Vorlesungen über die Philosophie der Kunst I: Nachschriften zu den Kollegien der Jahre 1820/21 und 1823 9783787326983, 9783787334186

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Vorlesungen über die Philosophie der Kunst I: Nachschriften zu den Kollegien der Jahre 1820/21 und 1823
 9783787326983, 9783787334186

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H EGEL · GE SA

W ERKE 28,1

GE ORG W I LH ELM FRIEDRI CH H EGEL

G E S A M M E LT E W E R K E

I N V E R B I N DU NG M I T D E R

D E U T S C H E N F O R S C H U N G SG E M E I N S C H A F T H E R AU S GEGE B E N VO N D E R

N O R D R H E I N - W E S T FÄ L I SC H E N A K A D E M I E

DER W IS S E N SCH A F T E N U N D DE R K Ü N S T E

BA ND 28 IN VIER TEIL BÄ NDEN

F E L I X M E I N E R V E R L AG H A M BU RG

GE ORG W I LH ELM FRIEDRI CH H EGEL

VO RL E S U N G E N Ü B E R DI E P H I L O S O P H I E DE R KUNST

H E R AU S G E G E BE N VON

NIKLAS HEBING

BA ND 28, 1 N ACHS CHR I F T E N Z U D EN KO LLEGIEN D ER JA HR E 1 8 2 0 / 21 UN D 1823

F E L I X M E I N E R V E R L AG H A M BU RG

In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und dem Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum

Diese Publikation wird als Vorhaben der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste im Rahmen des Akademieprogramms von der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Nordrhein-Westfalen gefördert.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über 〈http://dnb.ddb.de〉 abruf bar. ISBN 978-3-7873-2698-3 )3".E"OOK    

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auf Papier, Film, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Litges + Dopf, Heppenheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany www.meiner.de

INHALTSVERZEICHNIS

WINTERSEM ESTER 1820/21. NACHSCHRIFT WILH ELM VON ASCH EBERG UN D WILLEM SA X VAN TER BORG . . . . . . . . . . . . . . .

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Aesthetik nach dem Vortrage des Herrn Professor Hegel. im Wintersemester 1820–1821. angefangen den 26sten October. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff der Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintheilung der Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der allgemeine Theil der Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die symbolische Form der Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die classische Form der Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die romantische Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der besondere Theil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die bildenden Künste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Baukunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Sculptur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Malerei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Musik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die redenden Künste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Epos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Lyrik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Drama. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5 9 17 23 66 85 101 116 121 121 131 153 179 187 196 203 205

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inhaltsverzeichnis

SOM M ERSEM ESTER 1823. NACHSCHRIFT HEINRICH GUSTAV HOTHO mit den Marginalien zweier Überarbeitungsstufen und mit Varianten aus der Nachschrift Carl Kromayr . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Philosophie der Kunst. Nach dem Vortrage des Herrn Prof. Hegel. Im Sommer 1823. Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plan des Ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . der Allgemeine Theil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . das Schöne überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die symbolische Kunstform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die klassische Kunstform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die romantische Kunstform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. der religiöse Kreis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. der weltliche Kreis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. der Formalismus der subjectivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . der besondere Theil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . die Architectur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . die selbstständige oder symbolische Architectur. . . . . . . . . . . . . 2. die classische Baukunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 die gothische oder romantische Baukunst. . . . . . . . . . . . . . . Zweites Capitel. B. die Sculptur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mahlerei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Musik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . das Epos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . das Lyrische. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . die drammatische Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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ANHANG Zeichen, Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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WINTERSEMESTER 1820/21 NACHSCHRIFT

WILHELM VON ASCHEBERG UND

WILLEM SAX VAN TERBORG

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Aesthetik

nach

dem Vortrage des Herrn Professor Hegel.



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im Wintersemester 1820–1821.



angefangen den 26sten October.

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Wilhelm von Ascheberg seinem W. Sax van Terborg |

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Ein leit ung.

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Diese Vorlesungen sind der A e s t h e t i k gewidmet, und ihr Feld ist das S c h ö n e , hauptsächlich die K u n s t . Der Name bezeichnet W i s s e n s c h a f t d e r E m p f i n d u n g ; denn früher betrachtete man in dieser Wissenschaft die Eindrücke auf die Empfindung; dieser Ausdruck ist aber nicht passend, da hier bloß von der Schönheit der Kunst die Rede ist, und nicht von den Empfindungen, welche die Natur verursacht. In der Einleitung muß ich einige Gesichtspunkte erläutern, auf welche die spätere Lehre sich basirt. Fürs erste also von der frühern Behandlung der Wissenschaft. Diese vorläufigen Gesichtspunkte gehören zwar der äußerlichen Reflexion an; wir müßen aber deßhalb die Aesthetik nicht als Zeitvertreib betrachten, sondern in ihr müßen wir die Kunst in der höchsten Idee, selbst in Verbindung mit Philosophie und Religion betrachten. In der Kunst haben die Nationen ihre höchsten Vorstellungen niedergelegt; die Kunst ist gleichsam ein Bindemittel zwischen dem rein Geistigen und dem Sinnlichen. Zuerst ist die Kunst, (wie wir es bei allen Völkern finden); später tritt Reflexion hinzu; also ist überhaupt Kunst früher da gewesen, als die Reflexion darüber, so wie der Staat eher da war, als die Idee des Staates. Die Reflexion verhält sich zum Kunstwerk eben so, wie zum Naturprodukt; sie tritt dazu, schaut an, abstrahirt, und bildet aus einzelnen Bemerkungen allgemeine. Eine Zusammenstellung solcher Bemerkungen macht die T h e o r i e d e r K u n s t aus. Diesen Namen hat man auch zuweilen der Aesthetik gegeben. Bei diesen Bemerkungen walten 2erlei Interessen vor, das s u b j e c t i v e und o b j e c t i v e . Das subjective theilt sich noch in 2 Hälften. | Das erstere ist schon angegeben; es ist nämlich, Regeln anzugeben zur Verfertigung von Kunstwerken, zu ihrer Beurtheilung etc. Ein älteres Werk solcher Art ist die Poëtik des Aristoteles, die ars poetica des Horaz. Eine solche Gestalt von Regel und Vorschrift kann als etwas Unwesentliches angesehen werden, da sie schon im Menschen liegen sollen, eben so wie wir die in den Menschen ursprünglich wohnenden Gefühle für Tugend noch in der Form der Pflichten aussprechen. Die Regel ist aber bei der Kunst auch etwas Ungeschicktes. Denn die Regel steht der Freiheit des Menschen entgegen; ich als freier Geist bin Totalität, die Regel ist aber etwas Abstractes, Einseitiges, und so beschränkt sie meinen freien, lebendigen Geist. Die Regel kann also nur etwas Einseitiges, Äußerliches betreffen, und nur hier ist sie möglich. Weil die Conception eines Kunstwerks

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etwas Geistiges ist, so ist sie etwas ganz anderes, etwas lebendiges, was nicht den Gegenstand einer Regel abgeben kann; die wahrhafte Natur des Kunstwerks bleibt von der Regel unberücksichtigt. D a s 2 t e s u b j e c t i v e I n t e r e s s e kann sich erstrecken, d e n G e s c h m a c k z u b i l d e n . Früher ist viel davon gesprochen worden, und wird noch jetzt gesprochen. Man muß darunter verstehn: die Kunst beurtheilen zu lernen. Bei der Sucht, den Geschmack zu bilden, tritt gewöhnlich der Gegensatz des Geschmacks, das Genie hervor. Man hat gesehen, daß das Genie zwar produziren könne, daß aber gewöhnlich der Geschmack fehle. Unter Geschmack versteht man die äußere gehörige Beurtheilung des Kunstwerks, auch dessen Behandlung. Zur Bildung des Geschmacks hat man nicht bloß Regeln angewandt, sondern man hat auch dabei psychologische Beobachtungen der Neigungen, Leidenschaften etc, zur Hand genommen. Diese Beobachtungen sind es aber nicht, welche die wahre Natur des Kunstwerks erreichen. Neben diesem Interesse hängt sich auch das o b j e c t i v e I n t e r e s s e an, d. h. das Interesse an der Kunst um der Kunst selbst willen. Die Kunst liegt in der N a c h a h m u n g d e r N a t u r, in der E r r e g u n g d e r L e i d e n s c h a f t e n , und in der R e i n i g u n g d e r L e i d e n s c h a f t e n . Dieser letzte Gesichtspunkt führt uns nun zu dem wahren Begriffe der Kunst. | D i e K u n s t l i e g t i n d e r N a c h a h m u n g d e r N a t u r. Dadurch ist nur ein ganz formelles Interesse ausgesprochen worden, und es kann selbst als Uebermuth angesehen werden. In diesem Sinne ist die Kunst nur ein eigener Triumph menschlicher Geschicklichkeit, die doch hinter der Natur zurückbleiben muß. So sind also in dieser Rücksicht nur Kunststücke, nicht Kunstwerke vor uns, da die lebendige Verbindung, die wirkliche Lebendigkeit in der Natur, fehlt. Wegen dieser Mangelhaftigkeit der Kunst leiden die Türken keine Kunstwerke. Der höchste Triumph der Kunst bleiben also in dieser Rücksicht die Trauben des Zeuxis, der Vorhang des Parrhasius u. s. w. Wenn die Kunst also zu sehr ins Nebulose, Ideale schweift, so muß sie auf die Natur zurückgewiesen werden; die Natur ist die nothwendige Grundbestimmung der Kunst; sie darf aber nicht die einzige seyn. Da die Kunst im Verhältniß zum Menschen steht, so bezieht sie sich zugleich auf das Innere des Menschen überhaupt, und so tritt der 2 te G e s i c h t s p u n k t ein, der Gesichtspunkt des E i n d r u c k s d e r K u n s t a u f d a s G e m ü t h . Dies kann zugleich als Zweck der Kunst betrachtet werden. Der Zweck muß seyn, daß alle Empfindungen in der menschlichen Brust aufgeregt werden, daß er zum Bewußtseyn seiner tiefsten Gefühle komme; dies bewirkt die Kunst durch 7 Sucht] am Rande mit Verweiszeichen: Versuch?

36 daß1] am Rande: +

37 komme] kommen

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die Täuschung, Nachahmung der Natur. Diese Täuschung besteht darin, daß die Kunst ihre Productionen an die Stelle der unmittelbaren Wirklichkeit setzt. Es entsteht nun die Frage, ob die Wirklichkeit selbst, den Weg durch die Vorstellung, (Bild) nehmend, den Eindruck macht, oder ob es die Vorstellung selbst thut; für unser Gemüth kann dies aber dasselbe seyn; denn überhaupt wird in diesen Eindruck auf das Gemüth die Macht der Kunst gesetzt. Wenn wir bedenken, daß die Kunst diese Macht hat, daß diese Macht aber alle Empfindungen in uns erregen kann, uns für das Gute, Schöne sowohl, als auch für das Gräßliche, uns Widerstrebende interessiren kann, so sehen wir ein, daß diese Macht, diese Seite der Kunst nur eine formelle ist, also noch nicht ihrem Zwecke entspricht, auch sehen wir, daß diese Wirkungen der Kunst sich durchkreuzen, sich widersprechen, und daß die Vernünftigkeit auf einen höhern, mit sich übereinstimmenden Endzweck dringen muß. Man könnte auch nach einem gemeinsamen Zwecke bei allen diesen Wirkungen fragen, und als solchen die Bildung der Empfindung angeben, wir fühlen aber sogleich, daß dieser Zweck nur ein formelles ist, der von dem Inhalte dieser Wirkungen abstrahirt, von dem höhern Endzweck der Kunst abweicht. Die Frage nach diesem höhern Endzwecke der Kunst macht den 3 t e n G e s i c h t s p u n k t aus; und dieser ist vormals so ausgedrückt worden: | durch die Kunst sollen die Leidenschaften gereinigt werden. Ohne uns mit diesem unbestimmten Ausdruck aufzuhalten, gehen wir zu dem bestimmten über: D i e G e f üh le und Neig ungen sol len durch d ie Kunst zu dem sit t l ichen Z i e l e v o r b e r e i t e t u n d g e f ü h r t w e r d e n . Dieses sittliche Ziel ist die M o r a l i t ä t , und dies ist der letzte Standpunkt, den die Reflexion findet. (et delectare et prodesse volunt poëtae. Horat.) dieser Kernspruch des alten Dichters, obgleich von ihm nicht in der Idee ausgesprochen, die wir jetzt hineinlegen, ist der Ausspruch der Reflexion. – Das Wesentlichste in dem Fortgange der Reflexion ist die Frage nach einem Endzwecke, und dieser Standpunkt der Reflexion, ist auch der höchste Zweck und Standpunkt für die ganze Philosophie. Diese Ansicht über Kunst fällt zusammen mit der Ansicht in der Philosophie, und daher ist die neue, wahre Ansicht der Kunst entstanden. Diesen Uebergang zu diesem Standpunkt und die Momente will ich, nebst dem Geschichtlichen kurz berühren. Die erste Frage ist: Wa s i s t d i e s e r l e t z t e S t a n d p u n k t ? W i e i s t d i e s G ö t t l i c h e , E w i g e z u f a s s e n ? Die Kantische Philosophie sagt: Dieser letzte Endzweck sey die sich auf sich selbst beziehende Vernünftigkeit, das sich wissende Selbstbewußtseyn, welches in sich frei, absolut vernünftig ist. Dieses macht nun den Wendepunkt in der Philosophie aus, der in die neuere Zeit fällt. Wie nun dieses sich selbst Wissen der Vernunft von Kant aufgefaßt ist, so ist es in

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seiner Beziehung auf den Menschen, besonders auf den Willen, der Standpunkt der Moralität. Wenn man nun diesen Endzweck, dieses sich selbst wissende Bewußtseyn betrachtet, so sieht man, daß es sich die Pflicht zur Pflicht macht, bloß um der Pflicht willen. Wir sehen daraus, daß es frei ist, und eine Naturnothwendigkeit gegenüber hat. Die Intelligenz, welche die Pflicht gebietet, bloß um der Pflicht willen, hat diesem innerlichen abstracten Gesetze gegenüber eine fühlende Natur des Menschen, das Herz, Gemüth, und die andern edlern und unedlern Gefühle. Dieser Gegensatz ist nicht bloß ein gemachter Gegensatz, eine philosophische Ansicht, sondern er tritt wirklich im Menschen hervor. Der Mensch | ist dies Amphibion, das zweien Welten angehört, einer geistigen, und einer sinnlichen; einerseits ist er ein freies Wesen, andrerseits der Natur unterworfen; der Mensch findet sich hin und hergeworfen zwischen diesen 2 Welten. Bei diesem Gegensatze kann nun die Vernunft, der Gedanke nicht stehen bleiben, sondern er muß nach der Einheit streben. Einerseits muß er an die Wahrheit dieses Gegensatzes glauben, andrerseits muß er aber auch sehen, daß diese beiden Gegensätze nicht selbstständig für sich seyn können; daher strebt er nach Vereinigung derselben, und dies ist das Ziel der Philosophie, der Wendepunkt in der jetzigen Philosophie. Jetzt kürzlich einige geschichtliche Anmerkungen über diesen Wendepunkt. Es ist also bekanntlich die Kantische Philosophie, welche die Vernunft so einseitig in dieser subjectiven Gestalt gestellt hat, und ihr gegenüber die Natur in der objectiven Gestalt. Die Kantische Philosophie hat aber zugleich das Wahre über diesen Gegensatz in der Form von Postulaten aufgestellt, d. h. als etwas, das seyn soll, aber so, als ob diese Idee nicht selbst die Wirklichkeit sey. Sie hat gesagt, daß diese Idee nur eine subjective Maxime für die reflectirende Intel ligenz sey, sie soll nicht das Wahre selbst seyn, sondern nur das Seynsollende; daher können wir ihr keine Substanzialität zuschreiben. Kant hat diese Beziehung des Besondern, der Natur, auf das Allgemeine, die Idee, als die Regel für das Schöne angegeben; er sagt aber nicht, daß es das Schöne selbst sey. So stellt also Kant das Kunstschöne vor, als gemacht nach einer solchen Maxime, daß das Besondere der allgemeinen Regel entspräche. Das Schöne fordert nach ihm aber eine solche Maxime, daß das Besondre von innen heraus, selbst gefalle. Kant hat also den abstracten Begriff, ihn aber nicht als wirklich existirend angenommen. Gegen die in der Kantischen Philosophie festgesetzte Ansicht von der Kunst ist es vornehmlich, daß der Kunstsinn eines tiefern, philosophischen Geistes, Schillers, die Schranke durchbrochen hat. Schiller hat nicht bloß in der Philoso14 die] der

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phie fortgearbeitet, ohne sich zugleich um die Philosophie zu bekümmern. Er hat das Interesse des Kunstschönen mit philosophischen Prinzipien verglichen, und ist so tiefer in die Natur des Schönen eingedrungen. Wenn man eine Reihe seiner Kunstproductionen betrachtet, so sieht man ihnen an, daß darin eine Absichtlichkeit auf das Interesse des philosophischen Begriffs herrscht. Darüber hat man ihm einen Vorwurf gemacht, und hat ihm die ungetrübte, sich um das philosophische Interesse nicht bekümmernde Kunst Goethes entgegengesetzt. Aber auch Goethe ist | nicht bei der Unbefangenheit der Kunst stehen geblieben, sondern auch ihn hat die Wissenschaft fortgerissen. So wie Schiller tiefer in die Philosophie der Kunst eingedrungen ist, eben so hat Goethe sich mehr an der Betrachtung des Äußerlichen der Philosophie, der Natur, gehalten. Schiller hat die Verstandesbetrachtung der Idee und des Willens angegriffen, und sich mehr auf die Totalität gelegt. Mehrere Spuren davon sieht man in seinen Werken aus früherer Zeit; so z. B. hat er besonders viel Gedichte an die Frauen geschrieben, weil sich in ihnen am meisten diese schöne Vereinigung des Natürlichen und Geistigen findet. Schon früher, als Schiller auftrat, hatte die Anschauung der alten Werke der Kunst Winkelmannen so begeistert, daß er sie dem Gesichtspunkte gemeiner Zwecke, (Belehrung, Ausbildung des Geschmacks u. s. w.) ganz entrückte, und gleichsam einen neuen Sinn für die Kunst erweckte. Dazu ist noch hinzuzufügen, was Friedrich, und August Wilhelm Schlegel geleistet haben. Sie haben, vereint mit Schelling, zur Wiedererweckung der Betrachtung der Kunst beigetragen, und haben mit der Kühnheit, Neuerungen zu machen, wirklich eine neue Beurtheilung hervorgebracht, nach einem Maaßstabe, den man früher nicht kannte. Jedoch haben sie bei Beurtheilung der Kunst nicht immer den rechten Weg eingeschlagen. Diese erwähnten Anfänge sind es also, wovon alle neuern Ansichten über die Kunst hervorgegangen sind, woraus aber auch oft das widersinnigste Gewäsche entstanden ist. Jetzt wollen wir zu dem Nähern, zum Begriffe der Kunst selbst, übergehen. Beg r if f der Kunst.

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Um diesen anzugeben, haben wir schon die verschiedenen Gesichtspunkte gesehen, welche die Reflexion an dem Kunstwerke auffindet, und welche wir weiter als Momente der Grundidee immer wiederfinden werden. diese Gesichtspunkte sind wiederholt kürzlich folgende: daß das Kunstwerk erstlich von Menschen hervorgebracht, und eine aus der Natur genommene Gestaltung sey. dann werden wir sehen, daß diese Gestaltung nicht bloß eine Nachbildung der

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Natur seyn darf, daß dies nicht ihr einziger Zweck ist, sondern, daß sie als solche Gestaltung, zufällig ist. Man fordert sogar, daß die Einbildungskraft sich über die Natur erheben soll, besonders bei Darstellung der göttlichen Wesenheit. | Es wird also gefordert, daß die Gestalt eine Naturgestalt sey, nicht bloß für das Denken, sondern auch für die äußere Anschauung. 2tens wird gefordert, daß ein solches Vorgestelltes auch den Zwek habe, unser Inneres anzusprechen; das Kunstwerk darf aber nicht bloß vorübergehenden Eindruck machen; es ist eine Frage, Anrede, Echo für unser Gemüth. Das 3te Moment ist das, wodurch uns die Idee aufgeschlossen wird. Wa s i s t d e r w a h r h a f t e E n d z w e c k d e r K u n s t , u n d w i e ve r h ä l t sie sich d a zu ? Enthä lt d ie Kunst ih n in sich selbst, ode r steht s i e i n e i n e m Ve r h ä l t n i ß z u i h m ? – Was die erste Frage betrifft, so ist es eben so, als wenn wir fragen wollten: was ist das Wahre? Denn der Zweck ist das Wahre selbst; daß das Schöne mit dem Wahren im innern Zusammenhange ist, muß vorläufig gesagt werden; dies ist aber nur ein oberflächlicher Ausdruck, denn wir werden sehen, daß das Schöne das Wahre ist. Wenn wir fragen, was ist das Wahre? so können wir freilich nicht die Antwort in ihrem ganzen Umfange behandeln, da dazu eine genaue zusammenhängende Kenntniß einer andern philosophischen Wissenschaft gehört; denn jede philosophische Wissenschaft hat eine andere zu ihrer Voraussetzung. Zuerst von den Bestimmungen des Wahren, wie sie in unserer Vorstellung sind. Es muß vorausbemerkt werden, daß das Wahre in der Philosophie als Concretes, als absolute Einheit unterschiedner Bestimmungen angesehen wird. Wenn wir sehen, was wir im gemeinen Leben unter Wahrheit verstehen, so werden wir einerseits D a s e y n , andrerseits Vo r s t e l l u n g darunter verstehen. Bei dieser Bestimmung des Wahren ist es gleichgültig, wie der Inhalt beschaffen ist, wenn er nur mit meiner Vorstellung übereinstimmt. Solchen formellen Begriff der Wahrheit hat man freilich in der Philosophie nicht. Obgleich Vorstellung und Daseyn nicht homogene Begriffe sind, so muß man doch zugeben, daß sie Einen Inhalt haben können; wenn also das Daseyn mit der Vorstellung Einen Inhalt hat, so ist die Vorstellung wahr. Die Philosophie hat es mit dem Inhalte selbst zu thun. Sie fragt: Was ist an und für sich wahr? Sie fragt nicht: Ist die Vorstellung wahr? Das Wahre ist die Einheit des Begriffs und der Realität; die Realität ist dem Begriffe so untergeordnet, daß sie nur die Darstellung des Begriffs ist; sie verhält sich zum Begriffe so, wie sich der Leib zur Seele verhält. Es kann nun eine Menge Dinge geben, die im vulgären Sinne wahr, im philosophischen Sinne aber unwahr sind. So 18 zusammenhängende] zusammendehängende

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z. B. ist ein schlechtes Haus im ersten Sinne wahr; es i s t ein schlechtes Haus; hier kommt es nicht darauf an, ob der Inhalt der Vorstellung ein wahrer oder falscher ist. | Im philosophischen Sinne ist aber ein schlechtes Haus ein unwahres Haus; denn es entspricht nicht dem Begriffe, Zwecke eines Hauses. Das Wahre ist in diesem Sinne selbst noch formell; denn die Realität soll dem Begriffe adaequat seyn; man fragt aber nach dem Inhalte des Begriffs, also ist der Begriff selbst noch Form. In Ansehung des weitern Inhalts des Begriffs könnte ich abbrechen, und sagen, daß der höchste Inhalt das Höchste, Ewige, Göttliche sey. Dieser Ausdruck ist aber unbestimmt, wir appeliren so an das Gefühl, als an ein Bewußtseyn dessen, was das Göttliche sey. Daher müssen wir uns weiter darüber erklären. Das philosophische Wahre ist die Einheit des Begriffs und der Realität. Nun kann man sich vorstellen, es gäbe viele solche Einheiten, die aus der Uebereinstimmung zweier Vorstellungen entstünden. Man muß aber bemerken, daß Begriff und Realität allgemeine Vorstellungen sind, auf die sich alle mögliche denkbare Bestimmungen reduziren lassen. Das Wahre enthält also die allumfassende Idee, oder die Definition des Göttlichen. Das Wahre ist aber das Göttliche selbst. Alle Ungöttlichkeit, Zeitlichkeit, und Weltlichkeit fängt damit an, daß diese beiden, Begriff und Realität, nicht in Uebereinstimmung sind. So also enthält das Göttliche selbst das Prinzip der Endlichkeit, die es aber wieder durch Setzen der Unterschiede zur Einheit zurückführt. Diese aus der Göttlichkeit entspringende Endlichkeit ist die Schranke der Göttlichkeit selbst. So ist die Seele deßhalb eingehüllter, weniger frei, weil der Leib, die Realität, nicht so entwickelt ist. Dieses mit sich vollkommen Zusammenstimmende ist das, was sich selbst denkt; denn der Begriff, das Subjective, hat sich selbst zum Gegenstande, macht sich selbst objectiv; seine Realität ist das Denken, der Begriff selbst. Dieses ist also die höchste Idee, welche schon der große Aristoteles aussprach, und welche wieder zu erwecken, das Streben der modernen Zeit war. dieser Begriff ist auch der Begriff der h ö c h s t e n F r e i h e i t ; denn Unfreiheit ist da, wo ich mich zu einem Andern verhalte, mit einem Fremden in Beziehung bin. Der Begriff verhält sich aber zu sich selbst, er setzt | sich als seinen Gegenstand, nicht ein Fremdes; also ist die größte Freiheit da. Das Denken ist auch die größte Allgemeinheit; denn es umfaßt alles, jeder Gegenstand erscheint ihm als ein von ihm Gesetztes, als seine eigene Besonderheit; es ist zugleich auch der höchste Genuß, sich selbst zu wissen. Das Denken hat sich selbst zum Gegenstande, denn wenn es einen Gegenstand denkt, so ist dieser ein Gedachtes; so hat also das Denken sich selbst zum Gegenstande, ist bei sich, nicht bei einem Andern. Damit das Denken sich zum Gegenstande habe, eben deßhalb muß es Gegenstand seyn, es darf nicht bei der Einheit bleiben, es muß seine Unterschie-

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de setzen, um dadurch wieder zur Einheit zurückzukehren. Wenn wir diese Unterschiede setzen, so sind wir auf dem Standpunkte der Endlichkeit, wir sind nicht in der Totalität. Das Wahre muß seine Unterschiede setzen zu seiner Darstellung, zu der Darstellung seines Begriffs. Die Darstellung, Offenbarung des Wahren ist aber das S c h ö n e . Es ist das Interesse des Geistes, das Wahre nicht bloß zu fühlen, eine Vorstellung davon zu haben, es zu denken. Das Wahre ist die Substanz des Geistes; es zu wissen, ist das Verhalten zu seiner Substanz; dies ist seine größte Einheit mit sich, seine Befriedigung. Wenn im Leben das Gefühl der Einheit zwischen Begriff und Realität da ist, so ist Befriedigung da; ist noch das Gefühl der Trennung, so ist Unbefriedigung, Schmerz vorhanden. Wir fühlen ein Sollen, Treiben, eine Bestimmung in uns, diese Einheit hervorzubringen; dieser Trieb in uns ist aber nur subjectiv; dies ist ein Mangel; diesem Mangel wollen wir abhelfen, wir wollen diesen Trieb objectiv machen, ihm Realität geben; haben wir dies erreicht, so geht daraus Befriedigung hervor. Der Geist w i l l befriedigt seyn, oder i s t befriedigt. Es ist aber ein anderes, befriedigt zu seyn, und ein andres, diese Befriedigung zu wissen. Bei der Befriedigung haben wir nur einen endlichen Zweck, ein Wollen; wir haben diesem subjectiven Streben in uns, Objectivität gegeben. Bei dem Wissen der Befriedigung findet | aber schon eine Beziehung meiner Subjectivität auf diese erreichte Objectivität statt. Das Wahre hat erstlich ein e n d l i c h e s Daseyn, und 2tens ein u n e n d l i c h e s . Daß das Wahre, die Idee, nur endlich ist, kann so ausgedrückt werden: der Begriff ist auf der einen, die Realität auf der andern Seite. Nun fragt sich, ob die Realität dem Begriffe, mit dem sie, wenn absolute Wahrheit vorhanden seyn soll, immer übereinstimmen muß, auch in ihrer Existenz wirklich adaequat ist, ob sie wirklich der Ausdruck des Begriffs ist. Wenn dies nicht der Fall ist, so ist die endliche Existenz des Wahren da. Die unendliche Existenz des Wahren findet statt, wenn die Realität wirklich in den Begriff eingebildet ist, wenn sie wirklich in sich den Begriff zeigt. Die Idee in ihrer Endlichkeit hat wieder 2 Seiten: die N a t u r und den e n d l i c h e n G e i s t . – Wir sagen: Natur und endlicher Geist sind an sich die Vernunft, aber nicht in ihrem Daseyn. Das Daseyn der Natur ist nur ein Aggregat, ein unordentlicher Haufen von endlichen Dingen. Ihr Daseyn ist kein vermitteltes, sondern ein unmittelbares, das sich in der Mannichfaltigkeit, in der regellosen Ordnung, die in der Natur herrscht, äußert. Daß dieses unmittelbare Daseyn der Natur nur die Oberfläche, Rinde ist, unter der die Idee verborgen liegt, daß hier

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die Natur mit der Idee noch in der unvermittelten Einheit ist, dieses kann man nur durch das Denken faßen; das Denken arbeitet sich aus dieser Rinde hervor, durch das Denken muß erst die Natur reconstruirt werden, damit aus ihr die Idee hervorgehe. Die andre Weise der Idee in ihrer Endlichkeit ist die Weise des e n d l i c h e n G e i s t e s . Für unsre unmittelbare Vorstellung scheint uns diese Weise noch verwirr ter, als die Natur zu seyn. Denn hier sehen wir eine unendliche Menge von Zwecken, Zufälligkeiten, Erscheinungen, die gleichzeitig und aufeinanderfolgend, sich durchkreuzen und widersprechen. Hier sehen wir, daß der Begriff in seiner | äußerlichen Erscheinung noch unangemessner der Idee ist, als es bei der Natur der Fall war. Auch hier ist es erst der Gedanke, der die Einheit des Begriffs und der Realität herstellt; auch hier sieht man, daß die ganze Existenz des endlichen Geistes eine Offenbarung der Idee ist. Diese Erkenntniß ist aber nicht die gewöhnliche, man gelangt zu ihr nicht auf dem gewöhnlichen Wege hin, sondern sie wird erst vermittelt durch den Kampf mit unsrer gewöhnlichen Art des Denkens. Die Natur und der endliche Geist sind also auch was Göttliches, haben aber nicht die Form des Göttlichen, sondern werden noch von der Endlichkeit beschränkt. Ueber diese Schranken der Endlichkeit erhebt sich nun der Geist zu dem Göttlichen, zu der absoluten Harmonie. die Religion spricht wohl vom Gefühl, als dem wahren Mittel zur Erkenntniß des Göttlichen; Gefühl ist aber gerade dies Treiben in uns, ist also die Quelle des Denkens. Wenn wir uns also im Leben, im Endlichen befinden, so macht dies die Prosa des Lebens aus; denn wir verhalten uns hier zu endlichen Dingen. Wir verhalten uns auch zu der unendlichen Substanz, aber wie zu einem Äußerlichen, einem Fremden, einem uns Gegenüberstehenden; dies Äußerliche ist aber zugleich die Bestimmung der Endlichkeit. Diese Äußerlichkeit aufzuheben, ist das Streben des Geistes. Der Zwek des Geistes in der ersten Rücksicht ist überhaupt, sich zu befriedigen. der höhere Zwek ist nicht nur Befriedigung, sondern auch die Befriedigung zu wissen, und darin wieder Befriedigung zu finden. Da also das Göttliche, die Har monie, das letzte, höchste ist, so ist das Wissen dieser Harmonie die höchste und letzte Befriedigung des Geistes. Das Göttliche ist aber selbst das Wesen des Geists; also strebt er, sich selbst zum Gegenstande zu haben. – Hiermit ist also die abstracte Bestimmung der höhern Sphäre des Schönen angegeben. diese Sphäre besteht aus 3 Gestalten, welche zusammen zur Erreichung der Erkenntniß des Wahren hinarbeiten. Diese 3 sind: K u n s t , R e l i g i o n , und P h i l o s o p h i e . | Wir haben eben den gemeinsamen Standpunkt dieser 3 Gestaltungen angegeben, nun ist noch ihr Unterschied und ihr Verhältniß gegen einander zu erläutern. Der kurz bestimmte Unterschied ist folgender: Die K u n s t bringt das

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Göttliche, Wahre, zur Darstellung, entweder für die sinnliche Anschauung, oder für die Vorstellung, also in jedem Falle für die unmittelbare Vorstellung. Die R e l i g i o n macht dann die subjective Seite gegen die Kunst aus; ihr Zweck ist nicht bloß, das Göttliche zum Gegenstande zu machen, zu kennen, sondern daß das Gefühl das Göttliche empfinde, in sich wiße, und erkenne, daß sein Wesen selbst das Göttliche ist. Die Religion belehrt uns, wie die Kunst; sie belehrt uns aber nicht in Bildern, sondern in gedachten Vorstellungen, Gedanken. So wie ein Mensch mit der Religion bekannt seyn kann, ohne doch religiös zu seyn, der Inhalt der Religion ist ihm nicht eigenthümlich, sondern er nimmt ihn als einen fremden, eben so stellt auch die Kunst das Göttliche so ganz äußerlich dar, uns objectiv gegenüberstehend, der Zweck der Religion ist, dem Individuum die Ueberzeugung zu geben, daß Gott in ihm wohne, ihn von seiner Einheit mit Gott zu überzeugen. Die Art und Weise nun, den Geist von seiner Endlichkeit loszureißen, ihn zu drängen, daß er die endlichen Zwecke gegen die unendlichen vertausche, ist die Sache der Religion. Die Kunst bedarf aber auch der Religion; die äußerliche Weise der Kunst ist erst beseelt, belebt durch das Gemüth, worauf sie wirkt, sie hat ihre Lebendigkeit im Geiste, in dem sie anschauenden, wissenden Gemüthe und Geiste. diese Seite ist also die r e l i g i ö s e S e i t e an der Kunst, die Beziehung, in der sie mit der Religion steht. Es ist die Religion, die zur Kunst nöthig ist; umgekehrt braucht aber die Religion nicht diese äußerliche Darstellung. Denn die Religion, besonders die christliche, und hier wieder vorzüglich die protestantische, ist eine Religion für das Innere, den Geist. In unsrer Zeit braucht also die Religion nicht so sehr die Kunst, als früher, wo die Menschen mehr dieses äußerliche, objective Darstellen zum Bewußtwerden des Göttlichen brauchten. – Das 3te Moment zu der Kunst ist nun noch die P h i l o s o p h i e . Sie hat denselben Inhalt, dieselbe Bestimmung, nämlich das Wahre zu wissen; sie reinigt aber die beiden Formen, in denen die Darstellung des Wahren ist, die Kunst und die Religion. Sie macht das Wahre zum Gegenstande, gebiehrt es aus uns heraus, da es in uns ist. Die Kunst macht es auch zum Gegenstande, giebt ihm eine objective Gestalt, die aber zugleich | äußerlich ist; die Philosophie macht es nicht bloß zum Gegenstande, sondern macht es, so wie die Religion, uns zu einem Subjectiven. Da das Element in der Philosophie das Denken ist, so ist der Gegenstand ein Gedachtes; dies Element, Denken, Gedachtseyn, ist das Ich selbst, welches einerseits subjectiv, andrerseits objectiv ist. denn wenn ich den Gegenstand bloß empfinde, mir dessen nicht deutlich bewußt bin, ihn nicht erkenne, so ist der Gegenstand mir subjectiv; spreche ich aber die Empfindung als sie wißend aus, mache sie mir zum Gegenstande, erkenne sie, so ist der Gegenstand objectiv. Die Empfindung ist also wesentlich die Subjectivität; das Den-

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ken macht sich dagegen zum Gegenstande, das aber als Denken zugleich subjectiv ist. Die Philosophie vereinigt die beiden Formen der Kunst und Religion, nimmt ihnen aber ihre Einseitigkeit. In der Kunst ist die Weise der Äußerlichkeit, weil diese aber die Idee des Göttlichen nicht festhalten kann, so zerfällt diese in dieser Äußerlichkeit. Dieser Mangel ist im Denken aufgehoben. Eben so fällt bei dem Denken auch der Mangel weg, der durch die Subjectivität in der Religion sich findet. Denn die Subjectivität hüllt die Bestimmtheit ein, hemmt die Entwickelung, concentrirt zu sehr die Bestimmungen, die in der Äußerlichkeit der Kunst wieder zu sehr ausfloßen. Die Subjectivität im Denken ist aber das reine Ich, entkleidet von diesem einhüllenden Concentriren. Die Subjectivität im Denken ist zwar auch ein Concentriren, aber weil es das reine Concentriren ist, so ist es die allgemeine Subjectivität, der Raum für die Entwickelung der Idee. Das Denken, die Philosophie, reinigt also die beiden Formen der Kunst und der Religion, das Objective und Subjective. Das Verhältniß des Begriffs, und der Darstellung desselben, und die Wichtigkeit dieser Darstellung ist näher zu betrachten. Die Kunst stellt also den absoluten Begriff der sinnlichen Anschauung durch ein sinnliches Material dar; zu dieser Darstellung des Begriffs braucht sie Naturgestalten; dieser Gebrauch ist aber entfernt von der Nachahmung der Natur; wenn dies der Fall wäre, so wäre auch der Zweck, diese Naturgestalten in allen ihren Formen nachzubilden. Wir sehen aber schon geschichtlich, daß dies anfangs gar nicht der Zweck der Kunst gewesen ist[.] | Man könnte dies dem Mangel der Kunst zuschreiben; bei ihrer übrigen Ausbildung sieht man aber, daß dies nicht der Fall gewesen ist. So z. B. machen die Indier eine Gestalt mit 6 Armen; daraus sieht man, daß es nur an ihrem Willen gelegen hat, nicht 2 Arme zu machen. Eine solche oben erwähnte Nachahmung der Natur ist nicht bei einem Volke zu suchen, wie die Indier es sind, sondern sie ist der letzte Ausgangspunkt der Kunst; dies sehen wir in der neuesten Kunst, in der niederländischen Schule, bei der das natürliche Treffen der Blumen, Gesichte u. s. w. das Hauptmoment ausmacht. So sehen wir also, daß anfangs in der Kunst der Zweck gewesen ist, das Göttliche darzustellen, nicht die Natur nachzuahmen, Unter diesem Zweck müssen wir verstehen den Trieb, den Drang, sich selbst darzustellen, das, wovon das Innere erfüllt ist, zu objectiviren. Daher müssen wir den Gedanken ganz entfernen, als ob der Begriff, Inhalt des Kunstwerks schon gedacht gewesen sey, als ob er schon auf eine prosaische Weise existirt habe. Dieser Inhalt ist ein Inneres gewesen, und es ist vielmehr ein Drängen, ein Treiben gewesen, diesen Inhalt darzustellen, uns zu Bewußtseyn zu bringen. Wir wissen nur etwas, in so fern es uns Gegenstand ist; die Kunst hat also den Zweck, den noch nicht gewußten Begriff zum Bewußtseyn zu bringen. Das Subject ist noch mit dem Begriffe, der objectivirt werden

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soll, verbunden, ist nicht frei; wenn dieser Stoff nun, der in ihm schwillt, in ihm eine Ahnung ist, eine Sehnsucht, zum Bewußtseyn gebracht wird, so ist dis ein Befreien des Subjects. Frei bin ich, wenn ich Ich für mich bin, wenn aller Inhalt abstrahirt ist. die concrete Freiheit ist, wenn alle Bestimmungen, Unterschiede entwickelt sind, aber das reine Selbstbewußtseyn immer die Grundlage bleibt. Wenn aber diese Ahnungen, dieses Treiben noch in mir ist, so bin ich noch nicht frei; denn ich bin noch erfüllt mit diesem Inhalte, ich bin gebunden, gefesselt an den Inhalt. der in sich gährende, ahnende, fühlende Geist ist noch in der Weise eines Naturwesens, in der Weise des sich noch nicht wissenden Geistes; diese Befreiung ist die Sache der Kunst. Wenn ich mir des Gegenstandes bewußt bin, so kenne ich ihn, ich habe ihn vor mir entfaltet. In dem noch unklaren Geiste schweift er noch herum, es sind bloße | Ahnungen, Gefühle da, keine Gestalt kommt zur Bestimmtheit; es sind Gespenster, die durch mich durchziehen. dadurch, daß dieser Inhalt zu seiner Bestimmtheit kommt, objectiv wird, dadurch geschieht es, daß mein Begriff überhaupt bestimmt, meine Erkenntniß eine bestimmte wird. Im Anfange wird diese Objectivirung dürftiger ausfallen, und eben darum wird das Gebilde abstracter seyn, das mir zum Bewußtseyn gebracht wird; es wird nur unvollkommen dem entsprechen, was mir im Gemüthe ist. Je höher die Kunst steht, desto mehr wird das, was mir im Gemüthe ist, zur Darstellung, Erkenntniß gebracht. die Kunst enthüllt dem Menschen das Göttliche; je weiter die Kunst gekommen ist, desto entwickelter und vollkommner wird die Erkenntniß dieses Göttlichen seyn. dadurch kommt es also, daß die großen Dichter eines Volks die Lehrer desselben geworden sind. So sagt Herodot, daß Homer und Hesiod den Griechen ihre Götter gegeben haben. Sie haben die unklaren Vorstellungen des Volks zu bestimmterem Bewußtseyn gebracht, und eben dadurch den Begriff selbst bestimmt. Sie konnten auf der Stufe, auf welcher die Philosophie damals stand, die Entwickelung des Begriffs nicht so ganz rein, ohne äußerliche Form, wie er im Christenthum und der jetzigen Philosophie da steht, geben; jedoch haben sie die dunklen Ahnungen, Gefühle über dieses Göttliche in eine bestimmte Form gebracht; und so kann man mit Recht sagen, daß sie den Griechen ihre Götter gegeben haben. Man hat ihnen vorgeworfen, daß sie der anfänglichen reinen, abstracten Idee durch diese Formen geschadet haben; es hat aber damals keine solche abstracte Idee existirt, sondern nur zerstreute, unordentliche Vorstellungen. Durch die größre Bestimmtheit des Begriffs also, welche die Kunst hervorgebracht hat, hat sie den Gedanken die größere Wa h r h e i t gegeben. Es ist früher die Idee gewesen, die auch jetzt noch existirt, daß Gott das absolute Wesen sey, dem man gar keine Bestimmungen beilegen könne; er wäre das rein Geistige, das gar nicht zu erfassen sey. Dadurch wäre aber die Unbestimmtheit des Begriffs festgesetzt; der Be-

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griff erhält aber dadurch Bestimmtheit, daß die Kunst ihn zur Darstellung zu bringen sucht. Wäre obige Vorstellung von Gott wahr, so wäre die Wahrheit, die Kunst selbst, etwas Ungehöriges, die Gottheit Herabsetzendes. Unser Verhältniß zur Kunst hat freilich nicht mehr den hohen Ernst und Bedeutung, den | es früher gehabt hat. Sehr geachtet war die Kunst zu jener Zeit, wo die Göttlichkeit noch nicht den reinen Gedanken zum Elemente hatte, wo also der Boden des Räsonnements noch nicht so gereinigt war. Wir sind durch unsere Bildung bestimmt, uns mehr in einer intellectuellen, als in einer sinnlich anschauenden Welt zu bewegen; Bei einem Volke, wo das Allgemeine noch nicht in seine Besonderheiten zerfallen ist, wo der Geist sich noch nicht so entwickelt hat, da ist die Darstellung der Idee durch solche Formen mehr wesentlich, mehr nothwendig, als bei uns, wo der Geist das Allgemeine, die Gattung, erst durch Setzen der Besonderheiten hervorgehen lassen muß. Wir sind gewohnt, nach allgemeinen Begriffen, Grundsätzen zu denken und zu handeln; zu jener Zeit ist diese Weise nicht so concret, sondern abstracter, individualisirter, also sinnlicher gewesen. Jetzt gehen wir über zu der

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Ich habe gesagt: Es kommt in der Kunst darauf an, daß der Begriff und die Darstellung sich entsprechen, daß der Begriff seine vollkommenste Form habe. dadurch, daß diese Darstellung, Form, Realität, bestimmter wird, wird sie dem Begriffe angemessner; und umgekehrt, kommt der Begriff dadurch immer mehr zu seiner Objectivität. In diese Einheit, Uebereinstimmung von Begriff und Realität fällt die Eintheilung der Kunst. Der E i n t h e i l u n g s g r u n d kann kein andrer seyn, als das F o r t s c h r e i t e n d e s B e g r i f f s i n s e i n e r g e g e n s t ä n d l i c h e n D a r s t e l l u n g . die verschiedenen Arten der Kunst haben 2 Seiten, wonach sie betrachtet werden; die eine Seite ist diese Einheit selbst von Begriff und Realität; die 2te Seite ist die Bestimmtheit der Art für sich. diese Bestimmtheit ist die Äußerlichkeit, oder dasjenige, was wir das Material, den Stoff nennen, in dem sich die Idee des Künstlers ausdrückt. Wir haben also 2 Eintheilungen: den Begriff in seiner Totalität, und den Begriff in seiner Bestimmtheit. Wir werden also einen a l l g e m e i n e n und b e s o n d e r n T h e i l machen. Der 1ste Theil | wird den B e g r i f f der K u n s t und des S c h ö n e n in sich fassen; dann die verschiedenen Arten der Kunst: die s y m b o l i s c h e (orientalische), k l a s s i s c h e , und r o m a n t i s c h e (moderne) Kunst. Der 2te Theil enthält die A r c h i t e c t u r, S c u l p t u r, M a l e r e i und M u s i k , und zuletzt die Po ë s i e . – Im weitern Ver-

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folge der Wissenschaft werden diese Theile weitläuftiger behandelt werden; für jetzt nur einige kurze Andeutungen darüber. Wir haben einen allgemeinen und besondern Theil der Kunst, wie wir gesehen haben. der allgemeine wird das Schöne für sich betrachten, und die Unterschiede, als Formen des Schönen; diese sind aber nichts andres, als Weisen des Verhältnißes von Begriff und Realität. dieser Verhältniße giebt es 3; das erste ist: I . D i e s y m b o l i s c h e K u n s t . Ihre Grundlage, so wie die aller Religion und Philosophie, ist die substanzielle Identität, absolute Gediegenheit des Seyns in sich, das absolut Wahre, das sich noch Unbestimmte, Unklare, das sich noch nicht weiß. dieses Eine, das sich noch nicht weiß, ist zunächst ein Suchen nach seiner Bestimmtheit, das Suchen der Kunst. Dies ist also die erste Stufe der Kunst, es ist das S t r e b e n n a c h G e s t a l t u n g . Es hat den Reichthum der ganzen entwickelten Welt in seiner Anschauung vor sich, es hat den Stoff; sein Suchen ist, diesen Stoff dem Begriffe anzupassen. dieser Stoff ist aber noch nicht angemessen dem Göttlichen, Unendlichen; daher ist sein Suchen nur ein Streben, den Stoff an dieses Unendliche anzupassen. Einerseits paßt es also diese Gestaltungen an, andrerseits taumelt es aber herum, geht von einer Form zur andern über, erhebt die Form bis zur Idee, und erniedrigt die Idee bis zur Form. Daher ist in dieser Stufe die E r h a b e n h e i t , nicht die Schönheit. Die Erhabenheit besteht darin, daß die Gebilde der Äußerlichkeit über ihr Maaß herausgetrieben werden. So erscheint also einerseits die natürliche Gestaltung, aber über ihr Maaß hinausgetrieben, andrerseits die Unangemessenheit dieser Gebilde zu dem, was sie ausdrücken sollen; sie zeigen ihre Unangemessenheit auf diese negative Weise; daher taumelt der suchende | Geist von einer Form zur andern, faßt eine auf, und läßt sie wieder liegen, treibt sich überhaupt in einer Mannichfaltigkeit herum; findet aber keine Form, anpassend dem Begriffe. Dies ist der Character der Erhabenheit, die dieser Stufe zukommt, in der sich auch das B i z a r r e , Gestaltlose, findet. Diese Stufe hat man die symbolische Kunst genannt. Denn bei einem Symbole ist der Zusammenhang des Ausgedrücktseynsollenden und des Ausgedrückten zwar vorhanden, aber nicht vollkommen; das Ausgedrückte enthält zwar die Bestimmungen, die es zu dem machen, was es seyn soll; es treten aber noch andre Bestimmungen, äußerliche gleichgültige Formen zu dem Ausgedrückten hinzu. So z. B. hat der Löwe viele Bestimmungen, die ihn zum Symbol der Kraft etc machen; es treten aber noch viele andre Bestimmungen hinzu, die er als Thier besitzt, die also nicht zulassen, daß er als wahrer Ausdruk der Kraft gelten soll, sondern ihn zu einem Symbole herabset-

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zen. Zur wahrhaften Einheit des Begriffs und der Realität gehört, daß die Realität nichts ist, als was sie seyn soll. I I . D i e k l a s s i s c h e , ( v o l l k o m m e n e ) K u n s t . Hier ist die Darstellung nichts, als was sie seyn soll, die völlige Information des Begriffs in die Realität, und der Realität in den Begriff, also das sinnliche Ideal. Ich habe schon gesagt, daß der reine Begriff nicht ein Begriff von etwas sey, daß bei diesem Begriffe nicht nach dem Inhalte des Begriffs gefragt werden darf; sondern daß er die Seele, der Inhalt selbst sey, der für sich seyende Begriff. Es ist ferner zu zeigen, daß für diesen selbstbewußten Begriff nur Eine Realität die wahrhafte sey, und daß diese die der Seele adaequate Bildung sey, d. h. der menschliche Körper. Es ist in der Naturphilosophie zu zeigen, daß der Körper der Begriff selbst in seiner Erscheinung sey, daß die Körper nur die Darstellung der Unterschiede des Begriffs seyen. Nun ist allerdings die ganze Natur eine Darstellung des Begriffs; in der unorganischen Natur sind aber die Momente des Begriffs auseinandergeworfen; sie machen zwar ein System aus, aber kein Individuum, das Eins der Subjectivität fehlt ihnen. Nur der lebendige Körper ist daher die wahrhafte Darstellung des Begriffs. Der Baum z. B. ist auch ein Ganzes, aber er hat nur den Schein eines Individuums; denn jeder Theil des Baums kann gleichsam selbst als ein Individuum betrachtet werden; der Begriff der Subjectivität des Ganzen äußert sich nicht in den einzelnen Theilen, sondern jedes Blatt, jeder Zweig etc kann für sich als ein Ganzes gelten. Bei den | lebendigen thierischen Körpern sind aber die einzelnen Theile durchdrungen von dem Ganzen, die Theile sind nicht Aggregate, wie in der unorganischen Natur, sondern das Belebende des Ganzen äußert sich in jedem Gliede, und hört auf, wenn das Glied getrennt vom Ganzen gesetzt wird; die einzelnen Theile sind nur etwas in Beziehung auf das Ganze. doch diesen Satz haben wir nur lemmatisch aus der Naturphilosophie aufzunehmen. dieses völlige Adäquatseyn des Begriffs und der Realität ist also die klassische Kunst. I I I . D i e r o m a n t i s c h e ( m o d e r n e ) K u n s t . Sie ist das Hinausgehen über diese absolute Harmonie, also das Auf heben der Einheit von Begriff und Realität, das Wiedererwecken des Gegensatzes, der Unangemessenheit, die aber einen andern Werth hat, als die Unangemessenheit in der symbolischen Kunst. Die klassische Kunst ist zwar die vollkommne, an ihr ist nichts Unvollkommnes; aber die ganze Sphäre der klassischen Kunst ist eine beschränkte. diese Beschränkung liegt darin, daß der unendliche Begriff in der sinnlichen endlichen Form dargestellt wird. Ich habe gesagt, daß der wahre Boden des Begriffs der Begriff selbst ist, der Gedanke, der sich selbst denkt. Der griechische Gott ist für die sinnliche Vorstellung Anschauung, der Begriff ist da in sinnlicher menschlicher Gestalt. Was hier dargestellt wird, ist nicht die Einheit der göttlichen und

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menschlichen Natur. Den Uebergang zu der romantischen Kunst macht nun das Christenthum; es ist von der sinnlichen Darstellung des Göttlichen zurückgekommen, es verehrt Gott im Geiste und in der Wahrheit. Es hat aber Gott nicht aufgestellt als das Abstracte, Inhaltlose, von dem keine Bestimmungen gegeben werden können; der Begriff ist in sich selbst bestimmt. Die christliche Religion ist nicht von der sinnlichen Darstellung zu der Abstraction zurückgegangen, sie hat die Bestimmtheit nicht weggelassen, sondern sie hat von der Bestimmtheit nur die sinnliche Darstellung weggenommen, hat Gott als Geist gesetzt. Der Geist ist aber nicht ein Abstractum, sondern ist lebendig, thätig, wirkend, hat Realität, und giebt sich Realität. Im Christenthum ist also ausgesprochen die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur, wir verehren Gott wesentlich in Christo. Dies ist also der Inhalt der romantischen Kunst; die Gestaltung ist hier nicht eine sinnliche, sondern der Boden des Begriffs ist hier das Gemüth, das Herz, es ist der geistige Boden. Damit hat die romantische Kunst wieder den Gegensatz gesetzt. In der romantischen Kunst ist das Bewußtseyn der 2ten Stufe, der klassischen | Kunst, vorhanden; die Einheit in der klassischen Kunst wird hervorgehoben, wird Gegenstand in der 3ten Stufe. So ist diese Stufe ein Insichgehen des Gedankens, ein Zurücktreten von der Anschauung. dieses Zurücktreten ist ein Auffassen des allgemeinen Inhalts der 2ten Stufe; dieses Auffaßen ihres allgemeinen Inhalts ist das Thun des Geistes, des Gemüths; für diese Einheit, weil sie gewußt, gefühlt, zu einer Art von Anschauung gebracht wird, ist der Boden das Gemüth, diese subjective Erscheinung. Indem auf diese Art die Subjectivität der Boden, das Material ist, worin das Kunstwerk seine Existenz hat, so ist die Einheit des Kunstwerks verdoppelt. In der classischen Kunst wird diese Einheit angeschaut, als für sich dastehend. In der romantischen Kunst wird wieder diese Einheit als Begriff gesetzt, und das Gemüth, die Subjectivität ist der Boden, worin diese Einheit erkannt wird; die Seite des Unterschieds, die äußerliche Seite ist also hier frei; sie ist aber particuläre, accidentelle Seite. So ist der Stoff, wie in der 1sten Stufe, wieder frei, aber so frei, daß er nur in Beziehung auf seinen Begriff sein Wesen, sein Daseyn hat. Er kann sich also willkührlich, fratzenhaft gestalten, in dieser Particularisation muß aber die wesentliche Beziehung auf die an und für sich seyende Idee seyn. dies sind also die 3 Arten und Weisen der Erscheinung der Wahrheit in der Kunst. die erste ist also die einfache, reine Substanz in sich, die sich noch nicht wissende Substanz, die nur den Unterschied hat an der Äußerlichkeit, welche nur ein Herumtreiben, Taumeln, Suchen nach dem Anpassen an den Begriff ist, die 2te Weise ist die Ausgleichung, Vereinigung von Begriff und Realität. Die 3te 22 Erscheinung] am Rande mit Verweiszeichen: Erkenntniß?

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Weise ist wieder dies Zerfallen der beiden Seiten, aber so, daß der Begriff vervollkommt ist, indem er seinen Boden im Gemüthe fand, und auch die Realität, das Äußerliche mehr selbstständig wird, aber immer noch in Beziehung auf den Begriff steht. diese 3 Weisen nennt man auch mit trivialem Namen d i e 3 H a u p t a r t e n d e r K u n s t . Dies sind allgemeine Formen des Ganzen, deren jede das Ganze in sich schließt. Diese Formen sind aber auch Schranken, bestimmte Formen in sich, und deßhalb nicht das Ganze. Nach ihrer bestimmten Besonderheit sind sie dann also auch als Seiten für sich zu betrachten. das Ganze ist in sich selbst unterschieden, denn es ist ein Inhalt, der sich nach vielen Seiten unterscheidet. Dieses Unterscheiden geschieht aber nach keiner andern Form, als nach denen, welche wir eben gesehen haben. Hieraus folgt also, daß es | Seiten im Ganzen gebe, deren eine dem Ganzen entsprechender ist, als die andern; und aus dieser Bestimmung ergiebt sich dann die Eintheilung derjenigen Materie, die im besondern Theile zu betrachten ist. In diesem 2ten Theile sind also jene Formen des Allgemeinen als besondere Weisen für sich. Diese haben wir schon behandelt; es ist hier nur noch zu erinnern, daß zu den 3 genannten Weisen, noch eine 4te dazu kommt, d i e a l l g e m e i n e We i s e , die hier nur besondre Weise ist, weil sie eben als allgemeine Weise, der besondern entgegensteht. die Bestimmung dieser Weise ist aber noch das Uebergreifende, also das Allgemeine in Rücksicht der Besonderheit. diese allgemeine Weise gehört unserm Geiste an; sie ist die allumfassende Weise; das Material dieses Geistigen kann also kein andres seyn, als das ganz Allgemeine, für alles Empfängliche, der To n , und als besondre Bestimmung desselben, die R e d e . Wenn ich spreche, so mache ich mich äußerlich, ich setze das, was in mir ist, in die Außenwelt; diese Äußerlichkeit verschwindet aber augenblicklich, sobald ich sie gesetzt habe. Hier ist also der Zwek, durch diese Äußerlichkeit den Begriff darzustellen; die Äußerlichkeit bleibt aber nicht selbstständig, sondern verschwindet sogleich, und kehrt ins Innere, zum Begriffe zurück. Mit dem Tone geschieht also der Uebergang in die erfüllte Subjectivität, in die R e d e (denn der Ton ist noch die abstracte Subjectivität.) dies ist die 4te Weise in der Kunst. Wenn wir also die Realität des Begriffs in ihrer sinnlichen Offenbarung betrachten, so wäre die erste Weise d i e A r c h i t e c t u r, wo das äußerliche Wesen zusammengebracht ist, ohne daß darin der Begriff immanent ist; die Architectur ist bloß das Symbol der Natur. die 2te Weise ist die S k u l p t u r, wo der Begriff durch die Materie dringt, sich in der Materie äußert. das 3te ist die M a h l e r e i , die Materie, die zum Scheinen kommt, deren abstracte Einheit sich trübt, sich in sich particularisirt. Neben ihr steht die M u s i k , ebenfalls die Kunst der Subjectivität, die sich aber zusammennimmt, in einen Punkt in sich sich zurükzieht, dagegen die Mahlerei ins Äußerliche geht. das 4te ist dann die Po ë s i e , die allgemeine Kunst, deren Material das geistige

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ist, die Rede, also das allgemeine Moment, in dem alle Besonderheit aufzufassen und darzustellen ist. In der Dichtkunst haben wir wieder Unterschiede, die den oben erwähnten entsprechen. die Rede ist wieder erstlich die allgemeine Rede, die alles umfassende, die nicht eine besondere Vorstellung ausdrückt, sondern in ihrem Elemente die objective darstellung eines Ganzen erfaßt, die e p i s c h e D i c h t k u n s t , (daher | heißt im Griechischen fou: Rede vorzugsweise); sie ist in dieser Hinsicht mit der Architectur zu vergleichen. Die 2te Seite in der Dichtkunst ist die l y r i s c h e Po e s i e , dis In sich gehen des Begriffs, Erfassen einer einzelnen Vorstellung, Empfindung. Das 3te ist die d r a m a t i s c h e K u n s t , die Darstellung der wesentlichen göttlichen Mächte, unsrer Zwecke und Leidenschaften, und ihres Zwists mit einander, die ihre Wesentlichkeit zwar behalten, aber durch diese Zwiste ihre Einseitigkeit an einander abreiben. In jeder solcher oben erwähnten allgemeinen Weise der Kunst macht die besondere Kunst das Ausgezeichnete aus, in der die allgemeine Kunst sich offenbart. So werden wir sehen, daß die symbolische Kunst ihre größte Eigenthümlichkeit und Auszeichnung in der Architectur hat, die classische Kunst in der Skulptur, und die romantische Kunst in der Mahlerei und Musik. Was die allgemeine Kunst betrifft, so ist es die redende Kunst, die über alle diese 3 Formen ihre Ausbreitung für sich hat. Es giebt noch viele Nebenkünste und particuläre Arten, die deßhalb etwas Schieferes sind, weil sie nicht der allgemeinen Idee g a n z entsprechen. Solche sind z. B. die Beredsamkeit, Pantomimik, Tanzkunst, Gartenkunst u. s. w. Eben so sind es in der Poesie d i e Arten, welche nicht unter den 3 erwähnten ausgedrückt sind. Doch wird von diesen weiter geredet werden.

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Der a l lgemeine Thei l der Kunst.

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Beg r i f f des Schönen. Hier könnte man die verschiedenen Definitionen über den Begriff des Schönen, die in den Philosophien und Aesthetiken gegeben sind, aufführen und critisiren. Eher könnte man etwas sagen über die Meinung Vieler, daß nämlich der Begriff des Schönen nicht zu geben sey, indem grade der Begriff dem Schönen entgegengesetzt wäre. das Schöne wird also von ihnen als unbegreiflich angegeben, wie denn vieles in dieser Zeit für unbegreiflich gehalten wird. So bliebe also für das Begreifen nur das Feld der Endlichkeit zurück. daß dies nun nicht so sey, dies zu erweisen ist besonders der Logik bestimmt; daher lassen wir uns hier darauf nicht ein. Alle Philosophie hat von jeher das Wahre erkannt und begriffen: | und es ist der ursprüngliche Glaube der Vernunft, daß man das Wahre erkennen könne. Die Menschen, die diesen Glauben rauben wollen, thun etwas sehr Seichtes, und sich selbst Auf hebendes. Wenn dieser seichte Glaube wirklich bei den Menschen seyn könnte, so wäre es ja um Alles gethan, selbst um das Bewußtseyn; denn mit dem Inhalte ist es nicht bloß gethan, sondern es muß auch der Inhalt objectiv gemacht seyn. Bei Behandlung dieser Wissenschaft müssen wir also voraussetzen, daß Alles, besonders das Wahre, begriffen werden kann, und das Wahre nur durch das Begreifen wahr ist. Das Schöne ist nun, wie bekannt, die Darstellung des Wahren; daher muß das Schöne auch begriffen werden. Die Region des Schönen muß freilich ganz was anderes seyn, als die Region des Begriffs; denn die Form des Schönen ist das Sinnliche; die Form des Begriffs, das Geistige, der Gedanke. In der gewöhnlichen Bedeutung genommen, ist es wahr, daß das Schöne nicht begriffen werden kann; denn wenn der Begriff eine abstracte Bestimmung seyn soll, so ist es klar, daß die abstracte Bestimmung das Schöne nicht begreifen kann. – Das erste ist also, den Begriff des Schönen näher zu betrachten, den wir schon im allgemeinen gesehen haben; dann gehen wir zu dem Verhältniße des Geists zum Schönen, und dann zum Unterschiede des Natur- und Kunstschönen über. (Begriff und Idee werde ich oft unterscheiden, oft aber promiscue gebrauchen. der Begriff ist überhaupt Einheit, Subjectivität, in sich selbst unterschieden; er setzt zwar Unterschiede, aber so, daß diese Unterschiede wieder in sich zurückgenommen sind. Die Idealität macht die Bestimmtheit des Begriffs aus; d. h. der Begriff ist nicht abstract, sondern concret, aber so, daß die Unterschiede nur ideell sind. die Unterschiede des Begriffs sind die Unterschiede des Allgemeinen und

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Besondern, es ist die Allgemeinheit, die sich besondert, aber diese Besonderung ist nur ideell gesetzt. dies ist die Unendlichkeit des Begriffs; denn Endlichkeit ist da, wo ein Ende ist, eine Schranke, ein Andres, was drüben ist; der Begriff hat aber seine Unterschiede in sich zurückgenommen, sie haben kein Ende, das Ende ist in ihm selbst. dies ist auch die Seele; denn wenn ich etwas denke, so setze ich meine Unterschiede; dadurch aber mache ich die Sache, worüber ich denke, zu meinem Eigenen, nehme die Unterschiede, die ich an dem Gegenstande gesetzt habe, zurück. So ist also der Begriff die Totalität; dadurch daß er die Unterschiede wieder zurücknimmt, läßt er die Realität auch nicht als ein Außerihm-Existirendes gelten; sondern die Quelle der Realität ist in dem Begriffe selbst. Einheit des Begriffs und der Realität, des Subjectiven und Objectiven, ist aber die I d e e , also ist die Idee und der Begriff nicht so sehr entfernt von | einander. Bei dem Begriffe setze ich mich als ein Andres, dis Andre ist aber ganz ideell. Die Idee hat aber noch die Bestimmung, daß dies Andre, die Realität, auch zu ihrer Freiheit kommt, daß die Besonderheit ihr Recht erhält, auch Totalität ist. dies ist also die Verdoppelung des Begriffs. die Realität ist nur der Leib der Seele, und sie sind beide nur e i n Begriff. Dies ist nun die Natur der Idee überhaupt; und die Idee existirt nur als Wahrheit und Schönheit, die dann in so fern eins sind. Das Schöne ist das Wahre in äußerlicher Existenz, in sinnlicher Vorstellung, aber so, daß diese sinnliche Vorstellung gehalten ist von ihrer Seele, daß die Unterschiede nicht selbstständig sind. das Universum ist auch das Wahre, aber nur das Wahre an sich; es nimmt die Form des Auseinandergehens an, der Zerstreutheit; der denkende Geist sammelt dieses Zerstreute, und erkennt das Wahre; so wird also das Universum auch f ü r ihn das Wahre. die Natur und der endliche Geist sind also nur a n sich wahr; diese Wahrheit an sich erscheint aber nicht an ihnen; bei dem Schönen erscheint aber auch die Wahrheit an der Äußerlichkeit. Hier sehen wir daß »Scheinen« keineswegs ein so unbedeutender, inhaltloser Ausdruck ist, wie man es im gemeinen Leben zu gebrauchen pflegt. Denn Schön kommt her von Scheinen: d. h. der Begriff kommt auch zum Scheinen. Gott muß sich äußern, muß zum Scheinen kommen; sonst ist er nur das Abstractum, nicht die innere Wahrheit. Im Schönen ist das Seyn als Schein gesetzt; denn der Begriff dringt durch die Äußerlichkeit hindurch, scheint. Also steht das Scheinen höher als das Seyn; denn erst durch dieses Hervortreten an die Äußerlichkeit erhält das Wesen ein Seyn, d. h. es scheint; also ist die Wahrheit selbst dis Scheinen.) Wir haben unter dem Schönen verstanden die Seele, den Begriff, der die Leiblichkeit, Äußerlichkeit, durchdringt, sich so manifestirt, daß die Äußerlichkeit nur Moment an ihm ist. In Ansehung dieser Äußerlichkeit kann noch bemerkt werden, daß sie, indem sie in der Zusammenstimmung mit dem Begriffe ist, zugleich in der Form der Zufälligkeit erscheint. Mechanische Gebilde z. B. ein Tisch, Stuhl,

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sind zwar auch die Beziehung des Mannichfaltigen auf einen Zweck; der Unterschied von dem lebendig Äußerlichen liegt aber darin, daß die Form eine Materie ist, die nicht von der Idee durchdrungen wird; so ist das Holz an einem Tische auch eine Äußerlichkeit, aber der Begriff, Zwek eines Tisches offenbart sich hierin nicht. Die Beine, Platte, und alle einzelnen Theile eines Tischs machen nur z u s a m m e n das Ganze aus, sind nicht für sich das Ganze. Hingegen bei dem lebendig Äu|ßerlichen kann jeder Theil für sich unterschieden werden; der Begriff ist ganz in jedem Theile. die Form bei dem Schönen ist in der Einheit zusammengenommen, die Form ist der Begriff selbst. Daher kommt es, daß jedes dieser Äußerlichen für sich die Form des Ganzen hat, und als solches Ganze die Gleichgültigkeit gegen die andern Theile. der Arm einer Bildsäule muß so für sich ein schönes Ganze seyn, jeder Akt, jede Scene eines Dramas muß so für sich ein Durchgearbeitetes seyn. So ist der Cid z. B. eine Reihe von Romanzen, deren jede für sich ein Abgeschlossenes, Ganze ist; diese Reihe zusammen macht aber wieder das Ganze aus. daher haben diese Einzelheiten die Gestalt der Zufälligkeit gegen einander, die Zusammenstimmung zum Ganzen erscheint als eine zufällige, nicht als eine absichtliche. Was als Nothwendiges gesetzt ist, ist als Beziehung auf ein Anderes gesetzt, sein Seyn ist nur das Seyn des Andern. Die Seele durchdringt aber das Ganze, sie ist als Seele in jeder ihrer Äußerlichkeiten vorhanden; darum erscheinen sie als frei, als zufällig gegen einander. die Zusammenstimmung muß eine i n n e r e seyn, die Idee des Ganzen ist verborgen, ist nicht als Zweck dargestellt. Daher kommt es, daß man den Ausdruck »schön« sehr unbestimmt braucht. Man kann z. B. die Elemente des Euclid schön nennen; denn die Theile derselben scheinen ganz zufällig gegen einander aufgestellt zu seyn, und doch bilden sie ein Ganzes. durch tiefres Betrachten derselben sieht man aber den innern Zusammenhang, daß nämlich ein Satz immer der Folgesatz des vorhergehenden ist. In dieser Hinsicht kann man sie ein Kunstwerk nennen; die Nothwendigkeit des Zusammenhangs liegt in ihnen verborgen. diesen Character haben die meisten Werke der Alten, und die Schriften der großen Männer überhaupt. Sie scheinen ganz zufällig eins nach dem andern zu e r z ä h l e n ; dieses macht sich aber zu einem Ganzen, man erkennt, daß die Idee, obgleich unausgesprochen, ihnen zum Grunde liegt. In so fern ist also auch ein geschichtliches Werk ein Kunstwerk. Anderseits schließt wieder der Inhalt, z. B. in den Elementen des Euclid, dieselben von dem Begriff eines Kunstwerks aus; denn der Inhalt ist in ihnen ein ganz abstracter, der Raum, und seine Bestimmungen werden ganz abstract fortgeführt. Vo n d e m Ve r h ä l t n i ß e d e s G e i s t s z u d e m S c h ö n e n . Zuerst müssen wir daran erinnern, daß der Geist sich nach 2 Seiten verhält, erstlich als I n t e l l i g e n z – t h e o r e t i s c h e r G e i s t , und dann als W i l l e ,

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p r a c t i s c h e r G e i s t . Wir wissen, daß wir als Intelligenz die Dinge entweder äußerlich, nach der sinnlichen Vorstellung wahrnehmen, oder wir schauen die Gegenstände innerlich an, wir denken sie, d. h. wir geben ihnen die | Form der Allgemeinheit. Ich bin das Allgemeine, das Einfache, ich gebe den Gegenständen diese Form, ich denke sie. Die Intelligenz geht davon aus, daß die Gegenstände s i n d ; ihr Verhalten ist, diese Gegenstände aufzufassen, sie als Allgemeines aufzufassen, alles andre, was sie beschränkt, zu entfernen, die Gegenstände gewähren zu lassen. Wenn wir in das, was wir denken, unser Thun hineinbringen, so lassen wir den Gegenstand nicht so, wie er ist, wir verunreinigen ihn; wir müssen uns also negativ gegen uns selbst verhalten, damit unsre Thätigkeit ganz abstract sey, sich von den Gegenständen bestimmen, die Gegenstände gewähren lasse. In diesem Verhältniße der Intelligenz sehen wir also diese 2 Seiten, daß wir die Gegenstände als frey, selbstständig betrachten, uns aber als unfrey. Das 2te Verhalten des Geists ist der Geist als p r a c t i s c h e r G e i s t , als W i l l e . Sobald wir etwas wollen, so fangen wir von subjectiven Zwecken, Intressen an; diese Bestimmungen gelten in uns, und wir lassen sie gegen die Gegenstände gelten; unsre Zwecke haben ihr Recht, nicht die Gegenstände. Wir verändern die Dinge, d. h. wir verändern ihre Eigenschaften, oder eigentlich wir heben ihre Eigenschaften auf, die wir ihnen bei dem theoretischen Verhalten des Geists ließen. Wir machen so die Dinge unsern Zwecken dienend, unterwürfig, die Dinge gelten uns nicht als das Reale, Wesentliche, sondern wir betrachten den Zwek in uns als das Geltende. Hier ist also im Gegensatze des theoretischen Verhaltens des Geists, das practische Verhalten desselben, das heißt, das Verhältniß der Unfreiheit der Gegenstände, und Freiheit des Subjects. Im practischen Verhalten ist aber auch nur der Schein der Freiheit des Subjects; denn die Freiheit unsrer Zwecke ist bedingt durch das Daseyn der Gegenstände; und dies macht die Endlichkeit des Begehrens aus. Diese Endlichkeit nach außen ist aber auch eine Endlichkeit des Inhalts; denn der Inhalt, die Grundlage unsres Begehrens, unsrer Zweke ist die Subjectivität; diese ist aber durch die Endlichkeit des Begehrens beschränkt; also ist das Subject auch nach dieser practischen Seite unfrey. – Was das Object betrifft, so wird es, wie wir gesehen haben, nach der practischen Seite als wesenlos betrachtet, das erst sein Daseyn durch ein Anderes, durch das Subject, erhalte. Aber auch in theoretischer Hinsicht ist das Object unfrey; denn | theoretisch gilt das Object als etwas, das i s t , seine Bestimmungen gelten als Gesetze für das Subject. Wenn wir aber vom Objecte sagen: »Es ist«, so sehen wir, daß dieses abstracte I s t allen Dingen zukommt, der Totalität von Objecten. Das Object in seiner Totalität ist aber das unendlich Mannichfaltige, welches der 34 das2 ] daß

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Begriff wieder zur Einheit bringt. Die Bestimmtheit dieses Mannichfaltigen ist aber eine äußere Bestimmtheit, es ist das Verhalten der verschiednen Theile des Mannichfaltigen zu einander, ihre Beziehung auf einander; die Objecte sind gegenseitig mit einander verknüpft, sie fördern und zerstören, erschaffen und vernichten sich gegenseitig. So ist also der Inhalt der Objecte auch in theoretischer Hinsicht ein endlicher, unfreier Inhalt. In der Betrachtung des Schönen ist diese Endlichkeit aufgehoben, und die Unfreiheit verschwindet; die Betrachtung eines Gegenstandes als schön ist die Befreiung desselben, und unser freies Verhalten zu ihm: Dadurch ist auch die Unfreiheit, Endlichkeit des betrachtenden Subjects aufgehoben. Wenn ich einen Gegenstand schlechtweg betrachte, so betrachte ich ihn so, daß er meinen Zwecken diene, daß ich das Wesentliche, und das Object das Dienende sey. Bei Betrachtung des Schönen hebe ich aber meine subjectiven, endlichen Zwecke auf; der Gegenstand ist nicht das Zweklose, das erst durch mich seinen Zweck erhält, sondern sein Zweck ist in ihm selbst, das Schöne ist selbst Zweck, ist frey; an ihm selbst ist die Selbstständigkeit, Entwickelung seiner Bestimmungen. Dadurch ist auch die theoretische Endlichkeit des Schönen aufgehoben; denn diese bestand darin, daß das Object in mannichfaltigem Zusammenhange mit andern außer ihm stand. Indem das Schöne aber der Begriff selbst ist, so ist die Mannichfaltigkeit des Bestimmens seine eigene Form, seine sich auf sich beziehende Mannichfaltigkeit; die Mannichfaltigkeit seiner Bestimmungen ist in ihm zurükgebogen, daher ist es unendlich. Weil es den Unterschied in sich selbst hat, so ist es kein Unterschied, der Unterschied ist in sich zurückgenommen, aufgehoben. Eben so ist die Betrachtung des Schönen die Betrachtung eines liberalen, freymüthigen Subjects; es begehrt nicht, es hat kein Wollen gegen das Object, es läßt dasselbe gewähren. So ist also das Subject frei, denn die Unfreiheit liegt in den Zweken, Begirden. Auch haben wir bei Betrachtung des Schönen nicht den höhern Zwek des Guten; denn das Gute, die Pflicht, in sofern es noch Zwek ist, vollbracht werden soll, ist immer noch etwas Subjectives in mir, das erst vollbracht werden soll, das noch nicht in die Wirklichkeit getreten ist, also noch was Begrenztes. Indem ein Gegenstand für mich schön ist, so ist die Betrachtung dieses Schönen die Betrachtung des realisirten Begriffs, der Wahrheit, welches auch m e i n Wesen ist; also ist das Schöne nichts Fremdes für mich. Ich verhalte | mich zwar zu dem Schönen, aber nicht als zu einem Andern, sondern zu meinem Eigenen, meinem Wesen. Darin liegt die Freiheit des Subjects und Objects. Indem nun die Natur des Schönen so bestimmt worden ist, so kann noch etwas über die Verstandesverhältniße gesagt werden. Die Verhältniße der Endlichkeit des Subjects und Objects sind eben die Verstandesverhältnisse, z. B. Verhältniß von Grund und Folge, Ursache und Wirkung, vom Allgemeinen als

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Gegensatz des Besondern. Es leuchtet aus dem Frühern hervor, daß das Schöne nicht durch solche Verstandesverhältniße aufgefaßt werden könne. Das Schöne ist der Begriff in seiner Realität, Äußerlichkeit, die Verstandesverhältniße können nur diese Äußerlichkeit auffassen; der Begriff hat sich aber nicht in diese Äußerlichkeit verloren, sondern die Äußerlichkeit ist in ihm zurückgenommen. In den Bestimmungen, die Kant von dem Schönen gegeben hat, ist merkwürdig, daß da die gewöhnlichen Verstandesverhältniße nicht ausreichen, sondern Abbruch leiden. Kant hat nur, wie er es nennt, 4 Hauptcategorien für das Schöne gegeben. dieses weitläuftig zu entwickeln, ist hier nicht der Ort; also will ich die 4 Hauptsätze nur kurz im Folgenden andeuten: 1) D a s Wo h l g e f a l l e n a m S c h ö n e n i s t o h n e a l l e s I n t e r e s s e ; dies ist im Obengesagten enthalten, d. h. das Wohlgefallen am Schönen ist ohne subjectiven Zweck; Bei dem Angenehmen und Guten kommt schon die Subjectivität mit Zwecken zum Vorschein; das Angenehme vergnügt, es ist dabei das Interesse der Sinne; das Gute wird geschätzt, dabei ist das umgekehrte Interesse, das Interesse der Vernunft, der abstracten Vernunft. Nur das Wohlgefallen am Schönen ist das Interesselose. Kant sagt: das Gute schätzt man, das Gute wird uns zur Pflicht gemacht, läßt uns daher keine Freiheit (Freiheit nämlich als Willkühr genommen); in sofern finde ich mich bei dem Vernunftgesetz als Unfreyes. Wenn ich handeln soll, so ist das Gute, das Vernunftgesetz, noch Zweck in mir, es ist noch etwas zu Bestimmendes; so verhalte ich mich also nach dieser formellen Seite als Unfreies. Bei dem Schönen verhalte ich mich aber nicht als Unfreyes, denn da ist kein Gegensatz meines subjectiven Zwecks, das Vernunftgesetz. Was ich will, i s t hier wirklich, ist nicht erst zu vollbringen. 2) D a s S c h ö n e i s t , w a s o h n e B e g r i f f a l s O b j e c t e i n e s a l l g e m e i n e n Wo h l g e f a l l e n s v o r g e s t e l l t w i r d . Das Schöne gefällt; dis ist ein allge|meines Wohlgefallen. Das Object eines besondern Wohlgefallens ist das Angenehme; m i r ist etwas angenehm, einem andern etwas andres. daher hat Kant Recht, wenn er sagt: es ist lächerlich zu sagen: »für m i c h ist dies schön«. Denn das Angenehme ist der Gegenstand des einzelnen Geschmaks; das Schöne ist Object des allgemeinen Wohlgefallens, aber o h n e B e g r i f f . Begriff nimmt Kant hier wohl als allgemeine abstracte Bestimmung, oder als eine Reihe solcher allgemeinen abstracten Bestimmungen. Er sagt: Begriff ist das, dem die Allgemeinheit zukömmt. O h n e B e g r i f f heißt also: die Allgemeinheit ist hier nicht für sich herausgehoben, dient nicht als Maaßstab für das Einzelne. 21 noch] noch noh

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Wenn ich z. B. eine grade Linie messen will, so applicire ich einen allgemeinen Maaßstab für alle graden Linien, oder ich habe diesen Maaßstab in der Vorstellung; ich hebe also hier die Allgemeinheit hervor. Bei dem Schönen ist aber der allgemeine Begriff nicht mehr in seiner Abstraction, sondern er ist übergegangen in die concrete Einzelheit; bei dem Schönen ist also diese abstracte Reflexionsbestimmung nicht mehr herausgehoben. Hier fällt also auch die Endlichkeit weg, die im Gegensatze einer Regel da ist; denn wenn ich eine Regel gebe, so ist diese das Allgemeine, ich subsummire darunter das Einzelne, und diese Subsumption des Einzelnen ist die Besonderung des Allgemeinen. 3) D i e S c h ö n h e i t i s t F o r m d e r Zw e c k m ä ß i g k e i t e i n e s G e g e n s t a n d s , i n s o f e r n s i e o h n e Vo r s t e l l u n g e i n e s Zw e c k s a n i h r w a h r g e n o m m e n w i r d . Kant sagt: Zweck heißen wir eine Vorstellung der Ursache eines Gegenstands. der Wille hat zwar eine solche Vorstellung; aber weil sie noch Vorstellung ist, nicht vollführt ist, so ist sie subjectiv. Bei dem Schönen hebe ich aber meine Subjectivität auf, mache sie objectiv, diese Objectivität muß dann freilich der Vorstellung angemessen seyn. So ist also das Kunstwerk ein Zweckmäßiges, aber zugleich ohne Vorstellung des Zweks, d. h. diese Zwekmäßigkeit ist ihm immanent, ist seine Seele. Bei einem mechanischen Kunstwerk ist der Inhalt des Zweks nicht immanent in der Materie, ist außer dieser, von ihr verschieden. 4) d a s S c h ö n e i s t d a s , w a s o h n e B e g r i f f d e r G e g e n s t a n d e i n e s n o t h w e n d i g e n Wo h l g e f a l l e n s i s t . Dieses Moment enthält also die Bestim mung der Nothwendigkeit des Wohlgefallens; und doch ist dieses nothwendige Wohlgefallen ohne Begriff (Begriff wieder als endliches Verstandesverhältniß genom men)[.] Die Nothwendigkeit ist durch ein Verhältniß gesetzt, in welchem etwas gesetzt | wird, nicht bloß als für sich existirnd, sondern auch noch durch ein andres bedingt; es ist dis das Verhältniß von Grund und Folge, Ursache und Wirkung. Kant sagt: das Schöne ist Gegenstand eines nothwendigen Wohlgefallens, ohne daß dies Verhältniß dabei ins Spiel kommt, dis nennt nun Kant: ohne Begriff, d. h., wie gesagt: das Wohlgefallen ohne Causalitätsverhältniß. Man kann allerdings sagen: Das Schöne macht Anspruch auf Nothwendigkeit des Wohlgefallens, es ist ein Zusammenhang zwischen demselben und mir; aber dieser Zusammenhang sowohl in ihm selbst, als auch mit uns, ist ein andrer als das Verhältniß der Causalität. Indem etwas schön für uns ist, so ist zwar ein Zusammenhang da, aber nicht ein endlicher, wo zwei Gegenstände selbstständige sind, wo aber die Existenz des Einen auf der Existenz des Andern beruht. der Zusammenhang zwischen dem Schönen und uns ist der,

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daß wir die Natur unsres eigenen Wesens in dem Schönen erblicken. Es ist der höhere Zusammenhang der Identität, und in so fern ein nothwendiger Zusammenhang; aber eine höhre Nothwendigkeit, wo beide Theile frei sind. Es ist zwar ein Gegenstand da, aber diese Negativität des Getrenntseyns wird aufgehoben, wir erkennen uns selbst darin. Das Nächste, was an dem Schönen zu betrachten ist, daß die beiden Ingredienzien des Schönen, Begriff und Realität, für sich abstract sind, und daß sie so isolirt auch im Kunstwerk vorkommen, aber nur als abstracte, elementarische Seiten desselben, die seine Natur nicht erschöpfen, auf die aber auch reflectirt werden muß. der B e g r i f f , i s o l i r t f ü r s i c h, ist endlich, wenn der Begriff speculativ aufgefaßt wird, so ist er unendlich. So isolirt nehmen wir aber den Begriff nicht als unendlich, sondern bestimmt gegen seine Realität, unendlich. Der Begriff, isolirt an dem Schönen, ist das, was man die R e g e l m ä ß i g k e i t am Kunstwerk nennt. Die Realität, isolirt für sich, ist das A n g e n e h m e . Die Regelmäßigkeit ist eine Einheit; dies kommt vom Begriffe her; ferner ist sie eine Einheit von Mannichfaltigem; dies kommt auch vom Begriff her. Aber diese Einheit ist nicht die wahre, sondern das Mannichfaltige in ihr ist auseinanderfallend, nur äußerlich zusammengehalten. Diese Einheit ist das, was man die G l e i c h h e i t nennt. Gleichheit ist Identität, aber bloß des Verstandes, sie hat nichts Speculatives in sich, sie ist die Wiederholung eines und desselben. die Regelmäßigkeit ist also, wie gesagt, zuvörderst die Gleichheit. Solche Regelmäßigkeit kommt eigentlich dem Innern, Lebendigen, nicht zu, denn in ihr ist keine innere Lebendigkeit. Wir haben an unserm Körper auch diese Regelmäßigkeit, Gleichheit, wir haben 2 Augen, Ohren, Arme u. s. w. die gleich sind; | aber diese Theile sind schon Glieder, die nach der Außenwelt gehen. das aber was man edle Eingeweide nennt, was sich mehr schon auf das Lebendige selbst bezieht, diese haben nicht diese Doppelheit. Bei dem Lebendigen kommt auch diese Gleichheit nur da vor, wo es mehr das Äußerliche, das Verhalten zu andern angeht. Alle sinnliche Existenz ist nicht bloß relativ äußerlich, nicht bloß äußerlich gegen andre, sondern diese Äußerlichkeit kommt der sinnlichen Existenz als solcher zu, ist ihr Wesen. Die äu ße rl iche Be st i m mt heit, verbu nden m it ei ne r Gleichg ü lt ig k e i t g e g e n d i e s e B e s t i m m t h e i t i s t d a s , was wir G r ö ß e nennen. An der Größe tritt also wesentlich die Gleichheit und Ungleichheit hervor; denn Gleichheit ist eben eine äußerliche Bestimmung. Regelmäßigkeit resultirt aber nicht bloß aus qualitativer Gleichheit, sondern auch aus quantitativer. Z. B. wenn Bäume von gleicher Art da sind, so sagen wir noch nicht, daß Regelmäßigkeit unter ihnen herrsche; sondern wenn sie nach einer bestimten Ordnung in gleicher Weite von einander stehen, dann erst schreiben wir ihnen Regelmäßigkeit

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zu. Das Bedürfniß der Regelmäßigkeit tritt also vornehmlich da ein, wo Äußerlichkeit ist, daher besonders bei der Architectur, Gesange, Musik. Einiges Nähre über die Regelmäßigkeit in Ansehung des Räumlichen die erste Regelmäßigkeit überhaupt die abstracte Gleichheit, z. B. 2 gerade Linien. Eine höhere Regelmäßigkeit ist schon die Aehnlichkeit, wo nicht bloß Gleichheit statt findet, sondern schon wechselseitige Beziehung, quantitative Ungleichheit, z. B. 2 ähnliche Dreiecke. Noch ein höhres Verhältniß der Regelmäßigkeit tritt bei der krummen Linie hervor, der Kreis z. B. hat schon diese Ungleichheit, daß die Linie hier nicht mehr grade Linie ist, daß die Selbigkeit des Zusammenhangs der Punkte nicht mehr statt findet. Noch ist aber bei dem Kreise Gleichheit der Radien vorhanden, ihre Beziehung auf die Einheit, auf den Mittelpunkt ist noch bei allen dieselbe. Diese Geichheit fällt bei der Ellipse, Parabel, Hyperbel u. s. w. ganz weg. Und doch sind diese Linien noch quantitativ regelmäßig, denn hier ist ein Gesetz ihres Fortgangs vorhanden, d. h. innre Gleichheit bei äußrer Ungleichheit. Hier ist also nicht mehr die abstracte Gleichheit, nicht mehr die Gleichheit des Verhältnißes. Die Parabel und Hyperbel, die ins Unendliche fortgehen, sind nur formell; sie haben eine schlechte Unendlichkeit, sie s o l l e n fortgesetzt werden, die Wirklichkeit fehlt aber. die Ellipse hat noch die formelle Gleichheit; denn wenn man sie nach der großen oder kleinen Axe theilt, so sind die Hälften einander gleich. daher kommt die Ellipse in dem Schönen, in der Natur, nicht vor. die Kometen und Planeten bewegen sich zwar in einer Ellipse um die Sonne; aber diese steht nicht im sogenannten Mittelpunkt, sondern im Focus. | Die höhere Ungleichheit ist die E y l i n i e . Hier ist auch zwar noch Regel mäßigkeit, aber, wie schon früher, bloß formelle. Hier ist die höhere Regelmäßigkeit der Natur des Schönen. Hier ist zwar auch ein Gesetz, aber das Gesetz ist verborgen, und das Unmittelbare ist ungleich. diese höhere Gesetzmäßigkeit hängt davon ab, daß hier vom Quantitativen zum Qualitativen übergegangen wird. Bei dieser Eylinie tritt das Potenzverhältniß hervor, welches ein qualitatives ist. der ganze Umriß des menschlichen Körpers besteht in solchen Eylinien, hier findet sich keine Kreislinie, und selbst das innere Organ, das Herz, ist eine Eylinie. diese macht also den Uebergang zur organischen Regelmäßigkeit. Die Kreislinie ist die uninteressanteste Linie, so wie die Kugel die uninteressanteste Figur ist; es findet sich bei beiden Regelmäßigkeit, aber nur eine formelle, da hier Gleichheit der Radien statt findet, und diese Regelmäßigkeit ganz äußerlich ist. das Quadrat und den Cubus kann man leicht dem Kreise und der Kugel vorziehen, sie für schöner halten, weil bei ihnen eine mannichfaltigre Ausdehnung, also mehr Bestimmtheit herrscht. Das Parallelepipedon steht nicht so hoch, da hier zwar die beiden entgegengesetzten Seiten correspondiren; aber alle 4 Seiten sind doch nicht gleich, und das Verhältniß der beiden Paar gleichen Seiten der

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Willkühr überlassen ist. In der Natur sehen wir eben so den Fortgang in der Regelmäßigkeit; die erste Regelmäßigkeit findet sich in der Cristallisation; ihre Formirung ist von ihr selbst bestimmt, der Grund ihrer Bildung liegt in ihr selbst, in ihrer Cohäsion, und was das Cristallisationswasser dazu thut, ist bloß äußerliche Nachhülfe. Hier herrscht aber bloß die verständige Symmetrie; hingegen in der Pflanze fängt sie schon an, aufzuhören; und doch ist sie hier noch mehr verständig, als bei den Animalien. Bei der Pflanze ist überall Herzform vorhanden, Compression von der einen, und Expansion von der andern Seite. dieses Eckige giebt sich vollends bei dem Animalischen. Hier ist auch Regelmäßigkeit, aber nicht die verständige, die, wie wir oben gesehen, die eigentliche Regelmäßigkeit genannt wird. Bei höhern Kunstwerken sitzt also darin die Regelmäßigkeit, daß in einem Gedichte, z. B. Drama, die verschiedenen Abtheilungen eine solche Einheit haben müssen, als sie es in der Zeit haben können, da das Ganze ja in der Zeit existirt; ein Act, ein Gesang, muß ungefähr so lang seyn, als der andre. So muß bei Gruppirungen in Gemälden, weil diese die Äußerlichkeit desselben ausmachen, die pyramidalische Form vorherrschen, denn dis soll eine Spitze, ein Ausgehen in den Begriff bezeichnen. Die Regelmäßigkeit ist also herrschend in den Künsten der Äußerlichkeit. Sie ist Einheit der äußerlichen Bestimmungen. Sie herrscht also vorzüglich in der Architectur, Musik und Mahlerei. In der Architectur ist die Einheit | von Begriff und Realität nicht immanent, sondern der Gott ist außer ihr. daher ist die Äußerlichkeit Hauptbestimmung bei ihr. deßhalb herrscht in der Architectur besonders der rechte Winkel, der der regelmäßigste ist, weil er seinem Nebenwinkel gleich ist. die Symmetrie der Fenster, Thüren etc ist hier also nothwendig; und wenn auch Verzierungen aus der vegetabilischen und animalischen Form dabei angewandt werden, so können sie doch in der ursprünglich organischen Form nicht gebraucht werden, sondern müssen zur verständigen Regelmäßigkeit herabgesetzt werden, welches der Ursprung der A r a b e s q u e n ist. dis ist eine Verzerrung zwar, die aber dem angemessen ist, wozu sie gebraucht wird. Zur Architectur, Mahlerei und Musik, diesen 3 Künsten, bei denen vornehmlich die verständige Regelmäßigkeit angewandt wird, tritt noch als Nebenkunst die G a r t e n k u n s t hinzu. Einerseits ist sie nur Zusammenstellung der natürlichen Gebilde. Sie hat es also durchaus mit dem bloß Natürlichen zu thun, und wenn die Kunst hinzutritt, so wendet sie nur Nachhülfe an. Diese Gartenkunst scheint also Unregelmäßigkeit zum Wesen zu haben; und doch herrscht gewöhnlich die größte Regelmäßigkeit darin; wegen dieses Widerspruchs wird eben die Regelmäßigkeit darin so getadelt. Die Gartenkunst ist aber nicht bloß 36 gewöhnlich] gewönhlich

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der Natur wegen da, sondern sie steht in Beziehung zu dem Menschen, sie soll dem Menschen Nutzen oder Vergnügen schaffen. Weil also hier das Nützliche der Hauptzweck ist, und Mannichfaltigkeit, folglich Äußerlichkeit statt findet, so kann die Einheit, die der Begriff hineinbringt, nur die Regelmäßigkeit seyn. In Ansehung der s c h ö n e n Gartenkunst muß nach dem g e i s t i g e n Zwecke gefragt werden; und dieser ist kein andrer, als Zusammenstimmung der Natur für den Menschen hervorzubringen. In dieser Natur soll der Mensch mit sich allein seyn, ganz seiner Stimmung nachhängen, und sie soll nur der Boden, entsprechend dieser Stimmung seyn; sie soll nicht für sich selbstständig existiren. Ihre Bestimmung ist also ungefähr so, wie die des Glockengeläuts vor dem Kirchengehen, bloß ein Stimmen zur Andacht. Deswegen ist die Bestimmung der Gartenkunst, sich nur äußerlich gegen den Menschen zu verhalten, sie kann daher eine Unregelmäßigkeit haben, die aber nicht stören muß, sich nicht aufdrängen, nicht die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich ziehen. Sie kann auch eine Regelmäßigkeit haben; diese muß aber nicht, wie bei den alten französischen Parks in künstlich und regelrecht gezogenen Irrgängen und Kreuzwegen bestehen. Wenn man spaziren geht, so ist nichts so angenehm, als eine lange, weite Allee, wo man alles auf einmal übersieht, und so bei sich bleiben kann. | Daher ist man von der frühern Ueberladung der Parks mit Tempelchen, Grotten, Springbrunnen etc, zurükgekommen. Ein solcher Park macht, wenn man ihn einmal gesehen hat, sehr lange Weile, weil er stets Ansprüche auf Aufmerksamkeit macht, die man ihm nicht immer schenken will. So ist die Regelmäßigkeit auch hier in der schönen Gartenkunst an ihrem Platze, da der Mensch dadurch am leichtesten mit der Natur fertig wird. Die M u s i k ist die Kunst der Subjectivität, die aber noch formell ist. Sie soll unsre Subjectivität, unsre Gefühle und Gedanken ausdrücken, und affiziren; sie drückt sie aber nicht so ganz positiv aus, wie die höhern Künste. In der Musik ist Abwechselung der Töne die Hauptsache, das Tönen ist aber in der Zeit, also ist hier das Quantitative der Zeit auch sehr wichtig, ja Hauptsache. doch dieses Quantitative der Zeit muß auch hier als Einheit hervortreten, und so erscheint es als Regelmäßigkeit. So hätten wir nun die Hauptgesichtspunkte in Hinsicht der Regelmäßigkeit erfaßt, d. h. den abstracten, isolirten Begriff an dem Schönen. die andre abstracte isolirte Seite ist die R e a l i t ä t , das Sinnliche als solches am Schönen. diese Seite des Sinnlichen für sich, als bloßes Zusammenstimmen zu dem Sinnlichen der Empfindung, ist das A n g e n e h m e . Stimmt das Äußerliche nicht zusammen, so ist es ein W i d r i g e s , U n a n g e n e h m e s . So ist in den Farben das Grüne, Violett angenehm, sie affiziren unsre Augen weder zu stark noch zu schwach. Grün ist nämlich die Einheit von den beiden Extremen, blau und gelb. In jeder dieser

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einzelnen Farben ist also nicht diese Zusammenstimmung enthalten, wie in dem Grünen, und dis empfindet unser Auge. Auch andre Farben, z. B. violett, aus roth und blau bestehend, haben diese für unser Auge angenehme Zusammenstimmung. Eben so ist das We i c h e bei Kunstwerken angenehm, d. h. wo die Uebergänge in einander fließen, wo die einzelnen Theile sich nicht hart in ihren Unterschieden fest halten. Dieses ist auch ein Zusammenstimmen, aber ein sinnliches. Je mehr sich die Kunst dem Weichen nähert, desto mehr verschwinden die Umrisse, und dies kann oft bis zum Ve r b l a s e n e n übergehen, welches oft den Menschen am besten gefällt; doch gehört auch dies nur zu dem Angenehmen. In sofern also diese sinnliche Zusammenstimmung bei der Darstellung von Kunstwerken ist, so ist das Angenehme da. Das R e i n e bezieht sich auch auf das Sinnliche, aber setzt dieses Sinnliche ganz abstract. dies ist dann ein nothwendiges Requisit zum Kunstwerk, weil dasselbe auch seine äußerliche Seite hat. Als concretes hat ein Kunst- oder Natur-Werk viele Seiten, jede solche Seite ist aber auch abstract; es gehört zum Schönen, daß solche Seite sich rein darstelle, mit sich in Uebereinstimmung sey. Eine Farbe z. B. muß erstlich ohne alle fremde Einmischung, Schmutz seyn; ferner muß | aber auch die Farbe rein für sich seyn, mit sich übereinstimmen, wie das reine Blau, Gelb etc. Violett, grün, sind nicht reine Farben, sondern in ihnen findet sich schon die Mischung zweier fremden Dinge, der Gegensatz, der zwar nicht klar zu sehen ist, aber den man doch durch das Ganze durchschimmern sieht; diese Farben gehören deßhalb zu den angenehmen. die an sich reinen Farben, gelb, roth, blau etc. sind daher am schwersten zu behandeln, da bei ihnen die Uebergänge schwerer zu machen sind, als bei den gemischten. Es ist der Vorzug der Niederländer, diese Reinheit der Farben zu beobachten; diese Farben sind bei ihnen selbst statuarisch; so hat Maria fast immer ein blaues Gewand, Joseph ein rothes. Bei den Italienern, besonders bei Raphael, vermißt man diese Farben in ihrer Reinheit, sie lieben mehr das Violette, Grüne etc, welches schon mehr ins Angenehme schlägt. die Niederländer haben noch den Vorzug, daß sie diese reinen Farben den Hauptfiguren gegeben haben, die Nebenfiguren haben die Nebenfarben erhalten. In Ansehung der menschlichen Stimme und überhaupt in der Musik ist auch diese qualitative Reinheit ein Haupterforderniß. der Ton ist nicht rein, wenn neben dem Tone noch ein Geräusch ist. Geräusch entsteht durch mechanische Reibung zweier Dinge; der reine Ton ist aber das Erzittern der Saiten oder Stimme in sich. Vögel, z. B. Nachtigallen haben diese Reinheit der Stimme, und daher gefällt uns ihr Gesang; die menschliche Stimme ist schön, wenn kein Reiben, keine Erschüttrung außer den Organen der Stimme statt findet, 19 sind durch einen Fleck verdeckt

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sondern ein bloßes Erzittern in sich. Bei den sinnlichen Momenten an der Kunst ist also dies die Bedingung, daß diese sinnlichen Momente in der Reinheit, quantitativen Abstraction gehalten werden.

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Jetzt kommen wir zu dem U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n d e m N a t u r s c h ö nen und Kunst schönen. Auch die Natur, das Lebendige, ist schön; denn gerade das Lebendige in seiner körperlichen Erscheinung ist das Schöne, d. h. der in der Realität immanente Begriff, die durch den Begriff belebte, beseelte Körperlichkeit. Deßhalb ist nun die lebendige Natur schön; aber das Lebendige hat auch den Keim des Todes in sich, und ist deßhalb unmittelbar endlich. Als Lebendes ist das Lebendige schön, denn es ist die Harmonie, das Inwohnen der Seele, des Begriffs in der Leiblichkeit, die nichts ist als der Ausdruck dieses Begriffs. Wenn wir an einer Pflanze ihre Blätter, Blüthen, Geruch, Geschmack etc. betrachten, so erkennen wir, daß dies alles von innen heraus bestimmt ist; es ist da keine Ursache und Wirkung von außen vorhanden, sondern das Treibende in der Pflanze ist das Lebendige in ihr selbst. Die Pflanze ist also so immanent, ein Freies, ein Schönes, ist was sie seyn soll, und dieses, was sie seyn soll, liegt in ihr selbst. Eben so sind die Thiere als Lebendiges schön. Ihre Form ist nicht Produckt eines chemischen oder mechanischen Prozesses, sie ist nicht von einem Äußerlichen bestimmt, sondern das Thier bringt seine Gestalt selbst hervor, | erhält sie selbst bei dem Andrange äußerlicher Bestimmungen. So ist also das Lebendige überhaupt das Schöne, die Freiheit, harmlose Harmonie mit sich, die eben die Schönheit ausmacht. dieses Lebendige verhält sich einerseits zu sich, kehrt in sich zurück, andrerseits tritt es aber in die Relativität mit anderm Lebendigen, es ist bestimmt, von andern Einwirkungen, Bestimmungen zu erhalten, die es nicht reconstruirt. durch diese Einwirkungen wird aber die Harmonie von Begriff und Realität verkümmert; das Lebendige ist nicht bloß der Ausdruck dieser Harmonie, sondern es hat noch nebenbei andre Bestimmungen; deßhalb ist das Lebendige nicht immer schön. Einerseits ist das Lebendige, besonders das organisch Lebendige, die Idee, die Wahrheit, die zur höchsten Realität kommt; andrerseits ist es aber zugleich nur die Idee in der Äußerlichkeit, und durch diese Äußerlichkeit ist es abhängig, Beschränkt, durch diese Beschränkung geschieht es, daß es nicht bloß das zeigt, was es seyn soll, sondern es zeigt noch andre äußerliche Zweke, Verhältniße, Bestimmungen. diese Äußerlichkeit ist für das Lebendige die unorganische Natur, und sein allgemeiner Character ist sein Verhalten zu sich selbst und zu der unorganischen Natur; so ist die Pflanze für das Thier die unorganische Natur. Aber auch zu sich selbst verhält es sich wie zu einer unorganischen Natur, es macht sich selbst zu seiner unorganischen Natur, steht im Prozesse mit sich selbst. Hier fängt

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die Endlichkeit, Zeitlichkeit, Unschönheit des Naturschönen an, wodurch es seinem Begriffe nicht entsprechend bleibt. der Gegensatz, Prozess des Lebendigen mit der unorganischen Natur hat diese 2 Seiten, daß das Organische erstlich diesen Prozeß in sich hat, und daß es 2tens sich nach außen zu dem Unorganischen verhält. 1stlich hat das Organische in sich selbst diesen Gegensatz seiner Subjectivität und Leiblichkeit, es hat in sich selbst seine Äußerlichkeit. dieser Prozeß macht die innere Lebendigkeit des Organischen aus; das Organische, als Lebendiges, ist dieser fortgehnde Prozeß, es setzt seinen Gegensatz, und überwindet ihn wieder; es zehrt an sich selbst, und erhält sich dadurch. dieser fortwährende Prozeß, das Unbefriedigtseyn, und das Zurückkehren zur Befriedigung ist ein beständiger Wechsel; das Leben wird nie fertig, und sein Fortgang ist eigentlich das Wiederholen dieses Prozesses. die Einzelheit ist immer in der Gefahr, Noth, sich aufzulösen. Der Grund liegt darin, daß das Lebendige nur als Einzelnes existirt, als unmittelbar Seyendes; daher hat seine Allgemeinheit nicht die allgemeine Thätigkeit, sondern das Allgemeine ist an ihm bloß als Wiederholung da. das Einzelne ist nicht fortdauernd, sondern geht in Tod über. Es ist der Gattung, dem für sich Allgemeinen, entgegengesetzt, | es kann nicht aushalten gegen die Natur, Macht seiner Gattung, es ist also vorübergehnd. So ist also die Negativität des Einzelnen gesetzt, wodurch sich das Allgemeine als seine Macht zeigt; so existirt also das Allgemeine, die Gattung, nur auf eine negative Weise. 2tens verhält sich das Lebendige auch nach außen zu einer unorganischen Natur, zu einem Andern, welches selbstständig gegen dasselbe auftritt, also ein gleichgültiges Daseyn für dasselbe hat. Dadurch tritt das Lebendige in die ä u ß e r l i c h e R e l a t i v i t ä t , und dadurch ist seine Endlichkeit gesetzt; denn es steht nicht allein für sich da, sondern erhält Bestimmungen auch von andern. Solche Gewalt von außen kann es allerdings reconstruiren, umbilden in sich; sobald es aber dasselbe nicht völlig reconstruirt, verdaut, das Andre noch Macht behält, so entstehen Auswüchse an ihm, es wird an seiner Realität verkümmert, und man sieht an ihm die Spuren dieser Reconstruction, Narben. Solche äußerliche Einwirkungen können nun freilich abgehalten werden durch Aufmerksamkeit, Angewöhnung, Sorgfalt, Abhärtung. Es sind weiter die besondern Umstände, in denen sich das Lebendige herumschlägt, und die sich in seiner Realität particularisiren. Wir wissen z. B. daß Familien, Stämme, Völker, verschiedene Physionomien haben. In kleinen Reichsstädten z. B., wo früher Fremde wenig zugelassen wurden, und wo auch die Menschen wenig hinauskamen, finden wir, daß sich lange eigene Familienphysionomien erhalten haben. – Eine Hauptsache ist, 4 daß] das

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in Hinsicht des Geistigen, daß sich diese Geistigkeit auf eine unendlich vielfache Weise zersplittert, daß der Mensch, das Individuum mit einer Menge von Zwekken, Interessen, endlichen Beschäftigungen zu thun hat; indem der Mensch in die Äußerlichkeit, in Beziehung mit andern Menschen tritt, so tritt er damit in die äußerliche Relativität, in die Endlichkeit; sein Geist ist ein mit endlichen Zwecken, Gewohnheiten Behaftetes, was also nicht der Allgemeinheit des Begriffs entspricht; und dadurch geschieht es, daß die Schönheit verkümmert wird, nicht als solche in die Erscheinung tritt. Gegen diese äußerliche Beschränktheit, Endlichkeit ist es nun, daß der Geist sich in sich zurückzieht. Indem der Geist sich durch Auffassen an diese Endlichkeit wendet, so ist es durch seine innere Allgemeinheit, daß er die Mannichfaltigkeit des Endlichen vermindert, und es zu einer Allgemeinheit, wenn auch nur relativen, zurückführt. denn wenn ich mir etwas denke, in die Vorstellung aufnehme, so nehme ich es aus der Reihe der endlichen Bestimmungen, z. B. aus der endlichen Zeit, heraus, und setze es in mich, in die | allgemeine Zeit; und nehme ihm so schon etwas von der Endlichkeit, nämlich die Zeitlichkeit, ich nehme es auf in den Raum der innern Allgemeinheit. Das bloße Vorstellen, das niedrigste, geistige Thun, enthält also schon eine Befreiung, Erhebung des endlichen Stoffs in eine Allgemeinheit. So sehen wir auch, daß wenn die Geschichte eine Begebenheit aufnimmt, sie schon eine Menge von Nebenbegebenheiten und Umständen vertilgt, und nur das Intressante und Wichtige heraushebt. Die Kunst hat aber zu ihrem Gegenstande noch etwas viel Wichtigres, als die Geschichte; denn sie nimmt das Wahre heraus, und befreit es von den Bekümmernißen der Endlichkeit. Nach dieser Seite also unterscheidet sich das Kunstschöne von dem Naturschönen. Das Kunstschöne ist also das f r e i e S c h ö n e , welches überhaupt das I d e a l genannt wird. Schiller benannte ein Gedicht: »das Ideal«, welches früher betittelt gewesen war: »Reich der Schatten.« Dis ist ganz richtig; denn das Ideal ist die Wahrheit, an der die Endlichkeit nur als Schatten da ist; es ist ein Schweben zwischen der rein hervorgehobnen, offenbarten Wahrheit, und zwischen der Endlichkeit, die es beschränkt, die aber abgestreift, ausgeschlossen werden muß. Das Ideal unterscheidet sich also so von dem Wirklichen und von der Idee; von dem Wirklichen, indem an der Wirklichkeit die Äußerlich keit noch wesentliches Moment ist, wodurch es beschränkt, endlich ist; von der Idee, indem diese auch zwar Einheit des Begriffs und der Realität ist, aber so, daß die Realität eine gedachte ist. das Ideal kann man also wirklich und auch nicht wirklich nennen. Wirklich ist es, insofern es noch äußerliche Realität hat; nicht wirklich, weil es der Begriff, und die Realität dieses Begriffs ist, aber so, daß es außerdem noch die Entlassung seiner Momente zur freien Selbstständigkeit enthält.

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Man muß vom Idealen nicht glauben, daß es ein bloßes Jenseits sey; es hat noch die Rinde der Äußerlichkeit um sich, die Rinde der Endlichkeit, Zeitlichkeit, Relativität, und es ist der Blik des Geistes, der diese Rinde abtrennen muß, und die Wahrheit erfassen. Dies war das Allgemeine über das Ideal; nun haben wir es aber noch in seinen nähern Bestimmungen zu betrachten. Wenn wir das Ideal betrachten, so sehen wir es erstlich als G e s t a l t , als in sich ruhende, befriedigte Selbstständigkeit. 2tens sehen wir aber auch, daß das Ideal nicht so bleiben kann, sondern, daß es in den Prozeß, Unterschied, Thätigkeit, treten muß; denn Thätigkeit ist die Bedingung des Lebens. Nun entsteht die Frage: Wie bei dieser Trennung das Ideal doch bleiben kann, wie | diese Trennung selbst idealisch seyn kann. Indem das Göttliche, Ewige überhaupt thätig ist, so tritt es in die Endlichkeit, in relative Verhältniße; und diese zeigen, wie sich das Lebendige vom Kunstschönen unterscheidet, welches, wie gesagt, zwar Einheit des Begriffs und der Realität ist, dessen Momente aber zur freien Selbstständigkeit entlassen werden. Da das Ideal selbst nun so auseinandertritt, so müssen wir sehen, wie dieses Ideale sich bei dem Auseinandertreten erhält. 2tens werden wir sehen, wie an ihm, das durch dis Auseinandertreten bestimmter wird, diese Bestimmtheiten sich verhalten. In dieser Rücksicht wird also von dem Inhalte des Thätigen die Rede seyn. 3tens müssen wir betrachten, daß das Ideal ein vollkommen Äußerliches sey, daß es nicht unbestimmt in der Luft schwebt, sondern den Schein und das Seyn der Wirklichkeit haben muß. 1) d a s I d e a l a l s A l l g e m e i n e s , a l s G e s t a l t . Gestalt ist überhaupt das, worin das Wahre sein Daseyn hat; die Gestalt muß sich auf sich beziehen, das Ideal muß auf sich ruhen, sich nicht verzerren, ausschweifen; es muß der Bedürftigkeit des Lebendigen, dem Apparate entnommen seyn, den die Natur zur Lebendigkeit braucht. Alle die Häärchen, Poren, und andern äußerlichen Bestimmungen, die dem Naturprodukt ankleben, müssen entnommen seyn; es muß als Geistiges fest auf sich beruhen. Es muß die formelle Festigkeit des Characters in sich zeigen, überhaupt eine Gestalt in dem Sinne seyn, wie wir es schon oben gezeigt haben. 2) haben wir d a s M o m e n t d e r B e s t i m m t h e i t , B e w e g u n g , A u s e i n a n d e r t r e t e n d e s I d e a l s z u betrachten; und dis ist wichtiger, als die Betrachtung des Ideals als eines Allgemeinen. Das Geistige tritt in den Gegensatz, in den Kampf; wir sehen also hier Verworrenheit, Prozess, Kampf des Weltgeists. Diese Trennung sehen wir schon in den griechischen Göttern, und ihren Leidenschaften. Noch mehr sehen wir diesen Gegensatz eintreten in der christ-

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lichen Religion, in Christus, durch den das Göttliche in die Wirklichkeit tritt; wir sehen da Schmerz, Leiden, Kreuzigung, Schmerz der Mutter, der Freunde. Die Größe, Kraft des Gegensatzes macht erst die Größe der Gestalt aus, die diesen Gegensatz überwindet; die Intensität offenbart sich erst durch diesen Gegensatz, der quantitativ und qualitativ seyn kann. der quantitative Gegensatz, das Ungeheure, Schreckliche, Riesenhafte herrscht vornehmlich in den Kindermährchen, und Mährchen überhaupt, wo die Helden mit Riesen und Ungeheuern zu kämpfen haben. Die wahrhafte Größe offenbart sich erst durch das Qualitative des Gegensatzes, sie ist das Positive, das sich durch das Negiren dieses Gegensatzes erhält. das Harmlose, Idyllische ist zwar das Gegenbild dieses Zerrissenen, Auseinandergehenden; ein solches Gemälde hat aber nicht ein wahrhaftes Interesse für sich, sondern der Eindruk, den es macht, ist vorübergehnd, weil der Geist nicht so | bei sich bleiben kann, sondern einen Gegensatz sucht. Wie in dieser Trennung das Ideal sich halten, zeigen kann, sich selbstständig in diesem Handeln verhält, ist die erste zu betrachtende Frage, zu der wir jetzt übergehen wollen. In der Handlung haben wir 2erlei zu unterscheiden, das Allgemeine der Handlung, und die Wirklichkeit, Äußerlichkeit derselben, die That. a) das Allgemeine in der Handlung ist das, was wir das Sittliche überhaupt nennen, und dis ist das Substanzielle derselben. Die Gestalt erhält sich nur, wenn beides, das Sittliche, Allgemeine sowohl, als auch die That, Sache des individuellen Willens bleiben, wodurch die Handlung hervorgebracht wird. diese Immanenz der Gestalt bliebe nicht, wenn das Sittliche als Objectives in einer äußerlichen Reihe, Ordnung bliebe. Im Staate ist dieses Sittliche (Einrichtungen, Gesetze) in solcher objectiven Stellung; das Individuum schließt sich an diese an, und sein Thun ist, sich nach diesen zu richten, anzupassen. Das Individuum in dieser Stellung ist aber nicht das Ideal, die Gestalt. Wenn vom Individuum als solchem gesprochen wird, so versteht man Ein Individuum darunter, welchem nicht das Sittliche so als ein Fremdes gegenüber steht; eine selbstständige Gestalt verhält sich für sich, nicht für das Allgemeine, das schon ohne sie wirklich ist. Dis macht den Unterschied aus in Hinsicht der Handlung; nämlich die Handlung in ihrem ganzen Umfange ist die Handlung des Individuums; im Staate ist dagegen die Handlung schon ein Partielles. der singuläre Fall ist verschieden von dem Daseyn einer allgemeinen Macht, es ist eine kleine Partikel von der Befolgung der Gesetze, wonach sich alle richten. Weil nun die Handlung des Individuums s e i n Entschluß, von ihm hervorgebracht ist, so erscheint es als ein Selbstständiges in dieser Handlung. Insofern das Individuum das Recht verletzt, so steht das Recht nicht als eine gesetzliche Macht, als äußere Nothwendigkeit ihm gegenüber, sondern das Recht ist so nur eine innere Nothwendigkeit, beruht auf die Subjec-

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tivität der Gestalt, und die Reaction dagegen ist eine ganz individuelle der Gestalt. Dieser hier festgesetzte Unterschied zeigt uns das Verhältniß, in dem die individuelle Handlung, die ideale Handlung statt finden kann. Dieses Verhältniß fällt nur in die Heroen-Zeit; da ist die Tugend dieses Individuelle, was wir eigentlich Tugend nennen. Daher ist der Held der griechischen Tugend in der Gestalt des Hercules aufgestellt; seine Tugend ist ganz individuell, sie ist keine moral ische Tugend, sondern die selbstständige Kraft des Individuums, so daß das Recht nur durch diese selbstständige | Kraft erzeugt ist. Solch ein Zustand, solche Verhältniße setzen also die freien Gestaltungen zum voraus, daß also das Allgemeine der Handlung nicht äußerlich bestimmt sey, sondern bloß von der Individualität abhänge. Solche Verhältniße kann man auch bei den großen Männern der neuern Zeit annehmen. die großen Männer sind freie Genossen eines Bundes, und wenn sie auch von Gesetzen, von einem Könige abhängen, so ist doch das Gesetz der Ehre ihr eignes, es ist Produkt ihrer Persönlichkeit. Sie gehorchen nur dem Könige aus eigenem Triebe, und lassen es aufs äußerste ankom men, um ihre Persönlichkeit zu erhalten. Dieses Ideal, Freiheit der Gestalt kann man auch in engern, weniger ausgedehnten Wirkungskreisen annehmen; so kann man z. B. von dem Ideale eines Hausvaters, Ehemanns u. s. w. sprechen, nie aber von dem Ideale eines Beamten; denn seine Pflicht, sein Handeln, ist ihm vorgeschrieben, es ist nicht Sache seines Willens; was er noch aus seiner Individualität hinzuthut, z. B. Scharfsinnigkeit, Milde und s. w. betrifft nur particuläre Seiten seines Handelns; aber das Substanzielle, das Handhaben der Gerechtigkeit überhaupt, hat er nicht für sich beschlossen, ist nicht Erzeugniß seiner Individualität. der König ist zwar der höchste, die Spitze des Ganzen, und man könnte ihm daher mehr als den andern die aus seiner Individualität entspringende Freiheit der Handlungen zuschreiben; aber auch gegen ihn ist der Kreis der Einrichtungen, Gesetze schon bestimmt und festgesetzt vorhanden, und seine Individualität kann nichts Substanzielles hinzuthun. So kann also das Individuum unsrer Zeiten nur noch sehr beschränkte, partielle Seiten seiner Selbstständigkeit in der Gesellschaft gelten lassen. Wir sehen also daraus zunächst, warum solche ideelle Gestalten der Kunst vornehmlich in die alte Zeit verlegt werden. In Rücksicht der Selbstständigkeit der Gestalt können noch 2 Umstände bemerkt werden. Wenn bei den Alten Einer bewußtlos etwas Böses gethan hatte, so nahm er doch das Schreckliche dieser That (nicht Handlung, denn diese setzt ein Bewußtseyn des Zwecks voraus) ganz auf sich. Bei uns ist diese bewußtlose Handlung bloß That, die Gerichte absolviren einen solchen Menschen; und wenn sie etwas strafen, so ist es nicht das Begehen der That, sondern etwa die zufällige Ursache derselben, z. B. Unvorsichtigkeit. diese Theilung von Schuld und Unschuld sehen wir bei den Alten gar nicht, oder doch nicht in der

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Bestimmtheit wie bei uns. In dieser | Annahme liegt die Forderung, daß der Mensch das, was er thut, auch w i s s e n soll, daß das Hervorgebrachte in seinem ganzen Umfange die H a n d l u n g des Thäters sey. Das 2te Moment ist, daß bei den Alten die Vorstellung war, daß die Kinder auch die Schuld der Aeltern tragen sollen, und so ein ganzes Geschlecht verdammt seyn soll. Nach unsrer Vorstellung beruht jeder Einzelne auf sich, die Berechtigung seiner Handlung liegt in ihm; die That seiner Väter ist nicht s e i n e That, sie entehrt nicht das Kind, befleckt nicht den Character desselben. Obige Ansicht herrschte noch mehr oder weniger im Mittelalter. die frühre deutsche Gesetzgebung überlieferte eine ganze Familie der Schande und Unehre, sobald die Voreltern derselben eine schmachvolle Bestrafung erlitten hatten. die alte Philosophie enthält die Ansicht, daß der Einzelne nicht als wesentlich Einzelner erscheint, sondern daß er nur da sey als Glied einer Familie, eines Ganzen. die Thaten der Väter leben noch in den Kindern fort, die Penaten, die Geister der Väter sind auch in den Kindern. dieser Unterschied fällt also in das Prinzip der substanziellen Einheit, das als eine Gestalt, ein Individuelles, als Totalität, da steht. Aus dem Gesagten entspringen 2 Folgen, die ich erklären will. Ich habe schon früher erwähnt, warum alle Ideale in die alte Welt verlegt werden. Ein andrer Grund ist aber auch der, weil sie dadurch aus dem Schmutze der Wirklich keit gehoben werden, in welchem sie nach dieser Seite der gemeinen, endlichen Existenz gehüllt, beschränkt sind. Bei einer Gestalt aus unsrer Zeit fallen uns alle ihre Nöthen, Endlichkeiten, Äußerlichkeiten auf, die nicht der schönen Gestalt als solcher zugehören. – Eine 2te Folge ist, daß die Kunstgestalten vornehmlich in den Stand der Könige und ihrer Geschlechter, oder überhaupt in den Stand der selbstständigen Helden und Ritter verlegt werden. Indem diese nicht dem Stande der Niedern zugehören, scheinen sie deshalb mehr unabhängig für sich, weniger verwickelt in der beschränkenden End lichkeit zu seyn. daher kann man die bürgerliche Tragödie weniger ein Kunstwerk nennen; denn eben in solchen bürgerlichen Tragödien sind die Gestalten nach allen Seiten beschränkt durch das Sittengesetz a u ß e r ihnen, sie ermangeln der Selbstständigkeit, die der Kunstgestalt zukommt. Zur Comödie eignen sich mehr solche Verhältniße; das In|dividuum will selbstständig seyn, befindet sich aber in der Verwickelung, Beschränkung der äußern Macht, die es aber auch anerkennt, auch will; und so zerstört es selbst seine Selbstständigkeit; es treten gegen dasselbe nicht von außen feindseelige Gestalten auf, sondern es bläht sich zu der Selbstständigkeit auf, spreitzt sich auf, und zerstört selbst durch Anerkennung der äußern Mächte diese Selbstständigkeit; daher erscheint es als dies Wider sprechende, Lächerliche, Komische. Hier können uns auch Gestaltungen einfallen, die der modernen Zeit angehören. Shakspear z. B. stellt die Selbst-

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ständigkeit der Gestalt nicht als eine wirkliche dar, nicht als die plastische Selbstständigkeit bei den Alten, sondern als eine formelle. In dieser Rücksicht kann auch an einige Stücke Schillers erinnert werden, wo wir das Streben sehen, selbstständige Gestaltungen zu gewinnen, aber im überwiegenden Gegensatze aller geselligen Verhältniße. So sehen wir in Carl Moor dis Austreten aus der Geselligkeit; er will sich zum selbstständigen Rächer aller Unbilden machen; wir sehen aber, wie klein diese Selbstständigkeit werden muß gegen das, wogegen sie sich auflehnt; und so wird er zum Verbrecher. Sein Ideal, durch dessen Realisirung er die Selbstständigkeit zu erlangen glaubte, war das Räuberideal, das kaum als Ideal erscheinen kann, und höchstens nur für Knaben. Der Inhalt, die Situation dieses Stücks ist ein Mißgriff, aber ein höchst tragischer Mißgriff. dasselbe Streben, wie bei Carl Moor, aber nur veredelter, sehen wir im Wallenstein. Er will sich an die Spitze der Armee stellen, sich zum Regulator der politischen Mißbräuche aufwerfen; er erkennt aber nicht die objectiven Hinderniße der äußern Mächte an, und kann es doch nicht verhindern, daß sie sich geltend machen, im Gegensatze gegen seine Subjectivität; und so ist er verloren. b) Das Nähere an dieser Handlung, die Bewegung selbst, das Bestimmtere derselben, und der Inhalt der diese Bewegung veranlassenden Charactere. Jede Handlung fängt von etwas an, hat Voraussetzungen; diese haben wir zu betrachten. 2tens müssen wir auch auf den Inhalt der Charactere sehen, die sich zu diesen Umständen verhalten; denn die Gestalten sind verschieden, und diese Unterschiedenheit der Gestalten enthält den substanziellen Inhalt dieser Charactere. Um zu handeln, ist ein Gegenstand, ein Stoff vorausgesetzt, worauf die Handlung, Trennung gebaut werden soll. Es sind Umstände vorhanden, die | den innern Zwecken, dem Gehalte einer Gestalt widersprechen. Gegen diese richtet sich die Handlung; und die Art, wie sie diese Umstände ergreift, macht den Character der Gestalt aus. Diese Umstände können sehr verschieden seyn, zunächst sind sie aber doch alle durch Handlung begründet; das erste Handeln ist die erste Voraussetzung; diese setzt die Umstände, und das 2te Handeln bringt sie zu Ende, reconstruirt sie. So kann also dieser Anfang als Mitte erscheinen. In diesem Sinne sagt Horaz: Homer führe seine Zuhörer in mediam rem hinein. Die Voraussetzungen sind schon vorhanden, und indem diese auch Handlungen zu Voraussetzungen haben, so sind sie gleichsam die Mitte. Die Kinder mährchen fangen von einem absoluten Anfange an, z. B. es war einmal ein Prinz etc. sie zeigen so, wie das Unbewegte bewegt wird, entwickelt wird. In dieser Rücksicht sehen wir, daß es eigentlich keinen absoluten Anfang giebt, sondern jeder Anfang muß hinweisen auf vorausgesetzte Umstände; wären diese ein Festes, Unbewegtes, so wäre es eine Willkühr, welche die Veränderung, Entwickelung hervorbrächte. So sehen wir eine Voraussetzung in der Tragödie; über diese

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Voraussetzung beginnt die Gestalt sich zu bewegen, thätig zu seyn; aber diese Voraussetzung kann eben so durch eine Handlung hervorgebracht seyn, und diese wieder durch eine andere. So sehen wir in Iphigenie von Tauris den Beschluß des Unglücks, das auf ihrem Hause ruht. Die reine, schuldlose Iphigenie versöhnt dies Unglück. Dieses Unglück, was da Voraussetzung ist, hat zu seiner Voraussetzung die That des Orestes, diese die That der Clytemnestra, diese die That des Agamemnon, diese die That des Paris, diese die That des Thyestes, und dieses alles zusammen endlich das Schicksal des Tantalus. So litt also das Individuum die Last und Schuld des ganzen Hauses. Bei der Iliade des Homer sehen wir dasselbe, wo die Voraussetzung vom Raube der Tochter des Apollo-Priesters bis zum Eye der Leda fortgeht. So ist also kein absoluter Anfang vorhanden. Es ist, wie gesagt, die Sache der Mährchen, besonders der arabischen, z. B. tausend und eine Nacht, einen solchen Anfang zu nehmen, so daß die Zuhörer eigentlich gar nicht wissen, wo denn der Anfang kömmt, und daß er erst durch mehrere Vorbereitungen heranrückt. Zu dem Anfange im Kunstwerk gehört aber eine nothwendige Handlung, ein Vorausgesetztes, eine Zwistigkeit, die daraus entwickelt und versöhnt werden muß. Das Wichtigste bei einem Kunstwerk ist also die Erfindung eines solchen Stoffes, welcher eine Reaction erfordert; und dieses macht gerade den Dichtern große Schwierig|keit. Nun hat man geglaubt, daß eine solche Situation erfunden werden müsse, dem Dichter selbst angehören müsse, und daß er erst dadurch ein origineller Dichter würde. Es ist aber zu bemerken, daß diese Voraussetzungen erst das Material des inneren Characters des Kunstwerks sind, nicht der innre Character des Kunstwerks selbst. Es ist also dem Dichter erlaubt, eine solche Voraussetzung, solchen Stoff, aus der Geschichte zu nehmen. Man hat den neuern Zeiten eine größere Kraft und Gabe zugeschrieben, solche Stoffe, Materiale zu erfinden, welche allerdings den Alten weit mehr fehlten. Aber dieses Material ist nicht das Höchste, sondern es kommt darauf an, wie der innere Gehalt, der geistige Proceß, die Entwickelung, Reaction im Kunstwerk sich zu dem Materiale verhält. 2tens kann man auch sagen, weil diese Umstände das Vorausgesetzte in dem Kunstwerke sind, so sollen sie auch in der Vorstellung das Vorausgesetzte seyn; wir sollen mit diesen Umständen schon bekannt seyn, sie müssen schon ein subjectiv Vorausgesetztes seyn. deshalb haben die Alten alle ihre Stoffe aus der bekannten Welt genommen; und erst später sehen wir in Ansehung des Dramatischen bei Euripides eine lange Exposition. Was nun den Inhalt eines Kunstwerks betrifft, so frägt sich, von welcher Art dieser Inhalt seyn soll. Er kann nun von mannichfaltiger Art seyn; jedes Kunstwerk, jedes Drama hat andern Stoff, andere Voraussetzungen und Verwickelungen. dessen ungeachtet muß aber auch ein Allgemeines darüber festgesetzt seyn.

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In Hinsicht dieses Allgemeinen ist zu bemerken, fürs erste müssen diese Voraussetzungen, da sie aus der bekannten Welt sind, eine besondere Seite haben, nach der sie nicht mit unsern Ansichten, unsrer Eigenthümlichkeit zusammenstimmen, sondern sie müssen den eigenthümlichen Character eines Volks und Landes enthalten. Diese Voraussetzung muß ferner nicht bloß eine negative Handlung seyn, ohne allen sittlichen Werth, und gegen denselben; es muß nicht ein bloßes, reines Verbrechen seyn, das nicht den geringsten positiven Werth enthält. Das reine Verbrechen erfordert zwar auch eine Reaction, aber diese kann nur ganz einfach seyn; das Verbrechen ist ein Criminalfall, und dagegen hat nicht eine Gestalt zu reagiren, sondern die Gerechtigkeit im Staate. Das reine Verbrechen ist gehaltlos, es setzt bloß Zerrissenheit, Negativität, ohne alle Positivität in sich zum voraus; deshalb hat es auch für sich kein positives Interesse, sondern bloß das negative Interesse, daß es weggeräumt werden muß. Ob eine Handlung ein reines Verbrechen sey oder nicht, dies kommt auf die Umstände an, unter welchen sie vollbracht | wird. Wenn ein Verbrechen keine Berechtigung findet weder in der Individualität der Gestalt, die es hervorbringt, noch in den äußern Umständen, sondern vollführt wird bei dem Daseyn einer äußern überwiegenden Macht, bei dem Bestehen einer mächtigen, gesetzlichen Ordnung, so ist sie reines Verbrechen, und die einzige Reaction dagegen ist die der Gerichte. So sehen wir in Müllners »Schuld« das Daseyn einer gesetzlichen, bürgerlichen Ordnung der Handlung entgegenstehend; es ist nicht die Handlung der in sich berechtigten Individualität. das Stück sollte demnach eigentlich nur in 3 Szenen abgemacht seyn; in der ersten Szene sollte Hugo die That begehen, in der 2ten sollte er gerichtet, und in der 3ten gehängt werden. die Frau seines Freundes lieben, und ihn deshalb meuchelmörderisch erschießen, ist so ein nacktes, kahles Verbrechen, das durch das Gesetz geahndet werden muß, und das gar keine Berechtigung in der Individualität der Gestalt findet. Im Hamlet ist dieselbe Voraussetzung; der König ermordet seinen Bruder aus Liebe zu dessen Frau; da ist aber nicht der König der Held, sondern er spielt gegen den Helden des Stücks, Hamlet, eine schlechte subordinirte Rolle. Bei reinen Individualitäten, bei selbstständigen Gestalten kommt das Verbrechen eigentlich nicht im Sinne des Verbrechens vor. Denn da kann alles geschehen, es ist eine ästhetische Gestalt, die auf sich beruht. Solche Individualitäten können als Berge Gottes betrachtet werden, oder als Vulkane, die alles um sich verheeren, oder als kalte Eisberge, in deren Nähe alles erstarrt, oder als Berge mit Cedern bewachsen, von denen sich leise murmelnde Bäche ergießen, und auf denen ringsum alles lieblich duftet. Sie sind was sie sind, und wie sie sich auch äußern, so liegt in ihrer Individualität die hö8 eine] einen

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here Berechtigung, die wir anerkennen. Die Handlung muß also durch eine auf sich beruhende Individualität dargestellt werden. der Zorn des Achilles im Homer beruht auf eine solche auf sich beruhende Individualität; eben so auch bei dem Agamemnon, der die schöne Briseis von ihm fordert, und so als Herrscher und Feldherr dem Achilles seine Uebermacht fühlen läßt. die Voraussetzung muß überhaupt für uns nicht etwas Fremdes, Widriges, sondern etwas rein Menschliches seyn. Eine solche fremde, nicht rein menschliche Voraussetzung findet sich in der | Sacontala, einer der schönsten Productionen der indischen Poësie. daselbst ist der Anfang der, daß der König Duschmanta seine Gattinn mit seinem Kinde verläßt. Dis ist nun eine schlechte Voraussetzung. Viel schlechter und widriger ist die Voraussetzung in der indischen Erzählung »Nalus«, einer Episode im Mohabharad. Eine Fürstentochter hat nämlich mehrere Bewerber, aber lauter Götter, unter denen sich nur ein Sterblicher, ein Prinz befindet, den sie aber gerade zu ihrem Gatten wählt. Unter den göttlichen Bewerbern befindet sich auch ein böser Daemon; dieser erboßt sich über ihre Wahl, verbindet sich mit dem Spieldämon, und beredet ihn, sich des Prinzen zu bemächtigen. Da der Prinz aber stets tugendhaft lebt, so hat der Dämon keine Macht über ihn. Endlich begeht der Prinz die Sünde, daß er, nachdem er sein Wasser abgeschlagen, in seinen eigenen Urin tritt; diese Gelegenheit ergreift der Spieldämon, und fährt in ihn hinein; der andre Dämon fährt in des Prinzen Bruder; sie fangen mit einander an zu spielen, und der Prinz verliert Geld, Kleider, Reich, Ehre und alles. Dies ist ein schlechter verwerflicher Anfang, der kein positives Interesse für sich hat. Dieses Widrige in der Voraussetzung findet besonders auch in der neuern, auch mittlern Zeit statt; denn da herrschte die Frömmigkeit vor, und das fromme Gemüth gefällt sich wohl, gegen solche Voraussetzung zu reagiren; demohngeachtet ist es doch im Ganzen ein Bild von etwas Schrecklichen, Widrigen. In Shakspears Romeo und Julie ist die Voraussetzung ganz natürlich. Es ist der Haß zweier feindlichen Häuser gegen einander, der sich thätig äußert in dem damals noch unbefestigten Staate. Auf der andern Seite ist es ein Zufall, daß in dem einen Hause ein Sohn, und in dem andern eine Tochter ist, die sich einander eben so zufällig auf einem Balle sehen, und sich lieben; diese Liebe wird nun gestört durch den Haß der Häuser, und die Liebenden gehen durch diesen Haß unter. dis ist alles ganz in der Natur der Sache begründet. So giebt es noch ein Gedicht neuerer Zeit, Herrmann von der Au (aus dem alten Geschlecht der Ow,) in welchem die Voraussetzung sehr widrig ist. Herrmann ist nämlich von einem unheilbaren Aussatze befallen; er geht nach Italien, zu der Salernitanischen Schule, die damals für die Medizin die beste war, und sucht dort Hülfe. Die weisen 34 Herrmann von … Au] siehe Anm.

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Männer sagen, ihm könne nur geholfen werden, wenn eine Person aus Liebe zu ihm sich bei lebendigem Leibe das Herz ausschneiden ließe. An dieser Hülfe verzweifelnd, kehrt | Herrmann traurig nach der Schweitz zurück zu den Bauern, bei denen er gewohnt hat. dort ist ein Mädchen, die ihn gepflegt, und heimlich geliebt hat; diese erbietet sich zu dem Opfer; das er nach langen Weigerungen annimmt, und mit ihr darauf nach Italien reist. Darauf sehen wir zu Salerno die Vorbereitungen zu diesem Opfer machen; ein Mönch führt das Mädchen in ein verschlossnes Zimmer, bindet sie, legt sie auf den Tisch, und will eben das grausame Werk beginnen. Hermann, der draußen steht, fühlt die peinlichste Angst, stürmt das Zimmer, und läßt die Grausamkeit nicht zu. Jedoch wird Hermann durch den bloßen Willen des Mädchens geheilt. Die Entwickelung in diesem Gedichte ist immer sehr schön, aber die Voraussetzung taugt nichts. Die Krankheit, die Art der Heilung, so wie die Forderung eines solchen Mittels zur Heilung von Seiten einer ganzen gelehrten Schule, in der auch Geistliche saßen, ist uns fremd und widrig. das 2te was wir zu betrachten haben, ist die Seite der Reconstruction des Verletzten, durch den Menschen. Die wesentlichen Momente bei dieser Reaction sind nun anzugeben. Diese Reaction bietet eine unendliche Menge von Arten des Handelns dar; diese Mannichfaltigkeit ist aber begrenzt durch die nothwendigen Forderungen des Geists. An denjenigen, welchen diese Reaction übertragen ist, muß man zweierlei unterscheiden, die substanzielle Seite und die Realisirung dieser substanziellen Seite. diese substanzielle Seite ist das Göttliche in der reagirenden Gestalt; das Reagiren nach der substanziellen Seite macht das nothwendige Wirken einer göttlichen Kraft und Macht aus; und diese ist es, welche die Kunst würdig auffassen kann. Die Reaction muß ein für sich Gerechtes seyn, ein Moment der göttlichen Idee, ein an und für sich Geltendes, was an sich ein wesentliches, göttliches Interesse enthält. Es ist schon bemerkt, daß die bloßen Bösewichter für sich kein wahrhaftes Interesse erregen; ihr Charakter enthält nichts Berechtigtes in sich. die modernen Dichter glauben, jemehr sie einen Character böse zeichnen, desto mehr Intresse werden sie erregen; jemehr Böses aber, desto mehr Abstraction, und desto mehr Kälte. das wahre Kunstwerk ist die Zusammenstimmung des Inhalts, des Begriffs, und der Darstellung; diese Harmonie kann aber nicht hervorkommen, wenn die Grundlage selbst schon nicht ein in sich Berechtigtes ist. diese Gestaltungen | haben nun verschiedene Seiten; das letzte dieser ist der Teufel, das an sich Böse; solch ein Character ist nicht ästhetisch, da hier wohl Festigkeit, Sicherheit, Kraft formell zusammenstimmen können, in der ganzen Zusammenstimmung aber sich nichts Positives, keine gute Seite zeigt, sondern lauter Negation, weßhalb solch ein Character auch kein wahrhaftes Interesse erregen kann. Bei der Reaction gegen das Vor-

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ausgesetzte können nun viele allgemeine Mächte auftreten in dem Individuum, z. B. Liebe, Rache, Haß, Herrschsucht etc. Diese sind das, was die Alten bpou nannten. Es sind dis absolut berechtigende Momente, sie sind für sich etwas Positives, etwas für sich Berechtigtes, da hingegen das Böse für uns nur etwas Negatives ist. Die Franzosen sind dabei sehr naiv zu Werke gegangen, und haben gesagt, man müße das Böse nicht ganz böse darstellen, sondern auch etwas Positives, Gutes ihnen geben, aber so, daß dieses Positive nicht als substanziell in dem Character erscheine, sondern nur als zufällig, so daß das Böse dadurch nicht gehindert werde. Der Reichthum der Idee giebt verschiedene solche positive Seiten an; eine Gestalt also, die nach e i n e r Seite unberechtigt erscheint, muß eine andere Seite haben, wonach sie berechtigt ist, und es ist die Kunst des Dichters, den Punkt, wo das Unberechtigte anfängt, schwer erkennbar zu machen. Diese Kunst, das Unberechtigte berechtigt darzustellen, hat auch die Beredsamkeit der Leidenschaft. Wenn diese Beredsamkeit mangelhaft ist, so zeigt sie nur ein Aufspreitzen des Bösen, ein Einkleiden desselben in schöne Worte. Diese Beredsamkeit zeigt sich auch bei vielen Helden in den französischen Dramen, die viel von ihrer Ehre, Pflicht u. s. w. räsonniren, diese als Motive aller ihrer Handlungen setzen, diese Motive aber durch ihre Handlungen selbst vernichten, und so ein ekelhaftes Bild geben von innerer Nichtigkeit, die sich äußerlich aufspreitzt. – Die obenerwähnten allgemeinen Momente sind die dem Geiste inwohnenden Mächte, das Substanzielle selbst. dieses Substanzielle kann nun hervorgehoben werden für sich, oder als innere Motive des Characters der Menschen betrachtet werden. diese Motive für sich, selbstständig hervorgehoben sind die Götter in den Kunstwerken der Alten, sie bilden so einen Kreis von Göttern, in welchem die Einzelnen sowohl auf das Thun der Menschen als auch auf einander gegenseitig großen Einfluß haben; dadurch beziehen sie sich aber auch zugleich auf die Äußerlichkeit, und treten so in die Endlichkeit; denn bei dem Thun einer jeden solchen Macht treten Bestimmungen von den andern Mächten hinzu, und so erscheint sie endlich, individualisirt. So entsteht eine A l l e g o r i e , welche ein Kaltes, d. h. Abstractes ist, deren Substanzialität nur Ein solches Motiv ausmacht, da doch die wahre Substanzialität in der Zusammenstimmung aller Motive bestehen soll. | So ist also ein Kreis von Göttern da, die allerdings das Ueber wiegende sind, wovon aber Eines in des Andern Individualität hereinspielt. Wir sehen bei dem Homer diese Götter, allgemeinen selbstständigen Mächte da stehen, mit einander streiten kämpfen, und die besondern menschlichen Individualitäten in den Hintergrund treten. Aus dem Gesagten entspringt nun, daß eins der wesentlichsten Verhältniße das der Götter zu den Menschen ist. In dem Menschen erhalten diese allgemeinen Mächte erst ihre Bethätigung, ihre eigentliche äußerliche Wirklichkeit. In die-

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sem Verhältniße bietet sich zuerst dar, daß gegen diese Mächte in ihrer Individualität, die sterblichen Menschen, nur Ephemeren, ein Nichtiges sind, verschwinden, gegen sie keine Kraft haben. Dies Verhältniß darf aber nicht das geltende seyn; denn die allgemeinen Mächte sind immanent in dem Menschen, gehören ihm selbst an; so ist z. B. Eros, die Liebe, etwas Subjectives in dem Gemüthe des Menschen. So sehen wir oft bei dem Sophocles, daß z. B. Oedip sagt: »M e i n e Eumeniden!« Seine Tochter sagt zu ihrem Bruder: Er solle bedenken, daß die Erinnyen seines Vaters ihn verfolgen, d. h. das immanente Wollen, der immanente Geist seines Vaters. das Herausheben dieser allgemeinen Mächte stellt sie als Götter dar; und es ist die Pflicht der Kunst, sie einerseits als selbstständige Götter darzustellen, und andrerseits doch ihre Subjectivität im Menschen durchblicken zu lassen; diese Einheit ihrer Objectivität und Subjectivität zu erhalten; und es ist das Hohe des Künstlers, diese Harmonie, Identität, wenigstens anzudeuten. Im Menschen thut sich oft ein Andres auf gegen sein Wollen, Trieb, Leidenschaft; nun liegt es sehr nahe, daß der Künstler diesem Andern die objective Gestalt giebt. Dies sehen wir gleich im Anfange der Iliade: Achill, im Begriff, sein Schwerdt gegen Agamemnon zu ziehen, faßt sich und unterläßt es, weil ihm, wie Homer sagt, Pallas erschienen ist. Hier ist Pallas dis Andre in ihm, die Klugheit, die sich gegen seinen Zorn aufthut, und die Homer so objectivirt selbstständig dargestellt hat. So sehen wir, wie Priamus, um den Leichnam seines Hector zu erbitten, den väterlichen und kühnen Entschluß faßt, ins Lager zum Achill zu gehen, daß ihn Homer vom Hermes als seinem Schutz begleiten läßt; der Hermes ist hier seine eigene vernünftige Mäßigung und Klugheit. Hier ist also ein Schwanken zwischen Subjectivität und Objectivität, von denen man keine als das Bestimmte, Prädominirende aufstellen kann; denn, soll der Gott alles thun, so verschwindet alles Interesse an dem Menschen, thut der Mensch alles, so geht das dichterische, die Fantasie unter. dieses beide gehörig zu vermitteln, ist die Sache des wahren Künstlers; er muß das Immanente im Menschen | bemerklich machen, und auch die allgemeine Macht hervorheben. daher geschieht es öfters bei den Alten, daß wenn ein Mensch einen Entschluß aufgiebt, es beinahe den Schein hat, als verändre sich der ganze Character des Menschen. So sehen wir im Philoctet des Sophocles diese Erscheinung des Gottes, die den Knoten zerhaut. Philoctet will trotz aller Bitten seiner Freunde, nicht seinen Entschluß ändern, nicht zur Armee gehen; da erscheint sein Freund Heracles, und er giebt nach. Dadurch giebt er beinahe seinen ganzen Character auf; aber andrerseits schadet er nicht seinem Character, denn er gehorcht diesem Andern, Fremden außer ihm. Sophocles hat in seinen edlern Stücken nicht solche Wendungen angebracht; denn das Edlere besteht gerade darin, daß es nicht den Schein habe, als sey solche Wendung durch eine überirrdische Macht bewegt

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worden. Hier erinnere ich an Goethe’s Iphigenia auf Tauris, wo sich diese Umbildung des Äußern in ein bloß Subjectives im schönsten Lichte zeigt. Denn die darstellung dieser Harmonie ist das Wesentlichste, was einem Kunstwerke zum Grunde liegt. Nichts ist widriger, als der neue Gebrauch in der Poësie, die Götter so ganz äußerlich, der Subjectivität des Menschen entgegengesetzt darzustellen, den Gott als Maschine zu gebrauchen, wie der Ausdruck: deus ex machina auch ganz richtig andeutet. Dieses hat, wie gesagt, Goethe in seiner Iphigenia ganz verbannt, welches den Vorzug derselben vor Sophocles Iphigenia ausmacht, wo noch dieses Prosaische herrscht. Beim Sophocles kommt Orestes, und raubt mit Iphigenien das Bild der Artemis. Thoas läßt sie verfolgen; da erscheint Artemis und befiehlt ihm mit der Verfolgung inne zu halten; sie erzählt, daß sie Poseidon gewonnen habe, dieser habe sie schon weit genug ins Meer gebracht, und so wäre sein Bemühen überdies ganz fruchtlos. Sie giebt ihm einen strengen Befehl, nicht weiterzugehen, und Thoas sehen wir zwar fromm, aber inhaltlos, gehorchen. Goethe legt diese Gottheit in Iphigenien selbst. Sie, die ihren Bruder gerettet hat, fühlt sich andrerseits nicht fähig und stark genug, den Thoas zu verlassen, der sie so liebreich und milde behandelt hat. Sie vertraut aber der Wahrheit in der Menschenbrust, und entdekt ihm das Geheimniß. Sie verlangt von den Göttern weiter nichts, als daß sie die Wahrheit verkünden sollen. Thoas spricht zu ihr: »Du verlangst, | daß der Barbar, der Scythe, die Stimme der Menschlichkeit hören soll, da doch selbst die Atriden sie nicht hörten!« Worauf sie ihm erwiedert: »Es hört sie jeder, der das Gute, und die Kraft dazu in seinem Busen fühlt!« So ist also durch den Menschen selbst die Schwierigkeit vermittelt worden. Nun entsteht aber noch die Schwierigkeit, daß Thoas das Bild der Artemis nicht mitgeben will, welches mitzubringen jedoch das Orakel dem Orestes befohlen hatte. Da hat nun Goethe wieder eine schöne Erfindung gemacht in dem Doppelsinne des Orakels. dadurch zeigt Goethe wieder, daß es nicht das rein Äußerliche, das Bild von Holz ist, welches dem Orest seine Ruhe giebt, sein Schiksal versöhnt, sondern daß es seine reine Schwester ist, die dies thut, die das ganze Haus beschützt. So ist also auch auf dieser ganz materiellen Seite das rein prosaische Verhältniß aufgehoben. Goethe selbst ist mit dem Stück nicht ganz zufrieden, besonders was die Aufführung im Theater betrifft, und meint, daß das Stück zu sehr im Subjectiven spiele, da er die Furien so ganz ins Subjective des Orest gelegt habe; aber dis ist gerade das Schöne, daß die Harmonie so durch den Dichter hervorgebracht ist, und so die bei den Griechen objectivirten Götter zu ihrer Wurzel zurückgekehrt sind. Beiläufig gesagt, beginnt auch bei dieser Objectivirung der innern Mächte der Aberglaube, und daran sich anschließend, die Gespensterfurcht; denn wenn die allgemeinen Mächte als etwas ganz Äußerliches, Objectives dargestellt werden, so erscheint sich der Mensch als ein

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ganz Inhaltloses, als eine mechanische Masse, die so von den äußern Mächten herumgeführt und bewegt wird; er sieht in sich keine selbstständige, thätige Kraft, sondern verlegt alles in die äußern, ihn daher beherrschenden Gewalten. Man hat deshalb auch gemeint, daß es lächerlich wäre, die Gestalten im Homer als Helden darzustellen, da sie ja im Bunde mit den Göttern wären; da ließe sich gut tapfer, weise etc seyn. So könnte man z. B. Achill gar nicht als einen tapfern Helden betrachten, da er ja unverwundbar gewesen sey durch das Eintauchen in den Styx. Dies Tauchen in den Styx ist aber nur als Erklärung seiner Unverwundbarkeit dargestellt, dis Tauchen ist nur geschlossen aus seiner Tapferkeit, es ist nur als Erklärung als das 2te, nicht als das 1ste zu betrachten. Denn Achill erscheint | für sich als tapfer, so daß man dis Tauchen wieder vergißt, und ihn als Tapferkeit allein anschaut. Bei dem hörnernen Siegfried, der eine Nachahmung des Achill seyn soll, sieht man auch diese Unverwundbarkeit; die ganze Sache wird aber da mährchenhaft, und kann nicht Interesse erregen, weil seine Tapferkeit wirklich bloß durch solche Äußerlichkeit bedingt erscheint, und nicht als in ihm immanent aufgefaßt ist. In den modernen Legenden sehen wir auch solche äußerliche Erscheinungen des Christus, der Maria u. s. w. Einerseits ist dis aber nur eine abstracte Frömmigkeit, andrerseits muß aber, wenn diese Darstellung richtig sein soll, diese Erscheinung sich auch mit ihrer Wurzel im Gemüthe verlieren. Ebenfalls moderne Erscheinungen sind der Geist im Hamlet, Banco’s Geist im Macbeth, die Hexen in demselben Stücke. In diesen allen findet sich auch diese Harmonie; denn sie sind einerseits ein ganz Subjectives, aber andrerseits auch ein Objectives. Besonders gut ist dis im Hamlet gestellt. Hamlet hat die Ahnung einer ungeheuren That, die nicht hätte geschehen sollen; sie ist aber geschehen, und zwar gegen seinen geliebten Vater; es ist also ganz natürlich, daß der Geist seines Vaters ihm erscheint, und ihm das entdeckt, was er noch nicht geahnet hat. Die Umgebungen, die Nacht, das Wachen ist hier auch gut angebracht. Ein Hauptzug ist, daß, nachdem sich der Geist auch gezeigt hat, Hamlet doch noch zaudert. Dies hat man ihm für Feigheit ausgelegt; allerdings ist Hypochondrie in seinem Gemüthe, mit der sich nothwendig eine gewiße Unthätigkeit, Liebe zur Ruhe verbindet; aber diese Hypochondrie geht aus der schönen Harmonie seines Gemüthes mit sich hervor, aus der Trauer um seinen Vater, und aus dem kalten, drückenden Einfluße, welchen das Leben außer ihm auf sein Innres ausübt. daher ist, wie gesagt, ein Hauptzug, daß Hamlet noch zaudert, und zweifelhaft ist, ob der Geist nicht der Teufel sey. Daher will er aus eigner Ueberzeugung schließen, und läßt zu diesem Ende die Comödie aufführen. In Ansehung der Homerischen Götter kann ich noch etwas hinzufügen. Man hat, wie gesagt, den Einwurf gemacht, daß ihnen gegenüber die Menschen als ohnmächtig erscheinen, und daß hierin keine richtige Consequenz läge. Die

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Strenge der Homerischen Götter wird aber dadurch gemildert, daß Homer sie heiter, ihren Ernst selbst aufgebend, dargestellt hat, ja, wie man es | genannt hat, mit I r o n i e , mit dieser Seeligkeit in sich, sodaß es ihnen nicht um ihre ernstliche Haltung zu thun ist, und daß diese durch den Dichter wegfällt. diese Ironie erregt bei aller der Selbstständigkeit der Götter doch Lachen, und so wird der Mensch wieder frei. Ueber die Individualität der Menschen haben wir noch etwas zu sagen. Wenn diese Individuen nur durch eine Eigenschaft, durch List, Grausamkeit, Ehrgeiz u. s. w., d. h. durch Eine solche Abstraction unterschieden werden, so sind sie selbst nur solche Abstractionen. Dies sehen wir in den meisten neuen Tragödien, wo der Held nur entweder listig, oder grausam, oder ehrgeizig auftritt; wenn es hoch kommt, so kämpfen 2 solche Mächte in ihm, und das 2te ist gewöhnlich die Liebe. Das wahre Individuum ist aber Totalität, zu Einem Menschen gehören viele Götter, viele solche Mächte. Im Olymp waren viele Götter, und dieser Olymp war ihre Totalität; jemehr sich der Geist, das Gemüth der Griechen entwickelt hat, desto weiter ist der Kreis ihrer Götter geworden, desto reicher ihre Individualität. So finden wir im Achill, diesem hohen Muster im Homer, die wahre Individualität, wir finden in ihm die Concretion vieler solcher Mächte; wir sehen ihn als liebenden Sohn gegen seine Mutter, als Freund des Patroclus, als liebenden Sohn gegen seinen alten Vater Peleus, wir sehen ihn ferner innig die Briseïs lieben, bei den feierlichen Festspielen sehen wir ihn das hohe Alter des Nestor ehren; im Kampfe erblikken wir ihn feurig, ja wüthend, grausam gegen den Leichnam Hectors, und bald darauf wieder ganz weich gegen den alten Priamus, sich gerührt und liebevoll an seinen abwesenden alten Vater erinnernd. Eben dieser Achill ist ein Mensch, welcher den Reichthum, die Vielseitigkeit der menschlichen Natur in sich entwickelt. Eben so sind Ulysses, Agamemnon, Ajax, Diomedes, nicht ein Schatten von einem Menschen, sondern sie tragen in sich eine ganze Welt. Wenn wir die Charactere in neuen Werken betrachten, so sehen wir, wie dürftig sie sind gegen den Reichthum der Homerischen Charactere, z. B. Siegfried in den Nibelungen. Die Lebendigkeit eines Individuums besteht eben darin, daß in ihm die Möglichkeit ist, in die verschiedenartigsten Verhältniße einzugehen, das zu seyn, was es seyn kann. Es ist nicht so eine gehaltlose Regbarkeit, Characterlosigkeit, wie sie sich bei Kindern findet, die alles in die Hand nehmen, und es wieder fallen lassen, sondern hier sind im Character alle die allgemeinen Mächte, und er verhält sich nach ihnen, bleibt aber nicht bei | Einem stehen, sondern ergießt sich nach allen Seiten, ohne daß seine Individualität dadurch untergeht. Diese wahre Individualität gef ällt uns auch bei dem Romeo, der nicht bloß im Verhältniß der Liebe zu Julien erscheint, son-

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dern auch in Verhältnißen zum Lorenzo, zum Apotheker und zu seinen Freunden als Mensch dasteht. Der verschiedne Ausdruck dieser Mannichfaltigkeit hängt sehr von dem Zweige der Kunst ab, in welchem diese behandelt wird. Das Epos kann schon mehrere dieser allgemeinen Mächte, mehrere solche Pathi darstellen, als das Drama, welches sich schon mehr auf Darstellung eines einzigen Pathos einschränkt. doch solch ein Character, der nur Einen Pathos ausdrückt, muß auch das Ganze seiner Situation seyn; dadurch zeigt er sich für sich als eine Unendlichkeit. Bei Shakspear sind die Charactere freilich nach mehrern Seiten entwickelt; er macht sie aber dadurch interessant, daß er sie geistreich darstellt, ihnen Genialität giebt. Seine Charactere befinden sich in Einer Situation, aber ihr Geist begnügt sich nicht bei der Betrachtung dieser Einen Situation, sondern verbreitet sich über mehrere; daher sieht man in ihnen diese Intensität des Geists, wodurch sie sich in allen Verhältnißen würdig bewegen werden, man schaut in ihnen in die Tiefe der Allgemeinheit. Solche Charactere sind Macbeth, Romeo und Julia; in ihrer Leidenschaft sprechen sie ihre Genialität aus, verbreiten sich über das Allgemeine. Man hat dem Shakspear vorgeworfen, daß er die Menschen in der höchsten Leidenschaft und Noth viele schöne Worte machen, ja sogar geistreiche Vergleiche über ihren Zustand machen läßt. Aber gerade dies, daß sie selbst in dieser Noth allgemeine Gedanken haben über das, was sie leiden, zeichnet sie als groß aus. Shakspear giebt aber diese GeistGröße nicht bloß seinen Helden, sondern auch den Narren, die bei aller ihrer Thorheit doch Genialität haben. Bei der Sculptur hat man den Mangel zu finden geglaubt, daß sie bei ihrer ruhenden Darstellung, diese lebendige Mannichfaltigkeit nicht ausdrücken könne. Aber gerade ihre Schönheit drückt diese jugendliche Lebendigkeit aus; denn Schönheit ist Einheit des Begriffs und der Darstellung, der Begriff ist aber das Göttliche, das Allgemeine, sich nach allen Seiten als thätig Zeigende, und nur in der sinnlichen Darstellung ist diese Ruhe der Lebendigkeit. | So enthält also die Schönheit selbst schon diese Mannichfaltigkeit, und Fähigkeit, alles auszudrücken. Indem die Gestaltungen der Sculptur diese Lebendigkeit ausdrücken, erscheinen sie wie ein Strom, der, noch so ruhig fließend, auf der Oberfläche immer kleine Wellen schlägt. Dies wären also die Hauptmomente, die wir in Rücksicht der Gestalt als solcher, und in Rücksicht ihrer Bewegung zu machen hatten. Noch ist uns eine Seite zu betrachten übrig, und zwar betrifft sie: 3) D i e g a n z ä u ß e r l i c h e n U m s t ä n d e , z u d e n e n e i n e i n d i v i d u e l l e G e s t a l t s i c h ve r h ä l t . In Ansehung dieser muß bemerkt werden, wie diese äußerlichen Umstände gehalten werden müßen, um nicht der Schönheit der Ge-

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stalt zu widersprechen, und ob diese überhaupt zu der Schönheit der Gestalt nöthig sind. Durch die Bewegung, Handlung der Gestalten, treten sie in die Endlichkeit hinaus, berühren eine Menge von Endlichkeiten, welche ein Gemälde geben, das selbst noch in dem Felde der Endlichkeit ist. So sehen wir verschiedene äußerliche Umstände mit ihnen in Beziehung, z. B. Haus und Hof, Essen und Trinken u. s. w. auch verschiedene andre schon höher stehende Verhältniße, z. B. Familienverhältniße, Staatsverhältniße u. s. w. Das Ideal tritt also in diese Weise des Bedingtseyns nach allen Seiten, in die Prosa des gemeinen Lebens, die sein Lebendiges verkümmert. Die Hauptmomente von diesen Beziehungen will ich bezeichnen. Wenn wir uns bloß an das Nebulose des Ideals halten, so sind diese Äußerlichkeiten überflüßig; die Kunst soll uns über sie, als über die Beschränkung des freien Lebendigen, erheben, und den Menschen als Menschen zum wesentlichen Zwecke haben. Wir müssen aber bemerken, daß das Ideal nicht das Unbestimmte, Nebulose ist, sondern es muß auch Realität, vollkommne Bestimmtheit haben; und die Realität macht eben diese äußerlichen Bestimmungen zum Theil aus. Das Ideal ist das Subjective, Abstracte, der Punkt der Individualität, und diese muß in der Wirklichkeit, in der Endlichkeit die Bestimmungen ihrer Realität haben, und so tritt sie in diese äußerlichen Umgebungen. Zur Lebendigkeit gehört durchaus Individualität, Einzelheit, in der Einzelheit liegt aber schon Beziehung auf eine unorganische Natur, Thätigkeit, Verhältniß zur Endlichkeit; | Die Lebendigkeit hat ihr Daseyn darin, ist das Reagirende dagegen. Weil das Ideal so als Einzelheit da ist, so muß nothwendig das Verhältniß dieser Umgebung, die Art und Weise ihrer Erscheinung fest bestimmt seyn. Der Unterschied der Künste macht nach dieser Seite auch einen Unterschied. In Ansehung dieser Bestimmtheit der Äußerlichkeit kann bemerkt werden, daß es der Character großer Künstler ist, in Hinsicht dieser Äußerlichkeiten bestimmt zu seyn. So sehen wir den Homer sehr genau in seinen geographischen Beschreibungen, z. B. der Lauf und die Krümmungen des Simoïs und Scamander sind fast so genau gezeichnet, wie man sie jetzt noch findet; ferner hat er die Waffen, Geräthe, Wunden der Helden so genau beschrieben, daß wir sie zu schauen glauben. Das Gegentheil davon ist der Character der Bänkelsängerei, wo keine Localität, keine bestimmte Äußerlichkeit ist, und wo selbst der Character der Menschen so allgemeinhin und unbestimmt angegeben ist, so z. B. in dem Heldenbuch und den Nibelungen, wo fast durchaus solche Unbestimmtheit des Äußerlichen herrscht. In Ansehung dieser Äußerlichkeiten wird also auch Individual isirung gefordert; denn auch verlangt man, daß sie nicht Umgebungen überhaupt seyen, ein Anderes gegen den Handelnden, sondern sie müssen als

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unmittelbar mit dem Wesen des Helden zusammenstimmend erscheinen, so daß ein kleiner Anklang zwischen dieser subjectiven, innerlichen Welt und der äußerlichen sich findet. So ist beim Ossian die Natur der Helden und ihre sanften Empfindungen, so wie ihre Tapferkeit im Zusammenhang mit der äußerlichen Natur; er ist in seiner Darstellung fast eben so bestimmt, als Homer in der seinigen. Wenn dieses statt findet, so haben wir das Gefühl, daß der Mensch zu Hause ist, es wird uns so der Boden seiner Gegenwart gezeigt. Findet dis nicht statt, so befinden wir uns in einer kalten, rauhen Luft, wir wissen nicht, warum uns ekelt vor diesem Boden der Gegenwart. Das 2te aber ist, daß diese Zusammenstimmung noch eine nähere, bestimmtere Seite gewinnt. Nämlich der Mensch läßt diese unorganische Natur nicht so, wie er sie findet, sondern er vermenschlicht sie, er braucht sie, er schmückt sie und sich mit ihr; er braucht sie zu seinen Zwecken, und indem er diese an ihr realisirt, so hat er so an der unorganischen Natur eine Anschauung seines Innern, seiner selbst. So sind die Waffen, der Pflug und andre | Geräthe, die unorganische von dem Menschen zu seinen Zwecken benutzte Natur, er hat in ihnen eine Anschauung seiner selbst. Dadurch kommen wir auf den B e s i t z . In dem Besitze liegt die Sicherung vor der Noth, und diese ist gar nicht unzusammenstimmend mit dem Aesthetischen, wie einige falschlich haben behaupten wollen; und obgleich nach dieser Seite im Aesthetischen, die gemeine Prosa des Lebens eintritt, so muß, damit dis nicht vollig geschehe, die Seite so gehalten werden, daß dieser Gegensatz nicht auf kommen kann, diese Seite der Äußerlichkeit muß ästhetisch behandelt werden. In Hinsicht dieses Verhaltens der Gestalt zu der Äußerlichkeit können 2 Verhältniße bemerkt werden. Erstlich gebraucht die Gestalt dieses Äußerliche zu ihrem Schmucke; und dieses Verhältniß ist kein unrechtes, wodurch das Verhältniß zur Natur leiden könnte. Silber, Gold, Perlen, Steine, etc, erreichen ihre höhere Bestimmung, wenn sie zum Schmuck gebraucht werden. denn als bloßes Naturprodukt haben sie nicht eine, dem höhern Begriffe angemessene Bestimmung, sondern diese muß hineingelegt werden. daher brauchen auch die Künstler diese Naturproducte zum Schmucke der Gestalten, besonders bei den Alten, wo wir z. B. bei dem Olympischen Jupiter, der Athene zu Athen, der Diana zu Ephesus etc. den größten Reichthum in dem äußern Schmucke finden. Die Nationen haben sich überhaupt gefreut, ihren Reichthum anzuschauen im Reichthum ihrer Götter. Diese Pracht zeigt in der Kunst Entfernung von der Noth, welche immer mehr oder weniger unästhetisch ist. das 2te Verhältniß zur Natur ist dieses, daß die Verkettung der Gestalt mit der Natur nicht ein beschränkendes, unfrei machendes Bedürfniß zur Grundlage hat, sondern daß dieses Verhältniß ein freies sey. Wenn Einer arbeitet, und sich

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plagt, bloß um etwa sein Leben zu fristen, so ist da ein unfreies Verhältniß, ein Verhältniß der Noth vorhanden. Bei der Arbeit muß die freie Thätigkeit des Menschen obwalten, nicht durch die Idee der Noth beschränkt seyn; die Arbeit muß bloß ein Nehmen des Vorhandenen seyn, ein Gebrauchen der Natur, ohne die Grundlagen des Bedürfnißes. Wenn die Natur selbst alles liefert, so herrscht hier ein Verhältniß der Bedürfnißlosigkeit; da aber, wenn dis wirklich statt fände, die Thätigkeit des Menschen keinen Boden hätte, so muß immer ein kleines Verhältniß des Bedürfnißes dazu treten; aber so daß seine Thätigkeit eine freie ist, daß | er selbst sich in dem Produkte seiner Thätigkeit anschaue. So z. B. muß die Gestalt ihre Waffen, Geräthschaften selbst gemacht haben; dadurch ist sie in dieser Sphäre ganz zu Hause. Dieses finden wir bei dem Homer. Homer hat entweder ganz die Art und Weise der Verfertigung dieser nothwendigen Bedürfniße übergangen, oder hat sie so als ein Produkt der Gestalten selbst aufgestellt, ohne die verkümmernde Noth bei Verfertigung und Anschaffung derselben. So spricht er z. B. gleich anfangs von dem Zepter Agamemnons; er führt ihn aber nicht als ein besondres, mühseelig verfertigtes Kunstwerk auf, sondern erzählt, wie die Vorfahren Agamemnons ihn in einem Walde abgehauen haben, und wie er sich dann von Hand zu Hand bis auf Agamemnon vererbt habe. Als Achill dem Patrocles seine Waffen gegeben und sie Hector diesem abgenommen hat, so sagt Homer gar nicht, wie er sich neue mit Mühe verschafft gekauft oder verfertigt habe, sondern er läßt sie ihm durch Hephaestos verschaffen. So läßt er auch die andern Helden sich ihre Bedürfniße selbst schaffen, und so führt er sie als in dieser Sphäre ganz zu Hause seyend ein. Dies ist gewißermaaßen ein Idyllisches Verhältniß, aber erhöht; hier ist die Harmonie zwischen dem Menschen und der Befriedigung seiner Bedürfniße; sie werden von ihm bereitet, so wie sie von ihm genossen werden. Bei dieser Bereitung muß also der Mensch so wenig als möglich mit einem Fremden zu thun haben; seine Bedürfniße müssen in seiner Sphäre erwachsen, und er muß sie selbst verfertigen; so sind sie ihm lieb, haben für ihn einen eigenthümlichen Werth. Es versteht sich, daß dieses hauptsächlich nur für die Alten gilt. Im Homer ist dieser Mittelzustand zwischen dem wilden Leben, wo sich der Mensch begnügt mit dem, was die Natur ihm giebt, und zwischen dem ganz cultivirten Zustande, wo die Erwerbung der meisten Bedürfniße durch anderer Vermittelung geschehen muß. – Zur Erläuterung kann hier ein Vergleich dienen zwischen 2 ähnlichen Stellen in Voßen’s Louise, und in Goethes Herrmann und Dorothea. In Voßens Louise sehen wir einen Landpfarrer in seinem häuslichen, gleichsam idyllischen Leben; da spielen die Pfeife und der Kaffeetopf eine wichtige Rolle; Pfeife und Kaffee sind aber schon Gegen15 dem] den

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stände des Luxus, die wir durch Vermittelung Andrer uns verschaffen müssen, daher ein schlechter Zug in | einem idyllischen Leben. In Herrmann und Dorothea sehen wir auch den Vater des Hermann in einer Laube sitzen, und Rheinwein trinken; im Hintergrunde sehen wir aber Weinberge; und so sind uns auch zugleich die Mittel zur Befriedigung des Bedürfnißes vor die Augen gerückt, und zwar als in der Sphäre selbst, in welcher sich die Gestalt bewegt. In solchem gleichsam idyllischen Leben bleiben die Menschen bei allem ihren Gehen nach außen doch mehr bei sich, ihre Thätigkeit, die Sphäre dieser Thätigkeit ist bei ihnen einheimisch. Aber dies soll nicht allein statt finden, sondern auch wir müssen bei ihnen einheimisch seyn, das Kunstwerk soll nicht bloß in sich geschlossen, auf sich beruhend seyen, sondern es soll sich auch uns zukehren, wir sollen darin einheimisch seyn. Mit dem cultivirten Zustande tritt das Moment des Abscheidens ein; durch Sitten, Gebräuche Bedürfniße scheiden sich Nationen von einander ab, und mit diesem Abscheiden tritt die Zufälligkeit ihrer Eigenthümlichkeiten gegen einander ein. Nach dieser Seite kann also ein Kunstwerk auch für uns ein Fremdes seyn, da wir eine eigenthümliche Lebensweise, Handlungsweise, Convenzionalität haben. Nach dieser Seite entstehen also 2erlei Anfordrungen an die Kunst; 1stlich soll das Kunstwerk für sich beschlossen seyn, seine eigenthümliche Welt seyn; und 2tens soll auch diese Welt für uns angemessen seyn. Bei eigentlich wissenschaftlichen Werken, die das Allgemeine behandeln, und zwar durch das Allgemeine, den Gedanken, muß diese Verschiedenheit wegfallen. Wir sind z. B. in der Euclidischen Geometrie eben so einheimisch, als die Griechen es waren. Aber die Kunst hat nicht den allgemeinen Gedanken bloß allgemein darzustellen und fürs Allgemeine, sondern auch in einer äußerlichen endlichen Weise, woraus die uns abstoßende Besonderheit entspringt. Aber diese Seite zieht uns auch am ersten an, wenn wir sie mit unserer Eigenthümlichkeit homogen finden. die verschiedenen Ansichten und Anforderungen über diese Seite der Kunst sind noch anzuführen, so wie die Vorwürfe, die sich diese Ansichten machen, und die ihnen gemacht werden, obgleich sich darüber nichts Bestimmtes festsetzen läßt. Zuerst ist zu bemerken, daß eine Kunst mehr als eine andere sich auf eine solche besondere Particularität legt, besonders die mehr äußerlichen Künste. So z. B. hat die Sculptur eine Gestalt darzustellen, aber auch Attribute bei dieser Gestalt, so tritt sie in die Particularisation, und auch zugleich ins Feld der Gelehrsamkeit. Weniger ist diese Particularisation | zu finden bei Künsten, die nicht sosehr die Äußerlichkeit betreffen, sondern mehr das Gemüth, die Empfindung ausdrücken, oder darauf wirken, z. B. die lyrische Dichtkunst; denn sie behandelt mehr das Allgemeine, die Empfindung, Gott, die Natur u. s. w. Aber die epische und dramatische Dichtkunst behandeln schon mehr besondere Stoffe,

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und bei ihrer Behandlungsart dieser besondern Stoffe waltet schon mehr die Äußerlichkeit vor, also auch mehr Particularisation. Ueberdies gehört der Dichter immer s e i n e r Zeit und der Sitte derselben an; wenn er die einzelnen besondern Bestimmungen derselben richtig auffaßt und ausdrückt, so ist er beliebt und geschätzt in seiner Zeit; aber eben deshalb kann er auch uns mißfallen. Nun kann auch der Fall eintreten, daß wir, die wir uns zu einem Kunstwerk verhalten, uns zu demselben wie zu Tönen aus einer fernen Zeit verhalten. Hier kann nun die Frage entstehen, ob der Künstler treu bleiben soll der Zeit, die er darstellt, ein treues Gemälde der Zeit liefern soll, oder ob er sich nach uns richten, in der Darstellung jener Zeit unsere Gegenwart, Zeit, schildern soll. Einerseits kann man fordern, daß wir uns in fremde Sitten und Zeiten hineindenken sollen; andrerseits aber, daß man bloß für uns arbeiten solle; denn indem wir glauben, daß unsre Sitten und Gewohnheiten die besten seyen, kann man sagen, daß die ältern nicht soviel Werth gehabt hätten. dis ist die Forderung, welche die Franzosen an einem Kunstwerk machen, es soll nämlich alles französirt erscheinen. Die Deutschen fordern aber ein Gemälde der Zeit, in der die Handlung vorgeht, sie wollen sich mit Fleiß, Gelehrsamkeit und Schweiß sich in den Geist der Zeiten hineindenken. In dieser Hinsicht sind die Deutschen freilich vielseitiger, als die Franzosen; sie fordern eine dem allgemeinen Geiste der Zeit angemessene Besonderheit; aber die Franzosen lassen dis Erforderniß nicht als Besonderheit gelten, sondern als guten Geschmack. Freilich fordern sie für den allgemeinen Geschmak gewiße allgemeine Regeln, die aber, selbst schon aus dem Begriffe der Regel, nur formell sind, und so wieder zur Einseitigkeit hinabsinken. deshalb lassen uns die französischen Darstellungen kalt; sie haben nicht das, was wir individualisiren nennen. Eben so fordern wir auch diese Richtigkeit im Äußerlichen, die die Franzosen ganz vernachläßigen, in zu weiter Ausdehnung; so z. B. wird auf unsern Theatern kein römischer Soldat das Schwerdt an der linken Seite tragen, und viele solche Unbedeutenheiten; und dennoch ist die Darstellung so wenig treu und lebendig, daß man um zu wissen, was jeder vorstellt, ihm einen Zettel | mit seinem Namen und Stande anheften müßte. Eben so lassen wir uns auch in höherer Rücksicht gefallen, daß die handelnden Personen sich ganz ihrer Zeit und Persönlichkeit gemäß aufführen. Bei den Franzosen werden aber Chineser, Indier, Griechen und Römer ganz als Franzosen dargestellt. So wird bei ihnen auch oft eine Geschichte, sey es auch die Geschichte von China, nur in besondrer Beziehung auf die jetzige Zeit oder andere besondre Umstände geschrieben, bei Gelegenheit einer Fürstenerziehung, Thronbesteigung, um dem Prinzen gute Lehren zu geben etc. Auch in Deutschland sehen wir etwas von dieser Art, und die merkwürdigste Erscheinung in dieser Hinsicht ist Hans Sachs, der die Biblische Geschichte in einer Menge von

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Dramen ganz nürenbergisirt. davon sind auch ein Beispiel die vielen geistlichen Comödien, die vor 10 bis 20 Jahren in Deutschland, besonders im südlichen häufig aufgeführt wurden, ganz im Sinne der damaligen Zeit. Dabei hat das Volk nun einerseits viel Spaß gehabt, und hat auch andrerseits dabei sehr wohl fromm seyn können; ja durch diese Gegenwart des Innern, des Allgemeinen in dem Äußerlichen wurde ihre Andacht noch erhöht. Deshalb hat auch Kotzebue soviel Auf sehen gemacht, und ist so beliebt gewesen, weil er jedem Menschen seine Particularität anschaulich gemacht hat, jedem gezeigt hat, wo ihn der Schuh drückt. Es ist nun eine schwere Aufgabe für einen Künstler, der einen fremden Stoff behandelt, den Stoff der damaligen Zeit und auch unsrer jetzigen Vorstellungsart angemessen zu machen. Ich habe schon gesagt, daß man deshalb gern Stoffe aus der entlegenen Vorzeit nimmt, weil da durch die Länge der Zeit die den wahren Inhalt beschränkenden Beziehungen und Endlichkeiten wegfallen, die sich bei Stoffen aus unsrer oder einer nicht lange verfloßenen Zeit uns zu widrig und störend aufdrängen. Es kann bemerkt werden, daß schon bloß die Ferne der Zeit etwas an sich hat, das uns Idealisch scheint. diese Entfernung der Zeit ist zum wenigsten ein Negatives gegen die unmittelbare Wirklichkeit; indem diese negative Wirkung in die Vorstellung erhoben wird, so stößt sie schon dadurch ihre Endlichkeit ab, die endlichen Umstände sind hier schon verallgemeinert. So nothwendig diese Particularisation ist, so ist dies doch nur der Rahmen des Kunstwerks; der Inhalt muß stets das reine Menschliche seyn, und muß diese Parti|cularität überbieten. denn dieses Heraustreten nach particulären Seiten ist die Seite selbst, nach welcher die Vergänglichkeit der Kunst erscheint. Wir können uns zwar in den Geist der frühern Zeit, in die Vorstellungsart und die Verhältniße der damaligen Menschen hineinbilden, aber dies Hineinbilden bleibt doch immer unvollkommen, da ihre Verhältniße nicht den unsrigen und uns selbst anpassend sind. Solche sind dann immer eine Rinde, worin die Wahrheit gehüllt ist, welche Rinde uns zurückstößt. doch muß dis Äußerliche an der Gestaltung nicht bloß als Äußerlichkeit überhaupt, als äußerliche Bestimmtheit genom men werden, sondern sie ist auch zugleich Bestimmtheit des Inhaltes, und zwar eine Äußerlichkeit adaequater dem Inhalte, als eine andere. Wenn z. B. das Meer, dies Große alles Umfassende zur Darstellung Gottes genommen wird, so ist dies weit weniger dem Begriffe Gottes anpassend, als wenn die menschliche Bildung dazu gebraucht wird; denn bei der menschlichen Bildung wissen wir gleich, daß der Inhalt derselben auch ein Wissendes, Thätiges ist. daher steht der griechische Gott sehr hoch, und weit höher, als der orientalische; in dem griechischen Gotte liegt schon der Uebergang zu der christlichen Vorstellungsart von Gott, nämlich das Göttliche im Gedanken, in dem Allgemeinen dargestellt.

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Weil aber die griechische Gestaltung zugleich auch noch sinnlich ist, so kann sie nicht ausdrücken das Geistige, die speculative Einheit; daher kann die griechische darstellung unserem Bedürfniße die Natur Gottes darzustellen, nicht entsprechen. Was wir in der griechischen Darstellung anschauen, ist allerdings seiner Grundlage nach ein Vernünftiges, und andrerseits ist die Darstellung die der Schönheit, die Identität des Begriffs und der Realität, die also die Natur der Idee selbst ist, aber auf eine abstracte und formelle Weise. Wir finden uns also einerseits einheimisch in dem Reiche dieser schönen Gestaltungen, andrerseits haben sie aber etwas uns Unbefriedigendes, wir können nicht den Ernst hineinlegen, den jene Zeiten hineingelegt haben. Was wir darin anschauen, ist freilich etwas Hohes, aber nicht das Höchste; daher können wir es nicht so verehren, als es damals verehrt wurde. Weil die äußerliche darstellung hier so vorherrschend und auseinandergehend ist, so finden wir auch in der griechischen Göttergeschichte so viel Possenhaftes, weshalb auch schon Plato den Homer und Hesiodus aus seinem Staate verbannen wollte. Uebrigens müßen wir nicht glauben, daß wenn die griechische Götterwelt für uns etwas Herabgesetztes ist, die Griechen in ihrer Verehrung so verschieden von unserer Ansicht gewesen seyen. Sie stehen uns näher, als wir glauben, sie haben auch nicht diese ernsthafte Spannung in ihrem Verhältniße zu ihren Göttern gehabt, sie sind nicht in so rein abstractern Verhältnißen gestanden, sondern sie haben Heiterkeit, | Ironie über die Götterwelt verbreitet, und sie so herabgesetzt; im Aristophanes finden wir die abgeschmacktesten Späße, selbst in Gebeten, angebracht. desto fremder bleiben aber einem höher gebildeten Bewußtseyn manche orientalische Darstellungsweisen, z. B. die indische. da ist auch der Inhalt ein geistiger, aber die Darstellung ist so bizarr, daß wir oft gar nicht wissen, was wir daraus machen sollen. So hat uns neuerlich Herr von Schlegel eine Szene aus der Ramajuhna, die Abkunft der Ganga, gegeben. der Inhalt des Werks ist etwas ganz Physikalisches, der Fluß Ganges, oder Ganga, der wieder andrerseits als Göttinn dargestellt wird. Es ist so was Bizarres, Unsinniges darin, daß es uns sehr auffällt. Einige behaupten nun, es stecke darin eine tiefe Bedeutung und Sinn verborgen; aber gerade dis wäre auch ein Fehler, denn ein Kunstwerk soll seine Substanzialität darlegen, offenbaren. Hiermit kann man ein Gedicht von Goethe vergleichen: Mahomets Gesang. In diesem Gedichte hat Goethe den Heldenlauf eines Manns mit dem Laufe eines Stromes verglichen, und als solchen dargestellt. Aber wie viel höher ist dieses Gedicht zu setzen als das erwähnte indische. Man hat oft in neuern Zeiten versucht, Gestaltungen zum Gebrauche der Kunst zu erneuern, und so geglaubt eine ernstere, anpassendere Darstellung der 20 über die Götterwelt] über die Götterwelt über die Göttrwelt

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Idee zu bewirken. Dies hat besonders Klopstok versucht. Er hat das Bedürfniß einer Mythologie für unsre eigene Vorstellungsart gefühlt, um der Kunst eine Hülfe zur Darstellung ihrer Idee zu geben; aber dies ist auch schon falsch; denn der Künstler muß nicht über die Darstellung der Idee verlegen seyn, er muß sie in sich haben. Klopstock hat aber die Mythologie der alten Deutschen hervorgesucht, und geglaubt so eine eigenthümliche Form zur Darstellung unsrer Idee gefunden zu haben. diese Mythologie ist aber für die Stufe, auf welcher die Idee in unsrer Zeit steht, zu dürftig, und wenn man auch so etwas zu suchen für nöthig finden könnte, so müßte man jetzt eine neue Mythologie erdichten; die altdeutsche, obgleich uns angehörige, ist uns doch fremd; wir müßten sie erst lernen; sie ist nicht unsre Anschauungsweise. daher ist das Ganze nur ein verunglückter Versuch gewesen. Der Darstellung in der Kunst klebt also überhaupt etwas Endliches an; aber wir lassen es uns gern gefallen, besonders wenn dieses Endliche, Begrenzende ganz etwas Äußerliches betrifft, z. B. Waffen, Geräthe u. s. w. Solche | Dinge sind mehr oder weniger zufällig, und so erscheinen sie uns auch. die Hauptsache dabei ist die Bestimmtheit, Vereinzelung der Wirklichkeit, das, was man in dieser Rücksicht die Anschaulichkeit nennt. Dadurch unterscheidet sich auch die Kunst, und namentlich die Poesie, von der Prosa. Bei beiden sind Worte das Äußerliche der Darstellung; die Prosa faßt das Wort in einer abstracten Vorstellung auf; sie sagt: Schlacht, Sterben, Glückseeligkeit u. s. w, aber sie sagt dis ganz abstract, und überläßt uns die Concretion dieser abstracten Vorstellungen. damit kann sich aber die Poesie nicht begnügen, sondern sie soll uns das Innere jener abstracten Vorstellungen in individualisirter Einzelheit und Bestimmtheit vorführen, sie soll uns wirklich die Schlacht, Glückseeligkeit, malen. die Bestimmtheit in dieser Rücksicht macht den Character der großen Künstler und Dichter aus. Solche Bestimmtheit sehen wir z. B. im Cid, wo jede Handlung so vollkommen schön indiviualisirt ist, so daß sie für sich ein Ganzes ausmacht; und doch geht die Erzählung in der vollkom mensten Ordnung und Bestimmtheit fort. In Ansehung des Kunstwerks können wir noch 2 Formen angeben: 1stlich d a s P r o d u z i r e n e i n e s K u n s t we r k s a u s d e r S u b j e c t i v i t ä t , und 2tens das Kunstwerk als schon produzirt, schon heraus, als ein Vorhandenes für die Anschauung, für das Bewußtseyn, d. h. d i e O b j e c t i v i t ä t d e s K u n s t w e r k s . Ueber das subjective Produziren ist wenig zu sagen. Das Produzirende eines Kunstwerks ist das, was man G e n i e nennt, es ist das künstlerisch Umfassende. Dazu gehört einerseits Tiefe des Gedankens, Anschauung des Wesentlichen in 6 eine] eine eine

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einem Inhalt; aber diese Anschauung muß nicht in der Form eines Allgemeinen, eines Gedankens seyn, sondern in der Form einer Naturweise, eines natürlich Schöpferischen. Das Genie ist daher auch verschieden von der wissenschaftlichen Bildung, bei welcher nicht diese freie Thätigkeit des schöpferischen Gedankens ist. Denken, philosophiren, können alle Menschen als denkende Wesen; aber weil bei dem Künstler der Gedanke und die Darstellung frey seyn müssen, so sind sie in Einem; denn sonst stände die Darstellung als ein Andres, Fremdes, Beschränkendes, dem Gedanken gegenüber. Der Künstler explicirt den Inhalt nicht in Form eines Gedankens, sondern er muß als sein unmittelbarer, natürlicher Inhalt aus ihm herauskommen; und dies ist eben das Treiben des Künstlers, das künstlerische Feuer. Dieses Ringen mit der Form also, dieses Heraustreten seines substanziellen Stoffs, ist die Begeisterung des Künstlers. Man muß nicht glauben, daß man diese Begeisterung sich geben könne durch äußre Mittel, durch Wein etc; diese ist keine wahrhafte Begeisterung, sondern es ist bloß eine Wärme, die man oft mit Begeisterung verwechselt, und die oft bloß eine abstracte Wärme, | Wärme des Bluts etc. seyn kann. Die künstlerische Begeisterung muß immer eine Besonnenheit über die Form haben, in welcher der Künstler seinen substanziellen Inhalt ausdrücken will. deshalb muß der Künstler auch das Technische der Beschäftigung durchstudirt haben; es findet sich nicht von selbst, wie man wohl zuweilen irrig glaubt, sondern erfordert allerdings langes Studium. Dieser Sinn der bestimmten Wirklichkeit gehört vornehmlich dem Künstler an; die Wirklichkeit muß schon für den Künstler vorhanden seyn. Wenn der Künstler erst von dem flachen, abstracten Idealischen zur Form übergehen will, so ist zu vermuthen, daß aus ihm nicht viel werden wird; der wahre Künstler muß mit der Wirklichkeit anfangen, und diese bis zum Idealischen erheben. Daher haben auch alle große Künstler mit rohen Versuchen angefangen, schlechte Verse, schlechte Gestalten gemacht etc. So haben selbst Schiller und Goethe angefangen. Bei dem Philosophiren ist es anders; denn da ist der Gedanke das Element, dieses Formelle, Abstracte, und daher fangen junge Philosophen immer erst mit dem Abstracten an. Bei den Künstlern, und namentlich bei Dichtern ist es nicht so. So sagt Schiller selbst in Ansehung der Räuber, er habe die Natur nur a b g e s c h r i e b e n ; eben so hat Goethe im Götz von Berlichingen nur die unmittelbare Wirklichkeit im Ganzen darstellen wollen. Erst später gräbt sich der Sinn ins Innere, und arbeitet das Ideale hervor. Insofern nun das Kunstwerk objectiv, fertig dasteht, so wird die Objectivität des Kunstwerks als Wesentliches angegeben, und ist es auch zum Theil; darüber hat Herr Fridrich Schlegel viel gesprochen. Er sagt, die Sache muß das, was sie seyn soll, in ihrer größten Bestimmtheit und Begrenzung seyn, und so vor uns hervorgehoben werden. Dabei kann aber der Mißverstand eintreten, daß wir das

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Kunstwerk, welches wir vor uns sehen, in uns zu finden glauben, daß es aber dennoch für uns ein Äußerliches bleibt; oder wir werden endlich verleitet zu glauben, daß das Substanzielle des Kunstwerks, was als rein menschliches dargestellt werden muß, uns fehle. Es kann leicht geschehen, daß man sich, besonders in der Jugend, nach Schilderungen eines Kunstwerks ein Ideal macht, oder daß man glaubt, es sey nicht in unsrem Herzen. Das Wahre daran ist aber folgendes: In der Darstellung soll das Innere des Menschen enthüllt, ausgesprochen seyn; dieser Inhalt, dieses Treiben, Entwickeln der allgemeinen Mächte kann nun sehr wohl in uns seyn, aber als etwas Bewußtloses; wir sind zu sehr auf den Gegenstand gerichtet, und bemerken nicht, daß der Inhalt des Kunstwerks auch in uns sey; | da er ja auch aus dem Innern des Dichters kommt; denn wenn der Dichter etwas schildert, so bringt er diese Schilderung aus sich hervor, er erleichtert sich dadurch sein Herz. Aber gerade in dieser Schilderung seiner Empfindung hat er schon das Intensive, Subjective derselben gebrochen; daher kann man annehmen, wer erst, seinen Schmertz z. B., schildern, objectiv machen kann, daß bei diesem der Schmertz schon nicht mehr so stark ist, wie früher, wo er noch ihn in seiner Brust verschloß, wo derselbe noch ganz subjectiv bei ihm war. Das künstlerische Bewußtseyn ist überhaupt ein höheres, als unsers, die wir seine Schilderungen betrachten, obgleich wir auch diese Empfindungen in uns haben mögen. Denn da der Künstler überhaupt das Substanzielle im Menschen und seinem Leben darstellt, so liegt in seiner Darstellung auch eine Verschiedenheit von dem, wie die Menschen es im gemeinen Leben auszudrücken pflegen; sie verstehen sich so zwar auf einander, aber sie drücken sich über ihre verschiedenen Verhältniße nur in Prosa aus, sie fassen bloß die äußerliche Erscheinung an diesen Verhältnißen auf. diese Prosa nennt man auch im gemeinen Leben den n a t ü r l i c h e n A u s d r u c k . der Dichter kann zwar auch diesen natürlichen Ausdruck beobachten, aber er kann noch mehr thun, er kann das Innere, das Substanzielle ausdrücken. Das Innere, das substanzielle Wesen spricht man nicht im gemeinen Leben durch den natürlichen Ausdruck aus, sondern sie sind bloß die Grundlagen, die man in dem Bewußtseyn eines jeden Menschen als vorhanden annimmt, und an die man so stillschweigend appelirt. Der Künstler muß aber diese Substanzialität auch in seine Darstellungen flechten, sie muß die Äußerung durchdringen; und darin besteht die wahrhafte Objectivität des Kunstwerks. Hierüber waltet, wie gesagt, ein besondrer Mißverstand ob, den Fridrich Schlegel eingeführt hat. So rühmt er besonders an den Goetheschen Werken die Object ivität der Darstellung; er meint, man sähe in seinen Werken die Welt, das Herz des Menschen aufs richtigste und natürlichste geschildert, und in dieser 29 sondern] sondrt

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Hinsicht hat er das Lob der größten Objectivität dem Götz von Berlichingen zugeschrieben. Hier ist aber bloß die äußerliche Erscheinung am Leben, das Leben wie es in der Wirklichkeit ist, dargestellt; aber es ist nicht künstlerisch, nicht aus einem höhern Gesichtspunkte geschildert. Dieser Unterschied äußert sich auch bei dem Lesen und bei der Aufführung eines Drama’s; solche eine Darstellung, welche nur die äußerlichen Seiten am Leben ausdrücken, läßt uns, besonders, wenn wir sie auf dem Theater sehen, sehr kalt; wenn wir sie lesen, so kann sie uns in | gewißen Lagen ergreifen, weil wir dann das Substanzielle mehr in uns haben, und uns desselben mehr bewußt werden. Es giebt auch eine Objectivität, wo mehr die Äußerlichkeit vorherrscht, wo aber zugleich die Subjectivität der Empfindung im Hintergrunde liegt, wo ein gepreßtes Herz sich nicht aussprechen kann, sich daher an die Äußerlichkeit hält, diese aber wieder zurückbezieht auf die zum Grunde liegende Empfindung. In dieser Weise hat Goethe viele Lieder geschrieben, wo die Äußerlichkeit so der Ausdruk der in sich gepreßten Empfindung ist. Ein Beispiel davon ist das Lied: »der Schäfer« (dort droben auf jenen Bergen)[.] Hier ist hauptsächlich das Rührende vorherrschend; das Weh des Schäfers spricht sich da nicht so sehr selbst aus, als daß es zu seiner Darstellung die Äußerlichkeit nimmt, die sich auf dasselbe bezieht. Andre Beispiele davon sind: der König von Thule, der Erlkönig u. a. m.. der objectiven Darstellung wird die subjective entgegengesetzt. In der subject iven Darstellung kommt nicht die Sache selbst zum Vorschein, sondern nur die Eigenthümlichkeit des Verfassers. Es ist aber ein schlechtes Kunstwerk, wo diese Subjectivität des Künstlers hauptsächlich hervorscheint, und nicht die Sache selbst, wo er selbst seine prachmatischen Sentenzen einmischt. Damit steht in Verbindung die M a n i e r des Künstlers, die in oft wiederkehrenden Eigenthümlichkeiten, und in einer besondern, sich immer wiederholenden Art, Effect hervorzubringen, besteht; sie gehört einer eigenthümlichen Behandlung des Zufälligen an. Bei großen Künstlern findet man oft, ja fast immer eine solche Manier, die dann gewöhnlich eine zeitlang von den andern minder großen Künstlern nachgeahmt wird. So war in der Skulptur eine zeitlang Bernini’s Manier sehr beliebt, die darin bestand, daß er die Gestalten nicht in einer ruhenden, sondern in einer gespannten Lage, in einer Bewegung, darstellte, doch so, daß die Schönheit dabei nicht verletzt wird, welches aber doch öfters dabei geschieht. Bei Göethe k ö n n t e man als Manier annehmen, daß er bei Erzählungen, Gedichten, etc, die Sache eine zeitlang ernsthaft fortführt, und sie endlich mit einer leichten Wendung beschließt. Dies liegt aber auch andrerseits mehr in der Natur der Sache selbst, es ist eine Weise der gesellschaftlichen Unterhaltung. In der 24 prachmatischen lies: pragmatischen

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Mahlerei und Musik tritt schon mehr die Sphäre des Zufälligen hervor, und so kann hier also leichter Manier statt finden, z. B. in Behandlung und Anwendung der Farben, im Ton des Lichts und Schattens etc. Wenn die Manier ächt ist, so muß dieser Ton in der Natur selbst vorkommen. Bei den verschiedenen Künstlern zeigt sich auch die Manier verschieden; am schärfsten gesondert zeigt sich die Manier bei den Niederländern. Manier kann leicht für O r i g i n a l i t ä t gehalten werden. Die Originalität besteht in der Eigenthümlichkeit, Subjectivität des Künstlers, mit der er etwas | auffaßt und ausdrückt. Es giebt nun eine Originalität der Sache und des Künstlers. Die wahre Originalität besteht darin, daß die Subjectivität des Künstlers mit der Substanzialität der Sache übereinstimmt, daß er diese so auffaßt und darstellt, wie sie ist. Für diese wahre Originalität nimmt man aber oft die bloße Subjectivität des Einfalls, die zwar sehr geistreich seyn kann, wie wir dies bei Jean Paul sehen, bei dem die ganze Darstellungsart, die Form, fast nur Einfall ist, welche aber doch nicht immer mit der Sache selbst, mit ihrem Wesen, übereinstim mend ist. Die wahre Originalität findet sich bei Homer, Sophocles, Shakspear; da hat sich die Eigenthümlichkeit des Künstlers ganz aufgegeben, sie steht nicht als für sich geltend, als ein andres gegen die Natur der Sache da, sondern er empfängt die Substanzialität der Sache in sich, und gebiehrt sie wieder aus sich heraus. Noch ist zu bemerken, daß die Darstellung aus der e i n e n Idee des Ganzen kommen, sich darauf gründen muß; es muß e i n Ton durch’s Ganze und durch die Theile herrschen, und dis Ganze muß in der Nothwendigkeit aller seiner Theile da stehen. Bei solcher Originalität ist dann die Form ganz der Sache angepaßt, und man sieht nicht die Bemühung des Künstlers, die Sache der allgemein aufgestellten Regel adäquat zu machen. Früher, und auch noch jetzt zuweilen, versteht man unter Originalität die Nichtbefolgung einer solchen allgemeinen Regel; so z. B. nennt man oft ein Trauerspiel von 6 oder 4 oder überhaupt nicht von 5 Akten, originell; dies ist aber eine schlechte und falsche Original ität. Goethe setzte, besonders in seiner frühesten Zeit darin eine Originalität, die damals herrschenden allgemeinen Regeln für das Schöne nicht nur nicht zu befolgen, sondern sie sogar mit Füßen zu treten. Dies sehen wir in der ganzen Behandlung des Götz von Berlichingen; auch hat er, um das Thema aufzufrischen, oft Stoffe von außen hereingebracht. Von dieser Seite zeichnen sich besonders die Müllnerschen Stücke aus, z. B. die Schuld. Müllner hat etwas vom Schicksal gehört; dies hat er dann gleich hineingeflickt, hat ferner Antikes, Altdeutsches und Modernes äußerlich zusammengebraut, und so nicht ein Stück, sondern ein Stückwerk geliefert, das gar nicht aus Einem Tone ist. So originell auch Götz von Berlichingen ist, so findet man doch in ihm auch Stellen, die nicht zu dem durch das Ganze herrschenden Tone passen, sondern sich auf Um-

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stände und Begebenheiten beziehen, die damals Interesse erregten. Solche von außen hereingebrachte Stellen sind z. B. die ganze Erscheinung des Mönchs, wodurch auf Luther angespielt wird. Auch eine Beziehung auf das damalige Schulwesen, in dem Basedow | und Campe blühten, ist darin zu finden. diese Beziehung zeigt sich in der Szene wo Götzens Knabe dem Vater seine Lection aufsagt. Solcher zusammengebrauter Stoff findet sich auch in den Wahlverwandschaften; doch ist es hier, so wie in den Romanen überhaupt, passender, da sie eine Darstellung einer besondern Zeit sind. – Nach allem diesen sehen wir also, daß die wahrhafte Originalität eigentlich dasselbe ist, was die wahrhafte objective Darstellung ist. So sind also Manier und Originalität auch Seiten der Reflexion am Kunstwerke. Eine weitere Ausführung dieser Seiten wird nachher vorkommen; doch jetzt erlaubt uns der Reichthum des zu behandelnden Inhalts nichts weiter drüber zu sagen. Jetzt wollen wir zum besondern Thei le der Kunst übergehen.

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Was die Besonderheit des Kunstwerks betrifft, so sind die nähern Bestimmungen darüber schon früher angegeben; und ich will den Inhalt derselben hier nur kürzlich im allgemeinen wiederholen. Die Form des Kunstwerks ist s y m b o l i s c h , c l a s s i s c h und r o m a n t i s c h ; diese Formen müssen ihre Quellen haben in der innern Idee des Kunstwerks, die ihre Realität durchdringt, und so bezieht sich also dieser formelle Unterschied nur auf die Art und Weise, wie diese Einheit von Begriff und Realität erfaßt wird. Das Symbolische, um es kurz zu wiederholen, enthält das Aufstreben zu dieser Einheit, und zwar so modificirt, daß entweder das unmittelbar Angeschaute, die Wirklichkeit, zu dem Gedanken emporstrebt, oder der Gedanke, der Begriff seine Realität in der Wirklichkeit, Endlichkeit, sucht. Das classische Kunstwerk ist der in seiner Gestaltung vollkommene Gedanke. Aber der Gedanke ist hier nur geäußert in der Gestaltung, er hat darin nur seine Gegenständlichkeit, sein Bewußtseyn, er ist nicht frey für sich; die Seele und der Körper sind sich hier vollkommen adaequat. Bei der 3ten Form, der romantischen Kunst, ist der Gedanke, die Seele in sich selbst zurückgebogen, in sich selbst vollständig, hat nicht bloß in der Gestaltung ihr Daseyn; es ist hier die vollendete Innerlichkeit; dagegen ist die Gestaltung herabgesetzt zu einer zufälligen Äußerlichkeit. Dies habe ich vorläufig zum bessern Verständniß angegeben; jetzt wollen wir zu der nähern, speciellen Eintheilung selbst übergehen. |

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I. Die sy mbol ische For m der Kunst. Ich nenne das Sy m b o l i s c h e ganz allgemein eine selbstständige äußerliche Gestaltung, die aber nach ihrer Bedeutung genommen wird; so daß also auch der Gedanke gleichgültig gegen die Gestaltung seyn kann; e i n Gedanke kann mehrere Gestaltungen haben, so wie eine Gestaltung auch mehrere Bedeutungen haben kann. Der Löwe z. B. ist das Symbol der Stärke, Stärke ist seine allgemeine Vorstellung; aber die Stärke hat auch zu ihrem Symbol den Adler, Stier, die Säule u. s. w. Umgekehrt kann auch die Gestaltung mehrere Bedeutungen haben; dis ist z. B. der Fall bei dem Stiere, über den als Symbol noch weiter unten gesprochen werden wird. deshalb ist das Symbol auch oft dunkel und zweideutig. das Symbol ist auch zu unterscheiden vom Zeichen. Das Z e i c h e n ist eine Äußerlichkeit, ganz gleichgültig gegen die Bedeutung; aber in dem Symbol muß die Vorstellung immanent seyn. die Kokarde z. B. ist ein Zeichen, kein Symbol; denn bei ihr ist die Gestalt und Zusammenstellung der Farben ganz gleichgültig, es ist gleichgültig in dieser Hinsicht, welcher Nation sie angehört. So auch sind die Namen der Personen, wenn sie grade nicht ihre Beschäftigungen ausdrücken sollen, bloße Zeichen, nicht Symbole, z. B. Müller, Schmidt, la Place etc. Die Farben für sich sind schon dagegen Symbole; so ist z. B. Blau das Symbol der Sanftmuth; denn das Blau ist die Mischung des Dunklen und Hellen, es ist unter den Farben gleichsam die Dämmerung, und andrerseits wieder die Farbe des klaren Himmels, welche beide man mit der Sanftmuth vergleichen kann. Das Symbolische hängt mit dem Mythischen sehr nahe zusammen; doch ist der eigentliche Mythus vom Symbol verschieden; denn im Mythus gelten die Gestalten für sich, so wie sie sind; Gestalt und Vorstellung ist da nicht verschieden; die Gestalt ist an und für sich selbst interessant, die Seele giebt sich leiblich zu erkennen, und steckt nicht h i n t e r der Gestalt. Das Symbolische überhaupt enthält eine Bedeutung, allgemeine Vorstellung, Gedanken oder Begriff, der sich in einem Bilde darstellt, außerdem aber auch noch für sich etwas ist. So ist der Adler das Symbol Jupiters (nicht bloß sein Attribut, denn dieses wäre mehr ein Zeichen) in sofern er neben Jupiter gestellt wird; in dem Adler ist die Macht Jupiters dargestellt, aber dadurch gerade heruntergesetzt. Von dem Ibis der Egypter kann man eigentlich nicht sagen, daß er ein Symbol | gewesen sey; denn die Egypter haben in ihn unmittelbar die Existenz des Göttlichen gesetzt, und ihn als solche verehrt. Bei dem Symbol setzen wir also einen Unterschied zwischen der Bedeutung und dem Ausdruck, Daseyn dieser Bedeutung. Daher müssen wir bei der nähern Betrachtung des Symbols diesen Unterschied berücksichtigen. Die erste Stufe des Symbolischen ist die noch ungetrennte Einheit der Bedeutung und des Symbols. Schlechthin ungetrennt

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kann sie aber nicht seyn, weil die Darstellung doch immer zu wenig adäquat der Bedeutung ist, und wäre dies, so hörte es ja auf Symbol zu seyn; also ist schon gleich anfangs bei dem Symbolischen ein Zustand des Gährens, ein Anpassen der darstellung an die Bedeutung. Der Gegensatz ist nun die völlige Loßreißung der Bedeutung von der Darstellung, welches wir in der Fabel und dem ihr Zugehörigen, am meisten aber in der Vergleichung finden. In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen liegt das wahre Symbol. Nach diesen 3 Seiten müssen wir also das Symbolische betrachten. 1. D a s N a t u r s y m b o l , o d e r d i e Sy m b o l i k d e s P h y s i k a l i s c h e n . Die erste Stufe im Symbolischen ist die unmittelbare Einheit des Geistigen, der Bedeutung, mit dem Natürlichen, der Gestaltung. Hier ist aber eigentlich das Symbolische nicht vorhanden; denn zum Symbol gehört die Trennung dieser beiden Seiten. Wenn wir diese erste Stufe des Symbolischen in ihrer concretern Beziehung betrachten, so haben wir ein Beispiel davon an der Religion der alten Parsen oder Medier, oder der Anhänger des Zoroaster. Hier ist das Symbolische noch eigentlich nicht vorhanden. Ormuz, das Licht überhaupt, wurde als das allgemeine Wesen des Lichts angebetet, als das Licht der Sonne, Sterne, des Feuers, und auch als das innere Licht des Menschen. Dieses Lichtreich des Ormuz ist aber auch das Gute, das Belebende durch Worte oder That, welches auch Licht ist. Alles dieses kommt im Lichte zusammen; und jedes Wesen hat dies Licht in sich, obgleich in verschiedenen Abstufungen, jedes Wesen hat Glanz, die Äußerung seines Lichts. Diese Äußerung seines Lichts ist aber auch seine Lebendigkeit, sein Wille, alles recht und gut zu machen, alles zu lieben und zu ehren, ja selbst alles anzubeten. Nach Zoroaster enthält die ganze Welt nur Söhne des Lichtreichs. Seine Anhänger beten also das allgemeine Wesen Ormuz, das allgemeine Licht an, sie beten aber auch zugleich das besondre Licht der Sonne an, die er auch als Prinzip alles Guten betrachtet. Alle Dinge sind, nach seiner Lehre, Kinder des Lichts, und als solche beten die Parsen dieselben an, ihren eignen Geist, das Licht oder den Geist Zoroasters, und eben so wiederum das Physikalische, die Bäume, Pflanzen u. s. w. Hier ist also die unmittelbare Einheit | des Natürlichen, des physikalischen Lichts, und des Geistigen, des Guten; also findet hier eigentlich kein Symbol statt. Das Licht b e d e u t e t nicht das Gute, und das Gute bedeutet nicht das Licht; sondern sie sind beide in dieser unmittelbaren Identität. Insofern kann man auch die darstellenden Productionen dieser Religion nicht Kunstwerke nennen, sondern es sind bloß die Gestaltungen dieser unmittelbaren Identität. Jedoch findet sich bei dieser Lehre des Zoroaster auch ein weiter entwickeltes Symbolisches; so z. B. war bei den Parsen der Stier etwas Bildliches; der allgemeine Weltstier war bei ihnen das zuerst Erschaffene, woraus

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dann alles übrige hervorging. Aber auch dieses ist kaum symbolisch, sondern ist nur eine willkührliche Vorstellung. Mehr symbolisch ist schon die Idee von dem Weltey; denn aus dem Ey geht ein Lebendiges hervor. Näher liegt diese Classe des Symbolischen darin, oder fängt damit an, daß Naturgegenstände als allgemein fixirt worden sind, und auch als allgemein haben dargestellt werden sollen. Die erste Symbolik hat also Naturgegenstände zu ihrer Bedeutung; diese sind aber ein Veränderliches, mit Endlichkeit und Zeitlichkeit verknüpft, und da sie als solche zufällig sind, so muß der Geist ihnen eine allgemein fixirte Form für sich geben. So entsteht das erste Natursymbol, die Symbolik des Physikalischen. Diese sehen wir auch bei den Egyptern und Indern. Bei den Egyptern waren die 3 Hauptgottheiten Isis, Apis, und Osiris. Allen diesen Gottheiten lagen physikalische Erscheinungen, allgemein physikalische Momente als Bedeutung zu Grunde; so z. B. war die Sonne die Grundbedeutung des Osiris. die Kunst, die das Allgemeine dieser besondern Erscheinungen für sich festhalten, und ihnen wesentlich eine Gestaltung geben will, kommt zuerst darauf, ihnen die menschliche Gestaltung zu geben, sie zu personifiziren. Dies Personifiziren gehört zunächst in dieser Symbolik nur zum Äußerlichen, und das Geistige ist hier nur Form für die Naturerscheinungen. Man kann fragen, warum die Künstler die Naturgegenstände personifizirt haben? die beste Antwort dafür ist: Weil die Künstler die Naturerscheinungen in ihrer Wahrheit zu fassen suchten, ihre höchste Wahrheit ist aber die Lebendigkeit, und die höchste Lebendigkeit ist das Geistige; diese Subjectivität macht den Punkt aus, in dem die Äußerlichkeit, Mannichfaltigkeit in Eins zusammen genommen ist. Es ist auch gesagt, daß diese Symbolik nur solche Gegenstände erfaßt, welche aus einandergehen, mit Andern in Berührung kommen, von andern abhängen; nun schneidet die Personification diese Abhängigkeit ab, und bringt die Gegenstände zur Selbstständigkeit. | (Was das Symbolische betrifft, so ist dies sehr schön ausgedrückt und erläutert von Creutzer in seiner Symbolik, in der neuern Ausgabe von 2 Bänden). Zu dieser symbolischen Form, wo das Geistige bei der Personification der Naturerscheinungen nur die Form war, gehört auch das Indische. Hier geht alles so hin und her, daß man oft nicht weiß, was Bedeutung, was Gestalt ist; hier ist nicht einmal mehr die absolute Einheit wie bei den alten Parsen. Ueberdies ist hier wieder zuweilen ein Fortgehen in Bestimmungen und Umständen, das gar keine Bedeutung hat. Eine häufig vorkommende Weise der Darstellung, ist die des Hervorbringens, das physische Zeichen der Zeugungskraft der Natur. dieser gegenüber finden wir oft wieder die hohle Abstraction, die alles vermag, die dann eben im Begriff ist, zerstörend zu werden für alles Vorhandene, welche das natürliche Daseyn zu Grunde richten kann. Alle Abscheidungen von Mensch,

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Gott Fluß und Baum fließen oft in einander; der Mensch erhebt sich zum Brumha, und der Gott erscheint oft in niederer Menschengestalt. Von dieser Wildheit des indischen Symbolisirens ist ein Beispiel aus dem Rhamaiuna: die Abkunft des Ganga. Diese Abkunft kann kaum symbolisch genannt werden, denn sie ist bloß die Darstellung des Ursprungs und Laufs des Ganges, in viele leere Bilder gehüllt. Hier liegen Naturgestalten zum Grunde, und die ganze Symbolik besteht darin, daß hier einige Lebendigkeit in die Darstellung hineingebracht ist. Deßhalb weiß man eigentlich niemals, woran man bei der Indischen Symbolik daran ist. 2 . D a s w a h r e Sy m b o l i s c h e . Das Symbolische rückt näher seinem Ziele, indem die Verhältniße der Naturerscheinungen zu einander, ihr Prozeß, der Prozeß des Seyenden, Lebendigen, oder des Geistigen, aufgefaßt, und symbolisch dargestellt werden. dieser Fortschritt muß nothwendig vorkommen in dem Fortschreiten der Nationen; nicht die unmittelbare, sondern die immanente Dialectik muß zur wesentlichen Bedeutung gemacht werden. diesen 2ten Gegenstand, den Gegenstand des Prozesses, sehen wir meist in Vorderasien, als Gegenstand des Cultus, und auch als Grundlage der Symbolik. Ein bekanntes Symbol dieser Art ist in Phönizien und auch in Egypten, der Phönix; die Vorstellung, daß er alle 600 oder 1400 Jahre sich verjüngt habe, soll auf einer astronomischen Periode | beruhen. diese Vorstellung sehen wir besonders ein Hauptmoment in zwei vorderasiatischen Cultus ausmachen, in der A d o n i s - F e i e r und in dem Gottesdienst der Cybele und des Atys. die Adonis-Feier fängt mit Klagefesten über den Verlust des Adonis an, und endigt mit einem Freudenfest über sein Wiederfinden. der Adonis ist der "eon'j, der Herr, das ganz allgemeine Wesen. der phrygische Gottesdienst der Cybele und des Atys sind auch solche Vorstellungen. das Fest ward gefeiert bei den Frühlingsnachtgleichen, am 21sten Maerz; 2 Tage dauerte die Trauer um den Verlust des Atys, und am 3ten Tage ward er wiedergefunden, wo man vor Freuden schwärmte und rasete. denselben Uebergang von der ersten Stufe des Symbolischen sehen wir auch in der schönen griechischen Ausbildung der Ceres und Proserpina, des Castor und Pollux, dasselbe, aber weit schöner und verklärter, in der Kreutzigung und Auferstehung Christi; hier sehen wir das Negiren des Natürlichen, Zufälligen, wodurch erst das wahrhaft Positive das Geistige hervorgeht. Das Höhere dieser Stufe ist aber, daß das Negative für sich festgesetzt, für sich construirt werde; dadurch entsteht dann andrerseits ein Inhalt, der an sich selbst das Innere, Bedeutende wird. dies können wir in der Egyptischen Anschauung 3 Rhamaiuna lies: Ramayana

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und in dem Egyptischen Gottesdienste sehen. Ein Hauptmoment der Egyptischen Anschauung ist die Annahme eines Reichs der Abgeschiedenheit, der Todten, im Gegensatze des Seyenden, wo also der Geist so ganz für sich existirend, ohne eine körperliche Form, angenommen wird. Etwas Aehnliches sehen wir auch bei uns, denn wir betrachten auch das Geisterreich so ganz isolirt für sich dastehend. Auch bei Ossian findet sich eine solche Vorstellung; denn bei ihm giebt es keine andern Götter, als die Geister der Abgeschiedenen. Aus diesem Reiche der Todten bildet sich so der Uebergang zu dem Geiste für sich. Bei den Parsen wird das Reich des Ariman, welches gleichfalls dies Reich des Negativen, Bösen ist, als ein Andres, Jenseitiges, Feindliches gegen das Reich des Ormuz betrachtet; bei den Egyptern ist aber der Inhalt des Lebendigen und Todten derselbe, beide stehen in Beziehung, und zwar nicht immer in feindlicher, gegen einander; der Inhalt des Ariman ist aber verschieden von dem des Ormuz. Dieses Moment, diese beginnende Selbstständigkeit der beiden Seiten, ist das Wesentliche des Egyptischen Moments. Das Todte wird da zu einem selbstständigen Reiche erweitert, wo Todtengerichte gehalten werden, und dessen Herr derselbe Osiris ist, welcher das Oberhaupt der obern Welt ist. So sehen wir bei den Egyptern auch eine | überirrdische und unterirrdische Architectur; zu dieser letztern gehören die innern Gemächer der Pyramiden, dieser ungeheuren Cristalle, welche in sich den abgeschiedenen Leib eines Königs oder Apis bewahren. In dieser Weltanschauung tritt also das Abgeschiedene, der Wirklichkeit gegenüber, hervor; und hierin ist der Hauptgrund zum Symbolischen gelegt; daher sehen wir bei den Egyptern diese ungeheure Symbolik, alles ist da ein unmittelbares Daseyn, das aber ein Inneres, eine Bedeutung hat. Das Innere hat sich aber noch nicht gereinigt; daher ist bei den Egyptern alles Hieroglyphe. Bei den Egyptern sind 2 Momente, die, mit dem Ganzen zusammenhängend, uns auffallen müssen: 1) der ungeheure Thierdienst, und 2) das Bedürfniß der Kunst, und daß bei diesem Bedürfniße das wahrhaft Geistige bei ihnen hervorzutreten angefangen hat. – Der Thierdienst beweist, daß sie zu einem Bruche des Innern und Äußern gekommen sind, daß sie aber das Innere noch nicht als ein an und für sich Geistiges aufgefaßt haben; indem nun das Innere sich noch nicht in seiner Selbststigkeit erfaßt hat, so sind sie, wie die Indier, dahin gekommen, das Substanzielle in der Lebendigkeit anzuschauen, die Vereinigung des Geists, das Wahre, nicht im Geiste selbst zu setzen. daher der Thierdienst, und die Hauptweise ihrer Kunst, die Darstellung solcher Thiergestalten. dieser Thierdienst und sein Einfluß auf die Kunst ist aber eben das Verunreinigende derselben. Wie bei den Parsen der Weltstier das Urprinzip war, so war bei den 30 gekommen] ge kommen

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Egyptern auch der Apis der Hauptgegenstand ihres Cultus. Wir dürfen uns auch daher nicht sehr große Vorstellungen von der Weisheit der so hoch gepriesenen Egyptischen Priester machen; denn Menschen, welche noch bei dem Thierdienste festhalten, können nicht auf einer hohen Stufe geistiger Entwickelung stehen. der Apis, an dem alles symbolisch war, ist bei ihnen hoch verehrt gewesen; und aus dieser Symbolik ist ihre große Aengstlichkeit und Pünktlichkeit bei den mancherlei Zeichen desselben zu erklären. Daher hatte Cambyses nicht ganz unrecht, als er, den Apis niederstoßend, sagte: »Ihr habt einen Gott von Fleisch und Blut, würdig der Egypter.« Andererseits sah man in diesem Apis wieder nicht bloß das Göttliche, sondern man verehrte ihn, so wie alle übrigen Stiere und Kühe, auch wegen ihres Nutzens für den Ackerbau. die symbolische Form, haben wir gesehen, ist also eine Bezüglichkeit des Äußerlichen auf das Innere; aber beide sind von einander verschieden; das Innere hat nicht seine vollkommne Gestaltung an dem Äußerlichen, weil es noch nicht in sich vollendet ist; ist es also noch nicht in sich vollendet, ist es noch | so ein Reich des Hades, so hat es sich noch nicht in seiner Freiheit erfaßt, und das Daseyn, welches es sich giebt, ist noch nicht ein für sich festes, freies daseyn; das Reich der Abgeschiedenen hat sich noch nicht als Freies für sich construirt, sondern hat noch einen empirischen Stoff bei sich. Erst wenn das Innere ganz frei für sich ist, scheint es durch sein Daseyn hindurch, dieses ist dann nichts, als der Ausdruck des Innern. Da dies bei dem Symbolischen nicht der Fall ist, so ist dasselbe sehr passend für die Egypter. Bei ihnen hatte also der Inhalt seine höchste Darstellung in der Lebendigkeit, nicht in der Freiheit. Herodot sagt: die Egypter wären diejenigen gewesen, welche zuerst die Unsterblichkeit der Seele gelehrt hätten. dies konnte aber unmöglich in d e m Sinne seyn, als sie bei uns gelehrt wird. denn wir betrachten die Seele als ein auf sich Beruhendes, Freies, unsere Lehre gründet sich auf die Würde der Seele; aber bei den Egyptern ist diese Lehre ganz oberflächlich, und giebt daher auch zu, daß die Seele in Thiere fahren könne. Herodot sagt ferner: die Egypter unterscheiden sich auch dadurch von andern Völkern, daß sie mit ihren Thieren zusammen aus einem Troge essen. Ein neuer Beweis für die hohe Verehrung, die man den Thieren zollte. Derselbe Geschichtschreiber erzählt auch, daß nach den Gastmalen der vornehmen Egypter ein aus Holz oder Lehm gemachter Todter herumgetragen, jedem gezeigt, und dabei gesagt wurde: »Iß und trink! Nach dem Tode wirst du auch ein solcher werden«! daraus sehen wir gleichfalls, daß bei ihnen der Genuß der Lebendigkeit das Höchste war. Dieselbe Maxime treffen wir auch bei dem Prediger Salomo an. da ist also nicht die Bestimmung der Freiheit im Menschen, sondern die höchste Bestimmung ist, wie gesagt, der unmittelbare Genuß der Lebendigkeit. Von dem Insichgehen des Geists sehen wir bei den Egyptern nur wenige

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Spuren, und diese sind nur zu sehen in dem Reiche der Abgeschiedenen. In dieser oberflächlich abgeschiedenen Innerlichkeit liegt der Grund zu dem Triebe der Kunst, sich aus dieser Innerlichkeit heraus und darzustellen; die Äußerung dieses Triebes ist gewöhnlich die B a u k u n s t . Es war bei den Egyptern der unendliche Instinct zu bauen, so wie wir ihn jetzt bei den Bienen sehen; ihr ganzes Staatsleben, ihre Staatshandlung war, zu bauen. Die Schiffarth war ihnen untersagt, daher war ihre Bestimmung nicht, nach außen zu gehen, sondern in sich sich aus sich heraus zu produziren. Sie haben ungeheure Canäle gegraben und große Constructionen vollführt; aber ihre sämmtliche Thätigkeit blieb innerhalb der Grenzen ihres Landes. Bei ihnen findet man auch die Verständigkeit der Verhältniße, ein | wichtiges Moment der Baukunst, das eben das Formelle der Innerlichkeit ausmacht. Außerdem haben sie auch noch in die Baukunst das Symbolische gelegt, welches sich überall durch und durch bei diesen ungeheuren Constructionen findet. Solche Constructionen sind die That und Handlung eines gesammten Volkes gewesen, der Juden, die während ihrer ganzen Gefangenschaft in Egypten Ziegel gestrichen und Materialien herbeigeschleppt haben. Reihen von Säulen, Sphynxe, Memnonen, alle von ungeheurer Größe, und zu 100ten hingestellt; dagegen wieder die kleinsten in sehr harten Stein gehauenen, und in ungeheurer Anzahl vorhandenen Hieroglyphen, sind Arbeiten, von deren Ausführbarkeit wir keine Vorstellung haben. Es ist außerdem bekannt, daß außer diesen Hieroglyphen auch alle die Säulen, Sphynxe etc, symbolisch gewesen sind. So z. B. bestand die Haupttreppe an den Tempeln aus soviel Graden, als der Nilmesser bei dem fruchtbarsten Stande des Nils zeigen mußte. der symbolische Standpunkt ist also der bezeichnende, wo dem Menschen das Gefühl der Lebendigkeit das höchste ist, wo aber zugleich auch schon die Abscheidung zwischen Innerem und Äußerem angefangen hat, wo die Innerlichkeit schon einen Widerspruch enthält gegen das Gefühl der Lebendigkeit als das höchste. Daher finden wir auch diesen Wirrwarr, diese Vermischung bei dem Symbolischen. Wenn also die Egypter vorzüglich bauten, und das Hauptgefühl ihres Bewußtseyns das Gefühl der Lebendigkeit war, weßhalb sie die Thiere anbeteten, andrer seits sich aber schon die Innerlichkeit produzirte, so sehen wir, daß das Symbolische nicht mehr auf seinem Standpunkte bleibt, sondern strebt, hinauszugehen, und daß andere Gestaltungen hineinbrechen. daher sehen wir bei den thierischen Gebilden ihrer Kunst, z. B. bei der Sphynx; neben der thierischen Gestalt das Menschengesicht. die Sphynx, die dem Oedip Räthsel aufgab, ist selbst das Räthsel, und es ist der Mensch, der dieses Räthsel auflöst. Das Symbolische ist immer der Versuch, seinen Inhalt zu produziren; es erreicht aber nicht 35 Menschengesicht.] folgt möglicherweise ein Absatz

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seinen Zweck, denn die Darstellung ist nicht angemessen der Bedeutung, und diese Bedeutung ist das Vernünftige, das Geistige, das Wort des Räthsels, das durch das Symbol hindurchbricht. Die Sphynx ist ein thierisches Gebilde, hat aber in sich ein Tieferes, ein Vernünftiges, und dies ist das Menschliche, Geistige. In der Anecdote mit Oedipus und der Sphynx liegt ein tiefer Sinn. Der Grieche, von Apoll getrieben, hat ausgesprochen, daß die absolute Bedeutung der Sphynx, dieses Räthsels, der M e n s c h sey, nicht die Sphynx selbst. Er stürzte die Sphynx ins Meer, d. h. er vernichtete durch seinen Ausspruch die Herrschaft des Symbolischen, und setzte dafür die Freiheit des selbstständigen Geists fest. daß diese bei den Egyptern nicht war, sehen wir aus der Inschrift des verschleierten Bildes zu Sais, die so lautet: »Ich bin, | was da ist, war, seyn wird; keiner wird meinen Schleier heben!« dies war der Ausdruck des Symbolischen bei den Egyptern; der freie Grieche, der Mensch, löste das Räthsel, hob den Schleier; daher finden wir als Gegensatz obiger Inschrift die auf dem Tempel zu Delphi: »Erkenne dich selbst!« Bei allen Bildungen der Egypter sieht man nur unförmliche, nicht leichte, freie Formen. So z. B. sitzen die Memnonen, die sich doch am meisten der menschlichen Gestalt nähern, mit gesenktem Kopfe, die Arme an den Leib geschlossen, die Füße an einander gelegt und parallel hinunterhängend. diese unförmlichen colossalen Gestalten drückten also aus, daß die freie heitere Geistigkeit noch nicht in ihnen wohne. Die geistige Seele war noch nicht in ihnen, sondern sie waren bestimmt, der Sonne zugekehrt zu sitzen, und bei ihrem Aufgange zu tönen; die Beseelung, das Licht, kam also nicht aus ihnen heraus, sondern von außen hinein. (daß diese Erzählung vom Tönen der Memnonen nicht gegründet ist, wird wohl jeder einsehen, obgleich die Franzosen sie neuerlich noch bestätigt haben). Hier ist aber zugleich der Uebergang zu der freien Schönheit; denn die Sphäre des Symbolischen, als eines solchen, verschwindet, und das Geistige nimmt jetzt seine eigene Gestalt an, die an ihm selbst das Bedeutende wird. So gehen wir zu der Sphäre des Classischen über. Vorher habe ich aber noch einer dritten Stufe des Symbolischen zu erwähnen. und diese ist: 3. Die St u fe des Ausei n a nde r sey n s der Bedeut u ng u nd des Ausd r u c k s , o d e r d i e Sy m b o l i k i n i h r e r B e s o n d e r h e i t . Diese Stufe ist, wie nachher bemerkt werden wird, etwas Untergeordnetes überhaupt; auch gehört hierher nicht, wie die Ueberschrift leicht könnte vermuthen lassen, die Aufzählung der besondern Symbole, denn deren sind eine unzählige Menge; sondern hier gehen uns die Symbole in ihrer Besonderheit an, d. h. die Bedeutung und das sinnliche Daseyn dieser Bedeutung werden hier von einander getrennt dargestellt. Dieses Verhältniß ist also bloß das der Relativität,

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nicht des Classischen, wo Begriff und Realität in Eins sind. Diese Art gehört vornehmlich nur der redenden Kunst an; denn diese, deren Element die Rede ist, kann alle Empfindungen und Gedanken, folglich auch das Gedoppelte dieses Verhältnißes aufnehmen und ausdrücken. In der alten Sculptur steht auch oft das Symbol neben der Bedeutung, z. B. der Adler neben Jupiter, der Pfau neben Juno, etc. aber diese Darstellung sinkt schon zum Attribut | hinab, und der Gott ist selbst nicht mehr Bedeutung, sondern schon Gestaltung. daraus ergiebt sich folgendes: 1). Die Bedeutung und der Ausdruk stehen für sich. Dies ist der Anfang zur Prosa; denn hier ist auch schon ein abstracter Gedanke, eine allgemeine Vorstellung, hier durchdringt nicht die Seele den Leib. 2) Die Bedeutung ist ein besonderer beschränkter Inhalt, in dem aber doch eine Allgemeinheit ist; der absolute Inhalt ist die Subjectivität, die sich in der Person als ein Begeistertes äußert; die Seele aber, die gegenüber dem Ausdruk steht, ist selbst ein abstracter, bestimmter, endlicher Inhalt. 3) dieser Ausdruck ist auch ein unmittelbar Vorhandenes, unmittelbar Aufgenom menes, Zufälliges, nicht der wahrhafte Ausdruck der Seele. In sofern sind sie beide äußerlich auf einander bezogen, es ist die Subjectivität des Witzes, die sie zusammenbringt, dies Zusammenbringen erscheint als ein Thun des Dichters, welcher so das unmittelbar Vorhandene braucht zur darstellung des allgemeinen Inhalts. 4) Eine solche Weise kann bei wahrhaften Kunstwerken nur nebenbei vorkommen, kann nicht die Seele, der Mittelpunkt des Kunstwerks seyn. In solche Weise fallen nur die mittelmäßigen Kunstwerke, wie z. B. die Aesopische Fabel, die didactische Weise der Kunst, die Satyre etc. Daher ist es auch bei einem Systeme der Kunst sehr schwierig, sie unter etwas zu classifiziren; die wahrhafte Kunst theilt sich selbst ein, bildet von selbst die Hauptarten. Nun ist die Forderung entstanden, dergleichen oben genannte Kunstwerke auch unter die Hauptarten aufzunehmen; dies konnte aber nicht geschehen, da zu den Hauptarten der Kunst, wie gesagt, nur wahrhafte Kunstwerke gehören, nicht solche, an welchen die Kunst nur als Verzierung dient. Bei der genannten Weise der Kunst findet eine Trennung der Ingredienzien statt, folglich ist da noch ein Suchen der Kunst, diese Ingredienzien einander anzupassen, und so entsteht die Verlegenheit des Classifizirens. Wir haben also 2 Seiten; wenn diese in Beziehung gebracht sind, so muß es also eine wesentliche, substanzielle Seite geben, und die andere kann nur die darstellende seyn; die Bedeutung ist nun allerdings die substanzielle, und die Darstellung die äußerliche, unterworfene Seite. Da sie aber beide unabhängig von einander sind, so kann von jeder derselben angefangen werden. | Es kann

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die natürliche, unmittelbare Seite zuerst genommen werden, und die Bedeutung dazu kommen; oder umgekehrt, die Bedeutung kann zuerst genommen werden, wo dann die Darstellung bloß als ein Gebrauchtes, Zufälliges, herbeigezogen wird. Aus dieser zweifachen Behandlungsart ergeben sich 2 Hauptabtheilungen mit verschiedenen Unterabtheilungen; und diese sind folgende: a) wo das Natürliche, die darstellung, zuerst auftritt, und die Bedeutung erst darauf bezogen wird. Dieses geschieht in der A e s o p i s c h e n F a b e l , dem M ä h r c h e n , der P a r a b e l , dem A p o l o g , und dem S p r i c h w o r t ; b) wo die Bedeutung zuerst da ist, und der Ausdruk erst nachher gesucht, gebraucht wird. Hierher gehören: das R ä t h s e l , die A l l e g o r i e , M e t a p h e r und Ve r g l e i c h u n g . a). das erste ist also, wo das Unmittelbare, Natürliche, zuerst auftritt. Zunächst kann hier bemerkbar gemacht werden das Verhältniß zwischen den unmittelbar natürlichen Erscheinungen und der religiösen Beziehung. Als Beispiele einer solchen religiösen Beziehung des Natürlichen kann man anführen das Wahrsagen aus dem Fluge der Vögel und den Eingeweiden der Thiere, auch der feurige Busch des Moses. Dieses sind natürliche Erscheinungen, denen aber eine tiefere Beziehung auf den Menschen beigelegt wird, und die in so fern als etwas Religiöses erscheinen. Hier finden wir ein andres Verhältniß zu dem Natürlichen, als wir es bei den Parsen sahen. Der Parse lebte in einem Reiche des Lichts; er hatte nicht erst einzelne Erscheinungen so zu deuten, sondern solche tiefere Beziehung fand er überall, sein Leben war eine Offenbarung des Lichts. Wenn aber der Mensch nicht mehr in dieser substanziellen Anschauung lebt, sondern bei ihm seine Individualität vorherrscht, so lebt er nach seinen eigenen Zwecken, die Natur ist ihm so vereinzelt, ist nicht mehr Offenbarung des Lichts, sondern tritt gegen ihn, den Selbstzweck, als Mittel zurück. diese wenigen Worte über die religiöse Beziehung des Natürlichen habe ich hier eingeschaltet; jetzt wollen wir zu dem Nähern übergehen. Die Aesopische Fabel. Die nächste Vorstellung davon ist, daß Thiere darin als redend und handelnd gegen einander eingeführt werden. Sie muß aber in der allgemeinen Bedeutung genommen werden, daß es überhaupt natürliche Ereigniße und Verhältniße sind, | die darin dargestellt werden, z. B. die Fabel des Menenius Agrippa, von dem Magen und den Gliedern des menschlichen Körpers. Ferner kommen auch Verhältniße zwischen Menschen vor; in sofern es aber menschliche Geschichten sind, die sich wirklich begeben haben, oder auch nur fingirt sind, so sind dis mehr Parabeln oder Apologe. Das Allgemeine darüber ist also, daß die Fabel die

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Darstellung natürlicher Erscheinungen und Ereigniße ist, die selbst zwischen Menschen vorfallen können, aber beschränkt, sich isolirt für sich verhaltend, und sich aus dem unmittelbaren Thun ergebend, Solche Ereigniße haben gewiße Bestimmungen und Verhältniße in sich; diese werden als Bedeutung hervorgehoben, und in allgemeiner Beziehung ausgesprochen, wodurch sie zur Hauptsache werden. Lessing und andere, die in der Theorie der Fabel sich versucht haben, haben gesagt, man müße immer Thiere dazu brauchen, weil man diesen so einen abstracten, bestimmten, eigenthümlichen Character beilegen könne, z. B. der Fuchs als die List, der Löwe als Stärke und Gewalt etc. Dies ist aber nicht nöthig, sondern die Hauptsache in der alten Aesopischen Fabel ist, daß unmittelbare Ereigniße darin vorgetragen, und die Verhältniße derselben hervorgehoben und allgemein ausgesprochen werden. Es gehört auch gar nicht dazu, wie jene behaupten, daß die Handlung darin erdichtet sey, sondern sie kann auch sich wirklich zugetragen haben, wenn es nur eine unmittelbare natürliche Begebenheit ist. Wir sehen darin überhaupt, wie gesagt, das Hervortreten der Prosa, und in dieser Hinsicht ist es geschichtlich interessant zu wissen, daß die Fabel aus Phrygien gekommen ist, also aus einem Lande, wo der Begriff noch nicht immanent in seiner Form gewesen ist, und wo überhaupt die Prosa des Lebens geherrscht hat. Wir haben die Aesopische Fabel nicht mehr in ihrer eigenthümlichen Form, welche sehr oft eine mythische gewesen ist. Merkwürdig ist dabei noch das verschiedene Verhältniß, welches in der Aesopischen Fabel zwischen den Thieren und überhaupt dem Natürlichen herscht, und der Unterschied, den wir davon in dem Verhältniß der Egypter zu ihren Thieren sehen. In der äsopischen Fabel ist es nicht das Heilige, Substanzielle, welches im Thiere anerkannt und verehrt wird, sondern das Thier wird bloß nach seinem endlichen, begrenzten Instincte genommen. Mythisches ist, wie gesagt, auch in vielen Aesopischen Fabeln enthalten, und dis setzt sie gewißermaaßen in Verbindung mit der Egyptischen Kunstweise. So z. B. ist die Fabel vom Roßkäfer ganz mythisch gehalten; und bei Aesop sehen | wir diesen Käfer, der bei den Egyptern sehr heilig war, auch sehr hoch gestellt. Sonst haben aber die meisten Aesopischen Fabeln ein natürliches Ereigniß zu ihrer Grundlage. Es ist nun grade nicht nöthig, daß die einfachen natürlichen Ereigniße immer in die gewöhnliche Form der Aesopischen Fabel gegossen werden; sondern dies ist Sache der dichterischen Willkühr, So z. B. finden wir bei Göthe Gedichte, die ihrem Inhalte nach ganz Aesopische Fabeln sind, aber nicht diese langweilige Form haben, z. B. die Gässners. Die nachgemachten äsopischen Fabeln unterscheiden sich dadurch von den wirklichen alten, daß sie gänzliche Producte der Willkühr sind, daß der Dichter Hand35 Gässners lies: Geßners

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lungen und Verhältniße den Thieren zuschreibt, welche sich gar nicht mit ihrem Naturinstincte vertragen; besonders haben Pfeffel und Lessing solche Fabeln gemacht, z. B. die Fabel: der Luchs, der Spürhund und das Windspiel. In der wahren äsopischen Fabel wird den Thieren auch Bewußtseyn und Sprache zugetheilt; aber dis ist nur ganz formell, und die Handlung, das Ereigniß selbst trägt sich ganz natürlich, ihrem Thierinstincte gemäß, zu. Da s Mäh rchen. Dieses ist nicht mehr Fabel, sondern hier ist die ganze Endlichkeit, alle äußerlichen Bedingungen der Wirklichkeit, der willkürlichen Fantasie Preis gegeben. Hier werden die Bedingungen der Wirklichkeit, der Äußerlichkeit gar nicht bei den Handlungen der Menschen berücksichtigt, auch übernatürliche Kräfte und Erfolge hineingebracht. Wenn die Gestalten in diesen Mährchen auch Thiere sind (es brauchen nicht immer Menschen zu seyn) so ist es doch nicht Fabel, wie wir dis im Reineke Fuchs sehen, wo zum Theil die Verhältniße der Thiere ganz natürlich beobachtet werden, und wo wir andrerseits wieder menschliche Handlungen und Verhaltungsweisen ihnen beigelegt sehen, welches, durch die daraus entstehende Unangemessenheit, beiläufig gesagt, auch Stoff zum Lachen giebt. Die Pa rabel u nd de r Apolog. Diese sind unmittelbar verwandt mit den beiden obigen Formen. die P a r a b e l enthält auch eine solche Begebenheit, nur muß diese mehr aus dem Kreise des menschlichen Lebens seyn, so daß diese Erzählung für sich dasteht, aber auch eine allgemeine Bedeutung hat, die durch die Erzählung dargestellt wird. – Unter A p o l o g versteht man auch eine Parabel, aber im weitern Sinne eine solche, wo in der Geschichte selbst die Bestimmung liegt, die Lehre | auszusprechen. – Es giebt auch practische Parabeln, wo in die unmittelbare Handlung selbst, die wirklich geschieht, die Bedeutung hineingelegt wird. Ein Beispiel hiervon ist die Handlung des Tarquinius Superbus, der, als sein Sohn ihn fragen ließ, was er mit den Einwohnern der belagerten Stadt Gabii machen sollte, den Boten in den Garten führte, und alle hoch hervorragenden Mohnköpfe abschlug. Etwas ganz bekanntes sind die Parabeln Christi, welches auch Erzählungen von Handlungen oder Begebenheiten sind, die entweder geschehen sind, oder doch haben geschehen können. Jedoch gibt es darunter auch Parabeln, die wir nicht verstehen, oder wo wir nur unklar rathen können, z. B. die Parabel von dem ungerechten Haushalter. Berühmt ist die Parabel in Lessings Nathan, von dem Ringe, der die Kraft besaß, tugendhaft zu machen. (Es muß bemerkt werden, daß Lessing diese Parabel aus dem Boccaccio genommen hat). Auch bei Göethe finden sich solche Parabeln, die aber öfters nicht die Gestalt derselben haben. Als Apolog kann man

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anführen Goethes Gedicht: der Gott und die Bajadere. Dies ist ein unmittelbares Beispiel von dem Satze, der am Ende des Gedichts ausgesprochen ist. Auch das Gedicht: der Schatzgräber kann als Apolog angesehen werden. Es kann noch bemerkt werden, daß der Stoff, welcher die Aesopische Fabel oder Parabel ausmacht, mehr oder weniger eine entwickelte Geschichte ist. dieser Stoff kann sich nun in seiner Form sehr zusammenziehen in ein ganz allgemeines Verhältniß, und kann sich ganz kurz und einfach darstellen. Dem Character nach ist dis auch Fabel, aber dem Ausdruck und der Form nach ist es S p r i c h w o r t . Hier herscht keine Vergleichung, denn die Bedeutung ist hier nicht vom Ausdruck getrennt. Auch Goethe hat viele solche Sprichwörter geschrieben, z. B. »Freigebig ist der mit seinen Schritten, der kommt, von der Katze Spek zu erbitten.« oder: »das sind mir allzuböse Bissen, an welchen die Gäste erwürgen müssen.« Wenn solche Sprichwörter weiter ausgesponnen werden, so können sie eine Fabel oder Parabel geben. b.) Ein anderes Verhältniß ist, wo die Bedeutung schon für sich vorhanden ist, durch irgend einen Zusammenhang oder Zwek, wo der Ausdruk aber als das Hergenommene, als Mittel erscheint, jene Bedeutung sinnlich bestimmt zu machen. Hier macht auch die Subjectivität des Dichters den Zusammenhang; das Allgemeine ist schon da, und es können viele Weisen des Ausdruks dafür | genom men, oder auch weggelassen werden, da schon das Allgemeine für sich deutlich ist. Also ist dies gleichfalls ein endliches, zufälliges Verhältniß. die wahrhafte Bedeutung, das wahrhaft Subjective giebt sich selbst eine eigenthümliche Gestalt. Weil hier nur Zufälligkeit des Zusammenhangs herrscht, so tritt hier die Kunst des Dichters, als Machers, ein, und man erkennt ihn darin. deßhalb findet man in den alten Aesthetiken den verschiedenen Zweigen dieses Verhältnißes große Sorgfalt und Beifall gezollt. Doch jetzt zu der nähern Auseinandersetzung: Das Räthsel. Das erste, woran in diesem Verhältniße erinnert werden kann, ist das Räthsel, dessen schon bei dem Symbolischen erwähnt wurde. Denn das Symbol selbst ist räthselhaft, weil da nicht Einheit der Seele und des Körpers herrscht, sondern eine Verschiedenheit derselben, und folglich Zufälligkeit. Die geschichtliche Erscheinung des Räthsels fällt in die Mitte zwischen bewußter Allgemeinheit, bewußter Weisheit, und zwischen der unmittelbaren Anschauung, oder dem Symbolischen. das Räthsel besteht darin, daß das Äußerliche in seinen Bestimmungen so recht disparat zusammengestellt ist; die Bedeutung des Räthsels ist das Subjective, die einfache Vorstellung, das abstracte Subject, worin der zerstreute Ausdruk gesammelt, vereinigt ist. Der Zweck des Räthsels ist nur, bizarr

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zu seyn, aber übrigens die Bedeutung ganz prosaisch hervorzuheben. Das Interesse dabei ist ganz subjectiv, nämlich man will wissen, ob ein Mensch die Bedeutung noch nicht wisse.

