Von der Würde des Staates zur Glaubwürdigkeit der Politik: Zu einem verfassungsrelevanten Legitimationsverständnis [1 ed.] 9783428462001, 9783428062003

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Von der Würde des Staates zur Glaubwürdigkeit der Politik: Zu einem verfassungsrelevanten Legitimationsverständnis [1 ed.]
 9783428462001, 9783428062003

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DIMITRIS TH. TSATSOS

Von der Würde des Staates zur Glaubwürdigkeit der Politik

Schriften zur

Rechtstheorie

Heft 123

Von der Würde des Staates zur Glaubwürdigkeit der Politik Zu einem verfassungsrelevanten Legitimationsverständnis

Von

Prof. Dr. Dimitris Th. Tsatsos o. Professor an der Fernuniversität Hagen und an der Pantios-Hochschule für Politische Wissenschaft Athen

D U N C K E R

& H U M B L O T

/

B E R L I N

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Tsatsos, Dimitris Th.: Von der Würde des Staates zur Glaubwürdigkeit der Politik : zu e. verfassungsrelevanten Legitimationsverständnis / von Dimitris Th. Tsatsos. - Berlin : Duncker und Humblot, 1987. (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 123) ISBN 3-428-06200-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1987 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hermann Hagedorn G m b H & Co, Berlin 46 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06200-0

Annie viel Geduld und einige gewidmet

Ungeduld

Vorwort Die Arbeit will die Frage nach der Legitimationskreativität der konkreten Politik als Prozeß der Verfassungsverwirklichung aufwerfen. Das Thema hat mich zunächst in drei Vortragsveranstaltungen beschäftigt. Ein erster Problemumriß war Inhalt des Festvortrages vom 26.10. 1985 anläßlich des „dies academicus" der Fernuniversität Hagen. Kritik und Selbstkritik führten zu einigen Ergänzungen und Vertiefungen, durch die eine neue Fassung entstanden ist, die ich als Gast der juristischen Fachbereiche der Universitäten Bremen (am 17.1 1985) und Hannover (am 28.4.1985) vorgetragen habe. Dort gab mir die Diskussion neue Anregungen, die zur weiteren Klärung meiner Konzeption beigetragen haben. Die vorliegende Schrift stützt sich auf jene Vorträge, stellt aber einen neuen Text dar, in dem noch auf Probleme eingegangen worden ist, die in dem engen zeitlichen Rahmen einer mündlichen Lehrveranstaltung ausgeklammert bleiben mußten. Dem Anliegen dieser Arbeit entspricht es, daß auf die inzwischen unübersichtlich gewordene Legitimationsliteratur nur punktuell eingegangen wird. Literaturhinweise beschränken sich daher auf Arbeiten, die einen unmittelbaren Bezug auf die hier herausgestellten Gedankengänge aufweisen. Bei der Fertigstellung der Druckvorlage hat mich mein wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fernuniversität Hagen, Dr. Martin Morlok, durch anregende kritische Hinweise unermüdlich unterstützt. Auch an dieser Stelle möchte ich ihm meinen Dank sagen. Für wertvolle Hilfe bei der Literaturzusammenstellung und beim Korrekturlesen möchte ich mich bei meinen Mitarbeitern Dr. Penelope Foundethakis, Andreas Hake, Rüdiger Schmidt und Uwe Stoklossa bedanken. Frau Monika Aust hat sich unermüdlich um die Herstellung der Druckvorlage bemüht. Auch ihr gilt mein Dank. Herrn Ernst Thamm und dem Verlag Duncker & Humblot danke ich sehr für die freundliche Aufnahme meiner Arbeit in das Verlagsprogramm. Skiathos, Januar 1987 Der Verfasser

Inhaltsverzeichnis

§ 1 Einleitende Fragestellung

11

§2 Terminologische Vorbemerkung

16

§ 3 Entwicklungsgeschichtliche Vorbemerkung

20

§4 Ausschließliche Staatsbezogenheit des Legitimationspostulats?

26

I. Das Legitimationsproblem im Wandel der Beziehung von Staat und Gesellschaft

26

II. Bestätigung durch das Grundgesetz

29

§ 5 Zur Theorie von der Würde des Staates

34

I. Fragestellung

34

II. Die Legitimationsuntauglichkeit der Staatswürde

35

§ 6 Legitimation durch Glaubwürdigkeit der konkreten Politik

37

I. Fragestellung II. Zum Bereich der konkreten Politik

37 38

III. Zum Glaubwürdigkeitsbegriff

41

IV. Operationalität durch Geschichtlichkeit

42

§ 7 Die Verfassungsrelevanz

46

I. Fragestellung

46

II. Zur Verfassungsrelevanz der konkreten Politik

46

10

Inhaltsverzeichnis III. Zur Verfassungsrelevanz des Glaubwürdigkeitsbegriffs

49

IV. Zum Glaubwürdigkeitserfordernis der Verfassungsinterpretation

53

§8 Schlußbemerkungen I. Folgerungen II. Legitimation und Integration III. Legitimation und Legalität

Namenregister

56 56 56 60

64

§ 1 Einleitende Fragestellung 1. Verfassungen haben in ihrem geschichtlichen Wandel die Funktion, im demokratischen Staat den rechtlichen Rahmen des politischen Prozesses abzustecken1. Sie stellen somit die Grundlage der Legalität dar. Kann sich aber eine demokratische Herrschaft in einem Gemeinwesen lediglich durch Einhaltung der Legalität durchsetzen? Welche Rolle spielt dabei die gesellschaftliche Akzeptanz der im Rahmen der Verfassung getroffenen politischen Entscheidungen? Die aktuelle Verbindung dieser Frage mit der sogenannten Regierbarkeitsproblematik eines modernen Staates zeigt das weite und wichtige Feld, in das uns das Akzeptanzproblem führt 2 . 2. J. J. Rousseau hat hierzu eine problemprägende Antwort gegeben: „Le plus fort n'est jamais assez fort pour être toujours le maître, s'il ne transforme sa force en droit et l'obéissance en devoir." 3 Damit ist die Anerkennungswürdigkeit einer politischen Ordnung angesprochen. Staat und Recht leben auf lange Sicht nicht aus sich selbst heraus. W. Naucke hat das prägnant formuliert, als er von der „Konsensorientierung des aktuellen Rechts" sprach: „Die unterschiedlichen Interessen einigen sich darüber, was positives Recht werden soll. Konsens wird zum Hauptgeltungsgrund des positiven Rechts. Die Akzeptanz des Rechts, die uns heute so leicht über die Lippen geht, tritt an die Stelle des Zwangs durch Recht." 4 Es geht um die Anerkennung solcher Eigenschaften, die die politische Ordnung als anerkennungswürdig erscheinen lassen5. 1 Zur rechtlichen und politischen Funktion der Verfassung vgl. statt vieler H.-P. Schneider, Die Funktion der Verfassung, in: D. Grimm (Hrsg.), Einführung in das öffentliche Recht, 1985, S. Iff. bes. S. 18ff. Vgl. ferner H. Vorländer, Verfassung und Konsens, 1981, S.2ff. 2

J. Heidorn, Legitimität und Regierbarkeit, 1982. J. J. Rousseau, D u contrat social, Libr. I, ch. III; ähnliche Positionen, u. a. auch bei G. Lukäcs, Legalität und Illegalität, in derselbe: Geschichte und Klassenbewußtsein, 1967, S. 261, bes. S. 266ff.; H.Gerber, Freiheit und Bindung der Staatsgewalt, 1932, S. 15; die Vertiefung dieses Gedankens verdanken wir Karl Marx und seinen Epigonen, die zwei Funktionen des bürgerlichen Staates, die der repressiven Gewalt und die der ideologischen Macht herausgearbeitet haben. Vgl. statt vieler L. Althusser, Idéologie et appareils idéologiques d'Etat, in: „ L a Pensée", Heft 151 (1970) und Ν. Poulantzas, L'Etat, le pouvoir, le socialisme, 1977, S. 31 ff. 3

4

W. Naucke, Versuch über den aktuellen Stil des Rechts (Schriften der HermannEhlers-Akademie, Nr. 19), 1986, S. 11. 5 Problem- und Literaturüberblick bei: Th. Würtenberger jun., Die Legitimität staatlicher Herrschaft, 1973; H.-J. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater? 1980, S. 17-72; H. Vorländer, aaO. (Anm. 1); N. Achterberg/ W.

12

§ 1 Einleitende Fragestellung

3. D i e Anerkennung politischer Entscheidungen u n d der damit verbundene Legitimationsprozeß vollzieht sich auf zwei Ebenen: a) D i e erste Ebene ist die der grundsätzlichen gesellschaftlich-politischen Ordnung, des „Systems" überhaupt. Die Befragung der politisch-gesellschaftlichen O r d n u n g a u f ihre grundsätzliche Ausrichtung h i n hat ihre Kriterien außerhalb des hier erfaßien Bereichs. D i e moderne Diskussion, wie sie i n den letzten Jahren — unter wesentlicher Prägung durch J. Habermas 6 — aufgebrochen ist, handelt v o n der Legitimation des „Systems" überhaupt, umfaßt ökonomische, politische u n d kulturelle Aspekte gleichermaßen 7 . I n der modernen Legitimationsdiskussion 8 geht es also meistens, wenn auch m i t vielen Nuancen u n d Differenzierungen, u m den weltgeschichtlichen Ideologiekonflikt

Krawietz (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates, ARSP, Beiheft Nr. 15, 1981; J. Heidorn, aaO. (Anm. 2); H.-P. Schneider, Alternativbewegungen und Legitimationsprobleme der Demokratie, in: v. Gessnerj W. Hassemer (Hrsg.), Gegenkultur und Recht, 1985, S. 107ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre (Politikwissenschaft), 9. Aufl., 1985, S. 110 ff. (§ 16); U. Scheuner, Die Legitimationsgrundlage des modernen Staates, in: N. Achterberg ! W. Krawietz, aaO., S. 1 ff.; W. Maihof er, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, ebd. S. 15ff.; W. v. Simson, Zur Theorie der Legitimität, in: Festschrift für Karl Löwenstein zum 80. Geburtstag, 1971, S. 459-473. 6

J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973, bes. S. 96ff., 131 ff.; derselbe, Theorie des kommunikativen Handelns, 1981, Bd. 2,z.B. S. 279 ff., 470 ff., 527 ff. Umfassende Darstellung der Theorie von J. Habermas bei J. Heidorn, aaO. (Anm. 2), S. 121 ff. 7 Auf dieser Ebene bleibt die Diskussion auch in Frankreich. Vgl. selektiv: B. Chantebout, De l'Etat, 1975 S. 49 ff. („La légitimation de l'Etat"); J. Riverò, Consensus et légitimité, in: „Pouvoirs", Bd. 5 („Le consensus") 1978, S. 57 ff.; R. Polin, Analyse philosophique de l'idée de légitimité, in: Annales de philosophie politique, Heft 7, 1967 („L'Idée de Légitimité"), S. 17ff.; F. Gastberg, Contribution à l'étude de la légitimité dans ses rapports avec la légalité, in: Annales, ebd. S. 43 ff.; Ν. Bobbio, Sur la principe de légitimité, in: Annales, ebd. S. 47ff.; C. Eisenmann, Sur la légitimité juridique des gouvernements, in: Annales, ebd. S. 97ff. Soviel mir bekannt, bildet hierzu M. Duverger eine Ausnahme, denn sein Legitimationsverständnis reicht bis hin auf die Ebene der Personifizierung der Macht. Darüber aber unten, §2 (Anm. 18). Eine kritische Problemdarstellung in deutscher Sprache bei M. Miaille, Der Begriff der Legitimität im französischen Verfassungsrecht, in: W. Abendroth/Th. BlankejU. K. Preuss u.a., Ordnungsmacht? — Über das Verhältnis von Legalität, Konsens und Herrschaft, hrsg. von D. Dieseroth, Fr. Hase und K. H. Ladeur, 1981, S. 264-296. 8

Einen informativen Überblick verschaffen die Beiträge in P. Graf Kielmansegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme, PVS, Sonderheft 7 (1976), besonders die Beiträge von J. Habermas (S. 39 ff.), O. Rammstedt (S. 108 ff.), W. Hennis (S. 9 ff.) und C. Zirndt (S.62ff). Ebenso die Beiträge in N. Achterberg\W. Krawietz (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates, ARSP Beiheft 15(1981)von U. Scheuner(S. 1ff.), W. Maihof er (S. 15ff), H. Lübbe( S. 40ff), N. Luhmann (S. 65ff), R. Zippelius 64ff.)und den Diskussionsbericht von D. Wyduckel (S. 65 ff.). Siehe weiter C. Offe, Überlegungen und Hypothesen zum Problem politischer Legitimation, in: R. Ebbinghausen (Hrsg.): Bürgerlicher Staat und politische Legitimation, 1976, S. 88 ff. Siehe weiter W. Fach /U. Degen, Politische Legitimität, 1978; P. Graf Kielmansegg, Legitimität als analytische Kategorie, PVS 12 (1971), S. 373ff.

§ 1 Einleitende Fragestellung

zwischen den beiden Gesellschaftssystemen des Kapitalismus und des Sozialismus. Wie zu Recht bemerkt worden ist, stellt die Theorie von / . Habermas eher eine kritische Theorie der Gesellschaft als eine Legitimationstheorie dar 9 . Von daher ist das Schlagwort von der Legitimationskrise zu verstehen 10: Es geht um die grundsätzliche Infragestellung der bürgerlichen Demokratie. U m diese Frage geht es dem Verfasser dieser Schrift aber nicht. b) Die hier angesprochene Problematik liegt auf einer zweiten Ebene, nämlich auf der Ebene einer systemimmanenten Befragung. Es wird dabei nicht übersehen, daß die Diskussion über die (tatsächliche oder angebliche) Legitimationskrise prägende Auswirkungen auf unsere demokratische, sozialstaatliche und rechtsstaatliche Ordnung hat. Auch deshalb bleibt der weltgeschichtliche Ideologiekonflikt ein maßgeblicher Ausgangspunkt für die Behandlung der Legitimationsproblematik. Wo wäre die Staats- und Verfassungstheorie ohne jenen Konflikt geblieben? Was wäre aber aus ihr geworden, wenn man bei ihm stehengeblieben wäre? Bis auf weiteres leben die Bürger, auch diejenigen, die meinen, der bürgerlichen Demokratie die Anerkennungswürdigkeit absprechen zu müssen, in und von diesem System. Deshalb gilt unsere Aufmerksamkeit dem systemimmanenten Legitimationsprozeß, deshalb setzen wir beim wissenschaftlichen Bemühen um diese Legitimationsvorgänge auch beim konkreten Bürger an, gleich, wie er zum System steht. 4. Auch die systemimmanente Befragung einer politischen Ordnung nach ihrer Anerkennungswürdigkeit bedarf einer weiteren Nuancierung. a) Die Befragung kann sich einmal an die konkrete Ausgestaltung der verfassungsgesetzlichen und der einfachgesetzlichen institutionellen Strukturen richten. Einem unter diesem Leitinteresse festgestellten Legitimationsdefizit will man durch verfassungsgesetzliche oder einfachgesetzliche „Korrekturen" begegnen. Legitimationsschädliche Vorschriften sollen durch bessere ersetzt werden. Zu dieser Art des Nachdenkens, die gegebenenfalls zu Novellierungen führt, gehört etwa die Diskussion über die Krise des repräsentativen Parteienstaats, der Ruf nach anderen und weiteren Formen der Partizipation 11 und das 9

Vgl. R. Steininger, Thesen zur formalen Legitimität, in: PVS, Bd. 21 (1980), S. 267 ff. Siehe dazu m. w. N. die Referate auf der Staatsrechtslehrertagung 1985 zum Thema „Parteienstaatlichkeit — Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaats?", von M. Stolleis, S. 7ff., H. Schäffer, S. 46ff. und R. A. Rhinow, S. 83ff., in: VVDStRL 44 (1986); siehe auch den vorbereitenden Aufsatz von Κ. M. Meessen, Parteienstaatlichkeit — Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaats?, NJW 1985, S. 2289 ff.; R. Scholz, Krise der parteienstaatlichen Demokratie?, 1983. 10

11 Vgl. oben Anm. 9. Umfassend über Formen und Probleme der Partizipation in verschiedenen Bereichen informiert (auch durch eine umfangreiche Bibliographie) U. v. Alemann (Hrsg.), Partizipation — Demokratisierung — Mitbestimmung, 2. Aufl. 1978. Zu den „Funktionen der Beteiligung bei öffentlicher Planung" siehe R. Mayntz, in: Demokratie und Verwaltung, 1972, S. 342ff.; für das Bauplanungsrecht: U. Battis,

14

§ 1 Einleitende Fragestellung

Verlangen nach A u f w e r t u n g der parlamentarischen Effektivität, etwa durch eine Reform der Stellung des Abgeordneten 1 2 . Solchen Legitimationsdefiziten, die Disfunktionalitäten verursachen, k a n n durch Verfassungsänderungen oder sogar einfachgesetzliche „ K o r r e k t u r e n " der institutionellen Strukturen begegnet w e r d e n 1 3 . A u c h diese A r t der Befragung einer politischen O r d n u n g liegt außerhalb der hier angestrebten Annäherung an die Problematik der Anerkennungswürdigkeit. b) I m Vordergrund der hier angestellten Überlegungen steht das durch die Verfassung geordnete Gemeinwesen, die verfaßte politische u n d gesellschaftliche Ordnung, aber nicht abstrakt u n d grundsätzlich, sondern in ihrer konkreten Funktion, der Prozeß ihrer alltäglichen Verwirklichung. A u c h — u n d wie zu zeigen sein wird: gerade — a u f dieser Ebene stellt sich das Problem der Legitimation m i t unmittelbarer Virulenz. Einige Aspekte dieser Problematik zu zeigen, ist das Ziel der vorliegenden Ausführungen; sie beschränken sich auf folgende spezielle Fragen: aa) I m Sprachgebrauch sind zwei Begriffe: „Legitimität" und „Legitimation". Wie diese beiden Begriffe zu verstehen sind, ist umstritten. I n einer ersten Vorbemerkung w i r d zu diesem Streit kurz Stellung genommen (unter § 2).

Partizipation im Städtebaurecht, 1976; für die juristische Diskussion zuletzt W. SchmittGlaeser, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: P. Lerche \W. Schmitt-Glaeser / E. Schmidt-Assmann, Verfahren als staatsund verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 ff. 12 Siehe hierzu den Bericht der ad hoc-Kommission Parlamentsreform. BT-Drucksache 10/3600 und die parlamentarische Beratung dieser Drucksache BT-Plenarprotokoll 10/14603 ff.; siehe auch die Ergebnisse einer diesbezüglichen Befragung der Bundestagsabgeordneten, Das Parlament vom 9. 2. 1985, S. 15. Siehe weiter H. Hamm-Brücher, Die Krise des Parlamentarismus und die Chance zu ihrer Überwindung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitschrift „Das Parlament", 6/85, S. 3 ff. 13

Auf dieser Ebene befragt der prominenteste griechische Staatsrechtslehrer und Begründer der modernen griechischen Verfassungsrechtswissenschaft Aristovoulos Manessis die gegenwärtige griechische politische Ordnung nach ihrer Legitimationskreativität. Seine These von der Krise des repräsentativen Systems richtet sich auch—man könnte sogar sagen vor allem — gegen die neue, durch die Verfassungsrevision von 1986 eingeführte Strukturierung des politischen Willensbildungsprozesses und läuft auf die Befürchtung hinaus, die Machtkonzentration auf das Amt (und die Person) des Ministerpräsidenten sei mit einem starken Legitimationsdefizit behaftet. Dieses Legitimationsdefizit begründet A. Manessis unter Hinweis auf folgende Gegebenheiten: a) Die Abschaffung von wichtigen Befugnissen des Staatspräsidenten ließe die Ebene der Exekutive ohne ein kontrollierendes Gegengewicht, b) Partei, Fraktion und Kabinett seien Bereiche, wo die Macht des Partei-, Fraktions- und Kabinettschefs praktisch uneingeschränkt sei. Gegen diese uneingeschränkte Macht gebe es keine verfassungsrechtliche Vorkehrung; damit fehle es auf verfassungsstruktureller Ebene an den demokratisch notwendigen „Checks and Balances". Vgl. seine vor allem in Frankreich und Griechenland vielbeachtete und vieldiskutierte Abhandlung: „L'évolution des institutions politiques de la Grèce: à la récherche d'une légitimation difficile", in: „Temps modernes", Dezember 1985 (Heft Nr. 473), S. 772ff., bes. S. 805 ff.

§ 1 Einleitende Fragestellung

bb) Das Legitimationsproblem ist so alt wie das Phänomen organisierter Herrschaft. Aus der umfassenden entwicklungsgeschichtlichen Problematik soll hier nur ein Aspekt kurz angesprochen werden: die Frage, seit wann bzw. in welcher Phase seiner Entwicklung das Legitimationsproblem die gegenwärtige Gestalt gefunden hat, in der wir es diskutieren und in der es heute relevant ist (dazu unter § 3). cc) In einem nächsten Schritt soll auf den Bezugspunkt der Anerkennung eingegangen werden, d.h. auf das Subjekt, für das Anerkennungswürdigkeit beansprucht wird. Hierbei ist zu fragen: Geht es nur um die Legitimationsbemühung des Staates? Ist das Legitimationsproblem ausschließlich auf den Staat bezogen? (unter § 4). Eine weitere Vertiefung dieses Problems soll durch eine kritische Auseinandersetzung mit der These erreicht werden, die Würde des Staates gehöre zu den Staatszielen des Grundgesetzes und könne als eine Quelle der Legitimation angesehen werden (unter § 5). dd) Legitimation erfolgt durch die Glaubwürdigkeit der konkreten Politik. So lautet die Hauptthese. Sie wird (unter § 6) präsentiert und sodann auf ihre Operationalität hin befragt. ee) Das empirische Legitimationsverständnis könnte auch eine normative Verwurzelung im Grundgesetz finden. Nach einer solchen Verfassungsrelevanz des vorgeschlagenen Legitimationsverständnisses wird unter § 7 gefragt. ff) In zwei Schlußbemerkungen versuche ich meine These in zwei Richtungen zu verdeutlichen: Erstens bemühe ich mich, den Bezug meiner Überlegungen zur Integrationstheorie von R. Smend zu zeigen. Zweitens greife ich auf den Konflikt zwischen C. Schmitt und O. Kirchheimer aus dem Jahre 1932 zurück und weise auf die Fragwürdigkeit der Versuche hin, jenen Konflikt in ein Instrument heutiger ideologischer Polemik umzuwandeln (unter § 8).

