Von Justin bis zu Hildegard von Bingen: Ausgewählte Aufsätze von Jörg Ulrich zur Geschichte und Theologie des Christentums in Antike und Mittelalter 9783631798775, 9783631798782, 9783631798799, 9783631798805, 3631798776

Dieser Band versammelt 18 ausgewählte Aufsätze des Kirchenhistorikers Jörg Ulrich, welche sein forscherisches Schaffen i

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German Pages 332 [334] Year 2020

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Von Justin bis zu Hildegard von Bingen: Ausgewählte Aufsätze von Jörg Ulrich zur Geschichte und Theologie des Christentums in Antike und Mittelalter
 9783631798775, 9783631798782, 9783631798799, 9783631798805, 3631798776

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius
Appendix: Datierung des Aufenthaltes des Ossius in Sirmium.
Euseb, HistEccl III,14–20 und die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian
Nicaea and the West
I. The West before Nicaea
II. The West at Nicaea
III. The West after Nicaea
Wallfahrt und Wallfahrtskritik bei Gregor von Nyssa
Euseb und die Juden: Der origeneische Hintergrund
1) Die heilsgeschichtliche Terminologie
2) Schriftauslegung
3) Verständnis und Stellenwert von Röm 9 — 11:
4) Diktion
Vision bei Hildegard von Bingen. Beobachtungen zur Vita Gottfrieds und Theoderichs und zu den Visionsschriften Hildegards
1. Die Hildegardvita Gottfrieds und Theoderichs als Schlüssel zum Verständnis der Visionen
2. Vision als ins Bild gesetzte allegorische Schriftauslegung
3. Vision als ins Bild gesetzte Verarbeitung der Tradition
4. Vision als ins Bild gesetzte Frühscholastik
5. Vision als kirchenamtlich approbierte Theologie
6. Zusammenfassung
7. Schlußbemerkung
Konstantin der Große und die Frage nach den Vätern des Konzils von Nizäa
1. Die „318 Väter von Nizäa“
2. Konstantin der Große und das Konzil von Nizäa (325)
3. Konstantin als „Vater des Konzils von Nizäa“ und als „Vater der Kirche“?
Innovative Apologetik. Beobachtungen zur Originalität Justins am Beispiel der Lehre vom Logos spermatikos und anderer Befunde
I.  
II.  
III.  
3.1 Der Beweisgang für die Lehre von der leiblichen Auferstehung in Just., 1 apol. 17–20
3.2 Die Grundzüge der Soteriologie(n) bei Justin
3.3 Der Begriff φωτισμός als Bezeichnung für die Taufe
3.4 Der Begriff ἐκπύρωσις als Bezeichnung für das Endgericht
3.5 Kreuzesallegorien
IV. Zusammenfassung und methodische Konsequenzen
Das Glaubensbekenntnis der Katharer von Lombers (1165)
Clemens Alexandrinus’ Quis dives salvetur als Paradigma für die Beurteilung von Reichtum und Geld in der Alten Kirche
I  
II  
III  
IV  
V  
Politische Eschatologie bei Eusebius von Caesarea?
1. Die Eschatologie Eusebs vor der Konstantinischen Wende
2. Die Eschatologie Eusebs seit der Konstantinischen Wende
3. Ergebnis
Angstmacherei. Beobachtungen zu einem polemischen Einwand gegen das frühe Christentum und zur Auseinandersetzung mit ihm in der apologetischen Literatur
I. Justin, 2. Apologie
II. Origenes, Gegen Celsus
III. Tertullian, Apologeticum
IV. Schlussthesen
The Reception of Greek Christian Apologetics in Theodoretus’ Graecarum affectionum curatio
Widersprüchlichkeit und Kohärenz. Beobachtungen zu einem Argument der Polemik und Apologetik im zweiten Jahrhundert
I.  
II.  
III.  
IV.  
V.  
Dimensions and Developments of Early Christian Historiography
1. Introduction
2. Dimensions of early Christian historiography
2.1. The theological dimension
2.2. The apologetic dimension
2.3. The hereseographical / orthodoxographical dimension
2.4. The edifying dimension
2.5. The political dimension
2.6. The documentary dimension
3. Interrelations and Developments
4. Similarities and differences between the Christian and the classical and contemporary pagan historiography
5. Conclusion
Die Begegnung von Christen und Heiden im zweiten (und dritten) Jahrhundert
1. Beurteilungen: Die frühen Christen – wie die Römer sie sahen3
2. Begegnungen
3. Literarische Auseinandersetzung
3.1 Die frühe christliche Apologetik
3.2 Eine pagane Reaktion: Die „Wahre Lehre“ des Kelsos
4. Schluss: Das zweite Jahrhundert und die Ausbreitung des Christentums
Dionysius of Alexandria in Exile: Evidence from His Letter to Germanus
1. Introduction
2. The Evidence: Eusebius’ Letter to Germanus
3. An Instance of Clerical Exile before Constantine
4. Conclusion
Vom Rächer der Christen zum Christenverfolger. Kaiser Licinius in der spätantiken christlichen Literatur
I.  
II.  
A.  
B.  
C.  
III.  
Verzeichnis der Erstpublikationen

Citation preview

Von Justin bis zu Hildegard von Bingen

EARLY CHRISTIANITY IN THE CONTEXT OF ANTIQUITY Edited by Anders-Christian Jacobsen, Christine Shepardson, Peter Gemeinhardt Advisory board: Hanns Christof Brennecke, Ferdinand R. Prostmeier Einar Thomassen, Nicole Kelley Jakob Engberg, Carmen Cvetkovic Ellen Muehlberger, Tobias Georges

Volume 22

Zu Qualitätssicherung und Peer Review der vorliegenden Publikation Die Qualität der in dieser Reihe erscheinenden Arbeiten wird vor der Publikation durch die Herausgeber der Reihe sowie durch Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates geprüft.

Notes on the quality assurance and peer review of this publication Prior to publication, the quality of the work published in this series is reviewed by the editors of the series and by members of the academic advisory board.

Tobias Georges (Hrsg.)

Von Justin bis zu Hildegard von Bingen Ausgewählte Aufsätze von Jörg Ulrich zur Geschichte und Theologie des Christentums in Antike und Mittelalter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. .

ISSN 1862-197X ISBN 978-3-631-79877-5 (Print) E-ISBN 978-3-631-79878-2 (E-PDF) E-ISBN 978-3-631-79879-9 (EPUB) E-ISBN 978-3-631-79880-5 (MOBI) DOI 10.3726/b17081 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Berlin 2020 Alle Rechte vorbehalten. Peter Lang – Berlin · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Warszawa · Wien Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Diese Publikation wurde begutachtet. www.peterlang.com

Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................   7 Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius ..........................    11 Euseb, HistEccl III,14–20 und die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian .......................................................    25 Nicaea and the West ..............................................................................    49 Wallfahrt und Wallfahrtskritik bei Gregor von Nyssa ...........................    65 Euseb und die Juden: Der origeneische Hintergrund ..............................    75 Vision bei Hildegard von Bingen. Beobachtungen zur Vita Gottfrieds und Theoderichs und zu den Visionsschriften Hildegards .....    83 Konstantin der Große und die Frage nach den Vätern des Konzils von Nizäa ..............................................................................................  101 Innovative Apologetik. Beobachtungen zur Originalität Justins am Beispiel der Lehre vom Logos spermatikos und anderer Befunde ..........  117 Das Glaubensbekenntnis der Katharer von Lombers (1165) ..................  135 Clemens Alexandrinus’ Quis dives salvetur als Paradigma für die Beurteilung von Reichtum und Geld in der Alten Kirche .......................  147 Politische Eschatologie bei Eusebius von Caesarea? ...............................  173 Angstmacherei. Beobachtungen zu einem polemischen Einwand gegen das frühe Christentum und zur Auseinandersetzung mit ihm in der apologetischen Literatur ..............................................................  189 The Reception of Greek Christian Apologetics in Theodoretus’ Graecarum affectionum curatio .............................................................  207 Widersprüchlichkeit und Kohärenz. Beobachtungen zu einem Argument der Polemik und Apologetik im zweiten Jahrhundert ............  225 Dimensions and Developments of Early Christian Historiography ........  247

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Inhaltsverzeichnis

Die Begegnung von Christen und Heiden im zweiten (und dritten) Jahrhundert ...........................................................................................  265 Dionysius of Alexandria in Exile: Evidence from His Letter to Germanus (Eus., h.e. 7.11) ....................................................................  297 Vom Rächer der Christen zum Christenverfolger. Kaiser Licinius in der spätantiken christlichen Literatur ....................................................  311 Verzeichnis der Erstpublikationen .........................................................  329

Vorwort Zum Anlass von Jörg Ulrichs 60. Geburtstag am 9. Juni 2020 ist es dem Herausgeber eine große Freude und Ehre, dem Jubilar die vorliegende Auswahl wichtiger von ihm verfasster Aufsätze zu überreichen, welche sein forscherisches Schaffen im zurückliegenden Vierteljahrhundert widerspiegeln. Diese papierene Gabe verbindet sich mit den besten Glücks- und Segenswünschen zum Geburtstag, für das weitere wissenschaftliche Wirken wie für das Leben jenseits dieses Schaffens. Der Herausgeber freut sich darauf, als Kollege und Freund einzelne Abschnitte des vor dem Jubilar liegenden, hoffentlich noch langen Lebensweges mitgehen zu dürfen! Wichtige Stationen auf Jörg Ulrichs bisherigem Schaffensweg seien hier in aller Kürze in Erinnerung gerufen:  Nach dem Vikariat in der Kirchengemeinde Arnum (Hannoversche Landeskirche) und der Ordination war er von 1991 bis 2001 wissenschaftlicher Assistent am kirchengeschichtlichen Lehrstuhl seines Doktorvaters Hanns-Christof Brennecke an der Universität Erlangen, wo er im Jahre 1993 mit seiner Arbeit zum Thema „Die Anfänge der abendländischen Rezeption des Nizänums“ promovierte und sich im Jahr 1997 mit seiner Studie „Euseb von Caesarea und die Juden. Studien zur Rolle der Juden in der Theologie des Eusebius von Caesarea“ habilitierte. Im Jahr 2002 folgte er dann dem Ruf auf eine Professur für Kirchengeschichte an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, von wo er kurz darauf an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wechselte, an deren theologischer Fakultät er seitdem forscht und lehrt. Unter seinen zahlreichen Funktionen und Ämtern seien besonders hervorgehoben sein Wirken als Universitätsprediger der Martin-Luther-Universität seit 2003 sowie als „Adjungeret Professor“ (Honorarprofessor) an der Universität Aarhus / Dänemark seit 2005. Jörg Ulrichs Qualifikationsschriften weisen die auf dem Gebiet der Patristik traditionell zentrale Epoche des 4./5. Jahrhunderts als ersten großen Arbeitsschwerpunkt aus, mit den zwei großen Unteraspekten der trinitarischen Auseinandersetzungen und insbesondere der Rezeption des Nizänums im Westen einerseits sowie des Wirkens Eusebs von Cäsarea, speziell vor dem Horizont des Verhältnisses zwischen Christen und Juden in der Spätantike andererseits. Die in diesem Band versammelte Aufsatzauswahl spiegelt natürlich diesen Fokus wider, macht darüber hinaus aber zwei weitere Arbeitsgebiete kenntlich, die für Jörg Ulrichs Forschen ebenfalls zentral sind und die Spannbreite wie den Titel dieses Bandes prägen: zum einen die frühchristlichen Apologeten und ihr historisches Umfeld, mit besonderem Augenmerk auf Justin, zum anderen auch die Kirchen- und Theologiegeschichte des abendländischen 12.  Jahrhunderts, welche den Bogen bis zu

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Vorwort

Hildegard von Bingen spannt. Dass Jörg Ulrichs literarisches Schaffen auch diesen Bogen noch übersteigt, zeigen z. B. etliche Publikationen zur neueren Kirchengeschichte1 sowie seine so zahlreich veröffentlichten Predigten,2 die freilich eng mit seinem Amt als Universitätsprediger verbunden sind und in diesem Band nur wegen der Ausrichtung auf sein kirchenhistorisches Arbeiten keine Berücksichtigung fanden. Ein wichtiger Aspekt, der sich an Jörg Ulrichs Freude am Predigen besonders zeigt, prägt freilich auch seine Arbeitsweise als Kirchenhistoriker, wie sie sich in den hier abgedruckten Aufsätzen niederschlägt: Er versteht es auf hervorragende Weise, die Verstehenswelt seiner Adressaten – seien es Predigthörer, seien es Kirchenhistoriker (das eine muss das andere nicht ausschließen) – bei seinen Ausführungen im Blick zu haben, sich an ihr zu orientieren und seine Inhalte sehr anschaulich und einleuchtend zu präsentieren. Und so erweist Jörg Ulrich sich in seinem kirchenhistorischen Schaffen zwar mit gutem Grund nicht als Prediger, aber sehr wohl als ausgezeichneter Lehrer – die hier versammelten Aufsätze mögen bestätigen, dass sich diese Charakterisierung durch den Herausgeber nicht allein der Voreingenommenheit des Schülers verdankt. Befragt man den Kirchengeschichts-Lehrer Jörg Ulrich nach dem methodischen Spezifikum, das er seinen Lesern vermitteln will und das ihn selbst prägt, so ist es wohl immer wieder der genaue und kritische Blick auf die Quellen, das Streben, vergangene Begebenheiten aus der Geschichte des Christentums und speziell theologische Zusammenhänge anhand des vorhandenen Quellenmaterials, freilich im Bewusstsein der eigenen Perspektive, in ihrem jeweiligen historischen Kontext möglichst präzise einzuzeichnen und zu verstehen. Dieser Blick fürs Detail durchzieht Jörg Ulrichs Veröffentlichungen, und er lässt ihn auch in historischen Horizonten, die in der Forschung z.  T.  schon ausgiebig traktiert wurden, immer wieder interessante, wichtige Details erkennen, die vorher unterbelichtet blieben:  sei es Justins innovative Eigenleistung beim vielzitierten Konzept des logos spermatikos oder das außergewöhnliche Phänomen der Vision bei der vielbeachteten „Mystikerin“ Hildegard von Bingen. Dass der vorliegende Band in der Reihe „Early Christianity in the Context of Antiquity (ECCA)“ erscheint, ist freilich kein Zufall, hat Jörg Ulrich diese 1 Siehe z. B. J. Ulrich, „Wir kämpfen einen guten Kampf“. Paul Tillichs Grabpredigten im Ersten Weltkrieg, in: F. Stengel / J. Ulrich (eds.), Kirche und Krieg. Ambivalenzen in der Theologie, Leipzig 2015, 107–118. 2 Siehe z. B. J. Ulrich, Photometeore. Hallesche Universitätspredigten 2003–2007, Dößel 2007; id., Die bunte Gnade Gottes. Hallesche Universitätspredigten 2007– 2011, Dößel 2012; id., Vom kleinen und vom großen Glück. Hallesche Universitätspredigten 2012–2016, Dößel 2017.

Vorwort

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Reihe doch mitbegründet und bildet sie einen zentralen Fokus seines Forschens trefflich ab. Für den Band wurden die Formalia der 18 Aufsätze den Reihenvorgaben angepasst, offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Beiträge sind in der chronologischen Reihenfolge ihrer Erstpublikation abgedruckt. Herzlicher Dank gebührt allen, welche bei der Vorbereitung des Bandes mitgewirkt und damit dessen Erscheinen erst ermöglicht haben. Namentlich zu nennen ist hier das Göttinger Team mit Rosetta Manshausen im Kirchengeschichts-Sekretariat, den studentischen Hilfskräften Ann-Katrin Krause und Madeleine Landré sowie dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Jan Reitzner. Für die kompetente Beratung mit Know-how zur Reihe ECCA geht ein spezieller Dank auch nach Halle an die Hilfskräfte Franziska Grave, Hannah Mälck und Malina Teepe. Göttingen, zum 9. Juni 2020

Tobias Georges

Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius ἀντὶ ἐξορισμοῦ κατέχει τοῦτον ὅλον ἐνιαυτὸν ἐν τῷ Σερμίῳ (Ath., h. Ar. 45,4).*

Victor De Clercqs Ossiusbuch aus dem Jahre 19541 ist bis heute die einzige größere Arbeit über den einflußreichen spanischen Bischof und kaiserlichen theologischen Berater in den arianischen Streitigkeiten des vierten Jahrhunderts geblieben. Der Grund für diese Tatsache liegt natürlich in der ausgesprochen schmalen Quellenbasis, von Ossius selber liegen uns ja nur ein paar Seiten überhaupt vor.2 De Clercqs großes Verdienst ist es, die vielen anderswo verstreuten Notizen über Ossius gesammelt und zu einem geschlossenen Bild zusammengefügt zu haben. Wenn auch bei De Clercq die Tendenz zu einer sehr apologetischen Behandlung des Bischofs von Cordoba unübersehbar ist,3 wird sein schon seinerzeit freundlich aufgenommenes

Zuerst erschienen in: ZKG 105 (1994), 143–155. * 1 V.C. De Clercq, Ossius of Cordoba, Washington 1954. 2 Offenbar ist Ossius an der Abfassung des Synodalbriefes der Synode von Antiochien 324 (Athanasius, Werke III, Urkunden zum arianischen Streit, Urk. 18 Opitz) zumindest maßgeblich beteiligt gewesen, wenn man nicht gar in ihm den Verfasser sehen darf; dies wird jedenfalls durch die Wendung ἐλθὼν γὰρ εἰς τὴν τῶν Ἀντιοχέων […] ἔδοξέ μοι (Sgl.1) [37, 2f. Opitz] nahegelegt. Das bedeutet aber noch nicht, daß Ossius auch Verfasser des Bekenntnistextes Ant. (Urk. 18, 8–13 – ein gänzlich griechisch, östlich-theologischer Text!) ist! – Daneben existiert noch das gemeinsam mit Bischof Protogenes von Serdika 342 verfaßte Schreiben an Julius von Rom, das uns nur in verstümmeltem Zustand überliefert ist, vgl. EOMIA I/2, 644 (eine neuere, aber ebenfalls nicht ganz unproblematische Fassung bei M. Tetz, Ante omnia de sancta fide et de integritate veritatis. Glaubensfragen auf der Synode von Serdika (342), in: ZNW 76 (1985), 247f.) und der berühmte Brief des Ossius an Konstantius II. aus dem Jahre 356, den Athanasius, h. Ar. 44, erhalten hat, der aber nicht einmal in seiner Authentizität ganz gesichert ist (zu den Zweifeln vgl. R. Klein, Constantius II. und die christliche Kirche, Darmstadt 1977, 134 mit Anm. 236 und ausführlich id., Zur Glaubwürdigkeit historischer Aussagen des Bischofs Athanasius von Alexandria ändern. über die Religionspolitik Kaiser Constantius II., StPatr 17,3, 1982, 996–1017 (1002ff.); ich selbst neige trotzdem eher der Echtheit zu, ebenso neuerdings T.D. Barnes, Athanasius and Constantius. Theology and Politics in the Constantinian Empire, Cambridge 1993, 295 no. 43). Isidor von Sevilla (Vir. 5, ML 83, 1086A) nennt noch zwei Abhandlungen des Ossius mit den Titeln Epistula de laude virginitatis und Opus de interpretatione vestium sacerdotalium, die verloren sind. 3 Ich nenne als Beleg nur folgende Passagen aus De Clercqs Buch: 259ff. 375f. 448f. 451f. 529f. – A. Lippold, Bischof Ossius von Cordoba und Konstantin der Große,

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Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius

Buch4 doch bis auf den heutigen Tag von denen, die sich neu mit Ossius befassen, als Grundlage benutzt, zuweilen allerdings recht unkritisch.5 Adolf Lippold hat dagegen vor einem guten Jahrzehnt in dieser Zeitschrift6 völlig zu Recht einige erste Fragezeichen an dem von De Clercq gezeichneten Ossiusbild angebracht, vor allem die Frühphase des Ossius bis zum Konzil von Nizäa betreffend. Demnach wäre gegen De Clercq die Identität des im Brief Kaiser Konstantins d.Gr. an Caecilian von Karthago (Euseb, h.e. X, 6) genannten Hosius mit Ossius von Cordoba durchaus zweifelhaft, womit natürlich auch die Annahme einer entscheidenden Rolle des Ossius am kaiserlichen Hofe seit Herbst 312 und in den Anfängen des donatistischen Streites hinfiele.7 Auch der von De Clercq postulierte hohe Anteil des Ossius an der Hinwendung Konstantins zum Christentum erwiese sich dann als reine Spekulation.8 Und ferner wären im Gegensatz zu den Vermutungen De Clercqs weder der Vorsitz des Ossius 325 in Nizäa noch seine maßgebliche Einflußnahme auf die Einfügung des ὁμοούσιος in N wahrscheinlich zu machen.9 Ich selbst habe im Zuge meiner Untersuchungen über die Anfänge der abendländischen Rezeption des Nizänums10 Ossius in einem eigenen Kapitel behandelt und zu zeigen versucht, daß das in der Dogmengeschichtsschreibung vor und nach De Clercqs Untersuchung gern gezeichnete Bild des über Jahrzehnte hinweg unerschütterlich zur Orthodoxie von Nizäa stehenden Bischofs, der 357 in Sirmium nur unter brutalem äußeren Zwang von Seiten Konstantius II. und seiner Hofbischöfe die homöische Glaubensdeklaration unterzeichnen mußte, so nicht stimmen kann. Viel wahrscheinlicher ist es, daß wir in Ossius einen dogmatisch wenig festgelegten, jedenfalls auf dem Feld der kaiserlich-kirchlichen Diplomatie sehr beweglichen und flexiblen Bischof zu sehen haben, der sich bei bestimmten, invariablen theologischen Positionen nicht behaften ließ, jedenfalls nicht unter den über die Jahre und in: ZKG 92 (1981), 12, sagt treffend, es ginge De Clercq darum, „das Bild des Ossius mehr als in den Quellen leuchten zu lassen“. 4 Positive Besprechungen bei D. Amand de Mendieta, La virginité chez Eusèbe d'Émèse et l'ascétisme familial dans la première moitié du IVe s., in: RHE 50 (1955), 777–820 (168f.); J.  Moreau, in:  RBPh 34 (1956), 496f.; B.  Altaner, in: ThLZ 83 (1958), 41f.; negativ dagegen R. Brisson, in: Latomus 16 (1957), 764f. 5 Lippold, 1981, 2, notiert mit Recht, daß das von De Clercq gezeichnete Bild fest fixiert zu sein scheint, abgesehen von kleineren Varianten. 6 Lippold, 1981, 1–15. 7 Vgl. Lippold, 1981, 6–9. 8 Lippold, 1981, 10–11. 9 Lippold, 1981, 12–13. 10 J. Ulrich, Die Anfänge der abendländischen Rezeption des Nizänums, PTS 39, Erlangen 1994.

Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius

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Jahrzehnte hinweg sehr unterschiedlichen äußeren Bedingungen.11 In dieser Annahme einer gewissen dogmatischen Indifferenz des Ossius liegt jedenfalls die einzige mir ersichtliche Erklärung für die Diskrepanz zwischen seiner Unbeugsamkeit und Klarheit der eigenen Position bei seiner Verweigerung der Unterschrift gegen Athanasius einerseits und seiner Bereitschaft zur Unterzeichnung des homöischen (und damit in der Tat von den von ihm zuvor unterzeichneten Texten von Nizäa und Serdika theologisch völlig abweichenden12) Bekenntnisses von Sirmium andererseits, beides bekanntlich im selben Jahr 357.13 Im Zusammenhang mit dieser Einschätzung der Vorgänge von Sirmium 357 entstehen dann aber auch Fragen hinsichtlich eines weiteren Details, nämlich der Faktizität des bei Athanasius und, ihm folgend, in der Literatur bis heute so genannten angeblichen Exils des Ossius in Sirmium. Für De Clercq, der sich dabei auch mit den wenigen skeptischen Stimmen von Loofs14 und Leclercq15 auseinandersetzt, duldet es jedenfalls keinen Zweifel, daß der greise Ossius genau wie die 355 in Mailand verurteilten Bischöfe Luzifer, Euseb und Dionys16 und wie der 356 exilierte Liberius von Rom17 von Konstantius dahingehend gemaßregelt wurde, daß er wegen der Verweigerung seiner Unterschrift gegen Athanasius ins Exil geschickt wurde – in die kaiserliche Residenz nach Sirmium. De Clercq beruft sich dabei auf das 11 Schon W.A. Löhr, Die Entstehung der homöischen und homöusianischen Kirchenparteien. Studien zur Synodalgeschichte des vierten Jahrhunderts, Bonn 1986, 61, hat in Anbetracht des durchaus sehr unterschiedlichen theologischen Charakters der von Ossius zwischen 324 und 357 unterzeichneten Synodalbekenntnisse (Ant., N, Serdika-West, Sirmium) und in dezidierter Abgrenzung vom gängigen Ossiusbild den Spanier mit Recht als „‚Hofbischof‘ par excellence“ bezeichnet, dem eine „geeinte Reichskirche wirklich am Herzen“ lag und der diesem Ziele seine eigenen trinitätstheologischen Überzeugungen, soweit diese für uns überhaupt greifbar sind, anzupassen wußte. 12 Dogmengeschichtliche Analysen der zweiten sirmischen Formel bei J.N.D. Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse, Göttingen 1972; 282ff.; F. Dinsen, Homoousios. Die Geschichte des Begriffs bis zum Konzil von Konstantinopel (381), Diss. theol. Kiel 1976, 111 (in der Linie von Kelly); H.C. Brennecke, Hilarius von Poitiers und die Bischofsopposition gegen Konstantius II, PTS 26, Berlin 1984, 319ff.; Löhr, 1986, 45ff.; R.P.C. Hanson, The Search for the Christian Doctrine of God, Edinburgh 1988, 343ff., und in meiner eigenen, Anm. 10 genannten Arbeit. 13 Vgl. hierzu ausführlich meine Anm. 10 genannte Arbeit. 14 Art.: Hosius, 3RE 8 (1900), 376–382 (380ff.). 15 Histoire des conciles: D'après les documents originaux, par C.-J. Hefele: Nouvelle traduction française, corrigée et augmentée de notes critiques et bibliographiques par Dom H. Leclercq, vol. I/2, Paris 1907, 901f. no. 3. 16 Vgl. C. Pietri, Roma Christiana I, Rom 1976, 245 no. 4. 17 Zum Fall des Liberius vgl. ausführlich Brennecke, 1984, 265ff.

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Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius

Zeugnis des Athanasius.18 Doch ist eben dieses Zeugnis alles andere als eindeutig. Sieht man die von De Clercq angegebenen Stellen genauer an, so stellen sich Zweifel an seiner Sichtweise ein: Der Befund bei Athanasius ist disparater als De Clercq glauben machen will.19 Die einzigen eindeutigen Belege für ein Exil des Ossius sind apol. Const. 27, wo Ossius ausdrücklich und in Unterscheidung von denen, die sonstwie „Gewalt erlitten“, unter die Verbannten eingereiht wird,20 sowie fug. 5,1, wo Athanasius sagt, daß „sie (scil. Konstantius und die „Arianer“) dafür sorgten, daß sogar dieser (scil. Ossius) verbannt wurde“.21 Ein wenig anders liegen die Dinge schon in fug. 9,3f., wo Athanasius zwar zunächst von denen spricht, die wegen seiner Verteidigung ins Exil geschickt worden seien, Ossius aber dann allgemeiner (mit Liberius sowie vielen spanischen, gallischen, ägyptischen und libyschen Bischöfen) zu denen zählt, denen „sie nachstellten“.22 Ähnlich verhält es sich apol. sec. 89,3f., wo zwar vom Exil des Liberius die Rede ist,23 in Bezug auf Ossius jedoch von Freveln und von „Hieben“24 berichtet wird. Geradezu der Vorstellung eines Exils des Bischofs von Cordoba zu widersprechen scheint h. Ar. 68, wo Athanasius dem hier mit Ahab verglichenen Konstantius vorwirft, er 8 Vgl. De Clercq, 1954, 454ff. 1 19 De Clercq, 1954, 456, hält den Befund bei Athanasius für eindeutig und nennt Anm. 11 Apol. contra Arian. 89; Apol. ad Constantium 27; Apol. de fuga sua 5 und 9; Histor. Arian. ad mon. 68 (Abkürzung der Athanasiustexte durch De Clerq beibehalten; Vf.). 20 Ath., apol. Const. 27:  Ἐθρυλεῖτο γὰρ πανταχοῦ ὅτι Λιβέριος ὁ τῆς ῾Ρώμης ἐπίσκοπος, καὶ ὁ τῶν Σπανιῶν ῞Οσιος ὁ μέγας, Παυλῖνός τε ὁ τῶν Γαλλιῶν, καὶ Διονύσιος καὶ Εὐσέβιος οἱ τῆς ᾿Ιταλίας, Λουκίφερός τε ἀπὸ Σαρδανίας καὶ ἄλλοι τινὲς ἐπίσκοποι καὶ πρεσβύτεροι καὶ διάκονοι ἐξωρίσθησαν ὅτι μὴ ἠνέσχοντο καθ᾿ ἡμῶν ὑπογράψαι. Καὶ οὗτοι μὲν ἐξωρίσθησαν, Οὐϊκέντιος δὲ ὁ τῆς Καπύης καὶ Φουρτουνατιανὸς ὁ τῆς ᾿Ακυληίας, ᾿Ηρέμιός τε ὁ τῆς Θεσσαλονίκης, […] SC 56, 118,10–119,17 Szymusiak (Kursivdruck hier und im folgenden Vf.). 21 Ath., fug. 5,1:  Περὶ γὰρ τοῦ μεγάλου καὶ εὐγηροτάτου καὶ ὁμολογητοῦ ἀληθῶς Ὁσίου, περιττόν ἐστιν ἐμὲ καὶ λέγειν· ἴσως γὰρ ἐγνώσθη πᾶσιν ὅτι καὶ τοῦτον ἐξορισθῆναι πεποιήκασιν (Athanasius, Werke II, Die Apologien, 71,7f. Opitz). 22 Ath., fug. 9,3:  ἐπειδὴ δὲ ἄλλοις τοσούτοις καὶ τηλικούτοις ἐπισκόποις ἐπεβούλευσαν καὶ οὔτε τοῦ μεγάλου καὶ ὁμολογητοῦ Ὁσίου […] ἐφείσαντο (L.c. 74, 24–27 Opitz). 23 Ath., apol. sec. 89,3: ἐξορισμὸν ὑπέμειναν καὶ Λιβέριός ἐστιν ὁ τῆς Ῥώμης ἐπίσκοπος (167, 18f. Opitz). 24 Ath., apol. sec. 89,4: διὰ τὴν ἀσθένειαν τοῦ γήρως οὐ φέρων τὰς πληγὰς πρὸς καιρὸν εἶξεν αὐτοῖς, (167, 35 Opitz). – Daß die hier und an den anderen Stellen von Athanasius gegebene Darstellung von angeblichen Gewaltmaßnahmen gegen Ossius so nicht stimmen kann, habe ich in meiner oben (Anm. 10) angegebenen Arbeit gezeigt.

Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius

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habe „weder den so großen Ossius geachtet noch sei er benommen gewesen oder betrübt worden, als er so viele Bischöfe ins Exil geschickt hatte“.25 Und h. Ar. 45 heißt es gar, der Kaiser habe Ossius „anstelle eines Exils das ganze Jahr in Sirmium festgehalten“.26 Der Befund bei Athanasius schwankt also insgesamt zwischen der konkreten Behauptung einer Exilierung des Ossius einerseits und eher allgemeinerer Rede von Gefährdungen und Repressalien andererseits; der Alexandriner ist nicht so eindeutig als Zeuge für eine Verbannung des Ossius von Cordoba aufzurufen wie De Clercq meint. Natürlich verlangt der disparate Befund bei Athanasius nach einer Erklärung. Ein Blick in Guido Müllers Lexicon Athanasianum27 und eine Überprüfung der entsprechenden Stellen zeigt, daß der Alexandriner den Begriff ἐξορίζω bzw. ἐξορισμός oder seltener ἐξοριστία normalerweise als festen terminus technicus für die Verbannungsstrafe gegen von ihren Sitzen abgesetzte und exkommunizierte Bischöfe benutzt. Wenn sich bei ihm in Bezug auf den Bischof von Cordoba nun eine gewisse Undeutlichkeit im Sprachgebrauch zeigt, kann das m. E. nur bedeuten, daß er, ohne konkrete Informationen über eine Verbannung des Ossius zu besitzen, dessen Situation mit dem Schicksal der anderen, gleichfalls für ihn eintretenden und 355 bzw. 356 tatsächlich exilierten Bischöfe zusammengesehen hat. Im Zusammenhang dieser Leidensgemeinschaft der unter Konstantius II. „Verfolgten“, der ja v. a. Athanasius selbst angehörte, konnte ihm der Aufenthalt seines Unterstützers Ossius am kaiserlichen Hof in Sirmium nur als eine Art Zwangsmaßnahme, ähnlich einer Exilierung, erklärbar sein. So könnte man verstehen, warum der Alexandriner h. Ar. 45,4 davon spricht, Ossius sei anstelle eines Exils in Sirmium festgehalten worden, ihn an anderen Stellen aber, ohne zu differenzieren, einfach unter die 355 und 356 Exilierten einreiht. Wie steht es nun aber, abgesehen von dem etwas unklaren Befund bei Athanasius, mit den Aussagen der anderen Zeitgenossen? Hilarius von Poitiers weiß gar nichts von einer Verbannung des Ossius, er hält es sogar für möglich, daß der Spanier an der Abfassung des Bekenntnisses von Sirmium, der sog. 2. sirmischen Formel, aktiv beteiligt gewesen ist.28 Phoebadius von Agen, Verfasser des ersten Traktates gegen die dogmatische Entschließung

25 Ath., h. Ar. 68: οὗτος (scil. Κωνστάντιος) δὲ οὐδὲ τὸν τηλικοῦτον Ὅσιον ᾐδέσθη οὐδὲ τοὺς τοσούτους ἐπισκόπους ἐξορίσας ἐνάρκησεν (220,20f. Opitz). 26 Ath., h. Ar. 45: μεταπέμπεται (scil. Κωνστάντιος) τὸν Ὅσιον. και ἀντὶ ἐξορισμοῦ κατέχει τοῦτον ὅλον ἐνιαυτὸν ἐν τῷ Σερμίῳ (209, 20f. Opitz). 27 G. Müller, Lexicon Athanasianum, Berlin 1952, 504f. 28 Hilar., Syn. 3; 11; 63; 87; Hilar., C. Const. 23. Hilarius geht ganz selbstverständlich davon aus, daß Ossius die zweite sirmische Formel mitverfaßt haben muß. – Skeptisch zur Faktizität der Mitverfasserschaft des Ossius Brennecke, 1984, 316 mit Anm. 324, Hanson, 1988, 346, und völlig ablehnend De Clercq, 1954, 505. 513f.

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der Synode von Sirmium,29 tadelt zwar den Ossius, weil er in Sirmium offenbar „seine Meinung geändert“ habe,30 von einem Exil hören wir jedoch ebenfalls nichts. Die etwas späteren Luziferianer Faustinus und Marcellinus berichten, daß Ossius aus Angst vor Verbannung vom Glauben abgefallen sei,31 aber davon, daß er von Konstantius tatsächlich ins Exil geschickt wurde oder werden sollte, erfahren wir wiederum nichts. Auch Sulpicius Severus32 weiß nichts von einem Exil des Ossius. Die Mitteilungen der Kirchenhistoriker des 5. Jahrhunderts sind ebenfalls ziemlich disparat, allerdings scheint sich hier der auf Athanasius zurückgehende Zusammenhang zwischen den Verbannungen von 355 und 356 und dem Aufenthalt des Ossius in Sirmium 357 schon stärker etabliert zu haben. Socr., h.e. II,29, sagt, Ossius sei unfreiwillig in Sirmium zugegen gewesen,33 ebenso II,31, wo er aber neben dem überwiegenden ἄκων auch einmal den Terminus ἐξορία benutzt.34 Gleichwohl unterscheidet sich damit die 29 Eine eingehende Analyse dieses in den Dogmengeschichtsdarstellungen oft gar nicht beachteten Textes Contra Arianum in meiner Anm. 10 genannten Arbeit. 30 Phoeb., C. Ar. 23: diuersa nunc sentit (CChr.SL 64, 51, 10 Demeulenaere). 31 Faust. et Marc., Lib. prec. 9: minisque perterritus et metuens, ne senex et diues exilium proscriptionemque pateretur, dat manus impietati et post tot annos praeuaricatur in fidem, CCHR. SL 69, 368, 282–284 Günter. – De Clercq, 1954, spricht dem Libellus precum wegen dessen „obviously biased nature“ jeglichen Anspruch auf Historizität rundweg ab, hat jedoch andererseits ein ungetrübtes Vertrauen zu den Aussagen des Athanasius. Das ist aber methodisch hochproblematisch: Sicherlich ist der Libellus precum „obviously biased“, und zwar im Sinne der Altnizäner gegen alle, die mit den Homöern irgendwelche Kompromisse gemacht hatten. Sicherlich griffen Faustinus und Marcellinus dabei zu höchst unfeinen Legendenbildungen gegen ihre Gegner, man denke nur an die Geschichte vom Tode des Ossius in der Debatte gegen Gregor von Elvira (Lib. prec. 10) u.a.m. Aber: Wer wollte denn die Athanasiustexte von einer solchen „obviously biased nature“ ausnehmen? Und wer wollte die äußerst unfeinen Legendenbildungen in eben diesen Texten übersehen, man denke nur an die widerwärtigen Geschichten über die Eunuchen am Hofe des Konstantius (Ath., h. Ar. 38,3 u.ö.)? Und: Aus welchem Grunde gebührt dann den Athanasiustexten mehr historische Glaubwürdigkeit als denen seiner Gegner? 32 Sulp.-Sev., Chron. II,40,5: Osium quoque ab Hispania in eandem perfidiam concessisse opinio fuit: quod eo mirum atque incredibile uidetur, quia omni fere aetalis suae tempore constantissimus nostrarum partium, et Nicaena synodus auctore illo confecta habebatur: nisi faciscente aeuo – etenim maior centenario fuit, ut sanctus Hilarius in epistolis refert – delirauerat. (CSEL 1, 93,29–94,6 Halm). 33 Socr., h.e. II,29: Ὅσιος, ὁ τῆς ἐν Ἱσπανίᾳ Κουδρούβης ἐπίσκοπος, ἄκων παρῆν (276, 17f. Hussey). – Zur Verwechslung der Synoden von 351 und 357 durch Sokrates (und Sozomenos) vgl. Brennecke, 1984, 95 mit Anm. 15 und Hanson, 1988, 344. 34 Socr., h.e. II,31: ἀκουςίως παρόντος, 291,9 Hussey; ἐξ ἀνάγκης ἄκων παρῆν. 292 Hussey, 15f.; εἰς ἐξορίαν ἀπέσταλτο 291 Hussey, 11. (Kursivdruck Vf.).

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Terminologie bei Sokrates im Falle des Ossius von der im Falle der 355 Verbannten, wo durchgängig und ausschließlich ἐξορία erscheint.35 Sozomenos, h.e. IV,6, spricht ebenfalls von einer unfreiwilligen Teilnahme des Ossius an der Synode von Sirmium und redet dabei auch von ὑπερορία,36 also demselben Begriff, den er auch für die Verbannungen von Mailand 355 und für Hilarius benutzt.37 Theodoret, h.e. II,15,4f., übernimmt wörtlich Athanasius, fug. 4f. Der Homöer Philostorgius weiß zwar im Zusammenhang mit Sirmium von der vorangegangenen Exilierung des Liberius, nicht aber von einem Exil des Ossius.38 Epiphanius39 und Augustinus40 schließlich wissen weder von einer Verbannung des Ossius noch von Verfolgungen gegen ihn. Angesichts der alles andere als eindeutigen Aussagen bei Athanasius in Kombination mit dem weitgehenden Schweigen der anderen Zeugen muß man m. E. zu dem Resultat kommen, daß die Quellen insgesamt eher gegen als für eine Exilierung des Ossius in Sirmium sprechen. Einige äußere Gründe stützen diese Sicht weiter ab. Immerhin erfahren wir von keiner Synode, die Ossius als Bischof ordnungsgemäß für abgesetzt erklärt hätte, was ja nach dem erst am 23.9.355 erlassenen Gesetz CTh XVI,2,12 die Voraussetzung für das kaiserliche Verbannungsurteil gewesen wäre;41 das verbindliche reichskirchliche Gerichtsforum für Bischöfe ist die 35 H.e. II,37 (über Paulinus, Dionys und Euseb): Γνοὺς δὲ ὁ βασιλεὺς τοὺς μὲν ἐκποδὼν δί᾿ ἐξορίας ποιεῖ· l.c. 302,4. Vgl. z.B. auch h.e. II,26: τὸν ἐπίσκοπον Παῦλον ἐξόριστον γενέσθαι, 266, 13; h.e. II,27:  ἐξορίαις τε πολλοὶ ὑπεβάλλοντο· 269,24f. 36 ῞Οσιος ὁ ὁμολογητής, ὃς καὶ τῆς ἐν Νικαίᾳ συνόδου κοινωνήσας ἄκων καὶ ταύτης μετέσχε. οὗτος γὰρ οὐ πολλῷ πρότερον ἐξ ἐπιβουλῆς τῶν τὰ ᾿Αρείου φρονούντων ὑπερορίαν οἰκεῖν καταδικασθείς, σπουδῇ τῶν ἐν Σιρμίῳ συνελθόντων μετεκλήθη παρὰ τοῦ βασιλέως. GCS 50, 144,2–5 Bidez / Hansen. 37 καὶ οἱ μὲν ὧδε παρρησιασάμενοι ὑπερορίῳ φυγῇ κατεδικάσθησαν, σὺν τούτοις δὲ καὶ Ἱλάριος. 148, 23f. Bidez / Hansen. 38 H.e. IV,3. Für die Verbannung des Liberius benutzt Philostorgius den Terminus φυγή GCS 21, 60,2 Bidez / Winkelmann. 39 Panar. 73,14,7. Es handelt sich um ein homöusianisches Schreiben vom Sommer 359 (panar. 73,12–22), in dem Briefe des Ossius beiläufig erwähnt werden; eine ausführliche theologische Analyse dieses dogmengeschichtlich hochinteressanten Textes bei Löhr, 1986, 142ff. 40 C. ep. Parm. 1,4, über donatistische Hinweise auf eine angebliche Verurteilung des Ossius durch eine spanische Synode. 41 Nach diesem Gesetz waren die Bischöfe der direkten weltlichen Gerichtsbarkeit eigentlich entzogen. Die Synode mußte den jeweiligen Bischof zunächst absetzen, ehe die kaiserliche Gerichtsbarkeit das Verbannungsurteil fällen konnte. K.M. Girardet, Constance II, Athanase et l’édit d’Arles (353), in: Politique et Théologie chez Athanase d’Alexandrie, Paris 1974, 84ff., hat gezeigt, daß mit CTh XVI,2,12

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Reichssynode, wie Klaus M. Girardet deutlich gemacht hat.42 Höchst ungewöhnlich wäre es ferner, daß dem Ossius als Verbanntem die Teilnahme an der Synode von Sirmium erlaubt gewesen sein sollte. Zwar wissen wir vom Beispiel des Hilarius von Poitiers, daß es offensichtlich auch mildere Formen des Exils gegeben haben muß, in denen dem Verurteilen eine relative Bewegungsfreiheit zugestanden wurde und nach Rücksprache mit dem Kaiser auch die Teilnahme an einer Synode im Ausnahmefall möglich gewesen sein muß.43 Dennoch gilt im Grundsatz, daß Exilierte als von einer ordentlichen Synode Exkommunizierte und vom kaiserlichen Gericht Verbannte nicht an Synodalberatungen und -entscheidungen mitwirken dürfen, schon gar nicht in leitender Funktion, die ja für Ossius in Sirmium bezeugt ist.44 Zudem wäre es ungewöhnlich, wenn Ossius zu einer Verbannung ausgerechnet nach Sirmium, also direkt in die kaiserliche Residenz, geschickt worden wäre. In allen anderen uns vorliegenden Fällen von Verbannungen unter Konstantius II. in der Mitte der 50er Jahre des 4. Jahrhunderts werden möglichst weit entfernte und abgelegene Orte zu Exilsaufenthalten bestimmt.45 Sicherlich nur die seit Konstantin d.Gr. übliche Praxis bestätigt wurde. – Allerdings muß man einschränkend auf den Fall des Liberius hinweisen, der ja im Jahre 356 auch von Konstantius als amtierender Bischof direkt ins Exil nach Beröa geschickt wurde. Zum Gespräch zwischen Konstantius und Liberus, das mit der Entscheidung über die Verbannung des Römers endete, Thdt., h.e. II,16. 42 K.M. Girardet, Kaisergericht und Bischofsgericht, Bonn 1975, 65 (zum Prozeß von Tyrus gegen Athanasius ebd., 66ff.). 43 Zu Hilarius siehe Brennecke, 1984, 220f. 241f. 344 – Die Teilnahme des Hilarius in Seleukia auf kaiserlichen Befehl hin, bei Sulp. Sev., Chron. 2.42,1–4. Aber dies ist derart ungewöhnlich, daß schon M. Meslin, Hilaire et la crise arienne, in: Hilaire et son temps, Actes du Colloque de Poitiers 29 septembre – 3 octobre 1968…, Paris 1969, 35, einen Verwaltungsirrtum postuliert hat. 44 Hilar., Syn. 3; 11; C. Const. 23. Unabhängig von der Frage der Mitverfasserschaft bei Sirm 2 (siehe dazu oben Anm. 28) wird man dem Spanier eine tragende Rolle bei der Synode kaum absprechen können, es sei denn aus zweifelhaften apologetischen Motiven heraus, wie es bei De Clerq geschieht. 45 Hilarius wird nach Asien geschickt, wo er sich offenbar relativ frei bewegen darf. Strenger sind die Exilsaufenthalte der in Mailand Verurteilten gehandhabt worden, vgl. Liberius in Beröa / Thrakien (die Exilsbriefe aufbewahrt bei Hilarius, Coll. Antiar, Paris, B III,1; B VII,8; B VII,10; B VII,11) oder Euseb von Vercelli in Sky­thopolis in Palästina (ein Exilsbrief Eus. Verc., ep. 2). Für Luzifer von Calaris sind Germanicia, Eleutheropolis und die Thebais als Aufenthaltsorte im Exil bezeugt, Luc., Ath. 1,9; Faust. et Marc., Lib. prec. 30 und Socr., h.e. III,5; Soz., h.e. V,12; Thdt., h.e. III,2. Gravamina über die Situation in der Verbannung von Liberius bei Hilar., Frg., B VH,10 (CSEL 65, 171,8–172,12 Feder) und von Euseb, ep. 2,4,2f. [CChr.SL 9, 106, 88–105 Bulhart]. – In der Kaiserzeit gehörte zum exilium als Strafe für die honestiores in der milderen Form der relegatio die Zuweisung an einen bestimmten Aufenthaltsort oder die Untersagung eines

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kann man dieses Argument nur hilfsweise anführen (20 Jahre zuvor war Athanasius bekanntlich nach Trier verbannt worden); aber insgesamt lassen es unsere Kenntnisse über das Phänomen der Exilierung von Bischöfen im 4.  Jahrhundert als höchst fragwürdig erscheinen, die Situation des Ossius vor und während der Synode in Sirmium als Verbannungsstrafe im Sinne eines exilium oder ἐξορισμός zu verstehen. Ein weiterer Aspekt ergibt sich schließlich bei der Frage nach der Kirchenpolitik Kaiser Konstantius II.  in den Jahren 355–359:  Richard Klein hat in seiner Erlanger Habilitationsschrift aus dem Jahre 1976 in bewußtem Gegensatz zu dem Konstantiusbild der kirchlichen Tradition deutlich zu machen verstanden, daß Konstantius II. in seiner Kirchenpolitik viel stärker in Kontinuität zu seinem Vater Konstantin d.Gr. zu sehen ist als die kirchliche Polemik etwa eines Athanasius, Luzifer oder später auch Hilarius es den Anschein haben läßt.46 Wieder und wieder begründet Konstantius seine Maßnahmen mit dem Hinweis auf Entscheidungen seines Vaters.47 Wie dieser sieht auch er seine kirchenpolitische Hauptaufgabe darin, den zerstrittenen Parteien zum Trotz die Einheit der Kirche und damit vor allem – ein typisch römischer Gedanke – die Einheit der kultischen Verehrung sicherzustellen.48 Auch das von den gegen die homöische Wendung der kaiserlichen Kirchenpolitik opponierenden Bischöfen gezeichnete Bild des Konstantius als eines Despoten und selbstherrlichen Unterdrückers kirchlicher Freiheit hält, wie Klein gezeigt hat, näherer Überprüfung nicht stand:49 Daß die clementia zu den hervorragenden Eigenschaften gerade dieses Kaisers gehört hat, kann man nicht nur an einigen Bemerkungen heidnischer Schriftsteller,50 sondern auch an der moderaten Reaktion des Konstantius auf die haßerfüllten Angriffe eines Luzifer von Calaris ablesen. Auch im Falle des Ossius von Cordoba begegnet uns Konstantius keineswegs als Unterdrücker oder Willkürherrscher: Als er nach dem Konzil von Mailand den Spanier in seine kaiserliche Residenz bestellt und die Unterschrift unter die Beschlüsse gegen Athanasius von ihm verlangt, Ossius sich aber weigert, läßt Konstantius ihn offensichtlich unbehelligt wieder in seine spanische Heimat zurückkehren.51 bestimmten Aufenthaltsortes, vgl. grundlegend hierzu E.L. Grasmück, Exilium. Untersuchungen zur Verbannung in der Antike, Paderborn 1978, 81. 127ff. (dort auch ausführlich weitere Literatur). 46 R. Klein, Constantius II. und die christliche Kirche, Darmstadt 1977. 47 Vgl. Klein, 1977, 282f. 48 Vgl. Klein, 1977, 64. 157f. 277. 282ff. 49 So überzeugend Klein, 1977, 105ff. 50 Aur. Vict., Caes. 42,23; Amm. Marc., Hist. Rom. XIV,9,2; XVII,13,28; die Stellen nach Klein, 1977, 149 Anm. 265. 51 Ath., h. Ar. 43,2.

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Aus dem Bericht des Athanasius von den Vorgängen beim ersten Besuch des Ossius in Mailand scheint sogar eine respektvolle Wertschätzung des Kon­ stantius für den greisen Bischof von Cordoba, der ja auch theologischer Berater seines Vaters (und seines Bruders) gewesen war, herauszuklingen; anders ist m. E. die Wendung ἐπιπλήξας καὶ πείσας αὐτὸν52 nicht zu erklären. Aber spricht nun nicht der berühmte und immer wieder als Musterbeispiel für die mutige Forderung eines unerschrockenen Bischofs nach Nichteinmischung der weltlichen Gewalt in die Sachen der Kirche aufgeführte53 Brief des Ossius an den Kaiser, der uns bei Athanasius überliefert ist,54 eine ganz andere Sprache? Ist hier nicht ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen Ossius und Konstantius vorausgesetzt, der dann womöglich in der Verbannung des Ossius seinen Höhepunkt gefunden haben könnte? Eine Anzahl von Indizien sprechen m. E. dagegen: Deutlich ist zwar, daß Ossius in seinem Schreiben von 356 in klaren Worten Unnachgiebigkeit und Standhaftigkeit in der Athanasiusfrage signalisiert (von den dogmatischen Streitigkeiten ist in dem Brief weniger deutlich die Rede55); hierfür ist er, wie er sagt, gegebenenfalls sogar bereit, Bestrafungen und Verfolgung auf sich zu nehmen.56 Aber damit unterscheidet sich der Brief in nichts von der auch zuvor im direkten Kontakt mit Konstantius57 oder später auf dem Konzil von Sirmium58 erkennbaren Haltung des Ossius, die bekanntlich ohne derartige Konsequenzen blieb. Daß Ossius also aufgrund dieses seines Briefes ins Exil geschickt worden sein soll, während dieselbe Haltung ein Jahr zuvor und ein Jahr später erkennbar keine derartigen Folgen hatte, ist mehr als unglaubwürdig. Es bestätigt sich dagegen die These Kleins, daß Kaiser Konstantius II.  offenbar auch in schwierigen Konfliktsituationen moderat zu reagieren wußte und eben nicht automatisch zu harten Mitteln und Bestrafungen griff. Vollends unglaubwürdig wird die Vermutung einer Exilierung des Ossius nach Sirmium schließlich angesichts der in luziferianischen Quellen belegten (vergeblichen) Mission des Ossius, nach der Synode im Auftrage des Kaisers die Entscheidungen von Sirmium auch in seiner spanischen Heimat zur

2 Ath., h. Ar. 43,2. Athanasius, Werke II, 207,8 Opitz. 5 53 Man betrachte nur die hart am Rande der Hagiographie befindlichen Urteile De Clercqs (1954) über dieses Schreiben, 449 („stirring beauty“); 451f. („magnificent document“, „truly episcopal dignity“, „amazing virility“). 54 Ath., h. Ar. 44. 55 Vgl. dazu Löhr, 1986, 61, und meine eigene, Anm. 10, angegebene Arbeit. 56 Ath., h. Ar. 44, 1: εἰ δὲ καὶ σύ με διώκεις, ἕτοιμος καὶ νῦν πᾶν ὁτιοῦν ὑπομένειν, Werke II, 207, 21 Opitz. 57 H. Ar. 43,2: ἐπιπλήξας καὶ πείσας αὐτὸν (s. o. Anm. 52). 58 H. Ar. 45,5: μὴ ὑπογράψαι δὲ κατὰ Ἀθανασίου. Werke II, 209, 26 Opitz. Vgl. Ath., fug. 5,2.

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Durchsetzung zu bringen. Von solcherlei Bemühungen des nunmehr über 100-jährigen Bischofs berichten Faustinus und Marcellinus im Libellus precum59 ebenso wie die Luziferianer, die das Schreiben des Euseb von Vercellae an Gregor von Elvira gefälscht haben.60 Wenn auch die Legende vom Tode des Ossius beim Widerspruch des Gregor von Elvira gegen ihn61 aus der Gehässigkeit der späteren Luziferianer gegenüber dem „Verräter“ Ossius entstanden ist und uns sicher keine Rückschlüsse über die tatsächlichen Umstände des wohl vor Mitte 359 eingetretenen Todes des Ossius62 erlaubt, so läßt sich doch gegen De Clercq kaum bezweifeln, daß der spanische Konflikt zwischen Gregor und Ossius um die Trinitätslehre als solcher historisch ist und daß ihm eben jene Beschlüsse von Sirmium 357 zugrunde gelegen haben müssen, die Ossius unterschrieben hatte und nun in seiner Heimat zu vertreten und durchzusetzen suchte. Daß er dies im kaiserlichen Auftrag tat, ist offensichtlich.63 Dann aber kann seine der Synode von 357 vorangegangene Anwesenheit in Sirmium kein Exilsaufenthalt gewesen sein. Konstantius II. hätte wohl kaum die Unklugheit besessen, die Verbreitung der eben gefaßten Beschlüsse ausgerechnet einem Bischof anzuvertrauen, dem man die Unterschrift nach eitler einjährigen Verbannung mit physischem und psychischem Druck aufgezwungen hatte und der demzufolge nicht gerade als zuverlässig gelten konnte. Wie ist nun aber der ein volles Jahr währende Aufenthalt des Ossius in Sirmium zu bewerten, wenn wahrscheinlich geworden ist, daß es sich nicht um ein Exil gehandelt haben kann? Es ist zutiefst bedauerlich, daß unsere Quellen (außer Athanasius) hier schweigen. Nimmt man aber die Argumente zusammen, mit denen sich oben im Anschluß an Klein ein vorsichtiges Bild von der Kirchenpolitik des Konstantius und von seinem Verhältnis zu Ossius zeichnen ließ, und bedenkt man ferner, daß Ossius immerhin nach Sirmium mit der Verbreitung der dort gefaßten Beschlüsse in Spanien beauftragt worden ist, dann spricht nach meinem Dafürhalten eigentlich nichts gegen die 59 regreditur ad Hispanias maiore cum auctoritate, habens regis terribilem iussionem, ut si quis eidem episcopus iam facto praeuaricatori minime uelit communicare, in exilium mitteretur. CChr.SL 69, 368, 284–287 Günther. 60 Euseb, ep. 3; CChr.SL 9, 110 Bulhart. Die Fälschungsthese nach M. Simonetti, Gregorio di Elvira. La fede, CorPat, Turin 1975, 7 mit Anm. 4; bestätigend Hanson, 1988, 508 mit Anm. 2. 61 Lib. prec. 10. 62 Auf der Synode von Rimini im Herbst 359 ist schon ein Bischof Hyginus zugegen, der wohl mit dem aus der Geschichte des Priszillianismus bekannten Hyginus von Cordoba zu identifizieren ist, vgl. Loofs, 1900, 382. 63 Man bedenke, daß dies 342 nach der Synode von Serdika offensichtlich genauso gehandhabt worden war; vgl. Mansi 3, 178 und dazu Barnes, 1993, 262 no. 47; De Clercq, 1954, 407f.

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Vermutung, daß Ossius von Cordoba von Konstantius II. mit der Vorbereitung jener Synode beauftragt worden ist und sich zu diesem Zwecke eine längere Zeit in Sirmium aufgehalten hat (die endgültige Einberufung der Synode verzögerte sich ja auch noch durch die militärischen Probleme an der Donaugrenze64). In dieser Funktion hatte sich Ossius ja immerhin schon unter Konstantin d.Gr. im Vorfeld von Nizäa 325 und unter Konstans im Vorfeld von Serdika 342 bewährt: In Nizäa war es noch gelungen, die Einheit der Kirche vorläufig zu retten, in Serdika war die Spaltung zwischen Ost und West nicht mehr zu vermeiden gewesen, aber auch hier scheint es Ossius gewesen zu sein, der am längsten und ausdauerndsten um eine Lösung gekämpft hatte.65 Als Friedensstifter in kirchlichen Streitigkeiten war er erfahren, und als solcher war er aus Sicht des Konstantius für die Vorbereitung und Suche nach einer nun anzustrebenden Lösung auf dogmatischem Felde der richtige Mann. Er war zudem der einzige, dem in den immer erbitterter geführten Auseinandersetzungen zwischen 324 und 356 in verschiedenen theologischen Lagern Achtung zuteil geworden war; schon von daher mußte er als möglicher Vermittler in Betracht kommen. Das einzige, was Konstantius von einer Beauftragung des Ossius mit der Vorbereitung der Synode von Sirmium ernsthaft hätte abhalten können, waren die massiven Differenzen beider in der Athanasiusfrage. Daß Konstantius sich hiervon nicht in seiner Entscheidung beirren ließ, wirft ein zusätzliches Licht auf die von Klein herausgearbeitete Liberalität dieses Kaisers im Umgang mit Andersdenkenden.

Appendix: Datierung des Aufenthaltes des Ossius in Sirmium. Der hier vorgelegte Rekonstruktionsversuch setzt eine Datierung des Aufenthaltes des Ossius in Sirmium von etwa Ende 356 / Anfang 357 bis nach der Synode von Sirmium etwa im Spätherbst 357 voraus. Daß der Gesamtaufenthalt rund ein Jahr betragen hat, wissen wir aus dem oben zitierten Athanasiussatz.66 Umstritten ist aber, ob jener Aufenthalt des Ossius in Sirmium ein Jahr vor der Synode begann und mit ihr endete, oder ob er mit der Synode begann und ein Jahr nach ihr beendet war. De Clercq optiert für die erste67, Loofs68 und Leclercq69 für die zweite Lösung. 64 Amm. Marc., Hist. Rom. XVI,10,30; vgl. O. Seeck, Regesten der Kaiser und Päpste für die Jahre 311 bis 476 nach Christus, Stuttgart 1919, 204; dazu Brennecke (wie Anm. 12), 313. 65 Vgl. hierzu ausführlich meine Anm. 10 genannte Arbeit. 66 S. o. Anm. 26. 67 De Clercq, 1954, 456ff. 68 Loofs, 1900, 376ff. 69 Leclerq, 1907, 901f. no. 3.

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M.  E.  kommt nur die erste Variante ernsthaft in Frage. Nach Athanasius fällt der erste Auftritt des Ossius beim Kaiser in die Zeit, als (nach der Mailänder Synode) die kaiserlichen Maßnahmen gegen Liberius von Rom einsetzten.70 Damit kann nur der Versuch des Beamten Euseb gemeint sein, Liberius in Rom zur Unterschrift gegen Athanasius zu bewegen, von dem der Alexandriner in h. Ar. 35, 4–38 (stark ausgeschmückt) berichtet. Man käme dann auf Ende 355 für den (ersten) Besuch des Ossius in Mailand. Für diese Zeit ist auch Konstantius in Mailand belegt.71 Es bliebe dann immerhin ein volles Jahr für die Rückreise des Ossius nach Cordoba, für den in den Quellen belegten regen Briefwechsel72 (zu welchem auch das Ath., h. Ar. 44 erhaltene Schreiben gehört) und für die erneute Reise des Ossius an den kaiserlichen Hof, die dann Ende 356 / Anfang 357 mit der hier postulierten Beauftragung zur Vorbereitung der Synode in Sirmium endete. Dieser zweite Besuch des Ossius bei Konstantius hätte dann abermals in Mailand stattgefunden, wo der Kaiser auch tatsächlich von November 356 bis März 357 nachweisbar ist.73 Wenn zu diesem Zeitpunkt bereits die Entscheidung zur Einberufung einer Synode festgestanden hat, mußte es für Ossius naheliegen, gleich von Mailand nach Sirmium weiterzureisen, anstatt sich vorher noch einmal zurück nach Spanien (also in die genau entgegengesetzte Richtung) zu begeben. Die Vorbereitung jener Synode währte dann fast ein Jahr, auch aufgrund der Verzögerung wegen des erzwungenen militärischen Engagements des Kaisers im Donauraum.74 Man käme so ziemlich genau auf das ὅλον ἐνιαυτὸν des Athanasius. Direkt nach der Synode von Sirmium muß

70 H. Ar. 43,1: Ταῦτα ἀκούων οὐκ ἐμέλλησε βασιλεύς, ἀλλ' εἰδὼς τὸν ἄνθρωπον (scil. Ὅσιον) καὶ τὸ ἱκανὸν τοῦ γέροντος γράφει καὶ κελεύει τοῦτον ἐλθεῖν πρὸς αὐτόν, ἡνίκα καὶ Λιβέριον κατὰ τὴν ἀρχὴν ἐπείραζεν. Athanasius, Werke II, 207, 3–5 Opitz. – Es geht also noch nicht um die endgültige Verbannung des Liberius. Jene fällt nach dessen Gespräch mit Konstantius in Mailand (ein Protokoll bei Thdt., h.e., II,16) in die zweite Hälfte 356, Anm. Marc., Hist. Rom. XV,7,6 gibt für die fragliche Zeit Leontius als Stadtpräfekten von Rom an, der erst ab Juni 356 als solcher bezeugt ist. Vgl. dazu A. Chastagnol, La Préfecture urbain, Paris 1960, 151; Pietri, 1976, 245ff. und Brennecke, 1984, 266 mit Anm. 99; zu Leontius A.H.M. Jones / J.R. Martindale / J. Morris, The Prosopography of the Later Roman Empire (A.D. 260–395), Cambridge 1971, 503. 71 6.11.355: Erhebung des Julian in Mailand zum Caesar, Amm. Marc., Hist. Rom. XV,8,5–14. Die Konstantius-Chronologie ist jetzt neu aufgearbeitet bei Barnes, 1993, Appendix 9 (218–224). 72 Ath., h. Ar. 43,4: πολλάκις γοῦν γράψαντος Κωνσταντίου, 207,14 Opitz. 73 Vgl. Barnes, 1993, 222. 74 S. o. Anm. 64.

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Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius

Ossius nach Spanien zurückgereist sein. Dafür spricht die Beauftragung des Ossius durch Konstantius, die Beschlüsse von Sirmium in Spanien zu vertreten. Die andere, von Loofs vertretene Chronologie beruht auf einer Differenz im Verständnis der beiden Stellen h. Ar. 43,1 und 45,4.75 Aus h. Ar. 43,1 folgert Loofs, daß die erste Zitation des Ossius nach Mailand erst nach der Verbannung des Liberius von Rom, also frühestens 356, stattgefunden haben könne.76 Veranschlagt man dann genügend Zeit für die Rückreise nach Cordoba und für die Briefe, wäre das zweite Zusammentreffen erst auf Mitte 357 zu datieren. Damit hängt zusammen, daß Loofs aus h. Ar. 45,4 folgert, jenes zweite Treffen müsse in Sirmium stattgefunden haben,77 wo der Kaiser ja in der Tat erst 357 nachweisbar ist. Rechne man dann das ὅλον ἐνιαυτὸν des Athanasius hinzu, müsse man davon ausgehen, daß Konstantius den Spanier noch lange nach der Synode in Sirmium festgehalten habe, vielleicht, weil er ihn doch noch zu einer Unterschrift gegen Athanasius zwingen zu können hoffte, vielleicht aber auch, weil er ihm „als ‚Fahnenträger der Hofbischöfe‘ dort nützlich war“.78 Aber die von Loofs getroffenen Voraussetzungen sind höchst zweifelhaft. Denn h. Ar. 45,4 beweist nicht so eindeutig, daß das zweite Treffen zwischen Ossius und Konstantius in Sirmium stattgefunden haben muß.79 Und die aus h. Ar. 43,1 gewonnene Voraussetzung, daß der erste Besuch in Mailand nach der Verbannung des Liberius anzusetzen sei, ist irrig, weil an der fraglichen Stelle ja der Beginn (κατὰ τὴν ἀρχὴν ἐπείραζεν) der Maßnahmen gegen Liberius, nicht die endgültige Entscheidung zur Verbannung ins Auge gefaßt ist.80 Zudem ist ein äußerer Grund gegen den Rekonstruktionsversuch von Loofs geltend zu machen: Daß Ossius noch in Sirmium hätte verbleiben sollen, nachdem dort die Würfel gefallen waren und er doch die Beschlüsse der Synode in Spanien zu propagieren ausersehen war, ist abwegig. Victor De Clercq ist also, was die Datierung des Aufenthaltes des Ossius in Sirmium betrifft, Recht zu geben.

75 Loofs, 1900, 376ff. – Die fraglichen Athanasiusstellen sind zitiert oben Anm. 70 und Anm. 26. 76 Loofs, 1900, 380. 77 Loofs, 1900, 380. 78 Loofs, 1900, 381. Ähnlich Leclerq, 1907, 902 no. 3. 79 Die Stelle ist zitiert oben Anm. 26 μεταπέμπεται τὸν Ὅσιον (leider) ohne adverbiale Bestimmung des Ortes. ἐν τῷ Σερμίῳ bezieht sich nur auf das κατέχει τοῦτον. 80 Vgl. oben Anm. 70.

Euseb, HistEccl III,14–20 und die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian* Seit Rudolf Freudenbergers Erlanger Dissertation über die Rechtslage der Christen im Römischen Reich des zweiten Jahrhunderts1 ist deutlich geworden, daß das Christsein selbst, das nomen Christianum,2 der rechtserhebliche Tatbestand war, der im Falle einer persönlich vorgebrachten Anzeige die Kapitalstrafe nach sich zog. Der Pliniusbrief ep. 10,96 und das Trajanreskript ep. 10,97 aus dem Jahre 113 bestimmen im wesentlichen die Situation der Christen, die, solange sie nicht als solche angezeigt werden, im Römischen Reich relativ unbehelligt leben (das conquirendi non sunt des Trajan) und dabei sogar bis in hohe Ämter in Verwaltung und Militär aufsteigen können, die aber andererseits ständig davon bedroht sind, im Falle einer nichtano­nym eingehenden Beschuldigung auf Grund ihrer confessio nominis das Martyrium zu erleiden (Trajans puniendi sunt). Diese Situation der Christen muß über mehr als zwei Jahrhunderte nahezu unverändert so Gültigkeit besessen haben:  Für die spätere Zeit, also von 113 bis zum Toleranzedikt des Galerius 311,3 zeigt sich dies z. B. klar an der sarkastischen Polemik Tertullians4 oder auch an der bei Euseb mitgeteilten Episode des Marinusmartyriums.5 Für die Zeit vor 113 dürfen wir insofern eine vergleichbare Lage voraussetzen, als sich Plinius ja in seinem Brief an Trajan ausdrücklich da­ rauf beruft, ein rechtmäßiges Ermittlungsverfahren zu befolgen.6 Präziseres geben die Quellen leider nicht her. Es sollte aber in diesem Zusammenhang nochmals auf Jürgen Molthagens Bewertung des Tacitusberichtes über die

Zuerst erschienen in: ZNW 89 (1996), 269–289. * 1 R. Freudenberger, Das Verhalten der römischen Behörden gegen die Christen im zweiten Jahrhundert, MBPF 52, München 21969. 2 Siehe hierzu F. Vittinghoff, Christianus sum – Das „Verbrechen“ von Außenseitern der Römischen Gesellschaft, in: Hist. 33 (1984), 331–357 (349f.). 3 Lact., mort. 34, 1–5; griechisch Eus., h.e. VIII,17,3–10. – Das Gallienusedikt von 260, siehe Eus., h.e. VII,13 scheint zwar zunächst v. a. dem Klerus Freiheit und Sicherheit gewährt zu haben, Martyrien auf Basis der Rechtslage von 113 waren aber auch danach grundsätzlich noch möglich. 4 Tert., apol. 2, 8.10–20. Vgl. Ad Scap 4,8. 5 Eus., h.e. VII, 15,1–5. – Der christliche Offizier Marinus, zur Promotion zum Centurio vorgesehen, wird von einem gleichfalls auf die Position spekulierenden Kollegen als Christ angezeigt und nach richterlicher Befragung auf Grund seiner confessio nominis unverzüglich hingerichtet. 6 Ep. 10,97,1.

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neronische Christenverfolgung7 hingewiesen werden, die zu zeigen versucht, daß der Hintergrund der von Plinius bereits vorausgesetzten Rechtslage letztlich im Vorgehen Neros gegen die Christen zu suchen sein könnte.8 Die christliche apologetische Geschichtsschreibung zeichnet bekanntlich ein von diesem ziemlich einheitlichen Befund signifikant abweichendes Bild: Sie zählt (allerdings bei erheblichen Abweichungen im einzelnen) unter den römischen Kaisern zwischen 64 und 311 einige ausgesprochene Verfolgerkaiser,9 während sie für andere Herrscher regelrechte Friedenszeiten der Kirche unterstellt. Wiederholt ist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daß dieses Verfahren apologetisch motiviert ist. Christenverfolgungen werden besonders den von der aristokratischen heidnisch-römischen Geschichtsschreibung zuvor bereits negativ beurteilten Kaisern zugeschrieben  – nur die erklärten Feinde Roms vergreifen sich an Christen.10 Der auf der Hand liegende, beabsichtigte Umkehrschluß war die Nahelegung eines friedlichen und gedeihlichen Miteinanders von Kirche und Reich, die uns aus allen apologetischen Texten bekannt ist.11 Hat man sich diese hinter den christlich-apologetischen Geschichtsdarstellungen stehende Theorie klar gemacht, stellt sich die Frage nach dem historischen Wert jener Nachrichten über spezielle Verfolgungen unter einzelnen Kaisern in neuem Licht. Zwar falsifiziert der Nachweis, daß die Quellenbearbeitung durch die frühen Apologeten und Kirchenhistoriker von einer übergreifenden Theorie geleitet wurde, ihre historischen Mitteilungen noch keineswegs;12 er verpflichtet aber zu methodischer Vorsicht. Daher wird man bei denjenigen Kaisern, bei denen wir nicht auf Grund eines breiteren, über die Texte der Apologeten hinausgehenden Quellenbefundes

Tac., ann. 15,44,2–5. 7 8 J. Molthagen, Der römische Staat und die Christen im zweiten und dritten Jahrhundert, Hyp. 28, Göttingen 21975, 21–27. 136–140. 9 Siehe hierzu J. Vogt, Die Zählung der Christenverfolgungen im Römischen Reich, in: ParPass 34 (1954), 5–15. 10 So Tert., apol. 5,4–6; vgl. H.C. Brennecke, Ecclesia est in re publica, id est in imperio Romano (Optatus 1113). Das Christentum in der Gesellschaft an der Wende zum „konstantinischen Zeitalter“, JBTh 7, 1992, 209–239:  225–231; K. Gross, Domitian, in: RAC 4 (1959), 91–109 (101); J. Speigl, Der römische Staat und die Christen. Staat und Kirche von Domitian bis Commodus, Amsterdam 1970, 33–35. 11 Brennecke, 1992, 226f.; L.W. Barnard, Apologetik I:  Alte Kirche, in:  TRE 3 (1978), 371–411: 402f.; A. Wlosok, Christliche Apologetik gegenüber kaiserlicher Politik bis zu Konstantin, in: KGMG I, 1974, 147–165. Zum Fragenkreis um die Gattungen der apologetischen Texte siehe W. Kinzig, Der „Sitz im Leben“ der Apologie in der Alten Kirche, in: ZKG 100 (1989), 292–317. 12 So mit Recht Gross, 1959, 101f.

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über Christenverfolgungen sicher unterrichtet sind,13 genauer nachfragen müssen:  Wie und in welchem Maße haben die apologetischen Historiker die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen ihrer Theoriebildung zuoder gar untergeordnet? Wie sind sie mit ihren Quellen verfahren? Und was ist daraus für die Frage nach der Historizität der behaupteten Christenverfolgung zu schließen? Die vorliegende Untersuchung prüft diese Frage am Beispiel von Euseb, h.e. 3.14–20 und dem Problem der dort unter Heranziehung verschiedener Quellenbelege behaupteten Christenverfolgung unter Domitian.14 Der Passus Eus., h.e. III,14–20 zeigt folgenden Aufbau: Teil 1 (h.e. III,14–16): Ereignisse zur Zeit der Regierung Domitians vor der Verfolgung h.e. III,14: Wechsel im Bischofsamt Alexandriens im vierten Jahre Domitians. h.e. III,15: Wechsel im Bischofsamt Roms im zwölften Jahre Domitians. h.e. III,16: Entstehung des 1Clem in Rom zur Zeit Domitians. Hinweis auf Streitigkeiten in der Gemeinde in Korinth.   Teil 2 (h.e. III,17–20): Die domitianische Verfolgung   Rahmen: h.e. III,17: Grausamkeit Domitians, Verbannungen, Vermögenskonfiskationen. Domitian zweiter Verfolgerkaiser nach Nero.   3 So bei Nero, Decius, Valerian, Diokletian. 1 14 Zur Frage der Verfolgung unter Domitian siehe Speigl, 1970, 5–42; L.H. Canfield, The Early Persecutions of the Christians, New York 1913, 72–85; D. McFayden, The Occasion of the Domitianic Persecution, in: AJT 24 (1920), 46–66; R. Schütz, Die Offenbarung des Johannes und Kaiser Domitian, Göttingen 1933; J. Moreau, A propos de la persécution de Domitien, in: NC 5 (1953), 121–129; id., Die Christenverfolgungen im Römischen Reich, Berlin 2197l, 37–41; J. Vogt, Christenverfolgungen. Historisch, in: RAC 2 (1954), 1159–1207: 1167–1170; E.M. Smallwood, Domitian’s Attitude toward the Jews and Judaism, in: CP 51 (1956), 1–13; Gross, 1959, 102–109; K. Christ, Zur Herrscherauffassung und Politik Domitians. Aspekte des modernen Domitianbildes, in: SZG 12 (1962), 187–213: 199–206; L.W. Barnard, Clement of Rome and the Persecution of Domitian, in: NTS 10 (1963/4), 251–260; W. Pöhlmann, Die heidnische, jüdische und christliche Opposition gegen Domitian, Diss. Erlangen 1967; T. Christensen, Christus oder Jupiter. Der Kampf um die geistigen Grundlagen des Römischen Reiches, Göttingen 1981, 48f.; H.D. Stöver, Christenverfolgungen im Römischen Reich: ihre Hintergründe und Folgen, München 1984, 43–47. 66. 113. 249; P. Keresztes, Imperial Rome and the Christians, vol. 1, New York 1989, 83–101.

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Beispiel 1: h.e. III,18,1–3: Johannes zur Zeit Domitians wegen seines Christuszeugnisses nach Patmos verbannt. Quellenzitat Irenäus: Datierung der Offb Joh ans Ende der Regierungszeit Domitians.   Beispiel 2: h.e. III,18,4: Quellenverweis: Heidnische Schriftsteller belegen Verfolgung im 15. Jahr Domitians. Verbannung der Domitilla nach Pontia wegen ihres Christusbekenntnisses.   Beispiel 3: h.e. III,19. 20,1–6: Anzeige gegen Nachkommen des Jesusbruders Judas, da sie aus dem Geschlecht Davids sind. Quellenzitat Hegesipp: Anklage der Nachkommen des Judas, ihr Verhör vor Domitian und ihre Freilassung.   Beispiel 4: h.e. III,20,7: Quellenzitat Tertullian: Grausamkeit Domitians, ein „halber Nero“.   Rahmen: h.e. III,20,8–9: Regierungsübernahme Nervas. Entzug der Ehrentitel Domitians durch den Senat. Rehabilitierung der zu Unrecht Verbannten. Rückkehr des Johannes nach Ephesus.   Die Passage zeigt eine klare Zweiteilung, entsprechend der tatsächlichen Entwicklung der Herrschaft Domitians von einer relativen Friedensphase in den Anfangsjahren von 81 bis etwa zum Saturninusaufstand 88/89 n. Chr. hin zu einer von Unruhen, Aufständen und Terror gezeichneten Endphase von etwa 92 bis zu seiner Ermordung am 18.9.96 n. Chr.15 Über die erste, friedlichere und auch politisch recht erfolgreiche Phase der Herrschaft Domi­ tians berichtet Euseb nichts. Es finden sich nur, entsprechend dem auch sonst in der h.e. üblichen Verfahren, chronistische Notizen über Wechsel auf den

15 Suet., Dom. 10,1: Sed neque in clementiae neque in abstinentiae tenore permansit, et tamen aliquanto celerius ad saevitiam descivit quam ad cupiditatem. (Wittstock 458, 11f.). – Zur Regierung Domitians vgl. v. a. K. Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 1988, 263–284; zur Chronologie D. Kienast, Römische Kaisertabelle. Grundzüge einer römischen Kaiserchronologie, Darmstadt 1990, 115–118; zur damnatio memoriae R. Merkelbach, Warum Domitians Siegername „Germanicus“ eradiert worden ist, in: ZPE 34 (1979), 62–64.

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wichtigsten Bischofsstühlen16 zur Zeit des jeweiligen Kaisers. Interessant ist für unseren Zusammenhang, daß Euseb seinen ersten Teil über die Regierung Domitians mit einem Hinweis auf die Entstehung des 1. Clemensbriefes abschließt: Clemens, seit dem zwölften Jahre Domitians Bischof von Rom,17 habe im Namen der Gemeinde einen Brief an die Korinther geschrieben, da dort seinerzeit Streitigkeiten ausgebrochen waren. Für jene Streitigkeiten beruft sich Euseb auf Hegesipp als Quelle, ohne Genaueres mitzuteilen.18 Die Notiz Eusebs zeigt ganz deutlich, daß er zwar die korinthischen Streitigkeiten und die Abfassung des 1Clem in die Zeit Domitians datiert, daß er aber keineswegs den Inhalt des Briefes in einen Zusammenhang mit der im folgenden von ihm behaupteten domitianischen Christenverfolgung bringt. Für diese führt er, wie wir unten sehen werden, andere Belege an. Auch h.e. III,21. 24. 38; IV,23,11 (Dionys); V,6 (Irenäus) bringen Euseb bzw. seine Quellen Abfassung und Inhalt des 1Clem nicht mit einer Christenverfolgung in Verbindung. Das bedeutet, daß sich moderne Datierungsversuche des 1Clem in die Zeit Domitians zwar mit Recht auf Euseb / Hegesipp berufen können, daß aber alle Interpretationen einschlägiger Briefstellen im Blick auf die domitianische Verfolgung auf einer Kombination zweier bis in die Zeit Eusebs offensichtlich voneinander unabhängiger Notizen basieren. Dieser Befund sollte davor warnen, etwa die agonistische Redeweise in 1Clem allzu schnell auf aufflammende Konflikte zwischen Kirche und Kaiserreich oder gar auf Verfolgungen und Martyrien zur Zeit Domitians zu beziehen.19

16 Rom: h.e. III,2. 13. 15. 34; IV,1. 4. 5,5. 10. 11,6. 19 usw. – Alexandrien: h.e. II,24; III,14. 21; IV,1. 4. 5,5. 11,6. 19 usw. – Antiochien: h.e. III,22; IV,20 usw. – Jerusalem: h.e. III,11. 35; IV,5,1–4 usw. 17 Natürlich läßt sich diese Notiz h.e. III,15 nicht für das Postulat eines Bischofs- oder gar Papstamtes in Rom im ersten Jahrhundert auswerten, zu den diesbezüglichen Fragen vgl. P. Lampe, Die stadtrömischen Christen der ersten beiden Jahrhunderte. Untersuchungen zur Sozialgeschichte, WUNT II/18, Tübingen 21989. 18 Vgl. aber das Hegesippzitat h.e. IV,22,2. 19 1Clem 1,1 spricht schon die Wortwahl keineswegs für eine „tödliche Bedrohung“ (Vogt, 1954, 1168) der römischen Gemeinde, συμφορά heißt zunächst einfach „Umstand“, im negativen Sinne gebraucht wird es oft mit κακή näher qualifiziert, bei Josephus, Bell 2,4,11; Ant 10,106 u. ö. bedeutet es zwar negativ „Mißgeschick“, steht aber nicht in apokalyptischem Kontext und darf deshalb nicht im Sinne von Martyrien interpretiert werden. περίπτωσις heißt gleichfalls zunächst neutral „Ereignis“, M.Ant. 6,41,1 steht eigens π. τοῦ κακοῦ, um das Geschehen als negatives zu qualifizieren, auch in späteren christlichen Texten ist das Wort neutral gebraucht, so Clem Alex., Str 1,16. 19 und Eus., PrEv 6,6. 1Clem 7,1 bedeutet σκάμμα zunächst einfach „Grube“, „Sprunggrube“; das berechtigt nicht, sogleich Martyrien in der Arena zu unterstellen (gegen Pöhlmann, 1967, 395–398). Im übertragenen Sinne meint das Wort zumeist „Bereich“, „Aufgabenbereich“,

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Von einer Christenverfolgung berichtet Euseb im zweiten Teil seines Passus über die Regierungszeit des letzten Flaviers, h.e. ΙΙΙ,17–20. Er besteht aus einem Rahmen, der eingangs die Tatsache der Christenverfolgung durch Domitian und abschließend die Tatsache des Entzugs aller Ehrentitel dieses Kaisers durch den Senat benennt, sowie aus vier in diesen Rahmen eingefügten Belegaussagen, die jeweils mit einem Quellenhinweis bzw. -zitat untermauert werden. Der Rahmentext lautet folgendermaßen: Nachdem Domitian fürwahr an vielen seine große Rohheit ausgelassen, nicht wenige der Adeligen Roms und eine Anzahl angesehener Männer ohne rechtmäßiges Urteil umgebracht und unzählige andere ausgezeichnete Männer zu Unrecht mit Verbannung außer Landes bestraft und ihr Vermögen konfisziert hatte, machte er sich selbst schließlich noch zum Nachfolger der Gottesfeindschaft und Gottesbekämpfung des Nero. Er also ordnete als zweiter eine Verfolgung gegen uns an, während sein Vater Vespasian nichts Übles gegen uns im Sinn gehabt hatte. (h.e. III, 17).20 Nachdem Domitian fünfzehn Jahre lang regiert hatte und Nerva in der Herrschaft folgte, faßte der römische Senat den Beschluß, die Ehrentitel des Domi­tian abzuerkennen und die zu Unrecht in die Verbannung Geschickten bei Rückerstattung ihres Vermögens nach Hause zurückkehren zu lassen; so berichten

„Mühe“ oder „Anstrengung“, für den späteren Sprachgebrauch etwa Joh. Chrys., ep. 5,1; Hom in Mt 10,4. Die Metaphorik ist weit gefaßt. Zwar ist 1Clem 5,1–6,2 in der Tat von Martyrien (Petrus und Paulus in Rom, „Danaiden und Dirken“ [hierzu H.C. Brennecke, Danaiden und Dirken. Zu 1Clem 6,2, in: ZKG 88 (1977), 302–208]) die Rede, aber 1Clem 7,1f. ist gegen 6,4 durch ταῦτα […] ἐπιτέλλομεν deutlich ein Neueinsatz markiert, und die nun im Brief folgende Passage wendet sich in paränetischem Stil gegen den zuvor als Faktor aller Entzweiung und Krisen angesprochenen Neid, also das den korinthischen Rebellen unterstellte Motiv. Auch in der von K. Beyschlag, Clemens Romanus und der Frühkatholizismus, BHT 35, Tübingen 1966, 305, aufgeführten Stelle Hipp., Comm in Dan II,19,8 geht es um das Streiten gegen zahllose Ungläubige. Solch agonistische Redeweise ist im Rahmen der christlichen Paränese vollkommen geläufig (1Kor 9, 24–27), sie setzt keineswegs äußere Verfolgungssituationen zwingend voraus. Für 1Clem siehe A.W. Ziegler, Neue Studien zum ersten Klemensbrief, München 1958, 24–37. – Ich plädiere mit A. Lindemann, Die Clemensbriefe, HNT 17, Tübingen 1992, 12. 26, dafür, die Begrifflichkeit des 1Clem zunächst einmal ohne jeglichen Rekurs auf eine extern vorausgesetzte domitianische Christenverfolgung zu analysieren und zu deuten. 20 Πολλήν γε μὴν εἰς πολλοὺς ἐπιδειξάμενος ὁ Δομετιανὸς ὠμότητα οὐκ ὀλίγον τε τῶν ἐπὶ Ῥώμης εὐπατριδῶν τε καὶ ἐπισήμων ἀνδρῶν πλῆθος οὐ μετ᾿ εὐλόγου κρίσεως κτείνας μυρίους τε ἄλλους ἐπιφανεῖς ἄνδρας ταῖς ὑπὲρ τὴν ἐνορίαν ζημιώσας φυγαῖς καὶ ταῖς τῶν οὐσιῶν ἀποβολαῖς ἀναιτίως, τελευτῶν τῆς Νέρωνος θεοεχθρίας τε καὶ θεομαχίας διάδοχον ἑαυτὸν κατεστήσατο. δεύτερος δῆτα τὸν καθ᾿ ἡμῶν ἀνεκίνει διωγμόν, καίπερ τοῦ πατρὸς αὐτῷ Οὐεσπασιανοῦ μηδὲν καθ᾿ ἡμῶν ἄτοπον ἐπινοήσαντος. (GCS Euseb 2,1, Schwartz 230, 8–15).

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die Geschichtsschreiber jener Zeit. Die Überlieferung unserer alten Geschichtsschreiber besagt, daß damals auch der Apostel Johannes von seinem Exilsaufenthalt auf der Insel an seinen Wohnsitz in Ephesus zurückkehrte. (h.e. III,20,8f.).21

Der Text zeigt prägnant die Eckwerte des eusebianischen Domitianbildes: Die Betonung der großen Rohheit Domitians, die von ihm veranlaßte Ermordung zahlreicher Adeliger und die Verbannung unzähliger ausgezeichneter Männer, die Gottesfeindschaft Domitians in der Nachfolge Neros, kulminierend in seiner Christenverfolgung, mit welcher er sich in völligem Unterschied zur neutralen Christenpolitik Vespasians befindet; schließlich der Entzug der Ehrentitel durch den Senat, die damnatio memoriae Domi­ tians und die vollständige Rehabilitierung seiner Opfer und Rückholung der unschuldig Verbannten, zu denen auch der Apostel Johannes zählt. Die Tendenz dieser Interpretation ist jene schon benannte These, daß nur die schlechten, letztlich als Feinde Roms anzusehenden Kaiser auch die Christen verfolgten. Hieraus folgen eine Parallelisierung der Adeligen und Angesehenen Roms mit den Christen (beide erleiden schweres Unrecht durch Domitian und beide werden zu Recht vom Senat rehabilitiert), eine Gleichsetzung von Domitian und Nero (sowohl hinsichtlich ihrer beider Verfolgungstätigkeit gegen die Notabelen Roms bzw. gegen die Christen als auch hinsichtlich ihrer beider damnatio memoriae)22 und schließlich die Entgegensetzung Domitians gegen den „guten“ Kaiser Vespasian (sowohl in bezug auf ihre gegensätzliche Rom- bzw. Christenpolitik als auch in bezug auf ihre hier von Euseb natürlich als bekannt vorausgesetzte gegensätzliche Bewertung durch die römisch-aristokratische Geschichtsschreibung). Es ist nun die Frage, wie Euseb diese seine Domitianinterpretation begründet, welche Quellen ihm zum Beweis vorlagen und welche er zur Untermauerung seiner These in diesen Rahmen einzeichnet. Inwiefern stützen die von ihm beigebrachten Quellenbelege seine Bewertung Domitians und damit eine Behauptung einer Christenverfolgung durch den letzten Flavier? Der erste Beleg des Euseb ist die Verbannung des Johannes auf die Insel Patmos, untermauert durch ein Irenäuszitat:

21 μετὰ δὲ τὸν Δομετιανὸν πεντεκαίδεκα ἔτεσιν κρατήσαντα Νερούα τὴν ἀρχὴν διαδεξαμένου, καθαιρεθῆναι μὲν τὰς Δομετιανοῦ τιμάς, ἐπανελθεῖν δ' ἐπὶ τὰ οἰκεῖα μετὰ τοῦ καὶ τὰς οὐσίας ἀπολαβεῖν τοὺς ἀδίκως ἐξεληλαμένους ἡ Ῥωμαίων σύγκλητος βουλὴ ψηφίζεται· ἱστοροῦσιν οἱ γραφῆι τὰ κατὰ τοὺς χρόνους παραδόντες. τότε δὴ οὖν καὶ τὸν ἀπόστολον Ἰωάννην ἀπὸ τῆς κατὰ τὴν νῆσον φυγῆς τὴν ἐπὶ τῆς Ἐφέσου διατριβὴν ἀπειληφέναι ὁ τῶν παρ' ἡμῖν ἀρχαίων παραδίδωσι λόγος. (Schwartz 234,24–236,5). 22 Eine Verschärfung jener Parallelisierungstheorie bietet Lact., mort. 3: Hier ist die damnatio memoriae geradezu als die logische Konsequenz aus der Christenverfolgung dargestellt.

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Die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian In einem Bericht heißt es, zu dieser Zeit habe der Apostel und Evangelist Johannes noch gelebt und sei wegen seines Zeugnisses für das göttliche Wort dazu verurteilt worden, auf der Insel Patmos zu wohnen. Indem Irenäus über die Berechnung der dem Antichrist beigelegten Namenszahl in der sogenannten Johannesapokalypse schreibt, sagt er im fünften Buch gegen die Häresien über Johannes folgendes:  „Wenn in der jetzigen Zeit sein Name [scil. der des Antichristen; Vf.] hätte offenbart werden sollen, dann wäre er durch denjenigen genannt worden, der auch die Offenbarung geschaut hat. Denn sie wurde nicht vor langer Zeit geschaut, sondern fast noch in unserer Generation, am Ende der Herrschaft Domitians.“ (h.e. III,18,1–3).23

An Eusebs Behauptung einer Verbannung des Johannes wegen seines Eintretens für das göttliche Wort fällt sofort die Formulierung κατέχει λόγος auf, die hier, wie auch sonst bei Euseb,24 nicht näher bestimmt wird. Die Quelle bleibt unkonkret, jedenfalls scheint sie nicht in schriftlich fixierter und damit präzise zitierbarer Form vorzuliegen. Euseb beruft sich allein auf das „Hörensagen“, also interessanterweise nicht auf Apk 1,9, wo ja in der Tat von Verbannung auch gar nicht explizit die Rede ist. Dem „Hörensagen“ nach solle Johannes zur Zeit Domitians auf Grund seines Christuszeugnisses nach Patmos verbannt worden sein. An dieser Nachricht sind immerhin Zweifel angebracht: Geht man nämlich davon aus, daß die eingangs geschilderte, im Pliniusbrief ep. 10,96 erkennbare Rechtslage bereits in domitianischer Zeit in Geltung gewesen sein müsse, wäre die hier unterstellte Verurteilung zum Exilsaufenthalt auf Grund des nomen Christianum schwer vorstellbar, setzt doch Plinius die Todesstrafe für Christen als selbstverständliche Rechtspraxis voraus. Die Verbannung des Sehers nach Patmos zur Zeit Domitians wird also schwerlich unmittelbare juristische Folge seines Christusbekenntnisses gewesen sein. Euseb bemüht sich, seine in jener nicht näher bestimmten Quelle aufgestellte Behauptung durch ein Irenäuszitat zu stützen, was aber nur teilweise gelingt: haer. V,30,3 belegt lediglich die Datierung der Vision des Johannes zur Zeit Domitians, keineswegs aber die Verbannung des Sehers nach Patmos wegen seines Eintretens für das

23 Ἐν τούτῳ κατέχει λόγος τὸν ἀπόστολον ἅμα καὶ εὐαγγελιστὴν Ἰωάννην ἔτι τῷ βίῳ ἐνδιατρίβοντα, τῆς εἰς τὸν θεῖον λόγον ἕνεκεν μαρτυρίας Πάτμον οἰκεῖν καταδικασθῆναι τὴν νῆσον. γράφων γέ τοι ὁ Εἰρηναῖος περὶ τῆς ψήφου τῆς κατὰ τὸν ἀντίχριστον προσηγορίας φερομένης ἐν τῇ Ἰωάννου λεγομένῃ Ἀποκαλύψει, αὐταῖς συλλαβαῖς ἐν πέμπτῳ τῶν πρὸς τὰς αἱρέσεις ταῦτα περὶ τοῦ Ἰωάννου φησίν· „εἰ δὲ ἔδει ἀναφανδὸν ἐν τῷ νῦν καιρῷ κηρύττεσθαι τοὔνομα αὐτοῦ, δι᾿ εἰ δὲνου ἂν ἐρρέθη τοῦ καὶ τὴν ἀποκάλυψιν ἑορακότος. οὐδὲ γὰρ πρὸ πολλοῦ χρόνου ἑωράθη, ἀλλὰ σχεδὸν ἐπὶ τῆς ἡμετέρας γενεᾶς, πρὸς τῷ τέλει τῆς Δομετιανοῦ ἀρχῆς“. (Schwartz 230,16–232,2). 24 Vgl. h.e. ΙΙΙ,11; ΙΙΙ,32,1.

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göttliche Wort. Ein diese Verbannung auf Grund des nomen Christianum wirklich belegendes verifizierbares Zitat kann Euseb nicht beibringen. Euseb zitiert die Irenäusstelle korrekt und vollständig, wie übrigens auch bei der Wiederholung desselben Textzitats h.e. V,8,6, Er weist auch auf den Zusammenhang der Stelle bei Irenäus hin; es geht dort um die Frage nach der dem Antichrist in der Johannesapokalypse beigelegten Namenszahl. Euseb greift also nicht in den Irenäustext ein, etwa um ihn der Behauptung seines ersten Beleges oder der Aussageintention seines Rahmens anzupassen, und er zitiert ihn auch nicht ohne Hinweis auf den Textzusammenhang, dem er entnommen ist. Er zeigt sich gegenüber seinen literarischen Quellen treu, muß dabei aber erhebliche Spannungen zwischen dem, was er mit ihnen zeigen will, und dem, was sie tatsächlich austragen, in Kauf nehmen. Durch den ersten Beleg wird das Bild des Christenverfolgers Domitian also kaum gestützt. Abgesehen davon, daß es bei dem Beispiel ja keineswegs um Martyrien im Sinne von Hinrichtungen geht, wird man konstatieren müssen: Eusebs Bemühen, am Beispiel des Johannes zu zeigen, daß die zu Domitians Regierungszeit vorgenommenen Verbannungen auch Christen betroffen haben und daß diese wegen ihres Christuszeugnisses verurteilt wurden, kann sich nur auf eine vage, nicht nachprüfbare Angabe stützen. Das beigefügte Irenäuszitat ist im Sinne der gegen Domitian erhobenen Vorwürfe nicht beweiskräftig, es stellt lediglich die Datierung des Aufenthaltes des Sehers auf Patmos in die Zeit Domitians sicher.25 Versuche, einschlägige Stellen in Apk direkt auf eine Christenverfolgung unter Domitian zu beziehen, beruhen mithin auf einer Kombination zweier bei Euseb noch ziemlich heterogen nebeneinanderstehender Quellen, von denen eine zudem nicht sicher verifizierbar ist.26 25 Richtig B. Newman, The Fallacity of the Domitian Hypothesis. Critique of the Irenaeus Source as a Witness for the Contemporary-Historical Approach to the Interpretation of the Apocalypse, in: NTS 10 (1963/4), 133–139: 136: „Ireaneus does not in any measure state that the Apocalypse reflects any alleged persecution of the Domitian period, only that it dates during the time of Domitian’s reign.“ 26 Eine Bezugnahme auf eine domitianische Verfolgung läßt sich m. E. in Apk nicht nachweisen. Nur wenn man aus den externen Quellen eine solche Verfolgung postulieren zu können meint, mögen sich hier und da entsprechende Interpretationen nahelegen. Indes ist auch dann noch große Vorsicht geboten. – Die zahlreichen fraglichen Stellen in Apk können im Zusammenhang dieses Aufsatzes natürlich nicht alle gesichtet werden, daher nur eine kleine Auswahl: Apk 2,13 trägt das Martyrium des Antipas für eine domitianische Verfolgung nichts aus; es liegt, wie die Formulierung ἐν ταῖς ἡμέραις zeigt, schon geraume Zeit zurück (J. Roloff, Die Johannesoffenbarung, ZBK 18, Zürich 1984, 54; gegen Schütz, 1933, 15) und ist zudem deutlich als Einzelfall gekennzeichnet (erst im 10. Jahrhundert [!]‌ist für das Menologion des Simeon Metaphrastes Antipas als Bischof von Pergamon Märtyrer unter Domitian; vgl. H. Kraft, Die Offenbarung des Johannes, HNT 16a, Tübingen 1974, 65). Apk

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Eusebs zweiter Beleg ist die Berufung auf heidnische Geschichtswerke, die von Verfolgung und „Martyrien“27 berichten und in diesem Zusammenhang die Verbannung der Flavia Domitilla nach Pontia wegen ihres Christusbekenntnisses mitteilen. Zu der hier erwähnten Zeit leuchtete unsere Glaubenslehre schon in solchem Maße, daß auch die unserer Lehre fernstehenden Schriftsteller nicht zögerten, in ihren Erzählungen die Verfolgung und die mit ihr verbundenen Zeugnisse zu berichten. Sie haben auch den Zeitpunkt genau angezeigt, indem sie erzählen, daß im 15. Jahr Domitians neben sehr vielen anderen auch Flavia Domitilla, eine Tochter der Schwester des Flavius Clemens, eines der damaligen römischen Konsuln, wegen ihres Zeugnisses für Christus mit dem Aufenthalt auf der Insel Pontia bestraft worden sei. (h.e. III,18,4).28

6,9f. geht es um Märtyrer der Vergangenheit es dürften wohl eher Opfer der neronischen Verfolgung (so Roloff, 1984, 83) als alttestamentliche Märtyrer (so Kraft, 1974, 119) im Blick sein. Apk 7,14 ist θλῖψις schon wegen der 7,9 genannten ὄχλος πολύς, ὃν ἀριθμῆσαι αὐτὸν οὐδεὶς ἐδύνατο nicht zu eng auf christliche Martyrien zu deuten, es ist allgemeiner die (überwundene) endzeitliche Bedingung angesprochen (U.B. Müller, Die Offenbarung des Johannes, ÖTK 19, Gütersloh 1984, 181). Zu den Schwierigkeiten, das Tier von Apk 13 (gerade angesichts der durch Vers 3 aufgeworfenen Komplikationen) historisch zu identifizieren vgl. ebenfalls Müller, 1984, 250f. Ähnlich liegen die Dinge auch Apk 17,10 (vgl. zu den Problemen einer Interpretation in Richtung einer Verfolgung unter Domitian Newman, 1963/4, 133–139). Apk 18,20; 19,1f. geht es darum, daß das Blut der Märtyrer nicht ungestraft vergossen sein wird; eine zeitlich-historische Näherbestimmung solcher Martyrien dürfte aber schwerfallen, zumal Apk. 19,9f. zeigt, daß der Passus nicht mehr (und nicht weniger) als Hilfe zum Bewahren des Zeugnisses Jesu sein will (Roloff, 1984, 179). Ähnlich Apk 20,4: Denen, die um des Zeugnisses Jesu und des Wortes Gottes willen enthauptet würden, wird Recht verschafft – das wird sich auf Märtyrer beziehen, die in der Gegenwart oder Vergangenheit des Verfassers ihre Treue zu Christus mit dem Leben bezahlen mußten. Dies war aber bekanntlich vor, während und nach der Regierung Domitians. Eine von der Situation etwa unter Vespasian oder Titus negativ abzuhebende „domitianische Verfolgung“ läßt sich daraus nicht konstruieren, zumal wir nicht einmal klare Anhaltspunkte für die Datierung solcher Martyrien haben. Eine das dunkle Domitianbild der Tradition kritisch hinterfragende Interpretation der Johannesoffenbarung findet sich bei L.L. Thompson, The Book of Revelation. Apocalypse and Empire, New York 1990, 95–115. 27 Der Kontext zeigt sofort, daß mit μαρτύριον auch hier keine Hinrichtungen gemeint sein können, sondern Bekenntnisakte bzw. Zeugnisse, in deren Zusammenhang Bestrafungen wie im Falle der Domitilla (s. Anm. 28) oder des Johannes (s. Anm. 23) ergehen konnten. 28 εἰς τοσοῦτον δὲ ἄρα κατὰ τοὺς δηλουμένους ἡ τῆς ἡμετέρας πίστεως διέλαμπεν διδασκαλία, ὡς καὶ τοὺς ἄποθεν τοῦ καθ’ ἡμᾶς λόγου συγγραφεῖς μὴ ἀποκνῆσαι ταῖς αὐτῶν ἱστορίαις τόν τε διωγμὸν καὶ τὰ ἐν αὐτῷ μαρτύρια παραδοῦναι, οἵ γε καὶ τὸν καιρὸν ἐπ’ ἀκριβὲς ἐπεσημήναντο, ἐν ἔτει πεντεκαιδεκάτῳ Δομετιανοῦ μετὰ πλείστων ἑτέρων καὶ Φλαυίαν Δομέτιλλαν

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Wer sind die paganen Historiographen, auf die sich Euseb hier beruft, und was war ihren Schriften zu entnehmen? Leider nennt Euseb wie auch sonst in der h.e. nicht die Namen seiner heidnischen Gewährsmänner, es ist stets nur von den „uns Fernstehenden“ die Rede.29 Wer ist gemeint? Über das Schicksal der Domitilla bzw. des Konsuls Flavius Clemens äußern sich Cassius Dio und Sueton: Bei Cassius Dio erfahren wir, daß Flavius Clemens, Vetter des Domitian, von diesem hingerichtet worden, und daß Flavia Domitilla, seine Frau, nach Pandateria verbannt worden sei. Beiden sei Atheismus vorgeworfen worden, wie auch viele andere, die zu Juden-Sitten neigten, Leben oder Vermögen verloren.30 Es fällt schwer, Eusebs Notiz mit diesem Text in Verbindung zu bringen, da er ihm an mehreren Stellen widerspricht:31 Domitilla ist bei Euseb Nichte, nicht Frau des Flavius Clemens; die Verbannung führt sie nach Pontia statt nach Pandateria; Cassius Dio sieht beide Fälle in einem kausalen Zusammenhang, doch Euseb greift nur einen, noch dazu den minder schweren heraus, von der Hinrichtung des Flavius Clemens verlautet bei ihm nichts. So wird sich Euseb hier kaum auf Cassius Dio beziehen. Die Möglichkeit, daß Euseb den Cassius-Dio-Text benutzt, aber verändert hat, kann hier außer Betracht bleiben, denn die Abweichungen sind mit der Tendenz Eusebs nicht zu begründen; im Falle des Flavius Clemens laufen sie ihr gar zuwider. In Suetons Kaiserbiographien ist davon die Rede, daß Domitian seinen Vetter Flavius Clemens urplötzlich auf Grund eines sehr geringfügigen Verdachtes umbrachte.32 Aber auch dies kann nicht die Basis für Eusebs Aussage gewesen sein, denn bei Sueton, der den Fall zu den politischen Morden Domitians rechnet, ist weder von religiösen Zusammenhängen noch vom Schicksal der Domitilla die Rede, und bei Euseb spielt umgekehrt die Ermordung des Flavius Clemens keinerlei Rolle. ἱστορήσαντες, ἐξ ἀδελφῆς γεγονυῖαν Φλαυίου Κλήμεντος, ἑνὸς τῶν τηνικάδε ἐπὶ ῾Ρὼμης ὑπάτων, τῆς εἰς Χριστὸν μαρτυρίας ἕνεκεν εἰς νῆσον Ποντίαν κατὰ τιμωρίαν δεδόσθαι. (Schwartz 232, 3–11). 29 Eus., h.e. ΙΙ,8,1; V,5,3. 30 Cass. Dio, Hist. 67,14,1f:  κἀν τῷ αὐτῷ ἔτει ἄλλους τε πολλοὺς καὶ τὸν Φλάουιον τὸν Κλήμεντα ὑπατεύοντα, καίπερ ἀνεψιὸν ὄντα καὶ γυναῖκα καὶ αὐτὴν συγγενῆ ἑαυτοῦ Φλαουίαν Δομιτίλλαν ἔχοντα, κατέσφαξεν ὁ Δομιτιανός. ἐπηνέχθη δὲ ἀμφοῖν ἔγκλημα ἀθεότητος, ὑφ' ἧς καὶ ἄλλοι ἐς τὰ τῶν Ἰουδαίων ἤθη ἐξοκέλλοντες πολλοὶ κατεδικάσθησαν, καὶ οἱ μὲν ἀπέθανον, οἱ δὲ τῶν γοῦν οὐσιῶν ἐστερήθησαν· ἡ δὲ Δομιτίλλα ὑπερωρίσθη μόνον ἐς Πανδατερίαν. (Boissevain ΙΙΙ,181,6–12). 31 Gegen Speigl, 1970, 23f. mit Anm. 48 und 49. 32 Suet., Dom. 15,1: denique Flavium Clementem patruelem suum contemptissimae inertiae […] repente ex tenuissima suspicione tantum non in ipso eius consulatu interemit. (Wittstock 464, 16–20).

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Es bleibt dann nur der von Euseb in seiner Chronik33 selbst ins Spiel gebrachte Name des Bruttius, dessen Schriften heute verloren sind. Bruttius, so Euseb in der Chronik, habe berichtet, daß Flavia Domitilla, Nichte des Konsuls Flavius Clemens, wegen ihres Zeugnisses für den christlichen Glauben auf die Insel Pontia verbannt worden sei.34 Dies stimmt mit h.e. ΙΙΙ,18,4 fast wörtlich überein, weshalb man vermuten darf, daß Euseb sich an unserer Stelle auf jenen leider nicht mehr erhaltenen Bruttius stützt. Die Alternative, Bruttius für eine Erfindung Eusebs oder der christlichen Tradition zu halten,35 paßt jedenfalls nicht zu dem, was wir sonst vom Umgang Eusebs mit seinen Quellen wissen.36 Was aber wird man Genaueres über den Fall der Domitilla und des Flavius Clemens sagen können, wenn uns hierzu mit Cassius Dios, Sueton und Bruttius / Euseb drei voneinander unabhängige divergierende Quellen vorliegen? Peter Lampe hat in seinen prosopographischen Untersuchungen zur römischen Gemeinde des ersten und zweiten Jahrhunderts gezeigt, 33 Grundlegend zu den Problemen der Chronik Eusebs: A. Mosshammer, The „Chronicle“ of Eusebius and the Greek Chronographic Tradition, London 1979. 34 Scribit Bruttius plurimos christianorum sub Domitiano fecisse martyrium. Inter quos et Flauiam Domitillam, Flauii Clementis consulis ex sorore neptem, in insulam Pontiam relegatam, quia se christianam esse testata sit (GCS Euseb 7,1, Helm 192, 14–19). – Bruttius scheint den Verwandtschaftsgrad der Domitilla zu Domitian (sie war seine Nichte) fälschlich auf ihren Mann Flavius Clemens bezogen zu haben; diese Erklärung ist einleuchtender als der alte, auf Baronius’ Annales ecclesiastici von 1588 zurückgehende Versuch, Bruttius und Dio dadurch auszugleichen, daß man zwei Domitillas annehmen will. Die Verwechslung von Pandateria und Pontia erklärt sich leicht durch Alliteration und geographische Nähe, siehe Lampe, 1989, 168f. 35 So etwa noch H. Gelzer, Sextus Julius Africanus und die byzantinische Chronographie I, Leipzig 1880, 282f. – Auch die These von E. Schwartz, Griechische Geschichtsschreiber, Berlin 1959, 507f., Euseb habe als einzige Quelle Julius Africanus gehabt, muß heute als überholt gelten, vgl. Mosshammer, 1979, 128– 168. – Speigl, 1970, 24 Anm. 49, vermutet, die Bruttiusnotiz sei erst im Zuge der Überarbeitung und Ergänzung mit römischem Stoff durch Hieronymus in die Chronik geraten. Dagegen spricht, daß sich der Text der Notiz schon in h.e. findet; dort fehlt nur der Name des Bruttius. Die Weglassung der Namen heidnischer Historiographen entspricht aber völlig dem auch sonst in der h.e. üblichen Verfahren. 36 Vgl. hierzu umfassend F. Winkelmann, Euseb von Kaisareia. Der Vater der Kirchengeschichte, Berlin 1991, 88–135; M. Gödecke, Geschichte als Mythos, Eusebs „Kirchengeschichte“, EHS.T 307, Bern 1987, 32–53; T.D. Barnes, Constantine and Eusebius, Cambridge 1981, 126–147: Beispiele für tendenziöse Auswahl und Abgrenzung von Quellen finden sich in der h.e. häufig, Fehler, Verwechslungen, Widersprüche lassen sich an einigen Stellen nachweisen, auf das Konto Eusebs gehende Fälschungen kommen dagegen nicht vor.

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daß bei Domitilla wohl in der Tat ein christliches Bekenntnis wahrscheinlich gemacht werden kann.37 Bei Bruttius / Euseb wird dies ausdrücklich behauptet, und die Glaubwürdigkeit dieser Notiz liegt darin begründet, daß nur Domitilla, nicht auch Clemens, Christentum zugeschrieben wird.38 Cassius Dios zu Juden-Sitten neigend ist dagegen kaum konfessionell verwertbar, jedenfalls spricht es nicht für ein jüdisches und gegen ein christliches Bekenntnis Domitillas.39 Im Falle des Konsuls Flavius Clemens liegen die Dinge anders: Keine der Quellen behauptet dezidiert, daß er Christ gewesen sei, was zumindest bei Euseb / Bruttius, der ja bei Domitilla deren Christentum ausdrücklich als Verurteilungsgrund benennt, Gewicht hat.40 Auch bei Sueton ist es durchaus bedeutsam, daß er nichts vom christlichen Bekenntnis des Konsuls weiß, wenn man bedenkt, daß derselbe Autor bei seiner Darstellung der Biographie Neros sehr wohl von Opfern christlichen Bekenntnisses berichtet.41 So bliebe allenfalls die Möglichkeit, den Atheismus-Vorwurf und das Neigen zu Juden-Sitten aus Cassius Dio in Richtung auf ein christliches Bekenntnis des Konsuls hin zu deuten;42 doch wie Jakob Speigl überzeugend dargelegt hat, ist diese Interpretation höchst fragwürdig.43

7 Lampe, 1989, 166–171. 3 38 Wollte man sagen, daß Bruttius / Euseb, etwa aus apologetischen Motiven, Domitilla als christliche „Märtyrerin“ vereinnahmt hätten, müßte man erklären, warum dies nicht auch bei dem mit dem Tode bestraften Flavius Clemens so geschah. Beide Schicksale gehörten ja traditionell zusammen (vgl. Anm. 40). 39 Lampes Gründe liegen in der Beobachtung, daß Cassius Dio es grundsätzlich vermeidet, die Christen als solche zu bezeichnen und daß es bis in seine Zeit hinein ohne weiteres möglich war, sie undifferenziert unter dem Begriff „jüdisch“ zu subsumieren (Suet., Cl. 25,4, anders jedoch Suet., Nero 16,2; Lukian, Peregr. 11; ActPetr 22). Zur Tendenz Dios siehe unten Anm. 43. 40 Dieses Argument gewinnt noch an Kraft, wenn man mit Lampe, 1989, 168 Anm. 149, beobachtet, daß bei Bruttius unmittelbar vor der von Euseb zitierten Stelle von Flavius Clemens die Rede gewesen sein muß; sonst wäre der Hinweis auf die Verwandtschaft Domitillas zu jenem Konsul nicht erklärbar. 41 Suet., Nero 16,2. 42 Der Atheismusvorwurf konnte grundsätzlich Christen wie Juden betreffen, vgl. A. von Harnack, Der Vorwurf des Atheismus in den ersten drei Jahrhunderten, TU 28 (= NS 13), 4, Leipzig 1905; Lampe, 1989, 169f.; E.M. Smallwood, The Jews under Roman Rule. From Pompey to Diocletian, SJLA 20, Leiden 1976, 379 mit Anm. 82. Es muß jedoch mit Harnack, 1905, 11, einschränkend darauf aufmerksam gemacht werden, daß dieser Vorwurf gerade für die Zeit Domitians kaum belegt ist. 43 Speigl, 1970, 25–27, hat gezeigt, daß Dio die juristische Seite jener Prozesse zur Zeit Domitians in eigener Interpretation wiedergibt. Bei ihm kann in selbem Sinne auch von ἀσέβεια die Rede sein, vgl. 68,1,2. Es liegt keine juristisch eindeutige Terminologie vor. Die ihm etwa aus Sueton bekannten Informationen über die

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Der Atheismusvorwurf bezieht sich auf Illoyalität gegenüber dem Kaiser, impietas.44 Ist das Christentum der Domitilla (anders als bei Flavius Clemens) wahrscheinlich gemacht, muß jedoch noch näher gefragt werden, ob ihr Bekenntnis tatsächlich, wie von Euseb bzw. Bruttius behauptet, der Grund für ihre Verbannung gewesen sein kann. Hiergegen spricht m. E. nicht nur (wie im Falle des Sehers Johannes)45 der Charakter der verhängten Strafe, sondern auch die Tatsache, daß gegen Domitilla dieselbe Anklage erhoben worden sein muß wie gegen ihren Mann Flavius Clemens. Ist aber wahrscheinlich, daß beide verschiedener Religion angehörten, kann der entscheidende Anklagepunkt nicht im christlichen Bekenntnis Domitillas gelegen haben. Man wird m.  E.  besser daran tun, das Schicksal des Konsuls Flavius Clemens, Vetter des Domitian, und seiner Frau, der Christin Flavia Domitilla in den politischen Zusammenhang des kaiserlichen Vorgehens gegen die römische Aristokratie und gegen verdächtige Verwandte in den letzten Jahren der Regierung Domitians zu stellen. Das Mißtrauen des princeps und sein Bemühen, jeden möglichen Thronprätendenten von vornherein auszuschalten, richtete sich zuletzt bekanntlich besonders gegen seine eigenen Verwandten, wobei der Frage nach deren religiösen Überzeugungen kaum entscheidende Bedeutung zukam.46 Die mildere Strafe für Domitilla gegenüber Flavius Clemens hängt vermutlich damit zusammen, daß von ihr die vermeintlich geringere Gefahr für eine Usurpation ausging. Ihr christliches Bekenntnis dürfte bei ihrer Verbannung keine ursächliche Rolle gespielt haben. Peter Lampe will an der Bestrafung Domitillas wegen ihres christlichen Bekenntnisses festhalten, indem er den Atheismusvorwurf aus Cassius Dio in Richtung einer Verweigerung des Kaiserkultes47 interpretiert. Doch war jener Atheismusvorwurf auch Grund für die Hinrichtung des Flavius Clemens; und diese beruhte laut Sueton auf einem „sehr geringfügigen Verdacht“, Prozesse unter Domitian kombinierte er mit seinem eigenen religionspolitischen Programm, in welchem er in der Tat für die Ausrottung der „Atheisten“, also all derer, die einer „fremden Religion“ folgen, plädiert, vgl. Hist. 52,36. Damit ist jedoch klar, daß unsere Stelle für die Frage, ob Clemens und / oder Domitilla Christen waren, nichts hergibt – sie gehört in die Zeit Dios und zeigt dessen Haltung zu Juden und Christen an. 44 Vgl. Plinius, ep. 1,5,5. 13; 7,33,7; Suet., Dom. 12,2; 13,2 und die in der vorigen Anm. genannte Stelle aus Dio. Die Unsicherheiten in der Terminologie entsprechen dem willkürlichen Handeln Domitians in seinen letzten Regierungsjahren: Für die Beteiligten war überhaupt keine saubere juristische Bezeichnung ihres Verbrechens erkennbar. 45 Siehe oben S. 32. 46 Suet., Dom. 10,4 (Flavius Sabinus, ebenfalls ein Vetter Domitians); 12,3; 15,1. 47 Lampe, 1989, 168.

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worunter man kaum die offene Verweigerung des Kaiserkultes wird verstehen können. Die Zweifel an einer Verbannung Domitillas auf Grund angeblicher Kaiserkultverweigerung verstärken sich noch, wenn man mit Rudolf Freudenberger anhand von Plinius, ep.  10,96,6 auf die vergleichsweise marginale Bedeutung dieses Kultes in den Christenprozessen aufmerksam macht48 und mit Fritz Taeger49 und Karl Christ50 sieht, daß seine Bedeutung für die Herrscherideologie Domitians oft ein wenig überschätzt worden ist,51 gerade in den an die christliche Apologetik anschließenden Domitianinterpretationen. Bei aller Überhöhung des princeps hat der letzte Flavier den Schritt zur Selbstvergottung eben gerade nicht vollzogen.52 8 Freudenberger, 1969, 138. 208. 4 49 F. Taeger, Charisma II, Stuttgart 1960, 330–353. 50 Zur Herrscherauffassung und Politik Domitians. Aspekte des modernen Domi­ tianbildes, in: SZG 12 (1962), 187–213: 196f. – Eine Überbetonung der Bedeutung des Kaiserkultes bei Domitian liegt m. E. vor bei Gross, 1959, 95–101, aber auch bei Freudenberger, 1969, 139–141. 51 Man wird allenfalls eine durch archäologischen Befund (Domitiantempel, Kolossalstatue) zu stützende regionale Konzentration der religiösen Kaiserverehrung in Ephesus, der kleinasiatischen Provinzmetropole, feststellen können, also in einer Region, in der der Herrscherkult eine bis in vorrömische Zeit zurückreichende Tradition hatte; vgl. hierzu für die Zeit Domitians S.J. Friesen, Twice Neokoros. Ephesus, Asia and the Cult of the Flavian Imperial Family, RGRW 116, Leiden 1993, 41–49. – Auf diese materialen Quellen gehen die beiden neuen Monographien über die Frühgeschichte des Christentums in Ephesus leider gar nicht ein. Für M. Günther, Die Frühgeschichte des Christentums in Ephesus, Arbeiten zur Religion und Geschichte des Urchristentums 1, Bern 1995, 125–133, stellt sich das Problem einer möglichen domitianischen Verfolgung in Ephesus schon deshalb nicht, weil er die Johannesoffenbarung unter Ablehnung des historischen Wertes der bei Irenäus mitgeteilten Notiz in die Zeit Trajans datiert. Die Arbeit von W. Thiessen, Christen in Ephesus. Die historische und theologische Situation in vorpaulinischer und paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelgeschichte und der Pastoralbriefe, TANZ 12, Tübingen 1995, geht auf die Fragestellung überhaupt nicht ein, weil sie den Bestand der auszuwertenden literarischen Quellen in einer mir für die Methodik historischen Arbeitens schwer nachvollziehbaren Grundentscheidung auf die kanonischen Texte beschränkt. 52 Auch die Formel dominus et deus (Suet., Dom. 13.2) wird erst von den frühchristlichen Autoren aus der Perspektive des 3. und 4. Jahrhunderts in Richtung auf eine Selbstvergottung Domitians interpretiert, die sie jedoch im 1. Jahrhundert nicht bedeutet. Es handelt sich um eine ursprünglich aus dem Bereich der Sklaven und Freigelassenen der familia Caesaris stammende, dann in die Verwaltungssprache, aber nicht in die offizielle Titulatur eingegangene Formel, die eine Überhöhung des princeps signalisiert. Göttliche Verehrung jedoch ist damit weder gemeint noch gefordert, sie hätte auch nicht dem Selbstverständnis des Domitian (anders liegen die Dinge etwa bei Caligula) entsprochen (K. Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 1988, 276; Taeger, 1960, 353; anders, aber

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Kehren wir zur Eusebschen Domitianinterpretation h.e. III,17 und 20 zurück, so ist zu konstatieren, daß das Beispiel der Domitilla fast nichts beweist. Für die Berichte heidnischer Historiker über Christenverfolgung und „Martyrien“ kann Euseb nicht mehr als diesen einen Fall der Verbannung einer Christin aus Bruttius beibringen, verstärkt um den ebenfalls Bruttius entnommenen Hinweis, daß die Maßnahmen auch „viele andere“ [scil. Christen] betroffen hätten. Von Hinrichtungen von Christen ist überhaupt nicht die Rede, was im Blick auf den Rahmen h.e. III,17 sowohl gegen die Parallelisierung Domitians mit Nero als auch gegen die Behauptung einer dezidierten Christenverfolgung durch den letzten Flavier spricht. Eusebs dritter Beweis für seine Theorie über den Christenverfolger Domi­ tian führt uns zum Hegesippbericht über ein Verhör zweier Enkel des Jesusbruders Judas vor Domitian: In einem alten Bericht heißt es, daß, nachdem Domitian befohlen hatte, die Nachkommen des Geschlechts Davids töten zu lassen, einige Häretiker die Nachkommen des Judas (welcher ein leiblicher Bruder des Retters war) anklagten, daß sie aus dem Geschlecht Davids und Nachkommen Christi selbst seien. Hegesipp legt dies wörtlich wie folgt dar: „Noch aber waren aus dem Geschlecht des Herrn die Enkel des Judas am Leben, der, wie man sagt, ein leiblicher Bruder war. Diese wurden öffentlich angezeigt, daß sie aus dem Geschlecht Davids seien. Ein Evokatus führte sie vor den Kaiser Domitian. Dieser fürchtete sich nämlich wie schon Herodes vor der Ankunft Christi. Domitian fragte sie, ob sie aus (dem Geschlecht) David(s) seien, und sie bekannten es. Sodann fragte er sie, wieviel Besitz sie hätten und über wieviel Güter sie verfügten. Sie aber sagten, sie hätten beide zusammen nur 9000 Denare, wobei einem jeden die Hälfte gehöre. Sie sagten, sie hätten auch dies nicht in Silber, sondern in einem Landbesitz von nur 39 Morgen, auf welchen sie selbst arbeiteten, um die Steuern aufzubringen und sich zu ernähren. Sodann zeigten sie auch ihre Hände und bewiesen durch Härte ihres Körpers und durch die Schwielen, die sich nach der ununterbrochenen Arbeit an ihren eigenen Händen gebildet hatten, daß sie hart arbeiteten. Über Christus und über Art, Ort und Zeitpunkt seiner Königsherrschaft befragt, antworteten sie, daß sie nicht weltlich und auch nicht irdisch sei, vielmehr sei sie himmlisch und engelgleich, und sie werde am Ende der Welt entstehen, wenn Christus in Herrlichkeit kommen und Lebende und Tote richten und jedem nach seinen Taten vergelten werde. Daraufhin verurteilte Domitian sie zu nichts, sondern er verachtete sie wie unbedeutende Leute. Er setzte sie frei und ließ durch einen Befehl die Verfolgung gegen die Kirche einstellen. Die Freigelassenen aber erhielten Leitungspositionen in den Gemeinden, weil sie Märtyrer und zugleich aus dem Geschlecht

m. E. unzutreffend, H. Bengtson, Die Flavier, München 1979, 219f.). Man beachte die Bemerkung bei Sueton, daß erst nach dem Tode des Domitian das Militär (vergeblich) versuchte, ihn sogleich zur Gottheit zu erklären (Suet., Dom. 23,1), ihm also wie seinen Vorgängern postmortale Divinisierung zuteil werden zu lassen.