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Die A l legor ie. Die Allegorie hat auch so ein Abstractum, allgemeine Eigenschaft, wie das Räthsel, und wird auch so vorgestellt, durch solche disparate Bestimmungen. Das Subject ist auch da keine wahrhafte Individualität für sich, sondern bloß eine allgemeine Vorstellung, z. B. Religion, Fama, Krieg etc. Dies sind allgemeine Vorstellungen, die ausgedrükt werden durch eine äußerliche unmittelbar anschau liche Darstellung, oder durch unmittelbare Vorstellungen, auch durch Attribute, die oft noch dazu eine symbolische Grundlage haben, z. B. die Binde der Gerechtigkeit. die Bedeutung ist also allgemein, aber nur durch die Weise der Darstellung individualisirt. Hier ist es aber nicht Ernst mit der Individualität, da diese nur äußerlich erscheint. In dieser Rücksicht kann man die Dice der Alten als Allegorie annehmen, und sie gleichbedeutend | mit Gerechtigkeit setzen. Sie ist aber nicht so abstract als diese, sie ist die absolute Nothwendigkeit, das Recht, die absolute Substanzialität, gegen welche die Menschen sich untergeordnet verhalten. Sie ist nicht etwas Inhärirendes, wie die Gerechtigkeit, Klugheit, etc, sondern sie ist die substanzielle Substanzialität des Eigenthümlichen. – Die Allegorie gehört also deshalb mehr der neuern, romantischen Epoche an, (obgleich sie selbst nichts Romantisches ist) weil das Anschauen der besondern wirklichen Individualität in der modernen Epoche die Hauptsache ist, und das Göttliche in dieser individuellen Wirklichkeit aufgefaßt wird als bestimmt Geistiges, nicht als Ideelles. Es hat eine Zeit gegeben, wo der allegorische Geschmak sehr allgemein gewesen ist, und wo man daher die Kunstwerke, besonders die Dichterwerke, in ihrer Beurtheilung von der allegorischen Seite aufgefaßt, das Allgemeine als Hauptsache hervorgehoben, und sie selbst als Besondres nebenbei gestellt hat. In Rücksicht des Homer und Virgil kann man so vorzüglich in ältern Ausgaben das Allegorische hervorgehoben sehen; in jedem Worte hat man eine Allegorie und Anspielung gesucht; besonders weit hat man dis bei der Erklärung des Dante getrieben. Es ist wahr, jedes Besondere kann auf eine allgemeine Weise gefaßt werden; bei der künstlerischen Darstellung ist es aber nicht zu thun um die allegorische Darstellung, sondern das Wesentliche dabei ist, sie künstlerisch aufzufassen, und nicht zu trennen und zu zerstückeln, sondern als Individualisirtes sie aufzufassen und darzustellen. Der Allegorie liegt die Religion sehr nahe; der ernste Inhalt der Religion gilt uns in seiner Allgemeinheit, Würdigkeit, er ist ein für sich Vorhandnes, so wie der Inhalt der Allegorie, und so liegt diese jener sehr nahe, und deshalb sehen wir auch wirklich soviel Allegorisches bei Dante.

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D i e M e t a p h e r. Sie kann angesehen werden als Symbol oder als Allegorie, aber kurz zusammengezogen in ein Bild; sie ist eine allgemeine Vorstellung dargestellt durch eine andre kurze Vorstellung, Anschauung, Bild. Die verschiedenen Arten derselben sind zu mannichfaltig und weitläuftig, um sich darüber ins Detail auszulassen. die Sprache für sich selbst ist schon metaphorisch; so z. B. sind die Ausdrücke: Begreifen, fassen, schon methaphorische Ausdrücke, hergenommen von der sinnlichen Thätigkeit, und angewendet auf geistige Thätigkeit. Sie sind aber doch nicht eigentliche Symbole oder Allegorien; denn in der Metapher liegt die Bedeutung unmittelbar darin; bei dem Symbole und der Allegorie ist eine Gestalt vor uns, wo die Bedeutung herausgelesen werden muß, nicht unmittelbar gegeben ist. daher ist das Symbol und | die Allegorie oft sehr zweideutig, man sieht die Bedeutung nicht unmittelbar der Gestalt an. Bei der Metapher muß aber die Bedeutung unmittelbar durch den Zusammenhang gegeben seyn. Wir unterscheiden bei der Metapher die e i g e n t l i c h e und u n e i g e n t l i c h e B e d e u t u n g , jene ist die Bedeutung selbst, diese der Ausdruck. die eigentliche Bedeutung ist vorhanden, aber nicht unmittelbar ausgesprochen; geschieht dies, so entsteht das, was wir Vergleichung nennen, die dann in dieser Rücksicht ein Gedoppeltes ist. der uneigentliche Ausdruck in einer Sprache wird auch durch Gewohnheit uns zum eigentlichen Ausdruck; so stehen wir gar nicht an, begreifen, fassen, für geistige Thätigkeit zu nehmen, und andrerseits ist ihr andrer Ausdruck auch vorhanden. In Ansehung des Metaphorischen kann noch bemerkt werden, daß nach dieser Seite sich der poetische und prosaïsche Styl unterscheidet, und nicht nur dies, sondern auch vornehmlich der antike und moderne Styl. Der Styl der Alten ist darin viel strenger gewesen, und hat sich weit mehr an den eigentlichen Ausdruck gehalten. So finden wir in dem Style des Plato, Thucydides, Demosthenes, und selbst in dem der alten Dichter, Homer und Sophocles, weit weniger Metaphern, als in mancher modernen, prosaïschen Rede. Auch Goethe hat seine schönsten Stellen in dieser Reinheit und Bestimmtheit des Styls verfaßt. Einerseits ist es die Armuth der Sprache, welche die Metaphern nöthig macht, und andrerseits muß auch der moderne Geschmack berücksichtigt werden. Ihm genügt nicht der einfache, reine Ausdruk, sondern er will das Einfache, Reine, als gedoppelt in dieser Einheit vor Augen haben. Was das gewöhnliche Interesse der Metapher betrifft, so sagt man gewöhnlich, sie diene zur lebhaftern Darstellung. die Lebhaftigkeit wird nun allerdings durch sinnliche Darstellung erhöht; wenn aber die Sache selbst klar ist, so bedarf es nicht dieser lebhaftern Darstellung, wie wir dies bei Homer sehen; auch kann das Ganze durch zu genaue Ausführung der 32 nicht] niht niht

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Einzelheiten zu sehr gedrückt werden. Die Lebhaftigkeit der Darstellung durch die Metapher kann allerdings ein an sich Todtes beleben und schmücken; so z. B. heißt es bei Ferdusi: »die Schärfe meines Schwerdts frißt das Gehirn des Löwen, und trinkt das Blut des Muthigen.« Hier ist die an sich todte und prosaische Vorstellung der Tapferkeit und der kriegerischen Schärfe durch eine Metapher lebhaft gemacht und beseelt. | Schiller, selbst in seiner Prosa, ist auch sehr reich an Metaphern, er hat einen sehr blumenreichen Styl, der aber durch die Gewalt seines Geists beherrscht wird, so daß man bei ihm auf einen höhern Standpunkt gestellt, und nicht durch das Metaphorische zerstreut wird. Was das nähere Interesse der Metapher betrifft, so will ich einige Momente angeben, die bei der Vergleichung noch mehr entwickelt werden sollen. Die Metapher hat, wie schon bemerkt worden, die Macht, das Verschiedene zu binden. Dieses Binden hat nun auch einerseits die Seite der Verstärkung. Das Gemüth ist unruhig, bewegt, und drükt auch so seine Bewegung aus, macht sie anschaulich; es beweist auch dadurch seine Macht sich so zu zerstreuen, zu den fremdartigsten Vorstellungen überzugehen, und doch bei sich zu bleiben. Diese Bewegung des Gemüths erkennen zu geben, dient auch oft die Metapher. Ein schönes Beispiel dieser Art ist die Szene aus Calderon’s: Andacht zum Kreutz, wo Julia den von ihrem Geliebten, Eusebio, umgebrachten Bruder findet. Hier drükt die Metapher die heftige Bewegung ihres Gemüths aus, welches das unmittelbar Angeschaute, die Wunden und Augen des Todten, aus seinem gewöhn lichen Zustande verrückt, und einen anderen an die Stelle setzt. Ein anderes Beispiel aus demselben Stücke ist die Szene, wo Eusebio die Julia aus dem Kloster entführt, aber erschrickt, als er das Kreutz auf ihrer Brust erblickt. Hier dient auch das Metaphorische dazu, die Stärke seiner Gemüthsbewegung auszudrüken. die Bewegung der Seele, die nach dem Entfernten und Fremdartigen greift, drükt dieser Kampf, den ganz außer sich seyenden Zustand der Seele aus. So enthält zugleich das Metaphorische das Moment, wodurch die Seele von sich entfernt wird, freier wird, und nicht mehr in der Dumpf heit des concentrirten Schmertzes verharrt. diese Seite führt uns auch auf die bald zu berührende Vergleichung, die besonders bei Shakspear getadelt wird, weil er sie den unglücklichsten, in der größten Verzweiflung sich befindenden Personen in den Mund legt. D i e Ve r g l e i c h u n g . Sie ist die erweiterte Metapher; in der Metapher ist die Bedeutung nicht unmittelbar für sich ausgesprochen, der eigentliche Ausdruk ist nicht zugleich mit dem uneigentlichen unmittelbar gegeben; findet dis statt, so entsteht die Vergleichung, die dann so ein Gedoppeltes ist. Bei der Metapher kommt überhaupt ein

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Bild vor, es wird etwas in einem Bilde ausgedrükt; die Metapher ist das ganz Einfache. Bild ist die ausgeführte Metapher. Wenn die Bedeu|tung des Bildes aber noch nicht rein ausgesprochen, oder in den Ausdruck selbst verwebt ist, wenn das Bild nicht ganz die Gestalt der Vergleichung hat, so ist es mehr B i l d für sich. So kann man das Gedicht von Göthe: »Mahomets Gesang« eigentlich nicht Parabel, noch Allegorie oder Vergleichung nennen, sondern es ist ein Bild, das eine bestimmte Bedeutung hat, und diese ist Mahomet. Es ist da kein Abstractum vorhanden, wie in der Allegorie, noch ist die Bedeutung so getrennt vom Ausdruk, wie in der Vergleichung, sondern die bestimmte Bedeutung ist verwebt mit dem Ausdruck. diese Weise ist, besonders bei den neuern Dichtern, von großer Mannichfaltigkeit. Ein Beispiel hievon ist das Schillersche Distichon: »Erwartung und Erfüllung.« Da sind die weitaussehenden Hoffnungen des Jünglings, und sein Streben, entgegengesetzt dem Thun und der Mäßigung des Greises, unter dem Bilde eines vielmastigen Schiffs und eines kleinen Kahns dargestellt. Solche Bilder finden sich auch in den meisten Xenien. Was die eigentliche Vergleichung betrifft, so ist die vollkommne Doppelheit darin; die Vergleichung kann nicht mehr zur Verdeutlichung dienen, denn die Bedeutung muß schon für sich vollkommen ausgedrückt und dargestellt seyn. Was das Nähere des Interesses der Vergleichung betrifft, so sind hier mehrere Formen anzugeben. Fürs erste ist es der bloße Witz des Autors, der die disparatesten Dinge und Vorstellungen durch den Zusammenhang verbindet, und so frappirt. diesen Witz besitzt besonders Jean Paul, der die heterogensten Dinge vergleichend verbindet. Man wird hier frappirt, überrascht, erkennt aber auch zugleich sehr viel Subjectives, das die verschiedensten Dinge durch bloß äußerliche Bestimmungen verbindet; doch hat er auch sehr viel reellen Witz und ist sehr geistreich überhaupt. Er sagt selbst in einer Stelle sehr richtig: »das Gefrieren des Menschen fängt mit Epigrammen an, wie das Gefrieren des Wassers mit Eisspitzen anfängt.« Dis ist sehr geistreich und witzig. Ferner können solche Vergleichungen Anlaß zum Lachen und Spaß geben, weshalb die komischen Dichter sie auch sehr stark benutzen. – Das tiefere Interesse der Vergleichung ist das Verweilen bei einer Begebenheit. Der Dichter will an seinen Gegenstand fesseln, deshalb verdoppelt er ihn, anstatt den Gegenstand langweilig herumzutreiben und zu drehen, welches oft bei schlechten Dichtern statt findet. Solche Langweiligkeit findet sich z. B. | in den Nibelungen bei Beschreibung eines Schildes. In der Iliade ist auch der Schild des Achill beschrieben, aber die Beschreibung dieses Schilds ist selbst unmittelbar eine Vergleichung, denn die auf dem Schilde befindliche Arbeit liefert uns ein Gemälde des ganzen Universums. – Das nähere Interesse ist aber das praktische, und dis findet besonders bei dem Epischen statt; da sind Verwickelungen, Zwecke, Thaten, die für sich schon interessiren; es ist aber die Sa-

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che der Kunst, dieses praktische Interesse zu unterbrechen, uns ein ruhendes Anschauen, wie bei der Skulptur, zu geben, und dies geschieht durch die Vergleichung. Ferner ist dis Verweilen aber auch ein Interesse der Empfindung, z. B. der Liebe, die nicht wegkommen kann von der Vorstellung ihres Gegenstandes. Der Geist ist aber auch zugleich ein Bewegendes, Thätiges, geht hinaus über den Gegenstand, ergreift einen andern Stoff, bezieht aber diesen Stoff wieder auf den Gegenstand zurük, und macht so das eigene Interesse zum Interesse, Mittelpunkte der Welt. Es ist bekannt, daß die Verliebten tausende von Einfällen haben, die sie sogleich auf ihr Hauptinteresse zurückbeziehen. Solche Einfälle sind nicht immer unmittelbare Vergleiche, aber meistens sind sie doch Bilder. Plato hatte einen Geliebten, der Aster hieß, und er sagt von ihm in einem Epigramme: »O mein Aster! könnte ich ein Sternhimmel werden, um so dich aus tausend Augen zu schauen!« Auch Julia im Romeo und Julie braucht einen ähnlichen Vergleich. Ohnehin ist die Liebe für sich vergleichend. Sie verweilt sich gern bei ihrem Gegenstande; und nun kommt die Reflexion darauf, daß es auch andere Schönheiten gebe; daher diese Leidenschaft der Liebenden für alle Naturschönheiten. Solche Weise, solches Schwelgen in dem bloß Sinnlichen sehen wir hauptsächlich bei einer noch niedern Stufe der Bildung. Dis finden wir z. B. im hohen Liede Salomonis, 4ten Capitel. Auch bei Ossian finden wir solche Vergleiche; so z. B. heißt es im Fingal von einem Mädchen: Du bist wie der Schnee auf der Haide, dein Haar ist wie ein Nebel von Krommla, wenn er sich auf dem Felsen kräuselt, und gegen die Strahlen der Sonne schimmert. Ovid thut daher sehr recht, wenn er den rohen Polyphem in solchen Ausdrücken seine Liebe zur schönen Galatea aussprechen läßt. – Auch der schwermüthigen Empfindung liegt | es sehr nahe, zur Vergleichung überzugehen. Was ihr Interesse ausmacht, liegt fern von ihr, und so ist ihr Hauptton, zu Anderem, Entferntem, überzugehen, und sich darin zu vergessen. Ossian ist auch in solchen hierher gehörigen Vergleichen sehr reich, sein Hauptton ist dieser Ton der Vergangenheit, die Klage um die gefallenen Helden. So wie das bewegte Gemüth von seiner Empfindung zu dem Natürlichen übergeht, eben so ist es leicht möglich, daß es in dem Natürlichen einen solchen Ton findet, der zu seiner Empfindung paßt, und so zu dieser übergeht. Als Beispiel hierzu können die Worte Karl Moors bei dem Anblick der untergehenden Sonne dienen: »Siehe die Sonne, so geht ein Held unter!« Noch ein Beispiel findet sich in Göthes Faust; es ist nämlich die Szene, wo Faust Sonntags Abends mit Wagner sich im Freien befindet. Hier wird aber der Ausdruk der tiefen Reflexion zu breit, und findet deshalb nicht soviel Beifall, als Moors kurze Worte. Jeder Theil dieser Rede, für sich genommen, wäre schön; das Ganze ist aber zu überladen. – Noch ist zu bemerken, wie die Vergleichung bei Shakspear im Drama vorkommt. Man hat es sehr getadelt, daß die Personen in höchster Leidenschaft Vergleichungen anstellen,

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da doch die Leidenschaft, je stärker, desto gedrungener im Ausdruk sey. Diesen Tadel hat man aber ausgesprochen zu einer Zeit, wo die Natürlichkeit sehr an der Tagesordnung war, und wo man verlangte, daß die Leidenschaft sich bloß in Ach! und O! ergießen soll. Man findet auch wirklich bei Lessing, und selbst in den frühen Stücken Schillers und Goethes solche Ach’s und dabei die Worte: »der Schauspieler drückt durch eine Gebehrde seinen Schmerz aus,« welches freilich eine sehr schwierige Aufgabe ist. Dies muß aber nicht seyn, eben so wenig wie kalte Verstandesreflexion in starker Leidenschaft. Shakspear macht seine Personen gleichsam selbst zu Künstlern, Dichtern, er giebt sie genialisch, macht sie zu großen Geistern, die nicht bloß in ihrer Natürlichkeit befangen sind, sondern sich und ihren Zustand auch objectiv machen können, wodurch er sie als erhaben über ihren Zustand darstellt. Beispiele davon sind (Heinrich IV, 2ter Theil) die Worte des alten Northumberland, als er den Tod seines Sohns Percy erfährt; seine Vergleichung mit dem alten Priamus. So sagt Macbeth im 5ten Act, 4ten Auftritt: | »Das Leben ist nur ein wandelnder Schatten, ein armer Schauspieler, der seine Stunde lang auf der Bühne strotzt und tobt, hernach aber nicht mehr gehört wird.« So giebt auch Shakspear dem mächtigen Warwik bei seinem Tode, ein Gleichniß in den Mund, das ungefähr so anfängt: »So fällt vor der Schärfe des Beils die hohe Ceder etc. etc.« Hier schaut er seine eigene Hoheit in einem Bilde an, und giebt uns dadurch eine Vorstellung von der Größe und dem Adel seiner Seele. In der Vergleichung ist nun das endliche Feld der Bedeutung und Darstellung beendigt; denn hier haben beide Seiten die Bestimmung erhalten, selbstständig zu seyn, und darin liegt zugleich die Befreiung und Entfernung von diesem unmittelbaren Gegenstande. diese erwähnte Selbstständigkeit kann aber jedem besondern Inhalte, welcher die Bedeutung ausmacht, zukommen; die absolute Bedeutung ist aber das Selbstbewußtseyn, das Denken selbst; alles andere ist bloß relativ, momentan selbstständig für die Anschauung. Z. B. Sonne, Mond, Sterne und andre Naturerscheinungen haben nicht diese absolute Selbstständigkeit der Bedeutung, die als ein Inneres von der äußern Selbstständigkeit verschieden ist. das Denken also, das an und für sich allgemein ist, ist das absolut Bedeutende. So ist es aber noch in abstracter Form nur da; es muß also fortgehen zu wahrhafter Individualität, und dann ist es als Geist da, dann erst wahrhaft concret, verdoppelt sich, macht sich zum Gegenstande, weiß sich, wird sich selbst äußerlich bis zur Äußerlichkeit der Natur, und hat so also eine leibliche Weise, die aber doch nur Zeichen seiner Innerlichkeit ist. Dis ist nun der Inhalt unsrer jetzt zu betrachtenden Stufe, wo die Bedeutung auch sich äußerlich, leiblich manifestirt, aber so, daß der Geist doch bei sich bleibt; und dis ist die 2te Hauptform, die Form der classischen Kunst. | 37 Kunst.] darunter etwa sechs Zeilen nicht beschrieben

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Wir haben gesehen, daß die Indische Anschauung von keinem festen Standpunkte ausgieng, sondern daß sie nur hin und her fuhr; daß weder Brumha zu einer festen Selbstständigkeit kam, noch sich mit dem ihm Gegenüberstehenden vereinigen konnte, daß diese beiden Seiten also hin und her schwankten. Auch auf der gegenwärtigen Stufe zeigen sich die beiden Formen: 1) der Begriff, das Denken, an sich, als das absolut Bedeutende, und 2) der Begriff, der sich als Idee zeigt. Das Nähere dieser beiden Seiten wollen wir jetzt betrachten. 1. D e r B e g r i f f , d a s D e n k e n a n s i c h , a l s d a s a b s o l u t B e d e u t e n d e . Bei dieser Vorstellung setzen wir als das absolut Bedeutende den Einen Gott, das absolut Allgemeine, das Eine, gegen welches die Natur und der menschliche Geist das Dienende, seine Verherrlichung, sein Geschenk sind, und wogegen er sich als absolute Macht verhält, mit der wesentlichen Bestimmung, H e r r zu sein. Dieses ist nun die Eine Seite, die als Gegensatz das hat, was wir sonst das Classische als solches nennen, nämlich das Allgemeine an und für sich selbst, in sich bestimmt, als Individualität, aber zugleich als selbstbewußte, in sich unendliche Individualität. diese Unendlichkeit ist aber nur eine formelle, weil der Inhalt auch beschränkt ist. Die eine dieser Seiten ist nun die c l a s s i s c h e E r h a b e n h e i t , die andere die c l a s s i s c h e S c h ö n h e i t . Die cla ssische Erhaben heit. Die erste Anschauung ist wesentlich schon classisch zu nennen, denn in ihr liegt die Bestimmung, sich zu erheben zu der Einen reinen Substanz, von der alles ausgeht, und zu der alles zurückkehrt. Sie ist einerseits nur eine abstracte Vorstellung, steht aber weit höher als die concrete ihr gegenüberstehende Vorstellung, weil der Inhalt dieser noch beschränkt ist. Das wahrhaft Classische ist der Gedanke, da in ihm alles seine erste Wurzel und Quelle hat; daher erscheint er aber auch als ein Ideelles, nicht für sich Selbstständiges. Die Vorstellung des Gedankens, als des absolut Allgemeinen ist ein nothwendig hoher Standpunkt, den die Kunst von jeher gehabt hat, und der in allem Geistigen wiederklingen muß; er ist der Widerspruch des Pantheismus, nach welchem alles | Erscheinende als ein selbstständiges Leben genommen wird. Diese Selbstständigkeit der organischen und unorganischen Natur hat aber den Mangel, daß sie nicht wirklich selbstständig ist, sondern daß das Endliche nur dazu aufgespreitzt wird.

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Die genannte Weltanschauung nun, und die Kunst, welche sie zur Grundlage gehabt hat, kann als das A r a b i s c h e P r i n z i p genannt werden. Die Araber nämlich, in ihren großen Wüsten lebend, und nur den Himmel über sich habend, sind äußerlich und innerlich nur an s i c h gewiesen, an ihren persönlichen Muth und Tapferkeit, an ihre Subjectivität. In Ansehung der Persönlichkeit ist also die Arabische Weltanschauung das Gegentheil von der Indischen, wo die Selbstlosigkeit herrscht. Die Arabische Weltanschauung theilten auch die J u d e n , wie wir aus ihren Schriften sehen können, und auch darin kommen sie überein, daß sie beide Einen Stammvater, Abraham, hatten. Der Unterschied besteht aber darin, daß die Araber sich bloß in Familien gesellt, die Juden sich aber schon zu einem Staatsleben verbunden, sich einem Cultus unterworfen, und so schon mehr ihre persönliche Selbstständigkeit aufgegeben haben. Bei aller Härte und Strenge ihres Cultus und ihrer Gesetze, müssen wir doch ihrer classischen Erhabenheit, die sich in ihren Gesängen und Poësien ausspricht, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Diese Gesänge, diese Lobreden auf das Absolut-Allgemeine, auf das Eine, sind immer noch herrlich und groß, obgleich man sie jetzt schon zum Theil vergessen hat, oder ihnen nicht das gehörige Lob ertheilt. Ihre Hauptseite ist, wie gesagt, diese Erhabenheit, daß das Eine, der Herr es ist, von dem alles herkommt, und an dem alles nur zur Verherrlichung dient. Solche für immer herrliche Gesänge sind uns in den Psalmen auf bewahrt, z. B. im 104ten Psalm. Dies ist eine reine, große und an sich erhabene Darstellung. Eine Hauptbestimmung darin ist, daß mit dem Einen, mit dem Gedanken, eine Grenze, Absondrung in das Endliche hineinkommt; welches ganz verschieden ist von der indischen Unordnung und Verwirrung. Solche Töne finden sich also in den Psalmen; und sie müssen stets uns im Herzen wiederklingen, es sind Triumphe der Gottheit, wo die ganze Natur nur als Verherrlichung und Schmuk derselben betrachtet wird. Noch sind sehr schöne Psalmen der 97ste und 136 ste Psalm. Ein berühmtes Beispiel der Erhabenheit in den jüdischen Darstellungen ist der Ausdruk im Buche Mosis: »Gott sprach: es werde Licht, und es ward Licht.« Noch haben wir zu erwähnen der weitern Bestimmungen und Begrenzungen, die hier hereintreten. | In Ansehung dieser kann bemerkt werden, daß solche allgemeinen Bestimmungen, als: Gott ist gütig, allmächtig etc. in diese Sphäre gehören; denn sie sind einfache, allgemeine Ausdrüke, und passen ganz für das Substanzielle, des allgemeinen absoluten Wesens. In Rüksicht des Menschen muß bemerkt werden, daß das Denken vor dem Herrn ganz verschwindet, und daß andrerseits gerade durch dieses Denken die freie Persönlichkeit des Menschen hervorgeht, des Menschen, der auf sich gewiesen ist, auf sich beruht. Dis sehen wir aus der Schöpfungsgeschichte. Hier ist keine Theogonie; sondern zuerst tritt das Licht

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hervor, das Helle, das Allgemeine, und dann erst die Sonne; hier sind nicht Götter, die sich aus Göttern erzeugen, sondern alles Erzeugte geht hier mit der größten Bestimmtheit und Begrenzung hervor, und als das letzte, Herrlichste, erscheint der Mensch, und zwar auch bestimmt; denn da tritt gleich das natürliche Verhältniß von Mann und Weib ein, und dann 2tens das Verhältniß des Bewußtseyns, das Abscheiden des Guten vom Bösen. Dadurch tritt überhaupt die Hoheit des Menschen auf, sein Selbstgefühl; bei den Arabern bleibt dieses Selbstgefühl bei der Persönlichkeit stehen; er ist für sich, und w i l l für sich seyn, er erkennt kein Gesetz an, und ist nur zusammen mit Andern durch die natürlichen Bande der Verwandtschaft; sonst steht er nur für sich und auf sich beruhend da, Sein Schwerdt und sein Roß ist sein höchstes Eigenthum, und die Verfechtung dieser Selbstständigkeit sieht er als seinen alleinigen Zwek an. Bei den Juden war es die Selbstständigkeit der Familie, die erhalten werden mußte, nicht die persönliche Selbstständigkeit; daher findet man bei den Hebräern noch nicht den Begriff der Unsterblichkeit der Seele. Bei dem Araber ist also einerseits dies Verlassen auf sich selbst, und damit verbunden der erhabene Begriff von Freundschaft und Gastfreundschaft; andrerseits ist dieselbe Erhabenheit in seinem Haß und in seiner Rache. Die Befriedigung dieses Haßes ist auch fast der einzige Inhalt ihrer Gedichte. Dieser Haß ist bei den Juden nicht persönlich, sondern mehr allgemein gegen andre Vö l k e r, und findet sich sehr erhaben dargestellt in den Gesängen der Propheten, sich in Gebeten, Wünschen und Verwünschungen äußernd. Indem nun so das Absolute, Eine, als Macht da steht, und andrerseits die freie Persönlichkeit auch ihr Recht erhält, so geht daraus von selbst hervor, daß die pantheistische Anschauung ganz aufgehoben ist, und daß die Dinge in ihrem wahrhaften Verhältniße zum Menschen erscheinen. Dadurch wird die Natur, | so zu sagen, ganz entgöttert. Auf diesem Standpunkte geschieht die Anschauung von dem festen Maaße der Dinge; und es geschieht dadurch etwas, was man vergleichen könnte mit der griechischen Vorstellung von dem Argonautenzuge; die Griechen sagten nämlich, die Felsen am Hellesspont, die sich früher bewegt hätten, seyen durch die Argonauten fest gemacht worden. Mit diesem Standpunkte verschwindet also ganz das Symbolische. Mit der Bestimmung, daß die Naturgegenstände in ihrer Bestimmtheit, Begrenzung erkannt werden, damit kann verknüpft werden, daß die lebendigen Gegenstände in ihrer freien Lebendigkeit aufgefaßt werden, aber ohne, daß ihnen mehr zugeschrieben werde, als dieses Lebendige zu seyn. So finden wir auch im Hebräischen solche prächtigen Naturbeschreibungen und besonders Beschreibungen des Lebendigen. Zu den berühmtesten dieser Art gehören die im Buche Hiob, von Behemoth und Leviathan. Hier sind die Gestaltungen geehrt, in ihrer frei-

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en Kräftigkeit aufgefaßt. Solche schönen Beschreibungen finden wir auch bei den Arabern von ihren Pferden und Kamelen gemacht. So wie die Natur nun da beruhigt steht, eben so ist es auch mit der Beschreibung der Menschen und ihrer Handlungen. Alle arabischen darstellungen solcher Art sind rein menschlich, beschränken sich auf Liebe, Haß, Rache, u. s. w. Eben so sind im Hebräischen die Gestalten des Abraham, Isaac etc. rein menschlich bestimmte Figuren. Hier ist nichts von dem Nebulosen, der Pracht und dem Glanze, wie bei den Indiern. Der Boden ist hier bestimmt, so wie der Mensch in seinen Handlungen. Die arabischen Mährchen, z. B. tausend und eine Nacht, gehören den Zeiten des Chalifats an, wo das alt arabische Leben schon fast verschwunden war. Auch hat Herr von Hammer gezeigt, daß die meisten dieser Mährchen aus dem Persischen ins Arabische übersetzt sind. Er erwähnt eines der besten Gedichte, dessen Held und Inhalt Anthar und seine Heldenthaten sind. Hier kommt aber, wie Herr von Hammer sagt, nichts Wunderbares vor, keine Fee, nichts von dergleichen fantastischen Verhältnißen und Verletzungen des Natürlichen; sondern das einzige Wunder ist die ungeheure Tapferkeit des Anthar. Bei den Hebräern traten zwar | solche Wunder ein, aber sie sind theils nur einzelne, theils sind sie auch als Wunder angegeben, und dienen nebenbei den Zwecken der Menschen. Sie sind als etwas Einzelnes schon ausgeschieden, und stören nicht die Befestigung und Bestimmtheit der Verhältniße. Bei dieser Befestigung des Natürlichen, Endlichen ist auch ein Hauptzug das Anerkennen der Vergänglichkeit dieser Dinge, und dieser offenbart sich oft sehr groß und erhaben, wie z. B. im 90 sten Psalm. Hier wird Gott gegenüber gestellt der Vergäng lichkeit der Menschen, und indem diese als eine Folge der Macht Gottes angesehen wird, so wird die Macht Gottes als sein Z o r n dargestellt. Das Bewußtseyn dieser Endlichkeit drückt sich häufig bestimmter aus in Beziehung auf die Sittlichkeit, und somit tritt der tiefere Begriff der S ü n d e ein. Sünde ist nicht ein einzelnes Verbrechen, nicht eine einzelne schlechte That, sondern es ist die Verletzung des Göttlichen, des Absoluten, des allein Mächtigen, nicht die Verletzung einer einzelnen Macht. Zum Theil knüpft sich daran die Vorstellung, daß Unglück, Schmertz, Krankheit u. s. w. eine Strafe, nicht nur für das Begangene, sondern selbst für das Gewollte sey. – In den Klagen, in dem Sehnen der hebräischen Dichter ist eine Allgemeinheit, die oft sehr erhaben ist. Hier tritt noch nicht Befriedigung des Geists in sich gegen dieses Negative ein, sondern die höchste Befriedigung ist in Erlangung des Verlornen, oder in der Rache und dem Haße gesucht, wie wir dis aus dem Buche Hiob sehen können. – Die hebräische Nation hat in ihrem Verhältniß zu dem Absoluten aller32 Begangene] Begangenen

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dings ein höheres Bewußtseyn gehabt, als die andern benachbarten Völker, und daher dieser Nationalstolz der Hebräer, der nachher in Hartnäckigkeit ausartete, damals aber ganz an seiner Stelle war. Diese Beziehung des Menschen auf das Absolute und dieses Bewußtseyn ist dann allerdings auch ein Erhabenes. Diese Beziehung erhält dann nähere Gestalten, die aber als Wunder bestimmt werden, z. B. Moses schaut Gott im feurigen Busch. Dieses Verhältniß also, daß der Mensch gegen das Absolute nur ein Nichtiges, ein Organ ist, und doch in sich ein an und für sich Seyendes, ist ein durchgreifendes Verhältniß; z. B. Moses 2tes Buch, v. 4 und 16. – Was wir bis jetzt gesehen haben, sind also die Momente | der Erhabenheit, die, wie gesagt, die classische genannt zu werden verdient; denn keine andere ist in solcher Reinheit da. Zugleich sehen wir auf demselben Standpunkte dasselbe Relative, denselben Gegensatz der Nichtigkeit und der Substanzialität, in dem Reich der c l a s s i s c h e n S c h ö n h e i t , worin wir aber zugleich diesen Gegensatz aufgelöst, vereinigt sehen. Wir sehen also, daß auf dem hebräischen und arabischen Standpunkte das Absolute als reiner Gedanke bestimmt war, und gegenüber das Begrenzte der Natur. In der classischen Schönheit sehen wir diese Elemente vereint, das Denken, das in sich Reflectiren zwar gegenüber der begrenzten Natur, der Realität, aber diese Realität durchdringend. Hier ist also der Begriff, nicht der Eine Begriff, sondern der Begriff überhaupt, für sich, und ist auch in der Gestalt der Allgemeinheit der Gegenstand. Einerseits i s t also die Geistigkeit, andrerseits ist sie aber als Wirklichkeit, diese Wirklichkeit aber bestimmt als vollkommne Geistigkeit, so daß diese Wirklichkeit angemessen ist dem Begriff. Diesen Begriff haben wir schon gesehen als den reinen Begriff des Schönen, es ist das Reich des Schönen, der Kunst vorzugsweise. Indem dieser Begriff seine wahre Realität nur in der menschlichen Gestalt hat, so ist diese die nothwendige Darstellung des Schönen. Es ist schon gesagt, daß die antropomorphistische Darstellung des Göttlichen die einzige ist, in welcher das Bewußtseyn das Göttliche auffassen kann. Insofern macht also die griechische Weltanschauung die Vorbereitung zur christlichen Anschauung aus. Die menschliche Gestalt muß aber genommen werden in ihrer wahren Objectivität, gereinigt von den Gebrechen der Endlichkeit, hervorgebracht aus dem freien Geiste. In Rüksicht des Symbolischen kann bemerkt werden, daß diese Bestimmung der Schönheit nicht mehr symbolisch ist; man hat die griechische Kunst zwar symbolisch genannt, im Gegensatz der allegorischen; aber das Symbolische ist immer noch selbstständig für sich; hingegen die menschliche Gestalt, in sofern sie nicht bloß lebendige, bloß körperliche Gestalt ist, ist nur 32 freien] freiem

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ein Spiegel, Abbild der Geistigkeit; durch den Ausdruck des menschlichen Gesichts, durch die Augen, sieht man in die Seele. So ist die Körperlichkeit eigentlich nur ein Zeichen der Seele, ist nicht für | sich selbstständig, sondern ein Todtes, sobald ihn die Seele verläßt. Daher muß, wenn der menschliche Körper zur Darstellung der Schönheit genommen wird, ihm alles geraubt werden, was ihn noch zum Symbole machen, nicht dem Begriffe anpassend seyn könnte. Diese Kunstschönheit und Religion der schönen Kunst ist also einerseits so vollendet, andrerseits ist sie aber noch mangelhaft, weil diese Darstellung nicht anthropomorphistisch genug ist. Denn die Natur des Geists ist nicht diese Ruhe, diese Befriedigung, Glückseeligkeit in sich, sondern sie ist die stete Bewegung, den Gegensatz, die Wirklichkeit sich anzupassen. In diese Bewegung f ällt der Schmerz, das Bewußtseyn des Gegensatzes. Dies ist also der Standpunkt dieser Kunst, welche die vollendete Einheit, Anschauung der Idee ist, und deren Werk das Ideale ist; die aber noch nicht vollendet ist, weil die Darstellung noch nicht anthropomorphistisch genug ist. Wir wissen, daß diese Kunst die g r i e c h i s c h e ist, und daß sie von unendlichem Umfange ist. Das griechische Volk hatte nicht das Bewußtseyn der morgenländischen Substanzialität, wogegen die Persönlichkeit ganz verschwindet; noch hatte die griechische Weltanschauung sich von ihrer eigenen Substanzialität so losgerissen, daß sie das Bewußtseyn der vollkommnen freien Persönlichkeit gehabt hätte. Von dieser concreten Individualität der Griechen haben wir nun die Hauptbestimmungen herauszuheben. In diesem gegebenen Begriffe liegt zunächst das Negative, und zwar das gedoppelte, daß die Gestaltung des Lebendigen jetzt nicht mehr gefaßt wird als ein an und für sich Absolutes, welches der Gott selbst ist; sondern da die Geistigkeit als das Vorzügliche betrachtet wird, so kann das Thierische nur als endlich, als ein Unglück betrachtet werden. Eben so kann andrerseits der Geist nicht durch ein Elementarisches, Natürliches angeschaut und erkannt werden. Auf diese 2 negativen Momente werden wir später kommen. Um nun die positiven Momente der Schönheit gleich anfangs zu nehmen, so gehört dazu 1) daß, da das Göttliche das Vorzügliche Vorherrschende seyn soll, das Naturelement auch das Wesen dieses Göttlichen | in sich habe, aber doch so, daß dieses Naturelement nicht die Hauptmacht, nicht die Grundlage sey. 2tens gehört dazu, daß das Schöne in seiner Darstellung ein Menschliches sey, aber nicht ein einzelnes, sondern ein allgemein menschliches, ein Thun, eine Thätigkeit, und daß es 3tens auch als Individualität erscheine, wodurch wieder die Endlichkeit hinzutritt. Was die Zurückweisung des bloß Thierischen betrifft, so ist schon bei dem Arabischen und Jüdischen gesagt worden, daß hier die Natur in ihrer kräftigen Lebendigkeit und Begrenzung aufgefaßt worden ist; aber auch nur als Lebendig-

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keit, und nicht, wie bei den Egyptern, als Weise der Erscheinung des Göttlichen. Jedoch finden wir eine Spur davon selbst noch bei den Juden: so z. B. verbot Moses, das Blut der Thiere zu essen, da darin die Seele sey. Diese Scheu vor dem Lebendigen finden wir auch bei den Griechen zuweilen, im Homer z. B. wo das Erscheinen einer Schlange am Opferaltar für ein besonderes Zeichen gehalten wird. Dies alles gilt aber nur als Omen, als einzelne Offenbarung, Andeutungen für ein Individuum, etwas zu thun oder zu unterlassen; es ist hier nur eine augenblickliche Göttlichkeit, die sich offenbart, und der Hauptzwek ist hier immer das menschliche Interesse. Näher schließt sich hier an die Tödtung des Nemaeischen Loewen, der Lernaeischen Schlange; hier ist immer noch etwas Symbolisches zu sehen; denn offenbar ward in früherer Zeit Heracles, besonders in Phrygien, als Sonne verehrt. Noch mehr Symbolisches liegt in der Verehrung des Roßkäfers, die keinen andern Grund hat, als daß dieser Käfer Kugeln von Mist macht, in denen man das Symbol der Weltkugel zu sehen glaubte. – Einen Hauptzug aber, der beweist, daß bei den Griechen das Thierische als Degradation des Geistigen angesehen wurde, sehen wir in den sogenannten Ve r w a n d l u n g e n , die auch Ovid umständlicher beschrieben hat. | Bei den meisten derselben liegt zum Grunde, daß ein d e g r a d i r t e r Mensch in ein Thier verwandelt worden, es ist ein Ungeheures geschehen, wodurch er auf hört, ein Mensch zu seyn, und Thier wird. Das Thierwerden wird also hier als Folge einer Unwürdigkeit des Geists aufgestellt. Bei den Egyptern ist gerade das umgekehrte Verhältniß; da werden Götter zu Thieren erhoben, belebt. Diese Verwandlungen hat Ovid besonders zusammengestellt, nicht nach einer tiefern symbolischen Bedeutung, sondern bloß als poetischen Stoff, wodurch dann viele Züge verwischt sind, die sonst auf das Ursprüngliche, die Bedeutung, auf das Symbolische hinweisen würden. Wir sehen bei ihm verschiedene Arten von Verwandlungen vorkommen, besonders aber Jupiter oft Thiergestalten annehmen; solche Gestalten, die früher Symbole waren, sieht man jetzt im Ovid nur als Mittel zu Zwekken, und oft zu sehr schlechten Zwecken gebraucht; so z. B. ist die Ȳo in die den Egyptern so heilige Kuh verwandelt, bloß um sie vor dem Zorne der eifersüchtigen Juno zu schützen. Eine der ersten Verwandlungen im Ovid ist: Lycaon in lupem. Hier wird Lycaon zum Wolf degradirt, der früher sehr geehrt war, und sogar die Sonne vorstellte; auch bei den Egyptern kommt ein Wolf Osiris vor; das Wappen von Argos war ein Wolf, bei den Römern war es eine Wölfinn, die den Romulus und Remus säugte; alles Zeichen, welche auf eine hohe Verehrung des Wolfs schließen lassen. Dieses alles ist aber umgekehrt bei Ovid. Er sagt nämlich: Nach der Besiegung der Giganten durch die neuen Götter habe die mit Blut gemästete Erde ein blutdürstiges, verworfenes Menschengeschlecht hervorgebracht; man habe sich im Olymp berathen, wie diesem Uebel zu steuern sey;

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da habe sich Jupiter selbst in seiner göttlichen Gestalt unter sie begeben, und alle hätten ihn angebetet; nur Lycaon habe darüber gelacht, und ihn ermorden wollen. (Anspielung auf die Feindschaft des a l t e n Sonnengottes gegen den n e u e n Gott Jupiter). Darüber ergrimmt, zerstörte Jupiter Lycaon’s Haus, | und verwandelte ihn selbst in einen Wolf. – Eben so merkwürdig in Rücksicht der Degradation ist die Verwandlung Prochne’s in eine Schwalbe und Phylomele’s in eine Nachtigall. Die frühre Zeit, in welcher die Idee von den bestimmtern Göttern sich noch nicht festgesetzt hatte, und noch diese Verwirrung unter den Göttern herrschte, wird auch in Hinsicht auf den Menschen als eine schreckliche, verwirrte, abscheuliche dargestellt. Auch in obigen Verwandlungen sind die thierischen Gebilde nur Resultate der menschlichen Verworfenheit. Noch eine wichtige Verwandlung ist: die Töchter des Pieros, die Pieriden, in Aelstern. Sie hatten die Musen zum Wettkampf aufgefordert; die Pieriden sangen die Kriege der Götter, erhoben die Giganten, und schmälerten den Ruhm der neuern Götter; die Musen besangen dagegen und erhoben ihren Ruhm, und besonders die Wohlthaten der Ceres. Für ihr Vergehen gegen die Götter wurden die Pieriden in Aelstern, picas, verwandelt. – Hier kann noch angeführt werden, daß bei den Griechen die Thiergestalten oft zu einem bloßen Attribut herabgesetzt sind; so z. B. hat Jupiter den Adler nur zum Attribut, da doch in Egypten der Sperber selbst ein Gott war; Juno hat so den Pfau, Venus die Tauben, Minerva die Eule, u. s. w. zum Attribut. – das eigentlich Thierische kommt in der griechischen Schönheitsanschauung noch in der Gestalt der Satyrne und Faune vor; aber diesen wird einerseits bloß eine sinnliche Lustigkeit, nicht die Heiterkeit der griechischen Götter zugeschrieben, andrerseits fällt dis Thierische auch fast ganz weg, und kleine Hörnerchen, spitze Ohren, oder ein kleines Schwänzchen abgerechnet, nähern sich viele Faune und Satyrn der höchsten menschlichen Schönheit. Selbst die sinnliche Lustigkeit geht oft zu lieblicher Gutmüthigkeit über, z. B. bei vielen Silenen-Gestalten. | Das andere Moment betrifft die Besiegung der alten griechischen Götter. Indem nämlich der Mensch sich befreit, sich sein Wesen zum Gegenstande macht, so kann er nicht zugeben, daß sein Wesen ein Naturelement sey, sondern er verlangt, daß es in der menschlichen Gestalt auftrete, sich darstelle. Indem das Menschliche sich also erfaßt, so kann es auch nur das Geistige zu seinem Inhalte verlangen. Ich habe früher daran erinnert, daß das Räthsel durch einen Griechen gelöst worden sey, und daß diese Auflösung der Mensch gewesen ist. Dieses Erken nen des menschlichen Wesens ist die höchste Würde des Bewußtseyns, und dies gab auch der Delphische Gott durch die Aufschrift auf seinem Tempel den Menschen auf: Daher ist bei den Griechen das Dampfen der Delphischen Höhle, das Rauschen der heiligen Haine, nicht der Gegenstand ihrer Anbetung,

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dahingegen die Parsen die Gegend um die Naphtaquellen anbeteten. Alle Naturerscheinungen haben bei den Griechen nur das ganz formelle Interesse gehabt, daß dadurch etwas enthüllt werde. So ist also bei ihnen das Hauptmoment das Herauf bilden des Natürlichen zur Form eines geistigen Inhalts, und das Aufzeigen dieses Herauf bildens macht das Hauptinteresse der griechischen Kunstgeschichte aus. So habe ich die Skulptur gezeigt als den Uebergang vom Formlosen zu dem Geformten, einen geistigen Inhalt habenden, und somit kann man die Skulptur als den Mittelpunkt der griechischen Kunst angeben. Das Prinzip des Geistigen macht also das Prinzip der griechischen Kunst aus, und zwar das Geistige als Einheit der Realität und der Idee. Damit nun das Geistige existire, dazu gehört, daß die Natürlichkeit nur durch den Geist bestehe, also als an sich seyend sich ganz negirt habe. Der Geist hat also die äußere Natürlichkeit und seine eigene negirt, sich unterworfen, so daß sie nicht mehr selbstständig ist, sondern | nur den Geist d a r s t e l l t , seine F o r m ist. Zuvor ist zu bemerken, daß indem das Geistige als absolut Geistiges, als Gegenstand der Kunst ausgesprochen zu werden bestimmt ist, es die Natur durchdringt, die Macht über sie ist. D i e Herrschaft, die eine abstracte Trennung hervorbringt, ist hier noch nicht vorhanden, und das Göttliche ist hier nur Macht; die natürliche Macht ist nur Moment der geistigen, und das Verhältniß der Natur zum absoluten Geiste noch nicht bestimmt. Hier ist auch noch nicht vorhanden, daß der Geist in sich absolut, concret sey, und der Natur gegenüber stehe; denn einerseits wird die Natur zurükgesetzt, andrerseits ist sie mitgenommen, da der Geist Einheit der Natur und des endlichen Geistes ist. Diesen Gegensatz sehen wir hervortreten in der Besiegung der alten griechischen Götter durch die neuen, oder in der erst gewordenen Herrschaft des Zeus. Die neuern Götter sind geistige Götter, ihr Wesen ist die Geistigkeit; so ist z. B. Zeus der Herr, König und Vater der Götter und Menschen, der Vorsteher und Lenker der menschlichen Schicksale, das Wesen der politischen Gewalt etc; Apoll ist das wissende Bewußtseyn überhaupt, Pallas das besonnene Bewußtseyn, u. s. w. In allen diesen Bestimmungen macht das geistige Element das Wesen aus. Bei den alten Göttern ist es dagegen anders; Uranus ist der Himmel, Cronos die Zeit; in dem Mythus, daß er alle seine Kinder verschlingt, liegt die Andeutung von der Vergänglichkeit des Natürlichen; erst im Sittlichen, im Staate, bleibt ein Festes, und Mnemosyne giebt ihm Dauer Ewigkeit. Zu den Titanen, den alten Göttern, gehörten ferner Helios, Selene, welche, ihrem Wesen nach, stellarische Mächte waren. Ferner gehört zu den alten Göttern das Chaos, dieses Conglomerat und willkührliche Herrschen der Elemente; das Bezwingen dieser Naturelemente sehen wir eines Theils durch Saturn angedeutet. Eben so gehören zu diesen alten Mächten noch manche, die fast ganz verschwunden sind, z. B. die Corybanten, Pygmäen, die, beiläufig gesagt, auch

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in nordischen Sagen vorkommen. – der ganze Kampf der Eumeniden, der alten Götter, mit den Erinnyen, dem Apollo und der Minerva, den neuen Göttern, zeigt diesen Gegensatz der alten und neuen Götter sehr deutlich. Näher ist in dieser Rüksicht an die Antigone des Sophocles zu erinnern. Sie beruft sich immer auf | die Dice, die alte Gottheit, die ihren Sitz in der Unterwelt hat; Creon dagegen vertheidigt und behauptet die neuere auf Gesetzen und Gerechtigkeit beruhende Staatsgewalt; Antigone vertheidigt den Bruder, obgleich er gegen das Wohl des Staats strebt; diese Pietät ist aber dem Weibe eigen, welche von ihrer Bestimmung nur in dem Verhältniß der Familie festgehalten wird. Die Dice und Themis sind beide das Recht, das sich geltend macht, vornehmlich in der Weise der Rache; diesen entgegengesetzt ist das gesetztliche Recht, das sich im Staatsund bürgerlichen Leben geltend macht, das neuere Recht. Ich habe diesen Unterschied nur aufgezeicht, um zu beweisen, daß er auch wesentlich bei den Alten vorhanden war, und daß dieses der Unterschied und die Grundverschiedenheit vom Kunstcharacter der andern Nationen ist. Um es kurz zusammenzunehmen, so sehen wir folgende Punkte von der Kunst der Geistigkeit zurücktreten: die Gestaltungen derselben müssen sich reinigen von dem Endlichen, Zufälligen derselben. In der classischen Kunst ist es nothwendig, daß eine Welt von Vorstellungen ihr vorangegangen sey, die der Geist bearbeiten konnte. Was wir gesehen haben, war also die Naturmacht, und dann die Thätigkeit des Menschen, aber bloß zur Befriedigung des Bedürfnißes, bloße titanische Thätigkeit; endlich schon die Gerechtigkeit, aber in der Gestalt der alten Gottheiten Dice und Themis. Mit dem Naturelemente tritt alles Fantastische zurück, alle diese orientalischen Gestaltungen, auch die Giganten, der 100armige Briareus, auch die alten Cabiren, Corybanten u. s. w. Sie gehörten alle zu dieser maaßlosen, sich noch nicht in geistiger Freiheit befindenden Fantasie; der freiere Geist wirft sie hinab in den Tartarus, oder schiebt sie an den Rand der Welt hinaus; ihnen ward allerdings noch einige Ehrfurcht erwiesen, aber sie traten immer mehr ins Dunkel zurük, und das freiere Geistige manifestirte sich. Hier ist auch noch an die M y s t e r i e n zu erinnern, in welche gleichfalls alles Alte von Egypten Thrazien, Indien u. s. w. Herübergekommene verbannt ward. Wir dürfen | daher ja nicht glauben, daß in den Mysterien der Griechen etwas besonders Hohes enthalten gewesen sey; alles Mysteriöse gehörte dem in die Naturanschauung versenkten Geiste an; es ward nichts von allem dem ausgesprochen; aber das Unaussprechliche ist gerade das Ungeistige, denn das Geistige existirt nur dadurch, daß es ausgesprochen wird. Der Geist, der sich manifestirt, bestimmt sich dadurch, und reinigt sich vom Dunkel. Deshalb sind auch alle neuern Götter bestimmte 30 Thrazien in verwischter Tinte

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Individual itäten. – Noch ein wichtiger Umstand ist das L o c a l ; denn fast der größte Theil der Gottheiten sind localisirt erschienen oder worden. (Von diesen Localen hat bekanntlich Pausanias eine Menge wichtiger Notizen auf behalten). Aber eben so, wie im Trojanischen Kriege sich die Griechen zu e i n e m Volke bildeten, so haben Homer und Hesiodus diese Localitäten zurückgestellt, und die Götter als individualisirte, in sich bestimmte Götter hingestellt, Ein Grundzug ist noch die Inconsequenz der Religion und der Kunst; denn weil eben der Begriff noch nicht in der Form des Gedankens ist, so herrscht auch in der Darstellung keine Nothwendigkeit, eben so wenig wie in der Verehrung; Helios und Apollo, Prometheus und Hephaestos, Oceanus und Neptun, und alle alten und neuen Götter werden zusammen verehrt, und sind Gegenstand der Kunst. Aber so wie ein Negatives, Unmittelbares vorhanden seyn muß, nach dessen Niederdrückung der Geist sich erst als Geist zeigen kann, eben so muß auch vor dem Hervortreten der geistigen Kunst ein solches vorhergehendes Unmittelbares, Natürliches seyn. In diesem Hervortreten der Kunst sind auch zuerst eigentliche Poeten Künstler aufgetreten; denn von diesen waren die morgenländischen, selbst jüdischen Dichter ganz verschieden; diese sprachen bloß aus, was der Herr ihnen eingab, bei ihnen stand noch immer das Absolute in herrischer Beziehung auf den Menschen, und der Inhalt des Erzeugten erscheint bei ihnen als verschieden von der Subjectivität des Künstlers, die dann so bloß der Durchgang für das Produzirte ist. | Eben so sind für den Indier Bruhma und alle andern Götter fest; in ihren Dichtern ist zwar freie Thätigkeit, die aber wie zertrümmert erscheint, da ihr Gegenstand so ein fester Stoff ist, und die Fantasie sich nicht frei äußern kann. Durch diesen Zwang werden nun ihre Productionen ein Widriges, Abstoßendes, Schwankendes, kein freies geistiges Werk. Der geistige Dichter ist aber frei, er bildet aus sich seinen Inhalt, an seinem eigenen Innern hat er den absoluten Stoff, und er gestaltet nur diesen; was er zu dieser Gestaltung und Spezifizirung verwendet, davon werden wir unten sprechen. Dies sehen wir an Homer, der doch ein anderer Künstler ist, als Phidias, der nach einem Verse Homers seinen Jupiter schuf. Man sagt: Homers Poësie sey aus dem Volke hervorgegangen, nicht aus ihm selbst. Was ist aber Volk? Ist es nicht eine Gesammtheit von Individuen? Ein solches Individuum bringt das Werk hervor, in dem freilich das Leben, die Natur des Volks sich abspiegelt; und Homers größtes Lob besteht gerade darin, daß man sagt, in seinen Dichtungen sey keine Individualität. Es ist eben das Zeichen des großen Geists, daß dieser alle Stoffe in seinen Tiegel gebracht hat, diese Stoffe aber nicht verwirrt, sondern durch den Geist geläutert, sie als Produkte seines Geists hervorbringt. – In dieser Rücksicht will ich an den Streit in neuerer Zeit erinnern, nämlich an den Streit über die Entstehung der griechi-

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schen Mythologie. Homer, der Schöpfer derselben, hat zwar den Stoff vor sich gehabt, ihn aus dem Asiatischen, Egyptischen, Phönizischen etc entlehnt; aber er hat ihn auch verzehrt und verarbeitet, und freie Gestalten hervorgebracht, so daß bei ihm nur selten Anklänge an die alten Stoffe zu finden sind. So gründlich Creutzer die Spuren, die zu diesem Ursprunge führen, nachzuweisen sucht, so findet er doch im Homer selbst nur wenig Gelegenheit dazu. In Ansehung dieser Erzeugung der Götter nach Homer und Hesiod, will ich kurz an das erinnern, was Herodot darüber sagt. Er meint einerseits; die Pelasger hätten nur so ins Blaue hinein Götter gehabt, ohne Namen und Bedeutung; diese wären erst aus Egypten und Phönizien zu ihnen gekommen; so z. B. habe Melampus den Pallas-Dienst eingeführt, Poseidon sey aus Lydien gekommen etc. | Dagegen sagt er in demselben Zusammenhange, daß Homer und Hesiod den Griechen die Theogonia gemacht hätten; sie hätten den Göttern Namen und Bedeutung gegeben; dies kann und muß aber nur in dem Sinne genommen werden, in welchem es schon explicirt worden ist. Der Dichter ist so den Griechen als der allgemeine Prophet gegeben, der ihnen die Götter festgestellt hat. Außerdem kommt aber noch diesen Poëten die Bewegung und Besonderung der Götter zu, sie haben diese Beziehung der Götter auf die Menschen aufgezeigt und erklärt. Wenn w i r z. B. ein Naturereigniß erklären, so zeigen wir die Kräfte und Wirkungen der Natur auf; der Dichter erklärt es aber als ein Thun der Götter. So theilt auch Homer bei den Griechen das Geschäft der Priester, die auch offenbaren mußten, was dieses oder jenes bedeute, Homer, von den Griechen vorzugsweise der Dichter genannt, macht diese Erklärungen zum Theil selbst, zum Theil legt er sie seinen Priestern und Helden in den Mund. – Was nun näher diese Erzeugniße des Dichters betrifft, oder die neuen Götter, die Gestaltungen der höchsten Schönheit, so ist hier dieselbe Gestaltung des Begriffs, den wir anfangs von der Schönheit gegeben haben; daher hier nur Einiges nachzuholen. Diesen Begriff in seiner Darstellung giebt uns die Skulptur der Alten; es sind hier die einfachen, ruhigen Gestalten, und was uns hier anspricht, ist die bestimmte Individualität; nicht ein Abstractum, sondern eine bestimmte idealische Individualität. Solche Gestaltungen stellen die Ruhe des Geistigen in seinem Daseyn dar, eine unendliche Hoheit, freie Sicherheit in sich selbst, Erhabenheit, die aber mit der Schönheit verschmolzen ist, in unmittelbare Schönheit übergegangen ist. Es ist eine Ruhe, die auf der Stirn der Götter thront, eine Erhabenheit, wodurch sie selbst in ihrer Leiblichkeit über die Äußerlichkeit erhaben sind; eine Heiterkeit, die, wie geistreiche Männer in ihrer Anschauung gefunden haben, zugleich ein Zug

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der Trauer zu seyn scheint, worin, wenn dieser Zug Zwek des Künstlers war, eben so wieder unendliche Seeligkeit und Heiterkeit der Götter schläft. | Die Skulptur kann nicht Zufriedenheit, Freude, Hoffnung, überhaupt ein Gefühl u n s e r e s Daseyns, das mehr oder weniger ein zufälliges ist, ausdrücken; sondern was in der Skulptur ausgedrückt ist, das ist der Widerspruch der Heiterkeit und Ruhe mit der Sinnlichkeit. In diesen Bildungen ließt man schon die Seligkeit, das Schicksal dieser Heiterkeit; die Heiterkeit des tiefen Gefühls enthält in sich das Hinwegblicken über das Endliche. Dies ist überhaupt der Charakter dieser plastischen Kunstwerke. Diese Gestaltungen müssen aber nicht bloß leere Ideale seyn, sondern wirkliche Gestalten; das Göttliche muß sich in viele Gestalten theilen, wie die Religion in Polytheismus. Es wäre thörigt, das Eine, das absolut Göttliche in e i n e r Gestalt darstellen zu wollen. Das Nächste, was wir fordern könnten, wäre, daß diese verschiedenen Gestalten eine Totalität ausmachten, deren nothwendige Theile sie wären. Was die Besonderheiten in diesem Kreise betrifft, so müssen allerdings die Hauptmächte im Menschen und in der Natur in ihnen dargestellt seyn; sie können aber nicht in ihrer Bestimmtheit als Ganzes dargestellt seyn, weil sie eben ein Göttliches sind; das Göttliche kann auch nicht die Grundlage ausmachen, so daß die Gestalten nur Allegorien wären; sondern die Allgemeinheit des Göttlichen muß zurükgenommen seyn in die Subjectivität, wodurch die Individualität erst recht begründet ist. Wir sehen in dem Kreise der griechischen plastischen Gestalten allerdings die allgemeinen Mächte der Natur und des Geistes dargestellt, z. B. die Macht im Zeus, die Klugheit und Wissenschaft im Apollo und den 9 Musen, die List im Hermes, die Wildheit des Kriegs im Ares, die Liebe in der Venus etc. Wir sehen aber diese allgemeinen Mächte nicht in der Consequenz, als ob diese Bestimmungen das einzige Wesen der Gestalten wären, sondern als Götter sehen wir sie wieder über diese Besonderheiten erhoben. Wenn diese Gestalten das Endliche ganz festhielten, so träten sie in die Endlichkeit hinein, und hörten ganz auf, Götter zu seyn; die Göttergestalten drüken allerdings einen Charakter aus, sind aber als Götter über diesen Charakter erhoben. Die allgemeinen göttlichen Gestalten sind also 2tens in der Besonderheit; sie sind aber auch 3tens in der E i n z e l h e i t , dadurch, daß sie der sinnlichen Anschauung gegeben sind, und dieses vollendet | das Anthropomorphistische der Darstellung. Durch die sinnliche Anschauung tritt also die Gestalt in die Sinnlichkeit, und der Boden der Darstellung, die Skulptur, ist die allgemeine Weise derselben, die einen mannichfaltig bestimmten Inhalt bekommt. Die nähern Momente dieses Inhalts haben wir schon zum Theil gesehen; die Hauptingredienzien will ich noch durchgehen.

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Das erste Ingredienz ist, wie wir gesehen haben, das Naturelement, das aber fast schon ganz verschwunden ist. Die Momente, vereinigt in der Vorstellung einer solchen Gestalt, geben die verschiedene Erklärungsweise in der griechischen Mythologie. So z. B. hat man an den griechischen Göttern alles so erklären wollen, als ob Naturereignisse dadurch bezeichnet würden. Dies ist eine Erklärungsweise, von der schon Plutarch spricht. Er sagt: Man müsse nicht glauben, daß Wasser oder Himmel oder Erde etc Isis oder Osiris seyen, sondern nur das Geistige darin, das Geordnete seyen das Werk der Isis oder Osiris. – Indem die Gestaltung in das Reden, Handeln hineintritt, nicht wie das Plastische in Ruhe bleibt, so tritt sie in die Endlichkeit, in die Beziehung auf endliche Grundlagen; so z. B. hat die Zahl 12 der griechischen Hauptgötter wahrscheinlich die 12 Monate zur Grundlage. Ein 2tes Element in Ansehung der Äußerlichkeit im Thun, und Handeln, was den göttlichen Gestalten zugeschrieben wird, ist das geschichtliche Element. Schon ein Schüler des Aristoteles, Euhemerus, hat die Geschichte der Götter von der Geschichte und den Schiksalen der Könige und Helden abgeleitet; auch ist diese Erklärungsweise neuerlich wieder aufgenommen worden. Aber als Erklärungsweise ist sie nicht anzunehmen, nicht zu glauben, daß solche geschichtliche Personen das Wesenliche seyen, woran die Menschen gedacht hätten. Was solche alten Könige gethan haben, ist allerdings etwas Menschliches, z. B. Einführung der Gesetze, des Ackerbaus etc; aber es ist auch etwas Geistiges, Göttliches darin; als solches haben es nun die Menschen erkannt, und die bestimmten Züge, bestimmten Begrenzungen des Göttlichen haben so ohne Zweifel ihren Ursprung aus der Geschichte. | Das 3te Moment ist das Symbolische überhaupt. Indem das Geistige der absolute Inhalt ist, so muß das Symbolische hier zu einem Äußerlichen werden; und dies ist vorzüglich bei Homer der Fall. Zum Theil bleibt hier ein Anklang an die wirkliche Bedeutung, zum Theil verschwindet dieser gänzlich, und gilt uns als ein Mährchen. Je mehr das Geistige sich für sich constituirt, desto mehr Interesse will es unmittelbar für sich haben; und so tritt hier das Symbolische in die Sphäre der Zufälligkeit. Hier hat die klassische Kunst ihre Auflösung, hier ihren Uebergang. In der Ruhe der Skulptur hat die Schönheit ihre höchste Darstellung, aber es kann bei dieser Ruhe nicht bleiben. Der Untergang ist hier eine Nothwendigkeit, weil das geistige Bewußtseyn das Wesen der Kunst ist. Der ausgebildete Gegensatz ist, daß beide Seiten als Totalität erscheinen; auf der einen Seite die Objectivität, das Bild in seiner höchsten plastischen Schönheit, auf der andern Seite die Subjectivität, welche außer der Sphäre der Objectivität ist. Auf dieser Seite steht also die Subjectivität vollständig ausgebildet für sich als relative Totalität. Ihr steht aber kein wirklicher Geist gegenüber, man merkt es

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an, daß es von Stein ist. Hier ist der Uebergang der klassischen Kunst in eine höhere Sphäre, und zwar ist dieser Uebergang ganz besondrer Art, es ist ein bewußter Kampf der Wirklichkeit. Dieser Uebergang wird von dem unmittelbaren Bewußtseyn als eine Geschichte aufgefaßt; erst durch die Kunst ist es zum eigentlichen Bewußtseyn geworden. Christus Leben war schon früher geschichtlich vorhanden, eher es als Produkt der Kunst da war. Hier ist die Leiblichkeit selbst geheiligt, zu Ehren gebracht, zu einem Geltenden gemacht. Die Dichter der neuern Zeit haben die Region der classischen Kunst hervorgehoben, ihren Verlust bedauert, und sich so negativ gegen das höhere Prinzip des Christenthums erklärt. Das berühmteste, hierher gehörige ist das Gedicht von Schiller: Die Götter Griechenlands. Der Hauptgedanke darin ist, daß man zu jener Zeit allenthalben unter Göttern war. Was er diesem entgegensetzt, ist die entgötterte Natur, der kalte Verstand, der an die Stelle dieser Vorstellungen der Fantasie getreten ist. Er sagt: »Schöne Welt! Wo bist Du? Kehre | wieder!« Hierin liegt ganz deutlich seine Erklärung gegen das Christenthum. Zu der Zeit, als Schiller schrieb, ist die Vorstellung von Gott gewesen, er sey das Eine, höchste Wesen, Bestimmungslose, also die kalte Abstraction des Verstandes. Neben dieser kalten Abstraction ist alles Leben vertilgt, alle Liebe aufgehoben. Dies ist aber nicht der Fall, denn nach der christlichen Religion lebt der göttliche Geist in der Gemeine, und ist darin thätig. Hierher gehört auch: die Braut von Corinth, von Göethe. | die Liederlichkeit ist hier nicht zum heiligsten gemacht, wie in Schlegels Lucinde; aber es herrscht eine große Leichtigkeit in diesem 12 Gesänge starken Gedichte; der Schluß ist, daß er sich nach dem Parnaß zurücksehnt. Die Braut von Corinth von Göthe gehört auch hieher. Die Liebe überhaupt die uneheliche Verbindung der Geschlechter wird als etwas unheiliges in der neuen Religion betrachtet, ja im Mittelalter zur Zeit des Monchs-Wesens hielt man die erzwungene Ehelosigkeit höher als die Ehe. Gegen dieses Monchswesen, zieht nun Göthe hier los; das Ganze ist schon dadurch schauderhaft, daß es unentschieden bleibt, ob von einem lebendigen oder todten Mädchen die Rede ist. Betrachten wir die neue form der Kunst, so haben wir d e n U e b e r g a n g näher zu betrachten, so wie seine Gestaltung zur Kunstform. Das Prinzip des Uebergangs ist die Entzweyung des für sich selbst geistigen, und des unmittelbaren daseyns der Subjectivität. (die form des Uebergangs von der claßischen zur

20–21M La guerre … Parny. von der Hand des zweiten Schreibers Sax van Terborg 21–100,35 die 35 Liederlichkeit … selbst. von der Hand des zweiten Schreibers Sax van Terborg, notiert auf einem Blatt, das zwischen den Seiten 114 und 115 eingebunden ist, mit Verweiszeichen an die oben stehende Marginalie angeschlossen, zweite Seite nur bis etwa zur Hälfte beschrieben, siehe Editorischer Bericht 29 ist.] folgt ein horizontaler Strich

La guerre des Dieux modernes et anciens. par Parny.

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romantischen Kunst ist die Satyre; sie enthält die dissonanz der objectiven Wahrheit, ist daher keine rein poëtische form) das Geistige ist nicht mehr in der Abstraction, sondern das Geistige als subjectives immanent, und mit bestimmten Inhalten; – das Geistige getrennt von dem äußerlichen daseyn mit der Bestimmung des an und für sich seyenden, als ein Wollen zugleich des Wahren und Guten, und diesem entgegengesetzt ein verdorbenes götterloses daseyn. Es ist das Verdienst eines edlen Gemüths gegen das Verdorbene; dies Verhältniß ist wesentlich prosaischer Natur, die Trennung beyder Seiten liegt zum Grunde; der endliche Geist sich in sich faßend, das allgemeine wollend, aber nicht versöhnt, gleichgültig gegen das äußerliche daseyn, und dagegen gewandt, es als ein negatives betrachtend, sich dazu verhaltend mit dem Versuch, es zu verändern. Es ist wohl ein innerer Gehalt vorhanden, aber ein Gehalt, der zu seinem daseyn nicht kommt; diese Gedanken sind prosaisch. Auf der andern Seite ist die Schilderung der endlichen Welt, ein eben so in sich unversöhnter Inhalt; das Gute kommt zur Erscheinung an diesem negativen, nur bändigend das nicht gemäße daseyn. Dieser Charakter fällt in die römische Welt d. i. in die Herrschaft des abstracten Verstands; dies kalte Herrschen gegen das Gefühl und gegen die Sittlichkeit; in dieser kalten Abstraction sind die Individuen die Völker; das Schöne ist untergegangen. Was in der Kunst sich vorfindet, haben sie von den Griechen empfangen und nachgeahmt; es kommt keine eigentliche form ihnen zu; was ihnen eigenthümlich ist, ist die Weise der tugendhaften Verdrießlichkeit, wie | oben angedeutet ist. Dies ist der Charakter des Uebergangs, der prosaisch ist, und als Kunstform erschienen ist, so gut er konnte. Hauptsächlich ist die Verdrießlichkeit die Folge des allgemeinen Charakters geworden, bey Tacitus, Sallust, Seneca. Was hier sich ausspricht, ist der Unmuth edler Seelen über die Verdorbenheit, der sie entgegen setzen theils Lachen, theils Tugend, theils Sitte einer ganz andern Welt; eine Entgegensetzung, die sie ohne Hoffnung machen. Es kommt nicht zur Versöhnung, – Horaz hat sich als Lyriker in die griechische Kunstform hinein gearbeitet, was ihm eigenthümlich ist, sind seine Satyren; Lucian’s Satyren haben einen heitern Charakter. Die Satyre ist die Form des Uebergangs, als solche hat sie ein prosaisches Moment, daher weiß man immer nicht in der Kunst, wo man sie hineinbringt; man könnte sie unter das lyrische bringen, aber es ist nicht das subjective das sich ausspricht, sondern es ist das allgemeine was ausgesprochen werden soll in seinem Zorn gegen das Laster. Zugleich erscheint es als etwas subjectives. Die dissonanz die die Satyre ausspricht, ist der Charakter der Satyre selbst. Jetzt haben wir die Momente der Kunst gesehen; das Prinzip der ersten Stufe war das Aufstreben der Natur zur Geistigkeit, die aber nur Form am Naturwesen ist. In der 2ten Stufe war das Geistige die Grundlage, und das Natürliche nur das Äußere, die Form; das Natürliche war aber hier durchdrungen von dem Geisti-

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gen, ihm adäquat gemacht, und die Darstellung war die ideale, wo aber beide Theile nicht in ihrer Würdigkeit standen. Jetzt gehen wir zur 3ten Stufe über.

III. Die rom ant ische Kunst.

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Hier ist die Erhebung beider Seiten. das Geistige weiß in sich die Realität, die es sonst nur in der Äußerlichkeit hatte; hier ist also die I d e e . In dem Classischen war die Vollendung der Schönheit; zugleich war aber auch Mangelhaftigkeit da, indem die Realität, die in dem Äußerlichen liegt, nicht dem Geistigen angemessen, sondern bloß ein Boden, durchdrungen durch den Begriff ist; aber dieser Boden ist der Begriff nicht selbst; und doch kann die Geistigkeit die Angemessenheit der Realität nur in sich selbst finden und setzen. Wir werden aber nachher sehen, daß auch hier Trennung ist. der Geist drängt sich in sich zurück, und so entsteht nur eine unmittelbare Identität; es ist aber eine höhere Stufe die, wo in dem Gedanken selbst eine intellectuelle Welt, eine Welt des Gedankens ist; der Geist hat im Gedanken seine Realität, und so kommt er zum Bewußtseyn seiner selbst, er ist selbst sein Anderes. Indem der Geist in sich, bei sich ist, so ist sein Gegenstand kein anderer, als er selbst; dieser Gegenstand ist kein Begrenzendes für ihn, und so kommt | er zum Bewußtseyn seiner Unendlichkeit, und zu seiner substanziellen Freiheit. Auf diesem Standpunkte ist also das Wahre nicht das, was jenseits der Menschlichkeit ist, wir gehen nicht zu dem Wahren über, um zu uns zurückzukehren, sondern es hat sein Daseyn an dem Bewußtseyn. – Dies ist also der Standpunkt der r o m a n t i s c h e n K u n s t . Indem wir die darin liegenden Momente näher betrachten, werden sie uns auch die Form angeben, welche die näheren Grundlagen dieser Stufe ausmachen, und diese sind näher zu betrachten, nicht in ihrer concreten Darstellung, sondern als völlig abstracte Momente. 1. Das Erfassen seiner Freiheit, das Selbstwissen, ist die Subjectivität für sich, nicht die besondere, sondern die unendliche allgemeine Subjectivität. denn die Unendlichkeit der Freiheit besteht eben darin, daß ich mich nicht zu Anderem verhalte, begrenzt bin, sondern daß das Andere ein aufgehobenes für mich ist. dies kann als die a b s o l u t e N e g a t i v i t ä t bezeichnet werden, und das Wahre, nach dieser Seite aufgefaßt, ist das was wir subjectiv nennen. Denn alles Äußerliche, alles Mannichfaltige ist im Subject aufgezehrt, das Subject ist mit sich Eins. die Göttergestalt in der Skulptur ist in sich ruhend, sie hat alles Veränderliche, Zeitliche, alles Thun abgestreift. Aber eben dieser Ruhe fehlt es an dem unendlichen Prinzipe der Bewegung, es fehlt an der Thätigkeit, an diesem unendlichen Lichte,

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an dieser einfachen Seele. Der eigentliche Ausdruck dieses Prinzips ist das Auge, und daher haben die Künstler sehr weise gethan, es in der Skulptur nicht anzubringen, sondern nur die äußere Form des Auges. – Dis ist also das Prinzip der Subjectivität, der unendlichen Einheit in sich. 2. Aber diese unendliche Subjectivität ist die Wirklichkeit, und sie weiß sich als die wahrhafte Wirklichkeit; das unmittelbare Wirkliche liegt in dieser Subject ivität. Wenn wir sagen: es ist! so ist dies die Bestimmung seiner Unmittelbarkeit; als solches Ich, als solche Einfachheit hat sich die Subjectivität gesetzt, und diese ist das Seyende, oder die unendliche Negativität des Mannichfaltigen. | So hat sie sich also selbst reduzirt, und muß sich reduziren zur Unmittelbarkeit, d. h. zum Seyn. dies Seyn ist aber nicht ein sinnliches, sondern es ist das unmittelbare sich selbst Gegenwärtige, die Gewißheit seiner selbst. der Geist, der auf diesem Standpunkte ist, weiß in sich die Wirklichkeit, und weiß s i c h als Wirklichkeit. Was von ihm also erkannt werden soll, muß sich in dieser Weise der Wirklichkeit zeigen. Wenn wir damit das frühere Reich der Schönheit vergleichen, so stellen wir es zurück als Reich der Vorstellung, nicht als Reich der Wirklichkeit, und deshalb ist es das Reich der Dichtung. das Göttliche selbst muß also auf diesem Standpunkte die Bestimmung des Wirklichen haben. Mit dieser Bestimmung tritt es allerdings in die Äußerlichkeit, Endlichkeit; aber die Wirklichkeit, in die das Göttliche so tritt, ist die geheiligte Wirklichkeit, die nur den Schein der gemeinen Wirklichkeit hat. 3. Die Anschauung des Geists in sich muß sich aber auch ausbreiten, kann nicht in dieser Abstraction stehen bleiben, muß sich zu einem Universum ausbreiten, aber zu einem göttlichen intellectuellen Universum, in dem der Geist Gottes gegenwärtig ist. der Inhalt dieser Welt ist derselbe, wie in der gemeinen Wirklichkeit, nach der Seite seiner Erscheinung; er muß aber in die unendliche Subjectivität aufgenommen werden, das Göttliche, das Geistige muß gegenwärtig seyn als Geist in dieser unmittelbaren Endlichkeit. die Bestimmung der Wirklichkeit ist, nicht die gemeine Wirklichkeit, Wirkliches schlechtweg zu seyn, sondern sie muß erhoben werden, ohne jedoch ihre Gestalt zu verlieren, in den Geist, in dies höhere Element. der Geist muß aber, um sich von dieser ersten, anfänglichen Wirklichkeit zu erheben, sich abtrennen von dieser, mit ihr zerfallen, in Feindschaft gerathen, die äußre Welt als ein Andres, seine Freiheit Begrenzendes betrachten. Aber auch sein unmittelbares Wissen, sein Gefühl, seine Empfindung sieht er als Feindliches an, er fühlt den unendlichen Schmerz in sich, und daraus geht die Hoheit des Geistes hervor. | Hier also haben Schmerz, Tod u. s. w. nicht mehr ihre gewöhnliche Bedeutung, sondern sie werden als Momente der Befreiung und Erhebung des Geists betrachtet, und erhalten so eine absolut nothwendige Wichtigkeit. Daß dies bei der klassischen Kunst nicht der

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Fall gewesen, haben wir gesehen, sondern sie gelten nach ihrer ersten Erscheinung und Bedeutung als Dinge, die d a waren, und hatten somit keine Wichtigkeit für den Begriff. Durch diese Beziehung als Nothwendiges geschieht es auch, daß der Tod etwas Furchtbares wird, was bei den Griechen nicht der Fall war. Er wird furchtbar, weil die Subjectivität, die Wirklichkeit des Bewußtseyns diese Wichtigkeit hat, und weil der Tod die Negativität dieser Subjectivität, dieses Ich’s ist, das einen unendlichen Werth in sich legt; denn wir fürchten nur für das, was von hohem Werthe ist; das Leben hat aber diesen großen Werth, weil es Daseyn des Bewußtseyns, des Subjects ist. Weil bei den Griechen diese Subjectivität des Bewußtseyns nicht diesen Werth hatte, als bei uns, so war ihnen der Tod auch nicht so furchtbar. Aber die Offenbarung giebt uns als Trost gegen dieses Furchtbare die Unsterblichkeit. Dieses Negative, der Tod, wird aber auch als Positives betrachtet, als Moment des höhern geistigen Lebens; und daher ist auf dieser Stufe auch die Bestimmung, daß der natürliche Geist, die Neigungen, Leidenschaften u. s. w. gleichfalls als ein Negatives betrachtet werden, daß diese Natürlichkeit aufgehoben und dadurch die Freiheit des Geistigen gewonnen wird. Aus dem Tode des Natürlichen geht das Leben und die Versöhnung mit sich und in sich hervor. Aber sie ist nur eine innerliche, das Gemüth ist ihr Boden, und die wirkliche Welt ist als ein formeller Boden, worin der Geist nicht wahrhaft seyn, nicht wahrhaft Zwek, Intresse, Befriedigung finden kann, von ihr abgeschieden. Dies sind die abstracten Hauptmomente; die Kunst ist hier nicht das Hervortreiben des Abstracten, des Geistigen für die Anschauung; sondern das Wahre ist für sich vorhanden, und nur die Form desselben ist für die Vorstellung, für das endliche Bewußtseyn, als ein unmittelbar Daseyendes vorhanden. Die Kunst findet also den Inhalt gegeben, und hat ihn so nur weiter zu bearbeiten. | Wenn wir diese abstracten Momente zusammenfassen, so haben wir auf einer Seite den Boden des Geistigen, das Gemüth, die Empfindung, die zugleich der Prozess desselben sind; denn alle Prozesse, Zwecke, Unternehmungen, sind nicht bloß Prozesse der wirklichen, sondern auch der geistigen Welt. die andre Seite ist die Weise der Gestaltung, und dies ist die ganz wirkliche, gemeine Welt; hier ist also die ganz idealische Darstellung verschwunden, und hier dient bloß die ganz zufällige Wirklichkeit, die Unschönheit, Zerrissenheit, zur Darstellung. Das Romantische enthält die Extreme des Innerlichen. Nach der einen Seite können wir also sagen, daß der eigentliche Ton, der Grundton des Romantischen das Lyrische ist. Goethe hat sich in allen Formen herumgeworfen; sie sind ihm aber mehr oder weniger fremd gewesen, und man fühlt, daß das eigentlich 31 und] und, und

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Ansprechende und unserer Natur Eigenthümliche, das Lied ist, worin er sich auch am meisten ausgezeichnet hat. Wir finden überhaupt, daß die neuern romantischen Dichter sich in mehreren Formen ausgebreitet haben, weil eben das Romantische sich aufs Allgemeine bezieht. Deshalb haben wir jetzt keinen epischen Dichter vorzugsweise, wie Homer es war. Nach diesen Prinzipen ist also der Stoff des Romantischen: I. der religiöse Stoff, II. der Stoff, durch welchen dies Prinzip in die Welt, in den Menschen tritt, und III. der Stoff, durch welchen dieses Prinzip ganz formell wird. – I. Was die religiose Seite dieses Stoffs betrifft, so haben wir gesehen, daß das eine Moment die Trennung des Geists von dem Natürlichen war, Aufopferung, Entsagung, Leiden, Schmerz, Tod, und das andere Moment die Versöhnung, Einheit des Geists mit seinem geistigen Wesen war, der erst durch diese Reconstruction wahrhafter Geist ist; also Versöhnung Gottes mit der Welt, und des Menschen mit sich und Gott. der Prozess des Geists ist eben, Bewegung zu seyn, und deshalb ist unsre Religion die Religion des Geists, die Geschichte dieses Prozesses ist einerseits die allgemeine Geschichte | des Menschen, andrerseits die Geschichte der einzelnen Individualität. Die allgemeine Geschichte ist nicht eine abstrakte Geschichte, sondern sie muß auch die Gestalt der Wirklichkeit haben, in die Zeit vorgezogen seyn, so wie in den Raum, mit allen empirischen Außenseiten; es ist also so auch eine einzelne Geschichte, die aber den Werth einer absoluten Manifestation des Geistes hat. das Andre ist nun, daß diese Geschichte sich offenbart an dem Andern, welches die Seite der Endlichkeit ausmacht. Es finden also, wie gesagt, in dieser Geschichte die Momente statt, die wir schon gesehen haben, Negativität, Schmerz, Leiden, Tod, und endlich die Beseeligung und Vereinigung in sich. Hierher gehört das ganze M ä r t y r e r t h u m . Indem der Geist noch ungebildet ist, und doch die Idee des unendlichen Geists in sich hat, so geschieht nothwendig eine Zerreissung; denn der ungebildete Geist ist noch in der ersten Einheit, in der Abstraktion, und ihm erscheint alles Andere, alle Gefühle des Herzens, und alle Bewegungen des Gemüths als ein Nichtiges und Verwerfliches gegen jene Concentration des Geists. Jene unendliche Idee, und diese Rohheit zusammen, können nur die fürchterlichsten Kämpfe bei dem ungebildeten Geiste hervorbringen. Es ist eine Intension ohne Extension, und die Extension ist nur das Rohe, und indem die Idee sich an dieses Rohe wendet, erscheint der Kampf nothwendig. Zu dem, was nachher als sittlich vernünftig erscheint, ist der rohe Geist noch nicht gediehen; der Glaube fühlt sich nur verloren, 9 wird.] wird,

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indem er eine bestimmte Wirklichkeit berührt oder sich damit einläßt. So entsteht denn dieser Kampf, der das Gemüth durchschlagen hat; diesem Kampfe entgegen das noch rohe und ungebildete Gemüth; beide zusammen können wie eine Verrücktheit des Gemüths erscheinen. Diese Zerrissenheit finden wir in vielen alten Legenden, und man kann ihr selbst Frömmigkeit zuschreiben, aber nur eine abstracte Frömmigkeit, die zugleich gräßlicher und fürchterlicher Fanatismus der Entsagung ist. Bei den Indiern war diese Abstraction mit gänzlicher Fühllosigkeit gegen alles Schmerzliche verbunden; es ist da noch Interesse für die Annehm lichkeiten des Lebens und dessen Verhältnisse, aber zugleich freiwillige Entsagung und Duldung der Schmerzen. diese Gewalt des Gemüths hat noch eine andere Seite, nämlich | nicht bloß die Seite gegen den Schmerz, sondern auch gegen das Ve r b r e c h e n . Der Mensch hat nämlich in der Wirklichkeit gefehlt, daher will er in einer andern Wirklichkeit leben, die ihm jetzt als die wahre gilt, und wodurch er das Böse zu tilgen glaubt, und eine Versöhnung des Geists in sich herbeizuführen hofft. Diese Versöhnung ist weiter nichts, als die Vereinigung mit einem Andern; der Geist betrachtet sich nicht mehr als ein Andres g e g e n dieses Andere, sondern als identisch mit diesem Andern geworden. Es kann bemerkt werden, daß dem Romantischen das A l l e g o r i s c h e sehr nahe liegt, indem die Gestalten in dem Romantischen Personen sind, für sich und aus sich handeln, und nicht Repräsentanten eines allgemeinen Pathos sind. Indem aber die Kunst hinzutritt, und auch Allgemeines darstellen, ausdrüken will, so entsteht die Allegorie. Sie kommt aber, wie wir gesehen haben, schon bei Dante, auch in der bildenden Kunst vor. II. Dies ist also das, was die Idee der in sich beruhenden, intellectuellen Welt ausmacht. Dies Prinzip der unendlichen Subjectivität muß aber auch in die Wirklichkeit fortgehen, muß sich das Bewußtseyn der Identität mit dem Göttlichen verschaffen. dies Prinzip ist anfangs also abstract, die Menschen sehen ihre Identität nur in dem G l a u b e n , in der Empfindung, sie empfinden diese Einheit nicht in der concreten Lebendigkeit, und das Bewußtseyn dieser Einheit offenbart sich in der S e h n s u c h t , dem Glauben, dem Gefühl. Diese Identität muß aber nicht bloß in der Innerlichkeit seyn, sondern auch in der concreten Wirklichkeit, das Allgemeine muß fortgehen zu einem concreten wirklichen Daseyn. In diesem Fortgange ist es aber, daß die subjective Einzelheit frei wird; und indem sie frei wird, so ist sie für sich, sie legt die Innerlichkeit des unendlichen Gemüths in diese subjective Einzelheit selbst. Es sind dann 3 Empfindungen des wirklichen Gemüths, die zu dieser Unendlichkeit steigern: 1. d i e p e r s ö n l i c h e S e l b s t s t ä n d i g k e i t , 2 . d i e G e s c h l e c h t e r l i e b e und 3 . d i e A b h ä n g i g k e i t u n d A n h ä n g l i c h k e i t | a n e i n e n H e r r n u n d F r e u n d ü b e r h a u p t . dies sind die 3 romantischen

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Erscheinungen der E h r e , L i e b e und Tr e u e . Sie sind nicht eigentliche sittliche Eigenschaften, die Ehre ist keine Tapferkeit für ein Gemeinwesen; die Liebe ist nicht eheliche Liebe; die Treue nähert sich am meisten dem sittlichen Verhältniß, denn sie will nicht bloß i h r Interesse, auch ist dabei nicht mehr das Naturverhältniß so lebendig. Die Formen dieser 2ten Sphäre machen nun den Stoff des R i t t e r t h u m s aus; denn das Ritterthum ist der Eintritt der völligen Innerlichkeit in die Wirklichkeit. So ist es also etwas Morgenländisches, und insbesondere etwas Arabisches, das sehr nahe dem Europäischen steht. Denn der Araber tritt auch aus der Abstraction seiner Wüste hinaus ins concretere Leben, und tritt so in die romantische Sphäre über. D i e E h r e . Dieser schöne Inhalt ist der classischen Kunst etwas Unbekanntes. Achilles Zorn macht einen Haupttheil der Iliade aus. Hier ist auch von Ehre und Schande die Rede, aber der Inhalt dieses Zorns ist etwas Wirkliches, nämlich seine Beute ist ihm entrißen, und diese Verletzung sieht er nicht als etwas unendliches an, dem er alles aufopfern müße, er sieht sich auch selbst nicht als so ein unendliches Individuum an. Er kann sich nicht an Agamemnon rächen und er wird befriedigt durch Zurückgeben der Beute, und durch hinzugefügte Geschenke, wodurch ihm seine Ehre wiedergegeben und neue hinzugefügt wird. die moderne Ehre beschränkt sich nicht darauf, sondern hat ihren Sitz in der Vorstellung; was in meiner Ehre als solcher verletzt wird ist mein Schein. Ich bin ein unendliches, also auch mein Schein; und mein Schein ist mein daseyn, denn ich bin dadurch für andere, und dieser Schein ist meine Wirklichkeit, die Identität meines daseyns und meiner als eines abstracten Subjects. So ist es auch zugleich ein Ideales abgetrenntes, und somit ein innerliches. In diesem Prinzipe der Innerlich keit, der Subjectivität hat auch mein daseyn die Bestimmung so ein innerliches, so ein Schein zu seyn, und so ist die Verletzung dieses Scheins auch eine unendliche. Mit dieser Ehre ist auch die Gleichheit verbunden, d. h. daß ich nur Ehre haben kann für einen Ehrenmann, der auch als ein unendliches in seiner Erscheinung ist, und den ich | auch wenn er mir schadet, als so ein Unendliches anerkennen muß, da die Ehre von allem Inhalt abstrahirt. Durch dieses fortgehn der Ehre zum formellen geschieht es dann in der neuesten Zeit, daß der schändlichste Spitzbube noch seine Ehre behalten hat. dies beruht auf das Recht der persönlichen Anerkennung. die Ehre kann also einen mehr oder weniger wahren Inhalt haben, und durch den Inhalt erhält sie erst ihren wahren Werth, sie kann aber auch ganz inhaltlos seyn. So sehen wir in der ächt romantischen darstellung 13–115,5 Hier ist … Theils.] von der Hand des zweiten Schreibers Sax van Terborg, die übrigen etwa drei Viertel der Seite sowie die folgende Seite sind nicht beschrieben 32 neuesten] ältestn

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das Recht der Ehre unantastbar, und dies kann allerdings etwas edles haben, wenn in ihr die ganze Persönlichkeit gelegt ist. Es folgt aber auch, daß in einem Staate, wo diese romantische Ehre des Ritterthums herrscht, kein Staat, kein Gericht bestehen kann, da diese dem Menschen nur als individuelle Persönlichkeit gelten. Wenn die Ehre inhaltlos ist, so kann sie etwas ganz todtes, und leeres seyn, weil dadurch nur die abstracte Subjectivität, kein Inhalt gesetzt ist. Solcher Inhalt steht in manchem Zusammenhange, und so läßt er sich expliciren; wird aber blos die abstracte Subjectivität hervorgehoben, so ist dies ein ganz todter leerer Ausdruck. Solche Ehre finden wir besonders in dem französischen Trauerspiele, auch im Alarcos von Schlegel; obgleich hier viel kräftiges und edles herrscht, so ist es doch blos auf dieser leeren Ehre basirt; er bringt seine geliebte Frau um, blos um Tochtermann des Königs zu seyn. diese kalte Ehre setzt aber alles übrige zurück, und ist selbst nur ein ganz formelles. – D i e Liebe. Sie spielt in der neuern Kunst eine überragende Rolle. In der Liebe ist der Gegensatz der Ehre, denn da ist das wesentliche die persönliche Individualität in das Seyn eines andern. das Individuum verhält sich nach seiner subjectiven Neigung, es giebt aber, wie gesagt, seine Selbständigkeit in das Seyn eines andern auf. In diese Einheit legt die romantische Liebe ihr ganzes Wesen hinein, erhebt sie zur Unendlichkeit der Welt; indem Ehre und Liebe so entgegengesetzt sind, können sie leicht in Streit kommen, und so sind sie auch oft Gegenstand der modernen romantischen Kunst. Hier können viele Collisionen vorkommen z. B. wenn einer aus höherm Stande eine aus niederm Stande liebt, wenn einer eine Person liebt, zu der er sonst in feindlichem Verhältniß steht z. B. in Cid, Romeo Julie. Die Liebe, so wie sie nach dem modernen Prinzip sich gestaltet, ist nicht die Geschlechterliebe, sondern es ist das Hingeben eines edlen Gemüths in das Bewußtseyn eines andern, und hat darin nur seine Würklichkeit, Thätigkeit, Lebend igkeit, Intereße. | Sie hat aber auch zugleich ihre Schranken; denn ihr Inhalt ist nicht ein allgemeines, wie Familie, Staat; nicht solches Gemeinwesen, sondern der Inhalt ist ein einzelner. Alles Interesse, alle Collisionen sind nur dadurch, daß grade diese Person diese liebt, also enthält das Intereße das Moment der zufälligen Einzelheit. Jedem liebenden kommt zwar die Geliebte als die schönste vor, die ganze Welt liegt ihm in diesem Verhältniße, aber da es viele solche Verhältniße giebt, so erscheinen sie als partikuläre Verhältniße. das Princip der modernen Zeit bleibt nicht blos dabey stehen, daß eine sittliche Ehe gestiftet wird, sondern daß zugleich nach dem Princip der Subjectivität eigene Willkühr, eigene Neigung des Subjects ins Spiel komt. Aber immer herrscht da die Zufälligkeit, und daher findet sich in den modernen darstellungen eine Art 14 D i e L i e b e . in großen, verzierten Buchstaben

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von Kälte, von frost, denn blos die Willkühr des Subjects gilt da. Bey den Werken der Alten hat die Liebe immer nur eine untergeordnete Rolle gespielt, so z. B. liebt in der Antigone der Haemon Kreons Tochter die Antigone, aber diese Liebe ist sehr in den Hintergrund gestellt und spricht nicht das Recht an, was die romantische Liebe sonst anspricht. In der darstellung muß immer das Intereße ein an und für sich allgemeines seyn, aber das Intereße der Liebe ist blos ein subjectives. Bey den Alten kommt die Wichtigkeit des Geschlechterverhältnißes vor, als der Gegensatz die Wichtigkeit der Entsagung desselben. Bey Homer ist vornemlich die Penelope sehr hochgestellt, aber sie ist es als frau, die in ihrem Kreise sich würdig beträgt, nicht in Rücksicht auf die Leidenschaft der Liebe. Erst bey Euripides ist die Liebe geschildert in der Phaedra; aber zugleich auch die verbrecherische Liebe als Pathos, als eine ihr angethane Gewalt. die Liebe offenbart sich in dem romantischen in den verschiedenen Nationen verschieden, am höchsten ist sie gestellt bey den Italienern, besonders ist es schön, daß die Liebe sich in wirklichen figuren darstellt, denn der Mann muß leben, thätig seyn, ins äußre Leben dringen und seine Zwecke verfolgen, das Weib ist auf den inneren Hauskreis verwiesen. In der italienischen darstellung giebt es Geschöpfe, die ihr ganzes Wesen, ihr Seyn in den Geliebten setzen, und kein anderes Verhältniß nicht ein mal in der Religion ihren Halt haben, sondern einzig in den Herzen, so daß ihr Leben wich wenn dis Verhältniß aufgehoben war. Viele Beyspiele sehen wir davon in den italienischen Schriftstellern, besonders hat Petrarca seine Liebe verewigt, doch scheint er diese Liebe nur als Scherz genommen zu haben; denn er schrieb alles dis in der lingua volgara, Landessprache; dahingegen | er das, was er für wichtig hielt, in der lateinischen schrieb. Bey Dante hat sich die Liebe, die er schon in der Jugend für ein Mädchen faßte, nach dem Tode in eine religiöse verwandelt. Bey den Italienern findet sich auch gleichsam als integrirend, die Leichtigkeit der Liebe, eine sinnliche Liebe, die verwerflich ist. In Spanien zeigt sich die Liebe in der Heldenform, sie hat sich der Männlichkeit unterworfen, und andrerseits zeigt sie sich in der sittsamen, ordentlichen Hausfrau, wie wir dies beym Cid sehen. Bey den deutschen sehen wir auch diese Liebe aber nur wehmüthig verschloßen in dem Herzen, das nicht den Muth hat, sich aufzuschließen. Bey den franzosen ist die Liebe früh galant geworden; viele Rederey und Pomp, wovon die Cours d’amours zeugen. – D i e Treue. Dies ist nicht die herrische freundschaft des Alterthums, wie bey Theseus und Piritheus, Orest und Pylades, die schon fast dem Mythischen angehört. Zur Zeit des Ritterthums hat die Treue den geselligen Zusammenhalt gemacht. In der Treue macht die Subjectivität, und der besondre Wille ein Haupt34 D i e Tr e u e . in großen, verzierten Buchstaben

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moment aus. In der Treue macht die Einheit der Gemüther einerseits, und die Abhängigkeit des einen von dem andern die Festigkeit des Verhältnißes aus. Aber weil eben die Willkühr eben darin ein Hauptmoment ist, so ist sie auch zugleich zufällig; dies sehen wir auch in den Zeiten des Ritterthums, wo die Treue der Vasallen gegen den Kayser oder das Reich durch ihren eignen Vortheil bedingt also zufällig war Das 3te ist das ganz formelle der Subjectivität und diese Seite ist zunächst der formalismus des Charakters überhaupt, und dann der formalismus der äußren zufälligen Umstände. die erste Weise ist das, was wir Charakter überhaupt nennen. Charakter der so ist, und so seyn will, der nicht nur gedachte Zweke hat, sondern sie aus seiner Natur schöpft; eine bestimmte Weise der Natur ist, die dann durch die Stärke womit sie an dieser Bestimmtheit hält, ihr Intereße gewinnt. der bestimmte Charakter in dieser Rücksicht, bezieht sich nicht auf etwas höheres, rechtfertigt sich nicht, sondern er ist, so wie er ist, und will nicht anders seyn, als er ist, beruht ungebeugt in dieser Festigkeit und geht auch darin unter. Man hat in dieser Hinsicht das moderne dem antiken entgegengesetzt und gesagt, das moderne sey das charakteristische, und dies ist zum Theil wahr, denn bey den Alten kommt auch Charakter vor, aber er ist mehr zu einem abstractum gemacht, mehr zu einem allgemeinen erhoben. das Charakteristische zeigt sich besonders bey Shakespeare, allen seinen | Gestalten so wie ihrem Charakter ganz bestimmt. Sein Macbeth z. B. streckt seine Hand nach der Krone aus, er hat keine Rücksicht für etwas andres, nicht für den Staat, nicht für Religion, alle himmlischen und menschlichen Rechte bringen ihn zu keiner Reflexion, als zu der, wie er ihnen die Spitze bieten soll, bis er selbst untergeht. Eben so sind sein Richard III, seine Margarethe, sein Falstaff; alle diese sind, was sie sind, und was sie sind, wollen sie seyn; was dann über ihnen ist, erscheint dann so, als das Walten des Schiksals; jeder, was er ist, ist es so, wie ein Stein, und daher ist ihnen auch gegenüber das kalte Schicksal. das formelle des modernen Charakters können wir auch darin sehen, daß ein in sich schönes totales Gemüth so ganz in sich bleibt, ohne daß es zu einer Expansion, Thätigkeit, Handeln nach außen kommt; es ist ein Edelstein, der nur hier und da geschliffen erscheint und glänzt. Hieher gehört Shakespeare Julie, Miranda im Sturm und Schillers Thecla. Letztere ist vom Leben noch nicht berührt, hat sich so erhalten, um für ihre Liebe alles zu seyn. Bey schönen edlen weiblichen Naturen schließt sich ihr Wesen erst in der Liebe auf, erst hier werden sie geistig geboren; – auch das deutsche Gemüth ist im allgemeinen etwas in sich geschloßenes, trutziges, störriges, aber auch meist gehaltvoll, 6 war] folgt ein langer horizontaler Strich

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nicht allein eigensinnig, sondern in sich gedrungen, abgebrochen sich äußernd, und auch fähig von einem Intreße ganz ergriffen zu werden, und hier offenbart sich die Tiefe seiner Seele. So ein stilles Gemüth, indem es die Energie des geistes in sich verschloßen, hat die Reflexion über sein daseyn noch nicht ausgebildet, und wenn ein Miston in sein Wesen kommt, so hat es keine Brücke in sich, um sein Herz und sein daseyn zu vermitteln. Hieher gehört Hamlet; er ist ein unendliches schönes melancholisches Gemüth. Göthe faßte ihn in seinem Meister nicht richtig auf, eben so wenig Tiek und Schlegel. Er ist edel in sich, er ahnt, daß etwas ungeheures geschehen ist; ein edles Gemüth hat davon eine schwache Ahnung; das dunkeln der Physionomien, die Umstände, die ihm zusagen, oder ihn abstoßen, | geben ihm dieses Vorgefühl. Gewisheit erhält er durch den Geist, meint aber noch, es könne der Teufel seyn; dagegen greift Macbeth schnell zu, so wie die Hexen ihn reitzen, die übrigens der Wiederschein von seinem eigenen unbändigen Willen sind. Hamlet hat die Unthätigkeit einer edlen Seele, die sich scheut, das Ungeheure zu erfahren, und dagegen zu handeln durch ein anderes ungeheures. da erscheint seine Thätigkeit und Entwickelung meisterhaft, indem er nur gleichsam hingerißen ist, und der Ausgang als eine aeußre Zufälligkeit erscheint, indem durch Laërtes das Schiksal des Ganzen sich entwikelt. Er ist eine sehr wahre und große darstellung eines edlen Gemüthes, wie er in solchen Umständen zaudernd handelt, und daran zerbricht. das Unglük Hamlets erscheint als eine äußre Zufälligkeit und kann uns wehe thun, aber es ist die höhere Nothwendigkeit, die in seinem Charakter und den Umständen sich äußert. daher ist es ein schlechter Einfall Garriks, daß er den Ausgang geändert hat. Im Lear erkennen wir eben so genitive großer Natur; er ist aber in fürchterlicher Zertrennung, die aber mehr gräßlich als wohlthuend ist. diese Stellung ist vornehmlich die ungebildete von niederm Stande, die ohne die Mannigfaltigkeit von objectiven Zweken und allgemeinen Gesichtspunkten ist; haben sie sich verloren, wenn sie einen Zwek hatten, so können sie an einem anderen Zwek keinen Halt finden, indem ihnen der Verstand fehlt, die Verwiklungen selbst zu lösen; sie wißen sich nicht Luft zu machen, Lichter in sich, um die Umstände zu finden, und die Entwiklung ist gräßlich. Ein Meister in dieser darstellung ist Hippel, den man zu sehr vergeßen hat und wobey das schlimmste ist, daß ein nekrologisches Thier über ihn gekommen ist. Er hat schön sinnliche, und höchst sinnliche schöne und eben so ergreifende darstellungen besonders in seinen Lebensläufen z. B. in der Stelle wo Hans die Grete für untreu hält. die höchsten Verbrechen selbst zu Selbstmorde können in solchen verletzten Gemüthern, deren Grundton edel ist, leicht statt finden. 17 ist] sind

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– Die 2te Seite kann eine innerliche schöne Totalität seyn, die sich durch einen Widerspruch der in ihr daseyn kommt auflösen kann. Bey den Charakteren Shakespeares ist in so fern das Gegentheil, indem da nicht ein unendlich schönes ganzes Gemüth zu Grunde geht, sondern nur das formell unendliche der Willenskraft, das sich geltend macht in seiner Beschränktheit. Bey solchen Personen aber, die in Hinsicht ihres Charakters beschränkt sind müßen wir die Anschauung erhalten, als ob diese Beschränkung nur Schiksal eines höhern sey, eines Innern, einer Tiefe in ihnen selbst. Es muß erscheinen, daß sie die unendliche Möglichkeit in sich haben über das, was sie | wollen, erhaben zu seyn, gleichsam drüber zu stehn. Solche Tiefe des Geistes giebt Shakespeare uns auch in solchen, die ihrem Willen nach beschränkt sind, zu erkennen; durch die Gleichniße die sie über sich und ihre Lagen machen, zeigt er sie uns als freye Menschen die durch ihre Reflexion über dem stehen, was sie sind, so daß sie nur durch Umstände gedrängt so sind. Würden Charaktere uns nur als solche dargestellt; wie sie im gemeinern Leben unmittelbar sind, so könnten sie zwar als reine natürliche Wesen erscheinen, aber nichts wäre prosaischer. durch die Reflexion zeigen sie aber, daß sie die Hoheit in sich haben, sich über ihre Lage erheben zu können. die gemeinen Charaktere und ihr absoluter Held Falstaff bleiben darin versunken, die höhern Personen zeigen sich aber in der Einheitlosigkeit ihres Intereßes als Intelligenzen, die die Möglichkeit haben, freye Existenzen, große Menschen zu seyn. In französischen Tragödien sind sie klar solche Charaktere; die Cleopatra ist eine böse Bestie, die sich durch Sophistereyen rechtfertigt. Macbeth rechtfertigt sich nicht einmal, erhebt sich aber zur Betrachtung des allgemeinen Schiksals ohne Reue und Klage. – Zur Grundbestimmung des romantischen gehört also, daß die Gestalt Charakter habe, ein festes bestimmtes sey. In der claßischen Kunst war das leibliche vom geistigen nicht verschieden; dem romantischen Geiste genügen nur Thaten, ein gestaltloses Werk ist ihm gleichgültig; das Subject will sich nur als solches geltend machen, daher die Abentheuereyen im romantischen. Nicht ein allgemeines an und für sich geltendes Intereße komt hier zur Sprache, nur in der Ausbreitung des Christenthums findet sich ein solches, daher die Vertreibung der Mauren und die Eroberung des heiligen Grabes. Mit der Behauptung des Grabes ist es aber schlecht gegangen, denn der religiöse Geist soll nur im Innern seine Befriedigung haben; am Grabe dem Orte des Todes sollte keine wesentliche Befriedigung gefunden werden. Außer diesen allgemeinen Gegenständen sind unzählige Abentheuereyen in den romantischen darstellungen. Glück und Zufall spielen da eine große Rolle, die Unschuld soll befreyt und beschützt werden, ob dies durch eine Kette von Schlechtigkeiten geschieht gilt gleichviel. diese Zufälligkeit des Verhältnißes ist nothwendig ein Mangelhaftes; die Umstände er-

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scheinen nur als ein zufälliges, was an der Energie des Charakters seinen Halt hat; das Ritterthum wird ein zufälliges durch die einzelnen Umstände worauf es wirkt; hiemit ist eine Willkühr des subjectiven Geistes verbunden, eine Täuschung, Zufälligkeit, die sich auflöst und komisch wird. dieser Widerspruch stellt sich dar und das Ritterthum hat so selbst seine Auflösung in sich, die im Ariost und Cervantes zur Anschauung gekommen ist; mit ihm schließt sich das wahrhaft romantische; im Don Quixote | sieht man den Untergang einer kräftigen Natur, die sich bis zur Verrücktheit steigert. das ganze ist eine Verspottung des Ritterthums, woran sich eine Reihe nicht romantischer Novellen schließt. Im Don Quixote ist ächte Ironie, und bey allen Misgriffen bleibt er seiner Sache vollkommen sicher, und diese Sicherheit ist in Ansehung des substanziellen durchaus edel. Mit der Auflösung des Ritterthums geschieht auch die der schönsten Romantik selbst; das Ende des romantischen ist, was wir Roman heißen. Hierin ist das aufstehen des Ritterthums, aber umgeformt nach den jetzigen Umständen. Im Don Quixote ist es schon chimärisch geworden, die Welt hat sich in eine feste Staatsvereinigung umgeformt und zu ihr verhält sich jetzt das Individuum, sie ist fest gegen die Willkühr des einzelnen, gegen das individuelle Wollen. das Ende kann nur seyn, daß das Individuum seine Subjectivität aufgeben und sich mit dem Staate vereinigen muß. Jeder fängt mit Idealen an, und findet eine verzauberte Welt vor sich, findet unendliche Schwierigkeiten und geht darauf aus, ein Loch in die Welt zu schlagen; was durch dieses Bemühn erreicht wird, ist, daß er ein Mensch wie die andern wird, oder mit einem populairen Ausdruck ein Philister wie die andern. Indem vom Geiste diese Aeußerlichkeit entlaßen ist, wird sie ein gleichgültiges; der Gestaltung des Gemüths gilt es als der an und für sich objective Inhalt, der Stoff ist gleichgültig, jeder kann für sich gelten und aufgenommen werden. der Stoff der romantischen Kunst kann aus den höchsten Regionen genommen seyn, und andrerseits kann der niedrigste Gegenstand dazu dienen, aber die Totalität des Gemüths erhebt den Stoff, und das Würken in dieser Sphäre ist ein Einlaßen mit bedingten Stoffen; dieser bedingte Stoff hat denn auch sein Recht. Im Hamlet kommt der ganze Hof vom König bis zur Schildwache vor, so wie wir den Ochsen und Esel an der Krippe des Heilandes sehen. Erst durch den Reflex des Gemüths werden die Gegenstände etwas. der Gegenstand begränzt sich daher in dieser Kunst auf das ganz unbegränzte; die Kunst geht bis zur Nachahmung der Natur fort. die frühern Niederländer van Eyk, Schorel, Hemling hatten sich auf das Heilige beschränkt, welches bey ihnen aber einen ganz bestimmten Charakter angenommen hat; nachher ist die Kunst auf das Privatleben fortgegangen und in solchem ganz zufälligen ist ein momentanes unruhiges, das verfliegt, dargestellt; dies zu fixiren für die darstellung und in seiner ganzen Lebendigkeit fest zu halten, ha-

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ben diese Künstler verstanden; es ist der Triumph dieser Kunst über das Vergängliche. | Es ist überhaupt Sache der Kunst, den Hauch des Scheinens zu erfaßen und zur Darstellung zu bringen; Goethe spricht in Kunst und Alterthum von der niederländischen Malerey und von der Behaglichkeit ihrer darstellungen; nicht nur die Geschicklichkeit ist es, was uns zur Bewunderung zwingt sondern auch das Erfaßen des flüchtigen, des Augenbliks. das Höchste der Geschiklichkeit ist da, wo die Kunst sich selbst zum scheinen brachte. In der Musik galt ein Ton nur durch sein Verhältniß zu einem andern, so in der niederländischen Schule; die Geschiklichkeit erscheint hier rein subjectiv, die Kunst wird so zuletzt ganz zum Scheinen. Wird dies vom Künstler gewußt, so haben wir die Auflösung der Kunstform; der Künstler zeigt nur sich, und bringt kein Kunstwerk mehr hervor; dies nennen wir das humoristische; es macht den Schluß der Romantik; es kommt nicht zum Objekt, sondern stellt sich nur selbst dar; die Gegenstände sind nicht herausgehoben, sondern der Künstler zeigt nur sich selbst. das humoristische ist sehr verführerisch, denn jeder, wie er ist, giebt sich selbst her, form und Stoff sind unmittelbar zur Hand. Yoriks empfindsame Reisen und Sternes Tristam Shandy sind die besten humoristischen Werke. Jean Paul ist der berühmteste Humorist, und hat wirklich einen genialen Humor; nur ist der Inhalt zu oft prosaisch und nähert sich dem platten; die Aeußerung soll als ein ganz zufälliges dastehn, und mit dieser höchsten Zufälligkeit wird das objective hineingelegt, Ausdruk hineingebracht; dies ist sehr schwer. Sehr humoristisch ist es, wenn der dichter von sich selbst spricht; diese Eitelkeit mit sich zu thun zu haben, muß durch Ironie befriedigt werden. Eine Reihe humoristischer Späße wird aber bald Langweilig. Bey dieser Auflösung des Objectiven stehn wir am Ende der Kunstform. Im romantischen geht es bis ins formelle, bis in die Auflösung des gegenständlichen fort. hier wo keine Seite mehr die wesentliche ist, ist der Standpunkt der Kunst der neuesten Zeit. die Musik ist die nothwendigen formen durchlaufen, und bis zum unwesentlichen gekommen; mit der Auflösung ist sie aber nicht für untergegangen zu halten. In der neuesten Zeit ist die Subjectivität des Künstlers über seine form erhaben, er hat sie in seiner Gewalt, und ist nicht mehr durch sie bedingt. Kunst und Künstler können nur zu ihrer Zeit seyn, so ist es mit der Wißenschaft, selbst mit der Philosophie. der Künstler denkt nur seinen Stoff, nicht seine Würkungsweise, seine Stellung ist sein Verhältniß zur Gestalt des Stoffes; früher war er im Glauben seines Gegenstands, die Art und Weise des Offenbarens sein eigen; – indem er Gehalt ausdrüken

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will, hat er die Gestalt die er gewohnt ist, | er braucht daher nicht ganz fromm zu seyn. der Fortgang der Kunst ist es, sich von den bestimmten Gestaltungen zu befreyen; der Inhalt wird zur Gegenständlichen Anschauung gebracht. Wenn der Gehalt ganz erschöpft ist, alles Gegenständlich ist, so verschwindet das Intereße; war thätig, so lange etwas noch nicht ganz offenbar ist; die hohe frömmigkeit ist zum theil die höchste Unwißenheit, weil sie noch nicht zum Gegenstande gemacht ist. Nachdem die allgemeinen Kunstformen durchlaufen sind, so ist dieser mannigfaltige absolute Stoff die Unendlichkeit des menschlichen Gemüths geworden. das Göttliche ist der Stoff der Kunst, aber um durch die Kunst ausgedrükt zu werden muß er bestimmt begrenzt werden; und dies geschieht durch die verschiedenen Stufen der Kunst. Im symbolischen sezen wir, die Naturmacht als absolutes, als Bedeutung; in der claßischen Kunst war die Bedeutung ein geistiges aber mit sinnlicher form; dann sehen wir, das geistige seinen Boden in sich selbst, in der Subjectivität haben; aber die letzte Stufe ist der Geist an und für sich, und dies ist die Stufe der modernen Kunst und diese hat unser größter dichter Goethe im vollkommnen Maaße erreicht. Wir sehen an ihm, daß der wahre Künstler an Einen Stoff gebunden ist, daß sein Stoff die gegenwärtige Weltanschauung ist; er kann zwar sich auch in einen andern ältern Stoff hineinbilden, aber da ist die Kunst nur formell, da in die darstellung nicht der eigenthümliche Stoff hineingelegt ist. Goethe treibt sich jetzt noch viel herum, alte und vergangene Stoffe nachzuahmen und zu modernisiren; aber ihren wahren Werth können sie nicht haben; daher können in unsrer Zeit kein Dante, Tasso, Shakespeare hervortreten. der Stoff der vergangnen Zeit ist ausgearbeitet, ausgesungen, nur der gegenwärtige Geist ist frisch und neu, und dieser muß sich in jeder darstellung zeigen. Wir haben die franzosen getadelt, daß sie alles französiren; dies wäre gar nicht schlecht, wenn es nur edler wäre; die Personen aller Zeiten müßen als Gestaltungen unseres Geistes erscheinen, nur dann haben sie subjective und objective Wahrheit. So ist also die Menschenbrust der ewige Reflex aller Substanzialität und Wahrheit, zu welcher Zeit sie auch in des Menschen Brust gewesen sind. die letzte Bestimmtheit für die Kunst ist also die Erscheinung des Göttlichen am Gemüthe, und das | ist es, wozu sich das romantische in seiner letzten Bestimmtheit hinbildet. Hiemit ist also die Betrachtung des allgemeinen Theils geschloßen; hier hat immer das Verhältniß des Begriffs und der Realität zu Grunde gelegen.

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das symbolische war das Streben nach anpaßender Gestaltung; das claßische die Adaequation des Begriffs und der Realität, und das romantische war das Hinausgehn über diese Einheit, die Entzweiung des Begriffs und der Realität, und das letzte ist der Geist, der seinen Boden im Gemüthe findet. Ende des allgemeinen Theils. |

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Indem aber die Idee als Kunstwerk da seyn soll, so soll sie seyn für die sinnliche Anschauung und Vorstellung. dadurch tritt sie in das Reich der Mannichfaltigkeit, und zugleich in die Sphäre der Vereinzelung. So ist also jede Kunst sinnlich, und an diesem Sinnlichen theilt sie sich, hat verschiedene Formen an den Unterschieden des Sinnlichen. Es wird gezeigt werden, daß dieses Sinnliche auch Beziehung habe mit jenen höhern Formen. Das Kunstwerk soll also verschieden seyn, es soll für die verschiedenen Sinne seyn, und so zerfällt sein Begriff in verschiedene Weisen. Welche diese verschiedenen Weisen sind, oder welches die Sinne sind, wissen wir schon; darum ist uns aber auch nicht zu thun, und dieser Unterschied des Sinnlichen gehört der Naturphilosophie an. Wir haben 3 reale Sinne, den Sinn des Geruchs, Geschmacks, Gefühls, und 2tens, die ideellen Sinne des Gesichts und Gehörs. daß das Kunstwerk nicht für die 3 realen sey, ist bekannt; es ist aber noch nicht in seiner Nothwendigkeit erkannt, wie es in der Philosophie seyn muß. der Sinn des Geschmaks ist der Sinn der sich spezifizirenden Natur, der Sinn des Wassers. der Geruch ist der Sinn der Luftigkeit, das Gesicht der Sinn des Lichts, das Gehör der Sinn des Erzitterns. Zu diesen äußern Sinnen kommt noch der Sinn in der Form der Subjectivität, die unmittelbare Vorstellung, Erinnerung, so daß bei dieser Subjectivität der Inhalt doch noch sinnlich ist. Es kann kurz bemerkt werden, warum das Kunstwerk nicht für die 3 realen Sinne ist. diese Sinne sind nämlich reeller Art, sie sind Sinne der praktischen Subjectiv-Einzelheit. das ding ist, so wie ich, ein Einzelnes, und als solches leistet es mir Widerstand. Wenn es für mich seyn soll, so muß ich diesen Widerstand überwinden. | Wenn ich den Gegenstand riechen oder schmeken soll, so muß er zerstört werden, und es ist der Prozeß des Gegenstands mit der Luft, den ich rieche, etc. der Gegenstand der Kunst soll aber angeschaut werden in seiner Objectivität, nicht in Beziehung bloß auf mich. Seine Gestaltung ist der Ausdruk des Wahrhaften, und diese Gestaltung s o l l s e y n . diese Objectivität ist also nur für den ideellen Sinn des Gesichts und Gehörs. das G e s i c h t ist der Sinn des Lichts; das Licht ist Materie, aber immaterielle Materie. Es ist die physi-

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kalische Materie, aber in ihrer reinen Identität, reinen Abstraction. daher hat das Licht am Finstern seinen Gegensatz, und es existirt nur durch das Finstere; das Finstere, sein Unterschied, ist nicht in ihm, da es ein Abstractes ist, sondern außer ihm. Indem das Licht dies Ideelle ist, so leisten die dinge, die im Licht erscheinen, keinen Widerstand, und daher werden sie nicht zerstört, aufgelöst, wenn der Sinn sie auffassen soll. – der andre ideelle Sinn ist der Sinn des G e h ö r s . Er ist der Gegensatz des Gesichtssinns. denn er ist eigentlich d e r S i n n d e s Ve r s c h w i n d e n s d e s u n m i t t e l b a r e n d a s e y n s . dies ist der 2te Sinn für das Kunstwerk. 3tens ist aber der Ton nicht bloß Ton, sondern auch a r t i k u l i r t e r To n , und dies auf Zeichen übergetragen, der Ausdruk einer Bedeutung. diese Zeichen, die zwar sinnlich anfangen, sind die Mittel, welche auf die Vorstellung wirken. Nach diesen Sinnen unterscheiden sich die Künste in b i l d e n d e K u n s t , und K u n s t f ü r d i e Vo r s t e l l u n g . Ich habe gesagt, daß diese Kunstformen mit der allgemeinen Bestimmtheit der Kunstformen übereinstimmen. die allgemeinen Formen sind die innere Bestimmtheit der Idee, und diese Bestimmtheit ist der Unterschied des Begriffs und der Realität, und dieser Unterschied macht die Seite des daseyns aus. daher kommt diese innere Bestimmtheit auch an der Realität zum Vorschein. – die Rede ist allgemeines Element, das, als solches, fähig ist, alle Kunstformen in sich aufzunehmen und darzustellen. Um den Zusammenhang der allgemeinen Kunstformen mit den besondern | anzugeben, muß erinnert werden an die bildenden Künste. die bildenden Künste sind für das Auge oder Gehör. Für das Auge ist die sinnliche Objectivität da, aber diese geht auseinander, eines vergeht, das andere tritt an dessen Stelle. – die bildende Kunst enthält 3 Arten: 1 das Moment der unorganisirten, nicht individualisirten, subjectiven Natur; 2 . der ideale Gott selbst; 3 . das Subjective, das diesem gegenübersteht, gleichsam der Gemeine zukommt, also die Particularisation, und endlich die Zurücknahme der Subjectivität der ganzen Anschauung in die abstracte Subjectivität. Zuerst also haben wir d i e A r c h i t e c t u r , die bloße Umgebung, das an sich Ungeistige, das bloß im Reflex des Geistigen ist, also bloß äußerlich verbunden. dann haben wir den idealen Gott, als das Werk der S c u l p t u r. die symbolische Kunstform hat die Architectur, die classische Kunstform die Sculptur zu ihrer eigenthümlichen Form, und die Architectur ist nur umgebend in der classischen wie in der romantischen Kunst. – die M a l e r e i ist auch wohl der symbolischen und classischen Kunst eigen, aber ihren wahren Platz hat sie in der romantischen Kunst, in der subjectiven Kunst, wo das Particuläre hervortritt, und wo die Verehrung des gemalten Bildes selbst herrscht. Eben so ist auch die M u s i k in der romantischen Kunst ein Unabhängigeres, Elementarisches, da hingegen sie bei den andern Kunstfor-

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men nur abhängig, dienend ist; ja bei den Egyptern soll es gar keine Musik gegeben haben; Herodot führt nur e i n e n elenden, lamentabeln Gesang bei ihnen an. Es kann bemerkt werden, daß diese angegebnen Kunstarten die wesentlichen, vollkommenen sind; andere giebt es noch, die Nebenkünste sind, theils Anhängsel und partielle Seiten eines Ganzen, theils auch gemischte Arten. Wir haben nur das für eine wahre Gestaltung zu halten, was dem Begriffe entspricht. Man sagt zwar, die Natur und das Genie in ihren lebendigen Productionen stehen höher, als diese Begriffsbestimmungen, und lassen sich dadurch nicht binden. dies ist das, was | von jeher gegen die Regeln der Kunst eingewandt worden ist. Man muß aber diese Bestimmungen der Kunst unterscheiden von den Begriffsbestimmungen und Regeln des kalten Verstandes. diese Regeln des kalten Verstands sind freilich zu verwerfen, und können nicht dem Genie behagen. Aber wenn das Genie die nothwendigen Bestimmungen überspringt, so kann es zwar keinen großen Fehler im Einzelnen geben, aber das Ganze ist doch nicht vollendet. So z. B. ist Basrelief nicht ein vollkommnes Werk der Skulptur; aber man verwirft es nicht, sondern braucht es als Schmuck, oder überhaupt als eine untergeordnete Form der Kunst. Ein andres wäre es aber, wenn man Bildsäulen anmalen wollte. Solche bestimmten Arten der Kunst sind nun vollkommene Arten einerseits; aber andrerseits sind sie selbst noch werdende Arten, sie haben einen Anfang, Fortschreiten und Vollenden, und eben so ein Ende. denn sie sind ja Produkte des Geistes, und der Geist muß durchaus von einem Anfange, einem Unvollendeten anfangen, und erst daraus bringt er das hervor, was er will. diese verschiedenen Stufen werden mit dem Namen der S t y l e bezeichnet, und man unterscheidet den s t r e n g e n , i d e a l e n und a n g e n e h m e n S t y l . Alle Kunstformen müssen zugleich eine feste, bestimmte Periode haben, einen Styl. Ferner ist die gemeine Vorstellung, daß jede Kunstform mit dem Natürlichen, Lebendigen, Einfachen angefangen habe. die Schönheit aber, als Geisteswerk, bedarf einer sehr ausgebildeten Technik, und diese ist das Resultat einer Menge von Versuchen, Reflexionen und Werke; also kann man nicht sagen, daß das natürlich Einfache, Rohe, der Anfang der Kunst gewesen sey, sondern die schöne erste Einfachheit muß durch solche Versuche und Vermittelungen erst hervorgegangen seyn. der gebildete Mensch erscheint ganz einfach, ungezwungen, aber diese Einfachheit ist das Resultat der Bildung, ist nicht unmittelbare Einfachheit. die Anfänge marquiren sich besonders in der Sculptur und Malerei. die Anfänge sind sehr dürftig, und gewöhnlich beschäftigen sie sich mit der darstellung | des Religiösen, oder mit darstellung abstracter Vorstellungen, die dann, da sie selbst nicht bestimmt, entwickelt sind, auch in ihrer darstellung, in der Umgebung,

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z. B. Gewändern, Falten, Geräthen etc. sehr steif und roh sind; die Stellungen der Figuren, dieser Ausdruck der Lebendigkeit, sind auch steif, ruhend, mit gerade heruntergehenden Armen und Füßen, ganz parallel, das Nackte in den Gemälden höchst trocken. Bei vielen Bildern der alt-deutschen, auch alt-italienischen Schule sieht man schon eine gewiße Vollendung, besonders in den Gesichtern, in denen sich immer Züge der Frömmigkeit finden; aber die andern Glieder sind mehr Gerippe, als menschliche Glieder. der wahre Styl fängt eigentlich mit der romantischen Kunst an. Was der Styl eigentlich sey, ist schwer zu sagen. die Franzosen sagen: le style, c’est l’homme même, d. h. in dem Style offenbart sich die Eigenthümlichkeit des Menschen, seine Individualität. der Inhalt muß immer anpassend der Sache selbst seyn; der Styl aber betrifft mehr die Thätigkeit, wodurch das Werk heraustritt in die Erscheinung, für andere da ist. An dieser Seite ist es eben, wo die Particularisation des Subjects erscheinen kann und muß, wo das Subject zeigen kann, daß es vom substanziellen Inhalt frei gelassen ist. Der s t r e n g e S t y l ist die höhere Abstraction des Schönen; es tritt aber da das Schöne als ein Gewichtiges, Großes auf, es ist ihm nicht um die Nebensachen zu thun, sondern die Sache selbst soll hervortreten; daher fehlt ihm die L i e b l i c h k e i t . In Ansehung dessen, was das äußerliche daseyn betrifft, so kann sich der strenge Styl sehr an die Nachahmung der Natur halten; denn ihm ist es nur darum zu thun, daß die Sache hervortrete, er will nur d a s darstellen, was i s t . dies Seyende ist nicht Sache der Reflexion des Künstlers geworden, sondern es ist ihm gegeben, er hält sich bloß an die Nachahmung der Natur, es ist gleichsam noch nicht die eigene Erfindung, | Freiheit des Künstlers, die sich darin zu erkennen giebt, wie z. B. das alte Poema, der Cid, wo alles sehr einfach und natürlich hergeht, die Zweke sind einfach, Ehre, Liebe, etc. – der 2te Styl ist der i d e a l i s c h e oder w a h r h a f t s c h ö n e S t y l . Sein Charakter kann als d i e L e b e n d i g k e i t ausgedrückt werden. Es ist schon bemerkt, daß bei der Skulptur jeder Punkt, jeder Muskel etc. seine Bedeutsamkeit hat; eben so müssen alle Theile bei dem Kunstwerk überhaupt Lebendigkeit haben, und zu der Wahrheit des Ganzen beitragen. diese Lebendigkeit kommt den Aeginetischen Bildsäulen zu, die als Arbeiten des Phidias ausgegeben werden. Die berühmtesten Künstler, unter andern Canova, halten sie für die schönsten Werke des Alterthums. Ihr höchstes Lob macht aber die Lebendigkeit aus, daß jeder Punkt belebt, beseeligt ist. Besonders gelobt wird ein Flußgott Ilissus, der halb liegt, und aufstehen will. diese Lebendigkeit sehen wir auch bei Homer; bei seinen Erzählungen ist die Sache ungemein vergegenwärtigt durch eine Menge kleiner Züge, nichts ist in der Abstraction gelassen. – Mit dieser Lebendigkeit ist nothwendig der Charakter der A n m u t h , G r a z i e verbunden. die Grazie,

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(Charis) ist eben ein Herauswenden zu dem Zuschauer, wie auch die Etymologie sagt. Aber sie muß nicht seyn Sucht zu gefallen. Sie liegt genauer darin, daß die Sache, das Substanzielle, eine allgemeine Vorstellung, z. B. Schlacht, Krieg etc. seyn kann; diese Sache soll nun heraustreten in die Erscheinung, soll für andere da seyn, und dies geschieht, indem sie aus der einfachen Abstraction hinausgeht, und in die Vereinzelung, Vermannichfaltigung tritt. Aber dies Erscheinen für Andere ist noch nicht Grazie, sondern dies Erscheinen muß in sich gehalten seyn, so daß alle diese Vereinzelung gehalten ist unter dem Allgemeinen, unter der Idee, und der | Gehalt des Ganzen muß als gleichgültig gegen dies Erscheinen scheinen. diese Gleichgültigkeit macht eben die N a c h l ä ß i g k e i t d e s G r a z i ö s e n aus. In diese äußere Form muß keine Absicht, kein Zweck des Scheinens gelegt seyn; dadurch entsteht die Heiterkeit des Graziösen, die jeden anzieht. der 3te Styl ist der a n g e n e h m e , der g e f ä l l i g e S t y l , wozu überhaupt der Styl gehört, der Effect machen will. In diesen geht der ideale Styl über, wenn das Erscheinen ihm zum Zwecke selbst wird, wenn die Sache nicht mehr Zweck ist. So gehört der Belvederische Apollo schon zu dem Uebergange zu diesem angenehmen Style; das Reitzende, das Gefällige, und zugleich der Stolz und die Hoheit zeigen schon eine Intention, die nicht mehr dem idealen Style angehört. Als Beispiele dieses Styls können dienen die lateinischen Dichter, besonders Horaz. da finden wir immer eine Intention in dem Suchen nach schönen Beiworten; auch die Wahl des Inhalts zeigt eine Intention, die meist auf den gefälligen Styl geht. Hier sieht man schon, daß das Werk ein Gemachtes ist, und es tritt da die Buntheit, Koketterie ein, nach allen Seiten was Schönes zu zeigen, zu gefallen. dies zeigt sich auch bei der Malerei und Baukunst in den vielen Schnörkeln, Verzierungen, und kunstreichem Faltenwurf. Bei dem Gothischen findet sich dasselbe; aber wenn das Gothische schön seyn soll, so müssen diese Verzierungen nicht den Eindruk des Ganzen vernichten. – der Effect kann aber auch hervorgebracht werden durch das Ungewöhnliche, Ungeheure und Colossale, wie wir es in den Werken des Michael Angelo sehen. – Bei diesem Heraustreten ins Gefällige giebt sich besonders der Künstler zu erkennen. der Zuschauer befindet sich oft sehr gut dabei; denn er wird von der Sache frei gelassen, und befindet sich bei dem Künstler; er sieht, wie listig und pfiffig der Künstler dies und jenes angegriffen hat, und er findet sich geschmeichelt, daß er so scharfsinnig ist, dis zu merken, und daß er so offenbar zur Kunstrichterei eingeladen wird. | Im strengen Style ist dem Zuschauer oder Zuhörer nichts eingeräumt, die Sache selbst nur giebt sich da, wie wir bei den Alten, beim Aeschylos, Sophocles etc. sehen. Oft giebt es aber auch so einen gemachten strengen Styl, und der Künstler setzt darin zuweilen eine Affectation, z. B. bei den Werken Friedrich’s aus Dresden.

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die Franzosen sind sehr dafür, das Werk so zum Erscheinen zu bringen, sie wollen viel für Zuschauer und Zuhörer thun. Ueberhaupt beruht auf dieser Zweiseitigkeit der Beifall, den man dem Werke zollt, und in diese Seite fällt besonders der angenehme Styl. Jetzt wollen wir an die Betrachtung der besondern Künste gehn.

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Diese sind A r c h i t e c t u r , S c u l p t u r und M a l e r e i ; Musik macht den Uebergang zu der Dichtkunst. Jede dieser Künste macht für sich ein weitläuftiges Feld der Erkenntniß aus, wozu selbst viele empirische Erfahrungen gehören. In der neuern Zeit ist die Kunstkennerei sehr Mode geworden; einerseits ist’s ein angenehmer Zeitvertreib, so manches zu besehen, zu wissen, was andre darüber gedacht haben, und seine geschichtlichen Kenntniße darüber auszukramen. Uns auf diese Kunstkenntniße hier einzulassen, ist nicht unser Zweck, sondern wir haben uns nur an die wesentlichen Gesichtspunkte und ihre Beziehungen auf die allgemeine Idee zu halten.

I. Die Baukunst.

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Ich habe schon bemerkt, daß sie der symbolischen Kunst entspricht, und daß sie beide e i n Prinzip haben. Wir fangen mit ihr an; denn die Baukunst nimmt ein Material auf, ordnet und bildet es; es ist gleichsam die unorganische Natur, die in die Kunst hineingestellt wird; es ist gleichsam etwas Symbolisches, daß ein unmittelbar Vorhandnes aufgenommen, und ihm nur eine äußere Form gegeben wird. – | Die Baukunst muß aus 2 Gesichtspunkten betrachtet werden, und diese Unterscheidung ist sehr wichtig. Einmal muß die Architectur angesehen werden, als habe sie die Bestimmung eines selbstständigen Kunstwerks, und dann gehört sie ganz dem Symbolischen an. das 2te ist, daß die Werke der Architectur nur eine Beziehung haben auf einen Mittelpunkt, auf die Gottheit, oder auf den Menschen, dessen Zwecken sie dienen. So können wir unterscheiden: 1. d i e s y m b o l i s c h e , 2 . d i e e i g e n t l i c h s c h ö n e oder c l a s s i s c h e , 3 . d i e g o t h i s c h e , und 4 . d i e C i v i l - B a u k u n s t . diese letztere ist von dem Begriffe der Schönheit am meisten entfernt, da die Schönheit der Bequemlichkeit, dem Nutzen, und andern Zweken unterworfen ist; daher ist sie ganz wegzulassen.

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1. : D i e s y m b o l i s c h e A r c h i t e c t u r. Die symbolische oder selbstständige Architectur hat den letzten Zweck der Kunst an sich selbst; und deshalb ist sie symbolische Kunst, sie ist nicht durchdrungen von dem Geistigen, sie ist noch etwas Unorganisches. In dieser ersten Darstellung ist so Skulptur und Architectur eigentlich nicht von einander getrennt. die Architectur kann sich aber nicht lange in dieser Unmittelbarkeit halten, sondern sie muß zurücktreten zu einem Gehäuse des geistigen Werks der Skulptur. In der symbolischen Architectur ist also der ganze Zwek noch in ihr; in der classischen scheidet sich beides auseinander. In der gothischen geschieht gewißermaaßen wieder die Vereinigung. Die Säulen und Bogen scheinen so selbstständig hinaufzustreben, und den Zweck in sich zu haben. Zunächst ist zu bemerken, daß das erste Bedürfniß der Kunst, der erste Gedanke, Vorstellung, nicht in der Unmittelbarkeit, wie in der Natur, vorhanden ist, sondern schon ein Gedachtes, ein Werk des Menschen ist, und somit schon eine Allgemeinheit erhält. Wenn von dem Anfange der Baukunst hier die Rede ist, so kann man | hier nicht sprechen von den ersten Werken der Nothdurft, sondern es muß ein Menschenwerk, seiner selbst halben da seyn, es muß einen Inhalt haben. der erste Inhalt ist nun immer ein Naturinhalt, z. B. die Sonne, die Naturkraft etc. die Darstellung solcher Gegenstände muß nun durchaus symbolisch seyn, und daß sie zugleich nur orientalisch seyn kann, geht aus dem vorher Gesagten hervor. die Constructionen dieser Art sind gewöhnlich in Asien, Egypten hervorgegangen, und setzen uns in Erstaunen wegen des Phantastischen und Colossalen. Man sieht ihnen an, daß es Werke von Nationen sind. Eine der ersten Constructionen nach der Geschichte ist d e r T h u r m z u B a b e l . Er wird uns angegeben als ein versuchter Vereinigungspunkt, und dies ist ein nothwendiges Moment; denn da sollen die Menschen ihre gemeinschaftlichen Vorstellungen vereinigen. Es wird erzählt, daß er als Vereinigungspunkt in der Ebene von Sennaar dienen sollte, nicht als Festung oder dergleichen. Was es für eine nähere Bewandtniß damit gehabt, ist unbestimmt. – Herodot giebt merkwürdige Nachrichten von dem Tempel des Bel zu Babel. dieser Tempel sey mehr ein Tempelbezirk gewesen, von einem Viereck umschlossen, dessen jede Seite 2 Stadien betrug, mit ehernen Thoren; mitten darin ein Thurm, darauf wieder ein Thurm, und so fort bis 8 Thürmen. der oberste war ein Tempel. Herodot sagt, daß kein Bild in dem Tempel gewesen sey. Hier sehen wir also eine ungeheure selbstständige Construction. In Indien kommen solche selbstständige, als das Göttliche selbst verehrte Constructionen noch mehr vor. Es ist schon erwähnt, daß die allgemeine Lebenskraft, nicht das höhere Geistige, bei den Indiern als Absolutes verehrt wurde; und zwar wurde sie in einem allgemeinen Dienste verehrt. Es sind in Indien

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nun ungeheure massive Thürme und Säulen errichtet und göttlich verehrt worden. Erst später machte man | Höhlungen, und setzte ein Götterbild hinein. (dabei können wir uns an die griechischen Hermen erinnern, die solche portativen Göttergehäuse waren.) die Hauptconstructionen waren bei den Indiern die P a g o d e n . Sie gehen gar nicht von der Form eines Hauses oder Tempels aus, sondern sind hoch und schmal, und haben wahrscheinlich in jenem Säulenwesen ihren Ursprung. Bei dem Tempel des Bel, bemerkt Herodot, habe sich in derselben Umschließung ein anderer Tempel befunden, mit einem goldnen Bilde des Gottes. So war es also nur ein Tempelbezirk. dies war auch der Fall bei den Indiern; auch da waren nur Tempelbezirke, und innerhalb standen die ungeheuren Elephanten, Altäre, etc. Hier ist also die Umschließung eigentlich nicht architectonisch, die Gegenstände ihrer Verehrung nähern sich der Sculptur, aber durch ihr Massenhaftes, Unförmliches sind sie gleichsam Bild und Tempel zugleich, wie z. B. die Memnonen. – Besonders aber gehören hierher die O b e l i s k e n , die ganz mit Hieroglyphen bedekt waren, wie auch die P y r a m i d e n , die auch weder Tempel noch Bildsäulen sind. Sie haben freilich den Zweck, als Begräbniß der Könige und des Apis zu dienen; dazu bedurfte es aber nicht solcher colossalen Bauwerke, sondern sie waren nur erbaut zur Bewunderung und Verehrung des Menschengeschlechts. In vielen von ihnen findet man 7 Kammern, die wohl Beziehung auf die 7 Planeten hatten; und die auch an die 7 Grundlagen des Tempels des Bel erinnern. der Hauptcharacter dieser großen Constructionen ist, daß sie eben ganz offene Constructionen sind. Es sind da Thore, Gänge, ganze Wälder von Säulen, aber alles in colossaler Größe. die Thore sind unten breiter, werden von Pilonen gebildet, und sind 10 mal höher, als Menschenlänge. die Pilonen sind unten auch breiter als oben; überhaupt zeigt sich diese Form bei allen Bauten der Egypter. diese pyramidalische Form giebt uns die Andeutung, daß sie auch für sich bestehen sollen, daß sie nicht durch Querbalken, andere Mauern gestützt werden sollen, sie sollen was selbstständiges seyn. Solches Thor ist nicht der Eingang zu einem Tempel, sondern man tritt in einen ungeheuern offenen | Platz, wo Reihen von Sphynxen und Memnonen stehen, zu 100 auf jeder Seite, und 2–3 Mann hoch. Hinten findet sich dann entweder ein Bild von Stein, oder Colonnaden, und dis ändert sich öfters, Obelisken mit Hieroglyphen bedeckt, große Wände mit Hieroglyphen, auch Kammern, zum Theil bedeckt, zum Theil unbedeckt, aber alle ohne einen besondern Platz für ein Bild. diesen Constructionen sieht man es an, daß sie von mehreren Königen erbaut sind. Allenthalben sind nähere symbolische Bedeutungen eingemischt, besonders ist in der Zahl viel Symbolisches, z. B. in der Zahl der Stufen, Sphynxe, Memnonen etc. Unter diesen Constructionen giebt es die bekannten L a b y r i n t h e , die auch symbolische Bedeutungen hatten,

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nicht bloß den Zweck, in die Irre zu führen, sondern sie bedeuteten den Lauf der Himmelskörper. – Bei diesen Architecturen verschwindet also ganz die Vorstellung eines Hauses; sie sind Zweck für sich, das Bauen derselben ist das Werk der Verehrung eines ganzen Volks. Aus dem Geiste der Egypter sieht man überhaupt, daß ihr Hauptstreben ein quasi Instinct zu bauen war, wie bei den Bienen. Herodot erzählt: die Egypter seyen unzufrieden gewesen, daß Sesostris das Land ganz mit Canälen durchschnitt, weil ihre Pferde ihnen ganz unbrauchbar wurden, und ihr Handel danieder lag. Es scheint also, daß ihnen die Vorstellung von der Nothwendigkeit einer Communication mit andern Völkern nicht vorgeschwebt habe. So mußten sie also sich mit Bauen innerhalb ihres Landes begnügen. Ihre u n t e r i r r d i s c h e n Constructionen sind aber noch merkwürdiger. Hierin liegt schon der Begriff eines unsichtbaren, unterirrdischen Reichs. diese unterirrdische Architectur ist besonders den symbolischen Völkern, Indiern und Egyptern, eigen. Bei jedem Eingraben in die Erde kann man an das Bedürfniß denken, den Menschen Schutz, wenn auch nur augenblicklichen, zu gewähren. Ganz anders aber, als eine solche Sache der Noth ist das unterirrdische Bauwesen bei den Indern und Egyptern. der nächste sich damit verbindende Begriff ist Auf bewahrung der Todten. | Aber dies ist nicht die einzige, letzte Bestimmung, sondern es giebt da auch Constructionen, wie die über der Erde, als eine Art von Cultus mit symbolischen Andeutungen. diese Excavationen sind vielleicht mehr ursprünglich, als die über der Erde, so daß diese eine Nachahmung seyn können von jenen. der Mensch, wenn er noch nicht zu sich selbst gekommen ist, wenn er sich nicht zur Objectivität, zur Selbstanschauung gebracht hat, ist so ein instinctmäßiges Wesen, das in seinen Werken sich nicht anschaut. dazu kommt noch, daß die Steine meist schon fertig in der Erde sind, der Mensch braucht sie bloß zu erheben, um sie von Menschen anschauen zu lassen, er braucht bloß äußerlich daran zu arbeiten. Solche ungeheuren Werke unterirrdischer Art findet man noch jetzt, es sind ungeheure Gewölbe mit Säulen, Basreliefs etc, die alle in dem Felsen selbst ausgehauen sind. diese sind zum Theil ganz dunkel, zum Theil an der Vorderseite der Felsen, oder oben, offen. Vornehmlich sind sie in Egypten und Indien zu Hause gewesen. Auf der Insel Salsette, gegenüber Bombay, sind solche ungeheuren Werke, die neuerdings durch Niebuhr ans Licht gebracht worden sind. Auch in Creta sind solche. Selbst die römischen Catacomben hatten nicht bloß den Zweck der Cloaken, sondern hatten wahrscheinlich früher eine andre Bestimmung. doch diese Aushölungen haben nichts gemein mit den alten symbolischen. Auch die Mitrashöhlen waren solche symbolischen, und man hielt darin den Mitrasdienst. Hier wurden die Planeten und andres Verehrungswürdige vorgestellt. Hier waren auch Labyrinthe, sie bezeichneten aber die Wege

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der Seelenreinigung, nicht, wie bei den Egyptern, die Wege der Planeten. – Mit diesen Höhlen hat sich auch die Idee eines Todtenreichs, eines Reichs des Unsichtbaren, verknüpft. Bei den Indiern scheinen sie aber nicht diese Beziehung auf den Hades gehabt zu haben. Ueberhaupt kommt bei den Indiern nicht dieser bestimmte Unterschied zwischen dem Lebendigen und Todten (als Negation) vor. Mit diesen unterirrdischen Höhlen fängt an die Trennung des Körperreichs, des unmittelbar Natürlichen, vom Geistigen. Die Auf|bewahrung der Todten wird also wichtiges Moment in Hinsicht des Fixirens der geistigen Individualität. Bei diesem Auf bewahren wird der Geist, diese geistige Individualität, als ein Einzelnes betrachtet, und in dem Einzelnen, wenn auch nur körperlichen, aufbewahrt, dahingegen früher jede Einzelheit auf hörte, eine solche zu seyn, weil sie in dem allgemeinen, alles umfassenden Absoluten, untergieng. Nach Herodot, wie oben gesagt, waren auch die Egypter die ersten, die von der Unsterblichkeit der Seele Vorstellungen, aber nur unvollkommne hatten. – Mit diesem Fixiren des Geistigen geschieht die Abtrennung der geistigen Gestaltung von dem unmittelbar Natürlichen, und so tritt jetzt die Skulptur der Architectur gegenüber. In der Rücksicht, daß der Geist als abgeschiedner für sich fixirt wird, treten auch hier die G r a b m ä l e r ein, die nicht mehr den Zwek in sich selbst haben, sondern nur als Schaalen des inliegenden Kerns dienen. Sie gehören noch der Architectur an, oft aber verbindet sich schon Skulptur damit. die Grabmäler sind auch bei den wilden Völkern die ersten Werke der Architectur, die nicht den Zweck des Bedürfnißes in sich tragen, z. B. die Hünengräber. durch das Abscheiden sind die Vorfahren als Götter verehrt, und so ist es natürlich, daß auch ihre Gräber wie Tempel verehrt wurden. Ein herrlicher Zug ist die Antwort des Scythen-Königs an Darius: »Er solle die Gräber ihrer Väter angreifen; dann werde er sehen, ob die Scythen Muth hätten.« Zu diesem Uebergange gehören auch die D e n k m ä l e r ; also Werke der Architectur, die zur Erinnerung dienen sollen; d. h. sie haben ihren Zweck, Bedeutung auch nicht in sich, und oft wird diese durch Inschriften angebracht. diese doppelte Bauart findet sich vornehmlich auch bei den Egyptern; denn da sind die Bauwerke entweder symbolisch, oder die Bedeutung ist durch solche Inschriften, Hieroglyphen gegeben. Indem diese Trennung nun hereintritt, so tritt die Baukunst als frei und selbstständig hervor, und der Skulptur gegenüber. Hier fängt schon die eigentlich schöne Baukunst | an. diese ist nicht mehr verschmolzen mit dem Natürlichen, mit dem Felsen, sondern ihre Werke sind sol-

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che, die von Menschen willkührlich hingestellt werden, und nicht selbst Zwek sind, sondern ihren Hauptzwek außer sich haben, eine Umschließung sind. Zugleich sind ihre wesentlichen Bestimmungen die gerade Linie und der rechte Winkel. Bei den Obelisken und Pyramiden treten auch schon die grade Linie und der rechte Winkel ein; aber es finden sich da noch andere Formen, und ihre ganze Form deutet darauf hin, daß sie für sich da stehen sollen, ohne eine fremde Stütze, ohne Beziehung auf ein Andres. Erst in der S ä u l e tritt die Bestimmung deutlich hervor, und diese ist: zu tragen. die eigentlichen Architecturen der Egypter tragen denselben grandiosen Charakter an sich, als ihre symbolischen Contructionen; aber wir sehen an ihnen immer noch ihren Ursprung aus der symbolischen Form. – So werden auch oft nicht bloß Säulen, sondern auch andere Gestalten, selbst menschliche, zum Tragen gebraucht. Die nächste Naturbildung zum Tragen ist der Baum. die Kunst verlangt eine Gestalt, und diese nimmt sie zuerst aus der Natur, ehe sie zu Abstractionen ihrer Intention gekommen ist. So sehen wir im Anfange der egyptischen Architectur Pflanzengebilde sich zu Säulen erheben, und in diesen eine große Mannichfaltigkeit, Verschiedenheit, die sich noch nicht zur Reinheit der cristallinischen griechischen Form erhoben haben. Manche Säulen haben unten die Form der Zwiebel, sie theilt sich oben in Zweige etc. Es ist aber nicht die treue Nachahmung der Pflanze, sondern sie ist schon verzogen und zu sehr regulirt. – Eben in diesen Uebergang fällt die A r a b e s k e . Die Säulen bei den egyptischen Kunstwerken zeigen solche Mannichfaltigkeit in ihrer Construction, wie wir sie in den griechischen nie finden. diese Säulen haben ganz was Arabeskartiges. die Arabeske fällt nämlich, wie gesagt, in diesen Uebergang von der symbolischen Baukunst zur strengen verständigen Baukunst; ist diese Stufe erreicht, so tritt die Arabeske | zur Zierde, zum bloßen Schmuck herab. Arabesken sind verzogene Pflanzengebilde, besonders aus Thier- oder Menschengestalten, die aus Pflanzenbildern hervorquellen; so sind es also theils Symbole, theils auch bloße Spiele der Phantasie. Solche Arabesken, die bloß Zierrath sind, werden zu Einfaßungen etc. gebraucht; die Hauptsache ist aber, daß sie nicht bloß Nachahmungen der Naturgebilde sind, sondern sie müssen schon in die verständigre cristallinische Form übergehen; denn dies zeigt, daß sie dem architectonischen Zwecke angehören, und man thut Unrecht, dis zu tadeln. So z. B. ist die Rosette eigentlich eine Rose, die aber zur verständigen architectonischen Form übergegangen ist. Wenn die Baukunst ihre freie Bestimmung für sich erreicht, nicht mehr selbstständig ist, sondern einem Zwecke gehorcht, einen andern Inhalt hat, so ist sie ganz gereinigt von dem Symbolischen, und hat ihre strenge Zweckmäßigkeit. Dies ist:

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2. Die cla ssische Baukunst. Zuerst tritt hier sogleich der Begriff des Hauses ein. Man muß nur nicht, wie gewöhnlich geschieht, annehmen, daß das erste Haus, der typus von Holz gewesen sey; es ist gleichgültig, ob es von Holz oder Steinen gewesen. Zugleich braucht es auch nicht ein ganzes Haus gewesen zu seyn, sondern man kann bei einer bloßen Umschließung auf ebener Erde stehen bleiben; ja viele griechische Tempel sind oben offen gewesen, z. B. der Tempel der Diana zu Ephesus, der des Jupiter zu Olympia. Jemehr Zwecke hinzutreten, desto mehr Bestimmungen auch, desto complizirter ist es. die erste Frage bei Erbauung eines Hauses ist: zu welchem Zweck und Bestimmung soll es dienen? daß alle diese Zweke erreicht werden, und doch alles zu einer Einheit zusammenstimme, dis zeugt von der Einsicht und dem großen Sinne des Baumeisters. Bei den Griechen waren die Hauptgegenstände der Baukunst die öffentlichen Gebäude; | erst bei den Römern trat die Pracht bei den Wohnhäusern ein. Die erste Grundlage der classischen Bauwerke war also der Begriff des Hauses. dies bestand anfangs nur aus Mauern, die durch Balken, Bretter etc, verbunden waren. dies war ein einfaches gefälliges Ganze. Das Ganze muß aber zur Einheit zusammenstimmen, d. h. zur mechanischen, äußern Einheit, zur Regelmäßigkeit, wobei auch gefällige Verhältniße seyn müßen; welches aber diese gefälligen Verhältniße sind, läßt sich nicht so mit Regeln geben. Anfänger ziehen das Quadrat vor, weil hier die größte Regelmäßigkeit, Wiederholung des Einen, statt findet; das Rechtek ist aber schon vollkommner; wie aber die Verhältniße der ungleichen Seiten gegen einander seyn müßen, ist wieder unbestimmt, so wie die Höhe und Breite, nebst dicke der Säulen etc. Dies alles hat einen geheimen Rythmus, den die Alten am besten getroffen haben. die Hauptmomente der griechischen Baukunst lassen sich leicht auffassen. das Eine ist, daß es eine Umschließung sey, und das 2te ein Haus. die Umschließung ist von Wänden gebildet, 4eckig oder ein Rechteck; hier ist Regelmäßigkeit, verbunden mit Ungleichheit. – Außer der Umschließung ist noch das D a c h ; dies muß getragen werden, es braucht aber nicht immer von den umschließenden Wänden zu geschehen, da diese schon ihre Bestimmung für sich haben. Tragen sie auch das dach, so haben sie schon eine gemischte, doppelte Bestimmung. Zum Tragen des Dachs gehört aber wieder nicht eine Mauer, sondern bloß S ä u l e n ; dis ist die ursprüngliche Bestimmung der Säulen. diese können aus Balken und aus Steinen bestehen, obgleich man sagen könnte, es sey einfacher, schon da liegende Steine zusammen zu tragen, als Bäume zu fällen und zu behauen. So entstehen also S ä u l e n r e i h e n und S ä u l e n g ä n g e , b e d e k t e G ä n g e , wo bloß der Zweck der Bedeckung ist, nicht der Umschließung. deshalb ist es auch zweckwidrig, wenn die Säule in die Mauer eingemauert ist.

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die Säule hat eine B a s i s , ein C a p i t a l , und einen S c h a f f t . zur Schönheit der Säule kommt es viel auf das Verhältniß der Höhe und Dicke derselben, und zu dem Gebäude, an. Gewöhnlich betrug die Höhe den 3ten Theil der Breite des Gebäudes, und die Höhe der Säule 12 mal die Dicke. Gewöhnlich | ist die Säule ein wenig gewölbt, als Anspielung auf ihren vegetabilischen Ursprung. die Basis und das Capital haben aber nicht die Bestimmung, ihren Ursprung aus dem Vegetabilischen zu zeigen; sondern sie sollen zeigen, daß die Säule einen Anfang und Ende habe, nicht ein bloßer Stecken ist, daß Anfang und Ende nicht bloß d a ist, sondern auch ausgedrückt ist, daß sie nicht willkührlich in der Erde steckt, oder wohl gar noch unter der Erde fortgeht, sondern daß sie da ein Ende haben solle. Es giebt nun verschiedene Ordnungen: die To s k a n i s c h e , oder Alt-Griechische ist die ganz einfache. die d o r i s c h e ist mit Leisten, Capital und Basis die einfachste. die I o n i s c h e hat schon Schneken am Capital. die C o r y n t h i s c h e zeichnet sich durch ihre Blätter aus. die R ö m i s c h e ist eine Verbindung der Ionischen und Corynthischen. – das G e b ä l k e theilt sich in 3 Haupttheile: 1. der Unterbalken oder A r c h i t r a v, der unmittelbar auf den Säulen ruht. 2 . d i e Q u e r b a l k e n , wovon die Köpfe nur auf dem Architrav aufliegen, so daß die Enden hervorschauen. In der dorischen Ordnung sind diese Balkenköpfe ausgezeichnet durch Tr i g l y p h e n , d. h. prismatische Vertiefungen; die leeren Räume zwischen den Enden hießen M e t o p e n , und waren mit verschiedenen Verzierungen ausgefüllt. 3 . Ueber allem diesem ist der K r a n z oder das oberste Gesimse (corniche). diese 3 haben nun verschiedene Verhältniße, gewöhnlich sind sie gleich groß. der Kranz tritt gewöhnlich hervor, und zeichnet sich so als das Beschließende aus. Wenn das allgemeine Verhältniß so ist, daß die Höhe der Säule der Breite des Tempels ausmacht, so scheint es uns niedrig; dies ist aber ein schönes Verhältniß; denn dadurch wird das Emporstreben gehindert; der Blick soll auf der Erde bleiben, und die unmittelbare Gegenwart soll damit ausgedrükt werden, was auch geschieht. (Im Gothischen geht es ganz unangemessen in die Höhe.) die Zahl der Säulen, die in die Fronten gestellt werden, ist auch angemessen, 4–6 Säulen von nicht großer Höhe sind bei den Alten gewöhnlich. Auf der Seite waren gewöhnlich 12; waren 8 vorne, so waren auf der Seite 18; aber die hintersten und vordersten von den Endsäulen mitgerechnet. So bildeten sich Säulengänge, oft mit doppelten | Reihen von Säulen, die dann oben offen waren. In diesen Gängen war kein Mittelpunkt, kein Einheitspunkt, wodurch die wandelnde Menge nicht zur Aufmerksamkeit gebracht, und in ihrem freien, mäßigen Wandeln nicht gestört wurde, was bei den Griechen besonders beliebt war. 24 Beschließende] Beschleißende

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Ein Haupterforderniß ist auch die E u r y t h m i e , d. h. die Zusammenstimmung zu einer Einheit, so daß kein Störendes dazwischen tritt; dies haben die Griechen bis aufs kleinste beobachtet, und darauf beziehen sich selbst die Säulenordnungen. Die To s k a n i s c h e O r d n u n g ist alt-griechisch, und sehr einfach; ihr am nächsten tritt: die d o r i s c h e O r d n u n g . In dieser herrscht noch Einfachheit und Ernst, und deshalb müssen auch die Säulen mit ihren Capitälern ganz einfach seyn, und besonders auf die Festigkeit berechnet. deshalb ist sie die niedrigste; denn die Höhe hat 6 untere Durchmesser, früher sogar nur 4, welches freilich sehr schwerfällig ausfiel. Zu den Verzierungen dieser Bauordnung gehören die Triglyphen. die dorischen Säulen waren theils glatt, theils cannelirt, und die Regel darüber war sehr bestimmt, und für das Aussehen berechnet. Sie hatten gewöhnlich 20 Streifen. diese geringe Anzahl diente dazu, um das Ansehen des Festen zu erhalten. durch zu viele Streifen leidet das Grandiose; denn durch diese Unterschiede erscheint die Säule viel dünner. Vornehmlich waren nur die hellen Säulen, die weißen, gelben, oder grauen cannellirt; die dunkeln nicht, weil dies wenig geholfen hätte, da der dunkle Grund den Schatten nicht recht sichtbar macht. Ein andrer wichtiger Umstand war bei den Alten der Raum zwischen den Säulen. Bei der dorischen Ordnung, die die Festigkeit ausdrückt, betrug der Zwischenraum wenig mehr, als der durchmesser der Säule. die Säule hat nur eine ganz einfache Grundlage, eine 4 eckige Platte, oder sie stand ganz ohne eine solche auf dem Boden. Auch die Metapen hatten die Form des Quadrats. Die I o n i s c h e O r d n u n g . Bei dieser ist schon mehr gefälliges Aussehen: daher ist ihre Höhe 8-10 Durchmesser. die Zwischenräume sind größer, | oft 2–3 durchmesser. die Höhe der Säule richtete sich auch oft nach der Größe der Zwischenräume. dies ist auch sehr wichtig, weil dem Auge bei größern Zwischenräumen die Säule schlanker erscheint, bei geringern dicker. Sie wurde auch cannelirt, aber zahlreicher, als bei der dorischen. Auch sind im Gebälke mehr Zierrathen; die Triglyphen fehlen, als Ueberreste der alten Bauart. die C o r y n t h i s c h e O r d n u n g . diese war die prachtvollste, die schlankeste. die Höhe beträgt 8-9 durchmesser. das Capital höher und größer, als bei beiden frühern. die Ueberladung an Zierrathen, das Winden der Säule, das Umschlingen mit Blumengewinden, ist ein Späteres; bei den Alten herrschte Einfachheit, damit der Eindruk des Ganzen nicht gestört würde. das Große soll groß erscheinen; wenn eine große Fläche ganz einfach ist, so erscheint sie zwar nicht so groß, als wenn sie unterbrochen ist; aber zu viel Verzierung schwächt auch den Eindruk des Großartigen. Später, wie gesagt, brachte man zu viel Verzierungen an, brachte Stäbe in die Reihen etc. und verkleinerte so Alles.

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3. Die goth ische Bau ku n st. Diese unterscheidet sich durch 2 Charaktere: den Spitzbogen, und eine die Dicke der Säule durchaus übersteigende Höhe derselben. – die Alten, besonders die Römer, machten schon Wölbungen, aber diese hatten immer die halb-zirkelrunde Form. diese Bogen sind besonders in der lombardischen Architectur herrschend. Bei der Gothischen Bauart ist dagegen der Spitzbogen Hauptcharakter; Fenster und Thüren sind auch nach diesem Prinzip gemacht. Bei der Gothischen Säule kehrt wieder die Pflanzenform zurück; sie strebt empor, und breitet sich oben, wie in Aesten aus. deshalb fängt sie schon unten, wie mit einem Bündel Fasern an, die sich oben ausbreiten sollen. der Charakter der gothischen Bauart zeigt dieses Erhabene, Emporstrebende, wogegen der Mensch ganz zurücktritt; er fühlt sich so klein in den gothischen Gebäuden; ein Dom ladet gleichsam zum Schweigen, zum Zurükkehren in sich ein; man fühlt, daß es hier um einen höhern Zweck zu thun ist. Mit diesem Charakter fallen auch die äußern Säulengänge weg, die zur geselligen | Unterhaltung dienen. die Thüre ist ein spitzer Bogen, und formirt sich auch schon perspectivisch, so daß der Eingang auch schon unmittelbar als etwas Entferntes sich zeigt. die Fenster mit gemalten Scheiben dienen dazu, um die Düsterheit des Innern zu erhalten. die äußerlich emporstrebenden Säulen müßen sich in Spitzen endigen, so wie die im Innern sich wölbten. die Verzierungen sind Blättergerippe, durchbrochene Arbeit, welches wieder auf die Rükkehr zur vegetabilischen Form hindeutet. Bei dieser Bauart sind die 2 Contraste angebracht, das Ungeheure der Construction, und das Kleinliche der Verzierungen. dieser Widerspruch ist angemessen der Stimmung des Schmerzes, der Sehnsucht, in die das Gemüth in solchen Bauten versetzt werden muß. Die Form des Baues ist ganz einfach, wie ein Schiff, um die Gemeinde darin aufzunehmen. Bei der gothischen Baukunst wird man unmittelbar an die M a u r i s c h e erinnert, wovon in Spanien und an andern Orten manche Ueberreste sind. diese ist gar nichts Bedeutendes, so viel man auch davon Geschrei gemacht hat. Ihre Hauptform ist die Hufeisenform. die Araber haben kein großes Genie in ihrer Baukunst gehabt, viel zusammengerafft, wobei manches Eigenthümliche sich findet, aber doch nicht die freie Schönheit, wie in der classischen und gothischen Bauart. die innere Construction ist auf das Clima berechnet, große kühle Sääle, Bassin’s, und andere Mittel zur Kühlung. Als Anhang kann dienen:

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Die Gar ten kunst. Es ist eine Behandlung und Bereitung der Naturgegenstände, in Beziehung auf den Genuß des Menschen. dieser Genuß kann sehr verschieden seyn, daher auch die Gartenkunst sehr mannichfaltig. der Zweck kann oft nur Ziehung der Pflanzen seyn, aber auch hier soll man wohlgefälliges Äußere, Reinlichkeit und Sorgfalt der Hausfrau erkennen. Eine andre Beziehung auf den Menschen kann seyn, daß der Garten ein Vereinigungspunkt für Menschen, und zwar für Bekannte, sey, wo dann vorzüglich die Einfachheit herrschen muß. Soll es ein Vereinigungspunkt für eine größere, einander gleichgültigere | Menge seyn, ein Spaziergang, so sind gerade Alleen das Zweckmäßigste. Das Schlechteste in dieser Rücksicht sind die dichten, geschorenen Hecken, die keine Aussicht gewähren, und auch nicht die Sonnenhitze abhalten, die doch soll vermieden werden. Zu einfachem Naturgenuß ist ein Park das Beste, mit Abwechselungen, aber nicht mit künstlichen, zierlichen Abwechselungen, die zu viel Prätension machen; sondern einfache Anlagen, mit schönen Bäumen, Wasser, Hügeln etc, doch ohne Künstelei. Ein Zwek für größere Parke ist, die Pracht der Natur anzuschauen, wo weite Aussichten, Felsen, Flüsse, Brücken etc. überhaupt großes Terrain, seyn müssen. die Meister darin sind die Chinesen, oder vielmehr die Mantschu-Tartaren, in der Sommer-Residenz des Kaisers, jenseits der großen Mauer. diese Anlagen und Parks haben die Engländer, die mit Lord Macarthney hin kamen, nicht genug bewundern können; solche Anlagen bilden einen merkwürdigen Contrast mit den früher, und zum Theil noch jetzt, in Deutschland üblichen kleinen Parks, die nur ein elendes, kindisches Machwerk genannt werden können. In den chinesischen Parks ist alles so, als wenn die Natur es hingestellt hätte. Auch die menschliche Construction kann sich verbinden mit dieser Gartenkunst, und vieles dabei thun; nur muß es auch grandios seyn. Ein Beispiel einzig in seiner Art ist die große Terrasse zu Sans-souci.

I I . D i e S c u l p t u r.

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Die Architectur war hauptsächlich Umschließung, und deutete auf ein Geistiges hin, dem sie nur untergeordnet dient. So tritt also das geistige als ein Andres dem Unorganischen gegenüber, und die Werke dieses Andern sind die Werke der Skulptur. die Gestalt, in der nun das Geistige so für sich auftritt, ist, wie wir gesehen, nothwendig die menschliche. die Geistigkeit für sich ist der Zweck der Skulptur. Es ist aber nicht die Geistigkeit, als die in sich wahrhafte, in sich reflectirte Subjectivität, welche den Gegenstand der Skulptur ausmacht. die bildende Kunst ist überhaupt in dem Elemente der Äußerlichkeit, sie hat | nicht

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zum Material die Rede, sondern ihr Material ist noch ein Ungeistiges. die Rede, als das wesentlich geistige Material, kann alles beschreiben, und was die Zeichen der Rede nicht ausdrücken, braucht die Phantasie nur zu ergänzen. Hier bedarf es nicht der vollständigen Bestimmtheit; die Rede ist für die Vorstellung, die schon selbst ein Allgemeines ist. Außerdem stellt auch die Rede das Geistige als handelnd dar, mit allen seinen Motiven und Absichten, Verwickelungen und Umständen. die bildende Kunst hingegen hat kein solches Element der Totalität; deshalb müssen die Elemente in der bildenden Kunst auseinander fallen. Die Rede nimmt alle Umstände auf, zu denen das Geistige sich verhält. Ferner unterscheidet sich in diesem Geistigen die Subjectivität als solche, von der Besonderheit. Gegen diese Objectivität steht die Subjectivität, und zwischen diesen beiden Extremen steht die abstracte Individualität, nicht empfindende Individualität, die objective Geistigkeit. die nächste Geistigkeit kommt her von dieser nur objectiven Natur, und hat so die Körperlichkeit als solche an ihr selbst; und es ist die Körperlichkeit als solche, in deren Form sich die Geistigkeit darstellen soll, aber es ist die Körperlichkeit in ihrem Auseinanderseyn, es ist die Subjectivität in dem Auseinanderseyn der Körperlichkeit, die sich in den 3 dimensionen äußert. dies ist die Stellung der Skulptur. Sie hat also nicht mehr das Symbolische an sich, wodurch die Geistigkeit ausgedrückt werden soll; aber sie hat auch nicht die empfindende Subjectivität zu ihrem Zwek, nicht die Concentration der Subjectivität in sich, sondern die Subjectivität, die auseinander gefahren ist. die Skulptur drükt also nicht den Geist in einer R e i h e von Handlungen aus, woraus der Charakter ersehen werden könnte, sondern sie drükt den Geist in der R u h e d e r G e s t a l t aus. Weil eben die Geistigkeit in die 3 körperlichen dimensionen ausgegossen ist, so fehlt der Gestalt der Skulptur auch der wesentliche Punkt der Subjectivität, der Ausdruck der Seele als solcher, das Auge. Es ist gleichgültig, ob nachgewiesen wird, daß die Alten bei einigen Bildern auch die Augen dargestellt haben, und daß man noch jetzt Spuren von Farben in den Augen zeigt. Bei den wahrhaft klassischen Gebilden fehlt das Auge, wenigstens der Augenstern. dieser kann zwar angedeutet werden in dem Augapfel, wie dis zuweilen geschieht; aber dis ist doch nur die äußerliche Gestalt des Auges, es ist nicht das belebte Auge, nicht der Blick der Seele, weil die Skulptur die Subjectivität an und für sich entbehrt. | Daher muß es dem Künstler viel kosten, den wesentlichen Punkt der Subjectivität, das Auge, auszulassen, diesen ersten Punkt der Identität zwischen den Menschen, diesen Punkt des ersten Auffassens. deshalb hat der Künstler die Geistigkeit in dem Ganzen der Gestalt auszudrücken, und darin die Vorstellung eines Ganzen hervorzubringen. darin ist die Skulptur von der Malerei verschieden. In dieser ist die Subjectivität und zwar die reale Subjectivität, die Empfindung, ausgedrückt. die Malerei hat zu ihrer dimension

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das Abstractum der Fläche, und sie hat die abstrahirende Subjectivität auszudrücken. Eine 2te Folgerung ist, daß die Sculptur mehr als andere Künste an das Ideale angewiesen ist, und deshalb ist sie der Mittelpunkt der classischen Kunst. Wir haben gesehen, daß die Kunst einerseits ideal ist, wenn sie aus dem Symbolischen heraus ist; andrerseits aber ist sie ideal, wenn sie noch nicht übergegangen ist in die Subjectivität als solche, und damit in die Zufälligkeit, in die Empfindung. das Prinzip der Subjectivität ist noch nicht vorhanden in der Sphäre der Skulptur; daher haben ihre Werke den Charakter der Gestalt, die aus der abstrahirenden, denkenden Einbildungskraft des Künstlers hervorgehen muß, also menschliche Gestalt, ohne in die Allgemeinheit erhoben zu seyn, d. h. ohne Empfindung, ohne Verwickelung der äußern Umstände. das Ideale der Skulptur ist der Schlüssel zum Verstehen der übrigen griechischen Kunst überhaupt. In der Skulptur ist das denken Production, also ein Schaffen, wie die Götter schaffen; das übrige Hinaustreten ins daseyn überlassen die Götter der Freiheit des Menschen. das Ideale, wie es in der Skulptur dargestellt ist, ist in der Mitte, wo die Individualität und der ewige Wille noch nicht einander gegenüber getreten sind, es herrscht die Geistigkeit, welche freie Nothwendigkeit für sich ist. Streng feste Schönheit ist also der Character der plastischen griechischen Kunst. So sind Pericles, Socrates und Andere, solche freie, durchgebildete Kunstwerke ihrer selbst. Wenn wir so historisch die griechische Kunst als classische betrachten, so begeg net uns auch die Egyptische Kunst als Skulptur; in ihren großen Werken, die von ganz eigenthümlichem Style sind. Sie begegnet uns als ein Ausgangspunkt, als | Quelle der griechischen Kunst. den historischen Beweis davon zu liefern, vermag nur die Mythologie. Auf manche Zusammenhänge habe ich schon früher hingedeutet; es sind viele Werke griechischer Kunst, die auf solchen Ursprung von den egyptischen hinweisen. Das Historische als solches geht uns eigentlich hier nicht an; für uns kann es als etwas Zufälliges erscheinen, obgleich in der Geschichte solche Zusammenhänge nicht zufällig sind. daher haben wir nur zu erwägen das Verhältniß der beiden Kunstweisen zu einander. Wir können zuerst sagen, daß der vollkommnen Kunst die unvollkommne vorangehen muß, und nicht bloß in technischer Hinsicht, was sich von selbst versteht, sondern es muß auch dem Begriffe der Kunst selbst nach dieser Fortgang statt finden. – Wir haben die suchende Kunst überhaupt als die symbolische betrachtet; und so muß auch der vollendeten Sculptur eine suchende, symbolische vorangehen. die Sculptur, die noch nicht für sich ist, die noch vermischt ist mit der Architectur, haben wir gesehen. die unvollkommene Sculptur kann als das Symbolische der wahrhaften, vollendeten Sculptur angesehen werden. Schon

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wenn Kinder versuchen, aus Wachs oder Thon Figuren zu machen, so sehen wir, daß es nur Andeutungen einer menschlichen Figur sind, oder auch Hieroglyphen, Zeichen für die Vorstellung, aber nicht bloß willkührliche, sondern schon solche, die eine gewiße Beziehung und Andeutung des Vorgestellten haben. – der Uebergang von der Vorstellung zum Plastischen der Skulptur ist hier näher zu erwägen. das Ideal enthält das Substanzielle, das Allgemeine in sich; aber außerdem muß es auch ein Individuelles, Anschaubares seyn. die Vorstellung bedarf nicht einer sehr lebendigen Anschauung, besonders wenn sie selbst sehr lebendig ist; so bedarf z. B. die Frömmigkeit keiner sehr schönen Christus- oder Marien-Gestalten zu Gegenständen ihrer Andacht. Hier ist der Zweck, im Gemüthe nur eine Vorstellung hervorzubringen, und dadurch Andacht zu erwecken. Aber bei der Anschauung ist es was andres; hier ist der Zwek die darstellung des Bilds in seiner Gegenwart. das Bild in seiner Gegenwart ist aber ein Einzelnes; und da es ein vielfach Räumliches ist, so fordert die Anschauung, daß alles dieses bestimmt ausgeführt sey. Allein die Vorstellung fordert diese Bestimmtheit nicht; denn sie hat in sich selbst nicht diese große Bestimmtheit; sie enthält nur abstracte, | allgemeine Züge, und hüllt in diese das Einzelne ein. Nach diesen Unterschieden kann man sagen, daß ein unvollkommnes Bild in der Skulptur nur der Vorstellung genügt, nur dieser angemessen ist. dieses wird zwar auch angeschaut, aber dasjenige, was dieses Bild anschaulich darstellt, ist nur die Vorstellung, in diesem Bilde ist nur soviel, als in der Vorstellung ist; es ist nicht die Anschauung in ihrer ausgeführten Einzelheit. diese Weise der künstlichen darstellung nennen wir symbolische, denn im Symbolischen ist die Vorstellung als solche angegeben, aber nicht singularisirt. dis ist der Standpunkt der Egyptischen Skulptur, und ist das Moment, das der vollendeten Plastik vorangehen muß. Ein solches Werk der symbolischen Sculptur enthält noch nicht die Lebendigkeit, das Pulsiren der Einzelheit nach ihrer größten Wahrheit. diesem ist angemessen der Sinn in seiner dumpf heit, der nur mit allgemeinen Andeutungen zufrieden ist, bei dem sich noch nicht das ausgebildete Selbstbewußtseyn der Individualität findet. Als Repräsentanten solcher Stufe können wir also die egyptische Sculptur annehmen. Es könnte scheinen, als paßte dafür die alt-griechische Kunst besser, oder die sogenannte hetrurische Kunst, die mit ihr verwandt ist. Aber außerdem, daß von dieser keine große Anzahl von Werken vorhanden ist, ist auch noch zu bemerken, daß in der alt-griechischen Kunst schon das Werden, Beginnen enthalten ist, aus dem das Vortreffliche hervorgegangen. Ein Theil der Werke dieser Kunst steht schon auf einem höhern Uebergangspunkt, als die egyptische Kunst. Bei der egyptischen Architectur ist schon bemerkt worden, daß bei ihren Säulen schon Naturnachahmung eingetreten sey, welches schon einen Uebergang zu einer höhern Stufe verräth; denn da ist schon ein Aufgeben der ungebundenen,

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rohen Willkühr. – Auf diesem Uebergangspunkte stehen nun in der Skulptur die in neuerer Zeit bekannt gewordenen A e g i n ä t i s c h e n We r k e . diese zeigen eine sehr gebildete Technik, eine Behandlung des Marmors, die in Erstaunen setzt. Besonders merkwürdig sind sie durch eine genaue Nachahmung der Natur, bis auf die größten Äußerlichkeiten. Es ist aber eine Nachahmung der Natur, die nicht mehr steif, | nicht mehr hölzern ist, sondern die die größte Naturwahrheit an sich hat. davon machen aber die Köpfe eine Ausnahme; bei ihnen ist auf die treue darstellung der Natur Verzicht geleistet. Man bemerkt darin sehr große Gleichförmigkeit, keinen Unterschied der Gesichtsbildung des Alters und der Jugend, und selbst einige egyptische Formen, z. B. schiefgezogene Augen, steife Mundwinkel. – diese Stufe ist also schon eigentlich hinaus über die Stufe, die wir der classischen voranstellten. die E t r u r i s c h e n K u n s t w e r k e sind mit den griechischen verwandt. Früher nannte man alles Antike etrurisch, und doch war vieles alt-griechisch. die ächt-etrurischen Kunstwerke zeigen auch Nachahmung der Natur, und, wie Winkelmann sagt, eine empfindliche Andeutung des Einzelnen. Er sagt: die Kunst der Zeichnung sey früher in Etrurien ausgebildet worden, ihr fehle aber die Grazie, und der schöne Charakter der Individualität, daher glichen sie allen Portraiten. der Standpunkt, den wir in der symbolischen Skulptur gesehen haben, war der, daß eine Gestalt als bloß für die Vorstellung genügend betrachtet wird, nicht als für die Anschauung, denn diese fordert den Ausdruk der vollkommenen Freiheit des Künstlers, Lebendigkeit des Ausdruks, und Ausdruk des Geistigen in den kleinsten Einzelheiten. dies ist die Conception, Beseelung durch den Künstler, und dadurch ist die Kunst als f r e i e unterschieden von der gebundenen, sich an einen gegebenen Gegenstand streng haltenden Kunst. das Allgemeine ist nicht vom Künstler erschaffen; aber die Vereinzelung, Individualisirung ist sein Werk. dieser Unterschied zeigt sich auch in dem, was bloß als etwas Historisches angenommen wird. Man sagt nämlich: der alte Künstler sey an das Traditionelle der religiösen Vorstellung gebunden gewesen, er habe gleichsam einen typus gehabt. dann aber sey der Künstler nicht Künstler, sondern Handwerker. diese Behauptung ist aber wirklich wahr; man findet, besonders in alten Klöstern, solche Gemälde, die alle nach e i n e m typus gemacht sind; selbst Christusbilder hat man nach dem typus, den Lucas gegeben hat. In der griechischen Kirche werden auch alle Bilder | so nach gewißen Formen fabrikmäßig gemacht. Hier ist nun die Stufe vorhanden, daß die Kunst nur für die Vorstellung hat arbeiten müssen. dieses setzt aber voraus, daß ein solches genanntes traditionelles Bild einen Ursprung muß gehabt haben; und bei den griechischen Bildern liegen Traditionen zum Grunde, die von einem bessern Geschmack zeigen.

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In der egyptischen Skulptur ist diese Stufe die statarische, feste geworden. Plato (in seinem Buche über die Gesetze) sagt: daß in Egypten die Priester die zu malenden Gegenstände bestimmt hätten, und daß den Malern nicht erlaubt gewesen sey, etwas Neues zu malen. Er sagt besonders: Man wird finden, daß das, was vor einer Myriade von Jahren gemalt worden ist, doch nicht schöner, noch häßlicher aussieht, als derselbe Gegenstand, heutzutage behandelt. (Von Raphaelischen Bildern kann man nicht sagen, daß sie ein Gegebenes, Statarisches seyen; sonst wären die größten Künstler nur Copisten gewesen.) Bei den Egyptern kommt noch der Umstand hinzu, daß das Castenwesen einen großen Einfluß hatte auf ihr Leben, und daß die Künstler die 3te und niedrigste Classe ausmachten. Bei dieser Gebundenheit des Geistes ist das Genie, die Ungebundenheit, Individualität des künstlerischen Geistes unterdrükt worden. Eine wahrhaft künstlerische Production fordert, daß der Künstler seine Individualität darin zeige, daß es sein Werk sey, und dis kann nur hervorgehen aus der subjectiven Production. Bei der ganzen Abhandlung tritt die Schwierigkeit ein, daß wir hier empirisch zu Werke gehen müssen, und daß wir uns nicht an den Begriff halten können. In einer erschöpfenden theoretischen Abhandlung des Classischen käme es darauf an, daß die Beschaffenheit der ganzen lebendigen Bildung und des Organismus des menschlichen Körpers erläutert und erklärt würde; ferner darauf, daß das Verhältniß des Geistigen zum Ausdruck entwickelt würde; so müßte dann eine Physiognomik damit verbunden werden. Aber einer solchen Wissenschaft steht das entgegen, daß die gebildete Freiheit des Geistes für sich ist, und alle Physiognomik zu Schanden macht. | die Physiognomik ist mehr Sache des Gefühls, etwas Unbestimmtes; das wahrhaft Objective am Menschen sind seine Handlungen. Ein allgemeiner Bestimmungsgrund, den wir bei Beurtheilung der Kunstwerke haben, ist der Unterschied zwischen menschlicher und thierischer Physiognomie. dis giebt uns einen Punkt der Vergleichung, der aber auch oft unbestimmt ist. Um das Ideale zu schätzen und zu würdigen, müssen wir auch die vorhergehende Stufe betrachten. Wir wollen die Formen angeben, wodurch sich die egyptischen Kunstwerke auszeichnen; das Hauptsächlichste schöpfen wir aus dem Winkelmann. 1. S c u l p t u r d e r E g y p t e r. Was ihren Styl betrifft, so sagt Winkelmann: I n H i n s i c h t d e s N a c k e n d e n . Hier sind die geraden, wenig ausschweifenden Linien in den Umrissen herrschend. Sie sind also ohne Grazie. der S t a n d der Figur ist steif und gezwungen, sie mögen sitzen oder stehen, mit dicht zu-

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sammen schließenden, parallel liegenden Beinen; dieser Parallelismus bleibt, wenn die Füße selbst auseinandergehen. Was die Arme betrifft, so hängen sie längs den Seiten gerade herunter, wie angedrückt. die Figuren haben also gar keine Handlung, die vorzüglich durch Bewegung der Arme ausgedrückt wird. Winkelmann bemerkt, daß dis nicht Ungeschiktheit der Künstler, sondern vorgeschriebene Norm gewesen sey; denn auf ihren Gemälden sehen wir die Egypter schon handelnde Personen vorstellen. Er sagt ferner: In Ansehung der Z e i c h n u n g , sind die Muskeln sehr wenig, Nerven und Adern gar nicht angedeutet. der Rücken ist gar nicht zu sehen, da sie sich gewöhnlich an einen Gegenstand lehnen. Die männlichen Figuren zeichnen sich durch den schmalen Leib über den Hüften aus. (Merkwürdig ist es, daß die Egypter die Thiere sehr schön in Stein gehauen haben.). Ferner bemerkt er, daß die Augen bei den egyptischen Statuen platt, und schräg gezogen sind, (der äußre Winkel steht tiefer, als der innere,) und daß die Augen gar nicht | tief sind, sondern fast gleich mit der Stirn. Dadurch haben die egyptischen Künstler nicht die Hoheit hervorgebracht, welches durch die Vertiefung der Augen bei den griechischen Statuen geschieht; denn dis zeigt von einer Seelenhaftigkeit, Tiefe des Gemüths. der Augenknochen tritt nicht sehr hervor gegen die Augen; die Augenbrauen, Augenwimper, so wie die Lippen, sind nur durch eingegrabene Streifen angedeutet. Alles dieses gehört den rohen Anfängen der Kunst an. – die Verbindung der Nase und Stirn ist mehr natürlich; sie machen einen Winkel. die Backenknochen sind erhaben, das Kinn klein und zurückgezogen, und so wird das Oval des Gesichts unvollkommen. (Auch bei der Mediceischen Venus ist das Kinn klein und zurükgebogen, und lange hat man darin eine Schönheit finden wollen; aber später hat man entdeckt, daß das Kinn gelitten habe, und restaurirt worden ist.) Die Lippen sind bloß durch einen Einschnitt von einander unterschieden; bei den griechischen sind sie gewöhnlich geöffnet. die Ohren stehen etwas höher, als bei den griechischen oder bei lebenden Gestalten. Die Hände sind nicht übel, aber die Finger lang und ohne Gelenke; die Füße platt, und die Zehen nicht gekrümmt. Sonst sind, nach Winkelmanns Urtheil, Nägel und andere kleine Andeutungen nicht übel. Dies habe ich angeführt, um die Momente der griechischen Sculptur besser zu bezeichnen. das Historische und Technische bei der classischen Kunst geht uns nichts an; wir müssen die einzelnen Glieder und Organe betrachten, und anmerken, welche Umstände sie zu einem classischen machen. dann müssen wir das Ganze betrachten, ihre Individualitäten, und wie sie sich unterscheiden. das Allgemeine ist aber die Harmonie, die alle Theile zum Ganzen zusammenstimmend macht.

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der Hauptunterschied der griechischen Kunst von der egyptischen ist, wie gesagt, die vollkommene Individualität der erstern. dieser hat freilich zu Grunde gelegen die Prosa einer Vorstellung, die unbestimmt war; aber sie hat | sich frei gemacht von dieser Unbestimmtheit, Allgemeinheit der Vorstellung, und alles ist zur Lebendigkeit bestimmt, welche Lebendigkeit eben den Zauber der Anmuth hervorbringt. Diese Lebendigkeit und Anmuth liegt in der genauen Ausarbeitung und Behandlung aller einzelnen Theile, die oft bei der Beschauung des Ganzen nicht beachtet werden; deshalb kann man verleitet werden, diesen Fleiß bei Behandlung der einzelnen Theile für unnütz zu halten. Aber auch unmittelbar für’s Auge ist der Effect dieses Fleißes nicht verloren; denn eben dadurch entsteht der Ausdruk der Lebendigkeit, das Schwellen, Duften des Lebens. Wenn wir jetzt zu den besondern Formen des Idealen übergehen, so ist auch hier Winkelmann derjenige, welcher das Studium des Idealen ausgebildet, und dem unbestimmten Geschwätz ein Ende gemacht hat. 2 . C l a s s i s c h e S c u l p t u r. Das Erste, was uns bei den classischen Gestalten begegnet, ist das sogenannte g r i e c h i s c h e P r o f i l ; d. h. die Verbindung der Nase mit der Stirn ist fast durch keinen Winkel angedeutet, sondern sie steigen in einer fast senkrechten Linie herunter. Camper hat die Schädel der Menschen und Thiere nach dieser Linie verglichen, und sie in dieser Rücksicht sehr bedeutend gefunden. Bei den Thieren machen Stirn und Nase auch mehr oder weniger eine gerade Linie aus; aber das Hervortreten des Mundes bei den Thieren bestimmt sich nach dieser Linie und dem Winkel, der entsteht, wenn man eine Linie von den Ohren nach der Nase zieht. Bei den Thieren tritt vornehmlich das Fressen hervor, und das Bedürfniß desselben; damit muß zunächst das Organ des Schnüffelns verbunden seyn, und somit muß dieses, die Nase, auch hervortreten. Bei dem Menschen zeichnen sich 2 Punkte aus; der erste Punkt ist der M u n d , ihm zugeordnet die Nase; dieser deutet mehr auf das unmittelbare Bedürfniß, wie bei dem Thiere; es ist aber auch noch ein anderer Hauptpunkt bei der menschlichen Bildung, der g e i s t i g e Mittelpunkt, das A u g e , mit allen den dienenden Organen der Stirn. der | Mund ist das Organ des ganz realen Prozesses; die Nase hat schon nicht diesen realen Prozeß, sondern den abstractern Prozeß, der durch den Geruch regirt wird. Ueber diesen steht das Auge, der theoretische Sinn. In dem Auge drückt sich die Seele aus, und mit diesem Organe, mit diesem Sinne, ist schon das S i n n e n d e r S t i r n vorhanden, und hier muß die Reflexion ihren äußerlichen Ausdruck haben. Bei dem menschlichen Schädel muß also dieses Organ einen Hauptpunkt ausmachen. – diese 2 Hauptpunkte, M u n d und S t i r n , stehen also

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durch die N a s e in Verbindung. dieser Uebergang kann nun so beschaffen seyn, daß er einen Winkel ausmacht, daß die Nase oben mehr oder weniger eingedrückt ist. dann machen Mund und Stirn einen markirten Gegensatz gegen einander, und eine solche Stirne fassen wir dann leicht so auf, daß sie eine gewiße Härte, Festigkeit, eine Concentration in sich und gegen den Mund ausdrücke, durch den der Mensch in einer Abhängigkeit von der Außenwelt sich befindet. Die Ausgleichung beider Punkte, die schöne Harmonie zwischen dem Sinnen in sich und der Abhängigkeit von der Außenwelt, so wie der Mittheilung durch die Rede, drückt sich aus durch die schöne Linie der Nase, die nicht so scharf von der Stirn sich trennt. Wir können sagen, daß die griechischen Künstler durch ihren richtigen Sinn dahin geleitet worden sind, diese Form zu einer statarischen zu machen. – die Gestalt, die Höhe der Stirn richtet sich nach dem Alter; die jugendliche Stirn ist kürzer, als die bei dem Alter, da hier mehr die Haare ausfallen. Je kürzer die Stirn, desto kürzer auch die Haare vorn, und nach vorn übergebogen. Bei den griechischen Statuen findet man die Haare rundlich um die Gesichter geformt, wodurch diese eine schöne ovale Form erhalten. Ich habe schon gesagt, weshalb die Skulptur des Auges entbehrt, dieses Punktes der Subjectivität. Sie ist an die Umgrenzung, an die körperliche Form gewiesen, bei ihr ist der Begriff ergossen in die Körperlichkeit. In Hinsicht der Form des Auges, der Umgrenzung, kommt hier der Schnitt derselben, die Oeffnung der Augenglieder in Betracht. Bei den alten Werken ist | das obere Augenglied mehr gebogen, als das untere, aber doch nicht völlig halbzirkelrund. Besonders schön sind die Augen bei den Münzen der Alten, wo man die Köpfe nur im Profil sieht. Es ist schon bemerkt, daß bei idealen Köpfen die Augen tiefer liegen, als bei lebenden Gestalten. Selbst in der Malerei, z. B. bei der Madonna des Raphael sieht man ein solches Zurüktreten des Auges. Bei den alten Kunstwerken scheint der Knochen über dem Auge erhabener, als in der Natur, zu seyn. dadurch entsteht ein Schatten, wodurch eine gewiße Tiefe der Innerlichkeit angedeutet wird. Man kann auch leicht dabei zu der Empfindung kommen, als habe das Bild ganz das Gesicht verloren, sey ganz in Verzükung übergegangen, und sein ganzes Innere sey in der Extremität ausgegossen. diese Vertiefung der Augen ist auch statarisch geworden. Man kann auch viele Götter unterscheiden durch diese statarische Beschaffenheit der Augen; so z. B. haben Jupiter, Juno, Apoll, große Augen, mit gewölbtem Obergliede. Die Minerva hat auch große Augen, aber das Oberglied mehr gedrükt, welches jungfräuliche Schaam andeutet. Bei der Venus, sagt Winkelmann, ist das Auge auch groß, aber nicht so geöffnet, und das untere Glied mehr gerade, welches ein jungfräulich schmachtendes Wesen andeutet. – Er sagt ferner: die alten Künstler lassen die A u g e n b r a u n e n wohl s e h e n , aber die einzelnen Häärchen sind nicht ausgezeichnet, sondern das Ganze ist nur durch einen

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schmalen Strich angedeutet; sie drüken nur die Schärfe des Augenknochens aus. Heraufgezogene, runzlichte Nasenflügel geben ein sinnendes Ansehen, sie nähern sich mehr dem Organe der Reflexion. – der M u n d ist ein Hauptpunkt im Gesicht, und es kommt auf sehr feinen Unterschied dabei an. In dem Schnitte der Lippen drücken sich viele Eigenschaften fein aus. Der offene Fluß der Beredsamkeit ist vorzüglich in den Unterlippen gegeben, so wie das Genußreiche beim Bacchus. der Mund ist gewöhnlich etwas geöffnet. Wenn man thätig, nach außen aufmerksam ist, so schließt sich der Mund; ist er offen, so drückt dies eine Ruhe, Zurükgezogenheit des Gemüths aus. – das K i n n ist | auch sehr charakteristisch bei den Alten. Winkelmann giebt ein rundes volles Kinn als solches an. das ruhige, satte Kinn drükt die innere Ruhe und Befriedigung aus. – die O h r e n sind bei den griechischen Köpfen tiefer, als bei den egyptischen, und mit besonderm Fleiße ausgearbeitet; diese fleißige Ausarbeitung ist ein Haupt-Criterium des Alters (nach Winkelmann)[.] Auch die Haare sind sehr charakteristisch; die verschiednen Götter haben ihre statarischen Haare. Auch dienen sie zur Beurtheilung des Alters der Kunstwerke. Bei den Egyptern sind sie sehr fein ausgearbeitet, so wie in neuern Zeiten. Bei den Griechen sind sie zwar lockig, aber doch nicht sehr fein und mühsam gearbeitet. Was den übrigen Körper betrifft, so sind die B r u s t m u s k e l n sehr breit gehalten; die H ü f t m u s k e l n sehr vorragend, besonders bei männlichen Statuen. Hier unterscheiden sich besonders männliche und weibliche, alte und jugendliche Körper. Bei den jugendlichen fließen alle Formen mehr zusammen; daher sind sie schwerer zu machen. (Winkelmann hat bemerkt, daß die Adern gar nicht angedeutet seyen.) Eine wichtige Seite ist d i e B e k l e i d u n g . Eine große Anzahl von griechischen Figuren sind unbekleidet, besonders männliche; die weiblichen sind gewöhnlich bekleidet. die römischen Figuren sind fast alle bekleidet. Einerseits hat die Bekleidung den Zweck des Bedürfnißes, andrerseits aber ist es Schaamhaftigkeit. Schaamhaftigkeit ist das Gefühl, die Theile des Körpers, in so fern sie zur physischen Erhaltung da sind, zu bedeken, als unwürdig der höhern Bestimmung des Menschen. Alle Völker, die anfangen zu reflectiren, haben dis Gefühl der Schaam. Besonders äußert es sich bei den asiatischen Nationen (Herodot: Erzählung von der Frau des Königs Candaules)[.] Schon bei den Egyptern sind die Statuen nackt; die Männer haben nur eine Schürtze. Wir können sagen, daß bei ihrem symbolischen Standpunkt es ihnen nicht um die Sache selbst zu thun war, sondern nur um die Bedeutung; daher haben sie nur die abstracte Andeutung dessen gegeben, wie wir dis bei der | Isis sehen, die nur eine Andeutung von Bekleidung hat. – Bei den Griechen war das Gefühl der Individualität gesteigert; ihre Gestalten sollten nur gelten, was sie waren; daher haben sie auch das Ge-

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wand, als bloße Bedeckung, abgeworfen, und die Gestalten nackt gezeichnet. Aber nicht alle Gestalten sind nakt, und hier ist ein besonderer Unterschied zu machen. Zeus, Juno, Minerva, sind bekleidet, Apoll, Bacchus, diese Götterjünglinge, und Venus, so wie die Faune, sind nackt. der Unterschied liegt darin, daß der geistige Ausdruk sich einerseits beschränkt auf das Gesicht, auf die Stellung des Körpers, Gebehrden, Hände etc; und daß andrerseits der übrige Theil des Körpers mehr leidend ist, mehr auf die Sinnlichkeit sich beziehend, daher ist hier der Hauptzweck die Bearbeitung des Sinnlichen, wodurch auch körperliche Schönheit, Geschlecht, Alter etc. angedeutet wird. die Griechen führte auch hierin ihr richtiger Sinn, der ihnen sagte, daß die höhere Geistigkeit, die geistige Schönheit, nicht im nakten Körper, sondern im Gesicht liege. Sie haben Kinder nakt dargestellt, denn bei diesen ist die höchste Schönheit die Unbefangenheit, Leichtigkeit; so auch stellten sie den Mars und die Helden nackt dar, so wie die Athleten; denn bei diesen ist Heldenmuth, der sich in der Körperkraft zugleich äußert, Hauptsache, nicht ihre übrige Individualität. Bei der nackten Venus ist der Liebreitz der weiblichen Formen auch ein Hauptmoment. Vornehmlich haben sie Männer, Götterjünglinge, nackt dargestellt; dagegen rechnet Winkelmann auf 50 weibliche Statuen kaum 1 nackte. Wenn wir näher die F o r m d e r B e k l e i d u n g betrachten, so ergiebt sich die Frage: Welche Art von Bekleidung die beste sey? die nächste Bestimmung wird seyn: diejenige Kleidung ist die beste, welche der Sichtbarkeit der Glieder am wenigsten Abbruch thut. In dieser Hinsicht wäre unsere moderne, eng anschließende Kleidung die beste. Ein langer alles verhüllender Mantel ist passend für die Orientalen, die den ganzen Tag sitzen, oder ernst und gravitätisch einherschreiten. Für unsere Vielgeschäftigkeit, Beweglichkeit, muß diese Kleidung unpassend seyn. Somit erschiene | unsere Kleidung auch für das Kunstwerk die passendste. Wir wissen aber auf den ersten Anblick, daß unsere Kleidung ganz unästhetisch und unkünstlerisch ist. die Frauenkleidung unserer Zeit ist besser, als die der Männer, weil sie seit einigen Jahren das Griechische nachahmen. Unsere Männerkleidungen sind aber steife Säcke mit steifen Falten, worin die Lebendigkeit der Umrisse der Glieder ganz verloren geht. diese Lebendigkeit der Umrisse besteht, wie oben gezeigt worden ist, in den wellenförmigen Uebergängen der Formen in einander. Bei unsrer Kleidung sehen wir aber höchstens die allgemeinen Umrisse; im Marmor sieht solche Kleidung noch steifer aus, als im Gemälde, wo die Steif heit durch die Farben gemildert werden kann. daß diese Kleidungen aber, wie dis in neuern Zeiten geschehen, bei Statuen ganz verstoßen worden sind, ist auch einseitig. denn die Statuen der in neuern Zeiten lebenden Personen sind Portraite, und als solche müßen bei ihnen auch die äußern Umstände, ihr Hinaustreten ins äußre Leben, angedeutet seyn. Solche Men-

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schen, welche eine Totalität in ihrem ganzen Leben gebildet haben, wie z. B. Fürsten, würden sich für die ideale Kleidung mehr passen. Sind es aber Portraite, so sind es bestimmte Charactere, die sich in irgend einer Sphäre des Wirkens ausgezeichnet haben. Solche könnten nun nicht, sey es in Marmor oder in Gemälden, über diese besondere Form des thätigen, wirkenden Lebens erhoben werden; denn als Portrait ist es eine bestimmte Anschauung des Individuums in seiner bestimmten Umgebung; und diese muß angemessen seyn der Form, in der es gehandelt und gelebt hat. Für einen General paßte eine Uniform, wir können ihn uns nicht anders denken, als unter Pulverdampf, Kanonen, etc. dazu paßt aber nicht die ideale Kleidung. Washington paßt sich mehr für eine ideale Kleidung, da sein Leben nicht bloß militairisch, sondern auch andern Wirkungskreisen gewidmet war, wodurch er mehr zu einer Totalität wird; und für diese paßt das Ideale. Daher ist es eine oberflächliche Forderung, die modernen Helden ideal zu kleiden, und es zeigt falschen Eifer für die Kunst. | die alten Künstler stellten die idealen Gestalten auch idealisch dar, aber dem Nichtidealen wollten sie nicht die ideale Form aufdringen. Eben so sind auch die modernen Physiognomien nicht so eine Totalität; das kräftige, muthige Gesicht eines Generals z. B. würde nicht zur idealen Kleidung passen. Ein anderes ist, wenn man kleine Kinder so darstellen läßt; denn hier ist das Kindliche, noch Unbestimmte der Physiognomie einer idealen Behandlung fähig. Aus allen diesen Gründen ist gar nicht zu tadeln, wenn der Künstler das neue Costüme für solche Portraite anwendet. – die antike Kleidung hat ihre Bestimmung erfüllt, nämlich das bloß Sinnliche Leibliche zu bedecken, und dabei das Gesicht, die Stellung, Haltung, Gebehrde, zu zeigen, welche das Geistige ausdrücken. Unsere Kleidung läßt dies alles auch sehen, aber zugleich läßt sie auch den übrigen Ueberfluß des Leiblichen sehen; überdem stören auch noch die bloß mechanischen Schnitte, die steifen Säcke, den schönen Eindruck. die antike Kleidung thut das an dem ganzen Körper, was die ideale Kunst an jedem einzelnen Theile thut; die ideale Kunst setzt nämlich den Ueberfluß des animalischen Organismus bei Seite, und hebt bloß die edlern Formen hervor; und dasselbe thut die antike Kleidung. der Stoff erscheint uns auch ganz ungenirt, natürlich, der Richtung der Schwere überlassen, sich nur nach den Gebehrden richtend. Bei den Alten findet man auch schon ausgedrückt d i e Ve r s c h i e d e n h e i t d e s S t o f f s ; sie sind schon besorgt gewesen, daß jedes Ding seine besondere Individualität ausdrükt. Die leinenen Kleider unterscheiden sich durch kleinere plattere Falten, die wollenen durch rundere, größere Falten und Brüche. – die antike Kleidung ist auch deshalb schon passender für den Künstler, weil die Um8 es] r

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stände des Faltenwurfs, der Lage etc. weit einfacher sind. Alle Kleider sind nur auf der Achsel und am Gürtel befestigt; ihre übrige Lage ist nur durch die Haltung der Glieder und durch die eigene Richtung der Schwere determinirt. | Die Kleidung macht auch ein Kennzeichen der verschiedenen Perioden der Skulptur aus. die ältere zeigt nur gerade, oder wenig gebogene, schwerfällige Falten. In den Zeiten der vollkommnern Skulptur ward schon besondre Sorgfalt in Behandlung der Falten, besonders des obern Theils der Kleidung, gelegt; doch gieng dieser Faltenwurf oft ins Kleinliche über. das Beste ist, wenn die kleinen Falten wieder ein Ganzes bilden, und ein Ausgangspunkt, z. B. am Knie, sichtbar ist. die neuern Künstler sind in einen zu complicirten, unnatürlichen Faltenwurf übergegangen. Es kann noch eines weitern Austretens der Gestalt in die Äußerlichkeit erwähnt werden, und dies sind Wa f f e n , G e r ä t h e und andre Sachen, die zur Beziehung der Thätigkeit des Menschen auf andere, dienen. Bei den Alten sind diese nicht sehr viel ausgearbeitet, sondern gleichsam nur angedeutet, um die Gestalt noch besser zu verdeutlichen und hervorzuheben. die hohen Skulpturwerke sind ganz einfach in Hinsicht ihrer Attribute gehalten, denn sie beruhen auf sich, auf der Würde ihrer Geistigkeit. Zu diesem Beiwesen gehört noch das, was von dem Egyptisch-Symbolischen herübergekommen ist, d. h. die den Göttern zugegebenen T h i e r e . So hat Jupiter den Adler, Minerva die Eule etc, die bei den Egyptern meist selbst verehrt wurden. Bacchus ist mit einem Thyrsusstabe mit Epheublättern gezeichnet. In reichern Ausbildungen hat er Attribute, die auf Mehreres hindeuten. So hat er zuweilen einen Lorbeerkranz, welches den Sieger auf den asiatischen Zügen andeutet, eben so wie sein von Tigern gezogner Wagen. Bacchus ist aber oft auch ganz frei von diesem Beiwesen dargestellt. – Diese strenge Einheit der Attribute richtet sich, und hat sich zu richten nach der Bestimmung der Gestalt. Bei den höhern Gebilden der Skulptur soll die Gestalt in der Ruhe, in dem Beruhen auf sich selbst, dargestellt werden; und daher darf sie auch wenig in Beziehungen mit der Äußerlichkeit kommen. – Oft werden die Figuren auch an Tempeln, in Giebeln, angebracht, und daher muß sich die | Stellung der Figuren nach der Gestalt des Giebels richten. Es ist eine sehr wichtige Bestimmung, die die Gestalten durch ihre Lage in den Giebelfeldern haben, und oft sind die Bedeutungen mancher Gestalten erst durch diese Bestimmungen erklärt worden. – In den B a s r e l i e f s wurde die Gelegenheit noch mannichfaltiger, Figuren in verschiednen Lagen und Modificationen der Thätigkeit darzustellen, und dabei auch eine Mannichfaltigkeit des Beiwesens anzubringen. Eine andre Gelegenheit zur Mannichfaltigkeit der Gestalten und der Beiwerke gaben die vielen Weihgeschenke, welche Staaten und einzelnen Menschen den Tempeln machten, und die dann eine symbolische oder andre Bezüglichkeit an-

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deuten mußten. darin haben nun die Antiquare ein großes Feld von Speculationen gefunden, und sind oft durch solche Äußerlichkeiten zu falschen Urtheilen verführt worden. diese Äußerlichkeiten kann man aber nicht ganz verwerfen, denn oft sind es solche kleinen Andeutungen, wodurch die verschiednen Götter erkannt werden können. Das 2te Hauptmoment bei der classischen Skulptur ist, daß die Gestalten nach ihrer b e s t i m m t e n I n d i v i d u a l i t ä t unterschieden werden müßen. Hier tritt nun oft die Idealität der griechischen Götter der bestimmten Besonderung entgegen, und oft sind es nur Äußerlichkeiten, wodurch man sie unterscheiden kann. In solchen Fällen, wo wegen der Idealität die Gestalten als verwandt erscheinen, kann man sich aber nicht ausschließlich an die Attribute halten, da diese oft mehrern Göttern gemein sind; so kommt z. B. die Schaale dem Zeus, der Hygieia, dem Aesculap zu, der Blitz gehört zwar dem Jupiter an, oft aber führt auch Pallas denselben. das Wahrhafte ist, daß das Skulpturwerk nach seinem innern Charakter gezeichnet sey, und denselben ausdrücke. Von den Hauptgestalten folgen hier einige Beispiele (nach Winkelmann). Was den Jupiter betrifft, so ist sein ausschließlicher Charakter die uneingeschränkte Macht und höchste Würde, mit einer gewißen Milde im Blick. Er ist seinen Brüdern Pluto und Neptun sehr nahe, ist aber durch Attribute, und auch durch seinen Charakter verschieden. In Dresden finden sich ein Jupiter, Pluto und Neptun; sie haben die Aehnlichkeit des | Familiencharakters; aber Jupiter ist milder, das Haar ist schöner, Pluto finstrer, Neptun wilder, und das Haar mehr fließend. Juno ist als Frau über alle erhaben; sie ist zu erkennen an den großen Augen und dem gebieterischen Zuge ihres Munds, so daß man sie an diesem Zuge selbst im Profil erkennen kann. – Pallas ist immer Jungfrau, aber vollendete Jungfrau, fern von der Schwäche des Geschlechts, ja die selbst die Liebe besiegt zu haben scheint. Ihr Auge ist nicht so groß als das der Juno, auch ist ihr Haupt nicht so stolz erhoben; darin ist sie von der Roma unterschieden, die sonst in allem ihr gleicht. – Diana hat alle Reitze ihres Geschlechts, ohne sich dessen bewußt zu seyn; ihr Auge ist nicht niedergeschlagen, wie bei Pallas, sondern offen, munter, was auf ihre Hauptbeschäftigung, Jagd, deutet. Ihr Körper ist deshalb auch schlanker und leichter. – Die Venus ist Göttinn der Schönheit, daher unbekleidet, so wie die Grazien und Horen; aber von diesen unterscheidet sie sich dadurch, daß sie in ein Alter zu treten scheint, in dem sich die Gefäße erweitern, und die Brust sich ausdehnt. Ihr Auge ist schmachtend, aber fern von aller Sinnlichkeit. – Diese Unterschiede, die sich in dem Charakter der Jungfräulichkeit zeigen, sind in den Hauptwerken der Skulptur vortrefflich gezeichnet. Aber es ist schon gesagt, daß die Idealität der Individualität es mit sich bringt,

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daß e i n e Individualität oft in die andere übergeht. So z. B. reicht Mars in seiner Ruhe sehr nahe an Bacchus, Apoll, besonders an Theseus, Perseus, etc. womit er dann öfters verwechselt werden kann. Oft auch kann das weibliche mit dem männlichen Geschlecht verwechselt werden. So z. B. giebt es einen Kopf, den Hirt für einen Ariadne-Kopf ausgiebt, ein andrer aber für einen Bacchus-Kopf. Bacchus ist eben so jugendlich weiblich dargestellt, und wieder andrerseits fortgeführt bis zu dem Alter eines bärtigen Mannes. Solchen Modificationen ist besonders Hercules unterworfen; bei der Omphale, Iole, ist er ganz jugendlich weiblich dargestellt, so daß man ihn dem Gesichte | nach für ein Weib halten könnte; nur die kurzen, vorn emporstehenden Haare bezeichnen ihn als Mann. Als solcher ist er wieder in seiner unmenschlichen Kraft, in seiner Arbeit dargestellt, mit seinem ungeheuren Nacken. Zuweilen wird er wieder ganz verklärt dargestellt, ausruhend nach der Arbeit. Eben so kräftig, wie sich die Alten bei dieser Hercules-Gestalt ausdrückten, eben so zierlich sind sie auch oft bei Bearbeitung des Einzelnen. Die Individualität des Gottes muß gehalten seyn, aber ideal gehalten, d. h. sie muß frei seyn, erhaben über die Umstände und Nebensachen. Die Skulptur faßt gewöhnlich nur e i n Moment auf, und stellt dies ganz einfach, ohne vieles Beiwesen dar. In der hohen Sphäre der Skulptur fällt dies immer mehr weg. Gruppen, die an sich schon eine Handlung darstellen, machen durch die Bestimmung ihrer Stellung, und durch die Handlung selbst deutlich, welche Individualität dadurch dargestellt wird. Die Gruppen sind eigentlich nicht für die Skulptur geeignet; denn der Hauptcharakter derselben ist dies ideal gehaltene Beruhen auf sich. Man hat freilich herrliche Gruppen, z. B. die beiden Rossebändiger auf dem Monte Cavallo, so groß, daß ein Mann von mittlerer Größe bis zur Kniescheibe des Colosses reicht. diese Figuren, von denen der eine besser gehalten ist, als der andre, sind von vortrefflicher Arbeit, im Ganzen, wie in den Theilen. Einer wird dem Phidias, der andere dem Praxiteles zugeschrieben, und man hält sie für Castor und Pollux. dies ist auch zwar eine Gruppe, aber eine Gruppe, die frei steht, keine Handlung darstellt; solche sind passender für das Feld der Skulptur, und eigneten sich zur Aufstellung vor dem Parthenon zu Athen. Weiter hinaus in Bewegung und Handlung tritt die berühmte Gruppe von Laokoon. An dieser ist durch die Handlung selbst unmittelbar erklärt, was für Personen sie darstellt, und in welchem Zustande. Es ist eines der seltenen Werke von der darstellung eines solchen Inhalts. dieses Werk ist vor 40–50 | Jahren der Gegenstand vieler Untersuchungen gewesen. Lessing hat unter dem Titel: Laokoon, ein Werk herausgegeben über den Unterschied zwischen Poesie und Malerei. Die Hauptsache darin ist, daß die Poesie die Gegenstände in der Succession, die Malerei aber neben einander darstellt. dies ist nun freilich sehr oberflächlich, und zeigt von

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den Anfängen der Untersuchungen über Kunst. Auch ist ein großer Streit gewesen, ob Laokoon schreie oder nicht. Eine andre für wichtig gehaltene Frage war, ob Virgil seine Beschreibung von diesem Kunstwerk genommen, oder ob der Künstler nach Virgils Beschreibung gearbeitet habe. Was das Schreien anbetrifft, so ist deutlich, daß in der ganzen Anstrengung der Glieder, in dem größten Schmerze, doch die Schönheit erhalten ist, und nicht zur Verzerrung übergeht. Uebrigens ist manches restaurirt, namentlich der Kopf der Schlange. Goethe vermuthet, daß der Kopf nicht richtig hingesetzt ist; denn wenn der Biß nur in den obern Schenkel geht, so ist dis ungeheure Zurückziehen, dis Heraustreten der Bauchmuskeln, nicht motivirt genug; sondern er glaubt, daß die Schlange in die Seite gebissen habe. Professor Mathaei in Dresden meint, daß sich im Oberschenkel des Originals noch Spuren des Bisses fänden; aber dis kann eben so gut aus andern Ursachen entstanden seyn. In der ganzen Ausführung des Stoffes erkennt man, daß das Werk aus späterer, zwar schönrer Zeit sey, aber nicht aus der Zeit des Phidias. Diese Ansicht wird durch den Umstand begründet, daß die Kunst in diesem Werke höchst vollendet ist, aber daß man darin schon Spuren eines Strebens nach Manier erkennt. Die Kenntniß des menschlichen Körperbaues ist schon auf eine gezwungene Art angedeutet. In den Werken aus Phidias Zeiten hingegen erkennt man diese edle Naivetät, Unbefangenheit, die nur die Wahrheit und Schönheit zum Zweck hat. | Hier sieht man schon, daß der Künstler seine Kunstfertigkeit habe zeigen wollen, und dis geht zur Manier über. Selbst der Geist des Stoffs, daß es nämlich eine Handlung ist, die dargestellt wird, beweist, daß es aus neuerer Zeit stamme. Eben so zeigt die s c h r e i t e n d e S t e l l u n g des Belvederischen Apolls, daß er etwas später ist, als der Mittelpunkt der Blüte der Kunst; selbst seine Gestalt geht fast zur Affectation der Schlankheit über. die höchste Blüte der Kunst ist, wie der Silberblick, der Punkt, wo sie sich verändert. Sie war nicht mehr zu Alexanders Zeiten; und als vornehmlich Corinth durch Mummius zerstört ward, gieng die Kunst zu den Römern über, wo sie zwar noch einen hohen Styl hat, aber nicht mehr den Adel und die Einfachheit der alten Kunst. In Ansehung der Handlungen, die in Kunstwerken vorgestellt sind, sey es auf Tempelgiebeln, oder auf Basreliefs, Vasen, etc, will ich noch 2 Bemerkungen Winkelmann’s anführen: Bekanntlich sind schon bei den Griechen Statuen von einzelnen Personen gemacht worden, von Alexander, Harmodias und Aristogiton, und später von den vielen Kämpfern in den Olympischen Spielen. dadurch ist der Kunst kein Schaden erwachsen, sondern sie hat noch gewonnen; denn durch die Menge der Statuen war der Künstler genöthigt, nach dem Leben zu arbeiten, wodurch die Werke eine schöne Lebendigkeit gewannen, und das Traditionelle verloren. – Ferner bemerkt Winkelmann, daß man selten Gegenstände

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aus der Zeit n a c h dem trojanischen Kriege genommen hat. Er sagt: in allen Gemmen und Abdrücken, die er gesehen hat, hat er keinen einzigen Gegenstand aus der bekannten Geschichte gefunden, sondern nur aus der mythischen Zeit. – Eine andre Erfahrung, die Winkelmann herbeibringt, ist, daß die alten Künstler nicht bloß idealische Bilder entworfen haben, d. h. solche, die keine bekannte Geschichte betreffen, sondern nur Erfindung des Künstlers sind. Alle stellen vor mythologische Geschichten der Götter oder Helden; ausgenommen bei darstellung von Tänzen, Aufzügen etc, wo sie bloß ihrer Phantasie folgen. Selbst auf den Begräbniß-Vasen und Urnen | sey nicht bloß ein Leichenbegängniß im allgemeinen dargestellt, sondern ein wirkliches, z. B. das des Meleager. Noch ist in Hinsicht der Skulptur anzuführen, daß sie den Mittelpunkt der alten classischen Kunst ausmacht, und daß die Griechen in diesem Sinne Künstler gewesen sind. Sie sind unerschöpflich in ihren Darstellungen gewesen; und eine Folge davon ist, daß sie es darin zu einer großen technischen Fertigkeit gebracht haben. Das wahre Kunsttalent muß sich immer äußern, und sollte es nur Wachs oder Thon knäten; dem Musiker wird früh alles zur Melodie, dem dichter alles zur Poesie. Die Griechen haben eine ungeheure Menge von Bildsäulen hervorgebracht; 1000–2000 Statuen sind oft in einer Stadt gewesen. die Hauptrichtung des Staats und der Privatleute gieng mit darauf, solche Werke fürs Allgemeine, Oeffentliche anzuschaffen. Indem die Skulptur ins darstellen, Formiren, tritt, tritt sie auch dadurch nach und nach aus ihrer Reinheit in die Mannichfaltigkeit, in ihr Formelles; und dieser Uebergang ist auch in den mannichfaltigen Werken derselben erkennbar, und zwar ist dieser Uebergang an jeder der mannichfaltigen Seiten der Skulptur zu erkennen. Einer dieser Seiten habe ich oben erwähnt, nämlich der großen technischen Fertigkeit, die bei den Griechen hervortritt. Ich habe schon gesagt, daß bei ihnen eine ungeheure Menge von Statuen hervorgegangen sind, und Grund und Wirkung derselben war diese ungeheure technische Fertigkeit. Auch die Egypter haben große Fertigkeit gezeigt, aber Diodor sagt ganz richtig, sie hätten nach dem Maaße, die Griechen nach dem Anschauen des Phantasiegebildes gearbeitet. Winkelman sagt: wahrscheinlich haben die großen griechischen Künstler ohne Model gearbeitet, obgleich nicht ohne reifliches Ueberdenken des Entwurfes. Aber, sagt er, sie haben gewiß freier und unbefangner gearbeitet, als wir; denn bei uns ist das Model eigentlich das Original, und das Werk selbst | die Copie; besonders geht bei dem Gießen in Erz das Feine, Charakteristische verloren, und dieses muß durch Nachfeilen gut gemacht werden. Er sagt: die antiken Marmorstatuen scheinen unmittelbar durch den Meister gemacht worden zu seyn, und er hat nicht bloß, wie bei uns, die letzte Hand angelegt; er arbeitet mit einem Feuer und einer

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Begeisterung, die bei der 2ten Arbeit nach dem Model ausbleiben muß. Man bemerkt auch bei den vortrefflichsten alten Werken einige fehlerhafte Theile, gegen die Regel der Zeichnung. So ist bei dem Apoll von Belvedere ein Bein kürzer, als das andre, die Ohren stehen nicht gleich hoch mit den Augen. dies sind Fehler, die bei einem Model nicht eintreten können, wohl aber bei freier Bearbeitung. An dem Bemerken solcher Fehler kann man auch oft einen mittelmäßigen Künstler erkennen. Im Erzguße, sagt Winkelmann, sind die Alten uns weit überlegener gewesen, als in Marmor; denn der größte Theil der noch übrigen Werke zeigt, daß sie völlig rein aus dem Guße gekommen sind, und nur wenig oder selten nachgearbeitet worden ist. Es ist auch bekannt, daß die Alten es so weit gebracht haben, die Bronze nur etliche Linien dik zu machen. diese große technische Fertigkeit bringt es auch mit sich, daß alles gelingt, und daß so die Lust geweckt wird. So muß also bei den Griechen die Kunst als etwas gleichsam Instinctartiges betrachtet werden; sie sind mit ihrem ganzen Geiste, mit ihrem ganzen Leben zur Kunst gedrängt worden. diese ideale Lebendigkeit ist ihr Charakter überhaupt, und dieser Geist hat auch die Fertigkeit in die Hände und Finger gebracht. die Skulptur ist der Mittelpunkt der griechischen Cultur; sie hat die Individualität wohl, aber nicht in ihrer Willkühr, Subjectivität, sondern in ihrer Objectivität, Substanzialität. der Sinn der substanziellen Individualität durchdringt dann auch alle ihre Darstellungen, und so ist es kein Wunder, daß die Skulptur bei ihnen diese Fertigkeit, Leichtigkeit und Höhe erreicht hat. Die 2te Bemerkung in Ansehung der Äußerlichkeit der Skulptur betrifft ihre Beziehung auf die Architectur, das A u f s t e l l e n überhaupt. | Das Kunstwerk der Skulptur bedarf eines H i n t e r g r u n d e s ; das unmittelbare Gottesbild hat den Tempel zu seiner Umhüllung; die Bildsäulen Homer’s und der großen Helden hatten ihren Platz zu Elis, und auf den öffentlichen Plätzen ihrer Vaterstadt. das Gottesbild hatte also, wie gesagt, den Tempel zur Umhüllung, und die Wand zum Hintergrunde. Die Gruppirungen, die einfach waren, hatten ihren Stand in den Giebelfeldern und an hohen Punkten. dabei können wir die Bemerkung machen, daß es sehr wichtig ist, wie ein Skulpturwerk aufgestellt sey, ob es einen wirklichen Hintergrund, oder statt dessen nur den freien Himmel habe. Ein eigner Umstand ist es, wenn die Skulpturwerke nur den freien Himmel zum Hintergrunde haben, der schon deshalb nicht zu empfehlen ist, weil er sich sehr oft verändert. die Schönheit und das Hervortreten der Umriße der Figuren kommt sehr darauf an, daß der Hintergrund eine gewiße Helligkeit oder Dunkelheit habe. Stehen die Gruppen ganz frei, und noch dazu sehr hoch, so sieht man eigentlich nur den äußersten Umriß, eine Art von Silhouette; die übrige Ausarbeitung ist nicht so sichtbar. Wenn also eine Gruppe so gestellt wird, so fallen die Figuren auf einander, und man kann die Hauptsache, die feinen Umriße jeder Figur, nicht

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recht unterscheiden, sondern die sichtbaren Umriße bestehen aus Theilen vieler Figuren. daher sind auch diese Gruppen sichtbarer bei grauem, dunkelm Himmel, weil die äußern Umriße nicht solchen Contrast am Himmel haben, und folglich die innern Umriße nicht so sehr überglänzt werden. daher ist es besser, einzelne Figuren an solchen hohen Orten anzubringen. dis ist auch der Grund, warum der Wagen auf dem Brandenburger Thore so guten Eindruk macht; denn die Pferde und die Victoria stehen so rein und getrennt, daß man, zum wenigsten immer einige, sehr rein unterscheiden kann. dagegen macht der Drachenwagen auf dem neuen Schauspielhause | nicht den schönen Eindruck; die Greifen sind schon überdies viel mannichfaltigere, zusammengesetztre Figuren, als die Pferde; die Greifen haben Flügel, Apoll eine Leier, und so kann der Anblick nie ganz rein seyn. So schließt sich die Skulptur an die Architectur an; überall lassen sich Skulpturwerke anbringen. Besonders eignen sie sich zu Verzierungen in Gärten. Indem aber das Skulpturwerk sich so auf die Architektur bezieht, so wird es auch zum Zierrath herabgesetzt. dies geschieht auch in neuern Zeiten mit den alten Göttern, die, früher in Tempeln angebetet, nun zu einer niedern Bestimmung gebraucht werden. dadurch verändert sich die hohe Natur des Skulpturwerkes ganz; hier ist die Bezüglichkeit auf den Menschen die Hauptsache, und so werden die Skulpturwerke sehr in der Bestimmung ihres Ausdruks vermannichfaltigt. Eine 3te Seite des Skulpturwerks bezieht sich auf d a s M a t e r i a l . das besondre Material hat auch gewißermaaßen eine Beziehung auf die besondre darzustellende Idee. das Material der hohen Skulpturwerke ist Holz, Stein, Erz, Gold, Silber, Elfenbein, Marmor, Edelsteine u. s. w. gewesen. Man kann überhaupt sagen, daß e i n e r Art von Gestaltung und Arbeit e i n Material näher steht, als ein andres; es ist, so zu sagen, eine symbolische Anneigung des Materials zum Kunstwerk. – Das H o l z ist eines der ältesten Materiale gewesen, woraus die Götterbilder geformt worden sind. Ein Stock, ein Pfosten, mit einem Kopfe darauf, mag (wenigstens nach Winkelmann’s Meinung) der Anfang der Skulptur gewesen seyn; auch später hat sich das Holz ziemlich lange erhalten. die Holzschneidkunst ist auch in neuern Zeiten geübt worden; z. B. von Albrecht Dürer haben wir vortreffliche kleine Figuren in Holz; auch paßt für die kleinen Figuren das Holz besser. der Zug, die Farbe der Fasern, scheinen dem Groß|artigen unangemessen zu seyn; dagegen fordern kleine Figuren scharfe Ecken und Einschnitte, die besser in Holz sich anbringen lassen. – Im allgemeinen besser und mehr gebraucht ist d e r S t e i n ; seine Dauerhaftigkeit ladet schon dazu ein. die Egypter haben viel in Stein gearbeitet, und es ist unbegreiflich, 2 dunkelm] dunkeln

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wie sie so schön künstliche Sachen in dem härtesten Steine zu Stande gebracht haben, und besonders in so großer Menge. Hier ist besonders die überwundene Schwierigkeit merkwürdig. – Besonders aber für die Skulptur passend ist d e r M a r m o r , und zwar der w e i ß e M a r m o r. dieses Farblose, oder Milde der Farbe entspricht nämlich dem Zwecke der Skulptur, nehmlich das Ruhige, Naive, Ideale, auszudrücken. die Alten hatten verschiedenen Marmor; der feinkörnigste ist der Cararische; er ist aber doch nicht so glatt, als Elfenbein, und gerad dadurch giebt er den Schein des Lebendigen. Gips hingegen hat nicht dies Durchscheinende, Körnige, ist also mehr ein Todtes, eine gleichförmige Fläche; auch ist er zu hell, und überblendet daher die Schatten und einzelnen Unterschiede. daher hat der Verfertiger von Schillers berühmter Büste den Gips mit einem hellen Gelb überzogen. – Ein andrer bei den Alten beliebter Stoff ist E l f e n b e i n und G o l d gewesen. An der berühmten, colossalen Statue des Phidias zu Athen war das Gewand von Gold, und das Fleisch von Elfenbein. die Athene war so groß, daß die Victoria auf ihrer Hand schon mehr als Lebensgröße hatte. Eben so colossal war sein Olympischer Jupiter. Bei solchen großen Bildern war es nicht bloß darum zu thun, daß die Kunst des Künstlers hervortrete, und geehrt sey, sondern der Reichthum des Volks sollte dargestellt werden (daher waren die Tempel auch so reich gemalt). das Bild selbst konnte daher auch nicht diesen einfachen, anspruchlosen Schein des Marmors haben. das Elfenbein ist ein sehr reines | Material, hat aber nicht das Körnige des Marmors. Elfenbein kann auch zu den kleinen, feinen Arbeiten gebraucht werden, wo das detail mehr hervortreten muß; solche kleinen Arbeiten sind in Menge in den letzten beiden Jahrhunderten ausgeführt worden[.] – Ein Hauptmaterial ist ferner das E r z gewesen; bei den Alten war das C o r i n t h i s c h e sehr berühmt; es entstand bei dem Brand von Corinth. Phidias, Polyclet, Myron, und andre große Künstler, haben auch in Erz gearbeitet. Was das Erz überhaupt betrifft, so ist es durch seine dunkle Farbe und Glanz vom Marmor unterschieden; deshalb ist es nicht dieser Abstraction und Reinheit angemessen, die der Marmor für sich darstellt. dieser trübere Stoff macht mehr Ansprüche an den Zuschauer, und ist auch fähig, eine mannichfaltigere Bildsamkeit anzunehmen. durch diese Bildsamkeit ist auch die Kunst zu den Zierlichkeiten und mannichfaltigen darstellungen übergegangen. der Marmor hat eine Grenze seines Gebrauchs und seiner Größe; aber in Erz braucht die Größe nicht berücksichtigt zu werden. das Erz läßt sich gießen und schlagen; besonders in Letzterem hat man es sehr weit gebracht. (Die Victoria auf dem Brandenburger Thore, und der Apollo auf dem Theater sind getriebene Arbeit.) Dazu kommt noch, daß das Erz sich, so wie der Marmor, mit dem Grandiosen sehr gut verträgt. – Auch in M ü n z e n haben es die Alten zu hoher Vollkommenheit gebracht, und zwar nicht mit so vollkommnen

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Werkzeugen, als wir sie jetzt haben, diese Kunst ist aber sehr heruntergekommen. – die E d e l s t e i n e , auch G l a s sind ebenfalls Materiale, und man hat darin noch vortreffliche Reste von Kunstwerken erhalten. die Edelsteine sind zu erhobener Arbeit, C a m ä e n , und zu vertiefter, I n t a g l i o s , gebraucht worden. die Kunst der Alten ist darin höchst vollkommen gewesen; so z. B. sind auf dem Siegelringe des Michael Angelo 9 Figuren von höchster Schönheit, die, selbst durch das Vergrößerungsglas betrachtet, die höchste organische | Schönheit zeigen. diese Kunst ist eine Kunst des Gefühls zu nennen, denn bei dem Schleifen der Steine muß der Künstler sich fast nur auf sein Gefühl verlassen, da er fast gar nicht dabei sehen kann. Die Skulptur haben wir also erkannt als die Kunst des höhern Ernstes, aber als eine Kunst, die lebendige Gestalten hat, nicht ein abstractum; die hohe Individualität, einverleibt der hohen Idealität, giebt die Heiterkeit der hohen alten Skulpturwerke. Schiller sagt: »Ernst ist das Leben, heiter die Kunst!« und zwar heiter in ihrem Ernste selbst. In dieser Heiterkeit hat sich die Kunst der Skulptur in die Mannichfaltigkeit ergossen, und darüber diese Heiterkeit selbst verbreitet. Die hohe Kunst hat angefangen mit der Abstraction, mit der bloßen Vorstellung, mit der symbolischen Stufe der Kunst, mit der egyptischen steifen Form. dann ist sie aber zur Individualität, zur Wahrheit des Geistigen übergegangen. diese Individualität ist aber in der Idealität gehalten, und daher kommt die Heiterkeit; und eben in dieser Heiterkeit vermag sie zu spielen, sich zu beschäftigen mit der Mannichfaltigkeit der Darstellung. In dieser Mannichfaltigkeit ist nichts von dem Verzerrten, Verschrobenen, Schmerzlichen, wie in der Darstellung der christlichen Kunst, sondern ihr Charakter ist und bleibt die Heiterkeit. diese Seite haben wir näher zu betrachten, da sie den Uebergang der hohen Skulptur in eine andere Sphäre enthält. Zum Behuf dieser Erklärung könnte eine Menge von Gegenständen aus der mythologischen Sphäre angeführt werden, in denen allen die Heiterkeit herrscht, und wo so die göttliche Gestalt der Menschlichkeit näher getreten ist. Ich führe nach dieser Seite nur Einiges an, wo die Lebendigkeit der Darstellung das Hauptinteresse ausmacht. Eben die Behandlung der harmlosen Gegenstände bringt schon die heitere darstellung mit sich. Eins der berühmtesten Werke der Alten ist ein ehernes Bild von dem Künstler Stypax, das einen Sklaven des Pericles darstellt, der Feuer anbläst; auch ist hoch geachtet der W ü r f e l s p i e l e r des Polyclet, so wie der d i s k u s w e r f e r des Myron. Sehr berühmt ist der s i t z e n d e K n a b e , der sich | einen dorn aus dem Fuß zieht. darstellungen dieser Art sind bei den Alten sehr häufig. Es sind Situationen, die keinen ernsten Zweck, keine Tiefe des Gefühls, keine Handlung im wahren Sinne darstellen, aber auch nichts Komisches: sondern es sind harmlose, flüchtig vorrübergehende Situationen, die vom Bildner fixirt, der Natur unmittelbar ab-

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gelauscht sind. – Verwandt hiermit sind die unendlich vielen darstellungen von Faunen und Satyren. Sehr berühmt ist der Faun, der eine doppelte Flöte betrachtet, von Myron, ein Satyr, der den jungen Bacchus auf den Armen hält. Die Satyre und Faune machen einen eignen Kreis der Skulptur aus. Winkelmann sagt, daß die j u n g e n Satyre und Faune durchgehends einen Apollo darstellen könnten, ausgenommen den Kopf. die Satyre und Faune sind zwar in hoher Idealität, aber immer doch noch in menschlichen Empfindungen dargestellt. Wenn man also einerseits an den Alten lobt, daß sie selbst Satyre und Faune ins Göttliche erhoben haben, so ist doch andrerseits der Kreis ihrer Arbeiten, Beschäftigungen und Empfindungen noch mehr menschlich. So betrachtet zwar der Satyr den jungen Faun mit unendlicher Freude, diese ist aber noch menschlich. Ferner ist die Skulptur noch hinabgestiegen zur D a r s t e l l u n g d e s T h i e r i s c h e n , aber des Thierischen, das nicht, wie bei den Egyptern, der Gott, sondern nur das Thier seyn sollte. Berühmt war im Alterthum d i e K u h d e s M y r o n . Myron ist berühmt als Künstler voll der höchsten Phantasie und der vollkommensten Naturdarstellung. Er war Zeitgenosse Polyclets, und Verfertiger mancher schönen colossalen Statue. Er verfertigte auch einen vortrefflichen Hund, und viele Stiere. Auch solche darstellungen schätzten die Griechen; denn das lebendige Auffassen der Natur galt ihnen mehr, als alles Gezierte und Künstliche. Von der Kuh des Myron sagt Goethe (Kunst und Alterthum), daß besonders ihre hohe Natürlichkeit gelobt wird; doch sey dis sehr dilettantenmäßiges Lob, und Myron sey es gewiß nicht bloß um die Natürlichkeit als solche zu thun gewesen. Er fragt ferner: Wie kann eine bloß natürlich nachgeahmte | Kuh für Jahrhunderte anziehend gewesen seyn? Aber ein Lebendiges, sagt er, konnte der Künstler der Kuh beigesellen, und dis war ein Kalb. Myrons Kuh war also eine säugende, und so ist für uns diese Bestimmung der Kuh die wichtigste. Er drükt sich ferner aus: die Kuh steht stramm auf ihren Füßen, wie auf Säulen, und gewährt durch den gestrekten Körper dem Kalbe Schutz und Obdach. das Kalb ist halb knieend, als flehte es, und die Kuh blickt mit gewendetem Haupte nach ihm hin. Wie vortrefflich mußte das Original gewesen seyn, da schon die Copieen so herrlich sind. Goethe fährt fort: die technische Weise mag der Künstler bewundern, wir aber behaupten, daß die Naivetät der Conception das Alterthum entzükt hat. das Säugen ist eine thierische Funktion; die bewußtlose, starre Stellung der Säugenden, und die begierige Thätigkeit des Kalbes stehen in schönem Contraste. Goethe wendet sich von den Thierbildungen zu den Göttergestalten, und sagt: Unmöglich wäre es einem antiken Künstler gewesen, eine Göttin säugend darzustellen.

