Vom politischen Anreiz zur liberalen Überzeugung: Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Bildungs- und der Verteidigungspolitik der frühen Bundesrepublik Deutschland [1 ed.] 9783666370922, 9783525370926

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Vom politischen Anreiz zur liberalen Überzeugung: Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Bildungs- und der Verteidigungspolitik der frühen Bundesrepublik Deutschland [1 ed.]
 9783666370922, 9783525370926

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Fabian Poetke

Vom politischen Anreiz zur liberalen Überzeugung Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Bildungs- und der Verteidigungspolitik der frühen Bundesrepublik Deutschland

Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit Herausgegeben von Miloš Havelka, Friedrich Wilhelm Graf, Przemysław Matusik und Martin Schulze Wessel

Band 19

Fabian Poetke

Vom politischen Anreiz zur liberalen Überzeugung Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Bildungs- und der Verteidigungspolitik der frühen Bundesrepublik Deutschland

Vandenhoeck & Ruprecht

Der Druck dieses Buches wurde ermöglicht durch einen Druckkostenzuschuss aus M ­ itteln des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Internationalen Graduiertenkollegs »Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts«.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Bundeskanzler Konrad Adenauer (l.) im Gespräch mit Prälat Wilhelm Böhler, Leiter des Katholischen Büros Bonn (M.) und Militärbischof Hermann Kunst, Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesregierung, an seinem 82. Geburtstag im Palais Schaumburg (5. Januar 1958) © Bundesregierung / Rolf Unterberg. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0955 ISBN 978-3-666-37092-2

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Bestimmung des konkreten Untersuchungsgegenstands . . . . . . 16 2. Untersuchungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität im Spannungsfeld von Politik und Religion 27 1. Der liberaldemokratische Staat im Zeichen der Säkularisierung . . . 27 2. Die liberale Zumutung und das »Problem religiöser Liberalität« . 30 3. Politische und religiöse Autorität zwischen Konflikt und Symbiose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4. Bedingungen und Potential liberaler Religionspolitik . . . . . . . 42 III. Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland . . . . . 55 1. Von der Französischen Revolution bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Religionspolitische Neuordnung in Westdeutschland nach 1945 . 68 a) Die Lage der Kirchen in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . 69 b) Selbstwahrnehmung und Geschichtsdeutung der Kirchen . . 72 c) Fremdwahrnehmung und soziale Autorität der Kirchen . . . . 75 d) Die Haltung der Kirchen zu Entnazifizierung und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 e) Kirchen und Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 f) Die kirchliche Mitwirkung an der Entstehung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 g) Politische Folgen der Grundgesetzverhandlungen . . . . . . . 96 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

6 Inhalt IV. Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik 1945–1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Allgemeine Rahmenbedingungen der westdeutschen Bildungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Religionspolitische Tendenzen im deutschen Schulwesen vor 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Die schulpolitischen Grundlagen in Westdeutschland nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Die schulpolitischen Positionen von Kirchen und Parteien nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Bildungspolitik in Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Schulpolitische Grundlagen der Nachkriegszeit . . . . . . . . . 126 c) Die Elternabstimmung über die Schulform . . . . . . . . . . . 131 d) Die Schulgesetzgebung der 1950er Jahre . . . . . . . . . . . . . 138 e) Der Loccumer Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 f) Das Privatschulgesetz und die Schulvereinbarung zum Loccumer Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 g) Der Konkordatsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 h) Das niedersächsische Konkordat . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 i) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Erste schulpolitische Positionsbestimmungen der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Die Entstehung der nordrhein-westfälischen Landesverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Das Erste Gesetz zur Ordnung des Schulwesens . . . . . . . . 211 e) Die Ausführungsbestimmungen zur Privatschulfinanzierung 220 f) Die Diskussion über die Schließung Pädagogischer Akademien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 g) Die Ausführungsbestimmungen zum Religionsunterricht . . 223 h) Lehrerbildungsreform und Schulverwaltungsgesetz unter Kultusminister Luchtenberg . . . . . . . . . . . . . . . . 225 i) Privatschulfinanzierung und Lehrerbildungsreform unter den Ministern Schütz und Mikat . . . . . . . . . . . . . . 228 j) Die Reform des ländlichen Schulwesens . . . . . . . . . . . . . 235 k) Die Schulreformen der sozialliberalen Koalition . . . . . . . . 237 l) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

Inhalt  7

4. Bildungspolitik in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Besatzungszeit – die Regierungen Schäffer und Hoegner . . . 247 c) Die Entstehung der Verfassung des Freistaates Bayern . . . . 253 d) Die Rekonfessionalisierungspolitik Alois Hundhammers . . . 256 e) Die schulpolitische Auseinandersetzung mit der US -Militärregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 f) Das Schulorganisationsgesetz von 1950 . . . . . . . . . . . . . 268 g) Schulpolitische Stagnation unter Kultusminister Schwalber . . 275 h) Das Reformvorhaben der Viererkoalition . . . . . . . . . . . . 277 i) Die Schulpolitik der Regierung Seidel . . . . . . . . . . . . . . 282 j) Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule: Die Schulreform der 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 k) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 V. Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik der frühen BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 1. Die bundesdeutsche Debatte über die Wiederbewaffnung . . . . . 306 a) Die Wiederbewaffnungsdebatte als Autoritätsproblem . . . . . 306 b) Gerechter Krieg und Antikommunismus: Die Wiederbewaffnungsdebatte im Katholizismus . . . . . . . 309 c) Zwischen Regierungstreue und Widerstandsgeist: Die Wiederbewaffnungsdebatte im Protestantismus . . . . . . 317 2. Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Frage der Kriegsdienstverweigerung . . . . . . . . . . . . . 329 b) Militärseelsorge, Lebenskundlicher Unterricht und das Konzept der Inneren Führung . . . . . . . . . . . . . . . . 337 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 VI. Diskussion der Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . 365 1. Ergebnis der Untersuchungen zur Bildungspolitik . . . . . . . . . 367 2. Die Analyse der Verteidigungspolitik im Zusammenhang mit dem Bildungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 3. Gesamtbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 4. Die theologische Rückkopplung der kirchlichen Freiheitserfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 5. Reichweite der These und Ausblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

8 Inhalt Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 1. Verwendete Archivbestände und Parlamentsdokumente . . . . . 399 2. Dokumentationen, Quellensammlungen, Editionen . . . . . . . . 404 3. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Juli 2019 an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Promotionsschrift eingereicht und in leicht überarbeiteter Form in die Publikationsreihe »Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit« aufgenommen. Es ist für die inhaltliche Ausrichtung des Werks von einiger Bedeutung, dass es als dezidiert politikwissenschaftliche Arbeit entstanden ist: Während der empirische Teil sich mit politischen Sachverhalten der frühen Bundesrepublik Deutschland auseinandersetzt, erhebt diese Schrift den Anspruch, sowohl in theoretischer wie auch in analytischer Hinsicht über diesen spezifischen historischen Horizont hinauszublicken. Im Kern geht es der Untersuchung um nichts Geringeres als die Frage, wie liberaldemokratische Staaten die Autorität religiöser Gemeinschaften über deren Mitglieder nutzen können, um die Bindung dieser Menschen an das liberaldemokratische Projekt selbst zu stärken. Auch wenn es sich bei diesem Werk um eine Dissertationsschrift handelt, ist es keine reine Einzelleistung. Es ist mir daher ein wichtiges Anliegen, all jenen zu danken, ohne deren Unterstützung der vorliegende Druck nicht zustande gekommen wäre. Mein besonderer Dank geht dabei an meine Promotionsbetreuer, Prof. Dr. Karsten Fischer vom Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU sowie Prof. Dr. Franz Xaver Bischof von der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU. Die Betreuung, die ich während meiner Promotion durch sie erfahren habe, lässt sich in jeder Hinsicht als vorbildlich bezeichnen und ihre Anregungen und Ermutigungen waren unerlässlich für meine Arbeit. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei PD Dr. Christian Schwaabe, der als dritter Prüfer meiner Disputation beigesessen hat und darüber hinaus seit meinem ersten Semester meine Leidenschaft für die Politische Theorie maßgeblich befeuert hat. Wesentlich für den Erfolg meiner Promotion war die Aufnahme an das Internationale Graduiertenkolleg »Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts« an der LMU. Dem Kolleg und seinem Sprecher Prof. Dr. M ­ artin Schulze Wessel habe ich nicht nur einen großzügigen Druckkostenzuschuss und die Aufnahme in die Publikationsreihe »Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit« zu verdanken; vor allem fand ich hier auch ein äußerst anregendes akademisches Umfeld, in dem ich drei Jahre lang an meiner Dissertation arbeiten durfte. Die zahlreichen Diskussionen mit den Mitgliedern des Kollegs erwiesen sich dabei als unbezahlbar wertvoll. Namentlich hervorgehoben sei hier Dr. ­Tobias

10 Vorwort Grill, der mich besonders engagiert bei der Korrektur meiner Promotionsarbeit unterstützt hat. Da ich für die Abfassung dieser Arbeit auf bisher unveröffentlichtes Archivmaterial zurückgegriffen habe, möchte ich des Weiteren auch den von mir besuchten Archiven meinen Dank aussprechen: Dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, dem Historischen Archiv des Erzbistums Köln, dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, dem Landeskirchlichen Archiv Hannover, dem Niedersächsischen Landesarchiv Hannover sowie dem Archiv des Erzbistums München und Freising, dessen Mitarbeiter sich besonders durch ihre hochmotivierte und professionelle Beratung hervorgetan haben. Schließlich und keineswegs an geringster Stelle möchte ich meiner Familie und meinen Freunden danken, die über die ganze Zeit meiner Promotion an meiner Seite gestanden sind: Meinen Eltern Anne und Hermann Poetke, meiner Freundin Anja Mösch und meinen Freunden Jan Stojanović, Stefan Bartels und Julia Bloemer: Ihr habt euch alle nicht nur unermüdlich durch meine Entwürfe gearbeitet und sie auf Rechtschreibung und Verständlichkeit geprüft, sondern habt mich vor allem immer wieder aufgefangen, wenn es einmal nicht so gut lief. Dafür euch allen meinen tiefempfundenen Dank! München, Frühjahr 2020

Fabian Poetke

I. Einleitung Politikwissenschaftliches Nachdenken über Religion nimmt im europäischen Kontext häufig die Form eines Krisennarrativs an. Insbesondere mit Blick auf liberaldemokratische politische Systeme wird der Konflikt zwischen den Sphären von Politik bzw. Staat und Religion bzw. Religionsgemeinschaften als Normalzustand angesehen, wobei der Religion die Rolle des destabilisierenden Faktors zugeschrieben wird. Diese verbreitete Perspektive dürfte zu einem erheblichen Teil darin begründet liegen, dass sich die Brutalität der religiös konnotierten Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges in das kollektive Gedächtnis Europas eingebrannt hat. In diesen Erfahrungen liegt einerseits die Unterscheidung zwischen Religion und Politik begründet, die essentiell für liberaldemokratische Verfassungsordnungen ist. Zum anderen werden sie heute jedoch – reproduziert durch die Eindrücke terroristischer Gewalt aus tatsächlich oder vermeintlich islamistischer Motivation  – in entkontextualisierender Weise auf aktuelle Probleme übertragen. Komplexe, multikausale politische und ethnokulturelle Spannungslagen werden dann undifferenziert »der Religion« zugeschrieben, die in dieser Form im vermeintlich säkularen Europa vielen als störender Fremdkörper gilt.1 Die vorschnelle Reduktion des Verhältnisses von Politik und Religion auf Momente religiösen Extremismus bedeutet jedoch eine ebenso unnötige wie unvorteilhafte analytische Einengung: Wo Religion pauschal als Gefahrenquelle ausgemacht wird, ist die Forderung nach einer scharfen Trennung von Politik und Religion die logische Konsequenz. Eine solche klare Scheidelinie muss indes auf der Ebene des Gedankenspiels verbleiben, denn sie ignoriert die vielfältigen Berührungspunkte, die zwischen den beiden Sphären faktisch bestehen. Was damit gemeint ist, fasst das Schreiben der Deutschen Bischofskonferenz über »Die Kirche in der pluralistischen Gesellschaft und im demokratischen Staat der Gegenwart« aus dem Jahr 1969, in dem die Eindrücke und Handlungsaufträge der auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossenen Pastoralkonstitution »Gaudium et Spes« verarbeitet wurden, äußerst treffend zusammen: Weil die Kirche zwar nicht der Welt entstammt, aber aus Menschen besteht und nur in der Welt tätig sein kann, kommt sie seit ihren ersten Tagen nicht an dem Gespräch mit den politischen Gemeinwesen und der Gesellschaft vorbei, in denen sie lebt. Ob 1 Vgl. Casanova, José: Das Problem der Religion und die Ängste der säkularen euro­ päischen Demokratien. In: Ders.: Europas Angst vor der Religion. Berlin 2009, 7–30, hier 15 f.

12 Einleitung sie das will oder nicht, sie sieht sich ständig zu den Staaten in Beziehung gesetzt und den gesellschaftlichen Leitbildern gegenübergestellt, die zu den verschiedenen Zeiten als Ziele des ordnungspolitischen Bemühens verfolgt werden.2

Diese Sätze markieren  – freilich aus kirchlicher Perspektive  – den Ausgangspunkt einer nüchternen Analyse des Verhältnisses eines politischen Systems zu Religion und Religionsgemeinschaften: Die Mitglieder religiöser Gemeinden sind zugleich Bürger eines Staates, politische Entscheidungen betreffen auch Menschen, die religiösen Imperativen unterliegen. Oder um die Worte der Bischöfe abzuwandeln: Gottes Reich mag zwar in der Tat nicht von dieser Welt sein, aber seine Parteigänger sind es sehr wohl und sie stehen in dieser Welt in politischen Beziehungen zu ihren Mitmenschen. Dies, und nicht eine Problematisierung des Verhältnisses von Politik und Religion, muss am Beginn der politikwissenschaftlichen Untersuchung stehen – wer bereits von einer Trennung dieser beiden Sphären als Normal- oder Idealzustand ausgeht, begibt sich damit relevanter Analyseperspektiven.3 Religion wird dabei im Folgenden verstanden als eine soziale Praxis der Verortung des Menschen in einem umfassenden Seinszusammenhang angesichts eines Heiligen.4 Relevant für die vorliegende Arbeit ist hier vor allem der Aspekt des Sozialen: Neben ihrer Sinnstiftungsfunktion übt Religion stets auch eine normative Integrationsfunktion bezogen auf eine bestimmte Gemeinschaft von Menschen aus.5 Nun besteht zwischen den religiösen Gruppennormen und den Idealen eines liberaldemokratischen, weltanschaulich neutralen Staates zwar tatsächlich häufig ein Spannungsverhältnis. Ginge man aber davon aus, dass diese Spannung zwangsläufig konflikthaft eskalieren müsse und abstrahierte somit von den konkreten soziopolitischen Bedingungen, unter denen dies geschieht, so geriete dadurch die Frage aus dem Blick, wie eine derartige Eskalation zu verhindern sei – wie also das Verhältnis des freiheitlich-demokratischen Staates zu den Religionsgemeinschaften auf seinem Hoheitsgebiet positiv gestaltet werden könnte. Dass dies auch hinsichtlich traditioneller, strukturell konserva 2 Deutsche Bischofskonferenz: Schreiben der Deutschen Bischofskonferenz über Die Kirche in der pluralistischen Gesellschaft und im demokratischen Staat der Gegenwart. In Anwendung der Pastoralkonstitution »Die Kirche in der Welt von heute« des Zweiten Vatikanischen Konzils. Trier 1969, 4. 3 Vgl. Kokosalakis, Nikos: Legitimation Power and Religion in Modern Society. In: Sociological Analysis, Jg. 46, Nr. 4 (1985), 367–376, hier 367. 4 Vgl. Berger, Peter L.: Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie. Frankfurt a. M. 1973, 26, 46. 5 Zu den sozialen Funktionen von Religion vgl. Arens, Edmund: Going public – Öffent­ liche Religionen und Öffentliche Theologie. In: Arens, Edmund et al. (Hg.): Integrationspotenziale von Religion und Zivilgesellschaft. Theoretische und empirische Befunde. Zürich / ​ ­Baden-Baden 2016, 19–69, hier 53–55.

Einleitung  13

tiver Glaubensgemeinschaften sehr wohl möglich ist, zeigt etwa die deutsche Geschichte: Das zitierte Schreiben der katholischen Bischöfe spricht in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung der Kirche mit »den gesellschaftlichen Leitbildern« an, was auf die damalige Situation übertragen vor allem bedeutet, mit den Zumutungen der liberalen Demokratie und ihrer Freiheitsrechte. Für die deutschen Katholiken und ihre Kirche endete die letztlich seit der Französischen Revolution geführte Konfrontation mit den Ideen des politischen Liberalismus bekanntlich mit einer umfassenden Aussöhnung, ein Befund, dem gelegentliche Differenzen liberale Gesetzesvorhaben betreffend nicht entgegenstehen  – die Bejahung liberaldemokratischer Werte auf einer grundsätzlichen Ebene ist mittlerweile unstrittig. Gleiches gilt, heute selbstverständlich, für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die im Jahr 1985 in ihrer als »Demokratiedenkschrift« bekannt gewordenen Veröffentlichung feststellte: Als evangelische Christen stimmen wir der Demokratie als einer Verfassungsform zu, die die unantastbare Würde der Person als Grundlage anerkennt und achtet. Den demokratischen Staat begreifen wir als Angebot und Aufgabe für die politische Verantwortung aller Bürger und so auch für evangelische Christen.6

Darüber hinaus bekräftigte die Denkschrift, dass aus Sicht der EKD politische Alternativen »nicht in einer Abkehr vom parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaat« zu finden seien.7 Von einer kirchlichen Demokratiefeindlichkeit findet sich hier also nichts. Dies war keineswegs immer so: In den Worten des damaligen Vorsitzenden der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD belegt die Demokratiedenkschrift »einen bedeutenden Wandel im evangelischen Verständnis des Staates«.8 In diesem Sinne ist die Annahme einer zwangsläufigen Konflikthaftigkeit im Verhältnis zwischen (liberalem) Staat und Religion ebenso abzulehnen, wie das verbreitete Narrativ einer inhärenten Demokratiekompatibilität des Christentums, das häufig gegen islamische Traditionen in Stellung gebracht wird. Auch hier werden historische Entwicklungen ausgeblendet, denn wie bereits angedeutet, widerlegt ein Blick in die Geschichte die Annahme einer natürlichen Harmonie zwischen den christlichen Kirchen und der liberalen Demokratie. Eine Liberalisierung der von traditionellen Glaubensgemeinschaften vertretenen politischen Grundüberzeugungen, wie sie im Falle der christlichen Kirchen in der Bundesrepublik und anderen Staaten zu beobachten war, kann daher nicht mit einer bestimmten »Liberalitätskompetenz« dieser Gruppen er 6 Evangelische Kirche in Deutschland: Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Eine Denkschrift d. Evang. Kirche in Deutschland. Gütersloh 1985, 12. 7 Ebd., 40. 8 Ebd., 7.

14 Einleitung klärt werden.9 Vielmehr weisen die beiden angeführten Schriftstücke eindrücklich darauf hin, dass das Verhältnis zwischen (liberalem) Staat und Religion nicht statisch, sondern sehr dynamisch ist. Wie bei anderen Interaktionszusammenhängen in modernen Gesellschaften ist dabei von einem reziproken Austauschprozess zwischen beiden Seiten und folglich von einer wechselseitigen Beeinflussung auszugehen.10 Um dieser nachzuspüren, liegt es nahe, besonderes Augenmerk auf das Feld der Religionspolitik zu legen als den Bereich all jener politischen Prozesse und Entscheidungen, in denen die religiöse Praxis von Individuen einschließlich ihrer kollektiven Ausdrucksformen sowie der öffentliche Status, die Stellung und die Funktionen von religiösen Symbolen, religiösen Praktiken und Religionsgemeinschaften in politischen Gemeinwesen geregelt werden.11

Dabei ist nicht zwangsläufig von hierarchischen, staatlich dominierten Akten der Politikausarbeitung und -implementierung auszugehen. Ganz im Gegenteil werden im Folgenden gerade kooperative Prozesse unter aktiver Mitwirkung der betroffenen Religionsgemeinschaften im Fokus der Untersuchung stehen, weshalb hier der Begriff der »religionspolitischen Governance« verwendet wird.12 Die vorliegende Arbeit basiert auf der in Kapitel II noch näher erläuterten Annahme, dass die Entstehung von Strukturen einer kooperativen religionspolitischen Governance, die sich in der politischen Problemlösung bewähren und Erwartungssicherheit generieren, maßgeblichen Anteil an der Herausbildung einer genuinen »religiösen Liberalität« besitzt.13 Damit ist jene Disposition ge-

9 Fischer, Karsten: Religionspolitische Governance im weltanschaulich neutralen Verfassungsstaat. Eine Problemskizze. In: Voßkuhle, Andreas et al. (Hg.): Verabschiedung und Wiederentdeckung des Staates im Spannungsfeld der Disziplinen. Der Staat, Beiheft 21. Berlin 2013, 125–153, hier 132. 10 Vgl. hierzu Graf, Friedrich Wilhelm / Große Kracht, Klaus: Einleitung: Religion und Gesellschaft im Europa des 20. Jahrhunderts. In: Graf, Friedrich Wilhelm / Große Kracht, Klaus (Hg.): Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert. Köln 2007, 1–41, hier 34. 11 Willems, Ulrich: Religionspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1999. Zur politischen Regulierung der öffentlichen Stellung von Religion und Religionsgemeinschaften. In: Ders. (Hg.): Demokratie und Politik in der Bundesrepublik 1949–1999. Opladen 2001, 137–162, hier 137. 12 Fischer, K.: Religionspolitische Governance. Zum hier verwendeten Governancebegriff vgl. außerdem Schuppert, Gunnar Folke: When governance meets religion. Governance­ strukturen und Governanceakteure im Bereich des Religiösen, Baden-Baden 2012, 16, 54–63; Mayntz, Renate: Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie? In: Schuppert, Gunnar Folke (Hg.): Governance-Forschung. Vergewisserung über Stand und Entwicklungslinien. Baden-Baden 2006, 11–20, hier 15.  13 Fischer, Karsten: Die Zukunft einer Provokation. Religion im liberalen Staat. Berlin 2009, 141; siehe auch Fischer, K.: Religionspolitische Governance, 132, wo ein entsprechendes Forschungsdesiderat ausgemacht wird.

Einleitung  15

meint, nach der Glaubensgemeinschaften aus freien Stücken den Vorrang demokratischer politischer Entscheidungen gegenüber religiösen Geltungs­ansprüchen sowie die grundlegenden liberalen Freiheitsrechte anerkennen, was ihnen eine positive Teilhabe am liberaldemokratischen Staat ermöglicht. Mit anderen Worten lautet die Überlegung, dass durch die Einbindung der Religionsgemeinschaften in bestimmte politische Prozesse ein partnerschaftliches Verhältnis mit dem liberalen Staat kultiviert wird, dessen Verfestigung letztlich nicht nur gegenüber dem konkreten Staat oder einer bestimmten Regierung eine positive Einstellung hervorruft, sondern auch gegenüber der freiheitlichen Idee der liberalen Demokratie selbst. Des Weiteren wird aber auch vermutet, dass der Staat durch eine Kooperation mit den Religionsgemeinschaften seine eigene Autorität zu festigen vermag. Dabei geht es nicht etwa um die Generierung politischer Autorität durch religiöse Autorität im Sinne von altbekannten Praktiken der Herrschersanktionierung durch geistliche Instanzen, wie die Inszenierungen von Monarchen als Regenten von Gottes Gnaden oder das sogenannte »Bündnis von Thron und Altar«. Im Fokus des Interesses stehen hier vielmehr die entsprechenden Beziehungen im modernen liberaldemokratischen Staat: Wie funktioniert unter den Bedingungen weltanschaulicher Neutralität und Demokratie eine Religionspolitik, die zum einen den Rahmen für eine politische Integration traditionell liberalismusskeptischer religiöser Gruppen errichtet, zum anderen durch eben diese Annäherung ein die staatliche Autorität unterstützendes Moment erzeugt? Dieses reziproke Verhältnis zwischen den Anreizstrukturen liberaler religionspolitischer Governance und den politischen Dispositionen der Glaubensgemeinschaften gilt es im Folgenden näher zu bestimmen. Kapitel II wird sich als theoretisches Grundlagenkapitel noch eingehend mit den hier umrissenen Überlegungen beschäftigen und darauf aufbauend die diese Untersuchung leitende Forschungshypothese im Detail herausarbeiten: Da der liberaldemokratische, weltanschaulich neutrale Staat eine positive Haltung der Religionsgemeinschaften zu seinen Grundwerten und Verfassungsprinzipien nicht autoritativ durchsetzen kann und darf, muss er versuchen, eine Selbstliberalisierung der Glaubensgemeinschaften zu fördern. Durch eine entgegenkommende, kooperative religionspolitische Governancepraxis mit Angeboten und Anreizen vermag er günstige Rahmenbedingungen zu setzen für die Entstehung religiöser Liberalität im Sinne einer prodemokratischen, individuelle Freiheiten bejahenden religiösen Disposition aus dem jeweiligen Gemeinschaftsethos heraus. Dabei können die nicht zuletzt theologisch begründeten Vorbehalte gegenüber einer liberaldemokratischen Verfasstheit des Staates statt durch theoretische Überzeugung vielmehr durch positive praktische Erfahrungen mit Politik und Rechtsordnung überwunden werden. In diesem Zusammenhang kann der Staat von einem Autoritätsvorsprung der Religionsgemeinschaften ihm gegenüber profitieren, indem er sich durch seine religionsfreundliche Politik

16 Einleitung ihrer Loyalität vergewissert und dadurch seine politische Autorität gegenüber den Gläubigen festigt  – ein Mechanismus, der im Folgenden als »Autoritätssymbiose« bezeichnet wird.14

1. Bestimmung des konkreten Untersuchungsgegenstands Diese Hypothese wird anhand des Verhältnisses von Staat und Kirchen in der Bildungs- und der Verteidigungspolitik auf dem Gebiet der (späteren) Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1965 überprüft.15 Die religionspolitische Neuordnung der westdeutschen Länder bzw. ab 1949 der Bundesrepublik Deutschland wurde als Untersuchungsgegenstand gewählt, da hier vorteilhafte Beobachtungsbedingungen vorliegen: In der Umbruchsituation des politischen Systems Westdeutschlands, das sich nach der Kapitulation 1945 von einer totalitären Diktatur zu einer liberalen Demokratie entwickelte, mussten sich die christlichen Kirchen ihrer Einstellung gegenüber der neugegründeten Bundesrepublik vergewissern. Sowohl die katholische als auch die evangelische(n) Kirche(n) hatten bis dahin in weiten Teilen eine sowohl liberalismus- als auch demokratieskeptische Haltung eingenommen, was sich nicht zuletzt in der ambivalenten Rolle der Kirchen während der Hitler-Diktatur niederschlug. Gleichwohl befanden sich die Kirchen im frühen bundesrepublikanischen Deutschland in einer starken Stellung, denn während der deutsche Staat nach der nationalsozialistischen Herrschaft sowohl an politischer als auch an moralischer Autorität eingebüßt hatte, wurde den Kirchen von weiten Teilen der Bevölkerung nach dem Krieg ein beträchtliches Maß an moralischer Autorität beigemessen. Vor diesem Hintergrund soll die vorliegende Arbeit aufzeigen, wie eine kooperative und den Kirchen entgegenkommende religionspolitische Governance eine positive Disposition der Kirchen gegenüber dem neuen liberaldemokratischen Staatswesen der frühen Bundesrepublik befördert hat. Zudem wird untersucht, ob durch diese Zusammenarbeit ein Rückgriff des Staates auf die moralische 14 Vgl. zum Begriff Poetke, Fabian / Fischer, Karsten: Religionspolitische Autoritätssymbiose in der Verteidigungspolitik der frühen Bundesrepublik. In: Heinig, Hans Michael / ​ Walter, Christian (Hg.): Religionsverfassungsrechtliche Spannungsfelder. Tübingen 2015, 233–255. 15 Zum hier verwendeten Begriff der »Bildungspolitik« ist anzumerken, dass dieser im politischen Sprachgebrauch erst ab Anfang der 1960er Jahre in Umlauf gelangte. Zuvor wurden zur Kennzeichnung des entsprechenden Politikbereichs die Begriffe »Schulpolitik« oder »Kulturpolitik« benutzt, vgl. Hepp, Gerd F.: Bildungspolitik in Deutschland. Eine Einführung. Wiesbaden 2011, 13. Im Folgenden werden als Analysebegriffe sowohl der heute gebräuchliche Terminus »Bildungspolitik« verwendet, als auch »Schulpolitik«, da dies mit der Schule jenen Aspekt des Bildungsbereichs benennt, für den sich die vorliegende Untersuchung hauptsächlich interessiert.

Bestimmung des konkreten Untersuchungsgegenstands  17

Autorität der Kirchen ermöglicht wurde, welcher die Wiedererrichtung staatlicher Autorität in Westdeutschland erleichterte. Im Rahmen des früh-bundesrepublikanischen Untersuchungskontextes ist eine Konzentration der Analyse auf die beiden großen religiösen Akteure, die römisch-katholische Kirche und die unter dem Dach der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammengeschlossenen evangelischen Landeskirchen, nicht nur intuitiv einleuchtend und pragmatisch motiviert, sondern auch aus methodischer Sicht folgerichtig. Denn während pragmatische Erwägungen eine Einbeziehung der diversen mitgliedertechnisch gesehen kleinen Religionsgemeinschaften mit Blick auf den Umfang der Untersuchung und den damit verbundenen Zeitaufwand als schlicht nicht verarbeitbar erscheinen lassen, darf der Nutzen eines solchen Aufwandes auch hinsichtlich des zu erwartenden Erkenntnisgewinnes angezweifelt werden: Die kleineren Religionsgemeinschaften waren im Untersuchungszeitraum zum einen kaum aktiv im Versuch, politischen Einfluss auszuüben,16 was eine Beobachtung der Interaktionen mit staatlichen Stellen äußerst schwierig gestaltet; zum anderen hatten sie aufgrund der geringen Mitgliederzahl – 1950 waren rund 96 Prozent der Bundesbürger Mitglied einer der beiden großen Konfessionen17 – tatsächlich ein schwaches politisches Gewicht. Wenn im Folgenden von »den Kirchen« die Rede ist, sind dementsprechend die römisch-katholische Kirche und die EKD bzw. deren Gliedkirchen gemeint. Der Fokus wird dabei primär auf den amtskirchlichen Institutionen und ihren führenden Repräsentanten liegen, da diese in den untersuchten Politikbereichen die maßgeblichen Ansprech- und Verhandlungspartner von Bund und Ländern waren. Weil dies allein der inneren Komplexität der Kirchen jedoch nicht gerecht werden würde, wird sich der Blick auch immer wieder auf die kirchlichen Vorfeldorganisationen und die in ihnen aktiven Laien richten, die für die Prägung der politischen Kultur der frühen BRD ein wichtige Rolle spielten.18 Eine konsistente Untersuchung der politischen Liberalisierung der beiden großen christlichen Kirchen in Westdeutschland setzt das Bewusstsein voraus, 16 Vgl. Thielking, Kai Oliver: Die Kirche als politischer Akteur. Kirchlicher Einfluss auf die Schul- und Bildungspolitik in Deutschland. Baden-Baden 2005, 22. 17 Vgl. Statistisches Bundesamt Wiesbaden: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland. Band 1952. Stuttgart, Köln 1953, 28; siehe auch Noelle, Elisabeth / Neumann, Erich Peter: Jahrbuch der öffentlichen Meinung. 1947–1955. Allensbach 1956, 3.  18 Vgl. dazu auch Liedhegener, Antonius: Der deutsche Katholizismus und seine kon­ stitutive Rolle im Demokratisierungsprozess Westdeutschlands nach 1945. In: Leininger, Julia (Hg.): Religiöse Akteure in Demokratisierungsprozessen. Konstruktiv, destruktiv und obstruk­tiv. Wiesbaden 2013, 47–82, hier 49, Fn. 7. Unter dem Begriff der »politischen Kultur« versteht die Politikwissenschaft »kognitive, affektive und wertende Einstellungen gegenüber dem politischen System und politischen Rollen« sowie rechtlich nicht fixierte gängige politische Verhaltensmuster, etwa Modi der Partizipation, Elitenrekrutierung und Konfliktregelung (Rudzio, Wolfgang: Das Politische System der Bundesrepublik Deutschland. 7. Aufl., Wiesbaden 2006, 427.).

18 Einleitung dass die west- bzw. bundesdeutsche Gesellschaft im genannten Untersuchungszeitraum noch keine liberale Gesellschaft entsprechend dem heutigen Verständnis des Begriffs war – ebenso wenig, wie die Regierung Adenauer nach heutigen Standards einen liberalen Regierungsstil pflegte oder ein liberales Programm hatte. Dennoch: Der konstitutionelle Aufbau der Bundesrepublik Deutschland entsprach seit 1949 einem politischen System, das ideengeschichtlich unter die Rubrik des politischen Liberalismus fällt, also in der Tradition von Denkern wie Locke, Montesquieu und Mill stehend auf einer Verfassung basiert, die einerseits den Schutz der individuellen Freiheit der Staatsbürger in größtmöglichem Umfang zu garantieren beabsichtigt, andererseits über die Verankerung politischer Rechte die demokratische Legitimation der Regierung sichern will. Wenn wir in den 1950er und 60er Jahren in der Bundesrepublik auch nicht von einer liberalen Gesellschaft sprechen können, so eben doch von einem liberaldemokratischen politischen System – und um die Anerkennung dieses Systems durch die Kirchen geht es der Untersuchung. Es ist dabei auch zu beachten, dass der Lernprozess der Kirchen ebenso von großen Teilen der übrigen Gesellschaft, einschließlich der politischen Parteien, zeitgleich nachvollzogen werden musste. Die Auswahl des Untersuchungszeitraums orientiert sich dabei an der ersten Phase bundesdeutscher Religionspolitik, wie sie disziplinübergreifend verortet wird – je nachdem, ob Landes- oder Bundespolitik im Vordergrund steht, von 1945 respektive 1949 bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre.19 Während die Ansichten über das exakte Endjahr dieses Zeitabschnitts auseinander gehen, ist man sich in der Begründung der Einteilung weitgehend einig: Hier hat man es mit der formativen Phase des neuen Verhältnisses von Staat und Kirchen zu tun, in der grundlegende Neupositionierungen stattfanden. So definiert etwa der Theologe Wolfgang Vögele eine »Phase der Selbstfindung und Neu-Interpretation« zwischen 1945 und 1967, in welcher kirchlicherseits eine Loslösung »von der alten Fixierung auf den Staat als reine Machtinstitution und als Obrigkeit, dem [sic] Gehorsam geschuldet wurde« sowie in Folge eine positive theologische Anknüpfung an die politische Kultur der Demokratie stattfand.20 Der Rechtshistoriker Martin Stolleis stellt auf das Ende der »Ära Adenauer« und des »rheinischen Katholizismus« ab und befindet, obgleich verschiedene Disziplinen die Entwicklung unterschiedlich beschrieben, komme man darin überein, »dass sich etwa ab 1965 irreversible Wendungen vollzogen«, insbesondere durch den Generationenwechsel und das Aufbrechen traditioneller Sozialstrukturen.21 19 Vgl. etwa Willems, U.: Religionspolitik, 138. 20 Vögele, Wolfgang: Mäßigung der Macht durch Mitverantwortung und Recht. Bemerkungen zum Verhältnis von Protestantismus und Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland. In: Brocker, Manfred / Stein, Tine (Hg.): Christentum und Demokratie. Darmstadt 2006, 131–146, hier 139. 21 Stolleis, Martin: Konfessionalität versus Säkularität im deutschen Staatsrecht. In: Heinig, H. M. / Walter, Ch. (Hg.): Religionsverfassungsrechtliche Spannungsfelder, 297–307, hier 304.

Bestimmung des konkreten Untersuchungsgegenstands  19

Aus verfassungsrechtlicher Sicht konstatiert Stefan Korioth, dass »zwischen 1949 und etwa 1965 der Vorrang der Verfassung gegenüber großkirchlichen Gleichordnungsansprüchen vorrangig katholischer Herkunft und gegen den Vorwurf der ›Staatsvergottung‹ durchgesetzt werden musste«,22 wodurch somit eine Phase intensiver Integrationsleistung gekennzeichnet ist. Es ist schließlich der Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 1965, der ebenfalls für die zweite Hälfte der 1960er Jahre als Ende des Untersuchungszeitraumes spricht: Für die vorliegende Arbeit sind die Ergebnisse des Konzils ein historischer Meilenstein, da hier eine theologische Einholung der bis dahin erfolgten praktischen Annäherung der katholischen Kirche an die Lebenswirklichkeit moderner pluralistischer Gesellschaften vorgenommen wird, die auch das Verhältnis zum liberaldemokratischen Verfassungsstaat betrifft. Das Jahr 1965 wird daher als Orientierungspunkt für das Ende des Untersuchungszeitraums dienen, wobei mit Blick auf einige wichtige religionspolitische Maßnahmen auch darüber hinaus geschaut werden wird. Innerhalb dieses zeitlichen Rahmens gilt es nun, religionspolitische Maßnah­ men von Bund und Ländern auf die Schaffung von Strukturen hin zu analysieren, die Anreize (bzw. Erleichterungen) für eine Selbstliberalisierung der Kirchen boten. Dafür kommen verschiedenste Politikfelder in Betracht, unter denen zwangsläufig eine Auswahl zu treffen ist. Als sehr aussagekräftig erscheint eine Betrachtung der Bildungs- und der Verteidigungspolitik als zweier Policy-Bereiche, in denen sich die Neuerrichtung der demokratischen Ordnung besonders signifikant widergespiegelt hat. Die Bildungspolitik mit dem Streit über Konfessions- und Gemeinschaftsschule und die Verteidigungspolitik mit der Wiederbewaffnungsfrage zählten zu den prägenden Themen der politischen Diskurse in der frühen Bundesrepublik. Zentrale Aspekte dieser beiden Politikfelder – unter anderem Religionsunterricht, Konfessionsschule, oder Militärseelsorge – gehö­ ren in den Bereich der res mixtae, der »gemeinsamen Angelegenheiten«, die dadurch gekennzeichnet sind, dass »sie in einer primären Zweckbeziehung sowohl zum Staat wie zur Kirche stehen«.23 Hier trafen also substantielle staatliche und kirchliche Interessen aufeinander, weshalb das Bedürfnis nach kooperativer religionspolitischer Governance besonders hoch war. Während die Zuständigkeit für Verteidigungspolitik damals wie heute beim Bund liegt, folglich also die Interaktionen der verantwortlichen kirchlichen Stel-

22 Korioth, Stefan: Gesellschaftstheoretische Modellbildungen und die Konstruktion religionsrechtlicher Ordnungsvorstellungen. Bemerkungen am Beispiel der Entwicklung unter dem Grundgesetz. In: Heinig, H. M. / Walter, Ch. (Hg.): Religionsverfassungsrechtliche Spannungsfelder, 284–295, hier 294. 23 Campenhausen, Axel von / Wall, Heinrich de: Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa. Ein Studienbuch. 4. Aufl., München 2006, 196.

20 Einleitung len mit der Bundesregierung – insbesondere dem Bundesverteidigungs­minister – sowie dem Bundestag zu untersuchen sind, ist die Lage bei der Bildungspolitik komplexer: Hier waren und sind die einzelnen Bundesländer verantwortlich. Da eine detaillierte Analyse der Bildungs- bzw. Schulpolitik sämtlicher westdeutscher Länder den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem sprengen würde, gilt es eine aussagekräftige Fallauswahl zu treffen. Um die bundesdeutschen Verhältnisse möglichst gut abzubilden, sollen dabei insbesondere konfessionelles Gefüge der Bevölkerung sowie parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierungen berücksichtigt werden. Unter diesem Gesichtspunkten werden für die Fallstudien zur Bildungspolitik die Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern untersucht, die, in verschiedenen Besatzungszonen situiert, zusammen fast zwei Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung auf sich vereinten und sich im Untersuchungszeitraum voneinander sowohl in konfessioneller Hinsicht als auch bei der Regierungszusammensetzung unterschieden.24 In diesem Sinne bringt die Tatsache, dass der Abschnitt zur Bildungspolitik deutlich umfangreicher ausfällt als jener zur Verteidigungspolitik, keine Gewichtung der Sachbereiche zum Ausdruck, sondern ist allein der föderalistischen Struktur der Bildungspolitik geschuldet.

2. Untersuchungsmethode Nachdem nun der Untersuchungsgegenstand präzisiert ist, stellt sich die Frage nach dem konkreten Vorgehen der Analyse. Die Überprüfung der Hypothese einer Wechselwirkung zwischen religionspolitischen Anreizstrukturen in den Bereichen Bildungs- und Verteidigungspolitik und der politischen Liberalisierung der Kirchen macht es erforderlich, die Dynamiken der Verhandlungen zwischen staatlicher und kirchlicher Seite über Regelungen auf diesen beiden Policy-Feldern nachzuvollziehen. Zu fragen ist, welche bildungs- und verteidigungspolitischen Interessen Staat und Kirchen jeweils hatten, ob und wo Konflikte auftraten, mit welchen Maßnahmen diese zu lösen versucht wurden, oder auf welche Weise eventuelle Interessenskonvergenzen durch politische Maßnahmen gefestigt wurden. Lassen sich hierbei kooperative Governancestrukturen ausmachen, muss es das Ziel der Untersuchung sein, neben ihrer Bewertung durch die beteiligten Partner insbesondere die gemäß der Hypothese vermuteten Liberalisierungseffekte herauszuarbeiten sowie eine positive Wirkung auf die staatliche Autorität nachzuvollziehen.

24 Im Jahr 1946 stellten Nordrhein-Westfalen mit 11,68 Mio., Bayern mit 8,73 Mio. und Niedersachsen mit 6,22 Mio. Einwohnern die bevölkerungsreichsten westdeutschen Länder dar, siehe Statistisches Bundesamt Wiesbaden: Statistisches Jahrbuch 1952, 12.

Untersuchungsmethode  21

Zu diesem Zweck erscheint eine diskursanalytische Herangehensweise am geeignetsten, sowohl, um Verhandlungs- und Kooperationsprozesse zu rekon­ struieren, als auch, um den Dynamiken von Liberalisierung und Autoritätssymbiose nachzuspüren. Dazu sollen Aussagen und Verhaltensweisen relevanter Akteure untersucht werden, auf deren Grundlage ein proliberaler Einstellungswandel der Kirchen einerseits sowie ein aus der staatlich-kirchlichen Kooperation hervorgehender Autoritätsgewinn des Staates andererseits plausibilisiert werden kann. Die offensichtlich eindeutigsten Belege für prodemokratische oder proliberale Dispositionen der untersuchten kirchlichen Akteure wären explizite Äußerungen entsprechender Überzeugungen, wie etwa theoretische Erörterungen des eigenen politischen Positionswandels. Derlei Ausführungen lassen sich allerdings sehr selten finden, denn die Anlässe, eine derart abstrakte Selbstreflexion zu betreiben, sind erfahrungsgemäß rar. Auch andere unmittelbare diskursive Zeugnisse einer sich liberalisierenden politischen Haltung, wie Loyalitätsbezeugungen gegenüber demokratischen Akteuren und Institutionen oder deren Verteidigung gegen illiberale Anfechtungen, liegen nicht in hinreichendem Umfang vor. Daher ist es notwendig, gleichsam zwischen den Zeilen zu lesen um etwa festzustellen, ob demokratische Spielregeln eingeübt und übernommen wurden, ob Kompromisse nicht mehr fundamental problematisiert, sondern als politisch notwendig (oder gar positiv) beurteilt wurden, inwieweit damit auch eine Relativierung des religiösen Wahrheitsanspruches im politischen Raum anerkannt wurde, oder wie sich die Haltung der Kirchen zur pluralistischen Gesellschaft als solche und zu traditionell als Antagonisten gewerteten Gruppen im Besonderen entwickelte. Gerade hier ist die Bejahung von Kernwerten liberaler Demokratie durch kirchliche Akteure von Interesse. Dazu gehören allen voran die Anerkennung der modernen Menschenrechte sowie der klassischen liberalen Freiheitsrechte, unter denen die Religionsfreiheit für die vorliegende Analyse eine besondere Stellung einnimmt. Das Verhältnis zu liberalen Grundsätzen wie Religions-, Meinungs-, Presse-, oder Wissenschaftsfreiheit markiert allgemein die Stellung zum Prinzip des Schutzes andersdenkender weltanschaulicher oder politischer Minderheiten – denn relevant wird die Bejahung dieser Grundrechte besonders dann, wenn sie solchen Minderheiten Handlungsspielraum verschaffen. Aus dieser Sicht ist auch das Toleranzverständnis der Religionsgemeinschaften ein Indiz für deren pro- oder antiliberale Dispositionen. In der konkreten politischen Praxis zeigt sich ein Bekenntnis zu den genannten Werten nicht zuletzt durch eine erhöhte Bereitschaft, bei welt­anschaulich umkämpften Fragen pragmatische und von allen Beteiligten tragbare Kompromisse einzugehen. Die zur Beobachtung des Liberalisierungsaspekts gemachten grundlegenden Bemerkungen treffen ebenso auf die Untersuchung der These einer Autoritätssymbiose zu: Auch hier geht es letztlich darum, diskursanalytisch Autoritäts- bzw. Legitimitätszuschreibungen festzustellen und entsprechende Verhaltensmuster, die diese Legitimitätszuschreibungen implizieren, zu kennzeichnen. Dabei sind

22 Einleitung nicht nur kirchliche Aussagen über den Staat oder die jeweilige Regierung von Interesse, sondern ebenso eine etwaige Inanspruchnahme der Kirchen durch staatliche Akteure zur Untermauerung der Autorität der staatlichen Ordnung oder bestimmter Regierungen. Zu beiden genannten Aspekten der Untersuchung besteht das primäre Quellenmaterial aus offiziellen Stellungnahmen der Bundes- bzw. der jeweiligen Landesregierung sowie der betroffenen kirchlichen Instanzen, aus Akten der betreffenden Ministerien zu Verhandlungen zwischen Vertretern der Regierung(en) und der Kirchen, aus Protokollen und Dokumenten des Bundestages (im Falle der Verteidigungspolitik) und der Landtage (im Falle der Bildungspolitik), Positionierungen der politischen Parteien sowie schließlich Verlautbarungen der organisierten Laienelemente der Kirchen. Da es um die Frage der politischen Perspektive von Religionsgemeinschaften als kollektive Akteure geht, stehen auf kirchlicher Seite Äußerungen der institutionellen Ebene, d. h. der Amtskirchen im Vordergrund. Besonders relevant erscheinende Stellungnahmen wichtiger Laiengruppen sollen jedoch ergänzend herangezogen werden, da die soziale Realität der Kirchen auch durch deren Gemeindemitglieder geprägt wurde, die keinesfalls nur passive Beobachter waren. Wenn bei der Analyse dennoch der amtskirchlichen Ebene der Vorrang zukommt, so deshalb, weil hier die entscheidenden Kontakte zu den staatlichen Stellen bestanden, die es zu untersuchen gilt. Zudem war in den späten 1940er und den 1950er Jahren gerade im katholischen Milieu die Geschlossenheit noch hoch genug, um von einer weitgehenden Repräsentation des Kirchenvolkes durch die Kirchenführung auszugehen – trotz aller bestehenden Heterogenität innerhalb der Kirche.25 In diesem Zusammenhang richtet sich der Blick auch auf die Aktivitäten und Aussagen höherer kirchlicher Instanzen, obgleich in der Praxis viele Kontakte zwischen Kirche und Staat auf lokaler Ebene, im Kirchenkreis oder der Ortsgemeinde stattfanden:26 Die Vielzahl dieser Interaktionen ist nicht überschaubar und kann hier nicht erfasst werden, zumal die grundlegenden Entscheidungen auf höherer Ebene getroffen wurden. Hinsichtlich der hier angesprochenen innerkirchlichen Dynamiken gilt es im Rahmen einer politikwissenschaftlichen Untersuchung eine methodische Abgrenzung besonders zu beachten, nämlich die Differenzierung zwischen einem sozialwissenschaftlichen und einem theologischen Ansatz. Thomas Gauly legt vor diesem Hintergrund sehr treffend dar, dass nichttheologische Ansätze sich im Zweifelsfall dem Vorwurf aussetzten, »wesentliche inhaltliche und struktu 25 Vgl. Gabriel, Karl: Katholizismus und katholisches Milieu in den fünfziger Jahren der Bundesrepublik: Restauration, Modernisierung und beginnende Auflösung. In: Kaufmann, Franz-Xaver / Zingerle, Arnold (Hg.): Vatikanum II und Modernisierung. Historische, theologische und soziologische Perspektiven. Paderborn, München [u. a.] 1996, 67–83, hier 74. 26 Vgl. dazu Simon, Christian: Die evangelischen Kirchen und das Volksschulwesen in Niedersachsen 1945 bis 1955. Dissertation, Hannover 1995/1997, 208.

Untersuchungsmethode  23

relle Faktoren kirchlichen Handelns nicht zu erfassen, da diese allein mit den Mitteln und Methoden der theologischen Disziplinen erfaßt werden können«; gleichfalls könne aus sozialwissenschaftlicher Sicht darauf erwidert werden, dass die Theologie allein nicht unbedingt »in der Lage wäre, die sozialen und politischen Konsequenzen kirchlichen Tuns in ihrer Gänze zu erfassen und befriedigend zu beschreiben«.27 Michael Inacker fügt dem die Warnung hinzu: »Welche Interpretation der Verfasser auch verfolgt, er kann den jeweiligen kirchlich-theologischen Richtungen und deren eigener Bedeutungsdeutung nie vollkommen gerecht werden«.28 Dieses Risiko einzugehen muss die sozialwissenschaftliche Analyse freilich bereit sein, da, ganz wie Gauly betont, die theologische Selbstbeschreibung und der sozialwissenschaftliche Erkenntnisgewinn nicht unbedingt Hand in Hand gehen. Allein letzterer aber kann das Ziel der vorliegenden Arbeit sein, weshalb sie an das untersuchte Handeln der Kirchen auch nicht die Frage stellt, »ob ein anderes Verhalten ihrem Auftrag sui generis besser angemessen wäre« – denn dies wäre eine theologische Fragestellung.29 Aufgrund dieser Überlegungen gilt im Folgenden dieselbe Einschränkung, die etwa die Theologin Johanna Vogel für ihre Untersuchung über die Haltung der EKD in der Frage der bundesdeutschen Wiederbewaffnung festlegte, nämlich dass die akademische theologische Diskussion zur Frage des politischen Mandates der Kirche, zur Zwei-Reiche-Lehre usw., die in dieser Zeit entscheidend vorangetrieben wurde, […] nur insoweit berücksichtigt werden [kann], als dies für die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen unerlässlich erscheint.30

Während die Beantwortung der vorliegenden Problemstellung diese theologischen Debatten durchaus in den Blick zu nehmen hat, da die Frage nach dem kirchlichen Selbstverständnis integraler Bestandteil der Analyse ist, so können sie verständlicherweise nicht ausführlich und im Detail diskutiert werden. Der Fokus hat auf jenen Teilen der theologischen Erörterungen zu liegen, die auch tatsächlich relevant für die politische Positionierung der Kirchen waren.

27 Gauly, Thomas M.: Kirche und Politik in der Bundesrepublik Deutschland. 1945–1976. Bonn 1990, 30. 28 Inacker, Michael J.: Zwischen Transzendenz, Totalitarismus und Demokratie. Die Entwicklung des kirchlichen Demokratieverständnisses von der Weimarer Republik bis zu den Anfängen der Bundesrepublik (1918–1959). Neukirchen-Vluyn 1994, 7. 29 Ebd., 6. 30 Vogel, Johanna: Kirche und Wiederbewaffnung. Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1949–1956. Göttingen 1978, 17.

24 Einleitung

3. Forschungsstand Der Stand der bisherigen Forschung zum vorliegenden Thema präsentiert sich ambivalent. Einerseits existiert ein reichhaltiger Bestand geschichts-, sozial- und rechtswissenschaftlicher Literatur zu Zustand und gesellschaftlichem Wirken der christlichen Kirchen in der deutschen Nachkriegszeit und den Anfangs­ jahren der BRD, wobei auch der politische Einstellungswandel innerhalb der Kirchen in der Regel thematisiert wird.31 Andererseits gehen nur vergleichsweise wenige Autoren den Gründen für diese Entwicklung in einer für die Überprüfung der vorliegenden Forschungsthese wünschenswerten Tiefe nach.32 Als sehr gut ist der allgemeine Forschungsstand zur Rolle der Kirchen in der Verteidigungspolitik zu bezeichnen, insbesondere zur Haltung der christlichen Kirchen in der Wiederbewaffnungsdebatte.33 Hinsichtlich dieses Politikfelds wurden zudem die Verhandlungen von Staat und Kirchen zur Errichtung einer Militärseelsorge bei der Bundeswehr eingehend untersucht,34 so dass hier eine solide Material 31 Stellvertretend seien hier angeführt Buchna, Kristian: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre. Baden-Baden 2014; Greschat, Martin: Der Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland (1945–2005). Leipzig 2010; Liedhegener, Antonius: Macht, Moral und Mehrheiten. Der politische Katholizismus in der Bundesrepublik Deutschland und den USA seit 1960. Baden-Baden 2006; Schewick, Burkhard van: Die Katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945–1950. Mainz 1980. Hervorzuheben ist auch Uertz, Rudolf: Vom Gottesrecht zum Menschenrecht. Das katholische Staatsdenken in Deutschland von der Französischen Revolution bis zum II. Vatikanischen Konzil. Paderborn 2005, der sich auf einer grundlegenden kirchengeschichtlichen und theologischen Ebene dem Wandel im katholischen Staatsdenken widmet. Als Unerlässlich erwiesen sich zudem die Editionsreihen »Akten deutscher Bischöfe seit 1945« der Kommission für Zeitgeschichte sowie »Die Protokolle des Rates der Evange­ lischen Kirche in Deutschland«. 32 Hier wären etwa zu nennen Klein, Michael: Die Rolle der Evangelischen Kirche Deutschlands im Demokratisierungsprozess nach 1945. In: Leininger, Julia (Hg.): Religiöse Akteure in Demokratisierungsprozessen, 83–101; Liedhegener, Antonius: Tolerierung – Akzeptanz  – Unterstützung. Der Wandel des Verhältnisses zur Religionsfreiheit als Vorgang politischer Einpassung des Katholizismus in Zivilgesellschaft und repräsentative Demokratie in Deutschland und den USA . In: Gabriel, Karl et al. (Hg.): Religionsfreiheit und Pluralismus. Entwicklungslinien eines katholischen Lernprozesses. Paderborn 2010, 115–133; Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz. 33 Stellvertretend für eine Vielzahl an Werken seien genannt Doering-Manteuffel, Anselm: Katholizismus und Wiederbewaffnung. Die Haltung der deutschen Katholiken gegenüber der Wehrfrage 1948–1955. Mainz 1981; Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung. 34 Zuvorderst ist hier nach wie vor zu nennen Steuber, Klaus: Militärseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Untersuchung zum Verhältnis von Staat und Kirche. Mainz 1972; weiterhin unter anderem Dörfler-Dierken, Angelika: Zur Entstehung der Militärseelsorge und zur Aufgabe der Militärgeistlichen in der Bundeswehr. Strausberg 2008; Scheffler, Horst (Hg.): Kirche unter Soldaten. 50 Jahre Katholische Militärseelsorge in der Deutschen Bundeswehr. Heiligenstadt 2006.