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des Herrn waren. Als Frieden geworden war, lebten sie noch bis in Trajans Zeit. (h.e. III,19–20,6).53

Es erstaunt, daß Euseb diesen alten Hegesippbericht überhaupt in seinen Ausführungen über die domitianische Verfolgung verwendet hat. Der historische Kern der Episode dürfte in der Angst Domitians (und seiner Vorgänger) vor einem messianischen Thronprätendenten liegen – der jüdische Krieg lag ja noch nicht allzu lange zurück. In Verbindung mit darin begründeten Maßnahmen gegen die „Nachkommen Davids“ konnten auch Judenchristen angezeigt werden. Das Beispiel zeigt aber, daß solcherlei Verfahren ohne weiteres mit einem Freispruch enden konnten: Die Angeklagten werden wegen offensichtlicher Harmlosigkeit entlassen. Dem Rahmen des Domitian-Passus bei Euseb widerspricht dieser Text in mehreren Punkten: So stellt er v. a. die schroffe Entgegensetzung von Vespasian und dem letzten Flavier in Frage, denn Maßnahmen gegen die Juden sind auch von ersterem bezeugt.54 Auch eine besondere Grausamkeit Domitians ist weder an der Schilderung des (wohl fiktiven) Verhörs noch an seinem Ausgang abzulesen. Weiter teilt der Text die Beendigung der Maßnahmen durch Domitian selbst, also nicht 53 Τοῦ δ᾿αὐτοῦ Δομετιανοῦ τοὺς ἀπὸ γένους Δαυὶδ ἀναιρεῖσθαι προστάξαντος, παλαιὸς κατέχει λόγος τῶν αἱρετικῶν τινας κατηγορῆσαι τῶν ἀπογόνων Ἰούδα (τοῦτον δ᾿εἶναι ἀδελφὸν κατὰ σάρκα τοῦ σωτῆρος) ὡς ἀπὸ γένους τυγχανόντων Δαυὶδ καὶ ὡς αὐτοῦ συγγένειαν τοῦ Χριστοῦ φερόντων. ταῦτα δὲ δηλοῖ κατὰ λέξιν ὧδέ πως λέγων ὁ Ἡγήσιππος· „Ἔτι δὲ περιῆσαν οἱ ἀπὸ γένους τοῦ κυρίου υἱωνοὶ Ἰούδα τοῦ κατὰ σάρκα λεγομένου αὐτοῦ ἀδελφοῦ· οὓς ἐδηλατόρευσαν ὡς ἐκ γένους ὄντας Δαυίδ. τούτους ὁ ἠουοκᾶτος ἤγαγεν πρὸς Δομετιανὸν Καίσαρα. ἐφοβεῖτο γὰρ τὴν παρουσίαν τοῦ Χριστοῦ ὡς καὶ Ἡρῴδης. καὶ ἐπηρώτησεν αὐτοὺς εἰ ἐκ Δαυίδ εἰσιν, καὶ ὡμολόγησαν. τότε ἠρώτησεν αὐτοὺς πόσας κτήσεις ἔχουσιν ἢ πόσων χρημάτων κυριεύουσιν. οἱ δὲ εἶπαν ἀμφοτέροις ἐννακισχίλια δηνάρια ὑπάρχειν αὐτοῖς μόνα, ἑκάστῳ αὐτῶν ἀνήκοντος τοῦ ἡμίσεος, καὶ ταῦτα οὐκ ἐν ἀργυρίοις ἔφασκον ἔχειν, ἀλλ᾿ ἐν διατιμήσει γῆς πλέθρων λθ μόνων, ἐξ ὧν καὶ τοὺς φόρους ἀναφέρειν καὶ αὐτοὺς αὐτουργοῦντας διατρέφεσθαι. εἶτα δὲ καὶ τὰς χεῖρας τὰς ἑαυτῶν ἐπιδεικνύναι, μαρτύριον τῆς αὐτουργίας τὴν τοῦ σώματος σκληρίαν καὶ τοὺς ἀπὸ τῆς συνεχοῦς ἐργασίας ἐναποτυπωθέντας ἐπὶ τῶν ἰδίων χειρῶν τύλους παριστάντας. ἐρωτηθέντας δὲ περὶ τοῦ Χριστοῦ καὶ τῆς βασιλείας αὐτοῦ ὁποία τις εἴη καὶ ποῖ καὶ πότε φανησομένη, λόγον δοῦναι ὡς οὐ κοσμικὴ μὲν οὐδ᾿ ἐπίγειος, ἐπουράνιος δὲ καὶ ἀγγελικὴ τυγχάνοι, ἐπὶ συντελείᾳ τοῦ αἰῶνος γενησομένη, ὁπηνίκα ἐλθὼν ἐν δόξῃ κρινεῖ ζῶντας καὶ νεκροὺς καὶ ἀποδώσει ἑκάστῳ κατὰ τὰ ἐπιτηδεύματα αὐτοῦ. ἐφ᾿ οἷς μηδὲν αὐτῶν κατεγνωκότα τὸν Δομετιανόν, ἀλλὰ καὶ ὡς εὐτελῶν καταφρονήσαντα, ἐλευθέρους μὲν αὐτοὺς ἀνεῖναι, καταπαῦσαι δὲ διὰ προστάγματος τὸν κατὰ τῆς ἐκκλησίας διωγμόν. τοὺς δὲ ἀπολυθέντας ἡγήσασθαι τῶν ἐκκλησιῶν, ὡς ἂν δὴ μάρτυρας ὁμοῦ καὶ ἀπὸ γένους ὄντας τοῦ κυρίου, γενομένης τε εἰρήνης, μέχρι Τραϊανοῦ παραμεῖναι αὐτοὺς τῷ βίῳ.“ (Schwartz 232,12–234,18). 54 H.e. ΙΙΙ,12.

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erst nach dem Tod des princeps durch den Senat mit.55 Schließlich spricht Hegesipp eingangs gar nicht von einer Verfolgung der Kirche, sondern von Maßnahmen gegen die „Nachkommen Davids“; erst beim Freispruch der angeklagten Judenchristen heißt es dann generalisierend, die Verfolgung der Kirche sei eingestellt worden. Diese letztere Formulierung dürfte der einzige ersichtliche Grund sein, warum Euseb diesen Text überhaupt in die Passage über die Verfolgung unter Domitian eingefügt hat, denn im Grunde widerspricht er Eusebs h.e. ΙΙΙ,17 und 20 erkennbarer Aussageintention. Das Beispiel bietet jedenfalls nicht mehr als die Nachricht über eine Anklage gegen Judenchristen unter Domitian, die mit Freispruch endete. Es ist instruktiv zu sehen, an welcher Stelle Euseb das Hegesippzitat beendet: Die Fortsetzung, die er h.e. ΙΙΙ,32,6 in anderem Zusammenhang zitiert, enthielt die seiner übergreifenden Theorie diametral widersprechende Notiz von einem vergleichbaren Prozeß gegen den als Vetter des Herrn angeklagten Symeon, der in der angeblichen Friedenszeit der Kirche unter Trajan mit der Kreuzigung des 120-jährigen Angeklagten endete. In seinem letzten Beleg beruft sich Euseb auf Tertullian als Kronzeugen für eine Verfolgung der Christen unter Domitian: So also Hegesipp: Aber nicht nur er, sondern auch Tertullian hat derartiges von Domitian in Erinnerung gerufen: „Auch Domitian, der an Grausamkeit ein halber Nero war, hat einmal versucht, dasselbe zu tun wie jener. Aber da er, glaube ich, noch ein bißchen Einsicht hatte, hörte er sehr schnell damit auf, wobei er die, die er verbannt hatte, zurückrief.“ (h.e. ΙII,20,7).56 Euseb hat hier Tertullian, dessen Apologeticum ihm wohl in einer griechischen Fassung vorlag,57 bei geringfügigen Erweiterungen im Wortlaut zitiert.58 Doch was er aus Tertullian zum Beleg einer Christenverfolgung unter Domitian zutage fördert, ist gleichfalls kaum dazu angetan, die Beweislast zu tragen:  Seine Quelle spricht lediglich davon, daß Domitian nur ein „halber Nero“ war, daß er jenen nur nachzuahmen versucht habe 5 Anders Plin., pan. 46; Cass. Dio, Hist. 68,1. Suet., Dom. 23,1. 5 56 ταῦτα μὲν ὁ Ἡγήσιππος· οὐ μὴν ἀλλὰ καὶ ὁ Τερτυλλιανὸς τοῦ Δομετιανοῦ τοιαύτην πεποίηται μνήμην· „πεπειράκει ποτὲ καὶ Δομετιανὸς ταὐτὸ ποιεῖν ἐκείνῳ, μέρος ὢν τῆς Νέρωνος ὡμότητος. ἀλλ᾿, οἶμαι, ἅτε ἔχων τι συνέσεως, τάχιστα ἐπαύσατο, ἀνακαλεσάμενος καὶ οὓς ἐξηλάκει“. (Schwartz 234, 18–23). 57 H.e. II,2,4. Vgl. T.D. Barnes, Tertullian, Oxford 21985, 25f. 68f. 58 Tert., apol. 5,4. Die Stelle lautet lateinisch bei Tertullian: Temptauerat et Domi­ tianus, portio Neronis de crudelitate; sed quia homo, facile coeptum repressit restitutis etiam quos relegauerat (CChr.SL 1, Dekkers 95,17–19). In der rufinischen Retroversion Eusebs heißt es: Temptavit aliquando et Domitianus simile aliquid, portio Neronis de crudelitate, sed quasi homo cito destitit, ita ut etiam eos, quos in exilium miserat, revocaret. (GCS Euseb 2,1, Mommsen 235, 20–22).

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und daß er schließlich gar seine Maßnahmen, die im einzelnen völlig im Dunkeln bleiben, aus eigener Einsicht wieder eingestellt habe. Dies ist, was die Darstellung Domitians angeht, wesentlich harmloser als alles, was wir aus Sueton oder Cassius Dio kennen. Es überrascht auch hier, daß Euseb die Tertullianstelle überhaupt im Zusammenhang seines Beweisganges aufbietet. Doch mehr als die Erwähnung in Tert., apol. 5,4 war in bezug auf Domitian bei Tertullian gar nicht zu finden.59 Die Stelle war allein dazu geeignet, den Zusammenhang zwischen Nero und Domitian, den Euseb in seinem Rahmen herstellt, zu untermauern. Daß er dabei Tertullians Wertung, Domitian sei nur ein halber Nero gewesen, so stehen läßt, obwohl sie seiner eigenen Tendenz, beide auf eine Ebene zu stellen, eigentlich nicht ganz entspricht, zeigt abermals seine Treue zu den verwerteten Quellen. Gleiches gilt auch von der Notiz über die Rücknahme jener Maßnahmen durch Domitian selbst, die Euseb aus Tertullian übernimmt, obgleich sie in Spannung zu der im Rahmen von ihm behaupteten Rücknahme der Maßnahmen durch den Senat und Rückkehr des Johannes von Patmos nach Ephesus nach dem Tode Domitians steht. Im Umfeld des Zitats aus Tertullians Apologeticum fand Euseb auch jene Theorie formuliert, die er sich aus der apologetischen Tradition zu eigen und seiner Kirchengeschichtsdarstellung dienstbar gemacht hat: Nur die verbrecherischen Kaiser, beginnend bei Nero, verfolgen die Christen, worin für jene sogar Ruhm liegt. Allein die ungerechten und ruchlosen Führer, die die Römer selbst zu verurteilen und deren Opfer sie zu rehabilitieren gewohnt sind, haben Christenverfolgungen durchgeführt.60 Unter dem Theoriezwang dieser Idee stehend zählte Tertullian auch Domitian unter die Verfolger, wobei sein von Euseb zitierter Satz nur allzu deutlich zeigt, wie wenig er gerade gegenüber jenem Kaiser zur Begründung in der Hand hatte. Euseb hat das wenige, das Tertullian ihm an Material bot, unverändert übernommen, ist dabei aber insofern über Tertullian hinausgegangen, als er dessen Sicht Domitians als eines halben Nero im eigenen Domitianbild zu einer faktischen Gleichsetzung hin verstärkte. Dieser Intention entspricht dann auch sein die ganze Passage abschließender ausdrücklicher Hinweis auf den Entzug aller Ehrentitel Domitians durch den Senat. Die Aufstellung der vier „Beweise“ aus der h.e. zeigt, wie schmal bereits zu Eusebs Zeiten die Belegbasis für eine Christenverfolgung unter Kaiser 9 Vgl. noch Tert., pall. 4,5: „Subnero“ (CSEL 76, Bulhart 117, 67). 5 60 Tert., apol. 5,3f: Consulite commentarios uestros, illic reperietis primum Neronem in hanc sectam cum maxime Romae orientem Caesariano gladio ferocisse. Tali dedicatore damnationis nostrae etiam gloriamur […]. Tales semper nobis insecu­ tores, iniusti, impii, turpes, quos et ipsi damnare consuestis, a quibus damnatos restituere soliti estis. (Dekkers 95, 12–21).

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Domitian war. Das im Rahmen h.e. III,17; 20,8f. gezeichnete Domitianbild als eines Christenverfolgers findet durch die beigebrachten Quellen keine Bestätigung: Die Nachricht von der Verbannung des Johannes wegen seines Christuszeugnisses stützt sich auf eine nicht näher genannte und somit unbestimmbare Quelle. Bei der Verbannung Domitillas wird man bei kritischer Nachfrage bezweifeln müssen, ob ihr Christuszeugnis wirklich der eigentliche Grund für ihre Bestrafung war. Die Hegesippepisode endet mit dem Freispruch der Angeklagten durch Domitian. Die behauptete Kontinuität zwischen Nero und Domitian wird durch das Tertullianzitat eher relativiert als bestätigt. Man hat den Eindruck, daß Eusebs „Beweise“ ihrer Reihenfolge nach immer schwächer werden. Am Ende bleibt im Grunde nur die auch aus den heidnischen Historikern bekannte Drangsalierung der Notabelen Roms, zu denen auch vereinzelt Christen wie Domitilla gehört haben mögen, am Ende der Regierungszeit Domitians. Dieser Befund ist aber mit den etwa aus der neronischen, decischen, valerianischen oder diokletianischen Verfolgung bekannten historischen Fakten in keiner Weise vergleichbar. Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Zeit unter Domitian sich im Blick auf das Verhältnis zwischen Imperium Romanum und Kirche in grundsätzlicher Weise von der Zeit unter Nerva, Trajan, Hadrian oder gar Mark Aurel unterschied. Im Gegenteil: Anders als bei fast allen anderen Kaisern weiß Euseb aus der Domitianzeit nicht von einem einzigen Blutzeugen zu berichten. Nach dem Befund der Passage h.e. III,17–20 bleibt von der ganzen domitianischen Christenverfolgung historisch nicht mehr übrig als zwei Verbannungen, von denen die erste quellenmäßig nicht sicher verifizierbar ist und die zweite aller Wahrscheinlichkeit nach in die politischen Wirren der letzten Jahre der Regierung Domitians gehört.61 61 Pöhlmann, 1967, 350f. Anm. 1, will mit diesem Befund im Streit um die domitianische Verfolgung eine „Sowohl-als-auch“-Position einnehmen: Eine allgemeine Christenverfolgung sei nicht anzunehmen, lokal begrenzte Maßnahmen könne man andererseits aber auch nicht abstreiten. Auf solche „lokal begrenzte Maßnahmen“, besonders in Kleinasien, rekurrieren in Anbetracht der mehr als spärlichen Quellenbelege zur „domitianischen Verfolgung“ neuerdings auch Müller, 1984, 260 und W. Stegemann, Zwischen Synagoge und Obrigkeit, FRLANT 152, Göttingen 1991, 257. – Man muß jedoch m. E. immerhin noch unterscheiden zwischen (ggf. auch lokal begrenzten) Maßnahmen gegen Christen einerseits und politischen Wirren, in die auch Christen verwickelt werden konnten (im Falle Domitillas gar auf Grund ihrer Verwandtschaft zum Kaiser) andererseits. Handelt es sich erweislich um Maßnahmen gegen Christen, wäre sinnvollerweise nur dann von Domitian als von seinen Vorgängern und Nachfolgern negativ abzuhebendem Verfolgerkaiser zu sprechen, wenn seine Maßnahmen über die bei Trajan anhand von Plinius ep. 10,96f. zu konstatierende Situation (die, es sei noch einmal gesagt, die Möglichkeit von Martyrien auf Grund der confessio nominis immer einschloß),

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Abschließend ist noch ein Blick auf diejenigen Quellen zu werfen, die Euseb zum Zwecke der Unterstützung seines Domitianbildes gar nicht erst bemühte. Der 1.  Clemensbrief ist in diesem Zusammenhang oben schon genannt worden.62 Auch der 1.  Petrusbrief spielt für Euseb im Blick auf die domitianische Verfolgung keine Rolle.63 Die wichtigste Quelle, auf die für die angebliche Verfolgung unter Domitian immer wieder hingewiesen worden ist, ist Melito von Sardes.64 Doch Euseb zitiert dessen Fragment, in welchem auch von Domitian die Rede ist, nicht in Zusammenhang mit der domitianischen Verfolgung, sondern erst wesentlich später, im vierten Buch der h.e.65 Melito argumentiert in seinem apologetischen Schreiben an Mark Aurel mit der bekannten Theorie eines gemeinsamen Blühens von Kirche und Imperium Romanum und sagt dann:

also etwa über das conquirendi non sunt hinausgingen. Hierfür fehlen alle Belege. Handelt es sich hingegen um politische Wirren, in die auch Christen verwickelt werden konnten (und nur hierfür eignet sich das Domitillabeispiel als Beleg), ist die Rede von einer Christenverfolgung unter Domitian vollends abwegig. Damit aber erscheint die domitianische Verfolgung als wenig taugliches Instrument jedenfalls zur Interpretation neutestamentlicher oder nichtkanonischer frühchristlicher Texte, selbst wenn man die für Apk durch Irenäus, für 1Clem durch Euseb bezeugten Datierungen in die Zeit Domitians annehmen will. Zu 1Clem vgl. Anm. 19, zu Apk Anm. 26, zu 1Petr Anm. 63. 62 Siehe oben Anm., 19. 63 Μ.  E.  richtig L.  Goppelt, Der erste Petrusbrief, KEK 12/1, Göttingen 1978, 63: „Der Brief setzt demnach eine Situation voraus, wie sie grundsätzlich zwischen: 75 und 90 ständig gegeben war.“ Zudem hat R. Feldmeier, Die Christen als Fremde, WUNT 64, Tübingen 1992, 106–112, gezeigt, daß nach dem Selbstzeugnis des 1Petr gar nicht primär das Verhältnis zum Staat zur Debatte steht, sondern Schwierigkeiten der Christen mit ihrer unmittelbaren Umgebung, sozusagen der „Nachbarschaft“. – Deutungen des 1Petr auf eine Verfolgung unter Domitian finden sich bei W.G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 211983, 374f. und (vorsichtiger) U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 1994, 462. Eine Interpretation des 1Petr in der Linie von (lokalen) Verfolgungsmaßnahmen unter Domitian bei Pöhlmann, 1967, 403–413. – Euseb erwähnt 1Petr in h.e. III,3,1. 4. Für unsere Zwecke ist es interessant, daß er keinerlei Verbindungslinien zwischen dem Brieftext und einer Verfolgungssituation zieht. Er sagt lediglich, „die alten Kirchenlehrer“ hätten das Schreiben für echt gehalten. An der petrinischen Verfasserschaft wird man heute natürlich nicht festhalten. 64 Zentrale Bedeutung als Argument für eine Christenverfolgung unter Domitian spielt das Melitofragment bei Vogt, 1954, 1168; Gross, 1959, 102; M. Sordi, La persecuzione di Domiziano, in: RSCI 14 (1960), 1–26: 2; Barnard, 1963/4, 253f. 65 H.e. IV,26,5–11.

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Die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian Als einzige unter allen [scil. Kaisern; Vf.] suchten Nero und Domitian, von gewissen bösen Menschen verführt, unsere Religion zu verleumden. Durch sie sind jene falschen Anschuldigungen aufgekommen, die bezüglich der Christen unbegreiflicherweise Verbreitung gefunden haben.66

Zwar enthält auch diese Quelle eine Parallelisierung von Nero und Domi­ tian, doch werden deren Taten in solchem Maße relativiert, daß Euseb die Notiz für seine Domitiandarstellung kaum benutzen konnte. Melito äußert sich im Detail noch unbestimmter als Tertullian, indem er (aus apologetischen Motiven) bei beiden Kaisern lediglich von Verleumdungsversuchen und falschen Anschuldigungen spricht und deren Verantwortung auch noch mit dem Hinweis, sie seien von bösen Menschen verführt worden, herunterspielt. Angesichts dieser Tendenz war es für Euseb unmöglich, Melito in h.e. III,17–20 als Zeugen für eine Verfolgung unter Domitian aufzurufen. Will man heute das Melitofragment als Beleg für eine domitianische Christenverfolgung heranziehen, muß man sich jedenfalls klar machen, daß man damit die im Detail ja bekannten Verfolgungsmaßnahmen Neros einfach in die Zeit Domitians transponiert und also eine Parallelisierungsthese, die erwiesenermaßen fester Bestandteil historisch-apologetischer Theoriebildung gewesen ist, über die Quellen hinausgehend inhaltlich füllt.67 Euseb übernimmt im Rahmen des Passus h.e. III,17–20 die ihm geläufige apologetische Theorie, daß nur die negativ beurteilten Kaiser Christen verfolgen und wendet sie auf Domitian an. Doch das Quellenmaterial, das er, unverfälscht und korrekt zitierend, in den Rahmen einfügt, eignet sich nicht als Beweismittel. Die sich daraus ergebende unerhörte Spannung zwischen Theorie und Quellenbefund konnte er nur dann in Kauf nehmen, wenn sich zu seiner Zeit das Bild Domitians als Christenverfolger schon mit einer gewissen Selbstverständlichkeit etabliert hatte. Andere Beispiele zeigen, wie auch solche Quellen, die Euseb gar nicht erst heranzog, im Lichte der Theorie von der „domitianischen Verfolgung“ interpretiert wurden: Viktorin von Pettau sah als erster im sechsten Kopf des Tieres nach Apk 17,10 den Verfolger Domitian.68 Was aber Eusebs Belege angeht, die bei kritischer

66 H.e. IV,26,9: μόνοι πάντων, ἀναπεισθέντες ὑπό τινων βασκάνων ἀνθρώπων, τὸν καθ᾿ ἡμᾶς ἐν διαβολῇ καταστῆσαι λόγον ἠθέλησαν Νέρων καὶ Δομετιανός, ἀφ᾿ ὧν καὶ τὸ τῆς συκοφαντίας ἀλόγῳ συνηθείᾳ περὶ τοὺς τοιούτους ῥυῆναι συμβέβηκεν ψεῦδος. (Schwartz 386, 2–5). 67 So mit Recht Speigl, 1970, 33: „Inhaltlich ist jedenfalls über eine domitianische Verfolgung, aus welchem Grunde etwas gegen die Christen geschehen sein sollte, nichts gesagt. Was Melito von einer etwaigen Verfolgung des Domitian bekannt war oder bekannt sein konnte, wissen wir nicht und es hat keinen Sinn, danach zu fragen.“ 68 Petav., Comm. in Apoc. 17,2 (CSEL 49, Haussleiter 118).

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Lektüre starke Zweifel an der Theorie von der domitianischen Verfolgung aufkommen lassen, so wurden diese in den folgenden Jahrhunderten unter Auflösung der in der h.e. noch gut zu diagnostizierenden Spannung mit der vorausgesetzten Theorie harmonisiert: Im 5. Jahrhundert wird Domitilla zur Blutzeugin,69 im späten 8. oder frühen 9. Jahrhundert wird Flavius Clemens zum christlichen Märtyrer:70 Treffliche Beispiele für die niemals nur rekon­ struktive, sondern stets auch traditionensetzende Kraft der Historiographie, die in diesem Falle angesichts der schon bald fast kanonischen Bedeutung der Kirchengeschichte Eusebs allerdings nicht überraschen.

69 In den Akten der Nereus und Achilleus 24f.: H. Achelis, Acta ss. Nerei et Achillei, TU 11,2, Leipzig 1893, 22,26–23,21. Schon am Eingang ist ausdrücklich von „Domitillaakten“ die Rede (Achelis 1,15–17). Vgl. BHL 6058–6066. Zur Geschichte der Geschichte von Domitilla siehe J. Knudsen, The Lady and the Emperor. A Study of the Domitian Persecution, in: ChH 14 (1945), 17–32. 70 Georgius Syncellus, Chron: αὐτός τὲ Κλήμης ὑπὲρ Χριστοῦ ἀναιρεῖται. (CSHB I, Dindorf 650, 19).

Nicaea and the West* Alleged Western influences on the historical and theological proceedings of the first “oecumenical” council in Nicaea A.D. 325 have long been a matter for scholarly discussion. Since Theodor Zahn’s book on Marcellus of Ancyra1 the idea of Western influence or even the Western origin of the Nicene creed has continuously found much support among learned commentators. It has been adopted in different versions by such eminent scholars as Adolf von Harnack,2 Jaako Gummerus,3 Friedrich Loofs,4 Gustav Krüger5 and others, who all tried to establish a relation between the strong emphasis on the divine unity in the early Western theologians like Tertullian on the one hand and in the Nicene creed on the other.6 It is fair to say that this theory of Western influence has long been widely accepted as the authority in explaining the history and the theology of Nicaea. Nevertheless, in the last fifteen years, it has been seriously questioned and has suffered some severe criticism, especially by the works of Christopher Stead,7 although it has still also found some prominent supporters, such as Wolfgang Bienert, in his detailed discussion of the subject.8 In 1988 the late bishop and scholar R.P.C. Hanson gave a full report on the current state of research in his foundational book “The Search for the Christian Doctrine of God,”9 unfortunately without taking Bienert’s arguments into account.

First published in: VigChr 51 (1997), 10–24. * 1 T. Zahn, Marcellus von Ancyra. Ein Beitrag zur Geschichte der Theologie, Gotha 1867, 10–18. 2 A. von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte 2, Darmstadt 1964 = 41909, 230–236. 3 J. Gummerus, Die homöusianische Partei bis zum Tode des Konstantius, Leipzig 1900, 8–10. 4 F. Loofs, Das Nicänum. Festgabe für K. Müller, Tübingen 1922, 68–82. 5 G. Krüger, Das Dogma von der Dreieinigkeit und Gottmenschheit, Tübingen 1905, 194. 6 On the attempts at establishing a connection between Latin una substantia (Tertullian) and Greek homousios (Nicaea) cf. p 53.  7 C. Stead, Divine Substance, Oxford 1977, 250–255; id., Homousios, in: RAC 16 (1992), 400f. 8 W. Bienert, Das vornicaenische homousios als Ausdruck der Rechtgläubigkeit, in: ZKG 90 (1979), 151–175. 9 R.P.C. Hanson, The Search for the Christian Doctrine of God, Edinburgh 1988, 169–172. 198–202.

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The following brief study will try to prove that as with the Arian Controversy from A.D. 318 onwards, the proceedings of the council of Nicaea took place without any considerable involvement of Western theology, and that Western isolation continued after the decisions of 325. According to everything we can piece together from the unfortunately few sources that exist, the West remained strangely untouched by the dogmatic discussions on the Trinity at Nicaea until the forties of the fourth century. It was well into the sixties before Western theologians came to consider the more theoretical and dogmatically elaborate questions that Arius and his friends had raised and that the council of Nicaea had answered some forty or fifty years previously.

I.  The West before Nicaea Western theology of the Trinity before Nicaea was formed almost wholly by Tertullian.10 In his Adversus Praxean11 he argues against modalistic ideas in favour of a unity of the Trinity in three persons (Father, Son and Spirit), “three, however, not in condition [statu], but in degree [gradu], three not in substance [substantia], but in form [forma], three not in power [potestate], but in aspect [specie], yet of one substance [unius substantiae].”12 He emphasizes the unity in the Trinity, but he also indicates subordinating aspects (of order, not of nature) when he tries to distinguish the persons of the Trinity from each other. His tract was written to refute his modalistic opponents, but it was certainly not a masterpiece of speculative theology. Speculative theology was to be developed in the Greek philosophical and theological schools such as Origen’s, whereas the West was never really very much interested in it. The Latins accused the Greeks of “using too many words.”13 Their theological tradition, in questions on the Trinity, was not prepared to react adequately to the complicated questions that the Arian controversy raised, after it had emerged from its origenistic roots. Whereas Tertullian’s impact on the Western theology of the Trinity can hardly be overestimated (Novatian in his De Trinitate spoke, like Tertullian, of a distinctio personarum),14 there were other early Western contributions to the trinitarian question that were far less influential. The controversy between Hippolytus and Callistus in Rome dealt with the problem of the

10 A.M. Ritter, Dogma und Lehre in der Alten Kirche, in: C. Andresen (ed.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte 1, Göttingen 1982, 142; Hanson, 1988, 198. 517. 11 Ed. E. Kroyman / E. Evans (CChr.SL 2), 1159–1205. 12 Tert., Prax. 2,4. 13 Ruf., Orig. Rom. Praef., (FChr 2/1) p. 59. 14 Novatian, Trin. 27.

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Trinity, when Callistus was accused of “Sabellianism,” because he said that Father and Son were “one and the same.”15 Wolfgang Bienert thinks that the later Nicene term homoousios might have played a role in this controversy from the first half of the third century, but Hippolytus’ account of the story gives no proof for this hypothesis.16 Moreover, it seems very unlikely that Callistus, who emphasized the unity in the Trinity so much, should have used homoousios, since the rare pre-Nicene use of this word appears to have expressed the common origin of two subjects.17 The only example of the pre-Nicene use of the term homoousios in the West is the so-called “controversy of the Dionysii,” Dionysius of Alexandria and Dionysius of Rome, in the middle of the third century. The bishop of Alexandria uses the word indirectly, refering to it, but not adopting it himself.18 Bienert thinks that Dionysius of Rome had demanded that his colleague accepted the word, because it was part of a valid decision on doctrine, but the difficulty is that Dionysius of Rome never uses it himself. This is even more astonishing, when we consider that Athanasius quotes this text in his De decretis synodis,19 written in about 358, with the intention of justifying the term homoousios in the Nicene creed. The fact that Athanasius does not quote the homoousios in Dionysius’ text indicates clearly that Dionysius himself had not used it. The “controversy of the Dionysii” can therefore neither be understood as a precursor for the later Arian controversy nor can it be taken as a convincing proof for pre-nicene use of homoousios. Luise Abramowski has given a number of good reasons in support of the theory that these texts do not belong at all to the “controversy of the Dionysii” in the third century, but to the time directly before the synod of Serdica in 342,20 seventeen years after Nicaea. The early Arian controversy itself shows no traces of Western involvement. It started about A.D. 318 in Alexandria between Arius and his bishop Alexander, who both came theologically from the same origenistic roots. The whole beginning of the Arian controversy can only be understood as a discussion within the theological heritage of Origen, who had raised the issue of the Son’s relation to the Father in terms of nature. But Origen had not at all been read or talked about in the West until the end of the fourth century, when Rufinus of Aquileia translated his texts into Latin. 5 Hipp., haer. 9,12,17. 1 16 Hipp., haer. 9,12,16–19 does not say anything about homoousios. 17 F. Dinsen, Homoousios, Kiel 1978, 4–56. 18 Ath., Dion. 18,2. 19 Ath., decr. 26. 20 L. Abramowski, Dionys von Rom (†268) und Dionys von Alexandrien (†264/5) in den arianischen Streitigkeiten des 4. Jahrhunderts, in: ZKG 93 (1982), 240–272.

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Once it had started in Alexandria in A.D. 318, the Arian controversy spread surprisingly quickly over the whole Greek speaking part of the Roman Empire.21 Alexander wrote a circular letter that covered mainly Palestine and Syriac, a synod in Bithynia declared itself in favour of Arius, and many bishops in Egypt also joined his side.22 However, nowhere do we learn that Western theologians were involved in these proceedings. All these points make it clear that Western events cannot be taken into account in sketching the theological background to the Arian controversy.

II.  The West at Nicaea The precise number of participants in the council of Nicaea is unknown. Minutes of the proceedings were obviously not taken.23 Athanasius gives the number of bishops participating as 318, but this is probably an assumed number derived from the number of Abraham’s servants, as stated in Genesis 14,14.24 The lists of bishops at Nicaea contain 221 participants,25 but they are incomplete. The real number may be somewhere between 250 and 300, but it is not certain that all of them took part over the whole duration of the council from the beginning to the end of June A.D. 325.26 Among the participants of the council that we know by name there are only six bishops from the Western part of the empire; these are Ossius of Cordoba,27 Vicentius and Victor as representatives of the bishop of Rome, Silvester,28 Markus from Calabria,29 Caecilian of Carthage,30 Domnus from Pannonia31 and Nikasius from Gaul.32 Wolfgang Bienert thinks that there were at least 100 bishops from the West present, because some Latin and

1 Hanson, 1988, 129–151. 2 22 R. Williams, Arius. Heresy and Tradition, London 1987, 48–61. 23 H.C. Brennecke, Nizäa, in: TRE 24 (1995), 431f. 24 Ath., ep. Afr. 2.–Cf. M. Aubineau, Les 318 serviteurs d’Abraham (Gen. XIV,14) et le nombre des Pères au Concile de Nicée (325), in: RHE 61 (1966), 5–43, and H. Chadwick, Les 318 Pères de Nicée, ibid., 808–811. 25 Patrum Nicaenorum Nomina, ed. Gelzer / Hilgenfeldt / Cuntz, Nachdruck mit einem Vorwort von C. Markschies (Leipzig 1995) LXI.–Compare EOMIA I/l, ed. C.H. Turner, 35–91. 26 For this date see T.D. Barnes, The New Empire of Diocletian and Constantine, Cambridge 1982, 76. 27 Op. cit., no. 1 (= EOMIA, l.c., no. 1). 28 Op. cit., no. 1 (together with Ossius). (= EOMIA, l.c., no. 2). 29 Op. cit., no. 206. (= EOMIA, l.c., no. 205). 30 Op. cit., no. 208. (= EOMIA, l.c., no. 207). 31 Op. cit., no. 217. (= EOMIA, l.c., no. 215). 32 Op. cit., no. 218. (= EOMIA, l.c., no. 216).

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Syriac versions of the bishop lists say that the names of the Western participants were omitted on purpose.33 In addition, one can refer to Constantine’s famous letter about the transfer of the synod from Ancyra to Nicaea, where the emperor gives the shorter journey for the Western participants as one of the reasons for his decision.34 On the other hand, the function of the note in the Latin and Syriac bishop lists on the omission of the names of the Western bishops is clearly to explain the difference between the actual number of participants listed and the legendary number of 318. It can therefore hardly be taken as a serious source in support of the theory of a broad Western participation in the council. Furthermore, Constantine’s letter fails to say, how many Western travellers were involved. In addition, the other reasons he gives for the transfer of the council are hardly substantial, for instance, he also mentions the better climatic conditions in Nicaea compared to Ancyra. The real reason for the transfer of the council was probably that Nicaea was located in the immediate vicinity of the emperor’s residence in Nicomedia,35 and that he would find it much easier to keep the proceedings of the council under his personal control if it were to take place in Nicaea instead of Ancyra. According to our sources, we have no reason to believe that the real number of Western participants in the council was much larger than the six bishops we actually know about. Western participation in the first “oecumenical” council can therefore only have amounted to less than 5% or at the maximum 10%. It can of course be asked if the actual theological influence of the small Western group in Nicaea was possibly greater than their numerical presence would indicate. In order to determine this, we would have to seek traces of Western theological tradition in the creed of the council. The term homoousios in the Nicene creed has often been regarded as just such a translated Latin expression, namely as the Greek equivalent of the Latin una substantia. If this were correct, it would be very convincing proof of the Western theological influence on Nicaea. However, the hypothesis that homoousios is the equivalent of una substantia has to be discounted. Christopher Stead36 has convincingly shown that the correct translation of the Latin una substantia into Greek should be mia hypostasis, not homoousios, 33 Patrum Nicaenorum nomina, p. 57: Occidentalium uero nomina ideo non sunt scripta, quia nulla apud eos heresis suscipio fuit. 34 H.G. Opitz (ed.), Athanasius. Werke III. Urkunden zum arianischen Streit, Urk. 20, p. 42, 2f. 35 Urk. 20, p. 42, 3f. 36 C. Stead, Divine Substance, Oxford 1977, 250–254; Homoousios, in: RAC 16 (1992), 400–411.

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as found in the proceedings of the Western council of Serdica in 342. Furthermore, the Latin translation of homoousios is consubstantialis not una substantia, as can be seen in the texts of Tertullian.37 The earliest Latin versions of the Nicene creed do not translate the term homoousios into una substantia, but put the Greek word in Latin transliteration.38 Moreover, the Roman rhetor Marius Victorinus, one of the greatest experts on Greek-Latin translations in the whole fourth century,39 discusses in his book Adversus Arium different possibilities of translating homoousios into Latin,40 which would be entirely inexplicable if the word was itself a translation from earlier Latin tradition into Greek. All this evidence shows very clearly, that the hypothesis that the term homoousios used at Nicaea was of Latin origin is definitely to be discounted.41 Alternatively, Wolfgang Bienert tries to show that the word comes not from Latin, but from Western Greek tradition, i.e. from Rome, where Greek was spoken until the first half of the third century. This, however, does not seem very likely, since there is no proof at all of the use of homoousios by the early Western Greek speaking authors (e.g. Hippolytus of Rome) and it has to be taken into account that these Greek speaking Western authors had very little influence on later theological tradition in the West, particularly because they had written in Greek. If the homoousios cannot be taken as an indication of Western theological ideas in Nicaea, are there any other traces of influence by Western participants? What do we actually know about their ideas? And how did they succeed in introducing them into the debates? Obviously, they played only a small part in the theological proceedings of the council.42 Vicentius and Victor, though representing the bishop of Rome, were only presbyters and were therefore not in a position to have much influence in a bishops’ council.43 Markus, Domnus and Nikasius are not mentioned anywhere else in our sources before or after Nicaea. Caecilian of Carthago died fairly soon after the council, and we have no information at all about his theological

7 Tert., Herm. 44,3; Val. 12,5; 18,1; 37,2. 3 38 Hilar., frg. B II,10. 39 Aug., Conf. 8,2,3. 40 Mar.-Vict., Ar. II,10. 12. 41 Stead, 1977, 251. 42 Bienert, 1979, 160: “Statistenrolle.” 43 This is true also for Athanasius, who took part as the deacon of his bishop Alexander.–A small note in a letter of the Eusebian bishops of Antioch, written 16 years after Nicaea, shows how important that difference in rank was to be taken. The Eusebian bishops defend themselves against the reproach of Arianism saying: “How should we who are bishops follow a presbyter [scil. Arius]?” (Socr., h.e. 2,10).

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ideas and positions. So the only person from the West who could possibly have had a considerable influence on the theology of Nicaea is the bishop of Cordoba, Ossius.44 He was the theological adviser and the “court bishop” of the emperor, and as such he had the chairmanship in the council and a hand in its proceedings and agenda. The question is: how much did Ossius take part in the theological discussions on the Trinity in Nicaea and what was his own position on the matter likely to have been? Athanasius clearly says that Ossius formulated the Nicene creed,45 but other sources do not seem to confirm this: Basil of Caesarea says that Hermogenes of Caesarea in Cappadocia drew up the creed,46 and Eusebius tells us that the emperor himself was the person who inserted the homoousios into it.47 As Christopher Stead has shown,48 it is, according to Eusebius’ accounts, impossible to assume that Ossius was responsible for the Nicene text, since Eusebius speaks obviously derogatively about those who produced it,49 whereas he speaks very positively about Ossius, whom he calls a “peacemaker” in Nicaea.50 The fact that Constantine was indeed very much in favour of the homoousios being incorporated in the creed does not justify the conclusion that Ossius, the emperor’s court bishop, was responsible for it. It is well known, and Timothy Barnes has recently emphasized it strongly,51 that Constantine himself was very much interested in theological and philosophical questions. Eusebius gives a brief account of Constantine’s ideas on the homoousios in Nicaea, but unfortunately the emperor only says what the word should not mean, he gives no positive definition. Nevertheless, this short passage makes it appear most likely that the emperor himself, not Ossius, was theologically responsible for the inclusion of the term homoousios in the creed, as Eusebius’ account on the council of Nicaea puts it: “And such were the theological remarks of our most wise and most religious emperor”52. Even if we do not rate the theological abilities of 44 On Ossius see V. de Clercq, Ossius of Cordoba, Washington 1954. Some criticism of De Clercqs views from A. Lippold, Bischof Ossius von Cordoba und Konstantin der Große, in: ZKG 92 (1981), 1–15; and J. Ulrich, Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius, in: ZKG 105 (1994), 143–155. 45 Ath., h. Ar. 42,3. 46 Bas., ep. 81. 47 Ep. Eusebii ad Caes. 7 (= Athanasius, Werke III, Urk. 22,7). Cf. Ath., decr. 33; Socr., h.e. 1,8; Thdt., h.e. 1,12. 48 Stead, 1977, 252f. 49 Ep. Eusebii ad Caes. 7 (= Athanasius, Werke III, Urk. 22,7). 50 Eus., v.C. 2,63. 51 T.D. Barnes, Constantine and Eusebius, Cambridge 1981. 52 Ep. Eusebii ad Caes. 7 (= Athanasius, Werke III, Urk. 22,7). Translation according to Athanasius, Select works and letters, NPNF II/4, Edinburgh 1987 [Reprint]), 75.

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Constantine as highly as Barnes does, it still seems most unlikely that Constantine would rely mainly on a Westerner like Ossius when he had to solve a theological problem that merely concerned the bishops of the East. The other reason why it seems dubious to emphasize Ossius’ influence on the Nicene creed is the fact that there is hardly anything we know about his theological position. When the emperor Constantine sent him to Alexandria in A.D. 324 in order to find a peaceful solution between Arius and Alexander, he was obviously not very well informed about how the controversy had developed in the previous seven years. Furthermore, when he presided over the council of Antioch in early 325, he was found to be quite surprised by the theological ideas of Narcissus of Neronias, who freely admitted that he believed in three ousiai.53 R.P.C. Hanson has shown that “the obvious bewilderment at the statements about the number of ‘ousiai’ […] does not at all suggest one who was versed in Greek philosophy (even in translation) nor somebody who had recently devoted time to making a thorough study of ‘hypostasis’ and ‘ousia.’ ”54 It is not very likely that Ossius had a particularly clear view on what was going on theologically in the complicated Greek discussions, and his task was more to bring the different parties and groups to a peaceful agreement than to find a theological solution of the problem of the Trinity. This view on Ossius’ position in Nicaea is quite in keeping with what we know about his later career. Theologically, he had put his name to several rather differing creeds: The creed of Antioch in early 325, the Nicene creed, the so-called “Western” creed of Serdica in 342 that was almost Sabellian, and the homoean creed of Sirmium in 35755 that was almost Arian.56 There is no reason to believe that he had a firm or a rigid position on the theological problems in question. Politically, he was always the person who tried persistently to find peaceful solutions and to bring the hostile parties back to the conference table: In Antioch, 324, he passes on Constantine’s letter to Arius and Alexander, urging them to cease their controversy. In Nicaea, Eusebius calls him the “peacemaker.” In Serdica, 342, he tries hard, but in

3 Marcell., fr. 81. 5 54 Hanson, 1988, 200f. 55 I do not regard Athanasius’ account as being correct that Ossius was sent into exile to Sirmium and signed that creed only because he was forced to do so; some aspects of Athanasius’ own texts and the tendency in all the other sources make it very likely that Ossius signed the creed of Sirmium voluntarily, because he wanted to contribute to a peaceful solution; cf. Ulrich, Exil des Ossius, 1994, 143–155. 56 The homoean theology of the fifties of the fourth century was not entirely Arian, because it at least said that the Son was like the Father, whereas a real “Neo”-Arian (as, for example, Eunomius or Aetius) would have said unlike.

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the end in vain, to avoid the split between East and West.57 And in Sirmium, 357, he signs a creed that strictly prohibited any use of the terms substantia, homoousios and homoiousios,58 hoping that this decision might put an end to the controversy that by that time had been going on for about forty years. The fact that the Spaniard Ossius presided over the Council, does not justify any theological conclusions. The hypothesis of a significant influence by Western theologians on the council of Nicaea 325 has to be discounted.

III.  The West after Nicaea After Nicaea, the West remained “blessedly aloof from the bitter Arian Controversy. Even the decisions of the Council of Nicaea, despite their tremendous importance for the future of Christianity, barely caused a stir in the West.“59 Ossius of Cordoba, for reasons we do not know,60 left the imperial court and went back to Spain. The controversy about the rehabilitation of Arius and the theological debate between Eustathius of Antioch and Marcellus of Ancyra left no traces in the West. The first time that Western theologians came in touch with the problems that had arisen from the Arian controversy was at the council of Rome A.D. 340. Marcellus and Athanasius had been deposed from their sees in Ancyra and Alexandria, Marcellus for dogmatic reasons and Athanasius on grounds of conduct.61 Both had gone into exile in the West, and they tried there to gain support for their positions. This was all the easier, since the empire, after the death of Constantine in 337, had been divided into three, and from 340 onwards into two parts, so that it was possible to gain support from one emperor (Constans in the West) against the other (Constantius in the East). Matters of politics, church politics and theology were inextricably entangled. Marcellus succeeded in convincing the synod of Rome, in which about fifty bishops from Italy participated, that he was not guilty and therefore orthodox. It has often been said that Marcellus deceived the council and concealed his true, unorthodox views,62 but this theory is unacceptable. The

7 Ath., apol. sec. 36f.; h. Ar. 16; 44,2–4. 5 58 Hilar., syn. 11. 59 De Clercq, 1954, 290. 60 One might assume that Constantine came to see that if he were to stay in the East, he would need a local expert as adviser, not a Westerner like Ossius. 61 For Athanasius see D.W.-H. Arnold, The Early Episcopal Career of Athanasius of Alexandria, Notre Dame 1991, 143–173. 62 L.W. Barnard, Pope Julius, Marcellus of Ancyra and the Council of Sardica. A reconsideration, in: Recherches de théologie ancienne et mediéval 38 (1971), 74.

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declaration of faith that Marcellus gave in Rome is the only original remaining text of his, and, for methodical reasons, any study of Marcellus’ theology has to start off with this text.63 Moreover, recent studies have shown that all the ideas in Marcellus’ Roman text are quite in keeping with what we know about him from other sources,64 for example from his opponent Eusebius. Marcellus, in his Roman justification of his theological views,65 first argued against “those who teach that the Son is a different hypostasis,” which presumably referred directly to Asterius and his supporters,66 but, in a more general way, aimed at all Eastern Origenists. He then quoted, as proof for his orthodoxy, not the Nicene creed but one resembling the Old Roman Creed, which by that time was the liturgical creed in Rome and is the ancestor of our present Apostles’ Creed. Finally, Marcellus gave his own views on the issue of the Trinity and interpreted the relation between God the Father and God the Son as “one substance” (mia ousia / hypostasis). This was in fact more than Nicaea had said. But Marcellus felt that Nicaea had not gone far enough in an anti-arian (and anti-origenistic) direction, and he succeeded in Rome in giving the impression that his mia hypostasis-terminology was identical with what the fathers of Nicaea had aimed at. The bishop of Rome, Julius, after asking his presbyters Vicentius and Victor, the participants from Nicaea, found that Marcellus’ views were quite in accordance with the doctrine of the church, and the Roman synod of 50 bishops agreed.67 This means that the first official Western statement in the trinitarian controversy was an adoption of the ideas of Marcellus of Ancyra as the correct and orthodox doctrine of the Trinity. The Roman synod did not demand a subscription to the creed of Nicaea itself, which was obviously not very well known in the Western parts of the Roman Empire in 341, nor did anybody mention the homoousios. Instead, they accepted Marcellus’ interpretation of the Trinity “as being in accordance with the theology of Nicaea.”68 But what the Western theologians received in A.D. 341 was in actual fact not the genuine Nicene theology, but Marcellus’ interpretation of

63 M. Tetz, Zum altrömischen Bekenntnis. Ein Beitrag des Marcellus von Ankyra, in: ZNW 75 (1984), 107–127; M. Vinzent, Die Gegner im Schreiben Markells an Julius von Rom, in: ZKG 105 (1994), 287. 64 K. Seibt, Die Theologie des Markell von Ankyra, Berlin 1994, 5f. 8. 430. 65 Epiph., haer. 72,2f. (GCS Epiphanius III, pp. 256–259) = Markell, fr. 129 (GCS Euseb IV, pp. 214f.). 66 Vinzent, 1994, 285–328. 67 Ath., apol. sec. 32,3. 68 Epiph., haer. 72,2.

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it, which gave the Nicene declaration an emphasis on the unity of the Trinity that was even stronger than in the Nicene creed itself.69 Of course we must ask why Marcellus’ ideas were so successful in Rome, and any answer to this question firstly should look to the theology of Tertullian that was still well-known in the West. Marcellus’ views were in some respects not too far away from Tertullian, particularly because Tertullian had spoken of una substantia in his important work Adversus Praxean.70 Una substantia was still acknowledged as orthodox in the West, and Marcellus’ mia ousia / hypostasis was the precise equivalent to it.71 This was a good reason for the synod of Rome to agree that Marcellus’ ideas were in accordance with the doctrine of the church. Nevertheless, there were also important differences between Tertullian’s and Marcellus’ theologies, especially since Marcellus did not take up Tertullian’s distinctio personarum72 and avoided talking about different personae in God the Father and God the Son. Therefore, theological affinity between Marcellus and Tertullian cannot be accepted as the only explanation for Marcellus’ success in the West. It secondly has to be said that Marcellus’ polemic against the origenist doctrine of “three hypostaseis” as being Arian must have reminded the Westerners of the heretic doctrine of “three substantiae” that as early as the third century had been regarded as theologically gruesome in the West.73 Thirdly, we also have to recall the general ecclesiastico-political situation in A.D. 340 which, under the circumstances of growing difficulties between East and West, made it easy for an Eastern refugee to gain political and also theological support in Rome. Despite the decision in Rome, Marcellus and Athanasius were of course not yet entirely satisfied, since the sentences against them were still in force in the East. So they tried to procure a general council of both East and West, and aimed at making the decision of Rome binding for the whole empire. The council of Serdica in 342 was supposed to find an agreement between 69 W.E.H. Turner, The pattern of Christian Truth, London 1954, 439 speaks of “Nicene extremism.” 70 Tert., Prax. 2,4; 12,7. 71 See above, no. 35. 72 Tert., Prax. 6,1; 7,5; 11,10; 12,4; 13,5; 14,1; 21,5. 73 See for example the little anecdote of Ossius’ interview with Narcissus of Neronias in A.D. 325 (Marcell., fr. 81), when Narcissus says that he believes in three realities (“Persons”) within God, what could be expressed by the term “three hypostaseis / ousia” in Greek, but Ossius of Cordoba takes him to mean that there were three substances in the Godhead, a view that was entirely impossible to accept. The little scene does not at all suggest that Ossius was versed in the Greek debates and terminology (Hanson, 1988, 200f.). The situation in Rome A.D. 340 might not have been much different.

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the Eastern and the Western part of the empire but, as is well known, it failed miserably. Leslie Barnard has written a thorough study of the proceedings of the Serdican council,74 so that it is possible to restrict ourselves to the creed of the Western part of the synod. The Western half of the council of Serdica consisted of about 95 bishops, 50–60% of them speaking the Greek language,75 and they drew up a creed,76 presumably first written in Greek and then translated into Latin. Theologically, this creed was entirely subjected to Marcellan influences. It emphasized the term mia hypostasis / Latin: una substantia and it strictly ruled out any ideas of two or three hypostaseis / Latin: substantiae as being Arian. Moreover, it held the difference between God the Father and God the Son to be insignificant, i.e. purely a matter of terminology. It stated that the Father differed only in name from the Son. This was in fact not far away from Sabellianism, the theological opposite extreme to Arianism. The Western creed of Serdica was an extremely rigid interpretation of Nicaea in one direction. We have Ossius’ letter written from the council to the Roman bishop Julius, in which Ossius says that the Serdican creed was not intended to remove the Nicene one,77 but it has to be recognized that in fact it was the Serdican creed, not the Nicene one that was widely spread in the Latin speaking West in the years after 342.78 Moreover, the “Western” Serdican creed was theologically dependent not upon early Western Trinitarian theology, but upon the Eastern exiles Marcellus and Athanasius. After Serdica, different regional councils took place that agreed with the Serdican decisions, namely the council of Gaul in 346,79 a synod in Carthage, perhaps in 347,80 and synods in Sicily and Sardinia,81 and in Spain, where Ossius bound his episcopal colleagues to the Serdican decisions.82 At

74 L.W. Barnard, The Council of Serdica 343 A.D., Sofia 1983. See also H. Hess, The Canons of Serdica A.D. 343. A Landmark in the Early Development of Canon Law, Oxford 1958. 75 J. Ulrich, Die Anfänge der abendländischen Rezeption des Nizänums, Berlin 1994, 91–95. 76 Critical text and German translation in:  Ulrich, Rezeption des Nizänums, 1994, 51–59. 77 EOMIA I/2, 644. 78 See the following notes no. 79–82. 79 Concilia Galliae (CChr.SL 148, p. 26). 80 G. Bardy, L’Occident et les documents de la controverse arienne, in: RSR 20 (1940), 40. 81 Hilar., frg. B II,2,5. 82 Mansi 3, 178.–See also T.D. Barnes, Athanasius and Constantius, Cambridge, 1993, 262, no. 47 and de Clercq, 1954, 407f.

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all these councils Western bishops concurred with the decisions and with the “Western,” in actual fact Marcellan, creed of Serdica. The first Western theologians in the fourth century who left small Latin tracts on the question of the Trinity, Phoebadius83 and Gregory of Elvira,84 took their ideas and views mainly from the creed of Serdica in 342 and not so much from that of Nicaea. Phoebadius, in his Contra Arrianos, written in order to reject the anti-nicene second creed of Sirmium (357) said that the Council of Serdica had “confirmed the decisions of Nicaea and rejected Arianism.”85 The theological differences between Nicaea and the Marcellan interpretation of Nicaea in Serdica were obviously not known to him. All arguments in his tract against the Arians are theologically influenced by the Serdican creed, not by the Nicene one.86 Although we have every reason to believe that Phoebadius knew a Latin version of the Nicene creed,87 he doesn’t make any use of it. Instead, he insists on the Serdican term una substantia, but astonishingly with explicit reference to the decisions of Nicaea,88 although in actual fact una substantia (or Greek mia hypostasis) had played no role in Nicaea at all. On the other hand, nowhere does Phoebadius mention the Nicene homoousios or a Latin equivalent of it. The summary of his Contra Arrianos reads as follows: ut fides catholica confitetur, unam substantiam et duas docuit esse personas.89 This is the una substantia / (mia hypostasis)-theology of Serdica combined with Tertullian’s distinctio personarum.90 The brief tract clearly shows that in matters of the Trinity Phoebadius was still a disciple of Tertullian and that he, as far as the Arian controversy was concerned, regarded the theology he knew from the texts of Serdica as being identical with what the fathers in Nicaea had said. Gregory of Elvira, in his first version of his De fide orthodoxa, is also influenced by the theology of Serdica and its strong emphasis on the unity in 3 Phoebadius, Contra Arrianos, written in early 358 (CChr.SL 64, pp. 3–52). 8 84 Gregory of Elvira, De fide orthodoxa, first version written about 360, the second version about 364 (CChr.SL 69, pp. 217–247). 85 Phoebadius, Contra Arrianos 28,2f. 86 See Ulrich, Rezeption des Nizänums, 1994, 159–194: Common ideas in Phoebadius’ tract and in the Western creed of Serdica: Both texts speak of equal eternity of God Father and Son; both see the difference between them in their different names; both say that the idea of different hypostaseis is from Arius (which, in fact, isn’t quite true–it is Origen’s) and that it tends to split up Father and Son; both authors argue against the “arian snakes” Valens and Ursacius. 87 From Hilarius’ Liber against Valens et Ursacius = Hilar., frg. B 2,10, which had been sent from Hilarius’ exile in the east to Gaul in early A.D. 357. 88 Phoebadius, Contra Arrianos 6,3. 89 Phoebadius, Contra Arrianos 14,3. 90 Tert., Prax. 6,1; 7,5; 11,10; 12,4; 13,5; 21,5.

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the Godhead.91 It is most interesting that Gregory, after the orthodoxy of the first version of his tract De fide orthodoxa had been put into question (like the creed of Serdica-West, it was not far away from Sabellianism), then put a Latin translation of the creed of Nicaea at the head of the second version, in order to prove the orthodoxy of his revised text. This is, to our knowledge, the first instance that a theologian from the Latin-speaking West used the actual text of the Nicene creed as a proof for his orthodoxy in matters of the Trinity. Moreover, the little scene shows that by the time of the second edition of De fide orthodoxa the text of the Nicene creed itself must already to some extent have been known in the West, otherwise it would not have made any sense to use it as a preface for a revised tract on the Trinity. But the date of the second edition of Gregory’s De fide orthodoxa is about A.D. 364, almost forty years after Nicaea! And yet, it was only the third mention of a Latin version of the Nicene creed in the sources that have remained, after Hilary of Poitiers in 35792 and Lucifer of Calaris in 358.93 How little the Nicene creed of 325 was known in the West until the end of the fifties is most clearly shown by a quotation of the comparatively very learned bishop Hilary in his Liber de Synodis. He frankly says that before he was about to be sent into exile (scil. in A.D. 356!) he had never heard anything about the Nicene creed!94 According to all that we know, this statement can by no means be taken as an exception, but rather as a reflection of the general theological situation in the West. As is well known, Hilary, in his exile in the East from A.D. 356 onwards,95 soon became better informed about the theological implications of the Arian controversy and then became the most important person to introduce the West to the theology of Nicaea –and to the Nicene creed itself.

91 See Ulrich, Rezeption des Nizänums, 1994, 195–216: Like the Western creed of Serdica, Gregory speaks of the difference in name between God Father and Son, emphazises the unitatem substantiae (Fid.orth. 5), regards the term unius substantiae as Nicene (in fact he translates the Greek homoousios in the Nicene creed with unius substantiae) and cites the same arsenal of objections against his opponents as the creed of Serdica had done. 92 Hilar., frg. B II,10 and De Syn. 84. 93 Lucif., De non parc. 18.–For the earliest Latin translations of the Nicene creed see G.L. Dossetti, Il simbolo di Nicea e di Constantinopoli, Rome 1967, 91f. 94 Hilar., syn. 91.–During his exile, however, he got in touch with theologians from the East, especially with the Homoiousians, and then was perfectly ready to see them as defenders of (the Nicene) orthodoxy. In his Liber de Synodis seu Fide Orientalium he tries to convince his Western colleagues in Gaul of this view. 95 See R. Williams, Reassessment of the Early Career and Exile of Hilary of Poitiers, JEH 42 (1991), 202–217.

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It took almost forty years until Latin theologians such as Gregory of Elvira began to receive the text of the Nicene creed and to use it as the guiding principle of orthodoxy in matters of the Trinity. And it was well into the sixties of the fourth century, almost half a century after the first ecumenical council in A.D. 325, when Latin speaking theologians entered into the debates about the theology of Nicaea and then started to become more independent and more constructive partners in the search for the Christian doctrine of God, such as Marius Victorinus, Ambrose of Milan, and finally, of course, the founder of a distinctive Western theological tradition in questions of the Trinity after Nicaea, Augustine of Hippo.

Wallfahrt und Wallfahrtskritik bei Gregor von Nyssa* Ziemlich erratisch steht die Wallfahrtskritik eines Gregor von Nyssa1 im zeitlichen und ideologischen Umfeld des vierten Jahrhunderts. In einer Phase, in der die Wallfahrt von Christen ins Heilige Land und nach Jerusalem, massiv gefördert durch die seit Konstantin dem Großen zu beobachtende Religionspolitik einschließlich der einschlägigen Bauprogramme, einen vorher nicht gekannten „Boom“ erlebt, wirkt seine warnend-kritische Stimme fremd. Hinzu kommt, daß er mit seiner Kritik scheinbar in einer erheblichen Spannung zu seinem eigenen Verhalten und einer Bewertung desselben steht:  Gregor von Nyssa war einige Zeit vor seinen warnenden Äußerungen zum Wallfahrtswesen selbst pilgernder Besucher der heiligen Stätten gewesen und hatte sich in den Erinnerungen an seine Fahrt positiv dazu geäußert. Die seit langem diagnostizierte Spannung zwischen Gregors positiver Teilung eigener Pilgererlebnisse (ep. 3) auf der einen und scharfer Wallfahrtskritik (ep.  2) auf der anderen Seite ist bislang auf dreierlei Weise erklärt worden: Die erste Lösung war literarkritischer Art, indem man ep. 2 Gregor abzusprechen pflegte. Doch hat Bernhard Kötting in seinem Aufsatz über „Gregor von Nyssa’s Wallfahrtskritik“2 darauf aufmerksam gemacht, daß eine solche Bestreitung, forschungsgeschichtlich gesehen, allein aus den konfessionell geprägten Auseinandersetzungen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts resultierte, in welchen die Protestanten sich auf Gregors Kritik am Pilgern beriefen und manche der Katholiken sich ihrer durch Behauptung der Unechtheit des Textes ep. 2 entledigen zu können meinten.3 Eine solche

Zuerst erschienen in: ZAC 3 (1999), 87–96. * 1 Einschlägig sind die Briefe 2 und 3: Gregorii Nysseni Opera VIII 2, Epistulae, Leiden 1959, 13–19 Pasquali (ep. 2); 19–27 Pasquali (ep. 3). Text und französische Übersetzung: SC 363, Paris 1990, 106–123 Maraval (ep. 2); 124–147 Maraval (ep. 3); deutsche Übersetzung: BGrL 43, Stuttgart 1997, 39–43 Teske (ep. 2); 43–49 Teske (ep. 3). 2 B. Kötting, Gregor von Nyssa’s Wallfahrtskritik, StPatr 5, 1962, 360–367; wiederabgedruckt in: id., Ecclesia peregrinans. Das Gottesvolk unterwegs. Gesammelte Aufsätze, MBTh 54,2, Münster 1988, 245–251. 3 Kötting, 1962, 367. Weitere Titel bei M. Altenburger / F. Mann, Bibliographie zu Gregor von Nyssa. Editionen – Übersetzungen – Literatur, Leiden 1988, 283. 352. Vgl. v. a. R. Staats, Gregor von Nyssa und das Bischofsamt, in: ZKG 84 (1973), 150f. Anm. 5.

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Wallfahrt und Wallfahrtskritik bei Gregor von Nyssa

Funktionalisierung der Kirchengeschichtsschreibung und ihrer Methoden im Sinne der Bereitstellung eines konfessionalistisch geprägten Argumenten­ arsenals wird heute niemand mehr mittragen wollen. Da sprachliche oder überlieferungsgeschichtliche Argumente für eine literarkritische Operation an ep. 2 nicht zu erkennen sind, wird diese erste mögliche Lösung heute zu Recht nicht mehr vertreten. Die zweite mögliche Erklärung akzeptiert die Zuschreibung beider Texte an Gregor und nimmt einen größeren zeitlichen Abstand zwischen beiden Briefen an.4 Man kann so eine Entwicklung, genauer einen Bruch bei Gregor von Nyssa in seiner Einstellung zum Pilgerwesen unterstellen: Während seines Aufenthaltes in Jerusalem und bei der unmittelbar daran anschließenden Abfassung der ep. 3 habe Gregor dem Pilgerwesen noch positiv gegenübergestanden; bei Abfassung der ep. 2 habe sich diese Einstellung, auch unter dem Eindruck problematischer Auswüchse des Wallfahrtswesens, dann ins Ablehnende gewandelt. Die dritte Lösung schließlich übernimmt von der zweiten die These eines gewissen zeitlichen Abstands zwischen den beiden Briefen, harmonisiert dann aber ep. 2 und ep. 3 zugunsten der Tendenz in letzterer und behauptet, daß sich Gregor in der ep. 2 „nur“ gegen Dekadenzerscheinungen im christlichen Pilgerwesen wende, während seine grundsätzliche theologische Einstellung zum Wallfahren weiterhin (wie in ep. 3) eine positive sei. Wenn ich recht sehe, ist diese dritte Lösung die im Moment in der Forschung weitgehend akzeptierte, nicht zuletzt unter dem Eindruck der grundlegenden Arbeiten zum Pilgerwesen in der Antike von Bernhard Kötting,5 unter denen sich auch seine Analyse der Gregorbriefe findet.6 Die gerade erschienene Übersetzung und Erläuterung der Gregoriusbriefe durch Dörte Teske steht an den fraglichen Stellen in der Linie Köttings.7 Doch tauchen hierbei große Probleme auf: Zunächst haben neuere Arbeiten zur Chronologie des Gregor von Nyssa deutlich gemacht, daß der zeitliche Abstand

4 So Kötting, 1962, 360f.: Er veranschlagt einen Zeitraum zwischen den beiden Briefen von vier bis sechs Jahren: 379–383/385. 5 V. a. der Titel Peregrinatio religiosa. Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der alten Kirche, Münster 21980, und die gesammelten Aufsätze: Ecclesia peregrinans (wie Anm. 2), Bde. 1 und 2. 6 Siehe Anm. 2. 7 D. Teske, BGrL 43 (wie Anm. 1), Anm. 29: „Gregor warnt in Brief 2 vor allem vor den mit der Reise verbundenen Gefahren für die Keuschheit, und wenn er den Adressaten darauf hinweist, daß eine Läuterung von körperlichen Anfechtungen eher zum Herrn führt als eine Pilgerfahrt nach Jerusalem, schließt das nicht aus, daß einer solchen Reise unter anderen Reisebedingungen, wie z. B. er selbst sie hatte, nichts im Wege steht.“

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zwischen beiden Briefen viel geringer ist als früher oft angenommen: Mittlerweile datiert man die Jerusalemreise Gregors in die zweite Hälfte des Jahres 381, die ep.  3 an das Ende desselben Jahres und die ep.  2 an den Beginn des darauffolgenden Jahres, 382.8 Eine noch viel größere Schwierigkeit aber hängt damit zusammen, daß einige derjenigen Kritikpunkte, die Gregor in seiner ep. 2 gegen das Pilgern vorbringt, sehr grundsätzlicher Art sind und sich mitnichten unter dem Etikett des Protestes gegen unliebsame Auswüchse einordnen (und so ja auch in gewisser Weise relativieren) lassen: Kann man den von Gregor geäußerten Vorwurf zu großer Freizügigkeit in den Pilgerunterkünften,9 kann man seinen Hinweis auf Verstöße gegen das Gesetz der Keuschheit auf Pilgerreisen,10 kann die Aufzählung der sich dort ereignenden Verfehlungen, nämlich Prostitution, Ehebruch, Diebstahl, Götzendienst, Giftmischerei, Intrige und Mord11 durchaus im Sinne der Kritik an faktisch aufgetretenen schweren Mißständen begreifen, so muß man doch auf der anderen Seite sehen, daß er in seiner ep. 2 eine ganze Anzahl wohlabgewogener Einwände exegetischer und dogmatischer Art gegen das Pilgern vorbringt, die sich keineswegs auf Protest gegen Dekadenzerscheinungen im praktischen Pilgerbetrieb der Zeit reduzieren lassen, sondern grundsätzliche theologische Anfragen an das Wallfahren formulieren. Nimmt man dies ernst, so erweist sich Köttings Erklärung der Spannungen in Gregors Aussagen über das Wallfahren als nicht mehr durchführbar. Damit taucht erneut die Frage auf: In welchem Verhältnis zueinander stehen Gregors scheinbar so unterschiedliche Aussagen zum Wallfahren?12 Gregor von Nyssa kennt das Wallfahren aus eigener Anschauung: Bei seiner Jerusalemreise in der zweiten Jahreshälfte 381 hat er die heiligen Stätten persönlich besucht. Ein besonderes religiöses Bedürfnis hat ihn nicht dorthin geführt: Er hat als Vermittler zwischen Vorstehern der Kirchen in Jerusalem 8 Siehe hierzu D. Teske, BGrL 43 (wie Anm. 1), 29–31 und, grundsätzlicher zu den Fragen um die Gregor-von-Nyssa-Chronologie G. May, Die Chronologie des Lebens und der Werke des Gregor von Nyssa, in: M. Harl (ed.), Écriture et culture philosophique dans la pensée de Grégoire de Nysse. Actes du colloque de Chevetogne, Leiden 1971, 51–66; unter Aufnahme und teilweiser Korrektur der Arbeiten von J. Daniélou, Le mariage de Grégoire de Nysse et la chronologie de sa vie, in: REAug 2 (1956), 71–78; La chronologie des sermons de Gregoire de Nysse, in: RevSR 29 (1955), 346–372; La chronologie des œuvres de Grégoire de Nysse, StPatr 7, 1966, 159–169. 9 Ep. 2,7. 10 Ep. 2,6. 11 Ep. 2,10. 12 Die Zitate des Griechischen folgen der Edition von G. Pasquali, die Übersetzungen (sofern nicht anders vermerkt) der vorzüglichen deutschen Wiedergabe von D. Teske (beide wie Anm. 1).

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gedient. Die Anreise fand durch Benutzung der kaiserlichen Post gemeinsam mit Brüdern aus Kirche und Kloster bei Psalmengesang und Fasten für den Herrn statt.13 Mit diesen Mitbrüdern hat er dann auch am Pilgerbetrieb teilgenommen. Seine Erfahrungen auf dieser Fahrt sind positiv gewesen: Er formuliert im Rückblick, die Wallfahrt verursache „eine solche Freude, daß die Wiedergabe des Guten Worte übersteigt“.14 Gregor äußert sich aber in ep.  3 nicht nur in allgemeiner Weise positiv über seinen Aufenthalt in Jerusalem,15 er sagt auch, worauf sich seine Freude gründet, und nennt dabei zwei Aspekte:  „Mein Zusammentreffen mit den guten und mir lieben Menschen sowie die Kennzeichen der großen Liebe des Herrn zu uns, die an den Orten gezeigt werden, wurden für mich Gegenstand größter Freude und Glücks.“16 Fragt man nun nach einer Verhältnisbestimmung dieser beiden von Gregor genannten Gesichtspunkte, so kann man zunächst auf die auffällige Reihenfolge verweisen:  Das „Zusammentreffen (συντυχία) mit den guten und mir lieben Menschen“ scheint der entscheidende Punkt, scheint der dominierende Grund für seine Freude zu sein, er wird keineswegs zufällig an exponierter Position zu Anfang des Briefes an erster Stelle genannt. Der Kontext bestätigt dies, ja präzisiert die Verhältnisbestimmung gar noch: Daß die in Jerusalem material zu besichtigenden „Kennzeichen der großen Liebe des Herrn zu uns“ überhaupt als solche wahrgenommen werden können, hängt von dem „Zusammentreffen mit Seelen, an denen solche Zeichen für Gottes Gnade geistlich wahrgenommen werden“17 geradezu ab. Kriterium für Gregors große Freude an seiner Jerusalemwallfahrt ist die Erkenntnis der an seinen Mitreisenden wahrnehmbaren Gnade und Liebe Gottes. Auf zwei Differenzierungen kommt es für dieses Verständnis der ep. 3 des Gregor an: Erstens geht es um das πνευματικῶς θεωρεῖν, das „geistliche 3 Ep. 2,13. 1 14 Ep.  3,3:  τοσαύτης […] χαρᾶς, ὥστε ὑπὲρ λόγον εἶναι τοῦ ἀγαθοῦ τὴν διήγησιν. 20,26f. P. (Übersetzung: 44 T.). 15 Einmal abgesehen von dem im Fortgang von ep. 3 berichteten Konflikt (vgl. dazu P. Maraval, La lettre 3 de Grégoire de Nysse dans le débat christologique, in: RSR 6 [1987], 74–89); der Passus hat mit den Aussagen über das Pilgerwesen nichts mehr zu tun und kann deshalb hier außer Acht bleiben. 16 Ep. 3,1: Ἡ μὲν τῶν ἀγαθῶν καὶ καταθυμίων μοι συντυχία καὶ τὰ γνωρίσματα τῆς μεγάλης τοῦ δεσπότου ὑπὲρ ἡμῶν φιλανθρωπίας τὰ ἐν τοῖς τόποις δεικνύμενα τῆς μεγίστης ἐγένετό μοι χαρᾶς τε καὶ εὐφροσύνης ὑπόθεσις· 19,17–20,3 Ρ. (Übersetzung: 43 Τ.: Jedoch übersetze ich γνωρίσματα mit „Kennzeichen“ zur Unterscheidung vom später benutzten ὑπομνήματα „Denkmäler“). 17 Ep. 3,1: […] διὰ τοῦ ψυχαῖς συντυχεῖν ἐν αἷς τὰ τοιαῦτα τῆς τοῦ κυρίου χάριτος σημεῖα πνευματικῶς θεωρεῖται, […] 20,6f. Ρ, (Übersetzung: 43 Τ.: Jedoch übersetze ich πνευματικῶς mit „geistlich“ statt „geistig“.).

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Wahrnehmen“,18 das gegenüber dem αἰσθητῶς ἰδεῖν,19 dem Ansehen des Materialen, eine neue, tiefere Dimension eröffnet. Und zugleich geht es um die Unterscheidung dessen, was man sieht: Zwar kann man im Blick auf die Pilgerstätten die „Kennzeichen“ oder die „rettenden Symbole des uns lebendig machenden Gottes“20 anschauen, aber es handelt sich hierbei eben „nur“ um γνωρίσματα21 bzw. σύμβολα;22 es bedarf aber, über das Sehen dieser σύμβολα hinausgehend, der geistlichen Wahrnehmung der ὑπομνήματα,23 der „Denkmäler“, oder der σημεῖα,24 „der deutlichen Zeichen dieser Orte“ (τῶν τοιούτων τόπων ἐναργῆ τὰ σημεῖα).25 Und diese deutlichen Zeichen für Gottes Gnade sieht Gregor nicht in den heiligen Stätten als solchen, sondern in den an diesen Stätten anwesenden Seelen, in den frommen Mitreisenden, ἐν ὑμίν26. Es ist diese Denkfigur, die die gesamte Argumentation des Passus ep. 3,1b.2 entscheidend bestimmt. Die theologische Vorordnung des geistlichen Wahrnehmens deutlicher Zeichen an den Mitchristen vor alle Betrachtung der materialen Symbole heiliger Stätten führt Gregor gar zu der pointierten Aussage, daß es im Zusammentreffen mit den von Christus ergriffenen Seelen dazu komme, „daß man glaubt, daß wirklich im Herzen dessen, der Gott besitzt, Bethlehem, Golgatha, der Ölberg und die Anastasis ist“.27 Nur an demjenigen werden also die „Denkmäler der Liebe des Herrn geschaut“,28 in dem „Christus Gestalt angenommen hat“, „der mit Gottesfurcht sein Fleisch 8 Siehe vorige Anm. 1 19 Siehe unten Anm. 32. 20 Ep. 3,1: […] τὰ σωτήρια σύμβολα τοῦ ζωοποιήσαντος ἡμᾶς θεοῦ […] (20,5 Ρ.). 21 Εp. 3,1 (Anm. 16). 22 Εp. 3,1 (Anm. 20); die gleiche Terminologie ep. 2,2 (14,1 P.). 23 Ep. 3,2 (20,22 P.). 24 Ep. 3,1 (20,7 P.). 25 Ep. 3,3 (20,25f. P.). 26 Ep. 3,3 (20,25 P.). 27 Ep.  3,1:  […] ὥστε πιστεύειν ὅτι ἀληθῶς ἐν τῇ καρδίᾳ ἐστὶ τοῦ τὸν θεὸν ἔχοντος ἡ Βηθλεὲμ ὁ Γολγοθᾶς ὁ Ἐλαιὼν ἡ Ἀνάστασις. (Übersetzung: 43 Τ.; ich ändere allerdings die Übersetzung „Stelle der Auferstehung” in „Anastasis”, weil es sich hier m. E. – im Sinne der „sichtbaren Dinge“ – auf das die Stelle bezeichnende berühmte Gebäude beziehen muß). 28 Ep. 3,2: ἐν οἷς τὰ ὑπομνήματα τῆς τοῦ δεσπότου ὑπὲρ ἡμῶν φιλανθρωπίας ὁρᾶται. 20,21–23 P. (Übersetzung: 44 T.) – Der Kontext, insbesondere die Aufzählung ep. 3,2, zeigt ganz deutlich, daß das κατωνομασμένων (20,21 P.), auf das sich der Relativsatz bezieht, auf die Menschen, nicht auf die Stätten gedeutet werden muß, so völlig zu Recht D. Teske, BGrL 43 (wie Anm. 1), Anm. 32. – Daß Gregor hier ὑπομνήματα anstelle des sonst benutzten σημεῖα verwendet, beinhaltet keine Bedeutungsverschiebung, wie der Kontext zeigt. – ὁρᾶται ist hier im Sinne des geistlichen Schauens benutzt.

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angenagelt hat“, der „mit Christus gekreuzigt ist“, der „den schweren Stein des irdischen Truges von sich gewälzt hat“, der „aus dem Grab des Körpers herausgegangen ist, um in einem neuartigen Leben zu wandeln“, der „das materielle und niedrige Leben der Menschen verlassen“ hat usw.29 Die hier vorgelegte Interpretation von ep.  3 bestreitet mithin eine Deutung jenes Briefes im Sinne einer uneingeschränkten Bejahung des Wallfahrens durch Gregor von Nyssa. Vielmehr präsentiert Gregorius bereits in ep. 3 ein klares theologisches Kriterium, mit dem er sein Wallfahrtserlebnis beurteilt:  Es ist die Gestaltgewinnung Christi in den mitreisenden Pilgern, die über alles Wallfahren zu heiligen Stätten urteilen hilft. Die entscheidende positive Erfahrung, die Gregor auf seiner Pilgerfahrt gemacht hat, war die der geistlich wahrnehmbaren Anwesenheit Gottes, der Gestaltgewinnung Christi in den Herzen seiner Mitreisenden; und erst von daher erschlossen sich die äußerlich sichtbaren Stätten Bethlehem, Golgatha, Ölberg und Anastasis. Damit wird der religiöse Wert der Wallfahrt nach Jerusalem aus dem eigenen Erleben sowohl bestätigt als auch relativiert. Als σύμβολα sind Bethlehem, Golgatha, der Ölberg etc. im heiligen Land zu besichtigen. Als σημεῖα der Gegenwart Gottes sind sie für Gregor aber nicht an die topographische Lage der jeweiligen Stätte gebunden: Als solche werden sie vielmehr nur in den Herzen der Christen wirklich. Zwar kann Gregor im Rückblick auf seine eigene Reise sagen: „Durch beides [scil. heilige Stätten und gläubige Menschen] wurde mir der Sinn des gottgemäßen Festes offenbart“;30 aber die heiligen Stätten haben eine solche Wirkung nur zu entfalten vermocht, weil er hier Menschen angetroffen hat, „an denen die Denkmäler der Liebe des Herrn zu uns geschaut werden“.31 Es sind die die Orte bereisenden Menschen, die die ὑπομνήματα in sich tragen, nicht die Orte selbst. Gregor faßt zusammen: „Da ich nun einerseits mit meinen Sinnen die heiligen Orte sah und andererseits an Euch deutliche Zeichen dieser Orte sah, erfüllte mich eine solche Freude, daß die Wiedergabe des Guten Worte übersteigt.“32 Hat man gesehen, daß Gregor von Nyssa bereits in der ep.  3 trotz und gerade angesichts seiner eigenen positiven Erfahrungen mit seiner

9 Ep. 3,2. 2 30 Ep. 3,1: δι' ἀμφοτέρων γὰρ ἐδηλώθη μοι ἡ κατὰ θεὸν ἑορτή, […] 20,3f. Ρ. (Übersetzung: 43 Τ.). 31 Siehe Anm. 28. 32 Ep. 3,3: Ἐπειδὴ τοίνυν εἶδον μὲν καὶ αἰσθητῶς τοὺς ἁγίους τόπους, εἶδον δὲ καὶ ἐν ὑμῖν τῶν τοιούτων τόπων ἐναργῆ τὰ σημεῖα, τοσαύτης ἐπληρώθην χαρᾶς, ὥστε ὑπὲρ λόγον εἶναι τοῦ ἀγαθοῦ τὴν διήγησιν. 20,24–27 Ρ. (Übersetzung: 44 Τ.: Ich übersetze jedoch auch beim zweiten εἶδον „ich sah“: Die Qualifizierung des jeweiligen „Sehens“ und die damit gegebene Qualifizierung bringt Gregor durch Adverbien bzw. Näherbestimmungen zum Ausdruck).

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Jerusalemreise durchaus ein klares theologisches Kriterium bereitstellt, an dem das Pilgern zu beurteilen ist, kann man sich nun der Kritik am Wallfahren zuwenden, wie er sie in seiner nur wenig später verfaßten ep. 2 äußert. Hinter der ep.  2 des Gregor von Nyssa an den sonst nicht bekannten Kensitor33 steht ganz offensichtlich eine konkrete und aktuelle Auseinandersetzung um Sinn und Unsinn des Pilgerns.34 Im Phänomen Wallfahren, so Gregor, artikuliere sich ein weitverbreitetes religiöses Bedürfnis: Es gebe einige, „für die es zur Frömmigkeit gehört, die Orte in Jerusalem zu besichtigen, an denen die Symbole (σύμβολα) des fleischlichen Aufenthaltes des Herrn zu sehen sind“.35 Im Blick auf dieses religiöse Bedürfnis trägt Gregor nun einige exegetische und dogmatische Bemerkungen vor. Unter den exegetischen Gesichtspunkten ist zunächst das Argument zu nennen, daß der Herr das Wallfahren nirgends überhaupt erwähnt oder gar geboten habe: „Wenn es aber nicht zu den Geboten des Herrn gehört, dann verstehe ich nicht, worin der Auftrag liegt“.36 Nun werde, so Gregor hiergegen auf Act 1,4 hingewiesen, daß nach dem Gebot des Herrn die Jünger sich nicht von Jerusalem entfernen sollten.37 Doch dies entkräftet er mit Job 3,8, daß der Geist weht, wo er will, und mit Röm 12,6 daß man der Gnade nach Maßgabe des Glaubens teilhaftig werde.38 Mit beiden Belegstellen schließt er bestehende theologische Auffassungen vom Wallfahren dezidiert als Fehlurteile aus, nämlich die vermeintliche (besondere) bleibende Bindung Gottes an heilige Stätten (dies hatte er auch schon ep. 3 abgelehnt) und die falsche Auffassung der vermeintlichen Heils- und Gnadenwirkung einer Jerusalemreise.39 Gregor setzt sich aber keineswegs ausschließlich biblisch mit dem Wallfahren auseinander.40 Interessanterweise nimmt er nämlich in ep.  2 genau

33 Es ist nicht einmal ganz sicher, ob es sich um einen Namen oder um eine Amtsbezeichnung handelt; vgl. D. Teske, BGrL 43 (wie Anm. 1), Anm. 17. 34 Hierauf weisen Stellen wie ep. 3,11 (Abwägung von Argument und vorgebrachtem Gegenargument) und ep. 3,18 (Kontroverse über heranzuziehende Schriftstellen). 35 Ep. 2,2: […] οἷς ἐν μέρει εὐσεβείας νενόμισται τὸ τοὺς ἐν Ἱεροσο λύμοις τόπους ἰδεῖν, ἐν οἷς τὰ σύμβολα τῆς διὰ σαρκὸς ἐπιδημίας τοῦ κυρίου ὁρᾶται, […] 13.14 – 14.2 Ρ. (Übersetzung: 40 Τ.) 36 Ep. 2,2: […] εἰ δὲ ἔξω ἐστὶ τῶν ἐντολῶν τοῦ δεσπότου, οὐκ οἶδα τί θέλει […] 14,5f. P. (Übersetzung: 40 T.). 37 Ep. 2,18. 38 Ep. 2,19. 39 Daß beide Auffassungen unter denen, „für die es zur Frömmigkeit gehört, die Orte in Jerusalem zu besichtigen“, vorkamen, steht außer Frage. Für die erste vgl. Cyrill, Hier., cat. 13,22; Hier., ep. 46,5; 58,3; 108,9f.; für die zweite Cyrill, Hier., myst. cat. 2,5. 40 Schon gar nicht „biblizistisch“ (gegen Staats, 1973, 105f. Anm. 5). Auch der im ersten Moment biblizistisch anmutende Hinweis auf das Fehlen eines

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jenes Kriterium wieder auf, das er in ep.  3 schon benutzt und mit Hilfe dessen er die Erfahrungen auf seiner eigenen Pilgerfahrt (positiv) bewertet hatte: Die Anwesenheit Gottes, so sagt er, ist aus dem Sichtbaren nicht zu erweisen.41 Die Anwesenheit Gottes ist allein im Blick auf den „inneren Menschen“42 zu erweisen, sie ist allein daran zu ermessen, ob und inwieweit Gott in uns Gestalt gewinnt. „Wenn Du aber den inneren Menschen voller schlimmer Gedanken hast, ob Du auf dem Golgatha bist oder auf dem Ölberg oder am Grabmal der Auferstehung, Du bist dann so weit davon entfernt, den Herrn in Dir aufzunehmen wie die, die sich überhaupt nicht zu ihm bekennen.“43

Golgatha, so könnte man aus ep. 3 ergänzen, ist nur im Herzen dessen, der Gott besitzt. Ist das Kriterium der „Einwohnung Gottes“ hingegen nicht erfüllt, so ist die Wallfahrt nach Jerusalem als solche nutzlos: „Welchen Nutzen wird der haben, der an jene Orte gekommen ist, als ob der Herr sich bis jetzt körperlich an jenen Orten aufhalte, von uns aber sich entferne, oder als ob der Heilige Geist bei den Einwohnern von Jerusalem in Fülle vorhanden sei, zu uns aber nicht herüberkommen könnte?“44 Ganz in der Linie von ep. 3 argumentiert Gregor auch ep. 2 gegen den Erweis der Anwesenheit Gottes aus dem äußerlich Sichtbaren: Ironisch sagt er, wenn man die Anwesenheit Gottes (θεοῦ παρουσίαν)45 aus dem Sichtbaren (ἐκ τῶν φαινομένων)46 erweisen könne, dann halte sich Gott wohl eher bei den Kappadokiern auf als anderswo, denn bei den Kappadokiern gebe es eine größere Anzahl an Altären als sonstwo in der Welt.47 Die Anwesenheit Gottes hängt jedoch nicht vom äußerlich sichtbaren Ort ab, sondern von der geistlich wahrnehmbaren Einwohnung des Herrn in den Christen. Analog zu seinem Argument aus ep. 3 formuliert Gregorius deshalb in ep. 2: „Denn die Nähe zu Gott schafft nicht die örtliche Veränderung, sondern Gott wird,

Wallfahrtsgebotes in den Geboten des Herrn ist ja nur von der Gesamtargumentation her verständlich. 41 Ep. 2,9. 42 Zu dieser Metapher siehe C. Markschies, Innerer Mensch, in: RAC 18 (1997), 266–312; zu Gregor von Nyssa ebd. 300. 43 Ep.  2,17:  εἰ δὲ πλήρη ἔχεις τὸν ἔσω ἄνθρωπον λογισμῶν πονηρῶν, κἂν ἐπὶ τοῦ Γολγοθᾶ ᾖς κἂν ἐπὶ τοῦ ὄρους τῶν Ἐλαιῶν κἂν ὑπὸ τὸ μνῆμα τῆς Ἀναστάσεως, τοσοῦτον ἀπέχεις τοῦ τὸν Χριστὸν δέξασθαι ἐν ἑαυτῷ ὅσον οἱ μηδὲ τὴν ἀρχὴν ὁμολογήσαντες. 18,13–17 P. (Übersetzung: 42f. T.). 44 Ep. 2,8. 45 16,1f. P. 46 16,1 P. 47 Ep. 2,9.

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wo immer Du sein magst, zu Dir kommen, wenn die Herberge Deiner Seele so befunden wird, daß der Herr in Dir wohnen und in Dir gehen kann.“48 Nimmt man das Kriterium der Einwohnung des Herrn im „inneren Menschen“ ernst, so lösen sich auch die scheinbaren Widersprüche in Gregors Urteil über die Jerusalemwallfahrt auf: Angesichts seines Zusammentreffens mit „guten und mir lieben Menschen“ in Jerusalem konnte Gregor in ep. 3 sagen, daß ihm der Sinn des gottgemäßen Festes offenbar geworden sei, und kann gleichzeitig in ep. 2 schreiben, daß er durch die Wallfahrt als solche keine neue oder gar tiefere Dimension seines Glaubens entdeckt habe: Denn daß der erschienene Christus der wahre Gott ist, bekannten wir sowohl bevor wir an dem Ort waren als auch danach; unser Glaube war (vorher) weder kleiner noch danach größer; auch die Menschwerdung durch die Jungfrau kannten wir vor Bethlehem; an die Auferstehung von den Toten glaubten wir auch, bevor wir das Grab sahen, und daß die Auffahrt in den Himmel wahr ist, das glaubten wir auch, ohne den Ölberg zu sehen.49

Erst von dem grundlegenden theologischen Kriterium der Einwohnung des Herrn im „inneren Menschen“ aus erhalten nun auch die von Gregor formulierten Vorwürfe hinsichtlich der Auswüchse auf den Pilgerreisen ihren Stellenwert. Einige seiner Einwände richteten sich ja, wie oben bereits gezeigt, gegen faktische Mißstände beim Pilgern, vor allem gegen Verstöße gegen das Gesetz der Keuschheit.50 Wenn es aber zutrifft, daß das Wallfahren die Gefahr eines Verstoßes gegen solche Gesetze eher erhöht als verringert, dann wird die Möglichkeit der Gestaltgewinnung Christi in den Christen durch das Pilgern eher reduziert als vergrößert. Die vorfindlichen Dekadenzerscheinungen des Pilgerwesens verhindern jede mögliche geistliche Schau der deutlichen Zeichen der Liebe des Herrn in den Gläubigen. Und so ist es allemal besser, auf eine Wallfahrt zu verzichten und „vom Körper weg zum Herrn aufzubrechen als von Kappadokien nach Palästina“.51 48 Ep. 2,16: θεοῦ γὰρ προσεγγισμὸν τοπικὴ μετάστασις οὐ κατεργάζεται, ἀλλ' ὅπουπερ ἂν ᾖς, πρὸς σὲ ἥξει ὁ θεός, ἐάν γε τὸ τῆς ψυχῆς σου καταγώγιον τοιοῦτον εὑρεθῇ, ὥστε ἐνοικῆσαι τὸν κύριον ἐν σοὶ καὶ ἐμπεριπατῆσαι. 18,10–13 Ρ. (Übersetzung: 42 Τ.). 49 Εp.  2,15:  ἡμεῖς γὰρ τὸν ἐπιφανέντα Χριστὸν εἶναι θεὸν ἀληθινὸν ὡμολογήσαμεν καὶ πρὶν ἐπὶ τοῦ τόπου γενέσθαι καὶ μετὰ ταῦτα, οὔτε τῆς πίστεως ἐλαττουμένης οὔτε μετὰ ταῦτα προσαυξηθείσης, καὶ τὴν διὰ τῆς παρθένου ἐνανθρώπησιν καὶ πρὸ τῆς Βηθλεὲμ ἠπιστάμεθα, καὶ τὴν ἐκ νεκρῶν ἐξανάστασιν καὶ πρὸ τοῦ μνήματος ἐπιστεύσαμεν, καὶ τὴν εἰς οὐρανοὺς ἀνάβασιν καὶ δίχα τοῦ τὸ ὄρος ἰδεῖν τῶν Ἐλαιῶν ἀληθῆ εἶναι ὡμολογήσαμεν· 17,18–18,7 Ρ. (Übersetzung: 42 Τ.). 50 Ep. 2,6f. 51 Ep. 2,18: ἐκδημεῖν ἀπὸ τοῦ σώματος πρὸς τὸν κύριον καὶ μὴ ἀπὸ Καππαδοκίας εἰς Παλαιστίνην. 18,18f. P. (Übersetzung: 43 T.).

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Die Befunde aus den Briefen ep. 3 und ep. 2 des Gregor von Nyssa lassen sich mithin recht gut zu einem einheitlichen Bild zusammenfügen. Dabei wird man aber nicht in der Linie von Kötting einfach auf eine vermeintlich bei Gregor dominierende Unterscheidung von positiver Einstellung zum Wallfahren einerseits und Kritik am Wallfahrtsmißbrauch andererseits zurückgreifen können. Die differenzierte Stellungnahme Gregors ist mit der Interpretation als Protest gegen Auswüchse des ansonsten positiv gesehenen Wallfahrens nicht hinreichend erfaßt. Das Wallfahren als solches hat vielmehr bei Gregor einen gegenüber der Frage nach der Gestaltgewinnung Christi in den Gläubigen klar nachgeordneten Stellenwert, letzteres ist gar Kriterium für ersteres. Meine These ist, daß Gregor von Nyssa in beiden Briefen einerseits ein religiöses Bedürfnis wahrnimmt und ernst nimmt, nämlich das sich im Pilgerwesen seiner Zeit Geltung verschaffende Bedürfnis, sichtbar die Anwesenheit bzw. die Gegenwart Gottes zu erfahren, und daß er andererseits theologische Kriterien auf- und Begrifflichkeiten bereitstellt, mit deren Hilfe die Bemühungen, jenem religiösen Bedürfnis zu entsprechen, geprüft und beurteilt werden können und müssen. Vor diesem Hintergrund stellt sich seine Position zum Wallfahrtswesen differenziert, aber einheitlich und klar konturiert dar. Mit der Bereitstellung von theologischen Gesichtspunkten zur Beurteilung eines verbreiteten religiösen Phänomens steht Gregor von Nyssas Wallfahrtskritik erratisch in ihrem zeitlichen und ideologischen Umfeld. Unabhängig von der Frage, ob man seine Maßstäbe so akzeptieren will oder nicht, ist Gregorius damit auch ein treffendes Beispiel für das gar nicht so seltene Phänomen, daß theologische Kritik an volksreligiösen Vollzügen hin und wieder fremd wirkt und gegebenenfalls auch einsam bleibt. Nichtsdestoweniger ist sie notwendig im Sinne der Befähigung zu begründetem Urteil. Die Bedeutung von Gregors Beispiel mag man dadurch unterstrichen sehen, daß einige Jahrzehnte später ein Johannes Chrysostomus im Osten und ein Augustinus im Westen seine Wallfahrtskritik mit analoger Argumentation erneuern.52

52 Joh. Chrys., hom. ad pop. Antioch. 3,2 (PG 49, 49):  Μέγα τὸ κοινὸν τῆς Ἐκκλησίας δύναται, […] Οὐκ ἔστι διαβῆναι πέλαγος, οὐκ ἔστι μακρὰν ἀποδημίαν στείλασθαι· ἕκαστος καὶ ἑκάστη, καὶ εἰς Ἐκκλησίαν ἀπαντῶντες, καὶ οἴκοι μένοντες, καλῶμεν μετὰ πολλῆς σπουδῆς τὸν Θεὸν, […]: „Viel vermag die Gemeinschaft der Kirche. […] Es ist nicht nötig, daß man übers Meer fährt, es ist nicht nötig, daß man eine lange Wallfahrt macht; laßt uns mit viel Eifer Gott anrufen, jeder und jede, die in der Kirche zusammenkommen und in der Heimat bleiben […]“. Aug., in Joh. tract. 10,1 (PL 35, 1467): Qui te exaudit, non est praeter te. Non longe vadas, nec te extollas, ut quasi attingas illum manibus: „Der dich erhört, ist nicht außerhalb Deiner (selbst). Gehe nicht in die Ferne, steige nicht in die Höhe, als ob Du ihn so gleichsam mit Händen greifen könntest.“

Euseb und die Juden: Der origeneische Hintergrund*1 Daß sich ein Vergleich zwischen Euseb von Caesarea und Origenes grundsätzlich anbietet, bedarf kaum einer Begründung, bedenkt man allein die Enkelschülerschaft und die lokale Koinzidenz.2 In der Frage nach der Stellung beider zu den Juden verspricht ein solcher Vergleich deshalb besonders interessant zu werden, weil reichhaltige Kontakte zwischen Juden und Christen im Caesarea des Origenes wie in dem des Euseb gut belegt sind3 und weil die Frage nach der Haltung der Christen zu den Juden (und umgekehrt) in beider Werk eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Aus der Fülle des Materials kann ich nur einige Gesichtspunkte herausgreifen:

1)  Die heilsgeschichtliche Terminologie Für Euseb gibt es in seinem apologetischen Doppelwerk bekanntlich vier Gruppen, in die er die Menschheit einteilt:  Hebräer-Heiden-Juden-Christen. Die Hebräer (die „alten Gottesfreunde“) sind Vertreter des gesetzesfreien Urmonotheismus vormosaischer Zeit und als solche Vorläufer der gesetzesfreien monotheistischen Christen. Im Sinne des Altersbeweises presbyteron-kreitton ist mit der Ableitung der Christen aus den Hebräern die außerordentliche Qualität des Christentums erwiesen. Die Juden sind in diesem System Eusebs aber nun keineswegs nur als Übergangsstufe angesehen:  Sie sind einerseits als den (polytheistischen) Heiden haushoch überlegen gezeichnet (oft in direkter Übernahme

* Zuerst erschienen in: W. Bienert u. a. (eds.), Origeniana Septima III, Leuven 1999, 134–140. 1 Für die kritische Diskussion meiner Thesen danke ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an meiner Communication auf dem Colloquium Origenianum Septimum. 2 Beide sind geprägt vom Milieu der Provinzialhauptstadt Caesarea, das Friedhelm Winkelmann, Euseb von Kaisareia, Berlin 1991, 26, mit den Begriffen „wirtschaftliche Prosperität, Kosmopolitismus, Selbstbewußtsein, Toleranz und Gelehrsamkeit“ beschrieben hat. 3 Origenes: In Ez. X 3; Jo. I 34; hom. in Gen. II 2; III 1; XII 4; hom. in Num. XIV 1; XXVII 12; Cels. I 55. Eusebius: d.e. II prooem 2; 1,1; V prooem 35sq.; ecl. IV 4; Is. XXIII 15; XXXIX 1–3.

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jüdisch-apologetischer Texte, v. a. Contra Apionem),4 andererseits sind sie das heilsgeschichtlich notwendige Bindeglied zwischen Hebräern und Christen. Ohne die Juden wäre der Urmonotheismus der Hebräer im heidnischen Polytheismus untergegangen. Vor solchem Untergang wurde die Menschheit allein durch das mosaische Gesetz und die es befolgenden Juden bewahrt.5 Aus diesem Grunde verhält es sich für Eusebius so, daß einzelne Juden immer wieder auch als „Hebräer“ bezeichnet werden können, wodurch ihre Kontinuität zu jenen alten Gottesfreunden indiziert wird. Dies gilt für die Zeit von Mose bis Christus für einige Könige Israels, für die Propheten und für die nach dem Gesetz wandelnden Juden,6 gilt aber selbst für die Zeit nach der Offenbarung des Heils in Christus für herausgehobene Juden, etwa für Philo, Josephus und Tryphon.7 Das terminologische Modell Eusebs läßt also trotz des auch polemischen Impetus zugleich auf eine hohe Wertschätzung der Juden schließen, gerade im Vergleich zu den Heiden. Dies Konzept einer vierstelligen Terminologie Hebräer-Heiden-JudenChristen läßt sich bei Origenes so nicht nachweisen. Origenes übernimmt aus dem griechischen Denken die Differenzierung Griechen-Barbaren und fügt diesen beiden Gruppen die Juden gleichsam hinzu (die Terminologie schillert hier, er sagt zu den Juden auch „Hebräer“, benutzt umgekehrt „Hebräer“ auch für Judenchristen); das Christentum ist für Origenes eine Art „dritter Weg“ zwischen Heidentum und Judentum. Aber auch wenn die entfaltete eusebianische Terminologie und das hinter ihr stehende Konzept bei Origenes nicht nachweisbar ist, so ist doch inhaltlich manches vorgezeichnet: Der Gedanke, daß der Reichtum der Heidenchristen aus dem der Juden als dem Gottesvolk resultiert,8 der Gesichtspunkt, daß den Juden gerade aufgrund des mosaischen Gesetzes eine bessere Gotteserkenntnis zuteil wurde und ihnen daher auch eine sittlich-moralische Höherwertigkeit gegenüber den Heiden innewohnt,9 wird bei Euseb aufgenommen und dahingehend ausgebaut, daß diese aus der Gesetzesbefolgung resultierende Moralität gleichsam die Voraussetzung für das Kommen Christi in die Welt ist, daß das Heil nur über die Juden zu uns, zu den Christen, kam.10 Hierher paßt auch die Beobachtung, daß beide, Euseb wie auch Origenes, an der paulinischen Vorordnung „den Juden zuerst, dann den Griechen“ entschlossen festhalten.11

Eus., p.e. IX 4. 9. 11. 42; X 7. 4 5 Eus., d.e. I 6,35sq.; II 3,37sq.; III 2,6. 6 Eus., p.e. X 14,16; d.e. IV 15,22. 34; h.e. IV 29,7. 7 Eus., d.e. IV 1,2; VI 18,36; h.e. II 4,2sq.; IV 18,6. 8 Or., comm. in Rom. VIII 9. 9 Or., comm. in Rom. II 7. 10 Eus., p.e. VII 1,3; h.e. I 2,22sq. 11 Or., comm. in Rom. I 14; II 7 u. ö.; Eus., d.e. I 1,19; 10,18; II 1,27; 3,41 u. ö.

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2)  Schriftauslegung Wiederholt sagt Euseb, er habe sich mit jüdischen gelehrten Auffassungen auseinandergesetzt (zu denken ist für Euseb wohl v.  a. an Rabbi Abbahu von Caesarea); ähnliches verlautet auch von Origenes im Zusammenhang seiner Schriftinterpretation.12 Der Streit zwischen Christen und Juden in dem von Gelehrsamkeit und Intellektualität geprägten Caesarea ist ein theologischer Streit um das rechte Verständnis der Heiligen Schriften. In der Exegese bedient sich Euseb natürlich in Anlehnung an Origenes der allegorischen Auslegung kata dianoian, besonders gegen die Juden: Gottes Verheißungen an David etwa seien göttlich und himmlisch zu verstehen, nicht wie bei den Juden, irdisch und leiblich (Ps 88,30–35). Im Blick auf Jes 7,21 sagt Euseb: Und falls jemand solch tropologische Argumentation als anstößig empfindet, siehe, so wird er weder die sogenannten „Fliegen“ oder die „Bienen“ noch das „Schermesser“ oder den „Bart“ noch die „Haare auf den Füßen“ in übertragenem Sinne verstehen und stattdessen in sonderbare Mythologien geraten.13

An anderer Stelle wirft Euseb den das wörtliche Verständnis bevorzugenden Juden Widersprüchlichkeit und Wortklauberei vor.14 Hier kann man natürlich an Origenes denken, der ja das allzu wörtliche Verständnis der Schriften geradezu als sensum Iudaicum bezeichnet hatte.15 Auf der anderen Seite muß man sehen, daß Eusebius in der Auseinandersetzung mit den Juden, wo immer es geht, viel stärker als der von ihm so hoch verehrte Origenes den wörtlichen Schriftsinn betont, wahrscheinlich, um im Blick auf die Juden eine adäquate Gesprächslage zu erreichen: Die Herrlichkeit des Herrn stieg aus der Mitte der Stadt hinauf, und er stand auf dem Berg, der gegenüber der Stadt war (Ez 11,23), […] — können wir wörtlich als

12 In diesem Zusammenhang taucht unweigerlich die Frage nach den Hebräischkenntnissen Eusebs auf. Hierzu haben meine in PTS im Druck befindlichen Studien zu Euseb und die Juden ergeben, daß man Eusebius hier keineswegs unterschätzen sollte: Die bekannte Theorie, daß er in allen Zweifelsfällen vertrauensvoll auf Aquila zurückgreift, weil er diesen für am nächsten zum hebräischen Text hält, ohne in der Lage zu sein, dies auch selbst zu prüfen, läßt sich so nicht halten, weil Euseb sich an einigen wenigen Stellen mit Berufung auf das Hebräische auch gegen Aquila entscheidet (dies allerdings bei manchen Fehlern). Sicher ist sein Hebräisch nicht virtuos gewesen, aber auch nicht so verheerend schlecht wie bislang oft gedacht. Vielleicht steht es bei Origenes auch so? Ob man das Beherrschen des Hebräischen bei Origenes so grundsätzlich verneinen (und damit Eus., h.e. VI 16,1 als Übertreibung marginalisieren) sollte, wie das bisweilen geschieht, erscheint mir aus Perspektive meiner Eusebuntersuchungen zunehmend fraglich. 13 Eus., d.e. II 3,94 (GCS Euseb VI 78, 3–6). 14 Eus. d.e. VII 3,31 u.ö. 15 Or., hom. in Jos. VII 5.

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Euseb und die Juden: Der origeneische Hintergrund erfüllt ansehen noch jetzt und heute, weil Christusgläubige […] anbeten auf dem Ölberg gegenüber Jerusalem, wohin die Herrlichkeit des Herrn gewandert ist, als sie die frühere Stadt verließ.16

Wo immer es geht, versucht er, einen allegorischen und einen wörtlichen Schriftsinn zur Beweisführung anzubringen; übertriebenes Allegorisieren wird von Euseb kritisch gesehen, und wenn irgend möglich, argumentiert er gegen die Juden (auch) mit dem Schriftsinn kata lexin. Damit steht er einerseits in origeneisch-exegetischer Tradition und geht doch andererseits über Origenes signifikant hinaus.17

3)  Verständnis und Stellenwert von Röm 9 — 11: Röm 11,11 verwendet Eusebius an mehreren Stellen seines Werkes, um darauf aufmerksam zu machen, daß die in der Nichtannahme Christi vorliegende Verstockung der Juden keineswegs endgültig ist:  Die Berufung aller Welt zum Heil soll den Juden Ansporn sein, ihre Verstockung aufzugeben.18 Dies wird verbunden mit einer Beschwörung an Israel, von seinem „Unglauben“ abzulassen.19 Dies erinnert an Origenes’ Kommentierung des Verses im Römerkommentar, daß die Juden in ihrer Ablehnung Christi nicht so gefallen sind, daß sie nicht wieder aufstehen und sich bekehren könnten. Ähnlich liegen die Dinge beim Gleichnis vom Ölbaum Römer 11,16– 24: Zwar wird der Text einerseits bei Eusebius im Sinne einer Substitution verstanden:  „Seine Kirche aus den Heiden ist dem Herrn ein Olivenhain geworden, welchen er einst als ‚wilde Olive‘ gepflanzt hat, dann aber auf die Wurzeln des edlen Ölbaums aufgepfropft hat nach dem Wegschneiden der alten Zweige […]“.20 Andererseits betont Euseb in der Linie des Paulus, daß dies keineswegs zur Selbstgerechtigkeit oder zum Hochmut führen darf: Vielmehr kann für ihn die Kirche genauso dem Strafgericht Gottes verfallen wie einst die Juden – Euseb zeigt dies an der ja noch nahen diokletianischen Verfolgung, die er als Strafe Gottes für die zu laue, selbstgefällige und auch noch in sich zerstrittene Kirche interpretiert. Auch hier scheint das Röm 11 - Verständnis des Origenes im Hintergrund zu stehen, der betont: „Wenn die Heidenchristen

6 Eus., d.e. VI 18,22sq. (278,14–23). 1 17 Gleichwohl finden wir auch schon bei Origenes, wenn auch in geringerem Maße als bei Euseb, Spuren einer Polemik gegen „übertriebenes“ Allegorisieren – wie übrigens auch bei dem von Eusebius so geschätzten Philo von Alexandrien in dessen Vorwürfen gegen die „Allegoristen“ (De migratione Abrahami 20. 89sq.). 18 Eus., d.e. II 3,139sq. 19 Eus., d.e. II 3,133. 20 Eus., d.e. VI 18,18 (277,21–24).

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übermütig werden und die ausgebrochenen Äste verspotten, dann werden sie wegen ihrer Sünden ausgeschnitten: Eine härtere Strafe ist es, ausgeschnitten als ausgebrochen zu werden, und die ausgebrochenen Äste können, wenn sie sich bekehren, von Gott wieder eingepfropft werden“.21 In diesem Zusammenhang versteht Eusebius auch die Rede vom „Rest“ Israels:  Es handelt sich um diejenigen, die aus den Juden zum Glauben gekommen sind und kommen werden.22 Das entspricht der Definition des Origenes.23 Bei beiden Theologen ist also keinesfalls von einer endgültigen Verwerfung Israels die Rede, gerade weil Röm 9–11 bei beiden einen hohen Stellenwert hat. Allerdings ist für – beide die Bekehrung zum Glauben an Christus die conditio sine qua non der Heilsteilhabe Israels.24 Neben den auffälligen Übereinstimmungen gerade in der Röm 9–11 - Auslegung muß man aber auch einen wichtigen Unterschied zwischen Origenes und Euseb unterstreichen; dieser besteht darin, daß Origenes von seiner Eschatologie her im Grunde fest von der endgültigen Errettung Israels ausgeht,25 während Euseb, hier einen Schritt über Origenes hinaus (oder vielmehr: hinter ihn zurück) gehend, diese nur als (bleibende) Möglichkeit ins Auge faßt, die jedoch faktisch nur einem zahlenmäßig eher geringen Teil der Juden, jedenfalls nicht mehr ganz Israel zuteil werden wird.26

4)  Diktion Die Diktion Eusebs in seiner Auseinandersetzung mit den Juden ist insgesamt als sehr moderat zu bezeichnen. Bei aller Schärfe des theologischen Streits fehlen bei ihm die sonst aus heidnischer und christlicher Polemik sattsam bekannten kollektiven moralischen Verunglimpfungen der Juden;27

1 Or., comm. in Rom. zu Röm 11,16–24. 2 22 Eus., d.e. VI 18,13; VII 1,75. 85. 23 Or., comm. in Rom. VIII 7. 24 Or., comm. in Rom. VIII 9: Israel wird per fidem zum Heil kommen; Eus., d.e. II 3,130 u.ö. 25 Eus., comm. in Rom. VIII 9. 26 Eus., d.e. II 3,128 ist explizit von einer „geringen Anzahl“ die Rede und davon, daß es keinen Anhaltspunkt dafür gebe, daß alle Beschnittenen und das ganze jüdische Volk sich an die Verheißungen Gottes (wieder) anschließen werden. 27 Man denke hierbei nur an Augustins De civitate Dei, einen vom Genre her dem apologetischen Doppelwerk Eusebs sehr vergleichbaren Text aus dem Westen. Hier werden Senecas antijüdische Äußerungen ganz unbefangen rezipiert: Aug., civ. VI 11. – Im Osten sind die Judenreden des Chrysostomus bis heute ein Beispiel für antijüdische Tiraden, deren sich der christliche Ausleger heute zu Recht zu schämen geneigt ist (A.M. Ritter, in: Kirche und Israel 5 (1990), 103).

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dies ist auch deshalb bedeutsam, weil solches ja in Eusebs Auseinandersetzung mit heidnischen oder christlich-häretischen Gegnern zum Standard gehört (Simon Magus: Unzucht; der Valentinianer Markus: Taschenspieler; Mani: wahnsinnig in Sprache und Lebensführung usw.). Über die Juden findet er für die „Zeit der mosaischen Gottesverehrung“ anerkennende Worte (sofern sie den „Wandel gemäß Mose“ befolgen …), aber auch über die Juden nach Christus wie etwa die „apostolischen Männer zur Zeit Philos, die in echt jüdischer [sic!] Weise leben,“ die „Therapeuten“.28 Die Gesetzestreue der Juden wird – wie bei Origenes – als Zeichen individueller und kollektiver Überzeugungstreue gelobt, wenn auch gleichzeitig theologisch abgelehnt.29 In der antijüdischen Polemik kommen zwar einige Verbalinjurien vor (Blindheit, verdunkelter Verstand, Gesetzesbrecher), aber insgesamt finden sich in der langen „Beweisführung“ gegen die Juden hierfür nur wenige Belege. Von Origenes wissen wir ebenfalls, daß die Diktion in seiner Auseinandersetzung mit den Juden moderat ist, im Gegenteil, immer wieder schimmert allein im Blick auf die Wortwahl eine Wertschätzung der Juden mit durch: Für Euseb ist die Synagoge z. B. „Mutter der Kirche“,30 für Origenes deren „Schwester“ oder „älterer Bruder“.31 Der geschichtstheologische „Beweis“, der das Judentum mit Verweis auf dessen politisch-militärische Katastrophen auch theologisch zu falsifizieren sucht, kommt bei beiden christlichen Denkern vor, bei Euseb in viel stärkerem Maße als bei Origenes. Im Zusammenhang der Frage nach der Diktion in der Auseinandersetzung mit den Juden muß man aber sehen, daß die Niederlagen der Juden nie mit Häme, sondern stets mit Trauer geschildert werden, bisweilen findet sich hierzu der neutestamentliche Verweis auf die Tränen Christi über Jerusalem.32 Eusebius zeigt sich auch im Blick auf die Stellung zu den Juden trotz mancher wichtiger Unterschiede zu dem verehrten Lehrer seines Lehrers im Grunde als Origenist. Ich bin der Meinung, daß das in der Wissenschaft überwiegend vertretene Urteil, Origenes sei gewiß kein Judenfeind gewesen,33 28 Eus., h.e. II 17,2: ihnen ist eingepflanzt, Schriften als Wort Gottes zu achten. – Generell über Schrifttreue und Martyriumsbereitschaft der Juden Eus., h.e. III 10,5 als Josephuszitat Ap. I 38sqq. 29 Or., hom. in Ps. xxxvi I 1 (PG 12,1321 CD); V 3 (1361 CD); Eus., d.e. I 2,2. 30 Eus., d.e. IX 17,12 (GCS Euseb VI 441, 18). 31 Or., hom. in Cant. II 13 (GCS Orig. VIII 45, 24); Or., Cant. II (GCS Orig. VIII 168, 21sq.). 32 Eus., h.e. III 7,3. 33 Vgl. zu Origenes: H. Bietenhard, Caesarea, Origenes und die Juden, FDV 1972, Stuttgart 1974, 72; H.-J. Vogt, Die Juden beim späten Origenes, in: H. Frohnhofen (ed.), Christlicher Antijudaismus und jüdischer Antipaganismus, Hamburger

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auch auf Eusebius angewendet werden müßte.34 Wichtig ist hierbei auch der Befund einer von Origenes zu Eusebius reichenden sehr viel positiveren Einschätzung der Juden als in anderen christlichen Traditionssträngen. Bedenkt man, daß Origenes und Euseb theologiegeschichtlich beide in einer häresieverdächtigen trinitätstheologischen Traditionslinie stehen, so könnte man von hier aus nun noch nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der Einstellung zu den Juden und der Trinitätslehre fragen: Auffällig ist ja doch, daß die scharfen Angriffe gegen die Juden seit dem 4. Jhdt. vorwiegend aus dem orthodoxen Lager kommen, während die auf Euseb und Origenes zurückgehende Tradition, mittlerweile als „Arianismus“ verurteilt, oft eine vergleichsweise positivere Sicht der Juden hat:  In den sogenannten arianischen germanischen Staaten schlägt sich dies auch gesetzlich in besonderen Privilegien nieder, die wiederum sofort aufgehoben werden, als auch dort der Übergang zum Katholizismus erfolgt. Hier stecken m. E. noch Perspektiven auch auf weitere und dringend notwendige Forschungen in der so schwierigen und wichtigen Frage nach der Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen.

Theologische Studien 3, Hamburg 1990, 168sq.; C.P. Bammel, Die Juden im Römerbriefkommentar des Origenes, ebd. 145–151; T. Heither, FC 2/1, Freiburg 1990, 48; R. van den Broek, Origenes en de joden, in: Ter Herkenning 13 (1985), 90. – Die vermeintlich judenfeindlichen und die eher positiven Stellen zu den Juden bei Origenes zu einem heterogenen Bild zusammenfügend N. de Lange, in: TRE 3 (1978), 135, basierend auf seiner ausführlichen Monographie Origen and the Jews, UCOP 25, Cambridge 1976. – Origenes eher in die Linie eines schon im Neuen Testament ansetzenden strukturellen Antijudaismus einzeichnend hingegen das Votum von J.S. O’Leary, Origène face à l’altérité juive, in: J. Greisch (ed.), Comprendre et interpréter: Le paradigme herméneutique, Paris 1993, 51–82. 34 Für Euseb erlaube ich mir den Hinweis auf meine eigene Untersuchung: Euseb von Caesarea und die Juden. Studien zur Rolle des Juden in der Theologie des Eusebius von Caesarea, PTS 49, Berlin 1998.

Vision bei Hildegard von Bingen. Beobachtungen zur Vita Gottfrieds und Theoderichs und zu den Visionsschriften Hildegards*1 1. Die Hildegardvita Gottfrieds und Theoderichs als Schlüssel zum Verständnis der Visionen Die Visionen Hildegards von Bingen (1098–1179)2 spielen eine entscheidende Rolle in ihrer Biographie. In den Visionen liegt ihre immense Popularität begründet – man denke etwa an die zahllosen seelsorgerlichen Hinweise an Einzelpersonen, die sich namentlich im Briefcorpus finden. In den Visionen liegt ihre außergewöhnliche Autorität begründet – man denke an die scharfe Kritik die sie an hohen kirchlichen Amtsträgern übte oder an ihre Polemik gegen Kaiser Barbarossa. In den Visionen liegt aber auch die Erklärung für die staunenswerte Freiheit, die sie sich nahm, mit der sie ihre Zeit und sich in ihrer Zeit bewegte, das halbe Reich durchzog, um Klerikern und Laien zu predigen, Frau und Nonne, die als Benediktinerin unter dem Gebot der stabilitas loci stand; möglich war all dies nicht zuletzt deshalb, weil Hildegard als Empfängerin von Visionen bekannt war und sich in ihren Predigten und Briefen auf eben diese Visionen berufen konnte und berief. Es wundert deshalb nicht, daß schon die Zeitgenossen genauer zu wissen begehrten, was man sich unter den Visionen eigentlich vorzustellen habe. Auf eine diesbezügliche Anfrage des Wibert von Gembloux hat Hildegard im Jahr 1175 selbst geantwortet. Brieflich gibt die 77-Jährige folgende Auskunft: Ich sehe diese Dinge nicht mit den äußeren Augen noch entnehme ich sie den Gedanken meines Herzens oder irgendeinem Beitrag meiner fünf Sinne, sondern ich sehe sie einzig in meiner Seele, mit offenen äußeren Augen, so daß ich niemals wie in einer Ekstase deren Versagen erleide, sondern wachend schaue ich dies bei Tag und bei Nacht. […] Das Licht, das ich schaue, ist nicht an den Raum gebunden. Es ist

Zuerst erschienen in: KuD 47 (2001), 14–29. * 1 Vortrag im Rahmen meines Habilitationsverfahrens im Fach Kirchengeschichte an der theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Der Vortragsstil wurde für die Druckfassung beibehalten. 2 Zum aktuellen Forschungsstand siehe die Beiträge in: E. Forster / Konvent der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard Eibingen (eds.), Hildegard von Bingen. Prophetin durch die Zeiten. Zum 900. Geburtstag, Freiburg 1997.