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Einer Juno, Pallas oder andern in Marmor einen Sohn zuzugesellen, wäre entwürdigend; selbst Venus macht ihr Gürtel zur beständigen Jungfrau. Ferner fügt er die Bemerkung hinzu, daß den niedern Göttinnen, den Heroïnnen, Nymphen etc. das Geschäft der Ammen zugetheilt worden ist. oder daß viele Götter, wie z. B. Jupiter, von Thieren, oder überhaupt im Dunkel erzogen worden sind. dadurch zeigt Goethe, daß Gebähren, Säugen und Erziehen in einen noch ganz oder doch halb animalischen Kreis gehören, woher auch Chiron, der Halbmensch, der Erzieher des Bacchus war.

Hier können wir den Uebergang in ein anderes Feld der Kunst machen. In der classischen Kunst ist das Individuelle, das Ernste, Objective, der Gegenstand gewesen; der Mensch zwar, aber ganz abstract gehalten (Noch immer als Gott?); daher können wir sagen, daß die darstellung nicht genug anthropomorphistisch | gewesen ist. Aber das andre Moment, diese subjective Einzelheit, diese Menschlichkeit in ihrer Besonderheit, Abhängigkeit, ist das Moment, das jetzt in jene Objectivität aufgenommen werden muß, so daß also die Individualität in ihrer höchsten Ausdehnung das Prinzip der darstellung wird. Indem so die Kunst die subjective Individualität in sich enthält, so muß dis Prinzip auch der Anfang, die Seele einer andern Weise der Kunst werden, und diese ist die M a l e r e i , die wir nach der Skulptur zu betrachten haben.

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diesen Uebergang von der objectiven Darstellung, von dieser Ruhe und Stille, Abrundung in sich, zu der Subjectivität überhaupt, zu der Auflösung der Momente, die in der idealen Individualität gehalten und gebunden waren, müssen wir näher betrachten. dies Auseinandergehen, Auseinanderlassen ist auch als eine Rückkehr in sich zu betrachten, als eine höhere Einheit, die zur Darstellung kommt. die hohe, strenge Substanzialität der idealen Kunstwerke, die in ihrer Ruhe bleibt, und ins thätige Leben hinauszutreten verschmäht, hat dis Leben sich gegenüber, und ist daher ein Beschränktes; denn in der strengen Substanzialität ist das Prinzip der Subjectivität als solcher nicht zur Darstellung gekommen. Hier ist also diese Seite der ganzen Idee ausgeschlossen, gegenüber der substanziellen Individualität. dieses Zerfallen ist nun in der subjectiven, geistigen Individualität zur Einheit gebracht. das Leben der strengen, hohen Individualität ist nur in dem kalten Marmor, in diesem b l i c k l o s e n Seyn, ergossen. Aber die

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Reflexion in sich, diese Subjectivität für sich, ist das höhere Prinzip, und muß dargestellt werden. damit tritt dann erst der vollendete Anthropomorphismus ein. Mit dieser Einheit ist aber auch eine Trennung verbunden. die ideale, substanzielle Gestalt, welche die objective Geistigkeit darstellt, hat außer sich das Mannichfaltige, das Besondre, und ist dagegen gleichgültig, darüber erhaben. Indem aber die Subjectivität, die Reflexion in sich, das Prinzip ist, so verändert sich die Sache so, daß diese Reflexion in sich gegen ihre Körperlichkeit zwar ein Gleichgültiges ist, so wie gegen die Sinnlichkeit; aber dadurch wird die Sinnlichkeit, die | Besonderheit, für sich frei, und wird dadurch zu einem eigentlich Zufälligen. Aber das 3te ist dann, daß diese Subjectivität, diese in sich reflectirte Seele, sich zugleich auf den jetzt entbundenen Stoff, auf die zufällige Sinnlichkeit, bezieht; und diese Subjectivität hat ihre Darstellung, ihr äußerliches Daseyn, nur in diesem zufälligen Stoffe, sie s c h e i n t darin, und dies ist ihr äußerliches Daseyn. – Die eigenthümlichste Form dieser Erscheinung, daß nehmlich die Reflexion in sich sich in dem entbundnen Inhalte, als wie in einem bloß unmittelbaren daseyn manifestirt, diese Form ist, daß die Subjectivität bloß natürliche Persönlichkeit ist, und darin ihr Daseyn hat; und die Manifestation dieses daseyns ist d i e E m p f i n d u n g . dies ist die Hauptweise der Identität der beiden Seiten, die früher auseinandergefallen waren. Hier wird also Empfindung Hauptform des daseyns, also Hauptzweck der Darstellung. Die Empfindung ist eine Form, sie hat diesen oder jenen Inhalt, und dieser Inhalt macht das aus, was früher das Objective genannt wurde. Sie kann alle möglichen Inhalte, hohe, niedre, sinnliche, geistige haben. Eine besondere Empfindung aber, in der das Höhere erscheint, das Allgemeine dieser Form, ist die L i e b e überhaupt. denn diese ist nicht die auf sich beruhende Individualität, weder diese hohe substanzielle Individualität, die sich selbst genügt, noch das Gegentheil davon, die starre Persönlichkeit, die nur ihr eigenes, besondres Interesse hat, und sich keinem mittheilen will. Wenn also die Subjectivität, die Reflexion an sich, in die Allgemeinheit übergeht, so ist sie eben die Einheit von Subjectivitäten überhaupt, sie macht sich, weiß sich, und empfindet sich als Eins mit einer andern Subjectivität, und dis ist L i e b e . diese Liebe hat nun verschiedenen Inhalt, Liebe zu Gott, Liebe zu den Nebenmenschen, zu Kindern etc. Wenn aber die Liebe z. B. zu Gott, da ist, so ist darin nicht bloß enthalten ein Wissen Gottes als eines Gegenstands, sondern es ist auch eine | Reflexion in sich selbst, ist Empfindung. die höchste eigenthümlichste Form der Liebe ist die M u t t e r l i e b e . Die andern Formen sind zum Theil zuf ällige Neigungen, z. B. Geschlechterliebe, Freundschaft, wo noch, da sie zwischen Männern existirt, jeder eigne Zwecke und Absichten für sich hat. Liebe zu Gott hat nicht diese Doppelheit der Subjectivität, der Gedanke hat das Uebergewicht. die Ge-

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schwisterliebe ist so beschaffen, daß jedes noch seine eigene Bestimmung hat, seinen eigenen Weg gehen muß; die Vaterliebe hat außerdem auch noch andre Zweke, als Staatsbürger, Gatte etc. Bei der Mutterliebe ist aber das Verhältniß zum Manne und zu den Kindern die höchste irrdische Bestimmung. diese Liebe gründet sich auch noch auf einen animalischen Zusammenhang mit den Kindern, also auf etwas Unbewußtes, wie die Empfindung es erfordert. In dieser Empfindung liegt der wesentliche Charakter der Personen. In dieser Sphäre war also Empfindung das Prinzip, und dann die besondre Empfindung in ihrer höchsten Bestimmung, die Mutterliebe. – dann ist auch noch zu bemerken, daß die Subjectivität aus dieser Sphäre hinaustreten muß; sie muß als für sich Seyendes die Unmittelbarkeit der Empfindung negiren, muß thätig seyn und handeln; T h ä t i g k e i t und H a n d l u n g sind hier also wesentlich höhere Bestimmungen. Wie die substanzielle Individualität gleichgültig gegen das besondre äußerliche Leben war, so s e t z t die Subjectivität der Empfindung dieses besondre Leben, ist, wie gesagt, thätig und handelnd nach außen.

Jetzt haben wir das sinnliche Element der Darstellung dieses Prinzips zu betrachten. dieses Element ist das Element d e r S i c h t b a r k e i t . Hier ist nicht mehr der Gegenstand diese in sich abgeschlossene, auf sich beruhende Gestalt, es ist nicht mehr die materielle Totalität, sondern sie geht über zur abstracten Sinnlichkeit, zum vergeistigten Material. Ihr Element | ist also ein abstractes, vergeistigtes Element. In der Musik ist das Element die Abstraction des bloß materiellen Schwingens. Hier herrscht aber nicht mehr das abgerundete Materielle, sondern es geht in die Ve r f l ä c h u n g über. Die Fläche ist also die sinnliche Bestimmung nach der bloßen Räumlichkeit. – 2tens ist hier das L i c h t nicht mehr als einfaches Licht; ist nicht mehr die Gestalt, die für sich, abstract ist, sondern das Licht bricht sich an dem Gegenstande, bricht sich zur F a r b e . Dies sind also die 2 Grundbestimmungen zur Malerei. Die Malerei hat es also, wie gesagt, mit der Subjectivität zu thun, die in die Besonderheit versenkt ist, und das Element ihrer Darstellung ist die Fläche und Farbe. der Stoff der Malerei ist ganz unbeschränkt, weil eben das Feld die Besonderheit ist. In diesem Felde scheint das Empirische seine Stelle zu haben, weil eben das Scheinen die Hauptsache bei der Malerei ist. Die erste abstracte Frage in Hinsicht der Malerei betrifft das Abstracte derselben. die Malerei ist eine abstracte Kunst, denn ihre darstellung ist auf die Fläche verwiesen. Sie hat zwar die Farbe für sich, aber die materielle Totalität, die 3 Dimensionen, gehören doch ganz der Grundlage des Körperlichen an. Nach dieser Bestimmung ist sie also ganz abstract, und sie ist an den Schein gewiesen. Aus

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der Bestimmung, daß die Malerei eine abstracte Kunst ist, können wir die Frage entscheiden, ob die Skulptur oder Malerei älter sey? Unleugbar ist die erstere älter, weil sie das concretere Material hat, weil sie nicht so abstract in der Darstellung ist, als die Malerei. Man hat gefragt, wie die Malerei entstanden sey? und geantwortet: ein Mädchen habe ihren schlafenden Geliebten im Schatten silhouettirt. Aber dies ist nicht so. Man sehe nur die Kinder; sie fangen nie bei der Silhouette an, sondern markiren immer Augen, Ohren etc. Man kann hier noch weit mehr fragen, z. B. | warum die Kunst in ihren darstellungen abstract seyn müsse? Man kann kurz so abkommen: Weil die Endlichkeit der menschlichen Kunst nicht so totale Naturwerke hervorbringen könne. die Kunst s o l l aber nicht Naturwerke produziren, sondern geistige Werke a u s dem Geiste, die höher sind als Naturwerke. durch die Production bringt der Geist s e i n Scheinen zur Objectivität. Mit dieser Objectivirung seines Inhalts tritt er in das Moment des Auseinanderseyns, des Gegenständlichen, und so wirft er seinen Inhalt in das Feld der Unterschiede. dieses Feld der Unterschiede muß ein an ihm wirklich Unterschiednes, Geordnetes, Classifizirtes seyn. dies thut ja auch die Natur in ihren Productionen. Indem der Geist nun produzirt, so produzirt er auch solche Unterschiede, Gattungen; aber sie sind durch den Begriff bestimmt, und nach diesen Begriffsunterschieden macht der Geist sich Unterschiede, Gattungen, verschiedene Künste. diese Künste sind abstract, weil die Darstellung das Element des Auseinanderseyns hat, das Element der Unterschiede, und diese Unterschiede sind, wie gesagt, Begriffsbestimmungen. 2tens kann bemerkt werden, daß die Malerei der romantischen Kunst eigenthümlich angehört, und ihr entspricht. Dagegen kann man einwenden, daß nicht bloß die romantische Kunst, sondern auch die classische, vortreffliche Maler hervorgebracht hat; ferner, daß noch viele andre Völker Malerei gehabt haben, und zum Theil noch haben, ohne daß sie doch auf dem Standpunkte der romantischen Kunst gestanden hätten. Aber wenn wir näher nach dem eigentlichen Prinzip der Malerei fragen, so müßen wir nicht bloß empirisch dabei verfahren wollen, da wir überhaupt in der Philosophie nicht auf diese Art zu Werke gehen; sondern wir müßen fragen: Was sind die Mittel der Malerei? was ihre darstellungsweise? dann vergleichen wir den Stoff der Darstellung mit dem sinnlichen Mittel, und erklären den Stoff für den schicklichsten, dessen Prinzip am besten übereinstimmt mit | dem Prinzip jenes sinnlichen Mittels. So finden wir den wahrhaften Zusammenhang des Stoffs und des Mittels der darstellung, einen auf die Identität der Prinzipien beider beruhenden Zusammenhang. Wir haben gesehen, daß das Element der Malerei die Verbreitung in die Fläche ist, und die Farbe ist das Mittel der Anschaubarkeit. Die Gegenstände also der sich besondernden Subjectivität, eben so die Gegenstände der sich besondernden Äußer-

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lichkeit sind die für die Malerei eigenthümlichen Gegenstände. Dis ist nun ein großes Feld; aber die Malerei hat einen noch ihr eigenthümlichen, besondern Stoff, und dieser Stoff gehört ganz der romantischen Kunst an. 3tens kann überhaupt die Malerei nicht die Kunst des reinen Idealen seyn; ihr Gegenstand ist nicht die auf sich beruhende Gestalt, sondern die Gestalt, die in die Besonderheit der Empfindung, des Charakters, der Handlung hinausgeht, und dis macht andrerseits ihre Abhängigkeit aus, die ganz von der hohen, idealen Skulptur ausgeschlossen ist. Betrachten wir dies von Seiten der Fläche, so bedarf die Gestalt unmittelbar eines Hintergrunds, und einer Erfüllung dieses Hintergrundes mit mehreren Figuren. deshalb hat ja eine ausgeschnittene, menschliche, gemalte Figur etwas Widriges für uns. Selbst das Portrait bedarf eines Hintergrunds von Farbe, von Helligkeit oder Dunkelheit, damit die Farben besser hervorgehoben werden. Die Malerei kann allerdings auch für sich selbstständige Gestalten darstellen, die zwar einen Hintergrund habend, doch nicht sehr in Thätigkeit sind, mehr auf sich beruhen; aber für diese Selbstständigkeit muß die Gestalt in sich ein Recht haben, wie z. B. Christus, die Apostel etc. – Solche Figuren müßen ein Gegenstand der Verehrung seyn, sie müssen uns in ihrer ganzen Totalität interessiren, sey auch die Ursache des Interesses nicht sehr groß. So z. B. wird den Engeln eine geringe, einfache Art der Handlung zugeschrieben, aber diese Handlungen und Qualitäten machen sie uns interessant, zu einem Gegenstand der Verehrung. | So sind auch Portraite wegen ihrer Persönlichkeit interessant, und verlieren dis Interesse, wenn sie uns unbekannt sind, in sofern sie nicht durch die Kunst hervortretend, lebendig gezeichnet sind. dies ist z. B. der Fall mit van Dyck’s Portraiten, die gleichsam aus dem Rahmen zu schreiten scheinen. Wenn uns aber Personen nur durch einzelne Züge interessiren, so ist es unangemessen, sie in Portraiten darzustellen. Christus und die Apostel können, wie gesagt, als Portraite dargestellt werden, da sie auch einen Gegenstand der Verehrung ausmachen; aber Johannes den Täufer, oder den verlornen Sohn als Bruchstück zu zeichnen, wie Kügelchen es gethan hat, ist unangemessen, da sie uns nicht in ihrer ganzen Individualität, sondern nur durch einzelne Szenen ihres Lebens interessiren. Die Fläche ist also in der Malerei ein Zufälliges, Unbegrenztes, und dieses soll durch den Inhalt geschlossen, begrenzt seyn. Indem so die Malerei durch die Fläche, und mehr noch durch die Farbe, hinaustritt, und den Charakter der Besonderheit hat, so hat sie nicht die hohen Ideale der Skulptur zu ihrem Gegenstande, und daher sind die verschiedensten Gegenstände, die höchsten und niedrigsten, von ihr behandelt worden. durch diesen Umstand scheint die Malerei mehr an 29 Kügelchen lies: Kügelgen

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die Nachahmung gewiesen zu seyn, und diese Nachahmung, und der gelieferte Beweis derselben, scheint nur hier das Interessante zu seyn. Jetzt frägt sich näher, was denn eigentlich das Interesse der Kunst bei der Malerei sey? Sie kann als eine abstracte Kunst betrachtet werden, wo die Gegenstände so oder so genommen werden können. Es ist also der Mensch, der durch seine Kunst sich so der Natur zur Seite stellen will. In dieser Rücksicht hat man gegen die Malerei große Einwendungen gemacht, und ihr vorgeworfen, daß die größten Maler sich an gemeine Gegenstände gemacht, und so die Kunst herabgewürdigt hätten. So bleibe nur die Empfindung des Kunstkenners, nicht des Menschen, geehrt. Es ist besonders die Niederländische Kunst, die in dieser Hinsicht eine Rechtfertigung zu verdienen scheint; denn sie ist von den hohen kirchlichen Gegenständen zu dieser Prosa der Malerei übergegangen. Sie hat den ganzen Kreislauf der | Kunst und der Behandlungsart derselben durchlaufen. Sie hat angefangen von den bloß traditionellen, bloß handwerksmäßigen Kirchenbildern. dann ist sie übergegangen zu dem ganz Einfachen eines Seelenvollen; dann zu den höhern, edlern Werken der Malerei, und es ist vorzüglich van Dyck, der diese aufgebracht hat, der die freien Figuren, die natürliche Individualität hineingebracht hat. dabei hat er den Schmuck der Kleider, die Architectur, Zeichnung der Landschaften etc. nicht vernachläßigt. Von da ist die Kunst fortgegangen zu Portraiten, auch zur darstellung häuslicher Szenen, dann zu den mannichfaltigsten Gegenständen, Produkten der Phantasie, oder den gewöhnlichsten im Leben vorkommenden Momenten, und endlich zu dem Stillleben, zur Zusammenstellung von mancherlei Geräthschaften, Werkzeugen, Thieren, Früchten u. s. w. – Diesen Uebergang zur Prosa der Kunst wollen wir noch von der empirischen Seite betrachten. Dieser Uebergang hat zu der Zeit statt gefunden, als die Reformation in die Niederlande eindrang, und als dies Land frei gemacht war von Spanischer Tyrannei. So sehen wir, daß die Niederländer und ihre Maler einerseits theils Protestanten gewesen sind, andrerseits auch Bürger, die gegen die Tyrannei gekämpft haben. Unter ihnen ist nicht ein hoher Adel gewesen, der das Volk gedrükt hätte, auch nicht Ackerbauer, die, wie die Bauern in der Schweitz, losgeschlagen hätten, sondern sie sind meist Bürger, Städtebewohner, fromme, genügsame Gewerbsleute gewesen, die bei ihrem Gewerbe blieben, und ihre Rechte und Privilegien sich mit sauerm Schweiße erworben haben, so wie durch persönlichen Muth und Tapferkeit. Es war also ein Volk, einerseits von großer Einfachheit der Sitten, und Genügsamkeit, und andrerseits von großer Tapferkeit, verbunden mit der größten Behaglichkeit. Aus diesem Kreise sind die meisten niederländischen Bilder genommen, und man kann es ihnen wahrlich nicht | verargen, daß sie auch in der Kunst sich dieses von ihnen erworbenen Zustandes

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erfreuen wollten. Sie hatten sich auch dieser Gegenstände nicht zu schämen. Wenn wir den entsprechenden Sinn für die Naturgegenstände mitbringen, so werden wir uns auch an diesen Gegenständen der niederländischen Malerei erfreuen. Jetzt können wir dieses Interesse mehr aus dem Gesichtspunkte des Begriffs betrachten. Wir haben gesagt, daß die Bestimmung der Malerei die abstracte Bestimmung der Besonderheit ist, und so ist die Form der Malerei eigentlich die Form der L e b e n d i g k e i t . die Idee, weil sie im Felde der Besonderheit erscheint, verbirgt so den ihr allgemein adäquaten Inhalt; aber in der Lebendigkeit stellt sie sich als Seele dar. Lebendigkeit in der Malerei ist nicht so oberflächlich als bloße Natürlichkeit zu nehmen; denn in der Natürlichkeit zeigen sich die Gegenstände, wie sie wirklich sind; aber daraus folgt nicht, daß sie Lebendigkeit hätten. An der Lebendigkeit als solcher wird sich der unverdorbene, freie Sinn auch freuen, z. B. an der Lebendigkeit und Jovialität der niederländischen Bauern. Die Lebendigkeit ist das Seelenvolle, die Hauptsache in der Malerei. diese Lebendigkeit kann nun verflächt, der Genuß daran uns verbittert werden durch die Reflexion. die eine Reflexion ist die theoretisirende überhaupt; die 2te ist die Reflexion, die wir im gemeinen Leben machen. Einerseits nehmlich bringen wir bei solchen Gegenständen den Gesichtspunkt der Nachahmung, der Täuschung durch die Kunst mit. dieser Gesichtspunkt enthält nichts anderes, als eine bloß äußerliche Vergleichung, und das Interesse daran ist bloß, etwas ähnlich oder unähnlich einem andern zu finden. diese Reflexion betrifft gar nicht den Inhalt, die Sache selbst, oder ihre Uebereinstimmung mit sich selbst, die Uebereinstimmung des Begriffs und der Realität, sondern sie betrifft eine bloß äußerliche Uebereinstimmung, und so scheint Täuschung Hauptzweck zu seyn. | Wenn dies wäre, so müßten die Dennerschen Portraite besonders würdig erscheinen. Sie sind zwar Nachahmungen der Natur, aber sie erfassen nicht die Lebendigkeit der Natur, sondern bloß die Dürftigkeit derselben, und setzen hohen Werth in täuschende Nachahmung der Häärchen, Runzeln, etc. So stellen sie also eine Seite der Animalität dar, aber nicht die Lebendigkeit des menschlichen Wesens. Es soll aber die geistige Lebendigkeit dargestellt werden, und dies geschieht nicht durch kleinliche Nachahmung, sondern sie besteht oft nur in einzelnen Strichen. die Kunst soll sich an das halten, was als Zweck hervortritt, und dieses Hervortreten nicht durch Kleinigkeiten stören und hindern. Es können hier die Trauben des Zeuxis angeführt werden. daß Vögel dadurch getäuscht wurden, ist nicht der wahre Ruhm des Künstlers, und Parrhasius übertraf ihn durch seinen Vorhang. Die Trauben sind selbst organische Produkte, und haben in der Darstellung das Interesse des mannichfachen Farben- und Lichtspiels; deshalb sind sie ein würdiges Probe- und Uebungsstück

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des Malers. Bei der Skulptur haben wir Myrons Kuh erwähnt, und bemerkt, daß die Lebendigkeit der Darstellung des Animalischen die Alten so sehr entzükt habe. Also an Betrachtung der Lebendigkeit muß man sich hauptsächlich bei Beurtheilung der Malerei halten. – Eine 2te Reflexion, welche uns den Kunstgenuß verkümmern kann, ist die, welche der Verstand über die Anwendung und Ausführung der nicht unumgänglich zur Hauptsache gehörigen Dinge und Zweke macht. Wir nehmen so die Gegenstände nach der äußern Zwekmäßigkeit, wo unsere subjectiven Bestimmungen der lebendige Hauptzweck sind, und wo wir die Dinge nur als Mittel zu diesem Zweck betrachten. Der Botaniker z. B. sieht bei einer Pflanze, wie viel Staubfäden etc. sie habe, der Zoologe nach den Klauen, Zähnen etc. Man verhält sich überhaupt so in einem praktischen Interesse zum Gegenstande. | Die Kunst ist es aber, die alle diese subjectiven Zweke abschneidet, und daher muß man sie zur Betrachtung der Kunstwerke nicht mitbringen. die Kunst bringt uns den Gegenstand nur zur theoretischen Vorstellung, die bedürfniß- und leidenschaftlos ist. Wir müßen also den Gegenstand so gewähren lassen, wie er für sich dasteht, unbekümmert um unsre Subjectivität. die Skulptur schlägt unmittelbarer, als die Malerei, durch ihre Darstellungen solche Zwecke nieder; denn ihr hohes Ideal steht uns schon höher und entfernter, als die Gegenstände der Malerei, die uns näher sind, weil sie mehr in die Gegenwart hinaustreten. Das darstellen der Gegenstände in ihrer freien Objectivität ist also, wie gesagt, Zwek der Kunstproductionen. Hierbei erinnern wir uns eines Mythos, der das Gegentheil zur Anschauung bringt. Dis ist der Mythos vom Pygmalion und seiner Bildsäule der Göttinn der Liebe. Herr August Wilhelm von Schlegel hat diesen Stoff bearbeitet, aber der Gegenstand ist, trotz aller schönen Behandlung, zu prosaïsch. Ursprünglich hatte dieser Mythos wohl den bessern Sinn, daß die Götter dem Pygmalion wohl die Belebung der Statue gewährt haben, aber wahrscheinlich nur durch seine Kunst. Jene Rückkehr aber zu der subjectiven Befriedigung ist grade der Gegensatz von der Forderung, die wir oben gethan haben, daß nehmlich das subjective Interesse von dem Kunstwerk fern seyn solle. Außer diesem Interesse der Lebendigkeit ist noch eine besondre Seite zu bemerken, wodurch die Malerei uns interessirt, zwar bewußtlos, aber doch mit Bewußtseyn interessiren s o l l . Es ist dis das besondere S c h e i n e n der Werke der Malerei, da sie uns die Gegenstände sichtbar darstellen soll, so muß sie uns eine Sphäre von Lichtwirkungen vorstellen. diese Spiele, Lichtwirkungen, sind die Mittel, wodurch uns der Maler den Gegenstand recht deutlich vorstellig macht. Dies Verhältniß ist nun für sich selbst äußerst veränderlich, hängt von dem materiellen Verhältniße der Farben, und von den Lichtpunkten, d. h. den Punkten, wo das Licht darauf scheint, ab. Auch in diese Seite ist es, wo vornehmlich die

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eigenthümliche Kunst, | auch die subjective Manier des Malers fällt. Diese Magie des Scheinens (nicht die Farben als solche verstanden, sondern Schatten und Licht) ist es eben, welche uns die Gegenstände als natürlich erscheinen läßt, und das Hauptverdienst ausmacht. Auf diese Seite achten wir gewöhnlich in unsrer Betrachtung wenig; denn in unsrer Vorstellung behalten wir die Hauptsache, die Umrisse, das Abstracte der Figur, und geben auf das Scheinen wenig Acht, weil diese Seite nicht Gegenstand unsres gewöhnlichen Bewußtseyns ist. diese Seite kann man d i e M u s i k d e r M a l e r e i nennen; es ist das Spiel der sichtbaren Gegenstände, der Ton des Gemäldes, der in der Vorstellung augenbliklich verändert wird, und den der Maler schnell festhalten und darstellen muß. In dem sogenannten Stillleben ist es vornehmlich diese Magie des Scheinens, die das Hauptinteresse ausmacht, da der Gegenstand selbst kein Interesse hat. daß der Maler so damit spielt, ist ihm nicht nur nicht zu verargen, sondern bei diesen interesselosen Gegenständen muß dis das Hauptinteresse gewähren. Vo n d e m G e g e n s t a n d , S t o f f e d e r M a l e r e i . Was den allgemeinen substanziellen Gegenstand der Malerei betrifft, so ist schon gesagt worden, daß er in die romantische Sphäre hineingehört. Man muß zugestehen, daß die Alten auch schon herrliche Gegenstände und Werke der Malerei gehabt haben, aber auch, daß die ideale Weise der Malerei, ihre Symbolik darin, nicht anpassend ist dem sinnlichen Elemente der Malerei. die neuern Italiener, die Caracci’s, Albano, und andre, haben auch in neuern Zeiten die mythologischen Personen gebraucht, und sie besonders zu eigenen Zwecken, zu Ehren der Feste der Großen etc, angewandt. Auch in neuerer Zeit hat G ö e t h e die Beschreibung der Gemälde Polignot’s in der Poecyle vorgenommen. Was die Malerkunst der Alten, ohne Berücksichtigung der Stoffe, betrifft, so sind die Nachrichten darüber sehr dürftig, Plinius sagt nur Weniges davon. Einige Gemälde sind auch in Herculanum ausgegraben; aber durch alles dieses sind wir fern von der Kenntniß der Malerei der Alten. Man sieht aber doch denen in Herculanum | ausgegrabenen an, daß sie alle nach e i n e r technischen Manier scheinen gemalt zu seyn. Herr Hofrath Meyer hat ein Gemälde aus Herculanum copiren lassen; es stellt Ariadne auf Naxos vor. die Composition ist sehr gut, die Zeichnung und Colorirung scheinen allerdings sehr schön zu seyn; aber die ruhige Stellung, und der Ausdruk in ihrem Gesichte zeugen nicht von einem vorzüglichen Malerstück; es ist nicht diese Ruhe, Tiefe des Gefühls, Innigkeit darin, die wir von einem Gemälde fordern. Die absolut wesentliche Darstellung der Malerei ist eben die Darstellung der tiefen, empfindungsreichen Seele, und auch die Darstellung der Besonderheit, die aber tief in die Seele geschnitten ist, Eins mit der Seele ist. Die Besonderheit hat ihre entwickelte darstellung an den Situationen,

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Verhältnißen etc. Aber die Besonderheit, wenn sie in die Seele zurükgenommen, eingewurzelt ist, ist ein Allgemeines. Diese Innigkeit ist es, die wir in der Malerei dargestellt sehen wollen und können. Dazu gehört nun, daß es ein Zurükkehren in die Seele sey, die Seele muß vieles durchgemacht, gelitten haben, muß sich aber in dieser Trennung, Entzweiung erhalten haben, und aus dieser Negativität zurükgekehrt seyn. In dieser Rücksicht können wir an ein Vorbild, an einen Typus bei den Alten erinnern, und dis ist Hercules, ein Mensch, der um seiner Arbeiten und Thaten willen von den Göttern in den Olymp aufgenommen worden. Ich habe der alten Sage erwähnt, daß durch ihn das Reich des Zeus zu Ende gebracht werden sollte. darin liegt der Sinn, daß das Reich der antiken, selbstständigen Individualität zu Ende gebracht werden soll durch die Individualität, die stets kämpft und überwindet, theils sich, theils die Außenwelt. diese Subjectivität, die überwunden hat, muß der Gegenstand der Malerei seyn; sie erhält sich selbst in dieser Negativität ihrer selbst, aber ausgedehnt zu einem Allgemeinen, und dies ist die L i e b e . Es ist die Liebe, die zugleich mit einer Trauer, Schmerz, verhüllt ist. Wenn es auch Liebe zu einem Kinde, Weibe etc. ist, so muß darin doch eine Besorgniß vor dem möglichen Verlust liegen. | Die höchste Liebe dieser Art ist d i e r e l i g i ö s e L i e b e . Also diese Rückkehr in sich, die doch bei diesem Schmerz ist, ist die überirrdische, uninteressirte heilige Liebe. diese Liebe hat die ihr nächste Wirklichkeit, wie gesagt, an der Mutterliebe. diese Liebe hat zugleich an sich den Zug der Demuth; denn das, was sie liebt, ist ein ihr Geschenktes, also Zufälliges, und die Erhaltung desselben auch ein Zufälliges, ein Glück. Soll sie dargestellt werden, so gehört auch dazu ein Blick nach dem Himmel, über das Endliche hinaus. Die Mutter Maria ist zugleich in ihrer Hoheit und als Mutter dargestellt. diese Liebe ist die leidenschaftslose, sie ist ohne Neigung, oder es ist nur ein Neigen der Seele; es ist nicht die Aphrodite der Alten. Sie kommt der Bruder- und Schwesterliebe am nächsten. Auch Maria wird nicht im ehelichen Verhältniß dargestellt, sondern in dem Verhältniß von Bruder und Schwester. Insofern diese Liebe also Persönlichkeit hat, so ist es eine ganz indifferente Einheit; die sich Liebenden müßen gleichgültig gegen einander seyn, aber in dieser Gleichgültigkeit muß doch das Bewußtseyn dieser Einheit seyn; diese Einheit muß ihnen als ein Drittes erscheinen, und sie sich selbst, als ihre Einheit in dem Dritten habend, woher dann auch die Einheit nie verloren gehen kann. So muß ihnen also das endliche Verhältniß als ein mangelhaftes erscheinen, das verloren werden kann und soll. diese Liebe enthält also eine Negativität, ein Erheben zu einem Jenseits, aber ein Erheben ohne Sehnsucht, ohne Begierde. – diese Liebe ist es nun, was das Innere, Seelenvolle, Substanzielle des Modernen, und besonders der Malerkunst, ausmacht; es ist das Ideale des Modernen, das an die Stelle des alten Idealen tritt. Es ist schon gesagt, daß diese stille Größe, in ih-

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rer Heiterkeit, einen Zug von Trauer hat. Hier in dem Idealen der Malerei ist auch eine Heiterkeit, aber Heiterkeit als F r i e d e ; es ist nicht die Seeligkeit, sondern die Empfindung der Seeligkeit. diese Liebe macht den Grundzug der Werke der großen Meister neuerer Zeit aus, und besonders der italienischen Meister. In ihrer darstellung empfinden wir die Innigkeit, die begierde- und sehnsuchtslos ist; es kann da großer Schmerz herrschen; aber | jener Grundzug muß bleiben und durchschimmern. die Liebe, selbst im Schmerz, muß zeigen, daß sie überwindet, oder überwunden hat. In der Negativität, in der Entzweiung gerade muß diese Lichtspitze, in der die Entzweiung sich vereinigt, hervorstrahlen. dieser hohe Anklang der für sich seyenden Seeligkeit und Liebe ist in allen diesen Werken. diesen Anklang finden wir auch in den Tö n e n , und auch in der S t i m m e der Italiener; z. B. in der Stimme der Catalani; es ist dis reine Klingen, ohne Nebenklang, die Stimme eines Vogels; aber als Menschenstimme hört man es ihr an, daß sie sich selbst hört. In den deutschen Stimmen klingt noch etwas bei, und dis Beiklingende ist das Moment der Subjectivität. In solcher italienischen Stimme ist aber noch der Selbstgenuß der Stimme: sie erhebt sich nicht nur, sondern sie schwebt über dem Irrdischen, Besondern, und dieses Schweben, diese Rücksicht in sich selbst, hört man ihr an. So auch ist es in dem Sylbenmaaße der Italiener, in ihren Stanzen, Terzinen; es ist nicht genug, daß sich da 2 reimen, sondern auch in dem Dritten wird diese Einheit empfunden. diese Innigkeit der Liebe, die als Liebe schon in der Idealität ihren Genuß hat, ist das, was in Petrarca’s Liedern das Herrschende ausmacht, die Liebe, die in ihren Klagen und Erinnerungen schon Befriedigung hat. Diese Liebe ist im Besitz dessen, was sie liebt, also in einem von der Wirklichkeit unabhängigen Besitz; und insofern dieser Genuß so in sich beschlossen ist, ist er gleichgültig gegen die Wirklichkeit. Es ist eben derselbe reine Sinn, mit welchem auch Dante mit seinem Meister Virgil durch das Fegfeuer wandelt. Er sieht hier das Ungeheure; aber er schreitet ruhig weiter, geräth nicht in Angst und Abscheu über den Anblick, und eben so bleibt er auch ohne Erbitterung, ohne das Gefühl, daß es nicht so seyn sollte. Es ist diese Liebe, diese Zuversicht, die ihn hier begleitet, und indem er an allen die Gestalten Antheil nimmt, so ist er auch zugleich in seiner Zuversicht abgeschlossen gegen diese ihm gebotenen Eindrüke. Man könnte sagen, daß selbst seine Verdammten diese Seeligkeit haben; sie haben, so zu sagen, die Seeligkeit der Ewigkeit, sie sind was sie sind; daher sprechen sie nicht von ihren Quaalen; nur ihre Thaten und Interessen sind ihnen eingedrückt. Gegenüber diesem gräßlichen Anblick | hat Dante die Seeligkeit der Versöhnung, der Einheit mit sich dargestellt. Durch diesen Zug der Seeligkeit, den man kennen muß, kann man die italienischen Malerwerke beurtheilen. Diese Meister sind auch durch dieses Gefühl der geistigen Idealität erhaben über

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die Besonderheit; sie können ihrem Gegenstand gebieten. Indem sie sich also einerseits an die Gegenstände der gemeinen Wirklichkeit halten, auf Erden sind, sind ihnen andrerseits durch diesen Zug, den sie ihnen geben, die Gebilde Rosen eines andern Frühlings. Jener Zug der Versöhnung, Liebe, schreitet geistergleich durch die Verkümmerung der zufälligen, gemeinen Gegenstände; es ist so die Seele, der Schmetterling, die Psyche, die durch verkümmerte Blumen hindurch in ein andres Lichtreich flattert. die Italiener gießen diesen himmlischen Strahl über das Ganze aus, und erschaffen und beherrschen von diesem originellen Standpunkte aus ihren Gegenstand ganz frei. durch diese einfache, geistige Idealität verhalten sie sich zu den Niederländern und deutschen, wie die antiken Werke der Skulptur zu den modernen. Hier ist nicht der Ort, den Preis und die Schilderungen einzelner Gemälde zu machen, da unsre Wissenschaft nur bei dem Begriffe der Dinge stehen bleiben muß. Aber e i n e s Unterschieds ist noch zu erwähnen. der Unterschied an den Figuren kann sich in die mannichfaltigste Besonderheit ergehen; aber diese Besonderheit ist es nicht, die den angegebenen Grundzug berührt. dieser Grundzug ist nämlich die Liebe, die in sich zufrieden ist, erhaben über alle Besonderheit des Charakters, der darum etwas Gleichgültiges wird. Bei der Skulptur ist es was andres; da ist die Darstellung noch in der ersten Individualität; aber in der Malerei ist die freie, versöhnte Liebe der Punkt, auf den alles ankommt, und daher sind die Unterschiede, worauf es bei dem Substanziellen ankommt, nicht so tief. die Hauptbestimmung bei den Alten, Schönheit, ist hier also nicht so sehr Gesetz, als diese Einheit, freie Liebe, geistige Idealität. der Hauptunterschied, der berührt werden kann, kann unmittelbar nur seyn, daß diese Innigkeit, Liebe, entweder als ganz befriedigt, oder als nach ihrem Gegenstande noch gekehrt erscheint, oder daß es die Seeligkeit im Leiden ist. | Was das Erste betrifft, nehmlich das Seelige, Höchste in seiner Vollendung, so kann es zunächst in seiner Abstraction aufgefaßt, und in der Darstellung Gottes selbst gesucht werden. Gott der Vater kann eigentlich nicht Gegenstand der Malerei seyn. Als Gegenstand der Kunst ist er als Zeus erschöpft, wo er bloß die Macht vorstellt. In der christlichen Religion ist er aber auch gedacht als Vater, als übergehend in seinen Sohn. Man könnte sagen, daß er auch im Alterthum dargestellt sey, wie ihm Pallas aus dem Haupte entspringt; dieser Anthropomorphismus würde aber der christlichen Religion nicht entsprechen. Man müßte ihn als ernsten Mann darstellen; aber dies Moment der Individualität ist schon in seinem Sohne Christus dargestellt, und so würde diese Bestimmung an Gott dem Vater als überflüßig, nicht passend, erscheinen. Also wird dieser Anthropomorphismus an Christus passen; aber hier tritt dieselbe Schwierigkeit fast ein; denn als griechische Individualität dargestellt, erschiene er als e i n griechischer

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Gott; als Mensch dargestellt, träte er ganz unter die Menschen zurük. Also muß die Göttlichkeit im Reflexe erscheinen. Er muß ausgestattet seyn mit den unmittelbaren Zügen der Menschlichkeit, die Göttlichkeit muß erscheinen durch den Reflex, durch die Anbetung der Gemeinde, durch ihren Geist muß er in den Himmel des Geistes erhoben werden, uns erscheinen, wie er ihnen erscheint. Dieser Bestimmung zufolge muß man auch gestehen, daß die Portraite von Christusköpfen, so schön sie auch seyn mögen, nicht das erfüllen, was sie sollen, z. B. der Christuskopf von Caracci, von Hemmling in der Boissereeschen Sammlung. Je mehr man ihn betrachtet, desto mehr wird man in Verwundrung gesetzt, er scheint einen anzustrahlen. Aber demungeachtet scheinen sie doch nicht den beabsichtigten Ausdruck zu erreichen. daher sind die bestimmten Situationen, in denen Christus dargestellt wird, am zwekmäßigsten. die erste Darstellung Christi, die uns einfallen kann, ist C h r i s t u s a l s K i n d . dis drückt zugleich die Bestimmung Christi aus; nehmlich in den Kindern sieht man die Gebrechlichkeit des menschlichen daseyns. Zugleich sieht man, daß er hier nicht ausdrücken kann, was er nach der substanziellen Seite ausdrüken soll. So z. B. sehen wir in dem Kind bei der Madonna di San Sisto | die höchste Kindlichkeit, aber zugleich einen Strahl von seiner spätern Göttlichkeit. Eben so zwekmäßig ist ein E c c e h o m o ; hier wird eben die Göttlichkeit in ihrer größten Erniedrigung, Negativität dargestellt; es ist ein Irrdisches, was hier dargestellt werden kann, und zugleich kann die Conception sich an dem unendlich hohen Stoffe frei auslassen. Es ist zwar ein ungeheures Leiden, eine ungeheure Vorstellung, daß Gott leidet, stirbt, eine Vorstellung, deren nur die christliche Religion fähig ist; aber zugleich ist da das Göttliche, das eine gräßliche Verzerrung findet, es ist mehr ein Seelenleiden, und dies ist eben durch italienische Meister ganz vorzüglich originell ausgedrückt. Der Schmerz zeigt sich hauptsächlich im Gesicht, im Auge, in der Stirn; an den untern Theilen wird er mehr zum Ernst, denn da ist mehr das Thierische. In den obern Theilen des Gesichts giebt es wenig Muskeln, die einer Verzerrung fähig sind, und daher erscheint der Schmerz da mehr als ein Gehaltenes. In dieser Hinsicht haben die italienischen Maler auch ein ganz eigenes Colorit erfunden; es ist keine eigentlich menschliche Farbe, es ist ein eigenes Braun und Schwarz, ein Dunkel, wodurch die Nacht des Geistes während dieses Kampfes dargestellt wird. – C h r i s t u s a l s L e h r e r ist auch eine würdige darstellung, es ist die darstellung einer seiner würdigen geistigen Funktion; eben so wie C h r i s t u s b e i m N a c h t m a h l , in der A u f e r s t e h u n g . In dieser Sphäre ist die M u t t e r die Hauptperson; denn in ihr kommt die Liebe selbst zur Anschauung. Dies geschieht nicht in dem Kind, in dem leiden25–26 vorzüglich originell] vorzüglich, über der Zeile: (originell)

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den, auferstehenden, oder zum Himmel fahrenden Christus; in ihm ist die Liebe nicht personifizirt. Die Liebe ist aber die wahrhafte, einzige Bestimmung der weiblichen Natur, die Bestimmung der männlichen ist, Selbstzweck und Interesse gegen die äußere Wirklichkeit zu haben, und dagegen sich abzukämpfen. Erst in der Frau als Frau erreicht sich die weibliche Natur selbst, hat ein concretes Wesen. dieses Verhältniß der Liebe hat in der weiblichen Natur die ihr wahrhaft entsprechende Wirklichkeit. die Mutter Gottes ist also die Hauptgestalt in den | modernen Werken der Malerei; aber in allen Lagen, an der Krippe, neben dem Kreutz, als Himmelsköniginn, ist die Liebe ihr Charakter. Am vollendetsten ist sie dargestellt als H i m m e l s k ö n i g i n n , nicht aber als die antike Here, sondern mit dem Kinde im Arm, gerade vor sich hinschauend, ohne Sehnsucht, ohne Freude; sie ist in dem unmittelbaren Verhältniß dessen, was sie ist, befriedigt, sie ist nur durch das Kind vollendet. dies Verhältniß breitet sich auch weiter aus, als ein Befriedigtes, Vollendetes in den A p o s t e l n . In ihnen stellt sich die Befriedigung, seelige Ruhe dar, eben so wie in den E n g e l n . Bei diesen kann die befriedigte Liebe mehr kindlich seyn; sie kann aber auch als befriedigte Seele da seyn, die aber zum Kampfe geht, oder aus dem Kampfe zurückkehrt. dieser Zustand der Seele kann verschieden ausgedrükt seyn. Z. B. in den Raphaelischen Gemälden sind die Apostel kräftige, reife Männer, zuweilen aber auch jugendliche Gestalten, wie Johannes. Correggio hat besonders viele Stufen dieses Zustandes in seinen Gemälden ausgedrückt, von der kindlichen Freudigkeit eines Amors, so zu sagen, bis zur kräftigen Männlichkeit und Freudigkeit, wie in seinem großen St. Georg. diese Befriedigung enthält es aber selbst, daß sie nicht bloß fertig, seelig, bloß genießend ist, sondern daß auch das Leiden in ihr ist, und gegen andre gerichtet ist. Als Idealität ist sie nur geistig, in sofern sie überwunden hat; deshalb hat auch Christus leidend abgebildet werden müssen; aber in sich selbst hat er den ganzen Prozeß des göttlichen Lebens durchzuarbeiten. Was verloren ist, ist einerseits das Höchste, und was überwunden werden soll, ist auch das, was der Gegensatz in seiner höchsten Widrigkeit ausdrückt. Weiterhin hat aber dieses Leiden auch den Charakter d e s L e i d e n s i n d e r L i e b e u n d d u r c h d i e L i e b e . dies ist ausgedrückt in der mater dolorosa, in den leidenden Aposteln, in den Märtyrern. Hier ist aber die Grenze, wo die Malerkunst leicht ihr Ziel überschreiten kann. das leibliche Leiden, das Schinden, Brennen etc, muß nicht zur Anschauung gebracht werden, nicht etwa wegen der schwachen Nerven der Zuschauer, sondern weil es uns hier nicht um das Körperliche zu thun ist, sondern bloß um das Leiden um andre, oder um das Leiden in seiner Innerlichkeit, und dies ist in der Reue, Buße, dargestellt. Daher interessirt uns bei der Grablegung oder Kreuzigung Christi Er selbst nicht so sehr, | sondern das Leiden der Mutter und Freunde ist der Hauptpunkt. Wenn aber auch das kör-

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perliche Leiden ausgedrückt wird, so muß auch zugleich die Hoffnung auf ein besseres Seyn, wo das Verlorne unverloren ist, dargestellt werden. dies ist auch in dem Schmerz der Mutter bei der Leiche ihres Sohnes ausgedrükt. In diesem Leiden ist also ausgeschlossen ein Zorn über das Geschehene, eine Anklage, Verdrießlichkeit über das Schicksal oder die Umstände; auch kann nicht ausgedrückt seyn die Standhaftigkeit, diese Flucht ins abstracte Ich, ins starre Seyn; es ist in diesem Leiden nicht ein Tragen der Nothwendigkeit, sondern eine Versöhnung enthalten. Merkwürdig ist daher zu vergleichen in der darstellung das Leiden der Maria, und das der Niobe, der Mutter der Alten. diese Niobe verliert auch nichts von ihrer idealen Hoheit, zeigt keinen Zorn, behält ihre volle Schönheit. Wenn wir näher betrachten, was hier das Unverletzte ist, so ist es ihre darstellung, die Existenz ihrer Realität; denn diese Schönheit ist es, die den ganzen Umfang ihrer daseyenden Realität ausmacht; diese Schönheit erhält sich, und diese Seite, in der sie das ist, was sie ist, bleibt ungetrübt. Aber das Substanzielle ist hier zerstört. dieser Umfang des Subjectiven, diese subjective Individualität ist das, was wir das H e r z nennen; dis ist nicht gebrochen, durchbohrt: daher kann ihr Schmerz sie nur versteinern. Maria fühlt aber den Dolch, der ihr Herz durchbohrt; über ihrem Herzen hat sie aber ihre Liebe. diese ist nicht die Individualität der Alten, sondern ein Freies, ein Concretes, welches noch das Verlorne behält; sie verliert das Geliebte, behält aber die Liebe. diese Liebe ist es, was durch das Seelenleiden durchscheint, und durchscheinen muß, ein Höheres, als das bei Niobe Ungetrübte. Hier kann ich eines Gemäldes der sterbenden Maria erwähnen, das Herr Boisserée besitzt. Eine schwere Aufgabe. Sie liegt sterbend auf einem Bette, ihre Freunde ringsum mit den bei Sterbefällen nöthigen heiligen Gebräuchen und Geräthschaften. die verschiedenen Personen und das Beiwesen ist von höchster Schönheit. diejenigen, die Somnambulen, schöne, weibliche, seelenvolle Gestalten gesehen haben, wo die Seele noch in sich thätig ist, und den Körper starr verlassen hat, sind bei Besichtigung der sterbenden Maria an diesen Anblick | erinnert worden. Es ist in ihr nicht das Ermatten, Zusammenfallen im Tode, sondern man sieht noch das Freiwerden, Zurückkehren der Seele in sich. Noch ist zu erwähnen, daß die höhere Liebe nach außen gewendet erscheint, nicht nach einem andern endlichen Gegenstande, sondern nach dem absoluten Gegenstande selbst, nach der Liebe. dies ist die A n b e t u n g . Diese ist ein Hingeben, Aufgeben seiner selbst, zugleich aber ein Nehmen seiner Zufriedenheit in einem andern. diese Anbetung muß aber nicht als Bitten, sondern als Beten erscheinen; denn das Bitten scheint zu verlangen, daß der Andre etwas für mich aufgeben soll, es bringt das Verhältniß der Fremdartigkeit hinein; m e i n Nutzen, m e i n e Selbstsucht soll befriedigt werden. Das Beten hingegen hat dis nicht, es ist eine Erhebung des Herzens zu dem Höchsten, zu der Liebe, die

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nichts für sich allein hat; und so ist in dieser Erhebung auch schon die Gewährung. Wenn die Gewißheit der Erhörung auch nicht das Besondre betrifft, so muß es doch eine Gewißheit der Erhörung in Hinsicht meines Besten, so zu sagen, seyn. So ist also nach dieser Seite die Anbetung selbst Befriedigung und Genuß. Es ist dis also eine Situation für sich. Solche Anbetungen sind dann auch häufige Gegenstände der Malerei gewesen, z. B. der Papst Sixtus, die heilige Barbara bei der Madonna di San Sisto, Apostel, Heilige, etc. Hierher gehören auch die vielen S t i f t u n g s g e m ä l d e . Auf diesen machen Christus, Maria, Heilige etc. den Hauptgegenstand aus, und der Schenkende kniet mit seiner Familie, und betet an; dis kommt besonders häufig auf deutschen Gemälden vor; denn die Deutschen haben i h r e Persönlichkeit auch gern dabei haben wollen. Solche anbetende Personen von schönem Ausdruk sind Franciscus bei Correggio, und andre. Vorzüglich schöne anbetende Donatarien (Schenker) sind in der Sollyschen Sammlung. Ich habe oben des Papsts Sixtus erwähnt. diesem sieht man es an, daß er ein ganzes Leben durchgemacht, durchgelitten hat, und daß seine Anbetung nicht ein bloß vorübergehendes Moment ist. | In den deutschen Meistern, besonders bei den deutschen Frauengebilden, macht allerdings dieser Zug der Andacht das Ueberwiegende aus; den Männern sieht man aber an, daß sie ausdrücklich jetzt zur Messe gehen, sonst aber noch andre Zwecke und Interessen haben. Ein besondrer Gegenstand dieser Art sind gewöhnlich die Heiligen 3 Könige; besonders hat Van Eick solche Gemälde. Bei ihm sind es Portraite, Könige, man sieht ihnen an, daß sie noch etwas Andres, als Anbetende, sind. In den Donatarien sieht man Ritter und Frauen; aber die Frauen stellen schon mehr Hausund Familienmütter vor, man sieht in ihnen nicht die Andacht als einzige Bestimmung. diese Andacht muß so gefaßt werden, daß darin schon die Gewißheit der Erhörung, die Gewährung, ist; es ist nicht das Anrufen in einer Seelenangst, wie im Psalm David’s. Solche Seelennoth macht häufig den Inhalt der christlichen Kirchengebete aus; es ist der Zweifel der Seele, ob die wahre Reue eingekehrt ist, es ist der Zwiespalt der Seele, die quaalvolle Frömmigkeit. Von allem dem sieht man in den genannten Bildern nichts. Es ist auch nicht mehr die Sehnsucht, die das Haupt gen Himmel richtet; es ist edler und würdiger, wenn der Blik auf einem Heiligen, auf Christus, Maria, etc. ruht. Bei Guido Reni besonders ist dieser Blik gen Himmel eine Art von Manier geworden. diesen Augenaufschlag giebt er auch der Maria, und ein Bild dieser Art, die Verklärung der Maria, ist ein Hauptstück der Münchner Gallerie. Ihre Verklärung, Auflösung in den Himmel ist herrlich ausgedrückt, so wie ihr Schweben, die Haltung des Lichts; aber, wie gesagt, es ist concreter, wahrhafter, künstlerischer, die Maria in 12 schönem] shönen

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der concreten Wahrheit, in der Mutterliebe darzustellen. Jenes Sehnen gen Himmel streift sehr nahe an die moderne Empfindsamkeit.

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Das Charakter istische übe rhaupt. Das Höchste des Idealischen muß sich als Individualität zeigen, als ein Freigelassnes | von der Concentration, die schon in sich selbst ihr Object hat, nicht in dem Sinnlichen, Äußern, das sie deshalb frei lassen kann. Es hat also der Charakter nicht nöthig, die in dem Idealen aufgenommne Individualität zu seyn. Aus diesem Gesichtspunkte hat man das Charakteristische zum Unterschiede des Antiken und Modernen gemacht, und es ist auch richtig; denn man kann von Zeus, Minerva etc. nicht sagen, daß sie Charaktere sind, sondern es sind die hohen plastischen Ideale, und selbst bei Achill, Antigone etc. kann man die ideale Individualität ihren Charakter nennen. Wenn man Charakter nennt, seiner Individualität treu bleiben, so kann man wohl sagen, daß Zeus Charakter hat; Bei Odysseus, Agamemnon kann man schon mehr Charakter finden, da das Besondre da mehr vorherrscht, aber es ist schon ein allgemeiner Charakter, als List, Herrschaft, etc. die moderne Kunst läßt aber den Charakter in seiner ganzen Mannichfaltigkeit zu. Hier ist also die Schönheit nicht Hauptgesetz, sie ist das 2te gegen diesen seelenvollen Charakter. der Begriff hat sich für sich in sich zurückgezogen, hat seine Subjectivität in seiner Intellectualität. diese Intellectualität, die Realität, kann also ihr Daseyn in einem mehr Häßlichen haben, eben so wie das Moralische in der Silen-Gestalt des Socrates seine Stelle hat. Aber in das gar zu Gräßliche muß sich der Maler nicht versteigen; und deshalb haben auch die Maler ihre häßlichen Physiognomien für die Kriegsknechte um Christi Kreuz, für die Sünder in der Hölle, oder für den Teufel aufgespart, wo dann das Phantastische seinen Platz hat. Hierin ist Michael Angelo sehr groß; indem er das Maaß des Menschlichen f a s t überschreitet, hält er es doch immer noch fest. Er hat auch viel gethan in dem Hohen, Edlen, bei dem nicht bloß jene Liebe das ganze Wesen ausmacht, sondern auch ein Zug der Seelengröße, des edlen, auf sich beruhenden Gemüths sich findet. Bei den Aposteln, bei dem Jünger Johannes ist jener Zug ein Hauptzug, und außerdem sind sie auch wirkliche, im weltlichen Daseyn lebende Personen. In diese Classe gehören Rafaels Apostel, die des Leonardo da Vinci beim Abendmahle, auch Rafaels Philosophen in der Schule von | Athen. Sie sind vornehmlich bärtig abgebildet, Augen, Stirn treten für sich mit hohem Ernste hervor, der mehr oder weniger verschiednen Charakter zuläßt. der untre Theil, der Mund, das Kinn, die mehr der animalischen Natur angehören, sind mit einem Barte bedeckt. dieses sind keine hohen Göttergestalten, sondern nur die Menschheit in ihrer Hoheit und Würde hat hier ihren Spielraum. Hier ist es, wo die Modernen mehr mit den Alten zusammentreffen.

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Auch die Niederländer, besonders die ältern, sind von dieser Seite sehr groß, z. B. Van Eick, Hemmling, etc. diesem Punkte liegt auch sehr nahe das Po r t r a i t . Es ist sehr unrecht, die Portraitmalerei als mit dem Zweke der Kunst nicht verträglich darzustellen; die Portraits können hohen Kunstwerth haben. Wenn wir uns die hohen Individualitäten vorstellen, so wollen wir sie auch bis zur sinnlichen Anschauung vervollständigt haben. Die ersten Maler haben von dem Handwerksmäßigen angefangen, wie uns die Byzantinischen Bilder zeigen; aber sie haben hohe vortreffliche Muster vor sich gehabt. In der Boisseréeschen Sammlung sieht man noch viele solche, nach einem typus gemalte Bilder, aber man sieht, daß sie herrliche antike Originale gehabt haben, die Kunst ist aber, wie gesagt, ins Handwerksmäßige übergegangen. Erst nachher ist ein schöner, andächtiger Sinn hineingekommen; er drükt sich aber anfangs nur abstract aus; nur Umriße, Andeutungen, wo aber die beginnende innere Lebendigkeit noch nicht zum vollkommnen Ausdruck gekommen ist. Daher muß man nicht, wie die Herren von Schlegel und die Altdeutschthümler es thun, ein Bild um so höher schätzen, je älter und je schlechter es gemalt ist. Erst die Spätern, die Italiener und Niederländer, haben die Bilder zu der Wahrheit hingeführt, die dem Portrait so nahe steht; man sagt selbst, daß Rafael zu seiner Madonna ein schönes Mädchen habe sitzen lassen. Zu diesem Ausdruk der Individualität tragen nun alle einzelnen Züge bei, und | die feine Physiognomik des Malers muß das Zusammenstellen verstehen. Ich habe schon gesagt, daß die Dennerschen Gemälde sehr fein und schön gemalt sind, daß ihnen aber der geistreiche Ausdruck fehlt. So wie Dürer in Deutschland, so war Titian in Italien der berühmteste Portraitmaler. durch einzelne freie Züge, die scharf markirt sind, werden eben die Züge der Lebendigkeit so hervorgehoben, daß das Bild sich zu bewegen scheint. die Idee der Eigenthümlichkeit kann aber öfters in einem gemalten Bild mehr hervortreten, als im lebendigen Original, und auch in dieser Hinsicht kann oft ein Bild für nicht getroffen gehalten werden, so wie z. B. oft eine gute Beschreibung von einer hohen edlen That uns ein lebendigeres Bild giebt, als wenn wir ihr selbst zugesehen hätten; denn da hat die große Begebenheit oft die gewöhnliche alltägliche Manier, wie die übrigen alltäglichen Thaten. Vor lauter sinnlicher unmittelbarer Gestaltung kommt oft das Wesen, die Reflexion, das Innere der Begebenheit, nicht zur Erscheinung. So auch mit dem Portrait. das Gegentheil davon haben große Meister sehr schön geleistet, wie Titian, Albrecht Dürer etc. Betrachten wir ein solches Bild von Dürer näher, so sehen wir, daß die Mittel, die er gebraucht hat, sehr wenige sind, nur wenige nicht starke Farben, wodurch dann das Leibliche, Fleischliche 30 ihr] sie

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ganz bei Seite gestellt ist. Aber das Geistige scheint in die Welt mit seinem Willen vorzutreten. Hierher gehört nun die Z e i c h n u n g . Sie muß schon das Charakteristische enthalten, vollendet seyn, und die Farbe soll nur das Charakteristische der Zeichnung weiter ausführen, aber nicht, wie die Natur es thut, zum Animalischen des Bedürfnißes. Darin ist Albrecht Dürer sehr groß gewesen. Er ist Kupferstecher gewesen, hat in Holz, Kupfer etc geschnitten, in Eisen gegossen; und in der Malerei hat er besonders viel in der Zeichnung gethan. dies ist die Zeichnung im großen Sinne, deren nähere Ausführung der Farbe angehört. – Benvenuto Cellini in einer kleinen Abhandlung sagt: »die wahre Zeichnung ist nichts, als der Schatten des Runden.« Eben das Runde, indem es sich bestimmt, sich in sich vermannichfaltigt, bringt Schatten hinein; und daß dieses ein Ausdruksvolles und Gehaltvolles ausmacht, macht die Zeichnung. diese Zeichnung des Malers kann man entgegensetzen der Zeichnung der Natur, dem Knochen|gerippe. dieses Knochengerüste macht nicht die Zeichnung des Portraits aus, sondern diese sind die Züge, die der Geist ausgearbeitet, und in die er sich hineingearbeitet hat. In sofern kann man sagen, daß das Portrait eine Situation ist, in der der Geist sich befindet, und die bei aller Lebendigkeit doch Ruhe haben kann. In neurer Zeit giebt man den Portraiten gern ein Lächeln; doch wird dis oft ein Grinsen, und bringt fade Lieblichkeit hinein; der Maler muß die allgemeine Situation des Geistes in den Zügen des Portraits ausdrüken. Die Sit uat ion übe rhaupt, Ausd r uck ei ne r best i m mten Empf i ndung. Hier kann allerdings eine Empfindung über ein vorliegendes Ganze, eine Leidenschaft ausgedrückt seyn. Eine Hauptsache ist hier herauszuheben. Als Einzelnes ist die Situation ein Momentanes, Vorübergehendes, und das vorgestellte Subject kann viele solche haben. Ein andres ist aber eine Situation, in der die ganze Seele, der ganze Charakter des Subjects liegt, und hierin kann sich der große Künstler zeigen. Hierher gehört das, was schon oben von der Maria gesagt ist. Ihre wesentliche Situation ist die der Mutter, obgleich sie, als Person, viele andere Situationen gehabt haben kann. Die Natur und Seele ihres Charakters liegt in dieser ihrer absoluten Situation. So haben sie auch große Meister vorgestellt, Andre haben in andern Situationen sie dargestellt; aber hier ist gleich nicht diese Harmonie und Einheit vorhanden, wie in jener. Aus demselben Grunde wird auch die Maria Magdalena des Correggio so sehr bewundert. In der Stellung, im Gewande, in den Haaren, überall ist die reuige Sünderinn zu sehen. dis alles ist ganz bewußtlos, nichts Gesuchtes von Seiten des Malers, wie wir in der Magdalena von Battoni noch etwas sehen. In dieser Situation der Reue sieht

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man auch die Tiefe ihrer Seele, ihres Charakters, nicht, daß diese Reue ein bloß Momentanes ist, sondern daß ihr Charakter ein edler war, dem die Sünde im Grunde ein Fremdes blieb. diese Harmonie zwischen dem Zurückgehen in sich, und ihrem edlen Charakter macht also das Schöne der darstellung aus. Bei andern Magdalenen ist auch Reue; aber diese Situation zeigt sich bei ihnen als etwas Fremdes, ihr Charakter hatte | Hang und Neigung zu etwas Andrem. Ich habe schon früher des letzten Bildes von Kügelchen erwähnt, vorstellend das Brustbild des verlornen Sohnes. darin ist allerdings die Zerknirschung und der Schmerz merkwürdig ausgedrükt; aber es ist darin keine absolute Situation zu finden, sondern wir sehen in dem Gesichte, wenn wir die Thränen von den Wangen abwischen, einen ganz gewöhnlichen Charakter, den man auf der Straße finden könnte. dies sind die Hauptmomente der hohen, geistigen Malerkunst. Ueber besondre Gegenstände, Landschaft-, Thiermalerei etc, können wir hier in unsern allgemeinen Betrachtungen nicht sprechen. Wir haben kurz gezeigt, daß die hohe, geistige Lebendigkeit das Ziel des Malers seyn muß. Ein solcher Anklang von geistiger Lebendigkeit muß sich auch in den Landschaften finden. Die Arkadier haben den Pan, den Waldgott verehrt, als das All, das Unsichtbare, Schauer Erregende; so können auch Landschaftsgemälde eine gewiße Stimmung in Anspruch nehmen, und eine solche Stimmung erregende Darstellung muß der Landschaftsmaler sich zu seinem Ziele machen. Jetzt nur noch kurz von den weitern Seiten, die auch näher an das Empirische streifen. dieses Nähere sind die Z u s a m m e n s e t z u n g , m a l e r i s c h e C o m p o s i t i o n , S z e n e n , etc. Hier ist der Ort, wo die Erfindungs- oder Auffassungskraft des Malers ein unendliches Feld erhält. der Maler kann das einfachste Bouquet, so wie die höchsten Gegenstände, eine Haupt- oder Staatsaction, Schlacht, oder gar das jüngste Gericht, auffassen; solche großen Stoffe können aber leicht einförmig werden; denn da muß Ordnung herrschen, und so sind sie eigentlich nicht mehr Handlungen, sondern Ceremonien. Napoleon hat durch David große Gegenstände aus seinem Lebenslauf, etc. darstellen lassen; solche Gegenstände können aber oft zu weitläuftig für die Malerei werden, so wie sie andrerseits wieder zu einfache Gegenstände haben kann. die Skulptur kann oft malerisch werden, aber eben so auch die Malerei oft dramatisch, indem sie zu viele innere, geheime Empfindungen ausdrückt, zu viel in Szenen, Handlungen übergeht; aber nicht so, wie der Charakter in seiner leiblichen | Erscheinung ist, sondern wie er sich im Handeln zu erkennen giebt. die Malerei kann aber nur e i n Moment der Handlung, nicht die Succession darstellen. dis ist der Hauptgedanke in 7 Kügelchen lies: Kügelgen

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Lessings Laokoon, daß die Malerei nur eine Szene darstellen kann, die Dichtkunst aber Succedirendes, und wenn sie selbst beschreibend wird, so muß sie die Gegenstände und Begebenheiten vor uns entstehen lassen. Aus diesem Umstande folgt das ganz Einfache und Formelle, daß nehmlich die Darstellung das Ganze der Begebenheit auffassen muß. So z. B. muß bei Darstellung eines Sieges schon der Sieg zu sehen seyn, obgleich noch einige kämpfende Parthieen da seyn können. In dieser Hinsicht hat der Maler einen Nachtheil, andrerseits aber auch einen Vortheil vor dem Dichter; denn da er für die unmittelbare Anschauung darstellt, so kann er jede besondre Einzelheit deutlich geben, dahingegen in der Beschreibung vieles confus werden kann, indem man oft bei dem 2ten das erste vergißt. diese Succession kann auch der Maler zum Theil beobachten, indem er noch einige Spuren des Vorhergehenden andeutet. So z. B. sieht man bei einer Maria Magdalena von Francesconi dieselbe noch in allem ihrem Schmuk, den sie aber wegwirft; auch die Zukunft ist gezeigt durch eine Geißel, die sie in Händen hält, obgleich dies nicht sehr geistreich ist. Die Hauptsache bei einem Gemälde ist aber auch, daß die Situation verständlich sey. Die Handlung kann symbolisch seyn, welches sehr die Verständlichkeit stört, oder auch eine mehr allgemeine Handlungsw e i s e , als Handlung selbst, wie z. B. die vielen von Niederländern gemalten Szenen. die religiösen Gegenstände haben den Vortheil, daß sie schon allgemein verständlich sind; eben so sind auch die Legenden der Heiligen für das Publikum verständlich, für welches sie bestimmt sind. Auch andre große Begebenheiten lassen sich leicht errathen durch den Ort, wo sie hingestellt, und für den sie bestimmt sind, z. B. Rath- und Parlamenthäuser etc. In einer Bildergallerie ist es was ganz andres. die Malerei, in sofern sie bestimmte Personen in bestimmten Situationen darstellt, muß allerdings durch solche Beziehungen eine größre Ver|ständlichkeit erhalten. Sie stellt eine Handlung auf sinnliche Art dar, der Sinn, das Wesen dieser Handlung ist aber geistig, und dieser Sinn kann sich in mannichfachen sinnlichen Formen ausdrüken. Damit aber die Handlung so viel als möglich verständlich sey, muß der Sinn des Malers alle Umstände so benutzen, daß der Gegenstand verständlich sey. Hierher gehört besonders die K l e i d u n g . Weil die darstellung der Handlung eine sinnliche ist, so ist in dem Plane, worauf die Handlung verlegt wird, vieles zufällig; diesen Plan muß der Maler nun ausfüllen, und auch dis muß zur Verständlichkeit der Handlung beitragen. diese Umstände werden M o t i v e in der Malerei genannt, d. h. nicht Motive zur Handlung, sondern zur Verständigung, und in solchen Motiven kann sich der geistige Sinn des Malers zeigen. Hier haben auch die Maler Gelegenheit, allegorische und symbolische Beziehungen hineinzubringen. So z. B. in einem Gemälde Van Eick’s, Christus in der Krippe, diese Krippe in einer alten Kapelle, und in der Ferne schöne Architec-

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tur, welches auf den Verfall der alten Kirche, und das Erstehen der neuen hindeutet. dergleichen Umstände gehören alle zu den besagten Motiven. Ein weiteres Moment ist, daß sie auch f ü r d a s A u g e l e i c h t f a ß l i c h , u n d s i n n r e i c h v e r b u n d e n e r s c h e i n e n . der Maler hat nehmlich nur e i n e Fläche, und er muß sich durch die Perspective die 3te Dimension ersetzen. Aber die vordre Seite muß das Vorherrschende enthalten. Das Basrelief ist der Uebergang von der Skulptur zur Malerei. Im Basrelief braucht man bloß die Hauptgegenstände in die Mitte zu stellen. dis hat auch die Malerei zuweilen entlehnt, und sich nur e i n e s Planes bedient, wie in der Aldobrandinischen Hochzeit; daher haben die Figuren auch alle e i n e Höhe, und stehen in e i n e r Reihe. der Maler benutzt aber alle Mittel seiner Kunst, und hierher gehören m e h r e r e P l a n e , auf welche er seine Personen setzt, und sie durch Schatten und Licht hervorhebt. Dahin gehört, daß er die Hauptfiguren in den vordersten Plan bringt, sie nicht in Schatten stellt, und für sie die hellsten und klarsten Farben nimmt. Noch ein Erforderniß ist, daß der Maler nicht die Figuren auf einander bringt, sondern sie alle deutlich sehen läßt. Auf manchen Gemälden sieht man Beine und Arme, und muß erst studiren, zu welchem Kopfe sie gehören. | der Maler wird also die Figuren sondern, so daß sie Parthien bilden, aber diese Parthieen müssen sich nicht sehr von einander trennen. Mehrere solche Gruppen könnten wohl an sich zeigen, daß sie zur Handlung gehören, aber sie müßen auch sinnlich sich so zeigen. Diesen Vorwurf hat man Rafaels berühmter Transfiguration gemacht, daß nehmlich 2 Handlungen da sind, oben der über dem Berge schwebende Heiland, und unten ein Vater und eine Mutter, die einen Besessenen herbeibringen; die Jünger können ihn nicht heilen, sondern zeigen nach oben. Hier ist aber geistig der höchste Zusammenhang. Die Hoheit Christi ist dadurch am meisten verklärt, daß die Jünger ihn nicht heilen können, sondern auf ihn hinweisen; dadurch ist auch angedeutet, daß Christus, trotz seiner Himmelfahrt, ein Bedürfniß auf Erden ist. Aber es ist auch ein sinnlicher Zusammenhang vorhanden; denn das, was dargestellt werden soll, ist die Entfernung, Erhöhung, Trennung Christi, und diese w i r d gerade dargestellt. – Es giebt auch allerdings Handlungen, die solche Zerstreuungen darstellen sollen, z. B. ein Jahrmarkt, wie einer von Tennier, wo 500 Personen vorkommen; ferner der Mannah in der Wüste, in einem Gemälde von Hemmling in der Boisseréeschen Sammlung, welches sehr schön ist, trotz dem, daß der Gegenstand nicht für die Malerei paßt. Man sieht die Juden in köstlichen Kleidern, die sie den Egyptern gestohlen haben, alle etwas abgetragen; sie lesen Mannah mit der größten Emsigkeit, wie ein Juwelier Perlen liest. – Bei der Gruppirung überhaupt ist die pyramidalische Form anzubringen. Gewöhnlich macht sie sich von selbst, z. B. Christus am Kreuz, unten Maria mit den Aposteln; besonders hat dies Correggio beobachtet.

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Uebe r d ie Fa rbe, Color it. Diese macht erst eigentlich den Maler zum Maler. Viele halten sich lieber an das Skizziren, und achten sich deshalb für höher, weil dieses eben das Geistreiche, | Geniale anzeigen soll. Aber die Farbe macht erst die Sache vollständig, giebt dem Gemälde auf der flachen Leinwand sein vollständiges Hervortreten. die erste Bemerkung hierbei betrifft die Eigenthümlichkeit, daß es zuerst die Venezianer, und besonders die Niederländer waren, welche Meister in den Farben wurden. Beide Völker sind nahe am Meere, ihr Land ist von Canälen durchschnitten. Nun kann man annehmen, daß diese stets den einförmigen, unklaren Hintergrund haben. damit hängt nun sehr nahe zusammen, daß den Maler, der so von Hause aus einen trüben, matten Hintergrund hat, das Farbige mehr anspricht, und daß es sich besser auf diesem matten Grund ausnimmt. Vormals lieferte man auch die Theaterdekorationen mehr grau, weil die Personen da mehr hervortreten; jetzt überbietet man den hellern und vielfarbigern Hintergrund, durch köstliche Stoffe, Gold, Silber und Edelsteine. Gegen diese Venezianer und Niederländer erscheint die übrige italienische Malerei trocken, sie hat nicht das Saftige, Hervortretende, wie jene. Was das C o l o r i t betrifft, so ist dis allerdings sehr schwierig, besonders das Instructive; daher hier nur die allgemeinen Gesichtspunkte[.] Bei den Farben muß man auf 3 Wirkungsweisen achten. die erste ist d e r G e g e n s a t z v o n H e l l u n d d u n k e l . Wo man dis für sich wirken läßt, da kann man sich mit e i n e r Farbe begnügen. dies macht die Grundlage des Colorits aus. dieses Helldunkel entspricht dem Plastischen der Figur, dadurch hebt sie sich, und tritt zurück. die Meister in der Farbe sind auch nothwendig Meister in diesem Gegensatze. Sie können von dem hellen Weiß bis zum dunkelsten Schwarz treiben, und dadurch bringen sie die großen Wirkungen hervor; dieser Gegensatz muß aber durch die Abstufung des Dunkels vermittelt seyn, damit er nicht hart erscheine. – Zu diesem Helldunkel tritt 2tens die Farbe hinzu. Zuerst wollen wir von den L o c a l t i n t e n sprechen, d. h. die Färbung, wonach ein Theil der Figur stärker gefärbt ist, als ein andrer. dadurch bekommt er ein andres Verhältniß, als ihm in der Stellung der Gestalt nach Hell und dunkel zukommt. Nach dieser Stellung kann dem Theile eine andre Färbung zukommen, als er in der Natur hat. So kann z. B. die Lippe ein höheres Roth haben, als sie in der Natur hat. – | Das 3te ist, daß d i e F a r b e n a u c h f ü r s i c h e i n e n G e g e n s a t z u n d e i n Ve r h ä l t n i ß g e g e n e i n a n d e r h a b e n , daß sie ihre Helle und dunkelheit nach der Nachbarschaft richten. So z. B. bekommt Gelb neben Grün einen an-

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dern Ton von Helle und dunkelheit, als er für sich hat. die Effecte, die daraus entstehen, sind zuweilen sehr merkwürdig, und der Beurtheilung würdig. dis hat z. B. der berühmte Atlas-Maler Terborg vortrefflich benutzt. sein Atlas erscheint ganz natürlich, aber näher betrachtet, ist es nichts als ein trübes Grau. diese Wirkung entsteht vornehmlich durch die Farben, die der Maler in der Nachbarschaft hat anzubringen gewußt. diese Effecte haben besonders die Niederländer studirt. – dies alles sind Umstände, die der Maler in Harmonie zu bringen verstehen muß. Bei der bloß sinnlichen Anschauung täuscht uns nicht bloß die Farbe, sondern der Verstand supplirt so manches, Entfernung, Farbe, etc. Aber der Maler muß sich bloß des Scheins der Farben bedienen, und diese in Harmonie bringen. Oft kann in einem Gemälde alles, einzeln für sich, richtig seyn, und doch stört die schlechte Harmonie die Illusion. Bei größern Gemälden, Landschaften, etc, treten noch andre Berüksichtigungen ein. So z. B. muß der Maler die Farben nach der Entfernung anbringen. die bloß geometrische Perspective ist ganz mechanisch und nicht schwer; aber die L u f t p e r s p e c t i v e hat großen Einfluß auf die Farben. Die entferntern Gegenstände sind farbloser, und deshalb heller, gehen in ein helleres Grau über; auch die Schärfe der Umrisse ändert sich nach der Entfernung. diesen Gesetzen der Luftperspective muß sich also die Localtinte unterwerfen. Eine andre Rücksicht ist der G r a d d e r B e l e u c h t u n g . dieser ist etwas ganz Äußerliches, und bringt eine ganz eigene Stimmung der Farbe hervor. Deshalb, und nach allen diesen Umständen, ist das Colorit ein sehr schwieriger Gegenstand in der Malerei. In Ansehung der Te c h n i k ist noch zu bemerken, daß die Maler durchaus von einfachen Farben anfangen, und nachher die nöthige Mischung | auf der Palette hervorbringen müssen. deshalb ist die M o s a i k- m a l e r e i schwer, weil da jedes Steinchen schon seine eigene Tinte hat. diese Kunst ist jetzt sehr vollkommen geworden. In einer gewißen Mosaik-Fabrik beläuft sich die Anzahl der Tinten auf 15000; und jede Tinte ist vom Hell zum Dunkel durch 50 Abstufungen durchgeführt. die Landschaftsmalerei braucht mehrere Tinten, die Gemälde, welche bloß menschliche Handlungen darstellen, weniger, weil hier die Luftperspective weniger einflußreich ist. Aber hier ist dagegen eine größere Schwierigkeit, nehmlich d a s C o l o r i t d e s m e n s c h l i c h e n F l e i s c h e s , welches das allerschwerste ist, und deshalb kann es auch auf so verschiedene Art aufgefaßt werden, und hier kann der Maler nicht so nach bestimmten Regeln verfahren, wie bei der geometrischen Perspective, etc. Hier ist der Maler auf seine eigne Erfindungskraft angewiesen, und auf seine produktive Einbildungskraft. Jeder 26 müssen] muß

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Maler hat gleichsam seine eigenthümliche Weise des Farbentons, in dem ihm die Welt erscheint, und in dem seine reproduktive Einbildungskraft es wieder giebt. deshalb darf man dies Colorit nicht als Manier des Künstlers annehmen, sondern es ist eine eigenthümliche Sehweise des Farbentons, die wirklich existirt; der Maler sieht den Farbenton so, und er ist auch wirklich in der Natur vorhanden; aber er ist als ein verschwindender vorhanden, der in seinem momentanen Daseyn aufgefaßt werden muß. Die Verschiedenheit des Colorits findet besonders bei darstellung des menschlichen Fleisches statt, abgesehen von Alter, Beleuchtung, Umgebung, etc. dies kommt daher, weil diese darstellung das Schwierigste für den Maler ist. Das Roth der menschlichen Wange ist reines Roth, ohne Stich ins Blaue. Aber dis Roth ist bloß ein Anflug, und zerfließt in die Farbe des übrigen Körpers. dieser ist eine Mischung von allen Farben, und erscheint völlig glanzlos. Diderot sagt: »der Maler, der das Gefühl des Fleisches erreicht hat, ist weit gekommen; alles andre ist Nebensache.« die höchste Kunst ist das L a s s i r e n , d. h. daß eine Farbe, die unten liegt, durch die obere durchscheint. dies gelingt besonders in | der Oelmalerei. deshalb ist auch das Incarnat so vielseitig auffaßbar; dazu tritt noch das Helle und dunkle hinzu, um Rundung hervorzubringen, eben so wie der Reflex von den umstehenden Gegenständen. daher kommen oft Tinten vor, die uns anfangs ganz widersinnig erscheinen. Unter allem diesem zufälligen Scheinen der Farbe, findet sich eine Bestimmung, die eine feste Grundlage hat, und zwar in der Natur der Farbe. Blau und Gelb machen Grün; Blau ist dunkel, Gelb hell; werden sie zusammengestellt, so tritt das Blau gegen das Gelb ganz zurück. Daher muß das Gelb zur höhern Trübung gesteigert werden, um so dem Blau näher zu kommen. das höher getrübte Gelb ist aber das Roth. Roth und Blau machen also die Grundlage eines harmonischen Gegensatzes der einfachen Farben aus. deshalb haben die christlichen Maler, besonders die Niederländer, der Maria das tiefe, empfindungsreiche Blau zum Gewande gegeben, dem Joseph das Roth, so wie auch Christus. Bei den Italienern ist die Farbe nicht immer in ihrer höchsten Reinheit gebraucht; sie haben auch oft die Nebenfarben den Hauptpersonen gegeben. die alten Maler haben überhaupt sehr auf Reinheit der Farben gehalten, was die Neuern nicht immer beobachtet haben; daher verändern sich auch die Farben bald. diese Grundlage der Farben macht also ihre Harmonie aus. Wenn die Maler nun ganz entschiedene, einfache Farben wählen, so gehört dazu auch die Entschiedenheit der Figuren, kraft- und gehaltvolle Gestalten; und dis mehrt die Harmonie. Landschaften lassen nicht immer solche entschiednen Farben zu; und wenn dis auch geschieht, so ist es nur für die indifferenten Naturgegenstände, die nur e i n e Farbe haben können, z. B. Steine, Gras, etc. Wenn dagegen Personen dargestellt werden, so können die einfachen Far-

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ben eintreten; und wenn eine geistige Welt dargestellt wird, so ist es eben so passend, die Farben in ihrer Abstraction, d. h. in ihrer Einfachheit, zu gebrauchen. Wenn der Maler Kühnheit hat, solche | entschiednen Farben zu wählen, so gehört auch eine Entschiedenheit, ein Gehaltvolles der Figuren dazu; das Verblasene, Liebliche, Süße, das besonders in neuern Zeiten herrscht, würde ganz niedergedrükt werden durch die entschiednen Farben. In der französischen Malerei, und auch in der durch Mengs aufgebrachten idealen Malerei (d. h. wo das Charakteristische zurücktritt, und das Ideale der Skulptur vortritt) war es ganz nöthig, solche unbestimmten, gemischten Farben hineinzubringen, welches auch zur Harmonie beitrug, aber zur niedern, unbedeutenden Harmonie. die Farbe ist die letzte Seite an der Malerei, wodurch diese in die Wirklichkeit tritt. Von dem Fortgange dieser Farbe noch Einiges. die alten christlichen Gemälde waren einzelne, hohe Gestalten, Christus, Maria, etc, auf einem Kreidegrund gemalt, und diese Figuren oft von einem Goldgrunde umgeben. Solche Gestalten haben fast gar keine Lebendigkeit, sind mehr architectonisch; auch war ihre Bestimmung, an einer Wand zu stehen. In dieses Handwerksmäßige, Traditionelle ist die Belebung hineingekommen, und zwar zuerst in die Gesichter, Hände. doch ganz zuerst sind schöne Farben vorhanden gewesen, und solche reine abstrakte Farben passen auch ganz für die steifen, unbelebten Gestalten, und für die Pracht des Goldgrundes. Von hier giengen die Niederländer aus, brachten Belebung hinein, behielten aber die Schönheit der Farben; die Umgebungen änderten sie in Zimmer, Vorhänge, Aussichten, etc. um. Sie wandten die größte Pracht der Farben, so wie der Umgebungen an, Sammet, Perlen, Edelsteine waren die gewöhnlichsten; auch die Aussichten waren herrlich und prächtig. Hier also, wo durch die Particularisation der Farben doch nicht die Harmonie gestört ist, hier sagt man: »das ist gemalt!« und diese Empfindung hat man bei den meisten Niederländern. Später hat sich diese Behandlung in verschiedene Geschicklichkeiten getrennt, in Blumen- Landschaft- und Portraitmalerei. Hier haben sie das Malen als solches, als wesentliche Seite behalten, und den Gegenstand mehr und mehr vernachläßigt. Hier finden wir dann als Hauptsache die M a g i e d e s S c h e i n e n s , die Harmonie der Farben, oder, so zu sagen, d i e M u s i k d e r M a l e r e i . | Diese Magie ist nun wieder in der K u p f e r s t e c h e r k u n s t verschwunden, die sich bloß mit Hell und Dunkel beschäftigt. Hier ist der Punkt, wo die Malerei den Uebergang zu der Musik macht. der höchste Gegenstand der Malerei ist zwar die sich zu sich selbst verhaltende Seele; das andre Extrem ist der sich zu sich verhaltende Schein; hier ist also die körperlose, fast inhaltlose Idealität, und dies macht, wie gesagt, den Uebergang zur Musik. die Malerei macht sich von der Räumlichkeit, vom Nebeneinanderseyn zurück, und der S c h e i n bleibt das We s e n ; und dis ist in der Musik der Fall.

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die Musik hat außer sich keinen Gehalt, ihr Wesen ist der Schein, der verschwindet; deshalb muß die Subjectivität der Gemeinde als Hall hinzutreten. Ihr Element ist d e r To n , diese äußerliche, sinnliche Realität, so daß in dieses sinnliche Mittel selbst geistige Bestimmungen sich hineinbringen lassen, wodurch diese Form dann Form der Schönheit, und diese Explication Kunst seyn kann. Zuerst haben wir das Element als a b s t r a k t e s zu betrachten, dann als b e s t i m m t e s , mit einem Inhalt versehenes, und endlich 3tens die K u n s t selbst. Von der Kunst selbst kann ich, als Laie, wenig sagen, und auch, weil man wenig von ihren Gesetzen kennt.

Das Elementarische ist also der To n . Er ist kein articulirtes Zeichen einer Vorstellung, wie in der Sprache. der Ton kommt nur als solcher in Betracht, nach der Weise seines Klanges; der Ton als solcher, ist stofflos, inhaltlos. der Ton ist Äußrung, verschwindet aber unmittelbar, sobald sie erscheint; er ist ein Zittern, eine Äußrung, worin die Substanz, das Materielle, nicht eindringt, sondern ihn nur in Bewegung setzt, ein Zittern hervorbringt. diese Äußrung wird also nicht objectiv, hat kein Bestehen nebeneinander im Raum, ist bloß abstrakte Äußerung für andre, ist unmittelbar verschwin|dend, aber so, daß sie bloß äußerlich verschwindet, nach ihrem Verschwinden ein Innerliches wird. Weil nun diese Äußrung so abstract ist, so ist die Innerlichkeit, in der ich sie vernehme, oder durch die ich sie äußre, auch so eine ganz abstrakte Innerlichkeit. Indem diese nicht so abstract bleibt, sich weiter bestimmt, wird sie zunächst Empfindung: diese abstracte Innerlichkeit constituirt die Natur ihres Elementarischen, und eben hierin liegt die e l e m e n t a r i s c h e M a c h t d e r M u s i k , nicht ihre Macht in andrer Rücksicht, als Kunst; diese hat weiterhin, wie jede andre Kunst, ihre Macht durch den Inhalt des Dargestellten. diese Macht des Elementarischen liegt darin, daß die abstracte Innerlichkeit nichts andres ist, als Ich selbst, das Formelle des Selbstbewußtseyns. Eben dieses Formelle ist hier in dem Tone das Äußerliche, oder vielmehr in diesem Äußerlichen ist unmittelbar das Innerliche. daher ist es bei dem Tone oft der Fall, daß das Ich sich nicht gegenüber dem Äußerlichen erhält, was bei dem schönsten Skulpturwerke nicht statt findet; bei diesem bleibt immer das Verhältniß des Anschauens vorhanden; ich mag mich noch so sehr in das Kunstwerk vertiefen, so bleibt immer noch dis Verhältniß des Unterschiedenseyns. Hingegen bei der Musik gehe Ich, die äußerste Spitze, in das Kunstwerk ein, und mir bleibt nicht diese Gegensetzlichkeit übrig. daher oscillirt

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mein Ich auch mit, ich komme in Versuchung, den Takt zu schlagen, zu tanzen, etc. Unmittelbar knüpft sich daran die Lust zu singen; eben diese abstracte Regelmäßigkeit des Tons, fordert auch eine solche regelmäßige Äußerung, als Singen, Marschiren, Tanzen. die Musik geht also einerseits so von der subjectiven Stimmung aus, und wenn sie von der objectiven, abstracten Äußerlichkeit ausgeht, so wird mein Ich zum Mitthun aufgefordert. Insofern ist es also das abstrakteste, formellste Innere, was in dieser Äußrung enthalten ist. dieser formellste Sitz des Innern ist also der eigentliche Ort der Musik. Bei andern Künsten sind wir freier; selbst ein Musikkenner bleibt auch dabei freier. | In diesem liegt eben der Zusammenhang der Musik mit der Z e i t ; denn eben diese abstracte Innerlichkeit als Anschauen ist die Zeit. denn die Innerlichkeit ist die formelle subjective, Einheit, das Punktuelle, die ganz negative Einheit, also das Auf heben des Räumlichen, des Nebeneinanderseyns. Aber es ist hier auch als Äußerliches, und zwar als Äußerliches an sich selbst. So ist hier also eine Äußerung vorhanden, und diese enthält sogleich eine Mannichfaltigkeit. Aber diese Mannichfaltigkeit ist bloß die Spitze der Äußerlichkeit, ist sogleich bei der Äußerung verschwunden; und dies ist eben die Zeit, und der Ton ist wesentlich in der Zeit. Wenn wir die Macht der Musik betrachten, und an das denken, was die Alten uns davon gesagt haben, so werden wir gleich fühlen, daß zur Ausübung dieser Macht noch etwas andres, als bloßes Tönen gehört; es müßen Verhältniße des Tönens seyn, und auch noch ein Inhalt, welcher der geistige Inhalt für sich ist, vorgestellt durch die Weise des Tönens. – Orpheus hat seinen Einfluß auf die Civilisation nicht bloß durch das Tönen, und durch die Melodie ausgeübt; die Thiere können sich damit begnügen, aber der Mensch verlangt etwas Höheres, einen geistigen Inhalt. Das Formelle der Musik muß zu einem bestimmten Inhalt erhoben werden, und dieser Inhalt macht das 2te, im Gegensatz des bloß Elementarischen aus. dieses 2te, das Element als ein durch einen Inhalt Bestimmtes, macht also den Gegensatz gegen das Element als bloß abstraktes, äußerliches. der geistige Inhalt kann verschieden bestimmt seyn. dieser Inhalt in seiner substanziellen Form, giebt also dem Tone seine wesentliche Bestimmtheit, und die Musik ist, so zu sagen, die Verbindung zwischen dem abstracten Tone und dem erfüllten, geistigen Inhalt. dieser Inhalt hat ein Verhältniß zu den Tönen; und in sofern dis Geistige nur als ein Ve r h ä l t n i ß zu | den Tönen hinzutritt, so ist dies die eigentliche Seite der Musik. – Es sind hier 2 Seiten vorhanden. Einerseits fallen die Verhältniße in das Tö n e n s e l b s t , andrerseits fällt das G e i s t i g e als I n h a l t in das Tönen; hier ist also schon Beziehung auf concrete Geistigkeit. die Musik kann nun den Inhalt dieser Geistigkeit ausdrücken, oder sich ganz für sich isoliren, Tönen für

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sich seyn. So ist also die Musik entweder mehr für sich, oder begleitend. Vornehmlich in neuern Zeiten ist die Musik mehr selbstständig für sich geworden; die natürliche ist aber die zum Gesange begleitende Musik. Indem sie so selbstständiger wird, verliert sie an Macht über das Gemüth, sie wird mehr particulärer Genuß für den Kenner, der die Fertigkeit des Künstlers, und die schwierige Behandlung der Töne bewundern kann. Insofern die Musik sich nicht von der Begleitung losgerißen hat, so ist hierin gewißermaaßen D e k l a m a t i o n das erste Moment; der Gedanke ist aber noch die Hauptsache, und das Bestimmende. Wo sie aber selbstständiger hervortritt, muß hauptsächlich das Gleichgewicht beider gefunden werden, damit nicht eines dem andern nachtheilig werde. Ein an sich gewichtiger Text kann nur geringe Hülfe von der Musik fordern, so wie z. B. die Chöre der Alten. Soll die Musik selbstständiger werden, so muß die Poesie zurücktreten; sie darf daher nicht Natur- oder geschichtliche Schilderungen, oder überhaupt zu objective Gültigkeit haben. daher ist es zweckmäßig, daß die Opernpoesie mittelmäßig sey, weshalb auch die italienische passender ist, indem sie sich mehr ans Allgemeine hält. Aus demselben Grund eignen sich sehr wenige Schillersche Gedichte zur Begleitung. Es gehört sich aber auch, daß der Text auch deutlich vorgetragen werde, welches bei unsrer harten Sprache sehr schwierig ist. Bei uns findet daher auch der sehr sonderbare Contrast statt, daß man ein Interesse für den Inhalt, Text zeigt, daß aber dis Intresse oft gar nicht befriedigt wird. Der Inhalt muß zwar vernommen werden, aber er muß nicht durch den Gedanken vorherrschend seyn; die Kunst mäßigt | den Ernst des Gedankens, so wie das Leidenschaftliche desselben. Sie soll die Leidenschaft darstellen, aber dadurch, daß dies durch die Kunst geschieht, wird sie eben gemäßigt. dies hat sehr schön Madame Borgondio gelöst, die, außer dem, daß sie vernehmlich singt, auch nicht so leidenschaftlich den Inhalt darstellt, als unsre Sänger und Sängerinnen. dieses Zurüktreten des Textes findet besonders bei den geistlichen Musiken statt, deren Text meist bekannt, und aus alten Psalmen zusammengesetzt ist. Um diesen Punkt dreht sich nun der verschiedene Geschmak der Nationen. Wir Nordländer fordern, daß die Musik von der Deklamation ausgehe, daß diese die Grundlage sey. die Italiener sind viel freier, sie lassen die Musik sich mehr für sich ergehen. daher schätzen wir mit Recht die Künstler, die beides erfaßt haben, wie Mozart, Gluck, Haendel. Bei ihnen ist der musikalische Ausdruck sowohl, als das Erfassen des Sinnes herrlich. doch sind, wie gesagt, die Italiener freier. Noch ist näher anzugeben d i e F o r m d e s I n h a l t s , wie er der Musik näher angehört. Indem der Inhalt in das Element dieser abstracten subjectiven Innerlichkeit, die an dem Tone den adaequaten Ausdruck hat, gesetzt wird, so wird gefordert, daß der Inhalt die Form der E m p f i n d u n g habe. der Inhalt kann

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von äußerlicher Anschauung genommen seyn, aus den Reflexionen des Verstandes; aber solcher Inhalt entspricht den Forderungen nicht. der ganz einfache Ausdruk der Empfindung durch den Ton ist der S c h r e i . Er ist der Ton der Empfindung, ohne ein willkührliches Zeichen der Vorstellung zu seyn. Bei der Interjection ist der Inhalt nicht in der Weise der Vorstellung, sondern er drückt sich an der Weise der Modification des Tones als solchen aus. In der Empfindung ist noch nicht der Unterschied eines Subjectiven und Objectiven; ich bin in Affect, ich bin bestimmt, ohne aber zu obigem Unterschiede fortgegangen zu seyn. Eben als dieses Unterschiedslose haben wir die Äußerung gesehen, welche als Ton da ist. dis ist der Grund, warum beschreibende, erzählende Musik eigentlich ein Mißgriff ist; denn dis ist immer ein Gegenstand, worin der Widerspruch mehr oder weniger zum Vorschein | kommen wird. Die Interjection ist also die wahre Form der Empfindung, und das Cadenziren der Interjection die wahre Kunst der Musik. die Kunst beginnt da, wo die Musik das Verweilen der Interjection zum Zweck macht. Indem die Äußerung der Empfindung sich näher entfaltet, so ist die nächste Frage nach der Weise der Entfaltung. diese Entfaltung ist zunächst ein Mannichfaltiges von einzelnen Tönen. Wodurch sie nun Bestimmtheit und Verschiedenheit gegen einander erhalten, dies ist das Verhältniß der Töne zu einander. dieses Verhältniß ist ein äußerliches, da jeder Ton für sich eine selbstständige Existenz ist, und die Einheit ist in einem dritten Auffassenden. Es ist bei ihnen kein organisch lebendiges Verhältniß. das Verhältniß der Äußerlichkeit ist ein quantitatives, und deshalb fällt das Verhältniß der Töne wesentlich auf Zahlenverhältniße. In dieser Hinsicht berühren sich das Subjective und Objective, Musik und Architectur. diese letzte hat die Objectivität, und zwar die abstracte, zu ihrem Elemente, und eben so die Musik die abstracte Subjectivität zu dem ihrigen. Beide Extreme haben daher mit Zahlenverhältnißen zu thun, mit der Äußerlichkeit, wo die Verstandesverhältniße zum Grunde liegen als ein festes Gerüste, von wo aus die Kunst der Musik als f r e i e Kunst hervortritt. Wenn man daher von den Tönen als von einem Festen, Bestimmten spricht, so muß man Zahlen zum Grunde legen, oder auch andre dazu erwählte Namen, c, d, e, f, etc. Das Nähere hierüber sind die 3 Bestimmungen: Ta k t , H a r m o n i e , M e l o d i e . Der R h y t h m u s ist das 4te, aber das Allgemeine. Er ist das Besondre der Bewegung, und daher giebt es Rhythmus des Takts, der Melodie, etc. der höhere Rhythmus ist das Zusammentreten aller drei, der Takt ist die abstracte Regelmäßigkeit unter Ungleichen. Harmonie ist das Verhältniß der Töne zu einander; und Melodie ist die freie, geistige Bestimmung der Musik. Der Ta k t ist also die ganz abstrakte, äußerliche Gleichheit in Hinsicht der Zeit. die Einschnitte im Takt müßen nun eine äußerliche abstracte Einheit ha-

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ben, die Einheit der Gleichheit. Dies ist auch bei der Architectur, wo Säulen, Fenster, etc. gleich seyn müßen. In dieser Einförmigkeit des Takts findet sich das Selbstbewußtseyn als abstracte Einheit, Verstandeseinheit. | das Verschwinden, Untersinken seiner Innerlichkeit in diese Äußerlichkeit wird durch den Takt gehemmt, und diese Hemmung kann keine andere seyn als die äußerliche, die Hemmung durch Gleichheit. der Takt ist also überhaupt die abstracte Grundlage, Unterbrechung, die aber durch die Gleichheit sich auf einander bezieht. die Vielheit, die in einem Takte eingeschlossen ist, muß nun wieder accentuirt seyn, in Unterschiede zerfallen; diese Unterschiede müssen hörbar seyn. diese unterschiedne Vielheit macht die nähere Bestimmung des Taktes nach 4/4, 3/4, 6/8, etc. aus. die Seite des Rhythmus ist die Unterscheidung von gleichen Zeiten, die der Takt ausmacht. dieser Rhythmus ist verschieden vom Melodischen und Harmonischen. Das 2te zu betrachtende Moment ist die H a r m o n i e ; dasselbe, was wir als Harmonie der Farben gesehen haben. Sie betrifft keine zufällige Zusammenstellung, sondern das innere Verhältniß der Töne zu einander, welches sich auf ein Zahlverhältniß reduziren läßt. Die Harmonie beruht auf dem Verhältniß dieser Zahlen gegen einander. Ganz bestimmbar in Zahlen ist diese Grundlage nur in der Naturphilosophie. Die allgemeine Grundbestimmung ist d e r D r e i k l a n g . Es ist eine Einheit, die eine Distinction in sich hat, welche aber in der Einheit gehalten wird. die andern Töne entfernen sich mehr oder weniger von diesem Grundverhältniß. die Entwickelung dieser Verhältniße heißt: d i e L e h r e v o m G e n e r a l b a s s e . Sie lehrt, in wiefern von diesem Grundtone ausgeschweift, und zu ihm zurückgekehrt werden kann, oder zu der ursprünglichen Tonart, so wie auch, wie disharmonien vorbereitet und solvirt werden müßen. doch dieses nähere detail gehört der bestimmten Kunst selbst an. Bei der Harmonie tritt das ein, was man die verschiedenen Tonarten nennt; man kann sie ansehen, als ob sie durch den Grundton einen verschiednen Charakter haben. die Hauptverschiedenheit macht der Dur- und Moll-Ton aus; er wird durch das Verhältniß der Terz bestimmt die bestimmtere Verschiedenheit hat eine andre Grundlage. Wenn man einen Ton als Grundton angiebt, und seine Octave bestimmt (bei gleicher Spannung und Dicke der Saiten, die halbe Länge, wie 1:2, füllt die Octave aus) so hat | man eine G a m m e . Wenn man von diesen Tönen wieder irgend einen zum Grundton macht, und zu dem neuen Grundton seine Terz und Quinte sucht, so soll das in einem solchen Fortgang auch harmonisch seyn;. Jeden Ton in der Gamme kann ich als Grundton annehmen, und seinen harmoni11 Seite] folgt bis zum Ende des Textes eine Abschrift des Heftes von Middendorf zu derselben Vorlesung Hegels, siehe Editorischer Bericht

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schen Fortgang soll er in der ursprünglichen Gamme haben. da entstehen Intervallen, die nahe an dem angrenzen, was sie seyn sollten; aber sie sind es nicht genau. Oder wenn man von einem Tone ausgeht, stimmt von diesem Tone fort, und geht in reinen halben Tönen fort, so findet sich eben so, daß die besondern Töne in dieser Stimmung nicht ihre reine harmonische Stimmung finden. dis ist also der Grund, der in Ansehung der harmonischen Reinheit einen verschiednen Charakter ausmacht. da sucht man nun eine Uebereinstimmung hineinzubringen, von der Reinheit eines Tones so viel zu gewinnen, daß er zu dem andern paßt. das ist, was man Te m p e r a t u r nennt; dis giebt den verschiedenen Tonarten einen verschiedenen Charakter. Es ist also nicht der Grundton, sondern die Verschiedenheit der Verhältniße, die den Charakter der Tonart ausmacht. diese Verschiedenheit ist bei uns viel geringer, als bei den Alten; wir finden, daß sie ein großes Gewicht auf diese Verschiedenheit der Tonarten legten. Von der jonischen Tonart sagen sie, sie seye lustig; die dorische habe Ernst, Andacht; die phrygische Traurigkeit, die lydische Härte und Unfriedlichkeit. Bei den Alten liegt das Allgemeine des Unterschieds darin, daß sie nur die 8 Haupttöne gehabt haben, von C bis C, ohne die obern Töne auf dem Klavier. daraus folgt, daß die verschiedenen Lagen einen verschiednen Ausdruck geben müßen. E–F ist ein halber Ton, eben so H–C; je nachdem man einen andern Ton zum Grundton macht, bekommt der Fortgang eine andre Stellung. In der phrygischen Tonart war E’ der Grundton; bei der jonischen war es C. dis ist ein Hauptgrund des Unterschieds, der von großen Folgen war. M e l o d i e – die Seele, die sich in der Musik frei ergießt. das praktische Interesse befreit sich durch das freie Verweilen in dem Vernehmen seiner selbst. diese Seite macht das Höhere der Kunst aus. Bestimmt können | nur die Kenner davon sprechen. die Natur der Musik ist die Beschaffenheit, ein ganz unbestimmter Ausdruck der Empfindung zu seyn, die schon selbst ein Unbestimmtes ist. die Natur der Musik ist, sich in Tönen zu ergehen, so daß das Allgemeine sich nicht fest halten läßt, und es auch nicht soll. Es ist nicht nur die Empfindung, die ihr Ergehen hat, sondern auch die leere Veränderung; es ist die Seele, die sich auf die abstracte Spitze stellt, und sich verneint; es ist oft nicht einmal eine Empfindung, sondern der reine Schein der Seele in dieser Veränderung. daß dieser Grund sich auch sonst zeigt, ergiebt sich daraus, daß die Musiker selbst nichts darüber sagen können. Es ist keine Kunst, die so handwerksmäßig getrieben werden kann, als diese Kunst; denn selbst die Technik hat schon so viel Verdienst. R h y t h m u s d e r H a r m o n i e u n d M e l o d i e i s t ve r s c h i e d e n . Wie die Zeichnung, wie Licht und Schatten sich zur Malerei verhalten, so ist das Verhältniß des Harmonischen das Mittel, was der Künstler hat, um sich aus-

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zudrücken. das Harmonische ist allerdings das Mittel der Melodie; aber es ist ein vielfaches Verhältniß, und es bleibt die Wahl, wodurch fortgegangen werden soll. die leichte Musik geht an den einfachsten Verhältnißen fort, die schwere, leidenschaftliche Musik greift tiefer in die Verhältniße der Musik ein, geht bis zur Grenze der Harmonie, bis zur Dissonanz fort, die aber wieder zur Harmonie zurückgeführt wird. In diesen Verhältnißen unterscheidet sich der Dilettant vom Musiker; der erste sucht nur den Inhalt. Für den Kenner ist die Kunst der Verhältniße das Wesentliche; jenen interessirt die Declamation, Melodie; diesen auch das Verhältniß als solches. der Kenner wird an der Instrumentalmusik, die keine Vorstellung ausdrükt, Gefallen finden; sie ist an die abstracte Empfindung, an jenes Hin- und Herbewegen als solches gewiesen, es ist nicht ein Inhalt, der ausgedrückt ist, sondern es ist der Reflex des allgemeinen Zustimmens und Nichtzustimmens. Es ist kein Individuum, keine Gestalt da. Weil die Musik in dieser abstracten Bewegung verweilt, so kann das musikalische Interesse etwas ganz geistloses seyn; deshalb kann das musikalische Genie ganz ungebildet seyn. | Große Componisten sind auch in der Regel die stoffeleersten Menschen. – die Behandlung dieser Verhältniße macht das Hauptinteresse; kennt man sie nicht, so ist das Interesse nicht da; deshalb läßt eine solche Execution aller Vorstellung freien Raum, z. B. beim Klavierspieler interessirt oft seine Fingerbewegung, beim Violinspieler oft das Abarbeiten mit dem Bogen mehr als die Musik. Ein Grundcharakter ihrer Unterschiede ist die Sprache, das Metrische der Poesie einer Sprache. Unser Rhythmus hat das Jambische und Trochäische. dieses Jambische der Fortbewegung ist einerseits markirt und einfach, andrerseits eigentlich das Schlechteste, das man haben kann. die Griechen, Italiener, Franzosen haben es nicht gehabt. In der Kirchenmusik, wo lateinischer Text zum Grunde liegt, ist der Rhythmus des Metrums darin (dies irae); des Wohllauts der südlichen Sprachen im Vergleich mit der unsrigen nicht zu gedenken. der italienische Compositeur ist schon durch sein einfaches Metrum von der Barbarei der Jamben befreit; er läßt die Melodie freier. Hierin scheint der Hauptgrund der Differenz zwischen der italienischen und deutschen Musik zu liegen. durch die Jamben liegt es unsrer Musik nahe, ins Einfache, Schwerfällige, Eintönige überzugehen, ins Leiermäßige, Sehnsüchtige, Dürftige, Klägliche (Volkslieder). In neuern Zeiten haben die Componisten das Jambische, jeden Emporschwung Hemmende, verlassen. Man findet das Jambische des Taktes auch im Haendel, z. B. in seinem Messias. dieser Charakter ist auch einer der Gründe, daß wir in der Haendelschen Musik so zu Hause sind. Selbst bei der mannichfaltigsten Harmonie, Majestät, Melodie, vermittelt uns das Jambische derselben leicht mit ihr.

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Die Verbindung der Melodie mit der Harmonie ist eine vornehmliche Seite in der Musik. die freie Bewegung der Melodie ist in der Harmonie eingeschlossen. Hierin liegt das Hauptgeheimniß der großen Compositionen. dies Verhältniß stellt den Kampf der Freiheit mit der Nothwendigkeit vor. die Harmonie enthält das Nothwendige, die Freiheit überläßt sich ihren Schwingen; sie ist einerseits an die Verhältniße gebunden, andrerseits muß sie frei erscheinen, indem sie zugleich dieselben nicht verletzt. dieser Unterschied führt auf die Bestimmung, daß die Melodie sich als das Vorherrschende zeigen muß, als das, was bei aller Abhängigkeit von der M e l o d i e doch bei sich bleibt; es ist in der Weise der Freiheit der Seele, die sich ergeht und | hört; und die Idealität, zu der die Musik uns erhebt, liegt darin, daß sie dieses Schweben über das Besondere und Bestimmte uns zugleich sinnlich in diesem Elemente vorstellt. Bei den frühern Künsten, Skulptur, Malerei, haben wir gesehen, daß das Geistige die äußerlich angeschaute Gestalt hat; in der Musik ist der Boden fürs Geistige die Subjectivität selbst. In den andern Künsten wird die Seele frei durchs Anschauen des Äußerlichen, der substanzielle Inhalt ist identisch mit der Seele selbst. In der Musik ist’s die Besonderheit, die als bestimmte Empfindung dem Subjecte selbst angehört. Die Musik erweckt Leidenschaften, drückt Freude, Schmerz aus; dis macht die Besonderheit, und die harmonischen Verhältniße bestimmen den Ausdruck; aber zugleich soll die Seele sich in Regionen erheben, wo sie sich aus dieser Besonderheit zurücknimmt. diese Seite der Erhebung über das Besondere (der Lust oder des Schmerzes) macht den Gesang einer Musik überhaupt aus. Sie reißt uns nicht bloß in diese Empfindung hinein, sondern die Seele soll darüber stehen, ihrer selbst genießen. dies ist der Charakter der großen Musik, daß sie nehmlich in der Lust nicht bacchantisch fortströme, sondern daß das Gemüth zugleich auch seelig in sich sey, wie die Vögel in der Luft. das ist es, was wir bei den großen Compositionen der Italiener finden, ein Hineingehen in die Freude und Leiden der Menschen, aber zugleich das reine Anschauen der versöhnten Empfindung. Wir tadeln häufig an der italienischen Musik, daß es ihr bloß um die Melodie, um das Singen zu thun sey, dahingegen wir die Bestimmtheit verlangen; aber das Höhere ist die Vereinigung Beider.

Von dieser Sphäre gehen wir in eine andre über. die Musik ist die letzte Kunst der Äußerung, als einer sinnlichen; aber das sinnliche Element der Kunst ist der Ton, der selbst unmittelbar verschwindende. Das eine Extrem war das Materielle in seiner unorganischen Gestaltung, das andre Extrem der Ton. Von hier machen wir den Uebergang zu den redenden Künsten. – |

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D i e r e d e n d e K u n s t i s t d i e K u n s t i n d e r To t a l i t ä t . die Architectur, um ihres schlechten Elements willen, braucht einen Gott, der darin wohnt, und dieser Gott braucht eine Gemeinde. die Subjectivität, die Spitze derselben, haben wir im Ton gesehen. Es ist aber die leere Subjectivität, welche durch ihre Verhältniße, und durch die Bewegung derselben nicht ausgefüllt wird. Der Ton als R e d e hat die Erfüllung, die dem musikalischen Elemente fehlt. Die redende Kunst enthält die beiden Extreme, sie hat die Gestaltung von der plastischen Kunst in ihrer ganzen Bestimmtheit (im Drama), und von der Musik das sich selbst Vernehmen; der Ton hat so den Inhalt an ihr. die Poesie ist von jeher die erste Lehrerinn der Menschheit gewesen, die Art, wie der objective Inhalt, die höchsten Ideen, an die Vorstellung gebracht worden sind. Die Poesie ist der Zeit nach älter als die Prosa. denn daß Prosa da sey, dazu gehört, daß der Gedanke sich für sich setze, das Abstrakte sich losgerissen habe von dem Sinnlichen selbst, daß die Vorstellung sich losreiße, sich dem Daseyn des Unmittelbaren gegenüber constituire. Was ist die Poesie? damit verknüpft sich die Frage, ob dieses oder jenes Poesie sey? Man kann 100 und 1000 Sätze vorbringen, und sich streiten, ob d a s Poesie sey, oder nicht; um ein bestimmtes Merkmal zu haben, thut man es gewöhnlich in der Weise, daß man alle einzelne Poesie in eine abstracte Form bringt, und das Einzelne subsummirt. doch dis ist nicht die Weise des Erkennens. die N a t u r der Poesie für sich zu betrachten, ist’s, worauf es hier ankommt; die Productionen können Vollkommenheit oder Unvollkommenheit haben, weil die Poesie ihr Gebiet in der Sprache hat. Gebilde, die die Vorstellung hervorbringt, können von der unendlichsten Mannichfaltigkeit seyn, und es kann nicht gefordert werden, daß sie unter einen bestimmten Begriff gebracht werden sollen. | Das Element ist der Ton, in sofern er Bedeutung hat; diese ist die Vorstellung; in sofern ist er ein Zeichen. das Element der redenden Kunst ist die S p r a c h e . die Vorstellung ist das Wesentliche, der Ton nur das Begleitende; deshalb ist das eigentliche Element die Vo r s t e l l u n g , diese subjective Innerlichkeit, erfüllt vom Geistigen. der Ton ist der untergeordnete Ausdruck; Material ist die Vorstellung. Zur Äußrung, Mittheilung, gehört allerdings der Ton, auch er muß unter die Elemente der redenden Kunst aufgenommen werden. – Für was ist sie das Material? die allgemeine Antwort ist: f ü r d a s g e i s t i g e I n t e r e s s e , theils für das, was an und für sich das Wahrhafte ist. theils für das, was überhaupt den Geist interessirt, seine Vernunft und seine Empfindung. Das geistige Interesse ist aber selbst Vorstellung, indem wir uns Desselben bewußt sind. Die Vorstellung

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ist Material und Gehalt, Mittel und Zweck: hier ist ein Unterschied und keiner. doch davon unten mehr. – der geistige Inhalt, so wie das Material selbst, worin die Vorstellung ist, soll geformt werden. Es folgt aus dem Gesagten, daß die redende Kunst ein unermeßliches Feld in Ansehung ihres Stoffs und ihrer Exposition hat. Alle geistigen und natürlichen Dinge können also hineingezogen werden, alles hat Interesse für den Geist, und kann dargestellt werden. der Stoff ist also unendlich reicher, als bei jeder andern Kunst, die immer beschränkt ist. die redende Kunst hat einen Vortheil in Hinsicht des Elements (die Vorstellung ist allgemeine Weise der Existenz); die Poesie kann aber nicht zu dem durch und durch Bestimmten fortgehen, sie hat nicht das Element der Anschauung, sondern der Vorstellung; diese ist ihrer Natur nach schon allgemein. Welche unendliche Modificationen z. B. läßt die Vorstellung »blau« in der Malerei zu; wie arm ist sie in der Sprache? Weil die Vorstellung der Intelligenz angehört, so ist sie damit ein Allgemeines. der redenden Kunst steht ein großes Gebiet des Stoffs zu Gebote, aber in Ansehung der äußerlichen Darstellung steht sie zurük gegen die Künste, die in einem sinnlichen Elemente arbeiten. | daß die Rede auch Kunst sey, ist das jetzt zu Bestimmende. Nicht jede Rede ist Kunst. Was macht nun den Inhalt dessen aus, wodurch die Rede zur Kunst wird? In Ansehung dieses haben wir uns an die Idee der Kunst überhaupt zu halten. durchs Element wird da nichts näher angedeutet; Rede ist die allgemeine Kunst, es ist die Idee, die in ihr sich ausdrückt. Um das auszuscheiden, was zwar Rede ist, aber ohne zur schönen Kunst zu gehören, haben wir die Idee der Kunst nach ihren Bestimmungen vorzunehmen, und hiervon zunächst die ganz formelle Bestimmung, vornehmlich in Beziehung auf den Inhalt. So wird sich durch die formelle Bestimmung auch das abscheiden, was zum Theil auch zu der schönen Kunst der Rede gerechnet wird. d e r I n h a l t d e r R e d e m u ß f ö r m l i c h d e r I d e e g e m ä ß s e y n ; der Inhalt muß in unterschiedenen Vorstellungen Einheit haben, Zw e c k f ü r s i c h s e y n , und als ein selbstständiger Inhalt seyn, so daß er die Form eines Substanziellen hat, eines Organischen, welches Theile hat, aber ein für sich selbstständiges Ganze ist; oder kurz: die individuelle Einheit, und ihre Entwickelung der Theile in der Einheit gehalten, – B e g r i f f u n d R e a l i t ä t . diese Bestimmung reicht schon hin, die Produktionen auszuschließen, die zur redenden Kunst gerechnet werden; beide, die historische und redende Kunst gehören nicht zur freien Kunst. Geschichte soll allerdings interessirenden Inhalt haben, und ihre Entwickelung muß im Zusammenhange aufgefaßt und ausgebildet werden; der Historiker hat es in sich zu fassen, und ein richtiges Bild davon zu produziren; wir sprechen deshalb mit Recht von der Kunst des Herodot;

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aber der freien Kunst gehören sie nicht an. denn das Ganze ist ein VerstandesGanze, ein Abstractum, nicht eine subjective wahrhafte, individuelle Einheit. Nicht die Art und Weise, wie die Geschichte g e s c h r i e b e n ist, ist es, wodurch sie prosaisch ist, sondern es ist der Inhalt. Eine wahrhafte Geschichte handelt eine bestimmte Zeit ab; die bloß poëtische Behandlung der Geschichte macht noch keine Poesie aus; die Sache selbst muß noch ein Poetisches seyn. Die Heroenzeit ist keine eigentliche Geschichte, sondern mehr die Zeit der freien Individualität. Die romantische Periode | des Christenthums ist mehr noch das Prinzip, welches den Grund der Poesie ausmacht, nämlich freie Subjectivität. Zur Geschichte als solcher gehört ein gemeinschaftlicher Zweck, Vaterland, Staat, ein Gemeinwesen, das für sich ist, und für sich besteht, das nicht im Willen des Individuums besteht; da hat der Heros keinen Platz; das, für welches zu handeln ist, steht selbstständig da, die Bürger sind identisch mit einander. Hingegen in der Zeit der Heroen gehört der Zweck dem Individuo an, seine Tugend ist es, die ihn über andre stellt. die großen Römer, Athenienser, etc. sind im Handeln groß gewesen, insofern das Gemeinwesen der Hauptzweck gewesen ist. Das Allgemeine besteht so als etwas für sich, nicht etwa in dem Individuo eingeschlossen; deswegen ist der Befreiungskrieg kein poetischer Stoff. Begeistrung macht die Basis, aber der Zweck ist ein für sich Bestehendes, objectiv Vorhandenes. Hier sind die Individuen nur groß, in sofern sie sich dem schon an und für sich Daseyenden gemäß betragen, indem der Zwek sich so objectiv hingestellt, sich unterschieden von der Subjectivität hat (die Sittlichkeit ist die Identität beider) Was die wirkliche Welt betrifft, so steht alles als Glied eines Ganzen mit einander im Zusammenhange. Als Glied ist’s abhängig, richtet sich nach einem Zwecke, den es nicht vollbringen kann. Nach dieser Seite ist an die Natur des Organischen zu erinnern. die Seele ist das Eine, wogegen alles nur accidens ist; allein diese Mannichfaltigkeit, obgleich im Subject begründet, muß als ein Selbstständiges erscheinen; an sich muß die besondre Zweckmäßigkeit seyn, aber es muß ihr nicht das Siegel der Zwekmäßigkeit aufgedrückt seyn; im Innern gefestigt, muß er sie frei entlassen haben. Ein jedes Glied ist eine in sich lebendige Totalität. die poetische Zwekmäßigkeit muß innerlich verborgen seyn, und das Glied muß jene Totalität frei für sich enthalten. das Element der Vorstellung enthält die gleichzeitige Coexistenz der Verschiednen; der Verstand hält diese Einheit fest; in dem Felde der Vorstellung erscheint alles lose, aber dis ist | bloßer Schein, es muß innre Einheit mit der Freiheit der Theile verbunden seyn. Als

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Beispiel dient die homerische Poesie. da ist Geschwätzigkeit vorhanden, bei jedem Einzelnen wird verweilt, so daß jedes ein kleines selbstständiges Gemälde für sich ausmacht, die homerischen Beiwörter z. B. enthalten ein Verweilen, es ist ein Vergnügen, über das Einzelne nicht abstract hinzugehen, also auch dem Einzelnen das organische Leben zu geben. Daher sagt man: Homer sey ein zusammengesetztes Werk. dis ist ein großes Lob, (von Wolf ist diese Ansicht) das dem Homer zu Theil geworden, daß sein Gedicht so aussieht, als ob alle es gemacht hätten; dis ist ein Beweis für die Objectivität. Ferner, der Umstand, daß man überall abbrechen könnte, beweist, daß ein jeder Theil ein Lebendiges in sich ist. die organische Nothwendigkeit ist unter der Freiheit der Theile versteckt. Wie in der gemeinen Wirklichkeit das Einzelne sich als abhängiges zeigt, und als Zweckmäßiges bestimmt ist, so erscheint im Werke der Kunst das Unterschiedne als ein Selbstständiges. die 2te Kunst ist die B e r e d s a m k e i t . Auch diese scheidet sich von der freien schönen Kunst; doch scheint sie ihr noch näher zu stehen, als die Geschichte. die Behandlung des Gegenstandes ist dem Redner frei gestellt; allein, obgleich die Rede freies Produkt des Subjects ist, so muß sie doch Gesetze, allgemeine Maximen zum Grunde legen, und den Fall, von dem die Rede ist, unter allgemeine Grundsätze subsummiren. dies ist nun ganz Sache des Verstandes. der allgemeine und der concrete Fall scheinen unterschieden, was gegen die Natur der Poesie ist, wo das Ganze und Besondre ein Unzertrennbares sind. der Redner muß auch das Herz interessiren, und in so fern scheint er dem Dichter näher zu stehen, das allgemeine und das subjective Herz soll er intressiren, soll subjectives Interesse hineinziehen, damit die Richter s o entscheiden, nicht nur, daß sie es e i n s e h e n , sondern auch, daß sie es w o l l e n ; er hat mit dem subjectiven Entschluße zu thun. der Zweck des Redens ist nur, zu rühren, Mitleid, Gefühl des Rechts, Besorgniß für unser Eigenthum lebhaft in uns zu erregen. In dieser Absicht liegt also diese Bewegung. Sie ist aber nicht Selbstzweck, sondern | Mittel; also ist auch hier Zwekmäßigkeit und Mittel geschieden. dies sind die tiefern Gesichtspunkte, nach denen man das, was der freien Kunst anzugehören scheint, von derselben ausschließt. In Folge dessen kann man fragen: Was der Zweck der Dichtkunst sey? Man hat einen moralischen Zwek ihr unterlegen wollen. Aber aus diesem Gesichtspunkte kann man die Fabel für die vortrefflichste dichtungsart ansehen. In solchen Vorstellungen ist auch eine Lehre, ein Allgemeines; das Allgemeine soll für sich zum Bewußtseyn kommen, und die Besonderheit in der Allgemeinheit dargestellt werden. die Dichtkunst soll allerdings ein Substanzielles zur Grundlage haben; aber es giebt noch manches andre, als das, was man das Moralische nennt. Zur poetischen Totalität gehört: I n h a l t , A u s d r u c k , und Ve r s i f i c a t i o n .

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Der Inhalt muß ein gediegener seyn, der als Selbstzwek aufgenommen und vorgestellt ist, ein in sich Fertiges, in sich als selbstständig Vorgestelltes, es mag nun ein umfassender oder einfacher Inhalt seyn, es muß als ein in sich Rundes dargestellt seyn. Wenn ein Inhalt, der ein gediegener ist, in der Vorstellung ausgesprochen wird ohne weitere Entwickelung, so ist er eben so Poesie als Prosa; denn erst in der Entwickelung ist’s, wo die Verhältniße der Lebendigkeit hervortreten, Verhältniße, in denen die Theilvorstellungen als selbstständige in der Einheit des Ganzen gehalten sich darstellen. Solcher gediegener Inhalt ist z. B.: »Gott sprach: es werde Licht, und es ward Licht!« dies ist hohe Poesie und Prosa. Auch die Aufschrift am Apollotempel zu Delfi: »Erkenne dich selbst!« Eben so können die Lehren des Pythagoras in carmine aureo in ihrer substanziellen Gediegenheit als poetischer Inhalt aufgefaßt werden. die Fabel ist prosaisch, weil da ein Auseinandertreten des allgemeinen Satzes und seiner Exposition in einem Beispiel herrscht. Also auf die E n t w i c k e l u n g kommt es an. die besondern Vorstellungen müßen die Bedeutung haben, daß das Allgemeine das ganz Intensive sey, so daß diese Theile die Seele von dem Allgemeinen haben, aber auch selbstständig erscheinen. | D e r A u s d r u c k überhaupt, wie dieser Inhalt als Vorstellung fürs Bewußtseyn, und näher im Wo r t e bestimmt ist. das Wort ist für die Mittheilung. Um eine innerliche Vorstellung haben zu können, dazu ist Objectivität nöthig: diese bringt es mit sich, daß solcher Inhalt in Worte gefaßt werde, welches zugleich die Brücke zur Mittheilung meiner Vorstellung an andre ist. Von den Worten als Zeichen wird nachher gesprochen; zunächst hat es eine Bedeutung, und drückt eine Vorstellung aus, die Art und Weise, wie dieser Inhalt mir in Namen objectiv wird. Ist das Wort der Vorstellung angemessen, so ist der Ausdruck richtig. Das Gesetz für die Prosa ist Richtigkeit des Ausdrucks, so daß der Ausdruck noch nicht für sich ausgebildet ist, keinen andern Inhalt als die Vorstellung hat. Aber es giebt auch uneigentlichen Ausdruck, d. h. einen Ausdruck, der nicht nur die Vorstellung, die ich geben will, enthält, sondern auch noch eine andre. dies ist der Charakter des f i g u r i r t e n A u s d r u c k s . Zu dem poetischen Ausdruck gehört solcher figurirter. – Warum aber das? Das Interesse des figurirten Ausdrucks ist: Wenn ich eine Hyperbel gebrauche, so muß das, was ich ausdrücken will, erst durch den Zusammenhang klar werden; das Uebrige ist alsdann Ueberfluß. Wozu dies? Warum nehme ich den Ausdruck der Art, und nicht der Gattung? In der Art liegt »blau«, und auch die Gattung (Farbe); wenn ich also da, wo bloß die Gattung ausgedrückt werden soll, den Ausdruck der Art gebrauche, so mache ich meine Vorstellung anschaulich; indem ich einen Ausdruck der Art gebrauche, gebe ich eine sinnliche Vorstellung. Aber es gehört hierher ein höhres Interesse; indem ich einen figurirten Ausdruck gebrauche, übe ich eine Ge-

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walt aus, der Ausdruck gilt mir nur nach einer Seite, nicht ganz. In dieser Gewalt ist der Charakter der Poesie bezeichnet. Es ist ein Reichthum vorhanden, der für sich interessant ist, weil er die sinnliche Vorstellung weiter beschäftigt, es ist die Gewalt des gediegenen Stoffs und des dichters über den Ausdruck der Vorstellung. In dem figurirten Ausdruck kommt der Dichter mehr zur Anschauung; es ist eine Gewalt des dichters oder des Stoffs, die sich sichtbar macht. Es ist vornehmlich der gebildete figurirte Ausdruk, der in der Poesie | gebraucht wird; er ist aber der Poesie gar nicht nothwendig. Wir in unsrer Prosa sind voller bildlicher Ausdrücke; es ist eine Weise, die uns die Macht des Gedankens anschaulich macht, die sich in der Mannichfaltigkeit des Stoffs und der Vorstellung geltend macht. Bei Jean Paul ist’s die Macht des subjectiven Gemüths, die sich geltend macht, die die entfernt liegenden Gegenstände hineinzieht, und eine Seite derselben für den Kreis der Gedanken, in den sie eigentlich gar nicht gehören, auffindet, und Gewalt daran ausübt. dies ist etwas mehr Modernes. Bei Homer ist der Ausdruk viel einfacher, richtig adäquat; nichts Blumenreiches, Figurirtes. Es ist gewöhnlich die Eigenschaft des Styles eines dürftigen Geistes, der alle Vorstellungen zusammenwirft, um seinen Inhalt damit aufzuputzen. Bei Homer ist der Ausdruck ganz adäquat; sein Styl kann deshalb ganz prosaisch genannt werden. Eben deshalb hat er aber den leichtern Fluß; das Blumenreiche ist immer etwas Hinkendes, weil eben da noch geschieden werden muß; wir werden auf Andres, nicht zur Sache Gehöriges geführt. Das, was man eigentlich gebildeten Ausdruck nennt, geht erst bei den Römern an, bei Horaz, Virgil, z. B. comae arborum. diese Gewalt ist dem Ausdrucke vornehmlich von dem Subjecte angethan; deswegen ist lange Zeit bei den Franzosen dieses Gebildete so beliebt gewesen; denn der Ausdruck ist höchst geistreich (geistreich ist das, was das Entgegengesetzte bändigt und zusammenfaßt). Wenn dieser gebildete Ausdruk zu sehr fortgeht, so kann er ins Schwelgende übergehen. So haben wir also a) d e n ä c h t c l a s s i s c h e n , und b) den g e b i l d e t e n A u s d r u k . Wir kommen c) zu dem r o m a n t i s c h e n A u s d r u c k e , wo es mit der Sache so Ernst ist, wo das Gemüth so bewegt ist, daß es in die Exposition sich ganz versenkt, und in den Ausdrücken herumwühlt (Bei der Laune ist’s mit der Sache selbst nicht Ernst, da ist’s bloß das Subjective). Das Gemüth kann sich darin gefallen, alles das Mannichfaltige zum Opfer d e r Empfindung zu machen, welche das Subject gerade ergriffen hat. Besonders häufig findet man so etwas in den südlichen Gedichten. | D i e Ve r s i f i c a t i o n . Das Zeichen als Zeichen ist ein äußerliches, sinnliches Material, als solches ist’s der Ton. dis ist die 3te Betrachtung, und macht die Versification aus. die Äußrung hat die Seite, eine sinnliche zu seyn. Indem jede Seite für sich frei seyn soll, so muß auch diese Seite für sich ausgebildet werden;

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dis liegt in der Natur des Organischen. Wenn die Prosa poetischen Ausdruck hat, so giebt sie etwas, das weder Fisch noch Fleisch ist. Versification ist der erste äußerliche Duft der Poesie, der uns über den Boden des prosaischen Bewußtseyns hebt, und dem Dichter die Nothwendigkeit auflegt, auch diese Seite zu bilden. Es sind auch prosaische Gedichte gemacht, nehmlich nicht versificirte, nehmlich zu jener mechanischen Periode, wo man dazu das Natürliche emporhob, und das verschmähte, was man für ein überflüßiges hinderndes Gerüste hielt, das die Exposition des Stoffs hindre; so z. B. Götz von Berlichingen. Lessing’s, auch Schillers Schriften sollten es auch seyn, – allein alle diese Heroen sind von dieser Natürlichkeit zurückgekommen; denn etwas dichterisches soll auch in einer angemeßenen sinnlichen Äußerlichkeit dargestellt werden. So wie man gesagt hat, die Zeichnung sey die Hauptsache, und die Farbe bloß Ausführung, eben so hat man die Versification für eine Fessel gehalten; es sey zu viel vom dichter gefordert, daß er um dieses sinnlichen Zaubers willen so viel von dem Gedanken in der Exposition aufgeben müße. dagegen ist es aber nöthig, daß jede Seite in der Poesie organisch gebildet sey; alsdann ist es das Versmaaß, das den dichter nöthigt, seine Gedanken hin und her zu werfen, damit die Exposition ein Gemachtes, nicht ein Unmittelbares sey. Eben das Reimen selbst giebt schon Gedanken; indem der Dichter nach Reimen sucht, ist er gezwungen, seine Vorstellungen zu modificiren; wenn der dichter also einerseits eine Nöthigung hat, so hat er andrerseits eine Anleitung, seine Vorstellungen auf mannichfache Weise umzuwenden. der Triumph der Kunst ist, daß nichts ängstlich geschieht; dis sehen wir in Schiller, Goethe, wo die Gedanken frei einherschreiten. der Dichter befindet sich im Gebiete der Vorstellungen in einem ganz losen Felde; er braucht einen Rahmen, Umriß, um das | ganz Lose zu befestigen. Bei der Skulptur, Malerei sehen wir auch, daß der Künstler einen Umriß hat. die Gestalt des menschlichen Körpers, die Berge, Flüße, sind in Hauptformen vorhanden, und wir müßen dis nicht als eine Beschränkung der Kunst ansehen. Eben so ist für den Dichter das Versmaaß die unbestimmte, allgemeine Zeichnung. Wenn der Dichter sich für das Versmaaß bestimmt hat, so hat er schon die allgemeine Contur für sein Gedicht. Ein jedes Versmaaß hat seinen eigenen Ton, und von dieser Seite betrachtet, ist’s eine Erleichterung für den Dichter. Es ist allerdings zuweilen der Fall, daß der Dichter etwas von seiner Vorstellung aufopfern muß; dies muß aber jeder Schriftsteller verstehen. Besonders müßen dis Anfänger thun, eben damit man ein rundes Ganze bekomme. Durch diesen Umriß wird er von seiner subjectiven Exposition befreit. diese Wirkung wird auch im Zuhörer hervorgebracht. die freie Kunst soll einen ernsten Inhalt haben, aber man 30 die] den

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soll auch davon befreit werden; dis geschieht, indem die sinnliche Seite hinzugefügt wird. Zw e i Sy s t e m e d e r Ve r s i f i c a t i o n . 1. Die r h y t h m i s c h e Versification, 2 . die des R e i m s . die erste betrifft das Verhältniß der Töne nach rhythmischer Bewegung, Länge und Kürze; die 2te den Klang der Sylben, Verhältniß der Gleichheit und Ungleichheit derselben. (Höhe und Tiefe kommt hier nicht vor, da sie der Deklamation angehört.) Beides läßt sich verbinden, nehmlich der Fortgang kann rhythmisch, und auch reimend seyn; wenn aber der Reim vorkommt, so tritt die rhythmische Versification zurük. In den gereimten Versen ist das Rhythmische sehr einfach; die Franzosen und Italiener haben ein noch weit freieres; Hexameter und Pentameter gereimt hat etwas Ueberfülltes. Eine Grundlage der Versification ist ein Wiederkehren in das sinnliche Element; (ein andres ist die Bedeutung: parallelismus membrorum). Bei den Unterschieden der Versification ist die Hauptsache, | die Betrachtung von der Natur der Sprache anzufangen. die alten Sprachen, wo bloß die rhythmische Bewegung ausgebildet war, haben einen andern Character, als die neuern. Was die Prosodie in den alten Sprachen betrifft, so wißen wir, daß die natürliche Länge und Kürze der Sylben gehört wird. dieses beides haben wir auch, unser Ohr ist aber weniger aufmerksam darauf; ein breiter Ton ist für sich lang, a, ä, u. s. w., andre sind kurz. – Ein weitres prosodisches Prinzip ist das der Po s i t i o n . Wenn ich von einem Vocal zum andern übergehe, und sich zwischen denselben mehrere Consonanten befinden, so ist der Vocal lang, weil die vielen dazwischen stehenden Consonanten ein längeres Verweilen nothwendig machen, und dieses muß nothwendig auf den ersten Vocal fallen. Wir empfinden auch etwas davon, wenn wir z. B. sagen: »diesem Schwerdte.« Die Hauptbedeutung und die Betonung ist getrennt, besonders bei den Alten. In unsrer Sprache ist das Gegentheil; da bleibt Bedeutung und Betonung in Einem. In solcher Sprache hat das Rhythmische weniger Freiheit; das Betonen ist an die Bedeutung gebunden, und eben deshalb kann man sich in der sinnlichen Seite nicht frei ergehen; sie ist durch die Bedeutung beherrscht, und soll sie für sich geltend gemacht werden, so muß sie der Bedeutung ein stärkeres Gegengewicht entgegenstellen; dis ist die Stärke des Klanges; dies ist also nicht ein Verhältniß der Zeit, auch nicht ein Wohllaut der Vocale. Jener Gediegenheit der Bedeutung wegen muß ein materieller Schlag, wie der Reim, gegenüber gesetzt werden. dis ist der wahrhafte Sinn des Reims. – Bei der Natur des Reims ist das Weitere zu betrachten, nehmlich das Kunstreiche in dem bloß sinnlichen Elemente, die Harmonie, die Einheit von Unterschieden in der Wiederholung eines und dessel-

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ben. Diese Wiederkehr enthält fürs Selbstbewußtseyn die Erinnerung. Diese Erinnerung ist das Moment des eigentlichen innerlichen Redens; der Geist, der in dem | Stoffe versenkt ist, verneint sich durch dieses Sinnliche, kehrt in sich zurück. dieses gehört zur Befreiung des Geistes von der Innerlichkeit. Wie bei Homer die Häufung der Epitheta, so ist der Reim eigentlich die Form der romantischen Kunst. In die lateinische Sprache ist er auch durchs Christenthum hineingekommen. Ambrosius und Augustus sind dazu gekommen durch die Weise des Gesanges in dieser Religion der Innerlichkeit. B e m e r k u n g ü b e r d i e N a t u r d e r Vo r s t e l l u n g i n d e m E l e m e n t e d e r D i c h t k u n s t . Nicht die sinnliche Anschauung; nicht der reine Gedanke, nicht Reflexionsbestimmungen, auch nicht das Vernünftige (Speculative); die Vo r s t e l l u n g ist in der Mitte; das unmittelbar Einzelne ist zurükgeführt zum Allgemeinen; andrerseits ist die Form der Vorstellung auch das gleichgültige Nebeneinanderseyn. der Verstand fordert Consequenz; in der Vorstellung sind die Bestimmungen los neben einander; die Einheit des Gedankens ist und soll versteckt seyn in der Leerheit, die im Innern durch die eine Seele beherrscht ist. So ist der Inhalt fähig, in seinen Theilen dargestellt zu werden, so daß jeder einzelne selbstständig erscheint. In diesem Elemente entwickelt die Poesie ihren Gehalt; dieser ist das geistige Leben; das Element der Vorstellung giebt die Möglichkeit, dasselbe in seiner Tiefe und in seiner vollen Entwickelung darzustellen, was die andern Künste nicht vermögen. dieses Geistige kann nach der Natur der Vorstellung theils mehr nach dem Gebiete des Gedankens, theils nach der äußerlichen Seite der Sinnlichkeit getrieben werden. Es ist die Natur der Vorstellung, daß weder das Tiefste, noch auch das Äußerlichste ausgeschlossen sey; nur muß der speculative Gedanke in der Form der unmittelbaren Behauptung, nicht in der consequenten Form erscheinen; andrerseits muß die Naturerscheinung nicht bedeutungslos, bloß nach ihrer unmittelbaren Bedeutung, (als Botanik oder Zoologie) geschildert werden, sondern in ihrer Beziehung auf das Werk. Parmenides und andre haben in der Form der Dichtkunst | philosophirt, und so die Grenze überschritten; eben so haben mehrere moderne Dichter die andre Seite überschritten, und Naturschilderungen gemacht, die doch im Gedicht nur Interesse in Beziehung aufs menschliche Gemüth haben. Es ist also die Gestalt der Empfindung, Reaction des Gemüths gegen das Gemüth und gegen die äußere Welt, was dargestellt werden soll. Dies kann größern oder kleinern Inhalt haben, muß aber immer selbstständig für sich seyn. Das reiche Dichterwerk bildet dies zu einer vollständigen Welt aus, die ebenso in ihrer substanziellen Weise ex7 Augustus lies: Augustinus

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plizirt ist, als nach der äußerlichen Existenz hin. Indem die Vorstellung und die Rede (näher als die sinnliche Weise der Vorstellung) die Elemente der Poesie sind, so ist ihre Existenz nur vorhanden in dem vortragenden Subjecte. Bei andern Künsten ist ein materieller Halt, aber hier, wie in der Musik, ist das vortragende Subject der Halt, der Träger des poetischen Gebildes, und zwar wesentlich der vortragende Sänger; es ist also die Stimme, und die Versification ist nach einer Seite die Bildung des sinnlichen Elements. Außer diesem ist’s noch die Betonung, die durchs Subject ausgedrückt werden soll. Die Betonung, die Ruhepunkte, machen die Gebehrde der Rede aus, die ihr ein Sinnliches, Anschaubares geben. Die geistige Welt ist also ihr Stoff, Gegenstand. – Die verschiednen Weisen der Poesie können ihren Grund nur in den verschiednen Formen der Idee selbst haben. D i e 3 H a u p t f o r m e n d e r Po e s i e : 1. Die geistige Welt muß in ihrer o b j e c t i v e n Weise dargestellt werden, die S a c h e ist die Hauptsache, nehmlich die Sache in Form einer Vorstellung. 2 . Die Form d e r S u b j e c t i v i t ä t , wonach der Inhalt als vereinzelte Anschauung und Empfinden an mich gebracht wird; die Subjectivität, die in sich geht, und es ausspricht. – 3 . Das Objective ist in das Subjective erhoben, in Grundsätzen, in sittlichen Charakteren gerechtfertigt, so daß das Objective einerseits dasteht, andrerseits die Handlung, sich aus sich selbst aussprechend. das nackte | Innere muß einerseits sich aussprechen, andrerseits muß es handelnd erscheinen. Hier, wo es der Geist ist, der in seinem Bewußtseyn, Empfinden, Wollen auftritt, ists auch der Geist, der persönlich, individualisirt auftritt. So giebt es also 3 Formen: E p o s , Ly r i k und D r a m a (die Einheit von den beiden ersten).

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I. Das Epos. Es hat die Weise der Skulptur, nehmlich den Gegenstand, die Sache darzustellen. Das Seyn verschwindet, das Subject ist das Werkzeug, die Gestalten gehen vor uns vorüber. Es sind die Thaten, die an uns vorübergehen, aus dem Willen, Charakter, kommend, der selbst wahrhafte Berechtigung hat; oder es können auch Charaktere, Begebenheiten zufälliger willkührlicher, abentheuerlicher Art seyn. der Skulptur gegenüber haben wir die Malerei und Musik gesehen. dis ist die Sphäre der lyrischen Kunst. Hier ist nicht nur die Sache, sondern auch der Gehalt des Gemüths, die Empfindung, und hier tritt der Sänger ein. Die Spitze ist das Drama, auch der Zeit nach. Im Drama ist die Rede in ihrer

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Totalität. Im Epos ist sie am abstractesten, das Subject ist Werkzeug. Im Lyrischen tritt das besondre Subject hinein, betont seinen Inhalt, seine Empfindungen, eben drum hat es auch die Rede vorzutragen. In der dramatischen Kunst tritt der Mensch auf, begleitet den Inhalt, so daß dieser objectiv ist, wie im Epos, aber in der Objectivität des Gedankens zugleich auch handelnd. Indem das Subject den Inhalt objectiv vorträgt, und auch handelt, so tritt dies als ein Thun Mehrerer ein. Das Epos trägt der Sänger vor, aber als R h a p s o d e , gleichsam wie eine Melodie, die von einer Handorgel abgeleiert wird; deshalb muß das Epos in einem mechanischen Sylbenmaaße seyn. Hingegen das melos, die Ode, trägt der Sänger selbst vor. die Subjectivität, der Vortrag, Ausdruk, die Gebehrde, ist das Wesentliche, und der Fortgang | des Sylbenmaaßes ist darin ein mannichfaltigerer; denn der Inhalt ist die Veränderung der Empfindung, ein flüchtiger Stoff. Hier tritt zwar einerseits die Subjectivität des Sängers ein; er trägt zwar s i c h vor, seine Empfindungen, seine Anschauungen, sein Verhältniß zu einem Stoffe; es ist aber andrerseits nicht die zufällige, gemeine Besonderheit, sondern ein Höheres im Leben; er stellt also schon etwas mehr, als ein bloß Unmittelbares vor; er ist selbst zu einem Kunstwerk erhoben. Hierbei ist also mit dem Hereintreten der Subjectivität zugleich das darstellen eines andern, als des bloß Unmittelbaren. Eine Vervollständigung in der dramatischen Kunst liegt noch darin, daß die vollständige Gebehrdung dessen, welcher Gesang ertheilt, hinzukommt; der seelenvolle Ausdruk des Sängers vervollständigt die dramatische Darstellung; im Drama tritt der vollständige Mensch selbst auf. Was im Epos nur das nothwendige Werkzeug ist, muß zuletzt als integrirender Theil sich zeigen (diese unmittelbare Persönlichkeit.) In Rücksicht auf die äußern Verhältniße hat sie etwas andres als sich selbst darzustellen. In der Comödie ist das subjective Selbstbewußtseyn Meister; in der absoluten Negation des Selbstbewußtseyns geht aller Inhalt unter; nichts als die Subjectivität des Selbstbewußtseyns stellt sich dar. In der Tragödie ist noch ein substanzieller Stoff, der in seinem Gegensatze sich zu rechtfertigen hat; in der Comödie ist’s die höchste Spitze des Selbstbewußtseyns, die sich über das Göttliche und Menschliche hinwegsetzt. Hiermit schließt sich die Kunst; die letzte p o s i t i v e Stufe der Kunst ist die Tragödie; aber die Kunst geht fort zur Selbstvernichtung; und somit ist als die letzte Stufe der Kunst überhaupt die C o m ö d i e anzusehen. Hauptmomente des Epos. Die Sache ist, was sie ist, das Subject verschwindet. In dem wahrhafteren Epos tritt der Sänger niemals auf; er hat sich vollkommen geopfert, er spricht nicht 23 ist,] ist.

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von sich; etwas, das er zur Ueberzeugung bringen wollte, ist nicht vorhanden, es handelt sich nur um die Sache. Wir wissen wohl, daß es | der Sänger ist; aber in diesem ersten, unmittelbaren Kunstwerk erscheint er nur als der Urheber, der vor seinem Werke, als einem plastischen, zurücktritt; andrerseits erscheint er als bloßes Werkzeug. Er ist das Materielle, noch nicht das Tragende, wie im Lyrischen oder im Drama. Schon das griechische Epigramm hat diesen epischen Charakter; im Herodot: »mit 300 Myriaden Persern (3 Millionen) kämpften hier 4000 aus dem Peloponnes.« Dies ist der größte Inhalt, den man aussprechen kann; die Form der Versification ist bloß hinzugefügt. Das Epigramm ist nichts Selbstständiges, sondern weist auf etwas Andres hin. Das e i g e n t l i c h E p i s c h e ist dem Inhalte nach: die sich objective Gestalt des Geistes, d e r t h ä t i g h a n d e l n d e G e i s t . Von dem Stoffe ist früher schon gesprochen worden. Die H a n d l u n g muß vollständig so beschaffen seyn, daß wir die substanzielle, sittliche Grundlage, und die besondern Triebe, Charaktere, erkennen, eben so das bestimmte Bewußtseyn der Zwecke und Interessen, wonach, und der Umstände, unter denen gehandelt wird, haben. Eine epische Handlung muß Totalität in sich seyn. die Religion, als Bewußtseyn des menschlichen Geistes, die Charaktere und Zwecke der Individuen, die Verhältniße der Familien, die Bedürfniße, Mittel, müßen erscheinen, so daß alles ein Zusammenhängendes ist. Es können auch einzelne Seiten des objectiven Geistes herausgehoben seyn; diese müßen aber auch eine in sich geschlossene Totalität seyn, wie das edle Gedicht von Goethe: Herrmann und Dorothée. der Kreis des bürgerlichen Lebens ist erweitert durch das Vertriebenwerden der Familien aus dem häuslichen Verhältniße, durch den Aufruf zur Vertheidigung des Vaterlandes; es muß also eine totale Welt seyn, in der das Große und Kleine beachtet ist, wie die Iliade. Indem die Welt eine so vollständige ist, so tritt auch darin die verschiedene Weise des Geistes, Gedankens, der Empfindung, der Stoff des Lyrischen und Dramatischen auf. Das lyrische und dramatische Moment kommt auch vor, aber ganz episch gehalten. – das Epos | muß seinem Charakter treu bleiben; alles muß in der ruhigen, dahinschwebenden Weise dargestellt seyn. die Personen objectiviren sich wohl, aber nur in so fern, als die Empfindung mit zu dem Fortschreiten des Ganzen, und zu seiner Vervollständigung gehört, als die Sache, die empfunden wird, Beziehung auf das Ganze hat. Aber auch dann muß es nicht drum zu thun seyn, daß das Subject in seinem Aussprechen sich gegen Anderes geltend macht, was im Drama die Hauptrücksicht ist. Homer giebt in allen diesen Fällen eine unerschöpfliche Menge von Vergleichen. Das, was auch odischen, dramatischen Charakter hat, hört doch nicht auf, Epos zu seyn. die Klage des Achilles über den Tod des Patroclus ist ganz elegisch; der Abschied des Hector und der Andromache, so wie die Szene zwischen Achilles und Agamemnon ha-

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ben einen dramatischen Charakter; aber dennoch gehen sie nicht über die Grenzen des Epischen. Indem das Epische das Objective der Verhältniße ist, so bleibt dem Individuo nichts übrig, als diesem Substanziellen zu folgen, und dann, was kommt, was seyn muß, zu leiden. Daraus folgt, daß hier das S c h i c k s a l waltend ist; »so ist es!« dis ist die ganze Beruhigung des Subjects. In der Lyrik ist’s die Empfindung, welche das eigene Interesse hören läßt, im Drama ist’s die sittliche Berechtigung, im Epos ist’s das S e y n . der wesentliche sittliche Zweck kann das Epos nicht regieren; gegen das Schicksal bleibt das Individuum ganz frei; e s i s t s o ! Die Erfolge sind, wie sie sind; das Individuum kann drüber weinen, es ist aber nicht die Empfindung, die das Uebergewicht bekommt, die sich geltend macht, sondern es bleibt bei dem Plastischen der Gestaltungen. – Wenn wir betrachten, was näher die H a n d l u n g des Epos ist, so sehen wir, daß sie mannichfaltig ist. Das Höchste scheint die Weltgeschichte, und der Boden der Weltgeschichte, das Geschlecht des Menschen, zu seyn. Sie ist das absolute Epos des Geistes. Aber für die Kunst ist der Stoff zu groß. Er fällt einerseits der Philosophie anheim, andrerseits der Geschichte. das letzte Handeln in der Geschichte ist die Idee, die nur im Begriff erfaßt werden kann. | Die Kunst erfordert Individuen in bestimmten Gestalten; aller Schmuck aber erblaßt vor dieser Einen Idee. Die höchste Idee kann nur in der Form des Denkens auftreten; jedes andre Gefäß der Kunst würde durch das Wahre zersprengt werden. (Man könnte denken, daß die indischen darstellungen dazu geeignet wären, aber auch die halten nicht Stich). – Soll nun aber das Epos durch die Kunst individuell werden, so muß eine b e s t i m m t e Weltgestaltung dargestellt werden. Alle großen Völker haben auch Epopöeen gehabt, in welchen ihr ganzes äußerliches und innerliches Leben dargestellt ist. das epische Gedicht auslegen, heißt die individuellen Geister der Nation vor dem geistigen Auge vorübergehen lassen. Ist die Ausführung umfaßend, so ist die Epopöe die Naturgeschichte der wesentlichen Völker. Ihre Zusammenstellungen machen die Weltgeschichte aus. So kann man den griechischen Geist nirgends so einfach kennen lernen, als im Homer. In Ansehung der Epopöe muß ein Unterschied zwischen a n t i k e m und m o d e r n e m Epos gemacht werden. Original oder nachgemachtes Epos ist hier Hauptsache. Letzteres ist Bearbeitung einer verklungenen Epoche. – Homer ist unstreitig später, als der trojanische Krieg, so auch Ossian. die Stufe der Kunst ist eine weitere Fortbildung des Bewußtseyns, in welcher das Leben ein Object desselben geworden ist. das Leben muß noch vorhanden seyn, der Künstler muß noch mit einem Fuße in dem Leben stehen, das er beschreibt, mit dem andern heraus. Ist dis nicht, so sehen wir Szenen einer alten Welt, und Formen der Reflexion einer neuern Welt, die ganz verschieden von dem Inhalte selbst ist, so daß der alte Glaube zu einer Art von Aberglaube geworden ist, Man braucht nur

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den Virgil zu betrachten. Es ist ein Stoff vorhanden, den der Dichter zu seinem Zwecke gebraucht und verwandt hat; es ist nicht der Stoff, in dem sich der Dichter lebendig anschaut. Alle die alten Sagen treten in | den Rahmen des kalten Verstandes zurück. die Götter Virgils sind eine kalte Maschinerie, die dem Dichter ganz äußerlich sind; dagegen finden wir bei Homer einen Zusammenhang des Gemüths mit dem, was als göttliche Gestalt dargestellt ist. Es ist bei ihm die reine Inconsequenz, die ganz der Vorstellung angemessen ist. Bei Homer ist die Unterwelt ganz in Nebel gestellt, bei Virgil ist sie ganz verstandsmäßig dargestellt. Eben so ist Dido eine ganz moderne Person. Auch im Livius z. B. spricht ein alter König wie ein Praetor, der Livius Zeitgenosse ist; die Fabel des Menenius Agrippa macht zu jenen Reden einen grellen Contrast. Dieser Zwiespalt ist also in allen nachgemachten Epopöen. Dasselbe kann auch in Hinsicht der Messiade gesagt werden; einerseits sind es christliche Geschichten, andrerseits Klopstocks Dogmen; es ist nicht das innere Vernünftige, auch nicht das Herz, sondern als kalte Geschichte für uns unverständlich vorgestellt; andrerseits Wolfische Begriffe, Vorstellungen jener Zeiten von der Kunst. Es ist viel Vortreffliches darin, reines Gemüth, edle Phantasie, aber auch durch diese Phantasie viel Hohles; überhaupt sehen wir darin ein G e m a c h t e s . daher ist es auch gegen unser Interesse; nur, was ursprünglich Leben in sich hat, erhält sich. Bei den Morgenländern bleibt die Dichtkunst ursprünglich, weil das Substanzielle der Anschauung einen Grundzug des Charakters ausmacht: Es werden daselbst auch noch Epopöeen gemacht. Unsre Nation hat das Große voraus, von der Bornirtheit beschränkter Ansichten befreit zu seyn, und Empfänglichkeit zu haben auch für Anschauungen, Vorstellungen, die uns fremd sind, und sie doch zu genießen. Von den ursprünglichen Epopöeen kann fast nur der Name angeführt werden: 1. D i e I n d i s c h e E p o p ö e e : Sie legt die indische Weltanschauung uns vor; man kann dieses Volk darin kennen lernen. Einerseits ist darin | das Höchste, Abstracteste ausgesprochen, das wieder zum Bestimmtesten hinüber geht; andrerseits Verworrenheit in Ansehung sittlicher höherer Fordrungen. Herrlichkeit der Phantasie, Lieblichkeit. Die Vorstellung in Ansehung der Gestaltung des Inhalts ist eine phantastische, vom Niedrigsten bis zum phantastisch Allgemeinen; ein beständiges Hin- und Herüberwerfen, keine Begrenzung. 2. Schach Nameh, von Ferdusi. Es ist ein persischer dichter, der die ganze Geschichte Persiens verarbeitet hat (s. Görres Auszug.) Wir wißen auch hier nicht, woran wir sind, ob die Namen Personen sind, oder ganze Völker, Generationen. Es erhebt sich auch zu schönen Gebilden, aber es kommt zu keiner Individualität; die Anordnung hat die lose Form der Zufälligkeit.

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3. A n t a r a s (Herr von Hammer hat einige Notizen aus Egypten darüber mitgetheilt; ein Exemplar ist in Wien vorhanden) Es ist das gefeiertste Gedicht in einem großen, aus 7 andern bestehenden Gedichte, Moallakat genannt. (Antaras war der Dichter selbst.) die Periode ist vor Mohamed. die Blüthe des Arabischen Ritterthums ist darin vorgestellt, die Mohamed durch die religiöse Seite aufgehoben hat. dieses Gedicht enthält nichts Phantastisches in sich, sondern spielt in der Wirklichkeit. Wunderbares kommt wohl vor (quantitatives); aber es ist ein Gedicht, worin der arabische Charakter ausgedrückt ist, der ganz enge Verwandschaft mit dem europäischen Ritterthum hat, das eben so selbstständig sich entwikelt. 4 . D i e h o m e r i s c h e E p o p ö e . Beide Gedichte von ihm sind vollständige vollendete, nothwendige Ganze, sie sind in sich sittlich vollständig; das Ganze ist ein lieblich fortschwimmendes, so daß es für alle Menschen was Anklingendes haben muß; das Fremdartige ist so gemildert, daß es für uns ganz genießbar ist. Gerade in dem Umstande, daß man immerfort es singen könnte, ist das größte Lob enthalten. die ganze Darstellung steht auf der Stufe der Skulptur; es ist das Schweben zwischen dem abstract Allgemeinen, und der besondern Individualität, freie Gestaltung. | 5 . O s s i a n . Im Westen von Schottland. Hier geht schon der occidentale Ton an. das Lyrische ist herrschend, Erinnerung der herrlichen Tage, die nicht mehr sind. Das Alter ist constatirt. 1000, 1500, 2000 Jahre haben sie im Munde des Volks gelebt. Später hat sie Macpherson aufgenommen. der Engländer Johnson ist so sehr Barbar, zu glauben, Macpherson habe es selbst gemacht. Wenn das Gedicht aus der schmerzlichen Empfindung hervorgeht, so ist der herrschende Ton episch; die Helden, ihre Thaten, ihr Unglück, sind dargestellt. Es ist da nicht der Reichthum, wie im Homer; nur dürftige Natur, Einfachheit in der Entwickelung der Vorstellungen, aber ansprechend. (Von Macpherson gesammelt und übersetzt im Jahr 1761–64.) Vor 15 Jahren sind in Wallis die Gesänge der alten cymbrischen Sprache entdeckt. dis sind Gesänge der wirklichen Barden; sie sind theils vor, theils nach dem Christenthum geschrieben. Es hat sich gezeigt, daß die Gesellschaft der Barden von der alten bis zur neuesten Zeit in ununterbrochener Reihe sich erhalten hat. Aufgeschrieben sind die Dichter in späterer Zeit. Julius Caesar ist darin erwähnt, so wie seines Zuges nach Britannien, ferner aller Züge, die nach dem Westen hinübergegangen sind. – Auch hat man in America eine Sprache gefunden, die mit dieser übereinstimmt. die Ordnung darin ist eigenthümlich. 3 Begebenheiten von ähnlichem Inhalte sind zusammengestellt. Diesen zufolge ist die Bevölkerung nach Britannien von Osten (Rußland) gekommen.

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Es giebt auch Lehrgedichte. Delisle hat ein Gedicht über die Natur gemacht, das nichts als ein Handbuch der Physik ist. die Theoretiker sind in Verlegenheit, wo sie solche Gedichte hinbringen sollen; sie schließen sich aber von selbst aus, da sie den Begriff der Poesie nicht erfüllen.

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D i e n o r d i s c h e E d d a , d i e N i e b e l u n g e n , sind bekannt. Docent hat ihnen aber keinen Geschmak abgewinnen können. Aus dem Mittelalter betreffen einige den nebulosen Kreis der Fabel. Ein Hauptgedicht ist Ty t u r e l , ein allegorisch-mystisches Gemälde. Es ist wohl deutsch, aber mit provenzalischen Ausdrücken vermischt, also unverständlich. – Das phantastische Ritterthum in seiner Auflösung ist am schönsten erschienen im A r i o s t o und C e r v a n t e s . dieser hat das schönste romantische Leben, zugleich mit der Ironie darüber, dargestellt. Die Blume des ächten Ritterthums ist im C i d dargestellt. das deutsche Ritterthum ist zu roh gewesen, als daß es den Dichter hätte begeistern können. | In lieblicher Vortrefflichkeit haben wir darstellungen des Cid von Herder. durch ihre Natürlichkeit haben sie großes Verdienst. Es ist eine Schnur von Perlen, wo jede Szene selbstständig für sich ist, alle aber zu einer Schnur sich bilden; es ist ein so schöner Kranz, daß die moderne Zeit es der antiken an die Seite stellen kann. – Hauptsächlich zu bemerken ist noch das große christliche Epos: die D i v i n a C o m e d i a des Dante. Hier sind die Charaktere, Schicksale und Geschichten der Menschen in einer Reihe von individuellen Situationen dargestellt, zugleich aber, als in ihrem Werth und Unwerth durch die christliche Religion gerichtet. Es ist nicht bloß Geschichtliches, sondern sie sind ein für allemal ewig hingestellt, gerichtet und befestigt; es ist das Epos in der höchsten c h r i s t l i c h e n Form. – das nachgeahmte Epos des Ta s s o und Andrer mehr anzuführen, haben wir keine Zeit. In der wahrhaften Epopöe muß die Form der Objectivität die Darstellung seyn, und der Inhalt selbst die geistige Objectivität, es müßen in sich fertige Handlungen entwickelt, und in dieser Entwickelung die Entwickelung der Nothwendigkeit der Welt enthalten seyn, so daß die Handlung ebenfalls ein Ganzes ist. Die 2 Momente, daß Form und Inhalt objectiv seyn müßen, gehören dem Epos. Die Form der Objectivität kann aber auch auf andre Gegenstände angewandt werden, z. B. Herrmann und Dorothée, Vossen’s Louise. D i e I d y l l e ist ein Gedicht, als dessen Inhalt ein gewißer Zustand des Lebens, wo das höhere Interesse noch nicht vorhanden ist, dargestellt wird, d. h. wo Essen und Trinken die Hauptsache ist. die Beschäftigung dieser Menschen ist, dem Bedürfniß zu dienen; nebenher haben sie auch menschliche Empfindungen; Frömmigkeit, Liebe, Gesang, Musik. dies ist die idyllische Welt. die Vossische idyllische Welt hat einen größern Kreis. Die Griechen hatten auch Idyllen, auch so eine Welt, Bacchus, Satyren, Nymphen, Bacchantinnen etc. Es war die thierische Natur, zur menschlichen Lust gesteigert. Dies ist höher, als jener | prätensiöse idyllische Charakter. (Merkwürdig ist, daß Gessner von den Franzosen 22 muß] muß.

29M Lehrgedichte im Ms. unterstr.

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für einen der besten Dichter gehalten wird, da doch die Reinheit seines Gemüths im Gegensatz zu ihrer Zerrißenheit steht.)

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Die lyrische Poesie hat die Entwickelung der Subjectivität, die Empfindung, darzustellen, nicht die Entwickelung eines objectiven Zustandes; auch ist da kein Ausbreiten zu dem vorhandnen weltlichen Reichthum. Sie geht nicht zu dieser Objectivität durch die Entwickelung einer Handlung fort, sondern das Gemüth reflectirt in sich, und ergießt sich über seine Empfindung. Der Gegenstand ist deshalb ein ganz vereinzelter, und das Auffaßen desselben ist der subjectiven Zufälligkeit hingegeben; es kann sich unendlich weit fortspinnen. das Epos hat einen äußern Stoff, eine Gestaltung der Wirklichkeit, und bringt sie uns zur Anschauung. Die Lyrik hat die Empfindung, ein dumpfes Verschlossenseyn zum Gegenstande, und bringt sie heraus vor die Vorstellung. Diese gedrungene Empfindung darf sie nicht als Willkühr darstellen, sondern alle Besonderheit der Veranlassung muß etwas allgemein Gültiges seyn, und dieses muß hineinscheinen. Irgend ein höheres allgemeines Interesse des menschlichen Gemüths muß sich erkennen lassen. Das lyrische Gedicht ist auch Befreiung von der Empfindung, der Geist wird von ihr befreit. die blinde Macht der Leidenschaft besteht in der Bewußtlosigkeit, so daß der ganze Geist in dieser Empfindung verschränkt, identisch damit ist. Indem nun die Empfindung, sey es Lust oder Schmerz, sich erfaßt, beschreibt, sich selbst zur Vorstellung bringt, erleichtert sie das Herz; die Gegenständlichkeit derselben wird dadurch hineingebracht. Goethe nennt es sein | Hausmittel; wenn er in Verhältnißen verwickelt gewesen, innere Unruhe, Unlust empfunden hat, so hat er ein Gedicht daraus gemacht; er hat sich nicht vorgestellt: ich will ein Gedicht machen; sondern von der bestürmten Empfindung hat er sich dadurch befreit, daß er sie sich gegenständlich gemacht hat. Alle seine Romane gehen davon aus; er ist verliebt gewesen, hat verzweifelt, er hat mehrere seiner Liebschaften zusammengenommen; darin ist Dichtung und Wahrheit; die Empfindung ist das Wahre, die Umstände hat er umgeändert nach den Zwecken der dichterischen Begrenzungen. Die Veranlaßung entwickelt sich nicht objectiv in Handlungen, sondern an ihr drückt sich seine Empfindung aus. Der Inhalt des Lyrischen kann also, nach der Natur der subjectiven Empfindung, von ganz unbeschränktem Umfange seyn. Der Charakter des Metrum’s ist im allgemeinen mannichfaltiger, als im Epos, wo Hexameter das vortrefflichste ist. der Uebergang von diesem ist der Pentameter. Die Caesur des Hexameters wird im Pentameter festgehalten; dis ist das Be-

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ginnen dessen, was mit dem eigentlichen Reim verwandt ist. die Caesur ist bei den Griechen nicht so nothwendig gewesen. Durch das Hinzufügen des Pentameter zum Hexameter entsteht das e l e g i s c h e Versmaaß. die griechische Elegie gehört auch dem Ionischen an. Die weitern lyrischen Dichter sind etwas sehr allgemeines gewesen; Pindar ist Thebaner gewesen. Die weitern lyrischen Versmaaße zeichnen sich vom epischen durch mannichfaltige rhythmische Abwechselung aus. Von den größern lyrischen Dichtern hat meist jeder sich sein Versmaaß gemacht, z. B. Sappho, und mehrere Andre. Einerseits Abgebrochenheit, aber andrerseits doch so, daß das Ganze eine Periode bildet; dis ist die Hauptsache. der Takt ist ganz zurücktretend, das epische Gedicht | hat einen Takt. Voss behauptet, daß auch im Dramatischen ein Takt sey; dis kann aber nicht seyn; diese höhere rhythmische Mannichfaltigkeit läßt es nicht zu. Die Meistersänger haben eine Sammlung von Weisen in 4 Quartanten gehabt; es giebt unter andern eine Weise, wo eine Verschlingung von Reimen ist, die sich auf 120 Zeilen bezieht, eine Reimerei, die ganz abgeschmackt wird, wie auch der Inhalt ganz erbärmlich ist; es ist so das Stroh von den Minnesängern. Noch vor 20 Jahren hat es Meistersänger in Nürnberg gegeben; ihr Ton ist aber leyernd, abgeschmackt. der Ton der Zusammenstellung kann von unendlicher Verschiedenheit seyn. der H y m n u s (Päan) ein einfaches Aufjauchzen zum Höchsten; die hebräischen Psalmen sind die herrlichsten Muster davon; sie sind eine Reihe von bloßen Jubelausbrüchen. So einfach es aussieht, so wird man doch, wenn man es nachmachen will, ins Leere fallen. In Klopstock herrscht viel Schönheit, aber auch sehr viel Leerheit. Es wird oft mehr das Abarbeiten geschildert, als daß es zum Inhalte kommt. Horaz macht gewöhnlich viel Anstalten, um einen Gott zu besingen, aber es kommt nicht zum Inhalte. – Die O d e steht näher dem Epos. Pindar hat einen bestimmten Inhalt, die Verherrlichung der Sieger bei den griechischen Kampfspielen; er vertieft sich in sein Gemüth, oder in das Sittliche, Göttliche, oder er geht zu den Thaten andrer Heroen über. Die Expedition von Jason u. a. m. beschreibt er lyrisch. Es ist das subjective Gemüth, das sich an einem Gegenstande ergeht, der durch die Willkühr des Gemüths getragen wird. Klopstocks Oden sind Abdrücke des reinsten Gemüths, voll Kunst des Rhythmus; aber die Phantasie ist etwas Gemachtes; es ist eine Aufwärmerei der nordischen Phantasie. Lyrische Meisterstücke im Tone der Psalmen hat er im 21sten Buche der Messiade, deren Inhalt größtentheils aus den Propheten genommen ist. – das eigentlich deutsche lyrische Gedicht ist d a s L i e d . Von ihm aus | erhalten alle andern Formen ihre Farben. der Ton des modernen Epischen hat immer die Liedform zum Grunde; das Epische als solches ist etwas ganz andres, als das moderne. Auch bei dem eigentlich romantischen Drama ist die Form des Liedes die

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durchdringende. das spätere Drama ist dem griechischen nachgebildet. Bei Goethe müßten wir seine Lieder für das Vortrefflichste halten, weil der Grundton unserer Stimmung entspricht. Auch religiöse Gedichte haben den Charakter des Lieds, dank, Bitte, Sehnsucht, Verlangen etc. Daß der Reim eintritt, versteht sich aus dem Frühern. den Reim haben wir mit den Arabern gemein; er hat sich durch die römische Sprache, durch’s Christentum, gebildet; der Betonung der lateinischen Sprache bietet sich der Reim dar, wenn das subjective christliche Gemüth hineingebracht wird. das Gemüth bleibt in der Lyrik mehr in sich gedrungen; das Singen ist das Wesentliche. Die Empfindung kann entweder gedrungener in sich bleiben, und nur durch abgebrochene Äußerung sich objectiviren, oder sie kann auch eine vollendete Exposition haben, wie bei den südlichen Nationen, wo die Exposition witziger, sinnreicher ist; so das arabische, persische, italienische spanische Lied; besonders bei den Morgenländern. Auch bei den Italienern sieht man so das Vergnügen, sich in seinen verschiednen Verhältnißen mit der Empfindung zu ergehen. Der Versbau ist von der ausgebreitetsten Künstlichkeit und Lieblichkeit. Das Verlangen ist nicht nur, seine Empfindung hinauszustoßen, sondern auch, sie zu vernehmen, und in diesem Vernehmen Beruhigung zu haben. III. Das Drama.

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Die dramatische Kunst muß als die höchste Stufe der redenden Künste angesehen werden, denn sie ist das Element, worin der absolute Inhalt ausgedrückt wird. das Element ist die Rede, das würdigste Element; alle übrigen sinnlichen sind nach einer oder der andern Seite mangelhaft[.] Die redende Kunst hat die Spitze im Drama. Die Objectivität | darin ist nicht nur eine Handlung, sondern es ist das Gemüth, das sich zugleich selbst darstellt; das Bewußtseyn des Gemüths in seinem Handeln macht sich geltend. Es ist diese höhere Objectivität, welche zu ihrem Inhalte das göttliche sittliche Handeln hat, es ist das Innere, das zugleich zur Handlung fortschreitet. der Unterschied des antiken und modernen Drama beruht auf die Differenz des Classischen und Romantischen. Bei dem Antiken beruht das Ganze auf einer substanziellen Macht; in dem Romantischen ist es mehr die subjective Neigung, der Charakter, was das Ganze bewegt. dort ist das Sittliche als Gegensatz vom Recht der Familie und des Staates; das Bewußtseyn davon ist Gegenstand, so wie auch das Volk, die Angelegenheiten des Staats. In der modernen Zeit sind Leidenschaften die Hauptmomente, wo auch ein höheres Interesse waltet, Ehre, Religion, etc. Hier, (bei Ehre, Religion) wendet sich’s eben so nach der substanziellen Seite hinüber; es ist nicht ein religiöser Zweck als solcher da, sondern es

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ist darum zu thun, daß ein Individuum gerettet wird. Eben so ist’s bei der Ehre, Pflicht, etc. nicht zu thun um Ehre und Pflicht als solche, sondern um die Vorstellung, die das Subject von sich, und Andre von ihm haben. Ve r s m a a ß . Im Griechischen war’s der Trimeter, welcher zwischen dem Ruhigen des Hexameters und dem Abgebrochenen des Lyrischen steht. dadurch wird die Jambische Einförmigkeit gehoben. Es sind im Ganzen Jambische Versmaaße, 3 dipodien. der griechische Trimeter hat in der geraden Zahl Spondeen. Goethe und Schiller haben in ihren Tragödien auch keine reinen Jamben gebraucht; ausdrücklich haben sie Spondeen eingemischt, wodurch sie gerade eine höhere Schönheit hineingebracht haben. Anapaesta (ਆ ਆ –) kommen bei den Griechen selten vor, nur bei den Namen. Goethe, Schiller, Lessing haben | der Natürlichkeit wegen prosaische Dramas gemacht, sind aber alle 3 davon zurückgekommen. Der sinnliche Eindruck muß vorhanden seyn, um zu erkennen, daß es hier um etwas Höheres, als das gewöhnliche Leben, zu thun sey. das Versmaaß bringt eine gewiße Gleichförmigkeit, eine Haltung in den ganzen Ton hinein, so daß die Leidenschaft schon dadurch gemäßigt erscheint, nicht lyrisch wird, und daß das Gemeine nicht zum Vorschein kommt. Bei Sophocles sprechen zwar die Gemeinen anders, aber immer in einem würdigen Tone. – das Romantische weicht hiervon ab. Bei den Spaniern, Italienern, Engländern, kommen ve r s c h i e d e n e Versmaaße vor; damit tritt die Zufälligkeit des Charakters hervor, und ist demselben angemessen. G a n z g e r e i m t e Dramen sind für unser Ohr durchaus nicht mehr. Bei den französischen Alexandrinern muß man loben, daß sie nicht das pedantische jambische Versmaaß haben, sondern daß bloß die Sylben gezählt sind. Klopstok hat dis getadelt; aber diese Mannichfaltigkeit des Rhythmus ist besser, als das einförmige Jambische. U e b e r E i n h e i t d e r Z e i t , d e s O r t s , u n d d e r H a n d l u n g . – dis sind die Hauptsachen, die die Franzosen vom Drama zu sagen wißen. Aristoteles spricht nur von der Einheit des Ort’s. Bei den Franzosen sind diese Regeln gewaltige Beschränkung. Bei den Griechen weiß man von der Einheit der Zeit nichts; von dem Ort verstand es sich von selbst. Die Zeit wird gar nicht berücksichtigt, und dies ist das Hohe des Dramas, daß man an sie grade nicht erinnert wird. Für die Vorstellung ist das Hinübersetzen von einem Ort zum andern gar keine Schwierigkeit; aber der sinnlichen Anschauung darf nicht zu viel zugemuthet werden. E i n Akt muß allerdings an e i n e m Orte vorgehen; es wäre ohnehin nöthig, daß gesagt würde, was das für ein Ort sey. In der griechischen Tragödie ist alles ausgesprochen, so auch in Ansehung des Orts. | Shakspeares Dramen spielen eine lange Zeit hindurch. Für die Vorstellung ist’s leicht, aber für

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die Anschauung hat es etwas Ungehöriges, wenn man z. B. in einem und demselben Stücke einen Knaben zum Mann heranreifen läßt. – d i e E i n h e i t d e r H a n d l u n g ist sehr wichtig. In dieser Einheit können aber viele Handlungen begriffen seyn; die Nebenpersonen können besondre Interessen haben, und gerade aus diesem kann die Hauptsache, das Ganze, hervorgehen. In der Komödie ist’s besonders der Fall. Wo hört aber die eine Handlung auf? denn jede Handlung hat noch eine Folge; daher ist es schwierig, das gehörige Ende zu treffen. die neuen Anfänge, die im Ende liegen, haben Veranlaßung zu den Bilogien und Trilogien gegeben, wie wir schon bei den Griechen sahen. Am meisten findet sich dies ein, wenn der Zwek und die Individuen nicht identisch sind. Wenn z. B. das Schicksal eines Staates und der Individuen nicht eng verbunden ist, so kann das Schicksal der Individuen ein Ende nehmen, aber das Schicksal des Staats ist damit noch nicht geendigt. das wahre Ende ist da, wenn der sittliche Zweck an dieses Individuum schlechthin gebunden ist. So ist es in den griechischen Tragödien. In der modernen Tragödie, z. B. Romeo und Julie ist das Interesse die Liebe. Der Zwist der Familien ist das andre große Interesse, das aber im Stücke dunkel gehalten ist, und nur am Ende hervortritt. Im Hamlet ist mit der dänischen Herrscher-Reihe derselbe Fall; das Interesse ist an Hamlet gebunden, und mit ihm ist das erste sogleich beseitigt. Wenn sonst ein Interesse vorhanden wäre, woran sich das Individuum bräche, so wäre für uns das Stük nicht zu Ende, wenn gleich die Individuen ihr Ende genommen hätten. | A n z a h l d e r A k t e . Gewöhnlich sind es 5 oder 3. Bei den Griechen ist die Anzahl unbestimmter. Es macht sich gleichsam natürlich; ein Stück von 4 oder 6 Akten würde für uns etwas ungehörig erscheinen. Es ist eine Situation und ein Gegensatz vorhanden. Im 1sten Akte tritt e i n e Parthie auf, im 2ten die andere. der 3te Akt enthält den Angriff der e i n e n Seite, so daß sie im Nachtheil gesetzt ist; der 4te Akt den Angriff der andern, wo diese etwa wieder im Nachtheil ist. der 5te ist das Gleichgewicht beider, oder gänzlicher Untergang der einen Parthie. doch läßt sich der Stoff nicht immer so gleichmäßig vertheilen. Tr a g ö d i e u n d C o m ö d i e . die Tragödie hat das sittlich Substanzielle zum Gegenstande, den Prozeß desselben, so daß die substanzielle Einheit wieder hergestellt wird, mit dem Untergange der Individuen, die ihre Ruhe, ihre Einigkeit gestört haben. das Sittliche ist hier die Grundlage. In der Comödie ist der Untergang des Substanziellen die höchste Tendenz, die Auflösung desselben durch die subjectiven Interessen der Individuen. das Subjective ist das, was das Substanzielle in sich auflöst, es ist die darstellung des Widerspruchs, das Lächerliche desselben in seiner unmittelbaren

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Auflösung. Die Zwecke und Mittel sind so beschaffen, daß der in ihnen enthaltene Widerspruch sogleich hervortritt. In der Comödie ist die Erhaltung der Individualität, ihr Bestehen in sich, die Hauptsache; in dieser Subjectivität stellt sich die Auflösung des Substanziellen dar. 1. d i e Tr a g ö d i e i s t d a s D r a m a i n s e i n e r s i t t l i c h e n H o h e i t . a) d i e H a n d l u n g s e l b s t . diese hat einen andern Charakter als die epische. die epische hat mehr einen historischen Charakter, | es ist diese Individualität, d i e a n f ä n g t , es ist ihre M a n i e r , wodurch sie ihre Vermittelung hervorbringt, es ist ihr unmittelbarer Wille. So ist’s Achilles Heftigkeit im Rathe des Agamemnon, die den Anfang der Iliade macht. darauf beschließt Agamemnon den Krieg. – der dramatische Anfang muß schon eine sittliche Nothwendigkeit enthalten; das drama hat das Epische zur Voraussetzung. der dramatische Anfang ist ein Zustand, der die Handlung nothwendig macht, es ist die innere Objectivität, die subjectiv-Objectivität. dies ist das s i t t l i c h B e r e c h t i g t e . So kann ein episches Gedicht, dem Hauptinteresse nach, eben so dramatisch, als episch seyn. Sittliche Berechtigung der Individuen ist der Anfang. Eine solche wahrhaft plastische Individualität ist’s nur dadurch, daß sie zu dem Repräsentanten der sittlichen Macht gemacht ist. dies ist die plastische Individualität. Ein solcher Charakter ist nicht ein böser Charakter. Tyrannen sind daher schlechte tragische Charaktere, wenn sie auch gute Eigenschaften haben, z. B. Liebe zu den Kindern u. s. f.; läßt man ihn ungerecht handeln, und denkt ihn vielleicht zu einem großen Helden zu machen, so ist dies ein in sich Gebrochenes. Die hohe tragische Individualität muß hingegen nach derselben Seite, nach der sie handelt, sittlich berechtigt seyn. b.) Alle Handlungen erfordern einen Gegensatz, eine Collision. Nach den aufgefaßten Fordrungen sollen die beiden Seiten sittlich berechtigt seyn, nicht die eine Seite allein; dis ist eine ganz prosaische Manier, die kalt oder gräßlich wird. Auch Shakspeare und Goethe haben sich von dem Gräßlichen nicht fern genug gehalten. In beider sittlichen Berechtigung liegt das Tragische der Alten. das | Sittliche ist überhaupt eine Totalität von sittlichen Verhältnißen; in dem ruhigen Zustande ist dies ein Kreis von seeligen Göttern, die nur den Genuß des seeligen Lebens haben. Aber dem Begriffe nach muß diese Seeligkeit zur Collision übergehen; und so erst wird es Ernst mit jenen Mächten, erst so erhalten sie die höhere Wahrheit in der Individualität, in der sie als der Pathos der Individuen erscheinen. Eine solche Gestalt erhält ganz die substanzielle Bedeutung des Werkes der Skulptur. Es ist ein Individuum, auch ein abstrakter Charakter, welcher seine Bestimmtheit ausmacht. Solche Gestalten sind göttlich vollendet sittliche Poten-

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zen in der Individualität. Sie sind auch zugleich der Indifferenz entnommen, welche zu dem Göttlichen gehört; erst auf dem Boden der Wirklichkeit kommt die besondre sittliche Qualität, die das ganze sittliche Individuum durchdringt, zu ihrer wahrhaften Existenz; erst durch diesen Gegensatz kommen die Götter aus ihrer olympischen Ruhe und Seeligkeit heraus; es ist ein Zustand, der zunächst der der Phantasie ist; sie treten ins daseyn, und hiermit sind sie besondre. Bei dieser Entzweiung ist’s nothwendig, daß die thatlose Harmonie Grundlage bleibt; daß die Einheit wieder aus der Entzweiung zurückgenommen wird. dieses Bewußtseyn muß ihnen selbst gegenüber treten. Einerseits findet das Bewußtseyn statt, daß es ein thatloses Element bleibt, und die Furcht vor jener Entzweiung; andrerseits muß aber zugleich das heroische Hervortreten dagegen sich höher faßen. Wir haben also hier die Entgegensetzung, erstlich, die in göttlicher That auftretende Gestaltung, und das unentzweite Bewußtseyn, d. i. das thatlose; | das andre ist, wodurch das Göttliche zur Wirklichkeit gebracht wird durch die Besondrung. dieser ganze Gegensatz ist die Entgegenstellung des Chorus und der handelnden Heroen in der alten Tragödie. Man hat das Bedürfniß gefühlt, den Chor wieder einzuführen, aber man hat die wahre Natur desselben nicht erkannt. Man hat ihm zwar richtigerweise die ruhige Betrachtung, während die Heroen in ihrem Pathos befangen bleiben, zugemessen; aber der Chor steht nicht nur als Reflexion da, sondern er ist wesentlich der Boden, aus dem die Entzweiung, die im Prozeße der Handlung heraustretenden Mächte und Individualitäten herauswachsen. dies ist auch der substantielle Sinn, worauf das Ganze zurückgeht. Früher hat man den Chor als ein Ueberbleibsel des Alterthums angesehen; das ist allerdings das Historische; aber der eigentliche Grund ist auch das Vernünftige. In neuern Zeiten waren die dramatischen darstellungen Mysterien, später Moralitäten, d. i. kein Handeln in jenem ursprünglichen Sinne, kein Hervortreten aus dem ungetheilten Bewußtseyn des Göttlichen. Wir können den Chor mit der Architectur vergleichen, die das Götterbild der Natur umgiebt. diese Collisionen in ihrem großen Sinne bedürfen des Gegenbildes der sittlichen Einheit, des Thatenlosen. der Chor ist lyrischer Ausdruck, sein Inhalt ethisch. Im Begriffe der Handlung ist’s, wo der Unterschied des Inhalts des Antiken und Modernen vorzüglich eintritt. Im Antiken liegt der Handlung eine Verletzung der sittlichen Macht zum Grunde. die Verletzung selbst muß von einer sittlichen Macht ausgehen. Agamemnon opfert seine Tochter, verletzt die Mutterliebe. die Verletzung gegen das Sittliche muß vorausgegangen seyn, so daß das Verletzte zugleich einen sittlichen Pathos auf seiner Seite hat. In den modernen Tragödien beruht die Verletzung auf besondern Leidenschaften, Ehre, Liebe, persönliches Interesse, eine Willkühr des Subjects.

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diese hohe Berechtigung ist die wesentliche Grundlage des alten | Drama’s. Es sind keine Criminalf älle, die den Inhalt ausmachen. – Hier tritt die tragödische Beredsamkeit ein, wo sie das Wahrhafte ihrer Berechtigung aussprechen. dies ist etwas ganz andres, als die Beredsamkeit, die auf Rührung abzielt. Schiller ist reich an solchem wahrhaften Pathos; (?) bei Goethe kommt mehr ein Pathos der Leidenschaften vor (?). Bei Egmont ist die höhere Grundlage nur prosaisch abgehandelt, eben so auch im Götz von Berlichingen. In der antiken Tragödie spricht sich dies als das Bewußtseyn der Individuen aus, worin sie ihre Berechtigung haben. c) das Resultat ist, daß die Berechtigung beider Seiten behauptet wird, und daß die Einseitigkeit der Behauptung abgestreift, und die ungestörte reine Harmonie hergestellt wird. Und dieses geschieht mehr bewußtlos. Antigone sagt am Ende: »es ist nichts, als der Ewige (Zeus).« – die Einseitigkeit Beider ist da, das daseyn der beiden sittlichen Seiten ist damit hereingekommen, daß sie der Pathos der Individuen sind. die Entwickelung, die zu diesem Ausgange führt, leitet sich am wahrsten so ein, daß jedes der beiden Pathos der Individuen unter der Gewalt der andern Macht steht; beide machen die Totalität aus. In der Antigone steht Familie und Staat sich gegenüber; die Entwickelung ist so eingeleitet, daß jedes unmittelbar mit dem andern zusammenhängt, und wieder etwas an sich hat, das gegen das andere ist. Die thatlose Einheit des Sittlichen tritt w i e d e r ein; dieses ist die vernünftige Gerechtigkeit, und das Anschauen derselben heißt: die Tragödie begreifen. In dieser Anschauung ist das Gemüth befriedigt. Man verlangte auch ein moralisches Ende; das Gute sollte belohnt, das Böse bestraft werden. Eine andre Ansicht ist, daß man das S c h i c k s a l als das Waltende in der Tragödie genommen hat. Unter Schicksal versteht man e i n e b l i n d e N o t h w e n d i g k e i t , und das hat man | zum Wesen der alten Tragödie gemacht. Es ist freilich das Vernünftige nicht als ein Bewußtes ausgesprochen. (Der Anfang und die Entwickelung ist vernünftig, und damit ist für das Gemüth die wahrhaft sittliche Nothwendigkeit dargestellt.) »Weil wir leiden, so wollen wir zugeben, daß wir gefehlt haben«, sagt Antigone, und bleibt so auf der abstrakten Pietät stehen. Die Antigone ist das vortrefflichste Kunstwerk. dieser Ausgang enthält die wahrhafte Versöhnung der sittlichen Vernunft. D i e e t h i s c h e Ve r s ö h n u n g ist anders: diese geht von der individuellen Besonderheit aus. Es gehört sich, daß sie diesen Zweck erreicht. Mit der Empfindung der Schwierigkeit, der Nichtigkeit des Endlichen muß auch erscheinen, daß die Versöhnung ein individueller Zweck ist; s o ist die Erreichung etwas Äußerliches. – Odysseus gelangt nach Ithaka, aber erst nachdem er alle Gefährten verloren; sie haben der Nemesis ihre Schuld abgetragen. Die Nemesis ist eine abstracte (äußerliche) Gerechtigkeit, die ein Gleichgewicht des Glücks und

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Unglücks hervorbringt, ohne eine wesentliche sittliche Bestimmung in sich zu haben; es wird nur ein äußerliches Gleichgewicht hergestellt. der ethisch tragische Ausgang hingegen ist, wie oben angegeben, das Hervorgehen der sittlichen Substanzialität aus ihrem Gegensatze. – Eine andre Weise der Auflösung ist, wo durch einen Gott, (durch die entgegengesetzte sittliche Macht in der idealen Gestalt) der individuelle Wille gebrochen wird. Hier ist es nicht das ganze Individuum, das untergeht, sondern es ist die Hartnäckigkeit des Charakters, die aufgehoben werden muß. – Philoctet gehört der frühern Periode des Sophocles an. der tragische Ausgang muß nicht bloß ein u n g l ü c k l i c h e r seyn, sondern die Einseitigkeit muß von beiden Seiten verschwinden. In den Eumeniden stehen Apoll und die Eumeniden gegenüber, diese als Rächerinnen der Pietät, jener als Macht des Familienhauptes. | Beide treten in Athen vor den Areopagus; der Anfang ist im Delfö. (also keine Einheit des Orts). der Ausgang ist, daß beiden Mächten hohe Ehre versprochen wird. die Athener (die Areopagiten) sprechen Recht; jene erscheinen als Pathi (der Geist in der Subjectivität)[.] Die Versöhnung geschieht im Griechischen nur an sich für das Gemüth; aber wir gönnen es den Individuen, daß sie auch die Befriedigung in sich haben. Ein Beispiel davon sehen wir im Oedip. dieser fällt durch seine That; eben weil es seine That ist, beraubt er sich des Lichts der Augen; am Ende wird er im Tode verklärt. dies ist die Erscheinung der Versöhnung im Individuo. (Wie verschieden erscheint Oedip gegen Müllners Hugo!) dis ist auch näher der Begriff der r e l i g i ö s e n Versöhnung in der modernen Zeit. Die Versöhnung soll nach der modernen Fordrung zugleich auch in das Individuum fallen; dis ist bei der r e l i g i ö s e n Ve r s ö h n u n g der Fall. Die Seele erhebt sich zum Ewigen, macht das Geschehene ungeschehen. Da vermag der Geist sein Herz selbst zu seinem Grabe zu machen, und so zu der absoluten Anschauung des Ewigen sich zu stellen; in dieser Stellung kann er sich gegen die Anklagen seiner Thaten erhalten. damit das Ende einer solchen Versöhnung wahrhaft sey, so gehört dazu, daß ein tiefes Gemüth vor unsere Anschauung trete. Wir sehen noch eine moderne Versöhnung, die nicht religiöser Natur ist, die bloß U n g l ü c k , bloße Tr a u e r, We h m u t h ist. das, was zum Grunde liegt, ist Untergang des Endlichen. dieses ganz Abstracte allein enthält die Versöhnung. So sehen wir im Hamlet diesen Untergang des Endlichen. In dem Modernen ist’s die Besonderheit der Charaktere, der Umstände, denen sich das Individuum Preis giebt; sein Wille ist selbst zufällig; insofern geschieht ihm nach dem, worin er sich eingelassen hat. | Die 3te Versöhnung ist eine f o r m e l l e , wenigstens nur die innere. Es ist die Stärke des Charakters, die in ihren Zwecken, Wollen, sich 13 Delfö] siehe Anm.

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so erhält, und eher, als der Charakter sich aufgäbe, untergeht, und in dem Untergange demselben noch t r e u b l e i b t . diese formelle Treue ist’s, die hier zur Anschauung kommt. diese Seite ist es auch, welche August Wilhelm Schlegel in seiner dramatischen Kunst an der Tragödie aufgefaßt hat. Schiller hat das Prinzip aus der Kantischen Philosophie genommen, nämlich diesen Kampf des Charakters mit den Umständen, der Charakter mag sittlich seyn, oder nicht. Es ist zum Theil das einzige, das in den modernen Tragödien zur Anschauung kommt. 2. Comöd ie. Die Tragödie in ihrer antiken Hoheit ist das Gelten der sittlichen Nothwendigkeit, und auf der andern Seite die Subjectivität, die auftritt und erscheint; es ist gleichsam der tragische Chor in seiner Thatlosigkeit, es ist die Subjectivität, die nicht zu dieser Entzweiung, welche das Interesse des Tragischen ausmacht, kommt; es ist die Subjectivität, die einen Anlauf zur Handlung nimmt, die aber sich selbst zerstört, so daß es die bei sich bleibende Subjectivität ist. – Bei dem Uebergange von der Tragödie zur Comödie begegnet uns das Mittelding beider, das S c h a u s p i e l D r a m a ü b e r h a u p t ; es ist eine Vermischung des Tragischen und Komischen. Die modernen Tragödien sind oft solche Dramas, wo der subjective Charakter den Gegenstand ausmacht; hier wird von der Zufälligkeit der Umstände, von besondern Interessen, Leidenschaften ausgegangen. Eine solche besondre Leidenschaft hat für sich nicht das hohe sittliche Interesse; ein solches Interesse kann gleich tragisch und komisch genommen werden, z. B. die Liebe, aus | der eine Tragödie oder Comödie gemacht werden kann. J e d e s o l c h e m o d e r n e Tr a g ö d i e e i g n e t s i c h a u c h z u r P a r o d i e . Indem die Zufälligkeit des Interesse es ist, worin sich das Ganze bewegt, so ist der Ausgang zufällig. Ein unglücklicher Ausgang ist oft nicht mehr motivirt, als ein glücklicher es wäre. Im Hamlet scheint der unglückliche Ausgang reine Zufälligkeit zu seyn; der Wechsel der Degen mit Laërtes ist etwas Zufälliges. Den Hamlet, diese schöne melancholische Seele, trifft ein Unglück, eine bedingte Nothwendigkeit; es ist eine reife Rose, die von dem rauhen Winde gebrochen wird. So auch Romeo und Julie. daß es s o ist, ist eine bedingte Nothwendigkeit; der glückliche Ausgang kann eben so gut erfolgen. dies ist der natürliche Grund des sogenannten modernen Dramas. Die moralische Gesinnung ist der Umstand, der vornehmlich in diese modernen Dramen hinein tritt. Diese moralische Gesinnung ist einerseits etwas, was dem Sittlichen näher verwandt ist; nur ist jenes mehr das abstrakte Innere der Gesinnung, wobei der Inhalt der Handlung mehr oder weniger gleichgültig 29 reife] reiche

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ist. das Wichtigste ist das, was die Gesinnung hineinlegt; die Sache an sich ist das Geringere. Eben mit dieser moralischen Gesinnung ist der Bruch mit dem Subjectiven und Objectiven gemacht; die wahrhafte Weise aber ist, daß beide identisch sind. Solche Dramen haben keinen eigentlichen Pathos; außer der Gesinnung, die aber leer erscheint, weil das Interesse der Handlung von so geringem Werthe ist. Indem die Hauptsache in die Gesinnung hineingespielt ist, so kann alles ins Wanken gestellt werden. Es ist eigentlich keine Gestalt mehr vorhanden. Die innere Gesinnung kann sich verändern; sie hat nicht die Festigkeit, die zur Wirklichkeit der | Gestaltung gehört. Das Rührende ist das Hauptinteresse des modernen Drama; es ist die hohe Natur der Geister, die durch Umwandlung das ungeschehen machen, was vorher war; aber es dreht auch eben so ins Komische um, wo die Subjectivität, indem sie etwas will, auch zugleich in Widerspruch mit sich tritt, indem sie das, was sie will, gleich wieder aufgiebt. Besonders liegt in dem Rührenden das Komische; wenn ein Mensch, wie z. B. die Kotzebueschen Helden, als bekehrt dargestellt wird, so erscheint er nur als heuchlerisch, wo seine Besserung nichts besagen will. damit jene Veränderung als wahrhaft erscheine, dazu gehört eine hohe Tiefe der darstellung, wodurch man vorher schon gesehen, daß die Person einer solchen Umwandlung fähig ist. In dieser Wendung ist’s, wo die Vernichtung der Kunst selbst sich ausspricht. Die Kunst soll uns Gestaltungen geben, die sich an andern Elementen darstellen, Innerlichkeit, die in Einheit mit der Äußerlichkeit erscheint. Hier sind es hohle Gestalten, die sich darstellen. Es ist Trennung der Gestaltung und des Begriffs der Innerlichkeit, was sich ausspricht. dies ist das eigentliche Auf hören der Kunst; und dis ist die Natur des Drama. Die Comödie hat verschiedene Formen, sowohl im Modernen, als im Antiken. Die Trennung bezieht sich auf den Unterschied, w i e d a s I n t e r e s s e z e r s t ö r t w i r d d u r c h d i e S u b j e c t i v i t ä t . Wir wollen die höchste Gestalt der Comödie betrachten, d. i. die A r i s t o p h a n i s c h e C o m ö d i e . Hier haben wir diese Darstellung der Subjectivität, in die sich das Handeln der objectiven Gestalten selbst auflöst. Es ist nicht das Objective, was vernichtet wird, sondern nur das Thun, das Vollbringen desselben. dieser Anschauung liegt zum | Grunde, daß die unendliche Sicherheit des Gemüths die Grundlage ausmacht, und daß es mit der ernsthaften Absicht von Haus aus getröstet ist. Es ist das Göttliche in seiner unbekümmert spielenden Subjectivität, das, indem es sich Preis giebt, vollkommen sicher bei sich bleibt. Indem das Komische die erscheinende Darstellung ist, so spielt es mehr in dem niedrigen Stande, der nicht wahrhaft aus sich heraustreten kann und will. die Gestalten darin sind, was sie sind und wißen, und das, was sie sind, bleiben sie. die Bewegung ist, daß sie sich auch

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einlaßen wollen, aber zugleich zeigen sie, daß sie dem nicht gewachsen sind, so daß gleich angedeutet ist, daß aus ihrem Wollen nichts herauskomme. dies ist dem Sittlichen gar nicht entgegengesetzt. Es ist nur die Gemeinheit der Natur, wodurch das höhere Hinauswollen zu nichte gemacht wird; nicht das Objective selbst, sondern nur das Hinaustreten in die Objectivität. In diese Sphäre fallen die griechischen Götter selbst; das Menschliche dabei ist nur Form; diese ist ihrem Gehalte nach entgegengesetzt, und diese Hoheit der Form kann dargestellt werden als ein leeres Ausspreitzen, zu dem die Gestalt fortgehen will. Aristophanes ist ein geistreicher, vortrefflicher Mensch und Bürger. Er stellte die Thorheiten des athenischen Volks, der Staatsmänner, der Götter, des Euripides, dessen Empfindsamkeit, etc. vor. D e r H a u p t t o n i s t d i e u n ve r w ü s t bare Sicherheit des Subject s zu sich selbst, d a s sich abe r un m itt e l b a r u n f ä h i g z u d e m z e i g t , w a s e s u n t e r n i m m t . Man hat keine rechte Anschauung von einer subjectiven Sicherheit, wenn man nicht den Aristophanes gelesen hat. Es ist ganz die lächelnde, olympische Seeligkeit. dem Socrates dichtet er gleich von vorn herein an, daß er untersuche, ob die Flüche durch den Mund oder Mastdarm brummen; eben so nimmt er den Demos, den Bacchus, den Cleon, vornehmlich aber den Euripides, und dann auch die Weiber durch. Er stellt die Personen gleich so hin, daß man sehen kann, dabei komme | nichts heraus. Dabei geht aber nichts zu Grunde; und was auch zu Grunde geht, ist von Haus aus nichtig. Es ist nur die Gestaltung, die durch ihr Aufspreitzen zum Göttlichen zu Grunde geht; es ist diese Unbefangenheit, diese ihrer selbst sichere Selbstständigkeit. – diese sichere Subjectivität finden wir auf eine andere Weise bei Socrates selbst. dieses Zurückgehen des Selbstbewußtseyns in sich ist das Moment, wodurch ihm die Welt zum Bewußtseyn gekommen ist. dieses subjective Prinzip ist auch bei Aristophanes in der Form der Unbekümmertheit des Gemüths. Wir sehen bei Aristophanes in diesem Prinzip ein Beispiel einer intellectuellen innern Weltanschauung, der gegenüber die Kunst steht, so daß die sinnliche Anschauung nicht die wahrhafte Existenz des Göttlichen sey. In jenem Prinzip des Innerlichen geht die Fordrung an uns, daß das Göttliche sich in dem Innerlichen als solchen darstellen soll. durch diese Comödien des Aristophanes ist den plastischen Gestaltungen ein Ende gemacht, und wir sehen, daß die Kunstweise n i c h t die höchste Weise des Göttlichen ist. In der Religion ist ein g e i s t i g e s W i ß e n von dem Göttlichen. damit haben wir das Gebiet der Kunst durchlaufen, und wir gehen fort zur R e l i g i o n . So wie die Kunst eine n o t h w e n d i g e darstellung des Göttlichen ist, so ist’s auch eben so eine Stufe, die vorübergehen muß. Ende.

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SOMMERSEMESTER 1823 NACHSCHRIFT

HEINRICH GUSTAV HOTHO MIT DEN M A RGINA LIEN ZW EIER Ü BER A R BEITU NGSSTUFEN UND MIT VA RIA NTEN AUS DER NACHSCHRIFT

CARL KROMAYR

Die Ph i losoph ie der Ku n st.

Nach d e m Vo r t r a g e d e s H e r r n P r o f . H e g e l . Im Som mer 18 2 3 .

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Berlin.

H . H o t h o . ||

1 D i e ] Kr: Die Aesthetik, / oder / 1826 7 H . H o t h o ] Kr: Kromayr

4–5 I m S o m m e r / 18 2 3 ] Kr: in den Jahren / 1823 und

10 8– 9 1823 und 1826 siehe Editorischer Bericht

einleitung

Einleitung.

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der Gegenstand unserer Betrachtung bestimmt sich als das Reich des Schönen, näher als das Gebiet der Kunst. Wenn man aus dem weiten Reich der Vorstellung einen Gegenstand aufnimmt zur Betrachtung, so steht er anfangs fern in trüber dämmerung, und man muß ihn erst von andern Gebieten abscheiden, um ihn näher kennen zu lernen. So wollen wir denn damit anfangen uns mit einigen Vorstellungen zu beschäftigen, die uns hier zunächst begegnen können. dieser Vorstellungen sind zwei: es kann scheinen, daß die Kunst keiner wißenschaftlichen Betrachtung fähig sei, als Gegenstand der freien Phantasie, der der ganze Reichthum der Natur offen steht und die darüber hinaus noch die Gewalt hat sich eigene Gebilde zu schaffen. die Wissenschaft aber hat es mit dem Zufälligen nicht, sondern dem Nothwendigen zu thun. | Ferner aber noch denkt man, daß die Kunst einer philosophischen Betrachtung nicht würdig sei. Sie sei ein freundlicher Genius der überall sich einmischt, den Ernst der Lebensverhältniße mildert, uns unterhält, überall gefällige Formen anbringt aber verschieden sei von den wahren Endzwecken des Lebens. Ist diß der Fall, daß der Ernst des Lebens ausser der Grenze der Kunst liegt, würde es freilich unpaßend sein sie ernsthaft betrachten zu wollen. Uns kann auch noch beifallen, daß es die Kunst mit dem Scheine zu tun habe, in der Täuschung lebe, so daß das Schöne so heiße vom Scheine. So kann man glauben wahrhafte Zwecke sollten nicht durch Täuschung und Schein befördert werden. der Schein sei für den wahrhaften Zwek das wahrhafte Mittel nicht. Habe also die Kunst auch mit andern Wirkungsweisen Zwecke gemein, so sei doch ihr Mittel der Schein, diesen Zwecken unangemeßen | Was nun den Umstand betrifft, daß die Kunst Schein hervorbringe, und ihn zur Weise ihrer Existenz habe, so ist dieß richtig, und setzt man den Schein als

3 Kunst] Kr: Kunst, die man auch, obgleich überflüßig, die schönen Künste nennt 4–5 steht er … dämmerung] Kr: haben wir zunächst nur eine trübe Vorstellung, er steht in weiter Ferne 5 andern] Kr: andern, verwandten 8 wißenschaftlichen] Kr: philosophischen 11 eigene Gebilde] Kr: ein eigenthümliches Reich der mannichfaltigsten Erfindungen 12 Ferner] 13 Sie sei] Kr: weil sie, unverträglich mit dem Ernst des Lebens, nur 17–18 würde 30 Kr: 2tens es … wollen] Kr: ihn nur gefällig macht, so ließe sich freilich nicht gut ernsthaft betrachten, was nicht ernsthafter Natur ist 24 Was nun … Umstand] Kr: die Beleuchtung dieser Punkte soll als Einleitung dienen. / Was den ersten Punkt betrifft, so ist die Kunst, als eine Weise der Manifesta22 Zwecke] davor gestr: Mittel

Unser Gegenstand ist die Kunst.

Gewöhnliche Vorstellungen daß die Kunst kein Gegenstand könne wissenschaftlicher Betrachtung werden: a. als der freien Phantasie angehörend.

b. als das bloß Gefällige.

c. als ihre Wirklichkeit nur im Scheine habend.

Nähere Betrachtung dieser Kathegorien: a) des Scheins:

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b, überhaupt

c, in der Kunst.

der Schein der Kunst ist ein Wahreres als die sogenannte Wirklichkeit der unmittelbaren äußern und innern Welt.

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ein Nichtseinsollendes so ist ihre Existenz freilich Täuschung. der Schein also ist die Weise der Außerlichkeit der Kunst. Aber was der Schein sei, welches Verhältniß er zum Wesen habe, darüber ist zu sagen, daß alles Wesen, alle Wahrheit erscheinen müsse um nicht eine leere Abstraction zu sein. das Göttliche muß Sein-für-Eines, dasein haben, welches unterschieden von dem was an sich ist, der Schein ist. der Schein aber ist kein Unwesentliches, sondern wesentliches Moment des Wesens selbst. das Wahre ist im Geiste für sich, scheint in sich, ist da für Andere. Es kann also nur in der | Art des Scheinens ein Unterschied sein, das Material des daseins kann also nur den Unterschied machen. Und nur in der Art und Weise des Scheins wird demnach die Kunst ihre Eigenthümlichkeit haben, nicht im Scheinen überhaupt. dieser Schein, der der Kunst angehört kann, sagten wir, als eine Täuschung angesehn werden; und zwar im Vergleich mit der äußerlichen Welt, wie sie uns in ihrer Materialität umgiebt, und, auch im Vergleich mit unserer inneren sinnlichen Welt. das äußerliche sprechen wir nicht als Täuschung an, auch nicht was in unserem Innern, im Bewußtsein liegt. Alles solches sprechen wir als Wirklichkeit aus. den Schein der Kunst können wir gegen diese Wirklichkeit als Täuschung bestimmen, aber könnten vielmehr mit mehr Recht behaupten, was wir sonst als Wirklichkeit gelten lassen, daß diß eine stärkere Täuschung ein unwahrerer Schein als der der Kunst sei. denn die Region der äußerlichen dinge und der innern Empfindung nennen wir wohl im empirischen Leben, im Leben unserer Erscheinung selbst, ein Wirkliches und müssen es gelten lassen, aber diese ganze Sphäre ist statt die Welt der Wahrheit zu sein, viel-

tion des Geistes allerdings der philosophischen Betrachtung fähig; sie ist eine Form des Geistigen, wie es die Religion, die Wissenschaft selbst ist. In ihren Werken liegt uns diese Form der Manifestation des Geistes als eine historische Thatsache vor, und | in der Folge wird es sich zeigen, daß diese so wenig wie die Geschichte überhaupt ein Zufälliges ist, daß sie sich vielmehr vom Keime aus als eine nothwendige Form des geistigen Bewußtseyns evolvirt hat. / der 2te Punkt ist hiermit zugleich betrachtet: denn was der philosophischen Betrachtung fähig ist, das ist ihrer auch würdig; es giebt aber keinen würdigern Gegenstand, als der Geist selbst und seiner selbst bewußt. / der 3te Punkt 219,25 Existenz] Kr: Existenz aller Künste, ihrer Wirkung auf den Sinn 1 Täuschung] Kr: Täuschung ist, so ist er allerdings ein Nichtiges; der Schein der Kunst aber, ist kein solcher der eine Täuschung bezwecken soll, sie verschmäht vielmehr eine solche und zeigt es gleichsam absichtlich, daß sie sie verschmäht 3 zum Wesen] Kr: zu dem was i s t 4 erscheinen müsse … sein] Kr: muß erscheinen: es gäbe keine Idee, kein Göttliches, ohne zur Erscheinung zu kommen 7 im Geiste … sich] Kr: im Geiste, in der geistig gediegenen Form des Gedankens, für sich selbst 10 wird demnach … haben] Kr: ist die Kunst von andern verwandten Gebieten zu unterscheiden 14 sinnlichen Welt] Kr: empfindenden Welt. Wenn ich empfinde, so ist dies eben so etwas Wirkliches, wie die Außenwelt 17 Täuschung] Kr: Täuschung, nicht ein Moment des Wesens selbst, 18 sonst] Kr: in der äußerlichen und in der empfindend innerlichen Welt gewöhnlich 12 mit so Kr; fehlt in Ho

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mehr die | Welt der Täuschung. Erst jenseits dieser Unmittelbarkeit des Empfindens und der äußerlichen Gegenstände, wissen wir sei die wahrhafte Wirklichkeit. dieses Äusserliche ist also im höheren Sinne als eine härtere Täuschung als der Schein der Kunst auszusprechen. | Im Vergleich des Gedankens kann dann das dasein der Kunst ein Schein genannt werden, und was diesen Punkt betrifft, so werden wir ihn später berühren. die Kunst wird bei ihrem Scheine wohl der Form des Gedankens nachstehen, doch hat sie vor der Weise der äusserlichen Existenz wesentlich den Vorzug, als wir in der Kunst wie im Gedanken die Wahrheit suchen. die Kunst in ihrem Scheinen deutet durch sich selbst auf ein Höheres, auf den Gedanken hin. Aber die unmittelbare Sinnlichkeit für sich deutet nicht auf den Gedanken hin, sondern verunreinigt ihn, und verbirgt ihn, nimmt sich heraus sich als Seiendes zu geben, und versteckt durch ihre Form das Innre, Höhre. Die Kunst im Gegentheil hat in ihrer darstellung dieses: auf ein Höheres hinzuweisen. Was wir die Natur, die äußere Welt nennen, macht es dem Geiste saurer sich zu erkennen. Nach dieser Bemerkung über die Natur des Scheines folgt, daß die Kunst sich durch den Schein nicht von andern Weisen unterscheidet, sondern nur durch die Art und Weise ihres Scheins. Sagten wir nun, daß die Kunst keiner wissenschaftlichen Betrachtung fähig wäre wenn auch einer philosophischen, so ist gleich zu bemerken, daß Philosophie von der Wissenschaftlichkeit nicht zu trennen, denn sie erkennt die dinge nach ihrer innerlichen Nothwendigkeit, nach der Nothwendigkeit der Entwicklung aus ihnen selbst. Und diß ist der Character der Wissenschaft überhaupt. Philosophie also gerade

1 Täuschung] Kr: Täuschung, von der wir wegsehen müssen, um zum Ewigen, zur wahrhaften Wirklichkeit zu gelangen 5 Punkt] Kr: Unterschied, wie beide sich Gestalt geben, 7–8 äus10 hin] Kr: hin; das Mittel, wodurch sie scheint, er25 serlichen Existenz] Kr: sinnlichen Welt scheint in ihr ausdrücklich a l s s o l c h e s , a l s M i t t e l 11 verunreinigt ihn] Kr: vertrübt es ihn durch seine Einzelheit 12 Seiendes] Kr: Seyendes, d.i. wahrhaft Wirkliches 15–20 Nach dieser … ihrer] Kr: dies also ist in Beziehung auf die Art und Weise des Scheins der Kunst, im Unterschied vom Schein des unmittelbar Natürlichen, der gemeinen Wirklichkeit, festzuhalten, und in30 sofern die Kunst Gegenstand der philosophischen Betrachtung seyn soll, ist sie es nur darum weil in ihren Werken der Geist am Sinnlichen, als der Weise ihrer Existenz, sich reflectirt, auf sich selbst, durch das sinnliche Material, hindurch deutet. die Betrachtung ihres historischen Verlaufs 6Kr wird daher mit der Betracht|ung der geschichtlichen Evolution des geistigen Bewußtseyns überhaupt, zusammen fallen, und wir werden sehen, daß darin eben ihre philosophische Bedeutung 35 liegt, überall und gleichzeitig mit Anderm, die Stufe der Entwickelung dieses geistigen Bewußtseyns in ihrer Art und Weise zu bezeichnen. Durch diese Betrachtung der Kunst, wird sich, mit der historischen Darstellung ihrer Entwickelung, zugleich auch ihr Begriff ergeben: in der Geschichte findet sich die Verwirklichung ihres Begriffes vor. / die Philosophie hat diese Verwirklichung ihres Begriffes zu erkennen, nach der ihm 40 1 Unmittelbarkeit] Unmittelbkts

nes] Sheines,.

8 in der … wie über der Zeile mit Einfügungszeichen 18 Kunst] davor gestr: Wß

16 Schei-

der Schein der Kunst steht aber der Weise des daseins des reinen Gedankens nach.

die Kunst also wird durch ihr Scheinen nicht unfähig Gegenstand wissenschaftlicher und was dasselbe ist, philosophischer Betrachtung zu sein.

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b, Würdigkeit der Kunst zur wissenschaftlichen Behandlung –

der höchste Inhalt der Kunst ist: die höchsten Intressen des Geistes zum Bewußtsein zu bringen.

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hat die innerliche Nothwendigkeit des Gegenstandes darzustellen, und ist daher Wissenschaft. Bei der Kunst freilich könnte es scheinen als dürften wir hier nicht immer ganz consequent an die wissenschaftliche Behandlung | Anspruch machen, denn die Kunst hat viele voraussetzungen als ein hohes Gebiet in Ansehung des Materials und der Form ihrer darstellung. die Kunst gebraucht den Inhalt der ganzen | Natur, welche schon Gegenstand anderer Wißenschaften ist, also ein schon früher Abgehandeltes. diese Voraussetzungen also müssen als wissenschaftlich schon abgehandelt aufgenommen werden. Was nun weiter die Würdigkeit der Kunst betrifft, in Betreff auf wissenschaftliche Behandlung, so kann sie freilich als flüchtiges Spiel, als äusserlicher Schmuck der Lebensverhältniße angesehn werden, und als Heraushebung für andere Gegenstände. In dieser Weise ist die Kunst kein Freies, Unabhängiges. Was wir betrachten können ist also nur die freie Kunst. Sie ist fähig andern Zwecken zu dienen, kann ein bloßes Beiherspielen sein, aber diß hat sie auch mit dem Gedanken gemein, der sich einerseits durch sich selbsterfüllt, anderseits aber ebensogut für Gedankenloses kann zum Mittel gebraucht werden, zum dienst des Zufälligen und Vergänglichen. Und wir unterscheiden bei Betrachtung des Gedankens ihn in seiner Selbst ständigkeit und so auch die Kunst in ihrer Selbstständigkeit. die höchste Bestimung aber der Kunst, um dieß auszusprechen, hat sie gemein mit der Religion und Philosophie, ist wie diese beiden eine Art und Weise das Göttliche, die höchsten Forderungen des Geistes auszusprechen und zum Bewusstsein zu bringen. In der Kunst haben die Völker ihre heiligsten Vorstellungen nieder gelegt und sie ist oft der einzige Schlüssel die Religion des Volks zu erkennen. Sie ist das

1–2 und ist … Wissenschaft] Kr: nach der Nothwendigkeit seiner Entwickelung aus ihm selbst. Wenn man also zugesteht, daß die Wissenschaft nach einem nothwendigen Zusammenhang fortgehe, so wird die falsche Vorstellung wegfallen müssen, es könne eine Philosophie seyn, die ein Andres wäre als die Wissenschaft selbst: beide sind nur Eines 5–6 den Inhalt … Natur] Kr: Erscheinungen, Gestaltungen und Formen der Natur; sie ist auch außerdem nach freier Phantasie und Willkühr, in mancher Beziehung, erfinderisch 7–8 diese Voraussetzungen … werden] Kr: dies, als ihr Mittel, setzt die philosophische Betrachtung voraus, beschäftigt sich aber damit nicht als mit ihrem Gegenstand 10 flüchtiges Spiel] Kr: vergnügliches Spiel des Talents 12 kein Freies, Unabhängiges] Kr: nicht der Gegenstand unsrer gegenwärtigen Betrachtung; denn in dieser Weise ist die Kunst nicht frei, nicht unabhängig aus sich selbst thätig 13 dienen] Kr: dienen, als ein Untergebenes, als ein Mittel, 15 durch sich selbsterfüllt] Kr: unabhängig und frei in seiner Production, sich selber folgen kann Gedankenloses] Kr: Einzelnes, Gedankenloses 17–18 Und wir … Selbstständigkeit] Kr: Wissenschaftlich, wird der Gedanke in seiner selbstständigen Thätigkeit betrachtet 18 Selbstständigkeit] Kr: geschichtlichen Entwick|lung 21 zum] Kr: vor das 22 In der … gelegt] Kr: im hohen Alterthum vieler Völker machte sie ihre höchste Weisheit aus

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2 könnte es … dürften] (1) können (2) (könnte aus können) (es scheinen als dürften über der Zeile 40 mit Einfügungszeichen) 18 Selbstständigkeit] Selststsädgskt

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Mittelglied des reinen Gedankens, der übersinnlichen Welt und dem unmittelbaren, der gegenwärtigen Empfindung, welche sinnliche Region vom Gedanken als solchem als ein Jenseits gestellt wird. Beide Extrême versöhnt die Kunst, ist das bindende Mittelglied des Begriffs und der Natur. diese Bestimung also hat die Kunst einerseits mit der Religion und Philosophie gemein, hat aber die eigentliche Weise, daß sie das Höhere selbst auf sinnliche Weise darstellt und der empfindenden Natur so näher bringt. Nach dieser allgemeinen Bestimung der Kunst kann daran die Bemerkung geknüpft werden, daß wenn wir sagten, die Kunst habe ihren Quell in der freien Phantasie | und sei hiemit ein Unbegrenztes, so folge hieraus, daß die Phantasie nicht dürfe in wilder Willkühr herum schweifen, sondern in ihrer wahrhaften Bestimung müsse die höchsten Bedürfnisse des Geistes zum Bewußtsein bringen, und daher ihre feste Bestimmung haben[.] Auch ihre Formen dürfen hiemit nicht eine zufälige Manigfaltigkeit sein, denn in ihrem Inhalt ist ihre Form bestimmt. Der würdige Inhalt bedarf einer angemessenen Form, – wir haben ferner zu bemerken, daß wenn wir sagten die Kunst sei eine Weise dem Geist seine Intressen zum Bewußtsein zu bringen, die Kunst nicht die höchste Weise sei die Wahrheit auszusprechen. Ueber diese Verwirrung die Kunst als die absolute Weise anzunehmen, ist noch später zu reden, die Kunst ist auch ihrem Inhalt nach beschränkt, hat ein sinnliches Material, und deswegen ist auch nur eine gewisse Stufe der Wahrheit fähig Inhalt der Kunst zu sein, denn es giebt eine tiefere Existenz der Idee, die das Sinnliche nicht mehr auszudrücken vermag, und diß ist der Inhalt unserer Religion, Bildung. Hier nimmt die Kunst eine andere | Gestalt als auf frühern Stufen an. Und diese tiefere Idee, die christliche in ihrer höchsten Stufe ist nicht fähig sinnlich von der Kunst vorgestellt zu werden, denn sie ist dem Sinnlichen nicht verwandt und freundlich genug. Unsere Welt, Religion und vernunftbildung ist über die Kunst als die höchste Stufe das Absolute auszudrücken, um eine Stufe hinaus. das Kunst-

1 Mittelglied] Kr: einzige Vermittelnde des reinen Gedankens] Kr: Zwischen der Tiefe des Gedankens 4 bindende] Kr: versöhnende Natur] Kr: Natur, Freiheit und Nothwendig keit 15 angemessenen 30 11–12 die höchsten … Bewußtsein] Kr: das Geistige vor die Anschauung Form,] Kr: Form, die ihm angemessen ist, und es kommt auch in der Kunst die Frage vor, w e l c h e s die angemessenste Form für einen bestimmten Inhalt sey. 16 Weise dem … bringen] Kr: Form des Geistigen im Element des Sinnlichen 17 auszusprechen] Kr: auszusprechen, nicht das absolute, die Idee zur Vorstellung zu bringen 19 hat ein … Material] Kr: Ihr Material beschränkt ihren 20 der Wahrheit] Kr: ein bestimmter Kreis der Wahrheit 21 Existenz] Kr: Fassung 35 Inhalt 22 und diß … Bildung] Kr: sondern von diesem zur denkenden Betrachtung übergeht: diese Weise, die Idee zu fassen ist die Religion 23 Gestalt als … Stufen] Stelle, die in der Folge zu betrachten ist 27 auszudrücken] Kr: darzustellen. / die Kunst ist so eine Stufe heruntergetreten für die moderne Zeit 40 20 Inhalt] davor gestr: Maß

23 nimmt] nimmt hier

Sie ist das Mittelglied zwischen dem reinen Gedanken & dem Unmittelbaren.

Sie stellt den Gedanken selbst auf unmittelbare Weise dar.

Hiemit aber hat die Kunst, wenn auch der Phantasie angehörend, ihre feste Grenze.

die Kunst daher ist nicht die höchste Weise das Wahre auszusprechen.

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deshalb reflectiren wir über die Kunst und es entsteht das Intresse einer wissenschaftlichen Behandlung.

Als philosophische Wissenschaft ist die Aesthetik ein Glied des Ganzen, hier haben wir sie aber nur unmittelbar nicht als deducirtes Resultat aufzunehmen.

Wir haben also zunächst nur eine allgemeine Vorstellung von der Kunst.

Nähere Analyse dieser Vorstellung, die darin besteht daß:

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werk kann also unser letztes absolutes Bedürfniß nicht ausfüllen, wir beten kein Kunstwerk mehr an, und unser Verhältniß zum Kunstwerk ist besonnenerer Art. Ebendeswegen ist es uns auch näheres Bedürfniß über das Kunstwerk zu reflectiren. Wir stehen freier gegen dasselbe als früher, wo es der höchste Ausdruk der Idee war. das Kunstwerk erreicht unser Urtheil; den Inhalt des Kunstwerks und die Angemessenheit der darstellung unterwerfen wir unserer betrachtenden Prüfung. – Es ist in dieser Rücksicht die Wissenschaft der Kunst mehr bedürfniß als in alter Zeit. Wir achten und haben die Kunst, sehn sie aber als kein Letztes an, sondern denken über sie. | dieß denken kann nicht die Absicht sie wieder hervorzurufen, haben sondern ihre Leistung zu erkennen. Mit diesen Bemerkungen wollen wir uns hier begnügen. Sie betrafen die Seite, daß die Kunst es mit dem Scheine zu thun habe, könne Gegenstand der Wissenschaft sein, aber nicht der höchste ausdruk des Absoluten sei. der Betrachtung unsres eigentlichen Gegenstandes haben wir uns jetzt zu nähern. die Philosophie der Kunst macht | im Kreise der ganzen Philosophie ein nothwendiges Glied aus. Indem die Philosophie der Kunst so angesehn wird, so wird sie in diesem Ganzen so gefaßt, aber kann nur in der darstellung des Ganzen so gefaßt werden. Wird sie so gefaßt, so wird sie bewiesen, denn Beweisen heißt nur die Nothwendigkeit aufzeigen, diesen Beweis zu führen, die Entstehung im Begriff zu construirn kann unsre Absicht nicht sein, denn sie fällt in einen frühern Theil der Philosophie. Hier wo wir diese wissenschaft herausnehmen fangen wir unmittelbar an, haben sie nicht als ein Resultat weil wir das vorhergehende nicht betrachten. Und deswegen fangen wir unmittelbar an, und wir haben zunächst nichts als die | vorstellung, daß es Kunstwerke gäbe. Von dieser allgemeinen Vorstellung können wir näher beginnen, und auf das uns berufen, was wir als Vorstellung in uns finden. diese Vorstellung ist aufzuführen und die Gesichtspunkte aufzuzeigen, die man vormals bei diesen Seiten faßte. Zugleich wollen wir eine gründliche Betrachtung dieser Seiten kurz hinzufügen um den Vortheil zu erhalten, die allgemeine Vorstellung zu berichtigen und festzubestimmen, wie wir sie dem Inhalt und Material der

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4–5 der höchste … Idee] Kr: die höchste Weise des Absoluten 6–7 betrachtenden Prüfung] Kr: 30 Betrachtung, und in dieser Weise gefasst, ist er für uns nicht mehr das Höchste 15 aus] Kr: aus, so wie die Kunst selbst, auf ihrer Stufe, eine nothwendige Weise der darstellung des Absoluten ist 17 darstellung des … so1] Kr: wissenschaftlichen darstellung als nothwendiges Glied 17–18 Wird sie … aufzeigen,] Kr: daß die Kunst eine nothwendige Weise der darstellung des Absoluten ist, dieselbe aber gleichnothwendig der höchsten Weise dieser darstellung, im Gedanken, 35 vorangeht, – 21–22 nicht als … betrachten] Kr: in gegenwärtiger Betrachtung nicht als vermitteltes Resultat eines Früheren und damit nicht als nothwendig erwiesen 25–26 diese Vorstellung ist] Kr: Es sind die Bestimmungen dieser Vorstellung 27–225,1 Zugleich wollen … müßen] Kr: dadurch wird die allgemeine Vorstellung vom Material bewirkt werden

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Kunst nach haben müßen. In unserer Vorstellung werden wir dreierlei finden: daß die Kunst kein Naturproduct, sondern ein vom Menschen Gemachtes sei, und zweitens für den Menschen producirt sei, und zunächst aus dem Sinnlichen für den Sinn genommen. die Kunst in ihrer Weite grenzt an das Sinnliche und die Grenze läßt sich nicht ziehn, das dritte ist, daß das Kunstwerk einen besondern Zwek in sich | habe. diese 3 Seiten sind es, die die äußerliche Reflexion auffaßt. Vormals nun in Betreff auf das erste, daß das Kunstwerk ein Product des Menschlichen sei, hat man gesagt, daß man Regeln zu setzen habe für die Hervorbringung des Kunstwerkes. denn es kann scheinen, daß was der Mensch thuhe daß dieses gewußt werden könne, wie es vollbracht sei, Und kenne man diß verfahren so sei es Willkühr ebenso zu verfahren, so daß Jeder könne Kunstwerke produciren. diese Betrachtung ward früher über die Kunst gemacht, und man nannte dieses Critik der Kunst, Betrachtung über das, was beim Kunstwerk vorkommt, und wie diß solle und müße beschaffen sein, Theorie der schönen Wissenschaften. dabei hatte man die Absicht Regeln für das Machen der Kunstwerke anzugeben, vorschriften für die Production. Was diese Absicht betrifft des Regelgebens, so ist sie jetzt verlassen, indem man zugiebt, daß Kunstwerke nicht durch Regeln seien zu Stande zu bringen, denn nur ein äusserliches, Mechanisches kann durch Regeln producirt werden. das Ganze was auf diese Weise zu Stande gebracht werden soll, läßt sich durch die Regel bestimmen. Weiß ich diese Regel, brauche ich nur meine formelle Thätigkeit, denn die ganze concrete Bestimtheit befaßt die Regel schon, | und diese hat nur meine formelle abstracte Thätigkeit zu realisirn. Aber bei einem Werk des Geists, ist der Geist keine so bloß leere Thätigkeit nach einer aufgenommnen Bestimmtheit, sondern der Geist muß sich aus sich bestimmen, aus sich arbeiten. das Kunstwerk als kein Mechanisches ist also unter eine Regel nicht zu befassen. Man hat aber auch Regeln aufgestellt, die sich nicht bloß auf das Mechanische beziehn, wie die ars poëtica des Horaz. Wie ein Reim zu ma-

1 Vorstellung] Kr: Vorstellung von den Werken der Kunst 3 und 2 ] Kr: nicht frei in der Natur 7 diese 3 … auffaßt.] Kr: Nach diesen 3 Seiten sind 8 ein Product … Menschlichen] 12Kr die Gesichtspunkte zu berühren, die man | darüber gefasst hat. Kr: vom Menschen gemacht 14 Betrachtung] Kr: (z.B. der Engländer Hume), d.h. Betrachtung 15 Wissenschaften] Kr: Künste und Wissenschaften genannt. Schöne Wissenschaft – dieser Ausdruck ist jetzt obsolet 17–20 des Regelgebens, … werden1] Kr: ein System von Regeln zur 35 Produzirung eines Kunstwerks zu geben, so wird man zugeben, daß durch Befolgung von Regeln produzirt werden könne. dies wäre aber immer nur etwas Mechanisches, formell Regelmäßiges 23 meine formelle … realisirn] Kr: etwas Mechanisches hervorzubringen, wobei nur ein ganz abstrakter Wille explizirt zu werden braucht auf diese Bestimmtheit 25 sich aus sich] Kr: concreter seyn, sich aus dem Sinnigen 30 steht, sondern für den Menschen und zwar

40 9 habe] haben

1. 1. das Kunstwerk kein Naturproduct sondern vom Menschen producirt sei. Ansichten bei dieser Vorstellung:

a. deshalb müsse man Regeln für diese Hervorbringung festsetzen, nach welchen jeder Kunstwerke producirn könne.

Kritik dieser Ansicht: Nur ein rein Mechanisches läßt sich nach Regeln producirn

226 die allgemeinen Gesichtspunkte, die nicht bloß ein Mechanisches betreffen, haben keine hinreichende Anwendung auf den concreten Fall jedes Kunstwerks.

b. Man verfiel daher auf das Gegentheil zu glauben die Production gehöre rein einer specifischen Anlage an, die sich an kein Objectives zu halten habe.

das Produciren falle daher rein in den subjectiven Zustand der Begeistrung.

