu wollen, womit dieser sein Widerrufsrecht gänzlich verliert, ist geradezu unlogisch. Vollkommen unerträglich wird diese „Annahme“, wenn dann auch noch die „Zustimmung des Versicherungsnehmers (.) auch in AVB erklärt werden“ können soll,160 was nichts anderes bedeutet, als dass der VR die Zustim155 156 157 158

BGH 13.12.2018 – I ZR 51/17 (juris) = VersR 2019 1422. BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784 Rn. 23. Wie hier bereits zum Ganzen Knops WuB 2019 459 ff. Zu dieser gedanklich falschen Basis hinsichtlich des Erlöschens des Widerrufrechts durch Verwirkung zuletzt Knops AöR 143 (2018) 554, 578 ff. 159 Schwintowski NJW 2017 3784. 160 So wörtlich BeckOK VVG/Brand 30.6.2016 § 9 Rn. 14. Knops

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B. Kommentierung

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mung des VN zu dessen Lasten auch noch in seinen Formularen vorgeben können soll.161 Was dies alles noch mit einer Wahrung der Privatautonomie von strukturell unterlegenen Personen zu tun haben soll, ist nicht einmal mehr nachvollziehbar.

b) Ausdrücklicher Wunsch des VN. Ein ausdrücklicher Wunsch des VN an den VR auf beider- 94 seits vollständige Leistungserbringung betrifft keine Willenserklärung, sondern eine geschäftsähnliche Handlung; bei dem „Wunsch“ muss es sich mehr handeln als um eine „Zustimmung“ oder „Veranlassung“ – entscheidend ist, dass die Initiative vom VN ausgeht und es gerade nicht genügt, wenn der VN auf das Leistungsangebot des VR reagiert und eingeht.162 Ebenfalls nicht ausreichend ist es, wenn der VN lediglich Erfüllung verlangt, also wenn etwa am Anfang um Deckungsschutz nachsucht, weil dies erst den Beginn der Erfüllung der Hauptleistungspflicht des VR darstellt, oder die wechselseitige Erfüllung lediglich durch das Ablaufen des Vertragsprogramms eintritt. Vielmehr muss der VN ausdrücklich auf der Vollerfüllung im Versicherungsfall durch beide Seiten bestanden haben.163 c) Vollständige Vertragserfüllung vor Ausübung des Widerrufrechts. Allein das Leis- 95 tungsverlangen des VN kann daher nie zu einem widersprüchlichen Verhalten führen, das den Widerruf ausschließt. Erst wenn die beiderseitigen Haupt- und Nebenpflichten (§ 241 Abs. 1 und 2 BGB) aus dem Vertrag erfüllt sind, kann ein etwaig noch bestehendes Widerrufsrecht erlöschen. Die beiderseitigen Vertragspflichten müssen dazu vollständig erbracht worden sein, was in aller Regel nur für Versicherungsverträge in Betracht käme, deren Laufzeit unter 14 Tagen liegt. Versicherungsleistungen betreffen eine Dauerschuld und sind in aller Regel länger zu erbringen als die zweiwöchige Widerrufsfrist. Der VN kann die Leistung des VR nicht prüfen, wenn sie ihm nicht gewährt wird. Bei Versicherungsleistungen handelt es sich es zudem nicht um körperliche oder sonst fassbare Gegenstände zum Ausprobieren wie bei Kaufsachen im Fernabsatz, die Leistung ist aber wie die Anlage von Prämien in der Lebensversicherung messbar. Angesichts des Vorstehenden wird § 8 Abs. 3 S. 2 keine praktische Bedeutung beigemessen.164 Rechtsfolge ist, dass bei einem wirksamen Widerruf des VN sein Anspruch auf Erstattung der gezahlten Prämien nicht nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 beschränkt ist und er vielmehr nach §§ 355 Abs. 3, 357a BGB die Erstattung aller gezahlten Prämien verlangen kann.165

IV. Widerrufsfrist im elektronischen Rechtsverkehr (Abs. 4) Bis auf den notwendigerweise geänderten Verweis auf die Abweichung zu Abs. 2 Satz 1 über- 96 nimmt Absatz 4 fast wortgleich den bisherigen § 48b Abs. 6 Satz 2 a. F.166 Im elektronischen Geschäftsverkehr hat dem VR den VN zusätzlich zu den in § 8 Abs. 2 Satz 1 genannten Unterlagen, mithin weitere Informationen zur Verfügung zu stellen, ohne deren Erfüllung die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt. Grund für die zusätzlichen Informationen sind die nach der ECommerce-Richtlinie167 benannten Gefahren, die ein Vertragsschluss über Tele- und Mediendienste für den privaten wie gewerblichen Kunden mit sich bringen kann, wie der Missbrauch 161 Wie hier dagegen auch Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 23. 162 Vgl. für den parallelen § 356 Abs. 4 S. 3 MüKoBGB/Fritsche8 BGB § 356 Rn. 46. 163 BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784, 3785; LG Offenburg 25.2.2011 – 3 O 410/09, VersR 2012 1417, 1418; Garbe-Emden VersR 2013 1213, 1218; Reusch VersR 2013 1364. 164 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski Rn. 28. 165 Staudinger/Olzen/Looschelders (2018) BGB § 242 Rn. 1073. 166 BTDrucks. 16/3945 S. 62. 167 RL 2000/31/EG vom 8.6.2000. 827

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§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

personenbezogener Daten. Betroffen sind damit nicht Vertragsabschlüsse per Telefon oder Brief, sondern über (interaktive) Daten- oder Datenbankdienste oder Mediendienste (s. § 1 TMG), also etwa der klassische „Fernseheinkauf“. Im Einzelnen sind dem VN gem. § 312i Abs. 1 Satz 1 BGB 1. angemessene, wirksame und zugängliche technische Mittel zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe er Eingabefehler vor Abgabe seiner Bestellung erkennen und berichtigen kann, 2. die in Artikel 246c des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche bestimmten Informationen rechtzeitig vor Abgabe von dessen Bestellung klar und verständlich mitzuteilen, 3. den Zugang von dessen „Bestellung“ unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen und 4. die Möglichkeit zu verschaffen, die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Vertragsschluss abzurufen und in wiedergabefähiger Form zu speichern.

V. Musterwiderrufsbelehrung (Absatz 5) 97 Verwendet der VR das im Folgenden abgedruckte Muster der Anlage zum VVG in Textform, ist den Anforderungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 nach § 8 Abs. 5 Satz 1 Genüge getan. Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Fiktion. Der Gesetzgeber hat mit Einführung des § 7a und insbesondere dessen Abs. 5 keine Veranlassung gesehen, das Muster zu ändern, obwohl die für Restschuldversicherungen im Gruppenversicherungsmodell offensichtlich nicht passend ist.168 Der VR darf laut § 8 Abs. 5 Satz 2 unter Beachtung von § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 in Format und 98 Schriftgröße von dem Muster abweichen und Zusätze wie die Firma oder ein Kennzeichen des Versicherers anbringen. Nicht abweichen darf der VR hingegen vom Gebot deutlicher Gestaltung. Insoweit knüpft der Gesetzgeber an § 14 Abs. 3 BGB-InfoV an.169 Die Nichtbeachtung der Vorgaben des Musters führt nicht zwangsläufig zur Unwirksam99 keit, jedoch findet dann die gesetzliche Fiktion i. S. d. § 8 Abs. 5 auf die tatsächlich verwandte Widerrufsbelehrung keine Anwendung. Gleichwohl hat sich die zu § 8 Abs. 5 i. d. F. bis zum 10. Juni 2010 bestehende Frage, wie es sich auswirkt, wenn in der Musterwiderrufsbelehrung Fehler enthalten sind und die dies der VR weiß oder wissen muss, damit im Wesentlichen erübrigt.170 Widerrufsbelehrung

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Widerrufsrecht Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von [14] [1] Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt, nachdem Sie den Versicherungsschein, die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 des Versicherungsvertragsgesetzes in Verbindung mit den §§ 1 bis 4 der VVG-Informationspflichtenverordnung und diese Belehrung jeweils in Textform erhalten haben [2]. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an: [3] Widerrufsfolgen Im Falle eines wirksamen Widerrufs endet der Versicherungsschutz, und wir erstatten Ihnen den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämien, wenn Sie zugestimmt haben, dass der Versicherungsschutz vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnt. Den Teil der Prämie, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt, dürfen wir in diesem Fall einbehalten; dabei handelt es sich um [einen Betrag in Höhe

168 Siehe im Einzelnen Schmitz-Elvenich/Krokhina VersR 2018 129, 131 ff. 169 BTDrucks. 16/11643, S. 146; BGH 14.5.2014 – IV ZA 5/14, NJW-RR 2014 1447, 1448; siehe auch Garbe-Emden VersR 2013 1213, 1217 f.

170 BTDrucks. 16/11643, S. 146; vgl. noch Bruck/Möller/Knops8 § 8 Anm. 61 ff. Knops

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von …] [4]. [5] Die Erstattung zurückzuzahlender Beträge erfolgt unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs. Beginnt der Versicherungsschutz nicht vor dem Ende der Widerrufsfrist, hat der wirksame Widerruf zur Folge, dass empfangene Leistungen zurückzugewähren und gezogene Nutzungen (z. B. Zinsen) herauszugeben sind. [6] Besondere Hinweise Ihr Widerrufsrecht erlischt, wenn der Vertrag auf Ihren ausdrücklichen Wunsch sowohl von Ihnen als auch von uns vollständig erfüllt ist, bevor Sie Ihr Widerrufsrecht ausgeübt haben. (Ort), (Datum), (Unterschrift des Verbrauchers) [7] Gestaltungshinweise: [1] Für die Lebensversicherung lautet der Klammerzusatz: „30“. [2] Bei Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr (§ 312i Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) ist vor dem Punkt am Satzende Folgendes einzufügen: „, jedoch nicht vor Erfüllung unserer Pflichten gemäß § 312i Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Verbindung mit Artikel 246c des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche“. [3] Hier sind einzusetzen: Name/Firma und ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten. Zusätzlich können angegeben werden: Telefaxnummer, E-Mail-Adresse und/oder, wenn der Versicherungsnehmer eine Bestätigung seiner Widerrufserklärung an den Versicherer erhält, auch eine Internet-Adresse. [4] Der Betrag kann auch in anderen Unterlagen, z. B. im Antrag, ausgewiesen sein; dann lautet der Klammerzusatz je nach Ausgestaltung: „den im Antrag/im … auf Seite …/unter Ziffer … ausgewiesenen Betrag“. [5] Bei der Lebensversicherung ist ggf. folgender Satz einzufügen: „Den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 des Versicherungsvertragsgesetzes zahlen wir Ihnen aus.“ [6] Wird der Versicherungsvertrag mit einem zusammenhängenden Vertrag abgeschlossen, ist am Ende des Absatzes zu „Widerrufsfolgen“ folgender Satz anzufügen: „Haben Sie Ihr Widerrufsrecht nach § 8 des Versicherungsvertragsgesetzes wirksam ausgeübt, sind Sie auch an einen mit dem Versicherungsvertrag zusammenhängenden Vertrag nicht mehr gebunden. Ein zusammenhängender Vertrag liegt vor, wenn er einen Bezug zu dem widerrufenen Vertrag aufweist und eine Dienstleistung des Versicherers oder eines Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Versicherer betrifft. Eine Vertragsstrafe darf weder vereinbart noch verlangt werden.“ [7] Ort, Datum und Unterschriftsleiste können entfallen. In diesem Falle sind diese Angaben entweder durch die Wörter „Ende der Widerrufsbelehrung“ oder durch die Wörter „Ihr(e) [einsetzen: Firma des Versicherers]“ zu ersetzen.

VI. Verwirkung und Rechtsmissbrauch Bei nicht erfolgter oder nicht ordnungsgemäßer Belehrung oder der fehlenden oder fehlerhaften 101 Übergabe der in § 8 Abs. 2 Satz 1 aufgeführten Unterlagen besteht das Widerrufsfrist weiter, weil dessen Frist nicht zu laufen begonnen hat. Gleichwohl werden VN das ihnen zustehende Recht von VR massenhaft unter Berufung auf die Rechtsgrundsätze zur Verwirkung wegen illoyaler Verspätung zum einen oder zum Rechtsmissbrauch171 zum anderen streitig gemacht. In der Anwendung beider Rechtsinstitute wird bislang von der zivilrechtlichen Rechtsprechung nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Widerrufsrecht nach § 8 – wie etwa auch nach § 495 BGB beim Verbraucherkredit – auf einer europäischen Richtlinie als Akt des Sekundärrechts beruht und damit allein der EuGH zu deren verbindlichen Auslegung berufen ist. Entscheidend sind daher nicht die nationalen Vorstellungen, sondern die zur Verwirkung wegen Zeitablaufs und zum Rechtsmissbrauch bestehenden und auch reichlich vorhandenen Grundsätze des europäischen Rechts, insbesondere nach der Rechtsprechung des EuGH. Diese werden ergänzt durch die Schranken des nationalen Verfassungsrechts, weil 102 durch eine Aberkennung des Widerrufrechts unmittelbar in das Eigentumsrecht des VN nach 171 In der untergerichtlichen Rechtspraxis wird auch hierzu unzutreffend oft von „Verwirkung“ gesprochen vgl. etwa OLG Brandenburg 12.8.2019 – 11 U 95/18 (juris), wo ab Rn. 30 ff. alles zusammengeworfen wird. 829

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Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG eingegriffen wird172 und dies nur nach Maßgabe von dessen Abs. 1 S. 2 erlaubt ist.173 Daher ist auch die – hierzu übrigens ebenfalls reichhaltig vorhandene – Rechtsprechung des BVerfG verbindlich. Umso mehr erstaunt es, dass sowohl die europarechtlichen als auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben und Grenzen von den Zivilgerichten bislang weitgehend ignoriert werden und zwar sowohl im Versicherungs- als auch im Verbraucherkreditrecht. Ohne Übertreibung lässt sich bei Durchsicht gerade der untergerichtlichen Rechtsprechung zur Verwirkung und zum Rechtsmissbrauch feststellen, dass diese oft deutlich gegen diese Maßgaben verstoßen, die im Folgenden zusammengefasst werden.

1. Gesetzgeberischer Wille und Vorbehalt des Gesetzes 103 Zunächst bleibt aber festzuhalten, dass es dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers entspricht, für den Fall der unzureichenden Information und Belehrung eine zeitliche Befristung des Widerrufsrechts gerade nicht vorzusehen.174 Bei der Schaffung des § 8 stand der Gesetzgeber unter dem Eindruck der Heininger-Entscheidung des EuGH,175 aus der er, ebenso wie die h. M. in der Literatur gefolgert hat, dass eine gesetzliche Befristung eines richtlinienseits zeitlich nicht beschränkten Widerrufsrechts nicht möglich ist. In der danach ergangenen Entscheidung i. S. Hamilton hat der EuGH176 klargestellt, dass 104 europarechtlich ein Erlöschen des Widerrufsrechts oder eine Befristung entweder nur durch den betreffenden Rechtsakt selbst vorgegeben wird, oder durch den nationalen Gesetzgeber erfolgen kann, mithin wie unter dem „Vorbehalt des Gesetzes“177 steht.178 Diese Rspr. hat der EuGH179 auf Vorlage des BGH180 wie auch das BVerfG181 im Zusammenhang mit früherem Policenmodell bestätigt.182 Danach müsste sich selbst eine Beschränkung der zeitlichen Wirkung eines Widerrufsrechts durch den nationalen Gesetzgeber an der betreffenden Richtlinie messen lassen. Eine „Eindämmung“ des Widerrufrechts durch den Rechtsanwender mittels der Berufung auf ledig172 Zu den nach Art. 14 GG geschützte Rechtspositionen gehören auch Ansprüche und Forderungen des privaten Rechts (BVerfGE 115 97 = NJW 2006 1191 (1192), s. a. BVerfGE 112 93 (107) = NJW 2005 879 (880)), insbes. schuldrechtliche Forderungen (BGH 22.3.2010 – II ZR 12/08 NJW, 2010 1948 (1950 f.; BeckOK Grundgesetz/Axer 40. Ed. 15.2.2019, GG Art. 14 Rn. 48). 173 Vgl. dazu nur BVerfGE 81 97, 107 f. 174 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 62, wonach die Frist erst beginnt, wenn sämtliche Informationen, Versicherungsschein, Unterlagen nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 VVG und Belehrung in Textform dem Verbraucher zugegangen sind. 175 EuGH 13.12.2001 – Rs. C-481/99, NJW 2002 281. 176 EuGH 10.4.2008 – C-412/06, VuR 2008 268 m. Anm. Ebers. 177 Nach st. Rspr. des BVerfG müssen alle wesentlichen Fragen vom Parlament selbst entschieden werden (statt aller BVerfGE 83 130 (142, 152) = NJW 1991 1471, vgl. zuletzt BVerfGE 123 267 Rn. 325 = NJW 2009 2267 zum Vorbehalt eines nationalen Gesetzgebungsaktes im Rahmen des Art. 23 GG). 178 Für die Umsetzung einer dem Verbraucherschutz dienenden RL gilt dies erst recht, wenn Rechte der Verbraucher eingeschränkt werden sollen und dies in der RL weder ausdr. noch materiell vorgesehen ist, unabhängig davon, ob es sich um eine vollharmonisierende RL handelt. 179 EuGH 19.12.2013 – C-209/12, NJW 2014 452 Rn. 31, 32. 180 BGH 28.3.2012 – IV ZR 76/11, VersR 2012 608. 181 BVerfG 10.10.2013 – 1 BvR 1848/13, BeckRS 2013 58071 m. w. N. 182 In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der nationale Gesetzgeber für Lebensversicherungsverträge gerade keine Bestimmung erlassen, die ein Erlöschen des Rücktrittsrechts vorsah, wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt belehrt worden ist (EuGH 19.12.2013 – C-209/12, NJW 2014 452 Rn. 26, 31). Auch deswegen ist Art. 15 Abs. 1 RL 90/619/EWG (2. Lebensversicherungs-RL) i. V. m. Art. 31 RL 92/96/ EWG (3. Lebensversicherungs-RL) dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt belehrt worden ist (EuGH 19.12.2013 – C-209/12 2014 452 Rn. 32). Nach der Rspr. des Versicherungsrechtssenates (BGH 17.12.2014 – IV ZR 260/ 11, NJW 2015 1023) ist die in § 8 Abs. 4 S. 4 VVG a. F., § 8 Abs. 5 S. 4 VVG a. F. getroffene Regelung, nach welcher Knops

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lich allgemeine Rechtsgrundsätze ist danach ausgeschlossen; eine zeitliche Begrenzung im Nachhinein wäre exklusiv einer Wertentscheidung des Normgebers vorbehalten.183 Bei den zwischenzeitlichen mehrfachen Änderungen des § 8 (Rn. 3) war die Einführung einer zeitlichen Obergrenze aber entweder kein Thema oder wurde bewusst nicht vorgesehen.

2. Verwirkung Eine Verwirkung eines Rechts wegen illoyaler Verspätung setzt – als klassischer Fall des wider- 105 sprüchlichen Verhaltens – voraus, dass dem Berechtigten ein Recht zusteht, das er längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu tatsächlich in der Lage war (Zeitmoment), sich der Verpflichtete auf die Nichtgeltendmachung des Rechts einstellen durfte und auch eingerichtet hat (Umstandsmoment) und die nunmehrige Geltendmachung wegen der Widersprüchlichkeit des jetzigen Verhaltens im Vergleich zum Vorverhalten des Berechtigten gegen § 242 BGB (Treu und Glauben) verstößt.184 Entgegen der Auffassung vieler Zivilgerichte kommt es somit nicht lediglich darauf an, dass ein Schuldner wegen Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Diese „Definition“ der Verwirkung widerspricht nicht nur formal, sondern vor allem materiell den Anforderungen, die nach völkerrechtlichen und europarechtlichen Grundsätzen, vor allem aber nach nationalen deutschem Recht an eine Verwirkung zu stellen sind, damit ganz ausnahmsweise ein subjektives Recht, das die objektive Rechtsordnung einer Person – wie hier – kraft Gesetzes zuerkannt hat, dauerhaft seine Wirkung verliert.185 Entscheidend für die Erfüllung des Zeitmoments ist vielmehr, dass dem Betroffenen nach 106 der ständigen Rechtsprechung des BVerfG die rechtzeitige Anrufung des Gerichts möglich, zumutbar und von ihm zu erwarten sein muss186 bzw. der Berechtigte sein Recht positiv kennt oder kennen muss.187 Gegenüber der gängigen und allseits akzeptierten zuerst genannten Definition der Verwirkung wird in der nachgenannten Beschreibung der Verwirkung die subjektive Komponente auf Seiten des Gläubigers eliminiert, „obwohl er hierzu in der Lage war“,188 also notwendigen Komponente unterschlagen, dass der „Berechtigte (.) nicht unter Verhältnissen untätig bleiben [darf], unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des geltend ge-

auch bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung des Versicherungsnehmers über sein jeweiliges Lösungsrecht dieses einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie erlischt, richtlinienkonform einschränkend dahin auszulegen, dass sie im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherung zur Lebensversicherung nicht anwendbar ist, hingegen auf die übrigen von § 8 VVG a. F. erfassten Versicherungsarten uneingeschränkt Anwendung findet. 183 BeckOGK/Knops 1.1.2020, BGB § 495 Rn. 153. 184 Statt aller Flume Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, 3. Aufl. 1979, S. 127; Soergel/Teichmann12 § 242 Rn. 332; BeckOGK/Deppenkemper 1.6.2018, BGB § 2130 Rn. 53; aus der Rechtsprechung etwa BGH 14.12.2017 – I ZR 53/15 Rn. 51 = ZUM-RD 2018 267; BGH 16.3.2017 – I ZR 39/15, GRUR 2017 702 Rn. 96 m. w. N.; s. a. BVerfG 19.12.2007 – 1 BvR 1984/06 Rn. 21 (juris). 185 Siehe Knops AöR 143 (2018) 554, 561 ff. m.zahlr.N. 186 BVerfG 27.12.2012 – BvR 2862/11, 1 BvR 2046/12 Rn. 3; BVerfG 28.3.2006 1 BvR 1127/04 Rn. 2 f. 187 BVerfG 26.1.1972 – BvR 255/67 BVerfGE 32 305/310 = NJW 1972 675. 188 Zu diesem notwendigen Erfordernis statt aller BGH 7.2.2018 – XII ZB 338/17 (juris Rn. 17); BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17 (juris Rn. 12) = NJW 2018 1013; BGH 22.11.2006 – XII ZR 152/04 FamRZ 2007 453, 455; BGH 18.10.2004 – II ZR 352/02 Rn. 23 = NJW-RR 2005 180; BGH 23.10.2002 – XII ZR 266/99 Rn. 10 = BGHZ 152 217 = FamRZ 2002 1698 m. w. N.; BGH 10.2.1993 – VIII ZR 48/92 (juris Rn. 65) = NJW-RR 1993 682; BGH 11.2.1992 – VI ZR 133/91 (juris Rn. 16) = NJW 1992 1755; BGH 16.6.1982 – IVb ZR 709/80 Rn. 6 = BGHZ 84 280, 282 = NJW 1982 1999 und aus der Literatur Schwab/Löhning Einführung in das Zivilrecht, 20. Aufl. (2016) Rn. 25. 831

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machten Rechts unternommen zu werden pflegt“,189 wird doch „Erst dadurch (.) eine Situation geschaffen (.), auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf“.190 Insofern erweist sich die verkürzte Begriffsbestimmung unter Verzicht auf das Erfordernis, dass dem Berechtigten die Geltendmachung „möglich“, zudem „zumutbar“ und darüber hinaus „von ihm zu erwarten war“ als mit dem herrschenden, offensichtlich mit der Verfassung rückgekoppelten Verständnis der Verwirkung – insbesondere auch des durch Art. 14 GG garantierten Eigentumsschutzes – inkompatibel. Ein solches Verständnis unter Eliminierung der subjektiven Voraussetzungen ist schon von daher abzulehnen, aber auch, weil ein Verzicht auf das Erfordernis der Kenntnis des Berechtigten sich im Zivilrecht mit der in Art. 2 Abs. 1 geschützten Privatautonomie und den objektiven Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts nicht in Einklang bringen lässt.191 Demgemäß ist bei Prüfung der Voraussetzungen der Verwirkung wegen Zeitablaufs zu107 nächst zu fragen, ob der VN hinreichende Kenntnis über das ihm zustehende Widerrufsrecht erlangt hat (Rn. 110), als auch im Übrigen das Zeitmoment gegeben ist (Rn. 111) und sich der VR zur Erfüllung des Umstandmomentes auf die Nichtgeltendmachung des Widerrufs einstellen durfte und auch eingerichtet hat (Rn. 112). Vorweg ist aber die Frage anzusprechen, ob das Widerrufsrecht überhaupt der Verwirkung wegen Zeitablaufs unterliegt (Rn. 108 f.).

108 a) Verwirkbares Widerrufsrecht? Für die Verwirkung wegen illoyaler Verspätung gelten immer dieselben Voraussetzungen, gleich ob es sich um prozessuale Befugnissen oder um materiellen Rechte oder Rechtsbehelfe handelt.192 Es gibt weder europarechtlich noch national hinsichtlich der Verwirkung ein Sonderrecht für Widerrufsrechte, gleich ob nach dem VVG, BGB oder in anderen Gesetzen. Allerdings gibt es Rechte, die überhaupt keiner Verwirkung wegen illoyaler Verspätung unterworfen sind.193 So gelten die Verwirkungsregeln jedenfalls für nicht für Einwendungen, die sich aus der Verletzung gesetzlicher Formvorschriften ergeben, weil deren Einhaltung im Interesse der Rechtssicherheit liegt und es deshalb nicht angeht, sie aus allgemeinen Billigkeitserwägungen unbeachtet zu lassen.194 Das Fortbestehen des Widerrufrechts ist die gesetzlich vorgesehene Folge der Verletzung der gesetzlich und europarechtlich zwingenden Informationspflichten durch den VR. Schon insofern könnte es sich verbieten, diesem Recht durch Annahme der Verwirkung seine Wirkung zu nehmen, weil der Gesetzgeber einen Untergang im Zeitverlauf gerade nicht vorgesehen hat, in dem es entweder von vorneherein einer zeitlichen Befristung unterworfen wird. Die Existenz des § 356 Abs. 3 S. 2 BGB belegt, dass dies möglich war und ist. Genauso respektiert werden muss von den Gerichten die Entscheidung des Gesetzgebers, eine zeitliche Grenze eben nicht einzuführen und zwar auch nicht bei regulär oder vorzeitig beendeten Verträgen. Diese besondere Problematik war dem Souverän seit den EuGH-Fällen i. S. Heiniger und Hamiliton vollkommen bewusst – trotzdem hat er be189 BVerfG 14.12.2004 – 2 BvR 1451/04 (juris Rn. 22); BVerfG 18.12.2002 – 2 BvR 1660/02 (juris Rn. 6); BVerfG 8.3.2002 – 2 BvR 196/02 (juris Rn. 3); BVerfGK 13 382, 389 = NStZ 2009 166; BVerfGE 32 305, 308 f. = NJW 1972 675; ebenso BVerwG 24.5.2017 – 1 B 103/17 (juris Rn. 5); BGH 22.9.1983 – IX ZR 90/82 (juris Rn. 9) = MDR 1984 226; BGH 18.10.1979 – IX ZR 31/79 RzW 1980 39; BayVerfGH E.v. 9.6.2015 – Vf. 17-VII-13 – BayVBl 2015 770 m. w. N.; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof 21.12.2017 – 8 ZB 17.979 Rn. 13 (juris). 190 BVerfGE 32 305, 309 m. w. N. = NJW 1972 675 und bereits RGZ 158 100, 108 f. 191 Siehe dazu schon Bydlinski Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes 1967 S. 192. 192 BVerfGE 32 305/308; BVerwG 11.9.2018 – 4 B 34/18, Rn. 5; BSG 20.5.1958 – 2 RU 285/56 NJW 1958, 1607 m. zahl. w. N.; BAG 26.6.1987 – 7 AZR 215/84 Rn. 18; BGHSt 32 345/354; BGH 9.11.1983 – IVb ZB 887/80 MDR 1984 226; BGH 3.2.1970 – IX ZB 509/69 RzW 1970 212; 1967 230; J. Isensee/P. Kirchhof/H. Bethge Handbuch d. Staatsrechts, 3. Aufl. (2003) § 203 Rn. 183 m. w. N. 193 Siehe die Beispiele bei Knops AöR 143 (2018), 554, 557 f. 194 BGH 16.7.2004 – V ZR 222/03 (juris Rn. 12) = WM 2005 991 unter Hinweis auf die st. Rspr. BGHZ 45 179 [182] = NJW 1966 1067; BGHZ 92 164 [172] = NJW 1985 1778. Knops

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wusst keine zeitliche Grenze für das Widerrufsrecht vorgesehen. Dennoch wird eine Verwirkung durch den BGH und die h. M. in der Literatur oft ohne weiteres bejaht; das BVerfG billigt eine Verwirkung des Widerspruchsrecht nach altem Recht aber bislang nur, wenn der VN ordnungsgemäß belehrt wurde.195 Ob verbraucherschützende Widerrufsrechte, wozu das Widerrufsrecht des § 8 aufgrund sei- 109 ner Basis in Art. 6 der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL196 2002/65/EG unzweifelhaft gehört, unter europarechtlichen Maßstäben überhaupt verwirkt werden kann,197 ist bislang offen,198 insbes. in der Rechtsprechung des EuGH nicht grundsätzlich geklärt. Eine entsprechende Vorlage199 an den EuGH aus dem Jahr 2007 führte in der bereits oben genannten Entscheidung i. S. Hamilton mangels Entscheidungserheblichkeit dieser Frage zu keinem Ergebnis.200 Allerdings hat der Gerichtshof bereits 2013 entschieden, dass sich ein „Versicherer nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen [kann], um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung von in einer Liste festgelegten Informationen, zu denen insbesondere die Informationen über das Recht des Versicherungsnehmers, vom Vertrag zurückzutreten, gehören, nicht nachgekommen ist.“.201

b) Kenntnis des VN. In der Sache erforderlich ist nicht lediglich eine ungefähre Kenntnis des 110 VN von seinem Recht, sondern eine solche über alle wesentlichen Details.202 Eine fehlerhafte Widerrufsinformation steht einer gänzlich fehlenden grundsätzlich gleich,203 jedenfalls dann, wenn die mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem VN die Möglichkeit genommen wird, sein Recht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben.204 Aus nationaler Sicht ist der VN entweder ordnungsgemäß nach den gesetzlichen Vorgaben informiert oder eben nicht.205 Für solche Rechte ist stets volle Kenntnis erforderlich wie dies auch für bestimmte andere Gestaltungsrechte der Fall ist.206 Verwirken kann der Berechtigte sein Recht nur, wenn er von den maßgeblichen Umständen „sichere Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen“ und dann von seinem daraus folgenden Recht „während eines längeren Zeitraums keinen Gebrauch macht, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre“207. Insgesamt kommt damit entscheidend auf die subjekti195 BVerfG 23.5.2016 – 1 BvR 2230/15 (juris Rn. 59) = VersR 2016 1037. 196 RL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der RL 90/619/EWG des Rates und der RL 97/7/EG und 98/27/ EG (ABl. EG Nr. L 271 S. 16). 197 Dafür Guski GPR 2009 286, 291; dagegen Schwintowski VuR 2015 185, 187; zweifelnd auch Tamm/Tonner/ Brönneke/Rott (Hrsg.) Verbraucherrecht, 3. Aufl. (2019) § 16 d Rn. 112c. 198 Vgl. BeckOGK/Knops 1.3.2020, BGB § 495 Rn. 166; BeckOGK/Piekenbrock 1.2.2020, BGB § 194 Rn. 58.4. u. M. Ebers Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 372 ff. 199 OLG Stuttgart 2.10.2006 – 6 U 8/06, NJW 2007 379. 200 EuGH Slg. I-2008, 2383 Rn. 50 = NJW 2008 1865. 201 EuGH 19.12.2013 – Rs. C-209/12 Rn. 30 m. w. N. = VersR 2014 225. 202 BGH 12.6.1989 – II ZR 334/87 (juris Rn. 50) = NJW-RR 1989 1255, 1259. 203 EuGH ECLI:EU:C:2013:864 = NJW 2014 452 Rn. 13, 22 ff. – Endress; EuGH ECLI:EU:C:2009:792 = BeckRS 2010 90186 Rn. 27 f. – Martín; EuGH ECLI:EU:C:2008:215 = NJW 2008 1865 Rn. 35 – Hamilton; BGHZ 211 123 = NJW 2016 3512 Rn. 40; BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11, NJW 2014 2646 Rn. 21; OLG Karlsruhe 14.4.2015 – 17 U 57/14, ZIP 2015 1011 = BeckRS 2015 09345 Rn. 33; OLG Brandenburg 29.12.2016 – 4 U 89/15, BeckRS 2016 111895 Rn. 73; BeckOGK/ Knops § 495 BGB Rn. 37 u. 77, jew. m. w. N. 204 EuGH 19.12.2019 – C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 (juris Rn. 109) = Celex-Nr. 62018CJ0355. 205 BGH 12.7.2016 – XI ZR 564/15, BGHZ 211 123–146 Rn. 40; OLG Karlsruhe 9.1.2018 – 17 U 219/15, Rn. 39 (juris) = ZIP 2018 467. 206 Jauernig/Mansel16 § 242 Rn. 60 unter zutreffenden Hinweis auf BAG 5.5.1977 – 2 AZR 297/76, NJW 1978 723 für die fristlose Kündigung und BGH 22.5.1989 – II ZR 211/88, NJW-RR 1989 1259 für den Anspruch aus § 826 BG. 207 Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen 17.12.2019 – 56/19.VB-3 Rn. 8; vgl. auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof 25.11.2019 – 3 CE 19.1926 Rn. 8 (juris). 833

Knops

§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

ve Voraussetzung beim Gläubiger, also hier des Widerrufsberechtigten von seinem Recht an und nicht lediglich, welche Vorstellung der Schuldner hat.

111 c) Zeitmoment im Übrigen. Zur Erfüllung des Zeitmomentes kommt es hinsichtlich der Bemessung der Zeitspanne bei der Verwirkung gerade nicht lediglich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses und den Zeitpunkt des Widerrufs an, sondern darauf an, ab wann dem Widerrufsberechtigten die Ausübung seines Rechts überhaupt möglich war;208 der schlichte Zeitablauf genügt nicht;209 ebenso wenig das bloße Untätigbleiben des Berechtigten.210 Über die Möglichkeit muss dem VN als Berechtigten die Geltendmachung seines Rechts nach der Rechtsprechung des BVerfG auch zumutbar gewesen und von ihm zu erwarten sein.211 Dazu fehlen in zahllosen Urteilen jegliche Ausführungen und Feststellungen. Ein Tätigwerden kann jedenfalls nicht erwartet werden, solange ein Berechtigter die Rechtslage weder kannte noch hätte kennen müssen. Ab wann ein Untätigsein sich als vertrauensbildend und damit als für eine Verwirkung relevant gewertet werden kann, lässt sich demgegenüber nur bei einzelfallbezogener Abwägung der Umstände ermitteln.212

112 d) Umstandsmoment. Hinsichtlich der verschiedenen Umstandsmomente gibt es über alle Rechtsgebiete und Umstände des Einzelfalls hinweg große Differenzen.213 Die für die Annahme einer Verwirkung erforderliche so genannte Illoyalität einer etwaigen Verspätung setzt einen Vertrauenstatbestand voraus, aufgrund dessen die verspätete Geltendmachung des Rechts unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben dem Verpflichteten nicht mehr zumutbar ist.214 Ein redlicher VR, der seinen VN ordnungsgemäß belehrt zu haben glaubt, wird nach Ablauf der Widerrufsfrist, also nach 14 Tagen von einem Erlöschen des Widerrufrechts ausgehen. Hat der VR allerdings keine Kenntnis von der fehlerhaften Belehrung und damit von dem Fortgelten des Rechts, kann er auf das Ausbleiben der Geltendmachung eben dieses allenfalls allgemein, nicht aber konkret hinsichtlich dieses bestimmten Anspruches (hier des Widerrufrechts) vertrauen, denn er glaubt ja, das Widerrufsrecht sei 14 Tage nach Vertragsschluss erloschen. Diese Rechtsmeinung entspricht der ständigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte215 und ist auf Versicherungsverträge ohne weiteres übertragbar. 113 Der Schutz vor hingegen unbekannten Forderungen oder Rechten wird durch das Verjährungsrecht gewährleistet, nicht aber durch Treu und Glauben.216 Erst wenn der VR später die Fehlerhaftigkeit der eigenen Belehrung erkennt oder zumindest ernsthaft damit rechnet, dass diese mit Mängeln behaftet ist, hat er Kenntnis von dem Fortbestand des Widerrufsrechts oder zieht dies wenigstens ins Kalkül. Dann aber hat er auch zugleich positive Kenntnis davon oder muss es wenigstens ins Kalkül ziehen, dass auch der VN als Rechtslaie keine hinreichende Kenntnis von seinem Widerrufsrecht hat. Dann aber kann sich bei Belehrungspflichtigen kein

208 BVerfG 27.12.2012 – 1 BvR 2862/11, 1 BvR 2046/12 Rn. 3; BVerfG 28.3.2006 – 1 BvR 1127/04 Rn. 2 f.; BVerfG 26.1.1972 – 2 BvR 255/67 BVerfGE 32 305/309 f. = NJW 1972 675. 209 BVerfGE 133 143 Rn. 48; BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, NJW 2018 1013. 210 BVerfG 4.3.2008 – BvR 2111/07 Rn. 29. 211 BVerfG 26.1.1972 – BvR 255/67 BVerfGE 32 305/309 f. = NJW 1972 675. 212 BVerfG 4.3.2008 – BvR 2111/07 Rn. 31 (juris). 213 S. nur MüKoBGB/Schubert8 § 242 Rn. 400 ff.; BeckOK BGB/Sutschet 53. Ed. 1.2.2020, BGB § 242 Rn. 147 f.; Erman/Böttcher15 § 242 Rn. 127 ff. 214 BVerfG 19.12.2007 – 1 BvR 1984/06 Rn. 22 (juris). 215 Vgl. nur BAGE 97 326 = NJW 2001 2907; BAG 18.11.2003 – 9 AZR 173/03, BeckRS 2003 30799854; LAG Hamm 1.6.2017 – 18 Sa 677/16, BeckRS 2017 127476. 216 S. LAG Hessen 4.9.2006 – 17 Sa 2105/05. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 8

schutzwürdiges Vertrauen bilden,217 es fehlt an dem für die Verwirkung erforderlichen Vertrauenstatbestand,218 eine Verwirkung des Widerrufrechts ist dann ausgeschlossen.219 Wissen alle Beteiligten nichts von dem Recht und unterbleibt deswegen auch die Geltend- 114 machung, ist dies auch eine Sachlage, die einen Verwirkungseinwand nicht rechtfertigt.220 Ein Vertrauen auf die Nichtausübung kann der VR erst bilden, wenn er weiß, dass der VN es ausüben könnte,221 also, wenn er tatsächlich ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht informiert wurde. Daran fehlt es aber gerade. Solange der VN nichts davon weiß, dass sein Widerrufsrecht über die 14 Tage hinaus besteht, kann er denklogisch auch keinen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen haben, dass er sein (vermeintliches) Recht nicht mehr geltend machen werde, womit ihm Verwirkung nicht entgegengehalten gehalten werden kann222 – und zwar erst recht nicht von demjenigen, der ihn pflichtwidrig fehlerhaft informiert hat, und jederzeit die Möglichkeit hat, mit einer Nachbelehrung des VN die Widerrufsfrist in Gang zu setzen und nach 14 Tagen keinen Widerruf mehr fürchten müsste, die bestehende Unsicherheit also selbst leicht beseitigen kann.223 Der IV. Zivilsenat des BGH indes lässt die Verwirkung des nicht ordnungsgemäß belehrten VN allein deswegen Umstandsmoment scheitern, weil der VR für sich ein schutzwürdiges Vertrauen schon deshalb nicht in Anspruch nehmen kann, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er dem VN keine ordnungsgemäße Belehrung erteilt hat.224 Dieser Judikatur steht aber wiederum die Rechtsprechung des XI. Zivilsenates entgegen, der dieses Argument gerade nicht gelten lassen will und im Übrigen die o. g. Voraussetzungen der Verwirkung, insbesondere das Erfordernis der Kenntnis des Berechtigten als einziger Senat des BGH entgegen allen anderen, auch Bundesgerichten für unbeachtlich hält.225 Bislang war keiner der Senate in der Lage, diesen diametralen Widerspruch in der Behandlung der Verwirkung in Bezug auf zwei sehr ähnliche Dauerschuldverhältnisse und Widerrufsrechte durch Anrufung des Großen Senates aufzulösen.

e) Ergebnis. Bereits im Urteil vom 13.12.2001 – C-481/99 hat der EuGH226 festgestellt, dass ein 115 Verbraucher das Widerrufsrecht nicht ausüben kann, wenn es ihm nicht bekannt ist (Rn. 45) und Unternehmer sowohl den Verbraucherinteressen als auch ihrem eigenen Bedürfnis nach Rechtssicherheit ohne Schwierigkeit dadurch Rechnung tragen [können], dass sie ihrer Obliegenheit zur Belehrung des Verbrauchers nachkommen (Rn. 47).

217 Vgl. BGH 6.12.1974 – I ZR 110/73, GRUR 1975 434 (437); BGH 10.11.1965 – I b ZR 101/63, NJW 1966 343; BGH 3.4.1963 – Ib ZR 162/61, GRUR 1963 430 (433); BGH 19.12.1950 – I ZR 62/50, NJW 1951 272.

218 BGH 15.9.1999 – I ZR 57/97 (KG) = NJW 2000 140. 219 Siehe über die oben genannte Rechtsprechung hinaus auch OLG Stuttgart 18.4.2017 – 6 U 36/16 (juris Rn. 60); OLG Stuttgart 28.3.2017 – 6 U 196/16 (juris Rn. 40); OLG Stuttgart 24.1.2017 – 6 U 96/16 (juris Rn. 69); OLG Koblenz 7.10.2016 – 8 U 1325/15 (juris Rn. 37); OLG Stuttgart 27.9.2016 – 6 U 46/16 (juris Rn. 80); OLG Koblenz 5.8.2016 – 8 U 1091/15 (juris Rn. 65); OLG Düsseldorf 22.7.2016 – I-16 U 109/15 (juris Rn. 72); OLG Frankfurt 27.4.2016 – 23 U 50/15 (juris Rn. 49); OLG Frankfurt 25.4.2016 – 23 U 98/15 (juris Rn. 77); OLG Stuttgart 7.8.2013 – 9 U 108/12 (juris Rn. 48) = WuB 2013 232; OLG München 27.3.2012 – 5 U 4557/11 (juris Rn. 10); OLG Koblenz 22.6.2007 – 8 U 121/06, BeckRS 2010 30492; OLG Stuttgart 29.7.2002 – 6 U 40/02 (juris Rn. 49) = ZIP 2002 1885; OLG Frankfurt 23.8.2001 – 16 U 190/00 (juris Rn. 84); LG Neuruppin 28.1.2016 – 5 O 67/15 (juris Rn. 54); LG Karlsruhe 3.2.2006 – 5 O 110/05 (juris Rn. 61). 220 BGH 24.3.1969 – II ZR 126/67 = WM 1969 688, 689 f.; OLG Frankfurt 25.4.2016 – 23 U 98/15 Rn. 77; ebenso BGH 21.5.1971 – V ZR 10/69 Rn. 37 = WM 1971 1084, 1086; vgl. auch BGH 27.9.2013 – V ZR 52/12 Rn. 25. 221 Vgl. RGZ 159 99 (108). 222 Vgl. BVerfG 19.12.2016 – 2 BvR 1490/16 (juris Rn. 14). 223 S. BeckOGK/Knops 1.1.2020, BGB § 495 Rn. 151 m. w. N. 224 Ständige Rechtsprechung seit BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201 101–121 Rn. 39. 225 Ständige Rechtsprechung BGH 10.10.2017 – XI ZR 549/16 (juris Rn. 16). 226 EuGH 19.12.2013 – C-209/12 (juris Rn. 30). 835

Knops

§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

Mit dem Urteil vom 19.12.2019227 hat der EuGH diese Grundsätze jüngst erneut bestätigt. Danach kann „der Versicherungsnehmer das Rücktrittsrecht, von dem er nichts weiß, nämlich nicht ausüben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19.12.2013, Endress, C-209/12, EU:C:2013:864, Rn. 27)“ und der „Versicherer kann sich nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen, zu denen insbesondere die Informationen über das Recht des Versicherungsnehmers, vom Vertrag zurückzutreten, gehören, nicht nachgekommen ist (Urteil vom 19.12.2013, Endress, C-209/12, EU:C:2013:864, Rn. 30)“. Hinsichtlich der Verwirkung kommt die Generalanwältin Kokott in ihrem zu dieser Sache (Az. C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18) verfassten Schlussantrag vom 11.7.2019, Rn. 76228 zu demselben Ergebnis: „Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, weil nicht mehr damit zu rechnen war. Hier fehlt es aber jedenfalls am schutzwürdigen Vertrauen des Versicherers. Denn dieser hat die Situation selbst herbeigeführt, indem er dem Versicherungsnehmer keine ordnungsgemäße Rücktrittsbelehrung erteilte. [Fn: Vgl. bereits Urteil vom 19.12.2013, Endress (C-209/12, ECLI:EU:C:2013:864, Rn. 30), wonach der Versicherer sich nicht „mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen [kann], um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner … Obliegenheit zur Mitteilung von … Informationen … über das Recht des Versicherungsnehmers, vom Vertrag zurückzutreten, … nicht nachgekommen ist“.]“. 117 Entsprechend besteht auch nach der neuesten Rechtsprechung im Falle der Unanwendbarkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 a.F. das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und/oder die Versicherungsbedingungen oder eine Verbraucherinformation nicht erhalten hat, grundsätzlich fort; lediglich, wenn der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde und ihm die erforderlichen Verbraucherinformationen mitgeteilt wurden, kann er sein Widerspruchsrecht verwirken.229 Der VR kann wie oben bereits erwähnt ein schutzwürdiges Vertrauen nicht in Anspruch nehmen, wenn er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er dem VN keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilt hat.230 Dies entspricht der langjährigen – wie benannt aber umstrittenen Auffassung – des IV. Zivilsenates des BGH.231 Lediglich bei besonders gravierenden Umständen kann Rechtsmissbrauch (nicht aber Verwirkung) vorliegen.232

116

3. Rechtsmissbrauch 118 Von der Verwirkung wegen illoyaler Verspätung inhaltlich wie gedanklich zu trennen ist der Verlust eines Rechts durch dessen missbräuchliche Ausübung. Nach der Rechtsprechung und h. M. in der Literatur ist widersprüchliches Verhalten nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig und nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen; eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem 227 228 229 230

EuGH 19.12.2019 – C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 Rn. 68 f. BeckRS 2019 14135. LG Stuttgart 14.11.2019 – 22 O 134/19, BeckRS 2019 27871. OLG Karlsruhe 27.9.2019 – 12 U 78/18, NJW-RR 2019 1439 unter Hinweis auf BGH 26.9.2018 – IV ZR 304/15, NJW-RR 2018 1368 = VersR 2018 1367 Rn. 23 m. w. N.; ebenso OLG Dresden 6.8.2019 – 4 U 1084/19, BeckRS 2019 21367. 231 S. BGH 1.6.2016 – IV ZR 343/15 (juris Rn. 21); BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11 (juris Rn. 39). 232 BGH 27.1.2016 – IV ZR 130/15 (juris Rn. 16); OLG Karlsruhe 28.6.2019 – 12 U 134/17, BeckRS 2019 19886. Ebenso Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 107. Knops

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B. Kommentierung

VVG § 8

späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen.233

a) Ordnungsgemäße Belehrung. Dies wird bereits angenommen, wenn ein VN nach ord- 119 nungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen jahrelang durchführte und erst dann von dem VR, der auf den Bestand des Vertrags vertrauen durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Versicherungsvertrages die Rückzahlung aller Prämien verlangt.234 b) Fehlende oder fehlerhafte Belehrung. Anders liegt es bei hingegen bei VN, die nicht 120 ordnungsgemäß informiert worden sind, insbes. nicht oder nicht hinreichend über das ihnen zustehende Widerrufsrecht nach § 8.235 In solchen Fällen können die sich aus dem Widerruf ergebenden Ansprüche des VN nicht verwirkt sein, da es „jedenfalls“ am Umstandsmoment fehlt, weil der VR für sich ein schutzwürdiges Vertrauen schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er dem VN keine ordnungsgemäße Belehrung erteilt hat.236 Ansprüche können dem VN in diesen Fällen wegen widersprüchlichen Verhaltens nur dann versagt werden, wenn besonders gravierende Umstände vorliegen. Prinzipiell gilt dies auch nach der Rechtsprechung des IV. Zivilsenates des BGH zum 121 Rechtsmissbrauch. Danach kann die Ausübung des Widerspruchsrechts nur in Ausnahmefällen als ein gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßendes Verhalten angesehen werden.237 Allerdings könnten allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlende Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 a. F. einer Anwendung von § 242 BGB entgegensteht, nicht aufgestellt werden; vielmehr würden die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall grundsätzlich dem Tatrichter unterliegen.238 Richtig ist demgegenüber, dass unionsrechtlich garantierte Rechte wie das Widerrufs- und Widerspruchsrecht Versicherungsnehmern auch nur unter den unionsrechtlichen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs versagt werden darf. Anders als der BGH und die ihm folgenden Untergerichte meinen, kann ein missbräuchliches Verhalten gerade nicht allein auf der Grundlage objektiver Kriterien festgestellt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt die missbräuchliche Berufung auf Unionsrechts voraus, dass mit dem Unionsrecht verliehene Rechte oder Vorteile ihren Zweck verfehlen (sog. objektive Voraussetzung) und der Rechteinhaber mit ihrer Ausübung oder Erlangung einen missbräuchliche Zweck verfolgt (sog. subjektive Voraussetzung); erst beide Voraussetzungen zusammengenommen rechtfertigen die Feststellung eines Missbrauchs.239 Eine Einschränkung oder Versagung des unionsrechtlichen Rechts oder Vorteils wegen Missbrauchs darf durch die Mitgliedstaaten und Einrichtungen zudem nur unter Wahrung des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes240 wie der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes241 erfolgen.

233 234 235 236 237 238 239

BGH 16.7.2014 – IV ZR 73/13, BGHZ 202 102–122 Rn. 33; Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 55. BGH 16.7.2014 – IV ZR 73/13, BGHZ 202 102–122 Rn. 34 ff. Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 84. Ständige Rechtsprechung seit BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201 101–121 Rn. 39. BGH 11.11.2015 –IV ZR 117/15; BGH – IV ZR 130/15 RuS 2016 230. BGH 11.11.2015 – IV ZR 117/15 (juris Rn. 16) = ZAP EN-Nr 268/2016 (red. Leitsatz). EuGH, Urt. 28.7.2016, Az. C‑423/15, Rn. 38 – Kratzer; EuGH, Urt. v. 13.3.2014, Az. C-155/13, Rn. 31 – SICES u. a.; EuGH Urt. v. 14.12.2000, Az. C-110/99, Rn. 52 f., BeckRS 2004, 74133 – Emsland-Stärke; zuletzt EuGH, SchlA GA v. 26.11.2019, Az. C-610/18, Rn. 74. 240 Siehe nur EuGH, Urt. v. 12.5.1998, Az. C-367/96, Slg. 1998, I-2843, Rn. 2 – Kefalas; EuGH, Urt. v. 13.2.2014, Az. C-479/12, Rn. 49; EuGH, Urt. v. 13.7.2006, Az. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619, Rn. 77 bis 80 – Manfredi u. a. 241 Statt aller EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Az. C-251/16, Rn. 40, juris – Cussens. 837

Knops

§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

Keine einzige dieser Voraussetzungen ist erfüllt, wenn der VN erst lange Zeit nach Vertragsschluss sein Widerrufs- oder Widerspruchsrecht ausgeübt hat, aber bis wenige Zeit davor nicht oder nicht hinreichend über das ihm zustehende Recht durch den VR informiert wurde.242 Keine Rolle spielt es dann, ob der VN zwischenzeitlich einen oder mehrere andere VV bei demselben VR abgeschlossen hat, die Rechte aus dem VV zur Sicherung eines Darlehens abgetreten wurden, der VV während des Lauf abgeändert wurde oder auf Wunsch des VN beendet wurde, etc. pp. Auch verfassungsrechtlich begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, dem VR „den Verwirkungseinwand in solchen Fällen abzuschneiden, in denen er selbst seinen Informationspflichten nicht ausreichend nachgekommen ist, diesen Einwand bei ordnungsgemäßer Belehrung aber Platz greifen zu lassen.“243 Ist der VN also hinreichend informiert und treten dann Umstände ein, die auf eine Bekräftigung des vertraglichen Bindungswillens des VN schließen lassen, kann der Widerruf rechtsmissbräuchlich sein; niemals aber vor zureichender Information über das Widerrufsrecht selbst.

VII. Schadensersatz bei unzureichender Belehrung 122 Wird der VN nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrt, haftet ihm der VR nach § 280 BGB auf Schadensersatz.244 Die Belehrung ist nicht bloße Obliegenheit, sondern echte Rechtspflicht,245 aus deren Verletzung sich Schadensersatzansprüche herleiten lassen.246 Der Widerruf soll dem Belehrten die Möglichkeit geben, seine Entscheidung zu überdenken. Kann er den Vertrag nicht widerrufen, weil er nicht oder nicht ordnungsgemäß über das ihm zustehende Widerrufsrecht informiert wurde, ist ein Schadensersatz auf Ausgleich desjenigen Schadens gerichtet, der dem VN im Glauben an die Unwiderruflichkeit entstanden ist. Das kann etwa der Differenzbetrag zu einer gleichen Versicherung geringeren Preises sein oder die Disposition, die er billigerweise im Hinblick auf den vermeintlich unwiderruflichen Vertrag getätigt hat.247 123 Zudem kommt eine Haftung aus culpa in contrahendo gemäß § 280 Abs. 1 i. V. m. §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB in Betracht, weil über § 241 Abs. 2 BGB (auch) die Vertragsfreiheit geschützt wird.248 Die Eingehung eines Vertrages als solches begründet in der Regel nicht bereits den Eintritt eines Schadens und zwar auch dann nicht, wenn mit ihm ein Risiko für eine Partei verbunden ist.249 Wenn aber die Handlung, die den Vertragspartner zum Vertragsschluss oder zur Vertragsbeibehaltung trotz objektiv bestehender Widerrufsmöglichkeit beeinflusst hat, ge-

242 Im Einzelnen Knops, Die unionsrechtlichen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs (im Erscheinen). 243 BVerfG, Beschl. v. 23.5.2016, Az. 1 BvR 2230/15, Rn. 59 m. w. N. u. a. zur Rechtsprechung des EuGH. 244 BGH 13.12.2017 – IV ZR 353/15, RuS 2018 103, 104; BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14, NJW 2017 3387, 3390; Pohlmann NJW 2017 3341, 3343; krit. Domke BB 2005 1582, 1583, der bei Geringfügigkeit der Pflichtverletzung einen möglichen Rechtsmissbrauch befürchtet. 245 BGH 19.9.2006 – XI ZR 204/04, BGHZ 169 109 = VuR 2007 98 unter Rn. 40 ff.; OLG Bremen 2.3.2006 – 2 U 20/ 02, NJW 2006 1210, 1212 ff. 246 Für die Übertragbarkeit dieser zu § 2 HWiG entwickelten Rechtsprechung auf § 312 BGB und die Widerrufsrechte aus anderen Gründen s. noch PWW/Medicus3 § 355 Rn. 9. 247 Jedenfalls umfasst der Schaden auch diejenigen Zinsvorteile, die der VR durch die Empfangnahme der Prämien empfangen hat. 248 BGH 13.12.2017 – IV ZR 353/15, RuS 2018 103, 104; BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14, NJW 2017 3387, 3390; Pohlmann NJW 2017 3341, 3343. Vor der Schuldrechtsreform war dies umstritten (vgl. hierzu Lorenz Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997) S. 72 f. m. w. N. u. Fleischer AcP 200 (2000) 91 ff.). Sind hingegen nur Anspruchsgrundlagen betroffen, die nicht an die Entschlussfreiheit, sondern an die Handlung und das Verschulden des anderen Teils oder eines Dritten anknüpfen, wie etwa deliktische Ansprüche, liegt in dem Vertragsschluss als solchem kein Ereignis, das eine Aufhebung oder Haftung rechtfertigt (Knops AcP 205 (2005) 821, 827). 249 BGH 6.2.2003 – III ZR 223/02, WM 2003 2242, 2243; BGH 17.2.2000 – IX ZR 436/98, WM 2000 1345, 1347. Knops

838

D. Beweislast

VVG § 8

gen Rechtspflichten verstößt, deren Zweck es ist, die Willensfreiheit zu schützen, kann der Verletzte verlangen, dass der Vertrag aufgehoben wird.250

C. Abdingbarkeit Die Norm ist gem. § 18 zulasten des VN weder durch AVB noch durch – praktisch allerdings 124 wenig relevante Individualvereinbarungen251 abdingbar und zwar weder vollständig noch teilweise. Dies gilt aber nach § 210 Abs. 1 nicht für die laufende Versicherung; zudem kann der VN auf das Widerrufsrecht auch nicht wirksam verzichten.252 Die Regelungen sind aber zugunsten des VN veränderlich wie beispielsweise durch Verlängerung der Widerrufsfrist oder durch das Hinausschieben des Fristbeginns und daher halbzwingend.

D. Beweislast Grundsätzlich trägt jede Vertragspartei die Beweislast für den Inhalt und die Vollständigkeit der 125 von ihr stammenden Erklärungen. Der VR hat gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 den Zugang sämtlicher nach § 7 Abs. 1 und 2 vorgeschriebenen Unterlagen und Informationen, sowie der ordnungsgemäßen Belehrung in Textform zu beweisen. In der Regel sollte sich der VR den Zugang durch den VN bestätigen lassen.253 Eine Vermutung für den Zugang der AVB und der anderen notwendigen Informationsunterlagen soll gegeben sein, wenn der VN nach mehrfacher Prämienzahlung mit der Begründung widerruft, ihm seien die Unterlagen nicht oder nicht gänzlich zugegangen.254 Das ist unzutreffend. Vielmehr ist die Belehrungspflicht eine echte Rechtspflicht, deren Erfüllung der VR im Wege des Strengbeweises nachzuweisen hat. Die Prämienzahlung nimmt ein VN regelmäßig mit Rechnungsstellung oder per Lastschrift- oder Einzugsermächtigung oder allein anhand des geschlossenen Vertrages vor. Die Zahlung mit dem Beweis über den Zugang der Widerrufsbelehrung, des Versicherungsscheins, der AVB und der Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 zu verknüpfen, ist dagegen unhaltbar. Aus der Zahlung der Prämie lässt sich kein Rückschluss ziehen, auch wenn die Prämie im Versicherungsschein genannt wird; erst recht wird durch die Zahlung kein Beweis über den Zugang der genannten Unterlagen einzeln wie insgesamt erbracht. Ebenso wenig ersetzt eine prozessual vorgetragene Behauptung eines regelmäßigen Verlaufs (zum Versand von Informationen) den Nachweis ihres Zugangs. Wenn sich der VN im Prozess zum fehlenden Zugang widersprüchlich einlässt, kann dem VR nach einem fruchtlosen richterlichen Hinweis an den VN eine Beweiserleichterung zukommen.255 Das aber ist die Ausnahme von der Regel und sollte sehr restriktiv gehandhabt werden, damit nicht schon bei äußeren Anzeichen die Beweislast faktisch ins Gegenteil verkehrt wird. Dass der VN besonders belehrt worden ist, kann der VR dadurch beweisen, dass er sich von dem VN eine separate Widerrufsbelehrung unterzeichnen lässt und zu seinen Unterlagen nimmt256 – selbstverständlich nicht ohne dem VN hiervon entweder ein Doppel oder eine gut leserliche Durchschrift oder

250 251 252 253

Vgl. Knops AcP 206 (2006) 867, 897 ff. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 78. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 1 u. 22 m. w. N. Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 62; a. A. Armbrüster VersR 2012 513, 514; ders. RuS 2008 493, 498, der die Probleme einer Empfangsbestätigung aufzeigt; differenzierend Schimikowski RuS 2012 577. 254 BTDrucks. 16/3945 S. 62. 255 Vgl. die Fallgestaltung bei AG Bonn 24.2.1999 – 9 C 357/98, VersR 1999 1096; siehe auch Armbrüster VersR 2012 513, 514 ff.; a. A. LG Dortmund 13.1.2011 – 2 O 139/10, NJW-RR 2011 769, 770, das Beweiserleichterungen abzulehnen scheint; wohl auch Schimikowski RuS 2012 577. 256 BTDrucks. 16/3945 S. 62; a. A. Armbrüster VersR 2012 513, 514; ders. RuS 2008 493, 498, der die Probleme einer Empfangsbestätigung aufzeigt; differenzierend Schimikowski RuS 2012 577. 839

Knops

§ 8 VVG

Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers

Kopie zu belassen. Die Wegnahme der Widerrufsbelehrung nach Unterschrift führt anderenfalls dazu, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt. 126 Zudem trägt der VR die Beweislast dafür, dass die Unterlagen, insbesondere die Widerrufsbelehrung den gesetzlichen Anforderungen voll entsprechen, da anderenfalls die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt. Der VR trägt mithin die Beweislast für den Informations- und Erklärungsinhalt, die er dem VN zur Verfügung stellen muss. Das Fehlen solcher Umstände modifiziert jeweils den Beginn der Frist für die Ausübung des Widerrufs,257 die regelmäßig mit dem Vorliegen der Unterlagen nach Absatz 2 und Abgabe der Vertragserklärung durch den VN beginnt (s. Rn. 19 ff.). Verzichtet der VR auf den Zugang der Vertragsannahme durch den VN müsste der VR beweisen, dass der Beginn der Widerrufsfrist vor einer bei ihm (gleichwohl) eingegangen ausdrücklichen Annahmeerklärung, einer konkludenten Annahme durch Prämienzahlung des VN o. ä. liegt, was in vielen Fällen schwer, aber beispielsweise dann möglich ist, wenn die Annahmeerklärung mit einem Datum vor ihrer Ankunft versehen ist oder sich das Datum der Anweisung zur Prämienzahlung vor dessen Eingang ermitteln lässt. 127 Der VN trägt die Beweislast für das Bestehen des Widerrufsrechts258 und dessen ordnungsgemäße und fristgerechte Ausübung, d. h. er ist analog zu der Verpflichtung des VR für den Inhalt der Erklärung, die rechtzeitige Absendung und den Zugang des Widerrufs darlegungsund beweispflichtig.259 Um Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, kann beiden Vertragsparteien daher bei Benutzung des normalen Postweges nur empfohlen werden, die Dokumente unter Kenntnisnahme eines Zeugen versandfertig zu machen und per „Übergabe-Einschreiben mit Postrückschein, Eigenhändig (persönlich vom Adressaten zu unterschreiben)“ zu versenden.

257 MüKoBGB/Franzen § 485 Rn. 49. 258 So wohl auch Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky Rn. 73. 259 OLG Hamm 9.10.2013 – 20 U 81/13, RuS 2014 222; vgl. abermals MüKoBGB/Franzen § 485 Rn. 19 m.zahlr.w. N. zu der insoweit parallelen Problematik beim Widerruf nach den § 485 Abs. 1 i. V. m. § 355 Abs. 2 Satz 4 BGB. Knops

840

§ 9 Rechtsfolgen des Widerrufs (1) Übt der Versicherungsnehmer das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 1 aus, hat der Versicherer nur den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämien zu erstatten, wenn der Versicherungsnehmer in der Belehrung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen worden ist und zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt; die Erstattungspflicht ist unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs zu erfüllen. Ist der in Satz 1 genannte Hinweis unterblieben, hat der Versicherer zusätzlich die für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Prämien zu erstatten; dies gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer Leistungen aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch genommen hat. (2) Hat der Versicherungsnehmer sein Widerrufsrecht nach § 8 wirksam ausgeübt, ist er auch an einen mit dem Versicherungsvertrag zusammenhängenden Vertrag nicht mehr gebunden. Ein zusammenhängender Vertrag liegt vor, wenn er einen Bezug zu dem widerrufenen Vertrag aufweist und eine Dienstleistung des Versicherers oder eines Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Versicherer betrifft. Eine Vertragsstrafe darf weder vereinbart noch verlangt werden.

Schrifttum Armbrüster Das allgemeine Widerrufsrecht im neuen VVG, RuS 2008 493; ders. „Ewige“ Widerrufsrechte und ihre Rechtsfolgen, VersR 2012 513; Claussen Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen, JR 1991 360; Dörner/Staudinger Kritische Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, WM 2006 1710; Felke/Jordans Der Referentenentwurf für die Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen, WM 2004 166; dies. Umsetzung der Fernabsatz-Richtlinie für Finanzdienstleistungen, NJW 2005 710; Funck Ausgewählte Fragen aus dem allgemeinen Teil zum neuen VVG aus der Sicht einer Rechtsabteilung, VersR 2008 163; Garbe-Emden Die Rückabwicklung von Leibrentenverträgen gegen Einmalzahlung, VersR 2013 1213; Grote/ Finkel Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht im zweiten Halbjahr 2019, NJW 2020 374; Knöfel Auf dem Weg zu einem neuen Schuldrecht für den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, ZGS 2004 182; Langheid Auf dem Weg zu einem neuen Versicherungsvertragsrecht, NJW 2006 3317; Reiff Die selbstständige Vergütungsvereinbarung des Vermittlers einer Nettopolice im Lichte des § 9 Abs. 2 VVG, VersR 2016 757; Rott BB-Gesetzgebungsreport: Die Umsetzung der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen im deutschen Recht, BB 2005 53; Schaaf/Winkens Aktuelle Rechtsprechung zur Lebensversicherung – Beratungspflichten des Versicherers, „ewiges“ Widerrufsrecht und Überschussbeteiligung nach novelliertem VVG, VersR 2016 360; Schneider Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie 2002/65/EG im VVG, VersR 2004 696; ders. Keine Musterbelehrung in Sicht, VW 2008 1168; Wandt/Ganster Die Rechtsfolgen des Widerrufs eines Versicherungsvertrages gem. § 9 VVG 2008, VersR 2008 425; Wendt/Lorscheid-Kratz Das Widerrufsrecht bei „zusammenhängenden Verträgen“, BB 2013 2434.

Übersicht I.

1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

IV.

Übergangsregelung

B.

Kommentierung

2

1. 5

7 9

2. 3.

Widerrufsfolge bei ordnungsgemäßer Belehrung (§ 9 Abs. 1 Satz 1) 10 11 Ordnungsgemäße Belehrung 11 a) Über das Widerrufsrecht b) Über die Rechtsfolgen des Wider12 rufs 13 c) Über den Zahlbetrag 14 d) Zeitpunkt der Belehrung 15 Zustimmung des Versicherten 16 Prämienrückgewähr

10 II.

841 https://doi.org/10.1515/9783110522600-022

Widerrufsfolge bei unzureichender Belehrung 18 (§ 9 Abs. 1 Satz 2) Knops

§ 9 VVG

1. 2.

III. 1. 2.

Rechtsfolgen des Widerrufs

Regelungsinhalt 19 Europarechtskonformität des § 9 Abs. 1 19 Satz 2 22 Weitere Fallgruppen Versicherungsschutz ohne Zustimmung des 23 VN Fehlender Versicherungsschutz vor Wider23 ruf

24

3.

Anspruch auf rückständige Prämien

IV.

Abweichende Regelungen für Lebensversiche25 rungen

V.

Zusammenhängender Vertrag (§ 9 26 Abs. 2)

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

28 29

A. Einführung 1 Übt der VN sein Widerrufsrecht gemäß § 8 aus, entfällt die Bindungswirkung seiner auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung. Dies hat zur Folge, dass für den VN keine Verpflichtungen mehr aus dem Vertrag bestehen und die bisher bewirkten Leistungen rückabgewickelt werden müssen. Wie die Leistungen in dem dadurch entstehenden Abwicklungsverhältnis zurückzugewähren sind, richtet sich nach neuem Recht gemäß § 9, sowie ergänzend nach den §§ 357 ff., 346 ff. BGB. Dabei regelt § 9 insbesondere den Anspruch des VN auf Rückgewähr der bereits von ihm geleisteten Versicherungsprämien und die Voraussetzungen, unter denen der VR vom VN Ersatz für die Gefahrtragung fordern kann.

I. Entstehungsgeschichte 2 § 9 VVG wurde im Wege der Versicherungsrechtsreform durch einen Abs. 1 ergänzt, der bis auf wenige sprachliche Anpassungen materiell der Vorschrift des § 48c Abs. 5 a.F.1 entspricht. Während sich davor die Abwicklung nach den allgemeinen Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung gemäß §§ 812 ff. BGB richtete,2 normiert § 9 Abs. 1 die spezialgesetzliche Rückabwicklung von Versicherungsverträgen, die nach § 8 widerrufen wurden. § 9 Abs. 1 dient der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2002/65/EG.3 Obwohl die europarechtliche Regelung nur verbindliche Umsetzungsvorgaben für Fernabsatzverträge vorgibt, hat sich der deutsche Gesetzgeber dazu entschlossen, diese Vorgabe auf das gesamte Versicherungsvertragsrecht zu erstrecken. 3 Zugleich wurde die Regelung des § 9 Abs. 1 eingeführt, um den Besonderheiten des Versicherungsvertragsrechts gerecht zu werden. Die frühere Rückabwicklung nach den §§ 812 ff. BGB4 hatte zur Folge, dass der VN stets seine geleisteten Prämien zurückverlangen konnte, wenn noch kein Versicherungsfall eingetreten war.5 Der VR hingegen hatte keinen Anspruch auf Wertersatz für die geleistete abstrakte Gefahrtragung.6 Die neue Regelung soll eine Kompromisslö-

1 Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen (BGBl. I 3102).

2 Siehe BGH 28.1.2004 – IV ZR 58/03, VersR 2004 497 zu § 5a VVG 2004; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 1. 3 BTDrucks. 16/3945 S. 62. 4 Römer/Langheid2 § 8 Rn. 53; Holzhauser Versicherungsvertragsrecht Rn. 43; Hofmann PVR S. 88; Claussen JR 1991 360, 363. 5 Holzhauser Versicherungsvertragsrecht Rn. 43. 6 Schneider VersR 2004 696, 704, wonach ein Ausgleichsanspruch des VR für den faktischen Versicherungsschutz nach den §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 2 BGB aufgrund der Geldleistungstheorie abzulehnen sei. Vgl. Garbe-Emden VersR 2013 1213, 1215. Knops

842

A. Einführung

VVG § 9

sung zwischen einer angemessenen Sanktionierung des VR bei unterbliebener Belehrung und unangemessener Belastung desselben darstellen, dem nach alter Rechtslage keinerlei Ansprüche gegen den VN zustanden. Anders als bisher wird dem VR – trotz fehlender ordnungsgemäßer Belehrung des VN – eine Gegenleistung für den Versicherungsschutz zugestanden.7 Mit dem Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 24.4.20138 wurde 4 der Norm ein neuer zweiter Absatz angefügt, um Art. 6 der Richtlinie 2002/65/EG für den Bereich der Versicherungen nun vollständig umzusetzen und den Verbraucherschutz zu verbessern.9 Der bisherige Wortlaut des § 9 i. d. F. v 23.11.2007, die ab dem 1.1.2008 bis 30.4.2013 gültig war, wurde unverändert zum neuen ersten Absatz.

II. Inhalt und Zweck der Regelung Wurde zwischen den Vertragsparteien ein wirksamer Versicherungsvertrag geschlossen, steht 5 dem VN in der Regel ein Widerrufsrecht gemäß § 8 zu.10 Widerruft der VN seine auf den Vertrag gerichtete Willenserklärung, tritt die Rechtsfolge des § 9 ein, wenn bereits auf Wunsch des VN ein materieller Versicherungsschutz erfolgte. Dem VN steht in jedem Fall gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 ein Anspruch auf die Rückzahlung der Prämienanteile zu, die auf die Zeit nach dem Zugang des Widerrufs fallen. Handelt es sich bei dem rückabzuwickelnden Vertrag um eine Lebensversicherung, bestimmt § 152 Abs. 2, dass dem VN zusätzlich der Rückkaufswert und vorhandene Überschussanteile gemäß § 169 zustehen. Hat der VR den VN ordnungsgemäß belehrt, wirkt sich der Widerruf mithin wie eine Kündigung ex nunc aus.11 Daher kann der VR alle gezahlten Prämien bis zum Zeitpunkt des Widerrufs behalten, wenn er den VN ordnungsgemäß belehrt hat und dieser dem Beginn des Versicherungsschutzes vor Ablauf der Widerrufsfrist zugestimmt hat. Darüberhinausgehend hat der VN keine Leistung bzw. Wertersatz zu leisten. Hat der VN noch keine Prämien gezahlt und wurde vereinbart, dass der Versicherungsschutz erst nach Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, erschöpft sich die Folge des Widerrufs in der Entbindung vom Vertrag. Hat der VR den VN nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen 6 des Widerrufs und den zu leistenden Betrag informiert, kann der VN bereits geleistete Prämienzahlungen für das erste Versicherungsjahr zurückzufordern. Wird eine Lebensversicherung widerrufen, hat der VN bei unzureichender Rechtsbelehrung ein Wahlrecht. Er kann entweder den Rückkaufswert einschließlich etwaiger Überschussanteile fordern oder die fürs erste Jahr geleisteten Prämienanteile zurückfordern. Liegt die Voraussetzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 nicht vor, wird der VR verpflichtet, einen anteiligen Prämienbetrag an den VN zurückzuerstatten (siehe dazu Rn. 18).12 Die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 2 soll einerseits den VR für eine unterbliebene ordnungsgemäße Belehrung sanktionieren, andererseits soll die Vorschrift auch dem Umstand Rechnung tragen, dass dem VN in diesem Fall ein „ewiges“ Widerrufsrecht nach § 8 zusteht13 und der VR bei vollständiger Rückgewährung ansonsten unter Umständen jahrelang kostenlos Versicherungsschutz geleistet hätte.14 Hat der VR im Versicherungsfall bereits eine Leistung an den VN erbracht, ist er von seiner Rückerstattungspflicht, trotz unzureichender Belehrung gänzlich entbunden. 7 BTDrucks. 15/2946 S. 30 f. noch zu § 48c Abs. 5 a. F. 8 BGBl. I 932. 9 BTDrucks. 17/11469 S. 1, 10 ff., insbes. 12 f. unter Bezugnahme auf BTDrucks. 17/5097 Anl. 4. 10 Zu den Ausnahmen s. o. § 8 Rn. 81 ff. 11 Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 6; Armbrüster VersR 2012 513, 520; Funck VersR 2008 163. 12 Harmoniert mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2002/65/EG; Funck VersR 2008 163, 166. 13 Langheid/Rixecker/Rixecker § 9 Rn. 15; Staudinger/Halm/Wendt/Reusch § 9 Rn. 18; vgl. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 26; Wandt Versicherungsrecht (2016) Rn. 355eih. 14 BTDrucks. 15/2946 S. 30 f. zu § 48c Abs. 5 VVG 2004. 843

Knops

§ 9 VVG

Rechtsfolgen des Widerrufs

III. Anwendungsbereich 7 § 9 findet Anwendung auf Versicherungsverträge, die nach § 8 VVG widerrufen wurden und bei denen der Versicherungsschutz vor Ablauf der Widerrufsfrist auf Wunsch des VN geleistet wurde. Hat der VN dem frühzeitigen Versicherungsschutz nicht in ausdrücklicher Form zugestimmt (siehe unten Rn. 15), ist § 9 unanwendbar. Die Rückabwicklung richtet sich in diesem Fall nach §§ 357 ff., 346 ff. BGB; der VN kann dann seine bereits geleisteten Prämien vom VR zurückverlangen.15 Als lex specialis verdrängt § 9 in seinem Anwendungsbereich die allgemeinen Vorschriften 8 der §§ 357 ff., 346 ff., 312g BGB und regelt bestimmte Rechtsfolgen bei widerrufenen Versicherungsverträgen abschließend.16 Versicherungsverträge, die über den Fernabsatz geschlossen werden, fallen daher nur unter die spezialgesetzliche Regelung des § 9, der durch die Normen des BGB ggf. zu ergänzen ist. Wird eine Lebensversicherung abgeschlossen, sind ferner die Regelungen des § 152 Abs. 2 und § 169 zu beachten, da sie eine abweichende Rückabwicklung für diese Art von Versicherungsverträgen vorsehen. Soweit § 9 keine Rechtsfolge vorsieht, wird die vorzunehmende Abwicklung durch die allgemeinen Widerrufsfolgen ergänzt.17

IV. Übergangsregelung 9 Aufgrund der Reform richtet sich die Widerrufsfolge nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Das neue VVG erfasst ausnahmslos alle ab dem 1.1.2008 geschlossenen Versicherungsverträge. Auf Verträge die bis zum 31.12.2007 abgeschlossen wurden, findet gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG 2008 das VVG a. F. bis zum 31.12.2008 Anwendung.18

B. Kommentierung I. Widerrufsfolge bei ordnungsgemäßer Belehrung (§ 9 Abs. 1 Satz 1) 10 Wurde der VN vom VR ordnungsgemäß belehrt (dazu 1.), kann er nur den Prämienanteil zurückverlangen, der auf den Zeitraum nach dem Widerruf fällt (dazu 3.). Neben der ordnungsgemäßen Belehrung muss der VN zu dem Beginn des Versicherungsschutzes eingewilligt (dazu 2.) und der VR materiellen Versicherungsschutz geleistet haben (dazu 3.).

1. Ordnungsgemäße Belehrung Eine ordnungsgemäße Belehrung liegt vor, wenn der VR den VN auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufes und den von ihm zu zahlenden Betrag hingewiesen hat.

15 BTDrucks. 16/3945 S. 62; so auch BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784, 3785; OLG Karlsruhe 17.5.2019 – 12 U 141/17, RuS 2019 380, 381; Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 37. Zu der aus diesem Verhältnis resultierenden Problematik des zu bestimmenden Rückkaufswertes sei nur verwiesen auf Grote/Finkel NJW 2020 374, 375 m. w. N. 16 BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017 3784, 3785 m. w. N. zu Stimmen aus der Lit.; OLG Karlsruhe 17.5.2019 – 12 U 141/17, RuS 2019 380, 381; OLG Stuttgart 28.6.2018 – 7 U 84/18 (juris Rn. 3); Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 3. 17 BTDrucks. 16/3945 S. 62. 18 BTDrucks. 16/3945 S. 118. In dieser Frist sollen die Verträge an das neue Recht angepasst werden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass eine zulässige unechte Rückwirkung vorliegt. Knops

844

B. Kommentierung

VVG § 9

a) Über das Widerrufsrecht. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 hat der VR den VN über das ihm zuste- 11 hende Widerrufsrecht zu belehren. Ausdrücklich schränkt die Norm die Belehrung auf den Inhalt nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, also auf die Widerrufsbelehrung ein.19 Die Widerrufsfrist beginnt aber erst zu laufen, wenn nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Versicherungsschein und die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 dem VN in Textform zugegangen sind, wozu – wie bei der Unterrichtung über das Widerrufsrechts – eine Rechtspflicht besteht.20 Hinsichtlich der Belehrung über den Widerruf gelten dieselben Grundsätze wie nach § 8 (siehe dort Rn. 13 ff.). Zur Musterwiderrufsbelehrung siehe § 8 Rn. 97.

b) Über die Rechtsfolgen des Widerrufs. Die Rechtsfolgenbelehrung muss dem VN über die 12 wirtschaftlichen Konsequenzen verdeutlichen,21 aber nicht auch die Durchführung der Rückabwicklung nach den §§ 9, 152 VVG und §§ 346 ff. BGB verständlich machen.22 Nach dieser Rechtsprechung besteht keine gesonderte Hinweispflicht auf die Folgen fehlerhafter Belehrung, obwohl der VR diese zu verantworten hat. Für Fälle, in denen der Versicherungsschutz vor dem Ablauf der regulären zwei Wochen Widerrufsfrist geleistet wird, als auch für die Sachverhalte, wo der Versicherungsschutz über einen längeren Zeitraum gewährt wurde, ist dies nur dann hinnehmbar, wenn der dann noch mögliche Widerruf mangels ordnungsgemäßer Belehrung tatsächlich auch noch ausgeübt werden kann. c) Über den Zahlbetrag. Die Verpflichtung, über den Zahlbetrag zu informieren, ergibt sich 13 bereits aus § 7 Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV.23 Wenn eine Nennung eines konkreten Zahlbetrages nicht möglich ist, da der Widerrufszeitpunkt ex ante unbekannt ist,24 können in der Belehrung die Modalitäten seiner Berechnung abstrakt beschrieben werden.25 Ein Zwang dazu besteht aber auch aus Transparenzgründen nicht.26 Der VR genügt seiner Informationspflicht somit, indem er auf die Verpflichtung des VN zur Zahlung der bis zum Widerruf angefallenen Prämien hinweist.27 d) Zeitpunkt der Belehrung. Nach § 7 Abs. 1 muss der VR dem VN rechtzeitig vor Abgabe von 14 dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen mitteilen. Dazu gehören nach § 7 Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG-InfoV neben dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts u. a. auch die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung und die Rechtsfolgen des Wider19 Zur europarechtlich motivierten Kritik an dieser Auffassung ausf. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 10.

20 Zu den Rechtsfolgen der Verletzung der Belehrungspflicht § 8 Rn. 122 f. 21 BGH 12.3.2014 – IV ZR 295/13, NJW 2014 1658, 1662 vgl. auch BGH 23.6.2009 – XI ZR 156/08, NJW 2009 3020, 3021.

22 BGH 27.3.2019 – IV ZR 132/18, NJW 2019 1807, 1808 m. w. N. u. m. zust. Anm. Armbrüster NJW 2019 1808 f.; BGH 14.5.2014 – IV ZA 5/14, NJW-RR 2014 1447, 1448; a. A. noch Bruck/Möller/Bearbeiter9 Rn. 12; Schaaf/Winkens VersR 2016 360, 364; Schneider VW 2008 1168. 23 VVG-InfoV abgedruckt mit Begründung auch in VersR 2008 183. 24 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 18 f. 25 Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 14; Armbrüster RuS 2008 493, 502; Funck VersR 2008 163, 166. 26 Die Aufnahme von Berechnungsparametern würde eine Widerrufsbelehrung unnötig überfrachten, womit dann unter Umständen wieder die Klarheit und Transparenz der Belehrung insgesamt in Frage stehen würde. A.A. wohl Schaaf/Winkens VersR 2016 360, 365, die die „Erforderlichkeit einer [abstrakten] Bezifferung des zu zahlenden Betrags“ verlangen. 27 Armbrüster RuS 2008 493, 502; Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 14; restriktiver wohl Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 9. 845

Knops

§ 9 VVG

Rechtsfolgen des Widerrufs

rufs (§ 8 Rn. 54 ff.). Auch wenn die entsprechenden Hinweise und Belehrungen noch vor Beginn des materiellen Versicherungsbeginns erfolgen, sind sie verspätet, wenn sie nicht vor Abgabe des bindenden Antrags oder dessen Annahme seitens des VR erfolgen. In diesem Fall hat der VR keinen Anspruch auf die Prämien, die vor dem Widerruf des VN angefallen sind.28

2. Zustimmung des Versicherten 15 Der VN muss nach ordnungsgemäßer Belehrung zustimmen, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt. Zweifelhaft ist, ob als ausreichende Zustimmung bereits der vom VN im Versicherungsantrag angegebene Versicherungsanfang gewertet werden kann. Zwar wird dieser teilweise vom VN individuell, aber häufig auch formularmäßig vom VR vorgegeben. Auch bei formularmäßiger Vorgabe durch den VR soll es den Interessen beider Parteien entsprechen, dies als ausreichende Zustimmung zu werten.29 Dann aber hätte der VN nie die Wahl gehabt, eine Vertragsmodalität zu wählen, sondern könnte nur entscheiden, ob der Vertrag insgesamt zustande kommt oder nicht. Zugestimmt haben i. S. d. § 9 Abs. 1 Satz 1, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt, kann er sinnvollerweise erst, wenn ihm dies nicht formularmäßig vorgegeben, sondern eine eigene Entscheidung ermöglicht wird. Zwar muss der VN bereits mit der nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 zu erteilende Widerrufsbelehrung (dazu § 8 Rn. 13 ff.) über die Rechtsfolgen des Widerrufs belehrt werden. Eine Belehrung über die Zustimmung, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt, und deren Folgen gehört aber nicht in die Widerrufsbelehrung selbst, sondern in einen gesonderten Text. Schon aus Transparenzgründen muss ein durchschnittlicher VN verstehen, welche Auswirkung ein Versicherungsbeginn vor Ablauf der Widerrufsfrist hat. Dies hat mit der Widerrufsbelehrung als solcher nichts zu schaffen. Mit der Festlegung des Versicherungsbeginns durch den VN alleine ist eine solche Entscheidung nicht verbunden. Sie liegt vielmehr erst vor, wenn er sich über die Bedeutung der Terminfestlegung auch insoweit bewusst ist. In der Zahlung der Erstprämie selbst kann daher insofern erst recht keine konkludente Zustimmung gesehen werden. Da der VN die Versicherung in der Regel in dem Glauben abschließt, diese als Dauerschuldverhältnis zu begründen und nicht in dem Gedanken, sie gleich zu widerrufen, wird er der Erstzahlung nachkommen, um seine Leistungspflicht zu erfüllen, nicht aber um damit eine Erklärung abzugeben, die mit dem Vertragsschluss als solchem nicht verbunden ist.30

3. Prämienrückgewähr 16 Im Falle der ordnungsgemäßen Belehrung und Zustimmung des VN stehen dem VR sämtliche Versicherungsprämien zu, die bis zum Zugang der Widerrufserklärung des VN angefallen sind. Er darf somit die gezahlten Prämien behalten und ggf. auch Nachforderungen an den VN stellen, die vertragsgemäß bis zu diesem Zeitpunkt für den bestehenden Versicherungsschutz angefallen sind.31 Erbrachte Versicherungsleistungen kann der VR nicht zurückfordern.

28 Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 18 f. auch unter Hinweis auf Art. 7 Abs. 3 Satz 1 i.Vm. Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a der Richtlinie 2002/65/EG. 29 So etwa Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 16; Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 14; Funck VersR 2008 163. 30 Ebenso Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 17; vgl. Erman/Koch § 357a Rn. 4; a. A. Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 19 f.; ausf. auch Wandt Versicherungsrecht (2016) Rn. 348 ff. 31 Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 20; vgl. OLG Schleswig 17.3.2010 – 5 U 2/10, NJOZ 2011 145, 147; krit. dazu OLG Zweibrücken 10.5.2010 – 7 U 84/09, VuR 2010 307, 308 m. Anm. Maier. Zur europarechtlich motivierten Kritik an dieser Regelung ausf. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 6 f. m. w. N. Knops

846

B. Kommentierung

VVG § 9

Darüber hinaus gehende Teile der Prämien sind unverzüglich an den VN zu erstatten, spä- 17 testens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs. Andernfalls kommt der VR auch ohne Mahnung in Verzug. Der Erstattungsbetrag hat schließlich nach dem Willen des Gesetzgebers ohne Abzug von Kosten zu erfolgen.32 Selbstverständlich hat der VN nur insoweit zu leisten, als der VR tatsächlich ein Risiko übernommen hat.33 Auch insoweit sind nicht verbrauchte Prämien zurückzuerstatten.

II. Widerrufsfolge bei unzureichender Belehrung (§ 9 Abs. 1 Satz 2) § 9 Abs. 1 Satz 2 regelt die Widerrufsfolge bei unterbliebener oder fehlerhafter, jedenfalls aber 18 unzureichender Rechtsbelehrung des VN.

1. Regelungsinhalt Hat der VR den VN nicht entsprechend den Vorgaben in § 9 Abs. 1 Satz 1 belehrt (zur mangelnden Zustimmung Rn. 15), muss er dem VN neben den Prämienanteilen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 (dazu Rn. 16 f.) auch dessen erbrachte Leistungen für das erste Versicherungsjahr zurückzahlen.34 Diese Regelung soll den VR dafür sanktionieren, dass er den VN nicht ordnungsgemäß nach den Vorgaben in § 9 Abs. 1 Satz 1 belehrt hat. Dieser Anspruch besteht jedoch nur, wenn der VN keine Versicherungsleistung in Anspruch genommen hat, § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2. Mit der Inanspruchnahme der Versicherungsleistung ist hier jedoch nicht die abstrakte Gefahrtragung durch den Versicherungsschutz gemeint. Eine Inanspruchnahme (auch im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG) liegt vielmehr nur dann vor, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist und die Versicherung tatsächlich leisten musste.35

2. Europarechtskonformität des § 9 Abs. 1 Satz 2 Widerruft der VN im zweiten oder nachfolgenden Versicherungsjahr den Vertrag, verbleiben 19 dem VR trotz fehlender oder mangelhafter Belehrung jedenfalls die Versicherungsprämien, die über das erste Versicherungsjahr hinausgehen. Der deutsche Gesetzgeber hat dies als ausreichende Sanktion gegenüber dem nicht belehrenden VR angesehen, insbesondere auch unter dem Blickwinkel auf das mangels ordnungsgemäßer Belehrung fortbestehende Widerrufsrecht.36 Bei der Übertragung der materiell gleichen Regelung des § 48c Abs. 5 a. F. in § 9 Abs. 1 wurde abermals betont, dass die Vorschrift unter Beachtung der Vorgaben der Fernabsatzrichtline II die Rechtsfolgen regele, die sich für den Vertragspartner aus einem vom VN erklärten Widerruf ergäben.37 War somit der Wille zur richtlinienkonformen Gestaltung der Norm vorhanden, konnte dieser nicht vollständig umgesetzt werden. Problematisch ist an dem genannten materiellen Ergebnis zunächst, dass dem VR dadurch 20 die Vorteile gesichert werden, die er sich u. U. durch Überrumpelung oder durch unvollständige Informationen des VN verschafft hat. Das weicht auch unter Berücksichtigung der Grundsätze 32 BTDrucks. 15/2946 S. 31 zu § 48c VVG 2004. 33 BTDrucks. 15/2946 S. 31 zu § 48c VVG 2004. 34 Vgl. OLG Stuttgart 6.12.2018 – 7 U 107/18, RuS 2019 313, 314, wonach auch Einmalprämien nur anteilig zurückzuzahlen sind; a.A. Armbrüster RuS 2008 493, 503.

35 Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 26; Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 32; Garbe-Emden VersR 2013 1213, 1215; Wandt/Ganster VersR 2008 425, 435.

36 Siehe BTDrucks. 15/2946 S. 31 zu § 48c VVG 2004. 37 Siehe BTDrucks. 16/3945 S. 62. 847

Knops

§ 9 VVG

Rechtsfolgen des Widerrufs

über einen zu leistenden Wertersatz bei empfangener Leistung in den Widerrufsfällen erheblich von den §§ 355 ff. BGB ab,38 insbesondere auch, weil die Prämie ohne jede Kontrolle ihrer Marktüblichkeit ab dem zweiten Versicherungsjahr beim VR im vollen Umfang verbleibt. Ist schon die Zuerkennung der bis zum Widerruf angefallenen Prämien an den VR nach § 9 Abs. 1 Satz 1 nicht unproblematisch,39 verkümmert das Widerrufsrecht durch die Beschneidung der Erstattungspflicht auf das erste Jahr der Versicherung durch § 9 Abs. 1 Satz 2 im Ergebnis auf ein lediglich temporal wirkendes Gestaltungsrecht. Der Pflichtverstoß der unzureichenden Belehrung wird damit belohnt und der Ertrag – anstatt gemindert – ohne jede Kontrolle gesteigert, je länger der Vertrag besteht. Eine Kompensation, des durch die mangelnde Belehrung bestehenden Widerrufsrechts, durch die Zuerkennung von Prämienansprüchen schafft einen Anreiz zum Rechtsbruch und ist damit grundsätzlich verfehlt. 21 Im Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/65/EG verstößt die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 2 gegen Unionsrecht. Die Zahlungspflicht des VN lässt sich offensichtlich nicht mit Art. 7 Abs. 1 und 3 der Richtline 2002/65/EG vereinbaren. Dort sind keinerlei Ansprüche des Unternehmers (VR) vorgesehen, wenn eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Verbrauchers (VN) unterblieben ist.40 Dies erschließt sich auch aus der Formulierung des Art. 7 Abs. 4, wonach der Unternehmer alle Zahlungen binnen 30 Tagen zurückzuerstatten hat, außer dem in Absatz 1 genannten Betrag. Da Absatz 1 nur das Behaltendürfen des Betrages vor dem Widerruf vorsieht, wenn eine ordnungsgemäße Belehrung erfolgt ist, ergibt der Umkehrschluss, dass bei einer unzureichenden Belehrung dem VR kein Zahlungsanspruch zusteht.41 Art. 7 regelt nicht nur abschließend die Gegenleistungspflicht des VN, sondern schützt ihn auch vor Wertersatzansprüchen, weil es ihm unmöglich ist, die Sache wegen ihren Charakters als Dienstleistung in Natur zurückzugewähren42 und er auch nicht durch die Abgabe eines bedingten Geldleistungsversprechens für den Versicherungsfall bereichert ist.43 Offenbar irrig stützt der Gesetzgeber die Konformität des § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 hingegen auf die Regelung des Art. 7 Abs. 2,44 wonach Mitgliedstaaten bestimmen können, dass im Falle eines Widerrufs45 der Verbraucher keinen Betrag schuldet. Von dieser Option, so der Gesetzesentwurf der Bundesregierung 2004, habe der Bundesgesetzgeber keinen Gebrauch gemacht, sondern sich dafür entschieden, eine Erstattungspflicht des Verbrauchers ins Gesetz aufzunehmen; schließlich habe der Verbraucher bis zum Widerruf die Leistung in Anspruch genommen.46 Die nationale Regelung der Wertersatzpflicht widerspricht aber dabei nicht nur dem gemeinschaftsrechtlichem Grundsatz des „effet utile“, wonach bei Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht eine Sanktion gefordert ist.47 Ebenso widerspricht sie der Intention der Richtlinie, 38 Der VR darf nach § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG nur bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen die Prämien für den Zeitraum bis zum Zugang des Widerrufs behalten. Liegt die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Belehrung nicht vor, ergibt sich aus dem Umkehrschluss, dass dem VN ein Anspruch auf Rückerstattung aller geleisteten Prämienzahlungen gemäß §§ 357, 346 BGB zusteht. Diesen Grundsatz hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 VVG jedoch modifiziert und gibt vor, dass der Versicherungsgeber lediglich die Versicherungsprämien des ersten Versicherungsjahres zurückzuerstatten hat, weswegen § 9 Abs. 1 Satz 2 von den §§ 357, 346 BGB signifikant abweicht. 39 Siehe oben Fn. 38. 40 Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1714; ebenso Wandt/Ganster VersR 2008 425, 429. 41 Wandt/Ganster VersR 2008 425, 427. 42 Vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 9 Rn. 17 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 9 Rn. 16 ff.; zur a. F. siehe etwa auch BGH 28.1.2004 – IV ZR 58/03, VersR 2004 497, 498; Knöfel ZGS 2004 182, 185; Felke/Jordans NJW 2005 710, 711; Schneider VersR 2004 696, 704; vgl. dazu auch die Stellungnahme der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts zur Umsetzung der Richtlinie 2002/65/EG und 2002/92/EG vom 2. Juni 2003 S. 19. 43 Schneider VersR 2004 696, 704; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 120 ff. m. w. N. 44 Siehe BTDrucks. 15/2946 S. 30 f. 45 Im Wortlaut heißt es zwar „bei Kündigung“, nach Sinn und Zweck der Regelung wie aus systematischer Sicht wird aber deutlich, dass damit der Widerruf gemeint ist (zutreffend Wandt/Ganster VersR 2008 425, 426). 46 BTDrucks. 15/2946 zu § 48c VVG S. 30; krit. Rott BB 2005 53, 62; Schneider VersR 2004 696, 704 f. 47 Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1714. Knops

848

B. Kommentierung

VVG § 9

da der VN bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 und Abs. 3 frei von Wertersatzverpflichtungen bleiben muss. Die Regelung in Art. 7 Abs. 2 soll lediglich dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnen, eine Regelung zu schaffen, die sogar eine Wertersatzpflicht des Verbrauchers ausschließt, wenn die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 und Abs. 3 nicht vorliegen.48 Deshalb wäre § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 nur richtlinienkonform, wenn der Widerruf binnen eines Jahres erfolgt, weil dem VN sämtliche Prämien zurückerstattet werden. Angesichts dieser Rechtslage kann dem VN offenbar nur damit geholfen werden, dass ihm wegen der Verletzung der Belehrungspflicht ein Schadensersatzanspruch gegen den VR zugestanden wird, der über die §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB zu einer Erstattung bzw. Freistellung von den Prämien für die über das erste Versicherungsjahr hinausgehenden Zeit führt, wobei aber auch angesichts der parallelen Problematik bei der unterlassenen Haustürwiderrufsbelehrung in den sog. Schrottimmobilienfällen hohe Hürden in rechtlich und tatsächlicher Hinsicht zu überwinden sind.49

III. Weitere Fallgruppen Mit der Regelung in § 9 Abs. 1, die materiell der alten Rechtslage nach § 48c Abs. 5 a. F. ent- 22 spricht, hat der Gesetzgeber nicht alle praxisrelevanten Fallgruppen zu erfassen vermocht.

1. Versicherungsschutz ohne Zustimmung des VN Nicht ausdrücklich geregelt ist der Fall, dass der VN dem Versicherungsschutz vor Ablauf der Widerrufsfrist nicht ausdrücklich zugestimmt (siehe Rn. 15) hat. § 9 Abs. 1 Satz 1 erfasst lediglich den Fall fehlender oder mangelhafter Belehrung. In Fällen fehlender Zustimmung kann der VN jedwede geleisteten Prämien gemäß §§ 357 ff., 346 ff. BGB vom VR zurückverlangen. Eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 2 scheidet wegen dessen Richtlinienwidrigkeit aus, wie dieses Ergebnis den Wertungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 und Art. 7 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2002/65/ EG entspricht.50 Ein Wertersatz für die unaufgefordert erbrachte Leistung des VRs besteht aus Sanktionsgründen nicht.

2. Fehlender Versicherungsschutz vor Widerruf Bestand vor dem Zugang der Widerrufserklärung des VN zu seinen Gunsten kein materieller 23 Versicherungsschutz, ist der VR zur Rückerstattung der geleisteten Prämien gemäß §§ 357 ff., 346 ff. BGB verpflichtet.51 Mangels Leistung ist ein Wertersatz für die Zeit vor dem Widerrufszugang ausgeschlossen.

3. Anspruch auf rückständige Prämien Bis zum Widerruf ist der Vertrag schwebend wirksam (siehe § 8 Rn. 7). Entscheidend für den 24 Prämienanspruch des VR nach § 9 Abs. 1 Satz 1 ist der Zugang der Widerrufserklärung des VN 48 Zutreffend Armbrüster RuS 2008 493, 502; Wandt/Ganster VersR 2008 425, 426, 429. 49 Einen solchen Anspruch ablehnend bspw. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 31;einig Marlow/ Spuhl S. 36; vgl. auch Staudinger/Halm/Wendt/Reusch § 9 Rn. 18. 50 Zutreffend Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 13; i. Erg. offen lassend Looschelders/Pohlmann/Heinig/ Makowsky § 9 Rn. 36. 51 BTDrucks. 16/3945 S. 62. 849

Knops

§ 9 VVG

Rechtsfolgen des Widerrufs

bei ihm.52 Vielfach wird der VN noch nicht die bis zu diesem Zeitpunkt geschuldete Prämie gezahlt haben. Sofern der VN Leistungen im Versicherungsfall beanspruchen kann, erhält der VR die fehlende Prämie im Wege des Wertersatzes nach den §§ 357 ff., 346 ff. BGB.53 Im Falle des Widerrufs durch den VN unabhängig von der vertraglich oder durch das VVG gesetzlich vorgesehenen Prämienfälligkeit, da mit Widerruf allein die genannten Vorschriften des BGB zur Anwendung kommen.

IV. Abweichende Regelungen für Lebensversicherungen 25 § 152 enthält abweichende Regelungen für den Widerruf von Lebensversicherungen. Gemäß § 152 Abs. 2 werden die Verpflichtungen des VR aus § 9 erweitert, wenn der VN eine Lebensversicherung widerruft. Liegen die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 (Rn. 10 ff.) vor, kann der VN nach § 152 Abs. 2 zusätzlich zu den zu viel gezahlten Prämienanteilen (Rn. 16) den Rückkaufswert und vorhandene Überschussanteile gemäß § 169 verlangen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 2 (Rn. 18) kann der VN nach § 152 Abs. 1 wählen, ob er die Prämie für das erste Jahr oder den Rückkaufswert einschließlich etwaiger Überschussanteile gemäß § 169 Abs. 3 bis 7 zurückverlangt, zusätzlich zu den überschüssigen Prämienanteilen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1.54 Dieser Rückerstattungsanspruch rechtfertigt sich dadurch, dass die Lebensversicherung auch der Vermögensansammlung durch den VN dient.55 Zu näheren Einzelheiten siehe die Kommentierung zu § 152.