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Vision bei Hildegard von Bingen viel lichter als eine Wolke, die die Sonne in sich trägt. Weder Höhe noch Länge noch Breite vermag ich an ihm zu erkennen, und es wird mir als der Schatten des lebendigen Lichtes bezeichnet. […] Und in diesem Licht sehe ich zuweilen, aber nicht oft, ein anderes Licht, das mir das lebendige Licht genannt wird. Wann und wie ich es schaue, vermag ich allerdings viel weniger als beim ersten zu sagen. Aber solange ich es schaue, ist alle Traurigkeit und Schmerz von mir genommen, so daß ich mich wie ein einfaches junges Mädchen fühle und nicht wie eine alte Frau.3

Diese berühmte Stelle aus Hildegards Brief an Wibert läßt natürlich breiten Spielraum für Interpretationen, und sie ist in der Auseinandersetzung um Hildegards Visionen auf verschiedene Weise gedeutet worden. Entsprechend unterschiedlich sind die Thesen zu Hildegards Visionen geraten – die Palette reicht von Deutungen als Hysterie, Rausch oder Migräneanfall bis hin zur Vorstellung einer direkten persönlichen Eingebung der Bilder und Worte durch Gott selbst,4 wie immer man sich das dann im einzelnen zu denken hat. Die drei großen Hildegardschen Visionstexte selber, die Scivias,5 der Liber vitae meritorum6 und der Liber divinorum operum,7 geben sich als 3 Ep. CIIIR: Ista autem nec corporeis auribus audio nec cogitationibus cordis mei, nec ulla collatione sensuum meorum quinque percipio, sed tantum in anima mea, apertis exterioribus oculis, ita ut numquam in eis defectum extasis patiar; sed uigilanter die ac nocte illa uideo. […] Lumen igitur quod uideo, locale non est, sed nube que solem portat multo lucidius, nec altitudinem nec longitudinem nec latitudinem in eo considerate ualeo, illudque umbra uiuentis luminis mihi nominatur. […] Et in eodem lumine aliam lucem, que lux uiuens mihi nominata est, interdum et non frequenter aspicio, quam nimirum quomodo uideam multo minus quam priorem proferre sufficio, atque interim dum illam intueor, omnis mihi tristitia omnisque dolor de memoria aufertur, ita ut tunc mores simplicis puelle, et non uetule mulieris habeam (261f., 70–102 van Acker); von Gottfried von Gembloux ist der erste Satz dieses Passus übernommen in die Vita I 8 (108, 2–7 Klaes). Die Ausgabe der Briefe: Ed.: CChr.CM 91/91A, Turnholt 1991/1993. Ü: Briefwechsel, übers. von A. Führkötter, Salzburg 21990 (eine Synopse der Zählungen der Briefe findet sich CChr.CM 91A, 535–539). Zur Ausgabe der Vita siehe unten Anm. 8. 4 Siehe für die ältere Literatur H. Liebeschütz, Das allegorische Weltbild der Hildegard von Bingen, Leipzig 1930 (= 21964), 168–171, für die neueren Deutungen P.  Dinzelbacher, Mittelalterliche Visionsliteratur. Eine Anthologie, Darmstadt 1989, 105–107 (Lit!). 5 Ed.: CChr.CM 43. 43A, hrsg. von A. Führkötter / A. 0124 Carlevaris, Turnhout 1978. Ü: Scivias. Wisse die Wege, übers., und hrsg. von W. Storch, Freiburg 41998, sowie: Wisse die Wege, übers. von M. Böckeler, Salzburg 81987. 6 Ed.: CChr.CM 90, hrsg. von A. Carlevaris, Turnholt 1995. Ü: Der Mensch in der Verantwortung. Das Buch der Lebensverdienste, übers. von H. Schipperges, Salzburg 1972. 7 Ed.: CChr.CM 92, hrsg. von A. Derolez / P. Dronke, Turnholt 1996. Ü: Welt und Mensch: Das Buch „De operatione Dei“, übers. von H. Schipperges, Salzburg 1965.

Vision bei Hildegard von Bingen

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Offenbarungen, deren Inhalt eine Visionenbilderreihe ist, versehen mit Erläuterungen durch eine göttliche Stimme, der Seherin eingegeben. Hildegard nennt keine menschlichen Autoritäten als Quelle. Nach den Maßstäben des Diesseits ist sie vielmehr eine indocta, eine ungebildete Frau. Es ist schwierig, hieraus Näheres abzuleiten. Dementsprechend ist das Deutungsspektrum der drei großen Visionstexte ähnlich breit wie das des Passus aus dem Brief Hildegards an Wibert von Gembloux. Ich denke nun, daß man in der Frage nach den Visionen bei Hildegard von Bingen einen Schritt weiterkommen kann, indem man eine bei der Beschäftigung mit den Hildegardvisionen bislang wenig berücksichtigte Quelle hinzuzieht, nämlich die sogenannte Hildegard-Vita. Diese neuerdings auch in zweisprachiger Ausgabe vorliegende8 Quelle ist verfaßt von den Mönchen Gottfried vom Disibodenberg und – nach dessen Tod – von Theoderich von Echternach;9 dabei ist das erste Buch der Vita (abgesehen von einer Einleitung Theoderichs) Gottfried zuzuschreiben,10 während der Rest dann von Theoderich selbst stammt, wobei letzterer Visionstexte Hildegards, Wunderberichte (offenbar von Mitschwestern verfaßt) und auch Fragmente einer Hildegard-Autobiographie für seine Darstellung benutzt hat.11 Das Hinzuziehen der nicht von Hildegard selbst verfaßten Vita für die Interpretation der Visionen kann methodisch dadurch gerechtfertigt werden, daß die historische Zuverlässigkeit der Vita, abgesehen von gattungstypischer Topik, hoch einzuschätzen ist:12 Zunächst deshalb, weil zumindest in den von Theoderich verfaßten Teil Selbstzeugnisse Hildegards eingegangen sind, vor allem aber, weil in der Vita unmittelbare Zeitzeugen zu Wort kommen und Bemerkungen zum Phänomen „Vision“ mitteilen. Man kommt mit der Vita Gottfrieds und Theoderichs am nächsten an das Urteil der

8  FC 29, Freiburg 1998; Übersetzung und Einleitung von M. Klaes. Der lateinische Text dieser zweisprachigen Ausgabe folgt der Edition CChr.CM 126, hrsg. von M. Klaes, Turnholt 1993. 9 Dem Verfasser des Liber aureus. 10 Theoderich sagt Vita I 1, er habe den Text Gottfrieds unverändert übernommen. 11 Die literarische Zuverlässigkeit der Vita ist nahegelegt durch einen Brief Wiberts von Gembloux, der 1177–1180 auf dem Rupertsberg in Bingen gelebt hatte und der deswegen nach dem Tod Hildegards 1179 von Abt Gottfried von Echternach gebeten wird, die Vita zu korrigieren; seine Antwort, er habe alles so gelassen, ist überliefert (Anal. Boll. I, Brüssel 1882, 606f.). 12 Siehe hierzu die von Monika Klaes verfaßte Einleitung zur Anm. 8 genannten Ausgabe.

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Vision bei Hildegard von Bingen

Zeitgenossen, die Hildegard am längsten kannten, die von ihr gar zur Niederschrift bzw. Bearbeitung der Visionstexte aufgefordert wurden. Meines Erachtens legt die Vita Gottfrieds und Theoderichs es nahe, für die Visionen Hildegards vier zentrale Aspekte herauszuarbeiten, die dann bei der Analyse der Visionstexte selber bestätigt werden können und sich für deren Verständnis als hilfreich erweisen. Ich verfahre im folgenden so, daß ich die vier aus der Lektüre der Vita gewonnenen Aspekte zu den Hildegardvisionen aufzeige, diese jeweils an ausgewählten Beispielen aus den Hildegardschen Visionstexten verifiziere (2.–5.) und mit einer kurzen Zusammenfassung (6.) und dem Versuch einer applicatio (7.) schließe.

2. Vision als ins Bild gesetzte allegorische Schriftauslegung Die Vita Gottfrieds und Theoderichs enthält eine Anzahl von Hinweisen, daß sowohl Hildegard selbst als auch ihre Mitarbeiter die Visionen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auslegung der Heiligen Schrift gesehen und verstanden haben: Gottfried macht dies an einem Hildegard-Zitat aus der Scivias deutlich, das er Vita I 1 programmatisch wiedergibt: Die Visionen ermöglichen „Einsicht in den Sinn der Auslegung der Bücher, nämlich des Psalters, des Evangeliums und der übrigen katholischen Schriften sowohl des Alten wie des Neuen Testaments“.13 In den autobiographischen Fragmenten der Vita nennt Hildegard selber die Schau ein „Verstehen der Schriften der Propheten, Evangelien sowie anderer Heiliger und einiger Philosophen ohne irgendeine menschliche Unterweisung“ und ergänzt: „Ich erklärte daraus.“14 Andernorts sagt sie: „die erwähnte Schau hat mich den ganzen Text und die Worte des Evangeliums, das vom Anfang der Gotteswerke handelt, gelehrt und auslegen lassen.“15 Auch das Votum des Theoderich von Echternach in der Hildegardvita bestätigt die enge Verbindung von Vision und Schriftverstehen:  Bei einer Schau „lehrte der Geist der Wahrheit sie Text und Worte des Johannesevangeliums ‚Im Anfang war das Wort‘ und so weiter.“16 Eine der Visionen 13 Et repente intellectum expositionis librorum videlicet psalterii, evangelii et aliorum catholicorum tam veteris quam novi Testamenti voluminum sapiebam (FC 29, 88, 11–13 Klaes). Die Übersetzung folgt hier und im weiteren der von M. Klaes. 14 In eadem visione scripta prophetarum, evangeliorum et aliorum sanctorum et quorundam philosophorum sine ulla humana doctrina intellexi ac quedam ex illis exposui (128, 10–12 Klaes). 15 Vita II 16: Omnem itaque dictatum et verba evangelii huius, quod de initio operis Dei est, praedicta visio me docuit et me explanare fecit (174, 8–10 Klaes). 16 Vita II prooem.: cum dictatum et verba evangelii Iohannis: „In principio erat verbum“ et cetera, eam docuit Spiritus veritatis? (112, 20–22 Klaes).

Vision bei Hildegard von Bingen

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bezeichnet Theoderich direkt als Deutung des Schriftwortes Hohelied 5, 4.17 Andernorts werden die Visionen der Hildegard von ihm als „bildliche Auslegungen“18 bezeichnet. Folgt man diesen zeitgenössischen Einordnungen, so kann man sagen: In den Hildegardvisionen ereignet sich Schriftauslegung im Sinne symbolischer oder allegorischer Exegese. Die Tatsache, daß sich in den Visionen Auslegung vollzieht, interpretiert Theoderich wiederum als den Schutz der Seherin vor der Versuchung durch Dämonen.19 Nicht allein ist Hildegards Vision Exegese, sondern die Heilige Schrift ist umgekehrt auch Richterin über den Inhalt der Vision, Schutzschild vor „falscher“ Vision und vor dämonischer Eingebung. Vision als Exegese: Eben dieser sich beim Blick auf die Vita nahelegende Eindruck wird beim Blick auf die drei Visionsschriften bestätigt: In der Scivias sagt sie, sie sei erst zur Vollendung des Werkes fähig geworden, als sie „erfuhr, daß sich mir der tiefste Sinn der Schriftaussagen erschloß“.20 Zwei Hinweise mögen genügen, um den Vollzug der Visionen als Exegese in den Schriften der Hildegard von Bingen nachzuzeichnen. In der sechsten Schau des dritten Teils der Scivias sieht Hildegard (innerhalb eines großen Gebäudes des Heils, das die Visionen 2–10 von Buch 3 umfaßt) die nordwestliche Außenmauer des Gebäudes. Sie sieht längs dieser Außenmauer zwei niedrigere Mauern vom Nord- zum Westeck laufen, die an den Ecken die höhere Mauer anschließen. Der auf dem Thron Sitzende spricht zu ihr und erklärt: Daß du aber an der äußeren Seite dieser Mauer zwei andere niedrigere Mauern siehst, das bedeutet: In den äußeren Geschäften, die über das geistliche Amt hinausgeben, liegt der unterbrochene Bau der größeren und kleineren Völker, die auf Gottes Geheiß wie zwei Mauern ausgestellt sind. Denn außen stehen die Älteren in der Kraft ihrer weltlichen Macht nach meiner Anordnung; in der Mitte sind die Geringeren, die unter der Gewalt von geistlichen und weltlichen Persönlichkeiten stehen […] So ist es also von mir bestimmt und angeordnet, wie es auch Isaak zu seinem Sohn Jakob sagt: „Du sollst der Herr deiner Brüder sein, und die Söhne deiner Mutter sollen sich vor dir neigen“ (Gen 27,29). […] So habe auch ich, der himmlische Vater, zu meinem menschgewordenen Sohn gesagt: „Du sollst der Herr sein aller, die aus der Empfängnis menschlichen Samens geboren werden, welche ich durch dich erschaffen habe“ […], denn du bist Herr aus der himmlischen Herrlichkeit der Gottheit für die, die deine Brüder sind kraft deiner Menschwerdung, durch die du Mensch bist.21

7 Vita II 2. 1 18 Vita II 1: typicas expositiones (118, 17 Klaes). 19 Vita II 11. 20 Scivias Prot.: altam profunditatem expositionis librorum […] sentiens (5f., 87f. Führkötter / Carnevalis). 21 Scivias III 6, 12–15: Quod autem in exteriori parte eiusdem muri uides alios duos minores muros: hoc est quod in exterioribus negotiis praeter spiritale magisterium

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Hinter dem Bild von der nordwestlichen Außenmauer des Heilsgebäudes steckt eine Auslegung von Genesis 27, 29, die in zweifachem Sinne den Text allegorisch interpretiert: Er weist einerseits auf die gottgewollte Unterschiedenheit der „Stände“, wird darüber hinaus aber auch christologisch gedeutet  als Präfiguration der Herrschaft Christi über die Menschen aufgrund seiner Gottheit und sein Brudersein aufgrund seiner Menschheit. Diese doppelte Allegorese alttestamentlicher Texte läßt sich des öfteren bei Hildegard feststellen; beide Auslegungen stehen für sie auch in keinerlei Spannung zueinander, da der Kosmos in seiner Ordnung ganz dem Gottesverständnis entspricht und das Gottesverständnis der Wohlordnung des Kosmos. Mit dieser Art der Auslegung greift sie natürlich auf traditionelle Vorbilder auch der abendländischen Exegese zurück. Die Schriftzitate selber verraten übrigens, wie Adelgundis Führkötter gezeigt hat, die Benutzung einer von Alkuin abhängigen Bibelhandschrift.22 Ein zweites Beispiel: Der Abschluß der vierten Vision im Liber divinorum operum. Der Passus zeigt, daß die gesamte Vision im Grunde nichts anderes ist als eine ausführliche Auslegung des Johannesprologs. Der Prolog des Johannesevangeliums wird bei Hildegard zu der entscheidenden Offenbarung über den Zusammenhang von Weltbau und Erlösung, wobei die Gleichsetzung von Sohn Gottes und Logos ihre kosmologische Gottesinterpretation, ihr kosmologisches Verständnis der Trinität formt. Man könnte zu Hildegards (allegorischer) Exegese die These aufstellen, daß es diese unauflösliche Zusammensicht von Weltordnung und Heilsordnung, Kosmologie und Gottesverständnis ist, die für sie das entscheidende Kriterium aller Exegese, die Mitte der Schrift ist, und diese ist für sie formuliert in Joh 1, der in ihren Texten am meisten zitierten Bibelstelle. Der beim Blick auf die Vita gewonnene Eindruck, die Visionen der Hildegard seien in engem Zusammenhang mit Schriftauslegung zu verstehen, bestätigt sich an zahlreichen Beispielen aus ihren Texten, und auch der Schwerpunkt auf dem Johannesprolog, auf

est intercepta constitutio populorum maiorum et minorum, qui constituti sunt praecepto Dei quasi duo muri; quoniam exterior sunt maiores natu ex fortitudine saecularis potentiae in mea ordinatione, et medius sunt minores qui consistunt sub potestate et spiritalium et saecularium personarum […] Haec itaque constituta sunt mea ordinatione, secundum quod etiam Isaac dixit filio suo Iacob: Esto dominus fratrum tuorum, et incuruentur ante te filii matris tuae. […] Sic et ego Pater caelestis dixi Filio meo incarnato: Esto Dominus omnium nascentium procreatorum de concepto semine humano quos creaui per te […] Tu ergo es Dominus illorum de superna claritate diuinitatis, qui fratres tui sunt propter incarnationem tuam in qua homo es. (441,326–443,394 Führkötter / Carlevaris). Die Übersetzung ist angelehnt an die von W. Storch. 22 Siehe die Einleitung zur kritischen CChr-Ausgabe, xiv.

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den Bemerkungen in der Vita hinweisen, läßt sich an den Visionstexten Hildegards gut verifizieren. Meine erste These lautet: Vision bei Hildegard von Bingen ist zu verstehen als ins Bild gesetzte allegorische Schriftauslegung.

3. Vision als ins Bild gesetzte Verarbeitung der Tradition Vita II 13 schreibt Theoderich von Echternach, daß Hildegard von Bingen „niederschrieb, was sie aus der göttlichen Offenbarung vernahm über die Beispiele der heiligen Väter.“23 Auch der eingangs zitierte Satz aus Vita II 2 hatte ja vom Verstehen der Schriften der Propheten, der Evangelien und anderer heiliger Lehrer gesprochen. Damit wird deutlich, daß es bei den Visionen nicht nur um Schriftauslegung geht, sondern auch um Kirchenväterrezeption. Ich halte es deshalb auch keineswegs für einen Zufall, daß Theoderich an prominenter Stelle in der Vita sein Lob der Sehkraft der Hildegard ausgerechnet mit einem Origeneszitat gesungen hat: Es gewährt dem Geschlecht der Frauen nicht geringen Trost und fordert sie heraus, nicht wegen der Schwäche ihres Geschlechts daran zu zweifeln, daß auch sie der prophetischen Gabe teilhaft werden können, sondern zu erkennen und zu glauben, daß die Reinheit des Herzens, nicht die Verschiedenheit des Geschlechts diese Gnade verdient.24

Schon seit langem ist beobachtet worden, daß ein beachtlicher Teil der Visionen Hildegards in der Scivias gründliche Kenntnisse der altkirchlichen Traditionen verrät. Die Parallelen sind stellenweise so frappierend, daß man literarische Abhängigkeit begründet vermuten kann. Auch hier seien nur zwei Beispiele genannt:  Schon der Erstdruck der Scivias Hildegards von Iacobus Faber, Paris 1513, stellte Hildegards Werk mit dem Hirt des Hermas zusammen, jener den sogenannten „apostolischen Vätern“ zuzurechnenden, griechisch und lateinisch überlieferten altkirchlichen Offenbarungsschrift. In der Tat sind die Parallelen offensichtlich.25 Vision acht und neun in Teil drei der Scivias berühren sich fast wörtlich mit der similitudo neun des Hermas. Die Tugenden Gottes werden bei Hildegard wie im Hermas als bausteine­ tragende Arbeiterinnen dargestellt.26 Ein Turm versinnbildlicht für beide 23 De sanctorum patrum exemplis scribit, quod percepit per revelationem divinam (160, 23f. Klaes). 24 Vita II 6: Prestat non minimam consolationem mulierum sexui et provocat eas, ne pro infirmitate sexus desperent etiam prophetice gratie capaces se fieri posse, sed intelligant et credant, quod meretur hanc gratiam puritatis mentis, non diversitas sexus (142,25–144,4 Klaes) = Orig., Homilia V in librum Iudicum 2f. (aus der Rufinüberlieferung). 25 Siehe hierzu die Gegenüberstellung bei Liebeschütz, 1930, 51–55. 26 Scivias III 8, 6l5–617/Herm. sim. IX 3,4f.

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die Kirche,27 und in eben diesem Zusammenhang spricht Hildegard wie Hermas vom Tragen leuchtender Kleider (von erfreuender Lieblichkeit und Leichtigkeit),28 die man als Frommer anbehält, als Abtrünniger, über Ermahnung lachend,29 fortwirft, als Bußfertiger wieder anzieht.30 Es ist, abgesehen vom Zusammenhang Turmvision / Kleidersymbolik und abgesehen von der Gemeinsamkeit in der Wortwahl gerade diese dritte Gruppe der Bußfertigen, die es wahrscheinlich macht, daß Hildegard hier tatsächlich auf den Pastor Hermae zurückgreift und nicht einfach auf die neutestamentlichen Briefstellen, die das Bild vom Anziehen des neuen Menschen bringen, wie etwa Gal 3,27; Eph 4,24; Kol 3,10.12; 1Thess 1,5.8.31 Auch Hildegards Liber vitae meritorum, das „Buch der Lebensverdienste“ baut in wichtigen Passagen sowohl im Inhalt als auch in den Formulierungen auf traditionellen Texten auf. Hildegard hat, so die Vita in einem autobiographischen Passus, „das Buch der Lebensverdienste, das mir von Gott geoffenbart wurde, durch Gottes Gnade zu Ende geführt“.32 Dieser Liber vitae meritorum bietet einen Visionenzyklus in sechs Teilen. In ihrem Mittelpunkt steht ein Mann, Gott, der Vir. Mit den Füßen steht er in abgründigen Wassern, mit dem Kopf ragt er in den reinen Äther hinein; so umgreift er den Kosmos, den er dadurch als seine Schöpfung repräsentiert. Vor ihm befinden sich in einer Lichtwolke Sonne und Mond, in einer Sturmwolke die Schar der Seligen, in einer Feuerwolke die Engel. Auf dieser Szene erscheinen nun verschiedene Gestalten. Es sind dies die personifizierten Laster, die in banaler irdischer Diktion daherreden, und es sind dies die Tugenden, dargestellt als körperlose Stimmen, die die Ausführungen der Laster widerlegen. So besteht der Liber vita meritorum aus einer Art Streitgespräch, aus einem Kampfspiel zwischen jenen Lastern und den Tugenden. Es wäre nun nicht ausreichend, diesen Visionstext nun einfach in der Tradition der paganen oder christlichen Tugend- und Lasterkataloge zu sehen, wie wohl dies natürlich nicht falsch ist. Genauer lassen sich zumindest zwei Texte namhaft machen, die Hildegard bei Abfassung ihrer Visionen bekannt gewesen sein müssen:  Der gesamte Ablauf erinnert an ein Kampfspiel der Tugenden gegen die Laster, das entscheidend geprägt worden ist durch das um 400 entstandene Lehrgedicht Psychomachia des Aurelius Prudentius

7 Scivias III 9, 260–262/Herm. sim. IX 13, 1; vgl. auch vis. III 3, 3. 2 28 Scivias III 9, 503–505/Herm. sim. IX 13, 4. 29 Scivias III 9, 535/Herm. sim. IX 13, 8f. 30 Scivias III 9, 545–547/Herm. sim. IX 14, 2. 31 Hierzu Liebeschütz, 1930, 53f. Anm. 3. – Auf diesen Befund wird auch in der kritischen Ausgabe der Scivias in CChr aufmerksam gemacht, vgl. Einleitung xiv. 32 Vita II 12: librum Vite meritorum divinitus michi revelatum per gratiam Dei ad finem perduxi (160, 10–12 Klaes).

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Clemens.33 Nacheinander treten hier sieben Tugenden auf einem Ringplatz sieben Lastern gegenüber, damit am Ende das Gute in der Kraft christlichen Glaubens die Oberhand gewinnt. Auf Seiten der Tugenden tritt als erste die fides auf und schlägt die veterum cultura deorum zu Boden. Hernach triumphieren die patientia über die ira, die mens humilis über die superbia und so weiter, ehe in der letzten Runde die concordia über die discordia siegt, die zudem den Beinamen heresis trägt. Dieses Lehrgedicht ist im Abendland viel rezipiert worden, ablesbar an der Existenz überaus zahlreicher Prudentiushandschriften, die häufig reich illustriert sind. Die Psychomachia ist das Muster des christlichen Tugendkampfspiels im Abendland geworden. Hildegards Visionsschrift Liber vitae meritorum nimmt diese Tradition auf und kleidet sie in die Form eines Visionszyklus, wobei übrigens die Paare concordia – discordia, humilitas – superbia und ira – patientia mit denen bei Prudentius wörtlich übereinstimmen. Kann man die Anklänge an die Psychomachia des Prudentius bei Hildegard noch als etwas zu allgemein empfinden, so steht es mit einem anderen Text aus der Tradition schon anders. Bereits im Jahre 1930 hat Hans Liebeschütz darauf hingewiesen,34 daß der Conflictus virtutum et vitiorum des Ambrosius Autpertus (um 778),35 ein Text, der seinerseits in die Wirkungsgeschichte des Prudentius hineingehört, Paare von Tugenden bzw. Lastern gegenüberstellt, von denen fünf in Hildegards Liber vitae meritorum genauso wieder auftauchen: obduratio – misericordia, ira – patientia, fallacia – veritas, superbia – humilitas, cupiditas – contemptus mundi. Es macht, über diese Beobachtungen zum Liber Vitae Meritorum hinaus, keinerlei Mühe, in Hildegards Schrifttum weitergehende Anklänge und auch Übernahmen aus den Texten der kirchlichen Tradition namhaft zu machen:36 Die Personifikation der Kirche durch eine junge Frauengestalt bei Hildegard läßt an die Gleichung Virgo  =  Maria  =  Ecclesia bei Ambrosius von Mailand denken.37 Wenn in Scivias II 6 die Ecclesia als Sakramentsspenderin 33 Text und dt. Übersetzung hrsg. von U. Engelmann, Basel 1959. Zu Prudentius insgesamt jetzt S. Döpp, LACL, Freiburg 1998, 522–525 (Lit!). 34 In der Erstauflage des in Anm. 31 genannten Werkes, 37f. Anm. I (= 21964). 35 Kritische Edition in CChr.CM 27B, hrsg. von R. Weber, Turnholt 1979. 36 Aufmerksam gemacht sei auf den überzeugenden Versuch von C. Meier, in Hildegards Schrifttum eine Rezeption von Texten des Eriugena nachzuweisen: Eriugena im Nonnenkloster? Überlegungen zum Verhältnis von Prophetentum und Werkgestalt in den „figmenta prophetica“ Hildegards von Bingen, in: FMSt 18 (1984) 466–497; Seherin – Prophetin – Mystikerin. Hildegard von Bingen in der hagiographischen Tradition, in: E. Förster / Konvent der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard (eds.), Hildegard von Bingen. Prophetin durch die Zeiten. Zum 900. Geburtstag, Freiburg 1997, 126–152. 37 Ambr., Luc. II 7: PL 15, 1635D.

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dargestellt ist, die in einem Pokal Blut aus der Seite Christi auffängt, so entspricht das der einflußreichen und traditionsbildenden augustinischen Interpretation von Joh 19, 34, die Blut und Wasser, die nach dem Lanzenstich aus der Seite Christi flossen, in diesem Sinne deutet.38 Bedauerlich ist, daß die Seherin vom Rupertsberg ihre Gewährsleute fast niemals namhaft macht. In den Expositiones quorundam evangeliorum findet sich die einzige Stelle, in der sie ausdrücklich Namen nennt: Gregorius, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und andere.39 Meine zweite These lautet: Vision bei Hildegard ist zu verstehen als eigenständig verarbeitende Ins-Bild-Setzung kirchlicher Tradition.

4. Vision als ins Bild gesetzte Frühscholastik Am Ende des Prooemiums des zweiten Buches der Hildegardvita macht Theoderich von Echternach darauf aufmerksam, daß in den nun in der Lebensbeschreibung folgenden zusammengestellten Visionen sich einiges finde, was auch schon im ersten (von Gottfried geschriebenen) Buch vorgekommen sei. Er ersucht seine Leser um Verständnis. Aber es gehe ihm darum, die Reihenfolge, die qualitas ordinis zu wahren, damit in der Beschreibung der Visionen nichts verstümmelt werde, etwa durch Auslassung dessen, was im Buch Gottfrieds schon anklang. Eine Änderung der Reihenfolge käme einer Verstümmelung der Visionen gleich.40 Diese, so muß man aus der Bemerkung Theoderichs schließen, sind nur im Zusammenhang verstehbar, vermögen nur im Zusammenhang wiederzugeben, was der Seherin vom Heiligen Geist eingegeben wurde. Anordnung und Aufbau sind also keineswegs beliebig, die Visionen sind nicht je für sich zu verstehen. Daß sie auch nicht je für sich verstanden werden sollten, zeigt aber nicht nur Theoderichs Bemerkung, sondern v. a. die literarische Zusammenfassung der Visionen zu drei in sich geschlossenen Schriften durch Hildegard selber. Diese Visionsschriften sind bis zu ihrer Fertigstellung mehrfach überarbeitet worden, und zwar gerade nicht nur auf sprachliche und stilistische Gesichtspunkte hin (auch hiervon berichtet freilich die Vita), sondern vor allem unter dem Aspekt der strengen Systematisierung. Und auch die Aufteilung der Visionen auf drei verschiedene Schriften hat rein inhaltliche Gründe. Die Scivias behandelt den Themenkreis des Gottesreiches und den Weg der Erlösung des Menschen,

8 Aug., in Ioh. tract. CXX: PL 35, 1935. 3 39 J.B. Pitra (ed.), Analecta sacra VIII, Monte Cassino 1882 (ND Farnborough 1966), 306. 40 Quia dignum iudicavimus, ut et qualitas ordinis in recitatione historie eius dervaretur, et auctoritas vel integritas verborum, que per Spiritum sanctum prolata sunt, in descriptione visionum eius nullatenus mutilaretur (114, 1–5 Klaes).

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ist also letztlich nichts anderes als eine Glaubenslehre, der Liber vitae meritorum behandelt den Menschen als das verantwortliche Mittelglied im Zen­ trum des Universums (Schipperges),41 ist also letztlich nichts anderes als eine systematisch ausgearbeitete Sittenlehre42 oder Lebenskunde,43 und der Liber divinorum operum schließlich beschreibt den Themenkreis der Stellung des Menschen im Kosmos und in Zusammenhang mit dem Kosmos, ist also eine Art Weltenkunde. Als Werke mit je selbständiger thematischer Akzentsetzung bilden die drei Schriften zugleich eine innere Einheit, so daß man in der Forschung von einer Trilogie gesprochen hat.44 Doch nicht nur die Zusammenordnung der Visionsschriften zu Büchern über einzelne Themenbereiche hat Methode. Auch der innere Aufbau jedes der Bücher ist streng systematisch. Hildegards Visionsschriften entfalten eine Landkarte der Theologie in Bildern. Die Beschreibungen der jeweiligen Schau mögen zunächst befremden, die Form der Vision, in der sie ihre Theologie darbietet, mag im ersten Moment darüber hinwegtäuschen, aber tatsächlich ist alles genau aufeinander abgestimmt. Das eigentliche Ziel ihrer Texte ist nicht die unmittelbare Wirkung der Bilder, sondern die Bilder erhalten ihren klaren Sinn durch die ihnen jeweils nachgestellte Deutung. Die Visionsschriften folgen einem formalen Schema, das bei jeder Schau immer zunächst die genaue Schilderung der Vision, als zweites dann eine knappe Erklärung des Geschilderten durch eine „göttliche Stimme“, dazu Erläuterungen durch einen weiteren und meist etwas längeren theologischen Argumentationsgang bietet. Die Reihenfolge der Schilderung der einzelnen Elemente jeder Vision entspricht der Reihenfolge der Erklärungen durch die göttliche Stimme. Dabei wird der Gedankengang keineswegs lose, sondern streng im Schema Frage-Antwort geführt. Dementsprechend gehören die Fragen Quomodo? und Quid est hoc? zu den am meisten vorkommenden Wörtern in der gesamten Scivias-Schrift.45 Sie entsprechen dem für die Texte der Frühscholastik so

41 Dt. Ausgabe des Liber vitae meritorum: Der Mensch in der Verantwortung, Salzburg 1972, 295. 42 H. Schipperges, ebd. 43 A. Führkötter in ihrer deutschen Übersetzung der Vita, Düsseldorf 1968, 20. 44 M. Klaes in ihrer Einleitung der Anm. 8 genannten Ausgabe der Vita, 22. Die innere Einheit der drei Visionsschriften betont auch Dinzelbacher, 1989, 106. 45 Nur ein Passus sei stellvertretend für die ganze Schrift genannt: Scivias I 4,18–26. Belege: 79, 610 Führkötter / Carlevaris; 79, 611f.; 80, 641; 80, 648; 80, 649; 81, 681; 82, 704; 83, 726; 83, 730; 83, 734; 83, 738; 83, 746; 83, 754; 84, 756; 84, 758; 84, 764. – Es ist etwas irreführend, daß gerade diese Wörter in der deutschen Scivias-Übersetzung von Maura Böckeler weitgehend weggelassen worden sind. Zu konsultieren ist daher stets die eng an der kritischen CChr-Ausgabe orientierte Übersetzung von W. Storch.

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typischen Frage- und Antwortstil und sind für das Verständnis der Hildegardschen Visionstexte unentbehrlich. Man kann beobachten, wie der Text von Schilderung der jeweiligen Vision und Erläuterung durch die göttliche Stimme zu systematischer Reflexion übergeht. Ein Beispiel muß genügen: Im zweiten Buch der Scivias zeigt Hildegard in vier Visionen die Heilskräfte der Kirche als Sakramentsvermittlerin auf. In der vierten dieser Visionen sieht Hildegard einen großen runden Turm. Der Turm hat drei Fenster, aus denen Glanz blitzt. Der Turm ist die Rückwehr für eine weibliche Gestalt, die sich an ihn lehnt, damit sie nicht zu Fall kommt. Im Schoß der Gestalt sind Gruppen von Kindlein, die in lichter Klarheit erstrahlen. Einige Kindlein sind von der Stirn bis zu den Füßen geschmückt von goldenem Licht, andere leuchten zwar auch, aber dieser besondere Schmuck des goldenen Lichtes fehlt ihnen. Hildegard gibt die Erklärung: Der Turm ist die Feuerlohe der Geistesgaben. Die Fenster des Turmes sind die unaussprechliche Dreieinigkeit. Der Glanz ist die Lehre der Apostel. Die sich rückwärtig an den Turm anlehnende weibliche Gestalt ist die Kirche, gestützt durch die Gnadengaben des Geistes. Von den Kindlein im Schoß der Frauengestalt heißt es dann: Und daß Du siehst, wie die Kindlein, die – wie gesagt – durch den Schoß der Gestalt hindurchgezogen waren, in lichter Klarheit erstrahlen, das heißt:  Die, welche in der Unschuld ungetrübter Herzensreinheit durch den Quell der Wiedergeburt – wie Dir gezeigt wurde – in der Kirche ihre Mutter gefunden haben, werden wegen der Reinwaschung von Sünden Kinder des Lichts. Die einen sind von der Stirn bis herab zu ihren Füßen mit Goldglanz übergossen; denn sie werden vom Beginn der guten Werke durch die strahlenden Gaben des Heiligen Geistes bis zum Ziel der Heiligkeit von der Salbung aufrichtiger Gläubigkeit durch die Hand des Bischofs geschmückt […]. Andere jedoch leuchten, wie Du siehst, wohl auch, aber ihnen fehlt dieser Goldglanz. Sie sind nur gereinigt im Bad der Taufe. Die hohepriesterliche Salbung mit Chrisam, das Siegel der Glut des Heiligen Geistes, fehlt ihnen.46

46 Scivias II 4, 6f.: Et quod uides infantes illos qui uentrem eiusdem imaginis, ut praedictum est, transierant, multa claritate fulgentes: hoc est quod hi qui in innocentia munditiae puri cordis per fontem regenerationis matrem scilicet ecclesiam, ut tibi praemonstratum est, adepti sunt, filii lucis propter ablutionem peccatorum suorum exsistunt. Quorum alii a fronte usque ad pedes ipsorum uelut aureo colore ornati sunt: quia ab initio bonorum operum usque ad finem sanctitatis per fulgentissima dona sancti Spiritus in unctione uerae credulitatis per manum pontificis in chrismate decorantur. […] Alii uero, ut uides, eandem claritatem tantum habentes illo colore carebant: quoniam ipsi in baptismate ablutionis tantum mundati unctionem superioris sui sacerdotis non habent in chrismate, quod signum ardentis sancti Spiritus est. (164, 192–166, 237 Führkötter / Carnevalis). Die Übersetzung ist hier und im folgenden angelehnt an W. Storch.

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Aus einer Visionsschilderung und ihrer Erklärung geht der Text über in systematische Reflexionen zum Sakramentsverständnis, hier am Falle der confirmatio. Hildegard führt aus: Die Salbung des Firmlings leuchtet besonders durch das Bischofsamt als Geistesgabe auf. Sie soll dem gläubigen Volk nach der Wiedergeburt in Geist und Wasser zuteil werden. […] Und darum soll diese Salbung zur Ehre des Heiligen Geistes nur durch einen höheren Priester vollzogen werden, weil jede kirchliche Rangstufe im Heiligen Geist eingesetzt ist und daher diese Salbung als Salbung des Heiligen Geistes gilt. Deswegen hat ein Mensch, der das Mysterium der Wiedergeburt zum Leben empfangen hat, aber nicht mit dieser Salbung gesalbt ist, auch nicht den Schmuck der kirchlichen Fülle.47

Die Vision ist übergegangen in eine systematische Erklärung, ja Definition des Firmsakraments. Die von Hildegard gebrauchte Definition ist aber keineswegs selbst entworfen. Sie entspricht der Auffassung der confirmatio in den Sentenzen des Petrus Lombardus,48 worauf bereits Hans Liebeschütz aufmerksam gemacht hat,49 steht also in Verbindung zu dem Werk der systematischen Theologie des 12. Jahrhunderts überhaupt. Zudem muß man, über Liebeschütz hinausgehend, darauf hinweisen, daß der Text aus Scivias nicht nur den Lombardussentenzen entspricht, sondern zugleich der etwas früheren Kodifikation des Firmsakraments bei Gratian in dessen Rechtsnormenharmonie Concordia discordantium canonum von 1140.50 Hildegard sind also nicht nur die aktuellen Entwicklungen christlicher Glaubenslehre, sondern auch die diese kodifizierenden kirchlichen Rechtsbestimmungen bekannt.51 Meine dritte These lautet:  Vision bei Hildegard von Bingen ist zu verstehen als ins Bild gesetzte Vor- und Frühscholastik bzw. ins Bild gesetzte systematische Theologie. 47 Scivias II 4, 8f.: Unctio confirmandi per donum sancti Spiritus in episcopali officio specialiter fulget quod in fideli populo post regenerationem Spiritus et aquae exercendum est […] Et ideo haec unctio in honore eiusdem sancti Spiritus per superiorem sacerdotem tantum exercenda est, quia omnis ecclesiasticus ordo in Spiritu sancto institutus est, et propterea haec eadem unctio Spiritus sancti est. Quapropter et homo ille qui mysterium regenerationis ad uitam suscepit, si hoc modo non est unctus, tunc nec ornatum ecclesiasticae plenitudinis percepit (166f., 237–269 Führkötter / Carnevalis). 48 Sententiarum liber IV dist. 7: Hoc sacramentum ab aliis perfici non potest, nisi a summis sacerdotibus […] Virtus autem sacramenti est donatio Spiritus sancti ad robur, qui in baptismo datus est ad remissionem (PL 192, 855). 49 Liebeschütz, 1930, 21 Anm. 1. 50 De consecratione D.5, 4 (1413f. Friedberg [Leipzig 1879 = Graz 21959]). – Zu Gratian P. Landau, in: TRE 14 (1985), 124–130. 51 Ebenso A. Führkötter in der Einleitung zur CChr-Edition der Scivias, xvi.

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5. Vision als kirchenamtlich approbierte Theologie Hildegard selber ist sich der Außerordentlichkeit ihrer Gabe des Sehens bewußt: Im in die Theoderichvita integrierten autobiographischen Teil findet sich hierzu folgender Passus: Denn im Jahr 1100 nach der Menschwerdung Christi begann die Lehre der Apostel und die glühende Gerechtigkeit, die er in den Christen und Geistlichen aufgerichtet hatte, träge zu werden und verwandelte sich in Zweifel. Zu jener Zeit wurde ich geboren, und meine Eltern weihten mich Gott unter Seufzen, und in meinem dritten Lebensjahr sah ich ein so großes Licht, daß meine Seele erzitterte, […] und bis zum 15. Jahr war ich jemand, der vieles sah und mehr noch einfältig aussprach, so daß sich auch die, welche diese Dinge hörten, verwundert fragten, woher sie kämen und von wem sie stammten. Darauf habe auch ich mich über mich selbst gewundert, weil ich, während ich drinnen in meiner Seele diese Dinge sah, auch ein äußeres Sehvermögen hatte und weil ich dies von keinem Menschen hörte; und daher habe ich die Schau, die ich in meiner Seele sah, verheimlicht soweit ich konnte […] bis zu meinem 40. Lebensjahr. Dann wurde ich in derselben Schau durch einen großen Ansturm von Schmerzen gezwungen, offen darzulegen, was ich gesehen und gehört hatte.52

Hildegard betont die Fremdheit des Phänomens Vision. Auch als sie sich mit 40 Jahren gezwungen sieht, ihre Offenbarungen zu offenbaren, bleibt sie vorsichtig. Sie vertraut sich, wie aus den autobiographischen Fragmenten53 und Gottfrieds Bericht54 zu kombinieren ist, ihrem Lehrer Vollmar an. Dieser hört ihren Bericht an und empfiehlt eine heimliche Niederschrift, damit er sehe, welcher Art die Visionen seien und woher sie kämen. Als Vollmar erkennt, daß sie von Gott sind, vertraut er sich Abt Kuno an.55 Dieser wiederum befragt zunächst die Klügsten des Klosters und gibt die Sache dann weiter zur Mainzer Mutterkirche. Erzbischof Heinrich und das Domkapitel wiederum halten es für ratsam, den Papst zu fragen und durch dessen 52 Vita II 2: Nam post incarnationem Christi anno millesimo centesimo doctrina apostolorum et ardens iustitia, quam in christianis et spiritualibus constituerat, tardare cepit et in hesitationem vertebatur. Illis temporibus nata sum, et parentes mei cum suspiriis Deo me vovebant, ac tertio etatis mee anno tantum lumen vidi, quod anima mea contremuit […] et usque in quintum decimum annum fui multa videns et plura simpliciter loquens, ita quod et admirabantur qui hec audierunt, unde venirent et a quo essent. Tunc et ego in me ipsa admirata sum, quod cum infra in anima hec vidi, exteriorem etiam visum habui et quod hoc de nullo homine audivi, atque visionem, quam in anima vidi, quantum potui celavi […] in quadragesimum etatis mee annum. Tunc in eadem visione magna pressura dolorum coacta sum palam manifestare, que videram et audieram (124,13–126,26 Klaes). 53 Vita II 2. 54 Vita I 3f. 55 Nach dem Gottfriedbericht rät erst Kuno zur heimlichen Niederschrift (Vita I 3).

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Autorität zu erfahren, was anzunehmen und was zu verwerfen sei. Eugen III. weilt 1147/8 auf einer Synode in Trier. Er schickt eine Delegation zum Disibodenberg, die Hildegard befragt und dann nach Trier zurückkommt. Der Papst läßt sich Hildegards Schriften vorlegen (ein Teil der Scivias) und liest selbst daraus vor. Sodann verkündet er feierlich das Votum der Kommission und ruft die Herzen aller zum Lob des Schöpfers auf. Er verfaßt ein Schreiben, „in dem er ihr im Namen Christi und des seligen Petrus die Erlaubnis erteilte, alles zu veröffentlichen, was sie vom Heiligen Geist erfahren habe, und sie zum Schreiben ermunterte“.56 Den Disibodenberg ehrt er durch ein Schreiben an den Abt und die Brüder.57 Es hat sicher zum hohen Selbstbewußtsein der späten Hildegard beigetragen, daß die Approbation ihrer Visionen durch Eugen III. erfolgte. Auch die Zeitgenossen haben diesem Aspekt die größte Bedeutung beigemessen. Im Jahre 1167 schreibt Johannes von Salisbury (1115–1180), damals noch Sekretär des Theobald von Canterbury, an seinen Freund Girardus von Pucelle: Wenn nichts anderes auftaucht, was bei uns noch fehlt, dann schickt mir doch wenigstens die Visionen und Orakel der seligen und so sehr berühmten Hildegardis, die ihr bei euch habt. Sie ist mir äußerst der Empfehlung wert und verehrungswürdig, weil unser Papst Eugen sie mit besonders herzlicher Liebe und Vertrautheit umarmt.58

Meine vierte These lautet: Vision bei Hildegard von Bingen ist zu verstehen als kirchenamtlich approbierte Theologie.

56 Vita I 4: In quibus concessa sub Christi et beati Petri nomine licentia proferendi, quecumque per Spiritum sanctum cognovisset, eam ad scribendum animavit (94, 18–20 Klaes). Genau dies bestätigt der autobiographische Teil der Vita II 2. – Der Brief Eugens ist nicht erhalten. Ein in späteren Briefbüchern überliefertes Schreiben Eugens enthält neben der Approbation der Visionen auch die Erlaubnis zum Umzug auf den Rupertsberg; es ist sicher unecht. Vgl. hierzu die Kommentierung von M. Klaes zur Stelle, Anm. 22. 57 Die Schutzurkunde für den Disibodenberg, ausgestellt am 18. Februar 1148 in Metz (Mainzer Urkundenbuch II/l, hrsg. von P. Acht, Darmstadt 1968, 207–210 [no. 108] und Urkundenbuch der mittelrheinischen Territorien I, hrsg. Beyer / Eltester / Goertz, Koblenz 1860, 612 [no. 552]). Das Papstschreiben bestätigt den Vitabericht. 58 Johannes von Salisbury, ep. 185, in: W.J. Millor / C.N.L. Brooke (eds.), The Letters of John of Salisbury II. The later letters (1163–1180), Oxford 1979, 224: si non aliud occurit quod nostratibus desit, saltem uisiones et oracula beatae illius et celeberrimae Hildegardis apud uos sunt; quae michi ex eo commendata est et uenerabilis, quod eam dominus Eugenius speciali caritatis affectu familiaris amplectebatur.

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6. Zusammenfassung Orientiert man sich an den Angaben der Zeitgenossen in der Vita Gottfrieds und Theoderichs und legt man diese als Interpretationsmaßstab an die Visionentrilogie an, so ergeben sich, ohne daß damit eine vollständige Auslotung des Phänomens Vision beabsichtigt oder auch nur für möglich erachtet würde, vier zentrale inhaltliche Gesichtspunkte. Die Visionen sind ins Bild gesetzte allegorische Schriftauslegung, Kirchenväterrezeption, bebilderte Vor- bzw. Frühscholastik und kirchenamtlich approbierte Lehre. Damit sind die Visionen der Hildegard von Bingen zunächst einmal von den gesamten übrigen mittelalterlichen Visionsberichten grundsätzlich zu unterscheiden59 – ein Ergebnis, das sich, ohne daß dies hier ausgeführt werden kann, auch im Blick auf den ikonographischen Befund bestätigen ließe.60 Die prophetissa teutonica fügt sich von daher nur schwer in die Geschichte der Mystik, namentlich der sogenannten deutschen Mystik ein. Hildegard ist nicht an den Anfang einer Linie zu stellen, die von ihr zu einer Gertrud von Helfta oder Mechthild von Magdeburg führen würde. Sie entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Theologin von hohem Rang, die in ihren Visionen traditionsgesättigte Theologie in faszinierender Bild- und Symbolkraft eigenständig entfaltet. Diesem Befund zum Inhalt der Visionen entspricht das wenige, was wir über die Art und Weise der Visionen Hildegards sagen können; geht man nämlich mit Peter Dinzelbacher davon aus, daß von Vision im Mittelalter dann zu sprechen sei, „wenn ein Mensch im Zustand der Ekstase oder des Schlafes den Eindruck empfängt, seine Seele werde durch das Walten übersinnlicher Mächte in einen anderen Raum versetzt, der bildhaft beschreibbar ist und wo ihm eine Offenbarung zuteil wird“,61 so muß im Blick auf Hildegard festgestellt werden: Anders als bei anderen Charismatikern und Charismatikerinnen des Mittelalters vollziehen sich die Visionen nicht in Ekstase, sondern unter ausdrücklicher Wahrung des Wachbewußtseins. Anders als bei den anderen Visionärinnen und Visionären erfolgt bei ihr kein Versetztwerden in eine andere Welt oder an einen anderen Ort dieser Welt. So bestätigt sich einerseits die jüngst von Heinrich Schipperges noch einmal unterstrichene Auffassung, daß man Hildegards Gesamtwerk als „völlig

59 Hierauf macht auch P. Dinzelbacher in seiner Anthologie aufmerksam, indem er von einer „Sonderstellung“ Hildegards spricht: Mittelalterliche Visionsliteratur. Eine Anthologie, Darmstadt 1989, 106. 60 L. Baillet, Les Miniatures du „Scivias“ de Sainte Hildegard, in: MMAIBL 19 (1911), 49–149; J. Schomer, Die Illustrationen der hl. Hildegard von Bingen als künstlerische Neuschöpfung, Diss. Bonn 1937. 61 Dinzelbacher, 1989, 19.

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originär“62 bezeichnen muß. Dieses Urteil gilt jedoch nur dann, wenn man zugleich den traditionellen Hintergrund ihrer Visionen beachtet. Ich möchte so formulieren:  Gerade daß die indocta vom Bingener Rupertsberg aus gründlicher Auseinandersetzung mit der Schrift und aus einem breiten Traditionsarsenal schöpft, macht ihre großen Möglichkeiten zu eigenständiger Gestaltung ihrer Theologie überhaupt erst aus.63 Der überlieferte Gedanken- und Bildervorrat, den sie sicher nicht nur aus literarischer Überlieferung kennt, sondern teilweise auch als Handschriftenillustration vor sich gehabt haben muß, wird frei zusammengesetzt und weitergebildet, je nach dem, welchen Gedanken sie zum Ausdruck bringen, ins Bild setzen, entfalten will. In den Visionen hat Hildegard von Bingen eine „Summa theologiae in Bilderreihen“ geschaffen. Trifft dies zu, dann ergibt sich freilich auch, daß man die Beteuerungen ihrer Unbildung, die in ihren Texten wie in der Vita immer wieder auftauchen, als Äußerungen ansehen muß, die uns über benediktinisches Verständnis von Demut recht gut, über die tatsächlichen Gegebenheiten am Disibodenberg und am Rupertsberg in Bingen jedoch denkbar schlecht informieren.64

7. Schlußbemerkung Nach den Erfahrungen der letzten, vom 900-jährigen Jubiläum geprägten und somit an Hildegard-applicationes wahrlich nicht armen Jahre ist es am Ende dieses Beitrages nicht ohne Risiko, auch die hier vorgetragenen Überlegungen mit einer Hildegard-applicatio zu schließen. Ein Gedanke sei dennoch formuliert: Wenn man fragt, was der hier dargelegte Befund an einer theologischen Fakultät gegen Ende des 20.  Jahrhunderts möglicherweise aktuell bedeuten könnte, dann wäre folgendermaßen zu antworten:  Man könnte im Blick auf das Beispiel Hildegards jedenfalls darauf vertrauen, daß in einer Zeit, die wie das Jahr 1100 nach Christus davon gekennzeichnet 62 H. Schipperges, Hildegard von Bingen, München 1995, 16. Ähnliche Voten ebd. 33. 115. 63 Von hier aus ließe sich m. E. (unbeschadet der Nachprüfung der einzelnen strittigen Belegstellen) im Dissens zwischen H. Liebeschütz und H. Schipperges vermitteln, in welchem ersterer (1930) stark den Rückgriff Hildegards auf die Tradition unterstrichen hat, während letzterer (Das Schöne in der Welt Hildegards von Bingen, in: JÄAK 4 [1958/9], 83–139 [128]; Einflüsse arabischer Medizin auf die Mikrokosmosliteratur des 12. Jahrhunderts, in: MM 1 [1962], 131–153, [133–135]) die gedankliche Originalität Hildegards betont. 64 A. Führkötter in der Einleitung der CChr-Edition der Scivias: „So ist die indocta dennoch eine docta“. Auf die Schreibgewandtheit des Disibodenberger Skriptoriums deutet eine 1143 gefertigte Handschrift mit Martyrologium und Regula Benedicti, Bern, Burger-Bibliothek, Cod. 226 (A. Führkötter, xv Anm. 23).

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scheint, daß die Lehre der Apostel und die glühende Gerechtigkeit, die er in den Christen und Geistlichen aufgerichtet hatte, träge zu werden und sich in Zweifel zu verwandeln begann:65 daß sich in einer solchen Zeit bei Lehrenden wie bei Studierenden durch eifriges Studium der Schrift, der Väter und der systematischen Theologie – Visionen einstellen könnten. In diesem Punkt bietet die Theologie der Hildegard von Bingen jedenfalls einen unabweisbaren und ermutigenden Präzedenzfall; einen Präzedenzfall, der als solcher zudem Garant dafür wäre, daß derart tief in Schrift und Tradition verwurzelte Visionen in der Kirche anno Domini 2000 ebenso hoch willkommen wären wie weiland unter Papst Eugen III.

65 Vita II 2. Siehe oben Anmerkung 52.

Konstantin der Große und die Frage nach den Vätern des Konzils von Nizäa* Die Frage nach den dogmatisch und kirchenpolitisch dominierenden Gestalten auf dem Konzil von Nizäa (325)1 ist häufig gestellt worden. Bekanntlich erlaubt die Quellenlage nur sehr bedingt genauere Aussagen; vieles bleibt im Bereich der Spekulation stecken. Die treibenden Kräfte hinter den Entscheidungen des schon von den Zeitgenossen so genannten ersten „ökumenischen“, also reichsweiten, Konzils der Christenheit sind nur zum Teil zu identifizieren. Unbestritten ist, daß Kaiser Konstantin eine dominierende Rolle auf dem Konzil eingenommen hat, wenngleich es erforderlich ist, diese im einzelnen näher zu bestimmen. Der vorliegende Beitrag stellt im Rahmen der Gesamtkonzeption der Festgabe den Versuch dar, die Frage zu beantworten, ob und inwiefern man Konstantin den Großen selbst als „Vater des Konzils von Nizäa“ und damit eben auch in gewisser Hinsicht als „Vater der Kirche“ bezeichnen kann.

1. Die „318 Väter von Nizäa“ Die Angabe, daß 318 Teilnehmer auf dem Konzil von Nizäa versammelt gewesen seien, taucht erstmals in den späten fünfziger Jahren des vierten Jahrhunderts auf;2 es handelt sich dabei um eine idealisierte Zahl, die nach

* Zuerst erschienen in: J. Arnold u. a. (eds.), Väter der Kirche. Ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit. FS Hermann Josef Sieben, Paderborn 2004, 149–165. 1 Zum Konzil von Nizäa siehe H.J. Sieben, Die Konzilsidee der Alten Kirche, Konziliengeschichte B 1, Paderborn 1979. – Weitere Literatur in knappster Auswahl: H.C. Brennecke, Nizäa I, in: TRE 24 (1994), 429–441; R.P.C. Hanson, The Search for the Christian Doctrine of God. The Arian Controversy 318–381, Edinburgh 1988; A.M. Ritter, Zum Homousios von Nizäa und Konstantinopel, in: A.M. Ritter u. a. (eds.), Kerygma und Logos. FS C. Andresen, Göttingen 1979, 404–423; C. Kannengiesser, Nicee 325 dans l’histoire du christianisme, in: Concilium 138 (1977/1978), 39–47; C. Stead, Divine Substance, Oxford 1977; Dinsen, Homoousios. Die Geschichte des Begriffs bis zum Konzil von Konstantinopel, Kiel 1976; H. Chadwick, Faith and Order in the Council of Nicea, in: HThR 53 (1960), 171–195; G. Kraft, ΟΜΟΟΥΣΙΟΣ, in: ZKG 66 (1954/1955), 1–24 und schließlich, immer noch höchst instruktiv und lesenswert, F. Loofs, Das Nicänum, in: FS K. Müller, Tübingen 1922, 62–82 (Wiederabdruck in: H.C. Brennecke / J. Ulrich (eds.), Patristica, AKG 71, Tübingen 1999, 105–121). 2 Vgl. Hilar., Syn. 86 (PL 10: 538B).

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den 318 Knechten Abrahams (Gen 14,14) konstruiert ist.3 Ambrosius von Mailand allegorisiert Zahl und Bibelstelle über die griechische Schreibweise τιη gar auf das Kreuz (Buchstabe τ) und den Namen Jesu (Buchstaben ιη[σους]).4 Die tatsächliche Zahl der Teilnehmer des Konzils dürfte allerdings um einiges unter 318 gelegen haben. Die von Gelzer, Hilgenfeld und Cuntz unter dem Titel Patrum Nicaenorum Nomina herausgegebenen Listen5 machen eine Zahl von etwa 250 Teilnehmern in Nizäa wahrscheinlich. Von jeher ist die überaus hohe Mehrheit östlicher Bischöfe unter diesen etwa 250 Teilnehmern bemerkt worden, ausweislich der Listen nahmen aus dem lateinischsprachigen Westen überhaupt nur sechs Vertreter teil. Wer unter den Teilnehmern von Nizäa zu den theologisch dominierenden Köpfen auf dem Konzil gezählt hat, ist freilich nur schwer zu beantworten.6 Und wer letztlich für den Text des Nizänums und für die Einfügung des zunächst offenbar allseits ungeliebten, erst Jahrzehnte später zum Banner der (neu)nizänischen Orthodoxie werdenden homooúsios verantwortlich zeichnete, ist in der Forschung nach wie vor umstritten. Natürlich unterstellt gerade die idealisierende Konstruktion der „318“, dass alle Teilnehmenden in ihrer Gesamtheit als Garanten für die in Nizäa gefundene und fixierte dogmatische Wahrheit anzusehen seien – so wie die 318 Knechte Abrahams in ihrer Gesamtheit die Rettung Lots erreicht haben. Das löst aber noch nicht das kirchenhistorische Problem der Frage nach den Vätern von Nizäa im engeren Sinne, also nach den treibenden Kräften der dort getroffenen Entscheidungen. Mustert man die Listen der bischöflichen Teilnehmer in Nizäa, so fallen einige besonders prominente und gewichtige Sitze ins Auge, deren Inhaber von vornherein als mögliche Leitfiguren auf dem Konzil in Betracht gezogen werden müssen. Allerding ergeben sich in jedem einzelnen Fall erhebliche Schwierigkeiten, wenn es darum geht, eine führende Rolle des jeweiligen Bischofs wirklich plausibel zu machen. Alexander von Alexandrien, durch die frühe Verurteilung „seines“ Presbyters Arius als Garant des „orthodoxen“ Widerstandes gegen die arianische Trinitätstheologie bekannt und bewährt, kann kaum als treibende Kraft für die Formulierungen von Nizäa angesprochen werden; zu sehr weicht der theologische Duktus des Nizänums von Alexanders eigenem Bekenntnis ab, Vgl. H. Chadwick, Les 318 Peres de Nicee, in: RHE 61 (1966), 808–811. 3 4 Ambr., Fid. I prol. 5 (CSEL 78: 6,32–37). 5 Patrum Nicaenorum Nomina (1898; Neudruck 1995).  – Vgl. dazu J.  Ulrich, Rezension zu Patrum Nicaenorum Nomina (Neudruck 1995), in: ZAC 2 (1998), 148–150. 6 Siehe hierzu meine Erlanger Dissertation, J. Ulrich, Die Anfänge der abendländischen Rezeption des Nizänums, PTS 39, Berlin 1994, 19–25.

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das sich letztlich  – wie das des Arius selbst  – der origeneischen Mehrhypostasenauffassung und einem milden Subordinatianismus verpflichtet weiß7 und sich in diesen beiden Punkten zwar graduell deutlich, aber eben nicht prinzipiell von Arius selbst unterscheidet. Die angesichts dieses Problems wenigstens kurz zu prüfende „inner-alexandrinische“ Alternative, Athanasius selbst als „Vater“ von Nizäa anzusprechen, verdient jedoch ebenfalls wenig Zutrauen: sie beruht auf einer anachronistischen Rückprojektion der später hohen Bedeutung des Athanasius für die „Wiederentdeckung“ des Nizänums in den fünfziger und sechziger Jahren und übersieht die Tatsache, daß Athanasius im Jahre 325 erst Diakon war und man demzufolge seine Bedeutung auf dem ersten ökumenischen Konzil nicht überschätze sollte. Auch die Suche unter den weiteren renommierten Bischöfen des Ostens ergibt wenig Aufschluß. Eusebius von Caesarea darf sicher als einflußreiche Bischofsgestalt der Zeit angesprochen werden, stand aber Mitte 325 theologisch und kirchenpolitisch mit dem Rücken zur Wand, weil er durch die Entscheidung der Synode von Antiochien Anfang 325 im Fall Arius faktisch vorverurteilt war.8 Marcell von Ancyra, in dessen Bischofsstadt die Synode von 325 ursprünglich hätte stattfinden sollen und dem theologisch die Einhypostasenlehre von Nizäa durchaus sympathisch gewesen sein dürfte, ist in seinem 16 Jahre später formulierten persönlichen Bekenntnis an Julius von Rom gerade nicht auf das homooúsios von Nizäa zurückgekommen,9 was nicht gerade für seine federführende Beteiligung an der Formulierung von Nizäa spricht. Eustathius von Antiochien schließlich ist ebensowenig als unmittelbar leitende Persönlichkeit des Konzils von Nizäa und seiner theologischen Entscheidungen anzusprechen, bedenkt man, daß er sich im Nachhinein durchaus sehr kritisch über das Konzil und seinen Verlauf geäußert hat.10 Alexander von Thessalonich, der brieflich durch Alexander von 7 Vgl. Alexanders Brief an Alexander von Thessalonich = Urkunde 14 (ed. Opitz III/1: 19–29), hier speziell 14,46 (ed. Opitz III/1: 26,30–27,10). – Zu Alexander von Alexandrien siehe R.D. Williams, Alexander von Alexandrien, in:  4RGG 1 (1998), 286f; U. Heil, Alexander von Alexandrien, in: M. Vinzent (ed.), MetzlerLexikon christlicher Denker, Stuttgart 2000, 13f. 8 Vgl. L. Abramowski, Die Synode von Antiochien und ihr Symbol, in: ZKG 86 (1975), 356–366. 9 Die Epistula ad Iulium ist überliefert unter den Fragmenten Marcells bei Eusebius (GSC 14:183–215, hier 214f.) und bei Epiphanius im Panarion (GCS 37: 256,11– 259,3). – Zu Marcell siehe K. Seibt, Die Theologie des Marcell von Ancyra, AKG 59, Berlin 1994, sowie M. Vinzent, Marcell von Ancyra, Die Fragmente. Der Brief an Julius von Rom, VigChr Suppl.39, Leiden 1997. 10 Vgl. Thdt., h.e. 18,3 (GCS.NF5: 34,8–14). – Zu Marcell (und Eustathius) in Nizäa siehe F. Feige, Marcell von Ancyra und das Konzil von Nizäa (325), in: W. Ernst / K. Feiereis (eds.), Denkender Glaube in Geschichte und Gegenwart. FS aus Anlaß

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Alexandrien schon früh über den arianischen Kasus informiert war, entzieht sich für uns mangels verwertbarer Quellen jeder Einschätzung. Eusebius von Nikomedien, Bischof der vorläufigen Hauptstadt Konstantins nach dessen Sieg über Licinius, war durch seine Parteinahme für Arius theologisch diskreditiert. Versucht man nun aber, unter den wenigen westlichen Teilnehmern von Nizäa die treibenden Kräfte des Konzils aufzuspüren, so verstärken sich die Schwierigkeiten noch. Bischof Silvester von Rom, der hin und wieder als vermeintlich wichtiger Faktor auch im Zusammenhang der Vorstellung einer abendländischen theologischen Herleitung von Nizäa in Anspruch genommen wird,11 war 325 in Nizäa gar nicht zugegen, sondern ließ sich durch die beiden Presbyter Victor und Vincentius vertreten; einer Stärkung des römischen oder westlichen Einflusses auf dem Konzil dürfte dies kaum dienlich gewesen sein. Einem Ossius von Cordoba, schon vor dem Konzil als Beauftragter des Kaisers in Sachen Arius im Osten unterwegs,12 dürfte durchaus eine gewisse Autorität und auch Machtposition zuzusprechen sein; sein Name taucht in den überlieferten Teilnehmerlisten an erster Position auf.13 Über seine Theologie und über seinen theologischen Einfluß wissen wir aber kaum etwas, und die Tatsache, daß er als Spanier wenig auf die sprachlich und sachlich komplizierten Debatten und Distinktionen der Griechen eingestellt gewesen sein dürfte, mahnt hier zu äußerster Zurückhaltung.14 der Gründung der Universität Erfurt vor sechshundert Jahren und aus Anlaß des vierzigjährigen Bestehens des Philosophisch-theologischen Studiums, EThSt 63, Leipzig 1992, 277–296. 11 Als prominentester neuerer Vertreter einer solchen „westlichen“ Herleitung des Nizänums über Tertullian und den Streit der Dionyse bzw. Dionys von Rom bis hin zu Bischof Silvester von Rom ist Wolfgang Bienert zu nennen (W. Bienert, Das vornizänische homousios als Ausdruck der Rechtgläubigkeit, in: ZKG 90 (1979), 157–175, vorsichtiger W. Bienert, Dogmengeschichte, Grundkurs Theologie 5/1, Stuttgart 1997). – Gegen die westliche Herleitung des Nizänums sprechen m. E. vor allem die Tatsache, daß der Westen in Nizäa nur äußerst marginal in Erscheinung trat, daß der Bericht des Eusebius von der Einfügung des homooúsios in den Text von Nizäa gerade keine positive Füllung des Begriffes benennt, wie es bei einer zugrundeliegenden längeren Tradition zu erwarten gewesen wäre, und daß das Nizänum im Westen nach 325 gar keine Rolle spielt und erst äußerst spät „entdeckt“ wird (Hilarius hat es in den 50er Jahren nicht einmal gekannt; s. Hilar., Syn. 91; PL 10: 545A), was man bei einer Herleitung aus vornizänischen westlichen Traditionen kaum verstehen könnte. 12 Vgl. H. Chadwick, Ossius of Cordoba and the Presidency of the Council of Antioch, 325, in: JThS.NS 9 (1958), 292–304. 13 Vgl. Socr., h.e. I 13 (GCS.NF 1: 46,11f.). 14 Athanasius nennt in der Historia Arianorum 42,3 (ed. Opitz II/1: 206,31) Ossius den Verfasser des Symbolon von Nizäa; diese Notiz ist aber problematisch,

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Caecilian schließlich, 325 schon langjähriger, wenngleich durch die donatistische Kontroverse umstrittener Bischof von Karthago, konnte sich zwar im Rückblick auf die Synoden von Rom (313) und Arles (314) der Unterstützung des Kaisers relativ gewiß sein,15 er tritt in den Quellen aber an keiner Stelle mit irgendeinem Votum zur Trinitätstheologie in Erscheinung, und es bietet sich von daher nicht an, ihm eine herausgehobene Position auf dem nizänischen Konzil zuzumessen. So ist und bleibt es schwierig, über den Befund einer gemeinschaftlich mit etwa 250 beziehungsweise „318“ Teilnehmern verantworteten „Vaterschaft“ für die Beschlüsse von Nizäa hinaus einzelne Bischöfe in besonderer Weise als „Väter“ von Nizäa zu profilieren. Dies ist übrigens schon in den nachfolgenden Theologengenerationen so gesehen worden: man beruft sich seit den 50er Jahren des vierten Jahrhunderts, wenn man auf die Autorität des Konzils zu sprechen kommt, in der Regel auf „die Versammlung von Nizäa“ oder auf „die 318 Väter“,16 nicht aber auf besonders herauszuhebende, die Wahrheit der antiarianischen nizänischen Theologie in besonderem Maße befördernde Bischöfe.

2. Konstantin der Große und das Konzil von Nizäa (325) Seit der Machtübernahme im Westen nach dem Sieg über Maxentius an der Milvischen Brücke 312 spielt die Einberufung von Bischofssynoden als Versuch der Beilegung kirchlicher Konflikte und Schismata eine zentrale Rolle in der auf die Einheit der christlichen Kultausübung zielenden Religionspolitik Konstantins, was man bereits an den Synoden von Rom (313) und Arles (314) im Zusammenhang mit dem donatistischen Schisma sehen kann.17 Von

bedenkt man, daß bei Basilius von Caesarea (Ep. 81; ed. Courtonne I 184,24–26) Hermogenes als Verfasser des Bekenntnisses bezeichnet wird und daß Ossius in den Quellen durchgängig die Rolle eines Diplomaten und Friedensstifters in Nizäa zuerkannt wird (vgl. Eus., v.C. II 63; GCS Eusebius 1/1: 73,18–24), nicht aber die einer theologisch treibenden Kraft. Insgesamt zur Kirchenpolitik und Theologie des Ossius siehe J. Ulrich, Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius, in: ZKG 105 (1994), 143–155. 15 Vgl. Eus., h.e. X 6 (GCS.NF 6/2: 890,5–27). 16 Vgl. Chadwick, 1958, 292–304. 17 Vgl. Eus., h.e. X 5,18–24 (GCS.NF 6/2:  887,21–890,2).  – Siehe hierzu K.M. Girardet, Kaiser Konstantin der Große als Vorsitzender von Konzilien. Die historischen Tatsachen und ihre Deutung, in: Gymnasium 98 (1991), 548–560 und speziell zum Konzil von Nizäa K.M. Girardet, Der Vorsitzende des Konzils von Nizäa (325) – Kaiser Konstantin der Große, in: K. Dietz u. a. (eds.), Klassisches Altertum, Spätantike und frühes Christentum, FS A. Lippold, Würzburg 1993, 331–360.

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daher liegt die Einberufung der Synode von 325 durch den nun auch zum Herrscher im Osten gewordenen Kaiser sowie durch die relativ kurzfristige Verlegung des Tagungsortes nach Nizäa ganz auf der Linie seiner schon vorher klar erkennbaren Politik. Von kirchlicher beziehungsweise bischöflicher Seite ist dieses Vorgehen offensichtlich nicht grundsätzlich kritisch angefragt worden; Proteste gegen derlei Verfahrensweisen werden in den Quellen nur jeweils im Nachhinein von seiten der Unterlegenen laut, nie aber im Sinne einer prinzipiellen Kritik an dem gegenüber den Verhältnissen in vorkonstantinischer Zeit ja durchaus neuen und ungewöhnlichen Vorgehen. Das Einladungsschreiben Konstantins für die Synode in Nizäa, das die eigentlich für Ancyra geplante Versammlung18 kurzfristig nach Nizäa umverlegt, zeigt bereits deutlich, daß der Kaiser sich selbst durchaus eine leitende Rolle auf dem Konzil zugedacht hatte; daß er unmittelbar am Geschehen beteiligt zu sein wünschte, wird eigens betont.19 Nach der gescheiterten Synode von Antiochien (Anfang 325) wollte Konstantin durch persönliche Anwesenheit höheren Nachdruck zugunsten eines Einigungsprozesses in der Ariusfrage ausüben. Faktisch hatte er den Vorsitz des Konzils von Nizäa inne.20 So hat Konstantin ganz selbstverständlich die Tagesordnung der sich im Juni 325 versammelnden Bischofssynode bestimmt, die sich neben und vielleicht noch vor der Auseinandersetzung um die Theologie des Arius auch mit dem für den Kaiser so besonders wichtigen Osterterminproblem befaßt hat. Eusebs Enkomion De vita Constantini21 erlaubt uns einen bezeichnenden Einblick in das Procedere auf der Synode und in die Rolle des Kaisers:22 Konstantin eröffnet die Synode, hält feierlich Einzug, äußert sich in seiner Eröffnungsansprache zu den Segnungen seines militärischen Sieges über Licinius, der ihn zum Alleinherrscher über das gesamte Reich gemacht hat, und schwört die anwesenden Bischöfe nun auf das Ziel auch der kultischen und dogmatischen Einheit und der Eintracht unter den Christen ein, die durch die tagende Synode durchgesetzt werden soll.

18 Die Teilnehmer der Synode von Antiochien gehen Anfang 325 noch von Ancyra als Tagungsort aus: Urkunde 18,15 (ed. Opitz III/1: 40,15–41,3). 19 Vgl. Kaiser Konstantins Schreiben zur Einberufung der nizänischen Synode (Frühjahr 325): Urkunde 20 (ed. Opitz III/1: 41f.). 20 So Eus., pasch. 8 (PG 24: 701C); Konstantin erteilt den diskutierenden Bischöfen das Wort, er ist es, der letztlich die Entscheidungen fällt. Siehe Girardet, 1993, 335; Brennecke, 1994, 432. 21 Eus., v.C. (GCS Eusebius I/1); eine neue englische Übersetzung und Kommentierung findet sich bei A. Cameron / S.G. Hall 1999. 22 Vgl. Eus., v.C. III 4–24 (GCS Eusebius I/1: 82–94), bes. 10–14 (GCS Eusebius 1/1: 85–88).

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Auch wenn Eusebs Text aufgrund seines panegyrischen Charakters nicht einfach als authentischer Bericht angesehen werden darf, kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß der Kaiser an beiden zentralen Entscheidungen, der Ariusfrage und der Osterdatierung, im Sinne der von ihm gewünschten Einheitskonzeption führend beteiligt gewesen ist: daß Konstantin selbst die Bischöfe zur Eintracht der Glaubensentscheidung von Nizäa wie auch der der Osterterminfrage gebracht habe, wird von Eusebius jedenfalls ausdrücklich gesagt. Das klar bezeugte energische Drängen des Kaisers auf eine von ihm selbst befürwortete dogmatische Einigung dürfte für zahlreiche Teilnehmer der Synode der ausschlaggebende Grund dafür gewesen sein, die Glaubenserklärung von Nizäa inklusive des bis auf den heutigen Tag dogmatisch ziemlich undurchsichtigen homooúsios von 32523 schließlich zu akzeptieren. Und der Wunsch und Wille des Kaisers dienen Eusebius als gewichtiges, ja geradezu entscheidendes Argument bei seinen etwas gewundenen Versuchen, in einem Brief an die heimische Gemeinde in Caesarea seine Annahme des ihm selbst theologisch nicht allzu angenehmen Glaubensbekenntnisses von Nizäa zu begründen.24 Immer wieder betont er in seinem Bericht über die Vorgänge auf der Synode die Autorität des „gott-geliebtesten“ und „weisesten und frömmsten Kaisers“.25 Dabei wird vollkommen deutlich, daß sich die Autorität Konstantins auch auf die Urteilskraft in theologisch-dogmatischen Fragen erstreckt: Nach der Verlesung von Eusebs eigenem Glaubensbekenntnis ist es niemand anderes als Konstantin selbst, der in faktischer Revision der Beschlüsse von Antiochien (Anfang 325) den orthodoxen Charakter der Deklaration feststellt, seine eigene theologische Übereinstimmung mit dem Inhalt des Eusebschen Bekenntnisses konstatiert und dann die Ausformulierung des Nizänums vorantreibt. Der Kaiser selbst ist es, der dann „nur noch“ das homooúsios zusätzlich einfügt26 und dieses von ihm offenbar 23 Vgl. C. Stead, Homousios, in: RAC 16 (1992), 364–433, bes. 411: „Die Bedeutung des homousius im nizänischen Credo ist folglich nicht nur schwer auszumachen, sondern es ist auch vergeblich, sie zu suchen.“ Es handelt sich um einen durchaus mehrdeutigen Kompromißbegriff – seine Uneindeutigkeit dürfte der entscheidende Grund dafür sein, daß er aus den trinitätstheologischen Debatten der Jahre nach 325 zunächst völlig verschwand, ehe er dann in neuer Interpretation, nämlich unter Ausdifferenzierung der Begriffe ousia und hypostasis, neu entdeckt, theologisch neu gefüllt und dann zu einer der Kernaussagen des Nizänokonstantinopolitanums von 381 wurde. 24 Brief des Eusebius von Caesarea an seine Gemeinde über die Synode von Nizäa (Juni 325): Urkunde 22 (ed. Opitz III/1: 42–47); hier vgl. speziell 22,7 (ed. Οpitz III/1: 43,26–44,8). 25 Urkunde 22,2; 7a; 7c; 16 (ed. Opitz III/1: 43,3; 44,1.8; 46,18). 26 „Dabei fügte er nur ein Wort hinzu, nämlich ‚homousios‘ “ – so Eusebius an die Gemeinde in Caesarea (Urkunde 22,7; ed. Opitz III/1: 44,3f.; Übersetzung: V. Keil,

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in besonderem Maße geschätzte Wort auch noch eingehend erläutert, wenngleich leider nur mit negativ-abgrenzenden Ausführungen.27 Konstantin wird in dem Bericht ausdrücklich die Tätigkeit und Fähigkeit des „Philosophierens“ zuerkannt, woraufhin die Bischöfe dann unter Einbeziehung des vom Kaiser persönlich gewünschten homooúsios den Text des Nizänums verfassen.28 Es kann mithin kein Zweifel daran bestehen, daß Konstantin auf die Entstehung des ersten ökumenischen Bekenntnisses von 325 nicht nur durch sanften Druck auf die beteiligten Bischöfe im Sinne einer Beförderung seiner Einheits- und Einigungsbemühungen, sondern eben auch durch inhaltliche Mitwirkung an der Formulierung und theologischen Gestaltung von Nizäa im Sinne seines eigenen Verständnisses der Verhältnisbestimmung von Gott Vater und Sohn erheblichen Einfluß genommen hat. Freilich ist damit über die tatsächliche Sachkompetenz und das theologische Reflexionsniveau des erst unlängst zum Christentum gekommenen Herrschers noch nichts Näheres ausgesagt: einige Aspekte in den auf uns gekommenen Berichten mögen davor warnen, die theologische Qualität der Einlassungen Konstantins allzu hoch einzuschätzen. Zu nennen wäre hier das Fehlen jedweder positiven theologischen Füllung des „kaiserlichen“ homooúsios: viel mehr, als daß sich mit dem Begriff für den Kaiser die Vorstellung einer starken Betonung der Einheit von Gott Vater und Sohn verband, wird sich kaum sagen lassen; die Einzelheiten der zunächst inner-alexandrinisch zwischen Alexander und Arius verlaufenen Debatte hat er seinem eigenen Zeugnis zufolge noch im Jahre 324 als „unsinnig und einer solchen Streitsucht nicht wert“ angesehen,

Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, TzF 54, Darmstadt 1989 (21995), 105). – Natürlich unternimmt Eusebius alles, um den zum Teil erheblichen Unterschied zwischen seinem, in Nizäa akzeptierten, Bekenntnis und Nizäa zu nivellieren, und reduziert die Differenz auf den ihm unangenehmsten und am schwierigsten wegzudiskutierenden Teil. Die Einfügung des homooúsios durch den Kaiser, an deren Faktizität kein Zweifel bestehen kann, ist ihm das bestmögliche Argument für den ungeliebten Begriff. 27 Eusebius weiter: „Dieses Wort erläuterte er selber so: Der Sohn soll nicht wesensgleich genannt werden in bezug auf die körperlichen Leidenschaften, auch sei er nicht durch Teilung oder irgendeine Trennung aus dem Vater hervorgegangen. Denn die immaterielle, geistige und körperlose Natur könne nicht einem körperlichen Erleiden unterliegen. Solches zieme sich aber nur mit göttlichen und unaussprechlichen Worten zu denken“ (Urkunde 22,7; ed. Opitz III/1: 44,4–7; Übersetzung Keil, 1989, 105). 28 Eusebius (Urkunde 22,7; ed. Opitz III/1:  44,8f.; Übersetzung Keil, 1989, 105)  schreibt:  „So philosophierte unser weisester und frömmster Kaiser. Sie aber verfaßten auf Grund der Hinzufügung des ‚homousios‘ folgendes Schriftstück: […]“ (es folgt das Symbolon von Nizäa).

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weil die Differenzen „klein und ziemlich geringfügig“ seien.29 Ferner weist auch die Tatsache, daß das homooúsios in Nizäa gegenüber allen bis dato geläufigen theologischen Versuchen um die Verhältnisbestimmung von Gott Vater und Sohn im Jahre 325 als ausgesprochener Fremdkörper wirkte, in dieselbe Richtung, ebenso wie schließlich der Befund, daß unmittelbar nach Nizäa eine eigentliche theologische Rezeption des neuen Bekenntnisses in bischöflichen Kreisen gleich welcher dogmatischer Couleur gerade nicht stattfand, sondern das Bekenntnis in merkwürdig defensiv anmutender Weise für mindestens 30 Jahre in der theologischen Versenkung verschwand. Doch wie immer es um Differenziertheit und Reflexionsniveau des „Philosophierens“ Konstantins bestellt sein mag, fest steht: das erst viel später wieder entdeckte und erst am Ende eines eingehenden dogmatischen Diskussionsprozesses in theologisch neuer, „neunizänischer“ Interpretation dann tatsächlich zum entscheidenden Grundbegriff christlicher Trinitätslehre werdende homooúsios verdankt seinen Rang als zentraler Teil christlichen Bekenntnisses niemand anderem als Kaiser Konstantin dem Großen selbst. Und unbeschadet aller noch folgenden Debatten im nach Nizäa erst richtig ausbrechenden „arianischen Streit“ hatte diese Entscheidung faktisch weitreichende Folgen, denn es verbindet sich mit dem homooúsios nicht weniger als die dogmatische Konsequenz, den Subordinatianismus aus der Trinitätslehre auszuschließen, der bis zum Vorabend von Nizäa in der christlichen Mehrheitstheologie origeneischer Provenienz vollkommen geläufig und vielen Theologen selbstverständlich gewesen war und dem auch die Kontrahenten Arius und Alexander im Grunde beide anhafteten, nur in sehr unterschiedlichem Grade. Eher diese subordinatianische Mehrheitstheologie wird durch Nizäa 325 dogmatisch (und kirchenrechtlich) unterbunden, und genau diese Verabschiedung des Subordinatianismus ist nichts anderes als eine (freilich im weiteren Verlauf des „arianischen Streites“ nochmals zu bestätigende und letztlich bestätigte) „konstantinische“ Errungenschaft. Von daher erscheint es trotz der Tatsache, daß mit Nizäa 325 einstweilen noch kein ganz großer Wurf gelungen war, weil das Problem der Ausdifferenzierung der trinitarischen Personen

29 Konstantins Brief an Alexander und Arius, in: Eus., v.C. II 64–72, hier 68,2f. (GCS Eusebius I/1: 75,7.14f.); der Brief erscheint auch als Urkunde 17 (ed. Opitz III/1: 32–35), hier 17,4f. (ed. Opitz III/1: 32,28f.34f.). – Im selben Brief bezeichnet Konstantin den Streit als Auseinandersetzung um eine „sinnlose Detailfrage“ (II 69,1), die dem „Spaß an nutzlosem Müßiggang“ (II 69,2) entsprungen sei, und unterstellt schließlich, daß beide Kontrahenten letztlich doch „ein und dieselbe Ansicht“ (II 70) verträten, nur eben in „kleinen und sehr unwichtigen und keineswegs notwendigen“ Punkten abwichen (II 71,1 und 3); zu den zitierten Stellen s. GCS Eusebius I/1: 75,21; 76,4.21.23; 77,11f. bzw. Urkunde 17,6; 17,8 und 17,9; ed. Opitz III/1: 33,3f.10f.; 34,4.16.

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angesichts der jetzt vollzogenen Betonung der substantiellen Einheit ja erst noch anstand beziehungsweise von neuem aufbrach, letztlich doch plausibel, Kaiser Konstantin als den Vater der trinitätstheologischen Entscheidung von Nizäa 325 anzusprechen. Die dominierende Rolle des Kaisers bleibt nach der Synode von Nizäa bestehen, als es um die Durchsetzung der gefaßten Beschlüsse geht. Die Auseinandersetzungen um Arius seien mit dessen Verurteilung beigelegt, teilt Konstantin in einem Schreiben an die alexandrinische Gemeinde mit; die in Nizäa getroffene Entscheidung müsse nunmehr als Gottes Wille angenommen werden.30 Gegenüber Abweichlern in der Ariusangelegenheit greift Konstantin mit harten Maßnahmen wie Absetzung und Verbannung durch,31 wie es andererseits seiner auf Herstellung größtmöglicher Eintracht und Einheit gerichteten Politik entspricht, reumütig Umkehrende einschließlich des „Erzketzers“ Arius selbst ohne Zögern wieder aufzunehmen.32 Dabei zeigen die Bemühungen Konstantins um eine Rehabilitierung des Arius nach Nizäa zugleich, daß der Kaiser keinesfalls bereit ist, hinter die theologischen Beschlüsse des Konzils zurückzugehen, und daß er diese weiterhin auch theologisch begründet, Arius und die Seinen dazu auffordert, die Theologie von Nizäa zu akzeptieren, und dabei seine eigene, stark die Einheit in der Gottheit betonende und Subordinatianismus wie Mehrhypostasenauffassungen ablehnende Theologie abermals ausdrücklich ins Feld führt.33 30 Vgl. den Brief Kaiser Konstantins an die alexandrinische Gemeinde (Juni 325): Urkunde 25 (ed. Opitz III/1: 52–54). 31 Vgl. den Brief Kaiser Konstantins an die Gemeinde von Nikomedien (Nov.–Dez. 325): Urkunde 27 (Opitz III/1: 58–62); hier 27,12 und 15f. (ed. Opitz III/1: 60,16– 61,2 und 62,1–7). Der Brief ist überliefert in der Schrift De decretis des Athanasius (Ath., decr. 41,1–17; ed. Opitz II/1: 43,6–45,22) vgl. unten Anm. 41; zu den Maßnahmen des Konstantin siehe auch Philost., h.e. I 10; III (GCS 21:11,5f.; 12,2–13,5). 32 Vgl. den Brief der Presbyter Arius und Euzoius an Kaiser Konstantin: Urkunde 30 (ed. Opitz III/1: 64). – Die Wiederaufnahme des Arius freilich stieß auf entschlossenen Widerstand der Alexandriner (vgl. den Brief Kaiser Konstantins an Alexander von Alexandrien [Anfang 328]: Urkunde 32 [ed. Opitz III/1: 66]; Ath., Apol. sec. 159 [ed. OPITZ II/1: 140,2f.]), der sich zu der schnell verbreiteten Legende eines Überschwenkens Konstantins ins Lager des Arius bzw. der Arianer ausweitete (vgl. Socr., h.e. I 25 [GCS.NF 1:72,4–73,23]; Ruf., Hist. X 12 [GCS.NF 6/2: 977,1–19]), Zur endgültigen Abweisung des Arius und seiner Gefolgsleute durch Konstantin im Jahre 333 siehe das Edikt gegen Arius: Urkunde 33 (ed. Opitz III/1: 66–68) und den Brief Kaiser Konstantins an Arius und seine Gefolgsleute: Urkunde 34 (ed. Opitz III/1: 69–75). 33 Vgl. im Brief Kaiser Konstantins an Arius und seine Gefolgsleute (Urkunde 34,13f.; ed. Opitz III/1: 70,28–71,6): „Komme zu mir und sage mir das Erkennungszeichen Deines Glaubens und verschweige nichts, Du Mensch mit einem verderbten Mund,

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Werfen wir einen kurzen Blick auf die andere große Entscheidung von Nizäa, nämlich die Einigung in der schon seit mehr als 100 Jahren umstrittenen Osterterminfrage, so ist auch hier sowohl das dominierende Eingreifen als auch das theologische Argumentieren des Kaisers evident. Der bei Eusebius überlieferte Brief Konstantins an die Gemeinden34 stellt als wichtigsten Gesichtspunkt die Notwendigkeit einer reichseinheitlichen Osterfeier heraus, polemisiert gegen den Usus eines „doppelten“ Osterfestes in einigen quartodezimanischen Gemeinden und argumentiert theologisch von der erforderlichen Abgrenzung der Kirche gegen das (als Volk von „Gottesmördern“ diffamierte) Judentum her, die bei den Quartodezimanern nicht hinreichend sichtbar werde.35 Auch hier gilt, was bereits im Blick auf die

der Du eine leicht zur Schlechtigkeit reizbare Natur besitzt! Du sagst, daß ein Gott ist? Damit stimme ich auch überein, so denke! Du sagst: ‚Es gibt einen Logos von seinem Wesen, ohne Anfang und ohne Ende?‘ Damit bin ich zufrieden, so glaube! Wenn Du noch etwas darüber hinaus hinzufügst, dann hebe ich es wieder auf. Wenn Du etwas von einer gottlosen Trennung daranfügst, dann bekenne ich, dies weder hören noch sehen zu können. Wenn Du die Fremdheit des Körpers gegenüber dem Heilsplan der göttlichen Kräfte annimmst, dann mißbillige ich es nicht. Wenn Du sagst: ‚Der Geist der Ewigkeit ist dem ihn übertreffenden Logos gezeugt‘, nehme ich es an. Wer erkannte den Vater außer dem, der vom Vater gekommen ist? Wen erkannte der Vater außer dem, den er ohne Anfang und Ende aus sich gezeugt hat? Du nun glaubst schlecht, wenn Du meinst, eine fremde Hypostase annehmen zu müssen. Ich weiß, daß das Wesen des Vaters und des Sohnes, der über alles hinausreichenden und sich erstreckenden Kraft, ein einziges Wesen ist.“ Die Übersetzung folgt Keil, 1989, 127. 34 Brief Kaiser Konstantins an die Gemeinden über die nizänischen Beschlüsse zum Ostertermin (Juni 325), in: Eus., v.C. III 17–20 (GCS Eusebius 1/1: 89–93) = Urkunde 26 (ed. Opitz III/1: 54–57). 35 Vgl. in Eus., v.C. III 18,1–3 (GCS Eusebius 1/1: 90,10–25) = Urkunde 26,3f. (ed. Opitz III/1: 55,10–22): „Man beschloß einmütig, daß es gut ist, wenn alle Christen überall an einem Tag Ostern feierten. Denn was kann für uns schöner und ehrwürdiger sein, als wenn dieses Fest, an dem wir die Hoffnung auf die Auferstehung empfangen haben, in einer einheitlichen Ordnung und der offen zutage liegenden Berechnung von allen ohne einen Fehler begangen wird? Als erstes schien es uns unwürdig zu sein, jenes allerheiligste Fest auszuführen, indem man der Sitte der Juden folgt, die ihre eigenen Hände durch gottlosen Irrtum verunreinigt haben und darum zu Recht als Verbrecher mit Blindheit an der Seele geschlagen sind. Es ist aber möglich, daß in der wahrhaftigeren Ordnung (nachdem wir die Sitten der Juden zurückgewiesen haben), die wir vom ersten Ostertag bis heute beachtet haben, wir auch in der zukünftigen Zeit Ostern feiern können. Nichts sei uns gemeinsam mit dem feindlichen Volk der Juden! Denn wir haben von unserem Erretter einen anderen Weg empfangen; unserer allerheiligsten Gottesverehrung ist eine Bahn vorgelegt worden, die gesetzmäßig und geziemend ist. Indem wir sie annehmen, laßt uns von jenem schändlichen Brauch Abstand nehmen!“ Die

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trinitätstheologische Debatte zu sagen war:  wie immer man über Qualität und inhaltliche Tragfähigkeit und Überzeugungskraft der kaiserlichen Argumentation denken mag, so hat doch die in Nizäa durchgesetzte Entscheidung Konstantins den Lauf der Kirchengeschichte in dieser Frage zweifellos bestimmt, und dies einschließlich der die Geschichte von Christentum und Judentum negativ beeinflussenden, theologisch in jeder Hinsicht problematischen Form der Argumentation.36 Der oben bereits genannte Rundbrief an die Gemeinden erklärt schließlich auch die Osterterminentscheidung von Nizäa für allgemein verbindlich. Da auch dieser Beschluß ganz in der vom Kaiser gewünschten Richtung ausfiel,37 wenn auch diesmal im vollständigen Konsens mit der Position der anwesenden Bischöfe, ist es auch hier angemessen, von einer (kirchen-)politisch und theologisch dominierenden Rolle des Kaisers auf der Synode von Nizäa zu sprechen. Schließlich ist im Blick auf die Theologie Konstantins noch von seiner ekklesiologischen Einheitskonzeption zu reden, wie sie für unseren Zusammenhang des Konzils von Nizäa, darüber hinaus aber für seine gesamte kaiserliche Kirchen- und Religionspolitik grundlegend ist. Unabdingbare Voraussetzung für den rechten Gottesdienst ist nach dieser Konzeption die Einheit der Kirche; die rechte Gottesverehrung kann nur unter der Voraussetzung der Einheit der Christen zustande kommen. Dies wiederum stellt die dauerhafte Gewährung der göttlichen Gnade für das Reich sicher. Es handelt sich hier um die christliche Adaption des pagan-römischen Gedankens auch der kaiserlichen Vorgänger Konstantins, daß die pax deorum die salus publica sichere.38 Gleichwohl sollte nicht übersehen werden, daß

Übersetzung folgt Keil, 1989, 119. Den Schlußsatz beziehe ich, anders als Keil, auf die Quartodezimaner, nicht auf die Juden. 36 Daß die Verbalinjurien Konstantins gegen das Judentum trotz aller geläufigen Traditionen der Invektive das gewöhnliche Maß bei weitem überschreiten und sich auch innerhalb des christlichen Spektrums durchaus am Rande des Üblichen bewegen, zeigt der Brief der Bischöfe von Nizäa an die Alexandriner, der in der Sache gleich, im Ton gegenüber den Juden aber wesentlich moderater ist bzw. auf verbale Angriffe verzichtet: Ath., decr. 36,12 (ed. OPITZ II/1: 36,19f.). Vgl. zur Sache K.M. Girardet, Die Konstantinische Wende und ihre Bedeutung für das Reich. Althistorische Überlegungen zu den geistigen Grundlagen der Religionspolitik Konstantins des Großen, in: E. Mühlenberg (ed.), Die Konstantinische Wende, VWGTh 13, Gütersloh 1998, 9–143, (81–86). 37 Siehe den Rundbrief Konstantins an die Gemeinden, in: Eus., v.C. III 18,1–3 (GCS 90,10–25) = Urkunde 26,3f. (ed. Opitz III/1: 55,10–22). 38 So die berühmte Stelle im Brief Konstantins an Alexander und Arius (in: Eus., v.C. II 65 [GCS Eusebius 1/1: 74,10–13] = Urkunde 17,1 [ed. Opitz 111/1: 32,8– 10]): „Denn ich wußte: Wenn ich durch meine Gebete eine gemeinsame Einigkeit unter denen zustande bringen könnte, die Gott verehren, dann würden auch die

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Konstantins Auffassung sich hier durchaus auch an ekklesiologische Gedanken christlicher Autoren früherer Jahrhunderte, etwa eines Cyprian von Karthago, konstruktiv anschließt. Diese ekklesiologische Einheitsthematik ist einer der Grundpfeiler in Konstantins Theologie, nicht zuletzt auch seiner in Nizäa erkennbaren theologischen Position, wie die bei Eusebius wiedergegebene Rede des Kaisers ganz deutlich zeigt;39 sie ist aber auch in anderen seiner Äußerungen und Maßnahmen in unterschiedlichen Kontexten erkennbar.40 Besonderes und typisches Merkmal der „Ekklesiologie Konstantins“ ist der auffällige Zusammenhang von Christologie beziehungsweise Trinitätslehre mit der Ekklesiologie, genauer: die Tatsache, daß eine Anzahl von Argumenten für die Christologie beziehungsweise Trinitätsauffassung aus der Ekklesiologie gewonnen werden können.41 Klaus Seibt hat in diesem Zusammenhang meines Erachtens mit Recht darauf hingewiesen, daß die anthropologisch-ekklesiologische Vereinnahmung von Christologie und Kosmologie in hohem Maße signum des konstantinischen Zeitgefühls und Weltverständnisses ist, und dies an zahlreichen Aspekten der Theologie Marcells von Ancyra aufgewiesen.42 Diese anthropologisch-ekklesiologische Zentrierung könnte wenigstens teilweise auch für Konstantin selbst gelten, auch wenn hier auf Grund der ungleich schmaleren Quellenbasis und angesichts des wesentlich anderen literarischen Zuschnitts der erhaltenen Texte aus methodischen Gründen Vorsicht angeraten ist. Als Resultat ist festzuhalten:  Nimmt man die verstreuten Notizen über Konstantins Haltung und sein Eingreifen vor, auf und nach dem Konzil von 325 in den Blick, so entsteht ein im ganzen doch relativ homogenes Bild, aufgrund dessen man in der Tat sagen muß, daß Konstantin der Große als der eigentliche Vater des ersten ökumenischen Konzils und seiner Entscheidungen anzusprechen ist. In seiner Person, in seiner Rolle und in den unter seiner Mitwirkung getroffenen Beschlüssen auf der Synode konzentriert sich das,

staatlichen Angelegenheiten durch die fromme Gesinnung aller Menschen eine Veränderung erfahren.“ (Die Übersetzung folgt Keil, 1989, 97). 39 Vgl. Eus., v.C. III 12 (GCS Eusebius 1/1: 87,4–88,2). 40 So in Konstantins Brief an Miltiades von Rom und an Markus (Eus., h.e. X 5,20; GCS.NF6/2: 888,12–20) und im Brief an Chrestus von Syrakus (Eus., h.e. X 5,22; GCS.NF 6/2: 889,13–18). 41 Besonders deutlich im – freilich in seiner Einheitlichkeit und Authentizität nicht ganz unumstrittenen – Brief Konstantins an die Kirche der Nikomedier, überliefert bei Ath., decr. 41,1–17 (ed. Opitz II/1: 43,6–45,22) = Urkunde 27 (ed. Opitz III/1: 58–62). 42 Vgl. Seibt, 1994, 493–496.

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was im Nachhinein in traditionsgeschichtlicher und biblischer Verortung als das Werk der „318 Väter von Nizäa“ ausgewiesen wurde.

3. Konstantin als „Vater des Konzils von Nizäa“ und als „Vater der Kirche“? Ist nun, so sei abschließend gefragt, Konstantin in seiner Eigenschaft als „Vater“ des Konzils von Nizäa auch als „Vater der Kirche“ anzusprechen? Die Ausführungen haben gezeigt, daß er in jedem Fall als Vater der Osterterminentscheidung, als Vater des homooúsios im Nizänum (im Sinne der sich hinter dem homooúsios abzeichnenden antisubordinatianischen Einhypostasenauffassung, nicht aber im Sinne der sich später mit dem homooúsios im Nizäno-Konstantinopolitanum verbindenden differenzierten Theologie der Einheit der ousía bei gleichzeitiger Betonung der Hypostasendreiheit) und als prominenter Vertreter einer auch die Christologie und Trinitätslehre beeinflussenden ekklesiologischen Einheitskonzeption angesehen werden muß. Unmittelbar mit dem Phänomen der „Konstantinischen Wende“ verbunden ist ferner, daß Konstantin faktisch Initiator der Institution der kirchenleitenden Funktion des Kaisers war, wie er sie angesichts der von ihm empfundenen Verantwortung für die christliche Kirche wahrnahm und ideologisch entwickelte. In der zuletzt genannten Hinsicht ist er über Jahrhunderte wirksam geworden, als Vater des „byzantinischen Jahrtausends“ ebenso wie als Vater des christlichen Abendlandes mindestens bis zum Investiturstreit43 und im protestantischen Zusammenhang cum grano salis bis hin zum Ende des landesherrlichen Kirchenregiments.44 Im byzantinischen 43 Nach dem (auf lange Sicht erfolgreichen) Kampf der Kirche um die libertas ecclesiae und dem Investiturstreit hat Konstantin im katholischen Raum wenig Sympathie genossen. Die Oberherrschaft eines weltlichen Herrschers über die Kirche war hier aus ekklesiologischen Gründen je länger desto deutlicher undenkbar. – Zum Nachleben Konstantins siehe den instruktiven Aufsatz W. Kaegi, Vom Nachleben Constantins, in: ZSG 8 (1958), 289–326. 44 Martin Luther hat jedenfalls die Tatsache, daß Konstantin das Konzil von Nizäa einberufen hat, durchaus positiv gesehen. In der Schrift An den Christlichen Adel deutscher Nation notiert er: „Auch das berumptiste Concilium Nicenum hat der Bischoff zu Rom noch berufen noch bestetiget, sondern der Keyßer Constantinus, unnd nach yhm viel ander keyser desselben gleichen than, das doch die allerchristlichsten Concilia geweßen sein.“ (WA 6: 413,20–23). Vgl. auch die Schrift Von den Konziliis und Kirchen: „Und wo die Pfarrher nicht vermoechten zu komen, sol der frome keiser Constantinus auch mit seiner macht dazu thun und den Bisschoven zusamen helffen, gleich als wenn ein feur auffgehet, So es der Hauswirt allein nicht kan dempffen, sollen alle Nachbarn zulauffen und helffen lesschen, Und wo sie nicht zulauffen, sol die Obrigkeit helffen und gebieten, das sie zulauffen muessen und das feur Anathematisirn odder verdammen, zur rettung der andern heusser.“

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Raum ist er – nicht zuletzt aufgrund der durch ihn inaugurierten Herrschaft des christlich-frommen Kaisers in der und über die Kirche – zum Heiligen und zum „wahren Apostel“ geworden, und daß er in der Ostkirche als Heiliger verehrt wird, schlägt selbst bei wissenschaftlichen Publikationen neueren Datums aus dem Bereich der Orthodoxie durchaus bisweilen noch durch.45 Ist also Konstantin der Große „Vater der Kirche“  – auch für die Westkirchen? Es kommt natürlich darauf an, wie weit man den Begriff des Kirchenvaters faßt. Teilt man beispielsweise die knappe und konzise Definition, mit der einst Hans Freiherr von Campenhausen sein Büchlein über die griechischen Kirchenväter programmatisch eröffnete, und vertritt demzufolge die Meinung, als „Kirchenväter“ seien die rechtgläubigen Schriftsteller der alten Kirche zu bezeichnen,46 dann wird man bei Konstantin dem Großen trotz des Befundes, daß die Rechtgläubigkeit im Zusammenhang von Nizäa 325 ja von ihm geradezu definiert worden ist, mit der Vergabe des Titels „Kirchenvater“ zurückhaltend sein – ein Schriftsteller im Sinne der theologischen Verteidigung des rechten Glaubens und der argumentativen Abwehr der Häresien ist er natürlich nicht. Zweifellos aber hat die Gestalt Konstantins und haben die theologischen Beschlüsse von Nizäa, die er entscheidend prägte, Entwicklungen fixiert und vorangetrieben, die zum Teil heute noch von eminenter Bedeutung sind und die dogmatisch mit guten Gründen bejaht werden können. Aus dem Kontext der „nizänischen Orthodoxie“ ist die Gestalt Konstantins nicht wegzudenken. Und über das theologische Problem der Rechtgläubigkeit hinausgehend ist in jedem Fall zu konstatieren: kirchlich sowie kirchen- und machtpolitisch setzen mit und durch Konstantin Entwicklungen ein, die über viele Jahrhunderte das Verhältnis von Staatsmacht

(WA 50: 616,21–27). Das von Luther mit der Adelsschrift von 1520 inaugurierte, wenngleich von ihm stets nur als Provisorium und Verlegenheitslösung angesehene „landesherrliche Kirchenregiment“ (hierzu W. Krumwiede, Kirchenregiment, landesherrliches, in: TRE 19 (1990), 59–68) weist v. a. in seinen späten Ausformungen und Begründungszusammenhängen in der Tat gewisse „konstantinische“ Elemente auf: eine kirchenleitende Funktion der Landesherrn, eine enge Verbindung von Staat und Kirche und eine Marginalisierung der nichtchristlichen Bevölkerungsanteile in der Gesellschaft. Freilich sind derlei „konstantinische“ Elemente des Kirchenleitungssystems auch im protestantischen Raum immer wieder kritisch angefragt worden, in der Frühzeit vom so genannten „linken Flügel“ der Reformation oder im pietistischen Geschichtsschreibungskonzept eines Gottfried Arnold, in dessen Unparteiischer Kirchen- und Ketzerhistorie Konstantin gerade nicht als Vater der Kirche, sondern im Gegenteil als Initiator einer gleichsam unchristlichen Dekadenzbewegung dargestellt ist. 45 Siehe z. B. P. Keresztes, Constantine. A Great Christian Monarch and Apostle, Amsterdam 1981, bes. 167–186. 46 Vgl. H. von Campenhausen, Griechische Kirchenväter, Stuttgart 1955 / 31993, 9.

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und Kirche beeinflußt haben und die später in den unterschiedlichen Kirchen unterschiedlich wichtige Folgen gehabt haben, auch wenn sie in der weit überwiegenden Zahl der christlichen Kirchen unserer Tage (freilich unter völlig anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen) im geschichtlichen Rückblick eher kritisch gesehen werden – bisweilen übrigens nicht ohne die Gefahr anachronistisch verzerrend negativer Beurteilung der konstantinischen Zeit in manch modernen Kommentierungen. Abschließend könnte man formulieren: Konstantin – ein „Kirchenvater“ allenfalls in dem Sinne, daß es sich bei ihm um eine derjenigen Gestalten der Kirchengeschichte handelt, der in ihrer Weise über viele Jahrhunderte hinaus fortzuwirken bestimmt war.

Innovative Apologetik. Beobachtungen zur Originalität Justins am Beispiel der Lehre vom Logos spermatikos und anderer Befunde* Die Frage nach der Originalität bzw. nach dem innovativen Charakter der Theologie Justins1 bedarf zunächst einer Einordnung. Deshalb soll einleitend sowohl nach der Selbstsicht Justins hinsichtlich unserer Leitfrage als auch nach der Beurteilung durch die Tradition gelehrter Kommentierungen gefragt werden. Alsdann will ich an einem profilierten und in der wissenschaftlichen Debatte nach wie vor umstrittenen Beispiel, nämlich der Lehre vom Logos spermatikos, verdeutlichen, inwiefern im Blick auf einzelne Optionen der „philosophischen Theologie“ Justins von Originalität die Rede sein kann. Den Abschluss sollen ergänzende Hinweise auf weitere Beispiele sowie eine kurze Bewertung bilden.

I.    Wenn man Justin zu seiner Zeit gefragt hätte, ob er sich selbst als theologisch originell ansehe, hätte er sicherlich mit „Nein“ geantwortet. Das ist auch nicht anders denkbar, setzt man das Justin umgebende und prägende, sich im paganen und feindlich gesinnten Umfeld gerade mit Mühe etablierende Christentum als Referenzgröße an. Justin bewegt sich ganz selbstverständlich im Kontext der Weitervermittlung christlichen Lehrgutes über Lehrerpersönlichkeiten und Schulen. Dieser Vorgang führt notwendigerweise auf den Begriff der Tradition. So wie in der platonisch-philosophischen Ausbildung selbstverständlich die Autorität und die Traditionen Platons im Vordergrund stehen, greift auch die christliche Übermittlung von Lehrgut auf das Autoritäts- und Traditionsprinzip zurück, das der Person des jeweiligen Lehrenden Autorität und Glaubwürdigkeit verleiht.2 Der christliche Lehrer beansprucht deshalb gerade keine Originalität, sondern verweist ganz im

Zuerst erschienen in: ThLZ 130 (2005), 3–16. * 1 Ich danke der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der Arbeitsgemeinschaft Zweites Jahrhundert in Benediktbeuern und der Theologischen Fakultät der Universität Aarhus, wo ich meine hier niedergelegten Beobachtungen vortragen und diskutieren durfte, für die anregende, konstruktive und weiterführende Kritik. 2 Zum Rückgriff auf die Tradition bei Justin siehe L. Abramowski, Die „Erinnerungen der Apostel“ bei Justin, in: P. Stuhlmacher (ed.), Das Evangelium und die Evangelien, WUNT 28, Tübingen 1982, 341–351.

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Gegenteil darauf, den dargebotenen Stoff so weiterzutradieren, wie er selbst ihn gelernt hat. Im Dialog mit Tryphon schreibt Justin: Und wenn ich dies nun zu euch sage, obwohl ich es schon oft wiederholt habe, so weiß ich doch, dass es nicht unangemessen ist, dies zu tun: Es wäre ja doch lächerlich, wenn ausgerechnet der, der den Unterricht aus den prophetischen Schriften erteilt, nicht immer dieselben Schriften läse, sondern meinte, er selbst bringe etwas Besseres zum Ausdruck, wo wir doch sehen, dass Sonne, Mond und die übrigen Sterne stets den gleichen Weg gehen, um die Wiederkehr der Jahreszeiten zu bringen, und dass der Rechenlehrer, so oft er gefragt wird, was zwei mal zwei ist, nicht aufhören wird, zu sagen, dass es vier sind, nur weil er schon wiederholt die Antwort „vier“ gegeben hat, und dass ebenso all die anderen Dinge, die mit Bestimmtheit zugegeben werden, immer wieder in gleicher Weise gesagt und zugegeben werden.3

In der Generation Justins liegt also bereits eine „orthodoxe Traditionslinie“ christlicher Überlieferung vor, auf die ein christlicher Lehrer sich einerseits mit Erfolg berufen und von der er sich andererseits nicht dispensieren kann, ohne seine Autorität zu gefährden und einzubüßen.4 Aber auch im Blick auf den Anschluss an die ihn umgebende philosophische Umwelt und ihre entsprechenden Traditionen kann sich der Christ Justin nicht oder jedenfalls nur in gewisser Weise als originell ansehen. Peter Pilhofers wichtige Arbeit „Presbyteron kreitton“ hat uns eindrucksvoll sehen gelehrt, wie sehr die antike Grundauffassung, dass das Ältere stets das Bessere ist, auch von den Christen bei Anlage und Ausgestaltung ihrer apologetischen Argumentationsfiguren vorausgesetzt und umgesetzt ist.5 Justin durfte sich also auch bei den von ihm unternommenen Gesprächsversuchen mit den paganen Kritikern des Christentums keineswegs als „Neuerer“ geben, wollte er bestehen können. In seiner 2. Apologie notiert er: Als Christ erfunden zu werden ist nun aber, ich gestehe es, Gegenstand meines Gebetes und meines angestrengten Strebens, womit ich nicht sagen will, dass Platos Lehren völlig von denen des Christus abweichen, sondern nur, dass sie ihnen nicht durchweg gleichkommen und ebenso wenig die der Stoiker, Dichter und Geschichtsschreiber. Denn jeder hat, soweit er aufgrund des in ihm vorhandenen Teils des göttlichen Logos spermatikos das mit ihm Verwandte [scil. die Wahrheit] sah, richtige Aussprüche getan; soweit sie selbst sich aber in wichtigeren Dingen widersprachen, haben sie offenbar kein sicheres Wissen und keine unfehlbaren Erkenntnisse besessen.6

3 Just., dial. 85,5 – Siehe R. Holte, Logos spermatikos, in: StTh 12 (1958), 109–168 (110–113). 4 Siehe S. Heid, Iustinus Martyr I, in: RAC 19 (2001), 801–847 (809). 5 P. Pilhofer, Presbyteron kreitton. Der Altersbeweis der christlichen und jüdischen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT 2/39, Tübingen 1990. 6 Just., 2 apol. 13,2f.

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Dieses Zitat zeigt nun allerdings nicht nur das Bemühen um Anschlussfähigkeit, sondern darüber hinaus auch, dass Justin bei aller Betonung der Kontinuität zwischen den Lehren Platons und denen der Christen ohne Abstriche auf die Überbietung aller konkurrierenden Lehren durch das Christentum insistiert. Es geht ihm also nicht einfach um eine Versöhnung der griechischen Philosophie mit der christlichen Botschaft, sondern vielmehr gilt:  Solange es die pagane Philosophie noch gibt, kann der christliche Glaube als die einzig wahre Philosophie an die existierenden Philosophenschulen und die je von ihnen erfassten Teilwahrheiten anschließen. Er überbietet diese aber zugleich in puncto Wahrheit und Binnenkonsistenz. Bei allem wohl begründeten Bemühen um das Aufzeigen von parallelen Gedanken und Lehren verwirft Justin letztlich jede „philosophische Philosophie“ zu Gunsten des Glaubens. Er geht von einem Absolutheitsanspruch des Christentums aus,7 und in diesem Sinne ist das Christentum – und damit Justins eigenes Denken und Lehren – in der Tat für ihn in gewisser Weise originell: nämlich einzigartig, konkurrenzlos und eigenständig. In der Beurteilung der Apologeten im Allgemeinen und Justins im Besonderen durch die gelehrte christliche Historiographie der Neuzeit hat lange Zeit eine Grundlinie dominiert, die weniger nach der gedanklichen Eigenständigkeit Justins gefragt hat, sondern vielmehr nach der theologischen Legitimität oder Illegitimität einer Entwicklung weg vom „ursprünglichen Christentum“ hin zur Theologie der Apologeten. Diese mit dem Namen Adolf von Har­ nacks verbundene „Hellenisierungsfrage“ hat neben dem Problem, dass sie im Grunde mit einem relativ schlichten Dekadenzmodell arbeitet, zusätzlich das Manko, dass sie die Frage nach der theologischen Eigenständigkeit der Apologeten bzw. Justins wegen ihres Interesses an deren Verwurzelung im hellenistisch-philosophischen Denken etwas zu schnell überblättert. Ich will mir in diesem Zusammenhang nur kurz den Hinweis erlauben, dass es sich hierbei offensichtlich um ein weitgehend innerprotestantisches Phänomen handelt: Die Kritik findet sich in ihrer Weise schon beim radikalen Pietisten Gottfried Arnold in seiner „Unparteyischen Kirchen- und Ketzerhistorie“8,

7 Zum Absolutheitsanspruch des Christentums und den sich hieraus ergehenden Problemen im Dialog mit der paganen Umwelt siehe H.C. Brennecke, Der Absolutheitsanspruch des Christentums und die religiösen Angebote der Alten Welt, in: J. Mehlhausen (ed.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 380–397. 8 G. Arnold, Unparteyische Kirchen- und Ketzerhistorie. Vom Anfang des Neuen Testaments biss auff das Jahr Christi 1688, Frankfurt 1700, 56: „So findet man bey ihm einen feinen schmack von der ersten gravität und lauterkeit, wiewol er manchmal neben anderen eigenen gedancken auch aus der Philosophie etwas untermenget die ihm noch von seinem heydnischen Wesen her anhienge“.

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dann, in der Analyse durchaus ähnlich, wenngleich milder und verständnisvoller im Urteil, beim Aufklärer Johann Salomo Semler,9 schärfer wiederum diskreditiert bei Albrecht Ritschl,10 schließlich in einer sehr grundsätzlichen Weise negativ bewertet bei Adolf von Harnack und bei Friedrich Loofs11 und dann auch in der Dialektischen Theologie. Demgegenüber hat die neuere Forschung die „Begegnung des biblischen Glaubens mit dem griechischen Geist“12 grundsätzlich wieder neu als notwendigen und in seiner Weise auch folgerichtigen Schritt sehen gelehrt und damit den positiven Blick auch auf die theologischen Unternehmungen der Apologeten des zweiten Jh.s neu geöffnet. In diesem Zusammenhang ist aus der Fülle der neuen Literatur auf die 2000 ersterschienene Überblicksdarstellung von Fiedrowicz ebenso zu verweisen wie auf die zahlreichen Spezialuntersuchungen zu Justin selbst, die sich mit den Namen L. W. Barnard, C. Munier, O. Skarsaune, W. Wartelle und vielen anderen verbinden und die im neuen RAC-Artikel von S. Heid eine konzise Zusammenfassung und Weiterführung erfahren haben.13 Die neuen, freilich nicht unkritisch zu benutzenden Editionen des Dialoges und der Apologien Justins durch M. Marcovich sind in diesem Zusammenhang ebenso zu nennen wie die Übersetzungen und Kommentierungen der jüngeren Zeit.14 Die in unserem Zusammenhang interessierende Frage nach der 9 J.S. Semler, Versuch eines fruchtbaren Auszugs der Kirchengeschichte. Band 1: bis 1400, Halle 1773, 31f.: Platonische Denkungsart sei besonders in Ägypten und auch andernorts auf die christlichen Lehrsätze angewandt worden, dies aber nur für „cultivierte Personen“, also ohne Anspruch auf allgemeine Brauchbarkeit und Verbindlichkeit. Man gehe zu weit, wenn man meine, die „gelehrte Einkleidung“ habe der christlichen Lehre selbst vielen Schaden getan. 10 A. Ritschl, Die Entstehung der altkatholischen Kirche. Eine kirchen- und dogmengeschichtliche Monographie, Bonn 21957, 298f.: Justin vertrete den „herabgekommenen Paulinismus“ des 1Clem. Durch die hier wie dort gegebene Einmischung der Philosophie in die Theologie entstehe die „dogmatische Theologie“, die unzulässig sei, weil sie sich im Gegensatz zur biblischen befinde. 11 F. Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte, Halle 41906, 114– 129: Die Theologie der Apologeten habe ihre Eigenart darin, dass ihr Christentum, weil es bei ihnen an die Stelle trat, die vor ihrer Bekehrung die Philosophie eingenommen harte, mannigfach auf deren Niveau herabgezogen wurde. Es sei hier der Grund gelegt für die verhängnisvolle Verkehrung des Christentums in eine offenbarte Lehre. 12 D. Wyrwa, Über die Begegnung des biblischen Glaubens mit dem griechischen Geist, in: ZThK 88 (1991), 29–67. 13 S. Heid, Iustinus Martyr I., in: RAC 19 (2001), 801–847. 14 Zu den Apologien: C. Munier, L’Apologie de Saint Justin Philosophe et Martyr, Par. 38, Freiburg 1994 (Einl., Text, frz. Übers.); M. Marcovich, Iustini Martyris Apologiae pro Christianis, PTS 38, Berlin 1994 (Einl., krit. Edition); Η.P. Thyssen, Justin Apologier, Bibel og historie 18, Aarhus 1996 (Einl., dän. Übers., Komm.); A. Wartelle, Saint Justin. Apologies, Paris 1987, (Einl., Text, frz. Übers., Komm.).

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theologischen Originalität Justins ist so meines Wissens erstmals von Karl Bayer in dessen erläuterter Auswahlausgabe der ersten Apologie aus dem Jahre 196615 und dann in dem von L.  W. Barnard verfassten TRE-Artikel „Apologetik I: Alte Kirche“ aufgeworfen worden, der 1978 erschien.16

II.    Charakteristisch für Justin ist seine Verwendung des Begriffes Logos spermatikos für das universale Wirken des Logos. Einschlägig sind Just., 1 apol. 44,9f.; 2 apol. 8,1; 2 apol. 8,3; 2 apol. 10,1–3; 2 apol. 13,3:17 Ein denkender Mensch, der mit der Wahrheit teilweise übereinstimmt und dies

Zum Dialog mit dem Juden Tryphon: M. Marcovich, Iustini Martyris Dialogus cum Tryphone, PTS 47, Berlin 1997 (Einl., krit. Edition); P. Bobichon, Justin Martyr. Dialogue avec Tryphon, Par. 47/1 und 47/2, Freiburg 2003 (krit. Edition, frz. Übers., Komm.). 15 K. Bayer (ed.), Justin: Die erste Apologie, Humanitas christiana, griechische Reihe 1, München 1966, 103 u. ö. 16 L.W. Barnard, Apologetik I: Alte Kirche, in: TRE 3 (1978), 371–411, hier 378. 17 Just., 1 apol. 44,9f.: „Und alles, was die Philosophen und Dichter über die Unsterblichkeit der Seele oder die Strafen nach dem Tod oder die Schau des Himmels oder ähnliche Lehren gesagt haben, das konnten sie nur denken und entwickelten es, indem sie ihren Ausgangspunkt bei den Propheten nahmen. Daher scheinen bei allen Menschen Samenkörner der Wahrheit zu existieren: Die, die nicht genau erkennen, werden aber widerlegt, wann immer sie sich selbst widersprechen.“ Just., 2 apol. 8,1: „Wir wissen, dass auch die, die die stoischen Lehren vertraten, gehasst und getötet wurden, weil sie wenigstens in ihrer Sittenlehre anständig geworden waren (wie in manchem auch die Dichter), weil der Same des Logos dem gesamten Menschengeschlecht eingepflanzt ist.“ Just., 2 apol. 8,3: „Denn, wie wir gezeigt haben, haben sich die Dämonen immer bemüht, alle, die nur irgendwie nach Maßgabe des Logos zu leben und die Bosheit zu meiden bestrebt waren, dem Hass preiszugeben. Es ist nicht verwunderlich, wenn sie, sobald sie widerlegt werden, darauf hinwirken, diejenigen noch viel mehr verhasst zu machen, die nicht bloß gemäß eines Anteils am Logos spermatikos, sondern gemäß der Betrachtung und Schau des Logos in seiner Ganzheit leben.“ Just., 2 apol. 10,1–3: „Nun zeigen sich unsere Auffassungen als erhabener als jede menschliche Lehre, weil die ganze Vernunftkraft der um unseretwillen erschienene Christus geworden ist, Leib, vernünftiger Geist und Seele. Denn alles, was die früheren Philosophen und Gesetzgeber gut ausgesprochen und ausfindig gemacht haben, das ist von ihnen durch Forschung und Untersuchung zustande gebracht worden, die von einem Teil des Logos geleitet waren. Da sie aber nicht das Gesamte des Logos, der Christus ist, erkannten, widersprachen sie sich häufig selbst.“ Schließlich Just., 2 apol. 13,3: „Jeder hat, soweit er aufgrund des in ihm vorhandenen Teils des göttlichen Logos spermatikos das mit ihm Verwandte [scil. die Wahrheit] sah, richtig gesprochen.“ (Zu dieser Übersetzung siehe Waszink [wie Anm. 20], 386.).