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chen sei, dieß kann jeder lernen und leisten, denn es ist bloß mechanisch. Aber die Vorschriften gingen weiter, enthalten, wie sie in Horazens Briefen vorkommen, eine unbestimmte Allgemeinheit, als: das Thema eines Gedichts solle ein Intressantes sein. | dieß sind Gesichtspunkte, die freilich zu berücksichtigen sind. Aber ein Anderes ist eine Angabe dieser Gesichtspunkte und die Angabe, die wirklich zum producirn hinreicht, denn solche Allgemeinheiten enthalten das Einzelne, was sich zur Ausführung gehörte, nicht. Ein Apotekerrecept bestimmt alles genau, und es kann befolgt werden. Eine ganz allgemeine Vorschrift aber reicht zur Ausführung nicht hin, deshalb also ist es ein Schiefes, solche Regeln zu geben als ein Solches, nach welchem ein Kunstwerk von Jedem zu produciren sei. Man ist also von dieser Absicht zurük gekommen, fiel aber in das Gegentheil, sah das Kunstwerk zwar nicht mehr als Product einer allgemeinen formellen abstracten, mechanischen Thätigkeit an, aber sah es jetzt als Product eines ganz eigenthümlich begabten Geists an, und so zwar, daß solcher Mensch nur brauche seine specifische Besonderheit gewähren zu lassen, sodaß er von dem Sich-an ein Allgemeines an und für sich seiendes-Halten freizusprechen sei, indem ein Solches seine Production verderbe. Man hat also nach dieser Seite das Kunstwerk als ein Werk eines besondern Talents, Genies angesehn. dieß ist einerseits richtig; Talent gehört dazu, und Talent ist specifische Befähigung des Ganges, und also beschränkte Weise des Begabtseins, Genie ist allgemeiner. Inwiefern Genie und Talent wesentlich ein Natürliches zugleich ist, davon ist später zu sprechen. Hier wollen wir nur bemerken, daß bei der Production alles Bewußtsein über das Thun ist für nachtheilig gehalten, so daß man das Producirn für einen Zustand hielt, den man Begeisterung nannte. In solchen Zustand werde das Genie versetzt durch eigene Will|kühr oder durch einen Gegenstand erregt. In deutschland gab es eine Periode, wo diese Meinung gültig war. Es war diß die Genieperiode, die herbei kam durch Göthes und Schillers erste Production. diese

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4 sein.] Kr: seyn; – der Schauspieler soll im drama seinem Stande gemäß sich gebärden und sprechen u.s.w. 6–7 Allgemeinheiten enthalten … nicht] Kr: Angaben sind Vorschriften, die gerade das Einzelne, Bestimmte, unberücksichtigt lassen 8–9 Eine ganz … reicht] Kr: zu vollkomme- 30 nen Regeln gehörte, daß sie alles Bestimmte schon in sich selbst enthielten. Sie reichen also | gar 14Kr 11 Absicht zurük gekommen] Kr: Richtung abgekommen 14 Geists] Kr: Geistes, als ein Gemachtes von einem spezifisch begabten Menschen 15 Besonderheit] Kr: besondere Natur 15–17 sodaß er … verderbe] Kr: mit Enthaltung von aller Reflexion, aller Tendenz zum Allgemeinen 19–20 Talent gehört … allgemeiner] Kr: es ist Genie, wenigstens Talent erforderlich, 35 um ein Kunstwerk zu produziren 22–23 bei der … gehalten] Kr: man nun alles Bewußtseyn bei dem Akt der Produktion hat entfernen wollen 26–27 Es war … die] Kr: Es hat so eine Genieperiode so ein Begeisterungstaumel gegeben, der 12–13 Product einer … abstracten] (1) allg. fomelle abstacte (2) (Product ein über der Zeile mit Einfügungszeichen) allg. (fomellen abstacten aus fomelle abstacte) 40

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dichter sind in ihren Producten von vorne aus gegangen mit Hintansetzung aller Regeln, die damals fabricirt waren. Sie haben in ihren ersten Werken | ganz absichtlich gegen jene Regeln gehandelt. Wir wollen uns in die verwirrten Begriffe von der Begeisterung nicht einlassen. In Rüksicht auf den Gesichtspunkt des Genies ist nun schon bemerkt, daß Genie und Talent ein natürliches Moment in sich haben, dabei ist aber zu wissen, daß solches Genie der Bildung des Gedankens und der Uebung in seinem Producirn bedarf. denn das Kunstwerk hat eine rein technische Seite, welche geübt werden muß, und dieß ist auch beim dichter der Fall. das Metrische, der Reim gehört dahin. Zur Fertigkeit hierin hilft die Begeisterung nicht, und die Fertigkeit ist nöthig, damit der Künstler Meister dieser Seite sei, und nicht durch die Sprödigkeit des Stoffs gehindert werde. Ferner muß der Künstler, und zwar je mehr, je höher er steht, die Tiefen des Geists und Gemüths kennen. Und diese kennt er nicht unmittelbar sondern nur durch Studium der äussern | und innern Welt, durch diß Studium erhält er den Stoff für seine darstellung. Es ist nun der Fall, daß eine Kunst des Studiums mehr bedarf als die Andere, die Musik zB. hat es mit den ganz unbestimmten Empfindungen des Innern, nur mit den inhaltslosen, fast gedankenlosen Tönen des Gemüths zu thun, hat gar keine Geistigen Stoffe im Bewußtsein zu haben nöthig, daher zeigt das musikalische Talent sich meistens schon früh, wo Kopf und Gemüth noch leer sind, Geist und Leben sich noch nicht erfahren haben. Und deswegen kann es Virtuosen geben, die dürftig an Character und Geist sind. In der Poesie ist es anders, da kommt es auf eine Gedankenvolle darstellung des Menschlichen Geistes, der Mächte, die ihn bewegen, an. deswegen sind die 1sten Producten Schillers und Göthes oft noch roh und barbarisch, kalt und platt prosaisch. Was der gewöhnlichen Vorstellung zwar zu wider ist welche meint daß die Begeisterung

2–3 ganz absichtlich … gehandelt] Kr: sie wissentlich mit Füßen getreten 6–7 der Bildung … Producirn] Kr: wesentlich der Reflexion in der Weise seiner Produktion und auch Uebung 8 geübt werden muß] Kr: ganz äußerlich ist 10–11 dieser Seite] Kr: über diese Aeußerlich keit 11 Stoffs] Kr: Stoffes und seines ungeübten Sinnes 13 kennen] Kr: kennen, denn er soll sie 14 Stoff ] Kr: Stoff und Inhalt 15 des Studiums mehr] Kr: tieferer Erkennt niß 30 darstellen 17 den inhaltslosen] Kr: einer inhaltslosen Bewegung des Gemüths] Kr: der Empfindung 19 früh] Kr: in früher Jugend, oft schon in der Kindheit 23–228,2 deswegen sind … hervorgebracht] Kr: und da muß sich das Gemüth und der Geist im Leben tief gebildet haben, ehe ein gutes Werk geliefert werden kann. / Was die gewöhnliche Vorstellung betrifft, daß die Jugend nur ge35 eignet sey zu solcher Begeisterung, daß sie nur solche Werke liefere, denen diese eine hohe Lebendigkeit verliehe, so findet man gerade in den Produktionen aus solcher Zeit die höchste Prosa: aber 17 Kr aus späterer, durch Studium erreichter | Reife, sind solche Werke hervorgegangen, die einzelne dichter zu Nationaldichtern gemacht haben 1 Hintansetzung] Hintantsetzg 40 sikalische Talent so Kr; Ho: es

3 gegen] davor gestr: theils 17 fast über der Zeile 19 das mu24 kalt und … prosaisch über der Zeile mit Einfügungszeichen

Kritik dieser zweiten Ansicht: die Production bedarf als natürliche zwar auch des Talents und Genies, aber auch der Gedankenbildung und der technischen Uebung.

Ferner ist das tiefste Studium der innern und äussern Welt erforderlich.

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c. das Kunstproduct als Menschenwerk stehe dem Naturproduct nach. Kritik dieser Ansicht:

das Kunstproduct als Product des Geists steht über der ihrer selbst unbewußten Natur.

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an das Jugendfeuer geknüpft sei. Erst durch Bildung des Gedankens haben jene Männer die schönen, tiefen Werke hervorgebracht. Homer hat als Greis erst seine unsterblichen Gesänge sich eingegeben. | der specifisch bestimmte Geist hat sich also durch tiefes Studium zu bilden. die dritte Bemerkung könnte sein, daß das Kunstproduct mit dem Naturproduct verglichen wird in der Rüksicht, daß das Kunstproduct als Menschenwerk dem Naturproduct nachstehe. Freilich hat das Kunstwerk kein Gefühl in sich, ist nicht das durch und durch belebte, sondern ist nur oberflächlich; das Naturwerk aber ist ein insichselbst Lebendiges. Und so wird die gewöhnliche Reflexion gemacht, die Naturproducte höher als die menschlichen zu setzen, indem wir das Naturwerk Gott zuschreiben, das Kunstwerk nur dem Menschen. Was diesen Gegensatz, diese Stellung des Werthes betrifft, muß gesagt werden, daß als ding das Kunstwerk freilich kein Belebtes ist, und indem es so kein äusserlich Lebendiges ist, ist das Lebendige höher als das Tote, Aber nach dieser Seite des dingssein ist es kein Kunstwerk, sondern ist es nur als Geistiges, als die Taufe des Geists erhalten habend, stellt ein Geistiges dar, eins das nach dem Anklange des Geistes gebildet ist. das Kunstproduct also ist aus dem Geist und für den Geist und hat schon den Vorzug, daß das Naturproduct wenn es Lebendiges ist, ein vergehen|des ist, das Kunstwerk aber ein Bleibendes, daurendes. Schon die dauer ist sogar ein höheres Intresse. Begebenheiten sind sie, so sind sie auch schon vorbei, das Kunstwerk giebt ihnen dauer. Ueberhaupt ist der Geist höher als die Natur, und Gott hat mehr Ehre von dem, was der Geist macht, als vom Naturproduct. daß man das Menschliche und Göttliche gegenübersetzt darin liegt einerseits der Mißverstand, daß was der Mensch thut, daß diß kein Göttliches sei, dass Gott im Menschen nicht wirke als wie in der Natur. Im Geist hat das Göttliche die Form, ein Bewußtes und vom Bewußtsein hervorgebracht worden zu sein. Nach dieser Seite geht das Göttliche durch das Medium des Bewußtseins durch. In der Natur ist das Göttliche auch durch ein Medium gegangen, durch das Medium der Äusserlichkeit, welches Medium als das Sinli-

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6 Naturproduct] Kr: Werk der freien Natur 7–8 kein Gefühl … Lebendiges] Kr: kein Leben in sich, keine Organisation, wie wir sie an Naturprodukten sehen, es ist nur ein Oberflächliches. In 30 der Poesie ist auch die Sprache als Aeußerliches 14 des dingssein] Kr: daß es ein ding ist, Stein, Holz, u.s.w., 19 daurendes] Kr: Dauer, durch stets erneuerten Einfluß auf geistige Bildung, von Jahrhundert zu Jahrhundert 20–21 giebt ihnen … Geist1] Kr: ist aber zugleich ein Werk des Geistes und der Geist steht 24 Gott im … wirke] Kr: sey Gott nicht eben so gut im Menschen die schaffende Kraft 25–26 Im Geist … sein] Kr: Im Menschen existirt das Göttliche als Be- 35 wußtseyn, wird von dem Bewußtseyn für sich selbst gefaßt 28 der Äusserlichkeit] Kr: Raum, Zeit, Farbe u.s.w. 1 sei] folgt gestr: ist macht, dß das Meiste in dsn Productionen kalt u platt Prosaihes ist 15 Geistiges] Ggsts 20 so sind … schon] (1) sd sie (2) (so über der Zeile) sd sie (auh schon über der Zeile mit Einfügungszeichen) 40

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che schon dem Bewußtsein bei weitem nachsteht. das Göttliche also im Kunstwerk ist durch ein viel höheres Medium hervorgebracht. | das äußerliche dasein in der Natur ist viel weniger eine dem Göttlichen angemeßene Weise der darstellung. diesen Mißverstand also, daß das Kunstwerk nur Menschenwerk sei, muß man durch richtigere Bestimung | entfernen. Gott im Menschen wirkt auf eine wahrhaftere Weise als im Boden der blossen Natürlichkeit. die 4te Bestimmung betrifft näher das worauf es im Allgemeinen wesentlich ankommt. Es fragt sich nehmlich: warum producirt der Mensch ein Kunstwerk? da kann uns einfallen solche Productionen seien ein zufälliges Spiel. Später werden wir in concretem Sinn vom Bedürfniß der Kunst sprechen. Sie ist an bestimmte allgemeine Anschauung und Religion gebunden. die Frage ist also concreter, als die Beantwortung hier möglich ist. Was wir hier sagen können ist dieses, daß das Allgemeine des Bedürfnißes der Kunst kein Andres ist, als das, was darin liegt, daß der Mensch denkender, bewußter ist. Indem er Bewußtsein ist muß er das, was er ist, und was überhaupt ist, vor sich hinstellen, zum Gegenstand für sich haben. die natürlichen dinge s i n d nur, sind nur einfach, nur einmal, doch der Mensch als Bewußtsein verdoppelt sich, i s t einmal, dann ist er f ü r s i c h , treibt was er ist, vor sich, schaut sich an, stellt sich vor, ist Bewußtsein von sich, und er bringt nur | vor sich was er ist. Es ist also das allgemeine Bedürfniß des Kunstwerks im Gedanken des Menschen zu suchen, indem das Kunstwerk eine Art und Weise ist dem Menschen was er ist, vor ihn zu bringen. Er thut dieß auch in der Wissenschaft ect, aber in der Kunst gleichfalls. Wenn wir den Menschen 2tens auch als Bewußtsein im Verhältniß zu einer Aussenwelt finden, hat er auch diß nähere Bedürfniß die vorgefundene Äusserlichkeit und sich selbst als ein Natürliches zu verändern, ihnen sein Siegel aufzudrüken. Er thut dieß um aus der Gestalt der dinge sich selbst wiederzuerkennen. der erste Trieb des Kindes hat dieß schon in sich, will etwas sehn was durch ihn gesetzt ist, wirft Steine ins Wasser weil dann die sich zeigenden Kreise sein Werk sind, es darin die Anschauung eines Seinigen

2 durch ein … hervorgebracht] Kr: in einer viel höheren Weise, im Geistigen manifestirt, in einem 4 Menschenwerk] Kr: Menschenwerk, jenes aber Gottes Werk 6–8 die 4te … nehmlich:] Kr: das Kunstwerk ist also vom Menschen gemacht. 10–11 bestimmte allgemeine … Religion] Kr: gewisse Zeiten und Religionen 16 natürlichen dinge] Kr: Thiere einfach] Kr: einfach, unfähig, sich als dies Eins zusammenzufassen 17–18 dann ist … sich1] Kr: aber er bringt dies auch vor sich, er ist auch für sich 18 und] Kr: er weiß von sich und 22 in der … gleichfalls] Kr: 35 21 was er ist,] Kr: seine wesentliche Natur, sein besonderes Interesse das Kunstwerk ist ein Hinstellen desselben, für sich und für Andere 24 vorgefundene Äusserlichkeit] Kr: natürlichen dinge 25 aufzudrüken] Kr: aufzudrücken, etwas Andres aus ihnen zu machen, als sie unmittelbar gegeben sind 25–26 um aus … wiederzuerkennen] Kr: daß er darin für sich selbst werde

30 höhern Medium sinnlich dargestellt

40 9 solche] sollhe

21 ihn] ihm

27–230,1 wirft Steine … hat am unteren Rand mit Verweiszeichen

d. Frage warum der Mensch überhaupt Kunstwerke producirt.

das Bedürfniß des Kunstproducts geht daraus hervor, daß der Mensch denkender und Bewusster ist, d.h. was er an sich ist sich selbst gegenständlich ist.

Ferner daraus, als denkender die Unmittelbarkeit zu vermitteln.

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2. 2. das Kunstwerk sei für den Menschen und näher für den Sinn des Menschen gemacht Frühere Ansichten: a. b. das Kunstwerk sei producirt um angenehme Empfindungen zu erregen, d.h. der Natur der Emp findung überhaupt angemeßene.

Kritik dieser Ansicht:

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hat. dieß also geht durch diese vielfachen Gestaltungen durch bis zu | dieser Weise der Production seiner selbst wie sie ein Kunstwerk ist. Er verfährt nicht bloß mit den äußerlichen dingen so, sondern ansich selbst, der Mensch lässt sich nicht wie er ansich ist, er putzt sich; der Barbar schneidet sich Lippen und Ohren ein, tatuirt sich, alle diese Verirrungen haben diß in sich, sich nicht zu laßen, wie man von Natur ist. Beim Gebildeten wird dieß geistige Bildung, durch welche der Mensch sich selbst hervorbringt. das allgemeine Bedürfniß also ist dieß Vernünftige, daß der Mensch als Bewußtsein sich äussert, sich verdoppelt, sich zur Anschauung für sich und Andere bringt, das Kunstwerk ist demnach vom Menschen gemacht, damit das Bewußtsein sich selbst zum Gegenstande werde. Und diß ist die große Nothwendigkeit der Vernünftigkeit des Menschen dieß sei über diese Bestimung genug. die 2te Bestimung, die wir am Kunstwerk fanden ist, daß es für den Menschen und zwar für seinen Sinn bestimmt sei, und sinnliche Stoffe daher haben müße. diese Reflexion hat fürs Erste dazu veranlassung gegeben zu meinen daß die Kunst bestimmt sei angenehme Empfindungen zu erregen, d.h. Empfindungen, der Natur der Empfindung angemessen. In dieser Rücksicht hat man die Untersuchung der Kunst zu einer Untersuchung der Empfindung gemacht und gefragt, welche Empfindungen zu erwecken seien. ZB Furcht Mitleid. diese seien aber kein Angenehmes? Wie könne die Betrachtung eines Unglücks Befriedigung gewähren diese Weise Kunstwerke zu betrachten ist vornehmlich von den Zeiten Mendelssohn’s sich herschreibend und man kann in seinen Schriften viele dergleichen Betrachtungen finden. der Name Aesthetik schreibt sich auch hierher. dieser Name also ist eigentlich unpassend, aber der Name ist gleichgültig. Man hat auch den Namen Kallistik gebraucht, aber es ist hier nicht um das Schöne überhaupt, sondern um das Kunstschöne zu thun. die Untersuchung, welche Empfindungen erwekt werden | sollen, führt nicht weit, die Empfindung ist die dumpfe unbestimmte Region des Geistes, oder die Form dieser Region. was empfunden wird ist verdumpft, eingehüllt und subjectiv. der Unterschied in der 1 Gestaltungen] Stufen 2 selbst] Kr: selbst in der äußern Umgebung 4–7 der Barbar … hervorbringt] Kr: der Schmuck und Putz ist schon bei den Barbaren Bedürfniß. der Mensch ist eben das, zu dem er sich macht; dies ist sein geistiges Seyn, und er soll seyn ein geistiges Seyn, ein | durch sich Hervorgebrachtes 11 die große … Menschen] Kr: also nichts Zufälliges, sondern eine der geistigen Natur des Menschen immanente Nothwendigkeit 19–21 ZB Furcht … gewähren] Kr: Vorstellung von dem, was Furcht, Mitleid erregt, hat man so gesagt, wie kann das Interesse finden 21 Weise Kunstwerke … betrachten] Kr: Art der Untersuchung 23 hierher] Kr: aus dieser Zeit her; er ist von Baum|garten zuerst gebraucht 28 Geistes] Kr: Geistes, die allerdings einen tiefern Inhalt haben kann 15 meinen über gestr. betrhten; Kr: Betrachtungen 20 Unglücks] Ungleks so Kr; Ho: Mendelsons 22 sich] her sih 28 Region1] davor gestr: Form

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Empfindung ist daher ganz abstract und kein Unterschied der Sache[.] ZB Furcht davon sind Schreck und Angst nur quantitative Steigerung und Modificationen. Bei der Furcht ist ein Sein, dem sich etwas naht, das dieses Sein zu zerstören droht[.] Es ist als ein Intresse, an das ein Negatives kommt. Beides zusammen das Sein und das Nahen des Negativen macht die Empfindung der Furcht aus. dieß Verhältniß aber ist ganz abstract und unbestimmt; der Inhalt der Empfindung als Empfindung ist ganz abstract. Alle diese Empfindungen sind bei den verschiedensten Stoffen zu haben, diese Formen also sind ein ganz abstractes. Anderweitige Gefühle, als Zorn, Mitleid, alle diese unterscheiden sich zwar auch dem Inhalt nach, aber der Unterschied bleibt beim Abstracten stehn, Religiöses Gefühl hat der Neger wie der Christ, der von dem höchsten Inhalt sich erhoben fühlt. der Inhalt der Religion also ist noch ganz unbestimmt. Wenn man sich also auf diese Gefühle in Rücksicht der Kunst einläßt so befindet man sich bei etwas inhaltslosem Allgemeinen. der eigentliche Gehalt des Kunstwerks bleibt ausser halb solcher Betrachtung, oder ist nicht, was er sein sollte, die Hauptsache ist: | das Gefühl ist subjectiv, das Kunstwerk aber soll ein Allgemeines, Objectives haben. Es anschauend soll ich mich darin vertiefen, mich darüber vergessen, und im Gefühle ist immer meine Besonderheit erhalten. Und darum fühlen die Menschen so gern. das Kunstwerk, die Religiöse Betrachtung muß die Besonderheit vergessen lassen. Bei der Betrachtung mit der Empfindung wird nicht die Sache selbst betrachtet, sondern das subject in seiner Besonderheit ist darin erhalten, und deshalb hat diese Betrachtung ein Langweiliges durch die Aufmerksamkeit auf seine kleine Besonderheit; solche Anschauung hat ein Widriges. | die 2te Betrachtung, die sich hieran anschließen kann, ist, daß das Kunstwerk für den Sinn ist, daß das Kunstwerk Empfindungen freilich erregen soll, aber diß mit vielem Andren gemein habe. Wollte man dieß nun näher bestimmen, da sagte man, das Kunstwerk solle das Gefühl des Schönen erregen. Man sprach also von einer besondren Seite des Gefühls, als dem Sinn für das Schöne. diesen Sinn solle der Mensch überhaupt haben aber nicht als einen Instinct, nicht als von der Natur festbestimmt wie das Auge ZB; sondern dieß sei so gemeint, daß dieser

7–12 Alle diese … unbestimmt] Kr: Man kann dieselbe Empfindung haben, bei allerverschiedenstem Inhalt. das was der Empfindung als solcher angehört, ist etwas ganz Allgemeines, Abstraktes. Religiöse, erhabene, freudige Gefühle unterscheiden sich allerdings, aber es ist nur der ganz abstrakte Inhalt angegeben; bestimmter Inhalt, der ist gar durchaus nicht vorhanden 13 diese Geso] Kr: insofern sie Empfindungen hervorbringt, so 35 fühle] Kr: solche Untersuchungen 16 Objectives] Kr: objektiven Gehalt 27–28 Man sprach … Sinn1] Kr: die Empfindung möge seyn welche sie wolle, so sey darin eine bestimmte Seite des Schönen. Und so spricht man vom Sinn des Menschen 30 festbestimmt] Kr: fest bestimmter Sinn, so, daß der Mensch unmittelbar entscheide, was schön oder nicht schön sey

die Form des Gefühls als die abstracte Form der Unbestimmtheit kann nicht das Ziel und Kriterium der Kunst sein.

das Kunstwerk gerade als ein an und für sich seiendes Objectives fordert das Aufheben der subjectiven Besonderheit, deren Boden das Gefühl ist.

c. Näher solle das Kunstwerk das Gefühl des Schönen erregen

232 dieses Schönheitsgefühl als nicht von der Natur gegeben sei durch die Bildung zu erreichen, und diese sei der Geschmack. Kritik dieser Ansicht: der Geschmack als ein durch die Bildung erlangtes unmittelbares Auffassen des Schönen berührt nur das Oberflächliche statt in die Tiefe zu dringen.

b. das Kunstwerk sei nicht oberflächlich dem Gefühl nach sondern nach seinen bestimmten Seiten zu beurtheilen; die Kennerschaft.

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Sinn gebildet werden müsse, und diese Bildung sei der Geschmack, der Geschmack heißt dann also das Empfinden des Schönen, ein Auffassen, das als Empfindungen bleibt und durch Bildung sich so gemacht hat, daß es unmittelbar das Schöne findet, wo und wie es ist. die Theorie der schönen Künste und Wissenschaften hatte den Zwek den Geschmack zu bilden und es gab eine Zeit, wo diese Bildung besonders gefordert wurde. Geschmak also ist eine Weise des Sinnes, das Schöne aufzunehmen, sich selbst sinnlich dagegen zu verhalten[.] Jetzt hört man weniger vom Geschmack reden denn der Geschmack kann nicht tief eindringen, als unmittelbar auffassend und urtheilend, welches Auffassen nicht vermag gründlich sich auf die Sache einzulassen, die Sache nimmt die Vernunft in ihrer Tiefe in Anspruch, der Sinn ist nur an die Oberfläche des Kunstwerks gewiesen und an ganz abstracte Reflexionen. deshalb hält der Geschmack sich an Einzelheiten, daß diese Uebereinstimung haben mit der Empfindung und er fürchtet sich vor der Tiefe des Eindrucks eines Ganzen; denn ein solcher Sinn des Geschmaks geht nur auf Aeusserlichkeiten, die für die Sache nur Nebensachen sind. Wenn daher dichter große Charactere, große Leidenschaften aussprechen, ist dem Geschmak nicht mehr geheuer, seine Kleinigkeitskrämerei findet keinen Boden, kein Intreße mehr. Wo der Genius auftritt, tritt der Geschmak zurück. Von dieser Absicht also den Geschmack zu bilden ist man abgekommen und dazu fortgegangen, ein gebildetes Urtheil über die Sache selbst und ihre Seiten haben zu wollen | und ist somit auf die nächste Stufe auf die der Kennerschaft getreten; den Mann von Geschmak hat der Kenner abgelößt. die Kennerschaft nun kann sich auch an bloße Ausserlichkeiten halten, an das Technische, das Historische, ohne von der tieferen Natur etwas zu ahnen. Sie kann sogar ihr Historisches über jenes Tiefe setzen. Aber sie geht doch auf bestimmte Kenntniß, auf

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1 diese Bildung … der] Kr: diesen gebildeten Sinn für das Schöne nennt man 2–4 ein Auffassen, … ist] Kr: eine erworbene Fertigkeit im Auffassen des Schönen, welches dann unmitelbar | geschieht, ohne Reflexion 4–5 Wissenschaften] Kr: Wissenschaften, insofern man sie zugleich 24Kr als Kritik betrachtet, 5–6 es gab … wurde] Kr: so sind eine Zeit lang viele Bücher erschienen, um seinen eigenen Geschmack und den Anderer zu bilden 9 tief ] Kr: in die Tiefe der 30 Sache 10–11 die Vernunft … Tiefe] Kr: den Geist 12 an ganz … Reflexionen] Kr: in der Beurtheilung von ganz abstrakter Seite 14 sich vor … Ganzen] Kr: das Tiefere 16–19 Wenn daher … zurück] Kr: Bei darstellungen von tiefen, großen Leidenschaften und reicher Lebendigkeit, wie sie in den Werken großer Meister zur Erstaunung und Bewunderung sich finden, bei solchen ist der Geschmack nicht bei sich. – Ein | großer Genius ist die Macht, die über ihn hinaus 25Kr ist 19 dieser Absicht … bilden] Kr: diesem einen gebildeten Sinn in Beziehung auf das Kunstwerk zu haben, 24 von der … etwas] Kr: den Werth der Betrachtung der tiefern Natur des Kunstwerks 9 welches Auffassen über gestr. was 15 des Geschmaks über der Zeile mit Einfügungszeichen 21–22 und ist … getreten] (1) die nächste Stufe somit ist die Kennerhft (2) (u ist somit auf über der 40 Zeile mit Einfügungszeichen) die nächste Stufe (auf die der über gestr. somit ist die) Kennerhft getreten

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alle Seiten des Kunstwerks, sie schließt die Reflexion über ein Kunstwerk in sich, während der Geschmack nur zu einer ganz äusserlichen Reflexion fortgeht. das Kunstwerk also hat die Seiten nöthig, welche den Kenner beschäftigen; es hat eine historische Seite, eine Seite des Materials, und eine Menge Bedingungen seines Hervorgehns, es ist gebunden an eine Stufe technischer Ausbildung; die Individualität des Künstlers ist auch eine Seite, die sich zeigt. diese bestimten Seiten macht sich die Kennerschaft zum Gegenstande; die Technik, die historische Gelegenheit, und eine Menge äusserer Umstände. Alle diese sind | wesentlich zur gründlichen Kenntniß eines Kunstwerks, und zum Genuß desselben. die Kennerschaft also leistet viel, zwar ist sie nicht das Höchste, aber ein nothwendiges Moment. dieß sind die Betrachtungsweisen, die sich auf das beziehn, daß das Kunstwerk eine sinnliche Seite hat. drittens nun wollen wir näher betrachten in welcher wesentlichen Beziehung das Sinnliche einerseits auf das objective Kunstwerk steht, und anderseits subjectiv auf den Künstler, auf das Genie. das Sinnliche also ist eine wesentliche Seite. Wir können jedoch noch nicht vom Sinnlichen sprechen, wie es sich aus dem Begriffe des Kunstwerks bestimmt sondern wir sind noch auf dem Boden äußerer Reflexion – Was die Beziehung des Sinnlichen auf das Kunstwerk als solches betrifft, so ist das Erste dieses, daß zu bemerken ist, das Kunstwerk sei für äusserliche oder innerliche sinnliche Anschauung oder Vorstellung, wie die Äusserliche Natur, oder unsere innerliche Natur. denn auch die Rede ist für die sinnliche Vorstellung. dieses Sinnliche aber ist wesentlich für den Geist; er soll eine Befriedigung durch diß sinnliche Mittel finden. diese Bestimung giebt nun den Aufschluß, | daß das Kunstwerk kein Naturproduct, kein natürlich Lebendiges sein soll. Es soll es nicht sein, wenn auch das Naturproduct ein Höheres wäre; das Kunstproduct hat gar nicht den Zwek | natürlich lebendig zu sein; denn das Sinnliche des Kunstwerks ist nur für den Geist, und soll nur für ihn sein. Betrachten wir das Sinnliche näher, wie es für den Menschen ist, so hat es 2 Seiten des Verhältnißes: das Sinnliche wird angeschaut, nach dieser Seite ist es nicht für den Geist, sondern für das Sinnliche. diese Seite also der bloßen Anschauung lassen wir vorbei.

1 alle] Kr: die Werthschätzung der besonderen 4–5 eine Menge … Hervorgehns] Kr: geht aus äußerlichen Verhältnissen hervor 9 Kenntniß] Kr: Bestimmung und zum … desselben] Kr: Ihre Betrachtung gehört dazu, ein Kunstwerk zu genießen und es ist also dergleichen mit Dank aufzunehmen 14–15 das Sinnliche … Genie.] Kr: steht das Kunstwerk zum Sinnlichen, zur Ob17 bestimmt] Kr: bestimmt und wie die subjektive 35 jektivität und Subjektivität des Künstlers? Thätigkeit sich dadurch, daß sie sinnlich ist, karakterisirt 20 Anschauung] Kr: Anschauung, Empfindung wie] Kr: es ist ein Sinnliches, wie 21 denn auch … ist] Kr: oder wenn es auch nicht solch äußerliches Objekt ist, so ist es wenigstens 27 nur1] Kr: wesentlich 28 des Verhältnißes] Kr: nach denen es Verhältniß hat zum Geist 29 angeschaut] Kr: wahrgenommen, 30 vorbei] Kr: hier aber unbeachtet 40 angeschaut

c. Beziehungen des Sinnlichen wie es in der Kunst vorkomt: b. in betreff auf das Kunstwerk als objectives das Kunstwerk ist für die Sinnliche Anschauung; aber wesentlich für den Geist. Es kann daher kein natürlich Lebendiges sein. das Sinnliche als Solches ist für den Menschen auf zweifache Weise: für die sinnliche Anschauung als solche.

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für die Begierde.

die Begierde hat es mit Einzelnem, aber concret Natürlichem zu thun, und zwar zerstörend.

die theoretische Betrachtung hingegen sieht auf das abstract Allgemeine des Einzelnen, Natürlichen.

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Näher ist das Sinnliche für das Innere des Menschen, für etwas, das wir auch Geist nennen können. Geist in seiner Natürlichkeit, oder das Sinliche als solches ist für die Begierde; wir gebrauchen die äußerlichen dinge, verzehren sie, verhalten uns negativ gegen sie. In diesem Verhältniß der begierde verhalten wir uns als Einzelne zu Einzelnen, nicht als denkende, nicht nach einer allgemeinen Bestimmung. das Einzelne verhält sich im Gegensatz zum Einzelnen, und erhält sich in diesem Einzelnen nur durch Aufopferung des Andern. die Begierde | also zehrt die Gegenstände auf, und dabei vorhanden ist ein einzelnes Intreße. Bei diesem Verhältniß sind die dinge, zu denen der Einzelne sich verhält selbst einzelne concrete, der Begierde wäre mit bloß Oberflächlichem, bloß Gemachtem nicht gedient. Als Einzelnes concretes Naturwesen verhält sich die Begierde auch zu natürlich concretem. die Begierde will concret Materielles. In der Kunst verhält der Mensch sich nicht der Begierde nach, daher nicht zu natürlich Concretem. wollte man sagen, die Naturproducte wären höher als die Kunst, indem sie organisch Lebendiges wären, so wäre zu sagen, daß die Kunstwerke auf solchen Boden gar nicht gehörn als für den Geist dienend und ihn befriedigend. die Kunstwerke also sollen keine Naturproducte sein; die Begierde freilich setzt die Naturproducte höher, denn sie kann keine Kunstproducte gebrauchen. das Kunstintresse ist ohne Begierde und verhält sich daher nicht zu sinnlich Concretem. – Anderseits sind nun die Kunstwerke auch für die Intelligenz für die geistige Betrachtung nicht für die bloß Sinnliche. die theoretische Betrachtung der sinnlichen dinge hat das Bedürfniß Kenntniß über sie zu erhalten, ihr Wesen, ihr Innres kennen zu lernen. die theoretische | Betrachtung geht daher auf das Allgemeine der sinnlichen dinge, nicht auf ihre Einzelheit, nicht auf ihr unmittelbares dasein. daher läßt das theoretische Interesse die dinge frei, und verhält sich demnach selbst gegen sie frei. die Begierde ist gebunden und zerstörend, gehört dem Einzelnen

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3–4 wir gebrauchen … sie] Kr: die äußern dinge sind da zu unserm Gebrauch, uns nützlich; wir gebrauchen, wir verzehren sie, sofern sie uns auf 5–6 Bestimmung] Kr: Bestimmung, gegen Einzelnes 7 Andern] Kr: Einen 8–10 Bei diesem … concrete] Kr: Indem der einzelne Mensch sich zum einzelnen Verhält, so ist dies Verhalten wesentlich concret, materiell 10 Ober- 30 flächlichem] Kr: Oberfläche, wie die dinge sie nur haben in der Kunst 13 nicht1] Kr: auch als sinnlich, aber nicht 17 Naturproducte] Kr: natürliche, concrete dinge 18–19 das Kunstintresse … Concretem] Kr: aber in der Kunst handelt es sich auch nicht um die Befriedigung der Begierde, sondern nur des Geistes, des ideellen Sinnes. / das Kunstinteresse ist frei von Begierde und braucht also keine concreten materiellen Gegenstände 20 Anderseits sind] Kr: Ferner sind 35 aber 2tens Intelligenz] Kr: theoretische Seite des Geistes 22 Kenntniß] Kr: Gedanken ihr1] Kr: ihre Ge|setze, ihr 29Kr 1 Sinnliche] folgt gestr: des Kustwrks 2 Geist in … solches] (1) Es ist das Sinlich (2) (Geist in sr Natürlichkt, od. über gestr. Es ist) das Sinlich (als solches über der Zeile mit Einfügungszeichen) 34 das] davor unsichere Absatzkennzeichnung 40

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als solchen an, die Intelligenz dem Einzelnen als zugleich Allgemeinen. das Intresse der Kunst streift an die Seite des Intresses der Intelligenz, auch sie läßt die Gegenstände frei sein, ist eine freie Betrachtung in dem Sinne sich gegenüber die dinge existiren zu lassen. das Intresse der Intelligenz aber ist das Wesen, das Allgemeine der dinge zu erfassen, den Begriff des Gegenstandes. dieses Intresse aber hat die Kunst nicht, und unterscheidet sich in so fern von der Wissenschaft. die Wissenschaft hat den Gedanken, das abstract Allgemeine zu ihrem Zwek, hat ein Andres zu ihrem Gegenstande, als ihr unmittelbar in den dingen gegeben ist; sie geht also über das Unmittelbare hinaus. die | Kunst thut diß nicht, geht über das Sinnliche, das ihr geboten wird, nicht hinaus, sondern hat das Sinnliche, wie es unmittelbar ist, zum Gegenstande. Einerseits also ist das Sinnliche Gegenstand der Kunstbetrachtung aber so, daß es freigelassen ist von der Betrachtung, nicht wie durch die Begierde zerstört wird; das Sinnliche ist demnach für den Geist, aber nicht so, daß der Gedanke dieses Sinnlichen, sein Wesen, sein Innres, Gegenstand der Kunst sei. Uns bleibt nun noch dieß übrig zu sagen, daß es die sinnliche Oberfläche, das Erscheinen des Sinnlichen als solchen, der Gegenstand der Kunst sei, während die innerlich empirische Ausbreitung der concreten Materiatur für die Begierde ist. Auf der andern Seite aber will der Geist nicht den Gedanken, das Allgemeine, das Geistige des Sinnlichen, sondern es will das Sinnliche, Einzelne, abstrahirt vom Gerüst der Materiatur. der Geist will nur die Oberfläche des Sinnlichen. das Sinnliche somit ist in der Kunst zum Scheine erhoben, und die Kunst steht in der Mitte somit zwischen dem Sinnlichen als solchen und dem reinen Gedanken; | das Sinnliche in ihr ist nicht das Unmittelbare, in sich Selbstständige des Materiellen, wie Stein, Pflanze, und organisches Leben, sondern das Sinnliche ist für ein ideelles, aber nicht das abstract Ideele, des Gedankens. | Es ist der reine sinnliche Schein, und in näherer Form die Gestalt. diese Gestalt bezieht sich einerseits äusserlich auf das Gesicht, anderseits auf das Gehör; es ist das bloße Aussehn und Klingen der dinge. diß sind die Wei-

1–2 das Intresse der] Kr: diese theoretische Betrachtung ist Gegenstand der Wissenschaft. / 3–4 sich gegenüber … lassen] Kr: daß sie nicht das Verhältniß der Begierde hat 4–5 das Wesen, … dinge] Kr: die Gedanken der dinge, ihr Wesen, aber nicht auf abstrakte Weise, 11 Gegenstande] Kr: Gegenstand, es bezieht sich also nach dieser Seite auf das Sinnliche selbst 12 von] Kr: in 15 Gegenstand der Kunst] Kr: sein Interesse, bei der Betrachtung eines Kunstwerks 18–19 der Geist … will] Kr: die Kunst nicht das Abstrakte, Allgemeine, sondern 21 des Sinnlichen] Kr: nur den 35 20 Einzelne,] Kr: so, daß es sinnlich bleibt, aber zugleich Schein 23–25 das Sinnliche … für] Kr: das reell Sinnliche ist also nicht der Stoff der Kunst, sondern 27 Gestalt1] Kr: Gestalt, die für die Kunst ist

30 die

4 Intelligenz über gestr. Knst 19 Geistige Lesung unsicher

13 zerstört] zerstört;

17 innerlich Lesung unsicher; Kr: innere

die Intelligenz läßt im Gegensatz der Begierde die Gegenständlichkeit frei für sich.

dasselbe thut die Kunst mit dem Unterschiede das Einzelne als Einzelnes aufzunehmen.

die Kunst demnach hat das Sinnliche nicht als concret Lebendiges, sondern nur als Schein des Sinnlichen, als sinnliche Oberfläche in sich.

Somit steht die Kunst in der Mitte zwischen dem Sinnlichen als solchem und dem reinen Gedanken. Indem das Sinnliche in der Kunst ein ideelles ist, ist es auch nur für die Sinne der Idealität: Gesicht und Gehör.

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c. In Betreff auf die subjective Thätigkeit des Künstlers.

die Thätigkeit des Künstlers muß Einheit des Geistigen und des Sinnlichen sein.

diese Einheit ist in der Phantasie.

nachschrift hotho · 1823

sen, wie das Sinliche in der Kunst auftritt. die Kunst also hat es mit dem Schattenreich des Schönen zu thun. diese sinnlichen Schatten sind die Kunstwerke. Hierin liegt die nähere Nothwendigkeit, nach welcher das Sinnliche Zwek der Kunst ist. Nur nach den beiden ideellen Sinnen kann daher das Sinnliche in das Kunstwerk eintreten; Geruch, Geschmack, Gefühl haben es mit den materiellen sinnlichen dingen zu thun. Gefühl mit wärme und Kälte ect, Geruch mit der materiellen Verflüchtigung, Geschmack mit der materiellen Auflösung. diese Sinne haben es also mit der Kunst nicht zu thun. Ihr Angenehmes gehört nicht zum Schönen, sondern bezieht sich auf die Materiatur der dinge, auf die unmittelbare Sinnlichkeit, | nicht wie das Sinnliche für den Geist ist; die Kunst also hat vergeistigtes Sinnliches, sowie versinnlichtes Geistiges zum Material. das Sinnliche tritt in ihr also als ideelles als abstractiv Sinnliches nur ein. die andere Seite, die wir hier zu betrachten hatten, war die subjective der productiven Thätigkeit, oder was hieraus für die Thätigkeit des Künstlers muß festgestellt werden. die Art und Weise seiner Production muß ebenso beschaffen sein, als die Bestimmung des Kunstwerks erfordert; sie muß geistige Thätigkeit sein, die aber zugleich das Moment der Sinnlichkeit, der Unmittelbarkeit in sich hat. die Thätigkeit ist also nicht mechanisch, auch nicht wißenschaftlich, hat es nicht mit reinen Gedanken oder abstracten zu thun, sondern das geistige und sinnliche Produciren muß in Einem gefasst sein. So wäre es schlechte Poesie einen vorher gefaßten prosaischen Gedanken in die Form eines Bildlichen zu bringen, das Bildliche also als Schmuck und Zier an die abstracte Reflexion zu hängen; sondern in der Productivität ist dieses Ungetrennte des Geistigen und des Sinnlichen erforderlich. | dieses Produciren nennen wir Produciren der Phantasie. Sie | ist der Geist, das Vernünftige, das Hervortreibende Geistige, welche Hervortreibung, was sie enthält, im sinnlichen Element sich zum Bewußtsein bringt, die Thätigkeit ist also geistigen Inhalt habend, welchen Inhalt sie sinnlich darstellt. Von der Phantasie

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1–2 dem Schattenreich … Schönen] Kr: einer sinnlichen Schatten- oder Schein-Welt 8–9 Ihr Angenehmes … Schönen] Kr: Eine Aesthetik des Geruchs kann man nicht geben, obgleich es angenehme und widrige Gerüche giebt 10 Geist ist] Kr: Geiste, wie es die Kunst erfordert 30 12–14 die andere … werden.] Kr: Es folgt die Frage, was die Seite der subjektiven, der produktiven Thätigkeit des Künstlers sey? 16–17 das Moment … hat] Kr: die concrete, vereinzelte ist 19–20 geistige und … sein] Kr: Sinnliche zum Geistigen so zu produziren, daß beides in Einem ist 20 schlechte Poesie] Kr: nicht die Weise der künstlerischen Conception und dar stellung 20–21 einen vorher … Gedanken] Kr: vorher eine abstrakte Vorstellung gefasst 25 Her- 35 vortreibende] Kr: thätig hervortreibende 26 zum Bewußtsein] Kr: vor die Vorstellung 1 die Kunst] (1) das Snnlich (2) (die aus das) (Snnlich gestr.) Kunst; Kr: Kunst 12 abstractiv Lesung unsicher; Kr: abstrakt 21 das Bildliche also am Rande angefügt 23 erforderlich über der Zeile mit Einfügungszeichen 27 Von über der Zeile mit Einfügungszeichen

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wird der geistige Gehalt sinnlich gestaltet. diese Weise der Production kann mit der Production eines erfahrenen Mannes verglichen werden, der obgleich er weiß worauf es in den Lebensverhältnißen ankommt, doch nicht versteht, sich solchen Inhalt in allgemeine Regeln zu erfassen, sondern immer einzelne Fälle vor der Vorstellung hat, die ihm vorkomen; der also die Fertigkeit nicht hat allgemeine Reflexionen aufzustellen, sondern, immer sich nur auf concrete Weise durch Erzählung eines Einzelnen zu expliciren vermag. So kann es in Ansehung der Erinnerung sein, daß der Geist was er in sich hat, nur immer in einzelnen Beispielen sich bewußt wird. dasselbe kann beim Erfinden eines Inhalts der Fall sein, welcher nicht anders vom Geist kann explicirt werden als bildlich d.h. auf einzelne Weise, diß ist die Weise der productiven Phantasie. | In ihren Inhalt kann alles eintreten, aber die Art und Weise ihn zum Bewusstsein zu bringen ist die bestimmte sinnliche darstellung. Hieraus folgt nun sogleich, daß das Kunsttalent wesentlich natürlich ist. Man kann auch von einem Wissenschaftlichen Talent sprechen, aber die Wissenschaften setzen nur die allgemeine Befähigung zum denken voraus, und so kann man richtiger sagen, es gebe kein wissenschaftliches Talent. Hingegen in der Production eines Kunstwerks ist das eine Moment ein Produciren von Sinnlichem, oder Natürlichem; es ist also ein Moment der unmittelbaren Natürlichkeit darin, während das freie denken von allem Natürlichen abstrahirt, sich nicht auf natürliche Weise verhält, die productive Phantasie aber, da sie eine natürliche Seite hat, enthält sie die Natürlichkeit, und das Talent der Phantasie ist deshalb Naturgabe oder Talent überhaupt; eine Weise des instinctartigen Producirens; zwar nicht allein instinctartig, sondern das Natürliche ist nur ein Moment darin. | die Geistigkeit ist in Einheit mit der Natürlichkeit. diß macht das Eigenthümliche des Kunsttalents aus. Bis auf einen gewissen Grad kann es daher zwar jeder Mensch bringen, doch hat das Kunsttalent das Moment des Specifischen in sich und über einen gewissen Grad hinaus bringt es niemand

1 sinnlich] Kr: sinnlich, bildlich 9 wird.] Kr: wird. / Eben so in der Kunst: 11–12 In ihren … eintreten] Kr: Sie kann jeden Inhalt haben, auch einen rein vernünftigen 15 die Wissen16–17 und so … Talent] Kr: diese allgemeine Thätig30 schaften setzen] Kr: die Philosophie setzt keit, die allen Menschen gemeinsam ist; daher dürfte man dies nicht besonderes Talent nen nen 21–24 und das … Natürlichkeit] Kr: darum ist das Kunsttalent Naturgabe, Naturanlage, eine Weise des natürlichen Produzirens, – instinktartig. Aber es ist dies nur Ein Moment; ein zweites ist die 25–26 Bis 35Kr zugleich damit verbundene gei|stige Thätigkeit, beide aber vereinigt im Sinnlichen 35 auf … bringen] Kr: Kunsttalent ist in gewissem Sinn allen Menschen auch gemein, wie die Fähigkeit zu denken; 7 durch Erzählung … Einzelnen über der Zeile mit Einfügungszeichen 10–11 d.h. auf … Weise1 über der Zeile mit Einfügungszeichen 11 productiven] davor gestr: bild; Kr: produktive 15–16 zum denken] (1) des denkens (2) (zum über gestr. des) denken(s versehentlich nicht gestr.) 16 richtiger 40 über der Zeile mit Einfügungszeichen

Ihr Inhalt ist das Allgemeine, Geistige, die Form ihrer darstellung das sinnliche Einzelne. die Phantasie demnach ist einem ihrer Momente nach Naturgabe, natürliches Talent.

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h. In Betreff auf die Kunst überhaupt.

nachschrift hotho · 1823

ohne das höhere Talent. Zb Fr. von Schlegel hat auch versuchen wollen Verse zu machen als er in Jena war, es gelang ihm; aber es würde Jedem gelingen, denn in einer bestimten, schon bekannten Weise kann Jeder dichten oder Andersweitiges produciren, Aber auf höhere Stufen zu steigen, dazu gehört natürliches Talent, das Kunsttalent als theils natürlich zeigt sich deshalb auch früh, und ist sogleich bildend, in sich treibend, sich äussernd, hat die Unruhe des sich Explicirens. diese Unruhe äußert sich im frühen Bilden und Gestalten: Einem Bildhauer wird früh alles zu Gestalten, dem dichter alles früh zu Versen; die Leichtigkeit im Technischen ist besonders ein frühes Zeichen besonderer Anlage. Alles wird Gestalt, Gedicht, Melodie. Und mit dem Technischen als dem Natürlichen wird ein Solcher am leichtesten fertig. dieß sind die beiden Seiten in Betreff da rauf, daß das Kunstwerk für den geistigen Sinn ist, der eine Seite des Natürlichen hat. – Wir sagten ferner, daß auch der Inhalt des Kunstwerks in einer Hauptseite seiner Gestaltung scheint aus dem Sinnlichen genommen, aus einem Unmittelbaren Gegebenen, der Natur oder dem menschlichen Verhältniße genomen zu sein. Bleibt man hiebei stehn, daß der Inhalt aus dem Sinnlichen überhaupt genommen sei, so ist, wenn man diß abstract festhält, die Vorstellung nahe, daß das Kunstwerk solle eine Nachahmung der Natur sein. dieß könnte demnach die einzige Bestimung des Kunstwerks zu sein scheinen. Es muß zugegeben werden, daß die Kunst ihre Gestaltungen aus der Natur nimmt, und den Grund werden wir später sehn. | der Inhalt ist in sich selbst so beschaffen, daß er das Geistige in Gestalt des Natürlichen darstellt – Sagt man aber abstract: das Kunstwerk sei eine Nachahmung der Natur, so kann es sein, daß die Thätigkeit und Geschicklichkeit sich auf diese Nachahmung beschränkt, einen bestimmten Inhalt streng der Natur nach abbildet. Wie diß bei naturhistorischen Gegenständen, bei Portraits die

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4–6 Aber auf … Explicirens] Kr: Nur das wahrhafte Talent, das Genie, ist etwas Natürliches, welches nicht durch die Richtung des Willens hervorgebracht werden kann 9 Technischen] Kr: Technischen und der drang, sich darin zu exprimiren 12–13 für den … hat] Kr: sich aus dem Sinnlichen bestimmt, selbst sinnlich ist und für den Sinn 14–15 in einer … Gestaltung] Kr: die 30 Gestaltung, oder eine wesentliche | Seite daran, 16 sein] Kr: seyn, welches auch Empfindungen 36Kr seyn können, die im Gemüthe erscheinen 19–20 dieß könnte … scheinen] Kr: Es hat allerdings das angegebene Moment der Natürlichkeit, und diese als die einzige und wesentliche Seite genommen, wäre das Kunstwerk Nachahmung der Natur 21–23 und den … darstellt] Kr: weil diese in ihnen selbst so geschaffen sind, etwas Seelenvolles zu seyn und darzustellen 23–239,2 Sagt 35 man … ist] Kr: die Geschicklichkeit der künstlerischen Thätigkeit würde sich so beschränken, die Natur nachzubilden. So bei Abbildungen aus der Naturgeschichte, da ist dies besonders nothwendig, bei Portraits u.s.w. ebenfalls; denn hier ist die Aehnlichkeit mit dem Gegebenen Hauptmoment 5 als theils natürlich über der Zeile mit Einfügungszeichen

16 Gegebenen] Gegegebenen

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Hauptseite ist, da ist ein Gegebnes, obgleich bei Portraits schon die blosse Nachahmung nicht genug ist. das Kunstwerk also kann sich auf die Nachahmung der Natur einschränken, doch ist diß seine wesentliche Bestimung | nicht, sondern der Mensch hat beim Kunstwerk ein eigenthümliches Intreße, hat einen eigenthümlichen Inhalt, den er zur darstellung bringt. – Nach diesen Gesichtspunkten wollen wir zum dritten übergehn, daß nehmlich man auch vom Endzwek der Kunst spricht, den sie sich vorsetzt um zu wirken. das Erste was uns hiebei einfallen kann ist die Nachahmung der Natur, daß also die Kunst solle eine treue Vorstellung des sonst schon Vorhandenen geben. der Zwek wäre dann Erinnerung. Aber in diesem Zwek kann die Kunst nicht freie, schöne Kunst sein. der Zwek bei der Nachahmung könnte scheinen der zu sein, daß der Mensch wolle auch die Geschicklichkeit zeigen das hervorbringen zu können, was die Natur hervorbringt. Eine berühmte Geschichte ist, daß man den Werth des Zeuxis setzte in die Aehnlichkeit der gemahlten Tauben, die so groß war, daß natürliche darauf hinflogen. Ein berühmter Mann in Göttingen Büttner hat immer mit großer Freude erzählt, wie sein Affe wollte einen gemahlten Maikäfer aus Rösels Insectenbelustigungen aufzehren. Es kann freilich ein Intresse des Menschen sein, daß er auch wolle einen Schein hervorbringen, wie die Natur Gestalten. Aber dieß wäre nur das ganz subjective Intresse, daß der Mensch seine Geschicklichkeit zeigen wolle, ohne Reflexion auf den objectiven Werth des darzustellenden, der Werth | aber muß grade in dem Gehalte des Products liegen, das dem Inhalt nach auch ein Geistiges sein muß. | Bei der Nachahmung des Natürlichen bleibt der Mensch beim Natürlichen stehn, und der Inhalt soll ein Geistiges sein. die 2te Bemerkung, die uns in Betreff des Endzwecks einfallen kann, ist diese, daß das Kunstwerk solle vergnügen, solle zum Schmuk dienen. das dritte Nähere ist so vorgestellt, daß die Kunst solle überhaupt Menschliches aus dem Geiste Kommendes darstellen, daß also ihr Inhalt der ganze Inhalt des Gemüths und des Geists sei. Im Allgemeinen hat die Kunst diesen Zweck anschaulich zu machen,

4 Mensch] Kr: Künstler

5 Inhalt] Kr: Inhalt, verschieden von dem, was die bloße Wahrneh7 den sie … wirken] Kr: was sie durch ihre darstellungen bewirken wolle 11 könnte scheinen … sein] Kr: kann auch so ausgedrückt werden 12–13 was die … hervorbringt] Kr: wie die Natur und ist dann das Produkt recht natürlich, täuschend, so hält man dies für das Höchste was die Kunst zu leisten hat 18 daß er … einen] Kr: zu sagen, er könne auch dergleichen 21–23 das dem … sein] Kr: und zu einem Kunstwerk, da es der Mensch pro25 solle vergnügen, … dienen] Kr: 35 duzirt, gehört, daß in ihm etwas Geistiges produzirt wird angenehme Empfindungen erregen soll. davon ist auch bereits gesprochen worden 27 darstellen] Kr: hinzustellen und dem Gefühle näher zu bringen

30 mung an die Hand giebt

10 kann] ist 12 hervorbringen zu können] (1) hervorzubringen (2) hervor(zu gestr.)bringen (zu können über der Zeile mit Einfügungszeichen) 14 Tauben lies: Trauben; Kr: Trauben

die Kunst ist nicht abstract nur Nachahmung des Natürlichen.

3. das Kunstwerk habe einen Zweck seines Wirkens. Verschiedene Ansichten darüber: a. der Zweck sei die Nachahmung der Natur, als Aufzeigung der menschlichen Geschicklichkeit. Kritik dieser Ansicht: dieser Zweck wäre bloß subjectiv und der Kunstwerth besteht im objectiven Gehalt des Inhalts.

dieser Inhalt soll kein Natürliches sondern ein Geistiges sein.

b. der Zweck sei darstellung alles in der Menschlichen Brust Vorhandenen.

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c. die Kunst müsse wesentlich einen höchsten Endzwek haben und dieser sei: Mildrung der Barbarei, so wie überhaupt Verbreitung des Moralischen Frage in wiefern die Kunst zur Mildrung der Barbarei beizutragen vermögend sei.

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was im Menschlichen Geist überhaupt ist, was der Mensch in seinem Geist Wahres hat, was die Menschenbrust in ihrer Tiefe aufregt, was im Menschengeiste Platz hat. dieß stellt allerdings die Kunst dar, und stellt es durch den Schein dar, der gleichgültig ist, wenn die Erweckung für Höhres der Zweck ist. die Kunst unterrichtet insofern den Menschen vom Menschlichen, weckt schlummernde Gefühle, giebt Vorstellungen vom ächten Intreße des Geistes, aber in diesem Menschlichen, in diesen Gefühlen, Neigungen und Leidenschaften ist unterschiedslos Niedres so wie Hohes, Gutes und Böses | enthalten. Und in Betreff hierauf vermag die Kunst zum Höchsten zu begeistern, und zum Sinnlichen zu entnerven und zu schwächen. Und so sieht man sich nach einem höhern Zwecke um, der ein An und für sich seiendes, Wesentliches enthalten soll. denn was die Brust bewegt ist von sehr verschiedenem Inhalt, und die Kunst soll einen Unterschied machen in dem, was sie aufregen will. So bezieht man drittens die Kunst auf einen höhern Zweck und sucht ihn zu bestimmen. Er kann als ein formeller Bestimmt werden, der in jedem Kunstwerk kann erreicht werden. dieser formelle Zweck wäre Mildrung der Barbarei überhaupt. Und beim Beginn der Bildung eines Volks ist sinlich diese Mildrung ein Hauptzwek, der der Kunst zugeschrieben wird. Ein höhrer Zweck wäre der moralische, den man lange für den Letzten hielt. || die Frage ist nun: wie liegt in der Eigenthümlichkeit der Kunst dieses, das Rohe aufzuheben, wie enthält sie die Möglichkeit des Bildens der Triebe Neigungen und Leidenschaften? das worauf es ankommt, die Mildung der Sitten, wollen wir kurz durchnehmen. die Rohheit besteht in einer directen Selbstsucht der Triebe; die der Begierde, die auf ihre Befriedigung geht, und zwar dieß geradezu, und nur einzig darauf. diese Befriedigung enthält einen Gebrauch des Gegenstands, das Zu-einem Mittel-Gemachtwerden desselben, und die Begierde ist

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1 Geist 2 ] Kr: denken Hohes und 2 aufregt] Kr: erregt 3 stellt allerdings … dar] Kr: ist allerdings der Zweck der Kunst 4 der gleichgültig ist] Kr: und die Art und Weise, wie es erreicht wird, ist überhaupt gleichgültig 5–6 schlummernde Gefühle, … Geistes] Kr: die Leidenschaften und bringt ihm das Höhere, Wahre auf ihre Weise zum Bewußtseyn 9 zum Höchsten] Kr: für 30 das Wahre, Edle zum Sinnlichen] Kr: zu sinnlichen, eigennützigen Empfindungen aufzuregen und dadurch 11–13 der ein … will] Kr: das verschieden Menschliche ist an einen höhern Maaßstab gelegt, und darnach hat die Kunst zu verfahren, was sie in der Seele aufregen soll 15 Kunstwerk] Kr: Kunstwerk, wenn der Gehalt auch noch so verschiedenartig sey 16 Mildrung] Kr: Bildung, Milderung 16–18 Und beim … wird] Kr: welches überhaupt der Kunst zugeschrieben 35 wird und worüber sich Erzählungen in den Sagen aller Völker erhalten haben 19 hielt] Kr: gehalten. die Geschichte ist voll davon, daß jede Belehrung über Sittliches u.s.w. in der Kunst ihren Anfang genommen habe 20–22 wie liegt … Leidenschaften] Kr: Liegt es in der Kunst die Sitten mildern zu können? Liegt es in der Natur derselben, bildend zu seyn, in Ansehung der Triebe und Leidenschaften? Was ist Wildheit und Rohheit 40 17 sinlich Lesung unsicher, am Rande angefügt

25 einzig über der Zeile

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desto roher, jemehr sie als einzelne, beschränkte den ganzen Menschen einnimmt, und der Mensch als Allgemeiner sich noch nicht von dieser Bestimtheit getrennt hat. Sage ich meine Leidenschaft ist mächtiger als ich, so unterscheide ich mein abstractes Ich zwar von der Leidenschaft; diese Unterscheidung ist aber nur eine allgemeine Unterscheidung, die aussagt, daß Ich gegen die Leidenschaft gar nicht in Betracht komme. die Wildheit der Leidenschaft besteht also in der Einheit meiner Allgemeinheit mit der Beschränktheit; so daß ich keinen willen ausser diesem besonderen Willen haben kann. Un homme entier heißt ein eigensinniger Mensch, der seinen ganzen Willen in dieß besondre legt. dieß ist die Rohheit, Wildheit, Stärke der Leidenschaftlichkeit. | diese mildert die Kunst in so fern als sie die Leidenschaften selbst, die Triebe, was der Mensch so ist, dem Menschen vorstellig macht. Und beschränkt sie sich auch nur darauf ein Gemählde der Leidenschaft aufzustellen, ihnen auch schmeichelt, so thut sie doch dieß die Triebe darzustellen, dem Menschen, was er nur i s t , zum Gegenstand zu machen, zum Bewußtsein zu bringen. darin liegt schon die Kraft der Mildrung, denn der Mensch betrachtet jetzt seine Triebe, die nun für ihn sind, ausser ihm sind, denen er gegenübersteht und schon beginnt in Freiheit gegen sie zu kommen. dieß Befreiende enthält also die Kunst schon, deswegen kann es sehr häufig beim Künstler der Fall sein, daß er von einem Unglück befallen, die Intensität seiner Empfindung durch die darstellung ihrer mildert und schwächt. In den Thränen liegt schon | Trost; wenn also der Mensch ganz in den Schmerz versunken und concentrirt, diesen bloß Innerlichen jetzt zu äussern vermag – Noch erleichternder ist das Aussprechen des Schmerzes in Worten, in Bildern in Ton und Gestalt. Es ist somit eine gute alte Gewohnheit gewesen, daß bei Todesfällen von allen Seiten condolirt wurde, denn durch dieß viele Reden | wird dem Menschen sein Schmerz ein Äusserliches, er wird ihm vorgehalten, er muß dar-

1 roher] Kr: heftiger 2–3 der Mensch … hat] Kr: auch das Allgemeine in ihm überwindet 4 der Leidenschaft] Kr: diesen Trieb, über den man nicht Herr werden kann 5 allgemeine Unterscheidung] Kr: Unterscheidung der Reflexion Ich] Kr: mein Wille Leidenschaft] Kr: Leidenschaft, 6–8 besteht also … kann] Kr: die immer beschränkt und das Besondere 30 ihr gänzlich hingegeben nicht unterscheiden läßt vom Ich 9 Mensch] Kr: selbstsüchtiger Mann 9–10 die Rohheit, … Leidenschaftlichkeit] Kr: der Karakter der Leidenschaftlichkeit und Rohheit 11 so2 ] Kr: so darin 13 ihnen] Kr: selbst wenn sie unter dem Gebote dieser Triebe steht und ihnen 14 was er … i s t ,] Kr: die Leidenschaft 19 einem Unglück] Kr: einer Leidenschaft (z.B. Schmerz) 35 20 durch die … schwächt] Kr: dadurch beruhigt oder tröstet, daß er sich das vorstellig macht, wodurch sein Inneres ergriffen ist 21–22 Trost; wenn … vermag] Kr: eine Erleichterung der bedrängten Brust, denn sie sind ein Herausbrechen des Schmerzes 23–24 in Worten, … Gestalt] Kr: wenn er ein Lied, ein Gedicht macht, worin er seinen Schmerz darstellt; dadurch wird er gelindert 26 vorgehalten] Kr: vorgehalten, den auch Andere empfinden: er tritt so aus sich al40 lein heraus 5 nur am Rande angefügt

die] folgt gestr: aber doch

die Roheit besteht in der beschränkten und directen Selbstsucht der den ganzen Menschen einnehmenden Triebe. der Mensch also als Allgemeines und von seiner Einzelheit nicht getrennt, sondern unmittelbar in sie versenkt.

die Mildrung durch die Kunst besteht darin, daß sie diese Einheit dem Menschen darstellt, das bloß Innerliche ihm also zum Bewußtsein bringt. dadurch erhält aber der Mensch die freie Anschauung seiner selbst.

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der Endzweck nun der Kunst müßte ein Anundfürsichseiendes sein.

Ein solches sind Moral Sittlichkeit und Religion.

die Kunst darf aber diesen Inhalt nicht als abstracten aufstellen, so daß das Sinnliche daran nur als Schmuck oder Beiwesen erscheint

nachschrift hotho · 1823

über reflectiren und damit sich erleichtern. Ein Mensch, der über seine Leidenschaft kann ein Gedicht machen, bei dem ist sie so gefährlich nicht mehr, denn durch das Gegenständlichmachen kommt das Innre heraus, und steht dem Menschen äußerlich gegenüber. Und diß also ist die Seite, in welcher die Kunst Leidenschaften und Wildheit mildert. Von der andern Seite hört man viele Redensarten, daß der Mensch solle mit der Natur in Einheit bleiben, aber grade diese Einheit ist die Rohheit und Wildheit. Eben die Kunst ist es, welche die Einheit mit der Natur darstellt, und damit den Menschen darüber hinweghebt. dieß ist der Punkt worauf es hier ankommt. der letzte angeführte Gesichtspunkt, daß die Kunst Moralische Bildung zum Endzweck habe ist jetzt kurz zu betrachten[.] In neuern Zeiten ist man darüber in vielen Streit gerathen und hat gesagt, er sei ein der Kunst | Unwürdiges. Wenn es um einen Endzwek in der Kunst überhaupt zu thun ist, so muß dieser Zwek als ein Anundfürsichseiendes bestimmt werden. das Gefallen gehört dem Zufälligen an, und kann Zwek der Kunst nicht sein. Religiöses, Sittliches, Moralisches sind wohl anundfürsichseiende Gegenstände, und die Kunst jemehr sie solche Bestimungen in sich hat, je höher wird sie sein. Religiöses, Sittliches, Moralisches sind die absoluten Maaßstäbe, welche anzeigen in wie fern der Inhalt der Kunst dem Begriff | dieser Gegenstände gemäß ist. Und die Kunst als darstellung dieses Inhalts war Lehrerinn der Völker. Indem man nun aber solchen Inhalt für die Kunst zugiebt, so hat man doch bestritten, daß die Kunst solle solchen Gegenstand zum Endzwek haben, dieser Tadel hat sich vorzüglich auf die Art und Weise der darstellung bezogen. denn wenn die Lehren der Moral von der Kunst als abstracter Satz, als Reflexion aufgestellt und ausgesprochen werden, oder diese Weise das Ueberwiegende ist, so daß nur das Sinnliche als ein Beiwesen daranhängt, und das abstracte nur die Gestalt als eine Hülle hat, die so gemacht ist, daß sie bloß als Hülle aussieht, | dann ist allerdings die Natur des Kunstwerks

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1–2 Leidenschaft] Kr: Leidenschaft, wie gefährlich er sich auch darin behaben mag, 4 gegenüber] Kr: gegenüber und über dem, worin er früher befangen war 7 Rohheit und Wildheit] Kr: Begierde, Rohheit und Bewußtlosigkeit es] Kr: die erste Weise 7–8 Einheit mit … darstellt] 30 Kr: Rohheit vorstellt 10–11 der letzte … betrachten] Kr: Als weitern Zweck der Kunst hat man nun ferner moralische Lehren angesehen, wodurch der Mensch gebessert werden solle 14 Anundfürsichseiendes] Kr: Geistiges 14–16 das Gefallen … und] Kr: dies ist nicht allein das Angenehme und Gefallende, sondern auch das Sittliche und Moralische. 17 solche Bestimungen … sein] Kr: Gehalt hat, desto mehr Bestimmungen dieser Art wird sie in sich tragen 20–22 Indem 35 man … haben,] Kr: dessen ungeachtet heisst dies nicht, daß die Kunst sich n u r einen moralischen Endzweck vorsetzen soll. 25 Sinnliche] Kr: Bildliche und Concrete 26 daranhängt] Kr: einem solchen abstrakten Satze zugegeben und nicht für sich in concreter Bedeutung vorhanden abstracte] Kr: Concrete 11 habe] haben

12M sein] Sein

26 das abstracte über der Zeile mit Einfügungszeichen

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entstellt, das Kunstwerk soll seinem Inhalt nach individuell sein, und concret, um bildlich sein zu können. Ist er nicht seiner Natur nach schon bildlich, so ist das Bildliche nur ein Beiwesen und der Kunstinhalt ist in sich gebrochen, einerseits abstract, anderseits mit äusserlichem Bildlichem Schmuck behangen, der bloß Schein ist. Ein abstracter Satz läßt sich für sich fassen, ohne solchen Schmuck, der nur Langeweile erregt, weil Inhalt und Form nicht sind in einander gewachsen. Aus einem wahrhaften Kunstwerk kann man auch Folgerungen machen, Lehren daraus ableiten, wie aus jedem Vorfall des wirklichen, concreten Lebens. Man hat dieß besonders in einer früheren Zeit gethan, wie dieß die Vorreden zum Dante zeigen, worin immer steht welches die Allegorie d.h. die allgemeine Lehre jedes Gesangs sei. Hier ist dann also eine Lehre aus solchen Kunstwerken herausgezogen. dieß kann allerdings geschehn, aber der Unterschied ist, ob eine abstracte Lehre die | Gestaltung beherrscht und die Kunstform nur als Schmuck an sich trägt, dem man das Machwerk des Künstlers ansieht, oder ob der Inhalt ganz mit der bildlichen Form in Einheit ist, und sein Wesen in dieser Einheit hat. | der Tadel also hat sich besonders darauf bezogen, daß das Sinnliche dem abstracten Moralischen Satz nur als Beiwesen diente. Will man den Endzwek nun des Kunstwerks aufstellen, so ist es dieses: die Wahrheit zu enthüllen, vorzustellen, was sich in der Menschenbrust bewegt und zwar auf bildlich concrete Weise. Solchen Endzwek hat die Kunst mit der Geschichte der Religion und anderem gemein. In dieser Rüksicht kann überhaupt gesagt werden, daß die Frage nach einem Zwek überhaupt oft die schiefe Vorstellung enthält, daß ein Zweck für sich dastehe, zu dem dann die Kunst ect die Stellung eines Mittels hat, diesen Zwek zu realisiren. die Frage nach dem Zwek in diesem Sinn hat die Nebenbedeutung der Frage nach dem Nutzen. In diesen Fragen also liegt das Verhältniß: daß ein Gegenstand, ein Kunstwerk sich auf ein Andres beziehe, das voraus gesetzt ist als ein

3 Beiwesen] Kr: müßiges Beiwesen der Kunstinhalt] Kr: das Kunstwerk 7 auch] Kr: andere Reflexionen und 8 wirklichen, concreten Lebens] Kr: gegenwärtigen, wirklichen Leben; aber nie sey das Kunstwerk darauf berechnet 8–9 Man hat … gethan] Kr: Auf solche Reflexionen in 10 Allegorie] Kr: Allegorien, welche die 30 der Kunst war früher ein ganzes Zeitalter gerichtet Hauptsache, die sogenannte Nutzanwendung, seyn sollten 15 hat] Kr: ist, so ist dies durchaus falsch 16–17 das Sinnliche … diente] Kr: ein Kunstwerk einen moralischen Zweck haben solle 18–19 vorzustellen, was … bewegt] Kr: Alles was in des Menschen Brust vorgeht soll durch die Kunst vorstellig gemacht und vor’s Bewußtseyn gebracht werden 20 der Religion … ande35 rem] Kr: und Religion 23 diesen Zwek … realisiren] Kr: wodurch es von diesem unterschieden wird 4 abstract über gestr. gebrchen der über gestr. das 7 Aus über Bei; Kr: Bei 12 der] davor gestr: die Frage ob über gestr. dß 18 vorzustellen] davor gestr: alles 18M Endzweck] Entzweck 24 in diesem Sinn am Rande angefügt

der Inhalt der Kunst muß seiner Natur nach schon einzeln und concret sein, um mit der Form der sinnlichen Einzelheit in unmittelbare Identität zu treten.

der Endzweck der Kunst ist das Wesen bildlich zum Bewußtsein zu bringen, was sie mit der Geschichte und Religion gemein hat. dabei ist die schiefe Vorstellung zu entfernen, als habe die Kunst ausser ihr einen an und für sich seienden Zwek, zu dessen Realisation sie bloßes Mittel sei.

244

das Kunstwerk also als Absolutes hat seinen Endzwek in sich selbst.

diese Bestimmung führt auf den Begriff der Kunst

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Geltendes und Seinsollendes. der Zwek soll die Bestimung der Gültigkeit, der Wesentlichkeit haben, und diese wird außerhalb der sie realisirenden Sache selbst ge|legt. diese Frage also hat ein Schiefes in sich, denn die Bestimung soll jeder Gegenstand in sich selbst haben, der ein absolutes sein will. Verhält er sich zu einem Andern als zu seiner Wesentlichkeit so muß der Gegenstand der als Mittel ist die Eigenschaften haben seines Andern, um diesem seinem Wesentlichen gemäß zu sein; also wird man immer auch von diesem Wesentlichen aus auf den Gegenstand zurükgewiesen, und das Kunstwerk also einem moralischen Endzweke dienend muß selbst moralischen Inhalt haben. der Umweg also ein Andres als Wesentliches ausser dem Kunstwerk als Endzwek zu setzen, ist ein überflußiger. Es giebt freilich dinge, die bloß Mittel sind, und ihren Zweck ausser sich haben, und zu diesen kann das Kunstwerk auch in gewissem Sinn gehören als ZB Geld und Ehre und Ruhm zu bringen, aber diese Zweke gehn das Kunstwerk als solches nichts an. | Wenn wir nun einen Gegenstand nach seiner wesentlichen Natur betrachten wollen, reflectiren wir nicht über die Intressen, die außer ihm fallen, und erst in andern Verhältnißen sich hervorthun, Auch betrachten wir hier nicht diejenigen Gegenstände, die solches in sich enthalten, welches erst in einem Anderen könne seinen Endzwek finden. Wollen wir den Endzwek nicht als ein Äusseres betrachten, sondern als eine Bestimung an und für sich im Gegenstand selbst, so führt uns diß auf die Betrachtung des Kunstwerks an und für sich, der Natur, des Begriffs desselben. Bisher hatten wir nur äusserlich über das Kunstwerk reflectirt, und weitere äusserliche Beziehungen darangeknüpft. Es ist dieß die gewöhnliche Betrachtungsweise der Gegenstände, aber diese Reflexion selbst hat uns darauf geführt in den Gegenstand selbst hinein gehn zu müssen. Zu diesem Innern, zu

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1 Seinsollendes] Kr: An- und für-sich-seyendes 4–7 Verhält er … sein] Kr: der Gegenstand muß die Eigenschaften in sich haben, daß er diesem Zweck genügen kann 8–10 und das … überflußiger] Kr: Z.B. um mir zu gefallen, muß das Kunstwerk gewisse Eigenschaften haben; z.B. Gefälligkeit und Anmuth. So kommt man also immer wieder auf das Kunstwerk zurück, und es ist ein überflüßiger Umweg mit dieser Frage nach dem Endzweck, die sich allerdings, nur auf ver- 30 kehrte Weise in Beziehung zur Kunst, auf die gerechte Forderung dunkel gestützt fühlte, daß ihre Werke eine der sittlichen Natur des Menschen immanente Produktion seyn sollen 16 die Intressen] Kr: Weisen des Intresses und Zwecks 21–22 des Kunstwerks … desselben] Kr: der Natur | des Kunstwerks selbst. die Bestimmungen, die den Endzweck ausmachen liegen nur im Gegen- 47 Kr stand selbst 23 gewöhnliche] Kr: gewöhnliche erste 25 hinein gehn … müssen] Kr: einzuge- 35 hen, nicht für denselben draußen zu bleiben 2 haben über gestr. sein sie realisirenden über der Zeile mit Einfügungszeichen 5 der als … ist am Rande angefügt 6 seines Andern, … seinem über gestr. jenem 7 auch von … aus über gestr. wieder 18 erst in … Anderen] (1) für ein Andres (2) (erst in über gestr. für) ein (Andres versehentlich nicht geändert zu Anderen) 40

einleitung · plan des ganzen

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diesem Begriff also haben wir überzugehn, nach Vorausschickung des Plans des Ganzen.

Plan des Ganzen

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Bei einer solchen Uebersicht müssen wir so verfahren, daß es im Allgemeinen wenigstens sich zeigt, wie die Theile sich aus dem Begriff des Ganzen hervorgegangen sich darstellen. Also auch diese Uebersicht darf nicht zufällig erscheinen, sondern auf der Nothwendigkeit beruhn, deshalb aber müssen wir den Begriff ihr voranschicken. Es ist bereits gesagt, daß das darzustellende, der Inhalt muß so sein, daß er der Form der Kunst fähig ist. der Inhalt ist der Gedanke, die Form das Sinnliche, die bildliche Gestalt. das Abstracte soll bildlich sich darstellen, der Inhalt also für sich selbst muß nach seiner eigenen Bestimung zu dieser darstellung fähig sein, sonst erhalten wir nur eine schlechte Amalgamation, indem ein prosaischer Inhalt für sich gesetzt bildlich soll gefaßt werden. Geschieht eine solche Verbindung so sind die Theile selbst sich heterogen und können keine gute Verbindung eingehn. daß also der Inhalt der Form fähig sei, ist die erste Bestimung. | das 2te ist, daß der Inhalt nicht überhaupt soll ein Abstractum sein, sondern aller Inhalt, der Wahrhaftes ist, ist kein Abstractum, auch ohne Inhalt der Kunst zu sein. Auch das Gedachte als Gedachtes muß in sich ein Concretes sein, ein subjectives, Individuelles. der Inhalt also um wahrhaft zu sein muß concret sein. ZB. sagen wir von Gott, er sei das einfache Eine, so ist Gott als blosses Abstractum gedacht, und der Kunst unfähig; die Juden und Türken demnach können keinen Gott in ihrer Kunstdarstellung haben. Gott aber ist auch nicht dieß Abstractum der leeren Wesenheit, nicht das Abstractum des unvernünftigen Verstandes. Gott in seiner Wahrheit ist in sich selbst das Concrete, Gott ist Person, ist subject und als 4–6 Bei einer … darstellen] Kr: Man darf die Eintheilungsgründe nicht von außen nehmen; sie müssen im Begriffe selbst liegen 7 Begriff ] Kr: Begriff des Kunstwerks 9 Es ist … darzustellende,] Kr: 1tens 13–14 indem ein … werden] Kr: z.B. mit dem Moralischen oder überhaupt mit abstraktem Inhalt 17–19 der Inhalt … sein,] Kr: der Inhalt desselben soll überhaupt nicht nur keine Abstraktion | seyn, sondern, wenn er wahrhafter Inhalt ist, ist er auch schon an sich kein Abstraktum, denn die Wahrheit ist nicht abstrakt sondern concret. Ein Concretes ist stets 22–23 keinen Gott … Kunstdarstellung] Kr: keine Kunst, weil ihre Religionen ihn als solches auffassen 23–24 dieß Abstractum … unvernünftigen] Kr: zu fassen als das absolute, d.h. abstrakte Wesen des

35 3 Plan des Ganzen / so Kr; fehlt in Ho

22–23 keinen Gott … Kunstdarstellung] (1) kne Kunst (2) kne (Gott in ihrer über der Zeile mit Einfügungszeichen) Kunst(drstellg über der Zeile mit Einfügungszeichen); Kr: keine Kunst

Begriff der Kunst Im Allgemeinen. der Inhalt ist der Gedanke, die Form das Sinnliche

a. die Form muß dem Inhalt entsprechen und der Inhalt der Form. der Inhalt muß, wie jeder Inhalt der Wahrheit, in sich concret sein.

246

dieser in sich concrete Inhalt muß in Ein heit sein mit seiner gleichfalls concreten Form.

Eintheilung unserer Wissenschaft 1. Allgemeiner Theil. Verhältniße des Inhalts und der Form der Kunst.

Kr: Vom allgemeinen Theil

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Person in seiner Bestimtheit gefasst Geist, der in sich dreieinige, der in sich bestimmte und die Einheit der reinen Wesenheit und dieser Bestimmtheit. dieß macht das Concrete aus. Gott ist somit das Concrete, Wahre. Im Gedanken, der das Wahre faßt, muß auch zum concreten fortgegangen werden. – der Inhalt also muß in sich selbst concret sein, nicht allein um der Kunst fähig zu sein, sondern überhaupt um wahrhafter Inhalt zu sein. das dritte ist, daß das Sinnliche wesentlich auch ein Concretes ist, Individuelles, Einzelnes in sich. Was ansich wahr ist, ist ein Concretes. daß das Sinnliche Element der Kunst auch concret in sich sei, daß diese Bestimmungen auf beiden Seiten, dem Inhalt und der darstellung, dasselbe sind, diß ist der Punkt in welchem Inhalt und Form in Eins zusammenfallen. der concrete Inhalt ist des Bildlichen wirklich fähig, er hat in seiner eigenen Bestimung das Moment concret zu sein, wie seine Form concret ist. das Wahrhafte ist zwar wesentlich höher zu fassen als in der concreten Gestalt des Sinnlichen, welches weder das Einzige noch höchste Concrete ist. die höhere Weise des Concreten | ist der Gedanke, der zwar in dem Element der Abstraction ist, aber selbst muß concretes denken sein, um als wahres denken zu gelten. der Unterschied zeigt sich sogleich in dem Vergleich des griechischen Gottes und des christlichen. der griechische Gott | ist nicht abstract sondern individuell; der christliche Gott ist auch der concrete, nicht bloß subject überhaupt, sondern wesentlich der Geist, und soll gewußt werden im Geist als Geist. da ist der Inhalt das Concrete und das Element dieses Concreten das Wissen wie bei der Kunst das Sinnliche, Bildliche. der christliche Gott stellt sich also im Gedanken dem Geist als Geist dar. die Weise demnach des Seins des christlichen und griechischen Gottes ist eine verschiedene. der griechische Gott hat das Bild, der christliche den Gedanken zur Weise seiner Existenz: – dieß sind die abstracten Bestimungen des Begriffs der Kunst, daß dieser Inhalt muß in sich concret sein, um der concreten form angemessen sich zu zeigen. – Fürs Erste werden wir nun einen allgemeinen Theil haben und 2tens einen besondern – der allgemeine Theil hat die Idee des Schönen überhaupt zu betrachten – das Schöne sagten wir sei die Einheit des Inhalts und der Weise des daseins dieses Inhalts, das Angemessen-sein und -Machen der Realität dem Begriffe; die Weisen der Kunst können sich nur gründen auf

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6 Sinnliche] Kr: Bildliche, Sinnliche, sinnlich Wirkliche 18 individuell] Kr: individuell, und daher vortrefflich für die Kunst 23 Seins] Kr: daseyns 24 hat das Bild] Kr: ist im Sinnlichen 24–25 den Gedanken … Existenz:] Kr: im Geistigen. 25 abstracten Bestimungen] Kr: Grundbestimmungen 29 überhaupt] Kr: überhaupt, das Natur- und Kunstschöne 30–31 das 35 Angemessen-sein … Begriffe] Kr: eine Weise der Einbildung des Begriffes in die Realität 2 der reinen … und über der Zeile mit Einfügungszeichen 5 allein um über der Zeile mit Einfügungszeichen 12 das Moment über gestr. diß 36 Begriffes] Bergriffes

einleitung · plan des ganzen 50Kr

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das | Verhältniß des Begriffs in Betreff seines In-die Realität-Eingebildetwerdens. dieser Verhältniße sind 3erlei. das Erste ist das Suchen dieser wahrhaften Ein heit, das Streben nach der absoluten Einheit, die Kunst die noch zu dieser vollkommnen durchdringung nicht gekommen ist, den rechten Inhalt noch nicht gefunden hat und deshalb nicht die rechte Form. dieses Suchen besteht also darin, daß der wahrhafte Inhalt und die wahrhafte Form sich noch nicht gefunden und geeint habend, aus einander noch fallen und noch eine Ausserlichkeit gegeneinander zeigen. der Inhalt ist mehr oder weniger abstract, Trübe, und nicht wahrhaft in sich selbst bestimmt, und die Gestalt die noch als äusserliche, gleichgültige ist, ist die unmittelbare, natürliche noch. dieses ist also die erste allgemeine Bestimmung; der Inhalt ist trüb und abstract und die Seite der Bilderlichkeit noch aus der unmittelbaren Natur genommen. | dieses Erste also ist das Streben und Suchen der Kunst, das sich näher so zeigen wird, daß der noch nicht wahrhaft in sich bestimmte Gedanke noch für sich den äusserlichen natürlichen Stoff gebraucht, und noch nicht harmonisch mit diesem, die Naturgebilde selbst unnatürlich macht und verzerrt, und in sie das Maaßlose hineinbringt. In diesen Gestalten sehn wir, ein Allgemeines als ein Gewolltes. Weil aber der Inhalt in sich selbst unbestimmt wird, treibt er seinen Ausdruk auch über seine Bestimtheit hinaus. dieser Kunst gehört also wohl die Erhabenheit aber nicht die Schönheit an. Bei dieser Kunst muß im Verhältniß des Inhalts und der Gestalt dessenungeachtet das Entsprechen liegen. die Gestalt leidet zwar Gewalt, wird verzerrt. Aber in der Gestaltung muß dennoch auch eine Bestimung liegen, einem grossen Inhalt auf eine allgemeine Weise angemessen sein zu können. dem natürlichen Stoff ist der Inhalt noch nicht wahrhaft angemessen, weil solcher Angemessenheit der Inhalt selbst noch unfähig ist. das Entsprechen kann nur in einer abstracten Bestimmtheit sein. diese erste Sphäre dann giebt die symbolische oder orientalische Kunst. diese gehört der Erhabenheit an; und der Cha-

1 Begriffs] Kr: Inhalts zur Form 2 dieser] Kr: diese Verhältnisse hängen wieder zusammen mit der Natur des Begriffes. / diese 3 Einheit1] Kr: Einheit des Begriffs und der Realität der abso3–4 zu dieser … ist] Kr: nicht den Inhalt mit der Form durch30 luten Einheit] Kr: dieser Schönheit drungen hat 7–8 eine Ausserlichkeit … zeigen] Kr: nicht ineinander gebildet seyn können 8 abstract] Kr: Unklares 9–10 die Gestalt … noch] Kr: auf der andern Seite ist die Gestaltung desselben die unmittelbare Materie der Natur 11 Bestimmung] Kr: Bestrebung 11–12 Seite der … genommen] Kr: Gestaltung ist noch an das Gegebene der Natur gebunden 15 äusserli51Kr chen natürlichen] Kr: rohen 16 und 2 ] Kr: erund] Kr: und die Kunst | auf dieser ersten Stufe weitert sie und 22 in der Gestaltung] Kr: auch in der Gestalt, im Naturgebilde 25–26 das Entsprechen … sein] Kr: das wodurch die Gestalt dem Inhalte entsprechen kann, kann im Naturgebilde nur ein Unbestimmtes seyn 2 das1 gestr.

24 wahrhaft] wahrhftt

a. das Streben nach der absoluten Einheit oder die symbolische Kunst

die Ursach dieses Strebens aber ist die noch unvollendete Bestimmtheit des Inhalts in sich. deshalb ist seine Form die unvermittelte der unmittelbaren Natürlichkeit. der unbestimmte Inhalt macht so seine Form selbst unbestimmt, verzerrt sie ins Maaßlose. dieß also ist die Kunst wohl der Erhabenheit, aber nicht der Schönheit.

Indem ihr Inhalt noch nicht der wahrhaft concrete ist ist das ihm Entsprechen seiner Form auch nur ein abstractes, das Symbol.

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b. die absolute Einheit des Inhalts und der Form oder die classische Kunst. Sie enthält das Kunst-Ideal der in sich concrete Inhalt drückt sich in der in sich concreten Gestalt, in der Menschlichen ab.

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racter der Erhabenheit ist, daß ein unendliches soll ausgedrükt werden. diß Unendliche ist hier aber das Abstracte, dem angemessen keine sinnliche Gestalt ist, die also wird über ihr Maaß hinaus getrieben. der Versuch nur des Ausdrükens ist da. diese Riesen und Coloße, die Hundertarmigen, Hundertbrüstigen, also sind solche Maaßlosen Naturgebilde. Auf der andern Seite muß aber solches Naturgebilde ein Moment der Angemessenheit | für seinen Inhalt haben, aber diese abstracte Allgemeinheit ist nur eine Innerliche, noch nicht zur bestimmten Concretion gekommen. Wenn ZB. im Löwen die Stärke gemeint wird und er einen Gott ausdrüken soll, so ist das Entsprechende selbst nur ein Innerliches, abstractes, Symbolisches. die thierische Gestalt, die die allgemeine Qualität Stärke hat, hat also doch eine wenn auch nur abstracte dem Inhalt angemessne Bestimmung, dessen Ausdruk sie sein soll. | diese Kunst also ist strebend und dieß Streben das symbolische. diese Stufe also ihrem Begriffe und ihrer Realität nach ist noch unvollkommen. Die 2te Sphäre ist die classische Kunst. Sie ist die freie adaequate Einbildung der Gestaltung in den Begriff, ein Inhalt der die ihm angemeßene Gestalt hat der als wahrhafter Inhalt der wahrhaften Form nicht entbehrt. Hier fällt das Ideal der Kunst her. das Sinnliche, Bildliche gilt hier nicht mehr als Sinnliches, ist kein Naturwesen, zwar Naturgestalt, aber solche die, der dürftigkeit des Endlichen entnommen, ihrem Begriff vollkommen adaequat ist. der wahrhafte Inhalt ist das concret Geistige dessen Gestalt die Menschliche ist, denn diese allein ist die Gestalt des geistigen, die Art und Weise, wie das Geistige sich kann in zeitliche Existenz heraus machen.

1 unendliches] Kr: Unbestimmtes, Unendliches sinnlich 3 über ihr … getrieben] Kr: verzerrt, unnatürlich, kolossal, monströs, über sich selbst hinausgetrieben 4 die Hundertarmigen, Hundertbrüstigen] Kr: mit 1000 Augen etc. 6–8 aber diese … gekommen] Kr: und so entsteht das Symbol 8–10 Wenn ZB. … Symbolisches] Kr: So ist der Löwe das Symbol der Stärke. Wenn n u r die Stärke ausgedrückt werden soll, und man stellt einen Löwen dar, so ist dies ein Symbol 10–12 die thierische … soll] Kr: der s t a r k e Gott wird daher auch mit einem Löwenhaupt dargestellt. In solcher darstellung ist aber noch kein Geist, noch nichts Concretes; denn Gott ist ja mehr als stark 15 classische] Kr: klassische oder antike (griechische) 16 ein] Kr: in den 17–18 fällt das … her] Kr: ist Idealgestaltung, das Ideal der Kunst überhaupt 18 gilt hier … Sinnliches] Kr: ist hier nicht mehr für sich 19 dürftigkeit des Endlichen] Kr: Bedürftigkeit des Natürlichen 22–23 zeitliche Existenz … machen] Kr: leibliche | und zeitliche Existenz herausmachen. dies ist der Mittelpunkt, die höchste blüthe der Kunstschönheit

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3 getrieben] getreiben 4 Hundertbrüstigen] Hunterbrüstgen 7–8 noch nicht … gekommen. teils über der Zeile mit Einfügungszeichen, teils am Rande angefügt 8–9 und er … so über der Zeile mit Einfügungszeichen 9 das Entsprechende über gestr. diese Allght 11 also doch … Inhalt] (1) also eine abstrcte (2) (also doch eine wenn auh nur über gestr. also eine) abstrcte (dem Inhalt über der Zeile mit Einfügungszeichen) 40

einleitung · plan des ganzen

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die dritte Sphäre ist eine Auflösung des Inhalts und der Gestaltung, die also zum Gegensatz des symbolischen zurükgeht, aber zugleich ein Fortschreiten ist der Kunst über sich selbst. die classische Kunst hat als Kunst das Höchste erreicht, und ihr Mangelhaftes ist nur Kunst überhaupt zu sein. die 3te Sphäre also ist die Kunst, die sich als Kunst auf einen höhern Standpunkt stellt. diese Kunst kann als die romantische oder christliche bezeichnet werden. Im Christenthum ist das Wahre von der sinnlichen Vorstellung zurückgetreten. der griechische Gott ist an die Anschauung gebunden; in ihm wird die Einheit der menschlichen und göttlichen Natur angeschaut, und die einzig wahrhafte Weise dieser Einheit. diese Einheit ist aber selbst nur sinnlich und ist im Christenthum im Geist und der Wahrheit erfasst; das concrete die Einheit bleibt, aber gefasst auf geistige Weise, die vom Sinnlichen zurücktritt. die Idee hat sich frei für sich gemacht. | damit ist das Sinnliche ein Beiwesen für die sinnliche subjective Idee keine Nothwendigkeit mehr, sondern das Sinnliche wird in seiner Sphäre auch frei. der Character dieser Kunst somit ist das geistige für sich seiende, das subjective, Gemüthliche. In Ansehung des Äusserlichen ist hier eine Gleichgültigkeit eine Willkühr, und ein Abentheuern, das äusserliche dasein ist nicht mehr in absoluter Einheit mit dem Inhalt, sondern das Sinnliche, der Stoff überhaupt ist mehr ein Äusserliches, das erst durch das Gemüth Bedeutung erhält.

c. Auflösung dieser absoluten Einheit oder die romantische Kunst.

Übersicht des besondern Theils. Was nun nach diesem vorausgeschickten allgemeinen Begriff der Gliederung der Kunst in sich, ihren besondern Theil betrifft, so setzt er jene genannten Kunstformen voraus. dieser allgemeine Begriff aber der Kunstformen hat sich zu realisiren, sich zu bestimmen, seine Unterschiede zu setzen, in’s dasein zu treten,

2. Besonderer Theil. Jede dieser 3 Kunstformen particularisirt sich in sich nach den Bestimmtheiten des Begriffs der Kunst.

2 zugleich ein] Kr: dennoch überhaupt, in Beziehung auf ’s Geistige, ein 4–5 die 3te … stellt] Kr: die weitere Kunst stellt sich auf einen höheren Standpunkt hat aber darum nicht die klassische Vollendung 7 von der … zurückgetreten] Kr: aus der sinnlichen darstellung herausgetreten 8 Anschauung] Kr: sinnliche darstellung 8–9 ihm wird … Einheit] Kr: ihr ist das Göttliche eine menschliche Gestalt 11–12 das concrete … ge14 frei] Kr: frei, die Idee 54Kr macht] Kr: die Grundlage dieser ganzen Sphäre | ist der Geist als Geist wird hier nicht mehr gebunden an die sinnliche darstellung 15–19 In Ansehung … erhält] Kr: das Sinnliche und Aeußere wird in ihr mehr willkührlich, zufällig behandelt. Es bekommt seine Bedeutung nur durch das Gemüth, die Innerlichkeit. Hier ist also wieder ein Mangel. / diese drei Sphären, die symbolische, klassische und christliche Kunst, haben wir also im allgemeinen Theil 22–23 genannten Kunstformen] Kr: allgemeinen Kunstformen oder Gat35 näher zu betrachten tungen 23–250,2 dieser allgemeine … aufzeigt] Kr: Sie partikularisiren sich hier, und in dieser 55Kr Besonderung tritt das Kunstwerk aus seinem allgemeinen Begriff näher ins daseyn und ins Be|wußt seyn

Fortschreiten der Kunst über sich selbst.

der geistige Inhalt geht über die Sinnliche Form hinaus dadurch wird das Sinnliche als solches nur Beiwesen und für sich seinerseits auch frei.

25 1 des Inhalts … Gestaltung] Kr: dieser Einheit

20 Übersicht des … Theils. / so Kr; fehlt in Ho

Kr: Vom besondern Theil

250

a. Betrachtung dieser Bestimtheiten auf abstracte Weise. b. die Architectur

c. die Sculptur.

nachschrift hotho · 1823

wo er dann sich nach außen unterscheidend, seine eignen ihm imanenten Unterschiede als an ihm selbst hervortretend aufzeigt. diese aber nun können keine andern sein als die Unterschiede des Begriffs selbst, den sie darstellen, oder die Arten der Kunst haben an ihnen dieselben Bestimmtheiten, als wir an den Gattungen betrachtet haben. Und so wollen wir sie denn auch nach den genannten Unterschieden erst abstract uns zum Bewußtsein bringen und dann sie in ihrer concreteren Gestalt in’s Auge fassen, so wie nach der mechanischen Seite und der abstract sinnlichen nach Raum und Zeit. die erste Weise wie uns dieses sich Bestimmen in sich der allgemeinen Unterschiede der Kunst entgegentritt, oder die unmittelbarste Weise der Realisation derselben, bezieht sich auf die schon angeführte erste Kunstform, die nehmlich, welche wir die symbolische nannten, deren Boden die äußerlichkeit ausmacht, indem die Form ihrer darstellung nur äusserlich an ihren Inhalt kommt, der Gott seiner Gestalt noch nicht einwohnt, sondern sie als eine äußerliche | ihn nicht seiner Bestimmtheit nach ausdrückende hat, da er selbst der concreten Bestimmtheit in sich noch ermangelt. diese erste Realisation der Kunst ist die Architectur. | Die Bedeutung des Inhalts kann in ihr mehr oder weniger das Material oder die Form ihres Ausdruks durch dringen, je bedeutender oder bedeutungsloser, je concreter oder abstracter, je tiefer in sich selbst hin abgestiegen, oder je trüber und oberflächlicher dieser Inhalt selbst ist. Ja diese Kunstform kann selbst bis dahin fortgehn wollen ihren Inhalt ganz seiner Form adaequat zu machen, aber dann ist sie über ihr eigenes Gebiet geschritten, und schwankt zu ihrer höheren Stufe, der Sculptur, hinüber. Und so zeigt sich denn ihrer Natur nach ihre Schranke als diese, das Geistige äußerlich zu haben, und somit auf das Seelenvolle als ein Anderes hinzuweisen. Indem nun aber dieß Seelenvolle, der geistige Inhalt oder der Gott der Kunstform kein Äusserliches mehr ist sondern ihr inwohnt, also Stoff und Gehalt mit seinem Material und seiner Form in absoluter Identität seiend in’s dasein tritt, oder die 2te allgemeine Kunstform, die classische, sich realisirt, und sich bestimmt,

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2–7 diese aber … wie] Kr: diese Gattungen sind die allgemeinen Unterschiede, wodurch sich die- 30 selben bestimmen und von andern unterscheiden. / die allgemeinen Unterschiede treten in den Arten hervor. Sie haben die 3 Seiten: 1, die abstrakte, 2, die concrete und 3, wieder die abstrakte Sinnlichkeit, 8 Zeit] Kr: Zeit. / die abstrakte Weise diese Unterschiede zu betrachten bezieht sich auf die Gattung 13–16 indem die … ermangelt] Kr: da die Form in den Stoff mehr oder weniger eindringen kann, je, nachdem die Bedeutung mehr oder weniger Inhalt hat, so kann ein 35 solches Kunstwerk seinen ganzen Zweck erfüllen, aber auch nur auf ein anderes hinweisen, weil es den Geist nicht vollkommen in sich und die Form nur auf eine äußerliche Weise an sich hat 20–22 Ja diese … und] Kr: Sie kann eine Selbstständigkeit behaupten wollen, aber sie 27 Äusserliches] Äusserlichks

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so haben wir als diese ihre Bestimmtheit die Sculptur. Sie stellt die göttliche Gestalt selbst auf. der Gott wohnt seiner Äusserlichkeit ein, in stiller seliger erstarrter Ruhe. Form und Inhalt sind absolut ein und dasselbe, keine Seite überwiegend, der Inhalt die Form, die Form den Inhalt bestimmend; die Einheit in reiner Allgemeinheit. Aber wir sahen, wie in der dritten allgemeinen Kunstform der romantischen nehmlich, die Innerlichkeit oder der Gehalt der Stoff, Inhalt des Kunstwerks aus der stillen Ruhe, aus der absoluten Einheit mit seiner Form, seinem Material, seiner Äusserlichkeit heraustrat, | und in sich zurückgehend, die Äußerlichkeit frei ließ, welche ihrerseits gleichfalls in sich zurückgeht, und von der Einheit mit dem Inhalt abläßt, ihm gleichgültig und äusserlich wird. die Realisation aber dieser Kunstform ist die Poesie. In ihr gehn Stoff und Form in sich, und particularisiren sich. Nach diesen 3 Seiten nun unterscheidet sich, bestimmt sich jede der 3 allgemeinen Kunstformen in sich, | jede realisirt sich nach diesen 3 Seiten; sie sind die Weisen ihres daseins. Wollen wir dieses dasein nun concreter betrachten, so verwirklicht sich uns der Begriff der Kunst zu einer in sich gegliederten Kunstwelt; eine Welt von Gestalten steigt vor uns auf; Tempel umgeben uns und wölben über uns ihre Kuppel, Götter blicken uns in seliger Ruhe an, von starrem Marmor gefesselt, oder als bunte, farbige Schattenwelt, oder der Gott tönt uns seine Nähe in’s Herz, die wir ahnend empfinden, oder er steigt zu uns nieder, und offenbart sich, indem er sich selber in Worten verkündet. denn den Anfang ihres daseins beginnt diese Götterwelt im äußerlichen grob Materiellen, und bildet sich fort zu einem geistigen und geistigeren dasein. Und so haben wir denn Stufen der Vergeistigung des Inhalts sowohl als des Materials, und den Schluß macht die geistigste Form des Stoffs sowohl als seiner darstellung. – Als die erste Form des daseins der Kunst fanden wir in der abstracten Betrachtung die Architectur. Sie beginnt von der unorganischen Natur, realisirt sich in dieser, die ihr aber, da sie selbst noch abstracten Inhalts ist, äusserlich bleibt, und also statt selbst den Gott

2–5 der Gott … Allgemeinheit] Kr: der Gehalt des Geistigen ist hier in absoluter Identität mit der Form. das Geistige hat hier das Sinnliche ganz durchdrungen, es ist auf eine allgemeine Weise gesetzt. Hier ist göttliche Ruhe, so daß das Kunstwerk gleichsam in sich erstirbt und zum Starren wird 7–9 die Innerlichkeit … heraustrat] Kr: die wahrhafte Einigkeit und stille Harmonie wird 35 hier wieder aufgelößt und die subjektive Seite tritt wieder für sich hervor. das Material geht wieder in sich und tritt aus jener Harmonie heraus 14 Seiten] Kr: abstrakten Grundbestim mungen 17–18 verwirklicht sich … gegliederten] Kr: erscheint uns eine organische 25–27 Und so … darstellung] Kr: die Vergeistigung des Stoffs und Inhalts ist dann das Nächste 28 Architectur über gestr. Sculptur

h. die romantischen Künste.

b. Concretere Betrachtung:

b. der Architectur.

252

c. der Sculptur.

h. die romantischen Künste.

nachschrift hotho · 1823

erscheinen zu laßen auf ihn nur hinweißt. Sie bahnt | ihm den Weg, erbaut ihm den Tempel, sie macht ihm Raum, reinigt ihm den Boden, verarbeitet zu seinem dienst die Äusserlichkeit, daß sie ihm kein Äusserliches mehr bleibe, sondern ihn erscheinen zu laßen, ihn ausdrücken, ihn aufzunehmen fähig sei. Sie giebt Raum für die innerliche Sammlung, und eine Umschließung für die Versammlung des Gesammelten, einen Schutz gegen den drohenden Sturm, gegen Regen und Ungewitter und Thiere. Sie veräußerlicht, offenbart das sich Sammeln wollen. dieß ist die Bestimung der Architectur, diesen Inhalt hat sie zu realisiren. Ihr Material ist die Materie in ihrer groben Äusserlichkeit als mechanische Massen und Schwere. die Formung dieses Materials erscheint als die äusserliche der abstracten Verstandesverhältniße des Symetrischen. So ist denn dem Gott der Tempel erbaut, sein Haus steht fertig, die unorganische Natur ist verarbeitet, und plötzlich durch dringt sie der Blitz der Individualität, der Gott steht in ihr da, sie stellt ihn dar, die Bildsäule steigt im Tempel empor. das Geistige hat sich nun das Material vollkommen angeeignet, die unendliche Form hat sich in die Leiblichkeit concentrirt, die träge Masse sich zur unendlichen Form heraufgebildet. der innerliche Gott ist in die Äusserlichkeit versenkt, die Äußerlichkeit hat sich zum Gotte erinnert und individualisirt, die Äusserlichkeit ist schlechthin Innerlichkeit und die Innerlichkeit schlechthin entäußert. Und hier ist dann das Material nicht mehr gleichgültig, zwar sinnlich aber rein und einfärbig, und nicht in sich gegen die Allgemeinheit seiner Einigkeit mit dem Inhalt particularisirt. – dieß ist die Bestimung der Sculptur. | die dritte Form aber, in welcher uns das dasein der allgemeinen Kunstformen entgegentrat, war die Realisirung der romantischen Kunst. die Architectur hat ihr den Tempel erbaut, der Hand der Sculptur ist der Gott entstiegen, und gegen

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1–2 Sie bahnt … Tempel] Kr: die Erbauung eines Tempels ist das Erste zum Gottesdienst; dieser ist ein Umschließendes für den Gott 2 reinigt] Kr: geebnet 2–3 verarbeitet zu … Äusserlichkeit] Kr: man arbeitet sich aus der Aeußerlichkeit heraus 7–8 Sie veräußerlicht, … wollen] Kr: durch diese Umschließung wird bezeichnet, man wolle sich sammeln und versammlet sich 10–11 die äusserliche … abstracten] Kr: nur äußerliche 11 des Symetrischen] Kr: das Geradli- 30 nigte, Symetrische 11–13 So ist … Individualität,] Kr: In solchen Tempel kann dann der Gott eintreten. die Aeußerlichkeit ist hier | nicht blos äußerlich arrangirt, sondern durchdrungen vom 58Kr Blitze der Individualität und Subjektivität. 20–22 rein und … particularisirt] Kr: er soll rein seyn; die Einfarbigkeit ist hier nothwendig, denn die Leiblichkeit wird noch nicht frei gelassen 23–253,3 die dritte … auf ] Kr: das 3te ist die Materie. Sie liegt im Prinzip der christli- 35 chen Kunst. In der Kapelle, der Kirche, im Dom ist das Bild auf dem Altar. dem einfachen Bilde aber gehört die Gemeinde gegenüber, überhaupt das Subjektive, sowohl dem Stoff als dem Gehalte nach. dem Gehalt nach tritt hier die besondere Geistigkeit, der Geist in seiner Partikularität ein 10 Formung über gestr. darstellg; Kr: Formen 25 der1] davor gestr: unter

24 war] folgt ein Abstand von etwa einer Wortlänge 40

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ihm über steht jetzt in den weiten Räumen seines Hauses die Gemeinde, gegen die allgemeine Einheit des Inhalts und der Form tritt die Vereinzlung, die subjectivität, Particularisation beider Seiten auf. die Gemeinde ist der seiner unmittelbaren Versenktheit in die Äusserlichkeit entnommene und in sich zurückgekehrte Gott, der Gott ist nicht dieß Eine mehr wie in der Bildsäule, sondern die Einheit bricht, und wird in die unbestimmte Vielheit der subjectivität zerschlagen. Und so wird denn statt dieses Inhalts des Einen, der Stoff jetzt die subjective Besonderheit der Gefühle, der Handlungen, die Manigfaltigkeit der lebendigen Bewegung der Individualität mit ihren Thaten und ihrem Wollen und Unterlassen. | Anderseits wird das Material ebenso zersplittert, besondert sich auf gleiche Weise und wird eben so individuell. Es ist hier nicht mehr das Massenhafte wie in der Architectur, nicht mehr der abstracte einfache Schein des Sinnlichen, zu welchem die Sculptur diese Massen verarbeitet, sondern es ist der in sich besonderte und subjectiv gewordene Stoff, der hier in seiner subjectivität in Betracht kommt, und nur als subjectiver Bedeutung erhält. Und somit kömmt hier eine viel höhere Einheit von Inhalt und Form zu Stande, denn dem in sich subjectivirten Inhalt dient hier der particularisirte Stoff zum Ausdruk; das Besondere stellt sich im Besondern dar. | der Gehalt nimmt die Weise des Materials, dieses die Weise des Gehaltes an. diese innigere Einheit jedoch tritt selbst auf die subjective Seite und kommt nur, indem Form und Inhalt sich besondern, auf Kosten der objectiven Allgemeinheit zu Stande. das Nähere nun ist, daß diese dritte Weise des daseins der Kunstform sich selbst wieder als ein dreifach in sich Gegliedertes darstellt. die erste Gestalt dieses daseins gebraucht zum Material ihrer Verwirklichung die Sichtbarkeit überhaupt, die Sichtbarkeit als solche. das Material der Sculptur und Architectur ist gleichfalls ein Sichtbares, aber nicht die abstracte Sichtbarkeit. Diese ist hier das Mittel der darstellung, und zwar nicht als abstracte Sichtbarkeit bleibend, sondern insofern sie ist dasein der Besonderheit, subjectiv an ihr selbst

6 bricht] Kr: bricht sich in der Besonderheit 8–10 die Manigfaltigkeit … Unterlassen] Kr: über10 zersplittert] Kr: ein Subjektives 11–12 Es ist … Massenhafte] Kr: die schwere Materie überhaupt wird hier nicht mehr angewendet 16 hier] Kr: in diesem 3ten Prinzip Einheit] Kr: Vereinigung und Innigkeit Form] Kr: Gestalt und Material 16–17 dem in … Ausdruk] Kr: die Besonderheit des Materials wird hier gebraucht für den Ausdruck des Innern 18–19 die Weise … an] Kr: sich ein ihm entsprechendes Material 22–23 sich selbst … 35 darstellt] Kr: ist hier erst abstrakt gefasst. In seiner concreten Gestaltung enthält es 3 Kunstweisen 25 die Sichtbarkeit … solche] Kr: dieses Abstrakte 28–254,1 subjectiv an … Sichtbarkeit] Kr: die Sichtbarkeit die an sich selbst ihre Unterschiede hat

30 haupt die unendliche Natur

2 allgemeine] davor gestr: Allght 4 Versenktheit in die Äusserlichkeit] in die Äusserlichkt Versenktht 12 Architectur] davor gestr: Sculptur 17 particularisirte] particalirisirte

die Art und Weise des daseins dieser Kunstform ist wieder dreifach: A. die Mahlerei.

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B. die Musik.

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besonderte Sichtbarkeit werdend, d.h. näher: sich zur Farbe bestimmend. Als Licht nehmlich, das an ihm selbst die Bestimung des dunkels hat, und sich mit diesem Specifisch eint und besondert. | diese in sich bestimmte und subjectivirte Sichtbarkeit bedarf nicht mehr weder des abstract mechanischen Massenunterschiedes der Architectur, noch der Figur als des räumlich Materiellen in der Bestimmtheit seiner 3 Dimensionen, wie es die Sculptur zum Material hat, sondern sie hat ihren ideellern Unterschied an ihr selbst als die Besonderheit der Farben. die Kunst also befreit sich hier von dem vollständig Materiellen, und wird so für den abstract ideellen Sinn des Gesichts. Auf der andern Seite gewinnt auch der Inhalt die weiteste Ausdehnung der Particu larisation; was in der Menschenbrust Raum hat, was sie zur That gestaltet, all dieses Vielfache ist hier der bunte Stoff. Alle Arten des Gefühls, das ganze Reich der Besonderheit hat | hier seine Stelle. Ja auch Naturformen können hier auftreten, insofern irgend eine Anspielung auf ein Geistiges, sie dem Gedanken näher verbindet. die ganze Gestalt aber dieses daseins der Kunstform ist die Mahlerei. Ein zweites Material nun, durch das sich die Form des Romantischen verwirklicht, geht, obgleich ein Sinnliches, doch zu noch tieferer subjectivität fort. Schon die Farbe nannten wir eine Art der Subjectivirung. diese tiefere aber, die wir jetzt vor uns haben, besteht darin, das gleichgültige Außereinander des Raums, welches die Farbe noch hatte bestehn laßen, gleichfalls aufzuheben, und in das Eins des Punktes zu idealisiren. Als dieses Auf heben ist der Punkt aber ein Concretes, und diese Bestimmtheit in sich besteht als die beginnende Idealität der Räumlichkeit in der Bewegung, dem Erzittern der Materie in sich, in dem Verhalten ihrer zu sich selbst, im Ton, der für den zweiten ideellen Sinn für das Gehör ist. die abstracte Sichtbarkeit setzt sich in die abstracte Hörbarkeit um, die eigene Dialektik des Raums treibt sich in die Zeit fort, in dieses negative Sinnliche, welches indem es ist nicht ist, und in seinem Nichtsein schon sein Sein wieder producirt, und somit das rastlose sich Auf heben, und in seinem Aufheben Hervorgehn seiner ist. dieses Material der abstracten Innigkeit ist das

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2–3 sich mit … besondert] Kr: beide mit ihren concreten Unterschieden den Farben 3–4 subjectivirte] Kr: in sich unterschieden 8–9 dem vollständig Materiellen] Kr: der mechanischen Materie 10–13 Particularisation; was … Besonderheit] Kr: Partikularität: menschliche Tugenden, Handlungen, Gefühle, Leidenschaften, Jede Partikularisation des menschlichen Gemüths 14–15 insofern irgend … verbindet] Kr: die aber stets in Beziehung stehen muß auf 35 Empfindung oder auf den Gedanken des Geistes 20–21 gleichgültige Außereinander … Raums] Kr: abstrakte Nebeneinander der Fläche 22–24 Als dieses … Bewegung] Kr: dieses ganz subjektiv Sinnliche ist der concrete Punkt, das Negiren des Außereinander. Es hat | den Unterschied nur 61Kr als Bewegung in sich 26 die abstracte Sichtbarkeit] Kr: das Material

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unmittelbare Medium der in sich selbst gleichfalls unbestimmten Empfindung, die zur festen Insichbestimmtheit ihrer noch nicht hat fortzugehn vermocht. die Musik drückt nur das Klingen und Verklingen der Empfindung aus und bildet den Mittelpunkt der subjectiven Kunst, den durchgangspunkt der abstracten Sinnlichkeit zur abstracten Geistigkeit. In sich selbst hat die Musik ihrem Material nach ein verständiges Verhältniß wie die Architectur, und ist überhaupt abstract ausgedrükt, die Kunst der abstracten geistigen | Innigkeit, der Empfindung. Was nun die letzte geistigste darstellung der romantischen Kunstform anbetrifft, so besteht ihr Characteristisches darin, daß das sinnliche Element, dessen Befreiung im Ton schon begann, hier ganz sich vergeistigt hat, und der Ton nicht mehr das Erklingen der Empfindung selbst ist, sondern zum bloßen für sich gehaltlosen Zeichen herabgesetzt wird, und zwar nicht des unbestimmten Empfindens, sondern der in sich concret gewordenen Vorstellung. der Ton, früher ein abstract bestimungsloses Klingen, wird zum Wort, zum articulirten, in sich bestimten Ton, dessen Sinn ist, Vorstellungen, Gedanken auszudrücken, | Zeichen eines geistigen Innern zu werden. das in der Musik noch mit der Empfindung vereinte sinnliche Element wird hier vom Gehalt als solchem abgetrennt, während das Geistige sich für sich und in sich selbst zur Vorstellung bestimmt, deren Ausdruck das für sich selbst werthlose und bedeutungslose Zeichen sein soll. der Ton kann demnach ebensogut Buchstabe sein, denn das Sichtbare und Hörbare ist hier gemeinsam zum bloßen Zeichen des Geistes herabgesetzt – dieß dasein der Kunst ist näher dieses, wie wir es in der Poesie im engeren Sinne finden. Sie ist die allgemeine, die allumfassende Kunst, die zur höchsten Vergeistigung gestiegene. denn in ihr ist der Geist frei in sich selbst, hat sich vom bloß sinnlichen Material losgerissen und es zum Zeichen seiner heruntergesetzt. das Zeichen ist hier kein Symbol, sondern gänzlich gleichgültiges und werthloses Zeichen, über welches der Geist die bestimmende Macht ist. In dieser höchsten Stufe aber steigt die Kunst über sich selbst hinaus, und wird zur Prosa, zum Gedanken.

1 unbestimmten] Kr: noch unbestimmten, inhaltslosen 2–3 die Musik drückt] Kr: die subjektivste Kunst ist also die Musik. / Sie drückt keine Gedanken, sondern 6 ein verständiges … Architectur] Kr: nur die Bewegung, die Verhältnisse der Töne aus, ähnlich den Verhältnissen der Architektur 15 Wort] Kr: Wort, und die 3te Kunst ist die der Rede 21 der Ton] Kr: dies sinn21–22 das Sichtbare … Geistes] Kr: werden 35 liche Zeichen kann nun auch sichtbar werden und hier 2 Prinzipien der vorhergehenden Künste zu Momenten 28 über welches … ist] Kr: die Macht des Geistigen setzt hier das Sinnliche herunter und braucht es als Mittel 2 vermocht] vermögen

C. die Poesie.

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c. Betrachtung nach der abstract sinnlichen Seite von Raum & Zeit. b. die Architectur nimmt zum Material ihres daseins den Raum nach seinen 3 Dimensionen. c. die Sculptur gebraucht die 3 Dimensionen in organischer Figuration, der eine Seele einwohnt, die sie bestimmt. h. die romantischen Künste. A. die Mahlerei bedient sich des abstracten Raums, der Fläche und ihrer Figurationen. B. die Tonkunst des abstract negativen Raums; der Zeit C. die Poesie der absoluten Negativität von Raum und Zeit. Beziehung der allgemeinen Kunstformen auf die besondern Künste: a. die symbolische Kunst findet ihre größte Anwendung in der Architectur.

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dieß nun also wäre die allgemeine darstellung des daseins der Kunstformen, welche sich verwirklichen: als Architectur, Sculptur und in den subjectiven Künsten. | Wir hätten jetzt nur noch der mechanischen Weise dieses daseins zu erwähnen. Was die abstract sinnliche Seite anbetrifft, so besteht sie als das Verhältniss des Raums und der Zeit, als die abstraction des Sinnlichen. Raum und Zeit sind die allgemeinen Formen des Sinnlichen, das wodurch alles was sinnlich ist, sinnlich ist, die allgemeine Abstraction des Sinnlichen überhaupt. Nach dieser Seite nimmt die Architectur den Raum in seinen 3 Dimensionen zum Material der darstellung, und zwar so, daß die Grenzbestimungen dieses Raums, Winkel, Flächen, Linien dem Verstande angehören & regelmässig sind. die einfachen Cristallisationen sind hier die Formen, der Geist, die Seele selbst lebt in diesen Formen noch nicht; die Pyramide hat nur einen abgeschiednen Geist in sich. – Was die Sculptur anbetrifft so hat sie den ganzen Raum | in organischer Figuration, von Innen heraus bestimmt. – das dritte waren die romantischen Künste. In ihnen fängt der abstracte Raum, das Subjectivwerden der Äusserlichkeit an. die Mahlerei hat es bloß mit der Fläche zu thun, und ihren Figurationen. dieser abstracte Raum geht dann vollends zum Punkt, der Zeitpunkt wird zurück, zur negativen Sinnlichkeit, zum Aussereinander, das ebenso das Negiren dieses Aussereinanders ist. diß sinnliche Element der Zeit gehört der Musik an. das dritte ist die Zeit, der Punkt gleichfalls, aber so, daß er sich nicht als formelle Negativität zeigt, sondern als vollkommen concrete, als Punkt des Geistes, als das denkende subject, das in sich den unendlichen Raum der Vorstellung mit der Zeit des Tons verbindet – So gehören die besondern Bestimmungen der abstracten Äußerlichkeit auch den besondern Künsten an. Und dieß dann wäre die Uebersicht des Ganzen, dessen besondre Theile wir jetzt betrachten werden. Von der Beziehung der besondern Künste auf die allgemeinen Kunstformen kann man noch bemerken, daß die symbolische Kunst ihre grösste | Anwendung in der Architectur hat, | wo sie vollständig wird, noch nicht heruntertritt zur unorganischen Natur

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1–2 nun also … verwirklichen] Kr: ist der Ueberblick über die besondern Künste die wir nun dar- 30 zustellen haben 11 dem Verstande … sind] Kr: die Regelmäßigkeit des Verstandes haben 12–13 selbst lebt … sich] Kr: sind selbst noch nicht in diesen Begrenzungen; sie weisen vielmehr noch auf den Geist, als auf ein Andres, hin 17 Figurationen] Kr: Figurationen in der ebenen Fläche. Sie gehört zur subjektiven Seite 19–20 das ebenso … ist] Kr: und dieser Zeitpunkt selbst ist fließend 20–21 das dritte … die] Kr: die Poesie, oder die Kunst der Rede enthält eben so die 35 Bestimmung des sinnlichen Elements, der 24 abstracten] Kr: Sinnlichkeit der abstrakten 28 Anwendung] Kr: Auszeichnung 4 dieses daseins über der Zeile mit Einfügungszeichen 12 lebt über gestr. ist

10 Winkel, über der Zeile mit Einfügungszeichen

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eines andern. In der classischen Kunst ist die Sculptur das Unbedingte, und die Architectur tritt bei ihr bloß als umschliessendes auf. der romantischen Kunst gehören Mahlerei und Musik besonders an, die hier selbstständig und unbedingt wird. die 3te Kunst des romantischen, die sich zur Objectivität in sich vollendet gehört zu allem und geht durch alle 3 Kunstformen durch, giebt sich diese unendliche Ausdehnung. Jeder Kunstform hängt sie an, bildet sich in jeder aus und zwar selbstständig für sich.

Wozu wir jetzt übergehn ist:

10 1 das Unbedingte] Kr: ihre größte Eigenthümlichkeit

subjektiven Künste, besonders Musik und Malerei tarisch

3 Mahlerei und … besonders] Kr: die selbstständig und unbedingt] Kr: frei, elemen-

b. die classische in der Sculptur. c. der romantischen Kunst gehören Mahlerei und Musik an. die Poesie zieht sich durch alle Kunstformen.

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Allgemeiner Theil. Erster Abschnitt. I. die Idee des Schönen.

1. das Schöne überhaupt. das Schöne ist selbst die Idee und zwar als unmittelbar existirende.

diese unmittelbare Existenz der Idee ist das Lebendige überhaupt; das Lebendige also ist das Schöne. die Idee überhaupt ist die Concrete Einheit des Begriffs und seiner Realität als zweier in sich vollendeten Totalitäten.

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der Allgemeine Theil.

die erste Abtheilung betrifft die Idee des Schönen. diese Idee des schönen ist selbst dreifach in sich gegliedert als: 1. das Schöne überhaupt 2. die Besonderung dieses allgemeinen Schönen, indem es sich zum Kunstschönen particularisirt, das Kunstschöne nehmlich erst ist das eigentlich Schöne, es ist im allgemeinen das Ideal überhaupt. 3. das dasein oder die darstellung des Ideals, oder die Vereinzlung, Verwirklichung des Ideals.

d a s Schöne überhaupt Wir nannten das Schöne die Idee des Schönen. darüber ist zu sagen, daß das Schöne selbst die Idee sei und zwar in einer bestimmten Form. Zur Idee im Allgemeinen gehört der Begriff, die Realität des Begriffs und die Einheit des Begriffs und seiner Realität. Idee also ist nicht der Begriff, und kein blosser unreeller Gedanke. | Was nun die Idee ihrer Natur nach als natürlich Lebendiges überhaupt betrifft, oder das Schöne überhaupt, so fällt das Schöne mit dem Lebendigen zusammen. die Idee ist Einheit des Begriffs und der Realität, die concrete Uebereinstimmung dieser beiden Seiten. Sie ist nach beiden Seiten ein Ganzes, und die Einheit dieser Totalitäten; die Idee also in sich selbst ist diese Verdoppelung ihrer selbst, die aber wieder keine bloß formelle ist sondern eine in sich concrete. Was die Natur des Begriffs als solchen anbetrifft, so ist er sehr von blossen Gedanken, blossen Reflexionen unterschieden. das denken ist die einfa-

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2 die Idee … Schönen] Kr: 1, die Idee des Schönen; 2, die allgemeinen Kunstformen 4 überhaupt] Kr: überhaupt, der abstrakte Begriff desselben. 6 particularisirt] Kr: bestimmt, unterschieden vom Naturschönen 8–9 das dasein … Ideals] Kr: folgt, daß das Ideal, die Seite der 25 Einzelheit, der Verwirklichung | an sich hat, die darstellung des Ideals 14–15 Idee also … Ge- 65Kr danke] Kr: Man nennt auch den Begriff Idee, auch eine Vorstellung; hier aber wird Begriff und Idee im bestimmten, wissenschaftlichen Sinn genommen und gebraucht 19 die Einheit … Totalitäten;] Kr: man kann sie so nach diesen beiden Seiten ansehen, und nicht nur wir können dies, sondern 20–21 eine in … concrete] Kr: der Inhalt ist auf jeder Seite ein und derselbe 22 das] 30 Kr: der Gedanke ist 20–21 sondern eine … concrete über der Zeile mit Einfügungszeichen

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che | Beziehung auf sich selbst, und für sich selbst, also nicht die abstracte Sichselbstgleichheit des Lichts, sondern das Fürsichsein als concretes, die Zurücknahme des Aussersichgehns als Keines unendlich Räumlichen, sondern das denken ist das Punktuelle, in seinem Außersichsein schlechthin bei sich zu sein. der Begriff ist dieselbe absolute Einheit aber verschiedener Bestimmungen. diß ist sein abstracter Begriff, daß seine Unterschiede in dieser Einheit gehalten sind, also ideal sind, kein selbstständiges Bestehn gegeneinander haben. Nehmen wir hierüber Beispiele: ZB. das Gold, so hat dieses Specifische Schwere, als Unterscheidung von andern Metallen, hat eine bestimmte Farbe, ein besondres Verhältniß zu Säuren. diß sind unterschiedne Bestimungen; schlechthin aber in Einem. Jedes Stükchen Gold hat sie in Einheit und dieß untrennbar. Jedes feinste Theilchen hat diese Bestimungen in einer Einheit. dieß ist die ideelle Einheit, daß sie nicht dazu kommen, selbstständig zu existirn. Für uns treten diese Unterschiede aussereinander, an sich aber sind sie in ideeller, ungetrennter und untrennbarer Einheit. Und von ebensolcher Einheit sind die Unterschiede des Begriffs. Nehmen wir als andres Beispiel | unsern Geist, so ist er der reine Begriff an und für sich. Bleiben wir näher dabei stehn, daß der Geist vorstellend ist, so bin ich der Vorstellende, und alle die tausendfachen unterschiednen Vorstellungen, sind in diesen Punkt des Ich zusammengedrängt, in dieß schlechthin Einfache. Sie haben also kein selbstständiges Bestehn für sich, sondern sind rein ideell. dieß also ist die Natur des Begriffs überhaupt, die ungetrennte Einheit der Unterschiedenheit zu sein, die als solche nicht existirt, zu dieser Selbstständigkeit nicht gekommen ist. Betrachten wir aber anderseits die Seite der Realität des Begriffs, so ist in ihr der Begriff unmittelbar existirend. ZB. im Golde ist der Begriff unmittelbar geworden, und die Realität unmittelbar der Begriff. die Manigfaltigkeit dieses Seins des Begriffs ist dabei eine bloß formelle Vielheit, denn jedes Stückchen der Realität ist die Existenz des ganzen Begriffs. Es kommt hier also auch zu einer Vielheit, die aber die abstracte Vielheit ist, deren Vieles von vollkommen gleicher Natur scheint, und nur abstract unterschieden. In höheren

30 1 selbst 2 ] Kr: selbst, diese Reinheit, diese Klarheit

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2–4 sondern das … sein] Kr: das Licht ist auch diese Einheit, die aber aus sich herausgeht. das Ich nur ist das Licht, das für sich ist 5 dieselbe absolute … Bestimmungen] Kr: mehr, als diese formelle Einheit des denkens: er ist Einheit absolut Unterschiedener 11 untrennbar] Kr: untrennbar in jedem Punkt 15–16 Und von … Begriffs] Kr: dies ist die Natur des Begriffs: Einheit von Unterschiedenem 18–19 der Vorstellende, … Vorstellungen] Kr: das Atom, welches die grösste | Menge verschiedener Vorstellungen hat 25 geworden] Kr: in die Realität gefallen 27 die Existenz … Begriffs] Kr: das ganze Gold 28 einer] Kr: einem Unterschiede, aber nur zu einem formellen, der

3–4 das denken ist über der Zeile mit Einfügungszeichen 11 Stükchen Lesung unsicher 26 dieses Seins … dabei] (1) dabei ist (2) (diess Seins d. Begriffs ist über der Zeile mit Einfügungszeichen) dabei 27 Stückchen so Kr; Ho: Sths Lesung unsicher 40 (ist gestr.)

a. der Begriff als solcher ist die ideelle Einheit des in sich Unterschiedenseins.

Einige Beispiele dieser ideellen Einheit der Unterschiede

b. die Realität ist die unmittelbare Existenz der im Begriff ideellen Momente. Auf untern Stufen der Existenz haben die Begriffsmomente keine selbstständige Existenz gegeneinander

260 Auf höhern Stufen aber existiren die Momente selbstständig.

dadurch werden diese Existenzen des Begriffs zu einem System wie ZB. dem Sonnensystem Nicht nur das Moment des Unterschieds des Begriffs kommt zur Existenz sondern auch der Begriff | als solcher im Gegensatz gegen seine Unterschiedenheit. So ist im Sonnensystem die Sonne die Existenz des Begriffs als solchen. dieser Existenz gegenüber steht die des Unterschieds als solchen des Begriffs. c. diese Existenzen der Begriffsmomente werden auch in ihrer Realität in die Einheit des Begriffs Zusammengenommen und existirn so als Glieder eines Ganzen. diese Einheit ist die Idee des Lebendigen

nachschrift hotho · 1823

Naturen aber existiren die Unterschiede selbstständig ein jeder besteht ausser dem Andern, und dieß Aussereinander der Unterschiede des Begriffs zu sein ist die Natur der Realität. Im Gold treten die Unterschiede nicht aussereinander; jedes Theilchen ist das Ganze. In höhern Naturen erst tritt die Unterschiedenheit als besondere Existenz auf. diese höhern Naturen werden dadurch zu einem Systeme wie ZB. das Sonnensystem. In diesem sind die Sonne, die Trabanten und Planeten selbstständige verschiedene, während sie im Begriff des Sonnensystems in ideeller Einheit sind[.] Zweitens nun gewinnen in der Realität nicht nur die Unterschiede des Begriffs Existenz, sondern dieß Aussereinander, die Realität als solche unterscheidet sich vom Begriff als solchem; | der Unterschied also tritt ferner als Unterschied der Realität als des existirenden Unterschieds der Äusserlichkeit, gegen die ideelle Totalität des Begriffs auf. ZB. im Sonnensystem ist die Sonne der Begriff, dem gegenüber wir als die Realität die übrigen Körper setzen. dieser Unterschied also der Innerlichkeit des Begriffs gegen seine Äusserlichkeit tritt ein. – drittens nun gehört zum Begriff und der Realität, daß diese | real Verschiedenen, die Realität nehmlich des Unterschieds als solchen und des Begriffs als solchen selbst zurükgenommen in die Einheit werden, daß ein Solches Ganzes, das als Aussereinander existirt, in die Einheit zurükgekehrt ist, die Sonne mit ihren Körpern in Einheit zurückgenommen ist. Sie hängen zusammen durch ihr Gesetz, das als solches aber nicht Existenz hat. Jedoch die verschiedenen Körper der Realität stehn in physischem Zusammenhange und dadurch wird die Existenz der Realität individuelle, und die in dieser Beziehung heissen die einzelnen Selbstständigkeiten des Begriffs nicht Theile sondern Glieder d.h. sie sind nicht abgesondert existirende, sondern haben nur Existenz als in dieser Einheit seiend. Sie sind Glieder eines organischen Ganzen, in welchem seiend sie allein Wahrheit haben. Es wohnt in den Gliedern die Begriffseinheit, diese ist

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1–3 aber existiren … Realität] Kr: tritt dann das Bestehen der besonderen Bestimmungen ein. Realität heißt da: Bestehen der Unterschiede. der Begriff ist das Spröde, das alle Unterschiede als ideell enthält. In der Realität aber treten hier die Unterschiede | auseinander 5 dadurch] Kr: 68Kr durch ihre Realität, wo die Unterschiede des Begriffs für sich werden 6–8 In diesem … sind] 30 Kr: da sind Sonne, Planeten, Trabanten. der Begriff des Sonnensystems enthält diese Bestimmungen ideell in Einem zusammen; in der Realität aber treten sie als einzelne Körper hervor, sie gewinnen ein besonderes Bestehen gegeneinander 10–12 der Unterschied … auf ] Kr: Es theilt sich das Ganze also in seine Begriffsbestimmung und in seine Realität, – die Innerlichkeit des Begriffs gegen diese Mannichfaltigkeit, in die er zerfallen ist 18–23 die Sonne … Begriffs] Kr: 35 oder daß die Sonne mit ihren Körpern, die nur räumlich sich verhalten, nicht in realer physischer Verbindung stehen, durch ihr Gesetz zusammenhängen, daß die Sonne in ihren Gliedern existire, oder daß die Existenz des ganzen Systems individuell ist. So heißen dann die einzelnen Körper 16–17 nehmlich des … solchen] (1) also als Solche, u d Untrschd ds Begiffs u d Realität (2) (nehmlich über gestr. also als Solche, u) (des aus d) (Untrschds aus Untrschd) (als solchen u über der Zeile mit 40 Einfügungszeichen) ds Begiffs (als solchen über gestr. d Realität) 18 Aussereinander über gestr. Idee

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ihre Substanz, ihr Träger, ihre Seele, ihr Immanentes, dieß sind die Bestimungen eines Lebendigen, und solches Lebendiges ist die Idee. Jedes Leben ist die Idee, die Philosophie betrachtet das Sonnensystem auch als Idee, aber diese Einheit der Idee existirt in den Körpern nicht äusserlich, sondern ist das Innre dieser Körper. die Idee in den Naturkörpern kommt nur im Gedanken zur Existenz, in der Natur kommt nur ihr Aussereinander | zur Existenz. In der lebendigen Natur kommt also die Idee als Individualität, als subject, als Eins zu Stande, existirt als ein Individuum. diß sind die abstracten Bestimungen des Lebendigen überhaupt. Wir haben nun den Begriff des Lebens so bestimmt, daß er sei: Aussereinandersein der Theile, und Idealität, negative Einheit dieses Außereinanders, das nur ein Scheinen ist des subsistirens. dasjenige was nun zu betrachten ist betrifft das woran, an welchem man das dasein dieser Idealität in einem Individuum erkennt, oder wodurch das Individuum als subjective Einheit sich Kund giebt, als ein Gegliedertes; oder wir haben zu fragen: woran erkennt sich die Idealität der Unterschiede, die zu existiren scheinen? diese Idealität stellt uns das Lebendige dar; es hat eine Seele, einen Begriff, der dasein, Körperlichkeit hat, und zwar nicht als ein Beharrendes, Feststehendes, von Aussen Verandertes; sondern diese Körperlichkeit wird immer ideell, immer als ein Schein gesetzt; diese Körperlichkeit, also die so immer als ideelles gesetzt wird zeigt sich als Idealismus der Lebendigkeit, als objectiver Idealismus. dieser erscheint so, daß ein Lebendiges ein Individuum ist, Glieder hat, Materialität, die aber im fortgehenden Proceß ist, im steten Vergehn und Entstehen; der Organismus setzt sich in der einen Seite, in den Knochen auch als Todtsein, als Ruhe, aber im Ganzen ist er immer Proceß. Ausser in den Knochen bleibt im Lebendigen in keinem | Gliede das substantielle dasselbe, sondern bringt sich immer sich zerstörend hervor, secernirt sich, verwandelt sich in sich selbst; jeder Theil schliesst sich aus, erhält sich auf Kosten des Andern; es ist ein beständiges Werden; und dieß Werden ist die Idealität dieses Seienden. der Raum, das Raumliche als solches, ist kein

2–3 Jedes Leben … Idee1] Kr: das Leben ist die existirende Idee 3–4 Einheit der Idee] Kr: Ein70Kr heit, wie sie in der Betrachtung | vorkommt, 15–16 Unterschiede, die … dasein] Kr: Theile, oder wodurch giebt sich das Individuum als Einheit dieser Theile kund, oder woran erkennt sich die Idealität von Unterschiedenem? / das Lebendige ist idealistisch, es ist Begriff, eine Seele, die real ist 17 ein Beharrendes, Feststehendes] Kr: ruhende 18 wird] Kr: wird vom Begriff verwandelt, sie wird 22–24 setzt sich … Proceß] Kr: hat auch an sich sein Todtes, Festes, sein Kno26 secernirt sich] Kr: verdaut immer sich selbst, ein 35 chengerüste; aber dies ist nur die eine Seite Glied verdaut das andre 28–262,4 der Raum, … zeigt] Kr: Von physikalisch Materiellem ist nur zu sagen, es bestehe, aber das Räumliche ist in ewiger Veränderung. / diese Idealität hat darin ihren Grund, daß das Subjekt diese Nichtigkeit seiner Körperlichkeit immer bewährt 1 ihr2 ] ihre

12 an welchem über der Zeile mit Einfügungszeichen

40 Einfügungszeichen

28 als solches über der Zeile mit

die Idee als solche kommt aber im Natürlichen nicht zur äussern Existenz, sondern bleibt die innre immanente Seele. Ihr wahrhaftes dasein hat sie im Gedanken. Im Lebendigen hat sie nur eine unmittelbare Existenz als natürliches Individuum In diesem ist die ideelle Einheit das Substantielle, und die Selbstständigkeit der Unterschiede nur Schein.

diese seiende Idealität zeigt sich im Lebendigen dadurch, daß es sich in sich und durch sich verandert und verwandelt und die Selbstständigkeit seiner Glieder als Schein setzt. das Lebendige somit kann objectiver Idealismus genannt werden.

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dieses zum Schein Herabgesetztwerden der selbstständigen Unterschiede wächst mit der höhern Stufe der Lebendigkeit. diese Idealität zeigt sich ferner in der Selbstbewegung.

In diesem zum Schein Heruntersetzen der Selbständigen Unterschiede kommt der Idealismus selbst zur Erscheinung.

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lebendiges concretes Sein, ein blosses abstractes Sein. denn das Ideelle besondert nicht, sondern ist absolute Negativität, Idealität, die in dieser subjectiven Einheit ihren Grund hat, und die Nichtigkeit seines körperlichen Bestehens immer setzt, sich immer als Erscheinung zeigt. | Und der Proceß steigt mit der Höhe des Lebendigen; die organische Einheit also besteht als Idealität des äussern Bestehens der Unterschiede, und ist dadurch subjective, negative Einheit des gleichgültigen, materiellen Bestehens; negative Einheit des Realen Materiellen, d.h. Setzen desselben als Ideelles. diß ist die Hauptseite, nach welcher die Idealität vorhanden ist, daß das lebendige Subject das natürliche Bestehn seiner Theile zum Schein herabsetzt. Es gehört nun hieher wesentlich die Selbstbewegung, die locomotion. das Eins, als das Sinnliche, ist im Raum, hat einen bestimmten Raum, aber es zeigt sich kein solch bloß äußerlich sinnliches Eins, am Raum gebunden zu sein, sondern es ist Negativsetzen des äusserlichen Einsseins, constituirt seine Innerlichkeit durch Negation der Äusserlichkeit des Eins. die Selbstbewegung ist die fortgesetzte Befreiung vom Ort, von dem sinnlichen Einssein. das sinnliche Eins wird also immer zum Schein herabgesetzt. Indem das Eins an ihm selbst nun ein raumliches Eins ist, eine Gestalt hat, so bewegt es sich in seinen Gliedern und ist desto lebendiger, je mehr diese Glieder sich den Ort zu verändern vermögen. dieß also ist die Weise, wie das Ideelle, sein concretes, materielles dasein zum Schein heruntersetzt. Wir können nur sagen, dieser Idealismus sei ein objectiver Idealismus, das Ideelle m a c h t sich scheinen, macht seine materielle Existenz immer zum Scheinen, und dadurch e r s c h e i n t seine eigene Freiheit, seine Idealität. dieser objective Idealismus also macht scheinen die materielle Existenz; oder wir könnten sagen: er sei ein practischer Idealismus, ein zweckmässiges Thun eine Wirksamkeit der Theile, welche diß Eins hervorbringt, welches diß Eins nur ist als fortdauerndes Herabsetzen des Materiellen Eins zur Erscheinung. dadurch er-

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7–8 Einheit des … Ideelles] Kr: Einheit, die Subjektivität, die Idealität des Lebendigen 11 das1] Kr: das Lebendige ist 12 Raum gebunden … sein] Kr: bestimmten Ort 13 Negativsetzen des … Einsseins] Kr: innerliches Eins 14–15 ist die fortgesetzte] Kr: ist, sich immer als innerliches Eins zu constituiren | gegen sein äußerliches Eins, eine 15–20 das sinnliche … herunter- 72Kr setzt] Kr: das Lebendige macht das Sinnliche seines Eins, den Ort, zu einem Schein. Insofern es ein innerlich Ausgebreitetes ist, so sind an ihm die räumlichen Bestimmungen seiner Gestalt veränderlich, nicht dieselbe Bestimmung der äußern Sinnlichkeit behaltend. dies ist die Bewegung 22 Freiheit, seine Idealität] Kr: subjektive Macht, Beherrschung seines sinnlichen Seyns 23 dieser objective Idealismus] Kr: diese objektive Idealität 35 1 lebendiges über der Zeile mit Einfügungszeichen 6 der Unterschiede über der Zeile mit Einfügungszeichen 9 lebendige] lebengde 18 den Ort … vermögen] (den Ort zu über der Zeile mit Einfügungszeichen) verendern (vermögen über der Zeile) 21 materielle] davor gestr: ideelle; Kr: materielle

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hält sich das Ideelle, läßt seine Theile nicht bestehn, denn es ist nur als Aufgehobenheit der Ruhe des Materiellen. dieser Idealismus der Lebendigkeit nun ist f ü r u n s , erscheint für uns; wenn wir diesen Idealismus nun betrachten, seine Zwekmässigkeit d.h. seinen bestimmten Begriff | näher uns vor die Augen bringen, so ist diese Betracht|ung f ü r u n s . Wenn wir das Lebendige so betrachten in seinem practischen sich Hervorbringen und Erhalten, so können wir sagen, diese Betrachtung sei noch nicht das, was hieher gehört, worum es uns hier zu thun ist. Schauen wir die Lebendigkeit an, so ist das, was für den Anblik ist, die willkührliche Bewegung, Bewegung die als zufällig erscheint. diese willkührliche Bewegung, indem wir sie einerseits als durch den Trieb erregt ansehn, so ist dieser Trieb ein beschränkter Zweck; oder betrachten wir sie überhaupt als Bewegung, so ist sie die abstracte Freiheit des sich von einem Ort zum Andern-Bewegens. die Musik hat auch in sich Bewegung; diese aber ist nicht willkührlich, auch der Tanz ist nicht Willkühr, sondern ein in sich selbst gesetzmässig Bestimmtes, eine concrete Bewegung. Willkührliche Bewegung aber ist abstract, nicht in sich bestimmt. Ebenso, wenn wir dann betrachten, daß das Thier sich selbst erhält, verzehrt, verdaut, so ist diß einerseits nur wieder abstracte Willkühr, Begierde, anderseits innere Thätigkeit der Organismus der gar nicht zur Anschauung kommt, oder Gegenstand der Betrachtung des Verstandes wird, der darin die Zweckmässigkeit aufzeigt. der Gedanke also als Verstand faßt diese Zwekmässigkeit entweder auf, oder wir halten uns nur an die bloss äusserliche Anschauung. Was den objectiven Idealismus also für den Verstand ausmacht, ist dieß, wodurch das Lebendige existirt, wodurch es sich Scheinen macht aber nach der Seite nicht des Scheinens, die für uns in der Kunstbetrachtung sein soll, sondern das Lebendige sieht der Verstand darin nur als ein in sich Zweckmässiges, und als ein Erscheinen dieser Zwekmässigkeit. dieß Scheinen-für-uns in der Kunstbetrachtung betrifft also diese Zweckmässigkeit nicht, sondern das Scheinen der Gestalt, als

1–2 läßt seine … Materiellen] Kr: wodurch es sich immer als negative Einheit setzt 3 erscheint] Kr: dieses Scheinenmachen ist 8 Lebendigkeit] Kr: Bewegung des Lebendigen 11 beschränk15 Bewegung1] Kr: Bewegung, bestimmt 30 ter Zweck] Kr: beschränkter, Zweck der Selbstsucht durch das Gesetz des Tönens 15–16 Willkührliche Bewegung … bestimmt] Kr: die Bewegung des Thiers dagegen ist nicht bestimmt, sondern ganz abstrakt, – ein Ort, ein andrer und wieder ein 22 Was den … dieß] Kr: der Idealismus des Objektiven ist | nur das Scheinen74Kr andrer Ort machen 27 betrifft also … nicht] Kr: ist von seiner Thätigkeit verschieden, es kann nicht die 27–264,2 Gestalt, als … Betrachtende] Kr: Gestalt und deren 35 Seite seiner Wirklichkeit betreffen Bewegung, die Anschauung seiner Thätigkeit. diese Gestalt ist es, was für uns ist, als Anschauende, nicht als Betrachtende 20 also als Verstand über der Zeile mit Einfügungszeichen 22 also für … Verstand über der Zeile mit Einfügungszeichen 24 in der Kunstbetrachtung über der Zeile mit Einfügungszeichen 25 sieht der 26 in der Kunstbetrachtung über der Zeile mit Einfügungszeichen 40 Verstand über gestr. sehn w.

dieser objective oder practische Idealismus ist f ü r u n s , also nur a n s i c h Idealismus

dem sinnlichen Anschauen nun aber erscheint diese Bewegung des Organismus, diese seine Idealität überhaupt als willkührlich und zufällig. Oder der Verstand betrachtet sie als ein in sich Zwekmäßiges.

die Kunstbetrachtung nun betrifft weder das Lebendige als zufällig noch als zweckmäßig

264 Sondern sie hat es mit dem in einer bestimmten Gestalt erscheinenden, und deren selbstständiges Aussereinandersein zum Schein herabsetzenden objectiven Idealismus zu thun. Hieraus folgt näher, daß die Unterschiede, obgleich gegeneinander verschiedne, doch in einer Einheit und als Einheit erscheinen müssen.

Als Theile als solche erscheinen die Glieder des Organismus zufällig und unterschieden gegeneinander. Bei der abstracten Regelmässigkeit ist dieß der Fall nicht.

diese als Theile zufällig erscheinenden Glieder des Organismus müssen aber ebenso auch als in der Einheit des Organismus erscheinen. die aber ein Innerliches, der sinnlichen Anschauung Geheimes ist.

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Ruhender und als sich Bewegender, diese Gestalt ist für uns als Anschauende, als sinnlich Betrachtende, und in dieser Gestalt muß das objectiv Ideelle für uns sein, nicht also schlechthin für uns sein, sondern in dieser Gestalt uns erscheinen; diese muß für uns zugleich als ein Seiendes und Scheinendes sein, die Manigfaltigkeit der Gestalt muß für uns als Schein gesetzt sein. | die Frage ist nun, was in dieser abstracten Bestimmung näher liegt; die Gestalt ist räumliche Umgrenzung, figuration, farbig oder von sonstigen Unterschieden, Bewegungen, Tönen. Solche Manigfaltigkeit nur soll sich als Scheinendes d.h als Beseeltes sich uns Kund thun d.h. als eines, das in dieser Manigfaltigkeit seine wahrhafte Existenz nicht hat. | dieß geschieht nun mit Anwendung des Vorhergehenden so, daß die verschiedenen Theile, Formen, die für uns als Sinnliche sind, sich zugleich zu einem Ganzen sich zusammen schliessen, in eine absichtlose Uebereinstimmung, daß diese Theile also an einem Individuum sind, das Eins ist, Unterschiede hat, Theile, die obgleich uneins, unharmonisch, doch zusammenstimmen. Als unterschieden erscheinen die Theile als zufällig gegeneinander, d.h. am Einen ist nicht eine Bestimung gesetzt, die der Andere hat, und die der eine hat weil sie der andere hat. Bei der Regelmäßigkeit ist jeder Theil derselbe, jeder hat eine Bestimung der dauer in der Zeit oder der Grösse im Raum. die Fenster an einem Gebäude sind gleich groß. In einem Regiment Soldaten ist jeder gleich gekleidet. Insofern sehn die Theile nicht zufällig aus, sondern der Eine hat sie des andern wegen. Hier also sind die Theile nicht zufällig gegeneinander, sind nicht verschieden von einander. Beim organischen Organismus ist dieß ganz anders, da ist jeder Theil verschieden; das Auge unterscheidet sich von Stirn und Nase. In dieser Verschiedenheit sind die Theile zufällig gegeneinander, oder die Zufälligkeit liegt darin für uns. denn ein Materielles zusammenhängen betrifft ihre Form nicht. | Somit scheinen die Theile frei gegeneinander, jedes ist für sich in sich bestimmt, und hängt von den andern nicht ab. Aber zugleich muß eine an-

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3 schlechthin für … erscheinen] Kr: blos für uns erscheinen, sondern für uns seyn als ein Schein 4–5 die Manigfaltigkeit … Gestalt] Kr: das sinnliche daseyn der unterschiedenen Theile und Formen 5 was] Kr: welche Form diese Bestimmung annehmen muß, oder was 7 figura- 30 tion, farbig … Tönen] Kr: in verschiedener Figuration, wie sie zunächst für das Gesicht ist; verschiedene Farben können uns dann auch verschiedene Weisen der Begrenzung zugleich und auch abgesondert kund thun 7–8 Solche] Kr: die Frage ist: wie solche 10 Vorhergehenden] Kr: Vorhergehenden, des Begriffs der Lebendigkeit, 12 daß] Kr: Das erste ist, daß 15 gegeneinander] Kr: für einander 16 Bestimung] Kr: Bestimmung für die Anschauung 17–19 jeder 35 Theil … gekleidet] Kr: dies der Fall: da ist das Räumliche von bestimmter Größe und Gestaltung und eben diese Bestimmung hat ein andrer Theil, sie wiederholt sich 26–27 für sich … ab] Kr: ein Gebilde in seiner Art, für sich bestimmt und ganz anders bestimmt, als alle andern Theile 2 das objectiv Ideelle am Rande angefügt, in der Zeile folgt gestr: es keit] Relgelmßgkt 26 gegeneinander] gegegeinadr

9 das] daß

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sich seiende Einheit, ein innrer Zusammenhang sein, der nicht kann äusserlich gesetzt werden. wie bei der Regelmässigkeit. die Einheit ist nicht sinnlich vorhanden, sondern sie ist Innerliches, ein Geheimes | für die Anschauung. dieser Zusammenhang aber der Theile ist wesentlich, denn sie gehören einer Seele an, diß ist ihre Nothwendigkeit. diese innre Nothwendigkeit ist sie als innere für uns, so heisst dieß nichts Andres als sie wird gedacht, wir begreifen solche Gestalt. Aber als Innres allein soll der Zusammenhang für uns nicht sein, sondern er soll auch selbst erscheinend sein. Indem also zwischen diesen gleichgültigen Theilen ein innrer Zusammenhang ist, so ist dieser ihre Idealität, welche sie subsistiren macht. denn sie subsistiren nur als diese Einheit; ihre subsistenz als gleichgültige gegeneinander haben sie also durch diß ihr subjectum, | eine Unterlage, welche sie trägt und hält. dieser Zusammenhang soll uns erscheinen, und zwar nicht als bloß äusserlicher räumlicher, sondern als wesentlicher, nothwendiger, beseelter. diese innere Nothwendigkeit soll aber in der Kunst nicht gedacht, nicht begriffen werden. diese subjective Einheit kommt uns im organisch Lebendigen als Empfindung vor, denn das Lebendige empfindet an allen seinen Theilen. das Seelenhafte ist hier an jedem Punkte, durch das ganze Körperliche ergossen, ohne räumlich zu werden. Für die Seele hat die Räumlichkeit, das Nebeneinanderbestehn wie für den Gedanken keine Wahrheit, sondern sie ist nur als diese Idealität, obgleich die Seele als solche kein Wissen von dieser Idealität hat. die Seele ist im Körper allgegenwärtig d.h. die Vielheit der Räumlichkeit ist für die Seele nicht vorhanden, als diese subjective Einheit. Sie ist wesentlich Eines und das Aussereinander des Bestehens gilt für sie nicht. die Empfindung ist dieselbe Einheit wie wir sie fanden am Unorganischen wie dem Gold. Aber das Gold ist ein Todtes, weil im Golde der Begriff als keine subjective individuelle Einheit ist, nicht die Einheit ist in der verschiednen Bildung seiner Theile, die als

4 Seele] Kr: Seele, Einem Subjekt, Einer negativen Einheit 7–8 sondern er … sein] Kr: denn hier soll, auf diesem Felde, das Innere nicht als Gedachtes seyn, sondern er soll erscheinend seyn, in die Anschauung fallen 10 als diese Einheit] Kr: in Einem, in Beziehung aufeinander 11 ha13 äusserli30 ben] Kr: gehört nicht ihnen an, nach ihrer besondern Formation, sondern sie haben cher räumlicher] Kr: mechanisches Continuirliche 15 werden] Kr: werden, denn dadurch würden wir das Lebendige begreifen, sondern sie soll eine innere, nicht eine äußerliche seyn, eine subjektive Einheit Einheit] Kr: Einheit im Unterschiedenen 16 das Lebendige] Kr: die höhere organische Lebendigkeit 17 Seelenhafte] Kr: Seelenhafte, diese Einheit 18 ohne räumlich … 22 ist für … Einheit] Kr: ist vorhanden, 35 werden] Kr: und somit ist die Räumlichkeit aufgehoben die lebendige natürliche Seele existirt in dieser Weise, aber sie ist nicht für sie vorhanden 23 Eines und … nicht] Kr: Eins, wie dies im Begriff im Gedanken ist 26 Einheit1] Kr: Lebendigkeit, nicht eine lebendige Einheit 12 welche so Kr; Ho: das

19 Wahrheit] Wahr(über gestr. Ein)ht

25 im Golde … als] (1) d.

40 Begff d Goldes (2) (im über gestr. d. Begff d) (Golde aus Goldes) (d. Begff als über der Zeile); Kr: sein

Begriff

diese innere Einheit ist nur für uns als denkende, Begreifende. diese innere Einheit soll aber auch zur Erscheinung kommen.

Sie ist die Seele, welche die Glieder existiren macht Und dieser Zusammenhang soll uns als beseelter Erscheinen das organische Leben hat die subjective Einheit als Empfindung.

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In der Empfindung aber ist die Einheit noch nicht als Nothwendigkeit. b. die erste nothwendige Einheit ist für uns in der G e w o h n h e i t des Nebeneinanders der Glieder.

c. der weitere Fortgang von der Gewohnheit besteht darin, daß eine bestimmte Eigenschaft das Leitende für die Nothwendigkeit des Zusammenhangs der Glieder wird.

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Glieder sind. subjective Einheit setzt Manigfaltigkeit der Theilbildung voraus und hat die Theile als Glieder. diese subjective Einheit ist so aber nicht im Golde vorhanden. | Im Empfinden nun aber überhaupt ist der Zusammenhang der Glieder nicht als Nothwendigkeit, die Beziehung der Manigfaltigkeit der Gegliedrung als solcher und der subjectiven Einheit als solcher ist noch nicht als Nothwendigkeit. die Anschauung der Gestalt aber soll für uns sein eine Gegliedrung, die im nothwendigen innern Zusammenhang stehn soll. dieser Zusammenhang kann zunächst für uns sein durch die Gewohnheit des Nebeneinanderseins solcher Glieder, Gewohnheit ist subjective Nothwendigkeit. Nach dieser Gewohnheit können wir Thiere hässlich finden, weil sie eine Organisation haben, die verschieden ist von dem sonst Gewohnten. So nennen wir Thierorganismen bizarr, weil sie von unserm geläufigen Bilde abweichen ZB. Fische die mit ungeheurem Kopf einen kleinen Schwanz haben und die Augen nebeneinander. Bei Pflanzen sind wir schon eine grössere Mannigfaltigkeit gewohnt. die Cactus mit ihren Stacheln und graden Linien aber können uns auch schon verwundern. Ein gebildeter Mann, ein Kenntniß reicher in der Naturgeschichte hat Typen in sich von dem, was zusammengehört, hat die Feste Gewohnheit solcher Gestalten, die er ihren Theilen nach genau kennt, keinen innern Zusammenhang sich anzugeben weiß, sondern solchen Typus nur fest in sich hat. Cuvier ZB. ist berühmt geworden dadurch, daß er aus einem Fossilknochen eines Thiers, das gar nicht mehr existirt, angeben kann, welche Gestalt das Thier gehabt haben müsse. bei solcher Betrachtung übrigens ist es nicht rein die Gewohnheit, sondern es ist da eine einzelne Gedankenbestimung, eine Eigenschaft, die das Leitende ist. Und dieses ist das Zweite, daß der Zusammenhang in irgend einer besondern Eigenschaft liegt. Cuvier ZB. hat bei seiner Betrachtung eine inhaltsvolle Bestimmung

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2–4 diese subjective … die] Kr: So i s t diese subjektive Einheit, aber so ist sie nicht | als nothwendi- 78Kr ger Zusammenhang. daß das Ich allenthalben dasselbe empfindende Ich ist, damit ist die subjektive Einheit noch nicht gesetzt als Zusammenhang dieser Vielheit Unterschiedener, die wir Glieder nennen. / die 5 noch nicht … Nothwendigkeit] Kr: hier die Form des Subjektiven 6 der Gestalt] Kr: eines Lebendigen 6–7 die im … soll] Kr: aber so, daß an den Gliedern die Beziehung 30 aufeinander ist in der Bestimmung als Form 8–9 Nebeneinanderseins solcher … Nothwendigkeit] Kr: Ichs: wir sind gewohnt, Solches nebeneinander zu sehen 11 dem sonst Gewohnten] Kr: der Bildung der Thiere, wie wir sie zu sehen gewohnt sind 14 sind] Kr: lassen wir uns solche Abweichung vom Gewohnten eher gefallen, eben weil 16 Mann, ein … Naturgeschichte] Kr: auf Naturgegenstände aufmerksamer Mann, gelangt durch | seine scharfen Beobachtungen zur 79Kr bestimmten Kenntniß der Gestalt und 17–18 hat die … kennt] Kr: und solchem nach kann er nun einem einzelnen Theil es ansehen, wo er hingehört 19 solchen Typus … hat] Kr: er geht von dem Typus aus, der in ihm durch äußere Anschauung fest geworden ist 1 Manigfaltigkeit] Mangfalgtgkt

2 nicht] folgt gestr: als Zw

25 eine] davor gestr: nicht

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zu Grunde, eine Eigenschaft, welche in den übrigen Theilen sich geltend machen muß, wie ZB. die Bestimung: ob das Thier fleisch|fressend sei, welche Bestimmung dann ein Gesetz für die Organisation der übrigen Theile ausmacht. | Ein fleischfressendes ZB hat ganz andre Zähne. Wird nun solcher Zahn gezeigt, so folgt daraus, daß das Thier fleischfressend sei, und die Backenknochen so und so, die Wirbelknochen so ect gebildet seien, daß es keine Hufe habe um den Raub packen zu können. Hier also ist eine Bestimung das Leitende für die Gestaltung des Thiers. Solche allgemeinen Bestimungen haben wir auch vor uns ZB. bei Betrachtung eines Löwen und Adlers. da ist die allgemeine Eigenschaft die Stärke, die sich in den Schenkeln, im Schnabel zeigt. Betrachten wir ein Thier so nach einem Theile in Betreff auf die allgemeine Bestimmung, so werden wir die B e t r a c h t u n g schön und geistreich nennen, indem sie uns eine Einheit der Bildung kennen lernt, und die sich nicht einförmig wiederhohlt, sondern die Glieder verschieden lässt, aber sie dennoch in eine Einheit bringt. Man kann nun sagen solche Anschauung sei betrachtend, die Anschauung sei nicht das Ueberwiegende, sondern ein allgemeiner Gedanke, der das Leitende ist. Nach dieser Seite werden wir nicht sagen, | daß wir uns zum Gegenstande als einem Schönen verhalten, sondern wir werden sagen die Betrachtung sei schön. die allgemeine leitende Vorstellung ist hier nur eine einzelne beschränkte wie: fleischfressend, stark, pflanzenfressend. diese Bestimungen aber machen den Zusammenhang der Theile aus, bringen das selbstständige aussereinander in die Einheit. Aber die Beschaffenheit ist beschränkt und wir haben den ganzen Begriff, die ganze Seele noch nicht vor uns. der innre Zusammenhang ist das Ganze, ist die Seele selbst. Es ist uns also bei solcher Betrachtung nicht die ganze Seele zum Bewusstsein gekommen, sondern nur eine einzelne Seite, die wir als Herrschende als Seele festsetzen. die Seele als solche wird uns dadurch noch nicht klar. Wenn uns dieses Ganze zur Vorstellung kommen soll, so könnte es nur als Begriff als Gedachtes in dieser Sphäre uns zum Bewusstsein kommen, denn im Natürlichen kann sich die Seele als solche sich nicht erkennbar machen, da sie noch nicht für | sich ist; soll sie für uns werden, kann sie es nur durch den Begriff. Könne sie dieß so hät-

3 ein Gesetz] Kr: das Geltende 5–7 die Backenknochen … können] Kr: Beinknochen, Rückenwirbel, Klauen, Muskulatur u.s.w. von einer gewissen Beschaffenheit seyen, wie wir sie an andern Thieren nicht wahrnehmen 10 sich in … zeigt] Kr: wir in einzelnen Theilen erkennen, obgleich dies nur eine oberflächliche Bestimmung ist 16 Gedanke] Kr: Gedanke, eine 19 wie] Kr: wie der Karakter 25 Herrschende] Kr: Herrschaft in den 35 innere Vorstellung Theilen 1 Eigenschaft] Ei(genschft über gestr. nht); Kr: Einheit 17 nicht über der Zeile mit Einfügungszeichen 18 die2 ] der 21 in die Einheit über der Zeile mit Einfügungszeichen

Solche Eigenschaft aber als bestimmte ist beschränkt und bringt nicht den ganzen Begriff der Seele vor uns.

die ganze Seele kann ihrer Wahrheit nach nur durch den Begriff für uns werden.

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dieß soll in der Kunst nicht sein und so bleibt als das dritte nur: h. die sinnvolle Anschauung. Nähere Erklärung derselben: als der Anschauung durch den Sinn mit einer Ahnung des Begriffs.

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ten wir 2erlei die Anschauung und den Gedanken. dieses Gedoppelte soll aber in der Schönheit nicht sein. Soll uns nun das Ganze der subjectiven Einheit zum Bewusstsein kommen und nicht in der Weise des Gedankens, so ist das 3te das übrig bleibt dieses, daß wir eine sinnvolle Anschauung eines Naturgebildes erhalten. Sinn ist nehmlich dieß wunderbare Wort, welches zwei entgegengesetzte Bedeutungen hat, denn Sinn ist einmal unmittelbares Organ des sinnlichen Auffassens, und anderseits heissen wir Sinn: die Bedeutung, d.h. das Andre des Sinnlichen, das Innre, den Gedanken, das Allgemeine der Sache. das Eine ist die Sache als unmittelbar, das Andre der Gedanke der Sache. Und Beides nennen wir Sinn. Eine sinnvolle Naturbetrachtung ist nun also einerseits sinnlich anderseits den Gedanken der Sache haben. die sinnvolle Betrachtung schaut an mit einer Ahnung des Begriffs, der nicht als solcher sondern als Ahnung ins bewusstsein kommt. Wenn wir ZB. nur davon reden, wieviel Reiche es in der Natur gäbe, so wird gesagt: 3, das Mineral- Pflanzen- und Thierreich. In dieser Stufenfolge ahnt man einen innern Zusammenhang, der keine bloß äusserliche Zweckmässigkeit ist, sondern ein solcher, der die Ahnung giebt, daß er ein | Begriffmässiges, Wesentliches sei. Auch bei der Mannigfaltigkeit der Pflanzen wird man ahnen, daß hier wie Göthe sagt, eine geistige Leiter sei, eine äussere Verschiedenheit, die eine innre Nothwendigkeit habe, die Gebilde in ihrer Ordnung des Begriffs zu fassen und zu ahnen ist das Sinnvolle. Solche Betrachtung hat Göthe vielfach gemacht in der Ahnung des Begriffs, einer höhern Ordnung als der äußerlichen. dieß ist der grosse Sinn Göthe’s mit dem er naiver Weise sinnlich an die Naturbetrachtung ging mit der Ahnung eines begriff mässigen Zusammenhangs. So kann man die Geschichte auch so erzählen, daß ein innerer Zusammenhang heimlich durchleuchtet. So ist auch der menschliche | Körper ein Begriff mässiger Organismus. Hievon kann man die dunkle Ahnung haben und finden, daß jeder organische Körper solches in 3 Theile insectum sein müsse.

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1–2 die Anschauung … sein] Kr: den Gedanken und den Zusammenhang im Gedanken, also eine Weise wie sie im Schönen nicht unser Gegenstand seyn soll. | / Also 1, Gewohnheit, 2, Reflexion 82K r machen die Grundlage des Zusammenhangs aus 8–9 das Eine … Sache] Kr: Wenn wir nach 30 dem Sinn fragen, so wollen wir gerade das Allgemeine haben und gehen über das Sinnliche hinaus 11 schaut an … einer] Kr: zeigt uns die Freiheit der Theile, aber wir haben dabei eine Ahndung des innern Zusammenhangs, eine 14 In dieser Stufenfolge] Kr: dies ist äußerliche Unterscheidung, aber zugleich 17 sei] Kr: und innrer Stufengang vorhanden ist 18 Leiter] Kr: Leiter, einen geistig erfasslichen Stufengang 20 das Sinnvolle] Kr: der Karakter sinnvoller 35 Anschauung 23 mit] Kr: und er spricht das Sinnliche so aus, daß darin zugleich die begriff mässigen] Kr: innerlichen 24 erzählen, daß] Kr: als äußerliche Begebenheiten erzählen, daß 25–26 ein Begriff … Organismus] Kr: Kopf, Rumpf, Extremitäten (Arme und Beine); diese 3, die wir gewohnt sind, als äußerliche Abtheilungen zu betrachten, sind gegründet im Begriff 2 Soll] davor gestr: Es bleibt

3 3te so Kr; Ho: 2te

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Anfangs erscheinen wohl die Sinne als äusserliche zufällige Vielheit, man kann aber auch die sinnvolle Anschauung haben als sei dieß ein Kreis der Nothwendigkeit. Und das Natürliche erscheint als schön, in sofern wir in den Gebilden des Natürlichen solch eine Nothwendigkeit des Begriffs ahnen. Weiter als bis zu dieser Ahnung aber geht es bei der Kunstbetrachtung der natürlichen Gebilden nicht. der Zusammenhang also ist nur auf unbestimmte Weise, eine bloß innere Einheit, die wir ahnen, ohne ihn bestimmt denkend zu erkennen. Es ist ein Zusammenhang der die Natur der Theile selbst ist, die Lebendigkeit construirt, aber dieser Zusammenhang ist nur geahnt. dieß ist die wesentliche Bestimung. der Gang, den wir nehmen ist nun, daß dieser unbestimmte Zusammenhang eigenthümlichen Inhalt bekommt, sich in sich bestimmt. die Seele ist hier noch nicht als gehaltvolle bestimmte, sondern zunächst unbestimmt, und der Fortgang ist, daß sie sich concret in sich einen Inhalt giebt. – Nach dieser Bestimung nun ihrer Erscheinung als Lebendigkeit als Einheit der Glieder nennen wir das natürliche schön; sie haben einen beseelten Zusammenhang, die Materie ist mit ihm identisch, die Form wohnt der Materie in, ist die eigentliche Natur dieses Materiellen. dieß ist die Bestimung der Schönheit überhaupt. Schon der natürliche Kristall verwundert uns durch seine regelmäßige Gestalt, die durch nichts Mechanisches äusserlich so geworden ist; der natürliche Christall ist so geformt, daß diese Form der Materie angehört, es | ist die freie Kraft der Materie, die sich so formt; sie selbst bethätigt sich, ist activ, nicht passiv, so daß wir ihr erst die Form geben, sondern die Materie ist hier in ihrer Form bei sich selbst. Noch schöner, ist das organisch Lebendige, überhaupt alles, was diese freie innere Regsamkeit ankündet. diese Schönheit nun aber ist noch unbestimmt. Wir machen aber hier sogleich | einen Unterschied in der Lebendigkeit; wir haben in uns eine Vorstellung, nach welcher wir ein Lebendiges nicht schön finden. wie ZB. das Faulthier

3–4 in den … ahnen] Kr: dabei eine Ahndung haben eines innern Zusammenhangs 4–5 Weiter als … nicht] Kr: Bei dem höhern, dem eigentlich Schönen, tritt dann noch ein Weiteres ein, was 6 ist] Kr: ist für | den Sinn 7 ohne ihn … erkennen] 84Kr wir in der Folge zu betrachten haben 8–9 ist, die … geahnt] Kr: angeht, 30 Kr: durchaus nicht näher bestimmt und für ihn bestimmbar nicht von ihnen getrennt ist und nur auf äußerliche Weise in die Anschauung fällt 9 Bestimung] Kr: Bestimmung, über die wir hier, bei der Betrachtung des Lebendigen, noch nicht hinausgehen können 14 der Glieder] Kr: Unterschiedener, der wesentlichen Beziehung der Theile zu einem organischen Eins, 15 sie haben … Zusammenhang] Kr: Es ist die Lebendigkeit, die sie schön 20 der 35 macht; es ist Freiheit da in den Theilen und Bewegung und zugleich innrer Zusammenhang Materie angehört] Kr: ist nicht äußerlich drangebracht, sondern sie ist der spezifischen Materie eigenthümlich formt] Kr: bestimmt, die ihr immanent ist 23 organisch Lebendige] Kr: Organische in seiner Gestalt und Bewegung 24 diese Schönheit … unbestimmt] Kr: Wir können dies zwar nicht fest bestimmen 40 4 eine] (eine aus einen) ( folgt gestr: Be)

geformmt

10–11 eigenthümlichen] eingenthmlich. 24–25 aber hier sogleich am Rande angefügt

19 geformt]

Nach dieser Betrachtung ist das Natürliche schön, in so fern in ihm der Begriff geahnt wird.

der Zusammenhang also ist eine unbestimmte Ahnung des Begriffs

die Schönheit also als Lebendigkeit ist Einheit der Materie mit ihrer Form als ihrer Seele.

270 der Unterschied von Schönheit und Häßlichkeit beruht hier auf der Ahnung des Begriffs.

nachschrift hotho · 1823

durch seine Schläfrigkeit uns mißfällt, weil wir schon an der Gestallt es sehen, daß es nicht zur Regsamkeit gemacht ist. Ebenso werden uns viele andre Thiere: Kröten, Amphibien, Insecten uns nicht schön vorkommen, und solche die einen Übergang von einer bestimten Form zur andern machen, wie das Schnabelthier, das ein Gemisch von Vogel und 4füssigem Thier ist. Zunächst ist diß Sache der Gewohnheit, aber auch in diesem Typus wird die Ahnung nicht unthätig sein, daß die Bildung des Vogels ZB. auf nothwendige Weise zusammengehört, und daß jene Vermischungen nur Zwittergeschöpfe sind. Wir werden die Ahnung haben, daß unter den Formen des Vogels eine innere Zweckmässigkeit statt finde, so daß solche Vermischungen unserm Sinn fremd|artig vorkommen und als ein Unschönes erscheinen. Bei der Natur ist es der Sinn, der uns anzeigt wie in ihrer Form ein Begriffsmässiger Zusammenhang ist. – Ein andrer Sinn, in welchem wir von der Natur als Schönheit sprechen ist der, wo wir keine organischen Gebilde vor uns haben, ZB. wir sprechen von der Schönheit einer Landschaft, einer Mondnacht. Hier ist kein organisches Ganze, sondern eine Manigfaltigkeit, die zusammenkömmt. die Zusammenstimmung ist äusserlich imponirend oder gefällig. Aber auch bei den organischen Gebilden so wie bei diesen Erscheinungen der unorganischen Natur tritt ein Anderes ein, was uns intressirt, nehmlich Bestimungen, die ganz die Bezüglichkeit solcher Gegenstände auf das Gemüth betreffen: Stille der Mondnacht, Erhabenheit des Meers. Alles diß hat seine Bedeutung in der erweckten Gemüthsstimmung. Eine solche Stimmung aber gehört diesen Gebilden der Natur selbst nicht mehr an, sondern ist in einem Andern zu suchen. Ebenso nennen wir ein Thier schön als Stärke habend, als listig. diese Ausdrüke sind dann ebenfalls Bestimungen, die theils unsrer Vorstellung angehörn, theils nur | eine Seite des Thierlebens darstellen. Und jedes Thierleben ist ein beschränktes, hat eine gebundne Qualität. Uns aber kommt es darauf an, daß das ganze Seelenhafte erscheint kein Beschränktes, und dieß werden wir später beim Kunstschönen betrachten. Es ist also das, worauf es hier ankommt dieses, daß das Natürliche Lebendige wohl eine Seele ahnen läßt, aber nicht an ihm selbst offenbart, denn das Natürliche ist dieses, daß seine Seele ein bloß Innres ist. die Seele des Thiers als Seele offenbart sich nicht an ihm, ist nicht für Andre, weil sie nicht für sich ist. Erst das Bewußtsein ist das Ich, das für das Ich ist; der Begriff, der sich gegenübertritt, für sich ist, und so sich auch für Andre mani-

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3 und solche … einen] Kr: besonders aber solche, die mehrere bestimmte Gestalten in sich vereinigen, den 5–8 Zunächst ist … sind] Kr: so interessant es für die Naturbetrachtung ist, wird es 35 uns doch nicht schön erscheinen, weil es unserm gewohnten Typus nicht entspricht 18 uns intressirt] Kr: nachher erwähnt wird 23 nennen] mennen

33–271,1 manifestirt] manifetsirt

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festirt. diese Manifestation hat das Thier nicht, sondern seine Seele ist nur der Hauch, der das Ganze belebt, zeigt sich im habitus, in der Idealisirung der Theile, diese Idealität aber erscheint noch nicht frei für sich. das Thier zeigt nur den trüben Schein einer Seele nur in besonderm Character; | die Manifestation der Seele als solcher gehört dem Kunstschönen an. Hierin liegt der Uebergang zu dem, was dann das Ideal zu nennen sein wird. das Mangelhafte des bloß Naturschönen ist schon angedeutet. das Höhere, die wahrhafte Manifestation fällt in’s Ideal[.] Ehe wir zu diesem kommen, fallen 2 andre Bestimungen dazwischen. In die Bestimung des Uebergangs fallen diese Bestimungen, indem wir sagten, der Zusammenhang der Seele erscheine nur getrübt, nicht als gehaltvoller Einheitspunkt in sich, sondern nur als abstracte, unbestimmte Seelenhaftigkeit. Erst die bewußte Seele ist concret, aber ist für sich, und ist die Einheit ihres Seins und ihrer Manifestation. Aber im Naturschönen erscheint die Seele nur abstract. die abstracte Erscheinung für sich, diese Bestimung wollen wir kurz betrachten. Es ist eine Erscheinung vorhanden nicht der concreten Seele; es ist eine Erscheinung, ein dasein, das ein bestimmtes ist, und dessen Einheit selbst aber nur unbestimmt ist, nur die äusserliche Einheit, abstract[.] | Weil nun in diese abstracte Einheit nicht das concrete fällt, so kann die concrete Einheit hier nur analysirt d.h. selbst nur abstract sich zeigen. So haben wir einerseits hier die Seite der Form, der Begriff als bloß abstracter, und anderseits die Seite des sinnlichen Stoffs. Beide Seiten unterscheiden sich, fallen aus ein ander, oder es sind 2 Gesichtspunkte die wir hier zu betrachten haben. der eine ist die Regelmässigkeit als solche, der andere der sinnliche Stoff in seiner abstracten Einheit. Bei beiden kann man von Schönheit sprechen, aber der Ausdruk Schönheit ist dann eigentlich nicht richtig gebraucht. Ein abstract Materielles ist ZB. die Reinheit des Himmelsblau, oder das reine Sonnenlicht. dieß ist der sinnliche Stoff in abstracter Einheit für sich. – das erste also ist die abstracte Form, die Form so, daß in ihr eine Einheit gesetzt ist, aber eine abstracte äusserliche; dieß ist die Regelmässigkeit überhaupt oder näher die Symetrie. blosse Regelmässigkeit ist gleichheit,

30 2 in der Idealisirung] Kr: sie tritt überhaupt nur als der unbestimmte Zusammenhang hervor, als

88Kr

Idealisirung des Bestehens 5 Kunstschönen] Kr: Ideal, dem eigentlichen Kunst schönen 9–11 der Zusammenhang … sich] Kr: daß die Seele des Thiers nur geahndet wird, sie ist nur trüber Schein, es ist nicht die concrete Erscheinung und Manifestation der Seele 16–17 aber nur … ist,] Kr: ist die Einheit der Seele. dies ist aber nicht die concrete, sondern 18–19 hier nur … zeigen] Kr: nach ihrer Analyse nur ab|strakt betrachtet werden in ihrem Unterschiede 22 hier] Kr: beide besonders für sich 22–23 als solche] Kr: die abstrakte Seite des Schönen 23 in seiner … Einheit] Kr: für sich, abstrakt, die abstrakte Einheit der Form 25–26 die Reinheit … Sonnenlicht] Kr: als reine Farbe, – der blaue Himmel, reines Roth, ohne daß Vermischung da sey von Anderm 27 für] Kr: mit

40 6 nennen] mennen

das Mangelhafte überhaupt des Schönen als Lebendiges ist das, die Seele als solche nicht zur Existenz zu bringen, sondern nur in einer bestimmten Eigenschaft ihrer; oder als unbestimmte abstracte Einheit. Folgen dieses Mangels:

Indem im Schönen als Lebendigen die Seele nur als die abstracte Einheit eines bestimmten daseins erscheint, so ist die concrete Seele selbst hier nur als analysirte d.h. als die Form in abstracter nur auf sich bezogener äusserlicher Einheit; und ebenso der concrete Stoff, als abstracte sich selbst gleiche Einheit. A. die abstracte Form.

272 a. die Regelmässigkeit als die abstracte Wiederholung derselben Gestaltung. b. die Symetrie als die abstracte Wiederholung ungleicher Gestaltungen. Regelmässigkeit und Symetrie als die bloß abstracte Form fallen in die Bestimung der Quantität.

daher finden sie da ihre Anwendung, wo das Objective das sich selbst äusserliche ist.

die Hauptanwendung der Regelmäßigkeit also findet sich am Natürlichen:

nachschrift hotho · 1823

Wiederhohlung derselben Gestaltung. die gerade Linie ist so die regelmässigste Linie, hat die abstracte eine gleiche Richtung, ein Cubus ist ebenso auch abstract regelmäßig, weil er gleiche Flächen und die feste abstracte Bestimmtheit des einen Winkels, des Rechten hat. Auch an ein Gedicht wird Regelmässigkeit gefordert, eine Gleichförmigkeit des Tons. die symetrie enthält die Regelmäßigkeit in einer weitern Bestimmtheit. Sie ist Wiederhohlung von solchem das zugleich auch ungleichartig. An einem Hause ZB. sind in der Mitte 3 Fenster, dann ein Absatz, dann auf beiden Seiten 2 Fenster u.s.f. Auch zum Drama gehört Regelmässigkeit, daß ZB. die Acte gleichlang sind. die symetrie und Regelmässigkeit als abstracte Einheit, als Einheit, die äußerlich ist, fallen in die Grössenbestimmtheit; als Bestimmtheit, die selbst äusserlich gesetzt ist, bloß quantitativ, noch nicht im Maaß. die Grösse ist eine Bestimmtheit die gleichgültig für die Qualität der Sache ist. | Weil nun die Größe selbst äusserliche Bestimmtheit ist, so ist es, daß die abstracte äusserliche Einheit, an der Regelmässigkeit und Symetrie sichtbar wird. – das zweite zu bemerken ist dieß, in wie fern auch am Kunstwerk Symetrie und Regelmässigkeit gefodert wird. Sie treten am Organischen hervor. dieß sehn wir an uns selbst: wir haben 2 Arme, 2 Augen, 2 Beine. Von anderm wissen wir, daß es unregelmässig ist, wir haben ein Herz, eine Lunge, eine Leber. die Frage ist hier: worin liegt dieser Unterschied. diese Seite, wo die Regelmässigkeit eintritt ist eben die Seite der Äusserlichkeit als solcher, wo das Organische sich selbst äußerlich ist, oder sich nach Aussen bezieht, mit der Äusserlichkeit zu thun hat. die Regelmäßigkeit als die abstracte Einheit tritt also da hervor, wo das Objective überhaupt seiner Bestimung nach das sich selbst Äusserliche ist, wo die Gegenstände die Seite der Äusserlichkeit als solche ausmachen. Im Sonnensystem ist Regelmäßigkeit die Grundbestimmung; im Geistigen, im organischen Leben tritt sie gegen die subjective lebendige Einheit zurück. In der Natur also über1–2 so die … gleiche] Kr: die Einheit in der 3–4 weil er … hat] Kr: durch Gleichheit der Theile und ihrer Bestimmungen; die Kugel ist nur Eins, Einheit der Dimension, an ihr | beziehen sich nicht Theile aufeinander, sie kann also nicht regelmäßig in diesem Sinne genannt werden, ihre Oberfläche hat keine Grenzbestimmungen an sich und ihre dimension ist nur Eine 6 von] Kr: derselben Bestimmung, aber von 10–11 in die Grössenbestimmtheit] Kr: besonders unter die Zahlenbestimmung 12–15 die Grösse … wird] Kr: da die Größe eine Eigenschaft ist, die selbst nur gleichgültig ist, so ist hiernach, da die Einheit nur äußerlich ist, die Größe die alleinige Bestimmung, auf die es hier ankommt 17 2 Beine] Kr: zwei Ohren u.s.w.; dies ist eine Wiederholung derselben Bestimmungen 18 Lunge, eine Leber] Kr: Lunge u.s.w.; aber Arme, Beine finden sich in | der Weise der Regelmäßigkeit vor 22 Einheit] Kr: Einheit an der Aeußerlichkeit 24–25 Im Sonnensystem … Grundbestimmung] Kr: Am regelmäßigsten ist daher das Weltsystem 26 tritt sie gegen] Kr: die Regelmäßigkeit nicht als solche ist, nicht Hauptbestimmung, sondern diese ist hier 26–273,2 In der … ist1] Kr: Wo die Aeußerlichkeit am äußerlichsten und reinsten ist, da tritt die Regelmäßigkeit am reinsten hervor 3 regelmäßig] davor gestr: Gleich

7M Gestaltungen] Gestgltgen

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haupt, die das sich äusserliche Sein ist ist die Bestimmung so daß in ihr die Regelmässigkeit auftritt, wo die Äußerlichkeit als solche am reinsten ist. So ist wie gesagt, am sinnlichen Systeme die Regelmässigkeit am Platz, das Gesetz herrscht als regelmässiges. Näher wenn wir die Hauptstufen durchgehn, haben die Mineralien, die unbeseelten, unbelebten die Regelmäßigkeit an ihnen. Sie haben die Form an ihnen als immanente, und diese als Einheit des äusserlichen ist die Regelmässigkeit, die hier innrer Werkmeister, aber abstracter ist, nicht als eine belebende Seele, sondern nur als Verstand, der an die Äußerlichkeit solche Beziehungen setzt, wodurch er zeigt, daß er das die Einheit setzende ist. diese Einheit als abstracte ist bloß verständige, nicht der idealisirende Begriff, der das Bestehn der Selbstständigen als Negatives setzt. die Pflanze weiterhin steht höher als der Cristall; sie verzehrt schon das Materielle, entwikelt sich schon zu einer Gegliedrung. Aber die Pflanze ist selbst noch nicht eigentliche Lebendigkeit; sie ist gegliedert, hat einen Organismus, aber die Pflanze ist ihrer Thätigkeit nach, eine in’s Äusserliche immer | hinausgehende Thätigkeit; sie wächst fortwährend, assimilirt sich das Äußerliche, welche Assimilation aber kein ruhiges Erhalten ist dessen was sie ist, sondern ein stets neues Hervorbringen ihrer selbst nach Aussen, das Thier wächst auch, aber es bleibt auf seinem bestimmten Punkt der Grösse stehn. die Pflanze aber wächst immer; hört die Vermehrung ihrer selbst auf, so ist sie todt. Ihr Lebensprocess ist in der Äußerlichkeit befangen, ihre Selbsterhaltung entäussert sich fortwährend[.] Um dieses Characters willen des steten sich über sich Hinaustreibens ist die Regelmässigkeit, die Einheit in der Äusserlichkeit ein Hauptmoment in der Pflanze. Was sie hervorbringt ist immer ein Individuum ihrer selbst. Jeder Zweig ist eine ganze Pflanze, ist kein Glied, wie der Organismus des Thiers Glieder hat, sondern jedes Theil der Pflanze ist Individuum, ein Ganzes. die Pflanze hat also diese Individualität, sich als unterschiedne Individuen zu erhalten; diese Einheit der Pflanze ist also mit der Äußerlichkeit behaftet, und dieser Character tritt als Regelmäßigkeit auf. diese ist nicht mehr so

5–7 Sie haben … abstracter] Kr: hier ist aber die Regelmäßigkeit immanent und gehört der Natur 9–11 diese Einheit … setzt] Kr: die idealisirende Einheit, der Prozeß der Lebendigkeit ist hier noch nicht vorhanden 12 sie verzehrt … 91Kr Materielle] Kr: hier ist schon eine Verdauung nach Innen, und das Materielle wird ver|zerrt, assimilirt 15–16 sie wächst … Äußerliche] Kr: von Luft oder Licht wird sie nach Außen gerissen, sie assimilirt sich beides 17 stets neues … selbst] Kr: beständiges Wachsen und Treiben 23–25 ist im35 21 entäussert sich fortwährend] Kr: ist also das beständige Vermehren ihrer selbst mer … hat] Kr: sind immer neue Individuen; Sprossen und Blätter können abgerissen werden, aber nicht so die Glieder der Thiere 26–27 hat also … erhalten] Kr: macht sich also ihrem Karakter nach immer zu einer Mehrheit von Individuen 30 der Materie selbst an. Aber dieser innere Werkmeister

15 in’s Äusserliche immer am Rande angefügt 17 ihrer selbst über der Zeile

40 liren

16 welche aus da; Kr: dies gefolgt von Assimi-

Im Mineralreiche oder den geologischen Organismen

Im vegetabilischen Organismus.

274

Im animalischen Organismus. Er ist gedoppelt: innerlicher und Außerlicher.

die Regelmäßigkeit hat nur im äußerlichen Organismus ihren Platz.

nachschrift hotho · 1823

streng wie im Mineralreich, aber es ist die Regelmässigkeit noch ein Ueberwiegendes, der | Stamm ist geradlinigt, die Ringe sind Kreis förmig, die meisten Linien gleichmässig, die Blätter dem cristallinischen sich nähernd, ein Uebergewicht der Regelmäßigkeit habend. Beim lebendigen, als Animalischen tritt aber der Unterschied als gedoppelter Organismus ein, einmal als innrer Organismus der in sich beschlossen ist, als eine Kugel in sich zurückgeht, sich nur auf sich bezieht; das andre mal als äußrer Organismus, als äusserlicher Proceß, und als Proceß gegen die Äusserlichkeit und dieß ist ein wesentlicher Unterschied im Thierischen. die edlen Eingeweide sind die innern: Leber, Herz, Hirn, an diese das Leben gebunden ist. In den Gliedern, die der Äusserlichkeit angehören ist Regelmässigkeit. dahin gehörn die 2erlei Glieder, einerseits des theoretischen Proceßes, anderseits des practischen. den theoretischen Proceß verrichten die | Sinneswerkzeuge. Was wir sehen laßen wir wie es ist, ebenso was wir fühlen und hören. das verhalten ist darin rein theoretisch; der Sinn des Geruchs und Geschmaks sind schon ein Beginn des practischen. Schmeken können wir nur, indem wir Zerstören; der Geschmack ist im Practischen das Theoretische. Was wir riechen ist eben so ein sich selbst Verzehrthabendes. der Geruch ist der abstracte Verzehrungsproceß der dinge[.] Wir haben nur eine Nase, die aber in 2 Theile getheilt ist. das Gefühl ist der ganz allgemeine Sinn, der gedoppelte Glieder hat. Vornehmlich aber die ganz ideellen Sinne sind ganz theoretisch und diß | Sinnliche, was für das Auge und Ohr ist ist das Material der Kunst. Hier tritt die Regelmässigkeit ein, und die Organe müßen ein zweifaches sein. die Glieder des practischen Processes sind Arme und Beine, die Glieder für die Verändrung des Ortes und die Verändrung der Äußerlichen dinge. diese Glieder sind auch regelmässig. Im Organischen also hat die Regelmäßigkeit auch ihre Stelle, und es ist nicht gleichgültig, wo sie ihren Platz hat. Was nun die Kunstwerke betrifft so hat auch in ihnen die Regelmässigkeit einen Platz. Will sie an die Stelle der lebendi-

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2 geradlinigt] Kr: das Geradelinige, die Zweige machen Winkel, sind aber schon unregelmäßig 3–4 dem cristallinischen … habend] Kr: sind wieder im Allgemeinen regelmäßig 4 Beim lebendigen, … Animalischen] Kr: Bei Thieren, beim Menschen in noch höherm 30 Grad, 9 die1] Kr: Jeder dieser Organismen ist geschlossen und geht, wie die Kreislinie in sich zurück. die 10 In] Kr: Hier ist keine Regelmäßigkeit. In 12 practischen] Kr: praktischen Prozesses mit der Äußerlichkeit 15–18 Schmeken können … dinge] Kr: Was wir schmecken, müssen wir verzehren und vernichten; was wir riechen verzehrt sich selbst und ist in einem auflösenden Prozesse begriffen 18 eine] Kr: eine Zunge und eine 19 gedoppelte Glieder] Kr: besonders in 35 der Hand seinen Sitz 20 Sinne] Kr: Sinne aber, Gesicht und Gehör, 23 Glieder] Kr: Werkzeuge 25–26 Im Organischen … hat1] Kr: So ist die Regelmäßigkeit überhaupt an objektive Bestimmungen gebunden 2 Stamm über gestr. Zweig; Kr: Stamm mit Einfügungszeichen

9 diese so Kr; Ho: denen

22 die Organe über der Zeile 40

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gen Seele treten, so wird das Kunstwerk todt. Sie hat aber ihre bestimmte Stelle. ZB. in der Architectur ist die Regelmässigkeit besonders hervorgetreten; indem sie in der Kunst die Äußerlichkeit ist, und in ihr die unmittelbare Äußerlichkeit, die unorganische Natur um das Seelenvolle umhergestellt wird. Am Unorganischen ist die Einheit die Regelmässigkeit. Sie hat aber auch in der Musik und in der Poesie ihre Stelle. der Ton ist das sinnliche Element der Musik. der Ton ist in der Zeit, die Zeit die abstracte Sinnlichkeit, die Einheit wie sie in Beziehung an die Zeit bestehn kann, ist Regelmässigkeit, und dieselbe Regelmässigkeit ist in den Tönen der Rede zu suchen, da auch dieß Tönen in der Zeit ist. das Metrum also hat auch einen Tackt, der überhaupt regelmässige Einheit ist. | die Rede fällt in die Zeit, ist ein Tönen, und muß Regelmässigkeit haben, die sich auch im Reim zeigt in der gleichen Weise des Tönens. – Aufgezeigt also ist jetzt, in wie fern die Regelmässigkeit auch im Lebendigen überhaupt wie am Kunstwerk eintritt. Wir haben nun ferner bemerkt, daß symetrie von Regelmässigkeit zu unterscheiden ist, obgleich der Unterschied von keiner grossen Wesentlichkeit ist. Zur Symetrie sagten wir gehöre die Ungleichheit in der Gleichheit. Ein Paar muß in sich gleich sein, kann aber einem andern ungleich sein, und mit diesem auf gleiche Weise wechseln. Von symetrie und Regelmässigkeit ist nun näher die Gesetzmässigkeit zu unterscheiden, in sofern sie ein Höheres ist, und dann den Uebergang bezeichnet zu der Freiheit des Lebendigen überhaupt, des physischen und geistigen. diese Gesetzmässigkeit für sich selbst als solche ist noch nicht die Freiheit des subjectiven, noch nicht subjective geistige Einheit, sondern ist noch verständig, ist aber Einheit von Verschiedenen auf die Weise, daß sie als ein verborgener Zusammenhang sich versteckt. | diese Gesetzmässigkeit ist für uns theils als Sache der Gewohnheit, theils der Ahnung vorhanden. Wir sagten, schon früher, daß wir den Begriff ahneten, aber theils haben wir seine Anschauung als Gewohnheit. diesen Unterschied deutlich zu machen können wir anführn, wie die absoluten

1 Seele] Kr: Einheit 4 Natur] Kr: Natur, der Tempel, 5 ist die … Regelmässigkeit] Kr: kann nur Regelmäßiges seyn 8 und dieselbe] Kr: und dies ist der Takt. / Eben solche 9 Tönen 2 ] Kr: 9–10 das Metrum … ist] Kr: in dieser erscheint die Einheit wieder als 30 gedankenvolle Tönen 11–12 sich auch … 94Kr Regelmäßigkeit; | daher Numerus und Metrum, andre Arten des Taktes der] Kr: ist der Grund der Bestimmung die wir Reim nennen: die 12–13 Aufgezeigt also … eintritt] Kr: Nach dieser Seite der Aeußerlichkeit hat das Kunstwerk abstrakte Einheit, daher Regelmäßigkeit 16–18 die Ungleichheit … wechseln] Kr: eine Gleichheit und eine Ungleich35 heit sich entsprechender Gestalten; e i n Paar ist sich gleich, ein andres ebenfalls, dem ersten aber ungleich. So entsteht Symetrie 19 unterscheiden, in … ist,] Kr: unterscheiden. Es giebt eine Gesetzmäßigkeit, die höher ist, als beide, die selbstangrenzt 20 Lebendigen überhaupt, … geistigen] Kr: physikalischen und lebendigen Gestaltens 27 diesen Unterschied] Kr: was wir von der subjektiven Einheit unterscheiden 40 24 theils so Kr; fehlt in Ho

In so fern die Kunst eine Seite der Äußerlichkeit hat, tritt auch in dieser die Regelmäßigkeit auf.

c. die Gesetzmäßigkeit als abstract innerer Zusamenhang.

276

Beispiele des Uebergangs der Regelmäßigkeit zur Gesetzmäßigkeit

nachschrift hotho · 1823

Farben: Gelb, Blau, Roth und Grün eine Totalität ausmachen, das Gesetz der Farben sind. wir sind nun diese Farben gewohnt, sind sie zusammen, so haben wir eine Befriedigung, Es kann nun scheinen, daß diese Anzahl ein Gleichgültiges sei, aber der gewöhnliche Sinn hat diß Vernünftige in sich in dieser Totalität befriedigt zu sein. Wir wissen nun, daß es eine Menge Vermischungen und Nuancen von Farben giebt. So zu unterscheiden nun ist die Gesetzmässigkeit von freier subjectivität, die in andrer Rücksicht Zufälligkeit ist. Wenn nehmlich in einem historischen Gemählde Befriedigung da ist, wenn keine dieser Grundfarben fehlt, und sie in ihrem Unterschiede vor|handen sind, so ist die Anordnung, die das Bild der Totalität hervorbringt, und die Grundlage von dem, was wir Harmonie der Farben nennen, die Totalität der Farben und gewisse Stellung derselben; oder das Gesetz der Farben. In Kirchengemählden ZB ist eine alte Tradition, daß die Maria mit einem blauen Kleide gemahlt wird, und Joseph mit einem Rothen. die 4 Farben erschöpfen das Gesetz der Farben. In den Tönen ist so die Prime, Terz und Quinte das Gesetz des Tones, dessen weitere Ausführung die Sache des Generalbasses ist, der das Gesetzmässige ausmacht. die Gesetzmässigkeit also ist eine Einheit wo die Theile eine verschiedne Bestimmtheit zeigen, diese Verschiedenheiten aber ihren Grund in der einen Bestimmtheit des Gesetzes haben; wie die Farben am Blau Gelb Roth und Grün, die keine bloß regelmässige Wiederholung der einen Bestimmtheit ist. diese Einheit aber der Gesetzmässigkeit ist eine verborgne aber wesentliche Einheit. das Auge hat wenn es die 4 Farben beisammen sieht, eine Befriedigung und diese kann wie Göthe sagt, soweit gehn, daß wenn man die eine Farbe sieht, die andre auch sieht. diese Gesetzmässigkeit also muß allem zu Grunde liegen, ist das substantielle; aber ihr fehlt noch die höhere Freiheit der subjectivität. Was näher den Uebergang der Regelmässigkeit zur Gesetzmäßigkeit anbetrifft, so wollen wir ihn durch ein Beispiel klar machen.

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1 Gelb, Blau, … Grün] Kr: (Gelb, Roth, Blau) 1–2 das Gesetz … sind1] Kr: diese 3 sind die substanziellen Unterschiede; die das Gesetz ausmachen 3–5 nun scheinen, … sein] Kr: als Sache der Gewohnheit erscheinen 6 Farben] Kr: Farben, z.B. in Gemälden 12–13 In Kirchenge- 30 mählden … daß] Kr: die Gewohnheit, das Traditionelle, hat hier auch sein Recht; so wird z.B. in kirchlichen Bildern 14 Rothen] Kr: rothen Uebergewande abgebildet, bei Petrus sind die Farben Gelb und Blau, bei Paulus Grün und Roth an ihren Gewändern üblich, und wir | finden uns 96Kr schon durch die Beachtung dieser Gewohnheit befriedigt 16 Generalbasses] Kr: Generalbasses, der verschieden ist von der Melodie, obgleich sich diese nach ihm richten muß 21–23 das 35 Auge … gehn] Kr: die eine Farbe fordert die andre, ja dies geht so weit 24 sieht] Kr: gesehen wird, obgleich sie nicht objektiv da ist 1 Totalität] Totalltät 4 Totalität] Totallität 6 giebt so Kr; Ho: gäbe 11 Totalität] Totallität der Farben über der Zeile mit Einfügungszeichen 12 oder das … Farben. am Rande angefügt 15 Prime, über der Zeile mit Einfügungszeichen 40

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An Linien nehmlich unterscheiden wir sehr die Regelmäßigkeit. ZB. gleich grosse Linien sind bloß regelmässig bestimmt unter einer Bestimung der Grösse, die bei allen wiederhohlt ist. Ebenso ist ein Cubus ein regelmäßiger Körper. Ein 2ter Schritt ist die Ahnlichkeit der Figur, wenn die Quanta nehmlich bei ähnlichen Dreiecken ungleich sind, und nur das Verhältniß das Gleiche ist, die Beziehung einer Linie zur andern, die Neigung der Winkel. Ein ähnliches Verhältniß ist in den krummen Linien und im Kreise. der Kreis hat nicht die Regelmässigkeit der geraden Linie, sondern mit ihr verglichen ist er unregelmässig. Aber er steht noch | unter dem Gesetze der Gleichheit, er hat eine Unregelmässigkeit die im Gesetz der Gleichheit steht, denn die Radien sind noch gleich. | der Kreis ist deswegen noch eine sehr wenig interessante krumme Linie, weil er noch die abstracte krumme Linie ist. Ellypse und Parabel haben schon weniger Regelmässigkeit und sind nur erkennbar durch ihr Gesetz. Ihre Gleichheit ist nicht mehr gesetzt, wenn ich den Brennpunkt annehme, so sind die radii vectores ungleich aber gesetzmäßige Linien. In ihrer Ungleichheit haben sie eine Gleichheit, dasselbe Gesetz, das aber nicht äusserliche Gleichheit ist. Theilen wir die Ellypse nach der grossen und kleinen Axe so haben wir 4 gleiche Stücke; im Ganzen also ist hier noch Gleichheit. Eine höhere Ungleichheit bei innerer Gesetzmässigkeit findet sich bei der Eilinie. Von dieser hat man bisher das Gesetz nicht angeben können, und doch ist sie gesetzmässig. Sie ist nicht Ellipse, sondern sie hat von der einen Seite ein andres Verhältniß der Krümmung. die Eilinie ist eine Linie also, deren Gesetz nicht kann mathematisch angegeben werden, sie ist eine freiere Linie der Natur. Theilen wir diese Linie nach der grossen Axe, so erhalten wir auch noch 2 gleiche Stücke. Eine noch größre Ungleichheit wäre wenn wir eine Linie hätten deren Hälften nach der kleinern Axe getheilt auch ungleich wären, und ein Solches wären die Wellenlinien. Hogarth hat sie als die Linie der Schönheit aufgestellt. | Sie ist besonders im Organischen überhaupt vorhanden, gleichsam eine Eilinie, die sich auf der andern Seite nicht wiederholt

1 die Regelmäßigkeit] Kr: ob sie gesetz- oder regelmäßig sind

4–5 wenn die … ist] Kr: hier sind

30 die Linien von ungleicher Grösse, das Quantum ist verschieden, aber ihre Relation ist gleich

6 ähnliches] Kr: höheres 7 ist in … Kreise] Kr: findet sich 3tens in den Grundlinien, die im Kreise, in der Ellypse liegen 9–10 er hat … denn] Kr: die Richtungen sind immer verschieden, aber 10 gleich] Kr: gleich; alle diese Linien haben Eine Beziehung auf den Mittelpunkt 11–12 noch die … ist] Kr: ist blos verständig 12 Ellypse] Kr: Ellypse, Hyperbel 16 äusserliche Gleichheit 19 Gesetzmässigkeit] Kr: gesetzmäßiger Gleichheit 20–21 Sie ist … 35 ist] Kr: äußerlich existirt Krümmung] Kr: das Oval ist etwas anderes als die Eilinie, wo die beiden Krümmungen verschieden sind 5 Dreiecken] zwei Symbole für Dreieck nebeneinander freier 25 kleinern so Kr; fehlt in Ho

17 Ellypse] Eliypse

23 freiere so Kr; Ho:

Stufenfolge der Regelmäßigkeit: Gleichgroße gerade Linien

Ähnliche dreiecke

der Kreis. der Gesetzmäßigkeit:

Ellypse und Parabel.

die Eilinie.

die Wellenlinien als die Linien der Schönheit; sie kommen besonders im lebendigen Organismus vor.

278

B. der abstracte Inhalt; oder die Materie als sich selbst gleiche Einheit.

nachschrift hotho · 1823

sondern dort sich anders schwingt. Auf solche Weise ZB. ist das Herz gebildet, daß auf der einen Seite die Rundung anders ist als auf der andern; der Arm ist ebenso auf den beiden Seiten nicht gleich, sondern nur ähnlich; er hat ein Centrum das eine ungleiche Peripherie um sich hat, und nirgends auf gleiche Weise sich bestimmt. dieß nun ist Gesetzmäßigkeit ohne Regelmässigkeit; es ist die Form die am Lebendigen unendlich manigfach sich zeigt, und das Zeichnen hängt in seiner Schönheit von diesen Wellenlinien ab, von dieser Schwingung, die zwischen dem Geraden und dem Kreise schwebt, aber unter einem Gesetz steht. | dieß nun wäre von der abstracten Seite die Form gewesen; am Gesetz findet sie ihre Grenze und geht schon der freien subjectivität zu. – die 2te Seite der abstracten Einheit betrifft die Materie, das Sinnliche als Solches. das Materielle in so fern es für sich ist, und in sich abstract zusammenstimmt, ist ein reines Sinnliches, das die Einheit darstellt, deren als Sinnliches es empfänglich ist. Solches Sinnliches sind ganz rein gezogene gerade Linien, oder Wellenlinien. Wenn bei ihnen der Fortgang ganz unmerklich ist, sie sich im Fortgang nicht scharf unterbrechen, so erfreut uns ihre Reinheit, ihre Einförmigkeit, Einheit mit sich selbst. die Engländer haben Maschinen erfunden gerade Linien ganz gleichförmig zu machen. Ein | Spiegelheller See, die Meeresglätte erfreut uns ebenso wegen der abstracten Einheit, ebenso wie der reine Klang der Stimme das unendlich Gefällige und Ansprechende hat, während eine unreine Stimme das Organ mithören laßt die reine aber das Material nicht vernehmen läßt, sondern rein nur Klang ist, Beziehung des Klanges für sich, die Einheit des Klanges mit sich. Ebenso sind reine Farben erfreulich; reines Blau, reines Roth, was selten ist, da das blau gewöhnlich zum Rothen, zum Grünen und Gelben hinzieht. Solch ein reines Roth ist das aus sich Einfache. Ein Violet kann auch rein sein,

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2 die Rundung … andern] Kr: schwingt es mehr auf, auf der andern nähert es sich mehr der geraden Linie 6–7 und das … ab] Kr: alle Konturen des Körpers hängen von dieser Wellenförmigkeit der Linien ab, in Beziehung auf ihre Schönheit 10–11 dieß nun … der 1] Kr: So viel über die abstrakte Einheit der Form, über die Regelmäßigkeit, welche fortgeht bis zur Gesetzmäßigkeit und 30 zur 12 das] Kr: den Stoff, das 15–18 Wenn bei … selbst] Kr: Eine reinliche Zeichnung von geraden Linien, z.B. eine architektonische, erfreut uns durch die Einheit und Gleichheit des Sinnlichen 20 abstracten Einheit] Kr: einfache Einheit mit sich selbst Klang der Stimme] Kr: Klang, z.B. der Metallklang, 21 Ansprechende hat] Kr: Ansprechendes, man hört nichts als das Klingen 21–22 das Organ … laßt] Kr: hört man auch das Organ mit; eben so, wenn bei Klavie- 35 ren das Holz mitklappert 24 erfreulich] Kr: gefallen uns auch wegen ihrer Einheit. dergleichen giebt uns die Vorstellung des Eins 26–279,1 Ein Violet … ist] Kr: Violet, Grün, Orange, sind für sich keine reine Farben, sondern sie spielen mehr oder minder nach denjenigen Grundfarben hin, aus welchen je zweien sie zusammengesetzt sind 16 Fortgang] Forttgg

nicht am Rande angefügt

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aber nur äusserlich rein, nicht beschmutzt, da es für sich kein Einfaches ist, hingegen sind die Einfachen Farben die durch das Gesetz den Begriff bestimmten, die der Sinn sehr wohl erkennt. Sie sind greller gegeneinander und ihre Harmonie ist schwerer. deshalb sieht man in Gemählden die vor 30–40 Jahren gemahlt sind immer gemischte Farben, gedämpfte, da sie leichter sind in Harmonie zu bringen, weil sie nicht so bestimmt sich gegeneinander abscheiden. Reines Blau aber wie vom lapis laculi wurde in früheren Zeiten gebraucht. die Einfachheit besteht nicht im Nichtbeschmütztsein, sondern in dem ihrer Natur nach nicht Vermischtsein, als zum Gesetz der Farben gehörend. | Grün ist allerdings eine gemischte Farbe aus Gelb und Blau aber die Erscheinung ist einfach und greift das Auge weniger an als die Neutrale Farbe, als die vereinigung der Entgegensetzung in einfacher Erscheinung, die Einfachheit also der Farben hängt von ihrer

4 ist schwerer] Kr: macht dem Maler unendlich mehr Mühe, als gemischte Farben 5 gedämpfte] Kr: gräulichen oder gedämpften 6 weil sie … abscheiden] Kr: die denn allerdings, auf diesem Wege, sehr wohlfeil aber auch eben so matt und mager | ist 6–7 Reines Blau … gebraucht] Kr: Lapis-lazuli giebt reines Blau, Krapp reines Roth und diese Farben waren sehr theuer bei den alten Malern und sind es auch noch 7–9 die Einfachheit … gehörend] Kr: Sehr zusammengesetzte Vermischungen und Mittelfarben dürfen die Farben also nicht seyn, wenn sie uns, als solche schon, gefallen sollen 9–12 Grün ist … Erscheinung] Kr: Aus den Mischungen von je 2 Grundfarben entstehen die sanftern Farben, in denen die Gegensätze jener sich auf heben; z.B. Grün aus Gelb und Blau, der Licht- und der Schatten-Farbe: da sind diese beiden Gegensätze in Einem vereinigt und bilden unstreitig die angenehmste Farbe für das blos Physische des Gesichtssinnes. Orange ist satter im Licht, Violet im dunkel; das Roth gehört bei beiden zur Mischung; in ersterm aber ist es der lichten Farbe, dem Gelb verbunden, im zweiten der dunklen Farbe, Blau; auf der einen Seite ist also ein Vorwalten des Lichts, auf der andern des dunkels und so entsteht dadurch nicht diese Sättigung, diese Befriedigung für das Auge, welche dieses bei der Beschauung des Grün erfährt, bei dieser Einigung zweier für diesen Sinn absolut Entgegengesetzter. Es gehört zur Mei|sterschaft des Koloristen, solche Farbenverhältnisse in seinem Gemälde auf geschickte Weise zu vertheilen, so daß das Auge nicht auf der einen Stelle im Übermaaß durch die hellen Farben affizirt werde, während etwa an andern Stellen durch Anhäufung von dunkleren ein Mangel an Licht empfunden würde. diese Farbengebung bezieht sich freilich auch auf Licht und Schatten, die beide in Massen vorkommen können, damit in reicheren Kompositionen das Bild nicht fleckig erscheine; ferner, und was damit zusammenhängt, auf Gruppierung, daß einzelne Massen, als Haupttheile des Ganzen sich einestheils rein auf sich formell beziehen; hier hilft die Wirkung der Farben durch geschicktes Verhältniß sehr viel. Ein weiteres Motiv für die Anwendung der Farbe kann dann auch dieses seyn, daß man eine Figur oder einen andern Gegenstand auszeichnen will, hervorheben vor Anderm, oder daß man umgekehrt dadurch zurückbringen will zur Bildung eines ruhigern Mittel- oder Hintergrundes für die erhöhte Auszeichnung | und Wirkung des Wesentlichsten was sich im Vorgrunde sogleich dem Sinn darstellen soll. dies entspricht nun auch ganz der optischen Farbenerscheinung in der Natur: an fern vom Auge ab liegenden Gegenständen erscheinen die ihnen eigenthümlichen Farben jederzeit geschwächt, gedämpft, oft bis zur Unkenntlichkeit durch den sogenannten Luftton; die nahe vorliegenden dagegen erscheinen in voller Wirkung, im Gegensatz zueinander 12 Einfachheit] Kr: Einfachheit und Bestimmtheit 8 Nichtbeschmütztsein] Nichtbeschmützhtsn

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Stellung im Gesetz ab. Ebenso sind die Töne in der Sprache auch rein wie die Vocale a, e, i, o, u, und gemischte wie ä, ö, ü. Volksmundarten haben eine Menge unreiner Töne, Mitteltöne von oa. Zu der Reinheit des Tons gehört noch, daß vocale von Consonanten umgeben sein, die nicht die Reinheit des Vocals dämpfen, wie im Italienischen, während die nordischen Sprachen das reine Tönen der Vocale verkümmern. – das Sinnliche die abstracte Einheit an sich tragend ist das Reine, welches die Künste auch zu beobachten haben. dieß nun waren die beiden abstracten Einheiten. Beide sind unlebendig und unwirklich, nur abstracte. Uebergang zur folgenden Stufe.

Mangelhaftigkeit des Schönen als des nur Lebendigen:

2, Indem nun näher die Einheit bestimmt ist wie sie die Natur des Lebendigen ausmacht, so gehn wir jetzt zur eigentlichen Schönheit zur idealen in ihrem Unterschiede gegen die Naturschönheit über. Unser Gegenstand ist die Kunstschönheit und wir haben genauer zu sehn, wie er sich gegen die Naturschönheit abscheidet. dadurch wird die Natur des Ideals sich näher entwickeln. Man kann abstract sagen, das Ideal sei das Vollkommne, aber solche abstracte Pradicate drücken kein Bestimtes aus, denn gerade um die Bestimmtheit dessen, was das Vollkommene ist, ist es zu thun, und es fragt sich, warum ist die Natur nothwendig unvollkommen, woraus erst die Nothwendigkeit der Kunstschönheit hervorgeht. Bei dieser Betrachtung ist das Erste, daß wir die subjectivität, das Moment der Individualität, der Lebendigkeit herausheben. Spricht man vom Schönen so spricht man von ihm als der Idee, wie | vom Guten und Wahren als dem substantiellen. diese Ideen, das Gute, Wahre und Schöne | sind selbst Einheit des Begriffs und der Realität, sind Einzelheit und diß ist der Begriff der Idee. Aber diese Ideen sind selbst noch ein Allgemeines, und das Ideal ist noch ein Anderes als die Idee. Plato war es, der die Idee als das Wahre substantielle aufstellte, als das Concret Allgemeine, aber seine Idee ist noch nicht Ideal, noch nicht

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1 Stellung im Gesetz] Kr: Bestimmtheit des Gesetzes 2 gemischte] Kr: die unreinen ü] Kr: ü u.s.w. und man hört daß die letztern schon zusammengesetzte sind 2–3 haben eine … oa] Kr: und unreine Sprachlaute sind besonders beim rohen Volke im Schwange 7–8 das Sinnliche … 30 haben] Kr: Also auch das sinnliche Element | muß rein und einfach seyn 16 das Vollkommne] 103Kr Kr: immer vollkommene Schönheit, die Natur enthalte sie aber nicht vollkommen 17 drücken kein … aus] Kr: sind unbestimmte Ausdrücke der wolffischen Philosophie 19–20 woraus erst … hervorgeht] Kr: Aus der Bestimmung dieser Nothwendigkeit, geht die der idealen Schönheit, der Kunst-Schönheit hervor 23 sind] Kr: die man gewöhnlich so zusammen nennt, sind 27 All- 35 gemeine] Kr: Allgemeine, die Gattung 1 ab] so Kr; Ho: an 10 abstracte] abstrcrlte gestr. nach) d. 24 Realität] davor gestr: Einht

11 / 2, so Kr; fehlt in Ho

17 um die] (um über

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wirklich, noch nicht für sich, sondern nur erst noch an sich. Aber das Wahre muß zur Wirklichkeit fortgehn, die Gattung ist nur als freies Individuum ist als Gattung als solche nur ein bloß Äusserliches oder bloß Innerliches. das Wahre als Wahres ist nur im wissenden Individuum, das Gute wird durch den Menschen verwirklicht, und diese Individualität gehört zum Guten. Alles Wahre ist nur als Individuelles, als für sich seiende Einheit. dieses Fürsichsein, diese subjectivität ist der wesentliche Punkt, der festzuhalten ist, und er liegt in der negativen Einheit, in der Idealität des Bestehenden, in der Einheit des Begriffs und der Realität, welche Einheit aber gedacht werden muß als negative Einheit dieser beiden; ihre Einheit also ist das Aufgehobensein ihres gesetzten Unterschiedes, die für sich seiende, unendliche Einheit. diese ist das was wir die Seele nennen können, und wie diese im Natürlichen vorhanden ist, haben wir zu betrachten. Mit der subjectivität tritt die Idee in’s dasein heraus. die subjectivität ist die negative Einheit mit sich, das Eins, dessen weitere Bestimung Einzelheit ist. Indem das subject sich als die negative Einheit selbst ist wird es ein einfaches Unmittelbares, Einzelnes. die Einzelheit ist ausschliessend, und mit dieser Unmittelbarkeit die negativ gegen Andres ist wird hervorgebracht, daß die Idee in’s dasein tritt, in die unendlich mannigfache Beziehung mit Äusserlichem und Anderem. Nun ist auch das Geistige subjectiv, hat an ihm die Weise der Einzelheit und an dieser ist, daß das, was wir Naturschönes nennen können sich vom Kunstschönen unterscheidet. der substantielle Inhalt ist derselbe. das Natürliche ist Leben in sich, der Geist als unmittelbar ist dasselbe: in beiden ist das substantielle das Ewige, das Göttliche. | die Naturschönheit also und das Ideal haben denselben Inhalt, und die Bestimung des Unterschieds liegt in der Seite der Form, als der Einzelheit. Was nun das Nähere dieser Bestimung betrifft was nehmlich den Mangel des Natürlichen ausmacht, so ist es jetzt zu betrachten. | die erste Seite dieser Unvollkomenheit

1–2 Aber das … die] Kr: und erst Aristoteles erkannte die Wirklichkeit, das Für-sich-seyn des Wahren, und er steht daher höher als Plato. / die 2–3 ist als … Innerliches] Kr: darum ist sie nur 5 Individualität] Kr: Verwirklichung 6 Individuelles] Kr: Geist sub30 in unsrer Vorstellung jectivität] Kr: Subjektivität und Individualität 8 Realität] Kr: Realität, die Seele 10–11 ihres gesetzten … und] Kr: die Negation dieses Unterschiedes, die unendliche Negativität. diese Negati14 Einzelheit] Kr: Einzelheit überhaupt, in ihrer 105Kr vität und Subjektivität | der Seele Unmittelbarkeit 16–17 mit dieser … hervorgebracht] Kr: diese ausschließende Einzelheit 17 dasein tritt] Kr: Verhältniß der Abhängigkeit heraustritt 19 Geistige] Kr: 35 macht Ideal 21–22 Natürliche ist … beiden] Kr: Wesen des Geistes und der Natur 24–25 die Bestimung … als] Kr: Nur durch die Form unterscheidet sich das Werk der Kunst vom unmittelbaren Werk der Natur, und dieser Unterschied liegt in 26 den Mangel … Natürlichen] Kr: die Unvollkommenheit des Unmittelbaren 40 8 Realität] davor gestr: Idee

22 das Ewige, am Rande angefügt

282 a. In Betreff auf die Lebendigkeit als Organismus.

Am Lebendigen sehn wir nur die Mannigfaltigkeit des Lebens, des Organismus, nicht die Einheit des Lebens.

der thierische Organismus als außereinander der Glieder ist ausserdem noch mit einer Bedekung überzogen, die aus einer niedrigern Stufe der Lebendigkeit sich herschreibt.

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betrifft die Seite des Lebendigen überhaupt als Organismus. das organisch Lebendige ist Insich und fürsichsein, erhält sich, ist Proceß in sich, negative Beziehung auf sich, assimilirt sich das Äussre, ist der stete Proceß der Assimilation, Verwandlung des Äußern zu einem Innerlichen. dieser Proceß des lebendigen Organismus ist ein System von Thätigkeiten und von besondern Existenzen in welchen diese Thätigkeiten sich bethätigen, ein System von Eingeweiden. Die Lebendigkeit besteht in solchem sich in sich beschliessenden System, und wir sagten früher, daß dieses System das Lebendige für sich mache. das Lebendige auf diese Weise ist nach Zweckmäßigkeit gegliedert; alle Glieder sind Mittel für den Einen Zweck der Lebendigkeit, der Selbsterhaltung. das Leben ist in ihnen immanent, sie sind an dasselbe, und das Leben an sie gebunden. diß erblicken wir am Leben nicht, wir sehn nur die Manigfaltigkeit des Organismus, nicht den Einheitspunkt seines Lebens. Im Thier ist die Hauptsache das Verzehren des Andern und die Selbsterhaltung oder die Begierde; die Seele des Thieres ist nur begierlich, und der Verlauf der Begierde ist das System der Gliedrung des Organismus. Vergleichen wir das Thier mit der Pflanze, so fanden wir sie als die stete Production ihrer selbst als Individuen, das Thier hingegen ist nur ein Individuum; die Pflanze ist | überall ein Individuum, jedes Blatt ist die ganze Pflanze und der Stamm, das Holz, die Mitte ist das Todte, das sich nur immer nach Aussen seinem Selbst, dem Licht sich entgegenrankt. die Pflanze erhält also nicht sich als Individuum. das Thier ist davon das Gegentheil, ist das Eins. Wenn wir nach dieser Seite vom Thier sprechen so sehen wir es als ein Individuum Insich; | hat seine Leiblichkeit nicht überall individuell wie die Pflanze. Was wir deswegen am Thier betrachten, ist daß wir den ganzen Körper mit Federn, mit Schuppen überzogen sehn, oder mit Haaren, mit Pelz, mit Muschel. dergleichen Bedekung gehört der Animalität an, aber es sind animalische Productionen in der Weise der Vegetation. Wir erblicken also am Thier ein Vegetabilisches und deshalb, nehmlich weil das Thier nur Insichsein ist, so sehn wir seine Lebendigkeit nicht überall an ihm. dieß ist unmittelbar der Mangel der animalischen Organisation, insofern sie für uns ist, daß sie nicht allenthalben als Lebendigkeit, als Individuelles erscheint, sondern was nach Aussen gekehrt ist beim Thier ist eine niedrigere Stu-

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2 sich1] Kr: sich, hat seine Begierde und sättigt sie 5–6 in welchen … bethätigen,] Kr: deren jeder eine besondre Weise dieser Thätigkeit zukommt; – 9 gegliedert] Kr: gegliedert und organisirt 9–10 sind Mittel … Selbsterhaltung] Kr: reproduziren sich untereinander 11 an sie] Kr: ist an diese Existenz 12 des Organismus] Kr: der Organe 16–17 fanden wir … Indivi- 35 duum] Kr: hat diese das Eigenthümliche, daß sie sich in ihrer Aeußerlichkeit als Individuum zeigt 20–21 also nicht … Individuum] Kr: sich also nur dadurch, daß sie ihre Individualität vervielfältigt 27 Vegetation] Kr: Vegetation und ohne Empfindungen 22 als ein … Insich; am unteren Rande angefügt

24 daß] das

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fe als die thierische Lebendigkeit. Vergleichen wir damit die menschliche Lebendigkeit so steht sie darin höher, daß der Mensch das fühlende Eins zu sein überall vergegenwärtigt; denn die Pulsation des Blutes ist an der ganzen Oberfläche, das Herz, das Hirn ist gleichsam Allgegenwärtig; der menschliche Körper schon in seiner Erscheinung zeigt sich als die Lebendigkeit; das Blut scheint überall durch, die Haut ist überall empfindend, während beim Thier die Oberfläche vegetabilischer Natur ist. das Gerüst der Lebendigen Organisation ist beim Thier verdeckt durch eine niedrigere Stufe des Organismus; beim Menschen hingegen ist das pulsirende Herz überall erscheinend, so wie auch das Nervensystem. dieß macht schon die unendliche Vollkommenheit des menschlichen Körpers aus gegen den | animalischen. Theils also das Blut erscheint an der Haut, theils die Empfindlichkeit, die Nervenfarbe, der Teint, der das schwerste für den Mahler ist, das Kreuz für den Künstler. dieser Menschliche Körper in seiner Erscheinung zeigt sich also als empfindend. Er zeigt aber an den Poren, den Härchen, die Bedürftigkeit der Natur, die Haut ist eine Bedeckung, die die Bedürftigkeit der Natur zeigt, ist eine Bedeckung für die Nothwendigkeit der | Selbsterhaltung. die Empfindung ist da vorhanden, aber eben es ist noch ein Aussereinandertreten, kein in sich Concentrirtes. der menschliche Körper aber hat den höhern Vorzug obgleich auch in ihm die Bedürftigkeit noch zum Vorschein kommt. das Höhere ist, daß die Seele, der Geist im menschlichen Körper ist. In der Naturgestalt als solcher ist es also besonders die Nothwendigkeit die erscheint; im Menschlichen aber erscheint auch der Punkt der Individualität die Empfindung. – dieß ist die 1ste Seite. die 2te Seite der Einzelheit ist, daß diese als ausschliessend ist, und dadurch in Verwicklung mit der Aussenwelt, in Abhängigkeit von ausserlichen Zwecken, zu denen das Individuum Mittel ist, oder des Äusserlichen selbst als Mittel bedarf. die Relation ist also von der manigfaltigsten Art und macht die Seite aus, von welcher das Lebendige sich als unfrei zeigt. das Thier ZB. ist sogleich an ein bestimmtes Naturelement gebunden, an Luft, Land, Wasser. dieß sind die grossen Unterschiede der Thiere; es treten dann wohl noch andre Mittelgeschlechter

30 3–4 denn die … Allgegenwärtig] Kr: die Erscheinung des Lebens tritt allenthalben hervor und in

der Zirkulation des Blutes bis in die äußersten durchscheinenden Punkte zeigt sich die Allgegenwart des Herzens 5–7 das Blut … ist1] Kr: die Haare treten am menschlichen Körper zurück, sind untergeordnet 12 der Teint] Kr: die Karnation 13–14 dieser Menschliche … empfindend] Kr: denn man sieht der menschlichen Haut das Empfindende an 16–17 die Empfindung … vorhan35 den] Kr: der menschliche Körper erscheint also im Ganzen empfindend, gegen den animalischen 24 Verwicklung mit … Aussenwelt] Kr: Relation mit Anderm Zwecken] Kr: Mächten, seine Relativität überhaupt 27 unfrei] Kr: Unfreiheit, der Unselbstständigkeit überhaupt 28 an Luft, … Wasser] Kr: durch seinen Organismus, seine Gestalt: Wasserthier, Luftthier, Landthier 29 Mittelgeschlechter] Kr: Vermischungsgeschlechte 40 25 das Individuum so Kr; Ho: es

der menschliche Organismus zeigt seine Lebendigkeit einmal in dem überall durchschimmernden Blut und in der Nervenfarbe dem turgor vitae. (turgor, das Strotzen)

Aber in der Haut zeigt sich als Poren und Härchen doch noch die Bedürftigkeit der Natur.

b. In Betreff auf die Lebendigkeit als unmittelbar einzelne, wodurch sie äusserlich in Naturabhängung, innerlich oder geistig in Abhängigkeit von andern Individuen tritt, oder von höhern Stufen des Geistes.

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auf: Vögel, die | schwimmen, Säugethiere, die im Wasser leben. Aber dieß sind nur Vermischungen. Sonst aber in Rücksicht auf den Menschen ist der Organismus in Abhängigkeit auch mannigfach durch Gemüth und Natürlichkeit, durch Bedürfniß, durch Staat, durch Gesetz. das Individuum ist dabei nicht aus sich thätig aufzufassen, sondern es ist aus anderm zu fassen d.h. nicht als selbstständige Lebendigkeit die beim Begriff der Schönheit zu Grunde liegt. das Individuum erscheint also als Abhängigkeit nicht als frei für sich. Hieher gehört alles, was wir zur Prosa des Lebens und des Bewusstseins rechnen, das Nicht-aus-sichbestimtsein, sondern durch Anderes Gesetzt- und Bestimtsein. Hieher gehört die ganze Endlichkeit der Zwecke. Zu irgend einem Ganzen von Begebenheiten und Handlungen, dazu tragen viele Individuen bei, die nach dieser einzelnen Thätigkeit als Fragmente erscheinen. Eine Begebenheit als ein System von Thätigkeit ist ein Ganzes eine Menge von Einzelheiten. | diese Einzelheiten sind sich wohl auch Zweck dabei, die Beiträge sind durch ein eigenes Interesse vermittelt, aber mehr und weniger nur eines formellen Willens, den Umstände und Natürlichkeit bestimmen. – dieß also ist der Kreis der Verschlungenheit in Relatives, die Prosa der menschlichen Welt, insofern sie dem Bewusstsein er|scheint. dem gewöhnlichen reflectirenden Bewusstsein erscheint die Welt als diese Menge von Endlichkeiten. diese zweite Seite betrifft also auch die geistige Welt und daß diese zweite Seite eine unvollkomne ist, bestimmt sich in der Vergleichung dieser Abhängigkeit mit der Freiheit des Geistes. die Lebendigkeit ist in diesem Widerspruch als sich selbst dieß Eins von anderm abzuhängen, und ist der stete Kampf diesen Widerspruch aufzuheben. Es ist dieß das Bild der Endlichkeit, des steten Bekriegens. Es ist die erscheinende Welt. die 3te Bestimung, die hier herein tritt, ist, daß das Lebendige nicht nur in seiner Abhängigkeit als beschränkt erscheint, sondern auch in sich selbst particu-

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1 schwimmen] Kr: auf und in dem Wasser schwimmen Säugethiere, die … leben] Kr: Amphibien u.s.w. der ganze Habitus eines Thiers ist durch solche Partikularitäten bestimmt 5–6 d.h. nicht … liegt] Kr: aus seiner Zeit, seinem Klima, seiner nächsten Umgebung und aus so mannichfachen Verhältnissen, aus welchen es zu empfangen und in welchen es wieder thätig, wirksam zu 30 seyn bestimmt ist 8 Prosa] Kr: Prosa, zur Endlichkeit 8–9 das Nicht-aus-sichbestimtsein, … Bestimtsein] Kr: und diese Seite entspricht nicht dem Begriff der Schönheit 16 dieß] Kr: So macht sich der Mensch selbst zu einem Mittel für Andre. dies 17 der] Kr: des menschlichen Lebens, der 21 Freiheit] Kr: Idee der Freiheit 22–23 die Lebendigkeit … aufzuheben] Kr: welch ein Widerspruch zeigt sich da! wie kämpft das Leben gegen denselben an, der sich doch immer 35 wieder erneuert! dieser Zustand der Abhängigkeit von der Äußerlichkeit widerspricht also der Idee der Freiheit 25–26 in seiner … erscheint] Kr: so beschränkt und begrenzt ist durch Anderes 2–3 der Organismus in] d (Organismus in über der Zeile mit Einfügungszeichen) Vrgleichchg

21 Vergleichung]

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larisirt ist, daß das Lebendige in sich selbst eine feste Beschränktheit hat, eine Art ist. Was erst die Natürlichen lebendigen Gestalten betrifft, wissen wir, daß sie alle Arten sind, nach ihrer physikalischen und nach andern Seiten. die Natur ist wesentlich immer in einer bestimmten Art. dem Geist steht das Bild der allgemeinen Lebendigkeit vor, der entwickelten Organisation. der Mensch hat an sich schon die lebendigste Organisation, und muß daher die Thierarten unvollkommen finden. denn es giebt auch schlechte Lebendigkeiten, und falsch ist es Lebendigkeit für Lebendigkeit zu halten gleich sie sei wie sie sei. Auch die menschliche Organisation ist verkümmert, und nicht bloß augenblicklich, sondern diese verkümmerniß bleibt stehn. die Kinder sind am schönsten weil in ihnen noch alle Particularitäten schlummern, keine Leidenschaft gewüthet hat. Aber die Bestimmtheit wird auch ein Festes, Erbliches, und ebenso ist auch der Character vielfach beschränkt. Was nun unmittelbar dagegen zu sagen wäre, ist daß es Sache der Kunst ist, die Erscheinung der Lebendigkeit und vornehmlich der geistigen Lebendigkeit auch ausserlich in ihrer Freiheit darzustellen, die sinnliche Erscheinung dem Begriff gemäß zu machen, | die Bedürftigkeit der Natur, die Erscheinung zur Wahrheit, zum Begriff zurückzuführen. Und dieß wäre dann näher die Aufgabe für die Kunstschönheit. das Ganze eines solchen Natürlichen entspricht wohl einem Begriff, aber nicht die Einzelheit, und indem der Begriff so nur ein Innerliches bleibt, so bleibt dieß Ganze nur für uns, für unsre Erkenntniß als denkende, erscheint nicht als Ganzes. die Manigfaltigkeit nun | in einen Ausdruk zusammenzufassen, so daß noch ein Aussereinander ist, aber jeder Theil an ihm zeigt das Ganze als in Eins gefasst zu sein, oder daß das Ganze als

1–2 daß das … ist] Kr: das Individuum ist selbst eine espece

2–4 erst die … bestimmten] Kr: das

25 natürlich Lebendige betrifft, so theilt es sich in Arten und die Natur ist unter der Schranke

der 5–7 vor, der … finden] Kr: und vollkommensten Organisation vor, nämlich im menschlichen Körper, nach welchem, als nach einem Maaßstabe, alle übrige Lebendigkeit, gemessen werden muß. Auch im Thierwesen ist das Eine besser, das Andre schlechter 9 verkümmert] Kr: 10–12 die Kinder … ebenso] Kr: daher ha111Kr verkümmert | durch Sorgen, Leiden, Angst u.s.w. 30 ben die Kinder diesen Ausdruck der reinen schönen Lebendigkeit, sie sind in dieser einfachen beziehung auf sich, haben noch keine bestimmtheit empfangen von dem Aeußerlichen, das ihnen späterhin mehr oder weniger beschränkend, hinderlich und verkümmernd entgegentreten kann. Im reifern Alter zeigen sich daher Physionomien, denen man es ansieht, daß sie sich nur durch die Wirkung von heftigen Leidenschaften so bestimmen konnten, und dergleichen werden sogar er16–17 Bedürftigkeit der … zurückzuführen] Kr: die Erscheinung frei zu ma35 blich. / Eben so chen von dieser Seite der bedürftigkeit, der Endlichkeit, der Prose des unmittelbaren daseyns 19–21 und indem … Ganzes] Kr: der Begriff fällt außerhalb des Vorhandenen, er fällt in uns 21 Manigfaltigkeit nun] Kr: Wahrheit zu enthüllen in der Mannichfaltigkeit, sie 22 ein Aussereinander] Kr: Erscheinung da 23 Ganze] Kr: Einzelne 40 21 als denkende über der Zeile mit Einfügungszeichen

c. In Betreff darauf, daß die einzelne Lebendigkeit als einzelne in sich particularisirt und beschränkt ist.

Zweiter Abschnitt. das Kunstschöne oder das Ideal überhaupt. das Kunstschöne läßt im Aussereinander der sinnlichen Erscheinung an jedem Theile die Einheit oder die Seele als solche erscheinen.

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die Kunst also hat nun der Forderung zu genügen, am Endlichen als solchen seine an sich seiende Unendlichkeit erscheinen zu lassen, ist die Manifestation der dem Körperlichen immanenten Seele.