Forschungsstand  25

grundlage besteht, die für die anstehende Untersuchung herangezogen werden kann. Demgegenüber nimmt sich die Zahl detaillierter politikfeldspezifischer Analysen zur Interaktion staatlicher und kirchlicher Stellen im Bereich der Bildungs- bzw. Schulpolitik für den relevanten Zeitraum eher bescheiden aus.35 Zwar liegen allgemeine Untersuchungen zur Schulpolitik in Bayern und Nordrhein-Westfalen sowie eine Arbeit zur Schulposition der evangelischen Kirchen in Niedersachen vor.36 Die zwischen Staat und Kirchen entstehenden Kooperationsstrukturen und deren Wirkungen auf die kirchliche Einstellung zur liberalen Demokratie werden dort jedoch für den Zweck der vorliegenden Arbeit nicht im erforderlichen Umfang behandelt, in der Regel wird dieses Thema nur angeschnitten. Aus diesem Grund war für die Überprüfung der Forschungshypothese an den ausgewählten Fallbeispielen eine Archivrecherche zur Sichtung weiteren Quellenmaterials unerlässlich. Dabei erfolgte eine Konzentration auf die Unterlagen der Kultusministerien in den jeweiligen Landesarchiven, da hier in allen drei untersuchten Ländern umfassende und aussagekräftige Bestände zu Interaktionen zwischen Staat und Kirche in der Schulpolitik vorhanden sind. Einige Kirchenarchive aus im Untersuchungskontext politisch besonders involvierten Kirchengliederungen wurden schwerpunktmäßig ergänzend konsultiert, namentlich die Archive der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, des Erzbistums Köln sowie des Erzbistums München und Freising. Aufbauend auf diesem Quellen- und Literaturbestand wird Kapitel II mit einer Klärung der theoretischen Grundvoraussetzungen dieser Untersuchung beginnen und aus diesen die Forschungshypothese herleiten. Kapitel III widmet sich sodann in seinem ersten Teil der Thematik des historischen Verhältnisses der christlichen Kirchen zum freiheitlich-demokratischen Staatsideal, um daran aufzuzeigen, dass die in den folgenden Fallstudien nachvollzogene politische Liberalisierung der Kirchen keinesfalls selbstverständlich war. Dies wird auch im Unterkapitel III. 2 deutlich, wenn die soziopolitischen Umstände Westdeutschlands und die Situation der Kirchen in der unmittelbaren Nachkriegszeit dargestellt werden. Auf dieser Grundlage schließen die Fallstudien 35 Für die vorliegende Arbeit erwiesen sich als besonders hilfreich Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur sowie Müller-Rolli, Sebastian (Hg.): Evangelische Schulpolitik in Deutschland 1918–1958. Dokumente und Darstellung. Unter Mitarbeit von Reiner Anselm und einem Nachwort von Karl Ernst Nipkow. Göttingen 1999. 36 Für Bayern sind hier unter anderem zu nennen Richter, Jana: Eine Schule für Bayern. Die schulpolitischen Auseinandersetzungen um die Einführung der Christlichen Gemeinschaftsschule in Bayern nach 1945. München 1997 sowie Müller, Winfried: Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Besatzungsmacht 1945–1949. München 1995; für Nordrhein-Westfalen insbesondere Eich, Klaus-Peter: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen 1945–1954. Düsseldorf 1987 sowie Buchhaas-Birkholz, Dorothee: Gesetzgebung im Wiederaufbau. Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen und Betriebsverfassungsgesetz. Eine vergleichende Untersuchung zum Einfluß von Parteien, Kirchen und Verbänden in Land und Bund 1945–1952. Düsseldorf 1985; für Niedersachsen Simon, C.: Die evangelischen Kirchen.

26 Einleitung zu den Politikbereichen Bildungs- bzw. Schulpolitik (Kapitel IV) und Verteidigungspolitik (Kapitel V) an. Das aufgrund der föderalen Aufteilung sehr komplexe Gebiet der Schulpolitik erfordert dabei eine umfangreichere Bearbeitung in den drei Länderstudien zu Niedersachsen (IV. 2), Nordrhein-Westfalen (IV. 3) und Bayern (IV. 4), denen einleitend einige grundlegende Erläuterungen zum Politikfeld vorangestellt sind (IV. 1). Während der Schwerpunkt hier darauf liegt, die Entstehung religiöser Liberalität im Rahmen politischer Anreizstrukturen nachzuvollziehen, verdeutlich im Anschluss die Untersuchung zur Verteidigungspolitik vor allem den Aspekt der religionspolitischen Autoritätssymbiose. Abgeschlossen wird die Gesamtuntersuchung mit einer Zusammenfassung und Diskussion der Befunde und einem Ausblick auf weitere, sich aus dieser Arbeit ergebende Forschungsperspektiven.

II. Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität im Spannungsfeld von Politik und Religion 1. Der liberaldemokratische Staat im Zeichen der Säkularisierung Die vorliegende Untersuchung interessiert sich für das Zusammenspiel von staatlicher Ebene und religiösen Gemeinschaften in liberaldemokratischen Kontexten. Während momentan liberaldemokratische Systeme weltweit verstärkt durch rechtspopulistische und autoritäre Gesellschaftsvorstellungen herausgefordert werden, stellen sie nach wie vor den wichtigsten Typus von Staats- und Gesellschafts­formen in der sogenannten »westlichen Welt« dar. Dies ist allerdings weder selbstverständlich, noch ist es eine zwangsläufige Folge eines vermeintlichen Aufstiegs der entsprechend politisch organisierten Gesellschaften zu Aufklärung und Vernunft, wie es auch heute noch aus bestimmten geschichtsphilosophischen Perspektiven gerne gesehen wird. Vielmehr erscheint im historischen Rückblick auch das Entstehen von Demokratie und Liberalismus als kontingente Entwicklung, wenngleich eine, die unter einem bestimmten Aspekt durchaus folgerichtig wirkt: Ein zentrales Merkmal moderner Gesellschaften ist das »Faktum« des Pluralismus, nämlich dass in ihnen »freie und gleiche Bürger durch konträre und sogar einander ausschließende religiöse, philosophische und moralische Lehren einschneidend voneinander getrennt sind«.1 Das Spannungspotential dieser soziokulturellen Pluralität auf freiheitliche Weise zu bewältigen und dadurch Pluralismus wiederum zu ermöglichen, ist Kern des politischen Liberalismus.2 Eine pluralistische, weltanschaulich heterogene Gesellschaft ohne ein dominantes kulturelles Zentrum ist nun ihrerseits ein Ergebnis historischer Abläufe. Als schlechthin konstitutiv für diese Gesellschaftsform, wie auch für die Entstehung moderner Staatlichkeit an sich, muss der Prozess der Säkularisierung

1 Rawls, John: Politischer Liberalismus. Frankfurt a. M. 2003, 67 und 219. 2 Vgl. Schwaabe, Christian: Die deutsche Modernitätskrise. Politische Kultur und Mentalität von der Reichsgründung bis zur Wiedervereinigung. München 2005, 47.

28  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  im lateinisch-christlichen Europa angesehen werden.3 Aus dem Blickwinkel des Rechts betrachtet, bedeutet Säkularisierung – oder in diesem Fall: Säkularisation – den »Entzug oder die Entlassung einer Sache, eines Territoriums oder einer Institution aus kirchlich-geistlicher Observanz und Herrschaft«.4 In sozialer Perspektive indes bedeutet Säkularisierung im Kern eine Pluralisierung, nämlich die Entstehung weltanschaulicher Reflexivität mit der Konsequenz, dass es innerhalb einer Gesellschaft grundsätzlich möglich wird, religiöse Fragen anders zu beantworten, als es das traditionell herrschende Dogma tat: »The shift to secularity in this sense consists, among other things, of a move from a society where belief in God is unchallenged and, indeed, unproblematic, to one in which it is understood to be one option among others […].«5 Politisch verstanden handelt es sich schließlich beim Säkularisierungsprozess um nichts Geringeres als die erneute Herausbildung eines autonomen Politikverständnisses im neuzeitlichen Denken, welches die Voraussetzung für die Entstehung des Staates in seiner modernen, souveränen Erscheinungsform bildet. In dieser dritten Deutung, die hier von besonderem Interesse ist, bezeichnet Säkularisierung mithin die sich vom Investiturstreit des 11./12. Jahrhunderts bis in das 17. und 18. Jahrhundert erstreckende Ablösung der politischen Ordnung als solcher von ihrer geistlich-religiösen Bestimmung und Durchformung, ihre ›Verweltlichung‹ im Sinne des Heraustretens aus einer vorgegebenen religiös-politischen Einheitswelt zu eigener, weltlich konzipierter (›politischer‹) Zielsetzung und Legitimation, schließlich die Trennung der politischen Ordnung von der christlichen Religion und jeder bestimmten Religion als ihrer Grundlage und ihrem Ferment.6

Mit der Entsakralisierung der Kaiserwürde hatte der Investiturstreit die »Besei­ tigung der religiösen Funktion und des religiösen Charakters der höchsten politischen Autorität« zur Folge, was Voraussetzung für die Trennung von Temporalien und Spiritualien, für die Ausdifferenzierung der Sphären von Politik und Religion war.7 Vollends erschüttert wurde das vormoderne, auf den christlichen Glauben gestützte Herrschaftssystem Europas, als mit dem Aufbre­ chen des ordo christianus im Zuge der Reformation der Verlust einer allgemeinen religiösen Integrationsinstanz manifest wurde. In Anbetracht dieser 3 Vgl. Böckenförde, Ernst Wolfgang: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Ders.: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte. Frankfurt a. M. 1991, 92–114. 4 Ebd., 93. 5 Taylor, Charles: A Secular Age. Cambridge 2007, 3; vgl. ebd., 13. 6 Böckenförde, E. W.: Die Entstehung des Staates, 93. 7 Berman, zit. nach: Große Kracht, Hermann-Josef: Kirche in ziviler Gesellschaft. Studien zur Konfliktgeschichte von katholischer Kirche und demokratischer Öffentlichkeit. Paderborn, München [u. a.] 1996, 99; vgl. auch Fischer, K.: Zukunft einer Provokation, 21.

Der liberaldemokratische Staat im Zeichen der Säkularisierung  29

Umwälzungen diente die Bildung der Konfessionsstaaten der frühen Neuzeit gemäß dem Prinzip des cuius regio, eius religio zum einen als Versuch, den ausbrechenden weltanschaulichen Konflikten durch staatliche Monopolisierung der religiösen Deutungshoheit die Grundlage zu entziehen; zum anderen aber wurde in ihnen die monarchische Herrschaft weiterhin religiös sanktioniert, wenngleich nunmehr unter dem Primat der weltlichen Gewalt. Mithin blieb also auch der nun »souverän gewordene Fürstenstaat auf den Glanz sakraler Selbstinszenierungen angewiesen und konnte auf die Indienstnahme der Religion für seine Zwecke nicht verzichten«.8 Folgerichtig konnte es in diesem Kontext keine rechtlich verbürgte Religionsfreiheit geben, hätte dies doch im Zweifelsfall die Legitimitätsgrundlage der Herrschenden untergraben. Denkbar war allenfalls eine »angeordnete Toleranz« für die anerkannten Konfessionen.9 Dass dadurch die religiöse Aufladung politischer Konflikte  – bzw. die politische Eskalation religiöser Diskriminierung – mitnichten aus der Welt geschafft war, zeigten die konfessionellen (Bürger)Kriege der Epoche auf das Deutlichste. Dies ist der Hintergrund, vor dem ein liberales politisches Denken möglich wurde, aus dessen Perspektive »die Auflösung der Verknüpfung von Herrschaft und Heil die Alternative zur Austragung der religiösen Wahrheitsfrage mit den Mitteln des weltlichen Schwertes« darstellte.10 In der seit der Mitte des 17. Jahrhunderts sich sukzessive entwickelnden liberalen Theorie sind religiöse Wahrheiten nicht länger Gegenstand politischer Entscheidungen, sondern allein Sache der Glaubensgemeinschaften, was eine Entpolitisierung von Glaubensinhalten in doppeltem Sinne bedeutet: Zum einen sollen politische, kollektiv verbindliche Entscheidungen vor der Okkupation durch weltanschauliche Konflikte geschützt werden, zum andern aber die Religionen vor Bevormundung oder gar Unterdrückung durch den Staat. Während also absolutistische Staatsentwürfe die zunehmende gesellschaftliche Pluralisierung mit einer Vereinnahmung der religiösen Autorität durch das politische Zentrum auffangen wollten, antwortete der Liberalismus auf das Fehlen eines homogenen Weltbildes unter den Staatsbürgern mit einem dezidierten Offenlassen letzter Fragen und einer Beschränkung der Politik auf Vorletztes. In diesem Sinne enthält John Lockes liberale Wendung der Hobbes’schen Vertragstheorie neben einer Betonung der vorstaatlichen Rechte des Einzelnen auch eine Ablehnung staatlicher Religionsdiktate, indem Locke feststellt »that the Magistrate’s Power extends not to the establishing of any Articles 8 Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 96. 9 Vgl. Korioth, Stefan: Die Entwicklung der Rechtsformen von Religionsgemeinschaften in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. In: Kippenberg, Hans G. / Schuppert, Gunnar Folke (Hg.): Die verrechtlichte Religion. Der Öffentlichkeitsstatus von Religionsgemeinschaften. Tübingen 2005, 109–139, hier 112. 10 Stein, Tine: Himmlische Quellen und irdisches Recht. Religiöse Voraussetzungen des freiheitlichen Verfassungsstaates. Frankfurt a. M. 2007, 11, Hvh. i. O.; vgl. auch Böckenförde, E. W.: Die Entstehung des Staates, 100–105.

30  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  of Faith, or Forms of Worship, by the Force of his Laws«.11 Die Nichtzuständigkeit des Gesetzgebers für Fragen des Seelenheils eröffnete jenen, die nicht der Konfession des Landesfürsten bzw. der Bevölkerungsmehrheit folgten, die Möglichkeit der Gesetzestreue ohne Gewissenszwang. Dadurch wurde nicht nur erhebliches Konfliktpotential abgebaut, sondern auch die Voraussetzung individueller Freiheit unter dem Gesetz überhaupt geschaffen, weshalb gilt »that religious freedom, in the sense of freedom of conscience, is chronologically ›the first freedom‹ as well as the precondition of all modern freedoms«.12 Dass »[d]ie Herstellung einer organischen Verbindung zwischen dem Staat und einer Religion […] aus den Anhängern anderer Religionen und aus Menschen ohne Religion Bürger zweiter Klasse machen« würde, ist eine Grundüberzeugung liberaler Theorie.13 Denn wenn Recht und Gesetz unter religiösen oder anderweitig weltanschaulichen Vorbehalt stehen, geraten diejenigen Angehörigen des Staates, die das Bekenntnis oder die Ideologie der Regierenden nicht teilen, nur allzu leicht in den Verdacht der Illoyalität und der Staatsgefährdung. Eine rechtlich diskriminierende, repressive Behandlung war und ist häufig die Folge. In einem weltanschaulich neutralen Staat, der keine bestimmte religiöse oder philosophische Lehre zu seinem Identitätsmerkmal erhebt oder seine Legitimation von einer solchen ableitet, können demgegenüber alle Bürger unabhängig von ihrer jeweiligen Weltanschauung als grundsätzlich rechtlich gleichgestellt betrachtet werden. Da die Gleichheit der Menschen im Sinne einer gleichen Freiheit der Ausgangspunkt liberalen Denkens schlechthin ist, muss für einen liberalen Staat gelten, dass er sich »nicht nur in Fragen des Glaubens, sondern auch in solchen der Wahrheit prinzipiell skeptizistisch, bzw., religionsphilosophisch gesprochen, agnostizistisch« zu verhalten habe.14 John Rawls brachte diese Überzeugung in dem bekannten Satz auf den Punkt: »[T]he public conception of justice is to be political, not metaphysical«.15

2. Die liberale Zumutung und das »Problem religiöser Liberalität« Weltanschauliche Neutralität ist indes kein hinreichendes Kriterium einer liberaldemokratischen Ordnung. Diese zeichnet sich des Weiteren insbesondere durch die individuellen Abwehrrechte der Bürger gegenüber dem Staat aus, von denen Religionsfreiheit, wie bereits festgestellt, als das chronologisch erste ver 11 Locke, John: A Letter Concerning Toleration. London 1689, 8. 12 Casanova, José: Public Religions in the Modern World. Chicago 1994, 40. 13 Maclure, Jocelyn / Taylor, Charles: Laizität und Gewissensfreiheit. Berlin 2011, 17. 14 Fischer, K.: Religionspolitische Governance, 126f, Hvh. i. O. 15 Rawls, John: Justice as Fairness: Political not Metaphysical. In: Philosophy & Public Affairs, Jg. 14, Nr. 3 (1985), 223–251, hier 223.

Die liberale Zumutung und das »Problem religiöser Liberalität«  31

standen werden kann. Allgemein formuliert basiert der politische Liberalismus auf der konstitutionellen Einhegung der Staatsgewalt durch Gewaltenteilung und -kontrolle, Rechtstaatlichkeit sowie durch dem politischen Zugriff entzogene Grundrechte, welche auch einen soliden Minderheitenschutz verbürgen müssen. Ziel dieses Arrangements ist die friedliche Regelung der potentiellen Konflikte einer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft bei gleichzeitiger Sicherung der größtmöglichen Freiheit des Einzelnen unter einem für alle Staatsbürger gleichen Gesetz. Aus diesen Bedingungen folgt nun allerdings, dass bei allem Agnostizismus in Fragen metaphysischer Wahrheiten der liberaldemokratische Staat gleichzeitig nicht wertneutral sein kann: Die »konstitutiven Werte demokratischer und liberaler Regime«, wie etwa Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte, werden auch dann legitimerweise durch den Staat vertreten, wenn sie nicht wirkungsneutral gegenüber sämtlichen in der Bevölkerung vorhandenen Überzeugungen sein sollten, denn sie erst ermöglichen überhaupt ein freiheitliches und geregeltes Zusammenleben verschiedenster Weltanschauungen.16 Somit weist die weltanschauliche Neutralität des liberaldemokratischen Verfassungsstaates mithin eine »minimal-hegemoniale Tendenz« in dem Sinne auf, dass der Staat die Anerkennung seiner Grundwerte von sämtlichen Bevölkerungsgruppen einfordern muss.17 Während demnach eine liberale Gesellschaftsordnung seitens des Staates neben der Gewährleistung freier Religionswahl und -ausübung auch die Nichteinmischung in theologische Fragen erfordert, wird auf der anderen Seite vorausgesetzt, dass die Religionsgemeinschaften nicht nur das Primat demokra­tischer Prozesse zur Bildung kollektiv verbindlicher Entscheidungen anerkennen, sondern auch die zentralen liberalen Freiheitsgrundsätze achten. Das bedeutet, dass die Glaubensgemeinschaften sich nicht zuletzt zur Religionsfreiheit befürwortend verhalten und gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen die gebotene Toleranz üben müssen. Folglich haben Gläubige wie religiöse Eliten im politischen Raum liberaler Demokratien die »partielle Suspendierung der religiösen Wahrheitsfrage«18 zu akzeptieren, indem sie anerkennen müssen, dass im demokratischen Entscheidungsprozess der Besitz der reinen Wahrheit keine ausschlaggebende Rolle spielt. Eine in dieser Hinsicht liberale Einstellung setzt keineswegs religiöse Indifferenz voraus, sie gesteht jedoch jedem zu, sich in Fragen religiöser Wahrheit zu irren und zieht die Möglichkeit in Betracht, dass man selbst irrt – wenn nicht mit Bezug auf den Gottesglauben, so doch auf die daraus abzuleitenden sozialen Konsequenzen. Mit anderen Worten: Es ist aus liberaler Sicht nicht unbedingt problematisch, sich im Besitz der letzten Wahr 16 Maclure, J. / Taylor, C.: Laizität und Gewissensfreiheit, 20, vgl. 19 f. 17 Fischer, K.: Religionspolitische Governance, 136. 18 Heinig, Hans Michael: Protestantismus und Demokratie. In: Zeitschrift für evange­ lisches Kirchenrecht, Jg. 60 (2015), 227–264, hier 231.

32  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  heit zu wähnen – solange man keinen Anspruch auf ihre politische Durchsetzung erhebt. Ein umkämpfter weltanschaulicher Wahrheitsanspruch kann nicht den demokratischen Willensbildungsprozess ausschalten.19 Aus der Perspektive der Religionen, zumal der traditionellen Offenbarungsreligionen, stellt die Anforderung, auf dem Feld kollektiver Entscheidungen den Vorrang staatlicher Autorität gegenüber religiösen Geltungsansprüchen anzuerkennen, eine erhebliche Zumutung da. Doch auch die staatliche Seite sieht sich vor eine Herausforderung gestellt, denn sie vermag den bisweilen irritierenden religiösen Wahrheitsanspruch nicht einfach zu verneinen, ohne dadurch zum einen die eigenen, weltanschauliche Neutralität gebietenden Grundlagen infrage zu stellen und ohne zum anderen durch die Entfremdung religiös geprägter Bevölkerungsteile auch die soziale Integrität des Staates zu untergraben: Ein politisches System wird schwerlich stabil bleiben, wenn die fundamentalen Überzeugungen eines hinreichend großen Anteils seiner Bürger mit der politischen Grundordnung nicht mehr übereinstimmen.20 Für seinen Erfolg ist das liberaldemokratische Projekt daher auf »entgegenkommende Lebensformen«,21 auf die Existenz von die liberale Demokratie begünstigenden Dispositionen innerhalb der Bevölkerung angewiesen, da »politische Ideen, Ideologien und Ordnungsvorstellungen immer in einem mentalen Untergrund wurzeln, der für ihre Resonanz und ihren politischen Erfolg von enormer Bedeutung ist«.22 Ein freiheitliches politisches System ist also mindestens ebenso sehr eine Frage der geeigneten politischen Kultur, wie es eine Frage des geeigneten institutionellen Arrangements ist. Eine die liberaldemokratische Idee tragende »Hintergrundkultur«, um mit Rawls zu sprechen, kann aber nur dann Bestand haben, wenn die Bürgerinnern und Bürger ihre eigenen Vorstellungen eines guten Lebens, wie sie sich aus ihren jeweiligen Weltanschauungen ergeben, mit den Grundwerten und Institutionen der liberalen Demokratie vereinbaren können, besser noch: wenn sie das Gefühl haben, dass die Demokratie dieses Gute fördert.23 Wird dadurch die Bejahung von Liberalismus und Demokratie nicht gewissermaßen relativiert, die Berufung auf ihre Werte unaufrichtig? Diese Frage stellt Rawls in seinem Klassiker »Politischer Liberalismus«, um sie sogleich zu verneinen: »Wenn wir glauben, daß politische Werte umfassender begründet werden können, so heißt das nicht, daß wir diese Werte nicht wirklich bejahen«.24 In der Tat ist es aus dieser Sicht vielmehr ein Kernelement des politischen Liberalismus, dass die 19 Vgl. Bader, Veit: Religious Pluralism. Secularism or Priority for Democracy? In: Political Theory, Jg. 27, Nr. 5 (1999), 597–633, hier 602. 20 Vgl. Liedhegener, A.: Der deutsche Katholizismus, 68. 21 Habermas, Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt a. M. 1991, 25. 22 Schwaabe, C.: Die deutsche Modernitätskrise, 12. 23 Rawls, John: Political Liberalism. Reply to Habermas. In: The Journal of Philosophy, Jg. 92, Nr. 3 (1995), 132–180, hier 169. 24 Rawls, J.: Politischer Liberalismus, 347.

Die liberale Zumutung und das »Problem religiöser Liberalität«  33

politische Ordnung auf einem »übergreifenden Konsens[es] vernünftiger umfassender Lehren« beruht, mithin also von verschiedenen weltanschaulichen Perspektiven aus anerkannt wird.25 Es ist genau dies der Hintergrund, vor dem Böckenförde seine vielzitierte Frage stellt, ob nicht auch der säkularisierte weltliche Staat letztlich aus jenen inneren Antrieben und Bindungskräften leben muß, die der religiöse Glaube seiner Bürger vermittelt. Freilich nicht in der Weise, daß er zum ›christlichen‹ Staat rückgebildet wird, sondern in der Weise, daß die Christen diesen Staat in seiner Weltlichkeit nicht länger als etwas Fremdes, ihrem Glauben Feindliches erkennen, sondern als die Chance der Freiheit, die zu erhalten und zu realisieren auch ihre Aufgabe ist.26

Die gläubigen Bürger sind also aufgerufen, sich »die säkulare Legitimation des Gemeinwesens unter den Prämissen des eigenen Glaubens« anzueignen und auf dieser Grundlage auch die zentralen Werte der liberalen Demokratie zu verinnerlichen.27 Diese Entwicklung kann auch als Integration in einen liberaldemokratischen Staats- und Gesellschaftskontext beschrieben werden, ein Vorgang, den Wolfgang Vortkamp »sekundäre Integration« nennt. Während die »primäre Integration« die Einbindung von Individuen in »lokale Organisationen und spezifische soziale Milieus oder Subkulturen« über das Medium zwischenmensch­ licher Kontakte darstellt, erfolgt »sekundäre Integration« »durch mediale, symbolvermittelte und institutionelle Kommunikation. Hierbei wird die Anbindung an gesellschaftliche Normen und Werte durch die Einbindung der Organisationen und Kulturen vermittelt«.28 Die für die vorliegende Untersuchung relevante zivilgesellschaftliche und politische Integration von Bürgerinnen und Bürgern erfolgt demnach nicht unmittelbar und individuell, sondern vermittels der sozialen Gruppen und Vereinigungen, denen sie angehören. Zu den Trägern sozialer Primärintegration gehören gerade auch die großen, traditionellen Religionsgemeinschaften, deren Mitglieder häufig im frühkindlichen Alter durch bestimmte Initiationsrituale aufgenommen werden, wie etwa die Taufe in den christlichen Kirchen. Generell ist das (primäre) soziale Integrationspotential von religiösen Gemeinschaften als sehr hoch einzuschätzen: Sie vermitteln eine gemeinsame (Symbol)Sprache und geteilte kulturelle Praktiken, bieten Lebensorientierung und beantworten Fragen des sozialen Zusammenlebens, betreiben Normbildung und Grenzziehung nach außen. Die Gemein 25 Ebd., 115f; vgl. auch Maclure, J. / Taylor, C.: Laizität und Gewissensfreiheit, 21 f. 26 Böckenförde, E. W.: Die Entstehung des Staates, 114. 27 Habermas, Jürgen: Die öffentliche Stimme der Religion. Säkularer Staat und Glaubenspluralismus. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 52, Nr. 12 (2007), 1441–1446, hier 1442. 28 Vortkamp, Wolfgang: Integration durch Partizipation. Aktives Bürgerengagement und die Rolle von Vereinen in Ostdeutschland. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 18, Nr. 3 (2005), 69–83, hier 72.

34  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  schaftsbildung erfolgt symbolisch wie performativ und wirkt sich besonders stark in der Diaspora aus, also in fremder kultureller Umgebung.29 Folgt man dem hier dargestellten Verständnis von Integration, so ist festzustellen, dass für Bürgerinnen und Bürger, deren primärer Sozialisationskontext ein solches religiöses Milieu darstellt, ebendieses Milieu mit seinen Organisationen auch die sekundäre Integration leisten muss. Das Potential einer sozialen Gemeinschaft bzw. Organisation für die gesamtgesellschaftliche Integration ihrer Mitglieder beruht jedoch ganz entscheidend auf ihrer normativen Ausrichtung.30 Daraus ergibt sich für den hier diskutierten Fall, dass für religiöse Menschen die Anerkennung der säkularen Begründung des liberaldemokratischen Staates und der darauf aufbauenden weltanschaulich-neutralen Ausrichtung der Verfassung bestenfalls mühsam und unter erheblichen kognitiven Belastungen erfolgen kann, sollten ihre jeweiligen Glaubensgemeinschaften dieser politischen Ordnung ablehnend gegenüberstehen. Andersherum kann eine aktive Mitgliedschaft in religiösen Gemeinschaften eine demokratisierende (und liberalisierende) Wirkung entfalten, wenn relevante Teile dieser Gemeinschaft  – nicht zuletzt die zuständigen religiösen Autoritäten – die freiheitlich-demokratischen Werte der Gesellschaft bejahen und teilen.31 Aus diesem Grund muss der liberale Staat die Aneignung der grundlegenden Verfassungsnormen und freiheitlich-demokratischen Werte auch von den Religionsgemeinschaften, den religiösen Organisationen, erwarten. Um seiner eigenen Liberalität willen darf er jedoch gerade nicht versuchen, deren Lehre zu beeinflussen, kann mithin also keinen substantiellen Einfluss auf diese vorpolitischen Prägungen und Werte seiner Bürgerinnen und Bürger ausüben. Er bleibt vielmehr darauf angewiesen, dass die Religionsgemeinschaften die erforderlichen liberalen Überzeugungen aus ihrem Gemeinschaftsethos heraus entwickeln. Dies ist der Kern des »politische[n] Problem[s] religiöser Liberalität«.32

3. Politische und religiöse Autorität zwischen Konflikt und Symbiose Wie die Herausforderungen der Pluralität, so können nichtfreiheitliche Staaten auch das Problem religiöser Liberalität umgehen, indem sie selbst die Position religiöser Autorität besetzen und der jeweiligen religiösen Lehre eine der Regierungsdoktrin entgegenkommende Auslegung aufoktroyieren. Einen liberalen Staat hindert das Prinzip der Religionsfreiheit, welches zu seinen Kernmerkmalen 29 Vgl. Arens, E.: Going public, 53–55. 30 Vgl. Vortkamp, W.: Integration durch Partizipation, 81. 31 Vgl. auch Arens, E.: Going public, 57. 32 Fischer, K.: Zukunft einer Provokation, 141.

Politische und religiöse Autorität zwischen Konflikt und Symbiose  35

gehört, an einem solchen Vorgehen; er muss daher nicht nur, wie oben bereits aufgezeigt, das Faktum gesellschaftlicher Pluralität, sondern auch die Existenz unabhängiger religiöser Autoritäten (wie auch zahlreicher anderer sozialer Auto­ ritäten) akzeptieren. Was dabei unter »Autoritäten« zu verstehen ist, erschließt sich, zumal im liberaldemokratischen Kontext, möglicherweise nicht intuitiv. Generell scheint der Begriff der Autorität sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch als auch in der politikwissenschaftlichen Demokratieforschung heute weitgehend aus der Mode gekommen zu sein, was daran liegen mag, dass er allzu leicht mit »autoritär«, mit vor- oder undemokratischen Herrschaftsverhältnissen assoziiert wird. Tatsächlich wäre dies jedoch eine abzulehnende Engführung des Begriffs. Vielmehr bezeichnet »Autorität« ein auch für die Politikwissenschaft analytisch relevantes Konzept, welches sich gegen den Begriff der »Macht« auf der einen sowie gegen die diskurstheoretische Idee argumentativer Überzeugung auf der anderen Seite abgrenzt: Autorität besteht in einer hierarchischen Beziehung, welche die der Autorität unterstehenden Akteure als legitim anerkennen und in welcher eben diese Anerkennung hinreichender Grund für die Befolgung von Anweisungen der autoritätstragenden Instanz ist. Mit dem Autoritätsbegriff werden demzufolge einerseits bestimmte Zuschreibungen bezeichnet, die eine natürliche oder juristische Person erfährt, und andererseits bestimmte Wirkungen, die diese Person auf andere Akteure ausübt. Dabei ist mit Joseph Raz zwischen theoretischer und praktischer Autorität zu differenzieren: Raz zufolge spielt bei theoretischen Autoritäten, die sich durch die Zuschreibung besonderer Expertise auf ihrem jeweiligen Feld auszeichnen, handlungspraktischer Einfluss keine bedeutende Rolle. Praktischen Autoritäten wird hingegen Einfluss auf einen bestimmten Personenkreis und dessen Handlungsorientierungen zugeschrieben.33 Während demnach die Funktion theoretischer Autoritäten insbesondere in der komplexitätsreduzierenden Bereitstellung von Wissen gesehen werden kann, dienen praktische Autoritäten allen voran der Koordination von Handeln. Als eine Form praktischer Autorität beruht nun politische Autorität »auf der Annahme, dass es eine Instanz geben muss, die berechtigt ist, kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen, um das Gemeinwohl zu befördern und Chaos zu verhindern«.34 Politische Autorität besteht folglich in der Geltendmachung kollektiv verbindlicher Entscheidungen, und zwar notwendigerweise unabhängig von individueller Zustimmung im Einzelfall. Die Betonung liegt hierbei auf »Geltung« im Unterschied zu »Durchsetzung«, so 33 Raz, Joseph: The Problem of Authority. Revisiting the Service Conception. In: Minnesota Law Review, Jg. 90, Nr. 4 (2006), 1003–1044, hier 1032–1036. Vgl. hierzu die korrespondierende Unterscheidung Friedmans zwischen »Autorität sein« und »Autorität haben«, Friedman, Richard B.: On the Concept of Authority in Political Philosophy. In: Raz, Joseph (Hg.): Authority. Oxford 1990, 56–91, hier 57, 77 f. 34 Zürn, Michael: Jenseits der Anarchie: Autorität und Herrschaft in der Global Governance. In: Politische Vierteljahresschrift, Nr. 2 (2015), 319–333, hier 329.

36  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  dass vor diesem Hintergrund die synonyme Verwendung von »Herrschaft« und »Autorität«, wie sie etwa bei Max Weber auftritt,35 hinterfragt werden muss. Diese beiden Begriffe sind aus der hier dargelegten Sicht dahingehend zu differenzieren, dass »Herrschaft« eine – mehr oder weniger reine – Faktizität ausdrückt, die durchaus auf blanker Gewalt beruhen kann,36 »Autorität« hingegen eine Zuschreibung darstellt und nie durch bloßen Zwang hergestellt zu werden vermag. Wo Gewalt zur Aufrechterhaltung einer Hierarchie eingesetzt werden muss, besteht nämlich gerade keine Autoritätsbeziehung, bzw. ist diese zumindest äußerst fragil.37 Nun wird im Falle politischer Autorität nicht selten von deren Durchsetzung auch gegen Widerstand gesprochen. In solchen Fällen handelt es sich in der Regel um die Anwendung legitimer staatlicher Gewalt gegenüber Akteuren, welche sich bestimmten politischen Entscheidungen verweigern, oder, im Extremfall, die bestehende Verfassungsordnung als solche infrage stellen. Ein derartiges Vorgehen kann der Stabilisierung staatlicher Autorität indes nur dann dienen, wenn die Mehrheit der Bürgerschaft diese ohnehin anerkennt und eben dadurch die Zwangsmaßnahmen ihrer Regierung erst autorisiert. In diesem Sinne kommt Raz zu dem Ergebnis, dass »governments […] can only succeed in meeting the conditions of legitimacy […] if they have the authority to use and are successful in the use of force against those who flout certain of their directives«.38 Die Zuschreibung von Autorität wird hier also bereits vorausgesetzt und kann nicht Ergebnis einer Zwangsmaßnahme sein. Da politische Autorität auf einem »Legitimitätsglauben« beruht, setzt eine Autoritätszuschreibung die Erfüllung bestimmter normativer Bedingungen voraus.39 Gemäß Webers Typologie legitimer Herrschaftsformen, die in diesem Kontext trotz der hier vertretenen begrifflichen Differenzierung zwischen Herrschaft und Autorität analytisch aussagekräftig bleibt, lassen sich inhaltliche und prozedurale Kriterien dafür identifizieren. So können politische Autoritätsbeziehungen entweder auf traditionalen, überkommenen Hierarchien fußen, auf der ›natürlichen‹ Autorität einer charismatischen Führungspersönlichkeit, oder aber prozedural durch bestimmte anerkannte Auswahlmechanismen des Regierungspersonals begründet werden – im liberaldemokratischen Fall also freie 35 Vgl. etwa Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann. 5. Aufl., Tübingen 1980, 122. 36 Es mag indes fraglich sein, ob in einem solchen Fall noch von politischer Herrschaft die Rede sein kann – vgl. hierzu auch die Differenz zwischen dem Arendt’schen und dem Weber’schen Machtbegriff. 37 Vgl. Arendt, Hannah: What is Authority? In: Dies.: Between Past and Future. Six Exercises in Political Thought. New York 1961, 91–141, hier 92 f. 38 Raz, J.: The Problem of Authority, 1036, eigene Hvh. 39 Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, 122. Vgl. Christiano, Tom: Authority. The Stanford Encyclopedia of Philosophy 2004/2012. URL: http://plato.stanford.edu/entries/ authority/ (Stand 20.3.2020).

Politische und religiöse Autorität zwischen Konflikt und Symbiose  37

demokratische Wahlen.40 Autoritäten vermögen sich jedoch nicht nur über diese Input-Faktoren, sondern auch über ihren Output zu legitimieren: Ebenso wie sich theoretische Autoritäten durch ihr demonstriertes Fachwissen etablieren, können praktische Autoritäten ihre Legitimitätszuschreibung aufgrund vergangener Erfolge erhalten, im Falle politischer Autoritäten also durch positiv bewertete Governanceleistung. Dies verweist auf eine zweistufige Anerkennung von Autorität: Während zum einen ihre Legitimität an sich anerkannt wird, erfolgt zum anderen eine Bewertung ihrer Ausübung als »vor dem Hintergrund gemeinsam geteilter Normen angemessen« oder nicht.41 Wie für Webers Idealtypen, so gilt im Übrigen auch hier, dass in real existierenden politischen Kontexten Autoritätszuschreibungen stets auf einem Zusammenspiel einiger oder aller dieser Kriterien beruhen werden. In allen genannten Fällen scheint Autorität in nicht unerheblichem Maße auf Vertrauen zu beruhen, sei es Vertrauen in die Rechtmäßigkeit einer Hierarchie oder in die Leistungsfähigkeit der Autoritätsträger. Folglich bleiben die Entscheidungen und Anordnungen der betreffenden Instanz in der Regel unhinterfragt oder werden zumindest trotz Kritik akzeptiert: »[L]egitimate laws, and the ­directives of legitimate authorities generally, preempt the background reasons that might militate against the authoritative directives«.42 Richard Friedman bezeichnet diesen Mechanismus als »surrender of private judgement«: Wer Anweisungen von einer Autoritätsinstanz empfängt, fordert keine rationale Begründung dafür ein und befolgt sie unabhängig von seinen eigenen Meinungen und Urteilen.43 Dies setzt allerdings hinreichende Gründe für die Anweisungsempfänger voraus, die Autorität überhaupt anzuerkennen: Die Anordnungen der Autoritätsinstanz müssen als im Allgemeinen vernünftigen Handlungsgründen entsprechend erfahren werden.44 Zwar gilt insbesondere für traditionale Autorität, dass die ihr Unterstehenden meist gar nicht realisieren, dass sie die erhaltenen Anweisungen hinterfragen könnten;45 dennoch darf wohl für alle Arten von Autorität gefolgert werden, dass eine andauernde Verletzung grundlegender Rationalitäts- oder Erfolgsstandards durch ihre praktischen Entscheidungen bzw. theoretischen Aussagen zu einem Autoritätsverlust führen wird. Da zumal in pluralistischen Gesellschaften nie lediglich eine Quelle von Autorität existiert, sondern vielmehr stets eine Vielzahl von Akteuren um Deutungshoheit in theoretischen wie praktischen Fragen konkurriert, scheint zudem die Annahme 40 Zu Webers Typologie legitimer Herrschaftsformen siehe Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, 124. 41 Zürn, M.: Jenseits der Anarchie, 326. 42 Raz, J.: The Problem of Authority, 1019. 43 Friedman, R. B.: On the Concept, 64, vgl. 64 f. 44 Vgl. Raz, J.: The Problem of Authority, 1013f; Raz, Joseph: Authority and Justification. In: Ders. (Hg.): Authority. Oxford 1990, 115–141, hier 120. 45 Vgl. Friedman, R. B.: On the Concept, 73.

38  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  plausibel, dass Autoritätsverluste meist in Form von Autoritätsverschiebungen auftreten. Dies ist vor allem dann wahrscheinlich, wenn die einzelnen Gesellschaftsmitglieder hinsichtlich desselben Sachverhalts verschiedenen Autoritäten gleichzeitig unterliegen. Widersprechen sich diese Autoritätsträger und sind in ihren Aussagen bzw. Anweisungen miteinander unvereinbar, so ist es für den Einzelnen oder die Einzelne ohnehin erforderlich, nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden, welcher Autorität zu folgen ist. Ein häufiger Grund für die Nichtanerkennung von Autorität ist demnach die Existenz einer anderen Person oder Institution mit einem überzeugenderen Anspruch auf Autorität in derselben (Regelungs-)Problematik.46 Vor diesem Hintergrund lässt sich der historische Säkularisierungsprozess in Europa auch als Ausdifferenzierung und Gewichtverschiebung zwischen politischer und religiöser Autorität beschreiben. Säkularisierung kann dann als »the declining scope of religious authority« definiert werden:47 Der verhaltensregulierende Einfluss religiöser Institutionen und Normen auf die gesamte Bürgerschaft betreffende Entscheidungen schwindet, mit anderen Worten, religiöse Autoritäten verlieren praktische Autorität zur Regelung politischer Koordinationsprobleme an den Staat.48 Wenn für westliche Sozialwissenschaftler religiöse Autoritäten heute das exemplarische Beispiel für theoretische Autoritäten darstellen49 – welche sich, wie dargelegt, zwar durch epistemische Expertise auf bestimmten Feldern auszeichnen, aber keine unmittelbar handlungsrelevanten Anweisungen erteilen können –, so wäre dies folglich ein Ergebnis des Säkularisierungsprozesses. In der Tat wirkt diese Einordnung religiöser Autoritäten mit Bezug auf politische Probleme kollektiven Handelns recht einleuchtend, allerdings scheint es fraglich, ob religiöse Eliten in modernen Gesellschaften überhaupt keine praktische Autorität mehr besitzen.50 Denn selbst wenn reli 46 Vgl. Raz, J.: The Problem of Authority, 1020f; ders.: Authority and Justification, 133. 47 Chaves, Mark: Secularization as Declining Religious Authority. In: Social Forces, Jg. 72, Nr. 3 (1994), 749–774, hier 750. 48 Ebenso, wie Säkularisierung neben der oben genannten sozialen und politischen Dimension auch eine individuelle besitzt, kann auch diese Facette mit dem Konzept schwindender Autorität beschrieben werden. Der Rückgang verhaltensregulierenden Einflusses religiöser Autoritäten trifft aus dieser Sicht nicht nur auf Probleme kollektiven Handelns zu, sondern auch auf Fragen der individuellen Lebensführung. Dabei muss dies, wie Chaves anmerkt, keineswegs mit einem Rückgang religiöser Bindungen per se zusammenhängen, sogar ein Anstieg des Engagements in Religionsgemeinschaften bei gleichzeitiger Abnahme religiöser Autorität ist denkbar (vgl. ebd., S. 759). Für die in der vorliegenden Untersuchung behandelte Fragestellung ist dieser Aspekt allerdings nachrangig, da die persönlichen religiösen Überzeugungen und Identitäten von Individuen nur dann soziale Wirkung entfalten, »when they become mobilized and institutionalized as structures of authority« (ebd., S. 770). 49 So etwa Friedman, R. B.: On the Concept, 81. 50 Anders als Friedman definiert Muñiz-Fraticelli praktische Autoritäten über ihren Anspruch, statt über ihr Durchsetzungsvermögen, und zählt folglich Kirchen dazu: »Practical authorities are the ones that concern us: authorities like a state, a church, a trade union or a

Politische und religiöse Autorität zwischen Konflikt und Symbiose  39

giöse Autorität sich weitgehend auf die Ausübung religiöser Deutungshoheit beschränkt, insbesondere die Beantwortung von die jeweilige Gemeinde der Gläubigen betreffenden Fragen der Moral und des Seelenheils, so besitzt in traditionelleren Religionsgemeinschaften der Klerus meist immer noch ein gewisses soziales Sanktionspotential. Obgleich durch die staatlich geschützte Religionsfreiheit mögliche Strafmaßnahmen stark relativiert sind, kann die Entfremdung einer gläubigen Person von ihrer religiösen Gemeinschaft mit hohen psychologischen Kosten verbunden sein, weshalb religiöse Verbote durchaus noch handlungsbeeinflussend wirken können. Dasselbe gilt entsprechend in positiver Wendung für handlungsmotivierende Gebote, für ein mobilisierendes Potential von Religionsgemeinschaften: Stärker als Verbote dürften moralische Appelle religiöser Autoritäten auch in liberalen Gesellschaften Einfluss auf das soziale Handeln von Gläubigen ausüben. Gerade in dieser Hinsicht vernachlässigt die Subsumierung unter die Kategorie theoretischer Autoritäten den tiefgehenden Unterschied beispielsweise gegenüber wissenschaftlicher Expertise. Dementsprechend werden hier unter »religiösen Autoritäten« Akteure verstanden, die als theoretische Autoritäten in den Augen einer bestimmten Zielgruppe erfolgreich die Deutungshoheit über religiöse Fragen beanspruchen können; vermögen sie bezogen auf diese Deutung zudem soziale Handlungsverpflichtungen zu generieren, stellen sie neben theoretischen auch praktische Autoritäten dar. Selbst dann, wenn Kirchen und Religionsgemeinschaften in modernen, liberalen Gesellschaften nicht (mehr) beanspruchen, die höchste und umfassende verhaltensregulierende Autorität zu sein, fordern sie dennoch mitunter »supremacy at the margins« ein, das heißt, die Deutungshoheit über eine bestimmte Sphäre menschlichen Handelns. Auch dieser vergleichsweise bescheidene Anspruch kann zu erheblichem Konflikt mit der vom Staat beanspruchten Autorität führen.51 Das Konfliktpotential resultiert dabei nicht zuletzt aus inkommensurablen Autoritätsverständnissen, weisen theologische Autoritätsbegriffe doch in der Regel einen Mehrebenencharakter auf, den das Konzept aus sozialwissenschaftlicher oder säkular-politischer Perspektive nicht besitzt: Während nach letzterer staatliche Autorität autonom begründet ist, nämlich als dem politischen Willen der Bürgerinnen und Bürger entspringend, ist Autorität aus theologischer Sicht regelmäßig transzendent rückgebunden und erhält dadurch eine heteronome Grundlage. Dies trifft eben nicht nur auf die religiöse Autorität etwa des Klerus zu, sondern auch auf politische. So ging beispielsweise die vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil vorherrschende katholische Staatslehre davon parent. Practical authorities expect obedience. They expect their pronouncements to be taken as reasons for action, whether or not the subject agrees with the reasoning behind them in a particular case.« (Muñiz-Fraticelli, Victor M.: The Problem of Pluralist Authority. In: Political Studies, Jg. 62 (2014), 556–572, hier 563). 51 Ebd., 569.

40  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  aus, dass die Gesellschaft zwar über die konkreten Träger politischer Autorität entscheidet, diese Autorität dadurch aber nicht erzeugt, da sie von Gott gegeben sei.52 Die Ausübung von Autorität – sei es religiöser oder politischer – wird aus dieser Perspektive Ausdruck der göttlichen Autorität. Vor diesem Hintergrund wird religiösen Autoritäten seitens der Gläubigen bisweilen auch über politische Fragen Deutungshoheit zugestanden, wodurch es folglich zu einer Konkurrenzsituation mit dem Staat kommt. In einem solchen Fall vermögen religiöse Institutionen, obgleich sich auf dem politischen Feld die Autorität grundsätzlich zugunsten des Staates verschoben hat, sogar einen Autoritätsvorsprung gegenüber staatlichen Institutionen zu erlangen, da auch in westlichen Gesellschaften hohe Autoritätsansprüche von Religionsgemeinschaften durchaus mit starken Loyalitäten der Gläubigen korrespondieren. Entsprechend dem oben beschriebenen hohen Integrationspotenzial religiöser Gemeinschaften ist damit zu rechnen, dass sich hier besonders feste, emotional aufgeladene Identifikationsmuster bilden, die stärker wirken können als das Selbstverständnis von Individuen als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Die Autorität religiöser Eliten dürfte in diesem Zusammenhang gerade auf der ihnen beigemessenen ethisch-moralischen Kompetenz beruhen: Während liberale politische Autoritäten tragfähige Kompromisse in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu finden versuchen, postulieren Religionsgemeinschaften Vorschriften eines absolut guten und erfüllten Lebens. Daraus kann ein Ungleichgewicht hinsichtlich der Fähigkeit zur Motivation der eigenen Mitglieder erwachsen, da religiöse Autoritäten die Gläubigen auf einer viel emotionaleren Ebene anzusprechen vermögen als der liberale Staat seine Bürger. Obgleich religiöse Autoritäten in liberalen und pluralistischen Gesellschaften ihre allumfängliche Zuständigkeit verloren haben mögen, bleiben sie folglich für viele Menschen eine Autorität – wenn auch eine neben anderen. Da im liberalen Kontext die Staatsautorität nicht total sein kann und darf, besteht immer die Möglichkeit einer Konkurrenz um soziale Geltungsansprüche, was im Falle eines signifikanten religiösen Autoritätsvorsprunges bis zu einer partiellen Infragestellung demokratischer Legitimität führen kann. Ebenso gut ist es allerdings denkbar, dass religiöse Eliten ihre Autorität zur Legitimation einer politischen Ordnung einsetzen, was einen systemstabilisierenden Effekt erwarten ließe. Im liberaldemokratischen Staat kann eine solche ›Legitimationsleistung‹ natürlich nicht durch eine ostentative Vereinnahmung religiöser Autoritäten durch die Regierung erfolgen, sozusagen als Neuauflage des Bündnisses von Thron und Altar. Dennoch vermag auch der freiheitliche Staat von der Autorität religiöser

52 Vgl. Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 488f; Rahner, Karl: Autorität. In: Böckle, Franz et al. (Hg.): Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft. Teilband 14. Freiburg 1982, 5–36, hier 20f, 26.

Politische und religiöse Autorität zwischen Konflikt und Symbiose  41

Akteure und Institutionen zu profitieren, welche ihrerseits für sich in Anspruch nehmen, durch Teilhabe an der göttlichen Autorität legitimiert zu sein und eine Begründung der theoretischen Fundamente der liberalen Demokratie aus der religiösen Lehre heraus herleiten: When the justification for a state’s right to rule follows from principles which form a regulative part of a particular citizen’s practical identity – how she understands and thinks about herself – then she must comply with the laws and orders of the state on pain of unravelling her self-conception.53

Während der Staat auf diese Weise aus Sicht der gläubigen Gemeinde unter Umständen als göttlich legitimiert erfahren würde, dürfte er diesen Anspruch als liberaldemokratischer Staat offenkundig niemals für sich selbst erheben. Folglich interessiert sich die vorliegende Analyse auch nicht für eine mit religiöser Semantik angereicherte Staatsideologie, sondern für die Möglichkeit einer dem Liberalismus förderlichen Prägung der politischen Kultur durch und in Religionsgemeinschaften: Machen religiöse Gemeinschaften, die in den Augen ihrer Anhänger über hinreichend Autorität verfügen, sich die politischen Werte eines liberaldemokratischen Staates zu eigen, so ist zu erwarten, dass sie ihre Mitglieder im Rahmen des Gemeindelebens im Sinne einer demokratischen politischen Kultur beeinflussen. Dies ist sogar in besagtem, aus demokratietheoretischer Sicht diffizilem Fall denkbar, dass die Gläubigen ihrer Religionsgemeinschaft eine höhere politische Autorität zuschreiben als dem Staat. Da auf diese Weise der Staat von der sozialen Autorität politisch liberal gesinnter religiöser Institutionen profitiert, kann die beschriebene Konstellation als Autoritätssymbiose bezeichnet werden. Nun beschreibt »Symbiose« in der Biologie eine Kooperation verschiedener Arten zum beiderseitigen Vorteil – und so ist auch die Autoritätssymbiose als reziproke Beziehung zu verstehen. Das nutzbringende Moment, wenn man es so nennen will, liegt für die religiöse Seite darin begründet, dass der liberale Staat ein hohes Interesse daran haben dürfte, dass ›seine‹ Religionsgemeinschaften sich im dargestellten Sinne liberalisieren und dadurch die Funktion demokratischer Sozialisationsräume übernehmen können. Weil er dies aber, gemäß den oben angestellten Überlegungen, nicht autoritativ durchsetzen kann, bleibt ihm, will er auf die Entwicklung Einfluss nehmen, letztlich nur die Option, durch kooperativ gestaltete religionspolitische Governance den Glaubensgemeinschaften hinreichend Anreize zur aktiven Bejahung der liberaldemokratischen Ordnung zu bieten. Insbesondere lässt die Schaffung eines angemessenen Rahmens zur freien Entfaltung der Religion(en) positive Effekte erwarten:

53 Fox, Carl: Political Authority, Practical Identity, and Binding Citizens. In: International Journal of Philosophical Studies, Jg. 23, Nr. 2 (2015), 168–186, hier 169.

42  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  Erlebte religiöse Freiheit, gesellschaftliche und politische Anerkennung, eigenes zivil­ gesellschaftliches Engagement einschließlich parteipolitischer Betätigung sowie die politische Integration durch Teilhabe besitzen in freiheitlichen Demokratien eine Anziehungskraft, die Religionen, sofern sie sich als Teil ihrer Gesellschaft und politischen Gemeinschaft verstehen wollen, innerlich der Demokratie anverwandeln.54

Wie Maclure und Taylor betonen, besteht »[d]ie Herausforderung unserer modernen Gesellschaft […] darin, dafür zu sorgen, daß […] alle die Grundprinzipien der politischen Gemeinschaft als von ihrem Standpunkt aus gesehen legitim begreifen können«.55 Dies bedeutet eben auch, religiösen Gruppen, insofern dies mit den liberaldemokratischen Grundwerten vereinbar ist, zu demonstrieren, dass ihr Glaube und Gemeindeleben einen Platz in der Gesellschaft haben und ihre Mitglieder als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger aus ihrem Glauben heraus aktiv am politischen Leben teilnehmen können. Eine repressive Religionspolitik schränkt aus dieser Sicht nicht nur einseitig den Handlungsspielraum der Religionsgemeinschaften ein, sondern kann ebenso dazu führen, durch die Kultivierung einer bis zur Formierung religiös legitimierten Widerstands reichenden Entfremdung von der amtierenden Regierung (oder vom gesamten politischen System) diese (oder jenes) zu destabilisieren. Demgegenüber ist anzunehmen, dass eine entgegenkommende politische Haltung nicht allein das Wohlergehen der religiösen Gemeinschaften fördert, sondern gleichzeitig zu einem Stabilitäts- und Legitimitätsgewinn für das System als Ganzes führt.

4. Bedingungen und Potential liberaler Religionspolitik Angesichts der bisherigen Ausführungen stellt sich allerdings die Frage, ob ein liberaler, weltanschaulich neutraler Staat überhaupt Religionspolitik betreiben darf – oder anders formuliert: Ist liberale Religionspolitik überhaupt möglich? Auf der Grundlage einer rein formalen Definition von Religionspolitik, wie sie in der Einleitung wiedergegeben wurde, wäre bereits die Aufrechterhaltung sowohl von Religionsfreiheit als auch einer gewissen neutralen Distanz von Staat und Religionsgemeinschaften als Religionspolitik zu verstehen. Während es unstrittig sein dürfte, dass diese Aufgaben einem liberaldemokratischen Staat zufallen, bleibt die Frage zu klären, ob dieser auch darüber hinaus aktive religionspolitische Maßnahmen treffen darf. Dabei muss zunächst zwischen verschiedenen Arten religionspolitischer Governancemaßnahmen unterschieden werden, die mit Karsten Fischer in »Governance of Religions, Governance by

54 Liedhegener, A.: Tolerierung – Akzeptanz – Unterstützung, 129 f. 55 Maclure, J. / Taylor, C.: Laizität und Gewissensfreiheit, 21.

Bedingungen und Potential liberaler Religionspolitik  43

Religions und Governance for Religions« eingeteilt werden können.56 Während Governance of Religions den Aspekt der staatlichen Regulierung umfasst, etwa das Verbot verfassungsfeindlicher Bestrebungen unter dem Deckmantel religiöser Praktiken, beschreibt Governance for Religions Maßnahmen, die religiöses Leben ermöglichen oder erleichtern sollen. Mit Governance by Religions wird schließlich die Übertragung von prinzipiell unter staatlichen Hoheitsanspruch fallenden Aufgaben auf die Religionsgemeinschaften bezeichnet, wofür der staatliche Religionsunterricht durch geistliche Lehrkräfte ein prominentes Beispiel ist. Von Verfechtern eines religionsskeptischen Laizismus dürfte insbesondere Governance by Religions kritisch betrachtet werden, doch auch Governance for Religions ist mit der Vorstellung einer rigiden Trennung zwischen Staat und Religionen schwer zu vereinbaren. Ein solches Arrangement einer vollständigen Trennung erschwert indes nicht nur die Lösung bestehender Koordinationsprobleme zwischen der staatlichen Ebene und den Religionsgemeinschaften, da der Staat sich so der Möglichkeit einer effizienten Regulierung begibt;57 es ist auch keineswegs zwingende Voraussetzung einer liberaldemokratischen Ordnung. Essentielles freiheitsverbürgendes Element demokratischer Gemeinwesen ist vielmehr eine Beziehung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, die Alfred Stepan als »twin tolerations« bezeichnet: Religiöse Akteure dürfen nicht in einer rechtlichen Position sein, die es ihnen ermöglicht, demokratisch gewählten Regierungen eine bestimmte Politik vorzugeben; gleichzeitig sollte die Freiheit individueller und gemeinschaftlicher Religionsausübung sowie die Nichteinmischung des Staates in Glaubensfragen gewährleistet sein.58 Stepan formuliert damit gewissermaßen den Mindestfreiraum, den Staat und Religionsgemeinschaften einander lassen müssen. Darüber hinausgehend muss jedoch auch die Forderung nach einer weitgehenden Nichtidentifizierung des Staates mit einer bestimmten Religion in ihrem Kerngehalt als wesentlich für liberale Demokratien angesehen werden: Der Staat darf in keinerlei Hinsicht Bürger aufgrund ihrer religiösen Weltanschauung diskriminieren. Sind diese Bedingungen allerdings gewahrt, ist eine fördernde, auf Kooperation ausgelegte Religionspolitik auch im liberalen Staat sehr wohl möglich. Solange jede sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung unterbleibt, ist es aus liberaldemokratischer Sicht unproblematisch, wenn der Staat den Religionsgemeinschaften nicht nur Freiräume eröffnet, sondern auch bestimmte Aufgaben überträgt. Indem er dies

56 Fischer, K.: Religionspolitische Governance, 131, Hvh. i. O. 57 Vgl. Mehrle, Gebhard: Trennung vom Staat  – Mitarbeit in staatlichen Institutionen. Militärseelsorge und Religionsunterricht in den neuen Bundesländern. Berlin 1998, 66 f. 58 Stepan, Alfred C.: Religion, Democracy, and the »Twin Tolerations«. In: Journal of Democracy, Jg. 11, Nr. 4 (2000), 37–57; vgl. ebd., 37–39. Tatsächlich stellt Stepan fest, dass faktisch keine westeuropäische Demokratie ein System strikter Trennung von Staat und Kirchen durchgesetzt hat (ebd., 42).