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zum Ausdruck bringt, hat, je nach Maß seiner Wahrheitserkenntnis, größeren oder geringeren Anteil an dem Logos, welcher in seiner Gesamtheit allein Jesus Christus innewohnte. Dieser Anteil ist eine Saat oder ein Keim der Wahrheit bzw. des Logos, den der säende Logos als Teil seiner selbst in die Herzen der Menschen ausgestreut hat, damit diese mit seiner Hilfe zur rechten Erkenntnis gelangen können. Es handelt sich um Prinzipien rechten Erkennens und Lebens, die, je nach Vermögen der jeweils Erkennenden, eine mehr oder weniger klare Wahrheitserkenntnis zeitigen, wenn auch keine vollständige, da die vollständige Erkenntnis erst seit dem Erscheinen des Vernunft-Logos in Christus möglich geworden ist. So konnte es durchaus „Christen vor Christus“ geben, z. B. Sokrates. Auf diese Weise kann Justin alles, was in der heidnischen Literatur als gut und edel dargestellt worden war, als „christlich“ reklamieren: „Alles, was bei allen richtig gesagt worden ist, gehört uns Christen“ (Just., 2 apol. 13,4). Damit kann Justin den paganen Vorwurf, dass all das, was am Christentum gut sei, sich schon lange vorher bei den Heiden finde, gleichsam umdrehen. Ein Problem freilich ist, dass sich eine ganz konsistente und widerspruchsfreie Handhabung des Begriffes vom Logos spermatikos bei Justin nicht finden lässt. Es verhält sich nämlich so, dass Justin einerseits den Logos spermatikos göttlich nennt (Just., 2 apol. 13), dass er andererseits aber den Samen des Logos bzw. die Logos-Keime bzw. Keime der Wahrheit (Just., 1 apol. 44) an anderen Stellen als menschliches Potenzial und damit als etwas vom göttlichen Logos Unterschiedenes beschreibt. Da er den Logos (nicht den Logos spermatikos) mit Christus identifiziert, stellt sich die Frage, wie er sich das Verhältnis zwischen dem Logos, der der Christus ist, dem Logos spermatikos, der göttlich ist, und den den Menschen innewohnenden Logos-Keimen bzw. Wahrheitskeimen denkt. Diese Frage erfährt im Blick auf die Texte Justins keine klare Lösung. Im Blick auf die kritische Stelle Just., 2 apol. 13 kann man nur festhalten, dass auch vor der Menschwerdung Christi jeder Mensch teilhatte an dem „säenden Logos“, der in ihm einen Teil der Wahrheit bzw. der Vernunft bzw. einen Teil seiner selbst einsäte. Justin behauptet also die Anwesenheit eines Samens des Logos in der ganzen Menschheit, auch der vorchristlichen, wobei der Besitz dieses Samens für ihn mit der Kenntnis eines Teils der Wahrheit, also einer allgemeinen natürlichen Offenbarung, gleichbedeutend ist – eine relativ einfache Theorie. Woher nahm Justin seine Theorie vom Logos spermatikos? Die Literatur zu dieser Frage ist kaum mehr übersehbar, und doch hat es im letzten halben Jh. einige besonders profilierte Herleitungsvorschläge gegeben, an die hier erinnert sein soll. Carl Andresen hatte (in den Spuren Pfättischs und anderer) Anfang der 50er Jahre des letzten Jh.s versucht, die Lehre vom Logos spermatikos am Gedanken der Keimkräfte im mittleren Platonismus

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festzumachen und Justins Auffassung von hierher zu erklären.18 Es liege im mittleren Platonismus eine Kontamination von Platon und Stoa vor, die das theologische Denken Justins beeinflusst habe. Diese Sichtweise hilft Andresen zunächst, die Tatsache zu erklären, dass Justin mit einer relativ heterogenen Fülle sowohl platonischer als auch stoischer Begriffe und Vorstellungen aufwartet. Für den Vorgang, dass die Idee von den „Keimkräften“ aus der Stoa nur noch bildhaft-moralisch im Sinne der semina iustitiae interpretiert wird, macht Andresen den bei Cicero in der Schrift De finibus herangezogenen Antiochos von Askalon namhaft. Auch bei Areios Didymos findet er den Gedanken, dass die Menschen von Natur aus die „Anfänge und Samen“ besitzen, die dann durch Sitten und rechte Umgangsformen vervollkommnet werden müssen. Was nun die konkrete Verankerung der Logos-spermatikosAuffassung im mittleren Platonismus angeht, weist Andresen auf eine Linie von Antiochos von Askalon, den bedeutenden Akademiker des ersten vorchristlichen Jh.s, auf den „das ausschließlich ethische Verständnis der Logoi spermatikoi zurückzuführen“ sei, über Areios Didymos bis auf den Schulplatoniker Albinos hin.19 Andresen verweist ferner auf Apuleius von Madaura, De Platone II 3, wonach der Mensch gewisse Samen beider Dinge (sc.: der schlechten und der guten) in sich habe, die mit dem Ursprung seiner Geburt verbunden sind und die durch gezielte Ausbildung (educatio) in den anderen Teil hinüberleuchten (emicare) müssen. Der Gedanke des eingepflanzten Keimes in Kombination mit der Entwicklung durch Erziehung scheint in der Tat zunächst eine evidente Entsprechung zur Theorie Justins zu sein. Es läge dann bei Justin eine Übernahme der durch die Mittelplatoniker ethisierten und vergeistigten stoisch-stofflichen Keimkräfte- und Logosauffassung vor. Man muss allerdings gegenüber den von Andresen genannten Belegstellen etwas Vorsicht walten lassen, findet sich doch der Terminus Logos spermatikos selbst dort nicht und auch sonst nicht im mittleren Platonismus des 2.  Jh.s, und man muss wohl auch sagen, dass der Apuleius-Terminus semen utrarumque rerum insgesamt recht wenig besagt (und unter Umständen aus Cicero übernommen sein kann), worauf schon Waszink20 aufmerksam gemacht hat. Die Belegstellen sind also an Zahl wie an Tragkraft eher schwach. Hinzu kommt, dass das ausschließlich moralisch-ethische Verständnis der dem Menschen innewohnenden Keimkräfte, das Andresen bei Justin sieht, primär der Stelle Just., 1 apol. 44,9 gerecht wird, von der her Andresen auch tatsächlich argumentiert, nicht so sehr aber den einschlägigen 18 C. Andresen, Justin und der Mittlere Platonismus, in: ZNW 44 (1952/1953), 157–195. 19 Andresen, 1952/1953, 172. 20 J.H. Waszink, Bemerkungen zu Justins Lehre vom Logos spermatikos, in: JAC Ergänzungsband. Mullus. FS Th. Klauser (1964), 380–390.

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Stellen in der 2. Apologie. Man wird also, so sehr die gesamte Studie von Andresen das In- und Miteinander von Platonismus und Stoa im zeitgenössischen geistigen Umfeld Justins hervorragend erhellt, den von ihm gezogenen Schluss „Es dürfte hinreichend bewiesen sein, wie das moralische Verständnis der Keimkräfte bei Justin seine Erklärung aus dem mittleren Platonismus erhält“21 nicht ohne weiteres als Herleitung der Logos-spermatikos-Lehre akzeptieren können. Ragnar Holte hat demgegenüber (in den Spuren Goodenoughs und anderer) und in Reaktion auf Andresens Aufsatz gemeint, dass es sich bei der Logos-spermatikos-Vorstellung Justins um eine Übernahme von Philo von Alexandrien handele.22 In seinem 1958 erschienenen Beitrag weist Holte nachdrücklich daraufhin, dass dem Logos bei Philo von Alexandrien dieselben Attribute und Namen beigelegt werden, wie das auch bei Justin der Fall ist, und dass dieser Sachverhalt dann auch für die Frage nach der Herleitung der Bezeichnung Logos spermatikos stark in Erwägung gezogen werden müsse. Der in der Stoa noch als Prinzip sowohl des physischen als auch des spirituellen Lebens gebrauchte, materiell gedachte Logosbegriff sei bei Philo symbolisch-spirituell als Beschreibung für die Fähigkeit des Menschen zum Ethischen und Religiösen gebraucht, woraus Justin wiederum die spezielle Bedeutung einer natürlichen Offenbarung zur ethischen und religiösen Erkenntnis geprägt habe, die der Schöpfung implantiert sei und auf Grund derer der Mensch als verantwortlich vor Gott angesehen werden müsse.23 Die Erklärung hat gegenüber der Andresenschen zunächst den Vorzug, dass sie konkrete Textbelege für die Verwendung von Logos spermatikos außerhalb Justins beibringen kann. Aber auch sie ist nicht unproblematisch. Bei Philo taucht der Begriff selbst nämlich auch nur genau dreimal auf,24 und fragt man nach dem von Holte zu Grunde gelegten Verständnis der Beschreibung der Fähigkeit des Menschen zum Ethischen, reduziert sich der Befund gar auf eine Stelle. Die Basis für eine entsprechende Argumentation ist also ohnehin schon schmal, und zudem wird die Sache noch schwieriger, wenn man mit Wolfson und Waszink sieht, dass der äußere Zusammenhang bei Philo stets der der Fortpflanzung der Arten ist  – bei Pflanzen und Tieren. Es handelt sich um ein in die Schöpfung implantiertes Prinzip des Wachsens und Keimens. Dabei betrachtet Philo von Alexandrien auch gar nicht den Logos als letzten Grund der Entstehung und Erhaltung von Tieren und Pflanzen, sondern Gott. Für Justin hingegen ist, anders als bei Philo, der Logos 1 Andresen, 1952/1953, 174. 2 22 Holte, 1958, 109–168. 23 Holte 1958, 127f. 24 Legum Allegoriae III 150; Quis Rerum Divinarum Heres sit 119; Quaestiones in Exodum II 68.

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spermatikos ein in den einzelnen Menschen implantiertes Prinzip für die Teilhabe an religiöser und ethischer Erkenntnis, weswegen die Theorie vom Logos spermatikos in der Tat auch die Unentschuldbarkeit der Nicht-Erkennenden mit aufzuweisen vermag. Eine direkte Übernahme und Interpretation des Logos-spermatikos-Begriffes Philos oder gar der bei Philo hinter dem Begriff stehenden Ideen ist also nicht nachzuweisen und legt sich auch nicht nahe. Jan Hendrik Waszink hatte nun, in einer gewissen Verfeinerung der Arbeiten Holtes und in einer Modifikation seiner Ergebnisse in einem Beitrag des Jahres 1964 gemeint,25 dass Justin nicht bloß eine, sondern eine dreifache Quelle für den Begriff Logos spermatikos und sein Verständnis habe: erstens die Stoiker, denen der Begriff geläufig war, wenn auch in erkennbar anderem Sinne als das bei den Justinbelegen der Fall ist; zweitens das biblische Gleichnis vom Sämann (Mt 13,1–9); drittens die Metapher vom Säen und Pflanzen, die insgesamt in der zeitgenössischen Gedankenwelt häufig vorkommt, insbesondere auch bei Philo von Alexandrien. In der Ausarbeitung des Begriffes hin zur bei Justin vorliegenden Theorie zeigten sich schließlich unverkennbare Einflüsse des mittleren Platonismus. Doch auch diese These von Waszink stößt auf Probleme: Denn so sehr Justin zweifellos sehr viel (werdendes) Neues Testament zitiert, ist doch ausgerechnet das Sämanngleichnis nirgends dabei und auch sonst keine „Sprüche“ über den Sämann, wie sie aber in anderen Stellen in den Texten des frühen Christentums durchaus zu finden sind, z. B. 1Clem 24,4f. und EvThom 9.26 Auch Philos Einfluss ist an keiner Stelle exakt zu belegen, oder jedenfalls kommt man nicht über die drei bei Holte aufgewiesenen Stellen hinaus, die, wie wir sahen, nur eingeschränkte Beweiskraft beanspruchen können. Stoischer Einfluss könnte sich nun allerdings nahe legen angesichts der Tatsache, dass der Begriff Logos spermatikos in der Stoa häufig vorkommt, und angesichts des Befundes, dass die 1. Apologie immerhin an Mark Aurel adressiert ist. Jedoch ist die Vorstellung vom Logos spermatikos bei Justin eine ganz andere. Denn in der Stoa verhält es sich so, dass die Logoi spermatikoi (Plural!) in im Grunde physikalischem Sinne als die Keimkräfte gedacht sind, die gemäß dem Vernunftgesetz die künftige Entwicklung der Naturdinge bestimmen – und dass es sich bei all dem um eine organische, natürliche, dynamische Entwicklung handelt. Bei Justin aber liegen die Dinge so, dass ein Same des Logos (Singular!) Menschen eingepflanzt ist, der durch sein statisch verstandenes Anwesendsein eine natürliche Erkenntnis ermöglicht und so bei manchen, z. B. Sokrates, dazu geführt habe, dass sie zum Teil die Wahrheit erfassten und den Logos,

5 Waszink, 1964, 380–390. 2 26 So mit Recht Barnard, 1978, 378.

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also den zeitlosen Christus selbst, erkannten. Das aber hebt den stoischen Gedanken einer organisch-physikalisch-natürlichen Entwicklung auf und setzt an seine Stelle die Idee vom in das Herz des Menschen eingestreuten Gottessamen. Man muss also mit der Rückführung des Begriffes Logos spermatikos auf die Stoa durchaus auch vorsichtig sein. Schließlich hat Eric Osborn Anfang der 90er Jahre die Debatte neu aufgenommen. Auch Osborn optiert zu Gunsten einer stoischen Herleitung: „The idea of logos spermatikos is an integral part of Stoic philosophy.“27 Osborn räumt in den Spuren Waszinks ein, dass die Parabel vom Sämann wie auch die Bilder vom Säen und Pflanzen zu Justins Idee beigetragen haben könnten, sieht aber den Stoizismus inhaltlich als Hauptquelle Justins an. Er macht auf Stellen bei Cicero aufmerksam, denen zufolge die göttliche Kraft in ratio, animus und mens angesiedelt ist. Im Kleantheshymnus wird gesagt, dass alle an einem einzigen ewigen Logos Anteil haben. Durch den Hinweis auf Stellen u. a. bei Sextus Empiricus kann Osborn zudem auch auf das Rationalitäts- bzw. Vernunftprinzip als Leitperspektive des Stoizismus verweisen, das ja auch bei Justin immer wieder im Vordergrund der apologetischen Argumentation steht. Aber auch hier muss man einwenden, dass das Prinzip der Rationalität im antiken Denken nicht exklusiv und auch nicht primär vom Stoizismus abgeleitet werden kann und dass die beigebrachten Stellen über die Einwohnung der göttlichen Kraft bzw. der Anteilnahme am Logos noch längst nicht der Denkfigur des Logos spermatikos bei Justin entsprechen und diese auch nicht präfigurieren: Die Herleitung der Logos-spermatikos-Auffas­ sung von der Stoa als „chief source“ bleibt also fraglich und ist zumindest als etwas zu einseitig anzusprechen. Es bleibt im Grunde nur der Befund, dass der Begriff Logos spermatikos im zeitgenössischen Umfeld Justins am besten in der Stoa belegt ist, was schon Waszink mit Recht unterstrichen hatte. Man könnte mithin allenfalls sagen, dass Justin zwar den Begriff aus der Stoa entnahm, ihn aber durch die Verbindung mit dem Gedanken vom Sämann und inhaltlich durch die christologische Zuspitzung selbständig weiterentwickelte. Mag er den Begriff selbst der Stoa verdanken, mag er in der Wahl der Metapher an zeitgenössische Gedanken- und Bilderwelten anschließen, so war doch die Vorstellung vom Logos-Christus, der schon lange vor seiner Inkarnation den Menschen seine Keime einpflanzt und seinen Samen ins Herz streut, im Prinzip Justins eigene Schöpfung.28 Es ergibt 27 E. Osborn, Justin Martyr and the Logos spermatikos, in: StMiss 42 (1993), 143– 159 (148). 28 Barnard, 1978, 378: Es mag „sich einfach so verhalten, daß Justin in seiner Ausarbeitung der Vorstellung vom Logos spermatikos den geläufigen stoischen Begriff übernahm, im Übrigen aber den Gedanken des Sämanns kühn und selbständig weiterentwickelte.“

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sich mithin die begründete Vermutung, dass wir die theologische Originalität Justins höher einschätzen sollten, als es bislang üblich war. Eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der philosophiegeschichtlichen Einordnung Justins, die Andresen noch vehement gefordert hatte,29 wird sich jedenfalls nicht geben lassen, fasst man sowohl die rezeptorische Elektizität als auch die gedankliche Eigenständigkeit des christlichen Philosophen und Märtyrers ins Auge. Dies kann unmittelbar übrigens auch im Blick auf einige Stellen in den Apologien gezeigt werden, in denen Zeugnisse der heidnischen „Dichter und Philosophen“ recht unvermittelt und additiv nebeneinander stehen und die christliche Position diesen dann zugleich beigesellt und gegenübergestellt wird.30 Im Folgenden soll der bislang nur im Blick auf die Figur vom Logos spermatikos erhobene Befund um weitere Beispiele ergänzt und die Grundthese dadurch erhärtet werden.

III.    3.1  Der Beweisgang für die Lehre von der leiblichen Auferstehung in Just., 1 apol. 17–20 Man sieht am sorgsamen Aufbau von Just., 1 apol. 17–20, wie wichtig es Justin war, die Lehre von der leiblichen Auferstehung als rational beweisbar darzustellen. Das heißt nicht, dass er auf eine einheitliche Auferstehungslehre der Christen hinauswill, denn im Dialog mit Tryphon 80,2 räumt er offen ein, dass selbst unter den Christen der reinen und frommen Richtung über die Auferstehung verschiedene Vorstellungen im Umlauf seien. In der 1. Apologie geht es ihm um die Beweisbarkeit, wenigstens um den Beweis der Nicht-Unmöglichkeit der leiblichen Auferstehung, und zumindest darin stimmen die Christen aus seiner Sicht eben doch überein. Der Gedankenablauf stellt sich folgendermaßen dar:  Einem allgemeinen Hinweis auf die Verantwortlichkeit aller Menschen (Just., 1 apol. 17)  folgt die These von der Postexistenz der Seele, die er als den Christen und Heiden gemeinsame Auffassung darstellt (Just., 1 apol. 18). Erst dann wendet er sich der Postexistenz des Leibes zu, die er als die dezidiert christliche Auffassung einführt (Just., 1 apol. 19). Just., 1 apol. 20 folgen die außerchristlichen Parallelen zum Weltgerichtsgedanken: Es erfolgt eine Ablehnung der stoischen Ekpyrosis-Auffassung (Weltenbrand ja, aber keine Palingenesie), die Unterstreichung der These, dass die Seelen der Ungerechten bestraft werden (analog zu den Auffassungen auch bei Dichtern und Philosophen), und die Summa,

9 Andresen, 1952/1953, 157. 2 30 Just., 1 apol. 20 u. ö.

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dass die Lehren der Christen mit denen der hochgehaltenen Philosophen teils übereinstimmen, teils aber noch großartiger sind. Sieht man sich vor diesem Hintergrund die Argumentation zu Gunsten der leiblichen Auferstehung an,31 so fällt Folgendes auf:  Der „Beweisgang“ (der immerhin zeigt, dass es keinen Grund gibt, nicht an die leibliche Auferstehung zu glauben) ist zwar durch Paulus angeregt (1Kor 15,52f.), in der Durchführung jedoch eine eigenständige Leistung Justins.32 An die originelle Gedankenfolge schließt sich die Schriftstelle aus dem Lukasevangelium (Christus als Lehrer lehrt, dass bei Gott nichts unmöglich ist …) als Beleg für die Nicht-Unmöglichkeit der leiblichen Auferstehung an. An der sorgsamen Ausarbeitung des Kapitels erkennt man, wie wichtig es Justin war, die der heidnischen Kritik besonders ausgesetzte Vorstellung von der leiblichen Auferstehung als rational nachvollziehbar darzustellen.

31 Just., 1 apol. 19,1–6:  „Was aber dürfte für einen denkenden Menschen noch unglaublicher scheinen, als wenn wir nicht im Leib lebten und einer uns sagte, dass es möglich ist, dass aus einem Tropfen menschlichen Spermas gebildete Knochen, Sehnen und Fleisch entstehen können, welche wir ja sehen? Folgendes sei nämlich einmal als Hypothese aufgestellt: Wenn einer zu euch, die ihr nicht derartige (Wesen) wäret und auch nicht aus derartigen (Dingen), indem er euch menschliches Sperma zeigt und ein gemaltes Bild [des menschlichen Leibes], mit Gewissheit sagen würde, es sei möglich, dass dies aus jenem entstehe, würdet ihr das glauben, ehe ihr es in fertigem Zustand gesehen hättet? Nein; da sollte wohl niemand wagen zu widersprechen! In derselben Weise nun besteht Unglaube, weil ihr noch keinen Toten als Auferstandenen gesehen habt. Aber so wie ihr anfangs nicht geglaubt hättet, dass aus einem kleinen Tropfen derartige (Dinge) entstehen können und ihr sie (doch) entstehen seht, in derselben Weise müsst ihr anerkennen, dass es nicht unmöglich ist, dass die zerstörten und nach Art des Samens in die Erde zurückgekehrten menschlichen Leiber zum geeigneten Zeitpunkt auf Gottes Befehl auferstehen und ‚Unvergänglichkeit anziehen‘ werden [1Kor 15,53]. Denn auf welche Weise diejenigen von einer würdigen Macht Gottes reden (wollen), die sagen, ein jeder gelange in jenen Zustand, aus dem er gekommen sei, und dagegen vermöge nichts, nicht einmal Gott, irgend etwas, das können wir nicht sagen: Aber dies erkennen wir, dass sie es nicht für möglich gehalten hätten, dass irgendwann so beschaffene Dinge entstehen, als welche sie sich selbst und den ganzen Kosmos und das daraus Entstandene (nun) sehen. Wir haben begriffen, dass es besser ist, auch an Dinge zu glauben, die der eigenen Natur und den Menschen unmöglich sind, als ungläubig zu sein wie die anderen, nachdem wir erkannt haben, was unser Lehrer Jesus Christus gesagt hat: ‚Was bei den Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott.‘ [Lk 18,27].“ 32 So mit Recht Bayer (ed.), 1966, 103.

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3.2  Die Grundzüge der Soteriologie(n) bei Justin Sieht man die Christusaussagen in den Texten Justins an, so fällt Folgendes ins Auge:  Es gibt im Ganzen zwei voneinander zu unterscheidende Linien des christologischen bzw. soteriologischen Kerygmas, die sich wenigstens zum Teil auch noch zeitlich unterscheiden lassen. In den etwas früher als der Dialog entstandenen Apologien findet sich ein ausgesprochen messianisch akzentuiertes Christus-Kerygma. Man kann das schon daran sehen, dass Aspekte wie Präexistenz oder Schöpfungsmittlerschaft in der Disposition des christologischen Teils (Just., 1 apol. 31,7) gar nicht genannt werden. Es geht vielmehr um das geschichtliche Eintreten der messianischen Weissagungen über Jesus und in Jesus: Jungfrauengeburt, Heilungen, Leiden, Tod, Auferstehung und Erhöhung. Oskar Skarsaune,33 der hier eine „kerygma source“ postuliert, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass dieses christologische Kerygma im intensiven Dialog und in intensiver Auseinandersetzung mit dem Judentum entwickelt worden ist. Zentraler Aspekt dieses Kerygmas ist das Kreuz Christi, wie es charakteristisch in einer Version von Psalm 95,10 LXX heißt:  „Der Herr ist König geworden vom Holz her“. Neben dieser christologischen Linie existiert bei Justin jedoch noch eine zweite, die sich nun aber nicht in den Apologien findet, sondern im Dialog mit dem Juden Tryphon (Just., dial. 48–107). In diesem Christus-Kerygma liegt der Akzent auf dem Gedanken der Wiederherstellung, der Rekapitulation. Christus ist hier der präexistente Schöpfungsmittler, als der erscheinende Gott in den alttestamentlichen Theophanien und als der wahre Sohn Gottes gesehen, der Adams Sünde rückgängig macht und den Teufel wie die Dämonen besiegt und den Menschen neues Leben und Neuschöpfung bringt. In dieser Linie liegt die spätere Rekapitulationslehre eines Irenäus im Grunde genommen schon in nuce vor (Skarsaune), auch wenn Justin den Begriff ἀνακεφαλαίωσις, den Irenäus dann bringt, selbst noch nicht verwendet. Die Frage ist, woher wiederum Justin diese Auffassung hat, sie ist ja gewiss nicht seine eigene theologische Erfindung – man denke nur an die Texte des werdenden Neuen Testaments. Sieht man sich auf Basis der bahnbrechenden Arbeiten von Skarsaune das Material bei Justin genauer an, dann fällt Folgendes auf: Justin knüpft zwar an Rekapitulationsvorstellungen in neutestamentlichen Texten an, aber tut dies in einer höchst eigenständigen Weise. Das gilt sowohl für seine Paulusrezeption als auch für seinen Umgang mit Lukas. Denkt man etwa an die Adam-Christus-Typologie in Röm 5, stellt man fest, dass Justin erstens viel mehr „dämonologische“ Elemente hat, die bei Paulus eigentlich keine 33 O. Skarsaune, The Proof from Prophecy. A Study in Justin Martyr’s Proof-Text Tradition, NT.S 56, Leiden 1987.

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Rolle spielen, und dass er zweitens auch das für Paulus so wichtige πόλλῳ – μᾶλλον weglässt, mit dem der Apostel die vielfache Überbietung des Falles Adams durch die stellvertretende Sühne Christi unterstreicht  – für Justin geht es mithin „nur“ um eine Wiederherstellung, nicht um eine gleichzeitige Überbietung. Stellt man Vergleiche mit der lukanischen Theologie an, kann man auf die Versuchungsgeschichte verweisen, in der Lukas das Konzept von Christus als zweitem Adam, Sohn Gottes, entfaltet: Zwischen die Taufe Jesu (Lk 3,21f.: „Du bist mein lieber Sohn […]“) und die Versuchung durch den Teufel hat Lukas die Genealogie Jesu eingewoben, die den Weg zurückverfolgt zu Adam, dem Sohne Gottes (3,38), und zielt dann ab auf die Anrede des Teufels („Wenn Du der Sohn Gottes bist […]“ 4,3). Justin kennt dieses Verfahren, dass man die Beziehung zwischen Adam und Christus über einen Titel zusätzlich unterstreicht, aber anders als Lukas tut er das Just., dial. 100,3 nun ausgerechnet über den Menschensohntitel – und legt bei der Versuchungsgeschichte großen Wert auf die Satan-Titulatur34, die wiederum bei Lukas keine Rolle spielt. Mit der einfachen Ableitung aus Quellen des werdenden Neuen Testaments kommt man also kaum weiter und mit dem Vergleich mit anderen erhaltenen christlichen Texten der Zeit auch nicht. Man kann nun natürlich postulieren, dass Justin eine eigene Materialquelle gehabt haben muss, die uns heute nicht mehr vorliegt, welche sein Rekapitulationssoteriologiematerial beinhaltete (das ist die Lösung von Skarsaune), oder man kann, was mir methodisch einfacher und damit zumindest erwägenswert scheint, sagen, dass die Auswahl, Anordnung und Konzeptionierung des soteriologischen Materials in Just., dial. 48–107 als Justins eigene theologische Leistung anzuerkennen ist: gewiss fußend auf einer ihn umgebenden, lebendigen christlichen Denkart, die er aber so und nicht anders selbständig strukturiert und präsentiert hat.

3.3  Der Begriff φωτισμός als Bezeichnung für die Taufe Der Begriff φωτισμός als Bezeichnung für die Taufe findet sich erstmals bei Justin.35 Joseph Ysebaert hat meines Wissens als Erster darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um ein eigenständiges terminologisches Vorgehen Justins

34 Just., dial. 103,5: „[Der Teufel] ist von Jesus als Satanas bezeichnet worden, ein zusammengesetztes Wort, mit welchem der Teufel, wie er [scil. Jesus] anzeigt, wegen seines Tuns benannt wurde. Denn ‚Sata‘ heißt in der Sprache der Juden und Syrer ein Abtrünniger und das Wort ‚Nas‘ wird mit Schlange übersetzt, und aus diesen beiden Wörtern ist das eine Wort Satanas geworden.“ (Diese Etymologie dann auch Iren., haer. V 21,2). 35 Just., 1 apol. 66,4; dial. 70,1.

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handeln muss.36 Die berühmte Wendung καλεῖται δὲ τοῦτο τὸ λουτρὸν φωτισμός (Just., 1 apol. 61,12) war lange Zeit dahingehend gedeutet worden, dass zu der Zeit Justins φωτισμός bereits ein fester Terminus technicus für die Taufe gewesen sein müsse (Harnack, Hatch), aber Ysebaert hat gezeigt, dass diese Auffassung auf einer etwas überzogenen Interpretation des καλεῖται beruht; καλεῖται heißt bei Justinus ziemlich oft einfach εἶναι. Das würde bedeuten, dass Justin den Begriff φωτισμός selbständig auf die Taufe bezogen hat und ihn nicht als feststehenden Terminus technicus (der außer Just., 1 apol. 61,12 nirgends belegt wäre) kennt und benutzt. Jedenfalls bleibt der Begriff φωτισμός bei Justin für den Eintritt in das Christentum, d. h. auf das Erlangen der vollständigen Wahrheit, reserviert.37

3.4  Der Begriff ἐκπύρωσις als Bezeichnung für das Endgericht Die Bezeichnung ἐκπύρωσις findet sich christlicherseits erstmals bei Justin.38 Es handelt sich dabei um einen eigentlich ganz und gar stoischen Begriff,39 aber eben bei ihm nicht stoisch als Weltenbrand verstanden und erst recht nicht mit der Palingennesie-Vorstellung verbunden, sondern als Ausdruck für das zu erwartende Endgericht, das Gericht über die Gottlosen. Auch hier prägt Justin einen aus der zeitgenössischen geistigen Umwelt allbekannten Begriff signifikant um, um ihn einerseits aufzunehmen und ihn andererseits in eigenständiger Weise dezidiert christlich zu interpretieren.

3.5  Kreuzesallegorien Originell ist Justins von den späteren Apologeten bereitwillig aufgenommener Versuch, das Kreuz bzw. die Kreuzesform oder -gestalt als die Grundstruktur der Welt zu erweisen. Er geht aus von einer frei wiedergegebenen Stelle im Timaios (36b), wo Platon den Weltenbaumeister die Grundgestalt 36 J. Ysebaert, Greek Baptismal Terminology. Its Origins and Early Development, Nijmegen 1962, 174. 37 Zur Widerlegung der These vermeintlicher Abhängigkeiten von den Mysterienkulten, besonders dem Mithraskult siehe A Wlosok, Laktanz und die philosophische Gnosis, Heidelberg 1960, 249f. 38 Just., 1 apol. 60,8 unter Berufung auf Mose. 39 Nach stoischer Auffassung gibt es zwar angesichts des „Alterns“ der Welt so etwas wie einen Weltenbrand (eine Rückkehr zum ursprünglichen Feuer), der aber zugleich Beginn einer neuen Weltperiode ist, in der die Welt und die Individuen in derselben Gestalt wiederkehren werden – weil der Logos, der einmal vernunftgemäß und methodisch die vollkommenste Welt geschaffen hat, bei einer neuen Gestaltung der Welt nicht andere Wege einschlagen wird; und auch dieselben Keimkräfte der Vernunft werden wieder in genau derselben Weise wirken. Vgl. M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung. Göttingen 71992, 78–81.

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des Alls durch chi-förmige Überkreuzung des Äquators anlegen lässt. Dieses χ, das in Wirklichkeit ein + und nicht, wie Platon dachte, ein χ gewesen ist, ist für Justin identisch mit dem Kreuz, das er nun als Grundstruktur der Welt (wieder)entdeckt.40 Das Kreuz (Christi) bietet für Justin die Deutung des Lebens und der Geschichte, in der der Logos herrscht und in der mit dem Logos zusammen diejenigen gekreuzigt werden, die der Vernunft gehorchen und die das Gute tun. Von hier aus unternimmt Justin interessante allegorische Deutungen des Kreuzes, die zwar methodisch keineswegs neuartig, aber am konkreten Beispiel durchgeführt außerordentlich originell sind. Das Kreuz als Zeichen des Logos zeige sich in der symbolisierenden Vernunft des Menschen, dass sie mit Segeln in Kreuzesform das Meer befahren; dass sie mit Geräten in Kreuzesform den Acker bestellen (Zeichen der in der Geschichte waltenden Vernunft). Der Atem des Menschen, der sein Leben bewirkt und ausmacht, gehe durch die Nase, die wie ein Kreuz im Gesicht des Menschen sich befinde. Das zeige, dass der Mensch vom Logos geschaffen sei, der ihm sein Zeichen aufgeprägt und ihn zu seinem Geschöpf sichtbar gestempelt habe. Die Macht des Logos zeige sich aber auch an den Feld- und Siegeszeichen der Kaiser, die eben auch die Form des Kreuzes tragen. Das Kreuz wird als Zeichen von Herrschaft und Macht gedeutet: τῆς ἀρχῆς καὶ δυνάμεως τὰ σημεῖα.

IV.  Zusammenfassung und methodische Konsequenzen Es hat sich gezeigt, dass sich bei Justin theologische Optionen finden, die nur zum Teil aus den Begrifflichkeiten und Denkkategorien der paganen oder jüdischen Umwelt des frühen Christentums und nur zum Teil aus der bereits vorliegenden christlichen Tradition herzuleiten sind. Es zeigt sich mithin, dass Anlass besteht, die theologische Eigenständigkeit und Originalität Justins nachdrücklich zu unterstreichen. Im Blick auf die methodischen 40 Just., 1 apol. 60,1–5: „Die naturphilosophische Bemerkung im Timaios in Bezug auf den Sohn Gottes, wo es heißt: ‚Er ließ im Universum ein χ ausbreiten‘, hat Platon ebenso von Mose übernommen. Denn in den Schriften des Mose ist vermerkt, wie zu der Zeit, als die Israeliten aus Ägypten ausgezogen waren und in die Wüste gelangt waren, ihnen giftige Tiere, Nattern, Vipern und jede Art von Schlangen entgegentraten, die dem Volk den Tod brachten. Da habe Moses auf Gottes Eingebung und Wirken hin Erz genommen und das Bild eines Kreuzes gemacht und dies auf dem heiligen Zelt aufgerichtet […]. Daraufhin seien, wie vermerkt ist, die Schlangen umgekommen, das Volk aber, erzählt er, sei so dem Tode entgangen. Dies hat Platon gelesen, da er es aber nicht genau verstand und es nicht als Bild eines stehenden Kreuzes wahrnahm, sondern an ein χ dachte, behauptete er, die nach dem ersten Gott kommende [zweite] Kraft sei im Universum als χ ausgebreitet.“

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Konsequenzen ist meine These die folgende: Vielleicht sollte man bei allem berechtigten Interesse an der älteren Hellenisierungs- oder der neuerdings profiliert vorangetriebenen Pluralismus-und-Identitätsdebatte immer auch daran denken, die theologisch eigenständige Leistung Justins (und wohl auch anderer Apologeten) stärker in den Blick zu nehmen und zu profilieren. Es verhält sich zweifellos so, dass man bei aller methodischen Berechtigung von Herleitungs- und Ableitungsfragen mit eben diesen Fragen bei Justin an eine gewisse Grenze stößt – und zwar genau an die Grenze, an der seine denkerische Eigenständigkeit, seine Originalität einsetzt. Umgekehrt kann man sagen:  Gerade indem man mit dem methodisch umsichtigen Bemühen um die von Andresen seinerzeit so vehement geforderte und geförderte befriedigende Klärung von Herleitungs- und Ableitungsfragen an eine Grenze stößt, wird die theologische Originalität Justins inmitten seines geistigen Umfeldes erkennbar. Grundsätzlicher formuliert:  Vielleicht müssen wir bei aller berechtigten Begeisterung für Herleitungs- und Ableitungsfragen wieder stärker damit rechnen und es unterstreichen lernen, dass einige wichtige Gestalten der frühen Kirchengeschichte einfach originelle Köpfe gewesen sind, die bei aller Orientierung an Tradition und zeitgenössischem geistigen Umfeld eben doch und vor allem als selbständige Denker anzusprechen und zu würdigen sind:  als Denker, die ihren theologischen Überzeugungen innerhalb des Christentums ihrer Zeit profiliert Ausdruck gegeben und gerade damit dem Christentum inmitten seiner nichtchristlich-hellenistischen Umgebung in hohem Maße Kontur verliehen und es ins Gespräch gebracht haben.

Das Glaubensbekenntnis der Katharer von Lombers (1165)* Im Jahr 11651 fand in dem im Dreieck zwischen Toulouse, Albi und Carcassonne gelegenen Flecken Lombers ein kontroverses Religionsgespräch zwischen katholischen Bischöfen und „guten Menschen“ statt. Laut überlieferter Akten war das Rededuell von zahlreichen und illustren Zuhörern besucht.2 Bei diesem Gespräch von Lombers kommt es zur Formulierung eines Glaubensbekenntnisses durch die Katharer,3 das von großem Interesse ist, weil es als das früheste erhaltene Selbstzeugnis4 jener „Gegenkirche“5 des 12. Jahrhunderts anzusprechen ist.

* Zuerst erschienen in: Gudrun Litz u. a. (eds.), Frömmigkeit – Theologie – Frömmigkeitstheologie. FS Berndt Hamm, Leiden 2005, 17–29. 1 Zur Datierung siehe C. de Vic / J. Vaissète, Histoire générale de Languedoc VII, Toulouse 1879, Nachdruck Osnabrück 1973, 1–5; A. Borst, Die Katharer, mit einem Nachwort von Alexander Patschovsky, Freiburg 1991, 78f., Anm. 23; M. Ohst, Pflichtbeichte. Untersuchungen zum Bußwesen im hohen und späten Mittelalter, BHTh 89, Tübingen 1995, 153. 2 Vgl. J.D. Mansi (ed.), Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio XXII, Paris 1903, Nachdruck Graz 1961, 158–168; RHGF 14, 431–438; eine fast vollständige Übersetzung findet sich bei W.L. Wakefield / A.P. Evans, Heresies of die High Middle Ages, New York 1969, Nachdruck New York 1991, 189–194; 703f. – Die boni homines, so sagen die Akten selbst, haben die Unterstützung der Notablen von Lombers. Anwesend sind Anhänger beider Seiten. Beiderseits anerkannte Schiedsrichter leiten die Befragung. 3 Dass es sich bei den „guten Menschen” von Lombers um Katharer handelt, kann nicht zweifelhaft sein. Siehe hierzu unten S. 141. 4 Dass ich die katharischen Aussagen in den Akten als Selbstzeugnisse ansehe, obwohl die Sammlung durch niemand anders als durch die katholische Gegnerschaft erfolgte, begründe ich damit, dass die in diesen Akten protokollierten Sätze selbst von den Katholiken als erstaunlich rechtgläubig beurteilt werden. Dies spricht für die Authentizität der katharischen Aussagen: Wenn jemand in einer polemisch geprägten Situation aus dem, was er von seinem Gegner referiert, kein Kapital zu schlagen vermag, gibt es dafür nur einen Grund, nämlich den, dass es authentisch ist. 5 Der Begriff „Gegenkirche“ scheint mir die strukturelle und inhaltliche Besonderheit des frühen Katharismus am besten zu erfassen: Die Katharer haben, wie schon 1144 ein Schreiben des Propstes Everwin von Steinfeld an Bernhard von Clairvaux zeigt (vgl. PL 182, 676–680), Parallelstrukturen ausgebildet, verstehen sich exklusiv als reine Kirche Christi und ihre Mitglieder als Nachfolger der Apostel

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Der Ablauf des Religionsgesprächs gestaltet sich so, dass zunächst die Katholiken Fragen an die Katharer stellen und diese die Fragen beantworten sollen, danach umgekehrt. Die Fragen der Katholiken richten sich gezielt auf einige konkrete Punkte: Zuerst darauf, ob ihre Gegner das Alte Testament und die doctores des Neuen Testaments anerkennten. Die Katharer antworten, dass sie das Gesetz des Mose, die Propheten, Psalmen, das Alte Testament (insgesamt), nicht anerkennen, sondern allein die Evangelien, die Paulusbriefe, die sieben kanonischen Briefe, die Apostelgeschichte und die Apokalypse.6 Zweitens fragen die Katholiken nach dem Glauben der Katharer, uti eam apponerent, diese antworten, dass sie ihn nicht mitteilen würden. Drittens erkundigen sich die Katholiken nach der Einstellung zur Kindertaufe, ob die Kinder durch die Taufe gerettet würden. Die Antwort lautet, dass sie (hierzu) nichts sagen würden; sie wollen über das Evangelium und die Briefe sprechen. Die vierte Frage richtet sich auf Leib und Blut des Herrn:  Wo diese konsekriert würden, von wem, und ob die Konsekration durch einen würdigen Mann wirksamer sei als die durch einen unwürdigen. Die Katharer antworten, dass, wer das Mahl würdig esse, gerettet, und wer es unwürdig esse, verdammt werde.7 Die Konsekration erfolge (bei ihnen) durch jeden guten Menschen, sei er Kleriker oder Laie. Fünftens: Ob nach Auffassung der Katharer Mann und Frau, die sich in der Ehe fleischlich vereinigen, gerettet werden können? Antwort: Man könne hierzu nichts sagen, laut dem Apostel sollten Mann und Frau sich (nur) verbinden, um Unzucht zu vermeiden.8 Die sechste Frage betrifft die Buße (poenitentia), ob sie im Moment des Todes Rettung ermögliche; ob z.  B.  tödlich verwundete Soldaten gerettet würden, wenn sie im letzten Moment bereuten. Die Katharer antworten, für Kranke reiche es, Sünden zu bekennen,9 die Frage nach den Soldaten könne man nicht beantworten, Jakobus rede nur von Kranken. Schließlich, ob nach Auffassung der Katharer Reue des Herzens (cordis contritio) und Bekenntnis mit dem Munde (oris confessio) ausreichten, oder ob eine satisfactio durch Fasten, Pilgern, milde Gaben nötig sei. Die Antwort lautet: Jakobus sage nicht mehr, als dass man die Sünden bekennen solle und

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und Märtyrer und Exponenten der einzig wahren Kirche. Ohst, 1995, 151, hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Katharer gerade nicht einfach als „Vertreter einer punktuell aus akuten Missständen heraus sich legitimierenden Bewegung” ansehen. Unterstellt man, dass sie den Hebräerbrief zu den Paulusbriefen rechnen, wäre das das „gesamte” Neue Testament. Anspielung auf 1Kor 11,27–29. Anspielung auf 1Kor 7,9. Bezug: Jak 5,14–16.

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so gerettet werde, und sie selber wollten sich nicht für klüger halten als der Apostel. Die Runde mit Anfragen der Katholiken an die „guten Menschen“ ist beendet, und nun sind die Katharer an der Reihe. Sie sagen zunächst, dass man nicht schwören dürfe und verweisen auf den Herrn selbst und auf Jakobus.10 Dann erklären sie, dass, falls geweihte Geistliche nicht so seien, wie Paulus es gefordert habe,11 diese keine Bischöfe und Priester seien, sondern Raubwölfe, Heuchler, Verführer, die nach Verehrung auf dem Marktplatz schielten, nach den höchsten Sitzen und nach den besseren Plätzen am Tische strebten, begehrten, Rabbi und Lehrer genannt zu werden entgegen dem Gebot Christi. Sie trügen weiße glänzende Kleider und hätten Edelsteinringe an den Fingern: „Das hat Jesus nicht befohlen“. Sie schließen mit dem Satz, dass sie den Katholiken keinen Gehorsam schuldeten:  Diese hätten Jesus verraten. Die Katholiken erwidern, es gehe hier nicht um Leben, sondern um Lehre. Die „guten Menschen“ werden öffentlich zu Häretikern erklärt. Da wenden sich die Katharer der Menge zu und verkünden ein eigenes Bekenntnis, das folgenden Wortlaut hat: Wir glauben an einen lebendigen und wahren Gott, drei und eins, den Vater, Sohn und Heiligen Geist: Und dass der Sohn Gottes Fleisch angenommen hat, im Jordan getauft worden ist, in der Wüste gefastet hat, unser Heil gepredigt hat, gelitten hat, gestorben ist und begraben wurde, in die Unterwelt hinabgestiegen ist, auferstanden ist am dritten Tage, in den Himmel aufgestiegen ist, den Tröster Geist den Jüngern am Pfingsttag geschickt hat, dass er kommen wird am Tag des Gerichts zu richten die Lebenden und die Toten und alle, die auferstehen werden. Wir erkennen auch, dass wir mit dem Munde bekennen müssen, was wir mit dem Herzen glauben. Wir glauben, dass nicht gerettet wird, wer nicht den Leib Christi isst, und dieser Leib Christi nur in der Kirche konsekriert wird und auch von niemand anderem als einem Priester, sei dieser gut oder böse, und dass der Leib Christi nicht besser wird durch den guten als durch den schlechten Priester. Wir glauben auch, dass man nur durch die Taufe gerettet wird, und dass die Kinder durch die Taufe gerettet werden. Wir glauben auch, dass Mann und Frau gerettet werden, auch wenn sie sich fleischlich verbinden, und dass ein jeder die Buße mit Mund und Herz auf sich nehmen muss und von einem Priester und in der Kirche getauft werden muss. Und wenn freilich in der Kirche etwas darüber hinaus bewiesen werden könnte durch Evangelien oder Briefe, so wollen sie das glauben und bekennen.12

Dieses Bekenntnis ist das früheste erhaltene Selbstzeugnis der Katharer des Languedoc. Die katholische Seite beurteilt es als erstaunlich orthodox, sie verlangt, die Katharer sollten auf dieses Bekenntnis nun auch schwören. Das

0 Vgl. Mt 5,34–37; Jak 5,12. 1 11 Bezug: 1Tim 3,2–7; Tit 1,7–9. 12 Mansi (ed.), 1961, 165f.

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aber verweigern diese; Schwören sei gegen Evangelium und Briefe. Die Spaltung bleibt bestehen. Bekenntnisse wie das in Lombers hatten den Charakter des Einmaligen, sie wurden ad hoc zusammengestellt im Blick auf die strittigen Fragen, wenn auch vermutlich dabei auf Formulare zurückgreifend.13 Der Text enthält ein Bekenntnis zum dreieinigen Gott,14 wobei auffällt, dass das Bekenntnis zum Schöpfer im ersten Artikel fehlt. Der zweite Artikel weist keinerlei doketische Züge auf, wie man an der Wendung carnem suscepisse sehen kann; die Taufe Jesu im Jordan und das Fasten in der Wüste werden eigens betont, ansonsten ist der Passus an das Apostolikum angelehnt. Die Sendung des Geistes zu Pfingsten wird im zweiten Artikel eigens betont, ein dritter Artikel ist nicht ausgeführt. Zentralen Stellenwert hat der Satz über die notwendige Übereinstimmung von Herzensglaube und mündlichem Bekenntnis (quod corde credimus, ore debemus confiteri), angelehnt an Röm 10,10. Das Bekenntnis schließt mit einer Reihe von apologetisch akzentuierten Aussagen, die gegnerische Behauptungen als falsch erweisen wollen, und die in ihrer Reihenfolge der vorangegangenen Befragung durch die Katholiken entsprechen. Mit den Antworten aus der Befragung stimmt das Bekenntnis teils überein, z. T. ist aber auch eine gewisse Spannung zu diagnostizieren: Die Berufung nur auf das Neue Testament aus der Befragung wird im Bekenntnis bestätigt, die Heilswirksamkeit der Kindertaufe wird im Bekenntnis (über die Befragung hinaus) zugestanden, im Passus über die Eucharistie wird die Gültigkeit des Sakraments unabhängig von der moralischen Qualität des Spenders (über die Befragung hinaus) zugestanden, in der Frage über die Möglichkeit der Errettung Verheirateter stimmen Befragung und Bekenntnis überein; auch darin, dass die Buße mit Herz und Mund anerkannt wird, ohne dabei das Problem der satisfactio zu klären. Die Umrisse, die 1165 in Lombers von den Katharern erkennbar werden, zeigen eine Gruppe, die durch folgende Merkmale geprägt ist: 1) Eine grundsätzliche Ablehnung der katholischen Kirche, vor allem unter Hinweis auf deren Reichtum und Prunk, wobei aus der Ablehnung der katholischen Kirche nicht die Ungültigkeit der dort gespendeten Sakramente folgt. 13 Ähnlich verhält es sich bei den Waldensern; zum Bekenntnis Waldes’ vgl. K.-V. Selge, Die ersten Waldenser. Bd. 1: Untersuchung und Darstellung, AKG 37,1, Berlin 1967, 19–35. 14 Auch sonst gibt es trinitarische Formeln bei Katharern: Liber de duobus principiis:  cum verissimis argumentis proposui declarare, patris et filii et spiritus sancti auxilio invocato; SC 198, 160 Thouzellier. – Vgl. auch: Rituel Cathare. lat. 14: Dominus deus verus tribuat vobis gratiam recipiendi hoc donum ad honorem illius et ad bonum vestrum; SC 236, 254 Thouzellier.

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2) Eine relativ traditionelle Theologie, die in ihrer bekenntnismäßigen Konzentration grob am Apostolikum orientiert ist, dort freilich einige signifikante Veränderungen vornimmt, die wiederum kaum eindeutig heterodox einzustufen sind; einzige Ausnahme ist die häretische Ablehnung (so bei der Befragung) bzw. Nichtberücksichtigung (so im Bekenntnis) des Alten Testaments. 3) Einen ausgeprägten Biblizismus: Was nicht direkt im Neuen Testament steht, ist auch nicht Gegenstand der Lehre. Hiermit verbindet sich eine deutliche Reserve gegen theologische Reflexion: Die „guten Menschen“ beschäftigen sich mit dem Leben mehr als mit der Lehre, wollen über das wörtlich in der Bibel Geschriebene hinaus nichts sagen. 4) Einen asketischen Zug, den ich aus dem Umstand herleite, dass das Fasten Jesu in der Wüste im zweiten Artikel eigens betont wird und dass die Errettung Verheirateter nur zugestanden wird, so dass eine Minderbewertung des Ehestandes hier durchscheint. Es fällt auf, dass einige Aspekte, die für das herkömmliche, an der frühen antikatharischen Polemik orientierte Bild entscheidend sind, in Lombers gar keine Rolle spielen. Dies betrifft den Dualismus und die Ablehnung der Sakramente der catholica. Zwar haben wir für den späten südfranzösischen Katharismus in der Tat sowohl dualistische Auffassungen als auch die radikale Ablehnung der katholischen Sakramente klar belegt15 – aber hier, beim frühen okzitanischen Katharismus, spielt beides (noch) keine erkennbare Rolle. Den Dualismus und das Problem der Schöpfung der (negativ bewerteten) Welt durch ein gegenläufiges Prinzip haben ja nicht einmal die katholischen Befrager in Lombers angesprochen. Dass das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer im ersten Artikel fehlt, mag ein Indiz e silentio für eine mögliche Negativbewertung der Schöpfung durch die „guten Menschen“ sein, jedoch ist dies in Lombers gar nicht Gegenstand der Diskussion. Die Frage des Dualismus steht nicht auf der Tagesordnung. Die von Unwürdigen gespendeten Sakramente und mithin auch die katholische Taufe werden ganz ausdrücklich und antidonatistisch von den Katharern von Lombers akzeptiert. Damit scheiden die beiden bis heute wirkmächtigsten Katharerinterpretationen, die manichäisierende und die donatistisierende, für die frühen Katharer von Lombers faktisch aus. Mit diesem Befund hängt es zusammen, dass das Bekenntnis von Lombers in der Literatur immer wieder als Täuschungsversuch eingestuft worden ist. Für Arno Borst verleugnen die Katharer hier (noch) ihre eigentlich bogomilisch-manichäische Lehre.16 Auch für Daniela Müller gibt das Bekenntnis 15 G. Rottenwöhrer, Der Katharismus. Bd. 2/2: Der Kult, die religiöse Praxis, die Kritik an Kult und Sakramenten der katholischen Kirche, Bad Honnef 1982, 705–851. 16 Vgl. Borst, 1991, 79.

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nicht die eigentliche katharische Auffassung von der Ungültigkeit der von katholischen Priestern gespendeten Sakramente wieder, es wird jedenfalls nicht zur Rekonstruktion der katharischen Lehre herangezogen.17 Eine Variante der Einschätzung, dass wir es hier nicht mit einem echten Katharerbekenntnis zu tun haben, ist der Versuch, die Gruppe aus Lombers gar nicht als Katharer anzusehen. So lautet die Lösung Jean Duvernoys, der in dem Text und auf dem Konzil gar keine Katharer, sondern Waldenser (bzw. Protowaldenser) sprechen hören will.18 Ähnlich urteilt Gerhard Rottenwöhrer, der in den Heterodoxen von Lombers eine eigenständige, jedenfalls nicht den Katharern zuzuordnende Gruppe sieht.19 Demgegenüber hat Martin Ohst in seiner Göttinger Habilitationsschrift m. W. erstmals gesagt, dass weite Teile des Bekenntnisses durchaus als mit katharischer Lehre in Einklang stehend angesehen werden müssten, abgesehen vom Problem der Anerkennung katholischer Sakramente. Ohst nennt deshalb den Text von Lombers ein „mittels Mentalreservation in orthodoxe Formeln gehüllte[s]‌ Katharerbekenntnis“.20 Alle drei Lösungen überzeugen jedoch nicht ganz: Gegen die erste These spricht, dass die Katharer von Lombers die heterodoxe Ablehnung des Alten Testaments offen zugeben. Weshalb hätten sie dann andere ihrer von der catholica abweichenden Lehrsätze verleugnen sollen? Zudem:  Sie treten während der gesamten Auseinandersetzung höchst selbstbewusst auf. Ihre Polemik gegen die Katholiken ist äußerst scharf. Wieso hätten sie in dieser Situation ein Bekenntnis vorlegen sollen, das nicht ihren Auffassungen entsprach? Die taktische Ausgangslage des Rededuells scheint paritätisch gewesen zu sein, wenn man an die Bestellung von Schiedsrichtern durch beide Seiten denkt. Es fehlt jedes Motiv für ein Verleugnen von Überzeugungen. Auch muss man sehen, dass die Katharerkirche in ihrer Geschichte durchgängig als eine höchst kompromisslose Kirche auftritt, zu der ein Verheimlichen eigener Lehre aus taktischen Gründen überhaupt nicht passen würde. Die Verweigerung des Eides am Schluss muss kein Zurückscheuen vor Unwahrhaftigkeit indizieren:  Man kann sie gut mit Berufung auf Mt 5,34–37 und Jak 5,12 erklären.

17 D. Müller, Albigenser, die wahre Kirche? Eine Untersuchung zum Kirchenverständnis der „ecclesia Dei”, Gerbrunn 1986, 5. 87–89. 196f. 18 Vgl. J. Duvernoy, Le catharisme. Bd. 1: La religion des Cathares, Toulouse 1979, 16; ebd., Bd. 2: L’histoire des Cathares, Toulouse 1979, Nachdruck Toulouse 1989, 209–213. 19 Vgl. G. Rottenwöhrer, Der Katharismus. Bd. 3: Die Herkunft der Katharer nach Theologie und Geschichte, Bad Honnef 1990, 398; ders., Der Katharismus. Bd. 1/1: Quellen zum Katharismus, Bad Honnef 1982, 10. 20 Ohst, 1995, 153, Anm. 52.

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Auch die zweite genannte These, es handele sich im Lombers gar nicht um Katharer, führt in Aporien. Duvernoys „Protowaldenser“ sind sonst nirgends belegt. Man muss zudem darauf hinweisen, dass im Text durchgängig von „guten Menschen“ oder „guten Christen“ die Rede ist;21 es liegt also die typische katharische Selbstbezeichnung vor. Man kann ferner darauf verweisen, dass es 1178 zu einem unzweifelhaft katharisch-katholischen Rededuell in Toulouse kommt: Und hier legen die „guten Menschen“ ein Bekenntnis ab, das dem von Lombers z. T. bis in die Formulierungen hinein entspricht.22 Die Interpretation von Ohst weist m. E. in die richtige Richtung. Allerdings ist auch Ohst letztlich noch der Täuschungshypothese verpflichtet, wenn er von „Mentalreservation“ und „Verhüllung“ spricht. In der Polemik der „guten Menschen“ gegen die Katholiken ist von Mentalreservation jedenfalls nichts zu spüren (Raubwölfe, Heuchler, Verführer), und so bietet es sich auch nicht an, diese nun bei dem Bekenntnistext am Werk zu sehen. Dann aber bleibt nur noch die eine Lösung, das Bekenntnis von Lombers als authentisch einzustufen:  Die „guten Menschen“, die eine Gegenkirche gegen die catholica etabliert haben, sind geprägt durch Protest gegen deren Feudalismus, durch einen ausgeprägten Biblizismus bei ausschließlicher Berufung auf das Neue Testament, und durch einen asketischen Zug. Der Dualismus der späten Katharer Südfrankreichs, die Ungültigerklärung der Sakramente der catholica, dazu auch Reinkarnationsvorstellungen, gnostisierende Mythologien, wie wir sie beim späteren Katharismus kennen, all dies ist in den Anfängen nicht nachweisbar und auch nicht rückprojizierend zu unterstellen. Diese Interpretation wird beim Blick auf weitere Selbstzeugnisse der frühen Katharer des Languedoc im Wesentlichen bestätigt. Vermutlich ins Jahr 1174 gehören die Akten des Katharerkonzils von St. Felix-de-Caraman.23 Dieses wird in der Regel als der radikaldualistische Entscheidungsmoment des Katharismus angesehen.24 Die Überraschung bei der Lektüre des Textes ist: Für die Frage nach der Theologie der Katharer tragen diese Akten praktisch nichts aus. Es geht beim Konzil um kirchenorganisatorische Themen:  Die Grenzen zwischen den Bistümern Toulouse und Carcassonne werden neu abgesteckt. Es bestätigt sich damit zunächst die katharische Tendenz, eine vollständige Gegenkirche neben der catholica zu etablieren. Ein Prediger mit Namen Niquintas ermahnt die Bistümer auf dem Konzil zur Eintracht. 21 Vielleicht im Anschluss an Jak 2,7? – In den Konzilsakten finden sich noch die Bezeichnungen secta Oliverii und secta haereticorum de Lumbers; vgl. Mansi (ed.), 1961, 160. 22 Siehe hierzu unten S. 143f. 23 Am einfachsten greifbar in: AFP 48 (1978), 51–53. 24 So D. Müller, Katharer, in: TRE 28 (1989), 23; Borst, 1991, 79f.

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Danach sprach Papst Niquintas:  „Ihr habt mir gesagt, dass ich euch sagen soll, ob das Verhältnis der ersten Kirchen lose oder fest sei, und ich sage euch, dass die sieben Kirchen Asiens (Apk 1,11) aufgeteilt waren und abgegrenzt gegeneinander, und keine von ihnen tat der anderen irgendetwas, was dieser widersprach. Und die Gemeinden Romaniens und Dragontiens und Melengias und Bulgariens und Dalmatiens waren aufgeteilt und abgegrenzt gegeneinander, und keine tat der anderen etwas, was dieser widersprach. Und so haben sie Frieden untereinander. So tut auch ihr.“

Es ist schwierig, in dieser Aufforderung zum Frieden unter den katharischen Bistümern irgendeine dogmatische Option auszumachen. Ob hier überhaupt der Versuch zu sehen ist, die Gemeinden des Westens und Ostens dogmatisch auf dieselbe (radikaldualistische?) Linie zu bringen, ist nicht nachweisbar. Man kann ja die Aufforderung des Niquintas auch so interpretieren, dass (analog zur vermeintlichen Situation der „Urkirche“ nach Apk 1,11) theologische Differenzen unter Katharern keine kirchentrennende Wirkung haben dürfen.25 Sicher ist in St. Felix nur: Es spricht hier ein Gastprediger, der gute Kenntnisse von Vorgängen unter Bogomilen im Osten hat, vielleicht gar von dort kommt, der als „Papa“ bezeichnet wird und der den uns sonst nicht bekannten Namen Niquintas trägt. Dass es sich hierbei um den zeitgleich in der Lombardei tätigen bogomilischen Bischof von Konstantinopel, Niketas, handelt,26 wie in der Literatur immer wieder zu lesen ist,27 ist durchaus möglich, aber immerhin müsste man dann im Text an vier Stellen konjizieren, und gerade bei einem Namen wie Niketas fällt es schwer, das im Text stehende Niquintas für eine missglückte Latinisierung zu halten. Jedenfalls ist es nicht unproblematisch, aus diesen Akten Schlüsse für die Theologie der frühen Katharer des Languedoc zu ziehen.28

25 Eine solche Auffassung ist jedenfalls von den italienischen Katharern berichtet. Möglicherweise spielt die Übereinstimmung im Lehrbestand für sie gar keine entscheidende Rolle. Dies scheint jedenfalls schon Rainer Sacchoni anzudeuten: Neben einem gemeinsamen Lehrbestand gelte für die Katharer v. a.: […] omnes ecclesiae Catharorum se recipiunt ad invicem, licet habeant diversas et contrarias opiniones […]; E. Matène / U. Durand (eds.), Thesaurus Novus Anecdotorum. Bd. 5, Paris 1717, Nachdruck Farnborough 1969, 187. 26 Vgl. den anonymen Traktat: A. Dondaine (ed.), De heresi Catharorum in Lombardia, in: AFP 19 (1949), 306–312. 27 So Müller, 1989, 23; ead., 1986, 5; A. Dondaine, Les actes du concile albigeois de St. Félix-de-Camaran, in: Studi e Testi 125 (1946), 324–355. 28 Die interessante Frage, ob die in weiten Teilen radikaldualistische Interpretation des Konzils von St. Félix-de-Camaran einschließlich der Identifikation jenes Niquintas mit Niketas forschungsgeschichtlich letztlich nichts anderes ist als die Präsentation eines „missing link“ im Sinne einer einmal vorausgesetzten Manichäer-Bogomilen-Theorie, kann ich hier leider nicht weiter verfolgen.

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Die Akten von Toulouse 1178,29 auf die ich oben schon angespielt hatte, tragen für die Frage nach den Überzeugungen der frühen Katharer des Languedoc mehr aus. Abermals handelt es sich um ein Rededuell: Katharische Bischöfe legen vor dem päpstlichen Legaten ein Bekenntnis ab, das den Katholiken merkwürdig orthodox erscheint – die Katharer erklären, dass sie keinesfalls an zwei Gottheiten glaubten, wie böswillige Gegner ihnen unterstellten. Hier liegt ein neuer Aspekt gegenüber Lombers vor: Die Frage des Dualismus kommt hier erstmals, offensichtlich von Seiten der Gegner, ins Spiel; die Katharer leugnen, zwei Prinzipien zu lehren. Die Erklärung kommt ansonsten in Inhalt und Diktion dem Bekenntnis von Lombers nahe. Die Katharer glauben an einen Gott, der alle sichtbaren und unsichtbaren Dinge geschaffen habe (letzteres war in Lombers so nicht gesagt, das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer fehlte dort im 1. Artikel), sie erkennen Evangelien und apostolische Schriften an (wie in Lombers ist vom Alten Testament nicht die Rede); der katholische Priester, er sei gut oder schlecht, könne Leib und Blut Christi gültig darreichen (dies entspricht dem Bekenntnis von Lombers).30 Sie erkennen die Kindertaufe und ihre Heilsbedeutung an (wie in Lombers). Sie bekennen, dass Mann und Frau, die sich fleischlich verbinden, aber keine andere Sünde begehen, gerettet werden können (dies entspricht wiederum Lombers, es bestätigt sich auch die dort durchscheinende asketische Tendenz). Die Katholiken fordern, darauf einen Eid abzulegen, was die Katharer verweigern (wie in Lombers). Zeugen werden beigebracht, die sagen, sie hätten die Katharer zuvor anders predigen hören. Die Katharer erwidern, dies seien bestellte Falschzeugen, ihr Glaube sei stets derselbe. Auch hier sollte man, ehe man sich der zeitgenössischen katholischen Bewertung allzu schnell anschließt, bedenken, dass im Jahre 1178 für eine solche Täuschung keinerlei Motiv ersichtlich ist. Nur ein Jahr zuvor hat der Graf von Toulouse festgestellt, dass die „Reinen“ in der Gegend von Albi, Carcassonne und Toulouse in der Mehrheit seien.31 Spätestens seit den 80er Jahren wissen wir

29 Vgl. Gesta regis Henrici secundi Benedicti Abbatis, Bd. l, London 1867 (= RBMAS 49/1), 201–207. – Vgl. R. de Hovedene, Chronica. Bd. 2, RBMAS 51/2, London 1869, 151–158. 30 Auch das Consolamentum ist keine Ungültigkeitserklärung für die katholische Wassertaufe und keine „Wiedertaufe”. Es ist heilsnotwendige Ergänzung der gültigen katholischen Taufe. Vgl. für die norditalienischen Katharer das lateinische Rituale; SC 236, 252–254 Thouzellier; Müller, 1986, 96. Die Behauptung, die Katharer hätten die katholische Taufe für ungültig erklärt, ist Erfindung der Polemik; vgl. z. B. G.E. Sollbach (ed.), Pierre des Vaux-de-Cernay. Historia Albigensis, Darmstadt 1996, 17. 31 Vgl. den einschlägigen Brief in: RHGF 13, 140.

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von massiver Unterstützung der Katharer durch den okzitanischen Adel.32 Die Situation, die sich in Lombers bereits abzeichnete, hat sich in den folgenden Jahren eher gefestigt: Die katharische Kirche wird zu der Kirche Okzitaniens. In dieser Lage bestand für die Katharer kein äußerer Druck, der ein Täuschungsmanöver auch nur nahe gelegt hätte. Man wird, wie schon in Lombers, nicht umhin können, die Aussagen, die in Toulouse von katharischer Seite überliefert sind, für bare Münze zu nehmen. Die Auseinandersetzung von Toulouse bestätigt mithin den Befund aus Lombers, allerdings mit dem wichtigen Detail, dass nun, 1178, das Problem des Dualismus stärker im Blick ist und dass die Katharer entsprechenden Vorwürfen mit der ausdrücklichen Leugnung zweier Prinzipien und dem Bekenntnis zu dem einen Gott als dem Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren Dinge begegnen. Was kann man auf der Basis des Bekenntnisses von Lombers 1165 und auf der Grundlage der angeführten Vergleichstexte über die frühen Katharer des Languedoc sagen? Wir haben in den frühen Katharern des Languedoc eine dezidierte Gegenkirche vor uns, die weniger durch Widerspruch gegen die Dogmatik der ca­ tholica als vielmehr durch radikale Kritik an deren Feudalismus geprägt ist. Sie haben ein christliches Selbstverständnis, das sich primär darin äußert, dass sie gute Menschen sein wollen. Dieser Impetus verbindet sich mit asketischen Tendenzen. Wir haben einen ausgeprägten Biblizismus zu diagnostizieren, wobei das Alte Testament abgelehnt oder jedenfalls zumindest nicht benutzt wird; dieser Biblizismus verbindet sich mit Reserven gegen dogmatische Reflexion. Das quod corde credimus aus dem Bekenntnis von Lombers zeigt den hohen Stellenwert individueller und gemeinschaftlicher Frömmigkeit für die Katharerkirche der zweiten Hälfte des 12.  Jahrhunderts. Eine erkennbar dualistische Gottesauffassung ist genau so wenig nachweisbar wie eine nachhaltig aus der Tradition der augustinischen Ekklesiologie ausbrechende, „neo-donatistische“ Auffassung von der Gültigkeit der Sakramente.33

32 Raymond VI. von Toulouse (1194–1222), Raimund Roger von Foix (1188–1223). Die Katharerkirche etabliert sich im Lauf der Zeit und unter dem äußeren Einfluss der zunehmenden Bedrohung der okzitanischen Fürstentümer durch (nord) französische Eroberungsbestrebungen als die Mehrheitskirche Okzitaniens und wird zunehmend durch den okzitanischen Adel massiv unterstützt. Vgl. hierzu Selge, 1967, 266. 33 Im Zusammenhang dieses materiellen Befundes ist methodisch auf Folgendes aufmerksam zu machen: a) Dogmen- oder theologiegeschichtlich orientierte Herleitungsversuche des Phänomens Katharismus stehen in der Gefahr, das Selbstverständnis der Katharer nicht hinreichend zu erfassen und einen „Theoriezwang” auszuüben, der in der Gefahr steht, manches zu verzerren;

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Erst seit Anfang des 13.  Jahrhunderts beobachten wir eine eher zaghafte Hinwendung zur Formulierung theologischer Konsequenzen aus der ursprünglich moralisierend-asketischen Haltung der Katharer. In den hierfür einschlägigen überlieferten dogmatischen Versuchen34 spielen dann das Problem des Dualismus und die Ekklesiologie die dominierende Rolle. In der Ekklesiologie dominiert der Gedanke der sichtbaren Heiligkeit der eigenen Kirche, der natürlich im Selbstverständnis der Katharer von Lombers und in ihrer Selbstbezeichnung als „gute Menschen“ angelegt ist. Der Dualismus in der Gottesauffassung ist schillernd. Man kann fragen, ob das Hervortreten des Dualismus mit bogomilischen Einflüssen zu tun haben kann, wobei diese dann aber keinesfalls als monokausales Erklärungsmuster herangezogen werden sollten. Denn man muss auch damit rechnen, dass das In-den-Vordergrund-Treten des Dualismus mit dem aus katholischen Unterstellungen resultierenden Zwang zur Formulierung eigener Theologie zusammenhängt, die den frühen Katharern nicht ursprünglich eigentümlich war. Und man muss darüber hinaus auch fragen, ob die zeitgleich zunehmende Bedrohung und Gefährdung Okzitaniens und „seiner“ Kirche bei den Katharern zu einer (noch) negativ(er)en Sicht der Welt mit entsprechenden Konsequenzen für die Schöpfungs- und Gotteslehre geführt haben könnte.



b) Dogmengeschichtliche Herleitungsversuche führen jedenfalls dann in Aporien, wenn die postulierten Analogien zur historischen Genealogie ausgebaut werden: Die Katharer Okzitaniens sind z. B. eindeutig älter als alle möglichen dualistisch-bogomilischen Einflüsse auf sie; c) Alle Versuche, die schlecht belegte Theologie der frühen Katharer Okzitaniens vom relativ gut belegten späten Katharismus her zu rekonstruieren, sind Rückprojektionen, die den frühen Katharern Okzitaniens nicht gerecht werden: Die Katharerkirche wird im Laufe ihrer Existenz (schillernd) dualistisch, sie nimmt mit der Zeit „donatistische” Ablehnungen des doppelten Kirchenbegriffes vor, aber sie weist diese theologischen Merkmale nicht von Anfang an auf. 34 Es handelt sich um kurze Traktate, die mit großer Wahrscheinlichkeit in die ersten Jahrzehnte des 13. Jhs. zu datieren und als einzige Selbstzeugnisse katharischer Lehrbildung vor 1208 erhalten sind, der erste lateinisch in einem Exzerpt im Liber contra Manichaeos des Durandus von Huesca, die anderen provencalisch in einer einzigen Handschrift, die heute im Trinity-College in Dublin zu finden ist (ms 269). Vgl. zu dieser Handschrift aus dem 14. Jh. M. Esposito, in: RHE 46 (1951), 131–141; A. Brenon, in: Heresis 7 (1986), 7–23. Zu den Texten vgl. Rottenwöhrer, Katharismus. Bd. 1,1, 1982, 32–36; ebd., Bd. 1,2, 19–36.

Clemens Alexandrinus’ Quis dives salvetur als Paradigma für die Beurteilung von Reichtum und Geld in der Alten Kirche* Die erste uns erhaltene ausführliche und zusammenhängende Behandlung des Themas „Reichtum“ aus christlicher Perspektive1 ist der wohl zu Anfang des dritten Jahrhunderts entstandene homiletische Traktat Quis dives salvetur,2 eine Auslegung der Perikope vom reichen Jüngling nach Mk 10,17– 31. Der Text ist von T. Flavius Clemens verfasst, jenem in Platonismus und Stoa bewanderten, zum Christentum übergetretenen, in Alexandrien tätigen freien philosophischen Lehrer, der als Clemens von Alexandrien3 in die

* Zuerst erschienen in: M. Ebner (ed.), Gott und Geld, JBTH 21, Neukirchen 2006, 213–238. 1 In den uns erhaltenen Texten des zweiten Jahrhunderts erfährt das Thema keine eigenständige Behandlung, klingt aber des Öfteren an: So zum Beispiel in der Didache, die den im jüdischen wie christlichen Bereich verbreiteten Gedanken vertritt, dass Almosen das Lösegeld für Sünden sein kann (Did. 4,6) und die in Geldforderungen durch einen Propheten ein Kriterium nennt, um einen Pseudopropheten als solchen zu identifizieren (Did. 11,6). Die paränetische Warnung vor Geldgier findet sich u. a. 2Clem 4,3, aber auch Herm., vis. 1,3,1; 2,3,1; 3,9,2; für den Hirt des Hermas ist die Trennung vom Reichtum gar die Bedingung für die Brauchbarkeit für Gott (Herm., vis. 3,6,5f.), das Festhalten am Reichtum hingegen führt früher oder später zum Rückfall ins Heidentum (Herm., sim. 8,9,3). Die den geldgierigen Zinsnehmern und unbelehrbaren Reichen bevorstehende eschatologische Bestrafung wird im erhaltenen apokryphen Material z. T. drastisch geschildert, so etwa in der Petrusapokalypse 10. 2 CPG 1379. Text: O. Stählin / L. Früchtel / U. Treu (eds.), GCS Clemens 3, Berlin 2 1970, 137–155. 235; deutsche Übersetzung: BKV2 8, übers. O. Stählin, München 1934, 227–280; O. Stählin / M. Wacht, Clemens von Alexandrien – Welcher Reiche kann gerettet werden?, SKV 1, München 1983. 3 A. Hamann / A.  Fürst, Kleine Geschichte der Kirchenväter, Freiburg 2004, 44–52; D.  Wyrwa, Clemens von Alexandrien, in:  3LACL (2002), 152–154; A. van den Hoek, Clemens von Alexandrien, in:  4RGG 2 (1999), 395f.; A.M. Ritter, Klemens von Alexandrien, in: M. Greschat (ed.), Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 1: Alte Kirche I, Stuttgart 1984, 121–133; A. Méhat, Clemens von Alexandrien, in: TRE 8 (1981), 101–113; D. Wyrwa, Die christliche Platonaneignung in den Stromateis des Clemens von Alexandrien, AKG 53, Berlin 1983; H. von Campenhausen, Griechische Kirchenväter, Stuttgart 61981; S.R.C. Lilla, Clement of Alexandria. A Study in Christian Platonism and Gnosticism, OTM, London 1971.

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Kirchengeschichtsschreibung seit Eusebius4 eingegangen ist. Sein Traktat verdankt sich einem aktuellen konkreten Anlass, nämlich der Situation, dass es in der christlichen Gemeinde im reichen und prosperierenden Alexandrien5 offensichtlich Menschen gab, die begütert waren und die angesichts einschlägiger biblischer Aussagen wie z. B. Mk 10,25 befürchteten, wegen ihres Reichtums vom eschatologischen Heil ausgeschlossen zu sein.6 Clemens’ Text Quis dives salvetur,7 der seinem Verfasser in einer modernen populärwissenschaftlichen Darstellung der Kirchengeschichte den augenzwinkernden Beinamen „Beichtvater der Bourgeoisie von Alexandrien“8 eingetragen hat, kann als Paradigma für die Einstellung zu und die Beurteilung von Reichtum und Geld in der Alten Kirche überhaupt angesprochen werden. Um dies zu zeigen, will ich im Folgenden zunächst den Aufbau und Gedankengang des Textes skizzieren (I), ihn dann in einem zweiten Schritt in das Gesamtdenken des Clemens einzeichnen (II), in einem dritten Abschnitt Referenzstellen aus der späteren inner- und außeralexandrinischen Tradition beibringen (III), in einem weiteren Schritt auf kritische christliche Stimmen, die freilich im Verhältnis zur Position des Clemens eher die Ausnahme bleiben sollten, zu sprechen kommen (IV) und im Schlussteil Überlegungen zur

4 Eus., h.e. III 29,1; IV 26,4; über Clemens außerdem h.e. I 12,2; II 1,3; II 9,2f.; II 15,2; II 23,3; II 23,19; III 23,5–24,1; III 29–30; V 11; V 28,4; VI 6 (Clemens als Lehrer des Origenes); VI 11–14. 5 P.J.G. Gussen, Het leven in Alexandrië volgens de cultuurhistorische gegevens in de Paedagogus Boek 2 and 3 van Clemens Alexandrinus, Assen 1955, bes. 90–122. 6 Gerade die Stelle Mk 10,25 scheint in den alexandrinischen Diskussionen zur Zeit des Clemens eine wichtige Rolle gespielt zu haben: Clem., q.d.s. 2,5. 7 Lit.: A.M. Ritter, Christentum und Eigentum bei Klemens von Alexandrien auf dem Hintergrund der frühchristlichen „Armenfrömmigkeit“ und der Ethik der kaiserzeitlichen Stoa, in: ZKG 86 (1975), 1–25; M. Hengel, Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche. Aspekte einer frühchristlichen Sozialgeschichte, Stuttgart 1973; W.-D. Hauschild, Christentum und Eigentum. Zum Problem eines altkirchlichen „Sozialismus“, in: ZEE 16 (1972), 34–49; U. Wickert, Bemerkungen zu Clemens von Alexandrien (Quis dives salvetur 19 und 42), in: ZNW 52 (1959), 123–132; J. Leipoldt, Der soziale Gedanke in der altchristlichen Kirche, Leipzig 1952; T. Rüther, Die sittliche Forderung der Apatheia in den beiden ersten christlichen Jahrhunderten und bei Clemens von Alexandrien, FThSt 28, Freiburg 1922; R.B. Tollinton, Clement of Alexandria. A Study in Christian Liberalism, 2 Bde., London 1914; O. Schilling, Reichtum und Eigentum in der altkirchlichen Literatur. Ein Beitrag zur sozialen Frage, Freiburg 1908 (ND Frankfurt 1985); E. Schwartz, Zu Clemens ΤΙΣ Ο ΣΩΙΖΟΜΕΝΟΣ ΠΛΟΥΣΙΟΣ, in: Hermes 38 (1903), 75–100; H. Markgraf, Clemens von Alexandrien als asketischer Schriftsteller in seiner Stellung zu den natürlichen Lebensgütern, in: ZKG 22 (1901), 487–515. 8 M. Clevenot, Die Christen und die Staatsmacht. Geschichte des Christentums im II. und III. Jahrhundert, Freiburg 1988, 98–104.

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Frage der Integration des frühen Christentums in die es umgebende pagane römische Gesellschaft im Blick auf Quis dives salvetur anstellen (V).

I    Clemens Alexandrinus leitet seinen Traktat mit einer Aussage zu dessen Intention ein: Es gehe darum, dass man die Reichen auf alle mögliche Weise zum Heil zu führen suche.9 Die eschatologische Dimension ist im angeschnittenen Fragekreis um die Beurteilung weltlichen Reichtums also die entscheidende, weshalb die bei Clemens handschriftlich nicht nachgewiesene, vielmehr bei Eusebius erstmals auftauchende Überschrift des Traktates10 als treffend angesehen werden kann. Vorausgesetzt ist, dass es sich um gläubige Reiche, d. h. um Christen handelt11 – nur dadurch kommt die Möglichkeit einer Heilsteilhabe eines Reichen in Betracht. Clemens räumt ein, dass es für reiche Christen offenbar schwieriger ist als für arme, zum Heil zu gelangen.12 Er weiß von begüterten Christen, die das Herrenwort vom Kamel und Nadelöhr (Mk 10,25 parr.)13 wörtlich nehmen, sich dadurch vom Heil ausgeschlossen sehen und sich nun ganz den Freuden der Welt hingeben, um wenigstens diese genießen zu können. Andere verstehen die einschlägige Evangelienstelle zwar nicht wörtlich, ziehen aus ihr aber auch keine konkreten gottgefälligen Konsequenzen für den Umgang mit ihrem Reichtum (zu denken wäre etwa an Wohltätigkeit und Almosengeben)14 und versäumen es so, von ihnen als Reiche zu erfüllende Bedingungen ihrer Heilsteilhabe zu erbringen.15 Clemens zufolge verhält es sich prinzipiell aber durchaus so, dass auch die Reichen zum eschatologischen Heil berufen sind.16 Aufgrund der vom Reichtum ausgehenden Gefährdungen bedürfen aber gerade sie der

Clem., q.d.s. 1,4. 9 10 Eus., h.e. III 23,5; VI 13,3. 11 Clem., q.d.s. 2,4; 3,5. 12 Clem., q.d.s. 2,1. 13 Clemens selbst deutet leider nur an, dass das Kamel aus Mk 10,25 auch eine „höhere Bedeutung“ habe, also allegorisch interpretiert werden könne (Clem., q.d.s. 26,8). Es findet sich aber weder in Quis dives salvetur noch im sonstigen Schrifttum des Clemens eine Aufklärung dieser einigermaßen dunklen Andeutung. Ob man hier bereits an die später in der Alten Kirche relativ verbreitete Erklärung denken sollte, statt κάμηλος (Kamel) κάμιλος (Tau) zu lesen? Clemens sagt dies jedenfalls nicht; und da diese Erklärung auch eher eine textkritisch-philologische denn eine allegorische ist, sollte man zurückhaltend sein, sie in Quis dives salvetur hineinzuprojizieren. 14 Clem., q.d.s. 13,1. 6 u. ö. 15 Clem., q.d.s. 2,3. 16 Clem., q.d.s. 3,1 unter Anspielung auf das κλητοῖς aus 1Kor 1,24.

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Belehrung, ja regelrecht des „Trainings“17 durch den Logos, der ihnen auf dem Kampfplatz des Glaubens Weisung erteilt. Clemens bietet den Text der Perikope in der Markusfassung,18 wobei seine eigenen hermeneutischen Verfahrenshinweise wie sein weiteres exegetisches Vorgehen zeigen, dass er die Fassungen der „anderen anerkannten Evangelien“ ununterschieden hinzuziehen kann, weil für ihn „alle den gleichen übereinstimmenden Sinn“ haben.19 Clemens geht davon aus, dass der Text nicht in „fleischlichem“, also wörtlichem Sinn zu verstehen sei, sondern, da „der Erlöser selbst immer mit göttlicher und geheimnisvoller (mystischer) Weisheit lehre“, allegorisch interpretiert werden müsse, indem man „den verborgenen Sinn aufspürt“ und sich „in den Geist des Erlösers selbst und in das Geheimnis seines Gedankens“ versenkt.20 Die nun folgende ausführliche Exegese des Textes konzentriert sich im Wesentlichen auf zwei Aspekte, nämlich zunächst darauf, den Anstoß, der mit der Perikope namentlich für reiche Christen gegeben war, aufzulösen,21 und sodann darauf, einen möglichen christlich angemessenen Lebenswandel für Reiche aufzuzeigen, durch welchen diese (im Unterschied zum „reichen Jüngling“) mit Gottes Hilfe die von ihnen zu erbringende Voraussetzung für die Heilsteilhabe erfüllen können.22 Mit theologischen Überlegungen zur Möglichkeit der Umkehr und einer diese Möglichkeit illustrierenden Beispielerzählung schließt Clemens seinen Traktat ab.23 Dem Anstoß, der von der Perikope vom reichen Jüngling ausgeht, begegnet Clemens, indem er den Herrenbefehl „Verkaufe alles, was du hast“ (Mt 19,21; Mk 10,21) nicht im Sinne eines grundsätzlichen Verzichtes auf jede Form von Besitz verstanden wissen will, sondern ihn allegorisch in der Weise deutet, dass der Mensch von der Leidenschaft, vom Verlangen und von der 17 Clem., q.d.s. 36: γυμναστής. Auch sonst in dem Passus wie im gesamten Traktat benutzt Clemens eine agonistisch gefärbte Bildsprache, um den Kampf des Reichen (und der anderen) um das eschatologische Heil zu illustrieren. 18 Clem., q.d.s. 4,4–10; 5,1. Der Bibeltext, den Clemens hier wiedergibt, ist in den uns erhaltenen Markushandschriften so nicht exakt belegt, er kommt an wichtigen Stellen Überlieferungssträngen der vetus latina nahe. Siehe zum Ganzen M. Mees, Die Zitate aus dem NT bei Clemens von Alexandrien, Bari 1970. 19 Clem., q.d.s. 5,1. 20 Clem., q.d.s. 5,2; 5,4. – Zur Verbindung von allegorischer und wörtlicher Auslegung bei Clemens siehe unten Anm. 25. – Zur Hermeneutik des Clemens insgesamt siehe A. Méhat, Clément d’Alexandrie et les sens de l’Ecriture, in: J. Fontaine u. a. (eds.), Epektasis. Mélanges patristiques offerts au cardinal Jean Daniélou, Paris 1972, 355–365. 21 Clem., q.d.s. 6–19. 22 Clem., q.d.s. 21–39 23 Clem., q.d.s. 40–42.

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Gier nach Besitz frei sein bzw. werden solle.24 Das Vorhandensein von Geld und Reichtum als solches ist nicht mehr und nicht weniger gut als der Mangel daran oder der Verzicht darauf. Auch der Mangel an Geld oder der freiwillige Verzicht auf Güter haben keinen positiven Wert an sich: Sie bergen ja ihrerseits die Gefahr der Unfreiheit, indem sie entweder, im Falle des Mangels, eine Fixierung auf den Erwerb des Lebensnotwendigen oder, im Falle freiwilligen Verzichts, eitlen Stolz auf das eigene Tun heraufbeschwören und so die Leidenschaften der Seele nur noch zusätzlich entfachen.25 Entscheidend ist hingegen, dass man „seine Seele selbst und seine Gesinnung von den darin vorhandenen Leidenschaften reinigen und aus seinem Herzen alles, was darin keine Stätte haben darf, samt den Wurzeln ausrotten und entfernen soll. Dies zu lernen ist die richtige Aufgabe für die Gläubigen, dies zu lehren ist ein des Heilandes würdiger Unterricht.“26 Es zeigt sich, wie das Kriterium der „inneren Freiheit“ von den „äußeren Dingen“ bei Clemens zum Interpretationsmaßstab der Perikope Mk 10,17–31 wird. Es geht darum, sich die ἀπάθεια von den als ἀδιάφορα oder τὰ ἐκτός bzw. als „Allotria“ identifizierten Dingen zu bewahren oder diese ἀπάθεια zu erwerben, um für die für des Menschen Heil entscheidenden Dinge frei zu sein. Unter dieser Prämisse fährt Clemens fort, die eigentliche Schärfe der Perikope aus Mk 10 dadurch zu relativieren, dass er mit allerlei biblischen Belegen aufzeigt, wie Geld und Reichtum nützliche Wirkung im Sinne der Weisungen des Herrn haben können:  Die Perikope selbst gibt ja mit der Aufforderung „und gib’s den Armen“ eine klare Richtung vor.27 Hat man einmal den adiaphoristischen Stellenwert des Reichtums begriffen, wird man frei, das vorhandene Geld einzusetzen, um anderen, bei denen es nötig ist, helfen zu können.28 Mit materiellen Gütern kann bzw. soll man sich Freunde 24 Clem., q.d.s. 11,2: „Er befiehlt ihm […], aus seiner Seele die Gedanken an den Besitz zu verbannen, die leidenschaftliche Liebe zu ihm, das gewaltige Verlangen darnach, die krankhafte Unruhe darum, die Sorgen, die Dornen des irdischen Lebens, die den Samen des ewigen Lebens ersticken.“ Die Übersetzung folgt der O. Stählins in BKV (wie Anm. 2) 239f. 25 Clem., q.d.s. 11,4; 12,5. 26 Clem., q.d.s. 12,1. Die Übersetzung folgt der O. Stählins in BKV (wie Anm. 2) 241. 27 Clem., q.d.s. 19,6. – Ritter, 1975, 8f.16f. mit Anm. 34 und 87 hat m. E. richtig gesehen, dass sich die interpretatorische Leistung des Clemens nicht einfach in einer stoisierenden Allegorese der Markusperikope erschöpft. Die Beseitigung des mit einem buchstäblichen Verständnis des „verkaufe alles, was du hast“ gegebenen Anstoßes ist nur der erste Schritt, jedoch nicht das Ganze dessen, worauf Clemens abzielt. Anders gesagt: Die im biblischen Text unmittelbar folgende Forderung „gib’s den Armen“ ist, wie die Interpretation in Clem., q.d.s. 21–39 zeigt, von Clemens durchaus wörtlich bzw. „fleischlich“ verstanden worden. 28 Clem., q.d.s. 13,1.6; 14,3.

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machen (Lk 16,9), Hungernde speisen, Nackte bekleiden (Mt 25,35–43) und wohltätig sein: „Man darf das Vermögen, das auch unserem Nächsten nützen kann, nicht wegwerfen; denn es ist ein Besitz, weil es besitzenswert ist, und heißt Vermögen, weil es etwas vermag und nützt und zum Nutzen der Menschen von Gott geschaffen ist“.29 Der Reichtum ist für Clemens ein Werkzeug,30 das man geschickt, aber auch ungeschickt gebrauchen kann; er ist nicht per se gut oder schlecht,31 aber er darf seinem Wesen nach immer nur dienen, nicht herrschen.32 Von daher trifft Clemens eine Unterscheidung zwischen „wahrem Reichtum“ und „falschem Reichtum“: Der wahre, recht gebrauchte Reichtum ist das Ausgerichtetsein auf Gott in der wohltätigen Gemeinschaft der Christen; der falsche, missbrauchte Reichtum ist die Versklavung unter das Joch des eigenen Besitzes.33 Der wahre Reichtum ist Reichtum an Tugenden; der falsche Reichtum ist die Fixierung des Lebens auf den äußerlichen, vergänglichen Besitz.34 Es ist diese Freiheit gegenüber dem einmal als adiaphoristisch erkannten Reichtum gewesen, die Clemens’ Auslegung zufolge dem „reichen Jüngling“ im Markusevangelium gefehlt hat, weswegen er am Ende der Perikope bzw. ihrer Deutung durch Clemens „niedergeschlagen hinweg“ geht: Das ewige Leben hat er nicht erlangt, das ohnehin „Schwierige hat er selbst für sich unmöglich gemacht“.35 Über das in der Perikope berichtete Erschrecken der Jünger hierüber (Mk 10,26) lenkt Clemens zur Situation der Reichen in der alexandrinischen Gemeinde zurück und wendet sich nun der Auslegung des Herrenwortes „Was bei den Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott“ (Mk 10,27) zu, um den begüterten Christen einen Umgang mit ihrem äußerlichen Reichtum zu zeigen, der ihnen den Weg zum ewigen Leben nicht versperrt. Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist der Grundsatz, dass Gottes Hilfe all denen zuteil wird, die „sich alle Mühe geben“ und ihren „Willen zeigen“: Gottes Kraft ermöglicht das, was dem Menschen allein unmöglich ist, was aber wiederum ohne des Menschen Eifer und stetige Anstrengung auch nicht statthaben könnte.36 Unter dieser Prämisse versteht Clemens das Leben 9 Clem., q.d.s. 14,1. Die Übersetzung folgt der O. Stählins in BKV (wie Anm. 2) 243. 2 30 Clem., q.d.s. 13,5; 15,5. 31 Clem., q.d.s. 14,2–4. 32 Clem., q.d.s. 14,3. 33 Clem., q.d.s. 16,3; 17,2–4. 34 Clem., q.d.s. 19,1. 35 Clem., q.d.s. 20,1 unter Bezug auf Mk 10,23.27. 36 Clem., q.d.s. 20,3: „Den Schlafenden und Trägen wird das Reich Gottes nicht zuteil, sondern ‚die Gewalttätigen reißen es an sich‘. Denn das ist die einzige schöne Gewalttat, Gott zu überwältigen und von Gott Leben zu rauben; er aber erkennt die, die mit Gewalt oder vielmehr mit Stetigkeit darnach trachten, und lässt sich

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des reichen Christen als einen permanenten Kampf bzw. eine andauernde Entscheidungssituation,37 in der man von den Begierden nach Äußerlichem regelrecht verfolgt wird38 und der Gefahr ausgesetzt ist, das eschatologische Heil zu verlieren. Auf der anderen Seite lässt er keinen Zweifel daran, dass ein innerliches Freiwerden von den Begierden nach Besitz prinzipiell möglich ist: Wenn es aber jemand fertig bringt, die durch den Besitz gegebenen Möglichkeiten nicht voll auszunutzen und in seinen Gedanken maßvoll und verständig zu sein und nur Gott zu suchen und Gottes Geist zu atmen und in Gottes Gemeinschaft zu wandeln, so steht er den Geboten gegenüber als Armer da, frei, unbesiegt, gesund, vom Besitz unverwundet.39

Die anthropologische Voraussetzung, die hier im Hintergrund steht, ist der freie Wille, der den Menschen befähigt, sich zu einem unfreien Leben oder aber mit Gottes Hilfe und durch Orientierung an dessen Geboten zu einem vernunftgemäßen, von den Affekten freien Leben in Gottes Gemeinschaft zu entscheiden.40 Als Richtschnur für ein solches Leben nennt Clemens das Doppelgebot der Liebe nach Mk 12,30f. und Lk 10,27 und die allegorisch auf Christus gedeutete Erzählung vom barmherzigen Samariter nach Lk 10,30–37. Eine besondere Rolle im Tableau der biblischen Referenzstellen spielt ferner das Herrenwort Lk 16,9: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon“. Es dient einerseits als Beweis dafür, dass es möglich ist, auch mit den Mitteln ungerechten Besitzes eine gerechte und heilbringende Tat zu vollbringen,41 und zeigt andererseits, dass man beim Tun des Guten die Initiative ergreifen soll anstatt zu warten, bis man explizit gebeten wird:42 Almosen sollen ohne Murren und freudig gegeben werden,43 was der Haltung der inneren Freiheit entspricht, aus welcher sich tätige Hilfe für den Nächsten ergibt.44 Wohltaten sollen ohne Unterscheidung der Person in Würdige und Unwürdige und ohne Ansehen äußerer Anmut oder des Lebensalters erwiesen werden.45 Abermals kommt Clemens auf die Richtschnur der Liebe

bewegen; denn Gott freut sich, hierin überwunden zu werden.“ Übersetzung nach O. Stählin in BKV (wie Anm. 2) 251f. Vgl. auch Clem., q.d.s. 8,1f. 37 Clem., q.d.s. 3,3f.5f.; 24,5. 38 Clem., q.d.s. 25,4. 39 Clem., q.d.s. 26,6. Übersetzung nach O. Stählin in BKV (wie Anm. 2) 257. 40 Clem., q.d.s. 10,1. 41 Clem., q.d.s. 31,6. 42 Clem., q.d.s. 31,7. 9. 43 Clem., q.d.s. 31,8 unter Aufnahme von Phil 2,14 und 2Kor 9,7. 44 Clem., q.d.s. 16,3. 45 Clem., q.d.s. 33,2–6. Der Grund liegt darin, dass die Unterscheidung von Würdigen und Unwürdigen ein unangemessenes „Richten“, die Orientierung am äußeren

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zu sprechen:  Die in Inkarnation und Opfertod Christi erkennbare unbedingte Liebe Gottes zu den Menschen findet ihre Entsprechung in der Liebe der Christen zueinander, die sich nicht zuletzt auch in der Freigiebigkeit mit den weltlichen Gütern zeigt: Für jeden einzelnen von uns hat er sein Leben hingegeben, das an Wert der ganzen Welt gleich ist. Als Gegengabe fordert er von uns die Hingabe des Lebens füreinander. Wenn wir aber unser Leben unseren Brüdern schuldig sind und wir eine solche Verpflichtung dem Heiland gegenüber auf uns genommen haben, sollten wir da noch die Dinge dieser Welt, die armselig, unserem wahren Wesen fremd und vergänglich sind, aufspeichern und verschließen? Sollten wir einander vorenthalten, was nach kurzer Zeit das Feuer zur Beute haben wird?46

In der Liebe, die nicht das Ihre sucht, besteht der „ganz unübertreffliche Weg zur Rettung“,47 der eben prinzipiell auch den Reichen offensteht. Clemens entfaltet dies mit einer eindrucksvollen Kollektion von Bibelzitaten, überwiegend an 1Kor 13 orientiert. Der Traktat Quis dives salvetur schließt mit der Aufforderung, sich nicht in Verzweiflung zu ergehen. Selbst für den Fall, dass ein reicher Christ den von seinem Besitz faktisch ausgehenden Gefährdungen erliegt und im Kampf um die Freiheit von den Begierden Rückschläge erleidet, bestehe kein Anlass zur Hoffnungslosigkeit, da der Weg der Umkehr offensteht: Denn für jeden, der sich in Wahrheit aus ganzem Herzen zu Gott bekehrt, stehen die Türen offen; und mit herzlicher Freude nimmt der Vater den Sohn auf, der wahrhaftig Buße tut. Die wahre Buße besteht aber darin, dass man nicht länger in den nämlichen Fehlern verharrt, dass man vielmehr aus der Seele samt den Wurzeln völlig die Sünden entfernt, um derentwillen man sich selbst des Todes würdig erfunden hat.48

Clemens gibt den Rat, sich einen eigenen persönlichen Lehrer und Seelsorger, eine geistliche Autorität zu suchen, die einen im Kampf des Glaubens begleitet und orientiert und gegebenenfalls korrigiert.49 Um die Zuversicht auf die eschatologische Rettung auch des reichen Christen, der den Weg zur Freiheit von den äußerlichen Dingen noch nicht gefunden hat, zu begründen, beendet Clemens seinen Traktat mit einer Beispielerzählung, die zeigen soll, dass es kein „Zu spät!“ gibt: Ein junger Mann, der vom Seher Johannes persönlich einem Bischof zur christlichen Fürsorge anvertraut worden war, hatte sich zum Räuber entwickelt, hatte aber später durch persönliche Intervention Erscheinungsbild eine unzulässige Überbewertung der „äußeren Hülle“ bedeuten würde. 46 Clem., q.d.s. 37,4f. Übersetzung nach O. Stählin in BKV (wie Anm. 2) 269. 47 Clem., q.d.s. 38,1. 48 Clem., q.d.s. 38,2 unter Anspielung auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Übersetzung nach O. Stählin in BKV (wie Anm. 2) 271. 49 Clem., q.d.s. 41.

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des Johannes von seinem verbrecherischen Tun Abstand genommen, Buße getan und ein vorbildliches Leben geführt, schließlich selbst die Bischofswürde erhalten und so ein Siegeszeichen der sichtbaren Auferstehung50 gegeben. Die kleine Erzählung, die Clemens als Hoffnungsgeschichte für seine reichen christlichen Hörer ans Ende seiner Ausführungen stellt, ist dann über Eusebius’ Kirchengeschichte breiten Kreisen bekannt geworden51 und in der späteren christlichen Tradition immer wieder als paradigmatische Bußgeschichte verwendet worden.

II    Angesichts der Tatsache, dass Quis dives salvetur offensichtlich eine aus konkretem und aktuellem Anlass entstandene Gelegenheitsarbeit ist, ist nun die Frage nach dem Stellenwert ihres Inhalts aufzuwerfen und eine Einordnung in den größeren Kontext der Theologie des Clemens und dann auch der weiteren christlichen Tradition von Bedeutung. Sichtet man zunächst die Quellen bei Clemens selbst, so ergibt sich folgender Befund: Die drei erhaltenen Hauptwerke, der Protreptikus, die Stromata und der Paedagogus, bilden eine zusammenhängende Trilogie,52 die das theologische Denken des Clemens recht gut zu erschließen erlaubt. Mit dem Paedagogus, einem altkirchlichen „Vademecum der Gläubigen“,53 legt Clemens ein christliches Anstandsbuch vor, das in vieler Hinsicht die Ratschläge der paganen antiken Morallehrer ausschreibt, diese aber in eine christliche Gesamtschau einordnet und in Bezug zur Evangelienüberlieferung setzt, indem Christus als der einzig wahre Erzieher angesehen wird. In Clemens’ christlichem Benimmbüchlein wird auch die Frage des Reichtums immer wieder angerissen. In der Tendenz unterscheidet sich sein Urteil nicht von dem, was auch in Quis dives salvetur anklang: Clemens warnt vor den Gefahren des

50 Die eschatologische Komponente, die den gesamten Traktat Quis dives salvetur prägt, kommt auch hier in der abschließenden Erzählung zum Tragen. 51 Eus., h.e. III 23,6–19. 52 Protreptikus: CPG 1375, Text: O. Stählin / U. Treu (eds.), GCS Clemens 1, Berlin 3 1972, 1–86. 353–359; Paedagogus: CPG 1376, Text: O. Stählin / U. Treu (eds.), GCS Clemens 1, Berlin 31972, 89–292. 359–365; Stromata: CPG 1377, Text: O. Stählin / L. Früchtel (eds.), GCS Clemens 2 (Strom. I–VI), Berlin 1960 sowie O. Stählin / L. Früchtel / U. Treu (eds.), GCS Clemens 3 (Strom. VII und VIII), Berlin 21970, 3–102. 231–234. – Clem., prot. I 1,1f. gibt eine Disposition für die gesamte „Trilogie“ vor, die aber nicht streng eingehalten bzw. erheblich verändert worden ist. 53 Hamann / Fürst, 2004, 48. – Zum Paedagogus des Clemens siehe A. Knauber, Ein frühchristliches Handbuch katechumenaler Glaubensinitiation: der „Paidagogus“ des Clemens von Alexandrien, in: MThZ 23 (1972), 311–334.

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Reichtums, der zu Unmäßigkeit, Gefräßigkeit und Hoffart führen kann.54 Luxuriöser Hausrat ist lediglich eine Täuschung für das Auge,55 um Reichtum an Silber und Gold soll man sich nicht bemühen,56 im Gegenteil verleitet das Streben nach Reichtum den Menschen dazu, die rechte Lebensweise aufzugeben57 oder gar zusammen mit dem Gold zu sterben.58 Der Reichtum ist blind, weswegen die Menschen, die ihm verfallen, ebenfalls blind sind.59 Der wahre, beste, christliche Reichtum ist demgegenüber die Armut an Begierden, und der wahre Stolz besteht nicht darin, dass man mit seinem Reichtum prahlt, sondern darin, dass man ihn verachtet.60 Solche harschen kritischen Aussagen über den Reichtum im Paedagogus mögen sich von dem, was wir in Quis dives salvetur vorfinden, graduell unterscheiden. Dies spricht allerdings nicht gegen eine inhaltliche Kongruenz: Denn auch in Quis dives salvetur war vor den Gefahren des Reichtums eindringlich gewarnt worden. Umgekehrt wiederum kann im Paedagogus wie in Quis dives salvetur vom Nutzen des Reichtums durchaus positiv die Rede sein, unter der Voraussetzung, dass man den Besitz recht zu gebrauchen weiß.61 Es ist mit dem Reichtum eben wie mit einer Schlange: Wenn man sie nicht ohne Gefahr anfassen kann, indem man das Tier fern am Schwanz packt und herabhängen lässt, so wird sie sich um die Hand herumwinden und beißen. So besteht auch beim Reichtum die Gefahr, dass er sich, je nachdem, ob man ihn geschickt oder ungeschickt anfasst, um den Besitzer herumschlingt, ihn umklammert und beißt, es sei denn, dass jemand innerlich über ihn erhaben und von ihm unabhängig bleibt und ihn in verständiger Weise verwendet.62 Ob das eine oder aber das andere eintritt, ist letztlich eine Frage der freien Willensentscheidung. Was in Quis dives salvetur anklang, findet in anderen Texten des Clemens seine Bestätigung: Aufgrund des freien Willens ist der Mensch für seine Taten verantwortlich,63 weswegen er zurecht dem eschatologischen Gericht verfällt, wenn er sich vom Mammon umklammern lässt, weswegen 4 Clem., paed. II 12,1. 5 55 Clem., paed. II 35,1. 56 Clem., paed. II 36,3. 57 Clem., paed. III 37,2. 58 Clem., paed. III 10,2. 59 Ebd. 60 Clem., paed. II 39,4. 61 Clem., paed. III 34,1: „Reichtum muss man in würdiger Weise in Besitz nehmen und anderen in liebevoller Weise mitteilen“. Übersetzung nach O. Stählin in BKV (wie in Anm. 2) 166. 62 Clem., paed. III 35,1. 63 Clem., prot. 99,4; 118,4; str. I 83; q.d.s. 10,1: „Der Mensch [scil. der reiche Jüngling] hatte die Möglichkeit zu wählen, da er frei war. Gott aber hatte die Möglichkeit zu geben, da er Herr ist.“

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er aber auch verdientermaßen zur ewigen Herrlichkeit eingeht, wenn er seinen freien Willen an Gott und dessen Gebot ausrichtet und so die innere Freiheit vom Reichtum erlangt und bewahrt.64 Clemens definiert diese Freiheit auch in den Stromata als ἀπάθεια, als Freiheit von den Leidenschaften, die eine naturwidrige Bewegung der Seele und Ungehorsam gegen die Vernunft sind.65 Diese innere Freiheit von den Leidenschaften wie z. B. der Geldgier befähigt den Menschen, mit Freuden wohltätig zu sein66 und sich das eschatologische Heil, für das er berufen ist, zu sichern, wobei vorausgesetzt ist, dass eine Umkehr bzw. Buße grundsätzlich möglich ist.67 So kann der an sich adiaphoristische Reichtum geradezu eine gute Gelegenheit darstellen, dass ein Christ, der über Geld verfügt, sich anstelle der falschen, nur vermeintlichen Schätze wahre Schätze im Himmel sammelt, indem er es recht verwendet: Die diesbezüglichen Ausführungen des Clemens im Paedagogus stimmen mit denen in Quis dives salvetur überein.68 Und auch in den Stromata unterstreicht Clemens, dass es einen guten, gottgefälligen Gebrauch des Reichtums geben kann, der etwa darin besteht, bedürftigen Menschen etwas zu geben oder aber wenigstens zu leihen.69 Im Falle solcher Leihgeschäfte darf man übrigens von den eigenen Glaubensbrüdern keine Zinsen nehmen – das Zinsennehmen, das in Quis dives salvetur keine Rolle gespielt hatte, wird in anderen Texten des Clemens behandelt und unter Rückgriff auf alttestamentliche Traditionen als unrechter Gebrauch des Reichtums ausdrücklich verworfen.70 Es zeigt sich, dass es sich bei Quis dives salvetur um eine Schrift handelt, die für das Denken des Clemens von Alexandrien repräsentativ ist.71

64 Clem., str. II 59,6: „Das Abweichen und Abgehen und der Ungehorsam stehen in unserer Macht ebenso wie auch der Gehorsam in unserer Macht steht; deshalb werden auch die Taten des freien Entschlusses gerichtet.“ 65 Clem., str. II 59,6. 66 Κοινωνία im Sinne von „Wohltätigkeit“ bei Clemens findet man z. B. Clem., q.d.s. 13,1; paed. II 7,3; II 129,1; str. I 6,1; II 85,3; III 86,4; IV 112,2. 67 Clem., q.d.s. 42; str. II 57,1–59,6. 68 Clem., paed. III 36,1–3; q.d.s. 32,1–4. 69 Clem., str. III 54,1f.; q.d.s. 13,1–4. 70 Clem., str. II 84,4; paed. I 95,2. 71 Es ist mithin m. E. nicht angemessen, bei Clemens eine Entwicklung in seiner Beurteilung des Reichtums zu postulieren, wie es in der alten Literatur bisweilen geschah (z. B. Markgraf, 1901, 511f.): Seine Position ist im Kern dieselbe. Es mag sein, dass die eher seelsorgerliche Ausrichtung von Quis dives salvetur eine etwas andere Akzentsetzung gegenüber der primär erzieherischen des Paedagogus begründet, aber die Argumentationslinie bleibt im Prinzip gleich. Ritter, 1975, 7f. mit Anm. 29 macht für die gewissen Spannungen in den Aussagen des Clemens dessen „Zettelkastenmethode“ und das Stufendenken in seinem Bildungskonzept

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Hier wie in anderen seiner Texte geht es im Kern darum zu zeigen, dass der Reichtum als solcher adiaphoristisch ist;72 er zählt zu den äußeren Dingen, den „Allotria“,73 denen als solchen keine Heilsrelevanz zukommt. Es kommt auf den falschen oder rechten Gebrauch dieser Allotria an  – wobei eingeräumt werden muss, dass von den mit dem Reichtum einhergehenden Versuchungen erhebliche Gefahren ausgehen, den rechten Weg zu verfehlen, wie das eindrucksvolle Bild von der Schlange zeigt. Gerade vor diesem Hintergrund kommt der christlichen Belehrung und innergemeindlichen Paränese ein hoher Stellenwert zu. Der gesamte Paedagogus und die ethisch-lehrhaften Passagen in den Stromata sowie im Protreptikus unterstreichen auch in dieser Hinsicht das, was am Schluss von Quis dives salvetur mit dem Rat, sich einem festen persönlichen christlichen Lehrer und Seelsorger anzuvertrauen,74 bündig formuliert worden war.

III    Ein Blick auf die inner- und auch außeralexandrinische Einstellung zu Reichtum und Vermögen im dritten und dann auch im vierten Jahrhundert zeigt, dass die Position, wie sie bei Clemens Alexandrinus auszumachen ist, dem Grunde nach der breiten Mehrheitsauffassung in der Alten Kirche entspricht.75 Bei Origenes ist positionelle Affinität zu Clemens mit Händen zu greifen.76 Auch Origenes weist darauf hin, dass dem Reichtum die Gefahr innewohnt, von ihm fasziniert und letztlich gefangen zu werden. Auch wenn das eschatologische Moment in den Stellungnahmen zum Reichtum bei Origenes gegenüber Clemens etwas zurück- und stattdessen verantwortlich, plädiert aber im Ganzen auch dafür, die grundsätzliche Einheitlichkeit des Denkens des Clemens zu diesem Thema anzuerkennen. 72 Clem., paed. II 10,2; q.d.s. 15,3. 73 Clem., str. IV 94,3; VII 78,3. 74 Clem., q.d.s. 41. 75 Siehe zu der ungeheuren Fülle des Materials, aus der hier nur ein kleiner Ausschnitt geboten werden kann, den Artikel von R. Bogaert, Geld (Geldwirtschaft), in: RAC 9 (1976), 797–907; außerdem R. Staats, Deposita pietatis. Die Alte Kirche und ihr Geld, in: ZThK 76 (1979), 1–29; M.-B. von Stritzky, Grundbesitz II. in: RAC 12 (1983), 1200f.; M. Honecker, Geld II. Historisch und ethisch, in: TRE 12 (1984), 278–298 und die trotz ihres ehrwürdigen Alters immer noch sehr gut brauchbare Überblicksdarstellung von O. Schilling, Reichtum und Eigentum in der altkirchlichen Literatur. Ein Beitrag zur sozialen Frage, Freiburg 1908 (ND Frankfurt 1985). 76 Bogaert, 1976, 854. – Zu Origenes siehe H.J. Vogt, Origenes, in: 3LACL (2002), 528–536; R. Williams, Origenes, in: TRE 25 (1995), 397–420; W. Geerlings / H. König (eds.), Origenes. Vir ecclesiasticus, Bonn 1995; C. Kannengießer / W.L. Petersen (eds.), Origene. His World and his Legacy, Notre Dame 1986.

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der Aspekt der Bewährung in den Vordergrund tritt, legt doch auch Origenes auf die ausdrückliche Feststellung wert, dass auch die Reichen nicht prinzipiell vom Himmelreich ausgeschlossen sind; man darf in seinen Bemerkungen einen Reflex auf innerchristliche Debatten77 wie auch auf apologetische Auseinandersetzungen mit Christentumskritikern vermuten.78 Wie Clemens unterscheidet Origenes zwischen wahrem und falschem, seinen Besitzer in Besitz nehmenden Reichtum, wobei er anders als dieser mit dem Begriff des „wahren Reichtums“ ausdrücklich den Besitz von Weisheit und Bildung in Verbindung bringt.79 Der materielle Reichtum an sich ist auch für Origenes adiaphoristisch:80 Eine prinzipielle Ablehnung von Geld und Gut kommt für ihn, der den Aufbau seiner Bibliothek und die personelle Ausstattung seiner Schreibfabrik übrigens nicht zuletzt seinem finanzstarken Sponsor Am­ brosius verdankte,81 nicht in Betracht. Jedoch insistiert er darauf, dass der Reichtum eine Versuchung für den freien Willen des Menschen sein könne82 und es darauf ankomme, sich die innere Freiheit von den äußeren Gütern zu bewahren. Bei Athanasius, dem großen alexandrinischen Bischof des vierten Jahrhunderts, kann man sehen, wie die Einstellung zu Geld und Reichtum über die Entwicklungen der „Konstantinischen Wende“ hinweg, die die finanzielle Situation der Gemeinden ja massiv tangierten, im Prinzip gleichgeblieben ist: Man findet bei ihm die Ideen des Clemens von Alexandrien und des Origenes unverändert wieder.83 Interessant ist, dass wir auch bei Athanasius oder in ihm nahestehenden Kreisen eine Exegese neutestamentlicher Stellen über den Reichtum finden, freilich nicht zur Perikope vom reichen Jüngling, aber zur Bergpredigt und zum Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus:  Reiche, so der Tenor, fallen dem Gericht anheim, wenn sie ihre Schätze für sich selbst gesammelt haben. Wer hingegen sein Geld zugunsten seiner ärmeren und bedürftigen Nächsten einsetzt, wird sich damit Schätze 7 Or., comm. in Mt. 15,20 ganz analog zur Position des Clemens. 7 78 So in der apologetischen Auseinandersetzung mit der christentumskritischen Schrift „Die wahre Lehre“ des Celsus: Cels. VII 23. Die Kritik des Celsus ebd. VII 18. Zur Schrift des Celsus siehe jetzt H. Lona, Die „wahre Lehre“ des Kelsos, Kommentar zu frühchristlichen Apologeten, Erg.-Bd. 1, Freiburg 2005, zu unserer Fragestellung bes. 397–399. 79 Or., or. 17,1. 80 Bogaert, 1976, 854. 81 Eus., h.e. VI 23,1f. 82 Or., comm. in Mt frgm. 77,3. 83 So mit Recht Bogaert, 1976, 880. – Zu Athanasius siehe U. Heil, Athanasius von Alexandrien, in: 3LACL (2002), 69–76; A.L. Pettersen, Athanasius, London 1995; D. Brakke, Athanasius and the Politics of Asceticism, Oxford 1995; C. Kannengießer, Athanase d’Alexandrie, évêque et écrivain, Paris 1986.

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im Himmel sammeln können.84 Die eschatologische Komponente der Fragestellung scheint in Alexandrien in der Mitte des vierten Jahrhunderts nicht weniger virulent zu sein als zu Anfang des dritten bei Clemens. Auch für Athanasius gilt, dass der Reichtum als solcher nicht schlecht sein kann  – aber bei ihm findet sich, offensichtlich in antimanichäischer Abgrenzung, die ausdrückliche Begründung, dass ausnahmslos alle Güter von Gott geschaffen und aus diesem Grunde zunächst einmal gut sind.85 Überhaupt scheint die manichäische Behauptung, dass aller Reichtum und materieller Besitz vom Teufel sei, im vierten Jahrhundert auf kirchlicher Seite eine erhebliche Gegenreaktion ausgelöst zu haben, die theologisch darauf insistierte, dass auch der Reichtum vom guten Gott geschaffen und daher gut sei und eben nicht zum Bereich der Herrschaft des Teufels gehöre; man kann eine solche antimanichäische Argumentationsfigur auch bei Kyrill von Jerusalem und bei Augustin finden.86 Auch für Athanasius kann freilich der an sich gute Reichtum zu einer Haltung der Gewinnsucht und der Geldgier führen, durch die die eigentlich gute Gabe Gottes durch die verfehlte Einstellung des Menschen gleichsam pervertiert wird. Insofern kommt es auch für ihn wie für Clemens und Origenes beim Umgang mit Reichtum und Geld entscheidend auf die innere Haltung und auf deren Orientierung am Willen Gottes, auf die innere Freiheit und Unabhängigkeit vom Besitz an. Ein Blick auf die drei kappadokischen Väter bestätigt, dass die bei Clemens und Origenes vorfindliche Haltung im vierten Jahrhundert in den Grundzügen geradezu unisono fortbesteht.87 Allerdings tritt die Dimension der eschatologischen Relevanz der Frage gegenüber ihrer sozialen und gesellschaftlichen Komponente hier etwas zurück. Dass sich bei den Kappadokiern relativ häufig Stellungnahmen zum Reichtum und zum sozialen Problem seiner gerechten Verteilung finden, zeigt, wie akut das Problem im vierten Jahrhundert, einer im Vergleich zum frühen dritten wirtschaftlich 84 Ath., fr. Mt. (CPG 2141,7 = PG 27, 1364–1389) und frgm. in Lk (CPG 2141,9 = PG 27, 1392–1404); besonders zu beachten sind die Stellen PG 27, 1373BC zu Mt 6,19f. und 1397B zu Lk 16,19–31. – Die Zuschreibung an Athanasius ist nicht gesichert und zudem – wie auch bei anderen überlieferten Katenenfragmenten – kaum erforscht. 85 Ath., fr. Mt. (PG 27, 1373BC). 86 Siehe Bogaert 1976, 881. – Zu Kyrill von Jerusalem siehe G. Röwekamp, Cyrill von Jerusalem, in:  3LACL (2002), 178–180; E.J. Yarnold, Cyrill von Jerusalem, in: TRE 8 (1981), 261–266. Cyr. H., catech. 8,6f.: „Reichtum, Gold und Silber gehören nicht, wie einige glauben, zur Herrschaft des Teufels“ – bei dezidierter Berufung auf Mt 19,21! Hier auch der Gedanke, dass irdische Schätze gleichsam die Tür zum Himmelreich sein können. – Zu Augustin siehe in diesem Beitrag unten S. 230. 87 Bogaert, 1976, 881.

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ungleich schwierigeren Zeit, zumal in der Mitte Kleinasiens, einer im Vergleich zu Alexandrien sozial ungleich heterogeneren und wesentlich ärmeren Region, war.88 Basilius von Caesarea, der selbst aus einer äußerst begüterten Familie stammte und die Unterstützung der Armen mit Hilfe eigener Mittel massiv vorantrieb, unterstreicht in seinen Predigten im Blick auf die sozialen Nöte in der Region geradezu den Nutzen des Reichtums, der, wenn man ihn recht gebraucht, Frucht bringen kann, weil mit seiner Hilfe die dringend notwendige Unterstützung der Bedürftigen möglich wird. Die Kappadokier sehen nüchtern, dass Geld Einfluss und Macht bedeutet,89 und sie plädieren nachdrücklich dafür, diesen Einfluss zum Guten geltend zu machen90 Dem reichen Menschen sind die guten Güter Gottes zur rechten Verwaltung anvertraut.91 Deshalb verdient der Reiche, der von seinem Geld den Notleidenden hilft und die Armut lindert und also seinen Besitz recht verwaltet, bei den Menschen Achtung und Ansehen und verdient sich bei Gott himmlische Schätze.92 Basilius wie die beiden Gregore wissen natürlich, dass das in der Wirklichkeit eher nicht bzw. oft gar das Gegenteil der Fall ist; deshalb unterziehen sie den unrechten, eigennützigen, selbstsüchtigen Umgang mit Besitz in ihren Texten scharfer Kritik,93 die ganz traditionell die vom Reichtum ausgehenden Gefahren für die menschliche Seele unterstreicht:  Der Reichtum weckt Begierden, er kann Auslöser und Ursache zahlreicher Verbrechen werden und die Schlechtigkeit des Menschen vergrößern. Die Liebe zu Christus kann der Liebe zum Gold geradezu entgegengesetzt sein, was Gregor 88 Bei Basilius sind zur Rekonstruktion der immensen sozialen Spannungen und des Massenelends der Zeit v. a. die Predigten zu konsultieren. Konkrete Auseinandersetzungen zwischen Arm und Reich auch in christlichen Gemeinden werden ebenfalls in den Werken des Gregor von Nyssa (Orationes 1 und 2; De pauperibus amandis; Contra usurarios) und des Gregor von Nazianz (Oratio de pauperum amore = Oratio 14) erkennbar. Zur Haltung des Basilius zur Frage des Reichtums im Spiegel seiner „sozialen“ Predigten siehe Y. Courtonne, Saint Basile, Homélies sur la richesse, Paris 1935. Zu Basilius siehe J. Pauli, Basilius von Cäsarea, in: 3LACL (2002), 114–120, zu Gregor von Nazianz den Artikel von C. Hartmann, ebd. 295–299 und D.F. Winslow, Gregory and Love for the Poor, in: AThR 47 (1965), 348–359; zu Gregor von Nyssa den Artikel von F. Dünzl, ebd. 299–304 sowie A. Meredith, Gregory of Nyssa, London 1999. 89 Bas., hom. 7, 5. 90 Gregor von Nazianz, oratio de pauperum amore (= or. 14). 91 Gr. Naz., or. 14, 22f. Ähnlich Gregor von Nyssa, pauperibus amandis 2. 92 Bas., hom. 11,5; Gr. Naz., or. 14, 22. – Die Stellen nehmen den jüdisch-weisheitlichen, im Christentum breit rezipierten Gedanken auf, dass das Almosen Gott wohlgefällig ist und sündentilgende Kraft haben kann. Für die Weisheitstraditionen des Judentums siehe nur Sir 3,30; Tob 12,9. Christlicherseits siehe für die erste Hälfte des zweiten Jahrhundert Herm., sim. II 5. 9 u.ö. 93 Gr. Nyss., paup. 1.