V. Zusammenhängender Vertrag (§ 9 Abs. 2) 26 Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 ist der Versicherungsnehmer auch an einen mit dem widerrufenen Versicherungsvertrag zusammenhängenden Vertrag nicht mehr gebunden. Ein zusammenhängender Vertrag liegt laut § 9 Abs. 2 Satz 2 vor, wenn er einen Bezug zu dem widerrufenen Vertrag aufweist und eine Dienstleistung des Versicherers oder eines Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Versicherer betrifft. Der Bezug zu dem widerrufenen Vertrag ist als strukturelle innere Abhängigkeit zu verstehen, infolge derer der tatsächliche oder wirtschaftliche Zweck des zusammenhängenden Vertrages durch den Widerruf entfällt.56 Dabei stellt der Gesetzgeber vor allem darauf ab, ob die Verträge zueinander im Verhältnis von Haupt- und Nebenvertrag im Sinne eines Zusatzvertrages stehen. Ferner komme es auf den zeitlichen Zusammenhang der Vertragsschlüsse an,57 was jedoch ein wenig aussagekräftiges Indiz ist.58 Damit weist § 9 Abs. 2 zum später in Kraft getretenen § 360 BGB59 zwar inhaltliche Parallelen auf,60 die § 9 Abs. 2 als lex specialis aber verdrängt.61 Als Beispiele seien die Fälle genannt, 52 53 54 55 56

Gewahrt wird die Frist des Widerrufs nach § 8 Abs. 1 hingegen mit rechtzeitiger Absendung. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 13; a. A. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 20. BTDrucks. 16/3945 S. 95. Werber/Winter Grundzüge des Versicherungsrechts (1986) Rn. 165; Garbe-Emden VersR 2013 1213, 1216. Ähnlich Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 23; vgl. auch Langheid/Rixecker/Rixecker § 9 Rn. 25; Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 31; Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 42; Staudinger/Halm/Wendt/ Reusch § 9 Rn. 29. 57 BTDrucks. 17/11469 S. 13 unter Rückgriff auf eine Gegenäußerung der Bundesregierung zum Begriff des „hinzugefügten Vertrages“ aus BTDrucks. 17/5097 S. 27 (Anl. 4). 58 Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 42; Prölss/Martin/Armbrüster § 9 Rn. 44; vgl. Langheid/ Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 31 a. E. 59 Eingefügt durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013 (BGBl. I 3642). 60 Näher dazu Wendt/Lorscheid-Kratz BB 2013 2434, 2439. 61 Reiff VersR 2016 757, 761; wohl auch Wendt/Lorscheid-Kratz BB 2013 2434, 2438. Knops

850

D. Beweislast

VVG § 9

dass einem Vertrag über die Hausratversicherung ein Vertrag über eine Fahrradversicherung hinzugefügt wird62 oder dass ein Vermittler einer Nettopolicenversicherung mit dem VN eine selbstständige Vergütungsvereinbarung abschließt.63 Sofern der VN das ihm zustehende Widerrufsrecht wirksam ausübt (§ 8 Rn. 44 ff.), entfällt 27 zeitgleich auch die Bindung an den zusammenhängenden Vertrag. Hinsichtlich der Rechtsfolgen kommt es auf die Vorschriften an, die im Falle eines Widerrufes des zusammenhängenden Vertrages anwendbar wären.64 Damit dürften insbes. die Regelungen der §§ 357 ff. BGB entsprechend heranzuziehen sein. Allerdings gebietet es der verbraucherschützende Charakter der Regelung, dass der VN den zusammenhängenden Vertrag vom Widerruf ausnehmen kann. Dafür muss der zusammenhängende Vertrag separat durchführbar sein und der VN muss deutlich machen, dass der Widerruf ihn nicht erfassen soll.65 In Anbetracht der Anforderungen an das Vorliegen eines zusammenhängenden Vertrages ist ein derartiger Fall gleichwohl nur schwer vorstellbar.66 Zudem dürfen Vertragsstrafen jedweder Art nach § 9 Abs. 2 Satz 3 für den Fall des Widerrufs nicht vereinbart oder verlangt werden.

C. Abdingbarkeit Gemäß § 18 kann von der Norm nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. Beinhalten 28 die AVB eine Klausel, welche die Zustimmung des VN zum Beginn des Versicherungsschutzes vor Ablauf der Widerrufsfrist bestimmt, liegt keine Zustimmung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 vor.67 Sie benachteiligt den VN unangemessen und statuiert eine Erklärung, die nicht ohne Erläuterung ihrer Rechtsfolgen fingiert werden darf.68

D. Beweislast Der VR, der gezahlte Prämien behalten oder für den Versicherungsschutz solche beanspruchen 29 will, hat zu beweisen, dass er den VN ordnungsgemäß nach § 9 Abs. 1 Satz 1 belehrt hat und eine Zustimmung des VN zur Erbringung der Versicherungsleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist vorgelegen hat. Kann er dies nicht, hat der VR zusätzlich die für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Prämien zu erstatten. Die davon vorgesehene Ausnahme, dass eine derartige Erstattungspflicht ausscheidet, wenn der VN Leistungen aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch genommen hat, ist als für den VR günstige Tatsache auch vom ihm zu belegen. Dem VR obliegt es auch zu beweisen, dass das vom VN geltend gemachte Widerrufsrecht nicht mehr bestand. Der VN muss hingegen im Rückabwicklungsprozess beweisen, dass kein Versicherungsschutz bestand, wenn er vor dem Widerruf vorbehaltlos Prämien an den VR geleistet hat.

62 BTDrucks 17/11469 S. 13; strenger Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 9 Rn. 22. 63 Reiff VersR 2016 757, 764; vgl. auch LG Stuttgart 15.11.2016 – 4 S 254/16, NJW-RR 2017 359. 64 Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 32; Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 44; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 25.

65 BTDrucks. 17/11469 S. 13. 66 Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 44. 67 So auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 9 Rn. 17; vgl. Erman/Koch § 357a Rn. 4; Felke/Jordans WM 2004 166, 170; zur alten Rechtslage siehe etwa auch Staudinger/Thüsing (2005) § 312d Rn. 35, 79; MüKoBGB/Wendehorst4 § 312d Rn. 61, jew. m. w. N.; a. A. etwa Langheid/Wandt/Eberhardt § 9 Rn. 16; Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky § 9 Rn. 14; Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1039. 68 Siehe oben Rn. 15. 851

Knops

§ 10 Beginn und Ende der Versicherung Ist die Dauer der Versicherung nach Tagen, Wochen, Monaten oder einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum bestimmt, beginnt die Versicherung mit Beginn des Tages, an dem der Vertrag geschlossen wird, er endet mit Ablauf des letzten Tages der Vertragszeit.

Schrifttum Felsch Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Versicherungsrecht- Allgemeines Versicherungsvertragsrecht und Rechtsschutzversicherung, RuS 2016 321; Wandt/Ganster Zur Harmonisierung von Versicherungsbeginn und Prämienfälligkeit durch AVB im Rahmen des VVG 2008, VersR 2007 1034; Werner Versicherungsbeginn und Zeitpunkt des Vertragsschlusses im privaten Versicherungsrecht, VersR 1985 522; für das ältere Schrifttum vgl. die 8. Auflage unter § 7 Rn. 2.

Übersicht 1

A.

Entstehungsgeschichte

B.

Inhalt und Zweck der Regelung

4

C.

Anwendungsbereich

D.

Abdingbarkeit

E.

Österreichisches Recht

6

8 9

A. Entstehungsgeschichte 1 Die Vorgängervorschrift (§ 7 a. F.) stellte für Beginn und Ende der Versicherung abweichend von §§ 187 Abs. 2, 188 BGB auf den Mittag des Tages ab, an welchem der Vertrag geschlossen wurde oder beendet werden sollte. Durch G vom 21.7.19941 wurde ihr als Abs. 2 die Bestimmung angefügt, nach der Abs. 1 auf die Krankenversicherung keine Anwendung findet. Zweck der Regelung war, für den häufigen Wechsel zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung Lücken im Versicherungsschutz zu vermeiden, die dadurch entstehen konnten, dass die gesetzliche Krankenversicherung für die zeitliche Festlegung des Versicherungsschutzes auf den Beginn und das Ende des Tages der Versicherungspflicht abstellt. Auch für die Kfz-Haftpflichtversicherung war 1994 zur Verhinderung von Deckungslücken nach § 1 Abs. 2 KfzPflVV § 7 a. F. durch die Anwendung der §§ 187 und 188 BGB ersetzt worden. 2 Mit der Reform ist die gesetzliche Mittagsregelung vollständig aufgegeben worden. In Übereinstimmung mit den allgemeinen Regeln des BGB legt § 10 den Beginn der materiellen Versicherungsdauer auf den Beginn des Tages des Vertragsschlusses und ihr Ende auf den Ablauf des letzten Tages der Vertragszeit. Damit sind die früheren Sonderregelungen für die Krankenversicherung und die Kfz-Haftpflichtversicherung entbehrlich geworden. 3 § 10 gilt für alle Versicherungszweige mit Ausnahme der See- und Rückversicherung (§ 209). Die Sondervorschriften der §§ 134 Abs. 2 und 138 a. F. über Beginn und Ende der Güter- und Schiffsversicherung sind nicht in das neue VVG übernommen worden.

B. Inhalt und Zweck der Regelung 4 § 10 bezieht sich wie § 7 a. F. auf die materielle Versicherungsdauer, die von der formellen und technischen abzugrenzen ist (vgl. § 2 Rn. 8). Der materielle Versicherungsbeginn pflegt in Versicherungsverträgen regelmäßig ausdrücklich vereinbart zu werden, sodass der Vorschrift keine große 1 BGBl. I 1630. K. Johannsen/Koch https://doi.org/10.1515/9783110522600-023

852

D. Abdingbarkeit

VVG § 10

praktische Bedeutung zukommt. Sie legt lediglich bei Fehlen vertraglicher Regelungen fest, zu welchem Zeitpunkt am Tage des Vertragsschlusses die Haftung des VR beginnen und am letzten Fristtag enden soll. Ohne diese Regelung wäre der Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidend, der oftmals nur schwer feststellbar ist.2 Materieller Versicherungsbeginn im Sinne von § 10 bedeutet auch nicht, dass der VR sofort leistungspflichtig ist. Wenn es an einer Parteivereinbarung über den Beginn des materiellen Versicherungsschutzes fehlt, steht seine Leistungsverpflichtung nämlich unter dem Vorbehalt der Zahlung der Prämie nach § 37 Abs. 2.3 Das gilt für nach § 8 widerrufliche und unwiderrufliche Versicherungsverträge, zwischen denen § 10 nicht differenziert.4 Die Vorschrift des § 10 führt zu einer gesetzlichen Rückwärtsversicherung für den Zeit- 5 raum zwischen Beginn des Tages und dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Auf sie finden die Regelung des § 2 Anwendung.5 Von Bedeutung ist insbesondere die Anwendung des § 2 Abs. 2 S. 2, der die Leistungspflicht des VR entfallen läßt, wenn der VN bei Abgabe seiner Vertragserklärung, die dem Vertragsabschluss notwendiger Weise vorgelagert ist, davon Kenntnis hat, dass ein Versicherungsfall schon eingetreten ist (§ 2 Rn. 34 ff.).

C. Anwendungsbereich § 10 hat nur Bedeutung für die Berechnung der materiellen Versicherungsdauer. Für andere 6 Zeiträume, z. B. für die Berechnung von Zahlungs-, Rücktritts- und Kündigungsfristen, ist § 10 unerheblich.6 Die zu § 7 a. F. bestehende Streitfrage, ob die Vorschrift analog anzuwenden sei, wenn materieller und formeller Versicherungsbeginn auseinanderfallen,7 ist durch die Abkehr von der Mittagsregelung obsolet geworden, weil die vorrangige Auslegung der Vereinbarung unter Heranziehung von § 187 Abs. 2 BGB zu dem gleichen Ergebnis führt wie die analoge Anwendung von § 10. Auch unter der Geltung des § 7 a. F. war eine Klausel, nach der der vorläufige Versicherungs- 7 schutz in der Lebensversicherung beginnt „mit dem Tage, an dem Ihr Antrag bei uns eingeht“, dahin auszulegen, dass materieller Versicherungsschutz bereits ab Mitternacht bestand, wenn der Antrag im Laufe des Tages einging.8 § 10 findet auf einen Vertrag über vorläufigen Versicherungsschutz schon deshalb keine Anwendung, weil seine Dauer nicht „nach Tagen, Wochen, Monaten oder einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum“ bestimmt wird, sondern von besonderen Voraussetzungen, die in den Vertragsbedingungen im Einzelnen aufgeführt sind.9

D. Abdingbarkeit § 10 ist dispositiv. Er kommt ausschließlich dann zur Anwendung, wenn sich aus dem Versiche- 8 rungsvertrag, den diesen ergänzenden AVB oder sonstigen gesetzlichen Normen nichts anderes ergibt.10 Abweichungen kommen insbesondere für Versicherungszweige in Betracht, in denen 2 BGH 13.12.1989 – IVa ZR 177/88, VersR 1990 258, 259. 3 Bruck/Möller/Möller8 § 7 Anm. 8, der zutreffend zwischen „potentiellem“ und „faktischem“ materiellen Versicherungsbeginn differenziert. 4 Prölss/Martin/Armbrüster § 10 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 10 Rn. 12. 5 Langheid/Rixecker/Rixecker § 10 Rn. 1; Langheid/Wandt/Fausten § 10 Rn. 11; Prölss/Martin/Armbrüster § 10 Rn. 2. 6 BGH 13.12.1989 – IVa ZR 177/88, VersR 1990 258 zu § 7 a. F.; Langheid/Wandt/Fausten § 10 Rn. 9; Langheid/Rixecker/Rixecker § 10 Rn. 1. 7 So Prölss/Martin/Prölss bis zur 27. Aufl.§ 7 Rn. 1; Berliner Kommentar/Gruber § 7 Rn. 1; a. M. Bruck/Möller/Möller8 § 7 Rn. 5; Römer/Langheid/Römer2 § 7 Rn. 3. 8 LG Saarbrücken 23.7.2001 – 12 O 478/00 RuS 2003 187. 9 Vgl. dazu LG Saarbrücken 23.7.2001 – 12 O 478/00 RuS 2003 187. 10 Langheid/Wandt/Fausten § 10 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 10 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 10 Rn. 4. 853

K. Johannsen/Koch

§ 10 VVG

Beginn und Ende der Versicherung

nächtliche Versicherungsfälle häufig eintreten und sich schwer feststellen lässt, ob sich der Versicherungsfall vor oder nach Mitternacht ereignet hat. Das gilt z. B. für die Feuerversicherung und die Einbruchsdiebstahlversicherung

E. Österreichisches Recht 9 § 7 VersVG entspricht § 7 Abs. 1 a. F. Statt „die Versicherung“ heißt es klarstellend „Die Haftung des Versicherers“.

K. Johannsen/Koch

854

§ 11 Verlängerung, Kündigung (1) Wird bei einem auf eine bestimmte Zeit eingegangenen Versicherungsverhältnis im Voraus eine Verlängerung für den Fall vereinbart, dass das Versicherungsverhältnis nicht vor Ablauf der Vertragszeit gekündigt wird, ist die Verlängerung unwirksam, soweit sie sich jeweils auf mehr als ein Jahr erstreckt. (2) 1Ist ein Versicherungsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, kann es von beiden Vertragsparteien nur für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode gekündigt werden. 2Auf das Kündigungsrecht können sie einvernehmlich bis zur Dauer von zwei Jahren verzichten. (3) Die Kündigungsfrist muss für beide Vertragsparteien gleich sein; sie darf nicht weniger als einen Monat und nicht mehr als drei Monate betragen. (4) Ein Versicherungsvertrag, der für die Dauer von mehr als drei Jahren geschlossen worden ist, kann vom Versicherungsnehmer zumSchluss des dritten oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.

Schrifttum Brams Die Zurückweisungspflicht des Versicherers auf ihm zugegangene unwirksame Kündigungen des Versicherungsnehmers – dargestellt anhand von §§ 13 MBKK 76, 17 MBKK 94, 178 VVG, VersR 1997 1308; Ebnet Die Kündigung von Versicherungsverträgen, NJW 2006 1697; Eichelberger Außerordentliche Kündigung einer die Versicherungspflicht erfüllenden Krankheitskostenversicherung durch den Versicherer, VersR 2010 886; Fenyves Die Laufzeit von Versicherungsverträgen aus rechtswissenschaftlicher Sicht, VersRdsch 1991 1; Fetzer Unwirksamkeit von Fünfjahresklauseln aus der Zeit vom 1.1.1991 bis 24.6.1994? Zugleich Anmerkung zum Urteil des BGH vom 28.6.1995 (ZR 19/94), VersR 1995 1185, VersR 1996 169; Franz Das Versicherungsvertragsrecht im neuen Gewand – Neuregelungen und ausgewählte Probleme, VersR 2008 298; Fricke Kündigungsrecht im Versicherungsfall für alle Schadensversicherungszweige – Ein Beitrag zur Reform des VVG, VersR 2000 16; Funck/Pletsch Wann ist ein Fünfjahres(alt)vertrag kündbar? VersR 2009 615; v. Hippel Zur Unwirksamkeit langjähriger Bindung des Versicherungsnehmers durch formularmäßige Laufzeitklauseln in Versicherungsverträgen, JZ 1990 984; Kagelmacher Die Schadenfallkündigung im Versicherungsvertragsrecht, Diss. Hamburg 2000; Leverenz Zehn- und Fünfjahresverträge bei Unfall- und Schadenversicherungen, NJW 1997 421; ders. Zurückweisung unwirksamer Kündigungen des VN durch den Versicherer, VersR 1999 525; Mandler Nachweispflichten beim Widerruf eines Krankenversicherungsvertrages, VersR 2015 1489; Präve Zur Wirksamkeit einer zehnjährigen Vertragsbindung bei Versicherungsverträgen, ZfV 1992 62; Rogler Pflicht des Versicherers zur Zurückweisung unwirksamer Kündigungen, RuS 2007 140; W. Schneider Neues Recht für alte Verträge, VersR 2008 859; Stoffregen Die Kündigung von Lebensversicherungen nach § 168 VVG (2018); D. Wendt Zum Widerruf im Versicherungsvertragsrecht 2013 Münsteraner Reihe Bd. 127; Wille Der langjährige Versicherungsvertrag, VersR 1992 129; ders. Langjährige Schadens- und Unfallversicherungsverträge im Lichte des AGBG, VersR 1995 1404; Wriede Wirksamkeit der unwirksamen Kündigung des Versicherungsnehmers, VersR 1965 9.

Übersicht 1

A.

Einleitung

I.

Entstehungsgeschichte und Übergangs1 recht 7

II.

Zweck und Inhalt der Regelung

B.

Einzelheiten

I.

Versicherungsverhältnisse auf bestimmte Zeit 9 (§ 11 Abs. 1) – Verlängerungsklauseln

9

855 https://doi.org/10.1515/9783110522600-024

II.

Versicherungsverhältnisse auf unbestimmte Zeit (§ 11 Abs. 2) 14

III.

Kündigungsfrist (§ 11 Abs. 3)

IV.

Langfristige Verträge (§ 11 Abs. 4)

C.

Kündigung

I.

Überblick über gesetzliche Kündigungsmöglich21 keiten

17 18

21

K. Johannsen/Koch

§ 11 VVG

Verlängerung, Kündigung

II.

Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 24 BGB)

III.

Vertragliche Kündigungsmöglichkeiten

IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

32 Regelungen für die Kündigung 32 Kündigungsberechtige 36 Erklärungsempfänger 39 Form 41 Inhalt 42 Fristen Behandlung nicht ordnungsgemäßer Kündi44 gungserklärungen a) Besonderheiten des Versicherungsvertrags44 rechts

b)

31

7. 8. 9. 10.

Rechtsfolgen bei unterbliebender Zurück48 weisung 49 Wirkung der Kündigung 53 Teilkündigung 54 Abdingbarkeit 55 Beweisfragen

D.

Österreichisches Recht/PEICL

I.

Österreichisches Recht

II.

PEICL

59

59

62

A. Einleitung I. Entstehungsgeschichte und Übergangsrecht 1 Die Vorgängerregelung (§ 8 a. F.) ist seit Inkrafttreten des VVG wiederholt geändert worden. Unverändert ist lediglich Abs. 1 über die zwingende zeitliche Beschränkung von Verlängerungsklauseln auf ein Jahr geblieben. Durch Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.19391 ist nach österreichischem Vorbild mit Abs. 2 ein Kündigungsrecht für auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Versicherungsverträge geschaffen worden. Dieses hat aber praktische Bedeutung nicht erlangt, weil derartige Verträge in Deutschland im Wesentlichen nur in der Krankenversicherung vorkommen, für die besondere Vorschriften gelten.2 Ein starker Reformbedarf entstand aber in den letzten beiden Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts hinsichtlich der in der Versicherungspraxis, insbesondere im Massengeschäft der Hausrats-, Unfall-, Privathaftpflicht- und Rechtsschutzversicherung üblichen langfristigen Versicherungsverträge, die häufig ohne Kündigungsmöglichkeit über Zeiträume von zehn Jahren und länger liefen. Es wurde von Verbraucherverbänden und in der Literatur geltend gemacht, dass die Dispositionsfreiheit der VN, ihren Versicherungsbedarf an unvorhergesehene Veränderungen wirtschaftlicher oder persönlicher Umstände anzupassen, unangemessen beeinträchtigt sei.3 Der Gesetzgeber reagierte zunächst mit dem G v. 17.12.1990 zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften,4 durch das mit § 8 Abs. 3 a. F. ein Kündigungsrecht für auf mehr als drei Jahre befristete Versicherungsverträge eingeführt wurde, es sei denn, dass der VR dem VN vor Abschluss des Vertrages schriftlich auch Verträge für die Dauer von einem Jahr, drei, fünf und zehn Jahren angeboten und dabei auf Verträge mit einer Dauer von fünf und mehr Jahren einen bestimmten Prämiennachlass eingeräumt hat. Durch diese Angebote, zu deren Abgabe der VR nicht verpflichtet war,5 behielt er die Möglichkeit, weiterhin unkündbare Versicherungsverträge von langjähriger Dauer abzuschließen. Es wurde ferner durch § 8 Abs. 4 a. F. für den VN ein Widerrufsrecht begründet, das er bei Verträgen mit einer längeren Laufzeit als einem Jahr binnen einer Frist von zehn Tagen nach Unterzeichnung des Vertragsantrages ausüben konnte.

1 2 3 4 5

RGBl. I 2443. §§ 178h und 178i a. F. jetzt §§ 205, 206. Vgl. z. B. v. Hippel JZ 1990 730; Präve ZfV 1992 62. BGBl. I 2864. OLG Stuttgart 17.12.1993 – 2 U 179/93, VersR 1995 202; Wille VersR 1995 1404; Fetzer VersR 1996 169.

K. Johannsen/Koch

856

A. Einleitung

VVG § 11

Die nächste Änderung von § 8 a. F. erfolgte durch das G v. 21.7.1994, durch das die dritten versicherungsrechtlichen Richtlinien des Rates der EG in deutsches Recht umgesetzt wurden.6 Die Neufassung von § 8 a. F. kam erst im Vermittlungsverfahren zustande, nachdem im Bundestag und Bundesrat heftige rechtspolitische Auseinandersetzungen über langfristige Versicherungsverträge stattgefunden hatten.7 Das Kündigungsrecht wurde jetzt auf Versicherungsverhältnisse mit einer längeren Laufzeit als fünf Jahre beschränkt und konnte nach § 8 Abs. 3 a. F. ab Ende des fünften oder jedes darauffolgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten ausgeübt werden. Es stand beiden Vertragsparteien zu und war an keine weitere Voraussetzung als die Vertragsdauer geknüpft. Es galt nicht für die Lebens- und Krankenversicherung. Das Widerrufsrecht für Verträge mit einer längeren Laufzeit als ein Jahr war durch § 8 Abs. 4 bis 6 a. F. umgestaltet worden: Es stand nur VN zu, die kein Widerspruchsrecht nach § 5a a. F. hatten, galt also nur für den Abschluss des Vertrages nach dem Antragsmodell. Es war auch ausgeschlossen für die vorläufige Deckung und galt nicht, wenn die Versicherung nach dem Inhalt des Antrags für die bereits ausgeübte gewerbliche oder selbstständige berufliche Tätigkeit des VN bestimmt war. Für die Lebensversicherung war das Widerrufsrecht auf Grund europarechtlicher Vorgaben in § 8 Abs. 5 a. F. durch ein Rücktrittsrecht ersetzt worden. Im reformierten VVG entfallen bei der Regelung über die Vertragsdauer in § 11 Bestimmungen über das bisherige Widerrufs- und Rücktrittsrecht. An die Stelle des Widerrufsrechts für Versicherungsverträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr ist das generelle Widerrufsrecht des VN nach § 8 getreten. Die Sonderregelung über das Rücktrittsrecht in der Lebensversicherung ist in die besonderen Vorschriften für diesen Versicherungszweig übernommen worden, vgl. § 152, wonach die Widerrufsfrist 30 Tage beträgt. Die Regelung in § 8 Abs. 1 a. F. über Verlängerungsklauseln wird inhaltlich im Wesentlichen unverändert in § 11 Abs. 1 übernommen. Die redaktionellen Änderungen dienen der Klarstellung, dass die Vorschrift alle auf bestimmte Zeit mit Verlängerungsklausel geschlossenen Verträge erfassen soll. In Abs. 2 ist die Regelung des § 8 Abs. 2 S. 1 a. F. für Versicherungsverhältnisse, die auf unbestimmte Zeit eingegangen sind, unverändert übernommen worden. Als S. 2 ist die bisherige Regelung des § 8 Abs. 2 S. 3 a. F. über die Möglichkeit eines Verzichts auf die Kündigung eingefügt worden, die die VVG ReformKommission als entbehrlich hatte streichen wollen.8 § 11 Abs. 3 entspricht § 8 Abs. 2 S. 2 a. F. Durch die Übernahme der Bestimmung über die Ausgestaltung der Kündigungsfrist in einen besonderen Absatz wird aber ihr Anwendungsbereich auf Verträge mit bestimmter Laufzeit mit Verlängerungsklauseln erstreckt. Die wichtigste Änderung enthält § 11 Abs. 4. Die bisherige Begrenzung der Laufzeit auf fünf Jahre wird auf drei Jahre verkürzt. Das gesetzliche Kündigungsrecht steht nur noch dem VN zu. Der VR kann es sich aber vertraglich ausbedingen. Die von der Kommission zur Reform des VVG vorgeschlagene Beschränkung des Kündigungsrechts auf Verbraucher hat das Gesetz nicht übernommen. Die amtliche Begründung verweist auf das Schutzbedürfnis aller VN vor langfristiger Bindung.9 Sonderregelungen bestehen für die Lebensversicherung (§§ 166 und 168), die nach § 176 auch auf die Berufsunfähigkeitsversicherung anzuwenden sind, und für die Krankenversicherung (§§ 205 und 206).10 In der Lebens-11 und Krankenversicherung hat der VR kein ordentliches Kündigungsrecht. Sind laufende Prämien zu zahlen, kann der VN den Lebensversicherungsvertrag nach § 168 Abs. 1 jederzeit für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen. Bei Kapitallebensversicherungsverträgen mit Einmalprämie steht dem VN dieses Recht nach § 168 Abs. 2 ebenfalls zu. Unklar ist, ob § 11 Abs. 2 und 4 Anwendung findet auf Risikolebens6 BGBl. I 1630. 7 Zum Gesetzgebungsverfahren vgl. Renger VersR 1994 753, 755. 8 Abschlussbericht der Reformkommission S. 302. 9 BT Drucks. 16/3945 S. 63. 10 Vgl. BGH 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318 Rn. 40. 11 Bruck/Möller/Winter § 166 Rn. 2; Prölss/Martin/Reiff § 166 Rn. 1; Langheid/Wandt/Mönnich § 166 Rn. 15; Looschelders/Pohlmann/Krause § 166 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brambach § 166 Rn. 1. 857

K. Johannsen/Koch

2

3

4

5

§ 11 VVG

Verlängerung, Kündigung

versicherungsverträge mit Einmalprämie oder ob ein Rückgriff durch § 168 versperrt ist. Die h. Lit. sieht in § 168 VVG eine vorrangige und abschließende Sonderregelung.12 Die Rechtsprechung hat sich hierzu nicht ausdrücklich geäußert.13 Nach dem Rundschreiben R 3/94 des BAV besteht zur Wahrung der Interessen des versicherten Darlehensnehmers aufsichtsrechtlich die Pflicht, diesem „bei vorzeitiger Beendigung seines Kreditvertrages die Kündigung der auf sein Leben geschlossenen Restkreditlebensversicherung verlangen zu können“.14 Stoffregen hat sich mit beachtlichen Argumenten für die Anwendung von § 11 Abs. 4 VVG auf Risikolebensversicherungsverträge mit Einmalprämie ausgesprochen.15 Die Neufassung gilt nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG ab dem 1.1.2009 auch für bis zum Inkrafttre6 ten des Gesetzes abgeschlossene Altverträge. Damit wurde der missliche Zustand beseitigt, dass hinsichtlich der Altverträge auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen und § 8 a. F. in drei unterschiedlichen Fassungen anzuwenden war. Es galt nämlich wegen der in den früheren Änderungsgesetzen ausdrücklich formulierten Vorschrift, dass die Neuregelungen auf Altverträge keine Anwendung finden, die Ursprungsfassung für alle vor dem 1.1.1991 abgeschlossenen Verträge, die Neufassung vom 17.12.1990 für die zwischen dem 1.1.1991 und dem 29.7.1994 (dem Zeitpunkt des Inkrafttreten des G) abgeschlossenen Verträge16 und die Fassung vom 21.7.1994 für die nach dem 24.6.199417 bis zum 31.12.2007 abgeschlossenen Verträge. Ausnahmen kamen nur in Betracht, wenn Altverträge nach der Gesetzesänderung durch Vereinbarung inhaltlich wesentlich verändert worden sind. Das BAV hatte darauf hingewiesen, dass das neue Kündigungsrecht anzuwenden sei, wenn die Vertragsänderungen so erheblich seien, dass sie einem Neuabschluss vergleichbar seien.18 Es kam hierfür darauf an, ob wesentliche Vertragspunkte, wie Versicherungssummen, Prämienhöhe oder Vertragslaufzeit geändert worden waren.19

II. Zweck und Inhalt der Regelung 7 § 11 regelt die Laufzeit von Versicherungsverträgen und normiert ordentliche Kündigungsrechte für die Vertragsparteien.20 Die Vorschrift dient wie die Vorgängerregelung des § 8 a. F. dem Schutz des VN vor einer übermäßig langen Bindung an einen VR und der damit verbundenen Einschränkung seiner Handlungsfreiheit. Die mehrfachen Änderungen der Vorschrift zeugen von dem Bemühen des Gesetzgebers, diese Interessen gegen diejenigen des VR an langfristiger Planung und sicherer Prämienkalkulation abzuwägen und einen angemessenen Interessenausgleich zu finden. Parallel zu den gesetzlichen Reformen war durch die Rechtsprechung auf der Grundlage 8 des AGB-Rechts ein Schutz des VN vor übermäßig langer Bindung durch Versicherungsverträge entwickelt worden. Zwar ist § 309 Nr. 9 lit. a) BGB (§ 11 Nr. 12 AGBG a. F.), der die Laufzeit von Dauerschuldverhältnissen auf zwei Jahre beschränkt, auf Grund ausdrücklicher Regelung nicht auf Versicherungsverträge anwendbar. Jedoch ist die Angemessenheit langer Laufzeiten nach § 307 Abs. 1 BGB überprüfbar, worauf das BVerfG im Zusammenhang mit der Feststellung der 12 Bruck/Möller/Winter § 168 Rn. 4; Prölss/Martin/Reiff § 168 Rn. 3; Langheid/Wandt/Mönnich § 168 Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/Patzer § 168 VVG Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ortmann/Rubin § 168 Rn. 4. 13 Vgl. BGH 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318, Rn. 40; LG Düsseldorf 21.7.2016 – 9 S 47/15, BeckRS 2016 14635. 14 VerBAV 1/1995, S. 7 f. 15 Stoffregen Die Kündigung von Lebensversicherungen nach § 168 VVG (2018). 16 Für die neuen Bundesländer bestand eine Sonderregelung, vgl. VerBAV 1990 275, 467. 17 Das Kündigungsrecht galt bereits ab dem 24.7.1994, vgl. Art. 16 § 5 d. G (BGBl. I 1630). 18 VerBAV 1991 272. 19 Ähnlich BGH 14.11.1984 – IV a ZR 60/83, VersR 1985 129 zur Erhöhung der Versicherungssumme nach Inkrafttreten des AGBG; zustimmend auch Berliner Kommentar/Gruber § 8 Rn. 7; Präve VW 1991 448. 20 BT Drucks. 16/3945 S. 63; vgl. auch Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 1. K. Johannsen/Koch

858

B. Einzelheiten

VVG § 11

Verfassungsmäßigkeit von § 11 Nr. 12 AGBG a. F. ausdrücklich hingewiesen hat.21 Diese Überprüfung hat dazu geführt, dass der BGH mit Urteilen vom 13.7.1994 zur Unfallversicherung,22 zur Hausratsversicherung23 und zur Privathaftpflichtversicherung,24 sowie mit Urteil vom 22.2.199525 zur Wohngebäudeversicherung die formularmäßige Bestimmung einer zehnjährigen Vertragslaufzeit wegen Verstoßes gegen § 307 BGB für unwirksam erklärt hat. Auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der VR, die Verträge aus Wettbewerbsgründen so zu gestalten, dass angemessene Prämien zuverlässig kalkuliert werden könnten, erlaubten die erheblichen Belastungen der VN, die gehindert seien, ihren Versicherungsbedarf an unvorhergesehene Veränderungen wirtschaftlicher oder persönlicher Umstände anzupassen oder gegebenenfalls ganz darauf zu verzichten, das Risiko weiterhin zu versichern, eine so lange Bindung nicht. Für Verträge mit einer Laufzeit von fünf Jahren hat der BGH hingegen zur Reparaturkostenversicherung,26 zur Unfallversicherung27 und zur Rechtsschutzversicherung28 einen Verstoß gegen § 307 BGB verneint, weil die auch bei solchen Verträgen vorhandene Belastung des VN weniger erheblich sei und er das Risiko bei diesem Zeitraum besser übersehen könnte.

B. Einzelheiten I. Versicherungsverhältnisse auf bestimmte Zeit (§ 11 Abs. 1) – Verlängerungsklauseln Die Vorschrift bezieht sich auf Verträge mit einer bestimmten Laufzeit, in denen vereinbart ist, 9 dass das Versicherungsverhältnis verlängert werden soll, wenn es nicht vor Ablauf gekündigt wird. Eine solche Verlängerung ist unwirksam, soweit sie sich auf mehr als ein Jahr erstreckt. Dieser Regelung liegt zu Grunde, dass der Gesetzgeber es bereits bei Schaffung des VVG als unbillige Härte angesehen hatte, wenn der VN nur auf Grund seines Schweigens für längere Dauer gebunden bleiben würde.29 Verlängerungsklauseln sind in der Praxis weitgehend üblich. Soweit sie in AVB enthalten sind, erstrecken sie sich aber entsprechend der gesetzlichen Regelung nur auf ein Jahr.30 Gesetzlich geregelt sind Verlängerungsklauseln in § 5 Abs. 5 S. 2 PflVG, wonach sich das 10 Versicherungsverhältnis jeweils um ein Jahr verlängert, wenn es nicht spätestens einen Monat vor Ablauf schriftlich gekündigt wird.31 Nach Ansicht des BGH kann eine vom VR erklärte, ordnungsmäßige Kündigung des Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrages Treu und Glauben (§ 242 BGB) widersprechen, wenn der VN Anspruch auf Abschluss eines Versicherungsvertrages gleichen Inhalts hatte.32 Ein Verstoß gegen die zwingende Vorschrift des § 11 Abs. 1 führt nicht zur Unwirksamkeit 11 des Vertrages oder der Verlängerungsklausel sondern bewirkt nur, dass die Klausel eine inhaltliche Korrektur dahin gehend erfährt, dass sie sich nur auf ein Jahr erstreckt.33

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 859

BVerfG 4.6.1985 – 1 BvL 12/84, NJW 1986 243. BGH 13.7.1994 – IV ZR 107/93, VersR 1994 1049 (zu § 9 AGBG a. F.). BGH 13.7.1994 – IV ZR 227/93, VersR 1994 1052 (zu § 9 AGBG a. F.). BGH 13.7.1994 – IV ZR 107/93, VersR 1994 1049 (zu § 9 AGBG a. F.). BGH 20.2.1995 – IV ZR 44/94, VersR 1995 459(zu § 9 AGBG a. F.). BGH 18.6.1995 – IV ZR 19/94, VersR 1995 1185 (zu § 9 AGBG a. F.). BGH 6.12.1995 – IV ZR 380/94, VersR 1996 177 (zu § 9 AGBG a. F.). BGH 26.3.1997 – IV ZR 71/96, VersR 1997 685 (zu § 9 AGBG a. F.). Motive 83. Vgl. z. B. Ziff. 16.2 AHB 2015, B. § 2 Nr. 3 VHB 2010. Vgl.dazu im Einzelnen Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 5 PflVG Rn. 44 ff. BGH 30.9.1981 – IVa ZR 187/80, VersR 1982 259, 260. Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 31. K. Johannsen/Koch

§ 11 VVG

Verlängerung, Kündigung

Für die Kündigung des Vertrages ist nach der Neuregelung die Vorschrift des § 11 Abs. 3 erheblich, die wegen ihrer Ausgestaltung als besonderer Absatz sich nunmehr auch auf Abs. 1 bezieht. Es muss also auch für Verträge mit Verlängerungsklauseln die Kündigungsfrist für beide Parteien gleich sein, und sie darf nicht weniger als einen Monat und nicht mehr als drei Monate betragen (Rn. 17). Es wird damit ein Rahmen für die vertragliche Gestaltung abgesteckt. Fehlt es an einer vertraglichen Festlegung, kann mit einmonatiger Frist gekündigt werden.34 In den meisten AVB ist eine für beide Parteien gleiche Kündigungsfrist von drei Monaten vorgesehen.35 Wird keine Kündigung zum Ablauf der Vertragszeit ausgesprochen, so bewirkt das Schwei13 gen der Vertragsparteien, dass der bisherige Vertrag fortgesetzt wird. Es tritt kein neuer Vertrag an seine Stelle.36 Der BGH hat für einen Pachtvertrag mit Verlängerungsklausel angenommen, dass durch das Schweigen ein neuer Vertrag zustande komme, der dem alten inhaltsgleich sei.37 Dem kann für Versicherungsverträge, bei denen es für viele Rechtsfolgen entscheidend auf den Vertragsbeginn ankommt, nicht gefolgt werden.38 Es braucht also für den Verlängerungsvertrag die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit nicht noch einmal erfüllt und der für den Vertragsbeginn maßgebliche Versicherungswert nicht neu festgesetzt zu werden.39 Die zu zahlende Prämie ist nicht Erst- sondern Folgeprämie.40 Für den verlängerten Vertrag gelten die AVB, die dem ursprünglichen Vertrag zu Grunde gelegt worden sind.41 Das gilt auch dann, wenn der VR neue Bedingungen entwickelt hat, die er allen Neuabschlüssen zu Grunde legt.42 Zur Einbeziehung der neuen Bedingungen bedarf es des Einverständnisses des VN, das nicht allein darin gesehen werden kann, dass der VN weiterhin die Prämien überweist, nachdem ihm die neuen AVB übersandt worden sind.43 Allenfalls kann Schweigen als Zustimmung in Betracht kommen, wenn die neuen Bedingungen ausschließlich Verbesserungen des Versicherungsschutzes vorsehen.44 Auf solche muss der VR den VN im Übrigen hinweisen, wenn es um die Verlängerung eine Vertrages auf Grund einer Verlängerungsklausel geht. 12

II. Versicherungsverhältnisse auf unbestimmte Zeit (§ 11 Abs. 2) 14 Die Vorschrift betrifft auf unbestimmte Zeit eingegangene Versicherungsverhältnisse, die nach der früheren Legaldefinition als dauernde Versicherung bezeichnet worden waren. Verträge, in denen die Dauer nicht genannt aber aus dem Vertragszweck bestimmbar ist, wie z. B. bei der

34 Bruck/Möller/Möller8 § 8 Anm. 16; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 48. 35 Vgl. Ziff. 16.2 AHB 2015, B.§ 2 Nr. 3 VHB 2010, G.2.1 AKB 2015, jedoch gilt hier jetzt die gesetzliche Frist von einem Monat nach § 5 PflVG. 36 RG 3.2.1926 – I 184/25, RGZ 112 384; OLG Saarbrücken 25.11.1987 – 5 U 35/87, VersR 1989 245; Langheid/Wandt/ Fausten § 11 Rn. 9; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster § 11 Rn. 2; Berliner Kommentar/ Gruber § 8 Rn. 9. 37 BGH 16.10.1974 – VIII ZR 74/73, NJW 1975 40. 38 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster 11 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn, 4; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 13. 39 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster 11 Rn. 2; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 40. 40 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster 11 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn, 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner § 11 Rn. 6. So auch Prölss/Martin/Armbrüster 11 Rn. 2. 41 So auch Prölss/Martin/Armbrüster 11 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn, 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 11 Rn. 6. 42 OLG Saarbrücken 25.11.1987 – 5 U 35/87 VersR 1989 245. 43 Prölss/Martin/Armbrüster § 11 Rn. 2; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 23. 44 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 45; Prölss/Martin/Prölss28 11 Rn. 8; a. A. Prölss/Martin/Armbrüster 11 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 44. K. Johannsen/Koch

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B. Einzelheiten

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für eine Reise oder Ausstellung genommenen Versicherung, fallen nicht hierunter.45 § 11 Abs. 2 kommt auch nicht zur Anwendung auf Versicherungsverträge mit bestimmter Laufzeit, in denen eine Verlängerungsklausel vereinbart worden ist.46 Soweit der ÖOGH die Auffassung vertritt, dass solche Verträge nach ihrer stillschweigenden Verlängerung als auf unbestimmte Zeit eingegangen zu behandeln seien,47 kann ihm jedenfalls für das deutsche Recht nicht gefolgt werden. Die zeitliche Bestimmung ergibt sich für diesen Fall eindeutig aus § 11 Abs. 1.48 Auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Versicherungsverträge, worunter auch lebenslängli- 15 che fallen,49 gibt es häufig in der Lebens- und Krankenversicherung. Soweit Letztere den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Kranken- und Pflegeversicherungsschutz ersetzen soll, sog. substitutive Krankenversicherung, wird sie in § 195 ausdrücklich als unbefristet bezeichnet. Es gelten hier aber mit §§ 166 und 168 sowie §§ 205 und 206 Sonderregelungen für die Kündigung des Vertrages (Rn. 5) § 11 Abs. 2 hat nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich. Werden Verträge auf unbe- 16 stimmte Zeit vereinbart, besteht ein ordentliches Kündigungsrecht für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode. Die Parteien können aber hier – anders als bei den Tatbeständen des § 11 Abs. 1 und 4 – auf das Kündigungsrecht bis zur Dauer von zwei Jahren verzichten. Ein formularmäßiger Verzicht genügt nicht.50 Die Regelungen des § 11 Abs. 2–4 sind zu Gunsten des VN relativ zwingend. Es darf also sein Kündigungsrecht nicht ausgeschlossen oder eine längere Kündigungsfrist als drei Monate bestimmt werden.

III. Kündigungsfrist (§ 11 Abs. 3) § 11 Abs. 3 statuiert den Grundsatz, dass die Frist zur Kündigung eines auf bestimmte oder unbe- 17 stimmte Zeit abgeschlossenen Versicherungsvertrages für beide Vertragsparteien gleich sein müssen.51

IV. Langfristige Verträge (§ 11 Abs. 4) Die Vorschrift erfasst Verträge, die für die Dauer von mehr als drei Jahren geschlossen werden. 18 Die Dauer bezieht sich dabei – wie bei der Vorgängerregelung des § 8 Abs. 3 – auf die vereinbarte Vertragsdauer, nicht auf einen etwa davon unterschiedlichen Haftungszeitraum.52 Es werden also Zeiten, für die vorläufige Deckung gewährt wird, nicht hinzugerechnet, Zeiten, in denen wegen Nichtzahlung der Prämie kein Versicherungsschutz bestand, nicht von der Laufzeit abgezogen. Der Abschluss von Verträgen mit einer über drei Jahre hinausgehenden Laufzeit wird vom 19 Gesetz nicht untersagt. Es bestimmt nur, dass solche Verträge vom VN gekündigt werden können. Der Vertrag wird also durch das gesetzliche Kündigungsrecht ergänzt. Erfolgt keine Kündigung, läuft er für die vereinbarte Zeit weiter. Auch eine Unwirksamkeit nach § 307 BGB kommt

45 Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 23; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 5. 46 ÖOGH 11.7.2001 – 7 Ob 152/01 f, VersR 2003 90; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 171; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn, 5; Prölss/Martin/Armbrüster § 11 Rn. 4; Berliner Kommentar/Gruber § 8 Rn. 16. 47 ÖOGH 11.7.2001 – 7 Ob 152/01 f, VersR 2003 90 f. 48 A.A. Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn, 3; Prölss/Martin/Armbrüster 11 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner § 11 Rn. 41; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 45. 49 A.A. Bruck/Möller/Winter9 § 166 Rn. 8 f. 50 Prölss/Martin/Prölss28 § 11 Rn. 8; a. A. Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 40; Prölss/Martin/Armbrüster 11 Rn. 6. 51 Zu diesem Symmetriegebot s. Armbrüster FS Fenyves 452 f. 52 Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 15; Prölss/Martin/Armbrüster § 11 Rn. 8. 861

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Verlängerung, Kündigung

allein wegen der über drei Jahre hinausgehenden Laufzeit nicht in Betracht. Die in den unter Rn. 8 zitierten Gerichtsentscheidungen festgestellte Belastung des VN bestand allein in der fehlenden Kündigungsmöglichkeit, die nunmehr nach drei Jahren besteht. Dass ein Vertrag aber für drei Jahre unkündbar abgeschlossen werden kann, entspricht dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.53 20 Das Kündigungsrecht steht nur dem VN zu. Der VR kann sich aber ein entsprechendes Kündigungsrecht vertraglich, insbesondere auch in AVB einräumen lassen.54 § 18, der vorsieht, dass von § 11 Abs. 2–4 nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden kann, steht nicht entgegen.55 Denn § 11 Abs. 4 hat den Zweck, den VN gegen eine unangemessen lange Bindung zu schützen, nicht aber gegen eine Kündigung des Vertrages durch den VR. Die Kündigungsfrist ist wie in der Vorgängerregelung auf drei Monate festgesetzt worden. Die Kündigung darf nur zum Jahresende des dritten oder eines weiteren Vertragsjahres erfolgen. Ein zeitlich begrenzter Verzicht auf das Kündigungsrecht, wie ihn § 11 Abs. 2 für das auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Versicherungsverhältnis vorsieht, kann nach § 18 nicht wirksam vereinbart werden.

C. Kündigung I. Überblick über gesetzliche Kündigungsmöglichkeiten 21 Außer dem in § 11 geregelten Recht beider Vertragsparteien zur ordentlichen Kündigung sieht das VVG zahlreiche Sonderkündigungsrechte für den VN und/oder den VR vor. Der VR ist zur Kündigung berechtigt nach – § 19 Abs. 3 bei fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung des VN, – § 24 wegen Gefahrerhöhung, – § 28 Abs. 1 wegen Obliegenheitsverletzung, – § 38 Abs. 3 wegen Prämienverzugs, – § 56 Abs. 2 wegen Verletzung der Anmelde- oder Antragspflicht bei der laufenden Versicherung, – § 58 Abs. 2 wegen Obliegenheitsverletzung bei der laufenden Versicherung, – § 96 Abs. 1 gegenüber dem Erwerber bei der Veräußerung der versicherten Sache, – § 131 Abs. 1 wegen Verletzung der Anzeigepflicht in der Transportversicherung und – § 206 in den ersten drei Jahren einer Krankentagegeldversicherung. 22 Der VN ist zur Kündigung berechtigt nach – § 19 Abs. 6, wenn sich durch eine Vertragsänderung nach § 19 Abs. 4 die Prämie um mehr als 10 % erhöht oder der VR die Gefahrabsicherung für einen nicht angezeigten Umstand ausschließt, – § 25 Abs. 2, wenn dieselbe Folge auf Grund einer Gefahrerhöhung vom VR verlangt wird, – § 40 Abs. 1 wegen Prämienerhöhung auf Grund einer Anpassungsklausel, – § 131 Abs. 2 bei Verweigerung der Leistung durch den VR, – §§ 168, 176 jederzeit in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung und – § 205 bei für die Dauer von mehr als einem Jahr abgeschlossenen Krankenversicherungsverträgen.

53 So BGH 28.6.1995 – IV ZR 19/94, VersR 1995 1185 zu unter der Geltung von der letzten Fassung von § 8 Abs. 3 abgeschlossenen Verträgen; widersprüchlich hierzu hat die Entscheidung zugleich unter der Geltung der Vorgängerfassung abgeschlossene Verträge mit fünfjähriger Laufzeit ohne Einräumung von Wahlmöglichkeiten und Preisnachlass für unwirksam erklärt; kritisch dazu auch Fezer VersR 1996 169; Prölss/Martin/Prölss27 § 8 Rn. 36. 54 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 11 Rn. 53; Prölss/Martin/Armbrüster 11 Rn. 9; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 15; Franz VersR 2008 298, 306. 55 Vgl. RegE BT Drucks. 16/3945 S. 63. K. Johannsen/Koch

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23 VN und VR sind zur Kündigung berechtigt nach – § 52 Abs. 4 bei dem Vertrag über die vorläufige Deckung, wenn dieser auf unbestimmte Zeit eingegangen ist, – § 92 Abs. 1 nach dem Eintritt eines Versicherungsfalls in der Sachversicherung, – § 111 nach dem Eintritt eines Versicherungsfalls in der Haftpflichtversicherung, wenn der VR den Anspruch des VN auf Freistellung anerkannt oder zu Unrecht abgelehnt hat.

II. Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) Neben diesen im VVG geregelten Sonderkündigungstatbeständen besteht die Möglichkeit für 24 beide Vertragsparteien, den Versicherungsvertrag nach § 314 BGB aus wichtigem Grund zu kündigen, soweit ein Rückgriff auf § 314 BGB nicht ausgeschlossen ist (vgl. auch Rn. 26).56 Dieses außerordentliche Kündigungsrecht für Dauerschuldverhältnisse, das von der Rechtsprechung entwickelt worden ist, ist durch das SchuldrechtsmodernisierungsG vom 26.11.2001 in das BGB eingefügt worden und gilt für Versicherungsverträge nach Art. 229 § 5 EGBGB seit dem 1.3.2003. Die gesetzliche Definition des wichtigen Grundes, der vorliegt, „wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann“, entspricht der Rechtsprechung des BGH.57 Für Versicherungsverträge hat die Rechtsprechung die Möglichkeit, sich in außerordentli- 25 cher Weise vom Vertrag zu lösen, zunächst für den Fall entwickelt, dass der VR finanziell unsicher wird und die Gefahr besteht, dass nicht alle Versicherungsfälle bedingungsgemäß entschädigt werden können.58 In der Folgezeit ist das Kündigungsrecht auf alle Tatbestände erstreckt worden, deren Vorliegen es einer Vertragspartei unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage unzumutbar machen, den Vertrag fortzusetzen.59 Als wichtiger Grund für die Kündigung durch den VR kommt insbesondere in Betracht, dass der VN Leistungen erschleicht oder zu erschleichen versucht, insbesondere durch falsche Angaben über die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs, oder sonstige Straftaten gegenüber dem VR oder seinen Mitarbeitern verübt.60 Dem VR steht ein Kündigungsrecht auch bei einer Pflichtverletzung durch einen Repräsentanten des VN zu.61 Den VN kann insbesondere eine unberechtigte ernsthafte Verweigerung jeden Entschädi- 26 gungsanspruchs zur Kündigung berechtigen,62 auch ein unberechtigter Rücktritt des VR,63 sowie schwere Verstöße gegen das durch Treu und Glauben geprägte gegenseitige Vertrauensver-

56 Vgl. BGH 7.12.2011 – IV ZR 105/11, NJW 2012 1365 Rn. 8 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 7. 57 Vgl. BGH 17.12.1998 – I ZR 106/96, NJW 1999 1177, 1178 m. w. N. 58 RG 28.1.1905 – VII 554/04 RGZ 60 56; Entscheidung gewährt dem VN ein Rücktrittsrecht; BGH 4.4.1951 – II ZR 32/50 BGHZ 1, 334 bejaht erstmals ein Kündigungsrecht des VN. 59 BGH 3.10.1984 – IVa ZR 76/83, VersR 1985 54 mit zahlreichen N.; Bruck/Möller/Möller8 § 8 Anm. 25; Prölss/ Martin/Prölss27 § 8 Rn. 26 ff.; Römer/Langheid/Römer2 § 8 Rn. 4. 60 Vgl. BGH 7.12.2011 – IV ZR 50/11, RuS 2012 141=VersR 2012 219 Rn. 29; BGH 7.12.2011 – IV ZR 105/11, NJW 2012 1365 Rn. 8 ff.; BGH 3.10.1984 – IVa ZR 76/83, VersR 1985 54; KG 5.12.2017 – 6 U 101/17 (juris); OLG Hamm 1.10.1999 – 20 U 213/98 VersR 2000 1219; OLG Saarbrücken 11.5.1994 – 5 U 965/93 – 67, VersR 1996 362; OLG Koblenz 10.3.1995 – 10 U 359/94, RuS 1995 234; OLG Köln 31.5.1990 – 5 U 262/89, VersR 1991 410. 61 Vgl. BGH 7.12.2011 – IV ZR 50/11, RuS 2012 141=VersR 2012 219 Rn. 30 ff. (Ehefrau des VN). 62 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 23; vgl. BGH 22.6.1972 – II ZR 32/71, VersR 1972 970, 971: Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung; OLG Celle 19.6.1952 – 1 U 51/52, VersR 1952 283 f. 63 OLG Oldenburg 8.2.1995 – 2 U 221/94, VersR 1995 819; LG Essen 29.8.1986 – 1 S 227/86, VersR 1987 353. 863

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hältnis.64 Bei der im Einzelfall vorzunehmenden umfassenden Würdigung sind die Besonderheiten einzelner Versicherungszweige zu berücksichtigen. Für den Bereich der Krankenversicherung schließt § 206 Abs. 1 S. 1 jede Kündigung einer Krankenkostenversicherung durch den VR aus, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 S. 1 erfüllt. Dass diese Vorschrift ihren Wortlaut nach nicht nur die ordentliche sondern auch die außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB umfasst, wird überwiegend angenommen und ergibt sich aus der Wahl des Wortes „jede“ und aus dem Vergleich mit § 206 Abs. 1 S. 2, der sich mit der Anknüpfung „darüber hinaus“ ausdrücklich auf die ordentliche Kündigung bezieht. Der BGH hat gleichwohl angenommen, dass die Vorschrift teleologisch dahin zu reduzieren sei, dass sie ausnahmslos eine außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs verbiete, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich bliebe.65 Er ist dabei davon ausgegangen, dass eine verdeckte Regelungslücke vorliege, die es trotz des eindeutigen Wortlautes der Vorschrift gestatte, diese auf ihren fachgerechten Inhalt zu reduzieren. Hat der VN mehrere Versicherungsverträge mit demselben VR abgeschlossen, ist das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund im Grundsatz auf denjenigen Vertrag beschränkt, auf den sich die Pflichtverletzung der jeweils anderen Vertragspartei bezieht.66 Ausnahmen kommen in Betracht, wenn durch die Pflichtverletzung in der einen Versicherung dem Vertragspartner die Fortsetzung der anderen Versicherung bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist ebenfalls nicht mehr zugemutet werden kann. So liegt der Fall bei finanzieller Unsicherheit des VR. Ob Leistungserschleichungen des VN z. B. in der Krankentagegeldversicherung oder privaten Pflegeversicherung die Fortsetzung der Krankheitskostenversicherung für den VR untragbar machen, ist fraglich.67 Nach § 314 Abs. 2 BGB hat der fristlosen Kündigung, wenn der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag besteht, grundsätzlich eine Fristsetzung oder Abmahnung vorauszugehen, die nur unter bestimmten, in § 323 Abs. 2 BGB abschließend aufgezählten Voraussetzungen entbehrlich ist.68 In der Praxis ist der Anwendungsbereich von § 314 Abs. 2 BGB sehr beschränkt, da der VN gegenüber dem VR in erster Linie zur Beachtung von Obliegenheiten gehalten ist und deren Verletzungsfolgen abschließend in den einschlägigen gesetzlichen Regelungen des VVG oder – soweit es die Verletzung vertraglich vereinbarter Obliegenheiten betrifft – entsprechend den Vorgaben des § 28 VVG im Vertrag vorgesehen sind. Ein Rückgriff kommt deshalb nur bei den sanktionslosen gesetzlichen Obliegenheiten der §§ 30, 31 VVG in Betracht, soweit diese nicht als vertragliche Obliegenheit Eingang in den Versicherungsvertrag gefunden haben.69 Soweit § 314 Abs. 1 BGB zur Anwendung kommt, ist auch die Regelung in § 314 Abs. 3 BGB zu beachten, wonach der Berechtigte nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen kann, nachdem er von dem Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Von der Festlegung einer be64 Wie z. B. in dem Fall BGH 7.6.1989 – IVa ZR 101/88, VersR 1989 842, in dem der VR Zahlungen an Zeugen geleistet hat, um sie dazu zu veranlassen, den VN der Brandstiftung zu bezichtigen.

65 Vgl. BGH 7.12.2011 – IV ZR 105/11, NJW 2012 1365 Rn. 8 ff.; KG 5.12.2017 – 6 U 101/17 (juris); OLG München 4.12.2015 – 25 U 1732/15, NJOZ 2016 624, 625; OLG Celle 24.2.2011 – 8 U 157/10, RuS 2011 300; OLG Brandenburg 5.5.2011 – 12 U 148/10, BeckRS 2011 13115; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 8; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Rogler § 206 Rn. 17 f.; Langheid/Wandt/Hütt § 206 Rn. 36; krit. Eichelberger VersR 2012 304, 309 f.; Marlow/Spuhl VersR 2012 222 ff.; Lehmann RuS 2011 300, 302; Rolfs/Wiemer NJW 2012 1370. 66 Vgl. OLG Hamm 11.11.1998 – 20 U 49/98, VersR 1999 1265, 1266. 67 Ablehnend: OLG Karlsruhe 7.11.2006 – 12 U 250/05, RuS 2007 24; bejahend: OLG Stuttgart 25.4.2006 – 10 U 238/ 05, NJOZ 2006 2675, 2680=VersR 2006 1485; OLG Koblenz 14.11.2008 – 10 U 592/07, VersR 2009 771; Prölss/Martin/ Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 15; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 57. 68 OLG Nürnberg 20.3.2006 – 8 U 527/05, VersR 2008 388,389; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 19; a. A. OLG Hamm 24.2.2006 – 20 U 179/05, VersR 2007 236, 238; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 17; Prölss/ Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 13. 69 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 7. K. Johannsen/Koch

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stimmten Frist hat der Gesetzgeber wegen der Vielgestaltigkeit der unter die Vorschrift fallenden Dauerschuldverhältnisse abgesehen. Für Versicherungsverträge wird man in Anlehnung an die für den Rücktritt geltende Frist des § 21 im Regelfall einen Monat nach Kenntnis als angemessene Überlegungsfrist ansehen können.70

III. Vertragliche Kündigungsmöglichkeiten Kündigungsrechte können auch vertraglich eingeräumt werden. Sie sind in den meisten AVB 31 in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Sonderkündigungsrechten des VVG, teilweise auch abweichend geregelt. Hinsichtlich der Abweichungen muss im Einzelfall geprüft werden, ob sie gegen zwingende oder halbzwingende Vorschriften des VVG verstoßen und einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Recht zur Kündigung an eine Obliegenheitsverletzung anknüpft.

IV. Regelungen für die Kündigung 1. Kündigungsberechtige Das Recht, den Vertrag zu kündigen, steht grundsätzlich nur den Vertragsparteien, auch dem 32 Insolvenzverwalter,71 nicht aber dem Zwangsverwalter72 und dem Pfandgläubiger zu.73 Bei der Versicherung für fremde Rechnung kann nur der VN, nicht der Versicherte kündigen,74 in der Lebensversicherung nicht der (unwiderruflich) Bezugsberechtigte.75 Die Wirksamkeit der Kündigung kann von der Zustimmung der versicherten Person abhängen, wenn ein Sicherungsschein ausgestellt wurde.76 Sonderregeln existieren für die Gruppenrestschuldversicherung. vgl. § 7d S. 2 (§ 7d Rn. 8 f.). Das Kündigungsrecht kann (nur) zusammen mit den Ansprüchen aus dem Versicherungs- 33 vertrag an einen Dritten abgetreten werden.77 Ist das geschehen, ist die Kündigung des VN auch dann unwirksam, wenn der Sicherungszweck der Abtretung inzwischen weggefallen ist.78 Mehrere VN können ihr Kündigungsrecht nur gemeinsam – in ein und demselbem Schreiben oder in getrennten Schreiben – ausüben.79 Von mehreren VR kann jeder für seinen übernommenen

70 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 20; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 65; a. A. Langheid/Rixecker/ Rixecker § 11 Rn. 17. 71 Vgl. BGH 1.12.2011 – IX ZR 79/11, NZI 2012 76 Rn. 25 (zur Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags); Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 4. 72 LG Berlin (West) 3.5.1956 – 7 S 6/56, VersR 1956 446; Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 10. 73 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 16. 74 Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 19; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 8; Ebnet NJW 2006 1697, 1698. 75 Bruck/Möller/Winter § 159 Rn. 165; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 19. 76 LG Aurich 29.5.1990 – 7 S 519/89, RuS 1990 387; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 84; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 11 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 8. 77 Vgl. BGH 1.6.1973 – V ZR 134/72, NJW 1973 1793, 1794 (zur Übertragbarkeit des Rücktrittsrechts vom Kaufvertrag); Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 57; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 8; Langheid/Wand/ Fausten § 11 Rn. 78; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 16. 78 OLG Karlsruhe 1.8.1991 – 12 U 95/91, RuS 1992 325. 79 Vgl RG 28.11.1932 – VIII 371/32, RGZ 138 183, 186 (Kündigung mehrerer Mieter); LG Saarbrücken 22.4.1965 – 2 S 25/64 VersR 1965 945; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 16; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner § 11 Rn. 13; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 77. 865

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Anteil kündigen, jedoch sehen die Verträge über die Mitversicherung häufig Abweichungen vor, z. B. Kündigung nur durch den führenden VR.80 34 Dem VN und dem VR stehen der gesetzliche und der rechtsgeschäftliche Vertreter gleich. Rechtsgeschäftlicher Vertreter des VN kann bei Vorliegen einer Vollmacht (§ 167 BGB) auch der Versicherungsmakler sein.81 Zur Kündigung berechtigt sind auch Versicherungsvertreter mit Abschlussvollmacht gem. § 71.82 Soweit sich die (Allein-)Vertretungsmacht des Erklärenden nicht aus dem Handelsregister ergibt, kann der VN bei Nichtvorlage einer Originalvollmacht die Kündigung gemäß § 174 BGB zurückweisen.83 Der Ehepartner des VN ist auch ohne Bevollmächtigung gem. § 1357 Abs. 1 BGB zur Kündi35 gung des Versicherungsvertrages berechtigt, wenn der Abschluss der Versicherung selbst ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i. S. v.  §  1357 Abs. 1 S. 1 BGB ist.84 Nach Ansicht des BGH ist für die Einordnung von Versicherungsverträgen als Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs entscheidend „der Bezug des in Rede stehenden Geschäfts zum Lebensbedarf der Familie, weshalb es jeweils auf den individuellen Zuschnitt der Familie ankommt. Ob es sich danach um ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie handelt, hat der Tatrichter für den jeweiligen Einzelfall festzustellen. Dabei kann auch der Abschluss einer Vollkaskoversicherung in den Anwendungsbereich des § 1357 Abs. 1 BGB fallen, sofern ein ausreichender Bezug zum Familienunterhalt nach §§ 1360, 1360 a BGB gegeben ist.“85

Danach dürfte der Ehepartner des VN im Regelfall aus eigener Rechtsmacht berechtigt sein, KfzHaftpflichtversicherungs-, Kaskoversicherungs- sowie die Hausratsversicherungsverträge mit Wirkung auch für den VN zu kündigen.

2. Erklärungsempfänger 36 Auch Erklärungsempfänger der Kündigung sind grundsätzlich nur die Vertragspartner, bei gesetzlicher Vertretung deren gesetzliche Vertreter, sowie die zum Empfang rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter (§ 164 Abs. 3 BGB).86 Zu Letzteren zählt auf Seiten der VR auch der Versicherungsvertreter (§ 69 Abs. 1 Nr. 2) und auf Seiten des VN der mit Empfangsvollmacht augestattete Makler. Fehlt es an einer Empfangsvollmacht, ist die versicherte Person im Rahmen einer Fremdversicherung selbst dann nicht richtiger Erklärungsempfänger,87 wenn sie im Besitz des Versicherungsscheins ist,88 da die Kündigung den Versicherungsvertrag als Ganzes

80 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 58; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 75; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 17; BerlinerKommentar/Gruber § 8 Rn. 38.

81 Vgl. Langheid/Wand/Fausten § 11 Rn. 76. 82 Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 73; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 17. 83 LG Saarbrücken 23.6.2005 – 12 S 5/05, zfs 2006 99 f.; LG Baden-Baden 6.12.1991 – 1 O 314/91, RuS 1993 90; AG Rastatt 6.9.2001 – 1 C 193/01, VersR 2002, 963; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 73 f.; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 17; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 11 Rn. 16. 84 BGH 28.2.2018 – XII ZR 94/17, VersR 2018 557 Rn. 16 ff. 85 BGH 28.2.2018 – XII ZR 94/17, VersR 2018 557 Rn. 26. 86 Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 85; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 19. 87 Vgl. Hans. OLG Hamburg 11.9.1979 – 7 U 43/79, VersR 1980, 376; LG Osnabrück 19.9 19 62 – 3 O 253/61, VersR 1963 448, 449; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 20; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 85. 88 Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 28; a. A. OLG München 27.10.1994 – 19 U 3605/94, VersR 1995 902; m. krit. Anm. Wriede VersR 1996 873 f. (bei einer Gruppenversicherung wegen des nur „formalen“ Charakters der Rollenspaltung); Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 85. K. Johannsen/Koch

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berührt. Nicht empfangszuständig sind ferner Zessionar, Pfandgläubiger und Pfändungsgläubiger.89 Der Zugang der Erklärung bestimmt sich nach § 130 BGB. Für die Kündigung durch den 37 VR enthält § 13 eine zu seinen Gunsten von § 130 BGB abweichende Sonderregelung: Es genügt die Absendung eines eingeschriebenen Briefes an die letzte dem VR bekannte Anschrift des VN, wenn dieser eine Änderung seiner Anschrift oder seines Namens dem VR nicht mitgeteilt hat. Im Falle der Veräußerung der versicherten Sache kann der VR nach § 95 Abs. 3 gegenüber dem Veräußerer kündigen, wenn er von dem Eintritt des Erwerbers noch keine Kenntnis hat.90 Bei einer Mehrheit von VN oder VR muss die Kündigung allen zugehen.91 Vorbehaltlich 38 abweichender Vereinbarungen darf eine an mehrere VN oder VR gerichtete Kündigung nicht in einem Schreiben zusammengefasst werden. Vielmehr bedarf es separater Schreiben, selbst wenn die VN oder VR dieselbe Anschrift haben.92

3. Form Eine bestimmte Form ist für die Kündigung gesetzlich nur in § 38 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 38 Abs. 1 39 Abs. 1 (Textform), § 96 Abs. 2 i. V. m. § 98 S. 2 (Schrift- oder Textform), § 168 Abs. 1 i. V. m. § 171 S. 2 (Schrift- oder Textform) und § 208 S. 2 (Schrift- oder Textform) vorgesehen.93 Im Übrigen kann die Kündigung in jeder beliebigen Form, mündlich oder fernmündlich, schriftlich oder als E-Mail oder in anderer elektronischer Form erklärt werden. Soweit AVB vorsehen, dass Erklärungen des VN schriftlich erfolgen müssen, bleibt die Wirksamkeit der Kündigung in den Fällen unberührt, in denen das Kündigungsrecht zum Schutz des VN zwingend oder relativ zwingend ausgestaltet worden ist, wie z. B. nach § 11 Abs. 2–4 i. V. m. § 18.94 Bei formularmäßigen Bestimmungen ist gegenüber Verbraucher-VN95 § 309 Nr. 13 lit. b) 40 und c) BGB zu beachten. Danach sind Bestimmungen unwirksam, durch die Anzeigen oder Erklärungen, die dem VR gegenüber abzugeben sind, an eine strengere Form als die Textform oder an besondere Zugangserfordernisse gebunden werden. Zu beachten ist, dass § 309 Nr. 13 lit. b) und c) BGB wegen § 307 Abs. 3 S. 1 BGB nicht eingreift, wenn die Bestimmungen im Einklang mit vorgenannten gesetzlichen Schriftform- und Zugangserfordernissen stehen.96 Insoweit spielt dieses Verbot nur bei Vereinbarung strengerer Formen, z. B. Kündigung nur durch eingeschriebenen Brief eine Rolle.

89 Hans. OLG Bremen 23.6.53 – 2 U 219/5, VersR 1953 450 (Pfändungsgläubiger); Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 20. 90 Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 88. 91 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 19. 92 Vgl. BGH 8.1.2014 – IV ZR 206/13, RuS 2014 116 Rn. 13 (Fristsetzung wegen Zahlungsverzugs mit einer Folgeprämie); BGH 15.6.1961 – II ZR 11/59, VersR 1961 651, 652 (zu § 12 Abs. 3 a. F.). 93 Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 100; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 21; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 55. 94 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 21; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 8. 95 Nach h. M. ist § 309 Nr. 13 BGB i.Vm. §§ 310 Abs. 1 S. 1, 307 Abs. 2 Nr. 1 im Unternehmerverkehr nicht anzuwenden; vgl. Palandt/Grüneberg § 309 Rn. 114; MüKo-BGB/Wurmnest § 309 Abs. 13 Rn. 11. 96 Palandt/Grüneberg § 309 Rn. 114; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack 12. Aufl. 2016 § 309 Rn. 7a; a. A. BeckOGK/Weiler BGB § 309 Nr. 13 Rn. 44 und MüKo-BGB/Wurmnest § 309 Abs. 13 Rn. 11, die sich trotz des Umstands, dass es sich um Spezialregelungen handelt, nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori für deren Verdrängung aussprechen, ohne auf § 307 Abs. 3 S. 1 BGB einzugehen. 867

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Verlängerung, Kündigung

4. Inhalt 41 Inhaltlich muss die Kündigungserklärung klar und bestimmt sein. Sie muss unzweideutig erkennen lassen, dass eine Lösung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft gewünscht (und nicht nur angedroht) wird.97 Es braucht zwar das Wort Kündigung nicht ausdrücklich benutzt zu werden. Werden jedoch stattdessen Begriffe wie Rücktritt oder Anfechtung benutzt, die eine spezielle andere rechtliche Bedeutung haben, so liegt regelmäßig keine Kündigung vor, zumal dann, wenn der rechtskundige VR diese Begriffe benutzt. Bei einer Erklärung des VN kann eine Umdeutung nach § 140 BGB in Betracht kommen, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Erklärungen ergibt, dass er sich auf jeden Fall von dem Vertrag lösen will,98 z. B. weil die Erklärung im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Sachverhalt abgegeben wird, der ein Sonderkündigungsrecht auslöst. Bei mehreren Versicherungsverträgen muss deutlich sein, auf welchen Vertrag sich die Kündigung bezieht.99

5. Fristen 42 Die von dem Kündigenden einzuhaltenden Fristen sind im VVG sehr unterschiedlich geregelt. Es war ein Anliegen der Reformkommission zum VVG, die Fristen zu harmonisieren.100 Dieses Ziel ist aber nicht erreicht worden. Zu unterscheiden ist zwischen der (ersten) Frist, in der die Kündigung nach einem bestimmten Ereignis erklärt werden muss (Kündigungserklärungsfrist), und der vom Gesetz so bezeichneten eigentlichen (zweiten) Frist, die zwischen dem Zugang der Kündigungserklärung und dem Eintritt der Kündigungswirkung liegen muss. Die erstgenannte Frist beginnt z. B. nach § 40 mit dem Zugang der Mitteilung des VR über die Prämienerhöhung, nach § 28 mit der Kenntnis des VR von der Obliegenheitsverletzung, und läuft in aller Regel einen Monat nach diesem Ereignis ab. Daneben gibt es aber auch Fälle, in denen die Kündigung jederzeit erfolgen kann, so nach § 168 Abs. 1 durch den VN in der Lebensversicherung oder innerhalb angemessener Frist nach § 314 BGB. Abgesehen von den Fällen der fristlosen Kündigung, in denen die Kündigungswirkung sofort eintritt, z. B. bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Vornahme einer Gefahrerhöhung (§ 24 Abs. 1) oder bei Prämienverzug (§ 38 Abs. 3), sind nach dem VVG Kündigungsfristen von einem Monat (z. B. §§ 24 Abs. 2, 92, 96) oder drei Monaten einzuhalten (z. B. §§ 11 Abs. 4, 205, 206). Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass in einigen Fällen die Kündigung nur zum Schluss der Versicherungsperiode erfolgen darf (z. B. §§ 11 Abs. 2, 168 Abs. 1). 43 Welche Rechtsfolge eintritt, wenn eine Kündigung nicht innerhalb der Kündigungserklärungsfrist zugeht, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden.101 Sofern auf einen solchen Willen nach dem objektiven Bedeutungsgehalt der nicht fristgerecht ausgesprochenen Kündigung nicht geschlossen werden kann, kommt es gemäß § 140 BGB vor allem auf den mutmaßlichen Willen des VN zum Zeitpunkt der Kündigung an.102 Vertreten wird auch die Auffassung, dass die Kündigung regelmäßig an eine solche auf den nächstmöglichen Zeitpunkt umzu-

97 Vgl. BGH 12.1.1981 – VIII ZR 332/79, NJW 1981 976, 977 (Wohnraummiete); OLG Hamm 13.7.2012 – I-20 U 180/11, VersR 2013 489, 490; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 30; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 90.

98 OLG Hamm 19.12.1980 – 20 U 156/80, VersR 1981 275; LG Berlin 9.8.2001 – 7 O 176/01, NVersZ 2002 161, 162; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 90; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 2.

99 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 63. 100 Zwischenbericht der VVG Reform-Kommission S. 42. 101 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 25. 102 Auslegung geht der Umdeutung vor, vgl. BAG 15.12.2005 – 2 AZR 148/05, NJW 2006 2284, 2286 – Kündigungserklärung; BGH 6.12.2000 – XII ZR 219/98, NJW 2001 1217, 1218 – Prozesserklärung; noch ohne Festlegung einer Reihenfolge: BGH 12.1.1981 – VIII ZR 332/79, NJW 1981 976, 977. K. Johannsen/Koch

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deuten ist.103 Gegen diese Ansicht spricht aber, dass den VN ganz unterschiedliche Motive zum Ausspruch einer Kündigungserklärung veranlassen können. Geht aus seiner Erklärung hervor, dass er von dem VR wegen dessen Verhandlungs- oder Entschädigungspraxis enttäuscht ist, kann man davon ausgehen, dass er sich von ihm auf jeden Fall lösen will, sodass er mit einer Umdeutung seiner Erklärung auf den nächstmöglichen Zeitpunkt einverstanden ist.104 Eine verspätete Kündigung des VN ist deshalb in der Regel in eine solche zum nächstmöglichen Termin umzudeuten.105 Eine Umdeutung kommt aber nicht in Betracht, wenn der nächstmögliche Kündigungstermin noch nicht feststeht106 oder ein Schwebezustand eintritt, weil die Kündigung vom Eintritt künftiger Ereignisse abhängt.107

6. Behandlung nicht ordnungsgemäßer Kündigungserklärungen a) Besonderheiten des Versicherungsvertragsrechts. Für den Fall, dass die Kündigung 44 des VN nicht den gesetzlichen oder vertraglichen Voraussetzungen insbesondere an Form und Frist entspricht, hat die Rechtsprechung eine Verpflichtung des VR entwickelt, die Kündigung alsbald zurückzuweisen.108 Diese beruht auf dem das Versicherungsverhältnis in besonderer Weise prägenden Grundsatz von Treu und Glauben. Der rechtskundige VR, der Beratungskompetenz für sich in Anspruch nimmt, ist verpflichtet, gegenüber dem ihm an entsprechenden Kenntnissen unterlegenen VN die Rechtslage alsbald zu klären, weil deren Unsicherheit zu Nachteilen für den VN führen kann. Eine Zurückweisungspflicht wird auch in der Literatur allgemein bejaht.109 Streitig ist aber, welche Rechtsfolge sich aus einem Verstoß ergibt. In der Rechtsprechung der Instanzgerichte wird überwiegend ohne nähere Begründung angenommen, dass die unwirksame Kündigung, wenn sie nicht alsbald zurückgewiesen worden sei, als wirksam zu behandeln sei.110 Der BGH hat sich bisher nur zweimal zur Frage einer Zurückweisungspflicht bei unwirksa- 45 mer Kündigung geäußert. In beiden Fällen ging es jedoch nicht um die Frage, ob sich der VR gegenüber dem VN auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen kann, sondern darum, ob er sich auf die Wirksamkeit der Kündigung berufen kann, weil es nach der Kündigungserklärung des VN zu Schäden kam.111 Der BGH hat erwogen, dass in einer verspäteten Kündigung ein

103 OLG Köln 9.3.1973 – 9 U 108/72 VersR 1974 462; ÖOGH 2.3.2005 – 7 Ob 272/04 g VersR 2007 715, 716; Hunke VersR 2002 661, 666; Berliner Kommentar/Gruber § 8 Rn. 50.

104 So auch Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 25. 105 ÖOGH 1.10.2003 – 7 Ob 210/03 p, VersR 2004 1627, 1628; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 28.

106 LG Lüneburg 15.5.1986 – 6 S 110/86, RuS 1988 281; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 25; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 139.

107 LG Bielefeld 29.9.1965 – 1 S 172/65, VersR 1967 27 (unter Hinweis auf die Bedingungsfeindlichkeit von Gestaltungsrechten); Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 25; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 139. 108 OLG Hamm 29.6.1977 – 20 U 11/77, VersR 1977 999; OLG Koblenz 14.8.1998 – 10 U 1273/97, RuS 1998 397; OLG Karlsruhe 18.10.2001 – 12 U 161/01, VersR 2002 1497; ÖOGH 8.3.1990 – 7 Ob 10/90, VersR 1991 367; weitere Nachweise bei Leverenz VersR 1999 525. 109 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 29; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 11 Rn. 26; Berliner Kommentar/Gruber § 8 Rn. 48; Ebnet NJW 2006 1697, 1698; Leverenz VersR 1999 525; Prölss/Martin/Prölss27 § 8 Rn. 16; Römer/Langheid/Römer2 § 8 Rn. 18; Rogler RuS 2007 140; a. M. Brams VersR 1997 1308. 110 OLG Hamm 29.6.1977 – 20 U 11/77, VersR 1977 999; OLG Koblenz 14.8.1998 – 10 U 1273/97, RuS 1998 397; OLG Karlsruhe 18.10.2001 – 12 U 161/01, VersR 2002 1497; AG Husum 12.4.2001 – 2 C 1137/00, VersR 2001 1368; LG Hannover 13.10.1976 –11 S 172/76, VersR 1977 351; a. A. aber AG Hamburg 3.11.1993 – 12 C 820/93, VersR 1994 665 und LG Bremen 1.12.1999 –4 S 278/99, VersR 2000 305, die als Rechtsfolge der Verletzung nur eine Schadensersatzpflicht in Betracht ziehen. 111 BGH 1.7.1987 – IVa ZR 63/86, VersR 1987 923, 924 = RuS 1987 271; BGH 26.10.1988 – IVa ZR 140/87, RuS 1989 69, 70. 59. 869

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Angebot zur einvernehmlichen vorzeitigen Aufhebung des Versicherungsvertrages zu sehen sei, das aber in der Regel der Annahme durch den VR bedürfe; das gelte auch auf der Grundlage einer Zurückweisungspflicht des VR.112 Auch das BSG113 hat in einer Entscheidung zur privaten Pflegeversicherung ausgesprochen, dass die fehlende oder nicht rechtzeitige Zurückweisung einer unwirksamen Kündigung des VN durch den VR kein sonst nicht gegebenes Wirksamwerden der Kündigung begründe. Dem ist zu folgen, weil Schweigen nicht als Zustimmung zu einer Vertragsauflösung angesehen werden kann. Für die Zustimmung fehlt es an der dafür erforderliche Annahmeerklärung durch den VR. Eine Annahme nach § 151 S. 1 BGB ist im Versicherungsgewerbe nicht verkehrsüblich und würde zudem irgendeine äußere Kundgebung des Annahmewillens voraussetzen.114 Soweit die AVB keine Regelung enthalten, der zufolge eine unwirksame Kündigung wirksam wird, falls der VR sie nicht unverzüglich zurückweist, sprechen die besseren die besseren Argumente deshalb dafür, auf die unterbliebene Zurückweisung mit schadensersatzrechtlichen Maßstäben zu reagieren.115 Der VR, der eine Kündigung nicht gegen sich gelten lassen will, ist nämlich aus § 6 Abs. 4 46 S. 1 verpflichtet, den VN hierüber zu informieren bzw. aufzuklären.116 Soweit einige Autoren die Verpflichtung aus § 242 BGB herleiten,117 weil es bei § 6 um die Beratung über den Umfang des Versicherungsschutzes und nicht um eine allgemeine Pflicht gehe, für die Rechtsangelegenheiten des VN zu sorgen, liegt dieser Auffassung ein zu enges, vornehmlich produktbezogenes Verständnis des Begriffs der Beratung zugrunde. Die Verpflichtung zur Beratung während der Dauer des Versicherungsverhältnisses geht jedoch darüber hinaus und betrifft z. B. auch Fragen im Zusammenhang mit der Schadensregulierung und Vertragsfortsetzung (vgl. § 1a). Sie erstreckt sich daher auch auf die Beseitigung ungeklärter Vertragsstatusfragen im Falle nicht fristgerechter Schadenskündigung.118 Raum für einen durch § 6 nicht ausgeschlossenen Rückgriff auf § 242 BGB besteht deshalb nur noch bei Versicherungsverträgen über ein Großrisiko und bei maklerbetreuten Verträge. Die ohne nähere Begründung vertretene gegenteilige Ansicht des BGH in seinem Urteil vom 14.1.2015119 ist abzulehnen und bedarf im Lichte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 über den Versicherungsvertrieb, insbesondere von Art. 17, der Eingang in § 1a gefunden hat, der Korrektur. Da entsprechende Stimmen in der Literatur dem VN einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 BGB unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht zubilligen,120 führt die unterschiedliche Verortung nicht zu verschiedenen Ergebnissen. Der Streit darüber ist somit rein dogmatischer Natur und betrifft auch die Frage, inwieweit auf § 241 Abs. 2 BGB im Hinblick auf den vorrangigen § 6 (lex specialis) zurückgegriffen werden kann. Die Nebenpflicht des VR ergibt sich nämlich nicht aus § 242 BGB, sondern aus §§ 241 Abs. 2 BGB. Leitet man die Pflicht zur Zurückweisung entgegen der hier vertretenen Ansicht aus dem 47 Grundsatz von Treu und Glauben her, entfällt diese Pflicht des VR, wenn der VN die Unwirk-

112 BGH 1.7.1987 – IVa ZR 63/86, VersR 1987 923; ÖOGH 8.3.1990 – 7 Ob 10/90, VersR 1991 367, 368. 113 BSG 29.11.2006 – B 12 P 1/05, RuS 2007 144, 146. 114 BGH 1.7.1987 – IVa ZR 63/86, VersR 1987 923, 924 = RuS 1987 271; BGH 26.10.1988 – IVa ZR 140/87, RuS 1989 69, 70. 115 So auch BSG 29.11.2006 – B 12 P 1/05 R, RuS 2007 144; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 11; Prölss/Martin/ Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 33; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 130; ausführlich zur Zurückweisung der Schadensfallkündigung Bruck/Möller/R. Koch § 111 Rn. 24 ff. 116 Langheid/Rixecker/Rixecker 11 Rn. 11; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 124, 133, 136; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 32 und § 6 Rn. 49). 117 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 29; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 70, Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 11 Rn. 26. 118 Bruck/Möller/R. Koch § 111 Rn. 28. 119 BGH 14.1.2015 – IV ZR 43/14, RuS 2015 140 Rn. 11. 120 BGH 16.1.2013 – IV ZR 94/11, VersR 2013 305 Rn. 29; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 75; Prölss/ Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 33. K. Johannsen/Koch

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samkeit der Kündigung positiv kennt, da der VN dann nicht schutzwürdig ist.121 Qualifiziert man die Pflicht hingegen als Bestandteil der Beratungspflicht nach § 6 Abs. 4 (oder als Nebenpflicht i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB), fehlt es in diesem Fall an der Pflichtverletzung, weil ein Anlass zur Beratung objektiv nicht besteht.122 Grob fahrlässige Unkenntnis des VN lässt die Pflicht zur Zurückweisung allerdings nicht entfallen.123 Hier kommt allenfalls eine Anspruchskürzung nach § 254 BGB in Betracht.124 Soweit der VN von einem Makler betreut wird, ist zu hinterfragen, ob sich der VN hinsichtlich der Voraussetzungen der Schadenskündigung nicht die Kenntnis des mit der Betreuung des Versicherungsvertrages beauftragten Maklers nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss.125 Lehnt man die Zurechnung ab, stellt sich die Folgefrage nach dem Verschulden des VR, durfte der VR nach den Vorstellungen des Gesetzgebers „im Fall der Einschaltung eines Versicherungsmaklers doch davon ausgehen, dass dieser seine ihm gegenüber dem Versicherungsnehmer obliegende Frage- und Beratungspflicht erfüllt“.126

b) Rechtsfolgen bei unterbliebender Zurückweisung. Verletzt der VR seine Beratungs- 48 pflicht, hat er den VN so zu stellen, als habe er den VN auf die Unzulänglichkeit seines Vorgehens aufmerksam gemacht. Dabei streitet für den VN die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens.127 Es ist daher zu fragen, wie der VN sich vernünftigerweise verhalten hätte, wenn der VR seine Kündigung unter Benennung der Unwirksamkeitsgründe als unwirksam zurückgewiesen hätte. Hätte er eine wirksame Kündigungserklärung noch nachschieben können, ist davon auszugehen, dass er es auch getan und sich wirksam vom Versicherungsvertrag gelöst hätte.128

7. Wirkung der Kündigung Die Wirkung der Kündigung besteht in der Auflösung des Vertragsverhältnisses für die Zu- 49 kunft. Diese Rechtsfolge tritt unmittelbar durch die Ausübung des Gestaltungsrechtes ein. Die Kündigung kann nicht einseitig zurückgenommen oder widerrufen werden.129 Das wirksam gekündigte Vertragsverhältnis kann aber fortbestehen, wenn die Parteien sich hierauf einigen.130 In der Rücknahme oder dem Widerruf der Kündigung kann ein Antrag auf Fortsetzung des Vertrages gesehen werden, der von dem anderen Vertragspartner ausdrücklich oder konkludent, z. B. durch Anforderung oder Zahlung der Prämie, angenommen werden kann.131 Der BGH, der in früheren Entscheidungen generell herausgestellt hat, dass die Parteien eines gekündigten Vertrages im Rahmen der Vertragsfreiheit die Möglichkeit haben, die Rechtsfolgen der Kündi-

121 Vgl. OLG Koblenz 14.8.1998 – 10 U 1273/97, VersR 1999 875, 876. 122 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 6 Rn. 53, 116; Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 160, 309; nach Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 55 fehlt es am Verschulden. 123 OLG Karlsruhe 18.10.2001 – 12 U 161/01, RuS 2002 75, 76; Leverenz VersR 1999 527 ff.; Rogler RuS 2007 140, 141; a. A. LG Köln 25.10.1989 – 24 O 153/88, RuS 1991 243 f.; AG Berlin-Neukölln 28.9.1999 – 12 C 13/99, VersR 2000 877, 878. 124 Leverenz VersR 1999 525, 531 f. 125 Vgl. Hans. OLG Bremen 18.11.2008– 3 U 14/08, VersR 2009 776, 777. 126 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 127 Vgl. BGH 3.2.2011 – IV ZR 171/09, RuS 2011 250 Rn. 10; BSG 29.11.2006 – B 12 P 1/05 R, RuS 2007 144, 146; Bruck/Möller/Leverenz AUB 2008 Ziff. 10 Rn. 111; Rogler RuS 2007 140, 143; allgemein BGH 5.2.2009 – IX ZR 6/06, NJW 2009 1591, 1592; BGH 20.3.2008 – IX ZR 104/05, NJW 2008 2647, 2648. 128 Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 Rn. 11. 129 BGH 3.10.1984 – IVa ZR 76/83, VersR 1985 54; OLG Karlsruhe 6.11.1980 – 12 U 154/79, VersR 1981 646. 130 BGH 22.6.1988 – IVa ZR 25/87, VersR 1988 1013. 131 Vgl. auch ÖOGH 15.6.2016 – 7 Ob 86/16x, VersR 2017 446, 447. 871

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§ 11 VVG

Verlängerung, Kündigung

gung durch Vereinbarung aufzuheben,132 hat sein Ergebnis in einer neueren Entscheidung vom 8.6.2016 weiter differenziert.133 Bei der Beurteilung der Wirkungen, die einer Vereinbarung über die Aufhebung der Kündigungsfolgen zukomme, sei danach zu unterscheiden, ob die Vereinbarung vor Ablauf der Kündigungsfrist oder erst danach getroffen werde, denn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bestehe das Vertragsverhältnis der Parteien fort. In der Erklärung der Rücknahme oder des Widerrufs der Kündigung während der laufenden Kündigungsfrist sei daher ein Angebot zu Fortsetzung des ursprünglichen Vertragsverhältnisses zu sehen. Sind hingegen die Wirkungen der ausgesprochenen Kündigung bereits eingetreten, so kann eine Fortsetzung des ursprünglichen Vortrages nicht durch Rücknahme der Kündigung sondern nur dadurch erreicht werden, dass die Vertragsparteien eine solche Rechtsfolge vereinbaren.134 Kraft Gesetzes unwirksam wird die Kündigung nach § 38 Abs. 3 S. 3 für den Fall, dass 50 der VR wegen Zahlungsverzugs des VN mit Folgeprämien gekündigt, der VN aber innerhalb eines Monats nach der Kündigung oder wenn sie mit einer Fristsetzung verbunden war, innerhalb eines Monats nach Fristablauf gezahlt hat. In der Lebensversicherung führt die Kündigung des VR nicht zur Vertragsauflösung son51 dern nach § 166 zur Umwandlung des Vertrages in eine prämienfreie Versicherung. Zum Schutze einiger vom Gesetz besonders privilegierter Gläubiger tritt die Kündigungs52 wirkung nur beschränkt ein. So besteht in der Pflichthaftpflichtversicherung nach § 117 Abs. 2 nach einer Kündigung des Versicherungsvertrages die sogenannte Nachhaftung von einem Monat, nachdem der VR die Kündigung der hierfür vorgesehenen Stelle angezeigt hat.135 In der Gebäudefeuerversicherung wirkt gemäß § 143 Abs. 2 gegenüber dem Hypothekengläubiger, der seine Hypothek angemeldet hat, eine Kündigung erst mit dem Ablauf von zwei Monaten, nachdem die Vertragsbeendigung eingetreten ist und sofern diese noch nicht eingetreten war, der Zeitpunkt der Beendigung ihm durch den VR mitgeteilt worden ist oder er auf andere Weise hiervon Kenntnis erlangt hat. Abweichend von der Regelung in der Pflichthaftpflichtversicherung gilt dies nicht, wenn die Kündigung wegen unterbliebener Prämienzahlung erfolgt ist.

8. Teilkündigung 53 Die Teilkündigung eines Versicherungsvertrages ist – von gesetzlichen und vertraglichen Ausnahmen abgesehen – unwirksam, denn sie ist auf eine Vertragsänderung gerichtet, die grundsätzlich nur im Einverständnis beider Vertragsparteien erfolgen kann.136 Gesetzliche Ausnahmen stellen §§ 29 und 205 Abs. 1 S. 2 dar. Schon vor der Kodifizierung der Krankenversicherung mit der Vorgängerregelung des § 178h Abs. 1 S. 2, nach der die Kündigung auf einzelne versicherte Personen oder Tarife beschränkt werden kann, hat der BGH in der Krankentagegeldversicherung eine Teilkündigung als zulässig erachtet und für den Fall, dass von der Kündigung nur die Versicherung des VN betroffen sei, angenommen, dass das Vertragsverhältnis zu den mitversicherten Personen als Fremdversicherung weiterbestehe.137 Soweit sich mehrere Verträge auf denselben Gegenstand beziehen, liegt eine Teilkündigung begrifflich nur vor, wenn es sich nicht um selbständige Versicherungsverträge handelt. Kündigt der VN den Kaskoversicherungsvertrag,

132 BGH 22.6.1988 – IVa ZR 25/87, VersR 1988, 1013. 133 BGH 8.6.2016 – IV ZR 345/15, VersR 2016 974. 134 BGH 8.6.2016 – IV ZR 345/15, VersR 2016 974 Rn. 14; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 154; vgl. auch schon BGH 24.6.1998 – XII ZR 195/96, BGHZ 139 123, 128 f. (zum Widerruf der Kündigung eines Mietvertrags). 135 Vgl. dazu im Einzelnen Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 C. AKB Rn. 33 ff. 136 BGH 5.11.1992 – IX ZR 200/91, NJW 1993 1320; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 92; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu § 11 Rn. 23; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 11 Rn. 37. 137 BGH 3.10.1984 – IVa ZR 76/83, VersR 1985 54; ebenso OLG Koblenz 10.3.1995 – 10 U 359/94, RuS 1995, 234. K. Johannsen/Koch

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C. Kündigung

VVG § 11

handelt es sich somit nicht um eine Teilkündigung, weil Kfz-Haftpflicht- und Kaskoversicherung selbständige Versicherungsverträge sind.138

9. Abdingbarkeit § 11 Abs. 1 ordnet seinem Wortlaut bei Verstoß Unwirksamkeit an und kann deshalb vertraglich 54 nicht abbedungen werden.139 Nach § 18 kann von § 11 Abs. 2–4 nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. Formularvertragliche Abweichungen von § 11 Abs. 1–4 bei Großrisiken (§ 210 Abs. 2) und bei laufender Versicherung (§ 53) sind an § 307 BGB zu messen.

10. Beweisfragen Als Grundsatz gilt, dass derjenige, der sich auf eine Kündigung des Versicherungsvertrages be- 55 ruft, deren Voraussetzungen beweisen muss. Insbesondere muss der die Kündigung Erklärende deren Zugang beweisen, wenn es auf die Einhaltung von Fristen ankommt, auch deren Rechtzeitigkeit.140 Wegen der häufigen Fehler bei der Übermittlung besteht für abgesandte Postsendungen kein Anscheinsbeweis dafür, dass sie den Empfänger auch erreicht haben.141 Das gilt grundsätzlich auch für Einschreiben mit Rückschein, wenn der Empfänger bei der Zustellung nicht angetroffen wird und die Sendung nicht quittiert, sondern nur ein Benachrichtigungszettel zurückgelassen wird.142 Wird die Sendung nicht abgeholt, muss der Erklärende einen neuen Zustellversuch unternehmen.143 Für die 1997 von der Deutschen Post AG eingeführten Einwurf-Einschreiben, die in den 56 Briefkasten eingeworfen werden und deren Einwurf nachträglich durch Unterschrift des Postmitarbeiters auf einem Auslieferungsbeleg bestätigt wird,144 ist vom AG Paderborn145 angenommen worden, dass ihre Absendung einen Anscheinsbeweis für den Zugang darstellt, weil der Auslieferungsbeleg, von dem eine technische Reproduktion beim Leserzentrum der Post angefordert werden kann, neben der Quittung für die Absendung ein starkes Indiz für den tatsächlich erfolgten Zugang bildet. Dem ist zuzustimmen.146 Dem Empfänger bleibt jedoch die Möglichkeit, den Anscheinsbeweis zu erschüttern; er muss eine ernsthafte Möglichkeit aufzeigen, dass ihn das Schreiben nicht erreicht hat. Auch bei der Übermittlung durch Telefax geht die Rechtsprechung von einer der im Brief- 57 dienst vergleichbaren „Verlustquote“ aus und verneint deshalb einen aus der Absendung mit zusätzlichem O.K. Vermerk folgenden Anscheinsbeweis.147 Bei der Übermittlung der Erklärung durch E-Mail führt die Absendung der elektronischen Willenserklärung in Verbindung mit dem Sendeprotokoll nicht zu einem Anscheinsbeweis für den Zugang.148 Anders verhält es sich, 138 Übersehen von Ebnet NJW 2006 1697, 1799. Zu Einzelheiten s. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 Präambel AKB Rn. 3 ff. Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 232. Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 109; Ebnet NJW 2006 1697. BGH 17.2.1964 – II ZR 87/61, VersR 1964 375; BGH 27.5.1981 – IVa ZR 52/80, VersR 1981 921. BGH 3.11.1976 – VIII ZR 140/75, NJW 1977 194; BGH 24.4.1996 – VIII ZR 150/95, NJW 1996 2033, 2035; BGH 11.1997 – VIII ZR 22/97, NJW 1998 976. 143 Looschelders VersR 1998 1198, 1202. 144 Vgl. dazu Hunke VersR 2002 660; Jänich VersR 1999 535; Reichert NJW 2001 2523. 145 AG Paderborn 3.8.2000 NJW 2000 3722. 146 So auch Jänich VersR 1999 535, 537; Palandt/Ellenberger § 130 Rn. 21; zweifelnd Hunke VersR 2002 600. 147 BGH 21.1.2004 – XII ZR 214/00, NJW 2004 1320, 1321; BGH 7.12.1994 – VIII ZR 153/93, NJW 1995 665, 666 mit zahlreichen Nachweisen. 148 Spindler/Schuster/Spindler Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. (2019) § 130 BGB Rn. 24; Makoski K&R 2007 246 247.

139 140 141 142

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§ 11 VVG

Verlängerung, Kündigung

wenn der Absender eine Empfangs- oder Lesebestätigung seitens des Adressaten verlangt. Erhält der Sender daraufhin eine Empfangsbestätigung, belegt diese rein materiell-rechtlich zum einen den spätmöglichsten Zeitpunkt des Zugangs, nämlich die tatsächliche Kenntnisnahme, zum anderen begründet die Empfangsbestätigung prozessual einen Anscheinsbeweis für den Zugang der Erklärung.149 58 Bei einer unwirksamen Kündigung durch den VN muss dieser, wenn er geltend macht, dass sie wirksam geworden ist, weil der VR sie nicht unverzüglich zurückgewiesen hat, beweisen, dass eine Zurückweisung nicht erfolgt ist.150 Der VR hat aber eine gesteigerte Darlegungslast, er muss insbesondere das Zurückweisungsschreiben vorlegen und seine Absendung glaubhaft machen. Entgegen der Auffassung des OLG Karlsruhe151 braucht er aber den Zugang dieses Schreibens nicht zu beweisen.152

D. Österreichisches Recht/PEICL I. Österreichisches Recht 59 In Österreich entsprach § 8 VersVG bis 1994 der deutschen Rechtslage vor 1990 (Rn. 1). Mit der VersVG-Novelle 1994 wurde ein neuer Abs. 3 eingeführt, der im Wesentlichen § 8 Abs. 3 S. 1. entspricht, aber zwei bedeutsame Abweichungen aufweist. Zum einen wird das Kündigungsrecht bei einem auf mehr als drei Jahre befristeten Versicherungsvertrag nur dem Verbraucher eingeräumt, zum anderen beträgt die Kündigungsfrist nur einen Monat. Ergänzend sieht § 8 Abs. 3 S. 2 vor, dass dieses Kündigungsrecht eine allfällige Verpflichtung des VN zum Ersatz von Vorteilen, besonders Prämiennachlässen, die ihm wegen einer vorgesehenen längeren Laufzeit des Vertrages gewährt worden sind, unberührt bleibt.153 Der ÖOGH bejaht die Zulässigkeit von Zehnjahresverträgen, in dem in dem die Laufzeit zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer „im Einzelnen ausgehandelt“ wurde.154 60 Bei Verlängerungsklauseln ist § 6 Abs. 1 Nr. 2 KSchG zu beachten. Gesetzlich vorgesehen ist die Verlängerung in der Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 14 Abs. 2 KHVG). 61 Der ÖOGH hat mehrfach ausdrücklich eine Verpflichtung des VR zur Zurückweisung unwirksamer Kündigungen jeder Art unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben anerkannt.155 Tut er dies nicht, muss er sich so behandeln lassen, als wäre der Versicherungsvertrag wirksam gekündigt worden.156 Die verfristete Kündigung ist grundsätzlich in eine ordnungsgemäße Kündigung umzudeuten, also rechtlich so zu behandeln, als ob sie unter Einhaltung der vorgeschriebenen Fristen zum nächst zulässigen Termin ausgesprochen worden wäre, wenn dies dem mutmaßlichen, dem Erklärungsempfänger erkennbaren Willen des Kündigenden zum Zeitpunkt der Kündigung entspricht („Konversion“).157

149 Spindler/Schuster/Spindler Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. (2019) § 130 BGB Rn. 24; Mankowski NJW 2004 1901, 1902. 150 Ebnet NJW 2006 1697, 1699; Leverenz VersR 1999 524, 534. 151 OLG Karlsruhe18.10.2001 – 12 U 161/01, VersR 2002 1497. 152 AG Frankfurt a. M. 6.2.1998 – 30 C 1729/97 – 47, VersR 1999 1006; Ebnet NJW 2006 1697, 1699; Leverenz VersR 1999 524, 534. 153 Zu Einzelheiten s. Fenyves/Schauer/Gruber Kommentierung zuz § 8. 154 Vgl. ÖOGH 15.6.2016 – 7 Ob86/16x, VersR 2017 446, 447. OGH 11.7.2001 7 Ob 152/01f ECLI:AT:OGH0002:2001:0070OB00152.01F.0711.000. 155 Vgl. ÖOGH 30.3.2011 – 7 Ob 255/10s, ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00255.10S. 0330.000. 156 Vgl. ÖOGH 15.6.2016 – 7 Ob 86/16x, VersR 2017 446, 447; ÖOGH 30.3.2011 – 7 Ob 255/10s, ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00255.10S. 0330.000. 157 Vgl. ÖOGH 15.6.2016 – 7 Ob 86/16x, VersR 2017 446, 447; ÖOGH 30.3.2011 – 7 Ob 255/10s, ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00255.10S. 0330.000. K. Johannsen/Koch

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D. Österreichisches Recht/PEICL

VVG § 11

II. PEICL Die PEICL enthalten in Art. 2:601 und 2:602 Regelungen zur Laufzeit des Vertrages und zur 62 Vertragsverlängerung. Danach beträgt die Laufzeit des Versicherungsvertrages in der Nichtpersonenversicherung ein Jahr. Die Parteien können jedoch einen anderen Zeitraum vereinbaren, wenn dies aufgrund der Art des Risikos angezeigt ist. Nach Ablauf der Einjahresperiode verlängert sich der Vertrag, es sei denn der VR oder der VN haben der Verlängerung innerhalb der in Art. 2:601 Abs. 2 genannten Fristen widersprochen.