§ 2 Terminologische Vorbemerkung 1. Die Legitimationsfrage läßt sich gut aus einem historischen Ansatz heraus begreifen. Einige Bemühungen um diesen Ansatz — sie werden gleich erörtert 14 — haben aber gezeigt, daß zwei terminologische Fragen die wissenschaftliche Kommunikation über diesen Gegenstand stören können, wenn sie nicht im voraus geklärt werden. Erstens geht es um die Option für das Wort „Legitimation", gerade in seinem inhaltlichen Unterschied zur „Legitimität" (unter 2.). Zweitens stellt sich die Frage, ob in der historischen Entwicklung mit demselben Begriff auch immer derselbe Sachverhalt bezeichnet worden ist (unter 3.). 2. Der Streit, ob man von „Legitimität" oder „Legitimation" sprechen soll, ist bekannt. Legitimität bedeutet die erreichte Anerkennungswürdigkeit der politischen Herrschaft. Legitimation hingegen ist der Prozeß, der auf jene Anerkennungswürdigkeit abzielt 15. Im Gegensatz zur Legalität, die in der feststellbaren und, jedenfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt konstanten Übereinstimmung einer Handlung mit dem gesetzten Recht besteht, kann es keine erreichte und konstante Legitimität geben, sondern nur einen Prozeß der Legitimation 16 . Die Beziehung von politischer Herrschaft und regierter Gesellschaft ist per se historisch und dialektisch und befindet sich somit ständig im Wandel. Es entstehen immer neue Bedingungen für die Anerkennungswürdigkeit politischer Herrschaft. Die These von W. Hennis, ein solches Verständnis der Legitimität als ständiger Legitimationsprozeß sei nur dann richtig, „wenn man anzugeben weiß, was am Ende des Vorganges steht" 1 7 , verzerrt m.E. die Fragestellung. Das Wissen vom Ende eines geschichtlichen Prozesses setzt das Abgeschlossensein des Vorgangs voraus. Geschichtliche Vorgänge aber sind entweder nur relativ und somit nie ganz abgeschlossen, oder sie sind keine geschichtlichen Vorgänge. Dieses resultative Denken, das W. Hennis hier durch seine terminologische Option an den Tag legt, läßt unberücksichtigt, daß die Fähigkeit der politischen Herrschaft, Anerkennungswürdigkeit zu bewirken, täglich erkämpft werden muß. Wie M. Kriele zutreffend sagt: „Legitimationspro-

14

Vgl. unten, § 3. Vgl. W. Hennis, aaO. (Anm. 8), S. 12; J. Habermas; aaO. (Anm. 8), S. 39. Umfassend zur Begriffsentwicklung Th. Würtenberger, aaO. (Anm. 5), bes. S. 241 ff. 16 Vgl. J. Habermas, aaO. (Anm. 8), S. 39. 17 Vgl. W . Hennis, aaO. (Anm. 8), S. 12. 15

§ 2 Terminologische Vorbemerkung

17

bleme entstehen, wenn daran Zweifel auftauchen." 18 Permanenter Zweifel aber ist und bleibt allen politischen Prozessen immanent. 3. Bis zur eben angesprochenen Auseinandersetzung war das Wort „Legitimität" im Sprachgebrauch fast einheitlich. Es wurde im Laufe der geschichtlichen Entwicklung allerdings zur Kennzeichnung unterschiedlicher Sachverhalte verwendet. Drei Momente sind für jene Entwicklung festzuhalten: a) Der Begriff— damals war nur der Terminus „Legitimität" im Gebrauch— findet sich schon im Mittelalter. Die monarchische Legitimität ist begreifbar aus dem Staatsbegriff des Mittelalters, „aus seiner Stellung im Kosmos der göttlichen Ordnung" als eine „dem Menschen vorgegebene Einrichtung" 19 . In bezug auf die Rechtfertigung von Herrschaft brachte der Begriff der Legitimität den Inbegriff der gottgesetzlichen Ordnung zum Ausdruck, die davon untrennbar zugleich auch als eine gerechte Ordnung galt 2 0 . Diese ursprüngliche Einheit von Herrschaft und Gerechtigkeit bot erst später, als weltliche und kirchliche Macht auseinandertraten, den Ansatzpunkt für eine Kritik an ungerechter Herrschaft. M i t „Legitimität" hat man somit der monarchischen Willkür Grenzen zu setzen versucht und gegen die Überschreitung jener Grenzen ein Widerstandsrecht begründet 21 . b) Andere Akzente erlangt der Legitimitätsbegriff in der verfassungstheoretischen Diskussion dann mit dem Wiener Kongreß. Die Formel von der

18 Vgl. M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 1981, S. 19ff.; J.Habermas, aaO. (Anm. 8), S. 39; ferner M. Duverger, Institutions politiques et personnalisation du pouvoir, in: „La personnalisation du pouvoir", hrsg. von L. Hamon und A. Mabileau (Publications du centre d'Etudes des Relations Politiques), Paris 1964, S. 423 ff., bes. S. 427. Die Legitimationsfrage wird als Folge des gesellschaftlichen Konfliktes auch von S. M. Lipset gesehen. Vgl.: Social Conflict, Legitimacy and Democracy, in: Legitimacy and the state, edited by W. Connolly, New York 1984, S. 93. 19 U. Schemer, aaO. (Anm. 5), S. 10. 20 Klassisch für die Konzeption der gottgesetzlichen Ordnung Augustinus, De civitate Dei, IV, 4. Zur Verbindung mit der „Gerechtigkeit" vgl. etwa A.-P. D'Entrèves, Légalité et Légitimité, in: Annales (Anm. 7), S. 29. 21 Die notierte Bedeutungsverkehrung von „Legitimität" findet sich auch bei anderen Begriffen der politischen Theorie. So bei dem der „Repräsentation" und dem der „Öffentlichkeit". Beide waren ursprünglich eine Art Statusmerkmal der Herrschenden. Die (legitime) Gewalt wurde durch den „repräsentativen" Auftritt—mit den Insignien der Macht! — dargestellt, genauer gesagt, gelebt, nicht lediglich vorgeführt. Hier dürften auch historische Ursprünge des traditionellen Würdebegriffs für die staatliche Herrschaft liegen. (Siehe zum Ganzen J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 4. Aufl. 1969, S. 16 ff.). Im Gegensatz dazu meint die moderne Vorstellung von Repräsentation die wie auch immer geartete Abhängigkeit der Repräsentanten von den Repräsentierten, die (Interessen)Vertretung der Repräsentierten durch die Repräsentanten. Repräsentiert wird nicht mehr die Herrschaft selbst, sondern repräsentiert werden die Beherrschten. Entsprechend hat der bürgerliche Begriff der Öffentlichkeit nichts mehr vom prunkhaften Auftritt der Kirche oder des Fürsten vor dem einfachen Volk an sich, sondern meint die kritische Kontrolle der zum politischen Publikum versammelten Bürger.

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Tsatsos

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§ 2 Terminologische Vorbemerkung

Legitimität diente zur Abwehr (revolutionärer) Veränderungsansprüche und war das Leitprinzip der monarchischen Restauration. Der von Talleyrand ins Spiel gebrachte Begriff meinte die dynastische Legitimität 22 . Legitim war Herrschaft nur dann, wenn sie sich auf die traditionelle Ausübung durch ein monarchisches Herrschaftshaus zurückführen ließ 23 . Als Begriff verteidigte die Legitimität nicht mehr den Unterdrückten, sondern das Gottesgnadentum gegen andere, sprich demokratische Vorstellungen. c) Ausgehend von der Französischen Revolution von 1789, vor allem aber im Laufe der politischen Auseinandersetzungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hat der Begriff der Legitimität einen bemerkenswerten Bedeutungswandel erfahren, genauer gesagt: eine Substitution seiner Inhalte durch konträre Vorstellungen. In Konkurrenz zum dynastischen Legitimitätsbegriff trat die demokratische Legitimationsvorstellung, die sich auf die Volkssouveränität gründete und politisch eng mit dem Konstitutionalismus verbunden war 2 4 . d) Auch der demokratische Legitimationsbegriff wird nicht einheitlich verwendet, vor allem in seiner Ähnlichkeit und in seinem Unterschied zum Legalitätsbegriff 25 . 4. Die eben angedeutete Begriffsentwicklung 26 weist u. a. auf einen für unsere Überlegungen sehr wesentlichen Bedeutungswandel hin: Die monarchische Legitimität als Bezeichnung der historisch erworbenen potestas und zugleich als ihre Begründung war nichts anderes als die behauptete Legalität einer auferzwungenen Ordnung 21. Sie war der Rechtstitel, den das angegriffene ancien régime gegenüber seiner demokratischen Infragestellung verteidigte. Die „Entrechtlichung" des Legitimitätsbegriffs, d.h. die begriffliche und historische Unterscheidung von Legalität und Legitimität, von potestas und auctoritas vollzieht sich durch die Einbeziehung eines wie auch immer gearteten Konfliktes zwischen Staat und Gesellschaft in die politische Ordnung. Begrifflich also erhält

22

Zu Talleyrand s Begriffsverwendung siehe Th. Würtenberger, aaO. (Anm. 5), S. 123 ff. Überblick in: Encyclopedia of the Social Sciences, Vol. 9, New York—London 1972, Wort „Legitimacy". Sehr deutlich vor allem bei A. Hauriou, Droit constitutionnel et institutions politiques, 5. Aufl., Paris 1972, S. 683: „ L a France avait connu près de mille ans de Souveraineté et de légitimité monarchiques de droit divin." Vgl. auch M. Hauriou, Précis de droit constitutionnel, Paris 1929, S. 21, Anm. 8 und 9. 23

24 Vgl. A. Hauriou, aaO. (Anm. 23), S. 682f. „Sur le plan politique, la révolution de 1789 a été, au premier chef, un effort violent pour substituer une légitimité à une autre la révolution a substitué brusquement le principe de la souveraineté du peuple et la légitimité populaire." 25 Vgl. z.B. J. H. Schaar, Legitimacy in the Modern State, aaO. (Anm. 18), S. 104ff., bes. S. 107. 26

Vgl. Th. Würtenberger, aaO. (Anm. 5), passim, S. 31-240. Vgl. H. Quaritsch, Legalität, Legitimität, in: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl. 1975, Sp. 1462 ff.; Fr.-Aug. Frhr. von der Heydte, Legitimität, in: Herder-Staatslexikon, 5. Bd., 6. Aufl. 1960, S. 333 ff. 27

§ 2 Terminologische Vorbemerkung

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die Legitimität erst im Konstitutionalismus ihre gegenwartsrelevanten Konturen. Diese letzte begriffsgeschichtliche Bemerkung läßt sich durch die folgende entwicklungsgeschichtliche Erörterung bestätigen.

§ 3 Entwicklungsgeschichtliche Vorbemerkung 1. Anders als der Begriff k a n n die Sachproblematik der L e g i t i m a t i o n erst dann begriffen werden, wenn m a n sie i n der Genesis des Verfassungsstaats ansiedelt. Z u r Erläuterung dieser Thesen mögen folgende, idealtypisch verknappte Skizzen beitragen: 2. D e r geschichtliche U r s p r u n g moderner Staatlichkeit k a n n nicht einheitlich für alle Länder, geschweige denn i n diesem Rahmen, bestimmt w e r d e n 2 8 . a) Das A u f k o m m e n der absoluten M o n a r c h i e 2 9 und, i n der nächsten Phase, der K a m p f gegen sie sind die entscheidenden Schritte h i n zur modernen Staatlichkeit. Zentral für die monarchische Staatsstruktur war, daß die herrschende politische voluntas weder an die M i t w i r k u n g eines ständisch-parlamentarischen Gremiums gebunden noch allgemein verbindlichen N o r m e n unterworfen w a r 3 0 . Das Signum der Epoche war die Identität von Person und Institution — wie sie so eindrucksvoll auf die Formel „ L ' E t a t c'est m o i " gebracht w u r d e 3 1 .

28 Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht einmal annähernd möglich, die Frage der angemessenen Terminologie für frühe Herrschaftsformen zu erörtern. Vgl. aus der umfangreichen Literatur z.B.: O. Brunner, Land und Herrschaft, 5. Aufl. 1965, Nachdruck 1984). Zum Konzept des modernen Staates immer noch maßgebend O. Hintze, Wesen und Wandlung des modernen Staates, in derselbe: Staat und Verfassung, 3. Aufl. 1970, S. 470ff.; zur Geschichte der Staatenbildung sei hingewiesen auf E. Kern, Moderner Staat und Staatsbegriff, 1949; N. Elias, Der Prozeß der Zivilisation, 2. Aufl. 1969, S. 123 ff. (besonders am Beispiel Frankreichs); H. Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1, 1970; W. Näf, Der geschichtliche Aufbau des modernen Staats, in derselbe: Staat und Staatsgedanke, 1935, siehe weiter die Arbeiten bei H. Hofmann (Hrsg.), Die Entstehung des modernen Staates, 1967; in vergleichender Perspektive wird die Herausbildung des modernen Nationalstaats verfolgt von R. Emmerson, From Empire to Nation, 1960; R. Bendix, Nationbuilding and Citizenship, 1964; derselbe, König oder Volk?, 1980, 2 Bde.; unter dem doppelten Gesichtspunkt der Bildung moderner Herrschaftsstrukturen wie deren Legitimationsbasis Ch. Tilly (ed.), The Formation of National States in Western Europe, 1975; zur anders gelagerten anthropologischen Sichtweise L. Krader, Formation of the State, 1968. 29 Vgl. zum Ganzen U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 1984, S. 134f., 170ff. Zu den teilweise unterschiedlichen Akzenten in der Charakterisierung der absoluten Monarchie vgl. Chr. F. Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 3. Aufl. 1981, S. 54ff.; H.Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1984, S.224ff. und O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1970, S. 240, jeweils m.w.N. 30

Vgl. U. Eisenhardt, aaO. (Anm. 29), S. 134f., 170ff. Zur Diskussion um den Absolutismus siehe W. Hubatsch (Hrsg.), Absolutismus, 1973; H. Patze (Hrsg.), Aspekte des europäischen Absolutismus, 1979.

§ 3 Entwicklungsgeschichtliche Vorbemerkung

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O b m a n — absolutistisch — den K ö n i g v o n Gottes Gnaden als Inbegriff des Staates allein, aus eigener M a c h t v o l l k o m m e n h e i t ansah oder o b man, aufgeklärt absolutistisch 3 2 , i h n als ersten Diener seines Staates bezeichnete 3 3 , hat zwar qualitative Unterschiede i n der A u s ü b u n g der M a c h t zur Folge, aber i n der Praxis bleibt ihr prägender U r s p r u n g jeweils die politische voluntas des Monarchen: auctoritas facit legem. I n der absoluten Monarchie konnte sich deshalb nicht einmal das Problem der Legalität stellen, jedenfalls nicht i n einem gegenwartsbezogenen Sinn. b) D i e weltgeschichtliche Bewegung gegen die Identität von Person und Institution, die bereits i m Konzept der „ K r o n e " a n k l a n g 3 4 , prägt die Entstehung der modernen Staatlichkeit i n Europa. W ä h r e n d i m „ L ' E t a t c'est m o i " der Staat bereits der Idee nach als v o m Herrscher abhängig gesehen w i r d , w i r d i n der Vorstellung des M o n a r c h e n als Diener des Staates der M o n a r c h dem Staat selbst nachgeordnet, wie sehr er diesen auch praktisch bestimmen m o c h t e 3 5 . Ausdruck der großen Wende, i n der m a n die Geburt der neuzeitlichen Staatlichkeit sehen kann, ist also die Selbständigkeit der Staatsgewalt, die unabhängig v o n ihren jeweiligen personellen Repräsentanten gesehen w i r d — u n d die durch verbindliches Recht eingegrenzt wird. 31

Zur umstrittenen Authentizität dieses Ausspruchs und zu dessen Deutung aus Herrschaftspraxis und Selbstverständnis Ludwig XIV. F. Härtung, L'Etat c'moi, in derselbe: Staatsbildende Kräfte der Neuzeit, 1961, S. 93ff. (1944/1949). 32 Dazu F. Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, in derselbe: Staatsbildende Kräfte der Neuzeit, 1961, S. 149ff. (1955); K. O. von Aretin (Hrsg.), Der aufgeklärte Absolutismus, 1974. 33 Während das Ludwig XIV. zugeschriebene Wort unverbürgt ist — siehe dazu Nachweise bei G. Büchmann, Geilügelte Worte, neubearbeitet von H. M. Elster, 2. Aufl. 1964, S. 454 — hat Friedrich II. die Einschätzung seiner Funktion mehrfach schriftlich hinterlassen, so im sog. „Politischen Testament" von 1752, abgedruckt in: O. Bardong (Hrsg.), Friedrich der Große, 1984 (ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Bd. 22), S. 174ff. (S. 205). 34 Die Krone als Symbol für den König löste sich sukzessive von dessen Person und wurde zum Ausdruck des Amtes an sich: drückte die „dignitas" des Amtes als solches aus, nicht belastet von den menschlichen Schwächen der Person des Monarchen. „Die Krone" symbolisierte also wesentliche Anstrengungen in dem mühseligen Prozeß, die Staatsgewalt von der Person des Königs zu trennen. Vgl. zum Ganzen F. Härtung, Die Krone als Symbol der monarchischen Herrschaft im ausgehenden Mittelalter, 1941. 35

Im Wandel des „L'Etat c'est moi" zum „Ich bin der erste Diener meines Staates" drückt sich die zunehmende Verselbständigung der Staatsgewalt gegenüber dem Monarchen aus. Der sich durchsetzende Staatsbegriff trägt allein die Staatsgewalt, so daß der König ihr gegenüber als zweitrangig betrachtet werden kann. Dementsprechend verliert auch „die Krone" ihre symbolische Bedeutung zur Darstellung der Trägerschaft der Staatsgewalt, siehe dazu F. Härtung, aaO. (Anm. 34), S. 45 f. In dieser Tradition der Staatsdienerschaft ist auch Bismarcks Wort zu sehen: „ M o i je suis l'Etat", siehe dazu F. Härtung, aaO. (Anm. 32), S. 119 f. m. w. N. Vgl. auch die differenzierte Analyse des Art. 11 Abs. 1 der Reichsverfassung von 1871 durch Laband, der den deutschen Kaiser als „Mitglied" und „Organ" des Reiches bezeichnet: P. Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, 6. Aufl. 1912, S. 56-60.

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§ 3 Entwicklungsgeschichtliche Vorbemerkung

c) Dieser Übergang v o n der absoluten Monarchie z u m konstitutionellen Staat vollzieht sich durch die allmähliche Entfaltung des neuzeitlichen Verfassungsbegriffs und, damit verbunden, der neuzeitlichen Vorstellung v o n Legalität. D i e politische voluntas konkretisiert u n d setzt sich nur durch i n einem rechtlich geregelten Rahmen: innerhalb der Verfassung. D i e Gültigkeit staatlicher A k t e hängt v o n der Beachtung dieses Rahmens aus materiellen u n d aus verfahrensrechtlichen Vorschriften ab, d. h. v o n ihrer Legalität. Die Legalität w i r d so z u m wesentlichen politischen Maßstab. Diese Legalität, die i n ihrem Grunde Einhaltung der Verfassung bei der Rechtsetzung bedeutet, stellt die erste geregelte Beziehung von Staat und Gesellschaft d a r 3 6 . d) D i e vorangegangene Bemerkung gilt primär für die Verfassungsentstehung durch „ V e r t r a g " 3 7 . A b e r auch oktroyierte Verfassungen 3 8 „regulieren" gewissermaßen die Beziehung zwischen Staat u n d Gesellschaft. Wenn auch alleinige Quelle der Staatsgewalt der M o n a r c h war, mußte sie dennoch nach den v o m M o n a r c h e n auferzwungenen N o r m e n ausgeübt werden. D e r U n t e r t a n hat die Rechte, die i h m die monarchisch-konstitutionelle 3 9 O r d n u n g einräumt. 36 Zur Rekonstruktion des verfassungstheoretischen Denkens in den Kategorien von „Staat" und „Gesellschaft" siehe m. w. Ν . H. Ehmke, „Staat" und „Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, in: Festschrift für R. Smend, 1962, S. 23 ff., abgedruckt in derselbe: Beiträge zur Verfassungstheorie und Verfassungspolitik, 1981, S. 300 ff. 37 Zu (ständestaatlichen) vertraglichen Begründungen und Begrenzungen der Herrschaft siehe F. Härtung, Herrschaftsverträge und ständischer Dualismus in den deutschen Territorien, in derselbe: aaO. (Anm. 31), S. 62f.; R. Vierhaus (Hrsg.), Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze, 1977; W. Näf Herrschaftsverträge und Lehre vom Herrschaftsvertrag, 1949. Als Beispiel solcher Herrschaftsverträge seien die englische Magna Charta (1215) und der Tübinger Vertrag (1514) genannt. Diese historischen Herrschaftsverträge sind nicht zu verwechseln mit den Vertragskonstruktionen naturrechtlicher Provenienz, sie sind alles andere als ideal, sondern vorläufiges Resultat konflikthafter Auseinandersetzungen, das oft genug versucht wurde wieder zu verändern, vgl. H. Boldt, aaO. (Anm. 29), S. 186 ff. Für die klassische Lehre vom Gesellschaftsvertrag sei auf Th. Hobbes, J. Locke und J. J. Rousseau verwiesen, zum fiktiven Charakter des Gesellschaftsvertrags siehe etwa I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793), II, Folgerung „ . . . ein ursprünglicher K o n t r a k t . . . ist keineswegs als ein Faktum vorauszusetzen nötig."Kants Werke, Bd. V I I I , Hrsg. Preußische Akademie der Wissenschaften, 1923, S. 297. U m praktische Beispiele von Verfassungsentstehung durch Vertrag im wörtlichen Sinne zu finden, muß allerdings weit — in die Zeit früher Ständestaatlichkeit — zurückgegangen werden: Zur Bedeutung der Magna Charta von 1215 siehe K. Löwenstein, Staatsrecht und Staatspraxis von Großbritannien, Bd. 1, 1967. Zu deutschen Beispielen: H. Boldt, aaO. (Anm. 29), S. 186, 214. Vgl. allerdings auch die „vereinbarten" Verfassungen des frühen 19. Jahrhunderts, und siehe hierzu O. Kimminich, aaO. (Anm. 29), S. 338. 38

Zum Verfassungsoktroi (unter dem „monarchischen Prinzip") E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, 2. Aufl. 1975, S. 646ff. 39 Zur Entwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts im 19. Jahrhundert und seiner Einschätzung an der Wende zur Republik siehe G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1919. Als praktisches Beispiel der Selbstverpflichtung des Staates durch Rechtsetzung mag das bekannte „Kreuzberg-Urteil" des Preußischen OVG, PrOVGE 9, 353 dienen.

§ 3 Entwicklungsgeschichtliche Vorbemerkung

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Selbst wenn der Monarch dem Volk eine Verfassung „gibt", so ist sie doch verbindlich und entfaltet normative Kraft 4 0 : Auch Selbstbindung bindet, weil die gesetzten rechtlichen Vorschriften zur Grundlage des tatsächlichen Erwartens und Handelns von Bürger und Staat werden. Damit ist das auch die Politik regulierende rechtliche Element im Staat entstanden. 3. Mit dieser Wende zum Verfassungsstaat entstehen die Bedingungen nicht nur für den neuzeitlichen Legalitätsbegriff, sondern — und daraufkommt es an — auch für die neuzeitliche Legitimationsproblematik 41. Dafür sprechen folgende Überlegungen: a) Wie die Geschichte lehrt, neigt die Staatsgewalt nicht dazu, sich freiwillig aufzugeben, weder partiell, geschweige denn ganz. Mehr noch: Die Staatsgewalt hat eine Tendenz zur Expansion. Der Strukturwandel der Staatsgewalt kann nur die Folge politischer Konflikte sein. Es ist die Verfassung, die in der Entwicklung des Staates die verbindliche Rahmenregelung jenes, jedem Gemeinwesen immanenten politischen Konflikts darstellt 42 . Die Wende zum Verfassungsstaat fällt also mit einem wichtigen Wandel des Staatsverständnisses zusammen. Durch die Normierung der gesellschaftlich immanenten Konflikte wird erstmals rechtlich anerkannt, daß die Machtausübung nicht nur ein eindimensionaler Vorgang ist. Die Ausübung staatlicher Herrschaft wird — und das ist ausschlaggebend — in eine Beziehung umgewandelt: in die Beziehung zwischen Regierenden und Regierten. Hierdurch wird die Struktur des Staates in einer die Zukunft prägenden Weise verändert. Die Gesellschaft ist nicht mehr nur Objekt der Machtausübung, sondern wird nach und nach als Adressat angesprochen — um sich sukzessive auch am Prozeß der Machtausübung selbst zu beteiligen. M i t dieser zunehmenden Einflußnahme auf die staatliche Entscheidungsbildung kann man vom Dualismus von Staat und Gesellschaft sprechen und darin den ersten Schritt vom Untertanentum zum Bürgertum sehen; neben den Bourgeois tritt der Citoyen.