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von Nazianz mit dem schönen Wortspiel φιλόχριστος – φιλόχρυσος zum Ausdruck bringt.94 Der von Gott geschenkte Reichtum wird in diesem Falle nicht recht gebraucht, sondern missbraucht. Demgegenüber kommt es für den Christenmenschen eben auf das χρῆσαι, μὴ παραχρήσῃ an.95 Wie bei Clemens Alexandrinus ist auch hier die Freiheit vom Reichtum, die es ermöglicht, vorhandenen Besitz zugunsten der Armen gottgefällig einzusetzen, das entscheidende, erstrebenswerte Ziel.96 Es geht keineswegs darum, den Reichtum per se als unchristlich zu diskreditieren. Allerdings ist die Gefahr, das Ziel der inneren Freiheit vom Besitz zu verfehlen und sein Herz an den Mammon zu hängen, auch aus Sicht der Kappadokier groß: Die aus ihren Texten erkennbare Kritik an reichen Menschen, die sich primär um die Vergrößerung des eigenen Besitzes kümmern, spricht eine deutliche Sprache.97 Es kommt daher nicht nur einfach einer Konzession,98 sondern v. a. auch einem konkreten praktikablen seelsorgerlichen Rat gleich, wenn Basilius wie auch Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa den Reichen ganz pragmatisch empfehlen, statt ihres gesamten Besitzes doch wenigstens einen Teil desselben zu spenden,99 um so ihrer Seele aufzuhelfen; der eigentlich ideale Zustand, wie er in der Urgemeinde bestanden habe, dass innerhalb der christlichen Gemeinde alle alles gemeinsam haben, scheint ihnen, wenn auch wünschenswert, faktisch doch nicht erreichbar.100 Aber die Möglichkeit, dass die Seele der Reichen gerettet werden kann,101 existiert dennoch, denn der tödlichen Gefahr einer Fixierung auf den – letztlich doch vergänglichen – Reichtum102 4 9 95 96 97

Gr. Naz., or. 21, 21. Schilling, 1985, 105f. Gr. Naz., or. 14,12; Gr. Nyss., paup. 1; Bas., hom. 11,5. Die Kritik bei den Kappadokiern, aber auch bei Chrysostomus und im Westen bei Ambrosius und Hieronymus ist gegenüber der des Clemens schärfer, was der wesentlich schlechteren wirtschaftlichen Gesamtsituation im vierten Jahrhundert mitsamt ihren Folgen für das soziale Mit- und Gegeneinander geschuldet ist, von dem man sich gerade in den Texten der genannten christlichen Schriftsteller eindrucksvoll überzeugen kann. 98 Anders Bogaert, 1976, 882. 99 Bas., hom. 8,8; Gr. Nyss., paup. 2. Bei den Kappadokiern ist die empfohlene Höhe dieses Teils unterschiedlich angesetzt: Während Basilius ziemlich konkret von der Hälfte des Besitzes spricht, ist er bei den beiden Gregoren offensichtlich niedriger anzusetzen. 100 Zum Ideal der christlichen Gütergemeinschaft bei Basilius siehe S. Giet, Les idées et l’action sociales de Saint Basile, Paris 1941. – Das Ideal der Gütergemeinschaft in der Urgemeinde nach Apg 2,44f. und 4,32 betonen auch Cyprian (unit. eccl. 26), Johannes Chrysostomus (hom. in Ac. 7,2) und Augustinus (Psal. 131,5f.). Bei Clemens von Alexandrien klingt der Gedanke paed. II 120,3 an. 101 Gr. Nyss., paup. 2. 102 Gr. Naz., or. 14,20.

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ist auch derjenige Reiche enthoben, der zeigt, dass er sich um der Notleidenden willen wenigstens von der Hälfte oder aber eines Gutteils seines Besitzes zu trennen vermag. Es sei an dieser Stelle kurz vermerkt, dass die Einstellung zu Reichtum und Geld sich zwischen dem Ost- und Westteil des Römischen Reiches nicht signifikant unterscheidet.103 Ambrosius von Mailand zeigt sich in seinen Ausführungen über das Thema den Homilien des Basilius von Caesarea verpflichtet: Dem Wissen darum, dass Reichtum und Geld zunächst einmal gute Gaben Gottes sind, steht auch bei ihm die Warnung entgegen, dass materieller Besitz eine Gefahr für die Seele sein und zur Habgier verleiten kann;104 auf der anderen Seite aber verdienen diejenigen Reichen, die sich durch ihren Besitz nicht verderben lassen, Ruhm und Anerkennung,105 und das Geld, mit dem sie den Armen helfen, wirkt für sie selbst wie ein Spargroschen auf das ewige Leben.106 Dieselbe Haltung findet sich bei Hieronymus: Nicht der Besitz als solcher ist verwerflich, sondern die Sorge um ihn, die den Reichtum zum Mammon und den Menschen zum Sklaven macht.107 Mit dem Hinweis auf den adiaphoristischen Stellenwert des Geldes108 und der Auffassung, dass die Vernunft als Freiheit von den Affekten den sachgemäßen Umgang mit dem Besitz und das Erbarmen mit den Armen ermöglicht,109 kommt er der Position eines Clemens von Alexandrien nahe. Allerdings darf man bei Hieronymus nicht übersehen, dass er für asketisch ausgerichtete und nach Vollkommenheit strebende Christen, als deren persönlicher Mentor er sich vielfach sah, Sonderregelungen definiert:  Diese sollen nämlich  – in „wörtlicher“ Umsetzung des Gleichnisses vom reichen Jüngling – tatsächlich alles verkaufen und den Erlös den Armen geben, um so einen asketisch-alternativen Lebensstil zu pflegen und als erste der Familie Christi anzugehören.110 Für Augustinus, dessen Einstellung zum Geldbesitz v.  a. im Spiegel seiner 103 Das die lateinischen christlichen Schriftsteller betreffende Quellenmaterial zum Thema findet sich reichhaltig und zugleich zugriffsfreundlich bei Bogaert, 1976, 891–899. 104 Das Geld als gute Gabe Gottes: Ambr., Nab. 16,67; Der Reichtum als Gefahr für die Seele: Ambr., Off. 2,5; 2,9; Luc. 4,53; 7,246. 105 Ambr., Nab. 13,55. 106 Ambr., Luc. 5,69. 107 Hier., comm. in Mt 1,6,24. 108 Hier., ep. 118,3. 109 Hier., ep. 100,15. 110 Hier., ep. 125,20 an Rusticus und ep. 58,11 an Paulinus von Nola. Siehe auch Hier., ep. 66,8; 130,14. – In Briefen an Paulinus von Nola oder an Eustochium fordert Hieronymus diese in Wahrnehmung seiner Mentorenverantwortung ausdrücklich auf, sich mit nicht weniger als mit dem Vollkommenen zufrieden zu geben (Hier., ep. 58,11; 31,3).

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Predigten erkennbar wird, ist nicht der Besitz als solcher schädlich, sondern die Gier nach ihm.111 Wer dieser Gier verfällt, kann geradezu ein „Märtyrer des Goldes“ werden;112 wer hingegen mit eigenem Geld die Armen unterstützt, verwendet den Reichtum so, wie Gott es gewollt hat, als er ihn gab.113 Es kommt also auch hier auf die innere Freiheit gegenüber dem materiellen Reichtum und auf das Vorhandensein wahren, inneren Reichtums an.114 Eine grundsätzliche Abwertung des Reichtums ordnet Augustin als manichäische Schöpfungsfeindlichkeit ein, gegen die er scharf polemisiert.115 Unser knapper Durchgang durch eine Auswahl des „nachclementinischen“ Materials zeigt, dass unbeschadet unterschiedlicher inhaltlicher Akzentsetzungen und übrigens auch unbeschadet der sich im Lauf der Zeit objektiv massiv verschlechternden ökonomischen Rahmenbedingungen im Imperium Romanum der Text Quis dives salvetur für die Frage nach der Beurteilung von Reichtum und Geld in der Alten Kirche als paradigmatisch angesehen werden muss.116

IV    Gegenüber der breit bezeugten Mehrheitsmeinung in der Alten Kirche nehmen sich die grundsätzlich kritischen bis radikal ablehnenden christlichen Stimmen gegenüber Besitz und Reichtum eher marginal aus. Eine radikale Verwerfung des Reichtums und der Reichen findet sich in der frühen Zeit in den judenchristlich-apokalyptischen Milieus um den Jakobusbrief117 und einiger apokrypher Apokalypsen und Evangelien, in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts im Hirt des Hermas.118 In der Zeit des Clemens Alexandrinus ist es dann v. a. der Nordafrikaner Tertullian,119 der radikale

11 Aug., serm. 50,7. 1 112 Aug., serm. 335,2. Andere Formulierungen serm. 80,7; 311,9. 113 Aug., serm. 61,11–13. 114 Aug., serm. 178,4. 115 Aug., serm. 50,8f. 116 Es ist damit selbstverständlich nicht behauptet, dass je und je direkte literarische Abhängigkeiten von Clemens Alexandrinus vorliegen. Es handelt sich um offensichtlich innerchristlich wie außerhalb des Christentums (hierzu siehe unten unter V.) weit verbreitete Traditionen der exegetischen, philosophisch-dogmatischen und paränetisch-praktischen Bearbeitung des Themas. 117 Jak 5,1–3. 118 Zu den Stellen im Hirt des Hermas siehe oben Anm. 1; eine Interpretation bei Hengel, 1973. Siehe auch die Kommentierung des Hirten von N. Brox: Der Hirt des Hermas, übersetzt und erklärt von N. Brox, KAV 7, Göttingen 1991. 119 Über Tertullian: H.C. Brennecke, Christliche Existenz in einer nichtchristlichen Welt:  Tertullian von Karthago, in:  F.W. Graf (ed.), Klassiker der Theologie,

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Vorbehalte gegen den Reichtum generell und gegen den Reichtum von Christen im Besonderen geltend macht. Zwar räumt Tertullian an einer Stelle explizit ein, dass mit Hilfe des von Gott gewährten Reichtums Werke der Gerechtigkeit und Liebe vollbracht werden können,120 aber vom Grundsatz her sieht er den Besitz von Geld und die Reinheit der Seele als zwei faktisch einander ausschließende Größen an. Dies äußert sich nicht nur in seiner Polemik gegen allerlei Luxusgüter und v. a. gegen den „Putz“ der Frauen,121 die man, wenngleich etwas weniger radikal, auch im Benimmbüchlein des Clemens Alexandrinus finden kann; bei Tertullian dominiert vielmehr die Auffassung, dass der Reiche gleichsam automatisch und unabwendbar zum Knecht seines eigenen Reichtums wird122 und seine Seele deshalb der Verurteilung durch Gott anheim fällt.123 Daher ist Gott nicht nur „Anwalt der Armen“, sondern „Verächter der Reichen“.124 Mit dieser radikalen christlichen Reichtumskritik nimmt Tertullian einen außenseiterischen Standpunkt ein, der seiner auch sonst zu diagnostizierenden Randposition in seiner eigenen Gemeinde in Karthago entspricht. Eine derart apodiktische Ablehnung aller weltlichen Güter wird sonst im dritten Jahrhundert von niemandem vertreten. Im vierten Jahrhundert ist eine radikale Ablehnung des Reichtums bei den Manichäern erkennbar; aber natürlich stellt sich hier die Frage, ob diese angesichts ihrer dualistischen Gotteslehre und negativen Sicht der Schöpfung überhaupt als „christliche“ Stimmen anzusprechen sind.125 Die Position der Manichäer gegenüber Reichtum und Geld wird aus deren dezidierter Ablehnung durch einige christliche Schriftsteller indirekt deutlich:  Der weltliche Besitz ist für sie Teil des Herrschaftsbereichs des Teufels; dagegen wenden sich Kyrill von Jerusalem, Athanasius und Augustin.126 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die radikale Ablehnung weltlichen Besitzes durch die Manichäer ein zusätzliches movens für einige kirchliche Schriftsteller des vierten Jahrhunderts gewesen ist, in antimanichäischer Stoßrichtung die bei Bd. 1: Von Tertullian bis Calvin, München 2005, 28–42; E. Schulz-Flügel, Tertullian, in: 3LACL (2002), 668–672. 120 Tert., Marc. IV 15,8. 121 Tert., cult. fem. 1,1 u.ö. 122 Tert., fug. 12,6. 123 Tert., pat. 7. Nach dieser Stelle sind die Reichen von Gott von vornherein verdammt (divites praedamnat). 124 Tert., Marc. IV 15,8. 125 Dass Teile der Manichäer sich selbst als eine Art Christentum höherer Ordnung verstanden haben, das auf die Kirche verächtlich herabsah, wird aus der manichäischen Phase Augustins und aus der antimanichäischen Polemik des späteren Konvertiten Augustin deutlich. 126 Siehe oben S. 159f.163f.

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Clemens Alexandrinus und Origenes angelegte Interpretationslinie zu verstärken; hierfür spricht, dass Wertungen, die vom Reichtum ausdrücklich als guter Gabe Gottes sprechen, erst in späterer Zeit nachzuweisen sind, während zuvor der Akzent auf der Betonung des adiaphoristischen Charakters des Reichtums lag. Die provozierende „Weltfeindlichkeit“ des Manichäismus, aus der sich eine radikal abwertende Beurteilung alles Materiellen und damit auch des Besitzes ergab, forderte offenbar eine Gegenreaktion he­raus, die auf den biblischen Schöpfungsbericht rekurrierte und die weltlichen Güter in den Bereich der von Gott gut geschaffenen Dinge einbezogen sah. Diesseits der Manichäer sind im vierten Jahrhundert christliche Stimmen, die den Reichtum in grundsätzlicher Weise verwerfen, allenfalls beim frühen Mönchtum vernehmbar,127 sonst aber nirgends vertreten. Vom Anfang des fünften Jahrhunderts datiert die traditionell pelagianischen Kreisen zugeschriebene, tatsächlich wohl einem kleinen Kreis radikaler römischer Reichtumskritiker aus christlich-asketischem Milieu zu verdankende Diatribe De divitiis, die eine radikale Ablehnung allen weltlichen Besitzes vertritt.128 Diese von den „Kirchenvätern“ erkennbar abweichende Auslegung ist aus einer Kombination mehrerer Faktoren zu erklären: erstens aus der Kritik am vielfachen Missbrauch des Reichtums, den die Verfasser von De divitiis allerdings mit allen anderen Kirchenschriftstellern teilen; zweitens mit der besonders radikalen Haltung einiger kleinerer enthusiastisch-asketischer Kreise römischer Notablen; drittens aber mit der in diesen Kreisen angewandten exegetischen Methode, die die wörtliche Auslegung der Texte präferiert und mit der allegorischen eines Clemens oder Origenes bricht. Die Verfasser von De divitiis insistieren auf einer wörtlichen Interpretation des Herrenwortes vom Kamel und Nadelöhr aus Lk 18,25, die darauf hinausläuft, dass jeder Reiche vom Himmelreich grundsätzlich ausgeschlossen bleibt.129 Der Weheruf Lk 6,24 hat prinzipielle Bedeutung; er gilt 127 Etwa bei den radikalen Eremiten vom Schlage eines Antonius gemäß der Darstellung des Athanasius (Ath., v. Anton. 14). Die Mönche, denen die Pilgerin Egeria in der Wüste begegnet, scheinen weltabgewandte und an den Gütern der Welt desinteressierte Asketen zu sein (Egeria, itinerarium 17,1; 20,13; 21,3), allerdings ist eine explizite Reichtumskritik hier nicht belegt. 128 Siehe zu diesem Text A. Kessler, Reichtumskritik und Pelagianismus. Die pelagianische Diatribe „De divitiis“: Situierung, Lesetext, Übersetzung, Kommentar, Par. 43, Freiburg 1999. Siehe auch den Beitrag von M.R. Rackett, Anxious for Wordly Things, in: StPatr 33 (1997), 229–235. 129 Ps.Pelag., div. 18,1: „Warum ist es noch nötig, über eine so eindeutige Stelle zu streiten, wenn nicht darum, die Reichen zu ermahnen, damit sie wissen, dass sie erst dann Besitzer der himmlischen Herrlichkeit sein werden, wenn sie entweder eine so große Nadel fänden, durch deren Öhr hindurchzugehen es dem Kamel möglich wäre, oder ein so kleines Kamel, für das auch die kleinste Nadel eine

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nicht nur denjenigen Reichen, die ihren Besitz auf unrechte Weise erworben haben, sondern allen.130 Eine gewisse Konzession macht der Traktat nur im Blick auf den „Eigenbedarf“ eines Menschen für sich selbst und seine Familie: Alles darüber hinausgehende Eigentum muss bei Strafe des Verlustes der ewigen Seligkeit verkauft bzw. weggegeben werden.131 Der Verfasser sieht – im ausdrücklichen Widerspruch gegen die „traditionellen“ christlichen Argumentationsfiguren  – im Reichtum keine dem Besitzenden durch Gott zuteil gewordene Gabe, sondern die überflüssige Fülle an nicht notwendigem Besitz132 bzw. das materielle Ergebnis ungerechten Handelns, das am Vorhandensein von Reichtum geradezu aufweisbar wird.133 Für die Reichen ist der Zugang zum Himmelreich mithin „in gewisser Weise verschlossen“.134 Wenn Augustin in einem seiner Briefe Pelagius vorwirft, dass er den völligen Verzicht auf Besitz zur Bedingung der Heilsteilhabe und damit der Gnade mache, scheint er damit den Kern der in De divitiis aufscheinenden Position relativ gut getroffen zu haben.135 Eine derart radikale Reichtumskritik wie die der Diatribe De divitiis stellt sogar innerhalb der Milieus christlich-asketischer Notabilität des spätantiken lateinischen Abendlandes, denen Augustin selbst ja auch angehörte, nicht mehr als eine profilierte Ausnahmeposition dar, die auch sogleich gewichtigen Widerspruch erfuhr.

V    Kehren wir zum Schluss dieses Beitrags noch einmal zurück zur Schrift Quis dives salvetur des Clemens von Alexandrien. Unser kurzer Durchgang durch ausgewählte Beurteilungen von Besitz und Reichtum in der Alten Kirche hat gezeigt, dass die Argumentation in Clemens’ kleiner Gelegenheitsschrift in der Tat als paradigmatisch für den Umgang der Christen im dritten und vierten Jahrhundert mit dem Thema Reichtum angesehen werden kann:  Die

Durchgangsmöglichkeit böte. Wenn dies also völlig unmöglich ist, wie wird das Wirklichkeit werden, was als noch unmöglicher bezeichnet wird, außer ein Reicher bemühe sich etwa, nach guter Verteilung seines Besitzes, als Armer oder das Lebensnotwendige Besitzender einzugehen, wo er als Begüterter nicht eintreten konnte?“ – Übersetzung nach A. Kessler (wie vorige Anm.) 307. 130 Ps.Pelag., div. 16,1: „Hast du etwa folgendes gelesen: ‚Wehe euch schlechten Reichen?‘ […] Und wie du so willst, dass er ‚Wehe euch Reichen!‘ von den schlechten Reichen gesagt hat, so hätte er auch von den guten Reichen sagen müssen: ‚Glücklich die Reichen!‘ “ – Übersetzung nach Kessler (wie vorige Anm.) 301. 131 Ps.Pelag., div. 10,5–10. 132 Ps.Pelag., div. 10,9. 133 Ps.Pelag., div. 8,3; 17,1; 20,4. 134 Ps.Pelag., div. 18,1. 135 Aug., ep. 157, 23–39.

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einzelnen Gesichtspunkte mögen hie und da unterschiedliche Ausformungen und Gewichtungen erfahren, die generelle Linie aber bleibt über die Zeit hinweg dieselbe. Es bleibt nun noch die Frage zu stellen, inwieweit Quis dives salvetur auch für die Frage nach der Integration christlichen Denkens und Handelns in das Denken seiner paganen Umwelt als typisch angesprochen werden kann. Adolf Martin Ritter hat vor über dreißig Jahren auf den engen Zusammenhang zwischen den Argumentationsfiguren des Clemens und der Ethik der kaiserzeitlichen Stoa aufmerksam gemacht und zugleich das spezifisch christliche Profil des Clemens im Unterschied zur Stoa herauszuarbeiten versucht.136 In der Tat wird man beide Aspekte betonen müssen. Einerseits erweist sich das ethische Denken des Clemens als eng verwandt mit stoischen und auch mittelplatonischen Äußerungen zum Thema.137 Die grundsätzliche Distanz gegenüber dem Materiellen und damit Reserviertheit gegenüber dem weltlichen Besitz, der als Hindernis für die Suche nach der Wahrheit angesehen wird, zeigt sich in nahezu allen zeitgenössischen Entwürfen einer vita philosophica.138 Das Christentum konnte an dieses Denken unkompliziert anschließen und sich gar in relativer Kontinuität auch zu manchen der asketisch-philosophischen Gestalten der Antike verstehen, die hin und wieder als gelungene Beispiele für die innere Freiheit von materiellen Gütern angeführt werden.139 Vor allem den Gedanken des im Prinzip adiaphoristischen Charakters des Reichtums, der in Quis dives salvetur eine große Rolle spielt, hat Clemens bei stoischen Denkern vorgeformt gefunden und übernommen. Hier wie dort ist davon die Rede, dass der Reichtum – abhängig von seinem rechten oder falschen Gebrauch – zum Heil oder zum Unheil führen, materia virtutis oder materia mali sein kann. Hier wie dort ist eingeräumt, dass der Besitz einen gewissen Nutzen haben kann, jedenfalls seinem Gegenteil vernünftigerweise vorzuziehen sei, solange man sich nicht auf ihn fixiert. Hier wie dort ist die Rede davon, dass der Mensch seine Güter eigentlich nur verwaltet, nicht aber wirklich besitzt  – und auch die ethischen Auswirkungen, die diese Erkenntnis zeitigt, sind bei Clemens und den Stoikern zum Teil kongruent. Das Ideal der ἀπάθεια, der Freiheit von

36 Ritter, 1975, 1–25. 1 137 Zur christlichen Platonrezeption bei Clemens von Alexandrien sind die Arbeiten von Wyrwa, 1983 und Lilla, 1971 grundlegend. 138 Z. B. Cic., off. I 13; Seneca, De vita beata 21,4f.; Philo, vita contemplativa 14. 139 Clem., q.d.s. 11,3 nennt Anaxagoras, Demokrit und Krates; freilich schränkt er distanzierend ein, dass diese nur aus Eitelkeit und um des Ruhmes willen dem Reichtum entsagt hätten. Demokrit, Krates und auch Sokrates und Diogenes werden bei anderen Kirchenschriftstellern als positive Beispiele genannt: Orig., Cels. II 41; Hier., ep. 66,8; 71,3; ebenso beim Juden Philo von Alexandrien: vita contemplativa 14.

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den Affekten, der Gier und der Unvernunft, spielt in Clemens’ Traktat eine ebenso große Rolle wie in eigentlich allen kontemporären philosophischen Entwürfen stoischer oder auch mittelplatonischer Provenienz. Clemens warnt in Quis dives salvetur mit ebensolchem Nachdruck davor, sich von der Schlange des Reichtums beißen zu lassen, wie das in der stoischen Ethik mit ähnlichen Bildern der Fall ist; und auch der besonderen Schwere dieses Unterfangens ist man sich auf christlicher wie auf philosophischer Seite wohl bewusst. Auf beiden Seiten geht das Plädoyer für die ἀπάθεια einerseits mit massiver Polemik gegen die Folgen eines Nachgebens gegenüber den Begierden (und damit mit der Kritik am vielfältig möglichen Missbrauch des Reichtums) einher und verbindet sich andererseits mit dem Rat, sich einem erfahrenen Lehrer anzuvertrauen, der den rechten Weg zu weisen versteht. Und sowohl auf christlich-theologischer wie auf pagan-philosophischer Seite obliegt der Umgang mit dem Reichtum letztlich der freien Entscheidung des Menschen, der aus eben diesem Grunde als für sein Handeln verantwortlich anzusprechen ist:  Allerdings muss man in diesem Zusammenhang sehen, dass bei Clemens dezidiert das Wollen und nicht wie in der gesamten griechischen Vorstellungstradition das Erkennen movens des sittlichen Handelns ist.140 Man kann also insgesamt unterstreichen, dass der Traktat Quis dives salvetur des christlichen Schriftstellers Clemens von Alexandrien, der Maßstäbe für den weiteren christlichen Umgang mit der verhandelten Problematik setzte, in hohem Maße ein Produkt der zeitgenössischen und traditionellen Beurteilungen der Reichtumsproblematik überhaupt ist, wie sie sich in stoischem oder mittelplatonischem Denken niederschlug und sich von dort her auf Clemens’ Argumentation auswirkte.141 Das gilt geistes- wie auch sozialgeschichtlich:  Christen und philosophisch gebildete Heiden hatten im Alexan­drien des frühen dritten Jahrhunderts einfach dieselben Erfahrungen mit dem Phänomen des Reichtums und vergleichbare Fragen im Umgang mit ihm  – und sie gaben auf diese Fragen vergleichbare Antworten. Auf der anderen Seite muss man aber eben auch sehen, dass bei aller Interdependenz zwischen christlichem und paganem philosophischen Denken in mancher Hinsicht ein spezifisches Profil der christlichen Position zum Thema zu dia­ gnostizieren ist:142 Die Argumentation des Clemens ist z. B. wesentlich stärker an der konkreten Exegese konkreter autoritativer Texte orientiert und versucht, die zur Debatte stehenden aktuellen Fragen zu lösen, indem sie sich

40 Siehe hierzu A. Dihle, Ethik, in: RAC 6 (1966), 646–796, besonders 748–755. 1 141 Siehe M. Pohlenz, Klemens von Alexandrien und sein hellenistisches Christentum, NAWG 1943,3, Göttingen 1943, 103–180. 142 Siehe hierzu Ritter, 1975, 11–18.

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Antworten über ein Verständnis eben dieser Texte erschließt.143 Sie reagiert auf eine an ihn herangetragene Ausgangsfrage, die ausdrücklich im Bereich der individuellen Eschatologie angesiedelt ist, was bei den vergleichbaren Texten paganer Herkunft so nicht der Fall ist.144 Sie thematisiert in ihrem Umgang mit der Reichtumsproblematik die Frage der Gottesbeziehung des Menschen und mit dieser die nach dem Umgang mit dem Nächsten, nicht wie die Stoa primär die der menschlichen ἀυτάκρεια, der Selbstbestimmung. Anders gesagt:  Die stoische ἀυτάκρεια bei Clemens ist ἀυτάκρεια ἐις κοινωνίαν!145 Deshalb unterscheidet sich auch die Antwort, die Clemens auf die Frage nach dem Reichtum gibt, bei aller Vergleichbarkeit zumindest an einem Punkt signifikant von allen paganen Pendants, wenn sie nach dem Vorbild der Texte des Alten und des werdenden Neuen Testaments die Wohltätigkeit zugunsten der Armen in den Mittelpunkt des rechten Umgangs mit Reichtum und Besitz stellt: Die Liebe zum Nächsten, in der sich die Gemeinschaft Gottes mit uns abbildet, wird Maßstab ethischen Handelns.146 Die Versorgung der Bedürftigen durch Almosen und Wohltätigkeit ist das spezifisch christliche Kriterium dafür, dass die Reichen das angestrebte Ziel der ἀπάθεια erreicht haben  – und sichert ihnen die Teilhabe am eschatologischen Heil. Trotz aller auch aus paganen Kontexten immer wieder belegten Bereitschaft, Almosen zu geben, scheint in diesem Begründungszusammenhang und in seinen offensichtlich erheblichen gesellschaftlich-sozialen 143 Hamann / Fürst, 2004, 50–52 haben m. E. völlig zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die ethische Position des Clemens nicht einfach nur stoisch ist und nicht einfach nur als christliche Stoa-Rezeption ausgewiesen werden kann. So sehr dies einerseits zutrifft, muss man andererseits sehen, dass sie aus konkreter Exegese und der mit dieser Exegese einhergehenden Orientierung an den Weisungen des autoritativen Lehrers Jesus gewonnen ist, die er mit Hilfe der Allegorese adäquat zu verstehen sucht. So sind alle dem griechischen Denken entlehnten Sätze und Grundsätze einer christlichen Sicht zugeordnet und durch den Bezug auf die Evangelien verchristlicht. 144 Dieser entscheidende Punkt wird bei Ritter, 1975, 11 zwar genannt, aber wohl doch nicht deutlich genug unterstrichen: Der gesamte Traktat von der Einleitung und Ausgangsfrage bis hin zur paränetischen Beispielerzählung am Schluss dreht sich letztlich um die eschatologische Frage, ob der Reiche des zukünftigen Heils teilhaftig werden kann – und wie das geschehen kann. Das gesamte Spektrum der Argumentation des Clemens ist dieser Frage zu- und untergeordnet. 145 Clem., paed. II 7,3. 146 Clem., paed. II 120,3:  „Gott hat unser Geschlecht zu enger Gemeinschaft erschaffen, indem er von sich aus Anteil an dem Seinigen gab und allen Menschen gemeinsam seinen eigenen Logos zu Hilfe sandte, nachdem er alles für alle geschaffen hatte. Alle Dinge sind mithin Gemeineigentum, und die Reichen sollen für sich selbst nicht mehr in Anspruch nehmen als die übrigen.“ Auf diese Passage hat Ritter, 1975, 16 aufmerksam gemacht.

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Auswirkungen der spezifisch christliche Beitrag zur Reichtumsfrage gewesen zu sein. Er wirkte sich auf das Heidentum zumindest insofern aus, als dieses hierin einen Grund für das erstaunliche Anwachsen und die Ausbreitung des Christentums sah:  Wenn im vierten Jahrhundert der heidnische und den Christen nicht gerade wohlgesonnene Kaiser Julian die Wohltätigkeit gegenüber den Armen ausdrücklich empfiehlt, rezipiert er damit eben, wie er selbst einräumt,147 christliches Wohltätigkeitsverhalten, und es zeigt sich, dass nicht nur die pagane Welt Einfluss auf das christliche Denken genommen hat, sondern auch jenes auf diese. Unter diesem Aspekt muss man für das frühe dritte Jahrhundert und den Traktat Quis dives salvetur sowohl auf die Einheit als auch auf die Unterschiedenheit vom zeitgenössischen Denken abheben. Gleichwohl verdienen die Ähnlichkeit und deswegen auch die Kompatibilität der christlichen ethischen Position mit den nichtchristlichen Auffassungen in der Reichtumsfrage eigens unterstrichen zu werden. Anders gesagt: Die in vieler Hinsicht so frappierend unkompliziert verlaufene Inte­ gration des noch verfolgten Christentums in die es umgebende pagane römische Gesellschaft148 lässt sich nicht zuletzt auch im Blick auf das Vorhandensein und auf die philosophisch-theologische Beurteilung von Reichtum und Geld gut verifizieren.

147 Julians Programm versucht im Grunde, die verhassten „Galiläer“ mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, indem man ihre Wohltätigkeit nachahmt. Ep. 89 schreibt er: „Die Juden lassen keinen der Ihren zum Bettler werden und die Christen füttern außer ihren eigenen auch noch unsere Armen durch, aber wir lassen die unsrigen ohne Hilfe. […] Gerade diese Dinge haben ja das meiste zur Verbreitung des Christentums beigetragen: Barmherzigkeit gegen die Fremden, Sorge für die Bestattung der Toten und die scheinbare Ehrbarkeit ihrer Lebensführung.“ – Zu Julian „Apostata“ siehe K. Bringmann, Kaiser Julian, Darmstadt 2004; außerdem den Sammelband R. Braun / J. Richter (eds.), L’empereur Julien. De la légende au mythe, Paris 1981 und immer noch die Monographie von J. Bidez, Julian der Abtrünnige, München 1949. 148 Als Quellensammlung zu dieser Thematik siehe: P. Guyot / R. Klein (eds.), Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen, Bd. II: Die Christen in der heidnischen Gesellschaft, Texte zur Forschung 62,2, Darmstadt 1994. Lit.: H.C. Brennecke, Der Absolutheitsanspruch des Christentums und die religiösen Angebote der Alten Welt, in: J. Mehlhausen u. a. (eds.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 380–397.

Politische Eschatologie bei Eusebius von Caesarea?* In der berühmt-berüchtigten und seit jeher umstrittenen Lobrede des Eusebius auf Kaiser Konstantin finden wir im Zusammenhang des Berichts über die Vicennalienfeiern nach dem Konzil von Nizäa (325) die folgende ­Passage: Jeder Beschreibung aber spottet, was da geschah: denn Leibwächter und Trabanten wachten, die scharfen Schwerter gezückt, rings um den Vorhof des kaiserlichen Palastes. Mitten zwischen ihnen aber konnten furchtlos die Gottesmänner hindurch gehen und bis ins Innere des Palastes gelangen. Da nun lagen die einen auf demselben Polster zu Tisch wie der Kaiser, während die anderen auf Polstern zu beiden Seiten ruhten. Leicht hätte man das für ein Bild vom Reiche Christi halten oder wähnen können, es sei alles nur ein Traum und nicht Wirklichkeit.1

Dieses Zitat aus dem Konstantinpanegyricus De vita Constantini 3,35 führt uns unmittelbar hinein in die Fragestellung:  Gibt es eine politische Eschatologie bei Eusebius von Caesarea?2 Führt der vom Zeitgenossen Eusebius

* Zuerst erschienen in: F. Schweitzer (ed.), Religion, Politik und Gewalt, VWGTh 29, Gütersloh 2006, 548–560. 1 Eus., v.C. 3,15,2 (GCS Euseb 11, 89 Winkelmann). 2 Literatur zur Eschatologie bei Eusebius: D.H. Wallace-Hadrill, Eusebius of Caesarea, London 1960; J. Sirinelli, Les vues historiques d’Eusèbe de Césarée durant la période prénicéenne, Dakar 1961; G. Ruhbach, Apologetik und Geschichte. Untersuchungen zur Theologie des Eusebius von Caesarea, Diss. masch. Heidelberg 1962; id., Die politische Theologie des Eusebius von Caesarea, in: G. Ruhbach (ed.), Die Kirche angesichts der Konstantinischer Wende, WdF 306, Darmstadt 1976, 236–258; G.F Chesnut, The First Christian Histories Eusebius, Socrates, Sozomen, Theodoret, and Evagrius, ThH 46, Paris 1978 (2. Aufl., 1986); F. Trisoglio, Eusebio di Cesarea de l’escatologia, in: Augustinianum 18 (1978), 173–182; C. Andresen, „Siegreiche Kirche“ im Aufstieg des Christentums. Untersuchungen zu Eusebius von Caesarea und Dionysius von Alexandrien, in: ANRW II 23.1 (1979), 387–459; T.D. Barnes, Constantine and Eusebius, Cambridge 1981; F.S. Thielman, Another look at the eschatology of Eusebius of Caesarea, in: VigChr 41 (1987), 226–237; M. Gödecke, Geschichte als Mythos. Eusebs „Kirchengeschichte“, EHS.T 307, Frankfurt 1987; F. Winkelmann, Euseb von Kaisareia. Der Vater der Kirchengeschichte, Berlin 1991, insb. 138–159; R. Leeb, Konstantin und Christus. Die Verchristlichung der imperialen Repräsentation unter Konstantin dem Großen als Spiegel seiner Kirchenpolitik und seines Selbstverständnisses als christliche Kaiser, AKG 58, Berlin 1992, insb. 166–176; H. Strutwolf, Kosmologie und Eschatologie im Denken des Euseb von Caesarea. Ein Beitrag zum Verhältnis von Christentum und Platonismus, in: M. Baumbach u. a. (eds.), Mousopolos

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Politische Eschatologie bei Eusebius von Caesarea?

beobachtete und in seiner Historia ecclesiastica breit dargestellte „siegreiche Aufstieg der Kirche“ (dies eine Formulierung von Carl Andresen)3 dazu, dass er dem plötzlich von einem christlichen Kaiser regierten römischen Reich bzw. bestimmten politischen Konstellationen in diesem Reich eschatologischen Rang beigemessen hat?4 Oder dass er bestimmte eschatologische Vorstellungen in den real existierenden politischen Gemengelagen seiner Zeit realisiert sah? Ist Eusebius’ Eschatologie in einer Zeit zunehmend als realisierte Eschatologie formuliert worden, in der der politische Erfolg der Kirche mehr und mehr für alle Welt sichtbar wurde? Sah Eusebius gar in der Person Konstantins einen Heilsbringer von eschatologischer Bedeutung, so dass die Auffassung von der zweiten Ankunft Christi zumindest in der Spätzeit seines Wirkens signifikant zurücktrat? Schließlich ist, dies auch schon mit Blick auf den Beitrag von Hanns Christof Brennecke in diesem Bande, die Frage aufzuwerfen, ob und inwiefern Eusebius sich an diesem Punkt mit seiner Sicht von der des Kaisers möglicherweise unterschied (z. B. indem er ein mögliches messianisches Selbstbewusstsein Konstantins kritisierte oder umzudeuten versuchte) oder mit der Sicht des Kaisers vielmehr übereinstimmte, sie bestätigte und vielleicht auch verstärkte oder ihn am Ende überhaupt erst auf die von ihm artikulierten theologisch-eschatologischen Ideen brachte? Um die Frage nach der Eschatologie für Euseb einer Lösung zuzuführen, erlaube ich mir in Auswahl einen kurzen Durchgang durch das doch relativ umfangreiche Quellenmaterial. Dabei dürfen wir denjenigen Texten Eusebs, die vor der Konstantinischen Wende entstanden sind, die geringere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen:  Für unsere Fragestellung benötigen wir sie nur, um einen Vergleichshintergrund für Eusebs eschatologische Aussagen und Vorstellungskreise in der Konstantinzeit zu gewinnen; auf dieser Basis können wir dann zu ermessen versuchen, ob Eusebs Eschatologie über den Umbruch der Jahre 311/313 hinweg eher konstant geblieben ist oder ob

Stephanos. FS für Herwig Görgemann, Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften. Neue Folge 102, Heidelberg 1998, 360–379; id., Die Trinitätslehre und Christologie des Eusebius von Caesarea. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung seiner Platonismusrezeption und Wirkungsgeschichte, FKDG 72, Göttingen 1999; J. Ulrich, Euseb von Caesarea und die Juden. Studien zur Rolle der Juden in der Theologie des Eusebius von Caesarea, PTS 49, Berlin 1999. – Eine Dissertation, die die Frage nach der Eschatologie Eusebs durch Durchsicht des gesamten Quellenbestandes grundlegend neu aufzurollen hätte, erscheint wünschenswert. 3 Andresen, 1979, 387. Dies wurde noch 1987 von Thielman, 1987, 226f. als Mehrheitsmeinung in dieser 4 Frage referiert. Thielman bezieht sich dabei v. a. auf die Auffassungen von J. Sirinelli, W.H.C. Frend, D.S. Wallace-Hadrill und „to some extent“ T.D. Barnes.

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sie sich in Reaktion auf die politischen Entwicklungen nach 312 möglicherweise Zug um Zug signifikant verändert hat.

1. Die Eschatologie Eusebs vor der Konstantinischen Wende Die Eschatologie Eusebs vor dem Galeriusedikt des Jahres 311, das dem Christentum den status einer religio licita verschaffte, kann man mit Fug und Recht als konventionell bezeichnen. Zwar hat Eusebius in dieser Zeit den Gedanken eines litteral verstandenen tausendjährigen Reiches als jüdischen Irrtum abgelehnt,5 wie er es auch nach der Konstantinischen Wende konsequent tat,6 doch ist er sich an diesem Punkt mit anderen christlichen Kritikern dieser innerhalb des Christentums ziemlich umstrittenen Lehre einig. In vielen weiteren Punkten ist seine frühe Eschatologie traditionell und entspricht breit belegten christlichen Vorstellungen zur Eschatologie in den ersten drei Jahrhunderten. Ganz offensichtlich ist die Tendenz, dass die Aussagen zur Eschatologie bei Euseb einen tröstenden Effekt auf die Gemeinden haben sollen, die sich in der Gefahr des Martyriums wissen und sich ab Anfang des 4. Jahrhunderts der gerade in Palästina schwer wütenden dio­ kletianischen Verfolgung ausgesetzt sehen.7 Die Leiden dieser Zeit werden mit der Wiederkunft Christi beendet werden, so die Grundaussage. Das Weinen, der Gram und das Unrecht werden ein Ende finden, so die an biblische Vorbilder angelehnte Formulierung.8 Der Tag der Wiederkunft des Herrn wird diese Wende heraufführen; dieser Tag wird plötzlich und unerwartet kommen. Er lässt nicht mehr lange auf sich warten, auch wenn man ihn nicht vorherberechnen kann.9 Bei dieser Wiederkunft Christi werden die Guten von den Bösen geschieden werden gemäß den Taten, die sie in ihrem Leben jeweils vollbracht haben.10 In den Lukaskommentarfragmenten11 heißt es bei Eusebius:  Diejenigen, die bei der Wiederkunft des Herrn wachend gefunden werden, wird er als Gesegnete ansehen und reich entlohnen – es 5 Die gesamte Chronik Eusebs (Datierung vor 303; zu den Datierungen hier und im folgenden Winkelmann, 1991, 188–191) intendiert nicht zuletzt eine Widerlegung der Millenniums-Auffassung, im Unterschied zu und in Auseinandersetzung mit dem chronistischen Werk z. B. eines Julianus Africanus. 6 Eus., h.e. 3,39,12f.; 7,24f. 7 Zur diokletianischen Verfolgung siehe R. Freudenberger, Christenverfolgungen 1., in: TRE 8 (1981), 23–29. Zur diokletianischen Verfolgung in Palästina siehe Eusebius’ Schrift „Über die Märtyrer in Palästina“ (GCS Euseb II 2, 907–950 Schwartz). 8 So bereits vor 311 in den Eclogae propheticae 4.31 (PG 22, 1253D. 1256A–D). 9 Eus., ecl. 2,15 (PG 22, 1115AB). 10 Eus., ecl. 3,31 (PG 22,1157BC). 11 Eus., fr. Lc. (PG 24, 561 AB).

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handelt sich um eine ganz traditionelle christliche Interpretation, man kann fast sagen: Paraphrase vom Wort über das Warten auf das Kommen Christi nach Lk 12,35–40. Auch die Auslegung des Gleichnisses vom Mahl nach Lk 14,15–24 als Bild für das Reich Gottes bewegt sich in den Spuren traditioneller altkirchlicher Exegese dieses Textes.12 Bei der Wiederkunft Christi werden sich den eschatologischen Vorstellungen Eusebs zufolge umwälzende Dinge ereignen: Das Meer wird vergehen, die Erde wird zerstört werden, und die Geretteten werden sich „hinauf zu Gott begeben“, wie es abermals in den Lukaskommentarfragmenten heißt:13 Man muss an dieser Stelle sehen und einräumen, dass hier nicht explizit von einer Konzeption eines neuen Himmels und einer neuen Erde die Rede ist, wie wir sie aus der Johannesoffenbarung kennen; andererseits kann man angesichts solcher Aussagen auch nicht gerade von einer Kontinuität von der alten zu einer neuen, dann vollkommenen Weltordnung sprechen.14 Im Gegenteil implizieren die eschatologischen Vorstellungen Eusebs ein Ende der hiesigen Welt und das Heraufziehen eines vom jetzigen Dasein jedenfalls grundlegend unterschiedenen Heilszustandes. Auffällig ist der Befund, dass die sonst in der Tradition christlicher Eschatologie breit belegten apokalyptischen Vorstellungen von einer völligen Zerstörung von Himmel und Erde bei Euseb in der Tendenz deutlich zurücktreten und durch die Rede von Umwandlung, durch das Motiv von Bestrafung und Belohnung, durch Begriffe wie Vollendung und Verwandlung ersetzt werden. Strutwolf hat das als Folge der Platonrezeption Eusebs gedeutet – mit Recht, wie ich denke.15 Die platonische Prämisse, dass aus der Güte des Schöpfers auch die ewige Bewahrung der Welt folgt, hat Euseb auf diese Weise mit der christlichen Eschatologie, der zufolge aus der Güte des Schöpfers nicht unbedingt die ewige Bewahrung der gegenwärtigen Welt folgt, zu einem gewissen Ausgleich zu bringen versucht, indem er die biblische Vorstellung von einer endzeitlichen Zerstörung der alten Erde und des Entstehens einer neuen allegorisch interpretierte. Diesen Befund, den Strutwolf anhand des nach der Konstantinischen Wende entstandenen Jesajakommentars erarbeitet hat, kann man in den Texten Eusebs vor 311 jedenfalls auch nachweisen. Das hängt mit der Arbeitsweise Eusebs zusammen, der in seinen Texten exegetische Passagen, die er vorher in anderen Schriften formuliert hatte, gerne „recycelt“ hat. Ich könnte den kurzen Durchgang durch die Befunde zur Eschatologie bei Eusebius vor der Konstantinischen Wende hier noch fortsetzen und zum Beispiel darauf hinweisen, dass Bemerkungen zur ausstehenden Wiederkunft 2 Eus., fr. Lc. (PG 24. 571B–579D). 1 13 Eus., fr. Lc. (PG24, 584A–587C). 14 So Thielman, 1987, 229. 15 So Strutwolf, 1998, 375–379.

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Christi sich in den Texten relativ häufig finden, dass der Gerichts-, Straf- und Lohngedanke in eschatologischem Kontext bei ihm eine sehr zentrale Rolle spielt und die tröstende Intention dieser Texte noch einmal unterstreichen; aber ich will auf das Anhäufen weiterer Belegstellen hier verzichten, weil es für die uns hier interessierende Frage nach einer möglichen, die Ereignisse der Konstantinischen Wende als Realisierung des Gottesreiches deutenden politischen Eschatologie bei Eusebius nichts austragen würde. Vor der Konstantinischen Wende gab es für solche politisch-eschatologischen Deutungen keinen äußeren Anlass. Es zeigt sich vielmehr, dass die vor der Konstantinischen Wende verfolgten Christen auf die Betonung einer in kurzer Frist anstehenden eschatologischen Befreiung, Umwälzung, Restitution, Rechtschaffung und Heilsausbreitung außerordentlich großen Wert legten – und dass sie diese Entwicklung ganz und gar „jenseitig“ erwarteten. Genau dies spiegelt sich in den Texten des frühen Euseb.

2. Die Eschatologie Eusebs seit der Konstantinischen Wende Im Jahre 312, also nur ein Jahr nach dem Galeriusedikt, übernahm nach dem Sieg am Ponte Molle erstmals in der Geschichte ein Christ die Regierung zunächst über den Westteil des römischen Reiches. Seine Machtübernahme verband sich relativ schnell mit Maßnahmen zur massiven materiellen, ideellen und politischen Förderung der christlichen Kirche. Im Jahre 324 dehnten sich mit dem Sieg über Licinius und der Übernahme der Alleinherrschaft durch Konstantin diese Maßnahmen auf das gesamte Reichsgebiet aus. Die Frage ist, ob sich angesichts dieser von Euseb und von eigentlich allen Christen der Zeit auf das Freudigste begrüßten und als gnädig-siegreiches Walten Gottes interpretierten Entwicklungen die eschatologischen Vorstellungen und Äußerungen des Bischofs von Caesarea signifikant in Richtung auf eine politisch realisierte präsentische Eschatologie verändert haben. Wir unternehmen wieder in Auswahl einen Durchgang durch die Quellen. Der erste ins Auge zu nehmende Text ist der zweite Teil des großen apologetischen Doppelwerkes, die Demonstratio evangelica. Sie ist zwischen 312 und 320 zu datieren. Sie fällt mithin in die Zeit der einsetzenden prokirchlichen Maßnahmen Konstantins, die, unbeschadet der Mailänder Vereinbarung mit Licinius 313, zunächst noch auf den Westen beschränkt blieben. Die Eschatologie der Demonstratio evangelica ist für uns deswegen schwierig zu beurteilen, weil die Bücher 10 bis 20 in der Überlieferung weggefallen sind, also ausgerechnet diejenigen Passagen, in denen es ausweislich der zu Beginn des Werkes mitgeteilten Gesamtdisposition16 um eschatologische Fragen gegangen sein muss. Im Aufriss werden als zu behandelnde 16 Eus., d.e. 1,1.

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Punkte genannt:  Jesu Auferstehung, seine Himmelfahrt und Wiederkunft, das Unglück der Juden und der Sieg des Christentums. Vermutungen über den genauen Argumentationsgang dieser verlorenen Bücher sind gegenstandslos. Spekulationen über mögliche dogmatische Gründe für den Ausfall ausgerechnet dieses Teils der Überlieferung führen nicht weiter.17 Andererseits wissen wir aus der genannten Disposition in d.e. 1,1, dass Themen der Eschatologie behandelt gewesen sind und einen ziemlich großen Umfang eingenommen haben müssen; man kann aufgrund des Nichtmehrvorhan­ denseins dieser Textpassagen nicht die Behauptung aufstellen, dass die Eschatologie in der Demonstratio evangelica kaum eine Rolle spiele. Immerhin ist einem dann doch erhaltenen kleinen Fragment aus den weggefallenen Büchern 11–20 in Auslegung der Danielvisionen vom eschatologischen Ende der vier Königreiche die Rede,18 auch wenn die Stelle leider nur sehr kurz und nicht aussagekräftig dafür ist, wie Euseb das Ende dieser vier Königreiche deutete. Man wird sich mithin auf diejenigen Passagen in den erhaltenen Büchern 1–10 der Demonstratio evangelica stützen müssen, in denen sich, z. T. unter Vorverweis auf eine spätere Behandlung in den Büchern 11 bis 20, Bemerkungen zur Eschatologie finden. Hierzu ist besonders auf Buch 6 zu verweisen, wo ausdrücklich die spätere Behandlung der Wiederkunft Christi avisiert ist, die eine detaillierte Darstellung erfordere19  – von einer Marginalisierung dieses Themas nach 311/313 kann also keine Rede sein. Offenbar in Auseinandersetzung mit jüdischen Vorhaltungen gegen Leiden und Kreuzestod Jesu, die nicht den in der Schrift niedergelegten Erwartungen an den zukünftigen Messias entsprächen, insistiert Eusebius in einigen Passagen der Demonstratio evangelica darauf, dass die Selbsterniedrigung Christi v. a. signum seines ersten Advents gewesen sei, während er bei seinem zweiten Advent, auf den die Gemeinde jetzt noch immer (εἰσέτι νῦν) warte, in der für alle sichtbaren Herrlichkeit des gekommenen Messias erscheinen werde.20 Thielman hat hierzu m.  E.  zu Recht auf die Formulierung εἰσέτι νῦν besonderen Nachdruck gelegt und anhand ihrer betont, dass die Wiederkunft Christi in der Demonstratio evangelica als ein ausstehendes, nicht durch gegenwärtige politische Entwicklungen realisiertes oder antizipiertes

17 Winkelmann, 1991, 50: „Der Verlust dieser Bücher ist also sehr zu bedauern. Man muss ihn sich aber wohl so erklären, dass die hier dargelegte Auffassung zu stark von der orthodoxen Lehre abwich.“ Schon angesichts der äußerst schmalen handschriftlichen Überlieferung der Demonstratio evangelica ist die Vermutung des „absichtlichen“ Wegfalls eines Teils der Überlieferung aus inhaltlich-dogmatischen Gründen reine Spekulation. 18 Eus., d.e. 15 (GCS Euseb VI, 493f. Heikel). 19 Eus., d.e. 6,15.25. 20 Eus., d.e. 9,17.

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Geschehen gedacht sei.21 Die zweite Ankunft Christi ist gerade in der kritischen Auseinandersetzung mit den Juden, wie sie in der Demonstratio evangelica vorliegt, ein entscheidender Faktor christlichen Selbstverständnisses. Auch wenn Christus deutlich sichtbar im gegenwärtigen Triumph der Kirche triumphiert habe und triumphiere, steht ein weiterer, noch glorreicherer Triumph für die Zukunft noch aus: Ein Tag wird kommen, wenn die Prophezeiung „Schwerter zu Pflugscharen“ in aller Fülle erfüllt sein wird, wenn, wie der Apostel sagt (Röm 11,25), „die Fülle der Heidenvölker (zum Heil) hineinkommen wird“.22 So wie wir teilweise jetzt mit unseren eignen Augen die Erfüllung der heiligen Prophezeiungen bezüglich der ersten Epiphanie des Retters unter den Menschen sehen können, so mag sie vollständig ebenso erkannt werden bei seiner ruhmreichen zweiten Ankunft, wenn alle Nationen seine Herrlichkeit sehen werden und wenn er in den Himmeln mit Kraft und großer Herrlichkeit kommt.23

Eine grundsätzliche Änderung des eschatologischen Denkens Eusebs über die Zeitenschwelle 311/313 hinweg ist mithin im Blick auf die Demonstratio evangelica nicht nachweisbar. Dies bestätigt sich auch, wenn man beachtet, dass es zwei Stellen in der Demonstratio evangelica gibt, an denen Eusebius die Wiederkunft Christi exegetisch mit Mal 3,1–3 und Jes 66,18f. genau auf dieselbe Art „beweist“, wie er es schon in den Eclogae propheticae, also vor 311 getan hatte und im Jesajakommentar, der wohl bald nach 324 entstanden ist, wieder tun wird.24 Die Formulierungen in den einschlägigen Passagen sind nahezu identisch. Überhaupt bestehen etwa 80 % des erhaltenen Textbestandes der Demonstratio evangelica aus alttestamentlichen Zitaten und ihrer Deutung und Erklärung, wobei die meisten Stellen auch bereits in den Eclogae propheticae verwendet worden waren.25 Eine Veränderung in exegetischer Methode, Inhalt und Aussage lässt sich nicht ausmachen.

1 Thielman, 1987, 230. 2 22 Eus., d.e. 9,17. 23 Eus., d.e. 6,25. 24 Mal 3,1f.: Eus., d.e. 5,28 und Eus., ecl. 3,31; Jes 66,18f.: Eus., d.e. 6,25 und Eus., Is. 2,58. – Zum Jesajakommentar siehe die Arbeiten von M. Hollerich, Eusebius of Caesarea’s “Comment on Isaiah”, OECS, Oxford 1999; id., Eusebius as a Polemical Interpreter of Scripture, in: H.W. Attridge / G. Hata (eds.), Eusebius, Christianity, and Judaism, StPB 42, Leiden 1992, 585–615; id., Religion and Politics in the Writings of Eusebius: Reassessing the First “Court Theologian”, in: ChH 59 (1990), 309–325. 25 Siehe hierzu Ulrich, 1999, 177f. sowie A. von Ungern-Sterberg, Der traditionelle testamentliche Schriftbeweis „De Christo“ und „De Evangelio“ in der Alten Kirche bis zur Zeit Eusebs von Caesarea, Halle 1913.

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Der enge Zusammenhang der exegetischen mit den apologetischen Texten Eusebs, für den die Demonstratio evangelica ein schlagendes Beispiel ist, rechtfertigt es, dass wir, ehe wir uns den die Geschichte der Kirche, der Kirche unter Konstantin und die Person Konstantins betreffenden Texten zuwenden, noch einen kurzen Blick auf Eusebs apologetisches Spätwerk, die Theophanie, werfen.26 Diese in syrischer Überlieferung sowie einigen griechischen Bruchstücken erhaltene Schrift ist eine wohl für etwas breitere Kreise gedachte Kurzfassung der Hauptgedanken Eusebs, die vielleicht erst Mitte der 30er Jahre, jedenfalls aber nach 324, entstanden ist.27 So sehr nun bei der Theophanie methodische Vorsicht geboten ist, weil die Authentizität verschiedener einzelner Passagen der Überlieferung durchaus umstritten ist, kann man doch immerhin darauf hinweisen, dass Eusebius in diesem Werk eindeutig ein theologisches Interesse an der Wiederkunft Christi zeigt; am Ende von Buch 4 der Theophanie bringt er eine Exegese von Mt 24, in der er reklamiert, dass das Auftreten von falschen Propheten, wie es sich in der Geschichte des Christentums in Gestalten wie Simon Magus oder Montanus ereignet habe, den Prophezeiungen Christi entsprechend auf das anstehende Ende der Welt hinweise. Nichts in dieser Passage deutet darauf hin, dass Euseb im Reich oder in der Person Konstantins einen Faktor gesehen hat, der dieses Ende der Welt möglicherweise aufhebe, es auf eine Vollendung der Herrschaft Christi hin umdeute oder im Sinne einer Ausbreitung des Gottesreiches auf Erden transfiguriere. Thielman hat schließlich im Zusammenhang der Theophanie darauf aufmerksam gemacht, dass sich in einigen freilich in der Authentizität nicht ganz gesicherten Passagen eschatologische Aussagen zur Wiederkunft Christi und zur endgerichtlichen Beurteilung eines jedes Menschen nach seinen guten oder bösen Taten finden, die in den Lukaskommentarfragmenten enge Parallelen haben.28 Ein analoger Befund ergibt sich zuletzt auch beim Blick auf den Jesajakommentar des Eusebius, der wohl bald nach 324 entstanden ist: Auch hier finden wir Parallelen zu Jesajaauslegungen namentlich in Buch 4 der vor der Konstantinischen Wende entstandenen Eclogae propheticae, die inhaltlich und methodisch viel mehr eine

26 Der enge Zusammenhang mit dem apologetischen Doppelwerk wird schon durch das Vorliegen streckenweise nahezu identischer Textpassagen erwiesen: Eus., d.e. 3,3–7 = Theoph. 5. 27 Siehe Winkelmann, 1991, 37. 190; Wallace-Hadrill, 1960, 55; Barnes, 1981, 187. 28 Thielman, 1987, 232f. – Natürlich kann man einerseits vor einer Benutzung dieser Passagen zur Rekonstruktion der Eschatologie Eusebs warnen, andererseits sind die von Thielman genannten Analogien zu den Lukaskommentarfragmenten derart eng, dass man methodisch durchaus auch genau andersherum argumentieren und die Parallelität als Indiz für die Echtheit der einschlägigen Passagen ausrufen könnte.

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Kontinuität als eine Diskontinuität in der apologetischen und exegetischen Arbeit Eusebs erweisen.29 Auch hier, und hier sei noch einmal auf Strutwolf verwiesen, findet sich in den Exegesen eine Neigung, die Rede von einer endzeitlichen Zerstörung der Welt zu vermeiden und in einer allegorisierenden Uminterpretation traditioneller christlich-apokalyptischer Eschatologie eine Annäherung an den platonischen Grundsatz, dass Gott sein gutes Werk nicht vernichten könne, zu vollziehen.30 Nun aber zu denjenigen Texten, in denen sich Eusebius mit dem Reich und der Person Konstantins befasst und die in der Regel die Beweislast für die These einer analog zu den gewandelten politischen Umständen veränderten Eschatologie Eusebs tragen müssen! Es sind dies das in Teilen nach den Ereignissen von 313 und in Teilen erst nach dem Sieg Konstantins über Licinius (324), in jedem Falle aber vor dem Tode des Konstantinsohnes Crispus (326) verfasste Buch 10 der Kirchengeschichte, der Konstantinpanegyricus De vita Constantini sowie die Tricennalienrede, die Eusebius anlässlich des 30jährigen Regierungsjubiläums des Kaisers im Jahre 337 gehalten hat (laus Constantini 1–10). In diesen Texten springt sofort der triumphalistische Ton ins Ohr, mit welchem Eusebius die politischen Ereignisse preist, die ihm im Rahmen seiner Geschichtstheologie als evidenter Wahrheitsbeweis für die Macht des Christengottes und seines Logossohnes galten. Die Stelle Ps 45,9f. „Kommt und seht die Werke des Herrn, die er wunderbar auf Erden gewirkt hat, indem er die Kriege bis an die Grenzen der Erde beseitigt hat“ sieht Eusebius in seiner Gegenwart erfüllt: „In Freude darüber, dass sich diese Worte sichtbar an uns erfüllt haben, wollen wir unsere Erzählung fortsetzen“.31 Die alttestamentliche Prophezeiung von der Auferweckung des Totenfeldes (Ez 37) wird auf die kirchenpolitische Gegenwart gedeutet, in der sich die Glieder des Leibes Christi zu vollendeter Eintracht vereinen.32 Biblische Stellen wie Ps 112,7 („Er richtet den Dürftigen vom Staub auf und erhebt den Armen aus dem Schmutz“) oder Ps 9,6 („Dem Schalle gleich verging der Sünder Andenken, und ihr Name ward ausgetilgt auf immer und ewig“), die in vorkonstantinischer Zeit durchaus als Belegstellen für eschatologische

9 Siehe oben Anm. 21f. 2 30 Siehe Strutwolf, 1998, 376f. Die Aussagen des Jesajatextes Jes 24,3f. LXX, in denen klar von einer Zerstörung der Erde die Rede ist, deutet Eusebius auf die Bestrafung der Sünder wegen deren Verstoßes gegen das ihnen in die Herzen geschriebene natürliche Gesetz um. Die Aussagen über das Vergehen des Himmels nach Jes 24,21–23 mit Mt 24,29f. interpretiert er als Heimsuchung des Himmels durch Gott, der die bösen Geister und Dämonen in die ihnen gemäßen Gefängnisse und Straforte verbringt. 31 Eus., h.e. 10,1,6. 32 Eus., h.e. 10,3,1f.

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Hoffnung gebräuchlich waren, interpretiert Euseb auf das Geschehen in seiner Gegenwart hin.33 Die Äußerungen über die Person des Kaisers Konstantin sind sowohl in Buch 10 der Historia ecclesiastica, mehr noch aber im Kon­ stantinpanegyricus und in der Tricennalienrede in einer Diktion abgefasst, die an Aussagen über Christus selbst erinnert und wohl auch erinnern soll: An einer Stelle heißt es, Gott habe wie aus tiefer Finsternis und dunkelster Nacht ein großes Licht und einen Erlöser zugleich allen aufleuchten lassen, seinen Diener Konstantin mit erhobenem Arm auf den Schauplatz führend.34 Diese Passage, die an Ps 135,12 angelehnt ist, wird in De vita Constantini wieder aufgegriffen und dort eingehend expliziert. In De vita Constantini und in der Tricennalienrede finden sich darüber hinaus, mehr noch als in Buch 10 der Historia ecclesiastica, immer wieder Stellen, in denen Konstantin mit Christus in Beziehung gesetzt, verglichen, wenn auch nicht identifiziert wird. Eine Konstantin-Christus-Mimesis liegt vielleicht nicht überall unmittelbar vor, aber jedenfalls an vielen Stellen nahe: Besonders in der Tricennalienrede wird Konstantin in den Kategorien einer „Christus-Ähnlichkeit“ dargestellt und beschrieben. Eusebius verleiht dem Kaiser hier teilweise messianische Züge. Die siegreichen Taten, die in der Historia ecclesiastica und in der Theophanie eindeutig als Christus verdankt gesehen werden, werden in Eus., l.C. 1–10 auf Konstantin selbst zurückgeführt.35 Konstantin wird als Priester und christlicher Lehrer geschildert,36 wodurch abermals der Vergleich mit Christus selbst nahegelegt wird, wenn man etwa an die sogenannte Dreiämterlehre denkt, die bei Euseb sowohl in der Kirchengeschichte als auch in der Demonstratio evangelica aufscheint,37 oder an die breit belegten Traditionen des Verständnisses von Christus als Lehrer in den Texten des frühen Christentums. Einige weitere Beobachtungen verdichten den Befund: So wie das himmlische Königreich in Beziehung zum Konstantinreich steht, so steht auch Konstantin selbst, zumindest in der Tricennalienrede, in Beziehung zu Christus, dessen Abbild er ist und dessen irdische Taten er nachahmt bzw. vollzieht.38 An einigen Stellen der Kircheinweihungspredigt in Tyrus wird abermals das Verhältnis von irdischem Reich zu himmlischem Reich in den Kategorien der Abbildung des einen im anderen erfasst, worauf Gödecke hingewiesen hat.39 Solche Aussagen treten zwar in De vita Constantini ein wenig in den Hintergrund, weil in De vita Constantini die Betonung mehr 3 Eus., h.e. 10,4,8.30. 3 34 Eus., h.e. 10,8,19. 35 Eus., l.C. 7,9–13. 36 Eus., l.C. 2,6–3,1: Konstantin als Priester. L.C. 10,10: Konstantin als Lehrer. 37 Eus., h.e. 1,3; d.e. 3,2. 38 Eus., l.C. 2,1–5; 7,9–13. 39 Gödecke, 1987, 100–103.

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auf der christlichen Frömmigkeit und dem vorbildhaften Regieren des Kaisers liegt; sie werden aber auch hier nicht vollständig eingezogen. Auch in De vita Constantini ist Konstantin Lehrer der Frömmigkeit und Herold Gottes.40 Bekannt ist ferner die zu Beginn meines Beitrags bereits zitierte Aussage über den Vergleich der Vicennalienfeier Konstantins mitsamt den Bischöfen mit dem Reiche Christi.41 Bei der Betrachtung all dieser Texte fällt dann natürlich auch auf, dass sich Aussagen hinsichtlich der Hoffnung auf eine Wiederkunft Christi und klare Vorstellungen von einem Ende der jetzigen Welt zugunsten eines von ihr grundlegend unterschiedenen Heilszustandes kaum finden – anders als das in den zuvor untersuchten Schriften Eusebs der Fall war. Nun kann man aber andererseits geltend machen, dass das Fehlen eschatologischer Aussagen im literarischen Genre einer Geschichtsdarstellung wie auch in dem einer Kaiserlobrede nicht unbedingt moniert werden kann. Man findet auch in anderen panegyrischen Texten und in anderen Produkten spätantiker Geschichtsschreibung paganer, jüdischer und christlicher Provenienz wenig Eschatologisches – ein Faktum, das einfach mit den behandelten Gegenständen und mit den Gattungen zusammenhängt. Allein daher scheint es problematisch, Eusebius unter Hinweis auf das weitgehende Fehlen eindeutig futurisch-eschatologischer Aussagen in diesen Quellen eine durch den Prinzipat Konstantins bedingte politisch-präsentische Eschatologie zu unterstellen. Hinzu kommt aber auch, dass sich gerade auch in den hier zu Gebote stehenden Eusebius-Texten Beobachtungen machen lassen, die die These von einer politischen Eschatologie bei ihm auf das Ganze gesehen fragwürdig erscheinen lassen: Gleich zu Anfang von De vita Constantini unterstreicht Eusebius nämlich, dass die Belohnung der Christen für ihren tadellosen Wandel hier auf Erden nur in der Form von „Erstlingsgaben“ gewährt werde, während die eigentliche Belohnung mit Gütern und Ehren im Himmel erst noch folge bzw. dort bereitliege.42 In der Passage über den Tod Konstantins betont Eusebius, dass Konstantin, seinem Erlöser ähnlich, den Erdkreis mit Frucht gefüllt habe – die Formulierung impliziert sowohl den Vergleich als auch die Differenz im Sinne der Inferiorität und bleibenden Erlösungsbedürftigkeit des Kaisers.43 Die kritischen Bemerkungen, die Eusebius in De vita Constantini gegenüber dem Kaiser hin und wieder fallen lässt, lassen die Auffassung einer eschatologisch eingefärbten Interpretation des Konstantinreiches problematisch

0 Eus., v.C. 2,23; 4,1. 4 41 Eus., v.C. 3,15. 42 Eus., v.C. 1,3. 43 Eus., v.C. 4,72.

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erscheinen.44 Denn auch da, wo die Vergleiche zwischen Konstantinreich und Gottesreich ausdrücklich bemüht werden, um die Gottgefälligkeit des Kaisers herauszustreichen, werden doch stets auch Differenzformulierungen mit benannt.45 Der Gedanke der endgerichtlichen Belohnung der Guten bzw. Bestrafung der Bösen wird eigens herausgehoben, um die Taten Konstantins als besonders vorbildlich darstellen zu können. In der Tricennalienrede heißt es:  „Diejenigen, die ein tugendhaftes und gottgemäßes Leben gelebt haben, werden dann in ein weitaus besseres Leben übergehen, während der Logos hier denjenigen, die schuldig und böse waren, einen Platz der Strafe gemäß ihrer Verbrechen zuweist.“46 In De vita Constantini kann die Hoffnung auf die eschatologische Belohnung geradezu als entscheidendes movens aller christlichen Bemühungen um einen guten, gottgemäßen Wandel und als christliches Lebensprinzip schlechthin genannt werden.47 Leeb hat in seiner 1992 erschienenen Wiener Dissertation48 auf Basis archäologischer Befunde zu zeigen versucht, dass die imperiale Repräsentation zur Zeit Konstantins des Großen Rückschlüsse auf ein eschatologisches Selbstverständnis des ersten christlichen Kaisers selbst zulassen könnte. Insbesondere im Konstantinmausoleum legt die Anordnung von Konstantins Sarkophag als Zentrum der Apostelkenotaphe durchaus die Deutung nahe, dass Konstantin wie Christus begraben sein wollte (so schon Heisenberg49

44 Eus., v.C. 4,54: Euseb kritisiert, dass der Kaiser falschen Personen sein Vertrauen geschenkt habe. Hier sind die kirchenpolitischen Vorgänge um die Rückkehr des Athanasius aus dem Exil in Trier im Blick. 45 So ganz deutlich in dem zu Beginn meines Beitrags aufgeführten Zitat aus Eus., v.C. 4,15,2: „Jeder Beschreibung aber spottet, was da geschah: denn Leibwächter und Trabanten wachten, die scharfen Schwerter gezückt, rings um den Vorhof des kaiserlichen Palastes. Mitten zwischen ihnen aber konnten furchtlos die Gottesmänner hindurch gehen und bis ins Innere des Palastes gelangen. Da nun lagen die einen auf demselben Polster zu Tisch wie der Kaiser, während die anderen auf Polstern zu beiden Seiten ruhten. Leicht hätte man das für ein Bild vom Reiche Christi halten oder wähnen können, es sei alles nur ein Traum und nicht Wirklichkeit.“ (Hervorhebung Vf.) – Es liegt eine doppelte Relativierung vor: Einerseits über den Konjunktiv, andererseits dadurch, dass nur von einem Bild des Reiches Christi die Rede ist, nicht von der Wirklichkeit eines kommenden oder gekommenen Reiches selbst. 46 Eus., l.C. 6,9. 47 Eus., v.C. 2,29. 48 S. oben Anm. 2. 49 A. Heisenberg, Grabeskirche und Apostelkirche. Zwei Basiliken Konstantins. Untersuchungen zu Kunst und Literatur des ausgehenden Altertums I + II, Bd. 1, Leipzig 1908, 115.

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und Mango50) und sich als „christusähnlicher irdischer Stellvertreter Christi verstanden“ haben könnte, wenn auch von „einer Divinisation oder einem Streben nach christusgleichen Ehren“ (so Heisenberg und Mango) nicht die Rede sein könne.51 Ich will das hier nicht weiter ausführen, weil es im Beitrag von Hanns Christof Brennecke in diesem Bande eine größere Rolle spielen und eine gründliche Analyse erfahren wird; jedenfalls lassen die Ergebnisse der Arbeit von Leeb den Schluss naheliegend erscheinen, dass Eusebius seine Deutung von Konstantin in De vita Constantini als einem der Apostel oder als Apostelgleichem durchaus auch als Korrektur bzw. eine Distanzierung von Konstantins eigenem Programm gedacht hat: demzufolge sei Eusebius gewiss nicht als einer der Verantwortlichen für das imperiale Repräsentationsprogramm der Konstantinzeit anzusprechen.52 Ohne diese interessante These hier weiterverfolgen zu können, ist für unsere Zwecke doch auf das Ergebnis Leebs hinzuweisen, dass Eusebius gegenüber den Vorstellungen Konstantins hinsichtlich dessen kaiserlicher Christusähnlichkeit vermutlich theologische Vorbehalte hatte und diese – freilich mit der im Rahmen eines Panegyrikus wie De vita Constantini angebrachten Behutsamkeit  – auch zum Ausdruck zu bringen verstand. Cameron und Hall haben in ihrer 1999 erschienenen englischen Ausgabe von De vita Constantini noch mal deutlich darauf hingewiesen, dass eine Sicht des Eusebius als offizieller Propagandist Konstantins verfehlt ist.53 Es mag gut sein, dass das auch und erst recht für die eschatologischen Vorstellungen beider gilt.

3. Ergebnis Ich unternehme eine Ertragssicherung in fünf mir zentral erscheinenden Punkten: 1) Eine signifikante Veränderung der eschatologischen Aussagen Eusebs weg von einer futurischen, die Wiederkunft Christi betonenden, hin zu einer präsentisch-politischen, die Wiederkunft Christi marginalisierenden oder gar einziehenden Eschatologie ist nicht nachweisbar. Im Gegenteil wirken die eschatologischen Aussagen in den exegetischen und apologetischen Werken, also in den Lukaskommentarfragmenten und den Eclogae propheticae (vor 311) einerseits und im erhaltenen Teil der Demonstratio evangelica, im Jesajakommentar und in der Theophanie (kurz nach bzw. 50 C. Mango, Constantine’s Mausoleum and the Translation of Relics, in: ByZ 83 (1990), 58. 51 Leeb, 1992, 115f. 52 Leeb, 1992, 176. 53 Eusebius, Life of Constantine, translated with Introduction and Commentary by A. Cameron and S. G. Hall, Oxford 1999, 1.

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lange nach 313) andererseits durchaus homogen und weitgehend kongruent. 2) In den auf die Konstantinzeit bezogenen und in der Konstantinzeit entstandenen geschichtlichen Arbeiten (insbesondere Eus., h.e. 10)  und in den unmittelbar auf die Person Konstantins bezogenen Texten (Eus., v.C.; l.C.) finden sich einerseits keine expliziten Ausführungen über die erwartete Wiederkunft Christi, andererseits werden bei der Darstellung des Öfteren Bilder und Vergleiche bemüht und auch Bibelstellen angeführt, die ihren „Sitz im Leben“ normalerweise in der traditionellen Eschatologie haben. Die Gestalt Konstantins wird verschiedentlich mit der Person Christi in Beziehung gesetzt. Den Befund, dass sich in den Texten keine expliziten Aussagen über die Wiederkunft Christi finden, kann man gut mit dem Genre (Geschichtsdarstellung, Panegyricus) erklären. Dass die verwendeten Bilder und Vergleiche keinen Rückschluss auf das Vorliegen einer politisch realisierten präsentischen Eschatologie erlauben, zeigt sich daran, dass sie stets als Bilder und Vergleiche kenntlich sind und dass sie z. T. auch mit distanzierenden Formulierungen relativiert werden.54 Die Konstantin-Christus-Mimesis, die in manchen Passagen von Eus., h.e. 10 und v.C., vor allem aber in der Tricennalienrede in der Tat anklingt, wird immer wieder durch differenzierende und z.  T.  auch kritisierend-mahnende Töne gebrochen. 3) Der sich geschichtlich abzeichnende und von Euseb mit Hingabe geschilderte, im Laufe der Entwicklung immer deutlicher zu greifende Triumph der Kirche, der den Triumph Christi in der Geschichte unwiderlegbar ausweist und abbildet und der durch Konstantin als dem vorbildlichen Diener Christi verwirklicht worden ist, schließt an keiner Stelle aus, dass mit der Wiederkunft Christi ein neuer, größerer, eine völlig andere Dimension erschließender Triumph noch aussteht und sich ereignen wird. 4) Insbesondere der theologische Grundgedanke der endgerichtlichen Bestrafung der Gottlosen und der Belohnung der Gottgefälligen durch den Logos-Christus hält sich bei Eusebius in allen Texten durch und wird selbstverständlich auch auf die Entwicklungen im Reich und auf die Person des Kaisers selbst angewandt. 5) Es spricht manches dafür, dass Eusebius diesen „eschatologischen Vorbehalt“ gegenüber imperialen Machtansprüchen und dem christlichimperialen Selbstverständnis des Kaisers Konstantin selbst sowohl mit rhetorisch-diplomatischem Geschick als auch mit inhaltlichem Nachdruck

54 Eus., v.C. 3,15,2 (s. oben Anm. 1).

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aufrecht erhalten musste und ihn betont hat. Diese letzte Bemerkung bedarf allerdings der Verifizierung durch genauere Betrachtungen zum Selbstverständnis und  – wenn man so will  – zur Eschatologie bzw. zu eschatologischen Vorstellungen Konstantins des Großen selbst, für welche ich auf den in diesem Band befindlichen Aufsatz von Hanns Christof Brennecke ausdrücklich verweise.

Angstmacherei. Beobachtungen zu einem polemischen Einwand gegen das frühe Christentum und zur Auseinandersetzung mit ihm in der apologetischen Literatur* Lang ist die Liste der Vorwürfe, die im 2.  Jahrhundert von nichtchristlicher Seite gegen das junge Christentum vorgebracht werden und mit denen sich die christliche Apologetik auseinandersetzen muss.1 Die Palette reicht von Atheismus bis zu Unvernunft, von Feindschaft gegen die Tradition bis zu Halsstarrigkeit, von sozialem Randsiedlertum bis zur Schuld am Untergang des Erdkreises. Dabei sind die Anschuldigungen von unterschiedlichem Niveau und unterschiedlicher Qualität. Es finden sich einerseits solche, die man als nicht eben kenntnisreich bezeichnen muss, wie die des Kannibalismus oder der Eselsanbetung; und es finden sich andererseits Vorwürfe, die eine sehr präzise Beobachtung des jungen Christentums durch seine paganen Kritiker zeigen.2 Ich will mich im Folgenden mit einem Vorwurf gegen das junge Christentum befassen, der in der bisherigen Auseinandersetzung um die Texte der Apologeten wenig Beachtung gefunden hat, nämlich mit dem Vorwurf, das Christentum betreibe Angstmacherei. Ich frage dabei, wie das Zustandekommen dieses Vorwurfs zu erklären ist, ob und inwiefern er auf guter Kenntnis des jungen Christentums beruht oder nicht, wie sich die Verteidiger

* Zuerst erschienen in: F. Prostmeier (ed.), Frühchristentum und Kultur, KfA.E 2, Freiburg 2007, 111–126. 1 M.  Fiedrowicz, Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten, Paderborn 22001; M. Edwards / M. Goodman / M. Price (eds.), Apologetics in the Roman Empire. Pagans, Jews, and Christians, Oxford 1999; J.W. Hargis, Against the Christians. The Rise of Early Anti-Christian Polemic, PatSt 1, New York 1999; id., Les apologistes chrétiens et la culture grecque, in: B. Pouderon, / J. Doré (eds.), ThH 105, Paris 1998; O. Skarsaune, Apologetik IV. Kirchengeschichtlich I. Alte Kirche, in:  4RGG 1 (1998) 616–620; M. Starowieyski, Les écrivains paiens et les chrétiens au IIe siècle, in: StPatr 26 (1993), 184–191; W. Nestle, Die Haupteinwände des christlichen Denkens gegen das Christentum, in: J. Martin / B. Quint (eds.), Christentum und antike Gesellschaft, WdF 649, Darmstadt 1990, 17–80; R.M. Grant, Greek Apologists of the Second Century, Philadelphia 1988; L.W. Barnard, Apologetik I. Alte Kirche, in: TRE 3 (1978), 371–411; G. Bardy, Apologetik, in: RAC 1 (1950), 533–543. 2 R.L. Wilken, Die frühen Christen. Wie die Römer sie sahen, Graz 1986.

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des Christentums im 2. und 3. Jahrhundert zu diesem Vorwurf stellen und, abschließend, was man für unser Bild von der apologetischen Literatur der Zeit und von der Entwicklung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten aus dem erarbeiteten Befund lernen kann. Der von nichtchristlicher Seite vorgetragene Vorwurf, die Christen betrieben Angstmacherei, findet sich indirekt überliefert bei Justin, bei Origenes und bei Tertullian. Es trifft sich gut, dass diese Zeugnisse ein relativ breites regionales und zeitliches Spektrum abdecken:  Hieraus kann man folgern, dass der Vorwurf der Angstmacherei nicht auf bestimmte historische oder lokale Sondersituationen beschränkt gewesen ist, sondern einen relativ verbreiteten und grundsätzlichen Einwand von Nichtchristen gegen das junge Christentum darstellt. Andererseits zeigt die im Vergleich zu anderen, gängigeren Polemiken relativ geringe Anzahl vorhandener Belegstellen, dass das Gewicht dieses Vorwurfs im Gesamtkontext antichristlicher Polemik wiederum nicht zu hoch eingeschätzt werden sollte. Ich interpretiere die einschlägigen Stellen in ihrer historisch-chronologischen Reihenfolge.

I.  Justin, 2. Apologie Die erste Belegstelle für den Vorwurf der Angstmacherei gegen das junge Christentum findet sich bei Justin in seiner kurz nach dem Jahre 150 verfassten 2. Apologie, die als ein Appendix zur umfangreicheren 1. Apologie anzusehen ist.3 Der einschlägige Passus stellt eine nachträgliche Reaktion Justins auf die Christentumskritik des stoisch-kynischen Philosophen Crescens dar, über den wir nicht viel mehr wissen, als dass er Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom lebte und lehrte und dort mit Justin aneinander geriet. In dieser Auseinandersetzung sieht sich Justin aufgrund der von Crescens vorgetragenen Kritik gezwungen, seine früheren Darlegungen zu präzisieren, insbesondere zu den Themen Dämonologie, Eschatologie und Logoslehre. Der für unseren Zusammenhang des Angstmachereivorwurfs grundlegende Abschnitt lautet wie folgt: Und dass niemand das sagen soll, was von denen gesagt wird, die für Philosophen gehalten werden, dass nämlich unsere Behauptungen, dass die Verruchten im ewigen Feuer gestraft werden, Wortgeklingel seien und Schreckbilder, und dass wir Menschen durch Angst zu tugendhaftem Leben bringen wollen, und nicht deshalb,

3 M. Marcovich (ed.), Iustini martyris apologiae pro Christianis, PTS 38, Berlin 1994; A. Wartelle (ed.), Saint Justin, Apologies. Introduction, texte critique, traduction, commentaire et index, Paris 1987; Lit.: S. Heid, Justin Martyr, in: RAC 19 (2001), 801–847; C. Munier, L’apologie de Saint Justin philosophe et martyr, Par. 38, Fribourg 1994; E.F. Osborn, Justin Martyr, BHTh 47, Tübingen 1973.

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weil ein solches (tugendhaftes) Leben gut und angenehm ist. Ich will hierauf kurz antworten, dass, wenn es sich nicht so verhielte (dass die Verruchten im ewigen Feuer gestraft werden), Gott nicht existieren würde; oder, wenn er (denn doch) existierte, dass er sich dann (jedenfalls) nicht um die Menschen kümmere und weder Tugend noch Untugend (für ihn) irgendeine Bedeutung habe […].4

Der Text zeigt zunächst, dass die Kritik der „sogenannten Philosophen“, mit denen Justin sich hier auseinander setzt, gegen christliche Vorstellungen vom Endgericht polemisiert: Es geht um die Strafe des ewigen Feuers für die Verruchten. Der Einwand des Crescens hiergegen betrifft zwei Aspekte: Er moniert einerseits, dass eine solche Lehre weit hergeholt und unrealistisch sei (Wortgeklingel und Schreckbilder / κόμποι καὶ φόβητρα) und andererseits, dass damit das Ziel, die Menschen zu tugendhaftem Leben anzuhalten, von den Christen auf falsche Weise angegangen werde. Der christliche Weg bestehe darin, den Menschen Angst zu machen, um sie zu einem tugendhaften Leben gleichsam zu zwingen. Der rechte (philosophische) Weg hingegen sei es, die Vorzüge eines tugendhaften Lebens deutlich zu machen und die Menschen auf diese Weise zur Nachahmung anzuregen. Hinter der von Crescens bevorzugten Position steht die Stoa mit ihrer Auffassung von der sittlichen Vorbildfunktion des Weisen; gebunden an das Gesetz des Logos ist der stoische Weise von jedem äußeren Zwang frei; unangreifbar leistet er wahrhaft Förderliches und ist geradezu ein Segen für die Menschheit, der jede seiner Handlungen als Vorbild zu Gute kommt.5 Von dieser stoischkynischen Warte her musste die christliche Rede von der Strafe des ewigen Feuers geradezu plump erscheinen, zumal ja die mit der christlichen Eschatologie konkurrierende stoische Ekpyrosislehre gerade nicht ein Endgericht implizierte, sondern vielmehr den Beginn einer neuen Weltperiode in derselben Gestalt vorsah – die Palingenesie.6 4 Just., 2 apol. 9, 1: Ἵνα δὲ μή τις εἴπῃ τὸ λεγόμενον ὑπὸ τῶν νομιζομένων φιλοσόφων, ὅτι κόμποι καὶ φόβητρά ἐστι τὰ λεγόμενα ὑφ’ ἡμῶν ὅτι κολάζονται ἐν αἰωνίῳ πυρὶ οἱ ἄδικοι, καὶ διὰ φόβον ἀλλ’ οὐ διὰ τὸ καλὸν εἶναι καὶ ἀρεστὸν ἐναρέτως βιοῦν τοὺς ἀνθρώπους ἀξιοῦμεν, βραχυεπῶς πρὸς τοῦτο ἀποκρινοῦμαι, ὅτι, εἰ μὴ τοῦτό ἐστιν, οὔτε ἔστι θεός, ἤ εἰ ἔστιν, οὐ μέλει αὐτῷ τῶν ἀνθρώπων, καὶ οὐδέν ἐστιν ἀρετὴ οὐδὲ κακία, καί, ὡς προέφημεν, ἀδίκως τιμωροῦσιν οἱ νομοθέται τοὺς παραβαίνοντας τὰ διατεταγμένα καλά. PTS 38, 150: 1–6 Marcovich. Eigene Übersetzung. 5 M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Tübingen 21955, 155f. 6 Nach stoischer Auffassung gibt es zwar angesichts des „Alterns“ der Welt einen Weltenbrand als Rückkehr zum ursprünglichen Feuer (Ekpyrosis), der aber zugleich Beginn einer neuen Weltperiode ist (Palingenesie), in der die Welt und die Individuen in derselben Gestalt wiederkehren werden – weil der Logos, der einmal vernunftgemäß und methodisch die vollkommenste Welt geschaffen hatte, bei einer neuen Gestaltung der Welt nicht andere Wege einschlagen wird; und

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Fragen wir zunächst, ob und inwiefern die Auffassung des Crescens, das junge Christentum betreibe Angstmacherei, sich an zeitgenössischen christlichen Quellen verifizieren lässt. Man wird antworten müssen: Obwohl die christlichen Quellen für die Zeit vor der justinschen Apologie noch ziemlich spärlich fließen, macht es keine Mühe, den Vorwurf im Wesentlichen bestätigt zu finden. Zu denken ist zunächst an die Traditionen der Johannesapokalypse, die übrigens gerade in der Theologie des Justin eine besonders wichtige Rolle spielt und die wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der Autorität Justin des Märtyrers überhaupt erst zur Kanonisierung gelangt sein dürfte.7 In der Johannesoffenbarung vollzieht sich der endgültige Herrschaftsantritt des Weltenrichters und seines Menschensohn-Messias zunächst in ausgedehnten Akten des Zornesgerichts und im endzeitlichen Krieg gegen alles Widergöttliche; mit massiven Bildern wird der Vollzug des Gerichts geschildert: Wer das Tier anbetet, […] der wird gequält werden mit Feuer und Schwefel […] (Offb 14,9f.); Sieben Engel gießen die sieben Schalen des Zornes Gottes aus: Geschwüre, Versengung und unerträgliche Schmerzen treffen die Feinde Gottes, Wasserströme werden zu Blut, so dass alles Leben in ihnen vernichtet wird […] (Offb 16).

Zwar muss man darauf hinweisen, dass das Ziel dieses Ereignisses die unbestrittene Königsherrschaft Gottes und damit ein unbeeinträchtigter Heilszustand ist, zwar muss man sagen, dass die Gesamtkomposition der Apokalypse den Charakter des Gerichts als Erlösungsgericht zu bestimmen erlaubt, jedoch kommt zugleich das hierin eingeschlossene Vernichtungsmotiv in dem Text außerordentlich breit zur Geltung. Doch nicht nur im Blick auf die Apokalypse und deren Rezeption bei Justin konnte Crescens seinen Vorwurf, das junge Christentum breite Angst aus, bestätigt finden: Unmittelbare individuelle Gerichtsdrohungen, verknüpft mit Aufforderungen zu tugendhaftem Handeln, finden wir in zeitgenössischen christlichen Homilien, so z. B. in dem um 130 (anderen Datierungen zufolge um 150) entstandenen 2. Clemensbrief. Einschlägig sind Stellen wie 2Clem 17,6 oder besonders 2Clem 18,2–19,1, wo es heißt:8 „Ich bemühe mich auch dieselben Keimkräfte der Vernunft werden wieder in genau derselben Weise wirken. Vgl. hierzu Pohlenz, 1955, 78–81. 7 So jedenfalls ein plausibler Hinweis neueren Datums von C.P. Vetten, Justin, in: 3LACL, Freiburg 2002, 413f. – Zur Johannesoffenbarung und den im folgenden zitierten Stellen siehe die Kommentare von P. Prigent, Commentary on the Apocalypse of St. John, Tübingen 2001 sowie J. Roloff, Die Offenbarung des Johannes, ZBK.NT 18, Zürich 1984. Zur Geschichte der Auslegung der Johannesoffenbarung: G. Kretzschmar, Die Offenbarung des Johannes. Die Geschichte ihrer Auslegung im 1. Jahrtausend, CThM.ST 9, Stuttgart 1985. K. Wengst (ed.), Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, Zweiter Klemensbrief, 8 Schrift an Diognet, SUC 2, München 22004; Der zweite Klemensbrief, in: Wengst, 2004, 236–280. Die zitierte Stelle und eine knappe Kommentierung findet sich

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doch, der Gerechtigkeit nachzujagen, damit ich die Kraft erhalte, wenigstens nahe an sie heran zu kommen, weil ich das kommende Gericht fürchte (φοβούμενος τὴν κρίσιv τὴν μέλλουσαν). Daher, Brüder und Schwestern, lese ich euch nun die Ermahnung (ἔντευξιν) vor.“ Es folgen Warnungen vor Apostasie und moralischer Verfehlung. Neben den wenigen aus der frühen Zeit erhaltenen Predigten oder Predigtfragmenten ist für unseren Zusammenhang außerdem auf die breit belegten christlichen Strafwunderlegenden aufmerksam zu machen. Ihr wohl frühestes christliches Beispiel findet sich in der Hananias- und Saphira-Geschichte in Apostelgeschichte 5: Gott hat den Betrug des Hananias und der Saphira (die beiden haben einen Teil des aus einem Ackerverkauf erlösten, der Gemeinde zustehenden Geldes unterschlagen) mit dem Tode beider furchtbar gerächt, und die Geschichte betont gleich zweimal (Acta 5,5.11), es sei dadurch eine große Furcht (φόβος μέγας) über die ganze Gemeinde gekommen und über alle, die das hörten. Solche Strafwunderlegenden dienen, um einen Gedanken von Gerd Theißen aufzugreifen, dazu, heilige Forderungen durchzusetzen,9 indem sie zeigen, wie normwidriges Verhalten unmittelbar bestraft wird. In der apokryphen Überlieferung erfreut sich gerade dieses Genre der Strafwunderlegende ungeheurer Beliebtheit, wie eine kurze Durchsicht der Texte zeigt. Jesus selbst straft im gegen Ende des 2. Jahrhunderts entstandenen Kindheitsevangelium des Thomas10 einen Knaben, der das von ihm gesammelte Wasser verschüttet hat, mit Verdorrung, einen anderen Knaben, der ihm beim Laufen an die Schulter stößt, mit dem Tod. In den ebenfalls an das Ende des 2. Jahrhunderts gehörenden Johannesakten erschlägt ein zusammenbrechendes Götterbild einen bekehrungsresistenten Artemispriester,11 in den Acta Pauli tötet ein Hagelsturm heidnische Zuschauer, die sich in Ephesus den Kampf des Paulus mit den Löwen ansehen wollten.12 Es ist auffällig, in welch hohem Maße diese Strafwunderlegenden die christliche Literatur der frühen (und nicht nur der frühen) Zeit bestimmen; und es ist auffällig, wie dabei in vielen Fällen die eschatologische Dimension der zunächst ja „nur“ innerweltlich

in Wengst, 2004, 265. Siehe auch A. Lindemann, Die Clemensbriefe, HNT 17, Tübingen 1992, 197–261 (Lit.!). 9 Theißen spricht von „bestrafenden Normenwundern“, vgl. id., Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien, StNT 8. Gütersloh 1974, 117. 10 C. Tischendorf, Evangelica apocrypha, Leipzig 21876, 140–163 (griechische Version); 164–180 (lateinische Version). 11 K. Schäferdiek, Johannesakten, in: 3NTApo 2 (1964), 125–176. Die einschlägige Stelle Act. Jo. 42 findet sich in Schäferdiek, 1964, 160. 12 W. Schneemelcher, Paulusakten, in: 3NTApo 2 (1964), 221–270. Die einschlägige Stelle Act. Paul. 7 findet sich in Schneemelcher, 1964, 257.

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erlittenen Strafe gleich mitgedacht ist: Die in dieser Welt sichtbar erlittene Strafe ist gleichsam nur das Proömium für das, was den Bestraften im Endgericht erst noch bevorsteht. Crescens hatte also Grund zu seiner Sichtweise, dass das junge Christentum Angst verbreite. Und vom hier nur skizzenhaft erhobenen Befund her ist es nur allzu verständlich, dass sein Gegner Justin gar nicht erst den Versuch unternimmt, den von Crescens erhobenen Vorwurf als unbegründet zurückzuweisen. Justin macht vielmehr den Gedanken der endgerichtlichen Strafe für die Verruchten gegen die von Crescens vorgetragene Kritik noch stark. Er sieht in der Vorstellung vom endgerichtlichen Feuer geradezu einen Gottesbeweis, beziehungsweise, falls man denn die Existenz Gottes als gemeinsame Basis voraussetzen dürfe, ein sicheres Zeichen dafür, dass Gott „sich um die Menschen kümmert“ (μέλει αὐτῶν τῶν ἀνθρώπων)13, das heißt: beobachtet, beurteilt, eingreift und gegebenenfalls eben straft (ebenso übrigens der Justin zeitlich und theologisch nicht allzu fern stehende Irenäus).14 Der sehr hohe Stellenwert der Straf- und Vergeltungsvorstellung in der Theologie Justins wird, wie die nähere Lektüre zeigt, auch sonst in seinen Texten bestätigt. In 1 apol. 12,1; 21,6; 54,2 artikuliert er wiederholt den Gedanken, dass das Gericht notwendig sei, weil die Hoffnung auf Vergeltung als Motiv für sittliches Handeln wirke. Ein Gericht nach den Werken ist laut 1 apol. 43,6 deshalb möglich und berechtigt, weil der Mensch mit freiem Willen begabt ist. Justin zieht, auch im Blick auf seine gebildeten Leser, die platonische Gerichtsvorstellung als Anknüpfungspunkt heran:  „Übrigens hat Platon in ähnlichem Sinne gesagt:  ‚Rhadamanthys und Minos werden die Ungerechten, wenn sie vor ihnen erscheinen, bestrafen‘, nur dass wir dieses Amt Christus zuschreiben und dass wir nicht bloß an eine tausendjährige Bestrafung glauben, wie Platon, sondern an eine ewige […]“15 Leider wissen wir nicht, wie der Stoiker Crescens auf diesen Versuch Justins, eine Brücke zwischen platonischer und christlicher Gerichtsvorstellung zu schlagen, reagiert hat oder reagiert hätte. Ich erlaube mir eine kurze Zwischenzusammenfassung: Der Passus aus 2 apol. 9,1 zeigt, wie sich Justin, der zum Christentum gekommene Anhänger des zeitgenössischen Mittelplatonismus, der auch als Christ den Habit des Philosophen nicht ablegen wollte, in der Frage der Eschatologie von der durch Crescens vertretenen stoisch-kynischen Auffassung deutlich abgrenzt 3 PTS 38, 150, 6 Marcovich. 1 14 So z. B. Iren., haer. V 27,1 u. ö. 15 Just., 1 apol. 8,4 (PTS 38,42,10–14 Marcovich). – Justin bezieht sich hier auf die Stelle Politeia 615d. Andernorts (Gorgias 523–525; Phaidon 113e) kann bei Platon von ewiger Strafe für die „Unheilbaren“ die Rede sein – bezogen auf den Tyrannen (z. B. Archelaos).

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und den Vorwurf der Angstmacherei positiv zu wenden versucht. Die Vorstellung von einem handelnden, richtenden und eben auch strafenden Gott schärft nach Meinung des Christen Justin die unbedingte Verbindlichkeit moralischer Forderungen ein.

II.  Origenes, Gegen Celsus Der zweite und dritte der in unserem Zusammenhang vorzustellenden Texte entstammen der Schrift des Origenes, der sich in der Mitte des 3.  Jh.s. genötigt sieht, auf antichristliche Polemik längst vergangener Zeiten zu reagieren:  Sein Contra Celsum16 widerlegt eine etwa 80 Jahre zuvor entstandene Schrift, die der Christentumskritiker Celsus in seinem Werk Über die wahre Lehre17 vorgelegt hatte. Celsus, über den Origenes selbst offenbar nicht viel mehr wusste, als dass er „längst tot war“,18 ist anders als Crescens keiner bestimmten philosophischen Schule seiner Zeit zuzuordnen – es handelt sich um einen dem Mittelplatonismus nahestehenden, im Ganzen aber eher eklektisch vorgehenden Denker, der volkstümliche Überzeugungen und Meinungen widerspiegelt, welche von Intellektuellen unterschiedlicher

16 Origène, Contre Celse I–V, ed. H. Borret, (SC 132. 136. 147. 150. 227), Paris 1967–1976; Origenes, Contra Celsum, ed. P. Koetschau, (GCS Origenes 1), Leipzig 1899. – Zu der Schrift siehe M. Frede, Origen’s Treatise Against Celsus, in: M. Edwards / M. Goodman, / M. Price, (eds.), Apologetics in the Roman Empire. Pagans, Jews, and Christians, Oxford 1999, 131–155; C. Reemts, Vernunftgemäßer Glaube. Die Begründung des Christentums in der Schrift des Origenes gegen Celsus, Hereditas 13, Bonn 1998; A. Magris, Aufklärerischer Platonismus. Kelsos und Origenes, in: Chartulae. FS W. Speyer, JAC.E 28, Münster 1998, 228–243; C. Bussmann, Origenes: Contra Celsum. Ein antiker Frontalangriff auf das Christentum und seine Abwehr durch Origenes, in: C. Bussmann / F.A. Ühlein (eds.), Zur Geschichtlichkeit der Beziehungen von Glaube, Kunst und Umweltgestaltung, Pommersfeldener Beiträge Sonderband 6, Würzburg 1992, 47–63; L. Lies, Vom Christentum zu Christus nach Origenes’ Contra Celsum, in: ZThK 112 (1990), 150–177; M. Fédou, Christianisme et religions païennes dans le Contre Celse d’Origène, ThH 81, Paris 1988; K. Pichler, Streit um das Christentum. Der Angriff des Kelsos und die Antwort des Origenes, RSTh 23, Frankfurt 1980. 17 H.E. Lona, Die „wahre Lehre“ des Kelsos, KfA.Erg.-Bd. 1, Freiburg 2005; J.R. Hoffmann (ed.), Celsus, On the True Doctrine. A Discourse Against the Christians, New York 1987; R. Bader (ed.), Der ἀληθὴς λόγος des Kelsos, TBAW 33, Stuttgart 1940. – Über Celsus und seine Schrift: Hargis, 1999; I. Hadot, Celsus, in: 4RGG 2 (1999) 86f.; M. Frede, Celsus’ Attack on the Christians, in: J. Barnes / M. Griffin (eds.), Philosophia togata II, Oxford 1999, 218–240; id., Celsus philosophus Platonicus, in: ANRW II 36/37 (1994), 5183–5213; R.C. Andresen, Logos und Nomos. Die Polemik des Kelsos wider das Christentum, AKG 30, Berlin 1950. 18 Or., Cels., Praef. 4.

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philosophischer und religiöser Richtungen der Zeit geteilt wurden. Auch Celsus erhebt den Vorwurf der Angstmacherei gegen das Christentum  – aber er tut das mit einer etwas anderen Stoßrichtung als Crescens gut 20 Jahre zuvor. Origenes schreibt: Von welcher Art die „allerhand Mittel“ sind, die wir anwenden, um „die Menschen an uns zu ziehen“, wie Celsus ohne jeden Beweis schreibt, oder was für „Schreckbilder wir zusammenformen“, das mag darlegen, wer will. Vielleicht rechnet Celsus zu diesen „zusammengeformten Schreckbildern“ die Lehre, dass Gott als Richter von den Menschen Rechenschaft verlange über alles, was sie getan haben, eine Lehre, für die wir viele Beweise sowohl aus der Schrift als auch aus der natürlichen Vernunft beibringen können. Indessen sagt Celsus  – ich erwähne dies aus Liebe zur Wahrheit – am Ende seiner Schrift: „Möchte es doch weder diesen, noch mir, noch sonst einem der Menschen gestattet sein, die Lehre von der zukünftigen Bestrafung der Ungerechten und der einstigen Belohnung der Gerechten beiseite zu legen!“ Wenn man aber die Lehre von der künftigen Strafe ausnimmt, welches sind dann die „Schreckbilder“, die wir „zusammenformen“, um die Menschen an uns zu ziehen?19 Sowie: Ohne Begründung und ohne Beweis, wie dies seine Gewohnheit ist, beschuldigt uns Celsus hierauf wieder, wir redeten von Gott ohne alle Ehrfurcht und Scheu. „Es ist nun ganz klar“, sagt er, „dass sie ohne alle Ehrfurcht und Scheu von Gott so reden“, und er glaubt, dass wir dies täten, „um die unwissenden Leute zu erschrecken“, aber „über die Strafen, die wir als notwendig für die Sünder“ bezeichneten, „nicht die Wahrheit sagten“. Deshalb vergleicht er uns mit Leuten, „die bei den Bakchischen Weihen die (bekannten) Erscheinungen und Schreckbilder vorführen“. Ob es nun über „die Bakchischen Weihen“ irgendeine glaubwürdige Lehre oder aber keine solche gibt, darüber mögen die Griechen Auskunft geben, und Celsus und seine Gesinnungsgenossen mögen sich an diese wenden. Wir aber haben nur unsere Lehre zu verteidigen und sagen: Es ist unsere Aufgabe, das menschliche Geschlecht besser zu machen, (und wir suchen dies zu erreichen) teils durch Androhung von Strafen, die nach unserer Überzeugung für das Weltganze notwendig, und vielleicht auch denen, die sie erleiden werden, nicht ohne Nutzen sind, teils durch Verheißung des

19 Or., Cels. III 16 (GCS Origenes 1. Leipzig 1899, 214,22–215,5; Koetschau): Ποῖα δὲ παντοδαπὰ ἐπισπώμεθα ἢ τίνα συμπλάσσομεν δείματα, ὡς ἀναποδείκτως γράφει ὁ Κέλσος, παραστησάτω ὁ βουλόμενος. εἰ μὴ ἄρα τὴν περὶ δικαστοῦ θεοῦ καὶ δικαζομένων ἀνθρώπων ἐφ᾿ οἷς ἔπραξαν πᾶσι διδασκαλίαν μετὰ κατασκευῆς ποικίλης, πῇ μὲν τῆς ἀπὸ τῶν γραφῶν πῇ δὲ καὶ ἀπὸ τοῦ εἰκότος λόγου, δείματα βούλεται λέγειν ὁ Κέλσος συμπεπλασμένα. καίτοι γε(φίλη γὰρ ἡ ἀλήθεια)φησὶ πρὸς τοῖς τελευταίοις ὁ Κέλσος ὅτι μήτε τούτοις εἴη μήτ᾿ ἐμοὶ μήτε ἄλλῳ τινὶ ἀνθρώπων ἀποθέσθαι τὸ περὶ τοῦ κολασθήσεσθαι τοὺς ἀδίκους καὶ γερῶν ἀξιωθήσεσθαι τοὺς δικαίους δόγμα. ποῖα οὖν δείματα. ἐὰν ἀνέλῃς τὸν περὶ κολάσεως λόγον. συμπλάττοντες ἐπισπώμεθα τοὺς ἀνθρώπους.

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seligen Lebens im Reiche Gottes für die, die tugendhaft gelebt haben und würdig sind, Gott zum König zu besitzen.20

Der Vorwurf des Celsus lautet, das Christentum baue Schreckbilder auf und erreiche auf diese (unbillige) Weise, dass es die Menschen an sich ziehe. Es ist gut möglich, dass Celsus den Einwand, das Christentum betreibe Angstmacherei, indirekt von Crescens her kennt und übernimmt: Die Forschung hat jedenfalls an vielen Stellen seines aus Origenes zu rekonstruierenden „ἀληθὴς λόγος“ zeigen können, dass Celsus zumindest die Apologien des Justin vor sich hatte. Celsus verweist auf die von den Christen „zusammengeformten Schreckbilder“ (δείματα συμπεπλασμέα), also auf das, was Cres­ cens als angstmachenden Trug bezeichnet hatte; damit gelinge es der Kirche, die Menschen an sich zu binden. Auch bei Celsus zeigt sich also, dass aus der Perspektive der Christentumsgegner die Ausprägung von unter Zeitgenossen angstbesetzten Vorstellungen einen Gutteil des mittlerweile nicht mehr zu bestreitenden missionarischen Erfolges des jungen Christentums ausmacht. Interessant ist es nun aber, auch die Differenzen der Argumentation des Celsus gegenüber der des Crescens wahrzunehmen. Denn bei Celsus verhält es sich – anders als bei Crescens – so, dass er selbst die Lehre von der einstigen Bestrafung der Bösen und der zukünftigen Belohnung der Guten offensichtlich im Prinzip teilt oder zumindest aus pädagogischen Gründen befürwortet. Der Schluss von III 16 zeigt dies ganz deutlich. Der Vorwurf des Celsus besteht nicht wie bei Crescens in der generellen Ablehnung jener Vorstellung, sondern „nur“ in dem Einwand, dass das Christentum „Unwissende erschrecke“ (ἐπὶ θάμβει τῶν ἰδιωτῶν) und „über die Strafen nicht die Wahrheit sage“ (οὐχὶ δὲ τἀληθῆ περὶ κολάσεων λέγοντας)  – also, so möchte ich interpretieren, die Strafen als viel zu schwer und zu hart darstelle. Außerdem, so Celsus, sei zu kritisieren, dass das Christentum „ohne 20 Or., Cels. IV 10 (GCS Origenes 1. Leipzig 1899, 280,28–281,12; Koetschau): Μετὰ ταῦτα πάλιν, ὡς σύνηθές ἐστιν αὐτῷ, μηδὲν κατασκευάσας μηδ' ἀποδείξας ὁ Κέλσος, ὡσπερεὶ οὐχ ὁσίως ἡμῶν οὐδ' εὐαγῶς περὶ τοῦ θεοῦ θρυλούντων, φησίν· Ὅτι μὲν οὖν οὐχ ὁσίως οὐδὲ εὐαγῶς ταῦτα περὶ τοῦ θεοῦ θρυλοῦσιν εὔδηλον, καὶ οἴεταί γε ἐπὶ θάμβει τῶν ἰδιωτῶν ταῦθ' ἡμᾶς ποιεῖν, οὐχὶ δὲ τἀληθῆ περὶ κολάσεων λέγοντας ἀναγκαίων τοῖς ἡμαρτηκόσι· διόπερ ἐξομοιοῖ ἡμᾶς τοῖς ἐν ταῖς Βακχικαῖς τελεταῖς τὰ φάσματα καὶ τὰ δείματα προεισάγουσι. Περὶ μὲν οὖν τῶν Βακχικῶν τελετῶν εἴτε τις ἐστὶ πιθανὸς λόγος εἴτε μηδεὶς τοιοῦτος, λεγέτωσαν Ἕλληνες καὶ ἀκουέτω Κέλσος καὶ οἱ συνθιασῶται αὐτοῦ· ἡμεῖς δὲ περὶ τῶν ἡμετέρων ἀπολογούμεθα, λέγοντες ὅτι τὸ προκεί μενον ἡμῖν ἐστιν ἐπανορθοῦν τὸ γένος τῶν ἀνθρώπων εἴτε διὰ τῶν περὶ κολάσεων ἀπειλῶν, ἃς πεπείσμεθα ἀναγκαίας εἶναι τῷ παντὶ τάχα δὲ καὶ τοῖς πεισομένοις αὐτὰς οὐκ ἀχρήστους, εἴτε διὰ τῶν ἐπὶ τοὺς καλῶς βεβιωκότας ἐπαγγε λιῶν, περιεχουσῶν τὰ περὶ τῆς μακαρίας ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ τοῖς ἀξίοις ὑπ' αὐτοῦ βασιλεύεσθαι διεξαγωγῆς.

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Ehrfurcht und Scheu von Gott rede“ (οὐχ ὁσίως οὐδὲ εὐαγῶς ταῦτα περὶ τοῦ θεοῦ θρυλοῦσιν) – also, so möchte ich deuten, sich bei der Darstellung des strafenden Handelns Gottes solcher Bilder bediene, die viel zu handgreiflich, viel zu massiv, viel zu anthropomorph sind. Celsus nutzt diese seine Beobachtung sogleich zu polemischen Zwecken aus, indem er dem Christentum Nähe zum Bacchus- bzw. Dionysos-Kult unterstellt, es also mit einer religiösen Bewegung in Verbindung bringt, die den meisten Zeitgenossen fremd, absonderlich und verdächtig vorkam (eine Taktik, nach der er übrigens des öfteren in seiner Schrift verfährt). Fragen wir abermals nach möglichen Anhalten für die Kritik des Celsus in der christlichen Überlieferung selbst, so wird man in der Tat bei der Durchsicht einschlägiger Texte ausgesprochen massive und handfeste Gerichtsvorstellungen finden, an denen Celsus seine Vorwürfe ohne weiteres hätte belegen können. Abermals sei hingewiesen auf den 2. Clemensbrief, der im 17. Kapitel die entsetzlichen Qualen im unauslöschlichen Feuer (δειναῖς βασάνοις πυρὶ ἀσβέστῳ) in einer offenbar nicht nur heutige Leser unangenehm berührenden Weise schildert (übrigens angelehnt an Formulierungen aus Jes 66,24),21 und der vom Tage des Gerichts spricht, an dem die ganze Welt sei wie Blei, das im Feuer schmilzt.22 In der auf die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts zu datierenden Petrusapokalypse antwortet Jesus auf die Frage nach den Zeichen für seine Wiederkehr mit der Ankündigung von Naturkatastrophen und der detaillierten Schilderung der für jede Sündenart vorgesehenen Höllenstrafen: Nimmerschlafendes Gewürm frisst die Eingeweide der Zornigen, glühende Eisen verbrennen die Augen der Zweifler; diejenigen, die in ihrem Leben auf Reichtum gesetzt haben, erwartet unvergängliche Qual; Lügner und Lästerer werden an ihrer Zunge aufgehängt über nie verlöschendem Feuer, und sie alle sagen: „Gerecht ist das Gericht Gottes; denn wir haben gehört und erkannt, dass gut ist sein Gericht, denn wir werden gestraft nach unserem Tun“.23 In den Oracula Sibyllina, deren zumindest achtes Buch nach der Meinung von A.  Kurfess einige Zeit vor dem Ende des 2. Jhdts. zu datieren ist, heißt es: Jedes Geschöpf auf Erden erwartet den Richttag in Angstschweiß. […] Ohne Erbarmen durchleuchtet der Herr des Herzens Geheimnis. Tausende heulen vor Wut,

1 2Clem. 17,7. 2 22 2Clem. 16,3. – Zur Kommentierung Wengst, 2004, 261 und zum Stellenwert der Ethik in diesem „Brief“ zusammenfassend 233–235. Hier auch das Urteil von Wengst, 2004, 235, dass der 2Clem. sich auch in puncto „Gesetzlichkeit“ am kirchlichen Normalmaß seiner Zeit orientiert zeige. Eben dies scheint aber auch für die dem Gesetz entsprechenden Strafen bzw. die Strafvorstellungen zu gelten! 23 C. Maurer, Offenbarung des Petrus, in: 3NTApo 2 (1964), 468–483. Die einschlägige Stelle Apoc.Petr. 13 findet sich ebd. 480 Maurer.

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man hört das Knirschen der Zähne. […] Lüstern nach menschlichem Fleisch gähnt furchtbar des Tartarus Rachen. […] Schwefliger Dampf, dem Feuer gesellt, ergießt sich vom Himmel. Ein verlässliches Zeichen, ein kenntliches Siegel indessen richtet die Gläubigen auf: das Kreuz, die Säule der Hoffnung; Kraft verleiht es den Frommen, zum Ärgernis dient es den Bösen […].24

Man sieht an diesen wenigen ausgewählten Beispielen, wie sehr der Vorwurf, dass die christlichen Gerichtsvorstellungen „ohne Scheu und Ehrfurcht von Gott reden“ und „über die Strafen nicht die Wahrheit sagen“, aus Sicht des mittelplatonisch-popularphilosophisch gebildeten Christentumskritikers Celsus berechtigt erscheinen musste. Die Darstellung und Ausmalung des Gerichts gegen die Gottlosen ist in einigen christlichen Texten und Milieus derart massiv, dass sich für Celsus ein Vergleich mit den Bacchus- bzw. Dionysos-Mysterien nahe legen musste: Schon Platon lässt die Vertreter des Dionysos-Kultes an die Türen v. a. der Reichen anklopfen und versichern, dass ihre Rituale guttun für die Lebenden, aber auch für die, die bereits gestorben sind; allein die, die an den Ritualen nicht teilnehmen wollten, erwarte nach dem Tode Entsetzliches.25 Zu Anfang des zweiten Jahrhunderts hören wir dann durch Plutarch von schweren Drohgebärden durch die Anhänger Dionysischer Mysterien.26 Natürlich darf man bei alldem die polemische Stoßrichtung des von Celsus gewählten Vergleichs nicht übersehen  – aber andererseits: ein Zusammenhang musste für jeden aus der Außenperspektive Beobachtenden ohne weiteres plausibel erscheinen. Origenes, der – noch einmal sei es gesagt – erst im Abstand von 80 Jahren auf Celsus antwortet, reagiert auf den Vorwurf der Angstmacherei. Er hat aber zunächst Schwierigkeiten beim Versuch einer Einordnung. Er mutmaßt, dass sich dieser Vorwurf wohl nur auf die christliche Lehre von der endgerichtlichen Rechenschaft der Menschen über ihr Tun beziehen könne 24 A. Kurfess, Christliche Sibyllinen, in: 3NTApo 2 (1964), 498–528. Die einschlägige Stelle Or.Sib. 8,217–246 findet sich Kurfess, 1964, 519. 25 Plat., pol. 365a: μὴ θύσαντας δὲ δεινὰ περιμένει. – Vgl. auch Platon, nom. 870d–e: Für alle diese Fälle mag nun dies als Vorrede gelten und außerdem die Lehre, die viele aus dem Munde derer, die sich in den Mysterien mit solchen Dingen ernsthaft befasst haben, zu hören bekommen und daher fest daran glauben: dass die Bestrafung solcher Verbrechen im Hades stattfindet und dass jemand, wenn er in dieses Leben zurückkehrt, die naturgemäße Strafe erleiden muss, die darin besteht, dass er das, was er anderen zugefügt hat, selber erleidet und von der Hand eines anderen durch ein ähnliches Geschick sein neues Leben enden muss. Wer solches nun glaubt, und eine solche Strafe von Herzen fürchtet, für den brauchen wir das diesbezügliche Gesetz nicht anzustimmen, dem Ungehorsamen aber sei folgendes Gesetz schriftlich verkündet: [es folgen die Strafbestimmungen für Mord und Totschlag]. 26 Plut., Cons. ad ux. 611d.

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(ganz sicher ist er sich nicht, wie das „vielleicht“ zeigt, aber er hat natürlich Recht). Dann macht er sich zunächst geschickt die gemeinsame Basis zunutze, die er in diesem Punkt mit Celsus sieht:  Auch jener befürworte ja letztlich die Lehre, dass Gott beim Gericht Rechenschaft über Gut und Böse der menschlichen Taten verlange. Aus diesem Grunde verweist Origenes eigens auf Schrift und Vernunft: nicht nur der Leser und Ausleger der Heiligen Schrift kann sich von der Angemessenheit jener Lehre überzeugen, sondern jeder vernunftbegabte Mensch. Origenes betont die Notwendigkeit der Gerichtsvorstellung, indem er auf den zu erwartenden pädagogischen „Erfolg“, auf die zu erwartende sittliche Besserung der Menschen hinweist. Bis zu diesem Punkt stimmt er zunächst mit der Argumentation eines Justin überein, aber dann sehen wir bei ihm signifikante Unterschiede. Einerseits, wenn Origenes eigens unterstreicht, dass die christliche Eschatologie ja nicht nur im Falle eines lasterhaften Wandels mit zukünftigen Strafen für die Verruchten drohe, sondern im Falle eines tugendhaften Lebens auch mit der Aussicht auf Belohnung für die Guten locke. Des weiteren, und das scheint mir der noch interessantere Punkt zu sein, interpretiert Origenes in seiner Antwort auf Celsus die die Bösen einst erwartende Strafe, indem er sie nicht allein als Bestrafung, sondern auch als mögliches Mittel der Läuterung ansieht: Die christliche Vorstellung vom Endgericht soll nicht einfach den Lasterhaften eine endgültige Verwerfung androhen, sondern es ist doch immerhin möglich, dass die Strafen denen, die sie ereilen, nicht ohne Nutzen sind. Damit betreten wir beim Blick auf die Auseinandersetzung des Origenes mit dem Vorwurf der Angstmacherei eine im Vergleich zu Justin doch völlig andere christliche Welt. Es liegt nahe zu vermuten, dass Origenes’ Gerichtsvorstellungen und die seines Gegners Celsus gar nicht so weit auseinander lagen. Die konkrete und handfeste Vorstellung eines ewigen Höllenfeuers, die dem Christentumskritiker Celsus so anstößig war, dass er darin den Vorwurf der Angstmacherei begründet und das Christentum mit den Bacchischen Mysterien verbunden sah, hat Origenes, wie wir aus vielen seiner Texte wissen, selbst als höchst problematisch empfunden. Für ihn dient das göttliche Feuer nicht der Verdammnis, sondern der Läuterung und Heiligung; es ist immateriell, weil es nur aus unseren Sünden gespeist wird; und es ist ein verständiges Feuer, das den Sünder dazu führt, dass auch er am Ende das Heilsziel erreichen kann.27 Eine ewige Hölle, die vom Gedanken der Gerechtigkeit her gefordert sein mag, kann Origenes aus pädagogischen und

27 Or., princ. II 10, 8. – H. Görgemanns / H. Karpp (eds.), Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien, TzF 24, Darmstadt 31992; Lit.: L. Lies, Origenes’ „Peri Archon“. Eine undogmatische Dogmatik, Darmstadt 1992.

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theologischen Gründen nicht akzeptieren; aus pädagogischen nicht, weil sie letztlich dem erfolgreichen Wirken der παιδεία des Logos widerspricht, und aus theologischen nicht, weil sie der Barmherzigkeit Gottes widerspricht. An dieser Stelle unterscheidet sich Origenes fundamental von Justin und vom gesamten früheren und späteren Denken der Alten Kirche. Er repräsentiert, um eine Formulierung von Norbert Brox aufzunehmen, eine „außenseiterische Eschatologie“,28 die in einigen Passagen von De „principiis“ (2 Mal i!) auf eine Allversöhnungslehre hinausläuft. Mit dieser außenseiterischen Eschatologie zeigt sich Origenes allerdings als einziger der hier zu behandelnden Apologeten willens und in der Lage, den von paganer Seite vorgetragenen Vorwurf der Angstmacherei substantiell zu entkräften – repräsentativ für das junge Christentum der ersten drei Jahrhunderte ist er damit jedoch gerade nicht.

III.  Tertullian, Apologeticum Der letzte Text ist ein Sprung nach Nordafrika. Ich will diesen Text nur knapp interpretieren, weil er zur hier verhandelten Frage nur ergänzend etwas austrägt. Bemerkenswert an ihm ist die besonders profilierte Position des Apologeten Tertullian,29 die sich anhand des hier gewählten Auszugs aus dem Apologeticum wie auch anhand anderer Passagen desselben Textes und anhand weiterer Tertullianschriften ermitteln lässt. Im Apologeticum heißt es: Wenn also das Ende […] da ist, so dass auch die gleichermaßen zeitlich begrenzte Gestalt der Welt sich verwandelt, die jener Ordnung der Ewigkeit wie ein Vorhang vorgespannt ist, dann wird das ganze Menschengeschlecht neu erschaffen werden

28 N. Brox, Mehr als Gerechtigkeit. Die außenseiterischen Eschatologien des Markion und Origenes, in: F. Dünzl / A. Fürst / F.R. Prostmeier (eds.), Das Frühchristentum. Schriften zur Historischen Theologie, Freiburg 2000, 385–403. 29 E. Dekkers (ed.), Tertullian, Apologeticum, in: CChr.SL 1, Turnhout 1954, 85–171; id, Ad nationes, ed. J.G.P. Borleffs, CChr.SL 1, Turnhout 1954, 11–75. – Über Tertullian: H.C. Brennecke, Tertullian, in: F.W. Graf (ed.), Klassiker der Theologie, I. Band: Von Tertullian bis Calvin, München 2005, 28–42; H.-W. Thönnes, Caelestia recogita, et terrena despicies. Altkirchliche Apologetik am Beispiel Tertullians im Vergleich mit modernen Entwürfen, EHS.T 505, Frankfurt 1994; G. Eckert, Orator Christianus. Untersuchungen zur Argumentationskunst in Tertullians Apologeticum, Palingenesia 46, Stuttgart 1993; M.S. Burrows, Christianity in the Roman Forum. Tertullian and the Apologetic Use of History, in: VigChr 27 (1988) 209–234; R. Bélanger, Le plaidoyer de Tertullien pour la liberté religieuse, SR 14 (1985), 281–291; J.-M. Vermander, La polémique de Tertullien contre les Dieux du paganisme, in: RevSR 53 (1979), 111–123; L.J. Swift, Forensic Rhetoric in Tertullian’s Apologeticum, in: Latomus 27 (1968) 864–877; P. Keresztes, Tertullian’s Apologeticus. A Historical and Literary Study, in: Latomus 25 (1966), 124–133.