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K. Johannsen/Koch

§ 12 Versicherungsperiode Als Versicherungsperiode gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres.

Schrifttum Engeländer Die Anwendbarkeit der Vorschriften für entgeltliche Finanzierungshilfen auf unterjährige Beitragszahlung bei Versicherungsverträgen, VersR 2011 1358; Hadding Ergibt die unterjährige Zahlung von Versicherungsprämien einen entgeltlichen Zahlungsaufschub? VersR 2010 697; Looschelders Die richtlinienkonforme Auslegung des § 506 BGB (§ 499 a. F.) im Hinblick auf Versicherungsverträge mit unterjähriger Prämienzahlung, VersR 2010 977; Reusch Die Versicherungsperiode nach § 12 VVG, FS Uwe H. Schneider (2011) 1039; Wandt/Ganster Zur Harmonisierung von Versicherungsbeginn und Prämienfäligkeit durch AVB im Rahmen des VVG 2008, VersR 2007 1034.

Übersicht 1

A.

Entstehungsgeschichte

B.

Inhalt und Zweck der Regelung

2

7

C.

Abdingbarkeit

D.

Österreichisches Recht

8

A. Entstehungsgeschichte 1 Die Vorgängervorschrift des § 9 a. F. ist seit Inkrafttreten des VVG nicht geändert worden. Ihr Inhalt ist materiell unverändert in § 12 übernommen worden. Der Wegfall des Zusatzes „im Sinne des Gesetzes“ bei der Definition der Versicherungsperiode dient nur der sprachlichen Klarstellung.

B. Inhalt und Zweck der Regelung 2 § 12 enthält eine Zweifelsregel über die Dauer der Versicherungsperiode.1 Der Begriff Versicherungsperiode wird in zahlreichen Vorschriften des VVG verwendet, vgl. §§ 11 Abs. 2, 19 Abs. 4 S. 2, 29 Abs. 2 S. 2, 39 Abs. 1 S. 1, 92 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3, 95 Abs. 2, 96 Abs. 2 S. 1, 165 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 S. 1, 167 S. 1, 168 Abs. 1 und 169 Abs. 3. Mit ihm wird der Zeitabschnitt bezeichnet, nach dem bei Versicherungsverträgen mit laufender Prämienzahlung die Prämien berechnet werden. Er bezieht sich damit auf die technische Versicherungsdauer.2 Die erste Versicherungsperiode beginnt mit dem technischen Versicherungsbeginn. Die Dauer der Versicherungsperiode kann vereinbart werden.3 Die gesetzliche Zweifelsrege3 lung greift ein, wenn eine Vereinbarung nicht getroffen ist, und bestimmt für diesen Fall, dass die Versicherungsperiode ein Jahr beträgt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist. Auf Grund einer Vereinbarung kann auch eine Versicherungsperiode bestimmt

1 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 12 Rn. 1; Langheid/Wandt/Fausten § 12 Rn. 13; Berliner Kommentar/ Gruber § 9 Rn. 1.

2 Langheid/Rixecker/Rixecker § 12 Rn. 1; Prölss/Martin/Armbrüster § 12 Rn. 1; Langheid/Wandt/Fausten § 12 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 12 Rn. 1; vgl. zu der Abgrenzung der technischen Versicherungsdauer von der formellen und der materiellen Bruck/Möller/R. Johannsen/Koch § 2 Rn. 8. 3 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, VersR 2013 341; OLG Bamberg 24.1.2007 – 3 U 35/06, VersR 2007 529, 530; LG Hamburg 18.11.2011 – 9 U 103/11, VersR 2012 41; Langheid/Wandt/Fausten § 12 Rn. 14, Prölss/Martin/Armbrüster § 12 Rn. 4. K. Johannsen/Koch https://doi.org/10.1515/9783110522600-025

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C. Abdingbarkeit

VVG § 12

werden, die kürzer als ein Jahr ist.4 Der historische Gesetzgeber ist dabei davon ausgegangen, dass eine längere Versicherungsperiode als ein Jahr für den VN nach einzelnen Vorschriften des VVG, z. B. § 40 a. F. nachteilig ist, weil er bei einer Beendigung des Versicherungsvertrages für eine noch längere Zeit Prämien zahlen müsste, ohne eine Gegenleistung zu erhalten.5 Eine kürzere Versicherungsperiode als ein Jahr liegt dann vor, wenn die Prämie nach kürze- 4 ren Zeitabschnitten bemessen ist. Dafür kommt es nicht nur auf die vereinbarte Zahlungsweise an, sondern ist durch Auslegung die vereinbarte Bemessungsgrundlage der Prämie zu ermitteln. Soweit im Versicherungsschein Vierteljahresprämien ausgeworfen sind, aber für diese Zahlungsweise ein Zuschlag von 5 % gegenüber der jährlichen Zahlungsweise vorgesehen ist, liegt eine einjährige Versicherungsperiode vor, weil es sonst des Zuschlags nicht bedurft hätte.6 Das Gleiche gilt, wenn die Zahlungsweise mit 1/12 jährlich angegeben wird, weil hierdurch der Bemessungsgrundsatz von einem Jahr klar zum Ausdruck kommt,7 oder wenn monatliche Ratenzahlung vereinbart wird.8 Ist aber die Prämie ohne einen Hinweis auf einen anderen Zeitraum monatlich oder vierteljährlich zu zahlen, so ist eine entsprechende Versicherungsperiode vereinbart, die bei der Anwendung der Bestimmungen, in denen die Versicherungsperiode genannt wird, maßgeblich ist. Wie der BGH in seiner Entscheidung vom 6.2.2013 darstellt, hatte sich in der Rechtspre- 5 chung und Literatur eine Kontroverse entwickelt, in der einerseits vertreten wurde, dass eine unterjährige Zahlungsweise von Versicherungsprämien als entgeltlicher Zahlungsaufschub i. S. v. § 1 Abs. 2 VerbrKG/§ 499 BGB a. F. (nunmehr § 506 Abs. 1 BGB) zu behandeln sei, weil die Prämien grundsätzlich zu Beginn einer Versicherungsperiode fällig würden und eine Vereinbarung, die ein späteres Zahlungsziel vorsehe, deshalb einen Zahlungsaufschub enthalte, während die Gegenansicht die Versicherungsperiode nur als Bemessungsgrundlage der Prämien ansieht, die nichts mit der Zahlungsweise der Prämien zu tun habe und insbesondere auch nicht ihre Fälligkeit bestimme.9 Der BGH hat sich der zuletzt angeführten Auffassung noch zu § 9 a. F. zu Recht mit der 6 Begründung angeschlossen, dass die vertragliche Regelung einer Zahlung der Versicherungsprämien in Zeitabschnitten nicht vom dispositiven Recht abweiche, weil es im VVG keine gesetzliche Regelung zur Fälligkeit der Folgeprämien gebe. Aus § 9 a. F. könne nicht entnommen werden, dass als Zahlungsweise kraft Gesetzes die jährliche Zahlungsweise vorgesehen sei. § 271 BGB bestimme die sofortige Fälligkeit nur subsidär für den Fall, dass die Parteien eine vertragliche Regelung über die Fälligkeit nicht getroffen hätten. Diese Vereinbarung sei aber auch nicht deshalb getroffen worden, weil die Prämie dem VR bereits bei Beginn der Versicherungsperiode zur Verfügung stehen müsse. Da innerhalb der Versicherungsperiode Versicherungsschutz kontinuierlich gewährt werde, sei jede gleichmäßige vorschüssige Zahlung von Beiträgen als im Voraus geleistet anzusehen und damit nicht darlehensähnlich.10

C. Abdingbarkeit Die Begrenzung auf ein Jahr ist nicht für halbzwingend erklärt worden. Infolge der VVG-Reform 7 ist das Bedürfnis, den VN vor Nachteilen längerer Versicherungsperioden zu schützen, weitge-

4 Bruck//Möller/Möller8 § 9 Rn. 4 unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Braunschweig 4.12.1951 – 1 U 130/ 51, VersR 1952 147. Motive 84. OLG Köln 11.6.1992 – 5 U 16/92, RuS 1992 260. OLG Düsseldorf 14.8.1990 – 4 U 209/89, VersR 1990 1261. LG Lüneburg 10.11.1977 – 6 S 420/77, VersR 1978 658. Vgl. im Einzelnen die Darstellung des Meinungsstandes in BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, VersR 2013 342=RuS 2013 163 Rn. 12 f. 10 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, VersR 2013 342=RuS 2013 163 Rn. 16 f.; Looschelders VersR 2010 977, 980; vgl. auch Reusch FS Schneider 1050.

5 6 7 8 9

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K. Johannsen/Koch

§ 12 VVG

Versicherungsperiode

hend dadurch entfallen, weil der VN bei vorzeitiger Vertragsauflösung gemäß § 39 ohne Rücksicht auf die Länge der Versicherungsperiode die Prämie nur anteilig dem getragenen Risiko schuldet. Den Parteien ist es jedoch verwehrt, eine über Zweifelsregelung zeitlich hinausgehende Versicherungsperiode zu vereinbaren, wenn und soweit (halb-)zwingende Bestimmungen des VVG den Begriff Versicherungsperiode verwenden (z. B. § 11 Abs. 2).11 Auf die Vereinbarung längerer Versicherungsperioden können VR sich somit nur bei Großrisiken und der laufenden Versicherung (§ 210 Abs. 1) sowie bei der Anwendung von Vorschriften berufen, die nicht (halb-)zwingend ausgestaltet sind (z. B. § 92 Abs. 2 und 3).

D. Österreichisches Recht 8 § 9 VersVG entspricht § 12. Der ÖOGH hat in seinem Urteil vom 14.9.1966 festgestellt, dass die Zweifelsregelung zwingend ist, sofern zwingende Bestimmungen des Vertragsversicherungsgesetzes den Begriff der Versicherungsperiode verwenden.12

11 Langheid/Wandt/Fausten § 12 Rn. 23; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 12 Rn. 5; Prölss/Martin/Armbrüster § 12 Rn. 5; Reusch FS Schneider 1046. 12 ÖOGH 14.9.1966 – 7 Ob 141/66, ECLI:AT:OGH0002:1966:0070OB00141.66.0914.000; s. auch Fenyves/Schauer/ Gruber § 9 Rn. 1 f. K. Johannsen/Koch

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§ 13 Änderung von Anschrift und Name (1)

1

Hat der Versicherungsnehmer eine Änderung seiner Anschrift dem Versicherer nicht mitgeteilt, genügt für eine dem Versicherungsnehmer gegenüber abzugebende Willenserklärung die Absendung eines eingeschriebenen Briefes an die letzte dem Versicherer bekannte Anschrift des Versicherungsnehmers. 2Die Erklärung gilt drei Tage nach der Absendung des Briefes als zugegangen. 3Die Sätze 1 und 2 sind im Falle einer Namensänderung des Versicherungsnehmers entsprechend anzuwenden. (2) Hat der Versicherungsnehmer die Versicherung in seinem Gewerbebetrieb genommen, ist bei einer Verlegung der gewerblichen Niederlassung Absatz 1 Satz 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

Schrifttum André Zur Ausschlussfrist des § 12 III VVG bei Zugangshindernissen, VersR 1969 964; Friedrich Der Beweiswert des Einwurfeinschreibens der Deutschen Post AG, VersR 2001 1090; Jabornegg Der Zugang von Erklärungen des Versicherers an den Versicherungsnehmer, VersRdsch 1992 337; Jänisch Übermittlung empfangsbedürftiger Willenserklärungen im Versicherungsvertragsrecht – Übergabe-Einschreiben contra Einwurf-Einschreiben, VersR 1999 535; Klingmüller Zugang von Willenserklärungen bei verwaister Wohnung, VersR 1967 1109; Looschelders Das Wirksamwerden empfangsbedürftiger Willenserklärungen bei Übermittlung per Einschreiben – Zugleich Anmerkung zum Urteil des BGH vom 26.11.1997 (VIII ZR 22/97) VersR 98, 472 –, VersR 1998 1198; Schweighäuser Der Versicherungsnehmer (1951); Voosen Zulässigkeit einer Beweislastumkehr in den AVB bei vertragswidrigem Verhalten des Versicherungsnehmers, VersR 1977 895.

Übersicht 1

A.

Einleitung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Anwendungsbereich

I.

Anschriftenänderung (§ 13 Abs. 1 S. 1)

II.

Namensänderung (§ 13 Abs. 1 S. 3)

III.

Willenserklärung

IV.

Versand durch Versicherer mittels eingeschriebe16 nen Briefs

V.

Dreitagesfiktion (§ 13 Abs. 1 S. 2)

VI.

Unterbliebene Mitteilung des Versicherungsneh18 mers

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweisfragen

E.

Österreichisches Recht

1 17

2

6

13

6 11

22 24 26

A. Einleitung I. Entstehungsgeschichte Die frühere Vorschrift des § 10 ist vom Inkrafttreten des VVG bis zur VVG-Reform 2008 unverän- 1 dert geblieben. Mit dieser ist die Regelung, die bisher nur für die Änderung der Anschrift galt, auf die Fälle einer Namensänderung erstreckt worden. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Namensänderungen heute im Vergleich zu der Zeit am Anfang des 20. Jahrhunderts wesentlich häufiger vorkommen und zu vergleichbaren Problemen wie bei der Anschriftenänderung bei dem Zugang von Willenserklärungen führen. Entsprechende Regelungen finden sich vielfach in den AVB, z. B. § 15 Allgemeine Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung. Durch die Festlegung des Zeitpunktes, an dem die Erklärung als zugegangen 879 https://doi.org/10.1515/9783110522600-026

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§ 13 VVG

Änderung von Anschrift und Name

gilt, nämlich drei Tage nach Absendung, sollen Streitigkeiten ausgeschlossen werden, die sich bisher aus der Verwendung des Begriffes „regelmäßige Beförderung“ ergaben. Im Übrigen sind nur redaktionelle Änderungen vorgenommen worden. Die Ersetzung des Wortes „Wohnung“ durch „Anschrift“ hat keine sachliche Bedeutung (Rn. 6).

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 § 13 weicht zu Gunsten des VR von den allgemeinen Vorschriften der §§ 130 ff. BGB über den Zugang von Willenserklärungen ab, wonach eine Willenserklärung zugegangen ist, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.1 Für den Fall der Änderung der Anschrift, die dem VR nicht mitgeteilt worden ist, gewährt die Regelung dem VR die Möglichkeit, Willenserklärungen dadurch wirksam werden zu lassen, dass er einen eingeschriebenen Brief an die letzte ihm bekannte Anschrift des VN absendet. Der Zugang wird dann für den drei Tage nach der Absendung liegenden Zeitpunkt fingiert. Der VR braucht damit nicht den umständlicheren Weg der Zustellung nach § 132 BGB oder der öffentlichen Zustellung nach § 185 ZPO zu gehen. § 13 Abs. 1 S. 1 und 3, Abs. 2 sollen den VR von jeglichem Informationsaufwand entlasten und ihm den rationellen Betrieb des Versicherungsgeschäfts als Massengeschäft erleichtern, wenn er den Nachweis der Absendung durch formale Beweismittel gesichert hat.2 Sinn und Zweck dieser Regelungen lassen es als geboten erscheinen, vom VR nicht den Nachweis zu fordern, dass das Schriftstück unter der alten Anschrift zugestellt oder die Zustellung dort versucht wurde.3 3 Es kann allerdings schon nach allgemeinen Vorschriften in Betracht kommen, dass bei Zugangshindernissen der Zugang von Willenserklärungen fingiert wird. Zwar besteht keine allgemeine Pflicht, Empfangsvorkehrungen für Willenserklärungen zu treffen.4 Wer jedoch mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechnen muss, hat dafür Sorge zu tragen, dass ihn diese erreichen.5 Tut er das nicht oder vereitelt oder verzögert der Empfänger den Zugang von Willenserklärungen bewusst, so muss er sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung zugegangen.6 Die Rechtsprechung hat aber zu Recht für die Anwendung des § 242 BGB strenge Grundsätze aufgestellt und objektive Empfangshindernisse allein nicht genügen lassen. Eine Zugangsfiktion nach allgemeinen Grundsätzen kommt deshalb nicht in Betracht, wenn der VN, der seine Anschrift geändert und diese Änderung dem VR nicht mitgeteilt hat, keinen konkreten Anlass hatte, mit rechtsgeschäftlichen Erklärungen des VR wie Mahnung, Kündigung oder ähnlichem zu rechnen.7

1 St. Rspr., s. etwa BGH 21.6.2011− II ZB 15/10 NJW-RR 2011 1184 Rn. 15; vgl. auch OLG Hamm 13.7.2012 – 20 U 180/ 11 BeckRS 2012 22481.

2 Motive 85; vgl. auch OLG Hamm 13.7.2012 – 20 U 180/11 BeckRS 2012 22481; Hans. OLG Hamburg 11.7.1979 – 4 U 88/79 VersR 1980 38; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 1 und 8; a. M. Jabornegg VersRdsch 1992 337, 342, der die Vorschrift mit Grundsätzen des Vertrauensschutzes im Rahmen allgemeiner Zugangsvorschriften erklärt. 3 Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 4; Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 48; ÖOGH 22.11.1984 – 7 Ob 41/84 VersR 1985 794, 795; a. M. Jabornegg VersRdsch 1992 337, 352. 4 BGH 18.12.1970 – IV ZR 52/69 VersR 1971 262, 263; BGH 3.11.1976 – VIII ZR 140/75 BGHZ 67 271, 278=NJW 1977 194; BGH 17.4.1996 – IV ZR 202/95 VersR 1996 743. 5 BGH 26.11.1997 – VIII ZR 22/97 BGHZ 137 205, 208=NJW 1998 976; BGH 3.11.1976 – VIII ZR 140/75 BGHZ 67 271, 278=NJW 1977 194. 6 Vgl. BAG 13.2.2008 – 2 AZR 864/06 NZA 2008 1055 Rn. 53; BAG 25.4.1996 – 2 AZR 13/95 NJW 1997 146; Palandt/ Ellenberger/Heinrichs § 130 Rn. 18; Looschelders VersR 1998 1198. 7 Vgl. BAG 13.2.2008 – 2 AZR 864/06 NZA 2008 1055 Rn. 53. K. Johannsen/Koch

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VVG § 13

B. Anwendungsbereich

Ist dem VR die neue Anschrift des VN zuverlässig bekannt, so ist § 13 seinem Sinn und 4 Zweck nach, den VR von jeglichem Informationsaufwand zu befreien, nicht anwendbar.8 Die Kenntnis des Versicherungsvertreters muss er sich nach § 70 zurechnen lassen.9 Auch eine Namensänderung des VN kann dazu führen, dass der Zugang von Willenser- 5 klärungen des VR an ihn erschwert wird. Im Regelfall werden allerdings solche Schwierigkeiten nicht auftreten, weil der VN, der seinen Namen infolge Heirat oder aus sonstigen Gründen geändert hat, den Postzustellern als dieselbe Person wie vorher bekannt sein wird. Bei mit der Namensänderung verbundenem Wohnungswechsel kann es aber zu Komplikationen kommen, die zum Schutz des VR die Erstreckung der Vorschrift auf den Fall des Namenswechsels rechtfertigt.

B. Anwendungsbereich I. Anschriftenänderung (§ 13 Abs. 1 S. 1) Die Vorschrift betrifft den Fall, dass der VN seine Anschrift geändert und dem VR hiervon keine 6 Mitteilung gemacht hat. Die Ersetzung des Wortes „Wohnung“ durch „Anschrift“ ist rein redaktioneller Natur.10 Abzustellen ist nicht auf die Ummeldung bei der zuständigen Meldebehörde sondern darauf, ob der VN tatsächlich seine Wohnung aufgegeben und seinen Lebensmittelpunkt in eine andere Wohnung verlagert hat. Das liegt nicht vor bei nur vorübergehender Abwesenheit durch längere Reisen oder Krankenhausaufenthalte des VN.11 § 13 findet auch keine Anwendung, wenn die Adresse durch Änderung der Straßenbezeichnung unrichtig geworden ist. Streitig ist, ob die Vorschrift eingreift, wenn die Adresse schon bei Vertragsschluss unrichtig 7 gewesen ist.12 Eine direkte Anwendung von § 13 kommt nach dem Wortlaut, der eine nachträgliche Änderung voraussetzt, nicht in Betracht. Gegen eine Analogie spricht, dass § 13 eine von den allgemeinen Zugangsvoraussetzungen für Willenserklärungen abweichende Ausnahmevorschrift zu Gunsten des VR ist, die nicht ohne zwingende Notwendigkeit zu Lasten des VN ausgedehnt werden sollte. Eine solche Notwendigkeit besteht aber nicht. Im telekommunikativen Verkehr (Änderung der E-Mail-Adresse) ist § 13 angesichts des 8 Abstellens auf den eingeschriebenen Brief und die Zugangsfiktion in § 13 Abs. 1 S. 2 nicht anwendbar.13 Für eine Analogie fehlt es an der planwidrigen Regelungslücke.14

8 Vgl. BGH 6.6.1990 – IV ZR 142/89 VersR 1990 881 zu § 10 a. F.; OLG Hamm 13.7.2012 – 20 U 180/11 BeckRS 2012 22481; vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 13 Rn. 8 (VR handelt rechtsmissbräuchlich).

9 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 11; Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 45 ff. 10 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 13 Rn. 3; a.A. Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 11; wohl auch Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 3.

11 BGH 18.12.1970 – IV ZR 52/69 VersR 1971 262; OLG Koblenz 20.9.1967 – 1 a U 303/66 VersR 1967 1061; LG Duisburg 21.12.1989 – 9 O 377/89 RuS 1990 328, 329; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 13 Rn. 2; Langheid/ Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 5. 12 Das wird bejaht von Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 2; Langheid/ Wandt/Fausten § 13 Rn. 29; Berliner Kommentar/Gruber § 10 Rn. 5; Dullinger JBl. 1986 13; Jabornegg VersRdschau 1992 337, 350; verneint von ÖOGH 22.11.1984 – 7 Ob 41/84 VersR 1985 794, 795; Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 29; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 13 Rn. 4. 13 BGH 18.12.1970 – IV ZR 52/69 VersR 1971 262; OLG Koblenz 20.9.1967 – 1 a U 303/66 VersR 1967 1061; LG Duisburg 21.12.1989 – 9 O 377/89 RuS 1990 328, 329; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 13 Rn. 2; Langheid/ Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 5. 14 Vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 2. 881

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§ 13 VVG

Änderung von Anschrift und Name

Im Fall des Todes des VN kommt es für die Anwendbarkeit von § 13 darauf an, ob er zum Zeitpunkt des Todes nicht nur vorübergehend abwesend war.15 Vorstehendes gilt gem. § 13 Abs. 2 entsprechend, wenn der VN die Versicherung für Risiken 10 seines Gewerbebetriebes abschließt und er seine gewerbliche Niederlassung an einen anderen Ort verlegt. 9

II. Namensänderung (§ 13 Abs. 1 S. 3) 11 Namensänderungen können sich auf den Vornamen oder den Familiennamen beziehen. Häufigster Fall ist die Änderung des Familiennamens im Zusammenhang mit der Eheschließung nach § 1355 BGB. Weiter unterfallen § 13 Namensänderungen auf Grund des Kindesnamensrechtes, z. B. nach §§ 1617b–1618, 1757, 1765 BGB) und aus wichtigem Grund nach § 3 NamÄndG. Diese werden in den bei den Standesämtern geführten Personenstandsregistern dokumentiert. Es genügt nicht, dass der VN ohne Durchführung eines Verfahrens auf Namensänderung einfach einen neuen Namen annimmt. So liegt insbesondere in der Annahme eines Künstlernamens keine Namensänderung im Sinne von § 13, die einen erleichterten Zugang von Willenserklärungen rechtfertigt.16 § 13 Abs. 2 nimmt keinen Bezug auf § 13 Abs. 1 S. 3, so dass bei einer gewerblich genomme12 nen Versicherung die Zugangsfiktion im Falle einer Firmenänderung nicht eingreift. In der Literatur wird sich mit Blick auf Sinn und Zweck von § 13 Abs. 1 für eine analoge Anwendung von Abs. 2 auf den Fall der Firmenänderung ausgesprochen,17 was trotz des Ausnahmecharakters von § 13 zulässig sein dürfte.

III. Willenserklärung 13 Die Vorschrift soll den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen erleichtern. In Betracht kommen in erster Linie solche wie Rücktritt, Kündigung, Anfechtung, die unmittelbar auf die Herbeiführung einer Rechtsänderung gerichtet sind und deshalb Willenserklärungen im Sinne der allgemeinen Vorschriften des BGB darstellen.18 § 13 findet nur auf nach Vertragsschluss abgegebene Willenserklärungen des VR Anwendung.19 Die Annahme eines Antrags kann nicht durch § 13 fingiert werden.20 Die Willenserklärungen müssen gegenüber dem VN abzugeben sein. Neben dem VN kommen auch andere Personen, die an seine Stelle treten, in Betracht, wie Gesamtrechtsnachfolger oder der Erwerber einer versicherten Sache. Für Realgläubiger besteht die Sondervorschrift des § 147.21 Keine Zugangserleichterung besteht für versicherte Personen im Rahmen einer Fremdversicherung sowie für Bezugsberechtigte.22 15 A.A. Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 3 mit der Begründung, § 13 setze anderweitige Erreichbarkeit voraus; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 13.

16 A.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 15. 17 Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 16; Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 6.

18 BGH 17.10.2000 – X ZR 97/99 NJW 2001 289, 290. 19 LG Bonn 28.8.1989 – 10 O 171/89 RuS 1990 42 f.; ÖOGH 23.1.2001 – 7 Ob 248/00 x VersR 2002 595; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Ebers § 13 Rn. 4; a.A. Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 19 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 9; Jabornegg VersRdSch 1992, 337, 348; Berliner Kommentar/Gruber § 10 Rn. 13. 20 ÖOGH 23.1.2001 – 7 Ob 248/00x VersR 2002 595; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 13 Rn. 4; a.A. Langheid/ Wandt/Fausten § 13 Rn. 19 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 8; Berliner Kommentar/Gruber § 10 Rn. 13. 21 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 6 ff. 22 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 8.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 6; vgl. auch BGH 10.4.2013 – IV ZR 38/12 NJW 2013 2588 11 ff. K. Johannsen/Koch

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B. Anwendungsbereich

VVG § 13

Den Willenserklärungen des VR sind Wissenserklärungen und gewisse andere Rechts- 14 handlungen, die auch sonst nach Analogie der Willenserklärungen behandelt werden, gleichzustellen.23 Zu diesen Rechtshandlungen zählen Aufforderungen (z. B. Mahnung) und Mitteilungen, die auf Ansprüche oder Rechtsverhältnisse Bezug nehmen und im Bewusstsein der dadurch ausgelösten Rechtsfolgen ausgesprochen werden.24 Entscheidend abzustellen ist darauf, ob die geschäftsähnlichen Handlungen eine den Willenserklärungen vergleichbare erhebliche Wirkung auslösen.25 Nicht entsprechend anwendbar ist die Vorschrift auf die Erbringung von Leistungen, z. B. 15 Zahlung der Versicherungsentschädigung durch Geldbrief oder die Aushändigung des Versicherungsscheins.26

IV. Versand durch Versicherer mittels eingeschriebenen Briefs Die Übermittlung der Willenserklärung an den VN muss durch die Absendung eines einge- 16 schriebenen Briefes erfolgen. Dieses Erfordernis erfüllen beide von der Deutschen Post AG angebotenen Formen des Übergabe-Einschreibens wie des Einwurf-Einschreibens.27 Nach Sinn und Zweck des § 13 kann auf das Merkmal des Einschreibebriefs nicht verzichtet werden.28 Die Absendung des Einschreibens durch den VR muss an die letzte ihm bekannte Anschrift des VN erfolgen. Es genügt nicht irgendeine Anschrift, die sich in den Akten des VR befindet, insbesondere nicht die des früheren Arbeitgebers des VN.29

V. Dreitagesfiktion (§ 13 Abs. 1 S. 2) Der Zeitpunkt des Zugangs wird nach § 13 Abs. 1 S. 2 auf drei Tage nach der Absendung 17 fingiert. Die Einführung eines festen Zeitpunkts hat gegenüber der früher maßgebenden regelmäßigen Beförderung den Vorteil einer klaren Regelung. Die Frist von drei Tagen erscheint allerdings nur für die Übermittlung von Erklärungen im Inland als angemessen. Die für die Versendung ins Ausland häufig viel längeren Postlaufzeiten sind bei der Bemessung der Frist nicht berücksichtigt worden. Dennoch greift die Fiktion auch in solchen Fällen ein, in denen eine Briefbeförderung binnen drei Tagen nicht in Betracht kommt.30 Hat der VN bereits zu einem früheren Zeitpunkt positive Kenntnis vom Inhalt der Erklärung erhalten, so ist dieser Zeitpunkt maßgeblich.31

23 Vgl. BGH 4.12.1074 – IV ZR 197/73 VersR 1975 365, 366 (zur Belehrung mit Fristsetzung gem. § 12 Abs. 3 a. F.); OLG Koblenz 20.9.1967 – 1 a U 303/66 VersR 1967 10611; ÖOGH 10.6.1976 – 7 Ob 33/76 VersR 1977 630; Langheid/ Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 4; Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 25; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 7; Berliner Kommentar/Gruber § 10 Rn. 10. 24 BGH 17.10.2000 – X ZR 97/99 NJW 2001 289, 290 (zur Anwendung von § 174 BGB auf die Anmeldung von Ansprüchen des Reisenden gegen den Reiseveranstalter nach § 651g BGB a. F.). 25 ÖOGH 10.6.1976 – 7 Ob 33/76 VersR 1977 630. 26 OLG Hamm 9.6.1978 – 20 W 25/77 VersR 1978 1107; Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 5. 27 Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 8; Jänisch VersR 1999 535, 538. 28 Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 5; Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 49. 29 BGH 4.12.1974 – IV ZR 197/73 VersR 1975 365; Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 50; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 20. 30 Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 8. 31 Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 8; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 12. 883

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Änderung von Anschrift und Name

VI. Unterbliebene Mitteilung des Versicherungsnehmers 18 Den VN trifft eine Obliegenheit, dem VR die Änderung seiner Anschrift mitzuteilen. Denn die Mitteilung der Anschrift hat er aus eigenem Interesse vorzunehmen, um die im Gesetz genannte Rechtsfolge zu vermeiden. Es handelt sich um eine gesetzliche Obliegenheit,32 deren Rechtsfolge einer Verletzung abschließend mit der angeordneten Fiktion des Zugangs im Gesetz geregelt ist, sodass für die Anwendung von § 28 kein Raum ist Auch die Mitteilung der Namensänderung stellt eine Obliegenheit dar, deren Verletzung 19 nur die Rechtsfolge des § 13 auslöst. Mit Verletzungen dieser Obliegenheit wird weniger oft zu rechnen sein als bei der zur Mitteilung der Anschriftenänderung, weil der VN wegen des Erhalts seiner Rechtsposition gegenüber dem VR ein größeres eigenes Interesse daran haben wird, die Namensänderung mitzuteilen. Die Vorschrift ist aber auch geeignet zu verhindern, dass unredliche VN sich durch Namenswechsel dem Zugang sie belastender Willenserklärungen, wie Mahnung oder Kündigung, entziehen. Nicht jede Unterlassung führt zur Anwendung des § 13. Da durch § 13 nur verhindert werden 20 soll, dass der VR notwendige Willenserklärungen gegenüber dem VN nicht abgeben kann, weil er dessen Anschrift oder Namen nicht kennt, kommt es nur auf seine tatsächliche Kenntnis von der Anschrift an und nicht darauf, ob eine ausdrückliche Mitteilung in der in den Bedingungen vereinbarten Form vorliegt.33 Auch die Anzeige durch einen Dritten genügt, wenn der VR durch diese zuverlässige Kenntnis von der neuen Anschrift erlangt hat.34 Von der Kenntnis des VR von der Adressenänderung ist auszugehen, wenn sich die neue Adresse in seinen Unterlagen auf einem Briefkopf des VN befindet, nicht aber, wenn sie ohne jeden Hinweis in der Korrespondenz ausschließlich auf einem Briefumschlag enthalten ist.35 Unterrichtet der VN den Vermittlungsagenten über die Adressenänderung, ist dessen Kenntnis nach § 70 dem VR zuzurechnen.36 Darauf, ob den VN ein Verschulden an der Verletzung der Mitteilungsobliegenheit trifft,37 21 kommt es nicht an. § 28 ist nicht anwendbar (Rn. 18).

C. Abdingbarkeit 22 § 13 ist nicht zwingend oder relativ zwingend ausgestaltet. Es kann also von ihm auch zu Lasten des VN abgewichen werden. Bei formularmäßigen Abweichungen ist § 308 Nr. 6 BGB zu beachten, wonach Bestimmungen unwirksam sind, die vorsehen, dass eine Erklärung des Verwenders von besonderer Bedeutung dem anderen Vertragsteil als zugegangen gilt38 sowie § 309 Nr. 12 BGB für Vereinbarungen, die die Beweislast im Zusammenhang mit dem Zugang von Erklärungen für den VN nachteilig ändern.39 Zu Erklärungen besonderer Bedeutung zählen Erklärungen, die für den Empfänger Pflichten begründen oder mit sonstigen nachteiligen Rechtsfolgen ver32 Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 13 Rn. 8; Berliner Kommentar/Gruber § 10 Rn. 2; a. A. Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 16: Nebenpflicht; Wandt Rn. 562: besondere Zugangsregel. 33 BGH 6.6.1990 – IV ZR 142/89 VersR 1990 881, 882; ÖOGH 10.6.1976 VersR 1977 630; OLG Hamm 22.6.1973 – 20 U 83/73 VersR 1974 258; ÖOGH 10.6.1976 – 7 Ob 33/76 VersR 1977 630. 34 ÖOGH 10.6.1976 – 7 Ob 33/76 VersR 1977 630; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 19. 35 Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 6; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 9; Berliner Kommentar/Gruber § 10 Rn. 7 lässt die Absenderangabe auf dem Briefumschlag als Mitteilung genügen. 36 Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 6; Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 48; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 9. 37 Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 18; a. M. Jabornegg VersRdschau 1992 337, 351, der in gewissen Fällen Verschulden fordert. 38 Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 61; Langheid/Wandt/Bruns Bd. 3 § 308 BGB Rn. 7. 39 Vgl. OLG Oldenburg 27.3.1992 – 11 U 113/91 NJW 1992 1839; Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 9; Langheid/ Wand/Fausten § 13 Rn. 62. K. Johannsen/Koch

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D. Beweisfragen

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bunden sind.40 Hierunter fallen insbesondere Kündigungen,41 Mahnungen42 sowie Frist- und Nachfristsetzungen.43 Eine formularmäßige Bestimmung, der zufolge die Wirkung des § 13 durch die Absendung 23 eines normalen Briefes eintritt, stellt z. B. einen Verstoß gegen § 308 Nr. 6 BGB dar,44 der gem. §§ 310 Abs. 1 S. 1, 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB auch im unternehmerischen Verkehr Indizwirkung entfaltet.45 Gleiches gilt, wenn auf die Absendung eines Einschreibebriefes formularmäßig verzichtet wird.46 Eine Zugangsfiktion für den Fall jeglicher Abwesenheit des VN ist gem. §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 307 Abs. 1 S. 1 nichtig.47

D. Beweisfragen Da die Mitteilung der neuen Anschrift und des neuen Namens eine Obliegenheit des VN darstel- 24 len, muss der VR deren objektive Verletzung beweisen.48 Dies ergibt sich nicht nur aus den allgemeinen Grundsätzen über die Beweislastverteilung bei Obliegenheitsverletzungen,49 sondern auch aus § 69 Abs. 3 S. 2, nach der den VR die Beweislast dafür trifft, dass der VN seine vorvertragliche Anzeigepflicht nach § 19 oder eine Obliegenheit verletzt habe. Bei allen anderen Willenserklärungen nach Abs. 1 S. 1 und 2 liegt die Beweislast beim VN, wenn die Abgabe oder der Inhalt der Erklärung streitig ist. Soweit den VR die Beweislast trifft, ist besonders hervorzuheben, dass der VN, weil die 25 Umstände seiner Mitteilung an den VR in seiner Sphäre liegen, substantiiert darlegen muss, auf welche Weise sie erfolgt ist.50 Wichtig ist auch, dass der VR ferner die Absendung des eingeschriebenen Briefes beweisen muss, wofür im Allgemeinen die Vorlage des abgelieferten Einlieferungsscheins genügt. Nicht erforderlich ist, dass der VR nachweist, dass das Schriftstück unter der alten Anschrift zugestellt wurde (oder die Zustellung dort versucht wurde).51 Behauptet der VN, dass der VR bereits anderweitig Kenntnis von den nicht angezeigten Änderungen erlangt habe, trägt er hierfür die Darlegungs- und Beweislast.52

40 41 42 43 44

BeckOK-BGB/Becker § 308 Nr. 6 Rn. 17. BayObLG 18.12.1979 – BReg. 2 Z 11/79 NJW 1980 2818, 2819 f. Hans. OLG Hamburg 27.6.1980 – 11 U 14/80 VersR 1981 12. Langheid/Wandt/Fausten § 13 Rn. 62. Vgl. Hans. OLG Hamburg 11.7.1979 – 4 U 88/79 VersR 1980 38, 39; Prölss/Martin/Armbrüster § 13 Rn. 13; Langheid/Wand/Fausten § 13 Rn. 64; von Westphalen/Thüsing/Präve Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Allgemeine Versicherungsbedingungen Rn. 191; Bauer BB 1978 476, 479; Hansen VersR 1988 1110, 1117; a.A. Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 24. 45 Vgl. Hans. OLG Hamburg 21.12.1984 –14 U 209/83 WM 1986 383, 384 f. 46 Vgl. Hans. OLG Hamburg 11.7.1979 – 4 U 88/79 VersR 1980 38, 39: Verstoß gegen § 242 BGB: Vertragsschluss vor Inkrafttreten des AGBG; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 2. 47 Vgl. ÖOGH 17.1.2007 – 7 Ob 131/06z VersR 2007 1676, 1679: Nichtigkeit einer Abweichung von § 10 VersVG gem. § 879 Abs. 3 ABGB wegen Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 Nr. 3 KSchG. 48 Vgl. Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 14. 49 Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 10. 50 Langheid/Rixecker/Rixecker § 13 Rn. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 13 Rn. 14. 51 Vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 13 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 13 Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 23; a.A. Jabornegg VersRdsch 1992 337, 352. 52 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 23. 885

K. Johannsen/Koch

§ 13 VVG

Änderung von Anschrift und Name

E. Österreichisches Recht 26 § 10 VersVG ist inhaltsgleich mit § 10 a. F. Die Zugangsfiktion knüpft an die „regelmäßige Beförderung“ eines eingeschriebenen Briefes an. Die Fälle der Namensänderung von VN sind nicht geregelt.53

53 Zu weiteren Einzelheiten s. Fenyves/Schauer/Gruber § 10 Rn. 1 ff. K. Johannsen/Koch

886

§ 14 Fälligkeit der Geldleistung (1) Geldleistungen des Versicherers sind fällig mit der Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistung des Versicherers notwendigen Erhebungen. (2) 1Sind diese Erhebungen nicht bis zum Ablauf eines Monats seit der Anzeige des Versicherungsfalles beendet, kann der Versicherungsnehmer Abschlagszahlungen in Höhe des Betrags verlangen, den der Versicherer voraussichtlich mindestens zu zahlen hat. 2 Der Lauf der Frist ist gehemmt, solange die Erhebungen infolge eines Verschuldens des Versicherungsnehmers nicht beendet werden können. (3) Eine Vereinbarung, durch die der Versicherer von der Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen befreit wird, ist unwirksam.

Schrifttum Asmus Erheblichkeit der Erhebungen in § 11 I VVG, NVersZ 2000 361; Baumann Die Überwindung des Trennungsprinzips durch das Verbot des Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, VersR 2010 984; Fenyves Zum Ministerialentwurf einer VVG-Novelle 1994, VersRdsch 1994 33; ders. Deutsches und Österreichisches Vertragsrecht – Gemeinsamkeiten und Unterschiede, ZVersWiss 1997 295; Fricke Der Detektiv als Informant des Versicherers – Zulässigkeit und Grenzen, VersR 2010 308; Gaul Zur Fälligkeit der Versicherungsleistung, NVersZ 1999 458; Hasse Gesetz zur Beschleunigung des Zahlungsverkehrs – Auswirkungen auf den Versicherungsvertrag, NVersZ 2000 497; Hösker Die Pflichten des Versicherers gegenüber dem VN nach Abtretung des Haftpflichtversicherungsanspruchs an den Geschädigten, VersR 2013 952; Krejci Die allgemeinen Regeln der VVG-Novelle 1994 aus rechtswissenschaftlicher Sicht, VersRdsch 1995 28; Klimke Auswirkungen des Wegfalls des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbotes in der Haftpflichtversicherung, RuS 2014 105; R. Koch Haftung des Versicherers für fehlerhafte Assistanceleistungen, VersR 2019 449; ders. Der Direktanspruch in der Haftpflichtversicherung, RuS 2009 133; Looschelders/Danga Der Schuldnerverzug bei Geldforderungen nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen, VersR 2000 1049; Magnussen Fälligkeitsklauseln in AGB – verzögerte Entschädigung bei strafrechtlichen Ermittlungen gegen Versicherungsnehmer, MDR 1994 1160; Martin Wegfall der Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs, insbesondere bei Wieder-Aufnahme behördlicher Untersuchungen, VersR 1978 392; Muschner/ Wendt Die Verjährung im Versicherungsvertragsrecht, MDR 2008 609; v. Rintelen Die Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des abgetretenen Freistellungsanspruchs in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 133; Schreier Zögerliches Regulierungsverhalten von Versicherern – Eine Bestandsaufnahme der Schadensregulierung nach geltendem Recht, VersR 2013 1232; Schermaier Der Schuldner einer Entgeltforderung und andere neue Rechtsbegriffe, NJW 2004 2501; Veenker Die Fälligkeit von Geldleistungen des Versicherers (2008); Wegener Die Verjährung der verschiedenen Leistungsansprüche in der Rechtsschutzversicherung, VersR 1991 1121; Wenker Anspruch auf Reparaturkostendeckungszusage in der Kasko-Versicherug, jurisPR-VerkR 19/2011; Wieser Fälligkeit und Verjährung und die VersVGNovelle, VersRdsch 1994 293.

Übersicht I.

1

A.

Einleitung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III. 1. 2.

5 Anwendungsbereich Versicherungsschutz in Form von Geldleistun5 gen 6 Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag

B.

Fälligkeit (Abs. 1)

1

1. 2

2. II. 1.

9 2.

887 https://doi.org/10.1515/9783110522600-027

Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistungen 9 9 Notwendige Erhebungen 9 a) Erhebungen des VR 11 b) Mitwirkungsobliegenheit des VN 14 c) Notwendigkeit der Erhebungen 16 d) Ermittlungs- und Strafverfahren 17 Dauer 19 Fälligkeit aus sonstigen Gründen Verletzung der Obliegenheit zu sachgerechter und zügiger Feststellung des Versicherungsfal19 les 20 Unberechtigte Ablehnung der Leistung K. Johannsen/Koch

§ 14 VVG

Fälligkeit der Geldleistung

23

C.

Abschlagszahlungen

I. 1. 2.

24 Anspruchsvoraussetzungen Eintrittspflichtigkeit des Versicherers Verlangen des Versicherungsnehmers

II.

Hemmung der Monatsfrist

III.

Zahlung unter Vorbehalt

D.

Verzug

I. 1. 2. 3. 4.

Voraussetzungen des Verzuges 33 Mahnung 34 Verzug ohne Mahnung Verzug nach Rechnungszugang 36 Vertretenmüssen

II.

Verzugszinsen

III.

Schadensersatz

24 25

Abdingbarkeit

I.

Zulässigkeit von Abweichungen

II. 1.

45 Formularpraxis Beibringung von Unterlagen zum Nachweis des 45 Versicherungsfalles Abschluss behördlicher oder strafgerichtlicher 47 Verfahren 52 Auszahlungsklauseln 55 Aufschub der Zahlungen Wiederherstellungs- und Wiederbeschaffungs56 klauseln 58 Sachverständigenverfahren Titulierung der bestrittenen Forderung in der 59 Warenkreditversicherung

29 2. 30 3. 4. 5.

32

44

E.

32 6. 7. 35

44

60

F.

Beweisfragen

G.

Österreichisches Recht

39 64

41

A. Einleitung I. Entstehungsgeschichte 1 Die Fälligkeit der Versicherungsforderung war früher in § 11 a. F. geregelt. Die ursprüngliche Fassung enthielt nur den negativen Rechtssatz, dass sich der VR auf eine Regelung nicht berufen könne, nach der seine Leistung erst mit der Feststellung des Anspruchs durch Anerkenntnis, Vergleich oder rechtskräftiges Urteil fällig werden sollte. Durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.19391 wurde positiv geregelt, wann Geldleistungen des VR fällig sind. Außerdem wurde das Recht des VN auf Abschlagzahlungen gesetzlich begründet und der vertragliche Ausschluss von Verzugszinsen für unwirksam erklärt. Das reformierte VVG hat § 11 nahezu unverändert in § 14 übernommen. § 14 Abs. 1 entspricht § 11 Abs. 1. § 14 Abs. 2 weicht von der Vorgängerfassung insofern ab, als die Wörter „in Anrechnung auf die Gesamtforderung“ als überflüssig gestrichen worden sind. Der bisherige § 11 Abs. 3 ist wegen des Sachzusammenhanges als S. 2 dem § 14 Abs. 2 angefügt worden. Abs. 3 entspricht dem unverändert übernommenen § 11 Abs. 4.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 § 14 Abs. 1 regelt die Fälligkeit der Geldleistungen des VR abweichend von § 271 Abs. 1 BGB zum Nachteil des VN dahin, dass diese nicht sofort nach Eintritt des Versicherungsfalles, mit dem der Anspruch entsteht, sondern erst mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistungen des VR nötigen Erhebungen eintritt (Rn. 9 ff.). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Leistungsverpflichtung des VR häufig nicht eindeutig ist, sondern von der Erfüllung zahlreicher rechtlicher und tatsächlicher Voraussetzungen abhängt, sodass dem VR Zeit zur Prüfung gelassen werden muss, ob und in welcher Höhe

1 RGBl. I 2449. K. Johannsen/Koch

888

A. Einleitung

VVG § 14

er zur Leistung verpflichtet ist.2 In dieser Hinsicht besteht ein Gleichklang zwischen § 14 Abs. 1 und § 31 Abs. 1, der eine Auskunftsobliegenheit des VN statuiert. Nach Ansicht des BGH ergänzen sich die beiden Regelungen: § 14 Abs. 1 ziele darauf ab, dem VR die erforderliche Zeit zur Prüfung zu verschaffen, ob und in welcher Höhe er zur Leistung verpflichtet ist, und § 31 Abs. 1 solle ihn dazu befähigen, die hierzu erforderliche Tatsachengrundlage zu ermitteln.3 Durch § 14 Abs. 2 sollen die für den VN durch die hinausgeschobene Fälligkeit entstehen- 3 den Nachteile teilweise dadurch ausgeglichen werden, dass für ihn ein Recht auf Abschlagzahlungen begründet wird (Rn. 23 ff.), das gemäß § 18 halbzwingend ausgestaltet ist. Ergänzt wird diese Regelung für die Sachversicherung durch § 91, dem zufolge die vom VR zu zahlende Entschädigung nach Ablauf eines Monats seit der Anzeige des Versicherungsfalles für das Jahr mit 4 Prozent zu verzinsen ist, soweit nicht aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangt werden können. § 14 Abs. 3 verbietet zwingend Vereinbarungen, die die Verpflichtung des VR zur Zahlung 4 von Verzugszinsen ausschließen. Ob der VR zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet ist, richtet sich nach §§ 286 ff. BGB.

III. Anwendungsbereich 1. Versicherungsschutz in Form von Geldleistungen § 14 bezieht sich nur auf die Geldleistungen des VR, nicht auf Naturalleistungen in Form von 5 Sach- und Dienstleistungen, wie sie z. B. in der Glasversicherung, Haftpflichtversicherung, Rechtsschutz-, Kfz-Autoschutzbrief- und in der Krankheitskostenversicherung vorkommen.4 Die Fälligkeit des Anspruchs auf solche Naturalleistungen richtet sich nicht nach § 14, sondern nach § 271 BGB.5 Für die Rechtsschutzleistung des Haftpflichtversicherers gibt § 100 und für den Anspruch auf Freistellung § 106 das Maß.6 Bei der Versicherung von Kosten für sog. Assistanceleistungen (§ 1 Rn. 151 ff.), die der VR dem VN erstattet, bestimmt sich die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs nach § 14.7 Zu beachten ist, dass nicht alle Geldleistungen des VR von § 14 erfasst werden, sondern nur diejenigen, die aus Anlass eines Versicherungsfalles geschuldet werden. Hierzu zählen Ansprüche des VN auf Aufwendungsersatz gem. § 83 Abs. 1 und Ersatz der Schadensermittlungskosten,8 nicht hingegen Überschüsse bei einem Gegenseitigkeitsverein, Prämienrückerstattungen wegen falscher Berechnung oder aus Anlass einer Kündigung oder die Auszahlung des Rückkaufwertes der Lebensversicherung.9 Die Fälligkeit des Anspruchs auf

2 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127=VersR 2017 469 Rn. 18; amtliche Begründung der VO vom 19.12.1939 RGBl. I 2443. 3 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127=VersR 2017 469 Rn. 37. 4 BGH 25.1.2006 – IV ZR 207/04, VersR 2006 404 Rn. 14; BGH 14.4.1999 – IV ZR 197/98, VersR 1999 706; BGH 25.1.2006 – IV ZR 207/04, VersR 2006 404, 405; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 2 f.; Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 7; R. Koch VersR 2019 449, 451. 5 Vgl. OLG Oldenburg 13.11.2012 – 5 U 140/12, VersR 2013 845, 846; LG Nürnberg-Fürth 30.11.2017 – 2 O 2893/ 17 (juris -Krankenrücktransportversicherung); Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 2. 6 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 § 100 Rn. 20 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1. 7 R. Koch VersR 2019 449, 451; a. A. Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 2; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1; Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 15 Rn. 64 (jeweils § 271 BGB). 8 Prölss/Martin/Armbrüster 14 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 2; Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 2; A.A. Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 6; Veenker S. 38 f. 9 Vgl. KG 21.10.2016 – 6 U 119/16, VersR 2017 681, 682; OLG Oldenburg 13.11.2012 – 5 U 140/12, VersR 2013 845, 846; Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 7; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1. 889

K. Johannsen/Koch

§ 14 VVG

Fälligkeit der Geldleistung

verbindliche Deckungszusage richtet sich analog § 14 Abs. 1 danach, zu welchem Zeitpunkt der VR die für die Feststellung der Leistungspflicht nötigen Ermittlungen beendet hat.10

2. Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag 6 In der Literatur herrscht Streit darüber, ob § 14 Abs. 1 Anwendung findet auf Ansprüche außenstehender Dritter, z. B. im Rahmen der obligatorischen Haftpflichtversicherung.11 Der BGH hat die Frage des Anwendungsumfangs des § 14 offen gelassen.12 Die Mehrzahl der Obergerichte wenden § 271 BGB an.13 Demhingegen hat das KG die Regelung des Abs. 1 ohne weitere Problematisierung auch auf Direktansprüche des Geschädigten gegen den Kfz-Haftpflicht-VR zugelassen.14 Da der Anspruch des Geschädigten aus der obligatorischen Haftpflichtversicherung abwei7 chend von § 100 gem. § 115 Abs. 3 S. 3 auf „Schadensersatz in Geld“ gerichtet ist, ist das Erfordernis eines auf eine Geldleistung gerichteten Anspruchs erfüllt. Zu beachten ist jedoch, dass es sich bei dem Direktanspruch des Geschädigten nicht um einen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag handelt. Der Anspruch ist vielmehr trotz seiner Anknüpfung an das Versicherungsverhältnis ein gesetzlicher Anspruch überwiegend deliktsrechtlicher Natur, wenn er auch infolge seiner Anknüpfung an das Versicherungsverhältnis gewisse versicherungsrechtliche Züge aufweist.15 Es handelt es sich um einen gesetzlichen Schuldbeitritt.16 Deshalb wird der Direktanspruch ebenso wie der Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den VN17 sofort nach Schadensentstehung fällig (§ 271 BGB).18 Solange und soweit ein Haftpflicht-VR jedoch trotz ordnungsgemäßer Behandlung das Regulierungsbegehren eines Anspruchstellers nicht abschließend beurteilen kann, beruht die Nichtzahlung auf einem vom Schuldner nicht zu vertretenden Umstand mit der Wirkung, dass kein Verzug eintritt und auch keine Veranlassung zur Klageerhebung i. S. d. § 93 ZPO besteht.19 Insoweit ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei durchschnittlichen Verkehrsunfallsachen ein Prüfungszeitraum des Haftpflicht-VR von vier bis sechs Wochen abgewartet werden muss.20 Die Prüffrist beginnt mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens (vgl. auch § 3a PflVG). Keine Bedenken bestehen dagegen, § 14 Abs. 1 in der freiwilligen Haftpflichtversicherung 8 auf Zahlungsansprüche der Geschädigten anzuwenden, die aus der Abtretung des Freistellungsanspruchs vor einer Feststellung des Haftpflichtanspruchs in Form eines rechtskräftigen Urteils, Anerkenntnisses oder Vergleichs resultieren.21 Bei dem Freistellungsanspruch handelt es sich um einen Anspruch aus dem Versicherungsverhältnis. Geldleistungsansprüche versicherter 10 OLG Oldenburg 26.5.2009 – 5 U 23/09, VersR 2010 471, 472. 11 Dafür: Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 8; Langheid/ Wandt/Fausten § 14 Rn. 12; Hasse NVersZ 2000 497, 500; ablehnend Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 6. 12 BGH 18.11.2008 – VI ZB 22/08, VersR 2009 128, 129; vgl. auch AG Hannover 21.11.2016 – 510 C 6892/16 (juris). 13 Vgl. nur OLG Frankfurt/M. 6.2.2018 – 22 W 2/18, VersR 2018 928; OLG Stuttgart 26.4.2010 – 3 W 15/10, VersR 2010 1306; OLG Saarbrücken 16.11.1990 – 3 U 199/89, NZV 1991 312, 313. 14 KG 30.3.2009 – 22 W 12/09, VersR 2009 1262; vgl. auch AG Solingen 4.1.2015 – 13 C 498/14 (juris). 15 Zu Einzelheiten s. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 Vor §§ 1–16 PflVG Rn. 89. 16 BGH 23.11.1971 – VI ZR 97/70, BGHZ 57 265, 269=NJW 1972 387; BGH 13.1.1981 – VI ZR 180/79, NJW 1981 1613, 1614 m. w. N. 17 Vgl. nur OLG Saarbrücken 2.2.2017 – 4 U 148/15, RuS 2017 209, 211; zu weiteren zu Einzelheiten s. Bruck/Möller/ R. Koch9 Bd. 12 Vor §§ 1–16 PflVG Rn. 89. 18 Vgl. OLG Saarbrücken 16.11.1990 – 3 U 199/89, NZV 1991 312, 313; Römer/Landheid/Römer2 § 11 Rn. 2. 19 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 6. 20 Vgl. nur OLG Frankfurt/M. 6.2.2018 – 22 W 2/18, VersR 2018 928; Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 Vor §§ 1–16 PflVG Rn. 89. 21 Zum Streitstand s. Bruck/Möller/R. Koch9 § 108 Rn. 37 ff.; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 123 f.; Baumann VersR 2010 984, 987 f.; Armbrüster RuS 2010 441, 450; v. Rintelen RuS 2010 133, 137; Hösker VersR 2013 952, 954. K. Johannsen/Koch

890

VVG § 14

B. Fälligkeit (Abs. 1)

Personen22 oder Bezugsberechtigter in der Lebensversicherung unterfallen ebenfalls § 14 Abs. 1.

B. Fälligkeit (Abs. 1) I. Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistungen 1. Notwendige Erhebungen a) Erhebungen des VR. Erhebungen sind Maßnahmen des VR, die sich auf die Prüfung des 9 Anspruchs des VN nach Grund und Höhe beziehen.23 Sie betreffen nicht nur die tatsächlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalles, sondern auch Rechtsfragen hinsichtlich der Deckung.24 Der VR soll sich Tatsachenkenntnis und Beweismittel für Rechtsgründe verschaffen können, die den Entschädigungsanspruch des VN, insbesondere wegen der Herbeiführung des Versicherungsfalles oder Obliegenheitsverletzungen ausschließen würden.25 Der VR ist nicht darauf beschränkt, nur die Tatsachenbehauptungen des VN und dessen er- 10 gänzende Auskünfte sowie Belege entgegenzunehmen und zu prüfen, er darf vielmehr in den Grenzen des Zumutbaren Beweismittel verlangen, Untersuchungen an Ort und Stelle durchführen, bei Dritten, Behörden, Gerichten rückfragen und vor allem polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungsakten einsehen, um sich Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Angaben des VN zu verschaffen. Diese den Versicherungsfall betreffenden Verfahren (Rn. 16, 46–50) stellen zwar keine Erhebungen i. S. v. § 14 dar, weil sie nicht von dem VR betrieben werden.26 Sie sind aber wichtige Erkenntnisquellen für diesen mit der Folge, dass er seine Erhebungen in aller Regel nicht vor ihrer Beendigung abschließen kann.27 Der VR darf sich auch sachverständiger Hilfe bedienen. Soweit er die Erhebungen nicht mit eigenen Mitarbeitern durchführt, kann er – speziell bei Großschäden – auch selbstständige Sachverständige beauftragen.28 Diese Art der Durchführung von Erhebungen ist abzugrenzen von dem förmlichen Sachverständigenverfahren nach § 84, durch das ebenfalls die Fälligkeit herausgeschoben wird (Rn. 57).29 b) Mitwirkungsobliegenheit des VN. Initiator der Erhebungen ist der VR.30 Jedoch muss der 11 VN nach Sinn und Zweck von § 14 Abs. 1 mitwirken. In einer Grundsatzentscheidung vom 22 Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 13 Rn. 8. 23 OLG Saarbrücken 26.7.2004 – 5 W 85/04-31, VersR 2004 1301 1302; KG 30.3.2009 – 22 W 12/09, VersR 2009 1262; OLG Frankfurt 16.5.2001 – 7 U 111/00, VersR 2002 566; OLG Hamm 28.11.1990 – 20 U 158/90, VersR 1991 1369; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 2; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 15 Rn. 14. 24 Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 8; Bruck/Möller/Möller8 § 11 Anm. 6. 25 Amtl. Begr. der VO vom 19.12.1939 RGBl. I 2443; BGH 9.1.1991 – IV ZR 97/89, VersR 1991 331; OLG Brandenburg 17.4.2019 – 11 U 137/17, BeckRS 2019 8176; OLG Hamm 23.2.2015 – 20 U 25/15, VersR 2015 1497; KG 8.7.2014 – 6 U 134/13, VersR 2014 1191, 1192; OLG Köln 13. 1.2014 –  20 W 91/13, VersR 2015 305; OLG Hamm 23.6.1993 – 20 U 91/93, VersR 1994 717; AG Gießen 16.3.2017 – 41 C 506/16, RuS 2017 628.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 6; Langheid/ Wandt/Fausten § 14 Rn. 22; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 13; Beckmann/Matusche-Beckmann/Reichel § 21 Rn. 28 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 8. 26 Magnusson MDR 1994 1160; a. A. KG 20.10.1998 – 6 U 3638/97, NVersZ 1999 387; OLG Frankfurt/M. 16.5.2001 – 7 U 111/00, VersR 2002 566. Prölss/Martin/Prölss28 § 11 Rn. 6. 27 BGH 1.2.1974 – IV ZR 2/72, VersR 1974 639, 640. 28 Vgl. OLG Dresden 27.3.2018 – 4 U 1519/17 (juris). 29 BGH 10.2.1971 – IV ZR 159/69, VersR 1971 433, 435: OLG Hamm 29.4.2005 – 20 U 1/05, VersR 2006 110; OLG Nürnberg 28.7.1994 – 8 U 3805/93, VersR 1995 412; LG Dortmund 10.1.2019– 2 O 160/18, RuS 2019 196; LG Köln 15.3.2017 – 20 O 292/16, VersR 2017 1138, 1139. 30 Bruck/Möller/Möller8 § 11 Anm. 7. 891

K. Johannsen/Koch

§ 14 VVG

Fälligkeit der Geldleistung

22.2.2017 hat der BGH allerdings ausdrücklich offengelassen, ob § 14 Abs. 1 den VN zur Mitwirkung zwingt.31 Nach Ansicht des BGH folgt eine Obliegenheit zur Mitwirkung aber aus § 31 Abs. 1, der insoweit wortgleich mit § 14 Abs. 1 ist, als er von den „zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des VR erforderlichen“ Auskünften spricht.32 Nach Ansicht des BGH gibt dabei § 31 Abs. 1 insoweit das Maß für die Voraussetzung der Fälligkeit, als die Erhebungen i. S. v. § 14 Abs. 1 erst dann beendet sind, wenn der VN dem VR alle Auskünfte erteilt, zu denen der VN nach § 31 Abs. 1 verpflichtet ist.33 Diese Feststellung, die im Ergebnis entsprechende vertragliche Regelungen obsolet macht, hat der ÖOGH bereits in seinen Entscheidungen vom 23.11.197834 und 17.11.1983 getroffen35 und ist deshalb keineswegs neu. 12 Für die Anwendung von § 14 Abs. 1 hat die Komplementarität zur Folge, dass die Erhebungen als beendet anzusehen sind, wenn und soweit die Informationsbeschaffung dem VN unmöglich oder unzumutbar ist.36 Anders gewendet muss der VN dem VR im Rahmen des Zumutbaren jede Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang seiner Entschädigungspflicht ermöglichen Das Erfordernis der Zumutbarkeit ergibt sich im Übrigen auch ohne Rückgriff auf § 31 – dort wird es in Bezug auf Belege ausdrücklich in § 31 Abs. 1 S. 2 genannt und aus der Formulierung „erforderlich“ in S. 1 gefolgert –37 aus der Beschränkung in § 14 Abs. 1 auf „notwendige“ Erhebungen. Die Obliegenheit zur Mitwirkung schließt ein, dass der VN Ärzte, bei denen er in Behand13 lung war, ermächtigt, dem VR auf Verlangen Auskunft über personenbezogene Gesundheitsdaten zu erteilen,38 oder sich eine Kopie des Patientenblattes beschafft, die er im Rahmen seines Rechts auf Einsichtnahme von seinem behandelnden Arzt grundsätzlich beanspruchen kann, und diese dem VR übermittelt.39 Eine Nichtmitwirkung des VN kann nach § 14 Abs. 2 zu einem Hinausschieben der Fälligkeit führen.40 Sie kann auch eine vertragliche Obliegenheitsverletzung mit den möglichen Folgen der Leistungsfreiheit darstellen.41 In Betracht kommen ferner Auswirkungen auf den Eintritt der Verjährung.42

14 c) Notwendigkeit der Erhebungen. Mit dem Attribut „notwendig“ in § 14 Abs. 1 soll eine objektive Grenze gezogen und einem subjektiven Übermaß bei den Erhebungen entgegengewirkt werden. Es kann jedoch nicht generell objektiv festgelegt werden, was notwendig ist, sondern es muss eine Auslegung des Begriffes im Einzelfall vorgenommen werden. Die Rechtsprechung hat zu § 11 Abs. 1 a. F. die Formel entwickelt, dass nötige Erhebungen diejenigen seien, die ein durchschnittlich sorgfältiger VR des entsprechenden Versicherungszweiges anstellen 31 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127=VersR 2017 469 Rn. 21; ablehnend Jungermann RuS 2017 356. 32 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127=VersR 2017 469 Rn. 29 ff; OLG Dresden 21.1.2020 – 4 U 1656/19 BeckRS 2020 619; vgl. auch Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 20. 33 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127=VersR 2017 469 Rn. 20 ff.; vgl. auch Jungermann RuS 2018 356 ff. 34 ÖOGH 23.11.1978 – 7 Ob 64/78, VersR 1979 170. 35 ÖOGH 17.11.1983 – 7 Ob 38/83, VersR 1985 75. 36 ÖOGH 23.11.1978 – 7 Ob 64/78, VersR 1979 170. 37 Vgl. BGH 22.10.2014 – IV ZR 242/13, NJW 2015 949 Rn. 19; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 31 Rn. 19 und 25. 38 OLG Hamm 3.2.2015 – 26 U 153/13, (nicht abgedruckt in) VersR 2016 580 (juris); KG 8.7.2014 – 6 U 134/13, VersR 2014 1191, 1192; OLG Köln 13.1.2014 – 20 W 91/13, VersR 2015 305; OLG München 6.9.2012 – 14 U 4805/11, VersR 2013 169. 39 OLG Köln 13.1.2014 – 20 W 91/13, VersR 2015 305, 306; zum Verfahren bei der Erhebung von Gesundheitsdaten im Hinblick auf das (Grund-)Recht zur informationellen Selbstbestimmung und § 213 s. BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/ 14, BGHZ 214 127=VersR 2017 469 Rn. 38 ff.; Bußmann RuS 2018 453, 458; Görtz RuS 2017 621 ff. 40 OLG Brandenburg 17.4.2019 – 11 U 137/17, BeckRS 2019 8176; KG 8.7.2014 – 6 U 134/13, VersR 2014 1191, 1192. 41 OLG Hamm 21.12.1983 – 20 W 34/83, VersR 1984 673; OLG Oldenburg 15.6.1994 – 2 U 80/94, VersR 1995 90. 42 Vgl. dazu unter Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 15 Rn. 12. K. Johannsen/Koch

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B. Fälligkeit (Abs. 1)

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muss, um seine Leistungspflicht und den Umfang der von ihm zu erbringenden Leistung zu prüfen und abschließend festzustellen.43 Zutreffender ist aber anstatt auf den „durchschnittlich sorgfältigen“ VR mit Kollhosser44 auf die ex-ante-Sicht45 „eines verantwortungsbewusst handelnden“ VR und auf das, was dieser nach Sachlage vernünftiger Weise für geboten hält, abzustellen, weil dabei auch die Interessen der VN und sonstigen Anspruchsberechtigten an schneller Entscheidung berücksichtigt werden. Ebenso wie bei § 31 ist dem VR ein breiter Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung zuzubilligen, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält.46 Notwendig sind im Übrigen nicht nur Erhebungen, die sich unmittelbar auf den Eintritt 15 des Versicherungsfalles beziehen, sondern auch solche zur Aufklärung von vorvertraglichen Anzeigeobliegenheitsverletzungen. Dies folgt daraus, dass ein Versicherungsfall nur geben ist, wenn ein wirksamer Versicherungsvertrag zwischen den Parteien vorliegt. An einem wirksamen Vertrag fehlt es aber, wenn dem VR rechtsvernichtende Gestaltungsrechte zustehen und er davon Gebrauch macht, nämlich den Rücktritt oder die Anfechtung erklärt.47

d) Ermittlungs- und Strafverfahren. Obwohl in aller Regel aus Anlass des Versicherungsfal- 16 les eingeleitete Ermittlungs- und Strafverfahren dem VR wichtige Erkenntnisse für die Beurteilung von gestellten Ansprüchen liefern und ihre Auswertung deshalb zu den nötigen Erhebungen gehören,48 darf der VR solche Verfahren nicht ausnahmslos in seine Erhebungen einbeziehen. Nötig ist nur das Abwarten von Verfahren, die sich gegen den VN oder seinen Repräsentanten, Bevollmächtigten, Wissensvertreter, aber nicht gegen am Versicherungsvertrag unbeteiligte Dritte richten, und deren Ergebnis in irgendeiner Weise Einfluss auf die Zahlungspflicht des VR haben kann.49 Dies ist dann nicht den Fall, wenn der VR auch bei Leistungsfreiheit gegenüber dem VN die Zahlung der Entschädigung nicht verweigern könnte (§§ 117 Abs. 1, 143 Abs. 4).50 Im Übrigen darf der VR nicht lediglich das Ergebnis der Ermittlungen abwarten, sondern muss versuchen, sich selbst eine Bild über die Sach- und Rechtslage durch Einsichtnahme in die Akten zu verschaffen (vgl. Rn. 47). 2. Dauer Die Dauer der Erhebungen ist abhängig von dem Umfang der Erhebungen, die notwendig sind, 17 um den Anspruch des VN nach Grund und Höhe zu prüfen. Der Umfang hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Deshalb kann sich die Prüfung bei komplexen und/oder schwierig zu

43 BGH 1.2.1974 – IV ZR 2/72, VersR 1974 639; OLG Hamm 8.6.1977 – 20 U 67/76, VersR 1977 954; OLG Karlsruhe 15.2.1979 – 12 U 60/78, VersR 1979 564; OLG Karlsruhe 3.12.1992 – 12 U 115/92, RuS 1993 443; vgl. auch Prölss/ Martin/Armbrüster § 14 Rn. 8. 44 Prölss/Martin/Kolhosser27 § 17 AFB 30 Rn. 3; Asmus NVersZ 2000 361, 363. 45 OLG Brandenburg 17.4.2019 – 11 U 137/17, BeckRS 2019 8176; vgl. Veenker 100; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 12; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 7; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 8; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Muschner § 14 Rn. 11. 46 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127=VersR 2017 469 Rn. 32; OLG Dresden 21.1.2020 – 4 U 1656/19, BeckRS 2020 619. 47 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127=VersR 2017 469 Rn. 33 ff. 48 BGH 1.2.1974 – IV ZR 2/72, VersR 1974 639, 640. 49 BGH 9.1.1991 – IV ZR 97/89, VersR 1991 331; OLG Köln 17.4.2007 – 9 U 210/06, RuS 2007 458; verneinend in einem Fall mehr als fern liegender Selbsttötung OLG Saarbrücken 9.11.2005 – 5 U 286/05-26, RuS 2006 385, 386; OLG Köln 4.12.2001 – 9 U 229/00, NVersZ 2002 222; OLG Oldenburg 15.10.1997 – 2 U 171/97, VersR 1998 1502; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 1. 50 Vgl. BGH 9.1.1991 – IV ZR 97/89, VersR 1991 331; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 14. 893

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Fälligkeit der Geldleistung

beurteilenden Versicherungsfällen durchaus über mehrere Monate erstrecken.51 In jedem Fall ist der VR verpflichtet, die Erhebungen zügig durchzuführen. Das beruht auf dem aus § 242 BGB folgenden Gebot der Rücksichtnahme auf den Vertragspartner, der ein Interesse an schneller Entschädigung hat. Insbesondere bei Großschäden, z. B. in der Feuerversicherung, besteht die Gefahr, dass Verzögerungen der Entschädigungszahlung zu weiteren Schäden und zur Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz des VN führen.52 Aber auch wenn keine Existenzgefährdung auf dem Spiel steht, hat der VR die Interessen des VN an einer schnellen Feststellung seines Anspruchs zu berücksichtigen.53 Er muss sich insbesondere darum bemühen, aus laufenden Ermittlungsverfahren die notwendigen Kenntnisse durch Akteneinsicht schnell zu erhalten, und darf nicht darauf warten, dass ihm das Ergebnis mitgeteilt wird.54 Trotz der gebotenen Beschleunigung ist der VR aber nicht verpflichtet, auf ihm zugegange18 ne Erkenntnisse sofort zu reagieren. Ihm ist vielmehr eine angemessene Prüfungs- oder Überlegungsfrist im Anschluss an die Recherchen zuzubilligen.55 Das gilt insbesondere für die Überprüfung ärztlicher Atteste in der Personenversicherung, technischer Gutachten in der Sachversicherung wie für die Prüfung der Ergebnisse eines Ermittlungsverfahrens. Der VR darf eine Zeitlang überlegen, ob er die ihm übermittelten Erkenntnisse für ausreichend oder weitere Erhebungen für erforderlich hält.56 Ist aus seiner Sicht nichts mehr zu ermitteln, darf er die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch nicht länger hinauszögern. In der Rechtsprechung werden in der Regel 2–4 Wochen für ausreichend angesehen.57 In der Literatur wird je nachdem, ob es sich um einfach gelagerte Kasko- und Sachversicherungsfälle handelt oder eine Prüfung betriebswirtschaftlicher oder ärztlicher Gutachten erforderlich ist, eine Frist von bis zu 4 Wochen genannt.58 Hierbei handelt es sich jedoch nur um Richtwerte.

II. Fälligkeit aus sonstigen Gründen 1. Verletzung der Obliegenheit zu sachgerechter und zügiger Feststellung des Versicherungsfalles 19 Der VR ist im Interesse des VN zu sachgerechter und zügiger Feststellung des Versicherungsfalles verpflichtet. Der Sache nach handelt es sich um keine Rechtspflicht, sondern um eine Obliegenheit. Verletzt der VR die Obliegenheit, indem er weitere unnötige Erhebungen anstellt, so tritt Fälligkeit ein, wenn der Abschluss der Erhebungen nach objektiven Gesichtspunkten geboten gewesen wäre.59 Das Gleiche gilt, wenn der VR überhaupt keine Erhebungen anstellt, aber auch keine Entscheidung über den Entschädigungsanspruch trifft. Es muss dann der Zeitpunkt 51 OLG Schleswig 29.12.1994 – 16 U 77/94, VersR 1996 93; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 7. 52 BGH 2.10.1985 – IVa ZR 18/84, BGHZ 96 88, 92 = VersR 1986 77; OLG Saarbrücken 9.11.2005 – 5 U 286/05-26, RuS 2006 385, 386; OLG Hamm 6.12.1985 – 20 U 188/85, VersR 1987 602; OLG Hamm 23.6.1993 – 20 U 91/9324, RuS 1994 23. 53 OLG Saarbrücken 20.9.1995 –5 U 84/95, VersR 1996 1494; OLG Frankfurt 25.4.1986 – 5 W 4/86, VersR 1986 1009. 54 OLG Hamm 6.12.1985 – 20 U 188/85, VersR 1987 602; Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 16. 55 Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 9; Römer/Langheid/Römer § 11 Rn. 5. 56 BGH 17.2.1993 – IV ZR 32/92, RuS 1993 188; OLG Karlsruhe 3.12.1992 – 12 U 115/92, RuS 1993 443. 57 BGH 1.2.1974 – IV ZR 2/72, VersR 1974 639, 640; OLG Brandenburg 17.4.2019 – 11 U 137/17, BeckRS 2019, 8176; KG 6.8.2004 – 6 W 68/04, VersR 2006 70; OLG Karlsruhe 6.5.1999 – 12 U 185/97, RuS 1999 468; LG Köln 29.10.1998 – 24 O 44/88, RuS 1999 468. 58 Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 7; Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 24; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 24. 59 OLG Frankfurt 16.5.2001 – 7 U 111/00, VersR 2002 566; OLG Hamm 23.8.2000 – 20 U 45/00, NVersZ 2001 163 und 6.12.1985 – 20 U 188/85, VersR 1987 602; OLG Saarbrücken 20.9.1995 – 5 U 85/95-10, VersR 1996 1494; Hans. OLG Hamburg 6.8.1981 – 5 W 18/81, VersR 1982 543; OLG Köln 21.1.1982 – 5 U 93/81, VersR 1983 922; Langheid/ Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 12; Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 15. K. Johannsen/Koch

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B. Fälligkeit (Abs. 1)

VVG § 14

der Fälligkeit von den Gerichten nach den Umständen des Schadensfalles und der Schwierigkeit der zu überprüfenden Probleme bestimmt werden. Eine Verletzung der Obliegenheit zu sachgerechter und zügiger Feststellung des Versicherungsfalles kann auch darin bestehen, dass der VR dem VN nicht deutlicht macht, in welcher Hinsicht er weiteren Informationsbedarf hat. Benötigt er weitere Aufklärung, muss er konkrete Fragen stellen, deren Beantwortung dem VN möglich ist; vage Hinweise auf vom VN erwartete weitere Erkenntnisse genügen nicht.60 Zu Schadensersatz ist der VN nur berechtigt, wenn er den VR (nach Eintritt der Fälligkeit) in Verzug gesetzt hat (Rn. 32 ff.).61

2. Unberechtigte Ablehnung der Leistung Die Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs tritt auch dann ein, wenn der VR dem VN gegen- 20 über seine Leistungspflicht zu Unrecht ablehnt. Denn der VR stellt mit der Leistungsablehnung klar, dass keine weiteren Erhebungen zu seiner Entschließung über den erhobenen Anspruch erforderlich sind. Zeitpunkt der Fälligkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, der sich die Instanzgerichte angeschlossen haben, der Zugang der Erklärung des VR über die endgültige Leistungsablehnung bei dem VN.62 Das entspricht auch der h. M. in der Literatur.63 Die Erklärung des VR muss allerdings so eindeutig sein, dass der VN aus ihr zweifelsfrei erkennen kann, dass der VR seine Leistungspflicht endgültig verneint.64 Wird die Ablehnung mit einem geringfügigen Vergleichsangebot, das als Kulanzzahlung bezeichnet wird, verbunden, hindert das aber die Eindeutigkeit nicht.65 Hat der VR sich nicht eindeutig erklärt und der VN Klage auf die Leistung erhoben, so tritt die Fälligkeit mit dem Zugang des Schriftsatzes ein, mit dem der VR den Klagabweisungsantrag ankündigt.66 Die durch die endgültige Leistungsablehnung eingetretene Fälligkeit kann der VR nachträglich nicht mehr beseitigen.67 Der VR kann den Eintritt der Fälligkeit auch nicht dadurch verhindern, dass er geltend 21 macht, er berufe sich nur hilfsweise auf die Unbegründetheit der Forderung, in erster Linie aber auf mangelnde Fälligkeit.68 Die eingetretene Fälligkeit wird auch nicht dadurch berührt, dass der VR nachträglich seine Leistungsablehnung durch die Abgabe eines Anerkenntnisses dem Grunde nach korrigiert, aber jetzt die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens für notwendig hält.69 Dessen Durchführung kann nach der endgültigen Leistungsablehnung nicht mehr verlangt werden.70 Auch die Aufnahme von Ermittlungen gegen den VN wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles, z.B durch Eigenbrandstiftung, hat keinen Einfluss 60 OLG Hamm 26.9.2012 – 20 U 23/12 RuS 2015 204, 205; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 12. 61 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 25; weiter gehend Asmus NVersZ 2000 361, 364. 62 BGH 27.2.2002 – IV ZR 238/00 VersR 2002 472; 22.3.2000 – IV ZR 233/99 VersR 2000 753; 27.9.1989 – IVa ZR 156/ 88 VersR 1990 153; 19.9.1984 – IVa ZR 67/83 VersR 1984 1137; 23.6.1954 – II ZR 69/54 VersR 1954 388; OLG Brandenburg 17.4.2019 – 11 U 137/17 BeckRS 2019 8176; OLG Hamm 26.11.2014 – 20 W 35/14 (juris); OLG Köln 11.9.2001 – 9 U 186/00 NVersZ 2002 79; 27.6.2000 – 9 U 170/99 RuS 2000 468; OLG Hamm 19.1.1994 – 20 U 141/93 VersR 1994 1419; OLG Hamm 26.4.1989 – 20 U 252/88 VersR 1990 82; OLG Düsseldorf 21.6.1994 – 4 U 206/93 VersR 1994 1460; OLG Karlsruhe 1.10.1998 – 12 U 112/98 RuS 2002, 469; ebenso ÖOGH 26.4.2000 – 7 Ob 332/99w VersR 2002 383. 63 Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 13; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 14 Rn. 26; Looschelders/ Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 29; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 14 Rn. 12. 64 OLG Karlsruhe 1.10.1998 – 12 U 112/98, RuS 2002 469. 65 OLG Dresden 11.3.2010 – 4 U 846/09, VersR 2010 1212; OLG Köln 17.9.1987 – 5 U 12/87, VersR 1987 1210; Prölss/ Martin/Armbrüster § 14 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 13. 66 OLG Brandenburg 17.4.2019 – 11 U 137/17, BeckRS 2019 8176; OLG Köln 11.9.2001 – 9 U 186/00, NVersZ 2002 79, 80; OLG Köln 27.6.2000 – 9 U 170/99, R+S 2000 468; OLG Hamm 19.1.1994 – 20 U 141/93, VersR 1994 1419. 67 OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, NJW-RR 2017 1379, 1379. 68 OLG Köln 11.9.2001 – 9 U 186/00, NVersZ 2002 79. 69 ÖOGH 26.4.2000 – 7 Ob 332/99 w, VersR 2002 383. 70 OLG Köln 4.12.2001 – 9 U 229/00, NVersZ 2002 222. 895

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Fälligkeit der Geldleistung

auf die eingetretene Fälligkeit.71 Auf eine Bestimmung in AVB, wonach die Versicherungsleistung so lange verweigert werden kann, wie gegen den VN ein Ermittlungsverfahren aus Gründen geführt wird, die für den Entschädigungsanspruch rechtserheblich sind, kann sich der VR nach einer endgültigen Leistungsablehnung nicht mehr berufen.72 22 Durch die Ablehnung der Leistungspflicht kann nur ein bereits entstandener Anspruch fällig werden. Liegen in der Unfallversicherung die zeitlichen Voraussetzungen, unter denen der Anspruch auf Invaliditätsleistung entsteht, im Zeitpunkt der Ablehnung noch nicht vor, so hat diese zunächst keine Wirkung. Die Fälligkeit tritt dann erst in dem Zeitpunkt ein, in dem alle übrigen Voraussetzungen für das klageweise Geltendmachen des Anspruchs vorliegen.73

C. Abschlagszahlungen 23 Nach der gemäß § 18 halbzwingend ausgestalteten Vorschrift des § 14 Abs. 2 kann der VN Abschlagszahlungen verlangen, wenn die Erhebungen bis zum Ablauf eines Monats seit der Anzeige des Versicherungsfalles nicht beendet sind. Diese vor Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs vom VR zu erbringende Leistung dient dem Ausgleich des Nachteils, der sich für den VN aus § 14 Abs. 1 bei schwierigen Schadensermittlungen ergibt, wie sie die Feststellung der Entschädigung bei umfangreichen Schadensfällen erfordert.74 Keine Abschlagszahlung i. S. v. § 14 Abs. 2 liegt vor, wenn der VR Leistungen erbringt, zu denen er zu diesem Zeitpunkt verpflichtet ist. So liegt der Fall bei einer Invaliditätsleistung, die der UnfallVR bereits nach der jeweiligen Erstbemessung entrichtet.75

I. Anspruchsvoraussetzungen 1. Eintrittspflichtigkeit des Versicherers 24 Die Höhe der Abschlagszahlungen ist festgelegt auf den Betrag, den der VR „voraussichtlich mindestens zu zahlen hat“. Aus dieser Formulierung ergibt sich ebenso wie aus der der Vorgängerregelung „nach Lage der Sache mindestens“, dass sich Abschlagszahlungen rechtlich nicht von der endgültigen Entschädigung unterscheiden. Der VR hat sie danach nämlich nur zu leisten, wenn er dem Grunde nach eintrittspflichtig ist und die Entschädigung auch der Höhe nach zumindest teilweise feststeht.76 Das bedeutet vor allem, dass der VN keine Abschlagszahlungen verlangen kann, wenn der VR sich auf ein wegen des Schadenfalles gegen den VN anhängiges Ermittlungsverfahren77 oder (teilweise) Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung beruft. Anlass für eine Abschlagszahlung besteht insbesondere, wenn ein abgrenzbarer Teil des Schadens feststeht. Ihre Höhe ist nicht vom VR nach freiem Ermessen zu bestim-

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OLG Hamm 19.1.1994 – 20 U 141/93, VersR 1994 1419. BGH 6.12.2006 – IV ZR 34/05, VersR 2007 537. BGH 27.2.2002 – IV ZR 238/00, VersR 2002 472. RG 26.1.1917 – VII 348/16, RGZ 89 351, 352; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 35. OLG Brandenburg 1.2.2017 – 11 U 95/12, RuS 2017 262, 263; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 14. BGH 2.10.1985 – IVa ZR 18/84, BGHZ 96 88 = VersR 1986 77; OLG Frankfurt/M. 15.6.2012 – 7 U 246/11 (juris); OLG Zweibrücken 14.7.2004 – 1 U 11/04, OLGR Zweibrücken 2005 59; OLG Oldenburg 15.10.1997 – 2 U 171/97, VersR 1998 1502; OLG Hamm 23.6.1993 – 20 U 91/93, VersR 1994 717; OLG Hamm 28.11.1990 – 20 U 158/90, VersR 1991 1369; OLG Hamm 17.9.1986 – 20 W 46/86, VersR 1987 1008; ÖOGH 8.6.1994 – 7 Ob 24/94, VersR 1995 607; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Muschner § 14 Rn. 31; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 14; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 36; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 24; Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 24. 77 OLG Hamm 23.6.1993 – 20 U 91/93, VersR 1994 717, 718; OLG Köln 12.5.1995 – 9 U 232/94, RuS 1995 265. K. Johannsen/Koch

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C. Abschlagszahlungen

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men,78 sondern muss nach objektiven Kriterien ermittelt werden.79 Es sollen nicht Vorschüsse unter dem Vorbehalt einer Schlussabrechnung geleistet werden, vielmehr ist der Anspruch der Höhe nach nur auf das gerichtet, das dem VN mit Sicherheit auch endgültig zusteht.80

2. Verlangen des Versicherungsnehmers Abschlagszahlungen sind nur auf Verlangen des VN zu leisten. Das Verlangen stellt eine empfangsbedürftige Willenserklärung dar, die keinen Formvorschriften unterliegt.81 Es genügt, dass in irgendeiner Weise ein Zahlungsbegehren geäußert wird.82 Das kann z. B. durch die Übersendung eines Sachverständigengutachtens geschehen, aus dem sich ein bestimmter Schadensbetrag ergibt.83 Nicht erforderlich ist, dass der VN deutlich macht, dass er noch nicht den gesamten ihm zustehenden Betrag, sondern nur eine der Höhe nach darunter liegende vorläufige Zahlung begehrt.84 Es ist auch unschädlich, wenn der VN sein Verlangen bereits vor der Monatsfrist äußert. Der Anspruch entsteht dann aber erst mit Ablauf der Frist und wird damit zugleich fällig i. S. v. 271 BGB.85 Die in vielen Bedingungen für die Zahlung der Entschädigung vorgesehene Zweiwochenfrist findet auf Abschlagzahlungen schon nach ihrem Wortlaut keine Anwendung. Eine solche Vereinbarung könnte auch nach § 18 nicht wirksam zu Lasten des VN getroffen werden, weil sie die Frist des § 14 Abs. 2 verlängern würde. Ohne entsprechendes Verlangen des VN hat der VR Abschlagszahlungen nicht zu leisten. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass sich Abschlagszahlungen auch nachteilig für den VN auswirken können, weil sie das Kostenrisiko für die Auseinandersetzung über die Restzahlung erhöhen und verhindern, dass der VN den Rechtsstreit durch mehrere Instanzen führen kann.86 Hat der VN aber einmal die Zahlung einer Abschlagszahlung verlangt, muss der VR im weiteren Verlauf der Erhebungen von sich aus prüfen, ob nach Lage der Sache weitere Beträge feststellbar sind und muss solche auch ohne besonderes Verlangen des VN auszahlen.87 Durch die Abschlagszahlung wird die Entschädigungsforderung des VN teilweise i. S. v. § 362 Abs. 1 BGB erfüllt. Gemäß § 367 BGB ist die Zahlung zunächst auf bereits entstandene Zinsansprüche anzurechnen.88 Nach der Rechtsprechung muss der VN bereits vom VR erbrachte Abschlagszahlungen nicht nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB herausgeben, wenn er nachträglich eine arglistige Täuschung gegenüber dem VR begeht. Er verwirke dann zwar nach den getroffenen Vereinbarungen, z. B. nach § 16 Nr. 2 AFB 2010, den noch offen stehenden Anspruch auf die Versicherungsleistung, nicht aber die Abschlagszahlung, für die der rechtliche Grund nicht entfalle.89 Bei den Vereinbarungen handele es sich nämlich um Verwirkungsbestimmungen mit Strafcharakter. Sie beruhten 78 79 80 81 82 83

So aber Ehrenzweig S. 167. OLG Köln 9.2.1989 – 5 U 136/88, RuS 1989 142; ÖOGH 23.11.1978 – 7 Ob 64/78, VersR 1979 170. BGH 2.10.1985 – IVa ZR 18/84, BGHZ 96 88, 94 = VersR 1986 77. Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 86; Bruck/Möller/Möller8 § 11 Anm. 32. OLG Köln 9.2.1989 – 5 U 136/88, RuS 1989 142, 14. OLG Hamm 27.2.1997 – 6 U 188/96, RuS 1997 356, 357; OLG Köln 9.2.1989 – 5 U 136/88, RuS 1989 142, 143; LG Essen 1.9.1972 – 13 O 230/71, VersR 1973 558, 559; Martin SVR Y III 17; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 23, a. A. Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 39; Beckmann/Matusche-Beckmann/Reichel § 21 Rn. 28. 84 So aber ÖOGH 8.4.1994 – 7 Ob 24/94, VersR 1995 607; zutreffend OLG Hamm 27.2.1997 – 6 U 188/96 RuS 1997 356, 357. 85 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 40; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 23; Berliner Kommentar/ Gruber § 11 Rn. 22. 86 BGH 13.2.1985 – IVa ZR 164/84, VersR 1985 461, insbesondere zur Berechnung der Beschwer. 87 Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 25; Bruck/Möller/Möller8 § 11 Anm. 36; Römer/Langheid/Römer2 § 11 Rn. 17. 88 BGH 13.2.1985 – IVa ZR 164/84, VersR 1985 461. 89 BGH 13.6.2001 – IV ZR 237/00, VersR 2001 1020; OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, NJW-RR 2017 1379, 1383=VersR 2018, 873 (jeweils zu § 14 Nr. 2 AFB 87). 897

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auf dem Gedanken, dass dem arglistig getäuschten VR eine Leistung nicht mehr zugemutet werden könne. Dieser Gesichtspunkt greife aber auf die frühere, im damaligen Zeitpunkt geschuldete Abschlagszahlung nicht durch.90 Ob diese Rechtsprechung nach der Reform des VVG aufrecht erhalten bleiben kann, ist angesichts der kausalitätsunabhängigen Leistungsfreiheit des VR bei arglistig verletzten Obliegenheiten gem. § 28 Abs. 3 S. 2 VVG fraglich, weil die Rechtsprechung geeignet ist, die mit dieser Rechtsfolgenanordnung verfolgten generalpräventiven Zwecke zu beeinträchtigen.91

II. Hemmung der Monatsfrist 29 Nach § 14 Abs. 2 S. 2 ist der Lauf der Monatsfrist gehemmt, solange die Beendigung der Erhebungen infolge eines Verschuldens des VN nicht erfolgen kann. Als solches kommt in Betracht eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit oder unterlassene Mitwirkung beim Sachverständigenverfahren. Kollhosser92 spricht der gleichlautenden Vorgängerregelung des § 11 Abs. 3 a. F. einen selbstständigen Regelungsgehalt ab, weil er meint, dass solange infolge eines Verschuldens des VN die Auszahlung der festgestellten Entschädigung nicht erfolgen könne, auch die Auszahlung eines Abschlags nicht in Betracht komme. Er hat dabei aber übersehen, dass es durchaus möglich ist, dass ein Teil der Entschädigung nach Grund und Höhe feststeht, und das Verschulden des VN sich lediglich auf den noch nicht geklärten Restbetrag bezieht, weil er hierfür noch fehlende Belege nicht vorlegt oder den Vorschuss für das Sachverständigenverfahren nicht zahlt. Erfolgt das schuldhafte Verhalten des VN erst nach Ablauf der Monatsfrist, so ist es im Regelfall ohne rechtliche Bedeutung, weil eine bereits abgelaufene Frist nicht mehr gehemmt werden kann.93

III. Zahlung unter Vorbehalt 30 Von der Abschlagszahlung ist die Zahlung unter Vorbehalt zu unterscheiden. Dieser kommt u. U. keine Erfüllungswirkung zu, sodass sie einer Nichtleistung gleichsteht.94 Das gilt aber nicht für jeden Vorbehalt, es muss durch Auslegung ermittelt werden, ob der Vorbehalt des VR bei der Zahlung deren Erfüllungswirkung beeinträchtigt.95 Der BGH geht davon aus, dass der Schuldner im Regelfall mit einem Vorbehalt nur dem Verständnis seiner Leistung als Anerkenntnis entgegen treten und die Wirkung des § 814 BGB ausschließen wolle, um sich einen Rückforderungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB offen zu halten. So liegt der Fall, wenn der Vorbehalt lediglich lautet „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Dadurch wird die Ordnungsmäßigkeit der Erfüllung nicht in Frage gestellt.96 Anders ist es aber, wenn der VR durch den Vorbehalt zum Ausdruck bringt, dass die Schuldtilgung in der Schwebe bleiben und dem Leistungsempfänger für einen späteren Rückforderungsstreit die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs auferlegt werden soll. Das hat der BGH angenommen in einem Fall, in dem der VR sich nicht mit einem einseitigen Vorbehalt begnügt, sondern den Abschluss einer Rückzah-

90 91 92 93

BGH 13.6.2001 – IV ZR 237/00, VersR 2001 1020. A.A. OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, NJW-RR 2017 1379, 1383=VersR 2018 873. Prölss/Martin/Kollhosser § 17 AFB 30 Rn. 11. BGH 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984 1137; Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 25; Römer/Langheid/Römer § 11 Rn. 18. 94 Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 14; Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 30. 95 BGH 8.2.1984 – IVb ZR 52/82, NJW 1984 2826; BGH 9.1.1991 – IV ZR 97/89, VersR 1991 331; BGH 9.6.1992 – VI ZR 215/91, VersR 1992 1028. 96 BGH 9.6.1992 – VI ZR 215/91, VersR 1992 1028; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 18; Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 94. K. Johannsen/Koch

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D. Verzug

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lungsvereinbarung verlangt hat für den Fall, dass er von einem Dritten noch einmal erfolgreich in Anspruch genommen werde.97 Die Erfüllungswirkung kann auch fehlen, wenn der VR einen Vorbehalt hinsichtlich eines 31 ihm noch unbekannten Ermittlungsergebnisses eines gegen den VN wegen Eigenbrandstiftung geführten Verfahrens gemacht hat.98 Mit diesem Vorbehalt hat der VR zum Ausdruck gebracht, dass der Grund des Anspruchs noch offen ist. Er braucht dann im Rückforderungsprozess nur den Vorbehalt zu beweisen, während dem VN die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs obliegt. Es kommt allerdings auf die Formulierung des Vorbehalts im Einzelfall und darauf an, wie der VN ihn nach Treu und Glauben verstehen konnte. So wurde vom OLG Köln99 zutreffend die Erfüllungswirkung bejaht bei einem Vorbehalt, bei dem durch die Worte „höchstvorsorglich“ und „wider alles Erwarten“ ausgedrückt worden war, dass die Parteien davon ausgingen, dass der Inhalt der Ermittlungsakte der Leistungspflicht des VR nicht entgegenstehen werde.

D. Verzug I. Voraussetzungen des Verzuges § 14 regelt nicht die Voraussetzungen des Verzuges, sondern bestimmt lediglich für eine der 32 Verzugsfolgen, die Zinszahlungsverpflichtung des VR, die Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen. Die Verzugsvoraussetzungen sind in § 286 BGB geregelt.

1. Mahnung Danach kommt der Schuldner in Verzug, wenn er auf eine Mahnung des Gläubigers, die nach 33 dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, nicht leistet.

2. Verzug ohne Mahnung Von den in § 286 Abs. 2 BGB aufgeführten Sachverhalten, bei denen es einer Mahnung nicht 34 bedarf, ist für Versicherungsleistungen von besonderer Bedeutung Nr. 3, wenn „der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert“. Dies ist stets dann der Fall, wenn der VR die Deckung (teilweise100) ablehnt. Mit dem Zugang des Ablehnungsschreibens des VR bei dem VN tritt nicht nur die Fälligkeit ein, sondern zugleich auch der Verzug des VR.101 Bei besonderer Dringlichkeit hinsichtlich der Zahlung kann eine Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB entbehrlich sein.102 Gleiches gilt, wenn der VR seine alsbaldige Leistung ausdrücklich angekündigt hat (sog. Selbstmahnung).103 97 BGH 9.1.1991 – IV ZR 97/89, VersR 1991 331; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 18; Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 97.

98 OLG Düsseldorf 14.3.1995 – 4 U 61/94, VersR 1996 89. 99 OLG Köln 12.5.1995 – 9 U 232/94, RuS 1995 265, 266. 100 Vgl. LG Münster 15.2.1989 – 1 S 409/88, VersR 1989 844; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 29; 101 OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, NJW-RR 2017 1379, 1383=VersR 2018 873; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 29; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 16; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 14 Rn. 31; Langheid/Wandt/ Fausten § 14 Rn. 109; vgl. zur Rechtslage vor der Schuldrechtsreform BGH 27.9.1989 – IVa ZR 156/88, VersR 1990 153; 16.5.1990 – IV ZR 334/88, RuS 1990 243; 6.12.2006 – IV ZR 34/05, VersR 2007 537, 539; OLG Hamm 27.5.1994 – 20 U 396/93, RuS 1994 307; OLG Hamm 23.9.1992 – 20 U 281/91, RuS 1993 67. 102 Vgl. ÖOGH 8.6.1994 – 7 Ob 24/94, VersR 1995 607; LG Essen 1.9.1972 – 13 O 230/71, VersR 1973 558; Prölss/ Martin/Prölss28 § 14 Rn. 12. 103 Palandt/Grüneberg § 286 Rn. 25. 899

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3. Verzug nach Rechnungszugang 35 Ob § 286 Abs. 3 BGB zur Anwendung kommt, hängt davon ab, ob man die Versicherungsleistung als Entgeltforderung i. S. d. Vorschrift qualifiziert. Das OLG Koblenz104 und ihm folgend die überwiegende Literatur105 lehnt dies ab. Diese Auslegung, die sich an den Vorstellungen des EURichtiniengebers orientiert, steht nicht im Einklang mit der Definition, die der BGH dem Begriff der Entgeltforderung gegeben hat. Nach der Rechtsprechung ist Voraussetzung für das Vorliegen einer Entgeltforderung, „dass die Geldforderung die Gegenleistung für eine von dem Gläubiger erbrachte oder zu erbringende Leistung ist“.106 Daran, dass die Versicherungsleistung die Gegenleistung für die vom VN zu erbringende Prämie darstellt, bestehen im Lichte von § 1 keine Zweifel. Da eine richtlinienkonforme Auslegung ein den Anwendungsbereich von § 286 Abs. 3 BGB einschränkendes Verständnis nicht gebietet, ist die Ansicht somit abzulehnen. Freilich kommt § 286 Abs. 3 BGB für Versicherungsverträge nur geringe Bedeutung zu, weil VN im allgemeinen dem VR keine Rechnung schicken. Allenfalls in dem Verlangen auf Abschlagszahlung kann eine einer Rechnung gleichwertige Zahlungsaufforderung zu sehen sein.107

4. Vertretenmüssen 36 Nach § 286 Abs. 4 BGB kommt der VR nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Der Einwand mangelnden Verschuldens wird von den VR insbesondere dann erhoben, wenn sie auf Grund der durchgeführten Erhebungen oder eines Ermittlungsverfahrens begründeten Anlass für die Annahme ihrer Leistungsfreiheit hatten, sich aber letztlich herausgestellt hat, dass das Beweisergebnis hierfür nicht ausreichte. Die Ablehnung der Leistungspflicht und die Führung eines Deckungsprozesses sind zwar häufig für den VR die einzige Möglichkeit, eine Klärung der dafür erheblichen Umstände zu erreichen.108 Er handelt hierbei jedoch auf eigene Gefahr.109 Der BGH stellt zu Recht hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des VR. Es reiche nicht aus, dass er sich seine eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet habe. Unverschuldet sei ein dabei entstandener (Rechts-)Irrtum nur dann, wenn er mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht habe zu rechnen brauchen.110 Ein solcher Ausnahmefall wird von der Rechtsprechung angenommen, wenn die Beurteilung der Leistungspflicht von der Beantwortung äußerst schwieriger und höchstrichterlich ungeklärter Rechtsfragen abhänge.111 Das kommt nicht in Betracht, wenn es um die Auslegung des Repräsentantenbegriffes geht, der in der Rechtsprechung weitgehend geklärt sei.112 Ein Irrtum über Tatsachen steht dem Rechtsirrtum gleich. Für ihn gelten keine geringeren Anforderungen.113

104 OLG Koblenz 15.1.2010 – 10 U 376/09, VersR 2011 70, 7. 105 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 14 Rn. 36; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 47; Prölss/ Martin/Armbrüster § 14 Rn. 29; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 14 Rn. 31; Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 109; a. A. Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 16; Hasse NVersZ 2000 497, 500 f. 106 BGH 21.4.2010 – XII ZR 10/08, NJW 2010 1872 Rn. 23. 107 Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 16. 108 Prölss/Martin/Prölss28 § 14 Rn. 20. 109 BGH 20.11.1990 – IV ZR 202/89, RuS 1991 37. 110 BGH 6.12.2006 – IV ZR 34/05, VersR 2007 537 Rn. 15; BGH 27.9.1989 – IVa ZR 156/88, VersR 1990 153; 16.5.1990 – IV ZR 334/88 RuS 1990 243; ebenso OLG Hamm 23.9.1993 – 20 U 281/91, RuS 1993 67; OLG Düsseldorf 11.4.2000 – 4 U 54/99, VersR 2001 885. 111 BGH 6.12.2006 – IV ZR 34/05, VersR 2007 537 Rn. 15; BGH 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984 1137, 1139. 112 BGH 27.9.1989 – IVa ZR 156/88, VersR 1990 153. 113 BGH 20.9.1990 – IV ZR 202/89, RuS 1991 37; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 16; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 33. K. Johannsen/Koch

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Der VR darf sich auch nicht mit der Prüfung im Zeitpunkt der Leistungsablehnung begnü- 37 gen, sondern muss in jeder Phase des Rechtsstreits neu überlegen, ob seine Leistungsverweigerung weiterhin gerechtfertigt ist. So muss er z. B. auf das Ergebnis einer Beweisaufnahme oder ein im Instanzenzug ergangenes Urteil reagieren.114 Auf ihm günstige Ergebnisse darf er sich nicht ohne weiteres verlassen, insbesondere dann, wenn erkennbar ist, dass eine gerichtliche Entscheidung fehlerhaft ist.115 Der VR darf sich auch nicht auf ein Sachverständigengutachten verlassen, das einem anderen widerspricht.116 Das Verschulden des von ihm beauftragten Sachverständigen muss sich der VR nach § 278 BGB zurechnen lassen.117 Der vereinzelt in der Instanzgerichtsbarkeit118 und in der Literatur119 vertretenen Auffassung, 38 dass der VR den Ausgang eines im Zusammenhang mit dem Versicherungsfall stehenden Ermittlungs- oder Strafverfahrens abwarten könne, ohne in Verzug zu geraten, ist nicht zu folgen. Ein VR, der ein solches Verfahren lediglich abwartet, stellt keine Erhebungen i. S. v. § 14 an. Solche liegen nur vor, wenn er Einsicht in die Akten nimmt oder versucht, Einsicht zu nehmen, um seine Erkenntnisse zu ergänzen.120 Die Aufassung steht zudem im Widerspruch zu den strengen Anforderungen, die der BGH zu Recht an den Verschuldensausschluss stellt. Wenn der Entschädigungsanspruch trotz eines laufenden Ermittlungs- oder Strafverfahrens fällig geworden ist, muss der VR in Betracht ziehen, dass dieses keine ausreichenden Beweise für seine Leistungsfreiheit ergeben wird und ist nur dann entschuldigt, wenn er auf Grund einer Prüfung der Ermittlungsergebnisse konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass es zu einer Verurteilung des VN oder eines Repräsentanten wegen einer mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehenden Straftat führen wird.