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Aus der Literatur des 19. Jahrhunderts sei beispielhaft auf R. Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsberichte in Deutschland, 2. Aufl. 1879, auf R. v. Mohl, Die Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaats, 2 Bde., 1832 und 1833 und auf O. Bahr, Der Rechtsstaat, 1864, verwiesen. Im übrigen vgl. Chr. F. Menger, aaO. (Anm. 29), S. 117ff., m.w.N.; E.-W. Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, hrsg. von E.-W. Böckenförde unter Mitarbeit von R. Wahl, 2. Aufl. 1981, S. 146 ff., H. Gangl, Der deutsche Weg zum Verfassungsstaat im 19. Jahrhundert, Eine Problemskizze, in: E.-W. Böckenförde, Probleme des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert, Beiheft 1 zu „Der Staat", 1975, S. 23 ff. 41

Die entgegengesetzte These, Legitimationsprobleme seien keine „neuzeitliche Spezialität" vertritt J. Habermas, aaO. (Anm. 8), S. 41, 43. 42 Vgl. W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, in: W. v. Humboldt, Werke in 5 Bänden, hrsg. von A. Flitner und K. Giel, Bd. 1, 1960, S. 56-69.

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§ 3 Entwicklungsgeschichtliche Vorbemerkung

b) Gerade aber durch den Wandel der Machtausübung von ihrer ursprünglichen Eindimensionalität zu einer Beziehung, also durch die Erhebung der Gesellschaft zum Adressaten der Staatsgewalt, ist die Idee der Anerkennungswürdigkeit der Staatsgewalt als „Legitimitätsfrage" überhaupt denkbar geworden und somit geboren. Denn Akzeptanz setzt zwei politische Rollen und somit zwei Rolleninhaber voraus: einen, der Akzeptanz seiner Herrschaft beansprucht, und einen anderen, der akzeptiert oder nicht akzeptiert. Diese Zweidimensionalität der Staatsgewalt ist die Geburtsstunde des modernen Legitimationsproblems 43 . Obwohl man — so meine ich — nicht so weit gehen kann wie W. Hennis, so zielt seine These jedenfalls in die richtige Richtung, wenn er sagt: „Legitime Herrschaft geht von freien Bürgern aus, illegitime in diesem historischen Kontext vom Untertanen, dem durchaus Gerechtigkeit und Wohlfahrt zukommen mag, der aber außerhalb des status politicus bleibt." 4 4 Anders ausgedrückt: Anerkennung setzt ein Minimum von echter Beurteilungsfreiheit voraus. c) Das Prinzip der Anerkennungswürdigkeit der Staatsgewalt macht eine lange Entwicklung durch, bis es über die doppelte Souveränität von Monarchie und Bürgertum letztlich zur Hauptaussage der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Französischen Revolution führt. Die Autorität des Königtums zerfallt, legitime Herrschaft ist nur Herrschaft im Namen des Volkes. Die große Epoche der Volkssouveränität beginnt 45 . Heute, sagt J. Habermas, „haben legitimierende Kraft allein Regeln und Kommunikationsvoraussetzungen, die eine unter Freien und Gleichen erzielte Übereinstimmung oder Vereinbarung von einem kontingenten oder erzwungenen Konsens zu unterscheiden erlauben. Ob solche Regeln und Kommunikationsvoraussetzungen eher mit Hilfe von Naturrechtskonstruktionen und Vertragstheorien, ob sie

43

So zutreffend O. Rammstedt, aaO. (Anm. 8), S. 111: „Der Legitimitätsbegriff wird zum Stichwort auf der politischen Bühne, als die Monarchen machtlos dünken, als sie glauben, in ihrer absoluten Position infrage gestellt werden zu können." Von der Irrelevanz des Legitimitätsbegriffes in Antike und Mittelalter geht zu recht auch W. Hennis, aaO. (Anm. 8), S. 22 aus; auch für ihn ist die Kategorie „legitime Herrschaft" eine historische Kategorie: „Es handelt sich" — so lautet seine einschlägige Ausführung — „um die der bürgerlichen Gesellschaft der letzten drei bis vier Jahrhunderte spezifische Herrschaftsweise Westeuropas, die sich im Kampf gegen das persönliche Regiment des Absolutismus als Rechtsstaatslehre, Konstitutionalismus, Volkssouveränitätslehre, Gewaltenteilungslehre, Parlamentarismus, Demokratisierung etc., schließlich in Gestalt des demokratischen Verfassungsstaates in national unterschiedlicher Weise entfaltet hat und dennoch als relativ geschlossene Doktrin und Wirklichkeit vor unserem geistigen Auge steht. Diese Doktrin und Wirklichkeit verdankt sich natürlich auch einer bestimmten sozialgeschichtlichen Konstellation, lebt vom Umfeld einer Fülle von Voraussetzungen, an die sie gebunden ist", vgl. W. Hennis, aaO. (Anm. 8), S. 20. 44 W. Hennis, aaO. (Anm. 8), S. 23. 45 Vgl. statt vieler P. Dagtoglou, Art. „Souveränität", Ev. Staatslexikon, 2. Aufl. 1975, S. 2322 ff. und P. Häberle, „Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität", AÖR 92 (1967), S. 259 ff., abgedruckt in derselbe: Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1978, S. 364ff.

§ 3 Entwicklungsgeschichtliche Vorbemerkung

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in Begriffen einer Transzendentalphilosophie, einer Sprachpragmatik oder ob sie gar im Rahmen einer Theorie der Entwicklung des moralischen Bewußtseins gedeutet und erklärt werden, ist in unserem Zusammenhang sekundär." 4 ^' 47 4. Der Durchbruch des demokratischen Prinzips im Sinne der Verlagerung der Souveränität auf die bürgerliche Gesellschaft bedeutet keinesfalls die Bewältigung des Legitimationsproblems. Notwendigkeit von und Anspruch auf Akzeptanz der Staatsgewalt sind immer da, wo Menschen regieren, denn wo Menschen regieren, entsteht Zweifel, und Zweifel, wie M. Kriele sagt, wirft Legitimationsprobleme auf 4 8 . Deshalb kann sich auch demokratische Staatsgewalt nicht allein mit demokratischer Legalität durchsetzen. 5. Die Entstehung des Verfassungsstaats der Gegenwart—so könnte man das bisher Gesagte zusammenfassen — stellt zugleich die Aufnahme der Legitimationsproblematik in die Substanz moderner Staatlichkeit dar. Anders ausgedrückt: M i t der Wende zum Verfassungsstaat erlangt die Legitimationsidee die Gestalt, in der sie für unsere Gegenwart relevant ist. Durch den Demokratisierungsprozeß, dem die Legitimationsidee als historisch wirksames Prinzip zugrundeliegt, wird die Legitimationsdiskussion keineswegs gegenstandslos; sie bleibt vielmehr ständig aktuell und wird durch den Wandel des Demokratieverständnisses in immer neuer Form gestellt.

46

So J. Habermas, aaO. (Anm. 8), S. 46. Zwei Aussagen von O. Rammstedt, aaO. (Anm. 8), S. 118, gehen in die gleiche Richtung. Die eine unterstreicht, daß Klassenstruktur und Positivierung des Rechts Voraussetzungen für das Entstehen des Legitimationsbegriffes sind. „Legitimität ist an das Verhältnis Herrschende / Beherrschte gekoppelt" — so lautet eine zweite Aussage — „in dem die Herrschenden nicht mehr über die größere Macht zu verfügen glauben;..." 47

48 Vgl. oben Anm. 18; vgl. auch J. Winckelmann, Die verfassungsrechtliche Unterscheidung von Legitimität und Legalität, in: ZgeStW Bd. 112 (1956), S. 164 (173): „Seitdem es willkürlich gesetztes, geschriebenes Gesetzesrecht gibt, existiert das ,Recht4 in zweierlei Ebenen: der Legalität des Satzungsrechts und der Legitimität des »höheren4 Rechts im Sinne der in der Rechtsgemeinschaft ideell geltenden allgemeinen Rechtsüberzeugung."

§ 4 Ausschließliche Staatsbezogenheit des Legitimationspostulats? I. Das Legitimationsproblem im Wandel der Beziehung von Staat und Gesellschaft 1. Wenn wir unter Legitimation den Prozeß verstehen, der auf Anerkennungswürdigkeit abzielt, stellt sich die Frage, ob nur die Staatsgewalt auf Anerkennung angewiesen ist. Dieser Frage könnte man näherkommen, wenn man sie in die geschichtliche Entwicklung der Beziehung von Staat und Gesellschaft einbettet 49 . 2. Die Beziehung von Staat und Gesellschaft ist nicht nur ein an der Verfassung ablesbares Ergebnis, auch nicht nur eine normative Vorgegebenheit; sie ist zugleich ein Denkansatz, ein kreativer Vorgang 50 . Wie man eine Verfassung „liest", hängt u. a. auch davon ab, wie man die Begriffe „Staat" und „Gesellschaft" inhaltlich zueinander versteht. 3. Drei Entwicklungsmomente sind dabei wichtig 51 : a) In der absoluten Monarchie, in der Zeit der Identität von Institution und Person, stellte sich das Problem nicht. Relevante Größe war der Staat, oder — so kann man es auch ausdrücken—die absolute Monarchie war die Staatsform der Identität von Staat und Gesellschaft 52. b) Die konstitutionelle Monarchie hingegen war die politische Ordnung des Dualismus von Staat und Gesellschaft. Was E. Forsthoff für alle Staatsformen sagt, trifft eigentlich für die konstitutionelle Monarchie zu: Die Trennung von 49 Grundlegend K. Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, DÖV 1975, S. 437-443, jetzt auch in: Ausgewählte Schriften, Heidelberg 1984, S. 45-57; aus der sonstigen sehr umfangreichen Literatur vgl. vor allem: E. Forsthoff Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 11 ff.; E.-W. Böckenförde, Die verfassungsrechtliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973; H. Ehmke, aaO. (Anm. 36), S. 23-49. 50 H. Ehmke, aaO. (Anm. 36), S. 24f., hebt zutreffend die Grundschwierigkeit der begrifflichen Trennung von „Staat" und „Gesellschaft" hervor: „Sie besteht darin, daß mit beiden Begriffen menschliche Verbände bezeichnet werden und daß es sich in der Gegenüberstellung von , Staat4 und ,Gesellschaft 4 praktisch gesehen um denselben Verband handelt.44 Daraus aber ergibt sich, daß die Grundfunktion jener Begriffe die der Interpretation ist. 51 52

Zur Geschichte des Problems vgl. statt vieler H. Ehmke, aaO. (Anm. 36), S. 23-42. Vgl. K. Hesse, aaO. (Anm. 49), S. 50.

I. Wandel der Beziehung von Staat und Gesellschaft

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Staat und Gesellschaft sei „das fundamentale Strukturelement der Staatlichkeit" 53 . Deshalb war die Entstehung des Positivismus eng mit der monarchisch geprägten Trennung von Staat und Gesellschaft verbunden 54 . c) Die antimonarchische Bewegung und der ideologisch pluralistische Demokratisierungsprozeß relativierten jenen Dualismus, oder sie gaben jenem Dualismus eine andere Bedeutung und somit eine neue politische Funktion 5 5 . 4. Auf diese letzte Phase jener Entwicklung der Beziehung von Staat und Gesellschaft soll näher eingegangen werden. Die Beziehung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Staat der Gegenwart wird u. a. auch durch zwei Momente entscheidend geprägt: Beide Momente betreffen die Transformation der Macht; einmal gesehen im Hinblick auf den Adressaten (a), zum anderen im Hinblick auf ihre eigene Struktur (b). a) Zum ersten geht es um die immer stärker werdende Politisierung des Menschen, des Bürgers und der gesellschaftlichen Gruppierungen. „Politisierung" — so könnte man sagen — ist das Bewußtsein, notwendiger Bestandteil des politischen Prozesses zu sein und einen Anspruch auf verfassungsrechtlich optimale Teilhabe an der politischen Entscheidung zu haben. Dieser Politisierungsprozeß auf der Seite des Regierten — des Einzelnen und der Gruppen — bewirkt eine entsprechende Erweiterung der Legitimationsbedürftigkeit auf der Seite, wo Macht ausgeübt wird. Die Wirksamkeit der potestas wird durch den Politisierungsprozeß relativiert: Es entsteht eine Abhängigkeit der potestas von ihrer eigenen auctoritas 56 . Der politisierte Mensch und die politisierte Gruppe befragen aber die ihnen gegenüber ausgeübte Macht nach ihrer Anerkennungswürdigkeit nicht nur dann, wenn diese staatlichen Ursprungs ist. In einer politisierten Gesellschaft ist jede Macht, auch die nichtstaatliche, auf ein Minimum von Akzeptanz angewiesen. Das mit der Politisierung des Einzelnen und der Gruppen erhobene Teilhabepostulat ist nur verständlich, wenn man es vor dem Hintergrund der Überwindung der Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft sieht und als Moment dieser Überwindung selbst versteht. Eine solche Verbindung von Politisierung und Legitimation trägt dem demokratischen Prinzip Rechnung, indem sie dieses (permanent) aktualisiert. 53

Vgl. E. Forsthoff aaO. (Anm. 49), S. 21, 23. Vgl. H. Ehmke, aaO. (Anm. 36), S. 24. Für Frankreich vgl. M. Miaille, aaO. (Anm. 7), S. 264. 55 Grundlegend K. Hesse, aaO. (Anm. 49), S. 48 ff. 56 Vgl. G. Burdeau, Traité de science politique, 3. Aufl., Bd. II: L'Etat, 1980, S. 206. Die im Text hervorgehobene Verbindung zwischen Politisierungsprozeß und Legitimationsbedürfnis wird von Burdeau deutlich gesehen, wenn er auch diesen Gedanken für andere Zusammenhänge braucht. Er sagt: „Si le problème de la légitimité présente, pour les gouvernés, l'importance que l'on sait, il est plus grave encore pour les gouvernants. A partir du moment au la consience politique du groupe devient plus exigeante, c'est pour eux une nécessité vitale que d'adjoindre à leur puissance matérielle l'autorité du droit." (Hervorhebungen im Text von Burdeau werden von mir hinzugefügt.) 54

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§ 4 Ausschließliche Staatsbezogenheit des Legitimationspostulats?

b) Zum zweiten geht es um die Veränderung der Konzeption von politischer Gewalt, wie sie sich aus dem eben Ausgeführten ergibt. Der politische Entscheidungsprozeß spielt sich nicht nur im Bereich der staatlichen Institutionen, sondern auch jenseits dieses Bereichs ab. Ich meine dabei nicht nur die politischen Parteien, die Gewerkschaften oder sonstige institutionalisierte Gebilde der Gesellschaft. Ich meine auch spontane Bürgerinitiativen 57 und die verschiedensten sonstigen öffentlichen Aktivitäten, etwa im Rahmen der Friedensbewegung, sogar die Haltung des einzelnen Bürgers in Wahrnehmung seiner Grundrechtsmöglichkeiten. Die Geschichte kennt genug Beispiele von geistiger Haltung Einzelner, an denen die gepanzerte Staatlichkeit zerbrochen ist. c) Beide Gedanken, sowohl der des Politisierungsprozesses (a), wie auch der einer veränderten Konzeption der politischen Gewalt (b) sprechen für ein Verständnis der Beziehung von Staat und Gesellschaft, das K. Hesse eindrucksvoll präzisiert: „ . . . der Staat ist angewiesen auf gesellschaftliche Kräfte, die ihn tragen und ggf. verteidigen, und er ist bei allem Gewicht staatlich institutionalisierter Macht letztlich immer nur so stark und so schwach wie diese Kräfte. Machtergreifungen und deren Vorbereitung lassen sich durch den bürgerlichen Rechtsstaat nicht mit Aussicht auf Erfolg verhindern, und der Mangel läßt sich auch nicht durch ober- und außerhalb der realen politischen Kräfte der Gesellschaft stehende Garanten, etwa den schützenden ,Hüter', kompensieren. Einen Beleg dafür hat das Jahr 1933 geliefert, in dem ein von erhaltenden gesellschaftlichen Kräften verlassener Staat trotz intakter Exekutive und Judikative es nicht vermocht hat, die Vernichtung von Freiheit aufzuhalten. Daran zeigt sich, daß es unter dem Aspekt der Wahrnehmung menschlicher Freiheit über die Unterscheidung hinaus wesentlich auf eine Verbindung von Staat und Gesellschaft ankommt". 58 d) Daraus ergibt sich, daß bei der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft die Nicht-Identität ganz sicher zu ihrem Inhalt gehört 59 . Aber die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft besteht nicht nur in der Nicht-Identität 60 . Demokratiegeschichtlich und demokratietheoretisch ist die Identität von Staat und Gesellschaft nur die eine Gefahr. Die andere Gefahr liegt in der gegenüberstellenden Trennung von Staat und Gesellschaft, so wie sie in Theorie und Praxis der Monarchie zum Ausdruck kommt und wie sie sich auch heute als

57 „Bürgerinitiativen" werden grundsätzlich als Indikator von Legitimationsdefiziten staatlicher Institutionen und vor allem von Parteien gewertet. Vgl. statt vieler ζ. Β. B. Guggenberger / U. Kempf (Hrsg.), Bürgerinitiativen und Repräsentatives System, 2. Aufl. 1984 und vor allem den Beitrag von Guggenberger, S. 23 ff., bes. S. 25. Zugleich aber werfen Bürgerinitiativen das Problem der eigenen Anerkennungswürdigkeit und somit der eigenen Legitimationskreativität auf. 58 59 60

Vgl. K. Hesse, aaO. (Anm. 49), S. 53. Vgl. K. Hesse, aaO. (Anm. 49), S. 51. So aber K. Hesse, aaO. (Anm. 49), S. 51.

II. Bestätigung durch das Grundgesetz

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interpretatorischer Denkansatz um die Restauration des durch die pluralistische Gesellschaft „gefährdeten" Staates bemüht 61 . e) Versteht man die Beziehung von Staat und Gesellschaft in dem eben dargelegten Sinne, ergibt sich für die Legitimationsproblematik ein Zweifaches: Einmal entfallt mit der Ablehnung der gegenüberstellenden Trennung von Staat und Gesellschaft und mit dem damit untrennbar verbundenen Übergang zum Begriff des politischen Gemeinwesens die Möglichkeit einer ausschließlichen Staatsbezogenheit des Legitimationspostulats; zum anderen kann sich bei einer wie auch immer gearteten oder verstandenen Identität von Staat und Gesellschaft das Problem der Legitimation nicht einmal stellen.

II. Bestätigung durch das Grundgesetz Daß Grundlage des politischen Prozesses nicht nur staatliche Institutionen sind und daß somit die Beziehung von Staat und Gesellschaft nicht in einer gegenüberstellenden Trennung besteht, sondern in einer Unterscheidung, die auch Modalitäten der Verbindung enthält, entspricht auch der Logik des Grundgesetzes. Dafür spricht folgendes: 1. Besonders signifikant ist die Verfassungsaufgabe, die den politischen Parteien nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zukommt. Die Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung wird, wie § 1 Abs. 1 PartG dies konkretisiert, zu einer den Parteien obliegenden und verbürgten „öffentlichen Aufgabe" 62 . Diese politischen Verbände werden damit in Verfassungsrang erhoben. Das macht deutlich, daß politische Betätigungen und Machtausübung kein Monopol des Staates ist. Der politische Prozeß ist nach dem Grundgesetz ein staatsübergreifendes Verfahren. Man kann sagen, daß in Art. 21 Abs. 1 GG der bedeutendste verfassungsrechtliche Ansatz liegt, der die interpretative Überwindung der Trennung von Staat und Gesellschaft möglich macht. 2. In der vom Grundgesetz verfaßten politischen Ordnung sind weitere gesellschaftliche Formierungen als Faktoren des politischen Willensbildungsprozesses anerkannt. Man braucht nur auf die verfassungsrechtlich verankerten Errungenschaften der Arbeiterbewegung, die Tarifautonomie und das Streik-

61 Indikativ für solche Ansätze z.B.: E. Forsthoff aaO. (Anm.49); W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 2. Aufl. 1958, S. 50 ff. Solche Ansätze spitzen sich zu, wenn es darum geht, die politischen Parteien in die politische Ordnung zu verwurzeln: W. Weber, aaO., S. 55, nennt die Parteien „Staat im Staate" und E. Kaufmann, Die Regierungsbildung in Preußen und im Reiche, in: Die Westmark, 1921, S. 205,207 (zitiert nach H. Ehmke, aaO. (Anm. 36), S. 46, Fn. 85) spricht von „unheimlichen gesellschaftlichen Gewalten". 62 Vgl. statt vieler U. Preuss, in: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Alternativkommentar), Bd. 2, 1984, S. 4ff., bes. S. 14ff. (Rn. 14ff.).