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zur Abrechnung darüber, was es in dieser Welt Gutes oder Böses verübt hat, und dafür wird es dann einzustehen haben für die ganze unermessliche Dauer der Ewigkeit. Darum gibt es auch keinen abermaligen Tod mehr und keine abermals stattfindende Auferstehung, sondern wir werden dieselben sein, die wir jetzt sind und nicht danach andere: die Diener Gottes ständig bei Gott, überkleidet mit der Substanz, die der Ewigkeit eigen ist, die Ungläubigen aber und die, die nicht makellos vor Gott stehen, in der Pein des gleichermaßen ewigen Feuers […] Das also ist es, was man nur bei uns Wahnideen nennt, bei den Philosophen und Dichtern aber höchste Erkenntnisse und glänzende Einfälle. Sie sind klug, wir albern. Sie verdienen Ehre, wir Spott, nein, mehr noch: Strafe. Gesetzt nun, was wir vertreten, wäre falsch und wirklich nur eine Wahnidee, so doch notwendig, und wenn albern, so doch nützlich, da ja durch die Furcht vor der ewigen Strafe und die Hoffnung auf die ewige Erquickung diejenigen besser werden müssen, die daran glauben: dann hilft es nicht, wenn man etwas als falsch bezeichnet oder für albern erklärt, was hilft, wenn man es als wahr hinnimmt. Überhaupt darf mit keiner Begründung etwas verurteilt werden, das Nutzen stiftet. Einer Wahnidee begegnen wir deshalb bei euch: eben dieser, die verurteilt, was nützlich ist.30

Es ist zunächst nicht ganz leicht, die Gegner, mit denen Tertullian sich auseinandersetzt, näher zu identifizieren; das gesamte Apologeticum scheint sich eher gegen ein Sammelsurium aus Vorwürfen gegen die Christen zu richten als gegen die konkrete Position einer bestimmten gegnerischen Person oder Gruppe. Der etwas weitere Zusammenhang des hier gewählten Textauszuges zeigt, dass es zunächst um einen Vergleich christlicher Eschatologie mit analogen Vorstellungen unter „Dichtern und Philosophen“ geht.31 Tertullians Gegnerschaft bezichtigt einerseits die Christen des Plagiatentums, indem sie auf das Vorhandensein vergleichbarer Ideen bei „Philosophen und Dichtern“ hinweist. Sie greift aber andererseits die christlichen Gerichtsvorstellungen an, insofern deren konkrete Ausgestaltungen als Wahnideen bezeichnet 30 Tert., apol. 48,12–49,2 (CChr.SL 1,167,76–168,11; Dekkers): Cum ergo finis […] affuerit, ut etiam ipsius mundi species transferatur aeque temporalis, quae illi dispositioni aeternitatis aulaei uice oppansa est, tunc restituetur omne hominum genus ad expungendum, quod in isto aevo boni seu mali meruit, et exinde pendendum in immensam aeternitatis perpetuitatem. Deo nec mors iam rursus, ac rursus resurrectio, sed erimus iidem qui nunc, nec alii post, Dei quidem cultores apud Deum semper, superinduti substantia propria aeternitatis; profani uero et qui non integre ad Deum, in poena aeque iugis ignis […] Haec sunt, quae in nobis solis praesumptiones uocantur, in philosophis et poetis summae scientiae et insignia ingenia. Illi prudentes, nos inepti; illi honorandi, nos irridendi, immo eo amplius et puniendi. Falsa nunc sint quae tuemur et merito praesumptio, attamen necessaria; inepta, attamen utilia: siquidem meliores fieri coguntur qui eis credunt, metu aeterni supplicii et spe aeterni refrigerii. Itaque non expedit falsa dici nec inepta haberi, quae expedit uera praesumi. Proinde nullo titulo damnari licet omnio quae prosunt. In uobis itaque praesumptio est haec ipsa, quae damnat utilia. 31 Tert., apol. 47,12–14.

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werden. Die christlichen Vorstellungen vom „Einstehen für das Böse für die ganze unermessliche Dauer der Ewigkeit“ und von der „Pein des gleichermaßen ewigen Feuers“ werden als „albern“ (ineptus) angesehen. Bei aller gebotenen methodischen Vorsicht wären damit die Gegner Tertullians von der Argumentationslinie her in nicht allzu großer Entfernung von Celsus anzusiedeln. Tertullian reagiert folgendermaßen:  Hinsichtlich des Plagiatsvorwurfs akzeptiert er zunächst die Ähnlichkeit der Vorstellungen (vergleichend nennt er den Totenfluss Pyriphlegethon und die Elysischen Gefilde)32, gibt aber in der Frage nach der Urheberschaft den Vorwurf des Plagiatentums zurück. Er bemüht sich um den Erweis des höheren Alters der christlichen Variante im Sinne des klassischen Beweises presbyteron – kreitton. Hinsichtlich der konkreten christlichen Endgerichtsvorstellung, die von den Gegnern als lächerlich angesehen wird, wie der Schluss des abgedruckten Passus zeigt, reagiert Tertullian mit einem interessanten Verfahren: Selbst wenn das Christentum an dieser Stelle eine Wahnidee vertreten würde, sagt er, dann wäre die christliche Auffassung, weil sie faktisch eine Besserung der Menschen bewirkt, immer noch derart nützlich, dass ihre Ablehnung in viel höherem Maße als Wahnidee bezeichnet werden müsste als die (noch so falsche) Auffassung selbst. Die pädagogische Zweckbestimmung der endgerichtlichen Bestrafung ist für Tertullian letztlich wichtiger als die Frage nach ihrer Wahrheit oder Verkehrtheit. Daraus ist nicht zu folgern, dass er die Möglichkeit, die christlichen Gerichtsvorstellungen seien falsch, wirklich erwogen hätte. Aber es fällt hier und auch sonst im Apologeticum auf, wie sehr er ihren pä­dagogischen Wert in den Vordergrund stellt: Er zählt die Angst vor Gottes Gericht ganz selbstverständlich zum Grundwissen der menschlichen Seele33 und hält sie für einen völlig legitimen, ja eigentlich sogar den besten denkbaren Grund, sich der christlichen Lehre und Disziplin zuzuwenden,34 und er unterstreicht die missionarische Wirkung der Angst vor dem Gericht in besonderem Maße. Da der Gedanke des Gerichts der eigentliche Horizont seines gesamten Denkens und Argumentierens ist, macht Tertullian, anders als nach ihm Origenes, keinerlei Anstalten, diesen Vorwurf substantiell zu entkräften. Er bestätigt damit indirekt die gegnerischen Einwände und befindet sich hiermit inhaltlich in einiger Nähe zu Justin. Der Versuch, sich von Vergleichungen des Christentums mit verwandten oder scheinbar verwandten eschatologischen Vorstellungen, namentlich solchen in den Mysterienkulten, inhaltlich abzugrenzen, wie wir ihn bei Origenes wahrnahmen, spielt

2 Tert., apol. 47,12f. 3 33 Tert., apol. 17,6. 34 Tert., apol. 45,7.

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bei Tertullian keine Rolle; er versucht vielmehr zu zeigen, dass in Wahrheit die Heilsgeheimnisse des Christentums Vorbild für alle anderen Vorstellungen gewesen seien.

IV.  Schlussthesen Was kann man aus den drei besprochenen Texten abschließend und zusammenfassend über die christliche Eschatologie in Selbst- und Fremdwahrnehmung, über ihr Verhältnis zu zeitgenössischen paganen Gerichtsvorstellungen und schließlich über den Anteil der eschatologischen Vorstellungen am erstaunlichen missionarischen Erfolg des jungen Christentums entnehmen? Ich möchte die folgenden sechs Thesen vertreten: 1. Der Vorwurf der Angstmacherei gegen das junge Christentum scheint zunächst in stoisch-kynischem philosophischem Milieu aufgetreten zu sein, findet sich aber schon bald auch bei anderen Kritikern des Christentums wie bei dem mittelplatonisch-popularphilosophisch gebildeten Celsus oder den für uns nur schwer genauer zu identifizierenden Gegnern Tertullians. Dabei ist die Wahrnehmung der Straf- und Gerichtsvorstellungen im Christentum durch die pagane Gegnerschaft im Wesentlichen zutreffend; sie wird aus christlichen Quellen im Grunde bestätigt. In der Kritik am Christentum zu diesem Punkte besteht Einigkeit, wenn auch die Akzente je nach Diskussionslage etwas anders gesetzt werden, zum Beispiel darin, dass Crescens den pädagogischen Wert des Straf- und Lohndenkens offensichtlich grundsätzlich ablehnt, während Celsus ihn nicht ignorieren will, aber seine Ausprägung bei den Christen für absonderlich und eben auch für beängstigend hält, während wiederum die Gegner Tertullians die Albernheit und Lächerlichkeit der christlichen Gedanken unterstreichen. In jedem Falle aber kann man als erste These festhalten, dass das junge Christentum mit seinen Vorstellungen von der endgerichtlichen Bestrafung der Bösen in der so vielschichtigen und bunten paganen Umwelt des 2.  Jahrhunderts ziemlich einmütig als eine angstmachende Religion angesehen worden ist. 2. Die christliche Apologetik reagiert auf den Vorwurf der Angstmacherei in höchst unterschiedlicher Weise. Während Justin und Tertullian den Vorwurf in einen Pluspunkt zu verwandeln suchen und v.  a. den pädagogischen Wert der Gerichtsangst unterstreichen, sieht man bei Origenes, wie er den Vorwurf der Angstmacherei zu entkräften sucht, indem er sich erstens auf die gemeinsame Basis der grundsätzlichen Anerkennung einer Straf- bzw. Lohnvorstellung beruft, zweitens den der angstmachenden Strafe analogen Aspekt der Belohnung besonders zur Sprache bringt und drittens in der Vorstellung des eschatologischen Strafgeschehens den

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Gesichtspunkt der Läuterung stark zu machen versucht. Mithin eröffnen sich bei Durchsicht der Texte durchaus sehr unterschiedliche Ausrichtungen christlicher Eschatologie bei den führenden Gestalten christlicher Apologetik, die sich in unterschiedlichen Reaktionen auf den Angstmacherei-Vorwurf konkretisieren. 3. Dass zumindest in einigen Milieus des jungen Christentums angstbesetzte Gerichtsvorstellungen die pädagogische Basis christlicher Ethik waren, wird aus christlichen wie paganen Quellen der Zeit bestätigt. Selbst der hinsichtlich eschatologischer Strafvorstellungen zurückhaltende Origenes weist ja auf den pädagogischen Wert dieses Denkens hin. Die pagane Kritik scheint dabei zu zeigen, dass sich das junge Christentum mit dieser Art Pädagogik von Teilen seiner Umwelt erkennbar unterschied und dass dieser Unterschied von führenden Denkern der antiken philosophischen Traditionen wahrgenommen und negativ qualifiziert wurde. 4. Die von den Kritikern des Christentums als angstmachend wahrgenommene Ausrichtung christlicher Eschatologie gründet letztlich in der christlichen Gottesauffassung eines beobachtenden, eingreifenden, richtenden und strafenden Gottes und dessen Funktion für die „Erziehung des Menschengeschlechts“ – einer Gottesauffassung, die fundamental unterschieden ist von der stoischen (in unseren Texten durch Crescens repräsentierten) und die zumindest hinsichtlich ihrer Massivität deutlich unterschieden ist von der mittelplatonischen (in unseren Texten von Celsus vertretenen). 5. Pagane wie christliche Quellen bestätigen übereinstimmend, dass angstbesetzte Gerichtsvorstellungen zum missionarischen Erfolg des jungen Christentums durchaus mit beigetragen haben. Das bedeutet, dass beim Thema „Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten Jahrhunderten“ unseren Darstellungen der Kirchengeschichte ein kleineres Kapitel, mindestens aber eine längere Fußnote hinzuzufügen wäre, die die bisher in der Forschung zu diesem Fragenkreis gewürdigten Aspekte um den hier erarbeiteten Befund ergänzt. 6. Es fällt auf, dass die christliche Apologetik  – zumindest was den hier besprochenen Gesichtspunkt angeht – in ihrer Reaktion auf die pagane Polemik ihre christliche Position inhaltlich nicht verändert. Justin und Tertullian halten an ihren Vorstellungen zur Eschatologie in Auseinandersetzung mit der paganen Kritik ebenso invariabel fest wie Origenes an den seinen, freilich von Justin und Tertullian theologisch unterschiedenen. Das ist mir deswegen wichtig, weil sich hier  – freilich zunächst nur an einem einzelnen Punkt – ein oft erhobener Vorwurf gegen die Apologeten als unzutreffend erweist, nämlich der Vorwurf, die Apologetik der frühen Zeit biete nur ein reduziertes, ermäßigtes, auf die Erfordernisse der jeweiligen Gesprächslage zugeschnittenes oder zurechtgebogenes Christentum.

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Epilog oder: der Schluss nach dem Schluss Das Phänomen des Angstmachereivorwurfs gegen das Christentum besteht über die von uns hier betrachtete Zeit hinaus fort. Aus der Fülle des Materials sei nur ein einziges Beispiel genannt:  Um das Jahr 280 bezieht sich Porphyrius, der wohl gebildetste aller Christentumskritiker der frühen Zeit, auf Apg 5, wenn er die christliche Gemeinde und insbesondere Petrus der Ermordung von Hananias und Saphira bezichtigt35  – das Christentum, so Porphyrius, setze seine ethischen Maßstäbe mit Brutalität und Ungerechtigkeit durch (gemeint ist die Unverhältnismäßigkeit der Strafe). Rund 100 Jahre später reagiert Hieronymus genau hierauf: Die Einwendungen des Porphyrius seien absurd, denn nicht Petrus hätte die beiden getötet, sondern Gott selbst – auffällig wie in den anderen zuvor behandelten und wie in vielen der hier nicht behandelten Texte ist auch hier abermals der pädagogische Impetus christlicher Gerichtsvorstellung. Hieronymus schreibt ep.  130:36 „Petrus der Apostel hat nicht den Tod auf Hananias und Saphira herabgerufen, wie der törichte Philosoph [Porphyrius] sagt, sondern Petrus kündigt (nur) mit prophetischem Geist das Urteil Gottes an, damit die Strafe, die (hier) zwei Menschen traf, zur Lehre für viele werde […]“.

35 A. von Harnack (ed.), Porphyrius, „Gegen die Christen“. 15 Bücher. Zeugnisse, Fragmente und Referate, APAW.PH 1916/1, Berlin 1916, 55. – Siehe auch id., Neue Fragmente des Werks des Porphyrius gegen die Christen. Die Pseudo-Polycarpiana und die Schrift des Rhetors Pacatus gegen Porphyrius, in: SPAW.PH 1921/1 (Berlin 1921), 266–284 und 834f. 36 Hier., epist. 130 (CSEL 56, Wien 1918, 194,15–18 Hilberg): denique et apostolus Petrus nequaquam inprecatur eis mortem, ut stultus philosophus calumniatur, sed dei iudicium prophetico spiritu adnuntiat, ut poena duorum hominum sit doctrina multorum.

The Reception of Greek Christian Apologetics in Theodoretus’ Graecarum affectionum curatio* This final contribution to the workshop on “Changes and Continuities in Christian Apologetics” will deal with the question of how the arguments, ideas, and literary material from earlier apologetic texts were received in the later. This means that we enter the field of “reception”.1 A closer look at the issue of “reception” may help us to say more about continuity and discontinuity in the genre of apologetics and in apologetic thinking.2 An obvious example for such an attempt is the apologetic work of Theodoretus of Cyrus.3 Theodoret is rightly regarded as one of the most important apologists of the fifth century, at least in the East. I intend to analyse his apologetic technique (which implies the use he makes of his sources), and I will ask why he argues the way he does under the specific circumstances of his time and of his apologetic situation. Finally, I will say something about changes and continuities in Christian apologetics in general.

* First published in: J. Ulrich / A.-C. Jacobsen / M. Kahlos (eds.), Continuity and Discontinuity in Early Christian Apologetics, ECCA 5, Frankfurt 2009, 113–130. 1 Recent discussion on the subject can be found in D. Brakke / A.-C. Jacobsen / J. Ulrich (eds.), Beyond Reception. Mutual Influences between Antique Religion, Judaism, and Early Christianity, ECCA 1, Frankfurt 2006. 2 Recent discussion on apologetics in general can be found in A. WIosok / F. Paschoud (eds.), L’apologétique chrétienne gréco-latine à l’époque prénicénienne, EnAC 51, Genève 2004; J.W. Hargis, Against the Christians. The Rise of Early Anti-Christian Polemic, New York 22001; M. Edwards / M. Goodman / S. Price / C. Rowland (eds.), Apologetics in the Roman Empire. Pagans, Jews and Christians. Oxford 1999; R. Haehling (ed.), Rom und das himmlische Jerusalem. Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung, Darmstadt 2000. 3 I. Pásztori-Kupán, Theodoret of Cyrus, London 2006; S.-P. Bergjan, Theodoret von Cyrus (Kyrrhos), in: 4RGG 8 (2005), 243f.; P. Bruns, Theodoret von Cyrus, in: 3LACL (2002), 683–685; T. Urbainczyk, Theodoret of Cyrrhus. The Bishop and the Holy Man, Ann Arbor 2002; J.-N. Guinot, Theodoret von Kyrrhos, in: TRE 33 (2002), 250–254; id., Foi et raison dans la démarche apologétique d’Eusèbe et de Théodoret, in: B. Pouderon / J. Doré (eds.), Les Apologistes chrétiens et la culture greque, Paris 1998, 383–402; Y. Azéma, Théodoret de Cyr, in: DSp 15 (1991), 418–435; P. Canivet, Histoire d’une enterprise apologétique au V siècle, Paris 1958; the careful study of J. Schulte, Theodoret von Cyrus als Apologet, Wien 1904, is more than a hundred years old, but still important.

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Descending to Theodoretus, I will restrict myself to his major apologetic text Graecarum affectionum curatio [CPG  6210].4 Theodoret has written other apologetic texts, of which some have survived (De providentia orationes x [CPG 6211]) and others have not (Ad quaesita magorum [CPG 6213]). The latter text probably was a literary response to a persecution of Christians in the Persian neighbourhood of Theodoretus’ bishop town Cyros. But, as I said, I will restrict myself to the Curatio here. The Curatio probably dates from the twenties of the fifth century.5 The text follows the tradition of what I  elsewhere have called apologetic summae.6 Evident examples of these apologetic summae are the great and somewhat terrifying apologetic double work of Eusebius of Caesarea, Praeparatio and Demonstratio evangelica,7 moreover Contra gentes / De incarnatione of Athanasius,8 and finally, and in the West, Augustine’s De civitate Dei.9 A forerunner of these apologetic summae may be seen in the 4 P. Canivet (ed.), Théodoret. Thérapeutique des maladies helléniques, SC 57, Paris 2 2001 (critical text and French translation); C.B. Müller, Theodoret. Die Behand­ lung der Griechischen Krankheit, Santiago de Compostela 2006 (German translation); a full modern translation into English does not yet exist; Pásztori-Kupán, 2006, 86–108, gives an English translation of the preface and the first book. 5 There are different proposals in scholarly debate, for the discussion see L. Köster, Zur Datierung von Theodorets Hellēnikōn therapeutikē pathēmatōn, in: ZKTh 30 (1906), 349–356; Canivet (ed.), 22001, 28–31 and Pásztori-Kupán, 2006, 85f. I regard it most likely that the Curatio was written before the Council of Ephesus (431), because it does not mention the christological controversy anywhere in which Theodoretus became deeply involved (Bruns, 32002, 683; Urbainczyk, 2002, 23–28). There is an allusion in the Expositio rectae fidei to his books written “against Jews and Greeks” which might refer to the Curatio – this could be an argument for the time before 431, too. However, I do not find it convincing to date the Curatio to the time even before Theodoret’s consecration as a bishop in Cyrus (423), as Pásztori-Kupán, 2006, 6. 86, does: The work breathes some obvious experience in intellectual controversy. 6 J. Ulrich, Wie verteidigte Euseb das Christentum? Eine Übersicht über die apologetischen Schriften und die apologetische Methode Eusebs von Caesarea, in: A.-C. Jacobsen / J. Ulrich (eds.), Three Greek Apologists. Origen. Eusebius, and Athanasius. Drei griechische Apologeten. Origenes, Eusebius und Athanasius, ECCA 3, Frankfurt 2007, 49–74 (56). 7 J. Ulrich, Euseb von Caesarea und die Juden. Studien zur Rolle der Juden in der Theologie des Eusebius von Caesarea, PTS 49, Berlin 1999, 49–74. 8 U. Heil, Athanasius als Apologet des Christentums. Einleitungsfragen zum Doppelwerk Contra gentes / De incarnatione, in: Jacobsen / Ulrich (eds.), 2007, 159– 187. 9 C. Tornau, Zwischen Rhetorik und Philosophie. Augustins Argumentationstechnik in De Civitate Dei und ihr bildungsgeschichtlicher Hintergrund, UALG 82, Berlin 2006.

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Stromateis of Clement of Alexandria. All these texts aim at proving the dignity, the age, the philosophical quality, the high ethical standard, and, all in all, the truth of Christianity by permanent comparison to pagan philosophy and pagan cults  – and sometimes to Jewish theology and cult, as it is the case in Eusebius’ Demonstratio. The great time of these apologetic summae in history is the time after the great persecutions (after 311). The Christian church and the Christian authors claim universal validity of Christianity truth by presenting a universal arsenal of texts and arguments – and they do that at a time when Christianity is substantially supported by the authorities of the Roman Empire. Apologetic summae mirror on the literary level what contemporaneously goes on in politics. By the time of Theodoretus this processes had come to a relative end. The history of the fourth century had developed in the way we all know: people had to face what some would call the victory of Christianity and what others would describe as one of the most deplorable accidents in history ever. By the time of Theodoretus Christianity had become the leading and most influential religious-philosophical system in the Roman Empire and in its society.10 This was doubtlessly the case in the East, and it was also true for the more complicated situation in the West where the Migration Period had just begun. One could assume that there was no more actual reason to write apologetic summae any more,11 simply because there were not too many left who needed to become persuaded. Most of the people, including many of the upper-class intellectuals, were Christians already or were on their way to become some. But nevertheless, in the twenties of the fifth century Theodoret wrote another “classical” apologetic summa. This work, the Cure for Greek Maladies, is in many respects similar to Eusebius’ Praeparatio, apart from the fact that it is some 110 years younger than it. In recent scholarship on Theodoret, the Curatio turns out to be one of his more neglected works.12 In fact it does seem somewhat anachronistic. It has been said that it lacks originality,13 which in fact it does, and the Curatio 10 Theodoret was fully aware of that: Thdt., affect. 9.28f. – There was a vivid debate in the fifth century about the legitimicy of the expansion of Christianity, see Y. Papadogiannakis, ‘Therapeia’ and ‘politeia’. The Apologetics of Theodoret of Cyrrhus Against the Greeks, PhD thesis, Princeton 2004, 46–89. 11 In this respect Aug., civ., must be regarded as an exception, because it responds to a concrete historical event, namely the sack of Rome in the year of 410. Augustine tends to refute pagan criticism which claimed that the Christian Cod had failed to protect the Roman empire and the city of Rome. 12 Urbainczyk, 2002, mentions it only casually; Pásztori-Kupán, 2006, pays a little more attention to it. 13 Discussion in Canivet, 1958, 31–46. Canivet rightly claims that the originality of the work lies in its particular plan and configuration.

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takes so many elements from the Praeparatio that there is little idea why it was written at all. Can we tell why Theodoret wrote it and why he composed it the way he did? Do we know anything about the opponents he was writing against? Can we, by reading the Curatio, say a little more about Christian-pagan controversies in the first half of the fifth century? Luckily, Theodoret himself says a few things about these questions. In the introduction he says that “in his own experience” it happened that the “adepts of Greek fairy-tales” – as he calls them – mocked the Christian faith.14 This hints towards concrete pagan criticism of Christianity that Theodoret thought he should deal with. Several times in the Curatio Theodoret says that his opponents were not very many any more,15 but even if there were only a few, one should not forsake them or neglect their being destroyed by the torment.16 He wants to heal these few people from their affliction and save them. He wants them to have a part in the ray of (Christian) truth.17 The “classical” aim of defence in apologetic argument is still alive,18 and Theodoret wants to protect those Christians who feel irritated by the arguments of their pagan opponents,19 but the major idea is to make the “rest” of the pagan people become Christians. That sounds like finishing a task that had been pursued for a very long time already. The opponents mentioned by Theodoret obviously had some knowledge about Greek philosophy,20 they had obviously no or little political influence 14 Thdt, affect., praef. 1:  “I have often come across convinced adepts of Greek mythology who mock our faith under the pretext that we do not say anything else to those whom we instruct in divine things, but merely command them to believe.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 86). 15 Thdt., affect. 9.28; 12.95. 16 For example Thdt., affect. 1.6: “Since even if there are very few enslaved to an affliction, like some dense sediment which cannot pass through the holes of the filter because of its thickness, nevertheless, one should not forsake them or neglect their being destroyed by the torment.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 89). 17 Thdt., affect. 12.98. 18 Thdt., affect., praef. 2: “As for me, I shall explain to them what is necessary to dissolve their accusations.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 86). 19 Thdt., affect., praef. 2: “Nevertheless, I thought that it would be unholy and impious to disregard their victims, i.e. the simple people” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 86). 20 Thdt., affect. 1.9: “Before everything else, let us heal the affliction of conceit. It is evident that some who are acquainted with the writings of poets and orators or even have tasted Plato’s eloquence, despise the dive oracles as totally lacking the ornaments of fine style, and disdaine being taught by fishermen the truth concerning the One Who Is.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 90). Also Thdt., affect. 1.11: “And this conceit can be found among people who have not even reached the summit of Greek philosophy, but, so to speak, have lightly tasted a few morsels

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(at least Theodoret does not complain anywhere that they had some), and they held views against Christianity that came from a long tradition of pagan criticism against the Christian religion.21 They used and drew upon Porphyr and his kata Christianon logoi,22 a text that was well-known and widely used in anti-Christian literature of the fourth and fifth century. They also used and rested upon Julian Apostata and his work Against the Christians from the middle of the fourth century.23 50 or even 70 years after Contra Galilaeos, this work still evoked refutations from the Christian side: Cyrill of Alexandria, in the preface of his Contra Iulianum24 says that these books of Julian were read in his time (Contra Iulianum was written around 435),25 and that was why he wrote an apology against them. Other Christian refuta­ tions against Julian by that time were written by Philippus of Side26 and others. Theodoret’s Curatio, however, is not to be understood as a direct refutation of Contra Galilaeos, at least there are no allusions to it. But never­ theless there was still a certain intellectual milieu in places like Alexandria, Antioch, and in Syria, where people appreciated and still used the arguments of Porphyr and Julian against Christianity. There were pagan intellectuals, historians, philosophers, teachers, who still fought their battle against Christianity, sometimes even successfully at least by irritating the more simple people in the Christian community.27 That is the reason why Theodoretus puts up a set of Christian counter-arguments – he wants to heal these people and he wants to avoid that Christians who were already cured from the “Greek sicknesses” become ill again. His aim is exactly the same as it was in Eusebius’ apologetic effort more than a hundred years ago.28 If this is correct, we have a good explanation for the phenomenon that we find only

with their lips and have begged from here and there some pretty ideas.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 90). 21 For this tradition see J.W. Hargis, Against the Christians. The Rise of Early Anti-Christian Polemic, New York 22001. 22 R.J. Hoffmann, Porphyry’s Against the Christians. The Literary Remains, Amherst 1994; P.F. Beatrice, Porphyrius, in: TRE 27 (1997), 54–59 (56); B. Croke, The Era of Porphyry’s Anti-Christian Polemic, in: JRH 13 (1984), 1–14; A. Meredith, Porphyry and Julian against the Christians, in: ANRW II 23,2 (1980), 1119–1149. 23 E. Masaracchia (ed.), Julian. Contra Galilaeos, Testi e commenti 9, Rom 1990; P. Athanassiadi, Julian. An Intellectual Biography, London 1992. 24 P. Burguière / P.  Évieux (eds.), Cyrill d’Alexandrie, Contre Julien I, SC 322, Paris 1985. 25 G. Münch-Labacher, Cyrill von Alexandrien, in: 3LACL (2002), 174–178 (176). 26 Socr., h.e. 7.27. 27 Thdt., affect., praef. 2 (see footnote 19). 28 Eus., p.e. 1.1,11–13.

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very few new ideas in Theodoretus’ Curatio and that his text is more a large collection of florilegia. I will come back to that issue later. In the preface of his work, Theodoret mentions three major points of pagan criticism. What his opponents actually aimed at the following issues: a. trusting in God (“faith”) is the only theological / philosophical “idea” in Christianity; Christianity prefers “faith” to “knowledge”.29 b. the apostles were unlearned, uneloquent, and ignorant, and they were Barbarians.30 c. the Christians worship martyrs and seek help from their martyrs, which is ridiculous.31 Moreover, Theodoret says, they have brought up a number of other things that he will deal with, too.32 The aim is to falsify all these accusations. But Theodoretus’ programme of “healing the Greek maladies” is not meant as a general denegation of the Greek intellectual tradition. Theodoret gives a second title to his work. It is called “knowledge of evangelical truth from (in Greek: ἐξ) Greek philosophy”.33 Istvan Pásztori-Kupán has proposed to translate “knowledge of evangelical truth {apart} from Greek philosophy”,34 but that seems to mislead us a bit. Theodoret wants to prove the truth of Christianity from Greek pagan philosophical sources. The Greek tradition itself, if understood rightly, can become a source for the knowledge of Christian truth. Theodoretus’ subtitle exactly reminds of what Eusebius had done in his Praeparatio evangelica some 110 years before,35 namely to prove the truth of Christianity for non-Christian Greek people from the sources of Greek philosophy. Theodoret follows that plan quite closely. Often he underlines his argument by quoting distinguished philosophers such as Plato.36 Occasionally he proves the Christian truth from the Greek 9 Thdt., affect., praef. 1 (see footnote 14). 2 30 Thdt., affect., praef. 1: “They accuse the apostles of ignorance, labelling them barbarians, because they do not have the subtlety of eloquence.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 86). 31 Thdt., affect., praef. 1: “They say that the cult of martyrs is ridiculous, considering it completely absurd for the living to seek assistance from the dead.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 86). 32 Thdt., affect., praef. 1: “They have added some other similar objections which this book will present.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 86). 33 Thdt., affect., praef. 16. 34 See Pásztori-Kupán, 2006, 88 no. 8. 35 Eus., p.e. 1.5. 36 In Thdt., affect. 6.42–48 he underlines his theory of providence by Plato. In Thdt., affect. 7.36–42 he proves his polemic against sacrifices by Porphyr. In Thdt., affect. 8.42–47 he underlines the legitimacy of martyr cult by refering to Plato. In Thdt., affect. 11.17–27 he refers again to Plato when he unfolds his idea of the last judgement.

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philosophy in comparison with the bible. Actually in some of the twelve books of the Curatio he argues exclusively from pagan sources, and in others such as 2, 5, 9, 10, 11, 12 from a comparison between pagan sources and biblical ones. These comparisons also enable him to tell the difference between “good” pagan philosophy and “bad” pagan philosophy.37 Now to the content of the main part of the Curatio! The following table of content may show what these twelve chapters actually deal with and how Theodoret organizes his text. We may compare that to the three major points Theodoret had announced to deal with in his praefatio: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

On the faith – [that clearly is a response to accusation a) from the preface] On the first principle On angels and demons On the matter (Greek: ὕλη) and the world On human nature On godly providence On the “sense” [= uselessness] of the sacrifices On martyrs and on the worship of martyrs – [that clearly is a response to accusation c) from the preface] 9. On Greek and Christian laws – [in this chapter the accusation b) from the preface plays a certain role, though not the only one] 10. On true and false predictions 11. On virtues (theoretically) 12. On virtues (practically) Theodoret works with a concept of antithesis. He wants to gain “knowledge of evangelical truth from Greek philosophy” and to use “both the testimonies of Plato and of other philosophers”.38 The Greek philosophical tradition, especially the platonic one, serves as a proof for the Christian truth. But Theodoret does not only think in a model of continuity. He clearly rejects those parts of the pagan tradition that do not resemble the Christian doctrines and faith. Theodoret is interested in both the continuity between parts of pagan philosophy and Christian doctrine and life, and also in the

37 For example, the general idea of the last judgement in Plato is good (Thdt., affect. 11.17–24), but some particular aspects in Plato’s conception are wrong (Thdt., affect. 11.33). 38 Thdt., affect., praef. 3: “I have divided my treatise into twelve discourses and given a plain character to my style, because I assume that this is useful for teaching. Besides, using both the testimonies of Plato and other philosophers, my style should not completely diverge from, but possess some likeness to theirs.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 87).

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discontinuity between the poor aspects of pagan philosophy and the bright Christian truth.39 The Curatio claims to be the work of a learned man.40 If you want to prove that you are learned, you should show yourself familiar with important thinkers and what they have said. That is exactly what Theodoret does. He quotes 105 different pagan philosophers, historians, poets and other eminent writers. We have about 340 quotes of these authors.41 Sometimes Theodoret mentions the title of the work where the particular quote can be found. Theodoretus wants to give the impression that he knows all these writers from his own reading and that he knows all their texts himself. Sometimes he says: “I don’t want to quote everything here”42 presupposing that he knows the whole text and would be able to quote it (in this case Plato, Phaedon). He wants to outmatch his opponents, who have only lightly tasted a few morsels with their lips43 and have received only very little of the full truth. However, if we take a closer look at the quotes in Theodoret, we find that little of that is true.44 As has been often observed in scholarship,45 Theodoret takes the vast majority of his quotes from Christian texts which had quoted these pagan sources before. Theodoret’s “real” sources are Clement of Alexan­dria, Stromateis, and Eusebius of Caesarea, Praeparatio evangelica.46 We have 175 quotes from the Praeparatio evangelica and we have about 80 quotes from the Stromateis, most of them quoting pagan authorities. Theodoretus’ 39 Thdt., affect., praef. 9: “The account of God and of those made by God has to be followed by this chapter, which refutes the atheism of Diagoras, the blasphemy of Epicurus, the small-minded thoughts of Aristotle concerning providence, and which commends the doctrines about providence of Plato, of Plotinus and of all who are of the same mind as these.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 87). 40 This can be gathered from the huge amount of quotes in the text that deliberately raises the impression of learnedness and of a great sovereignity in dealing with the sources. 41 Cf. the Index des citations scripturaires and the Index des citations d’auteurs anciens in Canivet, 22001, 447–450 and 451–466. 42 Thdt., affect. 11.12; 11.36. 43 Thdt., affect. 1.11 (see footnote 20). 44 Schulte, 1904, 52, sums up: “In dem Maße, wie er es offenbar beansprucht, kann jedoch Theodoret als Kenner der griechischen Philosophie nicht anerkannt werden. Steht es doch fest, daß das scheinbar aus heidnischen Schriftstellern gesammelte Material zum weitaus größten Teile aus christlichen Autoren stammt.“ This verdict may be right as far as the literary level is concerned, but it ignores that, as I will show below, in Theodoretus’ time it was absolutely common to use anthologies instead of primary sources. Therefore it is a little anachronistic to value the use of anthologies as lack of knowledge of Greek philosophy. 45 Cf. Canivet, 22001, 57f.; Schulte, 1904, 53–61. 46 K. Roos, De Theodoreto Clementis et Eusebii compilatore. Diss. Halle 1883.

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quotes from Platon and others often appear even in the same order as they do in Clement and in Eusebius.47 Theodoret never gives the source of his quote when this information is missing in Clement and Eusebius. Occasionally he takes some free paraphrases of Platon by Clement and Eusebius as an original platonic quote.48 And when Clement and Eusebius have an error in their quote of any pagan authority, Theodoret normally will have the same error as well – which does not mean that he did not happen to add a number of “own” errors to the ones he copied from Clement and Eusebius.49 There are a few exceptions to that general observation:50 in some titles of pagan texts quoted by Eusebius Theodoret quotes that title and adds a subtitle that is not found in Eusebius; and sometimes he attributes authors to quotes who are not mentioned by Eusebius in that particular quote. One could assume these and other examples indicate at least a little knowledge of the original texts;51 but some scholars say that Theodoret possibly worked with improved editions of Clement’s and Eusebius’ apologies – improved editions (probably with notes in the margin) that we today do not have any more.52 There have been attempts to prove that Theodoret used more and other Christian sources for his pagan quotes than the two we have mentioned (e.g. Justin, Theophil, Origen, Gregory of Nazianz or Pseudo-Justin’s Cohortatio ad Graecos), but all these attempts have not exceeded the level of learned speculation.53 However, there is a third source that Theodoret used for his 340 quotes from 105 authors, which is easy to identify: it is a pagan source, the work of a Peripatetic named Aëtius who lived in the second century C.E. Aëtius had produced a compilation of important sentences of doctrine by famous philosophers (De placitis); Theodoret used that compilation for his Curatio extensively.54 He mentions that there were compilations of sentences of famous pagan philosophers written by other pagan authors such as Plutarch (Placita philosophorum) and Porphyrius (Historia philosophiae);55 but we do not know for certain that he actually used these compilations in the Curatio.

7 Cf. Schulte, 1904, 57f. 4 48 Cf. Schulte, 1904, 56f. 49 Cf. Schulte, 1904, 86–91. 50 Cf. Schulte, 1904, 58f. 51 For the question of pagan primary sources of the Curatio see Schulte, 1904, 76–85. 52 Cf. Schulte, 1904, 59f. 53 Cf. Schulte, 1904, 60–67. 54 See M. Mansfield / D.T. Runia, Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer I, Leiden 1997, for Theodoretus’ use of Aëtius see especially 272–290. 55 Thdt., affect. 2.95.

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What we have seen, based on the thorough study of Schulte and on the careful introduction of Canivet, is enough to prove that Theodoret takes his quotes of pagan philosophers from Christian apologists, and, to a smaller extent, from pagan compilators. This does not necessarily mean that he had no independent knowledge of pagan literature at all,56 but it confirms the often-noticed impression of a certain lack of independency in arranging his argument and thought. What we have found does not automatically mean that Theodoret was not as learned as he wanted to appear. In late antiquity, particularly in the fifth century, it was not unusual at all to take information and quotes from secondary sources. The time of Theodoretus is the great era of anthologies.57 These compilations of quotes and texts were used and worked with, in inner-Christian controversies such as the christological one as well as in discussion between members of different religions and philosophical schools. Nobody would have considered it an academic failing to use these anthologies instead of primary sources. The idea we always have in mind that you have to go back to primary sources, ad fontes, is an idea of late medieval humanism. It would be anachronistic to transfer this idea back to the fifth century and take it as a criterion for the quality of intellectual discourses. Christians and pagans (and others) produced and used these compilations of quotes, and they both used compilations made by both sides. The reproach of a certain lack of freshness and originality can not be based on the observation that Theodoret takes his material from secondary sources. In his times every coeval would do that in the same manner. Now that we have discovered that Theodoret uses authors like Aëtius, Clement and Eusebius as sources for his “classical” quotations, the question comes up: is also the arrangement of arguments in the Curatio the same as it is in the Stromateis and in the Praeparatio? The answer to that is: yes and no. On the one hand, we can say that Theodoret follows Eusebius not only in quotes, but also in the arrangement of thought in those chapters where he

56 In the Curatio, just for example, we find quotes from Hesiod that cannot be identified in any other extant work apart from Theodoret; so the quotes either are primary ones or we do not have Theodoretus’ secondary source anymore. 57 The literary genre of ἀνθολογία comes from the greek tradition and was established for educational purposes. It presents collections of quotes from one or divers texts of one or divers authors. The term florilegium does not appear any earlier than in modern times. For florilegia see T. Hainthaler, Florilegium, in: 4RGG 3 (2000), 164f.; E. Mühlenberg / F. Brunhölzl, Florilegien, in: TRE 11 (1983), 215–221 (cf. also all the important research by M. Richard listed in this article [218]); H. Chadwick, Florilegium, in: RAC 7 (1969), 1131–1160; A.S.F. Cow, The Greek Anthology. Sources and Ascriptions, London 1958.

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deals with the traditional subjects of apologetics. If we turn back to the list of titles of the twelve chapters, we can see that there are subjects of apologetics that had become somehow “classical” by the time. Such subjects are the question of the first principle, the question of the material world (cosmogony), or the topic of human nature, and also the question of sacrifices (standard subject of Christian anti-pagan polemic), and the topic of laws and of the lawgiver. In a number of passages of these chapters, Theodoret simply follows Eusebius (and sometimes Clement) even in the arrangement of argument. He almost repeats what Eusebius had said 110 years ago. I mention only a few examples. In Curatio 2.8–22, Theodoret wants to prove that the philosophers of the old times held different views on the question of the first principle and contradicted each other, and that is why they should not be taken seriously.58 This Christian criticism of pagan philosophical views is old, we find it in the second century already,59 but it is striking how Theodoret in Curatio 2.8–22 fully repeats the argument and proof texts in the way they are arranged in Eusebius’ Praeparatio evangelica, even in the same order:  2.8–22  = p.e. 1.8,17; 14.4,4f.8f.10–12.60 In cur. 3.34–41 he gives examples about how the poets of old erroneously regarded men as goddesses and he follows Eusebius in quotes and in the arrangement of quotes: cur. 3.34–41 = p.e. 2.7,1f.4–7. In Curatio 4.37–43, Theodoret deals with Platon’s view of the origin of the cosmos, and he repeats the quotes from Platon in exactly the same order as in Eusebius’ Praeparatio evangelica 11.29,3f.; 11.30,2; 11.31; 11.32,2f.6.; 11.34,1f. In the fifth chapter about human nature, Theodoret talks about Socrates’ view of the question (5.39– 43), and he repeats p.e. 11.27,5f.8.13f.16f. It is not necessary to add further examples. It is easy to see: there were fixed lines of argument for traditional subjects of apologetics, and therefore Theodoret did not find it necessary to establish a new line of argument for an old issue. He simply made use of what was at hand in the apologetic tradition before him.

58 The argument is also found in Thdt., affect. 1.49; 4.4; 4.31f.; 4.50; 5.10–32; 5.44–47. 59 Just., 1 apol. 7.3; 44.10; 2 apol. 10.3; 13.3. See also Tat., orat. 25.1f.; 25.3f.; 26.5; 35.2; Athenag., leg. 7,2; Thphl. Ant., Autol. 2.8; 3.3; 3.7; Diogn. 8.2; Tert., apol. 47.5–8; Hermias, irris. 19. – For the early fourth century see especially Lactantius and Eusebius: Lact., inst. 1.1,8; 3.4,3–14; 3.7,7–10; 3.15,2; 3.28,19f.; 7.7,7–10; Eus., p.e. 1.7,16; 14.1,2; 14.13,9; 15.1,6; 15.62,15f.; for Augustine, see Aug., civ. 18.41. 60 There are other examples for the same theory in Theodoret: Thdt., affect. 3.8; 5.18; 5.48f.: some of the pagan philosophical theories contradict each other, and that proves that they are all wrong. Conversely, the biblical tradition is fully congruent and without any contradiction (affect. 5.49).

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On the other hand, and that is the reason for my yes-and-no-answer, there are certain aspects where we can grasp Theodoretus’ own contribution to Christian apologetics a little better. Two things have to be mentioned here. The first is that Theodoret deals with some subjects that are, compared to the times of Eusebius, rather new. The most evident one of these examples is the Christian worship of martyrs. This worship of martyrs was attacked as ridiculous by the pagan opposition.61 This topic of course had played no role at all in Clement or in Eusebius.62 The subject was comparatively new in the pagan-christian controversy around 430. By that time, Christian worship of martyrs here and then had adapted forms that seemed strange to foreign observers (and to some Christians as well).63 Consequentially, accusations of ridiculousness and intellectual naivety were raised: Theodoret had to deal with that, and he had to do that without being able to use examples of argumentation from the Christian apologetic tradition. In the eighth chapter of the Curatio Theodoret makes desperate efforts to defend the Christian worship of martyrs. His endeavour shows how important the cult of the martyrs was in fifth century Christianity. This refers not only to the cult of martyrs, but also to the worship of relics: Cur. 8.11 he confirms that a small and negligible relic has the same power as the whole and undivided martyr. He refers to small bones or bone fragments here.64 Theodoret argues that the pagans are not in the position to scoff at these cults. They should know that cults like that played a role in their own pagan tradition, too.65 And these pagan traditions of martyr cults are a lot worse than the Christian, because the pagans used to adore wicked men who were wrongly regarded as Gods. As a proof, Theodoret comes up with stories from Homer’s Ilias, and he refers to dubious people who were worshipped like Gods such as Achilleus and Chiron66 and many others. These passages in the Curatio are not taken from any particular Christian apologetic witness known to us. They may come from Theodoret’s own knowledge of Homer’s 61 Thdt., affect., praef. 1: “They say that the cult of martyrs is ridiculous, considering it completely absurd for the living to seek assistance from the dead.” (Translation Pásztori-Kupán, 2006, 86). 62 Eusebius of course talks about the martyrs of Palestine, but nowhere does he say anything about criticism of the fact that they were worshipped. 63 Augustin is a good example for theological criticism of some deformation of the Christian martyr cult, though he does not criticize it generally. Cf. F. van der Meer, Augustin der Seelsorger, Köln 1958, 489–544. 64 We can hardly overestimate the importance of those relics for antique and medieval Christian piety, if we only think of the archeological results of uncounted early church excavations. 65 Thdt., affect. 8,12; 8.15; 8.17. 66 Thdt., affect. 8,21f.

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Ilias which of course was a well-known text by that time anyway. Theodoret also quotes Thukydides who confirmed that the warriors from the Peleponnesian war were worshipped by their relatives.67 Again we cannot tell if he gained that example from his own reading or from a source that we don’t know any more. Theodoret mentions that in Greek tradition some people without reason have proclaimed themselves as gods and have erected temples for themselves, and he refers to some of the pagan emperors here – how much more useful is the worship of the true religious heroes, the Christian martyrs.68 The group of Christian martyrs consists of brave women and men, and God has already set them in the place of the old pagan Gods: instead of Pandia, Diasia and Dionysia and other pagan feasts, people now celebrate a meal for Peter and Paul, Thomas, Sergios, Marcellus, Leontius and Antony, Maurica, and the other martyrs – they have replaced the alleged gods of the former religions.69 Theodoret closes: “Since you can see now how useful the celebration of martyrs actually is, avoid the error of the demons! The martyrs may serve you as brightly shining stars and may show you your way to God, that you in eternity will be counted among the choirs.”70 Admittedly, his whole line of argument is not particularly sensational – but it is a fine example for a Christian apology of the worship of the Christian martyrs. There are two more instances for comparatively new accusations against the Christians, where Theodoret could not draw upon older apologetic tradition in his argumentation. They only play a marginal role in the Curatio, but nevertheless should be mentioned here: in cur. 12.33 we hear about the accusation that some Christians do not live up to the ethical standards of Christianity. Theodoret solves that problem by confirming that these people only pretend to be Christians but are not. The pagan critics should distinguish these wrong Christians from the vast majority of true Christians.71 Even more important is another accusation that refers to the protection and undue preference of the Christian religion by the Roman emperors. It is obvious that this accusation could not play any role in pre-Constantinian time. Now in the fifth century it does. The pagan opponents claim that the rise of Christianity was only due to the pro-Christian politics of the emperors in the last hundred years.72 Theodoret could not base himself on former 7 Thdt., affect. 8,32. 6 68 Thdt., affect. 8,62. 69 Thdt., affect. 8,69. 70 Thdt., affect. 8,70. 71  Thdt., affect. 12.33. – Theodoret’s solution resembles Justin’s statements in Just., 1 apol. 7.1–5; 16.8; 8.14. 72 Thdt., affect 9.30f. – Theodoret and other Christian contemporaries are sensitive to criticisms of the spread of Christianity due to imperial patronage. Cf. Y. Papadogiannakis, Defining Orthodoxy in Pseudo-Justin’s “Quaestiones et responsiones

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Christian apologetics at that point, and created his own answer: the rise of Christianity, he says, happened long before the era of Christian emperors, even in times of persecution;73 and in all the other nations in the world people have become Christians without regard to the power of the Roman emperors.74 Again, these arguments of Theodoretus are not particularly complex, but they show us some traces of his approach to the task of Christian apology. Besides the fact that he occasionally has to deal with relatively “new” pagan accusations, there is a second aspect where we can grasp Theodoretus’ own contribution to the history of Christian apologetics. Although Theo­ doretus often just copies quotes and arguments from the older Christian apologetic tradition, he has quite an own approach to the apologetic task: he is far more positive and far more systematic in a strict theological sense. Of course he still deals with pagan objections. But he does not primarily concentrate on the opposition’s arguments. He primarily concentrates on a systematic theological arrangement of a positive Christian theology, dogmatics as well as, in ­chapters 11 and 12, ethics. Of course it is not exactly new that apologists do not fix themselves to pagan objections when they arrange the argument of their apologetic texts. Justin didn’t do that and many others didn’t either.75 The positive presentation of “Christianity, what it is”,76 has always played an important role even in second and third century apolo­ getics, and then especially in Eusebius’ Praeparatio evangelica from the beginning of the fourth. But, and that seems to be a new aspect of Christian apologetics in Theodoretus, in the Curatio we have come to a point where the positive systematic arrangement of Christian theology clearly is the major task and effort. In his major apologetic work Greacarum affectionum curatio, Theodoret primarily produces a reasoned systematic theology in twelve chapters or loci, which are arranged in quite a logical way, the first one dealing with the subject of faith, two to six with knowledge, seven to eleven with human striving to do something, and finally, twelve, with the topic of practical ethics. He presents twelve discourses on subjects of

ad orthodoxos”, in: E. Iricinschi / H. Zellentin (eds.), Heresy and Identity in Late Antiquity, Text and Studies in Ancient Judaism 119, Tübingen 2008, 115–127 (120); id., 2004, 46–67. 68–89. 73 Thdt., affect. 9.31. 74 Thdt., affect. 9.34. Theodoret refers to Persia here. In Thdt., affect. 9.35f. he alludes the Massagets and the Tibarenians (who were mentioned in Eus., p.e. 1.4,7). 75 The two important exceptions to my point of view are Origen, Contra Celsum and Eusebius of Caesarea, Adversus Hieroclem, because these two apologies were written as direct refutations of particular anti-Christian polemical texts. 76 Eus., p.e. 1.1,1. Cf. Ulrich, 1999, 29–48.

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theology. Occasionally he gives cross-references, retrospections, summaries and back links to underline how thoroughly everything is built up.77 What we encounter here is nothing but a rather self-contained map of systematic theology. Theodoret himself says that this is the arrangement he has chosen for the Curatio.78 Apologetics as a defence of Christianity and refutation of pagan criticism has now fully changed into a positive exposure of theology including the dissociation from and the integration of pagan tradition. Even if the reason for the production of the Curatio has to be seen in the pagan criticism of Christianity, the result of this effort could be called an example for the genre of “apologetic systematic theologies”. It is true that the Curatio is an apologetic summa such as Eusebius’ Praeparatio. We have seen how closely it depends on the latter. But when we compare the two texts we realize that the Curatio is more systematic, and that more follows an inner-Christian logic as far as the arrangement of theological topics is concerned. The Curatio is one of the first examples of arranging theology in well-ordered theological topics here. The whole material is arranged in dear and strictly ordered sequences – and that seems to be the new thing about Christian apologetics in Theodoret’s Curatio. The text establishes a kind of medium genre between an apologetic summa and a “systematic theology”. How must these observations be interpreted? Considering the proceedings and the progress of the whole workshop and trying to sum up things with particular consideration of our question of Continuity and Discontinuity in Christian Apologetics, I mention four particular points here: 1. The time between 420 and 440 obviously was a time where the old intellectual battles between Christianity and paganism still had to be fought – or were fought again and again. The old material used in these battles of the old was considered good enough to be used again. There are only a few new subjects, and there are only a few additions to the old material. Standard criticism and defence strategies of the old were repeated and well administered. It is true that texts like the Curatio do not taste of originality. But originality was obviously not needed in the first half of the fifth century. For Theodoret and his contemporaries it was good enough for to rely on reliable sources such as Clement of Alexandria and Eusebius of Caesarea. It seemed to be sufficient to rely on their work and to repeat the content of their writings. There was a well-established infrastructure of Christian reasoning against pagan criticism, and Theodoret made a brisk use of that. That clearly is a point for continuity between apologetics in the fourth and those in the fifth century. On the other 7 Thdt., affect. 4.4; 12.95. 7 78 Thdt., affect. 1.127f.

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hand, we must realize that this continuous process is about to come to an end in Theodoret: what he did with the clear intention to save the rest of the pagans and to avoid any possible doubts among his fellow-Christians, was not necessary any more some 50 years later, when nobody, neither in the East nor in the West, would have come across the idea of writing a Graecarum affectionum curatio. 2. One general question remains the same in all the apologetic texts between the second and the fifth century:  the problem of the Christian view of the relation between Christianity and pagan philosophy. Different Christian apologists of course gave different answers to that. For Theodoret, I  see a clear continuity between his efforts in the fifth century and, for example, Justin Martyrs in the second. Both want to beat pagan Platonism by its own weapons. Both want to overcome pagan philosophy by enlisting philosophical terms and arguments – and at the same time they are of course Platonists themselves. It is my impression that in Justin and Theodoret and others, this phenomenon is not at all a matter of “tactics”, neither it is anything consciously planned nor it is an intellectual effort of transformation (for example of Christianity into a Christian-Platonic philosophy). Both, Theodoret and Justin, and many other apologists as well, are platonizing Christians, simply because they were raised within the learning and intellectual environment of their time. They were in the position to establish their cultural identity together with their Christian faith. They regarded the Christian Logos as the only full and only reasonable revelation of godly wisdom and truth. At this point, there seems to be an aspect of continuity within Christian apologetics as well. 3. There are some intentions in the production of apologetic texts that remain the same over the decades and centuries, although the weights seem to shift by the time. But the aim of defence against accusation remains. The protreptic or even missionary aspects remain. The aspect of producing a help for argumentation, a kind of handout for reasoning, remains. And at the same time, we observe a turn from apologetic controversy towards a positive systematic theology, in which objections from others still play a role, but not a major one any more. Christian theology is on its way to present itself far more independently. The arrangement of Christian thought seems to be more and more primarily influenced by Christian-philosophical thought  – and not by critical questions. This is not exactly new in Theodoret:  Eusebius had written in his Praeparatio that he wanted to show Christianity, how it really is. In Theodoret this process has come one step further: though the Curatio is motivated by pagan criticism, his general line of argument primarily aims at a positive explication of theology and more looks like a map of Christian doctrine,

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including a considerable number of intelligent footnotes that deal with pagan opponents. 4. Compared to Justin, Theodoretus is a lot closer to the aim of complete victory of Christianity, and, as I pointed out above, this fact can well be observed in the Curatio. It may be good points for the discontinuity in early Christian apologetics that Justin has to deal with the problem of persecution and Theodoret has not, and that Justin has to face a minority situation which Theodoretus does not know any more. But beyond these evident facts that may suggest discontinuity, the continuity in fact is surprisingly strong. Christian apologists, over the centuries from second to fifth, made use of the same literary material (the material that their pagan opponents used as well). They all profited from the same educational system in Roman society that enabled them to think philosophically and to work with the texts of the pagan tradition. And, what to my mind is most important, they established an impressing continuity of Christian self-understanding in the one particular point that they all, from Justin to Theodoret, are fully convinced that only the Christians do have the complete knowledge of the complete Logos. This makes them feel committed to persuade all the others, Jews and pagans, no matter how many of them were left and no matter how the political circumstances were. To my view this is the most important aspect of continuity in the history of early Christian apologetics from the second century to the fifth.

Widersprüchlichkeit und Kohärenz. Beobachtungen zu einem Argument der Polemik und Apologetik im zweiten Jahrhundert* In der Auseinandersetzung konkurrierender Wahrheitsansprüche von Christen, Heiden und Juden in der Antike kommt den verwendeten Argumentationsmustern naheliegenderweise eine hohe Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang hat Peter Pilhofer im Jahre 1990 eine viel beachtete Analyse des so genannten Altersbeweises vorgelegt,1 der zu den am meisten beanspruchten Denkfiguren in der Literatur des zweiten Jahrhunderts (und späterer Zeiten) zählt. Vergleichbar eingehende Detailuntersuchungen anderer, ebenso wichtiger Argumentationsmuster stehen noch aus.2 Nun hat uns aber gerade die neuere wissenschaftliche Diskussion vor Augen geführt, dass sich die antike Apologetik vor allem als Denk- und Argumentationsmodus zu verstehen empfiehlt.3 Die Dringlichkeit detaillierter Untersuchungen zu einzelnen apologetischen Argumenten hinsichtlich ihrer Herkunft, Anwendung und Ausrichtung liegt somit auf der Hand. Im folgenden seien einige Beobachtungen zu einer polemisch-apologetischen Argumentationsfigur mitgeteilt, die im Kampf konkurrierender Wahrheitsansprüche im zweiten Jahrhundert offenbar eine große Rolle gespielt

* Zuerst erschienen in: F. Prostmeier / H. Lona (eds.), Logos der Vernunft – Logos des Glaubens. Edgar Früchtel zum 80. Geburtstag, Millenium-Studien 31, Berlin 2010, 53–75. 1 P. Pilhofer, Presbyteron – kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT II 39, Tübingen 1990; Zur Bedeutung des Altersbeweises im Zusammenhang der christlich-paganen Auseinandersetzung über das Alte Testament vgl. S. Ackermann, Christliche Apologetik und heidnische Philosophie im Streit um das Alte Testament, SBB 36, Stuttgart 1997. 2 Für die ältere Literatur ist immer noch auf Harnacks kleine Abhandlung über den Atheismusvorwurf zu verweisen, die freilich auch einer intensiven, die politischen und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen gründlich erhellenden Revision bedürfte: A. von Harnack, Der Vorwurf des Atheismus in den ersten drei Jahrhunderten. Ein Beitrag zur Verfolgungsgeschichte der christlichen Kirche im römischen Staat, TU 28.4, Leipzig 1905. 3 A. Klostergaard Petersen, The Diversity of Apologetics: From Genre to a Mode of Thinking, in: A.-C. Jacobsen / J. Ulrich / D. Brakke (eds.), Critique and Apologetics. Jews, Christians and Pagans in Antiquity, ECCA 4, Frankfurt 2009, 15–41.

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hat:  der Behauptung der Widersprüchlichkeit gegnerischer und der Kohärenz eigener Lehre. Mit diesem Argument korrespondiert die Polemik gegen die Diversität gegnerischer Institutionen und die protreptisch ausgerichtete Betonung der Einheitlichkeit der eigenen. Zwar lassen sich in der bunten Wirklichkeit des zweiten Jahrhunderts weder bei Christen noch bei Juden noch bei Heiden eine echte Kohärenz der Lehre und auch keine institutionelle Geschlossenheit ihrer Vertreter erkennen  – die Quellen zeigen, dass eher das Gegenteil der Fall ist –, aber gerade deshalb eignete sich der Vorwurf der Widersprüchlichkeit gut für den Angriff auf die gegnerische Seite. Andererseits bedurfte es auch eines hohen Maßes an apologetischem Geschick, wenn es darum ginge, die eigenen Reihen gegen entsprechende Kritik zu verteidigen. Im folgenden soll zunächst eine Anzahl einschlägiger Stellen für die polemische Verwendung des Widersprüchlichkeitsarguments durch die Christen gesichtet (I.) und nach dessen Hintergründen gefragt (II.) werden, sodann soll auf die gegen die Christen gerichtete Inanspruchnahme des Arguments durch die Heiden (III.) und auf die Verteidigung der Christen hiergegen (IV.) eingegangen werden, ehe ein zusammenfassender Ausblick die Beobachtungen abrundet (V.).

I.    In seiner handlichen Überblicksdarstellung der frühchristlichen Apologetik hat Michael Fiedrowicz dem Widersprüchlichkeitsargument zu Recht einen prominenten Platz im Disput um Wahrheitsansprüche in der Antike eingeräumt: Unter den christlicherseits geltend gemachten Differenzen zwischen Christentum und paganer Philosophie steht es an erster Stelle.4 Dabei lassen sich graduelle Unterschiede in der Verwendung erkennen: Während die einen nämlich den paganen Philosophen mit dem Inkongruenz-Vorwurf „nur“ defizitäre Explikationen bestimmter Sätze attestieren, zugleich aber deren Übereinstimmung mit bestimmten christlichen Grundwahrheiten positiv vermerken, betonen andere mit demselben Argument die grundsätzliche Unterschiedenheit von Christentum und Philosophie und stellen das Christentum exklusiv als einzig konsistente Lehre dar. Je nachdem, ob man eher an einer Annäherung oder an einer Abgrenzung von den paganen Philosophen interessiert war, änderte sich die Ausrichtung, die man dem Widersprüchlichkeitsvorwurf gab. Als Vertreter einer differenziert-konstruktiven Inanspruchnahme des Arguments ist Justin zu nennen, der sich als christlicher Philosoph verstand

4 M. Fiedrowicz, Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten, Paderborn 2001, 292f.

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und in seinen Apologien5 auf die wechselseitige Anschlussfähigkeit zwischen Christentum und Philosophie setzte. Typisch für seine Position ist Just., 1 apol. 44,9f.: Alles, was Philosophen und Dichter über die Unsterblichkeit der Seele […] gesagt haben, das haben sie nur aufgrund der von den Propheten empfangenen Anhaltspunkte erkennen können und ausgeführt. Daher scheinen bei allen Keime der Wahrheit zu sein; man kann ihnen aber auch nachweisen, dass sie dieselbe nicht genau erfasst haben, wenn sie sich widersprachen (ὅταν ἐναντία αὐτοὶ ἑαυτοῖς λέγωσιν).6

Justin geht aus von einer Inspirierung der Philosophen und Dichter durch die Worte der Propheten. Bezüglich einiger zentraler Lehren wie der von der Unsterblichkeit der Seele hatten die Philosophen an der Wahrheit Anteil, weil sie von den Propheten Anhaltspunkte erhalten haben. Eine basale Erkenntnis der Wahrheit wird den Philosophen zugestanden. Andererseits fehlt ihnen die vollständige Erkenntnis der Wahrheit, was daran deutlich wird, dass sie sich widersprechen, d.h. gegensätzliche Meinungen zu bestimmten Themen vertreten, sobald sie über die von den Propheten übernommenen Erkenntnisse hinausgehen. Das Widersprüchlichkeitsargument dient Justin nicht dazu, die Philosophen und Dichter in toto zu widerlegen, sondern beweist nur, dass die vollständige Wahrheit bei ihnen nicht zu finden ist. Ihre Einsichten sind korrektur- und vervollkommnungsbedürftig. So auch in Just., 2 apol. 13,2–6: Indem ich darum bete und inständig ringe, als Christ befunden zu werden, bekenne ich nicht, dass die Lehren Platons den Lehren Christi fremd seien, sondern dass sie ihnen nicht in jeder Hinsicht gleichkommen, wie auch die der anderen nicht, der Stoiker und Dichter und Prosaschreiber. Denn jeder von ihnen hat gut argumentiert, indem er auf Grund des Anteils am samenausstreuenden göttlichen Logos das (diesem) Verwandte gesehen hat. Da sie aber in den wesentlichen Dingen sich widersprochen haben (οἱ δὲ τἀναντία ἑαυτοῖς ἐν κυριωτέροις εἰρηκότες), haben sie offenbar kein sicheres Wissen und keine unwiderlegbare Einsicht gehabt. All das nun, was bei ihnen allen recht gesagt worden ist, eignet uns Christen: […] Denn alle jene Schriftsteller konnten durch den in ihnen befindlichen eingepflanzten Keim des Logos das, was ist, schemenhaft sehen. Denn das eine ist der Keim der Sache und das Abbild, das gemäß der Fähigkeit (des jeweiligen Menschen) gegeben wird, ein anderes ist die Sache selbst, an der Anteil zu haben und die nachzubilden der Gnade Gottes obliegt.7

5 D. Minns / P. Parvis (eds.), Justin, Philosopher and Martyr, Apologies, edited with an Introduction, Translation, and Commentary on the Text, OECT, Oxford 2009. 6 Minns / Parvis, 2009, 194, 17–22. – Die Herausgeber machen darauf aufmerksam (a.a.O. 195 no. 5), dass die σπέρματα ἀληθείας in Just., 1 apol. 44,10 nicht unmittelbar identisch mit den Vernunftkeimen gemäß der Logos-spermatikosTheorie Justins sein müssen; es könnten auch einfach „Ausgangspunkte“ (starting points) für die Wahrheit gemeint sein. 7 Minns / Parvis, 2009, 320, 9–23.

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Justin kombiniert hier das Widersprüchlichkeitsargument mit seiner Theorie von den allen Menschen innewohnenden Samenkörnern der Wahrheit.8 Aufgrund des ihnen innewohnenden Logoskeimes haben die Philosophen9 durchaus Richtiges, d.i. dem Logos Entsprechendes gesehen, wenngleich schemenhaft. Eine sichere, unwiderlegbare Einsicht können sie hingegen nicht gehabt haben, da sie ja einander widersprachen. Sie hatten nicht Anteil am ganzen Logos, der Christus selbst ist.10 Die richtigen Einsichten, die die Philosophen hier und da hatten, fügen sich erst in der wahren christlichen Philosophie zu einem vollständig kohärenten Bild zusammen. Das Widersprüchlichkeitsargument ist bei Justin Teil eines Überbietungsmodells, nach welchem trotz zugestandener Übereinstimmungen mit der Philosophie in basalen Fragen die vollständige, logosgemäße Wahrheit nur von den Christen beansprucht werden kann. Auch Athenagoras ist zu den Vertretern einer grundsätzlichen Harmonie zwischen Christentum und Philosophie zu rechnen.11 Er geht von der Basis 8 Zu dieser These vgl. J. Ulrich, Innovative Apologetik. Beobachtungen zur Originalität Justins am Beispiel seiner Lehre vom Logos spermatikos und anderer Befunde, in: ThLZ 130 (2005), 3–16; außerdem Minns / Parvis, 2009, Introduction, 65f. 9 Der gelegentliche Wechsel und unterschiedliche Kombinationen in der Bezeichnung der paganen Gruppen (Philosophen, Dichter, Prosaschreiber) bei Justin und anderen Apologeten kann hier außer Betracht bleiben: Es geht generell um die prominenten Texte und Lehrmeinungen aus der paganen antiken Tradition. 10 In dieselbe Linie gehört Just., 2 apol. 10, 1–3: „Unsere Lehren aber scheinen herrlicher als jede menschliche Lehre dadurch, dass das gesamte Vernunftgemäße Christus geworden ist, der für uns, Leib, Vernunft und Seele, erschienen ist. Denn was auch immer die Denker und Gesetzgeber jemals Treffliches gesagt und gefunden haben, das ist von ihnen mit Mühe erarbeitet worden durch Forschen und Anschauen gemäß dem Logos. Da sie aber nicht das Ganze des Logos, der Christus ist, erkannten, so sprachen sie oft einander Widersprechendes aus (καὶ ἐναντία ἑαυτοῖς πολλάκις εἶπον).“ (Minns / Parvis, 2009, 306,10–310,2; Übersetzung Vf.). Die Träger der Bemühungen um die Wahrheit sind hier nicht Philosophen und Dichter wie oben, sondern Denker und Gesetzgeber. Ansonsten ist das Argument dasselbe: Die Denker und Gesetzgeber besitzen einen Teil des Logos, aber jeder eben nur einen Teil, nicht das Ganze (= Christus); der Teil Logos, der in ihnen ist, befähigt sie, unter Mühen hier und da Treffendes zu erkennen. Aber es fehlt ihnen die Erkenntnis des Ganzen. So entstehen die Widersprüche. Ob Justin meint, dass einige Philosophen sich selbst widersprachen (Widersprüchliches lehrten) oder ob er darauf hinweist, dass die Philosophen einander widersprachen und aus diesem Phänomen die defizitäre Erkenntnis ihrer aller sich zeigt, ist nicht sicher zu entscheiden. Beide Deutungen schließen einander aber auch keineswegs aus, wie z. B. Pseudo Justins Cohortatio ad Graecos (coh. Gr. 33,2) zeigt: Die Philosophen sind nicht nur untereinander zerstritten, sondern jeder von ihnen legt die eigene Meinung einmal so und einmal anders aus. 11 L.W. Barnard, Athenagoras. A Study in Second Century Christian Apologetic, ThH 18, Paris 1972; id., The Philosophical and Biblical Background of Anthenagoras,

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gemeinsamer Überzeugungen aus und operiert dann mit dem Widersprüchlichkeitsargument, um die Überlegenheit des auf klarer göttlicher Offenbarung gründenden Christentums gegenüber der auf Vermutungen basierenden und in ihren Aussagen vieldeutigen Philosophie zu beweisen. Nachdem er in Athenag., leg. 5f. die Übereinstimmung aller Philosophen in der Lehre von der Einzigkeit Gottes dargelegt hat, schreibt er in Athenag., leg. 7,1f: Fast alle, die auf die Weltprinzipien zu sprechen kommen, sind selbst gegen ihren Willen darüber einig, dass die Gottheit nur eine ist […]. Wenn aber dann wir behaupten, dass der Ordner dieses Alls der eine Gott ist, so steht uns unbegreiflicherweise ein Gesetz entgegen, obwohl wir das von uns Erkannte und richtig Geglaubte, nämlich die Einheit Gottes, mit sicheren Argumenten und Gründen zu belegen vermögen. Dichter und Philosophen nämlich traten […] auch an dieses Thema nur mit Vermutungen heran […] wobei jeder doch nur so viel Erfolg hatte, dass er sich allerlei Gedanken machte, ohne aber das Seiende wirklich zu finden; denn er suchte nicht bei Gott Belehrung über Gott, sondern nur bei sich selbst. Daher hat auch jeder von ihnen auf andere Weise über Gott und Materie und Ideen und Welt gelehrt (διὸ καὶ ἄλλος ἄλλως ἐδογμάτισεν αὐτῶν καὶ περὶ θεοῦ καὶ περὶ ὕλης καὶ περὶ εἰδῶν καὶ περὶ κόσμου). Wir dagegen haben für unsere Erkenntnis und unseren Glauben die Propheten zu Zeugen, die in der Kraft des göttlichen Geistes über Gott und göttliche Dinge Offenbarungen gegeben haben.12

Hier ist der Gegensatz von Menschenmeinung und geistgewirkter Offenbarung entscheidend. Die Meinungen der Philosophen rühren daher, dass sich „jeder so seine Gedanken macht.“ Aber eben dadurch, dass die Philosophen die Wahrheit bei sich selbst suchen, ist die Vielfalt ihrer Meinungen so groß wie die Zahl ihrer selbst. Sie kommen über Vermutungen nicht hinaus, weshalb „jeder auf andere Weise“ lehrt. Athenagoras expliziert nicht ausdrücklich den Vorwurf der Widersprüchlichkeit, aber er diagnostiziert bei den Philosophen eine unüberschaubare Vielfalt von verschiedenen Ansichten, die kein auch nur annähernd kohärentes Bild ergeben. Das ist die Folge dessen, dass jeder von ihnen sich selbst als Erkenntnisquelle hat. Dem stellt Athenagoras die von Gottes Geist gewirkte Offenbarung an die Propheten entgegen. Der Glaube, der auf dem Zeugnis der Propheten bzw. der göttlichen Offenbarung beruht, unterscheidet sich von der verwirrenden Vielfalt philosophischer Vermutungen durch sein Gegründetsein auf einer einheitlich-kohärenten, göttlich autorisierten Überlieferung.

in: J. Fontaine / C. Kannengießer (eds.), Epektasis. Melanges patristiques offerts au Cardinal Jean Danielou, Paris 1972, 3–16. 12 Athenag., leg. 7,1–3 (PTS 31, 34,1–35,2 Marcovich) – Übersetzung nach ‚Athenagoras, Apologie‘, aus dem Griechischen übersetzt von P. Anselm Eberhard, in: Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten Bd. 1, BKV 12, Kempten 1913, 281f. (leicht geändert).

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Schärfer gegen die paganen Philosophien richten sich der Verfasser des Diognetbriefs, Tatian und Theophilus von Antiochien. Entsprechend polemischer ist bei diesen Autoren der Gebrauch des Widersprüchlichkeitsarguments. In Diogn. 8,1f. heißt es: Wer von den Menschen hat denn überhaupt gewusst, was Gott ist, bevor er gekommen ist? Oder billigst du etwa die leeren und läppischen Reden jener so glaubwürdigen Philosophen? Einige von ihnen sagten, das Feuer sei Gott – sie nennen Gott das, wohin sie gelangen werden – andere meinen, das Wasser sei Gott, andere aber irgendeines der von Gott geschaffenen Elemente.13

Der Widersprüchlichkeitsvorwurf wird hier nicht expliziert, steht aber im Hintergrund. Der Verfasser will die Philosophen lächerlich machen, die über Gott die unterschiedlichsten Meinungen vertreten. Die Vielfalt der philosophischen Lehren wird als Argument für die Falsifikation jeder dieser Lehren benutzt: Die einen halten die Elemente für Götter, und dann sogar noch für unterschiedliche. Andere setzen das Feuer und Gott gleich, wieder andere identifizieren das Wasser mit Gott.14 In ihrer beliebigen Unterschiedlichkeit erweisen sie selbst alle ihre Lehren als läppisch. Auffällig ist die ironische Färbung. Ähnlich verhält es sich bei Tatian, bei dem sich auch die im Diognetbrief erkennbare ironische Note findet. In Tat., orat. 25,3f. heißt es: Du folgst den Lehren Platons, da tritt dir ein Schüler Epikurs mit lauter Stimme entgegen; willst du dich wiederum nach Aristoteles richten, so verhöhnt dich irgendein Anhänger Demokrits. […] Da die philosophischen Systeme, die ihr habt, einander widersprechen (στασιώδεις δὲ ἔχοντες τῶν δογμάτων τὰς διαδοχὰς), so kämpft ihr, unter euch uneins, gegen diejenigen, die unter sich einig sind.15

Hier ist keine Teilmengen- und Überbietungsvorstellung im Visier wie bei Justin, sondern eine strikte Grenze gezogen:16 Tatian befehdet die griechische Denkweise und Kultur insgesamt.17 Die Philosophen offenbaren ihre 13 Übersetzung nach dem Kommentar ‚An Diognet‘, übersetzt und erklärt von Horacio E. Lona, KfA 8, Freiburg 2001, 234. 14 Vgl. hierzu Lona in seinem Kommentar An Diognet (wie vorige Anm.), 236f.: im einen Fall könnte auf Heraklit oder dessen Schüler, den Stoiker Zenon, der den feurigen νοῦς der Welt für Gott hält, angespielt sein, im anderen Fall auf Poseidon. 15 Tat., orat. 25,3f. (PTS 43, 48,11–49,17 Marcovich). – Übersetzung nach Tatian, Rede an die Bekenner des Griechentums, eingeleitet und übersetzt von R.C. Kukula, in: Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten Bd. 1, BKV 12, Kempten 1913, 234 (leicht verändert). 16 Differenziert dargestellt wird das Verhältnis beider bei R. Hanig, Tatian und Justin, in: VigChr 53 (1999), 31–73. 17 Was nichts daran ändert, dass Tatian bei aller Bekämpfung paganer Philosophien der Logoslehre stoischer und mittelplatonischer Provenienz verpflichtet bleibt. Immer noch instruktiv hierüber ist die über 100 Jahre alte und nur 36 Seiten starke Dissertation von C.W. Steuer, Die Gottes- und Logoslehre des Tatian in

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Unfähigkeit zur Wahrheit nicht nur durch widersprüchliche Lehren, sondern noch mehr dadurch, dass sie Vertreter jeweils anderer Positionen verhöhnen und ihre Uneinigkeit offen zur Schau stellen. Dieser Uneinigkeit der Philosophen wird die Einigkeit der Christen entgegengestellt. Dass die Christen im Unterschied zu den Philosophen untereinander einig sind, ist ihr wichtigstes Identitätsmerkmal und legitimiert ihren Wahrheitsanspruch. Das Einigkeitsargument wird zu dem Wahrheitskriterium des Christentums schlechthin. In der Einigkeit der Christen liegt zugleich der Grund dafür, dass sie angegriffen und verfolgt werden: Die Uneinigen können die Einigkeit der sich Einigen nicht ertragen und müssen sie demzufolge bekämpfen. Bei Theophilus findet sich unser Gedanke an zahlreichen Stellen in seinen drei Büchern Ad Autolycum, z. B. 2,4; 2,8f.; 3,3; 3,7 u.ö. In Einklang mit Tatian und im Unterschied zu Justin nutzt Theophilus das Widersprüchlichkeitsargument, um die griechischen Philosophen, Dichter oder Geschichtsschreiber grundsätzlich zu diskreditieren: Sie alle haben über alle möglichen Themen unterschiedlichste Auffassungen vorgelegt, weswegen ihre Meinungen offenbar töricht sind. In Thphl. Ant., Autol. 2,8,2–9,2 heißt es: Auch über den Ursprung der Welt haben sie einander widersprochen und törichte Meinungen vertreten. Denn erstens haben einige die Welt für ewig erklärt, wie wir oben gezeigt haben. Und die, die sie für ungeworden und die Natur für ewig erklären, haben Dinge gesagt, die mit den Aussagen derer, welche die Welt für einmal geworden erklären, völlig unvereinbar sind. (Es folgen Zitate von Aratus, Sophokles, Homer, Simonides, Euripides, Menander, Thestius und Theophilus summiert:) Dergleichen sich selbst widersprechende Aussagen (ἀσύμφωνα) tun sie zu Tausenden […] (Dem stellt Theophilus dann die Lehre der Männer Gottes entgegen und resümiert:) Alle ihre Aussprüche stehen in schöner Harmonie miteinander (καὶ πάντες φίλα ἀλλήλοις καὶ σύμφωνα εἰρήκασιν […]).18

Die Schrift Ad Autolycum will ihren Adressaten für das Christentum gewinnen. In diesem Kontext spielt das Gegenüber von Widersprüchlichkeit der philosophischen Lehren und Harmonie der christlichen Überlieferung eine entscheidende Rolle. Autolykos wird aufgefordert, die einhelligen Aussagen der einfachen, ungebildeten, aber inspirierten biblischen (= alttestamentlichen)

ihren Berührungen mit der griechischen Philosophie, Jena 1892. Die bis heute beste monographische Behandlung Tatians ist von Martin Elze: M. Elze, Tatian und seine Theologie, FKDG 9, Göttingen 1960. 18 Thphl. Ant., Autol. 2,8,2–2,9,2 (PTS 44, 49,7–52,13 Marcovich). Übersetzung nach Theophilus, Drei Bücher an Autolykus, übersetzt und eingeleitet von J. Leitl u. Andreas Freiherr von di Pauli, in: Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten Bd. 2, BKV 14, Kempten 1913, 34–37 (leicht geändert).

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Autoren mit den widersprüchlichen, unsicheren, irrigen Ansichten der paganen Dichter, Philosophen und Historiker zu vergleichen (Thphl. Ant., Autol. 2,34,1; 2,35,14f.; 3,17,4f.). Einhelligkeit der Meinung und Kohärenz der Aussagen gelten auch hier als entscheidendes Wahrheitskriterium, umgekehrt wird die widersprüchliche Vielfalt philosophischer Auffassungen zum Beweis ihrer Unbrauchbarkeit. Nur am Rande wird eingeräumt, dass unter den Philosophen und Dichtern die eine oder andere treffende Ansicht sich auch einmal finden kann – und zwar da, wo sie mit den Meinungen der inspirierten biblischen Autoren übereinstimmen; ein Argument, das wir schon bei Justin sahen. Theophilus bringt in diesem Zusammenhang die These vom „Diebstahl der Hellenen“ auf (3,1,14; 3,2,37). Dem Grunde nach aber wird bei ihm der paganen Philosophie keine Teilhabe an der Wahrheit zuerkannt, weil diese nur bei den Christen zu finden ist (2,33). Hier hat das Widersprüchlichkeitsargument die Funktion, die Philosophie in toto als falsch zu erweisen und zu verabschieden. Bei Tertullian zeigt sich, wie geläufig die Verwendung des Arguments am Ende des zweiten Jahrhunderts auch im lateinischen Sprachraum ist. Im Apologeticum schreibt er: Denn nachdem diese Menschen Gott lediglich gefunden hatten, haben sie nicht so von ihm gesprochen, wie sie ihn gefunden hatten, so dass sie in Folge auch über sein Wesen und seine Natur und seinen Wohnort verhandeln. Die einen behaupten, er sei unkörperlich, die anderen, er sei körperlich, wie es die Platoniker und die Stoiker tun; die einen behaupten, er bestehe aus Atomen, die anderen, aus Zahlen, wie es Epikur und Pythagoras tun; ein anderer, aus Feuer, wie es dem Heraklit schien; und die Platoniker freilich behaupten, er sorge für alle Dinge, er sei der Schöpfer und Antreiber aller Dinge, hingegen die Epikureer, er sei müßig und untätig, und, um es so zu sagen, für die menschlichen Angelegenheiten ein Niemand; sein Platz sei aber außerhalb der Welt, behaupten die Stoiker, und nach Art eines Töpfers lasse er diese Weltmasse von außen kreisen; innerhalb der Welt, behaupten die Platoniker, und in der Manier eines Steuermanns verweile er innerhalb dessen, was er lenkt. So sind sie auch im Blick auf die Welt selbst geteilter Meinung (uariant), ob sie geworden oder ungeworden sei, ob sie untergehen oder fortbestehen werde; so auch im Blick auf das Wesen der Seele, das die einen als göttlich und ewig, die anderen als der Auflösung geweiht ausgeben: je nachdem, wie ein jeder gedacht hat, so hat er entweder etwas eingefügt oder umgestaltet.19

Die Aufzählung philosophischer Schulen und ihrer Meinungen wirkt hier schon routiniert-traditionell. Tertullian deutet deren Widersprüchlichkeiten als Entstellungen der eigentlich einheitlich-einfachen Überlieferung der christlichen Bibel. Mit ihren „eigenen Beiträgen“ haben die Philosophen eine 19 Tert., apol. 47, 4–8 (CChr.SL 1,163,15–164,32 Dekkers). Für die Übersetzung verweise ich auf T. Georges, Tertullian. Apologeticum, Übersetzung und Kommentierung, KfA 11, Freiburg 2011.

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unübersehbare Fülle verschiedener Meinungen produziert. In zentralen Fragen wie denen von Wesen, Natur und Wohnort Gottes gelangen sie so zu unterschiedlichen Auffassungen, gleiches gilt für die Fragen nach der Entstehung und Bewahrung der Welt und nach dem Wesen der Seele. Damit ist ihre Unglaubwürdigkeit offensichtlich. Wohl vom Anfang des dritten Jahrhunderts datiert schließlich die Spottschrift gegen die heidnischen Philosophen, deren Verfasser Hermias fast ausschließlich auf dem Widersprüchlichkeitsargument aufbaut und eine satirisch-literarische Inszenierung desselben bietet.20 Der Text dokumentiert die offenbar stetig steigende Beliebtheit des Arguments und die Selbstverständlichkeit seiner Verwendung. In beißend-polemischer, ironischer Kritik werden die einander widersprechenden Lehrmeinungen der Philosophen verhöhnt. Hermias stellt Aussagen u. a. von Anaxagoras, Parmenides, Thales, Anaximenes, Archelaos, Plato, Aristoteles, Pherekydes, Leukippos, Demokrit, Epikur, Karneades, Klitomachus und Pythagoras zusammen,21 um so ihre unterschiedlichen und widersprüchlichen Meinungen gegeneinander auszuspielen22. Das Widersprüchlichkeitsargument eignete sich in besonderem Maße für satirische Verarbeitungen: Bei Hermias finden sich Tendenzen gesteigert, die schon im Diognetbrief und bei Tatian anklangen und auch in späteren Texten zum Tragen kommen. Die in der Forschung immer wieder diskutierten Parallelen zwischen dem Hermias-Traktat und Pseudo-Justins Cohortatio ad Graecos23 sind möglicherweise als Teil der Wirkungsgeschichte des Traktats oder seiner literarischen Vorlagen zu deuten. Dies gilt auch hinsichtlich der Verwendung des Widersprüchlichkeitsarguments.24

20 Hermias, Satire des philosophes paiens, ed. Richard Patrick Crossland Hanson u. a., SC 388, Paris 1993; vgl. dazu die Besprechung von Christoph Riedweg: C. Riedweg, Rez. Hermias, Satire des philosophes paiens. Par R.P.C. Hanson / D. Joussot (Paris 1993), in: JAC 38 (1993),181–183. Zu Hermias vgl. J. Henrik Waszink, Hermias, in: RAC 14 (1988), 808–815; C. Riedweg, Hermias, in: 4RGG 3 (2000), 1673; M. Skeb, Hermias, in: 3LACL (2002), 320f. 21 Er erwähnt nicht die Philosophen des Mittel- und Neuplatonismus, was als Indiz für die relative Frühdatierung des Werkes ins Feld geführt werden kann. 22 So die ausdrückliche Zielsetzung der gesamten Schrift, wie Hermias sie in der Zusammenfassung beschreibt: Hermias, irris. 19. 23 Christoph Riedweg hat die Cohortatio ad Graecos vorschlagsweise Markell von Ancyra zugewiesen: C. Riedweg, Pseudo-Justin (Markell von Ankyra?), „Ad Graecos de vera religione“ (bisher „Cohortatio ad Graecos“). Einleitung und Kommentar von Christoph Riedweg, SBA 25/1, Basel 1994, 109–115; Pseudo-Justin, Cohortatio ad Graecos. De monarchia. Oratio ad Graecos. 24 Ad Graecos de vera religione 3,2–4,1 und 8,1f. – Zu den Stellen und ihrer Deutung vgl. die Übersetzung und die Kommentierung von Christoph Riedweg (vgl. vorige Anmerkung).

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II.    Die intensive Inanspruchnahme des Widersprüchlichkeitsarguments durch die christliche Polemik und Apologetik ist nur dadurch zu erklären, dass das Argument und seine Explikation zum zeitgenössischen intellektuellen Gemeingut zählten, dessen sich die Christen naheliegenderweise bedienten. Schon ein kurzer vergleichender Blick auf die in etwa zeitgenössische jüdische Apologetik zeigt eine ähnliche Selbstverständlichkeit bei seiner Anwendung. Bei Philo von Alexandrien findet sich gleich zum Eingang seiner Werbeschrift für das kontemplative Leben eine Aussage, mit der er die eigene einfache, schlichte (ἀτεχνῶς) Orientierung an der Wahrheit den Darstellungen der Poeten und Schriftsteller entgegensetzt.25 Die Aussagen, die er in diesem Zusammenhang über bestimmte Auffassungen der Philosophen macht, ähneln denen, die wir christlicherseits im Diognetbrief vorgefunden hatten.26 Noch deutlicher ist der Befund bei Josephus. Er betont in seiner Verteidigungsschrift gegen Apion27 ausdrücklich die einheitsstiftende Kraft des jüdischen Gesetzes und setzt die Vielfalt der Meinungen der Philosophen kritisch hiervon ab: Dies hat vor allem anderen die bewundernswerte Eintracht bei uns zustande gebracht: Dass wir ein und dieselbe Auffassung von Gott haben, aber auch in der Lebensführung und in unseren Gedanken nicht voneinander unterschieden sind, bewirkt die schönste Übereinstimmung der Menschen in ihrem Ethos. Denn nur bei uns wird man weder Reden über Gott hören, die einander widersprechen – so wie bei den Übrigen nicht nur von irgendwelchen Leuten je nachdem, wie jeder gerade empfindet, geredet wird, sondern sogar von einigen Philosophen verantwortungslos gelehrt worden ist, von denen die einen die Natur Gottes mit ihren Argumenten aufheben, die anderen die Vorsorge für die Menschen ihm absprechen möchten  –, noch wird man in den Alltagsgeschäften einen Unterschied sehen,

5 Philo, vita contemplativa 1 (Cohn / Reiter). 2 26 Philo, vita contemplativa 3f. im Vergleich zu Diogn. 8,1f. 27 Ausgabe: Flavius Josephus, Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem), Bd. 1 und 2. Erstmalige Kollation der gesamten Überlieferung (griechisch, lateinisch, armenisch), literarkritische Analyse und deutsche Übersetzung, ed. Folker Siegert, Schriften des Institutum Judaicum Delitzschianum 6,1/6,2, Göttingen 2008. – Vgl. zu Contra Apionem auch die Einleitung in D. Labow, Flavius Josephus, Contra Apionem, Buch I: Einleitung, Text, textkritischer Apparat, Übersetzung und Kommentar, BWANT 167, Stuttgart 2005; sowie G. Haaland, Beyond Philosophy Studies in Josephus and his Contra Apionem, MJSt 7, Münster 2007; C. Gerber, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift „Contra Apionem“, AGJU 40, Leiden 1997; L.H. Feldman, Josephus „Contra Apionem“. Studies in its Character and Context with a Latin Concordance to the Portion Missing in Greek, AGJU 34, Leiden 1996.

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sondern gemeinsam sind bei uns die Verrichtungen aller und eine ist die Lehre, die mit dem Gesetz übereinstimmt, was Gott betrifft, indem sie besagt, dass jener alles beaufsichtigt.28

Durch ihre „bewundernswerte Eintracht“ (τὴν θαυμαστὴν ὁμόνοιαν) und „schönste Übereinstimmung“ (καλλίστην συμφωνίαν) heben sich diejenigen, die sich am göttlichen Gesetz ausrichten, von allen anderen Menschen positiv ab. Die kollektive Identität gründet auf die Übereinstimmung in der Lebensführung und darauf, dass alle „ein und dieselbe Auffassung von Gott haben.“ Die Einheitlichkeit wird als Alleinstellungsmerkmal profiliert: Von dem am Kohärenzkriterium orientierten Idealbild werden die anderen Völker abgesetzt, bei denen sich widersprechende Ansichten über Gott finden. Solche im Judentum vorfindliche Argumentationsfiguren machte sich die christliche Apologetik natürlich zu eigen.29 Unbeschadet dieser und anderer Belegstellen aus der frühjüdischen Apologetik ist zum zeitgenössischen Hintergrund des Widersprüchlichkeitsarguments aber nicht auf die Traditionen der Apologetik, sondern auf die philosophische Skepsis zu verweisen. Darauf hat Christoph Riedweg hingewiesen.30 Bei den Skeptikern war das Widersprüchlichkeitsargument von zentraler Bedeutung für ihre Option zugunsten der ἐποχή, des Zurückhaltens der Meinung: Wenn im Laufe der Geschichte bei allen prominenten Bemühungen um die großen Fragen der Philosophie nichts weiter herausgekommen war als eine kaum mehr überschaubare Vielfalt verschiedener einander widersprechender Meinungen, dann musste eine gewisse Selbstfestlegungsreserve in diesen Fragen die einzig verantwortbare Haltung sein. Riedweg hat mit Recht unterstrichen, dass dies auch für theologische Fragen galt.31 Riedweg hat ferner gezeigt, dass der Rückgriff auf doxographische Zusammenstellungen von philosophischen Meinungen zu einschlägigen Themen 28 Josephus, Contra Apionem II 179–181 (Übersetzung nach Siegert, 2008, Bd. 1,192). 29 Vgl. hierzu die Bemerkungen von Martin Vogel in Siegert, 2008, Bd. 1, 63f.: „Noch im 2. Jahrhundert eröffneten Quadratus, Aristides und Justin die Reihe der christlichen Apologeten, die sich – ob nun schon unter dem Einfluss des Josephus oder nicht – jüdischer Standardargumente bedienen. Ab Pseudo-Justin (Cohortatio ad gentiles) wird Josephus’ Einfluss angenommen, ab Theophilos ist er sicher.“ – Zur Thematik vgl. M. Meiser, Frühjüdische und frühchristliche Apologetik, in: J.U. Kalms (ed.), Internationales Josephus-Kolloquium Aarhus 1999, MJSt 6, Münster 2000, 155–184. 30 Riedweg, 1994, 109–115; vgl. auch Fiedrowicz, 2001, 292f., der sich auf die Analysen Riedwegs bezieht. 31 Riedweg, 1994, 113. Riedweg zitiert als Beleg S.E. Pyrrhon, hyp. III 2, der das Widersprüchlichkeitsargument zunächst entfaltet und dann folgert: „Aus diesem Grunde ist es also nicht zu erfassen, ob Gott existiert.“

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fester Bestandteil skeptischer Argumentationstechnik war. Er verweist beispielsweise auf den Akademiker bei Cicero, der aus einer Zusammenstellung über die Prinzipienlehre der Philosophen eine riesige Bandbreite der Meinungen unter den großen Denkern nachweist, um dann zu folgern, dass man aus dieser Vielfalt nicht die eine oder die andere Meinung begründet als richtig identifizieren könne.32 Natürlich findet sich der Hinweis auf die Problematik der Vielfalt unterschiedlicher Meinungen schon seit Platon.33 Und dem alten sophistischen Anspruch auf Wahrheit auch entgegengesetzter Meinungen34 suchten Platon mit der scharfen Unterscheidung von Meinen und Wissen und Aristoteles mit dem Satz vom Widerspruch35 zu begegnen. Die Skeptiker zogen aus dem Phänomen die Konsequenz, dass sie die ἐποχὴ als einzig vernunftadäquate Haltung auf den Schild hoben und zum Beleg auf einschlägige Textsammlungen zurückgriffen bzw. diese teils erweiterten, teils selbst erstellten. Neben dem Verweis auf den historisch gewachsenen skeptisch-philosophischen Hintergrund des Widersprüchlichkeitsarguments ist zu beachten, dass es während der zweiten Sophistik zu einer spezifischen Färbung bei seiner Anwendung kommt. Denn zu dieser Zeit fallen ironisch-satirische Explikationen besonders auf. Berühmt und bei einer großen Leserschar bis heute beliebt sind die beißenden Demaskierungen des zeitgenössischen Philosophenbetriebes aus der Feder des Lukian von Samosata,36 die literarisch brillant in die Form parodistischer Dialoge gegossen sind. Die Vielfalt der Meinungen ist ein wichtiges Argument für Lukian, um den Philosophen Scharlatanerie nachzuweisen.37 Es liegt auf der Hand, dass christliche Apologeten sich durch diese Texte zu eigenen Versuchen inspirieren ließen, zumal sie damit auf den Beifall des zeitgenössischen Publikums hoffen konnten. Insbesondere für Hermias lässt sich nachweisen, dass er sich für seine 32 Riedweg, 1994, 112 zitiert Cic., ac. II 117ff. und bezieht sich dabei auch auf die Analysen zur Stelle von A.-J. Festugiere, La relevation d’Hermes Trismegiste. II: Le dieu cosmique, Paris 1949, hier bes. 363. 33 Riedweg, 1994, 112 verweist auf Pl., Sph. 26a4–5. 34 Pl., Euthd. 285d7–287a5. 35 Pl., Tht. 151e9–152c7. 161d2–e2; Arist., metaph. IV 3–8. 36 Vgl. u. a. P. von Möllendorf (ed.), Lukian, Hermotimos oder Lohnt es sich, Philosophie zu studieren?, TzF 74, Darmstadt 2000; Dazu: id., Grübler, Schwätzer, Scharlatane – das Bild des Intellektuellen bei Lukian, in: Pegasus-Onlinezeitschrift 7 (2007), 31–45. 37 Die hoch komplexe Frage der Imitation und Aneignung klassischer Literatur durch die Vertreter der zweiten Sophistik kann hier natürlich nicht behandelt werden. Einschlägig sind die Ergebnisse des Giessener SFB „Erinnerungskulturen“ mit dessen von Peter von Möllendorf geleiteten Teilprojekt A10 „Ästhetik und Bildung in der Zweiten Sophistik.“

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„Verspottung der heidnischen Philosophen“ am konkreten literarischen Modell des Spötters Lukian von Samosata orientiert hat.38 Die Verarbeitung solcher Vorlagen auf christlicher Seite hat sowohl rezeptive als auch eigenständige Aspekte. Auf der einen Seite griffen die christlichen Autoren den Grundgedanken wie auch das bereitstehende literarische Material zu seiner Entfaltung und die ironisch-satirischen Tendenzen bei seiner Explikation auf39 und schlossen sich so an zeitgenössische pagane Autoren an, die sich ihrerseits über den Philosophenbetrieb lustig machten. Auf der anderen Seite blieben sie aber nicht bei der destruktiven Ausrichtung stehen, die das Argument bei den Skeptikern hatte. Zwar nutzten sie die vorliegenden Traditionen zur Kritik oder Destruktion paganer philosophischer Entwürfe, aber zugleich setzten sie dem einen positiven Entwurf entgegen, der einen unbeirrbaren Wahrheitsanspruch erhob. Für die Christen folgte aus dem Tatbestand vorliegender unterschiedlicher und widersprüchlicher philosophischer Meinungen zwar, dass die überkommenen Philosophien

38 Vgl. Hanson / Joussot 1993,16. 66. – Für die ältere Literatur zu Hermias vgl. A. Freiherr von Di Pauli, Die Irrisio des Hermias, FChLDG VII,2, Paderborn 1907, 40–52. –Zum hier nicht weiter zu verfolgenden Motiv des Falls der Engel als Grundlage aller Philosophie bei Hermias vgl. R. Bauckham, The Fall of the Angels as the Source of Philosophy in Hermias and Clement of Alexandria, in: VigChr 39 (1985), 313–330. 39 In diesem Punkt besteht eine Kontinuität auch innerhalb der christlichen Apologetik bis ins 5. Jahrhundert, vgl. hierzu meinen Beitrag (J. Ulrich, The Reception of Greek Christian Apologetics in Theodoretus’ Graecarum affectionum curatio, in: J. Ulrich / A.-C. Jacobsen / M. Kahlos (eds.), Continuity and Discontinuity in Early Christian Apologetics, ECCA 5, Frankfurt 2009, 113–130). Wir verzeichnen erstens die Benutzung doxographischer Handbücher, in denen einschlägige Stellen der Philosophen aufgeführt waren, und zweitens die Etablierung einer binnenchristlichen Belegstellenkultur, die bei Eusebius einen Höhepunkt erreicht und am Ende bei Theodoret weidlich, aber eben oft auch nur noch wiederholend, benutzt wird. Die doxographischen Handbücher bestimmen die Auswahl der Zitate und deren Anordnung, ihre Benutzung machte es den Apologeten natürlich leicht, schnell ein paar Stellen zusammenzusuchen, mit denen evident zu machen war, dass unterschiedliche Meinungen vorlagen. Aetius’ Placita waren außerordentlich beliebt; Theodoret benutzt und empfiehlt nach eigener Aussage auch Plutarch, Placita Philosophorum, und Porphyrius’ Geschichte der Philosophie, so Thdt. affect., 4,31. Zugleich entwickelt sich eine binnenchristliche apologetische Belegtradition, die mit festen Argumentationsmustern arbeitete und dabei auch bestimmte Textanthologien produzierte, die die Nachfolgenden dann benutzten. Hier waren Clemens von Alexandriens Teppiche und Eusebs Praeparatio Evangelica die wichtigsten christlichen Sammlungen heidnischer Quellen, die ihrerseits wieder zur Quelle für die apologetischen Arbeiten des vierten (Athanasius) und fünften (Theodoret) Jahrhunderts wurden.

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nur teilweise oder gar nicht tragfähig waren, aber daraus ergab sich nun gerade nicht das skeptische Plädoyer für die Meinungszurückhaltung, sondern die Notwendigkeit der Hinwendung zu einer tragfähigen philosophischen Alternative, nämlich der christlichen Lehre,40 von der dann freilich innere Kohärenz unabdingbar zu behaupten war, um sie nicht dem gerade ausgesprochenen Verdikt über einander widersprechende philosophische Meinungen auszusetzen. Die Polemik gegen die Widersprüchlichkeit paganer Philosophen diente den Christen nicht nur zur Zurückweisung von deren Lehren, sondern war zugleich eine bewusst eingesetzte dunkle Folie, vor der die eigene Lehre umso heller aufstrahlen und ihre Überzeugungskraft erweisen sollte.

III.    Nun war es gegen Ende des zweiten Jahrhunderts für niemanden zu übersehen, dass auch das Christentum dem Phänomen einer Diversifizierung von Meinungen bis hin zu Aufspaltungen in verschiedene Gruppen, Kirchen und Konfessionen unterlag.41 Und die Quellen zeigen, dass die Inkohärenz der Lehre und die Aufspaltung in eine Vielzahl sich christlich nennender Gemeinschaften von heidnischer Seite sofort kritisiert wurden. Das ergibt sich sowohl aus christlichen Verteidigungsanstrengungen gegen eben diese Einwände als auch aus Zitaten heidnischer Kritiker, die zum Zwecke anschließender Widerlegung in christlichen Texten erhalten sind. Unmittelbar an die oben zitierte Passage aus Tertullians Apologeticum42 anschließend finden wir einen ersten Beleg. Nachdem Tertullian das Widersprüchlichkeitsargument polemisch gegen die paganen Philosophen eingesetzt hat, verteidigt er sich sogleich gegen Vorwürfe, die auf die offensichtliche Pluralität christlicher Gruppierungen zielten oder zielen konnten:

40 Auch Josephus falsifiziert mit dem skeptischen Argument der Meinungsvielfalt unter Philosophen nicht zuletzt auch die Skeptiker unter den Philosophen, indem er ihnen die Einheitlichkeit der jüdischen Lehre und Lebensführung entgegenstellt, Contra Apionem II 179–181 (vgl. hierzu die Bemerkungen von Manuel Vogel in Siegert, 2008, Bd. 2, 117). – Für die christlichen Texte vgl. entsprechend die oben zitierten Stellen Tat., orat. 25,3f. und Thphl. Ant., Autol. 2,82–9,2. 41 Auch Josephus, der die Einheitlichkeit des Judentums aus apologetischen Gründen gegenüber Apion ins Feld führt, wusste natürlich um die tatsächliche Vielfalt des Judentums, wie Bellum Iudaicum II119–161 oder Antiquitates Iudaicae 18, 11–21 zeigen. Manuel Vogel in Siegert, 2008, Bd. 2, 117, erklärt sich dies so, dass Josephus die apologetisch behauptete „bewundernswerte Eintracht“ für die Juden weit gefasst habe. Das mag sein. Wie überzeugend das für nichtjüdische Leser war, ist eine andere Frage. 42 Tert., apol. 47, 4–8. Vgl. oben Anm. 19.

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Das erwähnen wir darum, damit nicht jemand angesichts der bekannten Meinungsverschiedenheit in unserer Gemeinschaft denkt, dass wir auch darin den Philosophen gleichkommen (ne cui nota uarietas sectae huius in hoc quoque nos philosophis aequare uideatur), und aufgrund der Meinungsverschiedenheit eine Schwäche der Wahrheit beanstandet. Kurzerhand aber wenden wir gegen unsere Verfälscher ein, dass jene die Richtschnur der Wahrheit ist, welche von Christus kommt und durch seine Gefährten überliefert worden ist, denen gegenüber sich diese abweichenden Ausleger als bedeutend später erweisen.43

Tertullian räumt die „bekannten Meinungsverschiedenheiten in unserer Gemeinschaft“ (an denen er bekanntlich nicht ganz unbeteiligt war) ein und versucht dennoch, die Christen in diesem Punkt von den heidnischen Philosophen zu unterscheiden. Er tut dies, indem er die anderen Christen, aus seiner Sicht die „Häretiker“,44 als Dissidenten diskreditiert, die von der einheitsstiftenden Richtschnur abgewichen seien und die Tradition verlassen und Neuerungen eingeführt hätten. Die wahren Christen sind hingegen die, die sich auf die Tradition berufen können. Diese allein werden dem Anspruch auf Kohärenz der Lehre und Einheit der Gemeinschaft gerecht – im Unterschied zu den Abweichlern. Man sieht, wie sehr die Christen angesichts ihrer von ihnen behaupteten, aber offensichtlich nicht vorhandenen Einheit unter apologetischem Druck standen, gerade wenn sie selbst das Widersprüchlichkeitsargument zur Falsifizierung paganer Philosophien einsetzten. War das Problem der vielfältigen Gemeinden, Schulen, Zirkel, die sich alle als christlich ansahen, schon aus inneren Gründen eine massive Anfrage an die frühen Christen, so gerieten sie umso mehr in Erklärungszwang, wenn sie selbst mit dem etablierten Argument „Gegensätzlichkeit – falsch / Einheitlichkeit  – wahr“ operierten, um ihren Wahrheitsanspruch geltend zu machen. Aus Perspektive eines heidnischen Kritikers45 traf die verwirrende Vielfalt, die Tertullian den Philosophen anlastete, auf die Christen in gleichem Maße zu. Tertullian hält demgegenüber an dem Anspruch der Christen auf Einheitlichkeit fest und „löst“ das Problem, indem er die christlichen „Abweichler“ nicht als Christen anerkennt. Ein ähnliches Vorgehen finden wir bei Justin, der Christen, die in Lehre und Lebenswandel Christus nicht entsprechen, im Grunde nicht mehr als Christen anerkennt bzw. sie als bloße

43 Tert., apol. 47, 9f. (CChr.SL 1,164,37–43 Dekkers). – Übersetzung nach T. Georges (vgl. Anm. 19). 44 Vgl. hierzu Tertullians Entwurf De praescriptione haereticorum. 45 Mit dem „jemand“ (cui) in Tert., apol. 47,9 ist sicher keine bestimmte Person im Blick, sondern verallgemeinernd die Außenperspektive auf das Christentum eingeholt.

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„Namenschristen“ diskreditiert.46 Der apologetische Hintergrund dieser Aussagen ist mit Händen zu greifen.47 Eine genüssliche heidnische Polemik gegen die Diversität christlicher Lehre und Institutionalität finden wir bei Kelsos, dem großen Christentumskritiker am Ende des 2. Jahrhunderts.48 In seiner in der Apologie des Origenes referierten „Wahren Lehre“49 kritisiert er an drei Stellen die augenfällige Uneinigkeit der Christen. In Kels. 2,27 nimmt er die Vielzahl der Evangelien aufs Korn. Das Vorhandensein verschiedener Evangelien bei verschiedenen christlichen Gruppen sei ein Versuch, die Kritik am Christentum unter Hinweis auf das je eigene, „wahre“ Evangelium zu entkräften. Kelsos führt den Gebrauch verschiedener Evangelien und anderer kanonischer Texte bei den vielen sich christlich nennenden Gruppierungen als Beleg an, dass Hass und Streit, Spaltungen und Parteienwesen im Christentum an der Tagesordnung seien, womit dieses sich selbst diskreditiere.50 In Kels. 3,10–14 wird den Christen unterstellt, dass nur noch der Name, die Tendenz zum Aufruhr und die gemeinsame Furcht vor den äußeren Feinden als gemeinsamer Nenner erscheine, während sie sich angesichts ihrer zahlreichen Trennungen und Spaltungen letztlich gegenseitig widerlegen.51 Die christlicherseits 6 Just., 1 apol. 16,8; 16,14: λεγομένους δὲ μόνον Χριστιανούς. 4 47 Es handelt sich offensichtlich um eine Verteidigung gegen den Vorwurf der Inkohärenz der Lebensweise verschiedener Christen. Im Hintergrund steht der moralische Wahrheitsbeweis, den Justin unter Verweis auf die Bergpredigt zu Gunsten des Christentums zu führen versucht. Vgl. J. Ulrich, Ethik als Ausweis christlicher Identität bei Justin Martyr, in: ZEE 50 (2006), 21–28; und J. Ulrich, Apologetics and Orthodoxy, in: A.-C. Jacobsen / J. Ulrich / D. Brakke (eds.), Critique and Apologetics. Jews, Christians and Pagans in Antiquity, ECCA 4, Frankfurt 2009, 209–229 (214f.). 48 Vgl. M. Frede, Celsus philosophus Platonicus, in: ANRW 36,7, (1994), 5183– 5213. 49 Die ‚Wahre Lehre‘ des Kelsos, übersetzt und erklärt von Horacio E. Lona, KfA.E 1, Freiburg 2005. 50 Dass die vielfältige Institutionalität konkurrierender christlicher Gruppen mit dem Vorhandensein unterschiedlicher kanonischer Texte in diesen Gruppen korrespondieren konnte, hat Kelsos völlig richtig gesehen – ein Beleg dafür, dass er das Christentum, gegen das er polemisiert, einigermaßen gut gekannt haben muss. 51 Cels. 3,10–14: „Am Anfang waren sie wenige und eines Sinns. Nachdem sie aber zu einer Menge angewachsen sind, trennen und spalten sie sich wieder, und jeder will seine eigene Partei haben. Denn danach verlangten sie von Anfang an. Infolge der Menge haben sie sich wieder voneinander getrennt und widerlegen sich gegenseitig; sie haben sozusagen nur eines noch gemeinsam, wenn sie es überhaupt gemeinsam haben: den Namen. Das ist doch das Einzige, das sie sich schämen aufzugeben; was den Rest anbelangt, organisiert sich jede Gruppe jeweils anders. Ihre Verbindung ist umso erstaunlicher, je weniger sie, wie man nachweisen kann, auf einer zuverlässigen Grundlage beruht. Die zuverlässige Grundlage aber ist nur

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als Wahrheitskriterium geltend gemachte Eintracht existiert in Wirklichkeit nicht, der damit verbundene Anspruch entfällt. Zum Beweis präsentiert Kelsos die berühmte lange Liste einander unerbittlich bekämpfender christlicher Gruppen,52 in der man cum grano salis das heidnische, gegen die Christen polemisierende Pendant zu Tatians und Hermias’ christlicher, gegen die Heiden polemisierender Liste verschiedener Philosophengruppen erblicken kann. Kelsos will die Christen angesichts ihrer vielfältigen Zerstrittenheit lächerlich machen und ihren Wahrheitsanspruch durch den Hinweis falsifizieren, dass sie sich untereinander alle beschimpfen, hassen und sich in ihren Streitereien gegenseitig widerlegen: Niemand soll meinen, ich wisse nicht, dass die einen unter ihnen darin übereinstimmen, ihr Gott sei derselbe wie jener der Juden, andere hingegen meinen, ihr Gott sei ein anderer – ein Gegner des Ersten –, und von dem sei der Sohn gekommen. Es gibt auch ein drittes Geschlecht derer, die einige als Psychiker bezeichnen, andere als Pneumatiker. Einige stellen sich als Gnostiker vor. Einige anerkennen Jesus, aber sie wollen nach dem jüdischen Gesetz weiter leben wie die Masse der Juden. Einige sind Sibyllisten. Ich kenne auch die Simonianer, welche die Helena oder den Helenos als Lehrer verehren und auch Helenianer genannt werden. Ich kenne auch die Markellianer, die von Markellina, und die Harpokratianer, die von Salome, und andere von Mariamme und andere von Martha, und die Markioniter, deren Vorsteher der Markion ist. Einige haben diesen, andere jenen Lehrer und Dämon als Vorsteher gefunden, indem sie in übler Weise umherirren und sich in großer Finsternis herumwälzen, gesetzloser und verworfener als die Vereinsgenossen des Ägypters Antinoos. Sie beschimpfen sich gegenseitig auf übelste Weise mit sagbaren und unsagbaren Ausdrücken und sie würden nicht nachgeben, auch nicht im Hinblick auf die Eintracht, denn sie hassen sich gegenseitig durchaus. Einige nennen sie Kirken und listige Unruhestifter. Einige werden Brandmale der Ohren genannt; einige Rätsel; einige hinwegtanzende und sophistische Sirenen, die die Ohren der Gläubigen versiegeln und mit einem Schweinskopf versehen. Auch wenn sie sich voneinander distanziert haben und sich selbst in ihren Streitigkeiten in der schlimmsten Form widerlegen, so hört man dennoch von allen sagen: „Für mich ist die Welt gekreuzigt, und ich für die Welt.“53

Ein kurzer Blick auf die spätere pagane Christentumskritik zeigt, dass der Inkohärenzvorwurf auch im 3. und 4. Jahrhundert noch von paganer Seite gegen die Christen erhoben fortbestand  – das Christentum bot an diesem Punkte hinreichend Angriffsflächen. Christoph Riedweg hat in diesem Zusammenhang auf das bei Clemens von Alexandrien Referierte aufmerksam der Aufruhr und der von ihm bedingte Vorteil, sowie die Furcht vor den äußeren Feinden. Dies allein befestigt ihren Glauben.“ – Übersetzung nach H. Lona (vgl. Anm. 49), 181; zur Kommentierung der Passage vgl. ebd. 181–183. 52 Cels. 5,61–64. 53 Übersetzung von Horacio E. Lona, a.a.O. 310.; zur Kommentierung dieser Passage vgl. ebd. 310–314.

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gemacht, wo den Christen eine διαφωνία τῶν αἱρέσεων nachgesagt wird.54 Die verwirrende Menge sich christlich nennender, aber einander befehdender Parteien, war für Beobachter von außen befremdlich und falsifizierte jegliche christliche Wahrheitsansprüche. Neben der institutionellen Mannigfaltigkeit scheint inhaltlich v. a. die Inkohärenz der biblischen Zeugnisse immer von neuem Zielscheibe der Kritik an den Christen gewesen zu sein. Eine große Rolle spielen dabei, wie schon bei Kelsos gesehen, die Vielzahl verschiedener Evangelien bei verschiedenen christlichen Gruppen, aber auch die Vierzahl der Evangelien in der sich etablierenden Großkirche. Die tatsächliche oder vermeintliche Widersprüchlichkeit der Jesusüberlieferung wurde von Porphyrius ebenso vorgetragen55 wie von Hierokles, dem von Diokletian mit der Abfassung einer christentumskritischen Schrift beauftragten bithynischen Statthalter.56 Bis ins 5.  Jahrhundert hinein konfrontierten die heidnischen Gegner des Christentums die nun zur führenden Größe im Imperium Romanum aufgestiegene christliche Religion mit diesem Vorwurf, was sich an apologetischen Bemühungen Theodorets im Osten und Augustins im Westen indirekt ablesen lässt.57

IV.    Das Widersprüchlichkeitsargument besaß in der zeitgenössischen intellektuellen Umwelt hohe Akzeptanz und große Beliebtheit in der wechselseitigen Polemik und Apologetik. Wie aber reagierten nun die Christen, die das Widersprüchlichkeitsargument in ihrer Polemik gegen die paganen Philosophen verwendeten, darauf, dass eben dasselbe Argument ihnen von paganer Seite mit durchaus nachvollziehbaren Gründen vorgehalten wurde? Bei Tertullian sahen wir, dass er anders denkenden Christen mit Hilfe einer Traditionskonstruktion die Authentizität und damit das Christsein abspricht.

4 Clem., str. VII 89,2, zitiert bei Riedweg (vgl. Anm. 23), 113f. mit Anm. 468. 5 55 Porph., Chr., fr. 15 Harnack. 56 Abzulesen in den Fragmenten bei Lact., inst. V 2f. und in der Gegenschrift des Eus., Hierocl.; insbesondere Hierocl. 2. Hierokles’ Traktat widerlegt die Christen durch Erweis der Überlegenheit des Apollonius von Tyana gegenüber Christus und durch den Nachweis von Widersprüchen im Neuen Testament. 57 Thdt., affect. 5,49: „Den Gesetzgeber Mose nämlich und den Propheten David, den hochherzigen Ijob, Jesaja, Jeremia, und überhaupt den ganzen Chor der Propheten ebenso wie Matthäus, Johannes, Lukas, Markus, Petrus, Paulus und die Schar der Apostel, sie alle kann man in völliger Übereinstimmung über die menschliche Natur zu den Leuten sprechen sehen.“ – Aug., civ. 18,41: „Dagegen sind unsere Schriftsteller, die man mit gutem Grund zum fest abgegrenzten Kanon heiliger Schriften zusammengefasst hat, weit entfernt davon, irgendwie voneinander abzuweichen.“

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Ähnlich verhält es sich bei Justin, der Abweichlern von einer als kohärent dargestellten christlichen Ethik abspricht, Christen zu sein.58 Das apologetisch geforderte Bemühen um den Erweis von Einheit verstärkt ohnehin bestehende Tendenzen, abweichende Lehren und andere sich als christlich verstehende Gemeinschaften nicht als zugehörig zur christlichen Gemeinschaft anzuerkennen. Das Problem von „Häresie und Orthodoxie“ erfährt mit dem Widersprüchlichkeits- und Kohärenzargument eine erhebliche Verschärfung. Die Notwendigkeit des Nachweises eigener Lehrkohärenz erforderte es, klare Abgrenzungen vorzunehmen von allen, die von den jeweiligen Konsensen abwichen. Zusätzlich zu derartigen Abgrenzungsmanövern verzeichnen wir verstärkte apologetische Bemühungen der Christen um den Nachweis eigener Lehrkohärenz. Behauptete man, eine evident überlegene Alternative aufzeigen zu können, die positive, widerspruchsfreie philosophische und theologische Aussagen ermöglichte und sich genau darin von der verwirrenden Vielfalt philosophischer Versuche positiv unterschied, musste man dies belegen und gegen Kritik schützen. Bemühungen um den Erweis innerer Einheit mussten die Folge sein. Von besonderer Bedeutung wurde das Insistieren auf der Einheitlichkeit der eigenen Offenbarungsüberlieferung. Dies konnte auf unterschiedliche Weise geschehen: Meist unter Hinweis auf die göttliche Inspiration der Schrift bzw. ihrer Verfasser, häufig mit Hilfe der typologischen und allegorischen Auslegungsmethode(n), oft durch Verwendung oder Aufstellung von Chroniken und Chronologien59 und in manchen Milieus mit Anstrengungen hinsichtlich der christlichen Hermeneutik.60 Für die heiligen Schriften des Alten Testaments konnte man hierzu teils auf entsprechenden apologetischen Anstrengungen jüdischer Autoren aufbauen. Im Blick auf den werdenden neutestamentlichen Kanon ergaben sich aber neue Schwierigkeiten wie das Problem mehrerer Evangelien, das von Gegnern wie Kelsos aufgespießt wurde. Irenäus argumentiert zugunsten der Vierzahl der Evangelien, indem er einerseits das „vierfältige Evangelium“ gerade gegen die Zersplitterung geltend macht, die andere durch die Beschränkung auf nur ein Evangelium verursacht hätten,61 und andererseits in weitreichenden allegorischen Deutungen der Vierzahl gerade die Einheit des Kosmos bzw. Einheit der Heilsordnung in dieser Vierheit symbolisiert sieht. Warum sollte die Zahl der Evangelien größer oder kleiner sein? Da die Welt, in der wir leben, sich in vier Gegenden teilt und weil es vier Hauptwindrichtungen gibt,

8 Vgl. hierzu oben Anm. 46. 5 59 Z. B. Julius Africanus oder Eusebius von Caesarea; vgl. auch Thphl. Ant., Autol. 3,16–30, wo die Chronologie die Funktion der Absicherung des Altersbeweises durch einen Kohärenznachweis erfüllt. 60 Z. B. Augustinus, De doctrina Christiana; zuvor schon Tyconius. 61 Iren., haer. 3,11,7.

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die Kirche aber auf der ganzen Erde verbreitet ist, Säule und Stütze der Kirche das Evangelium und der Geist des Lebens sind, so hat sie plausiblerweise vier Säulen, die von allen Seiten Unvergänglichkeit atmen und die Menschen immer neu beleben. Da leuchtet es ein, dass der Erbauer des Alls, der Logos, „der auf den Kerubim thront“ und „das All zusammenhält“, uns bei seinem Erscheinen vor den Menschen das Evangelium in vierfacher Gestalt gab, aber zusammengehalten von einem Geist.62

Irenäus begründet den Vierevangelienkanon mit dem Hinweis auf die Komplementarität der Vierzahl, die, wie bei den vier Himmelsrichtungen, nur zusammen ein einheitliches Ganzes ergeben; die Vierzahl verdankt sich dem Willen des Schöpfungsmittlers, von dessen Erscheinen bei den Menschen dann auch in vierfacher Weise die Rede sein muss, wobei die Vierheit von dem einen Geist zusammengehalten wird (uno spiritu continetur). Der Vierevangelienkanon ist nicht eine Sammlung von vier Evangelien, sondern eine logos- und schöpfungsgemäße Viergestaltigkeit des einen Evangeliums. Irenäus’ Begründung läuft darauf hinaus, die Vierzahl als Einheit zu interpretieren und so die Kohärenz der Offenbarungsüberlieferung zu erweisen. Dabei muss man allerdings sehen, dass, auch wenn sich langfristig der Vierevangelienkanon durchgesetzt hat, die Überzeugungskraft der Ausführungen eines Irenäus unter den frühen Christen nicht überall gleichermaßen hoch war. Vor dem Hintergrund des Widersprüchlichkeits- und Kohärenzarguments wird jedenfalls gut verständlich, dass in einigen christlichen Kreisen verstärkt Bemühungen um eine Evangelienharmonie sichtbar werden.63 Diese konnte apologetisch die Funktion erfüllen, den christlichen Wahrheitsanspruch und seine Begründung aus der Einheitlichkeit der christlichen Lehre zu unterstreichen und ihn in Abgrenzung von der Vielfalt und Gegensätzlichkeit der Meinungen bei den Heiden zur Geltung zu bringen. Das apologetisch motivierte Interesse am Aufweis von Einheitlichkeit und Kohärenz hat dem Diatessaron offenbar doch in weiten Kreisen der frühen Christenheit erheblichen Erfolg ermöglicht. Gerade in denjenigen christlichen Milieus, in denen das Argument von Widersprüchlichkeit und Kohärenz den Heiden besonders radikal entgegengehalten wurde, so wie etwa bei Tatian, fand der Vierevangelienkanon keine Freunde, sondern es wurde die Notwendigkeit gesehen, ein einheitliches, verbindliches Evangelium zu erstellen. Das Entstehen des Diatessaron gerade in den Kreisen um Tatian verdankt sich auch dem apologetischen Bemühen, paganer Kritik an der Vielfalt christlicher Überlieferung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Hier 62 Iren., haer. 3,11,8. Ich zitiere die Übersetzung von Norbert Brox: Irenäus von Lyon, Adversus Haereses. Gegen die Häresien, übersetzt und eingeleitet von Norbert Brox, FC 8/3, Freiburg 1995,109–111. 63 Vgl. hierzu W.L. Petersen, Tatian‘s Diatessaron. Its Creation, Dissemination, Significance and History in Scholarship, in: VigChr.S 25, Leiden 1994 (Lit!); T. Baarda, Essays on the Diatessaron, Contributions to Biblical Exegesis and Theology 11, Kampen 1994 (Lit!).