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beseelt sich darstellt: dieß ist die nähere Bestimung des Ideals, die Schönheit wie sie als Kunstschönheit sein soll. nehmen wir hier zur Erläuterung die menschliche Gestalt, so ist sie noch eine Äusserlichkeit, eine Menge Organe, in die der Begriff auseinandergegangen ist, und jeder Theil zeigt nur eine partielle Regung. Fragen wir aber nach einem Organ in welchem die Seele als solche erscheint, so wird uns sogleich das Auge einfallen, in dem der Geist als sichtbarer concentrirt ist. Wir sagten schon früher, daß an dem menschlichen Körper im Gegensatz des thierischen überall das pulsirende Herz sich zeige. Auf dieselbe Weise kann von der Kunst gesagt werden, daß sie das Erscheinende an allen Punkten der Oberfläche zum Auge zu erheben habe, welches der Sitz der Seele ist, den Geist erscheinen läßt. Platon spricht in einem Distichon an seinen Stern aus: er möge der Himmel sein, ihn aus tausend Augen zu sehn[.] Umgekehrt können wir sagen, die Kunst gebe dem Gegenstand tausend Augen um überall gesehn zu werden. denn durch das Auge sieht die Seele nicht nur, sondern wird auch darin gesehn. die Erscheinung ist manigfach; die Kunst macht sie zu einem Solchen, daß sie überall sei als Organ der Seele, als Manifestation derselben. Zur Erscheinung gehört alles Äussere, Rede, Figur ect. die Kunst hat nun das, was für das prosaische Bewusstsein nur als endlich vorhanden ist, überall durchsichtig zu machen, so daß es an allen Organen den Ton der Seele, das Geistige offenbare. | Sagten wir daß die Kunst die Seele solle sichtbar machen, so kann gefragt werden, welches die Seele ist, die ihrer Natur nach fähig ist zur Manifestation zu kommen. denn wir sprechen von Seele der Metalle, Felsen, Gestirne, ferner als von der Particularisation des bestimmten Menschencharacter. Seele für ein natürliches ding zu gebrauchen ist ein uneigentlicher Ausdruk, denn sie haben höchstens eine n u r lebendige Seele; die bestimmte specifische Individualität der natürlichen dinge

1 ist] Kr: ist abstrakt 1–2 die Schönheit … soll] Kr: macht das Wesen der Kunst aus 4 partielle Regung] Kr: besondere Seite 5 die Seele … solche] Kr: das Ganze, als solches, die Seele als Seele 6 der Geist … ist] Kr: die concrete Seelenhaftigkeit sich äußert; daher nennt man auch das Auge, diesen Glanz der Lebendigkeit, den Spiegel der Seele, des innern Menschen 7–8 an dem … zeige] Kr: der menschliche Körper an jedem Punkt empfindlich ist 9 das] Kr: die Gestalt, das 10 erheben] Kr: machen 10–11 Geist erscheinen läßt] Kr: er|scheinenden Geist 12 ihn] Kr: seinen geliebten Asper 13 die Kunst … überall] Kr: hat das Kunstwerk tausend Augen, nicht aber um selbst zu sehen, sondern als Seele, als Seelenvolles 15–16 die Erscheinung … derselben] Kr: Man sieht dem Menschen zuerst nach dem Auge, um das Ganze seiner Seele in Einem zu erblicken 17 alles Äussere, … ect] Kr: die unmittelbare Leiblichkeit 17–18 prosaische] Kr: unmittelbare 18 als endlich] Kr: in Beschränkung und Endlichkeit 21 zur] Kr: in ihrer Vereinzelung zur 22 Metalle, Felsen] Kr: Steine, Pflanzen 24–25 sie haben … dinge] Kr: die Seele der Pflanze ist vielmehr spezifische Natur, und die empfindende Seele des | Thiers ist eine endliche, die sich 16 Manifestation] Manitestatin

21 nach so Kr; fehlt in Ho

32 Asper lies: Aster

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manifestirt sich schon in ihrer endlichen Erscheinung. diese stellt nur ein Beschränktes dar, die Erhebung der Unendlichkeit ist dann ein Schein der diesem wohl zu leihen ist, aber dann nur von Aussen kommt. denn das Natürliche ist an sich nicht unendlich, einerseits ist die Manifestation eines solchen nur Lebendigen nur formelle Lebendigkeit; der Inhalt dieser Form ist eine bloß endliche Innerlichkeit. Nur die Seele des Geistes, das Beisichsein des daseins, i s t die Unendlichkeit der Seele. das dasein als solches ist immer beschränkt, nur das Sichwissen des Endlichen, der Geist ist das Freie, das im dasein beisichseiende, so daß sein dasein bei ihm bleibt, obgleich es ideell gesetzt ist. Insofern der Geist Bewusstsein ist ist schon vorhanden, daß seine Äusserung, obgleich sie ein Treten in die Beschränktheit ist, dennoch zugleich an ihr den Stempel der Unendlichkeit, der Rückkehr zu sich hat. In dieser seiner Freiheit ist der Geist fähig, verkrüppelt zu sein, als solcher zu existirn; legt er in sein dasein solchen Inhalt, so ist seine Manifestation bloß formell, drückt die Freiheit der Unendlichkeit | aus, aber als leere Form des Bewusstseins, dessen Inhalt der Form unangemessen ist. nur durch den würdigen Inhalt hat das dasein substantialität, nur durch den ächten Inhalt erhält das dasein in seiner Beschränktheit einen wahrhaften Inhalt, so daß bestimmter und substantieller Inhalt in Einem ist. die Kunst hat somit die darstellung der Wahrheit des daseins zum Gegenstand, das dasein in so fern es dem Begriff angemessen ist, der so sein muß, daß er | an und für sich ist. die Wahrheit also hat nicht blosse Richtigkeit zu sein, sondern das Äussere muß mit einem Innern zusammenstimmen, das an ihm selbst ein Wahres ist. das ist die Natur des Idealen überhaupt, das darin besteht, daß das äusserliche dasein als dem Innern gemäß und zu ihm zurückgeführt ist, aber nicht so, daß zum Gedanken als solchen fortgeschritten wird, sondern | nur bis zum Mittelpunkt der individuel-

2–3 die Erhebung … ist1] Kr: Man kann dem Thier wohl einen höhern Schein leihen 4–6 einerseits ist … Innerlichkeit] Kr: die empfindende, n u r empfindende Seele ist wohl subjektiv, sie ist zwar lebendige, aber nicht die sich wissende Seele. daher ist der Inhalt derselben auch beschränkt, Begierde, die Furcht des abhängigen Lebens 6–7 das Beisichsein … Seele] Kr: die in ihrem da30 seyn bei sich selbst ist, in ihrer Endlichkeit bei sich selbst ist als gegenwärtiges Bewußtseyn, nur diese ist die freie Unendlichkeit und die Offenbarung derselben 7–9 das dasein … ist] Kr: Dadurch ist die Weise ihres daseyns bestimmt als solche, die bei ihr bleibt, und als dem Geiste angehörig ist sie als ideell gesetzt, selbst formell unendlich 12 verkrüppelt] Kr: eine verkümmerte, verkrüppelte Existenz 15 unangemessen] Kr: etwas Ungewisses 18–19 die darstellung … 20 an] Kr: sich 35 Gegenstand] Kr: die Bestimmung, die Wahrheit aufzufassen und darzustellen selbst angemessen, An- 21 sondern] Kr: wie diese dafür gehalten wird bei der Nachahmung der Natur und wovon schon früher Erwähnung geschah; sondern 22 an ihm] Kr: an- und fürsich 24 zum] Kr: über die Mitte hinausgegangen wird zum andern Extrem, zum abstrakten 1 manifestirt] manifetstirt 40 Inhalt; Kr: innern Inhalte

ihrer] sr 4 Manifestation] Manifettatn 23 als] folgt gestr: Innres

20 Begriff ] davor gestr:

das Natürliche also als nur endliches dasein kann Seele wie sie in der Kunst sein soll nicht erscheinen lassen. die Seele wie sie in der Kunst ihre Stelle hat muß die Seele des Geists sein.

diese ist schon im Bewusstsein als solchen vorhanden, welches formelle Freiheit ist, deren Inhalt kann ein verkrüppelter sein. die Seele der Kunst oder die Freiheit des Geistes hat eben so einen der Form angemessenen Inhalt zu fordern; dieser also muß in seiner Bestimmtheit zugleich ein substantielles sein. das Ideal also ist die Manifestation des Begriffs, Einheit der Seele und ihres Körpers, so daß der Inhalt dieser Seele ein an und fürsichseiender wahrhafter, und die Erscheinung dieses Inhaltes seinem Wesen angemessen sei.

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das Natürliche als solches kann daher nur Gegenstand der Kunst sein in sofern der Geist darin irgend eine seiner Bestimungen wiederfindet

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len subjectivität. der Gedanke, das substantielle muß in die Individualität noch eingeschlossen sein nicht abstract hervortreten, so daß es mit einer Bestimmtheit des daseins zusamenfällt, welches gleichsam seiner Bedingtheit enthoben zum Innerlichen heraufgehoben ist. In dieser subjectivität sind die Extreme der blossen Ausserlichkeit und Innerlichkeit zusammengefallen. Schiller hat ein Gedicht gemacht: das Reich der Schatten, später das Reich des Schönen genannt. das Schöne ist ein Schatten, der Geist enthoben der Endlichkeit äusserer Zufälligkeit, der Verkrüppelungen des daseins des Begriffs. die Spuren solcher Einwirkungen sind verwischt, der Apparat, den die Natur gebraucht, ist zurükgeführt bis zu der Grenze, wo er Manifestation der geistigen Freiheit sein kann, abgeschieden von der Ausserlichkeit, | aber lebendig in sich, in der Bewegung eines wahrhaften Inhaltes. dieß ist die Natur des Idealen überhaupt – das Ideal ist ein Geistiges. Und ist das Ideal auch Ideal eines Natürlichen, so ist diß nicht Gegenstand der Kunst als Unmittelbares sondern nur insofern ihm ein Geistiges eingehaucht ist, der Geist irgend eine seiner Bestimungen darin findet, dadurch angeregt ist, sich erkennt. Zum Idealen also gehört, daß es in der sinnlichen Welt zugleich in sich geschlossen ist, der Geist den Fuß in das Sinnliche setzt, aber ihn zu sich zurükzieht, auf sich beruhend, frei im Äusserlichen mit sich zusammengeschlossen, sich geniessend, als sinnlich selig in sich seiend, im Äusserlichen sich habend, seiner sich freuend, den Klang der Seligkeit durch seine ganze Erscheinung ertönen lassend, wie sie auch auseinander sich breitet; sich nie verlierend, immer beisich | bleibend. dieß ist die allgemeinste Bestimung des Ideals gegen das Natürliche als Schönes. – das Ideal für sich ist leicht zu fassen, das Schwierigste daran ist,

1 substantielle] Kr: An- und für-sich-seyn 3–4 zum Innerlichen … ist] Kr: ist zugleich dem Innern entgegengehoben, gleich einem Kinde, das die Mutter zu sich erhebt und ihm den Kuß ihrer Liebe giebt 4–5 In dieser … zusammengefallen] Kr: die Abhängigkeit des vereinzelten daseyns wird damit abgewischt, sie hebt sich auf in dieser Weise, in dieser Beziehung zum Unendlichen 7 der Geist … äusserer] Kr: es sind Geister, die herausgehoben sind aus den Banden der Abhängigkeit, gegenseitiger Zweckmäßigkeit, der 9–11 gebraucht, ist … Ausserlichkeit] Kr: braucht, um ihren Gebilden Selbsterhaltung, daseyn zu geben, ist abgelegt: es sind also abgeschiedene Geister, wie sie in der Kunst erscheinen, aber nicht so abstrakt erscheinen sollen 12–15 das Ideal … sich] Kr: also: geistig zu seyn im äußerlichen Element, im Sinnlichen. Wenn nun die Kunst auch Landschaften u.s.w. darstellt, so muß doch Beziehung auf ein geistiges Bedürfniß darin seyn, daß man ein Geistiges darin sich darstellend 18 im Äusserlichen] Kr: in dieser Beschränkung des unfreien daseyns 20 Klang] Kr: Klang der Unendlichkeit, der 21–22 sie auch … bleibend] Kr: drükkend und beschränkend auch die äußerlichen Verhältnisse sind, so hat er doch dies Beharren, dies Beruhen auf sich 23 als Schönes] Kr: dem ebenfalls wie jenem, doch in andrer Beziehung, die Bestimmung des Schönen zukommen kann, da sie sich am einzelnen daseyn stets in der Vertrübung vorfindet, die nothwen|dig mit der Zufälligkeit im Endlichen verbunden ist 9 den] das 18 zusammengeschlossen Lesung unsicher alles 21 sie über gestr. es

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20 seine ganze Erscheinung über gestr. 40

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daß indem es nicht bloß abstracte Idee ist, sondern auch Wirklichkeit hat, in dem dasein somit auch in die Äusserlichkeit tritt, aber in diesem Herausgehn in die Endlichkeit die Idealität selbst noch erhalte. diese Seite ist als die dritte noch näher zu Betrachtende nach dem Begriff des Schönen und nach Betrachtung des Kunstschönen als des Idealen. die Frage ist jetzt, in wie fern das dasein als Endlichkeit kann in sich die Idealität empfangen. Beschränkten wir uns auf die Sculptur könnten wir diese Seite leichter übergehn, denn die Sculptur stellt das Einfache Ideal dar. Sie hat zwar ihre Götter auch in Bewegung aber ihre Hauptbestimung ist doch, die Götter als ruhend zu haben, als in sich beschlossen, sich nicht in die Endlichkeit auslassend. die Kunst hat bei ihrer ruhenden Gestalt nicht stehn zu bleiben, sondern hat auch die Bewegungen des Geistigen darzustellen. denn vorzüglich das Geistige ist Gegenstand der Kunst und ist nur Geist als in die End|lichkeit heraustretend, als Thätigkeit und als solche in Unglück tretend, bis zum Verbrechen fortgehend! die Griechen, die vorzüglich das Ideal in ihren Göttern vor sich hatten, haben sie daher auch mit Leidenschaft und Partheiung vorgestellt, und auch beim Christengott ist es eine Hauptbestimung in den herben Schmerz der Endlichkeit überzugehn. – Wir haben hier also von den Verhältnissen des daseins zu sprechen, insofern es das Ideal darzustellen fähig ist. die verschiednen Punkte sind hier: zuerst die Betrachtung der äusserlichen Welt als Zustand, in welchem das individuelle Ideal sich darstellt; 2tens des besondern Zustandes oder der Situation und 3tens der Reaction gegen die Situation. das 4te ist die Seite der ganz äusserlichen Bestimmtheit, in welcher das Ideal dann ist, der Punkt nehmlich daß, weil sie ausschliessend ist, die Kunst uns gegenübertritt, in ein Verhältniß zu uns kommt, nicht also ein Verhältniß nur zu ihrer Welt hat, | sondern auch ein verhältniß | zu einer bestimmten subjectiven Welt habe. dieß sind die zu betrachtenden Punkte.

1–2 auch Wirklichkeit … Äusserlichkeit] Kr: wesentlich Individualität ist, worin die Idee auch d a ist und damit in die Verwickelung des Aeußerlichen 5–6 dasein als … empfangen] Kr: Ideal ins daseyn trete, in seiner individualisirten Aeußerlichkeit Idealität erhalte 7 könnten wir … über8 Ideal] Kr: 30 gehn] Kr: kämen wir nicht bis zum äußersten Punkt der Aeußerlichkeit des daseyns ruhende Ideal 8–9 ihre Hauptbestimung] Kr: ihr Karakter 9–10 in sich … auslassend] Kr: abgeschlossen, ohne Eingehen in die Endlichkeit 10 Gestalt] Kr: darstellung des Ideals 13–14 als Thätigkeit … fortgehend!] Kr: der Geist ist Thätigkeit, damit tritt er auf im Kampf, Unheil, Unglück, was bis zum Bösen fortführt. 15–16 daher auch … vorgestellt] Kr: dargestellt in 17 den herben … Endlichkeit] Kr: die Erniedri35 ewigem Frieden, aber auch in Leidenschaften gung des Leidens, herben Schmerzes und zum Todte 21 Reaction] Kr: Zustand der Reaction des Menschen, der Individualität 22 Bestimmtheit] Kr: Einzelheit, Bestimmtheit 25 einer bestimmten … habe] Kr: uns, es soll nicht nur aus dieser und jener Zeit und für diese, sondern auch für unsre Welt seyn 40 1 abstracte über der Zeile mit Einfügungszeichen

7 Sculptur2 ] Spultur

3 Idealität] Ideallität 5 Idealen] Ideallen 22–23 der Punkt nehmlich über der Zeile mit Einfügungszeichen

dritter Abschnitt. dasein des Ideals oder Wirklichkeit des Kunstschönen.

290 1. die äußerliche Welt als allgemeiner Zustand, in welchem das individuelle Ideal sich realisirt. das Ideal als freie in sich beschlossene subjectivität darf zu seiner Wirklichkeit keinen für sich schon objectiven Zustand haben, gegen den als wesentlichen das subject ein untergeordnetes wäre.

der Zustand in Betreff auf die freie subjectivität nun bezieht sich auf den Willen

der objective Zustand des Willens ist der Staat.

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die Bestimtheit ist es wo die Endlichkeit beginnt; indem das Ideal subjectivität ist, ist also die Frage wie die Endlichkeit beschaffen sein muß, Ausdruk des Ideals zu sein, unter welchem Zustand kann das Ideal hervortreten. das Ideal als Individualität setzt eine Umgebung voraus, muß sich bewegen muß handeln, und die Umgebende Welt ist der Boden für diese Handlung. Wie hat dieser Boden beschaffen zu sein? die umgebende Welt ist das Objective gegen das Subject, das Ideal ist freie subjectivität, deshalb muß die umgebende Welt keine wesentlich für sich objective sein, kein für sich berechtigter wahrhafter Zustand, sondern die freie Individualität soll in sich beschlossen sein, seine Objectivität soll noch nicht ausser demselben getreten sein, das subject noch vom Objectiven sich nicht getrennt haben, sonst ist die subjectivität gegen diese Welt nur ein Untergeordnetes. die Macht also soll noch nicht für sich Bestand haben, sondern noch inner|halb der Individualität liegen, und was gelten soll muß nicht für sich vorhanden, sondern durch die subjectivität gesetzt sein. der Zustand also ist eine allgemeine Weise des daseins und mehr noch der geistigen Welt. die verschiednen Seiten des Geistes sind nur Seiten ein und desselben. Ist vom Zustand die Rede in Bezug auf die freie subjectivität, ist er so gemeint, in so fern er sich auf einen Willen bezieht, denn durch den Willen tritt der Geist in die Wirklichkeit. der objective Zustand des Willens ist ein Zustand dann, wenn der sittliche Begriff in einer Ordnung verwirklicht da ist. Gerechtigkeit in Ansehung einzelner Personen oder ganzer Gegliederungen: Einen solchen Zustand nennen wir den eines Staates überhaupt, wo Gesetze walten, so daß die Existenz in sich berechtigt ist weil sie ein gesetzliches ist. das | Individuum im Staat ist gleichgültig, das allgemeine, den sittlichen Begriff, den | findet es als eine vorhandene Welt vor; einerseits ist die Ordnung vorhanden, anderseits das subject, das sich dieser Ordnung nur anschliesst, auf freie Weise, entweder die Gesetze als das Seine anerkennend, oder

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3–5 das Ideal … ist] Kr: der Zustand ist die Umgebung und indem das Ideal Subjekt ist, und damit Handeln, so ist die Umgebung 8 für sich objective] Kr: für-sich-seyende Objektivität Zustand] Kr: Zustand seyn, der für die Individualität wesentlich wäre 9 Individualität] Kr: Individualität des Ideals in sich beschlossen] Kr: für sich geschlossen 11–12 Untergeordnetes] Kr: 30 Unwesentliches, eine Form, ein Vorübergehendes, gegen diese wahrhaft vernünftige Welt 12 Bestand] Kr: Existenz 13 der Individualität liegen] Kr: die Individualität fallen 15–16 die verschiednen … Geistes] Kr: Man kann von einem Zustand der Wissenschaften, der Religion, der Finanzen und anderer Partikularitäten reden: diese Formen 20–21 Gerechtigkeit in … Gegliederungen:] Kr: wenn die Gerechtigkeit nach ihren verschiedenen Seiten, in Ansehung einzelner 35 Personen, einer Gesellschaft, als gesetzlich vorhanden ist, als daseyn das substanziell für sich ist als geistige Ordnung. 22 Gesetze walten, … daß] Kr: gelten Recht und Gerechtigkeit für sich, sie sind eine Macht, oder auch berechtigt] Kr: gerechtfertigt 23 gleichgültig] Kr: unbedeutend 23–24 allgemeine, den … den] Kr: Leben 26–291,1 auf freie … sind1] Kr: ist durch sie gebunden, 16 desselben] dessselben

19 ein so Kr; Ho: der

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allgemeiner theil

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als Knecht, weil sie geltend und mächtig sind. Hier also sind die sittlichen Mächte in die Existenz getreten und das Individuum nur ein Beispiel dieses Sittlichen, das es vorfindet, durch seine Willkühr ihm gemäß oder ihm entgegen sein kann. In einem geordneten Gemeinwesen, einem gesetzlichen Zustande haben die Individuen ein ganz anderes Verhältniß als in einem Zustande vor einem Staat. die Individuen sind in einem Staat das Unbedeutendere, haben in ihnen selbst ausser dem Staat keine substantialität, die nicht als das besondre Wollen der Individualität, sondern für sich vorhanden ist. In einem entgegengesetzten Zustande hingegen ist das substantielle noch in den Individuen eingeschlossen und daß dieß und Jenes Recht sei, dieß geschieht durch die subjective Willkühr des Individuums. In solchem Zustande erscheint das Individuum auch auf sich in seiner äussern Existenz beruhend. Im Staat ist das äusserliche dasein des Individuums gesichert und für sich vorhanden, in einem Staatslosen Zustande ist das was Eigenthum ist, abhängig von der Willkühr des Individuums, das Recht in seiner Wirklichkeit beruht also auf den Individuen die frei und unabhängig sind auch im äusserlichen Dasein. Im Staat ist der Mensch nur frei durch seine Gesinnung, durch die Einsicht; nach seiner Existenz ist er geschützt durch das Andere, das er für sein Eigenes ansehn kann und nicht. Wo kein Staat also ist, ist auch die äussre Existenz abhängig vom Individuum. dieser Zustand ist der der Heroen überhaupt; nur also in dieser Zeit ist diese Selbstständigkeit, diß Beruhen der ungebundnen Existenz auf sich. Ein Beispiel, das uns schon beim Namen von Heroen einfällt ist die Anzahl der griechischen Heroen. die Römer hatten sogleich ihr Vaterland, ihre Stadt, schon ein für sich bestehendes Allgemeines. | die griechi-

nur frei, indem es sie erkennt als seine eigene, knechtisch unterworfen aber wenn es ihre Macht nur 2–3 dieses Sittlichen, … kann] Kr: kein auf sich selbst Beruhendes, das Rechte hervorbringend 8 vorhanden] Kr: fest 11–12 auf sich … beruhend] Kr: äußerlich, 123Kr nach seiner Willkühr, | frei, ganz auf sich beruhend. das Rechtliche hängt da überhaupt von der Willkühr der Individuen ab, denn sie sind hier frei, unabhängig auch nach der äußerlichen Seite ihres daseyns 17 geschützt durch … Andere] Kr: gesichert durch die Ordnung 18–19 Wo 30 kein … Individuum] Kr: im andern Zustand ist aber noch Selbstständigkeit vorhanden nach der Seite der Existenz; das Individuum ist da selber die Macht auf der sein daseyn beruht, durch die es gesichert, geschützt wird 19–21 der der … sich] Kr: für das Ideal, – die Heroenzeit. Hier ist die Selbstständigkeit nach allen Seiten hin möglich, das Beruhen auf sich selbst, so daß also auch die Seite der Existenz auf dem Individuum beruht 21–23 Ein Beispiel, … Allgemeines] Kr: die He35 roenzeit treffen wir bei den Griechen z.B. an; bei den Römern aber nicht: die Geschichte der Römer fängt sogleich an mit der Erbauung Roms; es entsteht zugleich damit gesetzliche Ordnung; 124Kr die Römer haben gleich zu Anfang einen König, ein Va|terland, dies Allgemeine, was das Individuum sich zur Pflicht macht zu erhalten, dem es seine partikulären Interessen und Zwecke unterwirft und opfert 25 als äußerlich anerkennt

40 7 substantialität] substantialltät

7–8 Individualität] Individualltät

diesem objectiven Zustande hat das subject als solches, es möge wollen oder nicht sich gemäß zu machen.

die substantialität des Staats also ist außer dem besondern Wollen des subjects als subjects vorhanden.

In einem vorstaatlichen Zustande hingegen ist die substantialität noch in das Individuum eingeschlossen und hat ausserdem keine Existenz.

Ein solcher Zustand ist der der Heroen.

292

Ferner der der homerischen Helden;

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schen Heroen sind theils in einem vorgesetzlichen Zustand oder sind Stifter von Staaten. Ein Hauptheroe war Hercules, und seine Tugend war das Hochberühmte. Seine Tugend war die Willkühr dieses Individuums, die selbstständige Kraft und die Stärke des Gerechten in einem Individuum. Solcher Zustand ist auch noch mehr und weniger der der homerischen Helden. Sie sind unter einem König vereinigt, daß sie aber sich verbunden haben ist kein Gesetzliches kein für sich vorher schon Vorhandnes; sondern es ist Willkühr der Individuen. Alle Theilnehmer des Bundes geben Jeder ihren Rath; Achill, als er es will, trennt sich selbstständig, kann gehn wenn es ihm beliebt; die Theilnahme am Streit ist selbstständige Willkühr. Aber ein Zug von Abhängigkeit kommt auch bei den

2–3 war das … Individuums,] Kr: ist eine ganz andre gewesen als die des Römers: es war seine Eigenthümlichkeit, Gewalt und Unrecht zu brechen, und so sehen wir in ihm 4 des Gerechten … Individuum] Kr: Macht des Rechten und Gerechten eingeschlossen in einem Individuum, auf ihm beruhend 5 König] Kr: König und auch zu Einem Zweck 7 es ist … Individuen] Kr: die Individuen sind theils durch List, theils durch Ueberredung dazu gebracht, – die Meisten aber durch die bloße Lust zur Unternehmung 8 geben Jeder … Rath] Kr: in ihrem Beisammenseyn im Rathe bleiben sie dennoch selbstständige Könige, vereinigen sich dem Gemeinsamen oder halten | sich auch frei davon, nach jedesmaligem Gutdünken 8–10 Achill, als … Willkühr] Kr: So entfernt sich Achilles in seinem Zorn vom Schauplatz des Kriegs, ohne weitern Grund, als den er durch diese Leidenschaft findet; denn es ist durchaus nichts Gesetzliches vorhanden, das ihn binden, zu fortgesetzter Theilnahme am gemeinsamen Unternehmen verpflichten könnte 10–293,1 Aber ein … Heroen] Kr: Solche Freiheit oder vielmehr Willkühr findet sich in unsrer Zeit, in unsrer sittlichen Welt nicht mehr vor. der Monarch kann souverainer Herr seyn, aber auch er, wie der Unterthan, findet eine festgewordene, sittliche Ordnung vor, gegen welche er nicht so nach Gutdünken schalten und walten kann; sein Wille soll der seyn, diese vorgefundene Ordnung in ihrer Festigkeit zu erhalten in ihrer Substanzialität, und mit der weitern Entwickelung dieser auch die Formen dafür gesetzlich zu bestimmen; dies ist der höhere sittliche Prozeß des Staates, dessen Macht sich in der Person des Regenten räpresentirt, welcher aber auch in dieser Räpresentation dieses Allgemeinen seine | wesentliche Bestimmung zu erkennen hat. die Staaten der sittlichen Welt, in welcher wir leben, haben dann auch ihr Verhältniß nach Außen: ihre In-sichgeschlossenheit ist darin aufgehoben; sie treten in Relation zu andern Staaten, mögen diese angrenzen oder nicht, und auf dieser Relation beruht das heutige Staatensystem, das sich von Europa aus schon über mehrere Welttheile hin erstreckt. die Legitimität der dynastien, das Völkerrecht u.s.w. sind dergleichen Bestimmungen für welche die Staaten gegenseitige Beachtung fordern und worüber sie wachsam sind. die Verletzung irgend einer solchen sittlichen Berechtigung durch einen fremden Staat bringt so Feindschaft und Krieg hervor, und hier ist dann eben der Punkt wo das Individuum als dem Zwecke des Staates untergeordnet erscheint, wo es seine partikulairen Interessen den höhern sittlichen des Vaterlandes aufopfern muß; es verschwindet gleichsam als ein Punkt in den großen Reihen der Kämpfenden. In der militärischen disciplin liegt eben dies, daß das Individuum sich aller partikulären Interessen, die es im bürger|lichen Leben zu seinem besondern Lebenszwecke haben könnte, gänzlich begiebt, und sich ganz ausschließlich damit befasse zur Vertheidigung, zum Schutz des Vaterlandes geschickt und brauchbar zu werden. Mit den sogenannten Staatsdienern, den Beamteten des Staats, hat es ein ähnliches Bewandtniß: hier ist auch die Unter9 selbstständig] selbststandgg

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Heroen vor; Hercules ist im dienst des Königs, vollbringt seine Arbeit auf dessen Befehl. Aber diese Abhängigkeit ist nur das ganz abstracte Band, nicht ein concret vollständig gesetzliches und befestigtes. Eben solche Zeiten sind die des Lehnsverhältnisses des Ritterthums. Cid hat einen König, ist Genosse eines Bundes, hat Vasallenpflichten, diesen entgegen aber steht die Selbstständigkeit die die Form annimmt des Gesetzes der Ehre, sei sie formell oder concretern Inhalts. die Vasallen unterwerfen sich keiner Majorität der Stimme, sondern alle stehn für sich. Carl der Grosse ist wie Agamemnon umgeben von seinen Vasallen, poltert wie Jupiter auf dem Olymp; aber die Vasallen, die nicht wollen, lassen das Unternehmen stehn. Von gleicher Gestalt sind die | saracenischen Helden, die noch in spröderer Gestalt dastehn. das glänzendste von unabhängiger Selbstständigkeit zeigt sich in diesen Helden; sie ist der Boden, auf den sie treten und ihre Thaten verrichten. – dieser Boden macht im Ideal eine wesentliche Bestimung aus. Sehn wir dagegen das Verhältniß unseres Staates so sind die Ideale hier in einem viel beschränktern Kreise, | wo der Mensch noch in subjectiver Freiheit in Betreff auf seine Existenz wirken kann. dieser Kreis ist ein sehr beschlossener. Es

ordnung der persönlichen Zwecke nothwendig um der allgemeinen, höhren willen, und daraus entsteht das Verdienst um den Staat, die bürgerliche Ehre gründet sich hierauf im Allgemeinen, so wie die Ehre des Adels darin besteht die dynastie bei allen Gefahren im Innern des Staates selbst und von außen herkommend, zu schützen, überhaupt also für das Bestehen des gesetzlich Vorhandenen zu wachen und thätig zu seyn, gewaltthätige, ungesetzliche Angriffe auf die Form des Staates abzuwehren. / Solche sittlich berechtigte Zustände finden sich also in unsrer heutigen Welt vor und das Individuum erscheint nun dagegen zunächst als unfrei; nur durch Erkenntniß ihrer Berechtigung fasst es sich wieder als frei in dieser Schranke. / | Wie nun auch übrigens die Heroen selbstständig sind, so kommt doch bei ihnen ein Zug von Abhängigkeit 1 Königs] Kr: Euristhenes Arbeit] Kr: sogenannten 12 Thaten 2 Aber diese … abstracte] Kr: So sind auch die griechischen Könige einerseits abhängig vom Agamemnon; aber es ist dies ein ganz Abstraktes, es ist da kein gesetzliches 3–5 Eben solche … Vasallenpflichten] Kr: In modernen Zeiten bildete sich so das Lehnssystem, die Blüthezeit der Ritterschaft: man denke nur an den Cid. die Ritter erkennen wohl ihren König an als ihren Herrn 6–7 die Vasallen] Kr: der König kann nur mit Genehmigung seiner Vasallen Krieg führen u.s.w. diese 7 alle stehn] Kr: Jeder ist frei 8 Carl der … ist] Kr: So erscheint denn in einem Heldengedicht Karl der Grosse 9–10 aber die … stehn] Kr: wenn Etwas ausgeführt werden soll, so steht die Theilnahme der Willkühr der Individuen frei 10 saracenischen] Kr: arabischen 10–11 die noch … dastehn] Kr: macht die sprödeste Selbstständigkeit den Karakter aus 11–13 das glänzendste … verrichten] Kr: die früher angeführten beispiele sind schon temperirt durch einen sittlichen Zug; hier aber bei den Arabern und Sarazenen, besonders in der vormahomedanischen Zeit, ist die unbeschränkteste, freieste Selbstständigkeit, die sich auch nach jener Epoche noch erhielt 15 wo] Kr: als in einem solchen, wo in subjectiver Freiheit] Kr: nach freier, d.h. subjektiver Willkühr 16 beschlossener] Kr: eng geschlossener 1 dessen so Kr; Ho: sn 3 Zeiten so Kr; Ho: Zeichen 5 die1 über gestr. als über gestr. ihre 7 Vasallen] Vasalllen der Stimme über der Zeile mit Einfügungszeichen 15 |] auf dem oberen Rand der Seite wiederholt: Sehn wir auf unsere Gegenwart, so ist in ihr d. Kreis d. Ideals beshränkt.

Ferner des Lehnverhältnißes im Ritterthum des Mittelalters;

Sowie der saracenischen Helden.

Ein solcher Zustand ist die wesentliche Bestimung für die Verwirklichung des Ideals.

294 das Ideal der modernen Welt hat daher einen sehr beschränkten Kreis,

der Zustand also überhaupt der Verwirklichung des Ideals verlegt sich in eine alte vergangene Zeit.

Ebenso sind die Helden des Ideals aus einem unabhängigen Stande, aus dem Fürstenstande genommen.

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giebt hier Ideale von einem guten Hausvater, von ehrlichen Männern, deren Handlungsweise sich auf einen Kreis bezieht, der für die Willkühr noch frei gelassen ist. Es bleibt ein solcher Kreis der Zufälligkeit immer noch übrig – Ideale von Richtern, Fürsten ist etwas, was keinen rechten Sinn hätte, denn die Richter | thun ihre Schuldigkeit, was der bestimmten Ordnung gemäß ist, die schon für sich geltend nicht mehr die Sache der Willkühr ist. der Monarch in unseren Staaten ist aber so bestimmt, daß er die wichtigsten der Regentenhandlungen aus seiner Hand gegeben hat, nicht selbst Recht spricht, die Finanzen nicht selbst verwaltet, und nur formell entscheidet, während den Inhalt theils die bestehende Ordnung oder das auswärtige Verhältniß bestimmt. Was der Monarch thut ist also mehr oder weniger formell, und der Inhalt kommt nicht aus der Individualität des Willens. – Hieraus zeigt sich sogleich daß in der alten Kunst wie in der modernen die Welt, wohin die Ideale verlegt werden eine alte Zeit ist – die Stoffe der alten Zeit gehören immer einem Zustand an, der eine alte Zeit ist, eine vergangne. Eine solche Zeit fasst die Erinnerung nicht in ihrer Endlichkeit auf, sondern behält nur ein allgemeines Bild. die Ortsumstände bei der Erinnerung überhaupt sind verwischt, nicht in unmittelbarer Bestimmtheit; die ganz äusserliche Umgebung bringt die Erinnerung schon der Allgemeinheit entgegen. Alsdann ist die alte Zeit ihrem Inhalt nach ein Boden der Heroen, wo die Nöthe die Bedürfnisse noch nicht vorhanden sind, wo gesetzliche Ordnung, Staatseinrichtung noch nicht existirt. Ferner ist gleich zu betrachten wie die Helden des Ideals aus einem besonderen Stande genommen sind, nehmlich dem Fürstenstande. | In der alten Tragödie sahn wir einen Chor, als den Zustand, den individualitätslosen Boden. Ueber diesem stehn die Individualitäten, die über diesen Boden das Herrschende sind. In der Vorstellung der Fürstlichkeit liegt die voll1–2 deren Handlungsweise … der] Kr: so nämlich wie sich beide auf die nächste Umgebung beziehen und 3 Zufälligkeit] Kr: Zufälligkeit und Willkühr, in diesem kleinen Spielraum 4 Richtern] Kr: Richtern, Generalen 5 der bestimmten … ist] Kr: seines Amts ist und vorgeschrieben 6 der Willkühr] Kr: seiner besondern Individualität 7 bestimmt] Kr: gestellt und er selbst stellt sich so 8–9 die Finanzen … entscheidet] Kr: sondern lässt es die Gerichte thun; er entscheidet etwa zuletzt 11 Inhalt] Kr: ganze Inhalt dessen was geschieht 12 sogleich] Kr: 1tens 15 Eine solche … Erinnerung] Kr: die Erinnerung daran thut schon in der Gegenwart mehr, fasst sie 16 die Ortsumstände] Kr: das Nähere 17–18 nicht in … entgegen] Kr: es ist nicht die Bestimmtheit darin, wie in | dem unmittelbar Angeschauten, und in dieser Form der Allgemeinheit wird sie in der Kunst dargestellt 19–20 Nöthe die Bedürfnisse] Kr: Abhängigkeit 21 existirt] Kr: existiren, wie sie in der bürgerlichen Gesellschaft eintreten 21–22 Ferner ist … Ideals] Kr: das 2te ist, daß die Helden im drama, oder in darstellungen der Skulptur, nicht nur aus einem besondern Zustande, sondern 25 Boden] Kr: unselbstständigen Hintergrund 25–295,1 In der … und] Kr: sie sind vollkommene Fürsten, d.h. vollkommen selbstständig in Ansehung der Beschlüsse, des 14 an] ist

15 fasst] fasstt

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kommene Freiheit des Wollens und Hervorbringens. Wenn ein anderer Zustand wie ZB. der unsrige aufgestellt wird, und nun wieder Gestalten darin sich zeigen, so sehn wir ihnen überall die Gedrücktheit an; sie sind überall abhängig und eingeengt von ihrer Leidenschaft, von Willkühr die gesetzlich berechtigt ist, und hinter sich die unüberwindliche Macht der bürgerlichen Ordnung hat. Beim Romantischen werden wir dieß freilich modificirt finden. Erinnern wir aber die Shakspear’schen Gestalten, so sind sie in einem Zustande, wo das Band des Gesetzes noch ein loseres ist, noch der subjectivität mehr Willkühr lässt. die Charactere sind wohl selbstständig, doch nicht ganz concret, sondern mehr formell selbstständig in der durchführung ihres Characters und im Zugrundegehn bei dieser durchführung. – der Heroenzustand ist ein Zustand der besonders dem Jugendalter entspricht das früh einen solchen Zustand sich zu gestalten sucht. Göthe’s und Schillers erste Jugendproducte haben solchen Zustand nicht, sondern den | Gegensatz der Unabhängigkeit und Gebundenheit in der Staatseinheit. Wenn das Individuum zwischen diesem Gegensatz steht, seine Bestimung aus den Gesetzen zu nehmen hat, nur durch sie sicher ist, aber gegen diese Gesetze im Gegensatze ist, so ist dieß die weitere Stufe der Situation. Götz von Berlichingen spielt in der Zeit des Unterganges der Ritterlichkeit, wo zugleich bürgerliche objective Ordnung beginnt, die ritterliche Heroenzeit und die bürgerliche Objectivität sich berühren. dieß ist Eins der höchsten Stoffe. Bei Schiller ist in den Räubern der Inhalt, daß das Individuum, von dem, was Ordnung ist, | und von den Menschen die sie mißbrauchen verletzt, als Feind der gesellschaftlichen Ordnung auftritt und durch eigene Kraft diese Ordnung bekriegt, das Recht herstellen will

2 wird] Kr: wird und niedere Sphären aufgefasst werden 3–4 sehn wir … von 2 ] Kr: fühlt man 132Kr gleich das Unselbstständige der Personen. In Kabal und Liebe z.B., in diesem bürgerlichen | drama ist Abhängigkeit vorhanden von einer 4 gesetzlich] Kr: nicht nur individuell sondern gesetztlich 5 Macht der … Ordnung] Kr: Gewalt der bürgerlichen Gesetzlichkeit 7 Zustande] Kr: Staat 8 noch der … lässt] Kr: und der individuellen Freiheit ist noch ein größerer Spielraum gelassen 8–11 die Charactere … durchführung] Kr: Weiter in späterer Zeit ist bei historischen 30 Stücken mehr ein formeller Karakter, der durchzuführen ist und in dessen durchführung die Helden eher zu Grunde gehen, als daß es bei ihnen zu einer concreten Selbstständigkeit kommen könnte 11 Heroenzustand] Kr: heroische Zustand allein gehört also der unabhängigen Selbstständigkeit an, wo das Individuum auf sich und seiner Kraft ruhe. dieser 12 das früh … sucht] Kr: daß sich bei anfangenden Kunstbestrebungen häufig das Bedürfniß zeigt, diesen Zustand zu 13–14 solchen Zustand … sondern] Kr: zum Stoff 15–17 Wenn 35 wählen und auszuarbeiten das … Situation] Kr: In diesen Bestrebungen drückt sich das Bedürfniß, das Verlangen, nach einem solchen Zustand aus 19 die ritterliche Heroenzeit] Kr: das freie Herrenleben 21–22 von dem, … verletzt] Kr: sich außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung stellt 7 Shakspear’schen so Kr; Ho: schaspearishen 40 der Zeile mit Einfügungszeichen

Gestalten] Gestalten an

16–17 Gesetze im über

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2. die Situation.

der Zustand ist das Substantielle als Gewohnheit. dieses substantielle sind die sittlichen Mächte als in Harmonie. Indem sie aber als die Mächte zur Erscheinung kommen, erhalten sie ein bestimmtes dasein gegeneinander und treten so in den Gegensatz. die situation hat den Zustand zu ihrer Grundlage und ist das Verhältniß des Zustandes überhaupt und des Menschen als des die Mächte des Zustandes Bethätigenden.

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und die Unbilden dieser Ordnung auf heben. Moor wird Räuber und creirt sich selbst einen heroischen Zustand. Aber indem so beides im Gegensatze steht und dieser Gegensatz selbst den Boden der darstellung ausmacht, gehört dieß schon der Situation an. der 2te Punkt, zu dem wir überzugehn haben ist die situation. der Zustand ist die allgemeine Weise des geistigen Selbstbewusstseins des Sittlichen wie es sich erfasst, der innerliche Begriff des Menschen von sich, die Art und Weise wie er sich seiner Zustände bewußt wird. In diesem Zusammenfassen ist wohl auch Bewegung, Verwirklichung der Individualität, aber es ist mehr ein Zusammenfaßen durch die Reflexion, und die abstracte Vorstellung bei der die Kunst nicht kann stehn bleiben, sondern zur Besonderheit der Charactere fortzugehn hat. Sprachen wir vom Zustand so heben wir auch die Seite heraus der Äusserlichkeit des substantiellen. dieser substantielle Gehalt ist theils als bewusstlose Gewohnheit vorhanden, theils in der Form zufälliger Existenz. dieser substantielle Gehalt besteht in den allgemeinen Mächten, die das Innerliche des Zustands sind und ihn regieren. Sie sind zunächst als Harmonie dargestellt. Eine Gewohnheit aber ist keine würdige Weise der substantiellen Macht in so fern sie wesentlich dem Selbstbewusstsein angehört; | die innern Mächte müssen daher in würdigerer Gestalt erscheinen als im blossen Zustande: Indem sie selbst zur Erscheinung als M ä c h t e kommen, so müssen sie Gestalt annehmen dasein erhalten und in Bestimmtheit gegeneinander erscheinen und gerathen dadurch in den Gegensatz zueinander. In diesem Erscheinen beginnt die situation. | Sie enthält einmal die Umstände, und das Verhältniß des Menschen zu ihnen. Er bethätigt jene erst bloß innerlichen Mächte bringt sie zur Erscheinung. die Umstände für sich haben

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1 auf heben] Kr: rächen will, die er dieser gesellschaftlichen Ordnung zuschreibt 5–11 situation. der … hat] Kr: Situation, der Zustand in Beziehung auf das Ideale, so daß die allgemeine Weise der Sitten, des allgemeinen Bewußtseyns, wie es sich erfasst, der innerliche Begriff des Menschen von sich, eine Zusammenfassung | durch die Reflexion ist. / Hier ist zwar auch Bewegung durch die Verwickelung der Individualität, aber dies geht spurlos vorüber, ohne wesentliche Störung des Ganzen. / die Kunst kann bei diesem Abstraktum nicht stehen bleiben, sondern muß übergehen zum Zustand der individuellen Wirksamkeit 11–13 Sprachen wir … substantiellen] Kr: der Inhalt, nach seiner wesentlichen Seite genommen, macht den substanziellen Gehalt dieses Zustandes aus, die bestimmte Sittlichkeit 14 Existenz] Kr: Individualität überhaupt 16 Harmonie] Kr: sich miteinander in Harmonie befindend, so daß sie dieses gleichförmige Bestehen bewirken Eine] Kr: Solche Weise der Erscheinung ist dieser substanziellen Mächte nicht würdig, die 17–18 substantiellen Macht … angehört] Kr: geistigen selbstbewussten Mächte; es ist mehr als zufällig erscheinende Willkühr, ohne wesentliche Veränderung hervorzubringen 20 kommen] Kr: kommen und vor das Bewusstseyn treten, wie sie es als Gewohnheit nicht thun 23 das Verhältniß] Kr: 2tens die Verhältnisse

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9 Individualität] Individualltät

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134Kr 30

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allgemeiner theil

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kein Intresse, und erhalten es erst als für den Geist seiend und als Verhältniß der verschiednen Mächte gegen die Umstände selbst, deren substantielles sie sind. dieß Verhältniß können wir Bedürfniß nennen. die situation überhaupt bietet ein grosses Feld der Betrachtung dar, und es ist immer eine Hauptsache, daß in einem Kunstwerk eine interessante Situation gefunden werde. Für die verschiedenen Künste | sind sie verschieden; die Sculptur ist in Betreff auf sie beschränkt, freier Poesie und Mahlerei. – Hier können wir nur die allgemeinen Gesichtspunkte angeben –. Ganz situationslose Gebilde sind die Götter in ihrer starren Ruhe, die alten Tempelbilder. ZB. Apoll von Belvedere den man auffasst als in seiner Ruhe hinschauend auf den geschossenen Python ist schon eine situation und er ist auch später als diese ruhende Gestalten gearbeitet. In der christlichen Religion ist Gott der Vater solches processloses. Portraitbilder sind ebenfalls so situationslos. davon fort muß aber die Kunst zu concretern fortgehn, das Einfache muß sich bethätigen und so haben wir zweitens bestimmte situation. die erste situation ist nur der Uebergang von der Ruhe zur Bewegung, als Äußrung der Regung theils des Bedürfnisses, theils mechanischer Bewegung. So ist der Uebergang von altaegyptischen Gestalten zu griechischen bezeichnet. die Aegypter stellten ihre Götter mit geschlossenen Beinen dar; erst die Griechen lössten die Arme und Beine vom Körper los, und gaben der Gestalt eine schreitende Stellung. Ausruhen, Schlafen sind einfache Situationen und sie gehören der Sculptur vorzüglich zu. | durch solches unwichtiges Thun haben die Griechen gerade das Hohe ihres Ideals mehr hervorgehoben, denn ist die Bewegung ganz harmlos ist gerade in der Unbedeutenheit der Handlung die stille Grösse der Göt-

1–2 und als … sind] Kr: wie sie von ihm aufgefasst werden und er auf sie reagirt 3 Verhältniß] nennen] Kr: nennen. die Umstände und die Bedürfnisse, dies beides macht erst die Situation aus 4 Hauptsache] Kr: Hauptschwierigkeit 6 Künste] Kr: Weisen des Geistes 7 Hier] Kr: Bei dieser unendlichen Mannichfaltigkeit 8 Ganz] Kr: 1tens giebt es Götter] Kr: Götter, als ganz bedürfniß- und bewegungslos, 9 Tempelbilder] Kr: Tempelgötter 10–11 eine situation] Kr: kein ursprüngliches Tempelbild mehr, sondern eine Gestalt, die 12 solches processloses] Kr: auch dieser situati30 in eine bestimmte Situation herausgetreten ist onslose Gott 13–14 davon fort … bethätigen] Kr: die Mythologie muß nun selbst vom Einfachen zur Besonderung fortschreiten, 14–15 bestimmte situation. … der 1] Kr: das Bestimmtere der Situation, die erste, eigentliche Situation selbst. Es ist nun dieser erste 16 des Bedürfnisses] Kr: überhaupt eine mehr äußerliche Bewegung aus physischem Bedürfniß 18 stellten ihre … 137 Kr dar] Kr: haben ihre Götter ganz fest und ruhend dar|gestellt, so daß sie die Füße und Beine noch nicht zum eigentlichen Schreiten ausgespreizt haben 20–21 Ausruhen, Schlafen … zu] Kr: dies ist der Beginn der Situation, und diese einfache Situation, der Skulptur zunächst angehörend (wie die griechische Kunst überhaupt erfinderisch gewesen ist), ist noch nicht Handlung 25 Kr: Interesse der Umstände

2 verschiednen über der Zeile mit Einfügungszeichen 8 Gesichtspunkte] Gesithspnkten

40 Mächte

sie über versehentlich nicht gestr. d und gestr.

dieses Verhältniß ist das Bedürfniß überhaupt.

a. Ruhige proceßlose Situation; alte Tempelbilder.

b. situation als Bewegung, mechanische oder Äußrung des Bedürfnißes.

298

c. die situation als Handlung. die Handlung besteht in dem Äusserlichwerden, in dem Erscheinen einer substantiellen Seite des Geistes und bedarf eines wesentlichen Bedürfnisses, welches das Verhältniß des das substantielle Bethätigenden Individuums und des substantielen als Zustandes herbeiführt.

nachschrift hotho · 1823

ter näher gebracht, und so ist solche harmlose Handlung zweckmäßiger zur darstellung als eine bestimmte concrete Handlung. ZB. in Potsdam steht ein Mercur der seine Flügel an die Sandalen knüpft. diese Handlung ist ein Ueberfluß, denn der Gott bedarf keiner Flügel. Thorwalsen dagegen hat auch einen Mercur gemacht, der ebenso sitzt; die Handlung die er macht ist schon zu drammatisch, um zur Sculptur zu gehören; er paßt nehmlich seine Flöte fortlegend dem Marsias auf, blickt listig auf ihn, lauernd daß er ihn verwunden könne, indem er nach dem versteckten dolche greift. dieß ist schon die reiche vorstellung, die nicht mehr diese stille Einfache ist, so daß uns die Grösse der Götter schon verschwunden erscheint, die mehr bei der einfachen Handlung hervortritt. die Sandalenbinderin von Wilhelm Schadow hat auch die einfache Handlung Mercurs, aber diese hat hier kein solch grosses Intresse mehr, da ihr das Intresse abgeht, das wir haben, wenn Mercur es harmlos thut. In dieser Handlung, wenn sie ein Mädchen verrichtet liegt nichts als die Handlung selbst, die sie thut. die Alten sind in solchen unbefangenen situationen reich, erfanden darstellung von Spielen ect. Besonders gehört diß zum Character der griechischen Kunst die Ruhe und Kindlichkeit der Götter durch solche unbedeutende Handlung kenntlich zu machen. diese situationen sind eigentlich noch keine Handlung, denn zu ihr gehört ein sittlicher Zweck. die eigentlichen Handlungen machen erst das wahrhafte Intresse aus, wo die substantielle Seite des Geistes sich zur Äußrung bringt. diese Handlungen haben äusserliche Umstände auf die sie sich beziehn. | Sie müssen ein wesentliches Bedürfniß haben, das zur Handlung treibt. die Umstände müssen eine Voraussetzung sein, die im Gegensatz steht. Sie sind also nicht Umstände überhaupt sondern in Relation auf ein wesentliches Bedürfniß, dieser Widerstreit kann aus einem physischen Uebel hervorgehend sein wie die Krankheit des Admet in der Alceste. Es ist diß ein Uebel, ein Umstand in Beziehung auf die

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1–2 so ist … Handlung] Kr: es ist ihrem Begriff gemäßer, als wenn sie in bestimmter Handlung dargestellt würden; denn hier kommt die Harmlosigkeit um so mehr zur Erscheinung 14–15 in solchen … reich] Kr: unendlich erfinderisch und sinnreich darin gewesen, ihre Götter in solche unbefangene Situationen zu setzen 19 sittlicher Zweck] Kr: Sittliches, ein Wille, der einen be- 30 stimmten Zweck hat 22 das zur … treibt] Kr: nach bestimmter | Veranlaßung zu han- 138Kr deln Um stände müssen] Kr: Veranlaßung muß, indem sie sich auf ein Bedürfniß bezieht, 23 Gegensatz] Kr: Widerstreit gegen das gefasste, bestimmte Interesse 23–24 Sie sind … Bedürfniß,] Kr: diese Umstände, Voraussetzungen sind es überhaupt, die hier zu betrachten sind. 25 aus einem … sein] Kr: physischer Art seyn, z.B. ein physisches Uebel, Krankheit, 26 in 35 der] Kr: um die 26–299,1 ein Umstand … Gatten] Kr: eine Veranlaßung der Beziehung auf eine liebende Frau 4 Flügel] davor gestr: Hand 6 seine Flöte fortlegend über der Zeile mit Einfügungszeichen 22 Umstände] davor gestr: Handlung 25 aus einem … hervorgehend] (1) ein phys. Uebel (2) (aus über der Zeile) ein phys. Uebel (hervorgehend über der Zeile mit Einfügungszeichen) 40

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Gatten. Ebenso ist es mit der Pest im Lager der Griechen; diese wird schon für sich als Folge einer Verletzung aufgestellt, als Strafe. der Widerstreit aber kann auch anderer Art sein, obgleich auch physisch ZB. Wenn 2 Söhne in einem Königshause sind und unentschieden ist wem die Herrschaft zukommt, so daß Jeder dasselbe Recht hat. So von der Familie aus kann der Streit ausgehn, und dieß ist eine sehr alte situation, die schon mit Kain anfängt, durch die Thebanischen Kriege durchgeht, bei Ferdusi in der Heldensage der Perser vorkommt, und dort eine Hauptbestimung ist und die Veranlassung wird zu einer Reihe der Scenen des Kampfs verschiedner Nationen. In der Braut von Messina ist ebensolcher Gegensatz. die situation kann ferner aber auch durch eine zufällige Leidenschaft ZB. die Liebe veranlasst werden, auch von der Leidenschaft der Herrschaft, überhaupt einer Leidenschaft die zu Pflichten oder mit einer andern Leidenschaft in Verhältniß kommt. die Hauptumstände in Beziehung einer situation sind aber, daß durch eine solche Leidenschaft sittliche oder religiöse Verletzungen geschehen überhaupt daß Umstände seien die eine Reaction veranlaßen. Ist die Verletzung nehmlich sittlicher Art so muß dagegen reagirt werden, denn das Nothwendige muß sich wiederherstellen. da liegt dann das Auffassen der Umstände nicht in der Zufälligkeit sondern diß Auffassen ist wesentlich, die Reaction nothwendig. Und dieß ist die wahrhafte situation. So ist in der christlichen Religion die Veranlassung die | Versündigung des Menschengeschlechts, und die Reaction die Erlösung ist eine in der Natur Gottes Gegründete. Weiter kann noch bemerkt werden, daß hier kein bestimmter Anfang zu | setzen ist. Sind die Umstände bloß natürlich, so ist dieß ein erster Anfang, aber was relativer Anfang ist, kann denn auch Resultat früherer Verwicklungen und Handlungen sein. ZB Es ist eine erste Verletzung geschehn; sie wird aufgehoben, jedoch kann dieß Auf heben selbst wieder eine Verletzung sein, gegen die wieder muß reagirt werden. Aus diesem

1–2 diese wird … sich] Kr: womit die Iliade beginnt, ist eine solche Veranlaßung; aber diese Pest wird hier nicht blos als ein physisches Übel, sondern 4–5 so daß … hat] Kr: wo dann der eine, als Erstgeborner, sein bestrittenes Recht behauptet 5 von der … ausgehn] Kr: zertheilen sich 139Kr auch sonst oft die Glieder von Familien in Streitigkeiten, | die dergleichen Quellen der Berechtigung haben 6–7 durch die … durchgeht] Kr: dann bei Etheokles und Polynikes u.s.w. 8–9 eine Hauptbestimung … Nationen] Kr: ist der Widerstreit von drei Brüdern, der sich fortsetzt durch die spätesten Generationen, – der alte Gegensatz von Iran und Kuran, der Gegensatz der beiden Brüder Iresh und Kur 10 Gegensatz] Kr: Widerstreit einem alten Schicksalsverhängniß zugeschrieben 15 Umstände] Kr: Voraussetzungen veranlaßen] Kr: dage35 11 Liebe] Kr: Liebe, wie bei Paris gen nothwendig machen 15–18 Ist die … nothwendig] Kr: Sie können sich beziehen auf ein zufälliges Interesse; beziehen sie sich aber auf ein sittliches, so ist die Reaction motivirt. das Auffassen der Voraussetzung dieser Umstände ist an- und für sich berechtigt 20 die1] Kr: dieses Ungeheure, die 21 Gegründete] Kr: gegründete, aus diesem Verfall die Menschheit wieder her23 natürlich] Kr: in Zufälligkeiten 40 zustellen, zu erlösen 2–3M hervorgehn] vorhergehn

33 Kuran lies: Turan

34 Kur lies: Tur

dieß Verhältniß kann aus einem physischen Grunde hervorgehn.

Ferner aus einer Leidenschaft.

Indem durch solche Leidenschaften ein sittlich substantieller Zustand verletzt wird, zeigt sich dieser als Macht, indem er reagirend seine Nothwendigkeit wiederherstellt. 3. Reaction des substantiellen Zustandes gegen die besondere situation seiner als Handlung, und Reaction dieser gegen den Zustand. der Anfang der Reaction ist nicht zu bestimmen denn jede Handlung zeigt sich als Resultat eines Frühern das wieder Resultat war u s.f.

300

So zeigt es sich in den Dramen die zum Stoff die Geschichte des Hauses des Agamemnon haben.

Ebenso ist es in der Geschichte des Oedyp.

Insofern dieser Verlauf ein bloß natürlicher ist gehört er der Prosa an und wird in der Kunst langweilig.

Wodurch sich das Individuum gebildet hat kommt schon in einer grossen situation zum Vorschein; obgleich also die Veranlassung der situation einen relativen Anfang hat.

nachschrift hotho · 1823

Grunde sehn wir in manchem Kreise eine Reihe von Dramen, ZB. Trilogien. Im Hause Agamemnons versöhnt Iphigenie in Tauris das Unglück des Hauses. der Aufenthalt in Tauris macht die Anfänge für die letzten Dramen. dieser Anfang aber ist Resultat früherer Verwicklung, nehmlich der That des Orestes der den Vater an der Mutter rächt und dadurch selbst zu strafen ist, weil er als Sohn das Verbrechen an der Mutter rächt. der erste Anfang ist das Opfer Agamemnons in Aulis, dieses ist wieder bedingt durch Paris Entführung und so fort und fort von Handlung zu Handlung. Ebenso ist es im Thebanischen Kreise. In diesem macht die Antigone den Schluß, der ein Resultat ist früherer verwicklungen. So ist was einerseits Anfang ist aus einem früheren entstanden. Wenn wir uns nur solche Reihe darstellen wollen, so kann dieß vorzüglich nun die dichtkunst, aber sprichwörtlich ist solche durchführung zu etwas Langweiligem geworden, und eine alte Fordrung ist, daß der dichter in rem praesentem seinen Leser führe. die Ausführlichkeit vom Anfang ist die Sache der Prosa. daß es nun so nicht Intresse der Kunst ist vom Anfang anzufangen, hat seinen Grund, daß solcher Anfang ein bloß natürlicher äusserlicher Verlauf ist, mehr eine erscheinende Einheit ist, und keine dem Inhalt nothwendige. das Individuum ist der Faden der Begebenheiten, die nicht durch ihren Inhalt zusammenhängen. die Umstände sind wohl das Bildende für das Individuum | aber was das Naturell des Individuums ist, wie es sich gebildet hat, kommt ohne dasselbe bei einer grossen Handlung und Situation zum Vorschein. Homer ZB. fängt in der Iliade gleich bestimmt mit der Sache an, mit dem Zorne Achilles und erzählt nicht die Lebensgeschichte Achilles, sondern giebt gleich eine bestimmte Handlung, und zwar auf diese Weise, daß ein grosses Intresse den Hintergrund seines Gemähldes ausmacht. die Veranlassung also der situation ist ein relativer Anfang und muß zweitens in sich

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1 Trilogien] Kr: Trilogien, Quadrilogien u.s.w. 5–6 rächt und … rächt] Kr: rächte. die Verletzung an dem Vater hat der Sohn aufgehoben; weil er sie aber an der Mutter aufzuheben hat, so entsteht daraus eine neue Verletzung 6–7 Agamemnons in Aulis] Kr: der Iphigenie in Aulis durch die Hand des Vaters 8 von Handlung … Handlung] Kr: zurück bis auf Tantalus 8–9 es im … ein] Kr: der Tod der beiden Brüder von | Theben zugleich der Anfang der Handlung, und 141Kr auch das 12 solche durchführung] Kr: eine darstellung einer solchen langen Reise geworden] Kr: worden – ab ovo Ledae 13 und eine … ist] Kr: Horaz fordert 14 die Ausführlichkeit … Anfang] Kr: vom Anfang anzufangen 16–17 mehr eine … nothwendige] Kr: es ist hier nicht eine wahrhafte Einheit vorhanden 17 das Individuum ist] Kr: In einer Lebensgeschichte ist das Individuum die Einheit, 18–19 die Umstände … Individuum] Kr: das Folgende was das Indivi- 35 duum thut, hängt allerdings mit dem was ihm früher begegnet zusammen 20–21 ohne dasselbe … Vorschein] Kr: ganz zum Vorschein in einer großen Situation, wo denn auch eine außerordentliche | Handlung das Motiv findet 24 den Hintergrund … ausmacht] Kr: in dem Stoff 142Kr vorhanden sey, den er vor sich hat in der Vorstellung und den er nun gestalten will 6 Agamemnons] Agagmenons (durhführg über gestr. Anfang

12 solche durchführung] (1) solher Anfang (2) (solhe aus solher) 40

allgemeiner theil

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wesentliche Berechtigung haben ZB bei der Antigone des Sophocles ist die einleitende Veranlassung die, daß der König befiehlt, der Bruder solle nicht die Ehre des Begräbnißes haben. die Familienpflicht nicht zu erfüllen ist gegen die Pietät der Antigone und sie handelt gegen das Staatsgebot. Sie hat also eine würdige Veranlassung zur Handlung, und ebenso ist Kreons Gebot berechtigt, in so fern der Bruder als Feind des Vaterlandes kam, und es zu zerstören suchte. | Um ein Gegentheil anzuführen können wir dieß aus dem Indischen nehmen. Es ist nehmlich dort eine Episode in dem Mahabarata. der Held heirathet eine Königstochter und hat sich dadurch Feinde gemacht, die dasselbe Mädchen zu heirathen wünschen. dieß sind Genien, die ihm nun aufpassen bis er ein Unrecht thut. Zwei Daemonen lauern lange; das Verbrechen, das er begeht, besteht nun nur darin, daß er mit dem Fuß auf sein abgeschlagenes Wasser tritt. dieß ist etwas in sich Absurdes, das nur bei den Indiern kann seine Berechtigung finden. Ebenso ist die Verwicklung in einem alten deutschen Gedichte Herrman von der Aue gleichfalls zurückstossend. der Held ist krank und wendet sich an die Mönche von Salerno. Ihm zu helfen fordern sie, daß ein Mensch sich freiwillig für ihn opfere, indem nur aus einem Menschenherzen könne ein Heilmittel ihm bereitet werden. Ein Mädchen, die den Herrmann liebt, entschliesst | sich dazu. dieß ist für uns ganz barbarisch, und die rührende Ergebenheit des Mädchens kann deshalb ihre Wirkung nicht thun. | Es können also wohl Situationen vielfach eingeleitet werden, aber die Nothwendigkeit der Reaction muß nicht durch etwas Bizarres, Widerwärtiges veranlaßt sein, sondern durch etwas in sich Berechtigtes. – Wir sahn nun also, daß Umstände überhaupt in sofern sie vom Gemüth aufgefaßt werden, Reaction hervorbringen. dieß Auffassen ist die andre Seite zu den Umständen, und durch diese wird erst die Handlung hervorgebracht. die Handlung ist das wodurch das Individuum sich zeigt als das, was es ist, ist die

1–2 ist die … die] Kr: leitet dies die Handlung ein 2 Bruder] Kr: Bruder, als Feind des Staats, 4 und sie … würdige] Kr: gegen ihre Liebe und Pflicht als Schwester, das Gebot des Königs zu achten und so wird der unbegrabene Bruder die Veranlaßung ihres Handelns und dies ist eine würdi30 ge, an sich auch berechtigte 6 der Bruder] Kr: Polynikes und es … suchte] Kr: es ist keine wilde tyrannische Handlung 9 Feinde] Kr: die zurückgesetzten Mitbewerber zu Feinden 10 bis] Kr: um eine Gewalt über ihn zu bekommen dadurch daß 12 er] Kr: er, als der Fürst einmal sein Wasser abschlägt, 13 bei den Indiern] Kr: in der abergläubischen Religion der Indier 14 Verwicklung] Kr: Veranlaßung 18 dazu] Kr: zum Todte für ihn 19–20 die rührende … 35 thun] Kr: solche Handlung hat geringes Interesse in solchem Conflict, bei diesem ungeheuern Kontrast mit fürchterlicher Barbarei 21 Nothwendigkeit der Reaction] Kr: Umstände 24 Auffassen] Kr: Auffassen, dies Interessiren des Gemüths 25 Handlung] Kr: Bewegung, Hand lung 26 das1] Kr: nun das 3te von dem hier zu sprechen ist. Sie ist das, 8 Mahabarata anstelle eines Abstands von einer Wortlänge; Kr: der indischen Natur 14 Herrman von 17–18 indem nur … werden. am unteren Rand mit Verweiszeichen 26 als das, so Kr; fehlt in Ho

40 der Aue siehe Anm.

die Handlung muß an sich ein an und fürsich Gültiges haben, einerseits eine Berechtigte sein.

302

die darstellung der Handlung und der Reaction gehört vorzüglich nur den Künsten des Tones an, der Musik und der Poesie. der Kreis der Handlungen ist beschloßen durch die Momente der Idee, die Momente der Handlung sind:

a) das substantielle das durch sie bethätigt wird.

dieß substantielle besteht in irgend einem Moment des Geistes und seiner Formen.

Solche Momente sind der Stoff zu den griechischen Göttern.

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wahrhafte Wirklichkeit der geistigen Individualität. die Reihe von Thaten zeigt die Natur des Individuums. die darstellung derselben gehört vorzüglich der Rede an; denn die andern Künste können nur ein einzelnes Moment herausheben, haben zu ihrem Mittel die ganze Gestalt, den Ausdruk der Gebärde und des ganzen Körpers. Aber diese Äußrung ist eine Weise, welche der deutlichkeit durch die Rede nachsteht. die Handlungen sind die klarsten Enthüllungen des Individuums. | Was es in seinem Grunde ist kommt durch die Handlung erst zum Vorschein. die Handlung nun bringt eine Reaction gegen die Umstände hervor. Sprechen wir von Handlungen überhaupt, so stellt man sie sich als ein höchst vielfaches vor, aber der Kreis des Handelns ist begrenzt durch die nothwendige Idee. Wir haben uns nur auf das Allgemeine hier einzulassen. Betrachten wir das Allgemeine der Handlung, so zeigen sich in ihr in Betreff der Kunst 2 Seiten, einmal das wesentliche Bedürfniß aus dem gehandelt wird, und dann die besondere Individualität des Handelnden denn Handeln kann nur das Concrete Individuum. An diesem ist also zuerst das Substantielle zu betrachten, was bethätigt wird, dann das Besondre der bethätigenden Individualität. Was das substantielle betrifft so ist dieß irgend eine allgemeine Macht, die in der Natur des Geistes und seiner Formen gegründet ist[.] | Wenn wir diesen Inhalt für sich | herausheben, so macht er den Stoff zu dem, was vorzüglich bei den Griechen die Götter waren. dieser subjective Inhalt, den die Handlung hat, ist der an sich ideale. In Ansehung desselben brauchen wir uns nicht umzusehn wie die Endlichkeit hier abgestreift wird, denn der Inhalt ist an und für sich ideal. Es sind diß ewige Momente, absolute Verhältnisse, die den Göttern zu Grunde liegen. Ein Theil des Inhalts bei ihnen ist auch das Naturmoment, bei den griechischen Göttern macht aber die Hauptgrundlage das sittliche Moment aus. Schon ein alter sagte: der Mensch habe aus dem Seinigen die Götter genommen, das bpou, das Mächtige, welches

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145Kr

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1 Wirklichkeit] Kr: darstellung 2 die Natur … Individuums] Kr: an, was das Individuum ist vorzüglich] Kr: wesentlich der Kunst 3 ein] Kr: die Figur, oder eine einzelne Situation, einen 4 Gestalt] Kr: Gestalt, Miene 7 in seinem Grunde] Kr: an sich 8 die] Kr: veranlaßende 10 der Kreis] Kr: die Weise begrenzt] Kr: bedingt 13 wesentliche] Kr: Wesentli- 30 che des Interesses, das die besondere] Kr: das Bestimmte, Besondre der 15–16 An diesem … Individualität.] Kr: Aber im Concreten haben wir zu unterscheiden das Allgemeine, welches durch die Individualität bethätigt wird, dann die besondere Seite, die eigenthümliche Individualität als solche. / 1tens 17 betrifft so … irgend] Kr: der Handlung ist ein wesentliches, ein sittliches Interesse überhaupt, irgend ein ganz allgemeines Moment 19 die Götter] Kr: bei den Alten über- 35 haupt die Götter für die Fantasie, die Vorstellung 20 subjective] Kr: substanzielle 21 wie] Kr: wie das Ideale erhalten werde, wie 23 die den] Kr: denen die Ein] Kr: Wir bemerken später 25 alter] Kr: alter Schriftsteller 3 an] ist 15 bethätigt] davor gestr. es über gestr. sie bpou] den bpo; Kr: ihren eigenen bpfrj

16 bethätigenden am Rande angefügt

26 das 40

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87Ho 149Kr

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das substantielle der Individualität ausmacht, eine Macht ZB. die Familie, die Pietät, die Staatsgewalt, Macht, Ehre, Freundschaft, Liebe des Geschlechts des Vaterlands, Eigenthum, Reichthum. diese Mächte sind das substantielle einer Handlung und der Stoff für die alten Götter. | Es sind die berechtigten Momente überhaupt, das Anundfürsich Ideelle, wesentliche Seiten des wollenden Geistes, das Affirmative überhaupt. Es giebt nun im Geist ein Negatives und wird dieß zur Gestalt einer selbstständigen Macht erhoben, so hat diß kein Intresse in sich. Wenn man also in Modernen Zeiten neben die Götter Gestalten gestellt hat, die nur ein Negatives sind, hat dieß ein Widriges wie ZB. der Neid der Haß. diese sind an und für sich ein Nichtiges und es ist eine leere Prosa sie aufzustellen. der Teufel ist eine höchst prosaische Person. die wesentlichen Momente nun müssen nicht als Allgemeines gehalten werden, denn sonst sind sie reine Gedanken oder abstracte Vorstellungen, die nicht in den Formen der Kunst sind, die das Allgemeine als individuelles unmittelbar Seiendes darstellt. die allgemeinen Mächte also müssen zu selbstständigen Gestalten werden, zu Göttern, wie sie bei den Alten sind. Sie müssen ein wesentliches Moment und keine Willkührlichkeit der Phantasie vorstellen. diese Individualität gehört der | Gestalt an; sie wird aber | nicht so weit herausgeführt, als in der Bestimmung der subjectivität liegt, subjectivität 1 Macht] Kr: wesentliche, nothwendige Macht überhaupt, eine absolute Macht 4 Es] Kr: 2tens die handelnde Individualität nach den Mächten des menschlichen Geistes, ist das, was zu den Göttern überhaupt die Idee gegeben hat. / dieses 5 des wollenden] Kr: der Idee, des vollendeten 6 Geist] Kr: Gemüth 9 Haß] Kr: Geiz 9–10 diese sind … und 2 ] Kr: das ist etwas Todes, Abstoßendes und man bedauert den schönen Stein der etwa zu solcher darstellung hat herhalten müssen. Wenn uns im Leben solche Erscheinungen vorkommen, so kehren wir gern die Augen davon weg; es ist also ein Widerspruch gegen uns, gegen das sittliche Bedürfniß, wenn wir demjenigen, was unsern Abscheu erregt, die Ehre und gleichsam die Liebe anthun, es im Stein oder auf der Leinewand zu fixiren. Solches ist | seinem Inhalte nach nichts Ideales, 10 leere] Kr: schlechte 11 Person] Kr: Person, das Negative an und für sich selbst Momente] Kr: substanziellen Mächte 14 individuelles] Kr: sinnlich 15 zu selbstständigen Gestalten] Kr: zu individuellen, zu selbstständigen Gebilden 16–17 Sie müssen … vorstellen.] Kr: die Grundlage der Götterindividualitäten muß eine nothwendige, allgemeine seyn, nicht eine leere dichtung, Vorstellung oder eine solche die in losgebundener, nur so ins Blaue hinein faselnder Fantasie bestünde. Sie muß wesentliche Momente in sich enthalten, aber als allgemeine Momente gehören sie selbst der Idee an. Um ideell zu seyn müssen sie aber zugleich auch in individueller Weise dargestellt werden, und 17 sie wird] Kr: In ihrem Inhalt wird diese Individualität 18 so weit] Kr: bis zur Consequenz 18–304,1 subjectivität ist … Verwiklungen] Kr: Subjektiv ist der Wille, wie er in die äußere Existenz tritt; so weit muß das Individuum nicht herausgeführt werden, wenn in ihm ein solches bpou, eine allgemeine göttliche Macht dargestellt werden soll. die besonderung dieses Allgemeinen bis in ihren äußersten Punkt, wo es zur bethätigung des subjektiven Willens kommt, herauszuführen, fällt nicht in die Bestimmung des eigentlichen Ideals, sondern sie wird zum Stoff eines Weitern, das schon über das reine Ideal hinaus ist, und was wir weiter unten berühren werden 7 selbstständigen] ssebststädgn 10 ist so Kr; fehlt in Ho einer halben Wortlänge 17 der] d. | d

11 Person.] folgt ein Abstand von etwa

diese Momente müssen ein in sich berechtigtes, ein wahrhaft Affirmatives und keine bloß negative Seite des Geistes sein.

Ferner als in der Kunst seiend müssen diese Momente zu selbstständigen Gestalten werden.

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die Götter nun sind selige, d.h. ein individualisirtes substantielles, so daß die substantialität nie durch das Heraustreten in das Endliche verloren geht.

nachschrift hotho · 1823

ist das Heraustreten in das Äußerliche und somit also in alle Verwiklungen. die Götter aber sind wohl Individualitäten, Allgemeine Bestimungen, in bestimmter Bedeutung, in der Weise jedoch daß es mit der Individualität nicht voller Ernst ist. denn die Götter sind in sich selig, als bestimmte kommen sie wohl in Streit, aber in diesem zugleich muß es kein Ernst werden, sondern die Götter müssen ewig heiter bleiben, legen ihre ganze Individualität nie in ein bestimmtes Intresse, sondern bleiben immer in sich heiter. Und dieß ist die Ironie, die über die homerischen Götter ausgebreitet ist. Sie mischen sich hier und dort ein, aber sie lassen eben so das Geschäft wieder stehn und wandeln zum Olymp empor. Eine bestimmte Consequenz in einem Zweck zu haben und darin zu Grunde gehn: dieß kann bei den Göttern nicht vorkommen. Bei diesen Göttern kommen aber auch weitere Particularitäten vor von denen wir nicht wissen, wie wir sie sollen auf den Begriff zurückführen, den die Götter haben; solche Particularitäten sind die Liebschaften Jupiters ect. diese Particularitäten betreffen zunächst nicht das Wesen der Götter sondern sind Anhängsel. Wo sie weiter herkommen, davon haben wir weiter zu sprechen. Es sind Reste | eines Frühern, abgethahenen. Bei diesen Idealen ist es für die Kunst nicht schwer Idealität zu behalten. 2–4 Allgemeine Bestimungen, … selig] Kr: ihnen liegen allgemeine Bestimmungen zum Grunde. Indem wir sie aber in diesem Sinn betrachten, so machen wir sie zu etwas Prosaischen, denn wir erklären sie damit. die Alten fassten sie in ihrer Vorstellung als in sich seelig und stellten sie auch so dar, als unterschieden voneinander 5 werden] Kr: werden, wie etwa bei den Menschen, die in ihrer Lei|denschaft, um ihr Recht oft das Leben auf ’s Spiel setzen, 6 in] Kr: ausschließlich, leidenschaftlich in 7 sondern bleiben … heiter] Kr: Sie lassen sich ein in ein gefasstes Interesse, ziehen sich aber auch bald wieder heraus und zurück in ihre ewige Heiterkeit. So zeigen sie sich erhaben über das besondere Interesse; sie versenken, verwickeln sich nicht so tief hinein wie die Menschen, die mit ihrem endlichen daseyn ein ganz andres Verhältniß dazu haben, indem diese es sich zum Zweck machen können, den sie vielleicht mit Mühe erreichen, aber auch im Kampfe dafür ihren Untergang finden können Und dieß ist] Kr: In diesem Spiel der Götter mit den gefassten Interessen, liegt 8–11 Sie mischen … vorkommen] Kr: ein Theil der Götter interessirt sich für diese, ein andrer für jene, entgegengesetzte Parthei; sie kehren aber nach jedem hitzigen Tagewerk, so zu sagen, am Abend wieder zurück in den Olymp, diesen Sitz ihrer Harmonie und Heiterkeit, gleich als wäre solche Getheiltheit ihrer Interessen gar | nicht vorhanden. die Vertheilung solcher Interessen der Götter findet ihr Motiv in der besondern Götterindividualität, in dem Pathos überhaupt, der allgemeinen Macht die ihr zu Grunde liegt. So nimmt die Aphrodite, als die Göttin der Liebe (als Leidenschaft), die Parthei der Trojaner; denn die Veranlaßung des Kriegs mit denselben ist die Entführung der Helena durch den trojanischen Prinzen Paris. das Interesse des liebenden Jünglings macht sie so zu dem ihrigen, da die Liebe überhaupt ihre Macht ist, ihre ganze Götterindividualität ausmacht 12 vor] Kr: vor, die ihrer göttlichen Natur zunächst als etwas Fremdes erscheinen und 12–13 sollen auf … Götter] Kr: auf ihre Gattung zu beziehen 14 Particularitäten] Kr: Partikularitäten, die mit ihrer Natur zunächst nichts zu thun zu haben scheinen, 16 abgethahenen] Kr: das von den Göttern eigentlich schon abgethan ist 3 in der … jedoch über der Zeile mit Einfügungszeichen Kr; fehlt in Ho

Individualität] Individualltät

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Zweitens nun aber tritt in die Individualität der Götter eine eigenthümliche Schwierigkeit ein, denn indem sie individuelle sind, ausschliessend, treten sie in ein äusserliches verhältniß zum Menschen. die Götter sind ihrem Gehalt nach allgemeine überhaupt. dieses Allgemeine, diese Idee wird in der Handlung verwirklicht, diese Verwirklichung kommt der menschlichen Thätigkeit zu, der subjectiven Individualität. diese hat zu ihrem substantiellen Gehalt den Stoff der Götter die bpi. diese sind das Intresse in den handelnden Menschen, die treibenden Mächte. Sie gehörn der subjectivität des Menschen einerseits an, | anderseits sind es freie an und für sich seiende Be|stimmungen, insofern sie nun dem Menschen angehören, des Menschen Eigenes sind, ihn treiben, so tritt der Widerspruch ein, daß dieselben Bestimungen in selbstständiger Individualität gegen den Menschen vorgestellt werden, und so in Collision mit der Freiheit des Menschen kommen. Es ist dieß dasselbe Verhältniß, das auch in Fragen vorkommt, die in der christlichen Religion ihre Stelle haben ZB. Es heisst: der Geist Gottes führe zu Gott – Ist dieß so erscheint der Mensch als der bloß passive Boden, auf dem dieser Geist wirkt, und menschliche Freiheit, menschlicher Wille scheint dabei keinen Platz zu haben, sondern, daß der Geist in einem Individuum wirkt s c h e i n t ein willkührlicher Rathschluß Gottes zu sein, eine Art von Fatum, wobei der Mensch nicht selbst dabei ist. | dieselbe Collision ist bei den Göttern. Wird nun das Verhältniß so gestellt, daß der Mensch dem Gott äußerlich als dem substantiellen gegenübersteht, so ist dieß ein ganz prosaisches Verhältniß, denn der Gott befiehlt und der Mensch hat nur zu gehorchen. Solch Verhältniß sehn wir in mehreren griechischen Tragödien ZB im Philoctet. Philoctet beharrt auf seinem Character. Nachdem aber Ulyssens Betrug zu Schanden gemacht war, Philoctet nicht mit nach dem Lager gehn will, befiehlt Heracles, der herzukommt, dem Philoctet zu gehn. Solche Auflösung durch einen Gott hat immer etwas Kaltes

und sich nur noch so im Nachklang in ihnen erhält und nebenbei fortsetzt 304,17 diesen Idealen … behalten] Kr: diesem Ideal hat es keine Schwierigkeit in der Kunst; doch findet sich eine solche in der Individualität der Götter 7–8 das Intresse … Mächte] Kr: Mächte, als Motive der 8 an] Kr: an, sie sind ihm immanent, sie sind 30 Handlung, wozu die Menschen getrieben werden er selbst 9 freie] Kr: ewige, freie sich] Kr: sich nothwendig 12 in Collision … kommen] Kr: ist es die Collision mit seiner Freiheit, daß, indem der Gott befiehlt, der Mensch seinem Befehl sich entgegensetzt. In dieser Vorstellung geht die Selbstständigkeit, die Freiheit des Menschen leicht zu Grunde 14 der Geist … Gott] Kr: die Gnade Gottes wirkt in dem Menschen, es 15 dieser Geist] Kr: diese Gnade 35 ist der Geist Gottes, der den Menschen zu Gott führt 18–19 wobei der … ist1] Kr: daß die Gnade Gottes auf ihn sich erstreckt und in ihm wirkt 20 dem substantiellen] Kr: selbstständige Individualität 23 im] Kr: in Sophokles 24 zu Schanden gemacht] Kr: entdeckt 26 zu gehn] Kr: von seinem Starrsinn abzulaßen Auflösung durch … immer] Kr: Auflösung des Knotens durch einen Gott der kommt und befiehlt, hat 40 unmittelbar

Indem nun die Götter das substantielle aller Handlungen sind, die durch die subjectivität des Menschen verwirklicht werden, so stehn sie dem Menschen als äusserliche gegenüber, und kommen in Collision mit seiner Freiheit.

Wenn dieses Verhältniß so bleibt, daß die Götter äußerlich als die befehlende Macht auftreten ist dieß kalt und prosaïsch.

306

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für uns. In andrer Weise kommt dieß vielfältig vor, daß an einem Helden eine Tugend als ein blosses Sein vorgestellt wird. ZB. wird von Achill gesagt, er sei unverwundbar gewesen, und nur an der Ferse verwundbar. Stellen wir uns dieß vor, so verschwindet alle Vorstellung von Tapferkeit, da i s t er unverwundbar, und das Heldenwesen ist keine geistige Thätigkeit, sondern eine bloß physische

1 uns] Kr: uns; dies Verhältniß des Menschen zur Gottheit gehört aber jener Zeit an: im Christenthum f ällt seine spröde, harte Aeußerlichkeit ab und der Mensch hat hier das Wort Gottes, den göttlichen Willen zu erkennen als seiner Vernünftigkeit immanent; es ergeht nicht an ihn in der Form des Befehls, diesen Willen Gottes zu realisiren, und er realisirt ihn nicht in der Form des abstrakten Gehorsams, sondern hier ist der Wille Gottes dem Menschen immanent und der | Mensch ist frei dadurch, daß er ihn als den seinigen erkennt und ihn als solchen verwirklicht. / das antike Verhältniß ist also in dieser Beziehung wesentlich von dem modernen unterschieden: dort ist es eine Vielheit von Götterindividuen, die einerseits dem Menschen noch als absolute Macht hart und spröde gegenüber stehen; der Wille, der Befehl der Gottheit offenbart sich in dem Spruch des Orakels, aus diesem zweideutigen dunkel heraus, damit der Mensch noch etwas an ihm zu deuten, zu errathen habe; dadurch ist dafür gesorgt, daß die Gottheit sich vor den Menschen nicht compromittire und zugleich das Orakel auch seinen Kredit nicht verliere, wenn etwa die Sache schief ausf ällt; denn in solchem Fall wird die Schuld auf die falsche deutung gelegt, die die Priester weislich den Menschen überlassen. die Schuld liegt aber eigentlich doch im Orakel selbst: wo Zweideutigkeit ist, da muß gedeutet werden, und da ist denn auch der Mißgriff möglich, den die Priester also, wie gesagt, den Menschen zuschieben, indem sie hintendrein erklären, wie das Orakel eigentlich | hätte gedeutet werden müssen, – nämlich so, wie es mit dem Ausgang der Sache übereinstimmt. Hier kommt es also auf eine gewandte Schlauheit der diener des Gottes an, der seinen Willen durch dieses Sprachrohr der Zweideutigkeit den Menschen gleichsam zum Besten gegeben hat, daß sie draus machen können, was s i e wollen, was i h n e n am Besten dünkt, mit der Sanktion der Gottheit. / die Diener des christlichen Gottes, unsre Priester, können dieser Schlauheit entbehren; sie haben es mit keiner Zweideutigkeit der Offenbarung des göttlichen Willens zu thun, der, wie wir nur Einen Gott haben, auch nur ein einiger Wille ist, der der Vernünftigkeit selber immanente Wille. der Christ ist so sich selber sein Orakel, das Gewissen ist die unmittelbare Stimme des Göttlichen in uns, dies unmittelbare Wissen, daß der Wille Gottes, der vernünftige Wille unser eigner seyn und durch uns verwirklicht werden soll. dieses unmittelbare Wissen und Gewißseyn der Übereinstimmung oder auch des Widerspruchs mit dem göttlichen Willen, insofern wir ihm entgegen handeln, dies | ist das, was wir das Gewissen nennen. die Alten hatten auch ein solches Gewissen in sich, sie wissen überhaupt um den Willen der Götter; aber es bleibt bei diesen noch eine Seite übrig, wornach ihr Wille dem Menschen ganz äußerlich gegenüber steht, ihm als Befehl verkündigt wird, dem er sich dann unterwerfen muß ohne Weiteres. So kann denn auch eine an und für sich ungerechte That dadurch gerechtfertigt erscheinen, daß sie auf den Befehl der Gottheit geschehen sey; die Ungerechtigkeit erscheint äußerlich in der Form der Pietät, und hierauf stützt sich das Individuum, das so, als das äußerliche Werkzeug zur Vollstreckung des göttlichen Befehls, seine Handlung nicht für eine solche nimmt, die sich aus seinem eigenen freien Willen bestimmt hätte, sondern für eine solche, die es absolut habe vollbringen müssen, weil die Gottheit sie befohlen dieß] Kr: es bei den Alten sonst auch 2 Tugend] Kr: besondere Tugend, z.B. die Tapferkeit, 3 Ferse] Kr: Ferse | des einen Fußes dieß] Kr: diesen mythologischen Zug 5–307,1 und das … Qualität] Kr: folglich gehört ihm diese Heldentugend nur auf eine äußerliche Weise an, sie ist nicht als ein Geistiges in ihm

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Qua lität. In Ansehung dieser Collision ist für den dichter eine Schwierigkeit, und die prosaische Ansicht griechischer darstellungen hält sich gern an dies | bloß ausserliche Verhältniß der Götter und Heroen. Wodurch der dichter diese Schwierigkeit lösst ist nur dadurch, daß er einerseits das Ideale wohl individualisirt, aber eben so diß Äusserliche zeigt als Immanentes, Geistiges, das dem Character des Menschen angehört. das Äusserliche Erscheinen muß zugleich sich als ein Innerliches des Menschen zeigen. Wenn wir so von Eros bei den Alten sprechen hören, als selbstständigen Gott, so haben wir sogleich die Vorstellung, daß diß kein bloß Äusserliches ist, wohl ein bpou, aber des subjects eigene immanente Regung. So | kommen bei Sophocles im Oedipus die Eumeniden öfter vor, indem der Vater seine Söhne verflucht. die Eumeniden stellen wir uns zunächst als Furien vor, die dem Verbrecher äusserlich folgen; aber sie heissen beim dichter zugleich ftmfnjefu sotbsqou, der Fluch des Vaters, die Gewalt seines verletzten Gemüths über die Söhne; sie sind also Mächte des Gemüths. Man hat also einerseits sehr Unrecht bei der Erklärung eines dichters die Götter prosaisch zu erklären, indem man sagt sie seien ein bloß Innres, aber man hat zugleich auch recht. denn die Götter sind, obgleich einerseits äusserlich, doch auch im Gemüth. Bei Homer geht dieß stets herüber und hinüber. die Götter verrichten einerseits etwas, was einem menschlichen Gemüth äusserlich ist, aber zugleich verrichten sie auch etwas, das eben so ein Innerliches sein kann. Es ist schwer oft die Innerlichkeit dessen zu fassen, was als Äusserliches besteht. Im Streit ZB. wo Achill gegen den Agamemnon das Schwerdt ziehn will, zieht ihn Minerva zurück.

3 Heroen] Kr: Heroen und Menschen zu einander 4 individualisirt] Kr: thätig darstellt 5 diß Äusserliche zeigt] Kr: das, was in solchem Verhältniß zunächst als ein Aeußerliches erscheint, auch durchscheinen lässt 6 Menschen] Kr: Heros 8 als selbstständigen Gott] Kr: die Liebe als selbst ständige Gottheit 9 wohl] Kr: nicht n u r 9–10 aber des … Regung] Kr: sondern auch zugleich ein eigner immanenter Trieb in dem Individuum selber, in dem es erscheint, also nicht ein blos äußerliches Angethanseyn 10 indem] Kr: da wo 12 Furien] Kr: die äußerlichen Wesen dem Verbrecher … folgen] Kr: das Verbrechen verfolgen 13 ftmfnjefu] Kr: die Erynnien der] Kr: das Gefühl des Unrechts und den daraus hervorgegangenen 14 sie] Kr: die äußerlichen Eumeniden 15–17 prosaisch zu … Gemüth] Kr: nur so äußerlich, prosaisch zu fassen, als diese Regungen ihrer Eigenschaften, die nur wie zufällig zu solchen Collisionen antreten. Einerseits hat man freilich auch Recht dabei, denn die Weise, wie diese Mächte erscheinen, ist einmal und zunächst auch äußerlich. der Gott muß andrerseits aber auch als ein dem menschlichen Subjekt Immanentes gefasst werden können, und dies ist allerdings auch der Fall bei dem antiken Verhältniß 18–21 die Götter … besteht] Kr: da sind die Götter oft bis zu einer Grenze geführt, wo sie als durchaus äußerlich ge|gen das menschliche Gemüth erscheinen, zugleich ist aber ihre Haltung wieder so, daß sie wohl erklärt werden können, als ein Solches, das dem menschlichen Gemüth selbst auch angehört. Als ein blos Aeußerliches gefasst, begründet sich darauf das Verhältniß dessen, was man Aberglauben nennt 2 dies so Kr; Ho: solchem

9 bpou] bpos

13 ftmfnjefu] ftmfnefs

die Götter müssen daher dem Menschen als ebenso äußerlich als innerlich dargestellt werden; die Götter müssen die eigene Innerlichkeit, das substantielle des Menschen sein. Beispiele beim Sophocles;

Bei Homer;

308

Bei Göthe im Gegensatz vom Euripides in der Iphigenie.

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dieß ist leicht vorzustellen, daß diß ein zugleich Innerliches sei, ein Unterbrechen des Zorns in sich, ein Hemmen des Gemüths in sich, dieß Hemmen ist ein Andres gegen den Zorn und so kann der dichter es als äusserlich darstellen. Aber zugleich stellen wir uns vor, daß diese Athene, daß Besonnenheit ein Innerliches ist. | In der Odyssee sehn wir beim Telemach die Minerva als Mentor. dieser ist schon schwieriger zu erfassen als ein zugleich Innerliches, aber auch dort sehn wir den Zusammenhang der äusserlichen Erscheinung und des Innerlichen. Wenn die Götter nur | Machinerien sind, die von Außen befehlend hereinwürken, so hat dieß kein Intresse, ein unkünstlerisches Intresse. Von dieser Seite hat eine Göthische darstellung ein so grosses Intresse. Göthe nehmlich hat die Iphigenie umgebildet, dadurch, daß er, was im Euripides als ein bloß äusserliches erscheint, umgewandelt hat in ein Verhältniß des Gemüths zum Gemüth. dieß ist einer der schönsten Gegenstände der Götheschen Gebilden. Bei Euripides raubt Orest mit Iphigenie das Bild der Göttin, so daß das Verhältniß nur ein diebstahl ist. Thoas giebt den Befehl den Räubern nachzusetzen. Athene kommt dann und befiehlt dem Thoas von den schon Fliehenden abzulassen. Thoas schliesst damit, den

1–2 dieß ist … sich] Kr: hier erklären wir leicht diese äußerliche Einwirkung auf ihn aus der vorgegangenen Veränderung in seinem Gemüthe: der Zorn hat sich in ihm gelegt, gebrochen, sein Ausbruch wird dadurch zurückgehalten 3–5 Zorn und … ist] Kr: Zorn, gegen diesen ersten Gemüthszustand und insofern ist der dichter berechtigt, den 2ten Zustand, als einer äußerlichen Einwirkung unterworfen, vorzustellen, die von einer höhern Macht herkommt, ihn besiegt. dies ist aber zugleich ein Sieg des Individuums über sich selbst, es hat sich dadurch aus dem Zustand der Leidenschaft in sich selber wieder zurückgezogen, aus dieser Gefangenschaft befreit. dies | ist eine Rückkehr in sich, in den Zustand der innern Harmonie von dem ganzen Reichthum des Geistes und Gemüths, ein Sichselbstfassen als die Einheit dieser unterschiedenen geistigen Mächte, die sich in dem Zustand der Leidenschaft auf hebt, ihr geopfert wird, wenn es zum Ausbruch der alleinherrschenden Macht derselben kommt. Man sagt so, der Mensch empört sich in der Leidenschaft, er ist darin nicht bei sich, er ist außer sich bei ihrem Ausbruch; man hat in diesem Fall Nachsicht mit ihm, verlangt aber auch mit Recht von ihm, daß er sich beherrschen soll, daß er nicht sich selbst dieser einzigen Macht preis gebe, und die Aeußerung der übrigen ihm immanenten Mächte unterdrücke und vergesse 6 zugleich Innerliches] Kr: aus dem Innern Kommendes dort] Kr: da (der dichter hat sich freilich einem freiern Spiel überlas sen) 9 hat dieß … Intresse] Kr: entsteht daraus ein blos äußerliches Verhältniß, das kein wahrhaftes Interesse hat, weil damit die Freiheit des Subjekts auf die Seite gestellt ist 9–10 Von dieser … Intresse] Kr: das Moderne spielt überhaupt mehr im Gemüth, mehr in subjektiver Weise 12 zum Gemüth] Kr: das Gemüth zur Macht der Bestimmung des Handelns erhob 13–14 mit Iphigenie … Göttin] Kr: die Iphigenie 14 ein] Kr: ein einfacher Thoas] Kr: Thoas hat ein Recht auf ihren Besitz. Er 16–309,1 damit, den … auszuführen] Kr: damit: „da du es befiehlst, so muß ich gehorchen; denn den Befehlen der Götter entgegen zu seyn, wäre nicht schön.“ So erscheint er plötzlich mit dieser Aeußerung eines frommen Gemüths, das nun weiter nichts thun kann, als gehorchen 12 einer] eins

90Ho

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Götterbefehl anzuerkennen, den trocknen Befehl auszuführen. Bei | Göthe ist die Wendung ganz anders. Iphigenie wird die Göttin, die der Gewalt des Geistes vertrauend zu Thoas spricht, und die Umkehrung in Thoas geschieht innerlich durch den Inhalt, den Iphigenie ihm vorhält. das bloß Äusserliche beim Euripides ist hier also zu einem Innerlichen umgestaltet. – Zu diesen Göttern gehören

2 die der] Kr: die sich auf die Macht des Gemüths verläßt, der innern 3 Thoas2 ] Kr: Thoas zur Gewährung ihrer Bitte, 4–5 das bloß … umgestaltet] Kr: So ist also hier das Verhältniß von einem lebendigen, subjektiv freien Gemüth zu einem andern dargestellt 5 –] Kr: Bei den Alten machen diese göttlichen Mächte die Grundlage aus zur bestimmten darstellung ihrer Götter selbst, sie sind das Wesenhafte. das mythisch Historische ist traditionell und nach Volk und Lokalität verschieden ausgebildet; die eigenthümliche Macht der Gottheit liegt aber selbst auch ihrem äußerlich geschichtlichen Mythos zu Grunde, obgleich es damit oft nicht so genau genommen wird. diese ganze Ausbildung der rein mythischen Seite geht darauf hinaus, die Götter in den Kreis des Menschlichen hineinzuziehen; sie kommen aus dem Olymp herunter, nehmen Theil an den Schicksalen der Menschen, strafen oder segnen ihre Handlungen, haben ihre Vorliebe für diesen und jenen Ort und so | durchlaufen sie eine endlose und unendliche mannichfaltige Reihe von Situationen, die Handlungen veranlassen, ganz in der äußerlichen Weise des Menschen. der antike Gott ist also noch geschlossene, selbstständige Individualität, Gestalt, bestimmte Handlung: so kann er nur äußerlich gegenwärtig seyn unter den Menschen, dies ist noch nicht die vollkommene Präsens des Göttlichen im Menschen, nicht diese vollendete Verinnerlichung in ihm, wie sie später im Christenthum erfolgt. Im Antiken steht der Gott dem Menschen gegenüber, er ist in der äußerlichen Weise des daseyns fixirt, der Ausdruck seines bpou, seiner wesenhaften Individualität wird eben so äußerlich dargestellt im sinnlich gestalteten, körperlich gegenwärtigen Bild, wie zugleich auch in der sinnlichgeistigen Vorstellung, im Mythos des Gottes. dies ist das günstigste Verhältniß für die plastische Kunst; Stoff und Gestaltung im Sinnlichen sind hier wechselweis immanente Bestimmungen, und die hier noch vorhandene Weise des ganz äußerlichen daseyns, des besondern Geschehens, des | Handelns, die vielfachen Situationen in die die Götter, aus dem Olymp ins Weltliche, Irdische, hineintreten, dies zusammen macht so den unendlich reichen Stoff aus für die antike Kunst, und hier findet er sich auch für das eigentliche Ideal, das ausschließlich in dies Verhältniß gehört. Es ist nur Eine Seite des Geistes, nur Eine geistige Macht als die wesentliche, bestimmende im Ideal festgehalten und dargestellt; als individualisirte Gestalt aber, hat das Ideal zugleich die Weise des daseyns, die Weise der Aeußerlichkeit an sich; einmal also wird es gefasst, als diese in sich ruhende geistige Macht und solche darstellung ist die eigentliche Tempelgottheit: da ist es also der immanente Ausdruck der bestimmten geistigen Macht, es ist die körperliche Präsens derselben dadurch daß das Götterbild n u r diese darstellt, rein in Beziehung auf sich, situationslos. daher diese bewundernswürdige Harmonie der antiken Tempelbilder: die darstellenden Formen bestimmen sich nur aus Einem, beziehen sich nur auf Eines, auf ihre Idee, sie sind diese Idee selbst, ihre Wirklichkeit, ihre darstellung in der Weise des daseyns. dies ist | das Ideal. dies ist die erste Weise seiner Aeußerlichkeit. Ein Weiteres in der Ausführung der Seite der Aeußerlichkeit, das der Bestimmung des zum Individuum Gestalteten immanent ist, ist nun die Situation, in welcher das Ideal aus seiner Ruhe in sich, aus diesem stillen Frieden, dieser Insichgeschlossenheit, herausgeführt und auff Anderes bezogen wird. Insofern ein solches Andere, das die Situation herbeiführt eine wesentliche Beziehung hat zu dem Pathos der Gottheit, so erscheint dieses Pathos zunächst als Hinwendung des Auges, als Bewegung des Körpers nach dem veranlaßenden Gegenstand und die Macht des Gottes erscheint so in der Weise der unmittelbaren Lebendigkeit. Immer aber ist eine solche Situation bedingt durch die wesenhafte Bestimmung der Gottheit, und Situationen deren

310 Ebenso ist beim Schakspeare in Macbeth und im Hamlet.

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auch die phantastischen Wesen moderner Zeit. In Ansehung ihrer kommt oft ein äusserliches läppisches Verhältniß vor, und es ist immer die Gefahr, daß solche Verhältniße kein Freies werden. Was die Hexen ZB. in Macbeth anbetrifft, und

Natur nach eine Trübung oder gar gänzliche Auf hebung des Ausdrucks von dem besondern Pathos derselben zur Folge haben müssten, sind von der plastischen darstellung gänzlich ausgeschlossen, wenn sie auch im Mythos derselben Gottheit vorkommen. In diesem kann über die enge Schranke der plastischen darstellung | hinausgegangen werden; hier wird die Seite der Aeußerlichkeit des Ideals weiter und bis zum äußersten Punkt, wo die Zufälligkeit, Willkühr der Fantasie ihren Platz hat, ausgeführt. Im Wesentlichen findet sich aber auch hierin die Bestimmung aus der Idee der Gottheit, wenn dies auch von uns nicht allenthalben mit gleicher Sicherheit und Bestimmtheit nachgewiesen werden kann. / dies sind also die Gottheiten der Alten, insofern ihnen die Mächte des Geistes zu Grunde liegen; der Stoff für das eigentliche Ideal der Skulptur. die geistigen Bestimmungen sind hier das Wesentliche, sie treten aber heraus zur Verkörperung, zur Handlung, zur äußerlichen Weise des daseyns überhaupt, indem diese Götter geschlossene Individuen sind. Jede dieser Mächte kommt im Gott zum selbstständigen Bestehen, wird individuelle Gestalt. / An all diesen Gottheiten der Alten finden wir nun noch eine andre Seite ausgebildet, die der physischen Natur, der physischen Lebendigkeit. die Götter suchen den heitern Genuß der Befriedigung eines rein physischen Begehrens; im Olymp | darf der Nektar nicht fehlen und auf der Erde haben sie ihr Wohlgefallen an Allem, was heitern sinnlichen Genuß gewährt. die männlichen Gottheiten fassen besonders das schöne Geschlecht ins Auge und gefallen sich in einer zahlreichen Nachkommenschaft von Söhnen und Töchtern. Auch die weiblichen Gottheiten finden zum Theil ihre Liebschaften auf der Erde, wo sie sich von männlicher Schönheit, von tapfern Helden bis zur Gewährung der Liebesgunst besiegen lassen. diese Liebschaften haben indessen einen sehr wandelbaren Karakter, sie sind nur ein süßer Rausch und es ist kein Beispiel vorhanden, daß ein Gott sich einer Sterblichen genähert habe mit der sogenannten reellen Absicht sie zu heirathen. / Obgleich nun aber diese sinnliche Seite an allen Gottheiten vorhanden ist, wenn auch negirt, wie bei der keuschen diana, so wird sie doch auch zugleich gefasst, als ein Solches, das dem wesentlichen Pathos derselben äußerlich sey, das nicht die Bethätigung ihrer geistigen Macht, vielmehr diese zufällige unwesentliche Bethätigung der ganz äußerlichen Weise | ihres individuellen daseyns ist. daher ist diese sinnliche Seite des daseyns auch für sich festgehalten in besonderen Gestaltungen, denen denn auch weiter keine andre Bestimmung als diese zukommt. dahin gehören die Faunen, Satyre, der Priap, ferner die Nymphen u.s.w. die zwar auch örtliche Beziehung und Bedeutung haben, bei welchen indessen das Physische des daseyns vorwaltet. dies auszudrücken kommen ihnen denn also diese Bocksfüße, die Schwänzlein, überhaupt diese Vermischungen der thierischen mit der mensch lichen Körperbildung zu. Sie haben eine untergeordnete Stellung, füllen aber nichtsdestoweniger eine Seite aus, wie sie ganz den Vorstellungen der Alten immanent ist. Was bei den höhern Gottheiten vorübergehendes, gleichgültiges Moment ist, das wird hier in individueller Gestaltung festgehalten; und der Boden des sinnlichen daseyns, auf dem die Vorstellung der Antiken Götterwelt ruht, bringt seiner Natur ganz gemäß auch diese Seite der sinnlichen Existenz zur verkörperten, individualisirten Erscheinung. / Im Christenthum nun ist Gott zu fassen als Geist, im Geist und für ihn. Er ist die ab|solute Idee, die concrete Wahrheit. In ihm sind die Mächte der antiken Götter, diese ganze Vielheit der geistigen und natürlichen Bestimmungen, wieder in Einem zusammengefasst und dieser Stoff kann kein solcher mehr seyn, der zu fassen wäre in der Form des beschränkten individuellen daseyns; er kann nur im Geist, in der Form des Gedankens gefasst werden in seiner ganzen Wahrheit. So ist also der christliche Gott gestaltlos und darum nicht für die darstellung der Kunst. die Weise wie sich im Christenthum das Göttliche manifestirt,

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den Geist in Hamlet, so sind diese Vorstellungen mehr oder weniger nur eine objective Form des Inneren. Wenn sie als Bestimmende vorkommen, so daß sie nur äusserlich befehlen, so ist das Mangelhaftes. Im Macbeth verkünden die Hexen dem Macbeth sein Schicksal; was sie sagen, sehn wir aber, ist nur | das eigne Innre Macbeths, das auf diese Weise an ihn | kommt. den Hamlet sehn wir mit dem dunklen Gefühl eines Ungeheuren auftreten, nun erscheint ihm des

ist rein geistiger Art: der Ausdruck des Gemüths, des Beziehens auf Gott. das Individuum, das Subjekt, an dem dieser Ausdruck erscheint, ist nicht Gott selbst, sondern der Moment, den es als dann darstellt, ist der des Beziehens auf ihn; das Subjekt fasst und weiß sich dem ewigen Gott gegenüber als endliche, zeitliche Existenz, es ist vor ihm nur Andacht, demuth, Ergebung in den göttlichen Willen, Auf hebung aller Beziehung zum Endlichen, zum Zeitlichen in dieser Beziehung zur ewigen Wahrheit Gottes. dies macht in der christlichen Welt den | höchsten Stoff aus für die Kunst. / das Individuum gelangt in diesem Verhältniß zu seiner vollendeten Freiheit, indem es zunächst den Glauben hat an die Vernünftigkeit des göttlichen Willens der sich im geoffenbarten Wort ausspricht, den es darum als den seinigen fasst; das Weitere ist das Erkennen dieser Vernünftigkeit und mit diesem zugleich vollendet sich die Form der Freiheit des Subjekts; sein Wille ist der göttliche, und dieser ist kein Anderes gegen ihn, kein absoluter Wille, kein Befehl. Hier sind also die gött lichen Mächte unmittelbar gegenwärtig im einzelnen menschlichen daseyn; indem sie sich aber in ihrem ganzen Reichthum in diesem Einen, im Subjekt, vereinigen, so wird hier die Situation nothwendig, die das bestimmte Erscheinen einer besondern Beziehung bedingt. / 309,5– 310,3 Zu diesen … werden.] Kr: In der modernen, christlichen Welt kommen nun noch, eine Menge phantastischer Wesen vor, Gespenster u.s.w. die aus einem tiefen dunkel der subjektiven Vorstellung, des Aberglaubens herkommen und ein ähnliches Verhältniß der Unfreiheit begründen können, wie es | sich in oben angeführten Beispielen aus der antiken Welt vorfindet. / Man findet dergleichen sehr häufig in ältern und auch in neuern dichtungen verwebt, und gewöhnlich ist es da dann der Fall, daß der Mensch in diesem Verhältniß nicht als freies Subjekt, sondern als Spielwerk solcher Kobolde und Poltergeister erscheint, gegen die seine göttliche Natur erbärmlich zusammenschrumpft. Solche Verhältnisse zu erfinden, solchen Effekt hervorzubringen, wie er denn da leicht zu haben ist, – dazu gehört nicht viel. / die Vorstellung von solchen Gespenstern, Geistererscheinungen u.s.w. finden sich indessen historisch vor, und man mag es als menschlich gelten lassen, wenn der dichter diesen Umstand zum Vortheil seiner darstellungen benutzt; nur muß dergleichen nicht als äußerliche absolute Macht erscheinen, die entscheidend kreuz und quer durch den Conflict von wahrhaften menschlichen Interessen hindurchbraußt und der Sache auf eine abentheuerliche Weise ihre Endschaft giebt, wenn es doch in ganz natürlicher, menschlicher | Weise hätte geschehen können. In diesen Wesen liegen keine berechtigten Mächte, der Freiheit des Subjekts in den Weg zu treten, und wir müssen vernünftiger Weise alles Interesse an diesem verlieren, wenn wir es in solchem Verhältniß, in dieser Subordination unter einer abstrakten Gewalt erblicken und es, gleichsam aus Barmherzigkeit, für abergläubisch halten müssen, um nur einen Sinn in seiner Geberdung dagegen zu finden. Ein Andres ist’s wenn solche Wesen als objektive Form des Innern vorgestellt werden. / 1 nur] Kr: phantastisch; aber sie müssen doch immer nur 3 Mangelhaftes] Kr: eine Mangelhaftigkeit der darstellung 3–4 Im Macbeth … aber,] Kr: Wir sehen an den Karakteren in Macbeth recht gut, daß sie sich auch ohne die Hexen so oder anders zu handeln bestimmen würden und die Prophezeiungen dieser Hexen 6 Gefühl eines Ungeheuren] Kr: Gefühl, die Ahndung, daß etwas Ungeheures in seiner Familie geschehen sey, – die Athmosphäre drückt ihn, –

312

b) die concrete menschliche Individualität als Verwirklichung der substantialität der Handlung.

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Vaters Geist und enthüllt ihm alte Frevel: Nach dieser Entdeckung kann man erwarten, daß Hamlet kräftig die That bestrafe. Hamlets melancholischer Character ist für sich nicht zur raschen That geneigt und Göthe hat diese Vorstellung festgehalten, daß eine große Fordrung in ein zu schwaches Gefäß gethan, dieß zersprenge. Hamlet ist eine edle aber schwache | Natur. dieß ist allerdings der Anschein, daß wir erwarten könnten, Hamlet solle nicht zaudern. Ein feiner Zug ist nun, daß Hamlet einmal sagt, daß der Geist auch der Teufel gewesen sein könnte, und daß er deshalb wolle die Cömedie spielen lassen, und sich dadurch der Sache vergewissert. Hier sehn wir daß eine Erscheinung nicht Hamlets ganzen Glauben hat, sondern daß er eine andre Weise der Bestätigung fordert. – Es ist wie gesagt im Allgemeinen das Verhältniß der Götter als äußrer zu dem Menschen ein höchst schwieriges für den dichter, da sie nicht sollen bloß befehlend, keine bloße Machinerie sein. das was objectiv ist, muß auch subjectiv im Gemüth sein, muß sich diesem immanent zeigen. – Jetzt nun hätten wir zum 2ten Punkte in Betreff auf die Handlung überzugehen. dieß ist die concrete menschliche Individualität als solche. die Umstände werden aufgefasst, und der Mensch reagirt dagegen. dieß Intresse als wahrhaftes ist das, was die Grundlage ausmacht von dem, was in äusserlicher Erscheinung dargestellt wird. Im Gegensatz gegen das bpou ist der menschliche Character und die Frage ist, worin besteht hier das Ideal. der Mensch tritt hier wesentlich als subject auf; welches ist nun der Punkt

1 enthüllt ihm alte] Kr: entdeckt auf diese entsetzende Weise den verübten 1–2 Nach dieser … kräftig] Kr: Hamlet könnte auf keine schrecklichere Weise das Geheimniß erfahren, die Aufforderung zur Rache für den gemordeten Vater könnte nicht erschütternder geschehen. Man sollte darnach also erwarten, daß er in dieser Empörung gegen die Schändlichkeiten seines Oheims und der bethörten Mutter, 3 und] Kr: sein Wille, sein Entschluß zur That verliert sich in diesen gewissermaßen selbstgefälligen Betrachtungen über die Schändlichkeit des Geschehenen, das Gefühl seiner Schwäche zur That ist, der Grund und Boden dieser beschaulichen Haltung aus der er nicht herauskommt. Auch 5 Natur] Kr: Natur, die dem, was sie zu vollbringen hat, nicht gewachsen ist 6–7 Ein feiner … nun,] Kr: Shakspeare giebt ihn durch einen sehr feinen Zug noch näher zu erkennen: 7–8 der Geist … könnte] Kr: es könne der Teufel bei der Erscheinung des Geistes im Spiele seyn, der ihn täuschen wolle 8–9 und sich … vergewissert] Kr: um sich also des Geschehenen besser zu versichern, stellt er jenes Schauspiel an und unterrichtet zu noch größerer Gewißheit den Horatio, zugleich mit ihm selbst, den Oheim und die Mutter scharf dabei zu beobachten bei der verfänglichen Katastrophe 9–10 daß eine … hat] Kr: diese Objektivität, dieses äußerliche Entgegentreten seines Geahndeten in der Erscheinung des Geistes, von Hamlet nicht mit dem Glauben aufgenommen, den er erwarten konnte 10 der] Kr: der Bewährung, eine sichere 12–13 da sie … sein] Kr: daß er dergleichen Wesen nicht blos als Maschinerie behandle und einschreiten lasse, und dabei einen Aberglauben bei den Menschen voraussetze, der nicht aus | ihnen selbst herkommt 16–18 die Umstände … wird] Kr: die eine Reaction wird begründet durch die substanzielle Macht. Es ist das affirmative Interesse, was die Menschen in diesen Umständen haben 18–19 Gegensatz gegen … bpou] Kr: Unterschied von diesen wesentlichen Interessen 7 der Geist über gestr. es

14 hätten] hatten

19 bpou] bpos

36 sichere] sichnere

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92Ho

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worauf es ankommt? auf eine Freiheit der subjectivität, ein Gott ist mehr nur eine Eigenschaft, eine substantielle Seite. | der Mensch ist subjective Totalität, zu einem Menschen gehören alle Götter; er verschliesst in seiner Brust alle die Mächte, die im Kreis der Götter auseinandergeworfen sind, er ist der Reichthum des ganzen Olymps. damit ist es bestimmt, welche Stellung das subject hat, daß es nehmlich sich als | der Reichthum dieser vielfachen Beziehungen sich zeigt. der Mensch in einer Leidenschaft ist in einem bpou, dessen hat e i n Gott sich bemächtigt, er ist nicht mehr freies subject als solches, ist ausser sich, während das Beisichsein die Freiheit ist. die bloße Leidenschaftlichkeit, wo das ganze Bewusstsein in eine Leidenschaft übergegangen ist, ist eine Ohnmacht, eine Einseitigkeit. Auch hier giebt es freilich eine Weise, wie der dichter die subjectivität noch bewahren kann. die subjectivität für sich und ihr Reichthum macht die Eigenthümlichkeit, in welcher ein grosses subject sich darstellt. Ein schwaches Subjekt ist das, wo nichts bestimmt hervortritt, kein gewaltiges Intresse, dieß ist ein Character ohne Intresse. Aber das subject muß die Fähigkeit zeigen nach vielen Seiten ein Ganzes zu sein, sodaß alle diese verschiedenen Punkte zur Lebendigkeit kommen. Solche Charactere sind die Homerischen Helden. Achill kommt in den verschiedensten Situationen vor; er liebt seine Mutter Thetis; | den Peleus den alten Vater, der daheim ist; steht im vertrauten Verhältniß mit seinem alten diener; er liebt die Brise-is und die Liebe zu ihr und seine gekränkte Ehre treibt ihn zum Streit mit Agamemnon an; Achill ist ebenso der engste Freund, liebt den Patroclus, und Antilochus, er ehrt den alten Nestor, den er bei der Leichenfeier des Patroclus beschenkt. Ebenso ist Achill reizbar, tapfer, schnell füssig, der im Hasse gegen seinen Feind bis zur höchsten Grausamkeit fortgeht. Ebenso hart wie er ist, ebenso weich ist er, wie Priamus zu ihm kommt, die Hand fasst, die den Sohn umbrachte. Achill ist wahrhaft ein Mensch. | In solchem Individuum liegt die ganze Vielseitigkeit der menschlichen Natur. die Hoheit dieser Gestalt liegt in ihrer Vielseitigkeit. Ebenso verschieden sind die

1 auf eine Freiheit] Kr: das Ideal in dieser Hinsicht ist die Freiheit und Unendlichkeit 2 eine subist] Kr: ist Totalität des Subjekts, 7 in einem bpou] Kr: nicht mehr Subjekt als solches 8 sich] Kr: sich, nicht bei sich, er ist einer besondern Macht hingegeben 13 darstellt] Kr: vorstellt und über ärmere hinausragt 14–15 nichts bestimmt … Character] Kr: die Mächte wenig zum Vorschein kommen, dieser harmonische Chor. der gute Mensch ist der Mensch 15 Aber das … nach] Kr: die wahrhaften Interessen müssen als Bedürfnisse hervortre35 ten; aber nicht nur Ein Interesse genügt dem großen Subjekt, es richtet sich nach vielen Seiten, und in diesen 22 ehrt den alten] Kr: hat gegen die Alten Ehrfurcht, z.B. gegen 24 der] Kr: der feurigste Jüngling, der seinen Feind] Kr: Hektor 27 menschlichen Natur] Kr: edlen menschlichen Natur entwickelt, es ist kein Abstraktum

30 stantielle Seite] Kr: Ein Pathos

7 bpou] bpos

13 welcher] welchem 14 Subjekt so Kr; fehlt in Ho 21 mit Agamemnon über 26 Achill ist … Mensch. am unteren Rand angehängt

40 der Zeile mit Einfügungszeichen

das subject ist die Totalität der ganzen Götterwelt.

Es darf nicht ausschliessend nur einseitig von einem bpou beherrscht sein, sodaß darüber die subjectivität verloren geht.

Sondern das subject muß sich als die reale Möglichkeit aller bpi zeigen. Beispiel der Helden im Homer.

314

dieser Reichthum ist aber in den verschiedenen Weisen der Kunst mehr oder weniger beschränkt. die Tragödie ist in ihren Gestalten der Sculptur verwandt.

die Sculptur zeigt ihre Gestalten in seliger Stille als die Möglichkeit aller Verhältniße 4. die ganz äußerliche Bestimtheit bei Verwirklichung des Ideals. Indem das Individuum es ist, welches das Ideal verwirklicht, so tritt hier auch die Seite der äusserlichen Bestimmtheit überhaupt ein.

nachschrift hotho · 1823

andern Charactere im Homer, jeder ist ein Ganzes, eine Welt. Solcher Reichthum an einem Individuum kann nicht in allen Weisen der Kunst sich darstellen. | die tragische Gestalt ist einfacher, mehr nur von einem Intresse beseelt, nähert sich mehr der Einfachheit des Sculpturbildes; aber diese Bilder sind nicht nur das Abstractum einer Leidenschaft, wie es wohl in französischen Tragödien vorkommt, wo immer nur Jeder eine Seite darzeigt. Hingegen die tragischen Gestalten des sophocles obgleich plastisch, zeigen doch auch diese Vielseitigkeit, wenn auch nur in der Gegenwart des Geistes, in der Besonnenheit, dem Reichthum der Rede mit dem sie sich rechtfertigen, beschliessen ect. der Romeo in Romeo und Julie ist auch in vielfachen Verhältnissen, zu Freunden, zum Mönch, zum Pagen, zum Apotheker, der Julie, und immer edel und würdig, aber in einem besondern Intresse. Wenn nun die Kunst auch nicht erlaubt den ganzen Reichthum an einem subject zu zeigen, hat sie das Mittel das in der Schönheit selbst liegt. die pla|stische Figur in ihrer Stille lässt die Freiheit solcher Gestalt sehn, die Möglichkeit in die verschiedensten Verhältniße einzugehn; wir sehn die ruhige Tiefe, die die Möglichkeit der Verwirklichung aller Mächte in sich fasst. die andre Seite ist ein Toben der Leidenschaft, wo der Character nur auf einen Punkt sich wirft, während die Stille der Sculptur die fertige Neutralität darstellt, die alle Mächte still in sich verschliesst. dieß ist das allgemeine über die subjectivität. – Von ihr haben wir noch die Seite der ganz äusserlichen Bestimmtheit zu erwähnen. Nehmlich an dem subject tritt auch als einzelnem die ganz gemeine Wirklichkeit ein | dieses Bedingtsein nach allen Seiten. das Individuum tritt in eine endliche Welt, in bestimmte Localität, Zeit des Handelns, bestimmte Weise, Verhältniß der Wohnung, des Geräths, der physischen Bedürfniße, die Art und

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1 Homer,] Kr: Homer, Odysseus, Agamemnon u.s.w.; 2 sich darstellen] Kr: so reich und be- 25 stimmt sich vorstellen, wie in der Kunst der Rede 3 von einem … beseelt] Kr: Ein Pathos, womit der Karakter gesättigt wird 4 mehr] Kr: diese Einfachheit des Tragischen schon mehr 4–5 aber diese … Leidenschaft] Kr: die großen dichter aber stellen uns die tragischen Helden nicht in Eine Leidenschaft versenkt vor 7 plastisch] Kr: einfach und plastisch 10 auch] Kr: z.B. in der Leidenschaft der Liebe; der dichter zeigt uns ihn aber auch 12 ganzen] Kr: verwickelten 30 13 das Mittel … liegt] Kr: noch ein andres Mittel, die Hoheit des Karakters uns darzustellen 14 Figur] Kr: Natur 17 ein] Kr: die Unruhe, das 18 Stille der Sculptur] Kr: Stille, die Ruhe des Gemüths, die nicht zugleich die Interesselosigkeit ist, 18–19 alle Mächte … verschliesst] Kr: zugleich die Möglichkeit einschließt, daß aus ihm alle Mächte hervorgehen 21 Nehmlich an … einzelnem] Kr: An der Individualität tritt auch die ganz äußerliche 35 können Seite heraus. da ist es, daß das Ideal eingreift in 23 des Handelns] Kr: Klima u.s.w. 24 Ge3–4 nähert sich] (1) aber auch hier nähern sich solche Gstalten (2) (aber auch hier gestr.) (nähern aus nähert) sich (solche Gstalten gestr.); Kr: Es nähert sich 4 Sculpturbildes] Sculptursbildes diese Bilder über gestr. sie 6–7 Gestalten] Gestalten ein 7M Sculptur] Sclulptur 13M Sculptur] Sclulptur 16 der Verwirklichung über der Zeile mit Einfügungszeichen 40

allgemeiner theil

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Weise der Waffen, der andern Bequemlichkeiten des Lebens, näher der Verhältnisse des Befehlens, Gehorchens, der familie, des Reichthums, der Sitte, der zufälligen Verhältniße und alles in manigfaltiger Verschiedenheit. diese Seite ist es, wo das Ideale mit der Prosa des gemeinen Lebens in Berührung kommt. Man könnte meinen, daß diß alles müsse abgeschnitten werden, wenn wir nehmlich eine nebulose Vorstellung vom Idealen haben. das Ideale soll dann aus der ganzen Sphäre der Bedürftigkeit entrückt sein. dieser Schein ist besonders in den Gebilden der modernen Zeit, wo die Sehnsucht des Gemüths, die Innerlichkeit das Letzte ist, und die selbst sich Hochwissenden nur nach dem Himmel sehn, und alles Erdenwesen verschmähn, sich darüber erheben. Allein dieß ist dann eine falsche Weise des Auffassens des Idealen, eine kranke Idealität. denn der Mensch ist subjective Totalität, und als diese ist er ausschliessend gegen eine | unorganische Natur, gegen das Außerliche, und indem er sich ausschliesst, verhält er sich dazu. Zum subject gehört eine umschliessende Welt, wie zum Gott ein Tempel. diese Welt ist keine zufällige, sondern eine in sich konsequent zusammenhängende Totalität. der Mensch muß in Beziehung auf sie dargestellt werden, denn er steht in dieser Beziehung. Sie muß aber keine bloß negative sein, denn eine solche Freiheit ist eine kranke nur Entsagende, die Krankheit der Sehnsucht, der Eitelkeit, die sich zu gut für die Welt hält. der Mensch muß zu Hause in der Welt sein, frei in ihr haushalten, heimisch sich finden. dieß gehört zur Idealität, | daß der Mensch heimisch sei in dieser Welt, in ihr frei sich bewege. diese Seite hat vielfache Beziehungen, und die Momente sind herauszuheben. Eine Kunst stellt mehr oder weniger diese Beziehungen dar. Am ausführlichsten muß in dieser Rüksicht die dichtkunst, und zumal die epische sein, auch die

2 der familie, … Sitte,] Kr: 25 räths, der] Kr: Hausgeräthes, der Art und Weise der Befriedigung 5 alles] Kr: Alles, diese ganze Seite der Endlich181Kr beson|dere Sitten, Lebensart, Verwickelung keit, Zufälligkeit 6 nebulose] Kr: abstrakte, nebulose haben] Kr: haben, so scheint es, daß diese ganze Seite unwürdig sey, sich mit dem Idealen zu verbinden 6–7 das Ideale … sein] Kr: das Ideale soll allerdings frei seyn von derselben, insofern damit die prosaische Noth des Lebens 9–10 das Letzte … erheben] Kr: sich selbst hoch und vortrefflich wissen, dann ist der 30 eintritt Blick, alles Erdenwesen verschmähend, nur nach Jenseits gerichtet 14 Zum subject … eine] Kr: Es gehören zum Individuum wesentlich zwei Bestimmungen: das Subjekt und die äußerliche, 16–17 der Mensch … Sie] Kr: der Mensch i s t nun nicht anders, als indem er sich auf sie bezieht, also kann er in seiner Lebendigkeit auch nur dargestellt werden in dieser Beziehung 19–20 zu 35 auf den Boden seiner Existenz. diese Beziehung, in der der Mensch wesentlich steht, Hause … Welt] Kr: auf seine Welt, auf den Boden seines daseyns wesentlich affirmativ bezogen 21 Idealität] Kr: Idealität, der Idealität des Subjekts 23 Eine Kunst … dar] Kr: die 183Kr eine Kunstweise ist allerdings | mehr fähig als die andre, die vielfache Beziehung nach Außen darzustellen 40 19 gut] schlecht

dieß Verhältniß zur Äußerlichkeit muß ein freies, heitres sein. 1)

die weisen der Kunst haben mehr oder weniger die Äußerlichkeit aufzunehmen

316

Am meisten muß die dichtkunst und Mahlerei die Äusserlichkeit bezeichnen

die Hauptbestimmung ist, daß die subjectivität als innerliche in Harmonie sei mit ihrer umgebenden äusserlichen Welt Indem dieß Zusammenstimmen im historischen Stoff vorhanden ist, hat dieser grosse Vorzüge.

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Mahlerei; die Sculptur kann nur einzelne Andeutungen haben, aber sie hat solcher Äußerlichkeiten zur nähern Bestimung ihrer Gestalten nöthig. die Beziehungen also überhaupt sind vielfach, theils wesentlich nothwendig, und die darstellung muß bestimmt seyn. Gerade der Character der grossen Meister ist es, hierin treu zu sein, während die Bänkelsängerei hierin kahl ist. Im Homer sehn wir die Aussenwelt aufs genauste beschrieben, aufs wichtigste sind der Scamander und der Simoïs und diese Meerbuchten bezeichnet, das Haus des Ulysses, die Waffen aller Helden. Sehn wir dagegen das Heldenbuch und das Nibelungenlied, so ist hier die Localität sehr unbestimmt gehalten, und zumal im Heldenbuch. Bei den grossen dichtern aber ist die natürliche, umgebende Welt bestimmt vorgestellt. diese Bestimmtheit aber muß nicht bis zur Prosa herabsinken. die Hauptbestimung hierin ist eben diese, daß zwischen der subjectivität und ihrer Welt, von der sie umgeben wird, eine wesentliche Zusammenstimung vorwalte, die mehr oder weniger innerlich und geheim sein kann, in die noch viel Zufälliges fällt, so daß aber die Grundlage beider identisch ist. daß das Individuum sei, dazu gehören zwei; es in seiner Unmittelbarkeit und die Beziehung auf die äusserliche Welt. Von dieser Seite kann zuerst bemerkt werden, daß | die historischen Stoffe den grossen Vortheil haben, daß in ihnen schon diß Zusammenstimmen der subjectiven und objectiven Seite vorhanden ist, und in’s Detail ausgeführt. diese Zusammenstimmung läßt sich nicht gut a priori aus der Phantasie nehmen, und so wenig in den meisten Theilen eines Stoffs diese Zusammenstimmung begriffsmäßig entwikelt ist, | so ahnen wir sie doch. Es ist immer 1 Mahlerei] Kr: Malerei unter den bildenden Künsten nach dieser Seite aber] Kr: sie gebraucht Zeichen zu solchen Andeutungen, die mehr oder minder conventionell seyn können und 2 Bestimung] Kr: Partikularisirung 3 theils] Kr: auch wohl ganz zufällig seyn; zum Theil aber sind sie 4–5 es, hierin … ist] Kr: gerade in diesem Punkt von der Nebulosität des Aeußerlichen am weitesten entfernt 6–8 beschrieben, aufs … Helden] Kr: bestimmt, die Lokalität bezeichnet; der Skamander, Simonis werden heute noch so gefunden wie Homer sie beschreibt. Eben so in Ansehung der Waffen, Wohnungen, | Geräthe 9–10 Heldenbuch] Kr: Heldenbuch befinden wir uns immer im Nebel, haben keinen Boden zum Feststehen 11 vorgestellt] Kr: dargestellt. / das Subjekt tritt also mit einer Welt in Beziehung, und weil dies so ist, so muß diese Seite am Kunstwerk wesentlich sich zeigen herabsinken] Kr: heruntersinken und über diese Grenze haben wir nun noch zu sprechen 12–13 der subjectivität … wird] Kr: dem Subjekt und der Art und Weise der Welt, zu der es sich als zu einer unorganischen Natur verhält 14 innerlich und geheim] Kr: geheime Zusammenstimmung 16 sei] Kr: sey und dargestellt werde 16–17 es in … die1] Kr: 1, seine Gestalt, 2, seine Beziehung und Beschaffenheit in dieser 20–21 aus der … wenig] Kr: hervorbringen, sie hat sich von sich selbstgemacht, und so wie sich auch 22 begriffsmäßig entwikelt ist] Kr: auf Begriffe zurückführen läßt doch] Kr: wenigstens in den andern Theilen

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1 Sculptur] Scluptur 4 seyn so Kr; Ho: sind 11M Hauptbestimmung] darüber in Blei ein Kreuz und 40 ein nach unten auf den Marginalientext zeigender Pfeil, darüber ebenfalls in Blei: Korrektur! 13M in] u ihrer] sr

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ein Ton der Zusammenstimung da und durch den historischen Stoff gegeben. deswegen ist er so vortheilhaft. Man rechnet eine freie Production der Einbildungskraft höher an, und dieß findet in Märchen ect statt, aber in Kunstwerken höherer Art der Sculptur, Mahlerei, Poesie verlangen wir das bestimmte Zusammenstimmen, das der historische Stoff schon durch sich bietet. die Einbildungskraft kann nicht sich dahin auslaßen, das Bestimmte so fest und richtig zu geben. dieß ist das allgemeine Prinzip für diese Seite. | Als besondere Seite zeigt sich darin die Zusammenstimung überhaupt in Hinsicht des subjects und der allgemeinen Natur, von der es umgeben ist. Im Wesen des Helden ist eine harmonie, ein Ton der Gleichheit mit der umgebenden Natur. Einen Araber können wir nur verstehn mit Kenntniß des Himmels, der Wüste, der Zelte, des Clima’s, der Lebensweise. der Araber in seiner Umgebung ist zu Hause, und ist nur in solcher Umgebung heimisch. Ossian’s Helden sind sehr subjectiver Art, sehr innerlich, elegisch, doch sind sie ebenso an ihre Haiden, ihre Wolken, Nebel, Höhlen, Hügel gebunden. die bestimmte Beschreibung dieser Gegend macht uns eben die subjecte selbst deutlich, denn sie sind mit ihrer Umgebung in Harmonie. durch diese Zusammenstimmung zeigen sich die Personen | in ihrem dasein zu Hause zu sein. die erste Zusammenstimmung also ist die mit der elementarischen Natur. das 2te ist eine Zusammenstimmung insofern sie durch Menschen hervorgebracht wird. die Particularität des Menschen und sein Bedürfniß ist hier das Bestimmende; die Seite ist also die, wie der Mensch die Naturdinge vermenschlicht, wie er sie gebraucht, Macht über sie übt und zeigt wie sie fähig sind zu seiner Befriedigung. Sprechen wir von Trieben, so ist der erste Trieb des Menschen der theoretische, sich mit den Aussendingen zu | schmücken, sich dadurch

25 1 gegeben] Kr: an und für sich vorhanden und gegeben

3 an] Kr: an, wenn der ganze Stoff aus der Einbildungskraft genommen ist ect] Kr: und auch in vielen neuern Romanen 5 der historische … bietet] Kr: in historischen Stoffen vornämlich vorhanden ist. dies ist eben auch die beste Seite an den Romanen von W. Scott; seine meisten Karaktere sind in dieser Hinsicht vortrefflich dargestellt 5–6 die Einbildungskraft … geben] Kr: Was aus der Einbildungskraft herkommen kann, da werden 7–8 Als besondere … 30 wir allenthalben Unbestimmtem, Schiefem, Widersprechendem begegnen überhaupt] Kr: Einige besondere Seiten sind nun noch näher zu betrachten. Eine solche Zusammenstimmung ist vorhanden 9–10 Im Wesen … Natur] Kr: ihr Wesen steht damit in Harmonie 11 mit Kenntniß … Himmels] Kr: in seiner darstellungsweise, wenn wir uns ihn vorstellen im Zusammenhang mit seiner Natur in der er geboren und aufgewachsen ist, seinem Himmel, Boden 35 12–13 und ist … heimisch] Kr: das was ihn interessirt, ist nur in seiner Heimath, in der bestimmten Weise dessen was ihn umgiebt 16 subjecte] Kr: Subjekte, die Personen 18–19 mit der … Natur] Kr: der elementarischen Natur mit dem Subjekt 20 des] Kr: der Natur steht in Beziehung zur Partikularität des 22–23 und zeigt … Befriedigung] Kr: indem er die Befähigung derselben zur Wirklichkeit bringt, sie zubereitet, damit sie für ihn etwas sind 23–24 Menschen] Kr: Menschen, sich auf 24 sich1] Kr: sich selbst und seine nächste Umgebung 40 die Außenwelt zu beziehen, 24 Aussendingen] Ausserndgen

a. diese Zusammen stimung besteht zunächst im Einklang des subjects und der es umgebenden unorganischen Natur. Beispiel arabischer dichter. Ossian.

2)

b. die 2te Zusammenstimmung ist die, welche der Mensch hervorbringt durch die Befriedigung seiner selbst in der Natur. b. theoretische Befriedigung; der Putz.

318

c. practisches Verhältniß der Befriedigung.

Indem hiedurch die Noth und Arbeit um das Endliche eintritt, und diese der Kunst ungemäß sind war das Erste das ganze Verhältniß zu beseitigen, durch die dichtung eines goldenen idyllischen Zustandes, in dem der Mensch sich mit dem begnügt was die Natur schenkt. Solcher Zustand aber als geistesarm ist keine hohe Stufe der Kunst.

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zu zeigen, daß das Köstliche, was die Natur giebt, was von Naturdingen den Blick auf sich zieht, für sich nicht interessant ist, nicht für sich als Natürliches bleibe, sondern am Menschen erscheine als ihm gehörend. der Mensch sagt dadurch, daß die Naturdinge nicht sich sondern ihn zeigen sollen. der Mensch zeigt auf diese Weise sich selbst nicht die Naturdinge; ebenso schmückt der Mensch das von ihm Geehrte, Götter | und Fürsten. So haben es die Künstler nach den verschiednen Stoffen nicht fehlen lassen, an ihren Gestalten das Kostbare der Natur zu verschwenden. Solche äusserlichen dinge erhalten ihre höchste Bestimung dadurch, daß der Mensch sie zu seinem Schmuck gebraucht. Welche dinge edler sind als andre, darauf haben wir uns nicht einzulaßen. Weiter bezieht der Mensch die particulären Naturdinge auf seine Bedürfniße, bringt einen practischen Zusammenhang hervor, hat das dasein nicht nur zu schmücken, sondern auch zu erhalten. Hier geht die Arbeit und Noth und die Abhängigkeit des Menschen von der Endlichkeit an. Hier hat die Prosa, der Verstand seinen Sitz. die nächste Weise wie die Kunst diese Seite des Bedürfnißes beseitigt ist bekanntlich, daß der Mensch | in die Vorstellung des goldnen Zeitalters in einen idyllischen Zustand versetzt wird. Solchen Zustand sieht man gern als idealischen an, wo der Mensch sich unmittelbar mit dem begnügt, was ihm die Natur liefert, wodurch alle Leidenschaften des Ehrgeizes, der Habsucht schweigen, Neigungen die dem höhern Adel der menschlichen Natur Zuwider erscheinen. dieß scheint leicht ein idealischer Zustand, und ein gewisser Kreis kann sich auf solchen Zustand beschränken. Aber solches Leben wird uns bald langweilig. Gessner wird wenig gelesen, oder gelesen als etwas, wo wir nicht zu Hause sind. denn solche beschränkte Lebensart setzt auch einen Mangel der Entwiklung des Geistes voraus. | Es gehört zum Menschen, daß er höhere Triebe habe, als ihm die Natur 3–4 sagt dadurch, … Naturdinge] Kr: schmückt sich, d.h. diese köstlichen Naturdinge 5 nicht die] Kr: durch diese 6 und Fürsten] Kr: seine Tempel, er umgiebt seine Fürsten mit dem Glanz und der Herrlichkeit der kostbarsten Dinge der Natur 7–8 an ihren … verschwenden] Kr: ihre Personen zuweilen mit der höchsten Verschwendung aller naturdinglichen Schönheiten und Kostbarkeiten auszuzeichnen; da findet sich dann oft eine etwas überschwengliche Freigebigkeit des Künstlers 11–12 einen practischen Zusammenhang] Kr: auf praktische Weise eine Beziehung derselben auf sich 12 dasein] Kr: daseyns durch diesen praktischen Prozeß 14 an] Kr: an, seine äußerliche Abhängigkeit, die eigentliche Prosa seinen Sitz] Kr: vornämlich eine Umsicht 19 Habsucht] Kr: Eigennutz, Habsucht, Neid, der Trieb zu feinen Genüssen 21 Kreis] Kr: Kreis der Dichtkunst 22 Gessner wird] Kr: Geßner’s Idyllen werden jetzt 25–319,1 Es gehört … Geistesarm] Kr: er ist besonders dazu bequem, zweien Liebenden eine ungetrübte Seeligkeit zu schenken und auf dem idyllischen Boden, zwischen Milch- und Honig-Bächen, ein recht sanftes Liebeslager für sie zu finden. Wieland hat sich dergleichen in manchen seiner Dichtungen besonders angelegen seyn lassen. diese Gattung von Gedichten | ist eben auch nur so eine zarte Milchspeise für junge, saugende Gemüther 12 hervor so Kr; Ho: vorher

36 er Lesung unsicher, vielleicht zu lesen: sie

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befriedigt. Solches Idillenleben ist Geistesarm. der Mensch muß arbeiten. die physischen Bedürfnisse regen die Thätigkeit auf, geben das Gefühl der innerlichen Kraft, wonach sich auch die tiefern Kräfte entfalten können. der Genuß des Menschen muß kein thatloser sein, er muß in Verhältnissen erscheinen, wie sie solchem Idyllischen Zustande nicht mehr angehören. Zugleich muß aber die Zusammenstimmung des Äussern und Innern noch die Grundbestimung bleiben. daher ist es widrig, wenn in der Kunst die physische Noth in einem Extrem vorgestellt wird. Dante hat nur in kurzen Zügen den Hungertod Ugolinos ergreifend vorgestellt. Ein andres ist, wenn Gerstenberg hieraus eine Tragödie macht und zeigt, wie seine 3 Söhne um ihn sterben und zuletzt er selbst. Ist die physische Noth zu diesem Extrem getrieben, so verlirt sie, was für die Kunst die Grundbestimmung ist, Uebereinstimung des Innern und Äussern. | Es ist ein Mittelzustand, der für die Kunst am vortheilhaftsten ist zwischen dem Naturzustand, und dieser vollkommenen Verwiklung des bürgerlichen Lebens. Es ist vernünftig, daß der Mensch sich erarbeitet, was er für das physische Bedürfniß nöthig hat, aber die Arbeit muß leichter Art sein, nicht die Hauptsache des Intresses ausmachen, sondern der Mensch muß mit Zufriedenheit arbeiten, Wohlhabenheit zeigen für das Verhältniß in der Kunst. Es giebt da viele Beispiele. der Genuß des Weins ist poetischer, als Caffe und Thee, Milch und Honig ebenso. Brandwein und Kaffee ruft uns gleich die Menge der Abhängigkeiten in’s Gedächtniß, die sie herbeiführen. Ein Mittelzustand ist das Beste. Allerdings kann durch den Unterschied des Standes das bei Seite gebracht werden, was uns sonst den Anblick | der Noth vor Augen bringt. In höhern Ständen ist | die Voraussetzung, daß da ein Gewinn der physischen Existenz weniger Mühe macht, daß die Sphäre in der der Mensch sich beweget nicht durch die Sorge und Noth um das Äusserliche gehindert wird. Vortheilhafter noch als der höhere Stand ist der heroische Zustand. In ihm sind die Mittel der Befriedigung noch nicht zu einer bloß äusserlichen Sache

2 auf ] Kr: an 6 noch] Kr: auch in diesen weitern Verhältnissen noch 7 widrig] Kr: etwas Widerliches an sich in der künstlerischen darstellung 8 kurzen] Kr: kurzen, scharfen Ugolinos] 13 Naturzustand] Kr: blos natürlichen oder thierischen Zustande 30 Kr: Ugolino’s im Thurm 14 Verwiklung] Kr: Verfeinerung und Verwickelung 15 für das] Kr: zur Befriedigung seiner man nich faltigen 16 ausmachen] Kr: ausmachen, das Interesse muß nicht wesentlich darauf gerichtet seyn 17–18 zeigen für … Kunst] Kr: des Zustandes ist vortheilhaft für die künstlerische darstellung 19 ebenso] Kr: werden durch eine einfache Bemühung gewonnen 20–21 ruft 21 Mittelzustand 35 uns … herbeiführen] Kr: stellen uns gleich die ganze Reihe der Bereitung vor ist … Beste] Kr: solcher Mittelzustand ist also der vortheilhafteste 22 Noth] Kr: Noth, der Abhängigkeit 24 der physischen Existenz] Kr: desjenigen, was die Abhängigkeit der physischen Existenz betrifft, 25–26 gehindert] Kr: gestört und beschränkt 27 der Befriedigung] Kr: die der Mensch gebraucht, bloß äusserlichen Sache] Kr: blosen Gewohnheit 40 26 noch] ncoh

Indem der Mensch wesentlich thätig ist kann ihm solcher idyllischer Zustand nicht genügen.

doch ist es nothwendig, daß die Harmonie des Inneren und Äußern erhalten werde und der physische Mangel nicht in seinem Extrem dargestellt werde. cc) Heft 2v. Schildrung der heutigen Prosa.

hh) Am vortheilhaftsten für die Kunst ist die Mitte zwischen dem idyllischen Zustande und der Verwirklichung des bürgerlichen Lebens der neusten Zeit. die Beseitigung eines zu beschränkten Zustandes kann schon in der darstellung aus den höhern Ständen liegen. Am vortheilhaftsten für die Kunst in dieser Rücksicht ist der Heroenzustand, indem in ihm das Mittel der Befriedigung und die Befriedigung im Äußerlichen noch unmittelbar Werth hat.

320

Beispiel Homerischer Helden

c. Zusammenstimung in Betreff auf Gebräuche.

Zusamenstimung des Kunstwerks überhaupt mit dem betrachtenden subject.

Indem das Ideal in’s dasein tritt erhält es die Particularitäten einer bestimmten Zeit, die sich in vielem von der unsrigen abscheidet.

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herunter gesunken, sondern wir sehn die Entstehung dieser Mittel selbst noch, und den Werth, den der Mensch darauf legt; sie sind noch belebt durch diß Bewusstsein ihres Werths; sie sind noch nicht todt. den Odysseus sehn wir wie er selbst gezimmert hat, die Helden schlachten und braten. da sind diese Beschäftigungen und Geräthschaften keine bloß äusserliche todte Gewohnheitsdinge, sondern der Mensch ist noch einheimisch darin. die ganze Um|gebung erscheint als ein menschlich Bereitetes und Gebrauchtes. – dieß sind in dieser Rüksicht die Hauptmomente. – An diese Besonderheit der Bedürfniße schliessen sich die Gebräuche der manigfaltigsten Art an; die Bedürfniße des Menschen sind nicht bloss physisch, sondern von höherer geistiger Art. In Ansehung der Verwirklichung dieser substantiellen Bedürfniße hat sich aber auch ein Particulaeres, Conventionelles gezeigt. Es ist hierbei eine Seite der Zufälligkeit, das Zufällige ist zur Gewohnheit geworden, und diese vertritt die Natur der Sache. Ueberhaupt ist nach dieser ganzen Seite die Grundlage die Zusammenstimung des Innerlichen des Menschen mit dem Äußerlichen. – Wovon noch zu sprechen ist, ist, daß wenn der Mensch in der Zusammenstimung mit der Natürlichkeit lebt, die 3te Seite übrig ist; nehmlich, daß das Kunstwerk in seiner Art und Weise zu sein in Zusammenstimmung sei mit u n s , indem jede Zeit ihre bestimmte Gewohnheit und ihre Gebrauche hat, die dem spätern Zeitalter fremd werden. | das Kunst werk ist nicht für sich, sondern für uns, und wir sollen darin zu Hause sein. die Schauspieler sprechen nicht nur für sich, sondern zu uns, und dieß ist der Fall mit allen Kunstwerken. die Seite, daß das Ideal in’s dasein tritt, diese ist es, welche Parti-

1 Mittel] Kr: nothwendigsten Werkzeuge 3 ihres Werths] Kr: welches der Mensch hat, sich solches hervorgebracht zu haben todt] Kr: etwas Todes, mechanisch Angewöhntes 4 selbst] Kr: sich sein Ehebette selbst die Helden] Kr: andere wieder, wie sie selbst 6 darin] Kr: darin, es gilt noch etwas für ihn 7 Bereitetes] Kr: berechnetes 8 An] Kr: Das Weitere ist, daß sich an 10 von höherer … Art] Kr: sie finden sich auch bei den mannichfaltigsten geistigen Zwecken u.s.w. 10–11 Verwirklichung dieser … Bedürfniße] Kr: höheren Zwecke 11–13 ein Particulaeres, … Sache] Kr: etwas gebildet, das partikulär ist in Ansehung der Vorstellung, es hat sich mehr oder weniger Conventionelles gebildet; dies Zufällige ist auf irgend einer Seite als gewöhnlich, gebräuchlich bestimmt worden. Hier ist es also die bloße Gewohnheit, die aus dem Zufälligen ein Bleibendes, Festes gemacht hat 16 der Natürlichkeit] Kr: seiner Umgebung 16–17 die 3te … sein] Kr: wenn es ihm wohl darin ist und er sich nach dieser Seite befriedigt fühlt, so ist für uns noch dieses übrig, daß dieses Ganze, der Mensch | mit seiner äußerlichen Umgebung, seinen Gewohnheiten, insofern er im Kunstwerk dargestellt wird, auch 18–22 indem jede … Kunstwerken] Kr: Jede Zeit hat da ihre Partikularitäten, folglich ist es nach dieser Seite, daß die Kunstwerke ihrer Zeit angehören. die Individuen, die in Kunstwerken dargestellt werden, sollen wesentlich bei sich seyn nach Zeit, Gewohnheit u.s.w.; die Kunstwerke aber sollen auch wesentlich für uns seyn

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194Kr 35

17 das Kunstwerk … seiner] (1) d Msch mit d. (2) (das aus d) (Knstwerk in sr über gestr. Msch mit 40 d.)

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5

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196Kr

20

101Ho

321

cularitäten erhält und sich so von uns abscheidet und unterscheidet. Aus welcher Zeit das Kunstwerk sei, hat es Particularitäten. In vielen dieser finden wir kein Fremdes gegen uns; wir geben sie zu, sind in ihnen zu Hause. Wenn Helden in alten Waffen erscheinen geben wir ihnen diese zu. Und so ist es mit Vielem. Eine Kunst ist dann auch mehr oder weniger frei von solchem Fremdartigen. das Lyrische ZB. welches innerhalb der innersten Empfindungen verweilt, die zugleich die allgemeinsten sind, wird am freisten sein von solchen Umständen, die sich auf ein äußerliches dasein beziehn. So sind die Psalmen Davids uns noch angemessen. Wie in den Propheten der tiefe Schmerz des Individuums ausgedrückt ist, so können wir beim Meisten darin ganz gegenwärtig sein. Wir sind gewohnt Babylon, Zion symbolisch zu nehmen. die tragische Kunst, die Mahlerei, diese aber enthalten viel Eigenthümliches in Sitten, in Character, in Ansehung überhaupt der äußerlichen Verhältniße der Menschen und der umgebenden Natur. In der tragischen Kunst sind fremde Stoffe aus alter Zeit bearbeitet und der dichter selbst immer gehört einer eigenthümlichen Bildung an, | welche mehr oder weniger nicht die Unsrige ist. Homer ZB. von seiner Begebenheit ist um Jahrhunderte getrennt; ebenso ist es im Niebelungenlied; zur Eigenthümlichkeit also des Stoffs tritt die der Bildung des Zeitalters des dichters. dazu tritt drittens unsre eigene Eigenthümlichkeit der Bildung. In dieser Rücksicht fragt es sich: ob der Künstler überhaupt seinen Stoff so darstellen müße, daß die darstellung dem Volk und der Bildung der Zeit angemessen sei, aus welcher der Stoff genommen ist, so daß sein Werk ein treues | Gemählde jener Zeit sei, oder ob der dichter seinen Stoff unsern Ansichten nach zu bearbeiten habe, nach Ansichten, die mit der Particularität unserer Zeit Zusammenhängen. Nach dieser Seite soll der dich-

25 1 erhält] Kr: in sich enthält

3–4 Wenn Helden … zu] Kr: Wenn ein Dichter der Alten z.B. von seinen Helden sagt, daß sie in Waffen erscheinen, so haben wir ohne Weiteres damit die Vorstellung der Waffen jener Zeit, und denken weder an Flinten, Pistolen noch Kanonen; es wäre eben so verkehrt sich die Krieger der alten Zeit als Musketiere und Artilleristen vorzustellen, als wenn man 195Kr einen heutigen Soldaten mit antikem Schwerdt, | Schild und Spieß zu Felde schicken wollte 8 äußerliches] Kr: besonderes 8–10 uns noch … ist] 30 5 Eine] Kr: ein Gegenstand, eine Art der Kr: wie sie die göttliche Allmacht und Weisheit auf eine glänzende Weise feiern; sie sind unserm Daseyn noch ganz gemäß 10 darin ganz … sein] Kr: noch unmittelbar eingehen und darin gegenwärtig seyn, wie in unsern eigenen Vorstellungen 11–12 tragische Kunst, … aber] Kr: epische und tragische Poesie hingegen, und auch die Malerei insofern sie historischen Stoff darstellt aus 13 der] Kr: in dem was für Recht geachtet wird, in den 14 In der … und] Kr: 35 dem Profanen diese Stoffe sind es aber nicht allein, wodurch diese Fremdartigkeit hinein kommt, sondern 19 der Bildung] Kr: die nach Zeit und Sitte sich dazu gebil15 Bildung] Kr: Zeit, Sitte, Bildung det hat 22 jener Zeit] Kr: des Stoffes nach allen Beziehungen 24–322,1 der dichter … wir] Kr: uns nicht sowohl die Gegenwart eines entfernten Stoffes werden, sondern wir wollen 40 16 von über gestr. mit

20M ob] ob.

22 ob] ob.

23 seinen] über der Zeile: 3)

24M ob] ob.

dieß ist in den verschiedenen Künsten mehr oder weniger der Fall; am wenigsten in der Lyrik, mehr in allen andern Weisen der Kunst.

wahre Objectivität

Einmal ist wenn der Stoff ein geschichtlicher ist, der dichter mit seiner Bildung von ihm getrennt, wie wir vom dichter die Frage ist nun hier ob der dichter solle den Stoff objectiv bearbeiten, d.h. treu das Geschehene schildern ohne Rücksicht auf die subjectivität seiner Zeit, oder ob er dieser bei der darstellung folgen solle.

322

die Franzosen verlangen eine absolut subjective Behandlung.

die deutschen dagegen fodern eine objective Behandlung.

doch in einzelnen darstellungen wie in denen von Hans Sachs und Andern ist die Behandlung ganz subjectiv und richtet sich nach den Sitten der Zeit.

nachschrift hotho · 1823

ter bewirken, daß wir unsere Gegenwart in jenem Stoffe haben. diese gedoppelte Fordrung kann so ausgedrükt werden: der Stoff solle entweder objectiv behandelt werden oder subjectiv in Betreff auf unsre Bildung und Gewohnheit. Sollen wir | hierüber bestimmter sprechen, kann uns die Fordrung der deutschen an ein Kunstwerk einfallen, im Gegensatz der Franzosen. diesen geben wir Schuld, daß in ihren darstellungen alles solle französirt werden, indeß wir alles haben wollen wie die Begebenheit objectiv war, und geben uns viele Mühe einer fremdartigen Welt uns anzubequemen. Wir schreiben uns die Allseitigkeit in Betreff des Auffassens zu. den Französen ist alles nicht Französische ungeniessbar. Es ist bekannt, daß sie keine Shakespeare Stüke auf dem Theater leiden können. Was uns das Liebste darin ist, dieß alles wird fortgestrichen. Voltaire macht sich unendlich lustig über Pindar, der sagt )qjrsonsoÈevq. Wir dagegen sind einerseits sehr tolerant, lassen uns das Fremdartigste gefallen, fügen uns darin, und verlangen anderseits, daß die darstellung treu und objectiv sei. der Krönungszug in der Jungfrau hat in dieser Rücksicht viel Studium erfordert. Bei den Franzosen ist das Gegentheil gefordert, alles muß sich wie französische Prinzen benehmen. Stände nicht der Nahme Achill bei, würden wir den Helden nirgend wiederfinden. Achill ist mit einer Perücke erschienen, mit farbigen Bändern ect. das ganz Äusserliche ist auf einheimische Manier vorgestellt in Ansehung des äussern Benehmens, der Vorstellungen ect. dieses subjectiviren haben wir auch in deutschland | gehabt; Hans Sachs ZB, der die geistlichen Stoffe behandelte, stellt Gott Vater, Adam und Eva vor. Und Gott Vater lehrt an Kaïn das Vater: Unser und 3 in Betreff … Gewohnheit] Kr: nach unserm Interesse, unsrer Ansicht u.s.w. 4 sprechen] Kr: uns in Beziehung auf diese beiden Forderungen, die man zugleich an den Künstler macht, in unsrer heutigen Welt umsehen wollen 6–7 alles haben … Mühe] Kr: fordern Treue der Darstellung, wir lassen es uns dabei sauer werden durch Gelehrsamkeit, um 8 Allseitigkeit] Kr: deutsche Vielseitigkeit 9 ungeniessbar] Kr: ungenießbar, was nicht nach ihrer Weise ist; sie sind weit ekler darin 10 dem Theater … können] Kr: ihre Bühne bringen 12 Wir] Kr: Überhaupt macht diese geringe Fähigkeit und der schlechte Wille der Franzosen, sich Fremdes anzueignen, zu schätzen und zu genießen, einen ihrer Hauptkarakterzüge aus. Wir 13 sehr tolerant] Kr: allzuduldsam, sehr geduldig und tolerant 14 verlangen anderseits, … sei] Kr: finden schon einen hohen Grad der Befriedigung blos in der histo|rischen Treue 16 alles] Kr: Chinesen, Amerikaner, Griechen und romantische Ritter, Alles 18–20 Achill ist … ect] Kr: man dürfte blos die Situationen angeben, so wüßte man im Voraus schon, wie sich die verschiedenartigsten Subjekte, insofern sie nämlich verschiedenen Zeiten, Völkern, Lebensweisen angehören, darin geberden würden. da ist nur Eine Weise des Ausdrucks in der Rede, nur Eine Art sich zu benehmen für den Helden vorhanden in die er sich schicken muß, sonst stehen Held und Dichter blamirt vor dem französischen Publikum da und es wird sogleich, bis ins kleinlichste detail, gerügt was nicht mit ihren eiteln Vorstellungen übereinstimmt. die Ehre, im französischen Sinn, erfordert, daß der Held sich ganz in der Weise eines französischen Prinzen benehme 21 Sachs] Kr: Sachs, aus dem 16 ten Jahrhundert 22 Vater1] Kr: der Vater in leiblicher Person 10 Shakespeare so Kr; Ho: Schaspearishen

14 daß] dß in

197 Kr 5

10

15

20

102Ho

25

30

198Kr

35

40

allgemeiner theil 199Kr

5

10

200Kr 15

20

103Ho

25

323

benimmt sich wie ein Schulmei|ster in seiner Schule. So hat man noch vor kurzer Zeit im südlichen Deutschland die Leiden Christi dargestellt. Und bei diesen Possen dennoch ist das Volk fromm und andächtig. In solchen darstellungen sehen wir daß die subjectivität das Vorherrschende ist, und diese werden wir darin erkennen, daß unsre sonstige Vorstellung von den Gegenständen verkehrt ist in die Weise, welche unsre Bildung ausmacht. Hier würde das Objective vermißt werden, indem der Gegenstand nicht die ihm angemessene Gestalt hätte, sondern seine subjective Haltung gegen uns das Ueberwiegende wäre, statt daß der objective Stoff die Hauptsache ausmachen sollte. diesem Verhältniß gegenüber könnte man aber auch in der Schildrung des Gegenstandes das subjective vermissen. Als Wilhem Tell zum erstenmal in Weimar gegeben wurde, war kein Schweizer damit zufrieden; in anderer Rücksicht kann dieß der Fall sein, indem der dichter ZB. eine Schildrung der Liebe macht, und der Leser seine eigenen Empfindungen darin nicht erkennt. Oder | umgekehrt kann man aus solchen Schildrungen sich Vorstellungen machen so daß man sich nach diesen Vorstellungen bildet, und meint man sei nicht eher verliebt, als wenn man so und so nach jener darstellung empfinde. das subject kann also in der Objectivität seine subjectivität nicht finden, indem die subjective Seite vermißt wird. Beides kann vereinigt, und das Kunstwerk doch ungenügend sein und unkünstlerisch, und prosaisch, trotz der Objectivität und der subjectivität. Von den früheren Göthischen Werken gehören Viele hieher, die grossen Effect machten, worin die subjectivität sich wiederfand, und auch das Objective sich findet. | Solche Beispiele finden sich gleich im Anfang des Götz, der so anfängt: „H ä n s e l n o c h e i n G l a s B r a n d t w e i n .“ ect. dieß ist eine treue Objective Schildrung, in der auch die subjectivität sich wiederfindet. Ebenso ist es im 3ten Act in der Scene zwischen George und Lerse. George kommt mit einer Rinne um Blei zu schmelzen. Hier ist alles sehr lebendig und objectiv geschildert, im Character der situation und der Reiter. dessen ungeach-

1 in seiner Schule] Kr: den Stock in der Hand, die 10 Gebote. da ist also Gott der Vater und was auf diese Weise mit ihm in Verbindung gebracht ist, ganz vernürnbergert 4 ist] Kr: ist in der Be5 unsre sonstige … Gegenständen] Kr: ein sonst an und für sich wahrer In30 handlung des Stoffs halt ganz und gar 6 Bildung] Kr: zufälligen Bildung 10 man aber … vermissen] Kr: der Fall seyn, daß man in einem Gegenstand, den man ihm ganz angemessen schildert, sich selbst nicht erkennte 14–17 man aus … empfinde] Kr: das Subjekt seine Vorstellung von der Liebe aus Romanen z.B. entlehnen, seine Empfindung damit vergleichen und diese nicht für Liebe erkennen Beides kann vereinigt] Kr: Es 35 18 wird] Kr: wird, bei diesen obgleich objektiven Schilderungen kann aber auch beides vereinigt seyn: daß der Gegenstand treu nach dem Leben geschildert ist und daß wir uns in der Schilderung erkennen 25–26 Lerse. George … schmelzen] Kr: Franz Lerse, wie jener die dachrinnen abgerissen

40

8 subjective über der Zeile mit Einfügungszeichen 24M Mitte der wahren Objectivität. unter gestr. Ende der falshen Objectivtät 25 George1 so Kr; Ho: Gerge George2 so Kr; Ho: Geroge

objectivität

Obgleich anderseits die darstellung objectiv ist kann es geschehn, daß das subject in dieser objectivität seine subjectivität nicht finden kann. Aber beide Seiten die der subjectivität und der objectivität können vereinigt sein, ohne daß die darstellung künstlerisch ist. Beispiel im Götz von Berlichingen. Mitte der wahren Objectivität.

324

Besonders in neuen Zeiten ist der Werth eines Kunstwerks rein in die formelle Treue der Nachahmung gesetzt, und das subjective Intresse darin diese Nachahmung wieder zufinden; so daß von allem Inhalt sowohl dem objectiven als subjectiven abstrahirt ist. die wahrhafte Objectivität des Kunstwerks aber besteht darin, daß es zum Inhalt eine substantielle Seite des Geistes habe, welches zugleich die wahrhafte subjectivität ist.

Mit dieser wahrhaften Objectivität hat unsere subjectivität zusammenzustimmen, und in Betreff auf die Äusserlichkeit, in welcher das Objective sich darstellt, so haben wir sie uns anzubequemen, uns in ihr zu finden.

nachschrift hotho · 1823

tet sind diese darstellungen höchst prosaïsch, höchst trivial und lang wei lig. In neuerer Zeit besonders zu Friedrich Schlegels Zeit ist die objective darstellung in die Treue der Nachahmung gesetzt. diese solle besonders im Kunstwerke erfreuen, und der Hauptgesichtspunkt sein. darauf solle das subjective Intresse sich beschränken diese Seiten zu erkennen. wird solche Fordrung gemacht, so ist darin ausgesprochen, daß wir kein Intresse höherer Art und kein Particuläres mitbringen sollen, und auch am Inhalt ist die Fordrung nicht gemacht, daß er ein in sich Gewichtiges und substantielles sei. Als Grundprinzip ist nur die treue darstellung aufgestellt. diese Ansicht bleibt bei der ganz formellen Seite stehn, daß das Kunstwerk nur darstelung irgend eines Inhalts sei, und vom Gehalt in sich wird abstrahirt, wie vom Inhalt der subjectivität des Gemüths. Aber von Einem so wenig wie vom Andern kann abstrahirt werden, und die ächte Objectivität des Kunstwerks ist darin zu setzen, wovon früher gesprochen ist, das Kunstwerk muß die höhern Intressen des Geistes und Willens zum Inhalt haben, sie müssen durch das Ausserliche der Existenz durchblicken, ihr Ton muß durch alles Getreibe hindurchklingen. Ist diß der Fall, liegen substantielle Intressen zu Grunde, so ist das Kunstwerk an sich objectiv und spricht auch an unsre subjectivität. denn wir sind vertraut mit den wahrhaften Intressen, diß ist das Zusammenstimmen des Kunstwerks und unserer. Ist es hierin groß macht es seinen Effect. | die darstellung ist nur ein Rahmen, in den der Inhalt gefasst ist, und er ist das unwesentliche, das nur nothwendig ist für die Äußrung und so sich zum Mittel | heruntertritt. dieß 1 höchst trivial … langweilig] Kr: sie sind nicht Poesie, sondern reine Prosa, und auf der Bühne ausgeführt erregen sie Langeweile 1–3 In neuerer … gesetzt] Kr: Man hat viel von der Objektivität gesprochen in welcher die darstellung | gehalten werden müsse, und hat darunter gemeint, daß man die Gegenstände nur so darstellen solle, wie sie sind 7–9 auch am … aufgestellt] Kr: es ist zugleich damit die Forderung an das Kunstwerk abgelehnt, daß es eine Gediegenheit haben soll, vielmehr wird von solchem Standpunkt aus der Stoff mehr oder minder als gleichgültig genommen, der uns auch somit ganz indifferent lassen könne, wenn es nur mit der Objektivität der Darstellung seine Richtigkeit hätte: der Stoff müsse sich selber aussprechen, den darstellenden Künstler gleichsam nur als passives Organ dazu gebrauchen, dies wird bei solcher Forderung als das Grundprinzip eines Kunstwerks angenommen 10–11 nur darstelung … Inhalt] Kr: ein Solches, n u r ein Solches sey, | wodurch Etwas bestimmt vorstellig gemacht wird, und es wird dabei abstrahirt von dem Inhalt des Kunstwerks überhaupt, so wie von dem Interesse 14 die höhern … Inhalt] Kr: seinem Inhalt nach Gehalt, Werth in sich selbst 16 liegen substantielle … Grunde] Kr: wenn wichtige substanzielle Interessen das Grundmotiv des Kunstwerks ausmachen 17 spricht auch … subjectivität] Kr: Zugleich aber ist es auch subjektiv, d.h. es ist auch für uns herausgekehrt es spricht auch für uns 18 den wahrhaften Intressen] Kr: seinem geistigen Interesse 18–19 Zusammenstimmen des … unserer] Kr: Wesentliche Zusammenstimmende, was darin für uns vorhanden ist 19 seinen] Kr: auch wahrhaften 19–20 die darstellung … ein] Kr: das Übrige betrachten wir mehr als den 2 Schlegels] Schlgles ist 5 beschränken] beschrnkten (die aus der) formelle (Ms: formellen)

5M die formelle] (1) der formellen (2)

5

10

15

104Ho 20

203Kr

201Kr 25

30

202Kr

35

40

allgemeiner theil

5

204Kr

10

15

205Kr

325

Geistige ist das wahrhaft Mächtige und Bleibende, und ist dieser Stoff aus längst entflohenen Zeiten genommen, So ist doch der Grund das Menschliche des Geistes, der hierin ausgesprochen ist, und den Effect dadurch hervorbringt, daß diese objectivität auch unsere eigne Subjectivität ist. Mit der Äusserlichkeit in dieser darstellung, müssen wir uns versöhnen, denn sie wird überboten von dem Gehalt mit | dem wir sympathisiren, die Anfordrung ergeht an uns mit diesem in Einklang zu stehn. die Seite, welche das Wahrhafte ausmacht, die ächte Seite des Kunstwerks macht das Objective des Kunstwerks aus, hat den Anspruch an uns zu machen dabei gegenwärtig zu sein. denn die subjectivität, die wir sonst vermissen könnte die gewöhnliche Prosa der Alltäglichkeit sein, und von dieser ist zu abstrahiren. Kotzebue hat soviel Effect gemacht, weil er die Alltäglichkeit darstellte, wobei alle sind. Werden solche Verhältnisse vorgebracht, sieht Jeder sich selbst, aber gerade von dieser subjectivität sollen wir in der Kunst befreit sein. Fehlt es der subjectivität an Empfänglichkeit des Objectiven, so hat sie die Fordrung nicht zu machen im Kunstwerk sich finden zu wollen. Es bleibt freilich noch immer eine Seite, wodurch das Kunstwerk uns immer fremd | bleibt, denn wir müssen manche Verhältnisse zugeben und voraussetzen. dieß Fremdartige kann bleiben, diese Seite aber macht das Sterbliche aus des Kunstwerks, welches nicht auf die wahrhafteste Weise die Wahrheit darzustellen vermag. denn dazu

20 1 Geistige] Kr: Menschliche

1–4 ist dieser … ist] Kr: dies gilt auch für den Stoff, der aus Zeiten genommen ist, die so ganz verschieden von der unsrigen seyn können, wie das Antike und Moderne. die Form des Geistigen, der menschlichen Individualität ist der Inhalt, welcher macht, daß z.B. Homers Gesänge nicht nur für die Griechen, sondern auch für uns gesungen sind, daß wir ganz einheimisch darin werden können, obgleich das Leben seiner Helden, d.h. die Weise ihres daseyns 25 nach seiner Aeußerlichkeit, gewissermaßen im Gegensatz steht zu unsrer heutigen Welt, in welcher sich das Individuum als in einer bereits vorhandenen finden muß, obgleich sein daseyn, so anf ängt, daß die Möglichkeit da ist, auf ganz entgegengesetzte Weisen des daseyns einzugehen und darin heimisch zu werden 4–5 der Äusserlichkeit … überboten] Kr: dem Übrigen der besondern Zeit müssen wir auch bekannt seyn; es kann ein Fremdes für uns seyn in Hinsicht unsrer 6–7 die Anfordrung … stehn] Kr: es ist dann Mangel 30 Sitten, aber dies wird ganz aufgehoben unsrerseits, wenn wir dabei nicht zu Hause sind. / Es kommt darauf an, daß das Kunstwerk reiche, mächtige Individualität ausspricht, einen reichen substanziellen Gehalt, Pathos 7 das Wahrhafte] Kr: die wahrhaft menschliche 8 das Objective] Kr: eben so die absolute Seite 9 dabei] Kr: dabei darin 10–11 dieser ist … abstrahiren] Kr: der wir gerade bei der Betrachtung des Kunst11 soviel] Kr: selten die Alltäglichkeit] Kr: solche Subjek35 werks abstrahiren sollen tivität 14 des Objectiven, … sie] Kr: für das Hohe, Wahrhafte, so vermißt sie sich darin; aber sie hat 15 im Kunstwerk … wollen] Kr: daß sie selbst daran gegenwärtig sey 16–17 denn wir … voraussetzen] Kr: z.B. gewisse Situationen, besonders Voraussetzungen und besondere Verhältnisse

40 3 dadurch hervorbringt über der Zeile mit Einfügungszeichen

maßen

25 gewissermaßen] (gestr. gewiss)er-

die subjectivität der Alltäglichkeit dürfen wir nicht im Kunstwerk wiederfinden wollen.

C.

326

Zusamenstimung des Kunstwerks mit der subjectivität des Künstlers.

der Künstler hat sich seines Stoffs durch und durch zu bemächtigen.

die Eigenthümlichkeit der darstellung ist die Manier, der nur die Seite der Äusserlichkeit der Zufälligkeit am Kunstwerk offen steht.

nachschrift hotho · 1823

fordern wir eine höhere Form. Für den höchsten Maassstab in uns sind nicht nur Situationen überhaupt ein Ungenügendes, sondern die Kunst überhaupt. – Kurz ist jetzt noch zu erwähnen, daß der Stoff ein Verhältniß hat zur subjectivität des Künstlers. In diese Seite fällt die Manier, Originalität. der Künstler | hat ein Verhältniß zum Stoff. Er muß desselben mächtig sein, muß ihn in seiner Tiefe durchlebt haben, muß ihn empfindend, vorstellend wissen, denn sonst bleibt er nur an den äußerlichen Seiten stehn; kann den Stoff wohl in Reime bringen, aber nur ein mittelmässiges Kunstwerk produciren. Ist der Künstler wahrhaft in Betreff des Stoffs, kann in der darstellung doch noch ein Eigenthümliches hervortreten von der Seite des Künstlers her. diese Eigenthümlichkeit nennt man Manier überhaupt. Ist der Künstler wahrhaft Künstler, so wird die Manier sich nur auf die besondere Weise der Execution einschränken, auf die Äusserlichkeit überhaupt. Manier ist auch näher der Styl genannt und von diesem sagen die Franzosen: c’est l’homme même. diese Particularität ist mehr oder weniger ein Zufälliges, beruht auf Gewohnheit, und kann zuletzt die Kunst überhaupt verdrängen, und den Stoff verderben. die meiste Manier kann in Künsten herrschen, wo die äusserliche Seite viele Zufälligkeit zulässt; die Manier ist nicht gleichbedeutend mit Originalität, welche die Eigenthümlichkeit des Künstlers überhaupt ist, sich bezieht auf die Eigenthümlichkeit des Ganzen des Kunst1 fordern wir … Form] Kr: finden wir eine andre angemessenere Weise, als die der Kunst; die höchste Ausdrucksweise derselben ist nicht passend für die höchste Wahrheit 6 empfindend] Kr: durchschauen, empfinden 7–8 kann den … produciren] Kr: die Mittelmäßigkeit des Künstlers ist eben dies, daß er die Tiefe, die Reichhaltigkeit des Stoffs nicht erfassen kann, daß er ihm nur einige, vielleicht unwesentliche Seiten | abgewinnt 9 darstellung] Kr: Art und Weise des Aeußerlichen zum Stoff, in der Behandlung u.s.w. 14 même] Kr: même. / diese beiden sind jedoch nicht in Einem zu confundiren. der Styl ist die objektiv vermittelte Manier, er ist nicht diese partikuläre zufällige Weise in welche der Stoff in der Manier gebunden ist; sondern im Styl ist das Vorwalten des Stoffs, der seine ihm immanente Gestaltung im Kunstwerk gleichsam aus sich selbst heraus bestimmt, sein Aeußeres gemäß macht seinem wesenhaften Innern. Da muß sich also die Subjektivität des Künstlers, seine Manier, dem Stoffe bis zu dem Grad hingeben, daß sie nur noch in dem ganz Aeußerlichen, wie z.B. in der technischen Handhabung, sich verkündet und | zwar ohne allen Anschein von Absichtlichkeit dabei. der Styl drückt in Einem so Freiheit wie Nothwendigkeit aus, während durch die Manier die Willkühr und der Zufall mit dem Stoffe gleichsam ein Spiel treiben, das ganz äußerliche, abstrakte Subjekt dem Stoffe anklebt und sein reines Erscheinen trübt. der Manierist hat Einfälle, oft die wunderlichsten, die er wie beiläufige, aber ganz willkührliche zufällige Episoden seinem Stoffe verwebt, mit dem sie daher leicht im Widerspruch stehen können; denn der Manierist fasst den Stoff nicht als das Wesentliche seines Werks auf, sondern er unterwirft ihn mehr oder weniger sich selbst. Es kommt ein Reichthum von Gegenständen dabei sehr leicht heraus, unter dem der Eine, eigentlich gemeinte Inhalt des Ganzen wie vergraben liegt, da dieser sich gegen die Einzelheiten ganz indifferent verhält Particularität] Kr: Partikularität des Künstlers 15–16 beruht auf … verderben] Kr: das ihm zur Gewohnheit, zur Fertigkeit wird und wodurch er sich dann leicht aus der Sache zieht 16 Künsten] Kr: der Malerei, in der Musik, solchen | Künsten 19 Eigenthümlichkeit] Kr: Sache, den Inhalt

105Ho 5

10

15

20

206Kr 25

30

207 Kr

35

40

208Kr

allgemeiner theil

5

10

106Ho

15

327

werks, nicht das bloß Äusserliche. die wahrhafte Originalität ist die, daß der Künstler nur die Sache vorstellig macht, und nichts von seiner Particularität. die grosse Manier ist: von der Eigenthümlichkeit des Künstlers nichts gewahr zu werden, so daß er bloß als passiver durchgangspunkt erscheint, durch den der Inhalt sich darstellt. In allem wahrhaften Thun überhaupt ist dieß: daß das substantielle das Mächtige, das Individuum aber nur die formelle Thätigkeit des Producirens ist. Ebenso sieht man wie im Homer und im sophocles, auch im Shakspeare nur die Sache selbst sich darstellt, während Euripides schon eigenthümlich und particulär ist. die wahre Originalität stellt die Sache als ein in sich Einiges, als ein Ganzes dar. Ebenso unoriginal ist ein Äußerlich Zusam mengebrachtes. | In vielen frühern Göthischen Kunstwerken sieht man wie er arm an Stoff Vieles von Außen her zusammengesetzt hat. Im Götz von Berlichingen ist ein vielfach zusammengesetztes vorhanden. In der damahligen Zeit ZB. war ein vielfach besprochenes Capitel die Mönche zu bedauren. Ebenso erscheint dann im Götz der Bruder Martin. Er preißt den Götz glücklich. Ebenso kommt die damahlige Paedagogik im Götz vor, die durch Basedow vorzüglich war in Gang gebracht. Kurz es sind viele äusserliche Gesichtspunkte angebracht, die dem Stoffe schaden. In den Wahlverwandschaften sind auch die Intressen der Zeit zusammengebracht. Es kam ZB. auf, daß durch lebende Personen Gemählde dargestellt

20 1 nicht das … Äusserliche] Kr: während sich die Manier mehr bezieht auf das Technische der Dar-

stellung. die Originalität beruht auf der eigenthümlichen Auffassung des Künstlers in Hinsicht auf das Ganze die,] Kr: ganz Eins mit der wahrhaften Objektivität, d.h. 2 und] Kr: daß man nur die Sache sieht, 7–9 Ebenso sieht … ist] Kr: Im Homer sehen wir nur den Inhalt; von der besondern Person des dichters sehen wir da gar nichts. Shakspeare ist nicht so rein objektiv; aber seine 25 Gestaltungen sind dennoch durchaus original, nur in den Besonderheiten der Ausführung, an einzelnen Seiten erkennt man ihn, als diesen bestimmten Dichter. So ist z.B. der Humor ein Karak209Kr terzug Shakspeare’s an dem er leicht kenntlich ist. Man sieht aber über|haupt in seinen Werken nicht sowohl ihn selbst, als vielmehr durchaus selbstständige Gestalten in der Enthüllung ihres Pathos. Bei Euripides z.B. aber, sieht man die besonderen Absichten des dichters, diese Sucht der 9–10 ein in … Ganzes] Kr: aus Einem Gusse, in Einem Tone 10 Zu30 moralischen Auf klärung sammengebrachtes] Kr: Zusammengelesene, wo nicht diese Einigkeit der Subjektivität, nicht diese in sich feste Einheit des Ganzen zum Vorschein kommt 11 er] Kr: er als Jüngling noch 12 von Außen her] Kr: aus seiner Zeit 12–13 ist ein … vorhanden] Kr: die Scene vom Bruder Martin 13–15 ZB. war … Martin] Kr: der beginnenden Auf klärung bedauerte man viel die 35 Mönche, die das Gelübde der Armuth, der Keuschheit u.s.w. ablegen mussten. Luther hat mit ganz andern Gedanken sein Werk angefangen, als mit solcher Bedauerung und Rührung 15–16 die damahlige … gebracht] Kr: im Götz ein Stückchen über die damalige Basedow’sche Pädagogik 210Kr vor, in der Scene wo der kleine | Götz sein Geographicum hersagt. Hier ist ein Beispiel ausgesprochen, was die damalige Pädagogik urgirt hat 40 3 Künstlers über gestr. dichters; Kr: Künstlers

zeichen 7–8 Shakspeare so Kr; Ho: Schaspear str. ihn; Kr: diesen

5 wahrhaften über der Zeile mit Einfügungs9 Originalität] Organiltät 11 Vieles über ge-

die Originalität bezieht sich auf das Ganze der darstellung überhaupt, und wenn sie eine wahrhafte sein soll, muß sie sich mit der Objectivität des Kunstwerks identificiren.

328

nachschrift hotho · 1823

wurden, ferner das Gefühl von Wasser und Metall. diese Seite ist auch in diesem Roman aufgenommen, sowie mehrere andere Stoffe des Zeitintresses, Intressen aus der Mitwelt. Solche situationen kommen nicht frei aus dem Innern einer Gestaltung hervor. – die wahre Originalität kommt nun also mit der wahren Objectivität zusammen, obgleich man oft das Gegentheil darunter versteht sodaß viel verrücktes durch die Originalität, die falsch genommen ist hervorgebracht worden ist. denn das Schlechte gehört nur dem particulären an.

Die allgemeinen Kunstformen.

Was wir bisher betrachteten betraf die Gesichtspunkte die das Kunstwerk | berühren, in sofern seine Schönheit ideale Schönheit sein soll, und diese in das Gewöhnliche eintritt. Von dieser allgemeinen Natur des Kunstwerks als Ideal gehn wir zu den allgemeinen Kunstformen über. diese sind: die symbolische classische romantische Form. | das Schöne ist erst suchend, vollendet, und über die Vollendung hinausgehend. Im symbolischen hat der Stoff das Uebergewicht und für das Innre wird die

3 situationen] Kr: Partikularitäten 4 hervor] Kr: für sich frei hervor 4–5 die wahre … zusammen] Kr: die Objektivität des Kunstwerks will gerade das Eigenthümliche des Individuums ganz in sich verschlungen haben 5–7 sodaß viel … an] Kr: das Verkehrte und Verrückte, wie es sonst Niemand sondern nur dieser Eine allein macht, nennt man so originell. / die wahrhafte Originalität des Künstlers giebt seinem Werke das, was man Styl nennt, die Einheit des objektiven Stoffs mit der subjektiven darstellung. der Manierist geht nicht so aus von dem Kern, der immanenten Entwickelung und Gestaltung des Stoffes als Inhalt, den er durch die gemäße darstellung zum bestimmten Kunstgehalt zu fixiren hätte; ihm erscheint vielmehr in unbestimmter | Vorstellung der Stoff, den er jedoch als das Wesenhafte seines Werkes meint, bereits in oberflächlich fertiger Gestaltung und bezieht seine ganze künstlerische Thätigkeit mehr auf das drum und dran anstatt auf das drinnen einzugehen und von diesem aus auf die äußere Gestaltung überzugehen, sie daraus zu bestimmen. darin besteht die Leichtfertigkeit, die Bequemlichkeit des Manieristen, daß er gleich vornherein dem Gegenstand, dem Stoffe trotzt und statt ihn, nur sich selber als spröde technische Fertigkeit darstellt, etwa die und jene gute Seite darin aufweist, aber mit bewußter Absicht, als Zweck, nicht als Mittel ein Höheres, ein Concretes, Wesenhaftes vorstellig zu machen, sondern nur sich selbst, dieses Abstraktum der künstlerischen Subjektivität, diese abstrakte Aeußerlichkeit der Technik, die sich Alles unterwirft und die widersprechendsten dinge zusammenrafft in der Absicht und Prätension n u r sich zu zeigen 11 zu] Kr: zu dem Besondern über, zu Kunstformen] Kr: Kunstformen, wie wir sie oben vorläufig angezeigt haben 12 diese sind] Kr: da haben wir die drei Hauptformen der Kunst 15 romantische] Kr: romantische oder christliche 17–329,1 Im symbolischen … ist 2 ] Kr: In der ersten Form wird die adäquate Weise

5

212Kr 10

15

107Ho

20

211Kr

30

35

7 an.] folgt unter der Zeile ein horizontaler Strich in Blei über den Rand bis in den Text hinein 17–329,1 für das … Form] (1) das Innre wird (2) (für über der Zeile) das Innre wird (die Form über 40 der Zeile mit Einfügungszeichen)

allgemeiner theil · symbolische kunstform

214Kr

329

Form aufgesucht, die noch nicht vollendet ist, weil das Innre nicht vollendet ist. diese Vollendung kommt im Classischen zu Stande; im Romantischen geht der Gehalt über die Form, fordert mehr als die darstellung des Kunstwerks zu geben vermag. der Begriff beim Kunstwerk ist substantielle subjectivität und die darstellung dieser für die sinnliche Vorstellung. Auf diese 2 Seiten be|zieht sich der Unterschied der Kunstformen.

Erster Abschnitt.

Die sy mbol ische Kunst for m.

10

die erste Form ist die symbolische. Symbol ist ein Zeichen, enthält eine Bedeutung und eine Weise der darstellung derselben. das Zeichen als solches hat keine Beziehung auf sich, sondern hat nur Sinn als die gegebene Bedeutung. So ist es mit den Tönen, den Zeichen der Sprachen, Namen der Individuen und vielem Anderen. das Sinnliche, wodurch die Vorstellung sich darstellt, hat in seiner Eigenthümlichkeit mit dieser Vorstel-

der Einbildung des Begriffs in die Realität, die Form der Schönheit gesucht; hier ist also das Stre15 ben nach dieser Schönheit, die bedingt ist durch die Stufe des Bewußtseyns über den an und für

20

213Kr

25

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sich wahrhaften, zur s c h ö n e n darstellung nothwendigen Inhalt, d.h. das Bewußtseyn über denselben muß erst zur Klarheit gelangt seyn, ehe die schöne darstellung desselben erfolgen kann. die symbolische Kunstform ist also noch nicht die s c h ö n e ; sie ist suchend, strebend 2 diese Vollendung … Stande] Kr: die zweite Form ist die vollendende; das Bewußtseyn gewinnt bestimmten Inhalt, gelangt zu seinem Begriff und die Gestaltung wird adäquat den auseinander gehaltenen Momenten desselben. dies ist die vollendende Kunst, die | klassische. Hier treten die Bestimmungen concreter Geistigkeit ein; die Mächte des Geistes treten, zu Gottheiten individualisirt, auseinander, die Götter haben ihr geistiges Pathos und ihre Vielheit erfüllt den Olymp, ein von den Sterblichen abgeschlossenes heiteres Götterreich. dieser Kunstform gehört das Ideal der plastischen Kunst wesentlich an 2–3 im Romantischen … als] Kr: das dritte ist das Romantische; es macht das andre Extrem zum Symbolischen aus. Im Symbolischen wird das Innere, das Substanzielle und zugleich die Form dafür gesucht; das Stoffartige ist hier das Überwiegende. Im Klassischen ist beides ausgeglichen, beide Seiten stehen gleichgeltend fest. das Romantische hebt diese Gleichheit des Verhältnisses wieder auf; der Gehalt wird hier das Höhere, dem Stoff Übermächtige, er schreitet über das hinaus, was 4–5 der Begriff … Vorstellung] Kr: Gehalt und Form, diese beiden Seiten sind die substanzielle Subjektivität. der Begriff in seiner wahrhaften Form verlangt aber noch die Seite der Realität 9 Symbol ist … Zeichen,] Kr: das Symbolische überhaupt ist noch mehr als ein Zeichen; dieses 9–10 und eine … derselben] Kr: Vorstellung und ist die Weise wie diese Vorstellung erregt wird 11–12 den Zeichen … Anderen] Kr: die wir aussprechen sind ebenfalls Zeichen der Vorstellung. Hier ist vollkommene Zuf älligkeit und Willkühr 12 Sinnliche] Kr: Bildliche, Sinnliche 13–330,1 sich darstellt, … Verhältniß] Kr: von Außen her erregt wird, braucht keine Verwandtschaft mit dem Aeußerlichen des Vorgestellten zu haben; so in der Sprache 7 D i e s y m b o l i s c h e K u n s t f o r m . / so Kr; fehlt in Ho

die symbolische Kunstform. Erstes Capitel. Vom symbol überhaupt.

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lung kein eigentliches Verhältniß. das symbol ist nun solch ein Zeichen, das in seiner Äußerlichkeit zugleich den Gehalt der Vorstellung enthält, welchen es darstellen soll. das symbol also stellt sich zugleich selbst vor. der Löwe ZB ist das | Symbol der Stärke. der Löwe für sich als Löwe ist stark; er enthält in sich selbst das, dessen Bedeutung er erscheinen macht. das symbol ist eine Existenz, die eine Vorstellung darstellen soll, aber an sich selbst schon die Vorstellung enthält, die es darstellen soll. das 2te beim symbol ist aber, daß das symbol seiner Bedeutung noch nicht ganz adaequat ist. das Bild enthält in sich noch Mehreres als das, dessen Bedeutung es vorstellen soll. der Stier ZB ist ein altes Symbol von Stärke, Fruchtbarkeit und vielen Qualitäten. | das symbol daher ist wesentlich zweideutig. Wenn wir nun solche Gestaltungen vor uns sehn, entsteht zugleich der Zweifel, ob die Gestaltung an sich symbol sei oder als Symbol ausdrüklich gesetzt sei. Es kann etwas symbol sein, aber nicht als solches gesetzt sein. Ist das Letzte | so muß uns Beides vorschweben, die allgemeine Vorstelung einmal und dann ihr Bild. Wenn die Reflexion noch nicht soweit gekommen ist selbständig allgemeine Vorstelungen in sich zu erhalten, noch nicht Gedanken für sich festzuhalten vermag, so ist der innerliche Gedanke noch nicht für sich heraus gestellt, und also die sinnliche Gestalt noch nicht getrennt gemeint von seiner Bedeutung, sondern Beides ist in Einem. Ein Andres also ist es, wenn der Unterschied ausdrüklich gesetzt ist, dieß ist der Fall in der Vergleichung. Carl Moor als er die Sonne untersinken sieht sagt: so stirbt ein Held. Hier ist beides: die Bedeutung und ihre sinnliche darstellung ausdrüklich geschieden. Hingegen sehn wir ein dreieck, so kann es ein Symbol der dreieinigkeit sein und kann es nicht sein. Im Gleichniß

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1–3 das symbol … soll] Kr: Das symbolische Zeichen dagegen ist ein Bildliches, das einmal für sich ist, zugleich aber auch dasjenige enthält, welches durch sein sinnliches Daseyn repräsentirt werden 25 soll. Im bloßen Zeichen stellt das sinnliche Daseyn sich nicht selbst vor, sondern es wird Etwas damit g e m e i n t , das ein Andres ist als es selbst 3 das symbol … sich] Kr: Im symbolischen Zeichen, dem eigentlichen Symbol, stellt sich das Gemeinte 4 Stärke] Kr: Stärke; das Blau ist ein Symbol der Sanftmuth, Schwärmerei 7 symbol 2 ] Kr: Bild, welches Symbol ist, 8–9 das Bild … soll] Kr: es ist noch eine Unvollkommenheit darin vorhanden in Ansehung des Verhältnis- 30 ses von beidem. der Löwe ist allerdings stark, aber er ist auch noch vieles andere 10 Fruchtbarkeit und … Qualitäten] Kr: die Sonne der Fruchtbarkeit u.s.w., aber in beiden finden sich auch noch andre Eigenschaften und Bestimmungen, nach welchen sie eben so gut auch wieder für andre Symbole gelten können 10–11 zweideutig] Kr: zweideutig, weil es an ihm selbst auch noch andere Qualitäten hat, als die e i n e zufällig gemeinte 11 Gestaltungen] Kr: sinnliche Gestaltung 35 12 gesetzt] Kr: gemeint 14 allgemeine Vorstelung] Kr: abstrakte Bedeutung dann] Kr: unterschieden davon 17–18 die sinnliche Gestalt] Kr: das Bild 20 ist1] Kr: ist; dann ist etwas als Symbol gesetzt 23 nicht sein] Kr: nicht, jenachdem wir es entweder auf dem Titelblatt der Bibel oder an sonst entsprechendem Ort, oder aber in einem Lehrbuch der Geometrie u.s.w. finden. da 7 die es über gestr. das sie

12 an sich über der Zeile

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ist es ganz deutlich, daß der sinnlichen Existenz als solcher nicht soll Gültigkeit zugesprochen werden. der Zusammenhang zwar kann ganz unmittelbar sein wie wenn ZB. Luther singt: Eine feste Burg ist unser Gott. Hier sehn wir aber sogleich, daß die Burg nur als Symbol gilt. Ebenso ist es gemeint wenn in der Bibel steht: Gott zerbricht ihre Zähne im Maul. Wir sehn, daß hier nicht die wirklichen Zähne gemeint sind, sondern daß der Ausdruk symbolisch ist. Sehn wir ein Dreieck vor einer Kirche, so sehn wir ebenso daß es hier nicht als Dreieck gilt sondern als Symbol. In vielen poetischen darstellungen komt vieles Symbolisches vor. Es giebt nun aber ferner andere darstellungen wo wir das symbolische nicht sogleich merken, und es kann dabei überhaupt zweifelhaft sein ob solche darstellung symbolisch sein soll, oder nicht. Wo die darstellungen | solcher Art sind, daß man das symbolische sieht, kann es der Fall sein, daß der abstracte Gedanke für sich im Geist noch nicht heraus ist, sondern die | bildliche Weise der darstellung noch sich als die einzige zeigt, in welcher der Geist seinen Gehalt sich vorstellig machen kann. In Ansehung solchen Verhältnißes handelt es sich nicht um einzelne Fälle, sondern dieß begegnet uns bei weiten Kunstgebieten, bei dem gesamten Umfange nehmlich der morgenländischen Kunst. In diesem Gebiete haben wir Gestalten und Bilder vor uns, unmittelbar aber ist es uns dabei nicht geheuer; wir wandeln unter Aufgaben und sehn gleich, daß diese Gestalten wie sie für sich stehn uns nicht befriedigen, sondern daß wir darüber hinausgehn sollen zur Bedeutung dieser Bilder, die eine andre als sie selbst sind, ist. dieß ist besonders bei der indischen Kunst der Fall. Aber es kommt diß auch beim classischen Kunstgebiet vor. Es ist an sich nicht symbolisch, sondern für sich klar und deutlich, und klar ist die darstellung, | wenn der Sinn der Bedeutung

217 Kr ist es also der Ort der die Vorstellung, die wir mit diesem Zeichen verbinden | sollen, bedingt, und das einemal wird es dadurch ausdrücklich als Symbol gesetzt, das andremal aber stellt es nur sich selber vor ohne ein Weiteres damit zu meinen als was es unmittelbar ist 4 sogleich, daß … Burg] Kr: den Zusammenhang sogleich, daß „Burg“ hier uneigentlich gemeint ist, durchaus 5 zerbricht] Kr: zerbrach hier] Kr: auch in dieser Stelle des Psalms wie im Vorhergehenden 6 wirk8–9 vieles Symbolisches] Kr: 30 lichen Zähne] Kr: eigentlichen Zähne von eigentlichen Löwen viele Symbole dieser Art 11–13 solcher Art … Gedanke] Kr: nicht in Zusammenhang gebracht sind mit einem Inhalt, der eine andere Bedeutung erfordert, da ist es dann, daß das, was wir die Bedeutung heißen, die abstrakte Vorstellung, 14–15 seinen Gehalt] Kr: seine Ahndungen, Erhebungen, Empfindungen allein 17 bei] Kr: bei den Darstellungen eines ungeheuern Stoffs, 18 Bilder] Kr: Gebilde 19 unter Aufgaben] Kr: in einer Welt von Gestaltungen 20 für 35 bei sich stehn] Kr: sich zunächst präsentiren darüber] Kr: über das, was sie unmittelbar für den Sinn sind, 21 zur] Kr: zu allgemeinen Vorstellungen, zu der selbst] Kr: selbst so wie sie uns erscheinen 22 der indischen Kunst] Kr: den indischen und ägyptischen Kunstgebilden 24 der Bedeutung] Kr: den sie enthält, enthalten soll, 40 24 klar2 über gestr. so

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kein andrer ist, als in der Gestalt selbst liegt, die Gestalt dem Begriff adaequat ist. Im eigentlich symbolischen ist immer eine Seite, welcher die Bedeutung nicht adaequat ist. die classische Kunst im Ganzen ist die klare Kunst. Im symbol stellt das Bild noch ein Andres vor als die Vorstellung. Aber die classische Kunst hat auch eine Seite dieser Zweideutigkeit, indem es zweifelhaft ist, ob wir sollen beim Bilde stehn bleiben oder ob der Inhalt noch ein weiterer ist. Ist dieß der Fall so kommt es auf den Inhalt an, den ein Bild für sich gewährt. Es kann als blosses müßiges Spiel genommen werden, wie man die Mythologie als Fabeln nimmt. Aber | bei solchem Inhalt kann uns doch ein Bedenken entstehn ob ein weiteres unter ihm gemeint ist, als seine Gestalt ausdrükt. Zumal wenn der Inhalt sich als ein Göttliches zeigt, sodaß der Ausdruk leicht als ein Unwürdiges erscheint. | Wenn wir ZB. lesen, daß Jupiter den Vulcan auf Lemnos herabgeworfen habe, sodaß dieser sei hinkend geworden. diß kann als Mährchen genommen werden[.] Aber zugleich, indem es vom höchsten Gott ausgesagt wird können wir meinen, es sei noch ein Anderes darunter verstanden. Es entstehn hiemit darüber 2erlei Vorstellungen: als seien solche Bilder rein prosaïsch zu nehmen, oder als sei noch weiterer Sinn dahinter. diese gedoppelte Ansicht findet sich auch bei der classischen Kunst: ob vieles als äusserliche Geschichte zu nehmen sei, | oder als Symbol, um diese Ansicht dreht sich ein langer Streit neuerer Zeit. Creuzer in seiner Mythologie durchgeht alle Vorstellungen der Alten nicht im gewöhnlichen Sinn

1 selbst] Kr: unmittelbar Begriff ] Kr: Begriff, der Vorstellung überhaupt, welche ausgedrückt werden soll 2 welcher die Bedeutung] Kr: die dem, was ausgedrückt werden soll, 3 Kunst 2 ] Kr: Kunst, die eigenthümliche Gestalt der Bedeutung gehört ihr an, so daß hier nicht zweierlei Vorstellungen sind wie beim Symbol, d.h. einmal das Bild, als Bedeutendes, und außer diesem dann das was bedeutet wird durch dasselbe 5–6 wir sollen … ist] Kr: eben nur das sinnliche Bild gemeint ist, oder ob noch ein andrer Sinn darin liege, als der unmittelbare Inhalt, der an der Gestalt manifestirt ist 7 Es] Kr: der sinnliche Inhalt solcher Bilder 8 Spiel] Kr: Spiel mit Gestaltungen und Vorstellungen man die … nimmt] Kr: dies in den Mährchen der Fall ist 9–10 ein weiteres … ausdrükt] Kr: dann der Inhalt nur für sich gemeint sey oder ob noch eine weitere Vorstellung damit zusammenhängt 10–11 als ein … zeigt] Kr: nun auf Gott bezieht 11 Unwürdiges] Kr: unpassendes 13 sei hinkend … werden] Kr: bucklicht geworden sey, so kommt uns dies zunächst nicht als ein dem Gotte würdiges vor 14 Aber zugleich, … Gott] Kr: man muß also über die äußerliche Geschichtlichkeit hinwegsehen, und indem dieser Inhalt von Jupiter 14–15 meinen, es … verstanden] Kr: leicht noch einen Zusammenhang desselben mit Anderm vermuthen, weil diese Geschichte für sich ein ganz Leeres wäre und eben nicht sehr göttlich 16 als seien … rein] Kr: Als nur äußerliches Geschehen ist dergleichen ganz 17 dahinter] Kr: ein Zusammenhang mit Anderm darin, wodurch es sich motivirt findet 18 vieles] Kr: vieles, was zunächst nicht dem Gotte adäquat scheint, blos Geschichte] Kr: Geschichte in dieser inadäquaten Form 19 ein langer … Zeit] Kr: in unsern Tagen einen heftigen Gelehrtenstreit 19 Creuzer so Kr; Ho: Kreuzer; siehe Anm.

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sondern hat in ihnen eine tiefere Bedeutung gesucht, hat sie als ein Vernünftiges genommen. denn solche Geschichten kommen vom Menschen her, der zwar zu spielen vermag, aber im Intresse der Religion ein Höheres, die Vernunft als Gestalterfinderinn hat, doch noch mit dem Mangel an Geschicklichkeit ihr Innres sich adaequat zu exponiren. Aber die Vernunft ist immer die Bildnerinn und es entsteht immer das Bedürfniß die Vernünftigkeit zu erkennen. Und dieß Erkennen ist des Menschen würdig. Man kann bei der Kenntniß der Vorstellungen stehn bleiben und sie als Fabel prosaisch nehmen. dann hat man eine leere Kenntniß. Würdiger ist die voraussetzung, daß vernünftige Menschen jene Bilder producirten, so daß sie vernunft ausdrücken. Nach dieser müssen wir graben, und sie aufzuzeigen rechtfertigt die Mythologie, und den Menschen zu rechtfertigen ist ein edles Geschäft. Man ist über Creuzer hergefallen, und hat gesagt: | er sei es, welcher die Bedeutungen nur hineingelegt habe oder er sei den Neuplatonikern gefolgt. daß die Bilder solche Bedeutungen hätten, dieß sei nichts historisches; jene Völker hätten so gespielt, ohne dabei irgend etwas zu wollen, sie hätten sich nicht das dabei gedacht, was man ihnen jetzt zumuthete. daß es nicht historisch ist, ist freilich wahr, und daß ihnen die Bilder noch nicht als Symbole galten, hat auch seine Richtigkeit aber 2erlei ist es ob etwas an sich Symbol ist, oder als Symbol gesetzt. In so fern ist es ganz historisch, daß die Alten sich bei ihren Bildern nicht dachten, was Spätere jetzt darin sehn, aber daraus folgt | nicht, daß solche Bilder nicht an sich Symbole seien und so aufgefaßt werden müssten. das symbol ist die bildliche darstellung einer allgemeinen Vorstellung, ei1 eine tiefere Bedeutung] Kr: einen tiefern reichern Sinn 1–2 hat sie … genommen] Kr: nimmt diese Bilder als eine Ausdrucksweise von Vorstellungen, denen Vernünftigkeit zu Grunde liege 2–6 denn solche … immer] Kr: Geht man so äußerlich davon aus, daß sie ein zufälliges Machwerk des Menschen seyen und er sein Spiel mit ihnen getrieben habe und nichts weiter, so ist dies absurd. Wenn aber das Interesse der Religion das Wirkende bei solchen Gestaltungen war, so liegt ihnen die Vernünftigkeit zu Grunde. Auf dieser Stufe hat aber die Vernünftigkeit noch nicht die Geschicklichkeit, sich auf eine adäquate Weise auszudrücken. Weil es jedoch vernünftige Menschen sind, die Solches produzirt haben, so entsteht auch unmittelbar 7–12 bei der … Geschäft] Kr: allerdings eine leere Kenntniß hiervon haben und dabei ein großer Gelehrter seyn; aber man kann auch | die des vernünftigen Menschen würdige Voraussetzung machen, daß die Vernünftigkeit darin aufzusuchen sey, und diese Vernünftigkeit darin aufzufinden, dies eben enthält die Rechtfertigung von Creuzer’s Betrachtung der Mythologie 13 die Bedeutungen nur] Kr: blos Einbildungen 15 jene Völker … gespielt] Kr: diese Indier, Aegypter, Griechen, haben eben nur so gefaselt, solche abenteuerlich und lieblich spielende Vorstellungen erzeugt irgend etwas] Kr: einen weitern Sinn 17 ist1] Kr: ist, daß sie sich so etwas dabei gedacht haben 19 als] Kr: ausdrücklich als 20 Spätere jetzt … sehn] Kr: die Neuplatoniker, Pythagoräer u.s.w. und Creuzer darin finden 22–334,1 darstellung einer … Innern] Kr: Weise in der ein Allgemeines, so ein Gedanke vorgestellt ist 12 Creuzer so Kr; Ho: Kreutzer 16 nicht das über der Zeile mit Einfügungszeichen auch … Richtigkeit über der Zeile mit Einfügungszeichen 22 Vorstellung über gestr. Vollst

18 hat

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nes Innern. Verlangen wir nun, daß es historisch sein solle, daß die Völker des symbolischen Inhalts sich bewusst gewesen wären, so wäre die Fordrung diese, daß die Völker schon den Gedanken ihres Inhalts gehabt haben sollten. Aber dieß eben ist nicht der Fall, denn sie haben solche Bilder nur gebraucht, weil sie noch in dem Zustande der Poesie waren, in der Manier standen, des Innerlichen sich nur in der Weise der Phantasie, nicht des Gedankens bewusst zu werden. dieß aber ist eine nothwendige Stufe. Historisch ist es also allerdings nicht, daß die Völker einmal die Weise der sinnlichen Bildlichkeit und anderseits | die abstracten Vorstellungen hatten; sie haben die abstracte Vorstellung noch nicht darunter verstanden, aber dieß ist ein ganz andres als daß im Bilde nicht die abstracte Vorstellung überhaupt verhüllt drinn liege. Was Creuzer also sagt, diß ist keine Erdichtung, sondern es liegt drinn und hat in den Völkern gelegen, die es noch nicht vermochten in der Weise der Vorstellung abgesondert vom Bildlichen vor’s Bewußtsein zu stellen. dieß ist die verschiedene Ansicht beim symbolischen. Wir haben hier für sich die Entwiklung der | symbolischen darstellungsweise aufzuführen. Uns geht das Historische nicht an, wir haben nicht das Intresse Mythologie zu erklären sondern haben die Gestalten des symbolischen selbst zu betrachten. Wir haben beim symbol die gedoppelten Weisen: einmal des eigentlichen Symbols, wo die Bedeutung nicht ausdrüklich unterschieden von der darstellung ausgesprochen ist; dann das symbol wo einerseits der Ausdruk steht, das Sinnliche, anderseits ausdrüklich ausgesprochen die Bedeutung. die erste Art des sym-

2–3 wäre die … sollten] Kr: heisst dies nichts andres, als daß sie sich schon zu der Form des Gedankens sollen erhoben haben 4 denn sie … gebraucht] Kr: sonst hätten sie dergleichen Bilder nicht produzirt; sie haben dies aber gethan 5 noch in … waren] Kr: dem Stande der Poesie, der Kunst überhaupt nach, noch keine Prosa gehabt haben 5–6 des Innerlichen … Phantasie] Kr: das auszudrücken, was in ihnen aus dem Geist zur Entwickelung hinstrebte, was der Geist innerlich produzirt 6–7 dieß aber … Stufe] Kr: Wenn w i r ein Symbol exponiren, so haben wir damit 1, das Bild, und 2, die abstrakte, damit verbundene Vorstellung. diese Völker aber sind auf der Stufe gewesen – und es ist dies eine nothwendige Stufe der Bildung des Menschen – nicht so zweierlei Weisen zu haben 9 sie] Kr: nicht, daß f ü r s i e besondere Bedeutung vorhanden gewesen ist; sie 10 aber] Kr: Aber wenn sie zweierlei solche Manieren noch nicht gehabt haben, so 10–11 abstracte Vorstellung] Kr: Vernünftigkeit 12 sondern es] Kr: Es ist also nicht der Gedanke hineinzulegen, sondern er 13 in der … Bildlichen] Kr: sich dieses Innerliche, abgesondert von der Vorstellung, in der Weise des Gedankens 17 betrachten] Kr: betrachten für sich, und die bestimmten Gestaltungen hier wieder anzuführen, in denen dasselbe erschienen ist 19 wo] Kr: eine Gestalt, bei der noch eine andre Bedeutung gemeint ist, als die, die in ihrer Unmittelbarkeit dasteht, wo aber 20 ist;] Kr: ist. diese Gestalt ist an sich Symbol. / | Zur zweiten Art gehört 21 ausgesprochen die Bedeutung] Kr: die Bedeutung ausgesprochen ist, oder wo es ganz nahe gelegt ist, daß es nur symbolisch zu nehmen sey 2 bewusst] bewusstt Kr; Ho: Kreutzer

3 haben sollten über gestr. hatten

10 ist so Kr; fehlt in Ho

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11 Creuzer so 40

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bolischen hat das Höhere Intresse; die 2te Weise ist eine unbedeutendere. Indem wir nun das eigentliche symbol betrachten ist unser Intresse zu sehn, wie die Kunst geworden ist. das symbol ist die erste Weise der Kunst und schliesst wieder selbst mehrere Weisen in sich. diese nehmen wir nicht geschichtlich vor, erklären nicht die Mythologie der Völker, sondern wir haben nur die Stufen selbst in ihrer allgemeinen Bestimung zu betrachten. Um näher zu wissen was hieher gehört haben wir uns des Ziels der Kunst zu erinnern. Ihr Inhalt ist ein geistiger, er ist das substantielle, das äußerlich erscheint, und nicht in unmittelbarer Naturgestalt gegeben, sondern ein vom Geiste Producirtes ist. dieß war die Hauptbestimung der Kunst. der erste Ausgangspunkt kann noch nicht in sich haben den geistigen Inhalt als solchen, und näher die | substantielle subjectivität die sich für sich erfaßte und sich bildlich machte. Solchen freien Inhalt kann die erste Stufe nicht haben. die freie Geistigkeit ist nicht das Erste sondern ist Resultat. Indem das Bewusstsein sich nicht zuerst so erfasst, so ist das Vorgehende dem Inhalt nach schwächer und der Gestalt nach unvollkommen, denn Beides hängt wesentlich zusammen: der höhere Begriff des Selbstbewusstseins und die darstellung. der höhere Begriff ist die substantielle Geistigkeit, diese hat zur Erscheinung | die menschliche Gestalt, wo die Willkühr der Gestaltung aufgehoben ist. Nur diese Gestalt ist dem Begriff gemäß, diese hat die Kunst aufzunehmen. Ist die Gestalt anderer Art als die menschliche, so zeigt sich, daß der Begriff noch nicht substantielle geistige subjectivität ist, denn der Inhalt entspricht seiner Gestaltung und umgekehrt. | der wahrhafte Begriff überhaupt bestimmt sich frei aus sich selbst, unter diesem Selbstbestimmen steht ein grosser Umfang; es gehört dazu das Setzen der Weise seines daseins. dieses ist durch den Begriff selbst bestimmt, und somit nicht mehr Willkührliches. Nur die Weise des daseins die dem Begriff adaequat ist, ist die wahrhafte. Ist die Erscheinung nicht wahrhaft, so hat sich der Begriff noch nicht gefasst. – die Betrachtung des Anfangs der Kunst fällt sehr mit

1 ist eine unbedeutendere] Kr: tritt mehr zu untergeordneten Bedeutungen herab 4 sich] Kr: sich, die zu Stufen der Kunst geworden sind 7 geistiger] Kr: geistiger Inhalt, der bildlich vorge9 Geiste] Kr: Menschen 11–12 sich für … machte] Kr: herausgehoben ist, und daß 30 stellt wird es hier schon solcher Inhalt wäre der für die Vorstellung sich gestaltete 12–13 Solchen freien … haben] Kr: der Inhalt des Anfangs der Kunst kann noch nicht die freie Geistigkeit seyn 16 des Selbstbewusstseins] Kr: den das Selbstbewußtseyn von sich erfasst, darstellung] Kr: wahrhafte Darstellung 16–18 der höhere … ist] Kr: In Ansehung der Gestaltung des höhern Begriffs, ist 35 die Willkühr des Gestaltens aufgehoben und die Bestimmungen aus dem Begriff sind in der Gestaltung für die Anschauung festgehalten, sie hat n u r diesen Ausdruck des zu Grunde liegenden Begriffes an sich, bedeutet nicht ein Andres, ein Solches, das nicht an ihr selbst sich manifestirt 21–22 denn der … umgekehrt] Kr: Mit der Unvollkommenheit der Form hängt nothwendig auch 25 Willkührlidie Unvollkommenheit des Inhalts zusammen 24 der] Kr: seiner Realität, der 40 ches] Kr: Zufälliges

das symbolische macht den Ausgangspunkt der Kunst.

Indem die Kunst anfängt kann sie nicht die aus sich selbst sich bestimmende substantielle subjectivität zur Erscheinung bringen, indem dieser freie geistige Inhalt nicht Unmittelbarkeit sondern Resultat ist. Begriff und Erscheinung stehn in engem Verhältniß, denn der Begriff ist dieses sein Innres zu manifestiren Hat der Begriff sich noch nicht in seiner Unendlichkeit erfaßt, ist auch seine Erscheinung mangelhaft.

336 der Anfang der Kunst fällt mit der Religion zusammen, indem die Kunst zunächst die einzige Weise ist das Absolute zum bewußtsein zu bringen.

der erste Anfang der Kunst ist Verwunderung d.h. Ahnung des Absoluten im Unmittelbaren; einfache Einheit dieser Ahnung und des Natürlichen.

Eine solche Verehrung aber der Naturdinge als solcher ist noch keine symbolische Kunst.

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der Religion zusammen. die ersten Kunstwerke sind Mythologien. die Explication, die für das substantielle da ist, ist allein im Anfang die Kunst. Tritt Prosa ein, so ist ihre Betrachtungsweise von der der Kunst verschieden; die Prosa in der Betrachtung der Welt ist verständig, ist äusserliche Betrachtung, und setzt voraus, daß der Mensch für sich schon frei gegen die Unmittelbarkeit ist. Wo diese Trennung noch nicht gemacht ist, ist der Mensch in einem Mittelzustande zwischen Natur-Weise und freier Weise des Geistes. Erst mit der absoluten Freiheit, und der absoluten Religion tritt die eigentliche Prosa | ein, denn zu ihr gehört die freie subjectivität des Individuums. Wenn wir nun die Weisen des Anfangs einfach bezeichnen wollen, so kann man sagen, daß Kunst, Religion und Wissenschaft mit der Verwundrung anfingen, wie Aristoteles sagt. der Mensch sich zur Natur verhaltend, hat sie nicht als nur äusserliches, sondern er ahnet sich die Vernunft das Allgemeine den Gedanken in den Naturgegenständen; er ist einerseits abgestossen anderseits hingezogen, und beides die Ahnung eines Höhern und das Bewusstsein eines Äusserlichen ist noch nicht geschieden, die Prosa der Geschiedenheit ist erst ein späteres. | Zunächst ist die unmittelbare Natur, das worin der Mensch das Bedürfniß des Geistes ahnet und die Befriedigung sucht. das erste Product ist eine Religion die nur eine Verehrung der Naturkörper als solcher ist, noch keine symbolische. Es ist eine Gährung, ein Zwiespalt, denn das Höhere wird im Natürlichen gesucht. die Einheit des Anschauns der endlichen Natur und des Wissens des Allgemeinen ist das Nächste Erste Unmittelbare. Ei-

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1 zusammen] Kr: zusammen, und er ist eben dieser, daß die Völker auf dieser Stufe noch keine andre Weise der Exposition ihrer Vorstellungen haben, als die bildliche 3 ihre Betrachtungsweise … verschieden] Kr: eine andre Betrachtungsweise und mit dieser auch eine andre Darstellungsweise vorhanden 3–4 in der … und] Kr: diese Aeußerlichkeit der Naturgegenstände, 6 in] 25 Kr: in seiner Wirklichkeit, in seiner Vorstellungsweise noch in 8 absoluten] Kr: absolut wahrhaften 9 Individuums] Kr: Inhalts 12 er] Kr: so verhält er sich als denkendes zu den natürlichen Gegenständen, er 13 Gedanken] Kr: Gedanken, das Gesetz 13–14 er ist … hingezogen] Kr: Auf diese Weise, da sie ihm, als ein noch nicht Begriffenes, noch fern stehen, ist er einerseits von der Natur abgestoßen, es ist für ihn ein Unbegriffenes, damit Fremdes darin vorhanden; an- 30 drerseits liegt es aber als ein Bedürfniß in seiner geistigen Natur, die äussere umgebende nach ihrer Wesenhaftigkeit zu begreifen, ihren Begriff zu fassen, und so fühlt er sich auch zugleich wieder zu ihr hingezogen 15–16 die Prosa … späteres] Kr: sondern das Bewusstseyn ist von der Ahndung eines Höhern selbst durchdrungen. Erst mit der Prosa hat sich der Mensch eine höhere geistige Welt erbaut gegen diese unmittelbare | Erde 16 Zunächst] Kr: Zugleich Natur] Kr: Erde 229Kr 17 Bedürfniß des Geistes] Kr: höhere Bedürfniß 18 erste Product] Kr: Produkt dieses ersten Verhältnisses des Menschen zur Natur 18–19 der Naturkörper … solcher] Kr: unmittelbar gegenwärtiger natürlicher Gestaltungen, als solcher, besonders lebendiger, kraftäußernder, wie die Thiere, die Sonne, Feuer 3 von der … Kunst über der Zeile mit Einfügungszeichen; fehlt in Kr 4 Betrachtung] am Rande gestr: 40 Prosa 5 gegen die Unmittelbarkeit über der Zeile mit Einfügungszeichen; fehlt in Kr 18 das] davor unsichere Absatzkennzeichnung 21 Allgemeinen] Allgs

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ne solche Religion kann mythologisch sein, aber noch nicht symbolisch. Gott hat hier noch nicht den wahrhaften Inhalt, sondern den unbestimmten Sinn der allgemeinen substanz des Ganzen, die in allem Endlichen unmittelbar gegenwärtig ist, so daß das Endliche zugleich in sich das Unendliche ist. Für den Begriff Gottes abgeschieden von seiner Existenz bleibt dann die Armut, bloss Macht zu sein. die Erfüllung des Begriffs besteht in dem was die Naturdinge sind, ihr Entstehn Vergehn und ihr Verhältniß. der Inhalt des Göttlichen ist unmittelbar gegenwärtig. Vorhanden also ist der Gedanke noch nicht unabhängig von der Natur, und die darstellung dieses Gedankens keine Producirte, sondern die Naturdinge sind diese darstellung. die Religion der alten Parsen stand auf diesem Standpunkt. Sie ist Pantheïsmus mit der Zurückführung der Mannigfaltigkeit auf eine Einheit die eine Physische ist, das Licht. dieß Licht ist unmittelbar das Göttliche; es ist das Gute; diese Bestimmung aber i s t , existirt sinnlich und natürlich im Licht. das allgemeine Wesen heißt zwar Ormuz aber Ormuz ist das Licht. die Sterne, alles Licht sind Weisen der Erscheinung des Ormuz, so daß er das Gegenwärtige in ihnen ist. diese Vorstellung enthält nichts symbolisches. das Gute i s t unmittelbar selbst das Lichtwesen, Gedanke und Realität sind noch nicht geschieden. So ist alles andere, das | existirt, ein Theil des Lichts, hat Antheil am Licht, alles was Leben hat gehört zu Ormuz Reich, das Licht ist allenthalben, es giebt allen Wesen Glanz, | alle Kraft ist das Licht; das Gute das Wahre jedes Thiers, jedes Menschen ist sein Lichtglanz; der Parse daher ehrt alles Lebendige als die Schöpfung des Ormuz. diese Einheit ist noch nicht symbolisch. Es ziehn sich wohl symbolische Vorstellungen durch, doch nicht als Grundbestimung. Es wird ZB. 3 Ganzen] Kr: Ganzen und dann auch der Substanz des Menschen, – eine allgemeine Macht

25 5–6 seiner Existenz … sein] Kr: der Seite seines daseyns, so bleibt für seinen Begriff nur dieses ganz

Unbestimmte der Gestaltung übrig 8–10 Vorhanden also … darstellung] Kr: In der ersten Reli230Kr gion ist aber noch nicht ein | unabhängiger Gedanke von Gott vorhanden, und auch noch nicht eine bildliche Darstellung, die von Menschen erzeugt wäre, sondern die Gestaltungen des Göttlichen sind die unmittelbaren Naturdinge selbst 11 Mannigfaltigkeit] Kr: Mannichfaltigkeit der 12 Physische] Kr: physische, sinnliche Einheit 13 diese Bestimmung … Licht] Kr: So 30 Natur existirt also hier die Idee auf diese unmittelbar natürliche Weise, welche das Licht ist 14–15 die Sterne, … Licht] Kr: Sonne, Mond und Sterne haben Theil an dieser allgemeinen Substanz, sie 15 Gegenwärtige] Kr: unmittelbar Gegenwärtige, das Physikalische 17 Gedanke und Realität] Kr: der Gedanke, der Begriff und die Realität desselben geschieden] Kr: voneinander 18 existirt] Kr: positiv ist 19 Licht] Kr: Licht, wel35 geschieden, sondern unmittelbare Einheit ches wirksam ist 20 Glanz, alle Kraft] Kr: Glanz und Schein; die Lebendigkeit, die Kraft aller Wesen, 20–21 das Gute … Lichtglanz] Kr: so wie man jetzt auch noch zu sagen pflegt die Lichtseite, d.h. die gute Seite einer Sache. das Thier, wie die Sterne, wie der gute und edle Mensch, Alles erscheint im Glanz dieses Lichtwesens, des Ormuzd 22 des Ormuz] Kr: die Erscheinung Einheit] Kr: Einheit der Vorstellung und des unmittelbaren Dings 40 desselben in den Naturdingen der Natur, diese erste Weise der Religion, 23 nicht als Grundbestimung] Kr: der symbolische Charakter macht noch nicht die Grundbestimmung aus

denn der Gedanke als solcher ist noch nicht frei geworden, sondern das Absolute, indem es im Natürlichen unmittelbar gegenwärtig ist, kein durch den Geist producirtes. Auf diesem Standpunkt ZB. steht die Religion der alten Parsen.

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das symbol tritt erst da ein wo sich die Vorstellung eines Allgemeinen vom besondern der Naturdinge losreißt und diese Allgemeinheit dann sich sinnlich darstellt. Hieher fällt das Aegyptische und Indische Indem der Gehalt hier nur noch allgemeine Vorstellung eines Natürlichen oder als Gedanke nur ein Gewolltes ist, ist die darstellung selbst mangelhaft.

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vorgestellt, daß Ormuz dem Schemschid, dem König des Lichtreichs auf Erden einen dolch gab mit Goldblech. Schemschid erhielt dadurch 300 Theile der Erde, spaltete das Erdreich und sprach: der Genius der Erde freue sich. So wurde sein durchzug Seegen für die Erde. dieß ist symbolisch. die Bedeutung ist: der Ackerbau, das Bild: das Spalten der Erde mit dem dolch. der Ackerbau ist noch kein Geistiges, aber auch kein Natürliches, denn er kommt dem Menschen zu, und ist eine Wirksamkeit des Geistigen, und zwar eine Institution der weitreichendsten Folgen. diese erste Weise nun also kann der Kunst noch nicht vindicirt werden, und das symbolische tritt erst ein, wenn die Vorstellung eines Allgemeinen sich losreisst von der besondern Weise des daseins. dieß Allgemeine höher steigend hat zum wahren Gehalt Geistiges. Setzt sich dieser Inhalt fest gegen das unmittelbare dasein, so tritt das Bedürfniß ein, daß dieser Inhalt auch für den Sinn erscheine. In diese Stufe fällt vornehmlich der grosse Umkreis des Indischen und Aegyptischen. diese Mythologien und die nähern Kunstwerke dieser Länder gehören in das symbolische denn hier ist kein Kunstwerk ein freies, sondern jedes symbolisch, drückt die Gährung zur Kunst aus, die noch nicht existirend ist. Es ist überall ein Gewolltes, das noch nicht der freie Begriff, der Begriff als substantielle subjectivität ist, noch natürlich oder als geistiges nur intendirt ist. Und deshalb ist die darstellung nicht vollkommen, weil die Bedeutung noch nicht den absoluten Gehalt hat. Was nun näher den Inhalt betrifft, der hier vorgestellt wird, so 2 300 Theile] Kr: den 300sten Theil (eine allgemeine Zahl) 3 Erdreich] Kr: Erdreich mit seinem Golddolche u.s.w. sprach] Kr: darauf sprach er das | heilige Wort an das zahme und wilde Vieh und an die Menschen und es liefen hervor Menschen und Thiere u.s.w. 4–5 die Bedeutung … dolch] Kr: Hiermit ist offenbar der Ackerbau, Viehzucht, Jagd gemeint 6 aber auch … Natürliches] Kr: diese Bedeutung ist noch nicht rein geistiger Art, aber der Ackerbau, die Viehzucht u.s.w. sind auch nicht durch die Natur unmittelbar hervorgebracht 8 Folgen] Kr: Folgen auf alle Verhältnisse des Menschen 9 nun also … werden] Kr: der Religion kann noch nicht symbolisch dargestellt werden, enthält noch nicht die erste Form der Kunst in ihrem völligen Karakter 11–12 höher steigend … Geistiges] Kr: kann selbst noch Naturgegenstände zum Inhalt haben, zeigt sie dann aber in einer höhern Steigerung 12 dieser Inhalt] Kr: die Vorstellung vom Allgemeinen 13 daß dieser … erscheine] Kr: diese Vorstellung vom Allge|meinen zu bilden, für den Sinn erscheinend zu machen 14 Stufe] Kr: Bestimmung nun, daß sich die Vorstellung des Allgemeinen für sich fest stellt und sinnliche darstellung fordert und hervorbringt, 15–17 gehören in … ist1] Kr: machen das Gebiet des Symbolischen / Man kann freilich von der indischen wie von der ägyptischen Kunst sagen, daß ihre Werke noch nicht freie Kunstwerke seyen, sondern solche denen noch der verhüllende Schleier des Symbolischen umhängt, die das wahrhaft Göttliche nur in dieser getrübten Weise manifestiren, nur als geahndet, noch nicht im klaren Begriff erfasst. Es ist darin mehr eine Gährung ausgedrückt, die zur Kunst hindrängt, als daß die freie Existenz derselben schon erfolgt wäre 20 vollkommen] Kr: ein dem Begriff Adäquates 20–21 absoluten] Kr: absolut | wahrhaften 2 mit Goldblech über der Zeile mit Einfügungszeichen

19 intendirt] intentirt

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allgemeiner theil · symbolische kunstform 116Ho

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ist er | theils ein grösserer Naturgegenstand, der in eine Vorstellung zusammengefasst wird, in ein Allgemeines. Als Existenz ist solcher Gegenstand manigfach, als allgemeine Vorstellung einfach. Solcher Naturgegenstand kann ein Fluß sein, der Ganges, der Nil, oder abstracter das Jahr und seine Jahreszeiten. dieß sind allgemeine Gegenstände, die dadurch zu Allgemeinem werden, daß sie vorgestellt werden, sodaß jetzt das Bedürfniß eintritt, daß sie sollen als Allgemeines erscheinen. Solche Allgemeinheiten sind ferner die Sonne als das Belebende, der Ackerbau, die Bearbeitung der Metalle. Man könnte auch meinen, daß zu solchen Allgemeinheiten und ihrer darstellung auch ZB. die Ferbers der Parsen gehören, die subjectivität des Menschen, seine allgemeine Wirklichkeit. Man kann aber sagen daß solche allgemeinen Vorstellungen nicht der Art sind, daß sie Gegen stand werden können eines Symbols. denn diese Genien, diese Engel sind ganz derselbe Inhalt als die Individualität selbst, und die subjectivität welche die Weise ist, in welcher solche Genien existiren, existirt schon im Menschen selbst. Es sind also allgemeine Gegenstände, selbst die Natur, ferner abstractere wie Macht, Güte Liebe, die symbolisch dargestellt werden. Ein Hauptkreis der symbolischen Darstellung aber ist das Allgemeine als Proceß als Verandrung nicht als abstracte Vorstellung; die Verandrung, die Dialektik des Lebendigen, Entstehn, Wachsen, untergehn, und Hervorgehn aus dem Tode, Zerstören und Erzeugen: solcher Inhalt ist für die symbolische Form. diese allgemeine Verandrung hat in den besondern Gebieten des daseins eine vielfache | Menge der darstellung. Hier treten die besondern Localitäten ein. Solche Verandrung zeigt der Nil, die Son-

4 Jahreszeiten] Kr: Jahreszeiten, der Wechsel derselben, das Land, das Meer, sind dergleichen Naturgegenstände 6 sodaß jetzt … eintritt] Kr: und darin, getrennt von dem unmittelbar natür6–7 erscheinen] Kr: dargestellt 25 lichen daseyn, festgehalten wird, so tritt auch das Bedürfniß ein werden 7 sind] Kr: sind so allgemeine Vorstellungen, die mit dem Bedürfniß verschwistert sind 8–10 zu solchen … Wirklichkeit] Kr: es zu Vorstellungen eines wirklichen Gegenstandes auf allgemeine Weise gekommen sey, wie z.B. die Parsen von den Ferbers sprechen, wo die allgemeine Wirklichkeit des Menschen herausgehoben und für sich vorgestellt ist. Mit dieser Vorstellung | 11–12 Gegenstand] Kr: Bedeutungen 235Kr hängt dann weiter hin auch die der Engel zusammen 12 Symbols] Kr: Symbols, sie sind nicht von der Art, symbolisirt zu werden Engel] Kr: Ferbers 14 Weise] Kr: Form solche Genien … selbst] Kr: so das Allgemeine gleichfalls existirt, kommt auch den existirenden Individuen bereits zu; das Individuum hat auch die Bestimmung der Individualität, Subjektivität 17 Darstellung] Kr: Vorstellung 17–18 als abstracte Vorstellung;] Kr: 18 die Dialektik … Entstehn] Kr: der Prozeß, der Wechsel 35 ein Gegenstand überhaupt, sondern der Dinge, was durch die Dialektik des Geistigen und Lebendigen hervorgeht: das Entstehen, Zeugen, die Zeugungskraft 19 Hervorgehn aus … Erzeugen] Kr: die Kraft die es herbeiführt für neue Erzeugungen 20 Verandrung] Kr: Veränderung, dieser Naturprozeß, 21 der darstellung] Kr: von Formen in den besonderen Gebieten des daseyns, Weisen die sehr lokal seyn 22 Nil] Kr: Nil, der alljährlich seine Ufer weithin überschwemmt und mit dem zurück40 können gelassenen Schlamm befruchtet 6 Allgemeines] davor gestr: Natürlich diesr; fehlt in Kr

1. der Inhalt kann die allgemeine Vorstellung eines Naturgegenstandes sein.

Um Gegenstand der symbolischen darstellung zu sein muß nicht der ganze Inhalt schon vollständig in seinem Bilde ausgedrükt sein, so daß das Bild die Existenz des Inhalts ist. Ein Hauptinhalt der symbolischen darstellung ist der Proceß überhaupt, sei es eines Natürlichen oder Geistigen.

340

dieser Inhalt zeigt sich in Kosmogonien und Theogonien.

2. die Gestaltung dieses Inhalts im symbolischen ist unvollkommen, weil der Inhalt selbst noch nicht die freie Geistigkeit ist. die Gestaltung ist nicht die unmittelbare Existenz des Inhalts, sondern eine für ihn vom Geist producirte

nachschrift hotho · 1823

ne, die im Winter niedrig steht, im Frühling hoch hinauf steigt, bis sie im Sommer ihren Scheitel erreicht, ihren grössten Seegen spendet oder ihre Verderblichkeit ausübt, und dann wieder herabsinkt[.] | So entstehn die Pflanzen aus ihren Keimen, wachsen, blühn, bringen Frucht, und diese verderbend bringen neue Keime. denselben allgemeinen Proceß stellen die Lebensalter, überhaupt das Leben dar. Ein abstracterer Proceß ist schon der zwischen Hell und dunkel, der von Materie und Geist; das Losreissen des Geistigen vom Natürlichen, das Wiederaufleben im Licht, die Versöhnung im Guten, u.s.f. dieser Proceß fällt auch in die allgemeinen Bestimungen der Verandrung, und hat näher in sich die Bestimung Uebergehn zu sein in den Gegensatz, in die Feindschaft Unterschiedener mit dem drängen der Vereinigung. dieses Uebergehn, zeigt sich in den Allgemeinheiten selbst, in allen grossen elementaren Gegenständen des Geistes und der Natur. Und so erweitert sich die Vorstellung solches Gegensatzes zu Kosmogonien und Theogonien, zu Vorstellungen der Entstehung des Allgemeinen der Welt und des Geistes. dieß sind Kreise der Hauptvorstellungen die geeignet sind Bedeutungen zu symbolischen darstellungen zu sein. Zu diesem Inhalt ist das 2te, daß diese allgemeine Vorstellung gestaltet werde. die Gestalt ist hier zunächst als symbolische unvollkommen, und unvollkommen ist sie, weil diese Gedanken, diese Vorstellungen selbst noch untergeordnet und keine freie Geistigkeit sind. der Inhalt ist noch nicht der freie, wahrhafte. In Ansehung des Bedürfnisses der Gestaltung ergeben sich 2 Gestalten: die eine | die natürlichen Existenzen in denen die Bedeutung vorhanden ist. ZB. die Sonne ist einmal als existirend, dann in ihrer Bedeutung; und ebenso der Nil. das Andre aber ist die vom Geist erfundene Gestalt. Bei dieser zweiten Gestalt können Reste des Unmittelbaren gebraucht 1–3 die im … herabsinkt] Kr: erscheint auch so in einem Wechsel ihrer Wirkung auf die organische Natur der Erde 4 Frucht,] Kr: ihre Frucht zur Reife, die sich ablößt; in der Erde verweset 5–6 denselben allgemeinen … dar] Kr: Alles Leben erscheint in der allgemeinen Form des Prozesses 7 Geist] Kr: Geistigem überhaupt, der im Menschen sich unmittelbar aufthut 8 fällt] Kr: zerfällt 10–11 mit dem … Vereinigung] Kr: die sich aufzulösen drängt, so haben wir diesen Prozeß in der Form der Geschlechtsliebe 11–12 dieses Uebergehn, … Natur] Kr: Nicht nur findet dies Übergehen im daseyn statt, sondern alle diese großen elementarischen Gegenstände | der Natur und des Geistes werden auch gedacht nicht nur als stehende, sondern als solche denen wesentlich Bewegung zukommt 13 solches Gegensatzes] Kr: des Prozesses 14–15 des Allgemeinen … Geistes] Kr: dieser großen Mächte selbst 18 weil] Kr: weil ihre Bedeutung noch auf unvollkommener Vorstellung beruht, 19–20 der Inhalt ist] Kr: diese Gestaltungen können wohl auch geistige Verhältnisse in sich enthalten; diese aber sind nicht nähere Verhältnisse der Veränderung überhaupt, es ist noch nicht die freie Geistigkeit, 21 Gestalten] Kr: Gestaltungen des Symbolischen 21–22 Bedeutung] Kr: Gegenstände 22–23 einmal als … Bedeutung] Kr: und ihre Wirksamkeit eine Gestalt solcher Allgemeinheit der Vorstellung 23 vom] Kr: von der Fantasie, dem 16 diesem Inhalt] (1) diesen (2) (diesem aus diesen) (Inhalt über der Zeile mit Einfügungszeichen eine so Kr; fehlt in Ho

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allgemeiner theil · symbolische kunstform

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werden. der Hauptschmuk der Ceres sind Kornähren, des Bacchus Weinranken, des Flußgottes Schilf und tröpfelndes Haar. Beim symbolischen wird eine 2te Gestalt also gemacht, | aber die Gestalt ist noch nicht frei und unabhängig, sondern es wird irgend eine einzelne existirende Gestalt, oder eine Seite derselben aufgenommen, und ihr eine allgemeine Bedeutung gegeben. das natürliche da-| sein enthält die Bestimung der Bedeutung nur in beschränktem Kreise. das symbolische ist dasein der Bedeutung, in sofern dieses einzelne dasein soll Allgemeinheit haben. das Ei ZB. schließt den Vogel ein. So ist es kein Symbol. Indem aber beim Ei nicht das eingehüllte Leben des einzelnen Vogels sondern die Einhüllung des allgemeinen Lebens gemeint wird, so wird das Ei als Weltei Symbol des göttlichen Begriffs, des Anfangs alles Seins. Bei den Indiern wird ebenso das Glied der Zeugungskraft vorgestellt als die allgemeine Zeugungskraft. Solche unmittelbaren Existenzen können für die allgemeine Vorstellung zu symbolen gebraucht werden. Haben wir das Verhältniß so ausgedrükt, daß die allgemeine Vorstellung das Erste sei, so wäre das Zweite sich nach einer darstellung umzusehn. dieß aber ist der Weg nicht, und das natürliche Bild wird nicht gebraucht als Symbol zu sein, sondern die bildende Phantasie fängt bei dem natürlichen Bilde an, und erweitert dieses zur allgemeinen Bedeutung. der Geist, der nach allgemeinen Vorstellungen sich fort treibt wird unterstützt durch die particuläre Existenz, welche dadurch die Bestimung der allgemeinen Bedeutung gewinnt. der Zusammenhang nun zwischen der natürlichen Gestalt und der Bedeutung als allgemeiner kann manigfach sein, theils äußerlich theils gründlicher, sodaß die Allgemei-

2 Schilf und … Haar] Kr: grünen schilfartigen Barte, zur Erinnerung an seine Bedeutung. / Leben und Untergang u.s.w. haben mannichfache Gestaltungen, jenachdem ihre Erscheinung auf eine partikuläre Weise vorhanden ist 2–3 Beim symbolischen … aber] Kr: Bei zwei Symbolen ist es nun der Fall, daß 3 frei] Kr: freie, wahrhaft eigenthümliche 4 Gestalt] Kr: Gestalt der allgemeinen Vorstellung 6 Kreise] Kr: Daseyn 11 alles Seins] Kr: aller dinge 12 die] Kr: ein Bild der unmittelbaren 13 unmittelbaren Existenzen] Kr: beschränkte Existenzen, die auf eben so beschränkte Weise die allgemeine Bedeutung unmittelbar enthalten, 15 Vorstellung das … sei] Kr: Bedeutung als Erstes für sich festgestellt wäre darstellung] Kr: entsprechenden sinnlichen Existenz, die als Symbol dafür gelten könnte 16 Weg] Kr: Weg auf | dem es entsteht 17 Symbol zu sein] Kr: im eigentlichen Sinn Symbol des allgemeinen Inhalts zu seyn, der wohl auch in ihm ist dem natürlichen Bilde] Kr: der natürlichen Existenz 18 dieses] Kr: die daran geknüpfte Vorstellung 18–20 der Geist, … gewinnt] Kr: die historische Erscheinung des Symbolischen überhaupt bezeichnet, wie schon oben gesagt ist, in der Geschichte des geistigen Bewußtseyns die Stufe, die es eben so nothwendig erreichen als später überschreiten muß, wo der Geist in seinem Innern gährt und seinem dunklen Triebe, das Allgemeine, den Begriff zu erfassen, folgt und in diesem Triebe unterstützt wird durch die Anschauung der partikulären Existenz, die dann ergriffen und zum Symbol gemacht wird, weil diese partikulären Existenzen die allgemeine Bedeutung durch dasselbe erst erhalten 21 der natürlichen Gestalt] Kr: des Symbols 7 einzelne dasein über der Zeile mit Einfügungszeichen

12 Glied über gestr. Bld; Kr: Symbol

die Gestaltung des symbols ist aber ebensowenig die freie des Inhalts selbst, sondern eine natürlich Unmittelbare, welche den allgemeinen Inhalt ausdrüken soll,

der Weg ist aber nicht dieser daß erst die allgemeine Vor stellung vorhanden sei eines Ausdruks bedürftig, sondern die symbolysirende Phantasie fängt von dem Natürlichen an und erweitert diese Existenz zur allgemeinen Vorstellung. der Zusammenhang des Inhalts und seines Ausdruks kann nun mehr oder weniger oberflächlich oder wesentlich und gründlich sein.

342

das leichteste Symbol ist die Zahl, wenn nehmlich die Bedeutung selbst schon eine Zahlenbestimmung an ihr hat.

So sind die 12 Arbeiten des Hercules einerseits Symbol der Monde im Jahr.