30

§ 4 Ausschließliche Staatsbezogenheit des Legitimationspostulats?

recht hinzuweisen 63 . Sicher wirken die Gewerkschaften von ihrem Selbstverständnis her 6 4 nicht offen und deklarativ am politischen Entscheidungsprozeß mit, sondern an der Gestaltung der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen", mithin, herkömmlich gesprochen, an gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Man kann sich aber, um etwas Selbstverständliches zu sagen, schwer ein Besoldungsgesetz vorstellen, das die Vorstellungen der kämpfenden Gruppierungen völlig ignoriert. Es entspricht durchaus der Logik des Grundgesetzes, wenn es den gesellschaftlichen Formierungen um Einfluß auf und Teilhabe an der politischen Macht g e h t 6 5 , 6 6 . Zwar ist auch in der pluralistischen Demokratie die gesellschaftliche Willensbildung nicht identisch mit der Willensbildung der Staatsorgane 67, beide Prozesse sind aber eng miteinander verflochten 68 : Der Anspruch auf politische Teilhabe läßt sich daher auch auf Art. 20 Abs. 2 GG zurückführen. 3. Eine verfassungsrechtlich relevante, geradezu tragende Funktion im politischen Willensbildungsprozeß, hat das Grundgesetz auch dem Bürger anvertraut. a) Das ergibt sich einmal aus dem Prinzip der innerparteilichen Demokratie nach Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG. Dort ist es freilich sehr deutlich, denn jenes Prinzip soll eine verfassungsrechtliche Garantie dafür sein, daß die „Basis", also die einzelnen Parteimitglieder, den Beitrag ihrer Partei am politischen Entscheidungsprozeß durch ihren Willen mitprägen 69. 63

Zum Ganzen vgl. Th. Ramm, Der Arbeitskampf und die Gesellschaftsordnung des Grundgesetzes, 1965; H. Klein, Koalitionsfreiheit im pluralistischen Sozialstaat, 1976. 64 Vgl. K.-H. Glessen, Die Gewerkschaften im Prozeß der Volks- und Staatswillensbildung, 1976. 65

Siehe etwa §§ 58 BRRG, 94 BBG für die Beteiligung der Gewerkschaften und der Berufs verbände bei der Vorbereitung von gesetzlichen Regelungen des Beamtenrechts. Zur Rolle der Verbände bei der Gesetzgebung allgemein H. J. Schröder, Verbände und Gesetzgebung, 1976, S. 74ff. Vgl. ferner W. Schmidt, Organisierte Einwirkungen auf die Verwaltung, VVDStRL 33 (1975), S. 183 (214). 66 Der Verbandseinfluß auf die politischen Entscheidungen ist Gegenstand einer eigenen ausführlichen Diskussion, siehe dazu m.w.N. U. v. Alemann j R. G. Heintze (Hrsg.), Verbände und Staat, 1979; D. Grimm, Verbände, in: Handbuch des Verfassungsrechts, aaO., S. 373ff. m.w.N. Zur sich aus dem Befund des Verbandseinflusses entwickelnden Diskussion darüber, ob sinnvollerweise von Neokooperatismus gesprochen werden könne, siehe den Sammelband von U. v. Alemann (Hrsg.), Neokooperatismus, 1981; siehe weiter Ch. Gusy, Vom Verbändestaat zum Neokooperatismus?, 1981. 67

BVerfGE 8, 104 (113); 20, 56 (98f.); siehe kritisch dazu D. Tsatsos/M. Morlok, Parteienrecht, 1983, S. 28 ff. 68 Vgl. K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepulik Deutschland, Bd. 1,2. Aufl. 1964, S. 616 f. 69 Hierzu H. Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat, 1975; R. Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974; aus jüngerer Zeit D. Tsatsos j M. Morlok, aaO. (Anm. 67), S. 35 ff. und U. K. Preuss, aaO. (Anm. 62), Art. 21, Rn. 62ff., jeweils m. w. N. Zu den sich daraus ergebenden Folgerungen

II. Bestätigung durch das Grundgesetz

31

b) V o r allem aber sind hier die Grundrechte zu n e n n e n 7 0 . Die gesamte Grundrechtsdiskussion klärt uns darüber auf, daß die verfassungsrechtlich garantierten Freiheiten nicht nur den sogenannten Privatmann i n seinen gesellschaftlichen Lebensbereichen sichern, sondern wesentlich auch Garantien der öffentlichen Freiheit sind, also nicht nur dem Bourgeois, sondern vor allem auch dem Citoyen als homo politicus gelten 71. D i e Grundrechte haben, wie H-P. Schneider zutreffend sagt, über ihr individualrechtliches Eigengewicht hinaus besondere Bedeutung für den verfassungsrechtlichen Gesamtzustand des politischen Gemeinwesens. Sie sind eine „funktionelle Grundlage der D e m o k r a t i e " 7 2 . A u c h hier reichen einige Stichwörter, u m sich den realen U m f a n g der grundrechtlich fundierten M i t w i r k u n g s f u n k t i o n des Bürgers zu vergegenwärtigen: Wesentlich ist die — i n unterschiedlichster F o r m u n d durch die einzelnen Kommunikationsgrundrechte geschützte — E i n w i r k u n g a u f die Öffentlichk e i t 7 3 . D i e A k t i o n e n v o n Einzelnen wie v o n Verbänden u n d das ganze Spektrum v o n Bürgerinitiativen u n d ähnlichen Gruppen ist hier zu n e n n e n 7 4 . N i c h t zuletzt

für die innerparteilichen Organisationsstrukturen und Artikulationsformen siehe D. Tsatsos, Ein Recht auf innerparteiliche Opposition?, in: Festschrift für H. Mosler, 1983, S. 997 ff. 70 P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, 3. Aufl. 1983, S. 17. Zur Bedeutung der Grundrechte für die Gewährleistung eines freiheitlichen Meinungsbildungsprozesses und damit der ständigen Konstituierung der freiheitlichen Ordnung des Gemeinwesens, siehe weiter K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 15. Aufl. 1985, bes. Rn. 288; wichtig zur Funktion der Grundrechte für die perpetuierlich zu leistende Hervorbringung des demokratischen Gemeinwesens durch die Bürger das Konzept des „status constituens" von E. Denninger, Staatsrecht Bd. 1, 1973, S. 28 ff.; zu den Grundrechten als Fundament der Demokratie siehe den gleichnamigen Sammelband von J. Pereis (Hrsg.), 1979; K. Grimmer, Demokratie und Grundrechte, 1980 und zuletzt G. F. Schuppen, Grundrechte und Demokratie, EuGRZ 1985, S. 525 ff. mit einer anschaulichen Aufbereitung verschiedener Funktionen und weiteren Nachweisen. 71 Siehe bereits R. Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht, in derselbe: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 309 (316ff.), insbesondere S. 318: „Überall erscheint diese Sphäre der anscheinend privaten Grundrechte nicht als brennender Vorbehalt gegenüber dem Staat, sondern als verbindende Beziehung zu ihm, als Grundlage politischer Eignung." „ . . . diese grundrechtliche Freiheit ist nicht bourgeoise Emanzipation vom Staat, sondern bürgerliche Grundlegung des Staats." Smend deutet dies für die einzelnen Grundrechte kurz an, etwa für die Koalitionsfreiheit, die „zunächst nicht sozialpolitisch, sondern verfassungspolitisch gemeint" sei (S. 319). 72 H.-P. Schneider, Eigenart und Funktionen der Grundrechte im demokratischen Verfassungsstaat, in: J. Pereis (Hrsg.), Grundrechte als Fundament der Demokratie, 1979, S. 11 (28). 73 Vgl. dazu K. Hesse, aaO. (Anm. 70), Rn. 149f.; K. Stern, aaO. (Anm. 68), S. 617f.; zur Entfaltung der verschiedenen Aspekte von „Struktur und Funktion der Öffentlichkeit im demokratischen Staat", P. Häberle, in derselbe: Die Verfassung des Pluralismus, 1980, S. 126 ff. 74 Zur Beschreibung der verschiedenen Erscheinungen von Bürgerinitiativen und zu deren politik- und rechtswissenschaftlicher Einordnung P. C. Mayer-Tasch, Die Bürger-

32

§ 4 Ausschließliche Staatsbezogenheit des Legitimationspostulats?

ist die grundlegende Rolle des Bürgers im Gesamtprozeß der Willensbildung im demokratischen Gemeinwesen geschützt durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, das zu dessen „unentbehrlichen Funktionselementen" gehört. In dieser politischen Bedeutung reicht dieses Grundrecht über den Schutz der ungehinderten Persönlichkeitsentfaltung hinaus. Es ist in seiner ratio ein Recht der aktiven Teilnahme am politischen Prozeß und somit Ausdruck der Volkssouveränität. Die Freiheit der Meinungsäußerung und die übrigen Kommunikationsgrundrechte sind in der Tat, um mit dem Bundesverfassungsgericht zu formulieren, für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend 75 . Die Grundrechte belegen par excellence die öffentliche Rolle des sogenannten privaten Bereichs. c) In dieselbe Richtung geht auch die Drittwirkungsdiskussion. Auf die vielen konzeptionellen Differenzierungen braucht hier nicht eingegangen zu werden. Es geht um das Grundsätzliche. Allein der Gedanke, daß die Grundrechte nicht nur gegenüber den verfaßten Institutionen, sondern grundsätzlich, wenn auch unter besonderen Bedingungen, gegenüber „privater" Macht Schutz gewähren, ist indikativ für ein Verständnis der Beziehung von Staat und Gesellschaft, das sich sowohl von der gegenüberstellenden Trennungskonzeption als auch von den Identitätsvorstellungen wesentlich unterscheidet. d) Indirekt ist dies auch an denjenigen Verfassungsbestimmungen abzulesen, die — wenn auch nur im Falle des Mißbrauchs der Staatsgewalt — den Bürger zum Widerstand aufrufen. Und nicht nur das. Die Verfassungsbedeutung der „gesellschaftlichen" Sphäre wird in denselben Bestimmungen geradezu verfassungsrechtlich anerkannt, wenn sich aus Art. 20 Abs. 4 G G ergibt, daß Widerstand auch gegen Handlungen geleistet werden kann, die nicht aus dem staatlichen Bereich kommen. 4. Eine weitere wichtige Indikation dafür, daß das Grundgesetz nicht von einer gegenüberstellenden Trennung, sondern von einer Verbindung von Staat und Gesellschaft ausgeht, ist die rechtliche Anerkennung von organisierten Interessengruppen durch die Exekutive. So bestimmt § 23 GGO der Bundesministerien, daß bei der Vorbereitung von Gesetzen und wichtigen Verordnungen die „beteiligten Fachkreise" und die Verbände heranzuziehen sind. Einschlägig hierzu ist der Befund von J. H. Kaiser über die unverzichtbaren Funktionen, welche die gesellschaftlichen Interessengruppen in der politischen Ordnung erfüllen 76 .

initiativbewegung, 4. Aufl. 1981; B. Guggenberger / U. Kempf aaO. (Anm. 57); G. F. Schuppen, Bürgerinitiativen und Bürgerbeteiligung an staatlichen Entscheidungen, AÖR 102 (1977), S. 369ff.; zur Beurteilung im Hinblick auf die „Parteienstaatlichkeit" zuletzt M. Stolleis (Anm. 10), S. 7 (19f.). 75 76

338.

BVerfGE 7, 198 (208). Vgl. J. H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, 1956, bes. S. 182,272,

II. Bestätigung durch das Grundgesetz

33

5. Worauf es hier ankommt ist, einen umfassenden Begriff der „politischen Entscheidungsgewalt" herzustellen und diesen aus der Einordnung in die Dichotomie zwischen Staatlichem und „Nicht-Staatlichem = Gesellschaftlichem" zu befreien 11. Diese Befreiung erlaubt die Folgerung, daß die Legitimation nicht nur ein Problem der Staatsgewalt ist, sondern ein Problem der gesamten politischen Ordnung. Anerkennungswürdigkeit zu suchen ist demnach die Aufgabe jedes Akteurs innerhalb der politischen Ordnung, die Bestandteil des verfassungsrelevanten Willensbildungsprozesses ist.

77

„So ist auch die Verfassung, Verfassung des politischen Gemeinwesens, wenn ihr organisatorischer Schwerpunkt auch im,government 4 und im demokratischen Willensbildungsprozeß liegt 44 , so H. Ehmke, aaO. (Anm. 36), S. 45. 3

Tsatsos

§ 5 Zur Theorie von der Würde des Staates I. Fragestellung 1. Die eben aufgestellte These (§4), die sich gegen ein ausschließlich staatsbezogenes Legitimationsverständnis richtet, wird durch eine kritische Reflexion über die Theorie von der Würde des Staates 78 bestätigt. 2. Die „Würde des Staates" ist ein sperriges Phänomen. Man weiß nicht mehr so recht, was man mit diesem Begriff anfangen soll. Er hat eine Aura des Wichtigen—und zugleich erscheint der Begriff merkwürdig veraltet. Immerhin, ganz leichter Hand ist er nicht beiseite zu schieben: §90a StGB stellt eine Strafrechtsbestimmung dar, deren Schutzgut augenscheinlich die Würde des Staates ist 7 9 . Was aber mit dem Schwert des Strafrechts verteidigt wird, kann nicht ganz ohne Bedeutung sein. Eine aktuelle Erscheinungsform des Bemühens um die Würde des Staates ging unlängst durch die Presse. Ein Bundestagsabgeordneter machte eine Eingabe beim Präsidenten des Deutschen Bundestages, um diesen zu veranlassen, darauf zu achten, daß die Abgeordneten nur in einer Kleidung zu Bundestagssitzungen erschienen, welche der Würde des hohen Hauses auch gerecht werde, sprich, er wollte die Grünen nurmehr in Schlips und Anzug sehen80. Ein etwas älteres Beispiel: Ein bayerisches Gericht legte einem Bürger ein Sprechverbot gegenüber der Behörde auf, weil er offensichtlich durch zu viele Reden die dienstliche Tätigkeit beeinträchtigt hatte. Das Gericht begründete dies mit dem Schutz der Amtsautorität 81 . 3. Aus jenem umfassenden Anwendungsbereich des Würdebegriffes interessieren hier allein die Bemühungen, die „Würde des Staates" als verfassungsrechtliches Prinzip zu verstehen und in ihm sehr praxisrelevante Momente der Legitimationskreativität zu sehen.

78

Grundlegend für die moderne Diskussion K. J. Partsch, Von der Würde des Staates,

196? 79 Vgl. statt vieler G. Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981; vgl. dagegen K. J. Partsch, aaO. (Anm. 78), S. 24. 80 Vgl. die Glosse von Kl. Pokatzky: „Bravo, Herr Abgeordneter", „Die Zeit" Nr. 35 (23. August 1985), S. 1. 81 V G H München, in: BayVBl. 1964, S. 24.

II. Die Legitimationsuntauglichkeit der Staatswürde

35

II. Die Legitimationsuntauglichkeit der Staatswürde 1. Die „Würde des Staates" als kreativ für die Anerkennungswürdigkeit der staatlichen Gewalt anzusehen, stellt von der Intention her nicht unbedingt einen Rückfall in die monarchische Staatsmetaphysik dar. So ist zu verstehen, daß K. J. Partsch, ein engagierter Verfechter des demokratischen und sozialen Rechtsstaats und der Menschenrechte, seiner 1967 gehaltenen Bonner Antrittsvorlesung den damals noch provokanter als heute klingenden Titel: „Von der Würde des Staates" 82 gegeben hat. 2. K. J. Partsch bemüht sich mit Hilfe des „Staatswürdebegriffs", dem Grundgesetz einen verfassungsverbindlichen Grundsatz abzugewinnen, der Rechtsgrundlage einer institutionellen Qualitätssicherung staatlicher Selbstdarstellung sein soll 83. Seine verfassungsrechtlich substantielle Aussage geht dahin, daß die „Würde des Staates" ein vom Grundgesetz anerkanntes Staatsziel sei, aus dem sich nicht nur verbindliche Auslegungskriterien, sondern vor allem Legalität und Legitimation für bestimmte, nicht geregelte Zuständigkeiten ergeben sollen. So habe der Bundespräsident nach Art. 64 Abs. 2 GG das Recht, die Ernennung eines vom Bundeskanzler vorgeschlagenen Ministerkandidaten unter Berufung auf seine Pflicht, die Würde des Staates zu wahren, abzulehnen. Das gleiche nimmt er beim Recht des Bundespräsidenten an, nach Art. 60 Abs. 1 GG, die Bundesrichter, die Bundesbeamten, Offiziere und Unteroffiziere zu ernennen 84 . 3. Von der originellen und in sich geschlossenen Logik dieser Aussage möchte ich meinen gedanklichen Weg mit Respekt, aber sehr deutlich trennen. Dazu sehe ich mich aus mehreren Überlegungen veranlaßt: a) Würde kommt nur einem Individuum zu. Darüber hinaus meine ich, daß Begriffe, die für Menschen gedacht sind, nur unter erheblichen Risiken und auf Kosten präziser Kommunikation auf Organisationen, insbesondere auf den Staat übertragen werden können 85 . Erinnert sei an das schöne Wort von G. 82

Vgl. oben Anm. 78. Vgl. K. J. Partsch, aaO. (Anm. 78), S. 30 ff. Zum Begriff der Selbstdarstellung des Staates vgl. H. Quaritsch, Probleme der Selbstdarstellung des Staates, 1977, S. 8. 84 Vgl. K. J. Partsch, aaO. (Anm. 78). 85 „Würde" — sagt J. Habermas — „ist ja einmal eine feudale Kategorie gewesen. ,Würde 4 war, wenn man in einer hierarchischen Ordnung einen Status innehatte und diesen mit dem richtigen Verhalten ausfüllen konnte — in diesem mittelalterlichen Sinne hat beispielsweise der Papst Würde. Daran gemessen könnte man das Show-Business eines reisenden Massendompteurs vielleicht als würdelos bezeichnen. Demgegenüber ist die Menschenwürde im rationalen Naturrecht, in der modernen Philosophie überhaupt, abstrakter gefaßt worden. Jeder einzelne soll in seiner Autonomie unangefochten, in seiner leiblichen und seelischen Integrität geschützt sein. Diesen universalistischen Begriff gewinnt man aus der Metapher des aufrechten Gangs durch begriffliche Zuspitzung. Das ist ein Beispiel für die kritische Funktion von verheißungsvollen Bildern in theoretischen Zusammenhängen. Verheißungsvoll: die Würde soll ja aus einer feudalen Welt, wo nur die 83

3*

36

§ 5 Zur Theorie von der Würde des Staates

Heinemann, der, gefragt, ob er den Staat liebe, antwortete, er liebe nur seine Frau. b) Strafbestimmungen, wie z. B. § 90a StGB, mit denen der Strafgesetzgeber das Ansehen des Staates schützen will, liefern kein Argument. Sie gefährden, wie G. Bemmann überzeugend dargetan hat, die Meinungsfreiheit, indem sie mit einem kaum eingrenzbaren Begriff operieren. Bemmann hat deshalb ihre Abschaffung gefordert 86 . 4. Von dieser Unzulänglichkeit des „Staatswürdebegriffes" gehe auch ich aus. Vor allem kann „Würde" weder begrifflich noch vom tatsächlichen Ergebnis her in der Praxis die Akzeptanz einer Entscheidung im Bereich der Gesellschaft bewirken oder ersetzen. Würde ist eine apriorische Eigenschaft, sie ist von der konkreten Handlung des „Würdigen" unabhängig. Sie ist seiner Handlung vorgegeben. Akzeptanz hingegen ist eine aposteriorische Beziehung zwischen staatlicher oder politischer Handlung und öffentlichem Bewußtsein. 5. Diese Konzeption der Staatswürde halte ich für nicht ungefährlich. Die Würde des Staates vermag gerade nicht staatliche Gewalt zu legitimieren. Sie ist ihr Gegenteil. Der Begriff der Staatswürde bildet das Korrelat zu einem absolutistischen Staatsverständnis. Das Problem der Legitimation entsteht dagegen erst mit dem Konstitutionalismus und der Entstehung des neuzeitlichen Verfassungsbegriffs. Der Begriff der Legitimation schließt per se einen eigenständigen Würdeanspruch des Staates aus. In demokratischen Ordnungen, bei denen alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, ist für einen Anspruch auf Würde gegenüber diesem Volk kein Raum. Ich meine: Die Demokratie entfaltet keine Würde; sie bewirkt Anerkennungswürdigkeit oder sie hört auf, Demokratie zu sein. 6. Auch vom Legitimationsverständnis M. Webers her ist die autoritäre Konzeption von Legitimität der gleichen Kritik ausgesetzt. Ob der Vorwurf stimmt, den C. J. Friedrich M. Weber macht, letzterer würde Legitimität mit Autorität verwechseln 87, mag hier dahingestellt bleiben. Daß aber M. Weber die Gehorsamsmotivation der Beherrschten in die Autorität der Herrschenden begrifflich und in der Sache übergehen läßt, sagt er ziemlich deutlich 88 : „Der Staat ist . . . ein auf das Mittel der legitimen . . . Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen. Damit er bestehe, müssen sich also die beherrschten Menschen der beanspruchten Autorität der jeweils Herrschenden fügen." Repräsentanten aufrecht gehen, in die bürgerliche und die sozialistische Welt hinübergenommen werden, wo auch die Entrechteten und Beladenen sich aufrichten dürfen — hier und nicht erst im Jenseits." J. Habermas, Nach der Wende, in: ders., Die Neue Unübersichtlichkeit, Kleine politische Schriften V, (Sammlung), 1985, S. 57 (74). 86 Vgl. G. Bemmann, aaO. (Anm. 79), S. 16. 87 Vgl. C. J. Friedrich, Politik als Prozeß der Gemeinschaftsbildung, 1970, S. 87,101. 88 Vgl. M. Weber, Politik als Beruf, in derselbe: Gesammelte Politische Schriften, 4. Aufl. 1980, S. 504 (507).