44  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  nämlich tut, macht er sie betont zu Mitverantwortlichen und Teilhabern des gemeinsamen gesellschaftlichen Projektes. Gunnar Folke Schuppert unterscheidet insgesamt fünf Modelle einer funktio­ nell-rechtlichen Zuordnung von Staat und Religionsgemeinschaften, von denen zwei einem liberalen religionspolitischem Regime angemessen sind: Etwas stärker instrumentell verstanden, kann der liberale Staat, der sich nicht auf dem Gebiet der religiösen Sinnstiftung betätigen darf, die Übernahme dieser von ihm nichtsdestotrotz als wichtig erachteten Aufgabe durch Kirchen und andere Religionsgemeinschaften fördern. Die entsprechende religionsfreundliche Politik, die weitgehend aus Nützlichkeitserwägung erfolgt, bezeichnet Schuppert als »Outsourcing von Sinnstiftung«.59 Weniger stark instrumentell und stärker egalitär gedeutet, lässt sich liberale Religionspolitik demgegenüber auch als »freundschaftliches Kooperationsverhältnis zweier autonomer Governance-­ Kollektive« begreifen.60 Während das zweite Modell wohl unmittelbar als liberal akzeptiert werden kann, dürfte die Übernahme einer Sinnstiftungsfunktion durch Religionsgemeinschaften im liberaldemokratischen Kontext, indem sie etwa, wie es der ehemalige nordrhein-westfälische Kultusminister Paul Mikat als Aufgabe der Kirchen erachtete, die Funktion eines öffentlichen Gewissens ausüben und alle politischen Akteure auf ihre Gemeinwohlverpflichtung verweisen, kontrovers sein.61 Indes kann ein solches kirchliches Selbstverständnis aus demokratischer Sicht durchaus positiv bewertet werden, nämlich als Ausdruck des Willens zur verantwortlichen Mitarbeit am liberaldemokratischen Projekt  – solange damit nicht der Anspruch verbunden wird, einen verbindlichen ethischen Rahmen für kollektive Entscheidungen der Bürgerschaft zu setzen. Ungeachtet dessen kann der Aspekt der Einbindung im Rahmen liberaler religionspolitischer Governance stets nur in Form eines staatlichen Angebots verstanden werden. Kooperation und Beteiligung dürfen keine Vorwände für eine Art Zwangsintegration sein, durch die Religionsgemeinschaften unter Umständen in eine öffentliche Rolle gedrängt würden, die ihrem spezifischen theologischen Selbstverständnis widerspricht. Ein rein instrumentelles Verständnis religionspolitischer Governance zugunsten des Staates ist aus dieser Sicht zwar nicht ausgeschlossen, ihm sind aber zumindest Grenzen gesetzt, die bereits aus dem Prinzip der Religionsfreiheit herrühren. In diesem Zusammenhang ließe sich nun des Weiteren fragen, ob das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften als Kooperation gleichwertiger Partner oder als staatliche Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteu 59 Schuppert, G. F.: When governance meets, 49. 60 Ebd., 54. 61 Vgl. Mikat, Paul: Kirche und Staat in nachkonziliarer Sicht. In: Quaritsch, Helmut / Weber, Hermann (Hg.): Staat und Kirchen in der Bundesrepublik. Staatskirchenrechtliche Aufsätze 1950–1967. Bad Homburg 1967, 427–443, hier 441.

Bedingungen und Potential liberaler Religionspolitik  45

ren aufzufassen sei. Während dabei etwa das alte katholische Verständnis von Staat und Kirche als zwei societates perfectae einem modernen liberalen Gesellschaftsbild nicht wirklich zu entsprechen scheint, so ist doch die Anerkennung der Selbstständigkeit und Selbstbegründetheit kirchlichen / religiösen Handelns aus liberaler Sicht selbstverständlich. Wenn daher die Position vertreten wird, die kirchliche Tätigkeit sei nicht vom Staat abgeleitet oder delegiert, sondern »wesensverschieden« von der staatlichen, so entspricht dies durchaus liberaldemokratischen Vorstellungen. Wird daraus jedoch gefolgert: »Die öffentlichrechtliche Rechtsstellung verleiht der Staat der Kirche nicht, sondern findet sie vor und erkennt sie an«,62 so muss dies deswegen problematisch erscheinen, da so die rechtliche Autonomie des Staates relativiert würde – und damit im Falle des liberalen Staates auch seine weltanschauliche Neutralität. Im Allgemeinen gelten daher für liberale Theoretiker Religionsgemeinschaften, auch die großen Kirchen, als zivilgesellschaftliche Akteure, und in der Tat scheint eine entsprechende Selbstwahrnehmung der Kirchen weniger als institutioneller Gegenpart zum Staat als vielmehr jener Teil der Gesellschaft, der das Evangelium verkündet und aus dieser Perspektive heraus an den relevanten gesellschaftlichen Diskursen teilnimmt, mit einer vollständigen Befürwortung der liberaldemokratischen Ordnung einherzugehen. Nichtsdestotrotz bleibt fraglich, ob man zu leichtfertig vom besonderen Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften abstrahiert, wenn man sie undifferenziert als zivilgesellschaftliche Akteure unter anderen sieht. So ist auch im Kontext westlicher Demokratien »[i]nsbesondere die katho­lische Kirche […] tendenziell immer noch bestrebt, […] ihren besonderen Anspruch als Heilsgemeinschaft in der sozialen und verfassungsrechtlichen Praxis deutlich zu machen«.63 Und gerade dieses Selbstverständnis wirft das grundlegende Problem religiöser Liberalität schließlich überhaupt erst auf: Anders als die meisten Vereine sehen insbesondere die großen, mitgliederstarken Religionsgemeinschaften sich als dezidiert öffentliche Akteure. Von daher lassen sich organisierte Religionen aus politikwissenschaftlicher Sicht, sowohl in ihren religiösen Institutionen als auch in ihren aktiven Laienelementen, als »eine intermediäre Struktur im Sinne organisierter Interessen oder Interessengruppen« begreifen und untersuchen.64 Schuppert befindet überdies ganz allgemein: »Religion ist als Religionsausübung Public Religion, ist Bestandteil der Sphäre der Öffentlichkeit.«65 Wenngleich eine liberale Religionspolitik diesen besonderen 62 So Peters, Hans: Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts. In: Quaritsch, H. / Weber, H. (Hg.): Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, 88–120, hier 97. 63 Liedhegener, A.: Macht, Moral und Mehrheiten, 34. 64 Ebd., 33. 65 Schuppert, Gunnar Folke: Skala der Rechtsformen für Religion: Vom privaten Zirkel zur Körperschaft öffentlichen Rechts. Überlegungen zur angemessenen Organisationsform für Religionsgemeinschaften. In: Kippenberg, H. G. / Schuppert G. F. (Hg.): Die verrechtlichte Religion, 26.

46  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  Öffentlichkeitsanspruch religiöser Gemeinschaften problemlos anzuerkennen vermag, kann eine öffentlich-rechtliche Institutionalisierung der Beziehung von Staat und Religion daraus nicht zwingend abgeleitet werden, da die Verortung von Kirchen und anderen organisierten religiösen Akteuren als Teile der Zivilgesellschaft der Anerkennung ihrer sozialen Bedeutung keineswegs widerspricht. So kommt etwa José Casanova, hier wieder mit Blick auf die katholische Kirche, zu dem Schluss, dass gerade die selbstbewusste Wahrnehmung als zivilgesellschaftlicher Akteur das öffentliche Wirken des Katholizismus garantiere: This relocation of the church from the state and from political society to civil […] does not necessarily mean the privatization of Catholicism. On the contrary, this relocation is the very condition for the possibility of a modern public religion, for a modern form of public Catholicism.66

Doch gleich, ob als öffentlich-rechtliche Institutionen oder als Mitglieder der Zivilgesellschaft, die Einbindung religiöser Akteure in kooperative Governanceregime demonstriert ihnen, dass der Staat sie als verlässliche Partner betrachtet und ihre Anliegen ernst nimmt. Gerade bei traditionelleren Religionsgemeinschaften scheint diese Art der Zusammenarbeit geeignet, einen Abbau von Bedrohungsgefühlen angesichts einer säkularisierten Gesellschaft zu bewirken und Vertrauen in den Staat aufzubauen. Übernehmen Religionsgemeinschaften durch praktische Mitarbeit erst einmal Verantwortung für den Staat und damit die Gesamtgesellschaft, so wird überdies die Option der Fundamentalopposition gegen den liberalen Staat meist unattraktiv sein: Zum einen würde eine solche Konfrontationshaltung den Verlust von Einflussmöglichkeiten auf jenen Politikfeldern bedeuten, auf denen man mit staatlichen Stellen kooperiert, beispielsweise der Schulpolitik; zum anderen würde sie aber auch unaufrichtig wirken, nachdem die eigenen religiösen Institutionen zuvor von staatlich gewährten Erleichterungen profitiert hatten  – deren Verlust abgesehen davon wohl als unerwünscht angesehen werden dürfte. Darüber hinaus werden sich Religionsgemeinschaften insbesondere dann zur Kooperation verpflichtet sehen, wenn sie an der Ausarbeitung der religionspolitischen Rahmenbedingungen selbst beteiligt waren. Denn die politische Integration von Religionsgemeinschaften ist kein Prozess, der diese allein in der Rolle passiver Begünstigter einer entgegenkommenden Governance of Religions, oder auch stiller Mitarbeiter in Regimen von Governance by Religions sieht. Vielmehr wird liberale Religionspolitik, wie sie hier verstanden wird, oft erst Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen staatlichen und kirchlichen Stellen sein, beim dem von reziproker Einflussnahme auszugehen ist. 66 Casanova, José: Civil Society and Religion: Retrospective Reflections on Catholicism and Prospective Reflections on Islam. In: Social Research, Jg. 68, Nr. 4, (2001), 1041–1080, hier 1047.

Bedingungen und Potential liberaler Religionspolitik  47

In diesem Zusammenhang werden – was aus demokratischer Sicht sehr zu wünschen ist –, die politischen Interessen der Religionsgemeinschaften regelmäßig auch in der Öffentlichkeit verhandelt. Nun ist politisches Engagement aus religiöser Motivation, ob durch religiöse Institutionen oder durch Laien ausgeübt, ein klassisches Streitthema der politischen Theorie. So wird bereits die Angemessenheit der Verwendung religiöser Semantik im politischen Diskurs kontrovers diskutiert67 – von einer direkten Interessenvertretung religiöser Akteure ganz zu schweigen. An dieser Stelle wird die Frage aufgeworfen, inwiefern Religionsgemeinschaften überhaupt als politische Akteure verstanden werden können. Vor allem die großen, in ihren jeweiligen Gesellschaften traditionell verwurzelten religiösen Gemeinschaften sind ein Spiegelbild ihrer sozialen Umwelt – und daher ebenso vielfältig wie diese. Generell kann davon ausgegangen werden, dass sich innerhalb der Glaubensgemeinschaften »die Pluralität oder gar Heterogenität gesellschaftlicher Werthaltungen und Interessen weitgehend widerspiegelt«.68 Bei der Ermittlung der Interessen einer Religionsgemeinschaft ist des Weiteren auch die Differenzierung zwischen Laien und klerikalen Eliten zu beachten, die oftmals zwar unterschiedliche, bisweilen auch widerstreitende Ziele verfolgen mögen, letztlich aber nur in ihrem Zusammenwirken die Glaubensgemeinschaft konstituieren. Homogene Akteure sind gerade mitgliederstarke Religionsgemeinschaften entgegen bisweilen vorherrschender Außenwirkung jedenfalls nicht. Entsprechend sind die nach außen vertretenen politischen Interessen der Gemeinschaft entweder Ergebnis einer internen Meinungsbildung, oder sie werden durch die religiösen Autoritäten vorgegeben und von den Gläubigen hinreichend anerkannt. Nach der Einteilung von Ulrich Willems lassen sich dabei »moralische Forderungen« im Sinne einer advokatorischen Interessenvertretung unterscheiden vom Wunsch nach gesellschaftlicher Durchsetzung eigener »Wertorientierungen« sowie von konkreten institutionellen »Interessen«.69 Wie bei allen Typologien verschwimmen die Grenzen dieser Kategorien in der sozialen Realität. So werden die im Folgenden gewählten Beispiele aus den Policy-Bereichen der Bildungs- und Verteidigungspolitik zeigen, 67 Einen Überblick über die Standpunkte der Debatte bietet Willems, Ulrich: Religion als Privatsache? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem liberalen Prinzip einer strikten Trennung von Politik und Religion. In: Minkenberg, Michael (Hg.): Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 33. Wiesbaden 2003, 88–112. 68 Willems, Ulrich: Status, Privileg und (vermeintlicher) Vorteil. Überlegungen zu den Auswirkungen asymmetrischer religionspolitischer Arrangements auf die politische Rolle von Religionsgemeinschaften und die Durchsetzung religiöser Interessen. In: Kippenberg, H. G. / Schuppert, G. F. (Hg.): Die verrechtlichte Religion, 179. Sofern soziale Pluralität sich innerhalb der Gemeinschaft offen manifestieren darf, ist dies gewiss ein Zeichen, dass eine gewisse liberale Haltung bereits vorhanden ist. 69 Willems, Ulrich: Entwicklung, Interesse und Moral. Die Entwicklungspolitik der Evangelischen Kirche in Deutschland. Opladen 1998, 19–22.

48  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  dass etwa die Absicherung der kirchlichen Organisationsstruktur regelmäßig mit ethisch-normativen Wertforderungen verbunden war. Ist es nun aus demokratietheoretischer Sicht problematisch, wenn Religionsgemeinschaften für institutionelle Interessen politisch eintreten? Insofern dieses Engagement als Tätigkeit eines Interessenverbandes angesehen wird, scheint dies zunächst einmal nicht der Fall zu sein. Es ist integraler Bestandteil repräsentativer Demokratie, dass soziale Gruppen ihre Interessen im politischen Raum vertreten und durchzusetzen versuchen. Gerade das öffentliche Werben für die eigene Position oder bestimmte Punkte derselben ist zudem transparent und daher demokratisch kontrollierbar. Aber selbst weniger öffentliche Interessenspolitik, insbesondere klassischer Lobbyismus, ist nicht grundsätzlich demokratietheoretisch problematisch – und ein signifikanter Unterschied, ob ein Kirchen- oder ein Wirtschaftsvertreter für die eigenen Anliegen wirbt, besteht aus rein formaler Sicht zunächst nicht. Relevant kann hier also nicht das Verfolgen von Gruppeninteressen sein; auch wer seine Interessen gegenüber der Politik vertritt, darf in einer Demokratie nicht ausschlaggebend sein, ist politische Gleichberechtigung doch Kernbestandteil einer demokratischen Verfassungsordnung. Wesentlich kann letztlich nur die Frage nach dem Wie der Interessenvertretung sein. Das reine Vorbringen eines Anliegens oder Interesses erscheint kaum fragwürdig, auch wenn dies wiederholt in Form dringlicher Anfragen und Petitionen geschieht  – solches ist grundlegende demokratische Praxis. Ebenso wenig kann der Verweis auf die wirtschaftliche Relevanz oder Mitgliederzahl eines Verbandes oder einer Interessengruppe, um den eigenen Interessen dadurch Nachdruck zu verleihen, an sich für problematisch befunden werden, können dies doch – unter den entsprechenden Gesichtspunkten – valide Argumente sein. Demokratietheoretisch bedenklich erscheint Lobbyarbeit vor allem dann, wenn dabei auf Ressourcen zurückgegriffen wird, die konkurrierenden Akteuren nicht zur Verfügung stehen und in dieser Form auch nicht zur Verfügung stehen können,70 da dadurch der demokratische Prozess ausgehebelt werden könnte. Nicht ohne Grund ist es die Einflussnahme geldmächtiger Wirtschaftsinteressen auf Politik und Verwaltung, die häufig den Argwohn der Bürgerschaft erregen: Allzu leicht drängt sich der Verdacht auf, dass hier gerade nicht mit demokratischen Formen der Einflussnahme gearbeitet wird, sondern dass gewünschte politische Maßnahmen regelrecht erkauft werden. Ein solcher Vorgang würde aber den demokratischen Prozess durch gravierende Verzerrung der Chancen von Einflussnahme zerstören. Wo kann aus dieser Perspektive ein Misstrauen gegen kirchliche Interessenpolitik begründet liegen? Bleibt man beim Argument der ›undemokratischen‹ Ressource, so ließe sich anführen, dass auch Religionsgemeinschaften über eine Ressource verfügen, die anderen Gruppen 70 Gerade die Ressource »öffentliche Unterstützung« ist dabei an dieser Stelle explizit nicht gemeint.

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verwehrt bleibt, nämlich die Deutungshoheit über Glaubensfragen. Diese kann, bei entsprechender Bindung der Gläubigen an ihre Religionsgemeinschaft, in sozialen Einfluss umgemünzt werden. Wieder wäre zunächst einzuwenden, dass die bloße Mobilisierung von Mitgliedern zum Zwecke politischer Interessenvertretung – etwa dem Aufruf, Petitionen an das Parlament zu richten – aus demokratietheoretischer Sicht alles andere als problematisch ist. Im Gegenteil, hier liegt ein basaler demokratischer Mechanismus vor. Es bleibt daher die Frage nach dem Wie im Mittelpunkt. Wird die Ressource der religiösen Deutungshoheit nämlich im Sinne eines Gewissenszwangs eingesetzt, um mit religiöser Argumentation Gläubige – darunter auch politische Entscheidungsträger – zu einem bestimmten politischen Handeln geradezu moralisch zu verpflichten, so erscheint wiederum der demokratische Wettbewerb ausgehebelt. Das Auftreten religiöser Akteure im demokratischen Raum wird, ebenso wie die religiöse Sprache im politischen Diskurs, folglich genau dann problematisch, wenn es einer Autorität Ausdruck verleihen will »die nicht allein Gehör, sondern Gehorsam beansprucht«.71 So beurteilt etwa Jürgen Habermas die Hirtenbriefe der deutschen Bischöfe aus den 1950er Jahren als eine solche Verzerrung des demokratischen Meinungsbildungsprozesses durch Rekurs auf Gewissenszwang.72 Es bleibt also festzustellen, dass es »im Pluralismus überaus legitim [ist], wenn auch Religionsgemeinschaften versuchen, politischen Einfluss auszuüben; doch muss die Ergebnisoffenheit dieser Einflussnahme akzeptiert sein«.73 Religiöse Akteure und gläubige Bürger müssen, ebenso wie alle anderen, anerkennen, dass der demokratische Entscheidungsfindungsprozess umkämpft und unabgeschlossen bleibt: »God’s kingdom can’t be realized there. The end of history has to take place somewhere else. Civil space in a democratic society is hostile to finality.«74 Man kann dies als eine Art liberale Dialektik betrachten: Gerade weil demokratische Praxis nur über endliche, d. h. immanente Fragen entscheidet, ist der Diskurs darüber unendlich, indem nämlich jedes Ergebnis stets nur ein vorläufiges ist und von neuem hinterfragt werden kann und darf. Im Idealfall führen schließlich politische Integration, Verantwortungsübernahme und die Erfahrung religiöser Freiheit zu einer Selbstliberalisierung der Religionsgemeinschaften, fördert eine liberale Religionspolitik im Laufe der Zeit also jenes Ethos, das als Grundlage liberaldemokratischer politischer Kultur dient. Dabei stellt für Religionsgemeinschaften insbesondere die Bejahung der 71 Greschat, Martin: Zwischen Aufbruch und Beharrung. Die evangelische Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Conzemius, Victor et. al (Hg.): Die Zeit nach 1945 als Thema kirchlicher Zeitgeschichte. Referate der internationalen Tagung in Hünigen / Bern (Schweiz) 1985. Mit einer Bibliographie Andreas Lindt. Göttingen 1988, 99–126, hier 110. 72 Habermas, J.: Die öffentliche Stimme, 1445. 73 Fischer, K.: Religionspolitische Governance, 129. 74 Walzer, Michael: Drawing the Line: Politics and Religion. In: Utah Law Review, Nr. 3 (1999), 619–638, hier 632.

50  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  Religionsfreiheit auch Andersgläubiger den »Test- und Ernstfall für eine bewusst vollzogene und verinnerlichte Anerkennung der Demokratie« dar.75 Doch gerade eine zunächst als Zumutung empfundene Religionsfreiheit kann, wenn sie als Ermöglichungsbedingung eines freien gläubigen Lebens erfahren wird, mit der Zeit als verteidigenswerte Errungenschaft verstanden werden: »Die Religionsfreiheit dient nicht zwingend allein der Autonomie einer Religion. Sie kann  – eigenartigerweise – auch als Medium der Identifikation einer bestimmten Religion mit der politischen Ordnung fungieren, die die Religionsfreiheit garantiert.«76 Dass Religionsgemeinschaften durch ein partnerschaftliches Zusammenwirken mit einem liberaldemokratischen Staat mitunter bis in ihre Lehre hinein beeinflusst werden, kann dabei nicht ausgeschlossen werden77: Bei aller weltanschaulichen Neutralität kann auch die liberale Demokratie nicht vermeiden »daß gesellschaftliche Einflüsse sich zugunsten einiger und zuungunsten anderer Lehren auswirken«, denn »[j]ede Gesellschaft ist aufgrund ihrer Kultur und ihrer Institutionen mit einigen Lebensweisen unvereinbar«.78 Für liberale Religionspolitik bedeutet dies, dass sie, obgleich sie den Glaubensgemeinschaften möglichst große Freiräume schaffen möchte, stets innerhalb der Grenzen der allgemeinen Freiheitsgrundsätze verläuft und folglich die entsprechende Rechtsordnung, solange sie begründungsneutral bleibt, eine strikte Wirkungsneutralität weder garantieren kann, noch will.79 Denn ein liberaler Staat kann nie in jener Hinsicht neutral sein, dass er nicht stets »Partei für die Gleichheit und Autonomie der Bürger« ergreift,80 weshalb ein liberalisierender Einfluss liberaler Religionspolitik nicht nur – aus liberaldemokratischer Sicht – unbedenklich, sondern vielmehr ganz klar intendiert ist. Nur auf diese Weise vermag ein liberaler Staat überhaupt zur Lösung des Problems religiöser Liberalität beizutragen, ohne gänzlich in die Rolle eines passiven Beobachters gesellschaftlichen Wandels verwiesen zu sein. Kooperative religionspolitische Governance, die von Kritikern 75 Liedhegener, A.: Tolerierung – Akzeptanz – Unterstützung, 115. 76 Möllers, Christoph: Grenzen der Ausdifferenzierung. Zur Verfassungstheorie der Religion in der Demokratie. In: Heinig, H. M. / Walter, Ch. (Hg.): Religionsverfassungsrechtliche Spannungsfelder, 10–34, hier 22. 77 Es kann außerdem davon ausgegangen werden, dass ein solcher Prozess auch auf die Strukturen religiöser Organisationen zurückwirkt, da eine Religionsgemeinschaft, die die Demokratie bejaht, sich auch innerlich in bestimmtem Umfange wird demokratisieren müssen. Während der Wandel traditioneller Hierarchie als Wechselwirkung mit der Anerkennung des liberalen politischen Systems einen interessanten Aspekt der Entstehung religiöser Liberalität darstellt, wird er im Folgenden aus praktischen Erwägungen nur kursorische Beachtung erfahren können. 78 Rawls, J.: Politischer Liberalismus, 294. 79 Vgl. auch Huster, Stefan: Gleichheit statt Freiheit. Die Verschiebung der Argumentationsgewichte im Religionsverfassungsrecht unter Bedingungen des Pluralismus. In: Heinig, H. M. / Walter, Ch. (Hg.): Religionsverfassungsrechtliche Spannungsfelder, 204–230, hier 217. 80 Maclure, J. / Taylor, C.: Laizität und Gewissensfreiheit, 26.

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bisweilen als Privilegierung von Religionsgemeinschaften verurteilt wird, erweist sich aus dieser Sicht als im ureigenen Interesse des Staates liegend und hat ihre Legitimation auch angesichts des Neutralitätsprinzips.81 Die bisher getätigten Überlegungen bilden die Grundlage, auf der die Arbeitshypothese der vorliegenden Untersuchung formuliert wurde: Da der liberaldemokratische, weltanschaulich neutrale Staat eine positive Haltung der Religionsgemeinschaften zu seinen Grundwerten und Verfassungsprinzipien nicht autoritativ durchsetzen kann und darf, muss er versuchen, eine Selbstliberalisierung der Glaubensgemeinschaften zu fördern. Durch eine entgegenkommende, kooperative religionspolitische Governancepraxis mit Angeboten und Anreizen vermag er günstige Rahmenbedingungen zu setzen für die Entstehung religiöser Liberalität im Sinne einer prodemokratischen, individuelle Freiheiten bejahenden religiösen Disposition aus dem jeweiligen Gemeinschaftsethos heraus. Dabei können die nicht zuletzt theologisch begründeten Vorbehalte gegenüber einer liberaldemokratischen Verfasstheit des Staates statt durch theoretische Überzeugung vielmehr durch positive praktische Erfahrungen mit Politik und Rechtsordnung überwunden werden. In diesem Zusammenhang kann der Staat von einem Autoritätsvorsprung der Religionsgemeinschaften ihm gegenüber profitieren, indem er sich durch seine religionsfreundliche Politik ihrer Loyalität vergewissert und dadurch seine politische Autorität gegenüber den Gläubigen festigt. Während dieser Effekt letztlich zugunsten des Staates als eines liberaldemokratischen Projekts erwartet wird, ist es durchaus denkbar, dass die Annäherung und Identifikation sich zunächst lediglich auf eine konkrete Regierung oder eine bestimmte Partei beziehen, insofern diese besonders stark als Partner wahrgenommen werden. Wird eine solche Beziehung allerdings zu einem länger andauernden Zustand, der oppositionelle politische Kräfte explizit ausschließt, kann dies statt einer gesellschaftlich integrierenden leicht eine polarisierende Wirkung entfalten. Denn insofern die großen Religionsgemeinschaften, insbesondere bei geringer religiöser Pluralität in der Gesellschaft, eine zu enge Verbindung zum Regierungslager aufweisen, kann die Forderung nach Laisierung bzw. sogar antireligiöse Semantik Teil der Oppositionsstrategie werden. Mark Chaves und David Cann sprechen in diesem Zusammenhang von »secularity as a symbol of opposition«.82 Obgleich sich ein solches Muster beispielhaft in der Französischen Revolution zeigte, als die katholische Kirche als Stütze des ancien régime wahrgenommen wurde, ist eine negativ konnotierte Identifikation von Regierung und bestimmten Religionsgemeinschaften ebenso in modernen, liberalen Kontexten denkbar – zwangsläufig ist sie indes nicht. Alternativ könnte die 81 Vgl. Mehrle, G.: Trennung vom Staat, 70f, 76. 82 Chaves, Mark / Cann, David E.: Regulation, Pluralism, and Religious Market Structure. Explaining Religion’s Vitality. In: Rationality and Society, Jg. 4, Nr. 3 (1992), 272–290, hier 276.

52  Liberaldemokratische Verfassungsordnung und staatliche Autorität  politische Opposition nämlich ebenso gut versuchen, ihrerseits die Gunst der dominierenden Religionsgemeinschaften zu erwerben – oder aber beide Strategien parallel anwenden. Letzteres scheint beispielsweise die Herangehensweise der bundesdeutschen Sozialdemokratie in den 1950er und 60er Jahren gewesen zu sein, als die SPD einerseits Vorwürfe antireligiöser Agitation von sich wies und erklärtermaßen eine Annäherung an die Kirchen wünschte, gleichzeitig aber Konfessionalismus und Klerikalismus in der Bonner Politik anprangerte.83 Wenn Religionsgemeinschaften den Eindruck vermeiden, zu sehr die Sache des Staates zu vertreten, so erscheint dies jedenfalls ihrer sozialen Wirkkraft zuträglich, da sie so einerseits ihre institutionelle Unabhängigkeit unterstreichen und andererseits glaubhaft Respekt vor der Autonomie anderer gesellschaftlicher Akteure bekunden können.84 Dies gilt naheliegenderweise vor allem dann, wenn die Religionsgemeinschaften sich selbstbewusst als demokratische zivilgesellschaftliche Akteure darstellen. Ist dies aber überhaupt eine Selbstwahrnehmung, die jeder Religion offensteht, können, mit anderen Worten, sämtliche Religionsgemeinschaften sich in oben dargestellter Weise liberalisieren? In den vorstehenden Überlegungen werden die Begriffe »Religion«, »Religionsgemeinschaften« usw. stets als Abstraktum verwendet, da die hier vorgestellte Hypothese nicht auf eine bestimmte religiöse Tradition zugeschnitten ist. Dies resultiert daraus, dass keine starren religionsimmanenten Faktoren für die Entwicklung einer liberalen politischen Disposition angenommen werden. Zwar können bestimmte theologische Prinzipien selbstverständlich mit einem liberalen Gesellschaftsverständnis unvereinbar sein. Solange diese aber nicht als unbestrittener Kerngehalt einer Religion betrachtet werden, kann die Möglichkeit der Entwicklung einer proliberalen Disposition wie oben beschrieben nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Während somit bestimmte fundamentalistische Strömungen in der Tat unfähig sein werden, religiöse Liberalität zu entwickeln, dürfte die Mehrheit religiös gläubiger Menschen solchen Gemeinschaften zuzurechnen sein, die Rawls als »vernünftige Lehren« klassifiziert. Gemeint sind damit weltanschauliche Gruppen, die sich als soziale Akteure durch eine Bereitschaft zur Einhaltung fairer gesellschaftlicher Kooperationsbedingungen sowie durch eine generelle 83 In den politischen Debatten der frühen Bundesrepublik war der Vorwurf des »Klerikalismus« eine gängige Strategie politischer Rhetorik: Gemeinhin wurden darunter »Versuche kirchlicher Amtsträger oder der Kirchen schlechthin subsumiert, Einfluss auf den ›weltlichen‹ Raum – Staat, Parteien, öffentliche Institutionen – zu nehmen, um dort Eigeninteressen zum Durchbruch zu verhelfen«. Die Grenze zum »Konfessionalismus«, also einer sich bewusst gegen andere Konfessionen (oder Religionen) abgrenzenden Betonung der eigenen Konfession, war dabei im öffentlichen Diskurs fließend (Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 18; vgl. Fischer, Hermann: Konfessionalismus. In: Balz, Horst et al. (Hg.): Theologische Realenzyklopädie. Band 19: Kirchenrechtsquellen – Kreuz. Berlin / New York 1990, 426–431, hier 426). 84 Vgl. Willems, U.: Status, S. 178.

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Anpassungsfähigkeit trotz ihrer traditionalen bzw. dogmatischen Verankerung auszeichnen.85 Die Zuschreibung einer grundsätzlichen Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Übernahme liberaldemokratischer Überzeugungen an ganze religiöse Traditionsstränge erscheint demgegenüber als unplausible Essentialisierung: Nicht nur wird dabei die meist starke innere Heterogenität religiöser Traditionen ausgeblendet, vor allem widerspricht die Unterstellung absoluter dogmatischer Rigidität und einer Unfähigkeit zur Adaption eklatant der Lebenswirklichkeit des überwiegenden Großteils aller Religionsgemeinschaften. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive steht Religion als Projekt einer Gemeinschaft von Menschen in reziproken Austauschbeziehungen zu anderen sozialen Praktiken – so auch dem vorherrschenden politischen System und der spezifischen Ausprägung politischer Kultur. Dabei ist, wie dargelegt wurde, von einer wechselseitigen Beeinflussung auszugehen: Während die vorherrschende Religion die Werte der Gesellschaft prägt, beeinflussen soziopolitische Tendenzen auch das Leben der religiösen Gemeinden. Nun betonen zwar nicht wenige Forscher die demokratienahen Grundideen des christlichen Menschenbildes: Würde, Freiheit und Verantwortung des Einzelnen, Gleichheit (vor Gott), das Streben nach Gerechtigkeit86  – ein Gedanke, der bisweilen zu der weder theoretisch plausiblen noch empirisch belegbaren These weitergeführt wird, dass allein Staaten in christlicher, oder wahlweise »christlich-jüdischer«, Tradition demokratiefähig seien. Doch obgleich die theologischen Grundlagen des Christentums die Bejahung einer liberaldemokratischen Gesellschaftsordnung zulassen, belegen die historischen Beziehungen der christlichen Kirchen zur Idee des politischen Liberalismus, dass eine solche Nähe keineswegs selbstverständlich ist. Ganz im Gegenteil: Das Konzept des weltanschaulich neutralen, durch individuelle Abwehrrechte seiner Bürger eingehegten Verfassungsstaats wurde insbesondere im kontinentaleuropäischen Kontext von der katholischen, aber auch zahlreichen protestantischen Kirchen über lange Zeit abgelehnt. Der kirchlichen Akzeptanz dieser Staats- und Gesellschaftsidee ging ein mitunter beschwerlicher Annäherungsprozess voraus – und es ist gerade eingedenk dieses letztlich zwar erfolgreichen, aber eben auch notwendigen Perspektivwechsels der Kirchen, dass die Liberalisierungsfähigkeit anderer religiöser Traditionen nicht ohne Weiteres bestritten werden sollte. Das folgende Kapitel knüpft hier an und vollzieht zunächst die problematische Beziehung der deutschen Kirchen zur Idee des liberalen Verfassungsstaates nach, um dann auf die konkrete politische Situation in Westdeutschland nach 1945 einzugehen.

85 Rawls, J.: Politischer Liberalismus, 121, 133. 86 Vgl. etwa Uertz, Rudolf: Politische Ethik im Christentum. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 6 (2007), 31–38, hier 34.

III. Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland Um die Relevanz der im vorangegangenen Kapitel angestellten Überlegungen zum Problem religiöser Liberalität auch für die in der vorliegenden Analyse untersuchten Religionsgemeinschaften zu begründen – die katholische Kirche sowie die evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland –, soll im Folgenden zunächst das schwierige Verhältnis dieser Institutionen sowie der zugehörigen Milieus zum Projekt des liberaldemokratischen Staates vor 1945 skizziert werden. Daran anschließend werden die soziopolitischen Ausgangsbedingungen für eine westdeutsche Religionspolitik nach 1945 rekonstruiert, unter Berücksichtigung sowohl der Lage der Kirchen als auch der religionsverfassungsrechtlichen Grundlagen. Wie in den ab Kapitel IV folgenden Falluntersuchungen wird dabei auch hier der Schwerpunkt auf den amtskirchlichen Autoritäten liegen.

1. Von der Französischen Revolution bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Der politische Liberalismus hatte in Deutschland bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts einen schweren Stand. So urteilt etwa Ralf Dahrendorf, dass eine liberale Mentalität, die Dogmatismus im politischen Diskurs ablehnt, staatliche Gewalt zugunsten bürgerlicher Rechte einschränken will und Pluralismus und individuelle Freiheit bejaht, in Deutschland über lange Zeit »nie recht Fuß fassen« konnte.1 In seiner Untersuchung politischer Kultur in Deutschland seit dem Kaiserreich kommt Christian Schwaabe sogar zu dem Ergebnis, dass »letztlich alle Spezifika politischer Kultur und Mentalität bis 1945 sich analytisch […] kaum besser beschreiben lassen als ex negativo: als das genaue Gegenteil dessen, was der Idee des politischen Liberalismus […] entspräche«.2 Die weitgehende Ablehnung politisch liberaler Ideen stellte demnach eine gesamtgesellschaftliche Tendenz dar. Inwiefern die Kirchen als wichtige soziale Prägekräfte am Fortbestehen dieser Haltung Anteil hatten, soll hier nun in Kürze nachvollzogen werden. 1 Dahrendorf, Ralf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München 1968, 29. 2 Schwaabe, C.: Die deutsche Modernitätskrise, 11.

56  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Um mit den politischen Positionen des Katholizismus zu beginnen, ist es zwar kein Beleg, aber doch ein Hinweis, wenn in der Tradition liberalen politischen Denkens »katholisch« regelmäßig mit einer tendenziell autoritären Einstellung gleichgesetzt wurde, die im politischen Bereich regelmäßig antidemokratische Wirkung entfaltete.3 Der Ursprung dieses Misstrauens ist leicht ausgemacht. Als Garant sozialer Stabilität und politischen Zusammenhalts war die Kirche mit den katholischen Monarchien Europas eng verbunden, was sie, als die bestehenden politischen Verhältnisse verstärkt hinterfragt wurden, in den Augen reformerischer und revolutionärer Kräfte zum Feindbild machte. Gleichzeitig begründete die Tatsache, dass im kontinentaleuropäischen Kontext die Ideen von Demokratie, Konstitutionalismus und Menschenrechten zunächst durch revolutionäre und nicht selten antiklerikale Bewegungen propagiert wurden, eine Reziprozität der Ablehnung: Wo die Auflehnung gegen den Status quo religions- oder kirchenfeindliche Ausprägungen annahm, waren in kirchennahen Kreisen bald die liberalen Staatsideen als solche diskreditiert. Das historische Schlüsselereignis stellte dabei die Französische Revolution dar. Die Enthauptung des katholischen Monarchen und die ideologische Überhöhung der Revolution in einem laizistisch-republikanischen Staatskult, welcher gleichsam die alte kirchliche Legitimationsfunktion ersetzen sollte, hatten eine immense Schockwirkung auf die katholische Kirche.4 Eine erste päpstliche Verurteilung liberaler Gesellschaftsentwürfe erfolgte denn auch bereits 1791, als Pius  VI. (reg. 1775–1799) im Breve »Quod aliquantum« konstatierte, die von der französischen Nationalversammlung errichtete konstitutionelle Gewalt widerspreche göttlichem Recht.5 Eine republikanische und vor allen Dingen dezidiert säkulare Regierung, zumal wenn sie in die althergebrachten Rechte der Kirche eingriff, konnte offenkundig aus katholischer Sicht nicht als legitime Obrigkeit gelten. Verstärkt wurde die Gegnerschaft der katholischen Kirche zum nicht konfessionsgebundenen Staat durch die in Frankreich und infolge der napoleonischen Kriege auch darüber hinaus vorgenommenen staatlichen Eingriffe in kirchlichen Besitzstand und Organisationsstruktur, wobei im deutschen Kontext die Auflösung der alten Reichskirche wohl am schwersten wog: In den Worten des Politikwissenschaftlers Hans Maier läutete für die deutschen Katholiken ins 3 Vgl. Becker, Winfried: Grundzüge der programmatischen Entwicklung des deutschen politischen Katholizismus zu Interkonfessionalismus und Demokratie. In: Portmann-­ Tinguely, Albert (Hg.): Kirche, Staat und katholische Wissenschaft in der Neuzeit. Festschrift für Heribert Raab zum 65. Geburtstag am 16. März 1988. Paderborn, München [u. a.] 1988, 435–458, hier 435. 4 Vgl. hierzu Uertz, Rudolf: Katholizismus und demokratischer Verfassungsstaat. In: Brocker, Manfred / Stein, Tine (Hg.): Christentum und Demokratie, 114–130, hier 117; Maier, Hans: Kirche und Demokratie [1963]. In: Ders.: Katholizismus und Demokratie. Freiburg 1983, 11–31, hier 13–16. 5 Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 40.

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besondere die Säkularisation zwischen 1803 und 1806 ein »mehr als hundertjähriges Verhältnis der Fremdheit zwischen Kirche und politischer Welt« ein, in dessen Kern der Konflikt zwischen einem kirchlichen Anspruch auf Autonomie und einem staatlichen Anspruch auf Kirchenhoheit stand.6 Durch die Eindrücke der Französischen Revolution wurde das Verständnis der katholischen Kirche von Demokratie und Liberalismus auf lange Zeit belastet – obgleich insbesondere die Herrschaft der jakobinischen Revolutionäre mit einem modernen Verständnis von liberaler Demokratie denkbar wenig zu tun hatte. Die Ablehnung des bekenntnisneutralen Staates und einer liberalen Rechtsordnung wurde in der Folgezeit jedenfalls eine Konstante der päpstlichen Position. So erklärte Pius IX . (reg. 1846–1878) in der Enzyklika »Quanta cura« (1864), wo die »Autorität der göttlichen Offenbarung zurückgewiesen« werde, führe dies zum Niedergang des wahren menschlichen Rechts und zu einer Herrschaft der Gewalt: Das Recht der Offenbarung, nicht der Wille des Volkes, sollte demnach oberste Richtschnur staatlichen Handelns sein.7 Entsprechend beharrte Pius darauf, dass der Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche vom Staat durchgesetzt werden müsse, wobei er kirchliche Jurisdiktion auch über Protestanten beanspruchte.8 Nicht nur Gewissens- und Religionsfreiheit lehnte der Papst dabei als »irrige Meinung« ab:9 Der Überzeugung, dass im politischen und gesellschaftlichen Raum diverse solcher Irrtümer grassierten, gab Pius in dem der Enzyklika angehängten »Syllabus errorum« Ausdruck, der als eine »kompromißlose[n] Verurteilung sämtlicher liberalen, rationalistischen und konstitutionellen Grundsätze und Ordnungsideen« in Erscheinung tritt.10 Insbesondere wandte sich der Heilige Stuhl hier gegen die Ideen der Religionsfreiheit und der weltanschaulichen Neutralität des Staates sowie das mit dieser verbundene Prinzip staatlicher Rechtsautonomie gegenüber der päpstlichen Autorität.11 6 Maier, Hans: Staat und Kirche in Deutschland. In: Ders.: Staat – Kirche – Bildung. Freiburg 1984, 11–27, hier 14; vgl. auch Stolleis, M.: Konfessionalität versus Säkularität, 299; Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 107–110; Maier, Hans: Katholizismus, nationale Bewegung und Demokratie in Deutschland [1965]. In: Ders.: Katholizismus und Demokratie. Freiburg 1983, 51–66, hier 51. 7 Pius IX.: Quanta Cura (1864). In: Freiheit, Demokratie und pluralistische Gesellschaft in der Sicht der katholischen Kirche. Dokumente aus Verlautbarungen der Päpste und des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ausgewählt, neu übersetzt, mit den Originaltexten versehen und eingeführt von Godehard Lindgens. Stuttgart 1985, 82–88, hier 84; vgl. Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 112. 8 Vgl. ebd., 114. 9 Pius IX.: Quanta Cura, 83. 10 Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 111. Uertz weist darauf hin, dass bereits in der zeitgenössischen katholischen Interpretation Versuche unternommen wurden, die Aussage des Syllabus dahingehend zu relativieren, dass sie allein auf den konkreten zeitlichen und örtlichen Kontext zu beziehen sei. 11 Siehe dazu auch Stolleis, M.: Konfessionalität versus Säkularität, 299.

58  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Hinsichtlich der Verurteilung des liberalen Verfassungsstaates war indes im katholischen Milieu eine bemerkenswerte Ungleichzeitigkeit von Theorie und Praxis zu beobachten, etwa im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit. Denn obgleich das Recht auf freie Meinungsäußerung und ein mit diesem korrespondierendes pluralistisches Pressewesen als Gefahr für die religiöse Deutungshoheit der Kirche und als Quelle von Irrlehren verstanden wurden, erkannten politisch aktive Katholiken das darin liegende Potential für die öffentlichkeitswirksame Verteidigung der eigenen Sache. Ein entsprechendes publizistisches Engagement konnte dann mitunter zu einer pragmatischen Akzeptanz des bürgerlichen Verfassungsstaates führen.12 Generell versuchte das katholische Milieu in Deutschland ab den 1840er Jahren  – vorausgegangen war der Konflikt mit dem preußischen Staat im Kölner Kirchenstreit 1830–1841 – durch eine Straffung der kirchlichen Organisation sowie einer Verstärkung des Laien­ engagements seine gesellschaftliche Präsenz zu erhöhen und dadurch den Staat zur Anerkennung katholischer Forderungen zu bewegen. In dieser Hinsicht wurden die von der liberalen Bewegung geforderten politischen Freiheiten aus katholischer Perspektive oft wichtiger als die überkommenen staatlich gewährten Privilegien.13 Das grundlegende Unbehagen des kirchlichen Lehramtes gegenüber den Ideen des weltanschaulich neutralen Staates und individueller Freiheitsrechte konnte durch derlei pragmatische Ansätze indes nicht überwunden werden. So eröffnete Papst Leo XIII. (reg. 1878–1903) zwar durch eine kirchliche »Indifferenzerklärung« hinsichtlich monarchischer und demokratischer Staatsformen die formale Möglichkeit, auch eine laizistisch verfasste Republik als legitime politische Obrigkeit anzuerkennen,14 konterkarierte diesen Schritt allerdings durch sein weiteres Vorgehen. In der Enzyklika »Libertas praestantissimum« (1888) stellte der Papst etwa fest, die Staatsgewalt müsse ihr Staatsvolk darin fördern, »jenen höchsten und letzten Wert zu erreichen, in dem das ewige Glück der Menschen besteht und zu dem man nur gelangen kann, wenn man die Religion nicht vernachlässigt«.15 Leo XIII. hielt somit am Ideal eines katholischen Glaubensstaates fest und vertrat weiterhin ein organisches Staatsverständnis, demzufolge das Volk vermittels des christlichen Glaubens in einem seinerseits

12 Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 151. Trotz alledem gibt Große Kracht zu bedenken, dass das »Faktum, daß eine religiöse Wahrheit, die sich auf den freien Meinungsmarkt begibt, hier zunächst als eine Meinung neben anderen gilt, […] bis in die Gegenwart hinein das eigentliche Kernproblem in der spannungsreichen Beziehungsgeschichte von katholischer Kirche und demokratischer Öffentlichkeit darstellen« sollte (ebd., 94). 13 Vgl. Maier, H.: Staat und Kirche, 15 f. 14 Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 162 f. 15 Leo XIII.: Libertas praestantissimum (1888). In: Freiheit, Demokratie und pluralistische Gesellschaft, 89–107, hier 98.

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unauflöslichen Treueverhältnis zu seinem Herrscher stünde.16 Offenkundig widersprach eine solche Auffassung diametral den Kerngehalten der liberalen politischen Theorie, wie etwa dem schon von Locke betonten Prinzip, dass die Regierung den Bürgern gegenüber verantwortlich sei und ihre Gewalt lediglich in Treuhandschaft ausübe. Auch die Verankerung individueller Abwehrrechte gegen den Staat ließ die Vorstellung einer Einheit von Moral und Recht schlichtweg nicht zu, Persönlichkeitsrechte konnte es aus dieser Sicht für den Bürger nur als Teil des Staatsganzen geben.17 Insbesondere blieb für Leo XIII. der weltanschaulich neutrale Staat letztlich Apostasie, denn Religions- und Gewissensfreiheit sowie auch Rede-, Presse- und Lehrfreiheit drohten potentiell stets, »lügenhaften Meinungen« wider die göttliche Wahrheit eine Bühne zu bieten – hier forderte der Papst die staatliche Zensur.18 Es kann daher kaum verwundern, wenn für ihn die politischen Forderungen, welche sich aus den Ideen liberaler Verfassungsstaatlichkeit und Volkssouveränität ergaben, »Häresie«, ja »Todesboten der bürgerlichen Gesellschaft« darstellten.19 Auch unter evangelischen Theologen und Staatsdenkern in Deutschland konnten sich die Ideen des politischen Liberalismus nur selten durchsetzen. Während die katholische Kirche die Französische Revolution als geradezu existenzgefährdend wahrnahm, wurde sie zwar von protestantischen Vordenkern zunächst begrüßt, unter dem Eindruck des jakobinischen Terrors dann allerdings ebenfalls kritisch betrachtet. Den liberalen politischen Idealen setzten zahlreiche evangelische Theoretiker in der Folgezeit ein kollektives Freiheits­verständnis entgegen, mit einem starken Staat als Garant für Sicherheit und Wohlfahrt. Nur wenige Stimmen aus diesem Kreis traten für bürgerliche politische Mitbestimmung ein – oder gar für eine Trennung von Staat und Kirche.20 Als einer der prominentesten Exponenten protestantischen Staatsdenkens ist Friedrich Julius Stahl (1802–1861) zu nennen, der den »Protestantismus als politisches Prinzip« verstanden wissen wollte und von diesem »das selbstständige göttliche Recht der Fürsten und die höhere politische Freiheit der Völker« ableitete.21 Letztere konnte in diesem Kontext allerdings nur als »Selbstbindung an das Schicksal des Volkes und an die Aufgaben, die sich dem Einzelnen im Volksorganismus stellen«, verstanden werden – denn die Annahme einer sakralen Autorität mo-

16 Vgl. Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 254; Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 177. 17 Vgl. Uertz, R.: Politische Ethik, 33; Fischer, K.: Zukunft einer Provokation, 199 f. 18 Leo XIII.: Libertas praestantissimum, 98; vgl. Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 261 f. 19 Zit. aus der Enzyklika Diuturnum illud (1881) nach ebd., 240 f. 20 Vgl. Scheliha, Arnulf v.: Protestantische Ethik des Politischen. Tübingen 2013, 98–100. 21 Stahl, Friedrich Julius: Der Protestantismus als politisches Princip. Vorträge auf Veranstaltung des evangelischen Vereins für kirchliche Zwecke zu Berlin im März 1853 gehalten. Berlin 1853, 11 f.

60  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  narchischer Herrschaft war mit Prinzipien wie Volkssouveränität und vorstaatlichen Individualrechten unvereinbar.22 Ein solches Politikverständnis bildete vielmehr die Grundlage für das sogenannte »Bündnis von Thron und Altar«, in dessen Kontext staatliche Herrschaft und gesellschaftliche Ordnung religiös fundiert und legitimiert wurden.23 Der deutsche Protestantismus war indes weder in politischer noch in theologischer Hinsicht ein homogenes Gebilde, und es existierten durchaus liberale Strömungen, die unter anderem größere Freiheit der Kirche vom Staat und ein höheres Maß an innerkirchlicher Demokratie forderten. Diese Ansätze verloren mit dem Scheitern der Revolution von 1848 und der Paulskirchenverfassung jedoch weitgehend an Bedeutung und spielten für geraume Zeit weder innerhalb der evangelischen Kirche noch in der politischen Ethik des Protestantismus eine relevante Rolle. Stattdessen setzten sich jene konservativen Richtungen durch, die die demokratischen Bestrebungen von 1848 als Angriff auf die gottgewollte soziale Ordnung sahen und die in den von demokratischer und deutsch­katholischer Seite unterstützten Verfassungsnormen, welche kirchliche Privilegien beschneiden sollten, eine Bedrohung der Bestandssicherung der Kirche erblickten.24 Dezidierte Staatsnähe war für den deutschen Protestantismus deutlich unproblematischer als für den Katholizismus. Obgleich die Luther’sche Zweireichelehre sowohl staatliche Eingriffe in Angelegenheiten des Glaubens, als auch kirchliche Eingriffe in die Politik ablehnte,25 stand die Bildung der konfessionellen Territorialstaaten diesem Gedanken in der Praxis entgegen: Der landesherrliche Summepiskopat, in welchem die evangelischen Fürsten als »Notbischöfe« faktisch an die Spitze der jeweiligen Landeskirchen traten, bedeutete unweigerlich eine enge Verschränkung von staatlicher und kirchlicher Macht, eine Beziehung, die letztlich bis zum politischen Umbruch von 1918/19 stabil blieb.26 Die daraus resultierende Bindung zwischen evangelischen Kirchen und Staat wurde durch die Besetzung dieser politisch-religiösen Integrationsfigur durch den preußischen König, bzw. nach 1871 den deutschen Kaiser, noch gestärkt, was zu einer weiteren Annäherung des Protestantismus an den Staat und mit 22 Scheliha, A. v.: Protestantische Ethik, 126. 23 Ebd., S. 124. 24 Vgl. Friedrich, Martin: Reichsverfassung und evangelische Kirche. In: Dirk Bockermann et al. (Hg.): Freiheit gestalten. Zum Demokratieverständnis des deutschen Protestan­ tismus. Kommentierte Quellentexte 1789–1989. Göttingen 1996, 78–86, hier 79, siehe auch ebd., 80–84; Scheliha, A. v.: Protestantische Ethik, 131. 25 Zur Zweireichelehre siehe Anselm, Reiner / Härle, Wilfried / Kroeger, Matthias: Zwei­ reichelehre. In: Balz, Horst et al. (Hg.): Theologische Realenzyklopädie. Band 36: Wiedergeburt – Zypern. Berlin / New York 2004, 776–793, hier insbesondere 778 f. 26 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 56f; Graf, Friedrich Wilhelm: Der Protestantismus. Geschichte und Gegenwart, München 2006, 37.

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hin einer »Nationalisierung« der Religion führte.27 In diesem Zusammenhang befindet Hans Maier, der deutsche Territorialstaat des 19. Jahrhunderts sei »in vielem von der evangelischen Kirche mitgetragen, ja mitgeschaffen worden; seine sittlich-religiöse Eigenart […] stammt in vielen Zügen aus dieser Formung durch das Erbe der Reformation«.28 Alle diese Beobachtungen verweisen auf die Entstehung einer ausgeprägten deutsch-protestantischen Identität. Mit ihr ging eine starke Ausrichtung weiter Teile der evangelischen Kirche auf die kaiser­liche Obrigkeit und eine entsprechende Skepsis gegenüber demokratischen Ideen einher: Die Mehrzahl der protestantischen Pfarrer im zweiten deutschen Kaiserreich zeichnete sich, so Michael Klein, durch »eine politisch-romantische Haltung und eine mit ihr gekoppelte Anti-Parteien-Mentalität« aus, die noch lange nach 1918 fortbestehen sollten.29 Der Zusammenbruch des Kaiserreichs im Jahr 1918 war folglich in mehrfacher Hinsicht belastend für den Protestantismus: Zum einen hatte er mit der Abdankung des Kaisers den Verlust seines formalen Oberhauptes zu beklagen, zum anderen bestand die akute Notwendigkeit einer Neuverhandlung seines Verhältnisses zur Gesellschaft und der in ihr relevanten Kräfte.30 Die evangelische Kirche war jedoch zu stark im überkommenen Bündnis von Thron und Altar verwurzelt, um der parlamentarischen Demokratie aufgeschlossen zu begegnen, und es gelang ihr in der Weimarer Republik nur bedingt, eine neue »Balance religiöser Freiheit und staatlicher Ordnungsmacht« zu finden.31 Entsprechend der Distanz der Kirche zur neuen Staatsordnung blieb auch eine positive theologische Bewertung der Demokratie eine seltene Ausnahme.32 Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in der weltanschaulich neutralen Ausrichtung der liberaldemokratischen Weimarer Verfassungsordnung, die schon allein symbolisch einen klaren Bruch mit dem Herrschaftssystem des Kaiserreichs bedeutete. Dabei wurde die Trennung von Staat und Kirche in der Verfassung des Deutschen Reichs von 1919 (WRV) mitnichten scharf vollzogen: Im für das Religionsverfassungsrecht zentralen Art. 137 WRV wurde zwar der Einrichtung einer Staatskirche eine Absage erteilt (Abs. 1), zugleich aber aufgrund der anerkannten sozialen Bedeutung der Kirchen deren öffentlich-rechtliche Stellung abgesichert (Abs. 5). Auch wurde unter anderem das Recht auf Bekenntnis 27 Sauer, Thomas: Die Geschichte der evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik  – Schwerpunkte und Perspektiven der Forschung. In: Lepp, Claudia / Nowak, Kurt (Hg.): Evangelische Kirche im geteilten Deutschland (1945–1989/90). Göttingen 2001, 295–309, hier 296; vgl. auch Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 57. 28 Maier, H.: Staat und Kirche, 19 f. 29 Klein, M.: Die Rolle der Evangelischen Kirche, 84. 30 Klein, Michael: Westdeutscher Protestantismus und politische Parteien. Anti-Parteien-Mentalität und parteipolitisches Engagement von 1945 bis 1963. Tübingen 2005, 64. 31 Korioth, S.: Die Entwicklung der Rechtsformen, 126. 32 Vgl. Klein, M.: Die Rolle der Evangelischen Kirche, 71, 86; Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 372.