II. Verzugszinsen Die Verpflichtung, auf die Entschädigungsforderung seit dem Tage nach Eintritt des Verzuges 39 Verzugszinsen zu zahlen, ergibt sich aus § 288 BGB i. V. m. § 187 Abs. 1 BGB. Etwaig nach § 91 S. 1 oder § 353 HGB vom VR geschuldete Zinsen sind auf die Verzugszinsen anzurechnen.121 Dies gilt auch für vertragliche Regelungen, die wie § 91 S. 1 eine von Fälligkeit und Verzug unabhängige Verzinsung vorsehen.122 Die Höhe der Verzugszinsen beträgt 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, der sich aktu- 40 ell auf -0,88 % beläuft. Für Versicherungsverträge, an denen Verbraucher nicht beteiligt sind, beträgt der Zinssatz nach § 288 Abs. 2 BGB neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Der zum Teil in der Literatur vertretenen Auffassung, dass § 288 Abs. 2 BGB keine Anwendung finde, weil der Anspruch auf die Versicherungsentschädigung keine Entgeltforderung sei,123 ist aus den zuvor im Zusammenhang mit § 286 Abs. 3 BGB genannten Gründen nicht zu folgen. Gem.

114 BGH 20.9.1990 – IV ZR 202/89, RuS 1991 37; BGH 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984 1137, 1139. 115 BGH 9.1.1991 – IV ZR 97/89, VersR 1991 331; OLG Hamm 23.9.1992 – 20 U 281/91, RuS 1993 67; Prölss/Martin/ Armbrüster § 14 Rn. 33. OLG Koblenz 16.11.2007 – 10 U 100/07, RuS 2009 291=VersR 2008 1381; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 33. OLG Koblenz 16.11.2007 – 10 U 100/07, RuS 2009 291=VersR 2008 1381; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 33. LG Münster 12.7.1976 – 16 O 135/76, VersR 1977 658; AG Hamburg 8.1.1986 – 12 C 723/85, VersR 1987 755. Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 34; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 10; Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 38. 120 MAH Versicherungsrecht/W. Schneider § 5 Rn. 291; OLG Frankfurt/M. 25.4.1986 – 5 W 4/86, VersR 1986 1009; OLG Köln 21.1.1982 – 5 U 93/81, VersR 1983 922. 121 Hans. OLG Hamburg 23.2.1989 – 6 U 234/88, NJW-RR 1989 680; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 53; Langheid/Wandt/Fausten § § 14 Rn. 131; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 39. 122 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 53; Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 131; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 39. OLG Celle 2.6.1989 – 8 U 34/88, RuS 1990 93, 94; vgl. auch BGH 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984 1137, 1139. 123 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 51.

116 117 118 119

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§ 288 Abs. 5 BGB hat der VN außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale i.H.v. 40 A.124

III. Schadensersatz 41 Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nach § 288 Abs. 4 BGB nicht ausgeschlossen. Als Anspruchgrundlage kommt § 280 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 286 BGB in Betracht. Der Schaden des VN kann insbesondere darin bestehen, dass er höhere Zinsen für einen wegen der Vorenthaltung der Versicherungsentschädigung aufgenommenen Bankkredit zu zahlen hat. Auf diesen muss sich der VN aber wiederum die erhaltenen gesetzlichen oder vertraglichen Zinsen anrechnen lassen. 42 Im Übrigen können Schadensersatzansprüche auf entgangenen Gewinn, insbesondere in der Form von Nutzungs- und Mietausfall gerichtet sein, wenn der VN infolge des Verzuges nicht in der Lage ist, durch den Versicherungsfall zerstörte oder beschädigte Sachen wieder zu beschaffen oder wieder herzustellen.125 In der Gebäudeversicherung kommt als Schaden auch ein Wertverlust des Gebäudes in Betracht, wenn infolge des Verzuges notwendige Reparaturen nicht ausgeführt werden können.126 Zu berücksichtigen ist § 254 BGB, insbesondere muss der VN auf die Gefahr des Eintritts eines außergewöhnlich hohen Schadens hinweisen.127 Dagegen trifft den VN nicht die Obliegenheit im Rahmen des § 254 BGB, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen.128 43 Zum Verzugsschaden gehören auch die zur Verfolgung des Anspruchs notwendigen Rechtsanwaltskosten, die nach Eintritt des Verzuges entstanden sind.129 Nicht zu ersetzen sind die Kosten eines anwaltlichen Mahnschreibens, durch das der Verzug erst begründet wird.130

E. Abdingbarkeit I. Zulässigkeit von Abweichungen 44 Die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen ist durch § 14 Abs. 3 zwingend ausgestaltet. Sie kann durch Vereinbarung nicht ausgeschlossen131 oder inhaltlich nach Dauer und Höhe beschränkt werden.132 Das Recht nach § 14 Abs. 2 S. 1, Abschlagszahlungen zu verlangen, ist gem. § 18 halbzwingend. Ist ein Großrisiko i. S. v. § 210 Abs. 2 versichert oder handelt es sich um eine laufende Versicherung, unterliegen Beschränkungen dieses Rechts der Inhalts- und Transparenzkontrolle gem. §§ 307 ff. BGB. Gleiches gilt (sowohl bei Massen- als auch bei Großrisiken) für formularmäßige Abweichungen von § 14 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2.

124 125 126 127 128 129 130

Vgl. Langheid/Wandt/Fausten § § 14 Rn. 128. Vgl. BGH 16.11.2005 – IV ZR 120/04, RuS 2006 166, 168. OLG Oldenburg 11.12.1991 – 2 U 141/91, RuS 1992 348. Bruck/Möller/Möller8 § 11 Anm. 28. Vgl. BGH 16.11.2005 – IV ZR 120/04, RuS 2006 166, 168. BGH 1.2.1974 – IV ZR 2/72, VersR 1974 639, 642; Palandt/Grüneberg § 286 Rn. 44. OLG Köln 4.12.2001 – 9 U 229/00, RuS 2002 188, 189; OLG Saarbrücken 7.7.1999 – 5 U 139/99 – 14, 5 U 139/99, VersR 2000 358; OLG Köln 21.1.1982 – 5 U 93/81, VersR 1983 922. 131 OLG Köln 14.2.1962 – 2 U 108/59, VersR 1962 1074. 132 Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 38; Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 39; Bruck/Möller/Möller8 § 11 Anm. 27. K. Johannsen/Koch

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E. Abdingbarkeit

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II. Formularpraxis 1. Beibringung von Unterlagen zum Nachweis des Versicherungsfalles In der Unfallversicherung hängt die Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs nach Ziff. 9.1 AUB 45 2014 zunächst davon ab, dass der VN seine Mitwirkungspflicht durch Beibringen von Unterlagen über den Unfall und seine Folgen erfüllt.133 Sodann hat sich der VR binnen eines Monats, bei Invalidität binnen drei Monaten, zu erklären, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt. Diese von § 14 Abs. 1 abweichende Regelung der Fälligkeit ist angemessen und wirksam.134 Feste Fristen belasten den VN im Ergebnis weniger als die für ihn nicht übersehbare Dauer von Erhebungen. Das Gleiche gilt für die Regelung der Invaliditätsentschädigung, von der vor Abschluss des Heilverfahrens während eines Jahres nach dem Unfall nur die Todesfallsumme ausgezahlt wird (Ziff. 9.3 S. 2 AUV 2014), auch wenn der Invaliditätsgrad bereits feststeht.135 Trotz dieser besonderen Regelungen gilt aber in der Unfallversicherung auch der allgemeine Grundsatz, dass Fälligkeit eintritt, wenn der VR die Leistungspflicht endgültig ablehnt.136 Bezieht sich die Klausel nur auf die Beibringung von bestimmten Unterlagen, die den VR 46 in die Lage versetzen, die notwendigen Erhebungen zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistungspflicht anzustellen, liegt keine Abweichung von § 14 Abs. 1 vor.137 Bei solchen Klauseln ist jedoch zu prüfen, ob die spezifizierten Unterlagen wirklich stets notwendig zur Erhebung sind. Im Hinblick auf die Verknüpfung zum Anspruch auf Abschlagszahlungen nach § 14 Abs. 2, der nur dann besteht, wenn die Eintrittspflichtigkeit des VR dem Grunde nach feststeht, ist dem Tatbestandsmerkmal der notwendigen Erhebungen Leitbildcharakter zuzumessen. Erstreckt sich die Klausel auf die Beibringung nicht notwendiger Unterlagen, ist sie nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, zumal keine berechtigten Interessen des VR an nicht notwendigen Erhebungen anzuerkennen sind.

2. Abschluss behördlicher oder strafgerichtlicher Verfahren In Sachversicherungsbedingungen ist regelmäßig vorgesehen, dass der VR berechtigt ist, 47 wenn eine behördliche oder strafgerichtliche Untersuchung aus Anlass des Schadens gegen den VN (und/oder Repräsentanten oder Mitversicherte) eingeleitet ist, seine Zahlung bis zum Abschluss dieser Untersuchungen aufzuschieben. In älteren Bedingungen wird auf den rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens abgestellt (vgl. §§ 16 Ziff. 5b) AFB 87 und in 23 Ziff. 5b) VGB 88). In den aktuellen Bedingungswerken ist ein Hinweis auf den rechtskräftigen Abschluss nicht mehr enthalten (z. B. A § 9 Ziff. 5 lit. b) AFB 2010 und AERB 2010, A § 8 Ziff. 4 lit. b) AMB 2011). Der Zweck dieser Klauseln besteht darin zu verhindern, dass der VR Leistungen erbringen muss auf die Gefahr hin, dass sich durch ein strafgerichtliches Ermittlungsverfahren Leistungsfreiheit wegen Herbeiführung des Versicherungsfalles oder wegen eines betrügerischen Verhaltens des VN herausstellt.138 Die rechtliche Bedeutung des Zahlungsaufschubs wird unterschiedlich beurteilt. Der 48 BGH139 hat aus einer entsprechenden Klausel in den Bedingungen für Gebäudeversicherung 133 Vgl. zu älteren Bedingungswerken BGH 13.3.2002 – IV ZR 40/01, VersR 2002 698; BGH 4.11.1987 – IVa ZR 141/ 86, VersR 1987 1235; OLG Hamm 24.11.2000 – 20 U 108/00, VersR 2001 1269.

134 BGH 22.3.2000 – IV ZR 233/99, VersR 2000 753. 135 OLG Karlsruhe 19.8.2004 – 12 U 228/04, RuS 2005 212. 136 BGH 27.2.2002 – IV ZR 238/00, VersR 2002 472; BGH 22.3.2000 – IV ZR 233/99, VersR 2000 753; LG Berlin 25.2.2003 – 7 O 3/02, RuS 2005 211.

137 OLG Dresden 27.3.2018 – 4 U 1519/17, VersR 2018 920, 923. 138 BGH 9.1.1991 – IV ZR 97/89, VersR 1991 331; 21.10.1998 – IV ZR 228-97, VersR 1999 227. 139 BGH 6.12.2006 – IV ZR 34/05, VersR 2007 537. 903

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§ 14 VVG

Fälligkeit der Geldleistung

von Geschäften und Betrieben keinen zusätzlichen Aufschub der Fälligkeit, sondern lediglich eine Konkretisierung des Begriffs der notwendigen Erhebungen entnommen, sodass sie nicht anwendbar sei, wenn der VR durch eine endgültige Leistungsverweigerung kundgetan habe, keine Erhebungen mehr vornehmen zu wollen. Kollhosser140 spricht von einem „peremptorischen Leistungsverweigerungsrecht“ und nimmt ebenfalls an, dass sein Inhalt nicht über § 11 a. F. hinausgehe.141 Vom LG Frankfurt/M.142 wird die Klausel als „pactum de non petendo“ eingeordnet. Die Klauseln stellen jedoch Fälligkeitsvereinbarungen dar, die die Fälligkeit jedenfalls nach ihrem Wortlaut abweichend von § 14 regeln.143 Denn ein VR, der ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren lediglich abwartet, stellt keine Erhebungen gemäß § 14 an (Rn. 16). Das tut er nur, wenn er Einsicht in die Akten nimmt, um aus ihnen Erkenntnisse zu gewinnen. Das kann er aber auch schon vor Abschluss des Verfahrens, insbesondere seines rechtskräftigen Abschlusses, tun. Vor allem dann, wenn ein Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft vorläufig eingestellt worden ist, z. B. mangels ausreichenden Tatverdachts, wegen Abwesenheit des Beschuldigten oder mit Rücksicht auf ein anderes Verfahren, kann der VR nach dem Wortlaut der auf die Rechtskraft abstellenden Bedingungen u. U. jahrelang abwarten, ehe er Zahlung leisten muss. 49 Die Rechtsprechung hat bisher überwiegend ohne besondere Problematisierung diese Zahlungsaufschubsklauseln für wirksam gehalten.144 In einer Entscheidung zu § 24 Nr. 4b) VHB 84 hat der BGH145 jedoch ein Leistungsverweigerungsrecht des VR verneint, wenn das Ermittlungsverfahren vorläufig eingestellt worden sei. Der BGH hat die Klausel nicht für unwirksam erklärt, sondern das Ergebnis durch Auslegung gewonnen. Ein durchschnittlicher VN gehe nicht mehr von einem laufenden Verfahren aus, wenn dieses – wenn auch nur vorläufig – eingestellt worden sei. Er müsse dann zwar noch damit rechnen, dass der VR seine eigenen Ermittlungen fortsetze, wenn dazu ein hinreichender Anlass bestehe. Er brauche aber nicht damit zu rechnen, dass sein Anspruch auf die Leistung auch dann noch nicht fällig würde, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren – aus welchen Gründen auch immer – eingestellt habe und der VR keine weiteren Erhebungen mehr anstelle. Diese zutreffende Auslegung kann für alle Klauseln übernommen werden, die nach ihrem Wortlaut auf die Dauer oder den Abschluss eines Verfahrens abstellen, nicht aber auf solche, die ein Zuwarten bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens gestatten. Diese sind nach § 308 Nr. 1 BGB unwirksam.146 Das Hinausschieben der Leistungspflicht bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Strafverfahrens, das mehrere Jahre dauern kann, ist angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Versicherungsentschädigung für den VN in der Sachversicherung unangemessen. Die Belastung wird auch durch die in den AVB unabhängig von der Fälligkeit vorgesehene Zinsbelastung nicht ausgeglichen, weil diese mit ihrer beschränkten Höhe nicht ausreicht, die Kosten für notwendige Darlehensaufnahmen auszugleichen.147 Für Versicherungsverträge mit Unternehmern ergibt sich die Unwirksamkeit aus §§ 310 Abs. 1 S. 2, 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.148 In die Abwägung sind hier die häufig sehr hohen Prölss/Martin/Kollhosser27 § 17 AFB 30 Rn. 15. Prölss/Martin/Kollhosser27 § 17 AFB 30 Rn. 18; ebenso Martin SVR Y I 17; ders. VersR 1978 392, 395. LG Frankfurt/M. 7.2.1985 – 3/10 O 157/84, VersR 1985 977. BGH 21.10.1998 – IV ZR 228/97, VersR 1999 227; OLG Oldenburg 15.10.1997 – 2 U 171/97, VersR 1998 1502; Magnussen MDR 1994 1160. 144 BGH 9.1.1991 – IV ZR 97/89, VersR 1991 331; OLG Köln 12.5.1995 – 9 U 232/94, RuS 1995 265; OLG Hamm 23.6.1993 – 20 U 91/93, VersR 1994 717; OLG Oldenburg 15.10.1997 – 2 U 171/97, VersR 1998 1502; a. M. LG Frankfurt 7.2.1985 – 3/10 O 157/84, VersR 1985 977. 145 BGH 21.10.1998 – IV ZR 228-97, VersR 1999 227. 146 Magnussen MDR 1994 1160, 1161 (zu § 10 Nr. 1 AGBG a. F.); Gaul NVersZ 1999 458, 460 (zu § 10 Nr. 1 AGBG a. F.); Prölss/Martin/Prölss27 § 11 Rn. 3a unter Aufgabe der gegensätzlichen Meinung in den Voraufl.; a. M. Prölss/ Martin/Kollhosser27 § 16 AFB 87 Rn. 6 und § 17 AFB 30 Rn. 18; Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 11; wohl auch Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 15 f. 147 Magnussen MDR 1994 1160, 1161; Gaul NVersZ 1999 458, 460. 148 Magnussen MDR 1994 1160, 1161; Gaul NVersZ 1999 458, 460; Palandt/Grüneberg § 308 Rn. 10.

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E. Abdingbarkeit

VVG § 14

Schadenssummen bei Großschäden einzubeziehen, deren lange Vorenthaltung zur Existenzvernichtung von Unternehmen führen kann. Die Unwirksamkeit solcher Zahlungsaufschubsklauseln hat gemäß § 306 Abs. 2 BGB zur 50 Folge, dass die Fälligkeit sich nach § 14 regelt, weil eine geltungserhaltende Reduktion der insoweit nicht teilbaren Bestimmungen nicht in Betracht kommt.149 Ist die Fälligkeit infolge der vorläufigen Einstellung eines Ermittlungsverfahrens eingetre- 51 ten, so ändert sich hieran auch nichts dadurch, dass das Verfahren später wieder aufgenommen oder ein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.150 Eine Gegenmeinung151 nimmt an, dass nur eine auflösend bedingte Fälligkeit eingetreten sei, die entfalle, wenn weitere Erhebungen notwendig würden. Ferner wird vertreten,152 es sei überhaupt noch keine Fälligkeit eingetreten, da sich ex post gezeigt habe, dass die objektiv notwendigen Erhebungen noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Dem ist nicht zu folgen. Der Zeitpunkt der Fälligkeit, von dem Verzug und Verjährung abhängen, muss aus Gründen der Rechtsklarheit eindeutig und nicht abänderbar feststehen. Hiervon unabhängig ist die Frage zu beurteilen, ob durch die Wiederaufnahme der Ermittlungen für die Zukunft die Verzugsfolgen entfallen.153

3. Auszahlungsklauseln Unterschiedlich beurteilt wird auch die rechtliche Bedeutung von Klauseln, die die Auszahlung 52 der Entschädigung regeln und vorsehen, dass diese binnen zwei Wochen nach Feststellung der Leistungspflicht des VR zu erfolgen habe. Solche Klauseln finden sich überwiegend nur noch in älteren Bedingungswerken, so z. B. §§ 17 Abs. 1 AFB 30, 16 Nr. 1 AFB 87, 23 Nr. 1 VGB 88, 24 Nr. 1 VHB 84 und 92, 15 Abs. 1 AKB, 16 Nr. 1 AERB, 15 FBUB. In A.2.7.1 AKB 2015 (Stand: 21.10.2017) ist jedoch vorgesehen, dass die Auszahlung der Kaskoentschädigung „spätestens innerhalb von 2 Wochen“ nach Feststellung der Zahlungspflicht und der Höhe der Entschädigung erfolgt. In der Literatur wird vertreten, dass sie die Fälligkeit der Entschädigung bestimmen,154 dass sie lediglich den Zeitraum für die Zahlung eines schon fälligen Betrages festlegen155 oder den Eintritt des Verzuges regeln.156 Die Voraussetzungen des Verzuges nach § 286 BGB sind aber nicht erfüllt, wenn der VR binnen zwei Wochen nach Feststellung der Entschädigungspflicht nicht zahlt. Von den in § 286 Abs. 2 BGB genannten Tatbeständen, bei deren Vorliegen eine Mahnung entbehrlich ist, kommt keiner ernsthaft in Betracht. In den Klauseln kommt auch nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass eine von § 286 BGB abweichende Verzugsregelung getroffen werden sollte. Erkennbarer Sinn der Regelung ist vielmehr, dem VR zusätzliche Zeit für die Zahlung der Ent- 53 schädigung zu gewähren, ihn insbesondere davor zu bewahren, dass er durch eine kurzfristige Mahnung in Verzug gerät.157 Damit handelt es sich um Fälligkeitsregeln mit dem Inhalt, dass der VN vor Ablauf der Frist die Leistung nicht verlangen kann, der VR sie aber bewirken darf und 149 BGH 17.5.1982 – VII ZR 316/81, NJW 1982 2309: 10.10.1996 – VII ZR 224/95 NJW 1997 394, st. Rspr. 150 OLG Hamm 19.1.1994 – 20 U 141/93, VersR 1994 1419; Asmus NVersZ 2000 361, 365; Bruck/Möller/Möller8 § 11 Anm. 7.

151 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn. 18; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 17; Berliner Kommentar/ Gruber § 11 Rn. 13.

152 Martin SVR Y I 21; ders. VersR 1978 392, 395. 153 Vgl. dazu OLG Hamm 12.10.1988 – 20 U 309/86, VersR 1989 584. 154 OLG Hamm 2.10.1996 – 20 U 77/96, VersR 1997 307; OLG Hamm 14.2.1992 – 20 U 171/91, VersR 1992 737; Bruck/ Möller/R. Koch9 Bd. 12 A.2 AKB 2015 Rn. 669; Prölss/Martin/Klimke AKB 2015 A.2.7 Rn. 2: Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 1; Bruck/Möller/Möller8 § 11 Anm. 11; Hansen VersR 1988 1110; Martin VersR 1984 1107, 1109; Prölss/Martin/ Knappmann27 § 24 VHB 84 Rn. 1. 155 Martin SVR Y II 1–10; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 17 AFB 30 Rn. 2. 156 Römer/Langheid/Römer2 § 11 Rn. 28. 157 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 A.2 AKB 2015 Rn. 670; Martin SVR Y II 4. 905

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§ 14 VVG

Fälligkeit der Geldleistung

insoweit unter Abweichung von der Auslegungsregel des § 271 Abs. 2 BGB bis zum Ablauf der Frist auch bewirken muss. Gleichwohl benachteiligen sie den VN nicht unangemessen i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.158 Zwar wird dem VR im Rahmen des § 14 bereits eine Prüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt.159 Für ein weiteres Hinausschieben der Fälligkeit besteht deshalb an sich kein Anlass.160 Versicherungstechnische Gründe kommen hierfür nicht in Betracht. Die Verhältnisse des modernen Zahlungsverkehrs erlauben es, dass der VR wie jeder andere Schuldner Zahlungen innerhalb kurzer Zeit leisten kann. Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass der VN vom VR vor Ablauf dieser Frist bereits Abschlagszahlungen in Höhe der voraussichtlichen Entschädigung verlangen kann, wenn die Zahlungspflicht des VR dem Grunde nach feststeht. Insoweit ist er durch die (halbzwingende) Regelung in § 14 Abs. 2 S. 1 hinreichend geschützt.161 Nicht zu beanstanden ist die in A.2.7.2 AKB 2015, für den Fall einer Entwendung des Fahr54 zeugs getroffene Regelung, dass die Entschädigung nicht vor dem Ablauf der Frist von einem Monat zu zahlen ist. Denn sie knüpft an die Regelung des A.2.5.5.1 AKB 2015 an, wonach der VN verpflichtet ist, innerhalb eines Monats nach Eingang der Schadensanzeige wieder zur Stelle gebrachte entwendete Gegenstände zurückzunehmen. Da sich erfahrungsgemäß entwendete Fahrzeuge innerhalb dieser Frist entweder wieder anfinden oder unauffindbar bleiben, ist das Hinausschieben sachlich gerechtfertigt.162

4. Aufschub der Zahlungen 55 Keine von § 14 abweichende Fälligkeitsregelungen stellen Klauseln dar, nach denen der VR berechtigt ist, die Zahlung aufzuschieben, solange Zweifel an der Berechtigung des VN bestehen, z. B. A § 9 Ziff. 5 lit. a) AFB 2010 und AERB 2010, A § 8 Ziff. 4 lit. a) AMB 2011. Sie betreffen Fälle, in denen mehrere Forderungsprätendenten in Betracht kommen, wie bei einer Mehrheit von VN, bei der Versicherung für fremde Rechnung, der Veräußerung der versicherten Sache, bei Erbfällen und anderen Gesamtrechtsnachfolgen, bei Abtretungen, Verpfändungen und Pfändungen.163 Die Klärung dieser Fragen ist im Rahmen der notwendigen Erhebungen vorzunehmen. Die Empfangsberechtigung des VN gehört nämlich zur materiellen Begründung seines Entschädigungsanspruchs, sodass der VR auch ohne eine entsprechende Vereinbarung zur Leistung nicht verpflichtet ist, solange der VN diese nicht dargelegt und bewiesen hat. So ist z. B., wenn der VN verstorben ist, der Entschädigungsanspruch nicht fällig, solange der Erbe dem VR den Erbschein nicht vorgelegt hat.164 Der VR ist nach § 6 Abs. 4 verpflichtet, den VN darüber zu belehren, welche Nachweise für die Empfangsberechtigung erforderlich sind.165 Treten Zweifel an der Empfangsberechtigung erst nach der Feststellung des Entschädigungsanspruchs auf, z. B. infolge von Abtretungen und Pfändungen, muss der VR sie mit verkehrsüblicher Sorgfalt prüfen.166 Wenn ihm nach verständigem Ermessen nicht zugemutet werden kann, auf seine Gefahr zu entscheiden, wem der Anspruch zusteht, kann er die Versicherungsentschädigung auch gemäß § 372 BGB hinterlegen.

158 A.A. Vorauflage, Rn. 19; Römer/Langheid/Römer2 § 11 Rn. 28; Ollick VA 1979 419, zu früheren, im Wortlaut etwas abweichenden Bedingungen. 159 BGH 17.2.1993 – IV ZR 32/92, RuS 1993 188, 190; Asmus NVersZ 2000 361, 363; Berliner Kommentar/Gruber § 11 Rn. 9; Prölss/Martin/Prölss27 § 11 Rn. 3; Römer/Langheid/Römer2 § 11 Rn. 5. 160 Römer/Langheid/Römer2 § 11 Rn. 28. 161 Vgl. auch Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 A.2 AKB 2015 Rn. 671 und 681. 162 Vgl. auch Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 A.2 AKB 2015 Rn. 685. 163 Bruck/Möller/K. Johannsen Bd. 7 A § 9 AFB 2008/2010 Rn. 19. 164 OLG Karlsruhe 15.2.1979 – 12 U 60/78, VersR 1979 564; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 8; Prölss/Martin/ Armbrüster § 14 Rn. 18; Langheid/Wandt/Fausten § § 14 Rn. 52; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 14 Rn. 15. 165 Bruck/Möller/K. Johannsen Bd. 7 A § 9 AFB 2008/2010 Rn. 19. 166 BGH 19.9.1984 – IVa ZR 67/83 VersR 1984 1137, 1138. K. Johannsen/Koch

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E. Abdingbarkeit

5. Wiederherstellungs- und Wiederbeschaffungsklauseln Die in der Sachversicherung häufig vereinbarten Wiederherstellungs- und Wiederbeschaf- 56 fungsklauseln, nach denen die Entschädigung oder ein Teil derselben erst nach der Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung oder deren Sicherstellung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes gezahlt wird (z. B. § 8 Nr. 2 AFB 2010), stellen nur in seltenen Fällen von § 14 abweichende Fälligkeitsregelungen dar. Vorwiegend werden nämlich sogenannte strenge Wiederherstellungsklauseln i. S. v. § 93 vereinbart, bei denen der Anspruch auf die Entschädigung mit dem Versicherungsfall nur teilweise, z. B. auf 2/3 der Entschädigung in der Zeitwertversicherung oder dem Zeitwert in der Neuwertversicherung entsteht. Die Entstehung des diese Werte übersteigenden Anspruchs ist davon abhängig, dass eine bestimmte Verwendung des Entschädigungsbetrages gesichert ist.167 Hingegen regeln einfache Wiederherstellungsklauseln, die zum Schutz der Grundpfand- 57 gläubiger getroffen werden, die Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs, die bis zur Wiederherstellung der beschädigten oder zerstörten Gebäude hinausgeschoben wird.168 Solche Klauseln waren vor allem in den Satzungen der öffentlichrechtlichen Feuerversicherungsanstalten enthalten. Eine einfache Wiederherstellungsklausel stellt auch § 17 Nr. 3 AFB 30 dar, wonach bei belasteten Grundstücken die Entschädigung nur gezahlt wird, soweit ihre Verwendung zur Wiederherstellung gesichert ist.169

6. Sachverständigenverfahren Sehen die AVB ein (fakultatives) Sachverständigenverfahren vor (z. B. A § 10 AFB 2010), so tritt, 58 wird es vom VN verlangt, Fälligkeit erst ein, wenn der Sachverständige seine Erhebungen beendigt hat und die abschließende Entscheidung den Parteien mitgeteilt hat.170 Durch das Sachverständigenverfahren wird der Anspruch des VN auf Abschlagszahlungen nicht nachteilig berührt.171

7. Titulierung der bestrittenen Forderung in der Warenkreditversicherung Die Warenkreditversicherung enthält regelmäßig Klauseln, denen zufolge die Fälligkeit von ver- 59 sicherten Kaufpreisforderungen, die vom Käufer des Lieferanten (VN) bestritten werden, erst dann eintritt, wenn die versicherte Forderung durch ein rechtskräftiges Urteil oder einen vollstreckbaren Vergleich festgestellt worden ist. Darin liegt keine unangemessene Benachteiligung des VN, da es ist nicht Aufgabe des WarenkredtVR ist, in langwierigen Verfahren zu klären, ob und inwieweit vom Kunden des VN erhobene Einwendungen und Einreden gegen Grund und/

167 BGH 24.1.2007 – IV ZR 84/05, VersR 2007 489; BGH 13.12.2000 – IV ZR 280/99, VersR 2001 326; BGH 8.6.1988 – IVa ZR 100/87, VersR 1988 925; LG Köln 15.3.2017 – 20 O 292/16, BeckRS 2017 125195; OGH 23.2.1999 – 7 Ob 375/98 t, VersR 2000 659. 168 Bruck/Möller/Möller8 § 11 Anm. 11; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 97 Rn. 2; Bruck/Möller/R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III J 22. 169 BGH 1.10.1980 – V ZR 124/79 VersR 1981 49; a. M. OLG Hamm 14.2.1992 – 20 U 171/91, VersR 1992 737; vgl. dazu im Einzelnen Bruck/Möller/R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III J 22. 170 Vgl. OLG Hamm 5.10.1988 – 20 U 344/87, VersR 1989 906; OLG Hamm 28.11.1990 – 20 U 158/90, VersR 1991 1369; OLG Koblenz 14.8.1998 – 10 U 1332/97, RuS 1998 404; OLG Köln 4.12.2001 – 9 U 229/00, zfs 2002 295; Langheid/Rixecker/Rixecker § 14 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 14 Rn. 24; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn 19. 171 Langheid/Wandt/Fausten § 14 Rn. 48. 907

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§ 14 VVG

Fälligkeit der Geldleistung

oder Höhe der vom VN angemeldeten Forderung berechtigt oder ob die Einreden substanziiert sind oder nicht.172

F. Beweisfragen 60 Obwohl die nötigen Erhebungen vom VR vorgenommen werden, muss der VN ihre Beendigung beweisen, wenn er sich auf die Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs beruft.173 Sie gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen. Dies betrifft auch den Nachweis für die fehlende Notwendigkeit der Erhebungen.174 Der VR ist aber verpflichtet, substantiiert darzulegen, welche Maßnahmen er bisher getroffen hat und welche Umstände der Beendigung der Erhebungen noch entgegenstehen. Der VN hat auch die Voraussetzungen der Berechtigung seines Verlangens auf Abschlags61 zahlungen darzutun und zu beweisen.175 Wenn der VR sich auf eine Hemmung der Monatsfrist beruft, weil die Erhebungen infolge eines Verschuldens des VN nicht beendet werden können, muss er nach den allgemeinen Grundsätzen, die für die Hemmung von Fristen gelten,176 zunächst beweisen, dass der VN objektiv durch sein Verhalten die Erhebungen behindert hat.177 Der VN muss sich aber, weil aus § 14 Abs. 2 S. 3 eine Obliegenheit zur Förderung der Erhebungen abzuleiten ist,178 hinsichtlich seines Verschuldens entlasten.179 Auch für die Voraussetzungen des Verzuges obliegt dem VN nach allgemeinen Grundsätzen 62 die Beweislast. Der VR muss sich demgegenüber vom Verschulden entlasten, woran von der Rechtsprechung zu Recht hohe Anforderungen gestellt werden.180 Bei der Zahlung unter Vorbehalt muss der VR im Rückforderungsprozess grundsätzlich die 63 Voraussetzungen seines Anspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, also seine fehlende Leistungsverpflichtung, beweisen.181 Hat der VR aber mit dem Vorbehalt deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Grund des Anspruchs noch offen ist, so braucht er nur diesen Vorbehalt zu beweisen, während dem VN die Beweislast für das Bestehen seines Anspruchs obliegt.182

G. Österreichisches Recht 64 Der früher im Wesentlichen mit § 11 a. F. übereinstimmende § 11 VersVG ist durch die Novelle von 1994 mit Wirkung vom 1.1.1995 durch die Einfügung eines zweiten Satzes in § 11 Abs. 1 abgeändert worden. Darin heißt es: „Die Fälligkeit tritt jedoch unabhängig davon ein, wenn ein Versicherungsnehmer nach Ablauf zweier Monate seit dem Begehren nach einer Geldleistung eine Erklärung des Versicherers verlangt, aus welchen Gründen die Erhebungen noch nicht beendet werden konnten, und der Versicherer diesem Verlangen nicht binnen eines Monats ent172 Vgl. BGH 15.2.2017 – IV ZR 202/16, NJW-RR 2017 994 Rn. 16; Veith/Gräfe/Gebert/Grauschopf Der Versicherungsprozess 4. Auflage (2020) § 22 Kreditversicherung Rn. 59 ff. 173 ÖOGH 19.4.1984 – 7 Ob 12/84, VersR 1985 652; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn 56; Baumgärtel/ Prölss § 11 Rn. 1. 174 ÖOGH 19.4.1984 – 7 Ob 12/84, VersR 1985 652; für weitere Nachweise s. Fenyves/Schauer/Gruber § 11 Rn. 14. 175 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn 56. 176 Palandt/Ellenberger § 204 Rn. 55. 177 Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 14 Rn 57. 178 Bruck/Möller/Möller8 § 11 Rn. 3. 179 Baumgärtel/Prölss § 11 Rn. 3. 180 BGH 27.9.1989 – IVa ZR 156/88, VersR 1990 153; BGH 20.11.1990 – IV ZR 202/89, RuS 1991 37; OLG Hamm 23.9.1992 – 20 U 281/91, RuS 1993 67; OLG Düsseldorf 11.4.2000 – 4 U 54/99, VersR 2001 885. 181 BGH 9.6.1992 – VI ZR 215/91, VersR 1992 1028, 1029; OLG Köln 12.5.1995 – 9 U 232/94, RuS 1995 265, 266. 182 OLG Düsseldorf 14.3.1995 – 4 U 61/94, VersR 1996 89, 90; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung zu §§ 74– 99 Rn. 13. K. Johannsen/Koch

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G. Österreichisches Recht

VVG § 14

spricht.“ Entsprechend dem Zweck der Novelle, einen besseren Kundenschutz herbeizuführen,183 wird die Rechtsstellung des VN damit durch die Einführung einer besonderen Informationspflicht des VR verbessert, die er auf Verlangen des VN erfüllen muss. Bislang gibt es zu § 11 Abs. 1 S. 2 VersVG keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Dass die Erhebungen des VR, insbesondere bei Großschäden und bei Verdacht strafbaren 65 Handelns des VN, länger dauern können als die im Gesetz genannten zwei Monate, lässt sich zwar nicht vermeiden. Es ist aber begrüßenswert, dass der VR verpflichtet wird, den Grund der längeren Dauer mitzuteilen, wodurch der VN Gelegenheit erhält, u. U. an einer künftigen Beschleunigung mitzuwirken. Wird die Auskunft nicht erteilt, wird der Entschädigungsanspruch einen Monat nach dem Auskunftsverlangen fällig. Weitere Konsequenzen ergeben sich aber nur, wenn sich nach Abschluss der Erhebungen herausstellt, dass der Anspruch begründet ist.184 Der VR hat dann Verzugszinsen zu leisten.185 Die Verletzung der Informationspflicht begründet keinen eigenständigen Entschädigungsanspruch.186 Von Krejci187 wird die Zahlung von Verzugszinsen, die nach § 1333 AGBGB verschuldensun- 66 abhängig erfolgen muss, als nicht sachgemäß beanstandet und die Regelung insgesamt als missglückt bezeichnet, weil die Ausnahmefälle, in denen Sanktionen angemessen seien, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage geregelt werden könnten.188 Dem kann nicht zugestimmt werden. Gegenüber dem Bemühen, einen Fälligkeitszeitpunkt nach Treu und Glauben zu fingieren, wie es die deutsche Rechtsprechung bei Verzögerung der Erhebungen tut, hat eine ausdrückliche gesetzliche Fristenregelung große Vorzüge. Es ist nicht gerechtfertigt, sie gegen ihren Wortlaut und Sinngehalt auszulegen.189

183 Fenyves VersRdsch 1994 33: Krejci Die allgemeinen Regeln der VersVG-Novelle aus rechtswissenschaftlicher Sicht, VersRdsch 1995 28. 184 Vgl. Fenyves/Schauer/Gruber § 11 Rn. 49. 185 Vgl. Fenyves/Schauer/Gruber § 11 Rn. 31. 186 Fenyves VersRdsch 1994 33; Wieser Fälligkeit und Verjährung und die VersVH-Novelle 1994, VersRdsch 1994, 293. 187 Fenyves VersRdsch 1994 33, 35. 188 Vgl. dazu auch Prölss/Martin/Prölss27 § 11 Rn. 28. 189 So i. E. auch Prölss/Martin/Prölss27 § 11 Rn. 2. 909

K. Johannsen/Koch

§ 15 Hemmung der Verjährung Ist ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag beim Versicherer angemeldet worden, ist die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht.

Schrifttum Boetius Zum Beginn der Verjährung von Versicherungsansprüchen, VersR 1968 821; Daube Die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. ist seit dem 1.1.2008 nicht mehr existent, VersR 2009 1599; Fischinger Zur Hemmung der Verjährung durch Verhandlung nach § 203 BGB, VersR 2005 1641; ders. Sind die §§ 203 ff. BGB auf die Höchstfristen des § 199 Abs. 2–4 BGB anwendbar? VersR 2006 1475; Fricke Geschlichtet und verfristet – Probleme im Güteverfahren nach § 15a EGZPO mit Verjährung und Leistungsfreiheit nach § 12 Abs. 3 VVG, VersR 2000 1194; Heintzmann Zur Verjährung des Rückgriffsanspruchs des Versicherers nach § 3 Nr. 9, 11 PflVG, VersR 1980 593; Honsel Der Verzicht auf die Einrede der Verjährung, VersR 1975 104; Jahnke Verjährung und Verwirkung im Schadensersatzrecht, VersR 1998 1343 Teil I, 1473 Teil II; Kollhosser Der Arme und sein Recht – Berufungsfristen und versicherungsrechtliche Klagefristen, VersR 1974 829; Muschner Zur fortdauernden Anwendbarkeit der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG im Jahr 2008, VersR 2008 317; Muschner/Wendt Die Verjährung im Versicherungsvertragsrecht, MDR 2008 609; Neuhaus Neues VVG: Überlebt die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG trotz Streichung im Gesetz? RuS 2007 177; ders. Zwischen den Jahrhundertwerken – Die Übergangsregelungen des neuen VVG, RuS 2007 441; Prölss Zum Erfordernis der Kausalität bei Verstößen des Versicherers gegen Belehrungsgebote, Festschrift Klingmüller (1974) S. 355; Schwartze Wann verjähren Nachforderungsansprüche aus Lebensversicherungsverträgen? VersR 2006 1331; K. Sieg Sorgfalt des Versicherers bei qualifizierter Ablehnung des Versicherungsschutzes – Zugleich Anmerkungen zu den Urteilen des BGH VersR 81, 828 und des OLG Hamm VersR 81, 830 –, VersR 1981 1093; von Stebut Das formelle Leistungsverweigerungsrecht des Versicherers und seine Grenzen (§ 12 Abs. 3 VVG), VersR 1982 105; Symosek Verjährungshemmung, aber richtig, NJW 2016 1142; Teichmeister Die VersVG – Novelle 1994 aus der Sicht der Versicherungswirtschaft, VersRdsch 1995 36; Voßiek Die Übertragung der zivilrechtlichen Verjährungshemmung nach §§ 204 ff. BGB n. F. auf das VVG, Forum Versicherungsrecht 2006 225 (zit. Dörner/Voßiek); Uyanik Die Klageausschlussfrist nach § 12 Abs. 3 VVG a. F. – Oder: Totgesagte leben länger? VersR 2008 468; Wegener Die Verjährung der verschiedenen Leistungsansprüche in der Rechtsschutzversicherung, VersR 1991 1121; Wieser Fälligkeit und Verjährung in der VersVG – Novelle, VersRdsch 1994 293.

Übersicht 1

A.

Einleitung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Regelung der Verjährung

I.

Verjährungsfrist

II. 1.

12 Beginn der Verjährung Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen 13 den Versicherer 13 a) Ansprüche auf Geldleistungen 16 b) Ansprüche auf Naturalleistungen 16 aa) Dienstleistungen 17 bb) Sachleistungen Ansprüche des Versicherers gegen den Versiche18 rungsnehmer

2.

1 5

6 10

10

K. Johannsen/Koch https://doi.org/10.1515/9783110522600-028

20

C.

Hemmung der Verjährung gem. § 15

I.

Allgemeines

II.

Eintritt der Hemmung

III. 1. 2.

24 Ende der Hemmung 24 Entscheidung des Versicherers Fehlendes Verfolgungsinteresse des Versiche25 rungsnehmers Wiederaufleben der Hemmung durch neue Ver26 handlungen

IV.

20 21

27

D.

Sonstige Hemmungstatbestände

I.

Verhandlungen (§ 203 BGB)

II.

Rechtsverfolgung (§ 204 BGB)

III.

Leistungsverweigerungsrecht (§ 205 34 BGB)

28 31

910

VVG § 15

A. Einleitung

IV.

Ablaufhemmung bei nicht voll Geschäftsfähigen 35 (§ 210 BGB)

E.

Neubeginn der Verjährung (§ 212 36 BGB)

F.

Vereinbarungen über die Verjährung

G.

Abdingbarkeit

H.

Beweisfragen

I.

Österreichisches Recht

38

40 41 42

A. Einleitung I. Entstehungsgeschichte § 15 ist mit wenigen redaktionellen Veränderungen an die Stelle von § 12 Abs. 2 a. F. getreten, der durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.19391 Eingang in § 12 a. F. gefunden hatte. In der ursprünglichen Fassung von 1908 war in § 12 Abs. 1 die Dauer der Verjährung (5 Jahre bei der Lebensversicherung, für alle anderen Sparten 2 Jahre) und in Abs. 2 die Möglichkeit einer vertraglichen Klagefristvereinbarung geregelt. In Abs. 3 war bestimmt, dass von den Abs. 1 und 2 nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden darf. Infolge der Einfügung von § 12 Abs. 2 a. F. wurde der ursprüngliche § 12 Abs. 2 neuer Abs. 3 und die Möglichkeit einer vertraglichen Klagefristvereinbarung wurde durch eine gesetzliche Klagefrist (6 Monate) ersetzt. Der ursprüngliche § 12 Abs. 3 wurde ersatzlos gestrichen, weil durch die VO vom 19.12.1939 u. a. § 15a a. F. (heute § 18) Eingang in das VVG fand. Zu Einzelheiten zu § 12 Abs. 3 a. F. siehe die Kommentierung der Vorauflage zum Anh. § 15. Nachdem durch die Schuldrechtsreform das Verjährungsrecht des BGB umgestaltet und die regelmäßige Verjährungsfrist in § 195 BGB von 30 Jahren auf 3 Jahre abgekürzt worden ist, sah der Reformgesetzgeber keinen sachlichen Grund mehr für eine Verjährungsfrist für Ansprüche aus Versicherungsverträgen, die vom allgemeinen bürgerlichen Recht abweicht. Der Vorschlag der Kommission, den Beginn der Verjährung besonders zu regeln,2 ist deshalb nicht Gesetz geworden und § 12 Abs. 1 a. F. ersatzlos gestrichen. Die Hemmung der Verjährung durch Anmeldung des Anspruchs bei dem VR bis zu dessen Entscheidung ist nunmehr in § 15 geregelt, der in zwei Punkten von § 12 Abs. 2 a. F. abweicht. Zum einen muss die Entscheidung, deren Zugang die Hemmung beendet, nicht mehr in Schriftform zugehen, Textform reicht aus. Zum anderen sollen durch die Änderung der Formulierung „Anspruch des Versicherungsnehmers“ in „Anspruch aus dem Versicherungsvertrag“ die Fälle berücksichtigt werden, in denen der angemeldete Anspruch nicht dem VN, sondern einem Pfandgläubiger oder Zessionar zusteht.3 Die Vorschrift des § 12 Abs. 3 a. F., die dem VR Leistungsfreiheit durch Ablauf einer von ihm gesetzten Klagfrist gewährt, ist weggefallen. Die Streichung der materiellen Ausschlussfrist, die dem VR eine im übrigen Zivilrecht unbekannte Möglichkeit verschafft, leistungsfrei zu werden,4 entsprach einer der wesentlichen Forderungen für eine Reform des VVG.5 Zum Übergangsrecht, das in Art. 1–3 EGVVG geregelt ist, siehe die Kommentierung in der Vorauflage (§ 15 Rn. 2 f.). Ergänzend sei auf zwei Urteile des BGH zu § 12 a. F. hingewiesen. In seinen Entscheidungen vom 8.2.2012 und 16.4.2014 hat der BGH festgestellt, dass § 12 Abs. 3 a. F. nach dem 31.12.2007 nicht mehr anwendbar ist,6 und Prämienansprüche aus sog. Altversiche1 2 3 4

RGBl. I 2443. KomE S. 47 f. BTDrucks. 16/3945 S. 64. BVerfG 22.10.2004 – 1 BvR 894/04, VersR 2004 1585; BGH 8.2.2012 – IV ZR 2/11, RuS 2012 235 Rn. 18; BGH 7.11.1990 – IV ZR 201/89, VersR 1991 90, 91. 5 Vgl. nur Römer/Langheid/Römer2 § 12 Anm. 32; ders. VersR 2000 661, 664; Schimikowski RuS 2000 353, 357. 6 BGH 8.2.2012 – IV ZR 2/11, RuS 2012 235 Rn. 16 ff. 911

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1

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§ 15 VVG

Hemmung der Verjährung

rungsverträgen, die im Jahr 2008 fällig werden, der zweijährigen Verjährungsfrist des § 12 Abs.  1 S. 1 a. F. unterliegen.7

II. Inhalt und Zweck der Regelung 5 Der Verzicht des Gesetzgebers auf eine Regelung der Verjährung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen bedeutet, dass die Verjährung sich nach den Vorschriften des BGB richtet. Für Beginn, Dauer und Neubeginn der Verjährung sind ausschließlich die Vorschriften der §§ 195 ff. BGB maßgeblich. § 15 trifft lediglich für die Hemmung der Verjährung eine versicherungsrechtliche Sonderregelung. Diese beruht darauf, dass Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag üblicher Weise vom VN bei dem VR angemeldet werden, der nach Prüfung des Anspruchs eine Entscheidung hierüber trifft und sie dem VN mitteilt. Für diesen vertragstypischen Sachverhalt bieten die Vorschriften des BGB keine angemessene Lösung. Deshalb ist die bisherige Regelung des § 12 Abs. 2 a. F., nach dem die Verjährung des angemeldeten Anspruchs bis zum Zugang der Entscheidung des VR gehemmt ist, im Grundsatz beibehalten worden. Daneben kommen die allgemeinen Hemmungstatbestände nach den §§ 203 ff. BGB zur Anwendung (Rn. 28 ff.). Zu beachten sind ferner die Hemmungstatbestände in §§ 3 Abs. 4 S. 2, 12 der Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns (Rn. 31).

III. Anwendungsbereich 6 Der Regelung des § 15 unterfallen nur Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag. Das sind solche Ansprüche, die ihre rechtliche Grundlage in dem Versicherungsvertrag haben8 wie z. B. Ansprüche auf die Versicherungsentschädigung und Freistellung, aber auch auf Aufwendungsersatz, Kostenerstattung, Gewinnbeteiligung und den Rückkaufswert in der Lebensversicherung.9 Ansprüche, die auf Schadensersatz gerichtet sind, wie z. B. aus §§ 241 Abs. 2, 280 BGB oder §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB, sind nach der Rechtsprechung zu § 12 a. F. nur dann als Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zu qualifizieren, wenn sie wirtschaftlich die Stelle des vertraglichen Erfüllungsanspruchs einnehmen und sich insoweit als „Ersatzwert des ursprünglich Bedungenen” darstellen.10 Für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, etwa auf Rückzahlung zuviel gezahlter Prämien, hat die Rechtsprechung angenommen, dass die Vorschrift grundsätzlich keine Anwendung finde,11 anders zu beurteilen seien aber die Fälle, in denen die Rückzahlungsverpflichtung vertraglich geregelt sei, sie hätten dann den Charakter eines Anspruchs aus dem Versicherungsvertrag.12 7 Wenngleich auch die Rechtsprechung zu § 12 Abs. 1 a. F. wesentlich von der im Vergleich zum allgemeinen bürgerlichen Recht kürzeren und deshalb für den VN nachteiligen Verjährung von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag getrieben gewesen sein dürfte, ist sie § 15 zu-

7 BGH 16.4.2012 – IV ZR 2/11, VersR 2014 735 Rn. 7 ff. 8 BGH 14.1.1960 – II ZR 146/58, BGHZ 32 13, 15=VersR 1960 145; vgl. auch BGH 16.12.2009 – IV ZR 195/08, NJW-RR 2010 606.

9 Langheid/Wandt/Fausten § 15 Rn. 56. 10 St. Rspr. zu § 12 Abs. 1 a. F., vgl. BGH 16.12.2009 – IV ZR 195/08, NJW-RR 2010 606; BGH 21.1.2004 – IV ZR 44/ 03, VersR 2004 361; BGH 28.10.1971 – VII ZR 15/70, BGHZ 57 191, 195=NJW 1972 95, jew. m. w. N. 11 BGH 16.12.2009 – IV ZR 195/08, NJW-RR 2010 606; BGH 14.1.1960 – II ZR 146/58, BGHZ 32 13, 15=VersR 1960 145; OLG Düsseldorf 14.5.1991 – 4 U 156/90, RuS 1991 386=VersR 1992 557; OLG Köln 17.10.1985 – 5 U 229/84, VersR 1986 1233. 12 BGH 10.3.2004 – IV ZR 75/03, VersR 2004 893 = RuS 2004 404; BGH 25.10.1989 – IVa ZR 221/88, VersR 1990 189; BGH 19.1.1994 – IV ZR 117/93, VersR 1994 337, 338. K. Johannsen/Koch

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B. Regelung der Verjährung

VVG § 15

grunde zu legen.13 Bei der Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht auf (teilweise) Erfüllung gerichtet sind, ist somit stets zu fragen, ob der jeweils geltend gemachte Anspruch wirtschaftlich an die Stelle des vertraglichen Erfüllungsanspruchs tritt.14 Das gilt grundsätzlich auch für den Anspruch aus § 6 Abs. 5.15 Allerdings ist zu Bedenken, dass § 15 keine Anwendung auf Schadensersatzansprüche nach § 63 findet. Bei der regelmäßig vorliegenden gesamtschuldnerischen Haftung von VR und Versicherungsvertreter16 tritt die Verjährung zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein, was unglücklich ist. Für eine enge Auslegung von § 15 spricht nicht zuletzt die Existenz von § 115 Abs. 2 S. 3, der für die (quasideliktischen) Direktansprüche eines Dritten gegen den obligatorischen HaftpflichtVR eine Parallelregelung zu § 15 enthält (Rn. 9). Stets von § 15 erfasst werden Schadensersatzansprüche aus Verzug.17 Ansprüche des VN aus gewohnheitsrechtlicher Erfüllungshaftung des VR unterfallen ebenfalls § 15.18 Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag können auch anderen Personen als dem VR und 8 dem VN zustehen. Das gilt z. B. für den Anspruch des Realgläubigers auf die Versicherungsleistung, der inhaltlich dem des VN weitgehend entspricht.19 Das gleiche gilt für den Anspruch des Erwerbers der versicherten Sache, des Versicherten bei der Versicherung für fremde Rechnung und für den des Bezugsberechtigten,20 Zessionars21 und Vollstreckungsgläubigers.22 Durch die sprachliche Änderung des inhaltlich dem § 12 Abs. 2 a. F. entsprechenden § 15 ist klargestellt, dass die Hemmung nicht von der Person des Anspruchsstellers abhängt. Für Direktansprüche eines Dritten gegen den obligatorischen HaftpflichtVR des Schädi- 9 gers greift die Parallelregelung in § 115 Abs. 2 S. 3 ein.

B. Regelung der Verjährung I. Verjährungsfrist Infolge des Verzichts des Reformgesetzgebers auf eine versicherungsrechtliche Sonderregelung 10 für die Verjährungsfristen gilt die allgemeine Regelung des § 195 BGB, nach dem die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre beträgt. Damit entfällt auch die unterschiedliche Behandlung von Lebensversicherungsverträgen und anderen Versicherungsverträgen, für die es an einer Rechtfertigung fehlt. Die vom historischen Gesetzgeber aufgeführten Gründe, dass der Berechtigte

13 Looschelders/Pohlmann/Klenk § 15 Rn. 8 f.; Langheid/Wandt/Fausten § 15 Rn. 56; a. A. Prölss/Martin/Armbrüster § 15 Rn. 7 (auch bereicherungsrechtliche Ansprüche sowie auf Treupflichtverstößen beruhende Schadensersatzansprüche); Langheid/Rixecker/Rixecker § 15 Rn. 11 (nicht für Schadensersatzansprüche nach den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB). 14 Bejahend für Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB bzw. aus positiver Vertragsverletzung OLG Bamberg 16.7.2015 – 1 U 129/14 (juris). 15 Langheid/Rixecker/Rixecker § 15 Rn. 11. 16 Vgl. nur Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 305; Langheid/Rixecker/Rixecker § 15 Rn. 11; Langheid/Wandt/ Reiff § 63 Rn. 37. 17 BGH 10.5.1983 – IVa ZR 74/81, VersR 1983 673; OLG Hamm 28.1.1981 – 20 U 193/80, VersR 1981 947; OLG Saarbrücken 7.7.1999 – 5 U 139/99, VersR 2000 358; alle zu § 12 a. F.; Langheid/Wandt/Fausten § 15 Rn. 56. 18 BGH 21.1.2004 – IV ZR 44/03, VersR 2004 361; OLG Karlsruhe 22.4.1998 – 13 U 109/97, VersR 1999 477; OLG Hamm 27.8.2003 – 20 U 12/03, VersR 2004 327; ÖOGH 30.5.2012 – 7 Ob 24/12 y, VersR 2013 338, 340; Langheid/ Wandt/Fausten § 15 Rn. 56.; Prölss/Martin/Armbrüster § 15 Rn. 7. 19 OLG Düsseldorf 28.12.1994 – 4 U 44/94, VersR 1996 623; OLG Hamm 28.1.1994 – 20 U 265/93, VersR 1994 1106. 20 BGH 1.10.1986 – IVa ZR 108/85, VersR 1987 39; BGH 25.6.1986 – IVa ZR 219/84, VersR 1986 803; OLG Koblenz 29.9.2000 – 10 U 1374/99, VersR 2002 557; KG 13.2.1998 – 6 U 3103/96 VersR 2000 86. 21 BGH 6.6.1990 – IV ZR 262/89, VersR 1990 882; BGH 1.10.1986 – IVa ZR 108/85, VersR 1987 39; OLG Stuttgart 9.4.1998 – 7 U 137/97, VersR 1998 750; OLG Köln 11.4.1994 – 5 U 32/93, VersR 1994 1413. 22 Hans. OLG Bremen 23.6.1953 – 2 U 219/52, VersR 1953 450. 913

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§ 15 VVG

Hemmung der Verjährung

häufig erst sehr spät von dem Tode des VN und von seinen Ansprüchen erführe,23 waren schon bisher nicht überzeugend und sind durch § 199 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach es für den Verjährungsbeginn auf die Kenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen ankommt, endgültig unerheblich geworden. Vor allem sind auch die Abgrenzungsfragen darüber, was unter einem Anspruch aus einem Versicherungsvertrag zu verstehen ist, für die Bestimmung der Verjährungsfrist entfallen. Die dreijährige Verjährungsfrist gilt für alle Ansprüche der Vertragsparteien gegeneinander. 11 Eine inhaltlich abweichende, selbstständige Verjährungsregelung gilt für die Ansprüche des geschädigten Dritten in der obligatorischen Haftpflichtversicherung. Nach § 115 Abs. 2 S. 1 unterliegt der Anspruch der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen VN. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Verjährung gegen den ersatzpflichtigen VN beginnt, endet jedoch spätestens in zehn Jahren von dem Schadensereignis an.

II. Beginn der Verjährung 12 Gem. § 199 Abs. 1 beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem erstens der Anspruch entstanden ist und zweitens der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Sieht man von den subjektiven Voraussetzungen ab, ist ein Anspruch entstanden, sobald er erstmals geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann; dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Leistung fällig ist.24

1. Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer 13 a) Ansprüche auf Geldleistungen. Für Ansprüche des VN auf Geldleistungen des VR (hierzu § 14 Rn. 5) bestimmt sich die Fälligkeit nach § 14. Fälligkeit tritt erst mit der Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistungen des VR nötigen Erhebungen ein (§ 14 Rn. 9 ff.). Die Verjährung beginnt deshalb erst mit dem Schluss des Jahres ihrer Beendigung zu laufen.25 Werden die Leistungen, die der VR aus Anlass eines Versicherungsfalles schuldet, zu unterschiedlichen Zeiten fällig, laufen für die einzelnen Teilleistungen auch unterschiedliche Verjährungsfristen.26 Das gilt insbesondere für Haupt- und Zinsforderungen. 14 Ohne Rücksicht auf die Beendigung der Erhebungen tritt die Fälligkeit ein durch unberechtigte Ablehnung der Leistungspflicht durch den VR (§ 14 Rn. 20). Streitig ist, wann die Verjährung beginnt, wenn der VN eine für die Fälligkeit notwendige Mitwirkungshandlung unterlässt, z. B. Auskünfte nicht erteilt oder Unterlagen nicht beibringt. Einige Obergerichte und Teile der Literatur haben sich noch vor der Reform des VVG dafür ausgesprochen, § 11 Abs. 3 a. F., der nunmehr Eingang in § 14 Abs. 2 S. 2 gefunden hat, analog anzuwenden und die Verjährung mit dem Schluss des Jahres beginnen zu lassen, in welchem ohne Verschulden des VN der Anspruch fällig geworden wäre.27 Der BGH28 hat dieser Auffassung u. a. entgegengehalten, dass 23 24 25 26

Motive 86, 87. St. Rspr., vgl. nur BGH 3.8.2017 – VII ZR 32/17, RuS 2018 166 Rn. 14. BGH 19.1.1994 – IV ZR 117/93, VersR 1994 337; 13.3.2002 – IV ZR 40/01, VersR 2002 698. BGH 6.12.2006 – IV ZR 34/05, RuS 2007 103=VersR 2007 537 Rn. 30; BGH 10.5.1983 – IVa ZR 74/81, VersR 1983 673. 27 OLG Hamm 24.10.1990 – 20 U 290/89, VersR 1991 869; OLG Karlsruhe 23.1.1987 – 14 U 184/85, VersR 1988 351; Bruck/Möller/Möller8 § 12 Anm. 13; Prölss/Martin/Prölss27 § 12 Rn. 11; Berliner Kommentar/Gruber § 12 Rn. 15. 28 BGH 13.3.2002 – IV ZR 40/01, VersR 2002 698; BGH 19.1.1994 – IV ZR 117/93, VersR 1994 337; BGH 4.11.1987 – IVa ZR 141/86, VersR 1987 1235; K. Johannsen/Koch

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B. Regelung der Verjährung

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mit dem Abstellen auf das Verschulden des Gläubigers ein dem Gesetz in diesem Zusammenhang fremdes Merkmal eingeführt werde, dass zudem nicht verlässlich genug die Feststellung des maßgeblichen Zeitpunktes gestatte.29 Zudem gebe es keinen allgemeinen Grundsatz, dem zufolge bei Ansprüchen mit einer von der Disposition des Gläubigers abhängenden Fälligkeit die Verjährung schon in dem Zeitpunkt beginne, zu dem der Gläubiger die Fälligkeit herbeiführen könne.30 Eine Vorverlegung des Verjährungsbeginns könne nur in Betracht kommen, wenn der VN durch die Unterlassung seiner Mitwirkung gegen die allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben (§§ 242, 162 BGB) verstoßen habe. Obwohl der Gesetzgeber inzwischen mit § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf Verschulden (grobe Fahr- 15 lässigkeit) für den Beginn der Verjährung abstellt, dieses also kein fremdes Merkmal mehr bildet, hat die Sichtweise des BGH weiterhin seine Berechtigung. Für die vorgeschlagene Analogie besteht kein Bedürfnis. Das Interesse des VR, sich nicht noch nach langer Zeit mit Ansprüchen des VN beschäftigen zu müssen, die dieser binnen kürzerer Zeit hätte klären können, verlangt nicht eine Vorverlegung des Verjährungsbeginns bei jedem Verschulden des VN. Der VR kann nämlich die Mitwirkung im Rahmen von Obliegenheiten verlangen, deren schuldhafte Verletzung zur Leistungsfreiheit führt, wie es insbesondere zur Anzeige- und Auskunftspflicht in den meisten AVB vorgesehen ist. Für die verbleibenden Fälle reicht der allgemeine Schutz gegen Rechtsmissbrauch, der z. B. eingreift, wenn der VN ohne jeden nachvollziehbaren Grund seine Mitwirkung an den Feststellungen verweigert hat.31

b) Ansprüche auf Naturalleistungen aa) Dienstleistungen. In der Haftpflichtversicherung, in der die Hauptleistung des VR in 16 der Abwehr unbegründeter und in der Freistellung des VN von begründeten Ansprüchen Dritter besteht, findet § 14 keine Anwendung. Für die Rechtsschutzleistung des Haftpflichtversicherers gibt § 100 und für den Anspruch auf Freistellung gibt § 106 das Maß (§ 14 Rn. 5).32 Auch in der Rechtsschutzversicherung gilt § 14 nicht.33 Bei ihr besteht nach herrschender Auffassung kein dem Anspruch auf Sorgeleistung und Kostenbefreiung übergeordneter Anspruch, der als solcher verjähren kann und dessen Verjährung sich auch auf erst später fällig werdende Ansprüche auf Kostentragung erstreckt.34 Es kommt für den Beginn der Verjährung vielmehr auf die Fälligkeit der einzelnen Ansprüche an. Diese bestimmt sich nach § 271 BGB (§ 14 Rn. 5). Der Anspruch des VN auf Kostentragung ist erst fällig, wenn er wegen der Kosten in Anspruch genommen wird. Erst dann ist eine auf Kostenbefreiung gerichtete Leistungsklage möglich und zur Unterbrechung der Verjährung nötig.35 Eine vorangegangene Deckungsablehnung des VR ist deshalb für die Fälligkeit dieses Anspruchs ohne Bedeutung.36 Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem erstmals Maßnahmen zur Wahrnehmung der rechtlichen Interessen eingeleitet werden, die Kosten auslösen.

29 BGH 13.3.2002 – IV ZR 40/01, VersR 2002 698; BGH 19.1.1994 – IV ZR 117/93, VersR 1994 337; BGH 4.11.1987 – IVa ZR 141/86, VersR 1987 1235.

30 BGH 13.3.2002 – IV ZR 40/01, VersR 2002 698. 31 Prölss/Martin/Armbrüster § 15 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker § 15 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner § 15 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 15 Rn. 8. 32 Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 20 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 14 Rn. 1. 33 BGH 25.1.2006 – IV ZR 207/04, VersR 2006 404. 34 BGH 25.1.2006 – IV ZR 207/04, VersR 2006 404; BGH 14.4.1999 – IV ZR 197/98, VersR 1999 706 unter Darstellung des Streitstandes; OLG Köln 17.1.2006 – 9 U 103/05, VersR 2006 1212; s. dazu auch Wegener VersR 1991 1121. 35 BGH 25.1.2006 – IV ZR 207/04, VersR 2006 404; BGH 14.4.1999 – IV ZR 197/98, VersR 1999 706; KG 24.4.1990 – 6 U 2186/89 RuS 1991 23, 24. 36 BGH 25.1.2006 – IV ZR 207/04, VersR 2006 404. 915

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Hemmung der Verjährung

17 bb) Sachleistungen. Soweit der VR Naturalersatz zu leisten hat, wie es in der Glasversicherung nach § 7.1 AGIB 2010 vorgesehen ist, bestimmt sich die Fälligkeit nach § 271 BGB, d. h. der VN kann die Leistung sofort verlangen. Das ist in älteren Bedingungswerken nach § 14 AGIB für den VR durch die Berücksichtigung des Verschuldens dahin abgemildert worden, dass er den Reparaturauftrag unverzüglich zu erteilen hat und Hemmung eintritt, solange der Reparaturauftrag infolge eines Verschuldens des VN nicht erteilt werden kann.

2. Ansprüche des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer 18 Für die Verjährung von Prämienansprüchen ist § 33 zu beachten, der die Fälligkeit von Prämienansprüchen regelt und hierfür an den Zugang des Versicherungsscheins bzw. bei Einziehung der Prämie durch den VR an dessen Aufforderung anknüpft. 19 Für Rückforderungsansprüche des VR, soweit sie sich aus dem Versicherungsvertrag herleiten und deshalb § 15 unterliegen, hat die Rechtsprechung angenommen, dass es für den Verjährungsbeginn nicht auf die Kenntnis vom Bestand des Rückforderungsanspruchs ankommt, sondern auf die Kenntnis des VR von den Tatsachen, aus denen sich die Berechtigung des Rückforderungsanspruchs ergibt.37 Insoweit gelten hier die gleichen Grundsätze wie für gesetzliche Bereicherungsansprüche, die nach hier vertretener Ansicht jedoch nicht von § 15 erfasst werden (Rn. 6).38

C. Hemmung der Verjährung gem. § 15 I. Allgemeines 20 Nach § 15 ist bei Anmeldung eines Anspruchs aus dem Versicherungsvertrag (Rn. 6) die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des VR dem Anspruchsteller in Textform zugeht. Mit dem Begriff der Hemmung verweist das Gesetz auf § 209 BGB. Danach wird der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet. Bildhaft gesprochen wirkt die Hemmung wie das „Anhalten des Zeigers einer Uhr“.39 Das bedeutet, dass die Verjährung, wenn sie bereits begonnen hat, zwischen Anmeldung des Anspruchs und Entscheidung des VR nicht weiterläuft und erst vollendet ist, wenn soviel Zeit abgelaufen ist, als an der Verjährungsfrist noch fehlte. Hatte die Verjährung noch nicht begonnen, so wird durch die Hemmung der Zeitpunkt, an dem die Verjährung beginnt, nicht verändert.40 Fällt die Fälligkeit des Anspruchs gemäß § 14 mit der Leistungsablehnung des Versicherers zusammen, kommt § 15 keine Regelungswirkung zu.41

II. Eintritt der Hemmung 21 Voraussetzung der Hemmung ist die Anmeldung eines Anspruchs aus dem Versicherungsvertrag. Die Anmeldung erfolgt meistens durch eine Schadensanzeige, die den Voraussetzungen genügt, wenn sich aus ihr ergibt, dass Leistungen aus dem Versicherungsvertrag begehrt

37 BGH 19.1.1994 – IV ZR 117/93, VersR 1994 337. 38 Vgl. BGH 29.1.2008 – XI ZR 160/07, NJW 2008 1729 Rn. 26; vgl. auch BGH 13.1.2015 – XI ZR 303/12, BGHZ 204 30=NJW 2015 1948 Rn. 19.

39 BeckOGK/Meller-Hannich § 209 BGB Rn. 1. 40 BGH 25.4.2017 – VI ZR 386/16, NJW 2017 3144 Rn. 12 m.w.N; KG 20.5.2016 – 6 U 47/16, RuS 2017 296. 41 KG 20.5.2016 – 6 U 47/16, RuS 2017 296; Prölss/Martin/Armbrüster § 15 Rn. 14. K. Johannsen/Koch

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C. Hemmung der Verjährung gem. § 15

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werden.42 Eine Bezifferung des Anspruchs ist nicht erforderlich.43 In der Rechtsschutzversicherung reicht die Übersendung eines Kostenfestsetzungsbescheides aus.44 Schuldet der Versicherer mehrere Leistungen aus einem Vertrag (z. B. Unfallversicherung) oder mehreren Verträgen (Kfz-Haftpflicht-, Kasko-, Autoschutzbrief-, Unfall- und Fahrerschutzversicherung sind z. B. selbständige Verträge) und ist nicht klar, welche Leistungen der VN begehrt, reicht die Anmeldung im Regelfall nicht aus.45 Es kann sich aber aus den Umständen, insbesondere aus den eingereichten Unterlagen für den VR dennoch ergeben, dass bestimmte Leistungen verlangt werden, z. B. Invaliditätsleistungen bei einer mitgeteilten Querschnittslähmung46 oder die Todesfallentschädigung aus einer Kfz-Unfallversicherung, wenn der VN in der Schadensanzeige angibt, dass ein Beifahrer infolge des Unfalls verstorben ist.47 Im Grunde gelten für die Anmeldung ähnliche Anforderungen, wie sie für die Hemmung 22 der Verjährung durch Rechtsverfolgung im Mahnbescheidsverfahren gelten, d. h. der geltend gemachte Anspruch muss hinreichend individualisiert sein. Er muss sich durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterscheiden, dass der VR erkennen kann, welcher Anspruch oder welche Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden.48 Bei einer Kreditversicherung muss die Schadensanzeige deshalb unter Bezeichnung des jeweiligen Forderungsausfalls angemeldet werden.49 Zu beachten ist, dass der VR bei einer Schadensanzeige, die diese Anforderungen nicht erfüllt, aus § 6 Abs. 4 verpflichtet ist, auf eine Konkretisierung hinzuwirken. Unterlässt er dies, kann er sich nach § 242 BGB nicht auf eine infolge der Unbestimmtheit der Anmeldung eingetretene Verjährung berufen.50 Die Anmeldung hängt nicht von der Stellung das Anmelders als Partei des Versicherungs- 23 vertrages ab. Entscheidend ist die materielle Berechtigung des Anmeldenden (Rn. 8).51 In der freiwilligen Haftpflichtversicherung ist der Geschädigte – anders als in der obligatorischen Haftpflichtversicherung (§ 115 Abs. 2 S. 3) – nur dann zur Anmeldung berechtigt, wenn der Freistellungsanspruch des VN auf ihn übergegangen ist (durch Abtretung oder Pfändung und Überweisung oder in der Insolvenz des VN). Werden aus einem Schadensereignis Ansprüche nicht nur gegen den VN, sondern auch gegen versicherte Personen geltend gemacht, für die der VN einstehen muss (z. B. Mitarbeiter in der Betriebs- und minderjährige Kinder in der Privathaftpflichtversicherung), wirkt die Anmeldung durch den VN oder eine versicherte Person für den jeweils anderen.

III. Ende der Hemmung 1. Entscheidung des Versicherers Die durch die Anmeldung des Anspruchs begründete Hemmung dauert bis zum Zugang der Ent- 24 scheidung des VR beim materiell Berechtigten. Die Entscheidung, d. h. die eindeutige abschlie-

42 BGH 19.9.2001 – IV ZR 224/00, VersR 2001 1497, 1498; BGH 25.1.1978 – IV ZR 122/76, VersR 1978 313; BGH 5.3.1964 – II ZR 208/62, VersR 1964 477; BGH 29.9.1960 – II ZR 135/58, VersR 1960 988 = NJW 1960 2187; BGH 20.1.1955 – II ZR 108/54, VersR 1955 97; OLG Köln 10.6.2008 – 9 U 144/07, VersR 2009 391. 43 BGH 25.1.1978 – IV ZR 122/76, VersR 1978 313; Landheid/Wandt/Fausten § 15 Rn. 60. 44 KG 24.4.1990 – 6 U 2186/89, RuS 1991 23, 24. 45 OLG Köln 14.4.1999 – 5 U 206/98, RuS 2000 303; OLG Hamm 13.1.1993 – 20 U 224/92 VersR 1993 1473; OLG Koblenz 28.6.1991 – 10 U 1862/89, RuS 1992 322. 46 Römer/Langheid/Römer2 § 12 Rn. 22. 47 OGH 17.9.1992 – 7 Ob 17/92, 7 Ob 18/92, VersR 1993 1039. 48 OLG Köln 12.7.2005 – 9 U 154/04, OLGR 2006 550; vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker § 15 Rn. 2. 49 OLG Köln 12.7.2005 – 9 U 154/04, OLGR 2006 550. 50 In diese Richtung auch Langheid/Wandt/Fausten § 15 Rn. 64. 51 Looschelders/Pohlmann/Klenk § 15 Rn. 12. 917

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Hemmung der Verjährung

ßende Stellungnahme zu Grund und Umfang der Leistungspflicht,52 stellt eine Obliegenheit des VR gegenüber dem VN dar.53 Solange der VR die Entscheidung nicht trifft, bleibt der Anspruch gehemmt. Die Entscheidung kann in der Ablehnung von Ansprüchen aber auch in ihrer Anerkennung liegen.54 Werden die Ansprüche nur z. T. anerkannt, muss der VN klar erkennen können, in welchem Umfang eine Ablehnung erklärt worden ist.55 Die Entscheidung muss dem Anspruchssteller in Textform (§ 126b BGB) zugehen. Eine Belehrung über die Rechtsfolgen der Entscheidung, insbesondere einen Hinweis auf die Beendigung der Hemmung braucht sie nicht zu enthalten.56

2. Fehlendes Verfolgungsinteresse des Versicherungsnehmers 25 Auch ohne Entscheidung des VR soll die Hemmung nach der Rechtsprechung enden, wenn der VN den Anspruch offensichtlich nicht weiterverfolgt.57 Diese Auffassung wird begründet mit der fehlenden Schutzbedürftigkeit des VN, der obwohl er dazu in der Lage sei, seine Ansprüche nicht verfolge und deshalb einen ablehnenden Bescheid auch gar nicht erwarte. Der BGH hat in einer Entscheidung zu dem § 12 Abs. 2 a. F. nachgebildeten § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a. F. (nunmehr § 115 Abs. 2 S. 3),58 auf die sich die Gerichte z. T. berufen, ausgeführt, dass die schriftliche Entscheidung des VR grundsätzlich erforderlich und dem VR auch zumutbar sei. Ausnahmen hat er nur aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zugelassen, wenn die Erteilung eines schriftlichen Bescheids aus der Sicht beider Parteien nur eine leere Förmelei sei. Die bloße Untätigkeit des VN während eines längeren Zeitraums genüge hierfür aber nicht. Dem ist zuzustimmen. Diesen strengen Anforderungen werden aber nicht alle zitierten Gerichtsentscheidungen gerecht.59 Insbesondere ist es für die Beendigung der Hemmung nicht ausreichend, wenn der VR in einer Stellungnahme auf zur Zeit noch fehlende Unterlagen hinweist.60 Es ist ihm vielmehr zuzumuten, dass er nach vergeblichem Ablauf einer für die Beibringung der Unterlagen angemessenen Frist den Anspruch endgültig bescheidet, wenn er die Hemmungswirkung beenden will. In jedem Fall ist Voraussetzung für ein Ende der Hemmung wegen offensichtlicher Nichtverfolgung des Anspruchs, dass der VR auf die Schadensmeldung reagiert hat.61

IV. Wiederaufleben der Hemmung durch neue Verhandlungen 26 Nicht selten nehmen die Parteien – auf Initiative des VN – die Verhandlungen nach der Entscheidung des VR wieder auf. In diesem Fall tritt Hemmung der Verjährung gem. § 15 ein, bis der VR erneut entschieden hat. Voraussetzung für das Wiederaufleben der Hemmung ist, dass 52 OLG Köln 17.9.1987 – 5 U 12/87, VersR 1987 1210; OLG Köln 18.4.1991 – 5 U 147/90, RuS 1991 254; OLG Düsseldorf 31.3.1998 – 4 U 78/97, VersR 1999 873. 53 KG 24.4.1990 – 6 U 2186/89, RuS 1991 23, 24. 54 BGH 30.4.1991 – VI ZR 229/90, VersR 1991 878, 879; OLG Düsseldorf 31.3.1998 – 4 U 78/97, VersR 1999 873. 55 OLG Köln 18.4.1991 – 5 U 147/90, RuS 1991 254. 56 OLG Köln 23.9.1982 – 5 U 53/82, VersR 1983 774; LG Düsseldorf 16.9.1993 – 11 O 320/92, VersR 1995 566; ÖOGH 26.1.1978 – 7 Ob 73/77 VersR 1978 955. 57 OLG Saarbrücken 16.7.2008 – 5 U 157/08-17, RuS 2009 165; OLG Düsseldorf 3.8.1999 – 4 U 175/ 98 VersR 2000 756, 757; OLG Düsseldorf 31.3.1998 – 4 U 78/97, VersR 1999 873; OLG Oldenburg 9.2.2000 – 2 U 272/99 RuS 2001 480 (BGH hat die Revision durch Beschl. v. 22.11.00 – IV ZR 75/00 nicht angenommen); OLG Hamm 19.12.1990 – 20 U 190/90, RuS 1991 289; OLG Celle 20.10.1994 – 8 U 164/93, VersR 1995 1173; LG Hamburg 26.11.2007 – 306 O 119/07, VersR 2008 907; zustimmend Langheid/Rixecker/Rixecker § 15 Rn. 15 (Fall der Verwirkung); Prölss/Martin/ Armbrüster § 15 Rn. 19. 58 BGH 14.12.1976 – VI ZR 1/76, VersR 1977 335. 59 Zutreffend aber OLG Hamm 14.7.1993 – 20 U 6/93, VersR 1994 465, 466. 60 So OLG Düsseldorf 31.3.1998 – 4 U 78/97, VersR 1999 873. 61 LG Mönchengladbach 16.7.1999 – 2 S 108/99, NVersZ 2000 139, 140. K. Johannsen/Koch

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D. Sonstige Hemmungstatbestände

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der VR zu erkennen gibt, dass er die ablehnende Entscheidung nicht aufrechterhalten will, die Frage seiner Leistungspflicht wieder als offen betrachtet und daher erneut abschließend entscheiden will.62 Hierfür reicht es aus, dass der VR Fragen des VN an den Sachverständigen weiterleitet,63 der Versicherungsvertreter eine Ortsbesichtigung durchführt64 oder der VR nach Ablehnung lediglich kulanzhalber eine erneute Prüfung der Sach- und Rechtslage zusagt.65

D. Sonstige Hemmungstatbestände Neben § 15 kommen auch die Hemmungstatbestände des allgemeinen bürgerlichen Rechts 27 (§§ 203–206 BGB) zur Anwendung.66

I. Verhandlungen (§ 203 BGB) Nach § 203 BGB ist die Verjährung durch das Schweben von Verhandlungen über den An- 28 spruch oder die den Anspruch begründenden Umstände gehemmt, bis der Gläubiger oder der Schuldner die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Zum Schutz des Gläubigers vor einem abrupten Abbruch der Verhandlungen gegen Ende der Verjährungsfrist sieht § 203 S. 2 BGB darüber hinaus vor, dass die Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung eintritt, sogenannte Ablaufhemmung. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift werden häufig neben denen des § 15 erfüllt sein, z. B. wenn nach Anmeldung des Anspruchs Verhandlungen über ihn geführt oder nach seiner Ablehnung fortgesetzt werden (Rn. 26). Dann gelten beide Hemmungstatbestände uneingeschränkt nebeneinander und laufen die Zeiträume der Hemmung nebeneinander her, sie werden nicht etwa addiert.67 Wegen der Nachfrist des § 203 S. 2 BGB wird sich häufig die Frist des § 203 BGB durchsetzen. Die Voraussetzungen des § 203 BGB sind nach einer negativen Entscheidung des VR über 29 den angemeldeten Anspruch aber nur erfüllt, wenn der VR zu erkennen gibt, dass er die ablehnende Entscheidung nicht aufrechterhalten wolle68 oder zumindest die Berechtigung des Anspruchs als offen ansieht.69 Denn der Begriff der Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB setzt voraus, dass es unter den Parteien zu einem Meinungsaustausch kommt, auf Grund dessen der Gläubiger davon ausgehen darf, dass sein Begehren von der Gegenseite noch nicht endgültig abgelehnt wird.70 Eine Aufnahme von Verhandlungen ist z. B. zu bejahen, wenn der VR auf die Bitte des Gläubigers auf die Einrede der Verjährung verzichtet.71 62 OLG Frankfurt/M. 16.9.2009 – 7 U 257/08, VersR 2009 1394, 1395; OLG Köln 10.6.2008 – 9 U 144/07, VersR 2009 391, 393; OLG Hamm 24.11.2000 – 20 U 108/00, VersR 2001 1269, 1270; OLG Nürnberg 5.8.1999 – 8 U 875/98, VersR 2000 965, 966; OLG Karlsruhe 1.10.1998 – 12 U 112/98, NVersZ 1999 393, 394; LG Düsseldorf 16.9.1993 – 11 O 320/ 92, VersR 1995 566; vgl. auch OLG Koblenz 14.11.2008 – 10 U 592/07, VersR 2009 771, 772. 63 OLG Hamm 18.4.1980 – 20 U 263/79, VersR 1981 727, 728. 64 OLG Düsseldorf 31.3.1998 – 4 U 78/97, VersR 1999 873, 875. 65 OLG Saarbrücken 12.11.2008 – 5 U 216/08-23, VersR 2009 976, 977. 66 H.M., vgl. Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 203 Rn. 20 mit zahlreichen Nachw.; kritisch aber Voßiek in Dörner Forum Versicherungsrecht 2006 S. 225, 234 mit der Begründung, dass die versicherungsrechtliche Hemmung hierdurch „ausgehöhlt“ werde. 67 Vgl. LG Köln 7.3.2018 – 20 O 384/17 (juris); Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 203 Rn. 20. 68 OLG Hamm 24.11.2000 – 20 U 108/00, VersR 2001 1269; OLG Nürnberg 5.8.1999 – 8 U 875/98, VersR 2000 965, 966; OLG Hamm 22.11.1991 – 20 U 145/91, RuS 1992 146. 69 OLG Hamm 14.7.1993 – 20 U 6/93, VersR 1994 465, 466; 18.4.1980 – 20 U 263/79, VersR 1981 727; OLG Köln 17.9.1987 – 5 U 12/87, VersR 1987 1210, 1211. 70 BGH 26.10.2006 – VII ZR 194/05, VersR 2007 705; BGH 17.2.2004 – VI ZR 429/02, NJW 2004 1654 zu der insoweit inhaltsgleichen Vorschrift des § 852 a. F. BGB; Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 203 Rn. 7 m. w. N. 71 BGH 27.1.2005 – VII ZR 158/03, VersR 2005 554; BGH 17.2.2004 – VI ZR 429/02 VersR 2004 656=NJW 2004 1654. 919

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Hemmung der Verjährung

Beziehen sich die Verhandlungen nur auf einen Teil der Ansprüche aus einem einheitlichen Ereignis, so tritt die Hemmungswirkung auch nur teilweise ein. Verhandeln die Parteien beispielsweise nach Ablehnung sämtlicher Ansprüche aus einem Unfall erneut über eine Invaliditätsentschädigung, wird die Verjährung des Anspruchs auf Krankentagegeld nicht gehemmt.72

II. Rechtsverfolgung (§ 204 BGB) 31 § 204 BGB betrifft die Hemmung der Verjährung durch Rechtverfolgung, die u. a. bei Erhebung einer Deckungsklage eintritt (Abs. 1 Nr. 1). Praktisch bedeutsam ist das Schlichtungsverfahren vor dem Ombudsmann für Versicherungen, auf das Abs. 1 Nr. 4 lit. b) i. V. m. § 12 Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns (VomVO) Anwendung findet. Nach § 12 Abs. 1 S. 1 VomVO gilt gegenüber dem VR die Verjährung für streitbefangene Ansprüche des VN während der Dauer des gesamten Verfahrens als gehemmt. Das Verfahren beginnt mit dem Zugang der Beschwerde des VN beim Ombudsmann (§ 3 VomVO) und endet gem. § 10 Abs. 5 S. 2 VomVO mit Kenntnisnahme der abschließenden Mitteilung des Ombudsmanns durch den VN, spätestens drei Tage nach deren Versand. Davon unberührt bleibt die 6-Monatsfrist (Nachlauffrist) des § 204 Abs. 2 S. 1 BGB (vgl. auch § 12 Abs. 1 S. 2 VomVO), die für den VN dann von Bedeutung ist, wenn er mit der Entscheidung des Ombudsmanns nicht einverstanden ist. Wurde der Ombudsmann bspw. einen Monat vor Ablauf der Verjährungsfrist angerufen, so verjährt der Anspruch nicht 6 Monate nach Beendigung des Verfahrens, sondern nach 7 Monaten (6 Monate Nachlauffrist plus 1 Monat infolge der Anwendung des § 209 BGB). 32 Darüber hinaus tritt Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 14 durch die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ein.73 Die Hemmung der Verjährung durch die in § 204 BGB aufgeführten Fälle der Rechtsverfol33 gung endet – wie soeben erwähnt – nach Abs. 2 S. 1 grundsätzlich bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Erledigung des eingeleiteten Verfahrens. Gerät das Verfahren in Stillstand, weil die Parteien es nicht betreiben, so tritt gem. Abs. 2 S. 3 an die Stelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befassten Stelle. Die Hemmung bezieht sich wie die frühere Unterbrechung der Verjährung bei einer Teilklage nur auf den eingeklagten Teilanspruch.74

III. Leistungsverweigerungsrecht (§ 205 BGB) 34 Von den weiteren im BGB geregelten Hemmungstatbeständen ist für Versicherungsansprüche insbesondere relevant § 205 BGB, der Hemmung der Verjährung anordnet, solange der Schuldner auf Grund einer Vereinbarung mit dem Gläubiger vorübergehend zur Verweigerung der Leistung berechtigt ist. Derartige Vereinbarungen finden sich häufig in AVB, können aber auch individuell bei der Abwicklung eines Versicherungsfalls getroffen werden. Sie sind stillschweigend auch in Teilungsabkommen zwischen HaftpflichtVR und Sozialversicherungsträger enthalten.75

72 OLG Hamm 22.11.1991 – 20 U 145/91, RuS 1992 146; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 15 Rn. 33. 73 Eine Hemmung tritt aber nicht ein, wenn das Gericht die Bekanntgabe unterlässt, vgl. BGH 24.1.2008 – IX ZR 195/06, VersR 2008 1119. 74 BGH 27.6.2001 – IV ZR 130/00, VersR 2001 1013; OLG Hamm 5.3.2006 – 20 U 236/05, RuS 2007 314; a. A. OLG Nürnberg 21.3.2002 – 8 U 2788/02, VersR 2003 846. 75 BGH 13.12.1977 – VI ZR 14/76, NJW 1978 2506. K. Johannsen/Koch

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F. Vereinbarungen über die Verjährung

VVG § 15

IV. Ablaufhemmung bei nicht voll Geschäftsfähigen (§ 210 BGB) Für Ansprüche geschäftsunfähiger oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkter Personen 35 ohne gesetzliche Vertreter gilt die Ablaufhemmung des § 210 BGB, wonach die Verjährung nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt eintritt, in welchem die Person unbeschränkt geschäftsfähig oder der Mangel der Vertretung behoben wird. Nach dieser Vorschrift wird lediglich die Vollendung der Verjährung hinausgeschoben, aber der Beginn und die Dauer der Verjährungsfrist nicht beeinflusst.76

E. Neubeginn der Verjährung (§ 212 BGB) Neubeginn der Verjährung nach § 212 BGB bedeutet, dass der bisher verstrichene Teil der Ver- 36 jährungsfrist unbeachtlich bleibt, sie also mit dem einschlägigen Ereignis neu anfängt.77 Diese Wirkung ist auf zwei Fälle beschränkt worden, nämlich auf das Anerkenntnis des Schuldners und Vollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers. Nach der Rechtsprechung genügt für einen Neubeginn der Verjährung durch Anerkenntnis jedes – auch ein rein tatsächliches – Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich das Bewusstsein vom Bestehen des Anspruchs – wenigstens dem Grunde nach – unzweideutig ergibt und das deswegen das Vertrauen des Gläubigers begründet, dass sich der Schuldner nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist alsbald auf Verjährung berufen wird. Für einen Neubeginn der Verjährung genügt es dagegen nicht, wenn der Verpflichtete – insbesondere bei bestehenden Einwendungen dem Grunde nach – nur aus Kulanz oder zur gütlichen Beilegung eines Streits eine Leistung anbietet.78 Ob ein Anerkenntnis „durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise“ gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorliegt, ist somit durch sorgfältige Auslegung der Handlungen des Schuldners zu ermitteln. Zahlungen eines HaftpflichtVR verbunden mit Erläuterungen zu ihrer Höhe stellen im Regelfall ein Anerkenntnis dar.79 § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB setzt für den Neubeginn der Verjährung voraus, dass eine Vollstre- 37 ckungshandlung vorgenommen oder ein entsprechender Antrag gestellt wird, und bezieht sich damit auf die Fälle, in denen der Anspruch bereits tituliert ist. Zu beachten ist hierbei, dass die Wirkung als nicht eingetreten gilt, wenn die Vollstreckungshandlung aufgehoben (Abs. 2), dem Antrag nicht stattgegeben oder er vor der Vollstreckungshandlung zurückgenommen oder die erwirkte Vollstreckungshandlung aufgehoben wird (Abs. 3).

F. Vereinbarungen über die Verjährung ENach § 202 BGB sind Vereinbarungen zulässig, in denen auf die Einrede der Verjährung verzich- 38 tet wird. Ein konkludenter Verzicht auf die Einrede der Verjährung seitens des VR ist anzunehmen, wenn dieser gegenüber dem VN zu erkennen gibt, dass er dessen Ansprüche nur mit sachlichen Einwendungen bekämpfen werde.80 Das ist insbesondere der Fall, wenn der HaftpflichtVR darauf hinweist, dass der Ausgang des von ihm als vorgreiflich angesehenen Deckungsprozesses abgewartet werden sollte,81 oder wenn der VR, der von dem Eintritt der Verjährung weiß oder mit

76 77 78 79

OLG Hamm 24.11.2000 – 20 U 108/00, VersR 2001 1269. Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 212 Rn. 1. St. Rspr., vgl. nur BGH 6.11.2018 – XI ZR 369/18, WM 2018 2356 Rn. 10 m. w. N. BGH 11.10.2006 – IV ZR 329/05, VersR 2006 1676; anders die Vorinstanz OLG Frankfurt 17.6.2005 – 24 U 48/05, VersR 2005 1525. 80 BGH 4.11.1997 – VI ZR 375/96, NJW 1998 902, 903. 81 BGH 18.12.1980 – IVa ZR 51/80, VersR 1981 328. 921

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§ 15 VVG

Hemmung der Verjährung

der Möglichkeit der Verjährung rechnet, erklärt, er werde im Fall des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen zahlen.82 39 Ein stillschweigender Verzicht ist aber nicht anzunehmen, wenn der VR die Klagfrist nach § 12 Abs. 3 a. F. gesetzt hat, die erst nach Eintritt der Verjährung abgelaufen ist. Der VN konnte aus diesem Verhalten des VR nicht schließen, dass dieser die Verjährungsfrist geprüft habe, aber aus der künftigen Verjährung keine Rechte habe ableiten wollen.83 Das gleiche gilt, wenn der VR eine Klagfrist setzt, nachdem er sich bereits auf Verjährung berufen hatte.84

G. Abdingbarkeit 40 § 15 ist nach § 18 halbzwingend. Deshalb kann eine abweichende Vereinbarung, durch die zum Nachteil des VN die Hemmung der Verjährung ausgeschlossen oder zeitlich beschränkt wird, nicht wirksam getroffen werden. Ist ein Großrisiko i. S. v. § 210 Abs. 2 versichert oder handelt es sich um eine laufende Versicherung, unterliegen Beschränkungen dieses Rechts der Inhaltsund Transparenzkontrolle gem. §§ 307 ff. BGB. Die Vereinbarung einer Ausschlussfrist nach dem Vorbild des § 12 Abs. 3 a. F. ist allerdings als Abweichung von dem gesetzlichen Leitbild entsprechend § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB als unwirksam anzusehen.85

H. Beweisfragen 41 Die Voraussetzungen des Eintritts der Verjährung, also insbesondere den Beginn und Ablauf der Verjährungsfrist muss derjenige beweisen, der sich auf Verjährung beruft.86 Hinsichtlich der Hemmung der Verjährung nach § 15 trägt der VN die Beweislast.87 Er muss darlegen und beweisen, dass er den Versicherungsanspruch angemeldet hat. Bezieht er sich hierfür auf die Schadensakte des VR und kann dieser sie nicht vorlegen, kehrt sich allerdings die Beweislast um, da der VR verpflichtet ist, die für den Anspruch des VN erheblichen Unterlagen aufzubewahren.88 Für die Hemmung nach § 203 BGB hat der Gläubiger die ihm günstige Tatsache des Beginns der Verhandlungen darzulegen und zu beweisen, der Schuldner aber ihr Ende.89

I. Österreichisches Recht 42 Der früher im Wesentlichen § 12 a. F. entsprechende § 12 VersVG ist durch die Novelle von 199490 entscheidend verändert worden. Die Verjährungsfrist für Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag ist durch § 12 Abs. 1 einheitlich auf drei Jahre festgelegt worden. Hinsichtlich der Qualifikation von Rückforderungsansprüchen des VR vertritt der ÖOGH die gleiche Position wie der BGH. § 12 Abs. 1 VersVG findet nur auf vertragliche Rückforderungsansprüche, nicht hingegen auf gesetzliche Breicherungsansprüche Anwendung.91 82 83 84 85

OLG Hamm 15.12.1994 – 27 U 39/94, VersR 1996 243, 245. OLG München 29.4.2003 – 25 U 1669/03, VersR 2003 845. LG Düsseldorf 4.4.2002 – 11 O 483/01, RuS 2003 142. OLG Köln 1.3.2011 – 9 U 166/10, VersR 2011 1123, 1124 f.; Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 116; Prölss/Martin/ Armbrüster § 15 Rn. 25; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 15 Rn. 41; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2701. 86 BGH 23.1.2007 – XI ZR 44/06, VersR 2007 1090 Rn. 32; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 15 Rn. 41; Baumgärtel/Prölss § 12 Rn. 1; Hansen S. 122; Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 199 Rn. 84. 87 Looschelders/Pohlmann/Klenk § 15 Rn. 37; Langheid/Wandt/Fausten § 15 Rn. 89; Baumgärtel/Prölss § 12 Rn. 1. 88 KG 24.4.1990 – 6 U 2186/89, RuS 1991 23, 24; OLG Stuttgart 12.12.1991 – 7 U 143/91 VersR 1992 954. 89 Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 203 Rn. 19. 90 BGBl. 1994 I 509. 91 ÖOGH 10.9.2003 – 7 Ob 191/03v, VersR 2005 1415. K. Johannsen/Koch

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I. Österreichisches Recht

VVG § 15

Der Beginn der Verjährung ist nicht mehr im VersVG besonders geregelt. Er richtet sich nach § 1478 ABGB, wonach die Verjährung mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem das Recht hätte ausgeübt werden können.92 Da für die Fälligkeit weiterhin der Abschluss der Erhebungen nach § 11 VersVG maßgebend ist, hat sich für den Beginn der Verjährung nichts Entscheidendes geändert.93 Besonders geregelt ist der Fall, dass der Anspruch einem Dritten zusteht. In diesem Fall beginnt die Verjährung zu laufen, sobald dem Dritten sein Recht auf die Leistung bekannt geworden ist. Die absolute Verjährungsfrist beträgt zehn Jahre. Dritter ist jeder, der nicht VN und einen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag hat (z. B. versicherte Personen, Bezugsberechtigte), nicht jedoch der geschädigte Dritte in der obligatorischen Haftpflichtversicherung.94 Für den Direktanspruch des Geschädigten in der Kfz-Haftpflichtversicherung regelt § 27 Abs. 1 KHVG, dass die Verjährung des Schadenersatzanspruchs gegen den VR spätestens zehn Jahre nach dem Schadensereignis endet. Die Hemmung der Verjährung nach § 12 Abs. 2 VersVG durch Anmeldung des Anspruchs bei dem VR kann nur durch eine begründete Entscheidung des VR beendet werden und zwar „zumindest mit der Anführung einer der Ablehnung derzeit zugrunde gelegten Tatsache und gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmung“. Das bedeutet, dass der VR zwar gehalten ist, einen sich aus Gesetz oder Vertrag ergebenden Ablehnungsgrund unter Angabe von Tatsachen mitzuteilen, aber nicht sämtliche ihm bekannten Ablehnungsgründe vollständig darzulegen. Er kann auch später weitere Gründe nachschieben. Keine Begründungspflicht besteht, wenn der VR die Ansprüche anerkennt.95 Auch für die Hemmung ist eine absolute Frist von zehn Jahren vorgesehen. Auf den Zugang des begründeten Ablehnungsschreibens, durch den die Hemmung beendet wird, ist für den Beginn der Verjährungsfrist auch dann abzustellen, wenn sie ohne den Hemmungsgrund schon früher beginnen würde.96 Auch § 12 Abs. 3 VersVG ist durch die Novelle von 1994 erheblich verändert worden. Die Klagfrist ist von sechs Monaten auf ein Jahr erstreckt worden. Die Deckungsablehnung muss in einer § 12 Abs. 2 VersVG entsprechenden Weise begründet werden. Außerdem sind zwei Hemmungstatbestände eingeführt worden. Die Frist ist für die Dauer von Vergleichsverhandlungen über den erhobenen Anspruch gehemmt und für die Zeit, in der der VN ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs gehindert ist. Der erste Tatbestand diente nur der Klarstellung, Vergleichsverhandlungen führten auch nach der bisherigen Rechtsprechung des ÖOGH97 dazu, dass der VR sich nicht auf Leistungsfreiheit wegen Fristablaufs berufen durfte. Hingegen war es nach der Rechtsprechung des ÖOGH für die Leistungsfreiheit ohne Bedeutung, ob den VN ein Verschulden an der Fristversäumung traf. Auch für die Annahme eines Verstoßes des VR gegen Treu und Glauben reichte dieser Umstand bisher nicht aus.98

92 Vgl. nur ÖOGH 19.6.2013 – 7Ob93/13x ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00093.13X.0619.000 m. w. N. 93 Vgl. nur ÖOGH 19.6.2013 – 7Ob93/13x ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00093.13X.0619.000 m. w. N.; Fenyves/ Schauer/Gruber § 12 Rn. 10; Fenyves/Kronsteiner/Schauer § 12 Rn. 3. Fenyves/Schauer/Gruber § 12 Rn. 15. ÖOGH 25.2.2004 7 Ob 268/03 t ECLI:AT:OGH0002:2004:0070OB00268.03T.0225.000. ÖOGH 27.6.2001 – 7 Ob 138/01x, VersR 2001 1583. 11.5.1978 – 7 Ob 26/78, VersR 1979 169. ÖOGH 11.5.1978 – 7 Ob 26/78, VersR 1979 169; für die Abschaffung des § 12 Abs. 3 VersVG Fenyves/Schauer/ Gruber § 12 Rn. 37.

94 95 96 97 98

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§ 16 Insolvenz des Versicherers (1) Wird über das Vermögen des Versicherers das Insolvenzverfahren eröffnet, endet das Versicherungsverhältnis mit Ablauf eines Monats seit der Eröffnung; bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es der Insolvenzmasse gegenüber wirksam. (2) Die Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes über die Wirkungen der Insolvenzeröffnung bleiben unberührt.