§ 6 Legitimation durch Glaubwürdigkeit der konkreten Politik I. Fragestellung 1. Schon bei der eingangs versuchten Eingrenzung der Fragestellung 89 hieß es: „ I m Vordergrund der hier angestellten Überlegungen steht das durch die Verfassung geordnete Gemeinwesen, die verfaßte politische und gesellschaftliche Ordnung in Funktion, der Prozeß ihrer alltäglichen Verwirklichung." Gemeint ist die Verfassungsverwirklichung. Sie vollzieht sich im Bereich der verfaßten Staatlichkeit durch die kompetenzmäßige Betätigung der Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. Durch deren konkrete Tätigkeit wird aus der zunächst nur auf dem Papier stehenden Verfassung erst „law in action". 2. Die verfaßte gesellschaftliche und politische Ordnung „ i n Funktion" erschöpft sich aber nicht in der Verabschiedung von Gesetzen, im Beschluß über Verordnungen, in Regierungsentscheidungen, im Erlaß von Verwaltungsakten und in der Verkündung von Richtersprüchen. Darüber hinaus ist das weite Feld der Praxis aller staatlichen und gesellschaftlichen, also der institutionellen wie nicht-institutionellen politischen Akteure zu sehen. Deren Wirken ist maßgeblich für den Zustand der Gesamtordnung und hat — in zeitlicher Perspektive — prägende Wirkung auf die sich ändernden Verstehens- und Praktizierungsweisen der Verfassung: die Verfassungsverwirklichung 90. Hierzu gehören u.a. die Bestimmung der Richtlinien der Politik durch den Bundeskanzler, das parlamentarische Verhalten des Abgeordneten, die staatsrepräsentierende Funktion des Bundespräsidenten durch seine Redepraxis und durch sein Verhalten, die Politik der Parteien und der Verbände, die Handlungsweise von Bürgerinitiativen, die Wahrnehmung der Grundrechte durch die Bürger. Es geht um die Frage, wie legitimationsrelevant jene Ebene der Verwirklichung der politischen Ordnung ist. Die hierzu aufgestellte These lautet: Die Anerkennungswürdigkeit der Institution ist auch abhängig von der Glaubwürdigkeit der konkreten Politik. Im folgenden sollen die Gedanken erörtert werden, die zu dieser These den Anstoß gegeben haben (II, I I I und IV). 89

Vgl. oben, § 1, 4, b. Grundlegend H.-P. Schneider, Direkte Anwendung und indirekte Wirkung von Verfassungsrechtsnormen, in: „ X I . Internationaler Kongreß für Rechtsvergleichung, Caracas 1982, S. 22 ff., bes. S. 44. Dazu jetzt umfassend B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, zu der (unterschiedlichen) Rolle der verschiedenen Akteure im politischen Prozeß der Verfassungsentwicklung, S. 111 ff. 90

38

§ 6 Legitimation durch Glaubwürdigkeit der konkreten Politik

II. Zum Bereich der konkreten Politik 1. Weshalb sich das Legitimationspostulat nicht ausschließlich auf den Staat bezieht, wurde bereits erörtert 91 . Das Herrschaftsmonopol des Staates — so kann man jene Folgerungen zusammenfassen — gehört mehr zur Geschichte als zur Gegenwart moderner demokratischer Staatlichkeit. Die gegenüberstellende Trennung von Staat und Gesellschaft ist zum Verständnis der Legitimation nicht mehr hilfreich. Die gegenwärtig virulente Legitimationsfrage ist nur durch die Befreiung von jener Gegenüberstellung begreiflich. Daher stellt sich die Legitimationsfrage nicht nur für den Staat, sondernfür jede Art der Mitwirkung am politischen Willensbildungsprozeß, unabhängig davon, ob diese Mitwirkung staatliche oder gesellschaftliche Qualität aufweist. 2. Die Frage nach der Legitimation einer politischen Institution stellt sich danach nicht nur auf der abstrakten Ebene des Institutionellen, nicht nur etwa aus der Art der Ableitung der politischen Macht, sondern auch aus der Art ihrer Ausübung 92. Die Akzeptanzfrage bezieht sich nicht nur auf das „Parlament", auf das „Bundesverfassungsgericht", auf die „Parteien" oder das „Parteiensystem". Die These hier lautet: Mit der Überwindung der Kluft zwischen Staat und Gesellschaft in der Demokratie bedürfen nicht nur die verfaßten Institutionen als solche, sondern auch die konkrete Politik als verfassungsrelevante Mitwirkung am politischen Willensbildungsprozeß der Legitimation 93. Hier nun einige Überlegungen, die diese These stützen könnten: a) Man sollte sich fragen: Gibt es Bürger, die eine für sich verbindliche oder jedenfalls faktisch maßgebliche Entscheidung, sei es des Parlaments, der Regierung, eines Gerichtes, einer politischen Partei oder einer anderen gesellschaftlichen Institution nur grundsätzlich und in abstracto beurteilen, akzeptieren oder ablehnen? Natürlich geht es zunächst um die Akzeptabilität der Institution. Der homo politicus aber gibt sich damit nicht zufrieden. Er befragt nicht nur die politische Ordnung oder die Institution in abstracto, sondern auch die konkrete Politik nach sozialer Gerechtigkeit, nach Wirtschaftlichkeit, nach sozialem Frieden, nach Uneigennützigkeit der politischen Handlung, nach Umweltschutz, nach Weltfrieden. Im Hinblick auf solche Grundsatzfragen, die Grundwerte oder Existenzvoraussetzungen tangieren, wird nicht nur die Regierungspolitik bestätigt oder negiert, sondern der Staat als gesamtpolitische Ordnung. Das kann man auch anders ausdrücken: Wenn zur Demokratie die Entmythologisierung des Staates gehört, dann gehört zu ihr auch seine Konkretisierung. Der demokratische Staat lebt nicht von seiner abstrakten

91

Vgl. oben § 4. Vgl. auch U. Scheuner, aaO. (Anm. 5), S. 9. 93 Wie sich heute die Legitimationsproblematik bei ganz bestimmten legislativen Entscheidungen stellt, zeigt mit überzeugendem Material I. Staff, Legalität und Legitimität im demokratischen Gesetzgebungsstaat, in: „Vorgänge", Bd. 70, Heft 4 (1984), S. 6 ff. 92

II. Zum Bereich der konkreten Politik Akzeptanz,

sondern von der konkreten

Verwirklichung

durch die konkrete

Resonanz,

Politik

von seiner

39 glaubwürdigen

94

.

b) Es versteht sich v o n selbst, daß m i t Individualisierung nicht eine Privatisierung des Legitimationsprozesses gemeint i s t 9 5 ; gedacht w i r d an den Institutionsträger nicht als Privatmann, sondern als Amtsinhaber, als Rollenträger. Rollenvorschriften kennt das Grundgesetz wie das einfache Gesetz viele. O f t sind rollenmäßig verdichtete Anforderungen an eine Position auch i m Bereich des informalen Verfassungsrechts 96 angesiedelt. D a z u zählen nicht zuletzt informale I n k o m p a t i b i l i t ä t e n 9 7 , die sich z u m Teil zu normativen Erwartungen verdichten, denen Rechtswirkung beizumessen i s t 9 8 . Regeln informaler I n k o m p a t i b i l i t ä t sollen das Vertrauen i n eine sachgemäße A m t s f ü h r u n g stützen, d . h . eine Vermutung begründen, daß der Amtsinhaber durch seine konkrete Amtsführung dem Gemeinwohl zu dienen versucht u n d nicht allzu persönlichen Interessen verhaftet i s t 9 9 . 3. Der Bezug der Anerkennungswürdigkeit bzw. Glaubwürdigkeit auf die konkrete Politik u n d somit auch a u f die Rollenwahrnehmung, für den hier plädiert wird, widerspricht nicht der entwicklungsgeschichtlichen Gestaltung der modernen Demokratie. Das hat M. Duverger i n seiner Stellungnahme zu E.

94

Zu einer Art Konkretisierung, genauer: zu einer Personalisierung des Machtverständnisses kommt auch M. Duverger, aaO. (Anm. 18), S. 423 ff. M. Duverger setzt sich mit der Durkheimschcn These auseinander, die Entwicklung der Demokratie sei mit der Entpersonifizierung der Macht („depersonnalisation du pouvoir") eng verbunden. Während der Monarch, meint Duverger, seine Macht der Erbschaft verdankt, verdankt sie der „leader" in der Demokratie seinem persönlichen Prestige. Er sagt wörtlich: „Dans une démocratie au contraire, le prestige des leaders vient de leurs qualités personnelles et de la popularité qu'ils obtiennent : il est beaucoup plus individualisé. Le pouvoir était moins personnalisé sous Louis X V I que sous la Révolution, où Danton, Robespierre, Marat polarisaient la confiance populaire. La vénération pour les leaders du peuple est un trait des démocraties, qu'on retrouve fortement marqué dans la naissance des partis ouvriers et des mouvements syndicaux." Was im modernen Staate der Massengesellschaft sich ändert, sei lediglich die Art der Personifizierung. Sie verlagere sich von der lokalen auf die nationale Ebene (S. 425: „La tendance à la nationalisation du pouvoir personnel"). 95 Anders nuanciert, aber in die gleiche Richtung, geht M. Duverger, aaO. (Anm. 18), S. 431, wenn er den Begriff „pouvoir personnel" dem des „pouvoir personnalisé" gegenüberstellt. Dem pouvoir personnel liegt das personelle Element als (mögliche) Legitimationsquelle zugrunde, dem pouvoir personnalisé hingegen das institutionelle Element in der durch den Träger vorgenommenen Konkretisierung. 96

Dazu grundlegend H. Schulze- Fie lit ζ , Der informale Verfassungsstaat, 1984. Hierzu Η. Schulze-Fielitz, aaO. (Anm. 96), S. 69 ff. mit einer instruktiven Systematisierung und zahlreichen Beispielen aus der politischen Praxis der letzten Jahre. 98 Vgl. etwa D. Tsatsos, Die Unzulässigkeit der Kummulation von Bundestags- und Bundesratsmandat, 1965; Th. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz, Art. 51, Rn. 19: „Inkompatibilität kraft ungeschriebenen Rechts". 99 Siehe die Darstellung verschiedener Fälle bei H. Schulze-Fielitz, aaO. (Anm. 96); für den Abgeordneten vgl. H. Sendler, Abhängigkeit der unabhängigen Abgeordneten, NJW 1985, S. 1425 (bes. 1431 f.). 97

40

§ 6 Legitimation durch Glaubwürdigkeit der konkreten Politik

Dürkheims Position — wie er sie sieht — überzeugend dargetan 100 . Das individuelle politische Verhalten hat unter den tatsächlichen Gegebenheiten der modernen Demokratie einen gegenüber früher ungleich größeren Stellenwert im Staatsverwirklichungsprozeß. Die politischen Prozesse sind von nie gekannter Transparenz, bis hin zur konkreten Ausfüllung der einzelnen politischen Führungsrollen. M. Duverger weist zu recht auf die ständig steigende Tendenz der Presse und der anderen Massenmedien hin, sogar über das Privatleben der Politiker zu berichten 101 . Politik gerät in die Nachbarschaft der Massenunterhaltung. Der politische Bürger gefallt sich darin, über alles Bescheid zu wissen, bis hin eben zu Persönlichem oder der Speisenfolge bei Konferenzen. In dieser Informationsflut und in der auf diese Personalisierung der Politik zielende Präsentation geht sicher nicht weniges an wesentlicher politischer Information unter. Diese medienvermittelte Nähe der Bürger zum politischen Prozeß in Gestalt des konkreten Handelns der herausgehobenen politischen Akteure ist aber jedenfalls eine unbestreitbare Tatsache. Die Grenze zwischen Institutionellem und Individuellem wird damit in legitimationsrelevanter Weise aufgehoben: Die persönliche Integrität wird zum — legitimationskräftigen — Politikum. Die Personalisierung hat, jedenfalls bei den Führungspositionen, eine strukturelle Ursache in deren relativer Undeterminiertheit 102 . 4. Die Sicht auf eine Konkretisierung des Legitimationsverständnisses wird in einer eindrucksvollen Weise auch von J. Heidorn gezeigt. Seine Theorie von der „alltagspragmatischen Einbindung als Legitimationsmechanismus" faßt er wie folgt zusammen: „Zusammenfassend lassen sich die legitimierenden Wirkungen der alltagspragmatischen Einbindung wesentlich an zwei Funktionen verdeutlichen. Zum einen bewirkt die alltagspragmatische Einbindung eine generelle Immunisierung gegen die Möglichkeit von Legitimitätszweifeln. Im normalen alltäglichen Reproduktionsverlauf werden Legitimitätsfragen gar nicht erst zum Gegenstand bewußter Reflexion, ganz zu schweigen von praktisch-politischer Handlung. Zum anderen führt ein hohes Ausmaß alltagspragmatischer Einbindung zu einer größeren Wahrscheinlichkeit, daß die Gesellschaftsmitglieder das gesellschaftliche System auch als legitim, als,geltensollend' und erhaltenswert beurteilen, wenn es zu gravierenden sozialen und politischen Krisen und Konflikten kommen sollte." 1 0 3 J. Heidorn stellte jedoch auf die Rolle des Bürgers ab, der legitimiert (oder nicht legitimiert), und nicht auf die Alltäglichkeit der konkreten Machtentscheidung bzw. Verfassungsverwirklichung, die nach Legitimation sucht. A u f dieses letztere aber kommt es mir an.

100 101 102

Vgl. oben Anm. 18. Vgl. M. Duverger, aaO. (Anm. 18), S. 425, 427. Siehe dazu auch M. Morlok, Ehrenschutz auf Staatskosten?, DVB1. 1979, S. 837

(842). 103

J. Heidorn, aaO. (Anm. 2), S. 258.

III. Zum Glaubwürdigkeitsbegriff

41

I I I . Zum Glaubwürdigkeitsbegriff 1. „Glaubwürdigkeit" meint die Vertrauenswürdigkeit von Personen hinsichtlich ihrer Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit in ihrem Verhalten, hier in der Wahrnehmung ihrer Rolle. Eine glaubwürdige Person ist eine, die würdig ist, ihr zu glauben. „Glauben" ist dabei zu verstehen als „vertrauensvoll annehmen" 104 . Bemerkenswert ist dabei das Auftauchen des Begriffs des Vertrauens, welcher zugleich ja eine politische Zentralkategorie unserer Verfassung ist. Glaubwürdig ist derjenige, der des Vertrauens würdig ist — dieser Satz stimmt sprachgeschichtlich, kann aber auch verfassungspolitisch verstanden werden. 2. Politische Herrschaft in der Demokratie kann nur ein Kommunikationsprozeß sein. Deshalb ist es die Glaubwürdigkeit, die Legitimation schafft. Auch eine sprachtheoretische Gegenüberstellung der „Glaubwürdigkeit" zu dem bereits angesprochenen (oben in § 5) Begriff der „Staatswürde" stützt diese These: a) „Würde" ist — sprachtheoretisch betrachtet — „einstellig", d. h. sie hat nur einen Bezugspunkt, nämlich den Inhaber der Würde. „Glaubwürdigkeit" ist demgegenüber „zweistellig": Glaubwürdigkeit bezieht sich auf eine Person oder eine Aussage, die von einer anderen Person für vertrauenswürdig gehalten wird. Glaubwürdigkeit setzt Kommunikation voraus. Anders als „Würde" ist also im Begriff der Glaubwürdigkeit der Bezug zur Umwelt impliziert. Auch ist die Glaubwürdigkeit nicht eine immanente Qualität einer Person, sondern sie wird von anderen Personen aufgrund eines bestimmten Verhaltens zugeschrieben. b) Die Entscheidung über die Glaubwürdigkeit liegt bei jenen anderen Personen. Übertragen auf die Problematik der Legitimation bedeutet dies, daß ein mit dem Begriff der Würde arbeitendes Legitimationskonzept die Würde des Staates aus diesem heraus entwickelt 105 . Es handelt sich gewissermaßen um eine autarke Legitimation. Radikal verschieden davon ist eine Legitimationsvorstellung, welche die Quelle der Legitimation in der Glaubwürdigkeit eines Verhaltens, einer dem Bürger gegenüber eingenommenen Rolle ansieht. Diese sind es, die dem Staat und seinen Repräsentanten Glaubwürdigkeit und Legitimation zusprechen. Diesem Verständnis nach ist also Legitimation abhängig von den Bürgern. Sie hat ihre Wurzeln im Grundsatz der Volkssouveränität. Im Gegensatz dazu ist „Würde des Staates" verankert in einer naturrechtsbedingten Selbstverherrlichung des Staates (Etatismus). 104 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 7, Nachdruck der Erstausgabe 1949-1984, Stichwort „glaubwürdig", Sp.7914ff. und Stichwort „Glauben", Sp. 7820 (7823 ff.). 105 Sehr eindrucksvoll und viel aussagend für die geschichtlich bedingte Funktion der Staatswürdetheorie ist die im Jahre 1758 gemachte Aussage von Emer de Vattel: „ L a Dignité, la Majesté réside originairement dans la Corps de l'Etat; celle du Souverain lui vient de ce qu'il représente sa Nation." (E. de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, appliqués à la conduite et aux affaires des Nations et des Souverains, Leyden 1758, Livre II, Chap. III, § 38).

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§ 6 Legitimation durch Glaubwürdigkeit der konkreten Politik

c) Würde ist statisch und nicht begründungspflichtig. Sie ist sozusagen „begriffsimmanent", ein „Begriffsmerkmal" ihres Trägers. Sie braucht nicht erkämpft zu werden. Glaubwürdigkeit hingegen ist dynamisch; sie muß erkämpft werden, setzt die Artikulation einer ratio voraus; sie ist nicht ab initio gegeben, sondern muß erst einmal errungen werden, mehr noch, sie muß immer wieder neu errungen bzw. bestätigt werden. IV. Operationalität durch Geschichtlichkeit 1. Es drängt sich nun die Frage auf, wann und wie man in der politischen Wirklichkeit auf das Kriterium der Glaubwürdigkeit abstellen kann, will man es wie hier vorgeschlagen, für die legitimationsschaffende Kraft der konkreten Politik, für den Prozeß der Verfassungsverwirklichung fruchtbar machen. 2. Aus dem Versuch, den legitimatorischen Glaubwürdigkeitsbegriff aus seiner Gegenüberstellung zum Begriff der Würde des Staates zu verstehen, hat sich seine Aposteriorität herausgestellt. Von Anwendungsinteressen her gesehen muß man fragen, wann sich die Legitimationsproblematik stellt (unter 3.) und wie diese Frage überhaupt beantwortbar ist (unter 4.). 3. Die Frage, wann ein Urteil über die so verstandene legitimationschaffende Kraft der konkreten Politik möglich ist, kann mit Hilfe einer Gegenüberstellung zur Legalität beantwortet werden. Die Legalität, also die Übereinstimmung einer Handlung mit dem gesetzten Recht, ist ein Urteil, das vor dem Vollzug der politischen Handlung abgeschlossen sein sollte. Sie ist und bleibt die Körbedingung aller demokratischen Entscheidungen. Bei der Frage der Anerkennung sieht es hingegen anders aus. Im Moment der Vornahme einer Handlung kann es nur um die Chance gehen, daß diese von ihren Adressaten und interessierten Dritten anerkannt wird, d.h. für legitim erachtet wird. Zwar dürfte zum demokratischen Selbstverständnis und zur demokratischen Selbstdarstellung in der Demokratie gehören, daß der vorzunehmende Akt als glaubwürdig und als hinnehmungswürdig angenommen werden wird. Der Legitimationsprozeß im ganzen hat damit aber erst begonnen. Die Anerkennungswürdigkeit der Handlung oder die politische Glaubwürdigkeit der Amtsträger kann durch deren Verhalten nur aposteriori bewirkt werden. Anders als die Legalität, die eine rechtliche Vorbedingung einer ordnungsgemäßen Handlung ist, die somit apriorischer Natur ist, besteht die Legitimation in einem geschichtlichen Urteil 106. Der Konflikt um die Legitimation einer vorzunehmenden Handlung kann nur die Prognose über die Möglichkeit und den Umfang der Akzeptanz betreffen. Ob eine politische Entscheidung im Ergebnis als legitim anerkannt werden wird oder nicht, kann daher erst nach der politischen Entscheidung und deren Umsetzung, also im nachhinein, beantwortet werden. 106 W. v. Simson, aaO. (Anm. 5), S. 466, sagt zu Recht, daß die Versuche, das Kriterium der Legitimität zu erkennen, nur „auf Beobachtungen der effektiven geschichtlichen Zustände beruhen können".

IV. Operationalität durch Geschichtlichkeit

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4. Zur Frage, wie die Legitimationsfrage überhaupt beantwortbar ist, sei folgendes bemerkt: a) Das gesellschaftliche Urteil über die Glaubwürdigkeit ist das Ergebnis eines Prozesses der Machtverhältnisse, ein Ergebnis, das sich als „Wertverwirklichung" selbstdarstellt 107 . Ob und in welchem Maße der jeweiligen konkreten Politik Legitimation zukommt, ist in der pluralistischen Gesellschaft Gegenstand der verschiedenen gesellschaftlichen Konflikte. Anders formuliert: Der Legitimationsprozeß ist der ideologische Ausdruck der gesellschaftsimmanenten Auseinandersetzungen. Die Frage also stellt sich lediglich für diejenigen Kräfte, die von der getroffenen politischen Entscheidung nicht oder nicht genügend berücksichtigt worden sind 1 0 8 . Deren Einstellung und Haltung bestimmen die Kompromißbildungsfähigkeit der politischen Entscheidungen. Anerkennungswürdigkeit ist in der Demokratie identisch mit der Anerkennungsfähigkeit 109 . b) Auch im tatsächlichen politischen Geschehen fallen Anerkennungswürdigkeit und Anerkennungsfähigkeit zusammen. Dies begründet die Geschichtlichkeit der Legitimation: weil der Ausgang des Legitimationsprozesses so lange offenbleibt, solange in der Gesellschaft über die betreffende Frage ein wesentlicher Konflikt ausgetragen wird 1 1 0 . Auch wenn ein bestimmter Streit einmal beigelegt ist, so steht die Abgeschlossenheit des Legitimationsprozesses unter der Bedingung, daß die Frage nicht aufs Neue gestellt wird. Besteht aber kein Konflikt mehr über eine bestimmte politische Entscheidung, dann stellt sich auch das Legitimationsproblem nicht mehr. Daraus ergibt sich, daß die Legitimationsfrage nur durch die Negation oder mindestens die Infragestellung der Anerkennungswürdigkeit einer bestimmten Entscheidung entsteht. c) R. Inglehart spricht von „silent revolution" und J. Heidorn vom „gesellschaftlichen Wertwandel" 111 . Ohne auf die von jenen Autoren behandelte 107

Vgl. M. Miaille, aaO. (Anm. 7), S. 267. S. M. Lipset sagt: „While effectiveness is primarily instrumental, legitimacy is evaluative. Groups regard a political system as legitimate or illegitimate according to the way in which its values fit with theirs.", aaO. (Anm. 18), S. 88. 109 In eine ähnliche Richtung gehen die eindrucksvollen Formulierungen von W. v. Simson, aaO. (Anm. 5), S. 460: „Aber die Legitimationskraft aller dieser Grundlegungen erweist sich bei näherer Betrachtung als bedingt. Nicht ihr absoluter Wahrheitsgehalt, sondern ihr zeitweiliges Überzeugungspotential gab und gibt ihnen ihre Kraft. Sie wirken, wie Niebuhr es einmal ausgedrückt hat, als der Talisman, der den Dämon der Revolution gefangen hält. Der Bann bricht, wenn sich Forderungen und Hoffnungen erheben, denen seine Kraft nicht gewachsen ist. Wo immer die bestehende positive Rechtsordnung aufhört, der ihr von der Gesellschaft zugemuteten Aufgabenstellung adäquat zu erscheinen, da erhebt sich der Zwiespalt zwischen Legalität und Legitimität, oder dem, was novarum rerum cupidi als solche in Anspruch nehmen." 110 Oder, wie J. Winckelmann sagt, kann „neben der Frage der Legalität diejenige nach der Legitimität der staatlichen Willensbildung niemals verstummen, ohne daß das Recht selbst zu schweigen beginnt.", vgl. J. Winckelmann, aaO. (Anm. 48), S. 173. 111 Vgl. J. Heidorn, aaO. (Anm. 2), S. 220 ff.; R. Inglehart, The Silent Revolution. Changing Values and Political Styles among western Publics, Princeton 1977. 108

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§ 6 Legitimation durch Glaubwürdigkeit der konkreten Politik

Krisen- und Unregierbarkeitsproblematik eingehen zu können, kann eine, wie ich meine, richtige Sicht gewonnen werden. Von dieser Sicht der Legitimationsproblematik aus stellt sich der politische Prozeß als durch das Offenbleiben und die relative Permanenz der Legitimationsfrage geprägt dar. Demokratie stellt sich dar als „Prozeß ständiger Erneuerung staatlicher Legitimität" 1 1 2 . Die Funktion der Frage nach der Legitimation besteht dann in dem Einfluß, den die Prognose über den Ausgang der offenen Auseinandersetzung, den die anstehende politische Entscheidung auslöst, auf jene politische Entscheidung hat. d) Gerade dieses Legitimationsverständnis erlaubt die Kontrastierung von Legitimation und Massenloyalität, wie sie von C. Offe und W.-D. Narr begriffen wird 1 1 3 . Legitimation erscheint dann als differenzierter aktiver Konsens, der nicht als volonté générale, sondern als Ausdruck des gesellschaftsimmanenten Konflikts zu verstehen ist. Auch mein Anliegen ist es, die so verstandene Legitimation gerade in ihrem Gegensatz zu einer Massenloyalität, die durch eine scheindemokratische Akklamation hergestellt wird, zu verstehen. 5. Gegen die hier aufgestellte These der Legitimation durch Glaubwürdigkeit der konkreten Politik könnten eine Reihe von Einwendungen vorgebracht werden. Zwei naheliegende Gegenargumente sollen hier bereits angesprochen werden: a) Gegen die Operationalität des Kriteriums der Glaubwürdigkeit könnte dessen Beliebigkeit, die Austauschbarkeit seines Inhalts, kurz die Gefahr der Willkürlichkeit angeführt werden. Die letzte Instanz, die im Legitimationsprozeß urteilt, ist nämlich, wie Κ . Hesse zu Recht sagt 1 1 4 , das Rechtsgewissen. Damit ist in der Tat weitgehende Offenheit und Wandelbarkeit gegeben. Dieser Einwand ist nicht aus der Welt zu schaffen. Er hat seine Richtigkeit. Er berechtigt aber nicht, dieses Kriterium zu verwerfen. Immerhin unterliegt nämlich nicht nur der Begriff der Glaubwürdigkeit dem gesellschaftsimmanenten Konflikt und dem Wandel der Geschichte. Auch die Inhalte zentraler Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie haben wechselnde Inhalte. Auch diese Begriffe sind nicht gegenüber dem historischen Wandel, etwa durch gesetzgeberische Maßnahmen oder wissenschaftliche Definitionen, abgesichert. Das ist auch gut so. Nur wenn sie offenbleiben für die Probleme und Zielvorstellungen der jeweiligen Zeit, haben diese Begriffe ihre Bedeutung für die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens. Trotz oder eben wegen dieser Offenheit haben diese Begriffe, oder genauer, der Kampf um ihre Inhalte, die Weltgeschichte bewegt und zu einer gewissen Transparenz des historischen Geschehens beigetragen.