62  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  schulen und kirchliche Privatschulen sowie theologische Universitätsfakultäten verankert (Art. 146 II & Art. 149 WRV).33 Die Weimarer Verfassung beschrieb damit anstelle einer strikten Trennung vielmehr ein »Distanz-Nähe-Verhältnis von Staat und Religionsgesellschaften«.34 Dennoch vermochten weite Teile des Protestantismus sich bestenfalls mit einem »Vernunftrepublikanismus« zu arrangieren, wie es der Abgeordnete der Deutschen Volkspartei (DVP) Wilhelm Kahl ausdrückte.35 Während die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), als die 1919 stärkste parlamentarische und republiktragende Kraft, sowohl mit dem in der Deutschen Zentrumspartei (Zentrum) organisierten politischen Katholizismus als auch den in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zusammengeschlossenen liberalen Protestanten zusammenarbeiten konnte, war die anfängliche Kooperation konservativ-protestantischer Kreise nicht von Dauer: In seiner Mehrheit trauerte der deutsche Protestantismus der Monarchie nach und verweigerte der parlamentarischen Demokratie die Gefolgschaft.36 Dies drückte sich konkret dahingehend aus, dass im konservativen protestantischen Milieu häufig eine Affinität zu nationalkonservativen Parteien, wie der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) oder der DVP, bestand. Eine Lockerung dieser Bindung gegen Ende der 1920er Jahre bedeutete indes keinen Anschluss an liberaldemokratische Kräfte, sondern war Ausdruck einer sich verschärfenden Anti-Parteien-Mentalität, die sich zu einer weit verbreiteten Systemverachtung steigerte. So schrieb beispielsweise im Jahr 1933 Hans Asmussen (1898–1968), später Mitautor der »Barmer Theologischen Erklärung« und Leiter der Kirchenkanzlei der EKD, politische Parteien seien »staatsauflösend und schöpfungswidrig, ohne Lebensgebundenheit, wesentlich revoltierend, autoritätsauflösend«.37 Obgleich im Gegensatz insbesondere zum lutherischen Protestantismus für den deutschen Katholizismus die Neuverordnung der Kirche in der Gesellschaft nach 1918/19 psychologisch deutlich weniger belastend ausfiel, da der Bruch mit der althergebrachten Einbettung für die Katholiken bereits mit dem Verlust der Reichskirche erfolgt war, erwies sich der Übergang zur Demokratie aus theologischer Sicht aufgrund der traditionellen Anlehnung an die Monarchie dennoch als nicht eben unproblematisch.38 Zwar vermochte die politische Teilhabe der Zentrumspartei das Misstrauen gegen die parlamentarische Demokratie sowie 33 Vgl. auch Mikat, Paul: Das kirchenpolitische System. In: Quaritsch, H. / Weber, H. (Hg.): Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, 199–220, hier 201 f. 34 Mehrle, G.: Trennung vom Staat, 35. 35 Zit. nach Klein, M.: Die Rolle der Evangelischen Kirche, 86. 36 So Scheliha, A. v.: Protestantische Ethik, 152. 37 Zit. nach Klein, M.: Westdeutscher Protestantismus, 69, vgl. auch 66. 38 Vgl. Doering-Manteuffel, Anselm: Suchbewegungen in der Moderne. Religion im politischen Feld der Weimarer Republik. In: Graf, Friedrich Wilhelm / Große Kracht, Klaus (Hg.): Religion und Gesellschaft, 175–202, hier 179f; Maier, H.: Staat und Kirche, 19 f.

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den modernen Staat an sich in Teilen des Katholizismus durchaus abzumildern, die päpstliche Lehre erschwerte jedoch eine theologisch-naturrechtliche Rückkopplung der demokratischen Ordnung und damit letztlich auch die Arbeit republikfreundlicher katholischer Kreise.39 Was die Haltung zu den verschiedenen Staatsformen anbelangt, so galt formal die Indifferenzthese Leos XIII. fort, an welche etwa der Theologe Joseph Mausbach anknüpfte, wenn er konstatierte, das Christentum habe keine Staatsform »absolut gebilligt oder bevorzugt«.40 Zugleich galt gemäß der neuscholastischen Lehre aber auch, dass die Regierungsgewalt stets von Gott ausgehe – was in den 1920er Jahren unter deutschen Katholiken zu einer hitzigen Kontroverse darüber führte, ob das in der Weimarer Reichsverfassung verankerte Prinzip der Volkssouveränität mit der katholischen Staatslehre zu vereinbaren sei, oder ob Leo XIII. diese Idee grundsätzlich und kategorisch abgelehnt habe.41 Daraus wird ersichtlich, dass die Position des Hl. Stuhls im deutschen Katholizismus genau registriert und ernst genommen wurde und theologische Vorbehalte gegen die liberaldemokratische Ordnung daher durchaus gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten konnten. Aus Sicht der katholischen Kirche verstieß vor allem der in der Verfassung angelegte Gedanke der Trennung von Staat und Kirche – obgleich dieser, wie oben gezeigt, überhaupt nicht in Reinform ausformuliert war – »gegen die göttliche Anordnung des positiven Zusammenwirkens der beiden Gewalten«, wie sie im naturrechtlichen Koordinationsmodell abgebildet war.42 Konkret monierte der deutsche Episkopat an der Reichsverfassung unter anderem das Fehlen der nominatio Dei, den Wegfall der verpflichtenden religiösen Eidformel sowie den Umstand, dass die »Schranken des für alle geltenden Gesetzes« (Art. 137 III WRV) auch für die Kirchen Anwendung fanden. Während die Bischöfe aufgrund dessen zum einen Rechtsverwahrung gegen die beanstandeten Verfassungsbestimmungen einlegten, attackierten sie diese zum anderen auch ganz offen in scharfer Weise.43 So bezeichnete der Erzbischof von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber (1869–1952), auf dem Deutschen Katholikentag 1922 in München die Weimarer Reichsverfassung als aus der Revolution hervorgegangenen »Meineid« und »Hochverrat« sowie als den göttlichen Geboten widersprechend.44 Dass diese Meinung nicht von allen Katholiken geteilt wurde, zeigt beispielhaft der Widerspruch des damaligen Katholikentagspräsidenten

39 Stolleis, M.: Konfessionalität versus Säkularität, 301; Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 299. 40 Zit. nach ebd., 314; vgl. auch ebd., 306f, 313 f. 41 Vgl. Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 173. 42 Mikat, P.: Das kirchenpolitische System, 200. 43 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 93. Zur Rechtsverwahrung siehe das Schreiben des Episkopats an die Reichsregierung vom 18.11.1919. In: Volk, Ludwig (Bearb.): Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917–1945. Band 1: 1917–1934. Mainz 1975, 111f, Fn. 1. 44 Zit. nach Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 312, Fn. 249.

64  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  und späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer (1876–1967), der die Verletzung christlicher Grundsätze in der Verfassung verneinte und die Katholiken zur konstruktiven Mitarbeit am Staatsaufbau aufrief.45 Eine solche politische Beteiligung erfolgte, wie bereits erwähnt, nicht zuletzt im Rahmen der Zentrumspartei. Da diese sich größtenteils eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber der Kirche bewahrte, konnte sie ungeachtet einer eher demokratieskeptischen katholischen Theologie zumindest eine Zeit lang zu einer republiktragenden Kraft avancieren, die auch liberaldemokratische Kernanliegen explizit mittrug, wie etwa die Verankerung der Religionsfreiheit in der Reichsverfassung.46 Inwiefern das Zentrum dabei eine originär katholische Politik betrieb, sei allerdings dahingestellt.47 Die Rolle dieser Partei in verschiedenen Weimarer Regierungen ist jedenfalls keineswegs Beweis genug für eine etwaige feste demokratische Verwurzelung des deutschen Katholizismus. Denn zum einen stand in diesem »[d]em die Republik und den Parlamentarismus akzeptierenden Flügel […] eine autoritäre, im Kern antidemokratische Reichsideologie entgegen, die sich auch mit außerkirchlichen antidemokratischen Kräften verband«.48 Zum anderen war das spätestens seit 1928 unter der Führung von Klerusvertretern stehende Zentrum im entscheidenden Moment nicht bereit, die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung zu verteidigen: Unverbindliche Zusagen Adolf Hitlers bezüglich einer Absicherung der rechtlichen Stellung der katholischen Kirche reichten dem Zentrum aus, der Selbstentmündigung der parlamentarischen Demokratie im sogenannten »Ermächtigungsgesetz« vom März 1933 zuzustimmen.49 Letztlich hatten die katholische Kirche und zahl­ reiche Katholiken die demokratische Ordnung Weimars aus einer pragmatischen Perspektive heraus anerkannt, ohne dabei ihre innere Distanz zu diesem System gänzlich zu überwinden;50 für geringfügige Zugeständnisse waren sie bereit, diese Ordnung wieder preiszugeben. Im Vergleich der beiden großen christlichen Konfessionen mussten sich die Protestanten zweifelsohne als Verlierer der Revolution von 1918 fühlen, gingen sie doch ihrer kulturellen und politischen Dominanz verlustig. Demgegenüber profitierte der Katholizismus, nicht zuletzt auch durch die freiheitlichen Be 45 Vgl. ebd., 312. 46 Vgl. Liedhegener, A.: Tolerierung – Akzeptanz – Unterstützung, 121. 47 Siehe dazu Maier, H.: Katholizismus, nationale Bewegung und Demokratie, 62. 48 Stolleis, M.: Konfessionalität versus Säkularität, 301. 49 Siehe Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Der deutsche Katholizismus im Jahr 1933. Eine kritische Betrachtung. In: Hochland, Jg. 53 (1960/61), 215–239, hier 217 f. 50 Vgl. Raabe, Felix: Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken 1952–1964. Katholische Laienarbeit in Kirche und Gesellschaft. In: Sauer, Thomas (Hg.): Katholiken und Protestanten in den Aufbaujahren der Bundesrepublik. Stuttgart 2000, 65–88, hier 81; Becker, W.: Grundzüge, 455; Maier, H.: Katholizismus, nationale Bewegung und Demokratie, 65; Böckenförde, E.-W.: Der deutsche Katholizismus, 232 f.

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stimmungen der Weimarer Reichsverfassung. Obgleich folglich die Abneigung gegen die neue Staatsordnung im Protestantismus stärker gewesen sein mag und insbesondere nationalprotestantische Kreise am Ende der Republik mit dem aufstrebenden Nationalsozialismus sympathisiert haben mögen, fanden Kirchenleute, Theologen und Intellektuelle beider Konfessionen in weiten Teilen nicht zum repräsentativdemokratischen System Weimars. Ein verbreitetes Bedürfnis nach einem starken Staat sowie nach einer Wiederverchristlichung der Gesellschaft machte Katholiken wie Protestanten anfällig für antidemokratische und antiliberale Ideen.51 Nach der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur im Jahr 1933 war das Verhältnis der Kirchen zum neuen Regime ambivalent, Widerstand von Priestern und Laien ging einher mit weitgehender Anpassung bis hin zu offener Kooperation und Bejahung. Rückblickend werden die Protestanten und die evangelische Kirche dabei oft als stärker zum Nationalsozialismus neigend wahrgenommen als die Katholiken. Zum einen liegt das an der Tatsache, dass die Gleichschaltungsstrategien des Regimes die traditionell staatsnahen evangelischen Kirchen deutlich leichter unterwandern konnten als die in einem geschlosseneren Milieu verankerte und in ihrer Hierarchie auf Rom bezogene katholische Kirche; zum anderen wird aber auch die starke nationalprotestantische Tradition in die Verantwortung genommen, auf deren Boden sich eine antiliberale, in zunehmenden Maße völkisch konnotierte Theologie entwickelte, die sich als anschlussfähig an nationalsozialistisches Gedankengut erwies.52 Die nationalsozialistische Unterwanderung der evangelischen Kirchenstrukturen war jedenfalls nicht allein Folge der staatlichen Kirchenpolitik. Bereits vor 1933 hatten die Deutschen Christen, die einen »neuartigen völkischen Protestantismus« vertraten, der mit einem »arisch« gedeuteten Christus, einer messianischen Verklärung Hitlers und der Unterstellung eines Sendungsauftrags der deutschen Rasse einherging, nicht unerheblichen Einfluss in der Kirche.53 Eine solche Strömung musste die Versuche einer Gleichschaltung der Kirche durch das »Gesetz über die Verfassung der evangelischen Kirche« vom 14. Juli 1933 und andere Maßnahmen, mittels derer faktisch »eine Art neuen Staatskirchentums« geschaffen wurde, begrüßen.54 Den systemkonformen Deutschen Christen stand jedoch neben mehr oder weniger kompromissorientierten Kreisen mit der Be 51 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 59; Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 374; Maier, H.: Staat und Kirche, 18 f. 52 So Vollnhals, Clemens: Die Hypothek des Nationalprotestantismus. Entnazifizierung und Strafverfolgung von NS -Verbrechen nach 1945. In: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 18, Nr. 1 (1992), 51–69, hier 52 f. 53 Gailus, Manfred: »Ein Volk – ein Reich – ein Glaube«? Religiöse Pluralisierungen in der NS -Weltanschauungsdiktatur. In: Graf, F. W. / Große Kracht, K. (Hg.): Religion und Gesellschaft, 247–268, hier 251; vgl. auch Scheliha, A. v.: Protestantische Ethik, 175. 54 Mikat, P.: Das kirchenpolitische System, 208.

66  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  kennenden Kirche auch ein nonkonformer evangelischer Flügel gegenüber.55 Dessen Widerstand, wie die Ablehnung des staatlichen Totalitätsanspruchs in der »Barmer Theologischen Erklärung« von 1934, war allerdings primär kirchenpolitisch motiviert und bedeutete nicht automatisch ein Eintreten für eine freiheitlich-demokratische Ordnung.56 Wie Johanna Vogel bilanziert, ist es [z]u einer erklärten Konfrontation der Kirche mit der Ideologie des Nationalsozialismus […], wenn man von den mutigen Alleingängen vieler einzelner Pfarrer absieht, tatsächlich nie gekommen. Als oppositioneller Faktor gegen den Nationalsozialismus fiel die Bekennende Kirche kaum ins Gewicht.57

Nationalkonservativ-lutherische Kreise distanzierten sich demgegenüber sogar noch von der »Barmer Theologischen Erklärung« und bekundeten im »Ansbacher Ratschlag« von 1934 ihre Loyalität gegenüber dem NS -Staat.58 Den deutschen Katholizismus im Gegenzug dazu undifferenziert als Hort des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus anzusehen, wie es nach 1945 oft geschah, wäre allerdings verfehlt. Denn obgleich Teile von Episkopat und Priesterschaft gegenüber ihren Gemeinden den Widerspruch zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und der katholischen Lehre betonten, wurden daraus im Allgemeinen keine politischen Konsequenzen gezogen und dem Regime wurde seitens der Kirche nicht in Abrede gestellt, die legitime politische Obrigkeit zu verkörpern.59 Durch übereilte Loyalitätsgesten der Bischöfe und von Teilen des katholischen Verbandswesens wurde der NS -Staat vielmehr noch legitimiert, sei es willentlich oder nicht. So mahnte der Episkopat die Gläubigen nur wenige Tage nach der Zustimmung des Zentrums zum »Ermächtigungsgesetz« zur Treue gegenüber der Regierung und hob das zuvor geltende Verbot einer Mitarbeit von Katholiken in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter­partei (NSDAP) auf.60 Insbesondere der schnelle Abschluss des jahrelang 55 Klein, M.: Die Rolle der Evangelischen Kirche, 87, vgl. 86 f. Hierbei ist zu bemerken, dass die Bekennende Kirche in sich wiederum heterogen war: Während insbesondere die lutherischen Landeskirchen gegenüber dem Staat kompromissbereiter waren, forderten die barthianisch geprägten Bruderräte deutlicher die kirchliche Unabhängigkeit vom Staat. 56 Heinig, H. M.: Protestantismus und Demokratie, 234; Smend, Rudolf: Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz [1951]. In: Quaritsch, H. / Weber, H. (Hg.): Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, 34–43, hier 37. 57 Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 35. 58 Vgl. Scheliha, A. v.: Protestantische Ethik, 167 f. 59 Vgl. Lönne, Karl-Egon: Katholizismus 1945. Zwischen gequälter Selbstbehauptung gegenüber dem Nationalsozialismus und Öffnung zur pluralistischen Gesellschaft. In: Volkmann, Hans-Erich (Hg.): Ende des Dritten Reiches  – Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine per­spektivische Rückschau. München 1995, 745–769, hier 746. Mit Blick auf Kapitel V dieser Arbeit erklärt dies auch die Mitarbeit der Kirche an der Wehrmachtsseelsorge. Siehe dazu auch Röw, Martin: Militärseelsorge unter dem Hakenkreuz. Die katholische Feldpastoral 1939–1945. Paderborn 2014. 60 Vgl. Böckenförde, E.-W.: Der deutsche Katholizismus, 220.

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verhandelten »Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich« (Reichskonkordat, RK) durch das neue Regime am 20. Juli 1933 brachte Hitler einen Vertrauensvorschuss in katholischen Kreisen ein, da man dort nun zentrale Anliegen abgesichert glaubte, wie etwa den Bestand der Bekenntnisschule. Dementsprechend konnte die Unterzeichnung des Reichskonkordats von vielen Gläubigen als weiteres Zeichen des kirchlichen Einverständnisses mit den neuen Machtverhältnissen aufgefasst werden.61 Ebenfalls der vordergründigen konkordatären Einigung war es wohl geschuldet, dass auch aus Rom zunächst kaum kritische Töne gegen das NS -­Regime erklangen. Die von Pius XI. in seiner besonders an die deutschen Bischöfe gerichteten Enzyklika »Mit brennender Sorge« (1937) bekundete Ablehnung staatlicher Allmachtsansprüche dürfte daher nicht zuletzt durch die sukzessive Unterwanderung der Konkordatsbestimmungen seitens der deutschen Regierung provoziert gewesen sein.62 Mit deutlichen Worten verurteilte der Papst die nationalsozialistische Religionspolitik  – er sprach von einem »Vernichtungskampf« und einer »grundsätzlichen Feindschaft gegen Christus und seine Kirche« – und widersetzte sich dem »Lockbild einer deutschen Nationalkirche«.63 Demokratietheoretisch interessant wird das Schreiben, wenn der Papst erklärt, dass der nationalsozialistische Rechtsgrundsatz »Recht ist, was dem Volke nützt« verkenne, »dass der Mensch als Persönlichkeit gottgegebene Rechte besitzt, die jedem auf ihre Leugnung, Aufhebung oder Brachlegung abzielenden Eingriff vonseiten der Gemeinschaft entzogen bleiben müssen«.64 Explizit nennt Pius an dieser Stelle jedoch lediglich das Elternrecht auf religiöse Kindeserziehung sowie die freie Religionsausübung.65 Wenngleich er in der gegen den sowjetischen Kommunismus gerichteten Enzyklika »Divini redemptoris« aus demselben Jahr noch weitere gottgegebene Rechte des Menschen nannte, fand Pius XI. letztlich noch keinen Zugang zur liberaldemokratischen Gesellschaftsordnung.66 Viel-

61 Vgl. Damberg, Wilhelm: Die Säkularisierung des Schulwesens am Beispiel der Bekenntnisschule in Westfalen 1906–1968. In: Frese, Matthias / Prinz, Michael (Hg.): Politische Zäsuren und gesellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert. Regionale und vergleichende Perspektiven. Paderborn 1996, 631–647, hier 635; Lönne, K.-E.: Katholizismus 1945, 748f; Böckenförde, E.-W.: Der deutsche Katholizismus, 232 f. Zu den Hintergründen des Vertragsabschlusses siehe u. a. Brechenmacher, Thomas (Hg.): Das Reichskonkordat 1933. Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente. Paderborn u. a. 2007; Volk, Ludwig: Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933. Mainz 1972. 62 Zur Enzyklika vgl. auch Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 188, 193. 63 Pius XI.: Mit brennender Sorge. In: AAS 29 (1937), 145–167, hier 146 sowie 156. 64 Ebd., 159. 65 Ebd., 160. 66 Vgl. Lindgens, Godehard: Einführung. In: Freiheit, Demokratie und pluralistische Gesellschaft, 17–74, hier 34–37; Uertz, R.: Politische Ethik, 33.

68  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  mehr lehnte er die liberale »Lehre des ›Individualismus‹« ab, da sie »die Gemeinschaft den maßlosen Interessen der einzelnen unterordnet«.67 Ähnlich wie im Falle der Bekennenden Kirche blieb die katholische Kritik am Nationalsozialismus somit meist kirchenpolitisch ausgerichtet. Abgesehen davon erfuhr er katholischerseits durchaus auch inhaltliche Zustimmung, wobei eine etwaige Attraktivität insbesondere von seiner Frontstellung gegen Kommunismus und Liberalismus ausging.68 Sowohl auf katholischer wie auch auf protestantischer Seite hatte man sich zu Beginn der NS -Zeit wohl häufig einen »konservativ-autoritäre[n], antiwestliche[n] ›christliche[n] Staat‹« erhofft – oder in Teilen des Protestantismus einen »christlichen Nationalsozialismus«; dies alles erwies sich freilich als Trugschluss, als den Kirchen in der totalitären Ideologie vielmehr ein weltanschaulicher Konkurrent erwuchs.69 Festzustellen bleibt jedenfalls, dass bei aller vorhandenen Kritik und Unzufriedenheit mit der (kirchen)politischen Entwicklung nach 1933 die Kirchen teilweise mit dem Regime kooperierten, sich teilweise bedeckt hielten, offener Widerspruch gegen den Nationalsozialismus jedoch meist Sache einzelner Laien, Priester oder selten auch Bischöfe blieb. Wie dieser historische Überblick zeigt, war die später oft als selbstverständlich gesehene gute Beziehung der katholischen und evangelischen Kirchen zur Demokratie in Deutschland in der Realität lange Zeit alles andere als harmonisch. Ganz im Gegenteil, die Kirchen erwiesen sich nicht selten als äußerst skeptisch gegenüber politischer Liberalisierung und trugen entweder direkt oder indirekt zur Legitimierung undemokratischer und illiberaler Staats- und Gesellschaftsformen bei. Zwischen den hier aufgezeigten Verhältnissen und einer Situation, in der die katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen in Deutschland als bestens in die demokratische Zivilgesellschaft integrierte Akteure gelten können, lag folglich ein mühsamer und nicht immer reibungsarmer Prozess der Aushandlung, Eingewöhnung und politischen Integration.

2. Religionspolitische Neuordnung in Westdeutschland nach 1945 Die zweite deutsche Demokratie ist nicht allein das Werk der Deutschen: Erst die umfassende militärische Niederlage des nationalsozialistischen Regimes bereitete den Boden, auf dem im westlichen Teil Deutschlands unter Ägide der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsmächte eine freiheit 67 Pius XI.: Divini Redemptoris (1937). In: AAS 29 (1937), 65–106, hier 79; deutsche Übersetzung nach Freiheit, Demokratie und pluralistische Gesellschaft, 116. 68 Lönne, K.-E.: Katholizismus 1945, 749. 69 Gailus, M.: Ein Volk, 268.

Religionspolitische Neuordnung in Westdeutschland nach 1945  69

lich-demokratische Verfassungsordnung aufgebaut werden konnte. Somit stand »ein abrupter, ja schockartiger Demokratisierungsimpuls von außen […] am Anfang der politischen Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland«.70 Dieser rückblickend zu verbuchende Erfolg konnte indes nur erzielt werden, weil die Demokratisierung der politischen Institutionen, anders als unter der Weimarer Verfassung, auf eine korrespondierende Demokratisierung der politischen Mentalitäten traf. Letztere setzte einen gesellschaftlichen Lernprozess voraus, der auch die Kirchen einschloss. a)

Die Lage der Kirchen in der Nachkriegszeit

Durch die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik war die innere Struktur zahlreicher evangelischer Landeskirchen schwer beschädigt worden. Sogenannte »intakte« Landeskirchen bestanden bei Kriegsende lediglich in Hannover, B ­ ayern und Württemberg, da es den »Deutschen Christen« in diesen Kirchen nicht gelungen war, die leitenden Gremien zu übernehmen.71 Kirchliche Vereine waren unter dem Nationalsozialismus unterdrückt und aufgelöst worden und die Dachorganisation der Protestanten, die Deutsche Evangelische Kirche (DEK), war durch ihre Funktion als Instrument nationalsozialistischer Kontrolle diskreditiert und folglich kirchenpolitisch unbrauchbar.72 Obgleich die 28 deutschen evangelischen Landeskirchen im August 1945 auf der Kirchenkonferenz in Treysa den Aufbau einer neuen übergeordneten Organisation beschlossen, sollte es noch bis in den Juli 1948 dauern, ehe diese als Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihre endgültige Grundordnung erhielt.73 Ursächlich für die lange Verzögerung waren nicht nur die theologischen Unterschiede zwischen lutherischen, unierten und reformierten Landeskirchen, sondern auch kirchenpolitische Differenzen. Insbesondere die Spannungen zwischen Lutheranern und bruderrätlichem Flügel der Bekennenden Kirche sollten auch in den folgenden Jahren die kirchen- und gesellschaftspolitischen Konfliktlinien innerhalb der EKD markieren.74 70 Liedhegener, A.: Der deutsche Katholizismus, 48. 71 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 38; Greschat, Martin: Vorgeschichte. In: Lepp, Claudia; Nowak, Kurt (Hg.): Evangelische Kirche im geteilten Deutschland, 11–45, hier 17. 72 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 53f; s. a. Becker, W.: Grundzüge, 454 f. 73 Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 13. Juli 1948 (GO -EKD), ABl. EKD 12/1948 (15.12.1948), 233–238. 74 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 53f, 63; Kahle, Johannes: Evangelische Kirche und Demokratie. Der Einordnungsprozeß der Dt. Evang. Kirche in das demokratische Funktionensystem der Nachkriegsära in den Westzonen. Pfaffenweiler 1988, 62–72; Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 43–47. Die »Bruderräte« stellten die Leitungsorgane der Bekennenden Kirche in Abgrenzung zum Führerprinzip der Deutschen Christen dar. Der Versuch der Dahlemer Synode vom Oktober 1934, einen Bruderrat als Leitungsgremium der DEK einzusetzen, scheiterte jedoch am Widerstand der »intakten« Landeskirchen. Der »Reichs-

70  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Eine zentrale, theologisch begründete Kontroverse zwischen lutherischen und bruderrätlichen Standpunkten betraf das Verhältnis von Kirche und Staat: Die bruderrätlichen Kreise der Bekennenden Kirche forderten unter dem Einfluss des Schweizer reformierten Theologen Karl Barth (1886–1968) angesichts der zweifelhaften evangelischen Haltung im Nationalsozialismus ein aktives »Wächteramt« der Kirche gegen den Staat im Sinne einer kritischen Begleitung öffent­ licher Angelegenheiten. Dies lehnten die Lutheraner in der Regel unter Bezug auf Luthers Zweireichelehre als unzulässige Einmischung in den staatlichen Bereich ab.75 Angesichts der bestehenden theologischen Unterschiede wurde mit der EKD keine Kirche im Sinne des Bekenntnisses gegründet, sondern ein »Bund bekenntnisbestimmter Kirchen« mit dem Ziel, die Gemeinschaft der eigenständigen Gliedkirchen zu stärken und in öffentlichen Belangen ein einheitliches Handeln zu koordinieren.76 Zu diesem Zweck wurden mit der Grundordnung der EKD drei zentrale Organe geschaffen: Die aus 100 von den Gliedkirchen gewählten und 20 vom Rat bestimmten Mitgliedern bestehende Synode als gesetzgebendes Organ, die von den Kirchenleitungen der Gliedkirchen gebildete Kirchenkonferenz als föderales Element sowie der aus zwölf von Synode und Konferenz gewählten Mitgliedern bestehende, bekenntnismäßig und landschaftlich gegliederte Rat der EKD als Leitungsgremium. Als Amtsstellen des Rates wurden zudem die Kirchenkanzlei und das Kirchliche Außenamt eingerichtet.77 Auf katholischer Seite musste demgegenüber keine vergleichbare organisatorische Neuaufstellung vorgenommen werden. Zwar hatte auch der deutsche Katholizismus unter der Herrschaft des NS -Regimes gelitten: Das vormals breit aufgestellte katholische Verbandswesen und die katholische Presse lagen bei Kriegsende in Trümmern, zahlreiche kirchliche und klösterliche Einrichtungen waren enteignet worden. Besonders schmerzlich musste der Kirche zudem die weitgehende Ausschaltung ihres Einflusses auf das Schulwesen erscheinen. Aller­dings war die Kirchenorganisation selbst weitgehend intakt und die Kir-

bruderrat«, seit 1934 das leitende Organ der Bekennenden Kirche, gab diese Funktion 1945 (zunächst vorläufig) an den Rat der EKD ab, existierte aber als »Bruderrat der EKD« weiter mit sporadischen Sitzungen bis 1957. Siehe dazu Hauschild, Wolf Dieter: Bruderrat / Bruderräte. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Vierte, völlig überarbeitete Auflage, hg. v. Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski, Eberhard Jüngel. Band 1: A–B. Tübingen 1998, 1782 f. 75 Vgl. Scheuner, Ulrich: Die Stellung der evangelischen Kirche und ihr Verhältnis zum Staat in der Bundesrepublik 1949–1963. In: Rauscher, Anton (Hg.): Kirche und Staat in der Bundesrepublik. 1949–1963. Paderborn 1979, 121–150, hier 126–129; Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 43, 46. 76 Heckel, Christian: Die Kirchengemeinschaft in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zu den kirchenrechtlichen Grundlagen, Frankfurt a. M. 1995, 177; vgl. Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 158 f. 77 Siehe Art. 22–31 GO -EKD. Vgl. auch Heckel, C.: Die Kirchengemeinschaft, 182 f.

Religionspolitische Neuordnung in Westdeutschland nach 1945  71

chenbindung vieler Katholiken blieb vergleichsweise fest.78 Mit der Fuldaer Bischofskonferenz verfügten die katholischen Bistümer über eine bewährte Institution, die es ihnen ermöglichte, einheitliche Positionen zu gesellschaftlichen Fragen zu erarbeiten und nach außen zu kommunizieren. Als Vorsitzender der Konferenz übernahm der Kölner Erzbischof Josef Frings (1887–1978) nach 1945 faktisch die Funktion des Sprechers der deutschen Katholiken.79 Das zerstörte katholische Verbandswesen wurde nach 1945 rasch wiederaufgebaut, jedoch mit nicht unwesentlichen Änderungen. Zum einen gründete der Episkopat selbst mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken das neue Leitungsgremium des Laienkatholizismus, um so nicht nur ein geschlossenes Auftreten, sondern auch den bischöflichen Einfluss zu garantieren. Zum anderen entschied man sich gegen eine Wiedererrichtung der katholischen Gewerkschaften.80 Auch erfuhr das Zentrum als dezidiert katholische Milieupartei nach 1945 nur noch durch die wenigsten Bischöfe Unterstützung; stattdessen setzte die Kirche im politischen Bereich immer stärker auf die Zusammenarbeit mit der neugegründeten interkonfessionellen Christlich Demokratischen Union (CDU), bzw. ihrer bayerischen Schwesterpartei, der Christlich Sozialen Union (CSU). Im konfessionellen Vergleich konnte die katholische Kirche mit Blick auf die westlichen Besatzungszonen und die spätere BRD konstatieren, dass erstmals seit Gründung des deutschen Nationalstaates ein »numerische[s] und kulturelle[s] Gleichgewicht der Konfessionen« herrschte, der Katholizismus seine benachteiligte Position also verlassen hatte.81 Vor eine große Herausforderung sahen sich beide Kirchen durch die sozialstrukturellen Umbrüche gestellt, die sich als Folge des Krieges ereigneten: Infolge des hohen Zustroms an Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wurden die im Prinzip seit dem Westfälischen Frieden bestehenden Konfessionsgrenzen innerhalb Deutschlands nachhaltig eingerissen.82 Diese Entwicklung stellte eine wichtige Ursache für den Zerfall der traditionellen konfessionellen Milieus und damit verbundene Veränderungen dar, beispielsweise den allmählichen Wandel weg vom bekenntnisgebundenen Schulsystem.83 78 Vgl. Lönne, K.-E.: Katholizismus 1945, 747; Zur hohen Kirchlichkeit der (west)deutschen Katholiken in den 1950er Jahren siehe zudem Gabriel, K.: Katholizismus und katho­ lisches Milieu, 70. 79 Vgl. Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 111. 80 Kösters, Christoph / Liedhegener, Antonius / Tischner Wolfgang: Religion, Politik und Demokratie. Deutscher Katholizismus und Bürgergesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Historisches Jahrbuch, Jg. 127 (2007), 353–392, hier 360–364. 81 Liedhegener, A.: Macht, Moral und Mehrheiten, 58. 82 So wurden etwa in Bayern im Jahr 1939 1353 rein katholische Gemeinden verzeichnet, im Jahr 1953 hingegen lediglich noch 27, siehe Müller, Winfried: Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Besetzungsmacht 1945–1949. München 1995, 68 f. 83 Vgl. Spotts, Frederic: Kirchen und Politik in Deutschland. Mit einem Nachwort zur deutschen Ausgabe von Friedrich Weigend-Abendroth, Stuttgart 1967, 46–48.

72  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  b)

Selbstwahrnehmung und Geschichtsdeutung der Kirchen

Die Beurteilung der Nachkriegssituation durch die Kirchen selbst fiel unterschiedlich aus – ebenso, wie die Einschätzung der eigenen Rolle während der NS -Diktatur. Auf seiner ersten Nachkriegssitzung konstatierte der Reichsbruderrat der Bekennenden Kirche »eine totale metaphysische Katastrophe aller Werte«, woraus Martin Niemöller (1892–1984), eine der führenden Figuren der Bekennenden Kirche und ab 1947 Kirchenpräsident Hessen-Nassaus, folgerte: »Es bleibt uns nichts übrig, als auf dem Boden des Christentums nun neu aufzubauen.«84 Diese Überzeugung spiegelt sich auch in dem auf der Kirchen­ konferenz von Treysa ausgearbeiteten »Wort zur Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben«, wo selbstbewusst festgestellt wird, dass nur da, wo Grundsätze christlicher Lebensordnung sich im öffentlichen Leben auswirken, die politische Gemeinschaft von der Gefahr dämonischer Entartung bewahrt bleibt. Aus dieser Erkenntnis erwächst den evangelischen Kirchen Deutschlands die große und schwere Aufgabe, weit stärker als bisher auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens und insbesondere der politischen Gemeinschaft einzuwirken.85

Wenngleich auf Seiten der Lutheraner dieses Postulat eines kirchlichen Öffentlichkeitsauftrags durchaus umstritten war, befanden auch sie, dass es in Ausnahmesituationen geboten sein konnte, öffentlich Stellung zu bestimmten Problemen zu beziehen.86 Korrespondierend dazu befürworteten viele protestantische Kirchenführer und Theologen angesichts der Erfahrungen mit dem NS -Regime eine größere Unabhängigkeit ihrer Kirche vom Staat.87 Die regelrechte Inanspruchnahme eines politischen Mandats der Kirche durch bruderrätliche Kreise lehnten die Lutheraner indes ab. Um aus dieser Konstellation herrührende innerkirchliche Konflikte möglichst gering zu halten, trug der Großteil der politischen Stellungnahmen der EKD Kompromisscharakter und fiel daher tendenziell eher allgemein und oberflächlich aus.88 Parallel dazu war auch die Anerkennung einer Schuld der Kirche im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Herrschaft hoch umstritten – insbesondere hinsichtlich einer etwaigen Begünstigung autoritärer Mentalitäten durch den Protestantismus. Ein generelles Eingeständnis gesellschaftlicher Mit 84 Beides zit. nach Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 164. 85 Ein Wort zur Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben. In: Söhlmann, Fritz (Hg.): Treysa 1945. Die Konferenz der evangelischen Kirchenführer 27.–31. August 1945. Mit einem Bericht über die Synode der Bekennenden Kirche in Berlin-Spandau 19.–31. Juli 1945 und über die unmittelbar vorangegangenen Tagungen des Reichsbruderrates und des Lutherischen Rates, Lüneburg 1946, 102–104, hier 102. 86 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 71 f. 87 Vgl. Scheuner, U.: Die Stellung der evangelischen Kirche, 130. 88 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 74.

Religionspolitische Neuordnung in Westdeutschland nach 1945  73

verantwortung brachte die als »Stuttgarter Schuldbekenntnis« bekannt gewordene Erklärung des vorläufigen Rates der EKD auf seiner zweiten Sitzung am 18./19. Oktober 1945 in Stuttgart zum Ausdruck: »Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.«89 Dieses Bekenntnis erregte nicht nur das Missfallen nationalprotestantischer Kreise, die ihre Tradition dadurch angegriffen sahen;90 es war auch bestenfalls ein zaghafter Schritt zur Vergangenheitsaufarbeitung. Denn indem die eigene Schuld theologisch erfasst und als Verfehlung gegenüber Gott begriffen wurde, entzog man die Verstrickung von Protestanten im Allgemeinen und Kirchenleuten im Besonderen in den nationalsozialistischen Apparat einer weltlich-juristischen Aufarbeitung. Auf dieser Basis konnten konservative evangelische Kreise in der Folgezeit die alliierten Entnazifizierungsmaßnahmen selbstbewusst ablehnen.91 Anders als in der evangelischen Kirche war es dem NS -Regime in der katho­ lischen Kirche nicht gelungen, Teile der kirchlichen Strukturen gleichzuschalten. Infolgedessen fiel es katholischen Eliten relativ leicht, den Nationalsozialismus »als etwas dem deutschen Katholizismus Fremdes« zu adressieren.92 Zwar erkannte der Episkopat in seinem gemeinsamen Hirtenschreiben vom 23. August 1945 an: Viele Deutsche, auch aus unseren Reihen, haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen, sind bei den Verbrechen gegen menschliche Freiheit und menschliche Würde gleichgültig geblieben; viele leisteten durch ihre Haltung den Verbrechen Vorschub, viele sind selber Verbrecher geworden.93

Konkrete Schuldeingeständnisse blieben jedoch aus und »verschwanden hinter der vordergründigen Beschwörung einer ›dauerhaften geistigen Nichtanpassung‹ als vorherrschender politischer Tugend der Katholiken im ›Dritten Reich‹«.94 So erklärte laut Frederic Spotts etwa Kardinal Frings bei einem Besuch in London im Jahr 1946 gegenüber dem britischen Episkopat: »Wir deutschen Katholiken 89 Erklärung des Rates an die Ökumene. Stuttgart, 18./19. Oktober 1945 (Dok. 2C2). In: Nicolaisen, Carsten / Schulze, Nora (Bearb.): Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 1: 1945/46, Göttingen 1995, 60. 90 Vgl. Vollnhals, C.: Die Hypothek, 51 f. 91 Vgl. Greschat, M.: Vorgeschichte, 27. 92 Spotts, F.: Kirchen und Politik, 79. 93 Die deutschen Bischöfe: Erster gemeinsamer Hirtenbrief nach dem Krieg, Fulda, 23. August 1945 (Dok. 6). In: Löhr, Wolfgang (Bearb.): Hirtenbriefe und Ansprachen zu Gesellschaft und Politik 1945–1949. 2. Aufl., Würzburg 1986, 40–45, hier 41 f. 94 Braun, Oliver: Konservative Existenz in der Moderne. Das politische Weltbild Alois Hundhammers (1900–1974). München 2006, 258.

74  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  waren nicht Nationalsozialisten.«95 Entsprechend verkündete der Jesuitenpater Ivo Zeiger, damals Leiter der vatikanischen Mission in Kronberg, auf dem ersten Nachkriegs-Katholikentag 1948 in Mainz, »weder der Kirche als solcher noch dem einzelnen gläubigen Katholiken ist eine Weltanschauung zerbrochen, die er lieb gehabt, die er begeistert umfasst hätte. Im Gegenteil, der christliche Glaube hat sich als richtig erwiesen und kann sich erneut in Freiheit erweisen.«96 Das Narrativ eines katholischen Widerstands blieb weitgehend unhinterfragt, obgleich es ihn in dieser Form nie gegeben hatte.97 Wilhelm Böhler (1891–1958), Kölner Domkapitular und später Beauftragter der katholischen Bischöfe bei der Bundesregierung, beanspruchte dabei selbstbewusst eine Führungsrolle der Katholiken: »Darin hatte der Nationalsozialismus schon recht gesehen, daß die katholische Kirche Feind Nr. 1 war.«98 Wie auf protestantischer Seite kam man in der katholischen Kirche zu dem Schluss, dass die Ursache des Nationalsozialismus in einer Abkehr vom christlichen Glauben zu sehen sei. Die Forderung nach einer Rechristianisierung der Gesellschaft ergab sich daraus folgerichtig: Beide Kirchen waren überzeugt, dass ein politischer Neubeginn allein auf der Grundlage christlicher Werte stattfinden könne.99 Belastend für die Demokratisierungsbemühungen in Westdeutschland war hierbei, dass der Nationalsozialismus lediglich als radikalste Ausformung einer antichristlichen Weltanschauung verurteilt wurde: Als seine »vermeintliche[n] ideelle[n] Wegbereiter« waren aus Sicht nicht weniger Geistlicher beider Kirchen auch Liberalismus und Sozialismus suspekt.100 Diesen »generalisierende[n] Schuldvorwurf an die Säkularisation« bezeichnet Inacker als »eine der schwerwiegendsten demokratiehemmenden Altlasten der Kirchen«.101

95 Zit. bei Spotts, F.: Kirchen und Politik, 79. 96 Zeiger, Ivo: Die religiös-sittliche Lage und die Aufgabe der deutschen Katholiken. In: Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Hg.): Der Christ in der Not der Zeit. Der 72. Deutsche Katholikentag vom 1. bis 5. September 1948 in Mainz. Paderborn 1949, 24–39, hier 24. 97 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 44. 98 Böhler, Wilhelm Johannes: Katholische Kirche und Staat in Deutschland. In: Politische Bildung, Nr. 44 (1953), 123–146, hier 134. 99 Vgl. etwa Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 45f; Baadte, Günter: Grundfragen der politischen und gesellschaftlichen Neuordnung in den Hirtenbriefen der deutschen Bischöfe 1945–1949. In: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, Jg. 27 (1986), 95–113, hier 97 f. 100 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 43. 101 Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 196.

Religionspolitische Neuordnung in Westdeutschland nach 1945  75

c)

Fremdwahrnehmung und soziale Autorität der Kirchen

Nicht nur im Klerus, auch in der kirchentreuen Bevölkerung und darüber hinaus bestand angesichts des Zusammenbruchs der NS -Herrschaft ein stark ausgeprägtes Bedürfnis, sich auf christliche Werte zurückzubesinnen.102 Von den Kirchen erhoffte man sich, dass sie das nach Diskreditierung der bis dahin alles durchdringenden NS -Ideologie zurückgebliebene Sinnvakuum füllen würden. Das lag nicht zuletzt daran, dass im Deutschland der Nachkriegszeit beide Kirchen gleichermaßen »als geistig-moralische Bastionen im Weltanschauungskampf gegen die NS -Ideologie« angesehen wurden:103 Allen Ambivalenzen in ihrem Verhalten zum Trotz galten sie »als diejenigen Verbände, denen insgesamt keine schuldhafte Verstrickung in die nationalsozialistische Herrschaft vorgeworfen werden« konnte.104 Quer durch die Gesellschaft hindurch wurde den Kirchen eine hohe moralische Autorität zugeschrieben. Dieses Ansehen prädestinierte die Kirchen dafür, eine zentrale öffentliche Rolle in der zerrütteten deutschen Nachkriegsgesellschaft zu übernehmen. Angesichts der nach Kriegsende vielerorts fehlenden Verwaltungsstrukturen boten kirchliche Amtsträger und Institutionen eine naheliegende Alternative zur ohnehin diskreditierten Staatsmacht, so dass sie neben Vertretern von Gewerkschaften und politisch unverdächtigen Parteien oft »eine Art von politisch-mora­lischer Stellvertretung« übernahmen.105 Da die Kirchen bei den westlichen Besatzungsmächten wesentlich mehr Vertrauen genossen als die noch stark mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern durchsetzten deutschen Verwaltungen, welche erst entnazifiziert werden sollten, wurden sie auch von ihnen häufig als Ansprechpartner in lokalen Belangen herangezogen. Aufgrund ihrer Reputation waren kirchliche Stellen zudem vor Neukonstituierung der Landtage »weithin die einzigen im deutschen Volk, die sich – von den Besatzungsmächten weitgehend toleriert – in der Öffentlichkeit ungehindert äußern konnten und dies auch taten«.106 Dies alles eröffnete ihnen die Möglichkeit, sich bei den Militäradministrationen für die Nöte und Anliegen der Bevölkerung zu verwenden und perzipierte Miss-

102 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 41; Maier, Hans: Die Kirchen. In: Löwenthal, Richard / Schwarz, Hans-Peter (Hg.): Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland – eine Bilanz. 3. Aufl., Stuttgart 1979, 494–515, hier 494. 103 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 39, vgl. 47. 104 Korioth, S.: Die Entwicklung der Rechtsformen, 128. Anke Silomon weist darauf hin, dass die EKD dabei pauschal »als Nachfolgerin der Bekennenden Kirche« wahrgenommen wurde, siehe Silomon, Anke: Einleitung. In: Dies. (Bearb.): Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 4: 1950. Göttingen 2007, 7–27, hier 10. 105 Maier, H.: Die Kirchen, 494; vgl. Baadte, G.: Grundfragen, 96. 106 Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 26, vgl. 27.

76  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  stände auch öffentlich anzusprechen; durch dieses Eintreten für humanitäre Belange erlangten die Kirchen zusätzliches Ansehen.107 Aufgrund der Zugehörigkeit der überwiegenden Mehrheit der Deutschen zu einer der beiden großen Kirchen und der geringen politischen Autorität der unter Aufsicht der Alliierten Militärverwaltungen stehenden deutschen Lokalverwaltungen fungierten die Kirchen oftmals faktisch als politische Repräsentanten des gesamten Volkes.108 Ihnen vertraute die Bevölkerung in der Nachkriegszeit gemäß der Einschätzung Spotts’ stärker als sämtlichen anderen noch oder wieder bestehenden Institutionen, so dass sie eine »einzigartige Autoritätsposition« einnahmen.109 In den ersten Jahren nach 1945 stellten die christlichen Kirchen in Westdeutschland somit nicht nur eine überlegene moralische, sondern auch eine die neuentstehenden deutschen Administrationen häufig übertreffende politische Autorität dar. Diese starke Stellung zwang deutsche Verwaltungen wie auch die bald neugegründeten politischen Parteien geradezu, mit den Kirchen zusammenzuarbeiten, so dass bereits vor Konstituierung der Landtage oder der Gründung der Bundesrepublik eine rege staatlich-kirchliche Kooperation herrschte. Der politisch hochaktive Kölner Domkapitular Böhler resümierte hinsichtlich dieser Situation zufrieden, die politischen Kräfte hätten regelrecht darauf gedrängt, »daß die Kirche überall eingeschaltet war«.110 d)

Die Haltung der Kirchen zu Entnazifizierung und Demokratie

Nicht immer waren die Kirchen indes kooperationswillige und bequeme Partner, wie insbesondere die Besatzungsbehörden feststellen mussten: Hinsichtlich der vor allem von amerikanischer Seite forcierten Politik der Entnazifizierung agierten Kirchenvertreter oftmals eher destruktiv. Ursächlich für ihre Opposition in diesem Punkt war die oben bereits dargelegte Vergangenheitsdeutung der Kirchen, wobei »[d]ie Ambivalenz zwischen Schuldeingeständnis und der Hervorhebung des kirchlichen Widerstands, die keine wesentliche Mitverantwortung für die Katastrophe des Nationalsozialismus erkennen ließ, […] der 107 Vgl. Korioth, S.: Gesellschaftstheoretische Modellbildungen, 285; Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 395. 108 Dieses Autoritätsdefizit in den Augen der Bevölkerung beklagte Kardinal Frings anlässlich eines Besuchs beim Militärgouverneur der britischen Zone, Brian Robertson, im Januar 1948. Siehe Protokoll eines Besuchs von Frings bei Robertson [27.1.1948] (Dok. 10). In: Mertens, Annette (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Westliche Besatzungszonen und Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1948/1949. Paderborn, München [u. a.] 2010, S. 90–92; vgl. auch Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 98f; Doering-Manteuffel, Anselm: Kirche und Katholizismus in der Bundesrepublik der Fünfziger Jahre. In: Historisches Jahrbuch, Jg. 102 (1982), 113–134, hier 114. 109 Spotts, F.: Kirchen und Politik, 45, vgl. auch 172. 110 Zit. bei Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 23f, Fn. 109.

Religionspolitische Neuordnung in Westdeutschland nach 1945  77

vorherrschenden Stimmungslage« entsprach.111 Der kirchliche Einspruch richtete sich besonders gegen jegliche Kollektivschuldvorwürfe. Auf katholischer Seite hatte Pius XII. seit Juni 1944 das Prinzip der Kollektivschuld wiederholt abgelehnt und damit den Katholiken Deutschlands »einen bequemen Weg zur Selbstexkulpation« geebnet – was das Ansehen des Papstes und der katholischen Kirche im Kirchenvolk nur noch steigerte.112 Neben derartigen Einwänden gab es aber auch ganz praktische Gründe für die ablehnende Haltung der Kirchen, sollten nach dem Willen der Westalliierten doch zehntausende konservative – und kirchentreue – Beamte, die NSDAP-Mitglieder gewesen waren, mit Personal aus Arbeiterkreisen oder dem liberalen Milieu ersetzt werden, wodurch man besonders in bestimmten Kreisen der EKD die ›bürgerliche‹ Ordnung gefährdet sah. Aus diesen Gründen behinderten kirchliche Stellen die Bemühungen der Besatzungsbehörden teils aktiv. Problematisch war dabei weniger die Kritik am Ausmaß der angestrebten Maßnahmen, sondern vielmehr die undifferenzierte Verweigerung einer politischen Aufarbeitung, die damit häufig einherging. Die Verschleppung einer konsequenten Entnazifizierung mag zwar eine gesellschaftlich stabilisierende Wirkung gehabt haben, indem sie die Integration ehemaliger – formaler oder überzeugter – National­ sozialisten in den neu entstehenden Staat erleichterte; aus demokratietheoretischer Sicht war sie indes nicht unbedenklich.113 Denn die angestrebte »Ehrenrettung des nationalkonservativen […] Deutschland« spiegelte gleichzeitig die äußerst gedämpften Erwartungen wider, die zahlreiche Geistliche beider Konfessionen anfänglich mit dem Aufbau einer liberaldemokratischen Verfassungsordnung verbanden.114 Hierbei spielten die personellen Kontinuitäten in beiden Kirchen sicherlich eine Rolle: Viele Geistliche übertrugen ihre negativen Erinnerungen an die Weimarer Republik, welche ihnen als wenig kirchenfreundlich galt, auf die Demokratie als solche; andere, die Weimar als Wegbereiter des Nationalsozialismus sahen, sorgten sich, was die neue Ordnung an unerfreulichen politischen Tendenzen mit sich bringen würde.115 Besonders in nationalprotestantischen Kreisen überlagerte in der Nachkriegszeit und der frühen Bundesrepublik häufig das Nachtrauern über das Vergangene und Verlorene die Wahrnehmung einer Chance auf eine demokratische Neugestaltung der Gesellschaft – zumal gerade

111 Vollnhals, C.: Die Hypothek, 51. 112 Braun, O.: Konservative Existenz, 258. 113 Vollnhals, C.: Die Hypothek, 54f, 69. 114 Ebd., 59. 115 Vgl. Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 169–171. So meinte etwa Clemens Kardinal von Galen (1878–1946), Erzbischof von Münster, die zweite deutsche Demokratie werde dem Land nun wohl den Kommunismus bringen. (ebd., 171). Siehe hierzu auch Liedhegener, A.: Der deutsche Katholizismus, 52.

78  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  für diese Tradition mit der Teilung Deutschlands in Ost und West die demokratische Frage hinter die nationale zurücktrat.116 Darüber hinaus bestanden weiterhin substantielle inhaltliche Vorbehalte gegenüber den Ideen von Volkssouveränität und liberalen Freiheitsrechten. So war für das nach wie vor von der neuscholastischen Tradition geprägte katho­ lische Kirchenrecht die Volkssouveränitätslehre unvereinbar mit naturrechtlichen Begründungszusammenhängen und sowohl die weltanschauliche Neutra­ lität des Staates als auch die uneingeschränkte Garantie von Religionsfreiheit wurden abgelehnt. Aus dieser Perspektive war es noch nicht möglich, gemäß dem liberaldemokratischen Verständnis die Bürger als mit individuellen Abwehrrechten gegenüber dem Staat ausstaffierte Rechtssubjekte zu verstehen.117 Die Ablehnung der Volkssouveränität beeinflusste zudem Vorstellungen von der Genese legitimen Rechts: Im Jahr 1947 verurteilte beispielsweise der Hildesheimer Bischof Joseph Godehard Machens (1886–1956) Verfassungsordnungen, in denen der Staat selbst zur Quelle des Rechts wird.118 Diese Distanziertheit gegenüber liberaldemokratischen Vorstellungen blieb nicht auf den Klerus beschränkt. Wie Doris von der Brelie-Lewien in ihrer Studie zum katholischen Zeitschriftenwesen Nachkriegsdeutschlands zeigt, begegnete in den ersten Jahren nach 1945 ein Großteil der katholischen Publizisten – und damit wichtige Meinungsmultiplikatoren  – der parlamentarischen Demokratie und der Idee einer pluralistischen Gesellschaft mit Unverständnis und Skepsis.119 Auch zahlreiche evangelische Theologen standen in den ersten Nachkriegsjahren Menschen- und Grundrechten eher skeptisch gegenüber. Der damalige Leiter der Kirchenkanzlei der EKD, Hans Asmussen, befand etwa, die allgemeinen Menschenrechte der Französischen Revolution seien »das unklarste und schwammigste Dogma, das je verkündet worden ist«, um weiter zu behaupten: »Niemand wird den Nationalsozialismus verstehen, der ihn nicht in seinen Wurzeln in dem Dogma von den allgemeinen Menschenrechten herkommend versteht.«120 Ebenso wie auf katholischer Seite brachte man in der evangelischen Theologie außerdem der Idee der Volkssouveränität Vorbehalte entgegen. Der demokratische Staat wurde demnach bisweilen weder als Träger genuiner politischer Autorität wahrgenommen, noch wurde ihm ein »ethischer Mehrwert demokratischer Rechtserzeugung« zugestanden.121 Im Jahr 1945 scheinen jeden-

116 Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 344, vgl. auch 348. 117 Vgl. Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 408–414. 118 Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 228. 119 Vgl. Brelie-Lewien, Doris von der: Katholische Zeitschriften in den Westzonen 1­ 945–1949. Ein Beitrag zur politischen Kultur der Nachkriegszeit, Göttingen 1986, 182–190. 120 Zit. nach Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 198; vgl. auch Vögele, W.: Mäßigung der Macht, 133. 121 Heinig, H. M.: Protestantismus und Demokratie, 236.

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falls kaum irgendwo in der evangelischen Kirche an die Wiederbegründung der Demokratie in Deutschland positive Erwartungen geknüpft worden zu sein.122 Gleichzeitig waren ein schwieriges Verhältnis zur liberalen Demokratie und fragwürdige Vergangenheitsdeutungen mitnichten ein Monopol der Kirchen: Von den amerikanischen Besatzungsbehörden durchgeführte Meinungsumfra­ gen ergaben, dass noch im Jahr 1949 etwa 55 Prozent der Deutschen »den Nationalsozialismus für eine gute Idee [hielten], die schlecht ausgeführt worden sei«.123 Vor diesem Hintergrund verwundert es denn auch wenig, wenn Martin Niemöller im Juni 1945 die Überzeugung äußerte, die Deutschen seien letztlich für eine Demokratie nicht geeignet.124 Es gab jedoch durchaus auch andere, prodemokratische Signale aus den Spitzen der Kirchen. Trotz seiner skeptischen Äußerungen zur Demokratietaug­ lichkeit der Deutschen proklamierte Niemöller im August 1945 auf der Kirchen­ konferenz in Treysa eine innere Verbundenheit zwischen Christentum und freiheitlicher Demokratie. Wörtlich sagte er: »Die Demokratie, wie sie in der abendländischen Welt seit dem Eintritt des Christentums in die Geschichte gewachsen ist, hat nun einmal mehr mit dem Christentum zu tun als irgendeine autoritäre Form der Staatsführung, die das Recht und die Freiheit für den einzelnen verneint.«125 Obgleich der hier suggerierte Kausalzusammenhang von Christentum und Demokratie historisch nicht plausibel ist, spricht diese Aussage doch für eine neue Aufgeschlossenheit des Denkens. In dieselbe Richtung geht die von Otto Dibelius (1880–1967), Generalsuperintendent Berlins und Brandenburgs und 1945–1949 Ratsvorsitzender der EKD, in einem 1946 gehaltenen Vortrag geäußerte Erkenntnis, dass gesellschaftliche Freiheit eine Voraussetzung für ein Leben nach christlichen Regeln sei. Folglich erachtete Dibelius Indifferenz bezüglich der verschiedenen Regierungsformen nicht länger als möglich: »Um des Evangeliums willen brauchen wir eine demokratische Staatsform!«126 ­Theophil Wurm (1868–1953), württembergischer Landesbischof und erster Ratsvorsitzender der EKD, betonte zudem bei verschiedenen Gelegenheiten, die

122 Vgl. dazu auch Klein, M.: Die Rolle der Evangelischen Kirche, 88. 123 Liedhegener, Antonius: Demokratie  – Pluralismus  – Zivilgesellschaft. Gesellschaftspolitischer Wandel und deutscher Katholizismus in den 1960er Jahren. In: Damberg, Wilhelm / Hummel, Karl-Joseph (Hg.): Katholizismus in Deutschland. Zeitgeschichte und Gegenwart. Paderborn 2015, 50–66, hier 52, Fn. 7. 124 Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 172. 125 Niemöllers Ansprache ist abgedruckt in: Söhlmann, F. (Hg.): Treysa 1945, 26f; siehe auch Scheliha, A. v.: Protestantische Ethik, 199. 126 Zit. nach Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 188. Diese Äußerung ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass Dibelius ein Jahr zuvor befand: »Die Demokratie wird in Deutschland nicht Fuß fassen, […] sie ist ein ausländisches Staatssystem.« (Zit. nach Klein, M.: Die Rolle der Evangelischen Kirche, 88).