Schrifttum Backes Die Insolvenz des Versicherungsunternehmens, Diss. Hamburg 2003; Bähr Insolvenz von Versicherungsunternehmen, Forum Versicherungsrecht (2006); Fricke Die VAG Novelle 2004, VersR 2005 161; Großfeld/Schemmann Versicherungsunternehmen im Reorganisations- und Liquidationsverfahren, ZIP 1998 1180; Heiss/Götze Zur deutschen Umsetzung der Richtlinie 2001/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.3.2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen, NZI 2006 1; Henning Die Zwangsliquidation von Versicherungsunternehmen (1998); Hogrefe Der Prämienanspruch des Kautionsversicherers in der Insolvenz des VN, VersR 2007 1489; Kollhosser/Goos Das neue Insolvenzrecht im Versicherungsaufsichtsrecht, FS Walter Gerhardt (2004) 487; Kühnlein Die Liquidation von Versicherungsunternehmen, VW 1994 102; Männle Die Richtlinie 2001/17/ EG über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen und ihre Umsetzung ins deutsche Recht (2007); Maus Der Konkurs der Lebensversicherungsgesellschaft, Diss Köln 1993; Präve Der Sicherungsfonds für die Lebensversicherung, VersR 2005 170; R. Schmidt Rechtsfragen zum Konkurs von Versicherungsunternehmen – unter besonderer Berücksichtigung der Konkursabwendung, FS Schwebler (1986) 419; K. Sieg Abwicklung von Schäden im Konkurs des Haftpflicht-Versicherers, VersR 1964 693; ders. Richterliche Rechtsfortbildung beim Insolvenzschutz der betrieblichen Altersversorgung, FS Schwebler (1986) 437; ders. Neuere Rechtsprechung zum Insolvenzrecht im Blickfeld der Versicherung, VersR 1992 1161; ders. Der finanzielle Schutz des Versicherungsnehmers gegen und bei Insolvenz des Versicherers, FS Möller (1992) 463; Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer (Hrsg.) Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung 4. Aufl. (2019); Uhlenbruck/Hirte/Vallender (Hrsg.) Insolvenzordnung 14. Aufl. (2015).

Übersicht 1

3.

A.

Einleitung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen 6 des Versicherers

I.

Allgemeines

II. 1. 2.

10 Auswirkungen der Insolvenz (§ 16 Abs. 1) 10 Ende des Versicherungsvertrages Prämienzahlungspflicht des Versicherungsneh12 mers

1 3 4.

13 Leistungspflichten des Versicherers a) Eintritt des Versicherungsfalles innerhalb ei13 nes Monats nach Insolvenzeröffnung b) Eintritt des Versicherungsfalles vor Insol14 venzeröffnung Schadensersatzanspruch des VN analog § 103 18 Abs. 2 S. 1 InsO?

III.

Beendigung der in § 316 S. 1 VAG genannten Ver19 sicherungsverhältnisse (§ 16 Abs. 2)

C.

Abdingbarkeit

6

20

Anhang: Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers

A. Einleitung I. Entstehungsgeschichte 1 Die Vorschrift entspricht sachlich § 13 a. F. in der Fassung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung – EGInsO – vom 5.10.1994.1 Durch Art. 88 Nr. 1 EGInsO wurden die Begriffe Kon1 BGBl. 1994 I 2911, 2946. K. Johannsen/Koch https://doi.org/10.1515/9783110522600-029

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VVG § 16

A. Einleitung

kurs, Konkursmasse und Konkurs-/Vergleichsverfahrenseröffnung an die neue Terminologie der InsO angepasst und durch die Formulierungen Insolvenzverfahren, Insolvenzmasse und Eröffnung des Insolvenzverfahrens ersetzt. Zuvor war § 13 a. F. praktisch seit Inkrafttreten des VVG unverändert geblieben. Durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.19392 war lediglich der Verweis auf das VAG vom 12.5.1901 gestrichen und durch die Bezugnahme auf das (in seiner jeweiligen Fassung geltende) VAG ersetzt worden. Materielle Änderungen ergaben sich insoweit, als dass die Vorschriften des VAG über die Wirkungen der Insolvenzeröffnung, die nach § 13 S. 2 a. F. Anwendung finden sollten, durch Art. 91 Nr. 11 EGInsO geändert wurden. Das betraf insbesondere die ersatzlose Streichung des § 80 VAG a. F., der ein Konkursvorrecht gewährte für Forderungen aus Versicherungsverträgen auf Rückerstattung der Teile der Versicherungsprämie, die auf die Zeit nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses entfallen, und auf Ersatz eines zur Zeit der Konkurseröffnung bereits eingetretenen Schadens. Aus redaktionellen Gründen ist § 13 S. 2 a. F. in einen gesonderten Abs. 2 aufgenommen und 2 sprachlich angepasst worden.3

II. Inhalt und Zweck der Regelung § 16 Abs. 1 regelt das rechtliche Schicksal der zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzver- 3 fahrens (§ 27 InsO) über das Vermögen des VR bestehenden Versicherungsverträge (mit Ausnahme von See- und Rückversicherungsverträgen, § 209) abweichend von § 103 InsO dahin, dass die Verträge mit dem Ablauf eines Monats seit der Eröffnung enden und bis dahin gegenüber der Insolvenzmasse wirksam bleiben. Ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters, Erfüllung der Verträge zu verlangen oder abzulehnen, besteht nicht.4 Gegenüber dem Realgläubiger, der seine Hypothek angemeldet hat, wird die Beendigung des Versicherungsverhältnisses nach § 143 Abs. 2 (ggf. i. V. m. § 148) erst mit dem Ablauf von zwei Monaten wirksam, nachdem ihm die Beendigung und, sofern diese noch nicht eingetreten war, der Zeitpunkt der Beendigung durch den VR mitgeteilt worden ist oder er auf andere Weise hiervon Kenntnis erlangt hat.5 Eine Sonderregelung gilt auch für die obligatorische Haftpflichtpflichtversicherung: Nach § 117 Abs. 6 endet das Versicherungsverhältnis abweichend von § 16 erst mit dem Ablauf eines Monats, nachdem der Insolvenzverwalter die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der hierfür zuständigen Stelle angezeigt hat; bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es der Insolvenzmasse gegenüber wirksam. Bei Ansprüchen aus Versicherungsfällen, die innerhalb dieser Fristen eintreten, handelt es sich um Masseverbindlichkeiten (Rn. 13). § 16 Abs. 2 verweist auf die Vorschriften des VAG über die Wirkungen der Eröffnung des 4 Insolvenzverfahrens. Von besonderer Bedeutung ist § 316 VAG, der § 16 verdrängt. Die in § 316 S. 1 Nr. 1–5 VAG genannten und in Bezug genommenen Versicherungen erlöschen durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zu beachten ist, dass sich die dort genannten Versicherungen begrifflich auf die in Anlage 1 zum VAG aufgeführten Sparten beziehen. Zu den Lebensversicherungen i. S. v. § 316 S. 1 Nr. 1 VAG zählen deshalb alle in Anlage 1 zum VAG unter Nr. 19–24 aufgeführten Geschäfte.6 § 316 S. 1 Nr. 2 VAG betrifft die substitutive Krankenversicherung i. S. v. § 146 VAG, § 316 S. 1 Nr. 3 VAG die private Pflegepflichtversicherung i. S. v. § 148 VAG an. § 316 S. 1 Nr. 4 VAG bringt Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr (§ 161) zum Erlöschen. § 316 S. 1 Nr. 5 VAG betrifft nur die Rentenansprüche aus der allgemeinen Haftpflichtversiche2 RGBl 1939 I 2443. 3 BT Drucks. 16/3945 S. 64. 4 Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 1; Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner § 16 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 16 Rn. 2; Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 8.

5 Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 3. 6 BeckOK-VAG/Kaulbach § 316 VAG Rn. 2; Brand/Baroch Castellvi/Baroch Castellvi § 316 VAG Rn. 2. 925

K. Johannsen/Koch

§ 16 VVG

Insolvenz des Versicherers

rung, der Kfz-Haftpflichtversicherung, der Kfz-Unfallversicherung und der allgemeine Unfallversicherung ohne Prämienrückgewähr;7 die Verträge selbst erlöschen nicht nach § 316 VAG.8 Der VN verliert in der Haftpflichtversicherung den Freistellungsanspruch gegen seinen Versicherer und muss selbst für den offen bleibenden Schaden aufkommen. Sonderregelungen gelten gemäß §§ 207–209 VAG für die mit Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit abgeschlossenen Verträge. Sie betreffen insbesondere eine Nachschusspflicht der Mitglieder und den Rang ihrer Forderungen. 5 Die Vorschriften des § 16 Abs. 1 und 2 dienen dem Schutz der VN. Die einmonatige Frist des Abs. 1 soll dem VN die Möglichkeit bieten, sich anderweitigen Versicherungsschutz zu verschaffen.9 Der Schutz der unter Abs. 2 fallenden VN wird durch das Aufsichtsrecht gewährleistet.

B. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherers I. Allgemeines 6 Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann nach § 312 VAG nur von der Aufsichtsbehörde gestellt werden. Das hat den Zweck, die Sanierungsbemühungen der Aufsichtsbehörde nicht dadurch zu behindern, dass einzelne Gläubiger Insolvenzanträge stellen.10 Bis zur Neufassung der Vorgängerregelung des § 88 VAG a. F. durch das EGInsO war das Gericht an den Antrag der Aufsichtsbehörde gebunden. Nunmehr prüft es in eigener Verantwortung die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.11 Insolvenzgründe sind Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Ihre Voraussetzungen ergeben sich aus § 17 und § 19 InsO. Das Vorliegen dieser Gründe muss der Vorstand des Unternehmens der Aufsichtsbehörde anzeigen. Der mit § 18 InsO neu eingeführte Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit kommt für VR schon deshalb nicht in Betracht, weil § 18 InsO hierfür einen Antrag des Schuldners voraussetzt. Für die von Backes12 befürwortete analoge Anwendung des § 18 InsO für den Fall, dass der VR der Aufsichtsbehörde die drohende Zahlungsunfähigkeit angezeigt hat, besteht kein Bedürfnis, weil das VAG der Aufsichtsbehörde ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung stellt, zum Schutz der VN in anderer Weise als durch Stellung eines Insolvenzantrages auf wirtschaftliche Schwierigkeiten zu reagieren.13 7 Die gesetzliche Grundlage stellt § 314 VAG dar, wonach die Aufsichtsbehörde zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens besondere Maßnahmen trifft, wenn dies „zum Besten der Versicherten geboten erscheint“. Zu diesen Maßnahmen gehören auch Eingriffe in bestehende Versicherungsverträge. Insbesondere kann die Aufsichtsbehörde die Auszahlung von Versicherungsleistungen verbieten und in der Lebensversicherung die Verpflichtungen des VR entsprechend dem Vermögensstand herabsetzen.14 Von der Aufsichtsbehörde kann auch nach § 134 Abs. 2 S. 1 VAG die Vorlage eines Planes zur Wiederherstellung gesunder Finanzverhältnisse (Sanierungsplan, früher Solvabilitätsplan) verlangt werden, wenn eine Unterschreitung der Solvabilitätskapitalanforderung (§§ 89 ff. VAG) eingetreten ist oder damit zu rechnen ist, dass dies innerhalb des nächsten Vierteljahres der Fall sein könnte (vgl. § 134 Abs. 1 VAG).15

7 BeckOK-VAG/Kaulbach § 316 VAG Rn. 2. 8 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr § 316 VAG Rn. 1. 9 Motive 88; Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 1. 10 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr § 312 VAG Rn. . 11 Prölss/Kollhosser12 § 88 VAG Rn. 4. 12 Backes 20. 13 Ablehnend auch Prölss/Kollhosser12 § 88 VAG Rn. 5. 14 Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr § 312 VAG Rn. 5; Prölss/Dreher/Lipowsky § 314 VAG Rn. 1. 15 Vgl. dazu VG Frankfurt 21.6.2005 – 1 G 1525/05 VersR 2007 189 mit Anm. von Bürkle S. 191 zu § 81b Abs. 1 VAG a. F. K. Johannsen/Koch

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B. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherers

VVG § 16

Während die Vorschriften des VAG und VVG über die Insolvenz/den Konkurs des VR bis 8 Anfang dieses Jahrhunderts kaum zur Anwendung kamen, weil durch die Tätigkeit des damaligen BAV Zusammenbrüche von VR fast immer verhindert wurden,16 änderten sich die Verhältnisse durch die wirtschaftlichen Krisen in der Versicherungswirtschaft am Anfang des 21. Jahrhunderts entscheidend.17 Reaktionen des Gesetzgebers hierauf waren das Gesetz zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen zur Sanierung und Liquidation von VU und Kreditinstituten vom 10.12.200318 und das Gesetz zur Änderung des VAG und anderer Gesetze vom 15.12.2004,19 durch das eine Insolvenzsicherung in der Lebens- und substitutiven Krankenversicherung in Form eines Sicherungsfonds gesetzlich eingeführt worden ist (§§ 124 ff. VAG a. F., nunmehr §§ 221 ff. VAG).20 Der VN kann sich von einem finanziell unsicher werdenden VR durch eine außerordentli- 9 che Kündigung nach § 314 Abs. 1 BGB lösen.21 Dieses Kündigungsrecht ist von der Rechtsprechung aus § 242 BGB entwickelt worden.22 Es setzt voraus, dass die bei Vertragsschluss vorhandene finanzielle Lage des VR sich nachträglich wesentlich verschlechtert hat. Es besteht auch dann, wenn die Aufsichtsbehörde bereits Maßnahmen nach § 314 VAG getroffen hat.23 Es erlischt aber, wenn die Gefährdung der Rechte des VN durch solche Maßnahmen beseitigt worden ist.

II. Auswirkungen der Insolvenz (§ 16 Abs. 1) 1. Ende des Versicherungsvertrages Gem. § 16 Abs. 1 Halbs. 1 endet das Versicherungsverhältnis mit Ablauf eines Monats seit der 10 Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VR. § 16 Abs. 1 betrifft alle Versicherungsverträge, für die das VAG keine abweichenden Regelungen über die Wirkungen der Insolvenzeröffnung vorsieht. Damit sind die in § 316 VAG aufgeführten Versicherungen (Rn. 4) von der Anwendung ausgenommen Für § 16 Abs. 1 verbleibt fast der gesamte Bereich der Schadensversicherungen. Zur Sonderregelung in der Kfz-Haftpflichtversicherung s. Rn. 3. Die Monatsfrist des § 16 Abs. 1 beginnt mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses, in dem 11 die Stunde der Eröffnung anzugeben ist; andernfalls gilt die Mittagsstunde des Tages, an dem der Beschluss erlassen worden ist, als Zeitpunkt der Eröffnung, § 27 InsO. Die Berechnung der Frist folgt aus §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 und 3 BGB, die Anwendung des § 10 ist ausgeschlossen.24

2. Prämienzahlungspflicht des Versicherungsnehmers Gem. § 16 Abs. 1 Halbs. 2 bleibt der Versicherungsvertrag bis zum Ablauf der Monatsfrist der 12 Insolvenzmasse gegenüber wirksam. Das bedeutet, dass der VN zur Zahlung der Prämie für diesen Monat verpflichtet bleibt. Hat er sie bereits für einen über die Wirksamkeit des Vertrages

Vgl. Kaulbach/Bähr/Pohlmann § 221 VAG Rn. 3; BeckOK-VAG/Diehl5 § 221 VAG Rn. 1. Backes 4, Fricke VersR 2005 162; vgl. dazu auch den Rückblick auf das Jahr 2002 von M. Surminski ZfV 2003 3. BGBl. I 2478. BGBl. I 3416. Vgl. dazu Fricke VersR 2005 162; Präve VersR 2005 170. Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 10; Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 16 Rn. 16; Präve VersR 1992 265, 271. 22 BGH 4.4.1951 – II ZR 10/50 BGHZ 1 334, 337; RG 28.1.1905 – VII 554/04 RGZ 60 56, 59 f. 23 Berliner Kommentar/Gruber § 13 Rn. 17: Prölss/Martin/Prölss28 § 13 Rn. 9 unter Aufgabe seiner abweichenden Meinung in den Vorauflagen. 24 Looschelders/Pohlmann/Klenk § 16 Rn. 5; Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 12.

16 17 18 19 20 21

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§ 16 VVG

Insolvenz des Versicherers

hinausreichenden Zeitraum vorausgezahlt, so kann der VN den auf die Zeit nach der Beendigung des Versicherungsverhältnisses entfallenden Teil der Prämie unter Abzug der für diese Zeit aufgewendeten Kosten gemäß § 39 Abs. 2 zurückfordern.25 Diese Forderung ist nach Aufhebung des früheren Konkursvorrechts des § 80 VAG a. F. schlichte Insolvenzforderung. Hat der VN die Prämie allerdings versehentlich erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für einen längeren Zeitraum als die Wirksamkeit des Vertrages vorausbezahlt, so steht ihm ein anteiliger Bereicherungsanspruch zu, der gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO Masseverbindlichkeit ist.26 Für Prämienrückzahlungsansprüche, die darauf beruhen, dass der Versicherungsvertrag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zustande gekommen ist, gilt das besondere Vorrecht des § 315 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VAG (vgl. dazu Rn. 15). Es versteht sich von selbst, dass der VN während der Monatsfrist die ihn aus dem Vertrag und nach dem VVG treffenden Obliegenheiten zu beachten hat.27

3. Leistungspflichten des Versicherers 13 a) Eintritt des Versicherungsfalles innerhalb eines Monats nach Insolvenzeröffnung. Tritt während der Monatsfrist ein Versicherungsfall ein, so ist die Entschädigungsforderung Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.28 Es handelt sich nämlich um einen Anspruch aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung, weil der Vertrag gegenüber der Insolvenzmasse gem. § 16 Abs. 1 Halbs. 2 wirksam ist, „für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss“. Geschuldete Naturalleistungen werden gemäß § 45 InsO in Geldleistungen umgerechnet. Das gilt für die Rechtsschutzversicherung und die von dem VR auch in der Haftpflichtversicherung geschuldete Rechtsschutzleistung.29

14 b) Eintritt des Versicherungsfalles vor Insolvenzeröffnung. Ist ein Versicherungsfall vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten und noch nicht reguliert, ist der Entschädigungsanspruch des VN nicht Masseverbindlichkeit sondern Insolvenzforderung i. S. v. § 38 InsO. Gleiches gilt für claims made-basierte Haftpflichtversicherungsdeckungen, in denen Versicherungsschutz für Ansprüche gewährt wird für Pflichtverletzungen, die vor oder während der Dauer des Vertrages begangen und erst innerhalb einer vereinbarten (Nachmelde-)Frist geltend gemacht werden. An sich besteht für Versicherungsfälle, die erst nach dem Ende der Monatsfrist des § 16 Abs. 1 eintreten, keine Deckung mehr. Aufgrund der Nachmeldefristvereinbarung sind sie jedoch so zu behandeln, als ob ein Versicherungsfall vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten und noch nicht reguliert worden ist. 15 Zu beachten ist, dass § 315 VAG einen besonderen Vorrang für Versicherungsforderungen begründet. Diese haben in Höhe des Anteils am Sicherungsvermögen gemäß § 125 Abs. 2 VAG Vorrang vor den Forderungen aller übrigen Insolvenzgläubiger.30 Das bedeutet, dass das Sicherungsvermögen zunächst zur Bedienung der privilegierten Forderungen zu verwenden ist. Reicht es dazu nicht, ist es quotal zu verteilen. Bleibt etwas übrig, ist es der Masse zuzuschlagen (§ 35 InsO). § 315 Abs. 1 S. 2 VAG begrenzt die vorrangige Bedienung aus dem Sicherungsvermö25 Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 2; Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 14; Backes 188; Henning 20. 26 Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 16 Rn. 6, Berliner Kommentar/ Gruber § 13 Rn. 6; Backes 188.

27 Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 3; Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 16 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 16 Rn. 6. 28 Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 4. 29 Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 2; Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 23; Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 16 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 16 Rn. 6. 30 Prölss/Dreher/Lipowski § 315 VAG Rn. 4. K. Johannsen/Koch

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B. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherers

gen. Ist dem Sicherungsvermögen mehr als vorgeschrieben zugeführt worden, so steht der Mehrbetrag nicht zur privilegierten Verteilung zur Verfügung und ist der Masse zuzuschlagen.31 Voraussetzung dieser Bevorrechtigung ist, dass die Forderungen direkt auf dem Versiche- 16 rungsvertrag beruhen und dass für sie Rückstellungen gemäß 125 Abs. 2 VAG gebildet worden sind.32 Zu den notwendigen Rückstellungen nach § 125 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) VAG gehören auch solche für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle. Bei dem Vorrang handelt es sich weder um ein Aussonderungs- noch um ein Absonderungs- 17 recht herkömmlicher Art,33 sondern um ein besonders ausgestaltetes Vorrecht, das Ähnlichkeiten zu dem des § 32 DepotG und § 30 PfandBG aufweist.34 Die bevorrechtigten Gläubiger erlangen zwar ein absolutes Vorrecht auf Befriedigung aus dem Sicherungsvermögen vor allen anderen Gläubigern. Sie werden aber nicht außerhalb des Insolvenzverfahrens befriedigt, sondern bleiben bis zu ihrer Befriedigung Insolvenzgläubiger. Für die Kfz-Haftpflichtversicherung gilt allerdings die Sonderregelung nach § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 PflVG, wonach Ansprüche aus Kraftfahrzeugunfällen gegen den Halter, den Eigentümer oder den Fahrer des Fahrzeugs im Insolvenzfall des VR auch gegen den Entschädigungsfonds gerichtet werden können.35

4. Schadensersatzanspruch des VN analog § 103 Abs. 2 S. 1 InsO? Streitig ist, ob dem VN wegen der Beendigung des Vertrages ein Schadensersatzanspruch zu- 18 steht (der nicht dem Sicherungsvermögen unterfällt und deshalb nicht in den Genuss der Privilegierung gem. § 315 VAG kommt). Die herrschende Meinung36 bejaht einen solchen Anspruch, der auf die Erstattung der Differenz zwischen der bisher gezahlten Prämie und einer an einen anderen VR bis zum frühesten Zeitpunkt der vorgesehenen Vertragsbeendigung zu zahlenden Prämie gerichtet ist. Er wird auf eine analoge Anwendung von 103 Abs. 2 S. 1 InsO gestützt. Eine solche Analogie überzeugt aber nicht, weil § 16 Abs. 1 für die Insolvenz des VR gerade § 103 Abs. 2 InsO durch eine andere Regelung verdrängt und die darin geregelte Wahlmöglichkeit des Insolvenzverwalters nicht vorsieht. Der im allgemeinen Insolvenzrecht angenommene Schadensersatzanspruch des Gläubigers knüpft aber an die Ablehnung der Erfüllung durch den Insolvenzverwalter an. Es fehlt deshalb an der für eine Analogie erforderlichen vergleichbaren Interessenlage. Auch auf § 280 BGB kann der Anspruch nicht überzeugend gestützt werden, weil dieser das Weiterbestehen vertraglicher Verpflichtungen voraussetzt, der Versicherungsvertrag aber nach Ablauf der Monatsfrist nicht mehr fortbesteht. § 16 Abs. 1 ist deshalb insoweit als abschließende Regelung anzusehen.

III. Beendigung der in § 316 S. 1 VAG genannten Versicherungsverhältnisse (§ 16 Abs. 2) Für die Insolvenz der übrigen nach § 316 S. 1 VAG von der Anwendung des § 16 Abs. 1 ausge- 19 schlossenen VR, die auch zusammenfassend DeckungsstockVR37 genannt werden, gilt, dass

31 BeckOK-VAG/Kaulbach5 § 315 Rn. 3; vgl. Brand/Baroch Castellvi/Baroch Castellvi § 315 VAG Rn. 10; Kaulbach/ Bähr/Pohlmann/Bähr § 315 VAG Rn. 10 f. 32 Prölss/Dreher/Lipowski § 315 VAG Rn. 6; BeckOK-VAG/Kaulbach5 § 315 Rn. 3. 33 Prölss/Dreher/Lipowski § 315 VAG Rn. 4. 34 Prölss/Dreher/Lipowski § 315 VAG Rn. 4. 35 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 12 PflVG Rn. 6. 36 Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 2; Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 31; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 16 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 16 Rn. 11; Backes 140, 190; Berliner Kommentar/Gruber § 13 Rn. 7; Maus 27–30; a. M. Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 6; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 16 Rn. 8. 37 Vgl. zur Erläuterung dieses Begriffs Backes S. 121. 929

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Insolvenz des Versicherers

ihre Versicherungsverträge durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen. Diese Wirkung tritt im Zeitpunkt des Erlasses des Eröffnungsbeschlusses ein. Nach § 316 S. 2 und 3 VAG können die Anspruchsberechtigten den auf sie zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallenden Anteil an dem Mindestumfang des Sicherungsvermögens in entsprechender Anwendung von § 315 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 VAG nach § 125 Abs. 2 VAG fordern. Dies bedeutet, dass sie vorrangig vor den Forderungen der übrigen Insolvenzgläubiger sowie den nicht bevorrechtigten Forderungen anteilig aus dem Sicherungsvermögen (§ 125 Abs. 2 VAG) zu bedienen sind.38 Insoweit werden sie so behandelt, wie die Berechtigten aus einem vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetretenen Versicherungsfall, bei dem der VR keine Zahlungen geleistet hat.

C. Abdingbarkeit 20 § 16 ist wie die Vorgängerregelung des § 13 als Norm des materiellen Insolvenzrechts absolut zwingend.39 So kann das Weiterbestehen der Versicherungsverträge über den in § 16 Abs. 1 genannten Zeitraum nicht wirksam vereinbart werden. Auch darf die Frist nicht verkürzt werden. Dies gilt auch für Verträge über Großrisiken und die laufende Versicherung, die an sich gem. § 210 Abs. 1 von den Beschränkungen des VVG ausgenommen sind.40 Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Parteien durch § 210 nicht von dem Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter, hier zu Lasten der Insolvenzgläubiger befreit werden.41 Eine Verlängerung des in § 16 Abs. 1 genannten Zeitraums würde wegen der Einordnung von Entschädigungsansprüchen aus Versicherungsfällen, die während dieses Zeitraums eintreten, als Masseforderung sonstige Gläubiger des VR benachteiligen. Von § 16 Abs. 2 kann ebenfalls nicht abgewichen werden, weil das Aufsichtsrecht nicht zur Disposition der Parteien des Versicherungsvertrages steht. 21 Durch § 16 Abs. 1 nicht ausgeschlossen sind Vereinbarungen, die dem VN die Möglichkeit geben, das Vertragsverhältnis schon zu einem früheren Zeitpunkt zu beenden, in dem sie es den VN gestatten, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Erlass eines Zahlungsverbots gem. § 314 VAG oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fristlos zu kündigen. Hierzu wären die VN auch ohne Bestehen einer vertraglichen Abrede gem. § 314 BGB berechtigt.42 Unberührt bleibt auch das Recht des VN zur Kündigung aus Anlass eines Schadensfalles.43

38 Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 26; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 16 Rn. 15. 39 Motive 89; Backes S. 104; Berliner Kommentar/Gruber § 13 Rn. 18; Bruck/Möller/Möller8 § 13 Anm. 21; Prölss/ Martin/Armbrüster § 16 Rn. 9; Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 48; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 16 Rn. 13. BT-Drucks. 16/3945, S. 115; Langheid/Wandt/Fausten § 16 Rn. 48. Vgl. Bruck/Möller/Renger § 210 Rn. 14; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 8. Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 10. Prölss/Martin/Armbrüster § 16 Rn. 10.

40 41 42 43

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Anhang: Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers Schrifttum Blomeyer Die Verpfändung von Rückdeckungsversicherungen an Versorgungsanwärter der betrieblichen Altersversorgung, VersR 1999 653; Böttcher ZVG, 6. Aufl. (2016); Elfring Das System der drittbezogenen Ansprüche bei der Lebensversicherung, NJW 2004 483; ders. Die Verwertung verpfändeter und abgetretener Lebensversicherungsansprüche in der Insolvenz des Versicherungsnehmers, NJW 2005 2192; König Das Eintrittsrecht in den Lebensversicherungsvertrag (§ 177 öVVG/dVVG) im Konkurs des Versicherungsnehmers, NVersZ 2002 481; Lachner/Lexa Die Rechte des Käufers eines Lebensversicherungsvertrages in der Insolvenz des Versicherungsnehmers, NJW 2007 1176; Lange Die D&O-Versicherung in der Insolvenz der Versicherungsnehmerin (Erster Teil), RuS 2014 209 und (Zweiter Teil) RuS 2014 261; Prahl Eintrittsrecht und Anfechtung bei der Kapitallebensversicherung, VersR 2005 1036; K. Schmidt Insolvenzordnung, 19. Aufl. (2016); K. Sieg Neuere Rechtsprechung zum Insolvenzrecht im Blickfeld der Versicherung, VersR 1992 1161; Simon Die Sachversicherung in der Insolvenz des Versicherungsnehmers, Forum Versicherungsrecht 2006; Stegmann/Lind Der Lebensversicherungsvertrag in der Insolvenz, NVersZ 2002 193; Thume Entschädigungsansprüche bei Insolvenz des haftpflichtversicherten Schädigers, VersR 2006 1318; Uhlenbruck Insolvenzordnung, 15. Aufl. (2019); Zimmermann Haftung und Versicherung im Insolvenzverfahren, NZI 2006 386.

Übersicht A.

Gesetzliche Regelungen zur Insolvenz des 1 Versicherungsnehmers

B.

Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf bestehende Versicherungsver6 träge

I.

Insolvenzmasse

II.

Insolvenzverwalter

III. 1.

12 Anwendung des § 103 InsO Anwendbarkeit auf Versicherungsver12 träge Keine vollständige Erfüllung des Versicherungs13 vertrages durch eine Partei Nicht oder nicht vollständig erfüllte Ver15 träge

a) b)

2. 3.

6

c)

Zeitraum bis zur Ausübung des Wahl16 rechts 17 Insolvenzverwalter wählt Erfüllung aa) Anspruch des Versicherers auf Prä17 mie bb) Anspruch des Versicherungsnehmers 22 auf die Versicherungsleistung Insolvenzverwalter lehnt Erfüllung 23 ab

11 C.

Zwangsverwaltung des versicherten Grund26 stücks

I.

Schicksal bestehender Versicherungsverträge 26 des beschlagnahmten Grundstücks

II.

Aufgaben und Befugnisse des Zwangsverwal27 ters

A. Gesetzliche Regelungen zur Insolvenz des Versicherungsnehmers Eine Regelung für die Insolvenz des VN war in § 14 Abs. 1 a. F. enthalten. Danach konnte sich 1 der VR für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN die Befugnis ausbedingen, das Versicherungsverhältnis mit einer Frist von einem Monat zu kündigen. Nach § 14 Abs. 2 a. F. galt das auch für den Fall der Anordnung der Zwangsverwaltung des versicherten Grundstücks. § 14 a. F. war im Zuge der Insolvenzrechtsreform sprachlich an die InsO angepasst worden. Diese Fassung beruhte auf der Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939.1 Die ursprüngliche Fassung des § 14 bestimmte negativ, dass sich der VR auf eine Vereinbarung nicht berufen könne, nach welcher im Falle der Konkurseröffnung über das Vermögen des VN das Versicherungsverhältnis erlöschen oder der VR befugt sein soll, das Versicherungsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder 1 RGBl I 2443. 931 https://doi.org/10.1515/9783110522600-030

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unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von weniger als einem Monat zu kündigen. Durch die Neufassung hatte der Gesetzgeber eine sprachliche Verbesserung bezweckt.2 Mit der VVG-Reform hat der Gesetzgeber entgegen den Vorschlägen der VVG-Kommission und dem Referentenentwurf auf eine besondere Regelung für das Insolvenzverfahren über das Vermögen des VN verzichtet. In der Begründung heißt es dazu, dass für ein besonderes Kündigungsrecht des VR kein hinreichendes Bedürfnis bestehe.3 Ohne eine dem § 14 a. F. entsprechende versicherungsrechtliche Sonderregelung, die Vorrang vor den allgemeinen insolvenzrechtlichen Vorschriften genießt,4 kann ein Sonderkündigungsrecht des VR für den Fall der Insolvenz des VN nicht wirksam begründet werden. Zutreffend hat der BGH auf die Bedeutung des Fortbestandes von Versicherungsverträgen für die Fortführung insolventer Unternehmen und das grundsätzlich nach § 119 InsO unabdingbare Wahlrecht des Insolvenzverwalters, nach § 103 InsO Erfüllung der Verträge zu verlangen, hingewiesen und nur wegen der vorrangigen versicherungsrechtlichen Rechtsgrundlage des § 14 a. F. die Wirksamkeit einer solchen Kündigungsregelung bejaht.5 Ohne diese Rechtsgrundlage stellt aber eine Vereinbarung über ein Kündigungsrecht des VR eine solche im Sinne des § 119 InsO dar, durch die im Voraus die Anwendung des § 103 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, mit der Folge, dass sie unwirksam ist.6 Andere Regelungen, die das Insolvenzverfahren über das Vermögen des VN betreffen, finden sich in der Haftpflichtversicherung. § 110 gewährt dem geschädigten Dritten in der freiwilligen Haftpflichtversicherung ein gesetzliches Pfandrecht am Freistellungsanspruch, das ihn nach § 50 Abs. 1 InsO zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. In der obligatorischen Haftpflichtversicherung gewährt § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 dem Dritten einen Direktanspruch gegen den VR, wenn über das Vermögen des VN das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist. In der Lebensversicherung können im Insolvenzfall der namentlich bezeichnete Bezugsberechtigte oder unter besonderen Voraussetzungen Ehegatten, Lebenspartner, Kinder nach § 170 mit Zustimmung des VN an seiner Stelle in den Versicherungsvertrag eintreten. Der Eintretende hat die Forderungen der Insolvenzmasse bis zur Höhe des Betrages zu befriedigen, dessen Zahlung der VN im Falle der Kündigung des Versicherungsvertrages vom VR verlangen kann. Im Rahmen der Versicherung für fremde Rechnung wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der versicherten Person berücksichtigt in § 46, wonach der VN nicht verpflichtet ist, der Insolvenzmasse den Versicherungsschein auszuliefern, bevor er wegen seiner Ansprüche gegen die versicherte Person in Bezug auf die versicherte Sache befriedigt ist. Die Insolvenz einer versicherten Person lässt den Versicherungsvertrag unberührt.7

B. Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf bestehende Versicherungsverträge I. Insolvenzmasse 6 Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Zu diesem Insolvenzmasse genannten Vermögen gehören grundsätzlich auch die Ansprüche aus Versi2 3 4 5 6

Motive 643. BT Drucks. 16/3945 S. 64. BGH 26.11.2003 – IV ZR 6/03, NZI 2004 144, 146=VersR 2004 858. BGH 26.11.2003 – IV ZR 6/03, NZI 2004 144, 146=VersR 2004 858. Vgl. BGH 7.4.2016 – VII ZR 56/15, NJW 2016 1945 Rn. 14 (insolvenzabhängige Lösungsklausel); BGH 15.11.2012 – IX ZR 169/11, NJW 2013 1159 Rn. 9. 7 Prölss/Martin/Armbrüster Anhang zu § 16 Rn. 2. K. Johannsen/Koch

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B. Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens

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cherungsverträgen. Das gilt gemäß § 36 InsO allerdings nur für solche, die der Zwangsvollstreckung unterliegen.8 Von den Vorschriften der ZPO, auf die § 36 Abs. 1 S. 2 InsO verweist, sind für Versicherungsverträge erheblich § 850 Abs. 3 lit. b) in Verbindung mit § 850c, wonach Renten, die auf Grund von Versicherungsverträgen zur Versorgung des VN oder seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen gewährt werden, wie Arbeitseinkommen in den dafür geltenden Grenzen unpfändbar sind. Bedingt pfändbare Ansprüche aus Versicherungsverträgen, die i. S. v. § 850b Abs. 1 Nr. 1 7 ZPO auf Zahlung einer Rente wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit gerichtet sind, sowie gem. § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO Bezüge aus Witwen-, Waisen, Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden, sowie nur auf den Todesfall abgeschlossene Ansprüche aus Lebensversicherungen, können gem. § 850b Abs. 2 ZPO durch das Insolvenzgericht als massezugehörig erklärt werden. § 36 Abs. 1 S. 2 InsO verweist zwar nicht auf § 850b ZPO, Sinn und Zweck des § 850b ZPO gebieten es jedoch, die Vorschrift insgesamt im Insolvenzverfahren entsprechend anzuwenden.9 Nach § 36 Abs. 4 InsO kann das Insolvenzgericht bei dieser Entscheidung Billigkeitsüberlegungen berücksichtigen. Unter diesen Voraussetzungen gehören damit in die Insolvenzmasse Rentenansprüche z. B. aus einer Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherung, Ansprüche auf Leistungen aus der Krankenkosten-, Pflege- und, soweit die Versicherungssumme 3.579 A nicht übersteigt, aus der Lebensversicherung auf den Todesfall. Ein Zugriff auf Leistungen aus der Krankenkosten-,10 Pflege-11 und aus der Lebensversicherung auf den Todesfall entspricht jedoch nicht der Billigkeit i. S. v. § 850b Abs. 2 ZPO. Nicht in die Insolvenzmasse gehört auch die Versicherungsforderung aus einer Lebens- oder 8 Unfallversicherung des VN mit einer unwiderruflichen Bezugsberechtigung zu Gunsten eines Dritten. Dieser Anspruch steht dem Bezugsberechtigten, nicht dem Schuldner zu und unterliegt deshalb nicht dem Zugriff der Gläubiger des Insolvenzverfahrens.12 Das persönliche Recht des als unwiderruflich bezugsberechtigt bezeichneten Dritten, das ihn gemäß § 46 InsO zur Aussonderung berechtigt, ergibt sich aus § 159 Abs. 3. Von einem unwiderruflichen Bezugsrecht ist auch dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber, der eine Direktversicherung zur betrieblichen Altersversorgung abgeschlossen hat, sich lediglich das Recht vorbehalten hat, die Versicherungsleistungen für sich zu beanspruchen, wenn der Arbeitnehmer vor Eintritt der Unverfallbarkeit aus dem Betrieb ausscheidet und dies nicht infolge einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter erfolgt.13 Hingegen fällt bei Einräumung einer widerruflichen Bezugsberechtigung an einen Drit- 9 ten, durch die für diesen nach § 159 Abs. 2 das Recht auf die Leistung erst mit Eintritt des Versicherungsfalles begründet wird, der Anspruch des VN auf den Rückkaufswert in die Insolvenzmasse.14 Das gilt selbst dann, wenn die Prämien von dem Bezugsberechtigten aus der ihm zustehenden Vergütung bezahlt worden sind.15 8 BGH 3.12.2009 – IX ZR 189/08, NJW-RR 2010 474 Rn. 11 ff. 9 BGH 19.2.2014 – IV ZR 163/13, VersR 2014 452=RuS 2014 183 Rn. 13; BGH 3.12.2009 – IX ZR 189/08, NJW-RR 2010 474 Rn. 5 ff.

10 BGH 19.2.2014 – IV ZR 163/13, VersR 2014 452=RuS 2014 183 Rn. 15 f.; BGH 4.7.2007 – VII ZB 68/06, NJW-RR 2007 1510 Rn: 13 f.; OLG Hamm 8.8.2016 – 20 U 80/16, RuS 2017 84, 85; OLG Frankfurt/M. 24.4.2013 – 7 U 142/12, VersR 2013 990. 11 LSG Thüringen 26.2.2019 – L 6 P 1387/14 NZI 2019 720. 12 BGH 23.10.2003 – IX ZR 252/01, NJW 2004 214; BAG 26.6.1990 – 3 AZR 641/88, NJW 1991 717; OLG Karlsruhe 15.3.2001 – 12 U 299/00, VersR 2001 1501; Bruck/Möller/Winter9 § 159 Rn. 463; Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 6. 13 BGH 22.1.2014 – IV ZR 201/13, NJW-RR 2014 543 Rn. 11; BGH 3.5.2006 – IV ZR 134/05, VersR 2006 1059; BGH 8.6.2005 – IV ZR 30/04, VersR 2005 1134; OLG Hamm 25.6.2014 – 20 U 71/14, VersR 2015 1152. 14 BGH 18.7.2002 – IX ZR 264/01, VersR 2002 1294; BGH 4.3.1993 – IX ZR 169/92, VersR 1993 689; BAG 26.2.1991 – 3 AZR 213/90, VersR 1992 341; OLG Hamm 13.7.1992 – 2 U 6/92, VersR 1993 172; OLG Hamm 21.4.1995 – 20 U 344/ 94, VersR 1996 360; Bruck/Möller/Winter § 159 Rn. 465; Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 6. 15 BGH 18.7.2002 – IX ZR 264/01, VersR 2002 1294; a. A. aber OLG Düsseldorf 6.3.1992 – 17 U 201/91, NJW-RR 1992 798, 799. 933

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Bei im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge abgeschlossenen sog. Rückdeckungsversicherung steht dem Insolvenzverwalter auch dann das Recht zur Verwertung der Ansprüche zu, wenn diese zur Sicherung der Versorgungsanwartschaften der Arbeitnehmer des Schuldners/VN verpfändet worden sind. Das folgt daraus, dass die Versorgungsanwartschaften erst mit Eintritt des Versorgungsfalles fällig werden und Pfandgläubiger nach §§ 1282 Abs. 1, 1228 Abs. 2 BGB i. V. m. mit § 173 Abs. 1 InsO erst nach Eintritt der Fälligkeit zur Einziehung des verpfändeten Rechts befugt sind.16 Bei einer Rückdeckungsversicherung handelt es sich um eine kapitalbildenden Lebensversicherung, die typischerweise der Erfüllung einer Versorgungszusage einer GmbH gegenüber ihren Gesellschafter-Geschäftsführern dient. Den Geschäftsführern werden für den Erlebensfall widerrufliche Bezugsrechte eingeräumt. Zusätzlich werden die Rechte aus den Lebensversicherungen an die Geschäftsführer verpfändet, um sie in der Insolvenz der Gesellschaft zu schützen.17

II. Insolvenzverwalter 11 Wenn die Ansprüche aus Versicherungsverträgen zur Masse gehören, verliert der VN nach § 80 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht, über die Ansprüche zu verfügen. Dieses geht auf den Insolvenzverwalter über, der als Partei kraft Amtes18 alle vertraglichen Rechte ausüben kann, er darf insbesondere anfechten, zurücktreten, kündigen, beim Lebensversicherungsvertrag eine Bezugsberechtigung widerrufen oder den Vertrag umwandeln.19

III. Anwendung des § 103 InsO 1. Anwendbarkeit auf Versicherungsverträge 12 Versicherungsverträge gehören zu den gegenseitigen Verträgen im Sinne des § 103 InsO.20 Für einen Kautionsversicherungsvertrag21 hat der BGH22 die Anwendbarkeit des § 103 InsO verneint, weil er einen Geschäftsbesorgungsvertrag i. S. v. § 116 InsO darstelle und deshalb nach § 115 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlösche. Wie Thomas/Dreher23 in einer sorgfältigen Untersuchung dargelegt haben, erfüllt aber der Kautionsversicherungsvertrag alle Voraussetzungen eines Versicherungsvertrages. Die in der Gewährung von Bürgschaften durch den VR liegenden geschäftsbesorgungsähnlichen Elemente prägen den Vertrag nicht entscheidend und stehen der Einordnung als Versicherungsvertrag nicht entgegen.24 Damit kommen

16 BGH 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NJW 2005 2231 f.; Hans. OLG Hamburg 27.8.2002 – 9 U 265/00, VersR 2003 630; Blomeyer VersR 1999 653, 660; a. M. OLG Hamm 12.5.1995 – 20 U 37/95, VersR 1996 878; kritisch Elfring NJW 2005 2192. 17 Elfring NJW 2005 2192. 18 St. Rspr., z. B. BGH 12.3.1986 – VIII ZR 64/85, NJW 1986 3206, 3207. 19 Vgl. BGH 19.3.2009 – IX ZR 58/08, NJW 2009 1820 Rn. 5; K. Schmidt/Sternal19 § 80 InsO Rn. 28 ff.; Nerlich/ Römermann/Wittkowski/Kruth § 80 InsO Rn. 12; Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 4. 20 Vgl. BGH 19.2.2014 – IV ZR 163/13, VersR 2014 452 Rn. 14; OLG Karlsruhe 7.3.2002 – 12 U 290/01, RuS 2003 62; Prölss/Martin/Armbrüster Anhang zu § 16 Rn. 3. 21 Zu dessen vertraglicher Ausgestaltung im Einzelnen vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Herrmann § 39 Rn. 122–150. 22 BGH 18.1.2007 IX ZR 202/05, VersR 2007 1367; BGH 6.7.2006 – IX ZR 121/05, VersR 2006 1637; OLG Frankfurt/M. 21.9.2009 – 7 U 96/08, BeckRS 2011 5630; OLG Frankfurt/M. 21.1.2009 – 7 U 92/08, BeckRS 2010 29451. 23 Thomas/Dreher VersR 2007 731 ff. 24 Bruck/Möller/H. Baumann/Koch § 1 Rn. 209; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 1 Rn. 34 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 16 Rn. 13; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 105. K. Johannsen/Koch

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B. Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens

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nicht §§ 115, 116 InsO, sondern § 103 InsO auf ihn zur Anwendung. Keine Anwendung findet § 103 auf Krankheitskosten- und Pflegeversicherungsverträge.25

2. Keine vollständige Erfüllung des Versicherungsvertrages durch eine Partei § 103 InsO setzt voraus, dass der Vertrag von beiden Seiten nicht oder nicht vollständig erfüllt 13 ist, d. h. er darf nicht bereits auch nur von einer Vertragspartei vollständig erfüllt sein. Vollständige Erfüllung auch nur von Seiten einer Vertragspartei schließt die Anwendung des § 103 InsO aus.26 So liegt der Fall, wenn der VN die Jahresprämie im Voraus bezahlt hat und das Insolvenzverfahren unterjährig eintritt.27 Das Vertragsverhältnis zwischen VN und VR ändert sich nicht. Partei des Versicherungsvertrages bleibt der VN. Kommt es zum Versicherungsfall, hat der VN gem. § 1 S. 1 Anspruch auf die Versicherungsleistung. Er hat weiterhin die vertraglichen und gesetzlichen Obliegenheiten zu erfüllen.28 Daneben hat auch der Insolvenzverwalter auf Grund des auf ihn übergegangenen Verfügungs- und Verwaltungsrechts (§ 80 InsO) die Obliegenheiten zu erfüllen,29 ohne dass es darauf ankäme, ob er als Repräsentant des VN betrachtet werden kann.30 Das bedeutet, dass sowohl seine Obliegenheitsverletzung wie die des VN zur Leistungsfreiheit des VR führen können. Das gleiche gilt für die vorsätzliche oder grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles.31 Der Insolvenzverwalter kann aufgrund seines Verwaltungs- und Verfügungsrechts den Versicherungsvertrag durch ordentliche Kündigung beenden. § 103 InsO findet auch dann keine Anwendung, wenn der VR den Vertrag erfüllt hat, weil 14 er im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits für einen eingetretenen Versicherungsfall geleistet hat und weitere Leistungen von ihm nicht mehr geschuldet werden. Gleichzustellen ist damit der Fall, dass der VR endgültig leistungsfrei geworden ist, z. B. nach Rücktritt oder Anfechtung.32 Steht ihm in diesem Fall ein Prämienanspruch gegen den VN zu, stellt dieser eine Insolvenzforderung dar.33

3. Nicht oder nicht vollständig erfüllte Verträge Ist der Versicherungsvertrag zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von keiner Partei 15 vollständig erfüllt, weil z. B. der VN noch Prämien schuldet, schon fällige oder noch in Zukunft zu erbringende, und der VR noch keine Leistung erbracht hat, weil noch kein Versicherungsfall eingetreten ist, greift § 103 InsO ein. Der Insolvenzverwalter hat ein Wahlrecht. Er kann den Vertrag anstelle des VN erfüllen (und von dem VR Erfüllung verlangen) oder die Erfüllung ablehnen.

25 BGH 7.4.2016 – IX ZR 145/15, NZI 2016 584 Rn. 11 (für Krankheitskostenversicherung). 26 BGH 15.11.1999 – II ZR 98/98, NZI 2000 126, 128; K. Schmidt/Ringstmeier19 § 103 Rn. 16; Uhlenbruck/Wegener § 103 Rn. 57; Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 8.

27 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann/Köhler § 23a, Rn. 24. 28 Looschelders/Pohlmann/Klenk § 16 Rn. 21. 29 BGH 19.10.1994 – IV ZR 159/93, VersR 1994 1465 für den Zwangsverwalter auf Grund seiner vergleichbaren Stellung nach § 152 ZVG; Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 7.

30 Abweichend Prölss/Martin/Armbrüster Anhang zu § 16 Rn. 6. 31 Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 6. 32 Prölss/Martin/Armbrüster Anhang zu § 16 Rn. 9; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann/Köhler § 23a, Rn. 25. 33 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster Anhang zu § 16 Rn. 6; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann/Köhler § 23a, Rn. 25; 935

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Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers

16 a) Zeitraum bis zur Ausübung des Wahlrechts. Solange der Insolvenzverwalter sein Wahlrecht nicht ausübt, sind die beiderseitigen Ansprüche nach § 320 BGB bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht durchsetzbar, soweit sie nicht auf anteilige Gegenleistung für vor der Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind.34 Hat der VN vor Insolvenzeröffnung bspw. die Prämie für eine Versicherungsperiode voll bezahlt, für eine andere aber nicht, kann der VR nur die Erfüllung der Versicherungsansprüche verweigern, die aus Versicherungsfällen resultieren, die aus der Versicherungsperiode herrühren, in der die Prämie nicht vollständig erbracht wurde.35

b) Insolvenzverwalter wählt Erfüllung 17 aa) Anspruch des Versicherers auf Prämie. Wählt der Insolvenzverwalter Erfüllung gem. § 103 Abs. 1 InsO, hat dies gem. § 105 InsO zur Folge, dass der Versicherungsvertrag aufgespalten wird in einen auf die Zeit vor Insolvenzeröffnung entfallenden Teil, bezüglich dessen der Prämienanspruch nur als einfache Insolvenzforderung geltend zu machen ist, und den nach Insolvenzeröffnung zu erbringenden Teil, der Masseschuld (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) wird. Nach allgemeiner Ansicht ist § 105 InsO auf Versicherungsverträge anwendbar, weil die versicherungsvertraglich geschuldeten Leistungen teilbar sind. Vgl. hierzu das Urteil des OLG Düsseldorf vom 9.12.2005:36 „Prämienzahlungsverpflichtung einerseits sowie auf der anderen Seite die Verpflichtung, Versicherungsschutz zu gewähren, lassen sich in vor Insolvenzeintritt und nach Insolvenzeintritt zu erbringende (Teil-)Leistungen abschichten und verselbstständigt sehen. Einem beliebigen Prämienanteil nämlich entspricht ein bestimmter Zeitraum der Risikoübernahme durch den Versicherer (Deckung und Prämie pro rata temporis). Dabei kann die Ausformung der geschuldeten Risikoübernahme variieren, etwa beim Versicherungsfall in Form der Verpflichtung, Versicherungsleistungen zu erbringen, aber auch umgekehrt, wenn etwa die Einstandspflicht des Versicherers ruht. Das eine wie das andere ist zeitlich festgelegt und kann somit der Zeit vor oder nach Insolvenzeröffnung zugeordnet und damit abgeschichtet werden. Die zeitanteilige Prämie deckt jedwede der vorgenannten ‚Leistungen‘ ab.“

18 Hatte der VR bereits die Kündigung nach § 38 Abs. 1 S. 3 erklärt, bedarf es zur Fortsetzung des Vertrages nach § 38 Abs. 3 S. 3 eines Ausgleiches sämtlicher Rückstände. Hieran kann durchaus ein Interesse bestehen, z. B. weil genau dasselbe Produkt gar nicht mehr erhältlich ist oder ein neuer Vertrag wegen neuer Risikoprüfung oder fortgeschrittenen Alters für ihn deutlich teurer würde. In der D&O-Versicherung kann eine Fortsetzung zur Erhaltung der Nachmeldefrist von Interesse sein.37 Die Nachzahlung sämtlicher aufgelaufener einschließlich der vor Insolvenzeröffnung erwachsenen Prämien stünde jedoch im Widerspruch zu § 105 S. 1 InsO.38 Diese Vorschrift dient in erster Linie dem Schutz der Masse, weil gewährleistet wird, dass die Masse für vor Verfahrenseröffnung an den Schuldner bewirkte Leistungen bis auf die Insolvenzquote keine Aufwendungen zu erbringen hat. Darüber hinaus trägt § 105 S. 1 InsO zur Gläubigergleichbehandlung bei, indem er die Gläubiger, die teilweise vorgeleistet haben, der gleichen insolvenzrechtlichen Behandlung unterwirft, wie diejenigen Insolvenzgläubiger, die ihre Leistung

34 BGH 17.12.2009 – IX ZR 214/08, NZI 2010 180 Rn. 11; BGH 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150 353, 359=NJW 2002 2783 (nicht versicherungsrechtliche Entscheidungen). 35 Lange RuS 2014 261 266. 36 OLG Düsseldorf 9.12.2005 – 4 U 133/04, NZI 2006 297, 298; s. auch Uhlenbruck/Knof § 103 Rn. 44; Andres/ Leithaus/Andres4 § 105 Rn. 4; MüKo-InsO/Kreft § 105 Rn. 15. 37 Vgl. LG Wiesbaden 6.3.2019 – 5 O 234/17, RuS 2019 455, 456 f. 38 Vgl. Prahl ZInso 2015 2565, 2566; s. auch K. Schmidt/Ringstmeier19 § 105 Rn. 28. K. Johannsen/Koch

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vor Verfahrenseröffnung bereits vollständig erbracht haben.39 Vgl. hierzu das Urteil des BGH vom 29.9.1988:40 „Die Verpflichtung des Bekl., für eine Feuerversicherung der Gebäude auf den Betriebsgrundstücken zu sorgen, erschöpfte sich allerdings darin, den Versicherungsschutz für die Zukunft zu gewährleisten. Sie umfaßte nicht die Pflicht, auch rückständige Versicherungsprämien zu bezahlen (…).Die Prämienrückstände aus der vom Schuldner abgeschlossenen Feuerversicherung gehörten im Falle des Konkurses zu den Konkursforderungen. Forderungen einzelner Konkursgläubiger muß und darf der Sequester aber grundsätzlich nicht vorab aus dem Schuldnervermögen befriedigen, weil dadurch der Sequestrationszweck, das Schuldnervermögen für die gleichmäßige Befriedigung aller Konkursgläubiger im Konkursverfahren zu sichern, beeinträchtigt würde (…). Begleicht der Sequester solche Verbindlichkeiten ohne Zwang, so kann er sich gegenüber den Konkursgläubigern schadensersatzpflichtig machen; ist er durch Maßnahmen des Gläubigers im Interesse einer ordnungsmäßigen Sequesterverwaltung gezwungen, solche Rückstände zu bezahlen, können diese Leistungen im Falle des Konkurses gem. § 30 Nr. 1 Fall 2 KO anfechtbar sein (…).“ [Hervorhebung durch den Verfasser]

Mit dieser Sichtweise in Einklang steht das Urteil des AG Köln vom 7.8.2017, in dem es die Prämi- 19 ennachzahlung des vorläufigen Insolvenzverwalters als anfechtbare, gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung i. S. d. § 129 Abs. 1 InsO qualifiziert.41 Ficht der Insolvenzverwalter die Zahlung der rückständigen Prämie gem. § 144 Abs. 1 InsO an, lebt die Forderung des VR wieder auf und eine gem. § 38 Abs. 3 S. 2 mit der Fristsetzung verbundene Kündigung wird wegen des mittlerweile eingetretenen Fristablaufs wirksam. Zu beachten ist, dass der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung mit der Pflicht des 20 Insolvenzverwalters zur Massesicherung in einen gewissen Zielkonflikt treten kann, der aus § 148 InsO resultiert. Versicherungen, wie z. B. Brand-, Wasser- oder sonstige Schadensversicherungen für Gebäude oder bewegliche Massegegenstände sowie eine Diebstahlsversicherung, dienen der Sicherung der Insolvenzmasse.42 Deshalb hat der BGH in der vorbezeichneten Entscheidung vom 29.9.1988 auch festgestellt, dass der beklagte Insolvenzverwalter [z]ur Bezahlung der rückständigen Feuerversicherungsprämien […] daher nur verpflichtet gewesen [wäre], wenn und soweit es auf anderem Wege nicht möglich gewesen wäre, den erforderlichen Feuerversicherungsschutz für die Zukunft herzustellen. Dazu hat die darlegungspflichtige Kl. nichts vorgetragen. Die Aufrechterhaltung der vorhandenen Feuerversicherung, die freilich gem. § 39 VVG die Zahlung der angemahnten Prämienrückstände erforderte, war nicht die einzige Möglichkeit, künftigen Versicherungsschutz herzustellen; dies konnte vielmehr auch durch den Abschluß einer neuen Feuerversicherung geschehen. Es ist weder festgestellt noch vorgetragen, dass diese Möglichkeit dem Bekl. aus besonderen Gründen verschlossen gewesen wäre.“43 [Hervorhebung durch den Verfasser]

Hieraus ist zu folgern, dass der Insolvenzverwalter nicht nur zum Abschluss neuer Versicherungen, sondern auch zur Aufrechterhaltung bestehender Versicherungen verpflichtet ist, wenn die Möglichkeit des Schadenseintritts naheliegt und der erforderliche Aufwand in einem vertretbaren Verhältnis zum Wert der Gegenstände und dem Schadensrisiko steht.44 Dies kann die Nachzahlung der vor Insolvenzeröffnung erwachsenen Prämien zur Sicherstellung z. B. von D&OVersicherungsschutz innerhalb der Nachmeldefrist beinhalten. Rein vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass der VR gem. § 38 Abs. 2 S. 3 letzter Halbs. 21 auch dann nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn der Vertrag infolge Zahlung innerhalb der 39 40 41 42 43 44 937

Uhlenbruck/Knof § 103 Rn. 44. BGH 29.9.1988 – IX ZR 39/88, BGHZ 105 230=NJW 1989 1034, 1036 (zu § 39 a. F.). AG Köln 7.8.2017 – 142 C 162/17, RuS 2017 641, 642. Uhlenbruck/Sinz § 148 Rn. 36. BGH 29.9.1988 – IX ZR 39/88, BGHZ 105 230=NJW 1989 1034, 1036 (zu § 39 a. F.). OLG Köln 14.5.1982 – 6 U 221/81, ZIP 1982 977; Uhlenbruck/Sinz § 148 Rn. 36. K. Johannsen/Koch

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Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers

Monatsfrist wiederauflebt. Die Leistungspflicht des VR entsteht erst wieder zu dem Zeitpunkt, zu dem der VN die erforderliche Zahlung geleistet hat.

22 bb) Anspruch des Versicherungsnehmers auf die Versicherungsleistung. Wählt der Insolvenzverwalter Erfüllung des Versicherungsvertrages, sind Entschädigungsleistungen aus Versicherungsfällen – unabhängig davon, ob sie vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten sind – an den Insolvenzverwalter zur Masse zu erbringen.45 Dies gilt selbst dann, wenn sich der VN im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles im Folgeprämienverzug befindet, der Vertrag mangels Kündigung gem. § 38 Abs. 3 S. 1 aber noch wirksam ist. Unberührt von einem Folgeprämienverzug ist der VR zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsfall in einer Versicherungsperiode eingetreten ist, für die die Prämie vollständig erbracht wurde (Rn. 16).

23 c) Insolvenzverwalter lehnt Erfüllung ab. § 103 Abs. 2 InsO gibt dem VR die Möglichkeit, die Ungewissheit darüber, ob der Versicherungsvertrag erfüllt werden soll oder nicht, schnell zu beseitigen. Er kann den Insolvenzverwalter zur Ausübung seines Wahlrechts auffordern und dieser hat dann unverzüglich zu erklären, ob er die Erfüllung verlangen will. Unterlässt er dies, kann er auf Erfüllung nicht mehr bestehen. Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab, so erlöschen die beiderseitigen Erfüllungsansprüche für die Zeit nach Zugang der Ablehnungserklärung und der Vertrag tritt ins Abwicklungsstadium ein.46 Ein entschädigungspflichtiger Versicherungsfall kann nicht mehr eintreten, vielmehr wird der VR leistungsfrei.47 Ausnahmen gelten zum Schutz privilegierter Dritter nach §§ 117 Abs. 2, 143 Abs. 2 und § 34 Abs. 2 SchiffsRG. Die Ablehnungserklärung des Insolvenzverwalters wirkt mit ihrem Zugang.48 Der Versicherungsvertrag als solcher bleibt (zunächst) in dem Zustand bestehen, der mit der Verfahrenseröffnung eingetreten ist.49 Wegen der beiderseitigen Nichterfüllungseinreden nach § 320 BGB kann weder der VR seine Ansprüche auf die ausstehende Prämie (Insolvenzforderung) noch der VN Ansprüche aus etwaigen Schadensfällen durchsetzen, die vor der Ablehnung eingetreten sind.50 Eventuell vorausgezahlte Prämien hat der VR an den Insolvenzverwalter zu erstatten.51 24 Mit der Erfüllungsablehnung des Insolvenzverwalters tritt für die Dauer des Insolvenzverfahrens neben den fortbestehenden, aber nicht durchsetzbaren Erfüllungsanspruch des VR dessen Berechtigung, eine Forderung wegen Nichterfüllung des Vertrages gem. § 103 Abs. 2 S. 1 InsO gegen den VN geltend zu machen. Der VR hat insoweit die Wahl. Er kann an dem Erfüllungsanspruch gegen den VN festhalten – diesen kann er allerdings erst mit Wiedereintritt der Durchsetzbarkeit nach Beendigung des Verfahrens verfolgen – oder aber durch Geltendmachung einer Insolvenzforderung wegen Nichterfüllung des Vertrages gem. § 103 Abs. 2 S. 1 InsO gegenüber dem Insolvenzverwalter vom Anspruch auf Erfüllung auf den zum Schadensersatz übergehen.52 Der Schadensersatzanspruch des VR bei Erfüllungsablehnung

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Prölss/Martin/Armbrüster Anhang zu § 16 Rn. 9. OLG Karlsruhe 7.3.2002 – 12 U 290/01, RuS 2003 62, 63. OLG Celle 8.10.1982 – 8 U 65/82, VersR 1986 1099; OLG Karlsruhe 7.3.2002 – 12 U 290/01, VersR 2002 1143. BGH 1.3.2007– IX ZR 81/05, ZIP 2007 778 = NJW 2007 1594 Rn. 13; Uhlenbruck/Wegener § 103 InsO Rn. 157; Berliner Kommentar/Gruber § 14 Rn. 7. 49 BGH 19.11.2015 – IX ZR 198/14, NJW 2016 711 Rn. 19; BGH 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150 353, 359=NJW 2002 2783; BGH 7.2.2013 – IX ZR 218/11, BGHZ 196 160=NJW 2013, 1245 Rn. 8 ff. 50 Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 9. 51 Uhlenbruck/Wegener § 103 InsO Rn. 163. 52 BGH 7.2.2013 − IX ZR 218/11, NZI 2013 296 Rn. 8; Uhlenbruck/Wegener § 103 InsO Rn. 158. K. Johannsen/Koch

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C. Zwangsverwaltung des versicherten Grundstücks

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bemisst sich nach dem Prämienentgang im Vergleich zur Prämienschuld bei ordentlicher Kündigung des VN.53 In der Lebensversicherung kann der Insolvenzverwalter den Rückkaufswert für die Mas- 25 se nach § 169 geltend machen. Der Anspruch auf Zahlung des Rückkaufswerts entsteht erst mit der Kündigung des Lebensversicherungsvertrags.54 Das können die Parteien des Versicherungsvertrages wegen § 851 Abs. 2 ZPO nicht durch ein Abtretungs- oder Verwertungsverbot verhindern.55 Wird nach wirksamer Pfändung das Insolvenzverfahren über das Vermögen des VN eröffnet, und wird der Anspruch auf die Ablaufleistung der Lebensversicherung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig, so steht dem Pfändungsgläubiger ein Recht auf abgesonderte Befriedigung nach § 50 InsO zu.56 § 166 Abs. 2 InsO, wonach der Verwalter eine Forderung, die der Schuldner zur Sicherheit eines Anspruchs abgetreten hat, einziehen oder in anderer Weise verwerten darf, findet auf ge- oder verpfändete Forderungen keine Anwendung, so dass diese nicht dem Verwertungsrecht des Verwalters unterliegen.57

C. Zwangsverwaltung des versicherten Grundstücks I. Schicksal bestehender Versicherungsverträge des beschlagnahmten Grundstücks Bestehende Versicherungsverträge über Grundstücke werden durch die Zwangsverwaltung nicht 26 automatisch beendet. Soweit gem. § 99 bei einer Zwangsversteigerung der versicherten Sache die Vorschriften der §§ 95–98 entsprechende Anwendung finden, ist die Verweisung auf den Erwerb der versicherten Sache durch Zwangsversteigerung beschränkt und nicht auf die Zwangsverwaltung nach §§ 146 ff. ZVG auszudehnen.58 Nach § 14 Abs. 2 a. F. konnte sich der VR ein Kündigungsrecht auch für den Fall ausbedingen, dass die Zwangsverwaltung des versicherten Grundstücks angeordnet wird. Solche in Altverträgen getroffenen Vereinbarungen sind auch weiterhin wirksam. Betroffen sind Wohngebäudeversicherungsverträge, die für das Grundstück abgeschlossen worden sind und Deckung gegen die Gefahren Feuer, Hagelschlag, Sturm und Leitungswasser bieten. Es kommen nach §§ 148, 20, 21 ZVG in Verbindung mit § 1120 BGB auch Versicherungsverträge über Gegenstände in Betracht, auf die sich die Hypothek erstreckt. Dabei kann es sich z. B. um eine Hausratversicherung oder Kaskoversicherung über Zubehörstücke des beschlagnahmten Grundstücks handeln. Eine Grundeigentümerhaftpflichtversicherung unterfällt § 14 Abs. 2 a. F. nicht.59 Der Sprachgebrauch der Vorschrift entspricht mit „versichertes Grundstück“ dem des BGB in den §§ 1128, 1129, der sich nur auf Sachversicherungen bezieht.60

II. Aufgaben und Befugnisse des Zwangsverwalters In der aktuellen Bedingungspraxis gibt es keine Klauseln mehr, die den VR zur Kündigung von 27 Versicherungsverträgen über Grundstücke berechtigen, die der Zwangsverwaltung unterliegen. Durch die Beschlagnahme des Grundstücks wird dem Schuldner gemäß § 148 Abs. 2 ZVG dessen Verwaltung entzogen. Er kann deshalb auch die Rechte aus den betroffenen Versicherungs53 Vgl. LG Koblenz 8.7.1958 – 6 S 56/58, VersR 1960 817, 818; Prölss/Martin/Armbrüster Anhang zu § 16 Rn. 7; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann/Köhler § 23a Rn. 37. BGH 1.12.2011 − IX ZR 79/11, NJW 2012 678 Rn. 14 ff. BGH 1.12.2011 – IX ZR 79/11, NJW 2012 678 Rn. 13. OLG Celle 2.4.2009 – 8 U 206/08, RuS 2011 397, 398. OLG Celle 2.4.2009 – 8 U 206/08, RuS 2011 397, 398. Vgl. OLG Hamm 8.3.2000 – 20 U 143/99, NJW-RR 2001 394. Bruck/Möller/Möller8 § 14 Anm. 24. Bruck/Möller/R. Johannsen/K. Johannsen8 Bd. III. J 6.

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Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers

verträgen nicht mehr ausüben. An seiner Stelle hat der Verwalter nach § 152 ZVG das Recht und die Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestande zu erhalten und ordnungsgemäß zu benutzen. Er wird zwar nicht Eigentümer des Grundstücks und Inhaber der bisher dem Schuldner zustehenden Rechte. Er wird aber bei der Verwaltung im eigenen Namen und aus eigenem Recht tätig.61 Für die vom Schuldner abgeschlossenen Versicherungsverträge folgt hieraus, dass der Verwalter nicht automatisch in sie eintritt.62 Der Verwalter hat aber gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 9, § 9 Abs. 3 ZwVwV über bestehende Versicherungsverträge und deren Stand (Prämienzahlung, Rückstände) bei Inbesitznahme des Grundstücks zu berichten und eigenverantwortlich im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung zu prüfen, ob neue Verträge abzuschließen oder bestehende Verträge zu ändern sind (vgl. Rn. 20).63 Versicherungsschutz ist herzustellen für Schäden wegen Feuer, Unfall, Unwetter, Einbruch, Wasser und Haftpflichtschäden, nicht für Mietausfall.64 Im Regelfall bestehen solche Verträge. Dem Verwalter steht kein Kündigungsrecht nach § 96 Abs. 2 zu. § 99 ist nicht analog anwendbar. Anlass für die Verweisung in § 99 auf § 96 ist allein der Erwerbsvorgang und nicht die Zwangsbewirtschaftung des Grundstücks.65 Soweit der Verwalter keinen Änderungsbedarf erkennt, wird er in die vorhandenen Versicherungsverträge eintreten, indem er ihre Erfüllung mit dem von ihm verwalteten Vermögen zusagt.66 Der Eintritt erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die auch durch schlüssiges Verhalten, z. B. Zahlung der Prämie durch den Verwalter abgegeben werden kann.67 Eine Mitwirkung des VN ist nicht erforderlich.68 Dieser bleibt weiterhin Vertragspartner und schuldet neben dem Verwalter ebenfalls die Prämien.69 Der Verwalter schuldet die Prämien aus der verwalteten Masse nur ab dem Zeitpunkt der Beschlagnahme.70 Für Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag sind der Zwangsverwalter und der VN aktivlegitimiert. Der VN muss aber Leistung an den Zwangsverwalter verlangen.71 Für die Erfüllung von Obliegenheiten wird auf die Ausführungen zur Insolvenz unter Rn. 13 verwiesen. Neben dem des VN kann auch das Verhalten des Verwalters zur Leistungsfreiheit führen.72 Der Verwalter hat auch die Möglichkeit, im eigenen Namen Versicherungsverträge abzuschließen. Dies wird er dann tun, wenn er bei Inbesitznahme nicht feststellen kann, ob ausreichender Versicherungsschutz besteht. Soweit sie dasselbe Risiko abdecken wie eine bereits bestehende Versicherung, führt dieser Abschluss zu einer Mehrfachversicherung nach § 78. Der VN ist an solche vom Verwalter abgeschlossene Versicherungsverträge für die Zeit nach Aufhebung der Zwangsverwaltung grundsätzlich gebunden.73 Das gilt allerdings nicht für eine nur im

61 Böttcher/Keller ZVG 6. Aufl. (2016) § 152 Rn. 9. 62 OLG München 27.3.2015 – 25 U 3746/14, NJOZ 2015 1648, 1649; OLG Hamm 8.3.2000 – 20 U 143/99, NJW-RR 2001 394; LG Nürnberg-Fürth 20.7.2012 – 12 O 438/12, NZM 2013 548. 63 Vgl. Böttcher/Keller ZVG 6. Aufl. (2016) § 152 Rn. 54. 64 Vgl. LG Hamburg 25.3.1985 – 76 T 41/85 Rpfleger 1985 314; Böttcher/Keller § 152 Rn. 54. 65 OLG Hamm 8.3.2000 – 20 U 143/99, NJW-RR 2001 394. 66 Vgl. OLG München 27.3.2015 – 25 U 3746/14, NJOZ 2015 1648, 1649; Böttcher/Keller § 152 Rn. 50; Langheid/ Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 10. 67 Bruck/Möller/Möller8 § 14 Anm. 26. 68 Prölss/Martin/Armbrüster Anhang zu § 16 Rn. 12. 69 Langheid/Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 10. 70 Vgl. OLG München 27.3.2015 – 25 U 3746/14, NJOZ 2015 1648, 1649; Böttcher/Keller § 152 Rn. 50. 71 Vgl. OLG München 27.3.2015 – 25 U 3746/14, NJOZ 2015 1648, 1649; Böttcher/Keller § 152 Rn. 50; Langheid/ Rixecker/Rixecker § 16 Rn. 10. 72 BGH 19.10.1994 – IV ZR 159/93, VersR 1994 1465. 73 LG Berlin 3.5.56 – 7 S 6/56, VersR 1956 446; Böttcher/Keller § 152 Rn. 54; Prölss/Martin/Ambrüster Anhang zu § 16 Rn. 12. K. Johannsen/Koch

940

C. Zwangsverwaltung des versicherten Grundstücks

VVG Anh § 16

Verwalterinteresse genommene Versicherung, z. B. eine die Risiken seiner Tätigkeit abdeckende Haftpflichtversicherung.74

74 Prölss/Martin/Ambrüster Anhang zu § 16 Rn. 12; Bruck/Möller/Möller8 § 14 Anm. 28. 941

K. Johannsen/Koch

§ 17 Abtretungsverbot bei unpfändbaren Sachen Soweit sich die Versicherung auf unpfändbare Sachen bezieht, kann eine Forderung aus der Versicherung nur auf solche Gläubiger des Versicherungsnehmers übertragen werden, die diesem zum Ersatz der zerstörten oder beschädigten Sachen andere Sachen geliefert haben.

Schrifttum Bayer Bereicherungsausgleich nach Zession einer unwirksamen Forderung – BGHZ 105, 365, JuS 1990 883; Dörner Kondiktion gegen den Zedenten oder gegen den Zessionar, NJW 1990 473; Fenyves Die „Vinkulierung“ von Versicherungsforderungen ÖBA 1991 13; ders. Absolute Wirkung der Zahlungssperre auf Grund der Vinkulierung einer Versicherungsforderung? ÖBA 1998 337; Grassl-Palten Feuerversicherung und Realkredit; dieselbe Zur „Vinkulierung“ von Versicherungsverträgen, RdW 1997 387; Hasse Der neue Pfändungsschutz der Altersvorsorge und Hinterbliebenenversorgung, VersR 2007 870; Hülsmann Zur Abtretung aller Ansprüche aus einer Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, VersR 1996 308; R. Koch VVG-Reform: Zu den Folgen der Untersagung des Anerkenntnis- und Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, Festschrift Winter (2007) 345; Langheid Ausweg aus der Anerkenntnis- und Abtretungsfalle, Festschrift Winter (2007) 367; W. Lorenz Abtretung einer Forderung aus mangelhaftem Kausalverhältnis: Von wem kondiziert der Schuldner? AcP 191 279; Kohler Bereicherungshaftung in Zessionsfällen, WM 1989 1629; Kellner Der in § 850b Abs. 1 Ziff. 4 ZPO normierte Pfändungsschutz von Lebensversicherungen, VersR 1979 117; E. Koch Bereicherungsausgleich bei Forderungsabtretungen, VersR 1989 891; Körmücü/Spielbüchler Die Vinkulierung von Versicherungen (1996); Schlechtriem Rechtsprechungsbericht zum Bereicherungsrecht Teil 1, JZ 1993 24; Karsten Schmidt Gutgläubiger Eigentumserwerb trotz Abtretungsverbots in AGB – Zur Bedeutung des § 354a HGB für die Praxis zu § 366 HGB, NJW 1999 400; Schnepp Zur Wirkung der nicht angezeigten Abtretung von Lebensversicherungsforderungen, VersR 1991 949; K. Sieg Kritische Betrachtungen zum Recht der Zwangsvollstreckung in Lebensversicherungsforderungen, Festschrift Klingmüller (1974) 447; Stöber Forderungspfändung 13. Aufl. (2003); Wagner Abtretbarkeit von Geldforderungen aus beiderseitigen Handelsgeschäften und Aufträgen der öffentlichen Hand nach § 354a HGB, NJW 1995 180.

Übersicht 1

A.

Einleitung

I.

Entstehungsgeschichte

1

II.

Inhalt und Normzweck

2

B.

Umfang des Abtretungsverbots

C.

Sonstige gesetzliche Verfügungsbeschrän7 kungen

I.

Versorgungsrenten (850 Abs. 3 lit. b) 8 ZPO)

II.

Verletzungsrenten (850b Abs. 1 Nr. 1 10 ZPO)

III.

Bezüge (850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO)

Altersrenten (851c, 851d ZPO)

V.

Freistellungsansprüche des VN in der Haft18 pflichtversicherung (§ 108 Abs. 1)

D.

Vertragliche Beschränkungen der Abtretbar19 keit

I.

Inhaltsänderung (§ 399 Alt. 1 BGB)

II.

Ausschluss durch Vereinbarung (§ 399 Alt. 2 20 BGB)

E.

Wirkungen der Abtretung

F.

Abdingbarkeit

G.

Österreichisches Recht

5

12

K. Johannsen/Koch https://doi.org/10.1515/9783110522600-031

15

IV.

19

24

30 31

942

B. Umfang des Abtretungsverbots

VVG § 17

A. Einleitung I. Entstehungsgeschichte § 17 ist an die Stelle von § 15 a. F. getreten, der seit Inkrafttreten des VVG unverändert galt. Die 1 geringen sprachlichen Änderungen im Vergleich zur Vorgängerregelung haben keine sachliche Bedeutung. Eine § 17 ähnliche Regelung war in § 98 a. F. für die Feuerversicherung vorgesehen, wonach bei Vereinbarung einer Wiederaufbauklausel die Forderung des VN auf die Entschädigungssumme nur an den Erwerber des Grundstücks oder an solche Gläubiger des VN abgetreten werden konnte, welche Arbeiten oder Lieferungen zur Wiederherstellung des Gebäudes übernommen oder bewirkt haben. Diese Vorschrift ist in das reformierte VVG nicht übernommen worden.

II. Inhalt und Normzweck § 17 beschränkt die Abtretbarkeit von Ansprüchen auf die Versicherungsleistung, soweit sich 2 die Versicherung auf unpfändbare Sachen bezieht. In einer derartigen Konstellation können die Ansprüche nur auf solche Gläubiger des VN übertragen werden, die diesem zum Ersatz der zerstörten oder beschädigten Sachen andere Sachen geliefert haben. Als Beispiel sei angeführt, dass ein im Rahmen einer Hausratsversicherung versicherter Fernsehapparat durch Feuer zerstört worden ist und sich der VN einen neuen Apparat gekauft hat. Zur Finanzierung des Kaufs kann er die Forderung auf die Versicherungsentschädigung an den Verkäufer abtreten; die Abtretung wird mit der Lieferung des neuen Fernsehapparats wirksam. Verfügungen, die mit § 17 nicht vereinbar sind, sind unwirksam.1 Hierdurch wird sicherge- 3 stellt, dass ein Gläubiger des VN in Bezug auf die Versicherungsforderung nicht besser gestellt wird als in Bezug auf die Sache, zu deren Absicherung sie dient. Die Rückausnahme für Abtretungen an Gläubiger, die Ersatz für die zerstörte oder beschädigte unpfändbare Sache geleistet haben, läuft in der Sache auf eine teleologische Reduktion hinaus, die sich ausdehnen lässt auf solche Gläubiger, die dem VN Geld zur Anschaffung vorgeschossen haben. Diese stehen einem Ersatzlieferanten gleich, wenn geliefert worden ist.2 Im Zusammenwirken mit § 400 BGB, wonach eine Forderung nicht abgetreten werden 4 kann, soweit sie der Pfändung nicht unterworfen ist, § 1274 Abs. 2 BGB, demzufolge kein Pfandrecht an einer nicht übertragbaren Forderung bestellt werden kann, und § 851 Abs. 1 ZPO, wonach eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung nur in dem Maße unterworfen ist, als sie übertragbar ist, wird erreicht, dass das Surrogat in Form des Anspruchs auf Versicherungsleistung das rechtliche Schicksal der zerstörten oder beschädigten unpfändbaren Sache insoweit teilt, als der VN den Anspruch gegen den VR nicht verpfänden und Gläubiger des VN den Anspruch nicht pfänden und sich überweisen lassen können.

B. Umfang des Abtretungsverbots Die Vorschrift gilt nur für die Sachversicherung. Denn nur bei dieser kann sich die Versicherung 5 auf unpfändbare Sachen beziehen.3 Außer der Feuer-, Wohngebäude-, Hausratversicherung kommen auch weitere Versicherungszweige wie die Tier- und die Transportversicherung in Betracht. Welche Sachen unpfändbar sind, ergibt sich aus §§ 811, 811c ZPO. Sachen, bei denen nur eine 1 Langheid/Rixecker/Rixecker § 17 Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster § 17 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner § 17 Rn. 7. 2 Prölss/Martin/Armbrüster § 17 Rn. 16. 3 Langheid/Rixecker/Rixecker § 17 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 17 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Ebers § 17 Rn. 2; Langheid/Wandt/Fausten § 17 Rn. 8; a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 17 Rn. 3. 943

K. Johannsen/Koch

§ 17 VVG

Abtretungsverbot bei unpfändbaren Sachen

Mobiliarvollstreckung verwehrt ist, während die Immobiliarvollstreckung zulässig ist, vgl. § 865 Abs. 2 ZPO, unterfallen nicht § 17.4 Unpfändbar sind in erster Linie die dem persönlichen Gebrauch, dem Haushalt, der Unterkunft und der Berufstätigkeit des Schuldners dienenden Sachen, die in § 811 ZPO im Einzelnen aufgeführt sind, sowie nach § 811c ZPO Haustiere. 6 Soweit die Versicherungsentschädigung sich auch auf andere als unpfändbare Sachen bezieht, ist der Anspruch auf sie frei übertragbar und pfändbar.5 Übersteigt die Entschädigung aber deshalb den Wert der zerstörten oder beschädigten unpfändbaren Sache, weil deren Neuwert versichert ist, unterliegt auch die Neuwertspitze den Pfändungs- und Abtretungsbeschränkungen.6 Nebenforderungen wie Zinsen und Aufwendungsersatz sind aber unbeschränkt abtretbar und pfändbar.7

C. Sonstige gesetzliche Verfügungsbeschränkungen 7 Von größerer Bedeutung für die Versicherungspraxis als unpfändbare Sachen sind die nicht unmittelbar der Regelung des § 17 unterliegenden unpfändbaren Forderungen, die weder abgetreten noch verpfändet werden können (§ 400, § 1274 Abs. 1 BGB). Welche Forderungen unpfändbar sind, ergibt sich aus §§ 850 ff. ZPO. Für Ansprüche auf Versicherungsleistungen bedeutsam sind § 850 Abs. 3 lit. b), § 850b Abs. 1 Nr. 1 und 4 sowie § § 851c, 851d ZPO. Verstöße gegen Pfändungsschutzbestimmungen machen die Pfändung nicht nichtig, sondern nur anfechtbar (im Wege der Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO). Es entsteht jedoch kein Pfändungspfandrecht an der Forderung mit der Folge, dass es keinen Rechtsgrund zum Behaltendürfen i. S. v. § 812 Abs. 1 BGB gibt.8 Wird die Forderung durch Einziehung verwertet, kann der VR daher nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (Leistungskondiktion) seine Zahlung vom Gläubiger des VN zurückfordern.9

I. Versorgungsrenten (850 Abs. 3 lit. b) ZPO) 8 Unpfändbar sind gemäß § 850 Abs. 3 lit. b) ZPO in Verbindung mit § 850c ZPO innerhalb der dort genannten Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen Renten, die auf Grund von Versicherungsverträgen gewährt werden, wenn diese Verträge zur Versorgung des VN oder seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen abgeschlossen worden sind. Auf die Bezeichnung der Versorgungsrente kommt es nicht an.10 Die Verträge können auch als Direktversicherung (§ 1 Abs. 2 BetrAVG) vom Arbeitgeber zu Gunsten des Arbeitnehmers oder von ihm selbst abgeschlossen worden sein.11 Voraussetzung der Unpfändbarkeit ist, dass der VN im Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages Arbeitnehmer gewesen ist und Arbeitseinkommen bezogen hat und dass der Vertrag seiner Versorgung oder der von Angehörigen dienen sollte.12 Das ist nicht mehr der Fall, wenn der VN die Bezugsberechtigung zu Gunsten seiner Ehefrau 4 RG 9.2.1932 – VII 210/31 RGZ 135 159, 160; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 17 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 17 Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster § 17 Rn. 15.

5 Langheid/Rixecker/Rixecker § 17 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 17 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Ebers § 17 Rn. 3.

6 Looschelders/Pohlmann/Klenk § 17 Rn. 8; Langheid/Rixecker/Rixecker § 17 Rn. 2. 7 Prölss/Martin/Armbrüster § 17 Rn. 15. 8 Musielak/Voit/Becker § 850 ZPO Rn. 18. 9 Musielak/Voit/Becker § 850 ZPO Rn. 18. 10 Musielak/Voit/Becker § 850 ZPO Rn. 13. 11 Musielak/Voit/Becker § 850 ZPO Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 17 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Rixecker § 17 Rn. 4. 12 BGH 15.11.2007 – IX ZB 99/05 RuS 2008 431 Rn. 12; OLG Frankfurt/M. 22.2.1995 – 23 U 158/94 VersR 1996 614; Langheid/Rixecker/Rixecker § 17 Rn. 4. K. Johannsen/Koch

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C. Sonstige gesetzliche Verfügungsbeschränkungen

VVG § 17

widerrufen hat, um die Lebensversicherung zur Kreditsicherung zu verwenden.13 Der Pfändungsschutz privater Versicherungsrenten von Freiberuflern und Selbständigen bestimmt sich nach § 851c ZPO. Die Unpfändbarkeit bezieht sich nur auf Renten i. S. v. wiederkehrenden Leistungen, 9 nicht auf die Auszahlung eines Kapitals. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um eine von der Rentenversicherungspflicht befreiende Kapitallebensversicherung handelt.14 Kapitallebensversicherungen, deren Versicherungssumme in einem Betrag ausgezahlt wird, sind deshalb abgesehen von § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO unbeschränkt pfändbar.

II. Verletzungsrenten (850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO) Nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind unter Berücksichtigung der Einschränkung von Abs. 2 be- 10 dingt pfändbar Renten, die wegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung zu entrichten sind. Die bedingte Pfändbarkeit bedeutet, dass die Forderungen nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften nur dann gepfändet werden können, wenn die Vollstreckung in das sonstige Vermögen des Schuldners zu einer vollständigen Befriedigung nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht führen wird und wenn nach den Umständen des Falles die Pfändung der Billigkeit entspricht.15 § 850b Abs. 2 ZPO eröffnet dem Gläubiger die Möglichkeit, die Pfändbarerklärung der nach Abs. 1 relativ unpfändbaren Bezüge des Schuldners zu bewirken, indem er die Pfändbarkeitserklärung beantragt. Ohne einen entsprechende Erklärung des Vollstreckungsgerichts durch Beschluss (§ 829 ZPO) ist von Unpfändbarkeit der Forderung auszugehen.16 Zu den Renten, die wegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung zu entrichten sind, 11 zählen z. B. Unfall-17 und Berufsunfähigkeitsrenten18 sowie Rentenzahlungen der Haftpflichtversicherung des Schädigers.19 Auch Renten aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung sind grundsätzlich unpfändbar20 und unübertragbar. Problematisch ist der Fall, wenn die Berufungsunfähigkeitszusatzversicherung Bestandteil eines Lebensversicherungsvertrages ist. Hier stellt sich die Frage, ob die Unpfändbarkeit der Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung auf die Lebensversicherung durchschlägt mit der Folge, dass Ansprüche aus der Lebensversicherung wegen § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO i. V. m. § 400 BGB nicht abgetreten werden können. Der BGH hat diese Frage zu Recht verneint. Es handelt sich um selbständige Verträge, bei denen die Parteien in der Regel keinen Einheitlichkeitswillen in dem Sinne haben, dass sie miteinander stehen und fallen sollen. Gegen einen solchen Willlen seitens des VN spricht, dass er die Möglichkeit verliert, die Lebensversicherung als Kreditsicherheit einzusetzen.21 Des13 14 15 16

OLG Frankfurt 22.2.1995 – 23 U 158/94 VersR 1996 614. BFH 31.7.2007 – VII R 60/06 BFHE 218 43=RuS 2007 1817 Rn. 11. Zu den Einzelheiten vgl. Bruck/Möller/Winter8 Bd. V 2 H 248. LG Hamburg 17.3.1971 – 5 O 184/70 VersR 1971 926, 927; Langheid/Rixecker/Rixecker § 17 Rn. 4; Prölss/Martin/ Armbrüster § 17 Rn. 5. 17 BGH 25.1.1978 – VIII ZR 137/76 VersR 1978 447. 18 BGH 3.12.2009 – IX ZR 189/08 NJW-RR 2010 474 Rn. 8 m. w. N. 19 BGH 24.9.1987 – III ZR 49/86 VersR 1988 181, 182. 20 KG 7.6.2002 – 6 U 112/01 VersR 2003 490; OLG Jena 19.5.2000 – 5 W 129/00 VersR 2000 1005; OLG München 13.3.1997 – 26 UF 1417/95 VersR 1997 1520 LS unter Aufgabe seiner früheren Rspr. z. B. 12.7.1993 – 26 U 3586/92 VersR 1996 318; OLG Saarbrücken 9.11.1994 – 5 U 69/94-3 VersR 1995 1227; OLG Köln 25.3.1996 – 5 U 148/95 VersR 1998 222; OLG Oldenburg 23.6.1993 VersR 1994 847. 21 BGH 18.11.2009 – IV ZR 39/08 RuS 2010 71 Rn. 17 ff. m. Anm. Armbrüster LMK 2010 297030; OLG Saarbrücken 9.11.1994 – 5 U 69/94-3 VersR 1995 1227; zustimmend Hülsmann VersR 1996 308; i. E. ebenso OLG Köln 25.3.1996 – 5 U 148/95 VersR 1998 222 für die nach § 399 BGB unwirksame Abtretung des Anspruchs auf Beitragsbefreiung aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit allen Ansprüchen aus der Lebensversicherung; a. A. OLG Jena 19.5.2000 – 5 W 129/00 VersR 2000 1005. 945

K. Johannsen/Koch

§ 17 VVG

Abtretungsverbot bei unpfändbaren Sachen

halb führt auch die Kündigung der Lebensversicherung durch den Zessionar nur zum Erlöschen des dortigen Versicherungsschutzes.22

III. Bezüge (850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO) 12 Nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO sind (bis zu einer gerichtlichen Entscheidung) unpfändbar Bezüge aus Witwen-, Waisen-, Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden, ferner Ansprüche aus Lebensversicherungen, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen sind, wenn die Versicherungssumme 3.579 A nicht übersteigt. Der Pfändungsschutz gem. § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO erstreckt sich aber nicht auf gemischte Verträge, bei denen die Versicherungssumme auch im Erlebensfall ausgezahlt wird.23 Für den Fall, dass die Versicherungssumme den Freibetrag in der auf den Todesfall abge13 schlossenen (Klein-)Lebensversicherung übersteigt, ist nur der überschießende Teil voll pfändbar, weil es sich bei der Verwendung des Wortes „wenn” statt eines „soweit” um ein redaktionelles Versehen handelt.24 Hat der VN mehrere solcher Verträge mit niedrigen Summen abgeschlossen, sind die Versicherungssummen nicht zusammenzurechnen.25 Alle den Höchstbetrag einzeln nicht überschreitenden Summen sind nach Abs. 1 zunächst unpfändbar. Eine Zusammenschau findet erst bei der Billigkeitsprüfung nach Abs. 2 statt. Anderenfalls drohten Unklarheiten hinsichtlich der Verfügungsbefugnis des VN.26 Neben Ansprüchen aus diesen (Klein-)Lebenversicherungen auf den Todesfall sind betrof14 fen Ansprüche auf Kranken(haus)tagegeld bis zur Pfändungsfreigrenze (§§ 850, 850d ZPO),27 Ansprüche auf Ersatz von Krankenheitskosten,28 private Zusatzversicherungsleistungen,29 Sterbegelder aus privaten Krankenversicherungen,30 und Leistungen der Pflegeversicherung.31 Nicht erfasst sind Ansprüche aus einer privaten Unfallversicherung.32

IV. Altersrenten (851c, 851d ZPO) 15 Für Selbstständige, die keiner berufsständischen Versorgungseinrichtung angehören, wie für alle, die – z. B. als Arbeitnehmer zusätzlich – private Altersvorsorge betreiben, besteht Pfändungsschutz nach §§ 851c, 851d ZPO. § 851c Abs. 1 ZPO schützt Ansprüche aus Lebensversicherungen und privaten Rentenversicherungen, darüber hinaus auch sämtliche Ansprüche auf

22 BGH 18.11.2009 – IV ZR 39/08 RuS 2010 71 Rn. 29 ff. 23 BGH 3.7.1961 – II ZR 188/59 BGHZ 35 261, 263=NJW 1961 1720; LG Berlin VersR 1964 473; AG Köln 2.8.1967 – 83 M 4508/67 VersR 1967 948; Langheid/Wandt/Fausten § 17 Rn. 12.

24 BGH 12.12.2007 – VII ZB 47/07 RuS 2008 412 Rn. 15 f.; Langheid/Wandt/Fausten § 17 Rn. 16; Prölss/Martin/Armbrüster § 17 Rn. 7.

25 AG Fürth 9.4.1981 – M 166/80 VersR 1982 59; AG Kirchheimbolanden 16.6.1970 – M 1701/69 VersR 1970 987; Prölss/Martin/Armbrüster § 17 Rn. 7; a.A. OLG Hamm 7.7.1961 – 15 W 233/61 MDR 1962 661; LG Essen 11.1.1962 – 11 T 675/61 VersR 1962 245; AG Köln 2.8.1967 – 83 M 4508/67 VersR 1967 948; wohl auch OLG Saarbrücken VersR 1995 1225; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 17 Rn. 23. 26 Vgl. OLG Düsseldorf 17.11.1960 – 3 W 204/60 VersR 1961 111; Musielak/Voit/Becker § 850b ZPO Rn. 8. 27 LG Lübeck 9.10.1992 – 7 T 658/92 Rpfleger 1993 207 f. 28 LG Köln 2.7.1991 – 4 U 4/91 NJW-RR 1992 552, 553. 29 LG Hannover 19.4.1995 – 11 T 36/95 Rpfleger 1995 511. 30 LG Lübeck 20.8.1937 – 3 T 48/37 JW 1937 2611; vgl. auch LG Oldenburg 2.9.1982 – 5 T 184/82 Rpfleger 1983 33. 31 Looschelders/Pohlmann/Klenk § 17 Rn. 20; Prölss/Martin/Armbrüster § 17 Rn. 6. 32 RG 20.6.1902 – II 114/02 RGZ 52 49, 51; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 17 Rn. 20. K. Johannsen/Koch

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D. Vertragliche Beschränkungen der Abtretbarkeit

VVG § 17

Leistungen (zB aus Bank- und Fondsparplänen), die der privaten Altersvorsorge dienen, wie Arbeitseinkommen nach §§ 850 ff. ZPO, wenn die Verträge die Voraussetzungen des § 850c Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO erfüllen. Die Voraussetzungen müssen im Zeitpunkt der Pfändung kumulativ vorliegen.33 Enthält der Vertrag, aus dem sich die gepfändeten Ansprüche ergeben, allerdings Bestimmungen, die einen späteren Eintritt der Voraussetzungen des § 851c Abs. 1 Nr. 3 ZPO endgültig sicherstellen, greift der Pfändungsschutz ab diesem späteren Zeitpunkt ein.34 Eine Lebensgefährtin ist keine Hinterbliebene des Schuldners i. S. d. § 851c Abs. 1 Nr. 3 ZPO.35 Zu Gunsten eines Gläubigers einer ihm verpfändeten Forderung aus einem Rentenversiche- 16 rungsvertrag ist § 815c Abs. 1 ZPO anzuwenden, wenn er im Versicherungsvertrag als versicherte Person benannt ist und die Rentenversicherung der Rückdeckung einer ihm als GesellschafterGeschäftsführer gegebenen Pensionszusage dient.36 § 851d Abs. 1 ZPO schützt Leistungen aus steuerlich gefördertem Altersvorsorgevermögen 17 (Basisrentenversicherung gem. § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG, sog. Rürup-Verträge) und laufende Leistungen, die auf einem nach § 10a EStG und Abschnitt XI EStG gefördertem Altervorsorgevermögen (sog. Riester-Verträge).

V. Freistellungsansprüche des VN in der Haftpflichtversicherung (§ 108 Abs. 1) Zu den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen zählt auch § 108 Abs. 1, der ein relatives Verfü- 18 gungsverbot i. S. v. § 135 Abs. 1 BGB statuiert. Die verbotswidrige Verfügung über den Freistellungsanspruch des VN ist nicht absolut, sondern nur gegenüber dem Geschädigten (relativ) unwirksam.37

D. Vertragliche Beschränkungen der Abtretbarkeit I. Inhaltsänderung (§ 399 Alt. 1 BGB) Weitere Beschränkungen der Abtretbarkeit von Versicherungsforderungen ergeben sich aus 19 § 399 Alt. 1 BGB. Danach kann eine Forderung nicht abgetreten werden, wenn die Leistung an einen anderen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. So liegt der Fall in der Haftpflichtversicherung, soweit es um den Anspruch des VN auf Abwehr unbegründeter Ansprüche geht.38 Gleiches gilt für eine Abtretung des Anspruchs auf Kostenfreistellung in der Rechtsschutzversicherung39 oder des Anspruchs auf Befreiung von der Beitragspflicht in der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.40 Gemäß § 399 Alt. 1 BGB nicht abtretbar ist auch der Naturalersatzanspruch des VN in der Glasversicherung, der nach A § 7.1 AGIB auf das Liefern und Montieren von den den zerstörten oder beschädigten Sachen gleichwertigen Sachen gerichtet ist.41

33 BT-Drucks. 16/886, S. 8; BGH 25.11.2010 – VII ZB 5/08 ZEV 2011 204 Rn. 19; BGH 27.8.2009 – VII ZB 89/08 RuS 2009 472 Rn. 12. BGH 25.11.2010 – VII ZB 5/08 ZEV 2011 204 Rn. 21. BGH 25.11.2010 – VII ZB 5/08 ZEV 2011 204 Rn. 12. BGH 22. 8. 2012 − VII ZB 2/11 NZI 2012 809 Nr. 18. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 47; Bruck/Möller/R. Koch9 § 100 Rn. 2. Allg.M., vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 § 108 Rn. 31; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 89; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 22 ff. 39 BGH 12.10.2011 – IV ZR 163/10 VersR 2012 230=RuS 2012 74 Rn. 8. 40 OLG Köln 25.3.1996 – 5 U 148/95 VersR 1998 222, 223. 41 OLG Saarbrücken 15.4.1987 – 5 U 39/86 RuS 1988 111.