112

W. Schmidt, aaO. (Anm. 65), S. 214. Vgl. C. Offe/ W.-D. Narr, Einleitung, in dieselben (Hrsg.), Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität, 1975, S. 9-46, bes. S. 28. 114 Vgl. K. Hesse, aaO. (Anm. 70), Rn. 35. 113

IV. Operationalität durch Geschichtlichkeit

45

b) Die Anforderungen, die man mit dem hier vorgeschlagenen Legitimationsverständnis an die verfassungsrelevanten politischen Handlungen stellt, so könnte argumentiert werden, sind ohne praktische Bedeutung, weil keine fixierten Sanktionen zur Sicherung dieser Legitimation bereitstehen. Gegen dieses recht handfeste, praktische Argument könnte man die prägende Wirkung der bereits erwähnten Prognosefunktion des Legitimationspostulats vorbringen. Aber auch darüber hinaus und grundsätzlich sei bemerkt: Das Fehlen einer Sanktion entkleidet den Legitimationsprozeß nicht seiner Bedeutung. Vergessen wir doch nicht, daß das sanktionslose Gesetz par excellence in der Geschichte das Gesetz der Demokratie ist. Das ist aber gerade ihre Stärke. Davon abgesehen: Was heißt „Sanktion"? Es gibt Sanktionen, die der Jurist in seiner positivistischen Überheblichkeit verachtet, weil sie nicht sogleich eintreten. Ohne Sanktion bleibt letzten Endes kein geschichtlich begründetes Gesetz. Auch das Gesetz der demokratischen Legitimation durch konkrete politische Glaubwürdigkeit bleibt nicht ohne Sanktionen. Ich denke dabei an die Geschichte; sie wartet, wertet, droht und stärkt, um somit der Politik ihre ratio zu geben. M . Miaille hat, unter Berufung auf M. Duverger, die französische Verfassungsgeschichte als die Geschichte eines Kampfes zwischen verschiedenen „Legitimitätskonzeptionen" bezeichnet 115 .

115

Vgl. M. Miaille, aaO. (Anm. 7), S. 265.

§ 7 Die Verfassungsrelevanz I. Fragestellung 1. Das Thema Verfassungsrelevanz der Legitimation enthält eine Reihe von Grundsatzfragen. Auch hier also, genau wie im Bereich der grundsätzlichen Legitimationsproblematik, gibt es mehrere Ebenen des Legitimationsprozesses. Entstehungsgeschichtlich könnte man fragen, wie legitimiert der Verfassungsgeber von 1949 war. Darum geht es hier nicht. Spannend ist auch die Frage, wie sich repräsentative und partizipatorische Elemente der Grundgesetzstrukturen aus der Sicht der Legitimationsproblematik zueinander verhalten. Hier kann man auf die eingehende Untersuchung und den anschaulichen Überblick hinweisen, den uns H.-J. Menzel liefert 116 . Auch darum geht es mir hier nicht. 2. Worum es mir hier geht, ergibt sich aus dem bisherigen Befund. Er lautet, daß sich der Legitimationsprozeß (auch) auf der Ebene der konkreten Politik vollzieht, und zwar durch deren Fähigkeit, durch Kompromißbildungsfahigkeit Glaubwürdigkeit zu schaffen. Dieser Befund wurde im Blick auf Theorie und Praxis der modernen Demokratie gewonnen. Er könnte — so meine ich — eine normative Begründung im Grundgesetz finden. 3. Im folgenden geht es um Argumente, die zwei Thesen stützen sollen: a) Die Art, wie sich die Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und sozialer Rechts- und Bundesstaat (Art. 20 Abs. 1 GG) verwirklicht, ergibt sich nicht nur aus Kompetenznormen, Grundrechten und Verfahrensnormen. Ebenso relevant für die Verwirklichung der politischen Ordnung, die das Grundgesetz errichtet, sind Modalitäten der Staatspraxis wie auch die Sorge um die Qualität der Funktionserfüllung durch die konkrete politische Handlung und (oder) Haltung der Institutionsträger (unter II). b) Gerade in diesem Bereich weist die Glaubwürdigkeit Legitimationsrelevanz auf (unter III).

der konkreten Politik

II. Zur Verfassungsrelevanz der konkreten Politik 1. Stellt die Grundgesetzordnung eine Wertrahmenordnung im Wandel dar, so kann sich diese Ordnung nur durch die sie konkretisierende Tätigkeit der Träger politischer Institutionen verwirklichen. Die Institutionsverwirklichung 116

Vgl. aaO. (Anm. 5).

II. Zur Verfassungsrelevanz der konkreten Politik

47

durch Funktionsausübung bringt eine sachimmanente Prägung der Institution durch die Person mit sich. Die Funktionserfüllung als Wahrnehmung einer Rolle durch den Institutionsträger kann aber durch Normen nur beschränkt vorgeschrieben werden. Elemente der individuellen Kreativität sind jeder Funktionsausübung immanent. Diese geschichtlich kreative Konkretisierung der politischen Ordnung vollzieht sich vor allem in dem Bereich, in dem der Institutionsträger seine Haltung und seine Entscheidung nicht aus konkreten Kompetenznormen oder Verfahrensnormen der Verfassung ableiten kann, also in dem Bereich, wo die normative Möglichkeit der Verfassung endet, die Funktionsausübung vorzuschreiben. 2. Der Bereich der konkreten Politik ist vom Prozeß der Grundgesetzverwirklichung nicht zu trennen und hicht aus ihm wegzudenken. Wenn beispielsweise der Bundestag über ein konstruktives Mißtrauensvotum einen neuen Politiker zum Bundeskanzler gewählt hat, so bleibt auf das Ersuchen des Bundestags hin die Entlassung des bisherigen und die Ernennung des neu gewählten Bundeskanzlers die einzige Entscheidungsmöglichkeit des Bundespräsidenten (Art. 67 Abs. 1 GG). Hier ist die Funktionsausübung vorgeschrieben. Es gibt keinen Raum für eine von besonderen Erwägungen getragene oder persönlich eingefarbte Entscheidung. Die Verwirklichung der Verfassung ist streng determiniert. Hier ist nur ein Verfassungsvollzug, keine kreative Verfassungsverwirklichung denkbar 117 . Wie der Bundespräsident sich aber verhält, wenn die Bedingungen des Art. 68 GG vorliegen — sowohl Parlamentsauflösung als auch Aufrechterhaltung eines Minderheitskabinetts stehen ihm zu —, ist eine kreative Handlung der Verfassungsverwirklichung. Die Verfassung wird durch „den Prozeß ihrer Verwirklichung in der Praxis selbst immer wieder hergestellt" 118 . 3. Daß solche Vorgänge auch im Sinne des Grundgesetzes eine Verfassungsrelevanz aufweisen, zeigen Bestimmungen, die darauf abzielen, diesen kreativen Verfassungskonkretisierungsprozeß frei von sachfremden Beeinflussungen zu halten. Typisch dafür sind die Inkompatibilitäten, die als Sicherung einer „funktionsgerechten Funktionsausübung" gedacht sind. Grundlegend für die Logik des Inkompatibilitätsinstituts ist der Vorgang der Funktionsausübung durch Personen. Die Rechtsordnung will der Gefahr begegnen, die sich aus der gleichzeitigen Wahrnehmung von Rollen durch ein und dieselbe Person ergibt, wenn jene Rollen entgegengesetzte Haltungen voraussetzen 119. Das Inkompatibilitätsinstitut schützt die Qualität der Funktionserfüllung vor Einwirkungen von sachfremden Verhaltensmotivationen. Die sachfremde Verhaltensmotivation kann sich aus dem Konflikt zwischen privaten Interessen und öffentlichem

117

Vgl. H.-P. Schneider, aaO. (Anm. 90), S. 44. Vgl. H.-P. Schneider, aaO. (Anm. 90), S. 46. 119 Vgl. D. Tsatsos, Die parlamentarische Betätigung von öffentlichen Bediensteten, 1970, S. 156 ff. 118

48

§ 7 Die Verfassungsrelevanz

Bereich ergeben (wirtschaftliche Inkompatibilitäten) 120 , sie kann sich aber auch aus der Gegensätzlichkeit zweier öffentlicher Bereiche ergeben 121 . Die Logik der Inkompatibilität zeigt, daß die Rechtsordnung auch dort Erwartungen anmeldet, wo sie den Prozeß der Verwirklichung der grundgesetzlichen Ordnung nicht mehr exakt durch Kompetenz-, Verhaltens- und Grundrechtsnormen regulieren kann, also dort, wo die relativ freie Konkretisierung der Rechtsordnung durch „funktionsgerechte Funktionsausübung" einsetzt. Nicht zufällig bilden sich an eben dieser Stelle, wie oben angesprochen 122, informale Erwartungen des Verfassungsrechts. Die Vorkehrungen, die das Grundgesetz ausdrücklich und auch in Gestalt informaler Erwartungen für die Qualität der Verwirklichung der politischen Ordnung trifft, sind zu begreifen als Vorsorge für die legitimationsschaffende Kraft der konkreten Politik. Der hier angesprochene Bereich, wo die Verwirklichung der vom Grundgesetz normierten politischen Ordnung notwendigerweise auf das individuelle Verhalten des Funktionsträgers (oder der Funktionsträger) angewiesen ist, kann mit Legalitätskriterien nur unzureichend erfaßt werden. Entscheidendes liegt jenseits dieses Maßstabs (—was keineswegs bedeutet, daß dieser Maßstab nicht anzulegen sei!). M i t den Inkompatibilitätsbestimmungen wird die Erwartung des Grundgesetzes zum Ausdruck gebracht, daß die konkreten politischen Handlungen, welche die politische Ordnung jeweils neu realisieren, auf Anerkennungswürdigkeit ausgerichtet sind, und zwar vorzugsweise durch ihre Eigenschaft, Kompromißbildungen zu ermöglichen. Deswegen sind Fragen der politischen Kultur oder des „politischen Stils", letztlich der politischen Ethik, von so großer Bedeutung —, und zwar eben nicht nur für die Ethik, sondern eben und gerade auch für das Verfassungsleben. 4. Man könnte daher sagen: Die Grundgesetzordnung verwirklicht sich durch die konkrete Politik aller, die am politischen Entscheidungsprozeß mitwirken. Daraus ergibt sich, daß auch die Akzeptanz des politischen Entscheidungsprozesses sich nicht allein auf die institutionelle Ebene beschränken kann. Die Institution—ob staatlich oder gesellschaftlich—wird für den Bürger erst durch die Funktionsausübung sichtbar und spürbar. Die Wahrnehmung der politischen Ordnung durch den Bürger vollzieht sich auf der Ebene der konkreten Politik. Was vorher über den demokratischen Staat schlechthin gesagt wurde, gilt auch für die politische Ordnung des Grundgesetzes: sie lebt nicht nur von ihrer abstrakten Akzeptanz, sondern auch von ihrer konkreten Resonanz, d. h. von der Anerkennungswürdigkeit ihrer Verwirklichung durch konkrete Politik.

120 V g l S. 161 ff. 121 122

w

Weber, Parlamentarische Unvereinbarkeiten, AÖR, N.F. Bd. 19 (1930),

Vgl. W. Weber, aaO. (Anm. 120), S. 239 ff. Vgl. oben § 6, II, 2 und Anm. 96, 97.

III. Zur Verfassungsrelevanz des Glaubwürdigkeitsbegriffs

49

I I I . Zur Verfassungsrelevanz des Glaubwürdigkeitsbegriffs 1. Eine Reihe von Bestimmungen des Grundgesetzes zeigen, daß an die Verfassungsverwirklichung durch konkrete Politik auch qualitative Anforderungen gestellt werden. Solche Anforderungen sind es, die die Verfassung zum „Instrument politischer Verhaltenssteuerung" erheben 123 . 2. Eine erste eindrucksvolle Bestätigung solcher Glaubwürdigkeitsanforderungen findet man in der prägnanten Auslegung der Funktion des Bundespräsidenten durch K. Hesse. Der Bundespräsident ist danach das Organ, das die Erhaltung der staatlichen Einheit zu verkörpern hat. Diese Einheit müsse er nach außen und nach innen repräsentieren. Daher komme ihm die Rolle einer neutralen Kraft z u 1 2 4 . Sein Erfolg ist also mehr eine Frage persönlicher Glaubwürdigkeit als eine solche verfassungsrechtlicher Kompetenz. Hier wird besonders deutlich, daß Staatsverwirklichung nicht nur mit „Befugnissen", „Zuständigkeiten", also nicht nur mit legislativer, exekutiver oder judikativer Tätigkeit verbunden ist, auch nicht nur mit der potestas der gesellschaftlichen Faktoren. Staatsverwirklichung wird auch und manchmal gerade durch die konkrete Politik, durch das konkrete Verhalten eines Institutionsträgers vollzogen. Dafür gibt es kein besseres Beispiel als das der Redepraxis von Staatsoberhäuptern. Ihr geschriebenes oder gesprochenes Wort stellt eine schwerwiegende verfassungsrelevante Handlung dar, denn die Verfassung steckt den Rahmen für den gesamten politischen Prozeß ab. Dies gilt insbesondere für den an Entscheidungskompetenzen armen Bundespräsidenten. In der Tat ist die Konzeption, die der jeweilige Amtsinhaber von der Rolle des Bundespräsidenten hat, etwa eher in Richtung auf „political self restraint" oder „political activism", zum guten Teil nach seinen Reden zu beurteilen. Es ist deshalb bezeichnend — und insofern auch richtig —, wenn man die Reden des Bundespräsidenten unter den — extensiv ausgelegten — Art. 58 G G (Gegenzeichnungsprinzip) subsumiert 125 . Daß die Rede des Staatsoberhaupts von der Verfassungsrelevanz her viel mehr Gewicht haben kann als etwa die Ernennung eines Unteroffiziers nach Art. 60 Abs. 1 GG, liegt auf der Hand. Eine solche Konkretisierung der Politik durch das personelle Verhalten des Institutionsträgers ist der Entwicklung des Demokratieprinzips und dessen Verwirklichung im modernen Staat immanent. Erinnert sei hier an die zu Recht viel beachtete Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985: „Die

123

Vgl. H.-P. Schneider, aaO. (Anm. 90), S. 42. So K. Hesse, aaO. (Anm. 70), Rn. 656. 125 So u.a. Th. Maunz, aaO. (Anm. 98), Art. 58, Rn. 2; U. Hemmerich, in: /. v. Münch (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, 2. Aufl. 1983, Art. 58, Rn. 4; K. Stern, aaO. (Anm. 68), S. 213 f.; anderer Auffassung W.-R. Schenke, in: Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Art. 58, Rn. 20ff.; J. Jekewitz, Alternativkommentar, Bd. 2, 1984, Art. 58, Rn. 5f., die beide auf organschaftliches Handeln und auf rechtliche Wirkungen der Handlungen des Bundespräsidenten abstellen. 124

4

Tsatsos

50

§ 7 Die Verfassungsrelevanz

Deutschen und ihre Identität" 1 2 6 . Diese Rede tangiert in einer, für einen Deutschen dramatischen, aber zugleich weltethischen Weise die politische Physiognomie dieses Landes und dessen Bürger. Aus der bundesweiten Diskussion und dem weltweiten Widerhall auf diese institutionsprägende Rede ergibt sich, daß sie als eminent wichtiges Moment der Staatsverwirklichung die Frage nach ihrer Legitimationsbedeutung per se aufwirft und somit die Frage, ob die grundgesetzlich verankerten Verhaltenserwartungen durch den Bundespräsidenten erfüllt wurden. 3. Die Glaubwürdigkeit als Richtschnur staatlichen Handelns ergibt sich noch deutlicher aus typischen verfassungsrechtlichen Handlungsrichtlinien

121

a) Eine solche Handlungsrichtlinie normiert Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG über das freie Mandat des Bundestagsabgeordneten: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Auftrag und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." Obwohl in der Wirklichkeit des repräsentativen Parteienstaats auch die Bedeutung der ausschließlichen Gewissensunterworfenheit des Abgeordneten 128 nicht mehr von traditionell-liberalem Gedankengut her verstanden werden kann, wird jenes Prinzip nicht durch Art. 21 Abs. 1 G G verdrängt 129 . Das Grundgesetz hält seine Verhaltenserwartungen an den individuellen Abgeordneten aufrecht. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG will den Abgeordneten — sieht man von seiner Parteizugehörigkeit a b 1 3 0 — möglichst von Zwängen und Abhängigkeiten freistellen. Diese Bestimmung normiert nicht das Abgeordne126 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 12. 6. 1985 (Nr. 64, S. 537). 127 Gerade an dieser Stelle ergeben sich Verbindungslinien zwischen der Unregierbarkeitstheorie und dem hier vorgestellten Legitimationsverständnis. Vgl. zum Ganzen J. Heidorn, aaO. (Anm. 2), S. 235. Dort heißt es (unter Bezugnahme auf B. Guggenberger, Sind wir noch regierbar?, 1975, S. 38): „Damit wird Effektivität immer mehr zum erstrangigen Legitimitätskriterium staatlichen Handelns." Die Kompromißbildungsfahigkeit als Legitimationskriterium unterscheidet sich sehr wesentlich von derjenigen Theorie, die Legitimation als Chance des Gehorsams der Bürger versteht (Max Weber). Bei M. Weber geht es eben um das Primat des Gehorsams, in dem die Akzeptanz allein und ausschließlich in ihrer Gehorsamskreativität eine Bedeutung erlangt. Bei dem Primat der Akzeptanz hingegen geht es um die demokratische Abhängigkeit der politischen Macht von der Einstellung der Bürger. 128 Vgl. statt vieler H.-P. Schneider, in: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Alternativkommentar), Bd. 2, 1984, Art. 38, S. 253 ff. 129 Klassischen, freilich überzogenen Gedankenausdruck hat „der Strukturwandel der modernen Demokratie" durch G. Leibholz gefunden, in derselbe: Strukturprobleme der modernen Demokratie, Neuausgabe der 3. Aufl. (1967) von 1974, S. 78 ff. (zuerst erschienen 1952). Vgl. auch K. Hesse, aaO. (Anm. 70) S. 228f.,Rn. 598f.; D. Tsatsos, Mandatsverlust bei Parteiwechsel, DÖV 1971, S. 253 ff.; P. Badura, in: Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Art. 38, Rn. 23 ff.; H.-P. Schneider, aaO. (Anm. 128), Art. 38, S. 266ff.,Rn. 18f., S. 278f., Rn. 29f.; zuletzt M. Stolleis, aaO. (Anm. 10), S. 15f. 130 P. Badura, aaO. (Anm. 129), Rn. 65ff.; H.-P. Schneider, aaO. (Anm. 128), S. 280ff.; weitergehend: N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, 1975; Th. Oppermann, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, VVDStRL 33 (1975), S. 7 (51 ff.).

.

III. Zur Verfassungsrelevanz des Glaubwürdigkeitsbegriffs

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tenverhalten selbst. Vielmehr will sie die Bedingungen dafür schaffen, daß Willensbildung und politische Entscheidung des Abgeordneten frei von sachfremden Motiven, d.h. auch von politisch unkontrollierbaren Bindungen, bleiben können. Gegenstand der Garantie des freien Mandats ist die Bedingung für eine verantwortliche und damit glaubwürdige Wahrnehmung des Abgeordnetenmandats 131 . Daraus ergibt sich, daß die „Gewissensentscheidung" des Abgeordneten nicht in erster Linie und nicht allein nach Legalitätskriterien zu beurteilen ist, sondern nach ihrer Bedeutung für die Legitimation der parlamentarischen Entscheidungen 132 . Das Grundgesetz stellt durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG die Voraussetzungen — nicht die Garantie — für eine glaubwürdige Verwirklichung der parlamentarischen Institution her. Dazu zählt nicht zuletzt die Fähigkeit wie die Bereitschaft zur Kompromißbildung: Der in seinem Status gesicherte Abgeordnete begründet erst die Notwendigkeit, sich mit den verschiedenen vertretenen Positionen und Interessen mit dem Ziel eines möglichst viele zufriedenstellenden Kompromisses auseinanderzusetzen 133. Insofern hängt die Glaubwürdigkeit der nach der Mehrheitsregel getroffenen Entscheidungen auch von der „Druckresistenz" der einzelnen Entscheidungsträger ab. b) In die gleiche Richtung der strukturellen Sicherung eines glaubwürdigen Entscheidungsverfahrens gehen die gegenwärtigen Bemühungen zur Stärkung der Stellung des einzelnen Abgeordneten im Rahmen einer (kleinen) Parlamentsreform 134 . Dasselbe gilt für die Sorge, die das Grundgesetz durch die Instititio-

131 Vgl. A. Greifeid, Das Wahlrecht des Bürgers vor der Unabhängigkeit des Abgeordneten, Der Staat, Bd. 23 (1984), S. 501 (503). Von „einer sachgerechten Tätigkeit der Abgeordneten" als ratio der Verfassungsnormen über die vierjährige Wahlperiode spricht das Rotationsurteil des niedersächsischen Staatsgerichtshofes vom 5. 6. 1985 (StGH 3/84), S. 27. 132

Zur Deutung des freien Mandats im Rahmen des demokratisch-parlamentarischen Entscheidungssystems insgesamt A. Greifeid, aaO. (Anm. 131). Zum im Text erwähnten Gedanken vgl. H.-P. Schneider, aaO. (Anm. 128), S. 267, Rn. 19: „Die in der Freiheit des Abgeordnetenstatus begründete Unabhängigkeit des Mandats reicht freilich nicht bis zur völligen Unverantwortlichkeit des Mandatsträgers". Wie H.-P. Schneider zu Recht bemerkt, findet das Verantwortungsprinzip lediglich in der Bestätigung (oder NichtBestätigung) durch das Volk seine Realisierung (S. 268). Diese „Realisierung" würde ich nicht allein der Legalität, sondern auch und vor allem dem Legitimationspostulat subsumieren. 133 Zum Zusammenhang von Mehrheitsprinzip und Kompromißbildung siehe Ch. Gusy, Das Mehrheitsprinzip im demokratischen Staat, AÖR 106 (1981), S. 329 ff. abgedruckt in B. Guggenberger / C. Offe (Hrsg.), A n den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, 1984, S. 61 (71). 134 Vgl. Entwürfe des Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes: Entwurf der Fraktion der SPD (BT-Drucks. 10/3557 vom 25.6. 1985), Entwurf der Fraktion der C D U / C S U und F.D.P. (BT-Drucks. 10/3544 vom 21. 6.1985). Zum aktuellen Stand der Problematik in anderen Parlamenten der Welt vgl. in: „Constitutional and Parlamentary Informations" (hrsg. von der Interparlamentarischen Union), 1st. Serie Nr. 143, 3rd. Quarter 1985. Vgl. auch H. Hamm-Brücher, Sie könnten Motor sein, in: „Die Zeit", Nr. 25 vom 14. Juni 1985, S. 56.