80  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  evangelische Kirche würde nun, anders als 1918/19, den demokratischen Staat unterstützen.127 Dass auch in der deutschen katholischen Kirche eine gewisse Offenheit gegenüber dem demokratischen Verfassungsstaat herrschte, dürfte unter anderem an der Weihnachtsansprache »Benignitas« Pius’ XII. von 1944 gelegen haben. Der Papst erinnerte zunächst daran, dass die Kirche keine Staatsform bevorzuge – wichtig sei die Beachtung des Gemeinwohls durch die Regierung. Positiv erscheint aus liberaldemokratischer Perspektive sodann aber die Feststellung, dass eine »gesunde Demokratie« der Anmaßung von Staatsallmacht entgegenstehe und zwei wichtige Rechte der Bürger garantiere: Sich frei zu rechtlichen Verpflichtungen äußern zu können und nicht ohne Anhörung zum Gehorsam gezwungen zu sein. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass für den Papst eine »gesunde Demokratie« auf den Grundsätzen des Naturrechts und der christlichen Offenbarung aufzubauen hatte. Individuelle Freiheitsrechte etwa waren demnach nur in Einklang mit der göttlichen Wahrheit denkbar.128 Dennoch wurde häufig die prodemokratische Stoßrichtung der Weihnachtsbotschaft betont; so befand etwa Anselm Doering-Manteuffel, »Benignitas« bilde »[i]m Zusammenwirken mit konkreten politischen Faktoren […] die Grundlage für das spätere loyale Bekenntnis des deutschen Katholizismus zur demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland«.129 Entsprechend dieser päpstlichen Überlegungen forderte der Mainzer Bischof Albert Stohr ­(1890–1961) in seinem Hirtenbrief vom 29. Juni 1945 eine auf dem christlichen Staatsideal basierende Ordnung, die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Schutz von Leben und Eigentum sowie Geistes- und Gewissensfreiheit garantiere und ein gewaltenteiliges Regierungssystem mit unabhängiger Judikative aufweise.130 Die angesichts solcher Stellungnahmen bisweilen euphorisch anmutenden Kommentare mancher Autoren, denen zufolge die beiden großen Kirchen nach 1945 mehr oder weniger selbstverständlich die Demokratie unterstützten,131 sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn es existierten, wie gezeigt, sehr wohl noch deutliche Vorbehalte und theologische Hemmschwellen gegenüber der Demokratie, insbesondere in ihrer liberalen Ausformung. Obgleich die Kirchen Teil 127 Vgl. Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 218; Nowak, Kurt: Protestantismus und Demokratie in Deutschland. Aspekte der politischen Moderne. In: Greschat, Martin / Kaiser, Jochen-Christoph (Hg.): Christentum und Demokratie im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1992, 1–18, hier 11.  128 Pius XII.: Benignitas. In: AAS 37 (1945), 10–23, hier 17; siehe auch ebd., 13; vgl. dazu Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 196f, 204. 129 Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 52. 130 Doering-Manteuffel, A.: Kirche und Katholizismus, 116. 131 Siehe etwa Spieker, Manfred: Die Demokratiediskussion unter den deutschen Katholiken 1949 bis 1963. In: Rauscher, Anton (Hg.): Katholizismus, Rechtsethik und Demokratiediskussion 1945–1963. Paderborn 1981, 77–97; Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 19.

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des in der Nachkriegszeit herrschenden »antitotalitäre[n] Konsens« waren,132 wurden sie damit nicht automatisch Anhänger einer freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung. In dieser Hinsicht befindet etwa Hans Michael Heinig, dass nach 1945 quer durch alle theologischen Strömungen des Protestantismus in Westdeutschland der Rechtsstaat zwar eine hohe Wertschätzung genossen habe, ohne dass damit aber die Demokratie gleichermaßen bejaht worden sei. Zudem habe ein »materiales Gemeinwohlverständnis« Misstrauen sowohl gegenüber individualistischen Positionen wie auch gegenüber dem parteipolitischen Wettbewerb bedingt.133 Dort, wo die Demokratie dem Begriff nach anerkannt war, stellte sich zudem immer noch die Frage, was genau jeweils darunter verstanden wurde. In beiden Konfessionen war das Verhältnis zu den Ideen der Volkssouveränität und des weltanschaulich neutralen Staates noch ungeklärt und konfliktgeladen. Weder die Relativierung politischer Wahrheitsansprüche im Kontext einer pluralistischen Gesellschaftsordnung noch das Konzept individueller staatsbürgerlicher Freiheit waren theologisch eingeholt. Gleichzeitig existierte gerade in katholischen Kreisen eine Art christlich-demokratischer Elitismus, der den deutschen Katholiken eine höhere – bzw. eine wirkliche – demokratische Kompetenz zuschrieb.134 Der Limburger Bischof Ferdinand Dirichs (1894–1948) etwa verkündete in seinem Hirtenbrief vom Januar 1948: »Daß Staatsbürger aus dem Gewissen heraus die Autorität des Staates achten, seine Gesetze befolgen und dem Ganzen des Volkes sich bereitwillig einordnen, das ist nur durch eine gute Gewissensbildung in einer gründlichen religiös-sittlichen Erziehung möglich.«135 In diesem Zusammenhang ist eine Äußerung des linkskatholischen Publizisten Walter Dirks aus dem Jahre 1946 bemerkenswert, wonach die Katho­ liken in ihrer Aufbruchstimmung übersahen, dass auch andere NS -Gegner Neugestaltungsvorstellungen bezüglich der Gesellschaft hatten, aus denen ein Pluralismus der Planungen und Ideen erwachsen würde.136 Eben jenes Verständnis für Pluralismus scheint in der Tat vielen Kirchenführern in der Nachkriegszeit und den Anfangsjahren der BRD noch gefehlt zu haben. Betrachtet man die in der Nachkriegszeit herrschenden politischen Einstellungen unter den christlichen religiösen Eliten Westdeutschlands, so scheint Inackers Urteil durchaus plausibel, »daß die Aussöhnung des deutschen Katholi­ zismus, zumindest seines klerikalen Teiles, mit der Demokratie mehr einem Vernunftrepublikanismus entsprach, denn einer wirklichen inneren Überzeu 132 Schwaabe, C.: Die deutsche Modernitätskrise, 411. 133 Heinig, H. M.: Protestantismus und Demokratie, 239. 134 Vgl. Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 193, 229–233. 135 Dirichs, Ferdinand: Fastenhirtenbrief über Kirche und Staat. 25. Januar 1948 (Dok. 54). In: Löhr, W. (Bearb.): Hirtenbriefe und Ansprachen, 233–240, hier 236. 136 Lönne, K.-E.: Katholizismus 1945, 759.

82  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  gung«.137 Eine Stellungnahme des Episkopats zugunsten einer demokratischen Staatsform erfolgte vor 1949 jedenfalls nicht.138 Was die protestantische Seite anbelangt, so »überwog unter den Kirchenvertretern zunächst ein innerer Vorbehalt gegenüber den demokratischen Machtordnungsverhältnissen«, wie Claudia Lepp befindet.139 In der Tat dürfte den meisten Kirchenführern – ob katholisch oder evangelisch  – zunächst wohl weniger an einem starken demokratischen Rechtsstaat als vielmehr an einer inneren, moralischen Erneuerung der Gesellschaft gelegen gewesen sein. e)

Kirchen und Parteien

Will man der Frage des kirchlichen Verhältnisses zum im Aufbau befindlichen demokratischen deutschen Staatswesen nachgehen, kommt man nicht umhin, die Beziehung von Kirchenspitzen und Kirchenvolk zu den seit Sommer 1945 von den Besatzungsmächten schrittweise wieder zugelassenen politischen Parteien in den Blick zu nehmen. Auffällig ist hier insbesondere ein Wandel auf katholischer Seite: War der politische Katholizismus in Weimar kaum getrennt von der Zentrumspartei zu denken, setzte der Episkopat nach 1945 für die Vertretung seiner Anliegen stattdessen großteils auf die CDU bzw. CSU. Dabei wird die Tatsache, dass unter den Mitbegründern der Unionsparteien zahlreiche Zentrumspolitiker der Weimarer Zeit zu finden waren, bisweilen als »Distanzierung von der Geschichte des politischen Katholizismus« angesehen140 – auch wenn das interkonfessionelle Element der Unionsparteien in der Nachkriegszeit und der frühen BRD durchaus regelmäßig für Spannungen sorgen sollte. Die Gründung der örtlichen Gliederungen von CDU und CSU wurden jedenfalls durch den katholischen Klerus aktiv befördert und unterstützt, hochrangige Vertreter wie die Kardinäle Frings und Faulhaber wurden demonstrativ Parteimitglieder.141 Einen nicht unwichtigen Einflussfaktor bildeten auch die kirchlichen Laienverbände, deren Mandatsträger häufig in den Unionsparteien aktiv waren.142 Während die katholische 137 Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 233. 138 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 184 f. 139 Lepp, Claudia: Entwicklungsetappen der Evangelischen Kirche. In: Lepp, C. / Nowak, K. (Hg.): Evangelische Kirche im geteilten Deutschland, 46–93, hier 48. 140 Becker, W.: Grundzüge, 435; vgl. auch Liedhegener, A.: Tolerierung  – Akzeptanz  – Unterstützung, 124. 141 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 132–139; Trippen, Norbert: Josef Kardinal Frings (1887–1978). Band I: Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland, Paderborn, München [u. a.] 2003, 347–352. Die Unionsparteien warben ihrerseits nicht zuletzt deswegen um die Unterstützung des Episkopats, um den Startvorteil des Zentrums in der Gunst katholischer Wähler wettzumachen, siehe Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 152. 142 Vgl. Liedhegener, A.: Der deutsche Katholizismus, 65 f.

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Kirche somit nach wie vor hohe politische Aktivität zeigte, setzte sich offenbar die pragmatische Erkenntnis durch, die eigenen Anliegen besser im Zusammenspiel der Konfessionen vertreten zu können.143 Für zahlreiche evangelische Kirchenvertreter galt es demgegenüber zunächst, ihre traditionelle Parteienskepsis zu überwinden, die nach 1945 nicht weniger stark ausgeprägt zu sein schien als 1918. Eine generelle Bereitschaft, auf die politischen Parteien zuzugehen, existierte jedoch und stellte insofern eine Neuerung im Vergleich zur Weimarer Zeit dar.144 Wie in den meisten politischen Fragen bestand innerhalb der EKD auch bezüglich der Nähe oder Ferne zu den einzelnen Parteien keine einheitliche Auffassung. So stellte einerseits das in Treysa entstandene »Wort zur Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben« ein »politisches Zusammengehen beider Konfessionen auf dem Boden christlicher Union« in Aussicht und wichtige kirchliche Führungsfiguren neigten in der Folgezeit klar den Unionsparteien zu.145 Andererseits fiel die Unterstützung dieser Parteien in der Regel verhaltener aus als auf Seiten der Katholiken. So erklärte etwa der hannoversche Landesbischof Hanns Lilje (1899–1977), für die EKD gelte »strikte parteipolitische Neutralität«, während der württembergische Landes­ bischof Wurm, obgleich zu aktiver Mitarbeit in der CDU aufrufend, mit sämtlichen Parteien Fühlung zu halten bestrebt war – gerade evangelischen Sozialdemokraten wollte er nicht in den Rücken fallen.146 Diese relative Zurückhaltung rührte auch daher, dass es eine »christliche« Partei nach verbreiteter protestan­ tischer Auffassung gar nicht geben konnte, sondern vielmehr den aus christlichem Gewissen politisch handelnden Menschen. Aus barthianischer Sicht erschien die CDU als sich dezidiert christlich gebende Partei sogar regelrecht suspekt, da der Verdacht bestand, politisch Andersdenkende sollten als unchristlich abgetan werden. Auf dieser Grundlage standen die bruderrätlichen Kreise der EKD insgesamt der SPD näher als die Lutheraner und setzten sich häufiger für einen Dialog mit den Sozialdemokraten ein.147 Eine solche Offenheit indes traf wiederum bei einigen konservativen Vertretern der evangelischen Kirche auf Unverständnis. So warf etwa Hans Asmussen der politischen Linken – inklusive der christlichen Sozialisten – vor, eine Mitschuld am Nationalsozialismus zu tragen.148 Hier scheint durch, wie schwer sich konservative kirchliche 143 Vgl. hierzu auch Becker, W.: Grundzüge, 435. 144 Vgl. Klein, M.: Westdeutscher Protestantismus, 362f; Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 304. 145 Ein Wort zur Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben. In: Söhlmann, F. (Hg.): Treysa 1945, 102–104, hier 104. 146 Zit. bei Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 304; vgl. Klein, M.: Westdeutscher Protestantismus, 404 f. 147 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 416–420; Aretz, Jürgen: Katholizismus und deutsche Sozialdemokratie 1949–1963. In: Langner, Albrecht (Hg.): Katholizismus im politischen System der Bundesrepublik 1949–1963. Paderborn 1978, 61–81, hier 74. 148 Kahle, J.: Evangelische Kirche und Demokratie, 73.

84  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Kreise bisweilen mit der Akzeptanz abweichender (kirchen)politischer Positionen noch taten. Auf Seiten der Parteien umwarb die Union ihrerseits die Kirchen aktiv mit ihrer Selbstdarstellung als christliche Partei. In einem Rundschreiben Konrad Adenauers und der CDU-Bundestagsabgeordneten Helene Weber an den katholischen Klerus etwa hieß es: Nur eine große christliche Partei wird in allen kulturpolitischen Kämpfen – ob sie im neuen Bund oder in den Ländern ausgefochten werden müssen – in Auseinander­ setzungen mit der SPD und FDP die Ergebnisse für eine christliche Neuordnung erzielen, die wir für unser Volk erreichen müssen.149

Die hier unterstellten Spannungen im Verhältnis der Kirchen zur Sozialdemokratie und der Freien Demokratischen Partei (FDP) waren dabei nicht lediglich parteipolitisches Säbelrasseln. Insbesondere die Beziehung der beiden Parteien zur katholischen Kirche war nach wie vor von scharfen Abgrenzungen und bissiger Polemik gekennzeichnet: In ihren »Politischen Leitsätzen« von 1946 be­hielten etwa die Sozialdemokraten den kirchenskeptischen Kurs ihres »Heidelberger Programms« von 1925 weitgehend bei, indem sie unter anderem eine klare Trennung von Staat und Kirche sowie die weltliche Schule forderten und eine politische Einflussnahme der Kirchen ablehnten.150 Auf katholischer Seite belastete hingegen die Enzyklika »Quadragesimo anno« Pius’ XI. von 1931 das Verhältnis zur SPD. Dort hieß es, »der Sozialismus, gleichwohl ob als Lehre, als geschichtliche Erscheinung oder als Bewegung, […] bleibt mit der Lehre der Katholischen Kirche immer unvereinbar«. Und weiter: »[E]s ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein«.151 Obgleich unter dem Eindruck des Nationalsozialismus führende Vertreter der Sozialdemokratie und der Liberalen den Kirchen gegenüber eine aufgeschlossenere Position eingenommen hatten, bedeutete dies noch lange nicht die Anerkennung der insbesondere katholischerseits oft beanspruchten führenden öffentlichen Rolle.152 Ganz im Gegenteil, SPD wie FDP lehnten ein kirchliches Einwirken auf als rein politisch empfundene Bereiche im Allgemeinen ab, und der politische Katholizismus wurde von vielen Funktionären misstrauisch betrachtet.153 Demgegenüber besaßen CDU und CSU in den ersten Jahren ihres Bestehens »den Charakter 149 Zit. nach Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 169. 150 Ebd., 157, vgl. auch 162 f. 151 Pius XI.: Quadragesimo anno. In: AAS 23 (1931), 177–228, hier 215 und 216, deutsche Übersetzung nach Klotzbach, Kurt: SPD und Katholische Kirche nach 1945. Belastungen, Mißverständnisse und Neuanfänge. In: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 29 (1989), XXXVII–XLVII, hier XXXVIII. 152 Vgl. etwa Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 205, 213–216. 153 Vgl. Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 158–167, 212f; Klotzbach, K.: SPD und Katholische Kirche, XL .

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interkonfessionell christlicher Weltanschauungsparteien«, die die gesellschaftspolitischen Positionen der Kirchen in weitem Umfang teilten.154 f)

Die kirchliche Mitwirkung an der Entstehung des Grundgesetzes

Ernsthafte Bewährungsproben nicht nur für die Beziehung der Kirchen zu den Parteien, sondern vor allem auch für ihre Haltung zur Demokratie insgesamt, stellten die Ausarbeitung der verschiedenen Landesverfassungen sowie schließlich des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland dar. Als die Westalliierten 1948 den Weg für eine westdeutsche Teilstaatsgründung frei machten und die Vorarbeiten für eine Verfassung anliefen, war dieser Vorgang für die Kirchen von hoher Relevanz, bedeuteten die Beratungen und Verhandlungen im Konvent von Herrenchiemsee und anschließend im Parlamentarischen Rat doch eine Neuordnung auch der religionspolitischen Rahmenbedingungen. Mit einer Sitzverteilung von je 27 für die Fraktionen von CDU / C SU und SPD, fünf für die Freie Demokratische Partei (FDP) und je zwei für Zentrumspartei, Deutsche Partei (DP) und Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) bestand im Parlamentarischen Rat eine knappe Mehrheit auf Seiten der linken und liberalen Kräfte gegenüber den konservativen und tendenziell kirchenfreundlichen Parteien. Aus kirchlicher Sicht versprach dies einiges Konfliktpotential in kulturpolitischen Fragen  – und damit dem Kernbereich der Religionspolitik. Allerdings hatten sich die Mitglieder des vorbereitenden Verfassungskonvents darauf verständigt, neuralgische Punkte wie die Kulturpolitik und auch die Wirtschaftsordnung aus dem Grundgesetz auszuklammern, verbunden mit der Hoffnung der politischen Parteien, auf parlamentarischem Wege später die jeweils eigene Position besser durchsetzen zu können. Anfangs folgte der Parlamentarische Rat diesem Ansatz, zumal die überzeugten Föderalisten – allen voran die Vertreter Bayerns – alles ablehnten, was nach Unterminierung der Länderhoheit in Kulturfragen aussah.155 Die Kirchen waren indes keineswegs damit einverstanden, zentrale religionspolitische Grundfragen in der Verfassung ungeklärt zu lassen. Nach Bekanntwerden eines ersten Grundgesetzentwurfs in der Presse wandte sich Kardinal Frings für den katholischen Episkopat an die Vorsitzenden der Unions- und Zentrumsfraktionen im Parlamentarischen Rat, Konrad Adenauer und Johannes Brockmann, und monierte, der Entwurf lasse »eine Reihe von Grundsätzen vermissen, die vom christlichen Standpunkt aus für die Stellung des Menschen im Staat und für den Aufbau der menschlichen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung« seien.156 Auf evangelischer Seite lag die Initiative zunächst eher bei 154 Willems, U.: Religionspolitik, 142. 155 Vgl. Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 70 f. 156 Frings an Adenauer [25.10.1948] (Dok. 113). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 338–342, hier 338; vgl. Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 80.

86  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  einzelnen Landeskirchen und Bischöfen, während das Engagement der EKD vergleichsweise verhalten ausfiel. Ursächlich dafür war weniger mangelndes Interesse als vielmehr eine fehlende einheitliche Linie der verschiedenen Gliedkirchen.157 Dementsprechend erfolgte der erste Vorstoß durch die Konferenz der Landeskirchen der britischen Zone, welche den Parlamentarischen Rat darum bat, dass dieser bei der Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche »möglichst eng an die in Betracht kommenden Artikel der Weimarer Verfassung anschließen solle, da sich diese Artikel in der Praxis gut bewährt haben«.158 Diese Eingabe rief jedoch wiederum Kritik aus jenen Kreisen der Kirche hervor, die meinten, allein der Rat der EKD könne die evangelische Position vertreten. Letztlich lähmte diese Diskussion eine eingehende inhaltliche Beschäftigung mit den anstehenden Sachfragen. Als die EKD am 22. Februar 1949 mit Heinrich Held (1897–1957), EKD-Ratsmitglied und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, endlich einen offiziellen Verbindungsmann beim Parlamentarischen Rat eingesetzt hatte, waren die wichtigsten Entscheidungen bereits gefallen.159 Demgegenüber ernannte auf katholischer Seite die Bischofskonferenz bereits 1948 Prälat Wilhelm Böhler, der als politischer Berater Kardinal Frings’ fungierte, zu ihrem Verhandlungsführer beim Parlamentarischen Rat, um die kirchlichen Anliegen besser zu vertreten. Böhler brachte als ehemaliger Generalsekretär der Katholischen Schulorganisation Deutschlands einschlägige politische Erfahrung mit, da der kulturpolitische Bereich die zentralen Anliegen der katholischen Kirche im Rahmen der Grundgesetzverhandlungen umfasste. Während diese und andere kirchliche Positionen von außen betrachtet oft den Eindruck konfessioneller Sonderinteressen erwecken mussten, wurden sie häufig mit allgemeinen Menschenrechtsforderungen verknüpft. Darin fand die Tatsache Ausdruck, dass die Kirche in ganzheitlicher Perspektive über die konstitutionellen Grundrechte die Verankerung einer christlichen Werteordnung in der Gesellschaft anstrebte.160 Aus dem kirchlichen Einsatz für eine Ausweitung der im ersten Grundgesetzentwurf genannten Grundrechte spricht aber nicht nur ein Verantwortungsgefühl für die gesamte Gesellschaft, was angesichts des Selbstverständnisses der katholischen Kirche wenig überrascht; die Forderungen waren auch kompatibel mit und förderlich für den Aufbau eines starken Rechtsstaates. Konkret vermissten die katholischen Bischöfe im Entwurf unter anderem

157 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 195–198. 158 Zit. bei Klein, M.: Westdeutscher Protestantismus, 444; vgl. auch Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 81. 159 Anselm, Reiner: Verchristlichung der Gesellschaft? Zur Rolle des Protestantismus in den Verfassungsdiskussionen beider deutscher Staaten 1948/49. In: Kaiser, Jochen-Christoph / Doering-Manteuffel, Anselm (Hg.): Christentum und politische Verantwortung. Kirchen im Nachkriegsdeutschland. Stuttgart 1990, 63–87, hier 65 f. 160 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 54 f.

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ein Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit, daneben etwa auch ein Recht auf Arbeit und auf persönliche Ehre sowie den besonderen Schutz von Ehe und Familie durch den Staat.161 Vor dem Parlamentarischen Rat äußerte Böhler hierzu: »Wir fühlen uns verantwortlich dafür, daß in der Verfassung die Menschheitsrechte und das Recht der Gewissensfreiheit fest verankert werden; nur so kann der innere Friede in unserem Volk gewährleistet werden.«162 Auf protestantischer Seite trat Martin Niemöller im Namen der »Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland« neben einer Garantie kirchlicher Rechte auch »für die allgemeine Sicherung der menschlichen Grundrechte« ein.163 Dies alles bedeutete jedoch noch keinen Einsatz für sämtliche zentrale liberale Individualrechte – vielmehr ging es den Kirchen häufig primär um ihre eigene freie Entfaltungsmöglichkeit, die Glaubensfreiheit ihrer Mitglieder und eben eine christliche Prägung der Gesellschaft. In diesem Sinne erklärte der katholische Episkopat im Februar 1949: »Das Grundgesetz eines Staates kann nur dann seinen Zweck erfüllen, wenn darin die schon in der Natur gegebene, ewig gültige, durch Christus neu gefestigte und vollendete Gottesordnung als die tragende Grundlage des staatlichen Gebäudes anerkannt wird.«164 Zudem muss beim kirchlichen Einsatz für die Verankerung von Freiheitsrechten auch ein gewisses taktisches Verhalten in Rechnung gestellt werden. So riet etwa der Paderborner Domprobst Joseph Brockmann Böhler im Zusammenhang mit den Diskussionen im Parlamentarischen Rat: »Wir können aber den Parteien gegenüber nicht argumentieren mit religiösen Gesichtspunkten, sondern nur mit Berufung auf Toleranz und allgemeine Grundsätze der Demokratie.«165 Dennoch erlaubt das Verhalten beider Kirchen, bei ihnen eine prinzipielle Befürwortung des Rechtsstaatsgedankens zu konstatieren. Das Demokratieprinzip machten sich Vertreter der katholischen Kirche demgegenüber vor allem hinsichtlich eines bestimmten Aspekts zu eigen  – nämlich der Verteidigung des Elternrechts.166 Darunter verstand der Episkopat, in 161 Vgl. Ausarbeitungen Böhlers [10.10.1948] (Dok. 108). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 329–332, hier 329 f. 162 Vortrag Böhlers [14.12.1948] (Dok. 146). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 416–421, hier 416. 163 Schreiben Niemöllers an den Parlamentarischen Rat vom 8.12.1948 (Abschrift; Anlage Nr. 3 zum Schreiben Böhlers an Faulhaber vom 4.12.1948), Archiv des Erzbistums München und Freising (fortan: AEM), NL Faulhaber 7309, Bild 108. 164 Die deutschen Bischöfe: Erklärung zum geplanten Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. 11. Februar 1949 (Dok. 68). In: Löhr, W. (Bearb.): Hirtenbriefe und Ansprachen, 289–290, hier 289. 165 Joseph Brockmann an Böhler [25.1.1949] (Dok. 180). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 498–502, hier 498. 166 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 184. Siehe auch das Protokoll der Metropolitenkonferenz der katholischen Bischöfe Deutschlands in Fulda 1946, wo es bezüglich des Elternrechts heißt: »Von einem demokratisch-freiheitlichen System muß an allererster Stelle

88  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Böhlers Worten, »[d]as natürliche Recht und die oberste Pflicht der Eltern, ihre Kinder zur leiblichen, geistigen und seelischen Tüchtigkeit zu erziehen«.167 Zu einer zentralen Streitfrage im Parlamentarischen Rat und darüber hinaus sollte diese Forderung, in der auch Teile der evangelischen Kirchenleitungen die Katholiken unterstützten, vor allem in ihrer spezifisch schulpolitischen Ausformung werden. Demnach sollte den Erziehungsberechtigten das Recht zukommen, die konfessionelle Ausrichtung der öffentlichen Schulen, die ihre Kinder besuchten, festzulegen. Eingedenk der Zerschlagung des bekenntnisgebundenen Schulwesens durch die Nationalsozialisten wurde die Erfüllung der Elternrechtsforderung von den Kirchen als Garantie ihres Wirkens im schulischen Bereich verstanden – und damit als wichtiger Teil der Sicherung kirchlicher Freiheit.168 Obgleich hier also durchaus ein institutionelles Interesse zu Grunde lag, sollte das Recht formal den Eltern zukommen und konnte daher als individuelle Freiheit verteidigt werden. So formulierte Böhler diesbezüglich: »Dieser Weg der Gewissensfreiheit ist der einzig mögliche Weg im demokratischen Staat. Sonst könnte man wieder zu denselben Zuständen gelangen, die wir alle im nationalsozialistischen Staat erlebt haben.«169 In einem Schreiben an Adenauer fügte Kardinal Frings dem hinzu: »Ohne eine Proklamierung des Elternrechtes bliebe für uns die Demokratie leere Form.«170 Dass in dieser Angelegenheit zumindest in den Augen einiger Bischöfe die Sorge um eine Absicherung kirchlicher Interessen jene um die erzieherische Freiheit der Eltern übertraf, zeigt ein Schreiben des Passauer Bischofs Simon Landersdorfer (1880–1971) an Böhler aus dem Dezember 1948. Darin führt der Bischof aus, dass Verfassungsbestimmungen anzustreben seien, die a) Länder mit katholischen Minderheiten hindern, durch Landesgesetzgebung die Gewissensrechte der Katholiken zu unterdrücken, b) Länder mit katholischer Mehrheit aber nicht hindern, in der Landesgesetzgebung Regelungen zu treffen, die der Kirche und der katholischen Erziehung günstig sind.171

die Freiheit des Gewissens hochgehalten werden.« (Beschlußvorlage für die Plenarkonferenz betr. Bekenntnisschule (Dok. 160). In: Helbach, Ulrich (Bearb.) Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Westliche Besatzungszonen 1945–1947, Bd. 1. Paderborn, München [u. a.] 2012, 586f, hier 586). 167 Ausarbeitungen Böhlers [10.10.1948] (Dok. 108). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 329–332, hier 331. 168 Vgl. Mertens, Annette: Einleitung. In: Dies. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 11–32, hier 16f; Baadte, G.: Grundfragen, 111f; Spotts, F.: Kirchen und Politik, 159 f. 169 Vortrag Böhlers [14.12.1948] (Dok. 146). Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 416–421, hier 418. 170 Frings an Adenauer [18.1.1949] (Dok. 169). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 476f, hier 477. 171 Landersdorfer an Böhler [10.12.1948] (Dok. 140). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 399f, hier 400.

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Aus liberaldemokratischer Sicht erscheint eine solche Aussage zumindest grenzwertig, wird doch der Verdacht geweckt, das demokratische Argument sei nur so lange von Interesse, wie es die eigenen Anliegen befördere.172 Während die evangelischen Landeskirchen im Vergleich zur katholischen Kirche im Rahmen der Verhandlungen im Parlamentarischen Rat allgemein keine hohe Präsenz zeigten, bildete lediglich der Einsatz für das Elternrecht eine gewisse Ausnahme. So forderte Präses Held in einer Eingabe die Verankerung des Elternrechts im Grundgesetz, übte in dieser Sache aber keinen wirklichen Druck aus: Primär trat die evangelische Seite hier der katholischen Initiative bei.173 Teile der EKD unterstützten die Forderung nach dem vollen Elternrecht in der Schulfrage und damit der Verankerung der öffentlichen Bekenntnisschule im Grundgesetz, so etwa die Landeskirchen Rheinland und Westfalen oder der Ratsvorsitzende Theophil Wurm. Andere Vertreter gingen in dieser Frage hingegen viel weniger weit und bestanden lediglich auf einer Sicherung von konfessionellem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in den öffentlichen Schulen.174 Generell waren die EKD und ihre Mitgliedskirchen vergleichsweise zurückhaltend darin, Einfluss auf die im Parlamentarischen Rat vertretenen Parteien auszuüben, um ihre Anliegen durchzusetzen. Sogar als die DP sich aktiv als evangelische Interessensvertretung anbot, fiel die kirchliche Resonanz äußerst verhalten aus.175 Bezeichnend ist auch die Reaktion eines Referenten der Kirchenkanzlei, der nach der ersten Eingabe durch die Landeskirchen der britischen Zone meinte, dadurch seien weitere Bemühungen der EKD in den betreffenden Fragen wohl nicht mehr notwendig – eine Haltung, die nicht nur in Teilen der EKD, sondern auch in der katholischen Kirche auf Unverständnis stieß.176 Dort sorgte Wilhelm Böhler für eine professionelle Interessensvertretung, indem er die katholischen Abgeordneten seines Vertrauens – vor allem in Union und Zentrum – stetig mit offiziellen kirchlichen Stellungnahmen und Eingaben der katholischen Verbände belieferte. Auf diese Weise gelang es ihm schließlich, das anfangs innerhalb der Unionsparteien kaum relevante Elternrechtsthema in den Fokus ihrer kulturpolitischen Überlegungen zu rücken.177 Mehr noch: Dadurch, dass beide Kirchen hinsichtlich der schulrechtlichen Bestimmungen bei den Abgeordneten um ihre Position warben, kündigte die Union schließlich 172 Zu Recht meint etwa Kristian Buchna in diesem Kontext: »Doch gerade jene einzig im Kontext des Elternrechts auftretenden Verweise auf die Demokratie werfen Fragen nach der generellen Akzeptanz der ihr inhärenten Strukturmerkmale und Funktionsweisen auf.« (Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 185). 173 Anselm, R.: Verchristlichung der Gesellschaft, 67; vgl. Vögele, W.: Mäßigung der Macht, 134. 174 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 195–198, 211; Schewick, B. van: Die Katho­ lische Kirche, 81. 175 Klein, M.: Westdeutscher Protestantismus, 445 f. 176 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 196 f. 177 Vgl. ebd., 160 f.

90  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  den in Herrenchiemsee mit der SPD erreichten Kompromiss auf, ihrerseits auf das Einbringen kulturpolitischer Anliegen zu verzichteten, solange die Sozial­ demokraten ihre wirtschaftspolitischen Forderungen zurückstellten.178 Abgesehen von einzelnen Abgeordneten, die eine konfessionelle Polarisierung fürchteten, war die Unionsfraktion im Parlamentarischen Rat somit generell bereit, für die kirchlichen Anliegen einzutreten.179 Demgegenüber lehnte die SPD, wie bereits in Weimar, die staatliche Bekenntnisschule strikt ab und votierte, ebenso wie die FDP, für die Gemeinschaftsschule. Gemeinsam mit der KPD blockten Sozialdemokraten und Freie Demokraten daher die von den konservativen Parteien eingebrachten schulpolitischen Wünsche der Kirchen weitgehend ab und verhinderten so letztlich auch die grundgesetzliche Verankerung des vollen Elternrechts in Schulfragen.180 Die katholische Kirche nahm die Opposition in dieser für sie so zentralen Forderung alles andere als leicht. Erzürnt schrieb Böhler an die Unionsfraktion, [b]eiden Fraktionen [der SPD und FDP, F. P.] sei bekannt, daß sie die politische Situation und die zufällige [!] parlamentarische Mehrheit ausnutzten, um eine Parteidoktrin durchzusetzen, die eine Vergewaltigung der Gewissensfreiheit für die Mehrheit des Volkes bedeutete, während die Verwirklichung der Grundsätze der christlichen Parteien echte Freiheit bedeuten würde.181

Abermals scheint hier durch, dass kirchlicherseits Mehrheitsentscheidungen vor allem dann gewürdigt wurden, wenn sie das gewünschte Ergebnis erbrachten. Dennoch wies das katholische Engagement eine starke demokratische Komponente auf, denn der Episkopat mobilisierte zur Untermauerung seiner Forderungen die katholische Öffentlichkeit, welche in Gestalt der großen Verbände sowie neugegründeter Katholikenausschüsse und Elternvereinigungen mit zahlreichen Eingaben an den Parlamentarischen Rat die Position ihrer Bischöfe unterstützten. Obgleich dieser Einsatz durch Böhler genauestens koordiniert wurde, bedeutete er doch ein erneutes Einüben demokratischer Prozesse durch Teile der deutschen Bevölkerung, indem zum einen politisches Interesse geweckt und zum anderen Formen demokratischer Partizipation erprobt wurden. Weniger demokratieverträglich erscheint demgegenüber die erstmals im Februar 1949 von den 178 Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 105. 179 Willems, U.: Religionspolitik, 143. Siehe ebd. für eine Darstellung der unterschiedlichen Konfliktbereitschaft, mit der verschiedene Gruppen innerhalb der Unionsfraktion die kirchlichen Forderungen vertraten. 180 Vgl. etwa Schmitz-Stuhlträger, Kerstin: Das Recht auf christliche Erziehung im Kontext der Katholischen Schule. Eine kanonistische Untersuchung unter Berücksichtigung der weltlichen Rechtslage, Münster 2009, 99; Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 90. Zu den detaillierten Positionen der Parteien in der Schulfrage siehe Kapitel IV.1. 181 Schreiben Böhlers an die Fraktion der CDU / C SU im Parlamentarischen Rat [27.4.1949] (Dok. 226). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 606–608 hier 607.

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Bischöfen offen ausgesprochene Drohung, die Katholiken würden das Grundgesetz ablehnen, sollten wichtige kirchliche Forderungen nicht erfüllt werden.182 Es war somit insbesondere dem unermüdlichen Einwirken der katholischen Kirche auf die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates mit Argumenten, moralischen Appellen und sogar offenen Drohungen geschuldet, dass, als das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland am 8. Mai 1949 verabschiedet wurde, auch staatskirchenrechtliche und bildungspolitische Grundsatzfragen darin Berücksichtigung fanden.183 Obgleich eine Reihe kirchlicher Anliegen nicht oder nur teilweise durchgesetzt werden konnte, lässt sich die neuerrichtete staatskirchenrechtliche Grundordnung doch kaum als Hindernis für die kirchliche Entfaltungsfreiheit beschreiben: Neben dem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie ungestörte Religionsausübung in Art. 4 GG sorgte insbesondere die in Art. 140 GG geregelte Fortgeltung der Art. 136–139 und 141 WRV für eine konstitutionelle Absicherung der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften. Der Rückgriff auf die Weimarer Kirchenrechtsartikel stellte dabei den Minimalkompromiss dar, auf den sich die Fraktionen einigen konnten.184 Durch diese Normen wird eine nähere Bestimmung der individuellen Religionsfreiheit geleistet (Art. 136 WRV), das Verbot der Staatskirche, das religionsgemeinschaftliche Selbstbestimmungsrecht, die Beibehaltung des Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts und das Besteuerungsrecht verankert (Art. 137 WRV), das Eigentumsrecht der Kirchen und die Staatsleistungen an sie gewährleistet (Art. 138 WRV) sowie schließlich die Sonntagsruhe (Art. 139 WRV) und die Zulassung zur Anstaltsseelsorge (Art. 141 WRV) gesichert. Zudem wurden gemäß kirchlichem Wunsch neben dem allgemeinen Elternrecht auf die Erziehung der Kinder (Art. 6 II GG) auch der staatliche Religionsunterricht und die Freiheit des Privatschulwesens garantiert (Art. 7 GG). Indem der Staat hier, insbesondere durch die Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts, »seinen eigenen umfassenden Regelungsanspruch zugunsten partieller Sonderregelungen durch die Religionsgemeinschaften selbst zurücknimmt«,185 ist die Grundlage für eine die kirchliche Autonomie fördernde Governance by Religions gelegt. Mit dem Grundgesetz, summiert Joseph Listl, wurden die »Reste der Überwachungs- und Kontrollmechanismen des Staates über die Kirche« abgebaut.186 182 Vgl. Trippen, N.: Josef Kardinal Frings, 364–370.; Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 101. Zu Böhlers straffer Kontrolle der Kampagne vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 169 f. 183 So urteilen etwa ebd., 146; Doering-Manteuffel, A.: Kirche und Katholizismus, 120. 184 Listl, Joseph: Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963. In: Rauscher, A. (Hg.): Kirche und Staat in der Bundesrepublik, 9–39, hier 9. 185 Augsberg, Ino: Soziale Integration durch Religionsfreiheit? Zur Neubestimmung des Religionsverfassungsrechts im Verständnishorizont eines reflexiven Rechtspluralismus. In: Heinig, H. M. / Walter, Ch. (Hg.): Religionsverfassungsrechtliche Spannungsfelder, 113–128, hier 125. 186 Listl, J.: Das Staatskirchenrecht, 20.

92  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Erst im Rahmen dieser Verfassungsordnung wurde den Kirchen damit »jenes Maß an Freiheit zuteil, das ihnen die Weimarer Reichsverfassung dem Wortlaut nach bereits zuerkannt, das ihnen aber die Staats- und Verwaltungspraxis bis 1945 hartnäckig vorenthalten hatte«.187 In der Tat erfolgte die Interpretation der ins Grundgesetz übernommenen Artikel der Weimarer Verfassung vor einem gewandelten Hintergrund, nämlich dem »einer weitgehenden Gleichordnung und rechtlichen Gleichrangigkeit von Staat und Kirche, einer partnerschaftlichen Koordination«.188 Folglich lässt sich das bundesdeutsche Religionsverfassungsrecht, das vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Kampfes gegen die Kirchen entstand, als System einer »freundschaftliche[n] Trennung von Kirche und Staat« charakterisieren.189 Zusätzliche rechtliche Absicherung gewährten den Kirchen darüber hinaus das Reichskonkordat von 1933 und die Länderkonkordate mit der katholischen Kirche sowie die evangelischen Kirchenverträge. Diese bestehenden Vereinbarungen wurden nach 1945 gemäß Art. 123 II GG weiterhin als geltendes Recht anerkannt und praktiziert – sieht man von den Schulartikeln des Reichskonkordats ab, die in mehreren Bundesländern auf Widerstand stießen.190 Trotz alledem zeigte sich insbesondere die katholische Kirche keineswegs zufrieden mit dem erreichten Ergebnis. In einem Bericht an die Bischofskonferenz bewertete Wilhelm Böhler das verabschiedete Grundgesetz ambivalent. Auf der einen Seite begrüßte er die nominatio Dei in der Präambel und die Aufnahme bestimmter allgemeiner Naturrechte – Recht auf Leben, ungestörte Religionsausübung, Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit – in den Katalog der Grundrechte. Positiv hob er auch den Schutz von Ehe und Familie sowie das allgemeine Erziehungsrecht der Eltern hervor. Im Bereich der schulpolitischen Regelungen erachtete Böhler die Bestimmungen zum Religionsunterricht und zum Privatschulwesen als akzeptabel, letztere zudem als vorteilhafter, als sie es in der Weimarer Verfassung gewesen seien. Auf der anderen Seite machte der katholische Verhandlungsführer aber auch eine Reihe von Defiziten im Grundgesetz aus. So empfahl Böhler, sowohl gegen die Begrenzung des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts durch die »Schranken des für alle geltenden Gesetzes« (Art. 137 III WRV) Rechtsverwahrung einzulegen, als auch gegen Art. 138 I WRV, wonach die Regelungen zu Staatsleistungen an die Kirchen durch Landesgesetzgebung

187 Ebd., 22. 188 Korioth, S.: Die Entwicklung der Rechtsformen, 128. 189 Ebd., 122. 190 Listl, J.: Das Staatskirchenrecht, 18. Zum Streit um die Schulartikel des Reichskonkordats siehe Kapitel IV.2 der vorliegenden Untersuchung. Von Campenhausen und de Wall merken hierzu an, dass Art. 123 II GG erst im Rahmen des Konkordatsprozesses vor dem Bundesverfassungsgericht eine eindeutige Auslegung erhalten habe, Campenhausen, A. von / Wall, H. de: Staatskirchenrecht, 41.

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abzulösen seien.191 Für nicht rechtmäßig erachtete er zudem die sogenannte »Bremer Klausel« (Art. 141 GG), welche die Bestimmung zum Religionsunterricht einschränkte. Mit Blick auf eine mögliche Inanspruchnahme dieser Norm durch sozialdemokratisch regierte Länder prophezeite Böhler: »Es wird noch heftige Auseinandersetzungen darüber geben.«192 Die »bitterste Enttäuschung« stellte für den katholischen Schulfachmann jedoch dar, dass im Grundgesetz das Elternrecht bezüglich der konfessionellen Gestaltung der Volksschule nicht gemäß der katholischen Vorstellung verankert worden war.193 Auch seitens der EKD gab es Kritik am Ergebnis der Grundgesetzverhandlungen. Im Namen des Rates der EKD beklagte sich der hannoversche Landesbischof Lilje über die fehlende Verankerung des vollen Elternrechts sowie über die Bremer Klausel, da er durch diese die Bestimmungen des Art. 7 GG zum Religionsunterricht bedroht sah. Während Liljes Hauptkritikpunkte somit dieselben waren wie bei der katholischen Kirche, so erklärte er doch gleichzeitig, dass die EKD bereit sei, dem Grundgesetz »mit Vertrauen zu begegnen« – in der Hoffnung, dass »die Gesetzgebung der kommenden Länderverfassungen unser Vertrauen rechtfertigen wird«.194 Obgleich aus rechtswissenschaftlicher Perspektive das Grundgesetz, wie oben dargelegt, den Kirchen in Westdeutschland ein bis dahin nie dagewesenes Maß an Handlungsfreiheit bot, erachtete also insbesondere die katholische Kirche die Rechtslage noch als ungenügend. Böhler jedenfalls eröffnete in seinem Bericht bereits die Perspektive auf ein anhaltendes politisches Engagement der katholischen Kirche, um weitere Forderungen durchzusetzen: »Geblieben ist die Möglichkeit, auf Grund des Reichskonkordats den Kampf um das Elternrecht fortzusetzen. […] Geblieben ist die Möglichkeit, den Kampf auf der Länderbasis fortzusetzen. […] Geblieben ist die Möglichkeit, auf eine Änderung der Verfassung hinzuarbeiten.«195 Die Bischofskonferenz machte sich diesen Standpunkt zu Eigen. In einem gemeinsamen Hirtenwort anlässlich der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 ließen die katholischen Bischöfe verlautbaren: »Wir können dieses Grundgesetz, das es an der ausdrücklichen Anerkennung eines so wesentlichen und unveräußerlichen Grundrechtes – wie das des vollen

191 Bericht Böhlers [9.5.1949] (Dok. 237). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 623–632, hier 623 f. 192 Ebd., 626, vgl. 625 f. Zu Details der Schulbestimmungen des Grundgesetzes siehe Kapitel IV.1 der vorliegenden Untersuchung. 193 Ebd., 626. 194 Schreiben Liljes an den Parlamentarischen Rat. Hannover, 3. März 1949 (Dok. 2E9). In: Fix, Karl-Heinz (Bearb.): Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 3: 1949. Göttingen 2006, 148f, hier 149. 195 Bericht Böhlers [9.5.1949] (Dok. 237). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 623–632, hier 627.

94  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Elternrechtes – fehlen lässt, nur als ein vorläufiges betrachten, das baldigst einer Ergänzung bedarf.«196 Konfrontativ heißt es weiter: »Mit der Ablehnung unserer Forderung [nach dem Elternrecht, F. P.] ist uns ein Kampf aufgezwungen, der zu verhindern gewesen wäre«.197 Die Gesamtbewertung des Grundgesetzes fällt in diesem Hirtenwort tendenziell negativ aus, implizit wird sogar seine Legitimität in Zweifel gezogen. Während die pragmatischer eingestellten Vertreter der Kirche das Grundgesetz ungeachtet perzipierter Mängel dennoch als Basis künftiger politischer Arbeit anerkannten, nahmen einige Bischöfe eine radikalere Haltung ein: Angesichts der fehlenden Umsetzung wichtiger katholischer Positionen lehnten Bischof Michael Keller (1896–1961) aus Münster und Bischof Albert Stohr aus Mainz das Verfassungswerk geradeheraus ab.198 Auch im Bistum Rottenburg erwog man, die Diözesanen zur Ablehnung des Grundgesetzes aufzurufen, sollte das volle Elternrecht dort keinen Platz finden.199 Wäre dieser Standpunkt im Episkopat mehrheitsfähig gewesen, hätte er wohl keineswegs nur symbolische Bedeutung gehabt. Vielmehr darf man davon ausgehen, dass angesichts der Loyalität der westdeutschen Katholiken zu ihren Bischöfen eine Ablehnung des Grundgesetzes durch den Episkopat eine erhebliche Belastung der politischen Autorität der neuen Republik beim katholischen Bevölkerungsteil bedeutet hätte.200 Seitens der CDU nahm man Kellers kurz vor der Schlussabstimmung im Parlamentarischen Rat getätigte Ankündigung, die Katholiken zur Ablehnung des Grundgesetzes aufzurufen, jedenfalls so ernst, dass Konrad Adenauer persönlich einschritt und in einem an Kardinal Frings gerichteten Schreiben an die Verantwortung der Bischöfe für die Zukunft Deutschlands appellierte: Wer auffordern würde, gegen das Grundgesetz zu stimmen, weil bezüglich des Elternrechts nicht alles erreicht worden ist …, würde m. E. sich mit Sicherheit dem vernichtenden Vorwurf aussetzen, dass er in der schlimmsten Notzeit des deutschen Volkes gegen dessen Interessen gehandelt haben würde.201

Ein solches Handeln würde nicht nur der Kirche schaden, sondern, so Adenauer, auch die Unionsparteien in eine prekäre Lage bringen, sollten sie gezwungen sein, entgegen einem Votum der Bischöfe zu stimmen.202 Die demokratische Neu 196 Erklärung und Hirtenwort der Bischöfe zum Grundgesetz [23.5.1949] (Dok. 253). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 657–674 hier 667. 197 Ebd., 668. 198 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 191; Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 120. 199 Hagen an Böhler [1.2.1949] (Dok. 184). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 507f, hier 508. 200 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 188 f. 201 Zit. bei Trippen, N.: Josef Kardinal Frings, 376, Auslassung i. O. 202 Vgl. ebd.; siehe auch Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 55.

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ordnung durfte in den Augen Adenauers und des Großteils der CDU nicht durch Kompromisslosigkeit gefährdet werden – und sie erwarteten von den Kirchen, dies zu akzeptieren. Letztlich entschloss sich die Mehrheit des Episkopats dazu, das Grundgesetz zu unterstützen, wenngleich mit Vorbehalten. Grund dafür war nicht zuletzt die beispielsweise durch den Apostolischen Visitator in Deutschland und späteren Nuntius, Aloysius Muench (1889–1962), vertretene pragmatische Einsicht, »daß man unter allen Umständen das Erreichte sichern müsse, aber nicht durch Ablehnung des ganzen Grundgesetzes auch das Erreichte noch in Frage stellen dürfe«.203 Auch Böhler vertrat gegenüber den Bischöfen die Position, dass es zur Annahme der Verfassung keine akzeptable Alternative gäbe.204 Nicht alle kirchlichen Würdenträger waren indes auch nur zu einer pragmatischen Akzeptanz der politischen Entwicklung bereit. So fertigten der Münsteraner Bischof Keller und sein Generalvikar Johannes Pohlschneider (1899–1981), der spätere Bischof von Aachen, eine Denkschrift an, in der die beiden hart mit den Parteien des Parlamentarischen Rates ins Gericht gingen. Sämtliche Argumente kirchlicher Stellen gegenüber SPD und FDP, so kritisierten die Bischöfe, »prallte[n] ab an der fanatischen Hartnäckigkeit der sozialistischen und liberalistischen Vertreter der sogenannten Demokratie«. Von der Union hingegen habe man eine standhaftere Verteidigung der kirchlichen Forderungen erwartet: Die Union hätte erklären sollen, dass »hinsichtlich so entscheidender kultureller Grundsatzforderungen irgendwelche Kompromisse undiskutabel seien«.205 Ihren Standpunkt begründeten Keller und Pohlschneider damit, dass sie als Bischöfe »auch das politische Geschehen sub specie aeternitatis zu betrachten« hätten.206 So verständlich eine solche Haltung aus religiöser Perspektive sein mag, spricht sie doch nicht für ein vertieftes Verständnis pluralistisch-demokratischer Zusammenhänge: Ein kompromissloser ›Ewigkeitsstandpunkt‹ ist für theologische Fragen angemessen, nicht aber für die Bewertung demokratischer Entscheidungsprozesse, in denen jedes Ergebnis grundsätzlich reversibel bleiben muss und die grundlegenden Freiheiten und Rechte Andersdenkender ebenso zu berücksichtigen sind wie die eigenen. Wenngleich die übrigen katholischen Bischöfe eine versöhnlichere Position einnahmen, legte der Episkopat im Januar 1950 dennoch offiziell Rechtsverwah­ rung gegen die beanstandeten Grundgesetzbestimmungen ein: Moniert wurden insbesondere das Fortgelten von Art. 137 und 138 WRV, das Fehlen des vollen 203 Zit. nach Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 191. 204 Vgl. Trippen, N.: Josef Kardinal Frings, 381. 205 Schreiben Pohlschneiders an Leiber und Ausarbeitung Pohlschneiders und Kellers [20.6.1949] (Dok. 263). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 695–701, hier 697. 206 Ebd., 700.

96  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Elternrechts sowie Art. 141  GG (»Bremer Klausel«).207 Bezeichnend ist allerdings, dass dieser Schritt nicht öffentlich bekannt gemacht wurde.208 Die Tatsache, dass die katholischen Bischöfe ihren für notwendig erachteten Protest somit eher diskret handhabten, lässt sich wohl damit erklären, dass man die neue Bundesregierung nicht beschädigen wollte: Nachdem die Unionsparteien aus der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag am 14. August 1949 knapp als stärkste Fraktion hervorgegangen waren, wurde mit Konrad Adenauer immerhin ein Katholik erster Bundeskanzler der BRD – und ein Mann, der das Vertrauen des Episkopats genoss. Adenauers Kanzlerschaft trug, bei allen bestehenden Vorbehalten, zweifelsohne zur Akzeptanz der neuen Republik beim katholischen Klerus bei. g)

Politische Folgen der Grundgesetzverhandlungen

Dabei hatte insbesondere die katholische Kirche den Wahlsieg der CDU nicht lediglich wohlwollend zur Kenntnis genommen, sondern sich im Bundestagswahlkampf dezidiert hinter die Union gestellt. Denn die Erfahrung der Grundgesetzverhandlungen mit dem aus kirchlicher Sicht trotz aller erreichten Erfolge unbefriedigenden Ergebnis ließ das Verhältnis der Kirche zu den politischen Parteien nicht unberührt.209 Obgleich die Beratungen des Parlamentarischen Rates auch in den weltanschaulichen Fragen, wie etwa der Elternrechtsthematik, größtenteils unpolemisch verliefen und weder SPD noch FDP den Kirchen ein Recht auf die Wahrnehmung eines allgemeinen Öffentlichkeitsauftrags bestritten, blieb für Sozialdemokraten und Liberale der Kompromiss zum Religionsverfassungsrecht doch letztlich Teil eines größeren politischen Verhandlungsgeschäftes.210 Durch den Widerstand dieser Parteien – von der KPD ganz zu schweigen – gegen verschiedene kirchliche Forderungen sahen die Bischöfe sich in ihrem Verdacht bestätigt, es mit grundsätzlich kirchenfeindlichen Gruppierungen zu tun zu haben. Dies führte in Thomas Gaulys Worten dazu, dass »[d]ie Auseinandersetzungen während der Beratungen des Parlamentarischen Rates […] zeitweise eine latente Kulturkampfstimmung aufkommen« ließen.211 Das unterkühlte Verhältnis zu Liberalen und Sozialdemokraten legte es der katholischen Kirche nahe, sich auf eine politische Zusammenarbeit mit den Unionsparteien zu konzentrieren. Im Bundestagswahlkampf des Jahres 1949 sowie in folgenden Wahlkämpfen fand diese Allianz Ausdruck in kirchlichen

207 Vgl. Mertens, A.: Einleitung, 21; Frings an Adenauer [9.1.1950] (Dok. 2). In: ­Mertens, ­Annette (Bearb.): Akten Deutscher Bischöfe seit 1945. Bundesrepublik Deutschland 1­ 950–1955. Paderborn 2017, 67–70, hier 68 f. 208 Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 127, Fn. 386. 209 Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 126. 210 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 176; Willems, U.: Religionspolitik, 144 f. 211 Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 161.

Religionspolitische Neuordnung in Westdeutschland nach 1945  97

Wahlhirtenbriefen, die eine zwar meist implizite, aber stets eindeutige Wahlempfehlung für die CDU / C SU aussprachen.212 So kritisierten die Bischöfe in ihrem Hirtenwort zur Bundestagswahl 1949, dass im Parlamentarischen Rat »Abgeordnete der sozialistischen und liberalistischen Weltanschauungen für wesentliche christliche Forderungen kein Verständnis gehabt haben«.213 Angesichts dessen riefen sie ihre Gemeinden zur aktiven Wahlbeteiligung auf und gaben ihnen folgende Suggestivfrage mit auf den Weg: »Kann ein gläubiger Christ es mit seinem Gewissen vereinbaren, einem Kandidaten seine Stimme zu geben, der in entscheidenden Bildungs- und Erziehungsfragen die Macht des Staates über die Freiheit des Gewissens stellt?«214 Dass damit aus Sicht der Oberhirten nur die Alternative blieb, »christlich« zu wählen, dürfte das katholische Publikum verstanden haben. Aus Sicht der SPD waren derartige kirchliche Interventionen »Ausdruck eines militanten Klerikalismus«, als dessen parteipolitische Manifestation den Sozialdemokraten die Unionsparteien galten.215 Diese nahmen indes die katholische Wahlkampfhilfe gerne an und versuchten ihrerseits, die Sozialdemokratie als kirchenfeindlich zu portraitieren, wobei auch vor kulturkämpferischen Untertönen nicht zurückgeschreckt wurde.216 Infolge dieser Konfrontation wurde der Ausgang der Wahl 1949 – mit rund 31 Prozent der Stimmen für CDU / C SU217 – auch seitens der Union als der katholischen Kirche zu verdanken aufgefasst. Die Wirksamkeit der bischöflichen Wahlaufrufe und ihr Wert für CDU / C SU lassen sich statistisch dahingehend erfassen, dass die kirchengebundenen Katholiken in den folgenden Jahren einen besonders zuverlässigen Wählerstamm der 212 Aretz, J.: Katholizismus und deutsche Sozialdemokratie, 65 f. 213 Die deutschen Bischöfe: Hirtenwort zur Bundestagswahl, 14. Juli 1949 (Dok. 75). In: Löhr, W. (Bearb.): Hirtenbriefe und Ansprachen, 317–321, hier 319. 214 Ebd., 320. Bischof Pohlschneider schlug sogar vor, das Hirtenwort noch eindeutiger abzufassen. In seinem Entwurf dazu hieß es, es sei nicht mit dem christlichen Gewissen zu vereinbaren, »Abgeordneten, die einer marxistisch-sozialistischen oder einer liberalistischen Weltanschauung huldigen, seine Stimme zu geben«. (Entwurf Pohlschneiders für ein Hirtenwort der Bischöfe zur Bundestagswahl (Dok. 265). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 703–707, hier 705). 215 Aretz, J.: Katholizismus und deutsche Sozialdemokratie, 65 f. 216 Vgl. Wolfrum, Edgar: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 2006, 47. 217 Der erste deutsche Bundestag setzte sich dabei wie folgt zusammen: Die größte Fraktion bildeten CDU / C SU mit 141 Sitzen, gefolgt von SPD (136), FDP (53), Bayernpartei (BP) und DP (je 17), KPD (15), Wirtschaftlicher Aufbau-Vereinigung (WAV) (12), Zentrum (10), Deutscher Konservativer Partei / Deutscher Rechtspartei (DKP / DRP) (5), Südschleswigschem Wählerverband (SSW) (1) sowie drei parteilosen Abgeordneten. Sämtliche in dieser Arbeit angeführten Wahlergebnisse für Bundes- und Landtagswahlen und Sitzverteilungen in den Parlamenten beruhen, sofern nicht anders angegeben, auf den amtlichen Angaben des Bundeswahlleiters, online unter www.bundeswahlleiter.de (Stand 20.3.2020). Auf Einzelnachweise wird im Folgenden verzichtet.