34 35 36 37 38

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§ 17 VVG

Abtretungsverbot bei unpfändbaren Sachen

II. Ausschluss durch Vereinbarung (§ 399 Alt. 2 BGB) 20 Eine Abtretung einer Versicherungsforderung kann nach § 399 Alt. 2 BGB ferner nicht erfolgen, wenn sie durch Vereinbarung mit dem Schuldner ausgeschlossen ist. In der Haftpflichtversicherung kann nach § 108 Abs. 2 die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Geschädigten Dritten nicht formularmäßig ausgeschlossen werden. Trotz des Wortlauts „ausgeschlossen“ erfasst § 399 Alt. 2 nach seinem Sinngehalt auch Vereinbarungen, die keinen absoluten Ausschluss einer Abtretung vorsehen, sondern ihre Wirksamkeit nur von bestimmten Voraussetzungen, z. B. der Zustimmung des Vertragspartners, der vorherigen Klärung der Forderung nach Grund und Höhe oder der schriftlichen Anzeige abhängig machen. Auch die unter Nichteinhaltung solcher Voraussetzungen vorgenommene Abtretung ist absolut unwirksam.42 Solche „abgeschwächten“43 Abtretungsvereinbarungen sind in den Bedingungswerken der VR häufig enthalten. So können nach A.2.7.4, A.3.10.2, A.4.11.1 und A.5.5.2 AKB 2015 die Versicherungsansprüche in der Kfz-Kasko-, Autoschutzbrief-, Kfz-Unfall- und Fahrerschutzversicherung vor ihrer endgültigen Feststellung ohne ausdrückliche Genehmigung des VR weder abgetreten noch verpfändet werden. In der Unfallversicherung können die Ansprüche vor Fälligkeit nicht ohne Zustimmung des VR abgetreten oder verpfändet werden (Ziff. 12.3 AUB 2014). In der Lebensversicherung ist die Abtretung dem VR schriftlich anzuzeigen (vgl. § 9 Abs. 4 ABR und ABL). In der Krankheitskostenversicherung ist die Abtretbarkeit ausdrücklich ausgeschlossen (§ 6 Abs. 6 MB/ KK). 21 Für die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen ist § 354a Abs. 1 HGB zu beachten, wonach, wenn die Abtretung einer Geldforderung durch Vereinbarung gemäß § 399 BGB ausgeschlossen ist und der Vertrag für beide Teile ein Handelsgeschäft ist, die Abtretung gleichwohl wirksam ist. Der Schuldner kann jedoch mit befreiender Wirkung an den bisherigen Gläubiger leisten. § 354a Abs. 1 HGB erfasst neben dem absoluten Ausschluss der Abtretung auch die zuvor angesprochenen Zustimmungs-, Form- und Anzeigeerfordernisse,44 so dass im kaufmännischen Verkehr die Abtretungen dennoch wirksam sind.45 Von dieser gesetzlichen Ausnahmeregelung abgesehen, sind die in den Bedingungswer22 ken enthaltenen Abtretungsbeschränkungen grundsätzlich als wirksam anzusehen, sie halten einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand. Die Rechtsprechung nimmt zutreffend an, dass den Abtretungsbeschränkungen das berechtigte Interesse des VR zu Grunde liegt zu verhindern, dass er das Vertragsverhältnis mit einem ihm unbekannten Dritten abwickeln müsse und seine Beweissituation hierdurch verschlechtert würde; die Interessen des VN seien demgegenüber nicht unzumutbar beeinträchtigt, weil die Abtretung nicht generell ausgeschlossen sei.46 Dass vor allem das Interesse an einer Abwicklung von Versicherungsfällen nur mit dem VN auch vom Gesetzgeber als schützenswert anzusehen ist, zeigen §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 VVG. Die Berufung auf die Abtretungsbeschränkung kann allerdings im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn das Verhalten des VR nicht von einem im Zweckbereich der Vereinba-

42 BGH 23.4.1997 – XII ZR 20/95 NJW 1997 2747; BGH 26.3.1997 – IV ZR 137/96 VersR 1997 1088; BGH 31.10.1990 – IV ZR 24/90 BGHZ 112 387, 389 = NJW 1991 559. 43 BGH 31.10.1990 – IV ZR 24/90 RuS 1991 104, 105. 44 Wagner NJW 1995 180. 45 OLG Köln 20.11.2001 – 9 U 39/00 NVersZ 2002 270; vgl. auch OLG Hamm 5.12.1997 – 20 U 230/96 VersR 1999 44. 46 BGH 12.10.2011 – IV ZR 163/10, RuS 2012 74 Rn. 10 ff.; BGH 26.3.1997 – IV ZR 137/96, VersR 1997 1090 mit zustimmender Anm. von E. Lorenz; BGH 23.4.1997 – XII ZR 20/95, NJW 1997 2747; BGH 31.10.1990 – IV ZR 24/90, BGHZ 112 387, 389 f. = NJW 1991 559; OLG Düsseldorf 10.9.1996 – 4 U 42/95, VersR 1997 1094; OLG Hamm 31.5.1996 – 20 U 34/96, VersR 1997 729; OLG Hamm 5.12.1997 – 20 U 230/96, VersR 1999 44; OLG Köln 18.1.2000 – 9 U 115/99, NVersZ 2000 577; OLG Karlsruhe 20.3.2003 – 12 U 233/02, RuS 2003 408. K. Johannsen/Koch

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E. Wirkungen der Abtretung

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rung liegenden beachtlichen Interesse gedeckt ist47 oder der Geschädigte über einen rechtskräftigen Titel verfügt und jederzeit in die Versicherungsforderung vollstrecken könnte.48 Auch muss der VR sich rechtzeitig auf ein Abtretungsverbot berufen, damit der VN sein 23 Verhalten hierauf einstellen kann.49 Treu und Glauben können es im Einzelfall auch erfordern, dass ein Abtretungsverbot einschränkend ausgelegt wird. So hat der BGH zu § 7 Abs. 3 AHB entschieden, dass Ansprüche aus einer Betriebshaftpflichtversicherung im Rahmen einer Übernahme des Unternehmens in der Regel ohne ausdrückliche Zustimmung des VR an den Erwerber abgetreten werden können.50

E. Wirkungen der Abtretung Von den geschilderten Beschränkungen abgesehen, kann die Versicherungsforderung abgetreten und verpfändet werden. Die Abtretung bewirkt gemäß § 398 S. 2 BGB, dass der neue Gläubiger mit dem Abschluss des Abtretungsvertrages an die Stelle des bisherigen Gläubigers tritt. Das bedeutet, dass der Zessionar die Forderung im eigenen Namen gegenüber dem VR geltend machen kann, dieser kann ihm aber gemäß § 404 BGB alle Einwendungen entgegensetzen, die zur Zeit der Abtretung gegenüber dem VN begründet waren, insbesondere also Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung oder wegen Zahlungsverzuges. Der Zessionar muss auch hinnehmen, dass die Versicherungsentschädigung in einem vorangegangenen Sachverständigenverfahren auf eine bestimmte Höhe festgesetzt worden ist.51 Durch Auslegung ist zu ermitteln, in welchem Umfang die Versicherungsforderung abgetreten worden ist, ob z. B. Ansprüche auf Zinsen oder Aufwendungsersatz mit übertragen worden sind. Unselbstständige Ansprüche, wie der auf Erteilung des Versicherungsscheins und auf Auskunft gehen in analoger Anwendung des § 401 BGB auf den Zessionar auch ohne besondere Vereinbarung über.52 Das Vertragsverhältnis zwischen VN und VR bleibt im Übrigen unberührt bestehen.53 Da der VN weiterhin zur Prämienzahlung verpflichtet ist, muss der VR Mahnungen an ihn und nicht an den Zessionar richten und eine Kündigung ihm gegenüber erklären.54 Aus Treu und Glauben kann sich aber eine Verpflichtung des VR ergeben, den Zessionar von Mahnungen und einer Kündigungserklärung in Kenntnis zu setzen.55 Der VN bleibt auch Erklärungsgegner des VR für den Rücktritt nach § 19, wenn nicht in den Bedingungen etwas anderes vereinbart ist.56 Der VN hat die Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag nach der Abtretung weiterhin zu erfüllen. Die Zahlung des VR an den Zessionar begründet den Übergang von Ansprüchen des VN gegen Dritte nach § 86 Abs. 1 S. 1. Die Zahlung ist als eine solche an den VN im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen.57 Streitig ist, ob der VR, wenn sich herausstellt, dass er die Versicherungsleistung in Unkenntnis eines leistungsbefreienden Tatbestandes an den Zessionar erbracht 47 BGH 26.3.1997 – IV ZR 137/96, VersR 1997 1090; BGH 13.7.1983 – IVa ZR 226/81, VersR 1983 945; BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41, 327=NJW 1964 1899; OLG Hamm 5.12.1997 – 20 U 230/96, VersR 1999 44. 48 OLG Köln, 21.11.2007 – 9 U 25/07, RuS 2008 166, 167; OLG Düsseldorf 28.10.1982 – 10 U 49/82, VersR 1983 625. 49 OLG Karlsruhe 20.3.2003 – 12 U 233/02, RuS 2003 408. 50 BGH 13.7.1983 – IVa ZR 226/81, VersR 1983 945. 51 Prölss/Martin/Prölss27 § 15 Rn. 16. 52 OLG München 30.10.1984 – 25 U 4653/83, VersR 1985 846 LS; Bruck/Möller/Möller8 § 15 Anm. 5. 53 BGH 22.3.1956 – II ZR 32/55, VersR 1956 276; 2.11.1988 – IVb ZR 102/87, VersR 1989 74; OLG Frankfurt 3.2.1995 – 25 U 155/94, VersR 1996 90; ÖOGH 19.4.1979 – 7 Ob 23-24/79, VersR 1980 370. 54 OLG Frankfurt 3.2.1995 – 25 U 155/94, VersR 1996 90. 55 Bruck/Möller/Möller8 § 15 Anm. 8. 56 OLG Stuttgart 20.5.1981 – 1 U 4/81, VersR 1982 797. 57 BGH 2.11.1988 – IVb ZR 102/87, BGHZ 105 365, 368 ff. = VersR 1989 74; ÖOGH 19.4.1979 – 7 Ob 23-24/79, VersR 1980 370; Berliner Kommentar/Gruber § 15 Rn. 16; Prölss/Martin/Prölss27 § 15 Rn. 17. 949

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hat, Bereicherungsansprüche gegen diesen oder gegen den VN geltend machen kann. Der BGH58 hat Bereicherungsansprüche ausschließlich gegen den VN zugelassen. Diese Entscheidung ist in der Literatur zum Teil scharf kritisiert worden,59 hat aber überwiegend Zustimmung gefunden.60 Dass dem VR Bereicherungsansprüche nur gegen den VN zustehen, ist aus der Interessenlage gerechtfertigt. Denn der Leistungsmangel hat in dem vertraglichen Verhältnis zwischen VR und VN seine Grundlage. Dem VR kann eher zugemutet werden, das Insolvenzrisiko bezüglich seines Vertragspartners zu tragen als des mit ihm nicht rechtlich verbundenen Zessionars.61 Der BGH hat diese Rechtsprechung in einer Entscheidung zur Kaskoversicherung fortge28 führt und entschieden, dass bei einer Zahlung des VR an den Leasinggeber, dem die Rechte aus dem Versicherungsvertrag abgetreten und dem ein Sicherungsschein erteilt sei, der Bereicherungsausgleich ebenfalls im Verhältnis zum VN erfolgen müsse.62 Auch dieser Entscheidung ist zuzustimmen. Wenn auch bei der hier vorliegenden Versicherung für fremde Rechnung ein eigener Anspruch des Leasinggebers auf die Versicherungsleistung besteht, den er aber nur auf Grund der „Abtretung“, die richtigerweise eine Zustimmung zur Geltendmachung des Anspruchs darstellt, geltend machen kann, spricht die Interessenlage, insbesondere Gründe des Vertrauensschutzes und der gerechten Risikoverteilung auch in diesem Fall für einen Bereicherungsausgleich im Rahmen des Vertragsverhältnisses zwischen VR und VN.63 29 Zahlt der VR aber auf Grund bestehender Leistungspflicht aus dem Versicherungsvertrag an einen Dritten, den er irrig für den Zessionar hält, kann er die Leistung gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB nur von diesem zurückfordern.64

F. Abdingbarkeit 30 § 17 ist absolut zwingend.65

G. Österreichisches Recht 31 § 15 S. 1 VersVG ist identisch mit § 17. Ergänzend bestimmt § 15 S. 2 VersVG, dass auch die Zwangsvollstreckung in eine Versicherungsforderung wegen unpfändbarer Sachen denselben Beschränkungen unterliegt wie die Abtretung. Das bedeutet, dass nur derjenige, der dem VN zum Ersatz der zerstörten oder beschädigten Sachen andere Sachen geliefert hat, die Versicherungsforderung pfänden und sich überweisen lassen kann. Neben diesen klassischen Abtretungsbeschränkungen hat sich in der Vertragspraxis noch 32 die Vinkulierung von Versicherungsforderungen herausgebildet, die eine beträchtliche wirt-

58 BGH 2.11.1988 – IVb ZR 102/87, BGHZ 105 365, 368 ff. mit umfangreicher Darstellung des damaligen Meinungsstandes.

59 E. Koch VersR 1989 891; Dörner NJW 1990 473; Bayer JuS 1990 883. 60 W. Lorenz AcP 191 279; Kohler WM 1989 1629; Schlechtriem JZ 1993 24, 29; weitere Nachweise in der Entscheidung des BGH 10.3.1993 – XII ZR 253/91, BGHZ 122 46, 49 ff. = VersR 1994 206.

61 So auch Berliner Kommentar/Gruber § 15 Rn. 17; Prölss/Martin/Prölss27 § 15 Rn. 17. 62 BGH 10.3.1993 – XII ZR 253/91, BGHZ 122 46, 49 ff. = VersR 1994 208 mit ablehnender Anm. von Sieg S. 210; ebenso BGH 14.7.1993 – IV ZR 179/92, VersR 1993 1007; 4.5.1994 – IV ZR 298/93, RuS 1994 284; OLG Karlsruhe 17.11.1994 – 12 U 185/94, VersR 1995 1301. 63 Prölss/Martin/Armbrüster § 44 Rn. 21; Lücke RuS 1993 320; K. Schmidt JuS 1993, 772; a. M. Berliner Kommentar/ Hübsch § 76 Rn. 15; Langheid/Rixecker/Rixecker § 44 Rn. 12. 64 BGH 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113 62, 65 ff. = VersR 1991 356; OLG Düsseldorf 20.4.1999 – 4 U 105/98, VersR 2000 1529. 65 Langheid/Wandt/Fausten § 18 Rn. 17. K. Johannsen/Koch

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G. Österreichisches Recht

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schaftliche Rolle spielt.66 Sie ist gesetzlich nicht geregelt, unterliegt vielmehr der Vereinbarung der Parteien, die in von der Kredit- und Versicherungswirtschaft entwickelten Formularen enthalten ist. Als Charakteristikum und unumgänglicher Mindestinhalt der Vereinbarung ist eine Zahlungssperre zu Gunsten des Vinkulargläubigers mit der Wirkung zu verstehen, dass Leistungen des VR nur mit dessen Zustimmung zulässig sind.67 Der Inhalt des Versicherungsvertrages wird durch die Vinkulierung grundsätzlich nicht verändert. Insbesondere behält der VR das Recht, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten.68 Gegen eine in der Literatur vertretene Auffassung, dass durch die Vinkulierung eine unver- 33 äußerliche, unbelastbare und uneinziehbare Forderung entstehe, weil sie ein absolutes Verfügungsverbot beinhalte,69 hat der ÖOGH angenommen, dass die Vinkulierung eine Abtretung und Verpfändung der Forderung nicht ausschließe und dass die Zahlungssperre nicht absolut, sondern nur relativ wirke.70 Die Vinkulierung allein schließt nicht aus, dass der Versicherungsnehmer Ansprüche aus dem Vertrag – allerdings nur zur Zahlung an den Vinkulierungsberechtigten, solange keine Zustimmungserklärung vorliegt – selbst einklagen kann In der Insolvenz des VN fällt die Forderung aus dem Vinkulierungsvertrag in die Masse.71

66 ÖOGH 26.1.2000 – 7 Ob 304/99, VersR 2002 733. 67 ÖOGH 26.1.2000 – 7 Ob 304/99, VersR 2002 733; ÖOGH 4.2.1970 – 7 Ob 229/69, VersR 1971 1067; Fenyves ÖBA 1998 337; Grassl-Palten S. 26. 68 ÖOGH 12.11.1987 – 7 Ob 53/87, VersR 1989 418. 69 So insbesondere Körmürzü/Spielbüchler S. 23 m. w. N. 70 ÖOGH 26.1.2000 – 7 Ob 304/99, VersR 2002 733. 71 ÖOGH 23.4.2008 – 7Ob228/07s ECLI:AT:OGH0002:2008:0070OB00228.07S. 0423.000; näher zur Vinkulierung Fenyves/Schauer/Gruber § 15 Rn. 13 ff. 951

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§ 18 Abweichende Vereinbarungen Von § 3 Abs. 1 bis 4, § 5 Abs. 1 bis 3, den §§ 6 bis 9 und 11 Abs. 2 bis 4, § 14 Abs. 2 S. 1 und § 15 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Schrifttum Freitag Das Großrisiko in der VVG-Reform, RuS 2008 96; Heppe Die teleologische Reduktion des § 187 VVG, Festschrift Winter (2007) 683; Klimke Die halbzwingenden Vorschriften des VVG Ihre Missachtung und ihr Verhältnis zur Kontrolle nach den §§ 305 ff BGB n. F., Diss. Berlin 2004; Knappmann Anm. zu OLG Dresden 30.6.2005, VersR 2006 495; Prölss Anmerkung zur Entscheidung des LG München I v. 15.7.1987, VersR 1987 347; Sasse Die halbzwingenden Schutzvorschriften des VVG, VersArch 1956 162; Schirmer/Marlow Die versicherungsrechtliche Behandlung sogenannter weicher Tarifmerkmale, VersR 1997 782; Werber Halbzwingende Vorschriften des neuen VVG und Inhaltskontrolle, VersR 2010 1253.

Übersicht 1

A.

Einleitung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Für den Versicherungsnehmer nachteilige 5 Abweichung im Sinne von § 18

I.

Vorliegen einer nachteiligen Abweichung

II.

Nachteilskompensation

1

11

C.

Rechtsfolgen

I.

Unwirksamkeit der abweichenden Vereinba11 rung

II.

Großrisiken und laufende Versicherun14 gen

D.

Abdingbarkeit

E.

Inhaltsübersicht

3

4

16 17

5

8

A. Einleitung I. Entstehungsgeschichte 1 Die Vorgängerregelung des § 15a a. F. ist durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.19391 in das VVG eingefügt worden. Durch sie wurden jeweils am Ende eines Gesetzestitels mit der stereotypen Formulierung: „Auf eine Vereinbarung, durch welche von den Vorschriften (…) zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen wird, kann sich der Versicherer nicht berufen“, die halbzwingenden Vorschriften des Gesetzes deutlich hervorgehoben. Dieses System hat auch das neue VVG beibehalten. Die Formulierung „Von §§ (…) kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden“, entspricht weitgehend § 312k Abs. 1 BGB, der die Abweichungen von Schutzvorschriften zum Nachteil von Verbrauchern bei Verbraucherverträgen regelt. Dort heißt es aber „darf nicht“. Darüber, inwieweit die neue Formulierung eine sachliche Änderung gegenüber § 15a a. F. darstellt, vgl. Rn. 11 f. 2 Änderungen im Katalog der von § 18 erfassten Vorschriften gegenüber § 15a a. F. ergeben sich aus der Neufassung der Allgemeinen Vorschriften im Abschnitt 1 des VVG. Soweit Vorschriften bisher halbzwingend waren, bleiben sie es auch in ihrer Neufassung. Neu aufgenommen in 1 RGBl. 1939 I 2443. K. Johannsen/Koch https://doi.org/10.1515/9783110522600-032

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B. Für den Versicherungsnehmer nachteilige Abweichung im Sinne von § 18

VVG § 18

den Katalog sind die Vorschriften über die Beratung und Information des VN, um abweichende Vereinbarungen zum Nachteil des auch insoweit schutzbedürftigen VN auszuschließen.2

II. Inhalt und Zweck der Regelung § 18 fasst die halbzwingenden Bestimmungen des 1. Abschnitts der für alle Versicherungs- 3 zweige geltenden Vorschriften zusammen und dient insoweit auch der Klarstellung. Der VR kann weder formular- noch individualvertragliche Vereinbarungen treffen, die für den VN nachteilig von den § 3 Abs. 1 bis 4, § 5 Abs. 1 bis 3, den §§ 6 bis 9 und 11 Abs. 2 bis 4, § 14 Abs. 2 S. 1 und § 15 abweichen. Die absolut zwingenden Bestimmungen sind überhaupt nicht abänderbar, also weder zu Gunsten noch zu Lasten des VN oder des VR oder sonstiger Personen. Ob eine Bestimmung absolut zwingend ist, ergibt sich entweder aus der Formulierung, dass eine Vereinbarung unwirksam ist (vgl. z. B. §§ 5 Abs. 4, 11 Abs. 1, 14 Abs. 3), oder durch Auslegung des Sinngehalts (vgl. z. B. §§ 16, 17).

III. Anwendungsbereich § 112 findet keine Anwendung in der See- und Rückversicherung (§ 209).

4

B. Für den Versicherungsnehmer nachteilige Abweichung im Sinne von § 18 I. Vorliegen einer nachteiligen Abweichung Ob eine für den VN nachteilige Abweichung vorliegt, ist durch eine Gegenüberstellung der Ver- 5 einbarung und der in § 18 genannten Vorschriften festzustellen.3 Im Versicherungsfall ist zu fragen, ob der VN auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften besser stünde als unter Zugrundelegung der Abweichung. Eine nachteilige Abweichung kann sich auch daraus ergeben, dass die Verteilung der Beweislast zulasten des VN geändert wird4 oder die Anwendung der gesetzlichen Vorschrift durch eine vertragliche Regelung umgangen wird.5 Bei der Ermittlung des Inhalts der Vereinbarung gelten die allgemeinen Auslegungsregeln. 6 Für die Auslegung einer Formularklausel kommt es somit „auf die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an, die sich am Wortlaut der Klausel und deren Sinn und Zweck orientieren“.6 Maßgebend ist der durchschnittliche VN, der zum Adressatenkreis der jeweiligen Versicherungsbedingungen gehört.7 Die Auslegung einer Individualvereinbarung richtet sich nach §§ 133, 157 BGB. Mit Blick auf den Schutzzweck von halbzwingenden Vorschriften können auch einseitige 7 Willenserklärungen des VN, insbesondere Verzichtserklärungen, von § 18 erfasst werden, die im Zusammenhang mit Beratungs- und Informationspflichten oder der Fälligkeit der Versicherungs-

2 3 4 5 6

BT-Drucks. 16/3945 S. 64. Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 8. Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 4; Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 18 Rn. 3; Klimke S. 39. Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 9; Bruck/Möller/Möller8 § 16 Anm. 1. BGH 18.6.2008 – IV ZR 87/07 VersR 2008 1107 = RuS 2008 381 f.; und ständig, vgl. nur BGH 3.7.2019 – IV ZR 111/ 18 RuS 2019 461 Rn. 15. 7 Vgl. nur BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99 VersR 2000 969=RuS 2000 480; OLG Frankfurt/M. 1.11.2017 – 7 U 53/16 NJW-RR 2018 543, 544; OLG München 13.5.2016 – 25 U 4688/15 RuS 2016 351, 353. 953

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§ 18 VVG

Abweichende Vereinbarungen

leistung abgegeben werden.8 Der Verzicht auf halbzwingend geschützte Rechtspositionen im Rahmen eines (Prozess-)Vergleichs ist jedoch zulässig, selbst wenn er zum Nachteil des VN erfolgt.9

II. Nachteilskompensation 8 Die Prüfung, ob eine Vereinbarung für den VN nachteilig ist, muss unter Einbeziehung aller Umstände getroffen werden, die sich für den VN vorteilhaft oder nachteilig auswirken können. Es muss eine Saldierung der Vor- und Nachteile vorgenommen werden.10 Fraglich ist, ob es dabei auf den konkreten Einzelfall des sich auf die Vorschrift berufenden VN ankommt. Vom RG ist angenommen worden, dass die Schutzvorschriften nicht nur dann eingreifen, wenn sich eine Vereinbarung in ihrer Anwendung auf alle von ihr betroffenen Fälle als überwiegend nachteilig für den VN auswirkt,11 sondern schon dann, wenn sich im konkreten Fall Nachteile für den VN ergeben.12 Eine solche Betrachtungsweise ist sicher für Individualvereinbarungen geboten, bei denen es darauf ankommt, ob die Vereinbarung aus Sicht eines verständigen VN bei Berücksichtigung seiner konkreten Interessenlage für diesen wenigstens genau so günstig ist wie die gesetzliche Regelung.13 9 Für in AVB enthaltene Vereinbarungen hat sich aber zu Recht die Auffassung durchgesetzt, dass bei der Saldierung der Vor- und Nachteile ein (überindividuell) abstrakt–generalisierender Maßstab anzulegen ist.14 Es ist deshalb nicht erforderlich, dass Vor- und Nachteile im konkreten Anwendungsfall eintreten15 oder dass sie sich aus der Regelung desselben rechtlichen Tatbestandes ergeben.16 Keine Saldierung ist geboten, wenn noch nicht einmal die theoretische Möglichkeit besteht, dass dem VN ein Vorteil während der Vertragslaufzeit zugutekommen wird.17 Prämiennachlässe finden keine Berücksichtigung zugunsten des VR.18 Lässt sich bei einer Gegenüberstellung der in den AVB enthaltenen Regelung mit der gesetzlichen, die ausgeschlossen werden soll, nicht klären, ob die Vorteile für den VN überwiegen, geht dies zu Lasten des VR.19 10 § 18 betrifft auch nach Eintritt des Versicherungsfalles getroffene Vereinbarungen.20 8 Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 7; vgl. auch Langheid/Wandt/Fausten § 18 Rn. 33 f. 9 Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 6. 10 OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06 NJW-RR 2008 280, 281; OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62, OLG Hamm 28.1.1992 – 20 U 305/91 NJW-RR 1992 1058, 1059 (zu § 34 a S. 1 aF); Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Rixecker § 18 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 18 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 18 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 18 Rn. 7; Langheid/Wandt/Fausten § 18 Rn. 26. 11 So aber Prölss/Martin/Prölss27 § 34a Rn. 1; Schirmer/Marlow VersR 1997 785. 12 RG 19.12.1939 – VII 69/39 RGZ 162 238, 242. 13 So Looschelders/Pohlmann/Klenk § 18 Rn. 7; Klimke S. 95: i. E. ebenso Berliner Kommentar/Beckmann § 68a Rn. 4; Prölss/Martin/Knappmann27 § 42 Rn. 1; Römer/Langheid/Römer2 § 34a Rn. 2. 14 OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05 VersR 2006 61, 62; OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06 VersR 2008 383, 384; OLG Hamm 28.1.1992 – 20 U 305/91 VersR 1992 1338 LS; Langheid/Rixecker/Rixecker § 18 Rn. 3; Looschelders/ Pohlmann/Klenk § 18 Rn. 7; Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 6; Knappmann VersR 2006 495, 496; Berliner Kommentar/Riedler § 42 Rn. 2; a.A. Langheid/Wandt/Fausten § 18 Rn. 23 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 18 Rn. 4. 15 Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 5; Berliner Kommentar/Riedler § 42 Rn. 2. 16 Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 18 Rn. 7; Klimke S. 82; a. A. Berliner Kommentar/Riedler § 42 Rn. 2. 17 Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 18 Rn. 8. 18 Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 18 Rn. 8. 19 Klimke S. 100; Knappmann VersR 2006 495, 497. 20 BGH 22.6.1988 – IVa ZR 25/87 VersR 1988 1014 zu § 15a a. F.; OLG Hamm 17.5.1991 – 20 U 326/90 RuS 1992 77; OLG Saarbrücken 26.2.1988 – 3 U 96/86 VersR 1988 1038; Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 3; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Brömmelmeyer § 18 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 18 Rn. 5; a. M. OLG Koblenz 20.10.2002 – IV ZR 225/00 VersR 2002 174; zweifelnd Prölss/Martin/Prölss27 § 15a Rn. 1. K. Johannsen/Koch

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C. Rechtsfolgen

VVG § 18

C. Rechtsfolgen I. Unwirksamkeit der abweichenden Vereinbarung Vereinbarungen, durch die von den in § 18 genannten Normen zum Nachteil des VN abgewichen 11 wird, sind unwirksam. Zwar ergibt sich diese Rechtsfolge weder explizit aus dem Wortlaut des § 18 noch aus den Gesetzesmaterialien. Zu Recht weist Wandt darauf hin, dass sich aufgrund der Gesetzesbegründungen zu den Halbzwingend-Anordnungsvorschriften (vgl. §§ 32, 42, 52 Abs. 5, 87, 129, 171, 191 und 208) „weder sicher darauf schließen [lässt], dass der Gesetzgeber die unterschiedlichen Formulierungen mit Bedacht gewählt hätte, noch darauf, dass er mit der veränderten Formulierung von der Rechtsfolge des VVG a. F. abweichen wollte“.21 Jedoch indiziert der Ausschluss des rechtlichen Könnens die Unwirksamkeit einer abweichenden Vereinbarung.22 Im Übrigen sprechen für die Unwirksamkeit einer abweichenden Vereinbarung gesetzessys- 12 tematische Überlegungen. Zum einen wird die Formulierung des Nicht-abweichen-Könnens i. S. d. Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen verwendet in § 451h Abs. 1 HGB23 und § 255 Abs. 3 S. 2 InsO.2425 Zum anderen wird die von §§ 312k Abs. 1, 487 S. 1, 512 S. 1, 651y S. 1, 655e Abs. 1, 675e Abs. 1 BGB verwendete Formulierung des Nicht-abweichen-Dürfens, die eine Abschwächung gegenüber dem Nicht-abweichen-Können bedeutet,26 ebenfalls i. S. d. Unwirksamkeit einer abweichenden Vereinbarung verstanden.27 Die Unwirksamkeit wirkt ipso iure, d. h. sie ist von Amts wegen zu beachten, ohne dass es einer irgendwie gearteten Geltendmachung durch den VN bedarf. Die Unwirksamkeit ist nach Sinn und Zweck des § 18 auf die abweichenden Vereinbarun- 13 gen beschränkt. Eines Rückgriffs auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§§ 139, 306 BGB) bedarf es weder bei Formular- noch bei Individualvereinbarungen.28 Es bleibt bei der Anwendung der gesetzlichen Regelungen. Gleichwohl unterliegen für den VN nachteilige Formularabweichungen auch der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB und sind an der halbzwingenden Norm zu messen.29 Dies hat zur Folge, dass eine Überprüfung im Verbandsprozess (§ 1 UKlaG) möglich ist30 und das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion übermäßiger Klauseln zur Anwendung kommt.31 Eine Abweichung von einer halbzwingenden Vorschrift zum Nachteil des VN begründet im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

21 Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 17. 22 Langheid/Wandt/Bruns § 307 BGB Rn. 135; Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 32 Rn. 22; Bruck/Möller/Schnepp § 87 Rn. 16; Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 18; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 18 Rn. 5. 23 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Heublein § 451h HGB Rn. 3. 24 MüKo-InsO/Huber § 255 Rn. 39. 25 Nach Ansicht des BGH 31.3.2010 – I ZR 34/08 NJW 2011 76 Rn. 25 begründet auch die Formulierung des „Nichtberufen-Könnens“ nach § 475 Abs. 1 BGB die Unwirksamkeit einer von den gesetzlichen Gewährleistungsvorschriften abweichenden Vereinbarung. 26 Vgl. MüKo-BGB/Wendehorst § 312k Rn. 9; MüKo-BGB/Franzen § 487 Rn. 6; MüKo-BGB/Schürnbrand § 512 Rn. 7. 27 Langheid/Wandt/Bruns § 307 BGB Rn. 135; BeckOK-BGB/Geib § 651y Rn. 9; MüKo-BGB/Casper BGB § 675e Rn. 3. 28 A.A. Looschelders/Pohlmann/Klenk § 18 Rn. 9; vgl. auch Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 25: HalbzwingendAnordnungsvorschriften des VVG sind lex specialis und verdrängen § 139 BGB nur dann, wenn es sich bei der abweichenden Vereinbarung um eine AVB-Regelung handelt. 29 Langheid/Wandt/Bruns § 307 BGB Rn. 135. 30 Langheid/Wandt/Bruns § 307 BGB Rn. 135. 31 BGH 23.9.2010 – III ZR 246/09, NJW 2011 139, 141; BGH 19.11.2009 – III ZR 108/08, BGHZ 183 220, 225 f. = NJW 2010 1277, 1278; BGH 16.1.2003 – IX ZR 171/00, BGHZ 153 293, 300 = NJW 2003 1521, 1523 jew. m. w. N. 955

K. Johannsen/Koch

§ 18 VVG

Abweichende Vereinbarungen

II. Großrisiken und laufende Versicherungen 14 Die Beschränkungen des § 18 gelten nicht bei der Versicherung von Großrisiken i. S. v. § 210 Abs. 2 und laufenden Versicherungen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die in § 18 genannten Vorschriften keine Anwendung finden. § 210 Abs. 1 hebt nur die Beschränkung der Vertragsfreiheit auf. Die in § 18 genannten Vorschriften bleiben jedoch als dispositives Recht anwendbar, solange sie von den Parteien nicht abbedungen werden. 15 Heppe32 hat sich für eine teleologische Reduktion des § 187 a. F., der weitgehend gleich lautenden Vorgängerregelung des § 210, dahin ausgesprochen, dass die Vorschrift nur für Großrisikoverträge gilt, bei denen auch die Parteien aus dem großgewerblichen Versicherungsgeschäft stammen, nicht aber Verbraucher sind. Ob hierfür eine Notwendigkeit besteht, erscheint zweifelhaft. Die hierfür von Heppe in erster Linie angeführte Reisegepäckversicherung wurde zwar früher häufig als Transportversicherung mit der Rechtsfolge der Anwendbarkeit des § 187 a. F. eingeordnet.33 Heute wird aber zu Recht überwiegend vertreten, dass sie keine Transportversicherung im Sinne des § 130 ist,34 weil das Schwergewicht der Versicherung nicht auf den besonderen Gefahren des Reisetransports, sondern in der Diebstahls- und Raubgefahr liege. Das gleiche Ergebnis hatte der BGH35 für die Juwelenversicherung und die Juwelier-, Reise- und Warenlagerversicherung angenommen. Von den von Heppe aufgeführten Beispielen verbleibt danach nur die Sportbootversicherung, die auch dann, wenn der Vertragspartner ein Verbraucher ist, § 210 unterfällt.36 Das von Heppe aufgezeigte Problem ist auch deshalb nicht dringlich, weil formularmäßige Abweichungen der Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB37 und individualvertragliche Abweichungen den allgemeinen Schutzregeln des BGB (z. B. §§ 138, 826 BGB) unterliegen. Das hat der BGH z. B. für Änderungen des Verschuldensmaßstabes für die Leistungsfreiheit38 sowie die Abbedingung des Kündigungserfordernisses in § 6 a. F. bejaht.39

D. Abdingbarkeit 16 § 18 ist selbst als halbzwingende Norm zu qualifizieren. Von ihr kann zum Vorteil des VN abgewichen werden, z. B. indem die Parteien die dispositiven Regelungen des Haftpflichtversicherungsrechts für halbzwingend erklären.40

E. Beweislast 17 Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast folgt allgemeinen Regeln. Beruft sich der VN auf die Unwirksamkeit einer Klausel, trägt er die Beweislast für die tatsächlichen Umstände, die die Unwirksamkeit begründen.

32 FS Winter (2007) S. 683. 33 OLG Celle 7.11.1975 – 8 U 111/75, VersR 1976 432; Hans. OLG Hamburg 12.6.1975 – 6 U 15/75, VersR 1976 433. 34 OLG Düsseldorf 17.9.1974 – 4 U 41/74, VersR 1975 563; LG Hamburg 15.12.1989 – 74 O 134/89, VersR 1990 1234; Prölss/Martin/Koller § 130 Rn. 9: Langheid/Rixecker/Langheid § 130 Rn. 14. 35 BGH 24.11.1971 – IV ZR 135/69, VersR 1972 85; BGH 26.2.1969 – IV ZR 541/68, VersR 1969 507. 36 Langheid/Rixecker/Langheid § 130 Rn. 14; vgl. auch Prölss/Martin/Koller § 130 Rn. 9. 37 BGH 18.3.2009 – IV ZR 298/06, VersR 2009 769 Rn. 8; BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, VersR 2007 1690 Rn. 15, 22 ff., insbesondere 26 ff.; BGH 2.3.1994 – IV ZR 109/93, VersR 1994 549. 38 Vgl. BGH 9.5.1984 – IVa ZR 175/82, VersR 1984 830. 39 Vgl. BGH 18.3.2009 – IV ZR 298/06, VersR 2009 769 Rn. 8 f. 40 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 § 112 Rn. 13; Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 46; Langheid/Wandt/Fausten § 18 Rn. 38. K. Johannsen/Koch

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Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-Informationspflichtenverordnung – VVG-InfoV) VVG-InfoV Ausfertigungsdatum: 18.12.2007 Vollzitat: „VVG-Informationspflichtenverordnung vom 18. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3004), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 6. März 2018 (BGBl. I S. 225) geändert worden ist“ Stand: Zuletzt geändert durch Art. 1 V v. 6.3.2018 I 225 Näheres zur Standangabe finden Sie im Menü unter Hinweise Die Verordnung dient der Umsetzung der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG (ABl. EG Nr. L 228 S. 1), der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. EG Nr. L 271 S. 16) sowie der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. EG Nr. L 345 S. 1). Fußnote (+++ Textnachweis ab: 1.1.2008 +++) (+++ Amtlicher Hinweis des Normgebers auf EG-Recht: Umsetzung der EWGRL 49/92 (CELEX Nr: 392L0049) EGRL 65/2002 (CELEX Nr: 302L0065) EGRL 83/2002 (CELEX Nr: 302L0083) +++)

Eingangsformel Auf Grund des § 7 Abs. 2 und 3 des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) verordnet das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und im Benehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:

§ 1 Informationspflichten bei allen Versicherungszweigen (1) Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes folgende Informationen zur Verfügung zu stellen: 1. die Identität des Versicherers und der etwaigen Niederlassung, über die der Vertrag abgeschlossen werden soll; anzugeben ist auch das Handelsregister, bei dem der Rechtsträger eingetragen ist, und die zugehörige Registernummer; 2. die Identität eines Vertreters des Versicherers in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hat, wenn es einen solchen 957 https://doi.org/10.1515/9783110522600-033

Herrmann

§ 1 VVG-InfoV

3.

4. 5.

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Herrmann

Informationspflichten bei allen Versicherungszweigen

Vertreter gibt, oder die Identität einer anderen gewerblich tätigen Person als dem Anbieter, wenn der Versicherungsnehmer mit dieser geschäftlich zu tun hat, und die Eigenschaft, in der diese Person gegenüber dem Versicherungsnehmer tätig wird; die ladungsfähige Anschrift des Versicherers und jede andere Anschrift, die für die Geschäftsbeziehung zwischen dem Versicherer, seinem Vertreter oder einer anderen gewerblich tätigen Person gemäß Nummer 2 und dem Versicherungsnehmer maßgeblich ist, bei juristischen Personen, Personenvereinigungen oder -gruppen auch den Namen eines Vertretungsberechtigten; die Hauptgeschäftstätigkeit des Versicherers; Angaben über das Bestehen eines Garantiefonds oder anderer Entschädigungsregelungen, die nicht unter die Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme (ABl. EG Nr. L 135 S. 5) und die Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger (ABl. EG Nr. L 84 S. 22) fallen; Name und Anschrift des Garantiefonds sind anzugeben; a) die für das Versicherungsverhältnis geltenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen einschließlich der Tarifbestimmungen; b) die wesentlichen Merkmale der Versicherungsleistung, insbesondere Angaben über Art, Umfang und Fälligkeit der Leistung des Versicherers; den Gesamtpreis der Versicherung einschließlich aller Steuern und sonstigen Preisbestandteile, wobei die Prämien einzeln auszuweisen sind, wenn das Versicherungsverhältnis mehrere selbständige Versicherungsverträge umfassen soll, oder, wenn ein genauer Preis nicht angegeben werden kann, Angaben zu den Grundlagen seiner Berechnung, die dem Versicherungsnehmer eine Überprüfung des Preises ermöglichen; gegebenenfalls zusätzlich anfallende Kosten unter Angabe des insgesamt zu zahlenden Betrages sowie mögliche weitere Steuern, Gebühren oder Kosten, die nicht über den Versicherer abgeführt oder von ihm in Rechnung gestellt werden; anzugeben sind auch alle Kosten, die dem Versicherungsnehmer für die Benutzung von Fernkommunikationsmitteln entstehen, wenn solche zusätzlichen Kosten in Rechnung gestellt werden; Einzelheiten hinsichtlich der Zahlung und der Erfüllung, insbesondere zur Zahlungsweise der Prämien; die Befristung der Gültigkeitsdauer der zur Verfügung gestellten Informationen, beispielsweise die Gültigkeitsdauer befristeter Angebote, insbesondere hinsichtlich des Preises; gegebenenfalls den Hinweis, dass sich die Finanzdienstleistung auf Finanzinstrumente bezieht, die wegen ihrer spezifischen Merkmale oder der durchzuführenden Vorgänge mit speziellen Risiken behaftet sind, oder deren Preis Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegt, auf die der Versicherer keinen Einfluss hat, und dass in der Vergangenheit erwirtschaftete Beträge kein Indikator für künftige Erträge sind; die jeweiligen Umstände und Risiken sind zu bezeichnen; Angaben darüber, wie der Vertrag zustande kommt, insbesondere über den Beginn der Versicherung und des Versicherungsschutzes sowie die Dauer der Frist, während der der Antragsteller an den Antrag gebunden sein soll; das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung, insbesondere Namen und Anschrift derjenigen Person, gegenüber der der Widerruf zu erklären ist, und die Rechtsfolgen des Widerrufs einschließlich Informationen über den Betrag, den der Versicherungsnehmer im Falle des Widerrufs gegebenenfalls zu zahlen hat; Angaben zur Laufzeit und gegebenenfalls zur Mindestlaufzeit des Vertrages; Angaben zur Beendigung des Vertrages, insbesondere zu den vertraglichen Kündigungsbedingungen einschließlich etwaiger Vertragsstrafen;

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Informationspflichten bei Lebens-, Berufsunfähigkeits- und Pflichtversicherung

VVG-InfoV § 2

16. die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Recht der Versicherer der Aufnahme von Beziehungen zum Versicherungsnehmer vor Abschluss des Versicherungsvertrages zugrunde legt; 17. das auf den Vertrag anwendbare Recht, eine Vertragsklausel über das auf den Vertrag anwendbare Recht oder über das zuständige Gericht; 18. die Sprachen, in welchen die Vertragsbedingungen und die in dieser Vorschrift genannten Vorabinformationen mitgeteilt werden, sowie die Sprachen, in welchen sich der Versicherer verpflichtet, mit Zustimmung des Versicherungsnehmers die Kommunikation während der Laufzeit dieses Vertrages zu führen; 19. einen möglichen Zugang des Versicherungsnehmers zu einem außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren und gegebenenfalls die Voraussetzungen für diesen Zugang; dabei ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit für den Versicherungsnehmer, den Rechtsweg zu beschreiten, hiervon unberührt bleibt; 20. Name und Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde sowie die Möglichkeit einer Beschwerde bei dieser Aufsichtsbehörde. (2) Soweit die Mitteilung durch Übermittlung der Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen erfolgt, bedürfen die Informationen nach Absatz 1 Nr. 3, 13 und 15 einer hervorgehobenen und deutlich gestalteten Form.

§ 2 Informationspflichten bei der Lebensversicherung, der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr (1) Bei der Lebensversicherung hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes zusätzlich zu den in § 1 Abs. 1 genannten Informationen die folgenden Informationen zur Verfügung zu stellen: 1. Angaben zur Höhe der in die Prämie einkalkulierten Kosten; dabei sind die einkalkulierten Abschlusskosten als einheitlicher Gesamtbetrag und die übrigen einkalkulierten Kosten als Anteil der Jahresprämie unter Angabe der jeweiligen Laufzeit auszuweisen; bei den übrigen einkalkulierten Kosten sind die einkalkulierten Verwaltungskosten zusätzlich gesondert als Anteil der Jahresprämie unter Angabe der jeweiligen Laufzeit auszuweisen; 2. Angaben zu möglichen sonstigen Kosten, insbesondere zu Kosten, die einmalig oder aus besonderem Anlass entstehen können; 3. Angaben über die für die Überschussermittlung und Überschussbeteiligung geltenden Berechnungsgrundsätze und Maßstäbe; 4. Angabe der in Betracht kommenden Rückkaufswerte; 5. Angaben über den Mindestversicherungsbetrag für eine Umwandlung in eine prämienfreie oder eine prämienreduzierte Versicherung und über die Leistungen aus einer prämienfreien oder prämienreduzierten Versicherung; 6. das Ausmaß, in dem die Leistungen nach den Nummern 4 und 5 garantiert sind; 7. bei fondsgebundenen Versicherungen Angaben über die der Versicherung zugrunde liegenden Fonds und die Art der darin enthaltenen Vermögenswerte; 8. allgemeine Angaben über die für diese Versicherungsart geltende Steuerregelung; 9. bei Lebensversicherungsverträgen, die Versicherungsschutz für ein Risiko bieten, bei dem der Eintritt der Verpflichtung des Versicherers gewiss ist, die Minderung der Wertentwicklung durch Kosten in Prozentpunkten (Effektivkosten) bis zum Beginn der Auszahlungsphase. (2) Die Angaben nach Absatz 1 Nr. 1, 2, 4 und 5 haben in Euro zu erfolgen. Bei Absatz 1 Nr. 6 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass das Ausmaß der Garantie in Euro anzugeben ist. 959

Herrmann

§ 3 VVG-InfoV

Informationspflichten bei der Krankenversicherung

(3) Die vom Versicherer zu übermittelnde Modellrechnung im Sinne von § 154 Abs. 1 des Versicherungsvertragsgesetzes ist mit folgenden Zinssätzen darzustellen: 1. dem Höchstrechnungszinssatz, multipliziert mit 1,67, 2. dem Zinssatz nach Nummer 1 zuzüglich eines Prozentpunktes und 3. dem Zinssatz nach Nummer 1 abzüglich eines Prozentpunktes. (4) Auf die Berufsunfähigkeitsversicherung sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der in den Versicherungsbedingungen verwendete Begriff der Berufsunfähigkeit nicht mit dem Begriff der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsminderung im sozialrechtlichen Sinne oder dem Begriff der Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen in der Krankentagegeldversicherung übereinstimmt. (5) Auf die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr sind Absatz 1 Nr. 3 bis 8 und Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

§ 3 Informationspflichten bei der Krankenversicherung (1) Bei der substitutiven Krankenversicherung (§ 146 Absatz 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes) hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes zusätzlich zu den in § 1 Abs. 1 genannten Informationen folgende Informationen zur Verfügung zu stellen: 1. Angaben zur Höhe der in die Prämie einkalkulierten Kosten; dabei sind die einkalkulierten Abschlusskosten als einheitlicher Gesamtbetrag und die übrigen einkalkulierten Kosten als Anteil der Jahresprämie unter Angabe der jeweiligen Laufzeit auszuweisen; bei den übrigen einkalkulierten Kosten sind die einkalkulierten Verwaltungskosten zusätzlich gesondert als Anteil der Jahresprämie unter Angabe der jeweiligen Laufzeit auszuweisen; 2. Angaben zu möglichen sonstigen Kosten, insbesondere zu Kosten, die einmalig oder aus besonderem Anlass entstehen können; 3. Angaben über die Auswirkungen steigender Krankheitskosten auf die zukünftige Beitragsentwicklung; 4. Hinweise auf die Möglichkeiten zur Beitragsbegrenzung im Alter, insbesondere auf die Möglichkeiten eines Wechsels in den Standardtarif oder Basistarif oder in andere Tarife gemäß § 204 des Versicherungsvertragsgesetzes und der Vereinbarung von Leistungsausschlüssen, sowie auf die Möglichkeit einer Prämienminderung gemäß § 152 Absatz 3 und 4 des Versicherungsaufsichtsgesetzes; 5. einen Hinweis, dass ein Wechsel von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung in fortgeschrittenem Alter in der Regel ausgeschlossen ist; 6. einen Hinweis, dass ein Wechsel innerhalb der privaten Krankenversicherung in fortgeschrittenem Alter mit höheren Beiträgen verbunden sein kann und gegebenenfalls auf einen Wechsel in den Standardtarif oder Basistarif beschränkt ist; 7. eine Übersicht über die Beitragsentwicklung im Zeitraum der dem Angebot vorangehenden zehn Jahre; anzugeben ist, welcher monatliche Beitrag in den dem Angebot vorangehenden zehn Jahren jeweils zu entrichten gewesen wäre, wenn der Versicherungsvertrag zum damaligen Zeitpunkt von einer Person gleichen Geschlechts wie der Antragsteller mit Eintrittsalter von 35 Jahren abgeschlossen worden wäre; besteht der angebotene Tarif noch nicht seit zehn Jahren, so ist auf den Zeitpunkt der Einführung des Tarifs abzustellen, und es ist darauf hinzuweisen, dass die Aussagekraft der Übersicht wegen der kurzen Zeit, die seit der Einführung des Tarifs vergangen ist, begrenzt ist; ergänzend ist die Entwicklung eines vergleichbaren Tarifs, der bereits seit zehn Jahren besteht, darzustellen. (2) Die Angaben zu Absatz 1 Nr. 1, 2 und 7 haben in Euro zu erfolgen. Herrmann

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Informationspflichten während der Laufzeit des Vertrages

VVG-InfoV § 6

§ 4 Produktinformationsblatt (1) Ist der Versicherungsnehmer ein Verbraucher, so hat der Versicherer ihm ein Produktinformationsblatt zur Verfügung zu stellen. (2) Das Produktinformationsblatt ist nach der Durchführungsverordnung (EU) 2017/1469 der Kommission vom 11. August 2017 zur Festlegung eines Standardformats für das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten (ABl. L 209 vom 12.8.2017, S. 19) in ihrer jeweils geltenden Fassung zu erstellen; unter den Überschriften, die nach Artikel 4 Absatz 1 in Verbindung mit dem Anhang oder nach Absatz 4 der Durchführungsverordnung zu verwenden sind, sind die entsprechenden Informationen zu geben. Zusätzlich sind bei Versicherungsprodukten, die kein Versicherungsprodukt im Sinne des Anhangs I der Richtlinie 2009/138/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. L 335 vom 17.12.2009, S. 1) sind, die Prämie, die Abschluss- und Vertriebskosten und die Verwaltungskosten (§ 2 Absatz 1 Nummer 1) sowie die sonstigen Kosten (§ 2 Absatz 1 Nummer 2) jeweils in Euro gesondert auszuweisen; die Information ist unter der Überschrift „Prämie; Kosten“ als letzte Information zu geben. (3) Diese Regelung gilt nicht für Versicherungsanlageprodukte im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) (ABl. L 352 vom 9.12.2014, S. 1; L 358 vom 13.12.2014, S. 50), die durch die Verordnung (EU) 2016/2340 (ABl. L 354 vom 23.12.2016, S. 35) geändert worden ist.

§ 5 Informationspflichten bei Telefongesprächen (1) Nimmt der Versicherer mit dem Versicherungsnehmer telefonischen Kontakt auf, muss er seine Identität und den geschäftlichen Zweck des Kontakts bereits zu Beginn eines jeden Gesprächs ausdrücklich offenlegen. (2) Bei Telefongesprächen hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer aus diesem Anlass nur die Informationen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 6 Buchstabe b, Nr. 7 bis 10 und 12 bis 14 mitzuteilen. Satz 1 gilt nur, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer darüber informiert hat, dass auf Wunsch weitere Informationen mitgeteilt werden können und welcher Art diese Informationen sind, und der Versicherungsnehmer ausdrücklich auf die Mitteilung der weiteren Informationen zu diesem Zeitpunkt verzichtet. (3) Die in §§ 1 bis 4 vorgesehenen Informationspflichten bleiben unberührt.

§ 6 Informationspflichten während der Laufzeit des Vertrages (1) Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer während der Laufzeit des Versicherungsvertrages folgende Informationen mitzuteilen: 1. jede Änderung der Identität oder der ladungsfähigen Anschrift des Versicherers und der etwaigen Niederlassung, über die der Vertrag abgeschlossen worden ist; 2. Änderungen bei den Angaben nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe b, Nr. 7 bis 9 und 14 sowie nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 bis 7, sofern sie sich aus Änderungen von Rechtsvorschriften ergeben; 3. soweit nach dem Vertrag eine Überschussbeteiligung vorgesehen ist, alljährlich eine Information über den Stand der Überschussbeteiligung sowie Informationen darüber, inwieweit diese Überschussbeteiligung garantiert ist; dies gilt nicht für die Krankenversicherung. 961

Herrmann

§ 7 VVG-InfoV

Übergangsvorschrift

(2) Bei der substitutiven Krankenversicherung nach § 146 Absatz 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes hat der Versicherer bei jeder Prämienerhöhung unter Beifügung des Textes der gesetzlichen Regelung auf die Möglichkeit des Tarifwechsels (Umstufung) gemäß § 204 des Versicherungsvertragsgesetzes hinzuweisen. Bei Versicherten, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, ist der Versicherungsnehmer auf Tarife, die einen gleichartigen Versicherungsschutz wie die bisher vereinbarten Tarife bieten und bei denen eine Umstufung zu einer Prämienreduzierung führen würde, hinzuweisen. Der Hinweis muss solche Tarife enthalten, die bei verständiger Würdigung der Interessen des Versicherungsnehmers für eine Umstufung besonders in Betracht kommen. Zu den in Satz 2 genannten Tarifen zählen jedenfalls diejenigen Tarife mit Ausnahme des Basistarifs, die jeweils im abgelaufenen Geschäftsjahr den höchsten Neuzugang, gemessen an der Zahl der versicherten Personen, zu verzeichnen hatten. Insgesamt dürfen nicht mehr als zehn Tarife genannt werden. Dabei ist jeweils anzugeben, welche Prämien für die versicherten Personen im Falle eines Wechsels in den jeweiligen Tarif zu zahlen wären. Darüber hinaus ist auf die Möglichkeit eines Wechsels in den Standardtarif oder Basistarif hinzuweisen. Dabei sind die Voraussetzungen des Wechsels in den Standardtarif oder Basistarif, die in diesem Falle zu entrichtende Prämie sowie die Möglichkeit einer Prämienminderung im Basistarif gemäß § 152 Absatz 4 des Versicherungsaufsichtsgesetzes mitzuteilen. Auf Anfrage ist dem Versicherungsnehmer der Übertragungswert gemäß § 146 Absatz 1 Nummer 5 des Versicherungsaufsichtsgesetzes anzugeben; ab dem 1. Januar 2013 ist der Übertragungswert jährlich mitzuteilen.

§ 7 Übergangsvorschrift Für Versicherungsprodukte, die weder Versicherungsanlageprodukt im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 noch Versicherungsprodukt im Sinne des Anhangs I der Richtlinie 2009/138/ EG sind, kann der Versicherer bis einschließlich 31. Dezember 2018 das Produktinformationsblatt nach § 4 in seiner bis 13. März 2018 geltenden Fassung gestalten.

Herrmann

962

Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung (Versicherungsvermittlungsverordnung – VersVermV) VersVermV Ausfertigungsdatum: 17.12.2018 Vollzitat: „Versicherungsvermittlungsverordnung vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2483; 2019 I S. 411)“ Ersetzt V 7100-1-9 v. 15.5.2007 I 733 (VersVermV) Näheres zur Standangabe finden Sie im Menü unter Hinweise Fußnote (+++ Textnachweis ab: 20.12.2018 +++) (+++ Zur Nichtgeltung vgl. § 25 +++) Die Verordnung wurde als Art. 1 der V v. 17.12.2018 I 2483 von dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit Zustimmung des Bundesrates erlassen. Sie ist gem. Art. 4 Satz 1 dieser V am 20.12.2018 in Kraft getreten.

Inhaltsübersicht Abschnitt 1 § 1 § 2 § 3 § 4 § 5 § 6 § 7 Abschnitt 2 § 8 § 9 § 10 Abschnitt 3 § 11 § 12 § 13 Abschnitt 4 § 14 § 15 § 16 § 17 Abschnitt 5 § 18 § 19 Abschnitt 6 § 20 § 21

Erlaubnisverfahren, Sachkundenachweis, Weiterbildung Zusätzliche Angaben bei der Antragstellung Sachkundeprüfung Zuständige Stelle und Prüfungsausschuss Prüfung, Verfahren Gleichstellung anderer Berufsqualifikationen Anerkennung von ausländischen Befähigungsnachweisen im Rahmen der Niederlassungsfreiheit Weiterbildung Vermittlerregister Angaben zur Speicherung im Vermittlerregister Mitteilungspflichten Zugang Anforderungen an die Berufshaftpflichtversicherung Geltungsbereich der Versicherung Umfang der Versicherung Versicherungsbestätigung, Anzeigepflicht des Versicherungsunternehmens Anforderungen an die Geschäftsorganisation, Informationspflichten Anforderungen an die Geschäftsorganisation, Vergütung, Vermeidung von Interessenkonflikten Information des Versicherungsnehmers Einzelheiten der Mitteilung Behandlung von Beschwerden Ergänzende Vorschriften für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten Vergütung Zahlungssicherung des Gewerbetreibenden zugunsten des Versicherungsnehmers Sicherheitsleistung, Versicherung Nachweis

963 https://doi.org/10.1515/9783110522600-034

§ 2 VersVermV

§ 22 § 23 § 24 § 25 Abschnitt 7 § 26 § 27

Sachkundeprüfung

Aufzeichnungspflicht des Gewerbetreibenden Prüfungen Rechte und Pflichten der an der Prüfung Beteiligten Rückversicherungen Ordnungswidrigkeiten, Übergangsregelung Ordnungswidrigkeiten Übergangsregelung

Abschnitt 1 Erlaubnisverfahren, Sachkundenachweis, Weiterbildung § 1 Zusätzliche Angaben bei der Antragstellung (1) Mit einem Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 34d Absatz 1 oder 2 der Gewerbeordnung hat der Antragsteller der zuständigen Industrie- und Handelskammer zum Zwecke der späteren Überwachung des Erlaubnisinhabers zusätzlich folgende Angaben zu übermitteln: 1. die natürlichen oder juristischen Personen, die eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von über 10 Prozent an den Stimmrechten oder am Kapital des Antragstellers halten, sowie die jeweilige Höhe der Beteiligung, 2. die natürlichen oder juristischen Personen mit engen Verbindungen im Sinne des § 7 Nummer 7 des Versicherungsaufsichtsgesetzes zum Antragsteller, die zu Interessenkonflikten führen können, 3. die Tatsachen, die ausschließen, dass die Beteiligungen im Sinne der Nummer 1 und die engen Verbindungen im Sinne der Nummer 2 die Überwachung durch die zuständige Industrie- und Handelskammer beeinträchtigen. (2) Änderungen der Angaben nach Absatz 1, die nach Erteilung der Erlaubnis eintreten, hat der Antragsteller der zuständigen Industrie- und Handelskammer unverzüglich mitzuteilen.

§ 2 Sachkundeprüfung (1) Gegenstand der Sachkundeprüfung nach § 34d Absatz 5 Satz 1 Nummer 4 der Gewerbeordnung sind die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten auf folgenden Gebieten und deren praktische Anwendung: 1. fachliche Grundlagen: a) rechtliche Grundlagen für die Versicherungsvermittlung und -beratung, b) sozialversicherungsrechtliche Rahmenbedingungen, insbesondere gesetzliche Rentenversicherung, private Vorsorge durch Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung, Grundzüge der betrieblichen Altersversorgung, staatliche Förderung und steuerliche Behandlung der privaten Vorsorge und der durch Entgeltumwandlung finanzierten betrieblichen Altersversorgung, c) Unfallversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung, d) verbundene Hausratversicherung und verbundene Gebäudeversicherung, e) Haftpflichtversicherung, Kraftfahrtversicherung und Rechtsschutzversicherung; 2. Kundenberatung: a) Bedarfsermittlung, b) Lösungsmöglichkeiten, c) Produktdarstellung und Information. (2) Die Sachkundeprüfung umfasst zu den in Absatz 1 Nummer 1 genannten Grundlagen insbesondere den zielgruppenspezifischen Bedarf, die Angebotsformen, den Leistungsumfang, den Versicherungsfall sowie die rechtlichen Grundlagen und marktüblichen allgemeinen 964

Prüfung, Verfahren

VersVermV § 4

Versicherungsbedingungen. Die inhaltlichen Anforderungen an die Sachkundeprüfung bestimmen sich nach der Anlage 1. (3) Personen, die seit dem 31. August 2000 selbständig oder unselbständig ununterbrochen als Versicherungsvermittler oder als Versicherungsberater tätig sind, bedürfen keiner Sachkundeprüfung. Personen, die vor dem 1. Januar 2009 eine Erlaubnis nach § 34d Absatz 1 oder nach § 34e Absatz 1 der Gewerbeordnung in der zu dem vorstehend genannten Zeitpunkt geltenden Fassung beantragt haben, bedürfen auch im Falle einer nach der Antragstellung eingetretenen Unterbrechung ihrer Tätigkeit als Versicherungsvermittler oder Versicherungsberater keiner Sachkundeprüfung.

§ 3 Zuständige Stelle und Prüfungsausschuss (1) Die Sachkundeprüfung kann bei jeder Industrie- und Handelskammer abgelegt werden. (2) Für die Abnahme der Prüfung errichten die Industrie- und Handelskammern Prüfungsausschüsse. Sie berufen die Mitglieder dieser Ausschüsse. Die Mitglieder müssen für die Prüfungsgebiete sachkundig, mit der aktuellen Praxis der Versicherungsvermittlung oder -beratung durch eigene Erfahrung vertraut und für die Mitwirkung im Prüfungswesen geeignet sein. (3) Mehrere Industrie- und Handelskammern können im Rahmen des § 10 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern Vereinbarungen zur gemeinsamen Durchführung der Sachkundeprüfung, insbesondere über einen gemeinsamen Prüfungsausschuss, schließen.

§ 4 Prüfung, Verfahren (1) Die Sachkundeprüfung besteht aus einem schriftlichen und einem praktischen Teil. Die Teilnahme am praktischen Teil der Prüfung setzt das Bestehen des schriftlichen Teils voraus. (2) Der schriftliche Teil der Prüfung umfasst die in § 2 Absatz 1 Nummer 1 aufgeführten Sachgebiete. Sie sind anhand praxisbezogener Aufgaben und in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander zu prüfen. Der schriftliche Teil der Prüfung kann mit Hilfe unterschiedlicher Medien durchgeführt werden. (3) Die Auswahl der Prüfungsaufgaben für den schriftlichen Teil der Prüfung trifft ein nach Maßgabe des § 32 Absatz 2 der Gewerbeordnung eingerichteter bundesweit einheitlich tätiger Aufgabenauswahlausschuss. Der Aufgabenauswahlausschuss ist mit acht Mitgliedern und acht stellvertretenden Mitgliedern zu besetzen. Die Berufung der Mitglieder und der Stellvertreter erfolgt nach Anhörung von Vertretern der Versicherungsunternehmen, der Versicherungsmakler, der Versicherungsberater, der Versicherungsvertreter und der Außendienstführungskräfte. Es werden berufen: 1. zwei Mitglieder und zwei Stellvertreter aus den Reihen der Versicherungsunternehmen oder der Vertreter ihrer Interessen, 2. zwei Mitglieder und zwei Stellvertreter aus den Reihen der Versicherungsmakler oder der Versicherungsberater oder der Vertreter ihrer Interessen, 3. zwei Mitglieder und zwei Stellvertreter aus den Reihen der Versicherungsvertreter oder der Vertreter ihrer Interessen, 4. ein Mitglied und ein Stellvertreter aus den Reihen der Außendienstführungskräfte oder der Vertreter ihrer Interessen sowie 5. ein Mitglied und ein Stellvertreter aus den Reihen der Industrie- und Handelskammern oder der Vertreter ihrer Interessen. Die Mitglieder des Ausschusses sowie ihre Stellvertreter müssen in der Lage sein, sachverständige Entscheidungen zur Aufgabenauswahl zu treffen. Die Prüfungsaufgaben werden 965

§ 5 VersVermV

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Gleichstellung anderer Berufsqualifikationen

auch nach der Prüfung nicht veröffentlicht, sondern stehen den Prüflingen nur während der Prüfung zur Verfügung. Im praktischen Teil der Prüfung wird jeweils ein Prüfling geprüft. Dieser Prüfungsteil umfasst die Kundenberatung nach § 2 Absatz 1 Nummer 2 und wird als Simulation eines Kundenberatungsgesprächs durchgeführt. Der Prüfling hat nachzuweisen, dass er über die Fähigkeiten verfügt, kundengerechte Lösungen zu entwickeln und anzubieten. Dabei kann der Prüfling wählen zwischen den Sachgebieten 1. Vorsorge mit den Teilsachgebieten Lebensversicherung, private Rentenversicherung, Unfallversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung oder 2. Sach- und Vermögensversicherung mit den Teilsachgebieten Haftpflichtversicherung, Kraftfahrtversicherung, Hausratversicherung, Gebäudeversicherung und Rechtsschutzversicherung. Die Prüfung ist auf der Grundlage einer Fallvorgabe durchzuführen, die eine Kundenberatungssituation entweder als Versicherungsvermittler oder als Versicherungsberater vorsieht. Der praktische Teil der Prüfung entfällt, wenn der Prüfling 1. eine Erlaubnis nach § 34f Absatz 1 Satz 1, § 34h Absatz 1 Satz 1 oder § 34i Absatz 1 Satz 1 der Gewerbeordnung hat, oder 2. einen Sachkundenachweis erlangt hat nach a) § 34f Absatz 2 Nummer 4 der Gewerbeordnung, b) § 34h Absatz 1 Satz 4 in Verbindung mit § 34f Absatz 2 Nummer 4 der Gewerbeordnung oder c) § 34i Absatz 2 Nummer 4. Die Prüfung ist nicht öffentlich. Es können jedoch folgende Personen anwesend sein: 1. Vertreter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, 2. Mitglieder eines anderen Prüfungsausschusses, 3. Vertreter der Industrie- und Handelskammern, 4. Personen, die beauftragt sind, die Qualität der Prüfungen zu kontrollieren, oder 5. Personen, die dafür vorgesehen sind, in einen Prüfungsausschuss berufen zu werden. Diese Personen dürfen nicht in die laufende Prüfung eingreifen oder in die Beratung über das Prüfungsergebnis einbezogen werden. Die Leistung des Prüflings ist von dem Prüfungsausschuss mit „bestanden“ oder „nicht bestanden“ zu bewerten. Die Prüfung ist bestanden, wenn sowohl der schriftliche als auch der praktische Teil der Prüfung jeweils mit „bestanden“ bewertet worden sind. Der schriftliche Teil der Prüfung ist bestanden, wenn der Prüfling 1. in vier der in § 2 Absatz 1 Nummer 1 genannten Bereiche jeweils mindestens 50 Prozent und 2. in dem verbliebenen Bereich mindestens 30 Prozent der erreichbaren Punkte erzielt. Der praktische Teil der Prüfung ist bestanden, wenn der Prüfling mindestens 50 Prozent der erreichbaren Punkte erzielt. Die Industrie- und Handelskammer stellt unverzüglich eine Bescheinigung nach Anlage 2 aus, wenn der Prüfling die Prüfung bestanden hat. Wurde die Prüfung nicht erfolgreich bestanden, erhält der Prüfling darüber einen Bescheid, in dem er auf die Möglichkeit einer Wiederholung der Prüfung hinzuweisen ist. Die Einzelheiten des Prüfungsverfahrens regeln die Industrie- und Handelskammern nach Maßgabe des § 32 Absatz 1 Satz 2 der Gewerbeordnung durch Satzung.

§ 5 Gleichstellung anderer Berufsqualifikationen (1) Folgende Berufsqualifikationen und deren Vorläufer sind der Sachkundeprüfung gleichgestellt: 966

Weiterbildung

VersVermV § 7

1.

eine mit Erfolg abgelegte Abschlussprüfung a) als Versicherungskaufmann oder Versicherungskauffrau, b) als Kaufmann für Versicherungen und Finanzen oder als Kauffrau für Versicherungen und Finanzen, c) als Geprüfter Fachwirt für Versicherungen und Finanzen oder als Geprüfte Fachwirtin für Versicherungen und Finanzen oder d) als Geprüfter Fachwirt für Finanzberatung oder als Geprüfte Fachwirtin für Finanzberatung; 2. ein Abschlusszeugnis a) eines betriebswirtschaftlichen Studiengangs der Fachrichtung Bank, Versicherungen oder Finanzdienstleistung mit einem Hochschulabschluss oder einem gleichwertigem Abschluss, b) als Geprüfter Fachberater für Finanzdienstleistungen oder Geprüfte Fachberaterin für Finanzdienstleistungen mit einer abgeschlossenen Ausbildung als Bank- oder Sparkassenkaufmann oder als Bank- oder Sparkassenkauffrau, c) als Geprüfter Fachberater für Finanzdienstleistungen oder Geprüfte Fachberaterin für Finanzdienstleistungen mit einer abgeschlossenen allgemeinen kaufmännischen Ausbildung oder d) als Geprüfter Finanzfachwirt oder Geprüfte Finanzfachwirtin mit einem abgeschlossenen weiterbildenden Zertifikatsstudium an einer Hochschule, wenn zusätzlich eine mindestens einjährige Berufserfahrung im Bereich der Versicherungsvermittlung oder der Versicherungsberatung nachgewiesen wird; 3. ein Abschlusszeugnis als a) Bank- oder Sparkassenkaufmann oder als Bank- oder Sparkassenkauffrau, b) Investmentfondskaufmann oder Investmentfondskauffrau oder c) Geprüfter Fachberater für Finanzdienstleistungen oder Geprüfte Fachberaterin für Finanzdienstleistungen, wenn zusätzlich eine mindestens zweijährige Berufserfahrung im Bereich der Versicherungsvermittlung oder der Versicherungsberatung nachgewiesen wird. (2) Der erfolgreiche Abschluss eines mathematischen, wirtschaftswissenschaftlichen oder rechtswissenschaftlichen Studiums an einer Hochschule oder Berufsakademie wird als Sachkundenachweis anerkannt, wenn in der Regel zusätzlich eine mindestens dreijährige Berufserfahrung im Bereich der Versicherungsvermittlung oder der Versicherungsberatung nachgewiesen wird.

§ 6 Anerkennung von ausländischen Befähigungsnachweisen im Rahmen der Niederlassungsfreiheit Unterscheiden sich die nach § 13c der Gewerbeordnung vorgelegten Nachweise hinsichtlich der zugrunde liegenden Sachgebiete wesentlich von den Anforderungen der §§ 2 und 4 und gleichen die Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen, die die antragstellende Person im Rahmen ihrer Berufspraxis oder durch sonstige einschlägige nachgewiesene Qualifikationen erworben hat, diesen wesentlichen Unterschied nicht aus, so ist die Erlaubnis zur Aufnahme der angestrebten Tätigkeit von der erfolgreichen Teilnahme an einer ergänzenden, diese Sachgebiete umfassenden Sachkundeprüfung (spezifische Sachkundeprüfung) abhängig.

§ 7 Weiterbildung (1) Durch die Weiterbildung erbringen die nach § 34d Absatz 9 Satz 2 der Gewerbeordnung zur Weiterbildung Verpflichteten den Nachweis, dass sie ihre berufliche Handlungsfähigkeit 967

§ 8 VersVermV

Angaben zur Speicherung im Vermittlerregister

erhalten, anpassen oder erweitern. Die Weiterbildung muss dabei mindestens den Anforderungen der ausgeübten Tätigkeiten des zur Weiterbildung Verpflichteten entsprechen und die Aufrechterhaltung seiner Fachkompetenz und seiner personalen Kompetenz gewährleisten. Die Weiterbildung kann in Präsenzform, im Selbststudium, durch betriebsinterne Maßnahmen des Gewerbetreibenden oder in einer anderen geeigneten Form durchgeführt werden. Bei Weiterbildungsmaßnahmen im Selbststudium ist eine nachweisbare Lernerfolgskontrolle durch den Anbieter der Weiterbildung erforderlich. Der Anbieter muss sicherstellen, dass der Weiterbildungsmaßnahme eine Planung zugrunde liegt, sie systematisch organisiert ist und die Qualifikation derjenigen, die die Weiterbildung durchführen, gewährleistet wird. Die Anforderungen an die Qualität der Weiterbildungsmaßnahme bestimmen sich nach der Anlage 3. Der Erwerb einer der in § 5 aufgeführten Berufsqualifikationen gilt als Weiterbildung. (2) Die zur Weiterbildung verpflichteten Gewerbetreibenden nach § 34d Absatz 9 Satz 2 der Gewerbeordnung sind verpflichtet, nach Maßgabe des Satzes 2 Nachweise und Unterlagen zu sammeln über Weiterbildungsmaßnahmen, an denen sie und ihre zur Weiterbildung verpflichteten Beschäftigten teilgenommen haben. Aus den Nachweisen und Unterlagen müssen mindestens ersichtlich sein 1. Name und Vorname des Gewerbetreibenden oder des jeweiligen Beschäftigten, 2. Datum, Umfang, Inhalt und Bezeichnung der Weiterbildungsmaßnahme, 3. Name und Vorname oder Firma sowie Adresse und Kontaktdaten des Weiterbildungsanbieters. Die Nachweise und Unterlagen sind fünf Jahre auf einem dauerhaften Datenträger vorzuhalten und in den Geschäftsräumen aufzubewahren. Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem die Weiterbildungsmaßnahme durchgeführt wurde. (3) Die zuständige Industrie- und Handelskammer kann anordnen, dass der Gewerbetreibende ihr gegenüber eine unentgeltliche Erklärung mit dem Inhalt nach dem Muster der Anlage 4 über die Erfüllung der Weiterbildungspflicht im vorangegangenen Kalenderjahr durch ihn und seine zur Weiterbildung verpflichteten Beschäftigten abgibt. Die Erklärung kann elektronisch erfolgen.

Abschnitt 2 Vermittlerregister § 8 Angaben zur Speicherung im Vermittlerregister Im Vermittlerregister nach § 11a der Gewerbeordnung werden folgende Angaben zu den Eintragungspflichtigen gespeichert: 1. der Name und der Vorname sowie die Firma der Personenhandelsgesellschaften, in denen der Eintragungspflichtige als geschäftsführender Gesellschafter tätig ist, 2. das Geburtsdatum, 3. die Angabe, ob der Eintragungspflichtige tätig wird a) als Versicherungsmakler aa) mit Erlaubnis nach § 34d Absatz 1 der Gewerbeordnung, bb) mit Ausnahme von der Erlaubnispflicht nach § 34d Absatz 6 der Gewerbeordnung als produktakzessorischer Versicherungsmakler, b) als Versicherungsvertreter aa) mit Erlaubnis nach § 34d Absatz 1 der Gewerbeordnung, bb) als gebundener Versicherungsvertreter nach § 34d Absatz 7 Satz 1 Nummer 1 der Gewerbeordnung, cc) mit Ausnahme von der Erlaubnispflicht nach § 34d Absatz 6 der Gewerbeordnung als produktakzessorischer Versicherungsvertreter oder 968

Geltungsbereich der Versicherung

VersVermV § 11

c) als Versicherungsberater mit Erlaubnis nach § 34d Absatz 2 der Gewerbeordnung, 4. die Bezeichnung und die Anschrift der zuständigen Registerbehörde, 5. die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, in denen er beabsichtigt, tätig zu werden, sowie bei Bestehen einer Niederlassung die dortige Geschäftsanschrift und die gesetzlichen Vertreter dieser Niederlassung, 6. die betriebliche Anschrift, 7. die Registrierungsnummer nach § 9 Absatz 3, 8. bei einem Versicherungsvermittler, der nach § 34d Absatz 7 Satz 1 Nummer 1 der Gewerbeordnung keiner Erlaubnis bedarf, das oder die haftungsübernehmenden Versicherungsunternehmen, 9. der Name und der Vorname der vom Eintragungspflichtigen beschäftigten Personen, die für die Vermittlung oder Beratung in leitender Position verantwortlich sind, 10. die Geburtsdaten der nach Nummer 9 eingetragenen Personen. Ist der Eintragungspflichtige eine juristische Person, so werden auch der Name und der Vorname der natürlichen Personen gespeichert, die innerhalb des für die Geschäftsführung verantwortlichen Organs für die Vermittlertätigkeiten zuständig sind.

§ 9 Mitteilungspflichten (1) Der Eintragungspflichtige hat der Registerbehörde die nach § 8 einzutragenden Angaben mitzuteilen. Änderungen der Angaben nach § 8 hat der Eintragungspflichtige der Registerbehörde unverzüglich mitzuteilen. (2) Bei Versicherungsvermittlern, die nach § 34d Absatz 7 Satz 1 Nummer 1 der Gewerbeordnung keiner Erlaubnis bedürfen, erfolgt die Übermittlung der einzutragenden Angaben abweichend von Absatz 1 ausschließlich nach § 48 Absatz 4 Satz 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes. (3) Die Registerbehörde erteilt dem Eintragungspflichtigen und im Falle des Absatzes 2 zusätzlich dem oder den mitteilenden Versicherungsunternehmen eine Eintragungsbestätigung mit der Registrierungsnummer, unter der der Eintragungspflichtige im Register geführt wird. (4) Die Registerbehörde unterrichtet den Eintragungspflichtigen und im Falle des § 48 Absatz 5 des Versicherungsaufsichtsgesetzes zusätzlich das Versicherungsunternehmen unverzüglich über eine Datenlöschung nach § 11a Absatz 3 Satz 2 der Gewerbeordnung.

§ 10 Zugang Die Angaben nach § 8 Satz 1 Nummer 2 und 8 dürfen nicht automatisiert abgerufen werden. Die Registerbehörde darf zu diesen Angaben nur den in § 11a Absatz 7 der Gewerbeordnung genannten Behörden Auskunft erteilen.

Abschnitt 3 Anforderungen an die Berufshaftpflichtversicherung § 11 Geltungsbereich der Versicherung Die Berufshaftpflichtversicherung nach § 34d Absatz 5 Satz 1 Nummer 3 der Gewerbeordnung muss für das gesamte Gebiet der Europäischen Union und der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gelten. 969

§ 13 VersVermV

Versicherungsbestätigung, Anzeigepflicht des Versicherungsunternehmens

§ 12 Umfang der Versicherung (1) Die Versicherung nach § 34d Absatz 5 Satz 1 Nummer 3 der Gewerbeordnung muss bei einem im Inland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen abgeschlossen werden. (2) Die Mindestversicherungssumme beträgt 1 276 000 Euro für jeden Versicherungsfall und 1 919 000 Euro für alle Versicherungsfälle eines Jahres. Für die Anpassung dieser Mindestversicherungssummen ist der technische Regulierungsstandard gemäß Artikel 10 Absatz 7 der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung) (ABl. L 26 vom 2.2.2016, S. 19; L 222 vom 17.8.2016, S. 114) in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. (3) Der Versicherungsvertrag muss Deckung für die sich aus der gewerblichen Tätigkeit nach § 34d Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 Satz 1 der Gewerbeordnung ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden gewähren. Der Versicherungsvertrag muss sich auch auf solche Vermögensschäden erstrecken, für die der Versicherungspflichtige nach § 278 oder § 831 des Bürgerlichen Gesetzbuchs einzustehen hat, soweit Erfüllungsgehilfen oder Verrichtungsgehilfen nicht selbst zum Abschluss einer solchen Berufshaftpflichtversicherung verpflichtet sind. Ist der Gewerbetreibende in einer oder mehreren Personenhandelsgesellschaften als geschäftsführender Gesellschafter tätig, so muss für die jeweilige Personenhandelsgesellschaft jeweils ein Versicherungsvertrag abgeschlossen werden; der Versicherungsvertrag kann auch die Tätigkeit des Gewerbetreibenden nach Satz 1 abdecken. (4) Der Versicherungsvertrag hat Versicherungsschutz für jede einzelne Pflichtverletzung zu gewähren, die gesetzliche Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts gegen den Versicherungspflichtigen zur Folge haben könnte. Dabei kann vereinbart werden, dass sämtliche Pflichtverletzungen bei Erledigung eines einheitlichen Geschäfts als ein Versicherungsfall gelten. (5) Von der Versicherung kann die Haftung für Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen werden. Weitere Ausschlüsse sind nur insoweit zulässig, als sie marktüblich sind und dem Zweck der Berufshaftpflichtversicherung nicht zuwiderlaufen.

§ 13 Versicherungsbestätigung, Anzeigepflicht des Versicherungsunternehmens (1) Die vom Versicherungsunternehmen erteilte Versicherungsbestätigung nach § 113 Absatz 2 des Versicherungsvertragsgesetzes darf zum Zeitpunkt der Antragstellung bei der Industrieund Handelskammer, die für die Erlaubniserteilung nach § 34d Absatz 1 oder 2 der Gewerbeordnung oder für die Erlaubnisbefreiung nach § 34d Absatz 6 der Gewerbeordnung zuständig ist, nicht älter als drei Monate sein. (2) Das Versicherungsunternehmen ist verpflichtet, der für die Erlaubniserteilung oder der für die Erlaubnisbefreiung zuständigen Industrie- und Handelskammer unverzüglich Folgendes anzuzeigen: 1. die Beendigung des Versicherungsvertrags, insbesondere infolge einer wirksamen Kündigung, 2. das Ausscheiden eines Versicherungsnehmers aus einem Gruppenversicherungsvertrag sowie 3. jede Änderung des Versicherungsvertrags, die den vorgeschriebenen Versicherungsschutz im Verhältnis zu Dritten beeinträchtigen kann. Die zuständige Industrie- und Handelskammer hat dem Versicherungsunternehmen das Datum des Eingangs der Anzeige mitzuteilen.

970

Information des Versicherungsnehmers

VersVermV § 15

(3) Zuständige Stelle im Sinne des § 117 Absatz 2 des Versicherungsvertragsgesetzes ist die für die Erlaubniserteilung oder die für die Erlaubnisbefreiung zuständige Industrie- und Handelskammer.

Abschnitt 4 Anforderungen an die Geschäftsorganisation, Informationspflichten § 14 Anforderungen an die Geschäftsorganisation, Vergütung, Vermeidung von Interessenkonflikten (1) Der Gewerbetreibende muss über alle sachgerechten Informationen zu dem Versicherungsprodukt und dem Produktfreigabeverfahren einschließlich des bestimmten Zielmarkts des Versicherungsprodukts verfügen. Satz 1 gilt nicht für Versicherungsverträge über Großrisiken nach § 210 Absatz 2 des Versicherungsvertragsgesetzes. (2) Der Gewerbetreibende darf seine Beschäftigten nicht in einer Weise vergüten oder bewerten, die mit ihrer Pflicht, im bestmöglichen Interesse der Versicherungsnehmer zu handeln, kollidiert. Der Gewerbetreibende darf keine Vorkehrungen durch die Vergütung, Verkaufsziele oder in anderer Weise treffen, durch die Anreize für ihn selbst oder seine Beschäftigten geschaffen werden könnten, einem Versicherungsnehmer ein bestimmtes Versicherungsprodukt zu empfehlen, obwohl er ein anderes, den Bedürfnissen des Versicherungsnehmers besser entsprechendes Versicherungsprodukt anbieten könnte.

§ 15 Information des Versicherungsnehmers (1) Der Gewerbetreibende hat dem Versicherungsnehmer beim ersten Geschäftskontakt folgende Angaben nach Maßgabe des § 16 Absatz 1 mitzuteilen: 1. seinen Familiennamen und Vornamen sowie die Firmen der Personenhandelsgesellschaften, in denen der Eintragungspflichtige als geschäftsführender Gesellschafter tätig ist, 2. seine betriebliche Anschrift, 3. ob er a) als Versicherungsmakler aa) mit einer Erlaubnis nach § 34d Absatz 1 der Gewerbeordnung, bb) mit Ausnahme von der Erlaubnispflicht nach § 34d Absatz 6 der Gewerbeordnung als produktakzessorischer Versicherungsmakler, b) als Versicherungsvertreter aa) mit einer Erlaubnis nach § 34d Absatz 1 der Gewerbeordnung, bb) nach § 34d Absatz 7 Satz 1 Nummer 1 der Gewerbeordnung als gebundener Versicherungsvertreter, cc) mit Ausnahme von der Erlaubnispflicht nach § 34d Absatz 6 der Gewerbeordnung als produktakzessorischer Versicherungsvertreteroder c) als Versicherungsberater mit Erlaubnis nach § 34d Absatz 2 der Gewerbeordnungbei der zuständigen Behörde gemeldet und in das Vermittlerregister nach § 34d Absatz 10 der Gewerbeordnung eingetragen ist und wie sich diese Eintragung überprüfen lässt, 4. ob er eine Beratung anbietet, 5. die Art der Vergütung, die er im Zusammenhang mit der Vermittlung erhält,

971

§ 16 VersVermV

Einzelheiten der Mitteilung

6. ob die Vergütung direkt vom Kunden zu zahlen ist oder als Provision oder sonstige Vergütung in der Versicherungsprämie enthalten ist, 7. ob er als Vergütung andere Zuwendungen erhält, 8. ob seine Vergütung aus einer Verknüpfung der in den Nummern 6 und 7 genannten Vergütungen besteht, 9. Anschrift, Telefonnummer und die Internetadresse der gemeinsamen Stelle im Sinne des § 11a Absatz 1 der Gewerbeordnung und die Registrierungsnummer, unter der er im Register eingetragen ist, 10. die unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungen von über 10 Prozent, die er an den Stimmrechten oder am Kapital eines Versicherungsunternehmens besitzt, 11. die Versicherungsunternehmen oder Mutterunternehmen eines Versicherungsunternehmens, die eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von über 10 Prozent an den Stimmrechten oder am Kapital des Informationspflichtigen besitzen, 12. die Anschrift der Schlichtungsstelle, die bei Streitigkeiten zwischen Versicherungsvermittlern oder Versicherungsberatern und Versicherungsnehmern angerufen werden kann. (2) Der Gewerbetreibende hat sicherzustellen, dass auch seine Beschäftigten die ihm über seine Person obliegenden Mitteilungspflichten nach Absatz 1 erfüllen. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Tätigkeiten in Bezug auf Rückversicherungen und Versicherungsverträge über Großrisiken nach § 210 Absatz 2 des Versicherungsvertragsgesetzes.

§ 16 Einzelheiten der Mitteilung (1) Die 1. 2. 3.

Mitteilung nach § 15 Absatz 1 hat wie folgt zu erfolgen: auf Papier, in klarer, genauer und für den Versicherungsnehmer verständlicher Weise, in einer Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem das Risiko belegen ist oder in dem die Verpflichtung eingegangen wird, oder in jeder anderen von den Parteien vereinbarten Sprache, und 4. unentgeltlich. (2) Abweichend von Absatz 1 Nummer 1 darf die Mitteilung dem Versicherungsnehmer auch über eines der folgenden Medien erteilt werden: 1. über einen anderen dauerhaften Datenträger als Papier, wenn die Nutzung des dauerhaften Datenträgers im Rahmen des getätigten Geschäfts angemessen ist und der Versicherungsnehmer die Wahl zwischen einer Auskunftserteilung auf Papier oder auf einem dauerhaften Datenträger hatte und sich für diesen Datenträger entschieden hat, oder 2. über eine Website, a) wenn der Zugang für den Versicherungsnehmer personalisiert wird oder b) wenn: aa) die Erteilung dieser Auskünfte über eine Website im Rahmen des getätigten Geschäfts angemessen ist, bb) der Versicherungsnehmer der Auskunftserteilung über eine Website zugestimmt hat, cc) dem Versicherungsnehmer die Adresse der Website und die dortige Fundstelle der Auskünfte elektronisch mitgeteilt wurden und dd) es gewährleistet ist, dass diese Auskünfte auf der Website so lange verfügbar bleiben, wie sie für den Versicherungsnehmer vernünftigerweise abrufbar sein müssen. (3) Der Mitteilungsweg nach Absatz 2 ist insbesondere angemessen, wenn der Versicherungsnehmer eine E-Mail-Adresse für die Zwecke dieses Geschäfts mitteilt. 972

Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten

VersVermV § 18

(4) Handelt es sich um einen telefonischen Kontakt, ist die Mitteilung dem Versicherungsnehmer nach Absatz 1 oder Absatz 2 unmittelbar nach dem ersten Geschäftskontakt zu erteilen.

§ 17 Behandlung von Beschwerden (1) Der Gewerbetreibende mit einer Erlaubnis nach § 34d Absatz 1 oder 2 der Gewerbeordnung muss über Leitlinien zur Beschwerdebearbeitung verfügen, die von ihm oder von der für die Leitung des Gewerbebetriebs verantwortlichen Person bestimmt wurden. Der Gewerbetreibende oder die für die Leitung des Gewerbebetriebs verantwortliche Person ist verpflichtet, die Leitlinien umzusetzen und ihre Einhaltung zu überwachen. Die Leitlinien sind den mit der Beschwerdebearbeitung befassten Beschäftigten des Gewerbetreibenden schriftlich zugänglich zu machen. (2) Der Gewerbetreibende hat 1. eine Beschwerdemanagementfunktion einzurichten, die Beschwerden untersucht und dabei mögliche Interessenkonflikte feststellt und vermeidet, soweit der Umfang des Gewerbebetriebs dies erfordert, 2. eine Beschwerde zu registrieren, der zuständigen Industrie- und Handelskammer jederzeit Einsicht in dieses Register zu gestatten und die Daten zur Beschwerdebearbeitung fortlaufend zu untersuchen und zu bewerten, 3. den Eingang einer Beschwerde zu bestätigen und den Beschwerdeführer über das Verfahren zur Beschwerdebearbeitung zu unterrichten, 4. eine Beschwerde an die zuständige Stelle weiterzuleiten und den Beschwerdeführer darüber zu unterrichten, sofern die Beschwerde einen Gegenstand betrifft, für den der Gewerbetreibende nicht zuständig ist, 5. Angaben über das Verfahren zur Beschwerdebearbeitung einschließlich der Angabe, wie eine Beschwerde einzureichen ist, in geeigneter Weise zu veröffentlichen und 6. eine Beschwerde umfassend zu prüfen und dem Beschwerdeführer unverzüglich in verständlicher Sprache zu antworten. Ist im Falle des Satzes 1 Nummer 6 eine unverzügliche Antwort nicht möglich, unterrichtet der Gewerbetreibende den Beschwerdeführer über die Gründe für die Verzögerung und darüber, wann die Prüfung voraussichtlich abgeschlossen sein wird. Unterrichtungen nach den Sätzen 1 und 2 sind auf Wunsch des Beschwerdeführers schriftlich zu erteilen. (3) Sofern der Gewerbetreibende der Beschwerde nicht oder nicht vollständig nachkommen kann, hat er dem Beschwerdeführer die Gründe dafür zu erläutern und ihn auf Möglichkeiten hinzuweisen, wie er sein Anliegen weiterverfolgen kann. (4) Wenn der Versicherungsnehmer zur außergerichtlichen Beilegung einer Streitigkeit zwischen ihm und dem Gewerbetreibenden die Schlichtungsstelle nach § 214 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Versicherungsvertragsgesetzes anruft, ist der Gewerbetreibende verpflichtet, an dem Schlichtungsverfahren teilzunehmen.

Abschnitt 5 Ergänzende Vorschriften für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten § 18 Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten Gewerbetreibende, die Versicherungsanlageprodukte im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Nummer 17 der Richtlinie (EU) 2016/97 vermitteln oder dazu beraten, müssen angemessene Maßnahmen treffen, um Interessenkonflikte zu erkennen und zu vermeiden, die zwischen ihnen, den bei der Vermittlung oder Beratung mitwirkenden oder in leitender Position verantwortlichen 973

§ 20 VersVermV

Sicherheitsleistung, Versicherung

Personen oder anderen Personen, die mit ihnen unmittelbar oder mittelbar durch Kontrolle verbunden sind, und den Versicherungsnehmern oder zwischen den Versicherungsnehmern auftreten können. § 48a Absatz 4 und 5 des Versicherungsaufsichtsgesetzes ist entsprechend anzuwenden.

§ 19 Vergütung Gewerbetreibende, die im Zusammenhang mit der Vermittlung eines Versicherungsanlageprodukts eine Zuwendung an Dritte zahlen oder eine Zuwendung von einem Dritten erhalten, der nicht Versicherungsnehmer oder eine Person ist, die im Auftrag des Versicherungsnehmers tätig wird, müssen dafür Sorge tragen, dass die Zuwendung sich nicht nachteilig auf die Qualität der Vermittlung auswirkt. Die Zuwendung darf nicht die Verpflichtung des Gewerbetreibenden beeinträchtigen, im besten Interesse des Versicherungsnehmers ehrlich, redlich und professionell im Sinne des § 1a Absatz 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes zu handeln.

Abschnitt 6 Zahlungssicherung des Gewerbetreibenden zugunsten des Versicherungsnehmers § 20 Sicherheitsleistung, Versicherung (1) Der Gewerbetreibende darf für das Versicherungsunternehmen bestimmte Zahlungen, die der Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit der Vermittlung oder dem Abschluss eines Versicherungsvertrags an ihn leistet, nur annehmen, wenn der Gewerbetreibende zuvor eine Sicherheit geleistet oder eine geeignete Versicherung abgeschlossen hat, die den Versicherungsnehmer dagegen schützt, dass der Gewerbetreibende die Zahlung nicht an das Versicherungsunternehmen weiterleiten kann. Dies gilt nicht, soweit der Gewerbetreibende seitens des Versicherungsunternehmens zur Entgegennahme von Zahlungen des Versicherungsnehmers bevollmächtigt ist. (2) Wenn der Gewerbetreibende Leistungen des Versicherungsunternehmens annimmt, die dieses auf Grund eines Versicherungsvertrags an den Versicherungsnehmer zu erbringen hat, gilt Absatz 1 Satz 1 entsprechend. Diese Verpflichtung besteht nicht, soweit der Gewerbetreibende seitens des Versicherungsnehmers zur Entgegennahme von Leistungen des Versicherungsunternehmens nach § 64 des Versicherungsvertragsgesetzes bevollmächtigt ist. (3) Die Sicherheit nach Absatz 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1, kann durch die Stellung einer Bürgschaft oder einer anderen vergleichbaren Verpflichtung geleistet werden. Als Bürge können nur Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Sitz im Inland, Kreditinstitute, die im Inland zum Geschäftsbetrieb befugt sind, sowie Versicherungsunternehmen bestellt werden, die zum Betrieb der Kautionsversicherung im Inland befugt sind. Die Bürgschaft darf nicht vor dem Zeitpunkt ablaufen, der sich aus Absatz 6 ergibt. (4) Versicherungen sind im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 geeignet, wenn 1. das Versicherungsunternehmen zum Betrieb der Vertrauensschadenversicherung im Inland befugt ist und 2. die Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherungsunternehmens dem Schutzzweck des Absatzes 1 Satz 1 nicht zuwiderlaufen, insbesondere den Versicherungsnehmer aus dem Versicherungsvertrag auch in den Fällen der Insolvenz des Gewerbetreibenden unmittelbar berechtigen. (5) Sicherheiten und Versicherungen können nebeneinander geleistet und abgeschlossen werden. Sie können für jedes einzelne Vermittlungsgeschäft oder für mehrere gemeinsam geleistet oder abgeschlossen werden. Insgesamt hat die Mindestsicherungssumme 4 Prozent der 974

Aufzeichnungspflicht des Gewerbetreibenden

VersVermV § 22

jährlichen vom Gewerbetreibenden entgegengenommenen Prämieneinnahmen zu entsprechen, mindestens jedoch 19 200 Euro. Für die Anpassung der Mindestsicherungssumme ist der technische Regulierungsstandard nach Artikel 10 Absatz 7 der Richtlinie (EU) 2016/97 anzuwenden. (6) Der Gewerbetreibende hat die Sicherheiten und Versicherungen aufrechtzuerhalten, bis er die Vermögenswerte an das Versicherungsunternehmen weitergeleitet hat. (7) Hat im Zeitpunkt einer Zahlungsannahme der Gewerbetreibende seine Hauptniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, so genügt der Gewerbetreibende seiner Verpflichtung nach Absatz 1 auch dann, wenn der nach Artikel 10 Absatz 6 der Richtlinie (EU) 2016/97 notwendige Schutz des Versicherungsnehmers durch die Vorschriften des anderen Staates sichergestellt ist. Fußnote (+++ § 20: zur Nichtgeltung vgl. § 25 +++)

§ 21 Nachweis Soweit der Gewerbetreibende nach § 20 Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 Satz 1 Sicherheiten zu leisten oder Versicherungen abzuschließen hat, hat er diese dem Versicherungsnehmer auf Verlangen nachzuweisen. Fußnote (+++ § 21: zur Nichtgeltung vgl. § 25 +++)

§ 22 Aufzeichnungspflicht des Gewerbetreibenden (1) Der Gewerbetreibende hat nach Maßgabe des Satzes 2 und des Absatzes 2 die Pflicht, Aufzeichnungen zu machen sowie die dort genannten Belege übersichtlich zu sammeln. Die Aufzeichnungen sind unverzüglich und in deutscher Sprache anzufertigen. (2) Aus den Aufzeichnungen und Belegen des Gewerbetreibenden müssen folgende Angaben ersichtlich sein, soweit sie im Einzelfall in Betracht kommen: 1. der Name und Vorname oder die Firma sowie die Anschrift des Versicherungsnehmers, 2. ob und inwieweit der Gewerbetreibende zur Entgegennahme von Zahlungen oder sonstigen Leistungen ermächtigt ist, 3. Art und Höhe der Vermögenswerte des Versicherungsnehmers, die der Gewerbetreibende zur Weiterleitung an ein Versicherungsunternehmen erhalten hat, 4. Art, Höhe und Umfang der vom Gewerbetreibenden für die Vermögenswerte zu leistenden Sicherheit und abzuschließenden Versicherung, Name oder Firma und Anschrift des Bürgen und der Versicherung, 5. die Verwendung der Vermögenswerte des Versicherungsnehmers. Mit den Aufzeichnungen sind als Beleg Kopien der Bürgschaftsurkunde und des Versicherungsscheins in den Unterlagen zu sammeln. (3) Der Versicherungsberater hat darüber hinaus unverzüglich Aufzeichnungen über Art und Höhe der Einnahmen, die er für seine Tätigkeit erhalten hat, den Namen und Vornamen oder die Firma sowie die Anschrift des Leistenden anzufertigen und die Aufzeichnungen und Belege übersichtlich zu sammeln. (4) Soweit sich aus handels- oder steuerrechtlichen Bestimmungen Pflichten zur Buchführung ergeben, die zugleich den Pflichten nach den Absätzen 1 bis 3 gerecht werden, kann der Aufzeichnungspflichtige auf diese Buchführung verweisen. (5) Die in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 genannten Aufzeichnungen und Belege sind fünf Jahre auf einem dauerhaften Datenträger vorzuhalten und in den Geschäftsräumen aufzubewah975

§ 24 VersVermV

Rechte und Pflichten der an der Prüfung Beteiligten

ren. Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem der letzte aufzeichnungspflichtige Vorgang für den jeweiligen Auftrag angefallen ist. Fußnote (+++ § 22: zur Nichtgeltung vgl. § 25 +++)

§ 23 Prüfungen (1) Die für die Erlaubniserteilung nach § 34d Absatz 1 oder Absatz 2 der Gewerbeordnung zuständige Industrie- und Handelskammer kann aus besonderem Anlass anordnen, dass der Gewerbetreibende sich im Rahmen einer außerordentlichen Prüfung durch einen geeigneten Prüfer auf die Einhaltung der sich aus den §§ 20 und 22 ergebenden Pflichten auf seine Kosten überprüfen lässt. Der Prüfer wird von der nach Satz 1 zuständigen Behörde bestimmt. Der Prüfungsbericht hat einen Vermerk darüber zu enthalten, ob und welche Verstöße des Gewerbetreibenden festgestellt worden sind. Der Prüfer hat den Vermerk mit Angabe von Ort und Datum zu unterzeichnen, wobei die elektronische Namenswiedergabe genügt. (2) Für Versicherungsberater kann die für die Erteilung der Erlaubnis nach § 34d Absatz 2 der Gewerbeordnung zuständige Industrie- und Handelskammer darüber hinaus aus besonderem Anlass anordnen, dass der Versicherungsberater sich auf Einhaltung des sich aus § 34d Absatz 2 Satz 4 der Gewerbeordnung ergebenden Verbots überprüfen lässt. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. (3) Geeignete Prüfer sind 1. Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Wirtschaftsprüfungs- und Buchprüfungsgesellschaften, 2. Prüfungsverbände, zu deren gesetzlichem oder satzungsmäßigem Zweck die regelmäßige und außerordentliche Prüfung ihrer Mitglieder gehört, sofern a) mindestens einer ihrer gesetzlichen Vertreter Wirtschaftsprüfer ist, b) sie die Voraussetzungen zur Zusammensetzung des Vorstandes nach § 63b Absatz 5 des Genossenschaftsgesetzes erfüllen oder c) sie sich für ihre Prüfungstätigkeit selbständiger Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer oder einer Wirtschaftsprüfungs- oder Buchprüfungsgesellschaft bedienen. (4) Geeignete Prüfer sind auch andere Personen, die öffentlich bestellt oder zugelassen worden sind und die auf Grund ihrer Vorbildung und Erfahrung in der Lage sind, eine ordnungsgemäße Prüfung in dem jeweiligen Gewerbebetrieb durchzuführen, sowie Zusammenschlüsse dieser Personen. Fußnote (+++ § 23: zur Nichtgeltung vgl. § 25 +++)

§ 24 Rechte und Pflichten der an der Prüfung Beteiligten (1) Der Gewerbetreibende hat dem Prüfer Einsicht in die Bücher, Aufzeichnungen und Unterlagen zu gestatten. Er hat dem Prüfer alle Aufklärungen und Nachweise auf Verlangen zu geben, die der Prüfer für eine sorgfältige Prüfung benötigt. (2) Der Prüfer ist zur gewissenhaften und unparteilichen Prüfung und zur Verschwiegenheit verpflichtet. Er darf nicht unbefugt Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse verwerten, die er bei seiner Tätigkeit erfahren hat. Ein Prüfer, der vorsätzlich oder fahrlässig seine Pflichten verletzt, ist dem Gewerbetreibenden zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Mehrere Personen haften als Gesamtschuldner. Fußnote (+++ § 24: zur Nichtgeltung vgl. § 25 +++) 976

Anlage 1 (zu § 2 Absatz 2 Satz 2)

VersVermV Anl. 1

§ 25 Rückversicherungen Die §§ 20 bis 24 gelten nicht für die Vermittlung von und die Beratung über Rückversicherungen.

Abschnitt 7 Ordnungswidrigkeiten, Übergangsregelung § 26 Ordnungswidrigkeiten (1) Ordnungswidrig im Sinne des § 144 Absatz 2 Nummer 1b der Gewerbeordnung handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1. entgegen § 7 Absatz 2 Satz 3 oder § 22 Absatz 5 Satz 1 einen Nachweis, eine Unterlage, eine Aufzeichnung oder einen Beleg nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht mindestens fünf Jahre aufbewahrt, 2. einer vollziehbaren Anordnung nach § 7 Absatz 3 Satz 1 zuwiderhandelt, 3. entgegen § 9 Absatz 1 Satz 2 oder § 15 Absatz 1 eine Mitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig macht, 4. entgegen § 20 Absatz 1 Satz 1 eine Zahlung annimmt, 5. entgegen § 20 Absatz 6 eine Sicherheit oder eine Versicherung nicht, nicht richtig oder nicht für die vorgeschriebene Dauer aufrechterhält, 6. entgegen § 21 einen Nachweis nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erbringt oder 7. entgegen § 22 Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 3 eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig fertigt. (2) Ordnungswidrig im Sinne des § 145 Absatz 2 Nummer 8 der Gewerbeordnung handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine in Absatz 1 bezeichnete Handlung in Ausübung eines Reisegewerbes begeht. (3) Ordnungswidrig im Sinne des § 146 Absatz 2 Nummer 11 der Gewerbeordnung handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine in Absatz 1 bezeichnete Handlung in Ausübung eines Messe-, Ausstellungs- oder Marktgewerbes begeht.

§ 27 Übergangsregelung Ein vor dem 1. Januar 2009 erworbener Abschluss als Versicherungsfachmann oder Versicherungsfachfrau des Berufsbildungswerks der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. steht der erfolgreich abgelegten Sachkundeprüfung nach § 2 gleich.

Anlage 1 (zu § 2 Absatz 2 Satz 2) Inhaltliche Anforderungen an die Sachkundeprüfung (Fundstelle: BGBl. I 2018, 2493 – 2495) 1. Kundenberatung 1.1 Serviceerwartungen des Kunden 1.2 Besuchsvorbereitung/Kundenkontakte 1.3 Kundengespräch unter Beachtung ethischer Grundsätze 1.3.1 Kundensituation und Kundenbedarf 1.3.2 Kundengerechte Lösungen 1.3.3 Gesprächsführung und Systematik 1.4 Kundenbetreuung 977

Anl 1 VersVermV

2.

3.