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§ 7 Die Verfassungsrelevanz

nen der Indemnität 135 und der Immunität 1 3 6 wie auch des Kündigungsverbots bei Mandatsübernahme und des Behinderungsverbots der Mandatsausübung nach Art. 48 Abs. 1 und 2 GG der Stellung und der Handlungsweise des Abgeordneten angedeihen läßt 1 3 7 . c) Vergleichbare strukturelle Vorkehrungen für eine glaubwürdige Funktionsausübung trifft das Grundgesetz auch durch die Statusbestimmungen des Richters in Art. 97 und 98 G G 1 3 8 . Die Bestimmungen über die sachliche und persönliche Unabhängigkeit des Richters wollen die Bedingungen für eine unparteiliche und allein an das Recht gebundene Amtsausübung herstellen. Sie werden durch die Rechte der Verfahrensbeteiligten begründenden einfachgesetzlichen Vorschriften über den Ausschluß eines Richters von der Ausübung seines Amtes und über die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ergänzt. Wiederum werden hier rechtliche Regelungen durch solche informaler Art unterstützt 139 . 4. Die Notwendigkeit zur Erhaltung der Glaubwürdigkeitsbedingungen der Politik ergibt sich nicht nur aus einer Interpretation der erwähnten einzelnen verfassungsrechtlichen Bestimmungen. Man denke etwa auch an die vielzitierten „Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaats", insbesondere im Hinblick auf die „Parteienstaatlichkeit" 140 , an „Parteienverdrossenheit" und „Parteimüdigkeit", an den Vorwurf der Käuflichkeit der Parteien 141 wie auch an 135 E. Friesenhahn, Zur Indemnität des Abgeordneten in Bund und Ländern, DÖV 1981, S. 512ff.; W. Härth, Die Rede- und Abstimmungsfreiheit des Parlamentsabgeordneten in der Bundesrepublik Deutschland, 1983, m.w.N. 136

Dazu m.w.N. K. Stern, aaO. (Anm. 68), S. 1061 f. Η. Η. v. Arnim, Bonner Kommentar, Art. 48, Rn.48ff.; H.-P. Schneider, aaO. (Anm. 128), Art. 48, Rn. 6ff.; D. Spoerhase, Probleme des grundgesetzlichen Verbots der Abgeordnetenbehinderung, Diss. Jur. Saarbrücken, 1980; BVerfGE 42, 312 (327 ff.). 137

138

Vgl. etwa die Bestimmungen in §§ 18, 19 BVerfGG, §§ 41 ff. ZPO; zum Ganzen J. Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters — Befangenheit und Parteilichkeit — im deutschen Verfassungs- und Verfahrensrecht, 1980. Vgl. auch K. Hesse, aaO. (Anm. 70), Rn. 553 ff.; G. Bemmann, Über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Richters, in: Festschrift für G. Radbruch, S. 308 ff.; derselbe, Wie muß der Rechtsbeugungsvorsatz beschaffen sein?, in: JZ 1973, S. 547ff., bes. S. 547. 139

H. Schulze-Fielitz, aaO. (Anm. 96), S. 74f., 79f. Siehe dazu VVDStRL 44 (1986) mit den Referaten von M. Stolleis, H. Scheffer und R. A. Rhinow, S. 7ff., 46ff., 83 ff. 141 Zum Legitimationsdefizit bei den Parteien als Folge der Flick-Affäre vgl. z. B. U. v. Alemann, Politische Moral und politische Kultur in der Bundesrepublik, in: „Gewerkschaftliche Monatshefte", Nr. 5/1985, S. 258 ff., bes. S. 267; P. Lösche, Über das Geld in der Politik, in: „Gewerkschaftliche Monatshefte", Nr. 5/1985, S. 380ff. Die Krisensymptome des Parteienstaates in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich wurden als Legitimationsverlustproblematik anschaulich im Rahmen der Jahrestagung der „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer" in Freiburg/Schweiz von 1985 angesprochen. Vgl. M. Stolleis, H. Schäfer, Parteienstaatlichkeit — Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaates?, in: VVDStRL 44, S. 16 ff., S. 57 ff. Vgl. ebd. R. v. Rhinow, S. 83 ff., bes. S. 99ff. 140

IV. Zum Glaubwürdigkeitserfordernis der Verfassungsinterpretation

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das umgekehrte Phänomen einer Bemächtigung der staatlichen Ämter durch die Parteien 142 . Man sieht darin zu Recht die Gefahr einer steigenden Disfunktionalität der repräsentativen Parteiendemokratie 143 . Auch hier also erhebt sich die Glaubwürdigkeit der konkreten Politik — hier der Parteitätigkeit — zu einer Legitimationsbedingung, die zugleich Funktionsbedingung des Systems ist. 5. Insgesamt wird deutlich, daß das Regelungsarsenal des demokratischen Verfassungsstaats, und somit auch des Grundgesetzes, das auf die Gewährleistung der Ausdifferenzierung des politischen Entscheidungsganges gegen andere gesellschaftliche Bereiche zielt, ganz entscheidend der Sicherung der Glaubwürdigkeit der getroffenen Entscheidungen dient und damit auf die Bedingungen für die Akzeptanz der Entscheidungen demokratischer Politik gerichtet ist. Diese Glaubwürdigkeit und damit Akzeptanz ist gefährdet, wenn eine Reihe von wesentlichen Schranken und Trennungen nicht beachtet wird, beispielsweise wegen der mangelnden Trennung von Geld und Politik. Diese Grundsätze bedürfen regelmäßig, wie soeben äusgeführt, der Abstützung durch informale Regeln. 6. Es wäre illusorisch, in solchen Fällen allgemeinen Konsens zu unterstellen. Realistischerweise kann es nur darum gehen, ob das Verhalten der Institutionen, d. h. letzten Endes der konkreten Amtsträger, derart ist, daß es als glaubwürdig aufgenommen werden kann. In einer Gesellschaft der Gegensätze kann es nicht um eine idealisierende Integration gehen; möglich (und nötig) ist lediglich, daß die Gegensätze als solche akzeptiert werden und der Versuch unternommen wird, sie — punktuell und ggf. auch nur auf Zeit — zu überbrücken. Auch hier besteht die legitimationschaffende Kraft der konkreten Politik in der Kompromißbildungsfahigkeit des institutionellen Verhaltens. IV. Zum Glaubwürdigkeitserforderiiis der Verfassungsinterpretation 1. Geht man von dem Befund aus, auch die Verfassungsverwirklichung durch konkrete Politik bedürfe der Legitimation durch Glaubwürdigkeit, so kann auch die Verfassungsauslegung als Bestandteil des Legitimationsprozesses standen werden. Diese These soll im folgenden kurz erläutert werden.

ver-

2. P. Häberle hat durch seine Theorie von der „offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten" 144 die Verfassungsauslegung endgültig aus dem apokryphen Monopolbereich der verfaßten Staatlichkeit und der Rechtsgelehrsam142 Dazu u. a. Th. Eschenburg, Ämterpatronage, 1961; H. H. v. Arnim, Ämterpatronage durch politische Parteien, 1980; H. Schulze-Fielitz, aaO. (Anm. 96), S. 25 ff. mit Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit. 143 Siehe dazu ζ. B. die Beiträge in den Sammelbänden J. Raschke (Hrsg.), Bürger und Parteien, 1982; B. Guggenberger/ U. Kempf, aaO. (Anm. 57). 144 P. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: Verfassung als offener Prozeß, 1978, S. 155 ff.

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§ 7 Die Verfassungsrelevanz

keit befreit und ihre pluralistisch demokratische Legitimation und Funktion eindrucksvoll herausgearbeitet. Jeder — so kann man jene Theorie auf einen Satz reduzieren —, der sich am politischen Prozeß beteiligt, ist zur Verfassungsauslegung legitimiert 145 . 3. Häberle s These ist nicht nur demokratietheoretisch begründbar; sie ist auch dem Staatsverwirklichungsprozeß immanent: a) Wie bereits gesagt 146 , bewirkt die Überwindung der konstitutionellmonarchisch bedingten Trennung von Staat und Gesellschaft die konzeptionelle Einbeziehung aller in den Prozeß der Verwirklichung der politischen Ordnung. Die Verwirklichung der Verfassung vollzieht sich daher nicht nur im Bereich der verfaßten Staatsgewalt, sondern auch im Bereich der gesellschaftlichen Dynamik, von organisierten Gruppen bis hin zum einzelnen Bürger als Grundrechtsträger. b) Der politische Prozeß bewegt sich nicht im verfassungsfreien Raum 1 4 7 , sondern wird in seiner Gesamtheit von der Verfassung erfaßt (— wenngleich nicht in allen Einzelheiten geregelt, gar reglementiert). Jede solche Realisierung und Inanspruchnahme der Verfassung stellt zugleich und per se ihre Deutung dar oder sie setzt sie jedenfalls voraus. Auf der Grundlage dieser beiden Prämissen, so meine ich, kann man Häberle vorbehaltlos zustimmen, wenn er den Kreis der Verfassungsinterpreten ausdehnt und mit dem Kreis derjenigen identifiziert, die als Faktoren der pluralistisch gegliederten gesellschaftlichen Wirklichkeit Subjekte des politischen Prozesses sind 1 4 8 . Insofern ist jede konkrete Politik, die zugleich auch Exempel statuiert, Vorbilder gibt, Gewohnheiten aufbaut, gar präjudiziell zu wirken vermag, zugleich, sit venia verbo, Verfassungsauslegung 149. Dann bedarf aber auch die Verfassungsauslegung, als konkrete Politik, der Legitimation durch politische Glaubwürdigkeit 15°. 4. Besonders deutlich scheint mir dazu das Beispiel der vorgezogenen Bundestagswahl von 1982 zu sein. a) Niemand wird ernsthaft behaupten, daß die Abgeordneten der Regierungskoalition, die — um die Bedingungen der Parlamentsauflösung herzustel145

Relevant, wenn auch nur einen Teil des Problems ansprechend, ist folgender Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts: „Die Befugnis zur Konkretisierung von Bundesverfassungsrecht kommt nicht allein dem Bundesverfassungsgericht, sondern auch anderen obersten Verfassungsorganen zu. Dabei sind die bereits vorgegebenen Wertungen, Grundentscheidungen, Grundsätze und Normen der Verfassung zu wahren." (BVerfGE 62, S. 5ff., Leitsatz Nr. 4b). 146

Vgl. oben § 4,1, 4, a. Vgl. P. Häberle, aaO. (Anm. 144), S. 163. 14e Vgl. P. Häberle, aaO. (Anm. 144), passim, bes. S. 157ff., 162ff., 169ff. 149 Vgl. B.-O. Bryde, aaO. (Anm. 90), S. 191 ff., 216ff. 150 Die Beziehung zwischen Legitimation und Verfassungsinterpretation sieht auch J. Winckelmann, aaO. (Anm. 48), S. 172, wenn er sagt: „Aufgabe der Verfassungsrechtslehre ist mithin die Darlegung des normativen Geltungsgrundes von Legitimität..." 147

IV. Zum Glaubwürdigkeitserfordernis der Verfassungsinterpretation

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len — dem eigenen Bundeskanzler das Vertrauen versagt haben, wirklich von politischem Mißtrauen i.S. des parlamentarischen Systems des Grundgesetzes bewegt waren. Eine solche verfassungsrechtliche Deutung jener Vorgänge wäre schlicht und einfach unglaubwürdig. Es gibt Wirklichkeitsmomente, die nur um den Preis der Glaubwürdigkeit umbenannt werden können. Anders ausgedrückt: Eine Verfassung kann nur wirklichkeitsorientiert ausgelegt werden. b) Dessen war sich H.-P. Schneider bei seiner bekannten Bemühung aus dem Jahre 1973 um den Normbereich des Art. 68 G G 1 5 1 bewußt. Deshalb scheute er sich zu Recht nicht, in Art. 68 GG das zu sehen, was er durch die Entwicklung der Verfassung geworden ist, nämlich „das klassische in die negative Vertrauensfrage gekleidete Auflösungsinstrument des Bundeskanzlers" — ein Ergebnis, das sich mit Nuancen das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1983 zu eigen gemacht hat 1 5 2 . Hier, so meine ich, ist der Unterschied zwischen einer Wortinterpretation des Art. 68 GG und der parlamentsauflösungsorientierten Neubestimmung seines Normbereiches durch Schneider, ein grundsätzlicher; denn er tangiert die legitimierende und kommunikative Funktion der Verfassung schlechthin. c) Die durch Art. 94 Abs. 2 Satz 1 G G i.V.m. §32 Abs. 2 BVerfGG begründete Gesetzeskraft und die nach § 32 Abs. 1 BVerfGG darüber hinausgehende Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts schaffen das Problem der Legitimationsbedürftigkeit seiner Entscheidungen nicht aus der Welt. Je mehr eine demokratische Institution über rechtlich gesicherte potestas verfügt, desto stärker ist sie auf auctoritas angewiesen. Ein Legitimationsdefizit bei demokratischen Institutionen schwächt deren normative Möglichkeiten. Letztlich wird die Geschichte nämlich stärker sein als das geltende Recht. Dies zu berücksichtigen, gehört zur Aufgabe der Interpretation, zumal der Verfassungsinterpretation: weil die Verfassung letztlich auf ihre freiwillige Befolgung angewiesen ist, die Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit also selbst gewährleisten muß 1 5 3 . Damit gibt es so etwas wie die geschichtliche Verantwortung der Verfassungsinterpreten. 151

Vgl. H.-P. Schneider, Die vereinbarte Parlamentsauflösung, JZ 1973, S. 652 (688). BVerfGE 62, S. 1 ff.; vgl. hierzu H. Liesegang, Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Bundestagsauflösung, NJW 1983, S. 147ff. und ebenso W.-R. Schenke, ebd., S. 150ff.; H. Meyer, Anm. zur BVerfGE 62, 1, DÖV 1983, S. 243; N. Achterberg, Vertrauensfrage und Auflösungsanordnung, DVB1. 1983, S. 477; H. Maurer, Vorzeitige Auflösung des Bundestages, DÖV 1982, S. 1001; G. Püttner, Vorzeitige Neuwahlen — ein ungelöstes Reformproblem, NJW 1983, S. 16; M. Schröder, Parlamentsauflösung bei gesicherten Mehrheitsverhältnissen?, JZ 1982, S. 786; H.-P. Schneider, Sibyllinisch oder salomonisch? — Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Parlamentsauflösung, NJW 1983, S. 1529f. 152

153 R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in derselbe: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 119 (195); U. Scheuner, Art. „Verfassung", Staatslexikon, Bd. 8, 1963, Sp. 17 (18); K. Hesse, Das Grundgesetz in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Aufgabe und Funktionen der Verfassung, in: HdbVerfR 1983, S. 3 (19 f.); M. Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie, i. E., 2. Teil I 2.

§ 8 Schlußbemerkungen I. Folgerungen Die Ergebnisse der vorstehenden Überlegungen können in drei Thesen zusammengefaßt werden: 1. Legitimationsbedürftig ist jede verfassungsrelevante Mitwirkung am politischen Entscheidungsprozeß, auch die konkrete Politik. 2. Quelle der Legitimation ist die Glaubwürdigkeit der konkreten Politik. Glaubwürdigkeit ist nicht als eine — notwendigerweise fiktive — allgemeine Akzeptanz durch die „volonté générale" zu verstehen, sondern muß jeweils in concreto verdient werden. Kernelement dieser Glaubwürdigkeit in der pluralistischen Gesellschaft ist die Kompromißbildungsfahigkeit. Insgesamt setzt diese Glaubwürdigkeit Freiheit, Offenheit und Lernfähigkeit des politischen Prozesses voraus, Freiheit verstanden als Unabhängigkeit von Machtpositionen, Offenheit als die Möglichkeit von Änderungen und Lernfähigkeit als die Umstrukturierbarkeit der das politische Geschehen regelnden Strukturen selbst. Nur damit kann der verfassungsmäßig geordnete politische Prozeß glaubwürdig bleiben vor den Anforderungen der Geschichte. 3. Ein solches Legitimationsverständnis entspricht auch der Logik des Grundgesetzes. II. Legitimation und Integration 1. Meine Versuche, einige Thesen zum Legitimationsproblem im demokratischen Verfassungsstaat zu präsentieren, wurden bewußt knapp gehalten. A u f die Darstellung vieler Gedanken zu dieser Frage mußte ebenso verzichtet werden wie auf die gewiß recht reizvolle Auseinandersetzung mit den zahlreich vorliegenen Entwürfen. Selbstverständlich baut auch mein Gedankengang auf dem Fundament auf, das die bisherige Theoriebildung gelegt hat. In einer ersten Schlußbemerkung soll — exemplarisch — skizziert werden, wie der hier unternommene Versuch von einem der wesentlichen dieser Ansätze her beleuchtet werden kann: von der Smendsch&n Integrationslehre. 2. Die Aussagen der „Integrationslehre" darzustellen, bereitet Schwierigkeiten, ist die Smendsche Theorie doch von einer notorischen Unschärfe. Diese relative Unbestimmtheit ihres Gehalts 154 stand ihrem großen Erfolg nicht im 154

Siehe z.B. N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965, S. 44f.

II. Legitimation und Integration

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Wege, möglicherweise förderte sie diesen sogar: Sie erlaubte verschiedene Möglichkeiten des Verständnisses — oder auch des (unter Umständen sogar produktiven) Mißverständnisses, war jedenfalls ein attraktiver Bezugspunkt für theoretische Anstrengungen. Diese Deutungsweite war nämlich gepaart mit der Benennung wesentlicher Grundprobleme, die sich dem Nachdenken über die verfassungsrechtliche Ordnung von Staat und Gesellschaft in der Gegenwart stellen. Diese verfassungstheoretische Problemsensibilität zusammen mit der Auslegungsoffenheit der Smendschen Theorie dürfte zwei der wesentlichen ihrer Erfolgsbedingungen darstellen. 3. Der Kerngehalt der Integrationslehre mag darin gesehen werden, daß Smend die Funktion der Verfassung auf die Aufgabe der Integration des Staates und der rechtlich geordneten Gemeinschaft bezog 155 . Von dieser Aufgabe her sei die Arbeit an der Verfassung zu begreifen. Die Smendsohe Position und insbesondere die Gestalt, in der sie Ausdruck gefunden hat, ist aus dem Zusammenhang zu begreifen, in dem sie formuliert wurde 1 5 6 . Motivierend waren sowohl die politischen Gegebenheiten in der Weimarer Republik als auch die theoretische Auseinandersetzung in der damaligen Staatsrechtslehre 157. 4. Der Smendsche Ansatz kann durch fünf Momente in seiner Besonderheit gekennzeichnet werden: a) Ein Kernelement der Integrationslehre ist ihr Antipositivismus. Sie selbst definiert sich durch ihren Gegensatz zu positivistischen und formalistischen Methoden in der Behandlung des Staatsrechts 158. Der letzte Grund hierfür liegt in der Tatsache, daß die Verfassung — anders als zahlreiche Gebiete des einfachen Rechts — nicht mehr durch die Staatsmacht garantiert werden kann, vielmehr „ohne heteronome Bestandsgarantien" ist 1 5 9 . Diese Ausrichtung auf die eigenständige Schaffung der Erfolgsbedingungen der Verfassung begründet die Notwendigkeit einer realistischen Sichtweise in der Verfassungsrechtslehre. b) Dieser Wirklichkeitsbezug des verfassungsrechtlichen Denkens bildet das wichtigste Moment der Integrationslehre. Es äußert sich in der Orientierung an 155

Siehe R. Smend, aaO. (Anm. 153), S. 119ff. (189). Siehe R. Smend selbst, in: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl. 1975, Art. „Integration", Sp. 1023 ff. (1025, 1026f.). 157 Zur Nachzeichnung und Beurteilung dieser Diskussion siehe R. Smend selbst: Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer und der Richtungsstreit, in: Festschrift für Ulrich Scheuner, 1973, S. 575 ff.; siehe weiter: M. Friedrich, Die Grundlagendiskussion in der Weimarer Staatsrechtslehre, PVS 13 (1972) S. 582ff.; derselbe: Der Methoden- und Richtungsstreit, AÖR 102 (1977), S. 161 ff.; W. Bauer, Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie, 1968; J. Meinck, Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, 1968; ferner (nur zu Kelsen, Schmitt und Heller) R. Graner, Die Staatsrechtslehrer in der politischen Auseinandersetzung der Weimarer Republik, 1980. 158 R. Smend, aaO. (Anm. 156), Sp. 1025; siehe auch derselbe, aaO. (Anm. 153), S. 238 f. 159 R. Smend, aaO. (Anm. 156), Sp. 1026; vgl. derselbe, aaO. (Anm. 153), S. 195. 156

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§ 8 Schlußbemerkungen

der „vorgefundenen neuen Wirklichkeit" 1 6 0 , d. h. an den empirischen Gegebenheiten. Eine Erscheinungsform dieser Ausrichtungen auf die Wirklichkeit ist der Begriff der Totalität, in welchem die Komplexität und Interdependenz des politischen Lebens zusammengefaßt wird 1 6 1 . Der vorherrschende Schlüsselbegriff zur Bezugnahme auf die tatsächlichen gesellschaftlichen Umstände ist aber der (von der Lebensphilosophie, insbesondere von Th. Litt übernommene) Begriff des Lebens 162 . Dies führt Smend etwa zur Bedeutsamkeit tatsächlicher gesellschaftlicher Motivierungen 163 . Unter dem Gesichtspunkt der Integration wird die Beteiligung des Einzelnen am politischen Geschehen als ein Stück Sinnhaftes persönlichen Lebens erfaßt 164 . So kommt Smend zur methodischen Entscheidung für die sog. „geisteswissenschaftliche Methode" 1 6 5 . Was damit gemeint ist, ist freilich höchst unklar und im Hinblick auf die Stiftung des Realitätsbezugs nicht notwendig, weshalb es hier nicht weiter verfolgt werden soll 1 6 6 . c) Der Wirklichkeitsbezug begründet die nach der Smendschen Lehre der Verfassung eigene Dynamik. Der Integrationsaufgabe kann das Verfassungsrecht nur gerecht werden, wenn es dem dynamischen Leben auch dadurch gerecht wird, daß die normativen Vorgaben der Verfassung elastisch 167 gehandhabt werden, daß Raum ist für „die schließende Geltungsfortbildung des gesetzten Verfassungsrechts" 168, kurz, die Verfassungstheorie sich dem Phänomen der Verfassungswandlung stellt, und zwar nicht nur als pathologische Erscheinung 169 . d) Semds Verfassungsdenken zeichnet sich weiter dadurch aus, daß es dem Einzelmenschen — qua realistischer Perspektive — einen systematischen 160