98  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Unionsparteien darstellten.218 Ungeachtet dieser Hilfestellung verwahrte sich der CDU-Vorsitzende Adenauer gegen eine allzu direkte kirchliche Beeinflussung seiner Partei. Er ging vielmehr davon aus, dass es im ureigenen Interesse der Kirchen liege, die Union zu unterstützen.219 Prälat Wilhelm Böhler schätzte die Situation daher ganz korrekt ein, wenn er in der Union eine politische Kraft sah, die generell den kirchlichen Wünschen aufgeschlossen sei, ohne eine explizit kirchliche Politik zu betreiben.220 Dieses zugleich vorteilhafte, aber eben nicht ausgemachte Arrangement erkennend, akzeptierte die katholische Kirche selbst die Koalition der Unionsparteien mit der ungeliebten FDP und schraubte ihre öffentliche Kritik an den Liberalen zurück.221 Die Einflussnahme auf die konservativen Parteien der Bonner Regierungskoalition im Sinne kirchlicher Interessen wurde auch in protestantischen Kreisen als Chance begriffen. Selbst die hier traditionell zurückhaltenden Lutheraner – bis hin zum national-konservativen Flügel – betrachteten diese Frage mit zunehmendem Pragmatismus. Führende Kirchenvertreter, wie etwa der langjährige Ratsvorsitzende Dibelius, wurden Mitglied der CDU.222 Den Haupteinflusskanal auf die Bonner Politik sollten jedoch die kirchlichen Liaisonbüros in der Bundeshauptstadt bilden. Bereits seit 1948 übernahm Wilhelm Böhler die Rolle des Interessenvertreters des katholischen Episkopats in Bonn, 1950 wurde dieser Kontakt im Rahmen des Kommissariats der deutschen Bischöfe institutionalisiert. Auch die EKD ernannte 1949, eingedenk des sehr zögerlichen und wenig koordinierten Engagements in den Grundgesetzberatungen, einen Beauftragten des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik Deutschland: Der Herforder Superintendent Hermann Kunst (1907–1999), der später zusätzlich das Amt des Evangelischen Militärbischofs übernahm, sollte hier für eine Verstetigung der Kontakte zur Bundespolitik sorgen.223 218 Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 171, 392; siehe auch Gotto, Klaus: Die deutschen Katholiken und die Wahlen in der Adenauer-Ära. In: Langner, A. (Hg.): Katholizismus im politischen System, 7–32, hier 19. Laut Gotto führte diese Konstellation dazu, dass die katholische Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung meist als Unterstützerin der Union eingestuft wurde, während die evangelische Kirche, die in ihrer bereits dargestellten Heterogenität eine vergleichbar eindeutige Parteinahme gar nicht vornehmen konnte, mehrheitlich als parteipolitisch neutral angesehen wurde, siehe ebd., 21. 219 Ebd., 25. 220 Doering-Manteuffel, A.: Kirche und Katholizismus, 122. 221 Vgl. Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 166 f. 222 Klein, M.: Die Rolle der Evangelischen Kirche, 96. 223 Vgl. Ebd., 96f; Ganslmeier, Florian: Kirchliche Interessenvertretung im pluralistischen Staatswesen. Die »Katholischen Büros« als Verbindungsstellen zwischen Staat und Kirche. Essen 2010, 14; Scheuner, U.: Die Stellung der evangelischen Kirche, 135; siehe zudem Protokoll [Niederschrift über die 10. Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am 17./18. Januar 1950 in Halle] (Dok. 10B). In: Silomon, A. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 4, 38–56, hier 54.

Fazit  99

Die Tatsache, dass für die Kontakte der kirchlichen Büros zu Regierungsstellen keine formalen Regelungen erlassen wurden,224 deutet dabei einen gewissen Sonderstatus an: Offensichtlich wurden die Kirchen nicht als Interessenverbände unter anderen gesehen – eine Haltung, die dem kirchlichen Selbstverständnis durchaus entsprach. Entsprechend vertrauensvoll und im Allgemeinen zur Zufriedenheit der Kirchen verlief die inhaltliche Arbeit der Verbindungsbüros, wie etwa ein Bericht Böhlers an die Bischofskonferenz vom August 1953 zeigt: Mit Blick auf die Gesetzgebungsarbeit heißt es dort: »In vielen Fällen haben wir erreicht, dass die Referenten sich mit uns in Verbindung setzen, bevor der Referentenentwurf dem Kabinett zugeleitet wird […]. Im übrigen schalten wir uns bei allen Gesetzesvorlagen ein, wenn kirchliche Interessen berührt werden.«225 Nach Jahren der Distanz zum Staat können die Verbindungsbüros somit als Zeichen des kirchlichen Willens zur politischen Mitgestaltung aufgefasst werden – mehr gefordert denn je angesichts der religionspolitischen Neuordnung in der jungen BRD sowie des komplexen Projekts, unter Bedingungen der sich abzeichnenden Systemkonfrontation zwischen Ost und West einen demokratischen und sozialen Rechtstaat zu errichten.226

3. Fazit Die katholische und die evangelische Kirche stellten die großen moralischen Autoritäten der westdeutschen Nachkriegszeit dar. Doch auch auf sie trifft ein Befund zu, der die politische Mentalität der frühen Bundesrepublik insgesamt beschreibt: Auch der neue politische Konsens, der in den Gründungsaufrufen der Parteien ebenso zu finden ist wie im Grundgesetz, und der das Bekenntnis zu Demokratie und Menschenwürde umfaßt, kurz: zum politischen Westen, ist zunächst nur der offizielle Konsens der Deutschen. Verinnerlicht hat ihn die Mehrheit natürlich noch nicht.227

Angesichts der im ersten Teil dieses Kapitels erfolgten Darstellung der kirchlichen Haltung zur Idee des freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaats vor 1945 bleibt daher die Relevanz der Frage bestehen, wie diese Glaubensgemeinschaften letztlich ein selbstverständlicher Teil einer demokratischen deutschen Zivilgesellschaft wurden. Denn dies geschah, wie gezeigt, nicht von einem Moment auf den anderen im Augenblick des Zusammenbruchs des NS -Regimes. 224 Vgl. etwa Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 396; Liedhegener, A.: Macht, Moral und Mehrheiten, 70 f. 225 Zit. nach Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 133. 226 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 19f; siehe auch Maier, H.: Die Kirchen, 503. 227 Schwaabe, C.: Die deutsche Modernitätskrise, 412.

100  Die freiheitliche Staatsidee und die Kirchen in Deutschland  Feststellen lässt sich, dass sich die Kirchen nach 1945 deutlich politischer zeigten als zuvor. Sie wurden als maßgebliche soziale und moralische Autoritäten gleichsam unausweichliche Mitspieler bei der politischen Neugestaltung Westdeutschlands und beeinflussten den Diskurs über Demokratie und Verfassungsstaat in den Anfangsjahren der Bundesrepublik in nicht unerheblicher Weise. Der neue Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen speiste sich dabei aus den Erfahrungen der Diktatur und der Erkenntnis, dass eine bloße Verteidigung überkommener Rechte im Zweifelsfall nicht ausreiche, die eigene Freiheit zu bewahren.228 Entsprechend beteiligten sich beide Kirchen an den Verhandlungen zum Grundgesetz und machten gegenüber dem Parlamentarischen Rat ihre Forderungen geltend. Wie oben geschildert, tat sich hierbei insbesondere die katholische Seite durch hohes Engagement hervor. Trotz einiger inhaltlicher Enttäuschungen beim verabschiedeten Grundgesetz sprachen sich wichtige katholische Akteure wie Böhler oder Muench letztlich für dessen Annahme aus. Darin zeigte sich jedoch eher politischer Realismus als eine überzeugte liberaldemokratische Einstellung. Denn die Art und Weise, wie die katholische Kirche zuvor gegenüber der Unionsfraktion im Parlamentarischen Rat ihre Standpunkte geltend gemacht hatte, lässt »unschwer eine gewisse Verständnislosigkeit gegenüber der Eigenständigkeit politischer Entscheidungsträger sowie den Eigengesetzlichkeiten und Zwängen eines demokratischen Aushandlungsprozesses erkennen«.229 Mehr noch, die von Böhler orchestrierte begleitende Öffentlichkeitskampagne riskierte es, zugunsten einer Stärkung der katholischen Position die Legitimität des Parlamentarischen Rates und seiner gewählten Abgeordneten zu untergraben und die in konservativen Kreisen immer noch vorhandene Skepsis gegenüber politischen Parteien und parlamentarischer Demokratie zu reproduzieren.230 Zwar bilanzierte Böhler im Jahr 1953 selbstbewusst: Wenn im Grundgesetz schließlich die Menschenrechte nicht nur deklamatorisch erklärt, sondern als vorstaatliche, in Kraft befindliche Rechte bezeichnet wurden […], dann war dies nicht zuletzt der klaren, eindeutigen und festen Haltung der katho­ lischen Kirche und der katholischen Abgeordneten zu danken. Die Kirche war wirklich wieder Hort der Freiheit und des Rechts gewesen.231

Demgegenüber ist jedoch zu bemerken, dass die kirchliche Mitarbeit an der Entstehung des Grundgesetzes und des bundesdeutschen Rechtsstaates gerade nicht bedeutete, dass man damit auch den Aufbau eines weltanschaulich neutralen Staates und einer pluralistischen Gesellschaft befördern wollte.232 228 Vgl. Maier, H.: Die Kirchen, 497. 229 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 180. 230 Vgl. ebd., 186. 231 Böhler, W. J.: Katholische Kirche, 137. 232 Vgl. hierzu auch Anselm, R.: Verchristlichung der Gesellschaft, 73 f.

Fazit  101

Die deutlich geringere Einflussnahme der EKD auf die Verfassungsverhandlungen kann im Wesentlichen der heterogenen Binnenstruktur dieser Dachorganisation zugeschrieben werden, verbunden mit diversen Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Gliedkirchen. Zusätzlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die EKD aufgrund ihrer gesamtdeutschen Ausrichtung das Grundgesetz letztlich nur als Provisorium betrachten konnte und ihm entsprechend weniger Gewicht beimaß als die katholische Kirche.233 Auch bestanden insbesondere im nationalprotestantischen Milieu erhebliche Vorbehalte theologischer und politischer Art gegen die neue Staatsordnung. Von einer evangelischen Fundamentalopposition gegen das Projekt Bundesrepublik konnte jedoch keine Rede sein. Inacker formuliert durchaus treffend: »Die [evangelische] Kirche befand sich zwar noch lange nicht im Zentrum, aber doch innerhalb und nicht außerhalb eines Diskurses, der um den ernsthaften und einen demokratischen Grundkonsens anstrebenden politischen Neuaufbau bemüht war.«234 Dieser in den ersten Nachkriegsjahren noch vor beiden Kirchen liegende Weg ins Zentrum des liberaldemokratischen Diskurses steht im Fokus der nun folgenden Kapitel: Es gilt zu analysieren, inwiefern eine aktive politische Einbindung der Kirchen deren liberaldemokratische Integration befördert hat – und ob der Staat der Bundesrepublik Deutschland als solcher, oder auch einzelne Regierungen, durch diese Kooperation in ihrer politischen Autorität gestärkt wurden.

233 Greschat, M.: Vorgeschichte, 42 f. 234 Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 183.

IV. Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik 1945–1965 1. Allgemeine Rahmenbedingungender westdeutschen Bildungspolitik Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes wurde das freie Wirken der Religionsgemeinschaften in der BRD abgesichert. Die Frage nach dem kirchlichen Einfluss auf das Schulwesen und der Stellung der Religion hatte sich dabei als einer der »wirklich wenigen grundsätzlichen Streitpunkte« im Parlamentarischen Rat erwiesen.1 Dementsprechend entluden sich Spannungen im Verhältnis von Staat und Kirche in den folgenden Jahren auch schwerpunktmäßig in bildungs- bzw. schulpolitischen Fragen.2 Im Folgenden wird, nach einer Definition und Aufgabenbeschreibung des Policy-Feldes der Bildungspolitik, die historische Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirchen im deutschen Schulwesen kurz umrissen, um sodann die grundgesetzlichen Rahmenbedingungen sowie die schulpolitischen Standpunkte der Kirchen und der wichtigsten politischen Parteien der BRD darzustellen. Dies dient als Grundlage der an dieses Kapitel anschließenden Länderfallstudien. Als eigenständiges Politikfeld hat Bildungspolitik »die Gesamtheit aller Bildungseinrichtungen zum Gegenstand, unabhängig davon, ob sie von öffentlichen oder privaten Bildungsträgern eingerichtet und unterhalten werden«.3 Da das Bildungswesen, insbesondere der Schulbereich, für die christlichen Kirchen und andere Religionsgemeinschaften zu ihren traditionellen Handlungsfeldern gehört, ist der Bildungssektor für das Thema »religionspolitische Governance« von einschlägiger Bedeutung. Die zentrale Relevanz liegt dabei sowohl für die staatliche wie für die kirchliche Seite darin, dass Bildung neben Qualifikation und Allokation – also dem Anlernen beschäftigungsrelevanter Fähigkeiten sowie der Zugangsregelung zu beruflichen Laufbahnen – auch die Funktion soziokul 1 Möllers, C.: Grenzen der Ausdifferenzierung, 28. 2 Vgl. Liedhegener, A.: Macht, Moral und Mehrheiten, 59f; Forster, Karl: Entwicklungslinien in den Beziehungen von Kirche und Staat 1949–1963. In: Rauscher A. (Hg.): Kirche und Staat in der Bundesrepublik, 41–67, hier 46; Spotts, F.: Kirchen und Politik, 181. 3 Hepp, G. F.: Bildungspolitik in Deutschland, 21.

104  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  tureller Integration erfüllt: Bildungseinrichtungen haben einen signifikanten Anteil an der Sozialisation junger Gesellschaftsmitglieder und üben großen Einfluss auf deren Persönlichkeitsentwicklung aus.4 Aus dieser Tatsache ergibt sich, dass Bildungspolitik eine nicht zu unterschätzende weltanschauliche Qualität zukommt. Denn als Sozialisationsinstrumente regeln Bildung und Erziehung im Kindes- und Jugendalter die Art und Weise der Eingliederung nicht nur in die Gesamtgesellschaft, sondern auch in weltanschauliche Gemeinschaften. Über die Gestaltung des Unterrichtes an von der öffentlichen Hand getragenen Schulen können Regierungen – im bundesdeutschen Fall die Landesregierungen – die politische Kultur der Gesamtgesellschaft in bestimmtem Umfang beeinflussen. Die Kirchen wiederum sind interessiert an Vermittlung eines christlichen Menschenbildes sowie an Erhalt und Ausweitung ihrer Mitgliederbasis durch religiöse Unterweisung. Für sie ist die Teilhabe am öffentlichen Bildungssektor daher einerseits Wertorientierung im Sinne des Strebens nach einer christlichen Prägung der Gesellschaft, andererseits aber auch zentral für die Sicherung der eigenen Mitgliederbasis und damit institutionelles Interesse.5 Aufgrund ihrer hohen Relevanz für Staat wie Kirche liegt die Bildungspolitik traditionell im Spannungsfeld zwischen beiden Akteuren.6 Zum Konflikt kommt es insbesondere dann, wenn staatlicherseits versucht wird, die kirchliche Partizipation im Schulwesen einzuschränken, während sich die Kirchen um eine Vergrößerung ihres Einflusses bemühen. Eine solche staatliche Politik kann dabei ganz unterschiedlichen Motivationen entspringen, von einer Bevorzugung liberaler pädagogischer Konzeptionen mit kirchenskeptischem Impetus bis hin zum Streben nach einer totalitären Monopolisierung der kulturellen Deutungshoheit. In Deutschland spiegelte sich dieser Konflikt seit dem 19. Jahrhundert nicht zuletzt in der Dichotomie »öffentliche Bekenntnisschule gegen öffentliche Gemeinschaftsschule« wider, in der sich zwei unterschiedliche Modelle der Ausgestaltung des staatlichen (bzw. kommunalen) Schulwesens gegenüberstanden, vor allem auf der Ebene der Volksschule.7 Die Bekenntnisschule oder »Konfes­

4 Vgl. ebd., 28–32. 5 Zu den Kategorien siehe Kapitel II der vorliegenden Untersuchung. Vgl. auch Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 52. 6 Siehe auch ebd., 18 f. 7 Dieser Begriff wird im Folgenden gemäß Art. 145f WRV verwendet, wonach die Volksschule eine den Grundschulbereich einschließende Basisschulbildung vermittelte  – etwa vergleichbar mit der späteren Grund- plus Hauptschule. Zu unterscheiden davon sind Mittel- und höhere Schule als weiterführende Schularten. Da im öffentlichen Schulwesen der kirchliche Einfluss bei den mittleren und höheren Schulen deutlich früher zurückging als im Volksschulbereich – in Preußen etwa bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts –, war es die Volksschule, die nach 1945 im Brennpunkt der Debatte um die Bekenntnisschule und die konfessionelle Prägung stand, vgl. Rupp, Horst F.: Religion – Bildung – Schule. Studien

Allgemeine Rahmenbedingungen  105

sionsschule« zeichnete sich dadurch aus, dass Schülerinnen und Schüler wie auch Lehrpersonal im Allgemeinen derselben Konfession angehörten, wobei insbesondere die katholische Kirche zusätzlich den gesamten Unterricht von ihrem Bekenntnis geleitet wissen wollte. Demgegenüber war die Gemeinschaftsschule, oft auch »Simultanschule« genannt, überkonfessionell ausgerichtet. Je nach Kontext entsprach sie dabei entweder der sogenannten »weltlichen Schule«, in der keine religiöse Unterweisung stattfand, einer überkonfessionellen Schule mit bekenntnismäßigem Religionsunterricht, oder aber einer dezidiert »christlichen Gemeinschaftsschule«, die zwar überkonfessionell, aber von christlichen Werten geleitet sein sollte.8 Als weiteren Typus öffentlicher Volksschulen führte Art. 146 WRV schließlich noch die (nichtreligiöse) Weltanschauungsschule ein. Obgleich in den meisten Landesverfassungen und -schulgesetzen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik mehrere oder auch alle dieser Typen der Volksschule nebeneinander existierten, kam es doch zu heftigen Auseinandersetzungen darüber, welcher als Regelschule das vorherrschende Modell darstellen sollte. Die zwei am weitesten verbreiteten Formen, die die Pole der öffentlichen Diskussionen darstellten – Bekenntnisschule und Gemeinschaftsschule  –, können dabei als stellvertretend für die ihnen zugrundeliegenden pädagogischen Konzeptionen stehend aufgefasst werden: Auf der einen Seite die christliche Erziehung mit fester Kirchenbindung, auf der anderen die demokratische Integration mit stärker leistungsorientierten Unterrichtsformen.9 Der folgende Abschnitt bietet einen kurzen Überblick zu den religionspolitisch relevanten Entwicklungen im deutschen staatlichen Schulsystem vor 1945, um so die Grundlage sichtbar zu machen, auf der die im weiteren Verlauf untersuchten schulpolitischen Positionen von Kirchen und Parteien fußten. a)

Religionspolitische Tendenzen im deutschen Schulwesen vor 1945

Während durch das Mittelalter hindurch das Bildungswesen in den deutschen Ländern weitgehend monastisch-kirchlich dominiert war, trat mit der Reformation ein erster Bruch dieser Tradition auf, als in den evangelischen Territorien Kirchenangelegenheiten faktisch Staatsangelegenheiten wurden. Noch blieben zur Geschichte und Theorie einer komplexen Beziehung, Weinheim 1994, 196, 241, 244, 276; siehe auch Müller-Rolli, Sebastian: Einleitung. In: Ders. (Hg.): Evangelische Schulpolitik in Deutschland 1918–1958. Dokumente und Darstellung. Unter Mitarbeit von Reiner Anselm und einem Nachwort von Karl Ernst Nipkow. Göttingen 1999, 23–52, hier 25. Die nachfolgenden Falluntersuchungen werden dementsprechend ihren Fokus auf das Volksschulwesen legen. 8 Vgl. Keim, Wolfgang: Schule und Religion. Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates und die Verbreitung religiösen Gedankenguts mit Hilfe des Schulwesens in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Deutschland. 2. Aufl., Hamburg 1969, 88–92. 9 Vgl. auch Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 113.

106  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  dabei die Schulordnungen allerdings Teil der Kirchenordnungen, was eine gewissermaßen selbstverständliche Beziehung von Kirche und Schule aufzeigt, die erst im Laufe des 18. Jahrhunderts erodierte. Dieser Wandel zeigt sich etwa für Preußen im Allgemeinen Landrecht (ALR) von 1794, das Schulen und Universitäten zu »Veranstaltungen des Staates« erklärte und so das Durchsetzen des Staates als führender bildungspolitischer Akteur markierte.10 Infolge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 wurde zwar die staatliche Trägerschaft im Schulwesen vorherrschend, eine konsequente – zumal dauerhafte – Säkularisierung bedeutete dies jedoch nicht. So blieb etwa in Preußen nach dem Wiener Kongress die Bekenntnisschule Regelschule, der Religionsunterricht wurde gepflegt und die Kirchen in die Schulaufsicht eingebunden – Zeichen eines forcierten Bündnisses zwischen Thron und Altar in der Restaurationszeit.11 Nach dem Scheitern der Revolution von 1848 wurde diese staatskirchliche Position beibehalten: In Art. 14 der Preußischen Verfassungsurkunde von 1850 war die christliche Prägung der Schule angelegt und auch nach dem preußischen Volksschulunterhaltungsgesetz (VUG) von 1906 galt die Bekenntnisschule als Regelschule.12 Gleichzeitig konnte von einer harmonischen oder gar gleichberechtigten Kooperation zwischen Staat und Kirchen im Bildungsbereich keineswegs die Rede sein. Im Rahmen des Bismarck’schen Kulturkampfes schränkte beispielsweise Preußen im Jahr 1872 die Aufsicht der Kirchen über die Schulen zugunsten des Staates ein, wenngleich diese Maßnahme letztlich nicht erfolgreich war.13 Wurde der kontinuierliche Einflussverlust der Kirchen auf den Bildungsbereich im dargestellten Zeitraum durch staatlich-kirchliche Allianzbildung abgemildert oder überdeckt, trat er mit dem Ende des Kaiserreichs und der Verfassung von 1919 deutlich zutage. Anders als noch die Verfassung von 1871 enthielt die Weimarer Reichsverfassung schulpolitische Rahmenbestimmungen, die die zentrale Rolle des öffentlichen Schulwesens betonten. So wurde etwa durch Art. 144 WRV die geistliche Schulaufsicht endgültig reichsweit aufgehoben und

10 Siehe § 1 des zwölften Titels des ALR (Die Schulartikel des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794. In: Giese, Gerhardt (Hg.): Quellen zur deutschen Schulgeschichte seit 1800. Göttingen 1961, 61–64.). Vgl. auch Hepp, G. F.: Bildungspolitik in Deutschland, 35; Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 65–70; Giese, Gerhardt: Einführung. In: Ders. (Hg.): Quellen zur deutschen Schulgeschichte, 11–60, hier 11 f. 11 Vgl. ebd., 22 f. Auch in anderen deutschen Ländern waren Geistliche, insbesondere jene der jeweiligen Mehrheitskonfession, als nebenamtliche Schulinspektoren an der Schulaufsicht beteiligt, siehe Keim, W.: Schule und Religion, 71, 74. 12 Vgl. Giese, G.: Einführung, 31; Korioth, S.: Die Entwicklung der Rechtsformen, 118. § 33 VUG bestimmte die Bekenntnisschule »allein rechtstechnisch-formal über die Konfessionszugehörigkeit von Schülern und Lehrern« (Müller-Rolli, S.: Einleitung, 26). Dies stellte einen deutlichen Kontrast insbesondere zum substantiellen katholischen Verständnis der Bekenntnisschule dar. 13 Vgl. Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 75f; Giese, G.: Einführung, 35 f.

Allgemeine Rahmenbedingungen  107

durch eine rein staatliche ersetzt.14 Das Ende der Bekenntnisschule war indes auch mit der Republik nicht gekommen. Zwar wurde die Gemeinschaftsschule in der Verfassung als staatliche Regelschule festgelegt, die Zentrumsfraktion setzte in der Nationalversammlung jedoch die konfessionelle Schule als Antragsschule sowie die Möglichkeit auf bekenntnisgebundene Lehrerbildung durch. Da zudem ein geplantes Reichsschulgesetz in der Folgezeit nicht zustande kam, blieb die Bildungspolitik Sache der Länder, so dass etwa in Bayern und Preußen die Bekenntnisschule weiterhin faktisch die Regel darstellen konnte.15 Der Kompromisscharakter der verfassungsrechtlichen Schulbestimmungen der ersten deutschen Demokratie zeigt sich darin, dass sowohl die Kirchen als auch die linken und liberalen Parteien jeweils deutlich weitergehende, dabei aber unvereinbare Konzeptionen verfolgten. So verlautbarte etwa der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss im Jahr 1921, die evangelische Kirche fördere nach Kräften die Bekenntnisschule, welche für sie die reguläre Schulform darstelle.16 Von katholischer Seite forderte die von Wilhelm Böhler geführte Katholische Schulorganisation eine rechtliche Gleichstellung von Bekenntnisschulen mit Gemeinschaftsschulen, konfessionell ausgerichtete Lehrbücher an Bekenntnisschulen sowie bekenntnistreue Lehrer.17 Nachdrücklich wurde die Forderung nach einer ganzheitlichen konfessionellen Schulbildung durch die päpstliche Enzyklika »Divini illius magistri« vom 31. Dezember 1929 bekräftigt. Papst Pius XI. erklärte darin, dass für katholische Schüler nur eine solche Schule angemessen sei, in der Schulordnung, Lehrmaterial, Unterricht sowie die Lehrkräfte selbst von christlichem Geist erfüllt seien und unter der Leitung und der Aufsicht der Kirche stünden.18 Die evangelische Kirche erhob zwar in Teilen sehr ähnliche Forderungen wie die Katholische Schulorganisation, war aber im Allgemeinen wesentlich toleranter gegenüber (bestehenden) Simultanschulen.19 Im Gegensatz zu den Kirchen traten liberale, sozialistische und kommunistische Kräfte für eine überkonfessionelle Schulbildung in allen Altersstufen ein, wobei sie häufig jegliche religiöse Färbung des staatlichen Bildungswesens ablehnten. In ihrem »Heidelberger Programm« von 1925 forderte die SPD beispielsweise: »Die öffentlichen Einrichtungen für Erziehung, Schulung, Bildung 14 Vgl. Hepp, G. F.: Bildungspolitik in Deutschland, 36; vgl. auch Giese, G.: Einführung, 45. 15 Vgl. Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 81–84; Müller-Rolli, S.: Einleitung, 45. 16 Der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss: Stellungnahme zum Schulwesen und zur Schulgesetzgebung [2.7.1921] (Dok. 7). In: Müller-Rolli, S. (Hg.): Evangelische Schulpolitik, 83–85, hier 84. 17 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 100 f. 18 Pius XI.: Divini illius magistri. In: AAS 22 (1930), 49–86, hier 77; vgl. auch Renner, Michael: Nachkriegsprotestantismus in Bayern. Untersuchungen zur politischen und sozialen Orientierung der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns und ihres Landesbischofs Hans Meiser in den Jahren 1945–1955. München 1991, 177. 19 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 112.

108  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  und Forschung sind weltlich. Jede öffentlich-rechtliche Einflußnahme von Kirche, Religion und Weltanschauungsgemeinschaften auf diese Einrichtungen ist zu bekämpfen.«20 Diese fundamentalen Meinungsverschiedenheiten bezüglich eines für die Formierung der gesellschaftlichen Kräfte so zentralen Feldes wie der Schulbildung brachten ein hohes Konfliktpotential mit sich, das sich etwa in der Blockadehaltung der katholischen Kirche bei den Verhandlungen zum geplanten Reichsschulgesetz zeigte: Aufgrund der entschlossenen kirchlichen Opposition sah sich das Zentrum genötigt, seine beabsichtigte Zustimmung zu einer Kompromisslösung mit den linken und liberalen Parteien zurückzuziehen; das Gesetzesvorhaben scheiterte.21 Nach 1945 sollten diese Konfliktlinien noch einmal wiederaufleben. Angesichts der zahlreichen Gegner eines kirchlich angeleiteten Unterrichts überrascht es nicht, dass die katholische Kirche großen Wert auf eine reichsweit geltende konkordatäre Zusicherung ihrer Positionen legte. Obgleich bereits zum Jahresende 1919 erste Verhandlungsversuche für ein Reichskonkordat un­ternommen wurden, gelang es erst 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, das Vertragswerk fertigzustellen und zu ratifizieren.22 Für die weitere Untersuchung sind insbesondere die fünf Schulartikel des Konkordats, Art. 21–25, von Interesse. Hierin wird unter anderem der katholische Religionsunterricht nach kirchlichen Grundsätzen in Volks-, Mittel-, Berufs- und höheren Schulen als ordentliches Lehrfach bestimmt, wobei Lehrplan und Lehrmaterial in Einvernehmen mit den Kirchenbehörden festzulegen seien (Art. 21). Weiter garantiert das Konkordat die »Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen« (Art. 23) und gewährleistet ergänzend dazu die Möglichkeit einer konfessionellen Lehrerbildung »entsprechend den besonderen Erfordernissen der katholischen Bekenntnisschule« (Art. 24 II). Allgemein wird die Einstellung von katholischen Religionslehrern sowie Lehrern an katholischen Schulen von ihrer Eignung in den Augen der Kirche abhängig gemacht (Art. 22, Art. 24 I). Schließlich wird Ordensgeistlichen die Gründung und Führung katholischer Privatschulen genehmigt (Art. 25). Die positiven Erwartungen, die, wie in Kapitel III angesprochen, auf katholischer Seite nach der Ratifizierung des Konkordats mit der Religionspolitik des Hitlerregimes verbunden waren, erfüllten sich nicht. Zumal in schulpolitischer Hinsicht hatten die Nationalsozialisten nicht das geringste Interesse, irgendeinen Einfluss anderer weltanschaulicher Kräfte zuzulassen. Entgegen den Vereinbarungen des Reichskonkordates initiierte der neue Reichsminister 20 Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Das Aktionsprogramm. In: Dies.: Das Heidelberger Programm. Beschlossen auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Heidelberg am 18. September 1925. Offenbach a. M. 1947, 43–46, hier 45. 21 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 106–109. 22 Für eine Darstellung des wechselhaften Verhandlungsverlaufs siehe Volk, L.: Das Reichskonkordat.

Allgemeine Rahmenbedingungen  109

für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung im April 1934 die flächendeckende Umwandlung konfessioneller Volksschulen in staatlich kontrollierte Gemeinschaftsschulen, sogenannte »deutsche Volksschulen«. Diese Gleichschaltung umfasste auch die Lehrerbildung: Die bisherigen Einrichtungen, etwa die in ganz Preußen unter Kultusminister Carl Becker (1876–1933) einheitlich gegründeten Pädagogischen Akademien, wurden durch »Lehrerbildungsanstalten« ersetzt. Im Zuge dieses im Jahr 1941 offiziell abgeschlossenen Projekts erfolgte zudem die Entfernung katholischer und nichtlinientreuer evangelischer Geistlicher aus dem Schuldienst, wogegen die Kirchen vergeblich protestierten.23 Die Nationalsozialisten gingen außerdem gegen den Religionsunterricht vor und schafften die Schulgottesdienste ab, taten mithin also alles, um den kirchlichen Einfluss im Schulwesen auszuschalten.24 In den dargestellten Zeiträumen nahm der Konflikt um staatlichen und kirchlichen Einfluss auf das Schulwesen einen zentralen Platz in der deutschen Bildungspolitik ein. Während es dem NS -Regime dabei um die Durchsetzung eines weltanschaulichen Monopolanspruchs ging, versuchten liberale Bildungsreformer vor allem, eine vom kirchlichen Bildungsideal abweichende pädagogische Konzeption durchzusetzen. Weltanschaulich bedingte Vorbehalte gegenüber den Kirchen spielten dabei auf Seiten vieler Liberaler, insbesondere aber auch der Sozialdemokraten und Kommunisten, fraglos ebenfalls eine große Rolle. Nach kirchlicher Beschreibung handelte es sich um einen Konflikt zwischen einem Staatsmonopol im Schulwesen und dem Recht der Eltern auf die Wahl des Schultyps für ihre Kinder. Zumal für die katholische Kirche war der Kampf um ein konfessionelles Schulwesen jedoch seit dem Kaiserreich integraler Bestandteil der Bemühung, ein geschlossenes Sozialmilieu zu erhalten.25 Folglich muss die Auseinandersetzung um die Bekenntnisschule stets auch als Kampf um gesellschaftlichen Einfluss und weltanschauliche Deutungshoheit gesehen werden. b)

Die schulpolitischen Grundlagen in Westdeutschland nach 1945

Nach dem Fall der nationalsozialistischen Diktatur bestand bei den Kirchen die Hoffnung, dass unter der Ägide der Besatzungsmächte eine Revision der NS -Schulpolitik in Form einer Wiederherstellung der umgewandelten Bekenntnisschulen erfolgen würde. Bereits im Juni 1945 traten die katholischen Bischöfe daher mit klaren schulpolitischen Forderungen an die Öffentlichkeit: Katholische Schulen für katholische Kinder, konfessionelle Lehrerausbildung sowie 23 Vgl. Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 94f; Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 267f; Keim, W.: Schule und Religion, 77. Wie Müller-Rolli, S.: Einleitung, 45f anmerkt, blieben die konfessionellen Strukturen der Schulen dabei häufig bestehen und bestanden bis nach 1945 fort. 24 Vgl. auch Campenhausen, A. von / Wall, H. de: Staatskirchenrecht, 36. 25 Siehe Damberg, W.: Säkularisierung des Schulwesens, 631.

110  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  angemessene staatliche Finanzierung kirchlicher Privatschulen. Ein staatliches »Schulmonopol«, also die alleinige Existenz von Schulen in staatlicher Trägerschaft, lehnte die katholische Kirche strikt ab.26 Während auf protestantischer Seite in der Schulfrage kein einheitlicher Standpunkt existierte, war die Ermöglichung bekenntnismäßiger Erziehung auch hier eine zentrale Forderung. In diesem Sinne proklamierte etwa EKD-Ratsmitglied Hanns Lilje, dass »die göttliche Autorität eines politischen Parlaments an der Autorität des göttlichen Erziehungsgebots seine [sic] Grenze hat«, also das Anrecht auf konfessionelle Erziehung der Verfügbarkeit demokratischer Gesetzgebung entzogen sein müsse.27 Die Westalliierten, wie auch die folgenden Falluntersuchungen noch zeigen werden, trafen in dieser Sache keine verbindliche Entscheidung, sondern überließen schulpolitische Maßnahmen weitgehend den jeweiligen deutschen Landesverwaltungen – sei es aus Überzeugung, wie die Briten, oder resignierend ob der unkooperativen Haltung der Deutschen, wie die Amerikaner im Fall Bayerns.28 Dies hatte zur Folge, dass ein klarer bildungspolitischer Bruch ausblieb: In struktureller Hinsicht knüpfte die westdeutsche Gestaltung des Bildungsbereichs weitgehend an die Tradition Weimars an, insofern der staatlichen Ebene sowohl schulorganisatorische Regelungen wie auch lehrinhaltliche Entscheidungen zukamen. Zudem sollte der Staat der wichtigste Träger von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen bleiben, für deren Finanzierung er sorgte und über die er Personalhoheit ausübte.29 In der Praxis blieben die Kirchen jedoch wichtige Akteure, was sich unter anderem bereits am Lehrpersonal zeigte: Angesichts der Entlassung einer hohen Zahl von (weltlichen) Lehrkräften im Rahmen der alliierten, besonders amerikanischen, Entnazifizierungspolitik waren nach Kriegsende überdurchschnittlich viele Geistliche, darunter auch zahlreiche Ordensleute, als Lehrer im öffentlichen Schulwesen beschäftigt.30 Eine weitere Kontinuität in der deutschen Bildungspolitik stellte die legislative Zuständigkeit der Länder dar: Obgleich es Versuche einer bundesweiten schulpolitischen Koordinierung im Rahmen der Kultusministerkonferenz gab, darunter etwa die Schulreformvorschläge des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, blieb dieses Politikfeld im Großen und Ganzen 26 Hirtenwort der westdeutschen Bischöfe, 5.6.1945 (Dok. Nr. 988). In: Volk, Ludwig (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945. Band VI: 1943–1945. Mainz 1985, 521–529, hier 526 f. 27 Zit. nach Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 178. 28 Siehe auch Müller-Rolli, Sebastian: Kapitel IV: 1945–1948: Differenzen auf Länderebene. Regionale Eigendynamik unter alliierter Kontrolle (fortan: Einleitung zu Kapitel IV). In: Ders. (Hg.): Evangelische Schulpolitik, 347–383, hier 375, der bilanziert: »Tatsächlich aber war der Einfluß der Besatzungsmächte eher gering. Selbst wo sie, wie die Amerikaner, bildungspolitisch sehr aktiv wurden, mußten sie sich letztlich den faktischen Bedingungen beugen.« 29 Vgl. Hepp, G. F.: Bildungspolitik in Deutschland, 35 f. 30 Vgl. Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 100. Zur Entnazifizierungspolitik der US -Militärregierung siehe Kapitel IV.4 der vorliegenden Untersuchung.

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von der Landespolitik bestimmt.31 Dabei unterschieden sich die Schullandschaften der deutschen Länder – zumal hinsichtlich des Verhältnisses von Schule und Kirchen  – entsprechend ihrer jeweiligen Schultradition und den bestehenden parteipolitischen Kräfteverhältnissen. Während etwa SPD-geführte Kultusministerien, wie bereits in Weimar, im Allgemeinen die Gemeinschaftsschule förderten, traf bei Landesregierungen unter Führung der CDU / C SU der kirchliche Wunsch nach einer Rekonfessionalisierung der Volksschule in der Regel auf offene Ohren. Für konservative Kulturpolitiker verkörperte die Bekenntnisschule »weltanschauliches Wertobjekt, Traditionsgut und Wiedergutmachungsfall in einem«, weshalb ihre Wiedereinrichtung zu einem schulpolitischen Kernanliegen wurde.32 Demgegenüber standen die von linken und liberalen Kräften vertretenen Vorstellungen einer Demokratisierung des Schulwesens. Darunter wurden insbesondere die Ermöglichung differenzierterer Schullaufbahnen für individuelle Bildungschancen sowie die Entideologisierung des öffentlichen Schulwesens verstanden. In beiderlei Hinsicht galt den Verfechtern dieses Ideals die kirchliche Bildungspolitik als reaktionär.33 Angesichts dieser argumentativen Herausforderung betonten die Kirchen nach 1945 zunehmend, die Forderung nach der Bekenntnisschule ergebe sich aus der Gewissensfreiheit der Eltern, ihre Kinder im Sinne ihres religiösen Bekenntnisses zu erziehen.34 Insbesondere der katholische Kampf um das Elternrecht zur Bestimmung der Schulform der Kinder fußte auf der Erkenntnis, dass die konfessionelle Volksschule nicht als allgemeine Regelschule durchzusetzen war. Eine Absicherung der Bekenntnisschule auf diesem Wege galt zwar, so Anette Mertens, »als allenfalls zweitbeste Lösung«, da der Elternwille sich letztlich jederzeit ändern konnte. Spätestens ab 1948 jedoch schien diese Strategie »der einzige gangbare Weg, um die katholische Bekenntnisschule möglichst weitreichend durchzusetzen und dies nicht mit religiösen, sondern mit demokratischen Argumenten zu begründen«.35 Gleichzeitig wurde vorwiegend in katholischen Kreisen häufig versucht, die Gemeinschaftsschule und deren Unterstützer zu diskreditieren, indem diese Schulform in die Nähe der nationalsozialistischen 31 Zum Deutschen Ausschuss siehe etwa Bergmann, Sven: Die Diskussion um die Bildungsreform der Nachkriegszeit (Georg Picht). In: Friedrich, Norbert / Jähnichen, Traugott (Hg.): Gesellschaftspolitische Neuorientierungen des Protestantismus in der Nachkriegszeit. Münster 2002, 101–126, hier 115 f. 32 Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 194. 33 Vgl. Müller-Rolli, S.: Einleitung, 43. 34 Vgl. etwa Erklärung des Episkopats zur Bekenntnisschule (Dok. 200). In: Helbach, U. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1945–1947, Bd. 1, 728: »Von einem demokratisch-freiheitlichen System muß an allererster Stelle die Freiheit des Gewissens hochgehalten werden. Es dürfen darum den katholischen Eltern keine Hindernisse bereitet werden, ihrem gläubigen Gewissen zu folgen in einer Frage von so grundlegender Bedeutung wie die Gestaltung der Schule. Weder der Staat noch eine Partei darf ihnen ihr unveräußerliches Recht verkümmern.«. 35 Mertens, A.: Einleitung,16 f.

112  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Schule gerückt wurde  – ungeachtet der veränderten politischen Lage sowie des Umstands, dass die religionsfreie Schule nach 1945 kaum mehr eine Rolle spielte.36 Tatsächlich hatte die Einheitsschulpolitik der Nationalsozialisten die Gemeinschaftsschule zwar in den Augen mancher Eltern verdächtig gemacht, andere Eltern und viele Lehrer konnten sich mit dieser Schulform aber sehr wohl anfreunden.37 Das kirchliche Schulideal war somit nach Kriegsende keineswegs selbstverständlich und unumstritten. Da die politischen Mehrheitsverhältnisse in einigen westdeutschen Ländern dem Anliegen der Errichtung eines konfessionellen (Volks-)Schulwesens entgegenstanden und um eine generelle Absicherung der Bekenntnisschule zu erhalten, bemühte sich besonders die katholische Kirche, wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt, im Rahmen der Verhandlungen zum Grundgesetz eine bundesweite Regelung in ihrem Sinne zu erwirken. Als »[e]ine der wichtigsten Forderungen« bezeichnete der Episkopat dabei jene nach dem »gottgegebene[n] Elternrecht« auf die Wahl der konfessionellen Ausgestaltung der Schulen.38 Daneben sollte, in der Formulierung Prälat Böhlers, auch ein »Recht der Religionsgemeinschaften und staatlich anerkannten weltanschaulichen Gemeinschaften auf einen angemessenen Einfluß bei der Erziehung der Kinder, ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung« verankert werden.39 Weiterhin wurde katholischerseits vom Parlamentarischen Rat gefordert, den konfessionellen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in allen Schulen festzulegen sowie staatlich anerkannte Religions- und weltanschauliche Gemeinschaften als Bildungsträger privater Schulen zuzulassen.40 Die Kulturhoheit der Länder konnte dabei aus Sicht der katholischen Kirche keinesfalls einen Grund darstellen, derart zentrale Gewissensforderungen nicht grundgesetzlich abzusichern, wie Kardinal Frings gegenüber Adenauer betonte.41 Neben dem Elternrecht stellte die Bezugnahme auf die Schulartikel des Reichskonkordats, auf dessen Fortgeltung die Kirche beharrte, ein zentrales Element der katholischen Argumentation dar, 36 So schlug etwa der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger in einem Schreiben an Papst Pius XII. vor, man könne in der Schuldebatte die Sozialdemokraten beschuldigen, sich das nationalsozialistische Schulideal anzueignen und dadurch ihrerseits Wegbereiter einer neuen totalitären Entwicklung zu werden, siehe Bericht Jaegers für Pius XII. (Auszug) [1.1.1946] (Dok. 73). In: Helbach, U. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1945–1947, Bd. 1, 334–346, hier 344. 37 Vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 194. 38 Die deutschen Bischöfe: Erklärung zum geplanten Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. 11. Februar 1949 (Dok. 68). In: Löhr, W. (Bearb.): Hirtenbriefe und Ansprachen, 289–290, hier 289. 39 Ausarbeitungen Böhlers [10.10.1948] (Dok. 108). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 329–332, hier 331. 40 Vgl. ebd., 332. 41 Vgl. Frings an Adenauer [25.10.1948] (Dok. 113). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 338–342, hier 339.

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da man hoffte, die Bekenntnisschule durch Verweis auf die Vertragsbindung abzusichern.42 Obgleich sich die evangelischen Landeskirchen aus den in Kapitel III genannten Gründen deutlich zurückhaltender in die Grundgesetzverhandlungen einbrachten, war die Schulfrage für sie ebenfalls von großer Bedeutung. Die Vertreter der evangelischen Kirchen des Rheinlands und Westfalens nahmen dabei nicht nur ähnliche Standpunkte ein wie die katholischen Bischöfe – Anerkennung des Elternrechts und Verankerung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an allen Schulen –, sie brachten sie in Bonn auch in einer »gemeinsame[n] Aktion« mit der katholischen Seite vor, die, wie der Präses der westfälischen Landeskirche, Karl Koch (1876–1951), befand, »vielleicht ein Novum in den Beziehungen« beider Kirchen zueinander darstellte.43 Aller Einigkeit zum Trotz vermochten die Kirchen ihre schulpolitischen Vorstellungen im Parlamentarischen Rat nicht ohne Weiteres durchzusetzen, denn die kulturpolitischen Fragen waren wie kaum ein anderes Themengebiet weltanschaulich aufgeladen und riefen entsprechend erhitzte Kontroversen hervor.44 Die Fraktionen von SPD, FDP und KPD waren, in Anknüpfung an ihre jeweiligen Parteitraditionen, entschlossen, den kirchlichen Einfluss auf den Bildungssektor zu beschneiden. Während sich die katholischen Bischöfe, unterstützt durch die katholischen Laienverbände, für keine andere Detailfrage so sehr einsetzten wie die Verankerung des vollen Elternrechts, wie Antonius Liedhegener bilanziert, beharrten die linken Parteien und die Liberalen gerade in dieser Frage ebenso entschlossen auf ihrer Ablehnung.45 An diesem Widerstand scheiterte letztlich die Aufnahme des Elternrechts in der von den Kirchen gewünschten Form. Einigen konnte sich der Parlamentarische Rat lediglich auf ein allgemeines Erziehungsrecht der Eltern – ohne Auswirkung auf die Schulgestaltung (Art. 6 II GG) – sowie die schulpolitischen Rahmenbestimmungen des Art. 7  GG. Dieser stellt zunächst fest, dass das gesamte Schulwesen unter staatlicher Aufsicht steht (Abs. 1). Der »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« zu erteilende Religionsunterricht ist in allen öffentlichen Schulen  – außer den dezidiert bekenntnisfreien – als ordentliches Lehrfach vorgeschrieben 42 Vgl. etwa Repgen, Konrad: Der Konkordatsstreit der fünfziger Jahre. Von Bonn nach Karlsruhe (1949–1955/57). In: Kirchliche Zeitgeschichte, Jg. 3, Nr. 1 (1990), 201–245, hier 212. In einem Bericht für die Fuldaer Bischofskonferenz 1952 kam Wilhelm Böhler angesichts einer als unerfreulich empfundenen schulpolitischen Lage in vielen Bundesländern sogar zu dem Ergebnis, dass man die Auseinandersetzung um das Elternrecht nicht ohne Bezugnahme auf das Reichskonkordat führen könne, siehe ebd., 231. 43 Aus dem Bericht Präses D.  Kochs vor der EKD -Synode in Bethel am 12.1.1949, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Bethel 1949. Bericht über die erste Tagung der ersten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 9. bis 13. Januar 1949. Göttingen, 136, vgl. 134 f. 44 Vgl. zu dieser Beurteilung etwa Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 219. 45 Liedhegener, A.: Der deutsche Katholizismus, 59.

114  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  (Abs. 3), über die Teilnahme eines Kindes haben jedoch die Erziehungsberechtigten zu entscheiden (Abs. 2). Folglich ist der Religionsunterricht nach dem Grundgesetz Aufgabe des Staates, den Kirchen erwächst dabei aus Art. 7 II ein Visitationsrecht, um die Übereinstimmung des Unterrichts mit ihren Lehren zu kontrollieren  – eine Fortsetzung der alten geistlichen Schulaufsicht stellt dies aufgrund der fehlenden unmittelbaren Disziplinargewalt der Kirchen aber nicht dar.46 In Art. 7 IV GG wird schließlich das Recht zur Errichtung von Privatschulen gewährleistet, wobei diese der staatlichen Genehmigung bedürfen, wenn sie als sogenannte Ersatzschulen fungieren sollen, das heißt als den entsprechenden öffentlichen Schulen hinsichtlich Erfüllung der Schulpflicht und Anerkennung der Abschlüsse äquivalente Institutionen. Auf der Volksschulebene werden Privatschulen allerdings nur dann zugelassen, »wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt«, oder die Schule von den Erziehungsberechtigten zur Deckung des Bedürfnisses nach einem nicht vorhandenen Schultyp beantragt wird – also etwa einer Bekenntnisschule (Abs. 5). Diese Regelung der Privatschulfreiheit war für die Kirchen von höchster Relevanz, da kirchliche Schulen nach 1945 zunächst den überwiegenden Großteil der Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft ausmachten.47 Während Art. 7 GG damit aus Sicht der Kirchen eine Reihe positiver Regelungen vornahm, erregte die in Art. 141  GG festgelegte Einschränkung des Art. 7 III 1 das Missfallen der katholischen Kirche: Demnach musste in jenen Ländern kein der Lehre der Kirchen entsprechender Religionsunterricht eingerichtet werden, in denen zum 1. Januar 1949 »eine andere landesrechtliche Regelung bestand«.48 Kardinal Frings gab Adenauer gegenüber seinen »besonderen scharfen Protest« gegen diese Norm zum Ausdruck und auch in ihrem Hirtenwort zum Grundgesetz erhoben die katholischen Bischöfe Einspruch.49 Im katholischen Episkopat bestand offenkundig die Sorge, hier sei ein Einfallstor für eine generelle Einschränkung des lehrplanmäßigen Religionsunterrichts geschaffen worden. Letztlich unterstreicht die Ausnahmeregelung des Art. 141 GG die legislative Zuständigkeit der Länder in der Bildungspolitik, die im Gegensatz zu Weimar nicht nur vorbehaltlich des legislativen Nicht-Tätigwerdens der Bundesebene besteht. Im schulpolitischen Tagesgeschäft der BRD übernahmen die innere 46 Vgl. Campenhausen, A. von / Wall, H. de: Staatskirchenrecht, 213, 216. 47 Vgl. Listl, J.: Das Staatskirchenrecht, 28. 48 Diese sogenannte »Bremer Klausel« war ein Zugeständnis speziell an die Verhältnisse im Land Bremen, wo traditionell ein nichtkonfessioneller »Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage« stattfand, siehe Campenhausen, A. von / Wall, H. de: Staatskirchenrecht, 210. 49 Frings an Adenauer [11.2.1949] (Dok. 194). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 536f, hier 537; vgl. Erklärung und Hirtenwort der Bischöfe zum Grundgesetz vom [23.5.1949] (Dok. 253). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 657–674.

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Schulverwaltung dabei die Landesgesetzgeber und Landeskultusministerien, während der Bereich der äußeren Schulverwaltung, etwa der Schulbau, meist den Kommunen übertragen wurde.50 Die Kirchen hingegen sind, entgegen ihrem Selbstverständnis, im Grundgesetz nicht explizit als Bildungsträger anerkannt – anders als etwa in den Verfassungen Bayerns oder Nordrhein-Westfalens. Zwar erwies sich in der bundesdeutschen Praxis die staatliche Seite auch hier als kirchenfreundlich, indem ein kirchlicher Erziehungsauftrag meist faktisch anerkannt wurde; dieser bestand allerdings stets lediglich in abgeleiteter Form, vermittels des Rechts der Eltern auf religiöse Erziehung.51 Wenngleich ein kirchlicher Mitwirkungsanspruch in der Schulpolitik unabhängig vom Willen der Eltern daher rechtlich gesehen nicht geltend gemacht werden konnte, bezogen die Landesregierungen, wie die nachfolgenden Falluntersuchungen zeigen werden, die Forderungen der Kirchen von sich aus regelmäßig in ihre Planungen mit ein. Die religionspolitische Governance im Schulbereich verlief indes bei Weitem nicht immer reibungslos und einvernehmlich, sondern blieb auch nach 1949 Gegenstand von Verhandlungen und Konflikten zwischen den jeweiligen Landesregierungen und den betreffenden katholischen Bistümern bzw. evangelischen Landeskirchen sowie zwischen den politischen Parteien. Aufgrund der scharfen Frontstellungen in kulturpolitischen Fragen lässt sich für die ersten Jahre der BRD sogar von einer »latente[n] Kulturkampfstimmung« sprechen, in der selbst Formelkompromisse oft noch gezielt verhindert wurden, damit diese bei wechselnden Mehrheiten nicht umgedeutet werden konnten.52 Für einen besseren Überblick über die kulturpolitischen Debatten der Jahre 1945–1965 werden die zentralen kirchlichen und parteipolitischen Positionen im Folgenden noch einmal zusammengefasst dargestellt. c)

Die schulpolitischen Positionen von Kirchen und Parteien nach 1945

Die katholische Kirche ging bei der Formulierung ihrer schulpolitischen Position vom Naturrecht der Eltern auf die Kindeserziehung aus, wobei dem Staat ein subsidiäres Recht etwa zur Einrichtung von Schulunterricht zukam. Da die Kirche aber qua Taufe »Mutterrecht« am Kind beanspruchte, forderte sie ein Recht auf eigene Schulgründungen ein, verlangte aber Anerkennung auch für andere nichtstaatliche Schulträger. Generell sollten Privatschulen angemessen staatlich subventioniert werden.53 Als Schulideal galt der katholischen Kirche jedoch die öffentliche Bekenntnisschule. Um für diesen Schultyp geeignete Lehrkräfte 50 Fedler, Patricia: Anfänge der staatlichen Kulturpolitik in Hessen nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–1955). Wiesbaden 1993, 12–14. 51 Vgl. Schmitz-Stuhlträger, K.: Das Recht auf christliche Erziehung, 109–111. 52 Willems, U.: Religionspolitik, 143. 53 Katholische Grundsätze über das Erziehungs- und Schulwesen (Dok. 199). In: Helbach, U. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1945–1947, Bd. 1, 725–728, hier 725, vgl. 726.