Anlage 1 (zu § 2 Absatz 2 Satz 2)

Rechtliche Grundlagen 2.1 Vertragsrecht 2.1.1 Geschäftsfähigkeit 2.1.2 Zustandekommen von allgemeinen Verträgen 2.1.3 Grundlagen des Versicherungsvertrags2.1.4 Beginn und Ende des Versicherungsvertrags 2.2 Besondere Rechtsvorschriften für den Versicherungsvertrag 2.2.1 Versicherungsschein 2.2.2 Beitragszahlung 2.2.3 Obliegenheiten des Versicherungsnehmers 2.2.4 Vorvertragliche Anzeigepflicht 2.2.5 Gefahrerhöhung 2.2.6 Pflichten im Schadenfall 2.2.7 Eigentumswechsel in der Schadenversicherung 2.3 Vermittler- und Beraterrecht 2.3.1 Allgemeine Rechtsstellung 2.3.2 Grundlagen für die Tätigkeit 2.3.3 Besondere Rechtsstellung 2.3.4 Umgang mit Interessenkonflikten 2.3.5 Berufsvereinigungen/Berufsverbände 2.3.6 Arbeitnehmervertretungen 2.4 Wettbewerbsrecht 2.4.1 Allgemeine Wettbewerbsgrundsätze 2.4.2 Unzulässige Werbung 2.5 Verbraucherschutz 2.5.1 Grundlagen des Verbraucherschutzes 2.5.2 Schlichtungsstellen und Behandlung von Beschwerden 2.5.3 Datenschutz2.6 Versicherungsaufsicht: Zuständigkeiten 2.7 Europäischer Binnenmarkt: Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit 2.8 Geldwäschegesetz Vorsorge 3.1 Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) 3.1.1 Einführung 3.1.2 Versicherungspflicht 3.1.3 Rentenrechtliche Zeiten 3.1.4 Renten 3.1.5 Rentenberechnung 3.1.6 Versorgungslücke 3.1.7 Steuerliche Behandlung der GRV 3.2 Private Vorsorge durch Lebens-/Rentenversicherungen, Versicherungsanlageprodukte undVersicherungen zur Arbeitskraftabsicherung 3.2.1 Grundlagen: Angebotsformen; Leistungsumfang; Beitrag; Antragsaufnahme; Versicherungsfall;Besonderheiten 3.2.2 Staatliche Förderung und steuerliche Behandlung der privaten Vorsorge: Basisversorgung;Kapitalgedeckte Zusatzversorgung (§§ 10a, 79 ff. des Einkommensteuergesetzes),Versicherungsanlageprodukte; Weitere Versicherungsprodukte 3.3 Grundzüge der betrieblichen Altersversorgung (Direktversicherung und Pensionskasse durchEntgeltumwandlung) 3.3.1 Grundlagen: Definition; Berechtigter Personenkreis; Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung;Gleichbehandlung; Unverfallbarkeit; Vorzeitiges Ausscheiden; Vorzeitige Altersleistung; Insolvenz desArbeitgebers 3.3.2 Grundzüge der Durchführungswege Direktversicherung und Pensionskasse 978

Anlage 1 (zu § 2 Absatz 2 Satz 2)

4.

979

VersVermV Anl 1

3.3.3 Steuerliche Behandlung der Beiträge und Leistungen 3.3.4 Sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Beiträge und Leistungen 3.4 Gesetzliche und private Unfallversicherung 3.4.1 Einführung: Bedarf; Zielgruppen 3.4.2 Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) 3.4.3 Leistungsumfang der privaten Unfallversicherung: Unfallbegriff und Geltungsbereich; Leistungsarten;Ausschlüsse; Besonderheiten 3.4.4 Versicherungssummen; Anpassung; Besonderheiten 3.4.5 Tarifaufbau und –anwendung 3.4.6 Antragsaufnahme: Versicherbare Personen; Aufbau und Inhalt der Anträge; Annahmerichtlinien 3.4.7 Versicherungsfall 3.4.8 Steuerliche Behandlung der Beiträge und Leistungen 3.5 Gesetzliche und private Krankenversicherung/soziale und private Pflegeversicherung 3.5.1 Einführung: Bedarf; Zielgruppen 3.5.2 Gesetzliche Krankenversicherung 3.5.3 Private Krankenversicherung: Bedarfsermittlung; Leistungsumfang; Beitragsermittlung; Beginn undEnde des Versicherungsschutzes; Antragsaufnahme; Annahmerichtlinien; Versicherungsfall 3.5.4 Soziale und private Pflegeversicherung; Private Pflegezusatzversicherung 3.5.5 Steuerliche Behandlung der Beiträge und Leistungen Sach-/Vermögensversicherung 4.1 Haftpflichtversicherung 4.1.1 Einführung: Bedarf; Zielgruppen; Haftungsgrundsätze 4.1.2 Leistungsumfang: Haftung/Deckung; Aufgaben; Versichertes Risiko; Zielgruppen; VersichertePersonen; Ausschlüsse 4.1.3 Versicherungssumme 4.1.4 Tarifaufbau und –anwendung 4.1.5 Antragsaufnahme: Aufbau und Inhalte der Anträge; Annahmerichtlinien 4.1.6 Versicherungsfall 4.1.7 Besonderheiten 4.1.8 Steuerliche Behandlung der Beiträge 4.2 Kraftfahrtversicherung 4.2.1 Einführung: Bedarf; Zielgruppen; Haftungsgrundsätze 4.2.2 Leistungsumfang der Haftpflichtversicherung: Aufgaben; Haftung/Deckung; Direktanspruch;Versicherungssummen in der Haftpflichtversicherung; Versicherte Personen; Ausschlüsse;Umweltschadenversicherung 4.2.3 Leistungsumfang der Fahrzeugversicherung: Kundennutzen; Versicherte Gefahren und Schäden;Versicherte Sachen; Ersatzleistung; Ausschlüsse 4.2.4 Leistungsumfang der Fahrerunfallversicherung: Versicherte Gefahren und Schäden; VersichertePersonen; Ausschlüsse 4.2.5 Leistungsumfang des Autoschutzbriefes: Versicherte Gefahren; Versicherte Personen; Ausschlüsse 4.2.6 Beitragsermittlung: Tarifierungsmerkmale; Tarifaufbau und -anwendung; Besonderheiten in derKraftfahrtversicherung 4.2.7 Antragsaufnahme: Aufbau und Inhalt der Anträge; Annahmerichtlinien 4.2.8 Beginn des Versicherungsschutzes 4.2.9 Obliegenheiten 4.2.10 Versicherungsfall: Pflichten des Versicherungsnehmers; Schadenregulierung; Rückstufung 4.2.11 Besonderheiten

Anl 2 VersVermV

Anlage 2 (zu § 4 Absatz 8)

4.3 Hausratversicherung 4.3.1 Einführung; Bedarf 4.3.2 Leistungsumfang: Versicherte Sachen; Entschädigungsgrenzen; Versicherte Gefahren; Klauseln;Versicherte Schäden; Versicherte Kosten; Versicherungsort; Außenversicherung 4.3.3 Versicherungswert/Versicherungssumme 4.3.4 Beitragsermittlung: Risikomerkmale; Tarifaufbau und –anwendung 4.3.5 Antragsaufnahme: Aufbau und Inhalt der Anträge; Annahmerichtlinien4.3.6Versicherungsfall 4.3.7 Besonderheiten 4.3.8 Haushaltglasversicherung nach den Allgemeinen Bedingungen für die Glasversicherung 4.4 Gebäudeversicherung 4.4.1 Einführung: Bedarf; Zielgruppen 4.4.2 Leistungsumfang: Versicherte Sachen; Versicherte Gefahren und Schäden; Klauseln; VersicherteKosten; Versicherter Mietausfall 4.4.3 Versicherungsformen 4.4.4 Entschädigungsleistung für Sachen 4.4.5 Beitragsermittlung: Risikomerkmale; Tarifaufbau und –anwendung 4.4.6 Antragsaufnahme: Aufbau und Inhalt der Anträge; Annahmerichtlinien 4.4.7 Versicherungsfall 4.4.8 Feuer-Rohbauversicherung 4.4.9 Besonderheiten 4.5 Rechtsschutzversicherung 4.5.1 Einführung: Bedarf; Zielgruppen 4.5.2 Leistungsumfang: Leistungsarten; Versicherte Personen; Geltungsbereich; Ausschlüsse 4.5.3 Beitragsermittlung: Risikomerkmale; Tarifaufbau und –anwendung 4.5.4 Antragsaufnahme: Aufbau und Inhalt der Anträge; Annahmerichtlinien 4.5.5 Versicherungsfall 4.5.6 Besonderheiten

Anlage 2 (zu § 4 Absatz 8) Bescheinigung über die erfolgreiche Ablegung der Sachkundeprüfung „Geprüfter Fachmann fürVersicherungsvermittlung IHK“ und „Geprüfte Fachfrau für Versicherungsvermittlung IHK“ nach § 34d Absatz 5 Satz 1 Nummer 4 der Gewerbeordnung(Fundstelle: BGBl. I 2018, 2496) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Name und Vorname) -geboren am . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . wohnhaft in . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hat am . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vor der Industrie- und Handelskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . die Sachkundeprüfung für die Ausübung des Gewerbes als Versicherungsvermittler oder als Versicherungsberaternach § 34d Absatz 5 Satz 1 Nummer 4 der Gewerbeordnung erfolgreich abgelegt. Die Prüfung erstreckte sich insbesondere auf die fachspezifischen Pflichten und Befugnisse folgenderSachgebiete: 1. Kundenberatung (Bedarfsermittlung, Lösungsmöglichkeiten, Produktdarstellung und Information), 2. versicherungsfachliche Grundlagen,

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Anlage 4 (zu § 7 Absatz 3)

VersVermV Anl 4

3.

sozialversicherungsrechtliche Rahmenbedingungen sowie Grundzüge der staatlich und betrieblichgeförderten Altersversorgung, 4. rechtliche Grundlagen für die Versicherungsvermittlung und Versicherungsberatung. (Stempel/Siegel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Ort und Datum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Unterschrift)

Anlage 3 (zu § 7 Absatz 1) Anforderungen an die Qualität der Weiterbildungsmaßnahme(Fundstelle: BGBl. I 2018, 2497) 1. Planung 1.1 Die Weiterbildungsmaßnahme ist mit zeitlichem Vorlauf zu ihrer Durchführung konzipiert. 1.2 Die Weiterbildungsmaßnahme ist in nachvollziehbarer Form für die Teilnehmer beschrieben. 1.3 Der Weiterbildungsmaßnahme liegt eine Ablaufplanung zugrunde, auf die sich die Durchführung stützt. 2. Systematische Organisation 2.1 Teilnehmer erhalten im Vorfeld der Weiterbildungsmaßnahme eine Information bzw. eine Einladung in Textform. 2.2 Die Information bzw. die Einladung enthält eine Beschreibung der Weiterbildungsmaßnahme, aus der die Teilnehmer die erwerbbaren Kompetenzen sowie den Umfang der Weiterbildungsmaßnahme in Zeitstunden entnehmen können. 2.3 Die Anwesenheit jedes Teilnehmers wird vom Durchführenden der Weiterbildungsmaßnahme verbindlich dokumentiert und nachvollziehbar archiviert. Dies gilt auch für Lernformen wie dem selbstgesteuerten Lernen, dem Blended Learning und dem e-Learning. Bei Weiterbildungsmaßnahmen im Selbststudium ist eine nachweisbare Lernerfolgskontrolle durch den Anbieter der Weiterbildung sicherzustellen. 3. Anforderungen an die Durchführenden der Weiterbildungsmaßnahme 3.1 Diejenigen, die die Weiterbildungsmaßnahme durchführen, verfügen über die erforderliche Fachkompetenz auf dem Gebiet, das Gegenstand der Weiterbildungsmaßnahme ist. 3.2 Systematische Prozesse stellen die Einhaltung dieser Anforderungen sicher.

Anlage 4 (zu § 7 Absatz 3) Erklärung über die Erfüllung der Weiterbildungsverpflichtung nach § 34d Absatz 9 Satz 2 GewO i. V. m. § 7 Absatz 1 VersVermV für das Jahr ….(Fundstelle: BGBl. I 2018, 2498) Name, Vorname, ggf. Unternehmensbezeichnung des Gewerbetreibenden Bei juristischen Personen: Name, Vorname des gesetzlichen Vertreters Registrierungsnummer Straße, Hausnummer PLZ Ort Telefon*Fax*E-Mail*Bezeichnung der Weiterbildungsmaßnahme, Datum, Inhalt, Umfang (Stunden), in Anspruch genommener Weiterbildungsanbieter ___________* (Angaben sind freiwillig) Ich bestätige, dass die nach § 34d Absatz 9 Satz 2 GewO bestehende Verpflichtung zur Weiterbildung eingehalten worden ist. Ort, Datum, Unterschrift des Gewerbe

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Sachregister

A Abdingbarkeit s. Individualabreden Abschlagszahlungen 14 23 ff. – Anspruchsvoraussetzungen 14 24 ff. – arglistige Täuschung 14 28 – Eintrittspflichtigkeit des VR 14 24 – Fälligkeit der Geldleistung 14 3 – Hemmung der Monatsfrist 14 29 – Individualabreden 14 44 – Monatsfrist 14 29 – Teilerfüllung 14 27 – Verlangen des VN 14 25 ff. – Zahlung unter Vorbehalt 14 30 f. Abschlussfreiheit 1 230 ff. – Abschlusspflichten des VN 1 231 ff., s.a. dort – Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 239 ff., s.a. dort – Kontrahierungszwang des VR 1 236 – öffentliche Auftraggeber 1 238 – Schranken 1 230 ff. – steuerliche Anreize 1 237 – Vergabeverfahren 1 238 Abschlusskosten – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 321 – Informationspflichten 7 30, 7 47 – Kommissionsvorschläge Einl E 68 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 358 – VVG-InfoV Anh 7 20 Abschlusspflichten des VN 1 231 ff. – Haftpflichtversicherung 1 233 – Krankenversicherung 1 235 – Pflegeversicherung 1 235 – Sachversicherung 1 232 – Unfallversicherung 1 234 – Versicherungszweige 1 232 ff. Abtretbarkeit, beschränkte – Ausschluss durch Vereinbarung 17 20 ff. – Inhaltsänderung 17 19 Abtretung Einl C 322 Abtretungsverbot 17 1 ff. – Altersrenten 17 15 ff. – Arbeitnehmer 17 8 – Bezüge, unpfändbare 17 12 ff. – Freistellungsansprüche 17 18 – Haftpflichtversicherung 17 18 – Lebensversicherung 17 12 983 https://doi.org/10.1515/9783110522600-035

– Neuwertspitze 17 6 – Österreichisches Recht 17 31 ff. – Riester-Verträge 17 17 – Rürup-Verträge 17 17 – Sachversicherung 17 5 – Umfang 17 5 f. – unangemessene Benachteiligung Einl C 273 – unpfändbare Forderungen 17 7 ff. – unpfändbare Sachen 17 2 – Verletzungsrenten 17 10 f. – Versicherungsleistung 17 2 – Versorgungsrenten 17 8 Abtretungswirkung 17 24 ff. abweichender Versicherungsschein 5 1 ff. – Abweichung 5 7 f. – Abweichung, vorteilhafte 5 8 – Angebotsannahme 5 2 – Beweislast 5 18 – Bezugsberechtigung 5 4 – Ersatzversicherungsschein 5 4 – Genehmigungsfiktion 5 6 – Hinweispflicht 5 11 ff. – Hinweispflicht, unerfüllte 5 14 – Individualabreden 5 17 – Irrtumsanfechtung 5 15 f. – konstitutive Vertragsänderung 5 3 – Rückwärtsversicherung 5 8 – umgekehrte Billigungsklausel 5 3 – unwiderlegbare Genehmigungsfiktion 5 3 – verspätete Annahme 5 5 – Vertragsänderung 5 3 – Vertragsangebot 5 2 – Widerspruch 5 9 f. Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 318 ff. – Abschlusskosten Einl C 321 – Abtretung Einl C 322 – Bedingungsanpassungsklausel Einl C 324 – Beschränkung der Versicherungsvertretervollmacht Einl C 325 – Bezugsberechtigungen Einl C 326 – Datenübermittlung Einl C 327 – Entschädigungsgrenze Einl C 328 f. – Erfüllungsort Einl C 330 – Gerichtsstandsvereinbarungen Einl C 332 – gesetzliche Regelungen Einl C 319 – grobe Fahrlässigkeit Einl C 333 – Haftungsfreistellung Einl C 334 Klie

Sachregister

– Handelsvertreterausgleichsanspruch Einl C 323 – Heilbehandlung Einl C 335 – Inhaberklausel Einl C 336 – Judikatur Einl C 321 ff. – Kompensation Einl C 318 – Kostenanrechnungsklausel Einl C 337 – Kündigung Einl C 338 f. – Mehrfachversicherung Einl C 339 – Mehrwertsteuerersatz Einl C 331 – Obliegenheitsverletzungen Einl C 340 – Policendarlehen Einl C 341 – Rabattklausel Einl C 342 – Regelbeispiele Einl C 318 – Repräsentant Einl C 343 – Risikoausschlussklauseln Einl C 344 – Sachkosten Einl C 345 – Sachverständigenkosten Einl C 346 – Schicksalsteilungsgrundsatz Einl C 352 – Schlüsselklausel Einl C 347 – Schriftform Einl C 348 – Serienschadenklausel Einl C 349 – Sozienklausel Einl C 350 – Telefonwerbung Einl C 351 – Vermutung, widerlegliche Einl C 318 – Versicherungsmaklervergütung Einl C 352 – Vertragsanpassung Einl C 353 – Vertriebskosten Einl C 321 – wesentliche Grundgedanken Einl C 320 – Zahlungen vor Reisebeginn Einl C 354 – Zahlungsverzug Einl C 355 – Zurechnungsklausel Einl C 356 Ad hoc-Anzeigepflichten Einl D 165 ff. AGB-Recht Einl C 7 f. AGG Einl A 212 ff. – Altverträge Einl A 225 – Antirassismus-Richtlinie Einl A 217 – Behinderung Einl A 231 – Benachteiligungen Einl A 212 – Benachteiligungsverbot Einl A 217, Einl A 235 – Beweislast Einl A 220 – Dienstleistungen Einl A 212 – Differenzierungskriterien Einl A 230 – Diskriminierung Einl A 218 f. – Inhaltsfreiheit Einl A 269 ff. – Kontrahierungszwang Einl A 236 – Mutterschaft Einl A 227 – neue Versicherungstypen Einl A 237 – Rechtfertigungsgründe Einl A 217 – Rechtfertigungsvorbehalt Einl A 221 – Religion Einl A 232 – risikoadäquate Kalkulation Einl A 228 ff. Klie

– Schwangerschaft Einl A 227 – sexuelle Identität Einl A 232 – Test Achats-Urteil Einl A 212, Einl A 221, Einl A 224 – Übergangsvorschriften Einl A 233 – Versicherungsverträge Einl A 216 – Ziel Einl A 212 aggregierter Ausweis 7 47 Agrarversicherungssysteme – EU Einl B 3 Aktivenversicherung – Ausgleichsleistung 1 129, 1 133 – Risikotransfer auf den VR 1 54 ff. – versichertes Interesse 1 73 akute Behandlungsbedürftigkeit Einl C 359 Algorithmen Einl F 157 Alles-oder-Nichts-Prinzip – Haftpflichtversicherung 1 126 – Krankenversicherung 1 127 – Todesfallversicherung 1 127 – Transportversicherung 1 124 – Unfallversicherung 1 127 – versicherte Gefahr 1 105 – Versicherungsfall 1 123 Allgefahrendeckung 1 100 Allgemeine Versicherungsbedingungen s. AVB Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz s. AGG Allgemeines Privatrecht Einl A 193 ff. Allmählichkeitsschäden Einl C 140 ALR Einl A 27 Alternativer Risikotransfer 1 308 Altersrenten 17 15 ff. Altersvorsorge Einl A 8 Altersvorsorgeprodukte 7b 11 Altersvorsorgeverträge 1 272 Altverträge – AGG Einl A 225 – AVB-Anpassung Einl A 97 ff., s.a. dort – Berufsunfähigkeitsversicherung Einl A 141 ff. – BREXIT Einl B 13 – geschäftsplanmäßige Erklärung Einl A 254 – Kündigungsrecht 11 6 – Pensionskassen Einl A 137 – private Krankenversicherung Einl A 129 ff. – Übergangsvorschriften Einl A 80 ff., Einl A 89 ff., Einl A 92 ff. – VVG-Reform Einl E 100 ff. – Wertgleichheit Einl B 37 Änderungsklauseln Einl C 184 ff., Einl C 187 Änderungsrisiko Einl A 289 Anfechtungsklage Einl D 78 Angebotsannahme 5 2 984

Sachregister

Angemessenheitskontrolle Einl C 50 Anhang Einl C 18 Anlageversicherungsprodukte Einl B 47 anlassbezogene Beratung 6 18 ff. Anrechnungsklausel Einl C 274 Anschriftenänderung 13 6 ff. – Beweislast 13 24 f. – Obliegenheiten 13 18 – unterbliebene Mitteilung 13 18 f. – Verschulden 13 21 Anspruchsverzicht Einl C 141 Antirassismus-Richtlinie Einl A 217 Antragsbindungsklauseln Ein C 258 Antragsbündelung Einl D 227 Antragsformular Einl C 47 Antragsfragen Einl C 48 Antragsmodell 1 240 Anwartschaft 1 33 Anwendungsverbreitung Einl C 131 Anzeigeerfordernis Einl C 142 Anzeigepflichtverletzung Einl A 90 Apothekenklausel – überraschende Klauseln Einl C 143 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 360 Äquivalenzkontrolle Einl B 35 Äquivalenzstörung Einl C 259 Äquivalenzverhältnis – AVB-Anpassung Einl C 192 – AVB-Kontrolle Einl B 29 – Ersetzung unwirksamer AVB-Klauseln Einl C 200 Arbeitnehmer 17 8 Arztwahl Einl C 211 Assekuradeure Einl F 10, Einl F 115 f. Assistance-Leistungen – Ausgleichsleistung 1 151 ff. – Ausgleichspflicht 1 184 – Digitalversicherer Einl F 80 ff. Aufklärungspflichten – AVB-Anpassung Einl A 113 – Unwirksamkeitsfolgen AVB Einl C 403 aufschiebende Wirkung Einl D 78 Aufschub der Zahlungen 14 55 Aufsichtsbehörd 16 6, s.a. BaFin Aufsichtsleiter Einl D 73 ff. – Anfechtungsklage Einl D 78 – aufschiebende Wirkung Einl D 78 – Eigenmittel Einl D 76 – Eingriffsstufen Einl D 74 – Mindestkapitalunterschreitung Einl D 76 – quantitative Anforderungen Einl D 103 985

– Rückstellungen, unzureichende Einl D 77 – schlicht-verwaltende Tätigkeit Einl D 79 – Solvabilitätskapitalunterschreitung Einl D 75 – Solvency II-Richtlinie Einl D 73 – Verschlechterung der finanziellen Lage Einl D 74 – Verwaltungszwang Einl D 80 – Vorgehen Einl D 79 f. – Widerspruch Einl D 78 Aufsichtsmittel Einl D 66 ff. – Berichtigungsmittel Einl D 67, Einl D 70 ff., s.a. dort – Bußgeldtatbestände Einl D 83 – Eingriffsbefugnis Einl D 71 f. – Finanzaufsicht Einl D 66 – Informationsgewinnung Einl D 67 – Informationsmittel Einl D 68 f. – laufende Aufsicht Einl D 66 – Rechtsaufsicht Einl D 66 – Sanktionen Einl D 67, Einl D 81 ff. – Straftatbestände Einl D 82 – Supervisory Review Process Einl D 69 – Zulassungsaufsicht Einl D 66 – Zwangsmittel Einl D 67 Aufsichtsrat Einl D 149, Einl D 153 Aufsichtsrecht s. Versicherungsaufsichtsrecht Aufsichtsziele Einl D 50 ff. – Begünstigte Einl D 54 – best practice-Regeln Einl D 65 – Europäisches Finanzaufsichtssystem Einl D 39 – Finanzsystemstabilität Einl D 57 – Funktionsschutz Einl D 56 – Geldwäschebekämpfung Einl D 61 – Gewährleistung fairer/stabiler Märkte Einl D 59 – Hauptziel Einl D 53 ff. – Höhe des Schutzniveaus Einl D 55 – kollektive Verbraucherinteressen Einl D 62 – Nebenziele Einl D 56 ff. – Nebenziele, weitere Einl D 61 f. – Schutz der Versicherten Einl D 50 f. – Solvency II-Richtlinie Einl D 57 f. – Solvency II-System Einl D 52 – Terrorismusfinanzierung Einl D 61 – Vermeidung prozyklischer Effekte Einl D 58 Aufzeichnungen 7c 32 ff. Auge-und-Ohr-Rechtsprechung – Hinweisobliegenheiten des VR 1 286 – Informationsmodell 1 285 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 285 Ausgleichsleistung 1 128 ff. – Aktivenversicherung 1 129, 1 133 Klie

Sachregister

– Anspruchsgrundlage 1 130 – Assistance-Leistungen 1 151 ff. – AVB 1 130 – Bedarfsdeckungstheorie 1 10 – Beistandsleistung 1 150 – Bereicherungsverbot 1 137 – Dienstleistungen 1 149 f. – Einzelschäden 1 129 – Geldleistungspflicht 1 147 – Inhalt 1 146 ff. – Naturalleistungen 1 149 f. – Nichtpersonenversicherung 1 129 ff. – Passivenversicherung 1 129, 1 132 – Personenversicherung 1 134 ff. – Plansicherungstheorie 1 10 – Prämie 1 148 – Privatversicherung 1 10 – Rettungskosten 1 153 – Schadensersatz 1 130 – Schadensersatztheorie 1 10 – Schadensversicherung 1 129 ff., 1 135 ff. – Summenversicherung 1 138 – Übermaßvergütung 1 136 – Verjährung 15 1 ff., s.a. dort – vertragstypische Pflichten des VR 1 33 Ausgleichspflicht – Assistance-Leistungen 1 184 – Geldleistung 1 181 – Naturalleistung 1 182 f. – Pflichtverletzung 1 181 ff. Ausgliederung – Cloud-Dienste Einl F 95 ff. – Outsourcing Einl F 92 ff. Ausgliederungsbeauftragter Einl D 150 Aushangspublizität 7 66 Auskunftserteilung 6a 1 ff. – dauerhafter Datenträger 6a 22 ff. – Dokumentationspflicht 6a 39 – Download 6a 23 – Durchschnittskunden 6a 9 – Email 6a 25 – fehlerhafte ~ 6a 39 – Fiktionen 6a 34 – IDD-Richtlinie 6a 1 – Leistungsmerkmale 6a 10 – nach Vertragsschluss 6a 14 – Papierform 6a 2, 6a 7 – Rechtskenntnisse 6a 9, 6a 12 – Rechtzeitigkeit 6a 13 – Schadensersatz 6a 39 – Sprache 6a 15 ff. – Telefonat 6a 4, 6a 35 ff. Klie

– Textform 6a 2 – Transparenzgebot 6a 8 – Unentgeltlichkeit 6a 19 f. – Vermutung 6a 39 – Versicherungsvermittler 6a 5 – verständliche Informationen 6a 8 ff. – vor Vertragsschluss 6a 13 – Website 6a 3, 6a 6, 6a 27 ff. – Wünsche/Bedürfnisse des Kunden 6a 10 Auskunftspflichten Einl D 170 Ausland – Transparenzgebot Einl C 294 – Versicherungsschein 3 13 Auslegung von AVB Einl C 204 ff, – Arztwahl Einl C 211 – Auslegungsrisiko Einl C 227 – Betriebsschäden Einl C 212 – Bewusstseinsstörung Einl C 213 – Eintritt des Versicherungsfalls Einl C 215 – Entstehungsgeschichte Einl C 208 – Ereignis Einl C 216 – gesetzesähnliche ~ Einl C 204, Einl C 208 – Heilbehandlung Einl C 217 – Judikatur Einl C 211 ff. – Kapitalanlagegeschäfte Einl C 218 – kleine Benzinklausel Einl C 219 – Leistungsmangel Einl C 220 – mehrdeutige Klauseln Einl C 227 ff., s.a. dort – objektiver Maßstab Einl C 206 – Rechtssprache Einl C 209 – Risikobegrenzungen Einl C 208 – Rückkaufswert Einl C 221 – Sinnzusammenhang Einl C 207 – Subsidiaritätsklauseln Einl C 210 – Tätigkeitsklausel Einl C 223 – Übermaßbehandlung Einl C 224 – Versicherungsfall Einl C 214 – Wildschaden Einl C 225 – Wissenschaftlichkeitsklausel Einl C 226 – Wortlaut Einl C 206 – Zweck Einl C 207 Ausschluss des Widerrufsrechts 8 81 ff. – Gepäckversicherungen 8 83 – Großrisiken 8 87 – Informationspflichten 8 89 – kurze Laufzeit 8 81 ff. – Pensionskassen 8 86 – Reiseversicherungen 8 83 – Versicherungsverträge 8 82 ff. – vorläufige Deckung 8 85 Ausschluss Rückkaufswert Einl C 361 Ausschlussklausel Einl C 986

Sachregister

außergerichtliche Streitbeilegung Einl A 264 ff. – BaFin Einl A 266 f. – Beschwerden an die Aufsichtsbehörde Einl A 266 f. – externe Anlaufstelle Einl A 266 f. – Fernabsatzverträge Einl A 264 ff. – hausinternes Beschwerdemanagement Einl A 265 – Klauselverbote Einl C 264 – Privatversicherungsrecht Einl A 264 ff. – Versicherungsombudsmann Einl A 268 ff., s.a. dort – VVG-Änderungen Einl A 71 Austauschvertrag Einl A 9 Auszahlungsfristen Einl C 258 Auszahlungsklauseln 14 52 ff. automatisierte Entscheidungen Einl F 178 AVB Einl C 1 ff. – Absicht des Verwenders Einl C 59 – AGB-Kontrolle Einl C 8 – AGB-Recht Einl C 7 f. – Angemessenheitskontrolle Einl C 50 – Antragsformular Einl C 47 – Antragsfragen Einl C 48 – aufsichtsrechtliche Sanktionierung Einl C 194 ff. – Ausgleichsleistung Einl C 130 – Aushandeln der ~ Einl C 71 – Auslandsbezug Einl C 9 f. – Auslegung Einl C 49 – Auslegung von AVB Einl C 204 ff., s.a. dort – AVB-Muster Einl C 31, s.a. dort – Begriff Einl C 39 – Beratungsverzicht Einl C 53 – Berufsunfähigkeitsversicherung Einl C 6 – besondere Versicherungsbedingungen Einl C 45 – Bezeichnung Einl C 45 – Bürgerliches Gesetzbuch Einl D 197 – Deregulierung des Versicherungsrechts Einl C 8 – Drittbedingungen Einl C 63 ff., Einl C 68 – Einbeziehung der AVB Einl C 76 ff., s.a. dort – einseitige Rechtsgeschäfte Einl C 52 ff. – Einziehungsermächtigung Einl C 53 – Empfangszuständigkeit des Versicherungsvertreters Einl C 53 – Ergänzungsmöglichkeiten Einl C 54 – Ersetzung unwirksamer AVB-Klauseln Einl C 198 ff., s.a. dort – EU-Versicherungsrecht Einl C 11 ff. 987

– Funktion Einl C 1 ff. – Gerichtsstand Einl C 236 – Geschäftsplan des Versicherers Einl C 251 – geschäftsplanmäßige Erklärung Einl C 41 – Gleichbehandlungsgebot Einl C 5 – Individualabreden Einl C 70 ff. – Informationsfunktion Einl C 3 – Informationsverzicht Einl C 53 – Internetplattformen Einl C 68 – Kartellrecht Einl C 28 ff. – Kartellverbot Einl C 29 f. – Klauselrichtlinie Einl C 12 ff., s.a. dort – Leistungstatbestände Einl C 231 – Maklerbedingungen Einl C 64 ff. – mehrdeutige Klauseln Einl C 227 ff., s.a. dort – Mindestbedingungen Einl C 228 ff. – mündlich akzeptierte Formulierungen Einl C 55 – Obliegenheiten Einl C 234 – öffentlich-rechtliche Ausgestaltung Einl C 43 f. – Prämienfälligkeit Einl C 232 – präventive Bedingungskontrolle Einl C 24 – produktkonstituierende Funktion Einl C 2 – Rationalisierungsfunktion Einl C 4 – Rechtskontrolle Einl C 201 – Rom I-VO Einl C 9 f. – Satzungsbestimmungen von VVaG Einl C 42 – Schweigepflicht Einl C 53 – selbständige Ergänzungen Einl C 57 – Stellen durch den Verwender Einl C 62 ff. – Tarifbestimmungen Einl C 46 – telefonische Beratungsgespräche Einl C 53 – überraschende Klauseln Einl C 126 ff., s.a. dort – Überschussbeteiligung Einl C 237 – Umstände des Vertragsschlusses Einl C 74 – unselbständige Ergänzungen Einl C 56 – Unterlassungsklagengesetz Einl C 39 – Unwirksamkeitsfolgen AVB Einl C 387 ff., s.a. dort – VAG Einl C 243 – Verbandsklage Einl C 58 – Verbraucherverträge Einl C 61, Einl C 63, Einl C 69 – Versicherungsbinnenmarkt Einl C 11 – Versicherungstechnik Einl C 292 – Vertragsbedingung Einl C 40 – Vertragsdauer Einl C 58 – Verwaltungsakt Einl C 199 – Verwender Einl C 62 – Vielzahl von Verträgen Einl C 59 ff. Klie

Sachregister

– Vollständigkeitsgebot Einl C 238 – Vorabgenehmigungspflicht Einl C 11, Einl C 24 – Vorbehalt bei ausgehandelten ~ Einl C 70 ff. – Vorformulierung von Vertragsbedingungen Einl C 50 ff. – VVaG Einl C 42, Einl D 221 f. – VVG Einl C 170, Einl C 6, Einl D 195 ff. – VVG-Reform Einl C 6 – Wahlmöglichkeiten Einl C 54, Einl C 72 – Widerruf 7 104 – Zivilrechtsverstöße Einl D 201, Einl D 203 AVB-Änderungsklauseln Einl C 259 AVB-Anpassung Einl C 174 ff. – AGB-Recht Einl A 100 – Änderungsbefugnis Einl C 175 – Änderungsklauseln Einl C 184 ff., Einl C 187 – Änderungsmitteilung, Erläuterung Einl A 104 – Änderungsmitteilung, Textform Einl A 103 – Änderungsmitteilung, Unterschiede Einl A 104 – Änderungsmitteilung, Zugang Einl A 102 – Anpassungsvorbehalt Einl C 189 ff. – Äquivalenzverhältnis Einl C 192 – Aufklärungspflicht Einl A 113 – aufsichtsrechtlicher Missstand Einl A 114 f. – AVB-Abweichung Einl A 98 ff. – AVB-Kontrolle Einl C 197 – Bedingungsänderung Einl C 178 ff. – Bedingungsänderungsklauseln Einl C 185 – Bedingungsanpassungsklauseln Einl C 196 – Beratungspflichten Einl A 113 – Berufsunfähigkeitsversicherung Einl C 181 – Dauerschuldverhältnis Einl C 174 – einseitige ~ Einl A 99, Einl C 105, Einl C 177 – Erforderlichkeit Einl A 98 ff. – Ersetzung unwirksamer AVB-Klauseln Einl C 198 ff. – Krankenversicherung Einl C 178, Einl C 182 f. – Kündigungsrecht Einl C 187 ff. – Kündigungsrecht, außerordentliches Einl C 194 – Kündigungsrecht, fehlendes Einl C 189 ff. – Lebensversicherung Einl C 179 ff. – Obliegenheiten, Nichtanpassung Einl A 108 ff. – Obliegenheiten, verhüllte Einl A 111 – Pflicht zur ~ Einl A 111 – Prämienänderungsklauseln Einl C 185, Einl C 195 – Prämiensänderung Einl C 178 ff. – Rechtsfolgen Einl A 105 ff. – Tarifänderungsklauseln Einl C 185 – Theorie der Gesamtunwirksamkeit Einl A 108 f. Klie

– Übergangsvorschriften Einl A 97 ff. – verdeckte Prämienerhöhung Einl C 195 – Verhältnismäßigkeit Einl C 193 – VVG-Reform Einl C 177 – Wettbewerbsverstoß Einl A 115 – Wirkung Einl A 105 AVB-Kontrolle Einl C 244 ff. – abweichende Regelungen Einl C 247 – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 318 ff., s.a. dort – Anhörungsrecht Einl C 27 – Äquivalenzverhältnis Einl B 29 – AVB-Anpassung Einl C 197 – BaFin Einl C 25 – behördliche ~ Einl B 19 – Beschränkung Einl C 247 ff. – CLAB Einl C 23 – ergänzende Regelungen Einl C 247 – ergänzende Vertragsauslegung Einl B 31 – essentialia negotii Einl C 249 – EU-Datenbank Einl C 23 – EU-Versicherungsrecht Einl B 15 ff. – Hauptgegenstand eines Vertrages Einl C 21 – Hauptleistungsgegenstand Einl C 247 – Individualrechtsschutz Einl C 27 – Inhaltsfreiheit 1 268 – Kernbereich, kontrollfreier Einl C 248 – Klauselrichtlinie Einl C 21 f. – Klauselverbote Einl C 255 ff. s.a. dort – kontrollfähige Klauseln Einl C 252 – kontrollfreie Klauseln Einl C 251 – kontrollfreier Bereich Einl C 21 – Kontrollgegenstand Einl C 253 f. – Laufzeit Einl C 252 – Leistungsbezeichnungen Einl C 248 – mehrdeutige Klauseln Einl C 253 – Missstandsaufsicht Einl B 19 f., Einl C 25 – Obliegenheiten Einl C 252 – Prämienanpassungsklauseln Einl B 29 – Preis-/Leistungsverhältnis Einl C 21 – Preisbildungsklauseln Einl B 29 – Rechtsangleichung Einl B 29 ff. – richterliche ~ Einl B 15 f. – Risikoabgrenzungen Einl C 252 – Risikobeschränkungen Einl C 252 – Summierungseffekt Einl C 254 – Transparenzgebot Einl C 247, Einl C 283 ff., s.a. dort – Treu und Glauben Einl C 246 – Umfang Einl C 247 ff. – unangemessene Benachteiligung Einl C 265 ff., s.a. dort 988

Sachregister

– Untersagungsverfügung Einl C 27 – Unwirksamkeitsfolgen AVB Einl C 387 ff., s.a. dort – Verbandsklage Einl C 27 – Verstärkungseffekt Einl C 254 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 357 ff., s.a. dort – Zweck Einl 245 AVB-Muster Einl C 31 – Gruppenfreistellungsverordnung Einl C 32 – horizontale Zusammenarbeit Einl C 33 – kartellbehördliche Eingriffsmöglichkeiten Einl C 37 – Kartellrecht Einl B 95, Einl B 99, Einl C 28 – Kartellrechtscompliance Einl C 34 – kartellrechtswidrige ~ Einl C 36 – Konditionenkartell Einl C 36 – überraschende Klauseln Einl C 131 – Vergleichsmarktkonzept Einl C 38 AVB-Wettbewerb Einl B 80 B BaFin Einl D 90 – Anhörungsrecht Einl C 27 – außergerichtliche Streitbeilegung Einl A 266 f – AVB-Kontrolle Einl C 25 – Cloud-Dienste Einl F 96 – Digitalversicherer Einl F 30 f., Einl F 66 – EfA-Prinzip Einl D 90 – Missstandsaufsicht Einl B 19 f., Einl C 25 – Outsourcing Einl F 96 – Versicherungsanlageprodukte 7b 10 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl A 259, Einl D 90 Bagatellvorbehalt Einl B 4 Basiseigenmittel Einl D 122 Basisinformationsblatt – EU-Versicherungsrecht Einl B 47 – Informationspflichten 7 12, 7 80 ff. – VVG-InfoV Anh 7 47 Basistarif 7 63 Bayern Einl A 32 Beamtenklausel Einl C 233 Bedarfsdeckung 1 53 Bedarfsdeckungstheorie 1 10 Bedingungsänderungen Einl D 211 ff. Bedingungsänderungsklauseln Einl C 185 Bedingungsänderungstreuhänder Einl D 216 Bedingungsanpassung Einl E 92 Bedingungsanpassungsklauseln – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 324 989

– AVB-Anpassung Einl C 196 – mehrdeutige Klauseln Einl C 234 – unangemessene Benachteiligung Einl C 275 – Vertragsänderungen 1 299 Bedingungsmodell – Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 250 – Informationsverfahren 7 97 ff. Befragungspflichten Einl F 144 ff. Befristung Einl C 386 Begünstigte Einl D 54 Behinderung Einl A 231 Beistandsleistung 1 150 Beitragskalkulation Einl A 289 Beitragsschulden Einl A 133 Belehrung – Restschuldversicherung 7a 18, 7d 10 – Widerrufsbelehrung 8 28 ff., s.a. dort Belehrungspflichten – Schadensersatz 6 94 – Widerrufsbelehrung 8 56 ff. Benachteiligungsverbot – AGG Einl A 217 – Kontrahierungszwang Einl A 236 – VAG Einl A 218 – Verstoßfolgen Einl A 235 – Vertriebstätigkeit des Versicherers 1a 20 – zivilrechtliches ~ Einl A 220 Beratungsanlass Einl F 147 ff. Beratungsaufwand 6 43 f. Beratungsausschlüsse Einl B 82 f. Beratungsbedarf 6 25 f. Beratungspflichten 6 1 ff. – Anlass für Nachfrage 6 64 ff. – anlassbezogene Beratung 6 18 ff. – anlegergerechte Beratung 6 28 – Auskunftserteilung 6a 1 ff., s.a. dort – AVB-Anpassung Einl A 113 – Beratungsaufwand 6 43 f. – Beratungsbedarf 6 25 f. – Beratungsverzicht 6 24, 6 52 ff. – bestmögliches Kundeninteresse 6 22 ff. – Beweislast 6 100 f. – Digitaler Vertrieb Einl F 144 ff. – Dokumentationspflicht 6 47 ff. – Doppelberatung 6 60, 6 103 – eingeschränkte Produktberatung 6 27 – Eintritt des Versicherungsfalls 6 72 – Erfüllungsgehilfe 6 11 – Erfüllungshaftung 6 9 – falsche Vertreterangaben 6 35 – Feuerversicherung 6 33 – Gebäudeversicherung 6 33 f. Klie

Sachregister

– Gegenleistung 6 43 – Gleichlauf 6 8 – Großrisiken 6 102 – Informationsmodell 1 284 – Irrtumsmöglichkeit 6 37 – Kapitalanlage 6 28 – Kofferraumklausel 6 69 – Konkurrenzangebote 6 41 – Mitverschulden 6 98 f. – nach Vertragsende 6 76 – nach Vertragsschluss 6 58 ff. – objektgerechte Beratung 6 28 – Pflichtverletzung 6 80 – Prämie 6 43 – Rat 6 46 – Restschuldversicherung 7d 7 – Revision 6 108 – Risikoanalyse 6 39 – Rückwärtsversicherung 6 53 – Schadensersatz 6 3, 6 78 ff., 6 86 ff. – Standardprodukt 6 44 – Strukturvertriebe Einl B 78 – Textform 6 7 – Treu und Glauben 6 30 – überraschende Klauseln Einl C 135 – Unterversicherung 6 69 – Unwirksamkeitsfolgen AVB Einl C 403 – Veränderungen, tatsächliche/rechtliche 6 65 – Verfehlung des Versicherungszwecks 6 32 – Vermögensschaden 6 90 – Verschulden 6 12 – Versicherungsanlageprodukte 7c 5 ff. – Versicherungsmakler 6 12, 6 14, 6 102 ff. – Versicherungssumme 6 33 – Versicherungsvermittler 6 8, 6 13 – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 75 f. – Versicherungsvertreter 6 11, 6 13 – VVG-Reform 6 4 – Wünsche/Bedürfnisse des Kunden 6 38 ff. Beratungsqualität Einl F 157 Beratungsverzicht 6 24, 6 77 – AVB Einl C 53 – Informationsverfahren 7 88 – standardisierter ~ 6 54 – Teilverzicht 6 57 – Textform 6 52 ff. – Unterschrift 6 53 – unüberlegter ~ 6 55 – Vermittlerrichtlinie 6 56 Bereicherungsansprüche 17 27 Bereicherungsverbot – Ausgleichsleistung 1 137 Klie

– versichertes Interesse 1 91 ff. Berichtigungsmittel – Aufsichtsleiter Einl D 73 ff., s.a. dort – Aufsichtsmittel Einl D 67, Einl D 70 ff. – Eingriffsbefugnis Einl D 71 f. – Maßnahmenkatalog Einl D 73 ff. Berichtspflichten – angemessene Berichte 7c 35 – Beurteilung der Eignung 7c 41 – erbrachte Dienstleistungen 7c 35 – Erklärungsform 7c 39 – Fernabsatzverträge 7c 40 – Gruppenaufsicht Einl D 187 – Inhalt der Berichte 7c 37 – supervisory reporting Einl D 164 – Versicherungsanlageprodukte 7c 35 ff. – vorvertragliche Angaben 7c 38 Berufsgenossenschaften Einl A 148 Berufsunfähigkeitsversicherung – AVB Einl C 6 – AVB-Anpassung Einl C 181 – BGH Einl E 175 – Deckung eines Drittrisikos 1 165 – Kommissionsvorschläge Einl E 70 f. – Rückwärtsversicherung 2 17 – Übergangsvorschriften Einl A 141 ff. – Vertragsänderungen 1 303 best practice-Regeln Einl D 65 Bestimmtheitsgebot Einl C 289 bestmögliches Kundeninteresse – Beratungspflichten 6 22 f. – Vertriebstätigkeit des Versicherers 1a 15 ff. Betreuungsgesetz Einl A 59 betriebliche Altersversorgung – Informationspflichten Einl D 225, 7 54 – Versicherungsanlageprodukte 7b 11 Betriebsschäden Einl C 212 Beweisführung 3 3 Beweislast – abweichender Versicherungsschein 5 18 – AGG Einl A 220 – Anschriftenänderung 13 24 f. – Beratungspflichten 6 100 f. – Beweiserleichterungen 1 338 – Einbeziehung der AVB Einl C 100 – Entwendungsfälle 1 338 – Fälligkeit der Geldleistung 14 60 f. – Informationspflichten 7 135 ff. – Kündigungsrecht 11 55 ff. – nachteilige Abweichung 18 5 – Namensänderung 13 24 f. 990

Sachregister

– Querverkäufe 7a 22 – Restschuldversicherung 7d 16 – Rückwärtsversicherung 2 49 ff. – Schadensersatz 6 100 f. – Verjährung 15 41 – Versicherungsanlageprodukte 7b 31 – Versicherungsschein 3 22 – Versicherungsverträge 1 337 f. – Vertriebstätigkeit des Versicherers 1a 31 – Widerruf 8 127 – Widerrufsbelehrung 8 125 f. Bewusstseinsstörung Einl C 213 Bezeichnungsschutz Einl F 5 Bezüge, unpfändbare 17 12 ff. Bezugsberechtigter Einl A 310 ff. Bezugsberechtigungen – abweichender Versicherungsschein 5 4 – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 326 – Deckung eines Drittrisikos 1 175 f. – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 8 f. Big-Data Analysen – InsurTech Einl F 162 ff. – Risikoprävention 1 13 – Versicherung 1 26 Billigkeit Anh 16 7 Binnenversicherung Einl A 159 ff. – Handelsgesetzbuch Einl A 210 blue-pencil-test Einl C 391 Börsenpreise Einl D 105 Branchenüblichkeit Einl C 131 BREXIT – Altverträge Einl B 13 – EU-Versicherungsrecht Einl B 12 ff. – European Union (Withdrawal) Act 2020 Einl B 12 – Übergangszeit Einl B 14 Bündelungsgeschäft 7a 4 – Versicherungsanlageprodukte 7c 17 f. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen s. BaFin Bundesteilhabegesetz – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 142 – VVG-Änderungen Einl A 72 Bürgerliches Gesetzbuch – AVB Einl D 197 – Privatversicherungsrecht Einl A 194 ff. – Versicherungsverträge Einl A 198 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 39 Bußgeldtatbestände Einl D 83 991

C CLAB Einl C 23 claims-made-Prinzip – überraschende Klauseln Einl C 145 – unangemessene Benachteiligung Einl C 276 Cloud-Dienste – Ausgliederung Einl F 95 ff. – BaFin Einl F 96 – Begriff Einl F 90 – Digitalversicherer Einl F 56 – Outsourcing Einl F 90 ff. – Weisungsrechte Einl F 97 code civil Einl A 28 cost-of-capital-Ansatz Einl D 109 cross-selling Einl B 56 D D&O-Versicherung 2 26 f. Datenschutz – künstliche Intelligenz Einl F 177 ff. – Outsourcing Einl F 98 – Verbot automatisierter Entscheidungen Einl F 178 Datenübermittlung Einl C 327 dauerhafter Datenträger – Auskunftserteilung 6a 22 ff. – Website 6a 24 – Widerruf 8 48 Dauerschuldverhältnis – AVB-Anpassung Einl C 174 – Versicherungsperiode 1 214 – Versicherungsverträge Einl A 9, 1 211 ff. Deckung – Allgefahrendeckung 1 100 – Deckung eines Drittrisikos 1 154 ff., s.a. dort – spezielle Gefahren 1 – vertragstypische Pflichten des VR 1 Deckung eines Drittrisikos 1 154 ff. – Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs 1 173 – Begriff 1 154 – Berufsunfähigkeitsversicherung 1 165 – Bezugsberechtigung 1 175 f. – Direktanspruch des Dritten 1 172 – Eintrittsrecht 1 177 – faktische Versicherung 1 159 – Grundpfandrechtsgläubiger 1 178 – häusliche Gemeinschaft 1 158 – Krankenversicherung 1 169 f. – Lebensversicherung 1 163 f. – Mehrfachversicherung 1 160 – Nichtpersonenversicherung 1 156 ff. – Passivenversicherung 1 161 Klie

Sachregister

– Personenversicherung 1 162 ff. – Rechtsstellung des Dritten 1 171 ff. – Regressausschluss 1 157 ff. – Regressverzicht 1 157 – Sacherhaltungsinteresse 1 157 – Sachersatzinteresse 1 157 – Sicherungsschein 1 179 – Unfallversicherung 1 166 ff. – Versicherung für fremde Rechnung 1 156 ff., 1 162 ff. – Vertrag zugunsten Dritter 1 156 Deckungsklage 15 31 DeckungsstockVR 16 19 Deckungszusage 14 5 deliktischer Schadensersatz Einl A 86 Deregulierungsrichtlinien Einl B 21 Derivate Einl D 129 Deutscher Bund Einl A 31 ff. Dienstleister Einl F 16 f. Dienstleistungen – AGG Einl A 212 – Ausgleichsleistung 1 149 f. – Verjährungsbeginn 15 16 Dienstleistungsfreiheit – Entgeltumwandlung Einl B 33 f. – EU-Versicherungsrecht Einl B 4 f. Dienstleistungsverkehr Einl D 96 Differenzierungskriterien Einl A 230 Differenzprämie 6 88 Digitaler Vertrieb Einl F 118 ff. – Algorithmen Einl F 157 – Bedarfsabfrage Einl F 155 – Befragungspflichten Einl F 144 ff. – Beratungsanlass Einl F 147 ff. – Beratungsanlass, Erkennbarkeit Einl F 154 – Beratungsanlass, personenbezogener Einl F 152 f. – Beratungsanlass, produktbezogener Einl F 148 ff. – Beratungspflichten Einl F 144 ff. – Beratungsqualität Einl F 157 – Digitalversicherer Einl F 134 ff. – Dokumentationspflicht Einl F 158 – erster Geschäftskontakt Einl F 130 ff. – Handlungsempfehlung Einl F 156 ff. – Informationspflichten Einl F 126 ff. – Informationspflichten, vorvertragliche Einl F 134 ff. – Medienbruch Einl F 120 – Online-Kundenmailbox Einl F 120 – passwortgeschützter Bereich Einl F 124 – Produktempfehlung Einl F 156 Klie

– Textformerfordernis Einl F 120 ff. – Versicherungsvermittler Einl F 126 ff. – Zwangs-Download Einl F 122 Digitalisierung Einl A 294 ff. – Anzeigeobliegenheit Einl A 297 – Fernabsatzverträge Einl A 296 – InsurTech Einl F 1, s.a. dort – Produktgestaltung Einl A 298 – Smart-Home-Module Einl A 298 – Vertragsschluss Einl A 295 Digitalversicherer Einl F 7 ff. – Anforderungen an Mitarbeiter Einl F 68 ff. – BaFin Einl F 30 f., Einl F 66 – Beteiligungsstruktur Einl F 31 – Cloud-Dienste Einl F 56 – Deckungskonzept Einl F 43 – Digitaler Vertrieb Einl F 118 ff., Einl F 134 ff., s.a. dort – Eigenmittel Einl F 46 – Erlaubnis Einl F 25 – Erlaubnisantrag Einl F 27 ff. – EWR-Staat Einl F 36 – fachliche Eignung Einl F 30, Einl F 59 – fit and proper-Kriterien Einl F 58 – Geoblocking-Tool Einl F 37 – Geschäftsplan Einl F 32 ff., Einl F 36 ff. – Governance-System Einl F 53 ff. – Herkunftslandprinzip Einl F 38 – Incentivierungsprogramme Einl F 72 – Inhaberkontrolle Einl F 99 ff. – IT-Struktur Einl F 56 – Korrespondenzversicherung Einl F 37 – Leitungserfahrung Einl F 64 – Online-Abschluss Einl F 37 – Outsourcing Einl F 89 ff., s.a. dort – praktische Kenntnisse Einl F 62 – Proportionalitätsprinzip Einl F 54 – Qualifikationen Einl F 57 ff. – Rechtsformzwang Einl F 29 – Risikoprofil Einl F 55, Einl F 60 – Schlüsselfunktionen Einl F 53, Einl F 66 – Single-License Prinzip Einl F 38 – Solvency II-DVO Einl F 53 – Spartentrennungsgrundsatz Einl F 43 – Unternehmensgegenstand Einl F 40 – Venture Capital Finanzierungsinstrumente Einl F 46 – Vergütungsmodelle Einl F 72 – versicherungsfremdes Geschäft Einl F 74 ff., s.a. dort – Versicherungssparte Einl F 42 – Vier-Augen-Prinzip Einl F 41 992

Sachregister

– Wagniskapitalgeber Einl F 46, Einl F 52 – Zulassungsaufsicht Einl F 25 ff. – Zuverlässigkeit Einl F 30, Einl F 66 Direktanspruch – Deckung eines Drittrisikos 1 172 – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 3 – Kfz-Unfall Einh A 51 – Kommissionsvorschläge Einh E 53 – Pflichthaftpflichtversicherung Einh A 86 – VVG-Reform Einh E 105 Direktversicherer Einl B 83 Diskriminierung Einl A 218 f. Dokumentationspflicht – Auskunftserteilung 6a 39 – Beratungspflichten 6 47 ff. – Digitaler Vertrieb Einl F 158 – Dokumentationsverzicht 6 52 ff. – Komplexität 6 49 – Textform 6 50 f. – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 62, Einl B 756 Dokumentationsverzicht 6 52 ff. Doppelberatung 6 60, 6 103 Download 6a 23 Dreitageszugangsfiktion 13 17 Drittbedingungen Einl C 63 ff., Einl C 68 Drittstaatenäquivalenz Einl B 11 Drittstaatenversicherer Einl D 97 Drittwissen 2 41 ff. Dummentransparenz 7 44 Dumpingpreise Einl B 56 Durchschnittskostenberechnung Einl B 98 Durchschnittskunden 6a 9 E EBA Einl D 35 Effektivkostenquote – Informationspflichten 7 31, 7 36 – VVG-InfoV Anh 7 21, Anh 7 25 – Widerruf 7 108 effet utile 9 21 Ehepartner 11 35 Ehrlichkeit 1a 10 Eigenmittel Einl D 121 ff. – Anrechnungsbeschränkungen Einl D 125 – Aufsichtsleiter Einl D 76 – Basiseigenmittel Einl F 122 – Digitalversicherer Einl F 46 – ergänzende ~ Einl D 122 – InsurTech Einl F 44 ff. 993

– Qualitätsklassen Einl F 48 – Qualitätsprufung Einl D 123 – Qualitätsstufen Einl D 124 – quantitative Anforderungen Einl D 101, Einl D 121 ff. – Staatsanleihen Einl D 131 – tiering Einl D 124 – verfügbare ~ Einl D 122 Einbeziehung der AVB Einl C 76 ff. – AVB-Anpassung Einl C 174 ff., s.a. dort – Beweislast Einl C 100 – Einbeziehung geänderter AVB Einl C 174 ff., s.a. AVB–Anpassung – Einbeziehungswillen Einl C 82 – Einverständnis des Versicherungsnehmers Einl C 96 f. – ergänzende Vertragsauslegung Einl C 104 ff. – fernmündlicher Vertragsschluss Einl C 88 – Geltung dispositiven Rechts Einl C 104 – Gesamtunwirksamkeit Einl C 109 – Grundsätze Einl C 76 f. – Handelsbrauch Einl C 124 – Hinweis auf AVB Einl C 79 ff. – Hinweis im Internet Einl C 82 – Hinweispflicht, besondere Einl C 83 – Individualabreden Einl C 89 – Informationspflichten 7 21 ff., Einl C 125 – kaufmännisches Bestätigungsschreiben Einl C 123 – Kenntnisnahme, zumutbare Einl C 85 ff. – Kenntnisnahmemöglichkeit Einl C 91 ff. – Lesbarkeit Einl C 92 – misslungene ~ Einl C 101 ff. – Mitteilungserfordernisse Einl C 77 – mündlicher Vertragsschluss Einl C 87 – nachträgliche ~ Einl C 115 ff. – Policenmodell Einl C 111 ff. – Rücksichtnahmegebot Einl C 95 – salvatorische Klauseln Einl C 93 – schriftlicher Vertragsschluss Einl C 86 – Störfälle Einl C 115 – Transparenzgebot Einl C 91 – überraschende Klauseln Einl C 126 ff., s.a. dort – Unternehmer Einl C 76, Einl C 119 ff. – Verbandsklage Einl C 108 – Verhandlungssprache Einl C 94 – Verständlichkeit Einl C 92 – Vertragsschluss im Internet Einl C 90 – Voraussetzungen Einl C 78 ff. – vorläufige Deckung Einl C 76, Einl C 118 – Widerspruch Einl C 97 Klie

Sachregister

– Zeitpunkt für die Erfüllungsvoraussetzungen Einl C 98 f. Einlösungsprinzip 1 111 Einmalprämie Einl C 296 Einredeverzicht 15 29 Einschreiben – Kündigungsrecht 11 55 – Willenserklärungen 13 16 einseitige Rechtsgeschäfte Einl C 52 ff. Einspargeschäft Einl A 8 Eintritt des Versicherungsfalls – Auslegung von AVB Einl C 215 – Beratungspflichten 6 72 Eintritt neuer Vertragspartner Einl A 88 Eintrittsberechtigter Einl A 313 Eintrittsrecht 1 177 Einzelpolice 3 4 Einzelschaden 1 56 Einzugsermächtigung – AVB Einl C 53 – unangemessene Benachteiligung Einl C 277 EIOPA – Europäisches Finanzaufsichtssystem Einl D 35 – Gruppenaufsicht Einl D 183 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 23, Einl D 25 f. elektronischer Rechtsverkehr 8 96 Email – Auskunftserteilung 6a 25 – Kündigungsrecht 11 57 Emailadresse 6a 29 f. Entgeltlichkeit 1 22 Entgeltumwandlung – Äquivalenzkontrolle Einl B 35 – Dienstleistungsfreiheit Einl B 33 f. – Rechtsangleichung Einl B 32 f. – Vermittlungskosten Einl B 36 Entschädigungsfonds 1 320 ff. Entschädigungsgrenze Einl C 328 f. Erbfall 8 39 Ereignis Einl C 216 Erfüllungsgehilfe 6 11 Erfüllungshaftung Einl A 282 Erfüllungsinteresse 6 86, 6 92 Erfüllungsort Einl C 330 ergänzende Vertragsauslegung – AVB-Kontrolle Einl B 31 – Einbeziehung der AVB Einl C 104 ff. – Informationspflichten 7 118 – Unwirksamkeitsfolgen AVB Einl C 395 ff. Ermittlungsverfahren Einl C 147 ernstliche Erkrankung Einl C 297 Klie

Ersatzkassen Einl B 92 Ersatzklauseln Einl C 393 f. Ersatzversicherungsschein 5 4 Ersetzung unwirksamer AVB-Klauseln Einl C 198 ff. – Äquivalenzverhältnis Einl C 200 – dispositives Gesetzesrecht Einl C 201 – gesetzliche Ersetzungsbefugnis Einl C 198 – Unwirksamerklärung Einl C 202 – vertragliche Ersetzungsklausel Einl C 199 Erstprämie – Restschuldversicherung 7d 12 – Rückwärtsversicherung 2 45 ff. ESFS s. Europäisches Finanzaufsichtssystem ESMA Einl D 35 ESRB Einl D 34 essentialia negotii Einl C 249 EU-Datenbank Einl C 23 EU-Passport – EU-Versicherungsrecht Einl B 7 f. – VAG Einl A 247 – Zulassungsaufsicht Einl D 94 EU-Privatversicherungsrecht Einl A 261 EU-Versicherungsrecht Einl B 1 ff. – Agrarversicherungssysteme Einl B 3 – Anlageversicherungsprodukte Einl B 47 – AVB Einl C 11 ff. – AVB-Kontrolle, behördliche Einl B 19 – AVB-Kontrolle, Missstandsaufsicht Einl B 19 f. – AVB-Kontrolle, richterliche Einl B 15 f. – Bagatellbekanntmachung Einl B 5 – Bagatellvorbehalt Einl B 4 – Basisinformationsblatt Einl B 47 – BREXIT Einl B 12 ff. – cross-selling Einl B 56 – Deregulierungsrichtlinien Einl B 21 – Dienstleistungsfreiheit Einl B 4 ff. – Drittstaatenäquivalenz Einl B 11 – Dumpingpreise Einl B 56 – EU-Passport Einl B 7 f. – Fernabsatzverträge Einl B 23 – Feuerversicherungs-Urteil Einl B 7 – Finanzaufsicht Einl B 10 – Gastlandsprinzip Einl B 6 – Grundfreiheiten Einl B 1 ff. – Handel zwischen Mitgliedstaaten Einl B 4 – Herkunftslandprinzip Einl B 6, Einl B 9 – Informationsvorschriften Einl B 9 – IPID-VO Einl B 22, Einl B 47 ff., Einl B 51 ff. – Kartellrecht Einl B 89 ff., s.a. dort – Kartellrechtsreform Einl B 1 – Kick-Backs Einl B 2, Einl B 43 f. 994

Sachregister

– Niederlassungsfreiheit Einl B 4 ff. – Notifikationsverfahren Einl B 9 – Prämienwettbewerb Einl B 55 ff. – PRIP-VO Einl B 2, Einl B 47 ff. – Produktinformationsblatt Einl B 47 – Quersubventionierungen Einl B 57 – Rechtsangleichung Einl B 24 ff., s.a. dort – Rechtsgrundlagen Einl B 1 – Sitzlandprinzip Einl B 8 – Sondervergütungen Einl B 44 – Verbraucherinformation Einl B 21 ff. – Verbraucherschutz Einl B 15 ff. – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 8 ff. – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 1, Einl B 58 ff., s.a. dort – Widerruf Einl B 2, Einl B 45 ff. – Zwischenstaatlichkeit Einl B 4 Europäische Bankaufsichtsbehörde Einl D 35 Europäische Wertpapier-/Marktaufsichtsbehörde Einl D 35 Europäischer Ausschuss für Systemrisiken Einl D 34 Europäisches Finanzaufsichtssystem Einl D 32 ff. – Aufbau Einl D 38 – Aufsichtsziele Einl D 39 – EBA Einl D 35 – Ebenenstruktur Einl D 37 – EIOPA Einl D 35 – ESMA Einl D 35 – ESRB Einl D 34 – Europäische Bankaufsichtsbehörde Einl D 35 – Europäische Wertpapier-/Marktaufsichtsbehörde Einl D 35 – Europäischer Ausschuss für Systemrisiken Einl D 34 – Gemeinsamer Ausschuss Einl D 35 – Makroaufsicht Einl D 34, Einl D 36 – Mikroaufsicht Einl D 35, Einl D 37 – Netzverbund Einl D 33 – Rechtspersönlichkeit Einl D 33 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 26 EWR-Staat – Digitalversicherer Einl F 36 – Zulassungsaufsicht Einl D 94 F fair value-Bewertung Einl D 104 Fälligkeit der Geldleistung 14 1 ff. – Abschlagszahlungen 14 3, 14 23 ff. – Abschluss von Untersuchungsverfahren 47 ff. 995

14

– Abschluss, rechtskräftiger 14 49 – Aufschub der Zahlungen 14 55 – außenstehende Dritte 14 6 ff. – Auszahlungsklauseln 14 52 ff. – Beibringung von Unterlagen 14 45 f. – Beweislast 14 60 ff. – Deckungszusage 14 5 – Fälligkeitsvereinbarungen 14 48 – Formularpraxis 14 45 ff. – Haftpflichtversicherung 14 6 ff. – Naturalleistungen 14 5 – notwendige Erhebungen 14 9 f., s.a. dort – Obliegenheitsverletzungen 14 19 – Österreichisches Recht 14 64 ff. – Prüfungszeitraum 14 7 – Sachversicherungsbedingungen 14 47 ff. – Sachverständigenverfahren 14 58 – Schadensentstehung 14 7 – Titulierung der Forderung 14 59 – unberechtigte Ablehnung der Leistung 14 20 ff. – Unfallversicherung 14 45 f. – Unterlagen 14 45 f. – Verjährungsbeginn 15 13 – Versicherungsfall 14 5, 14 19 – Verzug 14 32 ff., s.a. dort – vorläufige Einstellung 14 51 – Warenkreditversicherung 14 59 – Wiederbeschaffungsklauseln 14 56 – Wiederherstellungsklauseln 14 56 f. – Zahlung unter Vorbehalt 14 30 f. Fälligkeitszinsen 1 219 Fernabsatzverträge – außergerichtliche Streitbeilegung Einl A 264 ff. – Berichtspflichten 7c 40 – Digitalisierung Einl A 296 – EU-Versicherungsrecht Einl B 23 – Versicherungsombudsmann Einl A 270 – VVG-Änderungen Einl A 57 Feuerversicherung – Beratungspflichten 6 33 – Rückwärtsversicherung 2 22 Feuerversicherungs-Urteil Einl B 7 Fiktion Auskunftserteilung 6a 34 Fiktion Versicherungsfall Einl C 299 Finanzaufsicht – Aufsichtsmittel Einl D 66 – EU-Versicherungsrecht Einl B 10 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 8 4 Finanzsystemstabilität Einl D 57 FinDAG Einl D 16 Klie

Sachregister

fit and proper-Kriterien – Digitalversicherer Einl F 58 – qualitative Anforderungen Einl D 145, Einl D 151 f. fit-Kriterium Einl D 152 Fluggast Einl C 300 Fluguntauglichkeit Einl C 235 Fonds 1 316 ff., 1 324 ff. Freistellungsansprüche 17 18 Fremdmittelaufnahmeverbot Einl F 45 Fristsetzung 11 29 Frühstornofälle – Kommissionsvorschläge Einl E 69 – Lebensversicherung Einl A 139 G Garantiefonds – Informationspflichten 7 19 – quantitative Anforderungen Einl D 119 – VVG-InfoV Anh 7 8 Gastlandsprinzip Einl B 6 GATS Einl D 42 Gebäudeversicherung – Beratungspflichten 6 33 f. – Kommissionsvorschläge Einl E 48 – Übergangsvorschriften Einl A 145 ff. Gebühren – Nebengebühren 1 188 – Querverkäufe 7a 9 – Versicherungsanlageprodukte 7b 15 Gefahrenabwehrrecht Einl D 4 Gefahrerhöhung 1 103 f. Gefahrsperson Einl A 314 Gefahrstandsobliegenheiten 1 105 f. Gefahrtragungstheorie 1 28 Gegenleistung 6 43 gegenseitiger Vertrag – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 12 – Versicherungsverträge 1 206 f. Geldleistung – Ausgleichsleistung 1 147 – Ausgleichspflicht 1 181 – Fälligkeit der ~ 14 1 ff., s.a. dort – Geldleistungstheorie 1 29 – Verjährungsbeginn 15 13 ff. Geldleistungstheorie 1 29 Geldwäschebekämpfung Einl D 61 Gemeinsamer Ausschuss Einl D 35 gemischte Anstalten Einl C 150 Gendiagnostikgesetz Einl A 238 ff. Genehmigungsfiktion 5 3 Klie

Genesungsgeld Einl C 363 Geoblocking-Tool Einl F 37 Gepäckversicherungen 8 83 Gerichtsstand – AVB Einl D 236 – Übergangsvorschriften Einl A 84 – Versicherungsverträge 1 331 f. Gerichtsstandsvereinbarungen Einl C 332 Gesamtunwirksamkeit Einl C 109 Geschädigter Einl A 316 Geschäftsbesorgungsvertrag – Kautionsversicherungsvertrag 1 223 – Versicherungsverträge 1 222 f. Geschäftsfähigkeit 15 35 Geschäftsgeld Einl C 151 Geschäftsordnung Einl E 22 f. Geschäftsorganisation – Digitalversicherer Einl F 52 – InsurTech Einl F 53 ff. – qualitative Anforderungen Einl D 132 Geschäftsplan des Versicherers Einl A 250 ff. – AVB Einl A 251 – Digitalversicherer Einl F 32 ff., Einl F 36 ff. – Geschäftsplan Einl A 250 – geschäftsplanmäßige Erklärung Einl A 252 ff., s.a. dort geschäftsplanmäßige Erklärung Einl A 252 ff. – Altverträge Einl A 254 – AVB Einl C 41 – Einbeziehungsvereinbarung Einl A 257 – unmittelbare Rechte Einl A 255 Gesetz der großen Zahl 1 21 Gesetzgebungskompetenz Einl A 38 Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 239 ff. – Abweichung des Versicherungsscheins 1 254 ff. – Antragsmodell 1 240 – Bedingungsmodell 1 250 – Internet 1 258 f. – Invitatio-Modell 1 248 – Pflichtversicherungsverträge 1 260 – Policenmodell 1 241 ff. – Vorschlagsmodell 1 249 – VVG-Reform 1 240 ff., 1 244 ff. – Widerruf 1 251 ff. gesunkenes Einkommen Einl C 301 Gewerbeordnung – InsurTech Einl F 111 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 36 Gewerbepolizeirecht Einl D 4 Gewinninteressen 1 86 ff. 996

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Gewohnheitsrecht – Privatversicherungsrecht Einl A 286 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 37 gezogenes Fahrzeug Einl C 302 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – VVG-Änderungen Einl A 64 – VVG-Reform Einl E 84, Einl E 107 ff. Gläubigergleichbehandlung Anh 16 20 Gleichbehandlung – AVB Einl C 5 – Inhaltsfreiheit 1 269 ff. – Privatversicherungsrecht Einl A 213 ff. – unangemessene Benachteiligung Einl C 268 – Versicherung 1 24 Gliedertaxe Einl C 236 gold-plating Einl D 29 Governance-System – Digitalversicherer Einl F 53 ff. – qualitative Anforderungen Einl D 135 – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 71 grobe Fahrlässigkeit Einl C 333 Großrisiken – Ausschluss des Widerrufsrechts 8 87 – Beratungspflichten 6 102 – Informationspflichten 7 123 – Inhaltsfreiheit 1 263 – nachteilige Abweichung 18 15 f. – natürliche Person 1 203 – Policenmodell 1 244 – Risikotransfer auf den VR 1 62 – Rom I-VO Einl C 10 – Versicherungsnehmer 1 201 – vertragstypische Pflichten des VR 1 30 – VVG Einl A 169 Grundfreiheiten Einl B 1 ff. Grundpfandrechtegläubiger Einl A 144 ff. Grundpfandrechtsgläubiger – Deckung eines Drittrisikos 1 178 – VVG-Reform Einl E 94 Gruppen-SCR Einl D 185 Gruppenaufsicht Einl D 180 ff. – Aufsichtskollegium Einl D 182 – Berichtspflichten Einl D 187 – EIOPA Einl D 183 – ergänzende Führungsfunktion Einl D 183 – Gruppen-SCR Einl D 185 – Solo-Plus-Aufsicht Einl D 180 – Solvency II-System Einl D 181, Einl D 184 Gruppenfreistellungsverordnung – AVB-Muster Einl C 32 – Kartellrecht Einl B 89 – Leitbildfunktion Einl B 93 ff. 997

– Versicherungen Einl B 93 Gruppenversicherung – echte ~ 7d 5 – Gruppenspitze 7d 6 – Informationspflichten 7 54 f. – Restschuldversicherung 7a 18, 7d 3, s.a. dort – unechte ~ 7d 5 – Vertragsfreiheit 1 306 H Haftpflichtversicherung – Abschlusspflichten des VN 1 233 – Alles-oder-Nichts-Prinzip 1 126 – BGH Einl E 168 f. – Fälligkeit der Geldleistung 14 6 ff. – Insolvenz des Versicherers 16 3 – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 3 – Kommissionsvorschläge Einl E 49 ff. – Rückwärtsversicherung 2 24 ff. Haftungsfreistellung Einl C 334 Hagelversicherung Einl E 47 Hälftelungsgebot Einl B 39 Handelsbrauch – Einbeziehung der AVB Einl C 124 – Versicherungsverträge 1 219 Handelsgeschäft 1 218 ff. Handelsgesellschaften – Privatversicherungsrecht Einl A 208 – Versicherungsvermittlerrecht Einl A 209 Handelsgesetzbuch – Binnenversicherung Einl A 210 – Privatversicherungsrecht Einl A 207 ff. Handelsvertreterausgleichsanspruch Einl C 323 Handlungsempfehlung Einl F 156 ff. Hauptgeschäftstätigkeit – Informationspflichten 7 18 – VVG-InfoV Anh 7 7 Heil-/Hilfsmittelversorgungsgesetz – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 143 – VVG-Änderungen Einl A 69 Heilbehandlung – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 335 – Auslegung von AVB Einl C 217 Herkunftslandprinzip – Begriff Einl B 9 – Digitalversicherer Einl F 38 – EU-Versicherungsrecht Einl B 6, Einl B 9 – VAG Einl A 247 Klie

Sachregister

Hinweisgeber Einl B 67 Hinweispflicht 5 11 ff. Honorarregeln Einl B 65 ff. Hypothekengläubiger Einl A 315 I IAIS – Gefährdung des Gesetzgebungsverfahrens Einl D 49 – soft law-Instrumente Einl D 48 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 46 ff. IDD-Richtlinie – Auskunftserteilung 6a 1 – InsurTech Einl F 118 ff. – Querverkäufe 7a 2 – Versicherungsanlageprodukte 7b 2 – Versicherungsvermittler Einl F 106 – Vertriebstätigkeit des Versicherers 1a 1 Identitätskennzeichnung 7 125 IHK Einl F 18, Einl F 103 Incentivierungsprogramme Einl F 72 Individualabreden – Abschlagszahlungen 14 44 – abweichender Versicherungsschein 5 17 – AVB Einl C 70 ff. – Einbeziehung der AVB Einl C 89 – halbzwingende Vorschriften 18 1, 18 3 – Insolvenz des Versicherers 16 20 f. – Kündigungsrecht 11 54 – nachteilige Abweichung 18 5 ff., s.a. dort – Restschuldversicherung 7a 21, 7d 15 – Rückwärtsversicherung 2 52 – Verjährung 15 38 f – Versicherungsanlageprodukte 7b 30, 7c 42 – Versicherungsdauer 10 8 – Versicherungsperiode 12 7 – Versicherungsschein 3 21 – Versicherungsschein auf den Inhaber 4 9 – Vertriebstätigkeit des Versicherers 1a 30 – VVG Einl A 170 – Widerruf 8 124 – Widerrufsfolgen 9 28 Individualprozess Einl C 230 Individualrechtsschutz Einl C 27 informationelle Selbstbestimmung 1 292 Informationsblatt – Informationspflichten 7 69, 7 76 ff. – private Krankenversicherung Einl D 226 – VVG-InfoV Anh 7 33 Informationsgewinnung Einl D 67 Informationshilfen Einl B 80 Informationsmittel Einl D 68 f. Klie

Informationsmodell 1 282 ff. – Auge-und-Ohr-Rechtsprechung 1 285 – Beratungspflichten 1 284 – Informationspflichten 1 284 – Produktinformationsblatt 1 284 – Regulierungsmodell 1 282 – Transparenzgebot 1 283 Informationspflichten 7 1 ff. – Abschlusskosten 7 30, 7 47 – aggregierter Ausweis 7 47 – Änderung der Identität/Anschrift 7 57 – Aushangspublizität 7 66 – Ausschluss des Widerrufsrechts 8 89 – Basisinformationsblatt 7 12, 7 80 ff. – Basistarif 7 63 – betriebliche Altersversorgung Einl D 225, 7 54 – Beweislast 7 135 ff. – Digitaler Vertrieb Einl F 126 ff., Einl F 134 ff. – Effektivkostenquote 7 31, 7 36 – Einbeziehung der AVB Einl C 125, 7 21 ff. – ergänzende Vertragsauslegung 7 118 – funktionsfähiger Wettbewerb 7 7 – Garantiefonds 7 19 – Geltungsausnahmen 7 122 ff. – Großrisiken 7 123 – Gruppenversicherung 7 54 f. – Hauptgeschäftstätigkeit 7 18 – Höchstbegrenzung 7 35 – Identitätskennzeichnung 7 125 – Informationsblatt 7 69, 7 76 ff. – Informationsmodell 1 284 – Informationsverfahren 7 84 ff., s.a. dort – Internetverträge 7 124 – IPID-VO 7 69, 7 73, 7 83 – Klauselnichtigkeit 7 117 – Kosten 7 30 – Krankenversicherung 7 50 ff. – Kundentransparenz 7 65 – Lebensversicherung 7 37 ff. – Leistung des VR 7 25, 7 58 – Marktinformationsblatt 7 83 – Marktsignale 7 8 – Markttransparenz 7 65 – Markttrends 7 8 – mehrere vergleichbare Tarife 7 61 f. – Mindestrückkaufswerte 7 31 – Mindestwiderspruchswert 7 10, 7 31 – Modellrechnung 7 11, 7 40 f. – mündiger Verbraucher 7 4 – Nebenleistungspflichten 7 26 – Nebenpflichten 7 25 – Pensionskassen 7 54 998

Sachregister

– Pflichtverletzung 7 102 ff. – Policenmodell 7 5 – Prämie 7 29 – PRIP-VO 7 68 – private governance 7 66 – private Krankenversicherung Einl D 226 – Produktinformationsblatt 7 12, 7 67, 7 72 ff., s.a. dort – Publizitätsgebot 7 17 – Querverkäufe 7a 8 ff., s.a. dort – Rechtsaufsicht 7 3 – Restschuldversicherung 7 55, 7d 1 ff., s.a. dort – Risiko des VN 7 20 – Risikoausschluss 7 22 – Risikomanagement 7 27 – Rückkaufswerte 7 42 ff. – Schadensersatz 7 112 ff. – sonstige Kosten 7 49 – Standardtarif 7 63 – Tarifbestimmungen 7 24 – Telefonverträge 7 124 – Transparenzgebot 7 16, 7 65 – übernommenes Risiko 7 20 – überraschende Klauseln Einl C 135 – Überschussbeteiligung 7 11, 7 37 ff., 7 59 – Umstufung 7 60 – Ungleichgewichtslage 7 6 – Unwirksamkeitsfolgen AVB Einl C 402 – Versicherungsanlageprodukte 7b 1 ff., 7b 4 ff., s.a. dort – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 75 f. – Verständnishilfen 7 44 – Vertriebstätigkeit des Versicherers 1a 23 ff. – Verwaltungskosten 7 48 – Verzicht 7 127 ff. – vor Vertragsschluss 7 15 ff. – VVG Einl D 223 ff. – VVG-InfoV 7 1, Anh 7 3 ff. – während des Vertrages 7 56 ff. – Widerruf 7 102 ff., 8 1 ff., 8 26 ff., s.a. dort – Widerspruch 7 9 – Zillmerung 7 43, 7 45 – Zillmerungsnachteile 7 79 Informationsverarbeitung Einl B 81 Informationsverfahren 7 84 ff. – Bedingungsmodell 7 97 ff. – Beratungsverzicht 7 88 – Genehmigungsmodell 7 101 – Invitatiomodell 7 93 ff. – Klarheit 7 86 – Policenmodell 7 90 ff. – Rechtzeitigkeit 7 87 999

– Textform 7 85 – Überlegungsfrist 7 87 – Verständlichkeit 7 86 Informationsverzicht Einl C 53 Inhaberklausel – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 336 – Versicherungsschein auf den Inhaber 4 2, 4 4 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 364 Inhaberkontrolle Einl F 99 ff. Inhaberpapier – echtes ~ 4 7 – hinkendes ~ 4 4 – Versicherungsschein 4 1 Inhaltsfreiheit 1 261 ff. – AGG 1 269 ff. – allgemeine Gleichbehandlungspflicht 1 274 ff. – Altersvorsorgeverträge 1 272 – AVB-Kontrolle 1 268 – Gleichbehandlung 1 269 ff. – Großrisiken 1 263 – Grundsatz 1 261 – halbzwingende Vorschriften 1 262 – Optimierungspflicht des VR 1 279 ff. – Schranken 1 262 ff. – Treu und Glauben 1 266 – Verbotsnormen 1 265 – VVaG 1 273 Inhaltskontrolle s. AVB–Kontrolle Innovation Hubs Einl F 19 Insolvenz des Versicherers 16 1 ff. – Antrag auf Eröffnung 16 6 – Aufsichtsbehörde 16 6 – Auswirkungen 16 10 ff. – DeckungsstockVR 16 19 – Ende des Versicherungsvertrages 16 10 – Haftpflichtpflichtversicherung 16 3 – Individualabreden 16 20 f. – Insolvenzforderungen 16 14 – Kfz-Haftpflichtversicherung 16 17 – Kundigungsrecht 16 9 – Leistungspflichten des VR 16 13 ff. – Masseverbindlichkeiten 16 3, 16 13 – Nachmeldefrist 16 14 – Naturalleistungen 16 13 – Prämie 16 12 – Realgläubiger 16 3 – Schadensersatz 16 18 – Sicherungsvermögen 16 15 – Überschuldung 16 6 – VAG 16 4 Klie

Sachregister

– Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 242 – Versicherungsfall 16 13 ff. – Versicherungsverträge 16 3 – Vorrang 16 15 – Vorrecht 16 17 – Zahlungsunfähigkeit 16 6 Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 1 ff. – § 103 InsO Anh 16 12 ff. – bedingt pfändbare Ansprüche Anh 16 7 – Bezugsberechtigung, unwiderrufliche Anh 16 8 – Bezugsberechtigung, widerrufliche Anh 16 9 – Billigkeit Anh 16 7 – Direktanspruch Anh 16 3 – Erfüllung Anh 16 17 ff. – Erfüllung, unvollständige Anh 16 13 ff. – Erfüllungsablehnung Anh 16 23 ff. – gegenseitiger Vertrag Anh 16 12 – gesetzliche Regelung Anh 16 1 ff. – Gläubigergleichbehandlung Anh 16 20 – Grundstück Anh 16 26 ff. – Haftpflichtversicherung Anh 16 3 – Insolvenzmasse Anh 16 6 – Insolvenzverwalter Anh 16 11 – Kautionsversicherung Anh 16 12 – Lebensversicherung Anh 16 4, Anh 16 25 – Prämie Anh 16 17 ff. – Rückdeckungsversicherung Anh 16 10 – Rückkaufswerte Anh 16 25 – Versicherung für fremde Rechnung Anh 16 5 – Versicherungsleistung Anh 16 22 – Versicherungsverträge Anh 16 6 ff. – VVG-Reform Anh 16 2 – Wahlrecht Anh 16 15 ff. – Wohngebäudeversicherung Anh 16 26 – Zwangsverwaltung Anh 16 26 ff. Insolvenzfonds 1 317 Insolvenzmasse Anh 16 6 Insolvenzordnung Einl A 61 Insolvenzverwalter – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 11 – Kündigungsrecht 11 32 Insurance Distribution Directive Einl A 70 InsurTech Einl F 1 ff. – Assekuradeure Einl F 10, Einl F 115 f. – Beaufsichtigung Einl F 18 ff. – Begriff Einl F 2 – Bezeichnungsschutz Einl F 5 – Big-Data Analysen Einl F 162 ff. – Dienstleister Einl F 16 f. Klie

– Digitaler Vertrieb Einl F 118 ff., s. a. dort – Digitalisierung Einl F 1 – Digitalversicherer Einl F 7 f., Einl F 21 ff., s. a. dort – Eigenmittel Einl F 44 ff. – Fremdmittelaufnahmeverbot Einl F 45 – Geschäftsmodelle Einl F 4 ff. – Geschäftsorganisation Einl F 53 ff. – Gewerbeordnung Einl F 111 – IDD-Richtlinie Einl F 118 ff. – IHK Einl F 18, Einl F 103 – Innovation Hubs Einl F 19 – Kapitalanforderungen Einl F 45 – künstliche Intelligenz Einl F 160 ff. – Micro-Targeting Einl F 160 – Mindestkapitalanforderung Einl F 50 – Mitwirkung im Schadenfall Einl F 107 – Ökosysteme Einl F 85 – Outsourcing Einl F 89 ff., s. a. dort – Peer-to-Peer Versicherung Einl F 12 ff., Einl F 117 – Predictive Analytics Einl F 16 – qualifizierte elektronische Signaturen Einl F 3 – regulatorische Sandkästen Einl F 19 – Schaden-/Leistungsmanagement Einl F 107 – Smart Home Einl F 85 – Solvabilitätskapitalanforderung Einl F 51 – Solvabilitätsschwellen Einl F 49 – Solvabilitätsübersicht Einl F 47 – Solvency II-Richtlinie Einl F 21 ff. – Solvency II-System Einl F 20 – Start-up Einl F 3 – Telematik-Box Einl F 86 – Tippgeber Einl F 109 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl F 21 ff. – Versicherungsmakler Einl F 111 – Versicherungsunternehmen Einl F 21 ff. – Versicherungsvermittler Einl F 9 ff., Einl F 18, Einl F 103 ff., Einl F 111 ff. – Versicherungsvertreter Einl F 111 – Versicherungswertschöpfungskette Einl F 4 integrierte Aufsicht Einl D 90 Interessenkonflikte – Versicherungsanlageprodukte 7c 31 – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 63 International Association of Insurance Supervisors Einl D 46 ff. Internet – AVB Einl C 68 – Einbeziehung der AVB Einl C 82 – Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 258 f. – Informationspflichten 7 124 1000

Sachregister

– Vertragsschluss Einl C 90 Invaliditätseintritt Einl C 362 Invaliditätsentschädigung Einl C 153 Invaliditätsgrad Einl C 365 Invitatiomodell – Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 248 – Informationsverfahren 7 93 ff. – Versicherungsvermittlerrecht 7 96 IPID-VO – EU-Versicherungsrecht Einl B 22, Einl B 47 ff., Einl B 51 ff. – Informationspflichten 7 69, 7 73, 7 83 – Produktinformationsblatt Anh 7 32 ff. Irreführungsverbot Einl C 290 Irrtumsanfechtung 5 15 f. IT-Struktur Einl F 56 J Jahrhundertreform

Einl A 2

K Kapitalanlage Einl D 126 ff. – Anlagevorschriften Einl D 127 – Anlagevorschriften, indirekte Einl D 130 – Beratungspflichten 6 28 – Derivate Einl D 129 – Marktrisikomodul Einl D 130 – Mischungsquoten Einl D 128 – prinzipienbasiertes Recht Einl D 126 – Streuungsquoten Einl D 128 – Systemwechsel Einl D 126 – unternehmerische Vorsicht Einl D 127 – Versicherungsanlageprodukte 7b 1 ff., s. a. dort Kapitalanlagegeschäfte – Auslegung von AVB Einl C 218 – Transparenzgebot Einl C 303 Kapitallebensversicherungen 7b 7 Kartellrecht – AGB-Recht Einl C 35 – AVB Einl C 28 ff. – AVB-Muster Einl B 95, Einl B 99, Einl C 28 – Durchschnittskostenberechnung Einl B 98 – Eingriffsmöglichkeiten Einl C 37 – Empfehlungen Einl B 97 – Ersatzkassen Einl B 92 – EU-Versicherungsrecht Einl B 89 ff., Einl B 91 – Feuerversicherungs-Urteil Einl B 91 – gemeinsame Deckung Einl B 95 – gesetzliche Geltungsausnahme Einl B 94 – Gruppenfreistellungsverordnung Einl B 89 – Gruppenfreistellungsverordnungen Versicherungen Einl B 93 1001

– horizontale Zusammenarbeit Einl C 33 – Kartellverbot Einl B 90 ff. – Leitbildfunktion Einl B 93 ff. – Mitversicherungsgemeinschaften Einl B 100 – open price systems Einl B 98 – Risikoprämientarife Einl B 95 – RVO-Pflichtkassen Einl B 92 – Sicherheitsvorkehrungen Einl B 95, Einl B 101 – Sozialversicherungsträger Einl B 92 – Vereinbarungen Einl B 97 – Vergleichsmarktkonzept Einl C 38 – Zwangsjackeneffekt Einl B 95 Kartellrechtscompliance Einl C 34 Kartellrechtsreform Einl B 1 Kartellverbot Einl B 90 ff. – AVB Einl C 29 f. kaufmännisches Bestätigungsschreiben Einl C 123 Kausalitätsvermutung Anh 7 6 f., Anh 7 13 Kautionsversicherung Anh 16 12 Kenntnis der Vertragsparteien 2 28 ff. – Drittwissen 2 41 ff. – Kenntnis des VN 2 30, 2 34 ff. – Kenntnis des VR 2 32 f. – positive ~ 2 29 – Versicherungsfall 2 32 f., 2 34 ff., 2 38 ff. – Zurechnung von Drittwissen 2 41 ff. Kfz-Haftpflichtversicherung – Insolvenz des Versicherers 16 17 – Rückwärtsversicherung 2 25 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 177 ff. – VVG-Änderungen Einl A 50 KfZ-Haftpflichtversicherungsverordnung – Versicherungsvertragsrecht Einl A 181 f. – VVG-Änderungen Einl A 60 Kfz-Kaskoversicherung 2 23 Kick-Backs Einl B 2, Einl B 43 f. Kinder 2 20 Klagefrist Einl A 116 ff. Klarheit – Informationsverfahren 7 86 – mehrdeutige Klauseln Einl C 228 – Widerrufsbelehrung 8 60 Klauselrichtlinie Einl C 12 ff. – Anhang Einl C 18 – Anwendungsbereich Einl C 13 ff. – AVB-Kontrolle Einl C 21 f., s. a. dort – Inhaltskontrolle s. AVB–Kontrolle – Kontrollmaßstäbe Einl C 17 – Mindestharmonisierung Einl C 19 – Missbrauchskontrolle Einl C 16 ff. – richtlinienkonforme Auslegung Einl C 20 Klie

Sachregister

– Satzungsbestimmungen von VVaG Einl C 15 – Schutzzwecke Einl C 14 – Transparenzgebot Einl C 16 – Treu und Glauben Einl C 17 – Umsetzung Einl C 16 – Verbraucherverträge Einl C 13 – VVaG Einl C 15 – Ziel Einl C 19 Klauselverbote Einl C 255 ff. – Antragsbindungsklauseln Einl C 258 – Äquivalenzstörung Einl C 259 – außergerichtliche Streitbeilegung Einl C 264 – Auszahlungsfristen Einl C 258 – AVB-Änderungsklauseln Einl C 259 – AVB-Kontrolle Einl C 255 ff. – Haftungsausschluss bei grobem Verschulden Einl C 262 – Obliegenheitsverletzungen Einl C 261 – Unternehmer Einl C 256 – Wertungsmöglichkeiten Einl C 255 – Zugangs-/Formerfordernisse Einl C 263 – Zugangsfiktion Einl C 260 kleine Benzinklausel Einl C 219 kmU Einl D 114 Knappheitsgebot Anh 7 42 know-your-customer-Prinzip 7c 6, 7c 16 Kofferraumklausel 6 69 Kollektivversicherung 1 306 Kommission Einl E 12 ff. – Abschlussbericht Einl E 30 – Arbeitsweise Einl E 21 ff. – Auftrag des BMJ Einl E 16 f. – Einvernehmlichkeit Einl E 21 – Erörterungen Einl E 24 – Geschäftsordnung Einl E 22 f. – Kommissionsvorschläge Einl E 32 ff., s. a. dort – Verwendung von Gentests Einl E 20 – Vollsitzungen Einl E 25 – Zusammenarbeit mit dem BMJ Einl E 18 ff. – Zusammensetzung Einl E 14 f. – Zwischenbericht Einl E 28 Kommissionsvorschläge Einl E 32 ff. – Abschluss von Versicherungsverträgen Einl E 34 ff. – Abschlusskosten Einl E 68 – Alterungsrückstellungen Einl E 73 – Bedingungsanpassung Einl E 64 – Beratungspflichten Einl E 34 – Berufsunfähigkeitsversicherung Einl E 70 f. – Bewertungsreserven Einl E 63 – Deckungskapital als Berechnungsgrundlage Einl E 66 ff. Klie

– Direktanspruch Einl E 53 – Frühstornofälle Einl E 69 – Gebäudefeuerversicherung Einl E 48 – Haftpflichtversicherung Einl E 49 ff. – Hagelversicherung Einl E 47 – Krankenversicherung Einl E 73 ff. – Lebensversicherung Einl E 57 – managed care Einl E 76 – Obliegenheiten Einl E 40 ff. – Pflichtversicherungen Einl E 52 – Policenmodell Einl E 37 – Prämienzahlung Einl E 39 – Rangfolge mehrerer Ansprüche Einl E 55 – Rückkaufswerte Einl E 65 – Schutzvorschriften Einl E 35 f. – Tierversicherung Einl E 47 – Überschussbeteiligung Einl E 61 f. – Unfallversicherung Einl E 72 – Versicherungsbegriff Einl E 33 – Vertragsverletzungen Einl E 40 ff. – vorläufige Deckung Einl E 43 ff. – Wirtschaftlichkeitsklausel Einl E 75 – zusätzliche Informationen Einl E 57 Kompensation – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 318 – unangemessene Benachteiligung Einl C 271 Kompensationstheorie Einl A 171 f. Konditionenkartell Einl C 36 Konkurrenzangebote 6 41 Kontinuitätsabreden 2 27 Kontrahierungszwang – Benachteiligungsverbot Einl A 236 – Versicherer 1 236 Konzessionssysteme Einl D 5 Kopplungsgeschäft 7a 4 Korrespondenzversicherung – Digitalversicherer Einl F 37 – Zulassungsaufsicht Einl D 98 Kosten – Informationspflichten 7 30 – Querverkäufe 7a 9 – Versicherungsanlageprodukte 7b 15, 7b 26, 7b 28 – Versicherungsschein 3 20 – VVG-InfoV Anh 7 14 Kostenanrechnungsklausel – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 337 – Transparenzgebot Einl C 304 Kostenausgleichsvereinbarung Einl C 366 Kostentragungspflicht Einl C 153 1002

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Krankenhaustagegeld Einl C 278 Krankenversicherung – Abschlusspflichten des VN 1 235 – Alles-oder-Nichts-Prinzip 1 127 – AVB-Anpassung Einl C 182 f. – Beitragsbegrenzung im Alter 7 52 – Beitragsentwicklung 7 51, 7 53 – BGH Einl E 176 f. – BVerfG Einl E 155 – Deckung eines Drittrisikos 1 169 f. – Informationspflichten 7 50 ff. – Kündigungsrecht 11 5 – Prämienanpassung Einl C 182 – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 136 ff. – Rückwärtsversicherung 2 10, 2 19 f. – Sicherungsfonds 1 318 – versichertes Interesse 1 84 – Versicherungsleistungsanpassung Einl C 182 – Vertragsänderungen 1 303 – VVG-InfoV Anh 7 29 – VVG-Reform Einl E 99 krankhafte Störungen Einl C 154 Krankheitskostenversicherung 1 77 Kundentransparenz 7 65 Kündigungsfrist – Übergangsvorschriften Einl A 127 – Versicherungsverträge 11 17 Kündigungsrecht – Abmahnung 11 29 – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 338 f. – Altverträge 11 6 – aus wichtigem Grund 11 24 ff. – AVB-Anpassung Einl C 187 ff. – Beweislast 11 55 ff. – Ehepartner 11 35 – Einschreiben 11 55 – Email 11 57 – Erklärungsempfänger 11 36 ff. – Form 11 39 f. – Fristen 11 42 f. – Fristsetzung 11 29 – gesetzliches ~ 11 21 ff. – Individualabreden 11 54 – Insolvenz des Versicherers 16 9 – Insolvenzverwalter 11 32 – Krankenversicherung 11 5 – Kündigungsberechtige 11 32 ff. – Kündigungsfrist 11 17 – Kündigungsinhalt 11 41 – langfristige Verträge 11 1 ff., 11 18 f. 1003

– Lebensversicherung 11 5 – Mehrheit von VN/VR 11 38 – Nachhaftung 11 52 – nicht ordnungsgemäße Kündigungserklärung 11 44 ff. – ordentliches ~ 11 21 ff. – Österreichisches Recht 11 59 ff. – Pfandgläubiger 11 32 – Risikolebensversicherung 11 5 – Stellvertretung 11 34, 11 36 – Teilkündigung 11 53 – Telefax 11 57 – Textform 11 39 – Übergangsvorschriften Einl A 127 – Versicherer 11 21 – Versicherungsnehmer 11 22 – Versicherungsverträge 1 215 f., 11 1 ff. – vertragliches ~ 11 31 – vertragstypische Pflichten des VR 1 43 f. – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 367 – Wirkung der Kündigung 11 49 ff. – Zurückweisung der Kündigung 11 44 ff. – Zurückweisung, unterbliebende 11 48 – Zwangsverwalter 11 32 künstliche Befruchtung Nichtverheirateter Einl C 279 künstliche Intelligenz – Datenschutz Einl F 177 ff. – Einwilligung des Betroffenen Einl F 180 – Gesundheitsdaten Einl F 178 – Haftung Einl F 169 ff. – InsurTech Einl F 160 ff. – Produkthaftungsgesetz Einl F 173 – rechtsgeschäftlicher Vertreter Einl F 170 – Software-Hersteller Einl F 174 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl F 163 ff. – Zivilrecht Einl F 169 ff. Kutschpferde Einl C 237 L ladungsfähige Anschrift Anh 7 6 Lamfalussy-Verfahren Einl D 19 laufende Aufsicht Einl D 99 ff. – Aufsichtsmittel Einl D 66 – Bereiche Einl D 99 – Gruppenaufsicht Einl D 180 ff., s. a. dort – qualitative Anforderungen Einl D 132 ff., s. a. dort – quantitative Anforderungen Einl D 100 ff., s. a. dort – Transparenzpflichten Einl D 155 ff., s. a. dort Klie

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laufende Schadensfälle Einl A 92 ff. laufende Versicherung Einl A 169 Laufzeitverlängerung 8 42 Lebensversicherung – Abtretungsverbot 17 12 – AVB-Anpassung Einl C 179 ff. – Bezugsberechtigter Einl A 312 – BGH Einl E 172 ff. – BVerfG Einl E 154 – Deckung eines Drittrisikos 1 163 f. – Frühstornofälle Einl A 139 – indexbezogene ~ 7b 6 – Informationspflichten 7 37 ff. – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 4, Anh 16 25 – Kapitallebensversicherungen 7b 7 – Kommissionsvorschläge Einl E 57 – Kündigungsrecht 11 5 – Modellrechnung 7 40 f. – Prämienanpassung Einl C 179 – prämienfreie ~ Einl C 180 – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 130 ff. – Rückkaufswertberechnung Einl A 139 f. – Rückkaufswerte 1 143 ff. – Rückwärtsversicherung 2 11, 2 16 – Sicherungsfonds 1 318 – Übergangsvorschriften Einl A 134 ff. – Überschussbeteiligung Einl A 135 ff., Einl D 243, 1 139 ff., 1 287 ff., 7 37 – versichertes Interesse 1 80 ff. – Versicherungsleistungsanpassung Einl C 180 – Versicherungsschein auf den Inhaber 4 3 – Versicherungsverträge 1 226 – Vertragsänderungen 1 301 f. – VVG-Reform Einl E 96 ff. – Widerrufsfolgen 9 25 – Widerrufsfrist 8 50 – Zillmerung 1 143 Lebensversicherungsreformgesetz Einl A 67 Legalitätsaufsicht Einl D 194 Legitimationsfunktion 3 3 Leistungsbezeichnungen Einl C 248 Leistungsdauerbeschränkung Einl C 144 Leistungsmangel Einl C 220 Leistungsmerkmale 6a 10 Leistungsverweigerungsrecht – Verjährungshemmung 15 34 – Widerruf 8 8 Leitlinien – soft law-Instrumente Einl D 26 Klie

– Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 23, Einl D 25 f. Lesbarkeit Einl C 92 Leseobliegenheit Einl C 136 Liquiditätsfunktion 1 7 Logopäde – überraschende Klauseln Einl C 155 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 368 M Maklerbedingungen Einl C 64 ff. Makroaufsicht Einl D 34, Einl D 36 managed care Einl E 76 MaRisk VA Einl D 133, Einl D 138 Marktinformationsblatt 7 83 Marktpreise Einl D 105 Marktrisikomodul Einl D 130 Marktsignale 7 8 Markttransparenz 7 65 Markttrends 7 8 Massenrisiken – Policenmodell 1 244 – Risikotransfer auf den VR 1 62 – Rom I-VO Einl C 10 – vertragstypische Pflichten des VR 1 30 Masseverbindlichkeiten 16 3, 16 13 Medienbruch Einl F 120 medizinische Notwendigkeit Einl C 368 f. mehrdeutige Klauseln Einl C 227 ff. – Auslegungsrisiko Einl C 227 – AVB-Kontrolle Einl C 253 – Beamtenklausel Einl C 233 – Bedingungsanpassungsklausel Einl C 234 – Fluguntauglichkeit Einl C 235 – Gliedertaxe Einl C 236 – Individualprozess Einl C 230 – Judikatur Einl C 233 ff. – kundenfreundliche Auslegung Einl C 230 – Kutschpferde Einl C 237 – Mehrvergleich Einl C 238 – öffentliche Verkehrsmittel Einl C 239 – rückschauende Befundung Einl C 240 – stationäre Heilbehandlung Einl C 241 – Unklarheitenregelung Einl C 228 – Verbandsklage Einl C 230 – versicherte Reise Einl C 242 – Verwendung weiterer Klauseln Einl C 229 – Zerstörung Einl C 243 Mehrfachversicherung – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 339 1004