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konnte eine Evangelienharmonie überzeugender erscheinen als der noch so kongruent verstandene Vierevangelienkanon. Neben den apologetischen Bemühungen um Kohärenzerweise sei aber auch auf eine grundsätzlich andere Strategie hingewiesen, sich gegen den Vorwurf innerchristlicher Meinungsvielfalt zu verteidigen. Diese finden wir bei Origenes, der in seiner Auseinandersetzung mit der „Wahren Lehre“ des Kelsos die Vielfalt innerhalb des Christentums ausdrücklich zu rechtfertigen versucht. Während Tertullian und andere apologetisch auf Bestreitung der Vielfalt innerhalb des Christentums setzten, betreibt Origenes ihre Legitimierung. Freilich hatte Origenes das Widersprüchlichkeitsargument auch nicht polemisch gegen die Heiden in Anschlag gebracht. Origenes reagiert jedenfalls auf die Kritik des Kelsos,64 indem er die Verschiedenheit christlicher (und sonstiger) Theorien nicht als Widersprüchlichkeit, sondern als legitime Vielfalt interpretiert. So wie es in der Heilkunst, aber auch in der Philosophie und in der jüdischen Theologie verschiedene Schulen gab und gibt, verhält es sich eben auch im Christentum. Origenes hält Kelsos entgegen: Es wäre aber doch wenig vernünftig, wenn man von der Heilkunde wegen der in ihr vorhandenen verschiedenen Richtungen nichts wissen wollte, oder wenn man nach würdigen Zielen streben und sich doch mit Hass von der Philosophie abwenden und diesen Hass damit rechtfertigen würde, dass die Philosophen unter sich vielfach nicht einig seien. Ebensowenig darf man die heiligen Bücher des Moses und der Propheten wegen der Sekten verdammen, die unter den Juden entstanden sind. Hat es hiermit seine Richtigkeit, warum sollten wir dann nicht in gleicher Weise auch das Vorhandensein von Sekten unter den Christen rechtfertigen können?65

Damit nimmt Origenes innerhalb des zeitgenössischen Denkens wie innerhalb der christlichen Apologetik freilich insofern eine gewisse Sonderstellung ein, als er die Vielfalt von Meinungen nicht als Widersprüchlichkeit diskreditiert, sondern positiv deutet.

V.    Wie beim Alters- oder beim moralischen Beweis handelt es sich auch beim Widersprüchlichkeits- und Kohärenzargument um eine in der Antike konsensuell etablierte, in ihrer Gültigkeit nicht bestrittene Denkfigur. Es besteht auf allen Seiten Einigkeit darüber, dass Widersprüchlichkeit in den Aussagen gegen und dass Kohärenz in den Aussagen für die Wahrheit einer Lehre sprechen. Die Wahrheit muss in sich stimmig sein, während die Unwahrheit 4 Vgl. hierzu oben Anm. 53. 6 65 Or., Cels. III 12 (GCS Origenes 1, 211,25–212,13 Koetschau). – Übersetzung nach Origenes, Acht Bücher gegen Kelsos, 1. Teil Buch I–IV, aus dem Griechischen übersetzt von P. Koetschau, BKV 52, München 1926, 219 (leicht geändert).

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in Widersprüche zerfällt, weil sie sowohl mit der Wahrheit als auch mit sich selbst im Streit ist. Zu verzeichnen ist eine gewisse Traditionsbildung in der Verwendung des Arguments, die auch literarischen Niederschlag findet in der doxographischen Zusammenstellung von Textbelegen und durch die offenbar beliebte Inanspruchnahme in der Satire. Die inkohärente Vielzahl philosophischer Meinungen konnte benutzt werden zur Selbstkritik, als kritisches Argument gegenüber jeweils anderen Auffassungen, als polemische Verspottung des real existierenden zeitgenössischen Philosophenbetriebes, aber auch als ernstes philosophisches Argument zur Meinungszurückhaltung in stoischem Sinne. Juden und Christen übernahmen die vorgeformte Denkfigur und machten sie sich in der Polemik gegen die Heiden zunutze, um sodann der paganen Philosophie die eigene Lehre als überzeugende Alternative entgegenzuhalten. Aus diesem Verfahren ergab sich freilich ein erheblicher apologetischer Druck, wenn es darum ging, angesichts der offensichtlichen Vielfalt eigener Lehre und Institutionalität für das eigene Lager Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit zu behaupten. Die einschlägigen Texte zeigen, dass es eher leicht war, das Argument polemisch einzusetzen, dass sich die Apologetik aber schwer tut, entsprechende Vorwürfe gegen die eigene Seite zu entkräften. Neben der entschiedenen polemischen Abgrenzung von anders denkenden Christen um der äußeren Einheit willen zeigen sich vor allem argumentative Bemühungen um den Erweis der Einheitlichkeit der eigenen Offenbarungsüberlieferung. Stimmen, die die Vielfalt sowohl der christlichen Institutionen als auch der kanonischen Texte positiv deuten und als Mannigfaltigkeit legitimieren, sind demgegenüber in der Minderheit geblieben. Das Bewusstsein, dass die Einheitlichkeit von Lehre Bedingung für das Erheben von Wahrheitsansprüchen war, scheint im Vollzug wechselseitiger Polemik wie Apologetik weiter geschärft worden zu sein und mit der Zeit auch Niederschlag in institutionellen Gestaltwerdungsprozessen gefunden zu haben. Ab der Mitte des dritten Jahrhunderts absorbiert der Neuplatonismus viele der übrigen philosophischen Schulen, wodurch die griechische Philosophie im Vorfeld der „Konstantinischen Wende“ ein deutlich einheitlicheres Bild abgibt. Im Christentum entsteht trotz zahlreicher Spaltungen und Lehrdifferenzen zeitgleich eine als solche immer deutlicher kenntlich werdende allgemeine Kirche, die nicht zuletzt aufgrund ihrer relativen Einheitlichkeit in Struktur und Lehre zu einem gesellschaftlich maßgeblichen Faktor im Imperium Romanum aufsteigen konnte. Dass Konstantin der Große in seinem Kirchen- und Theologieverständnis immer wieder auf die Einheitlichkeit als entscheidenden Faktor abhob, ist Ausweis dieser Entwicklung und hat sie zugleich abermals befördert.

Dimensions and Developments of Early Christian Historiography* 1. Introduction Human beings have an awareness of sooner and later, of yesterday and today, of past and present, of temporal continuities, of chronology. This is the third Ebeltoft conference, it is the one after the second, and it will be followed by the fourth. Writing history means to construct and connect events that individuals or groups relate to themselves and claim as part of their identity. Historiography means written remembrance. Remembering particular events from the past within an ongoing and continuous scheme of time means to “produce” history. Each piece of the past becomes part of the present as soon as somebody remembers it and recounts it, and, as Reinhard Koselleck has pointed out on various occasions,1 then also moves towards anticipating the future. The Early Church soon developed an awareness of these continuities, too, with particular emphasis on church matters. In other words:  The Early Church has developed an awareness of history and of church history. The eschatological belief that the contemporary world would end did not conflict with this awareness. Luke’s Acts of the Apostles refer to the time between the Ascension of Christ and the Parousia, and this period is worth being mentioned, remembered, recounted, interpreted and written up. Church History has been part of the churches’ self-conception from the very beginning. However, in the beginning, the thematic reflection of this history was dominated by “internal history”;2 “internal history” comprises local perspectives, for example in the Acts of the Martyrs, immanent reconstructions in the form of bishops’ lists,3 the creation of the concept of tradition, as in Irenaeus and in Tertullian. On the other hand, these

* First published in:  J. Ulrich / A.-C. Jacobsen / D.  Brakke (eds.), Invention, Rewriting, Usurpation. Discursive Fights over Religious Traditions in Antiquity, ECCA 11, Frankfurt 2012, 161–177. 1 R. Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt 1984, particularly 176–207. 2 E. Stöwe, Kirchengeschichtsschreibung, in: 4TRE 18 (1989), 535–560 (536f.). 3 For the bishops’ lists as historiographical documents see W. Wischmeyer, Wahrnehmungen von Geschichte in der christlichen Literatur zwischen Lukas und Eusebius. Die chronographische Form der Bischofslisten, in: E.–M. Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, in: BZNW 129, Berlin 2005, 263–276.

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more or less restricted early historiographical efforts of a rather marginal religious group were never entirely sufficient for the development of Christian self-understanding. They did not fully represent the church’s exclusive claim of representing the full knowledge of God and securing eternal salvation. This is why the concept of “internal history” needed to be broadened. Early Christian historiographers soon began to outgrow the field of “internal history” and relate to more universal matters such as Jewish history and of course the history of the Roman Empire (Luke 2). They set up Chronicles to relate their own history to that of others. And finally, starting with Eusebius, they wrote a Historia ecclesiastica, recounting the history of church matters in relation to the history of the emperors and to events in the Empire. When I talk about developments in early Christian historiography now, I  will not analyse the different genres such as Acts, Gospels, Vitae, Lists, Chronicles, the Catalogues of heretics as well as of viris illustribus, or indeed, Church histories. I will rather focus on the different dimensions of Christian historiography, and different intentions as well. I  will concentrate on the Church histories, mainly on Eusebius and some of his successors, and look at the other genres only along the way. After presenting my material for six dimensions of early Christian historiography (2.1.–2.6.) I will pose the question of how they relate to each other (3.), and then compare the dimensions of Christian historiographical efforts to those of Jewish and Roman historiography (4.), and in conclusion (5.) I will say a few words about what all this might have to do with the theme of this conference, what all this might have to do with invention, rewriting, and usurpation.

2. Dimensions of early Christian historiography I extract the dimensions of Christian historiography from the methodologi­ cal remarks in the texts of the Church Histories themselves. However, it must be noted that the following six dimensions are in part on different epistemological levels, and also that they never occur in pure form, but often intermingle with each other. Nevertheless, I propose that they may help us obtain a better understanding of developments in early Christian historiography.

2.1.  The theological dimension Of course there are many different theological aspects in early Christian historiography, but the major one is the one that Ekkehart Stöwe has called “external history”. “External history” means the history of the Salvation (or Damnation) of men. The German scholarly tradition of the 19th century

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produced the word “Heilsgeschichte” for this.4 “Heilsgeschichte” occurs within historical processes and events, but is not identical to it. It establishes a specific theological view of the “internal” history. “Heilsgeschichte” adds a particular dimension to history, a cosmic one, and a universal one.5 History is not only the history of particular people, of groups, religious communities, nations etc., but is the history of God’s work throughout history. “Heilsge­ schichte” is the history of God’s eternal plan for mankind – beginning with creation, peaking in the incarnation and in the history of the church, and ending with the parousia of Christ. Eusebius of Caesarea starts the body of his Church History (after the introduction) by stating the pre-existence of the Logos (Eus., h.e. 1.2,14–16). And that there is a certain substance which lived and subsisted before the world, and which ministered unto the Father and God of the universe for the formation of all created things, and which is called the Word of God and Wisdom, we may learn, to quote other proofs in addition to those already cited, from the mouth of Wisdom herself, who reveals most clearly through Solomon the following mysteries concerning herself: ‘I, Wisdom, have dwelt with prudence and knowledge, and I have invoked understanding. Through me kings reign, and princes ordain righteousness. Through me the great are magnified, and through me sovereigns rule the earth.’ (Prov 8:12.15f.). […] That the divine Word, therefore, pre-existed and appeared to some, if not to all, has thus been briefly shown by us.6

This concept of the interpretation of history implies that for Eusebius it is the Logos who is the true actor in history. It does not exclude the free will or the responsibility of man, but it does insist that there is a kind of pedagogical element to the work of God or the Logos that reacts to people’s decisions and actions (by either punishing or rewarding). The siege of Jerusalem is God’s punishment of the Jews.7 The persecution under Diocletian is God’s punishment for the half-hearted faith of the Christians.8 Constantine’s military triumph is the well-deserved reward for his piety.9 Whether or not we agree 4 See F. Mildenberger, Heilsgeschichte, in: 4RGG 3 (2000), 1584–1586 (1584); and the monography by G. Weth, Die Heilsgeschichte, ihr universeller und ihr indi­ vidueller Sinn in der offenbarungsgeschichtlichen Theologie des 19. Jahrhunderts, Munich 1931. 5 See Stöwe, 1989, 536. 6 Eus., h.e. 1.2,14–16. – Translation of Eusebius’ church history by Philip Schaff from The Post-Nicene Fathers, NPNF 2/1, Grand Rapids 1890 (= 21999). 7 Eus., h.e. 2.6,8; 3.5,3; 3.5,6; Eus., d.e. 9.11,13. See J. Ulrich, Euseb von Caesarea und die Juden, PTS 49, Berlin 1999, 134–146. 8 Eus., h.e. 8.1,7. 9 Eus., h.e. 10.9,1: To him, therefore, God granted, from heaven above, the deserved fruit of piety, the trophies of victory over the impious, and he cast the guilty one with all his counselors and friends prostrate at the feet of Constantine.

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with this kind of theological interpretation of history, for Eusebius, there is a history behind history, the history of God’s work within mankind. Eusebius’ Church History (and other of his historical texts) aim at making this “history of salvation” visible. And although this theological dimension of history is particularly clear in Eusebius, he is not the only historiographical author from the Early Church who employs this kind of theoretical model. The same is true for Justin Martyr10 and similarly in texts belonging to such different genres as Luke’s Acts of the Apostles or Lanctantius’ De mortibus persecutorum. In Luke, the theological interpretation of history aims at the visible spreading of the Word of God. In Lactantius, we find the clear, black and white theological scheme of evil deeds and divine punishment. The general idea of a theological dimension of history is typical of the texts of the early Christian authors. In the Church Histories of later centuries, particularly in Eusebius’ successors Socrates, Sozomenos and Theodoretus, there are fewer obvious examples of interpretations of history using the theologi­ cal model of “Heilsgeschichte”; this may be due to the fact that it became more and more difficult to adhere to it after the political and military disasters at the end of the fourth and the beginning of the fifth century. These events precipitated entirely new approaches as we can see in Augustine’s De civitate Dei, which also implies a model of “Heilsgeschichte”, though a completely different one compared to Eusebius.

2.2.  The apologetic dimension The apologetic dimension can be found in nearly all of the historiographic efforts of early Christian authors. This is because arguments from history played some role in the discursive disagreement between the early Christians and their pagan and Jewish critics. One of the best known example is the “Altersbeweis”. Peter Pilhofer’s excellent study “presbyteron  – kreitton”11 proves how much the accusation of being a historically young people troubled the early Christians and how intensively they tried to prove that in fact they predated Platon and even Moses. Since “presbyteron – kreitton” was an axiomatic and well-established criterion in the intellectual debates of the 10 B. Seeberg, Die Geschichtstheologie Justins des Märtyrers, in: ZKG 58 (1939), 1–81 (1); similary A.J. Droge, Homer or Moses? Early Christian Interpretations of the History of Culture, HUTh 26, Tübingen 1989, 68. Both scholars have accused Justin of establishing an “imperialistic” understanding of history; a careful criticism of this rather severe verdict can be found in P. Pilhofer, Presbyteron kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT 2/39, Tübingen 1990, 250 (note 61). 11 P. Pilhofer, Presbyteron kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT 2/39, Tübingen 1990.

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second century, the apologists needed to prove that the historic tradition of their own religion was older and more valuable than those of their religious “competitors”. Let us turn again to Eusebius’ Church History12 to see how he deals with the problem. In general, he admits that Christianity is a “new nation” – there was no way to deny the fact that Christianity had hitherto only existed for less than three centuries. But then Eusebius goes on to insist that Christianity is new only in name. And he claims that, from a historical perspective, things are completely different: But although it is clear that we are new, […] nevertheless our life and our conduct, with our doctrines of religion, have not been lately invented by us, but from the first creation of man, so to speak, have been established by the natural understanding of divinely favoured men of old. That this is so we shall show in the following way. That the Hebrew nation is not new, but is universally honoured on account of its antiquity, is known to all. The books and writings of this people contain accounts of ancient men, rare indeed and few in number, but nevertheless distinguished for piety and righteousness […]. Of these, some excellent men lived before the flood, others of the sons and descendants of Noah lived after it, among them Abraham, whom the Hebrews celebrate as their own founder and forefather. If any one should assert that all those who have enjoyed the testimony of righteousness, from Abraham himself back to the first man, were Christians in fact if not in name, he would not go beyond the truth. […] So that it is clearly necessary to consider that religion, which has lately been preached to all nations through the teaching of Christ, the first and most ancient of all religions, and the one discovered by those divinely favoured men in the age of Abraham.13

Eusebius, for apologetic reasons, continues collecting evidence for this historical theory, applying God’s promises to Abraham, as well as the words of the prophets, directly to Christianity. An apologetic effort like this was groundbreaking in the history of Christian historiography. Arthur Droge summarizes this sentiment as such: Eusebius’ achievement as a historian was revolutionary, for it marked the beginning of a new understanding of history within the thinking of the early church and, ultimately, western antiquity as a whole. In addition to recording the history of the church, Eusebius invested Christianity with a past history in an attempt to legitimize it in the eyes of its detractors.14

12 For the apologetic dimensions of Eusebius’ Church History see A.J. Droge, The Apologetic Dimensions of the Ecclesiastical History, in: H.W. Attridge / G. Hata (eds.), Eusebius Christianity, and Judaism, StPB 42, Leiden 1992, 492–509. 13 Eus., h.e. 1,4.4–10. 14 Droge, 1992, 499. – See also J. Ulrich, Wie verteidigte Euseb das Christentum? Eine Übersicht über die apologetischen Schriften und die apologetische Methode Eusebs von Caesarea, in: A.-C. Jacobsen / J. Ulrich (eds.), Three Greek Apologists.

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Considering other literary genres of Christian historiography, we should focus on the Chronicles, which serve the same apologetic purpose: Eusebius’ Chronicle, for example, has the clear intention of serving the “classical” proof “presbyteron – kreitton”; the Chronicle was a key foundation text for the Church History.15 Eusebius based his writing on older Christian ideas here, in particular on Julius Africanus and his Chronographai. In this text, Julius Africanus presents the history of the Bible as well as the history of secular events synchronistically. He classifies them using the scheme of six millenia. The reason for Julius Africanus’ approach is that he did not want to leave any gap (and doubt) in his argument as to the old age of Christianity, as Martin Wallraff has recently shown.16 The “Altersbeweis” is not the only trace of the apologetic dimension in early Christian historiography. The proof provided by prophecy, with its theological scheme of prophecy and evident fulfilment, deserves to be mentioned here, too. The attempt at establishing a historical coincidence between Christianity and the Roman Empire has a clear apologetic connotation – we can observe this from the very beginning, in the second chapter of the Gospel of Luke, up to Eusebius’ theory that the Roman Empire was the essential historical requirement for Christ’s incarnation.17 And finally, I should point towards the fact that there is also an apologetic dimension to the historiography describing conflicts within the church: If we look at the three “successors” of Eusebius, we find that Theodoret of Cyrus is the most apologetic author of these three:18 not in the sense that his Historia ecclesiastica defends Christianity by providing proof for it and by falsifying paganism (we see that instead in Theodoretus’ apologetic work Curatio affectionum graecorum), but in the sense that he writes an apologetic history of anti-arian orthodoxy; however, this leads us to the next dimension of early Christian historiography, the haeresiographical (and orthodoxographical) one. Origen, Eusebius, and Athanasius. Drei griechische Apologeten. Origenes, Eusebius und Athanasius, ECCA 3, Frankfurt 2007, 49–74. 15 Eus, h.e. 1.1,6 16 M. Wallraff (ed.), Julius Africanus und die christliche Weltchronik, TU 157, Berlin 2006; see also id., Die Kestoi des Julius Africanus und ihre Überlieferung, TU 165, Berlin 2009. 17 Eus., h.e. 1.2,23: “Then, finally, at the time of the origin of the Roman Empire, there appeared again to all men and nations throughout the world, who had been, as it were, previously assisted, and were now fitted to receive the knowledge of the Father, that same teacher of virtue, the minister of the Father in all good things, the divine and heavenly Word of God, in a human body not at all differing in substance from our own.” 18 H.C. Brennecke, Kirchengeschichte / Kirchengeschichtsschreibung II. Entwicklung 2. Alte Kirche, in: 4RGG 4 (2001), 1181–1183 (1182).

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2.3.  The hereseographical / orthodoxographical dimension Let us again turn to Eusebius to shed light on the hereseographical dimension of Christian historiography. In the famous prooemium of his Church History, Eusebius mentions a number of issues he wishes to address in the course of his account: “It is my purpose also to give the names and number and times of those who through love of innovation have run into the greatest errors, and, proclaiming themselves discoverers of knowledge falsely so-called, have like fierce wolves unmercifully devastated the flock of Christ.”19 Meike Willing has recently produced a fine book that closely follows the traces of this Eusebian intention throughout the Historia ecclesiastica.20 She has discovered altogether twelve blocks of reports on heresies in Eusebius’ Church History. It is not the aim of Eusebius’ account to theologically falsify the heresies theologically, rather he aims at showing that the heresies were caused by demonic or Satanic initiatives and (and this is the important point) that they vanished from history. They never had any chance of surviving, because they objected to the work of the Logos in history. Just as pagan enemies of Christianity cannot keep a place in history on the long run, so too heresy is condemned to failure and decline, because it dares to defy the irresistible power of the Logos and the truth. Eusebius integrates the phenomenon of heresy into his conception of the triumphant rise of the truth, where anything that goes against it is doomed to perish sooner or later. Speaking of developments, the hereseographical aspect in early Christian historiography seems to become more and more important over the centuries. In the fifth century, hereseography becomes a central aspect, sometimes the most important one, in Christian historiography. Some Christian historians write their Church History mainly in order to differentiate heresy from orthodoxy. They use exactly the same historiographical methods irrespective of their particular theological position. Theodoret and Socrates report on the Arian controversy as orthodox Nicenoconstantinopolitans, whereas Philostorgius reports on the same material from the perspective of an anhomoean theologian who was rather dissatisfied with the outcome of the controversy. A homoean historian from the second half of the fourth century, whose work has not survived but can be reconstructed from later Byzantine historical works,21 wrote his account of the Arian controversy from the view

9 Eus., h.e. 1.1,1. 1 20 M. Willing, Euseb von Cäsarea als Häreseograph, PTS 63, Berlin 2009. 21 F. Winkelmann, Zur nacheusebianischen christlichen Historiographie des 4. Jahrhunderts, in: C. Schulz / G. Makris (eds.), Polypleuros Nous. Miscellanea für Peter Schreiner zu seinem 60. Geburtstag, ByA 19, Leipzig 2000, 404–414 (406–408).

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of the “losing side”, the Homoeans. Gelasius of Cyzicus took the position of the opposite side. Gelasius’ work has not survived either, but can nonetheless be partly reconstructed. It may have served as a guideline for the books 10 and 11 of Rufinus’ translation (and continuation) of Eusebius’ Church History.22 Of course the hereseographical intention of early Christian historiography can be observed in many earlier texts as well. Irenaeus’ and Tertullian’s conception of tradition claim and establish the idea of an historic continuity of orthodoxy.23 But, as previously mentioned, the hereseographical dimension in Christian historiography becomes more and more important over the decades, or to put it another way:  Historiography increasingly becomes theological warfare in the battle between orthodoxy and heresy in the post-Constantine era.

2.4.  The edifying dimension What I call the edifying dimension could also be named the hagiographical component of early Christian historiography. Of course we could refer to the Acts of the Martyrs here and to early Christian Vitae and to a most influential work, such as Athanasius’ Vita Antonii. These texts aim at telling the stories of model Christians whose deeds are worth remembering as well as imitating. They want to give examples of Christian faithfulness, of Christian piety in word and deed, and of a visible Christian holiness. The edifying dimension of early Christian historiography has an impact on the accounts of Church histories as well, though the intensity depends upon each particular historian, with different intensity. Therese Fuhrer has recently drawn attention to the edifying dimensions in the Church History of Rufinus:24 She analyses the relationship of history to stories (“Geschichte” und Ge­­ schichten) in the Historia ecclesiastica and insists that there are so many stories in Rufinus’ that the two books he added to his translation of Eusebius’ Church History can only be called “history” (“Geschichte”) in inverted commas. Therese Fuhrer claims: Die beiden Bücher enthalten […] eine Sammlung von gesta mirabilia, die durchaus im Umkreis der Kirchen-, Dogmen- und politischen Geschichte anzusiedeln sind, die jedoch weniger die Tradition der Euseb’schen Kirchengeschichtsschreibung

2 Winkelmann, 2000, 408f. 2 23 Iren., haer.; Tert., praescr. haer. 24 T. Fuhrer, Rufins Historia Ecclesiastica. „Geschichte“ und Geschichten von Kämpfen und Siegen der Orthodoxie, in: B. Bäbler / H.-G. Nesselrath (eds.), Die Welt des Sokrates von Konstantinopel. Studien zu Politik, Religion und Kultur im späten 4. und frühen 5. Jahrhundert zu Ehren von Christoph Schäublin, Leipzig 2001, 60–70.

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weiterführen, als sich vielmehr in den zeitgenössischen hagiographischen Diskurs einschreiben.25

This is of course completely different from Eusebius’ ideas. Greek, that the attention of those who hear it may be occupied and they may for a while come to forget present evils while their interest is directed to the affairs of the past.26 This is a straightforward definition of the aim of church history, which is namely to console. Rufinus has a therapeutic and edifying intention.27 The stories that he tells in his Church History are intended to prove that the pious can count on God’s help, if not in terms of material goods, then in the victory of faith over heresy, and in countless everyday miracles. In the case of Rufinus, church history is a part of hagiography or, as Marc van Uytfanghe has put it, of the Rufinus is more interested in the common people than in bishops or emperors, his central theme is the difference between fides and perfidia, between religiosi and impii. Above all, the intention of his ecclesiastical history is different from Eusbius’. Rufinus says: It is the business of skilful physicians, they say, to provide some sort of medicine or potion when they see that cities or regions are threatened by epidemics, so that the people may be protected by it from the death that threatens them. This is the sort of medical art which you have practiced, my reverend father Chromatius, at this time when the Goths have burst through the barriers into Italy with Alaric at their head, and a lethal plague is spreading far and wide, to the ruins of fields, herds, and men:  you have sought some remedy to protect from cruel death the people God has entrusted to you, a remedy by which ailing spirits may be diverted from the thought of impending evil and give their attention to something better. Thus you have charged me to translate into Latin the Church History which the most learned man Eusebius of Caesarea composed in hagiographical discourse.28

But the edifying dimension of historiography must not necessarily be driven by the impulse to console, as in Rufinus. It can also recommend certain ideals of pious Christian life, as can be seen in the many accounts written by monastic communities or individuals. The historia monachorum or Jerome’s Vitae of the monks or Athanasius’ Vita Antonii belongs to this hagiographical historiography, among others. However, there must have been an awareness of the difference between historiography and hagiography. Socrates of Constantinople makes this point in the beginning of his Church History (he 5 Fuhrer, 2001, 61f. 2 26 P.R. Amidon, The Church History of Rufinus of Aquileia. Books 10 and 11, New York 1997, 3. 27 Fuhrer, 2001, 62. 28 M. van Uytfanghe, Heiligenverehrung II. Hagiographie, in: RAC 14 (1988), 150– 183.

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explicitly claims to be writing history rather than hagiography).29 Theodoret of Cyrus goes so far as to split his historiographical work into two different parts, the more historiographical and apologetic Church History and the more hagiographical Historia religiosa. If we compare the three successors of Eusebius from the fifth century, it is fair to say that it is Sozomenus who has the strongest hagiographical interest in his Church History, and that it is far more anecdotic and far more reminiscent of the stuff of legends than the others.30

2.5.  The political dimension There is a political dimension in many of the historiographical works of the early Christians, and we can clarify that with a brief look at a passage from Eusebius’ Church History: Thus Licinius lay prostrate. But Constantine, the mightiest victor, adorned with every virtue of piety, together with his son Crispus, a most God-beloved prince, and in all respects like his father, recovered the East which belonged to them; Constantine’s sole right to the East was the right of conquest and they formed one united Roman Empire as of old, bringing under their peaceful sway the whole world from the rising of the sun to the opposite quarter, both north and south, even to the extremities of the declining day. All fear therefore of those who had formerly afflicted them was taken away from men, and they celebrated splendid and festive days. Everything was filled with light.31

This is a not particularly understated comment on the emperor Constantine and his politics. For Eusebius, the history of the church had reached its zenith with Constantine’s coming into power. Early Christian historiographers stand in a tradition of pagan Roman historiography that saw one of its tasks as that of evaluating the political achievement of an emperor, which can be seen in Sueton’s Biographies of the Emperors. We also might remind ourselves of the apologetic tendency to condemn only those emperors as persecutors who had fallen out of favour with the pagan Roman historiography and had fallen prey to damnatio memoriae. This apologetic technique of course included the contemporary political message that a good emperor would never persecute the Christians.32 9 Socr., h.e. 1.1; 5 (prooem.). 2 30 J. Ulrich, Sozomenus, in: 3LACL (2002), 648f. (649). 31 Eus., h.e. 10.9,6f. 32 I have tried to prove this for the case of Domitian. See J. Ulrich, Euseb, HistEccl III 14–20 und die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian, in: ZNW 89 (1996), 269–289. See A. Wlosok, Die christliche Apologetik griechischer und lateinischer Sprache bis zur Konstantinischen Epoche. Fragen, Probleme, Kontroversen, in: A. Wlosok (ed.), L'apologétique chrétienne gréco-latine à l'époque prénicénienne, EnAC 51, Genf 2005, 1–28 (6).

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Looking at the successors of Eusebius, we can find that they stand in the same tradition as their common predecessor here. Hartmut Leppin has carefully investigated the political messages in the church histories of the fifth century,33 and it transpires that the three “synoptic historians” display similarities here to Eusebius and to each other. All three of them build their accounts around the reigns of the Roman emperors; their judgements on the individual emperors are all very similar.34 But in contrast to in Eusebius, the criteria for their judgements are no longer the emperors’ attitudes towards Christianity, but each emperor’s confessional affiliation. Hartmut Leppin writes: “Nicene (or seemingly Nicene) emperors are ‘good’ the other ones ‘bad’. The ‘good’ emperors support the Church and individual Nicenes in every regard […], the ‘bad’ ones fight against the adherents of true religion.”35 There is however also a little room for differentiation. Constantine is “good” but not very good, because he sent Athanasius into exile. Constantius II is “bad”, but less bad than his homoean colleague Valens. In general, the three synoptic Church historians agree with each other in their judgements, because they were all more or less orthodox Nicenes. However, as soon as we alter our perspective, we find that the judgements change whereas the methods remain the same. Philostorgius’ Church History, written from the Eunomian or Anhomoean position, reaches to completely different results in his judgments of the emperors. The Church historians know that most of the things that happen in the Church do affect State affairs and the other way round, many State affairs are directly interwoven with ecclesiastical matters. That is why they report on political developments as well as on military occurrences. It is Socrates who methodologically reflects on this phenomenon: Before we begin the fifth book of our history, we must beg those who may peruse this treatise, not to censure us too hastily because having set out to write a Church History we still intermingle with ecclesiastical matters, such an account of the wars which took place during the period under consideration, as could be duly authenticated. For this we have done for several reasons: […] especially that it might be made apparent, that whenever the affairs of the state were disturbed, those of the church, as if by some vital sympathy, became disordered also.36

33 H. Leppin, The Church Historians (I). Socrates, Sozomenos, and Theodoretus, in: G. Marasco (ed.), Greek and Roman Historiography in the Later Roman Empire. Fourth to Sixth Century A.D., Leiden 2003, 219–254. Also see id., Von Constantin dem Großen zu Theodosius II. Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Socrates, Sozomenus und Theodoret, Hyp. 10, Göttingen 1996. 34 Leppin, 2003, 219. 35 Leppin, 2003, 239. 36 Socr., h.e. 5 (prooem.).

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2.6.  The documentary dimension It may seem a little superfluous to mention the documentary dimension at all. But the value of this dimension must not be underestimated. I am not only talking about the simple fact that a great deal of information about the first centuries of Christianity would not have come down to us at all if Eusebius had not written his Church History. I am rather interested in the fact that the Christian historiographers had some vital interest in restricting themselves to the “facts” and in quoting passages from relevant texts. Eusebius claims that he gives the most precise account of what happened and he proves this by quoting at length from other documents. This was rather unusual in the historiographical climate of his and of former times. In the Church History Eusebius introduces many of his quotations with formulations such as: “He literally writes: […]” and then quotes. In the prooemium of the second book of the Church History he writes: We have discussed in the preceding book those subjects in ecclesiastical history which it was necessary to treat by way of introduction, and have accompanied them with brief proofs. Such were the divinity of the saving Word, and the antiquity of the doctrines which we teach, as well as of that evangelical life which is led by Christians, together with the events which have taken place in connection with Christ’s recent appearance, and in connection with his passion and with the choice of the apostles. In the present book let us examine the events which took place after his ascension, confirming some of them from the divine Scriptures, and others from such writings as we shall refer to from time to time.

There has been much academic dispute as to the accuracy of Eusebius quotes. I cannot go into detail here. There are more optimistic scholars such as Schwartz, Winkelmann, Carriker, Inowlocki, Willing and also myself and some less credulous scholars including Burckhardt, Moreau, Barnes and sometimes Harnack.37 But no matter how strictly you may judge Eusebius in this question, it remains a simple fact that he is the one who introduces the literal quotation of sources to Christian historiography. He does this because he wants to claim full authenticity. Arnoldo Momigliano writes: “Since he [scil. Eusebius] chose to give plenty of documents and refrained from inventing speeches, he must have intended to produce something different from ordinary history.”38 Eusebius produces history as “documentation”. This influenced his successors in the fifth century quite strongly. Here I must mention the Church

37 See M. Willing, Euseb von Cäsarea als Häreseograph, PTS 63, Berlin 2009, 421– 425. 38 See A. Momigliano, Pagan and Christian Historiography, in: id. (ed.), The Conflict Between Paganism and Christianity in the Fourth Century, Oxford 1963, 79–99.

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History of Socrates, who quotes acts of synodal negotiations, creeds, and so on, in order to give an authentic account or rather a documentation of the events themselves. Socrates shows a particular critical handling of his sources, and he is well aware of the difference between an authentic document and a composed speech or orally reported information. As Hanns Christof Brennecke has pointed out, Socrates carefully reflects on the difference between ecclesiastical historiography and hagiography. He explicitly dissociates himself from hagiography and claims to produce proper historiography instead, basing himself on the authority of Eusebius whose work he intends to continue.39 Speaking of developments, it is certainly Socrates who carries forward the documentary dimension of Christian historiography clearest after Eusebius.

3. Interrelations and Developments As already pointed out in the introduction, these dimensions of early Christian Historiography do appear alongside each other and in many different combinations. Eusebius’ Church History bears traces of all six dimensions. The same may be true for his three “synoptic” successors in the fifth century, although they differ in their conception: Theodoret is more apologetic and orthodoxographical, Socrates is more documentary and orthodoxographical as well, Sozomen is more hagiographical or edifying. In all the other genres of early historiography, the dimensions clash with each other, too. Athanasius’ Vita Antonii may have an edifying focus, but there is a clear hereseographical dimension in the passages describing Antonius’ fight against the Arians and a political one in those about his relations to the emperor Constantine. In the earliest Christian chronicles, there is a major apologetic interest, but also a theological one. There are no texts that follow only one intention or cover only one dimension. Moreover, the dimensions themselves are not to be considered separately, but as overlapping with each other. A hereseographical intention always implies a theological decision, and an apologetic argument may well have political aspects, and so on. If this is the case, can we then say anything about developments of Early Christian Historiography? My answer to this question is yes and no. It is “no”, inasmuch as all the dimensions apply in any form of historiography – there is no Christian historiography without theological, apologetic, hereseographical, edifying, political and documentary aspects. But my other answer is “yes”, there are developments, inasmuch as every historiographical endeavour mirrors the time in which it was produced and every historiographical effort has some primary intentions for that particular time. In that 39 See Brennecke, 2001, 1181.

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sense it is indeed possible, yet also necessary, to speak about developments between the second and the fifth century. Apologetic efforts towards the Roman Empire become less important by the end of the persecutions, hereseographical concepts become more and more crucial in the fourth and in the fifth centuries. Political dimensions apply at all times, but the texts differ very much in their political purpose. Whereas the earlier texts intend to prove that Christianity deserves to gain the status of a religio licita, the later church histories merely look back on the times of persecution, whilst dealing with completely different political matters such as striving for the emperor’s support for what their authors consider to be orthodox. In the reign of Theodosius II, we find that there is a cluster of church histories, and that seems to be due to the fact that consolidation of Christianity in the Roman state and society had been successful.40 When the synoptic Church historians all deal with the question of heresy and orthodoxy this simply shows that in their time the defending of the orthodox interpretation of church history against heretical concepts was a task yet to be completed. When they no longer indentify paganism as their major target this shows that at this time the victory over the pagans had been taken for granted. When the historians from the fifth century, other than Eusebius, are almost entirely silent on the subject of the Jews,41 we can conclude that the relationship and rivalry with the Jews played no important role any more in their time.

4.  Similarities and differences between the Christian and the classical and contemporary pagan historiography If we turn again to Eusebius’ Church History, we can see from the prooemium that he had the impression that his work was quite innovative. In the first book he writes: But at the outset I must crave for my work the indulgence of the wise, for I confess that it is beyond my power to produce a perfect and complete history, and since I am the first to enter upon the subject, I am attempting to traverse as it were a lonely and untrodden path. I pray that I may have God as my guide and the power of the Lord as my aid, since I am unable to find even the bare footsteps of those who have travelled the way before me, except in brief fragments, in which some in one way, others in another, have transmitted to us particular accounts of the times in which they lived.42

0 Leppin, 2003, 220. 4 41 An interesting exception, however, is the passage in Socr., h.e. 7.4; 7.16f.; 7.38. 42 Eus., h.e. 1.1,3.

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This may of course refer to the simple fact that no one before had ever written a “history regarding church matters”.43 The person who came closest to the idea of a Church historian was Hegesippus44 but his writings were little more than fragmentary collections of disconnected reminiscences. Apart from the Christian authors, there were no historiographic traces at all of what Eusebius wanted to document. Ecclesiastical issues and theological or apologetic purposes did not figure in pagan historiographical tradition. On the other hand, Eusebius’ major interest, the history of the Christians, theologically interpreted as the history of a fight between God and the Devil, made him indifferent to anything that was not directly relevant to the Christians. In contrast to secular historians, he does not report on military details, he is not interested in internal politics (other than Ammianus Marcellinus for example), he gives no account of regional studies or applied geography (whereas Herodot, for example, does). However, the difference in subject matter is not the only one that ought to be mentioned here. I have already pointed out the technique of documentation in Eusebius which is completely unusual in traditional pagan historiography. Thukydides’ classical idea of a maximum of motion is given up here in favour of a rather static model of documentation.45 Carefully researched studies become more important than eyewitness accounts. This technique of documentation may have been influenced by earlier Christian texts, for example by Origen’s Contra Celsum and by Clement’s Stromateis.46 In Eusebius’ Church History, this technique of documentation becomes even more static because Eusebius integrates every event and document strictly into the chronological schemes of bishops lists and emperor’s reigns. What Eusebius achieves is the impression of high authenticity. What he gives up is the dynamic tension and literary attractiveness of classical historiography. All these observations bring us to the conclusion that Eusebius is clearly distinct from the classical pagan historians. However, there are similarities as well that should not be underestimated: It was Dieter Timpe who first insisted that Eusebius actually resets the classical historiographical demand to present history as a whole,47 as

43 Hartmut Leppin has proposed this term as an appropriate rendering of the Greek ekklesiastike historia. See Leppin, 2000, 249. 44 Eus., h.e. 4.22. 45 See Willing, 2008, 494. 46 See Willing, 2008, 491. 47 D. Timpe, Was ist Kirchengeschichte? Zum Gattungscharakter der Historia ecclesiastica des Eusebius, in: W. Dahlheim / W. Schuller (eds.), Festschrift Robert Werner zu seinem 65. Geburtstag. Dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, Xenia 22, Konstanz 1989, 171–204 (190).

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a “Gesamtkunstwerk”; in Eus., h.e. 1.1,4 Eusebius talks about “somatopoiesai”, to “embody the whole (in an historical narrative).” Timpe refers to Lukian of Samosata’s work How To Write History; Lukian polemises against contemporary panegyrical works of history and then gives clear instructions for writing history:  Firstly, the historian ought to analyse the events “objectively”, secondly, he should strive for an inner coherence in amongst the many different episodes he has collected. Eusebius, as well as Lukian, moves forward from the singular event to the broader historical context, whereas earlier historians would go from the general historical idea to the particular incident.48 We could of course rightly object that Eusebius has indeed a superordinate theory of history, namely its theological dimension, and that he loads this theory with a great deal of historical material.49 This is true, but as opposed to all of his pagan predecessors, he meets the challenge of proving the truth of this theory in any single one of the events he reports. His construction of events steps up to the superordinate idea of a continuous rise of the church that is due to the help of God. It may well be that Eusebius’ historiography was in part influenced by the ideas of Lukian. On the other hand, we must not ignore the fact that in some respects Eusebius had been anticipated in Jewish historiography; for example, we find the theological interpretation of history and also the quotation of documents in the books of the Maccabaeans as well as in Josephus. The Christian Church Histories seem to be rooted more in the traditions of Jewish historiography than in the pagan tradition.

5. Conclusion I do not want to present a summary here. Instead I want to ask: What do these considerations have to do with the theme of this conference? What do they have to do with Invention, Rewriting, and Usurpation? Did the early Christian historians invent anything? Did they rewrite texts or did they usurp traditions? Regarding the theme of invention, we must say that the Christian historiographers didn’t invent anything – what they achieved was to establish and to maintain Christian tradition. There are some new aspects of Christian historiography compared to the earlier pagan output, and we saw that Eusebius was well aware of that. What the Christian historiographers “invented” 8 See Willing, 2008, 494f. 4 49 See J. Ulrich, Eusebius als Kirchengeschichtsschreiber, in: E.-M. Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, BZNW 129, Berlin 2005, 277–287 (286); F. Winkelmann, Euseb von Kaisareia. Der Vater der Kirchengeschichte, Berlin 1991, 109.

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was the writing of histories in the sense of a history of church matters, the underlining of the truth claim and authenticity of their accounts, by means of what I have called the documentary dimension. Regarding the theme of re-writing, we can point to the fact that many of the ancient texts are re-submitted in the works of the early Christian historians. Eusebius is the most impressive example of this, not only in his Church History, but also in the Praeparatio evangelica. The early Christian historiography does in fact re-write texts, but of course it re-writes texts in order to claim them as integral part of its own argumentation. Re-writing texts in this sense comes close to what might deserve to be called usurpation. We have many examples of that, especially in those parts of early Christian historiography where the apologetic and the theological dimensions play the most important role. Plato and Socrates, Abraham and Moses, Josephus and Philo, they all become part of the Christian tradition, whether they like it or not. Historiography seems to be one of the most successful weapons of early Christianity to carry out what the organizers of this conference have called “usurpation”. Historiography has played a considerable role in the discursive fights over religious and also non-religious traditions in antiquity. It is not coincidence that the Constantine era is the time in which the first “Church History” was produced, constructed as a self-contained work on the basis of earlier historiographical endeavours. And it is not coincidence either that in the late fourth and early fifth century we find ourselves in a “golden age” of Christian historiography. Christianity had taken over religious and political power in the empire; and Christian historiographers had taken over the sovereignty of interpreting the past and of giving account on the traditions they regarded as relevant.

Die Begegnung von Christen und Heiden im zweiten (und dritten) Jahrhundert* Der vorliegende Beitrag will die Detailstudien dieses Bandes um einen perspektivischen Ausblick auf die Begegnung von Christen und Heiden1 von der nachneutestamentlichen Zeit bis in das 3. Jahrhundert ergänzen. Dem weiten zeitlichen Rahmen und der relativen Fülle des überlieferten Quellenmaterials ist es geschuldet, dass die Darstellung den Versuch eines Überblicks unternimmt und sich bei der Analyse der Quellen auf Exemplarisches beschränkt. In einem ersten Abschnitt werde ich die einschlägigen überlieferten Beurteilungen der Christen2 durch die Heiden beschreiben (1.), in einem zweiten Kapitel Schlaglichter der Begegnung von Christen und Heiden

* Zuerst erschienen in: C.K. Rothschild / J. Schröter (eds.), The Rise and Expansion of Christianity in the First Three Centuries C.E., WUNT 301, Tübingen 2013, 457–485. 1 Der Begriff „Heiden“ bzw. das Adjektiv „heidnisch“ ist nicht in pejorativem Sinne gebraucht. Gemeint sind nichtchristliche und nichtjüdische Römer; die immense religiöse Vielfalt im antiken Römischen Reich, zumal vor dem Hintergrund immenser regionaler Unterschiede, lässt einerseits jeden Sammelbegriff als problematisch erscheinen, um den man andererseits aber nicht herumkommt, will man orientierende Schneisen in die Fülle und Komplexität des Materials schlagen. Zur Mannigfaltigkeit der römischen Religion in der Antike siehe die einführende Darstellung von J. Rüpke, Die Religion der Römer, München 22006. 2 Das in Anm. 1 über die Vielfalt der römischen Religion Gesagte gilt für das Christentum des 2. Jahrhunderts in vergleichbarem Maße. Als Beispiel sei auf das stadtrömische Christentum in Antonianischer Zeit verwiesen: Theologisch denkbar unterschiedliche Gestalten wie Justin, Markion, Valentin oder auch der Verfasser des Hirten des Hermas mit ihren je eigenen Anhängerkreisen repräsentieren, unbeschadet ihres je eigenen Anspruchs auf Alleinvertretung der wahren Lehre, letztlich die immense Vielfältigkeit des Christentums, die in der Außenperspektive verwirrend erscheinen musste und die Vertreter des Christentums unter erheblichen Argumentationsdruck brachte. Zur stadtrömischen Gemeinde siehe P. Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten. Untersuchungen zur Sozialgeschichte, WUNT II 18, Tübingen 21989. Zum Umgang der Christen mit dem Problem theologischer und institutioneller Vielfalt siehe J. Ulrich, Widersprüchlichkeit und Kohärenz. Beobachtungen zu einem Argument der Polemik und Apologetik im zweiten Jahrhundert, in: F.R. Prostmeier / H.E. Lona (eds.), Logos der Vernunft – Logos des Glaubens, Millennium-Studien 31, Berlin 2010, 53–75. Zur Pluriformität des Christentums im 2. Jahrhundert insgesamt siehe C. Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen. Prolegomena

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darstellen (2.), in einem dritten, zweiteiligen Abschnitt die literarische Auseinandersetzung beider bis zum Ende des 2. Jahrhunderts nachzeichnen (3.) und in einigen abschließenden Bemerkungen (4.) den erarbeiteten Befund explizit mit Titel und Thema des Bandes „Rise and Expansion of Christianity“ in Beziehung setzen. Bei den zugrunde liegenden Quellen konzentriere ich mich auf die Zeit bis ins frühe 3.  Jahrhundert; späteres Material wird nur berücksichtigt, insofern es sich für schlaglichtartige Ausblicke auf die vorkonstantinische und konstantinische Zeit anbietet.

1.  Beurteilungen: Die frühen Christen – wie die Römer sie sahen3 Das frühe Christentum war für die Römer erst relativ spät als eigene, von einer der zahlreichen Formen des Judentums zu unterscheidende Größe kenntlich.4 Sobald es jedoch als eigene Größe ins Bewusstsein rückte, hatte dies unmittelbare Konsequenzen rechtlicher Art: Es eignete ihm nun nicht mehr der Status der religio licita, an dem es als Bewegung innerhalb des Judentums teilgehabt hätte. Die juristische Folge waren die Christenprozesse, die, unter einzelnen Kaisern durch aktiv unternommene Christenverfolgungen noch verschärft, bis zum Toleranzedikt des Galerius 311 n. Chr. ein wesentliches Moment in der Begegnung zwischen Christen und heidnischen Römern waren. So verwundert es nicht, dass die ersten greifbaren Beurteilungen von Christen durch Vertreter des Imperium Romanum aus dem Kontext eben jener Christenprozesse stammen. In seinem berühmt gewordenen Brief an Trajan, in dem er sich hinsichtlich der geübten Rechtspraxis in Christenprozessen kaiserliche Rückendeckung zu beschaffen sucht, teilt der bithynische Statthalter Plinius gleichsam en passant Eindrücke mit, die er aus der Begegnung mit ihm angezeigten Christen gewonnen

zu einer Geschichte der antiken christlichen Theologie, Tübingen 2007, 211–214 (Lit!). 3 Die Überschrift dieses Abschnitts verdankt sich dem schönen Buch von R.L. Wilkens, The Christians as the Romans saw them, New Haven 1984, erschienen in deutscher Übersetzung von G. Kirsten unter dem Titel Die frühen Christen wie die Römer sie sahen, Graz 1986. – Über die pagane Kritik am Christentum im 1./2. Jahrhundert siehe die ausführliche Darstellung von S. Benko, Pagan Criticism of Christianity during the First Two Centuries A.D., in: ANRW 23/2 (1980), 1054–1118. Noch Epiktet oder zumindest seinem Herausgeber Arrian unterläuft um die Jahr4 hundertwende eine offensichtliche Verwechslung von Juden und Christen: Diss. 2,9,19–21.

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hatte.5 Sie sind nicht nur wegen ihres frühen Datums interessant, sondern auch, weil sie einigermaßen repräsentativ für die Wahrnehmung der Christen durch die Römer zu sein scheinen. Demzufolge ist die Reaktion der Römer auf die christliche Religion und ihre Anhänger als völliges Befremden zu bezeichnen. Plinius’ Brief ist von erheblicher Unsicherheit hinsichtlich des angemessenen Umgangs mit dieser seltsamen Gruppierung gekennzeichnet,6 die sowohl zahlenmäßig beachtlich ist als auch bereits seit mindestens einer Generation besteht.7 Auffällig sind dem römischen Statthalter vor allem die Hartnäckigkeit (pertinacia) und der unbeugsame Starrsinn (inflexibilis obstinatio) der Angeklagten, die auch bei Bedrohung mit dem Tod nicht von ihrer Überzeugung ablassen. Was er substantiell an Informationen gewinnt, ist indes ziemlich mager: Selbst bei Anwendung der Folter findet Plinius nichts weiter als verkehrten und maßlosen Wahnglauben (superstitionem pravam et immodicam).8 Freilich sollte man diese Formulierung nicht im Sinne von Harmlosigkeit (miss)verstehen, wie es bei der traditionellen deutschen Übersetzung mit „minderwertiger, maßloser Aberglaube“ mitunter erfolgt ist. Engberg hat in seiner Aarhuser Dissertation, an Analysen von Lührmann9 anschließend, schön gezeigt, dass superstitio gerade nicht harmlosen Aberglauben meint, sondern das Moment der hochgradigen Gefährdung der Allgemeinheit impliziert, die unter allen Umständen zum Stillstand gebracht werden muss, weswegen die Plinius angemessen erscheinende Reaktion in einer Kombination aus Abschreckung (Todesstrafe für Bekenner) und Vergebungsbereitschaft (Freilassung für Apostaten) besteht.10 Dabei gilt die behördliche Nachsicht nur für solche Angeklagten, die in einem klar geregelten Unschuldsbeweisverfahren nachweisen, dass sie keine Christen (mehr) sind.11 Aus der Identifizierung der Christusverehrung als superstitio12 ergaben sich folgerichtig weitere Einschätzungen, die mit dem Begriff traditionell 5 Plin., ep. 10,96. – Zur Interpretation siehe J. Engberg, Impulsore Chresto. Opposition to Christianity in the Roman Empire c. 50–250 AD, ECCA 2, Frankfurt 2007, 173–206 (unter Aufnahme sämtlicher relevanter älterer Literatur). 6 Plin., ep. 10,96,1f. 7 Plin., ep. 10,96,6.9. 8 Plin., ep. 10.96,8. 9 D. Lührmann, Superstitio. Die Beurteilung des frühen Christentums durch die Römer, in: ThZ 42 (1986), 193–213. 10 Engberg, 2007, 199–201. 11 Plin., ep. 10,96,5. 12 Der Begriff wird nicht nur bei Plinius, sondern auch bei Tacitus und bei Sueton für das Christentum gebraucht. Seine Verwendung im Zusammenhang der Schilderung der neronischen Verfolgung (Tac., ann. 15,44,3; Suet., Nero 16,2) beweist für die Zeit Neros wahrscheinlich nichts, zeigt aber sehr wohl, dass der Begriff als Kategorie zur Einordnung der Christen zur Zeit des Tacitus und des Sueton

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verbunden waren: Maßloser Wahnglaube implizierte die Ablehnung der traditionellen römischen Götter und aller ihrer Kulte. Dies stützte den Vorwurf des Atheismus, mit dem sich die christliche apologetische Tradition intensiv auseinandersetzt.13 Superstitio impliziert zugleich Respektlosigkeit gegenüber den römischen Autoritäten. Superstitio bedeutet ferner Immoralität bis hin zum Verdacht dunkler Ausschweifungen bei geheimen nächtlichen Zusammenkünften; solche Zusammenkünfte waren nicht nur moralisch verwerflich, sondern galten auch als politisch verdächtig. Wie immer man die in der Forschung häufig bemühten Parallelen zu den Vorwürfen gegen die Anhänger des Dionysos im Zusammenhang mit dem Bacchanalienskandal des Jahres 186 v.  Chr. gewichtet,14 so scheint doch festzustehen, dass sich für Plinius wie für jeden gebildeten und in gesellschaftlicher Verantwortung stehenden Römer mit der Einschätzung der Christen als Anhänger einer superstitio Vorstellungen wie Gottlosigkeit, Immoralität und politische und gesellschaftliche Illoyalität zwingend verbanden. Nur so erklärt sich das harte Vorgehen der römischen Behörden gegen alle, die das nomen Christianum trugen,15 bis 311 n. Chr. Hinzu kam das früh erkennbare enorme Verbreitungspotenzial des christlichen Glaubens, aus Perspektive des Plinius also der offenbar hoch ansteckende Charakter des Wahnglaubens,16 der als dermaßen bedrohlich empfunden wurde, dass in der Eindämmung dieser superstitio eine Aufgabe von höchster Priorität lag. Andere Zeugnisse für pagane Beurteilungen von Anhängern des Christentums bzw. christlicher Lehre bestätigen, dass die mit dem Vorwurf der superstitio allgemein verbundenen Vorstellungen den Christen auch konkret zugeschrieben und angelastet wurden. Der (indirekt bei Justin referierte) Stoiker Crescens wirft den Christen Atheismus und irreligiöses Verhalten vor.17 etabliert gewesen sein dürfte. Zu seinen Konnotationen bei Tacitus und Sueton siehe Engberg, 2007, 216–226. 13 Siehe hierzu immer noch A. von Harnack, Der Vorwurf des Atheismus in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 1905; ferner N. Brox, Zum Vorwurf des Atheismus gegen die Alte Kirche, in: TThZ 75 (1966), 274–282; und J.J. Walsh, On Christian Atheism, in: VigChr 45 (1991), 255–277. 14 O.F. Robinson, Repressionen gegen Christen in der Zeit vor Decius: noch immer ein Rechtsproblem, in: ZRSG.R 126 (1995), 352–369 (357); Engberg, 2007, 202f. (Lit!). 15 Zum nomen ipsum als verurteilungsrelevanten Straftatbestand siehe Plin., ep. 10,96,2f. und die gesamte apologetische Literatur; ich verweise nur auf Just., 1 apol. 4,1–3; 7,4 und Tert., apol. 2,3.13; 4,11. Zum Apologeticum Tertullians jetzt die ausführliche Kommentierung von T. Georges, Tertullian. Apologeticum, KfA 11, Freiburg 2011. 16 Plin., ep. 10,96,9f. 17 Just., 2 apol. 8,2.

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Von hier ausgehend ergab sich Raum für weitergehende Verdächtigungen und Gerüchte. Wenn sich die apologetische Literatur neben den Vorwürfen des Atheismus und der Illoyalität auch mit abenteuerlichen Verdächtigungen wie Inzest, Kannibalismus und Kindesmord auseinandersetzt,18 dann mögen diese heidnischen Verdächtigungen von den Verteidigern des Christentums überzeichnet dargestellt sein, um die Gegner möglichst absurd erscheinen zu lassen; aber frei erfunden sind auch derlei Verleumdungen sicher nicht. Dass man Menschen, die man ohnehin als traditionsfeindliches und lichtscheues Gesindel identifiziert, auch allerlei weitergehende Gräueltaten zutraut und andichtet, ist zu allen Zeiten ein gängiges soziales Beurteilungsmuster; so auch im 2. Jahrhundert. Für den Spötter Lukian von Samosata, der das Christentum nur beiläufig als eine von vielen kuriosen Bewegungen seiner Zeit aufs Korn nimmt, zeigt die christliche Verehrung des gekreuzigten Menschen Jesus Christus als Gott eine intellektuelle Naivität, die den Boden bereitete, auf dem der Schwindler Peregrinos selbst einen gottähnlichen Status unter den leichtgläubigen Christen erreichen konnte.19 Die exklusive Verehrung des gekreuzigten Menschen Jesus als Gott wird von Lukian mit Sarkasmus registriert; Justins Apologien bestätigen indirekt, dass dies in der Tat der befremdlichste Aspekt in der Außenwahrnehmung christlicher Lehre und christlichen Kultes durch die Römer war.20 Lukian sieht in der Verehrung Jesu als Gott (mit Recht) die Ursache dafür, dass die Christen die traditionellen griechischen Götter ablehnen. Über den Umstand der Verehrung der Person Jesu Christi als Gott hinaus geben die Quellen für die Wahrnehmung christlicher Lehre durch gebildete Heiden vor dem Ende des 2. Jahrhunderts kaum etwas her. Ein eigenständiges Interesse an christlicher Lehre, und sei es nur zum Zwecke ihrer Widerlegung, finden wir erst bei Kelsos.21 Interessant sind allerdings die Bemerkungen des Philosophen und Mediziners Galen aus der Mitte des Jahrhunderts: Er unterstellt den Christen, die er etwas anachronistisch mit den Juden in einen Topf wirft, blinden Glauben an unbewiesene Gesetze, worunter er die mosaischen

18 Siehe die Gesamtdarstellung zur frühchristlichen Apologetik von M. Fiedrowicz, Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten, Paderborn 22000; dazu vom selben Verfasser den Quellenband: id., Christen und Heiden. Quellentexte zu ihrer Auseinandersetzung in der Antike, Darmstadt 2004. 19 Lukian, Peregr. 11–18. 20 Just., 1 apol. 13,3f.  – Schon Plinius war bei seinen Untersuchungen auf den befremdlichen Umstand gestoßen, dass die Christen Christus als ihrem Gott (quasi Deo) im Wechsel Lob gesagt hätten; Plin., ep. 10,96,7. 21 Siehe hierzu den vorletzten Abschnitt dieses Aufsatzes (Abschnitt 3.2.).

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Gesetze versteht, die nicht durch Argumente für sich einnehmen, sondern sich auf den schlichten Befehl Gottes berufen.22 Aus Galens Sicht treten bei Juden und Christen Glauben und Vernunft auseinander, der christliche Glaube ist ein unreflektiertes Fürwahrhalten unbegründeter Lehren. Besonders anstößig sind ihm die christlichen Vorstellungen von der Entstehung des Kosmos, die ohne eigentliche Argumentation der Darstellung des Lehrers Moses als der maßgeblichen Autorität folgen. Dabei hebt Galen die jüdisch-christliche Tradition durchaus positiv von der epikureischen ab: Die Schöpfung beruhe nicht auf Zufälligkeit, sondern Ursprung und Beschaffenheit der Geschöpfe erklären sich durch die Tätigkeit eines Weltschöpfers. Kritisch müsse man bei Moses allerdings zweierlei sehen:  Die Vorstellung von der Schöpfung durch einen willkürlichen göttlichen Akt (ohne Beachtung der Vernunft) und die Vorstellung einer Schöpfung ohne materielle Voraussetzung, d. h. ohne zuvor existierende Materie, aus der Welt und Geschöpfe geformt wurden.23 Aus diesen beiden Irrtümern ergebe sich aber nicht nur ein unzureichendes Verständnis der Weltentstehung, sondern auch ein problematisches Gottesbild, da Gott in der mosaischen Perspektive willkürlich und unberechenbar sei und die vernunftgemäße Anordnung der Natur nicht beachte.24 Galens Bemerkungen zeigen, dass er den Schöpfungsbericht der Genesis in einer bestimmten Interpretation kennt und an den beiden genannten Punkten als unzureichend kritisiert. Es muss offen bleiben, ob ihm diese Interpretation aus christlichen Kreisen selbst bekannt war; die Lehre einer creatio ex nihilo, gegen die sich Galen hier wendet, war im 2. Jahrhundert keineswegs innerchristlicher Konsens.25 Vielleicht hatte Galen über christliche Kreise von neutestamentlichen Sprüchen wie Mt 3,9 oder Lk 18,27 Kenntnis, die er als christliche Interpretationshilfen für den Schöpfungsbericht der Genesis annahm oder kennen gelernt hatte.26 Auch wenn die Wahrnehmung christlicher Lehre bei Galen eklektisch ist und ihre Bewertung im Wesentlichen negativ ausfällt, kann man den wenigen Stellen, an denen er sich mit dem Christentum auseinandersetzt,

22 Zu Galen siehe die Textauszüge bei R. Walzer, Galen on Jews and Christians, London 1949; überblicksweise bei Wilkens, 1986, 81–105. 23 Gal., UP 11,4–14. 24 Gal., UP 11,14. 25 Siehe die Darstellung von G. May, Schöpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der Lehre von der Creatio ex Nihilo, AKG 48, Berlin 1978. – Justin ist ein prominentes Beispiel für einen christlichen Theologen des 2. Jahrhunderts, der die platonische Schöpfungsvorstellung von der Formung der Welt aus ungestalteter Materie als mit dem alttestamentlichen Schöpfungsbericht völlig übereinstimmend ansieht: Just, 1 apol. 59,1–5. 26 Siehe Wilkens, 1986, 100f.

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immerhin positiv entnehmen, dass er das Christentum als Gesprächspartner ernst nimmt. Er sieht es als eine unter vielen philosophischen Schulen an,27 die es zu seiner Zeit gab. Mit dieser Einordnung attestiert er dem Christentum immerhin eine gewisse institutionelle Ebenbürtigkeit, auch wenn er es im Vergleich mit anderen Philosophien für unzureichend hält, weil es sich am Maßstab der vernunftgemäßen Argumentation nicht bewährte. Was er anerkennend vermerkt, ist, dass es den Christen offenbar gelingt, Menschen zu einem moralisch einwandfreien Leben zu bringen. Auch wenn dies nicht auf dem Wege vernunftorientierter Überzeugungsarbeit geschieht, sondern durch Gesetze und naive Wundervorstellungen, so führt die christliche Philosophie doch zumindest einfache, ungebildete Menschen zu anerkennenswerter Selbstbeherrschung und Disziplin, zu asketischer Haltung und zu einer gewissen Verachtung des Todes.28 Wenn Galen das Christentum als philosophische Schule einordnet, ist damit zwar keine Anerkennung hinsichtlich der intellektuellen Qualität seiner Vertreter ausgesprochen, aber doch ein gewisser Respekt hinsichtlich der nicht zu bestreitenden „philosophischen Lebensführung“,29 die er bei Christen vorfand oder von der er zumindest gehört hatte. Damit stehen wir bei der Frage nach möglichen positiven Beurteilungen des Christentums durch die heidnischen Römer im 2.  Jahrhundert. In der Summe wird man sagen müssen:  Gegenüber der Einordnung als superstitio und der Fülle der hieran anschließenden Verdächtigungen und negativen Urteile und Vorurteile kommen positive Aspekte kaum zum Vorschein. Selbst die im Zusammenhang von Martyrien häufig wahrgenommene Todesverachtung der Christen konnte, anders als bei Galen, durchaus negativ gedeutet und als blinder Fanatismus diskreditiert werden.30 So bleiben als positive Aspekte nur die – trotz aller Vorwürfe der Immoralität – letztlich nicht zu übersehende Tugendhaftigkeit vieler Christen, ihre mitunter als naiv wahrgenommene Zugewandtheit und die Ernsthaftigkeit, mit der sie dem Liebesgebot Jesu zu entsprechen suchten. Zwar sind, abgesehen von Galen,

27 Zu den philosophischen Schulen in der hohen Kaiserzeit siehe J. Hahn, Der Philosoph und die Gesellschaft. Selbstverständnis, öffentliches Auftreten und populäre Erwartungen in der hohen Kaiserzeit, Stuttgart 1989; zur Entstehung christlicher philosophischer Schulen in diesem Kontext siehe C. Markschies, Lehrer, Schüler, Schule. Zur Bedeutung einer Institution für das antike Christentum, in: U. Egelhaaf-Gaiser / A. Schäfer (eds.), Religiöse Vereine in der römischen Antike. Untersuchungen zu Organisation, Ritual und Raumordnung, STAC 13, Tübingen 2002, 97–120. 28 Walzer, 1949, 15. 65f. 29 Siehe Wilkens, 1986, 92f. und Markschies, 2002, 111–114. 30 So Epiktet, Diss. 4,7,5f. und auch Mark Aurel, Med. 11,3. – s. u. unter Abschnitt 2.

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explizit anerkennende Worte aus nichtchristlichem Munde hierüber erst in deutlich späterer Zeit nachweisbar,31 doch kann nicht zweifelhaft sein, dass es dem Christentum primär in den Sektoren der im 2. Jahrhundert unisono hoch angesehenen asketisch-moralischen Lebensführung und der Nächstenliebe gelang, auf sich aufmerksam zu machen und in der Außenwahrnehmung durch die Heiden allmählich erste Pluspunkte zu sammeln. Dieser Effekt wurde nicht zuletzt dadurch erreicht, dass die Christen selbst ihre Ethik dezidiert als Ausweis der eigenen Identität verstanden und dies nach innen und außen kommunizierten.32 Welche Effekte ergaben sich aus dieser Wahrnehmung der Christen durch die Heiden hinsichtlich des Klimas, das die Christen in der römischen Gesellschaft umgab? Die zahlreichen, schwer wiegenden, teils mehr teils weniger auf präziser Kenntnis beruhenden Vorbehalte führten zu einer insgesamt feindlichen Atmosphäre, die die Christen zu gewärtigen hatten und die sich durchaus verdichtete, je mehr sie als gesellschaftlicher Faktor wahrgenommen wurden. Diese feindliche Atmosphäre war aus Perspektive paganer Römer folgerichtig und berechtigt. Denn es lag völlig in der Logik römischen Denkens, das einen engen Zusammenhang von gemeinsamer Gottesverehrung und salus publica voraussetzte, dass Menschen, die sich der gemeinsamen Gottesverehrung entzogen, die salus publica gefährdeten. Tertullians Sündenbocktheorie ist nicht einfach Erfindung apologetischer Argumentationsstrategie oder Ausdruck christlicher Paranoia, sondern hat hier ihren konkreten sachlichen Ort.33 Der heidnische Satiriker Lukian von Samosata bestätigt am Beispiel des Schwindlers Alexander, wie man öffentlichen Furor relativ leicht auf die Christen als „Epikureer“ (um) lenken konnte.34 Lukians Beispiel dürfte für die Situation des 2. Jahrhunderts repräsentativ sein. Die aggressive Haltung gegenüber den Christen fand sich keineswegs nur beim Mob, sondern auch bei den Intellektuellen:  Der Stoiker Crescens, Justins Schulleiterkonkurrent in Rom, der die christlichen Lehren zu widerlegen 31 Man denke an die berühmte, weil christlicherseits gern zitierte Aussage des Julian „Apostata“, es sei eine Schmach, wenn die gottlosen Galiläer neben ihren Armen auch noch die Unsrigen ernähren, die Unsrigen aber der Hilfe von unserer Seite entbehren müssten (Julian., ep. 39). 32 Siehe meinen Aufsatz J. Ulrich, Ethik als Ausweis christlicher Identität bei Justin Martyr, in: ZEE 50 (2006), 21–28 (Lit!). 33 Tert., apol. 40, 1f. – Siehe Georges, 2011, 585f. 34 Lukian, Alex. 25.38. – Als Alexanders Schwindeleien in Pontus aufzufliegen drohen, erklärt er, Pontus sei voll von Ungläubigen und Christen, die die Kühnheit hätten, ihn zu lästern; um von den Göttern geliebt zu werden, sei es nötig, die Christen und die Ungläubigen zu steinigen. Offenbar hat Alexander mit diesem Manöver Erfolg gehabt: Es gelingt ihm, die öffentliche Wut von sich selbst ab- und auf die Christen umzulenken.

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suchte, trachtete deren Vertretern nach dem Leben.35 Man kann also resümierend feststellen, dass die weit überwiegend negative Wahrnehmung der Christen durch die heidnischen Römer sich mit einer feindlichen Grundgesinnung der römischen Gesellschaft gegenüber den Christen verband.36 Vom Palatinhügel in Rom ist ein Graffito erhalten, das im Jahre 1856 gefunden wurde.37 Die mittlerweile in zahlreichen Lehr- und Quellenbüchern abgedruckte Abbildung38 zeigt die Rückansicht eines Gekreuzigten mit Eselskopf und einen zu seinen Füßen stehenden „Gläubigen“; sie führt dazu den kommentierenden Text:  „Alexamenos betet Gott an“. Eine exakte Datierung ist nicht möglich. Aber das regional sicher nach Rom und soziologisch wahrscheinlich dort in den Kontext militärischer Einheiten einzuordnende39 Graffito unterstreicht, was sich aus literarischen Quellen40 in vergleichbarer Weise ergibt: Die Christen des 2. Jahrhunderts waren innerhalb der römischen Gesellschaft Zielscheibe des Spotts und der Verachtung.

2. Begegnungen Der strikten Abgrenzung der Christen gegenüber den römischen Kulten, ihren Trägern und Teilnehmern, heidnischerseits als Atheismus und superstitio gedeutet, und umgekehrt der tendenziell feindseligen Haltung der heidnischen Römer gegenüber den Christen steht im 2. und 3. Jahrhundert der Befund einer erstaunlich zwanglosen Integration der Christen in die römische Gesellschaft gegenüber.41 Trotz aller individuellen und kollektiven christlichen Selbstunterscheidung von den Heiden und trotz aller feindlichen-verdächtigenden Grundhaltung der Heiden gegenüber den Christen ergab sich im Alltagsleben eine gewisse Selbstverständlichkeit des Miteinanders und der Begegnung. Die Frage, inwieweit dieses Miteinander zu wechselseitigen

5 Just., 2 apol. 8,1; 11,1f.; Tat., orat. 19,1 (= Eus., h.e. 4,16,8f.). 3 36 Eine „realistic hostility“ diagnostiziert Engberg, 2007, 229. 37 C.M. Kaufmann, Handbuch der altchristlichen Epigraphik, Freiburg 1917, 302. 38 Z. B. im Quellenband von P. Guyot / R. Klein (eds.), Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen II. Die Christen in der heidnischen Gesellschaft, TzF 62, Darmstadt 1994, 232. 39 Dafür spricht die Fundstelle im sogenannten Pädagogium. 40 Zur Verehrung eines Esels als Gott siehe Tert., nat. 1,11,1–14,4; Tert., apol. 16,1– 5. – Zu den Vorstellungskreisen, die sich für die Römer mit dem Bild des Esels verbanden, siehe I. Opelt, Esel, in: RAC 6 (1966), 564–595. 41 Siehe hierzu den Quellenband von Guyot / Klein (eds.), 1994. – Grundlegend ist die Darstellung von R.L. Fox, Pagans and Christians in the Mediterranean World from the Second Century AD to the Conversion of Constantine, London 21988; siehe auch W. Wischmeyer, Von Golgatha zum Ponte Molle. Studien zur Sozialgeschichte der Kirche im dritten Jahrhundert, Göttingen 1992.

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Beeinflussungen führte, also inwieweit das Christentum die Städte oder Regionen prägte, in denen es sich ausbreitete, und umgekehrt das soziale und ökonomische Leben der Städte und Regionen die jeweiligen christlichen Gemeinden beeinflusste, ist im Einzelnen schwer zu beantworten: Entweder fehlen uns die Quellen ganz, oder diese sind unter bestimmten Intentionen wie etwa dem Einschärfen von Maßregeln und Normen verfasst, was dann nur bedingt Rückschlüsse auf die jeweilige Alltagswirklichkeit erlaubt. Einigermaßen klare Bilder ergeben sich oft erst für die spätere Zeit, in der das Christentum zur dominierenden Größe im Imperium Romanum avanciert war, also ab dem späten 4. Jahrhundert. Gleichwohl scheint es für unseren Zeitraum möglich, wenigstens ein paar Schlaglichter zu benennen. Was die Teilnahme am Wirtschaftsleben angeht, standen die Christen zwar in dem Ruf, unnütz für das Geschäftemachen zu sein. Doch dieser Vorwurf, den Tertullian in seinem Apologeticum aufgreift,42 scheint sich auf den Handel mit kultrelevanten Waren und auf bestimmte bei den Christen verpönte Bereiche des Wirtschafts- und Arbeitslebens zu beziehen:43 Schon Plinius hatte in seinem Brief an Trajan ja konstatiert, dass mit der Ausbreitung des Christentums der Handel mit Opfertierfleisch nahezu zum Erliegen gekommen war.44 Insgesamt aber insistiert Tertullian darauf, dass die Christen wie alle anderen am alltäglichen Handel teilnehmen; da hier ein ansonsten eher auf Selbstabgrenzung der Christen von der römischen Gesellschaft abzielender Verfasser spricht, wird man seinen Worten Gewicht beimessen müssen. Er verweist darauf, dass die Christen dieselbe Kleidung, Einrichtung und Lebensmittel benötigen wie alle anderen auch und fährt fort: Daher bewohnen wir diese Welt mit euch nicht ohne euer Forum, nicht ohne euern Markt, nicht ohne eure Bäder, Läden, Werkstätten, Gasthäuser, Wochenmärkte und sonstigen Geschäftsformen. Auch fahren wir mit euch zur See, und mit euch leisten wir Militärdienst und arbeiten auf dem Land und treiben Handel; ebenso bringen wir unsere Handwerkskünste ein, unsere Dienste stellen wir eurem Gebrauch öffentlich zur Verfügung. Wie wir unnütz scheinen sollen für eure Geschäfte, da wir mit euch und von euch leben, weiß ich nicht.45

42 Tert., apol. 42,1. – Der Vorwurf taucht bei den Apologeten vor Tertullian so nicht auf. 43 Siehe hierzu J. Ulrich, Selbstbehauptung und Inkulturation in feindlicher Umwelt. Von den Apologeten zur „konstantinischen Wende“, in: D. Zeller (ed.), Christentum I: Von den Anfängen bis zur Konstantinischen Wende, Stuttgart 2002, 223–300 (258f.). 44 Plin., ep. 10,96,10. 45 Tert., apol. 42,2f. – Übersetzung nach Georges, 2011, 609. Eine Kommentierung ibid., 610–612.

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Deutlicher kann man die Selbstverständlichkeit der Teilhabe der Christen am römischen Wirtschaftsleben nicht unterstreichen. Christen kauften ohne Bedenken bei heidnischen Händlern und verkauften Waren und Dienstleistungen ebenso ohne Bedenken an heidnische Kundschaft. Schon Justin weist in diese Richtung und lässt es sich nicht entgehen, darauf aufmerksam zu machen, dass in der alltäglichen Begegnung im Zusammenhang mit Reise und Handel auch eine missionarische Gelegenheit bestand, die einzelne christliche Händler dazu nutzten, ihre heidnischen Geschäftspartner vom Christentum zu überzeugen.46 Die Textbeispiele zeigen, dass Christen im Bereich von Handel und Wirtschaft ebenso aktiv waren wie ihre paganen Kollegen und Konkurrenten. Auch in anderen Berufszweigen waren Christen wie selbstverständlich vertreten: Einschränkungen kirchlicherseits gab es vor allem bei solchen Berufen, die auch in der zeitgenössischen römischen Gesellschaft verpönt waren: Die Traditio Apostolica, die so genannte Kirchenordnung des Hippolyt, untersagt für Christen Berufe wie heidnischer Priester, Zuhälter, weibliche und männliche Prostituierte, Schauspieler, Gladiatoren, Zauberer oder Wahrsager; im Bereich des Kunsthandwerks werden solche Tätigkeiten verboten, die sich auf die Herstellung von paganen Kultgegenständen spezialisiert hatten.47 Abgesehen vom notorischen Problem der Vermeidung jeglichen Kontakts mit den paganen Kulten spricht die „Berufsverbotsliste“ aus der Traditio Apostolica eher für als gegen die Integration der Christen in die Gesellschaft: Es schlagen sich hier moralische Einschätzungen einschlägiger Tätigkeiten nieder, die denen heidnischer Römer entsprechen. Einen Sonderfall stellt die Forderung dar, dass Richter und höhere städtische Beamte ihr Amt nicht weiter ausführen sollen, wenn sie Christen werden.48 Hier dürfte 46 Es handelt sich um die textlich leider nicht ganz klar überlieferte und wohl auch deswegen wenig beachtete Notiz Just., 1 apol. 16,4. Auf Basis der neuen griechischen Textrekonstruktion von D. Minns / P. Parvis (eds.), Justin, Philosopher and Martyr. Apologies, OECT, Oxford 2009, 118f. lautet die englische Übersetzung: „This we were able to demonstrate in the case of even many who have joined us: they changed from being violent and tyrannical, overcome either by following closely the patient endurance of life of neighbours, or, on a journey, observing carefully the unusual submission of travellers who are exploited, or having found out what their associates in business are like.“ (119). – Der vordere Teil des Satzes mit Hinweis auf die Gewalttätigkeit in der vorchristlichen Existenz ist topisch. Der hintere Teil ist es nicht, denn er kommt so bei den Apologeten an keiner anderen Stelle vor. Er könnte tatsächliche Vorgänge im Reise- und Handelsalltag des 2. Jahrhunderts spiegeln. 47 Trad. Apost. 16.  – Zur Traditio Apostolica siehe C.  Markschies, Traditio Apostolica, in: 4RGG 8 (2005), 504f.; P.E Bradshaw / M.E. Johnson / L.E. Phillips, The Apostolic Tradition. A Commentary, Minneapolis 2002. 48 Trad. Apost. 16.

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die dienstliche Verpflichtung im Hintergrund stehen, dass solche Beamte pagane Opfer- und Kulthandlungen zu organisieren, zu finanzieren und sich an deren Durchführung zu beteiligen hatten. Die in der Traditio Apostolica noch recht strenge Handhabung ist im Laufe der Zeit bei ständig sich verstärkender Integration der Christen in die Gesellschaft aufgeweicht worden, wie Kompromisslösungen auf der Synode von Elvira am Anfang des 4. Jahrhunderts zeigen.49 Der schlagendste Beleg für die Mitwirkung der Christen an den Aufgaben des Imperium Romanum ist die Tatsache, dass spätestens ab der Mitte des 2. Jahrhunderts Christen in nennenswerter Zahl im Militär nachweisbar sind, zunächst in den unteren Chargen, aber nur wenig später bis hinein in die in Rom stationierten Prätorianer.50 Zwar war die Ausübung des Soldatenberufs innerkirchlich keineswegs unumstritten, doch lässt sich eine recht breite Mehrheit innerhalb der werdenden „Großkirche“ ausmachen, die Militärdienst und christliches Bekenntnis durchaus für miteinander vereinbar erachtete.51 Einmal im Militärdienst aktiv, genossen christliche Soldaten bei ihren paganen Kameraden und bei ihren militärischen Vorgesetzten mitunter hohes Ansehen.52 Probleme für Christen im Militär gab es v.  a. in Zeiten dezidierter Christenverfolgungen, bei namentlicher Anzeige als Christen entsprechend dem im Grunde seit Plinius bezeugten Verfahren, oder bei Befehlsverweigerung christlich-pazifistischer Rekruten.53 Die sich aus dem Militärdienst von Christen zwangsläufig ergebenden ethischen Probleme hat die Kirche durch Einschränkungsregelungen zu entschärfen gesucht. Die schon genannte Traditio Apostolica schreibt vor, dass christliche Soldaten sich nicht an Hinrichtungen beteiligen und außerdem keinen Eid leisten sollen.54 Es ist gut vorstellbar, dass sich solche Bestimmungen in Friedenszeiten leichter in die Praxis umsetzen ließen als im Krieg. 49 Siehe hierzu E. Reichert, Die Canones der Synode von Elvira. Einleitung und Kommentar, Diss. Universität Hamburg 1990, bes. 175–177. 50 Siehe hierzu H.C. Brennecke, „An fidelis ad militiam converti possit?“ [Tertullian, de idololatria 19,1]. Frühchristliches Bekenntnis und Militärdienst im Widerspruch? in: id., Eccelsia est in re publica. Studien zur Kirchen- und Theologiegeschichte im Kontext des Imperium Romanum, AKG 100, Berlin 2007, 179–232 (Lit!). 51 Brennecke, 2007, 228: „Die grundsätzliche und absolute Unvereinbarkeit des christlichen Bekenntnisses mit dem Dienst im Militär, wie sie der späte Tertullian vertreten hat und wie sie vor allem auch in den Acta Maximiliani deutlich wird, ist eher eine Außenseiterposition, die allerdings in christlichen Sondergruppen eine wichtige Rolle gespielt hat.“ (Kursivdruck Brennecke). 52 Dies kann man u.a. dem bei Eusebius überlieferten Marinusmartyrium entnehmen, Eus., h.e. 7,15f. 53 Brennecke, 2007, 179–232. 54 Trad. Apost. 16.

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Vielfältige Begegnungen zwischen Christen und Heiden ergaben sich natürlich bei Gelegenheit alltäglicher Volksvergnügungen. Die Teilnahme von Christen an Festen, an Straßenbanketten, Zirkusspielen und Theateraufführungen, der Besuch von Gladiatorenkämpfen oder auch das Mittun bei vielfältigen Badefreuden haben viele kirchliche Amtsträger überwiegend kritisch gesehen. Bei ihren Gemeindegliedern scheinen sie damit aber nur teilweise durchgedrungen zu sein. Einerseits belegt Minucius Felix indirekt, dass sich manche Christen gegenüber Schauspiel und Festzügen tatsächlich reserviert verhielten.55 Andererseits entwickelt sich die Polemik kirchlicher Autoren gegen die Teilnahme von Christen an derlei Veranstaltungen zum paränetischen Dauerbrenner in der frühen kirchlichen Verkündigung, was nicht zu erklären wäre, wenn die Gemeindechristen nur am Rande Berührung mit den allseits beliebten und viel besuchten Volksveranstaltungen gehabt hätten. Die Gründe für die empfohlene Zurückhaltung sind sowohl kultischer als auch moralischer Art:  Weder die obligatorische Verbindung der Schauspiele mit den heidnischen Kulten56 und mit moralisch problematischen Inhalten57 noch die Brutalität der Gladiatorenkämpfe58 noch die Anstößigkeit ritueller Bäder oder des gemeinsamen Badens von Männern und Frauen59 noch die Völlereien bei öffentlichen Banketten60 schienen mit christlichen ethischen Vorstellungen von Mäßigung und asketischer Haltung vereinbar. Die Gründe dafür, dass viele Christen offenbar dennoch gern an derlei Veranstaltungen teilnahmen, sind hingegen darin zu finden, dass sie sich offenbar je länger je mehr als ganz normale Bürger des Römischen Reiches verstanden und sich dementsprechend verhielten. Aber auch die Polemik kirchlicher Autoren gegen die einschlägigen Festveranstaltungen zeigt in gewisser Weise die Integration in die römische Gesellschaft, nimmt sie doch die Kritik paganer Intellektueller zumindest an den Auswüchsen solcher Veranstaltungen auf und ist teilweise gar als Unterstützung kaiserlicher

5 Minucius Felix, Oct. 12,5f. 5 56 Lact., Epit. 58,1f. 57 Theophil., Autol. 3,15. 58 Theophil., Autol. 3,15; Lact., Epit. 58,4. 59 Cypr., hab. virg. 19. – Siehe zum Thema den immer noch instruktiven Band von J. Zellinger, Bad und Bäder in der altchristlichen Kirche, München 1923. 60 Tert., apol. 42,5. – Besonders verpönt bei den Christen war der Verzehr von Blutwurst, der in der römischen Antike höchst beliebten botuli cruore distenti; siehe Tert., apol. 9,14. Für Tertullian ist hier, wohl im Blick auf Gen 9,4, der status confessionis gegeben. Offenbar hatte sich das auch bei den römischen Behörden herumgesprochen, denn der Befehl des Verzehrs von Blutwurst wurde gelegentlich eingesetzt um beweissicher zu überprüfen, ob ein leugnender Angeklagter Christ war oder nicht – Siehe Georges, 2011, 179f.

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Gesetzgebung zu deuten.61 Der Paidagogos des Clemens von Alexandrien ist ein Beispiel für ganz alltägliche Benimmregeln, die sich an Christen richten, aber ganz weitgehend in Übereinstimmung mit paganen moralischen Vorstellungen stehen und argumentieren, wie man sie bei popularphilosophischen Schriftstellern wie Plutarch und anderen nachlesen konnte. Eine wichtige Rolle für die Begegnung von Heiden und Christen spielen die Familien. Erst gegen Ende des 2. Jahrhunderts ist verstärkt davon auszugehen, dass Kinder in Familien hineingeboren wurden, deren Eltern beide Christen waren.62 In der Zeit davor ist dies eher die Ausnahme. Konversionen eines Familienmitglieds oder Ehepartners zum Christentum bedeuten mithin immer auch eine empfindliche Störung der religiösen Einheit und Gemeinschaft innerhalb der Familie, die sich noch dadurch verschärfte, dass die christlichen Familienmitglieder im Falle einer wegen ihres Christseins erstatteten Anzeige unmittelbar vom Tode bedroht waren. Das Martyrium der Perpetua und Felicitas ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass heidnische Eltern ihre zu Christen gewordenen Kinder in solchen Fällen verzweifelt zum Abfall vom Christentum zu bewegen suchten, um sie vor Verurteilung und Hinrichtung zu schützen.63 Doch nicht nur im Verhältnis der Generationen rief unterschiedliche religiöse Orientierung Schwierigkeiten hervor, sondern auch im Bereich von Partnerschaft und Freundschaft: Ein notorisches Problem der frühen Zeit waren die so genannten Mischehen. Während Paulus, der gegenüber der Ehe generell eine eher ambivalente Haltung einnimmt, die Mischehe immerhin respektiert (1Kor 7,14) und als missionarische Gelegenheit ansieht (1Kor 7,16), zeigte die Praxis schnell, dass sich hier erhebliches Konfliktpotenzial auftat.64 Tertullian macht zu Anfang des 3. Jahrhunderts in zwei Büchern an seine eigene Frau geltend,65 dass die gemeinsame Ausführung eines paganen Hauskults für den christlichen Ehepartner ebenso wenig in Frage komme wie die christliche Kult-, Gebets- und auch Diakoniepraxis für den heidnischen Ehepartner akzeptabel sei; angesichts unterschiedlicher

61 Man denke an die gesetzgeberischen Maßnahmen der Kaiser gegen das gemeinsame Baden von Männern und Frauen: Historia Augusta, Hadr. 18,10; Marc. 23,8; Sev. Alex. 24,2. 62 Ich nenne Origenes als prominentestes Beispiel. 63 Mart. Perp. 2. 64 Just., 2 apol. 2. – Auch wenn man die zahlreichen topischen Elemente mit gebotener methodischer Vorsicht betrachtet: Die Episode illustriert einerseits die mit der Konversion eines Partners zum Christentum möglicherweise einhergehende Entfremdung zwischen zwei Eheleuten und unterstreicht andererseits die Tatsache, dass der heidnische Teil nun jederzeit die Möglichkeit hatte, sich seines christlichen Partners via Anzeige aufgrund des nomen ipsum dauerhaft zu entledigen. 65 Tert., ad uxorem 1; 2.

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Festzeiten und Mahlpraktiken und entgegengesetzter religiöser Überzeugungen sei ein gemeinsames eheliches Leben kaum mehr möglich. Aus diesen Gründen lehnt er die Mischehen rigoros ab. Auf der anderen Seite zeigen die Quellen klar, dass es noch im 3.  Jahrhundert viele solcher Mischehen gegeben haben muss.66 Das gewichtigste Problem, dass sich aus den Mischehen zwangsläufig ergab, war die Frage nach der religiösen Erziehung der gemeinsamen Kinder. War es für Christen eigentlich selbstverständlich, ihre Kinder christlich zu erziehen und im Christentum zu unterweisen, konnte dies durchaus auf hartnäckigen Widerstand oder auf Spott von Seiten des nichtchristlichen Ehepartners stoßen. Der missionarische Anspruch der Christen ging jedoch – in Aufnahme jüdischer Traditionen – einher mit der Vorstellung, dass nach Möglichkeit das gesamte Haus eines Glaubens, also christlich sein sollte. Mancher nichtchristliche Ehepartner sah sich massiven Missionierungsbemühungen seines christlichen Partners ausgesetzt.67 Über die unmittelbaren Familienmitglieder hinaus galt das auch für die Sklaven,68 die in unterschiedlichsten Positionen in christlichen Haushalten tätig sein konnten und dem Familienverband angehörten:  Waren pater und domina der Familie christlich, wurden auch die nichtchristlichen Sklaven zur Übernahme des christlichen Glaubens angehalten. Wie es in den gemischten Familien, in denen nur einer der Partner Christ war, um die Möglichkeit zur Missionierung der Sklaven stand, erfahren wir aus den Quellen leider nicht.69 Der letzte in unserem Zusammenhang der heidnisch-christlichen Begegnungsschlaglichter relevante Aspekt ist der der christlichen Martyrien. Öffentliche Hinrichtungen waren schon deshalb ein Ort der Begegnung zwischen Heidentum und Christentum, weil sie als unterhaltungsintensives Spektakel geschätzt waren und von einer entsprechend großen Menge Schaulustiger beobachtet wurden.70 Die Berichte über Martyrien bezeugen die öffentliche Feindschaft, die bekennenden Christen bei ihrer Hinrichtung entgegenschlug.71 Manch heidnischer Römer im 2. Jahrhundert mag durch seine Zuschauerrolle bei einer öffentlichen Hinrichtung eines oder mehrerer

66 Cypr., laps. 6. – Die Canones der Synode von Elvira lehnen die Mischehen zwar nicht radikal ab, warnen aber eindringlich davor. Siehe Reichert, 1990, 108–111. 67 Dies scheint auch bei der Episode Just., 2 apol. 2 im Hintergrund zu stehen. 68 Siehe hierzu Wischmeyer, 1992, 91–111. 69 Wischmeyer, 1992, 111. 70 Neue Einsichten hierzu verdanke ich dem instruktiven Vortrag von Annewies van den Hoek auf der Sixteenth International Conference on Patristic Studies 2011: A. van den Hoek, Execution as Entertainment: the Roman Context of Martyrdom. 71 Vgl. Engberg, 2007, 231–282.

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Christen erstmals auf die neue Religion aufmerksam geworden sein. Das Ergebnis seiner Wahrnehmung dürfte aus einer Mischung von Befremden und Bewunderung bestanden haben: Befremden angesichts der Beharrlichkeit, mit der die Christen auch im Angesicht der Todesdrohung bei ihrem Bekenntnis beharrten, was schon Plinius als pertinacia und inflexibilis obstinatio eingeordnet hatte72 – für Anhänger der inhaltlich durchaus flexibel und kompromissfähigen römischen Religion und der Mysterienkulte verband sich der religiöse Vollzug nicht unbedingt mit einem Wahrheitsbewusstsein, das eine letztgültige Entscheidung auf Leben oder Tod gerechtfertigt hätte; Bewunderung angesichts der Gewissheit des Glaubens, die aus eben jenem Verhalten evidenterweise sprach. Zwar gab es auch in der antiken paganen Tradition zahlreiche lautere Beispiele für Hingabe des eigenen Lebens um eines höheren Gutes und um der Wahrheit willen, angefangen beim Beispiel des Sokrates, doch ging es hier nicht um religiöse Überzeugungen, die die Todesbereitschaft motivierten73  – und außerdem hatte Sokrates keine Anhängerschar generiert, die als seine Nachfolger für seine Überzeugungen den Tod auf sich nahmen, wie schon Justin vermerkt.74 Die Märtyrer wurden auch auf heidnischer Seite als „Zeugen“ wahrgenommen, die für das, was sie als wahr ansahen, zum Äußersten bereit waren und zugleich ein bewegendes Vertrauen auf die jenseitige Belohnung durch ihren Gott demonstrierten. Wenn Clemens von Alexandrien die Situation des Martyriums so deutet, dass hier eine eigentlich nicht mehr zu treffende, weil selbstverständliche „Entscheidung“ zwischen der Angst vor dem Tod und der Liebe zu Gott vorliegt,75 so entspricht dies nicht nur christlichem Selbstverständnis, sondern vermutlich auch der Wahrnehmung dieser Entscheidungen aus der Außenperspektive. Es sind jedoch nicht nur die Martyrien selbst gewesen, die die Aufmerksamkeit paganer Beobachter auf sich zogen, sondern der ab dem 2.  Jahrhundert Zug um Zug einsetzende und sich ausbreitende Märtyrerkult. In der Mitte des 2. Jahrhunderts schreiben die Christen von Smyrna über das Martyrium ihres ehemaligen Bischofs Polykarp an die Gemeinde von Philomelium, sie seien der Gebeine Polykarps habhaft geworden, hätten sie an angemessener Stelle bestattet, würden dort regelmäßig Gottesdienst feiern um des Gedächtnisses der Märtyrer und um der Zurüstung derer, denen möglicherweise ein Martyrium bevorstehe.76 Natürlich handelt es sich hier zunächst einmal um innergemeindliches Gedenken, Gebet und Ermutigen. 2 Plin., ep. 10,96,3. 7 73 So Fiedrowicz, 2000, 189. 74 Just., 2 apol. 10,8. 75 Clem., Strom. 4,28,4f. 76 Mart. Pol. 18.2f.

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Aber der Text legt es andererseits nicht nahe, sich vorzustellen, dass die rituelle Ehrung der Märtyrer den heidnischen Beobachtern des Christentums vollkommen verborgen geblieben sei. Die Sorge der Christen um ihre als heilig verehrten Märtyrer im Speziellen wie um ihre Toten insgesamt dürfte nicht nur für den Prozess der Identitätsbildung in den Gemeinden, sondern durchaus auch in der Außenwahrnehmung des Christentums eine Rolle gespielt haben77 – unabhängig von der jeweiligen Bewertung, die abermals von erheblichem Befremden bis zu erstaunter Bewunderung gereicht haben dürfte.78

3. Literarische Auseinandersetzung 3.1  Die frühe christliche Apologetik Das 2.  Jahrhundert ist gekennzeichnet durch die christliche Adaption der literarischen Apologetik, die im paganen Raum seit der Apologie des Sokrates bekannt und im jüdischen Raum durch Josephus oder Philo von Alexandrien zu erheblicher Blüte gelangt war. Die christliche Apologetik verfolgt eine doppelte Ausrichtung: Sie will das Christentum gegen im Raum stehende Vorwürfe verteidigen (apologetischer Zug) und sie will es zugleich so darstellen, dass es von den Lesern der apologetischen Literatur als attraktiv angesehen wird (protreptischer Zug). Mit dem apologetischen Zug reagiert sie auf die als ungerecht angesehene Rechtslage und versucht, die Machthaber zu Korrekturen zu bewegen: Die Ignoranz gegenüber dem Christentum soll beseitigt werden und die rechtlich abstruse Verurteilung von Christen allein wegen des nomen ipsum soll beendet werden. Mit dem protreptischen Zug entspricht sie dem missionarischen Anspruch des Christentums, das sich als allen Menschen geltende, universale Religion versteht und möglichst viele überzeugen und zur Konversion bewegen will: Pagane Leser sollen für die christliche Religion gewonnen werden.79 Die frühchristliche Apologetik ist 77 Siehe hierzu Wischmeyer, 1992, 148–162; U. Volp, Tod und Ritual in den christlichen Gemeinden der Antike, VigChr.S 65, 2002. – Gewährsmann für heidnischen Respekt gegenüber dem christlichen Umgang mit den Toten ist in der Mitte des 4. Jahrhunderts abermals Iulianus „Apostata“ (Iulian., ep. 39). 78 Hierfür fehlt uns leider belastbares Quellenmaterial. Eine Notiz des heidnischen Rhetors Eunapios von Sardes weist auf völliges Befremden hin (Eunap., vit. sophis. 272, siehe W.C. Wright [ed.], Philostratus and Eunapius. The Lives of the Sophists, Cambridge 1989 [Neudruck der Ausgabe London 1922]), ist aber für unseren Zeitraum leider viel zu spät (Ende 4. Jh.). 79 Lit.:  L.W. Barnard, Apologetik I:  Alte Kirche, in:  TRE 3 (1978), 371–411; K. Rosen, Von der Torheit der Heiden zur wahren Philosophie. Soziale und geistige Voraussetzungen der christlichen Apologetik des 2. Jahrhunderts, in: R. von Haehling (ed.), Rom und das himmlische Jerusalem. Die frühen Christen zwischen

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in diesem doppelten Sinne ein Schritt in die nichtchristliche Öffentlichkeit, mit der sie in einen Disput einzutreten beabsichtigt. Damit beginnt mit der Apologetik ein neuer Abschnitt der christlichen Literaturgeschichte.80 Die explizite Selbstausrichtung jener Literatur auf die pagane Öffentlichkeit hin schließt aber selbstverständlich nicht aus, dass die Texte auch im innerkirchlichen Raum rezipiert werden sollten und wurden und dort als musterhafte Argumentationshilfen eine gewisse Wirkung entfalteten, die die Gemeinden für die intellektuelle Auseinandersetzung mit kritischen paganen Gesprächspartnern stärkten. Im Rahmen ihrer doppelten Zielrichtung stand die Apologetik des 2. Jahrhunderts vor der Aufgabe, die eigene christliche Religion und die pagane Umwelt des frühen Christentums so miteinander in Beziehung zu setzen, dass sowohl die Anschlussfähigkeit und Integrationsfähigkeit des Christentums in seine Umwelt als auch die Überlegenheit des Christentums über diese verdeutlicht werden konnten. Innerhalb des durchaus breiten Spektrums frühchristlicher apologetischer Programme ergeben sich dabei recht unterschiedliche Ansätze, die teils auf tendenzielle oder völlige Ablehnung paganer Lebensformen, Philosophien, Kulten und Traditionen setzen (Tatian, Tertullian), teils aber auch bewusst deren relativen Wert anerkennen, um von dieser gemeinsamen Basis ausgehend den „Mehrwert“ des Christentums für Lehre und Lebensführung zu profilieren (Justin, Theophilus, Athenagoras, Clemens von Alexandrien). Dabei sind die Grenzen und Übergänge zwischen Dialog und Konfrontation auch innerhalb der einschlägigen Texte fließend. Allen apologetischen Texten ist indes die Grundüberzeugung gemeinsam, dass sie das Christentum für die letztlich einzige „wahre“ Lehre erachten, also bei allem Inbeziehungsetzen letztlich ein Überbietungsmodell vertreten, nach welchem das Christentum sich am Ende folgerichtigen und vernunftgemäßen Prüfens allen anderen philosophischen Schulen überlegen zeigt. Zugleich ist es allen Verfassern apologetischer Texte gemeinsam, dass sie ihrerseits eingestanden oder uneingestanden durch die Denkmodelle ihrer

Anpassung und Ablehnung, Darmstadt 2000, 124–151; Fiedrowicz, 2000; außerdem die in der Reihe ECCA erschienenen Sammelbände: A.–C. Jacobsen / J. Ulrich (eds.), Three Greek Apologists. Origen, Eusebius, and Athanasius: Drei griechische Apologeten. Origenes, Eusebius und Athanasius, ECCA 3, Frankfurt 2007; A.–C. Jacobsen / J. Ulrich / D. Brakke (eds.), Critique and Apologetics. Jews. Christians and Pagans in Antiquity, ECCA 4, Frankfurt 2009; J. Ulrich / A.–C. Jacobsen / M. Kahlos (eds.), Continuity and Discontinuity in Early Christian Apologetics, ECCA 5, Frankfurt 2009. 80 Siehe Fiedrowicz, 2000, 15.

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paganen Umwelt in hohem Maße geprägt sind, ohne dass damit ihre gedankliche Originalität zu bestreiten wäre.81 Auf die einschlägigen gegen die Christen gerichteten Vorwürfe und Verleumdungen reagiert die frühe Apologetik nicht nur mit beteuernder Falsifikation derselben, sondern mit der positiven Präsentation christlicher Lebensführung.82 Argumentativ orientiert ist diese Präsentation an den Lehren Jesu, insbesondere der Bergpredigt,83 die in besonderem Maße dem Anspruch gerecht werde, ein philosophisch-vernunftgemäßes Leben zu führen, wie er in den paganen ethischen Entwürfen der Tradition und der Gegenwart selbstverständlich erhoben wurde. In der Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der Immoralität wird eine Darstellung des moralisch gehobenen Lebens der Christen entworfen, aus der geradezu ein moralischer Wahrheitsbeweis für das Christentum wird.84 Dem Vorwurf der Illoyalität wird die Loyalität der Christen mit Kaiser und Reich entgegensetzt, die diese praktisch als beste denkbare Förderer der salus publica erscheinen lässt. Gegenüber der angeblichen Rücksichtslosigkeit der paganen Gesellschaft werden die christliche Bruder-, Nächsten-, und sogar Feindesliebe herausgestellt. Die Behauptung, in der täglichen Lebenspraxis genau so zu leben, wie es den Vorstellungen der besten paganen Philosophen entsprach, mag apologetischer Topos sein,85 aber es gelang auf diese Weise die Formulierung einer christlichen Ethik in Anlehnung an die Ethik(en) der paganen Tradition, die zumindest die Gleichwertigkeit, wenn nicht den Anspruch letztlicher Überlegenheit des Christlichen thematisierte. Auch wenn die christliche Ethik, vielleicht abgesehen vom Gebot der Feindesliebe,86 materialiter gegenüber stoisierenden und platonisierenden Ethiken nichts wirklich Neues bot,87

81 Als Beispiel sei die Lehre Justins vom Logos spermatikos genannt Siehe J. Ulrich, Innovative Apologetik. Beobachtungen zur Originalität Justins am Beispiel seiner Lehre vom Logos spermatikos und anderer Befunde, in: ThLZ 130 (2005), 3–16; ebenso W. Löhr, Logos, in: RAC 23 (2009), 330–435 (369f.). 82 Siehe hierzu die Monographie von E. Mühlenberg, Altchristliche Lebensführung zwischen Bibel und Tugendlehre. Ethik bei den griechischen Philosophen und den frühen Christen, AAWG.PH 272, Göttingen 2006. 83 Als Beispiel nenne ich nur Just, 1 apol. 15,1–17,4. 84 Beispiele für den Moralbeweis zugunsten des Christentums bei Fiedrowicz, 2000, 185–189. 85 Siehe Mühlenberg, 2006, 39f. Anm. 100. 86 Siehe zum Beispiel des Athenagoras U. Heil, Menschenliebe im Superlativ. Zur Rezeption der christlichen Lehre von der Feindesliebe bei Athenagoras, in: Prostmeier / Lona (eds.), 2010, 229–252. 87 Mühlenberg, 2006, 9, vermerkt mit Recht, es sei „überzeugend herausgestellt worden, dass die Trennlinie zwischen antik philosophischer Ethik und einer gesonderten christlichen Ethik sehr dünn ist.“

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gelang es doch, auf dem Sektor der Ethik und Tugendlehre nicht nur Verdächtigungen positiv entgegenzutreten, sondern auch Gesprächsfähigkeit auf Augenhöhe und Vergleichbarkeit von Anspruch und Wirklichkeit auf dem Sektor der Ethik zu demonstrieren. Dass dies nicht ohne Erfolg blieb, zeigt die pagane Reaktion des Kelsos, der den moralischen Überlegenheitsansprüchen der Christen entgegenhält, ihre Ethik sei ganz gewöhnlich und alles andere als originell, was Origenes in seiner Verteidigungsschrift gegen Kelsos dann auch schlicht zugestehen muss.88 Auch in anderen zentralen Fragen paganer Philosophie suchen die Apologeten nach Gemeinsamkeiten als Ausgangspunkt für ihre Argumentation. Das gilt bereits für die strukturelle Darbietung, insofern die Übernahme literarischer Gattungen der Zeit, der gezielte und zeitgemäße Einsatz von Rhetorik,89 aber auch die institutionelle Nachahmung des höheren paganen Unterrichtswesens einschließlich der Anwendung zeitgenössischer didaktischer Maßstäbe zu diagnostizieren sind.90 Das gilt weiter für die Übernahme paganer Kritik und Satire an zeitgenössischem Philosophie- und Kultbetrieb, wie man ihn aus der zweiten Sophistik oder aus den spöttischen Texten eines Lukian von Samosata ablesen kann. Und das gilt drittens für die Bearbeitung philosophischer Texte oder Anthologien, die im paganen Schulbetrieb mehr oder weniger kanonisch waren.91 Die Apologeten waren Kinder ihrer Zeit und Mitglieder ihrer Gesellschaft und deren Kultur. Sie hatten an den Bildungsprozessen ihrer Zeit selbstverständlichen Anteil. Sie bewegten sich nicht aus strategischen oder taktischen Gründen, sondern aufgrund ihres eigenen Werdegangs selbstverständlich innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens. Die Präsentation der christlichen Lehre erfolgte im Rekurs auf pagane Kategorien. Deren positive Aspekte machten sich die Christen zu eigen und reklamierten sie darüber hinaus als ihre ureigensten Ideen für sich selbst.92 In Allianz mit der Philosophie gesteht man der Weisheit der Heiden eine gewisse Erkenntnisfähigkeit zu,93 wenn auch in unterschiedlichem Grade.

8 Or., Cels. 1,5. 8 89 Siehe Fiedrowicz, 2000, 160–164. 90 Vgl. hierzu S.  Heid, Justinus Martyr I, in:  RAC 19 (2000), 801–847 (816– 818); J. Ulrich, What Do We Know about Justin’s School in Rome?, in: ZAC (2012), 62–74. 91 Siehe Markschies, 2002, 115f. unter Hinweis auf W. Schmid, Frühe Apologetik und Platonismus. Ein Beitrag zur Interpretation des Proöms von Justins Dialogen, in: ΕΡΜΗΝΕΙΑ. FS für Otto Regebogen zum 60. Geburtstag am 14. Februar 1951 dargebracht von Schülern und Freunden, Heidelberg 1952, 163–182 (178). 92 Die argumentative Figur vom „Diebstahl der Hellenen“ hat hier ihren Ort. 93 Ich verweise auf Justins Denkfigur vom Logos spermatikos. Siehe hierzu Ulrich, 2005, 3–16.

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Dazu werden Analogien zwischen philosophischem Monotheismus und christlicher Gottesvorstellung angeführt.94 Der philosophisch-weisheitliche Logosbegriff wird für die Deutung der Gestalt Jesu von Nazareth angewendet.95 Für Justin steht die platonische Philosophie durchweg in hohem Ansehen. Verbindungen werden hergestellt zwischen dem Schöpfungsbericht der Bibel und dem Mythos von der Entstehung der Welt im Timaios.96 Dementsprechend attestiert er nur wenige Differenzpunkte zwischen der platonischen und der christlichen Lehre: In der Eschatologie seien die christlichen Gerichtsvorstellungen noch härter als die platonischen,97 das Christentum vertrete über Plato hinausgehend die leibliche Auferstehung,98 und bei seinen Bemühungen um das die Welt durchwaltende höchste Prinzip sei Plato die evidente Symbolik des christlichen Kreuzes entgangen.99 Schärfer stellt sich die Auseinandersetzung mit bestimmten Lehren der Stoa dar: Justin, der um die Betonung von Parallelen, Vergleichen, Gemeinsamkeiten und Konsensen selten verlegen ist, setzt sich mit der stoischen von der Heimarmene dezidiert kritisch auseinander und betont ihr gegenüber die Willensfreiheit des Menschen und seine Verantwortlichkeit vor dem ihn richtenden Gott.100 Die Apologeten verstehen die christliche Religion als vollendete Synthese aus religio und philosophia,101 was zugleich den Anspruch impliziert, die beste und einzig wahre Philosophie zu sein. All dies ändert allerdings nichts daran, dass sie sie ganz im Rahmen der überlieferten kirchlichen Tradition verstehen:  An den Punkten, an denen eine Kompatibilität ausgeschlossen war, z. B. bei der Inkarnation oder beim Verständnis des Kreuzes, hält man – teils gegen ponderable anders lautende Versuche in den eigenen Reihen – an der biblisch-kirchlichen Überlieferung fest und sucht diese als vernunftgemäß zu erweisen. Alle philosophischen Denkformen, auch die mit dem Christentum weitgehend identischen, sind seit der Inkarnation und seit dem Eintreten des Logos-Christus in die Geschichte im Grunde überholt und in ihren durchaus zugestandenen Teilwahrheiten haben sie keinen wirklichen eigenständigen Wert, sondern sind in der christlichen Lehre als der allein wahren Philosophie aufgehoben.

4 Siehe Fiedrowicz, 2000, 243–245. 9 95 Fiedrowicz, 2000, 250–256; und der Artikel von Löhr, 2009. 96 Just., 1 apol. 59,1–5. Siehe Fiedrowicz, 2000, 247–249. 97 Just., 1 apol. 8,4. 98 Just., 1 apol. 18,6–19,6. 99 Just., 1 apol. 60,5–10. 100 Just., 1 apol. 43,1–8. 101 Siehe Fiedrowicz, 2000, 310f.

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Diese durchaus selbstbewusste Haltung mitsamt ihrem für die paganen Adressaten geradezu ungeheuerlichen Exklusivitätsanspruch102 zeigt sich bei den Apologeten am differenzierten Umgang mit dem Atheismusvorwurf. Zwar weisen sie die Anschuldigung, Atheisten zu sein, energisch zurück, betonen aber auf der anderen Seite emphatisch, dass sie weder die heidnischen Götter zu verehren bereit seien,103 noch an der paganen Kultpraxis teilnehmen und auch ihrem eigenen einzigen Gott keine materiellen Opfer wie bei den Heiden darbringen, sondern ihm „nur“ in Form von guten Taten „opfern“.104 Der Atheismusvorwurf wäre mithin berechtigt, wenn die falschen, römischen Götter wirkliche Götter wären, da sie es aber nicht sind, sind die Christen auch keine Atheisten sondern die einzig wahren Gottesverehrer.105 Hier zeigt sich ein eristischer Zug in der frühchristlichen Apologetik, der sich immer dann verstärkt, wenn die Apologeten auf die pagane Kultpraxis zu sprechen kommen:  Diese wird nach allen Regeln der Kunst und in Aufnahme zeitgenössischer paganer Kultkritik aufs Korn genommen. Auch wenn man an der Faktizität dessen, was von den Apologeten berichtet und ins Lächerliche gezogen wird, Zweifel haben kann, weil die Authentizität bisweilen deutlich hinter die Rhetorik zurücktritt, so zeigt die Polemik doch: Die christlichen Texte verwerfen die pagane Kultpraxis in toto und tun sie als abscheuliches Dämonenwerk und als denkbar unvernünftige Form der „Gottesverehrung“ ab, auch wenn einige der Apologeten mitunter selbst zur paganen Kultpraxis noch Parallelen ziehen, wenn auch polemischer Art, um ein etwaiges paganes Befremden gegenüber dem christlichen Kult zu vermindern.106 Für unsere Frage nach der Begegnung von Christentum und Heidentum im 2. Jahrhundert bedeutet dies, dass das Christentum bei aller intellektueller und kommunikativer Öffnung auf pagane Gesprächspartner nicht nur an seinem Exklusivanspruch auf die einzig wahre und einzig vernünftige Weltdeutung festhielt, sondern diesen gerade unterstrich, indem es ihn argumentativ entfaltete und ihn durch gezieltes apologetisches Anknüpfen an die Teilwahrheiten konkurrierender paganer Deutungen plausibel zu machen suchte. In der späteren Entwicklung der christlichen Apologetik setzte sich diese Tendenz konsequent fort,107 sodass schließlich die großen paganen 102 Siehe H.C. Brennecke, Der Absolutheitsanspruch des Christentums und die religiösen Angebote der Alten Welt, in: Eccelsia est in re publica (s. Anm. 50), 125– 156 (133); P. Stockmeier, Christlicher Glaube und antike Religiosität, in: ANRW II 23/2 (1980), 871–909. 103 Just., 1 apol. 6,1. 104 Just., 1 apol. 10,1f. 105 Just., 1 apol. 6,1f.; Clem., Protr. 29,1. 106 Just., 1 apol. 62,1. 107 Siehe hierzu den Band Ulrich / Jacobsen / Kahlos (eds.), 2009.

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philosophischen Traditionen quasi als Propädeutikum der christlichen Lehre in deren Gesamtdarstellung integriert wurden.108 Es verwundert indes nicht, dass sich auf paganer Seite bald Stimmen zu Wort meldeten, die ein solches argumentatives Vorgehen als unzulässige Vereinnahmung ihrer eigenen geistigen Überlieferungen ansahen und kritisierten.109 Fragt man nun nach der faktischen Wirkung der frühchristlichen Apologetik auf ihre intendierte pagane Leserschaft, so sollte man diese möglicherweise nicht allzu hoch einschätzen – die apologetische Primärintention, die Christenverfolgungen zu beenden, wurde jedenfalls eindeutig nicht erreicht, und der protreptischen Zielsetzung, durch philosophisch-theologische Argumentation pagane Römer vom Christentum zu überzeugen, dürfte relativ wenig Erfolg beschieden gewesen sein;110 jedenfalls hören wir nichts von Konvertiten, die die Leuchtkraft der Argumentation der Apologeten als movens ihres Übergangs zum Christentum nennen. Auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass sich durch die Schriften der Apologeten innerchristlich durchaus eine Stärkung des Selbstbewusstseins ergab, konnte man nun doch auf den Einklang und die Überlegenheit der eigenen Überzeugungen im Vergleich mit den anerkanntesten Einsichten des traditionellen philosophischen Denkens verweisen.111 Und auch nach außen hin hatte die Apologetik immerhin in der Weise Erfolg, dass es ihr offenbar doch gelang, das Christentum in die intellektuellen Debatten der Zeit hineinzuziehen, es dort zu verankern und zur Auseinandersetzung mit ihm herauszufordern. Für letzteres Phänomen finden sich, wie wir sahen, erste Anzeichen bei Galen. Am Ende des 2. Jahrhunderts ist dann die „Wahre Lehre“ des Kelsos als erster Versuch einer literarischen Widerlegung des Christentums ein schlagendes Beispiel dafür, dass die apologetische Provokation zum Disput offenbar Früchte trug. Aus diesem Grunde sei auf Kelsos’ Schrift noch kurz eingegangen.

3.2  Eine pagane Reaktion: Die „Wahre Lehre“ des Kelsos Kelsos steht paradigmatisch für gebildete Heiden am Ende des 2. Jahrhunderts, die realisierten, dass das frühe Christentum nicht mehr einfach intellektuell zu ignorieren war, sondern es einer eingehenden argumentativen Widerlegung bedurfte. Diese Widerlegung versteht sich nicht zuletzt auch 108 So bei Euseb von Caesarea in der Praeparatio evangelica, sodann im großen apologetischen Doppelwerk des Athanasius von Alexandrien, in der Curatio affectionum graecarum des Theodoret von Kyrrhos und im Westen dann in Augustins De civitate Dei. 109 Vgl. hierzu den Abschnitt über Kelsos unter 3.2. 110 Von „mäßigem Erfolg“ apologetischer Argumentation spricht zu Recht C. Markschies, Christentum II. Kirchengeschichtlich, in: 4RGG 2 (1999), 196–209 (200). 111 Siehe Fiedrowicz, 2000, 315.

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als „Schutz“ der überkommenen philosophischen Traditionen vor falscher christlicher Interpretation. Kelsos’ „Wahre Lehre“ ist uns indirekt in der über ein halbes Jahrhundert später entstandenen Gegenschrift des Origenes112 erhalten bzw. aus ihr zu rekonstruieren.113 Im Unterschied zu den noch etwas hilflos-unsicheren Wahrnehmungen eines Plinius zeigt sich bei Kelsos, dass er insgesamt über gute Kenntnisse vom Christentum seiner Zeit verfügt. Die Ernsthaftigkeit seines Versuchs, das Christentum zu widerlegen, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er die Mühe auf sich genommen hat, christliche Texte intensiv zu studieren: Er kennt alt- und neutestamentliche Schriften, aber auch gnostische Texte, und er hat sich über „häretische“ christliche Lehren und ihre Vertreter informiert.114 Zumindest zu den biblischen Texten dürfte er über Kontakte mit christlichem Schulbetrieb Zugang gehabt haben.115 Die „Wahre Lehre“ zeigt, dass es dem Christentum gegen Ende des 2.  Jahrhunderts gelungen war, eine argumentative sachlich-inhaltlich fundierte Auseinandersetzung der Heiden mit ihm zu erzwingen. Sieht man das inhaltliche Tableau der Kontroverse an, so fällt zweierlei auf. Erstens erneuert Kelsos einschlägige Vorwürfe gegen das Christentum, die schon seit Jahrzehnten im Raum standen: Die institutionelle Selbstorganisation der Christen als heimlicher Verein, die barbarische Herkunft ihrer Lehre, ihre Unvernunft, ihre Forderung nach blindem Gehorsam mitsamt ihrer Weigerung, ihre Lehre kritisch zu prüfen, der vulgäre und unoriginelle Zuschnitt ihrer Lehren, ihre mangelnde Bildung und schließlich ihre unsinnige Verehrung des „Zauberers“ Jesus.116 All dem setzt Kelsos ein Doppeltes entgegen: Einmal eine jüdische Kritik an den Christen,117 die er für besonders wirkungsvoll hält, da das Christentum sich aus seinem jüdischen Herkunftskontext gelöst hat und den Juden von daher eine besonders kenntnisreiche

112 Origenes, Contra Celsum: die Schrift versteht sich selbst als „Widerlegung der „Wahren Lehre“ des Kelsos (Cels., prooemium 6); faktisch ist sie dies angesichts des großen zeitlichen Abstands zwischen beiden Werken kaum mehr. 113 Eine Einleitung, deutsche Übersetzung und ausführliche Kommentierung findet sich jetzt bei H.E. Lona, Die „Wahre Lehre“ des Kelsos, KfA.E 1, Freiburg 2005. Meine Überlegungen zu Kelsos basieren auf den Untersuchungen Lonas. Grundlegend außerdem nach wie vor C. Andresen, Logos und Nomos. Die Polemik des Kelsos wider das Christentum, AKG 30, Berlin 1955. 114 Z. B. Or., Cels. 1,58.61.66; 4,43–45.47; 5,54.61–63.74; 6,12.14.49.51–53.63  u. ö. 115 Lona, 2005, 38f.; Ulrich, 2012, s. Anm. 90 – Man bedenke, dass Justin in seinen Apologien immer wieder biblische Texte zitiert und auch anbietet, den Adressaten Texte für die eigene Lektüre zugänglich zu machen: Just., 1 apol. 26,3. 116 Vgl. die ausführlichere Liste bei Lona, 2005, 71f. 117 Zum Problem des Referats der jüdischen Argumente durch den Juden bei Kelsos siehe Lona, 2005, 97–177.

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Kritik zuzutrauen ist.118 Sodann aber auch eine Kritik aus Perspektive gebildeter Heiden, die dann der gesamten jüdisch-christlichen Überlieferung, also Juden wie Christen gemeinsam gilt,119 wobei das Augenmerk des Kelsos sich hier schnell ganz auf die Christen konzentriert. In diesem Zusammenhang ist dann vom Hang der Christen zum Aufruhr die Rede, weiter von ihren separaten religiösen Zusammenkünften, abermals von ihrer angeblichen Ablehnung der Bildung, schließlich von der als skandalös empfundenen Hinwendung Christi und der Christen zu den Sündern und Ungerechten. All diese Vorwürfe, die sich teils auf die Stellung und den (negativen) Einfluss der Christen in der Gesellschaft, teils auf ihre (naiven) Auffassungen hinsichtlich Lehre und Lebensführung beziehen, haben zur Zeit des Kelsos bereits eine gewisse Routine erreicht; wirklich neu ist hier nur, dass sie in ausführlicher, differenzierter, begründeter und elaborierter Form präsentiert werden. Zweitens aber, und dies ist nun in der Tat das Neue an der „Wahren Lehre“, wendet sich Kelsos ab dem 6.  Buch seines Werkes mit Emphase gegen alle christlichen Versuche, die großen philosophischen Entwürfe der Tradition für sich zu vereinnahmen. Wiederholt weist er darauf hin, dass die Christen die platonischen Lehren falsch verstanden hätten und ihre Berufung auf sie zu Unrecht erfolge.120 Auf dem deutlichen Unterschied zwischen dem philosophischen Erbe der Antike und den Lehren der Christen insistierend präsentiert Kelsos, teils bereits angesprochene Themen wiederaufnehmend, ein Tableau von philosophischen Aussagen, denen die christliche Lehre nicht entspricht. Aus Kelsos’ Sicht besteht die Unverfrorenheit der Christen nicht einfach nur in ihrer unsinnigen Lehre, sondern in ihrem absurden Anspruch, legitime Sachwalter jener antiken philosophischen Traditionen zu sein, ohne dafür hinreichendes Verständnis, Kenntnis und Kompetenz zu haben. Die teils sehr emphatische Behandlung dieses Problems in den letzten Büchern der „Wahren Lehre“ zeigt:  Die Begegnung zwischen Christen und Heiden hat am Ende des 2. Jahrhunderts auf der literarischen Ebene zu einer ersten Kontroverse um die Deutungshoheit über die philosophischen Traditionen der Antike geführt. Von den Sachdifferenzen, die Kelsos zwischen Plato und der griechischen Tradition einerseits und der sich auf Plato und die griechische Tradition unzulässig berufenden Christen andererseits namhaft macht, seien die folgenden genannt:121 Das Theorem von der Unaussagbarkeit des Guten im Gegensatz zur Glaubensforderung bei den Christen; die antiplatonische 18 Zur literarischen Fiktion des Juden des Kelsos siehe Lona, 2005, 172–177. 1 119 Or., Cels. 3,1–8. 120 Or., Cels. 6,1–22. 121 Ich zähle nur auf und verweise für die Analysen auf Lona, 2005, 315–474.