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ne Vorstellung auch das Wesentliche der natürlichen Gestalt ist, wie wir dieß beim Ei als Symbol finden. die symbolischen Mythologien fallen hieher und die Gründlichkeit des Zusamenhangs erleichtert das Fassen des symboles sehr. die mannichfaltigsten Existenzen der Mensch selbst sind zu symbolen | benutzt. die vorhandenen Gebilde zu erklären gehört einer Geschichte der Mythologien zu. Es läßt sich viel Bestimmtes darüber angeben, vieles aber bleibt unbestimmt. die Lotusblume ZB ist ein höchst allgemeines symbol. Es wird erklärt, daß weil die Lotusblume im dunkeln ihre Blätter schliesse, beim Aufgang der Sonne sie entfalte, von ihr gesagt wird: sie verehre die Sonne, und daß sie nun als Zeichen gebraucht werde des Gebets überhaupt. Aber anderseits ist sie auch wieder als ein Anderes symbol die Bedeutung der allgemeinen natürlichen Zeugung. – der leichteste Ausdruk des symbolischen ist die Zahl, wenn die Bedeutung selbst eine Zahlbestimung in sich hat. die Zahl 12 und 7 kommt ZB. häufig in | Aegyptischer Baukunst vor, denn die 12 ist die Zahl der Monde, der Füße, welche der Nil bei der Ueberschwemmung übertritt. die Zahl 7 ist die der Planeten. Solche Zahl heisst dann selig in so fern sie eine Zahlbestimung in den großen elementarischen Verhältnissen ist. 12 Stufen, 7 Säulen sind insofern symbolisch. die 12 Arbeiten des Hercules scheinen auch hergekommen zu sein von den 12 Monden des Jahrs, indem Hercules einerseits Heros ist, anderseits aber auch sich zeigt als eine Personification des Sonnenlaufs. Auch in Ansehung des Räumlichen finden solche Symbole statt. Labyrintische Gänge, welche ein Symbol sein sollen der Kreisläufe der Planeten. Auch Tänze in ihren Verschlingungen hatten diesen geheimeren Sinn das symbolische zu sein der Bewegung der großen elementarischen Körper. die vorzüglichste Gestalt für das symbol nun ist die menschliche Gestalt. Sie kann Zeichen sein von Bewegungen der Na|turgegenstände, wie wir

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2 als Symbol] Kr: daß es | der Keim eines Lebendigen ist fallen hieher und] Kr: der alten Völker 241Kr enthalten mannichfache Gestaltungen, denen solcherlei Bedeutung zu Grunde liegt, sie haben mehr oder weniger das Symbolische an sich. 3 das Fassen … sehr] Kr: es, von der Bedeutung die partikuläre Existenz zu finden 4 mannichfaltigsten Existenzen] Kr: Blumen, Pflanzen, Thiere, 6 unbestimmt] Kr: unbestimmt, weil da ein weites Feld ist für die Willkühr, die zufällige 30 Einbildungskraft 7 symbol. Es … erklärt] Kr: Symbol der Indier, wird von Proclus bestimmt im Zusammenhang mit der Sonne: 8–9 sie entfalte] Kr: öffne sie den Kelch, um so mehr je höher sie steige; gegen Sonnenuntergang schließe sie sich wieder 9–10 daß sie … werde] Kr: Auf Altären sieht man sie, als Zeichen des Opfers, 14 Monde] Kr: Monde, der Götter 14–15 welche der … übertritt] Kr: der Anschwellung des Nils über seinen gewöhnlichen Stand, – eine Zahl, die 35 denn überhaupt die Fruchtbarkeit des Jahrs bedeutet 16 selig] Kr: geheiligte 22 Kreisläufe der Planeten] Kr: Bewegung der Himmelskörper, der Sonne und Planeten bedeutet wird, verschlungene Gänge, besonders unter der Erde, als Symbol dieser allgemeinen Bewegung 23 geheimeren] Kr: mystischen 25 von Bewegungen] Kr: zur Bedeutung 7 Lotusblume so Kr; Ho: Lotho’s blume Kr; Ho: Fusse

8 Lotusblume so Kr; Ho: Lothos blume

14 Füße so 40

allgemeiner theil · symbolische kunstform

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schon bemerkten, daß Hercules ein symbol des Sonnenlaufs ist. So ist auch der Nil in menschlicher Gestalt dargestellt, | wie Osiris ein Symbol des Nils ist, und Isis der Erde, das Gebrauchen der menschlichen Gestalt ist überhaupt die Personification und macht den Uebergang zur classischen Kunst, denn die menschliche Gestalt ist für sich schlechthin bedeutend, denn als Gestalt der freien Geistigkeit drückt sie nicht Andres sondern den Geist selbst aus, und ist unwürdig bloße Naturgegenstände zu bezeichnen. Wird sie noch als symbol gebraucht so ist es also eigentlich unter ihrer Würde, und es tritt hier erst recht die Verwirrung ein, denn die menschliche Gestalt ist der Ausdruk selbst des Geistes, der sich in ihr dasein giebt, in ihr bei sich ist. das Sein der menschlichen Gestalt hat keine besondere Bedeutung, sondern ist das von jeder bestimmten symbolischen Bedeutung Freie. die geistige subjectivität steht darüber schon Ausdruk nur e i n e r Bestimung zu sein, die das Innre eines symbols ausmacht. deshalb sind bei der Personification mehr die Äusserungen, die Handlungen, die symbolisch genommen werden können, denn die Handlungen bestehn darin sich eine Bestimung zu geben, ein Besondres sein zu wollen. die Handlung hat ein Intresse, und zwar ein Besondres, und dieses kann Bedeutung sein eines symboles. deswegen sind es die Handlungen eines subjects, die symbolisch können genomen werden, wie die Arbeiten des Hercules. Osiris ist Symbol des Nils, der Sonne; als subject steht er aber als freier Gott da, und nur die verschiedenen Handlungen sind symbolisch ausgelegt. Aber hier tritt dann die Verwirrung ein, daß das subject als solches nicht kann symbolisch sein, sondern nur seine Handlung. damit ist aber dann

1 ein] Kr: in gewissen mythologischen Kreisen allerdings nur als 3 Erde] Kr: Erde, das Land 5 bedeutend] Kr: bedeutend, und zwar die höchste Bedeutung in sich schließend 7 Naturgegenstände] Kr: Naturprozesse 7–8 so ist … es] Kr: einer solchen Bedeutung, die nicht freie Geistigkeit für sich ist, so gehört sie nach dieser Seite zwar noch ins Symbolische, steht aber zugleich damit an der äußersten Grenze desselben, am Übergangspunkt aus der Form der symbolischen in die Form der klassischen Kunst. / Indem die menschliche Gestalt als Symbol gefasst wird, so 9–10 denn die … sich] Kr: daß sie einmal unmittel|bar sich selbst bedeutet und so gefasst werden kann, zugleich aber auch ein Andres, außer ihr, dessen Bedeutung zu seyn, ihr selbst ganz äußerlich angethan 10–12 hat keine … Freie] Kr: als die des geistigen Subjekts, ist für sich selbst bedeutend; sie giebt sich selbst Bedeutung, setzt sich selbst ihre Zwecke u.s.w. Eben dadurch ist ihr Sinn gerade dieser, nicht einen besondern Sinn zu haben, vielmehr der Inbegriff und auch die Freiheit aller Bedeutungen zu seyn. Sie ist also zu gut, zu inhaltreich um nur symbolisch gebraucht werden zu können 12 Ausdruk] Kr: Bedeutung 15 denn] Kr: nicht so wohl das Subjekt selbst als 16 Intresse] Kr: Prinzip 17 eines symboles] Kr: die hier also ausgedrückt ist in der solches. Erscheinung von Handlungen 19 Hercules] Kr: Herkules das Thun der Sonne; nicht aber ist Herkules selbst, als Sub|jekt, das Symbol der Sonne 22 nicht kann … Handlung] Kr: über diese besondere Bedeutung erhaben ist und nur seine besonderen Äußerungen symbolisch gefasst werden können 1 ist1 so Kr; fehlt in Ho

das Gebrauchen der menschlichen Gestalt als Symbol macht schon den Uebergang zur classischen Kunst. denn die menschliche Gestalt ist die sich selbst ausdrükkende subjectivität und kann nicht Ausdruk nur einer Bestimmtheit sein.

daher sind bei der Personification mehr die Handlungen des subjects Ausdruk für eine allgemeine Bedeutung eines symbols. dabei tritt die Verwirrung ein und der Widerspruch der Willkühr des subjects im Handeln und der Consequenz bei einer Reihenfolge eines Symbols, das die Bedeutung des Processes hat.

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durch die Personification, ja durch die symbolik überhaupt wird sehr leicht dieß herbeigeführt, daß die Gestalt nicht als Ausdruk der Bedeutung, sondern als unmittelbare Gestalt als das Göttliche verehrt wird.

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jener Character der subjectiven Willkühr ein Widerspruch gegen die Consequenz, die in einer Reihe symbolischer Handlungen ausgelegt sein soll. die Sonne ZB. die schwach im Winter leuchtet, im Frühling neu geboren hervorbricht, | die dann im Sommer heftig ja zerstörend wirkt und sich wieder im Winter neigt; – dieß ist ein consequenter Verlauf. Ist hingegen das symbol ein subject, so ist darin die Willkühr und Zufälligkeit enthalten, die Möglichkeit nach einer Menge von Seiten hinzugehn, die zunächst nicht die Seiten des symbolischen sind. | diese Seite der Willkühr bringt Handlungen hervor, die nicht der Bedeutung des symbols zukommen. Wir sehn ZB. darstellungen von Göttern in ihren Thaten und situationen. Eine Menge dieser Äußrungen sind symbolisch eine Menge von der Will kühr hervorgebracht. In der Ceres liegt das Verhältniß des Allgemeinen Proceßes des Entstehens und Vergehens. Ein Theil der Geschichte dieser Göttinn kann so erklärt werden. Aber alles was sie ferner thut, dieß kommt ihr als subjectiver Willkühr zu, und gehört nicht mehr dem symbol an. Wir sehn also ein Hinüber und Herübergehn vom symbolischen und Nichtsymbolischen. Bei dieser Personification kommt noch eine dritte Seite herein, daß nehmlich die Verehrung einer natürlichen Gestalt sei es eines Menschen oder Thiers als unmittelbar Göttlichen, sich an das symbolische unmittelbar anschliesst, so daß das Thun des Menschen oder Thiers nicht als symbol sondern als unmittelbar göttlich in seiner Existenz genommen wird. Es ist eine unmittelbare Gestalt und subjectivität in der Personification vereinigt, die symbolisch ist, und es liegt nun sehr nahe, daß nun auch das natürlich Seiende als das Allgemeine genommen wird, wie im

1 Character] Kr: erste Karakter der Freiheit, 2 Handlungen ausgelegt … soll.] Kr: Darstellungen seyn soll. die abstrakte Bedeutung ist eine bestimmte Reihe von einzelnen Momenten; wie 4 heftig ja … neigt] Kr: endlich zur höchsten Wirksamkeit steigt, die selbst zerstörend seyn kann, im Herbste aber wieder allmählig abnimmt und bis zu dem ersten schwachen Grad des Winters zurückkehrt 5 consequenter] Kr: ganz bestimmter, naturgesetzlicher 8 Handlungen hervor] Kr: Bestimmungen herein, die der Gestalt als solcher zukommen 9 Wir] Kr: diese Mischung von immanenten, eigenthümlichen Bestimmungen und Bedeutungen der Gestalt selbst, als solcher, mit der Bedeutung von Anderem, ist überhaupt im Symbolischen vorhanden, besonders aber und im höchsten Grad in der symbolisch gebrauchten menschlichen Gestalt, welcher es hauptsächlich und wesentlich zukommt für sich zu gelten, n u r sich selbst zu bedeuten, nicht n u r Bedeutung eines Andern zu seyn, das nicht sie selber ist. / Wir 10–11 von der … hervorgebracht] Kr: nur der besondren Gestalt zukommen und sich nach einer ganz andren Seite hin verhalten 11 Ceres] Kr: Ceres Verhältniß zur Proserpina 13 werden] Kr: werden, daß nur auf diese allgemeinen Relationen hingedeutet wird 14 gehört nicht … an] Kr: ist nicht mehr rein symbolisch; es kommen da Bestimmungen herein, die | für die eigentliche Bedeutung etwas ganz Zufälliges sind 17 Menschen] Kr: wirklich gegenwärtigen Menschen 18 das Thun] Kr: Existenz und deren Thun 20 Es ist] Kr: Beide Bestimmungen sind da vorhanden, 22 Allgemeine] Kr: allgemeine Subjekt 4 im über gestr. jedn

im Winter über der Zeile mit Einfügungszeichen

38 deren] dessen

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allgemeiner theil · symbolische kunstform

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Lama-dienst und Bramadienst. der indische Pantheïsmus, der alles Lebendige als göttlich fasst, ist besonders geneigt, Thiere und Menschen, weil sie subjectivität sind, der Lebendigkeit zugehören als denkender, als eine höhere, allgemeine Macht zu verehren. Zum symbolischen tritt also dieß dritte, | die Unmittelbarkeit der Gestalt wird als göttlich verehrt. das Erste also ist die Personification, das 2te ihre zufällige Seite der Äußerung und drittens die unmittelbare Verehrung. Besonders im Indischen finden wir dieses wilde Gemisch, außerdem, daß noch andere Naturgestalten ausser der menschlichen zum symbolischen benutzt werden. In äußerlichen abstracten Naturgestalten, die über ihr Unmittelbares erweitert werden, geschieht nun dieß, daß sie in’s Ungeheure, in’s Maasslose getrieben werden, in crasse Bilder. Hier tritt die Grösse überhaupt ein, der Gestalt, der Anzahl nach. Ausserdem sind es Personen, die zu Grunde des symbols liegen. dann aber zugleich sind sie über ihre Bedeutung zugleich fort. Im Indischen macht der Sonnendienst die Grundlage, und eine Menge symbole für die Sonne und ihre Wirkungen finden sich daher in dieser Poesie. denn der Proceß überhaupt der Verandrung, und des Sinnlichen zur abstraction des Geistigen, diese Bedeutungen liegen einer Menge indischer darstellungen zu Grunde. die Bedeutungen sind hier | verwirrt, und die menschliche Gestalt, die sich nicht selbst darstellt, ist verzerrt, erweitert, in’s Maaßlose getrieben. der Sinn der indischen darstellung bewegt sie in’s Ungeheure hin, die Gestalt als solche genügt nicht, sich selbst darzustellen, deshalb indem sie ihre Allgemeine Bedeutung ausser ihr hat, sucht sie diese über sich selbst hinausgehend, zu erreichen. Eine Gestalt mit 3 Köpfen deutet auf die dreieinigkeit hin. Brahma ist das Abstracte Wesen, Schiwah das Negative, Wischnu das Erhaltende. Aber die Bedeutungen sind nicht fest, Schiwah ist dann wieder Berg und Fluß und vieles Andre; | dazwischen

1 Bramadienst] Kr: Thierdienst, Braminendienst 2 sie subjectivität] Kr: es wirkliche Subjekte 3 als denkender] Kr: in der Bestimmung des Allgemeinen zu nehmen, dieses zu verehren als ein 7 Indischen] Kr: indische Fantasie, Poesie u.s.w. 9–10 über ihr … werden] Kr: 248Kr Um|fassendes in besonderer Bedeutung genommen werden können 11 in crasse Bilder] Kr: das Ei wird zum 14 der] Kr: nach der Angabe der bessern Kenner der Veda’s, vornämlich der 30 Weltei und dergl. 15 Poesie] Kr: Mythologie 15–16 der Proceß … Geistigen] Kr: solcher allgemeiner Gedanken, wie Zusammenhang, Entstehen, Vergehen, die Erhebung des Menschen, des Geistigen über das Sinnliche, Materielle 17–18 die Bedeutungen] Kr: aber Subjektivität und Personifikation 18 verwirrt] Kr: ineinander verwirrt 18–19 Gestalt, die … darstellt] Kr: Gestalt ist noch nicht 21–22 sie ihre … erreichen] Kr: der Sinn erkennbar 35 so weit verehrt, daß sie sich selbst vorstelle seyn soll: daß die Gestalt mehr bedeute als es in ihrer einfachen Unmittelbarkeit liegt 22–23 Eine Gestalt … Brahma] Kr: So haben die Indier Götter mit vielen Köpfen, Armen u.s.w., besonders kommen dreiköpfige Gestaltungen häufig vor. die drei Köpfe spielen auf die Bestimmung an, die wir in der christlichen Religion haben: Bruma 24 Negative] Kr: zerstörende, negative 25 Berg 40 und … Andre] Kr: Person außer dem, daß er diese abstrakte allgemeine Macht ist

Abstracte Naturgestalten indem sie sollen Ausdruk einer allgemeinen Vorstellung sein, werden in’s Maaßlose getrieben.

Ebenso ist es mit der menschlichen Gestalt wenn sie als Ausdruk des symbols gebraucht wird.

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tritt dann die Verehrung des Unmittelbaren ein, die Verehrung der Braminen, die an und für sich als Gott als zwiegeborener ausgesprochen sind. die andern Indier suchen durch die grössten Büssungen Brahm zu werden, | die Tibetaner haben dagegen nur e i n e n Lahma, die Indier haben unendlich viele Götter als gegenwärtige. Auch Thiere werden verehrt, Affen und Kühe. Hier ist dann kein symbolisches sondern die Gestalt selbst ist das Göttliche. Zuletzt läuft dann zwischen dem symbolischen noch das ganz gewöhnliche Menschliche. diese Poesie ist so der Inbegriff der Verwirrung. die Einleitung ZB. in den Ramajona fängt damit an, daß der dichter in tiefe Betrachtung versunken sei Bruhma geworden. vom Bruhma wird dann gesagt, er selbst wäre gekommen, den Weisen zu betrachten. Jener erblickt den Bruhma giebt ihm einen Stuhl, bringt ihm Wasser. der Gott setzt sich und nöthigt dann auch seinen Wirth zum Niedersitzen. Sie sitzen lange bis dem dichter der Bruhma sagt, er solle das Gedicht schreiben. der dichter aber sagt, er könne nicht, denn er sei betrübt über den Tod eines Vogels. So läuft alles durcheinander. Ein Hauptgegenstand ist immer die grosse Macht und tiefe Betrachtung und Büssung der Braminen. In der Sakontala ist auch dieser Character, daß das ganz Prosaïsche mit dem Schönsten abwechselt. Ferner wissen wir vom | König er sei nur ein gewöhnlicher Mensch, dann ist er aber auch wieder eine Incarnation. dann ist das Verhältniß zur Sakontala wieder rein prosaisch, dann können wir wieder etwas symbolisches darin sehn. Es ist der stete Wechsel des ganz phantastischen und des Lieblichsten. Alle Bestimmtheit ist

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1–2 der Braminen, … sind] Kr: von Thieren und auch von Menschen. der Dalailama ist nicht bei den Indiern, aber jeder Bramine ist ein Wiedergeborner und wird von den Indiern als Gott verehrt 2–3 die andern … suchen] Kr: dieses Vorrecht gleichsam, als unmittelbar Göttliches verehrt zu werden, was die Braminen durch Kaste, Geburt haben, suchen die Andern 6 selbst] 25 Kr: der Natur, das Thier selbst in seiner Unmittelbarkeit 15 Ein Hauptgegenstand] Kr: hier ist Bruma dem in tiefen Betrachtungen Versunkenen selbst erschienen, und zwar mit 4 Gesichtern. diese Gestalt ist hier Symbol, aber auch wieder die Gestalt selbst; denn dem Bruma werden die gewöhnlichen Höflichkeiten erwiesen und nachdem er sich mit dem dichter unterhalten, verschwindet er wieder. Eine Hauptvorstellung in diesem Gedicht 16 tiefe Betrachtung] Kr: in sich 30 gekehrte Betrachtung, die Zurückgezogenheit 16–17 In der … Schönsten] Kr: die Sakontala ist eins der lieblichsten Gedichte der Indier, worin Prosaisches und Poetisches 18 König] Kr: Held des Stücks 19 wieder1] Kr: als Krischna, als 21–347,2 des ganz … Plattheit] Kr: von vollkommen verrückt und leer Fantastischem und dem Symbolischen, dann wieder der schönsten Lieblichkeit der Naturanschauung, führt zu einem ganz seltsamen, abenteuerlichen Zusammenhang. Ein 35 bestimmter Karakter ist da nicht vorhanden, aber eine Fülle von Pracht und aller Herrlichkeit, ein Aufschwung zum Erhabensten und gleich dabei wieder das Hinabsinken ins Allergemeinste. diese ausschweifende Fantasie, die in den indischen Poesien sich bäumt und sinkt, die das Kleinste zum Ungeheuern ausdehnt, und das Grösste, Erhabenste so zu sagen auf die Nasenspitze wieder redu9 dichter über gestr. Held; Kr: Verfasser 12 zum Niedersitzen über der Zeile mit Einfügungs- 40 zeichen 16 Sakontala so Kr; Ho: Sacantola 18 Mensch] Mschh 19 Sakontala so Kr; Ho: Sacantola

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verwischt, alles verschwindet; einerseits ist | die grösste Erhabenheit und anderseits die größte Plattheit. das Erhabene ist vom Schönen wohl zu unterscheiden. In dem Erhabenen repraesentirt die Gestalt eine allgemeine Vorstellung. diese Gestalt aber ist über ihr Maaß gezogen und ist gesetzt, den Inhalt nicht zu erreichen. das Erhabene enthält immer ein Nichtadaequates, welches zur Erscheinung kommt, sodaß bemerklich gemacht ist, der Ausdruk erreiche den Inhalt nicht. So ist es ZB mit der Ewigkeit. Ihre Vorstellung wird erhaben, wenn die Zeit sie ausdrüken soll, sodaß die Bestimungen der Zeit wieder müssen als unfähig ausgesagt werden den Inhalt zu erreichen. So ist von Gott ausgesagt: 1000 Jahr sind dir ein Tag. die symbolischen darstelungen also sind wohl erhaben aber nicht schön, denn es wechselt in ihnen das Erhabene und Platte. das aegyptische Symbol geht schon weiter als das Indische. Wir wollen es in Betreff auf den Uebergang vom symbol zum Schönen betrachten. Es kommt auf 2 Bestimungen in dieser Rücksicht an. Was dem classischen als Bedeutung zu Grunde liegt ist die Geistigkeit überhaupt, deren | Character subjective Totalität ist, welcher alle besondern Bestimungen unterworfen sind, welche sie als ideelle enthält. Es sind

zirt, ist der Natur des indischen Landes vergleichbar, das in seiner Bildung wie in seinen Erzeugnissen den höchsten Ausdruck der Naturmacht an sich hat: die Gebirge im Norden, die großen Thalebnen, die mächtigen Ströme, das davor hinausrauschende Meer, die Gluth der Sonne und die ganze Ueppigkeit der tropischen Vegetation, – dies | Alles, hinzugerechnet die reiche Thierwelt, worin die Kolossen, die gewaltigsten reißenden Thiere, die scheußlichen Bestien, als Krokodile, Schlangen, dann wieder das Gewimmel von Affen und Vögeln, – dies Alles zusammen also wie gesagt, macht den natürlichen Boden jener indischen Fantasie aus und diese ist gleichsam als sein ganz gemäßes Erzeugniß zu betrachten, das nicht leicht wo anders zur indischen Breite der Entfaltung hätte gelangen können. der Mensch erliegt da so zu sagen diesem übermächtigen Andringen der Natur; er muß sich ganz aus ihr herausziehen um sich zu sammeln, sich ihr gegenüber zu fassen, und so erscheint sie nun vor ihm als dies ungeheure Bild, wie es sich ihm in dieser Zurückgezogenheit darstellt und es seine Fantasie ins Maaßlose, Ungeheure erweitert. Sich selber so in diesem Gegensatz zu fassen, dies ist zunächst der Grund solcher Nebeneinanderstellungen des Erhabensten in Gedanken und Bildern, mit dem ganz Vereinzelten, der einfachen Existenz, dem Allergemeinsten 3 In dem … Vorstellung] Kr: das Erhabene setzte einen allgemeinen | Gedanken und eine Gestalt voraus; es entsteht dadurch, daß die Vorstellung durch die Gestalt bildlich erscheint 4 ist gesetzt, … erreichen] Kr: wieder heruntergesetzt wird gegen den Inhalt, den sie ausdrücken soll 5–6 das Erhabene … kommt] Kr: Das Symbolische enthält immer ein Nichtadäquates in sich, und wenn dies Nichtadäquate zur Erscheinung kommt, so ist das Erhabne gesetzt 7 Ewigkeit] Kr: Ewigkeit, dieser einfache Begriff 10 darstelungen] Kr: darstellungen der Indier 11 und Platte] Kr: dann wieder mit Abgeschmacktem und ganz Gemeinem 11–12 das aegyptische … Indische] Kr: die aegyptische Symbolik ist eine weitergehende Weise und sie ist die nächste Stufe zum Klassischen 12–13 Wir wollen … betrachten] Kr: Hier ist der Uebergang vom Symbol zur Klassischen Kunstschöpfung besonders vorhanden und bezeichnet in mancher Verwandtschaft 14 classischen] Kr: Klassischen, so in der historischen Entwickelungsfolge, 16 welche sie … enthält] Kr: wo also nicht eine besondere Bestimmung dies zu Grunde liegende ist 2 Plattheit] Platte

9 zu] davor gestr: nicht

die symbolische Form überhaupt ist die der Erhabenheit, welche darin besteht, daß ausgedrükt ist, die Gestalt vermöge nicht die ganze Bedeutung auszudrüken. das Erhabene ist aber nicht das Schöne.

den Uebergang zum Schönen oder der classischen Kunst macht das aegyptische Symbol, und zwar dadurch, daß es als Symbol:

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1. Ein ganzes von Symbolen ausmacht, so daß einmal was Bedeutung war, Ausdruk wird und umgekehrt.

Beispiel am Osiris: als Symbol der Sonne, des Nils und des allgemeinen Processes alles Lebendigen.

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nun in Beziehung auf diesen Begriff 2 Bestimungen, die beim Aegyptischen den Uebergang in sich enthalten. die eine Beziehung ist, daß bei den Aegyptern stattfindet eine Vermischung der Verbindungen und des symbolischen. daß ein Symbol ein Ganzes ist von symbolen, sodaß was einmal Bedeutung ist wieder Gestalt wird einer Bedeutung. Bei den Aegyptern kommen besondere Gottheiten vor, Idole Götzen, obgleich wir noch über Vieles sehr im Unklaren sind. Aber eine Seite ist bei ihnen ausgezeichnet, und dieses ist die genannte, die Vielbedeutung ihrer Symbole, und | die Verknüpfung des symbolischen auf verschiedne Weise, was der subjectivität schon zuläuft, die nach so vielen Richtungen hin sich zu richten vermag. Bei den Aegyptischen sind Bedeutungen und Gestalten durcheinandergeschlungen. dieß erschwert die Erklärung der Gebilde, aber es ist das Vorzügliche dieser Gebilde, vieles in der That zu bezeichnen oder auf vieles anzuspielen. So vereint Osiris in sich einmal die Bedeutung des Sonnenlaufes, seine Geschichte ist ein symbol des Geborenwerdens Steigens und Verschwindens der Sonne. dieses ist die Bedeutung des Osiris. Aber nebenbei ist er auch wieder der Nil in diesem leeren Kreislauf der Verandrung. Wenn nun so der Proceß der Sonne und des Nils die Bedeutung ist, | so ist es dann selbst nur wieder Symbol des allgemeinen Processes alles Endlichen überhaupt. das Allgemeinere ist in sich derselbe Proceß und er hebt sich aus diesen verschiedenen Bedeutungen des Osi-

2 Uebergang] Kr: Übergang zu jenem Ziele vorbereitend 3 Verbindungen] Kr: Bedeutung daß] Kr: daß z.B. Osiris 4 symbolen] Kr: Bedeutungen 4–5 Gestalt wird … Bedeutung] Kr: nur als Gestalt genommen werden kann und eine weitere Bedeutung hat 9–11 zuläuft, die … durcheinandergeschlungen] Kr: zugehört; der menschliche Karakter ist eben nicht eine Eigenschaft, sondern ein Reichthum eine Vielheit von Eigenschaften u.s.w. das Symbol in seiner unmittelbaren Weise hat die besondere Bedeutung, vereinzelt; beim aegyptischen dagegen sehen wir diese | vielfache Bedeutung des Symbols 11 die Erklärung … Gebilde] Kr: das Studium der Symbole dieses Volks 13 sich] Kr: seinen Attributen 13–15 des Sonnenlaufes, … Sonne] Kr: der Sonne und des Sonnenlaufs, nicht der Sonne etwa abstrakt, sondern dieser ganzen Revolution, dieses Prozeßes, den sie durch Licht und Wärme auf der Erde hervorbringt, des Verschwindens und Wiedererscheinens, des ganzen Kreislaufs des Endlichen überhaupt. da ist also die Sonne als Bedeutung genommen für diesen ganzen Reichthum, diese Mannichfaltigkeit von Erscheinungen 15–16 ist er … Verandrung] Kr: vereinigt sich mit Osiris auch die Bedeutung des Nil’s, des Kreislaufs von Veränderungen die sein Wachsthum, Überschwemmen und Befruchten des Landes hervorbringt; dies ist also auch mehr, als die bloße Bedeutung des Flusses, wie er still und wirkungslos in seinem engen Bette dem Meer zufließt und dort verschwindet 16 der] Kr: der Planeten durch die 17–18 des allgemeinen Processes] Kr: von dem höhern allgemeinen Schicksal des Menschen und aller andern 19 derselbe Proceß … er] Kr: nicht ein Abstraktum, sondern es enthält diesen Prozeß, diesen Kreislauf von zusammenhängenden Erscheinungen, das Allgemeine 3 daß so Kr; Ho: das 15 Sonne] folgt gestr: u alles von der Sonne Beschienenen scheinens] Wierderersheinens

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ris selbst heraus, die dann heruntergesetzt sind zu symbolen Gestalten des Allgemeinen. Osiris erscheint dann auch als Richter der Unterwelt; damit ist er in ein andres Reich als das Natürliche hinübergespielt. In den Aegyptischen Gebilden finden wir dann auch die seltsame Vermischung des Menschlichen und Thierischen. die Thiere gelten einerseits in ihrer Unmittelbarkeit, der Apis, die Hunde, Katzen, u m. Andre. Aber es bleibt bei diesem Thierdienst nicht stehn. Bei dem eigentlichen Thier|dienst gilt die wirkliche Lebendigkeit des Thiers als Gott. Es ist keine Trennung des Unmittelbaren und einer allgemeinen höhern Bedeutung gesetzt, sondern die Existenz ist das Göttliche unmittelbar. Bei den Aegyptern ist aber die Thiergestalt auch zum Symbol herabgesetzt. Thiermasken sind auf menschliche Gestalten geheftet als blosse Bilder der Bezeichnung, nicht im unmittelbaren Gelten. Thiere haben wieder menschliche Köpfe, Thierleiber menschliche Glieder, und umgekehrt. | diese Verbindung vielfacher Bilder und Gestalten ist die 1ste Seite, die der reichen in sich vielfachen und in der Manigfaltigkeit einfachen subjectivität zuläuft – die 2te Seite, die hier zur Sprache zu kommen hat, ist die Anschauung eines Todtenreiches überhaupt. Es ist ein Reich der Sonne, der Erde des Staates in der aegyptischen Phantasie. Aber ausser diesem irdischen Reich giebt es ein Reich des Todes, ein unterirdisches Reich. die Aegypter verschafften den Todten eine dauer, sorgten für eine perenirende dauer. der Tod hat sich ihnen als ein selbstständiges ausgebildet, mit einem Gericht, wo Osiris nicht mehr das unmittelbare dasein ist, sondern auch das Negative dieses daseins, der Herr des Unterreichs. die Aegypter haben eine doppelte Architectur,

2 Richter] Kr: Herr 5–6 die Thiere … Katzen] Kr: die alten Aegypter hatten eine unmittelbare Thierverehrung wie die Indier; z.B. die Verehrung des Apis, der Katze, des Ichneumon, des Ibis, 6 Aber] Kr: diese Thierdienste sind mehr oder weniger lokal; 25 in der unmittelbaren Naturgestalt aber 9 die Existenz … unmittelbar] Kr: ist das Göttliche darin in seiner unmittelbaren Existenz 11 Bilder der Bezeichnung] Kr: Bilder wodurch etwas bezeichnet wird; sie kommen in vielfacher Zusammensetzung vor 15–16 die 2te … die] Kr: Ein Anderes, das bei den Aegyptern ganz vornämlich von Interesse ist, ist ihre 16–17 Es ist … Sonne] Kr: das eine Reich ist das des 18 Todes] Kr: Innern, ein Schatten- und Todenreich 30 Lebens, der Erde, des Lichts, der Wärme 19 verschafften den … dauer2 ] Kr: haben die Toden verehrt, sie haben ihnen durch das Einbalsa258Kr miren eine lange Dauer verschafft, die wir in unsern Tagen noch | bewundern können, weil das Verfahren dabei sehr sorgfältig, mühsam und bei Vornehmern und Reichen auch kostspielig gewesen ist. Ein bloß ehrliches Begräbniß, wo der Tode der Verwesung hingegeben wird, wäre ihnen 20 der Tod … ausgebildet] Kr: das Tode, vom Leben Abgeschiedene hat 35 ein Greuel gewesen sich bei ihnen also zu einem Reiche erweitert 21 das unmittelbare dasein] Kr: nur diese Naturbedeutung, diese Bedeutung des unmittelbaren daseyns auch] Kr: auch die Bedeutung des Andern, 22 des Unterreichs] Kr: im unsichtbaren Reich eine doppelte Architectur,] Kr: diese unermesslichen Paläste, Tempel sowohl 40 22 Herr aus Herrschaft; Kr: Herrscher

Ferner an der Vermischung vielfacher Gestalten.

2. die Vorstellung eintritt eines Todtenreiches ausser dem Reiche der Lebendigkeit.

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Es liegt nehmlich hierin das sich Abtrennen des Geistigen und Natürlichen.

Aber die Existenz des Geistigen ist hier nur in der Negation des Natürlichen als abstracter Negation als Tod Aber dieß Geisterreich ist selbst ein in sich concretes; das Concrete ist aber in der Form des Todes, nicht der freien lebendigen Geistigkeit.

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über und unter der Erde. die Aegyptischen Pyramiden sind berühmt und ihre Bestimung ist Gehäuse für die Todten zu sein. Es ist bekannt, daß sie nur diesen Zweck haben; es sind Königsgräber. Herodot sagt von den Aegyptern sie seien die Ersten, welche Unsterblichkeit der Seele lehrten. Bei ihnen kam die Lösung des Natürlichen vom Geistigen zuerst vor, das eine Selbständigkeit erhielt. die Unsterblichkeit der Seele liegt der Freiheit des Geists ganz nahe, indem das Ich sich hält als für sich beruhend, der Natürlichkeit entnommen. das Prinzip der Freiheit ist das Sich-Wissen. diese Anschauung ist es, die in der aegyptischen Vor stellungsweise sich festsetzt. Es ist nicht zu sagen, daß die Aegypter zur Freiheit seien des Geistes gekommen. Aber sie hatten schon die Anschauung | des Geistigen, es ward ein Reich des Geistes, aber ein Reich zunächst der leeren Abstraction des Natürlichen, ein Reich des Todes. Zu bemerken ist noch, daß dieß Reich | aber keine Anschauung des abstract Negativen war, sondern es ist ein Concretes der Seele. der Indier erhebt sich nur zu dieser abstraction der leeren Negation. Ein Bruhma der Indier kommt bei den Aegyptern nicht vor, sondern das Unsichtbare hat concrete Bedeutung, Seelen kommt die Fortdauer zu; es ist ein Reich abgeschiedener Geister. dieß Fixiren des concreten Unsichtbaren gegen die unmittelbare Äusserlichkeit macht den Uebergang des Bewußtseins zu seiner Befreiung. die Aegypter sind bis an die Schwelle des Reichs der Freiheit gekommen. die Indier gehn auch über die Natürlichkeit hinaus aber gelangen 1–2 die Aegyptischen … sein] Kr: beim Anblick ihrer Pyramiden, die ein so tief verschlossenes Innere bergen, liegt die Vermuthung sehr nahe, daß sie ein künstliches Abbild des unsichtbaren, dunkeln Schatten- und Todenreichs mögen dargestellt haben. das sogenannte Labyrinth hat viele tausend Zellen und Gemächer über und unter der Erde. In den Pyramiden hat man auch noch in neuerer Zeit Sarko|phage gefunden, was die Vermuthung über ihre Bestimmung, als ungeheuere, aller Zerstörung trotzende Schutzgehäuse für die Verstorbenen, bestärkt 5 Geistigen] Kr: Unsichtbare, Geistige das eine Selbständigkeit] Kr: so daß es für die Vorstellung ein fortdauerndes selbstständiges Bestehen 6 liegt] Kr: liegt der nächsten Stufe, Ich] Kr: Ich, das Freie, Geistige 8 ist das Sich-Wissen] Kr: des Menschen liegt eben in dieser Abstraktion, sich in sich unterschieden zu wissen von dem, was natürlich ist, von diesem Schein der unmittelbaren Natur 10 gekommen] Kr: gelangt, dies beweist ihr Staat, ihre Religion 10–11 des Geistigen, … Geistes] Kr: von dem, was wir Selbstständigkeit der Seele nennen, sie haben, so zu sagen, das Reich der abgeschiedenen Geister entdeckt, und diese große Trennung, wenn gleich in ungenügender Vorstellung, festgehalten 11 Reich] Kr: Reich des Unsichtbaren 13–14 aber keine … Seele] Kr: ist wohl bevölkert, hat aber keinen weitern Inhalt als das, was wir Seele nennen, diese concrete Subjektivität 15 kommt bei … sondern] Kr: ist auch das Abstrakte, aber nur das Abstrakte seiner selbst. dahin gelangt der Mensch, wenn er bei dieser ganz abstrakten Leerheit der Anschauung seiner selbst stehen bleibt. dagegen sehen wir bei den Aegyptern vielmehr 18 die unmittelbare Äusserlichkeit] Kr: das unmittelbar Natürliche 18–19 des Bewußtseins … Befreiung] Kr: aus, daß das Bewußtseyn sich als freies erfaßt, losgebunden aus der Unmittelbarkeit der Existenz, frei von dem nur natürlichen Verhalten zum | unmittelbar Natürlichen 19–20 Schwelle des … gekommen] Kr: Quelle gekommen wo das Verweilen in der Natur Statt findet, und wo dann darüber hinausgegangen wird zum Geistigen

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nur zum abstracten Extrem des Negativen. Bei den Aegyptern sehn wir die Feststellung der subjectivität in der Bestimung des Abgeschiedenen Geistes, der nicht als freier seine Gestalt gewinnt, sondern im Gehäuse der Pyramide ruht, das er nicht durchdringt; nicht bewegt. Auf der symbolischen Seite sehn wir die gewaltsame, manigfache Verbindung. der Uebergang zur classischen Welt ist uns in einem symbol des symbolischen selbst dargestellt, in einem griechischen Mythos. das symbol ist das Gestaltete überhaupt, das eine Bedeutung hat. Es kann für sich in seiner Gestalt schon befriedigen, aber es kann auch eine Bedeutung haben sollen, diß muß dann an der Gestalt näher bezeichnet sein, damit wir bemerken, daß wir weiter gehn sollen zu einer allgemeinen Vorstellung. dieß ist besonders in den aegyptischen darstellungen, die sich als Aufgaben zeigen. die unmittelbare Gestalt ist nicht für sich geltend, sondern mit Fremdem verknüpft. Was die Bedeutung sei, kann zum Theil für uns klar sein wie für die, welche die symbole hatten. Aber es konnte auch nur ein Versuch sein der Explication im Sinne sich deutlich zu werden. die aegyptischen arbeiten enthalten implicites, sind nicht

1 des Negativen] Kr: zu Bruma 3 freier seine] Kr: abgeschiedener freier, zugleich auch seine eigenthümliche im] Kr: in dieser Verschlossenheit liegt, wie im tiefen dunklen Pyramide] Kr: Pyramide, die keinen Eingang zu haben scheint 4–5 die gewaltsame, … Verbindung] Kr: das Gewaltsame in Gestaltung und Verbindung, ungeheure Kolossen von Bauten, bei deren Anblick man die Frage nach einem menschlichen Zweck muß fallen lassen; auch die Gestalten ihrer Gottheiten sind zum Theil von ungeheurer Größe, aber auch wieder ganz klein, aus künstlicher Masse in allerhand Farben gemacht und an einer Halsschnur wie zur Zierde tragbar; besonders aber sind an den | meisten dieser Bildwerke die seltsamen Vermischungen von Fremdartigem zu bemerken, von Menschlichem und Thierischem. Auch sind ihre Götter vielfach mit Werkzeugen und Geräthschaften abgebildet, die auf die Eigenthümlichkeiten des Landes und seinen Anbau Bezug haben, wobei natürlich der einflußreiche Nil ganz besonders bedacht wird 6 Mythos] Kr: Mythus selbst vorgestellt, – die Sphinx, die das Räthsel zu lösen aufgiebt 7 hat] Kr: hat, die aber nicht unmittelbar aus der Gestaltung selbst zu erkennen ist, sondern nur aus besondern Zeichen, Attributen die von Außen drangebracht werden; so der Nilschlüssel, der Nilmesser und die mancherlei Geräthschaften, die besonders dem Volke, das sich deren bediente, auch in ihrer Abbildung erkennbar seyn mußten, dem also auch das dadurch bedeutete sehr leicht verständlich war 7–9 Es kann … sollen] Kr: die Gestaltung kann befriedigen | in ihrem blossen Anschauen, und mag dann Bedeutung haben oder nicht 10 wir weiter … Vorstellung] Kr: es nicht bei dieser äußern An11–12 die unmittelbare … verknüpft] Kr: sie verlangen es, eine Bedeutung in schauung bleibt ihnen aufzusuchen, da ihre unmittelbare Gestalt auf einer so untergeordneten Stufe der Ausbildung steht, daß sie uns für sich nicht befriedigen kann; sie ist verzerrt, scheint wie absichtlich den natürlichen Vorbildern zu widersprechen und enthält daneben diese seltsame Verknüpfung von fremdartigen Theilen zu einem Ganzen, das uns nur vollständig in seiner Bedeutung erkennbar und so für uns befriedigend werden kann, wenn wir uns so zu sagen, auf aegyptischen Boden zurückversetzen und mit aegyptischem Sinne sehen und forschen 14 es konnte … sein] Kr: auch | wieder nicht, da dann die Gestalt als ein bloßer Versuch zu nehmen wäre 15 arbeiten] Kr: Arbeiten sehen wir es ganz deutlich, 15–352,1 sind nicht explicites, am Rande angefügt

Bei den Indiern existirt das Concrete nicht mehr in der abstracten Negation sondern geht darin unter.

352 die Aegyptische Kunst ist sich selbst ein Symbol ist das Rätsel an ihm selbst, das objective Räthsel.

Zweites Capitel. Trennung der unmittelbaren Einheit des symbolischen; die Poesie der Erhabenheit oder die heilige Poesie.

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ex plicites, | wir sehen ihnen ein Ringen an nach dem, was das An und für sich deutliche ist. oder wir sehn den aegyptischen Kunstwerken an Räthsel zu enthalten, einerseits für uns, anderseits für die Völker selbst. das Offenbare ist nur der freie Geist; zu diesem Geiste, zum Erfassen des Selbstbewusstseins sind die Aegypter noch nicht gekommen. Sie hatten im abgeschiedenen Geiste eine Vorstellung davon. | daher sind die aegyptischen Werke Räthsel, als das objective Räthsel selbst. In diesem Sinne ist es, daß die Sphynx bei den Griechen als dieses Rätselaufgebende erscheint. das höhere Wort hat der Aegypter nicht ausgesprochen, sondern er hat nur den drang nach dem Wahren. die Naith zu Sais sagt selbst: meine Geburt ist Helios, meinen Schleier hat keiner gelüftet; das Licht wird sie gebären; sie selbst war verschleiert. die Sphynx nun, sagt die griechische Mythe gab dieß Räthsel auf: wer ist dieß, das Morgens auf 4 Beinen geht, Mittags auf 2, Abends auf 3. Oedyp lösste dieß Rätsel und zerschellte die Sphynx. diese Mythe ist das höchste symbol und macht den Uebergang zum sich Klaren, zum Geiste als der Freiheit. dieser ist das Prinzip der griechischen Welt und der classischen Kunst. In ihr ist das symbolische auf die Seite gestellt. das Menschliche, Geistige ist vorgestellt in menschlicher Gestalt, in derjenigen Gestalt, welche das Geistige als Existenz haben kann. Im symbolischen ist die Gestaltung die Hauptsache, die eine Bedeutung haben soll, ohne die Bedeutung vollkommen auszudrücken zu vermögen. diesem sym1 ein Ringen an] Kr: noch mehr dieses an, daß die Weise ihres Entstehens und Bildens ein Ringen enthielt 3 für2 ] Kr: die ganze aegyptische Bildung und Kunst ist überhaupt der Standpunkt des Räthsels auch für 4 zu diesem] Kr: Sich selbst deutlich zu seyn, zum freien 5 Sie] Kr: sie haben darnach gerungen, sie 6 davon] Kr: davon gehabt, aber auch nur im abgeschiedenen Geiste und damit noch nicht für sich die wahrhafte Vorstellung der Freiheit des Geistigen Räthsel, als] Kr: nicht blos für uns räthselhaft, sondern sie sind 9 er hat … Wahren] Kr: das dunkle Räthsel selbst war nur für ihn die Naith … Sais] Kr: Im Tempel der Neit zu Sais ist auch die verschleierte Göttin, aber sie 10 Licht] Kr: Licht“ das sich selbst Klare 11 sie selbst … verschleiert] Kr: Bei den Aegyptern aber verbleibt es bei der Verschleierten ohne Geburt 13 zerschellte die Sphynx] Kr: die Sphinx ins Meer gestürzt 14 symbol] Kr: Symbol vom Untergang des blos Symbolischen 15 Geiste als … Freiheit] Kr: Prinzip des freien, für-sich-seyenden Geistes 16 In] Kr: das durchdringende Licht des Geistes bricht da hervor, erhebt sich über den Horizont und die Nacht, das dunkel. das Räthsel | verschwindet; der Mensch schaut sich selber an und erkennt sich als diese geistige Individualität. / In 18 als Existenz … kann] Kr: allein haben kann, insofern es zur Existenz kommt, und dies ist, beiläufig hier gesagt, die nächste, wesentliche Bedingung des schönen Gestaltens, weil der Inhalt hier diese unvermischte geistige Einheit, diese reine Harmonie des erkannten, klar gewordenen Begriffs und seiner Erscheinung, seiner natürlichen Existenz ist. / Auf der symbolischen Stufe erscheint nur die concrete Seele für sich, noch in dieser Trübheit des Selbstbewußtseyns; die Klarheit des Geistigen ist erst in der griechischen Welt aufgegangen 19 Bedeutung] Kr: ausdrückliche Bedeutung 20 ohne die … vermögen] Kr: im Klassischen muß umgekehrt die Gestaltung selbst der bedeutungsvolle Ausdruck, die congruirende 11 wird sie aus werd ich; Kr: was ich gebären werde

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bolischen, wo die Gestaltung die Hauptsache ist, steht die Bedeutung, die Vorstellung als solche gegenüber. das Kunstwerk hier ist der Erguß des reinen Bedeutens, des Wesens. Hier ist die allgemeine Vorstellung für sich, der reine Gedanke | überhaupt, Gedanken von dem höchsten Wesen. das Aussprechen des Wesens ist nun vornehmlich nur der Rede möglich, dieser Seite gehört also vorzüglich die Poesie an. dieß ist die heilige Poesie. die symbolische Kunst kann auch heilige überhaupt genannt werden; sie ist aufs religiöse Feld angewiesen. diese Poesie hat zu ihrem Inhalt das eine Allgemeinste der Bedeutung, die Bedeutung vom Wesen, das in Beziehung auf das daseinde der Herr desselben ist, nicht dem Äusserlichen incarnirt ist, sondern als der Gedanke frei für sich, dem das Andre sich als dienend darstellt, zugleich muß bemerkt werden, daß indem die Anschauung so rein für sich ist, so zerfällt somit die Bedeutung in die beiden Seiten des Abstracten und des concreten daseins, was im eigentlich symbolischen noch in eins gebunden ist. diese Einheit zerfällt hier in ihre zwei Seiten. Einerseits steht die erhabenste Poesie, anderseits macht die Prosa die andere Seite aus. In Beziehung des symbolischen können wir sagen, die Natur werde hier entgöttert, die Welt, die Naturgegenstände, die weltlichen Verhältnisse als Endliche dem Wesen gegenübergestellt[.] die Griechen erzählen vom Argonautenzug, daß die Felsen der Meerenge des Helesponts, die sonst sich auf und zu wie Scheeren schloßen, fest wurden als die Helden bei ihnen vorübergeschifft waren. Hier geht ebenso in der heiligen Poesie das Festwerden des Endlichen | an, während

267 Kr Darstellung des Inhalts seyn, | sie soll nicht nur bedeuten, sondern ist die reine, adäquate darstellung ihres ganzen Inhalts, spricht nur sich selber aus 1 die Gestaltung] Kr: das Aeußere 2 gegenüber] Kr: rein gegenüber, der Gedanke als ausdrücklich gesetzt; die abstrakte Bedeutung für 3 des] Kr: der Gedanke von dem 4 des] Kr: der Vorstel25 sich ist so das Integrirende zu jenem lungen von diesem 5 Rede] Kr: Religion 6 Poesie1] Kr: Poesie als eigenthümlich Kunst] Kr: Kunst, wie sie das Körperliche bildend verarbeitete, 7 sie ist … angewiesen] Kr: aus ihrem Boden erzeugte sich jene Poesie, die in der Vorstellung, im Gedanken weiter greift und ein weite268Kr res Feld, ein freieres Reich des Geistigen eröffnet. Beides aber ist seiner Natur nach auf | das reli9 daseinde] Kr: Sinnliche, auf das daseyn überhaupt 10 Äusserli30 giöse Gebiet hingewiesen chen] Kr: Leiblichen, Sinnlichen 11–12 die Anschauung … sich] Kr: so die Bedeutung befreit, der reine Gedanke in der Vorstellung vorhanden 13 Abstracten] Kr: Gedankens 15 die erhabenste … aus] Kr: das höchste Wesen, dem das Endliche, die endliche Welt gegenüber steht, und auf dieser Seite beginnt jetzt die eigentliche Prosa, die den Gegensatz macht zu jener erhabenen 17 weltlichen Verhältnisse] Kr: Menschenwelt 18 die Griechen erzählen] Kr: Solche 35 Poesie eigenthümlichen Verhältnisse werden hier als Endliches und Besonderes betrachtet; so erzählte die griechische Mythe 20 Helden] Kr: Argonauten 21 das Festwerden … Endlichen] Kr: die Befestigung der endlichen Natur und die Anschauung der endlichen Verhältnisse

15 erhabenste] erhabendste

20 als die … waren über der Zeile mit Einfügungszeichen 21 in 26 diesem] dieses

40 der … das teils über der Zeile mit Einfügungszeichen, teils am Rande angefügt

das Geistige für sich frei geworden steht dem Natürlichen als Wesen gegenüber, und beherrscht es als Herr. Somit zerfallen die beiden Seiten die im eigentlichen Symbolischen in unmittelbarer Einheit sind.

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das Äusserliche erscheint gegen die substantialität des Wesens nur als eine aufzuhebende Accidenz.

das Endliche als Individuum ist in dieser Poesie wohl vom Herrn abhängig, aber es hat auch Bestehn für sich, wenn auch nur als durch Macht des Wesens erschaffen und vor ihr sich beugend und vor ihr vergehend. der Herr ist rein für sich das reine Beisichbleiben, gegen welches das aus ihm als endlich Gesetzte vergeht ohne zu ihm zurückzukehren.

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in der symbolischen Anschauung nichts fest wird, das Endliche in’s Göttliche umschlägt, und das Göttliche in’s dasein tritt. Was nun die Seite der heiligen Poesie betrifft, so ist uns diese Form bekannt genug durch die Bibel, diese Preise der Herrlichkeit Gottes sind ihr Hauptinhalt, gegen welchen Gott das Äusserliche nur ein Schmuk ist, der ihm zu dienen hat. Alles Leben verdankt seine Kräftigkeit nur Gottes Güte, und vergeht vor seiner Macht. Es sind uns von dieser Erhabenheit viele Beispiele erhalten im alten Testamente, und es ist der Character der Grösse und Erhabenheit, die in diesen Beschreibungen vorherrscht. die schönsten Beispiele finden sich in den Psalmen ZB. im 104. | der Eine ist der Herr über Alles, die Naturdinge sind nicht seine Gegenwart, sondern machtlose Accidenzen. Es ist diß schon ein prosaisches Verhältniß der Trennung; des Wesens einerseits, der natürlichen dinge als nur Schein gegen dasselbe, als es nur scheinen lassend. Mit dieser darstellung des Herrn steht die Endlichkeit auf der andern Seite so aber daß die innerliche Individualität beginnt. der Indier ist als Person nichts. In der erhabenen Poesie fühlt sich das Individuum wohl als abhängig vom Herrn, aber anderseits auch selbstständig. dieß zeigt sich an der freien Tapferkeit der Araber. Ein Hauptzug ist, dieses Entstehn des daseins, das Erfreun und Geniessen als Geschenk des Herrn, und das Vergehn. Es ist hier der selbe beschränkte Kreis des symbolischen überhaupt. Besonders im 90sten Psalm ist dieser Inhalt, die Vergänglichkeit, wie sie auch das Buch Hiob ausdrückt. das Umschlagen ist gebunden zugleich an die Furcht des Herrn. der Inhalt ist hier im Ganzen noch beschränkter als im eigentlichen symbol, welches das Streben ist zum Gei-

1 symbolischen Anschauung … wird] Kr: Natur nichts fest ist 3–6 diese Preise … Güte] Kr: da wird die Macht und Herrlichkeit Gottes zur Anschauung gebracht, sein Triumph gleichsam dargestellt über alles Irdische, Vergängliche. das nur da ist ihm zu Preis und Ehre, dem Schöpfer alles daseyns 9 Beispiele] Kr: Beispiele solcher Poesie ZB. im] Kr: das vollendetste ist der 10 die Naturdinge … Gegenwart] Kr: ihm gegenüber sind die Naturdinge, nur gemacht, gesetzt von ihm 10–11 Accidenzen] Kr: Accidenzen, die vor ihm vergehen 12–13 der natürlichen … lassend] Kr: welches der Herr ist, und andrerseits das | Verhältniß der Dinge als nur gesetzte, scheinende gegen ihn 13 darstellung] Kr: Vorstellung 13–14 steht die … beginnt] Kr: ist zugleich dieses verknüpft, daß der Mensch sich jetzt als Individuum für sich weiß 15–16 abhängig vom … selbstständig] Kr: fest, obwohl als gänzlich abhängig von der Allmacht Gottes 17–18 ist, dieses … Vergehn] Kr: dieser Poesie ist diese Betrachtung über die Weise, den Schein, die Eitelkeit des Irdischen, Endlichen, sein Entstehen, Blühen und Vergehen, so wie der Herr es will 19 überhaupt] Kr: es geht wenig über die unmittelbare Anschauung, über das Erstaunen hinaus 90sten] Kr: 19te 20 die Vergänglichkeit] Kr: dieser Preis des Göttlichen vor Allem was menschlich, irdisch, vergänglich ist Umschlagen] Kr: Umschlagen in der Vorstellung von einem zum andern 21 Herrn] Kr: Herrn, an dies Gefühl der Knechtschaft in welchem sein Wille unbedingt zu erfüllen sey 22 im eigentlichen … ist] Kr: in der symbolischen | Sphäre, wo noch dieser Kampf ist, dieses Hinausringen aus dem Materiellen 7 Character der über der Zeile mit Einfügungszeichen

8 vorherrscht über gestr. liegt

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stigen. In dem Kreise der heiligen Poesie ist die Trenung vollbracht; das Geistige steht auf einer Seite, auf der andern das Endliche in seiner Festigkeit. diese Beziehung des Menschen zu Gott ist die einfache der Furcht, seine Erhebung hat nur den bestimmten Sinn des Gehorsams, die Beziehung hat nicht mehr die unendliche Ausdehnung der Verwandlung des Geistigen in das Materielle. das wovon jetzt zu sprechen ist, ist die Verbindung der Bedeutung und der äusserlichen Gestalt, so daß jetzt die Bedeutung gesetzt ist, und die sinnliche Gestalt, die ihr mehr oder weniger adaequat ist. diese Sphäre ist nur uneigentlich ein Symbol. Es ist das dritte allerdings zu den beiden ersten Sphären. diese Verbindung ist so wohl die Totalität, aber diese beiden Seiten durchdringen sich noch nicht | sondern sind beide für sich gesetzt, | dieß Verhältniß ist mehr prosaïsch und giebt nur uneigentliche Kunstformen. der Inhalt kann nur beschränkt sein. In der heiligen Poesie ist die unendliche Seite einerseits und anderseits die endliche, und diese ist ausgesprochen, als ein Vergehendes. Soll aber die geistige Seite ihr Gleichniß haben an der andern, die als endlich gesetzt ist, so kann die Bedeutung auch nur von beschränkter Art sein, denn das Unendliche hat am Bildlichen noch nicht seine adaequate Gestalt. diese ganze Sphäre kann die des Gleichnisses heissen. die Bedeutung ist für sich ausgesprochen und ebenso die Seite des Ausdruks dieser Bedeutung. die Formen sind hier nur untergeordnete, und sind bei grösseren Kunstwerken nur für Einzelheiten zu benutzen. Hieher gehören also untergeordnete Kunstformen. Es ist oft schwierig die Kunstformen einzutheilen. Wohin ZB. soll man die aesopische Fabel, das Lehrgedicht ect setzen? Es sind dieß Zwitterarten, drücken keine nothwendige Seite der Kunst aus. Es geht im Aesthetischen wie in der Naturwissenschaft, die man nicht eintheilen

25 2 diese] Kr: daß es dem Menschen wohl gehe auf Erden, ist vermittelt durch diese Ehrfurcht vor

dem Herrn. dies ist die einfache 4–5 unendliche] Kr: ganz allgemeine unendliche 5 der Verwandlung … Materielle] Kr: des ganz Materiellen, sondern nur die sittliche und religiöse Seite 7 gesetzt ist, … sinnliche] Kr: ausdrücklich gesetzt erscheint in der sinnlichen 8–9 diese Sphäte re … Sphären] Kr: dies ist die 2 Art des Symbolischen. aber diese Sphäre kann nur uneigentlich 11 sondern sind … 30 noch symbolisch genannt werden, weil hier das Endliche für sich gesetzt ist gesetzt] Kr: die äußerliche Gestalt und die Bedeutung noch nicht ganz für sich gesetzt sind 12 beschränkt] Kr: ein einzelner beschränkter 13–14 ist die … Vergehendes] Kr: hat die unendliche Seite nicht ihr Entsprechendes an dem Bestehenden, an der endlichen Seite 17–18 des Gleichnisses heissen] Kr: Symbolik in ihrer Besonderheit genannt werden, oder überhaupt die Sphäre des 19–20 die Formen … benutzen] Kr: die Kunstform, die hier vorkommt kann theils 35 Gleichnisses nur untergeordnet seyn, theils kann ihre Manier an höhern Kunstwerken nur einzelne Seiten ausmachen 22–23 Wohin ZB. … dieß] Kr: die großen Gestaltungen ergeben sich leicht; nur die 273Kr besonderen Arten unterzubringen | macht da die Schwierigkeit. dergleichen untergeordnete Kunstformen sind überhaupt 23 drücken keine … aus] Kr: sie sind keine eigentlichen Kunstfor40 men 12 Inhalt] Inhalt.

drittes Kapitel. Rückkehr aus der Trennung der Bedeutung und der Gestaltung in die Einheit: das Gleichniß. Indem aber beide Seiten sich | nicht vollkommen durchdringen sondern die Bedeutung für sich gesetzt, und der Ausdruck als symbolisch, d.h. als der Bedeutung inadaequat erkannt ist, ist dieß Verhältniß mehr ein prosaisches und diese Kunstform untergeordnet.

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1. die aesopische fabel.

In ihr wird irgend ein Naturphaenomen als Ausdruck einer allgemeinen Bedeutung gesetzt.

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muß nach dem, was da ist, sondern der Begriff muß feststehn, und die Besonderheiten sich nach dem Begriffe ordnen, wo sich dann zeigt, daß viele nicht dem Begriffe gemäß sind, dessen Schuld dieß nicht ist. Er ist nach diesen Zwitterwesen nicht zu bestimmen. die aesopische Fabel ist solch eine Form des Zwitters. Ferner gehört hieher die Parabel, die Vergleichungen, Bilder; und auf dieser Stelle hat man von dergleichen zu sprechen. – Für’s Erste hätten wir also von diesen Formen zu sprechen. die Fabeln sind uns bekannt, was aber die Fabel ist, ist meist schief bestimmt. den ächten Begriff hat Lessing auch sehr wenig gefasst, wie man aus den Fabeln neuerer Zeit sieht. Es ist nehmlich bei der Aesopischen Fabel nicht der Fall, daß ein moralischer Satz in ein Beispiel von Thieren gesetzt sei. | die ursprüngliche Fabel ist dieß, daß irgend ein Naturereigniß, insofern es sich auf den Instinct der Thiere bezieht, aufgenommen wird mit Hineinlegung eines Moralischen allgemeinen Sinns, so daß ein Phaenomen des Thierlebens also in einen Moralischen Sinn hinübergezogen wird. Nehmen wir dagegen eine neuere Fabel wie ZB diese: daß 2 Hammster vorgestellt werden, von denen der Eine sammelte und der Andre nicht, so daß dieser zum Betteln genöthigt starb; so ist dieß Falsche darin, daß es keine Hammster giebt, die nicht einsammeln sollten. Es ist dieß also dem alten Sinn der Fabel zuwieder. denn die darstellung muß nur darstellen, was in der Wirklichkeit der Thiere vorhanden ist. Bei den | aesopischen Fabeln ist ein wirkliches Naturphaenomen ausgelegt, und deshalb haben sie dieß Interessante. ZB. die Schwalben ziehn im Herbst fort, wenn der Hanf reif wird, aus dem das Vogelgarn gestrickt wird, mit dessen Stricken im Winter die Vögel gefangen werden. die kluge Schwalbe flieht nun, die andern

1–3 feststehn, und … ist1] Kr: dabei zu Grunde liegen, für sich fest und bestimmt seyn. So giebt es z.B. gewisse Pflanzen, Thiere, die etwas Zwitterartiges in ihrer Natur haben, bei deren Beurtheilung der Begriff vorausgesetzt wird; und eben darin besteht ihre Zwitterhaftigkeit, daß sie den Begriff nicht erfüllen, sondern nach Fremdartigen hinüberschwanken 4 Form des Zwitters] Kr: untergeordnete Form der Poesie, deren hier zu erwähnen ist 5 Parabel] Kr: Parabeln, Apologe 6 zu sprechen] Kr: mit Wenigem Erwähnung zu thun 8–9 Lessing auch … sieht] Kr: man in neuern Zeiten so schlecht verstanden, daß diese neuen nachgebildeten Fabeln, z.B. von Lessing, | nur eine entfernte Aehnlichkeit damit haben 10 Fall] Kr: Fall, so wie gewöhnlich angenommen wird 11 ursprüngliche] Kr: eigentliche aesopische 16 Eine] Kr: eine seinen Nahrungsvorrath für den kommenden Winter daß dieser … starb] Kr: soll damit das Schicksal des Fleißigen und des Unbedachtsamen, Faulen dargestellt werden 17–18 es keine … sollten] Kr: im Instinkt des Hamsters liegt es, daß er einsammelt 18–19 denn die … ist] Kr: So entsteht eine ganz triviale Moral aus einer darstellung, die in der Wirklichkeit gar nichts auf sich hat 20 ist] Kr: ist dies ganz anders: da ist ausgelegt] Kr: ausgelegt, gedeutet auf solchen Sinn hinaus 21–22 Schwalben ziehn … wird] Kr: Fabel von den Schwalben, die sich nach dem Volksglauben zur Zeit wenn der Hanf reif geworden ist versenken und den Hanf zerstören 23–357,1 andern Vögel] Kr: übrigen Vögel merkten dies aber nicht und 22 dem das … wird so Kr; fehlt in Ho

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Vögel werden gefangen. Hier liegen also Naturphaenomene zum Grunde. diese brauchen auch nicht allein aus dem Thierreich genommen zu sein. Es ist auch nicht nöthig, daß die natürlichen Verhältniße sogleich erscheinen, wie ZB. in der Fabel vom Fuchs und dem Raben. Aber vom Raben ist es auch ein bekannter Instinct, daß er ein | Thier oder einen Menschen sehend, zu krächzen beginnt. Welches und wieviel eigentlich aesopische Fabeln sind, wissen wir nicht, Aesop wird oft genannt, ohne daß ihm bestimmte Erzählungen zugeschrieben werden. Nur die Fabel vom Roßkäfer und dem Adler wird bestimmt dem Aesop zugeschrieben. Eine ganze Menge andrer sind dürftig in Erfindung und ausführung. der Kreis dieser Form ist überhaupt dürftig, eine allgemeine Reflexion wird in einem natürlich Vorhandenen dargestellt. | diese Form ist nicht frei, sie wird auch einem Sclaven zugeschrieben als ihrem Urheber, dem mißgestalten Höckrichten. | der Stoff ist gegeben, ist eine vorhandene Naturerscheinung und der allgemeine Satz wird nur pfiffig zu verstehn gegeben, oder in einer Nutzanwendung ausdrüklich hinzugefügt. die Fabel hat Verdienst, wenn das Phaenomen naturgemäß, ist sie blosse Einkleidung der allgemeinen Reflexion, so ist die Gestaltung blosses Mittel und das Thier oder die Gestalt handelt nicht seiner Eigenthümlichkeit nach sondern als blosses Mittel. Und dieß ist der Kunst entgegen. – Was den Reineke Fuchs anbetrifft, so ist diß keine Fabel sondern mehr ein

20 1 Hier liegen … Grunde] Kr: So also ist das Naturphänomen, daß die Schwalbe gerade zur Zeit der

Reife des Hanfs verschwindet, sich verbirgt, die andern Vögel aber nicht, auf eine sinnreiche Weise erklärt, so daß ein allgemeiner Satz in es hineingelegt ist 2–4 Es ist … Raben.] Kr: das einfache Naturverhältniß von einer Eiche und dem schwachen Schilfrohr in Beziehung auf den Sturm gehört auch hierher und eben so der Fuchs, der sich im Herabfallen an einem Dornstrauch halten 25 will und anstatt Rettung Verletzung erfährt u.s.w. dies sind solche natürliche Verhältnisse, wie auch bei der Fabel vom Fuchs und Raben mit dem Käse: 4 Raben] Kr: Raben, Elstern u.s.w. 6 Welches] Kr: daß also hier der Rabe den Käs fallen lässt indem er beim Anblick des Thier’s schreit, das liegt in diesem einfachen Verhältniß, in der Natur des Vogels selbst. / Welches 8–9 wird bestimmt … zugeschrieben] Kr: spricht Aristophanes ihm zu; hierin scheint einer Mythe 10–11 dürftig, eine … dargestellt] Kr: ein sehr be30 eine moralische Wendung gegeben zu seyn schränkter; es finden sich zwar viele solche Phänomene einfacher Naturverhältnisse vor, die benutzt werden können, um einen allgemeinen moralischen Satz vorstellig zu machen, aber es findet sich in diesem Stoff, so wie er gegeben ist, zu wenig Spielraum für freies Erschaffen der Gestalt. der allgemeine Satz wird nicht sowohl ausgesprochen, sondern liegt vielmehr versteckt in der Fabel, so 11–13 diese Form … Höckrichten.] Kr: Von Aesop selbst heisst 35 daß er erst darin zu suchen ist es, er sey Sklave gewesen 16 allgemeinen Reflexion] Kr: moralischen Lehre 17 Gestalt] Kr: Gestalt der Pflanze 18 Und dieß … entgegen] Kr: die Gestalt soll aber eine Eigenthümlichkeit für sich haben, dies fordern wir in der Kunst 6 Welches] (1) Was (2) W(as versehentlich nicht gestr.)(über der Zeile: elches) 12–13 dem mißgestal13 ist eine … Naturerscheinung über der Zeile mit Einfügungszeichen 19 Fuchs] Fuchs.

40 ten Höckrichten. am unteren Rande angefügt

Nothwendig dabei ist, daß das Naturphaenomen wirklich in der Natur vorhanden und keine bloße leere Einkleidung des abstracten Satzes sei. Beispiel des Reineke Fuchs.

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a. das Räthsel.

Es besteht in der Zusammenstellung disparater Züge und Eigenschaften mit der Andeutung daß sie eine tiefere Bedeutung enthalten sollen, als sie in ihrer Unmittelbarkeit darstellen. b. die Parabel. In ihr soll eine aus dem endlichen gewöhnlichen Leben genommne Gestalt die allgemeine Bedeutung darstellen.

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Mährchen; die Einkleidung ist sinnreich. die possierliche Schlechtigkeit ist dargestellt; ein Hof mit dem König in seiner Schwäche tritt uns vor Augen. die thierische Gestalt ist hier sehr passend, und zugleich treten die Thiere in ihrer Eigenthümlichkeit ausgebildet auf, und so entsteht durch die Vermischung der Thierhandlung und des hineingelegten Menschlichen, eine ergötzliche darstellung, ein Scherz wahrhafter Art. Bei der Fabel können wir des Räthsels erwähnen. Es kann gegenstand der Sculptur, der Mahlerei, der Rede sein. Im Morgenland ist es eine frühere Form gewesen, die sehr beliebt war. die Gemeinräthsel sind noch allgemein. Im Worträthsel wie im Morgenland sind Züge und Eigenschaften zusammengestellt, so daß sie ein Disparates Eigenthümliches darzeigen mit der Andeutung, daß in ihnen ein Tieferes der Bedeutung liege. durch sich selbst zerstört sich solche darstellung, da ihre Wahrheit nur ihre Bedeutung ist. – Mit der Fabel unmittelbar ist die Parabel verwandt, denn sie hat nur dieß Unterschiedene, daß ihre darstellung ist aus dem gewöhnlichen Leben genomen, sodaß diese eine allgemeine Bedeutung vorstellig machen soll. Unter den aesopischen Fabeln sind viele Parabeln. Eine practische Parabel ist die von Cyrus, der an einem Tage seine Perser mit Spaten und Hacken zusammenrief ein Feld dornen auszurauten, und ihnen am andern Tag einen reichen Schmaus gab, mit der Vergleichung daß der Tag der Knechtschaft, dem Ausreuten gleiche, der der Freiheit dem andern des Festes. | In den Erzählungen des neuen Testaments sind auch

1 die Einkleidung … sinnreich] Kr: eine menschliche Geschichte, deren Einkleidung in diesen Kreis von Thieren nicht eben nur so oberflächlich ist 2–6 ein Hof … Art] Kr: der König zeigt eine possirliche Schwäche und die Vasallen spielen ihre Rollen nach ihren eigenthümlichen Naturen, Stärke, Schlauheit, Furchtsamkeit, Feigheit u.s.w. Eigenschaften die sich vom Trieb der Selbsterhaltung aus bestimmen, sich aus dem Eigennutz, der Habsucht, Selbstsucht u.s.w. erzeugen, sind hier ganz passend aus dem Menschen- ins Thier-Leben hinüber versetzt und hier sind die entsprechenden Thiergestalten sehr wohl getroffen. Ein Theil der Fabel gehört, kann man sagen, noch ganz dem Menschenleben | an; auf der andern Seite treten aber die Thiere ganz mit ihren eigenthümlichen Naturen auf. So ist dieser Scherz ganz wahrhafter Art, nicht eine todte Hülle, sondern eine solche die sich durchaus in charakteristischer Eigenthümlichkeit darstellt 7–8 Im Morgenland … war] Kr: die aegyptischen Bildungen sind Räthsel für sich, wie denn überhaupt diese Form im Orient durchaus vorherrscht 10 Eigenthümliches] Kr: Entgegengesetztes 11 in ihnen … liege] Kr: noch ein Anderes dabei gemeint und vorhanden sey 11–12 durch sich … ist] Kr: Für sich hat diese Zusammenstellung keinen Sinn; doch ist sie dem Geist des Morgenlandes ganz eigenthümlich und kommt hier am häufigsten vor, wiewohl auch in ältern abendländischen Bildungen, bis zu Eulenspiegel herunter 13 denn] Kr: die im Ganzen dasselbe ist, nur daß 14 darstellung] Kr: besondere Geschichte 15 diese] Kr: die Erzählung | den Zweck hat, 20–359,1 In den … Parabeln] Kr: Besonders sind die Parabeln des neuen Testaments bekannt, wo diese Form der Vorstellung sehr im Gebrauch ist; sie sind sehr verständlich, sinnreich und bedeutungsvoll 7 Sculptur] Sclulptur 16 Parabel] davor gestr: Fabel Einfügungszeichen 20 In den über gestr. die

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viel Parabeln. Auch Göthe hat ihrer viele. der Apolog ist ebenso mit der Fabel verwandt mit dem Unterschied, daß die Geschichte selbst die Lehre herbeiführt. Ein solcher Apolog ist der Gott und die Bajadere, welche als die christliche Magdalene kann angesehn werden. So ist auch der Schatzgräber mehr ein Apolog. das Sprichwörtliche eines Volkes kann auch für kurze Fabeln, Parabeln angesehn werden; besondere Züge und Lehren sind ausgesprochen in allgemeiner Bedeutung. ZB. Eine Hand wäscht die Andere; Brätst du mir eine Wurst, so lösch ich dir den durst. Auch Göthe | hat derselben eine Menge gemacht von unendlicher Lieblichkeit und oft voll großer Tiefe. – In allen diesen Formen also ist eine allgemeine Bedeutung in einem Natürlichen dargestellt, und solche darstellung macht ein Ganzes für sich aus. die darstelungen gehören meist der redenden Kunst an. Es schließt sich hieran eine Form, die sich mehr für die bilden-

1 ihrer viele] Kr: eine Menge Parabeln geliefert, von denen manche vortrefflich sind: der Recensent, die Katzenpastete, die sich auf Newton’s Versuche bezieht 4 Magdalene] Kr: Maria Magdalene auf indische Weise dargestellt 4–5 Apolog] Kr: Apolog; der Knabe spricht da selbst noch die Lehre aus 6 besondere Züge … ausgesprochen] Kr: Der sprichwörtliche Witz besteht darin, daß eine besondere Lehre ausgesprochen wird 9 –] Kr: Dichter überhaupt die reich sind in Lebenserfahrungen und dann auch zugleich den Geist haben, ihren Beobachtungen eine weitere Ausdehnung, über die einzelnen Vorfälle in ihrem kleinen Umkreis hinaus, zu geben, lieben es sehr, so unter der Hand gleichsam, den Resultaten ihrer Beobachtungen, ihres Denkens, solche poetische Einkleidung zu geben, in der Form von Fabeln, Parabeln u.s.w., die in gedrängter Kürze, im gefälligen Bild für die Vorstellung einen Inhalt in sich fassen können, der einem Prosaiker Stoff zu einem dicken Buch liefern würde. Goethe ragt auch hierin über alle Dichter hinaus, die diesen Hausgarten der Poesie bepflanzt haben: ihm kommt nicht nur das zu Gute, daß er ein reicheres, vielseitigeres Leben durchlebt hat, sondern es ist ganz vorzugsweise sein praktischer Sinn, der ihn überall, wie ein leitender Genius, sogleich auf den rechten Standpunkt stellt, von dem aus die Sache | aufgefasst werden muß, nach ihrer wahrhaften Wirklichkeit; sein Zuthun ist dann gleichsam nur die äußere poetische Gestalt, die er aber mit so überlegener Meisterschaft, mit so treffenden Zügen hinstellt, daß er in dieser anscheinend geringen dichterischen Produktion Alles hinter sich läßt und unübertrefflich dasteht. Bei Goethe, um dies noch schließlich hier zu sagen, finden sich diese Produktionen nur wie beiläufig, seinen größeren Dichtungen zur Seite folgend, und sie erscheinen erst häufiger, als er bereits durch eine Reihe von Jahren zu einer solchen Reife gediehen war, wo dann der Geist wie von selbst solche Früchte trägt; andere, und darunter einige jüngere Dichter, haben dagegen ihr Bäumchen zu früh geschüttelt und ihre Früchte sind daher grün gefallen, noch ehe sie gehörig durchgesommert waren: z.B. Novalis. Überhaupt ist es nicht für ein glückliches Zeichen zu nehmen, wenn ein junger dichter damit anfängt womit er schließen sollte; aber solches Anticipiren kommt in unsern Tagen des dichterischen Dünkels leider gar häufig vor: | es ist ein ziemlich sicheres Zeichen, daß es eben kein großer poetischer Geist ist, der einen solchen Anlauf nimmt; denn ein solcher, wie Goethe, zeigt sich nur in einem naturgemäßen, ruhigen Gang der Entwickelung: bei ihm hat Alles seine Zeit, er ist sich selbst nicht vorgeeilt und was er gab, das erscheint, wenn wir seinem Lebenslauf von Haus aus folgen, stets im innigsten Zusammenhang, in der wahrhaftesten Übereinstimmung, mit dem jedesmaligen Lebenszustand in dem er sich befand. Er steht beständig in lebendigem Verkehr mit seiner nächsten Umgebung, mit der 2 Lehre über gestr. Bedeutg; Kr: Lehre

5 Sprichwörtliche] Sprichtwörtlich

6M daß] das

c. der Apolog. Er stellt eine allgemeine Bedeutung sinnlich auf diese bestimmte Weise dar, daß durch die Erzählung selbst die allgemeine Bedeutung ausgesprochen wird.

360 2. die Allegorie. In ihr ist der Widerspruch, daß ihr Gehalt eine abstracte allgemeine Vorstellung; die darstellende Gestalt aber eine subjectivität ist.

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de Kunst passt. dieß ist die Allegorie. Sie hat einen sinnlichen Stoff mit einer Bedeutung, die hier ein abstractum ist, eine allgemeine Vorstellung, die sich hier sinnlich darstellt. Hier ist die individuelle Gestalt darstellung als ein subject, aber die Bedeutung ist für sich ein | abstractum, keine Individualität für sich, wie Krieg, Frieden, Hoffnung, Religion, Glaube. die Sculptur muß oft ihre ZuAußenwelt überhaupt, und was er daraus aufnimmt, das verarbeitet er im Innern und giebt es dann nur so wieder, wie es sich, ihm selber gemäß, gestaltet hat. Dies durchgehende subjektive und zugleich auch objektive Wahrheitsverhältniß ist es eben, was Goethen vor allen unsern Dichtern hervorhebt und ihn etwa so erscheinen lässt, wie ein organisch vollbrachtes Ganze, das vollkommen gereift und nur sich selber gleich ist; ein hoher, herrlicher Stamm mit der ganzen Pracht der Aeste, Zweige, | der ganzen Fülle der grünen Belaubung und der reichsten goldenen Früchte. / Schiller gehört in der angeführten Beziehung sogleich neben Goethe: aber er ist nicht so kurz, gedrungen im Ausdruck und verschmäht es ganz, demselben einen populären Karakter zu geben, wie ihn Goethe, wo es von guter Wirkung ist, so schicklich und fein zugleich zu treffen weiß. 1 Kunst] Kr: Kunst, besonders der modernen Zeit, 1–3 Sie hat … darstellt] Kr: obgleich sie nicht ächt künstlerisch ist; denn sie gebraucht den sinnlichen Stoff zur Exposition einer Bedeutung, die das überwiegende ist; die Bedeutung selbst aber ist abstrakt. / Sie kann sich bewegen, ihre Bedeutung in dramatischer Form zu erkennen geben, aber auch als einfache Gestalt gefasst werden 3 darstellung als] Kr: darstellend, 4 für sich] Kr: nur ein dramatisches Subjekt, nichts weiter, und dies ist 4–5 keine Individualität … Glaube] Kr: die Grundbestimmungen des Subjekts, der besondere Wille, der bestimmte Zweck, die sind da ganz weggeschnitten und es bleibt nichts übrig als das leere Exemplar der Gattung. die Bewegung, die Handlung kann also hier nur auf äußerliche Weise den dramatischen Karakter an sich haben, da es sich um nichts weiter handelt, als um eine Bedeutung, die als Abstraktum, ganz außerhalb des Kreises der besondern Individualität fällt. Denn das Individuum vollführt da nicht sich selbst, sondern es contribuirt gleichsam nur durch vorgeschriebene Gestikulation zur Lösung der allgemeinen Aufgabe, die abstrakte Bedeutung erkennbar, verständlich zu machen. Das Conventionelle in Beilegung von äußerlichen Zeichen der Bedeutung u.s.w. häuft sich bei dergleichen allegorischen Aufgaben so sehr an, daß man damit im Voraus genau bekannt seyn muß, wenn man eine etwas complizirte Allegorie vor sich hat. Überhaupt aber hat die Aufgabe, eine verwickelte Allegorie zu entziffern nicht viel Einladendes, es läuft auf ein pures Ab|straktum hinaus, was, gegen den großen Aufwand gehalten, den man zu dessen Verständigung machen mußte, sehr klein und dürftig erscheinen kann. Das Mittel erscheint gewöhnlich übergroß, erdrückend, gegen den dürren Zweck; man hat daher bei der Allegorie mehr das Interesse die Bedeutung aufzufinden um der sinnreichen Erfindung, als ihrer selbst willen. Schon bei der einfachen allegorischen Gestalt begegnet uns dies widerstrebende Mißverhältniß, daß sie nicht sich selbst mit dem ganzen Reichthum ihrer individuellen Besonderheit darstellen soll, sondern nur zur Bedeutung eines Abstraktums hingestellt wird, welches uns sogleich fühlen läßt, daß es durchaus nicht hinreiche, diese ganze Gestalt durch und durch zu erfüllen. Daher haben solche Gestalten stets etwas Ungenügendes für uns, was aber ganz in der Natur der Sache liegt und nicht der Ungeschicklichkeit oder Unfähigkeit des Künstlers zuzuschreiben ist. So z.B. die allegorische Figur der Religion, der Tugend u.s.w.; dies sind Aufgaben, die absolut unauflösbar sind. | solcher ganz allgemeiner Inhalt ist darüber hinaus, an einem einzelnen Individuum zur vollendeten Erscheinung zu kommen, so wie umgekehrt das Individuum darüber hinaus ist, n u r einen solchen in sich zu fassen, weil es vielmehr einen Reichthum, eine Mannichfaltigkeit von Eigenschaften in sich schließt und sich hierdurch eben als geistiges Individuum besondert und unterscheidet. – Die Charitas, die Jahreszeiten, Krieg, Zwietracht u.s.w. können Gegenstände der Allegorie werden; es ergiebt sich aber stets ein und dasselbe frostige Resultat 5–361,2 die Sculptur … sub-

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flucht zur Allegorie nehmen. Sie ist aber im Ganzen frostig, weil ihr Inhalt ein nur verständiger ist, ein abstractum keine vollständige subjectivität. die Sculptur gebraucht aber die Allegorie auch mehr als Beiwesen, nimmt sie nicht als Hauptsache. dichter thun Unrecht zu Allegorien ihre Zuflucht zu nehmen. | Nach der Allegorie erwähnen wir weiter der Metapher und der Vergleichung. d i e M e t a p h e r ist ein ganz kurzes symbol, das in ein Bild concentrirt ist. die Sprache überhaupt ist metaphorisch. ZB. das Wort Begreifen, Fassen. Aus der sinnlichen Bedeutung hat sich das Geistige als damit analog hervorgearbeitet. In der Metapher muß durch den Zusammenhang gegeben sein, was sie bedeuten soll. Man kann bemerken, daß besonders der moderne und antique Styl sich durch den Gebrauch der Metapher unterscheidet; indem der antique Stil besonders der prosaïsche die eigentlichen Ausdrüke forderte, während neuere Schriftsteller voller Metaphern sind, besonders in poetischen Werken. In römischen Werken wird das metaphorische schon häufiger. die Ve r g l e i c h u n g ist eine ausgeführte Metapher, die Einheit eines Bildes und einer Bedeutung. die Bedeutung braucht nicht als solche hinzugesetzt zu sein, sondern kann für sich erhellen. ZB. Ma-

jectivität] Kr: Am meisten findet die Sculptur Veranlaßung auf allegorische Darstellungen einzugehen; antike Vorstellungen, wie sie in Menge unsrer Zeit überliefert sind, finden sich bereits auf ’s Bestimmteste ausgebildet vor und es ist eben so leicht, als bequem, eine moderne Bedeutung damit zu verbinden. Auch läßt sich dabei mit wenigem Viel ausrichten und die plastische Einfachheit der Darstellung ist immer ein erwünschtes Resultat, wenn sich der Bildhauer der allegorischen Form bedient. Die Ma|lerei enthält sich der Allegorie im Ganzen mehr als die Skulptur und es liegt auch ganz in ihrem Begriff dies zu thun, denn sie geht einen Schritt weiter als diese, sie stellt in der bildenden Kunst die rein subjective Geistigkeit dar, mit welcher die Allegorie in stärkerem Gegensatz steht, als zur allgemeinern Form der plastischen Kunst. Man hat es überhaupt in neuerer Zeit nicht mehr so viel mit Allegorien zu thun und dies dürfte als eine Folge der Regeneration eines ächten Kunststrebens zu betrachten seyn. Die Allegorie ist im Ganzen eine Verstandesproduction und spricht auch als solche nur den Verstand an; sie läßt kalt, wie schon oben gesagt, und man beschäftigt sich mehr mit der sinnreichen Erfindung und äußerlichen Form der Darstellung 2–4 die Sculptur … Hauptsache] Kr: Sie erscheint auch jetzt, selbst bei der Skulptur, mehr als Beiwesen; großen, kostbaren Werken giebt man jetzt nicht gern mehr die allegorische Form, wie dies wohl vor hundert Jahren, besonders auf dem französischen Kunstboden der Fall war. Und wenn sich auch hie und da noch ein entschiedenes | Gefallen daran ausspricht, so läßt sich zuletzt nur das zur Antwort sagen, daß dies Geschmackssache ist 6 ist1] Kr: gehört wieder besonders der Kunst der Rede an. Sie ist im Allgemeinen ein Bild] Kr: einen Zug 7 Begreifen, Fassen] Kr: fassen, begreifen: hier liegt eine sinnliche Bedeutung zu Grunde, die das erste gewesen seyn mag 11 Stil] Kr: Styl, oder der reine, 12 prosaïsche die … forderte] Kr: prosaische, gebraucht die Metapher wenig, sondern bedient sich der eigentlichen Ausdrücke, so wie sie sich in der Sprache finden 13 besonders in … Werken] Kr: wie z.B. bei Schiller 13–14 In römischen … häufiger] Kr: Auch der antike poetische Styl ist weit weniger | metaphorisch als der moderne; selbst schon bei den Römern sind die Metaphern viel mehr im Gebrauch als bei den Griechen 16 als solche hinzugesetzt] Kr: ausdrücklich ausgesprochen erhellen] Kr: aus dem gegebenen Bild erhellen 16 zu so Kr; fehlt in Ho

3. die Metapher. Sie ist die Concentration einer allgemeinen Bedeutung in einen Ausdruk.

die Vergleichung ist eine ausgeführte Metapher, die Einheit eines Bildes und seiner Bedeutung

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diese Einheit kann unmittelbar oder gesetzt sein.

der Hauptzweck bei der Vergleichung ist: das Gemüth, das in ein practisches Intresse versenkt ist, durch das Gegenständlich machen und zur Anschauungbringen dieses Intresses, in ein theoretisches Verhältniß zu dem practischen Intresse zu bringen

die Vergleichung bringt somit das wahrhaft künstlerische Intresse hervor, indem sie das practische Intresse in ein theoretisches verwandelt

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homets Gesang von Göthe erklärt sich von selbst. das ganze Gedicht ist Vergleichung; die Ueberschrift zeigt die Bedeutung. Solcher Vergleichungen, wo auf einfache Weise die Bedeutung angegeben ist, giebt es eine grosse Menge[.] die nähere vollständige Vergleichung ist so, daß die Bedeutung als unterschieden vom Bilde angegeben wird. Man kann nun fragen: was ist das Bedürfniß der Vergleichung? Sie kann langweilig werden, wenn die Bedeutung für sich schon klar ist; und wird sie zu sehr gehäuft, so ist sie matt, und der Ueberfluß eines im Ganzen mittelmäßigen dichters. So finden wir in Ovid einen Ueberfluß von Vergleichungen. Oft sind sie schön und witzig. das Haupt intresse der Vergleichung ist, daß der Geist, das Gemüth nicht am Intresse des Gegenstandes geheftet bleibt, der für sich fortgeht. dieser Fortgang wird | durch die Vergleichung unterbrochen. diese Unterbrechung soll oft Zweck sein, um den Geist aus dem practischen Intresse in ein theoretisches zu bringen, in ein beschaundes, wodurch eine Entfernung vom Versenktsein in das Intresse zu Stande kommt, und der Inhalt gegenständlich wird. In der Leidenschaft haben so die Vergleichungen einen Sinn. Ueber die Vergleichung ließe sich viel Formelles und äußerliches sagen, was nicht nur unsere Sache ist. die Hauptsache ist, daß sie uns aus dem practischen Intresse herausreißt, in das uns der dichter hineinversetzt hat, sodaß wir daran selbst mit dem Unsrigen Theil nehmen. Wir selbst sind in der Sache befangen. diesen Fortgang unterbricht die Vergleichung. Sie kann uns beschwerlich fallen, denn sie hemmt und versetzt uns in die eigentlich künstlerische Stimung der interesselosen theoretischen Betrachtung. Sie führt uns aus dem Innern | heraus zur Gestalt; zur Verweilung bei dem Aussehn dieses Inhalts. Sie bringt also die Wirkung hervor, welche den Sinn der Kunst ausmacht, nehmlich das interesse2 die Ueberschrift] Kr: es ist nur die Überschrift die 3 einfache] Kr: verschiedene eine grosse] Kr: bei Goethe und Schiller in großer 6 langweilig] Kr: zum Theil langweilig und müßig Bedeutung] Kr: Sache auch ohne sie 7 der Ueberfluß] Kr: ein Zeichen 9 Oft sind … witzig] Kr: daß sie schon wegen ihrer Unzahl kein Interesse erregen das Hauptintresse] Kr: Die künstlerische Aufgabe | bei 11–12 der für … um] Kr: die Begebenheit geht für sich fort, der Sinn, die Bedeutung sind darin versenkt: durch die Vergleichung wird nun das Interesse, mit dem wir dem Begebenheiten folgen, unterbrochen, aber es ist die Absicht des dichters 17–20 die Hauptsache … Vergleichung] Kr: der Dichter hat uns so zu sagen an dem praktischen Interesse neugierig gemacht, er hat uns damit in die Sache hineingezogen; nun kann es allerdings geschehen, daß der Fortgang durch die Vergleichung auf eine empfindliche, störende Weise unterbrochen wird 20–22 Sie kann … Betrachtung] Kr: wenn sie aber schicklich und gelungen an ihrer Stelle steht, werden wir damit eben in die eigentliche künstlerische Stimmung versetzt, wir werden es gleichsam daran gewahr, daß uns ein Dichter bei der Hand führt, der diese künstlerische Stimmung verlangt, daß wir interesselos zur Erscheinung geführt werden 23 Gestalt] Kr: Betrachtung der Gestalt, die der Dichter ihm gegeben 24 den] Kr: eine wesentliche Seite des Kunstwerks, für den 24–363,1 das interesselose … theoretische] Kr: interesselos für die Erschei9 Vergleichungen über gestr. Gleichnißen; Kr: Vergleichungen

21 künstlerische] künstlerschen

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lose Anschauen, das theoretische. die Vergleichung als herüberführend in das Theoretische kann sie scheinen auch etwas Mattes herbeizuführen, indem sie vermag den Gegenstand zu verlassen und zu einem andern Inhalt fortzugehen, wir sehn dieß unendlich oft bei Ossian. Er besingt Zeiten die nicht mehr sind. Von dieser Trauer über die Vergangenheit ist die ganze darstellung beseelt, da ist eine Vergleichung der Abendsonne, die sehr oft wiederkehrt. Es ist dieß eine Weg wendung vom Gegenstande selbst, ein sich Befrein von ihm. Am interessantesten die Vergleichungen in Betreff auf die drammatische Kunst zu bemerken. Sie hat Kampf, Leidenschaften zum Gegenstand, Thatigkeit, Wissen des Vollbringens, und Handeln, Pathos, Vollbringung des Gewollten. die Personen selbst erscheinen unmittelbar; kein dritter, der dichter stellt sie dar; es ist keine Erzählung, sondern die Personen selbst stellen | sich dar. Hier scheint nun noch mehr Natürlichkeit gefordert zu sein, und nachdem man in deutschland des französischen Geschmaks überdrüssig geworden ist, hat man nach Natürlichkeit geschrien. Man hat in dieser Rüksicht die Spanier und Italiener als blosse Künstler angesehn, welche ihre subjective Einbildungskraft und Witze den Personen in si-

nung interessirt zu werden, die uns dann als ein Überraschendes, Unerwartetes ergreift. Der Sinn ist aufs Neue gespannt und erfasst die Erscheinung um so lebendiger 5–6 Von dieser … wiederkehrt] Kr: Bei Ossian sehen wir oft die Vergleichung an der Stelle der Trauer über die Vergangenheit; diese Trauer um so vergangene Helden ist es, wodurch seine Dichtung beseelt ist. Die Abendsonne kommt so als Bild vergangener Zeiten häufig bei ihm vor 9 Thatigkeit] Kr: Ent schlossenheit des Willens, besonders Thätigkeit 10 Handeln, Pathos, … Gewollten] Kr: soll die Leidenschaften, das bpou als thätig und wirksam zeigen 11–12 erscheinen unmittelbar; … dar] Kr: werden in ihrer unmittelbaren Aeußerung vor | die Vorstellung gebracht. Das Individuum muß sich also in einer solchen Umgebung befinden, in welcher es den gefassten Zweck vollführen, gegen die es sich auslassen kann. Der Beweggrund zum Handeln wird ganz allgemein gegeben; es hängt nun von dem besondern Individuum ab, ob und wie es ihn aufnimmt und darnach handelt: sein besonderes Interesse, sein Zweck, sein Karakter wirken hierauf ein und die Übereinstimmung des gegebenen Karakters mit der Handlung ist hier Hauptmoment 14 Geschmaks] Kr: Theaters 15–364,1 Man hat … herrschte] Kr: Die Völker des südlichen Europa’s, die Italiener und noch mehr die Spanier, zeigen weniger Natürlichkeit und sind nicht sehr darauf bedacht eine äußerliche Wahrscheinlichkeit zu beobachten; dagegen geben sie der Subjektivität, dem Witz und allerlei bunten Einfällen beliebigen, breiten Raum und so gewinnt die beliebte Spaßmacherei | die Oberhand. Uns, in der nordischen Region der verständigern Besonnenheit, darf so Etwas nicht zu oft geboten werden; wir wenden unsre Aufmerksamkeit vorzugsweise solchen Produktionen zu, wo es um ein wahrhafteres Interesse zu thun ist, wir verlangen den Ernst bei der Sache und nur neben ihm gönnen wir auch dem heitern Scherz seine Stelle. Für die eigentliche Posse fehlt uns jene südländische Empfänglichkeit und wir würden den italienischen Fastnachtspuppen so immerwährend gegenüber, vor Langerweile sterben, obgleich der Italiener immer wieder seine frische Lust daran hat. Auch legen sie ihren Personen die Metapher in den Mund, selbst wenn sie von der höchsten Leidenschaft gespannt sind 2 scheinen auch … herbeizuführen] (1) auch etwas Mattes herbeiführen (2) (scheinen über der Zeile mit Einfügungszeichen) auch etwas Mattes herbei(zu über der Zeile)führen

Von den Vergleichungen im Drama.

Im Drama erscheinen die Personen unmittelbar.

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durch die Vergleichungen werden die Personen dargestellt über ihren Intressen zu stehn und sich darauf als auf ein Objectives zu beziehn.

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tuationen in den Mund legten, wo gerade die heftigste Leidenschaft herrschte. diese Seite hat man auch am Shakespeare getadelt, daß er im höchsten drange den Personen Vergleichungen in den Mund lege. Seine Anerkennung aber ist in einem Epigram ausgedrückt des Wandsbecker Boten. Es vergleicht Voltaire und Schakspeare. der Eine ist was nur der Andere scheint, Meister Arvelle sagt: ich weine; und der Andere weint. der Eine macht nur eine Rhetorik der Empfindung, der Andre stellt sie dar. Aber auf der andern Seite hat man auch den Shakespeare getadelt seiner Vergleichungen wegen, seiner Sprache wegen, die man nicht als die unmittelbare der Empfindung nennen könnte[.] In dieser Rüksicht ist besonders der Sinn der Vergleichungen zu betrachten. Es ist dabei zu bemerken, daß bei den Spaniern besonders Chalderon | und bei den Engländern Shakspeare Bilder gebrauchen, daß es aber gerade die Weise ist eine Vorstellung von der edlen Natur der Handelnden zu geben, die wir in Intressen befangen sehn. Sie werden aber durch die hohe Sprache dargestellt, daß sie über ihren Intressen stehn, sich darauf als auf ein objectives beziehn. Und dieß ist der Character einer edlen Natur sich in ihren Verhältnissen bei sich selbst seiend zu erhalten. dieß wird zunächst formell durch das Gleichniß dargestellt. die Personen sind selbst als dichter dargestellt, als

9–12 seiner Vergleichungen … betrachten] Kr: indem man endlich so weit gieng, daß man dem Ausdruck der Leidenschaft fast nur die Interjektionen übrig gelassen hat, weil dies der unmittelbare, der naturgemäße Ausdruck dafür sey. Dies ist denn allerdings das andre Extrem 13 Bilder] Kr: in Situationen der Leidenschaft gleichnißweise Bilder 14 gerade] Kr: gerade bei Shakspeare der edlen … Handelnden] Kr: dem edlen Karakter der handelnden Personen 15 Intressen] Kr: Noth und Gedränge 16–17 über ihren … beziehn] Kr: ihr Unglück sogleich sich selbst zur Betrachtung vorhalten; damit erheben sie sich aber darüber, sie verhalten sich theoretisch dazu und sind nicht mehr gefangen von ihrer Leidenschaft 18–19 dieß wird … dargestellt] Kr: Formell zeigt sich dies also daran, daß die Person noch solche Macht über sich hat, um Betrachtungen über die Veranlaßung ihres leidenschaftlichen Zustandes anstellen zu können, und daß ihr darin noch die Phantasie beigelegt wird, ein schillerndes Bild davon zu geben 19–365,1 als Bildner … Stoffes] Kr: sie ist des Stoffes voll, aber zugleich dessen mächtig und besonnen. Daß dies der Illusion Eintrag thut, ist ganz richtig; wenn es aber darum zu thun ist, daß wir die Wirkung vernehmen, die eine bestimmte Situation auf ein Individuum macht, so muß | dieses unmittelbar aussprechen, was in seinem Innern dabei vorgeht und im Drama kann dies auch nicht auf schicklichere Weise geschehen, als daß das Individuum es selbst thut: die Interjektionen reichen da nicht aus; auch möchte es dem Schauspieler sauer werden, sie bei heftiger Leidenschaftlichkeit mit derjenigen Wahrheit und Gewalt auszustoßen, daß sie uns nur halbwege die Wahrheit des innern Zustandes errathen ließen. Bei einfachen Verhältnissen und weniger erfüllten Individuen ist es wohl

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2 Shakespeare so Kr; Ho: Schaspeare 3 Seine Anerkennung … ist über gestr. Es ist dieß in 9 Shakespeare so Kr; Ho: Sch 13 bei den Engländern über der Zeile mit Einfügungszeichen Shak- 40 speare so Kr; Ho: Schaspeare 18 bei sich … seiend über der Zeile mit Einfügungszeichen

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Bildner des Stoffes. Shakspeare besonders ist reich an solchen Seiten. Ein Beispiel ist Romeo und Julie. | Julie sagt zur Nacht: Komm holde Nacht ect. Es ist diß ein Einfall der Liebe, die nicht bloß die Sehnsucht als solche ausspricht, sondern sich objectiv damit beschäftigt: Näher können 2erlei Bestimungen angeführt werden: Fürs Erste, wenn wir ein Gemüth vor uns haben, das von tiefer Empfindung gefasst ist, so können wir uns vorstellen als sich in seinem Schmerz ausschreiend. Es kann dieß als gemein erscheinen. Wenn solches Gemüth das Bewusstsein seines Unglücks hat so kann es gleichsam dabei stehn bleiben, sich den Schmerz des Unglüks nicht aussprechen zu wollen, sondern in sich gefangen zu halten. So lange es dieß thut ist das subject und die Empfindung noch zweierlei, schreit es sich aus, ist es unmittelbar versenkt. Preßt es den Schmerz zurück ist es darüber, und kann sich noch bei einem Andern verweilen, das sich auf die Empfindung bezieht und eine Gestalt derselben ist. Im Heinrich IV. ZB. ist dem Heinrich der Percy entgegengesetzt. Heinrich erlegt ihn. dieß berichtet der Bote

15 oft mit einem bloßen Laut, mit einer heftigen Geberde geschehen; wenn aber ein reicheres Interes-

se sich zu einem höhern Karakter verhält und die Verhältnisse verwickelter sind, so ist es uns wichtiger, in dem bedeutenden Moment zu erfahren, wie ein solches Individuum den neuen Zustand fasst, und zunächst sich selbst darin fühlt, als einige natürliche Interjektionen zu hören. Die Illusion leidet darunter, aber es ist auch keineswegs der Zweck des Drama’s eine ununterbrochene Täu296Kr schung hervorzubringen; der höhern poetischen Wahrheit gebührt hier der Vorrang vor der | natürlichen, vor der handgreiflichen Täuschung und wir brauchen und sollen es nicht vergessen, daß wir ein Kunstwerk vor uns haben. / Hiermit soll aber die überhäufte Anwendung von Gleichnißreden, von bilderreichen Schilderungen im Drama keineswegs in Schutz genommen seyn; es giebt hierin allerdings ein leicht zu überschreitendes Maaß, wovor sich besonders jüngere Dichter nicht 4 Näher] 25 gehörig in Acht zu nehmen pflegen, bei denen die Phantasie noch zu vorherrschend ist Kr: Bei leidenschaftlichen Situationen 6 gefasst] Kr: erfüllt so] Kr: z.B. von Schmerz, so 7 Es kann … erscheinen] Kr: und, so ist es dann ganz Eins damit, es unterscheidet sich selbst nicht mehr davon 9 des Unglüks] Kr: das einfache Wort, 11 schreit es … versenkt] Kr: das Sub297 Kr jekt | hat sich dem Schmerz noch nicht ergeben, er ist in ihm gefangen 12–13 ist es … ist1] Kr: 30 und erhebt sich ganz über ihn, indem es sich mit einer andern Vorstellung befasst, die Beziehung auf sein Unglück hat. Dies nun dargestellt zu sehen, giebt uns eine Vorstellung von der hohen Natur eines Karakters. Aber es kommt, wie schon gesagt, drauf an, daß der dichter einen solchen Karakter überhaupt so erscheinen lasse, daß ihm diese Herrschaft über seinen leidenschaftlichen Zustand zukommt, daß er auch hierin ganz sich selber zeigt. Der Mensch, nach seiner individuellen 35 Besonderheit, wird überhaupt auf sehr unterschiedliche Weise von der Leidenschaft ergriffen: ein feuriges erregbares Temperament reißt ihn sogleich zur Handlung fort, während das Flegma, der beschauliche Karakter nur nach und nach und nur zu einem solchen Grad in Leidenschaft versetzt wird, wo es ihm noch möglich ist gleichsam selbstgefällige Betrachtungen über die Ursache anzustellen, was dann bis zu einer breiten Redseligkeit übergehen kann; dabei wird nun die Spannung 298Kr der Leidenschaft wie von selbst nach und nach wieder | schlaff, und es stimmt mit einem solchen Karakter, der auf diese gedämpfte Weise in Leidenschaft geräth und sich ihr eben so wieder entwindet, ganz überein, daß es bei ihm weder zu einem bestimmten Entschluß noch zur raschen, kraftvollen That kommt 13–366,1 Im Heinrich … Northumberland] Kr: Shakspeare hat im 1 Shakspeare so Kr; Ho: Schasp

4 können] konnen

b. die Vergleichungen können einmal vorkommen, indem das bewegte Gemüth seinen Inhalt nicht in seiner Unmittelbarkeit ausspricht, sondern in einer andern selbsterschaffenen Gestaltung, wenn es nehmlich den Inhalt noch von sich zurückdrängt; ihn noch als Anderes hat. Beispiele aus dem Schakspeare. Nor thhumberland zum Boten: du zitterst und die Blässe deiner Wangen Sagt deine Bothschaft besser als dein Mund: Ganz solch ein Mann, so matt, so athemlos, So trüb’, so todt im Blick, so hin vor weh, Zog Priams Vorhang auf in tiefster Nacht, Und wollt’ ihm sagen halb sein Troja brenne, – doch Priam fand das Feuer, eh’ er die Zunge – Ich meines Percy todt eh’ du ihn meldest.

366 R ichard 2. zu Bol ingbroke. Gebt’ mir die Kron’ – hier, Vetter, greif ’ die Krone, An dieser Seite meine Hand, die deine dort. Nun ist die goldne Kron’ ein tiefer Brunnen, Mit zweien Eimern, die einander füllen. der leere immer tanzend in der Luft der andere unten ungesehn, voll Thränen, | der Eimer unten thränen voll bin ich, Mein Leiden trink ich und erhöhe dich. c. die andere Seite hiezu ist, daß das Gemüth sich von seinem Inhalt befreit, indem es ihn als Gleichniß aussprechend sich darauf als auf ein Anderes bezieht: Beispiele.

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der Schlacht dem Vater Northumberland. du zitterst, sagt der Alte, die Blässe deiner Wange ist ein Zeichen ect. Er läßt den Boten nicht aussprechen, sieht sein Unglück, und schreit es nicht aus, sondern macht es in einem Gleichniß mit Priamus darstellig. die Seele drängt sich noch zurück vom Unglück, und dieß giebt eine Vorstellung von der hohen Natur eines solchen Characters. Ein Anderes Beispiel ist in Richard 2, als dieser mit Heinrich IV zusammenkommt vor den Grossen des Reichs. H e i n r i c h sagt: König Richard gieb mir deine Krone. R i c h a r d antwortet: nimm sie, faß sie mit der andern, ich mit der Einen Hand. Sie ist jetzt gleich einem tiefen Brunnen, wo wechselnd Wasser geschöpft wird; ein Eimer | unten voll Wassers, der andere tanzend in der Luft ect. Richard in seinem Schmerz zeigt sich auch so als eine edle Natur. die englischen Kunstrichter tadeln den Shakspeare über diese Züge, die gerade das Grosse seines Talents beweisen. Indem so die Vergleichung an einer Stelle steht, wo das Gemüth sich noch nicht mit dem Schmerz einen will, so ist die andere Seite die, daß das Gemüth sich indem es in seinem Schmerz ist, sich durch Vergleichung befreie. dieß ist gewöhnlich bei Shakspeare bei Verbrechern, die er darstellt als mit grosser Freiheit des Geistes begabt. Macbeth ZB, der eine Reihe gräulvoller Thaten begeht, wie er zuletzt sieht, daß es aus mit ihm ist, ruft aus: Aus mit mir, kurzes Licht! Ein Licht ist nur ein armer Schatten, ein Schauspieler, der eine Stunde über pocht, und dann nicht mehr gehört wird. Ebenso ist es im Heinrich dem 8ten mit dem Cardinal der von seiner Höhe herab gestürzt wird, und bei seinem

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Hamlet einen solchen Charakter auf die bewundernswürdigste Weise gezeichnet. Hamlet redet sich gleichsam in die Leidenschaft hinein, und eben so wohl auch wieder heraus: der ungeheure Frevel, der einen entschlossenen feurigen Karakter sogleich zur Vollziehung der beschlossenen Rache hingerissen haben würde, scheint sich nur darum zugetragen zu haben, daß er seine Betrach- 25 tungen darüber anstellen könne; dies verzögert seinen Entschluß und unterdrückt die That, und wie es denn endlich dazu kommt, so geschieht sie nicht anders, als durch diese Verwickelung des Zufalls, worin er gleichsam dazu gezwungen wird und dabei auch seinen Untergang findet. / Man sieht hier bei Hamlet, daß seine bilderreiche Redseligkeit durchaus mit der Schwäche seines Karakters zusammenhängt und daß Shakspeare in diesem | Fall nicht die Absicht könne gehabt haben, 299Kr denselben dadurch zu erheben, wie dies wohl bei andern seiner dramatischen Personen geschieht: z.B. beim alten Northumberland, als er die Nachricht vom Tode des Percy erhält 13–15 Indem so … befreie] Kr: So läßt es also Shakspeare oft geschehen, daß leidenschaftlich aufgeregte Personen sich durch eine Gleichnißrede aus der Leidenschaft heraussetzen; er beobachtet dabei aber stets eine sehr feine Übereinstimmung mit dem Karakter 16–17 die er … begabt] Kr: großen Verbrechern 35 giebt er oft eine reiche Phantasie, wo sie dann, wenigstens von einer Seite, theoretische Freiheit des Geistes zeigen 19 ein Schauspieler] Kr: und sich dann mit einem Schauspieler vergleicht, der auf der Bühne trotzt 20 wird] Kr: wird. Der Dichter zeigt dadurch, wie er, seines Stoffes voll, dennoch über die Leidenschaft erhaben ist 21 Cardinal] Kr: Kardinal Volsei 12 Shakspeare so Kr; Ho: Schaspear über der Zeile mit Einfügungszeichen) siehe Anm.

über diese Züge] (1) darüber (2) (dar gestr.)über (diese Züge 40 16 Shakspeare so Kr; Ho: Schaspearen 39 Kardinal Volsei

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Ende sagt: ich sage dir ein langes Lebewohl all meine Hoheit. Heute sprosst der Mensch, blüht, am dritten Tage naht der Frost der Wurzel, und er fällt wie ich. durch solche Betrachtung bringt der dichter den schlechten Character über seine Leidenschaften zugleich hinaus. die Königinn Catharine in demselben Stück sagt: ich bin die Unglüklichste: gleich der Lilie, die als Königin des Feldes blühte will ich mein Haupt hinsenken und sterben. – | die englischen Kunstrichter finden dieß unnatürlich; aber gerade stellt der dichter uns die Personen dar, als sich ihre situation zum Object machend. Ebenso vortrefflich sagt Brutus zu Cassius: o Cassius du bist mit einem Lamme gepaart, du nährst das Feuer nicht anders als ein Kiesel. Gerade der Uebergang eine Vergleichung machen zu könen, zeigt den Brutus ebenso. | Wir könnten nun ferner an dieser Stelle noch solcher Arten von Kunstformen erwähnen, die gleichfalls unvollkommen sind. Wir sehen hier Realität und Bedeutung für sich gesetzt: Zerfällt Beides, wird eine abstracte Bedeutung für sich genommen und mit künstlerischen Schmuk versehn, so entsteht das was wir Lehrgedicht nennen. Hesiodus giebt uns hievon ein Beispiel, auch Virgil. Hier ist eine abstracte Bedeutung für sich zum Gegenstand gemacht, und die Gestaltung ist Sylbenmaaß, eine gehobene Sprache, rascheres Fortschreiten, Einmischung von Erzählungen. die darstellung ist bloß ausserer Schmuk, die Bedeutung verständiger Reflexionsinhalt. | dem gegenüber steht das beschreibende Gedicht; wenn Unmittelbarkeit dargestellt werden soll, wie sie dem gewöhnlichen Bewusstsein erscheint. Solcher sinnliche Inhalt gehört der Seite der äusserlichen Erscheinung an, die nur soll im Kunstwerk erscheinen als Form als Bild des Geistigen, oder bei der handelnden subjectivität als Bedingung der Reaction. wenn

25 4 die] Kr: Solchen Adel zeigt auch die

5 die Unglüklichste] Kr: gescheitert an einem Königreich 6–8 die englischen … machend] Kr: dergleichen tadeln die englischen Kritiker sehr. Es kommt, wie schon bemerkt, auf das Motiv an; außerdem müßte der Dichter auf hören Dichter zu seyn, wenn er sich der Regel unterwerfen wollte, die Leidenschaften nur durch Interjektionen darzustellen. Sie läßt sich auch bei keinem großen dramatischen Dichter nachweisen 14 für] Kr: Zerfällt Beides] Kr: zerfallen beide auf endliche Weise 15 ge30 besonders und ausdrücklich für nommen] Kr: festgestellt Schmuk] Kr: Schmuck nur von außen 16 wir Lehrgedicht nennen] Kr: sich der Prosa nähert: dem L e h r g e d i c h t Hesiodus] Kr: Hesiod über den Landbau 17 für sich] Kr: Reflexion, Pflicht u.s.w. 18 Sprache] Kr: Sprache, in Metaphern, Episoden 19–20 die Bedeutung … Reflexionsinhalt] Kr: weil der Inhalt in Form der Reflexion gegeben wird 35 21–22 wenn Unmittelbarkeit … erscheint] Kr: in dem blos natürliche Gegenstände aufgenommen werden, wie sie sich dem unmittelbaren Anschauen darstellen 24 der Reaction] Kr: als Stoff des Handelns 5 Lilie] Linie 7 die Personen] (1) sie (2) (sie versehentlich nicht zu die geändert) (Personen über der Zeile mit Einfügungszeichen) 12 Wir] davor gestr: das wahrhfte 12–13 Kunstformen aus 16 hievon] hievon / von 22 erscheint] erscheinen 40 Kunstwerken

Macbeth. Aus, aus, du kleine Kerze! Was ist Leben? Ein Schatten, der vorüberstreicht! Ein armer Gaukler der seine Stunde lang sich auf der Bühne Zerquält und tobt; dann hört man ihn nicht mehr. Ein Mährchen ist es, das ein Thor erzählt, Voll Wortschwall und bedeutet nichts. Br utus. O Cassius einem Lamm seid ihr gesellt, das so nur Zorn hegt wie der Kiesel Feuer der viel geschlagen flüchtge Funken zeigt Und gleich drauf wieder kalt ist. das Lehrgedicht ist ein allgemeiner Satz in die äussere Form der künstlerischen darstellung gebracht.

die entgegengesetzte Seite dazu ist das beschreibende Gedicht dessen Inhalt die unmittelbare Natur ist.

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dieser Stoff seiner Unmittelbarkeit nach zum Gegenstand gemacht wird, so kann an diese Form auch mancherlei Schmuk verwandt werden, ist aber kein wahrhaftes Kunstwerk. Es sind dieß Zwitterarten von Kunstformen.

Zweiter Abschnitt. die classische Kunstform überhaupt.

Nachdem wir nun die Natur der ersten Form betrachtet haben, wenden wir uns zur classischen Kunst.

Indem sich in der classischen Kunst beide Seiten, die des Gehalts und der Form zur Totalität ausgebildet haben, sind sie an sich identisch dieses Ganze ist in sofern ein freies, als der Gehalt in seiner Realität oder seiner Form bei sich ist, so wie diese ihren Gehalt als keinen andern mehr gegen sich hat.

Die k la ssische Kunst for m. Wir haben sie früher als die vollendete bestimmt, wo Inhalt und Form sich adaequat sind, das Algemeine und seine Besondrung sich entsprechen. die symbolische Kunst ringt nach Inhalt und Form beide sind nicht frei. daß das Ganze frei sei, dazu ist nöthig, daß die unterschiedenen Seiten für sich selbstständige Totalität seien, weil beide Seiten dann identisch sind, und ihr Unterschied nur formell ist. | Und das Ganze ist auch frei, weil seine Theile sich adaequat sind. die Rea1 Stoff ] Kr: Inhalt 1–3 kann an … Kunstwerk] Kr: geschieht dies durch die beschreibende Poesie. Die Darstellung kann dabei zierlich und gut seyn; aber eine solche Produktion erfüllt nicht den Begriff eines Kunstwerks 3 Kunstformen] Kr: Kunst und sie werden hier erwähnt, weil die Rede ist von der Beziehung des Innern auf die Gestalt 5 Natur der … Form] Kr: Form der suchenden Kunst 6 Kunst] Kr: Kunstform. / Die suchende, symbolische Kunst ist der Zeit nach, wie schon oben gesagt, die erste; sie macht den Anfang der Kunst überhaupt. Der Mensch beginnt | die allgemeine geistige Bildung damit, daß er sich aus dem natürlichen, aus dem praktischen Verhältniß zu den Naturdingen herausarbeitet, daß er diesem praktischen Verhältniß nach und nach das theoretische hinzugesellt. dies erste geistige Regen läßt ihn bald fühlen, daß er noch eine höhere Aufgabe vor sich hat, als die, sein natürliches Daseyn zu erhalten, seine physischen Bedürfnisse zu befriedigen. Er steht aber da noch auf dem Standpunkt der Ahndung eines unsichtbaren geistigen Reiches, und welchen allgemeinen Inhalt er hier auch ergreifen mag, so dringt sich ihm gleichsam das dunkle Bewußtseyn auf, ihn nur von Einer Seite gefasst zu haben. Die Ausdrucksweise dieses Zustandes ist daher eben so dunkel, eben so räthselhaft, als der Zustand selbst der des Dunkels, des Räthsels ist. Was sich aus diesem Zustand heraus gestaltet, nimmt die Form, und zwar die e r s t e Form der Kunst an, weil der Standpunkt noch nicht der der Prosa, des Gedankens, sondern überhaupt der der Vorstellung ist, zunächst der bildlichen. Das Bild, das dann von dem | ergriffenen Abstraktum, eine Vorstellung geben soll, kann eben auch nur die abstrakte Form der Kunst an sich haben, es stellt den Inhalt nicht dar, sondern es bedeutet ihn; es kommen entsprechende Momente an ihm vor, zugleich aber und wesentlich solche, die n u r b e d e u t e n 9 adaequat] Kr: vollkommen adäquat 12 weil beide … sind] Kr: Dadurch ist Jedes was das Andre ist 13–369,1 seine Theile … übergeht] Kr: der Begriff in seiner Realität bei sich selbst ist, wesentlich an sich Eins, als geschlossene Individualität 7 D i e k l a s s i s c h e K u n s t f o r m . / so Kr; fehlt in Ho (nicht die Absicht hatte gestr.) ergriffenen

11 sei] seien

31 ergriffenen] er- |

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lität ist ihrem Begriff angemessen, der in ihr nur in eine andere Form übergeht. In der symbolischen Kunst ist der Inhalt nicht frei, und die Gestalt auch nicht, die nur bedeutsam sein soll, Seiten hat, die dem Begriff gemäß sind, aber andere die ihm nicht entsprechen. daß es bedeutend sei, muß es verzerrt werden, daß man dem Stoff ansehe, daß er bedeutend sei, muß ihm Gewalt angethan werden. Bei der heiligen Poesie ist die Gestalt nur Accidenz; das höchste Wesen ist die Macht, und ihre Gestalt nur äusserer Schmuck, gleichgültig und verschwindend. Es ist immer eine Weise der Realität, in welcher der absolute Inhalt als solcher nicht erscheint. In den relativen Formen des symbolischen ist die Beziehung nur äusserlich. die classische Kunst ist die absolute Vereinigung beider Seiten. diese Einheit ist keine ursprüngliche, nicht die Idee als natürliches dasein, sondern aus dem Geiste erzeugt, das Kunstwerk ist aus der Besonnenheit producirt. die classische Kunst ist Freiheit im Inhalt. Ihr Inhalt ist der Geist in seiner Freiheit. der Geist ist nur als Freiheit und nur frei als in der ihm angemessenen Gestalt, in der er selbst erscheint, kein Anderes. So ist die Gestalt auch frei, indem sie am Be-

2 der Inhalt … frei] Kr: das Geistige sich nicht klar 3 dem Begriff … sind] Kr: die Begriffsmo304Kr menten | entsprechen 3–4 andere die … entsprechen] Kr: außer diesen auch solche, die gänzlich außerhalb liegen, und diese eben sind es, die die Gestalt zum Symbol machen 4 daß] Kr: Dies Fremdartige, um auszudrücken daß es2 ] Kr: im Symbolischen 5 Bei] Kr: die Verhältnisse des 20 natürlichen Vorbildes werden entstellt, das Maaßlose tritt hinzu. Ein allgemeiner, abstrakter Inhalt kann nicht anders verkörpert werden, als durch eine Form, die eine Verrückung an sich trägt: eine geschlossene individuelle Gestalt ist da gleichsam über dem Inhalt noch hinaus, weil der Begriff noch nicht bei sich selber ist in seiner Realität. / In 6 Poesie] Kr: Poesie, die dem Symbolischen entspricht, 7 gleichgültig und verschwindend] Kr: Zierrath, nur dienend 8 der 2 ] Kr: das Abso10 die2 ] Kr: nicht Verbindung, sondern 11 ursprüngliche] Kr: unmittelbare 25 lute, das Eine, der 305Kr 11–12 aus dem … producirt.] Kr: eine gemachte, | ein vom subjektiven Geist Zusammengebrachtes. Das klassische Kunstwerk erscheint nun als ein mit Besonnenheit Producirtes: 13 Ihr Inhalt … Freiheit] Kr: der Geist erscheint als Geist bei sich selber 14 Gestalt] Kr: Realität 15–370,1 am Begriff … hat] Kr: dem Begriff angemessen ist. / Es muß hier daran erinnert werden, 30 daß der Künstler mit dem was er produzirt, nur aus der Zeit zu begreifen ist, der er angehört. Dies wird zwar oft ausgesprochen, aber nicht eben so oft im ganzen Umfang erkannt, w a s damit ausgesprochen ist. Man meint noch zu häufig, es sey mit der Kenntniß des historischen Materials gethan; man glaubt genug zu thun, wenn man seinen Hausverstand, oder wie man sich lieber ausdrückt, seinen gesunden Menschenverstand, darauf applizirt, um den Gesammtzustand, die historische Be35 deutung einer bestimmten Zeit zu erkennen, die Stufe zu bestimmen, die sich bei irgend einem Volk, in irgend einer Zeit entwickelt hat. Hier kommt es, wie man versichert, nur auf den 306Kr soge|nannten Gesichtspunkt an von dem aus dann Alles und Jedes zu betrachten sey; es folgen dann Consequenzen auf Consequenzen und man kann dergleichen historische Arbeiten höchst geistreich finden. Der Weg des Raisonnements ist aber nicht der, sich auf irgend einen Stand- oder 40 Gesichtspunkt festzustellen und ihn für den wahrhaften auszugeben. Der pure gesunde Menschenverstand ist keine Autorität, bei solchen großen wahrhaften Interessen. Auch läßt sich von einem durchaus verkehrten Standpunkt aus eine sehr geistreiche Abhandlung schreiben; es wird Gelehr9 des symbolischen über der Zeile mit Einfügungszeichen

Unterschied der classischen Kunstform gegen die symbolische.

die Einheit des Inhalts und der Form ist in der classischen Kunst keine unmittelbare, sondern eine aus dem Geist producirte.

Voraussetzungen der classischen Kunst.

370 da sie den freien Inhalt und die freie Form hat muß der Künstler selbst frei sein, sowohl in betreff auf Inhalt als auf Technik.

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griff kein Andres hat. der Künstler dieser freien Kunst ist ebenso der freie Künstler. Er weiß was er will, und kann was er will. Er weiß was er will, kann sich im substantiellen Inhalt nicht mehr unklar sein, ringt nicht nach dem absoluten samkeit gezeigt, einzelne Züge sind vortrefflich gelungen u.s.w. und doch ist es nur zu häufig der Fall daß das Wesentliche übergangen oder wenigstens zu oberflächlich berührt ist. / Keine Erscheinung in der Geschichte steht aber einzeln da, für sich, nur, ganz besonders aus der Zeit herausgeboren: sie ist stets ein Moment des Gesammtzustandes einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Volks: i n s o f e r n also d i e s e r begriffen wird und n u r d a n n , wird auch j e n e r begriffen. So reihen sich aber die historischen Erscheinungen zu Einem Ganzen, zur Weltgeschichte | zusammen, zu welcher jene sich wieder als Momente verhalten. / Die Frage nach dem Zustand der Kunst in einer bestimmten Zeit, schließt also zugleich die Frage in sich nach dem entsprechenden Gesammtzustand, und dieser kann wiederum nur in der Weltgeschichte erkannt, begriffen werden. In welcher Weise nun diese zu betrachten sey, dafür läßt sich, wie dies wohl leicht einzusehen ist, nicht mit einem kurzen Raisonnement des gesunden Menschenverstandes der wahrhafte Standpunkt angeben, wie man dies wohl eher bei einzelnen Disziplinen der Wissenschaft geschehen läßt. Das Studium der Weltgeschichte, insofern es dabei nicht blos um Kenntniß des Materials, des Aeußerlichen der Thatsachen zu thun ist, sondern darum, das Substanzielle der Ereignisse zu begreifen in ihren Relationen, die Erkenntniß dessen zu erringen, was sie, als ihr Gesammtresultat, der Gegenwart überliefert hat, dies ist das unermeßlichste Studium, was der Mensch vor sich nehmen kann. Es umfasst die höchsten Interessen des Menschen, aber der Mensch, bei seinen kurzgemessenen Tagen erschreckt gleichsam davor, es zu be|ginnen; es ist ihm gleichsam heimlicher dabei zu Muthe, die geschichtlichen Erscheinungen auf seine subjektive Weise zu fassen, sich bei Vorstellungen davon zu erhalten, wie sie ihm von der Schule her sich eingeimpft haben, als daß er zur objektiven Erkenntniß, zur Methode der wissenschaftlichen Erkenntniß fortschreiten möchte. Gleichwohl ist es n u r d i e s e die auf den Standpunkt zur Betrachtung aller Wahrheit führt und zu deren Erkenntniß: die Methode der wissenschaftlichen Erkenntniß. / Herder hat zuerst in neuerer Zeit den mächtigen Drang in sich gefühlt die großen Erscheinungen der Geschichte auf eine allgemeinere Weise zu fassen und sich aus der damaligen kleinlichen Betrachtungsweise herauszuziehen. Er hat es aber auch zugleich gefühlt und ausgesprochen, daß er das Ziel darin nicht erreichen könne, daß er diese ungeheure Arbeit gleichsam nur angeregt und vorläufig begonnen habe, eine spätere Zeit aber sie aufnehmen und vollenden werde. Und sie ist auch allerdings von da an eine wesentliche Aufgabe für unsre neuere Zeit gewesen und wird es noch | für geraume Zeit bleiben. Bis jetzt sind im Verhältniß zum ungeheuern Stoff im Ganzen nur wenige dahin zielende Bearbeitungen geliefert worden, und es kann dies auch nur in dem Grade fernerhin mehr geschehen, als sich das System der Wissenschaft so wohl in sich selbst weiter ausbreitet und bestimmt, als es nach Außen hin sich weiter verbreitet und zu wissenschaftlichen Bearbeitungen überhaupt mehr und mehr zur allgemeinen Grundlage genommen wird. Dies ist auch die eigentliche Aufgabe, die größte Arbeit unsrer Zeit: sie macht den Beschluß. Lebendig stellt sich dies dar in dem allgemein gewordenen Interesse, die Dokumente der ganzen Vorzeit, bis in’s dunkelste Jahrhundert der alten Geschichte hinauf, aufzusuchen, in geordneter Zusammenstellung zu bewahren und zu erhalten. Dies Bestreben, sich die gesammte Vergangenheit zu vergegenwärtigen, sie mehr und mehr nach allen Beziehungen zu durchschauen und zu begreifen, liegt ganz deutlich zu Tage; man könnte somit unsre Zeit mit der Zeit der völligen Reife eines Mannes vergleichen, der, wie man sagt, bereits | ausgelebt hat, und nun die durchlebte Zeit seiner hervorbringenden, schaffenden Kraft mit prüfendem Nachdenken überschaut, jetzt, da diese nichts wesentliches, nichts Neues mehr, was nicht schon da gewesen wäre, hervorzubringen hat: mit diesem Nachdenken über die verschiedenen Stufen seines Lebens beschließt er die letzte Stufe desselben. Die verschiedenen Zustände, der Kindheit, des Knabenund Jünglings-Alters, der reifenden Männlichkeit, der Liebeszeit, des häußlichen, bürgerlichen Le-

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Inhalt, ist nicht das Gährende, das den Sinn erst herausbringen soll. der freie Künstler ist bildend, der symbolische einbildend. der Inhalt ist fertig, braucht | nicht danach zu ringen. | der Künstler der symbolischen Kunst durchläuft alle bens in der Ehe, bis in das Alter wo er diese Lebensmomente gleichsam überstanden hat, diese

5 Zustände vergegenwärtigt er sich nun, er begreift die Entwickelung seiner selbst aus ihnen. Nur im

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spätern Zustand, kann der vorhergehende begriffen werden; das Kind begreift sich selber nicht, der Jüngling begreift sein Jugendleben erst, wenn er die Schranke, den Zwang des angetretenen bürgerlichen und des häußlichen Familienlebens empfindet, wenn er Verpflichtungen eingeht, die ihm vorher ganz unbekannt und fremd waren. Die Weltgeschichte kann so mit den | Lebensstufen des Menschen verglichen werden: die Zeit der Wissenschaftlichkeit, ist die Zeit der Reife; sie ist ein eben so immanentes eben so nothwendiges Hervorgehen, als alle frühren Weltzustände. / Bei diesem allgemeinen Rückblick auf die gesammten Produktionen der Vergangenheit, sind die der Kunst im genauen Verband zu betrachten mit anderseitigen geistigen Entwickelungen; wie der Religion, der Wissenschaft in ihrem ganzen Umfang. Sie ist die heiterste und erfreulichste Erscheinung. In diesem Zusammenhang sie zu begreifen, dies ist die wahrhafte Weise ihrer wissenschaftlichen Betrachtung, in sofern sie sich dieser darbietet. / Die sogenannte Kennerschaft fasst die Kunstproduktionen zunächst und meist von einer andern, praktischen Seite; sie hat es besonders mit Zeit-, Orts- und Personal-Umständen zu thun. beschäftigt sich also hauptsächlich mit der allgemeinen, übersichtlichen Exposition der Thatsachen. Die Bildung des Urtheils ist da weniger sich selber Zweck, als sie vielmehr Mittel ist zur Forschung, zur Ermittelung der | Thatsachen in undokumentirten Fällen. Nur wir beiläufig pflegen sich die Archäologen auch der theoretischen Seite zuzuwenden, um ihrer selbst willen. Auf eine strenge wissenschaftliche Bearbeitung des ganzen Kunstgebietes hat sich bis auf diesen Tag noch Keiner gelegt. Die einzelnen dahin bezüglichen Abhandlungen, so vortrefflich sie auch zum Theil sind, machen mehr Fragmente aus, als daß sie sich zu einem systematischen Ganzen fügten. Lessing, Herder, Kant, Winkelmann, Goethe, Schiller und noch einige ausgezeichnete Männer der neuesten Zeit, haben in ununterbrochener Folge ihre vereinzelten Beiträge geliefert und mancherlei Widersprüche erfahren, wie sich denn auch noch in unsern Tagen die Streitigkeiten in manchen theoretischen Punkten immer wieder aufs neue erzeugen. Es liegt aber ganz in der Natur des Meinungskriegs, daß er nicht eher auf hört als bis das Meinen selbst aufgehört hat. Die Einseitigkeiten subjektiver Ansichten streifen sich nach und nach von selbst ab und mit der festen Form der Wahrheit wird diese selbst fest. / | Es ist vor Kurzem erst wieder ein neues Werk erschienen von einem geistreichen Mann, der sich eine lange Zeit über in Italien mit erstaunlichem Fleiß damit beschäftigt hat, geschichtliche Dokumente von den ältesten Kunstdenkmalen der christlichen Zeit aufzusuchen und zusammen zu stellen, um den Übergang derselben aus dem frühern Kunstzustand und dann ihre eigenthümliche Entwickelung näher und bestimmter darlegen zu können; er geht dann auch weiter, bis zur Epoche der höchsten Blüthe der italienischen Kunst der Malerei, und scheint seine mühevolle und höchst dankenswerthe Arbeit noch über die später folgenden Jahrhunderte fortsetzen zu wollen. / Ich führe dies Werk hier nur an, weil sich auch an ihm ein Beispiel findet, das mit dem oben Bemerkten in Beziehung steht. Die praktische Seite desselben, die Ermittelung von partikulären Thatsachen, berührt uns hier nicht: fassen wir aber die theoretische Zugabe, die der Verfasser voranschickt, um „seinen Gesichtspunkt“ im Kurzen anzugeben, näher ins Auge, so vermissen wir hier wieder eben das, was überhaupt den vereinzelten frühern Beiträgen zur | Kunstliteratur fehlt, insofern sie sich mit der reintheoretischen Seite befassen: den Karakter einer positiven, selbstständigen Entwickelung aus der Substanzialität der Sache, die Methode des wissenschaftlichen Fortganges. Die Weise, wie der Verfasser seinen Gesichtspunkt, seine Ansichten, exponirt, ist die, daß er frühere Gesichtspunkte frühere Ansichten, Behauptungen, Urtheile und Vorurtheile sich gegenüberstellt und den Unterschied des Seinigen dagegen nachweiset, in einem ziemlich eifrigen, polemischen Ton. Dies ist zu-

der symbolische Künstler im Inhalt unklar, durchläuft ihn auszudrücken alle Formen.

372 a. frei im Inhalt bildend. b) Gestalt c) Technik.

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Formen, ist nicht sich selbst begrenzend. der freie Künstler ist in sich beschlossen; (er muß auch mit dem Technischen fertig sein.) | Er hat einen an und für sich seienden Inhalt zu seinem Gegenstand, denn es ist ein Ideal, das dem Begriff nächst in der Beziehung auffallend, daß derselbe geistreiche Mann, der es als ganz natürlich darstellt, daß Giotto, in seiner Zeit, nicht eben so wohl schon hätte Rafael seyn können, als er nur dieser Giotto seyn konnte, – daß also derselbe Mann sich mit so derber Polemik über manche Einseitigkeiten in den Ansichten frührer Bearbeiter seines Feldes, hermacht. dies streitet ganz und gar gegen das Prinzip der wissenschaftlichen Betrachtung irgend einer historischen Entwickelung, und ein solcher Kampf erscheint um so anmaaßlicher, wenn der Standpunkt des Kämpfers nicht genugsam als der berechtigte, wahrhafte | dargestellt wird. Dies ist allerdings die mangelhafte Seite an dem theoretischen Theil dieses Werks, die seiner verdienten Anerkennung sehr hinderlich ist. Denn auf der andern Seite, hat der Verfasser ein so geistvolles, gebildetes Urtheil und zeigt sich so sehr im Vortheil, die frühren Vorarbeiten der letztvergangenen decennien, benutzt zu haben, daß man dennoch diese theoretische Einleitung zu seinem Werk, bei näherer Betrachtung um ein Bedeutendes, Wesentliches im Allgemeinen fortgeschritten sieht, wenn man den Verlauf der neuern Kunstliteratur einem genauern Studium unterwirft. Das wesentlich Mängelhafte daran ist, wie schon oben bemerkt, hauptsächlich der Mangel einer wissenschaftlichen Methode; diese aber geht nur hervor aus dem System der Wissenschaft selbst, aus dessen Studium, wenn eine einzelne Disziplin derselben bearbeitet werden soll. Damit werden Voraussetzungen, irrige Vorstellungen, festgewurzelte Vorurtheile beseitigt und dies muß also die nächste Arbeit des subjektiven Geistes seyn, der sich einer objektiven, wissenschaftlichen, theoretischen Bearbeitung unterziehen will. / | Wir fahren nun in der angefangenen Betrachtung der klassischen Kunst weiter fort. / Das was oben beiläufig gesagt ist, mag denn auch, um dies schließlich hier noch zu erwähnen, zur Erwiederung dienen auf die anmaßliche Stellung mancher Kunstkenner und Künstler, die die Kunst und was ihr zugehört, gern als ein Monopol gleichsam, für sich nur allein behalten wollen. Dies ist ganz verkehrt. Dies produktive Kunstgenie ist allerdings das Eigenthum eines besondern, von der Natur unmittelbar spezifisch begabten Menschen, und selbst noch das untergeordnete Kunsttalent gehört zur besondern Eigenthümlichkeit. Auch der Sinn für die Auffassung der Werke der Kunst ist von größerer oder geringerer Empfänglichkeit und Schärfe und kann auf geringer oder höherer Stufe der Bildung stehen. Die Werke der Kunst enthalten aber zuletzt auch ein allgemein Menschliches und bieten sich nach dieser Seite auch einer allgemeinern Betrachtung dar, die für das vernünftige Denken ist. – Sie setzt zwar auch den S i n n für die sinnliche Weise der Kunst voraus, nur bleibt sie nicht bei dem eigensten Interesse des|selben stehen, sondern sie geht über zu einer allgemeinern Weise der Auffassung, die im Zusammenhang steht mit der Betrachtung anderer Formen für ein und denselben Inhalt, wie ihn die Kunst in der ihrigen giebt. / Die symbolische Kunst ist im Ganzen das Erzeugniß des Orients; sie macht den Anfang der Kunst, wie die Sonne, wenn sie die Höhe des Horizonts noch nicht erreicht hat und die dämmernde Morgenröthe voranschickt, den Tag beginnt. Sie ist ein Umherwandeln in diesem dämmernden Reich der Ahndung, die Gestalten der Natur stehen noch nicht im klaren Licht des Tages. Die symbolische Gestalt bedeutet nur, sie stellt nicht dar, hat keinen individuellen Inhalt, sondern einen allgemeinen, abstrakten. Hier ist also ein Ringen, ein Streben nach Inhalt, nach der Klarheit der Darstellung; denn der Inhalt ist noch gebunden in der allgemeinen, dunkeln Vorstellung und ihm entspricht keine individuelle Gestalt. / Die klassische Kunst ist die klare Kunst. Der Inhalt wird unterschieden, in seiner individuellen Bestimmtheit gefasst; ihm entspricht eine individuelle Gestaltung | und der Künstler wird darstellend in seiner Kunst. / Dieser Fortschritt geschieht nicht auf dem Boden der symbolischen Kunst: Der Occident, und hier zunächst ist Griechenland der Schauplatz der Entwickelung der klassischen Kunst, eben so, wie sich überhaupt der allgemeine Fortgang der Wissenschaften, der intellectuellen Kultur, dem Abendlande, unserm kleinsten Welttheil zuwandte. / In Griechenland beginnt die

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gemäß ist. der Begriff ist an und für sich bestimmt und somit auch die Gestalt. die Willkühr des Künstlers ist ausgeschlossen, der Inhalt ist deswegen für den Künstler vorhanden, er findet ihn vor, und der Künstler ist nur die subjective Thätigkeit Prosa zuerst und zugleich mit der Entwickelung ihrer Kunst, der klassischen Kunst. Aristoteles ist 5 in ihr bereits bis zur Betrachtung des Denkens, in seiner Selbstthätigkeit, fortgegangen; er lebte im

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4ten Jahrhundert vor Christo. die Griechen hatten zu jener Zeit schon eine Kritik der Kunst. Dies zeigt sogleich, daß die griechische Welt, die griechische Kunst auf einer viel höhern Stufe stehe, als die vorangegangne symbolische 370,1 dieser freien] Kr: der klassischen 370,2 kann 2 ] Kr: kann, in Ansehung des Gedankens 371,2 bildend] Kr: bildend, darstellend einbildend] Kr: einbildend, | bedeutend 371,2–3 der Inhalt … ringen] Kr: für ihn ist ein Inhalt gewonnen, dem eine individuelle Gestalt entspricht, ein Inhalt, der diese Gestalt ganz, bis auf die äußerste Oberfläche zu erfüllen und zu beseelen fähig ist. Wo und wie er hergekommen ist, das ist s e i n e Frage nicht, er findet ihn vor, nimmt ihn, so wie er lebendig vorhanden ist, in sich auf, wird sich dessen nur auf empirische Weise bewußt, und gestaltet ihn; denn dies ist s e i n e Ausdrucksweise dafür. Die Religion, die Philosophie bilden denselben Inhalt, der ein allgemein Menschliches ist, ihrer Seits eben so wohl nach ihren Weisen aus. Das Kastenwesen, worin im Orient, in Aegypten, Alles in harter Form erstarrte, ist von den Griechen abgeworfen; bei diesen zuerst hat sich die freie Selbstthätigkeit des Geistes geregt, der Geist sich erhoben und befreit aus dem dunkeln Kasten. Es ist als ob sich die Augen der Morgenländer beim leuchtenden Aufgang der Sonne verblendet hätten, als ob sie das blendende Licht nicht hätten ertragen können: sie haben sich dem Dunkel zugekehrt und sind so stehen geblieben 371,3–372,1 der Künstler … begrenzend] Kr: Man könnte sagen, der klassische Künstler sey weniger erfindend, als der symbolische. Seiner produktiven Thätigkeit ist allerdings die abstrakte Freiheit des symbolischen Künstlers, diese Willkühr, genommen, mit einem willkührlich ergriffenen Zeichen eine Bedeutung zu verknüpfen; er ist mehr an eine inwohnende Gesetzlichkeit, an einen vernünftig bestimmten Inhalt gebunden, dem seine Darstellung entsprechen soll; er hat mehr zu suchen nach der Form, er hat diese zu finden für den gefundenen Inhalt. Auf der symbolischen Stufe wird dieser Inhalt selbst noch gesucht und da er noch nicht in seiner Bestimmtheit gefunden ist, so ist der Künstler gleichsam gezwungen die Mangelhaftigkeit des Inhalts durch die e r fundene Form zu decken, zu ergänzen. dies ist also eine abstrakte Erfindung. dieser Art der Erfindung bedarf der klassische Künstler nicht; er erfindet nur die äußerliche Weise seiner Darstellung, die sich aber nach dem Inhalt sodann zugleich selbst bestimmt, ihm selber gemäß gemacht wird 372,1–372,2 ist in … sein.)] Kr: Der freie Künstler darf auch nicht mehr gehemmt werden durch technisches | Unvermögen: ihm voraus muß sich das Handwerk, die Geschicklichkeit das Material zu handhaben und zu bearbeiten schon vollkommen ausgebildet, Alles erfahren und erprobt haben, was dazu gehört; diese technische Geschicklichkeit, insofern sie sich auf das Erlernbare bezieht, auf die Kenntniß von der eigenthümlichen Natur des Materials, auf zweckmäßiges Werkzeug und dessen Anwendung bei den besondern Fällen, darf bei ihm nur darauf beruhen, daß er sich auf sie einübt. So erst, im völligen Besitz des technischen Mittels, hat er auch von dieser Seite die Freiheit gewonnen, wie sie ihm zur Lösung der Aufgaben auf dieser Stufe der Kunst nothwendig ist und der Freiheit von Seite des Inhalts entspricht. Hier muß der Stoff der Vorstellung gehorchen, die Wirksamkeit muß der Vorstellung unterthan seyn. Diese gehorchende Wirksamkeit, dies ist die Geschicklichkeit, die nur durch Übung erreicht wird. Einerseits ist sie das Resultat einer technischen Fortbildung von langen Jahren, ja von Jahrhunderten hindurch gesammelter Erfahrungen, Erfindungen und Handgriffe, andrer|seits muß sie aber dennoch von jedem Künstler durch Übung erworben und sich zu eigen gemacht werden. Denn auf den höchsten Stufen der Kunst verfällt die Technik in ein nur dienendes Verhältniß, da sie vorher ein Ziel des besondern Augenmerks war und um ihrer selbst willen schon Etwas galt. Ihre Vollendung wird also handwerksmäßig erlangt und dieses mehr handwerksmäßige Betreiben und Ausbilden geschieht bei

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der classische Künstler stellt nur das Anundfürsich fertige dar.

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des darstellens; er ist bildend überhaupt. In diesem Bilden bildet er allerdings auch fort, aber unmerklich, unscheinbar. Er scheint nur zu executirn, was schon für sich fertig ist. die griechischen Künstler nahmen ihren Stoff aus der Volksreligion. Phidias nahm seinen Jupiter aus dem Homer. Ebenso haben die einer statarischen Kunst und Religion. dies sehen wir in der Kunst der Aegypter, der ältern Griechen, bei den Aegineten, und so auch in den ältesten Anfängen der christlichen Kunst bis zur Zeit ihrer Reife hin. Da hat denn das Kunstwerk noch einen Typus, ein scheinbar formell Gebräuchliches, wobei eine Zeit lang stehen geblieben wird. An der stets wiederholten Aufgabe übt sich die Technik aus und gelangt ganz handwerksmäßig, nach und nach zu solchen Vortheilen, daß sie nun fähig ist, auch einer reichern, inhaltsvollern Darstellung dienen zu können. Die Zeiten, der Inhalts-Entwickelung, der weitern bestimmtern Fortbildung desselben, und der Vollendung | technischen Vermögens, treffen, wie Ursache und Wirkung in Einer Epoche zusammen. / Das Handwerksmäßige muß also der freien Kunst vorangehen; denn dadurch wird die Technik vollendet, wodurch wieder die freie Kunst in ihrer schönsten Blüthe bedingt ist. In der neuern, christlichen Zeit, hat eben so die freie Kunst erst begonnen, als die Technik einen hohen Grad der Vollendung erreicht hatte, wie dies besonders in der Malerei der Fall ist. / In Hinsicht dieser letztern kann indeß hier die Bemerkung ihre Stelle finden, daß sich zwar bei den Italiern, von den Griechischen oder Byzantinischen Künstlern her, ein solches typische Beharren und handwerksmäßige Ausbilden der Technik, historisch nachweisen läßt; bei den Deutschen aber erscheinen die van Eyck’s um die Mitte und am Ende des 13ten Jahrhunderts mit einer so durchgebildeten, vollendeten Technik und in so hoher Meisterschaft der Kunst überhaupt, daß sie in beidem wie unübertrefflich dastehen, obgleich es den Kunstforschern bis jetzt noch nicht genügend gelungen ist, die vorgängliche Ausbildung dieser bewundernswürdigen Technik mit historischen | Belegen nachzuweisen. Die sogenannte Kölnische Schule ist zwar früher; liegt aber ziemlich im Dunkel: auch sind die Eycks sogleich mit einem solchen Riesenschritt über sie hinaus, daß man ihre Technik und Kunst nicht füglich aus der allzugleichzeitigen kölnischen Schule unmittelbar kann hervorgehen lassen. diese Deutsche Technik ist zugleich auch ganz neu: man malte früher mehr in Miniatur, kleine Bilder auf Pergament, wie sie sich noch in Handschriften, in Kirchen- und Gebet-Büchern jener Zeit finden. Bei den Kölnern und den Eycks aber finden wir sogleich, wenigstens bei letzten technisch vollendete Werke der Oelmalerei. Diese Technik wurde den Italienern durch die Eycks zugebracht; man malte daselbst, von der ältesten Zeit her a tempera, in einer Art Wasserfarbe, deren Bindemittel das Eigelb ausmachte. Erst im 15ten Jahrhundert wurde die Technik der Oelmalerei von den Italienern aufgenommen und cultivirt. Doch blieben darum die in der Tempora-Malerei erworbenen Vortheile nicht fruchtlos. / So hat also jede höchste Kunststufe ihre technische Vorzeit. 372,2–373,1 Er hat … Gestalt] Kr: In Beziehung nun auf den Inhalt, welcher für die klassische Kunst ist, tritt hier, wie bereits oben bemerkt, der wesentliche Unterschied ein, daß er hier ein an und für sich seyender ist, der nicht mehr, wie in der symbolischen Kunst, ein Zufälliges, Willkührliches enthält. Denn in der intellectuellen Welt des griechischen Volks bildet sich der Inhalt zur Bestimmtheit des Begriffs heraus, zur individuellen Bestimmtheit 373,2–3 Künstler] Kr: klassische Künstler 373,3 subjective] Kr: formelle 1 des darstellens] Kr: denselben vorstellig zu machen, ihn in seiner Weise darzustellen In diesem Bilden] Kr: und da das Bilden zugleich ein Fortgehen ist, so 2–3 Er scheint … ist] Kr: Daher hat die klassische Kunst nicht das Statarische Homer] Kr: Homer, Homer seine Götter der symbolischen 4 Volksreligion] Kr: Mythologie theils aus dem Morgenlande, theils aus lokalen Vorstellungen 4–375,2 Ebenso haben … war] Kr: Die christlichen Dichter und bildenden Künstler schöpfen den Inhalt zu ihren Gestaltungen | aus dem Alten und Neuen Testament, aus kirchlichen Dogmen, kirchlich religiösen Vorstellungen, 20 3 über gestr. 4

46 ,2 durch Tintenfleck verdeckt

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christlichen Künstler Raphael und Dante nur vorgestellt, was in der Kirche vorhanden war. der Stoff ist der für sich Fertige; ihn bethätigt der Künstler, stellt ihn sinnlich dar. die andere Seite ist, daß für den classischen Künstler auch die technische Seite fertig sein muß. Zur freien Kunst gehört, daß der sinnliche Stoff, in dem der Künstler arbeitet, der Vorstellung gehorchen muß; die Wirksamkeit muß der Vorstellung unterthan sein, für sich kein Sprödes enthalten, sondern sich der Conception unterwerfen. diese gehorchende Wirksamkeit die Geschicklichkeit erlangt sich nur durch Uebung. Worin das Individuum sich übt, diese technische Fertigkeiten müßen schon einen hohen Grad erreicht haben, um diener sein zu können. Sie dürfen nur bewürken was verlangt wird. diese Vollendung der Technik wird durch das | Handwerksmäßige erlangt, und die bloß handwerksmässige Ausbildung geschieht bei einer statarischen Kunst. Eine solche ist das Aegyptische. Gemählde Bildsäulen haben in ihr einen bestimmten, stets wiederhohlten Typus. diese Periode der handwerksmäßigen Kunst ist eine Seite, die der freien Kunst vorhergehn muß, und nur in früherer Periode möglich ist. In der neuern Zeit ist man in der Mahlerei da so weit fortgeschritten, daß das statarische ihr voranging. – dieß sind die Voraussetzungen der freien Kunst, daß ihr Inhalt und die Seite der Realität in sich vollendet sei. Aber die Ausübung ist dann zugleich ein Fortbilden beider Seiten. | Nach diesen Bemerkungen haben wir nun näher zu fragen: was ist überhaupt der Character der classischen Kunst, auf dessen substantielles wir uns hier nur beschränken konnen. dieses substantielle sind die Götter. dieß Göttliche in seiner höchsten Freiheit muß sich dann auch in den besondern Kunstformen reflectiren; diese Arten haben wir erst später zu betrachten. Hier haben wir erst das substantielle Schöne. die Natur dieses Schönen haben wir schon früher betrachtet. Es hat zu seinem absoluten Inhalt nicht das Geistige in seiner abstracten Geistigkeit des Gedankens, sondern als geistige subjectivität;

aus den Märtyrergeschichten, den Legenden u.s.w., überhaupt also einen solchen, wie er dem Christenthum, dem christlichen Prinzip in seinem geschichtlichen Fortgang entspricht. Das Mysterium des geistigen, dreieinigen Gottes und seiner Erscheinung als Mensch in der Welt, macht hier 30 den Hintergrund aus. In der klassischen Welt sind es individuelle Gottheiten, die auch eine ganz sinnliche Seite an sich haben und sie machen nicht den fernen mystischen Hintergrund aus für die Kunst, sondern sind der individuelle Inhalt selbst für sie in klarer, individueller Gestalt körperlichen Daseyn 3–12 die andere … Aegyptische.] Vgl. die Variante zu 372,1–2. 17–19 dieß sind … Seiten] Kr: Solchen Inhalt findet also der Künstler der freien Kunst bereits entwickelt für 35 die Darstellung vor, und seine Thätigkeit hat die formelle Seite an sich, die besonders im klassischen überwiegend ist, den an und für sich seyenden Inhalt auf die besondere künstlerische Weise vorstellig zu machen. In der christlichen Kunst kommt dann noch ein weitres Moment hinzu, was an seinem Ort näher wird angegeben werden 21–22 sind die … muß] Kr: liegt im mythischen Kreis der Götter, in der klassischen Gottheit. Sie enthalten als besonderes Moment die klassische 26 abstracten] Kr: allgemeine geistige] Kr: concrete geistige Individualität 40 Schönheit, die und

da die classische Kunst Einheit ist des Begriffs und des Realen, so muß die Realität auch fertig sein

Vom Character überhaupt der classischen Kunst. die classische Kunstform ist die des substantiellen Schönen oder der geistigen subjectivität.

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Als geistige subjectivität ist der Geist das sich selbst ein dasein gebende; und in diesem bei sich bleibende der Geist ist die Erscheinung seiner selbst. die Erscheinung des Geistes ist die menschliche Gestalt.

diese Erscheinung ist sie ihrer Form nach, nicht ihrer Materiellen Seite nach.

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dieß ist schon im Mythus vom Oedypus ausgesagt. der Geist ist das sich Offenbare, und sich auf offenbare Weise Manifestirende, das sich selbst bestimmende freie Allgemeine. Zur Bestimung aber gehört die Seite des daseins, des Für Andresseins. | der Geist ist in seiner Bestimung seinem dasein das Beisichselbstseiende, also überhaupt der Begriff in seiner Realität, die ihre Bedeutung also an ihr selbst hat, das Innre das in die Äusserlichkeit tritt, und in dieser bei sich selbst ist. | die subjective Geistigkeit ist das, was wir bisher die Bedeutung nannten, und hier die Macht hat in ihrer Erscheinung sich selbst zu zeigen. das Nähere dieser Erscheinung bestimmt sich dann so, daß die Gestalt nur kann die menschliche sein, weil in ihr allein sich das Geistige offenbaren kann. Sie ist hier nicht mehr symbolisch, sondern Erscheinung des Geistes, die Bestimung des Geistes, sein Hinaustreten in’s dasein. die sinnliche Gestalt des Menschen ist allein die, in welcher der Geist zu erscheinen vermag, sie ist an ihr selbst bedeutsam; was sie bedeutet ist der Geist, der in ihr heraustritt. Sie ist ein Körperliches, Materielles und nach dieser Seite vom Geist unterschieden; aber diese Form des Materiellen ist Erscheinung des Geistigen. die menschliche Gestalt | ist nicht nur lebendig, wie das Thier, sondern der Spiegel des Geistes. das Auge sieht nicht nur aus sich, sondern durch dasselbe sieht man auch in die einfache Seele. die Entwiklung dieses Keimes ist die übrige Formation der Gestaltung, und der Leib also nicht nur symbol des Geistes; sondern der Geist ist im Leib unmittelbar für Andere vorhanden. die andere Seite also ist, daß der Inhalt fertig sei und als solcher nur könne in der menschlichen Gestalt erscheinen. dieß zu beweisen wäre die Sache einer Physiologie. die menschliche Gestalt ist die nothwendige des Geistes, der im sinnlichen

4–6 das Beisichselbstseiende, … ist] Kr: bei sich zu seyn; sie ist durch ihn in ihm selbst gesetzt. Hier ist eine Realität, die die Bedeutung an ihm selbst hat, in welcher der Geist sich äußert, die Seele zur Erscheinung kommt 7 subjective Geistigkeit] Kr: geistige Individualität Bedeutung] Kr: Bedeutung des Geistes an sich 10 Geistige] Kr: Geistige auf körperlich sinnliche Weise des daseyns 11 Erscheinung] Kr: Gestalt 12 dasein] Kr: Sinnliche, ins sinnliche Daseyn 14 der in … heraustritt] Kr: dieser aber steht nicht dahinter, sondern er ist in ihr unmittelbar Gegenwart, er tritt an ihr heraus zur Erscheinung 15–16 Erscheinung des Geistigen] Kr: das Geistige darzustellen in der äußerlichen Weise der individuellen Existenz 17 Thier, sondern … Geistes] Kr: Thier nur ein lebendiges Individuum seiner Gattung darstellt; sondern seine Gestalt, seine Bewegung, sein Antlitz, sind ein Ausdruck des Geistes 19 Gestaltung] Kr: ganzen Gestalt eine solche, daß diese den Ausdruck des Seelenhaften, zugleich aber auch des Geistes an sich hat, in der Weise individueller Existenz, subjektiver Geistigkeit Leib] Kr: Leib, die menschliche Gestalt 20 ist] Kr: wird unmittelbar gegenwärtig 20–21 die andere … sei] Kr: Das Technische muß sich, wie schon oben gesagt, auf der Stufe der klassischen Kunst schon fertig ausgebildet haben; es darf von ihrer Seite keine Hemmung, kein Hinderniß mehr im Wege stehen. Der Inhalt andrerseits muß aber auch fertig seyn; er ist ein geistiger 22 dieß] Kr: Dieser Satz, daß es nur die menschliche Gestalt ist, welche allein die Gestalt des | Geistigen, des Selbstbewußtseyns seyn kann, 7 und Lesung unsicher

19 übrige Lesung unsicher

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dasein erscheint. Aus diesem Gesichtspunkt kann auch die Vorstellung betrachtet werden, daß die Kunst die menschliche Gestalt, die sie vorfand, nachgeahmt habe, sodaß dieses Nachahmen als eine Zufälligkeit erscheint. Aber die menschliche Gestalt ist die einzig nothwendige und mögliche. Nur in ihr stellt sich das Geistige dar. denn in der menschlichen Gestalt als in einer Weise des sinnlichen des Geistes, ist der Leib kein Symbol mehr, er drückt kein Anderes aus, bedeutet kein Fremdes, sondern seine Bedeutung erscheint auf der Oberfläche selbst. Im symbol ist nur ein | Theil der Bedeutung entsprechend. dieß ist im menschlichen Leibe nicht. das Ganze zwar des Körpers ist für den Ausdruk des Geistes nicht so bedeutend als das Gesicht. Man hat den Griechen sehr zum Vorwurf gemacht, daß die Mythologie anthropomorphistisch ist; Xenophanes hat schon dagegen gesprochen, sagend: wären die Löwen die Bildenden gewesen, so hätten sie ih1–5 Aus diesem … dar] Kr: Indem nun der Künstler die unmittelbare Erscheinung des Geistigen, die natürliche Gestalt, die seinen Ausdruck auf unmittelbare, natürliche Weise an sich hat, indem er also diese auffasst und darstellt, so kann von diesem Gesichtspunkt aus auch die ganze Vorstellung betrachtet werden, daß die Kunst die Natur nachgeahmt habe. Jedoch wird es, bei einseitiger Festhaltung dieser Vorstellung, als eine Zufälligkeit genommen, daß die Kunst grade die menschliche Gestalt zu ihrem Hauptgegenstand gemacht hat: es fehlt dann die andre wesentliche Seite, daß diese Gestalt die nothwendige, die einzig mögliche ist, worin das Geistige in der Natur wie in der Kunst auf sinnliche, gestaltete Weise präsent seyn kann. Nur der erscheinende Geist kann Gegenstand für die Kunst seyn, der Geist in seiner individuellen, endlichen Existenz, in seiner Leiblichkeit, in der Weise seiner äußerlichen Erscheinung. | daß nun die menschliche Gestalt zugleich die des Geistigen überhaupt ist, dies ist nicht zufällig. Der Künstler produzirt sich selbst wie man sagt; er ist ein Mensch, d.h. ein geistiges Individuum, ein subjektiver Geist, dessen äußerliches Erscheinen, welches der Kunst angehört, nur die menschliche Gestalt ist. Also ist er, sobald er ein Geistiges in seiner individuellen Gestalt darstellen will, auf die menschliche Gestalt unmittelbar hingewiesen. Bliebe man nun dabei stehen, daß das Interesse der bloßen Nachahmung das Movens der Kunst sey, so wäre der Gegenstand derselben zunächst ganz gleichgültig, und dann wäre es auch als zufällig zu nehmen, daß gerade die menschliche Gestalt dieser Gegenstand geworden sey. Ist aber das Geistige sein Interesse dabei, ist der Künstler überhaupt fähig ein geistiges Interesse zu fassen, das Geistige darzustellen, so ist es nothwendig, daß er hauptsächlich den Menschen in der ganzen Weise seiner äußerlichen, sinnlichen Erscheinung fasst und ihr gemäß darstellt; denn er stellt sein Werk hin zugleich für den Geist, für den Gedanken, wie für den Sinn 5 in einer … sinnlichen] Kr: die noth|wendige Weise der sinnlichen Erscheinung 6 Leib] Kr: Leib, die leibliche Wirklichkeit desselben, kein Anderes] Kr: für sich nicht eine andre Natur 7–8 selbst. Im … entsprechend] Kr: selbst, – es bleibt da, so zu sagen kein Plätzchen mehr übrig zur Bedeutung eines Andern 8–10 dieß ist … Gesicht] Kr: Es haben nun aber nicht alle Theile des menschlichen Körpers einen gleichen geistigen Ausdruck. Das Antlitz des Menschen enthält den vollendetsten Ausdruck des Geistes und in ihm sind die Augen die beständigen Sprecher desselben: wenn sie sich schließen, im Schlaf, in der Ohnmacht, im Tode, so ist die Gestalt ihres mächtigsten Organ’s zum Ausdruck ihres Innern beraubt. / Es giebt dann eine höhere Weise der Erscheinung des Geistes, die schon mit der Weise sinnlicher Vorstellung, deren sich der Dichter bedient, beginnt, dann aber, losgerissen von dieser sinnlichen Vorstellung zur Prosa des Gedankens übergeht, in dessen Element sie sich vollendet. / Es ist oben gesagt, daß die griechischen Götter den substanziellen Inhalt für | die klassische Kunst ausmachen 11 ist] Kr: sey, daß sie ihre Götter zu sehr vermenschlicht hätten

die menschliche Gestalt ist keine zufällige, sondern die nothwendige Erscheinung des Geistes, und nicht symbolischer Ausdruk seiner als Bedeutung, sondern Erscheinen selbst des Geistes.

der Vorwurf gegen den anthropomorphismus der griechischen Religion ist daher ungegründet und ihr im Gegentheil vorzuwerfen, sie sei nicht anthropomorphistisch genug.

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Ihr Gott ist nicht unmittelbar Mensch, sondern nur verwirklichtes Kunstideal, und bleibt in dieser unmittelbaren Wirklichkeit stehn.

der christliche Gott ist der ins dasein als Mensch getretene und die Auf hebung dieser Äußerlichkeit in der Negativität des Todes, und als Auf hebung dieser Erscheinung seiner als Geist unendliche Geistigkeit nicht unmittelbar nur erscheinende.

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ren Göttern Löwengestalt gegeben. Aber man kann gerade sagen: die griechische Religion sei nicht für die Religion Anthropomorphistisch genug, denn in der christlichen Religion ist der Gott ein ganz unmittelbar Einzelnes in allen Bedingungen des daseins; kein blosses Ideal[.] Hat man vom Absoluten nur eine abstracte Vorstellung, nur als das Eine bestimmt, dann fällt die Gestaltung allerdings fort, aber zum Gott als Geist gehört das Erscheinen als Mensch, sonst ist er nicht Geist. das Anthropomorphistische ist also ein wesentliches Moment im wahrhaften Begriff der göttlichen Natur. Für die Religion ist der griechische Gott daher nicht menschlich genug; die griechische Religion geht nur bis zur ersten Geistigkeit fort nicht bis zur unendlichen Geistigkeit, denn dazu gehört, daß das Geistige selbst seine Geistigkeit gereinigt, vermittelt habe, während das griechische eine unmittelbare Geistigkeit ist, und so ein Mittel ist zwischen der absolut freien und bloß natürlichen nicht subjectiven. Zur absoluten Geistigkeit gehört der ganz vollkommene Gegensatz. Zu diesem ist nöthig, daß die Seite der Einzelheit der subjectivität fortgegangen sei bis zur zeitlichen, gänzlichen Äusserlichkeit des daseins, daß Gott als Mensch seiend vorgestellt werde, aber nicht als bloß ideales Menschsein, sondern es gehört dazu, daß die Seite der subjectivität unmittelbar natürliche Existenz sei, um aus diesem Extrem des Gegensatzes sich zurück zunehmen. Bei den Griechen ist | die Sinnlichkeit nicht gestorben und getödtet, sondern ist geblieben, denn sie sind nicht bis zur freien Geistigkeit fortgegangen, haben den Gegensatz nicht bis zur Tiefe fortgetrieben und ausgesöhnt. | der 1 sagen] Kr: das Gegentheil sagen; gerade dies ist nicht der Mangel der griechischen Religion 3–4 ein ganz … Ideal] Kr: als Mensch erschienen; nicht aber in der Weise eines griechischen Ideals, sondern ganz menschlich, ganz in der Weise endlicher Existenz: er wurde geboren, er litt und starb den leiblichen Tod. Hier ist also der Anthropomorphismus noch viel weiter getrieben 5 Gestaltung] Kr: Gestaltung, die Bestimmung der Erscheinung an sich 6–7 aber zum … Geist] Kr: wenn aber Gott als wahrhaft lebendiger Gott, als Geist vorgestellt wird, so gehört eben dies Erscheinen zu seinem Begriff, zu seiner Natur: s o , als manifestirt, i s t er nur Geist 9 ersten Geistigkeit] Kr: Geistigkeit des gött|lichen Wesens überhaupt 10–11 Geistige selbst … habe] Kr: Unendliche seine Unendlichkeit gereinigt habe vom Endlichen 12–13 und so … subjectiven] Kr: sie bleibt daher auch noch stehen bei dem Unmittelbaren 13–14 ganz vollkommene Gegensatz] Kr: höchste Gegensatz, die höchste Entzweiung des Endlichen und Unendlichen; zum absoluten In-sich-seyn des Geistes gehört, daß er aus der absoluten Entzweiung zu sich selbst komme und sich erfasse 16–17 aber nicht … Menschsein] Kr: so daß dieser Anthropomorphismus nicht blos g e m e i n t e Gestalt sey 18–19 zurückzunehmen] Kr: wiederum zurückgenommen habe. dies ist die Bedeutung der Auferstehung Christi 19 Griechen] Kr: griechischen Gottheiten 20 nicht] Kr: ein Letztes, weil noch nicht 21 haben den … ausgesöhnt] Kr: Die unendlich freie Geistigkeit schließt diesen Gegensatz in sich, daß bis zur unmittelbaren Existenz des Menschen fortgegangen wird, aber so, daß diese unmittelbare Gegenwart nur ein Vorübergehendes ist, ein zeitliches, endliches Erscheinen, ein endliches daseyn des unendlichen Geistes: der Mensch, dies zeitliche Daseyn des Geistes stirbt, ist nicht mehr unmittelbar gegenwärtig 13 nicht subjectiven über der Zeile mit Einfügungszeichen

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Anthropomorphismus ist also kein Zufälliges. Aber der Widerstreit dagegen ist noch immer vorhanden. die Franzosen in dieser Rücksicht sagen witzig: Gott habe den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, und der Mensch habe gleiches Spiel gemacht und Gott nach des Menschen Bilde erschaffen. die classische Kunst also überhaupt nun ist der Mittelpunkt. den Inhalt der classischen Kunst in seinen Momenten haben wir näher zu entwickeln. | Wir sprachen bis jetzt von den Voraussetzungen dieses Inhalts. diese Voraussetzungen hat der Inhalt selbst, sie zeigen theils den Uebergang an, theils sind sie selbst ein Theil des Inhalts. Warum die Voraussetzungen nöthig sind, ist dieses, daß dem Geistigen die abstracte Form des Fürsichseins zukommt, subjectivität, Unendlichkeit in sich, und dazu gehört, daß es sei durch Auf hebung eines Andern, welches in der Zeit ausgelegt daher ein Vergangenes ist. Entwickeln sich die Momente in der Zeit so fallen sie auseinander. Was das Object des Fürsichseins ist, durch dessen Auf heben es erst subjectivität ist, dieses Erste ist nun nicht die Natur überhaupt, sondern ist schon Erstes, welches das dasein des geistigen Inhalts ist, was wir theils als Pantheïsmus, als symbolische Kunst, betrachteten, die erste Form der Kunst, die Gährungen der Einheit, die noch nicht absolut bestimmt und beruhigt ist. das Erste ist hier also nicht die Natur als solche, sondern die Kunstformen, die wir berührten. Sie hatten zum Inhalt Einheit des Geistigen und Natürlichen. Alle Objecte waren unmittelbare Götter, hatten diese gegenwärtig. Oder es war die Einheit als symbolische, als Ringen, als Aufgabe. diese 2 die Franzosen … witzig] Kr: Ein Franzose hat sich über den Anthropomorphismus so ausgedrückt 3–4 habe gleiches … gemacht] Kr: hat es ihm auch fein zurückgegeben 4 erschaffen] Kr: gemacht.“ / Es ist aber gerade die Idee der Versöhnung, welche den Mittelpunkt der christlichen Religion ausmacht, in all diesen Vorstellungen übergangen und vergessen 7–9 diese Voraussetzungen … Inhalts] Kr: Das Ideal, diese Gestaltung freier Geistigkeit, setzt ein, seiner Erscheinung Vorangegangenes, Vermittelndes voraus. Es hat seine Voraussetzungen, die Theils den Übergang machen aus dem Symbolischen, Theils Momente des Inhalts des Ideals sind 11 durch] Kr: nicht unmittelbar, sondern durch 12 in der … ist] Kr: ein Vorangegangenes sey, ist in der Zeit der Erscheinung eine Bedingung 13 das Object … ist] Kr: ihm vorangegangen seyn muß 15 Erstes] Kr: ein Solches 16 was wir theils] Kr: Dieses Erste, Vorangegangene, welches aufzu18 ist1] Kr: sich erst in der heben ist, ist das, was wir früher schon 17 der 2 ] Kr: das Streben zur Subjektivität, diese erst ist für sich etwas Festes 19–21 Sie hatten … gegenwärtig] Kr: Im Pantheis|mus ist die Einheit des Geistigen und Natürlichen unmittelbar: das lebendige Thier ist die geheiligte Kreatur, weil das Göttliche in ihm unmittelbar gegenwärtig sey; es wird angebetet, darf nicht getödet werden: jedes natürliche Individuum ist das unmittelbare, gegenwärtige Göttliche. Diese unmittelbare Einheit ist die erste überhaupt: das daseyn des Geistigen ist hier die Naturgestalt selbst 21–380,2 Oder es … dinge] Kr: die zweite Einheit ist dann die, die wir näher als die symbolische bestimmt haben: in ihr liegt ein Ringen, ein Streben nach geistiger Subjektivität, eine Entzweiung mit der Vorstellung des eigentlichen Pantheismus von dem unmittelbaren Daseyn der Gottheit im Natürlichen, im thierischen Individuum. diese Stufe des Symbolischen enthält dann 1 Anthropomorphismus] Anthropormorphismus

12 ausgelegt daher ein über gestr. ein

die classische Kunst als das in sich vollendete Geistige, die geistige subjectivität zum Inhalt habend ist für-sichsein; Fürsichsein ist sie als Negation seiner als Anderssein, und dieses Anderssein ist die symbolische Kunstform.

dieses Andere ist aber in der Sphäre der Kunst nicht die Natur als solche, sondern die Natur als dasein des abstract Geistigen.

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erste Einheit genügt dem Geiste nicht. das dasein des Geistes sind hier die natürlichen dinge, eine Gestaltung die noch unreif, roh und wild, weil der Geist hier noch nicht unendlich in sich ist. das subjective aber ist in sich und fest für sich bestimmt. | diß ist das Allgemeine, darüber daß die symbolische Religion voraus gehe der der classischen | Kunst; die Religion ist der Inhalt auch der classischen Kunst. Es beantwortet sich hieraus die Frage, ob die Griechen ihre Religion von

allerdings noch auch Solches, nach dessen Seite hin es noch der vorangegangenen pantheistischen Stufe berührt: sie hat auch noch einzelnen Thierdienst, aber es kommt hier zugleich vor dabei, daß das Thier, wie z.B. der Apis, ein bestimmtes Abzeichen haben müsse, woran zu erkennen sey, daß in ihm das Göttliche vorhanden sey. | das Wesentliche der symbolischen Stufe ist aber dies, daß die pantheistische Vorstellung aufgehoben wird, daß in ihr die Entzweiung eintritt mit dem unmittelbar, natürlich daseyenden Göttlichen, daß sie die Gestalt hinstelle, die das Göttliche nur bedeute. Diese Gestalt erfolgt so zunächst als ein Unnatürliches; das Ungeheure, die Verzerrung bedeutet eben dies, daß ein Andres dadurch bedeutet werde, als das Individuum im natürlichen Daseyn. Um die Gestalt bedeutend zu machen, wird sie verzerrt. Das Geistige ist so einerseits zwar losgerissen vom unmittelbar Natürlichen, ist aber andrerseits noch nicht gefasst als geistige Individualität, als freie Geistigkeit, sondern es ist im Symbolischen noch die allgemeine, abstrakte Geistigkeit, welcher darum auch keine individuelle, keine natürlich schöne Gestalt entsprechen kann 2 roh] Kr: unförmlich, roh, willkührlich 2–3 der Geist … sich] Kr: eben diese ganze Einheit noch nicht wahrhaft als geistige, subjektive bestimmt 3 in 2 ] Kr: an 6 Frage] Kr: Frage, der Streit 6–381,1 von fremden … hernahmen] Kr: ihre Götter von andern Völkern bekommen oder aus sich selber heraus gebildet haben, etwa als ein pures Erzeugniß ihrer Phantasie, diese Frage ist durch Obiges beantwortet und hier als beigelegt zu betrachten. Der ehrliche Historiker, der es nur mit direkt beurkundeten Thatsachen zu thun haben will, d.h. mit solchen, deren gleichzeitige Urkunde er handgreiflich vor sich liegen sieht, dieser wird freilich durch eine solche Betrachtung seines Stoffs, die Jahrtausende hintendrein sich darüber hermacht, nicht beruhigt und befriedigt: was aber hiervon zu halten, ist bereits oben auseinandergesetzt. Ein solcher Historiker stirbt an der Sehnsucht nach Dokumenten; sie k ö n n e n nicht so vorhanden seyn, wie e r sie verlangt. Für jene vorliterarische Urzeit, für die ersten Zustände der geistigen Entwickelung überhaupt, fehlen die selbstdarstellenden, selbstaussprechenden | Dokumente, nicht weil die Zeit sie zerstört hat oder weil sie noch unter dem Schut vergraben liegen, sondern deshalb, weil sie aus diesen Zuständen selbst nicht resultiren konnten, in der Weise, daß der bestimmte Zustand begriffen und erkannt, in Form der Prosa in der Urkunde enthalten wäre. Denn diese ersten Zustände sind noch nicht solche, die sich zur Form der Prosa erhoben haben, zur Form des Gedankens, der freien Geistigkeit. Auch kann ein Zustand erst erkannt, begriffen werden in der Totalität seiner Bestimmungen, nachdem er bereits verlassen, nachdem ein zweiter, aus ihm erfolgter, errungen ist. So wird ein Mensch, der eben in einer Leidenschaft ist, nicht zugleich sich hinsetzen können, um zu erklären, was diese Leidenschaft sey; ist aber dieser Zustand vergangen, hat er sich aus ihm herausgezogen, so ist er fähig eine besonnene Betrachtung darüber anzustellen. / Was die griechische, die klassische Welt in der Reihe der Weltzustände für eine Stelle einnehme, dies ist von den Griechen selbst noch nicht ausge|sprochen worden: dazu gehört, daß er sich selbst vollendet habe und in ein Anderes übergegangen sey, worin er aufgehoben ist. Das Kind spricht kindisch, sein Thun ist kindisch, es kann uns aber nicht sagen was „kindisch“ sey. Nun wäre es aber wohl sehr verkehrt zu leugnen, daß dieser oder jener Mensch, oder der Mensch überhaupt zu seiner Zeit kindisch gewesen sey, auf der Stufe der Kindheit gestanden habe, weil er als Kind es nicht ausgesprochen, es sichtlich und handgreiflich dokumentirt habe, es uns also ganz am historischen Beweis fehle. Das Kind kann aber

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fremden Völkern hernahmen. | Es ist nothwendig, daß die frühern Standpunkte da waren, daß von ihnen die classische Kunst ausging, sie umbildete und gegen sie reagirte, diß ist auch historisch erwiesen. das Verhältniß des Griechischen Geistes gegen die Früheren ist also wesentlich ein Verhältniß des Umbildens; wäre dieß nicht so müßten die Gestalten dieselben geblieben sein. dieß ist aber nicht der Fall, sondern aus den frühern Gestalten mußte ein Anderes werden. Herodot sagt: Homer und Hesiodus hätten den Griechen ihre Götter gegeben. dieß heisst aber nicht, daß sie nicht von Andern her empfangen hätten, sondern ihr Machen ist eine Umbildung eines Früheren, denn Herodot sagt ebenfalls von den einzelnen Göttern aus, wie diese aegyptisch sein, jene africanisch. dieses ist nun das Allgemeine in Ansehung des Uebergangs zur griechischen Kunst. dieser Uebergang nun aber giebt zugleich Mo|mente des Inhalts der griechischen Gebilde, denn bei jedem Uebergange ist diß, daß das Resultat wesentlich Spuren dessen in sich hat, woraus es resultirt. der Erste Punkt in Betreff des Inhalts ist dieser, der sich auf die Umbildung bezieht, auf die Negation des Frühern. Ein Haupttheil des Vorhergehenden bezieht sich auf die Thiergestalt, das Göttliche in Form des Natürlichen, oder das Natürliche als Göttliches angeschaut. das Natürliche ist einmal organische Lebendigkeit, ausserdem die grosse Elementarische Natur. das Natürliche insofern es das Thierische betrifft so ist bemerkt, daß besonders

20 nicht den Kindheitszustand begreifen, eben weil es Kind i s t . Denn das Begreifen setzt das denken-

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de Bewußtseyn, die freie Geistigkeit voraus, die sich erst aus dem Kinde entwickeln soll, welches, als solches, nur unmittelbares, natürliches Bewußtseyn ist; es unterscheidet sich zunächst nur auf sinnliche, auf empfindende Weise, nicht auf denkende Weise. Sein Zustand ist zunächst nur sinnlich, dumpf, ahndend, empfindend; und ehe der denkende Zustand eintritt, geht eine geraume Zeit vorüber 1 nothwendig] Kr: an und für sich durchaus nothwendig 4–6 wäre dieß … werden] Kr: die griechischen Götter würden im Ganzen noch eben so aussehen wie die orientalischen, symbolischen Götzen, wenn nicht dies Umbilden des Stoffs und der Gestaltung in der Kunst auf dieser Stufe vorgegangen wäre. Eben dies Verhältniß des Umbildens ist nothwendig; bei ihm hat ein Andres werden müssen, aber dies Andre hätte nicht werden können, ohne ein solches Material zu haben, das gleichsam der Umarbeitung vorher geschickt gemacht worden war 8 Andern] Kr: Fremden 8–9 sondern ihr … denn] Kr: dies streitet gar nicht mit dem Gesagten: Das Umbilden erschafft eine neue Ge|stalt, die als eine ausschließliche Eigenthümlichkeit erscheint, als eine neue selbstgemachte Erfindung. das Umbilden besteht eben in dem Aufdruck der griechischen Eigenthümlichkeit 9 von] Kr: das Gegentheil von 10 dieses ist] Kr: Die Griechen haben also allerdings einerseits empfangen, andrerseits aber dem Empfangenen den Aufdruck ihrer Eigenthümlichkeit gegeben, so daß es in der neuen Gestaltung nun als ein Eigenthum des Volks, das diese Umbildung vollbrachte bis zur klassischen Vollendung, betrachtet werden kann. Beides ist nothwendig. die Stufe der griechischen Welt, ist, wie schon gesagt, nur zu begreifen aus ihrem Hervorgehen aus einer vorangegangenen Stufe des weltzustandes. / Hiermit haben wir 12 griechischen] Kr: symbolischen 14 Inhalts] Kr: Übergangs zu den griechischen Gebilden 18 grosse Elementarische Natur] Kr: großen, allgemeinen Naturelemente 8 von Andern her über der Zeile mit Einfügungszeichen

19 daß so Kr; Ho: ds

daher nothwendig ist daß die Griechen als die Entwickler der classischen Kunstform, ihren Inhalt von fremden Völkern nahmen, aber ihn als ein Anderssein empfangend, ihrem Prinzip nach umbildeten.

das Frühere also ist ein Moment jetzt der classischen Kunstform.

382 Ein solcher Inhalt ist das Thierische und Natürliche überhaupt welches als solches jetzt nicht mehr der unmittelbare Ausdruk des Göttlichen, sondern herabgesetzt bloß ein untergeordnetes Moment zu sein. dieß Heruntersetzen zeigt sich zunächst im Opfern der Thiere. In den Jagden, die den Heroen als Heldenwerke zugeschrieben werden.

In den Verwandlungen des Geistigen in Thiergestalt als Strafe für Verbrechen.

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Aegypter, Indier, Asiaten überhaupt das Thier verehrten, weil das Lebendige ein Höheres ist als das Unlebendige. diesen Respect vor dem Thierischen herabzusetzen, dieß geschieht durch das Selbstbewußtsein des Geistigen. In diesen Uebergang fällt also diese Herabsetzung, und macht zugleich einen Theil des Inhalts der classischen Phantasie. dieser Respect vor dem Thierischen ist | zum Theil noch in der jüdischen Religion. Sie verbietet gewisse Thiere zu essen als unrein. der Mensch aber kann essen was ihm bekömmt. Moses verbietet das Blut der Thiere zu essen, weil in ihm das Leben sei. das Heruntersetzen nun der Thiere sehen wir zuerst im Opfern, im Essen des Opfers. die Indier essen kein Fleisch heiliger Thiere. die Griechen opferten Stiere und verzehrten sie. Ein weiteres Herabsetzen sehen wir in den grossen Jagden der Griechen, welche | den Heroen zugeschrieben werden. diese Jagden, diß Tödten der Thiere gilt hier als ein Hohes, während es die Indier als ein Verbrechen mit dem Tode bestraften. In den Heldenthaten des Heracles kann freilich auch noch ein anderes symbolisches liegen, aber es ist ebenso ein Herabsetzen des Thierischen. Ein ferneres Herabsetzen ist in den Fabeln des Aesop, der des Rosskäfers erwähnt, der ein heiliges symbol bei den Aegyptern ist. Aristophanes macht ihn ganz lächerlich. das Opfern also ist die erste Seite der Herabsetzung, die Jagd ist die andere. Ein drittes ist die Geschichte der vielen Verwandlungen. diese haben zur Hauptseite des Inhalts, daß die Thiere, die Entstehung haben dadurch, daß ein geistiges zur

1–2 weil das … Unlebendige] Kr: und diese nach thierischen Gestalten, meist verzerrt und vermischt, bildeten. Das Höhere Göttliche hat also für sie vornämlich die Form des Thierischen gehabt 3 dieß geschieht … Geistigen] Kr: zu einem Niedrigen, auf eine untergeordnete Stufe macht das Moment des Übergangs | zur angemessenen, würdigen Darstellung des Geistigen: den Respekt vor dem Thierischen abzuthun, ist ein Hauptmoment darin, daß der Mensch zum Selbstbewußtseyn des Geistigen überhaupt kommt 4 Herabsetzung] Kr: Erhebung darüber 5 Phantasie] Kr: Poesie 6 jüdischen Religion. … Thiere] Kr: indischen Religion: es ist den Indern verboten manche Thiere zu töden oder 7 der Mensch … verbietet] Kr: Für den Menschen überhaupt ist das Essen nichts als Essen; was eßbar ist, kann dazu gebraucht werden ohne Einmischung einer andern Vorstellung. Moses verbot auch, 8 sei] Kr: sey, ein für den Menschen nicht Anzutastendes 9 sehen wir … Opfers] Kr: geschieht nun bei den Alten überhaupt dadurch daß sie einem Höhern geopfert werden. Dies ist dann schon ein höherer Standpunkt 9–10 Indier essen … Thiere] Kr: Brahminen essen kein Fleisch von einer Kuh 11 sehen wir … Griechen] Kr: das man zunächst nur als Gegenstand der Phantasie betrachten möchte, sind dann die berühmten Jagden der Griechen: das Andenken an sie ist von ihnen gefeiert worden 12 werden] Kr: die ihre Landsleute damit von wilden Thieren befreit haben. Daß sie das Andenken an diese Thaten festlich begiengen, beweist eben daß sie sich in ihrer Herrschaft über die Thiere fühlten 17 Aristophanes macht … lächerlich] Kr: ganz heruntergekommen ist dieser hochverehrte Roßkäfer bei Aristophanes, der ein vollkommen Possenhaftes daraus macht 18 drittes] Kr: wichtiges Moment das bei dem umbildenden Übergang dann ferner eintritt, 20 geistiges] Kr: Höheres, Menschliches, Geistiges 15 des Thierischen über der Zeile mit Einfügungszeichen

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Strafe für Verbrechen in diese thierische Gestalt gesetzt ist. Hier also ist das Thier als degradation gesetzt; als ein Ungleiches also gerade als ein Gegentheiliges eines Göttlichen. Und dieß ist die wahrhafte Stellung. Sie ist in den Verwandlungen ausdrüklich vorgestellt. Ovid hat sie in seiner Weise theils anmuthig theils geschwätzig nebeneinandergereiht. Eine der ersten Geschichten im Ovid ist ZB. die des Likaon. Er wird als König vorgestellt; zugleich liegt darin ein Zusammenhang mit der Sonne. der Wolf war ein Bild der Sonne. Es wird vorgestellt, daß nach Ueberwindung der Giganten die Erde ein Geschlecht der Menschen hervorgebracht habe, Verächter | der Götter. da habe Jupiter die Götter ver sammelt, habe selbst die Menschen besucht, und sei von ihnen zum Theil angebetet worden, auch von Likaon. dieser habe ihn versuchen wollen, ob er ein Gott sei, indem er ihm zur Speise Menschenfleisch vorsetzte. da habe Jupiter den Likaon in einen Wolf verwandelt, sein Haus in Asche. Hier ist also die Thiergestalt eine Degradation eines Verbrechens wegen. Ebenso ist es mit der Verwandlung der Philomele und der Prokne in eine Schwalbe. In anderer Beziehung sehen wir

1–3 Hier also … Göttlichen] Kr: diese Vorstellung, daß das Thierleben durchaus als eine Degradation gelte, hebt die pantheistische Vorstellung auf, wo das Thier unmittelbar für sich als das Höhere gilt. Die Griechen lassen die Verwandlung in thierische Gestalten eintreten, als Folgen eines Verbrechens und betrachten | sie überhaupt als ein Unglück 3 Stellung] Kr: Stellung des Menschen gegen die Thiere, daß diese als ein Untergeordnetes erscheinen. die Griechen sind also über die Stufe des Pantheismus, wie des Symbolischen hinaus, wo das umgekehrte Verhältnis mehr oder weniger Statt findet; bei ihnen werden die Thiere den Gottheiten als Attribute beigegeben, als ein Anhängsel gleichsam aus dem Symbolischen, als ein kurzgefasstes bezügliches Symbolum. dies drückt ebenfalls und ganz plastisch das von ihnen gefasste Verhältniß des Thierischen zum Geistigen aus, wie denn die Kunst hier überhaupt ein breites Feld für die Phantasie vorfand, um diese Vorstellung in Dichtungen und Bildwerken zu gestalten 5 geschwätzig] Kr: etwas weitläufig und breit 6–7 ein Zusammenhang … der1] Kr: eine Anspielung auf die 7 Bild der Sonne] Kr: Symbol derselben gewesen, wie denn beides, in Verbindung, eine alte symbo|lische Vorstellung im Orient und Aegypten war 7–8 vorgestellt, daß … Ueberwindung] Kr: nun in dieser Geschichte vorgestellt, daß durch das Blut 9 Verächter der Götter] Kr: das blutdürstig gewesen sey, u.s.w 9–10 versammelt] Kr: versammelt, und um sich näher zu unterrichten 13 Asche] Kr: Schutt und Asche verkehrt 14 Ebenso] Kr: Hiermit ist zugleich die Anspielung auf die Sonne hinweggewischt worden. Eben so mystisch 15 in eine Schwalbe] Kr: Prokne habe ihren Gemahl Thereus gebeten, ihre Schwester Philomele zu sich kommen zu lassen; in diese habe sich Thereus verliebt, sie eingesperrt u.s.w. Nun habe Prokne in ihrer Wuth ihren Sohn umgebracht und dessen Fleisch dem Vater vorgesetzt u.s.w. die | Strafe, die von den Göttern über diese Verbrechen verhängt wird, ist nun die, daß Thereus in einen Wiedehopf (Buppelhahn), Prokne in eine Schwalbe und Philomele in eine Nachtigall verwandelt wurden 15–384,1 In anderer … Stellung] Kr: Diese Verwandlungen in niedrige Kreaturen sind also hier die Folge von Fürchterlichkeit und Abscheuligkeit, von Unmenschlichkeiten; sie sind eine Strafe, besonders für solche Vergehungen, die mehr an die thierische Natur, als an die menschliche erinnern; andere Vergehungen, denen ein an sich berechtigtes, geistiges Interesse zu Grunde liegt, pflegen nicht davon betroffen zu werden. Man will 9 habe] haben

15 der Prokne … eine teils am Rande angefügt, teils über gestr. der

Beispiele in Ovids Metamorphosen.

384 die Thiergestalt gilt überhaupt weder unmittelbar als ein Göttliches, noch ferner als symbolischer Ausdruk einer göttlichen Bedeutung, sondern gilt jetzt nur als Attribut einer individuellen Geistigkeit; das Symbol ist zum Zeichen herabgesetzt.

Indem so einerseits das Natürliche herabgesetzt ist nicht Erscheinung des Göttlichen zu sein, ist anderseits das Natürliche zur geistigen Individualität emporgearbeitet. die griechische Mythologie stellt dieß als den Götterkampf dar. die ältern Götter sind die Naturmächte d.h. ein Geistiges Allgemeines als unmittelbare Naturmacht.

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dann auch die Thiere in anderer Stellung. Bei den aegyptern wurden die Thiere theils göttlich verehrt, theils erhalten geistige Gestalten Thiermasken. Jetzt aber werden die Thiere nur Attribute geistiger Gestalten, gelten nicht mehr weder unmittelbar noch als Symbol, sondern erhalten die Bedeutung des Zeichens. So sehn wir den Adler neben Jupiter, den Pfau neben Juno, Tauben neben Venus. Es kann auch dieß angeführt werden, daß in der griechischen Mythologie Ver wandlungen anderer Art vorkommen; Jupiter verwandelt sich in den Stier den Schwan, aber nur zu üblen Zwecken, zum Mittel der Täuschung, zu einem nicht ehrenvollen Zweck. das Verhältniß der Thiergestaltung ist also hier ganz verändert. dieß ist das erste Moment dieser Umkehrung, die Herabsetzung des Thierischen. das Zweite zu betrachtende ist die Umkehrung des Natürlichen in die Weise des Geistigen. diese Umkehrung ist uns bei den Griechen | vorgestellt als der Krieg der neuen Götter mit den alten, der Sturz der Titanen durch die neuen Götter. Zuerst sahen wir Thiere, den höchsten Punkt der Lebendigkeit als Göttliches. das Andere in der Natur ist die allgemeine Naturmacht, die zum Gott erhoben war, sowohl im Pantheïsmus als im symbolischen überhaupt. | Es war dieß keine prosaische Naturmacht, sondern als ein Allgemeines in sich Geistiges, als Einheit des Natürlichen und Geistigen; welche Einheit aber, als selbst unmittelbare, das Natürliche zu ihrer Hauptbestimmung hatte. So wurde Erde, Sonne und Meer verehrt, der allgemeine Naturproceß des Entstehens und Vergehns, das Werden der Natur überhaupt. Zu diesen Ältern Göttern können wir auch noch also damit den Menschen nicht mehr als Menschen betrachten, wenn er sich viehisch aufführt. In diese niedere Beziehung sehen wir also hier die Thiere gestellt: sie werden (im Fall sie nur schmackhaft sind) gespeist, geopfert, verjagt und erlegt, der versündigte Mensch muß ihre Haut über sich ziehen zur Strafe seines Vergehens, sie werden als Attribute gebraucht und einem Höhern beigesellt 1–2 Bei den … Thiermasken] Kr: Die griechischen Priester legten die Thiermasken ab, hinter welchen die aegyptischen sich verehrungswürdiger | glaubten und zeigen dafür lieber ihr menschliches, geistiges Antlitz 6–7 Verwandlungen anderer … vorkommen] Kr: kommen auch noch Verwandlungen andrer Art vor, die demselben Verhältniß angehören 7–9 Jupiter verwandelt … Zweck] Kr: Die Götter, besonders Jupiter, nehmen Thiergestalten an, um incognito solche Zwecke zu erreichen, die ihrer hohen Würde nicht recht angemessen sind, deren sie sich in ihrer göttlichen Gestalt schämen müssen. Da wird dann also die thierische Gestalt als Mittel der Täuschung gebraucht, und dadurch wieder herab gesetzt. Besonders bedient sich Jupiter dieser Freiheit sehr häufig bei seinen zahlreichen Liebschaften, wo es ihm nur um Befriedigung der sinnlichen Begierde zu thun ist 10–11 Umkehrung, die … Thierischen] Kr: Umbildung beim Übergang aus dem Symbolischen zum Klassischen; die Herabsetzung des Thierischen überhaupt zu einem Untergeordneten, Unterworfenen 12–13 Natürlichen in … Geistigen] Kr: Vorhergehenden, wo das Natürliche das Hauptmoment ist, der Wendepunkt des Ganzen 15 Thiere] Kr: Das unmittelbar Natürliche 16 in der Natur] Kr: der Lebendigkeit 17 sowohl im … überhaupt] Kr: der ältere Gott des Pantheismus und des symbolischen Standpunkts ist so ein Naturwesen 21–22 das Werden … Natur] Kr: die Abstraktionen von Erzeugung, vom Wechsel

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hinzufügen, daß in Hinsicht des Sittlichen ihnen keine Vorstellung zugehört, sondern sie nur das Recht als Rache haben. die Nemesis ist die Macht das zu Hohe zu erniedern, das zu Glückliche herabzusetzen und eine Gleichheit herzustellen. die Nemesis als Gleichheit ist aber das | ganz äußerliche Recht. Zum Alten gehört auch noch der Familienzustand als dem Gemeinwesen entgegengesetzt. dieß sind die allgemeinen Mächte. diese alten Mächte nun waren zum Theil schon durch Personification dem Geistigen entgegengehoben; diese macht aber noch nicht das Geistige als solches existirn; aber die Person ist nur ein formelles wenn die Bedeutung noch ein ganz Allgemeines ist, eine allgemeine Naturmacht, oder das allgemeine Recht. Zur Umkehrung in die classische Kunst gehört, daß die subjectivität zur Hauptbestimung wird. dabei muß aber der Gott nicht auf hören zugleich die Bestimung einer allgemeinen Macht in sich zu haben, denn der Gott ist hier noch nicht die freie Geistigkeit. Erst wenn das Geistige ganz frei in sein allgemeines Element erhoben worden ist, erhält | die Natur die Bedeutung eines Erzeugten, erst dann kann der Gott als Herr der Natur gefasst werden. Hier ist aber der Gott nicht Herr der Natur, denn diß ist er erst als freie Geistigkeit, wenn auch als abstracter Einer. Im Gott muß beides liegen, das Natürliche und Geistige: Für unsre Vorstellung ist Gott Herr der Natur und des | Geistes. der Geist für sich unendlich ist unbeschränkt, theoretisch; diesem kommt die Herrschaft über die Natur zu, die Harmonie zwischen dem Geistigen

1 ihnen keine] Kr: das Recht, das Gesetz auch noch nicht der alten 2 Rache] Kr: Rache an, als eine zufällige, willkührliche Vollbringung des Rechts 3 Hohe] Kr: Hohe von seinem Übermuth herabzuziehen, 3–4 Gleichheit herzustellen] Kr: zerstörte Gleichheit wiederherzustellen 4 äußerliche] Kr: äußerliche, oberflächliche 4–6 Zum Alten … entgegengesetzt] Kr: Ferner gehört zu dem sittlichen Zustand dieser Stufen das häusliche Leben, der Familienzusammenhang, d.h. das Patriarchalische, insofern es dem bürgerlichen Gemeinleben entgegengesetzt ist 8–10 aber die … Recht] Kr: es ist nur erst eine leere Form, wenn die Bedeutung derselben noch irgend so ein Abstraktum ist, wie Erzeugung überhaupt, oder die abstrakte Macht des Rechts 11 daß] Kr: daß die Persönlichkeit nicht nur äußerliche Form sey, sondern daß 12 Macht] Kr: Naturmacht 13 die freie Geistigkeit] Kr: das rein Geistige, noch nicht absolut unterschieden von der Natur gesetzt 14 allgemeines Element] Kr: eigentliches Element, in das Element des Gedankens für sich Natur] Kr: Natur mit allen ihren Mächten 15 Erzeugten] Kr: Geschaffenen, Dauernden in immanenter Gesetzlichkeit 17 wenn auch … Einer] Kr: sey diese auch nur die Abstraktion des Einen, des einigen Gottes 18 Vorstellung] Kr: christliche Vorstellung 18–19 Natur und … Geistes] Kr: natürlichen und der geistigen Welt, d.h. beide Welten sind aus ihm geschaffen, erhalten sich in seinem Gesetz. Das Geistige, so für sich, als subjektive Geistigkeit, ist der beschränkte, der endliche Geist 19 für sich … diesem] Kr: überhaupt ist an und für sich unendlich; der subjektive Geist aber, der theoretischer Weise unbeschränkt ist, dieser hat die Natur noch sich gegenüber. der unendliche Geist ist dieser, dem auch 20–386,1 die Harmonie … hervor] Kr: er ist die Idee und dieser gehört das geistige wie das natürliche Element in Einem an. diese Vorstellung erscheint vollendet im Christenthum 4 als Gleichheit über der Zeile mit Einfügungszeichen

Das Sittliche ist bei ihnen noch als Rache; als Nemesis, als die abstracte Gleichheit.

die Umkehrung besteht nun von dieser Seite darin, daß der Inhalt (die Naturmacht) deren Form schon als Person war, jetzt ein in sich freier Geistiger werde, so daß er in der menschlichen Gestalt jetzt seine adaequate Erscheinung habe.

der Gott als Naturmacht ist aber in dieser geistigen Individualität erhalten.

386 denn im Begriff des Gottes überhaupt liegt die Harmonie des Geistigen und Natürlichen.

In der Umbildung wie sie in der griechischen Kunst ist bleibt das alte Göttergeschlecht erhalten. Eine besondere Weise dieser Erhaltung sind die Mysterien.

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und der Natur bringt er hervor. Beide Seiten gehören zum Gott, und die Art und Weise wie diese Harmonie hervorgebracht wird, macht die verschiedenen Weisen der Kunst und Religion aus. In der classischen ist der Gott besondere Naturmacht, anderseits gehört zu dieser Besonderheit, daß der Gott noch nicht über der Natur stehe, sie noch als Moment in sich habe. Wir sagen ZB. Helios sei der Gott der Sonne, Neptun der Gott des Meers. diesen Ausdruk brauchten die Griechen nicht, und es ist unwahr, daß Diana zum Beispiel sei Göttinn des Mondes gewesen, sondern solch Naturelement ist mit dieser Individualität identisch. Okeonos selbst ist der Gott; Gott und Natürliches ist noch nicht unterschieden. daß diese Mächte, die Naturmächte, welche bisher das substantielle ausmachten, die Bedeutung, umgewandelt wurden zur Vorstellung geistiger subjectivität, dieß ist der nothwendige Fortgang. In der griechischen Mythologie ist diese Umwandlung dem Begriff nach nothwendig, und naïv und ausdrüklich vorgestellt. Es bleibt bei dieser Umwand|lung das Alte erhalten wie dieß in dieser Sphäre der Fall sein muß. Nur der Eine Gott kann keine andern Formen neben sich vertragen, aber der classische Gott ist ein Besondres, und das Besondre hat einen Kreis des Besondern um sich, theils sich gegenüber sein Andres, aus dem es resultirt. Obgleich das Thier die Wahrheit des Pflanzenreichs ist, bleibt diß doch als ein Jenseits des Thiers bestehn. das Alte bleibt noch, und eine besondre Weise dieses Bleibens ist die, welche in den Mysterien auf bewahrt ist. Sie waren kein Geheimes. In neuern Zeiten hat man viel nach dem Inhalt der Mysterien forschen wollen, | die Mysterien sind aber keine besondere Weisheit, keine Tiefe der Erkenntniß. Sondern sie enthalten das Alte, den Grund des Umgebildeten. |

3–5 der Gott … habe] Kr: im Gott nur das Moment | der Natur; und diese Natur ist in ihm nicht die allgemeine umfassende, sondern eine besondre Natur. Zu dieser Besonderheit gehört aber einerseits eben dies, daß der Gott noch nicht ü b e r der Natur stehe, sondern daß in ihm die Naturmacht nur ein Moment sey 8 Naturelement ist … identisch] Kr: Naturelemente sind noch unmittelbar identisch mit den Götter-Individualitäten 10 Mächte] Kr: Mächte, solche Abstracta das substantielle] Kr: die Grundbestimmung 12 dieß ist … Fortgang] Kr: und die Personifikation ist mehr nur eine Form daran. / Die Unwandlung ist der an und für sich nothwendige Fortgang, daß der Gott vorgestellt wird, als geistige Persönlichkeit, als selbstbewußte Individualität 14 in dieser Sphäre] Kr: auf dem Standpunkt, den hier die Phantasie hat, 15 Gott] Kr: Gott, ist der eifrige und eifersüchtige Gott, der Formen] Kr: Götter 17 theils] Kr: theils neben sich, theils sein Andres] Kr: das andre Besondere 19 bestehn] Kr: bestehen, so wie in der Natur alle Stufen des Begriffs vorhanden sind das Alte … noch] Kr: Wie das Alte sich beim Übergang zur klassischen Stufe erhalten und fortgepflanzt hat 20–21 Geheimes] Kr: Geheimes; denn alle Athenienser sind z.B. in die Eleusinischen Geheimnisse e i n g e w e i h t gewesen, d.h. sie waren n i c h t s G e h e i m e s für sie 22–23 keine Tiefe … Erkenntniß] Kr: so wenig wie bei unsern Freimaurern 23 den Grund … Umgebildeten] Kr: das darin auf bewahrt und verehrt worden ist 11 umgewandelt] um gewandelt

20 ist 2 ] sind

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den Uebergang von den alten Göttern in die neuen sprechen die Griechen im Kampf der Titanen und ihrem Sturz aus. Unter den Titanen sehen wir die alten Götter, Uranos, Chronos, Gea, die Dike u.sw, dieß sind Titanen, sind gestürzt: Chronos die abstracte Zeit, Uranos der Himmel, das Meer, die Erde, die Naturwesen überhaupt. die neuen Götter sind keine solche Naturwesen, sondern ganz anderer Art, es sind Individuen, in denen ein geistiges Moment das Hervorstechende ist. Athene ist Göttinn der Kunst der schönen Kunst; anderseits der Geist Athens, der Volksgeist als das substantielle dieses Geistes für sich vorgestellt. Athene also ist ein Geistiges, und hat nur einen entfernten Anklang einer Naturmacht. Apoll ist aber so einerseits zwar die Sonne, diese ist in ihm erhalten, aber es ist die Macht des Wissens und das Aus|sprechen dieses Wissens. Hier ist das Wissen, der intelligente Geist die Hauptbestimmung, und die Sonne das Natürliche tritt zurück. So ist Zeus der oberste Gott; hat zwar den Zusammenhang mit dem Himmel, mit Blitz und donner, aber er ist vorzugsweise die Macht des Staats, und geistige Macht überhaupt. In dieser Rüksicht ist eine Stelle Platons interessant. Er spricht vom Prometheus. dieser ist ein Titan, aber ein Titan, der sich der Menschen annimmt. Platon sagt ausdrüklich, daß Prometheus die Götter bestohlen habe um das Feuer, aber die Staatseinrichtung vermochte er nicht herabzubringen, denn diese war bei Zeus, und zu ihm konnte Prometheus nicht empor dringen. | Was nun das Nähere dieses Uebergangs betrifft, so wollen wir Beispiele darüber anführen. ZB. können wir die Verwandlungen der Pieriden angeben in Spechte. Ovid sagt von ihnen sie haben | den Kampf der Götter gesungen in der Art, daß sie die Giganten rühmten und die grossen Götter schmähten, indem sie

25 3 Uranos] Kr: Uranos, Okeanos

4–5 die Naturwesen überhaupt] Kr: und dergleichen allgemeiner Naturelemente 5 Naturwesen] Kr: tellurische, kosmische 7 der schönen] Kr: die schöne und industrieuse anderseits] Kr: vornämlich aber liegt die Bestimmung in ihr, daß sie 9 also ist … Geistiges] Kr: und das, was in dem athenischen Volk geistig lebendig war, ist Eins und dasselbe 10 diese ist … erhalten] Kr: oder wie man zu sprechen pflegt, als der Gott der Sonne, der 12 Wissen] Kr: Licht des Wissens 12–13 das Natürliche] Kr: ein blos Natür30 Sonnengott liches 14 Himmel] Kr: hohen Himmel und seinen Phänomenen 15 Staats] Kr: Staats, der Politie 16 Er] Kr: cf. Plato. Pol. Cap. 16. Plato 17–18 Götter bestohlen … Feuer] Kr: künstlerische Weisheit gestohlen habe mit Hülfe des himmlischen Feuers u.s.w. 18 Staatseinrichtung] Kr: Politie 19–20 ihm konnte … dringen] Kr: dessen Wohnung haben sie nicht, wie zu der des 35 Hephaiston und der Athene den Zugang gefunden. – Dieser Übergang ist also im Kampf der alten Götter mit den neuen enthalten 23 Spechte] Kr: Spechte, weil sie einen Wettgesang gegen die Musen eingegangen. Der Inhalt ihres Gesangs ist bemerkenswerth: 24 Giganten rühmten] Kr: alten Götter in falsche Ehre gesetzt grossen] Kr: neuen 16 interessant] interressant

17 Götter] davor gestr: knstlerische; Kr: siehe Variante

18–19 ver-

40 mochte er … herabzubringen über gestr. hatten sie noch nicht; Kr: haben die Menschen noch nicht

gehabt

die neuen Götter sind Geistige Individualitäten wie Athene, Zeus, Apoll.

Beispiele der Umwandlung des Früheren: der Pieriden in Spechte bei Ovid; weil sie den Ruhm der Giganten statt der neuen Götterwelt sangen.

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der Eumeniden des Aeschylus

die Eumeniden beschützen das natürliche Familienband; Apoll das bewußte der Ehe.

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von ihnen sagten sie seien bis zum aegyptischen Lande geflohen, und hätten dort sich in falsche Gestalten versteckt: Jupiter in einen Widder, Apoll in einen Raben, Diana in eine Katze, die Juno in eine weiße Kuh, Venus in einen Fisch, und Mercur in die Federn des Ibis. die Pieriden also singen die Ehre der alten Götter, und die Schmach der neuen. die Musen dagegen sangen die Wohlthaten der Ceres, die Fluren gab und milde Nahrung und Gesetzte, also Ackerbau, Fruchtbarkeit und Gesetze. – Ein zweites Beispiel ist beim Aeschylus in den Eumeniden, wo die Pythia anfängt mit einem Gebet zu Apoll. Sie beginnt mit Anrufung der Erde, denn diese zuerst habe dem Orakel vorgestanden. die 2te nach der Mutter Gea sei Themis gewesen. dann zum dritten habe das Heiligthum Hebe besessen, dann Phoebus. – Bestimmt stehn auch die alten Götter in den Eumeniden überhaupt den neuen entgegen. diese ganze Stellung ist merkwürdig. die Eumeniden verfolgen den | Orest wegen Muttermords. Apollo hingegen hat ihm diese That befohlen; er ist der neue Gott, und hat ihm geboten den Vater zu rächen. Es ist ein Zwist überhaupt der alten und neuen Götter; Athene soll entscheiden. die Eumeniden beschützen das Familienverhältniß und bestrafen die Verletzung. Sie sind also das substantielle der Familie als Verhältniß zu Kindern und Eltern. Apoll steht dem Verhältniß des Mannes zur Frau vor. der Unterschied scheint zunächst äusserlich. das Verhältniß von Kindern zu Eltern aber ist bloss natürlich; das Ehebündniß gehört dem Willen an, und muß als Ehe genommen werden, nicht | bloß natürliche Liebe. der gewußte Wille gehört den neuen Göttern an, das bloß natürliche Verhältniß den alten. die Ehe ist der An-

1–2 und hätten … versteckt] Kr: Bei ihnen haben diese noch die aegyptischen Thiergestalten 3 Kuh] Kr: Kuh, auf die Io anspielend 5 die Wohlthaten] Kr: das Lob 7 Gesetze] Kr: Gesetze gegeben hat. dies wird also einer neuen Gottheit zugeschrieben 8–9 Sie beginnt … Erde] Kr: „mit diesem Gebet verehre ich die Erde, die das Erste der Kinder gewesen ist.“ 9–10 die 2te … gewesen] Kr: Auf die Erde ist dann Themis gekommen, welche als das zweite nach der Mutter hier ihren Sitz hat 10 das Heiligthum Hebe] Kr: die Titanin Phöbe sie 11 Bestimmt] Kr: Diese Folge ist hier ausdrücklich gegeben; bestimmt 12 diese ganze Stellung] Kr: Hier sind die alten Götter der Eumeniden nicht Naturelemente, sondern Dike, das alte Recht, macht hier diese Seite aus. Diese ganze Stellung der Götter gegeneinander in den Eumeniden des Aeschylus 18 Apoll steht … vor] Kr: dagegen enthält die Familie auch noch ein andres Verhältniß, von Mann und Frau, die sittliche Macht der Ehe: diese behauptet Apoll 20 natürlich] Kr: ein natürliches, durch den natürlichen Akt der Zeugung hervorgebracht Willen] Kr: bewußten Willen 20–21 Ehe genommen … Liebe] Kr: Bündniß genommen werden, als sittliche Macht, nicht als Liebe, als Geschlechtstrieb 22 das bloß … alten] Kr: Liebe überhaupt und Erzeugung von Kindern ist schon Etwas Altes und gehört der Natur unmittelbar an 22–389,1 die Ehe … und] Kr: Aber einer der | Hauptanfänge des Staats ist die Feststellung und Sicherung des Eigenthums einerseits und andrerseits das Ehebündniß. Diese Ehe ist es, die

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4 alten über gestr. neuen 7 Aeschylus in … Eumeniden über gestr. Oedypus; Kr: Aeschylus, in den 40 Eumeniden 21 natürliche über der Zeile mit Einfügungszeichen 28 die Titanin] der Titanid

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fang des Staats und gehört zum Kreis des bewußten Wollens, zur wissenden Sittlichkeit und somit zu Apoll. dieser sagt: wäre Clytemnestra’s Verbrechen nicht gerächt so wären die Bündnisse der Here und des Zeus zu Grunde gegangen. Hier also ist ein bestimmter Unterschied alter und neuer Götter. der Schluß des Drama’s ist, daß die Eumeniden von Orest ablassen, ihnen aber in Athen Altäre errichtet werden. Sie sprechen dann Seegen über Athen aus; dieser ist ein natürlicher Seegen: Schutz gegen Uebel der natürlichen Elemente, Abwehrung der verderbniß der Saaten, der Unfruchtbarkeit ect. Pallas für sich übernimmt die Kriegskämpfe, das Bewußte, Menschliche überhaupt, – dieser selbe Gegensatz herrscht auch in Sophocles Antigone. Die beiden sittlichen Mächte sind dort Familie und | Staat, Gemeinwesen, Staatsintresse, und der Familienwille. Alles in diesem Drama ist consequent, das Familienintresse hat das Weib Antigone, das des Staats der Mann. Antigone spricht vornehmlich aus, daß sie die alten Götter verehrt habe. Was auf ihrer Seite steht wird als das Innerliche subjective, Natürliche ausgedrükt. In dieser Rüksicht kann auch gesagt werden, daß der höchste Eid der Götter der styx war, das Innerste, das Gewissen. Das Gewußte steht auf der Seite der neuen Götter – Was dem Prometheus zugeschrieben wird, erhellt zunächst nicht warum er dadurch zu den Titanen gerechnet wird. Er erscheint | mit seinem Bruder Epimetheus auch zunächst befreundet mit den neuen Göttern, die sie beauftragten, das neue Geschlecht mit den verschiedenen

2 somit zu … dieser] Kr: fällt dem Kreise der neuen Götter zu. Apoll 4 alter und … Götter] Kr: des natürlichen und des bewußten Verhältnisses 5–6 die Eumeniden … aus] Kr: Orest wird dann auch frei gesprochen; zugleich bleibt aber auch den Eumeniden ihre Ehre: in Athen werden ihnen Altäre errichtet und hier ausgesprochen, was für ein Segen durch die Eumeniden über Athen 9 das Bewußte, Menschliche] Kr: Kämpfe des Menschen, das bewußte 25 kommen werde Thun Gegensatz] Kr: Gegensatz, dieselbe Gegeneinanderstellung , die hier in den Eumeniden des Aeschylus vorkommt, 10–11 Familie] Kr: Familienpietät 11 Staat, Gemeinwesen] Kr: Staatsmacht, der Wille des Gemeinwesens 13 aus] Kr: von ihrer Verbindlichkeit, daß sie ihrem Bruder die Ehre des Begräbnisses gegeben habe 14–15 Innerliche subjective, Natürliche] Kr: 16 der styx] Kr: 30 Untere, Innere, Subjektive, was im Kreise der natürlichen Sittlichkeit steht „beim Styx“ 16–17 Das Gewußte … Götter] Kr: Das was dem Bewußtseyn angehört, steht hier, bei dieser Tragödie des Sophokles, ebenfalls wie oben bei den Eumeniden, auf der Seite der n e u e n Götter überhaupt, die eine Macht, mehr des Geistigen sind. 17–18 Was dem … wird] Kr: Prometheus steht auf der Seite der Titanen; was ihm aber zugeschrieben wird, ist nicht ein Titanisches, 35 sondern mehr ein Menschliches, das ihn dann auch auf die Seite der Menschen stellt. Das Menschliche ist die Bedeutung dessen was er thut 20–390,1 das neue … versehn] Kr: Die Götter haben das sterbliche Geschlecht inwendig in der dunkeln Erde gebildet, und als sie die geschaffenen Kreaturen ans Licht herausbrachten, so hatten Prometheus und Epimetheus das Vermögen unter sie zu vertheilen 40 20 Geschlecht] (1) Menschengeschlecht (2) (Menschen gestr.)(G aus g)eschlecht; Kr: siehe Vari-

ante

dasselbe findet statt in der Antigone des Sophocles, wo Antigone einseitig durch Festhaltung an der natürlichen Seite des Familienbandes, den alten Göttern dienend untergeht.

So gehört Prometheus zu den Titanen und alten Göttern, weil er den Menschen kein Allgemeines, Sittliches sondern das bloß Natürliche brachte.

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die Strafen der Giganten als den alten Göttern zugehörend, sind die Sehnsucht der schlechten Unendlichkeit.

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Vermögen zu versehn. Prometheus wird erzählt habe den Thieren alles gegeben. Als der Mensch hervorging hatte er nichts übrig, | und deshalb hohlte er das Heiligthum des Hephästos, das Feuer. Was er den Menschen gab war nicht Politik sondern bloß die künstlerische, technische Geschicklichkeit, Vortheile, Selbsucht des Privatnutzens, der kein allgemeines Intresse hat. Was also von dieser Seite dem Sittlichen indifferent ist, und als Privatnutzen auf der Seite des Natürlichen überhaupt steht. | So wird auch dem Prometheus zugeschrieben, daß er die Menschen eine neue nützlichere Weise des Opfers gelehrt. die Alten hätten nehmlich die ganzen Thiere von den Opferflammen verzehren lassen, Prometheus erbat von Jupiter die Erlaubniß nur einen Theil der Thiere opfern zu dürfen. Er selbst habe sodann opfernd, die Leber und das Fleisch auf die eine Seite gelegt, das Knochenwerk auf die andre Seite. Jupiter habe den letztern Theil gewählt. dieß ist wieder ein Nützliches, das kein Sittliches in sich enthält, sondern dem natürlichen Bedürfniß dient. Prometheus steht dann als der bestrafte Titan da; seine Strafe wird vorgestellt als Benagtwerden von einem Adler. Ebenso habe Tantalus, ein anderer Gigant den ewigen durst gehabt. | Beide Strafen sind die Sehnsucht des Sollens, das Maasslose, schlechte Unendliche. der richtige, göttliche Sinn hat dieß Gehn in’s Weite, diese Sehnsucht als eine Verdamniß angesehn und kein Höchstes für den Menschen. dieß sind die Hauptmomente, wodurch die alten Götter den neuen entgegenstehn, denen das freie sittliche Selbstbewusstsein angehört. Man kann in den 1–3 Prometheus wird … Heiligthum] Kr: Epimetheus gab Alles den Thieren hin; Prometheus aber nahm für den Menschen die künstlerische Weisheit 3–4 Was er … Geschicklichkeit] Kr: Hier ist der Titan Prometheus also zugleich ein Freund des Menschen: was er den Menschen gegeben, das ist die Politie, das Feuer, überhaupt die künstlerische technische Fertigkeit, Geschicklichkeit sich alle Naturdinge zu Nutze zu machen 5–7 Was also … steht] Kr: vielmehr den Nutzen, die Benutzung der Dinge für das partikuläre Interesse, für diese Privatseite: und eben dies, weil hier blos der Privatnutzen der Zweck ist, steht das Geschenk des Titanen auf der Seite des Natürlichen überhaupt, die ihm noch zugehört 7–8 die Menschen] Kr: den Menschen nicht blos das Feuer gebracht, sondern ihnen auch 8 die] Kr: Hygin erzählt davon die mythologische Tradition. Die 11–13 sodann opfernd, … gewählt] Kr: so erzählt diese Sage, selbst 2 Ochsen zum Opfer geschlachtet und ihre Leber zuerst verbrannt; dann das Fleisch und sonst Genießbare aus der Haut und von den Knochen gelöst und jedes abgesondert vor dem Altar des Brandopfers verdeckt niedergelegt: nun habe er dem Jupiter es überlassen sich einen Theil zum Opfer zu wählen, und die Wahl habe zufällig den Knochenochsen getroffen, daher denn die Menschen von nun an den Göttern die Knochen geopfert, das Fleisch aber für sich behalten hätten 15 vorgestellt als … Adler] Kr: so dargestellt, daß ein Geier ihm ohne Unterlaß die Leber zerhackt 17 Sollens, das Maasslose] Kr: Eingehens ins Unendliche, in’s Unbestimmte, Maaßlose, das eben nur als ein Titanisches anzusehen ist 17–19 der richtige, … Menschen] Kr: Die alten haben diese Sehnsucht vielmehr als eine Verdammniß angesehen, und nicht etwa, wie in der neuern Zeit als das Höchste für den Menschen 21 Selbstbewusstsein] Kr: Selbstbewußtseyn, wozu denn wesentlich die Gesetzlichkeit, das Recht 1 wird erzählt über der Zeile mit Einfügungszeichen

11 und das … Seite über gestr. geopfert u

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angegebenen Beispielen die Inconsequenz finden, daß Prometheus der Wohlthäter der Menschen gewesen sei, wie Ceres indem sie den Ackerbau brachte, sodaß zwischen beiden kein Unterschied war. Aber im Ackerbau liegt ein ganz andres Prinzip, denn Ceres ist zugleich Gründerinn des Eigenthums und somit des Gesetzes. der Unterschied also ist sehr wesentlich. die eine Weise, welche ein Sittliches enthält wird den neuern Göttern zugeschrieben, | die andere dem Titan. die Hauptseite des Inhalts der classischen Kunst ist also sittliche substantialität, geistige Individualität, die zugleich ein Moment der Naturmacht hat. Apoll ist einerseits die Sonnenmacht, anderseits der Wissende. Diana ist ebenso Luna. die Titanen für sich sind aber theils in den Abgrund gestürzt, oder an den Saum der Welt in die dämmerung gesandt. die gegenwärtige Welt ist die des Wissens. – die Gestalt der geistigen Individualität ist nur die menschliche Gestalt als idealische, nicht als Natürliche. Von diesen Idealen haben wir nun das Nähere zu betrachten. der Inhalt ist das bisherige; geistige Individualitäten, die neuen Götter. Ihre

zu zählen ist 390,21–5 Man kann … Gesetzes] Kr: Prometheus, der Titan, der den Menschen das Feuer und die technische Kunst gebracht, hat aber zugleich mit Hephaistos in Athen einen gemeinschaftlichen Altar gehabt: dies zeigt daß das Alte nicht ganz seiner Verehrung verlustig gieng; inmitten des neuen Götterkreises blieben die alten Götter gleichsam als der heilige Schein der Glorie um die neuen Gottheiten stehen, sie machen ihren mystischen, halbleuchtenden, halbdunkeln Hintergrund aus, aus dem die neuen Gestalten bestimmter hervorleuchten. / der Ceres wird übrigens dasselbe zu|geschrieben, was dem Prometheus, daß sie die Gründerin von Eigenthum und Gesetz sey. Der Ackerbau, im Gegensatz mit dem nomadischen Hirtenleben, bringt sogleich den Besitz, das Eigenthum mit sich und damit tritt zugleich das Recht ins Daseyn, die Grundsätze des Vereins zum gesetzlichen Staat entwickeln sich nothwendig aus dem Zustand des ackerbauenden Lebens 5–7 die eine … Titan] Kr: Die beiden Weisen, des unmittelbar natürlichen und des gesetzlichen Zustands finden wir also beim Übergang vom Alten zu diesem Neuen, zur klassischen Stufe, sehr bestimmt unterschieden: die eine Weise, die das Prinzip des Rechts, die überhaupt die selbstbewußte Sittlichkeit enthält, wird den neuen Göttern zugeschrieben; die andre Weise, die das Prinzip des natürlichen Bedürfnisses hat, den Titanen, den alten Göttern 9 hat] Kr: ist, wo letztere aber nur als ein dem erstern Untergeordnetes erscheint 10 einerseits die … Wissende] Kr: mehr, als blos die Sonnenmacht, obgleich diese ihm ebenfalls angehört, und wir auf der andern Seite | auch wieder einen Helios finden. Hier ist also dies Gedoppelte u.s.w. Dies Verhältniß wiederholt sich bei den meisten Gottheiten 12 Wissens] Kr: Wissens, des Sittlichen, des Rechts überhaupt. / Die zwei Momente, die wir hier haben, sind also die geistige Individualität und die Naturmacht: sie sind der allgemeine, substanzielle Inhalt für das Ideal der klassischen Kunst überhaupt 14 diesen Idealen] Kr: diesem I d e a l e , dem Grundgegenstand der klassischen Kunst 1 5 der Inhalt … Götter] Kr: Das klassische Ideal ist das Ideal überhaupt: der in seiner Realisation erstarrte Begriff. Man spricht auch von einem christlichen Ideal, aber ganz uneigent-

40 1 Prometheus] folgt gestr: fortdauernd verehrt sei

2 indem sie … brachte] (1) den Ackerbau (2) (indem sie über der Zeile mit Einfügungszeichen) den Ackerbau ( brachte über der Zeile) 6–7 Titan.] folgt gestr: dieß ist nun also die Grund-

Ceres indem sie mit dem Ackerbau auch Gesetzgeberinn war, gehört schon zum neuen Göttergeschlecht.

der Hauptinhalt der neuen Götter ist die gewußte Sittlichkeit überhaupt; die Gestalt die menschliche als ideale.

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Die reinste Form des Ideals ist das Beruhn des Gottes in sich in seiner Gestalt ohne Berührung des Endlichen und Außerlichen.

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darstellung hat nun mehrere Formen. die strengste weise ihres auf sich Beruhens. doch geht diese gestaltung in Besonderheit und äußerliche Entwiklung über. Das Ideal in seiner einfachsten erhabendsten Form ist das Beisichseiende Bewegungslose ohne Äußerlichkeit und Zufälligkeit. die höchste Form also ist das einfache Beruhn auf sich, und der höchste Ausdruk gehört so der alten ursprünglichen Sculptur an. das Ideal ist | in sich versunken. die spätere Sculptur wird dann auch drammatisch, die Äußerlichkeit und Endlichkeit tritt ein. der Grundzug der strengen darstellung ist aber das Beruhn auf sich, nicht der starren Ruhe, sondern der geistigen sinnenden, der Erhabenheit die in die Schönheit ver schmolzen ist. diese ewige Ruhe ist die höchste Weise dieses classischen Ideals. In dieser strengen Ruhe liegt auch die Negation, es ist eine abstracte gleichgültige Ruhe, die über das Besondre erhoben ist, ein Entsagen, Auf heben. diß fühlen wir wohl beim | Anblik solchen Kunstwerks. diese Strenge kann eine Trauer scheinen über lich: bei dem christlichen Gott ist das leibliche sinnliche Daseyn als ein Vorübergehendes gesetzt, das Göttliche also nicht in leiblicher Gestalt, als ihm vollkommen entsprechend, dem Begriff Gottes adäquat | festzuhalten; hier ist vielmehr der Reflex der Subjektivität, des Gemüths das wesentliche Moment, nach welchem die Gestaltungen der Kunst in unendlicher Mannichfaltigkeit erscheinen: sie verweisen auf ein geistiges Jenseits, das, aus der Leiblichkeit auferstanden, nicht durch diese darstellbar ist, sondern geistig nur zu fassen, in der Vorstellung, im Gedanken. / Den Inhalt des klassischen Ideals überhaupt, haben wir oben bereits betrachtet, beim Übergang zu dieser Stufe, worin zugleich die Momente bestimmt sind. Die geistigen Individuen, die nun Götter sind, machen diesen Inhalt überhaupt aus 3 einfachsten erhabendsten] Kr: strengsten 5 der höchste Ausdruk] Kr: die höchste Weise der Darstellung, des Ausdrucks des Ideals 6 ist] Kr: in ihr ist 7 Äußerlichkeit] Kr: Bewegung, Aeußerlichkeit 8 strengen] Kr: klassischen 9–10 verschmolzen ist] Kr: übergegangen ist. Denn es liegt noch nicht die Bestimmung der Entzweiung mit dem sinnlichen, leiblichen Daseyn darin; sondern es ist noch diese Harmonie vorhanden des Göttlichen und der Weise des leiblichen unmittelbaren Daseyns und das Göttliche ist in der leiblichen Darstellung g a n z präsent 10 ewige] Kr: ewige, sinnende, strenge 12 Entsagen, Auf heben] Kr: Zurückziehen in sich, ein Entsagen, ein Aufgehen in sich selbst diß] Kr: dies ist also ein negatives Moment, 13–393,1 Trauer scheinen … Äußrung] Kr: Trauer, ein Ausdruck unterdrückter Wehmuth darüber verbreitet zu seyn scheinen, der von diesem Insichgeschlossenseyn, von diesem Abgeschlossenseyn von allem Andern, Aeußerlichen, von dieser stillen, stummen Ruhe herrührt, die noch nicht beginnt herauszutreten in ein Verhältniß zu dem umgebenden Aeußerlichen. Besonders sind es die Augen, die bei den Skulpturbildern diesen Ausdruck hervorbringen: sie sind geöffnet, ermangeln aber des eigentlichen lebendigen Blicks und scheinen nicht zu sehen. Das Auge ist es aber gerade, was uns unmittelbar mit der Umgebung in Zusammenhang und Beziehung setzt: sehen wir den Blick wohin gerichtet, so ist uns damit eine lebendige Vorstellung dieses Zusammenhangs, der Gegenwart in der Umgebung, nach gebracht. Das geschlossene, das nicht blickende Auge drückt dagegen eine Beziehungslosigkeit, ein Entferntseyn daraus an. Dies empfinden wir sehr lebhaft bei der Vergleichung z.B. eines gemalten Porträts und einer Büste. | das Portrait z.B. wird auf eine lebendige Weise für uns gegenwärtig, wenn es uns ansieht, wenn sein Blick auf unser Aug gerichtet ist: dies kommt aber daher, weil es uns nun scheint, als seyen w i r für dasselbe gegenwärtig, denn es scheint in uns hineinzublicken, über uns zu sinnen, es 6 Sculptur2 ] Sclulptur

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das Entfernthaben alles Äußerlichen; die Heiterkeit ist Beginn der Äußrung. | Indem nun diese Einheit des Geistigen und Natürlichen zugleich in unmittelbar sinnlicher Weise ist, kann es nicht bei dieser allgemeinen Göttlichkeit bleiben, sondern die Gottesgestalt muß eine besondere Göttergestalt werden. In der schönen classischen Kunst ist der Polytheismus wesentlich, und thöricht wäre es den Einen Gott des Geistes plastisch darzustellen. der Gott muß als Besonderheit auftreten, die Begriffseinheit schlägt sich in einen Götterkreis auseinander. das Ideal der classischen Kunst ist als ein besonderer göttlicher Character. dieser Götterkreis ist zunächst eine Totalität, ein Ganzes. In diesem Kreise muß aber keine systematische Totalität gesucht werden. Er unterscheidet sich in Mann und Weib, die Unterschiede spielen an die Begriffsunterschiede an, aber ohne den Begriff zu er-

ist eine gegenseitige Beziehung vorhanden, ein Interesse gleichsam des Einen am Andern. Es kommt hier freilich auf die Individualität an, daß dieser Umstand am Portrait angenehm für den Beschauer ist, oder unbehaglich; denn solche Gesichter, deren individueller Ausdruck uns mißbehagt, stoßen uns gerade dann am meisten ab, wenn wir uns von ihrem Blick getroffen sehen; hier wollen wir nicht in diese Relation treten. / Bei der Büste findet, kann man sagen, der umgekehrte Fall einerseits Statt: wenn dies Anblicken beim gemalten Bildniß oft höchst erfreulich seyn kann, so überfällt uns eine gewisse Trauer, wenn das Auge der Büste auf uns gerichtet ist: es kommt uns vor, als sey es ein Blinder mit offenen Augen, der uns aber dennoch zu sehen verlangte; je näher uns nun | die Individualität angeht und unser Interesse für sich hat, um so empfindlicher ist uns diese Abgeschlossenheit. / Das Insichgegangene, nach Außen Nichtaufgeschlossene ist hier also im Sinnlichen ausgedrückt 2 nun] Kr: dieses Gött liche, 3 ist] Kr: ist, in unmittelbar bildlicher Weise 4 werden] Kr: besondern, es müssen Götter-Individuen hervortreten, und diesen giebt die Kunst ihre Gestalt 5–6 thöricht wäre … darzustellen] Kr: Es wäre ein verkehrtes thörichtes Unternehmen, die sämmtlichen klassischen Götter in Einem Gott darstellen zu wollen: dies würde einerseits aus der Schranke des Klassischen hinausweisen, andrerseits aber von der Unmöglichkeit zurückgewiesen werden, das Göttliche überhaupt, den Einigen oder dreieinigen Gott, seinem Begriff gemäß, in der sinnlichen Weise der Kunst darzustellen, weder der abstrakte, Eine Gott der Juden u.s.w., noch aber der drei|einige christliche Gott, haben je ihre entsprechende Darstellung in der Kunst gefunden, noch werden sie eine solche finden. / Die Gestalt des Gottes kann nur dadurch zur b e s t i m m t e n Gestalt kommen, daß er noch eine besondre Individualität ist, beschränkt auf diese besondre Individualität. Der allgemeine Gott, der Begriff Gottes in seiner Totalität geht über diese Schranke im Sinnlichen hinaus und ist in der Weise der Kunst undarstellbar. So, als Totalität gefasst, bietet er der Kunst, und zwar der christlichen Kunst, nur das Moment der Menschwerdung dar; sonst ist er aber nur zu fassen in den höhern Weisen der religiösen Vorstellung, und des Gedankens, der sich dann ganz von dem Boden des Sinnlichen erhebt und über die Macht der Kunst hinausgeht. Die christliche Kunst hat dies auch faktisch gleichsam eingestanden, indem sie in dem ganzen Verlauf ihrer Geschichte keine bestimmte, gültige Gestalt des christlichen Gottes auf- und festgestellt hat 6–8 der Gott … classischen] Kr: Die Totalität des Göttlichen muß auseinanderfallen in bestimmte Götter -|Individualitäten, um für die Kunst darstellbar zu seyn. Dies ist nun das Verhältniß des Klassischen, und darum ist hier der ideale Gott, das Ideal überhaupt. Hier bildet sich ein Kreis von Göttern; das Ideal der schaffenden 9 diesem Kreise] Kr: dieser Weise der Darstellung des Göttlichen 10 Er unterscheidet … Weib,] Kr: Man unterscheidet in dem Götterkreis der klassischen Kunst überhaupt zwei kleinere Kreise: den der männlichen und den der weiblichen Gottheiten.

Indem aber die classische Kunst die Einheit des Geistigen und Natürlichen selbst unmittelbar darstellt legt sich die allgemeine Göttlichkeit in einen Kreis besonderer Göttergestalten aus.

394 doch ist dieser Kreis keine systematische Totalität; weil diese Götter keine Allegorien sondern geistige subjectivitäten sind, und somit eine Seite der Zufälligkeit und Willkühr haben.