116  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  heranzubilden, forderte sie eine konfessionelle Lehrerausbildung54 insbesondere für die Volksschule, prinzipiell aber auch für die anderen Schularten. Religionsunterricht sollte in sämtlichen Schulen schulplanmäßiges Lehrfach sein und unter »Leitung und Beaufsichtigung« der Kirche stehen. Entsprechend sollten die Auswahl und Berufung der Religionslehrer sowie die Erstellung des Lehrplans und der Lehrbücher nur im Einvernehmen mit der Kirche erfolgen.55 Wie bereits erwähnt, erhoben die katholischen Bischöfe Deutschlands Forderungen dieser Art bereits im Juni 1945 öffentlich und bis 1949 sollte insbesondere das Elternrecht auf Wahl der konfessionellen Ausrichtung der Volksschule eines der Hauptthemen bischöflicher Hirtenbriefe bleiben.56 Auch der erste Deutsche Katholikentag nach Kriegsende, abgehalten im September 1948, beschäftigte sich in einem Arbeitskreis »Schule und Erziehung« mit diesen Fragen – ein Zeichen, wie zentral die Schulpolitik für den deutschen Nachkriegskatholizismus war. Die Position des Episkopats wurde durch den Katholikentag dabei bekräftigt.57 Dass der Staat im Schulwesen eine Rolle zu spielen habe, verneinte die katholische Kirche also keineswegs – es sollte aber eine subsidiäre Rolle sein. Denn wenngleich Bildung auch aus Sicht der Kirche in den Bereich der res mixtae und damit einer geteilten staatlich-kirchlichen Zuständigkeit fiel, so beanspruchte sie für sich selbst auf diesem Feld doch die Interpretationshoheit aus naturrechtlicher Perspektive. Aus dieser aber unterliegt die Erziehung der Jugend dem kirchlichen Sendungsauftrag, weshalb die bereits zitierte Enzyklika »Divini illius magistri« (1929) einen Vorrang der Kirche in Erziehungsfragen sowohl dem Staat wie auch der Familie gegenüber beanspruchte.58 Als Konsequenz untersagte das kanonische Recht die Einschulung katholischer Kinder in nichtkatholischen – auch konfessionell gemischten – Schulen, wobei dem Ortsbischof die Möglichkeit verblieb, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen.59 Die katholische Schule zeichnete sich gemäß dieser Sicht nicht lediglich durch die Übereinstimmung 54 Wie in den Länderstudien noch gezeigt wird, präferierte die Kirche dabei das tra­ ditionelle seminaristische Modell der Lehrerausbildung, da bei einer Ansiedlung der Aus­ bildung an den Universitäten eine konfessionelle Trennung nicht aufrecht zu erhalten gewesen wäre. 55 Katholische Grundsätze über das Erziehungs- und Schulwesen (Dok. 199). In: Helbach, U. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1945–1947, Bd. 1, 725–728, hier 727, vgl. 726–728. 56 Siehe dazu Baadte, G.: Grundfragen, S. 111. 57 Die Entschließungen der Vertretertagung: IV. Schule und Erziehung. In: Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Hg.): Der Christ in der Not der Zeit, 321–323, hier 322, vgl. auch 321 f. 58 Vgl. Schmitz-Stuhlträger, K.: Das Recht auf christliche Erziehung, 304f; Buchhaas-­ Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 80–83. Aus dieser Perspektive hatten folglich die Eltern »die Erziehung nur im Sinne der Kirche und nicht etwa von ihr autonom« auszuüben (Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 168). 59 Siehe c. 1374 CIC/1917; vgl. auch Schmitz-Stuhlträger, K.: Das Recht auf christliche Erziehung, 287.

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von Lehrer- und Schülerkonfession aus, sondern durch die Ausrichtung des gesamten Unterrichts an der kirchlichen Lehre. Diese Position sollte die katholische Kirche im Ganzen bis in die 1960er Jahre beibehalten.60 Für die katholische Kirche bedeutete die Erziehung der Jugend gemäß ihren Weisungen einen unerlässlichen Schritt hin zu einer Rechristianisierung der Gesellschaft – und damit auch zur Stärkung der geistigen Abwehrkräfte gegen erneute totalitäre Tendenzen.61 Nach 1945 dachte man dabei nicht nur an den überstandenen Nationalsozialismus, sondern sah die Kirche auch an vorderster Front im Kampf gegen kommunistische Einflüsse: Bischof Keller von Münster etwa beschwor im Jahr 1952 die Bekenntnisschule in diesem Sinne als »Bollwerk der Gewissensfreiheit«.62 Doch dem katholischen Festhalten an der Bekenntnisschule lag nicht allein das Bestreben einer Verteidigung der christlichen Erziehung zugrunde, sondern auch der Versuch, die infolge der Bevölkerungsmobilität der Kriegs- und Nachkriegszeit einsetzende Erosion der konfessionellen Milieus einzudämmen.63 Darüber hinaus versprach der kirchliche Einfluss auf die Schule einen Zugang zu Menschen auch jenseits des Kreises der ohnehin Kirchengebundenen.64 Insgesamt maß die katholische Kirche der Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens existentielle Relevanz bei. Im Jahresbericht der bischöflichen Arbeitsstelle Schule und Erziehung 1953/54 konstatierte Prälat Böhler, der die Kirche abermals mit Liberalismus und Sozialismus im Kampf um katholische Schulgrundsätze stehen sah: »Schule besitzen oder nicht besitzen ist für die Kirche in Deutschland von vitaler Bedeutung: Es geht um Sein und Nichtsein.«65 Die Protestanten galten Böhler dabei als unzuverlässige Bündnispartner, da sie aus seiner Sicht der Idee der Gemeinschaftsschule gegenüber zu aufgeschlossen waren.66 Während die katholische Kirche zumindest nach außen hin eine sehr geschlossene schulpolitische Position vertrat, ist es nicht möglich, in dieser Frage von einer evangelischen Haltung als solcher zu sprechen: Die innere Hetero 60 Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Forderung nach der öffentlichen Bekenntnisschule im katholischen Klerus Westdeutschlands oder gar im Katholizismus als solchem keineswegs einstimmig erhoben wurde – sie stellte jedoch die offizielle kirchliche Position dar. Vgl. etwa Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 72 f. 61 Siehe etwa Die deutschen Bischöfe: Erster gemeinsamer Hirtenbrief nach dem Krieg, Fulda, 23. August 1945 (Dok. 6). In: Löhr, W. (Bearb.): Hirtenbriefe und Ansprachen, 40–45, hier 42. 62 Zit. nach Damberg, W.: Säkularisierung des Schulwesens, 640. 63 Vgl. ebd., 641. 64 Vgl. Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 142. 65 Böhler, Wilhelm: Kurzer Jahresbericht 1953/54 der bischöflichen Arbeitsstelle Schule und Erziehung, Historisches Archiv des Erzbistums Köln (fortan: AEK), Katholisches Büro NRW I 269, hier 3. 66 Böhler, Wilhelm: Bericht zur schulpolitischen Situation, AEK , Katholisches Büro NRW I 269, hier 1 und 7 f.

118  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  genität der EKD machte sich auch in der Bildungspolitik bemerkbar. Überdies stand einer einheitlichen evangelischen Schulpolitik lange das Beharren der einzelnen Landeskirchen auf ihrer Zuständigkeit in diesem Bereich im Wege, so dass die EKD erst im Jahr 1958 eine offizielle Schulerklärung abgeben konnte.67 Ein Hauptmerkmal der evangelischen Schulposition im Gegensatz zur katholischen stellte jedoch die verbreitete Ablehnung eines naturrechtlich begründeten kirchlichen Erziehungsrechts dar. Aus dieser Perspektive betonten protestantische Kirchenführer einerseits die Verantwortung der Eltern, empfanden andererseits aber eine staatliche Kontrolle des Schulwesens häufig als weniger problematisch. Beeinflusst wurde diese Wahrnehmung nicht zuletzt durch die historische Staatsnähe der evangelischen Landeskirchen sowie  – zumindest aus lutherischer Perspektive – durch die Zweireichelehre, die eine weitgehende Eigenverantwortlichkeit des Staates in weltlichen Dingen postulierte. Obgleich damit eine prinzipiell größere Aufgeschlossenheit gegenüber der christlichen Gemeinschaftsschule einherging, wurden nach 1945 auch von evangelischer Seite her Forderungen nach (Wieder)Errichtung konfessioneller Volksschulen laut. Dies hatte verschiedene Gründe: Während sich einige Kirchenvertreter primär aus Paritätserwägungen für evangelische Bekenntnisschulen aussprachen, insbesondere um in mehrheitlich katholischen Gebieten nicht konfessionell marginalisiert zu werden, gab es auch genuine Befürworter dieser Schulform, bei denen nicht zuletzt die Erinnerung an die unheilvolle Ideologisierung der Schule im Nationalsozialismus prägend wirkte.68 Eine Position wie jene der lutherischen Erziehungskonferenz im Jahr 1949 in Bad Boll, die sehr ähnlich der katholischen Konzeption forderte, dass »das gesamte Schulleben sowie der Unterricht in sämtlichen Fächern unter Wahrung einer sachgerechten Pädagogik vom Evangelium bestimmt« sein solle, konnte sich allerdings nicht durchsetzen.69 Zu sehr standen derlei Überlegungen wohl im Widerspruch zu Schulmodellen wie jenem, das der Stuttgarter Prälat Karl Hartenstein im Juni 1945 in einem Memorandum für Landesbischof Wurm formulierte. Darin konstatierte Hartenstein, die Kirche müsse gegenüber dem Staat völlige Freiheit der Lehre erbitten und gegenüber Eltern und Schülern auf Freiwilligkeit bauen.70 Wie in anderen Fragen auch, schied sich die innerevangelische Haltung in der Schulfrage nicht zuletzt entlang der Trennlinie zwischen bruderrätlichen und lutherischen Kreisen. So erklärten die Mitte August 1945 in Vorbereitung der Konferenz in Treysa tagenden Bruderräte die »evangelische 67 Vgl. Simon, C.: Die evangelischen Kirchen, 24, 30; siehe auch das Schlusskapitel dieser Arbeit. 68 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 199f; Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 106f; Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 84 f. 69 Zit. nach Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 184. 70 Hartenstein, Karl: Staat, Kirche und Schule [23.6.1945] (Dok. 47). In: Müller-Rolli, S. (Hg.): Evangelische Schulpolitik, 384–391, hier 388.

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Schule auf Grund von Bibel und Bekenntnis, getragen von einem im Glauben an Christus geeinten Lehrkörper« zu ihrem Schulideal. Mit Rücksicht auf die Nachkriegsverhältnisse stellte man jedoch fest, dass »als allgemeine Schulform die christliche Simultanschule mit einem Religionsunterricht zu fordern [ist], der gemäß dem Bekenntnis der Kirche und in ihrem Auftrag erteilt wird«. Der Wunsch nach evangelischen Lehrerbildungseinrichtungen blieb allerdings bestehen.71 Auf der Treysaer Konferenz konnte sich der (temporäre) Vorrang der christlichen Gemeinschaftsschule nicht durchsetzen, weshalb als Kompromiss zwischen bruderrätlicher und lutherischer Position dort schließlich gefordert wurde, »christliche Schule[n]« je nach den örtlichen Gegebenheiten als Gemeinschaftsschulen oder Bekenntnisschulen einzurichten. Die Forderungen nach kirchlichem Religionsunterricht und konfessioneller Lehrerbildung hingegen waren konsensfähig.72 In der Folgezeit kam es über Fragen der Bekenntnisschule und des kirch­ lichen Einflusses auf selbige wiederholt zu Konflikten zwischen Bruderräten und Lutheranern. Dabei kritisierten insbesondere die lutherischen Landeskirchen Hannovers und Bayerns den gemeinschaftsschulfreundlichen Standpunkt des EKD -Schulreferenten Oskar Hammelsbeck, der eine Reform des Schulwesens und der evangelischen Schulposition anstrebte.73 Im Mai 1949 machte sich die EKD allerdings die »Erklärung des Reichsbruderrates der Bekennenden Kirche Deutschlands zu den Schulfragen« zu eigen, wonach die Eltern die primäre Verantwortung für die Erziehung haben, weshalb die scharfe Gegenüberstellung von Bekenntnisschule und Gemeinschaftsschule für die EKD in der Folge entfiel. Als einziger Kirchenführer lehnte der bayerische Landesbischof Hans Meiser (­ 1881–1956) die Erklärung ab und bestand auf der Bekenntnisschule im Volksschulbereich.74 Im Ganzen gesehen lässt sich feststellen, dass aus evangelischer Sicht eher die inhaltlichen Voraussetzungen konfessioneller Erziehung im Fokus standen als deren institutionelle Etablierung, weshalb der Ruf nach evangelischen Lehrerbildungsanstalten zwar recht unstrittig war, die öffentliche Bekenntnisschule aber nur von wenigen Landesbischöfen vehement gefordert wurde.75 71 Tagung der Bruderräte in Frankfurt a. M. vom 21. bis 24. August 1945. In: Söhlmann, F. (Hg.): Treysa 1945, 172–178, hier 177. 72 Beschluß zur Schulfrage. In: Söhlmann, F. (Hg.): Treysa 1945, 104f, hier 104; vgl. auch Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 378; Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 179f, 225. 73 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 208f; Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 379; Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 179 f. 74 Vgl. Huelsz, Isa: Schulpolitik in Bayern zwischen Demokratisierung und Restauration in den Jahren 1945–1950. Hamburg 1970, 174. Siehe zu Meisers Position auch Unterkapitel 3.4 dieser Arbeit. 75 Vgl. etwa Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 202; Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 91.

120  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Die politischen Parteien Westdeutschlands standen teils in Übereinstimmung, teils in Ablehnung zu den kirchlichen Standpunkten. Stark von ihrer Weimarer Parteitradition und den bildungspolitischen Auseinandersetzungen der ersten deutschen Republik geprägt, erhielt die deutsche Sozialdemokratie in den ersten Jahren nach 1945 ihre im »Heidelberger Programm« von 1925 zum Ausdruck gebrachte Ablehnung eines kirchlichen Einflusses auf das Schulwesen weitgehend aufrecht.76 Aus diesem Grund befürwortete die SPD energisch die Gemeinschaftsschule als Regelschule für den Volksschulbereich, wenngleich sie, anders als in Weimar, nun auch bereit war, eine dezidiert christliche Gemeinschaftsschule mitzutragen.77 Während die SPD von einer überkonfessionellen Schule eine Erziehung des Nachwuchses im Geiste der Toleranz erwartete, galt ihr die Bekenntnisschule als Quelle konfessioneller Unruhe, da sie die Aufspaltung der Bevölkerung nach Glaubensbekenntnissen zementiere. Darüber hinaus genügte die bei konfessioneller Aufteilung der Volksschulen häufig auftretende einklassige Gemeindeschule aus Sicht der Partei nicht modernen pädagogischen Ansprüchen.78 Folglich lehnten die Sozialdemokraten nicht nur die öffentliche Bekenntnisschule ab, sondern betrachteten auch das Privatschulwesen mit seinem hohen Anteil an kirchlichen Schulen mit Skepsis.79 Auch hinsichtlich der Volksschullehrerausbildung suchte die Partei neue Wege und forderte die Einführung der Hochschulausbildung.80 Die FDP stimmte in zahlreichen bildungspolitischen Fragen mit den Sozialdemokraten überein. So bezeichnete das auf dem Bundesparteitag in Bremen am 11. und 12. Juni 1949 verabschiedete Parteiprogramm die christliche Gemeinschaftsschule mit konfessionellem Religionsunterricht als den besten Ort der 76 Vgl. Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 157. 77 Zur Gemeinschaftsschule vgl. etwa Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Aktions-Programm. Mit einem Vorwort von Dr. Kurt Schumacher, beschlossen auf dem Dortmunder Parteitag am 28. September 1952. In: Wilhelm Mommsen (Hg.): Deutsche Parteiprogramme der Gegenwart. München 1954, 35–70, hier 65. Zur christlichen Gemeinschaftsschule siehe beispielsweise die Verfassungsgebung in Rheinland-Pfalz, wo die SPD die Aufnahme der weltlichen Schule in die Verfassung ablehnte – zugunsten der christlichen Gemeinschaftsschule (siehe Rödel, Eva: Der Streit um die Bekenntnisschule. Der »Schulkampf« in Rheinhessen und seine Folgen: 1952–1955. Ubstadt-Weiher 2013, 50f). Obgleich dieses Vorgehen taktisch motiviert gewesen sein mag, zeigt sich hier doch eine flexiblere Haltung als zuvor. 78 Siehe dazu exemplarisch die Redebeiträge der Abgeordneten Bergsträsser und Zimmermann im Parlamentarischen Rat: Einundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses, 7. Dezember 1948 (Dok. 21). In: Michael F.  Feldkamp (Bearb.): Der Parlamentarische Rat: 1948–1949. Akten und Protokolle. Bd. 14: Hauptausschuß, Teilband 1. Hg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv unter Leitung von Horst Risse und Hartmut Weber, München 2009, 612–640, hier 625–628 und 634. 79 Vgl. Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Das Aktionsprogramm, 45; siehe auch Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 90; Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 71. 80 Vgl. etwa Sozialdemokratische Partei Deutschlands: SPD -Aktions-Programm 1952, 66.

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Erziehung zu Freiheit und Toleranz, wohingegen die Bekenntnisschule abgelehnt wurde, »weil sie der konfessionellen Zwietracht Vorschub leistet«. Wie die SPD lehnten die Freien Demokraten zudem das Elternrecht in der von der katholischen Kirche geforderten Form ab, da die Sorge bestand, eine Aufsplitterung des Schulwesens nach Bekenntnissen führe zur Gründung leistungsschwacher Kleinschulen. Dezidiert betonte die FDP dabei allerdings die Bedeutung des »christlich-abendländischen Glaubens- und Kulturgutes« und lehnte die weltliche Schule ohne christlichen Bezugsrahmen ab.81 Anders als die Sozialdemokraten forderten die Freien Demokraten im Parlamentarischen Rat außerdem, eine Garantie der Privatschule ins Grundgesetz aufzunehmen.82 Im Gegensatz zu SPD und FDP wies das Bildungsprogramm der Unionsparteien einen spezifisch katholischen Einschlag auf, was sich beispielhaft am Antrag »Elternrecht und Erziehung« im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates zeigt.83 Darin forderten CDU und CSU, »das natürliche Recht der Eltern« auf die Erziehung ihrer Kinder sei »auch bei der Bestimmung des religiös-weltanschaulichen Charakters der Schule […] zu wahren«. Zudem sollte Religionsunterricht demnach als »schulplanmäßiges Lehrfach in allen Schulen« und »nach den Grundsätzen der Kirche in ihrem Auftrage und unter ihrer Aufsicht erteilt« werden.84 Nachdem dies nicht durchgesetzt werden konnte, stellte sich die CSU in ihrem Bundestagswahlprogramm von 1949 auf den Standpunkt der katholischen Kirche, dass das Grundgesetz hinsichtlich des Elternrechts sowie der Absicherung der Konkordate defizitär sei. Nur die Anerkennung des Elternrechts, so heißt es dort, könne »zur völligen demokratischen Freiheit auf dem Gebiet der Erziehung führen«.85 Wie die folgenden Unterkapitel zeigen, wurden die Forderungen nach der Bekenntnisschule als zumindest gleichberechtigter öffentlicher Schulform, konfessioneller Lehrerbildung und staatlicher Finanzie 81 Beschluss Nr. 9 zum Elternrecht. In: Die Bremer Plattform. Beschlüsse des Bremer Parteitages der Freien Demokratischen Partei am 11. und 12. Juni 1949. Archiv des Liberalismus (ADL), PDF-Dokument IN5–191. URL: https://www.freiheit.org/sites/default/files/uploads/20​ 17/03/03/1949bremerplattform.pdf (Stand 20.3.2020). 82 Siehe dazu Theodor Heuß’ Antrag im Parlamentarischen Rat: Dreiundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses, 18. Januar 1949 (Nr. 43). In: Feldkamp, Michael F. (Bearb.): Der Parlamentarische Rat: 1948–1949. Akten und Protokolle. Bd. 14: Hauptausschuß, Teilband 2. Hg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv unter Leitung von Horst Risse und Hartmut Weber, München 2009, 1347–1378, hier 1354 f. 83 Dorothee Buchhaas-Birkholz bemerkt hierzu, dass die Union die Forderung nach Bekenntnisschulen, konfessioneller Lehrerbildung und staatlicher Finanzierung kirchlicher Privatschulen »in der Regel mit Rekurs auf die katholische Soziallehre begründet« habe, siehe Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 77, Hvh. i. O. 84 Einundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses, 7. Dezember 1948 (Dok. 21). In: Feldkamp, M. F. (Bearb.): Der Parlamentarische Rat, Bd. 14/1, 612–640, hier 612. 85 Christlich Soziale Union: Die Deutschen Wahlen vom 14. August 1949, HSS -Archiv München, 3/07, 18, vgl. 17 f. URL: https://www.hss.de/fileadmin/user_upload/HSS/Dokumente/​ ACSP/Bundestagswahlen/BTW_1949-08-14.pdf (Stand 20.3.2020).

122  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  rung von Privatschulen von weiten Teilen der Union konsequent vertreten, wobei die Partei oft in enger Fühlungnahme mit den Kirchen stand. Während CDU / C SU, SPD und FDP in den folgenden Fallstudien die größte Rolle spielen, seien hier noch die weiteren, meist kleineren oder regional bedeutenden Parteien angeführt, die im Rahmen der Untersuchung zur Schulpolitik genannt werden: Die Deutsche Zentrumspartei (Zentrum), die Deutsche Partei (DP), der Gesamtdeutsche Block / Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB / BHE), die Bayernpartei (BP) sowie die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Die in Anknüpfung an ihre Weimarer Tradition 1945 neugegründete Zentrumspartei blieb, obgleich sie nun auch um Unterstützung aus protestantischen Kreisen warb, im Grunde eine katholische Partei. Dies zeigte sich unter anderem in der schulpolitischen Programmatik, wo das Zentrum ein naturrechtlich begründetes Elternrecht vertrat.86 Entsprechend den Vorstellungen der katholischen Kirche hielt die Partei dabei jedoch letztlich die Bekenntnisschule für die beste und daher politisch zu fördernde Schulform.87 Allgemein war das Zentrum stets bemüht, sich als Interessenvertretung der katholischen Kirche zu präsentieren, wie etwa bei den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat. Die aus der 1946 gegründeten Niedersächsischen Landespartei (NLP) hervorgegangene Deutsche Partei war demgegenüber eher protestantisch geprägt. Ein explizites Bekenntnis zum Christentum, welches auch den gesamten Bildungssektor prägen sollte, gehörte dabei zum dezidiert konservativen Selbstverständnis der Partei.88 Entsprechend stimmte die DP im Parlamentarischen Rat gemäß dem Wunsch der Kirchen für das volle Elternrecht und trat in der Folgezeit etwa für den Erhalt kleiner Dorfschulen sowie die Bekenntnisschule ein, wobei letztere im Laufe der 1950er Jahre nicht mehr als Regelschule, sondern als gleichberechtigter Schultyp gefordert wurde.89 Im Kampf gegen den politischen Bedeutungsverlust vereinigte sich die DP im April 1961 mit dem GB / BHE zur Gesamtdeutschen Partei (GDP).90 Der BHE wiederum wurde 1950 als Interessenvertretung der aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertriebenen Bürgerinnen und Bürger gegründet, 1952 erfolgte die Umbenennung in GB / BHE .91 Die Partei forderte die Anerkennung der Kulturleistung des Christentums und 86 Vgl. Olzog, Günter: Die politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. 6. Aufl., München 1970, 45 f. 87 Programm des Zentrums. Soest, 14. Oktober 1945. In: Treue, Wolfgang (Hg.): Deutsche Parteiprogramme seit 1861. Göttingen 1968, 235f, hier 236. 88 Vgl. Acht Thesen der Rettung. Deutsche Partei. Juni 1947. In: Treue, W. (Hg.): Deutsche Parteiprogramme, 232–235, hier 233; Meyn, Hermann: Die Deutsche Partei. Entwicklung und Problematik einer nationalkonservativen Rechtspartei nach 1945. Düsseldorf 1965, 14.  89 Vgl. Simon, C.: Die evangelischen Kirchen, 129 f. 90 Vgl. Meyn, H.: Die Deutsche Partei, 73. 91 Vgl. Olzog, G.: Die politischen Parteien, 70–72.

Allgemeine Rahmenbedingungen  123

drückte den Wunsch nach Zusammenarbeit von Staat und Kirche aus.92 Sie vertrat dementsprechend zwar tendenziell ein christlich-konservatives Erziehungsideal, votierte aber dennoch für die Gemeinschaftsschule, um dadurch die Einheit des Volkes zu betonen.93 Ebenfalls zum konservativen Lager ist die 1946 gegründete Bayernpartei zu rechnen, die im Eintreten für einen selbstständigen bayerischen Staat bisweilen auch monarchistische Tendenzen aufwies.94 In ihrem Programm von 1949 bekannte sich die Partei zu einer »christlichen Weltanschauung«, welche »die Grundlage der Staatsführung« sein sollte. In diesem Sinne wurde auch »die religiöse Erziehung der Jugend unter Gewährleistung des elterlichen Erziehungsrechts« eingefordert.95 In deutlichem Kontrast zu diesen konservativen Parteien positionierte sich die KPD. Aus ihrem Gesellschaftsbild heraus lehnten die Kommunisten jeglichen kirchlichen Einfluss auf das Schulwesen ab und forderten überdies eine bundeseinheitliche Schule für alle Kinder.96 Die schulpolitischen Forderungen der Kirchen waren für die Partei daher untragbar. Als politischer Einflussfaktor schied die KPD allerdings bald aus, als das Bundesverfassungsgericht sie am 17. August 1956 für verfassungswidrig erklärte und ihre Auflösung anordnete.97 Nach Kirchen und Parteien soll nun noch ein Blick auf eine Akteursgruppe geworfen werden, die für die Schulthematik zwar zentral ist, aufgrund des Fokus dieser Untersuchung auf die Verhandlungen zwischen Staat und Kirchen im Folgenden jedoch nur am Rande vorkommen wird: Die Lehrerinnen und Lehrer. Für die Volksschullehrkräfte stellte den bundesweit größten Interessensverband die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) dar, die gemeinsam mit dem Bayerischen Lehrerverband (BLV, später Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband, BLLV) die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände bildete. Die GEW warb für ein demokratisches und egalitäres Schulsystem, weswegen sie die Gemeinschaftsschule bevorzugte. Allgemein fiel die Unterstützung der Bekenntnisschule durch Volksschullehrkräfte relativ gering aus;98 eine Ausnahme bildeten die in den dezidiert konfessionellen Lehrerverbänden organisierten Lehrerinnen und Lehrer, die die kirchlichen Schulvorstellungen befürworteten. Auf katholischer Seite waren dies insbesondere der Verband der katholischen Lehrerschaft Deutschlands (VKLD), der Verein katholischer deut 92 Programm des Gesamtdeutschen Blocks / BHE . Hildesheim, 20./21. Oktober 1952. In: Treue, W. (Hg.): Deutsche Parteiprogramme, 307–311, hier 310 f. 93 Simon, C.: Die evangelischen Kirchen, 131. 94 Vgl. Olzog, G.: Die politischen Parteien, 46. 95 Programm der Bayernpartei [1949]. In: Treue, W. (Hg.): Deutsche Parteiprogramme, 249f, hier 249. 96 Vgl. Simon, C.: Die evangelischen Kirchen, 132. 97 Siehe BVerfGE 5, 85. 98 Vgl. Müller-Rolli, S.: Einleitung, 49; Fedler, P.: Anfänge der staatlichen Kulturpolitik, 129.

124  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  scher Lehrerinnen (VkdL) und in Bayern die Katholische Erziehergemeinschaft (KEG). Gegenüber diesen katholischen Verbänden erlangten protestantische Erzieherverbände, wie etwa der Bund evangelischer Eltern und Erzieher, weder innerhalb noch außerhalb der Kirche eine ähnlich hohe Bedeutung.99 Neben den Konfessionen besaßen auch die einzelnen Schularten ihre jeweiligen Vertretungen. Hier unterstützen beispielsweise die im Deutschen Philologenverband organisierten Lehrkräfte der höheren Schulen in großen Teilen zunächst das hergebrachte höhere Schulsystem und damit unter anderem auch das von den Kirchen bevorzugte humanistische Gymnasium.100 Die Auseinandersetzung um die konfessionelle oder nichtkonfessionelle Ausgestaltung des Schulwesens bewegte also auch die Lehrenden und war alles andere als ein Sonderinteresse vereinzelter Kirchenleute oder Kulturpolitiker. Zurecht hat Eva Rödel darauf hingewiesen, dass es angesichts der vielfältigen nach Kriegsende zu bewältigenden Probleme bemerkenswert sei, mit wieviel Engagement sich auch Eltern und Gemeindeverwaltungen mit dieser Frage beschäftigten. Dies zeige, »welche Bedeutung diesem Themenkomplex beigemessen wurde, mit welchen Emotionen er belegt war und wie sehr viele Eltern eine möglichst zügige Rückkehr zu moralischen wie schulorganisatorisch geordneten Verhältnissen in Anknüpfung an die Zeit vor 1933 herbeisehnten«.101 Schulpolitik war in der Nachkriegszeit und den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik eines der am stärksten polarisierenden und meistdiskutierten innenpolitischen Themen, insbesondere in ihrer religionspolitischen Dimension. Da sie zudem jenes Politikfeld ist, das die Erziehung und Sozialisierung der kommenden Generationen betrifft, ist sie für die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung von zentraler Bedeutung. Um die Forschungshypothese am Beispiel der Bildungs- bzw. Schulpolitik zu überprüfen, gilt es zunächst zu bestimmen, was »Liberalisierung« und »Demokratisierung« in Hinblick auf das Schulwesen genau bedeuten. Hinsichtlich der hier allein behandelten religionspolitischen Dimension dieser Frage wird unter diesen Entwicklungen allen voran eine Abkehr von der konfessionellen Teilung von Schule und Lehrerbildung sowie der starken religiösen Durchdringung zahlreicher Schulfächer zugunsten einer Hinwendung zu einem stärker wissenschaftlichen Bildungsverständnis und einer liberaleren Pädagogik verstanden. Die Garantie gleicher Bildungschancen unabhängig von der Weltanschauung der Schülerinnen und Schüler ist dabei zentral. Bisweilen von libertärer Seite vorgebrachte Einwände, der staatliche Erziehungsauftrag als solcher widerspräche 99 Vgl. Pöggeler, Franz: Zur Geschichte der katholischen Lehrerverbände seit 1945. In: Heinemann, Manfred (Hg.): Der Lehrer und seine Organisation. Stuttgart 1977, 367–391, hier 367 f. 100 Vgl. Fedler, P.: Anfänge der staatlichen Kulturpolitik, 129. 101 Rödel, E.: Der Streit, 87.

Bildungspolitik in Niedersachsen  125

einem liberalen Politikverständnis, sind in diesem Zusammenhang entschieden abzulehnen: Die inhaltliche Seite des staatlichen Erziehungsauftrages, nämlich die Erziehung zu mündigen Staatsbürgern im Geiste von Toleranz und freiheitlichem Denken, ist nicht nur ganz offenkundig mit dem liberaldemokratischen Verfassungsideal zu vereinbaren, sie ist sogar eine Grundvoraussetzung der Bestandssicherung freiheitlicher Demokratie.102 Schließlich besitzt die staatliche Schule neben ihrer Bildungs- auch eine Integrationsfunktion, wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner »Krabat«-Entscheidung eindrücklich formulierte: Die Schule soll allen jungen Bürgern ihren Fähigkeiten entsprechende Bildungsmöglichkeiten gewährleisten und einen Grundstein für ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben legen. Zugleich soll sie, unter den von ihr vorgefundenen Bedingungen einer pluralistisch und individualistisch geprägten Gesellschaft, dazu beitragen, die Einzelnen zu dem Ganzen gegenüber verantwortungsbewussten Bürgern heranzubilden, und hierüber eine für das Gemeinwesen unerlässliche Integrationsfunktion erfüllen.103

In diesem Sinne werden die folgenden Unterkapitel in eingehenden Falluntersuchungen der Bildungspolitik verschiedener Bundesländer der eingangs gestellten Frage nachgehen, inwiefern die Haltung der Kirchen zum liberaldemokratischen Staat durch kooperative religionspolitische Governancestrukturen positiv beeinflusst werden konnte – und ob die politische Autorität des staatlichen Partners durch diese Zusammenarbeit befördert wurde.

2. Bildungspolitik in Niedersachsen a)

Einleitende Bemerkungen

Das Gebiet des (späteren) Bundeslandes Niedersachsen lag im Zuständigkeitsbereich der britischen Besatzungsmacht. Wie die meisten Länder der Bundesrepublik Deutschland war auch Niedersachsen keine historisch gewachsene Einheit: Bei seiner Gründung am 1. November 1946 durch die Verordnung Nr. 55 der britischen Militärregierung entstand das Land durch Zusammenlegung der ehemaligen preußischen Provinz Hannover sowie der Länder Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe. Als ersten Ministerpräsidenten setzte die Militäradministration den Sozialdemokraten Hinrich Wilhelm Kopf (1893–1961)

102 Vgl. dazu auch Holmes, Stephen: Passions and Constraint. On the Theory of Liberal Democracy. Chicago / London 1995, 38f, 263, der die Stärkung individueller Freiheit durch eine staatliche Bereitstellung von Ressourcen wie im Falle des öffentlichen Schulsystems betont. 103 BVerwG 6 C 12.12 – Urteil vom 11.9.2013, 11f (Rn. 21).

126  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  ein, der seit September 1945 bereits als Oberpräsident für die Provinz Hannover bzw. nach der Erhebung Hannovers zum Land als dessen Ministerpräsident fungiert hatte. Für den hier untersuchten Bereich der Kultuspolitik war im ersten Kabinett Kopf Adolf Grimme (1889–1963) zuständig. Grimme, ebenfalls Sozialdemokrat, hatte seit Herbst 1945 unter Kopf die Hannoveraner Schulabteilung geleitet und zuvor schon von 1930–1932 das preußische Kultusministerium geführt. Wie die Landesregierung, so wurde auch der erste niedersächsische Landtag, in dem die SPD die mit Abstand stärkste Fraktion bildete, von der Besatzungsmacht ernannt.104 Im Untersuchungszeitraum war das Land Niedersachsen vorwiegend protestantisch geprägt, der Anteil der katholischen Bevölkerung lag bei etwa 18 Prozent.105 Unter den wenigen stärker katholisch geprägten Gebieten war die Region Oldenburg schulpolitisch besonders relevant, da hier noch aus preußischer Zeit Sonderrechte für katholische Schulen bestanden.106 Was die Kirchenstrukturen anbelangt, umfasste das Land auf Seiten der evangelischen Kirche die Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen Hannover, Schaumburg-Lippe, Braunschweig und Oldenburg sowie die Evangelisch-Reformierte Kirche in Nordwestdeutschland. Politisch gesehen kam dabei der hannoverschen Landeskirche eine besondere Rolle zu, da sich die anderen Landeskirchen nach Gründung des Landes Niedersachsen häufig von Hannover gegenüber der Landesregierung mitvertreten ließen – die größte der Landeskirchen verfügte auch über die kürzesten Wege zu Staatskanzlei und Ministerien.107 Auf katholischer Seite befanden sich auf dem Gebiet Niedersachsens die Bistümer Hildesheim und Osnabrück sowie Teile des Erzbistums Paderborn und des Bistums Münster. b)

Schulpolitische Grundlagen der Nachkriegszeit

Gemäß dem Volksschulunterhaltungsgesetz von 1906 bildeten in den preußischen Teilen Niedersachsens Bekenntnisschulen de jure die Regel, die Umwandlung in Simultanschulen durch die Nationalsozialisten wurde von vielen, insbesondere den Kirchen, als reine de facto Maßnahme betrachtet, die es nun rückgängig zu machen gälte. In diesem Rahmen verfolgte die britische Militärregierung, anders als ihr amerikanisches Pendant, so gut wie keine schulrefor 104 Vgl. Vogelsang, Thilo: Hinrich Wilhelm Kopf und Niedersachsen, Hannover 1963, 46–49, 75–77. Die SPD erhielt 38 Sitze, gefolgt von CDU (20), NLP (17), FDP (6), KPD (4) und Zentrum (1), siehe ebd., 77. 105 Vgl. Repgen, K.: Der Konkordatsstreit, 238–240. 106 Vgl. etwa: Schreiben Regierungspräsident Oldenburg an Kultusministerium vom 3.7.1958, Niedersächsisches Landesarchiv Hannover (fortan: NLA), Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 468; Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1, Bl. 224–239, hier S. 14 (Bl. 237). 107 Vgl. Simon, C.: Die evangelischen Kirchen, 150.

Bildungspolitik in Niedersachsen  127

merischen Pläne. Während die Briten die Strukturen des deutschen Bildungswesens größtenteils als adäquat betrachteten, ging es ihnen vornehmlich um die Entnazifizierung des Lehrkörpers und des Lehrstoffes.108 Die Zurückhaltung in Fragen struktureller Reform resultierte auch aus einer Verknüpfung der Schulfrage mit religionspolitischen Erwägungen: Ausgehend von der Grundidee der freien Religionsausübung praktizierten die Briten eine dezidiert kirchenfreundliche Politik, als deren Konsequenz sie sich möglichst nicht in die Entscheidung, ob das Schulwesen konfessionell oder nichtkonfessionell einzurichten sei, einmischen wollten.109 Folglich wurde diese Problematik von der Militärregierung weitestgehend an die deutschen Zivilbehörden delegiert, welche angewiesen wurden, die Schulfrage in Einvernehmen mit Bevölkerung und Kirchen zu lösen. Als jedoch die Bischöfe der britischen Zone unter Führung von Kardinal Frings am 20. Juni 1945 verlautbarten, dass sie für katholische Kinder katholische Schulen forderten, teilte die Militärregierung den Regierungspräsidenten mit, die Frage der Bekenntnisschule werde auf höherer Ebene verhandelt, weshalb vorerst dazu keine Beschlüsse getroffen würden.110 Angesichts von Schulraumnot und Lehrermangel bevorzugten die Briten wohl übergangsweise die Gemeinschaftsschule. So beschied der zuständige Offizier der Militärverwaltung dem Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger (1892–1975), der über die Eröffnung von Gemeinschaftsschulen in seiner Diözese klagte: »Bis das Leben wieder einen normalen Gang läuft, werde ich nichts dulden, was der Wiedereröffnung der Schulen im Wege steht oder was nur einen Teil der Bevölkerung zufrieden stellt zum Nachteil des anderen.«111 Auch in Niedersachsen sollte die Frage der konfessionellen Ausrichtung des öffentlichen Schulwesens den schulpolitischen Kernkonflikt der Nachkriegszeit (und darüber hinaus) bilden. Anders als in den teils erbittert geführten Auseinandersetzungen im Rahmen der Schulgesetzgebung der 1950er-Jahre waren es in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht nur die katholischen Bischöfe Nieder­sachsens, die mit Nachdruck für die Wiedererrichtung des konfessionellen Schulwesens eintraten: Sie konnten hier protestantischerseits insbesondere auf die Unterstützung der hannoverschen Landeskirche zählen, deren Bischof August Marahrens (1875–1950) ebenfalls ausdrücklich für die Bekenntnisschule votierte. Der überkonfessionelle Schulterschluss in dieser Frage wird durch den gemeinsamen Appell Marahrens und Joseph Godehard Machens, des Bischofs von Hildesheim, veranschaulicht: In einer Eingabe an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover vom Juli 1945 betonten die beiden Bischöfe, die Bekenntnisschule sei die allein rechtmäßige Schulform im Gebiet Hannovers und werde 108 Burkhardt, Kai: Adolf Grimme (1889–1963). Eine Biografie. Köln u. a. 2007, 241–243. 109 Vgl. Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 368 f. 110 Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 73–75. 111 Zit. nach ebd., 75, vgl. auch 74 f.

128  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  vom Großteil der Erziehungsberechtigten unterstützt.112 Mehrmals wiederholten in der Folgezeit die hannoversche Landeskirche und der Hildesheimer Bischof ihre Forderung nach konfessionellen Schulen, sowohl gegenüber den Besatzungsbehörden, als auch gegenüber der deutschen Verwaltung. Seitens der Landeskirche wurde dabei darauf bestanden, dass evangelische Kinder von evangelischen Lehrern unterrichtet würden – ein Grundsatz, der angesichts der Nachkriegsverhältnisse für die Stadt Hannover aufgeweicht wurde: Eine gemischte Einschulung wurde hier, vorbehaltlich der Aufrechterhaltung des konfessionellen Religionsunterrichts nach den Grundsätzen der Kirche, für eine Übergangszeit zugestanden.113 Während sich Bischof Marahrens im August 1945 zusätzlich dazu bereiterklärte, vorläufig und unter Vorbehalt auf die Errichtung konfessioneller Volksschulen zu verzichten,114 schlug er zwei Monate später einen kritischen Ton gegenüber der Kultusverwaltung an: Da die Militärregierung nach seiner Kenntnis vorerst die Einführung der Gemeinschaftsschule plane, mit der Begründung, Kirche und Schulverwaltung hätten sich nicht einigen können, schließe er da­ raus, dass man seitens der Schulbehörde aus irgendeinem Grund Position gegen die Bekenntnisschule bezogen habe. Demgegenüber müsse er jedoch darauf bestehen, dass die Bekenntnisschule dem geltenden Recht entspreche. Insbesondere strich Marahrens seine Ablehnung des Einsatzes nichtchristlicher Lehrer für den Unterricht christlicher Schüler heraus, da diese »doch irgendwie antichristlich« wirken müssten.115 In noch nachdrücklicherem Duktus bekräftigte Bischof Machens im August 1945 seinen Standpunkt gegenüber den Hannoveraner Zivilbehörden: Die Gemeinschaftsschule sei von den Nazis gewaltsam eingeführt worden, ihre Beibehaltung »würde einen Erfolg der Nazisten nach ihrem Sturz, einen Sieg nach ihrer Niederlage bedeuten«.116 Die Mehrheit der Eltern fordere die Bekenntnisschulen, auch wenn sie, wie Machens eingesteht, »in wirtschaftlichen und sozialen Fragen« der linken Regierung folgten.117 Einige von Machens in diesem Zusammenhang getätigte Aussagen sind aus demokratietheoretischer Sicht hoch 112 Schreiben Landebischof Marahrens und Bischof Machens an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover vom 25.7.1945, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 3. 113 Schreiben des Ev.-luth. Landessuperintendenten Hannover an Captain Lovatt (Abschrift) vom 25.7.1945, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 6. 114 Schreiben des Stellv. Oberpräsidenten der Provinz Hannover an Marahrens vom 13.8.1945, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 40; Schreiben Marahrens an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover vom 17.8.1945, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 41. 115 Schreiben Marahrens an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover (Kultusabteilung) vom 13.10.1945, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 42. 116 Memorandum zur Bekenntnisschule (Anlage zum Schreiben Machens an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover vom 9.8.1945), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 9–11, hier S. 1, Zitat i. O. hvgh. 117 Ebd.

Bildungspolitik in Niedersachsen  129

interessant – lassen sie doch erahnen, wie fremd die Idee der liberalen Demokratie Teilen der katholischen Hierarchie noch war. So formulierte der Bischof zunächst herausfordernd, »[m]it einer echten Demokratie wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ungezählte Eltern genötigt würden, ihre Kinder in Schulen zu schicken, die ihrem Erzieherwillen widerstreben«,118 um daraufhin die Gemeinschaftsschule nicht nur, wie es dem herrschenden katholischen Standpunkt entsprach, als Hort des »Indifferentismus« zu verurteilen, in welchem das religiöse Bekenntnis zersetzt werde, sondern soweit zu gehen, zu behaupten, die Zurückhaltung um der Achtung Andersdenkender willen bedeute für den Lehrer in der Gemeinschaftsschule die »Gefahr geistiger Verkrüppelung«.119 Während die Bekenntnisschule aus dieser Perspektive der Ausbildung geistig-moralischer Standhaftigkeit dient, wird der Gedanke der Toleranz, in dem es aus liberaler Sicht die Jugend einer demokratischen Gesellschaft zu erziehen gälte und der von den Befürwortern der Gemeinschaftsschule ja mit dieser Schulform in Verbindung gebracht wurde, nicht nur ausgespart, sondern implizit verworfen. Nichtsdestotrotz führten die katholischen Bistümer Niedersachsens gezielt das demokratische Argument zugunsten ihres Anliegens ins Feld, etwa wenn der Hildesheimer Generalvikar Wilhelm Offenstein gegenüber den zuständigen Behörden die große Menge an Petitionen zur Wiedereröffnung der Bekenntnisschule hervorhob, die nach seinen Worten im Generalvikariat eingegangen waren. Um die Legitimität der Forderungen nach der Bekenntnisschule zu unterstreichen, betonte Offenstein, es handle sich »um eine echte Volksbewegung […], der in einem demokratischen Staat Rechnung getragen werden muß«.120 Neben einer solchen Argumentation stützten sich die katholischen Bischöfe der britischen Zone  – wie in Gesamtdeutschland  – auch auf die Schulartikel des Reichskonkordates, um die Stellung der Bekenntnisschule zu verteidigen. Hierauf reagierten nicht nur die niedersächsischen Behörden zurückhaltend – die Länder Hannover und Braunschweig waren SPD-geführt, Oldenburg von einem Politiker der FDP –, sondern auch die britische Militärregierung. Diese erklärte das Reichskonkordat für ihre Zone im August 1945 für vorläufig außer Kraft gesetzt,121 eine Entscheidung, die im Folgejahr in der Erziehungsanordnung Nr. 1 (EIGA Nr. 1) wiederholt wurde, obgleich hier hinzugefügt wurde, man wolle sich »soweit wie angängig« nach den Bestimmungen des Konkordates richten.122 118 Ebd. 119 Ebd., S. 5 (Bl. 11). 120 Schreiben Generalvikar Offensteins an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover vom 14.8.1945, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 27–30, hier S. 1. 121 Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 78 f. 122 Erziehungsanweisung Nr. 1 der britischen Militärregierung an die deutschen Behörden vom 14.1.1946, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Rheinland (fortan: LA NRW), NW 20 Nr. 26, Bl. 2–5, hier Bl. 5. Die damals gebräuchliche Abkürzung »EIGA Nr. 1« ergibt sich aus dem englischen Titel: »1st Education Instruction to German Authorities«.

130  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Es ist wohl insbesondere dem katholischen Drängen auf Wiedereinrichtung der Bekenntnisschule zuzuschreiben, dass die Erziehungsanordnung Nr. 1 es ermöglichte, mit Genehmigung der Behörden vor 1933 existierende Bekenntnisschulen wieder zu eröffnen.123 Die Anordnung sieht hierzu im Wortlaut vor, dass in Gebieten, wo unmittelbar vor der Machtergreifung der National Sozialisten [sic] konfessionelle, aus öffentlichen Mitteln unterstützte Volksschulen bestanden, die deutschen Behörden Volksschulen für Kinder einer einzigen Konfession dort einrichten sollen, und zwar wo (a) die Eltern der betreffenden Kinder dies wünschen, und (b) die Zahl der Kinder, die eine jede derartige Schule besuchen sollen, genügen wird, um unter Berücksichtigung des örtlichen Leistungsniveaus des Schulunterrichts in dem betreffenden Gebiet eine einigermassen [sic] zufrieden stellende Organisation zu gewährleisten.124

Im Gegensatz zur Frage der Bekenntnisschule erwies sich das Thema des konfessionellen Religionsunterrichts als weniger strittig. Dessen Erteilung war nicht nur von Anfang an in der britischen Besatzungszone gestattet,125 vielmehr konnten die Kirchen hier mit den niedersächsischen Behörden auch bald zu einem Einverständnis hinsichtlich der Durchführung gelangen. Im August 1945 konstatierte die Abteilung für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung des Hannoveraner Staatsministeriums in einem Schreiben an die Schulräte, dass man in Fragen des Religionsunterrichtes ein Einvernehmen mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche erreicht habe. Demnach falle der Religionsunterricht – hier als »christliche Unterweisung« bezeichnet – in den Aufgabenbereich der Schule, wobei der Kirche die Bestimmung des Inhalts obliege, dem Staat hingegen das Aufsichtsrecht. Die Schulräte wurden sodann angewiesen, gemeinsam mit ihrer jeweiligen kirchlichen Vertrauensperson geeignete Lehrkräfte für den Religionsunterricht auszuwählen.126 Dass kirchlicherseits allerdings noch eine Reihe weitergehender Wünsche hinsichtlich der Regelung dieser Materie bestanden, zeigt ein Schreiben, das nur zwei Tage später von Oberlandeskirchenrat Heinz Brunotte (1896–1984), dem späteren Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKD, an den Hannoveraner Oberpräsidenten gerichtet wurde. Darin unterbreitete Brunotte seinen Entwurf für einen Regierungserlass betreffend die Erteilung von Religionsunterricht an Volksschulen: Gemäß Art. 149 WRV sollte der Religionsunterricht demnach als ordentliches Lehrfach nach Konfessionen getrennt 123 Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 369. 124 Erziehungsanweisung Nr. 1 der britischen Militärregierung an die deutschen Behörden vom 14.1.1946, LA NRW, NW 20 Nr. 26, Bl. 2–5, hier Bl. 2; das Wort »konfessionelle« wurde handschriftlich eingefügt, entspricht aber dem englischen Originaltext. Vgl. auch Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 100. 125 Vgl. Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 369. 126 Rundschreiben des Staatsministeriums (Abt. Kirchen und Schulen) an die Schulräte vom 10.8.1945, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 468, Bl. 28.

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eingerichtet und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften durchgeführt werden, wobei über eine Teilnahme die jeweiligen Erziehungsberechtigten zu entscheiden hätten. Während Brunotte die Übernahme des Religionsunterrichtes durch die Lehrkräfte auf freiwilliger Basis vorsah, sollte bei Bedenken der Religionsgemeinschaften gegen bestimmte Lehrkräfte im Falle einer nicht zustande kommenden Klärung eine Verständigung zwischen Regierungspräsidenten und Kirchenbehörde über die Abberufung der beanstandeten Lehrkraft erreicht werden. Generell wurde im Entwurf zudem für eine Lehrberechtigung für den Religionsunterricht die Teilnahme eines Kirchenvertreters an der Lehramtsprüfung vorausgesetzt. Die Aufsicht über den Religionsunterricht sollte durch Schulaufsichtsbeamte der gleichen Konfession ausgeübt, die Lehrpläne durch die Religionsgemeinschaften selbst unter Mitwirkung erfahrener Lehrer erarbeitet und die Lehrbücher von den Religionsgemeinschaften entwickelt bzw. ausgewählt werden.127 Wichtige Punkte dieses Forderungskataloges gab die Kultusabteilung dann auch Anfang Oktober 1945 als Anweisung an die Schulräte weiter: So wurde bestätigt, dass der Kirche die »Leitung« des Religionsunterrichtes obliege, indem sie Lehrpläne vorlegt, die Lehrbücher genehmigen muss, Lehrkräfte durch Unterweisung auf ihre Tätigkeit vorbereitet, das Visitationsrecht besitzt sowie »Anordnungen über die Art der Zeugniserteilung« erlassen kann. Die staatliche Schulaufsicht dürfe demnach nicht inhaltlich in die Lehre eingreifen, sondern lediglich pädagogische Kontrolle ausüben. Weiter bestätigte das Schreiben, dass die Auswahl der Religionslehrkräfte einvernehmlich durch den Kreisschulrat und den kirchlichen Kreisbeauftragten zu erfolgen habe, wobei im Falle von Uneinigkeit das Staatsministerium eine Einigung mit der Kirchenleitung zu erreichen versuchen würde – bliebe diese aus, würde die Lehrkraft abgelehnt. Ein weiterer berücksichtigter Wunsch der evangelischen Kirche, welcher offensichtlich auch einer demokratischen Verwaltung ein zentrales Anliegen sein musste, war die Freiwilligkeit des Religionsunterrichtes, umgesetzt mit dem Erfordernis einer An- oder Abmeldung der Schüler zu Beginn des Schuljahres.128 c)

Die Elternabstimmung über die Schulform

Zu einer neuen Dynamik im Bereich der Schulpolitik kam es, als die britische Militärregierung auf den konstanten Druck der katholischen Bischöfe hin Elternabstimmungen über die Schulform zusagte und diese zwischen März und 127 »Entwurf eines Erlasses des Oberpräsidenten Provinz Hannover an die Herren Regierungsräte« (Anlage zum Schreiben Brunottes an Oberpräsident Hagemann vom 12.8.1945), NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 24–26. 128 Rundschreiben des Staatsministeriums (Abt. Kirchen und Schulen) an die Schulräte vom 2.10.1945, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 468, Bl. 29.

132  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Juni 1946 durchführte.129 Die Ankündigung der Abstimmungen setzte insbesondere auf katholischer Seite eine rege Werbetätigkeit in Gang, um die Erziehungsberechtigten zum Votum für die Bekenntnisschule zu bewegen. Dabei gab es sowohl seitens der Kirchen als auch seitens der Befürworter der Gemeinschaftsschule gegenseitige Vorwürfe der Wettbewerbsverzerrung.130 Die Kirchen monierten insbesondere, der Modus der Abstimmung  – de facto musste nur abstimmen, wer für seine Kinder die Bekenntnisschule wollte, nicht wer die bestehende Gemeinschaftsschule beibehalten wollte – habe bessere Ergebnisse zugunsten der Bekenntnisschule verhindert.131 Das Landeskirchenamt Hannover machte in dieser Hinsicht etwa geltend, dass die alleinige Rechtsgrundlage der Schulgestaltung das preußische Volksschulunterhaltungsgesetz von 1906 sei, wonach evangelische und katholische Schulen die Regel wären, die christliche Simultanschule hingegen nur die Ausnahme – was sich im ausgegebenen Fragebogen aber gerade nicht widergespiegelt hätte.132 Kultusminister Grimme antwortete darauf beschwichtigend, dass dies der Diskrepanz zwischen rechtlicher und tatsächlicher Lage geschuldet sei: Da de facto überall Gemeinschaftsschulen bestünden, sei nach dem Wunsch zur Bekenntnisschule gefragt worden.133 Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten bestanden neben derlei technischen Fragen aber auch hinsichtlich der Begriffswahl bei der Bezeichnung der verschiedenen Schularten. So beschwerte sich das Landeskirchenamt Hannover über ein offenbar von der Schulabteilung des Staatsministeriums verbreitetes Flugblatt, in dem darauf hingewiesen wurde, dass die Gemeinschaftsschule nicht unchristlich sei und dass dort, entgegen anderslautender Behauptungen, sehr wohl Religionsunterricht erteilt werde. Die Gemeinschaftsschule wurde im Flugblatt daher als »eine der beiden Formen der christlichen Volksschule« bezeichnet. Demgegenüber machte das Landeskirchenamt geltend, dass, da von der Gemeinschaftsschule kein Lehrer aufgrund seiner religiösen Einstellung verwiesen werden könne, diese nicht grundsätzlich eine christliche Schule sei.134 In der unter dem sich selbst als christlichen Sozialisten bezeichnenden Grimme stehenden Schulabteilung sah man die Sache anders.135 Man ging hier bei der 129 Vgl. Schreiben des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums an die Militärregierung in Düsseldorf vom 14.9.1948, LA NRW, NW 20 Nr. 26, Bl. 209–212; vgl. auch Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 370. 130 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 80–82. 131 So etwa Landesbischof Marahrens in einem Schreiben an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover (Schulabteilung) vom 18.6.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 70 f. 132 Schreiben Ahlhorns [Landeskirchenamt Hannover] an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover (Kultusabteilung) vom 9.3.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 59. 133 Schreiben Grimmes ans Landeskirchenamt Hannover vom 15.3.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 60. 134 Schreiben des Landeskirchenamts Hannover an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover (Schulabteilung) vom 22.2.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 43. 135 Zu Grimme siehe Burkhardt, K.: Adolf Grimme, 51 f.

Bildungspolitik in Niedersachsen  133

überkonfessionellen Schulform von einer »christlichen Simultanschule« aus, wobei man den Begriff »Gemeinschaftsschule« synonym verwendete. Gegen die von den Gegnern der Gemeinschaftsschule häufig ins Feld geführte Behaup­ tung, diese Schule sei mit der Schule der Nazizeit identisch, wehrte man sich selbstredend: Die Gemeinschaftsschule sei vielmehr »nach dem Willen der Schulaufsichtsbehörden bereits wieder die christliche Simultanschule«. Als das »einzig schwierige Problem« erkannte man in der Schulabteilung die Frage des Umgangs mit dissidentischen Lehrern an – im Einvernehmen mit den Kirchen wollte man aber auch hierzu eine Lösung finden.136 Diese Begriffsunsicherheit war mehr als ein bloßes semantisches Problem und führte bei den Abstimmungen über die Schulform zu unmittelbaren Konsequenzen. Da nämlich in den Fragebögen zwischen christlicher und weltlicher Gemeinschaftsschule nicht unterschieden wurde, unterstützte etwa die evangelische Landeskirche Rheinland schließlich die Bekenntnisschule, obwohl man dort die christliche Gemeinschaftsschule grundsätzlich akzeptiert hätte: Unter »Bekenntnisschule« verstanden viele Protestanten im Gegensatz zu den Katholiken die christliche Gemeinschaftsschule.137 Ungeachtet bestehender kirchlicher Unzufriedenheiten bezüglich des Verlaufs der Abstimmung fiel die Zustimmung zur Bekenntnisschule sehr hoch aus.138 Mit der Erlaubnis von Elternabstimmungen über die Schulform legte die britische Militärregierung die Grundlage für das Beantragen und Entstehen zahlreicher katholischer Volksschulen und Lehrerbildungsanstalten in ihrer Zone:139 In der Erziehungsanordnung Nr. 1 vom 14. April 1946 wurde das Recht zur (Wieder-)Eröffnung von Bekenntnisschulen anerkannt.140 Für die deutschen Zivilbehörden bedeutete dies in erster Linie eine enorme organisatorische Herausforderung – und dort, wo man, wie in Hannover, mit dem Ausgang der Abstimmung wenig glücklich war, zudem das Erfordernis, eine adäquate Haltung gegenüber den nun zu erwartenden Forderungen von Kirchen und Elternschaft zu finden. Entsprechend diskutierten im Juni 1946 in Hannover Kultusbeamte und Erziehungsfachleute über die Umfrageergebnisse. Oberregierungsrat Wilcke von der Schulabteilung stellte dabei fest, dass die Militärregierung das Abstimmungsergebnis wohl entsprechend umsetzen würde und formulierte als Ziel der Schulbehörden zum einen die Aufrechterhaltung des bestehenden Erziehungsstandards, zum anderen die Verhinderung neuer »Zwergschulen«. Auf die Überlegung von Diskussionsteilnehmern, ob die evangelische Kirche angesichts der 136 Schreiben ORR Wilckes an Pastor Frese vom 21.3.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 58. 137 Vgl. Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 370–372. 138 Vgl. ebd., 371 f. 139 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 132. 140 Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 370.