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– überraschende Klauseln Einl C 157 Mehrvergleich – mehrdeutige Klauseln Einl C 238 – überraschende Klauseln Einl C 158 Mehrwertsteuerersatz – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 331 – Transparenzgebot Einl C 298 Micro-Targeting Einl F 160 Mikroaufsicht Einl D 35, Einl D 37 Mindestkapitalanforderung – InsurTech Einl F 50 – quantitative Anforderungen Einl D 101, Einl D 119 f. – Solvency II-DVO Einl D 120 Mindestkapitalunterschreitung Einl D 76 Mindestrückkaufswerte – Hälftelungsgebot Einl B 39 – Informationspflichten 7 31 – Klauselwettbewerb, funktionsfähiger Einl B 40 – Rechtsangleichung Einl B 38 ff. – Übermaßverbot Einl B 39 – Vorlage zum EuGH Einl B 42 Mindestwiderspruchswert 7 10, 7 31 Mischungsquoten Einl D 128 Missstandsaufsicht – AVB-Anpassung Einl A 114 f. – AVB-Kontrolle Einl C 25 – BaFin Einl B 19 f., Einl C 25 – Klauselrichtlinie Einl C 16 ff. – Vergleichsmarktkonzept Einl C 38 Mittagsregelung 10 1 mittelbare Drittwirkung der Grundrechte Einl C 268 Mitverschulden 6 98 f. Mitversicherte Einl A 299 Mitversicherungsgemeinschaften Einl B 100 Mitwirkungsobliegenheit 14 11 ff. Modellrechnung – Informationspflichten 7 11, 7 40 f. – Lebensversicherung 7 40 f. – VVG-InfoV Anh 7 27, Anh 7 40 Musterwiderrufsbelehrung 8 97 ff. Mutterschaft Einl A 227 N Nachbelehrung 8 74 f. Nachhaftung – Kündigungsrecht 11 52 – Risiko des VN 1 112 1005

Nachmeldefrist 16 14 nachteilige Abweichung 18 5 ff. – (Prozess-)Vergleich 18 7 – Beweislast 18 5 – geltungserhaltende Reduktion 18 14 – Großrisiken 18 15 f. – Nachteilskompensation 18 9 ff. – Unwirksamkeit der Vereinbarung 18 12 ff. – Verbandsklage 18 14 – Willenserklärungen 18 7 Nachteilskompensation 18 9 ff. Nachtzeit Einl C 159 Namensänderung – Beweislast 13 24 f. – Versicherungsnehmer 13 11 f. – Zugang 13 5 Naming-and-Shaming-Mechanismus Einl D 26 Naturalleistungen – Ausgleichsleistung 1 149 f. – Ausgleichspflicht 1 182 f. – Fälligkeit der Geldleistung 14 5 – Insolvenz des Versicherers 16 13 – Verjährungsbeginn 15 16 f. Nebengebühren 1 188 Nebenleistungspflichten 7 26 Nebenpflichten 7 25 Nebenpflichtverletzung Einl C 400 Nettopolicen Einl B 64 Neuwertspitze 17 6 Neuwertversicherung 1 90 Nichtpersonenversicherung s. a. Schadensversicherung – Ausgleichsleistung 1 129 ff. – Deckung eines Drittrisikos 1 156 ff. Niederlassung – Versicherungsschein 3 13 – Zulassungsaufsicht Einl D 95 Niederlassungsfreiheit Einl B 4 ff. non-hedgable risk Einl D 107 Norddeutscher Bund Einl A 34 ff. Notifikationsverfahren Einl B 9 notwendige Erhebungen 14 9 f. – Dauer 14 17 f. – Ermittlungs-/Strafverfahren 14 16 – Mitwirkungsobliegenheit 14 11 ff. – Notwendigkeit 14 14 f. – personenbezogene Daten 14 13 – Prüfungs-/Überlegungsfrist 14 18 – Versicherungsfall 14 9 ff. – vorvertragliche Anzeigepflicht 14 15 Klie

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O Obliegenheiten – Anschriftenänderung 13 18 – AVB Einl D 234 – AVB-Kontrolle Einl C 252 – Digitalisierung Einl A 297 – Kommissionsvorschläge Einl E 40 ff. – Nichtanpassung Einl A 108 ff. – Rechtsangleichung Einl B 25 ff. – Transparenzgebot Einl C 293 – verhüllte ~ Einl A 111, Einl C 293 – versicherte Gefahr 1 105 f. – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 370 – VVG Einl D 234 – Warnpflichten Einl B 25 ff. Obliegenheitsverletzungen – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 340 – Fälligkeit der Geldleistung 14 19 – Klauselverbote Einl C 261 OECD-Kodex Einl D 43 öffentlich-rechtliches Versicherungswesen Einl A 154 öffentliche Auftraggeber 1 238 öffentliche Verkehrsmittel Einl C 239 Ökosysteme Einl F 85 Ombudsmann – private Krankenversicherung Einl A 280 – Versicherungsombudsmann Einl A 268 ff., s. a. dort Online-Kundenmailbox Einl F 120 open price systems Einl B 98 Optimierungsgebot 1a 20 ordentliche Unternehmensleitung Einl D 134, Einl D 136 ORSA Einl D 140 Österreichisches Recht – Abtretungsverbot 17 31 ff. – Fälligkeit der Geldleistung 14 64 ff. – Kündigungsrecht 11 59 ff. – Rückwärtsversicherung 2 54 f. – Verjährung 15 42 ff. – Verlängerungsklauseln 11 60 – Versicherungsdauer 10 9 – Versicherungsperiode 12 8 Outsourcing Einl F 89 ff. – Ausgliederung Einl F 92 ff. – BaFin Einl F 96 – Cloud-Dienste Einl F 90 ff., Einl F 95 ff. – Datenschutz Einl F 98 – qualitative Anforderungen Einl D 144 Klie

P Papierform – Auskunftserteilung 6a 2, 6a 7 – Widerruf 8 48 Partikulargesetzgebung Einl A 27 ff. – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 5 Passivenversicherung – Ausgleichsleistung 1 129, 1 132 – Deckung eines Drittrisikos 1 161 – Krankheitskostenversicherung 1 77 – Risikotransfer auf den VR 1 57 – versichertes Interesse 1 74 ff. – versichertes Risiko 1 75 – Versicherungswert 1 76 Peer-to-Peer Versicherung Einl F 12 ff., Einl F 117 PEICL – Rückwärtsversicherung 2 56 – Verlängerungsklauseln 11 62 – Versicherungsverträge 1 341 Pensionsfonds 1 316 Pensionskassen – Ausschluss des Widerrufsrechts 8 86 – Informationspflichten 7 54 – Übergangsvorschriften Einl A 137 personenbezogene Daten – notwendige Erhebungen 14 13 – Übergangsvorschriften Einl A 87 Personengesellschaften 1 200 Personenversicherung – Ausgleichsleistung 1 134 ff. – Deckung eines Drittrisikos 1 162 ff. – Rückwärtsversicherung 2 16 ff. – Schadensversicherung 1 135 ff. – Summenversicherung 1 59, 1 138 Pflege-Versicherungsgesetz Einl A 157 Pflegeversicherung – Abschlusspflichten des VN 1 235 – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 135 – Sozialversicherung 1 315 Pflichthaftpflichtversicherungen – landesgesetzliche ~ Einl A 189 – standesrechtliche ~ Einl A 190 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 187 ff. – vertragliche ~ Einl A 191 Pflichtverletzung – Ausgleichspflicht 1 181 ff. – Beratungspflichten 6 80 – Informationspflichten 7 102 ff. – Sicherungspflicht 1 180 Pflichtversicherungen Einl E 52 1006

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Pflichtversicherungsgesetz Einl A 177 ff. PKV-Ombudsmann 1 336 Plansicherungstheorie – Ausgleichsleistung 1 10 – Risikotransfer auf den VR 1 51 Policendarlehen Einl C 341 Policenmodell 7 91 – abgewandeltes ~ 7 100 – Einbeziehung der AVB Einl C 111 ff. – Genehmigungsmodell 7 101 – Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 241 ff. – Großrisiken 1 244 – Informationspflichten 7 5 – Informationsverfahren 7 90 ff. – Kommissionsvorschläge Einl E 37 – Massenrisiken 1 244 – Unionsrecht 1 242 f. – VVG-Änderungen Einl A 55 Prämie 1 187 – Ausgleichsleistung 1 148 – Beratungspflichten 6 43 – Bestandteile 1 188 – Fälligkeit 1 189 – Informationspflichten 7 29 – Insolvenz des Versicherers 16 12 – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 17 ff. – pro rata temporis 1 216 – Unteilbarkeit 1 210 – Verjährungsbeginn 15 18 – VVG-InfoV Anh 7 15, Anh 7 37 – Widerruf 7 110 f. – Widerrufsfolgen 9 5 f., 9 16 f., 9 18, 9 24 Prämienänderungen – AVB-Anpassung Einl C 178 ff., Einl C 185, Einl C 195 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 211 ff. Prämienänderungstreuhänder Einl D 212 ff. – Eignungsvoraussetzungen Einl D 212 – fachliche Eignung Einl D 215 – Unabhängigkeit Einl D 217 – Zeitbedarf Einl D 214 – Zuverlässigkeit Einl D 213 Prämienanpassungsklauseln – AVB-Kontrolle Einl B 29 – Vertragsänderungen 1 298 Prämienberechnung Einl A 289 Prämienrückgewähr Anh 7 28 Prämienwettbewerb Einl B 55 ff. Prämienzahlungspflicht 1 185 ff. – Begriff 1 185 – Fälligkeit 1 189 1007

– Nebengebühren 1 188 – Prämie 1 187 – Verletzung 1 190 – Versicherungssteuer 1 188 Predictive Analytics Einl F 16 Preis-/Leistungsverhältnis Einl C 21 Preisbildungsklauseln Einl B 29 Preußen Einl A 27 PRIIP Einl A 186 PRIIP-VO – EU-Versicherungsrecht Einl B 2, Einl B 47 ff. – Informationspflichten 7 68 – Versicherungsanlageprodukte 7b 2 principle based law Einl D 17 Privatautonomie Einl A 238 private governance 7 66 private Krankenversicherung – Altverträge Einl A 129 ff. – Informationsblatt Einl D 226 – Ombudsmann Einl A 280 – Übergangsvorschriften Einl A 129 ff. – VVG-Änderungen Einl A 65 – VVG-Reform Einl A 75 privatrechtliches Versicherungswesen Einl A 152 Privatversicherung Einl A 23, 1 7 ff. – Ausgleichsleistung 1 10 – Funktionen 1 7 ff. – Liquiditätsfunktion 1 7 – Risiko 1 11 – Risikoabsicherung 1 9 – Risikomanagement 1 12 – Risikoprävention 1 13 – Risikotransformation 1 12 – Sicherungsfunktion 1 7 – Versicherung 1 14 ff. – Vertragsversicherung 1 191 Privatversicherungsrecht Einl A 12 – AGG Einl A 212 ff., s. a. dort – Allgemeines Privatrecht Einl A 193 ff. – außergerichtliche Streitbeilegung Einl A 264 ff., s. a. dort – Binnenversicherung Einl A 159 ff. – Bürgerliches Gesetzbuch Einl A 194 ff. – EU ~ Einl A 261 – EU-Versicherungsrecht Einl B 1 ff., s. a. dort – Gendiagnostikgesetz Einl A 238 ff. – Gesetzgebung der Länder Einl A 154 – Gesetzgebungskompetenz Einl A 149 ff. – Gewohnheitsrecht Einl A 286 – Gleichbehandlung Einl A 213 ff. – Handelsgesellschaften Einl A 208 Klie

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– Handelsgesetzbuch Einl A 207 ff. – öffentlich-rechtliches Versicherungswesen Einl A 154 – Pflege-Versicherungsgesetz Einl A 157 – Privatautonomie Einl A 238 – privatrechtliches Versicherungswesen Einl A 152 – Rechtsfortbildung Einl A 281 ff. – Rechtsgebiete Einl A 14 – Rechtsquelle Einl A 1 – Seeversicherung Einl A 158 – Sozialversicherungsrecht Einl A 263 – Sozialversicherungswesen Einl A 153 – Treu und Glauben Einl A 202 ff. – Versicherungsaufsichtsrecht Einl A 16, Einl A 241 ff., s. a. dort – Versicherungsombudsmann Einl A 268 ff., s. a. dort – Versicherungsunternehmensrecht Einl A 17 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 15, Einl A 160 ff., s. a. dort – Völkerrecht Einl A 260 – VVG Einl A 1, s. a. dort – Wirtschaftsrecht Einl A 241 Produktakzessorietät Einl B 73 Produktempfehlung Einl F 156 Produktinformationsblatt 7 72 ff. – EU-Versicherungsrecht Einl B 47 – Freiberufler 7 72 – Informationsmodell 1 284 – Informationspflichten 7 12, 7 67 – IPID-VO Anh 7 32 ff. – Prämie 7 75 – Restschuldversicherung 7a 18, 7d 11 – Risiko des VN 7 74 – Risikoausschluss 7 74 – Schonfrist Anh 7 1 – überraschende Klauseln Einl C 135 – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 86 – VVG-InfoV Anh 7 1, Anh 7 31 ff. Professionalität 1a 14 proper-Kriterium Einl D 151 Proportionalitätsprinzip Einl F 54 Provisionsabgabeverbot Einl B 65 ff. Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung 1 327 f. Prozesskostenhilfe 15 32 Psychoklausel – überraschende Klauseln Einl C 154 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 371 Klie

psychotherapeutische Behandlungen Einl C 160 Psychotherapieklausel Einl C 372 f. public disclosure Einl D 171 ff. – Adressaten Einl D 178 – Bericht über Solvabilität/Finanzlage Einl D 171 – jährliches ~ Einl D 172 – Mindestinhalt Einl D 173 – Solvency II-DVO Einl D 174 – Struktur Einl D 175 – Transparenzpflichten Einl D 155, Einl D 171 ff. – Verständlichkeit Einl D 178 Publizitätsgebot 7 17 Q qualifizierte elektronische Signaturen Einl F 3 qualitative Anforderungen Einl D 132 ff. – allgemeine ~ Einl D 135 ff. – Aufsichtsrat Einl D 149, Einl D 153 – Ausgliederungsbeauftragter Einl D 150 – fit and proper-Kriterien Einl D 145, Einl D 151 f. – fit-Kriterium Einl D 152 – Geschäftsorganisation Einl D 132 – Governance-System Einl D 135 – internes Kontrollsystem Einl D 141 – Ma-Risk VA Einl D 138 – MaRisk VA Einl D 133 – ordentliche Unternehmensleitung Einl D 134, Einl D 136 – ORSA Einl D 140 – Outsourcing Einl D 144 – proper-Kriterium Einl D 151 – Qualifikationsanforderungen Einl D 151 f. – Revision Einl D 137, Einl D 142 – Risikomanagement Einl D 137, Einl D 139 – Schlüsselfunktionen Einl D 137 ff., Einl D 145 ff. – Unternehmensorganisation Einl D 136 – versicherungsmathematische Funktion Einl D 143 quantitative Anforderungen Einl D 100 ff. – anrechenbare Eigenmittel Einl D 121 ff. – Aufsichtsleiter Einl D 103 – Börsenpreise Einl D 105 – Eigenmittel Einl D 101, Einl D 121 ff., s. a. dort – fair value-Bewertung Einl D 104 – Garantiefonds Einl D 119 – Kapitalanlage Einl D 126 ff., s. a. dort 1008

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– Marktpreise Einl D 105 – Mindestkapitalanforderung Einl D 101, Einl D 119 f. – Rückstellungen Einl D 106 ff. – Solvabilitätskapitalanforderung Einl D 101, Einl D 110 ff. – Solvenzbilanz Einl D 100 – tiering Einl D 102 – Verbindlichkeiten Einl D 104 – Vermögenswerte Einl D 104 Quersubventionierungen Einl B 57 Querverkäufe Einl E 127, 7a 1 ff. – Begriff 7a 1 – Beweislast 7a 22 – Bündelungsgeschäft 7a 4 – Erlaubnis 7a 5 – Gebührennachweis 7a 9 – Gefahren 7a 3 – getrennter Kauf 7a 8 – Hauptprodukt 7a 6, 7a 13 – IDD-Richtlinie 7a 2 – Informationspflichten 7a 8 ff. – Kopplungsgeschäft 7a 4 – Nebenprodukt 7a 7, 7a 12 – Paket 7a 4 – Restschuldversicherung 7a 17 ff., s. a. dort – Versicherungsdeckung 7a 11 – Wünsche/Bedürfnisse des Kunden 7a 15 f. R Rabattklausel – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 342 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 373 Ranglisten 1a 25 ff. Rat 6 50 Realgläubiger 16 3 Recht unlauteren Wettbewerbs Einl B 87 f. Rechtfertigungsvorbehalt Einl A 221 Rechtsangleichung – AVB-Kontrolle Einl B 29 ff. – Entgeltumwandlung Einl B 32 ff. – EU-Versicherungsrecht Einl B 24 ff. – Hinweisobliegenheiten Einl B 28 – Höchstwirkung Einl B 25 – Mindestrückkaufswerte Einl B 38 ff., s. a. dort – Obliegenheiten Einl B 25 ff. – Transparenzgebot Einl B 29 ff. – Warnpflichten zu Obliegenheiten Einl B 25 ff. – Wertgleichheit Einl B 32 ff. 1009

Rechtsaufsicht – Aufsichtsmittel Einl D 66 – Informationspflichten 7 3 Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 115 ff. – Allgemeiner Teil Einl E 180 ff. – BGH Einl E 156 ff. – Bundesteilhabegesetz Einl E 142 – BVerfG Einl E 151 ff. – Heil-/Hilfsmittelversorgungsgesetz Einl E 143 – Krankenversicherung Einl E 136 ff. – Lebensversicherung Einl E 130 ff. – Pflegeversicherung Einl E 135 – Querverkäufe Einl E 127 – Rechtsprechung Einl E 151 ff. – Rom I-VO Einl E 116 – Schlussvorschriften Einl E 145 ff., Einl E 178 ff. – Verbraucherrechterichtlinie Einl E 120 – Versicherungszweige Einl E 129 ff. – Vertriebsrichtlinie Einl E 121 ff. – Widerruf Einl E 117 Rechtsformzwang – Digitalversicherer Einl F 29 – Zulassungsaufsicht Einl D 92 Rechtsfortbildung Einl A 281 ff. Rechtskenntnisse 6a 9, 6a 12 Rechtsmissbrauch 8 118 ff. Rechtsschutzversicherung – BGH Einl E 170 f. – Sammelverfahren Einl E 95 – VVG-Reform Einl E 95 Rechtsschutzversicherungsrichtlinie Einl A 53 Rechtssprache Einl C 209 Rechtsvergleich 1 339 ff. Rechtzeitigkeit – Auskunftserteilung 6a 13 – Informationsverfahren 7 87 – Versicherungsanlageprodukte 7b 22 f. Redlichkeit 1a 11 ff. Regelbeispiele Einl C 318 Regelverjährungsfrist Einl A 122 ff. Registereintrag Einl B 70 Registerzwang Einl B 68 ff. Regressverzicht 1 157 Regular Supervisory Report Einl D 157 ff. regulatorische Sandkästen Einl F 19 Reichsjustizamt Einl A 44 f. Reiseversicherungen 8 83 Relevanzrechtsprechung Einl A 284 Religion Einl A 232 Rentenbezugsberechtigung Einl C 374 Klie

Sachregister

Rentenversicherungsverträge 7b 9 Repräsentant Einl C 343 Repräsentantenhaftung Einl A 283 Restschuldversicherung – Belehrung 7a 18, 7d 10 – Beratungspflichten 7d 7 – Beweislast 7d 16 – Erstprämie 7d 12 – Gruppenversicherung 7a 18, 7d 3 – Individualabreden 7a 21, 7d 15 – Informationspflichten 7 55, 7d 1 ff. – Produktinformationsblatt 7a 18, 7d 11 – Querverkäufe 7a 17 ff. – Ratenkreditverträge 7d 3 – Rechte der versicherten Person 7d 8 f. – Transparenzgebot 7d 3 – Widerruf 7a 18, 7d 9 ff., 8 38 – Widerrufsausübung 7d 13 – Widerrufsfolgen 7d 14 – Widerrufsfrist 7a 20 – Zusatzangebot 7a 17 Rettungskosten 1 153 Revision – Beratungspflichten 6 108 – qualitative Anforderungen Einl D 137, Einl D 142 Risiko 1 11 Risiko des VN 1 46 ff. – Begriff 1 47 – Einlösungsprinzip 1 111 – Einzelmerkmale 1 65 f. – Informationspflichten 7 20 – Nachhaftungsklauseln 1 112 – Personenversicherung 1 47 – Produktinformationsblatt 7 74 – Risikoabgrenzung 1 66 – Risikoausschluss 1 66 – Risikotransfer auf den VR 1 50 ff., s. a. dort – Rückwärtsversicherung 1 112 – Vermögensversicherung 1 48 – versicherte Gefahr 1 99 ff., s. a. dort – versicherter Schaden/Bedarf 1 107 – versichertes Interesse 1 67 ff., s. a. dort – Versicherungsort 1 108 – Versicherungszeit 1 109 ff. – vorläufige Deckung 1 112 – VVG-InfoV Anh 7 36 Risikoabgrenzungen 1 66 – AVB-Kontrolle Einl C 252 Risikoabsicherung 1 9 risikoadäquate Kalkulation Einl A 228 ff. Risikoanalyse 6 39 Klie

Risikoausschluss 1 66, 1 122 – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 344 – Informationspflichten 7 22 – Produktinformationsblatt 7 74 – VVG-InfoV Anh 7 36 Risikobegrenzungen – Auslegung von AVB Einl C 208 – überraschende Klauseln Einl C 137 Risikobeschränkungen Einl C 252 Risikogerechtigkeit der Prämie Einl A 291 Risikogeschäft Einl A 7 f. Risikokollektiv 1 21 – vertragstypische Pflichten des VR 1 45 Risikolebensversicherungen – Kündigungsrecht 11 5 – Versicherungsanlageprodukte 7b 11 Risikomanagement – qualitative Anforderungen Einl D 137, Einl D 139 – Regelkreislauf 1 12 Risikomarge Einl D 109 Risikoprämientarife Einl B 95 Risikoprävention 1 13 Risikoprofil – Digitalversicherer Einl F 55, Einl F 60 – Solvabilitätskapitalanforderung Einl D 114 Risikosphäre 1 53 Risikotransfer auf den VR 1 50 ff. – Aktivenversicherung 1 54 ff. – Bedarfsdeckung 1 53 – Begriff 1 50 – Einzelschaden 1 56 – Großrisiken 1 62 – Massenrisiken 1 62 – Passivenversicherung 1 57 – Plansicherungstheorie 1 51 – Risikosphäre 1 53 – Schadensversicherung 1 54 ff., 1 58 – Schutzbedürfnis 1 61 – Sozialrisiken 1 64 – Summenschaden 1 56 – Systematisierung 1 60 f. – Unternehmensrisiken 1 63 – Verbraucherrisiken 1 63 – Vermögensgestaltungstheorie 1 51 Risikotransformation 1 12 Risikoübernahme 1 20 Rom I-VO – AVB Einl C 9 f. – Großrisiken Einl C 10 1010

Sachregister

– Massenrisiken Einl C 10 – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 116 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 185 Rückabwicklung 1 208 ff. Rückdeckungsversicherung Anh 16 10 Rückkaufswertberechnung Einl A 139 f. Rückkaufswerte – Auslegung von AVB Einl C 221 – Informationspflichten 7 42 ff. – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 25 – Kommissionsvorschläge Einl E 65 – Lebensversicherung 1 143 ff. – Vertragsfreiheit 1 291 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 361 – VVG-InfoV Anh 7 23 – VVG-Reform Einl E 106 rückschauende Befundung Einl C 240 Rücksichtnahmegebot Einl C 95 Rückstellungen – Bewertung Einl D 107 – cost-of-capital-Ansatz Einl D 109 – Kapitalkostenansatz Einl D 109 – non-hedgable risk Einl D 107 – quantitative Anforderungen Einl D 106 ff. – Risikomarge Einl D 109 – Schätzwert Einl D 107 f. – unzureichende ~ Einl D 77 – Zahlungsströme Einl D 108 Rücktritt – Versicherungsverträge 1 215 – Widerruf 8 7 Rückversicherung – Alternativer Risikotransfer 1 308 – Versicherungs-Zweckgesellschaft 1 308 – VVG Einl A 19, 1 307 f. Rückwärtsversicherung 2 1 ff. – abweichender Versicherungsschein 5 8 – Begriff 2 12 ff. – Beratungspflichten des VR 2 53 – Berufsunfähigkeitsversicherung 2 17 – Beweislast 2 49 ff. – D&O-Versicherung 2 26 f. – Erstprämie 2 45 ff. – Feuerversicherung 2 22 – gesetzliche ~ 10 5 – Haftpflichtversicherung 2 24 ff. – Individualabreden 2 52 – Kenntnis der Vertragsparteien 2 28 ff., s. a. dort 1011

– Kfz-Haftpflichtversicherung 2 25 – Kfz-Kaskoversicherung 2 23 – Kinder 2 20 – kombinierte ~ 2 7, 2 14 – Kontinuitätsabreden 2 14, 2 27 – Krankenversicherung 2 10, 2 19 f. – Lebensversicherung 2 11, 2 16 – Legaldefinition 2 1 – österreichisches Recht 2 54 f. – PEICL 2 56 – Personenversicherung 2 16 ff. – Risiko des VN 1 112 – Sachversicherung 2 21 ff. – Transportversicherung 2 21 – Unfallversicherung 2 18 – Ungewissheit des Schadenseintritts 2 2 – Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung 2 24 – Versicherungsbeginn 2 8 ff. – Versicherungsdauer 10 5 – Versicherungsfall 2 4 ff. – Versicherungszweige 2 15 ff. – vorläufige Deckung 2 13 – Vorwärtsversicherung 2 7 – Zweck 2 2 RVO-Pflichtkassen Einl B 92 S Sacherhaltungsinteresse 1 157 Sachersatzinteresse 1 157 Sachkosten – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 345 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 375 Sachkundeprüfung Einl B 69 Sachleistungen 15 17 Sachversicherung – Abschlusspflichten des VN 1 232 – Abtretungsverbot 17 5 – Rückwärtsversicherung 2 21 ff. Sachverständigenkosten Einl C 346 salvatorische Klauseln Einl C 93 Sanktionen – Aufsichtsmittel Einl D 81 ff. – Vertriebstätigkeit des Versicherers 1a 29 Schadensanzeige 15 21 Schadensersatz – Auskunftserteilung 6a 39 – Belehrungspflichten 6 94 – Beratungspflichten 6 3, 6 78 ff., 6 86 ff. – Beweislast 6 100 f. Klie

Sachregister

– Differenzprämie 6 88 – Erfüllungsinteresse 6 86, 6 92 – günstigere Konditionen 6 87 – Informationspflichten 7 112 ff. – Insolvenz des Versicherers 16 18 – Mitverschulden 6 98 f. – Pflichtverletzung 6 80 – Sicherungspflicht 1 180 – Überschussbeteiligung 6 95 – Unwirksamkeitsfolgen AVB Einl C 400 – Verjährungshemmung 15 7 – Vermögensschaden 6 90 – Vermutung beratungsrichtigen Verhaltens 6 89 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 209 – vertragstypische Pflichten des VR 1 39 ff. – Vertretenmüssen 6 81 ff. – Verzug 14 41 ff. – Widerrufsbelehrung 8 122 f. Schadensersatztheorie 1 10 Schadensminderungsklausel Einl C 305 Schadensversicherung – Ausgleichsleistung 1 129 ff., 1 135 ff. – Personenversicherung 1 135 ff. – Risikotransfer auf den VR 1 54 ff., 1 58 – versichertes Interesse 1 72 ff., 1 96 f. Schätzwert Einl D 107 f. Schicksalsteilungsgrundsatz Einl C 352 Schimmelschäden Einl C 376 Schlichtungsstellen 1 333 Schlüsselfunktionen – Digitalversicherer Einl F 53, Einl F 66 – qualitative Anforderungen Einl D 137 ff., Einl D 145 ff. Schlüsselklausel Einl C 347 Schlussvorschriften – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 145 ff., Einl E 178 ff. – VVG Einl A 5 Schriftform Einl C 348 Schuldschein 3 7 Schulmedizinklausel Einl C 377 Schwangerschaft Einl A 227 Schwankungserwartungen Anh 7 24 Schweigepflicht Einl C 53 Schweigepflichtentbindungserklärung Einl C 280 Seeversicherung – Privatversicherungsrecht Einl A 158 – VVG 1 309, Einl A 18 – VVG-Reform Einl A 77 Selbstbeteiligung Einl C 378 Klie

Serienschadenklausel Einl C 349 sexuelle Identität Einl A 232 Sicherheitsleistung 1 38 Sicherheitsvorkehrungen Einl B 95, Einl B 101 Sicherungsfonds 1 318 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 88 Sicherungsfunktion 1 7 Sicherungspflicht – Pflichtverletzung 1 180 – Schadensersatz 1 180 – vertragstypische Pflichten des VR 1 37 ff. Sicherungsvermögen 16 15 simplifications Einl D 114 f. single rule book Einl D 18 Single-License Prinzip Einl F 38 Sitzlandprinzip Einl B 8 Smart Home – Digitalisierung Einl A 298 – InsurTech Einl F 85 soft law-Instrumente – IAIS Einl D 48 – Leitlinien Einl D 26 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 17 Software-Hersteller Einl F 174 Solidarprinzip 1 313 Solo-Plus-Aufsicht Einl D 180 Solvabilitätskapitalanforderung Einl D 101, Einl D 110 ff. – bottom-up-Ansatz Einl D 112 – InsurTech Einl F 51 – internes Modell Einl D 116 ff. – kmU Einl D 114 – Leitlinien zur Modelländerung Einl D 118 – modularer Ansatz Einl D 111 – Risikoprofil Einl D 111, Einl D 114 – simplifications Einl D 114 f. – Solvabilitätsspanne Einl D 110 – Solvency II-DVO Einl D 115 – Standardformel Einl D 111 ff. – Submodule Einl D 112 – Teilmodell Einl D 116 – unternehmensspezifische Parameter Einl D 113 – vereinfachte Berechnungsverfahren Einl D 114 Solvabilitätskapitalunterschreitung Einl D 75 Solvabilitätsspanne Einl D 110 Solvabilitätsübersicht Einl F 47 Solvency I-System Einl D 12 Solvency II-DVO – Digitalversicherer Einl F 53 – Mindestkapitalanforderung Einl D 120 – public disclosure Einl D 174 1012

Sachregister

– Solvabilitätskapitalanforderung Einl D 115 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 21 Solvency II-Richtlinie – Aufsichtsleiter Einl D 73 – Aufsichtsziele Einl D 57 f. – InsurTech Einl F 21 ff. – VAG Einl A 243 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl A 16, Einl D 20 – VVG-Änderungen Einl A 68 Solvency II-System – Aufsichtsziele Einl D 52 – Gruppenaufsicht Einl D 181, Einl D 184 – InsurTech Einl F 20 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 13 Sondervergütungen Einl B 44 Sozialrisiken 1 311 – Risikotransfer auf den VR 1 64 Sozialversicherung 1 311 ff., Einl A 23 – Pflegeversicherung 1 315 – Solidarprinzip 1 313 – Sozialrisiken 1 311 – Umlageverfahren 1 313 – Vorbehalt des Gesetzes 1 313 Sozialversicherungsrecht Einl A 13 – Privatversicherungsrecht Einl A 263 Sozialversicherungsträger Einl B 92 Sozialversicherungswesen Einl A 153 Sozienklausel Einl C 350 Spargeschäft Einl A 8 Spartentrennungsgrundsatz – Digitalversicherer Einl F 43 – Zulassungsaufsicht Einl D 92 Sprache 6a 15 ff. Staatsangehörigkeit Einl C 379 Staatsanleihen Einl D 131 Staffelprovisionen Einl B 63, Einl B 66 Standardprodukt 6 44 Standardtarif 7 63 Start-up Einl F 3 stationäre Heilbehandlung Einl C 241 Stehlgutliste Einl C 306 Stellvertretung – Kündigungsrecht 11 34, 11 36 – Widerruf 8 39 Sterbegeldversicherungen 7b 9 Stichtagsmeldung Einl C 162 Straftatbestände Einl D 82 Straßburger Abkommen Einl A 51 Streuungsquoten Einl D 128 Strukturvertriebe – Beratungspflichten Einl B 78 1013

– Versicherungsvermittlerrecht Einl B 73 Submodule Einl D 112 Subsidiaritätsklauseln Einl C 210 Summenbegrenzung Einl C 380 Summenschaden 1 56 Summenversicherung – Ausgleichsleistung 1 138 – Personenversicherung 1 59, 1 138 – versichertes Interesse 1 79 ff. Summierungseffekt – AVB-Kontrolle Einl C 254 – unangemessene Benachteiligung Einl C 270 supervisory reporting Einl D 156 ff. – Ad hoc-Anzeigepflichten Einl D 165 ff. – Auskunftspflichten Einl D 170 – Form Einl D 160 – periodische Anzeigepflichten Einl D 157 ff. – periodische Berichtspflichten Einl D 164 – Regular Supervisory Report Einl D 157 ff. – Struktur Einl D 161 – Transparenzpflichten Einl D 155 – Vergleichbarkeit der Informationen Einl D 161 – wesentliche Information Einl D 159 – Zeitpunkt der Offenlegung Einl D 168 Supervisory Review Process Einl D 69 T Tarifänderungsklauseln Einl C 185 Tarifbestimmungen – AVB Einl C 46 – Informationspflichten 7 24 Tarifklausel – überraschende Klauseln Einl C 163 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 372 Tarifwahl Einl C 272 Tätigkeitsklausel Einl C 223 Täuschungsverbot Einl C 290 technische Standards Einl D 22 Teilkündigung 11 53 Teilmodell Einl D 116 Teilwiderruf 8 43 Telefax 11 57 Telefonat 6a 4, 6a 35 ff. telefonische Beratungsgespräche Einl C 53 Telefonverträge 7 124 Telefonwerbung Einl C 351 Telematik-Box Einl F 86 Telematiktarife – Risikoprävention 1 13 – Versicherung 1 26 Klie

Sachregister

Terrorismusfinanzierung Einl D 61 Test Achats-Urteil Einl A 212, Einl A 221, Einl A 224 Textform – Auskunftserteilung 6a 2 – AVB-Anpassung Einl A 103 – Beratungspflichten 6 7 – Beratungsverzicht 6 52 ff. – Digitaler Vertrieb Einl F 120 ff. – Dokumentationspflicht 6 50 f. – Informationsverfahren 7 85 – Kündigung 11 39 – Rat 6 50 – Versicherungsschein 3 3, 3 9 – Widerruf 8 48 – Widerrufsbelehrung 8 75 tiering – Eigenmittel Einl D 124 – quantitative Anforderungen Einl D 102 Tierkrankheiten Einl C 164 Tierversicherung Einl E 47 Tippgeber Einl F 109 Todesfallversicherung 1 127 Touristenfahrt Einl C 307 Transparenzgebot Einl C 283 ff. – Anwendbarkeit Einl C 285 – Auskunftserteilung 6a 8 – Ausland Einl C 294 – Ausschlussklausel Einl C 295 – AVB-Kontrolle Einl C 247, Einl C 283 ff. – Bestimmtheitsgebot Einl C 289 – Dummentransparenz 7 44 – Einbeziehung der AVB Einl C 91 – Einmalprämie Einl C 296 – ergänzungsbedürftiger Rahmen Einl C 288 – ernstliche Erkrankung Einl C 297 – Fiktion Versicherungsfall Einl C 299 – Fluggast Einl C 300 – gesunkenes Einkommen Einl C 301 – gezogenes Fahrzeug Einl C 302 – Informationsmodell 1 283 – Informationspflichten 7 16, 7 65 – Irreführungsverbot Einl C 290 – Judikatur Einl C 294 ff. – Kapitalanlagegeschäfte Einl C 303 – Klauselrichtlinie Einl C 16 – Kostenanrechnungsklausel Einl C 304 – Mehrwertsteuerersatz Einl C 298 – Obliegenheiten Einl C 293 – Rechtsangleichung Einl B 29 ff. – Rechtsgrundlage Einl C 283 – Restschuldversicherung 7d 3 Klie

– Schadensminderungsklausel Einl C 305 – Stehlgutliste Einl C 306 – Täuschungsverbot Einl C 290 – Touristenfahrt Einl C 307 – Transparenzkontrolle Einl C 283 – überraschende Klauseln Einl C 126 – unangemessene Benachteiligung Einl C 292 – unbestimmte Rechtsbegriffe Einl C 308 – Unfallbegriff Einl C 309 – unfreiwillige Arbeitslosigkeit Einl C 310 – Unterlassen von Angaben Einl C 311 – Unternehmer Einl C 284 – Versicherungsfall Einl C 312 – Versicherungsumfang Einl C 313 – Verständlichkeit Einl C 286 – Verweis auf gesetzliche Rechtsfolgen Einl C 314 – Vollständigkeitsgebot Einl C 291 – Vorerstreckungsklausel Einl C 315 – Widerrufsbelehrung 8 60 – wirtschaftliche Nachteile Einl C 316 – Zillmerung 7 43, 7 45 ff. – Zusage vor Behandlungsbeginn Einl C 317 – Zweck Einl C 284 Transparenzpflichten Einl D 155 ff. – Aufsicht Einl D 156 ff. – public disclosure Einl D 155, Einl D 171 ff. – Publizitätspflichten Einl D 156 ff. – supervisory reporting Einl D 155, Einl D 156 ff., s. a. dort Transportversicherung – Alles-oder-Nichts-Prinzip 1 124 – Rückwärtsversicherung 2 21 Treu und Glauben – AVB-Kontrolle Einl C 246 – Beratungspflichten 6 30 – ergänzende Leistungspflichten Einl A 205 – Gestaltung des Versicherungsverhältnisses Einl A 206 – Inhaltsfreiheit 1 266 – Klauselrichtlinie Einl C 17 – normierte Ausprägungen Einl A 203 – Privatversicherungsrecht Einl A 202 ff. – Versicherungsverhältnis Einl A 206 U Übereignungsklausel Einl C 281 Übergangsjahr Einl A 91 Übergangsleistung Einl C 165 Übergangsvorschriften Einl A 79 ff. – AGG Einl A 233 1014

Sachregister

– Altverträge Einl A 80 ff., Einl A 89 ff., Einl A 92 ff., s. a. dort – Anzeigepflichtverletzung Einl A 90 – AVB-Anpassung Einl A 97 ff., s. a. dort – Beitragsschulden Einl A 133 – Berufsgenossenschaften Einl A 148 – Berufsunfähigkeitsversicherung Einl A 141 ff. – deliktischer Schadensersatz Einl A 86 – Direktanspruch der Pflichthaftpflichtversicherung Einl A 86 – Eintritt neuer Vertragspartner Einl A 88 – Gebäudeversicherung Einl A 145 ff. – Gerichtsstand Einl A 84 – Grundpfandrechtegläubiger Einl A 144 ff. – Klagefrist Einl A 116 ff. – Kündigungsfrist Einl A 127 – laufende Schadensfälle Einl A 92 ff. – Lebensversicherung Einl A 134 ff. – Pensionskassen Einl A 137 – personenbezogene Daten Einl A 87 – private Krankenversicherung Einl A 129 ff. – prozessuale Gerichtsregelung Einl A 85 – Regelverjährungsfrist Einl A 122 ff. – Rückkaufswertberechnung Einl A 139 f. – spartenspezifische ~ Einl A 129 ff. – spartenübergreifende ~ Einl A 80 ff. – Übergangsjahr Einl A 91 – Überschussbeteiligung Einl A 135 ff. – Unterstützungskassen Einl A 148 – Verjährungsfrist Einl A 121 ff. – Verjährungsfrist, Abänderung Einl A 125 – Versicherungsvertretervollmacht Einl A 120 – vertragsfremde Umstände Einl A 83 – Vertragsverhältnis Einl A 82 – Weitergeltung des früheren VVG Einl A 90 Überlegungsfrist 7 87 Übermaßbehandlung Einl C 224 Übermaßverbot Einl B 39 Übermaßvergütung 1 136 Übermittlungszwang 3 6, 3 8 überraschende Klauseln Einl C 126 ff. – Abweichung vom Gesetzesrecht Einl C 130 – Allmählichkeitsschäden Einl C 140 – Anspruchsverzicht Einl C 141 – Anwendungsverbreitung Einl C 131 – Anzeigeerfordernis Einl C 142 – Apothekenklausel Einl C 143 – äußere Erscheinungsbild Einl C 130 – AVB-Muster Einl C 131 – Begriff Einl C 128 ff. – Beratungspflichten Einl C 135 – Branchenüblichkeit Einl C 131 1015

– claims-made-Prinzip Einl C 145 – Dynamik Einl C 146 – Ermittlungsverfahren Einl C 147 – gemischte Anstalten Einl C 150 – Genehmigung Einl C 131 – Geschäftsgeld Einl C 151 – Herausstellung Einl C 134 – Höchstsätze der ärztlichen Gebührenordnung Einl C 152 – Informationspflichten Einl C 135 – Invaliditätsentschädigung Einl C 153 – Judikatur Einl C 139 ff. – Kostentragungspflicht Einl C 153 – krankhafte Störungen Einl C 154 – Kundenerwartung Einl C 133 – Leistungsdauerbeschränkung Einl C 144 – Leseobliegenheit Einl C 136 – Logopäde Einl C 155 – lückenloser Versicherungsschutz Einl C 156 – Mehrfachversicherungsklausel Einl C 157 – Mehrvergleich Einl C 158 – Nachtzeit Einl C 159 – negative Einbeziehungsvoraussetzung Einl C 126 – Produktinformationsblatt Einl C 135 – Psychoklausel Einl C 154 – psychotherapeutische Behandlungen Einl C 160 – rechtskräftige Verurteilung Einl C 161 – Risikobegrenzungen Einl C 137 – ruhende Versicherung Einl C 161 – Stichtagsmeldung Einl C 162 – Tarifklausel Einl C 163 – Tierkrankheiten Einl C 164 – Transparenzgebot Einl C 126 – Übergangsleistung Einl C 165 – Überrumpelungseffekt Einl C 132 – Umstellungsklausel Einl C 166 – unbeaufsichtigte Fahrzeuge Einl C 149 – Ungewöhnlichkeit Einl C 128, Einl C 130 – Unternehmer Einl C 127 – Verkehrsanwalt Einl C 167 – Verminderung der Versicherungssumme Einl C 168 – Verzicht Einl C 168 – vorherige Zusage Einl C 169 – Widerruf Einl C 170 – Wiederbeschaffungskosten Einl C 148 – Wiederinkraftsetzung Einl C 171 – wohnsitzlose Schädiger Einl C 172 – Zahlungsunfähigkeit Einl C 173 Klie

Sachregister

Überrumpelungsverbot – überraschende Klauseln Einl C 132 – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 83 Überschuldung 16 6 Überschussbeteiligung – AVB Einl D 237 – Informationspflichten 7 11, 7 37 ff., 7 59 – Kommissionsvorschläge Einl E 61 f. – Lebensversicherung 1 139 ff., 1 287 ff., 7 37, Einl A 135 ff., Einl D 243 – Schadensersatz 6 95 – Unfallversicherung 7 37 – VVG-InfoV Anh 7 23 Umlageverfahren 1 313 Umstandsmoment 8 105, 8 112 ff. Umstellungsklauseln Einl C 166 Umstufung – Informationspflichten 7 60 – VVG-InfoV Anh 7 46 unangemessene Benachteiligung Einl C 265 ff. – Abtretungsverbot Einl C 273 – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 318 ff., s. a. dort – Anrechnungsklausel Einl C 274 – Bedingungsanpassungsklausel Einl C 275 – Beurteilungszeitpunkt Einl C 269 – claims-made-Prinzip Einl C 276 – Einzugsermächtigung Einl C 277 – Gleichbehandlung Einl C 268 – Interessenabwägung Einl C 265 – Judikatur Einl C 273 ff. – Kompensation Einl C 271 – Krankenhaustagegeld Einl C 278 – künstliche Befruchtung Nichtverheirateter Einl C 279 – mittelbare Drittwirkung der Grundrechte Einl C 268 – Schweigepflichtentbindungserklärung Einl C 280 – Summierungseffekt Einl C 270 – Tarifwahl Einl C 272 – Transparenzgebot Einl C 292 – typisierende Betrachtungsweise Einl C 266 – Übereignungsklausel Einl C 281 – Unbeachtlichkeit des Preisarguments Einl C 272 – Verstärkungseffekt Einl C 270 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 357 ff. – Wettbewerb Einl C 272 – Zwangsmediation Einl C 282 Klie

unbestimmte Rechtsbegriffe Einl C 308 Unentgeltlichkeit 6a 19 f. Unfallbegriff Einl C 309 Unfallversicherung – Abschlusspflichten des VN 1 234 – Alles-oder-Nichts-Prinzip 1 127 – Deckung eines Drittrisikos 1 166 ff. – Fälligkeit der Geldleistung 14 45 f. – Kommissionsvorschläge Einl E 72 – Rückwärtsversicherung 2 18 – Überschussbeteiligung 7 37 – versichertes Interesse 1 83 – VVG-Änderungen Einl A 52 unfreiwillige Arbeitslosigkeit Einl C 310 ungewisses Ereignis 1 19 Ungleichgewichtslage 7 6 Unterlassen von Angaben Einl C 311 Unterlassungsklagengesetz Einl C 39 Unternehmensorganisation Einl D 136 Unternehmensrisiken 1 63 Unternehmer – Einbeziehung der AVB Einl C 76, Einl C 119 ff. – Klauselverbote Einl C 256 – Transparenzgebot Einl C 284 – überraschende Klauseln Einl C 127 unternehmerische Vorsicht Einl D 127 Untersagungsverfügung Einl C 27 Unterstützungskassen Einl A 148 Unterversicherung 6 69 Unvereinbarkeitsprüfung Einl C 357 Unwirksamerklärung Einl C 202 Unwirksamkeitsfolgen AVB Einl C 387 ff. – Aufklärungspflichten Einl C 403 – Aufrechterhaltung des Vertrages Einl C 387 – Beratungspflichten Einl C 403 – blue-pencil-test Einl C 391 – ergänzende Vertragsauslegung Einl C 395 ff. – Ersatzklauseln Einl C 393 f. – Grundsatz Einl C 387 – Individualvereinbarungen Einl C 393 f. – Informationspflichten Einl C 402 – Nebenpflichtverletzung Einl C 400 – personale Teilunwirksamkeit Einl C 392 – Schadensersatz Einl C 400 – Verbot geltungserhaltender Reduktion Einl C 389 ff. – Versicherungsaufsichtsrecht Einl C 398 – Wettbewerbsrecht Einl C 398 Urkunde 3 3, 3 10 Urkundenbeweis Einl A 277 1016

Sachregister

V VAG Einl A 41 ff., Einl A 241 ff. – AVB Einl A 243 – Benachteiligungsverbot Einl A 218 – europäischer Pass Einl A 247 – Herkunftslandprinzip Einl A 247 – Inkraftreten Einl A 243 – Insolvenz des Versicherers 16 4 – materielle Staatsaufsicht Einl A 242 – Reform Einl A 243 – Solvency II-Richtlinie Einl A 243 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 6 f., Einl D 14 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 249 Venture Capital Finanzierungsinstrumente Einl F 46 Verbandsklage – AVB Einl C 58 – AVB-Kontrolle Einl C 27 – Einbeziehung der AVB Einl C 108 – mehrdeutige Klauseln Einl C 230 – nachteilige Abweichung 18 14 Verbindlichkeiten Einl D 104 Verbot geltungserhaltender Reduktion Einl C 389 ff. Verbraucher Einl A 270 Verbraucherinformation 7 2 ff., s. a. Informationspflichten – EU-Versicherungsrecht Einl B 21 ff. – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 84 ff. – VVG-InfoV 7 2 – Widerruf 7 103 Verbraucherrechterichtlinie Einl E 120 Verbraucherrisiken 1 63 Verbraucherschutz Einl B 15 ff. Verbraucherverträge – AVB Einl C 61, Einl C 63, Einl C 69 – Klauselrichtlinie Einl C 13 Vereinssatzung Einl A 277 Verfehlung des Versicherungszwecks 6 32 Vergabeverfahren 1 238 Vergleichsmarktkonzept Einl C 38 Vergleichsportale 1a 25 ff. Vergleichsrechner 1a 24 Vergütungsmodelle Einl F 72 Vergütungspolitik 1a 22 Verhältnismäßigkeit Einl C 193 Verhandlungssprache Einl C 94 Verjährung 15 1 ff. – Beweislast 15 41 – Individualabreden 15 38 f. – Österreichisches Recht 15 42 ff. 1017

– Übergangsvorschriften Einl A 121 ff. – Verjährungsbeginn 15 12 ff., s. a. dort – Verjährungsfrist 15 10 – Verjährungshemmung 15 5, 15 20 ff., s. a. dort – Verjährungsneubeginn 15 36 f. – Versicherungsverträge 15 6 ff. Verjährungsbeginn 15 12 ff. – Dienstleistungen 15 16 – Fälligkeit der Leistung 15 12 – Geldleistung 15 13 ff. – Naturalleistungen 15 16 f. – Prämie 15 18 – Rückforderungsansprüche 15 19 – Sachleistungen 15 17 Verjährungsfrist 15 10 Verjährungshemmung 15 20 ff. – Anmeldung 15 21 – Deckungsklage 15 31 – Einredeverzicht 15 29 – Eintritt 15 21 ff. – Ende 15 24 f. – Entscheidung des VR 15 24 – Geschäftsfähigkeit 15 35 – Leistungsverweigerungsrecht 15 34 – Prozesskostenhilfeantrag 15 32 – Rechtsverfolgung 15 31 ff. – Schadensanzeige 15 21 – Schadensersatz 15 7 – Verfolgungsinteresse des VN 15 25 – Verhandlungen, neue 15 26 – Verhandlungen, schwebende 15 28 ff. – Versicherungsombudsmann 15 31 – Wiederaufleben 15 26 Verkehrsanwalt Einl C 167 Verkehrsopferhilfe 1 320 ff. Verlängerungsklauseln – Österreichisches Recht 11 60 – PEICL 11 62 – Versicherungsverträge 11 10 ff. Verletzungsrenten 17 10 f. Verlusttoleranz 7c 11 Vermeidung prozyklischer Effekte Einl D 58 Vermittlerrichtlinie 6 56 Vermittlungskosten Einl B 36 Vermögensgestaltungstheorie 1 51 Vermögensschaden 6 90 Vermögenswerte Einl D 104 Vermutung – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 318 – Auskunftserteilung 6a 39 Klie

Sachregister

– beratungsrichtiges Verhalten 6 89 Verschulden – Anschriftenänderung 13 21 – Beratungspflichten 6 12 Versicherbarkeitsgrenze Einl A 290 Versicherer Einl A 299, Einl A 300 ff., 1 17, 1 192 ff. – ausländische ~ Einl A 303 – Beratungspflichten 6 1 ff., s. a. dort – Hinweisobliegenheiten 1 286 – Informationspflichten 7 1 ff., s. a. dort – Insolvenz des Versicherers 16 1 ff., s. a. dort – Kontrahierungszwang 1 236 – Kündigungsrecht 11 1 ff., 11 21, s. a. dort – öffentlich-rechtliche ~ Einl A 302 – Optimierungspflicht 1 279 ff. – private ~ Einl A 301 – Querverkäufe 7a 1 ff., s. a. dort – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 87 – Versicherungsschein 3 1 ff., s. a. dort – Versicherungsverträge 1 192 ff. – vertragstypische Pflichten des VR 1 27 ff., s. a. dort – Vertriebstätigkeit des ~s 1a 1 ff., s. a. dort – VVaG 1 196 ff. Versicherte Einl A 299 versicherte Gefahr 1 99 ff. – Alles-oder-Nichts-Prinzip 1 105 – Allgefahrendeckung 1 100 – Deckung spezieller Gefahren 1 99 – Gefahrerhöhung 1 103 f. – Gefahrstandsobliegenheiten 1 105 f. – Obliegenheiten 1 105 f. – vorvertragliche Anzeigepflicht 1 101 f. versicherte Reise Einl C 242 versichertes Interesse 1 67 ff. – Aktivenversicherung 1 73 – Begriff 1 68 f. – Bereicherungsverbot 1 91 ff. – Gewinninteressen 1 86 ff. – Krankentagegeldversicherung 1 98 – Krankenversicherung 1 84 – Lebensversicherung 1 80 ff. – Neuwertversicherung 1 90 – Passivenversicherung 1 74 ff. – Regressausgestaltung 1 96 ff. – Schadensversicherung 1 72 ff., 1 96 f. – Summenversicherung 1 79 ff. – Unfallversicherung 1 83 – Versicherbarkeit 1 71 Versicherung Einl A 11, 1 14 ff., s. a. dort – Abgrenzungen 1 25 Klie

– Abtretungsverbot 17 1 ff., s. a. dort – Begriff Einl D 86, 1 1, 1 14 ff. – Big-Data Analysen 1 26 – Einzelmerkmale 1 17 ff. – Entgeltlichkeit 1 22 – gebündelte ~ Einl D 227, 3 5 – Gesetz der großen Zahl 1 21 – Gleichbehandlung 1 24 – Kündigungsrecht 11 1 ff., s. a. dort – Leistungspflicht des VR 1 18 – Organisationsformen 1 2 – Prämienzahlungspflicht 1 185 ff., s. a. dort – Privatversicherung Einl A 23, 1 7 ff., s. a. dort – Privatversicherungsrecht Einl A 12 – Querverkäufe 7a 1 ff., s. a. dort – Rechtsanspruch des VN 1 24 – Risikokollektiv 1 21 – Risikoübernahme 1 20 – Sozialversicherung Einl A 23 – Sozialversicherungsrecht Einl A 13 – Telematiktarife 1 26 – ungewisses Ereignis 1 19 – Versicherer 1 17 – Versicherungsart/-form Einl A 24 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 86 – Versicherungsbranche Einl A 25 – Versicherungsdauer 10 4, s. a. dort – Versicherungsschein 3 1 ff., s. a. dort – Versicherungssparte Einl A 25 – Versicherungsunternehmen 1 17 – Versicherungszweige Einl A 25 – vertragstypische Pflichten des VR 1 27 ff., s. a. dort – VVG Einl A 299 Versicherung für fremde Rechnung – Deckung eines Drittrisikos 1 156 ff., 1 162 ff. – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 5 – Versicherungsschein 3 4 Versicherungs-Holdinggesellschaften Einl D 88 Versicherungs-Zweckgesellschaften – Rückversicherung 1 308 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 88 Versicherungsanlageprodukte 7c 1 ff. – Altersvorsorgeprodukte 7b 11 – angemessene Informationen 7b 13 ff. – Angemessenheit 7c 19 – Anlageziele 7c 10 – Anlegerschutz 7b 3 – Aufzeichnungen 7c 32 ff. – BaFin 7b 10 – Befragung 7c 6 ff., 7c 19 ff. 1018

Sachregister

– Begriff 7b 5 ff. – Beispiele 7b 10 – beratungsfreier Vertrieb 7c 26 ff. – Beratungspflichten 7c 5 ff. – Berichtspflichten 7c 35 ff., s. a. dort – betriebliche Altersversorgung 7b 11 – Beurteilung 7c 1 ff. – Beweislast 7b 31, 7c 43 – Bündelung 7c 17 f. – Fachwissen des VN 7c 7 – finanzielle Verhältnisse des VN 7c 8 f. – fondsbezogene ~ 7b 6 – Gebühren 7b 15 – Geeignetheit 7c 6 ff. – Geeignetheit der Produktempfehlung 7c 16 – IDD-Richtlinie 7b 2 – indexbezogene Lebensversicherung 7b 6 – Individualabreden 7b 30, 7c 42 – Informationspflichten 7b 1 ff., 7b 4 ff. – Informationsverpflichtete 7b 21 – Interessenkonflikte 7c 31 – Kapitallebensversicherungen 7b 7 – Kapitalversicherungen 7b 9 – Kenntnisse/Erfahrungen des VN 7c 7, 7c 21 – know-your-customer-Prinzip 7c 6, 7c 16 – Kosten 7b 15, 7b 26, 7b 28 – Mindestangaben 7b 16 ff. – Mitwirkung des VN 7c 14 – Nichtlebensversicherungsprodukte 7b 11 – Paket 7c 22 – PRIIP-VO 7b 2 – Rechtzeitigkeit 7b 22 f. – regelmäßige Angaben 7b 29 – Rentenversicherungsverträge 7b 9 – Risiken 7b 18 – Risikolebensversicherungen 7b 11 – schriftliche Informationserteilung 7b 25 – Sterbegeldversicherungen 7b 9 – Typ der ~ 7c 12 – Verlusttoleranz 7c 11 – Verständlichkeit 7b 27 – Vertrieb 7b 14, 7b 19 – VVG 7b 2 – VVG-InfoV 7b 2 – Warnpflichten 7c 23 ff. – wirtschaftliche Betrachtung 7b 6 – Zahlungen 7b 20 – Zurverfügungstellung 7b 24 Versicherungsaufsichtsgesetz s. VAG Versicherungsaufsichtsrecht Einl A 241 ff., Einl D 1 ff. – Adressaten Einl D 87 ff. 1019

– Anfechtung des Vertrags Einl D 208 – Aufsichtsmittel Einl D 66 ff., s. a. dort – Aufsichtsziele Einl D 50 ff., s. a. dort – autarkes ~ Einl D 206 – AVB-Anpassung Einl A 114 f. – BaFin Einl A 259, Einl D 90 – Bedingungsänderungen Einl D 211 ff. – Begriff Einl D 1 – deutsches ~ Einl D 14 ff. – Digitalversicherer Einl F 21 ff., s. a. dort – dritte Richtliniengeneration Einl D 11 f. – EIOPA Einl D 23, Einl D 25 f. – Entwicklung Einl D 5 ff. – erste Richtliniengeneration Einl D 9 – EU-Versicherungsrecht Einl D 8 ff. – europäisches ~ Einl D 18 ff. – Europäisches Finanzaufsichtssystem Einl D 26, Einl D 32 ff., s. a. dort – FinDAG Einl D 16 – GATS Einl D 42 – Gefahrenabwehrrecht Einl D 4 – Gegenstand Einl D 85 ff. – Genesis Einl D 5 ff. – gesamtvolkswirtschaftliche Bedeutung Einl D 3 – Geschäftsplan des Versicherers Einl A 251, s. a. dort – gesetzliche Grundlagen Einl D 14 ff. – Gewerbepolizeirecht Einl D 4 – gold-plating Einl D 29 – Grund Einl D 3 – IAIS Einl D 46 ff. – Insolvenz des Versicherers Einl D 242 – InsurTech Einl F 21 ff., s. a. dort – integrierte Aufsicht Einl D 90 – International Association of Insurance Supervisors Einl D 46 ff. – internationales ~ Einl D 40 ff. – Konzessionssysteme Einl D 5 – künstliche Intelligenz Einl F 163 ff. – Lamfalussy-Verfahren Einl D 19 – laufende Aufsicht Einl D 99 ff., s. a. dort – Leitlinien Einl D 23, Einl D 25 f. – Level 1 Einl D 20 – Level 2 Einl D 21 – Level 3 Einl D 23 – materielle Staatsaufsicht Einl A 242 – Naming-and-Shaming-Mechanismus Einl D 26 – OECD-Kodex Einl D 43 – Organisation Einl D 90 – Partikulargesetzgebung Einl D 5 – Pensionsfondsgeschäfte Einl D 85 Klie

Sachregister

– Prämienänderungen Einl D 211 ff. – Prämienänderungstreuhander Einl D 212 ff. – principle based law Einl D 17 – Privatversicherungsrecht Einl A 16 – Regelungshierarchie Einl D 24 ff. – Richtliniengenerationen Einl D 9 ff. – Rückversicherungsaufsicht Einl D 189 ff. – Schadensersatz Einl D 209 – Sicherungsfonds Einl D 88 – single rule book Einl D 18 – soft law-Instrumente Einl D 17 – Solvency I-System Einl D 12 – Solvency II-DVO Einl D 21 – Solvency II-Richtlinie Einl A 16, Einl D 20 – Solvency II-System Einl D 13 – technische Standards Einl D 22 – unmittelbare Verknüpfungen Einl D 210 ff. – Unwirksamkeitsfolgen AVB Einl C 398 – VAG Einl A 241 ff., Einl A 249, Einl D 6 f., Einl D 14 – Verordnungen Einl D 15 – Versicherer Einl D 87 – Versicherung Einl D 86 – Versicherungs-Holdinggesellschaften Einl D 88 – Versicherungs-Zweckgesellschaften Einl D 88 – Versicherungsvermittler Einl D 89 – Versicherungsverträge Einl D 206 ff. – Versicherungsvertragsrecht Einl D 193 ff. – vertikale Aufsicht Einl D 2 – Völkerrecht Einl D 40 ff. – Vollharmonisierung Einl D 29 – VVaG Einl D 192 – VwGO Einl D 16 – VwVfG Einl D 16 – Wirksamkeit des Vertrags Einl D 207 – zivilrechtliche Sanktionierung Einl D 206 ff. – Zulassungsaufsicht Einl D 91 ff., s. a. dort – Zuständigkeit Einl A 259 – zweite Richtliniengeneration Einl D 10 Versicherungsbedingungen Einl A 37, s. a. AVB Versicherungsbeginn 10 1 ff. – Krankenversicherung 2 10 – Lebensversicherung 2 11 – Mittagsregelung 10 1 – Rückwärtsversicherung 2 8 ff. Versicherungsbinnenmarkt Einl C 11 Versicherungsbranche Einl A 25 Versicherungsdauer 10 1 ff., 10 4 – Antragseingang 10 7 – Berechnung 10 6 Klie

– Individualabreden 10 8 – Mittagsregelung 10 1 – Österreichisches Recht 10 9 – Versicherungsbeginn 10 1 Versicherungsfall 1 113 ff. – Alles-oder-Nichts-Prinzip 1 123 – Ausgleichsleistung 1 128 ff., s. a. dort – Auslegung von AVB Einl C 214 – Bedeutung 1 113 – Begriff 1 113 – eingetretener ~ 2 33, 2 34 ff., 2 39 ff. – Fälligkeit der Geldleistung 14 5, 14 9 ff., 14 19 – fixierter ~ 1 118 – gedehnter ~ 1 117 – gesetzlicher ~ 1 115 – Herbeiführung des ~s 1 122 ff. – Insolvenz des Versicherers 16 13 ff. – Kenntnis der Vertragsparteien 2 32 f., 2 34 ff., 2 38 ff. – Risikoausschluss 1 122 – Transparenzgebot Einl C 312 – unmöglicher ~ 2 32, 2 37 f. – vereinbarter ~ 1 114 – Widerruf 7 109 – zusammengesetzter ~ 1 119 versicherungsfremdes Geschäft – Assistance-Leistungen Einl F 80 ff. – Dienstleistungen an Dritte Einl F 83 f. – Digitalversicherer Einl F 74 ff. – Kooperationen mit Dritten Einl F 85 ff. – Ökosysteme Einl F 85 – Smart Home Einl F 85 – Telematik-Box Einl F 86 Versicherungsmakler – Beratungspflichten 6 12, 6 14, 6 102 ff. – InsurTech Einl F 111 Versicherungsmaklervergütung Einl C 352 Versicherungsmarkt Einl A 293 versicherungsmathematische Funktion Einl D 143 Versicherungsnehmer Einl A 299, Einl A 304 ff., 1 200 ff. – Abschlusspflichten des VN 1 231 ff., s. a. dort – Anschriftenänderung 13 6 ff. – Beratung 6 1 ff., s. a. Beratungspflichten – Großrisiken 1 201 – Information 7 1 ff., s. a. Informationspflichten – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 1 ff., s. a. dort – Kündigungsrecht 11 1 ff., 11 22 – nachteilige Abweichung 18 5 ff., s. a. dort – Namensänderung 13 11 f. 1020

Sachregister

– Personengesellschaften 1 200 – Prämienzahlungspflicht 1 185 ff., s. a. dort – Risiko des VN 1 46 ff., s. a. dort – Widerruf 8 1 ff., s. a. dort – Wünsche/Bedürfnisse des Kunden 6 38 ff., s. a. dort Versicherungsombudsmann Einl A 268 ff. – Entstehungsgeschichte Einl A 273 – Fernabsatzverträge Einl A 270 – Organisationsstruktur Einl A 275 – Urkundenbeweis Einl A 277 – verbindliche Entscheidung Einl A 276 – Verbraucher Einl A 270 – Vereinssatzung Einl A 277 – Verfahren Einl A 276 – Verfahrensgrundlage Einl A 272 – Verfahrensordnung Einl A 272 – Verjährungshemmung 15 31 – Versicherungsvermittlerrecht Einl A 269 – Versicherungsverträge 1 334 f. – Zuständigkeit Einl A 268 f. – Zweck Einl A 274 Versicherungsort 1 108 Versicherungsperiode 12 1 ff. – Bemessungsgrundlage der Prämien 12 5 – Individualabreden 12 7 – kürzere Zeitabschnitte 12 4 – Österreichisches Recht 12 8 – Zweifelsregel 12 2 Versicherungsschein 3 1 ff. – Abschriften 3 16 ff. – abweichender ~ 5 1 ff., s. a. dort – Ausland 3 13 – Beweisführung 3 3 – Beweislast 3 22 – Einzelpolice 3 4 – erneute Ausstellung 3 14 f. – gebündelte Versicherung 3 5 – Individualabreden 3 21 – Informationszweck 3 2 – Inhaberpapier 4 1 – Inhalt 3 11 – Kosten 3 20 – Legaldefinition 3 1 – Legitimationsfunktion 3 3 – Mindestinhalt/-form 3 12 – Niederlassung 3 13 – Rechtsnatur 3 7 – Schuldschein 3 7 – Textform 3 3, 3 9 – Übermittlungszwang 3 6, 3 8 – Urkunde 3 3, 3 10 1021

– Versicherung für fremde Rechnung 3 4 – Versicherungsschein auf den Inhaber 4 2 ff., s. a. dort – Widerrufsfristbeginn 8 53 – Zweck 3 2 Versicherungsschein auf den Inhaber 4 2 ff. – Individualabreden 4 9 – Inhaberklausel 4 2, 4 4 – Lebensversicherung 4 3 – Legitimationspapier, qualifiziertes 4 4 – Leistung gegen Rückgabe 4 7 f. – mangelnde Verfügungsbefugnis 4 6 – Versicherungsleistung 4 3 Versicherungsschutz 1 32 Versicherungssparte Einl A 25 – Digitalversicherer Einl F 42 Versicherungssteuer 1 188 Versicherungssumme 6 33 Versicherungstechnik Einl A 287 ff. – Änderungsrisiko Einl A 289 – AVB Einl A 292 – Beitragskalkulation Einl A 289 – Bestandteile Einl A 287 – finanzielle Vorsorge Einl A 288 – Prämienberechnung Einl A 289 – Risikogerechtigkeit der Prämie Einl A 291 – Risikoübernahme Einl A 292 – Versicherbarkeitsgrenze Einl A 290 Versicherungsumfang Einl C 313 Versicherungsunternehmen 1 17 – InsurTech Einl F 21 ff. Versicherungsunternehmensrecht Einl A 17 Versicherungsverhältnis Einl A 300 ff. – Anzahl existierender ~se Einl A 6 – Bezugsberechtigter Einl A 310 ff. – Eintrittsberechtigter Einl A 313 – Gefahrsperson Einl A 314 – Geschädigter Einl A 316 – Hypothekengläubiger Einl A 315 – Mitversicherte Einl A 308 – öffentlich-rechtliche Ausgestaltung Einl C 43 f. – partiarisches ~ 1 226 – Treu und Glauben Einl A 206 – Versicherer Einl A 300 ff., s. a. dort – Versicherter Einl A 308 – Versicherung für Rechnung wen es angeht Einl A 309 – Versicherungsnehmer Einl A 304 ff. – Versicherungsvermittler Einl A 307 – VVaG 1 197 Klie

Sachregister

Versicherungsvermittler Einl A 307 – Auskunftserteilung 6a 5 – Beratungspflichten 6 8, 6 13 – Digitaler Vertrieb Einl F 118 ff., Einl F 126 ff., s. a. dort – erlaubnispflichtige Tätigkeiten Einl F 105 f. – IDD-Richtlinie Einl F 106 – InsurTech Einl F 9 ff., Einl F 18, Einl F 103 ff., Einl F 111 ff. – Professionalisierung Einl B 59 ff. – Tippgeber Einl F 105 – Vermittlerregister 7 70 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 89 Versicherungsvermittlerrecht – ausgewogene Untersuchung Einl B 60 – AVB-Wettbewerb Einl B 80 – Beratungsausschlüsse Einl B 82 f. – Beratungspflichten Einl B 75 f. – corporate governance Einl B 71 – Direktversicherer Einl B 83 – Dokumentationspflicht Einl B 62, Einl B 75 – Eintragung Einl B 59 – EU-Versicherungsrecht Einl B 1, Einl B 58 ff. – Handelsgesellschaften Einl A 209 – Hinweisgeber Einl B 67 – Honorarregeln Einl B 65 ff. – Informationshilfen Einl B 80 – Informationspflichten Einl B 75 f. – Informationsverarbeitung Einl B 81 – Interessenkonflikte Einl B 63 – Invitatiomodell 7 96 – Nettopolicen Einl B 64 – Pranger-Vollzug Einl B 70 – Produktakzessorietät Einl B 73 – Produktinformationsblatt Einl B 86 – Professionalisierung Einl B 59 ff. – Provisionsabgabeverbot Einl B 65 ff. – Registereintrag Einl B 70 – Registerzwang Einl B 68 ff. – Richtlinie zur Versicherungsvermittlung Einl B 58 – Sachkundeprüfung Einl B 69 – Staffelprovisionen Einl B 63, Einl B 66 – Strukturvertriebe Einl B 73 – Überrumpelungsverbot Einl B 83 – Umsetzung in deutsches Recht Einl B 67 ff. – Verbraucherinformation Einl B 84 ff. – Versicherungsombudsmann Einl A 269 – Vertriebsrichtlinie Einl B 63 – VVG Einl B 74 ff. – VVG-Änderungen Einl A 58 – whistle blower Einl B 67 Klie

– Wünsche/Bedürfnisse des Kunden Einl B 60 Versicherungsvermittlungsverordnung Einl A 184 Versicherungsverträge 1 5 – Abgrenzung 1 222 ff. – Abgrenzungen 1 310 ff. – Abtretung 1 219 – AGG Einl A 216 – Anzahl existierender ~ Einl A 6 – Ausschluss des Widerrufsrechts 8 82 ff., s. a. dort – Austauschvertrag Einl A 9 – bestimmte Laufzeit 11 9 – Beweislast 1 337 ff. – Bürgerliches Gesetzbuch Einl A 198 – Dauerschuldverhältnis Einl A 9, 1 211 ff. – Deckungsprozess 1 330 ff. – Entschädigungsfonds 1 320 ff. – faktische Verträge 1 217 – Fälligkeitszinsen 1 219 – Fonds 1 316 ff., 1 324 ff. – gegenseitiger Vertrag 1 206 f. – Gerichtsstand 1 331 f. – Geschäftsbesorgungsvertrag 1 222 f. – Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 239 ff., s. a. dort – Handelsbrauch 1 219 – Handelsgeschäft 1 218 ff. – Hedge-ähnliches Geschäft 1 224 – Insolvenz des Versicherers 16 3, s. a. dort – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 6 ff., s. a. dort – Insolvenzfonds 1 317 – Kommissionsvorschläge Einl E 34 ff. – Kündigungsfrist 11 17 – Kündigungsrecht 1 215 f., 11 1 ff., s. a. dort – langfristige ~ 11 1 ff., 11 18 f. – Lebensversicherung 1 226 – Ombudsmann 1 333 – Parteien 1 192 ff. – partiarisches Versicherungsverhältnis 1 226 – PEICL 1 341 – Pensionsfonds 1 316 – PKV-Ombudsmann 1 336 – Prämienzahlungspflicht 1 185 ff., s. a. dort – Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung 1 327 f. – Qualifizierung 1 191 ff. – Rechtsvergleich 1 339 ff. – Rückabwicklung 1 208 ff. – Rücktritt 1 215 – Schuldrecht 1 204 1022

Sachregister

– Schuldvertragstypus Einl A 198 – Sicherungsfonds 1 318 – Sozialversicherung 1 311 ff., s. a. dort – unbestimmte Laufzeit 11 14 ff. – Verjährung 15 6 ff. – Verkehrsopferhilfe 1 320 ff. – Verlängerungsklauseln 11 10 ff. – Versicherer 1 192 ff. – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 206 ff. – Versicherungsmarkt Einl A 293 – Versicherungsnehmer 1 200 ff. – Versicherungsombudsmann 1 334 f. – Versicherungsperiode 1 214 – Versicherungstechnik Einl A 287 ff., s. a. dort – Versicherungszweige 1 225 ff. – Vertrag eigener Art 1 205 – Vertragsänderungen 1 294 ff., s. a. dort – Vertragsdauer 11 1 ff. – Vertragsfreiheit 1 227 ff., s. a. dort – vertragstypische Pflichten des VR 1 27 ff., s. a. dort – Verzugszinsen 1 219 – VVG Einl A 1 – Widerruf 8 1 ff., 8 9, s. a. dort – Widerrufsfolgen 9 7, s. a. dort – zusammenhängende ~ 9 26 f. – Zwangsverwaltung Anh 16 28 Versicherungsvertragsgesetz s. VVG Versicherungsvertragsrecht Einl A 15, Einl A 160 ff. – ALR Einl A 27 – Altersvorsorge Einl A 8 – andere Vertragstypen Einl A 10 – aufsichtsrechtliche Sanktionierung Einl D 194 ff. – Auge-und-Ohr-Rechtsprechung Einl A 285 – AVB Einl A 192 ff. – Bayern Einl A 32 – Bedeutung Einl A 6 – Begriff Einl A 15 – Bürgerliches Gesetzbuch Einl A 39 – code civil Einl A 28 – Deutscher Bund Einl A 31 ff. – Deutsches Reich Einl A 38 ff. – Digitalisierung Einl A 294 ff., s. a. dort – Dresdner Entwurf Einl A 33 – Einspargeschäft Einl A 8 – Erfüllungshaftung Einl A 282 – Geschichte Einl A 27 ff. – Gesetzgebungskompetenz Einl A 38 – Gewerbeordnung Einl A 36 – Gewohnheitsrecht Einl A 37, Einl A 281 ff. 1023

– KfZ-Haftpflichtversicherung Einl A 177 ff. – KfZ-Haftpflichtversicherungsverordnung Einl A 181 f. – Kodifikationsversuche Einl A 31 ff. – Landesgesetze Einl A 29 f. – Legalitätsaufsicht Einl D 194 – Mitversicherte Einl A 299 – Norddeutscher Bund Einl A 34 ff. – Partikulargesetzgebung Einl A 27 ff. – Pflichthaftpflichtversicherungen Einl A 187 ff. – Pflichthaftpflichtversicherungen, standesrechtliche Einl A 190 – Pflichthaftpflichtversicherungen, vertragliche Einl A 191 – Pflichtversicherungsgesetz Einl A 177 ff. – Preußen Einl A 27 – PRIIP Einl A 186 – Privatversicherung Einl A 23 – Rechtsfortbildung Einl A 281 ff. – Relevanzrechtsprechung Einl A 284 – Repräsentantenhaftung Einl A 283 – Risikogeschäft Einl A 7 f. – Rom I-VO Einl A 185 – Spargeschäft Einl A 8 – unmittelbare Verknüpfungen Einl D 210 ff. – VAG Einl A 41 ff. – Versicherer Einl A 299 – Versicherte Einl A 299 – Versicherung Einl A 11 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 193 ff. – Versicherungsbedingungen Einl A 37 – Versicherungsmarkt Einl A 293 – Versicherungsnehmer Einl A 299 – Versicherungstechnik Einl A 287 ff., s. a. dort – Versicherungsverhältnis Einl A 300 ff., s. a. dort – Versicherungsvermittlungsverordnung Einl A 184 – VVG Einl A 161 ff., s. a. dort – VVG-Informationspflichtenvordung Einl A 183 – Zweck Einl A 7 Versicherungsvertreiber 1a 6 Versicherungsvertreter – Beratungspflichten 6 11, 6 13 – Empfangszuständigkeit Einl C 53 – InsurTech Einl F 111 Versicherungsvertretervollmacht – Abweichung vom Normgrundgedanken Einl C 325 – Beschränkung Einl C 325 – Empfangszuständigkeit Einl C 53 – Übergangsvorschriften Einl A 120 Klie

Sachregister

Versicherungsvertrieb Einl A 70 Versicherungswertschöpfungskette Einl F 4 Versicherungszeit 1 109 ff. Versicherungszweige Einl A 25 – Abschlusspflichten des VN 1 232 ff. – BGH Einl E 168 ff. – BVerfG Einl E 154 f. – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 129 ff. – Rückwärtsversicherung 2 15 ff. – Versicherungsverträge 1 225 ff. – VVG Einl A 4 Versorgungsrenten 17 8 Versorgungssysteme Einl A 23 Verständlichkeit – Einbeziehung der AVB Einl C 92 – Informationsverfahren 7 86 – public disclosure Einl D 178 – Transparenzgebot Einl C 286 – Versicherungsanlageprodukte 7b 27 Verständnishilfen 7 44 Verstärkungseffekt – AVB-Kontrolle Einl C 254 – unangemessene Benachteiligung Einl C 270 Vertragsänderungen 1 294 ff. – Bedingungsanpassungsklauseln 1 299 – Berufsunfähigkeitsversicherung 1 303 – gesetzliche Ermächtigungen 1 301 ff. – individuelle ~ 1 295 ff. – Krankenversicherung 1 303 – Lebensversicherung 1 301 f. – Prämienanpassungsklauseln 1 298 Vertragsangebot 5 2 Vertragsanpassung Einl C 353 Vertragsautonomie Einl A 173 Vertragsbedingung Einl C 40 Vertragsfreiheit 1 227 ff. – Abschlussfreiheit 1 230 ff., s. a. dort – Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 239 ff., s. a. dort – Gruppenversicherung 1 306 – informationelle Selbstbestimmung 1 292 – Informationsmodell 1 282 ff., s. a. dort – Inhaltsfreiheit 1 261 ff., s. a. dort – Kollektivversicherung 1 306 – laufende Versicherung 1 305 – Rückkaufswerte 1 291 – Schranken 1 287 ff. – Ungleichgewicht 1 229 – verfassungsrechtliche Gewährleistung 1 287 ff. – Vertragsänderungen 1 294 ff., s. a. dort – vorläufige Deckung 1 304 Klie

– Wettbewerbsrichtlinien 1 229 vertragsfremde Umstände Einl A 83 vertragstypische Pflichten des VR 1 27 ff. – Anwartschaft 1 33 – Ausgleichsleistung 1 33, 1 128 ff., s. a. dort – Deckung 1 32 – Deckung eines Drittrisikos 1 154 ff., s. a. dort – Gefahrtragungstheorie 1 28 – Geldleistungstheorie 1 29 – Großrisiken 1 30 – kombinierte Theorie 1 35 – Kündigungsrecht des VN 1 43 f. – Massenrisiken 1 30 – Pflichtverletzung 1 180 ff. – Risiko des VN 1 46 ff., s. a. dort – Risikokollektiv 1 45 – Risikotransfer auf den VR 1 50 ff., s. a. dort – Rom I-VO 1 30 – Schadensersatz 1 39 ff. – Sicherheitsleistung 1 38 – Sicherungspflicht 1 37 ff. – Versicherungsfall 1 113 ff., s. a. dort – Versicherungsschutz 1 32 Vertragsverhältnis Einl A 82 vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 357 ff. – Abschlusskostenverrechnung Einl C 358 – akute Behandlungsbedürftigkeit Einl C 359 – Apothekenklausel Einl C 360 – Ausschluss Rückkaufswert Einl C 361 – Befristung Einl C 386 – Genesungsgeld Einl C 363 – Inhaberklausel Einl C 364 – Invaliditätseintritt Einl C 362 – Invaliditätsgrad Einl C 365 – Judikatur Einl C 358 ff. – Kostenausgleichsvereinbarung Einl C 366 – Kündigungsrecht Einl C 367 – Logopädenklausel Einl C 368 – medizinische Notwendigkeit Einl C 368 – medizinische Notwendigkeit, Nachweis Einl C 369 – Obliegenheiten Einl C 370 – Psychoklausel Einl C 371 – Psychotherapieklausel Einl C 372 f. – Rabattklausel Einl C 373 – Rentenbezugsberechtigung Einl C 374 – Rückkaufswerte Einl C 361 – Sachkosten Einl C 375 – Schimmelschäden Einl C 376 – Schulmedizinklausel Einl C 377 – Selbstbeteiligung Einl C 378 1024

Sachregister

– Staatsangehörigkeit Einl C 379 – Summenbegrenzung Einl C 380 – Tarifklausel Einl C 372 – Unvereinbarkeitsprüfung Einl C 357 – Verwandtenklausel Einl C 381 – vorherige Zusage des VR Einl C 382 – vorläufige Deckung Einl C 383 – Wartefrist Einl C 384 – Wissenschaftlichkeitsklausel Einl C 385 Vertretenmüssen – Schadensersatz 6 81 ff. – Verzug 14 36 ff. Vertriebskosten Einl C 321 Vertriebsrichtlinie – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 121 ff. – Umsetzung 1 6 – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 63 Vertriebstätigkeit des Versicherers 1a 1 ff. – Anforderungen 1a 10 ff. – Benachteiligungsverbot 1a 20 – bestmögliches Kundeninteresse 1a 15 ff. – Beweislast 1a 31 – Ehrlichkeit 1a 10 – eigenes Portfolio 1a 19 – IDD-Richtlinie 1a 1 – Individualabreden 1a 30 – Informationsgehalt 1a 28 – Informationspflichten 1a 23 ff. – Insurance Distribution Directive 1a 1 – Optimierungsgebot 1a 20 – Professionalität 1a 14 – Ranglisten 1a 25 ff. – Redlichkeit 1a 11 ff. – Sanktionen 1a 29 – Verbraucherschutz 1a 3 – Vergleichsportale 1a 25 ff. – Vergleichsrechner 1a 24 – Vergütungspolitik 1a 22 – Versicherungsvertreiber 1a 6 – Vertriebstätigkeiten 1a 8 – Werbemitteilungen 1a 28 Vertriebstätigkeiten 1a 8 Verwaltungsakt Einl D 199 Verwaltungskosten – Informationspflichten 7 48 – Widerruf 7 108 Verwaltungszwang Einl D 80 Verwandtenklausel Einl C 381 Verwirkung des Widerrufsrechts 8 105 – EuGH 8 116 ff. – Fortbestehen als gesetzliche Folge 8 108 1025

– Kenntnis des VN 8 107, 8 110 – schutzwürdiges Vertrauen 8 113 f. – Umstandsmoment 8 105, 8 112 ff. – Zeitmoment 8 105 ff., 8 111 Verzicht Einl C 168 Verzug 14 32 ff. – Mahnung 14 33 – nach Rechnungszugang 14 35 – ohne Mahnung 14 34 – Schadensersatz 14 41 ff. – Vertretenmüssen 14 36 ff. – Verzugsvoraussetzungen 14 32 – Verzugszinsen 14 39 f. Verzugszinsen 14 39 f. – Versicherungsverträge 1 219 Vier-Augen-Prinzip Einl F 41 Völkerrecht – Privatversicherungsrecht Einl A 260 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 40 ff. Vollständigkeitsgebot – AVB Einl D 238 – Transparenzgebot Einl C 291 Vorabgenehmigungspflicht Einl C 11, Einl C 24 Vorerstreckungsklausel Einl C 315 vorläufige Deckung – Ausschluss des Widerrufsrechts 8 85 – Einbeziehung der AVB Einl C 76, Einl C 118 – Kommissionsvorschläge Einl E 43 ff. – Risiko des VN 1 112 – Rückwärtsversicherung 2 13 – Vertragsfreiheit 1 304 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 383 Vorrecht 16 17 Vorschlagsmodell 1 249 vorvertragliche Anzeigepflicht – notwendige Erhebungen 14 15 – versicherte Gefahr 1 101 f. Vorwärtsversicherung 2 7 VVaG 1 196 ff. – Anpassungsklausel Einl C 42 – AVB Einl C 42, Einl D 221 f. – Inhaltsfreiheit 1 273 – Insolvenz des Versicherers 16 4 – Klauselrichtlinie Einl C 15 – Optimierungspflicht des VR 1 281 – Versicherungsaufsichtsrecht Einl D 192 – Versicherungsverhältnis 1 197 VVG Einl A 1 ff. – Allgemeiner Teil Einl A 3, Einl E 180 ff. Klie

Sachregister

– Änderungen Einl A 49 ff., s. a. VVG–Änderungen – Anwendungsbereich Einl A 18 ff. – AVB Einl A 170, Einl C 6, Einl D 195 ff. – Berücksichtigung von Vorteilen Einl A 171 ff. – dispositive Bestimmungen Einl A 175 – Entstehung Einl A 44 ff. – Entwicklung Einl A 49 ff. – Entwürfe Einl A 44 ff. – Geschichte Einl A 27 ff. – Großrisiken Einl A 21, Einl A 169 – halbzwingende Bestimmungen Einl A 165 ff. – halbzwingende Vorschriften 18 1, 18 3 – Individualabreden Einl A 170 – Informationspflichten Einl D 223 ff. – Inkrafttreten Einl A 48, Einl A 73 – Jahrhundertreform Einl A 2 – kleinere VVaG/Versicherungen Einl A 20 – Kompensationstheorie Einl A 171 f. – laufende Versicherung Einl A 169 – Mitversicherte Einl A 299 – nachteilige Abweichung Einl A 170 – Obliegenheiten Einl D 234 – privatrechtliche Kontrolle Einl A 47 – Privatversicherungsrecht Einl A 1 – Recht unlauteren Wettbewerbs Einl B 87 f. – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 115 ff., s. a. dort – Reichsjustizamt Einl A 44 f. – Rückversicherung Einl A 19, 1 307 f. – Schlussvorschriften Einl A 5 – Seeversicherung Einl A 18, 1 309 – Übergangsvorschriften Einl A 79 ff. – VAG Einl A 41 ff. – Verabschiedung Einl A 48 – Versicherer Einl A 299 – Versicherte Einl A 299 – Versicherung Einl A 11, Einl A 299 – Versicherungsanlageprodukte 7b 2 – Versicherungsnehmer Einl A 299 – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 74 ff. – Versicherungsverträge Einl A 1 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 161 ff. – Versicherungszweige Einl A 4 – Vertragsautonomie Einl A 173 – VVG-Reform Einl A 2, Einl A 73 ff., s. a. dort – zwingende Bestimmungen Einl A 164 VVG-Änderungen Einl A 49 ff. – außergerichtliche Streitbeilegung Einl A 71 – Betreuungsgesetz Einl A 59 – Bundesteilhabegesetz Einl A 72 Klie

– Deregulierung des Versicherungsmarktes Einl A 55 – Direktanspruch beim Kfz-Unfall Einl A 51 – Fernabsatzverträge Einl A 57 – GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Einl A 64 – Heil–/Hilfsmittelversorgungsgesetz Einl A 69 – Insolvenzordnung Einl A 61 – Insurance Distribution Directive Einl A 70 – KfZ-Haftpflichtversicherung Einl A 50 – KfZ-Haftpflichtversicherungsverordnung Einl A 60 – Lebensversicherungsreformgesetz Einl A 67 – Pflichtversicherung fur Kraftfahrzeughalter Einl A 51 – Policenmodell Einl A 55 – private Krankenversicherung Einl A 65 – Rechtsschutzversicherungsrichtlinie Einl A 53 – Solvency II-Richtlinie Einl A 68 – Straßburger Abkommen Einl A 51 – Unfallversicherung Einl A 52 – Versicherungsvermittlerrecht Einl A 58 – Versicherungsvertrieb Einl A 70 – VVG-Reform Einl A 62 – Wohnungsvermittlung Einl A 66 VVG-Informationspflichtenverordnung s. VVG–InfoV VVG-InfoV Anh 7 1 ff. – Abschlusskosten Anh 7 20 – AVB Anh 7 9 – Basisinformationsblatt Anh 7 47 – Effektivkostenquote Anh 7 21, Anh 7 25 – EU-Versicherungsrecht Einl B 48 ff. – Formvorschriften Anh 7 19 – Garantiefonds Anh 7 8 – Hauptgeschäftstätigkeit Anh 7 7 – Identität eines Vertreters Anh 7 5 – Information nach Vertragsabschluss Anh 7 44 f. – Informationsblatt Anh 7 33 – Informationsökonomik Anh 7 3 – Informationspflichten 7 1, Anh 7 3 ff. – Kausalitätsvermutung Anh 7 6 f., Anh 7 13 – Knappheitsgebot Anh 7 42 – Kosten Anh 7 14 – Krankenversicherung Anh 7 29 – ladungsfähige Anschrift Anh 7 6 – Leistungsausschluss Anh 7 38 – Modellrechnung Anh 7 27, Anh 7 40 – organisatorische Besonderheiten Anh 7 4 – Prämie Anh 7 15, Anh 7 37 – Prämienrückgewähr Anh 7 28 – Preise Anh 7 14 1026

Sachregister

– Produktinformationsblatt Anh 7 1, Anh 7 31 ff. – Risiko des VN Anh 7 36 – Risiko-Einschränkungen Anh 7 11 – Risikoausschluss Anh 7 36 – Rückkaufswerte Anh 7 23 – Schadensersatz Anh 7 13 – Schwankungserwartungen Anh 7 24 – Überschussbeteiligung Anh 7 23 – Umstufung Anh 7 46 – Verbraucherinformation 7 2 – Versicherungsanlageprodukte 7b 2 – Versicherungsbeginn Anh 7 39 – Versicherungsleistung Anh 7 10 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 183 – Widerruf Anh 7 17 – Zusatzkosten Anh 7 14 VVG-Reform Einl A 2, Einl A 73 ff., Einl E 1 ff. – Altverträge Einl E 100 ff. – Änderungen des Kommissionsentwurf Einl E 86 ff. – Ausgangslage Einl E 4 ff. – Außerkrafttreten Einl A 76 – AVB Einl C 6 – AVB-Anpassung Einl C 177 – Bedingungsanpassung Einl E 92 – Beginn Einl E 8 – Beratungen des Bundestages Einl E 79 – Beratungspflichten 6 4 – Beschränkung der Vermittlerpflichten Einl E 93 – Direktanspruch Einl E 105 – Entscheidung des BMJ Einl E 8 – Gerichtsentscheidungen Einl E 80 f. – Gesetzgebung Einl E 5, Einl E 77 ff. – Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 240 ff., 1 244 ff. – GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Einl E 84, Einl E 107 ff. – Grundpfandrechtsgläubiger Einl E 94 – Inkrafttreten Einl A 73 – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 2 – Kommission Einl E 12 ff., s. a. dort – Krankenversicherung Einl E 99 – Lebensversicherung Einl E 96 ff. – Phasen Einl E 1 – private Krankenversicherung Einl A 75 – Rechtsentwicklung nach der ~ Einl E 115 ff., s. a. dort – Rechtsschutzversicherung Einl E 95 – Referentenentwurf Einl E 77 – Regierungsentwurf Einl E 78 1027

– Rückkaufswerte Einl E 106 – Rückwirkung Einl A 74 – Seeversicherung Einl A 77 – Übergangsvorschriften Einl A 79 ff. – Verkündung Einl A 78 – Versicherungsvertragsrecht Einl A 180 – Vertragsabschluss Einl E 87 – vorläufiger Versicherungsschutz Einl E 91 – vorzeitige Vertragsbeendigung Einl E 90 – VVG-Änderungen Einl A 62 VwGO Einl D 16 VwVfG Einl D 16 W Wagniskapitalgeber Einl F 46 Wahlmöglichkeiten Einl C 54, Einl C 72 Wahlrecht Anh 16 15 ff. Warenkreditversicherung 14 59 Warnpflichten – Obliegenheiten Einl B 25 ff. – Versicherungsanlageprodukte 7c 23 ff. Wartefrist Einl C 384 Website – Auskunftserteilung 6a 3, 6a 6, 6a 27 ff. – dauerhafter Datenträger 6a 24 – Emailadresse 6a 29 f. – Verfügbarkeit 6a 32 – Zugang 6a 27 – Zustimmung 6a 30 Weisungsrechte Einl F 97 Wertgleichheit – Altverträge Einl B 37 – Rechtsangleichung Einl B 32 ff. Wertungsmöglichkeiten Einl C 255 Wettbewerbsrecht Einl C 398 Wettbewerbsrichtlinien 1 229 Wettbewerbsverstoß Einl A 115 whistle blower 7 71 – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 67 Widerruf 8 1 ff. – Ausschluss des Widerrufsrechts 8 81 ff., s. a. dort – Ausübungsmodalitäten 8 18 – AVB 7 104 – Befristung 8 101, 8 103 – Belehrungsfunktion 8 34 – Belehrungsverpflichteter 8 37 – Belehrungszeitpunkt 8 28 – Bestehen des Widerrufrechts 8 12, 8 16 – Beweislast 8 127 – dauerhafter Datenträger 8 48 – Effektivkostenquote 7 108 Klie

Sachregister

– Entstehungsgeschichte 8 2 – Erbfall 8 39 – Erlöschen des Widerrufsrechts 8 90 ff. – EU-Versicherungsrecht Einl B 2, Einl B 45 ff. – ewiges Lösungsrecht 7 106 – Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 8 4 – Formulierung 8 46 – Fortbestand des Widerrufsrechts 8 78 f. – fortbestehende ~smöglichkeit 8 101 ff. – Gestaltung des Vertragsabschlusses 1 251 ff. – Hamilton-Entscheidung 8 104 – Heininger-Entscheidung 8 103 – Höchstdauer 7 106 – Individualabreden 8 124 – Informationspflichten 7 102 ff., 8 13 ff., 8 26 ff. – Laufzeitverlängerung 8 42 – Leistungsverweigerungsrecht 8 8 – nach Erfüllung 8 90 ff. – Nichtausübungsfolgen 8 21 – nochmalige Belehrung 8 29 ff. – Papierform 8 48 – Prämie 7 110 f. – Rechtsentwicklung nach der VVG-Reform Einl E 117 – Rechtsmissbrauch 8 118 ff. – Rechtzeitigkeit der Informationsgabe 8 22, 8 24 – Reichweite 8 41 – Restschuldversicherung 7a 18, 7d 9 ff., 8 38 – Rücktrittsrecht 8 7 – Stellvertretung 8 39 – Teilwiderruf 8 43 – Textform 8 48 – Übergangsrecht 8 10 – überraschende Klauseln Einl C 170 – Verbraucherinformation 7 103 – Versicherungsfall 7 109 – Versicherungsleistung 8 7 – Versicherungsverträge 8 9 – Verwaltungskosten 7 108 – Verwirkung des ~srechts 8 105 – VVG-InfoV Anh 7 17 – Widerrufsberechtigter 8 38 f. – Widerrufserklärung 8 44 ff. – Widerrufsfolgen 9 1 ff., s. a. dort – Widerrufsform 8 48 f. – Widerrufsfrist 8 17, 8 50 ff., s. a. dort – Widerrufsgegenstand 8 40 ff. – Willenserklärung 8 40 – Zillmerung 7 105 – Zugang 8 49 – Zulassungsaufsicht Einl D 93 Klie

– Zweck 8 5 Widerrufsbelehrung 8 55 – Begriff 8 61 – Belehrungspflicht 8 56 ff. – Belehrungsverpflichteter 8 37 – Belehrungszeitpunkt 8 28 – Beweislast 8 125 f. – culpa in contrahendo 8 123 – erneute ~ 8 77 – Funktion 8 34 – Inhalt 8 61 ff. – Klarheit 8 60 – Musterwiderrufsbelehrung 8 97 ff. – Nachbelehrung 8 74 f. – nochmalige ~ 8 29 ff. – Schadensersatz 8 122 f. – Textform 8 75 – Transparenzgebot 8 60 – unzureichende ~ 8 122 f. – Widerrufsfolgen 9 10 ff., 9 18 ff. – Widerrufsfristbeginn 8 64 ff. – Zeitpunkt 8 72 ff. – Zugang 8 75 – zwingende Angaben 8 63 Widerrufserklärung 8 44 ff. Widerrufsfolgen 9 1 ff. – Abwicklungsverhältnis 9 1 – Beweislast 9 29 – effet utile 9 21 – Entfall der Bindungswirkung 9 1 – europarechtskonforme ~ 9 19 ff. – Individualabreden 9 28 – Lebensversicherung 9 25 – Prämie 9 5 f., 9 16 f., 9 18, 9 24 – rückständige Prämien 9 24 – Rückzahlung der Prämienanteile 9 5 f., 9 16 f., 9 18 – Übergangsregelung 9 9 – Versicherungsschutz ohne Zustimmung 9 22 – Versicherungsschutz, fehlender 9 23 – Versicherungsverträge 9 7 – Widerrufsbelehrung 9 18 ff. – Widerrufsbelehrung, ordnungsgemäße 9 10 ff. – Widerrufsbelehrung, unzureichende 9 18 ff. – Widerrufsbelehrung, Zahlbetrag 9 13 – Widerrufsbelehrung, Zeitpunkt 9 14 – Widerrufsbelehrung, Zustimmung 9 15 – zusammenhängender Vertrag 9 26 f. Widerrufsfrist 8 17, 8 50 ff. – Beginn 8 51 ff., s. a. Widerrufsfristbeginn – Dauer 8 50 1028

Sachregister

– elektronischer Rechtsverkehr 8 96 – Ende 8 80 – Lebensversicherung 8 50 – Restschuldversicherung 7a 20 Widerrufsfristbeginn 8 51 ff. – Angebot des VN 8 69 ff. – Angebot des VR 8 67 f. – Informationen 8 54 – Unterlagen 8 52 ff. – Versicherungsschein 8 53 – Vertragsbestimmungen 8 54 – Widerrufsbelehrung 8 55, 8 64 ff., s. a. dort Widerspruch – abweichender Versicherungsschein 5 9 f. – Aufsichtsleiter Einl D 78 – Einbeziehung der AVB Einl C 97 – Informationspflichten 7 9 Wiederbeschaffungsklauseln 14 56 Wiederbeschaffungskosten Einl C 148 Wiederherstellungsklauseln 14 56 f. Wiederinkraftsetzung Einl C 171 Wildschaden Einl C 225 Willenserklärungen – Einschreiben 13 16 – nachteilige Abweichung 18 7 – Widerruf 8 40 – Zugang 13 2 ff., 13 13 ff. Wirtschaftlichkeitsklausel Einl E 75 Wissenschaftlichkeitsklausel – Auslegung von AVB Einl C 226 – vertragszweckgefährdende Rechtseinschränkung Einl C 385 Wohngebäudeversicherung Anh 16 26 wohnsitzlose Schädiger Einl C 172 Wohnungsvermittlung Einl A 66 Wünsche/Bedürfnisse des Kunden – Auskunftserteilung 6a 10 – Beratungspflichten 6 38 ff. – Querverkäufe 7a 15 f. – Versicherungsvermittlerrecht Einl B 60 Z Zahlungen vor Reisebeginn Einl C 354 Zahlungsunfähigkeit – Insolvenz des Versicherers 16 6 – überraschende Klauseln Einl C 173 Zahlungsverzug Einl C 355 Zeitmoment 8 105 ff., 8 111 Zerstörung Einl C 243 Zillmerung Einl B 38 – Entgeltumwandlung Einl B 36 – Informationspflichten 7 43, 7 45, 7 79 1029

– Lebensversicherung 1 143 – Transparenzgebot 7 45 ff. – Widerruf 7 105 Zugang – Anschriftenänderung 13 6 ff. – AVB-Anpassung Einl A 102 – Dreitagesfiktion 13 17 – Namensänderung 13 5 – Website 6a 27 – Widerruf 8 49 – Widerrufsbelehrung 8 75 – Willenserklärungen 13 2 ff., 13 13 ff. Zugangsfiktion 13 17 – Klauselverbote Einl C 260 Zulassungsaufsicht Einl D 91 ff. – Antrag Einl D 92 – Aufsichtsmittel Einl D 66 – Beschränkungsgründe Einl D 92 – Dienstleistungsverkehr Einl D 96 – Digitalversicherer Einl F 25 ff. – Drittstaatenversicherer Einl D 97 – Erlaubnisvorbehalt Einl D 91 – EU-Passport Einl D 94 – EWR-Staat-VU Einl D 94 – InsurTech s. a. dort – Korrespondenzversicherung Einl D 98 – Niederlassung Einl D 95 – Rechtsformzwang Einl D 92 – Spartentrennungsgrundsatz Einl D 92 – Versagungsgründe Einl D 92 – Widerruf Einl D 93 Zurechnung von Drittwissen 2 41 ff. Zurechnungsklausel Einl C 356 zusammenhängender Vertrag 9 26 f. Zuständigkeit – Versicherungsaufsichtsrecht Einl A 259 – Versicherungsombudsmann Einl A 268 f. Zuverlässigkeit – Digitalversicherer Einl F 30, Einl F 66 – Prämienänderungstreuhander Einl D 213 Zwangs-Download Einl F 122 Zwangsjackeneffekt Einl B 95 Zwangsmediation Einl C 282 Zwangsmittel Einl D 67 Zwangsverwaltung – Insolvenz des Versicherungsnehmers Anh 16 26 ff. – Versicherungsverträge Anh 16 28 Zwischenstaatlichkeit Einl B 4

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