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schöpfen, denn als Besonderheit tritt der Gott in die Bestimung mit der Zufälligkeit. In dieser Besonderheit muß zwar die Grundbestimung der allgemeinen Göttlichkeit bleiben, dieser Ernst, der sich von seiner Strenge mehr zur Heiterkeit wenden kann. die Unterschiede aber ihrer Natur nach lassen sich nicht streng systematisiren, denn sonst wären diese Gestalten mehr Allegorien statt Charactere zu sein, subjective Bestimmtheit, in welche Zufalligkeit einzutreten hat. die Hauptbestimungen treten zwar vor: Jupiter ist Staatsgewalt, Apoll und die Musen das Bewußtsein. die Frauen haben besondre Charactere gegeneinander. Juno ist die Ehehelferinn, Diana die hinaus Strebende, Minerva die sinnende kriegerische Jungfrau. die Diana von Ephesus hat mehr den allgemeinen Muttercharacter der Natur. Aphrodite ist die Liebe. Die Charactere unterscheiden sich, ohne daß man sagen könnte, es wäre ein systematisches Ganze. der Character der Götter macht die Besonderheit der Göttlichkeit aus. die strenge ernste Sculptur wird zum Theil Mühe haben, diese Besonderheit auszudrüken. Bei vielen Antiquen | hat man Mühe, die Besonderheit des Gottes herauszufi nden. die Individualität und deren darstellung kann nun nicht bei der abstracten Besonderheit des Characters stehn bleiben. das Gestirn ist in seinem einfachen Gesetz erschöpft; und bringt diß zur Erscheinung. Wenige bestimmte Charactere erschöpfen das Steinreich, aber das Organische steht in mancherlei Wechselwirkung, und noch mehr

1 in] Kr: eben dadurch, daß das Sinnliche ein wesentliches Moment darin ist, in 3–4 Ernst, der … kann] Kr: ihr Ernst kann sich dann von seiner Strenge auch entäußern, zur Heiterkeit übergehen, sich mehr oder weniger zum Aufgeschlossenseyn nach Außen, hin|neigen 7 Staatsgewalt] Kr: Politie, die Herrschermacht als politische Gewalt 7–8 und die … Bewußtsein] Kr: Athene, Mnemosyne das Bewußtseyn; aber dies läßt sich nicht in systematischer Weise so durchführen 9 ist die Ehehelferinn] Kr: (Hera) ist das Erzeugende, Gebärende; Pallas die sinnende Jungfräu lichkeit hinaus Strebende] Kr: spröde, nicht sinnende, die nur hinausstrebende Jungfräu lich keit 11 Liebe] Kr: sinnliche Liebe u.s.w Charactere] Kr: besondern Individualitäten 12 es wäre] Kr: daß hier ein System vorhanden sey, oder auch nur 13 Göttlichkeit] Kr: Gottheit, Göttlichkeit 13–14 wird zum … auszudrüken] Kr: diese eigentlich klassische Kunst geht denn auch fort zur Dar|stellung dieser Besonderheit: in ihrer ganzen Strenge wird sie aber zum Theil schon viele Mühe haben, dieselben bestimmt auszudrücken, den Unterschied der Karaktere in ihrer plastischen Weise fest darzustellen 14–15 Bei vielen … herauszufinden] Kr: So kommt es daher bei vielen antiken Bildern vor, daß die gründlichsten Kenner bei all ihrer Kenntniß große Mühe haben, anzugeben, welches Gottes Bild sie vor sich sehen und mancher Streit ist nicht vollkommen beizulegen. Oft sind es nur die beigegebenen freien Attribute, die die Gestalt erkennen lassen 16 abstracten Besonderheit] Kr: allgemeinen Bestimmtheit 17 bleiben] Kr: bleiben, sie ist nicht erschöpft durch diese allgemeine Bestimtheit des Karakters Gestirn] Kr: System der Gestirne 19 steht in … Wechselwirkung] Kr: enthält ein Weiteres: es schließt sich aus und kommt dadurch in ein mannichfaches Verhältniß und in Wechselwirkung zu stehen 13 Sculptur] Sclulptur angefügt

17–18 und bringt … Erscheinung. teils über der Zeile, teils am Rande

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ist es die geistige Natur, die auf unendlich manigfache Weise zu erscheinen vermag. | diese sich aufschliessende Besonderheit ist die Einzelheit der classischen Gestaltung. Hier tritt die Zufälligkeit und Willkühr der Äusserlichkeit ein, die Weise der Erscheinung des Characters ist mannigfach. Hier ist die Frage: wo kommt der Stoff für die göttlichen Gestalten her? wie bestimmen sie sich weiter? Beim menschlichen Character, bei einer menschlichen wirklichen Individualität ist der Stoff des Handelns, des Erscheinens durch die vorhandenen Umstände und Lagen gegeben. die vorhandene Welt enthält diesen Stoff. Lebensbeschreibungen von Menschen werden immer höchst verschieden sein. den Stoff für die freien Göttergestalten kann man sich als abhängig glauben von der subjectivität des dichtenden. Allein wir haben überhaupt gesehn, daß das Prinzip der classischen Kunst sei, gegen ein Andres zu reagiren, Voraussetzungen zu haben, und das Material zur nähern Geschichte dieser Gestalten ist demnach ein Wesentlich Vorausgesetztes. die Hauptmomente dieser voraussetzungen sind angegeben. Es ist zum Theil das frühere symbolische selbst. dieses verliert hier seine Stellung symbolisches zu sein, es soll nichts mehr bedeuten, das verschieden wäre von der Gestalt selbst. Indem so der Inhalt des symbolischen Inhalt wird eines geistigen subjects so sinkt er zu einer äusserlichen Geschichte herunter, welche dem Willen der subjectivität zugeschrieben wird. So treten hier | alle die symbolischen Traditionen früherer heiliger Geschichten herein, und indem sie Handlung sub-

1 auf ] Kr: sich zu entwickeln, auf 3–4 ein, die … Characters] Kr: ein in den Inhalt und die Weise seiner Darstellung. Das Substanzielle, das Pathos, der Karakter des Gottes erhält sich zwar darin, aber die Weise der äußerlichen Erscheinung, der Stoff u.s.w. 5 Gestalten her] Kr: Individuen her, daß für sie eine Beziehung, ein Verhältniß nach Außen vorhanden ist 7 des Handelns] Kr: der die Bedingung des Handelns ist 8 Welt] Kr: Welt in ihrer Entwickelung 9 Menschen] Kr: Menschen, die sich einander im Karakter sehr ähnlich sind, sein] Kr: seyn, nach den verschiedenen Zeiten und Umständen 9–11 den Stoff … dichtenden] Kr: Es kann nun zunächst scheinen, daß dieser Stoff für die Aeußerung der klassischen | Götter ein bloßes Spiel der Dichtung sey, ein Erzeugniß von Vorstellungen der puren Phantasie 11–14 das Prinzip … Vorausgesetztes] Kr: Indem aber bei der klassischen Kunst überhaupt und ihren Gestaltungen die Geistigkeit P r i n z i p , so ist sie damit selbst nur r e a g i r e n d , gegen ein A n d r e s : das klassische Kunstprodukt hat Voraussetzungen nach der Seite des Geistigen, wie des Materiellen, des historisch vorliegenden Materials. Aus diesen Voraussetzungen ergeben sich die weiteren Bewegungen, bestimmt sich das Thun, der partikuläre Mythus der Götter 14 dieser voraussetzungen] Kr: das, was die klassische Kunststufe zur Voraussetzung hat, Es] Kr: Das vorausgesetzte Material 15 verliert] Kr: verdient 16 soll nichts … bedeuten] Kr: verdient, daß es etwas bedeuten soll 17–18 Inhalt des … herunter] Kr: geistige Inhalt im Symbolischen noch auf einer solchen Stufe steht, daß seine Aeußerung, seine Darstellung die Seite der Willkühr an sich hat, so | sinkt das Symbolische herunter zur Weise ganz äußerlicher Geschichte, äußerlichen Thuns und Geschehens 20 früherer heiliger Geschichten] Kr: in den verschiedensten Ausbildungen des Einzelnen, je nach dem Spiel der mitwirkenden Phantasie, diese vorher heiligen Geschichten, jetzt 15 ist] sind

18 er] es

die in ihrer Besonderheit sich erfassende Allgemeine Göttlichkeit ist der einzelne Gott, dessen Weise der Erscheinung, da er die Seite der Äusserlichkeit in sich hat mannigfach ist.

das Material zu dieser Erscheinung der Einzelheit liefert 1) die symbolische Kunst als Voraussetzung der Classischen. dieser Inhalt als symbolischer ist hier aufgehoben und ist zu einer äussern Geschichte der einzelnen Göttergestalt heruntergesetzt.

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Beispiel an der Geschichte Jupiters.

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jectiver Individualität werden, erhalten sie die Weise einer äußerlichen menschlichen Geschichte. Wir sehen so von den Göttern eine Menge von Geschichten erzählen, die nicht der Willkühr der dichter zugeschrieben werden können. Es sind Reste symbolischer darstellungen. So finden wir bei Homer, daß die Götter auf 12 Tage seien zum Fest nach Aethiopien gereisst. dieß wäre eine ärmliche Erfindung des dichters. Es sind Nachklänge alter Tradition, Reste, wo das symbolische zur äußerlichen Geschichte wird. Was da dahinter steckt, das Geschichtliche der Phantasie lässt sich bei den wenigsten angeben. Wenn wir ebenso die Geschichten Jupiters nehmen, sehen wir das symbolische durchblicken, aber zu äußerlicher Geschichte herabgesetzt. Es wird erzählt: Chronos habe 3 Söhne und Töchter geboren, und diese verschlungen. Bei den alten Göttern ist die Zeit das Herrschende. das Verschlingen des Chronos ist symbolisch. Rhea nun seine Gemah linn geht mit dem jüngsten Kinde schwanger nach Creta, gebiert dort den Jupiter, und giebt dem Chronos statt des Kindes einen Stein. Chronos nach Brechmitteln habe später alle Kinder wieder von sich gegeben. dieß ist solch eine Erzählung, wo man

2 so] Kr: daher in der griechischen Mythologie 3 die] Kr: sonderbare Geschichten, die können] Kr: können: sie spielen zum Theil auf einen Sinn an, haben zum Theil auch wieder keinen 4 symbolischer darstellungen] Kr: aus dem Symbolischen, die aus einem weiter ausgedehnten, bereits überschrittenen Gebiete herkommen 6 dichters] Kr: Dichters gewesen seyn, wenn keine Bedeutung zu Grunde gelegen | hätte und man thut dem geist- und sinnvollen Griechen keine zu große Ehre an, eine solche darin zu vermuthen, da das Factum sonst ganz leer wäre Reste, wo … symbolische] Kr: und die Zahl 12 mag ihre Bedeutung auch ihrerseits haben. Man sieht hier gleichsam den Rest einer Tradition, wo das Symbolische im Verschwinden ist und 8 angeben] Kr: angeben. / Die Zahl 12 ist die der Götter, sie ist die Zahl der Monde gewesen, also in Beziehung auf den scheinbaren Umlauf der Sonne auf das Jahr 9 sehen wir] Kr: Die Geburt Jupiters läßt 10 Chronos] Kr: Rhea und Saturn (Kronos) 11 und diese] Kr: Kronos hat sie aber sogleich nach der Geburt Zeit] Kr: Alles verschlingende Zeit 12–14 Rhea nun … Stein] Kr: Als sich nun Rhea aber|mals schwanger fühlt, begiebt sie sich, um dem gefräßigen Rachen ihres Ehemanns aus dem Weg zu gehen, auf den Rath der Gäa nach Kretha, wo denn Jupiter, die Macht des Gesetzes, die politische Gewalt des Staats geboren wird unter dem Lärm und Geklirre kriegerischer Waffen, damit Vater Kronos das Schreien des Knaben nicht höre. Von Kretha, erzählt die Tradition, sind die Gesetze hergekommen; es ist früh schon ein gesetzlicher Zustand daselbst gewesen: Jupiter wird also hier geboren und später oft dahin versetzt. Das Gesetz, der junge Gott, der diese Macht des Gesetzes ist, wird nun für etwas zu Kostbares erachtet, als daß es dem Rachen des Kronos überliefert würde: Rhea stellt ihn seinerseits mit einem Stein zufrieden, während die Menschen das Gesetz für sich behalten. Hinter dem Stein, daß die Zeit wohl einen Stein verschlingt, nicht aber die Macht der Gesetze, mag allerdings etwas Symbolisches stecken: aber zunächst scheint dies nur so eine äußerliche Geschichte zu seyn, eine inhaltslose Erfindung der dichterischen Phantasie 14–15 nach Brechmitteln … gegeben] Kr: bekommt dann zum | Schluß ein Brechmittel und so giebt die gefräßige Zeit Alles auf demselben Wege wieder zurück auf dem sie verschlungen hatte 12 nun seine Gemahlinn über der Zeile mit Einfügungszeichen

14 Kindes über gestr. Erstlgs

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das alte symbolische durchblicken sieht. – Besonders ist auch Heracles eine ganz menschliche Gestalt mit vielen Zügen symbolischen Herkommens. die zwölf Arbeiten ZB. beziehn sich auf den Sonnenlauf, ferner seine Reise nach Hesperien. dieß symbolische ist aber zu Thaten eines Individuums umgearbeitet. Ebenso ist es mit der Geschichte der Ceres und Proserpina. Hier ist das alte symbolische des Verlorengehns und Auf keimens des Samenkorns. Proserpina spielt in einem Thal mit Blumen, wird geraubt, geht verloren. Kurz ein symbolisches ist umgearbeitet zu Begebenheiten. – Ebenso verhält es sich | mit den vielen Untreuen des Jupiter. das Allgemeine | der Zeugung liegt zum Grunde, und die besondern Geschichten sind Local-symbole, die von vielen Orten her zusammengetragen sind. dieses alte symbolische also überhaupt ist ein Hauptstoff für die Begebenheiten der individuellen Götter, welche als mannigfach sich äussernd darzustellen sind. Andere Züge in diesen Göttergeschichten sind offenbar auch geschichtlich, Traditionen alter Könige, alter Heroen, und diese Züge mischten sich ein, indem die Religionen zunächst locale waren, bis sie sich in das Allgemeine der Kunstphantasie zusammenzogen. Einseitig ist es, die griechische Mythologie geschichtlich erklären zu wollen, daß nehmlich alte Könige seien vergöttert worden. Man versteht den Sinn des classisch Religiösen nicht, wenn man alle Vorstellungen geschichtlich entwickeln will. doch ist das geschichtliche Moment auch nicht

20 1 durchblicken] Kr: herabsinken, was von der Willkühr eines Individuums abhängt

1–2 Besonders ist … Herkommens] Kr: Eben so giebt es von Herakles eine unzählige, verwickelte Menge von Traditionen, die von überallher zusammenkommen 4 Individuums] Kr: menschlichen Individuums 7–8 Kurz ein … Begebenheiten] Kr: betrachten wir aber die anmuthig erfundene menschliche Geschichte derselben, so finden wir nur den allgemeinen Zug jener Bedeutung darin 9–10 und die … sind 2 ] Kr: dies bildet sich aber für 25 9 Jupiter] Kr: Jupiters gegen seine Gemahlin die verschiedenen Localitäten zu besondern Geschichten aus, wobei die Phantasie ebenfalls ihr Spiel hat. In Indien war das Symbol der Zeugung auf verschiedene Weise dargestellt: dies Alles wird nun zum Erbtheil des Einen Jupiter gemacht, der es auch nicht dran fehlen lässt, sein erworbenes und ererbtes Recht auf alle mögliche Weise zu exerzieren und für die Erhaltung dieser Be11–12 dieses alte … sind] Kr: Dies überlieferte Alte, Symbolische, was die 30 deutung zu sorgen klassische Kunst zu ihrer Voraussetzung hat, ist also ein Hauptstoff, der zu solchen mythischen Geschichten und Begebenheiten ausgebildet wird, wie sie zur Aeußerung einer Individualität gehören und gefordert werden. / Das Symbolische wird aber hier, wie wir gesehen haben, zur äußerlichen Handlung, zum äußerlichen Geschehen herabgesetzt, worauf ein Individuum eingeht und rea383Kr girt 13 auch geschichtlich] Kr: von | wirklich Geschichtlichem 16–17 die griechische … worden] Kr: den geschichtlichen Antheil in der Mythologie so fassen zu wollen, als beruhe dieser selbst überhaupt auf wirklich Geschichtlichem, als seyen z.B. die Götter verschiedenen Rangs früher einmal irgendwo Könige, Helden u.s.w. auf Erden gewesen. Ephemeros, ein Schüler des Aristoteles, hat diese Betrachtungsweise der Mythologie in ein System bringen wollen und in unsrer Zeit wur19–398,1 doch ist … verwerfen] Kr: Es findet sich 40 de sie von Heine u.s.w. wieder aufgenommen allerdings Geschichtliches darin vor, es hat sich mit eingemischt, der Dichter mag manchen Vorfall 19 geschichtliche über gestr. gesetzlich; Kr: siehe Variante

an Hercules.

an Ceres.

2. Einen weiteren Stoff geben geschichtliche Traditionen alter Könige und Heroen.

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diese Traditionen sind Locale, welche Farbe sich auch später erhält.

3. Eine dritte Quelle ist die Phantasie des dichters, welche besondere Begebenheiten der unmittelbaren Wirklichkeit als durch Götter bewirkt, auslegt.

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ganz zu verwerfen. die Familie ist das Erste des Staats; sie hat Penaten, Localgötter. dieß alles hat eine locale Farbe. Wird die Manigfaltigkeit der Localitäten in ein Pantheon in einen Götterkreis zusammengeschlossen, so spielen die Localfarben immer durch. die Localitäten bleiben auch dadurch, daß jede Stadt ihre Localgottheit hat, die sie vornehmlich ehrt. Eine dritte Quelle für die Einzelheiten der Götter ist dann allerdings die Phantasie des dichters selbst, denn das Künstlerische besteht eben darin, das Einzelne der Begebenheiten in die allgemeine Göttlichkeit zusammenzufassen. Wenn wir ZB. sagen: diß und dieß Schiksal kommt von Gott. Ein Ähnliches sehen wir besonders bei Homer. – Als an eine dritte Quelle ist also daran zu erinnern, daß der Mensch in seinen Bedürfnissen, Begebenheiten seine Zuflucht zu den Göttern nimmt. Und die Priester haben zufällige | Begebenheiten als Omen zu erklären, als Anzeichen, welche höhere Bedeutung die Begebenheit habe. Ist Noth, Bedürfniß, Unglük vorhanden, hat der Priester zu bedeuten, wie dem Unglük zu begegnen. der sogar, den er von weit her erfuhr, auf eine sinnige, bedeutungsvolle Weise hinein verflochten haben: aber ein Andres ist es, wenn man A l l e s n u r aus der Geschichte herleiten will; dies ist, wie | gesagt, ganz einseitig. Der lokale Ursprung ist dabei von besonderm Einfluß: der eigentliche Ursprung irgend eines besondern Mythos mag ein Geschichtliches enthalten, aber das rein Geschichtliche ist noch kein Mythos; dieses wird erst was es ist, durch das was dem Geschichtlichen hinzugefügt wird. der Wunderglaube und die Phantasie wirken da so mächtig mit, arbeiten das geschichtliche Faktum so um und um, daß das Ganze hernach mehr ein ganz neues Erzeugniß ist, als daß der geschichtliche erste Anstoß und das wenige was sich noch davon in ihm erhalten, von besondrer Wichtigkeit und eines mühseligen Forschens werth wäre. Es kommt auch ohnehin mehr darauf an, zu betrachten, was nun in einem Mythos, wie er einmal ist, drin liegt, als auf welcher Stelle er mit der Fußsole gleichsam die Erde berührt 1 das Erste … Staats] Kr: der älteste Verein der durch ein gemeinsames Interesse sich zusammenfügt 1–2 Localgötter. dieß … Farbe] Kr: und verehrt zuerst lokale Gottheiten, die denn allerdings nach dem besondern Stamm der Familie, nach einer besondern Gegend, Stadt, u.s.w., auch lokale | Eigenthümlichkeit, lokale Farbe haben 5 Eine] Kr: Dionysos ist der Hort von Theben geblieben, wie Athene die besondre Schutzgöttin von Athen, obgleich beide auch auf dem Olymp verehrt worden sind. / Eine 5–6 Einzelheiten] Kr: besondern Aeußerungen und Handlungen 8–9 Wenn wir … Gott] Kr: diese Erhebung des besondern Ereignisses ist dann eine Anwendung des Allgemeinen auf die besondre Begebenheit, wenn das Allgemeine bereits schon fixirt ist 9 Homer] Kr: Homer; die Subjektivität hat sich so in bestimmter Weise ebenfalls gezeigt 10–11 der Mensch … nimmt] Kr: Wenn der Mensch auf Ereignisse trifft, die ihn frappiren, so nimmt er seine Zuflucht | zu den Göttern, zu diesen Idealen, die die allgemeinen Mächte sind, in Allem gegenwärtig, wirkend und schaffend, besonders aber in Solchem, was den Menschen mit unerwartetem Schlage trifft, in großen oder verwickelten Ereignissen, deren Ausgang nicht vorausgesehen werden kann: darin glaubt der Mensch, sey der Gott auf direktere Weise wirkend, ganz unmittelbar gegenwärtig und so wendet er sich also an ihn, um Aufschluß und Schutz zu erhalten von seiner göttlichen Macht 12 als Anzeichen] Kr: d.h. sie sagen aus im Namen des Gottes 14 wie dem … begegnen] Kr: wodurch es verschuldet und wie es abzuwenden sey. So verhängen also die Götter Strafen über die Verschuldungen der Menschen 1 verwerfen] (ver über gestr. ent)werfen; Kr: siehe Variante lichkt

7 das] daß

8 Göttlichkeit] Götth-

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dichter ist der Ausleger, der Priester selbst. In Rücksicht auf den Götter|kreis hat er zu erklären, welcher Gott sich in dieser und jener Begebenheit ausspreche. dadurch vermehrt sich der Kreis dessen, was von den Göttern erzählt wird, das sie gewollt und gethan haben. der Stoff ist aus den gewöhnlichen Umständen genommen, welche dichter und Priester auf ihre Weise erklären. dieß sehen wir besonders bei Homer. Gleich im Anfang der Iliade, indem eine Krankheit ausbricht, erklärt dieß Calchas so, daß Apollo wegen seines Priesters Verletzung zürne. dieß kann dann in der Mythologie als Handlung Apolls erzählt werden. So läßt, als Patroclus getödtet wird vom Hector, Homer den Apoll dem Patroclus den Helm abreißen und den Schild. Patroclus sagt: Apoll tödtet mich zum Ersten, Phorbus zum zweiten, du Hector zum dritten. So in der Hauptschlacht kämpfen zuerst Griechen und Troer, die Helden einzeln gegen Einzelne. Beim allgemeinen Gewimmel aber kämpfen die Allgemeinheiten gegeneinander; Homer beschreibt dieß so, daß Ares selbst auftrete und alle Götter; die Götter kämpfen mit den Göttern. Und dieß ist eine schöne Steigerung, daß das Allgemeine zuletzt selbst sich bekämpft, gleichsam | der Begriff des Göttlichen selbst ist in solchen Zügen ausgesprochen. dieß ist es was den Weitern Stoff für die Thaten der Götter hergiebt. Im Letzten Gesang der Odyssee erklärt Agamemnons Schatten

1 In] Kr: er sagt von den Begebenheiten aus, daß sie Handlungen der Götter seyen. In

2–4 da-

20 durch vermehrt … haben] Kr: Indem es nun also der Priester, der Dichter mit seiner Phantasie, ist,

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der hier es feststellt, worin, bei einer bestimmten Begebenheit, das Thun eines besondern Gottes zu erkennen sey, so wird dadurch der Kreis von Handlungen dieses Gotts, von ihm erweitert und bereichert: es wird ihm nun zugeschrieben, daß er dies und das gethan, gewollt, und des Priester’s, des Dichters wird nicht weiter dabei gedacht, da beide nur für das Organ genommen werden, dessen der Gott sich bedient 6–8 indem eine … zürne] Kr: wird eine Krankheit von den Griechen als Schickung der Götter betrachtet: der Seher Kalchas hat nun auszusagen welchem Gott sie zuzuschreiben sey, damit man wisse, wie man sich mit ihm versöhnen könne. Der Priester sagt, daß Apoll sie geschickt, weil die Tochter des Priesters Chryses nicht sey verehrt worden 8–10 So läßt, … Schild] Kr: eben | so kann es zum Gegenstand anderer Künste genommen werden. – Patroklus wird von Hektor durchbohrt, wie er zum vierten Mal auf Troja anstürmte: Apoll entreißt ihm den Helm u.s.w. So läßt also der Dichter den Gott in diesem verderblichen Verhältniß erscheinen. Euphorbus und Hektor sind die eigentlichen Tödter desselben: in dem was sie thun, was durch sie geschieht, sieht aber der Dichter ein Höheres, den Todesgott, den Apoll 13 kämpfen die … gegeneinander] Kr: sind es nicht mehr Individuen, die sich hier gegenseitig bekämpfen, sondern die Substanz, das Allgemeine ist es, das hier selbst bewegt ist 14–15 kämpfen mit … Göttern] Kr: lassen sich in den allgemeinen Kampf ein um die Entscheidung herbeizuführen 16 bekämpft] Kr: im Kampf gegeneinander bewegt 17–18 dieß ist … hergiebt] Kr: dergleichen Erzählungen sind es auch, die den klassischen idealen Gott aus seiner Ruhe heraus führen zu einem Weitern, worin er mit seinem göttlichen Pathos als handelndes Individuum bestimmt auftritt 18–400,1 erklärt Agamemnons … komme] Kr: erzählt der Schatten des Agamemnon von Nestor, 2 in dieser … ausspreche über gestr. zu erklären habe; Kr: zu erkennen gebe Steiggrg 18 erklärt über gestr. erzählt; Kr: siehe Variante

15 Steigerung]

Beispiel im Homer.

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Indem aber die Einzelheit der Göttergestalt sich mehr und mehr in die Mannigfaltigkeit der Erscheinung auslegt, so verendlicht sie sich mehr und mehr bis ihr allgemeiner Begriff ihrer Realität nicht mehr entspricht.

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das Getöse des Meers dadurch, daß Thetis zum Trauerfest Achills komme. Also menschliche Begebenheiten können für den nähern Stoff für das äusserliche dasein der Götter angesehn werden. An diesem Ausserlichen nun, in das die göttliche Gestalt heraustritt, knüpft sich der Uebergang in ein Anderes Gebiet. denn in der Ausserlichkeit liegt die Manig faltigkeit der Verendlichung, welche der innern Idee, dem Gedanken gegenübersteht, | und den Verdruß des Gedankens gegen seine Realität | erweckt. die allgemeine Kunstausbildung geht von der Stille des Ideals in die Manigfaltigkeit seiner Erscheinung, in die Detaillirung des Geschehens und des Handelns; das immer menschlicher und menschlicher wird. die Kunst geht also in Ansehung des Inhalts in die Vereinzlung, in die Form in’s Angenehme hin. das Angenehme ist die Ausbildung des Äußerlichen an allen Punkten, so daß es überall eine Beziehung hat in Betreff des Zuschauers. die Kunst geht in diese Beziehung nach Aussen über, und so in den Bezug des Gefallens. In dieser Verendlichung des daseins liegt der nähere Zusammenhang mit dem subject überhaupt, das sich jetzt, wie es ist, im Kunstgebilde findet. Beginnt die schöne Kunst so verderbt sie die Religion. die Frömmigkeit hat genug an irgend einem Bilde; das schlechtste Bild ist ihr genug. Sowie das Bild zur schönen Gestalt wird, die Phantasie sich befreit, so fängt der Ernst der Andacht zu verschwinden an, und das Intreße des sinnlichen Seins des Innren tritt ein, und wird Gegenstand der Ausbildung. wie er den Griechen das Getöse des Meeres als die Ankunft der Thetis erklärt, wodurch den Griechen die Furcht davor benommen wird 2 menschliche] Kr: dichterisch geschichtliche 5 Manigfaltigkeit der Verendlichung] Kr: unendliche Mannichfaltigkeit der Ausbildung dieser Vereinzelung 7 erweckt] Kr: erweckt; in die Seite der Aeußerlichkeit fällt die große Mannichfaltigkeit der Dichtungen, die Verendlichung, die dem Gedanken gegenüber steht 8 Stille] Kr: Ruhe und harrenden Sinnigkeit 9–10 seiner Erscheinung, … wird] Kr: seines Thuns, in die Möglichkeit seines Erscheinens im Aeußerlichen, zu Geschichten, zu Handlungen, und dies Außerliche wird zur Gestalt, zur menschlichen Gestalt 11 in’s] Kr: vom Strengen ins 13 in Betreff ] Kr: auf den Sinn 13–14 in diese … Aussen] Kr: von der Ruhe des Ideals ab und in der Beziehung auf das beschauende Subjekt, in die Gefallsucht 14–16 In dieser … findet] Kr: Die Gefälligkeit hat die Vervielfältigung zur Bedingung, worin nun das liegt, womit das Subjekt unmittelbar zusammenstimmen kann 16–18 Beginnt die … genug] Kr: So wie die Kunst nicht mehr statarisch, sondern freigelassen ist in der Ausbildung ihres Stoffes der von der Religion herkommt, so trägt sie zum Ruin der Religion bei, insofern nämlich die | Frömmigkeit das Göttliche in innerer Anschauung, in dunkler Ahndung besitzt, das schöne Bild davon nicht bedarf, vielmehr dadurch gestört wird, weil sie i h r Inneres nicht darin erblickt, sondern mehr den äußerlichen Forderungen des Sinnes, dem Sinnlichen entsprochen sieht, das gerade den Gegensatzt macht zu ihrer innerlichen Weise das Göttliche zu fassen 18–19 Sowie das … so] Kr: Bei diesen schönen, gefälligen Bildern, bei dieser, bis zur Selbstgefälligkeit fortgegangenen Kunst 20 sinnlichen Seins … Ausbildung] Kr: Schönen, des sinnlichen Seyns dieses vorher mehr Innerlichen, welches nun eben im Aeußerlichen, 1 Meers über gestr. Shattens selbst; Kr: sich selbst

2 Begebenheiten] am Rande: c)

7 seine Realität über gestr. sich

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die Bedeutung, das substantielle bleibt, der Begriff der Götter, ihr Allgemeines schreitet nicht fort, sondern nur ihre äußerliche Seite in Betreff auf die endliche Beziehung. Bei der christlichen Kunst sind es nicht die schönen Bilder, welche die Gläubigen suchen, sondern die alten statarischen Bilder. Beim Schönen kommt durch den Reiz des dargestellten daseins eine Entfernung vom Allgemeinen Gedanken hervor und von dem, was die tiefere Andacht befriedigt. dieser Gegensatz im Allgemeinen ist es, der auch hier eintritt, und die schöne Götterwelt untergehn lässt. An die Stelle der classischen Kunst muß die romantische, christliche Kunst eintreten. | Sinnlichen zuletzt verschwindet, indem die Forderungen des Sinnes nun mit Übermacht hinzu treten und sich bis zum Übermaaß seiner Befriedigung mehr und mehr steigern 2–3 sondern nur … Beziehung] Kr: aber nicht um seinetwillen geschieht es jetzt mehr, daß die äußerliche Seite weiter für den Sinn ausgebildet wird, sondern dies geschieht nur diesem selbst zum alleinigen Gefallen und der Inhalt | kommt mehr nur in Betracht, insofern er Beziehung auf Endliches hat 3–4 Bei der … Bilder] Kr: In der ältesten Zeit der christlichen Kunst haben die religiösen Bilder und Gestalten auch einen solchen statarischen Typus, wie er sich in seiner Weise in der ältern Zeit der klassischen und in der symbolischen Kunst findet. Es ist da noch nicht um die Schönheit zu thun: das Bild wird nur hingesetzt an den geheiligten Ort, um in der versammelten Menge den allgemeinen Gedanken zu erwecken; dies ist aber mit Wenigem geschehen und die fromme Andacht zieht sich alsbald mit niedergesenktem Blick aus diesem Aeußerlichen sogleich wieder heraus und vertieft sich in sich, in der innern Anschauung des Inhalts, der ihr durch das Bild zur E r i n n e r u n g zugerufen worden ist, wie durch eine vorübergehende, winkende Erscheinung. Ob dieser Inhalt sich im Bilde selbst abspiegelt auf bestimmte, gehaltvolle Weise, dies ist hier noch ein Gleichgültiges und wird noch nicht gefordert: noch viel ferner liegt aber die Fordrung des Sinnes, daß auch dieser ästhetisch befriedigt werde. / Man muß also diesen statarischen | Typus nicht daher erklären, daß die Kunst überhaupt in Verfall gerathen war und die Künstler, etwa aus besonderer Fahrläßigkeit, Trägheit und Stumpfsinn, die Vortheile früherer Technik und alle Geschicklichkeit etwas Besseres zu machen, eingebüßt hätten; vielmehr ist auf den ersten Stufen der besonderen Kunstformen hauptsächlich das praktische Interesse zu betrachten, welches die ersten Produktionen im Verhältniß zur Religion, zur religiösen Bildung, für sich hatten. Ein eigentliches Kunst-Interesse ist da noch nicht vorhanden; das Kunstwerk gilt als solches für sich noch nichts und der Künstler kennt eben auch nur das Interesse und Bedürfniß seiner Zeit, welchem er zu genügen hat. Das Fortschreiten geschieht nur langsam und kein Streben eilt dem andern voraus, abgesondert und selbstständig für sich. Es ist schon oben gesagt von welchem Interesse die Kunst überhaupt hervorgerufen wird und daß sie an bestimmte Zeiten gebunden ist, deren Entwickelungsgang sie ganz parallel läuft. Wenn man aber den Künstler und die Kunst überhaupt ganz abgesondert für sich betrachtet und nicht aus der Zeit begreift, | so kommt man auf ein überflüßiges wenigstens höchst einseitiges Resultat. Das allgemeine Interesse für die Kunst schließt das für ihre Geschichte in sich, und die Geschichte der Kunst ist nur im Zusammenhang mit der Geschichte des Menschen überhaupt zu betrachten: denn die Kunst ist nur e i n e Weise der Aeußerung desselben, begleitet von andern, die zum Theil bestimmter sind im Ausdruck ihres Inhalts 4–6 Beim Schönen … befriedigt] Kr: Mit dem Uebermaaß der Ausbildung des Aeußerlichen, der endlichen Seite, sinkt also der substanzielle Inhalt herab, der auf der Anfangsstufe im umgekehrten Verhältniß stand. Ganz veräußerlicht giebt sich nun der Inhalt in solcher Gestalt dem Gedanken gleichsam preis und kehrt diesen gegen sich 7 hier] Kr: in der klassischen Kunstwelt 8 Kunst] Kr: Kunst, der Kunst der idealen Schönheit,

402 dieß Zurücktreten des Begriffs der Göttlichkeit und ihrer darstellung macht den Uebergang in die 3te allgemeine Kunstform.

dieß Zurücktreten ist nicht wie im symbolischen ein freundliches Verhältniß, sondern ein feindliches.

nachschrift hotho · 1823

Was den Uebergang seinem Inhalt nach anbetrifft, darüber haben wir später noch näher zu sprechen. Zuvor ist noch davon zu reden, welche | Kunstform sich in den Uebergang selbst hineinzustellen vermag. Beim Uebergang zur Classischen Kunst betrachteten wir die Abscheidung der Gestalt und der Bedeutung; die Fabel, die Parabel, ect. Hier nun fallen auch solche Formen herein, oder doch eine wenigstens. der Uebergang ist, daß überhaupt ein Unterschied der Gestalt und des Gedankens hereintritt. diese Zerreissung des Ideals ist schon vom Frühern her begründet. Xenophanes, Plato wurden ungehalten über die Geschichten der Götter. Plato verbannte aus seinem Staate die Poesie, weil sie die Götter zu verendlichen am meisten geneigt sei. diese Äusserlichkeit widerspricht dem Gedanken, dem Allgemeinen, und so entsteht ein Gegensatz zwischen dem, was sein soll, und dem, was in die Existenz getreten ist. Hier aber muß die Trennung gegen das Frühere gehalten, feindlich erscheinen: Im Frühern war nehmlich der Gedanke und die Gestalt nicht in Feindschaft, sondern in einem freundlichen Verhältniß, dem die Voraussetzung zu Grunde lag, daß natürliche Gebilde eine höhere Bedeutung in sich haben, und daß Beides getrennt war, dieß war nur das Prosaïsche. Jetzt aber wird der Gegensatz höherer Art. Es drängt sich eine Mittelform ein, welche die Form ist für den Gegensatz, der sich noch nicht versöhnt hat. Was zunächst erfordert wird, das substantielle dieß ist, daß das Geistige, das das Ideal errungen hat, selbstständig herausgehoben werde. der Sinn der griechi-

5 ect.] Kr: etc., ein Hervortreten des Unterschiedes des Inhalts und der Gestalt, nach verschiedener Weise 6 ist,] Kr: ist wieder in derselben Weise: 6–7 der Gestalt … Gedankens] Kr: zwischen Inhalt und Realität 8–9 die Geschichten … Götter1] Kr: das, was man den Göttern angedichtet 9–10 sie die … sei] Kr: eben das Göttliche in dieser freien Bildung zu einer äußerlichen Geschichte herabgesetzt werde 11 dem 2 ] Kr: Innerem, dem 12 dem, was … ist] Kr: der Gestalt, dem Aeußerlichen, worin fortgegangen ist bis zu einer nichtigen, unangemessenen Endlichkeit 13 das Frühere] Kr: frühern Übergang, vom Symbolischen zum Klassischen 13–15 nehmlich der … Verhältniß] Kr: das Vermögen der Aeußerlichkeit, ein Inneres, Allgemeines, Geistiges an sich erscheinen zu lassen noch kaum geahndet, viel weniger erschöpft; Bedeutung und Gestalt waren verschieden, | es fand aber keine Feindschaft zwischen beiden Statt, vielmehr ein Streben zur Einigung 16–17 dieß war … Prosaïsche] Kr: Das Prosaische und Mangelhafte bestand nur darin, daß die Gestalt noch erst nur bedeutete und der Inhalt dieserseits sich also noch in einer Trennung von der Gestalt, dem Aeußerlichen, nicht aber im Gegensatz damit befand 17 Jetzt aber … Art] Kr: Zu diesem Gegensatz kommt es nun aber hier beim Übergang der klassischen zur christlichen Kunst 17–18 Es drängt … Gegensatz] Kr: In der klassischen Kunstform bleibt der Unterschied des Innern und Aeußerlichen, der allgemeinen Macht des Geistigen und der äußerlichen Weise seiner Erscheinung, in seiner Sprödigkeit stehen 19 Was zunächst … wird] Kr: Das, worum es in der klassischen Welt zunächst und überhaupt zu thun ist 20–403,2 werde. der … dasein] Kr: werden soll aus dem unmittelbar Natürlichen, das als Für-sich-seyn zur Selbstständigkeit gelangen soll; diese Stufe hat die klassische Welt, die klassische Kunst erreicht: aber die Bedeutung dieses 2 noch 2 ] noch zu

3 Beim] Keim

9 aus seinem Staate über der Zeile mit Einfügungszeichen

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schen Kunst ist, daß das subjective Geistige die Hauptsache sei, aber seine Realität erscheint noch als unmittelbares dasein. Jetzt gibt es nur eine subjectivität, welche das Herrschende sei über die Gestalt. Nur an der sinnlichen Gestalt hat in der griechischen Kunst der Gott sein dasein. diese Einheit des Idealen hat sich daher aufzulösen, und zwar so, daß zunächst das Geistige eine | Welt für sich wird, absolut friedlich dem Sinnlichen entnommen. die bloß natürliche Gestalt, die Gestalt des Gottes, wird itzt abgetrennt, als ein todtes liegen gelassen, weil der Gott im Geistigen sich ein dasein giebt. die äußerliche, endliche Wirklichkeit wird dadurch selbst frei, aber eben damit eine götterlose Wirklichkeit, ein verdorbenes dasein. Indem nun zunächst beide Seiten in dieser Bestimmung | stehn, und die Versöhnung noch nicht eingetreten ist, kann diesem Gegensatz eine Kunstform angehören. die Versöhnung ist noch nicht da; die geistige Seite ist noch nicht Totalität, die sich in ihr selbst sich ein dasein gebende Geistigkeit, sondern eine bloß subjective Geistigkeit, eine unbefriedigte abstracte. Ein denkender Geist, ein für sich edles Gemüth, ein subject als subject, ein solches in sich subjectiv beruhendes, noch nicht die Idee erfassend, steht dem Verderben gegenüber. Es ist diß Zunächst ein prosaisches Verhältniß. Ein edler Geist zürnt dem daseinden, als seiner abstracten Idee des Guten, der Tugend ungenügend; es ist ein Gehalt vorhanden, er hat es mit einer vorliegenden verderbten Welt sich gegenüber zu thun. das Gemüth ist so im Zorn gegen solche Gegenwart und dieß ist näher der Standpunkt dieses Uebergangs. Bei den Griechen selbst sehen wir so einerseits den Aristophanes, der mit großem Leichtsinn die griechischen Götter durchzieht; dieß ist kein Zorn, sondern mehr noch ein heitres Verhältniß der Lustigkeit. der eigentliche Standpunkt ist mehr der der römischen Welt. In ihr

397 Kr Substanziellen, Geistigen, ist noch gebunden | an die Erscheinungsweise des unmittelbaren Daseyns: Die Götter sind einmal diese allgemeinen geistigen Mächte, harmonisch im Olymp versammelt; dann aber treten sie heraus aus dieser Harmonie, aus der idealen Ruhe, sie nehmen Parthei gegeneinander, sie mengen sich gegeneinander ein in partikuläres menschliches Interesse und die Weise wie sie ihre Mächte erscheinen lassen, ist die Weise der Erscheinung des Endlichen, unwür2–3 Jetzt gibt … Gestalt.] Kr: Das Weitere ist nun 30 dig diesem Allgemeinen, Göttlichen, Ewigen also dies, daß diese Einheit sich auflöst, daß das Geistige für sich, sich dem Sinnlichen entnehme, und frei für sich constituire. Hier ist nun das Subjektive das Herrschende über die Gestalt, aber 7 todtes] Kr: Leichnam 8 dasein] Kr: Daseyn an und für sich 10 verdorbenes] Kr: verwestes 11–12 kann diesem … angehören] Kr: so tritt hier eine neue Kunstform ein, die diesem Verhältniß 13 in ihr … gebende] Kr: aus sich selbst hervorbringende 15 edles] Kr: frommes, 35 angehört edles 17–18 Ein edler … ungenügend] Kr: der Geist der mit dem Aeußerlichen zürnt, damit zerfallen ist. Es kann der Geist somit nur die abstrakte Idee seyn, das Gute 19 Gehalt] Kr: Göttliches Welt] Kr: Welt, die ganze Weltlichkeit, die Form des Endlichen, als unangemessen 20 Gegenwart] Kr: Gegenwart des Ewigen im Zeitlichen 22–24 großem Leichtsinn … 40 Lustigkeit] Kr: dem größten Leichtsinn über die Götter herzieht; er ist auch tiefer, aber seine Tiefe 399Kr geht auf das Politische, in Ansehung der Götter | tritt nur Lustigkeit und Satyre hervor

der allgemeine Begriff hebt die Äußerlichkeit der Gestalt auf und vollendet sich in sich; die Gestalt als solche liegen lassend. dadurch aber wird das Äusserliche ein verdorbenes götterloses dasein.

So steht auf einer Seite die abstracte in sich noch unvollendete Geistigkeit, auf der Andern die verderbte Gestaltung. In der griechischen Welt tritt Aristophanes in solcher Periode auf, aber noch, dem griechischen Character gemäß, mit Heiterkeit.

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die hier eintretende Kunstform ist die Satyre.

diese hat nur poetisches Intresse, in so fern sie die unangemessenen Gestalten sich selbst als zerstörend zeigt.

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sehn wir das todte Gesetz gegen schöne Sittlichkeit herrschen. das individuelle Gefühl muß sich ihm unterwerfen. Es ist dieß kein Verhältniß des Geistes welches das Ideale in sich schliesst, welches das Ideale zum Schönen macht. die Römer haben deshalb alles von den Griechen genommen, und nur das Farcenwesen ist einheimisch bei ihnen. die Satyre also ist nur bei den Römern vorhanden. | Es handelt sich jetzt um die Zertrümmerung der Einheit des Schönen und so haben wir einerseits das abstracte denken, den abstracten Willen, die Tugend; anderseits eine schlechte gedankenlose Wirklichkeit[.] Insofern nun dieser Gegensatz fähig ist als Kunstform sich darzustellen, so ist diese Form die der Satyre. Bei den Römern ist sie eigenthümlich zu Hause. Es ist die tugendhafte Verdrießlichkeit, zum Theil eine hohle Declamation. Ebenso ist Tacitus ein Unmuthiger; und der Unmuth dieser Zeit ist gerecht. diesem abstracten stellen sich die Erinnerungen eines vergangenen Weltzustands zur Seite ohne letzte wahrhafte Versöhnung des Geistes in sich selbst. dieser Gegensatz künstlich dargestellt ist immer prosaïsch. Zur Poesie kann er nur gerechnet werden, insofern die verderbten Gestalten dargestellt werden als sich selbst in sich zerstörend und zusammenfallend. Anderseits kann auch die Vorstellung des Rechten, der Tugend den Lastern gegenüber gestellt werden. die Satyren Horazens geben uns ein lebendiges Beispiel der Sitten der Zeit; er stellt sie | als eine Thorheit dar, die in ihren Mitteln ungeschickt, sich selbst zerstört. Später sind die Satyren Lucians bekannt geworden, die sich auf alles erstrecken und besonders die Widersprüche

1–2 sehn wir … unterwerfen] Kr: ist der Staat als solcher das Herrschende, dem das Individuum untergeordnet, unterworfen wird 2 Verhältniß] Kr: Karakter, der Gegenstand der Kunst seyn könnte, kein Verhältniß 4 deshalb] Kr: keine eigenthümliche Kunst, sie haben 5 die Satyre … vorhanden] Kr: Das Einzige, was als römische Kunstproduktion aufgeführt werden kann, ist die Satyre: sie ist Trennung des Gedankens von der Aeußerlichkeit 6 des Schönen] Kr: der klassischen, idealen Schönheit, die nur auf dem Verhältniß der Einigung beider beruht 8 Wirklichkeit] Kr: Aeußerlichkeit 10–11 ist die … Declamation] Kr: liegt eine tugendhafte Verdrießlichkeit, ein gerechter Unmuth edler Seelen | über die Verderbtheit der Zeit, der Religiosität, der Sittlichkeit und Moralität, zu Grunde 12 abstracten] Kr: Elend 13 die] Kr: die abstracte Weisheit gegenüber, die vergangenen] Kr: vergangenen, besseren 14 Versöhnung] Kr: Hoffnung auf die Wiederkehr des goldnen Zeitalters, darum ohne Versöhnung 15–16 Zur Poesie … Gestalten] Kr: das poetische, das für die Kunst nothwendige, ist eben dies: daß der Geist sich heimisch fühlt in der Aeußerlichkeit seines Daseyns, nicht daß er sich ihr zornig gegenüberstellt, mit Ach und Weh. Die Kunst der Römer kommt daher hier auch nur in Betracht, insofern in ihrem Verhältniß diese Gestalten, diese Aeußerlichkeiten beschrieben und 16–17 zusammenfallend] Kr: wie sie komisch sind 17 Tugend] Kr: Tugend, abstrakter Weise 18 gegenüber gestellt] Kr: gegenübergehalten und das Laster durch diese vorausgesetzte Tugend bezüchtigt und gepeitscht 19 lebendiges Beispiel … Sitten] Kr: gutes Sittengemälde 21–405,1 sich auf … aufzeigten] Kr: außer den verderbten Sitten der Zeit, auch die Mythologie des Heidenthums vor13 zur Seite] davor gestr: entgegen; Kr: siehe Variante

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der alten Götter und ihrer Handlungen aufzeigten, was schon Aristophanes heiter that. Lucian bleibt oft schwatzhaft bei der blossen Äußerlichkeit der Gestalten stehn, und wird dadurch langweilig. Wir sind einerseits fertig mit dem, was Lucian darstellen wollte, anderseits wissen wir, daß diese Züge der Götter aus dem Gesichtspunkt der Schönheit betrachtet ihre Gültigkeit haben. Es ist merkwürdig, daß es zu unserer Zeit keine Satyrn mehr giebt.

Wir gehn also jetzt zur allgemeinen dritten Form.

Die rom ant ische Kunst for m. 10

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die Form bestimmt sich hier ebenfalls durch den Inhalt. In der ersten Form, der symbolischen ist die Natur das Ueberwiegende, in die der Geist sich einbilden will. | Im classischen ist diese Einbildung vollendet. Im dritten erhebt sich das geistige frei in sich, hat in sich seine Realität, die in der 2ten Form noch äusserlich ist. In der classischen Kunst ist der Begriff des Schönen realisirt; schöner kann nichts werden. Aber das Reich des Schönen selbst ist für sich noch unvollkommen, weil der freie Begriff nur sinnlich in ihm vorhanden und keine geistige

nehmen und den Widerspruch des Handelns der Götter und was ihnen sonst zugeschrieben wird, mit der Göttlichkeit selbst, prosaisch und bitter durchführen 3 langweilig] Kr: langweilig, weil wir uns nicht mehr in diesem römischen Verhältniß befinden und diese Aeußerlichkeiten und besondern Züge der Götter für uns etwas Unbedeutendes sind, gegen die Darstellung des ruhenden Ideals der klassischen Kunst 10 die Form … Inhalt] Kr: Die allgemeinen Formen der Kunst bestimmen sich aus dem Inhalt überhaupt; sie beruhen auf der besondern Weise der Trennung des Ideals und der Realität. Die romantische, christliche Kunstform, die wesentlich dem Christenthum angehört, ist überhaupt die letzte 11 das] Kr: das natürliche Element das Vorherr schende, 12 diese Einbildung vollendet] Kr: das Geistige die Grundlage und das Natürliche, in das der Geist eingebildet | ist, diese Einheit, Harmonie von beiden 12–13 Im dritten … sich1] Kr: die 3te Kunstform hat zuletzt das Moment der Befreiung, Erhebung des Geistigen aus dem sinnlichen natürlichen Daseyn 14 realisirt] Kr: realisirt, das Reich der Schönheit ist da vollendet, so wie man auch mit dem Wort klassisch ein in sich Vollendetes zu bezeichnen pflegt und die Werke der klassischen Kunst nicht so wie die anderer Kunstformen, als Geschmackssachen betrachtet: das klassische Kunstwerk ist über die besondern Forderungen des partikulären Geschmacks hinaus und ist überhaupt die Schule seiner Bildung von jeher gewesen, seit sich ein aesthetisches Interesse für die Kunstproduktionen herausgebildet hat 16–406,1 der freie … hat] Kr: es nicht n u r ein Reich des Schönen, sondern zugleich ein Reich des Geistigen, eine Form und Weise der Erscheinung des Geistes ist 9 D i e r o m a n t i s c h e K u n s t f o r m . / so Kr; fehlt in Ho

Dritter Abschnitt

die romantische Kunstform.

Indem der Geist in der classischen Kunst noch ein unmittelbares dasein hatte, so hebt er dieß auf, und erreicht in der romantischen Kunst das höhere geistige dasein in sich selbst.

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das Prinzip demnach der romantischen Kunstform ist die absolute Innerlichkeit.

dadurch ist alle Mannigfaltigkeit der Erscheinung als ideell gesetzt, und die Mannigfaltigkeit der Götter in die Einheit eines für sichseienden Gottes heruntergesetzt. die subjectivität ist die Erscheinung ihrer selbst als menschliche subjectivität, als sich göttlich in ihrem dasein wissende

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Realität in sich selbst hat. diese Unangemessenheit fordert vom Geist | sie aufzuheben, und i n s i c h selbst zu leben, und in keinem A n d e r n seiner. der Geist muß sich selbst zum Boden seines daseins haben; sich eine intellectuelle Welt erschaffen. Hier vollendet sich die Innerlichkeit in sich. Und diese Freiheit des Geistes ist es, welche jetzt das Prinzip ausmacht. dadurch erhält die Erscheinung auch ein anderes Verhältniß, das über die Schönheit hinausgeht. diesen Inhalt und die Form haben wir zunächst im Allgemeinen zu bestimmen. das Prinzip ist das der absoluten Innerlichkeit. diese ist zunächst abstract die sich als unendlich wissende subjectivität. Es ist hier das subject kein besonderes mehr, sondern die subjectivität hat sich in sich selbst unendlich gefaßt: diese unendliche Identität mit sich; in dieser ist alle Manigfaltigkeit zu einem Ideellen herabgesetzt. In diesem Pantheon sind alle Götter verzehrt; die Flamme der subjectivität hat sie als besondre zerstört, und es ist nur ein Gott, ein Geist, eine absolute Selbstständigkeit und die Göttlichkeit nicht in besondern Characteren und Functionen. diese absolute subjectivität als solche entflieht der Kunst und ist nur Gegenstand des Gedankens. Aber sie bleibt nicht diese Innerlichkeit sondern erscheint, ist nicht der eine eifrige Gott, in den aller Unterschied verzehrt ist; sondern es ist der sich aufschliessende Gott. Aber dieß dasein ist im subject selbst, das in äußerlicher Gestalt erscheint; im Geist, der als dasein erscheint in der | menschlichen Natur. | die Göttlichkeit, die absolute subjectivität erscheint in der subjectivität selbst als unmittelbarkeit. An dieser Seite ist es auch, daß hier die Kunst eintritt. das wirkliche subject ist jetzt dasein des Göttlichen, als das seiner selbst bewußte. 2 und i n … seiner] Kr: daß der Geist in sich die Angemessenheit seiner Realität hervorbringe 2–3 der Geist … haben] Kr: Nur in sich kann der Geist sich vollenden 4–5 Hier vollendet … ausmacht] Kr: So ist es nun zunächst die Empfindung des Gemüths, die sich zu einer innerlichen geistigen Welt aufschließt und dies Prinzip der Freiheit einer in sich unendlichen Subjektivität ist jetzt das Prinzip der romantischen, christlichen Kunst 6 über die … hinausgeht] Kr: nicht mehr angemessen ist dem abstrakten, dem strengen Begriff der Schönheit. Hier ist das klassische Ideal, die ideale Schönheit ein Verschwindendes, weil diese Einheit, Einigkeit und Harmonie des Innerlichen, Geistigen, mit dem Aeußerlichen hier aufgehoben ist 8 diese] Kr: der Gegensatz zum Symbolischen, wo das Natürliche in seiner unmittelbaren Existenz dafür angeschaut wird, die Weise der Realität, des äußerlichen Daseyns des Geistigen, Göttlichen zu seyn. / Diese 9 Es ist … subject] Kr: die geistigen Mächte, die alten Götter als besondre Subjekte | sind hier 11 Ideellen] Kr: Momente ihrer selbst 12 verzehrt] Kr: nebeneinandergestellt und wie von Einer Flamme aufgezehrt 14 und Functionen] Kr: besondern Weisen der Aeußerlichkeit und des Handelns 15 subjectivität als solche] Kr: Idealität des Besondern Kunst] Kr: Kunst, deren Form überhaupt nicht die ihr angemessene ist 17 eine eifrige] Kr: Einige abstrakte 17–18 es ist … Gott] Kr: als wahrhafter Gott, ist er der sich selbst in seiner Manifestation aufschließende, realisirende 21 eintritt] Kr: eintritt, hier in der dritten und letzten Form ihres Verhältnisses zum geistigen Inhalt. Es ist also wieder die Seite des Aeußerlichen, des unmittelbaren Daseyns zu der sie sich verhält, wie dies überhaupt das nothwendige Moment der Kunst ist 15 als solche teils über der Zeile mit Einfügungszeichen, teils am Rande angefügt

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Wir können damit die Sculptur der alten Göttergestalt vergleichen. Sie stellt an ihrer Gestalt das wissen und wollen nicht dar; dem alten Götterbilde fehlt das Licht des Auges; der Gott weiß sich nicht, das Auge, durch das die Seele sieht und gesehn wird, ist lichtlos in den strengen Gestalten; sie sind unaufgeschlossen und nach Aussen nicht gerichtet. Jetzt erscheint der Gott sehend, sich wissend, in menschlicher Gestalt. diese menschliche Gestalt hängt mit der ganzen Welt zu-

1 Sculptur] Kr: Skulptur, der ideale klassische Gott, 1–2 stellt an … dar] Kr: hat zur Gestalt das Sinnliche überhaupt und wird an ihm ausgedrückt; aber es fehlt ihm der Ausdruck dieser Verändrung, des Wissens und Wollens 2–3 das Licht] Kr: Sinn 3–5 das Auge, … gerichtet] Kr: die Alten verrathen auch hierin ihren feinen Sinn, daß sie ihren Göttern nur die äußere Form, nicht den Blick des Augs gegeben, diesen Glantzpunkt der Subjektivität; obgleich man dies eben so dem Umstand zuschreiben kann, daß das, was den Blick im Auge ausmacht, unplastisch sey, daß es außerhalb der feinen Grenzlinie dessen liege, was zur plastischen Darstellung aufgenommen wird. Es läßt sich beides als bestimmenden Grund rechtfertigen, von Seite der geistigen, wie von Seite der Fordrung des | Sinnes. So mag z.B. in den Bildnissen der Alten ausschließlich letzterer entsprochen seyn 5–408,1 Jetzt erscheint … Mannigfaltigkeit] Kr: Daß der Blick aber dem idealen Gotte fehlt, dies gewinnt für uns eine höhere Bedeutung, wenn wir neben dieser klassischen Göttergestalt die Gestalt der romantischen Kunst sehen, das Göttliche als Menschen, in der natürlichen Wirklichkeit seines Daseyns. Zu dieser natürlichen Wirklichkeit des Daseyns gehört, daß die Gestalt sich in einer bestimmten Umgebung w i s s e , daß sie einen äußerlichen Boden habe worauf sie stehe, eine Umgebung, worauf sie sich beziehe. diese Beziehung und das Wissen dieser Beziehung drückt sich nun zunächst durch den Blick aus, der irgend einen Punkt dieses äußerlichen Bodens der Wirklichkeit trifft. Dies ist der unmittelbare, lebendigste Ausdruck dieser Beziehung nach Außen; und der Blick, wenn er auch weiter nichts ausdrückt, so drückt er doch unmittelbar das Sichselberwissen des Subjekts in einer bestimmten äußerlichen Wirklichkeit aus, was dem klassischen idealen, in sich verschlossenen Gott noch fehlt, gerade darum, weil er diesen Blick nicht hat. W i r sehen ihn in einer äußerlichen Wirklichkeit, | in einer bestimmten Situation, nicht e r sich selber. Es ist oben schon davon gesprochen worden, aber hier ist dieser Punkt ebenfalls zu betrachten, weil das Moment der unmittelbaren Gegenwart, des unmittelbaren Daseyns des Göttlichen im menschlichen Subjekt, eben auch nach der Seite zu fassen ist, daß dieser Gottmensch den ganzen Kreis des natürlichen endlichen Daseyns durchlaufe und daß er sich selber darin wisse. Dazu gehört nun wie gesagt, zunächst, daß er den Boden schaue worauf er steht, daß er seinen Blick darauf richte, seine Umgebung wahrnehme; dadurch drückt sich unmittelbar seine Beziehung darauf, seine selbstbewusste Gegenwart darin, aus. / Die Kunst der Skulptur reicht nun hier nicht aus: ihre Gestalt hat nicht diesen Blick, nicht diesen äußerlichen Boden der Wirklichkeit, die beide zusammen verbindet. / Die Forderung dieser Verbindung kann nur in der Kunst der Malerei gelöst werden; daher tritt sie wesentlich als die Weise der bildenden Kunst der romantischen christlichen Zeit auf; die Skulptur tritt, als unzureichend in ihren Mitteln, zurück. | Die Alten haben auch gemalt; allerdings, und sie haben es darin so weit gebracht, daß sie selbst die Wahrheit und Wirkung einiger Malereien als etwas Bewundernswürdiges preisen. Man hat nun, wie es auch der Gegenstand an sich ganz werth ist, sehr darüber nachgeforscht, wie und was die Alten gemalt haben; hat aber alsbald auch geglaubt, ihnen die Ehre anthun zu müssen, anzunehmen, daß sie auch in dieser Kunst alle Leistungen der spätern Zeit überträfen. dieses Ehren-Anthun in den lieben Tag hinein, kommt vom blinden Eifer einer partheiischen Verehrung selbst her, und mit einer solchen haben wir es hier nicht zu thun. Eigentliche Gemälde aus der klassischen Zeit sind uns nicht übrig geblieben und die 2 dar über gestr. aus

8 ihm 2 ] davor vielleicht gestr: an

10 nur] nür

408 Als dieß sich Wissen hat die menschliche Gestalt drei Formen ihrer Erscheinung:

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sammen; an sie knüpft sich alle Mannigfaltigkeit. Sie hat drei Weisen in denen sie vorhanden ist und gewußt wird: die erste Weise ist, daß diese Menschlichkeit von der abstracten subjectivität der Göttlichkeit selbst ausgeht, daß die Gestalt des gleichzeitigen Nachrichten darüber, sprechen etwa das aus was oben bemerkt ist und sind im Ganzen nur dürftig zu nennen. Wir wollen uns hier also aller ehrenvollen Muthmaßung zu Gunsten des griechischen Volkes jener alten Zeit enthalten, da es der Ehre genug hat, von dem, was ihm mit historischer Gewissheit einerseits und dann auch vernünftiger Weise andrerseits zugeschrieben werden kann. Wollen wir, jener ehrenvollen oder ehrenwollenden Muthmaßung | gegenüber, einer andern Raum geben, so wäre es gerade die, daß in der antiken Zeit die Malerei in demselben Verhältniß zur Skulptur gestanden habe, wie in der christlichen die Skulptur zur Malerei. die Formen der Kunst bestimmen sich nach dem Inhalt, der sich diese Formen sich selbst gemäß, schafft; und dies Verhältniß des Inhalts zur Form ist es, was bei solcher Frage wesentlich in Betrachtung kommt und nicht vorweg zur Seite geschoben werden kann, um einer ehrenvollen Muthmaßung Platz zu machen. / Der Sohn Gottes, der Eins mit dem Vater ist, das Göttliche, wird als Mensch geboren, erscheint in dieser Hülfsbedürftigkeit des Neugebornen, er lebt, leidet, stirbt zuletzt als Mensch den leiblichen Tod, und kehrt zurück zum Vater, der ihn gesandt hat. / Hier ist es also der ganze Mensch, der als die Macht erscheint, das unmittelbare Daseyn Gottes zu seyn, der Verlauf erlebter Tage, wirklicher Ereignisse, wirklicher Handlungen Gottes in menschlicher Weise. Dies zum Gegenstand der bildenden Kunst genommen, zu ihrem wesentlichsten Inhalt, kann die Skulptur nicht die Weise | seyn, ihn bis zur vollendeten Ausbildung des Inhaltes darzustellen: ihr fehlt der äußerliche Boden des Handelns, der lokalisirten Situation, ja diese selbst ist gegen ihr Ideal in seiner Ruhe, nur ein Untergeordnetes, so wie sie für den christlichen Gott ein Wesentliches ist. Der klassische Gott ist eine b e s o n d r e M a c h t des Göttlichen überhaupt, er steht nur als Moment in dem Kreis der zu Götter-Individuen gewordenen übrigen Mächte des Göttlichen da; einmal steht er mit seiner göttlichen Macht in Harmonie mit den übrigen Mächten, wohnt im Olymp, wo sie alle in Ruhe und Heiterkeit nebeneinander bestehen und so ist er der eigentliche klassische Gott, wie er das Ideal der Skulptur ist: diese in sich ruhende göttliche Macht, das sinnende Pathos, eine Gestalt, die nur den Ausdruck der M ö g l i c h k e i t an sich hat, daß dieses besondre göttliche Pathos aus seiner Ruhe, aus dieser Heiterkeit und Harmonie mit den übrigen Mächten heraustreten könne, sich als diese Macht auch äußerlich zu bethätigen. Mit dieser Bethätigung der göttlichen Macht, mit der Handlung in i h r e m b e s o n d e r n Interesse, ist dann | zugleich dies vorhanden, daß dadurch eine andre Macht, ein andres göttliches Individuum an s e i n e m Interesse berührt und darin verletzt werden kann. Daher kommen die Götter, wenn sie den Olymp verlassen und auf den Schauplatz hinaustreten, wo sie ihre besonderen Mächte in der Aeußerlichkeit bethätigen, in Widerspruch und Streit gegeneinander, der sich nur im Olymp wieder auflößt in die vorige Harmonie. / Es liegt also darin überhaupt die Vorstellung, daß das Göttliche, so in die Aeußerlichkeit, in die Weise des endlichen Daseyns hinausgetreten, diese Kränkung erfahre, dadurch in seiner insichgeschlossenen Harmonie gestört und dem Prozeß des Endlichen überhaupt unterworfen zu werden. / Im Klassischen sind es also die v i e l e n Götterindividuen, die diesen Kampf des Göttlichen, des Ewigen, in der äußerlichen endlichen Weltlichkeit zu bestehen haben. / Im christlichen aber, ist es ein Subjekt, die Totalität der göttlichen Mächte, das unmittelbar in dieser Leiblichkeit des endlichen, äußerlichen Daseyns erscheint, Gott, als der natürlich Geborne, diesem Kampf durch das Endliche hindurch un|mittelbar hingegeben, schon von dieser ersten Seite der Hülfsbedürftigkeit des Neugebornen, vom Weibe geboren zu seyn, von der göttlichen Jungfrau. Diese ist arm, ihr angetrauter Mann, ist ein Handwerker, der sich nur „im Schweis seines Angesichts“ wie die Bibel spricht, sein spärliches Brod verdient; die armen Hirten des Feldes, diese Menschen auf der untersten, ersten Stufe des Menschen, sind es zuerst, die den erschienenen Heiland der Welt, diese Geburt Gottes, begrüßen; schon dem unschuldigen Kind droht die Gefahr des Todes; die bekümmer-

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Menschen unmittelbar gewußt wird die Göttlichkeit in sich zu haben. dieß ist die Geschichte Christi, die darstellung der menschlichen Gestalt, daß in ihr die ganze Göttlichkeit vorhanden ist. Weil sie Gott selbst angehört, so hat die menschten Eltern sehen sich genöthigt seinen Verfolgern zu entgehen, durch die Flucht nach Aegypten. / 5 Diesen unmittelbaren, natürlichen Weg des Erscheinens nimmt keine der klassischen Gottheiten:

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sie treten vielmehr zum Theil als fertige Götterindividuen plötzlich hervor und in die Reihe der übrigen ein. So springt die Pallas Athene gerüstet mit Panzer, Helm und Speer aus der Stirn Jupiters hervor; Venus entsteigt dem Schaum des Meer’s u.s.w. Sie nehmen nicht diesen continuirlichen Gang der natürlichen und geistigen Entwickelung des Menschen, sie | treten nicht ganz in die Aeußerlichkeit heraus und behalten sich gleichsam das Recht vor und die Freiheit, sich wieder ganz daraus zurück zu ziehen auf den hohen Olymp. Der christliche Gott giebt sich gleichsam gefangen an diese menschliche Leiblichkeit und verläßt sie erst nach mancherlei Leiden und dem schmerzhaften Tod am Kreuz. / Dies ist nun im Allgemeinen die Gestalt des Göttlichen im Christenthum, die also auch der Gegenstand für die christliche Kunst ist. / Hier kann nicht dabei stehen geblieben werden, daß die Kunst diese Gestalt nur als räumlich gebildeten Körper darstelle, in dieser Einfarbigkeit des Materials; es muß fortgegangen werden zum Mittel der Farbe, um die ganze Seelenhaftigkeit dieser Gestalt darstellen zu können: der Blick des Aug’s ist das Wesentlichste was hier gefordert wird. Es ist das Gemälde überhaupt einer ganzen Lebensgeschichte aufzustellen, ein menschliches Subjekt in seinen Handlungen und auf dem natürlichen Boden derselben, in der Umgebung von Menschen, die in wirklicher, historischer Beziehung zu ihm standen. / So wird nun die Geburt Christi dar|gestellt; spätere Maler nehmen sogar, in der Heimsuchung, schon das Vorzeigen seiner Geburt als Gegenstand der Künstlerischen Darstellung auf; ferner gehört hierher die Anbetung der drei Könige des Morgenlandes, die Präsentation im Tempel, die Flucht nach Aegypten; der Aufenthalt des Knaben unter den Schriftgelehrten im Tempel und die später folgenden Lebensmomente, als Christus auftrat unter dem Volk als der Sohn Gottes, der ihn gesandt hat sein Wort zu offenbaren; dann endlich sein Leiden, Dulden und Sterben; die Auferstehung von den Toden und die Himmelfahrt. / Diese Erscheinungen alle beruhen auf dem wirklichen, äußerlichen Boden und berühren die geschichtlichen Verhältnisse des Landes und der bestimmten Zeit. Christus wurde in Betlehem geboren zur Regirungszeit und unter der Herrschaft des ersten römischen Kaisers, Augustus; er starb unter der Herrschaft des Tiberius; er stammte aus dem Geschlechte Davids u.s.w. dies schließt sich also genau dem Geschichtlichen an und beruht nicht, wie bei den klassischen Göttern, auf alten Sagen und neu erfundenen Mythen. | Es ist daher der Kunst darum zu thun, in der Ausbildung dieser Aeußerlichkeit der Erscheinung eben so weit zu gehen, und bis an die äußerste Grenze deren sie überhaupt darin fähig ist. der A u s d r u c k der Göttlichkeit ist die wesentlichste Forderung; die i d e a l e Schönheit kann entbehrt werden: es soll mehr der Adel des Gemüths, die innerste Subjectivität des Empfindens, der seelenvolle Ausdruck des Subjekts dargestellt werden. Dieser Ausdruck des menschlichen Subjekts muß mit dem der Göttlichkeit in Einem verschmolzen seyn: er fängt mit dem Ausdruck der Unbefangenheit, dieser heitern Lebendigkeit des Kindes an und geht dann fort bis zum Ausdruck des höchsten geistigen und leiblichen Schmerzes: er ist also einmal nur durch die natürliche Lebensstufe, dann aber überall nur durch bestimmte Situationen bedingt: Die ruhende Gestalt des klassischen Gottes, des situationslosen idealen Gottes, hat nur den Ausdruck seines Pathos, seiner göttlichen Macht, überhaupt an sich, er ist in sich selber abgeschlossen mit diesem Ausdruck: dies macht sein Ideal aus und bedingt überhaupt die ideale Schönheit. In die Aeußerlichkeit hinaus getre|ten, bis zur höchsten Aeußrung des göttlichen Pathos, das sich dann, als Leidenschaft darstellen würde, im Widerspruch mit der olympischen Harmonie, hört die ideale Schönheit auf. / Ein solches Zurückziehen der reinen Göttlichkeit in sich 23 Anbetung] Anbettung

34 äußerste] äußersten

1. die menschliche Gestalt als die unmittelbare Erscheinung des geistigen Gottes; die Geschichte Christi.

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2. die menschliche Gestalt als unmittelbare Äußerlichkeit sich auf hebend gegen die Göttlichkeit

dadurch gesetzt ist das sich von sich Abtrennen, der Schmerz, der hier absolute Bedeutung erhält.

3. damit ist die menschliche Gestalt als unmittelbare als ein Nichtiges gesetzt und aufgehoben.

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liche Wirklichkeit die Bedeutung die allgemeine Menschlichkeit zu sein. In ihr ist Gott mit sich selbst versöhnt und dieß | von Anfang; denn der Anfang der mensch lichen Gestalt ist in Gott selbst. die zweite Weise ist, daß der Mensch von sich als endlichem natürlichem Geist beginnt, als nicht von Gott sondern von der Endlichkeit anfangend. dieser hat nun die Bestimung, da er ausser Gott anfängt sich zu demselben zu erheben, erst durch sich selbst zu werden, was jener erste ursprünglich mit sich bringt, gesetzt ist als von Gott beginnend. | der zweite hat nun die Möglichkeit der Erhebung. dazu ist nöthig, daß er sich von sich selbst abtrenne, von sich losreiße. damit ist die Natürlichkeit aufgegeben. diese Aufopfrung ist der unendliche Schmerz, das unendliche Gefühl der Nichtigkeit seiner als eines endlichen. Schmerz und Tod, die von der classischen Kunst ausgeschlossen sind, weil in ihr das Geistige sich mit dem Natürlichen eint, erhalten hier die tiefe Bedeutung, und sind ein wesentliches Moment. der Tod der vorher nur abstracte Negation ist, hat hier die Bedeutung ein Sterben der Seele, ewige Verdamniß werden zu können, daß die Seele absolut unglücklich werde und die Unsterblichkeit, früher nur Bild der Phantasie, erhält hier eine ganz andre Bedeutung. das dritte ist der Mensch, der auch hier ausser Gott beginnt, und sich aber nicht zu Gott erhebt, sondern stehn in der Endlichkeit bleibt. dieses Natürliche ist hier zu einem bloß zufälligen herabgesetzt, das nicht an und für sich gültig ist, sondern ein Solches ist, in welchem der Geist nicht sein dasein findet, da es ein Böses, ein Endliches ist. selber, kommt beim menschgewordenen christlichen Gott nicht vor; es kann also in der christlichen Kunst diese ideale Schönheit nicht so vorhanden seyn, wie im Klassischen 408,1 Sie] Kr: Die Menschlichkeit, als die Weise des unmittelbaren Daseyns des Göttlichen, wie sie im Christenthum eintritt, 409,2 ihr] Kr: ihr unmittelbar 2 versöhnt] Kr: gewesen 4 endlichem natürlichem Geist] Kr: seinem unmittelbaren Daseyn 7 zu] Kr: dessen theilhaftig zu 8 Erhebung] Kr: Erhebung seiner selbst zu Gott 9 von sich losreiße] Kr: denn sich erheben ist zugleich ein Verlassen des Einen um ein Andres zu erreichen 9–10 damit ist … aufgegeben] Kr: Das, was verlassen werden muß, ist also diese Endlichkeit, dieser unmittelbare Anfang, das leibliche Daseyn 10–11 diese Aufopfrung … endlichen] Kr: Über diese Unwürdigkeit, so, wie der Mensch natürlich ist, zugleich auch ein Göttliches in sich zu haben, bricht dieser unendliche Schmerz des religiösen Gefühls, der Demuth vor Gott, aus; es tritt der Glaube ein, daß das natürliche, endliche Daseyn ein aufzuhebendes sey, daß es dem ewigen Göttlichen aufgeopfert werden müsse 11 Schmerz] Kr: 13 tiefe Bedeutung] Kr: viel nothwendigere Bestimmung 14–15 der Schmerz und Leiden Tod … Sterben] Kr: Im Klassischen ist der Schmerz nicht so tief, weil dort eben | die Einigung, die Harmonie beider Seiten ist; der Tod, der dort nur Tod des Lebens ist, hat hier nicht blos die Bedeutung ein Sterben des Lebens, sondern auch 18–19 ausser Gott … erhebt] Kr: als natürliches Daseyn anfängt, auch auf diesem Standpunkt stehen bleibt, sich nicht erhebt, noch weniger ursprünglich die Göttliche Liebe ist 21 nicht sein dasein] Kr: kein Bleiben hat und haben soll, in der er nicht seine Befriedigung 20 das] dß

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In diesen 3 Gestalten erscheint hier die Äusserlichkeit[.] Wir haben hier die Innigkeit der Seele mit sich, die in einer intellectuellen Welt ist, in ihr existirt, und in dieser Innigkeit ihre Schönheit hat. die Schönheit der Seele ist hier mit der Gleichgültigkeit gegen die Gestaltung der unmittelbaren Welt verknüpft, da die unmittelbare Welt nicht würdig ist der Seligkeit der Seele in sich. dadurch ist der Stoff entlassen und für sich frei. Im Ideal beherrschte ihn der Geist. der Stoff hat jetzt nicht die Innerlichkeit auszudrüken, sondern in ihm soll die Innigkeit erscheinen, d.h. er soll mit ausdrücken, daß das Äusserliche ein nicht Befriedigendes sei. die Innigkeit führt einen Gegensatz in sich | gegen das Äusserliche dasein. die romantische Kunst hat eine musikalische Grundlage, ein Schweben und Tönen über einer Welt, welche nur einen Gegenschein aufnehmen kann dieses Insichseins der Seele, und immer eine heterogene Materie gegen das Wahre ist. dieser heterogenen Materie ist es daher freigegeben, particular aufzutretten. Sie darf jetzt unschön erscheinen. dieß ist der abstracte Grundbegriff der romantischen Kunst. Aus diesemselben folgt, daß die existirende Menschheit alleine der Boden dieser Kunst ist. der Inhalt der romantischen Kunst scheint hiedurch verengt; die Natur ist entgöttert; Meer, Berg und Thal, Ströme und Quellen können nicht mehr für sich als göttlich aufgefaßt werden. Auch die grossen Verhältniße des Werdens der Natur, Vergehn und Entstehn in ihrer Allgemeinheit, der Proceß aller dinge hat hier seine Stelle verloren, die Fragen nach dem Woher, Wohin und Worum der

1 In diesen … Äusserlichkeit] Kr: Dies sind die drei Weisen, in denen die Menschlichkeit erscheint, die Formen des Verhältnisses, in welchem der Mensch sich selber fasst und weiß, zum Göttlichen, das in ihm zum natürlichen Daseyn wird 1–3 Wir haben … hat] Kr: In Beziehung auf die Kunst, bestimmt sich hier die Schönheit aus der Innigkeit der Seele, aus der Tiefe des Gemüths, aus dieser innersten Subjektivität 4 die Gestaltung … Welt] Kr: den Stoff, gegen die Aeußerlich keit 5 nicht würdig … sich] Kr: als unwürdig, als | ein Nichtiges genommen wird 9–10 führt einen … dasein] Kr: ist das Suchen der Versöhnung in der Seele selbst, nicht in der Natur 10–11 Schweben und … welche] Kr: inniges Erklingen des Jenseits, ein Schweben über der endlichen Welt, so daß das äußerliche Daseyn 13–14 Sie darf … erscheinen] Kr: so daß es in der Kunst als ein Störendes erscheint, gegen die Schönheit der seelenvollen Innigkeit 14–15 der romantischen Kunst] Kr: von dem Boden, Inhalt und Stoff und auch von den Formen der romantischen Kunst. / Die menschliche Gestalt ist hier nicht die Gestalt der Gottheit überhaupt, sondern die allgemeine Gestalt, wie das Geistige sich zeigt, | das Wissen von sich, das gegenwärtige, existirende Selbstbewußtseyn, das Bewusstseyn überhaupt 16 ist] Kr: ist. diese Eine Weise der Göttlichkeit ist es nun, in der sich alle Göttlichkeit wie in Einem Mittelpunkt zusammenfasst 17 Inhalt] Kr: Boden ist] Kr: ist, außer dem Menschen, im Übrigen 18 Berg] Kr: Sonne, Mond, Berge 19 grossen] Kr: groben des] Kr: der Zeugung, des 20 der Proceß … dinge] Kr: der Fruchtbarkeit der Erde, der Prozeß der Natur und des Menschen, das Schicksal u.s.w. 8 ausdrücken] auszudrücken

9 in sich über gestr. mit

21 die] davor gestr: das Woher

damit kann sie nur Erscheinung der subjectiven Geistigkeit sein, insofern sie erscheinen läßt, nicht in ihr sondern in sich selbst habe diese Geistigkeit ihr wahrhaftes dasein.

der Boden der romantischen Kunst ist die existirende Menschheit.

412 Somit scheint der Kreis des Romantischen verengt.

Erweitert aber ist er indem die geistige Innigkeit der buntesten Manigfaltigkeit der Formen fähig ist. 1. d e r r e l i g i ö s e Kreis. a. Geschichte Christi. b. Büßung. c. Innerlichkeit des Processes. 2. d i e W e l t l i c h e Subjek tivität a. Ehre b. Liebe. c. Treue. 3. d e r f o r m e l l e C h a r a c t e r. a. C h a r a k t e r a l s selbst ständig. b. S e l b s t s t ä n d i g keit der Äußrung ɲ) Abentheuerlichkeit. ɴ) Natürlichkeit. ɶ) Geschicklichkeit als subjective des Scheinmachens c. H u m o r.

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Welt und der Menschheit sind verstummt, und die Räthsel beantwortet. Alles concentrirt sich jetzt auf die eine Erlösungsgeschichte, und was zu intressiren den Willen hat, vermag es nur als sich in Bezug auf sie setzend und sie darstellend. die besondern Charactere des Götterkreises sind in eine Einheit zusammengegangen, die bunte farbige Welt ist in den einen Lichtpunkt zusammengefaßt. Und so scheint dieser Kreis jetzt höchst verengt. Indem aber der ganze Inhalt in den Punkt des subjectiven menschlichen Gemüths zusammengehalten ist, und hiehinein aller Proceß verlegt ward, so ist damit anderseits der Kreis auch wieder unendlich erweitert, und umfaßt die schrankenloseste Mannigfaltigkeit. denn obgleich jene objective Geschichte das substantielle des Gemüths ausmacht, so durchläuft dieses sie doch nach allen Seiten, stellt einzelne Punkte aus ihr dar, oder sie selbst in stets wechselnder Manigfaltigkeit, in immer neuen Zügen, stets sich neu gestaltend im Gegensatz der immer sich gleichbleibenden Natur. Und außerdem vermag das | Gemüth den ganzen Naturstoff noch in Betreff auf jenen grossen Inhalt behandeln und ihn zu seinem Zwecke verwenden. Was nun die näheren Bestimungen, was die weitere innre Verzweigung dieses Grundbegriffs des Romantischen anbetrifft, so legt er sich in folgende 3 Momente aus: 1. In die darstellung nehmlich des substantiellen selbst als der objectiven Erlösungsgeschichte, also in einen religiösen Kreis. 2. dieser sich seiner Innerlichkeit entäußernd erhält eine weltliche Weise der darstellung seiner subjectiven Geistigkeit, und tritt somit: 3. in die Veräußrung seiner überhaupt über.

2 concentrirt] Kr: reduzirt 2–3 was zu … nur] Kr: hat nur Werth 4–5 sind in … zusammengegangen] Kr: fallen somit weg, es ist nur Eine Weise des Göttlichen vorhanden 6 so scheint … verengt] Kr: Dies Verhältniß erscheint nun zunächst als eine Schranke für den Stoff der romantischen Kunst 6–8 Indem aber … ward] Kr: das menschliche Gemüth aber schließt nun eine Welt | in sich auf und in dieser subjektiven Geistigkeit erhält der allgemeine Inhalt alle Veränderung der äußerlichen Gestaltung, er hat nur Sinn in ihr 9 und] Kr: in der Aeußerung dieser subjektiven Geistigkeit; er 10–13 denn obgleich … gleichbleibenden] Kr: Das Substanzielle, die Geschichte der Erlösung, ist nur dies E i n e : aber es ist das Gemüth, welches diese Geschichte übersinnt, einzelne Seiten daran auffasst und einen Reichthum der mannichfaltigsten Gestaltungen hat, so groß wie der der 15–16 ihn zu … verwenden] Kr: ihm eine Bedeutung gegeben werden in Beziehung auf das Gemüth 17 näheren Bestimungen] Kr: besonderen Kreise 22 dieser sich … entäußernd] Kr: der Kreis der Ve r w e l t l i c h u n g d i e s e r I n n i g k e i t , 24 Veräußrung seiner überhaupt] Kr: Z u f ä l l i g k e i t d i e s e r s u b j e k t i v e n G e i s t i g k e i t 6 Indem] In dem

24M Scheinmachens Lesung unsicher

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1. der rel ig iöse K reis.

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Indem dieser das Göttliche, wie es sich auf dieser Stufe ausgebildet hat, darstellt, so scheint hier, da es das substantielle als solches ist, das in die Äußrung tritt, das Ideal recht eigentlich zu Hause zu sein. Aber das Ideal, wie es hier aufzutreten vermöchte, muß | ganz anderer Art sein, als wir es in der classischen Kunst haben kennen lernen. Zur Innigkeit als dem Prinzip der geistigen subjectivität, welche im Geiste selbst sich ihr dasein erschafft, gehört wesentlich, daß die Seele nicht wie der griechische Gott, unmittelbar in seine leibliche Gestalt ergossen sei, durch sie ganz sich ausdrücken laße, und selig in ihr lebe, und sich ihrer Totalität nach ausspreche; sondern es ist hier im Gegentheil wesentlich nothwendig, daß die Seele indem sie in einem Leibe erscheint, zugleich sich zeigt aus diesem Leibe heraus in sich zurückgenommen zu sein und in sich selbst nicht in ihrem Leibe zu leben. Somit ist sie in sich selbst; hat in sich ihre Realität, und der Leib vermag sie nur auszudrücken, insofern er zur Erscheinung bringt, die Seele habe nicht in ihm, sondern in ihr selbst ihre Realität. | Hiemit zeigt sich gegen die classische Kunst ein vollkommen geändertes Verhältniß. denn hier bildet sich in dem romantischen jetzt die Seele nicht mehr dem Leibe ein, sie idealisirt ihn nicht, sondern läßt ihn, da sie in sich selbst ihr wahrhaftes dasein hat, wie er unmittelbar ist. damit nähert sie sich statt zu idealisiren, vielmehr dem Portrait, denn das Intresse der classischen Kunst, ganz in der Leiblichkeit zu erscheinen, ist verloren; und somit die Äußerlichkeit ein mehr gleichgültig äußerliches, das zu idealisiren die Seele nicht mehr nöthig hat, und es daher, wie sie es zufälliger Weise unmittelbar vorfindet, läßt. die Spuren der Zeitlichkeit, der Bedürftigkeit der Natur, die Äußerlichkeit des daseins vermögen daher für sich mehr aufgenommen zu werden. denn das Insichsein ist dagegen mehr gleichgültig; und läßt dürftigkeit und Verkümmerniß zu; überläßt der Gestalt es selbst, sich zu gestalten. – Somit ist es das Äußerliche Preis gegeben, es giebt sich für einen dritten, den Zuschauer; es ist das, worin eine Mittheilung, eine Gemeinschaftlichkeit mit einem dritten liegt. das dasein ist ein aufgegebenes. das classische Ideal ist kalt, für sich, in sich abgeschlossen, seine Gestalt ist seine eigene;

4–5 in die … tritt] Kr: Gegenstand ist 13 diesem Leibe] Kr: der Äußerlichkeit 15–16 der Leib … Realität] Kr: nur insofern ihre Realität in der Leiblichkeit, als sie an ihr dieses zeigt: aus dieser Leiblichkeit heraus und frei von ihr zu seyn 18 dem Leibe] Kr: in die Gestalt 20 wie er 21–22 der classi35 unmittelbar] Kr: als natürlich, als etwas, worüber sie gleichgültig, hinaus schen … erscheinen] Kr: für diese Gestalt, daß das Geistige in ihr eingebildet erscheine 10 ihrer] sr

12 zugleich] davor gestr: dse Erscheing

19 nicht über der Zeile mit Einfügungszeichen

1. der religiöse Kreis.

Vom Ideal im Allgemeinen dieses Kreises das Ideal ist in diesem in der Weise überschritten, daß die Seele ihrer Totalität nach nicht im Leiblichen erscheine, sondern im Gegentheil erscheinen lässt, ihr Leib sei nicht ihre wahrhafte Existenz, sondern diese habe sie in sich selbst.

Somit bildet sich die Seele in ihrer Leiblichkeit nicht mehr ein, sondern nimmt sie ohne sie zu idealisiren unmittelbar auf.

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darin ausgesprochen ist, daß die subjectivität in der romantischen Kunst nicht einsam mit sich abstract allein in ihrem Leibe sei, sondern in Einheit mit einem Andern, Geistigen – das Prinzip der Liebe.

Näherer Inhalt: a. der Proceß der göttlichen Versöhnung mit sich.

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von ihr giebt es nichts frei. der bestimmte Character beherrscht alle Züge. das Ideal ist zurückhaltend nicht aufnehmend, ein abgeschlossnes Eins, für sich und daher Anderes von sich weisend. Jetzt aber in der Romantischen Kunst ist die Äußerlichkeit nicht für das Ideal sondern für Andre; und hat das Moment Jedem sich zu überlassen, an ihr. der Zuschauer nähert sich dem Gewöhnlichen mit dem Zutraun, daß es Preis gegeben sei. die Gestalt demnach tritt mehr in die gewöhnliche Menschlichkeit ein. das Strenge der Sinnlichkeit des Ideals ist nicht mehr gefordert, sondern das Hohe der Innigkeit. Indem auf diese Weise die Gestalt nicht festgehalten ist, | so liegt darin, daß das innige subject nicht einsam in sich sei, wie der griechische Gott, der sich in sich ganz vollendet und in der Seligkeit seiner Abgeschlossenheit lebt, sondern der Ausdruk des Romantischen Ideals drükt Verhältniß zu Anderm Geistigen aus, das mit der Innigkeit so verbunden ist, daß nur eben in diesem Andern die Seele in der Innigkeit mit sich selbst lebt. dies Leben in sich in einem Andern aber ist das Verhältniß der Liebe. – Wenn wir auch von der Gestalt ausgehn, so liegt in | ihr die allgemeine Idee der Göttlichkeit, die Idee, daß Gott die Liebe sei. dieß von der Gestalt des Ideals. | der nähere Inhalt ist zuerst die Geschichte der göttlichen Versöhnung selbst, die darstellung Christi in seiner Geschichte, seiner Gestalt. In dieser muß sich kein besonderer Character aussprechen, sie muß keine besondere Bedeutsamkeit

1 der bestimmte Character] Kr: die Geistigkeit, der Karakter Züge] Kr: Züge, alle Seiten nach Außen haben ihre Bestim|mung und Bedeutung nur insofern sie angemessen sind diesem Einen Karakter 4–5 und hat … ihr] wo aber der Zufälligkeit ein Spielraum gelassen wird, da hat die Aeusserlichkeit auch das Zeichen alsdann an sich, daß sie ihm überlassen ist 6 sei] Kr: sey, eben unmittelbar deswegen, weil ihm das Aeußerliche dies sogleich andeutet 7 Strenge der … Ideals] Kr: Hohe, das Strenge der Gestalt 8 das Hohe … Innigkeit] Kr: die tiefe Innigkeit, der Ausdruck des Gemüths 9 innige subject] Kr: endliche Subjekt in seiner Innigkeit 14 Liebe] Kr: Liebe, die stets ein Opfer zu bringen hat und bereit ist, ein solches hinzugeben 16 sei.] Kr: ist. „Also hat Gott die Welt geliebt“ u.s.w., d.h. er hat sich selber in dem endlichen Daseyn preisgegeben, zu leben, zu leiden und schmerzvoll zu sterben, wie der endliche Mensch. Und „Liebet euch untereinander so wie ich euch liebe (gleich wie euch der Vater im Himmel liebt, der mich gesandt hat)“ d.h. versöhnt euch mit der Endlichkeit des Daseyns, mit dieser Mangelhaftigkeit des irdischen menschlichen Lebens und ertragt und verzeiht euern Mitmenschen was sie gegen euch verschulden, denn ihr seyd selber mit dieser Endlichkeit und Mangelhaftigheit behaftet und des Gleichen bedürftig, um mit euch versöhnt zu seyn. dies ist die christliche Liebe, das wahrhafte Verhältniß zu dieser Endlichkeit des Daseyns überhaupt. Im Vaterunser ist auch diese Bitte als ein wesentlich Christliches aufgenommen: „vergieb uns unsre Schuld, gleich wie wir vergeben unsern Schuldigern.“ 17 Gestalt des Ideals] Kr: Bestimmung des Idealen und der Gestalt desselben in diesem christlichen Verhältniß 19–20 In dieser … muß] Kr: Die Gestalt wird hier allerdings bedeutend seyn; Christus muß aber 14M ihrem] seinem

11 seiner] davor gestr: mit

13 daß] das

16 die] der

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haben. Christus köpfe sind hiemit kein classisches Ideal. die Schönheit Apolls ihnen einzubilden würde als höchst unpassend erscheinen. Menschlicher Ernst muß sich in Christus ausdrücken, und die Liebe, die die Mitte trifft zwischen Schönheit des Ideals und der natürlichen Gestalt. Häslichkeit darf der Gestalt nicht beigemischt sein, aber sie verschmäht die ideale Schönheit und die Erhabenheit. So kann sich in dieser Gestalt also die Geschicklichkeit des Künstlers hervorthun, denn die ihr gebührnde Mitte zu treffen, ist schwierig. die Gestalt darf weder zum Gemeinen herabsinken, noch die classische Schönheit erreichen. Was das Weitere des Inhalts betrifft, so besteht er in der absoluten Geschichte der göttlichen Erscheinung, worin sich die Conversion darstellt, der Gott Leiden Schmerz und Tod erduldet, und durch die Vermittlung, durch diese Negativität die Unmittelbarkeit wiederherstellt, aus der Negation des Todes lebend hervorgeht, aufersteht, und erhöht | ist zur Rechten Gottes. diese Geschichte begründet sich aus dem Begriff des Geistes, und wird auf diese erscheinende Weise dem religiösen Bewusstsein vorgestellt. Ihr Inhalt ist die göttliche Liebe oder die Idee der Liebe. die reale, die existirende menschliche Liebe | legt sich in einer andern Figur aus. Sie stellt die selige Innigkeit nicht bloß sinnlich dar, aber als gegenwärtig. dieß ist die Mutterliebe, Maria’s Liebe, der gelungendste Gegenstand der romantischen Kunst. diese Liebe ist ohne Qual und Tod, ohne directe Ungerechtigkeit, wenn zwar nicht ohne Leiden und Schmerz. Aber kein Marthyrthum, keine Buße tritt ein. – An Christus nun zuletzt und an Maria schliessen sich als weitere Umgebung seine Freunde und Jünger. Sie haben auch noch ohne äußere Grausamkeit die Conversions-Geschichte in sich durchgemacht. – dieß macht zunächst den ersten Kreis aus. das Weitere ist, daß an andern | Individuen dieselbe Geschichte sich darstellt und widerhohlt. Es ist der Reflex des göttlichen Processes, der sich in andern

1 kein classisches Ideal] Kr: die Kunst des besondern Künstlers Apolls] Kr: Apoll’s z.B. oder die Majestät des Zeus u.s.w. 10 die Conversion darstellt,] Kr: darstellt, was im Begriff des Geistes enthalten ist: 15–16 göttliche Liebe … Liebe1] Kr: Liebe, der ganze Prozeß ist die Idee der Lie16 existirende] Kr: gegenwärtige 17 Figur] Kr: 30 be, die Liebe in der Idee, die göttliche Liebe Figur und deren Zuständen 18–19 Maria’s Liebe, … Kunst.] Kr: die Liebe der reinen Jungfrau Maria, bei welcher von dieser sinnlichen Seite der realen Liebe gänzlich abstrahirt wird, deren Verhältniß dazu ganz vergeistigt ist, so daß ihre Geburt vom heiligen Geist empfangen ist. Die Darstellung dieser göttlichen Mutter Maria mit dem Kinde ist als das gelungenste Kunstwerk der 35 Christenheit anzusehen; sie enthält beides: diese göttliche Liebe, und zugleich die Seite der menschlichen, realen, sinnlichen Liebe, aber in dieser höchsten Vergeistigung, indem die reine Jungfräulichkeit und die Mutter in Eins zusammenfällt. 22–23 Sie haben … durchgemacht] Kr: Personen, die ohne äußre Ungerechtigkeit, mit seiner Geschichte in Beziehung stehen und sie in sich ähnlicher Weise durchlebt haben 40 10 der Gott über der Zeile mit Einfügungszeichen

dieser Proceß wird in seiner Erscheinung dargestellt, als die Erscheinung des Göttlichen selbst.

c. d i e G e m e i n d e . 1. Martyrer. das Martyrthum. 2. Innerliche Buße. 3. Tugendenwunder.

b. darstellung dieses Processes an andern Individuen durch negativ setzen der Natürlichkeit, vermittelst durch sich selbst oder durch Andere auferlegte Qualen; Märtyrer Bussende.

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Hier kann der Begriff und der Schönheitssinn verletzt werden.

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Individuen abspiegelt. dadurch werden diese selbst in die Gemeinschaft des Göttlichen aufgenommen. denn indem sie selbst sich der Natürlichkeit entreißen, sie als ein Nichtiges von sich abscheiden, und sich sich selbst unterwerfen, gehn sie durch den Schmerz dieser Trennung hindurch und kommen so zur Versöhnung, zum Geiste, und in ihm zum Frieden mit sich. Hier aber nun auf dieser Sphäre der Entäußrung der göttlichen Geschichte innerhalb ihres eigenen Kreises werden durch die darstellung theils unser Begriff, theils aber auf der andern Seite unser Sinn der Schönheit verletzt. In dem Fall, daß die Verletzung soll vermieden werden, geht die Umkehrung und ihr Proceß abstract im Innern vor und ist so gar nicht, oder doch nur in sehr geringem Theil Gegenstand der Kunst. – Wenn nehmlich dieses Leiden der Trennung des Natürlichen, das sich Los|reißen vom Endlichen zur äußern Geschichte wird, so stellt sie sich dar als ein Erdulden von Grausamkeit und Ungerechtigkeit, die von Aussen her durch Andere oder durch sich selbst auf das subject einstürmen. durch diese Erduldung wird der Geist verklärt, und gelangt zum Frieden und zur Versöhnung mit sich, | oder bewußt in dieser seligen Einheit dann zu leben. die Martyrer werden so Gegenstand der romantischen Kunst in diesem Felde des Religiösen. Sie treten hier als Selbstpeiniger auf, und indem sie freiwillig sich Schmerz und Qualen aller Art auferlegen, zeigen sie hiedurch das Negativsetzen ihres natürlichen Willens, aus dessen Gebrochenwerden die Verklärung des Geistes hervorglänzt. die Grösse der Heiligkeit wird auf diesem Felde dann nach der Gräßlichkeit des Erlittenen abgemessen. Aber durch diese Gräßlichkeit eben wird unser Begriff sowohl als der Schönheitssinn auf gleiche Weise verletzt. Und so sind denn die romantischen

2 Natürlichkeit] Kr: Natürlichkeit, Alles was dem sinnlichen Daseyn angehört, 3 als ein … abscheiden] Kr: bekämpfen, abtöden und verlassen 4 Schmerz] Kr: selbstzugefügten Schmerz Ver söhnung] Kr: Innigkeit 8–9 die Verletzung … werden] Kr: dieser Friede, diese Einigkeit mit sich noch nicht errungen ist 9 die Umkehrung … Proceß] Kr: dies Leiden, dieser Kampf 10 Wenn] Kr: Günstiger dafür ist es, wenn 12–14 als ein … einstürmen] Kr: durch Härte, Grausamkeit, Verfolgung Anderer, die eine Aufopferung, ein Abschwören des Heiligsten verlangen, unter Androhung von Schmerzen und Tod 15 zum Frieden … sich] Kr: zu dieser Einigkeit seiner mit dem Göttlichen 15–16 bewußt in … leben] Kr: es zeigt sich daran, daß er schon darin, die Seele schon im Himmel ist 16–17 die Martyrer … Religiösen.] Kr: Dieser Sieg in der Einigkeit mit dem Göttlichen über die Leiblichkeit des Daseyns, dem solcher Schmerz durch Grausamkeiten aller Art und Verfolgung, zu ertragen gegeben wird, macht einen großen Gegenstand der romantischen Kunst aus und erscheint als das Märtyrerthum, das diesen Kampf des neuen Christenthums gegen die veralteten Religionsweisen, zunächst des Judenthums und dann der morgen- und abendländischen sogenannten heidnischen oder Götterreligionen, auf solche äußerliche, sich der Kunst anbietende, Weise darstellt. 18 freiwillig] Kr: nicht durch Ungerechtigkeiten Anderer leiden, sondern sich selbst 19 natürlichen] Kr: eignen, auf Endliches, Fleischliches sich beziehenden 20 Verklärung des Geistes] Kr: Versöhnung mit dem Göttlichen 13–14 oder durch … selbst über der Zeile mit Einfügungszeichen

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darstellungen besonders älterer Zeiten | voll von solchen Bußenden und Märtyrern, und alte Legenden geben auch noch für neuere Zeiten eine Fundgrube ab für darstellungen aus diesem Kreise. dieß dulden geht bis zur Rohheit und zu leerer letzter Abstraction fort. Sittlichkeit und Pflicht, obgleich sie absolute substantielle Momente enthalten, werden häufig, weil sie als in der Welt stehend, außerhalb dieser Kreise fallen, ob sie schon ihre Wurzel in Gott selbst haben, als ein negatives und zu negirendes angesehn, und deshalb zerrissen, zertrümmert, zertreten. dieß aber ist nur eine barbarische Gewalt des Gemüths. dieß also widerspricht einerseits dem Begriff. Anderseits beleidigen die darstellungen dieses Kreises auch den Schönheitssinn. die Leiden sind Grausamkeiten Anderer und das Gemüth vollbringt nicht in sich selbst das Brechen des natürlichen Willens. Man sieht hier Henker, Qualen aller Art, leibliche Verzerrungen, so daß in Betreff auf die darstellung die Entfernung von der Schönheit zu groß ist, als daß von einer gesunden Kunst dergleichen Gegenstände sollten gewählt werden können. die Behandlung des Künstlers kann dann wohl anderseits vortrefflich sein, Aber das Intresse bleibt dann doch nur immer subjectiv, und die Behandlung bemüht sich vergebens mit dem Stoffe sich in Einheit zu bringen. 1–2 Märtyrern] Kr: Selbstpeiniger geliefert, die zum Theil für uns nur als ein greuelhaftes Extrem dieser aufopfernden Frömmigkeit, dieser der Endlichkeit zugekehrten Feindschaft erscheinen 3 zur Rohheit] Kr: zum Fanatismus, wobei eine gewisse Stumpf heit des Geistes, eine gewisse Rohheit, 8 nur] Kr: ein Fanatismus, der nicht als Heiligkeit zu verehren ist; denn es ist darin eine Verletzung wesentlicher Verhältnisse vorhanden, die durch den Begriff der Göttlichkeit bestimmt sind: es ist vielmehr 10 Schönheitssinn] Kr: Sinn der Schönheit, der bei solchem Verhältniß absoluter Entzweiung mit der Aeußerlichkeit keine Befriedigung | finden kann 12 Man sieht … Henker,] Kr: Da machen Schergen und Henker die eine Seite aus, die in ihrer Gottlosigkeit, in dieser thierischen Grausamkeit ein abscheuliches Aussehen haben müssen; ihnen gegenüber steht dann der Märtyrer in seinen leiblichen leibliche Verzerrungen,] Kr: die zum Theil in solchen Verstümmelungen bestehen, daß bei ihrem Anschauen, der Sinn der Schönheit unmittelbar verletzt wird und das Aug nicht lange dabei verweilen kann; denn es ist zugleich ein Begriffswidriges, daß der Mensch, in dem das Göttliche ein unmittelbares Daseyn hat, das bei solcher Situation zu diesem lebendigen Ausdruck kommt, daß dieser Mensch zerfleischt werde von Henkern, die, wie leibliche Teufel, im absoluten Gegensatz zu ihm stehen. Noch härter und beleidigender ist dies Verhältniß beim Selbstpeiniger; wenn es bei ihm auch nicht so weit in der leiblichen Verletzung geht, wie es beim | Märtyrer der Fall ist, dem sie der Henker etwas schonungsloser zufügt, so ist bei ihm diese Barbarei des Gemüths vorhanden, diese absolute Entzweiung mit dem leiblichen, fleischlichen Daseyn, so daß der Gepeinigte zugleich der Peiniger ist. Dies steht geradezu im Gegensatz mit der Idee des versöhnenden Christenthums und erregt unmittelbar beim Anschauen solcher Darstellungen unsern Widerspruch. 14 einer gesunden Kunst] Kr: einem gesunden, ausgebildeten Kunstsinn 15 Behandlung] Kr: Geschicklichkeit 16–17 das Intresse … bringen.] Kr: es liegt hier ein Widerspruch im Verhältniß des Gegenstandes zur Kunst überhaupt, zu dem was sie zu leisten hat; die künstlerische Fertigkeit und Geschicklichkeit scheidet sich für uns von der Sache, von dem Inhalt der vorgestellt ist, ab und wird außerhalb für sich betrachtet, wobei es uns zuletzt doch widerlich seyn muß, daß sie sich an solche blutige | Dinge festgeklebt hat, vielleicht mit qualvoller Beharrlichkeit in der Ausführung eben dessen, was unsern Sinn am tiefsten verletzt.

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c. darstellung des göttlichen Processes in der Innerlichkeit des Gemüths

Hier können wieder Begriff und Schönheitssinn verletzt werden.

Es tritt somit wieder ein symbolisches Verhältniß ein, daß die Erscheinung der Bedeutung nicht adaequat ist.

nachschrift hotho · 1823

Ein drittes, was noch in diesen Kreis fällt, ist die Umkehrung, welche das Innre in sich selbst vollbringt. | der Mensch siegt über Sünde und Verbrechen, und zeigt dadurch den Glauben, daß der Geist auch diese als nichtig zu setzen, die Kraft besitze. das dritte also ist die Bekehrung des Sünders in sich. die ewige Geschichte ist hier von den Einzelnen wiederhohlt und wird an ihnen selbst von ihnen durchgeführt. Hier wird sie einfach im Gemüth durchgemacht, die Verwerfung der Sünde und die Erlösung geht innerlich vor, der Schmerz bereitet sich wie die Versöhnung im Innern. Ein solcher Stoff fällt in dieses Gebiet. Wird er ausgeführt, so ist die äußerliche Handlung leicht ein Unschönes, denn Sünde und Verbrechen und Böses muß dargestellt werden; ZB. ist dieß die Geschichte vom verlorenen Sohn. Am vortheilhaftesten ist es, wenn die Geschichte sich hier in einem Bilde darstellt, wie in der Maria Magdalene. Solche Bekehrung kann auch noch auf andere Weise, als durch Erscheinung von Engeln, Christi, sich darstellen. das Göttliche erscheint in zufälliger Wirklichkeit. Hier kann entweder die ganze situation unschön, oder dem Begriff nicht angemessen sein. Hierhinein gehört auch ein sujet wie Calderon in seiner „Andacht am Kreuz“ darstellt, wo das Böse, die Leidenschaft ihren Ausgang, ihre letzte Erlösung findet; das Gemüth darin nicht verloren geht, sondern in der unendlichen Gewalt des Glaubens gerettet wird. – dieß sind die Hauptmomente dieser romantischen Sphäre. In allen ist dieß ein mehr symbolisches Verhältniß wo die Gestalten der Bedeutung nicht adaequat waren. Hier ist die Bedeutung ein gläubiges, sich sehnendes Gemüth, ist selbst für sich eine unendliche Totalität in sich. Aber dabei bleibt das Verhältniß, daß das Erscheinende mehr oder weniger ein äußerliches ist, nicht so mit dem Innern in Harmonie steht, und ein gleichgültiger oft widriger Stoff ist. Bei solchem sujet ist das Intresse vornehmlich der Kunst welches hier hervor-

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4 das dritte … sich.] Kr: Dieser Glaube über das Verbrechen zu siegen, ist oft das Interesse von Dar stellungen der romantischen Kunst. 9 ausgeführt] Kr: ausgeführt bis zu gedachten Extremen der Aeußerlichkeit 10 dargestellt werden] Kr: hineinkommen, was darüber hinaus ist, Gegenstand für die Kunst zu seyn 12 Bilde] Kr: kurzgefassten, einfachen Bilde wie in … Magdalene] Kr: und das berühmteste dieser | Art, ist das der büßenden Magdalena 13 auf andere Weise] 433Kr Kr: durch Wunder Engeln, Christi] Kr: Engeln u.s.w. deren die Legenden voll sind 17 Leidenschaft] Kr: Leidenschaft, grosse Verbrechen 20 ein mehr … Verhältniß] Kr: wie beim Symbolischen, eine ganz reine Situation 21–22 Hier ist … Gemüth,] Kr: in dieser Sphäre ist es aber nicht die Bedeutung überhaupt, die das Innere ausmacht, sondern das Innere 23 Verhältniß] Kr: das Erscheinende] Kr: das Gestaltete, Aeußerliche 24 und 35 Verhältniß wie im Symbolischen ein … ist] Kr: wie in der klassischen Kunst 25–419,1 Bei solchem … Künstlers.] Kr: Daher wird beim romantischen Kunstwerk diese | Seite der Aeußerlichkeit einmal auch für ein Solches ge- 434Kr nommen, das getrennt vom Inhalt, für sich das Interesse der Betrachtung gewinnen kann, wobei also das Ganze nur als ein Werk der besondern Geschicklichkeit des Künstlers gilt und als ein für 14 Wirklichkeit] Wirklihtkt

24 mit dem über gestr. im

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tritt, und zwar der Kunst als Geschicklichkeit des Künstlers. Bei der classischen Kunst ist das Intresse: welche Mittel, welche Züge der Künstler gebraucht habe, welche Modificationen, um zu seinem Zweke, der Vorstellung der Göttlichkeit, zu kommen; wie hat er den allgemeinen Typus modificirt? || Hier ist solch ein Intresse nicht, sondern die Gestalt kann jetzt gewöhnlich sein, ihr Typus kann das gewöhnliche Natürliche sein, und | das Intresse ist dieses: was hat der Künstler gethan, diese äußerliche Gestalt uns lebendig zu machen, nicht sie göttlich zu machen, wie hat er die Gestalt hervortreten lassen. die Formen sind particulär, und es ist hier die Particularität des Künstlers, die in Betracht kommt.

10 sich schon Genügendes und Geltendes genommen wird: Man erstaunt und ergötzt sich über das

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M a c h e n der in Verbindung gesetzten Dinge, abgesehen von dem was das Ganze eigentlich darstellen soll. 1–2 Bei der … Intresse:] Kr: Beim idealen klassischen Gott ist hingegen der Inhalt, das göttliche Pathos, die bestimmte Individualität des besondern Gottes, so sehr bis auf die äußerste Oberfläche herausgebildet, was bei dieser klassischen Gestalt durchaus nothwendig ist, daß hier in Beziehung auf den Künstler, der eine solche hingestellt hat von seiner Hand, nur gefragt werden kann, in welchem Grad der Vollendung und bestimmten Ausführung er diesen bestimmten Inhalt darstellig gemacht habe, 4–5 Hier ist … sondern] Kr: Da ist also dem Künstler, in Beziehung auf den Inhalt, nicht diese Freiheit gelassen, sich im Aeußerlichen auf willkührliche Weise zu ergehen, mit künstlerischer Laune, mit zufälligen Einfällen u. dergl. mehr, wie im Romantischen, wo der Künstler seinem Werk außer dem allgemeinen Inhalt, noch diesen Schein seiner Subjectivität verleiht, die eben in diesem Aeußerlichen, das hier ein Gleichgültigeres ist als am klassischen Werk, als ein für sich besonders Geltendes hervortritt. Die Gestalten des romantischen Künstlers sind Subjekte, subjektive Totalität der geistigen Mächte, nicht besonderte, individualisirte Mächte des göttlichen Begriffs; so erscheint es also bei seiner Produktion als ein Berechtigtes daß seine künstlerische Subjektivität sich ebenfalls darin exprimire, als ein nebenher noch Geltendes. Dieses ist im Ganzen das Verhältniß, welches der M a nier zu Grunde liegt und eine Menge von Kunstwerken, der ältern und neuern Zeit zeigen auf, daß die Künstler halb um der Sache willen gearbeitet haben, halb darum, sich selber, ihre Kunstfertigkeiten | daran zu zeigen. Darin kann dann fortgegangen werden bis zum Bizarren, wo der Künstler darüber hinaus ist, das Aeußerliche aus dem Inhalt hervorgehen zu lassen und sich mit Maaß und Schranke in d e m n u r d i e s e m Angemessenen und Bezüglichen zu halten; wo er vielmehr ein Allerlei zusammenbringt dessen Zusammenhang nicht aus dem Hauptinhalt hergeleitet werden kann, sondern nur daraus zu verstehen ist, daß der Künstler solche ganz beziehungslose Dinge gemacht hat, weil er zeigen wollte d a ß und w i e er sie machen könne. dies ist Manier, eine Selbstgefälligkeit des Künstlers, die mit mancherlei Zeichen von Gedanken- und Sinnlosigkeit auftritt und oft in gar behaglicher Breite auseinandergeht. Oft zeigt sich aber darin auch ein liebenswürdiges Gemüth, eine vertrauliche Unbefangenheit, eine heitere Laune des Künstlers; dies kann ein höchst Erfreuliches für uns haben, aber wir haben darin n u r den Künstler zu fassen in seiner Eigenthümlichkeit und den Inhalt geht dies alsdann nichts an. 6 das gewöhnliche Natürliche] Kr: aus dem Leben gegriffenes 7 gethan] Kr: gethan hat, welcher Mittel, welcher besondern Kunstgriffe er sich bedient hat lebendig] Kr: anschaulich und lebendig 8 machen] Kr: machen und zu erheben, wie dies zu seiner Zeit durch das sogenannte Idealisiren mit so schlechtem und leeren Erfolg versucht worden ist, sondern so, wie sie es seyn soll, in dem Kreis des Gewöhnlichen, der unmittelbaren Natürlichkeit stehen bleibend sind particulär,] Kr: müssen auf diese Weise etwas Partikuläres seyn, sie können sich nicht herausbilden zur klassischen Idealität.

420 2. der weltliche Kreis.

die subjective Innigkeit steht zunächst negativ gegen das Weltliche überhaupt.

Nachdem es sich aber in die Wirklichkeit eingebildet, sie zu seiner adaequaten Erscheinung hat, erscheint es positiv in ihr. die bestimmteren Formen dieses Kreises sind:

nachschrift hotho · 1823 2. der welt l iche K reis.

die Innigkeit des Gemüths tritt hier aus ihrem Himmel, ihrer substantiellen Sphäre herunter und wird weltlich. das Prinzip der sich unendlichen subjectivität hat zuerst das Absolute zu seinem Gegenstande, den Glauben, die objective Geschichte. diese Innigkeit ist vom Weltlichen getrennt, steht über ihm. die Menschen haben kein directes Verhältniß, sondern vereinen sich im Glauben, in der Gemeinde, in einem dritten. der klare Quell, in dem ihr Bild sich spiegelt, in dem sie sich sehn, sind nicht sie, nicht ihre Augen, sondern ein drittes. In Betreff auf die Wirklichkeit der Welt sind sie im Glauben, nicht so in der Gewißheit der gegenwärtigen Existenz. Wenn aber das Reich Gottes in der Welt Platz genommen hat, tritt die Wirklichkeit ein. Christus sagte: Mir anzuhangen müsst ihr Vater und Mutter verlassen. Ist dieß durchgefochten, so fällt die negative Haltung gegen die Wirklichkeit, die Weltlichkeit fort, der Mensch erhält ein weltliches Herz und hat darin ein Affirmatives. So folgt jetzt die Sphäre des Ritterthums. dieses stellt sich bestimmter in den 3 Formen dar: der Ehre, der Liebe der Treue. diese Motive sind nicht so sittlich, Tugend. die Ehre ist Tapferkeit nicht für ein Gemeinwesen, die Liebe Leidenschaft, | nicht so die eheliche, sittliche Liebe.

1 2.] Kr: Hierher gehörte nun die nähre Bestimmung dessen, was man Styl nennt: wir werden sie aber weiter unten, im besondern Theil, geben, wo sie an ihrer eigentlichen Stelle ist. / D e r 2 te 3 Innigkeit des Gemüths] Kr: Innigkeit, dies In-sich-seyn des Gemüths, wie es sich im religiösen Kreis darstellt, 4 weltlich] Kr: w e l t l i c h . Diese Weltlichkeit der Innigkeit | befasst dasjenige, was man das Ritterthum nennt 6 vom Weltlichen … ihm] Kr: zunächst für sich 7 directes] Kr: positives direktes 9 sehn] Kr: erblicken, wie Goethe in Herrmann und Dorothea dies Verhältniß so schön verbildlicht 10 im Glauben] Kr: mehr in einer Zuversicht 11 Platz] Kr: festere Existenz 12 die Wirklichkeit] Kr: damit zugleich das Bedürfniß der gegenwärtigen Welt, die verlassene Weltlichkeit überhaupt wieder 13–15 Ist dieß … Affirmatives.] Kr: dies ist der e r s t e Standpunkt, der revolutionäre, der Standpunkt des Unglücks, insofern sich der endliche Mensch zur endlichen Welt verhält und seine weltliche Befriedigung in ihr verlangt, nach der Seite der Sinnlich|keit, der Natürlichkeit seines Daseyns. Wenn aber dieser Standpunkt überstanden ist, so macht der Geist, sich erweiternd, sein weltliches Herz, sein irdisches Bedürfniß selbst zu etwas Affirmativem: es ist dann nicht mehr ein Solches, das der Mensch an sich negiren soll, um mit dem Göttlichen in dieser früher geforderten Einigkeit zu seyn. 19 Treue] Kr: Tr e u e . Dies sind die drei Motive, die das Ritterthum constituiren 20–21 diese Motive … Liebe1] Kr: In der Ehre und Treue liegt die Macht der Sittlichkeit; die Liebe ist 21 eheliche, sittliche Liebe] Kr: edle Liebe und Liebestreue 20 nicht über der Zeile mit Einfügungszeichen

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Ebenso hat die Treue kein Gemeinsames zu ihrem Inhalt, sondern einen persönlichen Gegenstand, sie ist ein Entsagen der Selbstsucht, die Aufgebung seines Besondern Willens gegen einen Andern, der der Herr sei. | Betrachten wir diese Motive näher und vergleichen sie mit der classischen Kunst, so ist die Ehre den Alten ein Unbekanntes. Achilles Zorn ist der Gegenstand der Iliade. Er ist nicht entehrt. sjmbrpbj hat nicht unsern Sinn des Ehrens, sondern ihm ist ein wirklicher Besitz entrissen. Er wird durch ein blosses Rükgeben des Besitzes besänftigt. die Helden setzen sich durch Beleidigung in Zorn. das romantische Prinzip hat die Unendlichkeit der subjectivität, wodurch die Ehre diese Stellung erhält, daß worin das subject seine unendliche Personlichkeit hineinlegt, daß darin die Verletzung das subject selbst unendlich verletzt. die Verletzung kann an sich unbedeutend sein, und wird erweitert, weil in diß Besondre die Reflexion die ganze Persönlichkeit hineinlegt. der Inhalt bei der Ehre kann durch die Vorstellung des subjects hineingelegt werden, und daher zufällig und entfernt sein: Reichthum, Geburt, | Stand. Ein absoluter Inhalt, ein an und fürsichseiender ist nicht meine Willkühr, nicht ich bin durch meine Reflexion in solchen Inhalt gesetzt, er ist nicht durch mich gemacht. Bei der Ehre aber bin ich als subjectivität das Erste, welches dem Inhalt das Gelten giebt. dadurch ist er Inhalt meiner Ehre. der Mann von Ehre sieht bei der Sache daher auf sich zuerst, ob sie ihm gemäß sei. diese Ehre sehn wir im romantischen als ein Hauptmotiv auftreten. Sie kann einen wahrhaften, wie einen willkührlichen Inhalt haben; er kann gediegen, substantiell sein, aber auch den Contrast enthalten zwischen dem was die Sache an ihr ist und dem Glauben, den das subject von ihr in Betreff auf sich hat. dann ist das Motiv kalt, hart und todt. die Ehre kann schlechte Leiden-

25 1–2 einen persönlichen Gegenstand] Kr: ein persönliches Verhältniß zur Grundlage, bezieht sich

auf eine Person als ihren Gegenstand 2–3 die Aufgebung … einen] Kr: es ist die Richtung des Willens, die Versenkung desselben in den Willen eines 6–7 sjmbrpbj hat … entrissen.] Kr: nicht die Ehre treibt ihn, wie w i r dies nehmen, die entwürdigende Beraubung eines wirklichen Besitzes zu rügen, die uns für ein Ehrenrühriges gelten würde. 8 die Helden … Zorn.] Kr: Durch 30 Schimpfreden machten die Helden einander nur zornig, sie fühlen sich aber nicht an ihrer Ehre dadurch verletzt. 11 hineinlegt] Kr: hineinlegt, eben so, wie wir dies bei der religiösen Innigkeit gesehen haben 11–13 die Verletzung … Reflexion] Kr: So wird nun die Verletzung einer partikulären Seite, ein dem Inhalt nach ganz Unbedeutendes, zu einem Unendlichen erweitert, weil das Subjekt 15 Inhalt,] Kr: Inhalt, wie der wahrhaft sittliche 16 ist nicht meine] Kr: ent35 steht nicht nach meiner nicht ich bin] Kr: ich bin 18 dem Inhalt … giebt] Kr: diesen Inhalt zum Inhalt der Ehre macht, – ein Andrer macht ihn wieder nicht dazu 20 ob] Kr: nicht ob die Sache an und für sich selbst r e c h t , sondern ob sei] Kr: s e y, ob es ihm zieme; sie gegen sich gelten zu lassen 21–22 er kann … sein] Kr: Deswegen kann die Darstellung von Handlungen dieser Ehre oft sehr genügend seyn oft aber auch nicht 24 dann ist … todt.] Kr: daß die Hand40 lung solcher Ehre das sittliche Gefühl empört. 9 das] die

a. die Ehre. Sie ist das sich Hineinlegen der absoluten subjectivität in irgend einen Inhalt.

ɲ. Ehre als solche. ɲɲ.) Begriff ɴɴ) Inhalt ɶɶ) Verletzung. ɴ. Ehrenstreit. ɶ. Herstellung.

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b. die Liebe. Sie ist das Aufgeben der Persönlichkeit an eine andere Persönlichkeit; das sich nicht in sich, sondern nur in einem Andern Persönlichsein. ɲ) Liebe ɴ) Collision der Liebe

Indem aber dieses Aufgeben Willkühr des Individuums ist, so fällt hierhinein eine Zufälligkeit.

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schaften zum Ihrigen machen. Ein berühmtes Stück dieser art ist Alarkos von Schlegel. | Alarkos ermordet seine edle Frau der Ehre willen, die darin besteht, die Königstochter heirathen zu sollen. der vornehme Mann ist sein Motiv, das Gesetz der Ehre gebietet ihm. das zweite Motiv nannten wir die Liebe. Sie spielt in der neuern Kunst eine überragende Rolle. Sie enthält die Hingebung des Individuum an das Bewusstsein des Andern, so daß in dieser Hingebung erst das Individuum sein eigenes Selbstbewusstsein habe. die Ehre und Liebe stehn sogleich in Collision, wenn nehmlich in der Ehre liegt, daß ein gewisser Stand, gewisse Geburt zur Ehre gehört. diese Ehre kann gegen das Herz in Widerspruch gerathen. Vielfach andere Verhältnisse können sich ferner der Liebe entgegensetzen. diese Collisionen machen ein | Hauptintresse dieser darstellung aus. Sie sind theils äusserlich, Ansichten anderer, theils innerlich selbst; Collision von Pflicht und Liebe. die Liebe ist einerseits der Selbstsucht der Ehre entgegen, da es in der Liebe nicht um die eigene Persönlichkeit zu thun ist, sondern eine Gemeinsamkeit des Fürsichseins das Hauptintresse ausmacht. die Liebe aber ist zugleich dabei eine Privatsache, das Intresse dieses besonderen Individuums. die Collisionen hängen daher davon ab, daß das | Individuum gerade dieses besondere Individuum liebt. das Intresse

1 machen] Kr: machen, deren | Thun kein weiteres Motiv hat, als daß die Ehre darein gesetzt wird 2 ermordet] Kr: ist solch ein Mann der Ehre: er ermordet edle] Kr: edle ihn liebende 3 heirathen zu sollen] Kr: zu heirathen, ohne daß ihn eine Leidenschaft für sie dazu treibt 6 Rolle] Kr: Rolle, und die Form wie sie hier erscheint, gehört wesentlich dem Christenthum an 6–8 Sie enthält … habe.] Kr: Das Allgemeine ihres Inhalts ist dies, daß sie die Hingebung eines Individuums des einen Geschlechts ist an das Bewußtseyn eines Individuums des andern, und daß beide dadurch, sich im Bewußtseyn eines Andern zu wissen, ihr Selbstbewußtseyn haben. der Geschlechts-Unterschied macht hier also das wesentliche Moment aus. 8 die Ehre … Collision] Kr: Es geschieht oft daß die Ehre und die Liebe in mannichfaltige Kollision kommen 10 Herz] Kr: Liebesverhältniß 12 äusserlich] Kr: nur äußerliche Hindernisse 13 innerlich selbst] Kr: kann aber auch im eignen Gemüthe eine Kollision Statt finden von] Kr: von Liebe und Ehre, 14–15 es in … ist] Kr: hier die eigne Persönlichkeit nicht der letzte, einige Zweck ist: denn diese wird vielmehr an ein Andres hingegeben. das Individuum des einen Geschlechts giebt sich dem des andern gänzlich preis; die Selbstsucht verschwindet, wird aufgehoben, indem das Individuum zugleich eben so viel gewährt als es fordert 17 das Intresse … Individuums] Kr: sie erwächst aus dem Interesse dieses besondern Individuums für ein anderes, wobei der Geschlechtsunterschied, als ein Vorausgesetztes, bei Seite fällt 17–18 Collisionen hängen … ab] Kr: Kollision mit diesem Interesse, wenn eine solche vorhanden, entsteht also ursprünglich aus dem Zufall 18–423,1 das Intresse … gebunden] Kr: Sich sehen und sich lieben fällt da häufig in Einen Moment zusammen; man würde diese Liebenden aber in große Verlegenheit setzen, wollte man sie nach dem Grund befragen, denn das Geschlecht kann hier nicht der alleinige seyn, obgleich dies Verhältniß allerdings nothwendig dazu gehört. Es ist also ein rein subjektives Gefallenfinden, eine Geschmackssa1 Stück Lesung unsicher 2 Schlegel] Shelgel P , Lesung unsicher, vielleicht zu lesen: ɴ

12M Liebe ] daneben, zwischen Marginalie und Text:

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ist also an eine subjective Besonderheit gebunden. Es liegt also im Stoff zugleich ein Moment der Gleichgültigkeit; er ist berechtigt, aber nicht absolut berechtigt, da er auf einer Empfindung beruht, die sein kann und nicht. deswegen ist in der hohen Tragödie der Alten die Liebe nicht vorhanden. Aeschylus und sophocles stellen sie, wenn sie sie darstellen, erst untergeordnet dar. In der Antygone kommt auch eine Liebe zu Haemus vor, aber nur als ein untergeordneter Theil | der Verwicklung. Es stehn sich ganz andere bpi noch gegenüber, das Intresse der Pietät und des Staates. dieß sind die Hauptmächte, die hier collidiren. die Alten kannten wohl das Intresse der Liebe, aber die Tragödie hat zu ihrem höchsten Gegenstand den höchsten Stoff, und die Liebe, als Zufälligkeit enthaltend, tritt daher zurück.

che. Dieser Umstand nun, der ganz zufällig ist, stellt sich auf der Seite der Liebenden als Berechtigung ihres Verhältnisses auf und wenn ihm nichts wesentlicheres hinderlich gegenüber steht, so fügt die poetische Gerechtigkeit die Hände der Liebenden zusammen, weil sie es nun einmal so haben wollen. Wenn sich dem Zweck der Liebenden kein berechtigtes Hinderniß entgegenstellt, so ist ihre Verbindung der natürlich motivirte simple Beschluß der ganzen Geschichte, die aber solcherweise nur ein geringes Interesse f ü r u n s hat, weil das Brautbett nicht für uns bereitet ist. W i r nehmen nur insofern ein besonderes Interesse an der Darstellung eines solchen Verhältnisses, als uns gezeigt wird, daß die Liebenden sich durch | ihren Bund und dessen sittlichen Zweck, in eine solche Situation versetzt finden, in welcher eine berechtigte Reaction gegen ihr persönliches Interesse auftreten muß; dieser muß nun von Seite der Liebenden begegnet werden und sie werden sie auf heben, wenn die höhere Berechtigung auf ihrer Seite steht, oder das Verhältniß der Liebe wird gebrochen von der entgegenwirkenden höhern Macht. Diesem Gang der Entwickelung aus der g e g e b e n e n Situation überhaupt, können wir, des reicheren Stoffes wegen, ein lebendigeres Interesse zuwenden, als demjenigen Liebesverhältniß, wo die Situation der Liebenden sich aufs Günstigste stellt für die erwünschte Erreichung ihres endlichen Zwecks, wo, wie man sagt, Alles gut abläuft, damit sie sich kriegen. / Das Interesse des einen Individuums an der subjektiven Besonderheit des andern ist also eine Sache des Zufalls, der Willkühr; es kann sich sogar ein gewisser Eigensinn mit einmischen, eine halsstarrige Widerspenstigkeit gegen Andres, das das Subjekt nicht gegen sein Interesse w i l l gelten lassen, obgleich es zu gelten be|rechtigt ist 1–2 zugleich ein … Gleichgültigkeit] Kr: nicht ein absolut Nothwendiges zum Inhalt, sondern ein Solches, das eben so gut auch aufgehoben werden könnte 3–4 deswegen ist … vorhanden] Kr: In der hohen Tragödie der Alten hat darum die Liebe eine ganz verschiedene Stellung, von dieser, die dem romantischen Standpunkt angehört: sie kommt dort entweder gar nicht vor, oder nur als ein Untergeord netes 6–7 nur als … Verwicklung] Kr: ihr Interesse macht nur einen untergeordneten Theil der Kollision aus, und so, als ein Untergeordnetes wird ihr Verhältniß behandelt und dargestellt 8 des Staates] Kr: der Politie, der Macht des Staats, s e i n Interesse, in Kollision mit dem des einzelnen Individuums, dessen Pathos diese Pietät ist 9–11 kannten wohl … zurück] Kr: haben die Leidenschaft der Liebe wohl gekannt, und sie unzählig oft zu Darstellungen ihrer Kunst gemacht; in ihren Tragödien aber, die den höchsten Gegenstand, den höchsten Stoff zum Inhalt haben, geben sie ihr das Verhältniß eines Untergeordneten, das sich nicht zum Rang des hohen tragischen Pathos erhebt, | weil das partikuläre Interesse der Liebe auf der klassischen Stufe überhaupt noch ein untergeordnetes ist; es sind mehr die allgemeinen sittlichen Mächte die die Alten in ihren Tragödien in Kollision darstellen. Die Liebe tritt hier also zurück, denn im Wesentlichen enthält sie allerdings eine Zufälligkeit, wogegen die sittliche Macht als eine nothwendige Berechtigung stets mit Übermacht auftritt

424 c. die Treue. Sie ist Einheit von Ehre und Liebe dadurch, daß das Individuum seine Ehre darin findet, sich an einen Andern aufzugeben, der sein Herr sein soll.

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Was drittens die Treue betrifft, so unterscheidet sie sich auch von der classischen Freundschaft von Theseus und Perithous, von Orest und Pylades, der Pythagoraeer ect. Jedes Individuum hat sich einen Lebensweg für sich zu machen, die Jugend ist daher die Zeit der Freundschaft, Männer trennen sich, gehn ihren eigenen, besonderen Weg, Handlungen, Thätigkeiten gehn nicht gemeinschaftlich. | die Treue ist im Romantischen Treue gegen einen Höhern. diß Prinzip ist im Ritterthum zuerst der Halt des Gemeinwesens, der substantiellen Sittlichkeit. Sie ist kein patriotismus, sondern sie ist an ein besondres subject gebunden, und bedingt durch die eigene Ehre. der freie Wille des subjects setzt sich in dieß Verhältniß, und hat in sich noch weitere Bestimungen. die Treue wird so auch praecär und zufällig. Ihr letztes Prinzip ist auch die Willkühr der subjectivität.

3 machen] Kr: machen und fasst auf der bestimmten Stufe desselben sein besonderes Interesse, ihm selber gemäß 4 Männer] Kr: Männerfreundschaft ist von einer andern Art. Männer 4–6 ihren eigenen, … gemeinschaftlich] Kr: nach besondern Richtungen ihrer Lebenszwecke auseinander, die verschieden sind; oder der gleiche Zweck bringt sie einander nah, ihre Freundschaft läßt sich auf bürgerliche, geschichtliche Interessen ein, wo dann das Ge|meinschaftliche des Interesse’s der Handlungen, Thätigkeiten sie in freundschaftliche Verbindung setzt. In der Jugend verhalten sich die Freunde mehr nach der Seite des Gemüths, das sich erschließt, zu einander; das Erwachen ernsterer Interessen, diese Zeit der frischen Empfänglichkeit für die Erscheinungen der Welt, oder auch nur im beschränkteren, gemüthlichen Kreis der nächsten Umgebung, knüpft dieses innige Band der Freundschaft. In diesem Verhältniß, auf dieser Stufe des Lebens, verhält sich das Individuum mehr theoretisch als praktisch zur Aeußerlichkeit, mit welcher es vorerst bekannt werden muß, ehe es handelnd, einwirkend auftreten kann. Hier sind es nun die Freunde, in dieser Gemeinschaft, sich gegenseitig in ihren Interessen zu erweitern und fester zu bestimmen, noch mit dem besondern Interesse für den Entwickelungsprozeß des Einen und des Andern. In Bezug nun auf das Geheimste, Innerste, das sich bei solchem Prozeß ergiebt, hat der Freund seine Treue zu bewähren und an dieser Seite kann die Freundschaft tödlich verletzt werden 6 ist im … Höhern] Kr: als eine Bestimmung des Ritterthums, liegt vornämlich in dem Verhältniß zwischen Herr und Diener 7 zuerst der Halt] Kr: der Beginn 8 sie] Kr: das Interesse 9–10 der freie … Bestimungen] Kr: es bestimmt sich aus dem freien Willen des Subjekts, sich in dies Verhältniß der Treue zu setzen, es ist nicht seine Pflicht. Andere Bestimmungen die dies Subjekt noch hat, können dann in Kollision damit kommen 10–11 die Treue … subjectivität] Kr: Der Ritter, der Vasall, ist seinem Fürsten treu; aber es ist nur diese Willkühr nach der er an ihn geknüpft ist; sein Vortheil, seine Ehre u.s.w. können damit in Kollision kommen. Diese romantische Form der Treue ist in solcher Weise in unsrer heutigen Welt nicht mehr vorhanden: der Staat, diese sittliche Macht, ist über das Verhältniß der persönlichen Treue, die vom freien Willen abhängt, hinaus und versetzt den Unterthan in das Verhältniß der Pflicht. Die verschiedenen Stände, das Militär, die Bürger und Bauern u.s.w. haben ihr bestimmtes gesetzliches Verhältniß im Staat, worin sie verpflichtet werden, sobald ein neuer | Fürst den Thron besteigt. Das Individuum gehört dem Staate an, dessen gesetzlicher Zustand der Schutz für seine bürgerlichen Interessen ist; der Staat ist dadurch berechtigt das Individuum seinem Interesse zu unterwerfen, es in Pflicht zu nehmen u.s.w. Hier ist also dies Verhältniß willkührlicher Treue nicht vorhanden: der Wille des Subjekts m u ß der seyn, sich 6 Romantischen] Romantischen.

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Auf allen diesen 3 Stufen ist der Boden das besondere Gemüth als schönes, edles, sich selbst versöhnendes. Hierherein fällt die schönste Parthie desjenigen, das ausserhalb der Religion steht, wo das Intresse ganz menschlich ist, und in keine Collision kommt mit unsern Begriffen. | Es steht diß Gebiet für sich, die Stoffe können mit der Religion in Beziehung sein, doch auch selbstständig für sich bleiben. Alles gehört hier dem besondern Gemüth an, das sich in sich selbst bewegt. Es ist diese Stufe der der classischen Kunst zu vergleichen. |

3. der Formalismus der subjectivität.

3. die formelle subjectivität.

Hier ist die subjectivität in ihrer Zufälligkeit. Es ist der Formalismus des Stoffs, die Charactere als formelle subjectivität. der frühere Character, in den die Liebe, die Ehre und Treue fällt ist noch schön, noch nicht abstract für sich. Jetzt haben wir den particularen Character, der so wie er ist, sein will. Wie die Thiere verschieden sind, so auch hier der Character, ohne das Höhere, Sittliche in sich haben und darstellen | zu wollen, ungebeugt, fest sich durchführend oder zu Grunde gehend. Solche Charactere sind besonders die des Shakspeare. Sie sind particulare, die sich auszeichnen durch die abstracte Festigkeit ihres Willens. Ein solcher Character ist Macbeth, der die Krone zu erreichen durch alle Schrecklichkeiten stürmt. diese Festigkeit intressirt uns. Es ist dieß das Gegentheil der italienischen Masken; die Charactere heissen ohne Individualität. die Charactere

Indem die subjectivität die willkühr ist sich in welchen Stoff sie will zu legen ist sie überhaupt der Zufälligkeit anheim gegeben. So ist sie zunächst die formelle fest auf sich beruhende subjectivität. Beispiele im Schakspeare.

dem Staat, seinen Gesetzen zu unterwerfen, sonst ist es von ihm ausgeschlossen. / Im Ritterthum hat die Treue nicht diese concrete Erfüllung, wie die moderne Unterthanen-Treue, sie bestimmt sich nicht wie diese aus dem vernünftigen Willen, sondern kann ebensowohl auf ganz abstraktem Willen, auf der Willkühr des Subjekts beruhen, als auch auf vernünftiger Gesinnung, auf dem Adel 2 sich selbst versöhnendes] Kr: Freies in sich, geht aus diesem Boden des Ritter25 des Gemüths thums hervor, von diesem Standpunkt des in sich versöhnten und versöhnenden Gemüths Hierherein fällt … desjenigen] Kr: Dies ist die schönste Seite, wo das weltliche Romantische eintritt 4 Gebiet] Kr: Gebiet der Weltlichkeit, nach diesen drei Motiven des Romantischen, der Ehre, Liebe und Treue, 7 Es ist … vergleichen] Kr: der Stoff dieses Kreises, die weltliche Menschlichkeit, 30 steht in näherer Gemeinschaft mit dem gleichen Stoff der klassischen Kunst; der Unterschied beruht hauptsächlich auf der Form 13–14 Wie die … Höhere,] Kr: Nach dieser formellen Seite sind die Karaktere verschieden, wie die Thiere es sind: verschwindend, ohne sich an ein Höheres anzuknüpfen, ohne Liebe, ohne Treue, ohne das 17 particulare] Kr: keine antiken Karaktere noch solche die der schönen Romantik angehören; sondern positive Karaktere Willens.] Kr: 19 uns] Kr: durch 35 Willens, worauf er sich auch richten mag, und ob mit Recht oder Unrecht: diese ganz formelle Seite, daß er mit dieser Entschlossenheit und Festigkeit handelt zu Erreichung seines Zwecks; eben so Richard III 16 Shakspeare so Kr; Ho: Schaspeare

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den Gegensatz gegen diese abstracte substantialitätslose subjectivität bildet die substantialitätsvolle aber in sich selbst verschlossene, abstract sich innerlich bewegende subjectivität

nachschrift hotho · 1823

des Shakspeare sind was sie sind, was ihnen begegnet, in diesem schlagen sie sich herum nach ihrer Bestimmtheit. der Zusammenhang dessen, was sie sind, und was ihnen begegnet ist ein unbestimmter. Es ist kein Woher und Wohin aufgelösst. das Fatum als abstracte Nothwendigkeit ist zurückgekehrt. doch kann der formelle Character noch anders vorkommen. der erstgenannte war ein abstract fester Wille ohne substantialität. Eine andre Form ist ein schönes Gemüth, das tief in sich ist, aber sich nur innerlich bewegt, ein kostbarer Edelstein, der aber nur hie und da glänzend sich zu erkennen giebt. – das Formelle liegt hier in der Verschlossenheit, in der Tiefe, die ungebildet ist, und sich stumm fast nur zu erkennen giebt. Es ist diß das Gegentheilige des ersten Characters. diese formelle Charactere der zweiten Art zeigen sich mehr durch das, was sie nicht wollen, daß sie sich nicht heraus|bringen können, und wie das Meer sind, das, wo es am tief-

1–2 sind was … Bestimmtheit] Kr: zeigen sich unverlarvt. Indem sie in diese Zufälligkeit herunter treten, die nur getragen ist durch die Festigkeit ihres Willens, erwecken sie in und über sich das abstrakte Schicksal ihren endlichen Zwecken entgegen 3 ist ein unbestimmter] Kr: ihrer partikulären Interessen, ist ein zufälliger, unbestimmter; sie tragen in sich keine höheren Zwecke und wollen dergleichen nicht in sich tragen 4 das Fatum … zurückgekehrt] Kr: Was ihnen auf dem Weg ihrer Durchsetzung dieses abstrakten Willens | begegnet, fällt in die Bestimmung der abstrakten Nothwendigkeit. Indem der Karakter einen Zweck fasst nur nach dem Motiv seines abstrakten Willens, nicht aus der Vernünftigkeit des Willens dazu bestimmt, ist für ihn keine Schranke vorhanden, die er nicht entschlossen wäre zu durchbrechen und zu überschreiten. Trifft er dabei auf ein sittlich Berechtigtes, so erfolgt hier eine Verletzung, für die er büßen muß. Das Schicksal übernimmt hier oft diese Rolle, ein solches Subjekt zu strafen und in seine Schranke zurückzuwerfen; es ist aber fehlerhaft, dabei die Vorstellung zu haben, daß das Schicksal blind sey und nur so aus dem Dunkel wieder ins Dunkle hineingreifen müsse um diesen Blitz effekt zu machen. dies ist etwas Leeres: das Schicksal muß vielmehr in diesem Verhältniß gegenüberstehen als die reagirende sittliche Macht, die von dem Subjekt zur Feindschaft aufgerufen worden ist. Es muß ein vernünftiger Zusammenhang vorhanden seyn, zwischen dem, was das Subjekt gethan hat, und dem was als Reaction dagegen auftritt. Poltert das Schicksal mit | Ketten und Geißeln zufällig in die Geschichte hinein, so kann zwar Jeder sein Theil abkriegen; aber keiner kann darin seine Genugthuung finden, denn dies ist nicht die Form der ewigen Gerechtigkeit. Im gewöhnlichen Leben wird ein und das andre Ereigniß als Strafe gedeutet für gewisse Vergehungen; diese zufällige Vollstreckung der Gerechtigkeit hat aber im Kunstwerk seine Stelle nicht; was sich hier zeigt, soll in diesem innern, nothwendigen Zusammenhang erscheinen, als eine Produktion des denkenden Geistes 6 substantialität] Kr: substanzielle Innerlichkeit schönes] Kr: substanzielles 7–8 ein kostbarer … giebt] Kr: eine reiche Innerlichkeit, die aber nur an einzelnen Punkten zur Erscheinung kommt 8 das Formelle] Kr: der Reichthum 9 Tiefe] Kr: unendlichen Tiefe und Fülle stumm fast nur] Kr: nur durch wenige, stumme Aeußerungen 10 Es ist … Characters] Kr: Jener erste Karakter ist dagegen fertig, er fasst seine Situation eben so schnell auf, als er auch sogleich und entschlossen handelt, und klug zu seyn ist ihm ganz | besonders eigen 11–12 daß sie … herausbringen] Kr: was sie sind, was sie nicht aussprechen und vollbringen 1 Shakspeare so Kr; Ho: Sch 5M substantialitätslose] substanstialittslose 7M substantialitätsvolle] substanstialittsvolle 8 glänzend sich … giebt. –] (1) glänzt (2) (glänzend aus glänzt) (sih zu erkennen giebt. – über der Zeile mit Einfügungszeichen)

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sten ist, schweigt. die Charactere äussern sich nur still und naïv. diese Äußerungen dürfen nicht platt sein, müssen die ganze Tiefe zeigen, aber darstellen wie das Gemüth mit besondern Intressen und ihrem Vollführen unbekannt ist, unzer streut. Wenn ein Funken in solch Gemüth fällt ergreift er es, und es ist in Gefahr, durch diesen Funken zersprengt zu werden, indem es sich durch sich selbst nicht zu helfen weiß. Solch Gemüth ist die Julia, das kindlich mit der Welt unbekannt ist; die Eine Leidenschaft hat es entzündet, und es hat die Kraft dieser alles aufzuopfern. Andre Bande sind ihm unbekannt, es überlässt sich dem Einen. Ebenso ist Miranda und mehrere. Auch in deutschen darstellungen kommen dergleichen verschlossene Gemüther vor von tiefer Seele, mit welcher Verschlossenheit eine Ungeschicklichkeit sich klar zu werden und zu handeln verbunden ist, und durch welche die grössten Mißverständnisse entstehn. Zu solchen 1 die Charactere … naïv] Kr: Nur durch wenige naive, gemüth- und geistvolle Aeußerungen zeigt es sich, daß ein solcher Karakter allerdings wohl das Substanzielle der vorliegenden Verhältnisse und Situationen fasst 3–4 unzerstreut] Kr: wozu es ihm an aller Geschicklichkeit, Gewandtheit und Klugheit fehlt. Sie sind von wenig Lebenserfahrung, und verstehen es am wenigsten die Menschen nur nach dem zu brauchen und zu benutzen, was sie sind 4 Wenn ein … ist] Kr: Irgend ein Punkt im Gemüth eines solchen Karakters ist es dann, auf den nur der rechte Funke hinzutreffen braucht, um eine heftige Gluth zu entzünden, die ihn nun ganz durchdringt, und wenn dann die Umstände nicht günstig sind, so ist er 5 zersprengt] Kr: verzehrt 6 nicht] Kr: nicht auf weltkluge Weise 6–8 das kindlich … aufzuopfern] Kr: diese ruhige Tiefe eines reichen Gemüths; aber sie wird durch den Funken der ersten Liebe | in diese Leidenschaft versetzt, von der sie sich über Alles hinwegreißen läßt. Hier ist es aber nicht allein die gewöhnliche Leidenschaft der Liebe überhaupt, sondern zugleich dieser erste Ausbruch eines tiefen, verschlossen gewesenen Gemüths. Man könnte sagen sie sey noch zu jung, habe noch zu wenig Erfahrung, um ihr äußerliches Verhältniß zu Romeo zu begreifen, oder auch ihre Leidenschaft sey mit solcher Macht in ihr ausgebrochen, daß sie diese Rücksichten auf ihr äußerliches Verhältnis habe fallen lassen. Daß sie jung ist, und was natürlicher Weise damit zusammenhängt, dies gehört nicht zur Bestimmung ihres Karakters; eben so wenig kann diese Alles überwältigende und zurückwerfende Leidenschaft für eine Eigenthümlichkeit desselben genommen werden, da die Leidenschaft sich überhaupt nur s o zeigt. Ihrem Karakter nach, so wie ihn der Dichter unübertrefflich darstellt, ist sie vielmehr als ein solches Gemüth zu fassen, das sich nur in sich vertieft und bereichert hat, wenig nach Außen gekehrt, sich auf äußerliche Verhältnisse einzulassen überhaupt keine Neigung hat, indem sie darin nicht den Stoff findet, den ihr | Gemüth verlangt. Ein andres Mädchen in ihrer Lage hätte eben so jung, eben so leidenschaftlich in seiner Liebe, zugleich aber auch erfahren und klug genug seyn können, seinen Zweck dabei zu erreichen, die äußerlichen Hindernisse zu umgehen oder zu besiegen. Julia, in dieser Unbefangenheit ihres tiefen in sich gekehrten Gemüths, giebt sich rücksichtslos an den Geliebten hin, an ihn erschließt sie die ganze Tiefe ihres erwachenden Innern, an ihm tritt ihr Gemüth zuerst aus sich selber heraus und verhält sich zu einem Andern, Aeußerlichen, vor dem es sich vorher verschlossen gehalten hatte 8–9 Andre Bande … Einen] Kr: Ein solches Gemüth ist gediegen, einfach; andre Interessen, außer dem Einen, dem es sich hingiebt, aufopfert, sind ihm unbekannt 9 Ebenso ist … mehrere] Kr: Die Miranda, in Shakspeare’s Sturm ist auch von dieser Art des formellen Karakters 10 mit welcher] Kr: wo mit der Qual dieser 11 zu handeln] Kr: die Verhältnisse nach ihrer Wirklichkeit zu fassen, sich mit einem bestimmten Interesse darin durchzuführen, zu expli|ziren

Beispiele in Schakspeare

428 in Göthe.

die 2te Zufälligkeit, die hier hereinfällt ist die des Stoffs, der sich als ein Abendtheuern darstellt.

denn nachdem die romantische Kunst ihr absolutes Werk den Religiösen Kreis ausgebildet hat, ist es ihr nur um das Handeln überhaupt zu thun, welches jetzt ein Zufälliges, Willkührliches wird.

nachschrift hotho · 1823

darstellungen gehört auch Göthes Schäfer auf dem Berge. Er weiß seine Leidenschaft nicht zu erklären, und macht sie nur bemerklich in Beziehung auf äussre Umstände. Ebenso ist es mit dem König von Thule, der sterbend seine Liebe zu erkennen giebt. Es ist dieß eine stumme Weise seine Leidenschaft auszusprechen, das Gegentheil der offenen Exposition des schönen Romantischen und des classischen. Ein solches Gemüth kann sich nicht gestalten, kann sein Herz und sein dasein nicht vermitteln, die Verhältnisse werden übermächtig und zerstören es. – das Andre was hieher gehört ist die Zufälligkeit in Betreff auf die Handlungen, die hier die Gestalt der Abendtheuer erhalten. dem verschlossenen Gemüth ist es gleichgültig welchem Stoff es sich darbietet, es überläßt sich dem Zufall. diese Zufälligkeit ist allen Characteren gemeinschaftlich. dem romantischen Character ist es nicht darum zu thun, ein Werk zu produciren, sondern er | will nur handeln. die romantische Welt hatte nur ein absolutes Werk, die Ausbreitung des Christenthums. Aus diesem sind die Legenden genommen. das Werk der Weltlichkeit ist die Vertreibung der Mauren, die Kreuzzüge. Aber die Thaten auch dieses Werks sind mehr Abendtheuer, und die übrigen Stoffe sind die Abendtheuereien des Gemüths überhaupt, sich dieser und jener dann zu widmen, Un1 Schäfer auf … Berge] Kr: Schäfer: „da droben auf jenem Berge“ findet sich gleichfalls die Weise der Aeußerung eines solchen Karakters 4 stumme Weise … auszusprechen,] Kr: wunderbar stumme Weise, wie er durch den Becher diese innerlich fortgeglühte Leidenschaft seiner vergangenen Liebe ausspricht. In solchen Gemüthern liegt also ein Reichthum verschlossen, der sich nur wenig äußerlich zeigt. 5–6 des schönen … classischen] Kr: gehört dem Klassischen wesentlich an, und demzunächst auch dem schön Romantischen, besonders dem des Morgenlandes 6–7 sein Herz … dasein] Kr: diese Geschicklichkeit, die Tiefe seines Herzens und die äußerliche Weise des Daseyns miteinander 8–9 ist die … erhalten] Kr: sind die Z u f ä l l i g k e i t e n d e r U m s t ä n d e . Die Handlungen und Begebenheiten erhalten auf dem formellen Boden eine Gestalt | des Abenteuerlichen 11 diese Zufälligkeit … gemeinschaftlich] Kr: Dies Verhältniß des Abenteuerlichen, der Zufälligkeit der Begebenheiten und auch der Handlungen hängt mit den verschiedenen Weisen des Karakters, des Innern überhaupt zusammen 12–13 er will … handeln] Kr: es liegt im Romantischen, Thaten hervorzubringen, das Subjekt soll sich äußern, so wie es ist, so soll es sich vollbringen, auch nach der ganz formellen Seite seines Charakters, wobei es denn natürlicher Weise zu allerlei Wunderlichkeiten kommt. Das Abenteuer macht daher einen eigenthümlichen Grundzug des Romantischen aus; im Klassischen kommen sie wohl ähnlich vor, aber mit dem Unterschied, daß sie gewöhnlich einen Mythos ausmachen, oder eine Bedeutung enthalten, nicht als ein Solches, worin sich nur das Subjekt vollbringt nach dieser Seite seines formellen Karakters 13 die romantische … hatte] Kr: Im Romantischen überhaupt liegt dieser Aufruf an das Subjekt, seiner Besonderheit diese äußerliche Wirklichkeit, die That zu geben. In der religiösen Sphäre, war 15 Kreuzzüge] Kr: Eroberung des heiligen | Grabes 15–429,1 Aber die … haben] Kr: Im zweiten, weltlichen Kreis ist der Stoff dann abenteuerlich: sich hier und da zu schlagen um Tapferkeit zu beweisen, diese formelle Tugend des Ritters; ferner die Unschuld zu beschützen, sich dieser oder jener Jungfrau dann zu weihen, beleidigte Ehre zu rächen und sonst überhaupt Thaten zu verrichten mit dem bloßen Interesse 8 Andre] davor gestr: dritte was

12 er] es

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schuld zu befreien und Thaten zu thun, die nur das subjective Intresse haben sich zu zeigen. damit ist Willkühr, Täuschung in Betreff auf die Plane gesetzt. das Zwecklose der Handlung ist es an welcher sich solche Abendtheuerei an ihr selbst auflößt und sich der comischen Behandlung darbietet. diese Auflösung des Ritterthums stellen Ariost und Cervantes dar. Im Don Quixote ist es eine edle Natur, in welcher das Ritterthum bis zur Verrüktheit wird. Don Quixote zeigt uns eine geniale Natur, obgleich wir ihre Thorheit sehn. Don Quixote macht den Schluß des Romantischen. das Ritterthum wird einerseits zum Spott, anderseits ist seine Geschichte eine Reihe echt romantischer Novellen. das, was verspottet wird ist zugleich aufs schönste vorgestellt. der Roman ist es, der hier sich anreiht, und als eine besondere Kunstform bekannt ist. die Romantik ist es, die hier in unsere Zeit und Verhältniß gestellt ist. | der Boden des Romans ist nicht mehr Zufälligkeit des äusserlichen daseins, die sich in eine sichere Ordnung des Staats verwandelt hat. Alle Verhältnisse, die in dem Ritterthum fehlen, sind fest. der Roman hat einen Boden, wo die Hauptmomente der Sittlichkeit fest sind, das sittliche Leben nicht mehr auf der Willkühr beruht, deren Umfang jetzt klein ist. dieser kleine Umfang ist das particulare Intresse eines Individuums überhaupt, der Standpunkt, den die Individuen in der Welt einnehmen; das Intresse seines Her-

2 Plane] Kr: Zwecke, Pläne u.s.w. 3 Zwecklose der Handlung] Kr: Gehaltlose dieser abstrakten, 4 sich] Kr: sich, nachdem sie erst ihren Gipfel erreicht, von selbst jetzt 4–5 diese Auflösung … dar] Kr: Daß diese Auflösung des Ritterthums überhaupt zu seiner Zeit zum Bewußtseyn gekommen, zeigt unter andern Cervantes in seinem Don Quixote 5 edle] Kr: von Haus aus edle 6 wird] Kr: wird, sich als Etwas zeigt, das nicht mehr in den Weltzustand passt, in welchem der edle Don Quixote von la Mancha sich befindet 6–7 Don Quixote … sehn] 461Kr Kr: Von diesem Zustand nimmt er keine Notiz, insofern darin | die Anforderung vernünftiger Weise finden müßte, sich nach ihm zu fügen; er will vielmehr das Umgekehrte, er beklagt seine Zeit daß es ihr an irrenden Rittern fehle und denkt mit gutem Beispiel vorzuleuchten: er will mit seinem tapfern Arm das Ungrade grad machen und bemerkt nicht, daß um ihn her schon auf eine bessere Weise dafür gesorgt ist. So nimmt er den eingefangenen Spitzbuben, denen die Justiz bereits die Galeere zuer30 kannt hatte, die Fesseln ab und schenkt ihnen mit tapfrer Großmuth wieder die Freiheit – d.h. das Mittel, Grades ungrad zu machen, u.s.w 9 echt] Kr: der schönsten 10 vorgestellt] Kr: dargestellt, und zu erkennen, daß der Dichter es wohl wisse, was dem Spotte preis zu geben sey 11–12 die Romantik … ist1] Kr: er ist das romantische Element überhaupt, aber gestaltet nach unsrer Zeit, nach unserm Weltzustand 13–14 die sich … hat] Kr: wie bei der Abenteurerei; es ist hier eine sichere, 35 feste Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft, der gesetzliche Staat vorhanden und vorausgesetzt 14 die in … fest] Kr: des Rechts, Eigenthums u.s.w., die im Ritterthum gar nicht oder nur nach Willkühr und Gewalt vorhanden sind, sind hier objektiv und gesetzlich festgeworden 16 der Willkühr … ist] Kr: diesem Belieben des Individuums beruhen, sondern als eine unabhängige, das Individuum überwältigende Macht geworden sind, gegen die die geharnischte Faust nicht weiter was 17 Umfang] Kr: Umfang, und der geringste der Willkühr des Subjekts überhaupt 40 ausrichten kann 18–430,1 Herzens kommt … Sprache] Kr: Herzens: Dies ist der kleine Spielraum, welcher dem Individuum, bei dem Festseyn der Verhältnisse nach Außen, nun noch für sich übrig bleiben kann 20 formellen „Thathandlungen“

33 er] es

42 bleiben] haben

dadurch aber lößt sich die schöne Ritterlichkeit an ihr selbst auf; und diese Auflösung behandeln Ariost und Cervantes.

die hiemit eintretende Kunstform ist der Roman.

Er hat das particulare Individuum zu seinem Stoff mit seinen Intressen, Neigungen und Meinungen

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Indem sich so alles substantielle da vermittelst des Religiösen und ritterlichen Kreises die Wirklichkeit errungen hat gilt das Unmittelbare als solches, und die Kunst als Auflösung ihrer selbst sinkt herab einerseits zur blossen Form subjectiver Geschicklichkeit; anderseits zur Verkehrung alles substantiellen in eine individuelle und particulaere Ansicht.

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zens kommt hier zur Sprache. das Individuum als freies subject sich in der objectiven Welt wissend || tritt etwa auf im Contrast seines Einbildens und seiner Plane, die es sich auf sich oder seine Thätigkeit in der Welt macht, seine Ideale, die zu realisiren, es sich vornimmt. Sie können allgemeiner Art sein, theils besondern Inhalts. das Individuum zieht ritterlich aus, und will das Gute für die Welt vollbringen, sein Ideal der Liebe befriedigen. Es geräth in Kampf mit der festen Wirklichkeit und das Ende kann nur diß sein, daß das Individuum die Welt nicht anders macht, sondern daß das Individuum sich seine Hörner abläuft und sich in das Objective ergiebt. das Ende wird sein, daß es in die Verkettung der Welt eintritt, sich eine Familie, einen Standpunkt erwirbt, eine Frau, die aber, so hoch idealisirt sie war, eine Frau ist nicht besser, als die meisten andern. – Was noch zu erwähnen wäre nach dem Character und den Umständen, ist die vollkommene Zufälligkeit des Stoffs überhaupt. Aller prosaische Stoff fällt herein, die gemeine zufällige Objectivität und subjectivität, die sich in ihrer Zufäligkeit darstellen will. das Ende des Romantischen ist somit der Humor. Im Romantischen haben alle Gegenstände Platz, und ist das Gemüth aus sich heraus, und sich in der Äusserlichkeit Gestalten soll, so geht diese Ausserlichkeit so auseinander, daß wie die höchsten Regionen, so auch die niedrigsten Platz haben. Wir sehn in Shakspeare 2 seines Einbildens … Plane] Kr: seiner Ansichten und Meinungen, seiner Bildung, Lebenspläne 3 zu] Kr: bei gutem Muth zu 4–5 besondern Inhalts] Kr: auch besonderer Art seyn, wo dann das Individuum nur das Interesse seines besondern Herzens, seine partikulären Bedürfnisse zu befriedigen verlangt 5 zieht ritterlich aus] Kr: tritt so, gleichsam ritterlich mit seinem Idealismus in die Wirklichkeit hinaus, nicht mehr um Abenteuer, sondern die Befriedigung seines friedfertigen Herzens darin aufzusuchen 6 in] Kr: nun gewöhnlich in bittern 7–10 das Ende … Frau] Kr: der Anfang und das Ende dieser ritterlichen Irrfahrt der idealen, großmüthigen Gesinnung, kann dann ein ganz Andres seyn, als daß sie in der Welt etwas Andres machten. die Zustände der Welt sind bereits fest; das Individuum selbst hat ebenfalls seine ihm angewiesene feste Stelle darin: wenn es die verläßt, so trifft es allerwegen auf scharfe Ecken und läuft sich so bald die Hörner ab. | Nunmehr ergiebt es sich dann in die gewöhnliche Weltweise, es sieht, daß es nicht wohl anders geht, so daß es sich nun etwa einen bürgerlichen Standpunkt, den Standpunkt des alltäglichen Familienlebens als ein näheres und bequemeres Ziel setzt, wozu es sich denn nun eine Frau nimmt 12 ist die vollkommene] Kr: D a s 3 t e ist nun ferner d i e v o l l k o m m e n e F r e i h h e i t u n d 1 3 Aller prosaische … fällt] Kr: Es tritt in das Romantische zuletzt allgemein äußerlicher, prosaischer Stoff 14 subjectivität] Kr: Subjektivität, der gemeine Stoff mit der Form dieser zufälligen Subjektivität 15 das Ende … Humor] Kr: So beschließt sich das Romantische einerseits mit der vollkommenen Aeußerlichkeit und Zufälligkeit des Stoffs, andrerseits mit der zufälligen Subjektivität, der sich an ihn macht und ihn auf allerlei Art und Laune traktirt, mit dem was der Humor genannt wird 16 Gegenstände] Kr: Gegenstände, jeder | Stoff sich] Kr: seiner substanziellen Innerlichkeit 17 diese Ausserlichkeit] Kr: der Stoff derselben 17–18 wie die … haben] Kr: er sich einerseits bis in die höchste Region des geistigen weltlichen Daseyns erstreckt, aber eben so wohl auch hinunterreicht bis auf die niedrigste, beschränkteste Stufe der gemeinen Wirklichkeit 11 andern. –] folgt ein Abstand von etwa einer Wortlänge Kr; Ho: Sch

17 daß so Kr; Ho: das

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darstellungen der Ritter Helden und Damen, und herunter bis zu Bedienten und Narren. Im Hamlet geht es herunter bis zu den Schildwachen, wie im Christlichen es herabgeht bis zum Ochsen und Esel. Wie diese Stoffe nur durch die Behandlung fähig sind, aufgenommen zu werden, darüber wäre noch zu sprechen. Wir fanden in der romantischen Kunst gleich dieses, daß der Stoff der Innigkeit des Gemuths nicht adaequat sei. Stoff und subjectivität ist getrennt, und der Fortgang ist ihre Einbildung bis sie wieder auseinanderfallen. Ihre absolute Einheit kommt nicht in der Kunst zu Stande. | die Innerlichkeit erhebt sich zum reinen Gedanken, wo erst die wahrhafte Einheit stattfinden kann. Wir haben bis jetzt die reale Seite des Auseinanderfallens. Bei dieser Auflösung nun ist die Bestimung, daß es die verschiednen Momente sind die sich trennend selbstständig werden. das wahrhaft substantielle verschwindet hier, wie bei dem Uebergange der classischen Kunst die sich nicht in sich selbst auflösst, sondern ruht in unauflösbaren Gebilden. der Uebergang besteht darin, daß in’s | Angenehme fort gegangen wird, und sich demnach nur die Manier der Kunst ändert, aber der Stoff derselbe bleibt. dieß war auch in der idealen Sphäre der romantischen Kunst. die Auflösung behält noch dieselben Gegenstände, aber die Kunst ist zu einer blossen Manier herabgesunken. Hingegen der allgemeine Fortgang ist Auflösung des Stoffs in 1 darstellungen der … Bedienten] Kr: Calderon u.s.w. in ihren dramatischen Dichtungen diese

20 Stufenfolge, von Königen, Helden herab durch alle Mittelglieder hindurch bis zum Diener, ge-

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meinen Knecht 2–3 Christlichen es … Esel] Kr: religiösen Kreis geht in dieser Aeußerlichkeit eben so vom Höchsten herab bis zum Niedrigsten, was mit dem Menschen in Zusammenhang zu bringen ist: von Christus, dem heiligen Geist, den Engeln, der göttlichen Jungfrau, dem Pflegevater Joseph, bis zum Stall, zu Krippe, Ochs und Esel herab 5–6 Wir fanden … sei] Kr: Das geistige Moment der romantischen Welt und Kunst ist die Subjektivität die sich in sich vertieft. In der Religion und Kunst ist es, wo sich diese Subjektivität bis zum äußersten Punkt ausbildet. Auf der Seite der Religion, dieser höhern Weise den Inhalt zu fassen, bleibt das Gemüth noch | zuletzt bei sich selber stehen. Das sinnliche Element der Kunst aber erscheint endlich als eine Schranke, als ein Ungenügendes in Beziehung auf das Bedürfniß des Gemüths und des Geistes; es ist dem ewigen unendlichen Element des Geistes nicht adäquat 8 zum] Kr: zur Freiheit, zur Selbstständigkeit des 10 Bei] Kr: diese Auflösung der unmittelbaren Einheit des natürlichen Universums. In 11 Momente sind] Kr: Elemente sind, die allgemeinen Naturelemente, 11–14 das wahrhaft … Gebilden] Kr: Der Mittelpunkt ist es eigentlich, die klassische Stufe, die an dem Boden des sinnlichen Elements beide Aeußersten in Einem verbindet. Die klassische Kunst geht aber so unter, daß sie sich in sich selber auflößt, daß sie in ihren ruhenden festen Gestalten erstirbt 18–432,1 Hingegen der … Elemente,] Kr: es wird hingearbeitet auf das Angenehme, durch gesuchte Grazie, Zierlichkeit und so fort bis zur schlecht ganz äußerlich gewordenen Technik, wo es denn um nichts weiter zu thun ist, als um Auflösung schwieriger Aufgaben in der formellen Aeußerlichkeit. So hat sich die ideale Kunst selbst zum Eigenthum der romantischen Sphäre hinübergebildet; sie ist zwar stehen geblieben bei demselben Stoff, ohne ihn jedoch um seiner selbst willen zu bearbeiten; vielmehr hat sie in ihrem Übergang nur darauf hingearbeitet und gewirkt, den äußerlichen Effekt hervorzuheben. 6 sei] sie

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die nur subjective Geschiklichkeit ist die Kunst des abstracten Scheinens.

Hier tritt nothwendig für alle Kunstformen das Portrait ein.

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seine Elemente, so daß die Theile frei werden. die subjective Geschicklichkeit ver vollkommnet sich für sich. von dieser Trennung haben wir formell schon gesprochen. Es gehört dazu, daß die formellen Charactere vortreten, die Handlungen Abendtheuer werden, und der Stoff zuletzt in die Sphäre herabfällt der gemeinen natürlichen Existenz. Bei der romantischen Kunst, die sich noch in der substantiellen Sphäre hält, tritt schon die Außerlichkeit ein und soll nicht dem Innern adaequat sein, indem die Innigkeit als gleichgültig gegen die Äusserlichkeit sich darstellt. In der Auflösung wird die gemeine Äußerlichkeit für sich frei. die Kunst geht nach der Seite der Gegenständlichkeit zur darstellung der Gegenstände, wie sie sind, fort; anderseits geht sie zum Humor, zum Verrücken alles substantiellen durch eine subjective Ansicht über. Was das Erste anbetrifft, so sind bei der Nachahmung der Natur die Gegenstände nicht die der Idee, sondern der Unmittelbarkeit, mit der der Geist sich versöhnt hat, und das substantielle Jenseits hat. Es wird mit der gemeinen Gegenwart vorlieb genommen. | Nothwendig ist hier, daß das Portrait überhaupt hervortritt. die dichtkunst wird hier Scenen der gewöhnlichen Verhältnisse aufnehmen, der Mittleren und niedern Stände. diesen Ton hat Diderot ZB. bei den Franzosen einführen wollen. Göthe und Schiller

1–2 so daß … sich 2 ] Kr: So wie nun die Theile frei werden, vervollkommnet sich die subjektive Kunst 2–3 schon gesprochen] Kr: die wesentlichen Punkte schon erwähnt, die sich auf den Karakter beziehen 3 dazu] Kr: zu dieser Auflösung 5 natürlichen] Kr: Wirklichkeit, des Zufälligen, der blos | natürlichen 8 In der … frei] Kr: Die nach allen Seiten hin vollbrachte romantische Kunst, enthält also auch dies, daß das ganz Aeußerliche der Gestaltungen, die gemeine Wirklichkeit darin aufgenommen ist und ihre Stelle ausfüllt. / Bei diesem Zerfallen des Stoffs ist es nun daß auch diese Eigenthümlichkeit des Gemeinen für sich frei wird; sie ist dann theils gegenständliche, theils auch subjektive Eigenthümlichkeit 9–10 die Kunst … fort;] Kr: Als subjektive Eigenthümlichkeit, scheint die Kunst zur bloßen Nachahmung der Natur überzugehen: und allerdings fängt die Kunst damit nicht an, sondern hört vielmehr damit auf. Erst mit der Prose, mit der Trennung des Gedankens vom unmittelbar Natürlichen, von der Weise symbolischer Vorstellungen, fängt das Interesse an, der Betrachtung der einzelnen, partikulären Existenz, und so also auch der künstlerischen Nachahmung derselben. 10–11 anderseits geht … über] Kr: Die subjektive Eigenthümlichkeit wendet sich aber nicht blos nach dieser Seite der Nachahmung des Natürlichen, sondern sie verfällt ebensowohl gerade in das Entgegengesetzte, in die vollkommene Zufälligkeit, in das | Verrücken von Allem was sie sich zum Stoff vornimmt, nach einem subjektiven Standpunkt, nach einer subjektiven Ansicht. Aus dieser Stellung des Künstlers zu seinem Stoff geht der H u m o r hervor 11–14 Was das … hat] Kr: Indem der Stoff der Kunst herabsinkt bis zur Gestaltung der unmittelbaren Existenz, so zeigt sich darin die Versöhnung dieser mit dem Geist: alle idealen Gegenstände sind verschwunden 15–16 die dichtkunst … Stände] Kr: wie uns dies die heutige Kunst der Malerei zur Genüge beweist. Die Dichtkunst thut darin ebenfalls ihr Theil, indem sie Scenen aus dem gemeinen häuslichen Leben aufnimmt und in Küche und Keller hineinführt, indem sie die Interessen und Verwickelungen des gewöhnlichen Lebens, des mittlern und niedern Standes, darstellt mit der äußersten Ausführlichkeit 16–17 diesen Ton … einführen] Kr: Bei den Franzosen haben solche Produktionen, trotz der Bemühungen Diderot’s kein Glück machen

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haben ihn bei uns geltend gemacht, und dem Kotzebue und Iffland den Weg gebahnt. Jene haben sich dann freilich über diese An|fänge erhoben, doch haben sie diesen Ton angestimmt. die deutsche Kunst vornehmlich ist in diese Weise versunken, andere Nationen haben dieß mehr verschmäht, sehn dergleichen nicht an, als zum Kunstgebiet gehörend. Unsere deutsche Kunst aber ist in den Kreis unmittelbarer Wirklichkeit eingegangen[.] In dieser Wendung liegt das Bedürfniß, daß der Stoff für die Kunst ein immanentes sei. die Kunst ist uns mehr als ein Fremdes überkommen. das allgemeine Streben war ein Eignes, Immanentes zu erringen. Auf diesen Punkt der Aneignung ist der Trieb gegangen und hat solches producirt. dieser Punkt ist erreicht aber mit Aufopfrung der Schönheit. Es ist diß der Schluß der romantischen Kunst, was sonst der Anfang ist. die christliche Kunst hat ihren Gehalt nicht von der Phantasie, von der Einheit der Gestaltung und des Inhalts, empfangen. In der alten Kunst ist die weltliche Eigenthümlichkeit, die wirkliche subjectivität von Haus aus ein Element der Kunst gewesen, der Inhalt war affirmativ darin. In der christlichen Kunst ist dieß ZuHaussein zunächst ein jenseits, der Mensch ist nur an sich versöhnt d.h. die unmittelbare Ge2 gebahnt] Kr: geöffnet, die dann das Mögliche darin geleistet haben 3 Ton angestimmt] Kr: ersten Ton zu diesen nachher etwas verleideten Produktionen angegeben und sie zuerst geltend gemacht 3–5 ist in … gehörend] Kr: hat darin eine gewisse Virtuosität erreicht, während diese populären Familienstücke anderwärts, zum Beispiel von den Franzosen nicht eben sehr goutirt wurden. Dieses Volk ist aber überhaupt nicht historisch in dem, was seine Kunst genannt werden kann; diese ist bei ihm so zu sagen nur ein von Außen her geforderter Artikel der „klassischen Bildung“ die sich die Franzosen in Ansehung ihrer Poesie besonders zuschreiben. Es liegt eine französische, dem Franzosen eigenthümliche Affektation darin, so etwas zu w o l l e n , nur nach Bestimmungen der äußerlichen Reflexion; sie nehmen Stoff und Form besonders aus dem Antiken her. Dies hat angefangen zur Blüthezeit der französischen schönen Litteratur, zur Zeit Ludwig’s XIV; ihre schönern Poesien fallen in ganz frühe Zeit, die modernen aber treiben sich so formell auf klassischem Grund und Boden herum und nehmen wenig Zeitgemäßes in Ansehung des Stoffs wie der Form auf. Erst in der neuesten Zeit haben sie diesen Standpunkt verlassen, aber sie | liegen noch im Kampf damit 6 unmittelbarer] Kr: der gemeinen unmittelbaren 7 für die … immanentes] Kr: und die Kunstgestaltung desselben ein der besondern Zeit, dem besondern Volk Immanentes, Eigenthümliches 8 als ein Fremdes] Kr: oder weniger, stets von Außen 9 erringen] Kr: erringen, daß der Stoff mit seiner künstlerischen Ausbildung ein Solches werde, das schlechthin ein Eigenthümliches sey 9–10 hat solches … ist] Kr: die letzte subjektive Freiheit ist hierin 10 Schönheit] Kr: Schönheit, des Ideals der Schönheit 12 Kunst] Kr: Religion nicht] Kr: nicht, wie einerseits die alten Religionen, 13 In] Kr: sie hat ihren Boden im Gedanken, ihr Prinzip beruht auf der Vernünftigkeit. Die orientalischen und Griechischen Götter kommen aus dem Dunkel der Ahndung her, die letztern treten in das Licht der Verständigkeit und an ihren bestimmten Gestaltungen u.s.w. hat die Phantasie, besonders in | Beziehung auf die Kunst, ihren wesentlichen Antheil. Der christliche Gott ist durchaus nur geistig zu fassen; die Kunst hat also an ihm selbst keinen Stoff für bildsame darstellung. In 14–15 der Inhalt] Kr: das Gemüth ist in ihr Stoff, und dessen Besonderung 15 ZuHaussein] Kr: selbst zu Hause und darin zu seyn 16 der Mensch … versöhnt] Kr: diese Versöhnung des Gemüths ist hier zunächst nur eine Möglichkeit 1 ihn über gestr. es

diese Richtung ist eine eigenthümliche deutsche, und der Schluß der Kunst überhaupt.

denn die romantische Kunst ist der Art, daß in dem religiösen Kreis die unmittelbare Gegenwart als ein aufzuopferndes bestimmt ist, und erst die Ritterlichkeit die Unmittelbarkeit als ein Affirmatives für die Kunst wiedererobert.

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diese unmittelbare Gegenwart stellt besonders die Mahlerei und in dieser die niederländische Schule dar.

Ihr Interressantes ist bei der Gleichgültigkeit des Stoffs die Kunst des Scheinens, welche das unmittelbar Flüchtige, festhält.

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genwärtigkeit soll aufgeopfert werden; daß sie zu einem affirmativen werde, dieß ist erst ein Letztes, und zu diesem Punkt, daß das dieses als ein affirmatives werde, das ist das Letzte. das Einheimischsein in den Gebieten der Kunst ist erst der Schlußstein des Kunstgebäudes. die dichtkunst, Sculptur und besonders die Mahlerei haben diese Richtung genommen. die Mahlerei besonders stellt die Gegenwärtigkeit dar. | die niederländische Schule ist darin ausgezeignet. die niederländischen Städte hatten sich frei gemacht von weltlicher und geistlicher Herrschaft. Ihre politische Freiheit, ihren Unterhalt alles haben sie durch sich selbst, durch Bürgertugend und protestantische Frömmigkeit. Hier ist das Prinzip, in der gemeinen wirklichkeit sich befriedigt zu wissen. Solche Gegenstände können den höhern Sinn nicht befriedigen, aber die nähere Betrachtung versöhnt uns damit. der Gegenstand selbst befriedigt uns nicht, aber die unendliche Kunst des Mahlers. Man muß gestehn, daß diese Mahler zu mahlen verstehn. Es ist die Kunst des Scheinens die sich zeigt und beweißt. Nicht der Gegenstand soll uns bekannt gemacht werden, kein Göttliches soll uns klar werden, die Gegenstände, die dargestellt werden, sind bekannte, Blumen, Hirsche, die wir alle schon vorher sahen.

2–3 das dieses … Letzte] Kr: nun dieser Punkt ein Affirmatives werde, ein Befriedigtes, dies ist der letzte der romantischen Kunst 5–6 stellt die … dar] Kr: wo die unmittelbare Gegenwärtigkeit dargestellt wird und diese Darstellung ein Befriedigendes ist 7 Städte] Kr: sogenannten | Genremaler 8–9 Ihre politische … Frömmigkeit] Kr: so wie sie sich auch ihre religiöse und politische Freiheit erkämpften und ihren Boden täglich dem fressenden Meer abkämpfen müssen. Die Bilderstürmerei ist besonders in den Niederlanden sehr eifrig gewesen das Alte, Kirchliche der bildenden Künste zu zerstören und so haben sich die Niederländer ihren Boden erst rein gefegt und Platz gemacht für die neuen zahllosen Produktionen in den verschiedenen Genres 9–10 gemeinen wirklichkeit] Kr: unmittelbaren, beweglichen Gegenwart, in dieser äußerlich genommenen Wirklichkeit befriedigt zu seyn und 10–11 Solche Gegenstände … damit] Kr: Der Anblick, die nähere Betrachtung dieser Genrebilder versöhnt uns mit dem Gegenstand, wenn dieser auch kein großes Interesse des Geistes ausmacht und den Gedanken unbefriedigt läßt 12 der Gegenstand … Mahlers] Kr: Das Machen, die Technik ist es, was hier die Hauptsache ausmacht; der Gegenstand ist zunächst ganz gleichgültig: der Künstler ergreift ihn ohne weitern Zweck, als dem, seinem besondern Talent, seiner Vorliebe und Neigung zu entsprechen und zu zeigen, d a ß er ihn darstellen | könne und wie groß seine Kunstfertigkeit, seine technische Geschicklichkeit sey, dabei die möglichste Wahrheit und Illusion zu erreichen 13 Man muß … verstehn] Kr: Das erste daher, was man einem solchen Künstler zum Lobe sagt, ist, daß er das Machen verstanden habe 14 beweißt] Kr: geltend macht; ein Künstler sucht den andern darin zu übertreffen und sie ist auch allerdings die Hauptsache in diesen Bildern, die ihren Werth im Kunsthandel, für den L i e b h a b e r bis ins Unschätzbare steigert, nicht deshalb, weil Keiner einen höhern oder bessern Gegenstand hat, sondern weil ihn Keiner so gut oder besser machen konnte. Dies ist nun freilich eine Sache, ein Interesse für den Liebhaber, der ein reicher Mann seyn muß; das höhere Kunstinteresse findet hierin nicht die völlige, nur eine einseitige Befriedigung, die zwar auch gesucht wird, aber nur zum Beschluß der ganzen Sphäre dieser Kunst der Malerei überhaupt 16 bekannte] Kr: im Voraus schon bekannt, noch ehe wir ihre Darstellung im Bilde sehen 3 das1] dß

7 Herrschaft so Kr; fehlt in Ho

10 Solche] Solchen

11 befriedigen] befriedgt

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Es ist hier das Scheinen, welches | hier das Intresse ausmacht, das sich in sich vertiefende Scheinen. Am Schönen ist die Seite des Scheinens hervorgehoben. Und hierin haben die Niederländer eine Meisterschaft erreicht. die Gegenstände sind | aus der gewöhnlichsten Wirklichkeit, aber alle diese unmittelbaren Erscheinungen, die dargestellt werden, haben die höchsten Grade des Scheinens erreicht. Es sind theils Stillleben, theils irgend eine Lebendigkeit: eine alte Frau, die bei Licht eine Nadel einfädelt. Ein ganz Flüchtiges wird festgestellt und statarisch gemacht. der Zug, den man beim Trinken macht, und dergleichen momentane darstellungen. das Wandelnde in seinem ganz flüchtigen Vorbeifliehn ist zur Anschauung gebracht, es ist der Triumph der Kunst über die Vergänglichkeit. das substantielle ist gleichsam betrogen um seine Macht über das Flüchtige. der Schein ist aufs sinnreichste wiedergegeben. Ebenso groß ist die Kunst der Niederländer in Betreff des Scheins der Farben. Einzelne Blitze der Erleuchtung werden aufgefasst und festgehalten. | Es ist das Scheinen, welches aufs Tiefste studiert ist. In den Landschaften ist es dann auch immer der Ton des Gemüthes, 2 Schönen] Kr: Schönen der Erscheinung 3 hierin haben … erreicht] Kr: man muß es den Niederländern lassen, daß sie alle Geheimnisse des Scheins erforscht haben und eine unübertroffene Meisterschaft darin besitzen. Die Gegenstände sind meistens ländliche Bauernscenen, ordinäre Schenken mit einigen Zechern, u.s.w.; dann allerlei Thiergruppen, lebendig und tod, wie sie im Wald, auf der Weide und in der Küche zu sehen sind, ferner Landschaften mit irgend einem Effekt der Beleuchtung, Seestücke mit Sturm u.s.w. und dann auch die sogenannten Stillleben, allerlei Geräthschaften, Putz, Waffenstücke und dergleichen in bunter Ordnung durcheinander, so fort bis zum Häring auf dem Teller und der Maus in der Mausefalle, wobei denn auch der Speck nicht vergessen ist und der Dreck nicht fehlt. Hier ist also von Schönheit nicht eigentlich die Rede mehr; wenn nur die Sache, das Ding gut gemacht ist, daß man meint, es mit den Fingern greifen zu können, obgleich man nicht immer Lust hätte wirklich zuzugreifen 6 Frau] Kr: Frau, mit der Brille auf der Nase 7 eine Nadel] Kr: einen Zwirnfaden Flüchtiges] Kr: momentanes flüchtiges Da seyn 9 Wandelnde in … Vorbeifliehn] Kr: Wandelbare in den ganz flüchtigen vorübergehenden Erscheinungen 10 Vergänglichkeit] Kr: endliche vorübergehende Existenz, die durch sie nun zu einem Dauernden fixirt wird 11–12 der Schein … sinnreichste] Kr: Das Vorübergehende, Momentane, dieser flüchtige, blitzende Schein ist mit der bewundernswürdigsten Treue und Stetigkeit in solchen Bildern wiedergegeben 13–14 Einzelne Blitze … festgehalten.] Kr: In Rücksicht auf den Schein der Farbe als Farbe, fassen die großen Künstler dieser Schule einzelne Momente der Beleuchtung auf und halten sie fest im Sinn, wie es ihre Darstellungen hernach zur Bewunderung ausweisen; hier reicht nun kein Kopiren nach der Natur hin, | wie dies wohl beim Stillleben angeht: in wenig Minuten ist die Erscheinung wieder eine andre, oder gänzlich verschwunden. diese schnelle, lebendige Auffassung, dies Festhalten der flüchtigen Erscheinung, ist nicht jedem Maler gegeben: es gehört dazu ein eigenthümlicher Sinn des Künstlers, ein gewisser Natursinn, der diese Erscheinungen schnell und in ihren eigenthümlichen Beziehungen auffasst, und dann ein bildliches Gedächtniß für diese Auffassung des Sinnes. – 14–15 Es ist … ist1] Kr: Eben so ist der Schein der Farbe, der eigenthümlichen Färbung der Stoffe, von diesen Malern aufs tiefste studirt 15–436,1 In den … anspricht] Kr: Auch der Reflex des Gemüths ist es oft, der aus solchen Gemälden uns freundlich, schwermüthig, schwärmerisch etc. anspricht, z.B. in Landschaften, die sich oft sehr bestimmt darin unterscheiden voneinander

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Verkehrung alles substantiellen Inhalts in eine subjective Ansicht: der Humor. Im Humor tritt der particulare Künstler gegen alle Objectivität des Stoffs auf, und macht seine Subjectivität dagegen geltend Beispiel an Jean Paul.

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die Stimmung, die anspricht. die Gegenstände sind hier das uninteressante, das substantielle ist entflohn, und das Scheinen festgehalten. Im Humor ist es die Person des Künstlers, die eigene Subjectivität, die sich producirt. Es ist nicht mehr um einen objectiven In|halt zu thun, sondern der Künstler selbst tritt auf, und sein Auftreten ist so beschaffen, daß was er producirt, eine Ironie seiner selbst ist, eine Auflösung dessen, was objectiv zu werden beginnt. Es ist eine darstellung des subjects, das sich und allen Stoff, den es gebraucht Preis giebt. Unter uns haben wir berühmte Humoristen gehabt. Unser Humorist ist Jean Paul. die Geschichte ist das am wenigsten interessante bei ihm. die Hauptsache ist das Zeigen seines Humors, auf die Weise, daß der vielfache Stoff herbeigenommen wird, und ihn nicht gewähren läßt, sondern ihn nur gebraucht nach irgend einer Seite, die der Witz an ihm findet. das Humoristische kehrt so gleichsam zurück zum symbolischen. Eine Seite wird heraus gehoben, die Bedeutung aber kann weit vom Stoff entfernt sein. In den Jean Paulischen darstellungen ist die Verkettung des heterogensten zu bewundern. dieses Ausschweifen aber in allen Gebieten des Stoffs ermüdet zugleich die Einbildungskraft, sodaß diese Einfälle bald langweilig werden. der Künstler producirt seine Eigenthümlichkeit, | gebietet über den Stoff, den er unordentlich zusammenraft, und ihm eine ihm fremdartige Ordnung giebt, wie beim symbolischen. Bei Jean

3 Im] Kr: Der Künstler beweist sich also hier überhaupt als der Meister der Kunst des Scheins. Die andre Seite, die dieser, in der bildenden Kunst, entspricht, ist der H u m o r . / Im 4 producirt] Kr: an jedem Stoff exprimirt thun] Kr: thun, den der Künstler außer sich hinstelle 6 seiner] Kr: mit sich was] Kr: was ihm, unter der Hand gleichsam und gegen sein Dazuthun, 8 gehabt] Kr: und selbst den meisten unsrer großeren Dichter ist es eigenthümlich, fast nationell, eine Seite des Humor’s an sich zu entwickeln. Auch die Engländer zeigen sich darin, wie Shakspeare, Sterne u.s.w 10 auf die Weise] Kr: der Dichter produzirt sich selbst, und so 11 Stoff ] Kr: Stoff, je entfernter voneinander, je kontrastirender um so besser, ihn1] Kr: für sich sondern] Kr: ihm seine immanente, angemessene und ausführliche Gestaltung nicht giebt, sondern 12 das Humoristische] Kr: die Kunst der Form | nach 13 Eine Seite wird] Kr: zur Form des Anfangs der Kunst überhaupt: denn es wird irgend eine Seite 14 sein] Kr: seyn kann; dies ist gleichsam eine symbolische Verwendung, ein symbolisches Verbrauchen des Stoffes: er wird nicht dargestellt, er hat nur irgend eine Seite herzugeben, die für ein Andres bedeutend wird 15 heterogensten] Kr: Heterogensten, der äußersten Kontraste 16 Einbildungskraft] Kr: Vorstellungskraft 17 diese Einfälle … werden] Kr: denn der geneigte Leser bald Langeweile empfinden kann. Es ist eine Art Zumuthung des Dichters an uns, daß wir so diese wunderlichen Bockssprünge, die er kreuz und quer im Stoff herum macht, nachmachen sollen; es kostet oft Mühe, zu sehen w o man ist, w i e man dahin kam, noch mehr, warum man sich da oder dort, bei diesem oder bei jenem befindet. dazu muß man eben gut aufgelegt, bei günstiger Laune seyn, sonst hält man’s, wie gesagt, oft nicht lange dabei aus Künstler] Kr: Dichter 19 und ihm … symbolischen] Kr: der Stoff wird gebraucht, um etwas auszudrücken, was wohl in ihm liegt, wozu er eine schickliche Seite darbietet, was aber von seiner eigenthümlichen Bestimmung ganz und gar abweichend ist 3 die2 ] das

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Paul ist dann auch der Stoff sehr äußerlich oft herbeigebracht. Er hat ganze Hefte voll Samlungen, voll des allerverschiedensten. – dieser letzte Punkt des Humoristischen ist es, der allen Stoff nur seinen Einfällen unterwirft, sodaß im Stoff kein Gehalt mehr respectirt wird, | und von der Willkühr des subjects verwendet und eigentlich verrückt wird. So ist es nur die Kunst des Scheinens die sich zeigt, indem das Intresse nicht in den Inhalt als solchen fällt. denn der Humor hat | die Bestimmung durch Auf hebung alles dessen, was sich zum Stoff gestalten will, die subjectivität des Künstlers darzustellen. In

1–2 Er hat … allerverschiedensten] Kr: durch seine großen Collectaneen, die er sich anlegt, durch 3–5 des Humoristischen … wird] Kr: der Subjektivität, das Humoristische, ist es, was nach dieser Seite den Beschluß der romantischen Kunst macht: hier zeigt sich die Subjektivität in vollkommener Freiheit gegen den Stoff; aller Stoff wird durchaus den Einfällen des Künstlers unterworfen, er gilt nicht mehr um seiner selbst willen etwas, sondern nur nach der Seite, nach welcher der Künstler ihn zum beliebigen Zwecke braucht, wo er denn also in einer Form erscheint, die wieder auf die des Symbolischen zurückweist: er giebt eine Seite her zur Bedeutung eines Andren 5–7 So ist … hat] Kr: Der Inhalt ist ohne eigentliches fest bestimmtes Interesse; nur dies Eine ist im Humor 8 subjectivität des … darzustellen] Kr: subjektive Empfindung, den subjektiven Geist, den Witz des Künstlers darzustellen, den Übermuth seiner Laune an dem Stoff gleichsam auszulassen. Für dies Verhältniß, für die eigenthümliche Darstellung desselben, verlangt der Humorist, daß wir Interesse haben sollen: d.h. für ihn selbst. / Der Humor ist einerseits Naturell, andrerseits setzt er einen reichen Geist, und die seltene Vereinigung eines scharfen Verstandes und tiefen Gemüths voraus; denn der verschiedenartige Stoff muß erst im Wesentlichen begriffen, verständig gesondert, in seiner ganzen Tiefe empfunden seyn, um ihn dann nach irgend einer Seite zu gebrauchen und umzukehren. Der Dichter muß seiner mächtig seyn, nach allen Seiten, denn er stellt sich in dies Verhältniß der subjektiven, formellen Übermacht über den Stoff; er läßt diesen nicht in sich gewähren, sondern sich selbst an ihm. / Der Humorist muß also in der That ein großes geistiges Vermögen haben und er steht, kann man sagen, in dem Vortheil, daß man dies seinen Produktionen unmittelbar | abmerkt, man empfindet sein Verhältniß der Übermacht, des Übermuths gegen den Stoff, man empfindet zugleich, daß er ihn wohl müsse durchdrungen haben, um s o mit ihm umgehen zu können. W i r befinden uns nothwendig in einem andern Verhältniß zum Stoff; dies Verhältniß müssen wir auf heben, der Humorist zwingt uns dazu, damit wir i h n in dem seinigen fassen und folgen können. So übt er also auch seine Gewalt über u n s aus: er ist der Despot gleichsam, im Gebiet der Kunst überhaupt. Dies zusammen bringt es also zu Wege, daß der Humorist vorzugsweise als ein großer, tiefer Geist bewundert und gepriesen wird; es ist, wie gesagt, auch nothwendig, daß er ein solcher sey, aber er steht zugleich auch formell in solchem Verhältniß zum Stoff und zu uns selbst, daß er sogleich, unmittelbar dafür gehalten wird. Die Überschätzung dieser Größe und Tiefe des Geistes liegt dem großen Publikum sehr nahe, und wir haben eben auch an unserm Jean Paul ein Beispiel derselben. Wenn man, wie so gewöhnlich, von seiner „unergründlichen Tiefe und seiner Erhabenheit“ hört, so muß man sagen, daß beides nur ein an ihm Geahndetes ist: denn e r s e l b s t ergründet | die Tiefe des Stoffes nicht, bemüht sich nicht zu seiner Höhe hinauf, indem er dabei stehen bleibt, diese beiden geistigen Dimensionen nur anzudeuten; er macht gleichsam am Rand dieser Tiefe Halt, beleuchtet diesen obern Rand zwar scharf und deutlich, lässt aber den Grund der Tiefe unbeleuchtet, die dann umso unergründlicher zu seyn scheint; oder er fährt zur Ersteigung einer Höhe gerade an die steilste Seite, wo die Unmöglichkeit hinaufzugelangen, zugleich aber das anschaulichste Bild dieser Höhe sogleich in die Augen springt. Man muß einerseits diese formelle Stellung J. Paul’s zu seinem Stoff

10 seine überreicherte Belesenheit

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dieser Standpunkt als die sich selbst auflösende Kunst ist der Standpunkt unserer Zeit.

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In der symbolischen in der classischen und in den ersten Kreisen der romantischen Kunst ist der Künstler in Einheit mit seinem Stoff und nur die Thätigkeit die Form dieß substantielle, das zugleich sein substantielles ist in der Weise der Kunst, als einer ihm letztlichen dieß Absolute darzustellen.

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dieser Stellung sehn wir näher das Verhältniß der Kunst unserer Zeit überhaupt. Was wir nehmlich bisher betrachteten, dieß hatte zur Grundlage die Einheit des Begriffs und der Realität. diese Einheit ist der Begriff der | Kunst selbst. Ihr Intresse ist, die substantielle Weise des Bewußtseins eines Volks darzustellen. So war die orientalische Weltanschauung das Erste. das Natürliche ist in dieser an ihm selbst das Göttliche. der Gedanke ist nicht frei in sich, sondern in natürlicher Existenz. der griechische Gott ist die unbefangene subjective Geistigkeit, welche das Natürliche als positives Moment hat. das Romantische ist das geistige Insichsein wogegen die Weltlichkeit als ein Nichtiges gesetzt ist. Während diese im Griechischen noch affirmativ ist. dieß sind Weltanschauungen, Religionen eines berücksichtigen, andrerseits aber zugleich in seinem Stoff zu Hause seyn, ihn dem Wesentlichen nach gefasst haben, um den eigenthümlichen Geist dieses Dichters begreifen und beurtheilen zu können 1 Stellung] Kr: humoristischen Stellung zu allem Stoff überhaupt] Kr: und es hat sich dies selbst als das letzte Verhältniß herbeigeführt 2 Was] Kr: die Kunstformen, die 2–3 Einheit des … Realität] Kr: Art und Weise, wie Begriff und Realität miteinander geeint sind 3 Begriff ] Kr: Inhalt 3–4 Ihr Intresse] Kr: die Grundlage der Weise seiner Kunst 5–6 das Natürliche … Göttliche] Kr: mit dieser unvollkommensten Weise des Begriffs und seiner Realität, daß das unmittelbar Natürliche, das existirende Individuum, die Katze, die Kuh, zugleich das Göttliche, eine allgemeine Macht sey. Die Verzerrungen der symbolischen Gestalten sind für uns der unmittelbare Ausdruck ihrer Unangemessenheit für das, was sie bedeuten 7–8 der griechische … hat] Kr: die symbolische Stufe enthält weiterhin den Punkt des Übergangs von jener orientalischen Natur-Anschauung zur klassischen Anschauung eines zweiten höhern Reichs, des Reichs der freien Geistigkeit, der individuellen Geistigkeit; der klassische Gott stellt also das 2te Verhältniß, die 2te Art und Weise der Verbindung der Realität und des Begriffs dar, daß das Göttliche erscheine als geistiges Individuum, daß es die Bestimmung in sich habe, Selbstbewußtseyn zu setzen, im Unterschied von der dumpfen Weise der thierischen Existenz; daß das Göttliche eine geistige | Macht sey, ein sittliches Pathos, mit dem lebendigen Interesse, sich darin zu bethätigen zur bestimmten Handlung ins Aeußerliche herauszutreten. Hier tritt also das Göttliche auf in der Gestalt der geistigen Individualität, es ist nicht mehr vorhanden in solcher Gestalt, die nur bedeutet, nur die Bedeutung ist einer allgemeinen Naturmacht, des Naturelementarischen überhaupt. Die Gestalt des klassischen Gottes ist aber noch behaftet und festgehalten vom Natürlichen, als einem ihm wesentlichen Element; er ist einseitig nur, ein individualisirtes Moment des göttlichen Begriffs überhaupt. Dies ist die Weise der Realität des Begriffs des Göttlichen in der klassischen Welt und Kunst. Hier verlangt das gesonderte Moment, die gesonderte bestimmte Gestalt und dies ist das Verhältniß für die Idealität des Göttlichen, für das Ideal überhaupt. Das Geistige und Natürliche steht hier auf dem Punkt der Indifferenz, es ist kein Übergewicht vorhanden, weder des einen noch des andern 8–10 das Romantische … ist.] Kr: Im Romantischen wird dieses Gleichgewicht gestört; es macht den Gegensatz zum Symbolischen: die Geistigkeit, die geistige Innigkeit macht hier die Grund|bestimmung aus, wogegen das Natürliche, Sinnliche überhaupt als verschwindend gesetzt ist. Der christliche Gott erscheint in der Weise des sinnlichen Daseyns, aber seine Erscheinung ist kurz, wie das menschliche Daseyn, verschwindend; sein Bleiben ist nur geistiger Art, das Göttliche wird zum Wort, die geoffenbarte Religion versenkt sich in das religiöse Gemüth und erhält in dieser Innigkeit und Einigkeit mit dem Subjekt das geistige Daseyn des Göttlichen. Gott soll hier gewußt werden im Geist und in der Wahrheit. der Göttliche Begriff ist hier zugleich subjektive Totalität; dies 10 ist.] An dieser Stelle bricht Kromayrs Manuskript ab.

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Volks. diese sind die Volksgeister. der Künstler gehört einem Volke an, mit dem dargestellten Inhalt ist es absoluter Ernst. Wenn aber ZB. ein Protestant die Maria darstellt, so ist es damit kein wahrhafter Ernst. das Selbst, die innerste subjecist hier die Weise der Realität des Begriffs. der dreieinige Gott ist die absolute Idee, der realisirte 5 Begriff des Göttlichen überhaupt. Gott erscheint im Christenthum als Mensch. Hiermit sind die

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früheren Stufen aufgehoben: der Mensch ist subjektive Totalität, er ist die Weise des Daseyns des Göttlichen, in der Form der freien Geistigkeit, des Selbstbewußtseyns; dies ist die höchste Weise seines Daseyns im Endlichen, die Form der unendlichen Subjektivität. Gegen diese geistige Form des Daseyns des Göttlichen, verschwindet die Weise der Aeußerlichkeit, des Natürlichen, Sinnlichen, und wird | als vorübergehend, als verschwindend und gleichgültig gesetzt. der Geist wendet sich vom Endlichen, Weltlichen hinweg und erhebt sich in sich zum Ewigen, Göttlichen. Die klassische Einigkeit beider ist aufgelößt; die Leiblichkeit wird preis gegeben, der Geist, das innere Gemüth hat sein eignes Reich gefunden, das jenseits dieser Leiblichkeit ist. Damit ist zugleich die Versöhnung mit der endlichen Existenz vorhanden, denn der Geist ist nun in seiner Freiheit bei sich selber. Daß diese endliche Seite des Daseyns preis gegeben ist, dies ist ein Hauptmoment der christlichen Religion und Kunst; sie sinkt zur Zufälligkeit überhaupt herunter und erscheint nun in dieser unendlichen Modifikation der Subjektivität, die sich in ihr exprimirt. Das klassische Ideal hat also hier seine Stelle nicht mehr: die marmornen Götter sind von ihren hohen Fußgestellen herabgestiegen und haben den griechischen Boden verlassen; sie sind nach dem gelobten Land hingewandert und Christus tritt hier als der Menschgewordene Sohn Gottes auf, der alle Mächte jener Götter in sich zur unmittelbaren lebendigen Gegenwart macht. Die Geschichte des Heilands tritt nun an die | Stelle jener symbolischen, mythologischen Dichtungen, die zur Ausbildung der äußerlichen Weise der alten Götter gehört, und es ist nun der Reflex des Gemüths, der künstlerischen Eigenthümlichkeit, was an dem reichern Stoff dieser natürlich menschlichen Geschichte erscheint. Die Phantasie hat hier nicht diese übermächtige, schöpferische Mitwirkung zur Ausbildung dieser Aeußerlichkeit, deren Wesentliches einerseits durch die Substanzialität des Göttlichen, andrerseits durch dessen wirkliche, historische Erscheinung als Gegebenes vorhanden ist. Die Ausbildung bezieht sich hier also auf das Verhältniß mehr des Gemüths, als der Phantasie zu diesem Stoff; in der Mythologie ist dagegen die Phantasie erfindend, schaffend, und ausbildend zugleich; sie steht da auf einem Boden, der unbegrenzt ist und auf jedem Punkte von ihr befruchtet werden kann. In Ansehung des religiösen Kreises für die christliche Kunst, der Geschichte Christi, sehen wir daher nur einen gewissen Cyklus ausgebildet, der nicht wohl einer wesentlichen Erweiterung und Bereicherung fähig seyn möchte; einerseits steht, wie gesagt die heilige Geschichte fest, und jedes Hinzu-Erfinden wäre profan; | andrerseits ist in dieser Geschichte das Substanzielle in bestimmten Gestalten und Situationen im Wesentlichen zur Erscheinung gekommen und keiner Erweiterung in der Weise der Aeußerlichkeit bedürftig, zum Theil auch deren nicht angemessen. Das Gemüth erweitert diesen Kreis in sich, aber er bleibt ein Innerliches, tritt nicht in die sinnliche Aeußerlichkeit hinaus, die ihm unangemessen ist. / Das Prinzip dieser letzten Stufe, der christlichen oder romantischen, ist also das des an- und für sich seyenden Geistes, der freien geistigen Subjektivität, der unendlichen Subjektivität. / Mit dieser Freiheit gegen die sinnliche Aeußerlichkeit, gegen die Natürlichkeit des Daseyns, gegen die Beziehungen auf die endliche Weltlichkeit, tritt der Geist in das ihm angemessene Element, in das Element des Gedankens. Der Übergang dazu ist jene Verinnerlichung im Gemüth, jene erste Form der Vergeistigung, der subjektive Glaube. / Hier ist nun der unendliche geistige Prozeß, diese fortarbeitende Intelligenz die Basis für die Gestaltungen des sub|stanziellen Stoffs überhaupt, wie wir sie oben in den drei Formen des Romantischen bestimmt haben: des religiösen, des weltlich sittlichen Stoffs und des Stoffs der vollkommenen Freiheit, der Zufälligkeit, der zufälligen Objektivität wie der zufälligen Subjektivität, der gemeinen Wirklichkeit und dieser zufälligen Subjektivität in ihrer Beziehung darauf. In dieser letzten Form kommt es

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tivität des Künstlers und solcher Inhalt, diese sind nicht identisch. Wenn ein Individuum neuerer Zeit solche Gegenstände darstellt, ist es nicht die wahrhafte Weise, auf welche das Individuum sich ihrer bewusst wird. der Grieche der Indier, denn im Romantischen zu dem Beschluß, daß der Humor allen Stoff überhaupt als ein Äußerliches nimmt und damit herumspringt nach Laune und Einfall; daß der Humorist den Stoff ergreift, nicht um diesen, sondern um s i c h daran zu zeigen. Der Humor gehört wesentlich dem modernen Verhältniß an; er zeigt sich in allen Weisen der Kunst, die dessen fähig sind, mehr oder weniger, besonders aber da, wo das Subjekt als solches auftritt und sich in seiner Weise, von seinem subjektiven Standpunkt aus über Alles mit seiner selbstgefälligen Dreistigkeit gehen läßt. Dies geschieht am meisten in der dramatischen Kunst, die mit der Musik, mit der Tonkunst zugleich in unsrer Zeit äußerlich obenan steht. Dies sind die beiden lebendigsten | Kunstweisen unsrer Zeit, die produktivsten; sie haben das allgemeinere Interesse unmittelbar für sich und dies ruft sie auch von Außen her zu dieser reicheren Produktivität auf. In dem was diese beiden Künste geben, ist Jeder unmittelbar sogleich zu Haus: in diesem Erklingen der innersten menschlichen Empfindung, in dieser abstrakten Innerlichkeit; und in dieser Darstellung des handelnden Subjekts, das in seinem bestimmten Karakter, in gegebenen Situationen auftritt mit einem bestimmten Zweck den es erreichen will. Dort wird unsre Empfindung unmittelbar durch das Tönen hervorgerufen, das uns so ergreift und mit sich folgen läßt; hier haben wir das Interesse, den Menschen zu betrachten in dieser äußerlichen Weise seiner Bethätigung, in dieser Veräußerlichung seines Innern, durch den Ausdruck seiner Empfindung, durch seine Handlungen in Beziehung auf bestimmte Interessen, bestimmte Zwecke. / Diese beiden formellen Gegensätze erfahren wir täglich an uns selbst: wir sind empfindend, abstrakte Innerlichkeit, und handelnd in der äußerlichen Weise des daseyenden Subjekts. Die andern Künste, die Malerei, | Skulptur, Architektur und Poesie sind uns nicht so unmittelbar nah als die Musik und das Bühnenspiel. der Augenblick erzeugt beides und eben so ist die Erscheinung auch wieder im Augenblick verschwunden; um also zu vernehmen, was uns geboten wird, sind wir schon durch diese flüchtige Form der Erscheinung, gezwungen uns ganz an sie hinzugeben, an ihrem Anfang sogleich festzuhalten und uns nun ihrer Entwickelung bis zum Schluß zu überlassen, weil es ein ganz natürliches Verlangen ist, ein gewohntes Bedürfniß, jede Erscheinung, die sich uns als ein sich Entwickelndes darstellt, auch als ein Entwickeltes, als ein Fertiges, Ganzes zu betrachten. Dies Verlangen nach dem Ausgang, nach dem Schluß ist zunächst freilich nur ein formelles Interesse, aber es ist in dieser Art bei den Werken der andern Künste nicht vorhanden, und giebt bei denen der Musik und der dramatischen Kunst das natürliche nothwendige Movens ab, bei der Sache zu bleiben, die wir erst erfahren sollen. Es wird in uns durch dies Interesse diese Thätigkeit erweckt und unterhalten; die | einzig und allein hier das Verhältniß zur Sache begründet, im continuirlichen Zusammenhang bei ihrer Entwickelung zu beharren, die Momente in ihren Beziehungen wahrzunehmen. Wir müssen uns ganz und gar darin versenken; daher diese Stille und Ruhe bei der Musik und beim Schauspiel; wir sind gleichsam bezähmt von dieser Macht der lebendigen Erscheinung, wir sind an sie gefesselt, wir empfinden und denken nur in ihr, in dem Zusammenhang, den sie selber vor uns entwickelt, uns vorschreibt. Welche Macht in den Weisen beider Künste für uns liegt, können wir aus häufigen Erfahrungen im gewöhnlichen Leben wahrnehmen: hören wir z.B. ganz unvermuthet einen einzelnen reinen Ton, der vielleicht irgend eine Empfindung ausdrückt, Schmerz, Freude, Trauer oder Klage u.s.w., so kann uns ein solcher Ton ganz aus uns selbst heraus und in diese Empfindung hineinziehen, die er ausdrückt; oder wir sehen ein Subjekt in dieser äußerlichen Thätigkeit irgend einen Zweck zu erreichen, der für uns nur von ganz leichtem Interesse seyn kann, oder im Streit mit einem andern Subjekt um ein be|stimmtes Interesse; so sind wir (mit Unterschied freilich) sogleich dabei, nicht um des Gegenstandes; sondern um des formellen Interesse’s Willen, zu sehen, wie das Subjekt seinen Zweck erreicht oder verfehlt, wie es sein Interesse fasst und darum kämpft; man nähert sich unwillkührlich mit dieser

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der Europaeer werden sich ZB. der Liebe anders bewusst, und so ist es, diß durch alle weitern bpi. der Künstler, der solchen Gegenstand darstellt, müßte von solchem Gegenstand begeistert, mit ihm in Einheit sein, so daß seine Thätigkeit Kuriosität für den Ausgang. / Man kann sagen dies Interesse für den empfindenden und handeln5 den Menschen ist etwas Altes, und die Griechen haben eben so wohl die Musik und das Drama

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gekannt, wie wir in unsrer modernen Zeit. das ist wahr: sie haben ihre dramatischen Dichtungen auch dargestellt, und die Macht der Musik muß ihnen gar wohl bekannt gewesen seyn, da sie dies selbst in einigen Mythen sehr stark aussprechen. Es kommt aber hier nicht so wohl darauf an, daß sie diese beiden Kunstweisen eben so wie wir gehabt haben, als darauf was der antike Stoff für sie gewesen ist. Weder in ihrem Drama noch in ihrer Musik ist es zu dieser äußersten Ausbildung der innersten Subjektivität gekommen, wie dies dagegen im modernen | Verhältniß als das Wesentliche eintritt. Die Maske und der Chor im alten drama sind dem Inhalt ganz angemessen: denn es ist da nicht das Subjekt als solches, der partikuläre Karakter, der auch mit seiner abstrakten, formellen Seite auftritt, sondern die Handlung beruht auf dem Conflikt wahrhafter Mächte, des Individuums einerseits, und einer objektiven Macht, z.B. des öffentlichen, allgemeinen Interesses, des Staats, der geheiligten Gesetze, der Götter; auch das Fatum, das dunkle Schicksal ist da oft eine absolute Macht, im Zusammenhang mit der gerechten Rache der Götter u.s.w. Die objektiven Mächte haben in der klassischen Welt noch nicht diese Festigkeit und weitgreifende Ausbildung, noch nicht dies wahrhafte Verhältniß zu den Berechtigungen des Individuums, daß ihnen dieses so ganz vollkommen unterthan, so gänzlich untergeordnet und unterworfen seyn müßte, wie wir dies im gesetzlichen Zustand der modernen Welt sehen. Dort kann daher das Individuum noch in diesen Conflikt mit den objektiven Mächten gerathen, wobei es denn seinen Untergang findet. | In unsrer heutigen Welt ist solcher Conflikt nicht mehr gut möglich, obgleich das Individuum im Besitz aller der Rechte ist die ihm als solchem und im Verhältniß zum Staate zukommen; es hat aber nur solche Berechtigungen, die sich mit dem allgemeinen Interesse, mit dem Interesse des Staats vertragen; jede weitere, eigenmächtige Ausdehnung derselben wird sogleich von dem Gesetz geahndet und der Versuch einer gewaltsamen Durchsetzung eines an sich vielleicht durchaus berechtigten Interesse’s, zieht sogleich ein polizeiliches Einschreiten nach sich, wobei es dann so weit kommen kann, daß einem solchen Individuum Hände und Füße geknebelt werden, was ihm alles dramatische Aussehen benimmt. Bei Wasser und Brod kann es sich denn eines Bessern besinnen, d.h. seines Verhältnisses zum gesetzlichen Zustand des Staats, zu den allgemeinen Interessen, gegen die es sein partikuläres hat gelten machen wollen. Das Gericht giebt ihm dann zum Schluß seinen gehörigen Bescheid und allenfalls eine derbe zurechtweisende Strafe. – Der geheiligte Bund der Gastfreundschaft ist z.B. bei | den Griechen selbst vom Staat respektirt und geschützt worden, oft gegen sein Interesse; eben so Manches, was sich im Glauben des Volks aus alten Sagen, Orakeln her festgewurzelt hatte, womit häufig gegen das Staatsinteresse verstoßen wurde, u.s.w. Da kommt es also auf das Individuum an, ob es sich mit dergleichen zugestandenen Rechten des Privatinteresse’s in Opposition setzen will gegen das allgemeine Interesse, gegen den Staat. In unsrer heutigen Welt würde eine solche Opposition gegen den gesetzlich festen Staat als zu ohnmächtig erscheinen, um zur dramatischen Darstellung eines oder einiger Individuen den Stoff abzugeben: ein handelndes Auftreten gegen den Staat, um irgend ein Privatinteresse, das mit dem seinigen collidirt, durchzusetzen, würde sogleich dies nach sich ziehen, daß dem ruhestörenden Individuum vorläufig die Hände gebunden würden, indem solche Eigenmächtigkeit eine Verletzung des Staats ist und von ihm als Verbrechen geahndet wird. Der richterliche Ausspruch nach vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen entscheidet bei dergleichen Collisionen | wie bei denen der Privatpersonen unter sich: im gerichtlichen Prozeß treten die Partheien mit ihren Interessen gegeneinander auf 1–2 durch alle über gestr. d.

34 geschützt vielleicht zu lesen: geschätzt

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In der letzten Stufe aber der romantischen Kunst hat sich die formelle Thätigkeit der Kunstproduction für sich frei und als absolut gegen den Stoff gleichgültig gesetzt. Somit aber hat sich die Kunst, welche wir ihrem Begriff nach als die Einheit sehen des absoluten Geistes und seiner sinnlichen Realität, an ihr selbst aufgehoben.

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nur wäre, solch substantielles zum Bewusstsein durch die Kunst zu bringen. Es ist die Production dann keine Willkühr des Künstlers, | das substantielle ist sein Glaube, die substantielle Weise, wie er vom Wahren weiß, und seine Thätigkeit ist nur die formelle des Vorstelligmachens. daß es dem Künstler wahrhafter Ernst sei, daß sein Werk aus seinem Selbst hervorgehe dazu ist die Identität mit dem Stoff nöthig, um somehr, da sein Genie auf einem Moment der Natürlichkeit beruht. der Künstler muß an seinen Stoff glauben, sein natürliches Selbst ist mit dem Stoff in Einheit, und das Kunstwerk geht aus der ungetheilten Innerlichkeit hervor. dieß ist das Grundverhältniß dafür, daß die Kunst in ihrer Ganzheit vorhanden sei. Eine grosse Kunstperiode fordert solche Innigkeit. Bei der Stellung hingegen, zu der wir kamen, ist das Verhältniß anders. der Stoff ist aus dem Selbst getreten, das Raisonnement frei geworden, der Stoff äusserlich, so daß die Kunst freie subjective Geschicklichkeit; der der Stoff gleichgültig. die Kritik ist eingetreten; der Künstler in seinem Stoff ist eine tabula rasa; als das Intressante bleibt der Humanus, die allgemeine Menschlichkeit, das menschliche Gemüth in seiner Fülle, seiner Wahrheit. Aber dieß Intresse ist zunächst an keine Gestalt gebunden. die Kunst in solchem Fall ist gegen den Stoff gleichgültig, Kunst des Scheins, welcher Gegenstand auch behandelt werde. Es ist nur das formelle Gesetz vorhanden, daß die darstellung schön sei. diese ist mehr allgemein. der Künstler ist gleichsam

und da muß sich denn das Individuum, statt thätig, handelnd aufzutreten, oft zu einer langwierigen Geduld verstehen, bis es denn endlich das Instrument des gesetzlichen Erkenntnisses erhält, was nun auch ein ganz andres seyn kann, als daß es sein vermeintes Interesse ihm zuerkennte. Die Verhältnisse sind verwickelter, eben so die gesetzlichen Bestimmungen; das Individuum muß sich daher gedulden, weil es durch die gerichtliche Untersuchung erst erfahren kann, in welcher Ausdehnung s e i n Interesse, im Conflikt mit anderen, des Staats oder auch einzelner Unterthanen, vor dem Gesetz Anerkennung findet und wie es nun durchzusetzen ist. Die Alten hatten auch ihre festen Gesetze, nach denen bei vielen Streitigkeiten erkannt und verfahren wurde; aber sie waren zugleich noch nicht so weit ausgebildet und ausgedehnt, daß nicht dem Individuum noch ein gewisser Boden zum Handeln übrig geblieben wäre, zur Durchsetzung seines | Willens in mancherlei Privatinteressen, die vom Staat und Volk respektirt wurden, aus Motiven der ererbten Gewohnheit, des Aberglaubens, im Zusammenhang mit alten Sagen aus der Vorzeit u.s.w. Ferner hatte der Bürger ein andres Verhältniß zum Staat: die Form des griechischen Staats überhaupt ist die des Freistaats, der Republik, im Gegensatz zum orientalischen Despotismus; der Bürger war zugleich Soldat, aber nur im Krieg nach Außen, er hatte keine Löhnung und lag nicht in der Kaserne, stand nicht in diesem Verhältniß der heutigen disciplin, unbedingt in Allem Gehorsam zu leisten seinen Obern. Eben nach dieser Seite, der Gewalt, der Macht des Staats über das Individuum durch solche Institutionen, wie das stehende, vom Bürgerthum losgelöste Heer, wie die Polizei, nach dieser Seite war der griechische Staat noch nicht so weit ausgebildet wie der heutige, dessen Form nun wieder mehr despotisch erscheinen müsste, wenn nicht andrerseits die Vernünftigkeit der Gesetze, diese gesetzliche Feststellung aller Rechte der Unterthanen | unter sich und in ihrem Verhältniß zum Staat, die Quelle der Berechtigung wäre, daß der Staat sich mit dieser absoluten Macht über das Individuum erhebt und es sich unterwirft.

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Drammatiker, der fremde Gestalten auftreten lässt, in sie sein Genie legt, sie zum Organ macht, so aber, daß sie ihm zugleich fremde sind. dieß dann also ist das moderne Verhältniß überhaupt, abstracte Geschicklichkeit, ungebunden in Betreff des Stoffs. die drammatische dichtkunst ZB. neuerer Zeit geht alle Zeiten und Völker durch. Es ist damit die Kunst vollendet. Sie ist nicht mehr mit dem Stoff in Innigkeit; dieser ist ihr gleichgültig. Er ist durch einen Zweck herbeigeführt. darum ist auch die Portraitmahlerei am Brette. | die Kunst ist somit an bestimmte Zeiten gebunden; eine Regierung, ein Individuum kann eine goldene Periode der Kunst nicht erwecken. der gesammte Weltzustand gehört dazu. Und hiemit wollen wir den allgemeinen Theil beschliessen, und zum 2ten besondern uebergehn.

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Der besondere Theil.

d e r b e s o n d e re T h e i l .

Allgemeiner Standpunkt desselben gegen den ersten Theil. der erste Theil behandelte den Begriff der Kunstidee und deren durch sie selbst bestimmten Formen. Indem die Idee aber dieses in sich hat sinnliche darstellung ihrer zu sein ist ihr weiterer Fortgang in diesen ihren Formen zu erscheinen und wirklich zu werden. die Erscheinung der Kunst ist überhaupt die der Sinnlichkeit; die Weisen der Sinnlichkeit sind die gedoppelten: der sinnlichen Anschauung und der Vorstellung.

der allgemeine Theil betraf den Gehalt des Kunstwerks, und es ist nöthig zu wissen, welche Formen dieß Gehaltvolle nothwendig durchgehn muß. Wir hatten also bisher die Natur der Kunstidee, den Inhalt der Idee, wodurch seine allgemeine Form bestimmt ist. der besondre Theil hat es mit der Erscheinung des Kunstwerks zu thun. der Erste hatte seinen Gehalt in sich selbst, der zweite ist das daseiende Kunstwerk, es möge der Gehalt sein wie er wolle. Alle 3 Formen erscheinen, und die Bestimmtheit dieser Erscheinung haben wir zu erfassen. diese Bestimmtheit ist nicht die der Erscheinung überhaupt, sondern die Weise der Realität macht eine Inhaltsbestimmtheit, eine Bestimmtheit des Begriffs selbst aus. die Erscheinung der Kunst ist sinnlich, nicht das Element des Gedankens wie in der Philosophie. die nähere Bestimung der Erscheinung nimmt sich also aus den Weisen des Sinnlichen. Es ist schon früher bemerkt, daß das Sinnliche eine Gedoppelte Weise hat: sinnliche Anschauung, und sinnliche Vorstellung, unmittelbares äusserliches Bewusstsein, oder das Sinnliche noch auf eine schon beginnende Innere Weise. dieß sind die 2 Formen des Sinnlichen. die Vorstellung schwankt schon zwischen der Sinnlichkeit und dem Gedanken, sie nimmt daher schon Gedanken auf, oder es ist keine Grenze zu setzen zwischen dem | Gedanken und dem Sinnlichen, wie es in der Vorstellung zusammen geht. das Sinnliche bestimmt sich näher aus der Art und Weise wie wir die Gegenstände aufnehmen, aus den Sinnen. Nur die theoretischen Sinne kommen hier in Betracht. Geruch, Geschmack und der Tastsinn gehören hieher nicht. Sie können practische Sinne genannt werden. Sie beziehn sich auf die dinge als einzelne, Widerstandleistende, insofern das subject auch ein Einzelnes ist, und mit den Einzelnen so in diese Beziehung kommt, daß es sie vernichtet. In der Kunst aber verhält sich der Geist zu den Gegenständen, zu dem Schönen, dem Scheinenden. die Gegenstände sind hier in einem freien Verhältniße. Sie werden nur betrachtet. diesem Betrachten zugehören die theoretischen Sinne, Gesicht und Gehör. das Sinnliche der Kunst also ist sichtbar und hörbar. Wir haben hiemit ein Eintheilen in 3 Arten der

die sinnliche Anschauung hat für die Kunst die gedoppelte Weise der Sichtbarkeit und Hörbarkeit. Somit theilt sich die Kunst in ihrer Erscheinung in folgende dreiheit.

17 Bewusstsein] Bewsstsns

27 diese] dsr

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Kunst: Künste der Sichtbarkeit, die tönende Kunst, und die Kunst für die Vorstellung oder die redende Kunst. das erste sind die bildenden Künste, die zweite die Tonkunst, die dritte die Poesie. die erste Klasse zerfällt wieder in eine 3heit. das Sichtbare ist der Art, daß der Inhalt auseinanderfällt; der Ton hält sich subjectiv zusammen. Was für das Auge ist, ist auseinander. dieß Außereinander in seiner nähern Bestimmung macht den Inhalt des Sichtbaren aus. diese nähere Bestimung ist diese, daß die individuelle Gestalt, den Mittelpunkt ausmacht. Einerseits ist sie umgeben von einer unorganischen Natur, anderseits ist die subjectiv innerliche Seite, das in sich gehende, in sich sich particularisirende Gemüth. So haben wir 3 Künste: die Architectur, welche die Äusserliche Umgebung des Mittelpunkts erbaut, die nur eine äusserliche Verbindung an ihr hat, an der der Geist sich reflectirt. | die Form ist hier nicht das in sich selbst seiende, sondern äusserliche Ordnung, äusserliches Zusammenstimmen. diese Kunst ist nur eine Seite, die zu dem Uebrigen gehört. Sie kann auch elementarisch selbstständig werden. Und so ist die Architectur zunächst für sich selbst selbstständig, und so ist sie ZB. mit der Sculptur vermischt und wesentlich in diesem Sinn symbolisch. die Gestalt ist nicht geistig, denn die geistige Gestalt bedeutet sich selbst. In der Architectur sind aber Bedeutung und Gestalt geschieden. die Zweite Kunst ist die der geistigen subjectivität in ihrer idealen Weise, die sculptur, die den idealen Gott zum Hauptgegenstand hat. das dritte bestimmt sich als das Gemüthliche, das subjective, das nicht mehr die Idealität der Mitte hat, sondern das Licht ist welches in sich sich particularisirt, sich verdunkelt färbt. diese Kunst ist die Mahlerei, welche der romantischen Kunst angehört. das göttliche Bild gehört selbst zur Gemeinde, steht auf der Seite derselben, ist selbst Mensch. Wir beginnen nun mit der Betrachtung der bildenden Künste. Es giebt noch besondere Künste, die nur Seiten eines andern Zweckes sind, keine selbstständigen. Und wie sie als Uebergänge eintreten, sind sie anzuführen. Wir haben es mit den wahrhaft durch den Begriff bestimmten zu thun. die erste ist:

die Architectur.

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Sie macht den Anfang überhaupt der existirenden Kunst. der Anfang ist die einfachste Weise des Seins. Man glaubt dann wohl man habe sie in einfacher Gestalt in ihrem Begriff, der nach und nach langsam sich fortbilde. | Aber solch bloßes quantitatives sich Steigern giebt nur einen gleichgültigen Unterschied,

35 19M Sculptur] Scluptur

22 particularisirt] particularistrt

I. die bildenden Künste. II. die tönende Kunst. III. die redende Kunst.

I. die bildenden Künste. A die Architectur.

B. die Sculptur. C. die Mahlerei.

Erster Abschnitt. die bildenden Künste. Erstes Capitel. A die Architectur. die Architectur macht dem Begriff nach den Anfang der existirenden Kunst.

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Falsche Vorstel lungen des Kunstanfangs.

die Architectur in ihrem Anfang ist Formung des Unorganischen, aber ohne Beziehung auf ein drittes: das Götterbild; so ist sie: 1. die selbstständige oder symbolische Architectur Ihr Inhalt ist das sich selbst noch Außerliche Geistige, das seine Einheit mit seiner Gestaltung noch nicht in sich selbst hat

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und nicht den wahrhaften. Was aber das ist, daß man den Trieb hat die Sache in ihrer einfachsten Gestalt zu sehn, hat man ferner die Vorstellung, daß solche ein zufälliges sei und leicht zu fassen. So spricht man ZB. die Malerei habe ihren Anfang genommen, indem ein Geliebter den Schatten der schlafenden Geliebten im Sande abgerissen habe. Solche Geschichten haben die Griechen viele. Von der Architectur sagt man ebenso, sie sei anfangs eine Höhlung gewesen, ein Klotz. Mit solchem Begreifen kommt man nicht weit; es sind dieß nicht Characteristische Züge; solche Anfänge sind auch nichts Geschichtliches, sondern Vorstellungen, die man sich dichtend macht, der Wahrscheinlichkeit folgend. – Wir sagen: die Architectur mache den Anfang dem Begriffe nach, und sie thut es auch geschichtlich. Sie muß aber da betrachtet werden, wo sie wirklich als Anfang schöner Kunst auftritt. Eine Hütte, eine Höhle sind keine architektonische Anfänge. die Redekunst ist freilich überall auch gleich da. Beginnen wir bei der Architectur, und denken bei ihr sogleich an einen Tempel so scheint es nicht zweckmäßig, den Tempel, das Mittel, dem Zwek, dem Bilde voranzuschicken. Beim Haus ist der Mensch schon vorhanden, sein Bedürfniß des Schutzes ist schon da vor der Hütte. Aber eine Hütte ist noch kein Gegenstand der schönen Kunst. Wenn ein Gebäude Werk soll der schönen Kunst sein, so ist ein Mittel, von dem wir sagen, es setze einen Zweck voraus, habe das umschliessende Bild schon vor sich. Bei der Architectur zunächst haben wir an Haus zu denken, denn es ist dieß Mittel für das Bedürfniß. die Architectur wäre dann nur Einschränkung des Maaßlosen Raums, ein Particularisiren des Allgemeinen Raums. | Geschlossene Umgebung für ein subject wäre dann der Begriff der Architectur, Begrenzung der organischen Natur. Wenn wir die Bestimmung so nehmen, haben wir zwei: das subject und die unorganische Natur, die es soll umschliessen. Als unmittelbares ist aber der Anfang kein so Gedoppeltes. das Erste in der Architectur ist das Unorganische und das Formen desselben ohne Beziehung auf ein drittes; sondern das erste ist Formung des Unorganischen und zwar äußerlich. Bei der sculptur ist die Formirung auch äusserlich, es ist ein Material vorhanden, dem die Form gleichgültig ist. Aber das Äusserliche ist bei der Architectur in dem Sinne, daß der Inhalt selbst noch nicht das sich Innerliche, das Geistige ist, sondern daß er das sich selbst Äußerliche ist, daß die Unterschiede in einem dritten ihre Einheit haben, in der blossen Regelmässigkeit. die Einheit ist den Formbestimmungen selbst ein gleichgültiges, diese sind erst die Einheit durch das andere, sie bestehn aber für sich ohne ihre Einheit. die Form ist somit die sich selbst Äußerliche.

5 viele] Vieler 6 ein] davor gestr: die Architectur dann über gestr. ist 25 unorganische aus organshe str: sculpt

21 wäre dann über gestr. ist 23 für ein … es über der Zeile 30 Architectur] davor ge-

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die Form des Menschen ist sich nicht äußerlich, sondern die Form ist nur durch ihren Inhalt. Bei der Architectur haben wir 3erlei Formen: die symbolische, die classische und die romantische, gotische. denn alle besondern Künste haben diese Unterschiede an sich. Bei der Architectur sind aber diese Unterschiede durchdringendere, die andern Künste haben mehr in sich selbst bestimmten Zweck, eine mehr in sich selbst bestimmte Gestalt. Aber die Architectur hat kein festes Prinzip an ihr selbst. – Zunächst haben wir in ihr 2 Richtungen zu unterscheiden, nehmlich den Unterschied der symbolischen | Baukunst, die selbstständige, und die welche ihren Zwek in einem Andern hat, die classische. Es ist ein weitrer Unterschied noch, der diesem entspricht. Es ist nehmlich neuerlich wieder ein Streit entstanden, ob die Kunstwerke der Architectur der Art seien, daß bei ihnen vom Holzbau oder Steinbau angefangen sei. der Hofrath Hirt hat ein Werk über die Baukunst nach den Grundsätzen der alten geschrieben und neuerlich eine Geschichte der Baukunst. Er ist vom Holzbau ausgegangen und hat Vitruv zum Vorbild gehabt, der alle Bestimungen mehr oder weniger aus der Hütte entwikelt. Hirt ist darüber sehr hart angegriffen worden. Man sieht nun wohl, daß, was aus Holz gebaut werden kann, daß dieß wohl von Stein gemacht werden kann, aber viel kann von Stein gemacht werden, was man nicht wird aus Holz machen. das Holz ist auf das Haus beschränkt; der Steinbau eröffnet eine grössere Aussicht. der ganze Gegensatz ist beschränkt. Zum Theil fällt er auch in unsere Unterschiede.

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Sie ist die, wo die Theilung von einem Umschließenden Werke und einem subjectiven Gebilde, noch nicht vorhanden ist; sondern wo in dem Architecturwerke der ganze Zweck liegt. Solches Werk ist zum Theil symbolisch und vorzüglich eine Vermischung von Sculptur und Architectur. Es ist unorganische Sculptur. Beide Künste sind noch in Einem. doch muß die Architectur die Sculptur von sich zurück drängen und sich zum Gehäuse ihrer Gebilde machen. denn dieser Unterschied ist wesentlich. Jedes der Unterschiedenen muß sich für sich ausbilden. – Machen wir nun einen nähern Anfang, so ist das erste Bedürfniß der Kunst, daß ein Gedanke darstellig gemacht werde, | gesetzt werde. In der Sprache ist dieß nur durch ein Zeichen, durch eine willkührliche Äußerlichkeit. durch

35 12 ein weitrer über gestr. dieß ein

23 Gegensatz] Gegenstzn

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der nähere Anfang der symbolischen Architectur liegt in der Nothwendigkeit, daß das Allgemeine sich selbst darstelle,

448 und zeige, daß es nicht als unmittelbares, sondern aus dem Geiste producirtes gelte. Solche darstellung ist ein Vereinigungspunkt des Menschen.

der Inhalt muß also ein objectives Intresse haben, ein Heiliges sein. 69. Was ist heilig? das ist’s, was viele Seelen zusammen Bindet, bänd’ es auch nur leicht, wie die Binse den Kranz. 70. Was ist das Heiligste? das was heut und ewig die Geister Tiefer und tiefer gefühlt, immer nur einiger macht. Goethe. die darstellung an ihr selbst soll den Inhalt ausdrücken, und darf daher kein bloßes Zeichen sein.

Reihe architectonischer Werke: der Thurm zu Babel.

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die Kunst wird die Vorstellung nicht durch ein Zeichen dargestellt sondern auf sinnliche Weise. Einerseits soll also der Inhalt vorhanden sein, anderntheils so, daß man erkenne der Inhalt sei nicht der der unmittelbaren Wirklichkeit sondern als Inhalt der Vorstellung. Sehen wir einen Lebendigen Löwen so haben wir Vorstellung wie von einem gemahlten, aber dieser zeigt uns, daß wir es mit einem vorgestellten, aus dem Menschengeist hervorgegangenen zu thun haben. der gemahlte giebt uns die Vorstellung der Vorstellung. Ein solches Werk ist ein Vereinigungspunkt für den Menschen. Es gehört dem Menschen an, in dem Gemachten ist der Mensch für den Menschen. der Inhalt muß dann aber drittens sein ursprünglich ein solcher, der ein objectives allgemeines Intresse hat. Ursprünglich ist kein Bedürfniß, daß ein Löwe, ein Baum dargestellt werde. Sondern was ansich die Menschen vereinigt hat dargestellt zu werden, ein Heiliges. Heilig sagt Göthe ist, was den Menschen dem Menschen verbindet. Ein solches Heiliges also ist der Inhalt. – das Werk nun der für sich selbstständigen Architectur, soll für sich zu denken geben, durch seinen Ausdruk allgemeine Vorstellungen erwecken, die im Uebrigen hier noch können ganz unbestimmte sein. doch soll dem Inhalte nach in diesen architectonischen darstellungen irgend ein Allgemeines liegen, das auch durch die Form am Material sich zu zeigen hat. doch darf die Form nicht zum blossen Zeichen herabgesetzt sein. Monumente ZB: Kreuze, Verstorbenen gesetzt, Steinhaufen als Erinnerungen aufgehäuft an Schlachten und anderweitige Begebenheiten, sind auch geeignet Vorstellungen zu erwecken; aber durch dieses Material kann man ebensogut an vieles Andere erinnert werden, und der Steinhaufen, das Kreuz als solches deuten nicht durch sich selbst auf die Vorstellung hin, welche herbeizuführen ihr Zweck ist. drückt nun anderseits die Form die Bedeutung vollständig und concret aus, so kann diese | Gestalt nur die menschliche sein und das architectonische Kunstwerk ist zur Sculptur fortgegangen. die selbstständige Architectur also ihrem Begriff nach wird zwischen dem rein architectonischen und der Sculptur hinschwanken. der Zweck dieser symbolischen Architectur ist ein Unförmliches, also ist hier nicht vollständig und von einem bestimmten Prinzipe aus davon zu sprechen. Es ist eine Reihe von Werken, an die erinnert werden muß. die erste Gestaltung, die uns auch geschichtlich in dieser Reihe entgegentritt, und zum Inhalt ein Allgemeines, ein vereinendes hat, ist der Thurm von Babel. In der Ebne des Euphrat errichtet der Mensch ein ungeheures Werk der Sculptur[.] Er erbaut es gemeinsam und so wird diese Gemeinsamkeit der Construction zugleich eine Vereinigung zum Staat. Und diese Vereinigung ist keine patri3 der der … Wirklichkeit] (1) d. Wirklich (2) (der der unmittelbren über gestr. d.) ( Wirklichkt aus Wirklich) 28 Sculptur] Sclulptur 34 errichtet] er(richtet über gestr. hebt)

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archalische mehr, denn eben das patriarchalische hat sich aufgehoben und das objectiv werden dieser Auf hebung, das sich Realisiren der Gemeinschaftlichkeit ist dieser sich zu den Wolken erhebende Bau. die Gesamtheit damahliger Völker hat an ihn gearbeitet, und wie sie alle sich vereinten das eine Werk zu vollbringen, war dieses das Band, das sie wie uns die Gesetze an einander knüpfte. Herodot spricht von einem Tempel des Bel, wie dieser sich zum biblischen Thurm verhält, lassen wir unerörtert. den Tempel zu Bel beschreibt Herodot auf folgende Weise: der Umfang des ganzen Tempelbezirks sei von der Art, daß jede seiner Seiten 2 Stadien betrage. Innerhalb dieses Bezirks habe sich der Thurm in Quadratform erhoben, dicht, nicht hohl, massiv. dadurch fällt die Meinung als hätte er können ein Versamlungshaus sein, hinweg. Für die horizontale Breite des Thurms sei ein Stadium das Maaß gewesen; gleiches Maaß habe die Höhe gehabt. Sieben Würfel seien aufeinander gethürmt, auf dem letzten seien noch 8tens Baulichkeiten angebracht: unter diesen ein goldener | Tisch mit gepolsterten Sitzen umgeben; um den ganzen Thurm habe sich eine Treppe gewunden. Ein Tempelbild fehlt. Eine Frau solle zur Nachtzeit auf dem Thurm sich aufgehalten haben. die Chaldaeer sagten: der Gott ruhe, auf die Polster hingestreckt, aus. – der ganze Thurm nun also ist kein abstracter Vereinigungspunkt, sondern ein concreter der Religion. die Zahl 7 ist bei seiner Construction als symbolische bemerkenswerth. Sie kommt auch in Aegypten mit ausdrüklicher Beziehung auf die Planeten und ihre Bahn vor. Auch viele Städte in ihrer Erbauung sind symbolische Werke der Architectur; Kreutzer nennt sie symbolische Städte. So war Ecbatane von sieben Mauerkreisen umschlossen, siebenfarbig bemahlt. diese Kreise umgaben des Königs Sonnenburg. – So sind diese Constructionen keine bloße Zeichen, sondern für sich selbst bedeutend, an sich selbst Zweck, und nicht zum blossen Mittel herabgesetzt. – Auch das Würfelhafte ist hier bemerkenswerth. Eine zweite hieher gehörende Gestaltung bezieht sich auf Folgendes: In Indien wurden wie auch in Aegypten Naturwesen in ihrer Unmittelbarkeit göttlich verehrt. Auf gleiche Weise die allgemeine Lebenskraft der Natur. Und diese Verehrung zog sich auch bis nach Phrygien, Syrien unter dem Bilde der grossen Göttinn, der befruchtenden Mutter. Auch Griechenland nahm diese Vorstellung auf. das Bild dieser allgemeinen Kraft waren dann auch die animalischen Glieder der Zeugung, männliche und weibliche, und ihre Verehrung ist bekannt unter dem Namen des dienstes des Phallus und des Lingam. das innerste des Tempels nun enthält solche Bilder als ungeheure Säulen aufgerichtet. diese waren Anfangs Selbstzweck, hatten an ihnen selbst Bedeutung; erst später wurden sie ausgehöhlt und als Umkleidung des Götterbildes gebraucht. So kennt man noch in 6 Herodot] davor unsichere Absatzkennzeichnung

Herodot über den Tempel des Bel.

Säulen, Hermen, Pagoden.

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Memnonen und Obelisken.

Plinius über die Obelisken.

Aegyptische Tempel.