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Geringschätzung der menschlichen Weisheit bei den Christen;122 christliche Missverständnisse Platos hinsichtlich Demut, Reichtum und Herrschaft Gottes; das christliche Missverständnis von der Existenz eines Widersachers Gottes; das falsche Verständnis der Christen über die Kosmogonie und das mit ihr verbundene Gottesbild; die Behauptung der Christen über die Sendung eines Sohnes Gottes und die Absurdität von dessen schmählichem Tod; die christliche Hoffnung auf leibliche Auferstehung, die ein groteskes Missverständnis der platonischen Seelenwanderungslehre sei. Gegen diese und andere christliche Missverständnisse der platonischen Tradition ist für Kelsos an der Gültigkeit der alten Überlieferung festzuhalten. In den Büchern 7 und 8 seines Traktats unterstreicht er die Notwendigkeit, den Christen entgegenzutreten, die „neue“ Wahrheiten verkünden, religiös intolerant sind, eine irrationale Hoffnung verbreiten und aufgrund all dessen nicht als mündige und verantwortungsfähige Mitglieder der römischen Gesellschaft anzusehen seien.123 Interessant ist es, zu sehen, dass der Streit zwischen Kelsos und den Christen um die platonische Tradition nicht nur um mehr oder weniger pauschale Vergleiche zwischen einzelnen relevanten Lehrstücken beruhte, sondern dass es zumindest teilweise tatsächlich um die konkrete Auslegung ganz bestimmter Texte und Textabschnitte aus Platos Werken ging. Kelsos Angriffe betreffen die christliche Auslegung und Inanspruchnahme einschlägiger Stellen,124 und er versucht, diese Auslegungen als falsch zu erweisen. Christliche Texte der Zeit (und späterer Zeiten) zeigen, dass die Christen sich tatsächlich konkret auf solche Stellen beriefen. Wer von beiden Plato richtig verstanden hatte und wer falsch, ist je und je zu prüfen. Die von Kelsos ausgewählten Bezugsstellen dürften jedenfalls die von ihm angestrebte Beweislast durchaus tragen – Kelsos’ Interpretationen entsprechen hier eher dem Gedankengang Platos als die, die er von christlicher Seite her kennt.125 22 Offenbar gegen Stellen wie 1Kor 3,19 gerichtet. 1 123 Siehe Lona, 2005, 417–474 (417). 124 Zum Beispiel in der Kontroverse um die (Un-)Aussagbarkeit des Guten (Plato, ep. 7 [Cels. 6.1–11]). 125 Lona, 2005, 329f. macht auf ein instruktives Beispiel aufmerksam. Cels. 6,15 wirft Kelsos den Christen eine unzulässige Inanspruchnahme von Plato, leg. 715d–716a vor. Plato sagt hier, dass dem Gott, der Anfang, Mitte und Ende aller Dinge hält, die Gerechtigkeit als Rächerin für die, die vom göttlichen Gesetz abweichen, folgt. An die Gerechtigkeit soll sich der Mensch, der glücklich sein will, in Demut und Sittsamkeit halten, d.h. er soll sich in die Ordnung der Dinge in demütiger Haltung einordnen und jede Art von Hybris vermeiden. Kelsos moniert nun, dass die Christen mit dieser Platonaussage ihre falsche Demutsvorstellung im Sinne von Selbsterniedrigung unzulässig begründen. Literarisches Zeugnis etwas späterer Zeit gibt ihm Recht: Bei Clemens von Alexandrien finden

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Gegen Ende des 2. Jahrhunderts verzeichnen wir also mit Kelsos ein Beispiel für einen gebildeten Mittelplatoniker, der verstanden hatte, dass das Christentum nicht nur den Anspruch erhob, sondern mit seiner literarischen Produktion im Begriffe war, die platonische Tradition unter Berufung auf dieselbe zu vereinnahmen und damit zugleich zu überwinden. Solchem Bestreben entschlossen zu widerstreiten hielt Kelsos für erforderlich, weil er die Aufrechterhaltung der alten, reinen Tradition als die einzige Perspektive – und weil er die pseudoplatonisierenden Lehren bestimmter Christen als ernsthafte Bedrohung für die römische Gesellschaft ansah. Dass sich über das legitime Erbe der platonischen Tradition ein regelrechter literarischer Streit entspann, ist nur deswegen möglich, weil der Platonismus126 selbst ein vielschichtiges Gebilde geworden war, das letztlich auch (unabhängig von Kelsos’ Insistieren auf der Unzulässigkeit einer solchen Interpretation) für eine christliche Deutung eine Fülle von Anknüpfungspunkten bot. Die Apologetik eines Justin präsentiert sich nicht aus taktischen oder kommunikationstheoretischen Gründen in platonisierendem Gewande, sondern weil ihr Verfasser selbst vom geistigen Signet seiner Zeit, also vom Platonismus beeinflusst war und Zusammenhänge zwischen der christlichen Lehre und der traditionellen und zeitgenössischen Philosophie herstellte, die er als sachgemäß ansah. Auch bei der „Wahren Lehre“ des Kelsos stellt sich – wie bei der christlichen Apologetik des 2.  Jahrhunderts  – die Frage nach der Wirkungsgeschichte. Eine klare Antwort hierauf ist auf der Ebene des Erweises literarischer Abhängigkeiten nicht möglich. Viele christliche Texte, die gelegentlich als Belege für eine explizite Auseinandersetzung mit Argumenten des Kelsos herangezogen werden,127 weisen zwar thematische Berührungspunkte wir exakt jene Parallelisierung von Plato, leg. 715d–716a mit biblischen Testimonien wie Lk 14,11; 18,14; Mt 23,12 (Clem., Strom. 2,132,1–3). Es ist wahrscheinlich, dass Clemens hier auf älterer christlicher Überlieferung fußt, die auch Kelsos bekannt gewesen sein könnte. Es geht um einen Streit über die Deutung einer konkreten Platonstelle, und man wird nicht umhin können, Kelsos zuzugestehen, dass er mit seinem Einwand, die Christen legten diese Stelle unzulässig in ihrem Sinne aus, durchaus Recht hatte. Zwischen Plato, leg. 715d–716a und Lk 14,11; 18,14; Mt 23,12 besteht alles andere als sachliche Kontinuität. 126 Der Begriff Platonismus ist problematisch und bedarf einer Differenzierung, die im Rahmen dieses Beitrags nicht vorgenommen werden kann; siehe hierzu H. Dörrie, Was ist „spätantiker Platonismus“? Überlegungen zur Grenzziehung zwischen Platonismus und Christentum, in: ThR 36 (1971), 285–302 (287–293). 127 Vorgeschlagen wurden u. a. Hippolyt, Theophilos von Antiochien, Minucius Felix, der Verfasser des Briefes an Diognet. Athenagoras von Athen, Tertullian, Hermias, Melito von Sardes und die Verfasser der pseudojustinschen Schriften De monarchia und De resurrectione.

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auf  – aber dies ergibt sich zwanglos aus der allfälligen christlich-paganen Kontroverse um einschlägige Themen und beweist nicht, dass es sich um direkte Antworten auf die Argumentation des Kelsos handelt. So bleibt als einziger klarer literarischer Beleg die Apologie des Origenes gegen Kelsos (Contra Celsum) aus der Mitte des 3. Jahrhunderts. Fragt man umgekehrt, inwieweit die „Wahre Lehre“ heidnischerseits rezipiert wurde, wird man mit einiger Sicherheit sagen können, dass zumindest die großen Christentumskritiker der späteren Zeit, Porphyrios und Julian „Apostata“, den Text des Kelsos wenigstens durch Zwischenglieder wie mündliche Überlieferung oder Schultradition gekannt und argumentativ verwertet haben.128 Die Argumente eines Origenes gegen Kelsos hatten bei diesen Verfassern ebenso wenig verfangen wie die der frühchristlichen Apologeten bei Kelsos selbst. Die Standpunkte, die in den entscheidenden Fragen am Ende des 2.  Jahrhunderts, wenn auch bei präziser werdender wechselseitiger Wahrnehmung, zwischen den Christen und ihren heidnischen Kritikern entgegengesetzt waren, sollten es auch im 4. Jahrhundert bleiben.

4.  Schluss: Das zweite Jahrhundert und die Ausbreitung des Christentums Unser kleiner Durchgang durch Schlaglichter der Begegnung von Christen und Heiden im 2. und frühen 3. Jahrhundert hat vielfältige Aspekte zu Tage gefördert, die ein alles andere als geschlossenes Bild ergeben. Gleichwohl ist nicht zu bestreiten, dass sich teils wegen, teils trotz der genannten Faktoren eine Entwicklung vollzog, die wir seit Harnack unter dem Oberbegriff „Mission und Ausbreitung des Christentums“ verhandeln.129 Dabei ist wiederum einerseits eine zwar zunächst langsame, aber durchaus stetige Entwicklung bei andererseits erheblichen regionalen und sozialen Verschiedenheiten ins Auge zu fassen, die hier nicht im Einzelnen gewürdigt werden können.130 Zahlen sind, so gern wir belastbares Datenmaterial hätten, für das Reich

128 Siehe Lona, 2005, 67 unter Hinweis auf G. Loesche, Haben die späteren Neuplatonischen Polemiker gegen das Christentum das Werk des Celsus benutzt?, in: ZWTh 27 (1884), 257–302. 129 A. von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 41924; neueren Datums das viel und kontrovers diskutierte Buch des Soziologen R. Stark, The Rise of Christianity, Princeton 1996 (dt.: id., Der Aufstieg des Christentums, Weinheim 1997). 130 Siehe hierzu B. Kötting, Christentum I (Ausbreitung), in: RAC 2 (1954), 1138– 1159.

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weder prozentual noch absolut zu erheben;131 den Anteil des Christentums an der Bevölkerung im Imperium Romanum sollte man sich aber auch am Ende des 2. Jahrhunderts nicht allzu groß vorstellen. Obgleich das Christentum zu dieser Zeit in sehr vielen Gebieten des römischen Reiches Gemeindegründungen vorzuweisen hat,132 ist es je nach Region unterschiedlich stark vertreten. Das problematische, vereinfachende Bild von einem kontinuierlichen Wachstum des Christentums von den Anfängen an beruht letztlich auf der wirkmächtigen Darstellung in Eusebs Kirchengeschichte (Historia Ecclesiastica), die aber einem bestimmten geschichtstheologischen Programm, nämlich der Darstellung des Siegeszuges der Kirche bis hin zum Höhepunkt durch die Konstantinische Wende, verpflichtet ist.133 Im Sinne des Titels dieses Sammelbandes wäre zu fragen, inwieweit die dargestellten Aspekte von Begegnungen zwischen Heiden und Christen zu eben jener Entwicklung beigetragen haben. Rückblickend auf das präsentierte Material wird man sagen können:  Im 2.  Jahrhundert vollzieht sich durch die Begegnung von Heiden und Christen in den vielfältigen verschiedenen Kontexten ein Prozess allmählichen, langsamen und keineswegs linear verlaufenden Wandels. Die Beurteilung eines Plinius, das Christentum sei gemeingefährliche superstitio, ist am Ende des 2. Jahrhunderts nicht obsolet, aber sie weicht einer differenzierteren Wahrnehmung, die dann auch differenziertere Urteile freisetzt. Die feindliche Haltung der römischen Gesellschaft gegenüber den Christen ist am Ende des 2. Jahrhunderts nach wie vor greifbar, aber sie mischt sich mit gegenläufigen Wahrnehmungen, unter denen die Bewunderung für die aufrechte Haltung der Märtyrer, die Sozialfürsorge und Gastfreundschaft der Christen, ihre ethisch-moralische Integrität auch im Alltagsleben, ihre Zuverlässigkeit im Ausüben ihrer beruflichen Tätigkeiten, ihre Teilhabe an den Aufgaben der städtischen und regionalen Verwaltung, neben vielem anderen eine Rolle gespielt haben dürften. Der universale Anspruch der Christen, von religiösen Römern zunächst als intolerant und hybrid wahrgenommen, hatte eine Entsprechung in der prinzipiellen

131 Zu Schätzungsversuchen siehe L. von Hertling, Die Zahl der Christen zu Beginn des 4. Jahrhunderts, in: ZKTh 58 (1934), 243–253; zur „Arithmetik des Wachstums“ siehe Stark, 1997, 8–18. 132 Für das Ende des 1. Jahrhunderts sind Palästina, Syrien, Zypern, Kleinasien, Griechenland und Rom zu nennen und wohl auch Alexandrien, Illyrien, Dalmatien, Gallien und Spanien. Am Ende des 2. Jahrhunderts sind hinzugekommen: Weitere Ortskirchen in den bereits genannten Gebieten, Ostsyrien, Mesopotamien, Ägypten, Unteritalien, Germanien und besonders Nordafrika. Siehe N. Brox, Kirchengeschichte des Altertums, LeTh 8, Düsseldorf 1998, 28f. 133 Siehe jüngst M. Verdoner, Narrated Reality. The Historia ecclesiastica of Eusebius of Caesarea, ECCA 9, Frankfurt 2011 (Lit!).

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Offenheit der christlichen Religion für alle Bevölkerungsschichten, für alle Altersstufen und für beide Geschlechter, die offenbar viele Menschen anzog. Das auf strenge Verbindlichkeiten hin angelegte Gemeindeleben, von den paganen Römern zunächst als geheime Vereinstätigkeit verdächtigt, bot Menschen die Möglichkeit, äußerlich und innerlich eine echte Heimat zu finden. Das gottesdienstliche Leben mit Predigt, Gebet und Sakrament stellte die Verbindung zu Gott rituell ansprechend her. Die dezidierte Ablehnung paganer Kulte und Mythen als Götzendienerei, von den paganen Römern als Atheismus eingestuft, hatte ihre Kehrseite in der offenbar hohen synthetischen Kraft, mit der das junge Christentum, ohne seinen Anspruch aufzugeben, religiöse Vorstellungen an sich zog. Harnack hat wohl zu Recht die hohe Integrationsfähigkeit des jungen Christentums als den eigentlich ausschlaggebenden Faktor für seinen paradoxen, weil unter denkbar ungünstigen äußeren Umständen zustande gekommenen Erfolg im zweiten Jahrhundert namhaft gemacht:  Er spricht von einer complexio oppositorum.134 Freilich muss man hier auch darauf hinweisen, dass diese complexio 134 Von Harnack, 1924, 111–113. 241–244. Ich zitiere zur Illustration die eindrucksvolle Passage S. 112: „Sie (= die christliche Religion; Verf.) verkündigte, daß alles neu sei, was ihr Heiland bringe und schaffe, und sie überlieferte zugleich ein altes heiliges Buch, das sie den Juden entrissen hatte, in welchem seit unvordenklichen Zeiten alles, sei es enthalten, sei es geweissagt sei, was Erkenntnis und Leben bedürfen. Sie brachte eine unerschöpfliche Fülle erhabener Mythen, und sie predigte zugleich den alles umfassenden Logos, dessen Wesen und Wirken jene darstellten. Sie verkündigte die Alleinwirksamkeit Gottes, zugleich aber die Selbstherrlichkeit des freien Willens. Sie stellte alles auf den hellen Geist und die Wahrheit, und sie brachte doch einen harten und dunklen Buchstaben sowie Sakramente, welche der religiösen Sinnlichkeit und der Mystik entgegenkamen. Sie erklärte den Kosmos für die gute Schöpfung des guten Gottes, zugleich aber für das üble Herrschaftsgebiet der bösen Dämonen. Sie verkündigte die Auferstehung des Fleisches und erklärte zugleich dem Fleisch den Krieg. Sie verschärfte in einer bisher unerhörten Weise durch die Ankündigung des nahen Gerichtstages des zürnenden Gottes die Gewissen, und sie verkündigte diesen Gott, für den sie alle Aussagen des A.T. in Kraft erhielt, zugleich als den Gott der Barmherzigkeit und der Liebe. Sie forderte die strengste Lebensführung in Enthaltung und jeglichem Opfer, und sie verhieß eine vollkommene Vergebung der Sünden. Sie machte den hl. Geist zur einzigen Lebensmacht der Christen, aus der heraus sich alles in herrlicher Freiheit gestalten sollte, und sie band daneben diesen Geist selbst an starre Medien und die Geistträger an zahlreiche Autoritäten. Sie kam der einzelnen Seele so entgegen, als stünde diese allein auf der Welt, und sie berief alle in einen solidarischen Bruderbund, so umfassend wie das menschliche Leben und so tief wie die menschliche Not. Sie richtete eine religiöse Demokratie von einer bisher unerhörten übernationalen und überständischen Gleichheit auf und war von Anfang an darauf bedacht, diese durch eine autoritative Organisation zu gliedern, in der bald das kombinierte apostolisch-bischöflich-priesterliche Regiment die

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oppositorum nicht nur Faktor für den missionarischen Erfolg des Christentums war, sondern zugleich auch der Grund für seine auffällige Diversität und Pluriformität. Auf der literarischen Ebene scheint es gelungen zu sein, Positionen darzustellen und so Vorurteile und Urteile zu relativieren (oder zu konfirmieren), so dass das Christentum sich in den zeitgenössischen philosophischen Diskurs einbrachte und Reaktionen provozierte, seien es auch ablehnende wie bei Kelsos. Auf der institutionellen Ebene verzeichnen wir mit dem Auftreten christlicher philosophischer Lehrer und dem Entstehen christlicher Schulen Konstruktionen, die infrastrukturell der heidnischen Gesellschaft analog und intellektuell ihr teilweise ebenbürtig waren.135 Auf der inhaltlichen Ebene zeigt sich, dass Christen, die in paganen Schulen mit platonisierenden Philosophien aufgewachsen waren, die Grundgedanken ihres Glaubens in platonisierender Weise formulierten und damit offenbar von ihrer heidnischen Umwelt als sprachfähig angesehen wurden. Zwar stießen sie bei Platonikern wie Kelsos und später Porphyrius auf energische Ablehnung, zwar hätte und hat es zahlreichen gebildeten, platonisch denkenden Heiden fern gelegen, sich auf die interpretatio Christiana auch nur annähernd einzulassen, aber andererseits können nicht alle gebildeten Heiden die interpretatio Christiana als Missverständnis Platos abgetan haben, wie die Beispiele derjenigen Intellektuellen zeigen, die sich dann im 3. Jahrhundert zum Christentum bekennen.136 Die Betonung des Monotheismus in einem auch philosophisch auf den Monotheismus hin angelegten philosophischen Umfeld, die Predigt von Gott als gutem Schöpfer eines guten Kosmos und vom unbestechlichen Richter über Gerechte und Ungerechte, die Perspektive eines Weiterlebens nach dem Tode, dessen Qualität sich nach den im irdischen Leben vollzogenen Taten bemaß, die Betonung der Ethik und des an den Geboten und des Lehrers Jesus orientierten Lebenswandels – all dies dürften Lehraussagen gewesen sein, die viele Menschen ansprachen. Und in der prima vista höchst befremdlichen und nach platonischen Maßstäben unmöglichen Vorstellung von der Inkarnation des Logos und vom Leben, Leiden und Kreuz des menschgewordenen Gottessohnes Jesus von Nazareth137 kam vielen Menschen der ferne Gott in einer tröstlichen Weise nahe. Obwohl alle genannten Aspekte im 2. Jahrhundert zu greifen beginnen, sollte man sich von der Ausbreitung des Christentums im 2.  Jahrhundert Selbständigkeit der „Laien“ vernichtete. Sie lehnte den Staat als Sitz des Teufels und seine Herrscher als Statthalter des Teufels ab und verlangte Gehorsam gegen die Obrigkeit als von Gott eingesetzt“. Zur Sache siehe auch Brox, 1998, 27–41. 135 Markschies, 2002, 97–120; Ulrich, 2012, s. Anm. 90. 136 Vgl. hierzu Lona, 2005, 477f. 137 Vgl. hierzu Anm. 20.

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keine übertriebenen Vorstellungen machen. Die christliche Mission vollzieht sich zunächst eher gelegentlich über christliche Lehrer, über die Gemeinden und wohl vor allem durch das Wirken einzelner Christen in ihrem jeweiligen beruflichen und familiären Umfeld. Erst in der ersten Hälfte des 3.  Jahrhunderts hat das Christentum eine gesellschaftliche Position und eine Basis erreicht, von der aus Mission und Ausbreitung dann in größerem Stil und planmäßig erfolgen konnten und erfolgten.138 Erst das 3. Jahrhundert ist als eine Intensivphase in der Ausbreitungsgeschichte des frühen Christentums zu bezeichnen.139 Diese basiert allerdings auf den Voraussetzungen und auf den Weichenstellungen des zweiten Jahrhunderts. Dass sich die Ausbreitung des Christentums im dritten Jahrhundert in signifikanten Schüben vollzieht, ist angesichts der Verfolgungen unter Decius und Valerian und angesichts der fortbestehenden ungünstigen Rechtslage einerseits nach wie vor erstaunlich, zeigt aber andererseits, dass die Weichenstellungen des 2. Jahrhunderts nachhaltig waren. Als Diokletian am Anfang des vierten Jahrhunderts die größte aller antiken Christenverfolgungen begann, war – trotz aller Verluste, die die Kirche namentlich im Osten in ihr zu erleiden hatte – die neue Religion schon so weit verbreitet, dass es schlicht nicht mehr möglich war, sie nun doch noch aus dem römischen Reich zu tilgen: Kaiser Galerius’ Toleranzedikt von 311 n. Chr. gesteht genau das explizit ein.140 In der vielschichtigen, komplexen Begegnung zwischen Heiden und Christen in der Antike hatte sich die Ausbreitung des Christentums trotz aller inneren und äußeren Beeinträchtigungen und Gefährdungen irreversibel vollzogen. Sie ist nicht erst Ergebnis der Konstantinischen Wende und ihrer weit reichenden Folgen.

138 Genannt sei hier nur die planmäßige, offenbar sehr erfolgreiche Mission des Origenesschülers Gregor Thaumaturgos im Gebiet von Pontus und Kappadokien in der Mitte des 3. Jahrhunderts. 139 Kötting, 1954, 1138–1159 (1145. 1150). 140 Lact., mort. 34,4. – Zur Bewertung des Galeriusedikts siehe H. Brandt, Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Diokletian und Konstantin bis zum Ende der konstantinischen Dynastie (284–363), Berlin 1998, 142.

Dionysius of Alexandria in Exile: Evidence from His Letter to Germanus (Eus., h.e. 7.11)* 1. Introduction When planning for the “Migration of Faith” project first began a couple of years ago, it was unanimously agreed that the period of investigation should span from the reign of Constantine until the sixth century, in both the East and West of the Roman (or former Roman) Empire. Éric Fournier’s contribution to the volume, “Constantine and Episcopal Banishment”, somewhat justifies this decision; it shows how the phenomenon of clerical exile became customary after 313, with the beginning of the so-called Donatist controversy. However, sources do not always conform to scholarly criteria, as was apparent when I recently re-read Eusebius’ Church History. In book seven I came across an exile case from the mid-third century – the exile of Bishop Dionysius of Alexandria during the Valerian persecution in the years of 258 and 259. Of course, the exile of Dionysius is not a particularly new discovery. It is well known that Eusebius deals quite exhaustively with Dionysius’ life and work in book seven of the Historia ecclesiastica. However, it may still be worth taking a fresh look at the case under the aspect of a phenomenology of exile in (late) antiquity, not least because it is comparatively well attested in our sources. We know of Dionysius’ exile due to a letter written by Dionysius himself.1 Dionysius was the son of a wealthy pagan family in Alexandria. Inspired by diverse pieces of Christian literature, he converted to Christianity and became a disciple of Origen. In the 230s he became the head of the Alexandrian, Christian school,2 and in 248 he was named bishop of

* First published in: J. Hillner / J. Ulrich / J. Engberg (eds.), Clerical Exile in Late Antiquity, ECCA 17, Frankfurt 2016, 115–128. 1 For Dionysius of Alexandria see U. Hamm, Dionysius von Alexandrien, in: 3LACL (2002), 201–203; B. Neuschäfer, Dionysius von Alexandrien, in: 4RGG 2 (1999), 861f.; W.A. Bienert, Dionysius von Alexandrien, in: TRE 8 (1981), 767–771; E. Boularand, Denys d’Alexandrie et Arius, in: BLE 67 (1966), 161–169; S.J. Bouma, Dionysius van Alexandrië, Pumerend 1943; P.S. Miller, Studies in Dionysius the Great of Alexandria, Erlangen 1933; J. Burel, Denys d’Alexandre, Paris 1910. 2 Eus., h.e. 6.29,4. – As the head of that school, he was the successor of Clement, Origen and Heraklas. On Christian schools in the second and third century and

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Alexandria.3 During the Decian persecution he fled Alexandria and spent some time away from his see.4 During the Valerian persecution  – the focus of this paper  – he was sent into exile by the vice-prefect Aemilianus.5 After Valerian’s death, he was involved in the unsuccessful revolt by the usurper Macrianus in Alexandria.6 However, he supported the emperor Gallienus, who later expressed his gratitude by addressing the so-called rescript of Gallienus to him (and to other Egyptian clerics).7

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their relationship to pagan institutions see T. Georges, “herrlichste Früchte echtester Philosophie” (Der Titel muss lauten: “„… herrlichste Früchte echtester Philosophie …“ – Schulen bei Justin und Origenes, im frühen Christentum sowie bei den zeitgenössischen Philosophen”)  – Schulen bei Justin und Origenes, im frühen Christentum sowie bei den zeitgenössischen Philosophen, in: Millenium 11 (2014), 23–38. Again succeeding Heraklas, Eus., h.e. 6.35. Dionysius, Letter to Dometius and Didymus (= Eus., h.e. 7.11,20–23; Eusebius mistakenly relates the contents of this letter to the Valerian persecution. This explains why it is quoted in the seventh book of the Church History and not in the sixth. That the contents of the letter in fact refer to the times of Decius can be shown by a simple comparison of h.e. 7.11,22 and h.e. 6.40,5–9). P. Keresztes, Two Edicts of the Emperor Valerian, in: VigChr 29 (1975), 81–95, who links the incident to the first edict of Valerian (87f.), seems to be taken in by Eusebius’ confusion, too. The minutes that were taken during the questioning of Dionysius and his companions (see below) call Aemilianus διέπων τὴν ἡγεμονίαν (Eus., h.e. 7.11,6) meaning “vice-prefect”, which is different from ἡγεμών, the term for a prefect. Aemilianus was vice-prefect from 258 to 259 and then became prefect in the autumn of 259. After Valerian’s capture in 260 he supported the usurpers Macrianus and Quietus, and after their overthrow in 261 he was proclaimed emperor himself. He was then overthrown by Aurelius Theodotus, sometime before summer 262. In August 262, we find Theodotus in office as the prefect of Egypt. See C. Andresen, „Siegreiche Kirche“ im Aufstieg des Christentums. Untersuchungen zu Eusebius von Caesarea und Dionys von Alexandrien, in: ANRW 23.1 (1979), 387–459 (432 no. 95) and A.H.M. Jones / J.R. Martindale / J. Morris, L. Mussius Aemilianus, in: PLRE 1 (1971), 23. Eus., h.e. 7.10,4f.; 7.21,1. Eus., h.e. 7.13. There must have been a number of edicts that immediately curtailed the persecution. The rescript quoted by Eusebius permitted the bishops to perform their customary duties in freedom and ensured that they were to remain unmolested. It was addressed to “Dionysius, Pinnas, Demetrius, and other bishops”. Unfortunately, we know nothing about Pinnas and Demetrius. An identification of Demetrius the co-addressee of the edict with Demetrius the presbyter mentioned in Dionysius’ letter to Dometius and Didymus (Eus., h.e. 7.11,24) is possible, but not definite. See W.H.C. Frend, Which Dionysius? (Eusebius, H.E., VII. 13), in: Latomus 36 (1977), 164–168. Frend convincingly disproves G.W. Clarke’s theory that the actual addressee of the edict was Dionysius of Rome. Frend summarizes: “It is a near-certainty that the recipient of Gallienus’ rescript was Dionysius of

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Dionysius then died in 264 or 265.8 The letter under consideration was addressed to a person called Germanus, of whom we know little except for the fact that he was a captious critic of Dionysius. At one point in his narrative, Eusebius states that Germanus was a bishop, but does not provide the location of his see.9 Though Eusebius mentions Germanus in another part of the Historia ecclesiastica, here Germanus is not described as a bishop.10 Evidence from Dionysius’ letter suggests that Germanus was not actually a cleric in a strict sense, but rather a confessor, who had suffered in the persecution under Decius. What we do know is that Germanus had accused Dionysius of fuga in persecutione (an old question since the days of Tertullian),11 cowardice in the face of persecution, as Dionysius’ letter is an answer to this accusation. In the letter, Dionysius describes his conduct during the reigns of Decius and Valerian. The letter is preserved in Eusebius’, Church History. Carl Andresen in the 1979 edition of “Aufstieg und Niedergang der römischen Welt” convincingly argued that Eusebius took the “Dionysian” material quoted in books six and seven of the historia ecclesiastica from two main sources. The more general documents, such as the Easter letters, originated from the archives of the Christian communities in Caesarea Maritima and Jerusalem, while the material relating to the person of Dionysius came from the bishop’s archive in Alexandria.12 Although Eusebius takes sides with Dionysius when he comments that Germanus “was endeavouring to slander him [Dionysius]”13, the excerpts of the letter quoted by Eusebius seem to be genuine. As in many other cases in the Church History, Eusebius did not forge his sources. Instead, he expressed his own views through redacting, selecting and commenting on the sources.14 It is not surprising then that only part of Dionysius’ letter is quoted by Eusebius,15 who splits his excerpts of the letter

Alexandria.” (167). Also see C. Andresen, Der Erlass des Gallienus an die Bischöfe Ägyptens (Eus., H.E., VII, 13), in: StPatr 12 (1975), 385–398. 8 Eus., h.e. 7.28,3. 9 Eus., h.e. 7.11,1. 10 Eus., h.e. 6.40,1. 11 Tert., Fug., probably from the year of 208 or 209. 12 Andresen, 1979, 413f. 13 Eus., h.e. 7.11,1. The English translation follows P. Schaff / H. Wace (NPNF 2/1, Edinburgh 1890). 14 J. Ulrich, Dimensions and Developments of Early Christian Historiography, in: J. Ulrich / A.-C. Jacobsen / D. Brakke (eds.), Invention, Rewriting, Usurpation: Discursive Fights over Religious Traditions in Antiquity, ECCA 11, Frankfurt 2012, 161–176 (171f.); M. Willing, Euseb von Caearea als Häreseograph, PTS 63, Berlin 2009, 421–425. 15 This can be seen by remarks such as: “Further on he says” (Eus., h.e. 7.11,12) or “And after other matters he writes again as follows” (Eus., h.e. 7.11,18).

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into two major parts, placed in two different books of the Church History. A  longer part of the letter, relating to the Decian persecution, is found in book six,16 where Eusebius covers the reign of Decius. Some other parts of Dionysius’ letter, relating to the Valerian persecution, are quoted in book seven,17 where Eusebius covers the reign of Valerian. A book by Wolfgang Bienert on the Dionysian material18 has brought together these two parts in a German translation and commentary, and what I present here owes much to Bienert’s work, as well as to the article by Carl Andresen mentioned above. One final preliminary remark must be made: if we trust that the Dionysian material presented by Eusebius is genuine, this of course does not mean that it gives us an “objective” view. Dionysius’ letter is clearly apologetic in tone. The Alexandrian bishop wants to defend himself against Germanus’ accusations. This means that he downplays his decision to flee during the Decian persecution. He also stresses the hardships he faced during both persecutions as much as possible. We must keep both points in mind in the next two parts of this paper: the first part examines the material from the letter to Germanus, the second attempts to reconstruct what actually happened in Alexandria in 258 and 259 through a critical reading of the letter, considering its features in light of the categories employed by the “Migration of Faith” project database.

2. The Evidence: Eusebius’ Letter to Germanus Ad fontes! In the first part of his letter, Dionysius describes the events that occurred during Decius’ reign. He admits that he did in fact flee Alexandria during the persecution (“I did not flee […] without divine direction”, Eus., h.e. 6.40,1). He describes how a frumentarius, a military commissar, vainly sought him for four days whilst he simply stayed in his house, underlining his willingness to get arrested. Eventually God commanded him to depart, and he then stayed together with some of his “children”19 at a place called Taposiris, near Alexandria. In Taposiris, Dionysius was captured by the imperial authorities, and then there follows a rather strange rescue operation, obviously undertaken by fellow-Christians from the Mareotis. Dionysius does not want to flee and demands that his rescuers should instead behead him (Eus., h.e. 6.40,8; this remark indicates that he is willing to

6 Eus., h.e. 6.40,1–9. 1 17 Eus., h.e. 7.11,2–19. 18 Dionysius von Alexandrien. Das erhaltene Werk, eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von W.A. Bienert, BGL 2, Stuttgart 1972. 19 These “children” cannot be identified. It perhaps refers to some of his presbyters or fellow-Christians from Alexandria.

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suffer martyrdom), but they refuse and lead him away against his will (Eus., h.e. 6.40,8f.). He then seems to spend time somewhere in Libya, far away from the Mareotis (Eus., h.e. 7.11,23). This is all he says about his conduct during the Decian persecution. Although not strictly relevant to our question of exile, this passage clearly shows the apologetic tone of his letter. Dionysius wants to prove that he has always been prepared to suffer prison, punishment or even martyrdom, but that different reasons prevented him from doing so. It is likely that this concern also shapes the second part of his letter, which describes his exile under Valerian. Dionysius at first says that he wants to “join issue with the violence of Germanus” (Eus., h.e. 7.11,2). This remark indicates that at the time of the letter’s writing Dionysius was still in a situation where he needed to defend his actions. Dionysius says that he went to Aemilianus, the vice-prefect of Egypt in 258–259 and the prefect from 259,20 together with some fellow presbyters and a guest from Rome. According to Dionysius, Aemilianus not only prohibited them from holding assemblies, but, worse still, he demanded that they renounce their Christian confession. Dionysius answered that he would never cease to be a Christian (Eus., h.e. 7.11,5), quoting Acts “We must obey God rather than men” (Acts 5:29). As a result, Aemilianus commanded them “to go to a village near the desert, called Kephro” (Eus., h.e. 7.11,5). The Greek phrase here is ἐκέλευσεν ἡμᾶς ἀπελθεῖν εἰς… Interestingly, in the Latin version of Eusebius’ Church History, Rufinus translates this as exilium,21 indicating that Rufinus interpreted the action as an official exile sentence legally imposed by a Roman magistrate. At this point in his letter, Dionysius inserts extracts of the “very words that were spoken on both sides, as they were recorded” (Eus., h.e. 7.11,6). This seems to refer to the official minutes that were taken during the questioning. These minutes are integrated into the letter at Eus., h.e. 7.11,6–11. Aemilianus begins by referring to the emperor’s clemency, which gives the Christians the opportunity to return to the “natural worship of the Gods”. He emphasises that he expects gratitude for the emperor’s kindness, adding that Dionysius and his friends should acquiesce in his demands (Eus., h.e. 7.11,7). Dionysius answers that they worship the one (Christian) God, the God who brought the “divinely favoured” (greek: θεοφιλεστάτοις) emperors Valerian and Gallienus to power, and that they used to pray continually to this God for the welfare of their empire (Eus., h.e. 7.11,8). Aemilianus

0 See note 5. 2 21 GCS Eusebius 2/2, 657,3 (Schwartz).

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proposes that Dionysius and his people worship their God together with the other “natural” Gods (Eus., h.e. 7.11,9).22 Dionysius refuses (Eus., h.e. 7.11,10),23 prompting Aemilianus to deliver the following judgment: “I see that you are at once ungrateful, and insensible to the kindness of our sovereigns. Wherefore you shall not remain in this city. But you shall be sent into the regions of Libya, to a place called Kephro. For I have chosen this place at the command of our sovereigns, and it shall by no means be permitted for you or any others, either to hold assemblies, or to enter into the so-called cemeteries. But if any one shall be seen without the place which I have commanded, or be found in any assembly, he will bring peril on himself. For suitable punishment shall not fail. Go, therefore, where you have been ordered” (Eus., h.e. 7.11,10f.). We can infer here that Aemilianus imposes the punishment of exile for the refusal of the worship of the “natural” pagan Gods. Following the command of the emperors, Aemilianus is the person who chooses the place of banishment, Kephro. He also prohibits the exiles from holding assembles or from entering the cemeteries at Kephro. Lastly, he hints that there would be consequences if these restrictions were disobeyed, although he does not state the exact nature of these consequences. After quoting the minutes, Dionysius goes back to his report. Though he was ill, he says, he was forced to leave immediately, without any opportunity to hold an assembly (Eus., h.e. 7.11,11). Accusations from Germanus seem to be in the background here, as he may have criticised Dionysius for disregarding his fundamental duties as a bishop. At this point, Eusebius unfortunately abridges his quote of the letter, leaving a section out indicated by his remark “further on he says” (Eus., h.e; 7.11,12). He then quotes another part of the letter where Dionysius describes his situation in exile in Kephro. He says that he kept on assembling “those in Alexandria”, and that he also managed to gather a large community in Kephro, consisting of those people from Alexandria who had followed him, but also of people from elsewhere in Egypt (Eus., h.e. 7.11,12). He then states that some people who had previously thrown stones at them later converted to God. Dionysius, thus, portrays his exile as a rather successful Christian mission (Eus., h.e. 7.11,13). Thereupon, Aemilianus decides to relocate Dionysius to even “rougher and more Libyan-like places” (Eus., h.e. 22 Aemilianus’ argument runs as follows: “But who forbids you to worship him, if he is a god, together with those who are gods by nature? For you have been commanded to revere the gods, and the gods whom all know.” 23 Dionysius’ answer is brief: “We worship no other”. Dionysius does not elaborate or attempt to provide a fuller explanation, which may strengthen the argument that these are in fact the authentic minutes (see Eus., h.e. 7.11,6).

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7.11,14). For Dionysius this was divinely ordained; God wanted to send him elsewhere, now that he had fulfilled his task in Kephro (Eus., h.e. 7.11,14). The new place of exile was Kolluthion, and Dionysius emphasises how much this decision affected him (Eus., h.e. 7.11,15). He was grieved and greatly disturbed (Eus., h.e. 7.11,16). Although he was aware of Kolluthion, he knew it as a place where there were no fellow Christians or men of “character”, a place filled instead with travellers and thieves (h.e. 7.11,16). His followers reminded him that Kolluthion, compared to Kephro, was located closer to the city of Alexandria, and this gave Dionysius some consolation. It presented the possibility of closer contact with his beloved friends from the city, including overnight visits, and the prospect of organising assemblies more easily. Dionysius concludes:  καὶ οὕτως ἐγένετο  – “And so it happened” (h.e. 7.11,17). Unfortunately, Eusebius then omits further details,24 before quoting what may have been the end of the actual letter. This final part is rather polemical, and critical of Germanus. Dionysius says that Germanus boasts of many confessions, but that he, Dionysius, suffered just as many. He then presents a long enumeration of the various tribulations he has suffered mentioning penalties, confiscations, proscriptions, the plundering of goods, the loss of dignities, the contempt of worldly glory, a disregard for the flatteries of governors and of councillors, and a patient endurance of the threats of opponents, of outcries, of perils and persecutions, of wandering and distress.25 He says that he suffered all that before under Decius and Sabinus,26 and that now he must suffer it again under Aemilianus.27 Then Dionysius closes by saying that all the brothers who were with him at the time are able to give precise accounts of everything that took place (Eus., h.e. 7.11,19). Here, Dionysius is pointing to a number of eye-witnesses, who could provide a more objective view of the events. At this point, the aim of the letter was fulfilled and it was not necessary for Dionysius to write anything more.

24 Indicated by the remark: “After other matters he writes again as follows” (Eus., h.e. 7.11,17). 25 Eus., h.e. 7.11,18. 26 For Sabinus see Eus., h.e. 6.40,2. Sabinus was prefect of Egypt in the times of the persecution under Decius. 27 Interestingly, Emperor Valerian’s name is missing here; this may indicate that the letter was not written during the persecution, but shortly afterwards, in the year 260. For another possible, more political explanation for the omission of Valerian’s name, see note 36.

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3. An Instance of Clerical Exile before Constantine After paraphrasing Dionysius’ letter, as it is preserved in Eusebius’ historia ecclesiastica, the next section will try to extract the “historical truth” behind the letter.28 What can a critical reading of this letter,29 which takes into account Dionysius’ apologetic intentions, reveal about clerical exile prior to the reign of Constantine? What can we determine about this particular case, which took place in the years of 258/259? I want to draw attention to five separate points, before ending with a short conclusion. This conclusion will also raise the question of how far the legal, political and religious aspects of the case can be compared to those in the fourth century, in the Constantinian and post-Constantinian periods. 1.) In the context of the historical background, we can say that the minutes quoted in the letter to Germanus do reflect the contemporary situation after the so–called first edict of Valerian with regards to the Christians. The case revolves around Dionysius’ Christian confession (Eus., h.e. 7.11,4). The refusal to offer sacrifice to the Gods (Eus., h.e. 7.11,9f.) prompts punitive sanctions, which in Dionysius’ case is exile (Eus., h.e. 7.11,10). Aemilianus’ attempts to persuade the Christians by pointing to the emperor’s clemency, and his suggestion that they worship both the Christian God and the Roman Gods (Eus., h.e. 7.1 l,9), are well-attested strategies, recorded in many instances of martyrdom before 258.30 28 The workshop sessions at the XVIIth International Conference on Patristic Studies in Oxford 2015 have shown that the question of how to identify the historical “reality” behind our literary accounts is a matter that needs to be continually considered and discussed over the course of the project. This essay aims to show that such a reconstruction can be undertaken successfully, although, admittedly, considerable uncertainties will always remain. For the same approach see the texts by Jakob Engberg, Uta Heil and Dirk Rohmann in this volume. 29 Some of the criteria for such a critical reading are: a comparison of the text with objective factors such as geography (in this case derived from Strabo’s, Geographica); a comparison with other sources that deal with the same or a comparable event (in this case: Martyr’s Acts, especially Acts of Cyprian); and methods of “inner” criticism – the assumption that any statement or proposition that serves or strengthens the assumed intentions of the author, is more suspicious than any statement or proposition that does not, and from the opposite perspective any statement or proposition that contradicts or is at least inconsistent with the author’s assumed intention can most easily be explained as being historically genuine. 30 One example is the Passio sanctorum Scilitanorum (M. Scill. 2. 14. 16). See: The Acts of the Christian Martyrs, Introduction, Texts and Translation by Herbert Musurillo, OECT, Oxford 1972, 86f.: “Saturninus, the proconsul, said: ‘If you return to your senses, you can obtain the pardon of our lord the emperor’ ”, and after the Christian’s refusal he delivers the judgment: “ ‘…Whereas though given

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Aemilianus’ reaction as recorded in the letter is, therefore, very likely to be genuine. It is clear that imperial authorities would always attempt to persuade the Christians to return to the Roman mores, rather than having them punished or executed. After Dionysius’ refusal to worship the Roman Gods, Aemilianus must then proceed according to the law. He decides the place of banishment (Eus., h.e. 7.11,10), he forbids them from holding assemblies and from visiting graveyards (Eus., h.e. 7.11,10), and he lets them know that he will be keeping an eye on them (Eus., h.e. 7.11,11). All this is in line with what we know about the first stage of the Valerian persecution,31 and I would argue that Aemilianus, as vice-prefect, acted entirely appropriately. 2.) In this particular case, the exile sentence was carried out immediately. Dionysius complains that he wasn’t even allowed to stay one day more in Alexandria. Aemilianus also showed no consideration for his illness. This passage is undeniably apologetic, as Dionysius was attempting to defend himself from Germanus’ accusation that he had not organised Christian assemblies. The matter of his immediate deportation, however, should be regarded as genuine. After Dionysius’ refusal to obey the emperor’s instruction Aemilianus simply had to act; it was not possible to allow a convicted person to stay in the city any longer. Indeed, Aemilianus says explicitly:  “I see that you are at once ungrateful and insensible to the kindness of our sovereigns. You shall not remain in this city” (Eus., h.e. 7.11,10). 3.) The conditions of exile must have been fairly mild. In Kephro, Dionysius and his companions were able to meet with Christians from Alexandria as well as with those from elsewhere in Egypt (Eus., h.e. 7.11,12). They also built up a Christian community and engaged in various missionary activities (Eus., h.e.. 7.11,12). It may well be the case that here Dionysius exaggerates a little in order to defend himself against Germanus’ accusation that he disregarded his episcopal duties.32 But, on the other hand, had Dionysius suffered in Kephro, he surely would have described his hardships in as much detail as possible. The fact that he doesn’t do so

the opportunity to return to the usage of the Romans they (i.e.) have preserved (sic) in their obstinacy, they are hereby condemned to be executed by the sword.’ […] The proconsul Saturninus had the following proclaimed by a herald: ‘Sperata, Nartzalus, Cittinus, Veturius, Felix, Aquilinus, Laetantius, Januaria, Generosa, Vestia, Donata, Secunda are to be led forth for execution.’ ” 31 For the persecution under Valerian see P. Keresztes, Two Edicts of the Emperor Valerian, in: VigChr 29 (1975), 81–95. 32 I owe this idea to a stimulating remark by Samuel Rubenson in the discussion that followed my Oxford lecture.

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clearly indicates that the situation in Kephro, which included the possibility of carrying out certain clerical functions, was not too bad at all. The same is also true of Kolluthion; indeed, there the situation for the exiled Alexandrian clerics seems to have been even better. They openly disobeyed Aemilianus’ instructions, yet it seems that virtually nothing happened as a consequence – if there had been any sanctions, Dionysius would certainly not have failed to mention them. One gets the impression – at least in his argument with Germanus – that it was rather awkward for Dionysius that the conditions of his exile were so lenient. This partly explains why he emphasises the remoteness of his exile, and the wild, “Libyan” nature of these two places. 4.) Looking at the geography of Roman Egypt, it is clear that these two settlements were nowhere near as wild, remote and “Libyan” as Dionysius would have Germanus and the readers of his letter believe. Kephro was situated at the western edge of the semi-enclosed Mareotic Sea33 not far from Alexandria, although admittedly this small village was probably not the most interesting of destinations. Strabo (64/63 BC–23 CE), the Greek historian and geographer, deals with Egypt in book 17 of his Geographica34, the only extant geographical encyclopedia of the ancient world, but he does not mention the village of Kephro at all. This demonstrates that Kephro was fairly insignificant, as Strabo mentions more or less every place in and around Alexandria. Dionysius says that he had hardly ever (Eus., h.e. 7.11,15: σχεδόν) heard about the place, indicating that he, at least, was not totally unaware of its existence. Kolluthion, Dionysius’ second place of banishment, is not mentioned in Strabo’s Geographica either. It was a suburb and also a bathing resort of Alexandria. Dionysius alleges that Aemilianus brought him closer to Alexandria with a view to sending him even further away, but this sounds very apologetic. It is possible that Aemilianus had, in fact, found a more comfortable place for Dionysius to reside in, which Dionysius was reluctant to admit when answering Germanus’ accusations. 5.) If it is true that the conditions of Dionysius’ exile were rather mild and the places of banishment were not as unpleasant as he suggests, and if it is true that the change from Kephro to Kolluthion was actually an 33 See F. van der Meer / C. Mohrmann, Bildatlas der frühchristlichen Welt, Gütersloh 1959, no, 17; quoted by Andresen, 1979, 433f. 34 I have used the German translation of the text: Strabo, Geographica, in der Übersetzung und mit Anmerkungen versehen von Dr. Albert Forbiger, Wiesbaden 2005 (neu gesetzte und überarbeitete Fassung nach der Ausgabe Hoffmann’sche Verlagsbuchhandlung Berlin und Stuttgart 1855–1898). Book 17 on Egypt is to be found there on pages 1103–1174.

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improvement, what were the reasons behind Dionysius’ privileged treatment, and what can we say about the relationship between Aemilianus and Dionysius? However we judge Dionysius’ exile, it must be acknowledged that after the second edict of Valerian in 259,35 Aemilianus could easily have sentenced Dionysius to death.36 This certainly occurred elsewhere in the empire, such as in the case of Cyprian, bishop of Carthage, attested

35 This second edict is not exactly quoted, but summarised in Cypr., ep. 80.1: “But the truth concerning them is as follows, that Valerian had sent a rescript to the Senate, to the effect that bishops and presbyters and deacons should immediately be punished; but that senators, and men of importance, and Roman knights, should lose their dignity, and moreover be deprived of their property; and if, when their means were taken away, they should persist in being Christians, then they should also lose their heads; but that matrons should be deprived of their property, and sent into banishment. Moreover people of Caesar’s household, whoever of them had either confessed before, or should now confess, should have their property confiscated, and should be sent in chains by assignment to Caesar’s estates.” It is worth mentioning that Valerian’s second rescript talks about “exile” for women who do not obey his instructions (matronae ademptis in exilium relegentur; CSEL 3.2, 840, 1f. Hartel). Unfortunately, we have no further evidence for this edict in the sources. For Valerian’s edicts see Keresztes, 1975, 81–95. 36 It is a tempting to speculate that Dionysius’ relocation from Kephro to Kolluthion could have had something to do with the enactment of the so-called second edict of Valerian (see note 35). If this was the case, Aemilianus was – for whatever reason – acting directly against the stipulations of this edict at this stage of the political development. A possible indication of this can perhaps be seen in Eus., h.e, 7.11,18. Dionysius mentions that he once had to suffer under Sabinus and (the emperor) Decius and now has to suffer under Aemilianus. In respect to the structure of the sentence and in respect to the political situation in the year of 259 it is very surprising that the name of the emperor Valerian is missing here (see note 27). Of course it is always problematic to argue by using an argumentum e silentio. But it may be the case that from a particular stage of political development Aemilianus began to make some self-contained decision in Alexandria, perhaps anticipating Valerian’s defeat in the war against the Persians and preparing for the time after. Of course, another explanation, is that the letter was written shortly after the persecution and after Valerian’s defeat, in the year of 260. Unfortunately we can’t really go beyond speculation here. The fact that the capital punishment of clerics – a possible consequence of Valerian’s second edict – was indeed carried out elsewhere in the Empire is shown by the case of Cyprian (see next footnote) and by diverse Passiones of Christian martyrs, for example Passio Sanctorum Martyrum Fructuosi Episcopi, Auguri et Eulogi Diaconorum 1–4; Passio Sanctorum Mariani et Iacobi 1–13; Passio Sanctorum Montani et Lucii 12–23, in: The Acts of the Christian Martyrs (see note 30), 176–183. 194–213. 224–239, and the introductions by H. Musurillo (see note 30), xxxii. xxxiiif. xxxivf. Further remarks can be found in Keresztes, 1975, 85f.

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in the Acta proconsularia.37 Why was Dionysius spared from such a fate? To answer this question, we must examine the final part of Dionysius’ letter (Eus., h.e. 7.11,18 – see passage quoted above).38 He says he has suffered “confiscations, proscriptions, plundering of goods, loss of dignities, contempt of worldly glory, disregard for the flatteries of governors and of councillors, and […] all kinds of tribulation.” As Wolfgang Bienert has already pointed out, some parts of this enumeration suggest that Dionysius must have held a very high social and political position in Alexandria.39 Confiscations (gr.:  δημεύσεις; lat.:  publicationes) can only be meted out on those who own property and goods. The same is true for proscriptions (gr.: προγραφάς; lat.: proscriptiones), thus, indicating that Dionysius was a man of wealth. Other points in the enumeration, particularly the loss of dignities (gr.:  ἀξιωμάτων ἀποθέσεις), the contempt of worldly glory (gr.:  δόξης κοσμικῆς ὀλιγωρίας), and the disregard for the commendation of governors and of councillors (gr.:  ἐπαίνων ἡγεμονικῶν καὶ βουλευτικῶν καταφονήσεις), attests to his political influence. Dionysius could only have listed such things if he had possessed each – dignities, worldly glory, and the commendation of governors – prior to exile. Carl Andresen has said that we have reason to assume that Dionysius had a very high position in Alexandrian society and among the magistrates of the metropolis. Was he even a member of the city council (gr.:  βουλή), as Andresen has proposed?40 Even if we do not want to go that far, we can still be certain that Dionysius was an extremely important person in Alexandrian politics. Was this the reason why Aemilianus acted so cautiously? Was Dionysius a privileged man who enjoyed privileged conditions when sent into exile? Was Aemilianus aware of his importance in Alexandria? Did Aemilianus fear the possibilities of riots in the city in the event of Dionysius’ execution? Or, was he aware that he might yet need Dionysius in the future after the reign Valerian?41 We will never know, but it is clear that the lenient treatment

37 The Acts of Cyprian, in: The Acts of the Christian Martyrs (see note 30), 168– 175 – for the martyrdom of Cyprian see W. Wischmeyer, Von Golgatha zum Ponte Molle. Studien zur Sozialgeschichte der Kirche im dritten Jahrhundert, FKDG 49, Göttingen 1992, 202f.; id., Der Bischof im Prozess. Cyprian als episcopus, patronus, advocatus und martyr vor dem Prokonsul, in: Fructus centesimus. Mélanges offerts à Gerard J.M. Bertelink, IPM 19, Turnhout 1989, 363–371, and A. Brent, Cyprian and Roman Carthage, Cambridge 2010. 38 See note 25. 39 See Bienert, 1972, 109 no. 41–43. 40 See Andresen, 1979, 433 no. 99f. 41 See note 36.

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of Dionysius – the exile sentence and the conditions of banishment in Kephro and Kolluthion – may well have been a result of his high status and political position in Alexandria.

4. Conclusion The following concluding remarks also aim to signpost areas worthy of further consideration: In the context of the “Migration of Faith” project the account of Dionysius’ exile during the Valerian persecution may be seen as a prominent example of the exiling of a bishop long before the reign of Constantine. However, such examples are rare, as exile only became the routine legal sanction for clerics under Constantine and his successors. But even if Dionysius’ case is a rather atypical for the pre-Constantinian period, it may still be worth comparing it to later instances of exile, for example those that took place during the reign Constantius II (337–361). Eusebius of Vercelli is an obvious parallel, as we are well-informed about his exile to Scythopolis in the 350s by one of his extant letters.42 Indeed, there are certain similarities between the exile of Dionysius and Eusebius: both bishops were sent to places chosen specifically for them, both were able to engage in some significant activities at their places of exile, both were able to maintain contact with their home communities (through letters and visitors), both were accompanied by clerics during their exile, and both would eventually return to their respective sees. This shows that there were a number of similarities in the experience of exile between the middle of the third and the middle of the fourth centuries. However, the differences must be taken into account, too: Dionysius was sentenced to exile under an anti-Christian emperor, Eusebius of Vercelli under a Christian one. Dionysius and his friends were exiled because they refused to abandon their Christian faith, Eusebius of Vercelli because he refused to accept the Homoean confession. Dionysius was treated as a highly esteemed political player, Eusebius as a deviant theologian and church leader. These aspects of discontinuity are of course due to Constantine and the far-reaching changes that took during his reign. Nevertheless, the similarities between the exile of Dionysius of Alexandria and Eusebius of Vercelli seem to indicate a degree of legal continuity in theory and practice that links the periods before and after the turning point that we call the Constantinian shift. I cannot tell for certain whether the “Migration of Faith” project will 42 Eus. Verc., ep. 2 (CChr.SL 9, 104–109).  – See D.  Washburn, Tormenting the Tormentors: A Reinterpretation of Eusebius of Vercelli’s Letter from Scythopolis, in: ChH 78 (2009), 731–755, and J. Hillner, Prison, Punishment and Penance in Late Antiquity, Cambridge 2015, 244–262.

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have enough material and time to pursue this track further, but for the question of clerical exile in late antiquity the case of Dionysius of Alexandria is at least an important footnote. It reminds us that what began during the reign of Constantine actually looks back to a long tradition of exile as a penalty that could strike pagans and Christians alike, depending on their respective political and social circumstances.

Vom Rächer der Christen zum Christenverfolger. Kaiser Licinius in der spätantiken christlichen Literatur* Die antike christliche Apologetik und Historiographie haben über die Jahrhunderte hinweg gleichsam einen Kanon der Christenverfolger geschaffen, der bestimmten römischen Kaisern dezidierte Christenverfolgungen zuschreibt, während er andere Kaiser zu diesem Punkte mehr oder weniger schweigend übergeht. Dieser Kanon hat, abhängig von den jeweiligen Autoren, gewisse Unschärfen an den Rändern, ist aber insgesamt erstaunlich kongruent. Er beginnt in der Regel bei Nero und setzt sich fort über Domitian, Decius, Valerian und Aurelian bis hin zu den Tetrarchen der Diokletianischen Verfolgung.1 Nach 311, als das Galeriusedikt den Christen Religionstoleranz gewährte,2 werden noch Galerius’ Nachfolger Licinius und dann für die Mitte des vierten Jahrhunderts, freilich unter ganz anderen Bedingungen, dem „Apostatenkaiser“ Julian Verfolgungen von Christen zugeschrieben. Die Ausprägung dieses Kanons erfolgte nach bestimmten apologetischen und historiographischen Prämissen, die in der Literatur oft beschrieben worden sind.3 Sie reichen von einem apologetisch motivierten Nachvollzug der

* Zuerst erschienen in: J. Dierken / D. Evers (eds.), Religion und Politik. Historische und aktuelle Konstellationen eines spannungsvollen Geflechts, Frankfurt 2016, 11–29. 1 So etwa der Kanon bei Laktanz, De mortibus persecutorum; cf. Laktanz: De mortibus persecutorum. Die Todesarten der Christenverfolger. Übersetzt und eingeleitet von Städele, Alfons (FC 43), Turnhout 2003. – In Eusebs Kirchengeschichte, in der die Regierungsdaten der Kaiser gleichsam das äußere Strukturierungsprinzip bilden, werden als Christenverfolger klassifiziert: Nero (Eus., h.e. II 25, 1–8); Domitian (h.e. III 17–20); Septimius Severus (h.e. VI 1); Maximinus Thrax (h.e. VI 28); Decius (h.e. VI 39); Gallus (h.e. VII 1); Valerian (h.e. VII 10–12) und Aurelian (h.e. VII 30,20f.); sodann die Tetrarchen Diokletian (h.e. VIII 2,4–13,11), Maxentius (h.e. VIII 14,1–6), Maximin Daja (h.e. VIII 14,7–16), Galerius (h.e. VIII 16–17) und eben Licinius (h.e. X 8f.) – Zur Verarbeitung eines solchen Kanons in der modernen Kirchengeschichtsschreibung cf. den Artikel von J. Vogt. Christenverfolgung I., in: RAC 2 (1954), 1159–1208. 2 Zum Galeriusedikt cf. jetzt H. Brandt, Galerio legislatore, in: G. Bonamente et al. (eds.), Costantino prima e dopo Costantino, Bari 2012, 17–24. 3 Cf. J. Ulrich, Dimensions and Developments in Early Christian Historiography, in: J. Ulrich / A.-C. Jacobsen / D. Brakke (eds.), Invention, Rewriting, Usurpation. Discursive Fights over Religious Tradition in Antiquity, ECCA 11, Frankfurt 2012,

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Wertungen der paganen Historiographie bis hin zur Stilisierung der Verfolgerkaiser als negativ-mahnendes Beispiel, welches die gegenwärtig regierenden Kaiser dazu anhalten soll, auf Gewaltmaßnahmen gegen Unschuldige zu verzichten. Für die moderne, kritische Kirchengeschichtsschreibung unserer Tage folgt aus der Kenntnis derartiger Prämissen selbstverständlich, dass der in der antiken christlichen Literatur etablierte Verfolgerkanon nicht für historisch bare Münze zu nehmen ist. Er enthält vielmehr Kaiser, die zwar in der Rückschau insgesamt schlecht beleumundet, aber deswegen noch nicht unbedingt Christenverfolger waren, wie etwa Domitian.4 Und er verschweigt solche Kaiser, die in der Rückschau als gute Herrscher erschienen, unter deren Regierungszeit es aber ganz offensichtlich zu überproportional vielen Martyrien kam, wie etwa Marc Aurel.5 Unter dieser Voraussetzung erscheint es reizvoll, die christliche Überlieferung über den Kaiser Licinius kritisch in Augenschein zu nehmen, zumal diese in den verschiedenen Stadien ihres Entstehens sehr unterschiedliche Liciniusbilder zeichnet Die Palette reicht vom (anfänglichen) Rächer der Christen bis zum (letztendlichen) Christenverfolger. Ich beabsichtige zunächst in einem kurzen Abriss die wichtigsten Ereignisse der Regierungszeit des Licinius in Erinnerung zu rufen (I.), sichte dann die Texte der wichtigsten Autoren der spätantiken christlichen Überlieferung, also Laktanz (II.Α.), Eusebius von Caesarea (II.B.) und die spätere Märtyrerüberlieferung (II.C.) und schließe mit einer zusammenfassenden Bewertung (III.). Ich versuche damit, einen Beitrag aus der Werkstatt der Patristik zum Themenfeld Religion und Politik zu liefern, das seit jeher das Interesse des Jubilars in besonderem Maße auf sich gezogen hat.

161–176, und A. Städele, Einleitung, in: Laktanz, De mortibus persecutorum. 2003, 7–88 (22f.). 4 Cf. J. Ulrich, Euseb, HistEccl III 14–20 und die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian, in: ZNW 87 (1996), 269–289. Zustimmend A. Wlosok, Die christliche Apologetik griechischer und lateinischer Sprache bis zur Konstantinischen Epoche. Fragen, Probleme, Kontroversen, in: A. Wlosok / F. Paschoud (eds.), L’apologétique chrétienne gréco-latine à l’époque prénicénienne, EnAC 51, Genf 2005, 1–37 (6). – Insbesondere unter Vertretern der neutestamentlichen Wissenschaft wird an einer Verfolgung der Christen unter Domitian tendenziell festgehalten, als Beispiele wären zu nennen: U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 62007, 553–555; und H. Köster, Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit, Berlin 1980, 330. Cf. hierzu C. Hornung, Marcus Aurelius, in: RAC 24 (2012), 90–99. 5

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I.    Bruno Bleckmann hat 2010 in seinem Artikel „Licinius“ im Reallexikon für Antike und Christentum Quellenlage und Forschungsstand kritisch aufgearbeitet.6 Demnach lassen sich für die militärische und politische Laufbahn des Licinius drei Phasen identifizieren. Die erste Phase währt bis zum Jahre 313 und ist geprägt vom Aufstieg des um 265 geborenen Illyriers, der zunächst als Offizier unter Galerius tätig war und im Jahre 308 auf der Konferenz von Carnuntum anstelle des ermordeten Severus zum Augustus des Westens erhoben wurde,7 an zweiter Stelle nach dem mittlerweile zum Senior Augustus aufgestiegenen Galerius. Licinius wurde mit der Herrschaft über Thrakien, Illyrien und Pannonien betraut. Als Galerius 311 starb, standen sich, nachdem Maximin Daja und Konstantin ihrerseits zu Augusti erhoben worden waren, einerseits Konstantin und der Usurpator Maxentius, andererseits Licinius und Maximin Daja feindlich gegenüber. Während Konstantin in der berühmten Schlacht an der Milvischen Brücke im Oktober 312 Maxentius besiegte, suchte Licinius zunächst den diplomatischen Ausgleich mit Maximin Daja, mit dem er das Erbe des Galerius vertraglich aufteilte. Zugleich betrieb er durch Verlobung (311) und Verheiratung (313) mit der Konstantinschwester Konstantia eine verwandtschaftliche und politische Annäherung an Konstantin. Nach dessen Machtübernahme im gesamten Westen war die Position des Licinius faktisch gestärkt, der daraufhin 313 militärisch gegen Maximin Daja vorging und ihn in der Schlacht am Campus Ergenus besiegte. Zur Absicherung seiner neu erworbenen Macht ließ er die Kinder seines Widersachers sowie Angehörige der wichtigsten Vertreter der Tetrarchie ermorden.8 Mit seinem Schwager regierte er fortan das Imperium Romanum zu zweit, wobei Licinius im Osten, Konstantin im Westen herrschte. Noch vor dem erfolgreichen Feldzug des Licinius gegen Maximin Daja war es mit Konstantin zur Mailänder Vereinbarung gekommen,9 die das Toleranzedikt 6 B. Bleckmann, Licinius, in: RAC 23 (2010), 137–147. – Eine nochmalige Bewertung des von Bleckmann vorzüglich aufbereiteten Materials ist hier nicht erforderlich; meine Ausführungen unter I. können sich auf ein kurzes Referat des genannten Artikels beschränken. – Zu Licinius cf. ferner die Dissertation von H. Feld, Der Kaiser Licinius, (Dissertation) Saarbrücken 1960; sowie A. Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284–565 n.Chr., München 2 2008, 37–45. 7 Cf. H. Chantraine, Die Erhebung des Licinius zum Augustus, in: Hermes 110 (1982), 477–487. 8 Cf. hierzu unten unter II.A. die Ausführungen über die Darstellung bei Laktanz. 9 Cf. hierzu T. Christensen, The So-Called Edict of Milan, in: CM 35 (1984), 129– 175.

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des Galerius von 31110 im Kern bestätigte und seine Anwendung für beide Reichsteile vorsah. Diese Vereinbarung erklärte Licinius nach seinem Sieg über Maximin Daja ausdrücklich als auch für den nun von ihm beherrschten Osten gültig. Die zweite Phase der politischen Karriere des Licinius (313–317) war gekennzeichnet durch eine allmähliche Verschlechterung des Verhältnisses zu Konstantin. Diese war im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Licinius durch den Besitz von Illyrien, Kleinasien und dem ganzen Osten ein territoriales und politisches Übergewicht hatte, das Konstantin durch verschiedene Maßnahmen zu mindern suchte.11 Diese Entwicklung führte schließlich zum bellum Cibalense, dem ersten Bürgerkrieg zwischen Licinius und Konstantin, der mit großer Wahrscheinlichkeit in das Jahr 316 zu datieren ist.12 Nach den Schlachten von Cibalae und vom Campus Ardiensis, die mit großen Verlusten auf beiden Seiten und mit einem relativen militärischen Vorteil Konstantins geendet hatten, kam es zu einer Friedensvereinbarung, die die Abtretung Illyriens von Licinius an Konstantin implizierte und das politische Ungleichgewicht zwischen Westkaiser und Ostkaiser faktisch umkehrte. Eine gemeinsame Regierung des Reiches mit seinem Schwager Licinius scheint Konstantin zu diesem Zeitpunkt aber noch für möglich gehalten zu haben. Die Caesarerhebung des Jahres 317, die das bellum Cibalense schließlich beendete, zeigt jedoch, dass Licinius in dieser Phase erheblich an Macht verloren hatte und Konstantin ihm nur mehr die Rolle eines Juniorpartners zubilligte, denn während Konstantin für sich zwei Caesares nominierte, durfte Licinius nur einen stellen, seinen damals gerade zweijährigen Sohn Licinius Junior. In der dritten Phase des politischen Weges des Licinius (317–325) zeigt sich nach einer anfänglichen kurzen Friedens- und Kooperationsphase auf vielen Ebenen die Vorbereitung einer neuerlichen kriegerischen Konfrontation mit Konstantin, die von beiden Kontrahenten ausgegangen zu sein scheint. Licinius erließ für seinen Reichsteil unabhängig von Konstantin eigene Gesetze,13 er ergriff fiskalische Maßnahmen zur Finanzierung eines 0 Cf. Anm. 2. 1 11 Zu nennen sind v. a. diverse Bemühungen Konstantins, die Territorialverteilung zuungunsten des Licinius neu zu ordnen, und die Erhebung von Konstantins Schwager Bassianus zum Caesar, die freilich daran scheiterte, dass Bassianus sich unerwartet auf die Seite des Licinius schlug, was dazu führte, dass Konstantin ihn wegen Hochverrats hinrichten ließ. Cf. Bleckmann, 2010. 12 So op. cit., 139f. mit Zusammenfassung der Diskussion und Auflistung der Argumente, die für das Jahr 316 und gegen die Alternative 314 sprechen. 13 Cf. S. Corcoran, Hidden from History. The Legislation of Licinius, in: J. Harries / I. Wood (eds.), The Theodosian Code. Studies in the Imperial Law of Late Antiquity, London 1993, 97–119.

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möglichen bevorstehenden Krieges und verweigerte ab 321 den Konsuln der westlichen Reichshälfte die Anerkennung. In diesen Zusammenhang gehören auch Maßnahmen des Licinius gegen Mitglieder und Amtsträger der von ihm wohl nicht zu Unrecht als konstantinfreundlich eingeschätzten christlichen Kirche, von denen unten unter II.B. die Rede sein wird. Auslöser für den zweiten Bürgerkrieg zwischen Licinius und Konstantin waren diese Maßnahmen freilich nicht. Erst als Konstantin an der unteren Donau im Kampf gegen die Goten militärisch im Reichsteil des Licinius intervenierte, war der Bürgerkrieg unumgänglich geworden. Konstantin besiegte Licinius und den von Licinius zum Augustus der westlichen Reichshälfte erhobenen Martianus in mehreren Schlachten und eroberte schließlich Byzanz, das er in der Folge zu Konstantinopel um- und ausbauen ließ. Die Schlacht von Chrysopolis im Jahre 324 war die letzte und entscheidende. Licinius musste kapitulieren und wurde zunächst aus Rücksicht auf seine Frau Konstantia, Konstantins Schwester, als Privatmann nach Thessaloniki verbracht, dort allerdings im Jahre 325 wegen angeblicher hochverräterischer Verbindungen zu den Goten im Donauraum hingerichtet.14 Den sich anschließenden Verwandtenmorden fiel ein Jahr später auch sein Sohn Licinius Junior zum Opfer. Licinius verfiel der damnatio memoriae, allerdings blieb er durch die konstantinisch-christliche Geschichtsschreibung dem kollektiven Gedächtnis des Imperium Romanum als besiegter Rivale Konstantins noch eine ganze Weile lang erhalten.

II.    Im Folgenden sollen die wichtigsten christlichen Autoren der Spätantike, die sich mit Licinius beschäftigen, auf das von ihnen gezeichnete Liciniusbild hin untersucht werden.

A.    Der erste der in Rede stehenden Autoren ist der um 250 in Nordafrika geborene Rhetor L.  Caelius Firmianus Lactantius.15 Als Schüler des Arnobius genoss er eine vorzügliche Ausbildung und brachte es bis zum Rhetor in der Kaiserresidenz Nikomedien. Er trat zum Christentum über und verlor wohl deshalb unter der Regentschaft Diokletians sein Amt. In seinen letzten Lebensjahren finden wir ihn als persönlichen Lehrer des Konstantinsohnes 4 Cf. Bleckmann, 2010, 145f. 1 15 Zu ihm cf. A. Wlosok, L. Caecilius Firmianus Lactantius, in: R. Herzog / P.L. Schmidt (eds.), Restauration und Erneuerung. Die lateinische Literatur von 284 bis 374 n.Chr., HLLA 5, München 1989, 375–404; außerdem K.-H. Schwarte, Laktanz, in: LACL (2002), 443–445.

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Krispus in Trier, wo er um 325 gestorben sein dürfte. Die in unserem Zusammenhang interessierende Schrift aus der Feder des Laktanz trägt den Titel De mortibus persecutorum16 und ist eine Mischung aus Apologetik, Polemik, Erbauung und Demonstration, die für den Gebrauch in christlichen Zusammenkünften bestimmt gewesen sein könnte.17 Ziel des Traktates ist es, darzustellen, wie Gott im Laufe der Geschichte die Feinde Gottes und der Christen stets streng und gerecht bestraft hatte. Die Abfassungszeit der Schrift ist zwischen Ende 313 / Anfang 314 und Ende 315 / Anfang 316 anzusetzen,18 fällt also in die zweite Phase der Karriere des Licinius, in die Zeit zwischen seinem Sieg über Maximin Daja und dem bellum Cibalense. Das von Laktanz präsentierte Liciniusbild ist nun ganz davon geprägt, dass der Sieg des Licinius über Maximin Daja als Strafgericht gegen den christenverfolgenden Gottesfeind gedeutet wird. Laktanz stellt Licinius wegen der Mailänder Vereinbarung von 313 auf eine Stufe mit Konstantin. Beide sind von Gott aufgerufene „Herrscher, die der Tyrannen frevelhafte, blutige Befehle aufhoben und sich des Menschengeschlechtes annahmen.“19 Bei der Restitution der Kirche durch diese Vereinbarung, die Licinius nach seinem Sieg über Maximin Daja in Nikomedien bekannt machen lässt, hat sich Gott der Person des Licinius bedient,20 der von Laktanz zum Schutzherrn der Christen des Ostens stilisiert wird. Vor der entscheidenden Schlacht lässt Laktanz den Maximin Daja ein Gelübde an Jupiter ablegen, dass er im Falle eines Sieges alles, was Christ heiße, ausrotten werde.21 Daraufhin lässt Laktanz dem Licinius einen Engel erscheinen. In Lact., mort. 46, 3–7 heißt es: Daraufhin tritt in der nächsten Nacht ein Engel Gottes an den schlafenden Licinius heran und fordert ihn auf, schleunigst aufzustehen und zum höchsten Gott mit seinem ganzen Heer zu beten; sein werde der Sieg sein, wenn er dies tue. Als er nach diesen Worten weiterträumte, er stehe auf, und sein Mahner noch neben ihm stand, da brachte dieser ihm bei, wie und mit welchen Worten er beten müsse. Er schüttelte hierauf den Schlaf ab, ließ einen Schreiber holen und diktierte ihm wie er es gehört hatte, die folgenden Worte: „Höchster Gott, wir bitten Dich, heiliger Gott, wir bitten Dich! Alle Gerechtigkeit vertrauen wir Dir an, unser Wohlergehen vertrauen wir

16 Ich benutze die zweisprachige Fontes-Christiani-Ausgabe: Laktanz: De mortibus persecutorum. Die Todesarten der Christenverfolger, übersetzt und eingeleitet von Städele, Alfons (FC 43), Turnhout 2003. 17 So Städele: Einleitung, 35 (wie Anm. 3), hier auf Wlosok, 1989, 396 verweisend. 18 Cf. Städele, 75f. 19 Lact., mort. 1, 3. Die Übersetzungen übernehme ich hier und im Folgenden der Ausgabe von Städele (wie Anm. 16). 20 Lact., mort. 48, 1. Von Restitution spricht in diesem Zusammenhang auch Lact., mort. 48, 13. – Den Text der am 13. Juni 313 in Nikomedien veröffentlichten Mailänder Vereinbarung zitiert Laktanz Lact., mort. 48, 2–12. 21 Lact., mort. 46, 2.

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Dir an, unsere Herrschaft vertrauen wir Dir an. Durch Dich leben wir und durch Dich sind wir siegreich und glücklich. Höchster, heiliger Gott, erhöre unser Bitten! Unsere Arme erheben wir zu Dir. Erhöre, heiliger, höchster Gott!“ Er lässt diese Worte auf mehrere Blätter schreiben und an die Kommandanten und Tribunen verteilen, damit sie ein jeder seinen Soldaten beibringe. Die Zuversicht wuchs allen, da sie glaubten, der Sieg sei ihnen vom Himmel herab verkündet worden.

Das Gebet wird dann, so der weitere Bericht des Laktanz, von den „Licinianern“ tatsächlich in der Schlacht gesprochen und führt zur Festigung ihres Mutes, zur Demoralisierung der Feinde und letztlich zum Sieg. Auch wenn Laktanz auf eine dezidiert christliche Bearbeitung des Gebetstextes verzichtet hat, was übrigens ein starkes Argument für dessen relative Authentizität ist,22 zeigt der Duktus des Textes deutlich, dass Laktanz den militärischen Sieg des Licinius christlich vereinnahmt, indem er ihn als von Gott initiierte Gegenmaßnahme gegen die von Maximin Daja dem Jupiter versprochene Vernichtung der Christen interpretiert. Licinius wird hier zwar nicht selbst zum Christen gemacht, wohl aber zum Retter der Christen gegen die feindlichen Absichten des Maximin. Er erscheint als Werkzeug Gottes, mit dem Gott selbst den Gottesfeind Maximin der gerechten Strafe aussetzt, die Laktanz bei seiner Schilderung des Untergangs des Tyrannen in gewohnt drastischer Weise ausmalt.23 Der Eindruck einer Deutung des Licinius als Werkzeug Gottes gegen seine Feinde verstärkt sich nun noch, wenn man einen Blick auf die Schlusskapitel von De mortibus persecutorum wirft, in denen Laktanz auf die Ermordung von Angehörigen der vormaligen Tetrarchen durch Licinius zu sprechen kommt. Für Laktanz vollzieht sich hier das gerechte Niederkämpfen aller Gegner des Namens Gottes, also der einstigen Verfolger und ihrer Nachkommen. Denn in Lact., mort. 50, 1 ist es niemand anders als Gott selbst, der dieses Gericht vollzieht. Handelnder aber ist, wie der Anschluss in Lact., mort. 50, 2 sogleich zeigt, Licinius, der nach seinem Sieg die Familienmitglieder des Diokletian, des Galerius, des Severus und des Maximin Dajas töten lässt: „Auf diese Weise aber kämpfte Gott sämtliche Verfolger seines Namens endgültig nieder, so dass von ihnen weder Stamm noch Wurzel übrig blieb. Denn als Licinius den Gipfel der Macht erreicht hatte, ließ er vor allem Valeria […] und desgleichen den Candidianus töten […].“24 22 Dass Gebete, die im römischen Militär vor der Schlacht gemeinsam gesprochen wurden, möglichst offen formuliert waren, liegt auf der Hand: So konnten alle Mitglieder einer religiös disparaten Einheit ihre Religion darin wiederfinden bzw. ihren Gott als Empfänger des Gebets identifizieren. Für die Regierung Konstantins ist ein durchaus vergleichbarer Gebetstext überliefert bei Eus., v.C. IV, 20, 1; auch in diesem Gebet findet sich, aus den genannten Gründen, nichts „Spezifisches“. 23 Lact., mort. 49, 1–7. 24 Lact., mort. 50, 1f.

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Die Morde des Licinius, die dieser nach seinem Triumph über Maximin Daja vor allem aus Selbstschutz vor möglichen politischen Rivalen oder Thronprätendenten begehen ließ, erscheinen in der Darstellung des Laktanz als Tat eines an Stelle Gottes agierenden konsequenten Rächers, der die Christenverfolger und eben auch deren Nachkommen ausrottet, indem er alttestamentlich gesprochen die Missetaten der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied (Ex 34,7). Damit liefert Laktanz eine christlich-religiöse Legitimation jener Morde und rechtfertigt sie, unabhängig von den tatsächlichen Motiven des Licinius, als von Gott initiierte gerechte Bestrafungsmaßnahme. Auch der Schluss von mort. pers. unterstreicht noch einmal, dass Gott als der in diesem Geschehen eigentlich Handelnde anzusehen ist: Höhnisch fragt Laktanz seine Leser: Wo sind denn nur jene hochtrabenden und unter den Heiden berühmten Beinamen Jovier und Herkulier geblieben, die sich zuerst Diokles und Maximian voller Selbstüberschätzung zulegten und die dann, auf ihre Nachfolger übertragen, im Schwange waren? Ja, getilgt hat sie der Herr und ausgemerzt auf der Erde. Feiern wir also den Triumph Gottes unter Jauchzen! […].25

Laktanz schildert Licinius in den Jahren 314 oder 315 in doppelter Hinsicht als Werkzeug Gottes: Erstens als Retter der Christen durch den Sieg über den Christenfeind Maximin Daja und durch die Durchsetzung der Mailänder Vereinbarung im Osten, und zweitens als von Gott eingesetzten Rächer an den Angehörigen der Christenverfolger. Es ist in der Forschung gelegentlich diskutiert worden, ob Laktanz in seiner Darstellung Konstantin und Licinius auf einer Stufe sieht oder ob sich nicht – trotz der Würdigung des Licinius – eine gewisse Favorisierung Konstantins, verbunden mit einer leichten Reserve gegenüber Licinius, bei ihm abzeichne.26 Ich meine, dass zumindest der Schluss von De mortibus persecutorum eine solche Differenzierung nicht unbedingt nahelegt: Für Laktanz ist Licinius im Osten in eben dem Maße Werkzeug Gottes (Lact., mort. 50, 1f.) wie Konstantin dies im Westen ist. Das hängt natürlich mit dem Umstand zusammen, dass die Konflikte zwischen beiden Kaisern, die sich im bellum Cibalense entladen sollten, zur Abfassungszeit von De mortibus persecutorum noch nicht so klar erkennbar waren wie es nur kurze Zeit später dann der Fall sein sollte. 5 Lact., mort. 52, 3f. 2 26 In diese Richtung argumentiert Städele in seiner Einleitung (Städele, 2003), 54–59. Er sieht, dass Licinius einerseits auf einer Stufe mit Konstantin steht (54), macht aber andererseits geltend (54f.), dass Licinius als alter Kamerad des Galerius vorgestellt wird (Lact., mort. 20, 3), dem Galerius auf dem Sterbebett seine Frau und seinen Sohn anvertraut (Lact., mort. 35, 3). Letzteres sind Informationen, die Laktanz ohne weiteres hätte weglassen können, wenn er seinen Lesern einen über jeden Zweifel erhabenen Licinius hätte präsentieren wollen.

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B.    Der zweite der in Rede stehenden christlichen Autoren, die sich ausführlicher mit Licinius beschäftigen, ist Eusebius von Caesarea, der „Vater der Kirchengeschichte“.27 Euseb hat sich gleich zweimal mit Licinius literarisch auseinandergesetzt, in der Historia ecclesiastica und dann in seinem Kaiserpanegyricus De vita Constantini. Die Historia ecclesiastica ist in mehreren Redaktionsstufen gleichsam parallel zur Entwicklung der ersten Jahrzehnte des vierten Jahrhunderts entstanden,28 ihre Endfassung gehört in die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Bürgerkrieg und dem Tode des Licinius.29 De vita Constantini ist in einem zeitlichen Abstand von dreizehn oder vierzehn Jahren zu diesen Ereignissen entstanden.30 In der Historia ecclesiastica zeichnet Eusebius das Bild einer Wandlung des Licinius vom Christenfreund zum Christenverfolger. Entsprechend der politischen Entwicklung erscheint Licinius zunächst an der Seite des Konstantin als Befreier der Christen vom Tyrannen Maxentius und als prochristlicher Gesetzgeber, später dann, als Gegner des Konstantin, wird er selbst als Christenfeind dargestellt. Das neunte Buch der Kirchengeschichte, das etwa zeitgleich mit Laktanz’ De mortibus persecutorum entstanden sein dürfte, betont, dass Licinius wie Konstantin vom Gott des Alls und Erlöser erweckt worden sei,31 dass er die Macht des Maximin Daja beendete,32 und es verweist darauf, dass das Mailänder Edikt von Konstantin und Licinius gemeinsam „in einhelligem Willen und Entschlusse“33 erlassen worden sei. Es bezeichnet 27 So die Monographie von F. Winkelmann, Euseb von Kaisareia. Der Vater der Kirchengeschichte, Berlin 1991. 28 Auf das komplizierte Problem der verschiedenen Redaktionsstufen kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden. Winkelmann (Winkelmann, 1991, 188–191) schlägt folgende Rekonstruktion vor: Grundfassung (Eus., h.e. I–VII) vor dem Jahre 311; 1. Revision (h.e. VIII) um 311; 2. Revision (h.e. IX) im Jahre 313 (Mailänder Vereinbarung); 3. Revision (h.e. X) zwischen 313 und 320; 4. und letzte Revision (Damnatio memoriae des Licinius) 325. 29 Für die Endredaktion der Kirchengeschichte ist an einen Zeitraum zwischen dem Sieg über Licinius (324) und der durch Konstantin veranlassten Ermordung seines Sohnes Krispus (326; diese ist Eus., h.e. X 9, 6 noch nicht vorausgesetzt) zu denken, also ziemlich sicher an das Jahr 325. Cf. hierzu Winkelmann, 1991, 188–191. 30 De vita Constantini dürfte kurz nach dem Tode Konstantins 337 oder spätestens 338 entstanden sein. Cf. hierzu Winkelmann, 1991, 188–191. 31 Eus., h.e. IX 9, 1. 32 Eus., h.e. IX 9, 1f. 33 Eus., h.e. IX 9, 12. – Ich benutze hier und im Folgenden die von Hans Armin Gärtner durchgesehene Übersetzung von Philipp Haeuser: Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, herausgegeben und eingeleitet von Kraft, Heinrich, Darmstadt 19812.

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beide Kaiser gleichermaßen als „Sachwalter des Friedens und der Frömmigkeit“,34 und im Krieg gegen Maximin Daja, der sich auf „Dämonen, die er für Götter hielt“,35 verlässt, schenkt der Gott, „der der eine und einzige Gott des Alls ist“,36 dem Licinius den Sieg. Auch auf die Morde des Licinius an den Verwandten der Tetrarchen geht Eusebius ein, wenn auch ungleich kürzer als Laktanz:  Etwas nebulös ist davon die Rede, die Hingerichteten hätten sich der Verwandtschaft mit dem Tyrannen gerühmt und in stolzer Überhebung „alle Menschen“ unterdrückt, weswegen sie schmachvoll dasselbe Schicksal erlitten hätten wie Maximin Daja selbst. Eine Stilisierung des Licinius als von Gott eingesetzter Rächer und Retter der Christen, wie wir sie bei Laktanz sahen, fehlt bei Euseb. Gleichwohl kann er am Ende von Buch neun der Historia ecclesiastica resümieren: Nachdem so die Gottlosen ausgetilgt, verblieb Konstantin und Licinius allein die ihnen gebührende Herrschaft in festen und unangefochtenem Besitze. Eingedenk der ihnen von Gott gespendeten Wohltaten säuberten sie vor allem die Welt von der Feindschaft gegen Gott und bekundeten ihre Liebe zur Tugend und zu Gott und ihre Frömmigkeit und Dankbarkeit gegen Gott durch ihre Gesetzgebung zugunsten der Christen.37

Nach den Ereignissen des zweiten Bürgerkrieges und nach dem Tod und der damnatio memoriae des Licinius waren derartige Ausführungen natürlich nicht mehr opportun. In der Endredaktion der Kirchengeschichte blieb Euseb also nichts anderes übrig, als das positive Liciniusbild, das er selbst kurz zuvor noch gezeichnet hatte, gründlich zu verändern. Er tat dies, indem er eine Wandlung des Licinius vom Rächer der Christen zum Christenverfolger postulierte – und Konstantin als Befreier der von Licinius unterdrückten Christen stilisierte. Man sieht das bereits an den Einschüben, die Euseb nachträglich in das neunte Buch der Historia ecclesiastica eintrug. In Eus., h.e. IX 9, 1 (Sieg über Maximin) ist jetzt die Rede von „Licinius, der damals noch nicht dem Wahnsinn verfallen war“. In Eus., h.e. IX 9, 12 (Gemeinsames Edikt) heißt es nun:  „Licinius, dessen Geist damals noch nicht von dem Wahnsinn getrübt war, in den er später verfiel.“ Auch einige andere Bemerkungen des neunten Buches, die Licinius ausdrücklich dem Konstantin nachordnen, dürften sich dieser späten Redaktion verdanken.38 Am Ende des Buches zehn geht Eusebius dann explizit auf die letzte Phase der Herrschaft des Licinius ein und schildert diese als Aufstand gegen den eigenen Wohltäter,

4 Eus., h.e. IX 9a, 12. 3 35 Eus., h.e. IX 10, 3. 36 Ibid. 37 Eus., h.e. X 11, 8. 38 Zum Beispiel Eus., h.e. IX 9, 1: „Licinius, der zweite nach ihm [scil. Konstantin].“

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Mitkaiser und Schwager Konstantin. Licinius ist nun nicht mehr Werkzeug Gottes, sondern Werkzeug der Dämonen. „Der neidische Dämon, der das Gute hasst und das Böse liebt“,39 bemächtigt sich des Licinius und so wird dieser zum Nachahmer der „Verworfenheit und Schlechtigkeit der gottlosen Tyrannen“.40 Licinius beginnt „einen gottlosen und schrecklichen Krieg“41 (wobei die Darstellung in der Historia ecclesiastica offensichtlich die beiden Bürgerkriege zu einem „zusammenzieht“). Licinius unternimmt Anschläge auf Leib und Leben des Konstantin und fängt damit an, die Christen zu bedrängen, die denselben Gott verehren wie Konstantin.42 Damit bekriegt er letzten Endes Gott selbst.43 An konkreten Maßnahmen, die Licinius gegen die Christen ergriffen habe, nennt Eusebius: Vertreibung der Christen vom kaiserlichen Hof, Degradierungen bzw. Entlassungen christlicher Soldaten, Verbot der Versorgung christlicher Gefangener, Ermordung einzelner Bischöfe, Zerstörung und Schließung von Kirchengebäuden, Verbannungen, und schließlich die Planung (!)44 einer allgemeinen Christenverfolgung, welcher Gott allerdings gnädig zuvorkommt, indem er „seinen Diener Konstantin mit erhobenem Arme auf den Schauplatz“45 führt. Es ist klar, dass Euseb die Auseinandersetzung zwischen Licinius und Konstantin als einen Religionskrieg und dabei Licinius als Christenverfolger und Konstantin als Retter der Christen darstellen will. Inwieweit Licinius tatsächlich im Vorfeld des zweiten Bürgerkrieges gegen Konstantin Maßnahmen gegen Christen, die ihm als fünfte Kolonne Konstantins in der bevorstehenden Konfrontation erscheinen mussten, ergriff, ist schwer zu rekonstruieren.46 Es ist aber deutlich, dass Euseb jede ihm vorliegende Nachricht von 9 Eus., h.e. X 8, 2. 3 40 Ibid. 41 Eus., h.e. X 8, 3. 42 Eus., h.e. X 8, 8. 43 Eus., h.e. X 8, 9: „Bar jeden vernünftigen Denkens, ja im Zustande völligen Wahnsinns, war er entschlossen, an Stelle Konstantins Gott selbst […] zu bekriegen.“ 44 Eus., h.e. X 8,18: „Er fasste weiterhin den Plan, die Verfolgung auf alle auszudehnen.“ – Die Stelle zeigt allerdings indirekt an, dass eine generelle Verfolgung der Christen unter Licinius faktisch nicht stattgefunden hat Sie klingt eher nach einer Intention für die Zukunft. Zum Realitätsgehalt der Vorwürfe Eusebs, Licinius habe die Christen des Ostens verfolgt, cf. die Anmerkungen 48, 57 und 61 in diesem Aufsatz. 45 Eus., h.e. X 8, 19. 46 Immerhin zeigt die eigentlich unkanonische Abordnung des Bischofs Eusebius von dessen Bischofsstadt Beirut an die kaiserliche Residenz in Nikomedien (cf. Alexander von Alexandrien: „Rundschreiben an alle Bischöfe [scil. Urk, 4b, 4]“. in: H.C. Brennecke, / et al. (eds.), Athanasius Werke. Dritter Band. Erster Teil. Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites, Berlin 2007, 78), dass Licinius bis zuletzt versucht haben muss, „linientreue“ Christen in seinem Umfeld zu installieren und

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einer Bedrängung der Christen des Ostens durch Licinius um seiner übergeordneten Aussageintention willen zumindest aufgebauscht haben und dass er die Motive des Licinius bei solchen möglichen Maßnahmen unzutreffend wiedergegeben haben dürfte. Den militärischen Verlauf des Krieges übergeht Euseb im weiteren Gang seiner Darstellung, ihm kommt es nur auf das Endergebnis an und auf die theologische Deutung des Geschehens als eine gerechte Bestrafung des Christen- und Gotteshassers Licinius durch Gott bzw. durch Konstantin.47 So legitimiert er (religions)politisch den konstantinischen Krieg und den Sieg gegen Licinius und die Alleinherrschaft Konstantins im Römischen Reich seit 324. Die Historia ecclesiastica schließt deshalb mit den bekannten Sätzen: Da so alle Tyrannei beseitigt war, verblieb Konstantin und seinen Söhnen allein, fest und unangefochten, das Reich, das ihnen gehörte. Und diese tilgten zu allererst den Gotteshass aus dem Leben und zeigten, eingedenk des Guten, das sie von Gott erfahren, ihre Liebe zur Tugend und zu Gott und ihre Frömmigkeit und Dankbarkeit gegen die Gottheit durch Taten, die sie offen vor den Augen aller Menschen vollbrachten.48

Ein reichliches Jahrzehnt nach der Endredaktion der Historia ecclesiastica kommt Eusebius von Caesarea noch ein weiteres Mal auf die Liciniussache zu sprechen, und zwar in seinem Kaiserpanegyricus De vita Constantini. Dieser Text zeichnet nun ein völlig anderes, viel einseitigeres Liciniusbild. Von Gottes „Erweckung“ des Licinius zum Befreier der Christen vom Tyrannen Maximin Daja ist nun keine Rede mehr. Die positiven, anerkennenden Beurteilungen der Frühphase der Regierung des Licinius, wie wir sie bei Laktanz und bei Eusebius in der Kirchengeschichte noch fanden, fehlen nun. Der Grund dafür ist ein doppelter: Erstens ließen die Vorgaben der Gattung Lobrede keinen Raum für Differenzierungen; Eusebs Panegyricus folgt der konstantinschen Propaganda und ist Bestandteil derselben.49 Und zweitens

eine ihm loyale Kirche in seinem Reichsteil zu behalten. – Zu den weiteren Vorwürfen und der Frage nach ihrem Realitätsgehalt cf. auch die Anmerkungen 57 und 61 in diesem Aufsatz. 47 Eus., h.e. X 9, 5: „Was Licinius bei den früheren gottlosen Tyrannen mit eigenen Augen geschaut, das erlitt er nun in gleicher Weise selber. Da er […] wie jene den Weg der Gottlosigkeit wandelte, wurde er mit Recht gleich ihnen in den Abgrund gestürzt.“ – Von der Hinrichtung des Licinius ist nicht ausdrücklich die Rede, die Formulierungen scheinen sein Ende aber vorauszusetzen. 48 Eus., h.e. X 9, 9. 49 Cf. hierzu u. a. die Einleitungen in die Ausgaben: Eusebius von Caesarea: De vita Constantini. Über das Leben des Kaisers Konstantin, eingeleitet von Bleckmann, Bruno und übersetzt von Schneider, Horst (FC 83), Turnhout 2007; Eusebius of Caesarea: Life of Constantine, ed. Cameron, Averil, Oxford 1999.

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ist De vita Constantini zeitlich deutlich nach der Schlussredaktion der Historia ecclesiastica entstanden: Was in letzterem Text in Reaktion auf jüngste Ereignisse schnell zu Lasten des Licinius redaktionell an- und eingefügt worden war und was dort aus früheren Redaktionsstufen zugunsten des Licinius noch stehen geblieben war, erscheint nun, im Jahre 337/338, vollständig unter dem Blickwinkel der Rückschau auf die Ereignisse, die nun einmal mit der Niederlage und Vernichtung des Licinius geendet hatten. Für einen Licinius als einstigen Retter und Rächer der Christen boten das literarische Genre der Lobrede auf Konstantin und das historische Umfeld der Jahre 337/338 schlicht keinen Platz mehr. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass der Bürgerkrieg zwischen Licinius und Maximin Daja in De vita Constantini faktisch unerwähnt bleibt. Obwohl das Ende des Maximin Daja thematisiert, als „gerechte(s) Urteil Gottes“50 gedeutet und in geradezu laktanzscher Manier weidlich ausgeschmückt wird, erscheint Licinius in diesem Zusammenhang lediglich als eine Art Augenzeuge,51 der aus dem grausamen Ende des Maximin Daja nichts gelernt habe, obwohl er alle Möglichkeiten dazu hatte; stattdessen habe er sich „in dieselben Dinge verstrickt“.52 Die Mailänder Vereinbarung und ihre Durchsetzung im Osten durch Licinius bleiben in De vita Constantini unerwähnt. Die eheliche Verbindung zwischen Licinius und Konstantia ist nunmehr nur noch ein Zeichen des Wohlwollens Konstantins gegenüber Licinius, die Herrschaft des Licinius im Osten lediglich eine von Konstantin großzügig gewährte.53 All dies offensichtliche Wohlwollen Konstantins wird von Licinius aber undankbar und heimtückisch missbraucht. Diesem Muster folgend geht Euseb, unmittelbar nach der Darstellung des Sieges Konstantins über Maxentius, dazu über,54 schon für die Jahre 315/316 eine „Unterdrückung der Provinzen im Osten“55 durch Licinius zu postulieren: Man meldete ihm [scil. Konstantin], dass ein gewaltiges Tier [scil. Licinius] dort sowohl die Kirche Gottes als auch die übrigen Provinzbewohner bedrohte, weil sich der böse Dämon […] darum bemühte, das Gegenteil von dem zu tun, was von dem Gottgeliebten [scil. Konstantin] getan wurde […]. Dunkelheit herrschte über die

50 Eus., v.C. I. 58, 3. – Die Übersetzung folgt hier und im Folgenden der zweisprachigen Fontes-Christiani-Ausgabe (wie Anm. 49). 51 Eus., v.C. II 1, 1. 52 Eus., v.C. I 59, 2. 53 Eus., v.C. I 50, 1. 54 Es folgen nur noch eine Schilderung der Wohltaten Konstantins gegenüber der Kirche im Westen und eine knappe Erwähnung der Decennalien im Jahre 315 (Eus., v.C. I 48). 55 Eus., v.C. I 48.

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Menschen, die den östlichen Teil erlangt hatten, weiterhin strahlendster Tag aber erleuchtete die Bewohner des anderen Teils.56

Licinius bleibt jetzt nur noch die Rolle des Christenverfolgers im Osten, der vom Retter der Christen im Westen, Konstantin, legitimerweise der Herrschaft beraubt wird, wodurch Konstantin wiederum auch der Retter der Christen im Osten wird. Deshalb erwähnt De vita Constantini gegenüber der Endfassung der Historia ecclesiastica auch noch zahlreichere und grausamere Verfolgungsmaßnahmen durch Licinius57 und diskreditiert ihn darüber hinaus auch noch stärker durch detaillierte Angaben zu angeblichen sexuellen Ausschweifungen.58 Wie am Ende der Historia ecclesiastica wird dann auch in De vita Constantini der Sieg gegen Licinius hymnisch gefeiert.59 Die beiden Schriften Eusebs sind aufschlussreich für die Entwicklung der Licinius betreffenden Historiographie in jenen Jahren: Während in den frühen Fassungen der Kirchengeschichte eine positive Sicht des Licinius erkennbar ist, die dann in der Schlussfassung der Kirchengeschichte gleichsam von den geschichtlichen Ereignissen überholt wird, was Eusebius als persönlichen Wandlungsprozess des Licinius von gut nach böse darstellt, stellt De vita Constantini ein reichliches Jahrzehnt später den Licinius völlig einseitig als gotthassenden Verfolger der Christen und aller Menschen dar, und von

6 Eus., v.C. I 49, 1. 5 57 In De vita Constantini werden die Maßnahmen des Licinius erstmals explizit „Christenverfolgung“ genannt, Eus., v.C. II 1, 1. – Cf. hierzu im Detail Bleckmann: Einleitung, in: Eusebius von Caesarea: De vita Constantini. Über das Leben Konstantins (wie Anm. 48), 67–75 (68 mit Anm. 338). Zu den Angaben in der Historia ecclesiastica treten in De vita Constantini noch hinzu: Das Verbot von Synoden (Eus., v.C. I 53, 1); Ausschluss von Frauen aus den Gemeindeversammlungen (Eus., v.C. I 53, 1); zwangsweise Verlegung von Gemeindeversammlungen nach außerhalb der Städte (Eus., v.C. I 53, 2). Die Vorwürfe sind hinsichtlich ihres Realitätsgehaltes nicht mehr nachzuprüfen; das Verbot von Synoden war möglicherweise keine grundsätzliche Maßnahme gegen die Kirche, sondern könnte ein Versuch des Licinius gewesen sein, den in seinem Reichsteil eskalierenden arianischen Streit in den Griff zu bekommen, zu den Fragen der Chronologie cf. H.C. Brennecke, / U. Heil, Bemerkungen zur Chronologie des arianischen Streits bis zum Tod des Arius, in: H.C. Brennecke, / et al. (eds.), Athanasius Werke. Dritter Band. Erster Teil. Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites, Berlin 2007, xix–xxxviii. 58 Eus., v.C. I 52; 55, 3. Vgl. aber schon Eus., h.e. X 8, 13. 59 Eus., v.C. II 19, 1f.; 21. – Freilich besteht der Unterschied, dass in der 337/338 entstandenen Schrift De vita Constantini von der Mitwirkung des 326 ermordeten Konstantinsohnes Krispus an Konstantins Herrschaft nicht mehr die Rede ist, anders als das noch in der im Jahre 325 fertiggestellten Historia ecclesiastica der Fall gewesen war.

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seinen in der Kirchengeschichte noch gerühmten früheren, in Eintracht mit Konstantin vollbrachten Taten zugunsten der Christen ist keine Rede mehr.

C.    An Eusebs Schilderungen in der Endfassung der Historia ecclesiastica und in De vita Constantini fällt sofort auf, dass das Bild des Christenverfolgers Licinius im Unterschied zu den meisten anderen „kanonischen“ Christenverfolgern nicht mit der Darstellung von Martyrien oder mit der Nennung von Märtyrern aus der Zeit des Licinius untermauert wird.60 Der Bischof von Caesarea scheint hierfür kein geeignetes Material zur Hand gehabt zu haben, das er hätte präsentieren können – etwas dunkel und ohne Nennung von Namen spricht er davon, dass „einige Bischöfe […] gleich Mördern bestraft“ und deren „Körper […] mit dem Schwerte in zahlreiche Stücke zerschnitten“ und sie „in die Tiefe des Meeres geworfen“ worden seien.61 Unabhängig von der Frage nach dem historischen Hintergrund dieser Berichte zeigt diese Darstellung Eusebs vor allem eines:  Eine stabile, vor allem eine namentliche Märtyrerüberlieferung fehlte, und zwar nicht nur im Jahre 325, sondern ebenso noch 337/338. Es liegt auf der Hand, dass die christliche Hagiographie schon bald, nachdem sich das Bild des Licinius als eines Verfolgers der Christen im kollektiven Gedächtnis des nun christlich werdenden Imperium Romanum festgesetzt hatte, an diesem Punkt nachliefern musste und dies auch tat. Es ist an dieser Stelle nicht erforderlich, das Material in seiner Gesamtheit zu würdigen. Ich greife nur das wichtigste Beispiel heraus, nämlich das Testament der vierzig Märtyrer von Sebaste.62 Dieser literarisch als testamentarische Verfügung stilisierte Text,63 welchem zufolge in der Zeit des Licinius64 vierzig Soldaten der „Blitz-und-Donner“ 60 Genau dasselbe Problem besteht übrigens im ausgehenden ersten Jahrhundert bei Kaiser Domitian, cf. Ulrich, 1996, 269–289. 61 Eus., h.e. X 8, 17. Dem entspricht Eus., v.C. II 2, 2. – Die Ereignisse lokalisiert Euseb in Amasia und den übrigen Städten des Pontus (h.e. X 8, 15; v.C. II 1, 1). Namen weiß er nicht zu nennen. Der Realitätsgehalt ist auch hier schwer überprüfbar. Es scheint sich, wenn überhaupt, um Einzelfälle gehandelt zu haben. Hochverratsprozesse gegen christliche Bischöfe, die als fünfte Kolonne Konstantins gegen Licinius agitiert haben könnten, sind im Vorfeld des zweiten Bürgerkrieges von 324 denkbar. 62 Eine zweisprachige griechisch-englische Ausgabe findet sich in: The Acts of the Christian Martyrs. Introduction, Text and Translations by Herbert Musurillo, Oxford 1972, 354–361. Der Text in griechischer, kirchenslavischer und syrischer Sprache überliefert, cf. Musurillo (w.o.), xlix–1. 63 Cf. W. Wischmeyer, Vierzig Märtyrer v.S., in: 3LThK 9 (2000), 360. 64 Die explizite Datierung in die Zeit des Licinius findet sich in der Kirchengeschichte des Sozomenus: Soz., h.e. IX 2, 1: „Eine Frau namens Eusebia, eine der

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-Legion XII fulminata bei Sebaste den Tod durch Aussetzen in eisiger Kälte gefunden hätten, ist schwer genauer zu datieren, und gleiches gilt für die Frage nach der Entstehung des diesem Text zugrunde liegenden Stoffes. Der erste sichere Beleg für seine Verwendung ist eine Predigt des Basilius von Caesarea (Caesarea in Kappadokien, das nicht allzu weit von Sebaste und damit vom Ort der Märtyrerverehrung entfernt lag). Die gesamte Predigt, die eher eine Märtyrerlobrede ist, ist den vierzig Märtyrern von Sebaste gewidmet.65 Die Darstellung des Basilius insinuiert, dass die vierzig Soldaten gezwungen werden sollten, von ihrem christlichen Glauben abzuschwören, was diese verweigerten.66 Trotz angedrohter Todesstrafe treten sie einzeln vor und bekennen:  „Ich bin Christ.“67 Basilius stellt sie also, auch was das Vorgehen der Verfolger und was den Ablauf des Rechtsverfahrens angeht, in direkte Kontinuität zu den Märtyrern der Zeit vor dem Galeriusedikt 31168 (und vor der Mailänder Vereinbarung). Wenn die Zuordnung des Stoffes zur Regierungszeit des Licinius bei Basilius von Caesarea schon festgestanden haben sollte, dann kann man sagen, dass der Prozess der Kanonisierung des Licinius als eines Christenverfolgers in der Zeit, in der diese Predigt gehalten wurde,69 vollständig abgeschlossen gewesen sein muss. Denn die Darstellung reiht Licinius entgegen dem historischen Befund hinsichtlich des Vorgehens und Verfahrens gegen bekennende Christen bruchlos in die Reihe der Verfolger von Nero bis zu Galerius ein. Häresie des Macedonius angehörende Diakonisse, besaß ein Landhaus und einen Park vor der Stadtmauer von Konstantinopel. Dort hütete sie heilige Reliquien der in Sebastia in Armenien zur Zeit des Licinius als Märtyrer umgebrachten vierzig Soldaten.“ – Die Übersetzung folgt der zweisprachigen Ausgabe in den Fontes Christiani:  Sozomenos:  Historia ecclesiastica. Kirchengeschichte. Übersetzt und eingeleitet von Hansen, Günther Christian (FC 73, 1–4), Turnhout 2004. 65 Bas., hom. 19 (PG 31, 508–525). 66 Bas., hom. 19, 3 (PG 31, 509–512). 67 Bas., hom. 19, 4 (PG 31, 512f.). hom. 19, 7 (PG 31, 520f.). 68 Die Rechtslage sah vor, dass wenn ein sich namentlich identifizierender Ankläger eine Person als Christ angezeigte und diese sich als Christ bekannte, die Todesstrafe verhängt wurde. Strafrelevanter Tatbestand war das nomen ipsum. Dies wurde erst durch das Galeriusedikt von 311 aufgehoben, welches, wie wir sahen, niemand anders Licinius, basierend auf der Mailänder Vereinbarung im Osten promulgiert hatte. – Cf. zum Ganzen F. Vittinghoff, „Christianus sum“. Das „Verbrechen“ von Außenseitern in der römischen Gesellschaft, in: Historia 33 (1984), 331–357, sowie J. Engberg, Impulsore Chresto. Oppositon to Christianity in the Roman Empire c.50–250 AD, ECCA 2, Frankfurt 2007. 69 Die Predigten dürften in die Bischofszeit des Basilius gehören, also in die Jahre zwischen 370 und 379. Cf. A.F. Ritter, Basilius von Caesarea, in:  4RGG 1 (1998), 1154f.

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Basilius’ Predigt setzt einen existierenden und offenbar florierenden Märtyrerkult um die vierzig Soldaten von Sebaste voraus70 und etabliert diesen nicht erst. Gleiches zeigt sich unter anderem auch bei Gregor von Nyssa, von dem zwei Panegyrici auf dieselben vierzig Märtyrer überliefert sind.71 Aber diese Spur kann im Rahmen dieses Beitrages nicht weiter verfolgt werden.

III.    Der kleine Erkundungsgang durch die einschlägigen Quellen der Licinius betreffenden christlichen Apologetik und Historiographie hat den Weg des Licinius vom Christenretter und -rächer bis hin zum Christenverfolger in der christlichen Literaturgeschichte aufgezeigt. Der Weg des Licinius, der ihn nach seinem Sieg über Maximin Daja auf den Höhepunkt der Macht einer gemeinsamen, nach West und Ost aufgeteilten Regierung mit Konstantin und von dort aus in zwei schweren Bürgerkriegen gegen Konstantin am Ende ins Verderben führte, wird von den christlichen Darstellungen der Ereignisse ganz auf die Frage nach dem Verhältnis des Licinius zur Kirche (und zu Konstantin) hin gedeutet. Bis 313/314/315 machte man ihn aufgrund seines erfolgreichen Kampfes gegen Maximin Daja zum Retter und Rächer der Christen des Ostens, zu dem er 313 vielleicht faktisch wurde, als der er sich seiner eigenen Motivlage nach aber wohl nie verstand. Und in Zuge der sich zuspitzenden Auseinandersetzung mit Konstantin seit dem bellum Cibalense macht man ihn zum Christenverfolger, als der er sich ebenfalls nie verstand, selbst wenn er in den letzten Jahren seiner Regierung einzelne verzweifelte Maßnahmen gegen ihm als konstantintreu verdächtige Christen ergriffen haben mag. Die christlichen Quellen aber fragen nicht nach den Motiven des Licinius und nicht nach seinen wahren politischen Interessen, sondern sie stellen politische Legitimierungen bereit, zunächst die Legitimierung des Licinius gemeinsam mit Konstantin, dann die des Konstantin gegen Licinius. Dabei stellen sie die Entwicklung ganz auf das Verhältnis beider zum Christentum ab, das bei Konstantin zumindest keine primäre und das bei Licinius vermutlich eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Indem sie das tun, stellen sie die Politik im römischen Reich im Wesentlichen als Religionspolitik bzw. Christentumspolitik dar, und die Ergebnisse dieser Politik erschienen als Siege Gottes bzw. der von ihm „erweckten“ Kaiser gegen die Feinde des Christentums. An diesen Siegen im Namen Gottes hatte Licinius bis zum Vorabend des ersten Bürgerkrieges Anteil, ehe sich dann das politische und militärische Glück gegen ihn wendete – und er in der christlichen Geschichtsschreibung zum Verfolger der Christen werden musste. Das Bild 0 Bas., hom. 19, 8 (PG 31, 521–525). 7 71 Cf. PG 46, 749–772 sowie 773–788.

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des Licinius als des einstigen Retters und Rächers der Christen verblasste daraufhin schnell. Eusebs Endredaktion der Historia ecclesiastica zeigt, dass es schon 325 kaum mehr tragfähig war. Ein gutes Jahrzehnt später ist es ganz verschwunden. Das Bild des Christenverfolgers Licinius aber hat sich über Jahrhunderte hinweg gehalten  – eben durch die eingangs angesprochene Kanonisierung von Verfolgerkaisern in der christlichen Tradition. An diesem Bild hat erst die kritische Kirchenhistoriographie der Patristik und der Altertumswissenschaft des 19. und 20.  Jahrhunderts Anfragen gestellt und die Vorstellung von Licinius als eines Christenverfolgers als Produkt altkirchlicher Tendenzgeschichtsschreibung entlarvt.72 Mittlerweile hat sich daher im wissenschaftlichen Diskurs ein differenziertes Bild durchgesetzt:73 Die spätantiken christlichen Quellen zu Licinius sind nicht als sachgetreue Berichte anzusprechen, sondern als historiographische Propagandaleistungen ersten Ranges. Als solche aber verdienen sie, wie ich zu zeigen versucht habe, Interesse, Respekt und Beachtung.

72 Einsetzend mit der Arbeit von F. Görres, Kritische Untersuchungen über die Licinianische Christenverfolgung: ein Beitrag zur Kritik der Märtyreracten, Jena 1875. Cf. auch die Dissertation von Feld, 1960. 73 Ich verweise nochmals auf den in Anm. 6 genannten RAC-Artikel von Bleckmann, 2010.

Verzeichnis der Erstpublikationen Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius, zuerst erschienen in: ZKG 105 (1994), 143–155.   Euseb, HistEccl III,14-20 und die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian, zuerst erschienen in: ZNW 89 (1996), 269–289.   Nicaea and the West, zuerst erschienen in: VigChr 51 (1997), 10–24.   Wallfahrt und Wallfahrtskritik bei Gregor von Nyssa, zuerst erschienen in: ZAC 3 (1999), 87–96.   Euseb und die Juden: Der origeneische Hintergrund, zuerst erschienen in: W. Bienert u. a. (eds.), Origeniana Septima III, Leuven 1999, 134–140.   Vision bei Hildegard von Bingen. Beobachtungen zur Vita Gottfrieds und Theoderichs und zu den Visionsschriften Hildegards, zuerst erschienen in: KuD 47 (2001), 14–29.   Konstantin der Große und die Frage nach den Vätern des Konzils von Nizäa, zuerst erschienen in:  J. Arnold u.  a. (eds.), Väter der Kirche. Ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit. FS Hermann Josef Sieben, Paderborn 2004, 149–165.   Innovative Apologetik. Beobachtungen zur Originalität Justins am Beispiel seiner Lehre vom Logos spermatikos und anderer Befunde, zuerst erschienen in: ThLZ 130 (2005), 3–16.   Das Glaubensbekenntnis der Katharer von Lombers (1165), zuerst erschienen in:  Gudrun Litz u.  a. (eds.), Frömmigkeit  – Theologie  – Frömmigkeitstheologie. FS Berndt Hamm, Leiden 2005, 17–29.   Clemens Alexandrinus’ Quis dives salvetur als Paradigma für die Beurteilung von Reichtum und Geld in der Alten Kirche, zuerst erschienen in: M. Ebner (ed.), Gott und Geld, JBTH 21, Neukirchen 2006, 213–238.  

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Verzeichnis der Erstpublikationen

Politische Eschatologie bei Eusebius von Caesarea?, zuerst erschienen in:  F. Schweitzer (ed.), Religion, Politik und Gewalt, VWGTh 29, Gütersloh 2006, 548–560.   Angstmacherei. Beobachtungen zu einem polemischen Einwand gegen das frühe Christentum und zur Auseinandersetzung mit ihm in der apologetischen Literatur, zuerst erschienen in: F. Prostmeier (ed.), Frühchristentum und Kultur, KfA.E 2, Freiburg 2007, 111–126.   The Reception of Greek Christian Apologetics in Theodoretus’ Graecarum affectionum curatio, zuerst erschienen in: J. Ulrich / A.-C. Jacobsen / M. Kahlos (eds.), Continuity and Discontinuity in Early Christian Apologetics, ECCA 5, Frankfurt 2009, 113–130.   Widersprüchlichkeit und Kohärenz. Beobachtungen zu einem Argument der Polemik und Apologetik im zweiten Jahrhundert, zuerst erschienen in: F. Prostmeier / H. Lona (eds.), Logos der Vernunft – Logos des Glaubens. Edgar Früchtel zum 80. Geburtstag, Millenium-Studien 31, Berlin 2010, 53–75.   Dimensions and Developments of Early Christian Historiography, zuerst erschienen in: J. Ulrich / A.-C. Jacobsen / D. Brakke (eds.), Invention, Rewriting, Usurpation. Discursive Fights over Religious Traditions in Antiquity, ECCA 11, Frankfurt 2012, 161–177.   Die Begegnung von Christen und Heiden im zweiten (und dritten) Jahrhundert, zuerst erschienen in:  C.K. Rothschild / J.  Schröter (eds.), The Rise and Expansion of Christianity in the First Three Centuries C.E., WUNT 301, Tübingen 2013, 457–485.   Dionysius of Alexandria in Exile: Evidence from His Letter to Germanus (Eus., h.e. 7.11), zuerst erschienen in: J. Hillner / J. Ulrich / J. Engberg (eds.), Clerical Exile in Late Antiquity, ECCA 17, Frankfurt 2016, 115–128.   Vom Rächer der Christen zum Christenverfolger. Kaiser Licinius in der spätantiken christlichen Literatur, zuerst erschienen in: J. Dierken / D. Evers (eds.), Religion und Politik. Historische und aktuelle Konstellationen eines spannungsvollen Geflechts, Frankfurt 2016, 11–29.

Early Christianity in the Context of Antiquity Edited by Anders-Christian Jacobsen, Christine Shepardson, Peter Gemeinhardt The series ECCA (Early Christianity in the Context of Antiquity) seeks to publish monographs and edited volumes that take as their theme early Christianity and its connections with the religion(s) and culture(s) of antiquity and late antiquity. Special attention is given to the interactions between religion and culture, as well as to the influences that diverse religions and cults had on one another. Works published in ECCA extend chronologically from the second century B.C.E. to the fifth century C.E. and geographically across the expanse of the Roman empire and its immediate neighbors. Die Reihe ECCA (Early Christianity in the Context of Antiquity) zielt auf die Publikation von Monographien und Sammelbänden, die sich thematisch mit dem frühen Christentum und seinen Beziehungen zu Religion(en) und Kultur(en) der Antike und Spätantike befassen. Dabei gilt das besondere Augenmerk den Wechselwirkungen, die Religion und Kultur aufeinander ausüben, sowie den Einflüssen, die die verschiedenen Religionen und Kulte aufeinander hatten. Zeitlich erstrecken sich die in ECCA publizierten Arbeiten auf das 2. Jh. v. Chr. bis zum 5. Jh. n.Chr., geographisch auf den Raum des Imperium Romanum und seiner unmittelbaren Nachbarn. Vol.

1

David Brakke / Anders-Christian Jacobsen / Jörg Ulrich (eds.): Beyond Reception. Mutual Influences between Antique Religion, Judaism, and Early Christianity. 2006.

Vol.

2

Jakob Engberg: Impulsore Chresto. Opposition to Christianity in the Roman Empire c. 50-250 AD. 2007.

Vol.

3

Anders-Christian Jacobsen / Jörg Ulrich (eds./Hrsg.): Three Greek Apologists. Drei griechische Apologeten. Origen, Eusebius, and Athanasius. Origenes, Eusebius und Athanasius. 2007.

Vol.

4

Anders-Christian Jacobsen / Jörg Ulrich / David Brakke (eds.): Critique and Apologetics. Jews, Christians and Pagans in Antiquity. 2009.

Vol.

5

Jörg Ulrich / Anders-Christian Jacobsen / Maijastina Kahlos (eds.): Continuity and Discontinuity in Early Christian Apologetics. 2009.

Vol.

6

Blossom Stefaniw: Mind, Text, and Commentary. Noetic Exegesis in Origen of Alexandria, Didymus the Blind, and Evagrius Ponticus. 2010.

Vol.

7

Anna Tzvetkova-Glaser: Pentateuchauslegung bei Origenes und den frühen Rabbinen. 2010.

Vol.

8

Jakob Engberg / Uffe Holmsgaard Eriksen / Anders Klostergaard Petersen (eds.): Contextualising Early Christian Martyrdom. 2011.

Vol.

9

Marie Verdoner: Narrated Reality. The Historia ecclesiastica of Eusebius of Caesarea. 2011.

Vol. 10

Doris Sperber-Hartmann: Das Gebet als Aufstieg zu Gott. Untersuchungen zur Schrift de oratione des Evagrius Ponticus. 2011.

Vol. 11

Jörg Ulrich / Anders-Christian Jacobsen / David Brakke (eds.): Invention, Rewriting, Usurpation. Discurse Fights over Religious Traditions in Antiquity. 2012.

Vol. 12

Jan Dochhorn (ed.): “For it is Written”. Essays on the Function of Scripture in Early Judaism and Christianity. With the Assistance of Malte Rosenau. 2011.

Vol. 13

Finn Damgaard: Recasting Moses. The Memory of Moses in Biographical and Autobiographical Narratives in Ancient Judaism and 4th-Century Christianity. 2013.

Vol. 14

Nicole Hartmann: Martyrium. Variationen und Potenziale eines Diskurses im Zweiten Jahrhundert. 2013.

Vol. 15

Jakob Engberg / Anders-Christian Jacobsen / Jörg Ulrich (eds.): In Defence of Christianity. Early Christian Apologists. 2014.

Vol. 16

Birgitte Secher Bøgh (ed.): Conversion and Initiation in Antiquity. Shifting Identities – Creating Change. 2014.

Vol. 17

Julia Hillner / Jörg Ulrich / Jakob Engberg (eds.): Clerical Exile in Late Antiquity. 2016.

Vol. 18

Anna Usacheva: Knowledge, Language and Intellection from Origen to Gregory Nazianzen. A Selective Survey. 2017.

Vol. 19

Dirk Rohmann / Jörg Ulrich / Margarita Vallejo Girvés (eds.): Mobility and Exile at the End of Antiquity. 2018.

Vol. 20

Kyung-mee Jeon: The Rhetoric of the Pious Empire and the Rhetoric of Flight from the World. A Socio-Rhetorical Reading of the Life of Melania the Younger. 2018.

Vol. 21

Maria Louise Munkholt Christensen: Relating through Prayer. Identity Formation in Early Christianity. 2019.

Vol. 22

Tobias Georges (Hrsg.): Von Justin bis zu Hildegard von Bingen. Ausgewählte Aufsätze von Jörg Ulrich zur Geschichte und Theologie des Christentums in Antike und Mittelalter. 2020.

www.peterlang.com