R. Smend, aaO. (Anm. 156), Sp. 1025. Siehe z.B. R. Smend, aaO. (Anm. 153), S. 189f. Er sagt: „Es ist also der Sinn der Verfassung selbst, ihre Intention nicht auf Einzelheiten, sondern auf die Totalität des Staates und die Totalität seines Integrationsprozesses, die jene elastische, ergänzende, von aller Rechtsauslegung weit abweichende Verfassungsauslegung nicht nur erlaubt, sondern sogar fördert." 161

162 Vgl. dazu etwa R. Smend, aaO. (Anm. 153), S. 189; derselbe, aaO. (Anm. 156), Sp. 1025. Gegen diesen Begriff des Lebens ist zwar kritisch einzuwenden, daß dessen Konturen kaum sichtbar sind. Indes, die maßgebliche Leistung des Begriffs liegt in seiner Funktion als Mittler zur Realität. Sein Gewinn liegt nicht in einem präzise erfaßten Inhalt, sondern darin, daß er auf die Wirklichkeit verweist. 163

Siehe etwa R. Smend, aaO. (Anm. 153), S. 189. R. Smend, aaO. (Anm. 156), Sp. 1026. 165 R. Smend, aaO. (Anm. 153), bes. S. 119f., 123ff. 166 Sehr kritisch zur Einbeziehung der Realität bei der Verfassungsauslegung Ch. Gusy: „Verfassungspolitik" zwischen Verfassungsinterpretation und Rechtspolitik, 1983, passim. 167 Vgl. R. Smend, aaO. (Anm. 153), S. 190. 168 So R. Smend, aaO. (Anm. 153), S. 242. 169 Vgl. R. Smend, aaO. (Anm. 153), S. 241. 164

II. Legitimation und Integration

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Stellenwert zuerkennt. Die Integrationslehre stellt den Einzelnen voran und ordnet ihn in das Verfassungsleben des Staates ein 1 7 0 . Die Beteiligung des Staatsbürgers am Verfassungsleben ist, vor allem über das Wahlrecht und die Ausübung der Grundrechte sowie die Funktion der Öffentlichkeit, ein integrales Element des Verfassungsgeschehens. Die sinnhaften Erfahrungen des Einzelnen gewinnen über die Bedeutung für die „Integration" Verfassungsrelevanz. Die Perspektive des persönlichen Lebens des Einzelnen wird maßgeblich — und damit dessen freie Zustimmung und die an ihm zu messende Zumutbarkeit 171 . e) Damit ist die Integrationslehre durch einen starken Zug von Volkssouveränität — und zwar in durchaus realistischer Sichtweise — und somit vom Ansatz her demokratisch 172. Das Verfassungsleben erschließt sich der Integrationslehre „von unten" her, als von den einzelnen Bürgern her immer neu zu konstituierend 173 . 5. Wenn hier auf die Glaubwürdigkeit der einzelnen verfassungsrelevanten politischen Handlungen in den Augen der Bürger abgehoben wird und diesem Vorgang entscheidende Bedeutung für die Legitimationsfrage zuerkannt wird, so läßt sich dies als Fortschreibung und Konkretisierung der Smendschen Integrationslehre verstehen, und zwar in allen benannten fünf Charakteristika. a) Der hier vorgestellte Ansatz ist antipositivistisch. Er erschöpft sich nicht in der Frage nach der Legalität. Vielmehr sieht er, daß die Verfassung einen darüber hinausreichenden Anspruch hat — genauso, wie sie von der Erfüllung dieser über die Legalität hinausreichenden Aufgabe abhängig ist. Die Verfassung bedarf der Legitimation im Sinne einer ständigen Selbstgewährleistung 174. Mit der Feststellung der Legalität kann es aber allein nicht sein Bewenden haben, notwendig ist vielmehr die „grundsätzliche Übereinstimmung der Bürger mit der staatlichen Ordnung, die nicht nur deren organisatorische Gestalt, sondern auch deren sachliche Ziele und Ausrichtung umfaßt" 1 7 5 . Es geht also um „das Vertrauen, das den Staat und seine Organe trägt" 1 7 6 . 170

R. Smend, aaO. (Anm. 156), Sp. 1026. Vgl. ebd. 172 Vgl. ebd. 173 Vgl. dazu auch R. Smend, aaO. (Anm. 153), S. 192f. 174 Vgl. dazu die dahingehenden Einwendungen P. Baduras gegen den Positivismus, daß die bloße Positivität des Rechts nicht genügt für die Frieden stiftende und gerechte politische Organisation der Gesellschaft, daß der Verfassungsstaat nicht primär auf rechtlichen Normierungen beruhe, daß die legitimierende Kraft der Verfassung mit den sozialen Normen und den Sinnbedingungen des individuellen Daseins zu tun hat, P. Badura, Verfassung und Verfassungsgesetz, in: Festschrift für U. Scheuner, 1973, S. 18 ff. (hier bes. S. 21). 171

175

U. Scheuner, Konsens und Pluralismus als verfassungsrechtliches Problem, in derselbe: Staatstheorie und Staatsrecht, gesammelte Schriften 1978, S. 135 (163) (zuerst 1976). 176 U. Scheuner, aaO. (Anm. 175), S. 164. Vgl. zum Ganzen auch mit zahlreichen w. N. H. Vorländer, aaO. (Anm. 1).

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§ 8 Schlußbemerkungen

b) Diese Abhängigkeit der Verfassung von ihrem eigenen Erfolg ist nur in wirklichkeitsgerechter Sichtweise zu erfassen. Es geht dabei durchaus um die reale Politik, von der konkrete Bürger in greifbarer Weise betroffen werden, oder wie oben formuliert, eben um die Glaubwürdigkeit der konkreten Erscheinungsweisen des staatlichen und auch sonstigen politischen Lebens. c) Daraus ist auch die historische Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbedürftigkeit der Institutionen, der gesetzlichen Regelungen wie auch des Stils der Politik und der Verwaltung zu verstehen. Je nach der Entwicklung der politischen Kultur ist ein bestimmtes Verhalten geeignet oder nicht mehr geeignet, Vertrauen zu begründen. d) Offenbar hat der hier gemachte Vorschlag mit der Smendschen Lehre die Ausrichtung auf den einzelnen Bürger gemein. Praktisch wie eben auch theoretisch ist er der maßgebliche Bezugspunkt, dort für die Integrationsfrage, hier für die der Legitimation. e) Deutlich ist auch die Übereinstimmung in der starken Betonung der Volkssouveränität. Ich habe oben versucht zu zeigen, daß Legitimation ein Prozeß ist, der in der Tat im Bürger seine Wurzel hat. I I I . Legitimation und Legalität 1. Die in dieser Schrift vertretene These von der Verfassungsrelevanz des Legitimationspostulats wirft die Frage auf, wie in einer Ordnung des demokratischen Pluralismus die Beziehung zwischen Legitimation und Legalität zu begreifen ist 111. Zu dieser Frage soll in einer zweiten (und letzten) Schlußbemerkung mit wenigen Worten Stellung genommen werden. 2. Die verfassungspolitische Wirkung des Dualismus von Legitimation und Legalität ist nur in ihrem Bezug auf die jeweilige verfassungsgeschichtliche Situation begreiflich 178 . Einen verfassungspolitischen Höhepunkt erlangt die Gegenüberstellung von Legitimation bzw. Legitimität und Legalität in der bekannten Auseinandersetzung zwischen C. Schmitt 179 und O. Kirchheimer 180 aus dem Jahre 1932. 177 Diese Arbeit hat weder das Anliegen noch die Möglichkeit, nach der Parallelität zu fragen, die die hier anstehende Problematik — „Legalität und Legitimation" — mit der Beziehung von Staatsrecht und Politik möglicherweise aufweist. Zu dieser Frage vgl. statt vieler Ch. Gusy, Staatsrecht und Politik, in: Öst. Z. öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 35,1984, S. 81 ff. Gusy ordnet die (Rechts)Politik im Vorfeld der Rechtsetzung (ebd. S. 87). Die Beziehung von Staatsrecht und Politik erschöpft sich — so meine ich — nicht in diesem Vorfeld. Ein wesentlicher Bereich, wo sich die Beziehung abwickelt, ist auch der Staats- und Verfassungsverwirklichungsprozeß. 178

Vgl. hierzu statt vieler M. Miaille, aaO. (Anm. 7), S. 287 ff. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, 1932. 180 O. Kirchheimer, Legalität und Legitimität, in: „Die Gesellschaft", Bd. 2, Heft 7, 1932. Jetzt auch in: Politische Herrschaft, 1967, S. 7 ff. 179

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C. Schmitt stellte die Funktionsfahigkeit und die Berechtigung (Legitimität) des parlamentarischen Systems (Legalität) der Weimarer Reichsverfassung in Frage, um den voraussehbaren Folgen eines dynamisch sich entwickelnden gesellschaftlichen Pluralismus zu begegnen. Legitimiert war nach seiner Ansicht „eine andere Art von Rechtsform als die Legalität des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates"181. Wichtig ist hier, daß C. Schmitt die Funktion des Legitimationsprinzips in der Verdrängung der Legalität gesehen hat. In die entgegengesetzte Richtung zielen die Überlegungen von O. Kirchheimer: „Der Gesetzgebungsstaat, die parlamentarische Demokratie, kennt keine Form der Legitimität, außer der ihres Ursprungs. Da der jeweilige Beschluß der jeweiligen Mehrheit ihr und des Volkes Gesetz ist, besteht die Legitimität ihrer Staatsordnung in ihrer Legalität" 1 8 2 . Die geschichtliche Entwicklung hat dem tieferen Sinn jener Auseinandersetzung eine fatale Bestätigung geliefert. 3. Die eben wiedergegebenen Gedanken von C. Schmitt und O. Kirchheimer entstammen zwei entgegengesetzten Welten, weisen aber trotzdem ein gemeinsames Moment auf. Beide Thesen nämlich sehen zwischen Legitimität und Legalität einen unüberbrückbaren Gegensatz. C. Schmitt will mit seiner Legitimität die Legalität in Frage stellen, um dann seine Legitimitätsvorstellungen zum Inhalt seiner neuen Legalität zu machen. O. Kirchheimer hingegen bekämpft den Dualismus von Legalität und Legitimität zugunsten und zum Schutz der von ihm zu Recht verteidigten Legalität. 4. Diese geistesgeschichtlich und verfassungspolitisch sehr eindrucksvolle Auseinandersetzung, in der die Beziehung von Legalität und Legitimität als ein „Entweder-Oder" begriffen wird, ist nur aus der historischen Situation der letzten Weimarer Jahre verständlich 183 . Sie aber heute wieder ins Leben zu rufen, um sie für das Verständnis der verfassungspolitischen Gegenwart fruchtbar zu machen, ist wissenschaftlich wie auch politisch ein fragwürdiges Unterfangen, denn: a) Kern der Auseinandersetzung zwischen C. Schmitt und O. Kirchheimer war nicht die Frage, ob und wie die Ordnung des demokratischen Pluralismus in ihrem Verwirklichungsprozeß Anerkennungsfahigkeit aufweist; vielmehr ging es doch damals um die von C. Schmitt verfassungsrechtstheoretisch aufgearbeitete Umwandlung der Demokratie in ein Regime des totalen Staates. Man sollte dabei nicht übersehen, daß C. Schmitt seine Legitimationstheorie als eine verfassungsrechtliche verstanden haben wollte; in ihr suchte er nach der Möglichkeit, die demokratische Verfassung von Weimar als rechtliche Grundlage ihrer eigenen Negation hinzustellen.

181

Vgl. C. Schmitt, aaO. (Anm. 179), S. 90. Vgl. O. Kirchheimer, aaO. (Anm. 180), S. 13. 183 Interessante Parallelen ergeben sich zur Legitimationsproblematik in bezug auf das Regime von Vichy. Vgl. hierzu M. Miaille, aaO. (Anm. 7), S. 289 ff. 182

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§ 8 Schlußbemerkungen

b) Die gegenwärtige Diskussion über die Krise des Systems, so wie sie J. Habermas aufgearbeitet h a t 1 8 4 , ist grundlegend anders. Durch die Theorie der Systemkrise wird die bürgerliche Demokratie in ihrer historischen Berechtigung und in ihrer Funktionsfahigkeit in Frage gestellt. Das erfolgt aber nicht aus einer systemimmanenten Position, sondern von außen her. Somit argumentiert die Systemkrisentheorie nicht verfassungsrechtlich. Sie reflektiert auf andere, grundverschiedene weltgeschichtliche Orientierungen. Auf systemimmanenter Ebene schafft sie und fördert sie ein kritisches Bewußtsein, das den Verfassungsverwirklichungsprozeß wesentlich mitprägt. Sie liefert keine interpretatorische Möglichkeit, die bestehende Rechtsordnung umzudeuten, wie das C. Schmitt getan hat, sondern bezweifelt lediglich die politische Überzeugungskraft des Systems und spricht ihm die Anerkennungswürdigkeit ab. 5. Geht man von dem hier präsentierten Legitimationsverständnis aus, so stellt sich die Verfassung und deren Verwirklichung im politischen Prozeß als der Hauptkristallisationspunkt der Legitimation heraus. Auf die Verfassung und jenen Verwirklichungsprozeß werden die maßgeblichen Legitimationsansprüche projiziert. Zu gleicher Zeit ist die Verfassung auch die oberste Ebene der Legalität. Der Dualismus von Legalität und Legitimation ist damit in die Verfassung selbst integriert. Er hat sich zu folgender Fragestellung zugespitzt: Wie weit reicht die Befugnis der staatlichen Organe und der anderen Subjekte des Verfassungsverwirklichungsprozesses, alles zu tun, was ihnen die Verfassung erlaubt? 1* 5 a) Die Ergänzung des Legalitätsprinzips durch Legitimationskriterien trägt der Tatsache Rechnung, daß die Verwirklichung der politischen Ordnung nur partiell mit Legalität erfaßbar ist und daß sie von einem Akzeptanzminimum abhängig ist, jedenfalls von der Kompromißbildungsfahigkeit jenes Verwirklichungsprozesses. b) Die offenbleibende Frage der Legitimation mit ihrer geschichtlich wirkenden Sanktionsfunktion kann nie die Legalität ersetzen. Es geht also nicht um das heraufbeschworene Gespenst „Legitimität gegen Legalität" 1 8 6 , auch nicht um die Gefahr der Alternative, „entweder auf eine Entscheidung im Sinne der Mehrheit bzw. deren Durchsetzung zu verzichten oder aber den Ungehorsam der Minderheit gegen die legale Entscheidung der Mehrheit im Namen einer neuen Legitimität in Kauf zu nehmen .. , " 1 8 7 . c) Bei dem Legitimationspostulat geht es um eine zweifache Abhängigkeit der Legalität. Der Legitimationsgedanke wirkt als Legitimationsprognose gestaltend auf die Planung der legitimationsrelevanten Entscheidung; er wirkt 184

Vgl. oben Anm. 5. Vgl. H. H. Klein, Legitimität gegen Legalität?, in: „Einigkeit und Recht und Freiheit", Festschrift für C. Carstens, Bd. 2 (Staatsrecht), S. 645 ff., bes. S. 646. 186 H. H. Klein, aaO. (Anm. 185), S. 647. 187 ebd. 185

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auch aposteriori als Kriterium der Anerkennungswürdigkeit im Sinne einer Kompromißbildungsfahigkeit. Die Frage zu stellen, ob diese Abhängigkeit der Legalität eine rechtliche (Aufgehen der Legitimation in der Legalität) oder eine politische ist, heißt die Besonderheit des Legitimationspostulats zu verkennen. Diese Abhängigkeit ist nur in ihrer Geschichtlichkeit verständlich, d. h. in dem Übergang von der Antithese von Recht und Politik zu ihrer Synthese. In der Demokratie ist die Verfassungsverwirklichung nur durch die Synthese von Legalität und Legitimation möglich. Es ist gerade diese Relativierung der Grenze zwischen Legalität und Legitimation, die die empfindliche Besonderheit der Demokratie ausmacht. In der Demokratie — so könnte man diesen Gedankengang zu Ende führen — ist das „Volk" nicht nur Quelle für „alle Staatsgewalt"; vielmehr geht es um seine jeweilige Einstellung, die nicht nur normativ, sondern auch faktisch Bedingung demokratischer Staatstätigkeit ist. d) Die vorstehenden Erläuterungen könnten auch als Deutung einer wichtigen, wenn auch in dieser Globalität möglicherweise nicht unproblematischen Aussage des Bundesverfassungsgerichts verstanden werden, die lautet: „Nach dem Grundgesetz bedeutet verfassungsmäßige Legalität zugleich demokratische Legitimität." 1 8 8

M i t dem dogmatischen Befund dieser Untersuchung könnte ich auch politisch leben. Der Übergang vom Gewaltdenken zum Kommunikationsdenken und die Erweiterung des Legitimationspostulats auf jede Mitwirkung am politischen Willensbildungsprozeß ist nur möglich durch die Aufwertung der Glaubwürdigkeit der konkreten Politik. Partizipationsansprüche sind legitimationspflichtig. Es geht mir dabei um die damit untrennbar verbundene Verantwortung für die Folgen der Politik, der Politik als einer verfassungsrelevanten Haltung und Handlung aller—aber auch aller —, die zu Recht den demokratischen Anspruch erheben, politische Entscheidungen durch Partizipation oder organisierten Einfluß mitzubestimmen.

188

BVerfGE 67, 1 ff. (43).

Namenregister Die angegebenen Zahlen beziehen sich auf die Anmerkungen. Fettgedruckte Zahlen weisen auf die Anmerkungen hin, in denen das zitierte Werk vollständig angegeben wird. Achterberg, N. 5, 8, 130, 152 v. Alemann, U. 11, 66, 141 Althusser, L. 3 v. Aretin, K. O. 32 v. Arnim, H. H. 137, 142 Augustinus 20 Badura, P. 40, 129, 130, 174 Bähr, O. 40 Bardong, O. 33 Battis, U. 11 Bauer, W. 157 Bemmann, G. 79, 86, 138 Bendix, R. 28 Bobbio, N. 1 Böckenförde, E.-W. 40, 49 Boldt, H. 29, 37 Brunner, O. 28 Bryde, B.-O. 90, 149 Büchmann, G. 33 Burdeau, G. 56 Chantebout, B. 7 Dagtoglou, P. 45 Degen, U. 8 Duverger, M. 7, 18, 94, 95, 101 Ehmke, H. 36, 50, 51, 54, 61, 77 Eisenhardt, U. 29, 30 Eisenmann, C. 1 Elias, N. 28 Elster, H. M. 33 Emmerson, R. 28 D'Entrèves, A.-P. 20 Eschenburg, Th. 142 Fach, W. 8 Forsthoff E. 49, 53, 61 Friedrich, C. J. 87 Friedrich, M. 157 Friesenhahn, E. 135 Gangl, H. 40 Gastberg, F. 1

Gerber, H. 3 Giessen, Κ.Ή. 64 Gneist, R. 40 Graner, R. 157 Greifeid, A. 131 Grimm, D. 1, 66 Grimm, J. u. W. 104 Grimmer, K. 70 Guggenberger, B. 57, 74, 127, 133, 143 Gusy, Ch. 66, 133, 166, 177 Habermas, J. 6,8,15,16,18,21,41,46,85 Häberle, P. 45, 70, 73, 144, 147, 148 Härtung, F. 31, 32, 34, 35, 37 Hamm-Brücher, H. 12, 134 Hürth, W. 135 Hauriou, A. 23, 24 Heidorn, J. 2,5,6,103,111,127 Heintze, R. G. 66 Hemmerich, U. 125 Hennis, W. 8, 15, 17,43,44 Hesse, K. 49,52,55,58,59,60,70,73,114, 124, 129, 138, 153 v. der Heydte, Fr.-Aug. 27 Hintze, O. 28 Hobbes, Th. 37 Hofmann, H. 28 Hubatsch, W. 30 Huber, E. R. 38 v. Humboldt, W. 42 Inglehart, R. 111 Jekewitz, J. 125 Jellinek, G. 39 Kaiser, J. H. 76 Kant, I. 37 Kaufmann, E. 61 Kempf U. 143 Kern, E. 28 Kielmansegg, P. Graf 8 Kimminich, O. 29, 37

Namenregister Kirchheimer, 0. 180, 182 Klein, Η. 63 Klein, Η. Η. 185 Kradler, L. 28 Krawietz, W. 5, 8 Kriele, M. 18 Laband, P. 35 Liesegang, H. 152 Lipset, S. M. 18, 108 Locke, J. 37 Lösche, P. 141 Löwenstein, K. 37 Lübbe, H. 8 Luhmann, N. 8, 154 Lukäcs, G. 3 Maihofer, W. 5, 8 Manessis, A. 13 Maunz, Th. 98, 125 Maurer, H. 152 Mayntz, R. 11 Meessen, Κ M. 10 Meinck, J. 157 Menger, Chr.-Fr. 29, 40 Menzel, H.-J. 5,116 Meyer, H. 152 Miaille, M. 7, 54, 107, 115, 178, 183 v. Mohl, R. 40 Morlok, M. 67, 69, 102, 153 Narr, W.-D. 113 Näf, W. 28, 37 Naucke, W. 4 Offe, C. 8, 113, 133 Oppermann 130 Partsch, K. J. 78, 83, 84 Patze, H. 30 Pokatzky, Kl. 80 Polin, R. 1 Poulantzas, N. 3 Preuss, U. 62, 69 Püttner, G. 152 Quaritsch, H. 27, 28, 83 Ramm, Th. 63 Rammstedt, O. 8, 43, 47

5 Tsatsos

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Raschke, J. 143 Rhinow, RA. 10 Riedel, J. 138 Rivero, J. 7 Rousseau, J. J. 3, 37 Schaar, J. H. 25 Schäfer, H. 10 Schenke, W.-R. 125, 152 Scheuner, U. 5, 8, 19, 92, 153, 175, 176 Schmidt, W. 65, 112 Schmitt, C. 179, 181 Schmitt-Glaeser, W. 11 Schneider, H.-P. 1, 5, 72, 90, 117, 118, 123, 128, 129, 130, 137, 151, 152 Scholz, R. 10 Schulze-Fielitz, H. 96, 97, 139 Schröder, H. J. 65 Schröder, M. 152 Schuppert, G. F. 70, 74 Sendler, H. 99 v. Simon, W. 5, 106, 109 Smend, R. 71,153,155,156,157,158,159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 167, 168, 169, 170, 171, 172 Spoerhase, D. 137 Staffi. 93 Steiniger, R. 9 Stern, K. 68, 73, 125, 136 Stolleis, M. 10, 74, 129 Tilly, Ch. 28 Trautmann, H. 69 Tsatsos, D. 67, 69, 98, 119, 129 de Vattel, E. 105 Vierhaus, R. 37 Vorländer, H. 1, 5, 176 Weber, M. 88 Weber, W. 61, 120, 121 Winckelmann, J. 48, 110, 150 Wolfrum, R. 69 Würtenberger, Th. (jun.) 5, 15, 22, 26 Wyduckel, D. 8 Zippelius, R. 5, 8 Zirndt, C. 8