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Griechenland die Hermenbilder, und Alcibiades im platonischen Gastmahl | vergleicht den Socrates mit einer Herme. – Man behauptet auch, daß die indischen Pagoden daher haben ihren Ursprung genommen. Sie sind schmal, hoch und pirammidenartig, vom Säulenmaaß hergenommen. Auch die Vorstellung des Berges Meru geht von dieser Vorstellung der allgemeinen Zeugung aus. Herodot erwähnt noch indischer Säulen und schreibt sie dem Zuge des sesastro zu. Auch in Klein-Asien behauptet er dergleichen gesehn zu haben, theils das männliche, theils das weibliche Zeugungsglied vorstellende. dritte Arten der Gestalten sind die aegyptischen Memnonen und Obelisken. Memnonen sind Gestalten ohne Hausumschliessung, massenhaft und unorganisch durch die Grösse. Memnon der Sohn der Aurora ist dasselbe mit Ormantias, und die Alten erzählen, Aegypter und Aethioper haben ihm geopfert, wann der erste Strahl der Morgensonne emporstieg und die Wände Stimmen ertönen ließen. Memnon hat somit einmal eine Beziehung auf die Sonne, dann eine zweite auf den Ton, auf Sprache überhaupt. diese zum Theil noch erhaltenen Säulen sind so colossalischer Natur, daß sie sich dem Unorganischen nähern; der Grosse Zehe einer solchen Figur übersteigt Manneshöhe. Es sind dieß einerseits zwar Sculpturbilder, aber sie stellen nicht nur eine Bedeutung dar, sondern sie haben Intresse durch ihr natürliches Sein, lebendige Bedeutung: von der Sonne beschienen erklingen sie. Engländer und Franzosen haben das Tönen gehört, obgleich man es bisher für eine symbolische Erzählung hielt. das Tönen also ist keine Fabel und rührt daher, daß der feuchte Stein von der Sonne erwärmt zu springen beginnt und so die Laute vernehmen läßt. – die Memnonsäulen also durch ihre Näherung an das Unorganische fallen der Architektur zu. – In engerer Verbindung mit ihnen stehn die Obelisken; vollständige Constructionen ohne menschliche Gestalt. | Plinius in Betreff auf ihre Entstehung erzählt Folgendes: Mitras der Perser oder Meder in der aegyptischen Sonnenstadt (Heliopolis) residirend sei im Träume gemahnt worden, Obelisken (Sonnenstrahlen) zu errichten und Buchstaben darauf zu schreiben. So haben wir Sonne und Sprache, was schon in den Memnonen ansich war, hier ausdrüklich gesetzt. der Obelisk sollte den Strahl der Sonne versinnlichen. dadurch zugleich entstanden auch die Räume und Wände für die Buchstaben. die Hieroglyphen selbst sind symbolische Schriften. So bleibt man nicht bei der natürlichen Bedeutung unmittelbarer Gegenstände stehn, sondern bezeichnet durch sie Geistiges. So haben die Obelisken durch die Hieroglyphen die Bedeutung ausdrüklich an ihnen. Als eine vierte selbstständige architectonische Gestaltung treten uns die aegyptischen Tempel selbst entgegen. Sprechen wir von Tempel so begegnet uns so6 sesastro siehe Anm.

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gleich die Vorstellung eines in sich beschlossenen mit einem dache versehenen Gebäudes. doch eine solche Vorstellung haben wir hier zu entfernen, und wir dürfen sie kaum bei den Griechischen Tempeln wieder aufnehmen. die aegyptischen sind ein von Mauern umschlossener Bezirk; innerhalb Pagoden und Wohnungen der Priester und Mädchen, die dort erzogen werden. dann sehn wir Massen von Stieren und Elephanten; der Stier als dem Schiwa geheiligt im Zusammenhang mit dem Lingam. Strabo sagt: theils sei in dem Tempel ein Thierbild, theils Keines. die Tempel hatten weder als alleinigen Zweck die Bewohnung noch zum Versammlungsort zu dienen. Architectur und Sculptur sind vermischt; der grösste Theil ist Sculpturarbeit, die aber selbst wieder die Weise des architektonischen erlangt. denn wir sehen eine solche Menge von Sphynxen, von Pagoden Göttern, Memnonen und Thierbildern, daß sie selbst wieder in das Unorganische zurücktreten und blosse Säulenordnungen werden. | Somit haben sie keine Bestimung mehr in sich, sondern nur als Säulenordnung. Und es ist dieß merkwürdig, daß man die vielen Memnonen (die freilich hier von ihrer colossalen Grösse ablassen) sowie die Bilder der Aphros (Aphrodite) der Isis und anderer als Basreliefs der ungeheuren Constructionen braucht. – diese somit sind nicht das umschliessende der Götterbilder. Ferner kann nun bemerkt werden, daß diese selbstständige Architectur überhaupt in ihrem größesten Style in Aegypten zu Hause gehört. die Werke sind von einer Grösse und Schönheit der Ausführung, gegen welche den Franzosen, die sie sahen, alles Griechische als kleinlich und unbedeutend vorkam. die Tempel sind das Hauptsächliche. Unter diesen sind auch Construktionen vorhanden, die nicht Tempel sind als Umschliessung für einen Gott oder einen Versamlungsort. Sie gehören hieher und von den Constructionen der Tempel ist das Hauptsächliche: Reihen von Sphynxen, zwiefache, gebrochene oder geradlinigte sich gegenüberstehende. Reihen von 20 bis 40 Fuß hoch, 6, 8 Mannshöhen betragend. Solche Sphynxe gelten also nicht als einzelne, sondern sie nur als beisammen zu 90 zu 100 seiend. dann folgt wohl ein Thorgebäude, Glomen genannt, das von beiden Seiten Mauren aussendet, Prachtwände, die oben sich abschmälern. diese Prachtwände sind etwa bedeckt mit colossalen Basreliefs mit darstellungen von Schlachten, von Begebenheiten, von darstellungen aus der Mythologie. Auch stehn Memnonen und sonst große Figuren davor, auch Hieroglyphen finden sich auf den Wänden. Innerhalb der Thore ist ein Platz umschlossen von einem Säulengang, ohne Bedeckung, dachlos. die Säulen sind wieder Memno-

23 Unter diesen über gestr. Außerdem 24 für] davor gestr: wie 25 Sie gehören … den über gestr. Von diesn 30 aussendet über der Zeile mit Einfügungszeichen 31 Basreliefs] Basleriefs 34 Innerhalb] Innerhlab

Nähere Beschreibung dieser Tempel.

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diese Constructionen überhaupt haben den Zweck der Aufregung des Gemüths, und sind symbolische darstellung eines Allgemeinen.

Wie sie sich über der Erde erheben, so vertiefen sie sich auch in dieselbe.

diese unterirdischen Bauten haben die nähere Beziehung auf ein Reich des Todes.

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nen oder andere Gestalten. Solche Plätze können wieder Sphynx reihen haben, und von Querwänden unterbrochen sein. dann folgt wohl ein bedeckter Platz voll Säulengängen, die Quadersteine tragen. dann können wieder offene Gänge folgen, mit Hieroglyphen bedekt. Solche Wandungen sind wie unsere Bücher als | Belehrungen dienend. Zuletzt kommt dann wohl ein eigentliches Gebäude, in welchem ein Thierbild steht. diß Gebäude aber ist die Nebensache gegen das Ganze einer solchen Construction; keine Gemeinde hat darin Platz; das Thierbild fehlt auch wohl. Es giebt auch Häuschen die nur aus einem einzigen Steine gebaut sind. Es ist also in diesen Tempeln der Zweck nicht die Umschliessung, sondern die Aufregung des Gemüthes, Staunenerregung, Erwekung einer Welt von Vorstellungen. Vieles in den Anlagen solcher Gebäulichkeit ist dann auch ausdrüklich symbolisch; bei den Treppen, den Stufen ist die Anzahl bestimmt durch irgend eine wichtige Zahl, die entweder Beziehung hat auf die Anzahl der Füsse, welche die Höhe des Nils hat, wenn er fruchtbar sich ergiesst, oder auf die Zahl der Planeten und so fort. Auch Zahlen die sich beziehn auf den Mond- und den Sonnenlauf werden benutzt. Solche Constructionen haben zugleich einen astronomischen Zweck. Besonders sind die Labyrinthe Gebäude, die solchen Zwek haben ZB. den Gang der Gestirne aufzuzeigen. Es ist ein Räthsel in ihnen aufgegeben, aber nicht das Platte den Ausgang nicht finden zu können, sondern die Windungen beziehn sich auf den Lauf der Planeten. die Werke über der Erde in Aegypten sind stupende, stupender die unter der Erde. Höhlen sind einerseits hier zum Bedürfniß dienend, Wohnungen; die aegyptischen Constructionen unter der Erde schreiben sich aber nicht vom Bedürfniß her, sondern der allgemeine Zwek ist religiöser Räume. Will man fragen was das Erste gewesen sei: die Höhle oder Hütte, so ist freilich die Höhle ein Früheres, denn die Baukunst fängt damit an das Unorganische zu formen, und dieß auf bedeutsame Weise. Hier erscheint allerdings als natürlich, daß man früher angefangen habe sich einzugraben, als freie Gebäude zu errichten. | denn beim unterirdischen Bauen läßt man die Hauptmasse wie sie ist, und es ist kein so für sich stehendes Werk als ein Gebäude über der Erde. diese unterirdischen Bauten in Aegypten nun sind wie die überirdischen gestaltet, voll Säulengängen mit Sphynxen und allen den anderen beschriebenen Gestalten; voll Hieroglyphen. das Ueberirdische scheint mehr eine Nachahmung des Unterirdischen gewesen zu sein. dieses erhält vornehmlich bei den Aegyptern die nähere Bestimung in Beziehung auf die Todten gesetzt zu sein. Es hat die Bedeutung eines Todtenreiches. In Indien hat das Bauwesen diese Beziehung nicht, denn die Indier lassen ihre Todten verbrennen, die Perser sie verwesen. Bei dem Todtenreich der Aegypter sehen wir die Gestalt der Sculp14 welche die … Nils] (1) die der Nil (2) (welche die Höhe über gestr. die) (des Nils aus der Nil)

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tur sich trennen von den umgebenden Unorganischen Baulichkeiten. Hier sind jetzt die Bauten bestimmt zu Königsgräbern. Es sind Werke der Nation, ihr practischer Cultus; vergleichbar den Bienen, deren Hauptweise ein instinctartiges Arbeiten ist. Die Aegyptier können als das Volk angesehn werden, wo das Geistige sich gegen das Leibliche absondert. In ihnen beginnt die innere Negativität, der Unterschied des Geistes fixirt sich gegen das Leibliche. Sie sagen zuerst: die Seele sei unsterblich, sondere sich ab vom Körper. diese Absonderung bestimmt auch näher das Verhältniß der Architectur, die jetzt der Leib wird für jene unsterbliche Seele. die Gräber schliessen diese Absonderung in sich; das Architectonische wird ein Zweckmässiges für ein Bedeutendes für sich, für ein subjectives. Hieher dann gehören die Gräber und Pyramiden. Sie sind Christalle, die einen abgeschiednen Geist in sich beherbergen. Sie haben Kammern und Gänge, theils ein symbolisches als Vorstellung der Wege, welche die Seele zu durchlaufen hat. Solche Gräber können jetzt als das angesehn werden, was wir als Tempel uns vorstellen. Gräber sind immer als Heiligthümer verehrt. | dieß nun sind die Hauptgestalten der symbolischen Architectur, deren Gebiet ausdrüklich zu unterscheiden ist. Von diesem Gebiet aus macht sich der Uebergang zur classischen. der Uebergang kann zweifach betrachtet werden. der Eine Ausgangspunkt kann angesehn werden als der Punkt, wo die Zweckmäßigkeit eine Nebensache ist, und die Architectur nicht einem Andern dient; der andere ist das Bedürfniß, das Haus überhaupt. dieses ist als das Holzhaus aufzufassen, Wände, die ein dach tragen. Solches Haus ist das Extrem zur Construction, die wir der selbstständigen Architectur zuschreiben. Wenn diese zur eigentlichen herübergeht muß sie sich diesem Extrem nähern. Zur schönen Architectur nehm lich gehören 2 Bestimungen: die des Verständigen, Zweckmäßigen, die Ebenheit der Flächen, die Rechtwinklichkeit, alles bloße verständige Formen. Sollen sie sich zum Schönen erheben, so muß zum Organischen, zum Runden fortgegangen werden. die Selbstständige Architectur fängt umgekehrt von organischen Formen an, die müssen zum Verständigen sich herabsetzen, um in der eigentlichen Architectur Platz finden zu können. Ein Balken ZB. ist einerseits geradlinigt, anderseits hat er seine bestimmte Länge, hört unten und oben auf. Vergleichen wir damit das Organische, so hört dieß nicht bloß abstract auf, sondern setzt die Reflexion der beiden Enden. die schöne Architectur ist dieß, daß zwischen dem Organischen und der blossen Verständigkeit des Bedürfnisses die Mitte sich findet. diese gefundene Mitte lässt sich deutlich an der hier eintretenden Umbildung dessen erkennen, was wir früher als Säule sahen. In der selbstständigen Architectur hatte sie nur organische Formen, menschliche, thierische 32 abstract über der Zeile mit Einfügungszeichen

36–37 selbstständigen über gestr. eigentlich

Hiemit ist der Uebergang zur classischen Baukunst gesetzt; denn die Werke sprechen nicht mehr sich selbst aus, sondern sind in Beziehung gesetzt auf ein Anderes, das sie umschliessen.

Indem die symbolische Baukunst abstract für sich keinem Andern dienend dasteht, ist ihr Entgegengesetztes das abstract nur Zweckmässige dienende, das nur Umschliessende, das Haus. Indem mit diesem ihrem Gegensatz die selbstständige Architectur sich vermittelt wird sie zur classischen, in der sie selbstständig für sich ist als einem Andern, dem Gott zur Umschließung dienend.

die abstract organischen Formen der selbstständigen Architectur vermitteln sich hier durch die abstract verständigen der nur zweckmäßigen Baukunst dieser Uebergang lässt sich ZB. an der Umbildung der Säule erkennen.

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an dieser zeigt sich daß das Organische zu einem Zweckmässigen verkehrt wird.

dasselbe ist bei den Arabesken.

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oder aus dem Pflanzenreich hergenommene. Alle diese Gebilde sind jetzt zu einem dienenden herabgesetzt, sie sind blosse Träger. So kommt hier noch die menschliche Figur | vor aber nicht für sich bedeutend, sondern zu einem blossen Mittel verwandelt, dessen Bestimung in der menschlichen Figur nicht liegt. Sie wird also jetzt mehr und mehr verschwinden. Eine zweckmäßigere Stütze ist der Baum, der Stengel, denn in deren Natur liegt das Tragen. Wenn nun die classische Kunst dergleichen Gebilde nimmt so hat sie sie als Naturgestalten vor sich, die noch ein viel Weiteres als die abstracte Bestimung des Tragens in sich haben. Sie läßt die Naturgestalt nicht wie sie ist, sondern sie giebt ihr eine eigene Kunstbestimmtheit, verwandelt sie nach ihren Zwecken. So sehn wir ZB. bei aegyptischen Gebäuden Pflanzenbildungen zu Säulen verkehrt: als Basis zusammengedrängte Wurzelblätter aus denen schilfartige sich hervorwinden und sich verschlingend als Säule emporsteigen. Ihr Capital ist ein Blumenartiges Gebilde. Alle Gestalten sind so zum Kunstzweck verkehrt. Ein Gleiches finden wir bei dem, was man Arabesken zu nennen gewohnt ist, Naturbildungen, welche die Architectur für ihre Zwecke so benutzt, daß sie sie in einen Verständigen den Gebilden als solchen nicht angehörigen Zusammenhang bringt. die natürliche Gestalt überhaupt ist verzogen, vermischt mit Fremden, verwandelt, und deshalb wird der Gebrauch von Arabesken oft getadelt. Aber der Uebergang fordert diese Umbildung ausdrücklich, und diese Verzerrungen als Kunstgebilde haben ihre vollkommene Rechtfertigung, denn die Kunst soll nicht die Natur in ihrer Unmittelbarkeit lassen, und gerade die classische Baukunst hat dieses Characteristische: das von der Natur Herkommende wegzuwerfen und als Nebensache zu setzen, sodaß das Eigenthümliche Organische verschwindet, und nur als ein Anklang in den verständigen Bestimungen erhalten ist. Somit aber ist die symbolische Baukunst verschwunden, und die classische an ihre Stelle getreten. |

2. die classische Architectur.

2. d ie cla ssische Baukunst.

die symbolische Baukunst, die ihren Inhalt noch nicht in sich selbst hat, und nur das Ringen nach ihm ist, setzt ihn ausser sich, und sich als das Umschließende dieses Inhalts. Als sich nur in einem Anderen habend ist sie das Zweckmäßige.

Ihr Allgemeines ist sehr einfach; auf das Detail können wir uns nicht einlassen. Es gehört vorzüglich den räumlichen Bestimungen an; es ist eine Musik räumlicher Verhältnisse. das Regierende dieser Kunst ist die Zweckmässigkeit, und somit treten statt des Organischen die Linien des Verstandes ein, die geraden, die regelmäßigen, und als die einfachste Neigung die rechtwinklige. In der strengen Zwekmässigkeit besteht hier die Schönheit. Und so wäre denn zunächst nach dem Zweck dieser Kunst zu fragen; denn er ist das bestimmende Grundmodell. dieses ist kein aus der Natur entlehntes, wie bei der Sculptur, wo die

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menschliche Gestalt, die an sich selbst Zweckmäßigste und der einzige Ausdruk des Geistes ist. das Modell der Architectur gehört rein dem Verstande an, und als nicht aus der Natur genommen, scheint es der Willkühr mehr Preis gegeben. Allein indem der Grundtypus durch den Zweck selbst bestimmt ist, für den diese Kunst arbeitet, so sind durch ihn die Grenzen gezogen, über die sie nicht hinaus darf. Raumabgränzung, Raumumschließung ist der Zweck dieser Kunst, das Haus somit ihr Knochengerüst. Man könnte zwar meinen, es gäbe noch andere Zwecke der Raumabgränzung, die zu erfüllen das Haus nicht im Stande sei ZB. Brücken, Bäder und andere Constructionen. doch ist der Zweck dieser Civil und Militairbauten ein so bestimmter, daß hier die Kunst nur als äusserlicher Schmuck als ein bloß Beiherspielendes aufzutreten vermag. das Haus aber welches die classische Architectur sich erbaut ist Raumabgränzung für ein Geistiges, Göttliches, das sie beherbergend umschliessen, schützen will. das Haus der Architectur ist somit das Gotteshaus, der Tempel. das Haus also im Allgemeinen wird den Grundtypus des | Tempels ausmachen. Es ist ein vollständig nach seinen 3 Dimensionen umschliessender Raum. die Umschliessung nach Länge und Breite wird zu keinen besondern Bemerkungen Anlaß geben, und nur in der Umschließung der Höhe ist die Möglichkeit vorhanden, daß sie horizontale Umschließung sei oder geneigte. Letztere liegt der schönen Baukunst zu Grunde. – Südländer, die wenig Regen haben, deren Haus kein Sturmwind umsaußt, bedürfen nur des Schutzes gegen die Sonne; ihnen wird ein horizontales dach, als das einfachste genügen. Wir hingegen wollen auch vor dem Regen geschützt sein. Aber das Bedürfniß nicht allein ist der Zweck der schönen Baukunst, sondern als Kunst hat sie die Bestimung der Gefälligkeit. Sehn wir nun ein Breites Materielles so haben wir das Bedürfniß es als ein Tragendes zu sehn. So fordern wir in jeder Gruppe die Pyramidalform. Sie befriedigt uns sie trägt, und das Getragene nicht mehr zu tragen fähig setzt diese Unfähigkeit als in eine Spitze auslaufend. Nehmen wir nun das Umschliessende in seinem mechanischen Verhältniß zu sich selbst, so ist die Hauptbestimung, daß es einmal sei ein Tragendes des in die Höhe Auslaufenden, anderseits aber in sich selbst ein Verbundenes, Halt und Festigkeit habendes sei. Eine Construction nun die als ein Verbundenes ein Concretes ist, hat diese Bestimung an ihr selbst zu zeigen, und so entstehn, indem sie als ein verständig Zusammengefügtes erscheint, verschiedne Bestimungen an ihr. Nehmen wir das Tragen für sich, so erhalten wir die Bestimung der Säule. die solide Wand trägt zwar auch, ist aber nicht das abstracte Moment des Tragens, 11 nur] nicht

17 nach] ncah

Ihr Zweck ist das Umschließende des Geistigen zu sein, das Haus des Gottes, der Tempel.

Somit ist im Allgemeinen das Haus der Grundtypus der classischen Architectur.

Es ist eine Umschließung nach den 3 Dimensionen des Raums

Länge und Breite laufen in eine Spitze aus, indem sie selbst nur sind als Tragende, das Getragene aber an ihm selbst nicht Träger zu sein zu zeigen hat. das mechanische Verhältniß der Umschließung ist somit: Tragend und in sich verbunden zu sein.

das abstracte Moment des Tragens ist die Säule;

456 das Verbundensein die feste Wand.

Säule und Wand sind durch den Balken verbunden. So sind die Momente des Hauses: a das Tragende: Säule, Wand, Balken. b. das Getragene.

daß das Tragende das vorwaltende sei zeigt sich in der festen Bestimmtheit der Rechtwinklichkeit und in der oblongen Figur des Tragenden. ɴ) Beim balken.

daher sind die ältesten Säulen niedrig und breit, und werden erst in den weitern Ordnungen höher und schmäler So sind die Momente des Tempels: a. das Tragende: b. die Säulen in Reihen und Gruppen. c. das von festen Mauren umgebene Innre. h. die Verbindung mit den Säulen b. die Säulen. Sie sind das abstracte Moment des Tragens.

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sondern umschliesst zugleich und verbindet. die Säule trägt nur etwas; indem aber mehrere dasselbe tragen ist dieses ihr Tragen zugleich ihr gemeinschaftliches ihr Verbindendes, der Balken. diese Bestimungen machen nun sogleich den | Uebergang zum Holzbau und zeigen ihn als ein Erstes auf. das Haus ist ein vom Menschen Gefügtes. Zum Fügen bietet das Holz sich zunächst dar, der Stein muß erst gesprengt, formirt und dann erst gefügt werden die classische Baukunst nun ist es wo diese äusserliche Zweckmässigkeit des Hauses das Herrschende ist. Es ist hier also nichts Organisches, das nur untergeordnet vorkommt. das Haus ist nirgends Selbstzweck. Auch das Maaßlose ist hier keine Bestimung. die Schwere ist Herrscherinn, und muß als solche erscheinen. Ferner muß sie als tragend erscheinen, als zähe, nur in wenig Punkten unterstützt um getragen zu sein. So ist es auch das Arabeskenartige, wo das sich Ausbreitende von einem schwachen Stengel getragen ist; der Träger muß hier verständig verhaltnißmäßig sein, er darf weder zu stark noch zu schwach gegen das Getragene erscheinen. das Vorwalten des Mechanischen muß sich auch in den weitern Bestimungen zeigen. der Rechte Winkel bleibt eine Hauptbestimung. Ein tragendes wird rechtwinklig unter das gelegt, was es trägt. der Rechte Winkel ist der verständig bestimmte; der spitze, der stumpfe sind unbestimmt; der rechte schlechthin bestimmt. daß das Materielle das Ueberwiegende ist kommt auch in dem Verhältniß der Breite und Länge vor. das Quadrat wäre zu regelmäßig, es wird verzogen. das Verhältniß der Höhe bestimmt sich durch das Verhältniß der Schwere überhaupt. Sieht man das Gebäude, dessen Höhe geringer als die Breite ist, so sieht man daß das sich Ausbreiten das Leichtere ist. die ältern Säulen, die dorischen sind niedriger und breit, die ionischen sind schlanker, die corinthischen erheben sich noch mehr. Was das noch Nähere betrifft, so giebt es sich im Allgemeinen | aus dem Gesagten. der Tempel ist ein Gebäude mit Säulen die Tragende sind, und Verbundene. Alle Unterschiede müssen abgesondert für sich heraustreten. In den Säulenreihen muß das Tragende für sich dastehn; Hallen bildend oder in zerstreuten Gruppen sich herstellend, die Wände unterbrechend, dem Zugang offen. Ihnen entgegengesetzt ist das Mauren umschlossene Innre, das die Zerstreuten Einende. das Nähere des Details, das in Betracht kommt ist zuerst die Säule für sich. Sie ist von dem Pfosten unterschieden als eine Base habend und das Capitel. die toscanische hat keine Base. Solche Form aber ist mehr nur der Anfang der Baukunst, und die Säulen haben später eine bestimmte Base und ein bestimmtes Capital. die 3 reinsten Säulenordnungen sind die dorischen, ionischen und corin12 So ist … das1] (1) dagegen ist es das (2) (So über gestr. dagegen) ist (auch über versehentlich gestr. es das) 17 unter über gestr. über

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thischen. Ueber sie ist man nicht hinausgekommen; sie sind ein traditionelles. Jede Ordnung hat wieder ihre Eigenthümlichkeit; zugleich muß man zugeben, daß jede Verandrung ein Ungefälliges nach sich zieht. die Frage ist nun warum fordert die Säule eine Basis und ein Capital? – man kann sagen: es rühre vom Ursprung aus dem Pflanzenreich her. Aber man kann sagen die Säule fordre dergleichen. Ein Pfosten ist oben und unten aus; es ist kein Punktum nöthig, wenn ein Buch aus ist, aber man fügt ihn hinzu, die Reflexion, daß es aus sei, objectiv zu machen. So ist es mit der Säule. Bei ihr will man sagen, es sei nicht zufällig, daß sie dort aus sei, sondern sie solle dort aus sein. das Organische endigt sich selbst auf concrete Weise, es ist ein Aussein von Innen heraus. dieß ist das Höhere Bedürfniß einer sich bezeichnenden Endigung. die Säulen haben verbundene Basen zu ihrer festen Verbindung, dann steigen sie leicht geschwungen auf | nach einem bestimmten Verhältniß. Ebenso bestimmt ist das Verhältniß der Höhe zur Breite. die alte dorische Ordnung hat zur Höhe nur 4mal den durchmesser, die ionische 7 bis 9mal, die Korinthische steigt noch höher empor. die dorische hat nur leichte Kapitäler, die ionische die Polster, die die Korinthische Blätter von Akanthus. Und hierüber haben die Griechen eine anmuthige Geschichte[.] Ein Mädchen besonderer Schönheit sei gestorben; da habe in einem Körbchen die Amme das Spielzeug gesammelt und aufs Grab gesetzt, wo eine Akanthuspflanze zu wachsen begonnen habe. die Blätter haben sich dann um das Körbchen gezogen. Hievon sei der Gedanke zum Kapital einer Säule genommen. die Kapitäler der aegyptischen Säulen sind unendlich verschieden; die lombardischen sind verdorbene griechische das nächste auf den Säulen ist der sie zusammenhaltende Balken, der Architrav, Hauptbalken. Ueber diesem folgt der Fries. Wenn man nehmlich den Holzbau zu Grunde legt, muß auf die Balken ein Rost folgen. die Köpfe der Balken liegen auf dem Architrav in Zwischenräumen. dieser ausgefüllt giebt den Fries. Prismatisch wurden die Balken abgeschnitten in Trigliphen, die Zwischenräume sind Metopen genannt, viereckige. diese deuten ausdrüklich auf den Holzbau an. – Ueber diesen Frieß kommt dann wieder ein Balken der die Köpfe der Querbalken verbindet und die Stütze ist für das dach, das Kranzgesimse. Bei der ionischen und corinthischen Ordnung fallen die Trigliphen und Metopen fort. der Steinbau hätte von mehreren dieser Theile entbehren können, deshalb fällt in der Korinthischen Ordnung manches fort. Aber der Steinbau behielt meistens die Prinzipe 9 sie2 über gestr. es über gestr. dorishen

29-30 in Trigliphen über der Zeile mit Einfügungszeichen 36 Steinbau] davor gestr: Holzba

34 corinthischen

Sie haben Basen und Capitale, indem sie die Reflexion zu enden und anzufangen objectiv zu machen haben.

Als viele Tragende sind die Säulen verbunden durch den Architrav; ihm folgt der Frieß; diesem das Kranzgesimse.

b. das Getragene ist das dach.

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die Schönheit besteht in dem verständigen Verhältniß der Dimensionen, der Verzierungen.

3. die romantische Architectur.

Indem in der classischen Sphäre die Architectur ihren Begriff realisirt hat hebt sie das abstracte einem Andern zu dienen auf und wird im Umschliessen des Gottes für sich selbst ein selbstständiges Werk.

da sich in dieser Stufe die classische Baukunst mit der selbstständigen Zusammenschliesst, so kehren hier mit beibehaltener Zweckmäßigkeit die organischen Formen zurük

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bei, die er fand. denn er soll ein vielgefügiges, von Menschen Gemachtes darstellen. | die Schönheit bestehe nun in der Zweckmäßigkeit in den Verhältnißen der Länge und Breite, in den Verzierungen, die dem Eindruk des Einfachen nicht schaden dürfen, denn leicht heben sie den Eindruk des Grandiosen auf. Besonders ist die Rücksicht, daß ein Grosses groß erscheinend gelassen werde, und diß geschieht durch das Unterbrechen, zugleich darf diese Unterbrechung nicht zu vielfach sein, sonst verschwindet die Vorstellung des Grossen. die Alten verstanden beides zu einen. die Neuern haben überall noch Verzierungen angebracht, die Säulen gewunden, klein candelirt, den Eindruk des Grossen zerstört. Man candelirt die Säulen, um sie groß erscheinen zu machen, indem man in ihnen Theile erscheinen lässt. diese Theile aber müssen nicht zu klein sein. In Italien finden sich Säulen wo in die Candelirung ein Mann hineingeht. – die Hauptsache im Allgemeinen ist also die verständige Zweckmäßigkeit, die mechanische Verständigkeit.

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3 die gothische oder romantische Baukunst. Man befasst unter sie auch die Maurische. Bei der gothischen Baukunst ist das Spitzwinklige vorherrschend, bei der maurischen das Hufeisen. die Vorgothische hat es mit Kreisen und Bogen zu thun. In der Gotischen Baukunst vereinigt sich die selbstständige mit der classischen. das Haus wird selbstständig. diese Selbstständigkeit, das Fürsichhinaufstreben und dastehn über den Zwek hinaus für Menschen zu dienen ist der Hauptcharacter. Es ist da kein bloß verständiges Verhältniß mehr, es ist kein Schachtelwesen wie unsre Kirchen, die nur sind von Menschen ausgefüllt zu werden, nichts als Stühle wie Ställe haben. die gothischen Kirchen sind Werke für sich, die Menschen verlieren sich darin wie Punkte. der Bau steht da für sich, fest und ewig. Es sind da keine Stühle, keine Bänke. | die Menschen streifen nomadisch in diesen Weiten umher. der Grundtypus der classischen Baukunst ist die Zweckmässigkeit des Hausseins. diese ist beim gothischen Nebensache. der Typus für das Gothische ist wieder die Naturform, welche hier eine Form sein muß des feierlichen Umschliessens, der Samlung. die Form ist das Gewölbe eines Waldes, das Schauerliche, zur Betrachtung Einladende. diesen Character hat der Spitzbogen, das Zusammenstossen der Säulen. Es ist 10 klein über der Zeile mit Einfügungszeichen unsicher

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23 dastehn durch Tintenfleck teilweise verdeckt, Lesung 35

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die Weise wie Baumzweige zusammenkommen und sich zum Gewölbe verzweigen. das Verhältniß des Geraden, die Rechtwinklichkeit, die den Zwek hat des Tragens und Getragenwerdens ist aufgehoben. Im Spitzbogen ist das Tragen nicht mehr so herausgehoben, Tragen und Getragenes sind nicht mehr für sich hingestellt. die Seiten kommen frei in der Spitze zusammen. Solches Gewölbe, das für die Innerlichkeit bestimmt ist, stellt der Dom dar. die äussre seite von Säulengängen für das nach Aussen zerstreute, verschwindet. der dom ist ernst in sich beschlossen, und die Verzierungen bestimmen sich ebenso, von Innen heraus. die Thüren sind perspectivisch und Gangartig in Spitzbogen gebaut. In der Facade ist die Bestimmtheit durch Innres ausgedrükt. die äussern Unterbrechungen haben ihre Bestimmungen vom Innern heraus. die Seiten sind Pfeiler, die hinaufstreben; die Säulen selbst sind dann im Character des Emporstrebens nicht rund, sondern unten an ihnen beginnt schon die Theilung, in der sie oberwärts sich auseinanderschlagen. die Säulen selbst also, die Zeichnung an ihnen, daß alle Verhältnisse emporfliegen, haben den Character nicht des Ruhens sondern des in die Höhe strebens. der ganze Character also ist dieses, daß das Auge nicht ruhig geradaus gehn, sondern sich erheben soll. die Säulen schlagen in Spitzen aus; es bilden | sich freiwerdende Gipfel. die Verzierungen haben den Character des Blättergerippes, des überall durchbrochnen. diese Entzweitheit soll die Betrachtung aufregen. das Emporstreben ladet ein zum Erheben. das Unmittelbare ist zerstreut, klein ausgearbeitet, das Ganze im ungeheuersten Gegensatz. An dem ungeheuren Baum setzen sich die Verzierungen wie Schmarotzerpflanzen an. Näher theilt sich das Ganze in das Schiff mit Nebenschiffen. In den Niederlanden giebt es Dome, wo 7 Schiffe nebeneinander sind. die Menschen mit ihrem Treiben verlieren sich in diesem Grandiosen. das Momentane des Einzelnen, sein Vorüberfliehn wird darin sinnlich dargestellt. der katolische Gottesdienst gehört zu diesen Gebäuden. Ueberall ist ein Anderes: hier Procession, dort Gebet, dort wird ein Kranker gebracht. Nichts füllt das Ganze. die Gemeinde wird kein Selbstzweck, kein Ganzes. Ueber dem Schiff ist in der Hälfte der Höhe der Chor für den Priester, dann giebt es noch eine Vorhalle. das Trübe wird durch die bunten Glasfenster erhöht. Alles ist contrastirnd, der Anstrich weiß, die Fenster bunt, oder die Scheiben weiß, die Wände düster. Mit diesem Wenigen hätten wir uns zu begnügen, die Gartenkunst als Ausweichung zu übergehn und zur Sculptur überzugehn.

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10M C.) neben gestr. b.

die abstracten Momente der classischen Baukunst einen sich hier: Tragendes und Getragenes kommen in Eines zusammen, vermitteln sich im Spitzbogen. das Ganze ist in sich beschlossen, und hat den Character des selbstständigen Hinaufstrebens. C.)

Solches Gewölbe ist der Dom.

c.

die Architectur indem sie nur ist als Umschliessung des Geistigen und darin selbstständig für sich, ist das Negative ihrer selbst; das Geistige anderseits indem es nur als das Umschlossne ist und doch als für sich seiend bestimmt ist, widerspricht sich gleichfalls. Umschliessung und geistiger Gehalt sich in sich vermittelnd sind als unmittelbare Einheit hervorgehend die Sculptur.

460 Zweites Capitel B. die Sculptur. die Sculptur ist Erscheinung des Geistes in unmittelbarer Materialität.

Vergleich der Sculptur mit der Mahlerei. Er stes K apitel. Allgemeiner Beg r i f f d e r S k u l p t u r. z weites K apitel. Inhalt und Form d e r S k u l p t u r. drittes Kapitel Einzelne Ar ten der S k u l p t u r.

diese reine materielle Erscheinung des Geistes zu sein ist Bestimung durch den Begriff.

denn indem die Sculptur das erste dasein des Geistes ist, so ist die Form dieses daseins auch die erste

nachschrift hotho · 1823 Zw e i t e s C a p i t e l . B. d i e S c u l p t u r

Für die geistige Gestalt ist die eigentliche Architectur die Umschliessung. die subjective freie Geistigkeit tritt dieser Äusserlichkeit gegenüber. der Begriff in seinem Fürsichsein tritt der unorganischen Natur gegenüber, und ist der Mittelpunkt des Architecturwerks. die Sculptur hat also geistige Individualität zum Gegenstand, und sie läßt den Geist in unmittelbarer Materialität erscheinen. der Ton dagegen ist schon | Auf heben der Materialität. die Sculptur aber stellt den Geist in unmittelbarer Materialität dar, in vollständiger Räumlichkeit. Man kann also sagen, hier werde der Geist dargestellt wie er i s t . die Sculptur ist hiemit das Natürlichste der darstellung. die Mahlerei hat schon die Abstraction der Ebene. Näher betrachtet aber müssen wir sagen, daß die Sculptur in Betreff auf die Natürlichkeit einen Nachtheil habe, denn die Natürlichkeit ist nur die der äußern Materialität, nicht die Natur des Geistes als Geistes[.] In der schweren Materie äussert sich der Geist nicht in seiner eigenthümlichen Weise, sondern in Thaten und Reden. diese zeigen den Geist wie er ist, sie sind sein wahrhaftes Sein. Solches aber vermag nur die Rede darzustellen. Unvollkommen vermag es schon die Mahlerei. Wenn die Sculptur also materiel natürlich ist, hat sie den Nachtheil den Geist nicht in seinem eigentlichen Elemente darzustellen. Sie vermag nur ein Moment aufzufassen und ist schon in so fern bewegungslos. Man könnte zunächst wohl meinen, die Sculptur könne den Vortheil der Mahlerei gebrauchen, welche vermag genauer zu sein auf Farbe und den nähern Geistigen Ausdruk, und es wäre willkührlich, daß die Sculptur von der Farbe abstrahire, sie wegwerfe, oder daß es dürftigkeit der Geschicklichkeit in der Ausführung sei, nur Schatten und Licht zu gebrauchen. In der That stellt die Sculptur nur eine abstracte Seite der concreten menschlichen Leiblichkeit dar. Ihre Formen sind keine Manigfaltigkeit von Farben und Bewegungen sondern auf die Räumlichkeit beschränkt. dieß aber ist kein Mangel, sondern eine durch den Begriff gesetzte Bestimmung. denn die Kunst ist Werk des denkenden Geistes. Sie producirt ein Allgemeines, ein Abstractes. Es ist dasselbe, wie es mit der Wissenschaft ist. Keine concrete Wirklichkeit umfaßt sie, sondern nur eine besondre Seite, | kein Concretes, nach der Weise des sinnlichen Bewußtseins. die Kunst hält getrennt was im Begriff getrennt ist, ob es schon in der Wirklichkeit mag zusammen sein. E i n e n Unterschied des Begriffs hält jede Kunststufe fest. die Leiblichkeit, das sinnliche dasein ist das Element der Kunst. die erste Weise der Leiblichkeit ist die schwere Räumlichkeit, die Materialität. An diese erste Stufe des Begriffs hält sich die erste 2 Architectur über gestr. Sculptur (d. Geschcklichkt über der Zeile)

23 daß es … Geschicklichkeit] (daß es über der Zeile) dürftigkt

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Kunst. die Sculptur nimmt das Materielle wie einen geometrischen Körper auf, gleichgültig gegen Farbe. die Sculptur hat das allgemeine materielle dasein zum Element, damit ausgeschlossen ist die Particularisation der Materie. das Kunstwerk muß aber für Andres sein und so beginnt die Particularisation der Materie. Aber die Sculptur kann nur fortgehn bis zur allgemeinen Sichtbarkeit, bis zum Licht, das noch nicht bis zur Farbe fortgeht, bis zur nur allgemeinen Besonderheit. An der dunkelheit erst particularisirt sich das Licht zur Farbe. die Bestimungen der Farbe also sind ausgeschlossen. der farblose Marmor ist der angemessenste Stoff, auch Metalle sind es, die zwar Farbe haben, aber nur die abstracte gediegene Materie sind, einfärbig. die Aegypter haben Zyenith gebraucht, der als zweifärbig stört. der grosse Geist der Griechen war es, den Standpunkt, wie ihn der Begriff aufstellt, ergriffen zu haben, und rein und keusch diesem Begriff gemäß ihre Werke gebildet zu haben. Näher stellt die Sculptur das Wunder dar, wie der Geist sich der Materie einbildet, wie er sich gegenwärtig in ihr zu zeigen vermag. Zu betrachten ist nun: 1. welche Weise des Geistigen fähig sei in diese Materialität sich einzubilden. 2. wie diese Formen der Räumlichkeit zu bestimmen seien, damit sich der Geist als schön zu erkennen gebe. | Ueberhaupt also zu sehn ist die Vergleichung dieses Materiellen mit dem Idealen, und welches Sinnliche, äußerlich Bestimmte diesem entsprechend sei. Welches also ist die erste Form der Geistigkeit, welche aus der unorganischen Natur heraus ihr gegenübertritt. Wir haben als das Material die Räumlichkeit der noch unparticularisirten reinen Materie. dieser entspricht überhaupt die starre objectivität des Geistes, wo die Geistigkeit sich noch nicht gegen sich als das besondre subject, gegen die allgemeine subjectivität unterschieden hat. der Geist ist dann allerdings subjectivität, aber nicht die sich vom allgemeinen Ansichsein des Geistes Unterscheidende: die Materie i s t nur erst, und in ihr i s t der Geist erst; die fürsichseiende subjectivität führt Beweglichkeit und Zufälligkeit mit sich, setzt sich als Besondres, Willkührliches, das in bestimmte That und Handlung übergeht. Insofern die Zufälligkeit hereintritt, erscheint sie nach Aussen gerichtet, mit Anderm verwickelt. diese Besonderheit der subjectivität ist hier ausgeschlossen, also die Empfindung findet hier keinen Platz. der Geist hat ohne den Ausdruk der Empfindung zu erscheinen, die Gestalt zeigt sich ohne M i e n e . denn Miene heißt Ausdruk der Eigenthümlichkeit, der Besonderheit der Particularität, die Beziehung der Eigenthümlichkeit auf die Allgemeinheit des Geistes. Bei der Selbst-

5 Sichtbarkeit] Shtbrhkt bis zum über gestr. mit dem 14 Sculptur] Sclupltur 19 dieses Materiellen mit über der Zeile mit Einfügungszeichen 23 unparticularisirten] unparticulalirisrtn überhaupt] davor gestr: die subjectivität

Form des Natürlichen überhaupt die schwere materielle Räumlichkeit, die noch nicht zur Partikularisation fortgegangen ist. das Material der Sculptur kann also nur zur allgemeinen Sichtbarkeit der Materie fortgehn, nicht bis zu der Sichtbarkeit die in sich Particularisation des allgemeinen Lichts gegen die specifische dunkelheit des Materiellen, die Farbe ist. Zweites K apitel. I Inhalt.

diesem in sich nicht particularisirtem Material entspricht die objective Geistigkeit als solche, d.h. die substantielle subjectivität, die noch nicht zur Unterscheidung in sich ihrer Allgemeinheit und Besonderheit fortgegangen ist, sondern nur Existenz ist ihrer substantialität. Somit ist in der Sculptur die Empfindung und der Ausdruk derselben, d i e M i e n e , ausgeschlossen. 2

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die Sculptur daher stellt nur die allgemeine substantialität der particulären subjectivität als geistige Individualität, d.h. als existirende Geistigkeit, und beseelte Existenz dar. diese in sich beschlossene selbstständige, existirende substantialität ist die Göttlichkeit. b. Objectivität in dem Sinne, des noch nicht aus der Körperlichkeit in sich Reflectirtseins. c. nur darzustellen was im Leiblichen ausdrükbar

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gefälligkeit ZB. kann ich mich zwar ganz objectiv verhalten, über mich zufrieden sein, einer sittlichen Handlung wegen. Aber zugleich ziehe ich mich Einzeln aus der Allgemeinheit heraus, und vergleiche mich mit ihr. die Zustimmung bei dieser Vergleichung ist die Selbstgefäligkeit. Zu dieser Besonderheit auch des d i e s e s , der Empfindung geht die objective Geistigkeit noch nicht fort. Hochmuth, Einbildung sind alles Empfindungen, dem d i e s e n angehörend. Tapferkeit ist ein substantielles verhalten, drükt sich in ihr eine Miene aus, so ist diß eine subjective Empfindung, eine Particularität, ein Bewusstsein der Besonderheit, das sich ausdrükt. die Menschen sind nie ohne Empfindung, sind selbstgefällig, drohend, trotzend, verlegen, in irgend einem particularen Verhältniß. Bei der Sculptur zunächst aber ist die particulare Subjectivität und somit der Ausdruk | der Empfindung ausgeschlossen. Es ist die substantielle Individualität, die dargestellt wird, als seiende. Wenn wir eine lebensbeschreibung eines Menschen lesen, seine Zufälle, seine Thaten, so wird solcher Verlauf manigfaltiger Willkühr und Zufälligkeit mit einer Characterschilderung geschlossen, die das Einzelne in allgemeine Pradicate zusammenfasst. diß dann sind die substantiellen Mächte des Individuums, und die Particularität selbst nur accidentelle Erscheinung dieser substantialität. Solches Beständige ist es, welches die Sculptur als nur das Sein ausdrükend, darstellt. Solche allgemeinen Eigenschaften: Güte, Gerechtigkeit stellt sie nicht allegorisch vor sondern als Individualität, als geistige Objectivität. diese ist der Gegenstand als in sich beschlossen und vollendet, in selbstständiger Ruhe, dem Verhalten gegen Anderes entnommen, in sich ruhend, in sich selig. diese selbstständige Ruhe einer Objectiven Individualität ist die Göttlichkeit, das Beisichsein des Geistes, nicht in Endlichkeit herausgehend, sondern nur seiend und darum ewig und unvergänglich. deshalb ist die sculptur mehr als jede andre Kunst auf das Ideale gewiesen. der Gegenstand ist auch dem Inhalt nach das Ideal, das Ewige, unverwickelt in das Zeitliche und Accidentelle, die reine substantialität. die Sculpturbilder der Alten machen deswegen den grossen Mittelpunkt ihrer Kunst aus. der ganze Ton aber des Plastischen ist über alle Werke der Alten ausgegossen. das substantielle ist immer das zu Grunde liegende, das Nichtempfindende hat immer die Oberhand, die denkende, ewige Idee wird vorgestellt, der Willkühr, der Selbstigkeit des Zufalls entrückt; die Anschauung des Plastischen ist es, was bei allem Studium aller Kunstwerke der Alten anzuwenden ist. auch die handelnden Individuen haben diesen Character. Sie sind groß und frei, selb-

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3 mich über der Zeile 7 drükt sich … aus] (1) ist mit ihr ein Miene vorhanden (2) (drkt sich in über 35 gestr. ist mit) ihr ein Miene (aus über gestr. vorhanden) 13 eines Menschen über der Zeile mit Einfügungszeichen 16M Sculptur] Scluptur 23 Individualität] Indivdalltät 26 nach über der Zeile mit Einfügungszeichen

besonderer theil · sculptur

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ständig sich aus sich erzeugend, sich zu dem bildend, was sie waren, und so gewesen sein wollend. – Solche Charactere sind Perikles, sophocles. – Wenden wir uns an das Nähere, so kommt zunächst als Nächstes uns entgegen, | daß die objective Grundlage die menschliche Gestalt sei. die Anatomie, das Gerüst der Architectur war das Haus. den Grundtypus erfindet der Künstler nicht, sondern er ist ihm gegeben. die lebendige Gestalt hat der Mensch nicht erfunden, sondern gefunden. Sie gehört der Natur an, obgleich diß sehr unbestimmt ausgedrükt ist. In der Natur wirkt die Vernunft, so ist also die natürliche Gestalt ein Erzeugniß des Begriffs, die Seele ist der existirende Begriff, erzeugt sich den thierischen Körper, dessen Typus manigfach modificirt ist. durch den Begriff aber ist er bestimmt. diß zu fassen, daß die leibliche Gestalt und der Begriff sich entsprechen, diß ist Sache der Philosophie. In ihr wäre zu zeigen, daß die Systeme des animalischen Körpers, die besondern Organe, in die er sich abscheidet, den Begriffsmomenten entsprechen, daß die Bestimmungen der Seele hier leiblich sind. die menschliche Gestalt ist nun nicht die Leiblichkeit allein der Seele, sondern des Geistes. Seele und Geist sind unterschieden. der Geist hat sich zur Seele zu machen, denn er ist lebendig, und so hoch er über dem bloß Lebendigen ist, so macht er sich dieser Höhe gemäß als Seele seinen Leib, und dieser ist nur durch den Einen Begriff bestimmt. die Geistigkeit als für sich seiende ist das denken. das denken, das sich für sich realisirt macht sich die Wissenschaft; sich zum Unmittelbaren entschliessend, macht es sich einen lebendigen Leib. der lebendige Körper also ist durch den Begriff bestimmt; geht er zum Geist fort ist er auch Körper und nur modificirt. die menschliche Leiblichkeit ist dem Künstler gegeben; sie ist der Ausdruk des Begriffs überhaupt, und höher des Geistes als des fürsichseienden Begriffs. der menschliche Körper ist nun nicht allein überhaupt sondern auch im Besondern Ausdruk des geistigen. Auch diß ist vorausgesetzt. diese Zusammenstimmung des Geistes mit dem Leiblichen als in’s Natürliche fallend, gehört mehr dem Sinne an, und ist auf bestimmte Gedankenbestimmungen nicht zurükzuführen. | diese Zusammenstimmung hat man versucht wissenschaftlich darzustellen und Pathognomik und Physionomik genannt. die Pathognomik gehört hieher nicht, denn sie beschäftigt sich damit, wie sich Leidenschaften und Empfindungen ausdrüken. Gründlich ist darüber noch nichts gewirkt. Man sagt ZB: der Zorn sitze in der Galle, der Muth im Blut. Zorn drückt sich im Gesicht anders aus als Zufriedenheit. Besondern Leidenschaften entspricht eine Thätigkeit eines besondern Organs. der Zorn sitzt nicht in der Galle, sondern leiblich

1–2 gewesen sein wollend. –] (1) gewollt seien wesent. (2) (gewollt seien gestr.) (gewesen aus wesent.) (sein wollend. – über der Zeile mit Einfügungszeichen) 18 dieser Höhe gemäß über der Zeile mit Einfügungszeichen 19 den Einen über der Zeile

II Form.

der Grundtypus für die darstellung dieser substantiellen subjectivität ist die menschliche Gestalt. Als Erzeugniß des Begriffs seiend ist sie keine Erfindung sondern der Künstler findet sie vor.

der menschliche Körper ist der existirende Begriff. der Geist insofern er nur ist als zugleich existirend als Seele, hat den menschlichen Körper zu seiner Erscheinung

der Geist ist aber nur als individueller, und so ist seine Erscheinung nicht die menschliche Leiblichkeit überhaupt sondern bestimmte Leiblichkeit.

die Wissenschaften der Einheit der individuellen Geistigkeit und ihrer Leiblichkeit wären die Pathognomik und Physionomik.

464 Erstere als Wissenschaft des Ausdruks der Empfindung geht die Sculptur dieser Stufe nichts an, und die Physionomik würde nur hieher gehören, insofern sie aufzeigt, wie die substantielle Göttlichkeit leiblich auch als bestimmter Character, und so Ideal wird.

III. das Ideal der S k u l p t u r.

Was das Ideale sei zeigt sich im Vergleich mit der Sculptur, insofern sie nur in ihrer ersten Bestimmtheit statarische Werke producirt 3tes Kapitel

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werdend, hat er ein bestimmtes Organ, an dem die Erscheinung seiner Wirksamkeit vor sich geht. Gemüthsbewegungen haben aber auch einen vorübergehenden Ausdruk. dieselben Organe drüken Zorn, Freude, Schmerz ect aus. dieß Pathognomische überhaupt das sympathetische Mitoscelliren des leiblichen Organs als dem bewegten, empfindenden Gemüth angehörend, ist nicht der Gegenstand der Sculptur. Anders ist es mit der Physionomik. Sie bezieht sich zwar auch einerseits auf vorüberfliehende Gemüthszustände. die für die Sculptur Passende könnte sich nur auf das Bleibende beziehn. wenn das Sculpturwerk, das die menschliche Gestalt zu Grunde liegen hat, zeigen soll, wie sie das Göttliche überhaupt ausdrükt, wenn man diß betrachten wollte, vollkommen bestimmt, so hätte man zu entwikeln, welche Theile, welche Züge, Gestaltungen derselben einer bestimmten Innerlichkeit entsprechen. Zu solchem Studium werden wir durch die alten Werke veranlaßt; wir müssen ihnen den Ausdruk der Göttlichkeit zugestehn, und ausserdem den Ausdruk der besondern Charactere dieser Göttlichkeit. diß aufzuzeigen hätten wir die Züge der besondern Organe anzugeben; und diese sind nichts Willkührliches, sondern die Harmonie muß an und für sich sein. Jedes Organ muß aus 2 Gesichtspunkten betrachtet werden, nach dem physikalischen, und wie dieses ein Geistiges auszudrücken fähig sei. Es wäre dieß nach der Art, wie Gall es zwar ungeschickt mit dem Schädel thut, zu betrachten. | Wenn dann so die besondere Formation nach ihrem geistigen Ausdruk betrachtet wäre, müsste noch dahinfortgegangen werden zu bestimmen, in wie fern diese Züge ein Ideales würden, das geistige ausdrükten, in so fern es der substantiellen Geistigkeit angehört. In Rücksicht auf ideale Formen des Sculpturwerks ist es besonders interessant, frühere Style mit dem idealen der classischen Kunst zu vergleichen. diese Vergleichung haben wir besonders Winkelmann zu verdanken. Mit feinem Sinn hat er die Züge herausgehoben, welche die Griechen für das Ideale eigenthümlich bestimmten. die Sculpturwerke der Aegypter zeigen grosse Geschicklichkeiten in der Technick, haben schöne Parthien, aber das Ideale ist noch bei ihnen nicht vorhanden. In Beziehung auf den Uebergang zum eigentlich idealen Styl haben wir uns zu erinnern, daß die Kunst überhaupt damit beginne eine Vorstellung zu geben als Vorstellung nicht eines unmittelbaren Gegenstandes, sondern die Vorstellung die der Geist sich von ihm macht. Von einem Gegenstande kann eine Vorstellung gegeben werden auf eine Weise, die sehr unvollkommen sein kann. Kinder zeichnend geben die Vorstellung des Gegenstandes den sie in der Vorstellung haben höchst ungeschikt. die erste Bestimmung, daß eine Vorstellung des Gegenstands gegeben werden soll, 8 Sculpturwerk] Sclulpturwrk 24 Sculpturwerks] Sclulpturwerks haben über der Zeile mit Einfügungszeichen

35 des Gegenstandes …

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kann sich mit sehr unvollkomnen Productionen begnügen mit symbolischen, die nur überhaupt nach der darstellung ringen. die Frömigkeit ist mit schlechten Kunstwerken zufrieden, sie will nur an den Gegenstand überhaupt erinnert werden, das Uebrige thut das Gemüth hinzu, und diese Innerlichkeit ist dabei das Bestimmte. Mit dem äußerlich dargestellten ist es schon als bloß Anregendem zufrieden. das vollkommne Kunstwerk aber soll bis zur Bestimtheit durchgebildet werden, so daß das anschauende subject sich nur soll empfangend verhalten. die Vorstellung des Gegenstandes objectiv zu machen also ist das nächste Bedürfniß des Kunstwerks. | Weil diese Vorstellung ZB. Vorstellung ist eines Göttlichen, soll sie ein Erkennbares für alle, für ein ganzes Volk sein. dieses wird es, indem keine Verändrung daran gemacht wird, sondern die darstellung immer dieselbe bleibt. Bei derselben ist vieles conventionell. dadurch geschieht, daß die Kunst auf dieser Stufe statarisch wird. Und dieß ist dann vornehmlich der Punkt der aegyptischen, der ältern griechischen und ältern christlichen Kunst. An bestimmte Formen hatte der Künstler sich zu halten, derselbe Typus wurde gefordert. Bei den Aegyptern hängt dieß noch mit der Kasteneintheilung zusammen. die Künstler gehörten zur 3ten Classe. der Sohn folgte dem Vater nach, hatte dessen Kunst zu lernen, und ganz so wie jener zu executiren. die Kunst demnach war nicht frei, der Künstler ist nur ein Handwerker. der grosse Uebergang zum Erwachen der freien Kunst ist da, wo der Künstler frei nach seiner Idee bildet, wo der Blitz des Genie’s in das Hergebrachte einschlägt und ihm Frische der darstellung ertheilt. Erst dann verbreitet sich der geistige Ton über das Kunstwerk. dabei ist zu bemerken, daß indem die Kunst zunächst nur für das Bedürfniß der Vorstellung arbeitet, und der geistige Ton sich noch nicht geltend macht, bei einer Oberflächlichkeit und Allgemeinheit der Formen stehn bleibt, und diese anderseits in ihrer nähern Bestimmung sich an die gemeine Wirklichkeit halten, einerseits nicht zur Lebendigkeit im Allgemeinen ausgearbeitet und dann wieder Züge der gemeinen Natur sind. dieß ist der Character der ältern aegyptischen und griechischen Kunstwerke, der aeginetischen, über die man gestritten hat, ob ihr Styl griechisch sei oder nicht. Sie zeichnen sich durch die getreuste Nachahmung der Natur aus. diese Nachahmung geht bis auf die Zufälligkeit der Haut, ohne Streben nach Idealität. die darstellung ist nicht ungeschikt, die Kenntniß der Muskeln zeigt sich; | ein Kenner sagt, die Glieder seien bis zum Erschreken natürlich. von dieser Natürlichkeit aber sind die Köpfe nicht. die Gesichter haben bei allen Handlungen eine Gleichförmigkeit und Mangel der Natürlichkeit. dieß kommt von der Nöthigung des Künstlers her, sich an das Hergebrachte zu halten. Auch die Stellungen sind todt kalt und steif. Es kann sogleich bemerklich ge2 darstellung] (dar über gestr. Vr)stellg

Statarisch wird die Kunst indem sie ein Göttliches wie es im Bewusstsein eines Volks lebt unmittelbar gegenständlich nach hergebrachter Tradition macht.

die statarische Kunst hält sich ihrem Prinzip gemäß am Unmittelbaren, Natürlichen der Gestalt.

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Aegyptischer Sculpturstyl diesem Prinzip gemäß:

Indem die bewegende Seele fehlt sind die Bilder steif und bewegungslos.

die Bildung des Gesichts nähert sich dem animalischen Organismus und ist nicht Ausdruk des Geistes, der sich frei geworden

Indem der Geist aber freie sich selbst bestimmende Individualität und als solche sich gegenständlich wird, ist dieses somit

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macht werden, daß man fühlt, nicht alle Theile seien gleich fähig zum Ausdruk des Geistigen. dieser fällt einerseits in’s Gesicht, anderseits in die Stellung des übrigen Körpers. Beim Gesicht bildet sich das Geistige in die einzelnen Theile ein; in den Füssen, Armen nicht, sondern in diesen ist nur eine allgemeine Bestimung durch die Stellung hervorzubringen. Auch die Stellung des Kopfs ist bezeichnend. Bei den übrigen Gliedern ist wohl Alter und Geschlecht auszudrüken; Innres auszudrüken ist nur die Stellung fähig. die Glieder in den aeginetischen Werken sind sehr natürlich nachgeahmt, doch fehlt das Geistige der Stellung, und der Ausdruk des Gesichts. – Winkelmann sagten wir schon, verdanken wir das Kriterium, durch welches das Ideale sich vom Natürlichen unterscheidet. Wir wollen hiefür den allgemeinen Character zunächst des Aegyptischen anführn, dann des Idealen. Winkelmann sagt vom Aegyptischen Style: Was die Figur im Allgemeinen anbetrifft, sei die Umschreibung der ganzen Figur mehr in geraden Linien und so der Grazie ermangelnd, der Stand der Figuren sei steif und gezwungen, die Füsse aneinander gezwängt, und voreinanderstehend doch parallel und nicht auswärtsgekehrt. die Arme an männlichen Figuren hängen gerade an der Seite herunter; die Figuren haben somit keine Handlung. In den Zeichnungen aegyptischer Figuren sehen wir zwar wohl sich bewegende, doch kommt diß mehr in Basreliefs vor und in Mahlerei, als in Sculpturwerken. Dädalus zuerst trennt die Arme von dem Körper | ab, erzählen die Griechen. der richtige Sinn hat es bemerkt, daß es wichtig sei diese Abtrennung nicht zu versäumen. Winkelmann sagt, bei den Aegyptern sei dieß angenommene Regel gewesen, daß die Hände sich nicht bewegten. Ferner bemerkt er, daß die Muskeln und Knochen wenig, Adern und Nerven gar nicht; Knöchel und Knieen sind bezeichnet; der Rücken nicht sichtbar, denn die Körper sind an eine Wand gelehnt. In das Detail fehlt die Hineinarbeitung, die das Leben den Figuren ertheilt. die Augen sind platt und schräg gezogen, nicht tiefliegend sondern fast parallel mit der Stirn. auf dem Augenknochen sind mit erhobener Schärfe die Augenbrauen angedeutet. dieß ist auszeichnend; zum Theil sind die Brauen noch durch einen platten Streif bezeichnet, der bis zu den Schläfen, dort plattabbrechend fortgeht. der Nasenbug ist wie in der gemeinen Natur, die Backenknochen erheben sich; bei kleinem Kinn ist der Schluß der Lippe aufwärtsgezogen, während beim Europaer der Mund sich unterwärts zieht. die Lippen sind nur durch einen schmalen Streif getrennt; die Ohren stehn auffallend hoch. die Füsse sind platt und ausgebreitet, die Zehen in der Länge gleich, die kleine nicht einwärts gebogen, die Zehn wie die Finger ohne Gelenke, die männliche Figur ungekleidet, bei der weiblichen das Gewand nur angedeutet. 15 parallel] paralell

27 parallel] paralell

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die griechischen Sculpturbilder dagegen sind die schlechthin Idealen von ihnen müssen wir das Ideale lernen, sie sind unerreicht[.] Sie zeichnen sich aus durch die Freiheit der Lebendigkeit und der Stellung. Sie sind freie Conceptionen des Künstlers, nicht darstellung des Hergebrachten. Alles ist bis zur Lebendigkeit bestimmt, deren Zauber in der Genauigkeit des Details liegt. | der Fleiß zeigt sich so weit getrieben, daß er dem Auge nicht unmittelbar auffällt, sondern erst in vielfacher Beleuchtung und Stellung. der Eindruk aber im Allgemeinen auch ist der, daß der duft einer beselten Fläche an uns kommt, daß alle Organe in leiser Bestimmtheit in einander überfliessen. diese durchbildung Aller einzelnen Punkte ist der Character dieser Lebendigkeit. Nichts ist flach, nichts ohne Zusammenhang mit Anderem. Betrachten wir diese Formen näher, so sind zunächst die Formen des Gesichts zu bemerken. Wir folgen auch hier Winkelmann. das Erste, was in dieser Rücksicht uns begegnet ist das griechische Profil, eine bestimmte Verbindung der Nase und Stirn. Ihre Verbindung ist ein Zusammenhängen in einer sanftgesenkten fast geraden Linie, die eine senkrechte Richtung auf eine Ebene hat, die in andern Theilen ihre Bestimmung findet; nehmlich von der Spitze der Nasenwurzel an’s Ohr gezogen wird. Camper, ein holländischer Physiologe hat vornehmlich diese Linie näher bestimmt und gezeigt, daß beim Thiere die Linie, welche der Nasenknochen mit einem zweiten macht, von der obern Kinnlade herabgezogen, wo die Zähne sich inseriren, einen spitzen Winkel macht. das griechische Profil dagegen bildet einen rechten Winkel. Er findet sich bei den Kaukasen oft auch in der Natur. daß ein solcher Winkel Idealität hat, erhellt, wenn wir die Verhältniße näher betrachten. Beim Thiere tritt besonders das Organ des Fressens und des Schnupperns nach demselben hervor, sie drängen sich nach den Gegenständen hin, der animalische Mund ist vorgebeugt, das Auge erscheint als nur dienend zur Ausspähung der Nahrung. Beim Menschen dagegen zeigen sich 2 Mittelpunkte in der Physionomie. Vom Munde aus versteht man die ganze Bildung des | Thiers. die Beschaffenheit der Zähne zeigt die Beschaffenheit des ganzen Thiers. Andere Zähne erfordern andere Kinnbakken, andere Vorderschenkel, andere Klauen, andere Muskel, andere Rückenwirbel. Aus einem Zahn kann man Schenkel und Rückenknochen erkennen. Beim Menschen ausser dem Mund ist das Auge bezeichnend und die sinnende Stirn. das Auge ist das Organ eines theoretischen Verhältnisses zu den dingen. der Mund ist das practische Organ. dieses zweite ideelle Verhalten zu den Gegenständen, das sinnende Verhalten tritt in der obern Parthie des Gesichts hervor, und diese ganze Parthie tritt vorwärts und ist die Hauptsache und giebt der Menschenphysionomie den idealen Character. die gerade Linie, die bei den Thieren zum 26 das] davor gestr: die Nase

Ideale das freie Werk des Künstlers dessen Selbst dieser Geist ist, der durch ihn sich verwirklicht. die Lebendigkeit der idealen Gestalt zeigt sich in der durchbildung aller Theile, deren keiner selbstständig gegen einen andern wird, sondern die Alle harmonisch in einander verfliessen. diese Theile sondern sich in die Hauptgruppen: des Gesichts und der übrigen Glieder: das Gesicht. dieses wird überhaupt ideal insofern die practische Richtung nach Aussen, die beim Thier das Hauptsächlichere ausmacht, zurücktritt, und sich dagegen der Ausdruk der substantiellen geistigen Innerlichkeit hervorhebt.

dieß Hervortretende ist die Stirn, gegen welche das Organ des practischen Verhältnißes der Mund das Untergeordnete wird.

468 später bei aufrechter Stellung.

Beide Extreme verbindet als das Organ des Geruchs die Nase, die sich der Stirn ohne Unterbrechung anbildet, da das ideal Lebendige darin besteht, daß kein Organ gegen das Andere sich als selbstständig und getrennt zeige. diese Verbindung producirt das griechische Profil.

das Auge, das im Blick die particuläre Geistigkeit hat, entbehrt in der idealen Sculptur da sie nur die substantielle Individualität ausdrükt, des Blickes, und zeigt sich nur als Auge als Concentration der substantiellen Individualität

das Auge als dieser Ausdruk hat zu seiner Form weder das Hinneigen zur Geradlinigkeit noch zur Abstracten Idealität des Kreises sondern zur Idealität im Unterschied zur Wellenlinie.

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Rücken geht ist bei den Menschen durchbrochen. das Auge des Menschen geht gerade aus, und macht mit der Richtung des Körpers einen rechten Winkel. Auge und Stirn drüken beim Menschen das Ueberwiegende des theoretischen Verhältnisses aus. Mund und Stirn also sind die Mittelpunkte der Physionomie, die Nase verbindet sie, das Organ des Riechens. Sie macht den Uebergang zur Stirn, sie gehört dem thierischen Bedürfniß noch an, doch ist das Riechen die Mitte zwischen dem practischen und theoretischen Verhältniß. Ist nun der Uebergang zwischen Stirn und Nase unterbrochen, so zeigt diß Eigensinn und Härte an, ein Fürsichsein des Sinnenden gegen das mit der Aussenwelt Zusammenhängende. Bei einem tiefen Winkel ist der Anschein der Trennung. die schöne Harmonie des Insichsinnens und dem Organ der Mittheilung liegt im sanften Uebergang der sinnenden Stirn zur Nase. So giebt uns diese Linie diese schöne Harmonie[.] diß ist über die Nothwendigkeit des griechischen Profils zu sagen. die Alten haben die Stirn nicht hoch gebildet, in der Jugend ist sie kurz. | der haarlose tiefe Winkel der Stirn kommt der kräftigen Jugend nicht zu sondern nur dem Alter. Was das Auge selbst betrifft, so entbehrt die Sculptur in Betreff auf dasselbe den Blick. Zuerst sieht man dem Menschen in die Augen, wie durch Händedruk setzt man sich durch den Blick in Einheit, er ist die Concentration der Innigkeit, der empfindenden subjectivität. der Blick ist das Seelenvollste. dieses Seelenvollsten entbehrt die Sculptur. dieß kann als Unvollkommenheit erscheinen, die Augen wurden oft gefärbt, aber die Farbe macht es nicht, sondern die concentration der Beselung. Aber nach dem Character der Sculptur muss sie des Blickes entbehren, denn sie soll nicht bis zur subjectivität, die sich als subjectivität setzt fortgehn. daher ist es ganz consequent, daß die sculptur den Blick nicht zu ersetzen sucht. Nur traditionelle alte Tempelbilder haben farbige Augen. die Sculptur geht dann wohl dahin fort, den Blik durch Vertiefung anzudeuten; aber sie soll das Geistige nur durch die Umgränzung des Raums ausdrüken und hat das Seelenvolle nur als Ergossenheit des Geistigen in die Räumlichkeit. das Sculpturbild ist blind, ist nicht die sich particularisirende subjectivität. Bei Statuen findet man wohl, daß sie nach einem bestimmten Punkt hinsehn, wie zum Beispiel der Faun zum jungen Bachus. das Hinlächeln ist seelenvoll ausgedrückt ohne daß aber das Auge sehend ist. die alten rechneten zur Schönheit ein grosses Auge. Venus hat ein grosses Auge, nur ein etwas geschlossen; das untere Augenlied rückt herauf. die Form des Auges ist dann näher diese, daß der innere Winkel des Auges gegen das obere Augenlied einen höhern Bogen macht, und gekrümmter zur Nase hin

9 Zusammenhängende] Zusammen hängendem Portrait-

29 sich über der Zeile

Statuen] davor gestr:

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ist, nicht halbgezirkelt, | nicht abstract regelmäßig. die Augen ausserdem liegen tiefer als in der Natur, wodurch das Sinnen der Stirn sich mehr ausdrükt. die Augenbraunen sind nur fein angezogen; Haar überhaupt ist Vegetabilisches mehr eine Schwäche des Organismus als Zeichen der Stärke; Frauen haben stärkeres Haar. durch die schneidende Schärfe der Augenknochen in alten Sculpturbildern sind die Augenbraunen angedeutet. – Beim M u n d , der ein Haupttheil des Gesichts ist, kommt eine Manigfaltigkeit der Nuancen vor. Beim Thier ist die Lippe dürftig; im Idealen voll Beredtsamkeit, Freundlichkeit marquirt sich hier. Ferner ist bei alten Statuen der Mund nicht geschlossen sondern ein etwas geöffnet. Beim Sinnen öffnet der Mund sich. das Versunkensein in sich ist das Beherrschende. – die Kinlade ist tiefer als in der Natur heruntergezogen und voll. die Thiere haben ein mageres Kinn. Göthe sagt: es gebe ein grössres Kinn ein Zeichen von Thätigkeit, während der mägere Unterkiefer des Thiers seine Richtung nach Aussen andeutet. die medicaeische Venus hat ein dünnes Kinn, doch es hat sich gefunden, daß es restaurirt ist. – das Ohr ist fein ausgearbeitet, die Haare auch; sie sind auszeichnend und bestimmen oft die Gottheit. Was im Unterschied des Kopfs die Glieder anbetrifft, so geht hier eine andere Ordnung an. durch das Gesicht kommt die Geistigkeit zur Erscheinung. die Glieder des Leibes sind lebendig, und können lebendig schön sein, doch das Geistige erscheint nicht an ihnen selbst, oder erscheint nur durch die Bewegung, und Stellung gegeneinander, in die sie gesetzt werden. die Geberde als solche gehört zur eigentlichen Sculptur nicht, sondern die Stellung ist mehr die ruhige, stille Haltung. | doch muß die Ruhe eine Ungezwungenheit ausdrüken, nicht Gleichformigkeit der Beine und Arme herbeiführen, wie sie an den aegyptischen Bildern sich zeigt. die Glieder für sich sind nur der sinnlichen Schönheit fähig. Bei ihnen kommt noch in Betracht: die Bekleidung. Ihr nächster Grund überhaupt ist die Bedürftigkeit; sie gehört der Sculptur nicht an. die Schamhaftigkeit ist ein anderer Grund, und hat ihren Grund darin, daß der Mensch sich seiner höhern Bestimung bewusst ist, Geist zu sein, diese als sein Wesentliches weiß, und so das nur Physische als Unangemessenes ansieht. Schaam ist Beginn des Zornes über ein Nichtseinsollendes. Bei allen Völkern, bei denen die Reflexion beginnt, tritt die Schaam ein. Sinnreich ist diß in der Erzählung von Adam und Eva ausgedrükt. die Griechen nun bekleideten sich und zum Theil ihre Glieder. Aber sie rechneten es sich hoch an zuerst nackt gekämpft zu haben. diß ist theils der Bequemlichkeit zuzuschreiben, theils dem Mangel an Geist bei den Lacaedoniern, bei denen die-

3 angezogen Lesung unsicher 6 M u n d in anderer Tinte unterstr. 13 Thätigkeit] Thattgkt 28 ihren] sn 30 Unangemessenes] davor gestr: bloß ansieht über gestr. bedarf 31 Reflexion] davor gestr: Schaam 35–470,1 bei denen … findet über gestr. die diß zuerst thaten

der Mund als dem Sinnenden dienend ist sanft, nicht zu practischem Gebrauch geöffnet, nur als das Practische des Geistes der Rede dienend.

das Kinn ist voll und hervortretend und nicht gegen den Mund ein Untergeordnetes wie bei den Thieren. Indem so das Geistige für sich im Gesicht sich ausdrükt, findet sich die Körperlichkeit als solche in den Gliedern Sie drücken durch sich selbst nicht die Geistigkeit aus, sondern durch ihre Stellung.

Indem sie als bloß Sinnliche dem Geist unangemessen sind verhüllen sie sich und die Schaam producirt so die Kleidung.

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Wo daher die sinnliche Schönheit als solche hervortreten soll fehlt die Bekleidung.

die Verhüllung ist ein andres gegen das Körperliche, zugleich von ihm getragen; indem es so frei für sich und getragen ist, zeigt es sich als Mantel. Indem die Kleidung nur soll das dem Geiste Unangemessne verdecken, muß sie die Stellung zeigen, und nur das Detail, worauf es nicht ankommt, verhüllen

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se Nacktheit zuerst sich findet. Bei den andern Griechen in Rücksicht der Kunst ist ein Hauptgrund die sinnliche Schönheit, welche sie veranlaßte die Gebilde nicht zu bekleiden. Sie haben aber die Bekleidung und die Nacktheit nicht promiscue gebraucht, sondern der Unterschied war wesentlich. die Schicklichkeit war das Leitende. Amor ist unbekleidet, denn er ist das Unbefangene der erscheinenden Schönheit. Ferner Jünglingsgötter, Helden, wurden auch nackt dargestellt, unter den Göttinnen nur Venus, deren Hauptbegriff sinnlicher Liebreitz ist. Juno, Pallas, Ceres, Vesta, Diana sind bekleidet vorgestellt, vor allen Jupiter. Was das nähere Prinzip einer schönen Bekleidung betrifft, so liegt es darin, daß die Kleidung die Glieder nicht verhülle, sondern zeige. die antique somit ist dem Idealen gemäß. Unsere Kleidung drükt zwar den Gang der Glieder aus | allein, wenn wir sie näher betrachten, so finden wir, daß in Betreff auf das Künstlerische unsre Kleidung nachsteht. denn wenn sie den Gang der Glieder zwar sehn lässt, so verhüllt sie doch die Lebendigkeit der Umrisse, das Wallende, Schwellende, das, was das Organische zum Organischen macht. dieß Feinere verdekt unsere Kleidung, und der Anblik den sie gewährt ist nur eines äusserlich mechanisch Gesetzten, das unfrei hin und hergezogen ist, in äußerliche Falten gelegt, die nur äußerlich mechanische Bestimung haben. das Allgemeine der organischen Bildung zeigt zwar die Kleidung aber das eigentlich sinnlich Schöne läßt sie nicht sehn, und macht es unkenntlich. das Kleid als Umgebung gleicht dem Architectonischen, nur ist es so beschaffen, daß mit seiner Umgebung das Individuum sich bewege. Als vom Körper verschieden muß es in dieser Verschiedenheit erscheinen. der Stoff ist auch wie in der Architectur ein Getragener, so aber, daß er sich frei zu bewegen vermöge, d.h. er muß am Körper hängen, sich frei bewegen. die Kleidung wird also freifallender Mantel sein, der nur an den Gliedern hängt und sonst sich seinem eigenen mechanischen Prinzip nach bewegt. dieß ist es, was das Ideale der antiquen Kleidung ausmacht. Alsdann ist davon eine weitre Folge, daß diese Kleidung der Stellung ganz gestattet sich sichtbar zu machen. Und in dieser ist nur Ausdruk des Geistes. diese alte Kleidung bedeckt die Stellung nicht; das Detail, worauf es nicht ankommt, dieses verhüllt sie. dabei ist zu bemerken, daß man nicht meinen müsse, die antique Kleidung sei auch bei modernen statuen die Portrait sind, anzubringen. Es fällt sogleich als Unangemessenes auf, wenn wir bestimmte Personen idealisch bekleidet sehn. Es erscheint sogleich ein Widerspruch. das Portrait muß in der Eigenthümlichkeit seiner Kleidung erscheinen, denn sie gehört zu seiner Besonderheit. Ohnehin sind die Gegenstände der alten Sculptur aus der Mythologischen Geschichte. | Winkelmann sagt: kein 36 Mythologischen Geschichte] (Mytholog., vielleicht zu lesen: Mythologie) (Geschichte am Rande angefügt)

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sujet sei aus einer Zeit genommen, die dem trojanischen Kriege vorangegangen sei. die Zeit also ist unbestimmt, keiner Besonderheit anheimfallend. Moderne Charactere sind von dieser Selbstständigkeit nicht. Selbstständige Charactere, innerlich freie, und äusserlich unbedingte, Fürsten, Könige, diese können auch im Beiwesen schon freier behandelt werden. Bei der Sculptur gäbe es nun zwar noch mehrere Seiten, die jedoch mehr empirischer Natur wären. Was nun nächst der Kleidung noch Äusserliches hinzukommt, sind Attribute, Waffen, und anderes, das sich sogleich einfindet, weil die Sculptur beim ganz Allgemeinen stehn bleibt, und so nöthig hat durch Attribute anzuzeigen, welcher individuelle Gott gemeint sei. Es ist in Betreff hierauf anzudeuten, daß jetzt das Thier nicht mehr gilt als an und für sich Gültigkeit habend, sondern nur als ein dienendes neben dem Gott steht, seine Persönlichkeit näher zu bezeichnen. Ein Anderer Punkt wäre, daß das Allgemeine Idealische sich in besondere Ideale brechen müsse, denn es ist noch an das Sinnliche gebunden (und nicht fähig in das Eine zusammenzugehn kann es sich nur durch einen götterkreis auslegen). Es wäre hiebei anzuführn, in wie fern die Besonderheit ausgedrükt ist ohne der allgemeinen Idealität Eintracht zu thun. Wie die allgemeine Idealität in bestimmten Zügen sich ausdrükt, so ist auch durch bestimmte Formen die Gottheit von den andern unterschieden. Winkelmann stellt die Unterscheidung so dar, daß bestimmte Züge gewissen Gottheiten so eigen waren, wie Portraitzüge. der Mund der Juno war ihr so eigenthümlich, daß man sie jedesmal in ihrem Profil zu erkennen fähig ist. Ebenso unterscheidet das Auge, die Art das Haar zu verschlingen. – Ein weiterer Umstand wäre nun wie die Sculptur herabtritt zu Gebilden | erstlich der Heroen, und dann solcher Gestalten, die Mischungen sind von Thieren und Menschen. Miron war darin berühmt, Satirn, Pfaunen zu bilden. Es ist in dieser Rücksicht auf den feinen Sinn der Alten Aufmerksamkeit zu machen. die hohen strengen Bilder sind in sich abgeschlossen. Was dem menschlichen Bedürfniß angehört ist in den Kreis der Faunen und Satyrn verlegt. Ein interessanter Gegenstand ZB. ist, daß die Mutter ihr Kind stillt. die Göttinnen sind immer kinderlos dargestellt. dem Jupiter wird zur Säugamme eine Ziege gegeben, Romulus und Remus werden von einer Wölfinn gesäugt. Unter aegyptischen, und indischen Bildern dagegen giebt es viele, wo Götter von Göttinnen gesäugt werden. Ferner Lebensfröhlichkeit, Genuß gehört der Sphäre der Faunen an. Auch die Bildung der Heroen wird mehr den Centauren nicht Göttern zugeschrieben. So haben die Alten die Kreise unterschieden. das mensch lich Zufällige ist vom hohen Götterkreise ausgeschlossen.

34 wird] wrden

Indem nun das Sculpturbild als die objective Individualität ist drükt sie die Besonderheit derselben durch Attribute aus.

Zugleich bricht sich die objective Individualität in einen Götterkreis, da sie als zugleich sinnlich nicht vermag, die Unterschiedenheit in Einem zu fassen, wie der Geist, der im Geist sein dasein hat.

Indem dieser Götterkreis in sich abgeschlossen ist, fällt die Richtung nach Aussen, außer ihn, und bildet einen neuen Kreis, der Satirn, Faunen ect. Indem so die manig faltige Zufälligkeit hereintritt, zeigt sich diese als Gruppirung, welche zugleich nicht mehr sich selbst sondern einem Andern dient.

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dieses zeigt sich im Basrelief.

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Von den einzelnen Sculpturbildern wäre nun ferner zu der Gruppirung und zu den Basreliefs überzugehn. das Werk der Architectur hat die Bestimmung Umschliessung zu sein für den Gott. die dastehenden Flächen aber sind zu bedecken und auszufüllen. Hier wird die Sculptur mehr dienend. die Gruppen hatten ihren Platz meist in den Giebelfeldern. Das Basrelief hat die Bestimmung Flächen zu füllen, und macht den nächsten Uebergang zur Mahlerei.

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Die Mahlerei. drittes Capitel. C. die Mahlerei. durch die hereintretende Besonderheit ist die Sculptur | über sich hinausgeschritten und die substantielle subjectivität zur in sich particularisirten fortgegangen, die der Gegenstand der Mahlerei ist. Indem die particularisirte subjectivität ein Verhältniß nach Außen hat, und dieses erscheinen muß, so wird das Unorganische gleichsam der umgebende Tempel der in sich besonderten Göttlichkeit. Er stes K apitel. Allgemeines Grundprinzip der Malerei. 1. Breite der Gegenstände als der subjektivität angehöriger. 2 Material.

da diese abstract für sichseiende subjectivität in ihrer Äusserlichkeit frei für sich ist, so ist die Besonderheit der Äusserlichkeit frei für sich

Wir sahen nun, daß bei der Sculptur die objective substantialität der Gegenstand sei, das ruhige Versenktsein des Characters in sich, dessen Material die abstracte Materie, die keine Bestimungen hat als die der Räumlichkeit. die Mahlerei jedoch geht zur subjectivität fort, denn der Geist ist wesentlich Subjectivität als fürsichseiend, | wodurch sie jener substantiellen gegenübertritt und in die Besonderheit der Geistigkeit tritt. Es ist die Gemeinde, die im Tempel dem Gott gegenübertritt und seine substantialität in sich hinüberträgt und besondert. diese subjectivität ist nun zugleich das Zusammenfassen der beiden Seiten, welche der Sculptur einerseits, der Architectur anderseits zufällt. deshalb haben wir in der Mahlerei Figur und deren Hintergrund. die unorganische Natur umschließt hier die Figur, oder wird für sich behandelt. In diesem Verhältniß liegt die nähere Bestimung des Begriffs der Mahlerei. der Kreis der Gegenstände ist umfassender als bei der Sculptur. die abstracte Bestimung ist die in sich gegangene subjectivität, die in der Form abstracten fürsichseins ist. In der Sculptur ist die Individualität in die Gestalt ausgegossen; der Blick des Auges fehlt ihr. Hingegen die Mahlerei hat zur Hauptbestimung die fürsichseiende subjectivität, die zugleich formelle Identität ist, wodurch das Besondere frei wird. In der Sculptur ist das Besondere, das Äusserliche schlechthin durch die Individualität selbst beherrscht. In dem Prinzip der Mahlerei hingegen liegt es, daß das Fürsichsein die Unterschiede freier werden läßt, indem die freie subjectivität sich kann in alles Besondere einlassen. dieser Kreis also ist unendlich ausgedehnt. die Besonderheit, das Vorüberfliehende der Charactere, alles dieses hat Platz in der Mahlerei. Sie hat Beziehung auf das Gemüth, denn ihre Objectivität ist nicht die der substantialität, und so stellt sie mehr das subjective nicht auf die objectiv bestimmte Weise der Sculptur dar, bringt nicht so bestimmte Anschauungen des Göttlichen her-

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2 Basreliefs] Basleriefs 20 Sculptur] Scluptur 31–32 Weise der … dar] (1) des Geistes, (2) ( Weise über der Zeile) (des versehentlich nicht zu der geändert) (Sculptur dar, über gestr. Geistes) (Komma nach Geistes versehentlich nicht gestr.) 35

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vor, sondern unbestimmtere Vorstellungen, die in die Empfindung fallen. die Empfindung hat zum Gegenstand ein Allgemeines in welchem ich als die Particularität mich weiß, um objectiven Gehalt zu haben, muß ich mich selbst vergessen. In der Mahlerei wird die empfindende subjectivität frei. | Es ist also auf die Empfindung, daß die Mahlerei sich bezieht. So sind ihre Gegenstände, besondere, zufällige, die mir nur auf Allgemeinre Weise entsprechen. denn das Zufällige interessirt nicht meine Objectivität, sondern mehr meine besondere subjectivität. Indem so der Inhalt mehr ein gleichgültiger ist, ist der Kreis der Mahlerei dieser weite, der alles aufnehmen kann. dadurch ist die Mahlerei viel anthropomorphistischer. das Natürliche findet in ihr eine Stelle, und indem es nur ein Allgemeiner Klang ist, der hervorgebracht wird, so sind die Gegenstände ihrem Gehalt nach gleichgültiger. Was nun das s i n n l i c h e E l e m e n t der Mahlerei betrifft ist es das Licht wie es an der dunkelkeit sich zur F a r b e specificirt. Im Licht wird die Natur subjectiv, es ist das physikalische Ich. Gesetzt als Particularität ist das Licht die Farbe. die Farbe ist das Element der Mahlerei. Sie verläßt hiemit die objective Bestimung der Materie, die totale Räumlichkeit und Äusserlichkeit, und ist das Abstrahiren von derselben. Sie ist Kunst, kommt aus dem Begriff her und hält eine Stufe des Begriffs fest, ist nicht die Totalität der concreten Wirklichkeit, sondern hebt Begriffsunterschiede heraus. der Unterschied, der hier sich bestimmt ist diß, daß das Element der Mahlerei die subjectivität festhält gegen die räumliche Totalität. diese wird verlassen, eine Seite an ihr wird getilgt, und in Beziehung auf den Raum behält die Mahlerei nur eine abstraction des Raums, die Fläche. dieß ist die Nothwendigkeit des Fortgangs nach der negativen Seite. die räumliche Totalität verflächt sich. Man kann sich kurz abfinden, warum die Mahlerei bei der Fläche stehnbleibt, und sagen es sei menschliche Beschränktheit. Aber man sieht oft als Beschränktheit an, was durch den Begriff bestimmter Fortgang ist. Was die andere Seite des Elements anbetrifft, so ist | dieß Licht, Schatten und Farbe. diese bringen auf positive Weise herbei, daß die Mahlerei sich an die Fläche zu halten habe. Nehmlich das Natürliche des Lichts und Schattens als Unterschiedenheit von dunkel und hell ist in der Sculptur Folge der raumlich concreten Gestalt überhaupt oder näher von meiner Stellung gegen die Gegenstände und von meiner Entfernung von ihnen. Es giebt zwar auch für sich Helles und dunkles, aber die Haupterscheinung des Lichts und Schattens beruht vornehmlich auf meiner Stel-

35 13 s i n n l i c h e E l e m e n t in anderer Tinte unterstr., s i n n l i c h e über der Zeile mit Einfügungszeichen

14 F a r b e in anderer Tinte unterstr. 21 der Mahlerei über der Zeile mit Einfügungszeichen 26 stehnbleibt] stehnbleiben 27 ist] an 31 in der … concreten] (in d. Sculptur über der Zeile mit Einfügungszeichen) Folge der (raumlich concreten über der Zeile mit Einfügungszeichen)

gelassen und der Kreis des diese subjectivität darstellenden weit und mannigfach.

Somit bezieht sich die Mahlerei nicht auf die objective substantialität des Zuschauers sondern auf seine subjectivität, auf die Empfindung.

das sinnliche Element dieser particulären subjectivität ist nicht die unmittelbar seiende Materialität, sondern die in sich gegangene innerlich gewordene und in dieser Innerlichkeit particularisirte, die Farbe. diese als die in sich gegangene Materialität hebt auch die Totalität der Räumlichkeit zur Abstraction der Fläche auf.

denn die räumliche Totalität als solche stellt nicht mehr die Gestalt dar, sondern der Raum bleibt nur als abstracte Grundlage auf welcher die Farbe durch ihre abstractionen des

474 Hellen und dunkeln die Gestalten ihrer räumlichen Totalität nach hervorbringt.

Insofern nun überhaupt die Mahlerei die Äußerlichkeit freier läßt, so fällt in sie die Seite der subjectiven Geschiklichkeit und die darstellung ist nicht die | an und für sich bestimmte der Sculptur, sondern zerfällt in die Manigfaltigkeit der Manieren, sowie überhaupt in den Gegensatz des Gegenstands als solchen und seiner subjectiven darstellung.

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lung gegen die Beleuchtung. Hier in der Mahlerei nun aber ist Licht und Schatten ein die Gestalt selbst Producirendes. durch Licht und Schatten ist die Rundung der Gestalt ausgedrükt. Sie erscheint als eine Folge dessen, was sie macht und ist nicht die Voraussetzung für das Hell und dunkle sondern deren Product. Hier also ist die Gestalt für sich ein Ueberflüssiges, sie braucht nicht die 3 Dimensionen zu haben, da diese durch Licht und Schatten gemacht werden. Ferner ist die Erscheinung des Farbigten nach der Bestimmung des Hell und des dunkel Zwek, und kann dem Zufall nicht überlassen werden, während in der Natur die Erscheinung des Farbigten zufällig, nach einem grossen Theile durch die Umgebung andrer Gegenstände bestimmt ist. Indem aber die Mahlerei die Erscheinung des Farbigten zum Zweck hat, kann sie diese Erscheinung nicht dem Zufall überlassen; sie muß daher das Hell und dunkel fixiren. dadurch wird der Hintergrund nothwendig, denn zur Erscheinung der Gestalt ist das dunkle nöthig. das Gemählde muß ferner einen Rahmen haben, anzuzeigen, daß hier das Gemählde auf hören soll; wie wir es bei den Säulen fanden. dieß nun zunächst sind die allgemeinen Bestimungen. die Besonderheit der Mahlerei nun hat an ihr selbst zu erscheinen. Sie lässt mehr als jede andere Kunst, die zwei Extreme zu: das Intresse des Gegenstandes und das der subjectiven Kunst. In keiner Kunst können die | zwei Seiten für sich selbstständig werden. der Gegenstand kann einerseits uns hinreissen und er kann mit wenigen Mitteln dargestellt werden; er kann nur gezeichnet und doch ein vollendetes Ideal sein. die Cartone von Raphael sind von unschätzbarem Werth, enthalten ganz die Vortrefflichkeit der Conception. Aber tritt auch die Mahlerei als farbigte zur Zeichnung so kann es sein, daß sie auch nicht in der Technik fortgeschritten ist. die niederländischen Mahler haben viel mehr Geschicklichkeit im Colorit als Raphael. Bei seinen Gemählden sind die Mittel sehr unscheinbar. das andere Extrem ist die technische Geschicklichkeit, deren Gegenstand wenig Intresse hat. dieß ist vornehmlich bei den niederländischen Gemählden und auch in Einigen der italienischen Schule vorhanden. die flüchtigen Erscheinungen sind hier gefesselt; der Schein der Traube, des Weins, des Lächelns, des Abendroths. dieser Gegensatz ist es, den die Mahlerei vorzugsweise erlaubt, und es ist der Character der Besonderheit, der es zugiebt, daß auch die verschiednen Seiten der Mahlerei selbst frei werden. Was nun drittens das Nähere betrifft, so ist hiebei über die Eigenthümlichkeit der Gegenstände zu sprechen. Es ist das Ideale, auch hier herauszuheben. Bei der 2 die Gestalt … Producirendes über gestr. von ihr Gemachtes 3–4 sie macht … Product] (1) gemacht wird (2) (sie über der Zeile) (macht aus gemacht) (u ist nicht d Voraussetzg für d Hell u dunkle sondern dern Product über der Zeile mit Einfügungszeichen) 18 zwei] zweie 20 er] sie 24 als farbigte über der Zeile mit Einfügungszeichen

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Mahlerei ist es der Fall, daß sich weniges Allgemeines sagen läßt, das zugleich bestimmt wäre. Bei der Sculptur konnte das Bestimmtere der Formen angegeben werden, doch in der Mahlerei gewinnt alles Besondere Platz, und so ist der Boden des darzustellenden, und der Art und Weise der darstellung weit und manigfach. Eine unendlich bestimbare Eigenthümlichkeit tritt hier ein. Jeder Meister hat in Betreff auf die Gegenstände und die darstellung in Farbe und Hervorbringung der Erscheinung, seinen Styl. die darstellung der verschiedenen Kreise und der Meister derselben ist die Sache der Empirie. | Indem es das Eigenthümliche der Mahlerei ist, daß die Besonderheit der Meisterschaft eintritt, giebt es das Allgemeine weniger das Erste Anzugebende ist der Character der Gegenstände überhaupt. Es ist gesagt, alle Gegenstände könnten hier Platz finden. Aber das nähere ist, daß angegeben werde, welches substantielle, welche wahrhafte Bestimung vorzüglich von der Mahlerei aufgenommen werden könne, oder welcher Character des Idealen in der Mahlerei stattfinde. dieß Ideale ist eigenthümlicher Art, haben wir schon früher näher bestimmt, als das, was dem Kreise des Romantischen angehört. diesen Character kann nicht die Sculptur, sondern nur die Mahlerei ausdrüken. umgekehrt kann die Mahlerei aber wohl Sculpturgegenstände auffassen. das Ideal der Mahlerei ist das Romantische, wo die subjectivität, die für sich ist, die Grundbestimung ausmacht, geistige Innigkeit. diese hat nun selbst wieder verschiedenen Inhalt. die substantielle Innigkeit ist die der Religiosität. die Innigkeit in einem beschränkten Character ist auch Gegenstand, aber nothwendig ist die substantielle der höchste Gegenstand. die substantielle Innigkeit ist die Seele, die bei sich ist, sich empfindet. Sie ist nur substantiell, insofern sie ihre natürliche subjectivität gebrochen hat, sich in sich gesammelt hat, erhoben über die bloße Natürlichkeit der subjectivität, und in dieser Erhebung allgemeine Innigkeit ist, sodaß die Seele, die sich will in einem andern Geist als der particulare subjective ist, und darin sich selbst findet, sich gegen diß Andere aufgiebt. dieß ist der Character der Liebe, die Empfindung in ihrer allgemeinen substantialität, die begierdelose, religiöse Liebe; die Liebe mit Begierde ist die Irdische. die religiöse hat verschiedene Formen und Bestimungen. Sie ist Andacht, Anbetung. Was angebetet wird ist der Sichtbargewesene, Erscheinende, von der Kunst darzustellende. Eine Form dieser | Liebe, die innigste subjectivste, ist die Mutterliebe, wo das Gemüth diese Einigkeit nicht erst erworben hat, sondern von Haus aus das Selige ist, sich mit dem Andern als einig zu wissen. die Mutterliebe ist einerseits die begierdelose, und als Liebe der göttlichen Mutter die Liebe welche das Gött27 in einem … subjective] (1) ein anderer Geist (2) (in über der Zeile) (einem andern aus ein anderer) Geist (als d particul subjective über der Zeile mit Einfügungszeichen)

der Gehalt der Mahlerei ist das Romantische überhaupt

der substantielle Kreis ist der der göttlichen Liebe, das Aufgeben der Natürlichkeit der Seele an das substantielle Göttliche und das mit diesem andern in seliger, inniger Einheitsein. diese Einheit als natürliche ist die der Maria als der göttlichen Mutter.

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Indem diese Innigkeit aber nur durch die Negativität der Natürlichkeit erreicht wird, so fällt in diesen Kreis auch das Moment des Schmerzes, so aber, daß die Liebe das Herrschende und Ueberwiegende bleibt. die alte Sculptur kommt nur mit ihren Gestalten bis zum Ausdruk des Schmerzes, der aber nicht ausgeglichen, sondern nur geduldet wird.

die substantielle Innigkeit geht nun ferner zur particulären fort.

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liche zum Gegenstande hat, und mit ihm in natürlicher Einigkeit ist. diese Liebe ist der Mittelpunkt für die Mahlerei gewesen, insofern sie ihren höchsten Zweck vor sich gehabt hat. Ihre Gegenstände beziehn sich alle auf diesen Kreis. Auch Schmerz und Negativität haben hier Platz, als Schmerz, wo zugleich die Liebe die Oberhand hat. Es ist das Leiden am Anblick des todten Sohnes. dieser Schmerz ist ganz anders, wie er kann bei den Alten stattfinden. Hier bei der Niobe, beim Laokoon ist der Schmerz ganz anders als im Kreise des romantischen. In jenem alten Schmerz erhält der Adel des Gemüths sich auch aufrecht, nicht das Niedrige ist zerdrükt, keine Wuth, keine Verachtung drükt sich aus; aber der Schmerz ist Leiden, der Adel erhält sich, aber der Adel und der Schmerz sind nicht ausgeglichen. Es ist nur diß starre Beisichsein, das erfüllungslose Ertragen des Schicksals. Im romantischen Schmerz ist es immer die Rückkehr in sich, das Selige der Innigkeit, der Blick zum Himmel und die Gewißheit seiner, die sich oben halten und das Schmerzlichste durchklingen. die Unabhängigkeit des substantiellen liegt in der ungestörten Seligkeit. Und die grossen Meister dieses Kreises haben vornehmlich den Zug höherer Befriedigung zur darstellung gebracht. Man kann dann wohl den Unterschied machen zwischen ältern und frühern Meistern. das Ueberirdische geht den ältern ab, irdischer Schmerz oder irdische Befriedigung ruht auf solchen Gestalten. Es ist nicht der Blick der einerseits auf Erden, anderwärts im Himmel ist, und ihn aus sich herausscheinen läßt. – dieser Character also ist das eigentlich Ideale der Mahlerischen. | das Bedürfniß solcher darstellungen hat die Kirche. Sie verlangt solcher Bilder, die verehrt werden sollen[.] Aber je höher die Kunst steigt, destomehr werden solche Gegenstände in die Gegenwart herüber gehoben. die Mahlerei macht sie irdisch und gegenwärtig, giebt ihnen die Vollkommenheit weltlichen daseins, hebt die anthropomorphistische Seite heraus, sodaß die Seite der sinnlichen Existenz zur Hauptsache und das Intresse der Andacht das Geringere wird. die Kunst hat die Aufgabe dieß Ideale ganz zur Gegenwärtigkeit herauszuarbeiten, das dem Sinnlichen Entrückte sinnlich darstellig zu machen, und die Gegenstände aus der Fernen Scene in die Gegenwart herüberzubringen und zu vermenschlichen. Bei den Marienbildern ist ZB. das Verhältniß zum Kinde dargestellt, wie das Verhältniß einer natürlichen menschlichen Mutter zu einem menschlichen Kinde. dieß wird uns zur Gegenwart gebracht und das menschliche Verhältniß ist herausgehoben. Bei diesen religiösen Gegenständen ist ein objectives Bedürfniß, von dem ausgegangen wird. Bei der darstellung andrer Gegenstände aber, die Zufällige sind, haben auch die Zufälligkeiten des Bedürfnißes ihren Platz. In Ansehung der religiösen Gegenstände geben wir ihren Character so an, daß er die substantielle Weise des Beisichseins der Seele sei, das Verhältniß der Liebe, das Beisichsein des Natürlichen bei seinem Wesentlichen. die Innigkeit hat nun aber auch eine weitere Ge-

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stalt. Sie kann sich bei bloß natürlichen Gegenständen einfinden. Betrachten wir den gestirnten Himmel, Mond, Sonnenschein, Hügel und Berge, und Thäler, so kann bei ihnen auch die Seele inig sein, wenn sie nach irgend einem Bedürfniß erfaßt werden. nach der Unmittelbarkeit werden sie nur wahrgenommen, nicht empfunden. Mondschein, das ruhige Meer, oder das Meer in seiner | Leidenschaft, wenn sie empfunden werden, haben ein Verhältniß zur Seele. Sie nimmt in ihnen einen Character wahr, der ihr entspricht. die unendlich ruhige Tiefe des Meers, die Möglichkeit einer unendlichen Macht des Aufruhrs, kommt an das Gemüth und läßt die Saiten desselben erklingen, wie umgekehrt Gewitter erregtes Meer sympatisch zu Tönen der Seele sich zeigen. diese Innigkeit hat die Mahlerei auch zum Gegenstande. der Character auch dieser Innigkeit ist über sie verbreitet. die Landschaft Mahlerei fasst die Natur mit Seele und Geist auf und ordnet ihre Gebilde nach dem Zweck, eine Stimmung auszudrücken. Somit darf sie keine blosse Nachahmung der Natur werden und bleiben. Erfordert ZB. die Natur die characteristische Zeichnung von Blättern und Zweigen ect so muß die Landschaftmahlerei diese bestimmte Art und Weise beibehalten, jedoch sich nicht getreu an diese Bestimungen in ihren festen Bestimmtheiten halten. Nur die Stimmung des Ganzen ist die Hauptsache. Ihr muß das Uebrige untergeordnet sein. Eine ruhige Landschaft muß dieser Stimmung gemäß ihre Details hervorheben, diese aber nicht für sich portraitiren und die Aufmerksamkeit auf sich ziehn lassen. Eine dritte Art ist die Innigkeit die vorhanden ist bei für sich ganz unbedeutenden Gegenständen. Sie können uns gemein erscheinen, die Handlungen für sich können ein widerwärtiges haben, aber die Froheit des Lebensgenusses, Treue, Aufmerksamkeit auf eine Arbeit, solche situationen können die endliche tüchtige Inigkeit bezeichnen, und die Befriedigung derselben gewähren. das dritte also ist die Innigkeit im unmittelbar Gegenwärtigen. der Mensch, was er jeden Augenblick thut, ist ein Besonderes, und das Rechte ist jedes Geschäft jedes Besondere auszufüllen, darin thätig zu sein, mit ganzem Geiste dabeizusein. | dieß macht den tüchtigen, energischen Character. diese Harmonie mit sich im Gegenwärtigen also ist auch eine Innigkeit, die Gegenstand der Kunst wird. der ganze Reiz ist hier in der Harmonie, nicht im Gegenstande selbst. diese darstellung haben besonders niederländische Mahler sich zum Gegenstande gemacht. Bei diesen scheint es, als wäre die ganze Individualität nur für dieses besondere Geschäft da. Für bestimmte Zustände muß das ganze Gesicht, der ganze habitus passend sein. ZB. Heiterkeit steht gewissen Physionomien besser als andern. In der büßenden Maria des Correggio ist die ganze Harmonie dieser 4 erfaßt werden. über gestr. oder auch 5 das Meer … seiner am unteren Rand angefügt 13 ordnet ihre] odrnet ihrer 19 ruhige Lesung unsicher 35 Physionomien] (Pysion über gestr. Harm)onien

So ist sie zweitens die Innigkeit der Seele mit der Natur.

diese Innigkeit ist der Gegenstand der Landschaftmahlerei.

diese Innigkeit geht drittens zur Einheit mit dem unmittelbar Gegenwärtigen fort.

der Reiz ist hier nicht der Gegenstand sondern die Harmonie die Innigkeit für sich.

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2)

3) theoretisches Scheinenmachen

Was näher die darstellung dieser Kreise betrifft so geschieht sie: auf der Fläche, weshalb sie sich entfaltet und auseinanderlegt.

durch diese Entfaltung tritt die Manigfaltigkeit des Orts und die Verschiedenheit der Ebenen: Vorgrund, Mittelgrund und Hintergrund ein.

Auch besteht die Entfaltung in die der Handlung, welche die sie umgebende Natur in Beziehung auf sie setzt.

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Figur mit dieser Stimmung, die interessirt. diese Einigkeit der ganzen Figur mit dem Geschäft ist die letzte darstellung der Mahlerei. Außerdem beweißt hier die Kunst ihre Macht die Flüchtigkeit der Erscheinungen fixiren zu können. In der Natur ist alles ein Fliehendes. der Schauspieler dient dem Augenblick. dieß Flüchtige fixirt die darstellung der Kunst, giebt ihm dauer. Anderseits ist die Macht der Kunst diß Flüchtige zu detailliren. die Natur ist concret nach allen Seiten. Indem dieß die Kunst auffaßt bleibt sie nicht beim Allgemeinen stehn, sondern läßt es vollkommen individualisirt erscheinen, so daß darin aber die Allgemeinheit bestehn bleibt. Es ist nicht diese strenge Nachahmung des Wahrgenommenen, sondern bei der Individualisirung muß die Kunst höher stehn als die unmittelbare Gegenwart. In Ansehung der Gegenstände wäre eine 2te Seite, die bei Abhandlung die der Mahlerei näher beträfe, daß die Gegenstände auf einer Ebene dargestellt werden, die Malerei ihren Inhalt mehr entfaltet als die Sculptur, die nur höchstens zu einzelnen Gruppen fortgeht. die Mahlerei entfaltet ihren Gegenstand, und zur Geschichte der Mahlerei gehört auch dieser Fortgang der Entfaltung. die alte Mahlerei hatte zum Gegenstand nur einzelne figuren wie die Sculptur, die denn auch wenig Bewegung zeigten. | der Fortgang in der Kunst ist mit dieser, daß den figuren Bewegung gegeben wurde. Bei der Bewegung ist die darstellung schwieriger, die Verkürzungen treten ein. das Weitere ist, daß mehrere Figuren in einer Verbindung, in einer Handlung dargestellt werden. Auch hierin war die Kunst anfangs schüchterner. die Ältere Mahlerei beobachtet noch die Regelmässigkeit der Pyramide: ein Christus am Kreuz, und davor Betende. der weitere Fortgang ist, daß grossere Unregelmäßigkeit hereintritt, die Figuren sich gruppiren und verständig gegeneinander halten. Hier kommen die verschiedenen Ebenen, Planen vor. Hauptfiguren gehören in den vordersten Plan, auf sie fällt die Helligkeit. die M o t i v e ist dann gleichfalls eine Seite, worin der Sinn des Mahlers sich beweisst. die praegnantesten Momente müssen aufgefaßt werden, und zeigen sich indem das Nächste, Vorhergehende und Folgende gleichfalls dargestellt, und dem bloß Umgebenden eine Bedeutsamkeit in Betreff auf die Handlung gegeben wird. ZB. Bei einer Zeichnung des Achills in Mädchenkleidern, als ihn Ulyss aufsucht, blickt Achill auf den Helm, wird bewegt, und diese Bewegung hat die Folge, daß seine Perlen zerreissen; ein Kind nimmt sie auf. So sieht man die heiligen drei Könige. In einer Krippe liegt das Kind; sie ist baufällig; im Hintergrunde sieht man weitere Gebäude: einen nicht vollendeten dom. die zerfällende Hütte, der aufsteigende dom, haben Bezug auf die Hand2 Geschäft Lesung unsicher 5 darstellung] (dar über gestr. Vor)stellg 27 M o t i v e in anderer Tinte unterstr. 28 Mahlers] Mahleres 29 Vorhergehende] Vorhergenhende

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lung. Häufig auch sieht man bei Bildern die Maria unter Blumen Lilienstengel, der ohne Anteren gemahlt ist, weil die Anteren das Geschlechtsverhältniß andeuten; somit ist die Jungfräulichkeit der Maria ausgedrückt. diese Umstände nun sind die nähern der Mahlerei. Eine 2te Hauptsache ist die Farbe. Sie macht die Mahlerei zur Mahlerei. Zeichnung, Erfindung ist wesentlich | nothwendig, doch die Farbe ist erst die Lebendigkeit, kein blosses Coloriren, sondern zugleich bezeichnender Ausdruk. Besonders die Venetieer und Niederländer sind Meister des Farbentons, sie, die gerade in der Niederung und dämmerung unter getrübtem Himmel leben. die Italiener im allgemeinen gehn dem Trocknen mehr zu als die Niederländer. Bei den Farben kommen folgende Umstände zur Sprache: Zunächst der Gegensatz des Hell und dunkel für das Plastische der Figuren und Gegenstände. Zu diesem Gegensatz des Hell und dunkel tritt die Localfärbung hinzu, die auch hell und dunkel ist, wodurch bestimmte Theile ein andres Verhältniß haben, als ihnen durch das Verhältniß der Gestalt zukommen würde. die Lippe hat ein stärkeres Roth als die übrigen Theile des Gesichts. Wenn der Mahler diese Localtinten will treu geben, fehlt er leicht gegen das Hell und dunkel in Rücksicht auf die Rundung. diese Collision ist ein zweiter Umstand. Ein dritter ist, daß die Farben für sich selbst einen Gegensatz des dunkel und hell haben, Gelb ist sehr hell, blau sehr dunkel; steht beides auch nebeneinander, so ist das Blau dadurch, daß es für sich dunkel ist, in ein andres Verhältniß gesetzt, als es durch das Verhältniß des Raums zunächst hat, oder das Blau für sich selbst als dunkel verändert die Entfernung des Raums. Ferner enthalten die Farben etwas symbolisches; Roth galt von jeher als ein Zeichen des Königlichen. Gegen solche Farben wie Gelb, Roth, Blau, sind die gemischten ganz zurücktretend, und man sieht bei berühmten Coloristen, daß sie den Hauptfiguren die Hauptfarben, den Nebenfiguren die gemischten geben. Es wird nun in Rücksicht der Farben eine Harmonie erfordert. Sie heben einander entweder oder drücken sich. Gemischte Farben | nebeneinander schaden sich. In dieser Rücksicht der Harmonie muß der Mahler das Vortheilhafteste beobachten. In einer gewissen Zeit hat man die Harmonie zu erreichen gesucht indem man sie abstumpfte. die grosse Kunst aber ist, die Farben hoch zu machen und dennoch das Grelle zu vermeiden. Es ist ein Wagstück mit den grellen Farben zu arbeiten. – Ein weiterer Umstand in Betreff der Farben ist die Entfernung überhaupt, die L u f t p e r s p e c t i v e . Jemehr die Gegenstände sich entfernen, desto unscheinbarer werden die Farben, sie ermatten. die Farben des Vordergrundes müssen daher die grellsten und dunkel4 sind] sieht 6 wesentlich am Rande angefügt p e r s p e c t i v e in anderer Tinte unterstr.

28M Manier gestr., Lesung unsicher

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Ferner besteht die darstellung der Mahlerei in der Farbe.

1) a) Für das plastische

der Figuren zerfällt sie überhaupt in den Gegensatz des Hell und dunkels, welche sich modificirnd die Gestalt als solche hervorbringen. b) Hiegegen tritt zweitens die Localfärbung der Theile auf, c) und drittens der Gegensatz der Farben untereinander 2) symbolisches der farben 2) b) 3) Harmonie. a) 4) Luftperspektive 5) Beleuchtung c) 6) Hautfarbe 7) historische Hauptunterschiede des Kolorirens. 3) Manier

die Einheit dieser Seiten macht das Colorit aus; das sich ferner auf die Einheit der Farben und der Ebenen bezieht

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die Harmonie aller farben, ist das Fleisch des Menschen.

Was die Geschichte der Colorierung betrifft, so war in der ältsten Zeit die Farbe nur ausfüllung der die Gestalt bezeichnenden Umrisse

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sten sein. der Gegensatz stumpft sich mit der Ferne ab. Ein noch weiteres ist die bestimmte Beleuchtung. Alle diese Umstände machen die Behandlung der Farben zum schwierigsten Moment der Mahlerei. das Colorit ist nun das Eigenthümliche jedes Meisters; ein Moment der productiven Einbildungskraft des Künstlers. das Schwerste des Colorits ist das des menschlichen Fleisches, das das Ideale im Colorit ausmacht. das Roth der Wangen in einem jugendlichen Gesicht ist wohl eine bestimmte Farbe; aber dieß Roth für sich ist noch nicht das des Fleisches. In der Haut sind alle Farben vereinigt, das helle Roth, das bläuliche der Venen, das Gelbliche der Haut verbindet sich, ist glanzlos; keine Farbe hebt sich heraus, alle sind wunderbar vereinigt. Um dieß mahlend aufzufassen gehört, allen Schein der Einfärbigkeit zu vermeiden und das Fleisch als ein in sich Innerliches darzustellen. Betrachten wir dagegen den Glanz der Gesteine, die Farbe der Erdigkeit, die Blumen, Blätter, so sind hier die Farben unendlich modificirt, aber sie liegen gleichsam auf der Oberfläche. Bei einem ganzen Walde, einer durchscheinenden Traube, sind sie hingegen ein Ganzes von Scheinen. Jeder Punkt erscheint als ein Andrer gegen den Benachbarten. | Ueberall ist ein durchscheinendes. Betrachten wir den Thierkörper, sein Haar, sein Fell, so sind diese alle gefärbt; die Felle, das Gefieder ist wolligt, weich, und diese Weiche resultirt hieraus, daß die Farbe resultat ist einer unendlichen Menge von Punkten und Linien. Am meisten ist dieß durch einander scheinen in der menschlichen Haut, sie zeigt die Tiefe des Himmelsblau; beim schönen Incarnat muß die Farbe das Aussehn haben ein durchscheinendes zu sein, nicht als einfache Fläche, sondern als ein von Innen Herauskommendes, ein durchsichtiges. Sieht man einen See im Abendschein, so sieht man die Gestalten, die er abspiegelt, und das Eigenthümliche des Wassers. Es ist ein durchscheinen vorhanden. diß kann im Allgemeinen als die Qualität der Hautfarbe angesehn werden. Mechanisch ist dieß so gemacht, daß über dunkle Farben blässere so lasirt werden, daß die dunkelern die Hellen durchscheinen. – In Ansehung der Colorirung können dann folgende Hauptunterschiede bemerklich gemacht werden. die Mahlerei in der Kindheit hat die Gestalten als Umrisse bestimmt. die Farben bilden sie nicht, obgleich sie dasind, sondern die Umrisse bezeichnen sie. die vollkommne Kunst bringt die Bestimmung der Gestalt durch unmerkliche Uebergänge eines Colorits in das Andre zu Wege, so daß die Umrisse keine bestimmten Linien sind, und sich obgleich bestimmt doch nirgends hervorheben. Bei Gemählden von Albrecht dürer, von Raphael sieht man die höchsten Wirkungen durch ganz einfache Unterschiede hervorgebracht. Tritt man nahe scheint die Fläche einfärbig, tritt man in 1 Gegensatz] folgt gestr: d. Um gestr: Wirk

15 sind sie hingegen über gestr. so ist diß

32 Bestimmung] davor

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den rechten Punkt sieht man wie die Tinten in ihren kleinen Verschiedenheiten die beseeltesten Gestalten hervorbringen. diese großen ältern Meister haben die Kunst des Helldunkels noch nicht soweit gebracht als spätere Meister, die die grössten dunkel und Helligkeiten verschmelzen. | In dieser Verschmelzung zeigt sich zugleich die höchste Milde und Grazie. Späterhin ist dann die Mahlerei nach dieser Seite in die Manier verfallen, indem man durch starke Lichter und Schatten suchte Effecte hervorzubringen. die schöne Rundung, die Lebendigkeit ist dabei nicht ausgedrückt.

doch besteht die höchste Kunst darin die Umrisse nicht für sich sondern durch das Uebergehn der Färbungen in einander zu bezeichnen.

Die Musik. 10

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Bei der Mahlerei ist also einerseits die Gestalt nothwendig, anderseits ist es die Magie der Farben, die ihr angehört. das Objective verschwebt gleichsam schon und die Wirkung geschieht fast nicht mehr durch ein Materielles. Ganz auf die subjective Seite tritt die Kunst in der Musik. – Sie ist einerseits die Kunst der tiefsten Empfindung, anderseits der strenge kalte Verstand. Was näher das Element der Musik anbetrifft, so steht sie den bildenden Künsten gegenüber; in ihr wird die räumliche Äußerlichkeit verlassen; der Sinn des Gesichts giebt nicht mehr das sinnliche Element, sondern der Sinn des Gehörs. das sinnliche Element ist der verschwebende Schein, die abstracte subjectivität, die in ihrer Äußrung subjectiv bleibt, kein Äusserliches ruhig bleibt sondern als Äußerliches sogleich verschwindet. diese Weise der Äußerung ist der Ton. Und es ist die Natur des Tons seine Äusserlichkeit zu negiren. Es ist eine Äußerung, die unmittelbar subjectiv ist, und zwar die abstracte Äußerung, Ton als Ton. Was nun anzugeben ist, ist: welche Innerlichkeit entspricht dieser Äusserlichkeit. Es ist die abstracteste Innerlichkeit, die ganz objectlose Objectivität, die ganz subjective Objectivität, die abstracte Innerlichkeit. diese ist unser ganz leeres Ich, die Selbstischkeit ohne weitern Inhalt. Was in der Musik in Anspruch genommen ist, ist die letzte Innerlichkeit[.] In dieser Rücksicht ist die Musik in Ansehung ihrer Wirkung von andern Künsten unterschieden, bei welchen wir ein Objectives vor uns haben, gegen das das Ich sich noch unterscheidet, oder sich darin versenkend, doch von einem sich selbst äußerlichen Inhalt erfüllt ist. | die Erfüllung ist von mir immer selbst noch unterschieden. die Erfüllung ist ihrer Natur äußerlich, räumlich, und somit immer noch unterschieden von der Innerlichkeit des Ich. In der Musik aber fällt dieses Unterscheiden weg. das Ich ist nicht mehr von dem Sinnlichen selbst unterschieden, die Töne gehn in meinem tiefsten Innern fort. die innerste subjectivität selbst ist in Anspruch genommen und in Bewegung gesetzt. dieß ist dann 5 nach] nach d.

32 noch] am Rande ein Ausrufezeichen in anderer Tinte

Zweiter Abschnitt. die tönende Kunst oder die Musik. Indem die Mahlerei in ihrem letzten Kreise zum Gegenstande die Innigkeit als solche hat, der der Gehalt gleichgültig ist, so ist sie hiemit über sich selbst zur Musik fortgegangen. das Material dieser subjectivität als abstracter Innerlichkeit ist die sich selbst aufhebende Materialität, der Ton. diesem Material entspricht die abstracte Innerlichkeit der subjectivität, das reine Beisichsein derselben, das inhaltslose Ich.

das Ich im Ton ist rein bei sich selbst, er ist die Äußerung des Ich selbst. 2. die besonderen bestimmungen der Musik. a) i d e e l l e S e i t e ,

482 ɲ) Z e i t a l s solche, ɴ Ta k t , ɶ R h y t h m u s reelle Seite: ɲ) Allgemeine Unterschiede. ɲɲ) I n s t r u m e n t e . ɴɴ. m e n s c h l i c h e Stimme ɶɶ. Einheit von Beidem ɴ) p h y s i k a l i s c h e Besonderheit der Töne. ɶ.) H a r m o n i e . c) M e l o d i e

dieß giebt der Musik die fortreißende Macht. Ein leit ung. Einthei lung. 1. Allgemeiner Charakter der Musik a. Material der Musik

im Unterschiede der bildenden Künste. b. Inhalt des subjectiven Innern der Empfindung. c. Hinreissende Macht der Musik. 2. Besondere Bestimungen. a. das zeitliche des

Klingens. ɲ. Zeit, ɴ Tackt, ɶ. Rhythmus. b. das reelle Tönen. ɲ) Instrumente Partikuläre ɲb. Blasinstrumente ɴc. Saiteninstrumente ɶh. menschliche Stimme. ɴ) physikalische Seite. ɶ) Harmonie c. Melodie

3. Verhältniß zum Inhalt. a die Melodie b. das Deklamatorische. c. Subjektive Freiheit der Musik. b. Composition. c. Execution. die nächste Bestimmtheit dieses abstracten Ichs ist die Empfindung; diese also Gegenstand der Musik

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dasjenige, was die Macht der Töne überhaupt ausmacht. das subject als solches ist in dieser seiner Äußerung drinn und erhält sich gegen diese nicht. Wenn man sagt, die Musik begeistre, wie die Geschichten der Alten erzählen, so ist es dadurch, weil Ich nicht für sich bleibt, sondern sich mit fortgerissen fühlt. Man muß dabei aber nicht abgeschmakte Meinungen von der Macht der Musik haben. Sie kann begeistern, das subject kann ganz in der Erregung drinn sein. die Menschen können um desto mehr hingerissen werden, je weniger Bestimmtheit des Inhalts, je weniger Vorstellungen und Gedanken sie haben. Nur Orpheus konnte so fortreißen, wie erzählt wird. In unsern Zeiten kann die Musik dieß nicht mehr hervorbringen, oder nur momentan, und als Stützen der Mächte, die das Gemüth sonst schon befangen haben. Bei den Regimentern hat man ZB. gute Musik, sie wird in der Schlacht den Muth befeuern aber nicht mehr die Mauern von Jericho umwerfen. die Musik unterstützt nur die Mächte des Muths, der Pflicht. – Orpheus, sagt man, zähmte die Menschen, gab ihnen durch die Musik, Gesetze. Unsere Gesetze werden nicht musikalisch gegeben. Musik allein für sich selbst inhaltslos wirkt bei uns nicht. Zu unserer Bildung gehören noch andere dinge. – dieß ist die allgemeine Bestimmung des Elements des Äussern und des Innern, das diesem entspricht. | das Nächste was hereintritt ist diß, daß zur Musik die Zeit hinzutritt. der Ton indem er ist, ist nicht; seine physikalische Erfüllung wie sie ist, verschwindet. So fällt eine Fülle von Tönen in die Zeit. diese macht beim Ton die Seite des Negativen aus, von welcher die Hauptbestimtheit in den Ton kommt. die abstracte Bestimmtheit, die abstracten Verhältniße der Töne, die auf dieselbe Weise materiell bestimmt sind, kommt durch die Zeit. dieß wollen wir zunächst liegen lassen und angeben, was für die Innerlichkeit als solche die nähere Bestimtheit aus macht. diese abstracte Innerlichkeit des selbstischen Ichs hat zur nächsten Besonderheit die Empfindung; diese ist die nähere Innerlichkeit, mit welcher die Musik im Zusammenhang steht. Was die Musik berührt ist die Empfindung, die zunächst sich erweiternde subjectivität das Ich, das in dieser Abstraction Bestimmtheiten erhält. Sprechen wir ZB. von Trauer, Furcht, Heiterkeit, so sind diß Empfindungen. Es ist ein Inhalt vorhanden. Indem ich diesen in Beziehung habe auf meine subjectivität, so empfinde ich diesen Inhalt. Insofern Ich diesen Verlust

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9 Musik] Macht 14M a. aus 1. Musik1 ] folgt in der Zeile darunter gestr: Einleitung. 16M b. aus 2. Musik.] folgt gestr: Eintheilung. / der Ton als Ton. 19–20M 2. Besondere Besti18M c. aus 3. mungen. über der Zeile eingefügt 20M a. ] folgt gestr: 1 21M ɲ. aus a. ɴ aus b. 22M ɶ. aus c. 35 25M ɲ) aus a. 27M ɴ) physikalische Seite. über der Zeile eingefügt 28M ɶ) ] folgt 23M b aus 2 gestr: b.) Harmonie Melodie ] folgt gestr: c) Melodie . c. Einigg v Beidem 29 das2 ] dß 30M In halt.] folgt in der Zeile darunter gestr: a. Instrumental begleitende Musik / Instrumental Mudie Melodie aus b. das Melodische des Ausdruks sik. / b. begleitende. / c. Festhalten am Inhalt.

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erleide, oder ihn überhaupt an die subjectivität bringe, ist die Empfindung producirt. die Empfindung ist nur immer das Umkleidende des Inhalts, in sofern er bezogen wird auf meine subjectivität. Und diese Sphäre ist es, welche zunächst von der Musik wird in Anspruch genommen[.] Es folgt hieraus sogleich, daß ein Inhalt der Musik müsse Empfindungen enthalten. Eine beschreibende Poesie ist der musikalischen Behandlung nicht fähig. Eine in sich gediegene dramatische Poesie paßt sich schlecht zur musikalischen Bearbeitung, besser oberflächliche Werke, die bei allgemeinen Empfindungen stehn bleiben. der Ausdruk nun der Empfindung zunächst, der bloß natürliche Ausdruk, der Schrei, Interjectionen, Seufzen, Schluchzen, dieß ist noch keine Musik; es sind nicht Töne, die Zeichen sind von Vorstellungen. Bei der Äußrung der Empfindung aber bleibt die Musik stehen, sie macht sie sich | zum Zweck; bei dem natürlichen Ausdruk ist dieser Ausdruk Folge. In der Musik vernimmt der innere Sinn sich selbst, und bildet dieß Vernehmen aus. diese objective Weise nun des Ausdruks der Empfindung überhaupt isolirt die Empfindung und deren Äußrung und bildet sie aus. die Frage ist nun: wodurch vermag der Ton in sich ausgebildet zu werden, durch welche Seite kommt diese Bestimung in ihn herein, daß er kein blosser Schrei der Empfindung, sondern ihr ausgebildeter Ausdruk sei. die Empfindung hat einen Inhalt, die Musik als solche nicht, und so muß in den Ton ein andres kommen, welches das Bestimmende ist. dieses Besondre kann zunächst unterschieden werden in eine materielle und ideelle Seite. die erstere ist die, welche von der Natur des schwingenden Körpers abhängt. denn der Ton überhaupt ist Erzittern eines Körperlichen, eine Bewegung wodurch der Körper in sich selbst sich bewegt ohne von seiner Stelle zu kommen, oder sich so fortbewegt daß er diese Bewegung eben so wieder auf hebt. Vornehmlich ist es dann die Zeit, in welche die Bestimung eintritt. die materielle Besondrung hängt von der Besonderung des Materials ab; es kann Luft, Holz, Metall, Saiten ect sein. der Hauptunterschied ist, ob es eine Luftsäule ist, wie bei den Blaseinstrumenten oder ein anderes Material. dieses sind entweder Linien oder Ebenen wie bei der Pauke und Harmonica. den vollkommensten Ton giebt die Menschenstimme selbst. Wie die Hauptfarbe alle Farben in sich temperirt, so ist in der menschlichen Stimme das Blaseinstrument und das Saiteninstrument vereinigt. Einerseits ist es die Cohaesionslose Luft, anderseits ein Materielles das erklingt. Alle andern Instrumente sind nur abstracte Seiten. Jedes hat seinen eigenthümlichen Character, und eine Hauptkenntniß der Composition ist es, sie richtig anzuwenden, daß sie in ihrer Gesammtheit ein dramatisches Gemählde zeigen. | der Kreis der gewöhnlichen Instrumente ist

3 auf ] davor gestr: gegen

21 Seite über der Zeile

34 Seiten] Saiten

die Empfindung ist nur die Form, daß ich einen Inhalt in Beziehung auf meine subjectivität bringe.

die Musik wird daher nicht fähig sein einen Gehalt für sich, sondern nur einen empfundenen auszudrücken.

Indem nun die Musik zum Zweck hat die Empfindungen auszudrücken, und nicht bloß das abstracte Ich, so hat der Abstracte Ton zum in sich bestimten fortzugehn.

die Bestimmtheit des Tons zerfällt in seine reelle und ideelle Seite:

die materielle Besondrung hängt von der Besondrung des sich schwingenden Materials ab. dieses ist: eine Luftsäule (Blaseinstrumente) ein concret materielles (Saiteninstrumente) oder beides in Einem (die menschliche Stimme).

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die ideelle Seite betrifft das Verhältniß der Schwingungen als solche.

der Tackt.

die Nothwendigkeit des Tacktes liegt darin, daß als eine Seite auch die abstraction des identischen Ichs objectiv werde.

die Harmonie. das bestimmte Tönen in bestimmter Zeit.

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ein geschlossner, und alle neuerfundnen wollen zu diesem Kreise nicht passen. – die wichtigere Seite nun ist die ideelle die sich auf die innern Verhältnisse der Töne als solcher bezieht. das erste was uns nach dieser Seite begegnet ist die Zeit. Hier finden wir erstens den Tact, zweitens die Harmonie, drittens die Melodie; der Rythmus ist die besondre Beziehung dieser 3 Seiten. Was die Zeit als solche betrifft, so ist der Takt die erste Einheit, welche in die Manigfaltigkeit der Töne gebracht wird. Eine Menge Töne kommen in einem bestimmten Abschnitt vor. durch den Tackt werden gleiche Bewegungen der Töne hervorgebracht. diese Einheit ist eine Identität des Verstands[.] das Gleiche näher bestimmt, erhält seine Bestimmtheit als äußerliches durch die Zahl. der Tackt ist nothwendig. denn die Töne existiren in der Zeit, und das Regulirende für die Zeit ist die Verstandesgleichheit. das abstracte Ich selbst wird in der Musik mir objectiv. In der Manigfaltigkeit der Töne nun soll das abstracte Ich als solches auch als die eine Seite objectiv werden. diß abstracte Ich als solches wird an der Mannigfaltigkeit als abstracte Identität objectiv. diese ist die Gleichheit. Sie macht den Tackt objectiv. d.h. in der Vielheit des Verklingenden, in der ich verschwebe, kehre ich als abstractes Ich durch den Tackt in mir zurük. daß ich mich in mir finde geschieht durch den Tackt, durch die Gleichheit des Abschnittes, durch die Hörbarkeit der Identität, in der ich mich selbst habe. diß ist der Sinn und die Nothwendigkeit des Tacktes. dieses Gleiche nun muß wieder in sich theilbar sein. diese Theilung läßt eine manigfaltige Ungleichheit zu, welche aber einer Regel unterworfen ist. dieß macht die Tacktarten. Beim 3/4 Tackt ZB. liegt die Eintheilung in 3 zu Grunde. Er ist dem arithmetischen verhältniß nach dem 6/8 Tackt gleich, doch rythmisch nicht, denn die erste | Theilung, die diesem zum Grunde liegt ist die in 2, auf das erste Achtel jeder Hälfte fällt die Arsis. – Also die Gleichheit und die Eintheilung dieser ist das, was beim Tackt zu bemerken ist. – Auf den Tackt folgt die Harmonie, d.h. der Unterschied des Tönens gegeneinander. der Rythmus des Tacktes liegt dem harmonischen zum Grunde aber braucht nicht in diesen umzuschlagen. die Arsis der Melodien kann in einem vorhergehenden Tackt liegen, und was im Gange des melodischen keine Arsis hat kann mit einem neuen Tackt heben wie beim Metrum die Verse, wo die Worte verschieden sind von den Abschnitten des Versmaßes. Was nun die Harmonie selbst betrifft, so fällt in sie die Verschiedenheit der Töne, sie bestimmt die Grundverhältnisse der Töne. Beim Tackt ist das Herrschende die Länge und Kürze, die dauer. Bei der Harmonie tritt ein andrer Unterschied ein. dieser ist auch durch Zahlenverhältnisse bedingt. der Ton ist schwingende Bewegung. die Gleichheit der Zeit ist beim Tackt das 8 Bewegungen] Bewggngn 13 Manigfaltigkeit] Magfalgkgkt die 1ste 31 heben] über der Zeile: anfangen

25 das erste … jeder über gestr.

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wesentliche, beim Harmonischen die Schwingung in der gleichen Zeit. die Mehrheit und das Weniger der Schwingungen macht das Bestimmte des Tons aus. die Octave ZB. schwingt noch einmal soviel als ihr Grundton. die objective Bestimmung der Töne von einander also beruht auf Zahlenverhältnissen. In diesen Verhältnissen nun zeigen sich Grundtöne denen einfache Zahlenverhältnisse entsprechen: der Grundton, die Terz und die Quinte geben den harmonischen dreiklang. das Harmonische führt sich auf das mechanische zurück. die weitern Töne bestimmen sich durch andre Zahlenverhältniße. diese Grundverhältniße machen die substantielle Grundlage, das Gesetz der Nothwendigkeit aus, welches zu Grunde bleiben muß. die Melodie ist erst das Poetische, die Seele die sich in Tönen ergeht, ihren Schmerz ihre Freude ergiesst, das Melodische ist das Seelenvolle der Musik. die Melodie | hat das Harmonische zum Grunde liegend aber ist nicht auf dasselbe eingeschränkt; doch sind sie wesentlich verbunden. Eine oberflächliche Melodie geht in den einfachen Verhältnissen hin und her, die gründliche Musik aber geht bis an die Grenzen des Unharmonischen fort, verletzt es aber so, daß von dieser verletzung kann hernach zurückgekehrt werden. In der Einheit der Harmonie und der Melodie liegt das Geheimniß der tiefen Composition, welche die tiefsten Gegensätze der Harmonie hervorruft, und von diesen zurükkehrt – Es ist gleichsam der Kampf der Freiheit und Nothwendigkeit, welcher uns sich hier darstellt. das Hohe ist das Hervorrufen und Bekämpfen des Gegensatzes. die Musik überhaupt nun ist zuerst bekleidend. Vermittelst des Tons steht sie da. dieser für sich ist gehaltlos. durch seine Verhältnisse erhält er Gehalt. dieser aber befriedigt den Geist nicht. Wie die Empfindung den Inhalt des Geistes bekleidet so ist die Musik als ihr Ausspruch das Bekleidende von Zeichen der Vorstellungen, von Worten. die Rede schliesst sich an die Musik, und dieß ist ihre ursprüngliche Bestimmung. doch kann sie auch selbstständig werden, und diß ist besonders in der neueren Zeit, die architektonische Gebäude der Harmonie aufstellt, die nur den Kenner befriedigen. Bei keiner Kunst ist diß so der Fall, daß nur ein verständiges Studium die Befriedigung gewährt. die Musik hat mit der Architectur die Gleichheit, daß sie ihren Inhalt nicht in sich selbst hat, und wie die Architectur einen Gott erfordert, so die subjectivität der Musik einen Text, Gedanken, Vorstellungen, die als bestimmter Inhalt nicht in ihr sind. die redende Kunst nun ist es, welche diese Erfüllung giebt, der Ton mit einem geistigen Inhalt als solchen. die unselbstständige Musik ist nur bekleidend. Je selbstständiger sie wird, desto mehr gehört sie nur dem Verstande an, und ist eine blosse Künstlichkeit, die nur für den Kenner | ist, und dem Zweck der Kunst ungetreu 29 Kunst über gestr. Musik

34 welche] welches

die Melodie. Sie ist die in den abstracten Seiten des Tackts und der Harmonie sich real werdende Empfindung. Melodie, ɲ.) Verhältniß zur Harmonie ɴ) zur Empfindung. ɶ. Freiheit der Melodie in diesen Beziehungen

Indem nun aber die Empfindung selbst nur die abstracte Form ist, die ihren Inhalt bekleidet als seine Beziehung auf das abstracte subjective Ich so ist die Musik als der Ausdruk der Empfindung auch nur das den Inhalt bekleidende. den bestimmten Inhalt giebt ihr die Rede; diese zu begleiten ist die Bestimung der Musik.

486 die Rede indem sie der Inhalt der Kunst der Musik ist, setzt diese zum bloßen Mittel herab, und wird so die sich selbst vernehmende: die Poesie. Dritter Abschnitt. die redende Kunst oder die Poesie. Sie ist die Einheit der bildenden und tönenden Kunst indem sie die durch die Rede sich selbst vernehmende bestimmte Gestalt ist. Ihr Element ist die aufgehobne Unmittelbarkeit des daseins, das dasein des Geistes in ihm selbst: die Vorstellung. Einleitung. 1. Poesie Totalität der bildenden Künste und Musik. 2. der r o m a n t i s c h e n Künste a. Unterschied von Malerei. b. Unterschied von Musik. c. Eigenthümlichkeit. 3. Allgemeine Kunst und deren Inhalt. Eintheilung. 1. das Poetische a l s solches 2. der poetische Ausdruck 3. G a t t u n g e n der Poesie.

In diesem Elemente hat aller Stoff in seiner ganzen Entfaltung Platz, die aber daseiend in die Zeit fällt, und somit ein Nacheinander wird, welches jedoch der Geist in Eines zusammenfaßt.

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wird. die redende Kunst somit ist das dritte zur bildenden und zur tönenden. Sie enthält den Ton, das subjective, das Prinzip des sich selbst Vernehmens. die Sculpturbilder vernehmen sich nicht selbst. In der redenden Kunst wird mit dem Tönen die Bestimmtheit der Gestalt der bildenden Künste vereinigt. der Inhalt der redenden Kunst, die bestimmte Gestaltung, die ins subjective Element verlegt wird, ist die Vorstellung, der Inhalt der redenden Kunst der ganze Reichthum der Vorstellung, das bei sich seiende Geistige, das in einem Elemente ist, das dem Geiste selbst angehört. Indem der Ton eine solche Erfüllung erhält, wird er zum blossen Mittel herabgesetzt, ist nur ein Zeichen, und wird zum Worte, und dieser Ausdruk ist so verschieden vom Inhalt selbst. der Inhalt ist die Vorstellung, ihre Äusserlichkeit der Ton als Zeichen. So ist er blosses Mittel. Ton als solcher, als Sinnliches ist selbst nicht mehr die Äußerlichkeit des Inhalts, der sich wohl äußert, aber nicht unmittelbar im Sinnlichen da ist, denn dieses ist zum Zeichen herabgesetzt. So wäre näher zu sehn, welches eigentlich die Äusserlichkeit, die Objectivität der Sache hier ist. Es ist deswegen zu sagen, daß die Vorstellung selbst das Element ist, die Art, wie der substantielle Inhalt für sich wird. die Sache, der Inhalt soll dem Geist gegenständlich werden. Sie wird es im Bewusstsein als Vorgestelltes. dieses ist hier Material, wie es früher der Marmor war, oder die Farbe, oder der Ton. der Geist wird so auf seinem eigenthümlichen Boden sich gegenständlich, er hat seine Gegenstände als Vorstellung vor sich, die Sprache wird ein blosses Mittel, theils der Mittheilung, theils der unmittelbaren Äusserlichkeit der Vorstellung. | die Sache in der Poesie ist nicht mehr unmittelbar äußerlich, sondern in Vorstellungen; denn ein dichtwerk kann gelesen werden, auch ist es in andre Sprachen zu übersetzen, in andre Verhältnisse des Tönens zu bringen. Ob wir ein dichtwerk hören oder sehn ist gleichgültig. die Vorstellung ist das eigentliche Element, durch welches die Sache uns objectiv wird. – die Vorstellung also ist das ganz allgemeine Element, in welchem aller Stoff Platz hat nach seiner vielfachsten Entwiklung. Und die Entwiklung des Stoffs muß in der Zeit als eine Reihe darstellungen geschehn. die Handlung des Geistes ist der concreteste Stoff und hat seine Geschichte, hat seine Entwiklung. Selbst die Blume hat diese. die Vorstellung enthält die Möglichkeit den Stoff in seiner vollständigsten Entwiklung darzustellen. dieser Stoff hat aber auch einen Mangel, nehmlich er ist nicht so bestimmt als die sinnliche Anschauung. die Vorstellung ist geistiger Natur, und somit kommt ihr schon die Allgemeinheit zu Gute, die dem denken angehört. die Vorstellung kann also die Sache nicht concret in einem darstellen wie das Sculpturbild. diß ist ein Mangel einerseits nur der sinnlichen Seite, denn 12 ist] ist nicht 26–29M 1. das … Poesie. mit Verweiszeichen nach Eintheilung. angefügt Geschichte, … seine] (sne über gestr. ihre) Geschichte, hat (sne über gestr. ihre)

30 seine

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sie giebt das Vielfache als Succession, und der in sich einige Geist bringt in ein Bild zusammen was die Vorstelung, oder die Rede als Nacheinander giebt. diß Nacheinander tilgt der Geist. die Frage ist nun, wodurch die Poesie sich von der Vorstellung der Prosa unterscheidet. diese Frage ist für sich sehr abstract. Beide grenzen so in einander, daß eine bestimmte Grenze zu ziehen, ohnmöglich ist. Für das Einzelne ist die Abscheidung nicht möglich. das Nähere aber wodurch die Rede zur Kunst wird, ist Folgendes: die Vorstellung als Kunstwerk muß zuerst ein organisches Ganzes sein, einen bestimmten Zweck für sich haben. die geistige Einheit der Individualität wird gefordert. Auf einen Zwek muß sich Alles beziehn. | In der Iliade ZB. ist der Zorn Achills dieser Zweck. das zweite ist, daß dieser Zwek ein individueller Zwek sein muß, kein abstractes Allgemeines, dem das Individuum dient, sondern ein Zwek, der dem Geist, dem Gemüth eines Individuums angehört. Ein solcher Zwek ist der Zorn Achills, der Zorn nur dieses Individuums. die Geschichte ZB. hat wohl eine Seite zur Kunst, sie hat den bunten Inhalt des Geschehens in die Vorstellung aufzunehmen und daraus zu erschaffen, für die Vorstellung darzustellen, den Zusammenhang so zu machen, daß der Zweck aus dieser darstellung hervorgeht. Wir sprachen von der Kunst Herodots ect, doch gehören sie der freien Kunst nicht an, denn der Inhalt ist theils ein gegebner, der Zweck ein solcher, der nicht aus dem Willen des Individuums hervorgegangen ist, sondern als äußerlich gesetzt erscheint. Was geschieht ist einerseits vom Character des Individuums hervorgebracht, anderseits spielt die Zufälligkeit herein. die Natur des Inhalts ist’s, der die Geschichte zur Prosa macht. Es ist ein allgemeiner Zweck, der dem Individuum vorgeschrieben wird. die poetische Behandlung der Geschichte macht aus ihr noch keine Poesie. Vom Individuum als solchem geht die Sache nicht aus. Nicht die Heroen-Zeit ist die der Geschichte, sondern diese liegt jenseits der Geschichte und gehört der Kunst an. Es kann der Zweck eines dichterwerks allerdings auch ganz allgemeiner Art sein; wie in Dante’s Comedia, die die göttliche Welt, das ganz Allgemeine, darstellt und das Verhältniß des Individuums dazu. Aber in der christlichen Welt ist das Individuum als solches unendlicher Zwek, und dieser allgemeine Zweck zugleich der individuelle des Individuums. Es ist in dieser göttlichen Welt um das Individuum zu thun. der Staat ist für sich; in der göttlichen Welt soll das Individuum nicht aufgeopfert werden. das Individuum ist an und für sich Selbstzwek. durch diese Bestimmung ist | die Geschichte von der Kunst ausgeschlossene, denn sie ist ein Zwek, der nicht als individueller Zweck gesetzt ist, sondern frei von der Individualität als solcher.

18 sie lies: diese Darstellungen

die Vorstellung wird zur Kunst indem sie ihren Gegenstand darstellt als: ein organisches Ganze, das einen Zweck für sich hat.

als ein Zweck, der kein abstract Allgemeines, sondern der wesentliche Zweck eines Individuums ist, welches ihn aus sich selbst nimmt.

deshalb ist die Geschichte als solche kein Gehalt der Poesie, weil sie als ein äußerliches Geschehn für das Individuum ein gegebener Zustand ist, und in vielen Seiten der Zufälligkeit anheim fällt.

488 drittens müssen die Theile Glieder des organischen Ganzen und zwar für sich freie selbstständige sein, die ihre Selbstständigkeit zugleich gegen die Einheit des Ganzen auf heben.

a) hat einen Zweck, als vom Geist gesetzter und deshalb frei. b) praktische Absicht, gemäß machen der Theile für dieselbe. c. unfreie Entwiklung des Zweks. Subsumtion unter allgemeine Grundsätze.

diese darstellung nun dieses Inhalts ist überhaupt der A u s d r u k , der um poetisch zu sein nicht in den Worten als solchen liegt, sondern da die Vorstellung selbst das sinnliche Element der Poesie ist, in der besondern Bildung der Vorstellung besteht. die Vorstellung überhaupt steht in der Mitte zwischen der Anschauung und dem reinen Gedanken, und wird zur poetischen dadurch, daß sie das abstract Allgemeine des Gedankens in sinnlich concreter individueller und somit bildlicher Form darstellt.

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drittens müssen die Theile, als Theile des Organischen erscheinen, als für sich ausgebildete. Beim Besondern muß verweilt werden, als sei Jedes für sich der Zweck – der Verstand betrachtet alles nur nach bestimmter Zwekmäßigkeit, das Besondere ist ihm nicht frei. In der Kunst müssen die Theile wohl als Glieder, doch als in sich freie für sich subsistirnde erscheinen. So sehr sie also durch die Einheit zusammenhängen, so sehr müssen sie absichtslos erscheinen. diese Seite ist es dann vornehmlich, wodurch die Poesie sich von der Redekunst unterscheidet. diese hat einen Zweck, einen individuellen, und die Entwiklung desselben ist ein durch den Geist Gesetztes; in so fern ist es ein freies Product, doch ist eine Absicht dabei, und alle Theile der Entwicklung sind mit bestimmter Absicht gemacht, und diese bestimmte Absicht ist in ihnen gesetzt. Ferner sind Regeln, Grundsätze festgestellt. der Zwek bildet sich nicht frei für sich aus, sondern wodurch er geltend gemacht wird, ist die subsumption unter Grundsätze. das Verhältniß ist ein bloß Verständiges. das Ganze ist Absicht, die Absichtlichkeit erscheint in allen Theilen, und ist ein Zusammenhang von Ursach und Wirkung, Grund und Folge, der Verstandeskathegorien, oder in äusserlichem Zusammenhang. die besondern Theile gehn nicht aus freiem Gemüth hervor. Inhalt moderner Verhältniße, von Staatsbeamten, Minister ist kein poetischer, denn die Individuen sind in bestimmten Verhältnissen, die Reihe ihrer Handlung ist theils zweckmäßig, theils liegt eine Hauptseite ihres Handelns in sonst schon festbestimmten Seiten. – das Besondere nun also muß für sich frei sein, aber einen innern Zusammenhang haben. Eine lebendige seelenvolle Einheit nicht die des abstracten Verstandes wird gefordert. | Was nun 2tens den poetischen Ausdruk betrifft, so scheint er der Poesie eigenthümlich. der Hauptunterschied von der Prosa betrifft aber die erläuterte substantielle Form. das Poetische des Ausdruks scheint in den Worten zu liegen, diese aber sind nur Zeichen der Vorstellung. Was den Ausdruk betrifft, in sofern er vom Hörbaren abstrahirt, so ist es die Art und Weise, die wir zu betrachten haben wie der Inhalt in der Vorstellung gebildet sein muß um poetisch zu sein. Gebildeter Ausdruk ist die besonders gebildete Vorstellung. Wir müssen zweierlei unterscheiden. Wenn wir sagen Vorstellung, meinen wir dieß sei der Inhalt und unterscheiden davon ihren Ausdruk[.] Aber es ist schon bemerkt, daß der Inhalt überhaupt in der Weise der Vorstellung dargestellt wird. Hier also ist die Vorstellung selbst die Weise des Ausdruks, die Erscheinung des Inhalts. der Inhalt in der Mahlerei wird in Farben, in Gestalten auf der Räumlichkeit dargestellt. In der Poesie kann derselbe Inhalt sein, doch ist er in der Vorstellung ausgedrükt. Sprechen wir daher vom Ausdruk, so ist er dasselbe mit der Vorstellung. Es kommt also darauf an, ob der Inhalt prosaïsch oder poe28 die wir … haben über der Zeile mit Einfügungszeichen

34 Inhalt] folgt gestr: brcht

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tisch vorgestellt wird. die Vorstellung hat nicht die sinnliche Bestimmtheit der Anschauung. Auf der andern Seite ist die Vorstellung aber auch nicht der Gedanke als solcher, sondern sie liegt in der Mitte zwischen Anschauung und Gedanke, sie ist bildliche Vorstellung. das Verständige der Prosa besteht in der abstracten zusammenfassenden Weise. Sprechen wir ZB. von Ursach und Wirkung, so ist diß ein Verhältniß des Verstandes so wie alle Reflexionsbestimmungen. Sagen wir ZB. „Morgens“ so ist dieß ein Bekanntes Verhältniß der Zeit. Sagt nun der dichter: „Als Eos mit Rosenfingern emporstieg“, so ist dasselbe ausgedrükt, aber wir nehmen die abstracte Vorstellung nicht auf, sondern erhalten die bildliche. Sagen wir ferner: „Alexander | hat gesiegt“, so ist es eine in sich concrete Vorstellung, als „Sieg“ ausgedrükt aber in eine einfache Bestimmtheit zusammengezogen. Ebenso sprechen wir von Freude, Vergnügen so sind dieß alles abstractionen, fahl, grau, unbestimmt und prosaïsch. das Wesentliche des poetischen Ausdruks liegt also in der Weise der Vorstellung. Was den poetischen Ausdruk macht, diß gehört in diese Region, die den Uebergang ausmacht von dem Vorstellen als solchen zum denken. Wir können etwas ganz Sinnliches im Verstande haben, verstehn ohne dabei das Bild des Gegenstandes vor uns zu bringen. Sagen wir ZB: „die Sonne“, so verstehn wir dieß, ohne das Bild vor der Vorstellung zu haben. Verstehn ist etwas Anders als die Vorstellung davon haben. durch den poetischen Ausdruk im Allgemeinen soll der abstracte Gedanke der concreten bildlichen Vorstellung wieder zugeführt werden. Wir lesen ZB. Buchstaben, die Zeichen von Tönen sind; bei ihrer Betrachtung verstehen wir sogleich das Gelesene, ohne dabei die Töne vor uns zu haben. Ungeläufige Leser müssen die Töne aussprechen um das Gelesene zu verstehn. Ebenso ist es mit dem, was wir im Gedächtniß haben, in der Weise des denkens, das wir so im Kopfe haben, ohne dabei der Vorstellung der Sache selbst zu bedürfen. die Vorstellung nun um Poesie zu sein muß so gebildet sein, daß sie kein blosses Verstehn ist, die Sache also muß nicht in blosser Weise des Verstandes in uns sein, sondern bildlich vor uns kommen. dahin gehört das, was wir Umschreibung nennen. Vieles sehn wir als Umschreibung an, was beim dichter gar nicht Umschreibung sein soll, und uns nur so dünkt in Vergleichung der abstracten Bestimmungen, in welchen der Inhalt sonst im Verstande geläufig ist. die dichterische Sprache kann so als ein Umweg erscheinen, als ein unnützer Ueberfluß. Sagen wir ZB. Alexander ist nach Persien marschirt, so ist diß unserm Verstande geläufig, | dem dichter muß es darum zu thun sein, daß wir mit der Vorstellung beim Bilde verweilen. deshalb giebt

17 verstehn ohne … bringen.] (1) ohne sn Bild zu verstehn, (2) (verstehn über der Zeile mit Einfügungszeichen) ohne (dabei d über gestr. sn) Bild (d Gegstdes vor uns zu bringen. über gestr. zu verstehn) 21 bildlichen über der Zeile mit Einfügungszeichen

poetische Vorstellung. ɲ) Bildliches überhaupt ɴ) pars pro toto; Umschreibung Ausführung ɶ. Uneigentliche Vorstellung. ɲɲ) unendlich ɴɴ.) Metapher Bild, Gleichniß. ɶɶ)

die Vorstellung als diese darstellung des Inhalts in concreter Bildlichkeit ist umschreibend. die Umschreibung dünkt uns nur überflüssig im Vergleich des verständigen Verstehens.

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die Umschreibung geht zur Differenz des eigentlichen und uneigentlichen Ausdruks fort; der eigentliche Ausdruk stellt nur die Sache als solche dar, der uneigentliche gebraucht zu ihrer darstellung noch eine Zweite.

Ihre unmittelbare Äußerlichkeit hat die Vorstellung an der Rede, die als der Kunst angehörend nicht eine zufällige sondern an und für sich bestimmte sein muß, die Versification somit zu ihrer Bestimung hat.

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Homer jedem Helden einen Beinahmen, wodurch wir sogleich genöthigt werden ein Concretes vor uns zu haben. das Beiwort mahlt uns das Bild vor. Gewöhnlich ist man den Unterschied zwischen dem Verständigen und der Vorstellung zu machen nicht gewohnt. die gebildete Vorstellung also macht das Poetische. Andere Formen des Ausdruks sind es dann wohl die eine weitre Differenz hervorbringt. Eine solche ist der eigentliche und uneigentliche Ausdruk. der eigentliche Ausdruk stellt nur die Sache dar, der uneigentliche thut noch eine Zweite zu. Solcher Ausdruk ist der der Metaphern. Bei ihnen wird einem Inhalt ein zweiter hinzugefügt, der nur zum Ueberfluß des Ausdruks gehört, und nur theilweise kann genutzt werden, nach einer bestimmten Seite nur zum ersten Inhalt gehört. ZB. wenn Homer den Ajax der nicht fliehen will, einem hartnäckigen Esel vergleicht. der romantische Ausdruk besonders ist so prachtvoll, denn das Romantische ist ein substantielles, das sich ergeht in einer Mannigfaltigkeit des Stoffs, der nur Beiwesen ist. dieß sind die Hauptmomente des Ausdruks. der uneigentliche Ausdruk ist mehr dem Romantischen angehörend, Homer die Alten überhaupt drücken sich immer direct aus. das dritte ist nun noch die Seite der Versification, die Rede ist bestimmt eine gesprochene zu sein, obgleich dieß nicht wesentlich nöthig ist. Zur Poesie gehört die Versification wesentlich. Poetische Prosa ist ein Zwitter, das seiner Bestimung nicht angemessen ist. die Versification ist der duft der Poesie und wesentlicher als das Uneigentliche des Ausdruks. | Sie giebt uns sogleich zu erkennen, wir seien auf einem andern Boden als dem des gewöhnlichen Bewusstseins. der dichter findet in dem Verse zugleich eine Fessel, die ihn nöthigt, nach dieser sinnlichen Seite den Ausdruk zu bilden, und mit der Bildung des Ausdruks, in so fern dieser das Vorstellende ist, sich zu beschäfftigen. die Sorgfalt erstreckt sich zugleich mit auf die Bildung der Vorstellung. Man kann leicht meinen, die Versification sei eine Fessel, durch welche eine Menge guter Gedanken verloren gehen. Manches freilich muß der dichter aufgeben, aber anderseits hilft auch die Versification, nöthigt ihn herumzusuchen, seine Vorstellung um und um zu kehren. – diese Bildung des Sinnlichen ist nun aber unmittelbar für sich gefordert. die wesentliche Seite der Worte zu klingen ist zunächst bestimungslos, am Kunstwerk aber soll es keine Seite geben, die ungebildet sei; das Kunstwerk duldet kein Zufälliges, sondern nur vom Geist Gestaltetes. die Versification ist eine sinnliche Seite und muß dem Inhalt angemessen sein, der in ihr erscheinen soll. Sie ist der äusserliche Hauch, der allgemeine Ton des Ganzen. Sie hat auch an ihr, daß indem diese Seite der Äußerlichkeit für sich gebildet ist, darin eine Befreiung des Gemüths vom Ernst 15 Romantischen] folgt gestr: Asdrk 35 diese] (1) b. diesr (2) ( b. gestr.) (diese aus diesr) 35–36 der Äußerlichkeit über der Zeile mit Einfügungszeichen

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des Inhalts liegt, indem wir ihn als ein objectives vor uns haben. der Inhalt wird ausser uns herausgesetzt und das theoretische Verhalten veranlasst. Es giebt nun die alte Weise der Versification und den Reim. die erste ist die bloß rythmische, die bei den Längen und Kürzen des Tones stehn bleibt, bei der die Bewegung der Sylben in Betreff auf die dauer in Betracht zu ziehn ist. der Accent des Wortes ist wieder etwas Andres und bezieht sich auf den Sinn und hängt nicht mit der eigenthümlichen Länge und Kürze der Sylben zusammen. die 2te Versification gründet sich nicht nur auf die Länge und Kürze, sondern der Reim ist ein materielles Klingen, der Ton selbst kommt in Betracht. Ein Wohlklang kommt durch die Gleichheit des Klingens | hervor. – Was das Nähere überhaupt des Versmaßes betrifft, ist es dieß, daß der Tackt dabei vorkommt; eine dauer wiederhohlt sich und dadurch findet das Ich sich in der Bewegung wieder. das regellose Verlieren seiner selbst in den Tönen wird negirt. Bei der bloß rythmischen versification ist der Tackt kein solch wesentliches Gesetz. der Hexameter hat wohl Tackt, nicht so bestimmt als die andern Versmasse. Es ist ein grosser Streit, ob der eigentliche Tackt in den alten Versmaßen so vorhanden sei wie ZB. in unserm Jambus: Voos hat dieß behauptet. Allein es ist diß eine leere Vorstellung. Wir sind durch unsre Sylbenmaße so an die Bestimmtheit des Tacktes gewohnt. Gewöhnlich sind die Tragödien der Alten in Senarien geschrieben, wenige derselben aber bestehn aus lauter Jamben, sondern die Schönheit besteht gerade darin, daß spondeen mit Jamben sich wechseln, daß die Ungeraden Füsse 1, 3, 5, entweder Spondaeen oder unter ihnen dergleichen seien. Auch unsere deutschen Jamben haben Spondaeen ZB: „Freiheit und Gleichheit hört man schallen“; die meisten Trimeter der Alten fangen mit einem Spondaeus an. Auch Göthe gebraucht sehr vieler solcher Spondaeen. Im Jambischen selbst also haben die Alten den Tackt nicht beobachtet. Unser Jambisches Sylbenmaaß im strengen Tackt ist das Unleidlichste. – Jedes Sylbenmaß hat nun einen besondern Character und der dichter hat jedes für einen bestimmten Ton des Gedichts zu gebrauchen. das Epische ist einfach, das Lyrische muß manigfacher sein. das Jambische ist vom Trochaeischen verschieden; letztes paßt sich für ruhige Betrachtung. die Hauptsache beim Versmaaß ist der Reim. Er gehört der romantischen Poesie allein an, das bloß rythmische der classischen. Betrachten wir hierin den Bau der Sprachen, so sehn wir, daß bei den alten Sprachen die Modification der Conjugation eine Hauptsache ist. diese Modificationen werden durch angehängte | Sylben bemerklich gemacht, wodurch die Stammsylbe um vieles kann verändert werden. In unsern Sprachen ist dieß anderes. Wir drücken die Zeiten und Perso4–5 bei der die] (1) b. d. (2) ( bei aus b.) (der aus d.) (die über der Zeile mit Einfügungszeichen) siehe Anm. 33 Modification der über der Zeile

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durch die Ausbildung des Äußerlichen des Inhalts wird das theoretische Verhalten producirt, indem wir uns nicht in ihn als ein Unmittelbares versenken, sondern ihn als ein vom Geist gebildetes vor uns haben.

Indem die Rede tönend ist fällt sie in die Zeit und es ist der Tact also der in ihr zum Vorschein kommt; der aber mehr rythmisch als in abstracter Gleichheit sich bewegt.

Zugleich ist die Rede tönend und so besteht die Versification im tonvollen Rythmus.

492 dieß ist in den alten Sprachen, wo das Klingen und der Rythmus in unmittelbarer Einheit ist.

In den neuern Sprachen lößt sich diese Einheit dadurch auf, daß jedes Wort Stammwort ist und somit das Klingen als solches verloren geht, welches jetzt gesetzt werden muß.

dieses gesetzte Klingen ist der Reim.

So ist es nicht mehr bloß die eine Seite des Rythmus, der gesetzt ist, sondern auch die andere, das Klingen, und die Versification ist das Gesetztsein Beider, die nicht mehr in unmittelbarer sondern negativer Einheit sind.

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nen besonders aus. ZB. die Lateiner sagen: amaverunt. da ist am allein die Stammsylbe, und als das Andre nur accidentelle modification. Ebenso im Griechischen in stsfv wo st der Stamm ist der sich vielfach modificirt. dadurch sehn wir sogleich, was möglich gemacht ist. das substantielle der Stammsylbe beschäftigt nicht so für sich und erlaubt auf den Klang als solchen zu lauschen. der Gesang kann sich leichter für sich in solchen Tönen hören. Hingegen in unserer Sprache sind die Modificationen getrennt von dem Grundworte, machen einzelne Worte aus: ich, du, er; sein, haben, werden. Auf diese Weise geschieht es, daß ein Stammwort concentrirt bleibt, sich nicht in eine Vielheit auslässt von Tönen, sondern für sich mächtig ist. die blosse Modification macht selbst wieder ein einzelnes Wort aus. dadurch sind wir schon gleichsam gefesselt bei dem Sinne jedes Worts stehn zu bleiben und haben kein Tönen, dessen Bewegung beschäftigen kann. der Accent ist bei uns das Herrschende und hält sich an die Grundbedeutung. Nach dieser hören wir und fassen daraus die Länge und Kurze auf. Sagen wir ZB. „Sage nicht“, „Rede mir, gehet hin“, so ist Sa, Re, ge, an und fürsich kurz, durch den Accent aber lang. das Rythmische bei uns also hat weniger Freiheit sich für sich zu ergehn. Sollen wir daher auf das Klingen als solches aufmerksam sein, so müssen wir materieller beschäftigt sein. dieß bewirkt der Reim. der Rythmus bringt nur das Verhältniß der Zeit in Betracht. Im Reim ist das gleiche Zusammen Klingen des Tons als solchen, das beschäftigt. der Mächtigkeit der Sprache in Betreff auf den Accent muß ein stärkeres Gegengewicht der sinnlichen Seite gegeben werden. deswegen ist dann auf der andern Seite der Reim der romantischen Poesie eigen. Es | ist das sich selbst Vernehmen verstärkt, herausgehoben im Gleichklingen des Reims, das dahingeht uns zu uns selbst zurückzuführen. dieß ist befördert durch den Reim, die subjective Seite tritt heraus. die Verse werden dem Musikalischen näher gebracht, und es ist diß eine Befreiung vom Stoff, welches die Romantische Eigenthümlichkeit ist, der Reim hat sich als nothwendig für sich selbst gemacht. Er ist in der arabischen Sprache vorhanden. doch im Abendlande ist er älter als die Bekanntschaft des Abendlandes mit den Arabern. Im Christenthum hat er im Lateinischen sich eingefunden, in ambrosianischen Hymnen, die im 4ten Jahrhundert gedichtet sind. Auch der Heilige Augustinus reimte. Wir haben schon gesagt es könne keine einfache Bestimmung gegeben werden, wodurch die Poesie sich von der Prosa unterscheidet, denn die Poesie ist in sich concret und kann vielerlei Seiten festhalten. Bei der Mahlerei unterscheidet sich

4 substantielle der Stammsylbe über gestr. accidentelle Klingen 12 jedes Worts über der Zeile mit Einfügungszeichen 19 Reim1 aus Raum 23 Reim aus Raum 25 Reim aus Raum 27 Romantische] Ronamtsche 29–30 des Abendlandes über der Zeile mit Einfügungszeichen

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dieß fester. Ein bloß Skizzirtes ist eine Zeichnung, schwarz und weiß ausgeführt ein Kupferstich. So kann dieß auch in der Poesie sein, der Stoff kann sehr poetisch vorgetragen werden, sehr schöne Diction haben; ohne ein Kunstwerk, ohne Poesie zu sein, insofern der substantielle Inhalt für sich nicht poetischer Natur ist. So kann man auch nicht von einzelnen Phrasen sagen, daß sie poetisch sein oder prosaisch, ebenso wie ein einzelner Pinselstrich keinen Maaßstab an sich selbst hat zur Mahlerei zu gehören. Was die Eintheilung der Poesie betrifft, so kommt dabei einmal der Inhalt in der Weise seiner Vorstellung in Betracht, dann nach der andern Seite der Sprache Rede, und dieß betrift die äussere Existenz. Indem sie nur als menschliche existirt (Sculpturwerke bestehn durch ihre Materialität) und ihr bestehn | das sprechende subject, der Mensch ist, so tritt hier das Verhältniß des dichtwerks ein zu der Seite wie es existirt. diese zwei Seiten müssen einen nothwendigen Zusammenhang haben, ebenso wie eine Nothwendigkeit ist, ob man Farben oder Erz gebraucht. der Inhalt im Ganzen kann nun 3erlei Formen haben: erstens ist er ein objectiver Inhalt, eine äußerlich entfaltete Welt, ein Sculpturbild der Vorstellung, wo die Sache frei für sich fortgeht, sich in ihrer Objectivität entwickelt und der dichter zurücktritt. Zweitens ist der Inhalt subjective Stimung, Erfüllung des subjects, das den Inhalt in sich hat, und ihn ausdrükt, wie es sich in sich weiß, die innerliche Bewegung selbst ausspricht. das dritte ist die Vereinigung von Beidem, so daß jene Entfaltung des Objectiven dem subject angehört. Somit haben wir: d i e e p i s c h e , l y r i s c h e u n d d r a m m a t i s c h e Po e s i e . In der epischen entwickelt sich eine objective Welt des Geists in der Vorstellung. die Lyrik behandelt die subjectivität als solche, das Drammatische die Handlung des subjects. die andere Seite nun ist das Material, in welchem dieser Inhalt sich abdrückt. Es ist die Rede, welche durch das subject Existenz hat. diese tritt als nothwendige Seite des Inhalts auf, und bestimmt sich nach diesem. Indem der Gegenstand des Epos eine objective Welt ist, so ist die subjective Seite die Sprache, die Existenz der Rede eine eben so äußerlich von der objectiven darstellung sich fern haltende, eine gleichsam mechanische Rede. das Epos bei den Alten ward von Rapsoden gesprochen, recitirt. dieß Sprechen ist mehr mechanisch. | die Existenz dieser Rede ist ein äußerliches Vortragen. der Inhalt der lyrischen dichtkunst ist Erfül8 betrifft] betrifftt

16 Formen über gestr. Farben

23 des über gestr. dem

Bestimmte Gliederung der Poesie in sich in: I. den Inhalt wie er sich in der Vorstellung als Poesie gestaltet:

A. die epische Poesie als darstellung des An und für sich seienden in der Form des objectiven Geschehens. B. die lyrische Poesie wie darstellung des anundfürsichseienden wie es das subject in sich weiß. C. die drammatische als darstellung des Anundfürsichseienden wie es das subject in sich weiß und zu einem objectiven Geschehen macht. II die äußerliche Existenz dieser bestimmten Gestalten. A das Epos erhält äußerliche Existenz durch die mechanische Recitation der Rhapsoden. B das Lyrische als Ausdruk der subjectivität nimmt auch die Innerlichkeit des Spre-

494 chenden in Anspruch, der zum Sänger wird und musikalisch vorträgt. C. das Drama als darstellung des sich selbst objectivirenden subjects erfordert zu seiner Existenz sowohl die subjectivität als Rede als auch ihre objective darstellung vermittelst der ganzen Persönlichkeit des darstellers.

Erster Abschnitt. das Epos. Begriff des Epos. das Epos ist der Inhalt, als ein objectives Geschehn ausgesprochen, so daß er der ganzen Breite seiner Umstände nach vorgetragen wird. dieß geschieht zunächst in den Epigrammen als aufschriften der denkmähler; in den Gnomen als Aussprüchen, dessen was Recht, was Pflicht ist. 2. besondere Bestimmungen. c. Einheit des Werks. ɲ) Totalität des Vorkommenden in der besonderen Handlung ɴ. epische Entfaltung. ɲɲ. verweilende Schildrung. ɴɴ. epische Motivirung. ɶɶ. Retardation der Handlung. ɶ.) Zusammenschluß zur Totalität.

Aber ihr Inhalt ist abstract; der Inhalt der Poesie aber die concrete Geistigkeit

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lung des subjects als solchen. dieser Inhalt wird weiter in Anspruch genommen als nur äußerlich zu existiren. der Sänger trägt das lyrische vor, die Existenz ist musikalisch. – der Inhalt endlich des Drama’s ist ein objectiver, geistige concrete Objectivität, das Handeln. Hier wird das ganze subject welches der Rede muß Existenz geben in Anspruch genommen, die ganze Person des Vortragenden ist zur darstellung erforderlich; die subjective Seite ist vervollständigt, die erste Weise ist nur das mechanische Sprechen, das zweite das musikalische. die Rhapsoden nach Plato’s Zeugniß waren die unwissendsten Menschen. Beim Drama muß die subjective Seite objectivität erhalten, das Sprechen selbst muß dargestellt werden. Hier ist die Totalität der darstellung erfordert. Nach dieser Eintheilung hätten wir diese Gestalten zu characterisiren.

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das Epos. das Epos spricht aus, was die Sache ist; der Gegenstand als Gegenstand, die breite der Umstände, der ganze Gegenstand in seinem dasein wird ausgesprochen. das Epos hat somit mit dem Epigramm angefangen, welches eine einfache Aufschrift auf denkmählern war. Es sagt was die Sache ist. diese Epigramme sind nun auf etwas geschrieben. Aber ein selbstständiger Inhalt kein äußerlich vorhandener ist gefordert. dieses fernere sind die Gnomen: die Rührung die Willkühr ist ausgeschloßen, sie sprechen aus, was Pflicht was Sittliches ist. Ferner sind fi die goldenen Sprüche des Pythagoras. Wie das sittlich Wahre episch ausgesprochen ist, so ist auch die alte Philosophie episch gewesen. die | Fragmente der alten Philosophie sind im epischen Tone; obgleich dann sogleich schon das Lyrische sich einmischt. Eben diese Philosopheme sprechen aus, was ist, sie haben den epischen Character. Auf gleiche Weise verhält es sich mit den Lehrgedichten, wie mit denen des Hesiodus. In allem diesem ist epischer Ton. doch alle diese Gedichte nennen wir noch nicht Epopoeen. der Unterschied ist aber nicht der des Tons, sondern der des Inhalts. denn jener Inhalt ist noch nicht der concret poetische. Sittensprüche, Philosopheme bleiben beim Allgemeinen stehn, der Inhalt ist noch nicht wahrhaft dichterisch. dieser Inhalt ist das concrete Geistige in individueller Gestalt. Und indem das Epos zum Gegenstand hat, was ist, hat es

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1 dieser Inhalt über gestr. Es 2 trägt] (1) tritt (2) spricht über gestr. tritt (3) trägt unter gestr. spricht 5 in Anspruch genommen über der Zeile mit Einfügungszeichen 6 zur darstellung erforderlich über gestr. in Ansprch genommen 18 dieses fernere … Gnomen: über der Zeile 19 was Sittliches über der Zeile mit Einfügungszeichen 25M Einheit ] davor gestr: Verhältnß d. allg. Hintrgrunds u der Besonderen 27M Entfaltung über gestr. Motivirung 28M verweilende ] davor gestr: der objektivn 35 Gründe 30M Zusammenschluß ] davor gestr: Anfang u Ende

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eine Handlung, ein Geschehn in seiner ganzen Entwicklung und Breite zum Gegenstand, die Handlung in ihrer Welt vorgestellt. die Handlung ist individuell, darum hat das Epos nicht die Geschichte, nicht das Vaterland zum Gegenstand, nicht allgemeine Personen, nicht Biographien zum Inhalt. denn in der Biographie ist nur die Einheit der Person, nicht die wahrhafte Objective der Handlung. der Inhalt des Epos ist also das Ganze einer Welt, in welcher eine individuelle Handlung geschieht. Hier treten die mannigfaltigen Gegenstände ein, die zu dem Ganzen einer Welt gehören, geographische Localität; aber diese Naturmomente sind keine Hauptsachen, sondern nur Nebenmomente. die Handlung nun aber als solche nicht nur ist Gegenstand, sondern auch Gedanken, die darlegung der Berechtigung: der Stoff des drammatischen und Lyrischen tritt ein. dem Epos aber angehörend müssen auch diese Seiten nur Momente sein und dem Epos seinen epischen Character nicht nehmen. Es muß von den Individuen soviel gethan werden, als | auch die Umstände bewürken. Was die Menschen thun muß selbst als Verwicklung der Umstände als solcher geschehnd erscheinen. denn das Epos stellt dar was ist und so müssen die Handlungen auch diesen Character haben. Im Epos regiert das Schicksal und nicht im Drama. Im Epos ist eine Ganze Welt, wo die Handlung, die Beschlüsse nur Einzelne sind im Ganzen, das ebenso der äußerlichen Nothwendigkeit als dem Willen angehört. Es ist dadurch der Unterschied des Drammatischen und Epischen Tones gesetzt. Im Drama ist der Gegenstand: die That als solche, durch den Character des Menschen, durch den Willen gesetzt. dieser ist hier die Grundlage von allem was geschieht. die situation, die Umstände sind hier nur das, was aus ihnen der Geist und das Gemüth macht, und wie es gegen sie reagirt. das Innerliche der Wille ist das Wesentliche das Bestimende. Im Epos gelten die Umstände ebenso schlechthin, was der Mensch thut geht hier ebenso vorüber als das was der Zufall thut. Tapferkeit also ZB. ist ein Gegenstand des Epos. Sie ist hingegen nicht drammatisch. Sie gehört der Naturseite an, der Muth in so fern er im Blut liegt, gehört ebenso zu ihr als die Stärke des Geistes. die Tapferkeit ferner ist auch vom Inhalt der Handlung unabhängig ist formell. Im Drammatischen ist die natürliche Seite und das formelle der Tapferkeit nicht Gegenstand, sondern der Wille als berechtigter und nicht berechtigter, seine Berechtigung wissend und nach dieser wollend. die Tugend im Epos ist mehr natürlich Zufällige. Im Drama hat das Indi-

4 denn in der] (1) die Handlung Einht ist nur (2) (denn aus die) (Handlung Einht ist nur gestr.) 15 als solcher geschehnd über der Zeile mit Einfügungszeichen 35 5 Biographie] Biogrhephie 25 das Bestimende über der Zeile mit Einfügungszeichen 28 Natur15M reinsten Lesung unsicher seite] Natur(seite über der Zeile mit Einfügungszeichen) 29 zu ihr über gestr. dazu 30 ist formell über der Zeile mit Einfügungszeichen 33 im über gestr. des

in individueller Gestalt. das Epos stellt somit eine Handlung, die individuell ist, in dem ganzen Umfang derselben, als ein Geschehen dar, in welchem die Person in unmittelbarer Einheit mit ihren Umständen ist, und durch diese geleitet wird, so daß die Handlung selbst nur als Wirkung der Umstände dargestellt wird. ɲɲ) Totalität der Gegenstände. ɴɴ.) Nicht für sich, i n n e r halb der besondern Handlung. Odyssee am reinsten. ɶɶ.) bestimmte Situation als Anfang. Iliade das Schönste von Allem.

da der Gegenstand die Handlung ist treten auch die Stoffe des Lyrischen und drammatischen ein, aber selbst als ein objectives Geschehn. Indem die Umstände wirken, regiert im Epos das Schicksal. Hingegen sind im Drama die Umstände nur das, wozu sie der Entschluß des handelnden subjects macht, welches sich selbst durchsetzt oder in diesem durchsetzen zu Grunde geht.

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Im Epos gelten die Umstände als solche und sind das Bestimmende der Thaten, welche wiederum selbst als Geschehn als Umstände erscheinen. Beispiele im Homer. der Abschied des Hector und der Andromache.

Im Drama darf die Rührung nicht aus den Umständen, sondern aus dem Entschluß genommen werden.

das Epos stellt nun also eine objectiv entwickelte Totalität eines Zustandes dar, durch welchen gehandelt wird. Als Handlung ist der Zustand ein bestimmter und die bestimmte Handlung nothwendig machender. die Handlung ist nur als individuelle, aber als Handlung eines totalen Zustandes, die Handlung von Völkern, ihre Kriege. Vorstellung der Weltgeschichte als Epos. In ihr wäre die Idee der Held. Aber die Idee ist nicht ein Individuum,

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viduum, was es will, geltend zu machen, und was es will und soll und fordert, dieses beruht auf seinem Character, und diesen muß das Individuum durchsetzen. Im | Epos aber gelten ebenso die Umstände, die Verhältnisse. Im Homer werden wir dieß sogleich finden. Sehen wir ZB. auf die darstellung des Hector, wie er Abschied von der Andromache nimmt, so ist diß episch, nicht drammatisch. Andromache hält ihm den ganzen Zustand vor, die Kinder, den Priamus. Hector sagt: er bedenke das Alles, aber er scheue die Trojaner, wolle nicht feige erscheinen, freilich werde es Tage geben wo Ilium nicht mehr steht ect. die Verhältnisse werden auseinandergelegt und dieß wäre nicht drammatisch. Ebenso, wenn Gefangene von ihrem Vaterlande erzählen, so sind es objective Verhältnisse, Umstände; doch ist auch diß nicht drammatisch. Solche Erzählungen sind Rührungen, Rührungen aber die aus den Umständen geschöpft sind, obgleich sie in neuern Dramen vorkommen, sind nicht drammatisch, denn das drama darf nur durch das Würken, was Entschluß ist des Gemüths, wie dieses die Verhältnisse trägt, seinen Character darin behauptet. Im Epischen kann das Individuum erscheinen den Verhältnissen nachzugeben, das Resultat der Verhältniße sein, die das Mächtige sind. Im Drama hat der Character das Mächtige zu sein. Im Epos schweben Handlung und Umstände gleich. Character und Nothwendigkeit des Äußerlichen stehn gleich stark nebeneinander. das drammatische Individuum hingegen hat nur sich selbst auszuführen. – dieß ist im Allgemeinen der Epische Ton. Was den Stoff des Epos anbetrifft, (der Stoff d.h. der bestimmte Stoff ist immer bei jedem Gedichte die Hauptsache; der Ausdruk darf nicht vom Gehalt selbst getrennt werden) so ist das Nähere Folgendes: der Stoff der Epopoe ist das Ganze eines Geschehens, das die | Welt eines Volks in ihrer objectiven Entwicklung, in der ganzen Weise ihrer Verhältnisse sein muß. In ihr soll gehandelt werden, sie ist daher in einem besondern Zustande aufzufassen, der die Handlung nothwendig macht. diese Handlung ferner ist ein bestimter Endzwek, den Individuen auffassen und setzen. diese nähere Handlung, der besondere Zustand eines Volks kann nur ein Kriegszustand sein. Man kann sich auch denken, daß die ganze Weltgeschichte zum Gegenstand einer Epopoe gemacht wird, deren Held der Menschengeist, der Humanus, wäre. Man könnte sich dieß vorstellen, daß der Menschengeist der Held wäre, der sich zur Weltgeschichte vollbringt, doch dieser Stoff wäre zu hoch für die Kunst, denn die allgemeine Idee läge zum Hintergrunde. diese aber ist nicht individuell, die Kunst aber hat individuelle Gestalten zu geben. Man könnte sich 8 feige] davor gestr: fähg 20 hingegen hat nur] (hingegen über der Zeile) hat (nur über der Zeile mit Einfügungszeichen) 32 deren] dessen

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nur vorstellen, als könnte diese Epopoe als eine Reihe von Gestalten sich darstellen, indischen Incarnationen ähnlich, aber vor der Idee erblasst solcher bloßer Schein an erdichteten Gestalten. Haben sie Wahrheit so fiele der substantielle Inhalt der Kunst hinweg und das ganze Gemählde würde nur allegorisch, wenn ein Geist, ein Begriff das Ganze beherrschte; anderseits wenn bestimmte Individualitäten in einer Reihe aufträten, würde dieß nur als äußerliche Folge erscheinen, die keine wesentliche wahrhafte Verbindung hätte, denn diese ist nur die Idee, und die Idee nicht der Zweck eines Individuums. – Es wird also ein besondrer Zustand darzustellen sein. Besondere Veranlassungen, Collisionen führen die Handlung herbei. diese Collision ist verschieden von der des Drama. Im Ganzen muß sie im Epos der Kriegszustand sein. In den Kriegen ist ein Volk gegen ein Anderes. die Tapferkeit ist da das Hauptintresse, und sie vorzüglich episch, insofern sie das Natürliche als ein Sittliches hat, das nicht durch den Willen als solchen | gesetzt ist. Ferner schweben im Kriege Werke des Wollens und des Zufalls gleich. Im Drama ist das blosse Geschehen ausgeschlossen. Zustand bürgerlicher Unruhen, Einführung von Verfassungen, eine Menge dergleichen intressanter Thaten und Begebenheiten kann man sich vorstellen, die in subjectiver und objectiver Rüksicht gleich stehn, obgleich sie für die Kunst nicht darzustellen sind. Sondern der Kriegszustand muß so sein, daß fremde Völker gegeneinander streiten, Kriege müssen geschildert werden vom Abendland gegen das Morgenland, von Christen gegen Mauren, Griechen gegen Asiaten. Solche Feindschaft, daß sie überhaupt sei, ist dem epischen Character gemäß. Andere Nationen haben gegeneinander zu sein. Ein einheimischer Krieg ist nicht für das Epos. die Tragiker dagegen haben Stoffe gewählt wo ein Bruder gegen den andern kriegt. Hier ist die Eigenthümlichkeit des feindseligen Verhältnisses auf die besondere Individualität der sich Bekriegenden begründet. Wer Thebe bekriegt ist der Sohn Thebes, sein Feind sein Bruder. die Trennung also ist keine an und für sich seiende, kein substantielles Verhältniß, sondern dieses ist gerade die Vereinigung, und nur das Gemüth, die geglaubte Berechtigung trennt die Einheit. Indem ein solcher Zustand, wie er oben beschrieben ist, die epische Welt ausmacht, so kann dieser entweder nur der Hintergrund sein, und den Boden ausmachen, aus dem das Individuum spielt, oder das Individuum kann den Zustand selbst machen. das erstere Verhältniß ist das Passendere. der Zustand muß schon sein und das Individuum, wie es den Zustand bestimmt, von ihm bestimmt sein. Steht das Individuum an der Spitze so wird die Bestimmung,

3 Wahrheit] Wahrhft 4 der Kunst über der Zeile mit Einfügungszeichen 23M drama über gestr. Epos 28 an und … sich über der Zeile mit Einfügungszeichen 29 geglaubte] ggglaubt 33 Verhältniß] Verhältnsses

sondern müßte als eine Reihe von Individuen erscheinen, deren Folge aber zufällig und somit nicht als die der Idee erschiene, und anderseits wenn die Idee als das Herrschende sich zeigte, die darstellung durch erdichtete Individuen nur als Allegorie aufzeigte. die Handlung als bestimmte ist in Collision mit Anderem; diese Collision ist der Kriegszustand der Völker. Im Kriege ist die Tapferkeit Gegenstand und passend für das Epos weil ihre Thaten zugleich aus einem natürlichen Zustand hervorgehen. Ferner schweben im Kriege That und Umstand gleich. der Krieg muß aber ein substantieller sein, und kein zufälliger Einheimischer Während das drama innerliche Kriege benutzt, indem die Einheit eines Staats das substantielle ist, und die Entzweiung nur Entschluß der handelnden Personen.

der Zustand des Epos muß der vorausgesetzte Boden sein, auf welchen das Individuum die Handlung die dieser Zustand bewirkt, vollführt.

498 Beispiel in der Iliade.

Im Cid.

Ferner muß der unmittelbaren Einheit der Handlung und der Umstände wegen die Zeit des Epos die Heroenzeit sein, wo der Staatszustand noch nicht als Gesetz, sondern als Sitte ist. die Staatspflichten und der ganze Zustand der Sittlichkeit muß sich zwar schon entwickelt haben, aber noch nicht auch ohne den subjectiven Willen feststehn, sondern mit ihm in erster ungetrennter Einheit sein. Beispiel im Homer.

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dessen was vorhanden ist, mehr in den Character des Individuums fallend. In der Iliade ist der trojanische Krieg ein Zustand, der für sich ist. Agamemnon ist König der Könige, Achill einer derselben. | der ganze Zustand ist vorausgesetzt. Ebenso ist es im Cid, dem schönen Ritter der romantischen Welt. Christliche Könige fechten gegen Maurische, und Cid ist nur einer der Vasallen. Es geschieht so eine Handlung, eine Begebenheit, und diß ist die Hauptbestimung. – das Nähere nun ist, daß die Zeit des Geschehens die Heroïsche Zeit sein muß, wo das sittliche Leben, die Verhältnisse sich entwikelt haben und gewollt werden, ebenso wie die Verhältnisse zur äußerlichen Natur, die der Mensch zum Mittel gebraucht. Nach diesen beiden Seiten muß das Leben schon entwickelt sein, doch die sittlichen Verhältnisse müssen noch nicht gesetzlich fest geworden und der Gebrauch der Naturdinge noch nicht Gewohnheit sein, die sittlichen Verhältnisse obschon sie sich gemacht haben, müssen noch nicht Pflichten sein, noch nicht in der Form äusserlicher Festsetzungen, die auch ohne die subjective Besonderheit sich festhalten. die Verhältnisse müssen heraus, aber noch nicht zur Festigkeit gediehen sein, sie müssen noch ein Wollen des Individuum, noch als Sinn des Rechts und der Billigkeit, als Sitte sein. die Verhältnisse müssen sich eingefunden, doch noch nicht durch den Verstand auch gegen den Sinn des Individuums Gewalt erlangt haben. Ebenso muß auch dieses, daß die Naturdinge zum Gebrauch zum Mittel herabgesetzt sind, diß darf noch nicht todtes Mittel sein. Wir sehn im Homer die Fürsten alle unter Agamemnons Scepter versammelt. dieser befiehlt nicht, sondern er hält Rath mit den Fürsten. durch Allerlei Mittel sind sie zum Zuge verleitet. In gleichen Verhältnissen stehn die Fürsten zu seinem Volke. dieses ist freiwillig dem Fürsten gefolgt. Es ist da kein Gesetz, was sie zwänge. Alle Könige sind selbstständig; aus Achtung, aus Ehre folgen ihnen die Völker, oder durch Gewalt gezwungen. So erscheinen die Verhältnisse als sich von | sich selbst gemacht habend. ZB. erzählt Homer in der Iliade den Kampf der Griechen und Trojaner. Erstere haben auch viele Kämpfer verloren, doch weniger, denn (sagt Homer) sie gedachten immer einander die harte Noth abzuhalten. Sie helfen also sich gegenseitig. den Griechen war Homer die Bibel, aus der sie alle Moral schöpften. Alles kommt hervor als habe es sich ebenso gemacht. Wollen wir ZB. türkische Macht von europaeischer unterscheiden, so ist es darin, daß die europaischen Soldaten das Bewusstsein haben nur in der Einheit mit Anderm zu gelten. dieß Zusammenhalten ist das Wesentliche Unterscheidende gebildeter Heere. diß liegt schon in den einfachen Wor-

6 eine Handlung, eine] (1) eine (2) (dß es über der Zeile mit Einfügungszeichen) (eine gestr.) (3) (ein Handlung über der Zeile mit Einfügungszeichen) (dß es gestr.) (ein über der Zeile) 14 Festsetzungen] Festsetzzgen 24 seinem] ihre

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ten Homers. Bei den Barbaren sind nur Haufen; das Individuum kann sich auf den andern nicht verlassen, es ist kein organisches Ganze. Aber das Gebildete ist im Homer erst als Sitte. Ebenso ist die andere Seite beschaffen. Auch sie ist noch nicht zur Gewohnheit geworden. Bei uns ist alles Äusserliche Nebensache und kann somit nur Nebensache der Schildrung sein. Homer erzählt ausführlich von Scepter und Gewand, von Ulysses Bett, der Thür, die sich auf Angeln dreht, Alles dieß erscheint hier noch als ein solches, in welchem die Geschicklichkeit des Menschen noch ihre Ehre setzt, das Bewusstsein hat hierin einen Fortschritt gemacht zu haben. der Heros schlachtet den Ochsen zum Mahl noch selbst. Alle diese dinge, die für uns ein Gemeines, ein bloßes Mittel geworden sind, sind im Heroenzeitalter dinge, in denen der Mensch noch seine Ehre hat. der Mensch lebt nach allen Seiten hin noch lebendig in Allem; nichts ist ihm ein bloß Äußerliches. – Indem uns nun der dichter solch eine Welt eines Volks uns vor Augen bringt, so fällt das epische Gedicht in die erste Zeit eines Volks, das aus der dumpf heit erwacht, sodaß eben als Sinn, als Sitte hervorgeht, was später Gesetz wird. | Im Epos hat sich das naive Bewusstsein eines Volks ausgesprochen und die Reihe der Epopoeen zeigt uns eine Gallerie der Volksgeister, wenn nehmlich das Epos ein ursprüngliches ist, und nicht ein späteres Kunststück. die Gedichte sind später als das Leben selbst, als der Geist, der in diese Handlung, in diesen Zustand versenkt ist. Aber zwischen dem Geist des dichters und dem, was er hervorbringt muß ein enger Zusammenhang noch sein. Sonst ist eine Spaltung im Gedicht vorhanden. Es ist schon bemerkt, daß die darstelung der Ausdruk nur die gebildete Vorstellung ist. Sie ist das Element in welchem der Inhalt gefaßt ist. dieser ist zugleich geistiger Natur wie die Art der Vorstellung. Beide haben ein Prinzip. Wenn nun das Geistige der Vorstellung ein Anderes ist als des Inhalts, so ist eine Scheidung, die uns sogleich als ein Unangemessenes entgegentritt. Es ist also hier zwischen ursprünglichen Epopoeen und später gemachten zu unterscheiden. dieser Unterschied zeigt sich im Homer und Virgil. die Bildung der homerischen Welt und seines Stoffs ist noch in schöner harmonie. Beim Virgil fühlen wir in jedem Hexameter, daß die Weise der Vorstellung einer andern Zeit angehört als der Inhalt. Besonders kommt dieß im Mythologischen des Epos hervor. Bei Virgil ist die Mythologie ein rein Erdichtetes, womit es weder dem dichter noch dem Zuhörer Ernst ist, bei welcher der dichter aber den Schein hineinlegt als sei sie ihm sehr Ernst. Bei Homer schwebt das Mythologische

4 Ebenso] davor unsichere Absatzkennzeichnung 23 der Ausdruk über der Zeile mit Einfügungszeichen 33 die Mythologie] (1) sie (2) (die aus sie) (Mythol. über der Zeile mit Einfügungszeichen) 35 sie ihm] (1) ihm dieß (2) (sie über der Zeile) ihm (dieß gestr.)

Ebenso muß der Gebrauch der Naturdinge noch nicht todtes Mittel sein, sondern der Mensch muß darin noch seine Ehre suchen, sie sich unterworfen zu haben. Beispiel im Homer. das Epos also stellt den Zustand eines Volks dar, wo was später Gesetz ist, noch ursprünglich als Sinn als Sitte sich zeigt.

deshalb muß der dichter selbst noch im Bewußtsein solchen kindlichen Zustandes leben.

das geistige Prinzip also der Vorstellung, darf kein anderes sein als das des Inhalts, sonst entsteht eine der Kunst unangemessene Scheidung der Vorstellung und ihres Inhalts, wie wir sie im Virgil und im Klopstock finden. Und dieß kommt besonders im Mythologischen zum Vorschein

500 Bei Homer sind die Götter die absoluten Mächte selbst, weder als zur verständigen Wirklichkeit fortbestimmt, noch gestaltlos. Sondern sie sind das Allgemeine der Handlung der Individuen sie greifen nicht selbstständig gegen die Handlungen der Individuen ein, und haben in ihrem dasein einen ironischen Zug der Heiterkeit während ihre substantialität ihnen den Glauben an sie erwirbt. Bei Virgil hingegen sind die Gestalten selbst eine verständig bestimmte Welt, mit der es gleichwohl dem dichter nicht Ernst ist. Ebenso scheidet sich die Geschichte Christi im Messias von der Vorstellung des 18ten Jahrhunderts. das Mythologische sind hier die Engel und Erzväter; die Engel haben keinen substantiellen Inhalt, sondern sind blosse Boten, abstract nur Mittel; die Erzväter sind historische feste historische Person, und keine ewigen absoluten Mächte, wie die griechischen Götter. die epischen Gedichte also sind an eine Zeit gebunden, die noch nicht zur verständigen Festsetzung ihres Prinzips gegen den Willen des Individuums gekommen ist, sondern wo das Individuum selbst noch in unmittelbar substantieller Einheit mit seinem Inhalt lebt.

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zwischen dichtung und zwischen Wirklichkeit, es ist der Vorstellung so weit näher gebracht, daß es durchaus nicht die vollständig verständige bestimmte Gestalt einer wirklichen Welt ist, anderseits aber auch ein Wirkliches hat. die Götter sind nur mit einer Weise der Handlung, die ebensogut aus den Characteren der Handelnden zu erklären sind. Griffen die Götter ein, so ginge dieß schon in’s Verständige über. die Götter sind nur | eine Seite. Es ist mit ihnen Ernst; zugleich aber sind sie auch ironisch behandelt. Vulcan hinkt umher. die Götter treten selbst in Kampf aber ironisch; die Juno giebt der Aphrodite Backenschläge, Mars fällt um. Wodurch wir an sie glauben, ist das substantielle, das ihnen zu Grunde liegt. Mars ZB. ist der Krieg. den trojaischen Geist stellt die Aphrodite dar, den griechischen Apollo Here. das Ironische dabei macht die Heiterkeit aus. die Sache ist Ernst; mit dem dasein dieserselben ist es zugleich Scherz. Bei Virgil hingegen ist es Ernst mit den Gestalten selbst, und sie sind wie eine prosaische Welt verständig bestimmt. Aeneas steigt in die Unterwelt, die eben so bestimmt dargestellt ist, als andre weltliche Gegenstände. Bei Homer ist es anders, die Unterwelt ist im trüben Nebel gehalten. – In unserer Epopoe im Klopstockschen Messias ist dieselbe Spaltung. Einmal ist darin die Geschichte Christi, das Andere die deutsche Bildung des 18ten Jahrhunderts, die Wolfsche Philosophie. Und dieß erkennt sich in jeder Zeile. das Epos also ist an seine Zeit gebunden. So ist es dann auch mit dem Mythologischen im Messias. Es ist hier Gott, Christus, Engel, Erzväter. Einerseits ist diß nicht für die Willkühr der Phantasie geeignet. Anderseits treten besondere Engel auf, Erzväter, die Heiligen gehen aus ihren Gräbern hervor. Von Seiten der Phantasie sind diese Gemählde schön, doch ist darin kein Gehalt. die Engel sind nur diener, blosse Mittel, kein substantielles ihrem Inhalt nach. Ebenso sind die Erzväter nur historische Personen. Mars Apollo, der Krieg, das Wissen, dieß sind bleibende, wesentliche Mächte. Im Klopstock sind also blosse Erdichtungen, die Ernsthaft genommen sind, obgleich sie keinen ernsten Gehalt haben das Nähere über die Epopoe müsste eine Abhandlung der besondern Epopoen sein. | das Eigenthümliche der Epopoe ist die Lebendigkeit eines Volks. Epische Gedichte können nur in gewisser Zeit sein. die moderne Zeit kann keines haben. die Morgenländer sind darin glückselig zu allen Zeiten Epopoeen zu haben, denn in ihrer Welt kommt es noch nicht zu dieser Verständigkeit als bei

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2 verständige über der Zeile mit Einfügungszeichen 3 die Götter über gestr. Sie 4 mit einer Weise] (1) ein Weise mit (2) (mit über der Zeile) ein Weise (mit gestr.) Characteren] davor gestr: Wesen 35 10–11 den trojanischen … den] (1) der trojaische Geist ist die Aphrodite, der (2) (den aus der) trojaische Geist (stellt über gestr. ist) die Aphrodite (dar über der Zeile mit Einfügungszeichen), (den aus der) 11 Here über der Zeile

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uns, und daher auch nicht zur Verständigkeit der Bildung. die indischen Gedichte also sind Epopoeen. In ihnen lernt man kennen, was Indien ist, wie im Homer was Griechenland. Von Homer hat man neuerdings gesagt: er habe nie existirt, Einzelne Rhapsoden haben es gedichtet, und so höre das Gedicht nicht auf. dieß ist das höchste Lob. der Sänger verschwindet, man sieht keine Particularität der Empfindung. die Sache des Volks, die objective Weise der Anschauung eines volks stellt sich dar. Aber man sieht auch, daß das Ganze ein Ganzes sei das wohl ein Ende habe. Nur der Zorn Achills soll gesungen werden. Jede Parthie scheint selbstständig und ist doch Glied nur des organischen Ganzen. daß aber nur ein Individuum dichtet, dieß ist wesentlich zu wissen, das Volk dichtet nicht, sondern nur Einer. Ossian nun ist auch mehr lyrisch hingewendet obgleich ein ursprünglicher dichter. Auch die Araber haben ursprüngliche Epopoeen. das Niebelungenlied ist mehr drammatischer Natur; auch ist eine Welt darin, die für uns nichts nationelles hat. die Epopoe des Katholicismus ist die göttliche Comedia des Dante. Comedia nennt er es weil es in dem vulgären dialect des Italienischen geschrieben ist, welcher damahls noch nicht die Sprache der Gelehrsamkeit war. In diesem Gedicht ist vorgestellt dieß gedoppelte: ein Zustand, und dieser ewige Zustand ist die Hölle, das | Fegefeuer und der Himmel. Es ist diß ewige Sein als Zustand. Es sind dieß feste Zustände, sie sind die Voraussetzungen, und in ihnen bewegen sich die figuren nach ihrem besondern Character, oder vielmehr sie haben sich bewegt, sie sind verewigt. die Individuen werden vorgestellt wie sie an sich selbst durch sich die Verewigung vollführen. Ihre Handlungen sind erstarrt in der ewigen Gerechtigkeit. Es ist die Verewigung durch den dichter und die Menschen durch sich selbst in Einem dargestellt. – Epischer Weise nun ausser den grossen Zuständen und Handlungen kann sich die Handlung auch auf einen Privatzustand beschränkt zeigen. So wird es idyllisch. Solcher Zustand kann lyrisch, drammatisch wie auch episch behandelt werden. Bei uns gehört dahin Voss Luise, Hermann und Dorothea. Ein Zustand ist vorausgesetzt, und die Personen handeln darin. Bei Hermann und Dorothea ist ein grosserer Hintergrund angegeben, aber es ist die Verknüpfung desselben mit der Handlung ein Sprung. das Landstädchen in seinem politischen Verhältniß ist weggelassen, und die Vermittlung des Zusammenhanges können wir daher vermissen. Obgleich das Ganze, wenn sie hineingebracht wäre, seinen Character ganz verliern würde.

35 25–26 sich die … auch über gestr. auch sich

26 beschränkt zeigen] (1) beschränken (2) ( beschränkt aus beschränken) (zeigen über der Zeile) 30 desselben mit … Handlung über der Zeile mit Einfügungszeichen 33 wenn durch Tintenfleck teilweise verdeckt

deshalb tritt auch Homer als subject in seinem Gedichte nicht auf und da er nur die Objectivität der Sache darstellt hat man gesagt sein Gedicht gehöre vielen dichtern an. Geschichte des Epos. 1. Morgenländische epische Gedichte; symbolische. 2. classische: Homer; Virgil. 3. romantische: Ossian; Dante’s divina Comoedia; Ariost; Tasso. u.s.w.

Sein Zustand ist das feste ewige Sein Gottes selbst, in welchem die Individuen sich bewegen.

Idyllische epische Gedichte: Luise von Voss; Herrmann und Dorothea.

502 Zweiter Abschnitt. das Lyrische Gedicht. das Lyrische ist der Kunstinhalt nicht als objectives Geschehn sondern als ausgesprochener Inhalt der subjectivität als solcher.

der epische Inhalt in subjectiver lyrischer Form ist die Ballade und Romanze

die Empfindung indem sie sich so und so gestimmt findet, nicht sich selbst bestimmt, erhält ihren Inhalt von aussen, und so werden die meisten lyrischen Gedichte Gelegenheitsgedichte, wie die meisten von Pindar und Horaz. das Lied.

nachschrift hotho · 1823 d a s Ly r i s c h e .

Im Lyrischen drückt das subject sich aus. Nicht der Reichthum einer Welt in ihrem objectiven dasein kann sich abspiegeln, sondern die einzelne Empfindung, das Einzelne Urtheil des Gemüths. Es stellt das Gemüth überhaupt auf. das Bedürfniß sich auszusprechen ist vorhanden; beim Epischen ist das Bedürfniß die Sache zu hören. Im Lyrischen wird also die Formirung für den Gesang wesentlich. da nun der Inhalt und die Behandlungsweise in die subjectivität fällt, kann Beides vielfach sein; das Gemüth überhaupt will sich äußern. dazu dient ihm zunächst der geringfügigste Inhalt. Aber es kann auch dahin | fortgehn, das Höchste zu preisen, das Tiefste auszusprechen. Auch epischer Inhalt kann aufgenommen werden. Hier gehört die Ballade her, die Romanze. Cid ist ein solches lyrisch behandeltes Episches. In diesen Romanzen ist der Inhalt episch aber lyrisch behandelt. die Hauptzüge sind gedrungen und rasch fortgehend dargestellt. die Elegie, das Epigramm fällt auch hierin, Letzteres, wenn irgend eine Empfindung an die Aufschrift gebunden ist, oder ein Wunsch sich darin ausdrückt, ein subjectiver Einfall. Grabschriften können auch so lyrisch sein, die Lyrischen Gedichte, weil sie die subjective Empfindung über einen Inhalt sind, sind sie meist Gelegenheitsgedichte. die Horazischen Oden, die Pindarischen haben alle Gelegenheiten zum Grunde, Siege, Gastmähler. das Lied ist denn vornehmlich ein modernes, lyrisches Gedichte. die göthischen Lieder sind das Würkensvollste, weil sie ganz ihm und seinem Volk angehören. Sie sind sein Eigenstes, kein Fremdes ist uns darin.

dritter Abschnitt. das drama.

d i e d r a m m a t i s c h e Po e s i e

Es ist das objective Geschehn als aus der Innerlichkeit hervorgehnd, so wie die sich objectivirende Innerlichkeit; die That des sich selbst aus seiner Innerlichkeit sich bestimmenden subjects.

kann als die vollkommendste Stufe der Poesie und der Kunst überhaupt betrachtet werden. der Gegenstand des drama ist die Handlung; die subjectivität des Lyrischen vereint sich mit ihr. der Geist das Innere wird aber nicht bloß als Zustand, als Stimmung dargestellt, sondern als wollend, als sich selbst wesentlich bestimmend, sich einen Zweck setzend und diesen realisirend. die Innerlichkeit also des Lyrischen ist hier aufgehoben und sich objectivirend, der Epischen Seite nach, die aber hier ist nicht als bloßes Geschehn, sondern als Geschehn hervorgebracht durch das Individuum. die Handlung ist das ausgeführte Wollen, das ein Gewusstes ist. die Handlung nun zugleich ist ein äusserliches Thun. diese

die Handlung als äußerliches Geschehn, als episches gehört hier nicht der Rede an, wird nicht beschrieben, sondern äußerlich dargestellt.

2 Lyrischen durch Tintenfleck teilweise verdeckt zeichen

2–3 in ihrem … dasein über der Zeile mit Einfügungs-

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Seite gehört der Rede des Drama’s nicht an, sie muß also hinzugefügt werden. dies äußerliche Zutragen, Sichbegeben ist | nicht wie im Epos beschrieben, und muß als außer der Rede fallen. Wirkliche Menschen haben dieß darzustellen. das Drama beschreibt nicht. das Äußerliche wird der Rede als Gebährde als darstellung durch Menschen beigefügt. das Epos wird nur vorgetragen; beim Drama ist das Äußerliche sich Begeben ausgeschlossen. die Statuen treten hier belebt auf. die Scene umher ist wie der Tempel das Architectonische das Umgebende. die Götter treten sich bewegend auf, redend. die alte darstellung ist plastisch, Sculpturbilder bewegen sich, ihre Stellung ist idealisch; wir Neuern fordern bestimmte Besonderheit, das Mienenspiel scheint uns ein Haupttheil; die Alten dagegen hatten Masken, und die Besonderheit demnach trat nicht heraus. Ferner hatten die Alten die Hände im Mantel, die Bewegung also wurde einfach. Was zu sprechen war, sprachen sie, nicht die Miene sondern die bewusste Rede sollte ausdrüken. Bei modernen Tragödien ist oft das Innerliche nicht ausgesprochen, sondern soll durch die Miene ausgedrükt werden. So endet ZB. der Wallenstein. die ganze Reaction des Piccolomini gegen Wallenstein empfindet Octavio in seiner Fürstenerhebung als demüthigung. doch tritt diß nicht in die Sprache hinaus. Bei den Alten wird alles gesprochen, die Rede ist die Hauptsache. – Was nun die Handlung anbetrifft, so kennt man als die alten Regeln: Einheit der Handlung, der Zeit und des Orts. In der darstellung müßen die Bedingungen des Anschauns erfüllt werden. Es muß daher der Einbildungskraft nicht zu Vieles gegen die sinnliche Anschauung zugemuthet werden, wie es wohl bei Schakespeare der Fall ist. In der Vorstellung für sich können wir große Zeiträume zusammenfassen. Im Don Quixote kommt es einmal vor. In der sinnlichen Anschauung können wir einige Jahre so schnell nicht überspringen. | die Einheit des Orts ist wenigstens für sich bequem und verständlich; alle Unklarheit ist vermieden. Man muß kein zu genaues An die Wirklichkeit Halten fordern, doch auch nicht die Wirklichkeit verletzen. die Einheit der Handlung hingegen ist das Wesentliche. die Handlung muß e i n e Sein, der bestimmte Zweck muß zu Ende geführt sein. Ein Ende freilich, das Collisionen auflößt, kann andre Entwik lungen herbeiführen, doch mit Anderen Intressen. Hieraus entstehn Trilogien. Beim sophocles ist es der thebanische Kreis. das erste Stück enthält die Entdekung des Mörders des Lajos. Ein weitres ist der Kampf der Söhne, das Schicksal der Antigone, der Tod Oedyps. In jedem dieser aber ist ein bestimmter Zweck vollführt. Ein solches Stück, das aufgeführt wird, wird in Abschnitte eingetheilt. In

6M ɶ] davor: 124); siehe Editorischer Bericht 13 Rede wegen Beschädigung des Manuskripts nur unvollständig lesbar 16 gegen Wallenstein über der Zeile mit Einfügungszeichen Octavio über gestr. er 21 Vieles über gestr. sehr 24 Im Don … vor. gestr. 30 das] daß

und so muß uns jedes drama, dies lebendige Wirken einer in sich beruhenden jeden Widerspruch lösenden Nothwendigkeit darthun. ɶ.) l y r i s c h e r d i c h t e r Fordrung an ihn.

die drammatische Handlung stellt sich durch wirkliche Menschen dar, die Rede ist mit der Gebehrde verbunden. die alte darstellung der Dramen ist plastisch; wie sie die allgemeine Individualität darstellen, so fällt alle Besonderheit der Gebährde, das Mienenspiel fort. die moderne darstellung dagegen, weil sie die besondere Individualität zur Vorstellung zu bringen hat, bedarf des Mienenspiels. Beispiel im Wallenstein. Von der Handlung des Drama. Indem die Handlung des Drama angeschaut wird muß die Vorstellung der Anschauung nicht widersprechen und es ergeht die Fordrung, die Zeit und den Ort der Handlung nicht zu weit auszudehnen. das Wesentliche ist die Einheit der Handlung selbst in sich. die Handlung muß eine bestimmte in sich einige sein, welche sich consequent durchführt[.] Insofern aber durch diese durchführung neue Intressen entstehn, kommen Triologien hervor Beispiel am thebanischen Kreis im sophocles.

504 die Handlung als bestimmte collidirt, das Hervorgehn dieser Collision und die Auflösung derselben macht das Intresse des Dramas aus, und wird in seine 3 oder 5 Acte verlegt. die Handlung indem sie eine Seite der substantialität auffaßt, wodurch sich die andere Seite ihr entgegensetzt, und beide durch ihren Widerspruch sich auflösen und die substantialität siegend hervorgehn lassen, als versöhnte, die Einseitigkeiten ihrer Momente aber als Unwahre aufzeigen – ist Gegenstand der Tragödie. die substantialität wird aber nur als Handlung durch das Individuum, indem dieses an sich selbst die Einseitigkeit abstreift und somit siegend hervorgeht ist die Handlung die der Comoedie. Indem aber die subjectivität als solche siegt, geht die substantialität verloren und der Zweck ist ein zufälliger. die classische Tragödie. Sie ist die Verwirklichung der allgemeinen Göttermächte, welche sich nur als die Allgemeinheit zeigen insofern sie ein Besonderes verletzt. diese Verletzung erscheint indem das tragische Individuum eine dieser Mächte verwirklicht, und nur Individuum als diese substantielle Macht sich zum Zweck setzend, und dadurch plastisch ist Während das epische Individuum alle in

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die Zwischenacte kann verlegt werden, was äußerlich sonst vorfällt. die Acte sind ihrer Zahl nach drei oder fünf. Zwei Seiten stehn im Drama gegenüber, und so exponirt der erste Act die situation und wie die eine Seite sie aufnimmt[.] Im 2ten Act spricht die andere Parthei ihr Recht aus[.] der 3te und 4te Acte können die Parthein verwickeln. Im 3ten ist die Angst vor der einen, im 4ten die Angst vor der andern Parthei. der 5te ist die Auflösung überhaupt. das Drama überhaupt nun scheidet sich ab in Tragödie und Comedie. die Handlung ist der Gegenstand beider. In ihr kommt ein Zweck vor und Individualitäten, die ihn vollführen. Im Tragischen vornehmlich ist es, daß die Individualität durch die Einseitigkeit ihres Zwecks zerstört wird. die Individualität mit ihrem Zweck geht zu Grunde. die ewige Gerechtigkeit übt sich am Individuum und dem Zwek aus. dieser aber muß ein substantieller sein. Er wird also seiner substantialität nach er|halten und streift nur die Einseitigkeit ab, die das Individuum verwirklicht. In der Comedie ist der Zweck mehr oder weniger eingebildet. Er kann substantiell erscheinen, die Einseitigkeit desselben wird hier durch das subject selbst zerstört und somit erhält sich dieses. In der Tragödie geht das ewig substantielle siegend hervor, in der Comedie die subjectivität als solche. In der Handlung können diese beiden Seiten nur sich gegenüber stehn. Entweder die substantialität oder die subjectivität erhält den Sieg; bei der Comedie daher kann der Zweck kein wahrhaft substantieller sein. Was das Tragische näher anbetrifft, so betrifft es die classische Tragödie. Sie fängt mit einer situation an; Individuen sind in eine Verletzung eines Zustands verwikelt und sie müssen sich darin einen Zwek setzen. das Berechtigte dazu ist das Sittliche überhaupt. die sittlichen Mächte sind verschieden. Im ruhigen Zustande sind sie als Götterkreis in Harmonie. Aber es muß auch geschehn, daß sie verletzt werden, dadurch werden sie zur erscheinenden Thätigkeit aufgerufen; Individuen erscheinen so als das bpou, als die Verwirklichung einer sittlichen Macht. So erscheint der König, die Schwester, Kreon und Antigone, oder der Sohn des verletzten Vaters Orestes. die plastischen Charactere sind plastisch weil sie nicht diese concreten sind wie im Epos. Achill wird nach dem ganzen Umfang der Beziehung, in der der Mensch steht dargestellt. der drammatische Character ist abstracter, verwirklicht nur eine sittliche Macht. Wir haben somit das Gedoppelte: die sittlichen Mächte im ruhigen Zustande; nicht zur Feindschaft gereizt. Aber diese sittlichen Mächte treten zur Wirklichkeit hervor, bleiben nicht die bloß substantiellen Grundlagen. dieß gedoppelte Verhältniß ist so dar

3 erste wegen Beschädigung des Manuskripts nur unvollständig lesbar aufnimmt[.] wegen Beschädigung des Manuskripts nur unvollständig lesbar 4 aus[.] wegen Beschädigung des Manuskripts nur unvollständig lesbar 7–8M substantialität durch Tintenfleck teilweise verdeckt

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gestellt, daß der Chor den ruhigen Zustand repraesentirt, der in ungestörter Sittlichkeit lebt, und die Entzweiung der sittlichen Mächte fürchtet, neutral für sich bleibt. | die zweite Seite des Sittlichen Bewußtseins tritt zur besondern Gestalt heraus und ist somit gegeneinander feindlich auftretend. der Chor also ist wesentlich in der alten Tragödie nöthig. Man hat ihn in neuen Dramen wieder einzuführen versucht und gesagt: er sei der ruhige Zustande, der Repraesentant des Publicum sodaß ihm die Reflexion über das Ganze zukommt. diß ist allerdings richtig, doch ist der Chor keine bloß äußerliche Reflexion sondern er ist der Boden der Heroen selbst, der substantielle Zustand, wie das fruchtbare Erdreich, auf welchem die Gewächse zu Blumen und Bäumen sich gestalten. Er ist das Vorausgehende. Bei der modernen Tragödie paßt der Chor nicht. Er ist dann nur Mittel, wenn ZB. diener auftreten. der Chor passt sich zur Intrigue nicht; wo es sich um particulare Intressen handelt hat er seinen Standpunkt nicht. der Chor kann mit der geistigen Architectur verglichen werden, die die Götterbilder, die Heroen umschließt. – In der Weise nun des Gegenstandes überhaupt tritt der Gegensatz des Antiquen und des Modernen ein. die Collision im Antiquen ist so, wo beide Seiten berechtigt sind. Kein böser Wille, kein blosses Unglück bringt die Collision hervor, sondern sittliche Berechtigung von beiden Seiten. Abstract Böses ist weder wahr noch interessant. Aber es muß keine bloße Absicht sein, daß man den Personen eine sittliche Seite giebt, sondern die Berechtigung muß wesentlich sein. Jede Seite ist eine bestimmte Individualität. diese zwei Mächte, entgegengesetzte Intressen, Zwecke haben zu ihrem wahrhaften Inhalt sittliche Bestimungen, für sich berechtigte. Sie sind daher nicht so wahrhaft mannigfaltig. Sie können sich zwar mannigfach particularisirn, aber | die Hauptintressen, die absoluten sind der Gegensatz des Staates, des allgemeinen sittlichen Lebens in Gestalt der Allgemeinheit, und des sittlichen Lebens als subjectivität, als Familie. diese Seiten sind es, die in Collision kommen können. das sittliche Leben als natürliches und der Staat als das geistige stehn sich gegenüber. die vollendete Sittlichkeit besteht in der Harmonie beider Seiten. dieß sind die wahrhaften Seiten der tragischen darstellung. dieß findet in der Antigone sich dargestellt. Antigone ehrt die Familienbande, die unterirdischen Götter, Kreon den Zeus die Staatsmacht. dieselbe Collision findet sich bei Orest und der Clitemnestra; das Recht des Fürsten Agamemnon, der seine Tochter dem Intresse des griechischen Heers opferte, steht dem Intresse der verletzten Mutter gegenüber, die ebenso verletzt. In Orest ist diese Collision selbst. Er ehrt die Mutter und hat den Vater zu rächen.

6–12M ɲ. Tr a g o e d i e .  … Unterschiede. gestr. 11 der] das 13 Standpunkt] Stndpknt 16 Modernen wegen Beschädigung des Manuskripts nur unvollständig lesbar 20 giebt] davor gestr: Gutes

sich vereinen kann. 1. die allgemeinen Mächte in ruhiger Einheit sind der Chor. a. Prinzip der Tragoedie Comödie und drama. ɲ. Tr a g o e d i e . ɲɲ) sittlicher Inhalt. ɴɴ) tragische Collision ɶɶ. Lösung. ɴ. K o m o e d i e , ɶ. drama b. Unterschied der modernen und alten griechischen Poesie c. Konkrete Entwickelung dieser Unterschiede.

der Chor paßt daher zur modernen Tragödie nicht, weil in ihr die Particularität des Intresses auftritt, welche den Chor benutzend ihn zum Mittel herabsetzt, da er in die Handlung nicht eingehn darf, sondern nur der substantielle Zustand ist, der allgemeine Boden, auf welchem die besondern Seiten sich bekämpfen. 2. die zweite Seite der Tragödie macht die Collision des ruhigen Zustandes aus, indem die sittlichen Mächte sich gegeneinander individualisiren. Jede Seite muß eine Berechtigung haben. die Berechtigungen sind also nicht mannigfach, sondern bestimmen sich nach den allgemeinen Mächten. die allgemeine substantielle Handlung ist der Staat und seine Seiten als allgemeines sittliches Leben, als Staat, und individuelles sittliches Leben, als Familie; die vollendete Sittlichkeit welche durch die Collisi-

506 on sich zu Stande bringt ist die Harmonie beider Seiten. Beispiele in der Antigone; Orest, Clytemnestra, Philoctet, Ajax das Recht der bewußten individuellen Geistigkeit gegen die an und für sich seiende Sache ist die Collision im Oedypus tyrannos und Coloneus. Es ist bei diesen plastischen Characteren nicht von Schuld und Unschuld die Rede; sie sind | nur ihr bpou, ihre sittliche Macht und deshalb berechtigt, aber einseitig berechtigt und somit in Collision. die plastische Stärke ist das Grosse an diesen Characteren

3. Aber eben diese plastische Stärke läßt die Individuen sich zerstören, ihre Einseitigkeit abstreifen und somit die substantielle Einheit wieder herstellen.

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dasselbe ist in der Iphigenie auf Aulis. der Staat steht der Familie gegenüber. dieß sind die grossen Mächte. Andere Intressen sind untergeordnet. Im Philoctet ist das Intresse des griechischen Heers gegenüber dem des Hasses des Philoctets gegen seine Beleidiger. Im Ajax steht die Ehre desselben gegen das Intresse des Heers. Ein formelles Intresse ist das des Rechts des Bewußtseins; es soll dem Individuum nur zugeschrieben werden was das Individuum weiß. diesem steht das Recht der Endlichkeit gegenüber. dieß kommt vor im Kreise des Oedyp, der seine Mutter heirathet, und somit in den ärgsten Frevel verwickelt wird. dieser Gegensatz dessen, was das Bewußtsein weiß und was die Sache ist, tritt hier auf. Hiebei muß man die falschen Meinungen von Schuld und Unschuld verschwinden lassen. die Heroen sind ebenso schuldig als unschuldig. die Schuld stellen wir uns vor als dann eintretend, wenn das Individuum wählen konnte, wenn es sich mit Willkühr entschloß. Aber in den plastischen Figuren ist solche Wahl | entfernt, das Individuum ist was es ist, es handelt aus diesem Character, diesem Pathos; und es ist Character, weil es gerade dieses ist. dieß ist die Stärke der alten Charactere, daß sie nicht wählen, sondern was sie thun, sind. die Schwäche ist diß, daß meine subjectivität von meinem wollen getrennt ist. die höchste Schwäche ist die Unentschlossenheit. der Entschluß muß nicht Willkühr sein, das Band zwischen Willen und subjectivität nicht auflöslich sein. die Figuren sind dieß und ewig dieß und diß ist ihre Grösse. Unsere Vorstellung von Schuld fällt dabei weg. der grosse Character kann nicht anders, und er ist nicht unschuldig, sondern was er ist und will ist seine That, sein Wollen. In den alten Figuren ist es die Ehre der Charactere schuldig zu sein. Schuld und Unschuld erschöpft sich an ihnen nicht. Einem solchen Heros könnte man nichts schlimmres nachsagen, als daß er unschuldig gelitten habe. durch Mitleiden ehrt man nicht die hohen Gestalten, sondern gerade ihr fester starker Character, ihre Einheit ihrer subjectivität und substantialität flößt Bewunderung ein. Wenn nun der dichter das bpou entwickelt ist seine Sprache pathetisch und sie kann es nur sein, wenn er sittliche Berechtigung hat. Bei Schiller ist auch meist dieses Pathos. Bei Göthe ist mehr Rührung, mehr Besonderheit des Intresses. – Was nun die Entwiklung betrifft, kann sie nur die Auf hebung der Gegensätze, die Versöhnung dieserselben sein. Nicht das Unglück, sondern die Befriedigung des Geistes muß das Letzte sein. die Art und Weise der Herbeiführung der Versöhnung kann sehr verschieden sein. Aber er

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5 dem Individuum über der Zeile mit Einfügungszeichen 13M sind] in Ho wird die Marginalie durch den nachtr. und in einer anderen Tinte ergänzten Text Bogen 137. 34. c. / die tragischen Heroen sind eben 35 so schuldig als unschuldig. unterbrochen und erst auf der nächsten Seite fortgesetzt 25 gelitten wegen Beschädigung des Manuskripts nur unvollständig lesbar 26 Einheit wegen Beschädigung des Manuskripts nur unvollständig lesbar 27 das] den 28 wenn wegen Beschädigung des Manuskripts nur unvollständig lesbar 29 dieses] diesr

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scheidet sich so ab, daß die Einseitigkeit abgestreift wird, und die Individualität, die nur als das eine Pathos gilt, zu Grunde geht. dieß kann zufällig und äußerlich geschehn, oder so, daß das Individuum an ihm selbst das Entgegengesetzte Moment hat, an dem es | confundirt wird. dieß ist in der Antigone, dem vollendetsten Kunstwerk. In ihr ist Kreon, die Staatsmacht gegen die Familie agirend. Er bestraft Antigone und verletzt die Pietät. durch diese wird er selbst verletzt. Sein Sohn Hämon, der Verlobte Antigones stirbt mit ihr. Mit der Verletzung also verletzt der König sich selbst. Ebenso gehört Antigone dem Staat an, gegen ihn handelt sie, diese Verletzung verletzt sie ebenso und tödtet sie. An jeder der beiden Seiten selbst ist die verletzte Seite, die die Individuen an ihnen selbst verletzt. diß ist die vollkommenste Weise des Ausgangs. Was nun den Ausgang selbst betrifft so muß er versöhnend, affirmativ sein, das Gleichgewicht des Sittlichen, das gleiche Gelten beider Mächte muß zur Anschauung kommen. Beide Seiten haben Unrecht und werden in Einheit gesetzt, dadurch daß sie in Harmonie kommen. Hiedurch ist das Gemüth wahrhaft sittlich befriedigt; gerührt durch die Individuen, versöhnt in der Sache. diese Versöhnung nun ist entweder objectiv, sodaß sie nur für uns ist, objectiv, und nicht für die einseitigen Individuen. Solche Versöhnung ist in der Antigone. Hier hat der Zuschauer diese Befriedigung, die Aussöhnung ist an sich in der Sache geschehn und so ist das Gemählde am meisten plastisch. Ein Zug der Anerkenung ihres Andern ist in der Antigone selbst. denn sie sagt: Weil wir leiden, wollen wir gefehlt zu haben zugeben. darin ist die Versöhnung mit ihrem Leiden ausgesprochen. Zweitens kann die Versöhnung mehr subjectiver Art sein, wenn die Individualität ihre Einseitigkeit aufgiebt. Sie erscheint dann als characterlos. Bei den Alten daher konnte dieß nicht auf diese Weise geschehn. das Individuum konnte sich nur aufgeben gegen eine höhere Macht; diese ist der deus ex machina. der Knoten wird durch die höhere Macht zerhaun. Herakles erscheint und befiehlt dem Philoctet von seinem Sinn abzulassen, | Philoctet aber und Ajax scheinen nur Jugendarbeiten des Sophocles zu sein. – Weiter nun kann es sein, daß die Aussöhnung im und am subjecte vorgeht, wie ZB. in den Eumeniden des Aeschylus. Hier sehn wir den wahrhaften Sinn der Götter, die in der Tragödie in Collision kommen. das Individuum geht auch hier nicht zu Grunde, die Eumeniden enden so, daß Apoll, die Macht der einen Seite, die auf der Seite des Fürsten steht, die Sache vor den Areopagus bringt. Athene die Göttinn entscheidet, und ihre Entscheidung geht dahin, daß wie Apoll geehrt werde, so sollen auch die Eumeniden geehrt werden. die Versöhnung ist diese, daß beiden Mächten gleiche Ehre 1 Individualität] Individualltät dieser) 11 den] das

6 durch diese] (1) An dieser (2) (durh über gestr. An) (diese aus

a. das Individuum kann so untergehn, daß es sein Anderes äußerlich gegen sich hat, und sich dagegen aufgiebt: Ajax, Philoctet b. Oder das Individuum hat an ihm selbst sein Anderes und in der Verletzung desselben verletzt es sich selbst. Antigone.

c. Eine dritte Versöhnung ist die, welche am subject selbst vorgeht, und ihm zum Bewußtsein kommt, indem es sich mit seinem Andern vereint und ihm gleich wird. die Eumeniden.

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Oedip zu Colonos.

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gegeben werde. – Im Oedyp zu Colonus ist eine Versöhnung die an das Christliche hinstreift, nehmlich daß Gott den Sünder zu Gnaden annehme. Oedyp hat seinen Vater erschlagen und seine Mutter umgebracht; aber er ahnt sein Unglück; er ist der alte Räthsellöser. dieß Räthsel lößt er, er zwingt das Wissen heraus und erfährt, wer er selbst sei. dieß ist die Auflösung. Er weiß, daß er der Thäter sei. dieß macht ihn zugleich höchst unglücklich, er der Seher macht sich blind, denn sein Sehn macht ihn unglücklich. So ist es die Erkenntniß des Guten und Bösen, die Adam und Eva unglücklich macht. Wie Adam aus dem Paradiese ist Oedyp verbannt. In Colonos stellt er dieß vor, daß das Erreichen des Wissens, das Befriedigung und Entzweiung ist, verkehrt wird. Auch in sich wird das Wissen die Reconstruction des Gegensatzes; Oedyp kommt zur Verklärung an ihm selbst. dieß ist die Natur der alten Tragödie. Was die Moderne betrifft so ist die Versöhnung das, was am meisten in den Hintergrund tritt. das Individuum in seiner Endlichkeit zeigt sich als untergehend. Was wir Schicksal nennen, die blosse Nothwendigkeit ist in den alten Tragödien nicht vorhanden, sondern die Nothwendigkeit der Vernunft. das Unglück die Hinfäligkeit | der Individuen ist es, was in den modernen Tragödien hervortritt. – In den Uebergang nun von der Tragödie zur Comedie fällt das Drama. In der Tragödie sind wesentlich berechtigte Intressen entgegen gesetzt. diese nun müssen sich particularisiren. Ein solches ZB. ist die Liebe. die Collision kommt herein, indem ein bestimmtes Individuum seine Liebe wirft auf ein anderes Zufälliges, das unter andern Gewalten steht. Hier also tritt die Zufälligkeit ein. diese geringern Intressen sind so beschaffen, daß sie nicht das Recht haben, eine Individualität solle ganz an sie gebunden sein. das Individuum kann diesen Zweck aufgeben, wohl dabei leiden, aber doch dabei bestehn bleiben. der Ausgang kann hier so und so sein; der Inhalt ist besonderer Art, die Hindernisse kommen dann auch auf besondre Weise zum Vorschein; die Zufälligkeit tritt ein. Und dieß ist der Character der Modernen Tragödie und die Versöhnung ist, daß das Individuum die formelle Stärke seines Characters behauptet; die Einheit mit sich, die errungen wird ist das Formelle. In diesem Umkreis kann leichter verziehen werden, und das Gemüth kann leichter von seinem Zweck abstrahiren. die Sache kann so ohne den Untergang der Individuen zu wege kommen. Ob sie zu Stande mit Glück oder Unglück kommt ist zufällig. Man sieht dieß darin, daß man moderne Tragödien zu glücklichen Ausgängen bringt. Wenn wir nun sehn, daß solches Glück oder

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4–5 und erfährt über der Zeile mit Einfügungszeichen 8 die über gestr. das 13 in den Hinter- 35 grund] im Hintergrunde 13–14 das Individuum … untergehend. über gestr. Zufällgkt 16 die Hinfäligkeit am unteren Rande angefügt 17 in den … Tragödien über der Zeile mit Einfügungszeichen 26 Hindernisse] Hinternisse 34 Wenn] davor gestr: da ist es

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Unglück edler Individuen dem Zufall angehört, so ist bis zum Gräslichen fortgegangen. Ein solcher Fortgang kann uns hart angreifen. Bei Hamlet muß man sagen, daß der Ausgang zufällig ist. diese Zufälligkeit kann nur interessant werden, in sofern sie mit dem, was im Gemüth hervorgeht, übereinstimmt. Hamlet ist haltlos, die Sandbank der Endlichkeit genügt ihm nicht. Im Hintergrunde seines Gemüths liegt der Tod. Und diese | innerliche Nothwendigkeit wird durch zufällige Außerlichkeit ausgeführt. dasselbe ist im Romeo und Julie. die ganze Umgebung dieser zarten Blume ist ihr nicht zusagend, und ihr schnell auf blühendes Gemüth muß früh verwelken. Wir sehn in ihr Achills Schicksal. Insofern ein so weiches in die Wirklichkeit gestellt wird, sehn wir daß es vergehn muß. diese innerliche Nothwendigkeit versöhnt uns mit der Weise der äußerlichen Erscheinung. Es ist aber ein trauriges Ende, und im Ganzen kann bei solchen untergeordneten Zwecken die Sache ebenso glücklich ausgehn als unglücklich. die neuern Dramen haben in sich kein großes Intresse, und so ist es nicht werth, daß die Individuen darüber zu Grunde gehn. Bei diesen Ausgängen ist es dann, daß besonders das Verzeihen eintritt. die Stärke des Geistes hebt das Geschehene auf. das Gemüth das sich selbst verzeiht, oder dem verziehn wird, muß so geschildert werden, daß man die Möglichkeit der Verzeihung sieht. die Figuren dürfen keine Lumpen sein, wie die Kotzebuschen. das Verzeihn muß kein bloßes Formelles sein. die Schönheit des Gemüths muß auch in den Fehltritten sich erhalten haben. Was nun letzlich die Comedie ausmacht so haben wir schon bemerkt, daß die Comedie von Haus aus das ist, womit die Tragödie schließt, mit dem absolut in sich versöhnten heitern Gemüth, das sich verwickelt, einen Gegensatz producirt, der Verwicklung abzuhelfen sucht, aber im Mittel so ungeschickt ist, daß es seinen Zweck durch das Mittel selbst zerstört, dabei aber eben so ruhig und seiner selbst gewiß bleibt. dieß ist im Ganzen der Begriff der classischen Comedie, wie wir sie in den Stücken des Aristophanes finden. Man muß beim Komischen unterscheiden, ob die Personen für sich selbst komisch sind oder nur für uns. Es giebt eine Menge Thorheiten, die | nur für ein drittes Bewußtsein comisch sind, comisch sind sie nur, wenn sie für das Individuum selbst nicht Ernst sind, es sich in seinem Ernst selbst nicht Ernst ist. In den Molierschen Stücken, auch in spanischen sehn wir Individuen, die einen Zweck haben. Sie verfolgen sie gegenseitig und zerstören sie, oft unabhängig von einander. dieß ist comisch für uns, während es jenen bittrer Ernst ist. Nur Einige, besonders die Bedienten sind diejenigen, welche sich Spaß machen aus den Zwecken beider Seiten. Sie haben die 12 aber durch Tintenfleck teilweise verdeckt 16 Stärke des durch Tintenfleck teilweise verdeckt über gestr. an 36 Sie haben] (1) Er hat (2) (Sie über gestr. Er) (haben aus hat)

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Anschauung des Publicums; sie sind die comische Person. Zugleich aber sind sie oft niederträchtig. Sehr rechtschaffne Leute sehn wir schimpflich betrogen. Ein oft widriges Intresse zieht sich durch das Ganze. das ächte comische dagegen ist die absolute Freiheit des Gemüthes, die uns Aristophanes liefert. Ohne ihn gelesen zu haben kann man nicht wissen wie den Menschen Sauwohl sein kann. Seine Figuren sind von Hause in Allem recht daran, sie selbst sind es, die ihre Zwecke zerstören und darin ebenso befriedigt sind, so daß es bei der Zerstörung erst heraus kommt, es sei ihnen dabei nicht ernst. Wir sehn diß gewöhnlich in niedern Ständen vorgehn. der Chor selbst tritt hervor, intressirt sich ohne sich zum Character fest zu machen. Es kann nun sein, daß die Intressen, die die Individuen sich nehmen hohe seien, wie im Socrates und Strepsiades des Aristophanes, oder in solchen wo die Götter auftreten. die Intressen, die an sich hohe sind, werden hier in solche Individualitäten gesetzt, wo sie nur als etwas Vermeintliches vorhanden sein können. die Weisheit ist in Strepsiades in einem so schmutzigen Verhältniß, daß er sie sogleich verkehrt. Und bei Socrates wird sie auch zur Thorheit dadurch, daß er sich mit Jenem abgiebt[.] Und gerade in der subjectiven Moral des Socrates liegt das Mangelhafte, daß sie zu einem Mittel gebraucht werden kann. | Was verspottet wird ist also nicht das absolute Intresse, nicht das Göttliche als Solches, sondern wie es in einem solchen Bewußtsein ist. Aristophanes hatte einen guten Stoff einmal an den griechischen Göttern, die sich in ihrer anthropomorphistischen Gestalt leicht der Verspottung darbieten, wenn nur etwas weiter in die Besonderheit fortgegangen wird, die mit der Göttlichkeit sich dann im höchsten Widerspruch erscheint. In den „Fröschen“ ZB verspottet Aristophanes die Götter. das Andere war die Republick, theils ihre Verfassung, theils ihre Actionen, Krieg und Frieden. Aristophanes hat besonders das athenische Volk ihm selbst zur Verspottung dargestellt. die Thorheiten des Volks und seiner Staatsmänner sind besonders der Gegenstand der Comedien des Aristophanes, in welchen er sich als der besste Bürger beweißt, denn ihm war es nicht bloß um Spässe zu thun. Er stellt die Thaten der Staatsmänner in ihrer Thorheit dar, die sich einen Zwek setzen, durch die Ausführung aber ihn zerstören. Er hat also die Personen an ihnen selbst comisch gemacht, sodaß sie von Anfang an Thoren sind. Wir sehn hier also diese vollkommne Sicherheit der subjectivität, die beim zu Grunde Gehen ihres Zweks immer bleibt was sie ist. diß ist der letzte Punkt der Ausdehnung der Versöhnung, die die subjectivität sich erringt. Im comischen hat die Kunst ihr Ende. Vom symbolischen begannen wir, im Plasti-

1 sie sind über gestr. er ist sind sie über gestr. ist er stophanes] Ariptophanes

19–20 Aristophanes] Ariphosnes

27–28 Ari-

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schen macht sich das subject sich selbst objectiv, stellt sich das Individuum als Göttlich auf, als jenseits der besondern subjectivität stehndes. Zu dieser ist dann die subjectivität die in sich selbst befriedigt und getröstet ist, nur mit dem Objectiven Spiel treibt der Gegensatz. In dieser subjectivität vernichtet sich die Objectivität und wird Wissen dieser Vernichtung in der Comedie. | Hiemit haben wir die Kunst in ihrem Kreise durchlaufen. die Kunst in ihrem Ernst ist uns ein Gewesenes. Für uns sind andere Formen nothwendig uns das Göttliche zum Gegenstand zu machen. Wir bedürfen des Gedankens. Aber die Kunst ist eine wesentliche Weise der darstellung des Göttlichen, und diese Form müssen wir verstehn. Sie hat nicht das Angenehme nicht die subjective Geschicklichkeit zum Gegenstand. die Philosophie hat das Wahrhafte in der Kunst zu betrachten.

1 Individuum wegen Beschädigung des Manuskripts nur unvollständig lesbarപഩ6 ihrem 2 ] davor gestr: uns

zeichen, siglen

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ZEICHEN, SIGLEN

Bembo-Schrift Legacy-Schrift Sper rdr uck Kursivdruck Seitenzahlen in der Kolumne innen oder im Bund | / [] ] die1 22M

Grundstufe des Textes in allen Manuskripten im Manuskript Hotho die spätere Überarbeitungsstufe im Marginalbereich Hervorhebung im Original Herausgeberrede Paginierung des Originals bzw. Zählung der Manuskriptseiten durch ein Archiv oder eine Bibliothek neue Seite im Original 1. im Variantenapparat: neuer Absatz 2. im Textkritischen Apparat: Zeilenumbruch Hinzufügung des Herausgebers Abgrenzung des Lemmas tiefgestellte Ziffern im Apparat geben bei öfterem Vorkommen des gleichen Wortes in einer Zeile die Reihenfolge an ein tiefgestelltes M neben einer Zeilenzahl im Textkritischen Apparat gibt an, daß sich die Apparatnotiz auf eine Marginaltextzeile bezieht

In den Apparaten und bei den Seitenangaben im Bund werden folgende Siglen verwandt: Ho bzw. Ho Kr bzw. Kr

Nachschrift Hotho Nachschrift Kromayr