134  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  für die Stadt Hannover eher schwachen Zustimmung zur Bekenntnisschule von der Forderung nach dieser Abstand nehmen würde, reagierte Wilcke skeptisch: Er sah die Protestanten in dieser Frage durch die Haltung der katholischen Kirche unter Druck gesetzt, meinte aber, man könne den Versuch unternehmen, sich mit der Landeskirche entsprechend zu verständigen.141 Die Skepsis bezüglich eines Verzichts der evangelisch-lutherischen Landeskirche auf die Bekenntnisschule war indes wohlbegründet, findet sich in den Akten der Kultusabteilung doch eine Gesprächsnotiz bereits vom März des Jahres, in welcher der Referent nach einer Unterredung mit einem Vertreter des hannoverschen Landeskirchenamts festhielt, dass die Landessynode Hannover die Wiedereinführung der Bekenntnisschule fordern werde. Während diese Information für die reformerisch ausgerichtete Kultusverwaltung unbefriedigend sein musste, konnten laut Referentennotiz auf der anderen Seite gegenüber der Kirche Bedenken zerstreut werden, dass die niedersächsische Simultanschule eine Neuauflage der »freien« Schule der Weimarer Reichsverfassung sei, statt, wie man seitens des Landes stets betonte, die christliche Simultanschule. Mit dieser Beschwichtigung ging vermutlich die im Rahmen desselben Gesprächs vom Kirchenvertreter getätigte Zusicherung einher, es sei nicht mit einem Einspruch der Kirche zu rechnen, wenn an größere christliche Gemeinschaftsschulen auch einzelne aus der Kirche ausgetretene Lehrer  – für nicht zentral bekenntnisrelevante Fächer  – versetzt würden. Die demgegenüber bestehende Sorge, dass solche »dissidentischen« Lehrer an einklassige Schulen kämen, räumte der Kultusreferent mit der Versicherung aus, dass man staatlicherseits den Elternwillen respektieren wolle.142 Trotz dieses Versuchs, eine gemeinsame Linie zu finden, stellte sich Wilckes Sorge als berechtigt heraus: Wie Landesbischof Marahrens der Schulabteilung gegenüber betonte, schob man es aus kirchlicher Sicht auf Widrigkeiten bei der Abstimmung, dass nicht die Mehrheit der evangelischen Eltern für die Bekenntnisschule gestimmt hatte. Die hannoversche Landeskirche bestand folglich auf der Errichtung von Bekenntnisschulen gemäß dem Abstimmungsergebnis, wenngleich Zugeständnisse aus pragmatisch-organisatorischen Gründen gemacht wurden, sodass etwa bei mehreren Schulen am Ort Simultanschulen durchaus akzeptiert wurden. Marahrens unterstrich aber, dass man auch an christlichen Simultanschulen keine dissidentischen Lehrer wolle.143 Der darin ausgedrückte Wunsch der Kirchen, die Kinder ihrer jeweiligen Konfession allein in den Kontakt mit christlichen Lehrern kommen zu lassen, musste allerdings bereits am Widerstand der Militärregierung scheitern: Diese bestand auf ihrer 141 Protokoll einer Besprechung von Ministerialbeamten und Erziehungsfachleuten vom 7.6.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 66–68. 142 »Notiz« vom 5.3.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 61. 143 Schreiben Marahrens an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover (Schulabteilung) vom 18.6.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 70 f.

Bildungspolitik in Niedersachsen  135

Position, keinem Lehrer aus religiösen Gründen die Anstellung zu verweigern.144 Möglicherweise war dieses Hindernis der Grund dafür, dass Schulverwaltung und hannoversche Landeskirche letztlich einen Kompromiss in der Lehrerfrage fanden. Demnach erklärte man sich kirchlicherseits einverstanden, wenn vorübergehend keine Maßnahmen »wegen der dissidentischen Lehrer« angeordnet würden, legte aber zugleich Wert darauf, dass diese »möglichst nicht« in Rektorenstellen kämen. Im Falle einer Beschwerde der Kirche gegen einen dissidentischen Lehrer wurde eine Einzelfallprüfung vorgesehen – worauf die Kultusabteilung auch gegenüber der Forderung bestand, an evangelischen Bekenntnisschulen grundsätzlich keine »dissidentischen« Lehrer zuzulassen, eine Position, der der Vertreter der Landeskirche schließlich zustimmte.145 Während die hannoversche Landeskirche zumindest in organisatorischen Fragen eine gewisse Kompromissbereitschaft signalisierte, formulierte die katholische Seite ihre Forderungen drängender. Der Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning (1877–1955) etwa verlangte im Juni 1946 von der Schulabteilung die sofortige Wiederherstellung der Bekenntnisschule überall dort, wo sie vor 1933 bestand – auch wenn sie nur als einklassige Schule existierte.146 In dieser Position wurde Berning von Bischof Machens unterstützt, welcher ebenfalls sofortige Maßnahmen zur Wiederherstellung der Bekenntnisschule im Stand von vor 1933 forderte. Dabei vertrat er die Ansicht, dass keine Rücksicht darauf genommen werden könne, wenn durch diese Umorganisation die verbleibenden Gemeinschaftsschulen in ihrem Aufbau eingeschränkt würden.147 In einem Ende Juli 1946 an die Schulabteilung gerichteten Schreiben erklärte Machens, zwar sei er zu »besonderem Dank« verpflichtet, dass die Bekenntnisschule nun als gesetzliche Regelschule anerkannt würde, nicht zustimmen könne er aber den seitens der Verwaltung vorgetragenen erzieherischen Bedenken – insbesondere die aus Sicht der Schulabteilung ungenügende Gliederung kleiner Bekenntnisschulen betreffend – sowie finanzpolitischen Vorbehalten gegen die Wiederherstellung der Bekenntnisschulen. Der Bischof fürchtete hier »eine Verzögerungstaktik« zugunsten der Simultanschule, eine Einschätzung, mit der er angesichts der schulreformerischen Haltung der Kultusabteilung sicher richtig lag. Demgegenüber betonte er, dass die Elternabstimmung zur Schulform deutlich zugunsten der Bekenntnisschule ausgefallen sei, trotz der, wie er nicht versäumte hinzu­zufügen, 144 Schreiben Controller Education & R. A., HQ Military Government Hannover Region an den Präsidenten des Landeskirchenamts Hannover vom 14.4.1946 (Abschrift), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 72. 145 Interner Vermerk der Schulabteilung beim Oberpräsidenten der Provinz Hannover vom 19.8.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 101 f. 146 Schreiben Bernings an das Oberpräsidium der Provinz Hannover (Abtl. Volksschulwesen) vom 21.6.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 79. 147 Schreiben Machens an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover (Schulabteilung) vom 4.7.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 77 f.

136  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  schwierigen Abstimmungsbedingungen und obgleich »amtliche lokale Stellen es an Propaganda gegen die Bekenntnisschulen nicht fehlen ließen«.148 Die Ausführungen Machens bieten einen interessanten Hinweis auf die Argumentationsstrategie der Kultusverwaltung, ganz unabhängig davon, wie viel Sachlichkeit man der Beschwerde über »Propaganda gegen die Bekenntnisschu­ len« beimisst.149 Wie weiter oben bereits deutlich wurde, sorgte man sich in der Schulabteilung, dass infolge der Elternabstimmungen kaum gegliederte Bekenntnisschulen überhandnehmen könnten. Das dabei intern vorgebrachte Argument, ein hoher Erziehungsstandard müsse durch ausreichend große und untergliederte Schulen sichergestellt werden,150 wurde also auch gegenüber den kirchlichen Stellen als Begründung für eine Verzögerung der Wiedereinführung von Bekenntnisschulen verwendet. Hinzu kam der Verweis auf die schwierige finanzielle Lage, die ein ausgreifendes Schulneubauprogramm in der Tat nicht zuließ: In den ersten Nachkriegsjahren stand häufig nicht einmal genügend Material zur Renovierung der vorhandenen Schulgebäude zur Verfügung.151 Entgegen den eigenen Präferenzen begann das Kultusministerium dennoch bereits im Juli 1946 pflichtbewusst mit der Umwandlung von bestehenden Gemeinschaftsschulen in Bekenntnisschulen.152 Es dürfte daher im Ministerium mit Erleichterung aufgenommen worden sein, als der Landtag am 11. Dezember 1946 beschloss, dass bis zum Erlass eines neuen Schulgesetzes keine Änderungen am Schulsystem mehr vorzunehmen seien. Gegenüber den Kirchen konnte die Schulabteilung sich nun darauf berufen, dass quasi aufgrund äußerer Umstände 148 Schreiben Machens an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover (Schulabteilung) vom 29.7.1946, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 91–94. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich mitnichten nur die großen Kirchen in der Schulfrage zu Wort meldeten. In den Akten des Niedersächsischen Kultusministeriums liegen auch diverse Schreiben freireligiöser Gemeinden zu diesem Thema vor, etwa jenes der Freireligiösen Gemeinde zu Hannover e. V. an Grimme vom 20.7.46 (NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 87). Hier wird konstatiert, dass die »Vereinbarungen mit den christlichen Kirchen« zur Umwandlung der Volksschulen auf dem Land in Bekenntnisschulen und die Entbindung der dissidentischen Lehrer vom Unterricht in »Gesinnungsfächern« »in weiten Kreisen der Bevölkerung« – besonders freireligiösen – große Unruhe hervorgerufen hätten. Derlei Maßnahmen würden »allgemein als undemokratisch« angesehen. Bemerkenswert ist, dass die gewählten Formulierungen teils wortwörtlich jenen entsprachen, die die katholischen Bischöfe regelmäßig in ihren Schreiben an die Kultusministerien verwendeten, etwa die Rede von der ›großen Unruhe in weiten Kreisen der Bevölkerung‹ oder die Kritik am ›undemokratischen‹ Vorgehen der Behörden. 149 Dass nicht wenige Ministerialbeamte und Schulräte  – und nicht zuletzt Grimme selbst – die Idee der christlichen Gemeinschaftsschule unterstützten, ist jedenfalls ein Eindruck, der durch das Gesamtbild der auf die Schulfrage bezogenen Aktenbestände des Niedersächsischen Kultusministeriums gestützt wird. 150 Vgl. hierzu z. B. Protokoll über die Ressortbesprechung am 27.1.1954 betr. Gesetz über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 38, Bl. 47–51. 151 Zur finanziellen Situation vgl. Burkhardt, K.: Adolf Grimme, 245 f. 152 Vgl. Simon, C.: Die evangelischen Kirchen, 234.

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vorläufig keine weiteren Bekenntnisschulen mehr eingerichtet werden könnten.153 Insbesondere bei den katholischen Bischöfen fand diese Entwicklung kein Verständnis. Berning protestierte, die Aussetzung der Errichtung von Bekenntnisschulen erzeuge Unruhe bei den katholischen Eltern und kündigte an, er selbst werde sich mit allen Mitteln dafür einsetzen, dass das Naturrecht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder beachtet wird, und dass die in der Eiga Nr. 1 anerkannten und den deutschen Schulbehörden bei der Errichtung bezw. [sic] Wiedererrichtung der Bekenntnisschule vorgeschriebenen demokratischen Grundsätze allseitig zur Geltung kommen.154

In der Tat musste das Kultusministerium im März gegenüber Berning einräumen, die Militärregierung habe festgestellt, dass der Landtagsbeschluss der EIGA Nr. 1 widerspreche, weshalb der Kultusminister seinen Erlass betreffend die vorläufige Aussetzung der weiteren Einrichtung von Bekenntnisschulen aufgehoben habe.155 Insgesamt behielt die britische Militärregierung ihre Linie jedoch bei und wurde nur selten in schulpolitischen Angelegenheiten aktiv. Noch Ende März 1947 beschwerte sich Bischof Machens bei den Briten über die in seinen Augen unzulängliche Wiedereinrichtung der katholischen Bekenntnisschule sowie die Tatsache, dass seiner Information nach an einigen Orten kein katholischer Religionsunterricht erteilt werde. Als Antwort beschied ihm Generalleutnant Sir Gordon Macready, britischer Zivilgouverneur (»Regional Commissioner«) für Niedersachsen, dass in diesen Fragen seit Jahresbeginn 1947 die alleinige Zuständigkeit der deutschen Behörden bestehe – mit diesen müsse die Kirche zu einem Einvernehmen kommen. Die Militärregierung hingegen würde hier keine Partei ergreifen und nur dann aktiv werden, wenn feststehe, dass das Land nicht Willens sei, auf kirchliche Beschwerden in einer angemessenen Form einzugehen und seiner politischen Verpflichtung nachzukommen. Es sei, so Macready, Sache des im April 1947 neu zu wählenden Landtages, über die Grundlagen des Schulwesens zu entscheiden.156 Mit Blick auf die zuständigen niedersächsischen Stellen kann alles in allem Bischof Machens Eindruck einer »Verzögerungstaktik« durchaus bestätigt werden: Teils aus konkreten Sachzwängen der Mangelsituation der Nachkriegszeit, teils aber wohl auch aus einer in schulpolitischer Reformorientierung begründeten Abneigung gegen die konfessionelle Schule heraus beeilte die Schulabteilung in 153 Vgl. Schreiben des Kultusministers an die Landeskirche Hannover vom 21.2.1947, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 120. 154 Schreiben Berings an den Kultusminister vom 26.2.1947, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 163 f. 155 Schreiben des Kultusministers an Bischof Berning und die Landeskirche Hannover vom 26.3.1947, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 176. 156 Schreiben Macreadys an Bischof Machens vom 29.3.1947, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485, Bl. 129.

138  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Hannover sich nicht sonderlich, die durch die von der Militärregierung veranlasste Elternbefragung eingeforderte Wiedererrichtung von Bekenntnisschulen in Angriff zu nehmen. Insbesondere ab 1947 floss hierbei vermutlich als Motiv zunehmend die durch die bevorstehende Landtagswahl in Aussicht gestellte größere Gestaltungsfreiheit der niedersächsischen Behörden mit hinein: Der Gedanke liegt nahe, dass man im Kultusministerium hoffte, die Bekenntnisschulforderungen der Kirchen solange auszusitzen, bis die rechtlichen Grundlagen für eine stärker reformorientierte Schulpolitik gelegt sein würden. Ungeachtet dessen wurde bis Frühjahr 1947 infolge der Elternabstimmung ein Großteil der Volksschulen faktisch in Bekenntnisschulen umgewandelt.157 d)

Die Schulgesetzgebung der 1950er Jahre

Mit der ersten Wahl zum Niedersächsischen Landtag am 20. April 1947 festigte sich die politische Landschaft des jungen Landes und es wurden die Voraussetzungen für eine von der Besatzungsmacht unabhängigere Politik gelegt. Der Spielraum für eine programmatische Bildungspolitik fiel dabei allerdings gering aus, denn obgleich die SPD die Landtagswahl 1947 klar gewann, schmiedete Hinrich Wilhelm Kopf, auf politischen Ausgleich bedacht, eine Allparteienregierung. Weltanschaulich derart stark aufgeladene Fragen wie jene der Schulreform konnten in dieser Konstellation schlechterdings nicht behandelt werden, zumal der Ministerpräsident die Bemühungen der Regierung auf die Erarbeitung einer Landesverfassung fokussierte.158 Da die nach dem Zerbrechen der Einheits­ regierung im März 1948 gebildete Koalition aus SPD, CDU und Zentrum um religionspolitisch aufgeladene Schulfragen ebenfalls einen weiten Bogen machte,159 stagnierte die Schulpolitik im Wesentlichen, was sich auch in der »Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung« vom 13. April 1951 widerspiegelte: Im Gegensatz zu anderen Landesverfassungen enthielt die niedersächsische bis zum Jahr 1993 keinerlei Bestimmungen zum Bildungswesen, sodass auf diesem Feld vorerst lediglich das VUG von 1906 galt und damit in der Schulpolitik prinzipiell Gestaltungsfreiheit im Rahmen des Grundgesetzes herrschte.160 Die Wahl zum zweiten Niedersächsischen Landtag am 6. Mai 1951 brachte mit 33,7 Prozent der Stimmen erneut einen Sieg für die Sozialdemokraten. Kopf konnte jedoch erst Mitte Juni durch eine Koalition aus SPD, BHE und Zentrum wiedergewählt werden, nachdem sich SPD und der BHE auf Bundesebene verständigt hatten. In schulpolitischen Fragen tendierte dieses Kabinett zunächst 157 Zu dieser Angabe siehe Simon, C.: Die evangelischen Kirchen, 180. 158 Vogelsang, T.: Hinrich Wilhelm Kopf, 90–104. 159 Vgl. etwa Burkhardt, K.: Adolf Grimme, 276. 160 Ohlemacher, Jörg: Der Loccumer Vertrag – der erste Staatskirchenvertrag in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Kirchliche Zeitgeschichte, Jg. 3, Nr. 1 (1990), 245–275, hier S. 256.

Bildungspolitik in Niedersachsen  139

offenbar zur Verabschiedung eines reinen Schulverwaltungsgesetzes, das konfessionelle Fragen möglichst unberührt lassen sollte.161 Für September 1952 finden sich allerdings Referentenentwürfe des Kultusministeriums  – nach Grimmes Rückzug aus der Politik nun vom SPD-Politiker Richard Voigt (1895–1970) geleitet –, die politisch sensible Fragen wie die konfessionelle Gliederung des Volksschulwesens, die Umwandlung von Gemeinschafts- in Bekenntnisschulen und den Religionsunterricht behandelten.162 Diese Überlegungen fanden zunächst rein innerministeriell statt, spätestens ab Oktober 1953 war die Debatte über die Schulreform jedoch auch im Landtag in vollem Gange. Nicht unerheblich befördert wurde sie durch einen Initiativantrag der FDP-Fraktion zu diesem Thema, der die Erwartung an die Regierung entstehen ließ, nun ihrerseits einen Entwurf vorzulegen.163 Das »Gesetz über die Verwaltung öffentlicher Schulen« (Schulverwaltungsgesetz, SchVerwG) war die politisch weniger umkämpfte der beiden Schul­ reforminitiativen der Jahre 1953 und 1954.164 Anlässlich der ersten Lesung der Gesetzesvorlage im Landtag am 7. Oktober 1953 nannte Ministerpräsident Kopf die durch den Zusammenschluss der verschiedenen Länder zum Bundesland Niedersachsen nötig gewordene »Vereinheitlichung des Schulwesens« als Ziel.165 Die Eckpunkte des Entwurfs sahen vor, dass die Gemeinden in der Regel als Schulträger fungierten und die Sachkosten der Schulen trügen. Demgegenüber sollte das Land in absehbarer Zeit die Personalkosten komplett übernehmen, da entsprechend sämtliche Lehrer öffentlicher Schulen als unmittelbare Landesbeamte geführt würden.166 Mit Nachdruck betonte Kopf gegenüber dem Plenum, dass dieses Gesetz »die konfessionellen Verhältnisse der niedersächsischen Schulen« nicht berühre: »Die Landesregierung denkt gar nicht daran, mit der Vorlage schulpolitische Ziele zu verfolgen.«167 Gegen eben diese Beteuerung führte die Opposition hingegen Zweifel ins Feld: DP / CDU-Fraktionsführer Werner Schönfelder sah keine Garantie dafür, dass die konfessionelle Schule nicht angetastet werde; vielmehr unterstellte er dem Entwurf den »Geist eines autoritären Zentralismus«, welcher »für den Kultusminister zur Versuchung geworden ist, alle 161 Vgl. Vogelsang, T.: Hinrich Wilhelm Kopf, 151, 157. Interessant erscheint bei der Kabinettsbildung, dass die vier Zentrumsabgeordneten nicht für die Mehrheit benötigt wurden – Kopf suchte wohl vielmehr erneut eine möglichst breite Basis für seine Politik und dies vermutlich nicht von ungefähr unter Einschluss einer dezidiert katholischen Partei. 162 Vgl. Entwurf eines »Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens in Niedersachsen« vom 8.9.1952, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 10–13. 163 Vogelsang, T.: Hinrich Wilhelm Kopf, 158 f. 164 Zum Gesetz siehe Nds. GVBl. 8/1954 (22.5.1954), 29–32. 165 Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 55. Sitzung (2. WP), 7.10.1953, 3518. 166 Ebd., 3518 f. 167 Ebd., 3520.

140  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Gewalt in seine Hand zu nehmen«.168 Sein Fraktionskollege Hans Watermann argwöhnte insbesondere, dass die traditionelle Stellung der Bekenntnisschule im Landesteil Oldenburg unterminiert werden könnte.169 Die Frage der Lehrerstellenbesetzung war dabei der kritischste Punkt des Gesetzesvorhabens, da sie zwar grundsätzlich vom Staat im Einvernehmen mit den Gemeinden vorgenommen werden sollte, jedoch dort, wo es zu keiner Einigung kam, der Staat den Kommunen einen Dreiervorschlag unterbreiten würde, aus dem sie auswählen könnten. Auf diese Weise konnte ein konfessioneller Akzent gesetzt oder eben nicht gesetzt werden. Wie der Abgeordnete Winfrid Hedergott (FDP) affirmativ feststellte, sollte die Schulverwaltung damit unter anderem einer möglichen Marginalisierung konfessioneller Minderheiten in Dorfschulen gegensteuern können.170 Dass die hiergegen seitens der konservativen Opposition vorgebrachten Befürchtungen mit denen der katholischen Kirche korrespondierten, bezeugt Prälat Böhlers rhetorische Entgleisung, wonach das Schulverwaltungsgesetz der »Versuch eines Ermächtigungsgesetzes für den sozialistischen Kultusminister« sei.171 Trotz derartigen Widerspruchs gegen den Entwurf sollte der Höhepunkt der Meinungsverschiedenheiten zwischen Landesregierung und katholischer Kirche erst mit der Arbeit am »Gesetz über das öffentliche Schulwesen« (Schulgesetz, SchG) erreicht werden. Bevor das Kultusministerium seinen bis dahin vertraulich behandelten Entwurf zum Schulgesetz an das Parlament und damit die Öffentlichkeit leitete, fand Anfang Dezember 1953 eine Unterredung mit Vertretern der hannoverschen Landeskirche statt, in welcher diese um Stellungnahme gebeten wurden. Von den Bestimmungen, welche die weltanschaulichen Aspekte des Schulwesens behandelten, war aus Sicht der Kirche besonders der Paragraf zum Religionsunterricht (§ 3) bedeutsam, für den der Entwurf vorsah: (1) Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. (2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. […].172

Hier hielt OLKR Friedrich Bartels, der Schulreferent des Landeskirchenamts Hannover, eine detailliertere Regelung für nötig, wobei er im Einzelnen die Ausbildung der Religionslehrer, die Auswahl der Religionsbücher sowie die kirchliche Kontrolle des Religionsunterrichtes als zu behandelnde Sachgegenstände 168 Ebd., 3527; vgl. 3530. 169 Ebd., 3542. 170 Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 70. Sitzung (2. WP), 10.4.1954, 4552. 171 Zit. bei Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 405. 172 Unbetitelter Entwurf zum niedersächsischen Schulgesetz, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 25–29.

Bildungspolitik in Niedersachsen  141

nannte. Gesetzlich festgelegt werden sollte aus Sicht der Kirche zudem, »daß ein Zwang, Religionsunterricht zu erteilen, nicht ausgeübt werden darf« sowie eine Übernahme der Kosten des Religionsunterrichts durch den Schulträger bei mehr als zwölf Schülern.173 Zu § 4, welcher zum einen bestimmte, dass in den öffent­ lichen Schulen »die Schüler aller Bekenntnisse gemeinsam erzogen« würden, zum anderen, dass bei Besetzung der Lehrerstellen Rücksicht »auf die örtlichen Verhältnisse« zu nehmen sei, bemerkte Bartels, dass hier auch die konfessionellen Verhältnisse Berücksichtigung finden müssten. Diese Position stellte für die Ministerialvertreter ein erhebliches Problem dar, bedeutete sie in der Konsequenz doch eine Trennung der Schüler nach Konfessionen, ganz entgegen der Idee der »christlichen Gemeinschaftsschule«. Genau dies, so bestätigten die Vertreter der Landeskirche, sei ihrerseits in der Tat erwünscht: Für die hannoversche Landeskirche war die Existenz lediglich privater Bekenntnisschulen »mindestens solange nicht ausreichend, als nicht gesetzlich klargestellt sei, daß das Land verpflichtet sei, auch Privatschulen in angemessenem Rahmen zu unterstützen«.174 Die im selben Monat tagende hannoversche Landessynode bestätigte diesen Standpunkt. In ihrer Resolution zur Schulfrage forderte die Synode die »Beachtung der Tatsache, daß die weit überwiegende Mehrheit der Bürger evangelisch ist«, was insbesondere bedeutete, dass bei der Zusammensetzung der Lehrkörper die konfessionelle Gliederung der Bevölkerung berücksichtigt werden sollte. Neben der Einrichtung von Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach gemäß den Grundsätzen der Kirche und der »Freiheit zu Andachten und Gottesdiensten« während der Schulzeit verlangte die Resolution zudem, die Ausbildung der Religionslehrer sowie die Erstellung der Lehrpläne und der Lehrbücher in Einvernehmen mit der Kirche zu regeln. Außerdem bestand die Synode auf der Möglichkeit, dass »besondere evangelische Schulen« als öffentliche Schulen eingerichtet werden können, an denen grundsätzlich nur evangelische Lehrkräfte unterrichteten, es sei denn, eine größere Zahl andersgläubiger Schüler besuchte diese Schulen ebenfalls – in diesem Fall würde eine entsprechende Zahl an Lehrkräften dieser Konfession angestellt.175 Die letztgenannte Bestimmung war ein Kompromissvorschlag, auf dem, wie noch zu zeigen sein wird, im Laufe der Verhandlungen mit dem Land aufgebaut werden konnte. Positiv werden die niedersächsischen Schulbeamten die Ablehnung von »Zwergschulen« durch die Synode wahrgenommen haben, da hier ein zentraler Streitpunkt mit der katholischen Seite lag; aus fiskalischer Sicht weniger begrüßt haben wird man in der

173 Schreiben MR Flindts an OLKR Bartels vom 3.12.1953, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 30–33, hier S. 2. 174 Ebd., S. 3; vgl. S. 2 f. 175 Evangelischer Pressedienst (epd), Landesdienst Hannover, Nr. 153/53 vom 10.12.1953, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 88–91, hier S. 1.

142  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Landesregierung hingegen sicher die Forderung nach höherer Subventionierung der Privatschulen.176 Das Kultusministerium stand nun also vor dem Problem, dass zumindest die einflussreiche hannoversche Landeskirche nach wie vor am Bekenntnisschulprinzip festhielt, wenngleich dieses, anders als auf katholischer Seite, aus evangelischer Sicht primär durch den Unterricht evangelischer Kinder durch evangelische Lehrerinnen und Lehrer definiert wurde. Da Hannover gerade in den Verhandlungen um das Schulgesetz die anderen Landeskirchen mitvertrat, musste das Ministerium dies als offiziellen Standpunkt der niedersächsischen Protestanten anerkennen.177 Als viel schwerwiegender sollten sich jedoch die Differenzen mit der katholischen Kirche erweisen. Bereits im April 1953 hatte der Hildesheimer Generalvikar Offenstein gegenüber Kopf angemahnt, dass bei einem künftigen Schulgesetz unbedingt die Schulbestimmungen des Reichs­ konkordats zu beachten seien.178 Als nun gegen Ende des Jahres die Ausarbeitung des Entwurfs voranschritt, antizipierte man daher im Kultusministerium den Widerspruch der katholischen Seite wohl bereits. Denn während man mit dem hannoverschen Landeskirchenamt über den Schulgesetzentwurf diskutierte, wurden die katholischen Bischöfe von diesem zunächst gar nicht in Kenntnis gesetzt. Verheimlichen ließ sich der Prozess ihnen gegenüber indes nicht, wie Bischof Machens Kritik an der Nichteinbeziehung der katholischen Kirche zeigt, die er in seinem Hirtenbrief zum ersten Adventssonntag 1953 äußerte.179 Für die Vermutung, das Bistum Hildesheim sei von einem Mitarbeiter des Kultusministeriums informiert worden,180 spricht dabei, dass Machens inhaltliche Details des Entwurfs kannte. So kritisierte er das Fehlen christlicher Erziehungsziele, die mangelnde Bezuschussung von Privatschulen, die den Unterhalt katholischer Schulen erschwere, sowie eine Benachteiligung der Bekenntnisschule im öffentlichen Schulwesen. Kämpferisch postulierte der Bischof: »[D]ie Niedersächsische Landesregierung hat zu einem wohlvorbereiteten Schlag gegen unsere katholischen Schulen ausgeholt, die ihr längst ein Dorn im Auge sind, und sie will sie

176 Ebd., S. 2. 177 Diese Führungsrolle Hannovers lag nicht zuletzt an der geografischen Nähe zur Landesregierung, aber auch an der Größe dieser Kirche und ihrem qualifizierten Personal. Vgl. dazu Simon, C.: Die evangelischen Kirchen, 314. Für eine Übersicht zur Schulgesetzdebatte in den kleineren Landeskirchen siehe ebd., 314–326. 178 Schreiben Offensteins an Kopf vom 27.4.1953 (A 1403/53), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76. Zu diesem Zeitpunkt hatten Staatskanzlei und Kultusministerium hinsichtlich des Schulverwaltungsgesetzes bereits den Standpunkt eingenommen, dass dieses das Konkordat nicht berühre, vgl. Schreiben des Kultusministeriums an die Staatskanzlei vom 27.5.1953 (A 1403 II/53), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76; Schreiben der Staatskanzlei an Offenstein vom 9.6.1953 (Abschrift; A 1691/53), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76. 179 Vgl. auch KNA-Meldung Nr. 44 vom 5.12.1953, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 62 f. 180 So Vogelsang, T.: Hinrich Wilhelm Kopf, 158 f.

Bildungspolitik in Niedersachsen  143

vernichten«.181 Hieraus zog er sodann die äußerst fragwürdige Folgerung, die »marxistische[n] und liberalistische[n] Kräfte« träten nun in die Fußstapfen des Dritten Reichs, »um das Zerstörungswerk bewußt zu vollenden«.182 Seine Kritik unterstrich Machens durch Bezugnahme auf das Reichskonkordat von 1933, in dem der Staat sich verpflichtete, auf Antrag der Eltern katholische Volksschulen einzurichten – hierzu sah er den Schulgesetzentwurf im Widerspruch. Das Gewissen dieser Eltern zu achten sei, so der Bischof, eine Frage der Duldsamkeit und er fügte warnend hinzu: »Demokratie, die keine Toleranz kennt, ist getarnte Diktatur.«183 Die gewählte Sprache und das öffentliche Medium des Hirtenbriefs machen deutlich, dass in der Schulfrage denkbar wenig Vertrauen zur Landesregierung bestand – ein Zustand, den das Kultusministerium durch seine spitzfindige Replik, es läge überhaupt kein Gesetzentwurf vor, lediglich Aspekte eines Gesetzes würden erörtert, sodass die Aussagen des Hirtenwortes »mithin auf falschen Voraussetzungen« beruhten, mit Sicherheit nicht verbesserte.184 Es ist nicht auszuschließen, dass dieses regelrechte Abwiegeln des bischöflichen Einspruchs auch der aggressiven Rhetorik Machens geschuldet war; fraglos war man im Kultusministerium inhaltlich anderer Meinung als der Bischof, insbesondere hinsichtlich seines Verweises auf das Reichskonkordat: Dessen Fortgeltung wurde sowohl aus historischen – es war unter dem NS -Regime unterzeichnet worden – als auch aus systematischen Gründen – man sah es als die Kulturhoheit der Länder untergrabend an – infrage gestellt.185 Für die katholischen Bischöfe Deutschlands blieb das Reichskonkordat hingegen von zentraler argumentativer Bedeutung, seine fortwährende Gültigkeit und Verbindlichkeit standen für sie außer Frage. Insbesondere in Niedersachsen sollte im Laufe der Folgejahre aus dieser Meinungsverschiedenheit ein ernsthafter Konflikt unter Einbeziehung der Bundesregierung erwachsen, der sogenannte »Konkordatsstreit«, der in der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gipfelte. Diese Auseinandersetzung wird noch an anderer Stelle eingehend behandelt werden. Für die Schulabteilung des Kultusministeriums galt es nun, angesichts der diversen Vorbehalte gegenüber ihren Plänen eine adäquate Lösung zu finden. Da man daran interessiert war, eine möglichst breite Mehrheit hinter dem künftigen Schulgesetz zu versammeln, ging man im Ministerium davon ab, die christliche

181 »Hirtenwort über die Bedeutung der katholischen Schule« zum 1. Adventsonntag 1953, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 35–38, hier S. 1, i.O. mit Hvh. 182 Ebd., 2. 183 Ebd. 184 Pressestelle des Niedersächsischen Kultusministeriums: Presseinformation Nr. 41/53 (4.12.1953), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 39. 185 Schreiben Abteilung A an Staatssekretär vom 5.12.1953, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 40–42.

144  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Gemeinschaftsschule im Entwurf als einzigen Typus öffentlicher Schulen zu führen. Dabei spielten die katholischen Einwände wohl weniger eine Rolle – Verpflichtungen aus dem Konkordat lehnte man weiterhin ab –, als vielmehr das Bestreben, sowohl die FDP als auch die evangelischen Landeskirchen für den Gesetzentwurf zu gewinnen. Als Kompromisslösung wurde vorgeschlagen, anstelle der ›klassischen‹ Bekenntnisschule eine »formale« Regelung anzuwenden. In Anbetracht des später verabschiedeten Gesetzes war darunter ein konfessioneller Proporz der Lehrkräfte im Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern zu verstehen. Dezidiert evangelische und katholische Schulen sollten hingegen »nur auf Antrag unter besonderen Voraussetzungen« eingerichtet werden. Diese Lösung wurde auch für den Fall einer Fortgeltung des Reichskonkordats als haltbar angesehen, da sie zum einen dem bis dahin nie infrage gestellten Volksschulunterhaltungsgesetz entspreche, zum anderen die Garantie bestehender katholischer Schulen im Konkordat berücksichtige. Anders als im VUG würde jedoch kein Kind mehr gezwungen, eine Schule der anderen Konfession zu besuchen.186 Entsprechend unterbreitete das Kultusministerium Ministerpräsident Kopf folgenden Vorschlag: Auf die Einführung einer allgemeinen Volksschule ohne Rücksicht auf konfessionelle Verhältnisse werde verzichtet, andererseits aber die alte Einteilung in Bekenntnisschulen und Gemeinschaftsschulen vermieden, »womit einem Wunsche der Landessynode Rechnung getragen sein dürfte«. In Niedersachsen sollte demnach die »Schule für Schüler ohne Unterschied des Bekenntnisses« als Regelschule bestehen, die »Schule für Schüler des gleichen Bekenntnisses« auf Antrag und unter Bedingungen errichtet werden – eine Lösung, von der wiederum betont wurde, dass sie »sich der der Landessynode annähern dürfte«. Durch die Gewährleistung einer »Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen« werde zudem ein Widerspruch zum Reichskonkordat vermieden. In Betracht gezogen wurde darüber hinaus eine Präambel, in der als Erziehungsziel der Schule unter anderem die »Ehrfurcht vor Gott« und eine Bildung »auf der Grundlage der christlich-abendländischen Kulturwerte« festgelegt würde. Dies sei, wie in dem Schreiben betont wurde, zwar nicht juristisch relevant, aber »vielleicht aus allgemeinen politischen Erwägungen zweckmässig [sic], um von vornherein sachlich zwar unbegründeten, aber mit Sicherheit zu erwartenden Angriffen: das Gesetz führe die unchristliche Volksschule ein, wirksam begegnen zu können«. Sollte Kopf den Entwurf billigen, so würde ein Ministerialreferent diesen zunächst mit den Kirchenvertretern besprechen – und zwar explizit zuerst mit der evangelischen Seite –, bevor anschließend die anderen Ressorts und die Lehrerverbände hinzugezogen würden.187 Die hohe 186 Unbetitelter Kommentar zum Schulgesetzentwurf, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 129 f. 187 Schreiben der Abteilung A im Kultusministerium an den Ministerpräsidenten vom 23.12.1953 (A 3182/53), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37, Bl. 133 f.

Bildungspolitik in Niedersachsen  145

Relevanz, die der Zustimmung der evangelischen Kirche beigemessen wurde, wird hier in mehrerlei Hinsicht deutlich. Nicht nur die Anpassung des Entwurfs an evangelische Forderungen, sondern auch der prozedurale Vorzug, der evangelischen Kirchenvertretern eingeräumt wurde, zeigen, dass letztlich allein die Meinung der niedersächsischen Mehrheitskonfession ernsthaft berücksichtigt wurde, während man sich gegenüber der katholischen Kirche damit begnügte, keine formaljuristische Angriffsfläche zu bieten. Der letztlich den evangelischen Kirchenvertretern sowie dem Kabinett zugeleitete Gesetzentwurf übernahm die für eine Präambel angedachte Formulierung von der »Grundlage des christlich-abendländischen Kulturgutes« unter die in § 2 gelisteten Erziehungsziele. Öffentliche Schulen sollten Schülerinnen und Schüler ohne Unterschied des Bekenntnisses aufnehmen (§ 3), wobei außer an Fach- und Berufsfachschulen Religionsunterricht in Übereinstimmung mit Grundsätzen der Religionsgemeinschaften vorgesehen war (§ 4). An Volksschulen sollte bei der Besetzung der Lehrerstellen »auf die bekenntnismäßige Zusammensetzung der Schülerschaft Rücksicht« genommen werden (§ 5) – eine Abschwächung des Proporzvorschlags. Volksschulen für Schüler gleichen Bekenntnisses sollten auf Antrag der Erziehungsberechtigten dann errichtet werden, wenn am Schulort zusätzlich eine voll ausgebaute Gemeinschaftsschule188 existierte (§ 6). Abgesehen davon sah der Entwurf zu dieser Frage vor, dass mit Inkrafttreten des Gesetzes in Orten mit nur einer öffentlichen Volksschule diese eine Gemeinschaftsschule werde (§ 13 I, später § 12 I).189 Während der Ressortbesprechung wurde die Sorge laut, dass der Entwurf eine »eklatante Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes« bedeute, wenn auf kommunaler Ebene durch Verankerung der christlichen Gemeinschaftsschule de facto die weltliche Schule abgeschafft würde. Das Kultusministerium vertrat demgegenüber den Standpunkt, »dass in Niedersachsen in der Praxis kein Bedürfnis nach einer weltlichen Schule bestehe«.190 Zur Frage des Reichskonkordats bekräftigten die Referenten der Schulabteilung ihre Position, es werde nicht mehr für gültig befunden, würde jedoch durch die Vorschriften ohnehin nicht verletzt.191 Die Ende Januar 1954 zur Besprechung des Entwurfs geladenen Vertreter der hannoverschen Landeskirche erklärten sich mit diesem zunächst einverstanden 188 Der Einfachheit halber wird hier und im Folgenden der Begriff »Gemeinschaftsschule« anstelle des im Schulgesetz verwendeten Begriffs »Schule für Schüler aller Bekenntnisse« verwendet, entsprechend »Bekenntnisschule« statt »Schule für Schüler eines Bekenntnisses«. Dies korrespondiert auch mit dem zeitgenössischen Sprachgebrauch abseits juristischer Ausführungen oder politischer Stellungnahmen der Landesregierung. 189 Entwurf eines Gesetzes über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen (Anlage zum Schreiben des Kultusministers an die Ressortminister vom 25.1.1954), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 38, Bl. 34–46. 190 Protokoll über die Ressortbesprechung vom 27.1.1954 betr. Gesetz über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 38, Bl. 47–51, hier Bl. 49. 191 Ebd., Bl. 50.

146  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  und meinten, die kirchlichen Gremien dürften diese Einschätzung teilen.192 Von der im März stattfindenden hannoverschen Landessynode wurde der Text allerdings offenbar wesentlich kritischer unter die Lupe genommen. Zwar kam der Schulausschuss der Synode zu dem Ergebnis, der Gesetzentwurf könne »als Grundlage für eine gesetzliche Neuregelung angesehen werden«, da wesentliche Anliegen der Landessynode enthalten seien: Der Verzicht auf die aufgeladenen Begriffe Bekenntnisschule und Gemeinschaftsschule, die Verankerung des »christlich-abendländischen Kulturguts« als Bildungsgrundlage, die Erteilung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach, die Möglichkeit der Errichtung monokonfessioneller Schulen sowie schließlich die Tatsache, dass trotz des Primats der Gemeinschaftsschule in kleinen Landschulen der Lehrer nach wie vor faktisch dem Mehrheitsbekenntnis angehören werde.193 Dennoch wünschte der Ausschuss zu einer Reihe von Bestimmungen Klarstellung und Nachbesserungen. So wurde etwa gefordert, dass sich die konfessionelle Zusammensetzung der Lehrerschaft an jener der Schüler zu orientieren habe.194 Entgegenkommen erwartete man auch bei der Errichtung von Bekenntnisschulen. Hier stand insbesondere die Voraussetzung einer voll ausgebauten Gemeinschaftsschule am Ort in der Kritik, wobei der Begriff der »voll ausgebauten Schule« allgemein als problematisch empfunden wurde: Die Synode war zwar gegen Zwergschulen, nicht aber gegen Dorfschulen per se. Letztere sollten zudem evangelisch bleiben können, wenn sie in Gemeinden mit nur geringer nichtevangelischer Bevölkerung die einzige Schule wären. Für den Religionsunterricht wurde die bekannte Forderung wiederholt, dass die Ausbildung der Religionslehrer, die Gestaltung der Lehrpläne und -bücher sowie die Einsichtnahme in den Unterricht »im Einvernehmen mit den Religionsgemeinschaften geregelt wird«. Die geplante Ausnahme von Fach- und Berufsschulen vom Religionsunterricht lehnte man dabei ab und forderte generell, dass ab einer Mindestzahl von zwölf Schülern Religionsunterricht erteilt werden müsse.195 Schließlich wiederholte der Ausschuss die bereits zuvor erhobene Forderung der Landeskirche nach einer gesetzlich geregelten finanziellen Absicherung der Privatschulen.196 Im Mai des Jahres nahm auch die Braunschweigische Landessynode Stellung zu dem Thema und postulierte, man erkenne zwar das Aufsichtsrecht des Staates im Schulwesen an, nicht aber seine »Alleinherrschaft« auf diesem Feld. Weiter hieß es: »Wir wünschen, dass evangelische Kinder von evangelischen Lehrern erzogen

192 Aktenvermerk vom 25.1.1954 (A 163/54), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 38, Bl. 29 f. 193 »Stellungnahme des Schulausschusses der 15. Ordentlichen Landessynode der Ev.luth. Landeskirche Hannovers zum Entwurf eines Schulgesetzes«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41, Bl. 88–91, hier S. 1 f. 194 Ebd., 2. 195 Ebd., 3. 196 Ebd., 4.

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werden. Das kann je nach der besonderen Lage sowohl in Schulen mit Kindern gleichen Bekenntnisses als auch in Schulen mit Kindern verschiedenen Bekenntnisses geschehen.«197 Anders als auf katholischer Seite lautete die Forderung hier also nicht auf bekenntnishomogene Schulen, sondern letztlich auf eben jenen konfessionellen Lehrerproporz, den auch das Kultusministerium bereits in Erwägung gezogen hatte – die Grundlage für eine Kompromisslösung war im Prinzip vorgezeichnet. Im Gegensatz zu den evangelischen Landeskirchen, die auch die in ihren ­Augen positiven Aspekte des Schulgesetzentwurfs herausstrichen und an anderen Stellen Änderungen vorschlugen, reagierten die katholischen Bistümer mit Ablehnung auf die Pläne des Kultusministeriums. Drei Tage nach der Besprechung mit den Vertretern der hannoverschen Landeskirche wurden Exemplare des Entwurfs auch an Bischof Berning überreicht, mit der Bitte, diese gemeinsam mit Hildesheim zu besprechen.198 Am 7. Februar 1954 erfolgte die katholische Stellungnahme, gerichtet an den Ministerpräsidenten und unterzeichnet neben Berning und Machens auch vom Münsteraner Bischof Michael Keller sowie Erzbischof Jaeger aus Paderborn. Das Schreiben eröffnet mit der Feststellung, dass der Gesetzesentwurf »das Recht verletzt und den Frieden im Volke aufs höchste gefährdet«, weshalb man ihn »in seiner ganzen Tendenz« und in vielen Einzelheiten ablehne. Es folgt ein Appell, »Gewissensfreiheit und Recht zu wahren und das Wohl des ganzen Volkes über alle Parteien und Weltanschauungen hinweg im Auge zu haben«: Auch eine Minderheit hat im demokratischen Staat ihre unantastbaren Rechte. Wir vertreten aber mit unserer Forderung alle diejenigen in unserem Volk, die von dem Gedanken durchdrungen sind, daß die Gewissens- und Religionsfreiheit nicht geschmälert werden darf, daß das Recht der Eltern, über die weltanschauliche Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen, nicht angetastet werden darf, daß das bestehende Recht und insbesondere internationale Verträge wie das Reichskonkordat in Wortlaut [sic] beachtet und nach Treu und Glauben ausgelegt werden müssen. Wir sprechen die dringende Bitte aus, die von uns und den katholischen Eltern immer wieder vorgebrachten Bedenken gegen die gewaltsame Einführung der Gemeinschaftsschule – und nichts anderes ist der Zweck dieses Gesetzentwurfes – nochmals im Kabinett zu überprüfen und den Entwurf zurückzuziehen.199

Und kurz darauf heißt es noch einmal: Wenn man die Demokratie aus allen Staatsformen rühmend hervorhebt, dann deshalb, weil die Demokratie das Recht auf Gewissensfreiheit und die Pflicht auf die Ge 197 Schreiben der Ev.-luth. Landeskirche Braunschweigs (Landesbischof)  an Kopf vom 11.5.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41, Bl. 154. 198 Aktenvermerk vom 30.1.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41, Bl. 117. 199 Schreiben Bernings, Machens, Kellers und Jaegers an Kopf vom 7.2.1954 (Abschrift), NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 38, Bl. 235–239, hier S. 1.

148  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  währung der Toleranz zum Fundament des öffentlichen Lebens machen will. Dieses Fundament aber wird in dem Schulgesetzentwurf nicht gelegt.200

Auf diese beachtenswerte Anrufung des Demokratie- und des Toleranzprinzips folgt die Nennung der konkret beanstandeten Punkte des Entwurfs. Zunächst wird das Primat der Gemeinschaftsschule der Kritik unterzogen, welches konfessionelle Schulen nur im Falle eines ausreichenden Bestandes an Gemeinschaftsschulen am Ort zuließ. Dabei beklagten die Bischöfe zudem, dass nur konfessionelle Volksschulen explizit zulässig seien – für andere Schultypen sähe der Entwurf aus ihrer Sicht implizit allein Gemeinschaftsschulen vor. Auch die Tatsache, dass als »geordneter Schulbetrieb« nur die voll ausgebaute Schule gelten sollte, erregte das Missfallen der Kirchenmänner, musste dies doch kleine Bekenntnisschulen gefährden. Insgesamt sah man den Gesetzentwurf nicht nur im Widerspruch zum Reichskonkordat, sondern auch zum Grundgesetz – denn dort werde Religions- und Gewissensfreiheit garantiert und die Errichtung von konfessionellen Privatschulen zugestanden, der Entwurf errichte aber zumindest für die Grundschuljahre ein staatliches Schulmonopol.201 Ungeachtet der katholischen Kritik brachte die Landesregierung den Schulgesetzentwurf in den Landtag ein. Ministerpräsident Kopf, der zu dieser Zeit Kultusminister Voigt im Amt vertrat, hielt anlässlich der ersten Lesung des Gesetzes über das öffentliche Schulwesen eine Ansprache vor dem Parlament, in der er bestrebt war, Sorgen bezüglich des Entwurfs auszuräumen. Aus Kopfs Sicht waren die schwerwiegendsten Befürchtungen, dass das Gesetz die weltliche Schule in Niedersachsen einführe, dass der Elternwille zu wenig Berücksichtigung finde sowie schließlich, dass die bekenntnismäßige Minderheit majorisiert werde. Zum ersten Punkt verwies der Ministerpräsident lediglich auf die unter anderem christlich definierten Erziehungsziele in § 2 des Entwurfs sowie auf die Bestimmungen zum Religionsunterricht, womit er den Vorwurf der Entchrist­ lichung der Schule für widerlegt hielt. Eine Verletzung des Elternrechts verneinte Kopf ebenfalls, da aus Sicht der Landesregierung innerhalb der Elternschaft der Forderung nach einem bestimmten Schultypus – sprich: der Bekenntnisschule – jene nach gut ausgebauten Schulen gegenüberstand und somit Elternrecht auf Elternrecht traf. Damit sollte natürlich nichts anderes gesagt werden, als dass die Regierung durchaus auf das (oder vielmehr: ein) Elternrecht Rücksicht nehme, wenn sie den besseren Ausbau des Schulsystems zu Lasten kleiner Bekenntnisschulen forcierte. Den Schutz religiöser Minderheiten betreffend stellte Kopf schließlich fest, dass er die Toleranz gegenüber Minderheiten »als ein besonderes Kennzeichen des Gesetzes« empfinde, da die niedersächsische Bevölkerungs-

200 Ebd., 2; Hvh. i. O. unterstrichen. 201 Vgl. ebd., 3 f.

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struktur in ihrer konfessionellen Durchmischung die Gemeinschaftsschule als Regel geradezu vorschreiben würde.202 Die am folgenden Sitzungstag anschließende Plenardebatte verlief kontrovers. Für die Fraktion der DP / CDU vertrat der Abgeordnete Schönfelder die Position, der Staat müsse auf dem Feld der Erziehung subsidiär agieren, also nur gemeinsam mit Eltern, Kirche und Lehrern. Hinsichtlich der Elternrechtsfrage versuchte er zu belegen, dass nicht nur die katholische, sondern auch die evangelische Kirche für das Elternrecht eintrete, was ihm – angesichts des meist sehr unterschiedlichen Elternrechtsverständnisses der beiden Kirchen wenig überraschend – nur bedingt gelang. Schönfelder befand jedenfalls, der Entwurf genüge dem Elternrecht nicht. Ebenso wenig gewährleiste er das »Recht der Kirche«, »für eine christliche Erziehung des Kindes einzutreten«.203 Der Abgeordnete folgerte, der Gesetzentwurf würde keine christliche, sondern »eine weltliche Schule mit angehängtem Religionsunterricht« einführen.204 Insbesondere das Elternrecht betreffend nahmen die Vertreter der übrigen Fraktionen klar differierende Standpunkte ein. Der Redner vom BHE betonte, ganz auf der Linie Kopfs, dass eine bessere Ausgestaltung der Schulen dem Wunsch der meisten Eltern entspreche – eine Absage an ungegliederte »Zwergschulen«.205 Von Seiten der SPD verteidigte die Abgeordnete Maria Meyer-Sevenich die Verantwortung des Staates, sich in Erziehungsfragen einzuschalten, da die Familien dies oft nicht alleine bewältigen könnten.206 Die kämpferischsten Beiträge kamen aus den Reihen der FDP-Fraktion: So machte der Abgeordnete Hermann Föge hinter den Elternrechtsforderungen den »Herrschaftswillen unerbittlicher Kleriker« aus, den es »im Interesse wirklichen Christentums und wirklicher Toleranz« zurückzuweisen gelte.207 Die öffentlichen Aktionen der Gegner der Gemeinschaftsschule verurteilte er scharf: Niemals früher war es der Fall, daß man bei irgendeiner Schulmaßnahme, die getroffen wurde, mit einem Boykott der Schüler drohte. Das war doch das Schlimmste, was man sich an Intoleranz überhaupt denken konnte, auch der schlimmste Angriff gegen die Autorität des Staates überhaupt.208

Die FDP-Abgeordnete Grete Sehlmeyer widersprach Schönfelders Implikationen, die evangelischen Kirchen stünden auf demselben Elternrechtsstandpunkt wie 202 Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 62. Sitzung (2. WP), 10.2.1954, 3962, vgl. 3961–3963. 203 Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 63. Sitzung (2. WP), 11.2.1954, 3967. 204 Ebd., 3977. 205 Ebd., 3986. 206 Ebd., 3999–4001. 207 Ebd., 3993. 208 Ebd., 3992.

150  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  die katholische, wobei sie auf die Beschlüsse der Synode verwies. Weiter führte sie einige Beispiele konfessionalistischer Auswüchse an, wie etwa die Forderung nach konfessioneller Trennung der Kinder beim Fußballspiel, und kommentierte: »Auch das dürfte eine Antwort auf die Frage sein, weshalb das Schulgesetz nötig ist.«209 Sehr anschaulich zeigen die Ausführungen Föges und Sehlmeyers einige der theoretischen Grundannahmen auf, die der Befürwortung der Gemeinschaftsschulidee häufig zugrunde lagen. Zum einen diente die Gemeinschaftsschule aus einer republikanischen Perspektive der Erziehung zur Toleranz und somit quasi als Schule der Demokratie. Zum anderen argwöhnte man, dass sich hinter vermeintlichen Elternrechtsansprüchen tatsächlich konfessionalis­ tisches Machtstreben verbarg, welches letztlich die Autorität des Staates zu unterlaufen drohte. Einen weiteren aufschlussreichen Aspekt bietet die Debatte der dritten Lesung des Schulgesetzentwurfs: Hier konkurrierten CDU / DP einerseits sowie SPD und FDP andererseits um die authentische Interpretation der Position der hannoverschen Landessynode zur Schulfrage, bzw. darum, welche Seite das eigentliche Anliegen der evangelischen Landeskirchen vertrete. Während Schönfelder die vorgesehene Vorrangstellung der Gemeinschaftsschule mit Bezugnahme auf die Beschlussfassung der Synode kritisierte, beharrten Vertreter der SPD und FDP darauf, Synodalvertreter hätten ihnen gegenüber Zustimmung zur Fassung der 2. Lesung signalisiert.210 Der Polarisierung im Plenum des Landtages entsprach eine Verschärfung der außerparlamentarischen Debatte. Unterstützt durch die Katholische Schulorganisation setzten die katholischen Bischöfe die Mobilisierung ihrer Diözesen gegen den Entwurf fort. Nimmt man die Eskalation der Rhetorik als Anzeichen für die Einschätzung der Lage, so sah die katholische Seite das kommende Schulgesetz offenbar in der Tat als ernsthafte Bedrohung. In historisch vorbelasteter Wortwahl sprach die katholische Zeitung »Das Wort« von einem »Dolchstoß gegen die Bekenntnisschule«. Aufgrund der Tatsache, dass nach dem neuen Gesetz nicht etwa die Kommunen, sondern die Schulaufsichtsbehörde in Schulfragen das letzte Wort haben sollte, erfolgte das Verdikt, das Land befinde sich in einer »unverschleierte[n] Diktatur«, ohne Achtung für die Gewissensfreiheit. Die Verankerung des konfessionellen Religionsunterrichts konnte der Landesregierung aus Sicht der Zeitung dabei nicht positiv angerechnet werden, da dieser im Grundgesetz ohnehin verbürgt war und seine Einrichtung somit kein Entgegenkommen Hannovers darstellte.211 209 Ebd., 4017, vgl. 4016 f. 210 Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 76. Sitzung (2. WP), 1.9.1954, 4990, 5005 f. 211 Dolchstoß gegen die Bekenntnisschule. In: Das Wort vom 21.2.1954, 3, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41.

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Der Beitrag aus dem »Wort« steht hier stellvertretend für zahlreiche andere, die den Katholizismus in einem Kampf zur Verteidigung religiöser – und demokratischer! – Rechte gegen despotische Unterwanderung sahen. Obgleich es analytisch wenig gewinnbringend wäre, an dieser Stelle jede kämpferische Wortmeldung der Bischöfe oder der katholischen Presse zu zitieren, soll doch der Fastenhirtenbrief Bischof Machens vom 7. März 1954 nicht unerwähnt bleiben, da dieser durch sein konsequentes Fortdenken der gesellschaftlichen Polarisierung, gipfelnd in einer manichäischen Klimax, hervorsticht. Die Befürworter der »Einheitsschule« stellte Machens in eine Reihe mit den kommunistischen Machthabern, NS -Funktionären und schließlich gar dem »Fürsten der Finsternis«. Ihnen entgegen stünden Bischöfe, Heilige und Engel, welche allesamt die katholische Schule forderten. Die Ausführung kulminiert in dem beschwörenden Satz: »Der Heiland selbst hat die Kampfparole ausgegeben.«212 Eine solche Ineinssetzung der Verfechter der Gemeinschaftsschule mit dämonischen Mächten, verknüpft mit der Erhebung der eigenen Schulforderungen zum unmittelbaren göttlichen Gebot, bedeuten eine Delegitimierung der Position des politischen Gegners, die in ihrer Radikalität schwerlich demokratieverträglich ist, so dass dieses Zitat als anschauliches Beispiel für einen demokratietheoretisch problematischen Gebrauch religiöser Sprache dienen kann. Zeitgleich zur öffentlichen Austragung des Konflikts setzten sich Regierung und Bistumsleitungen weiterhin in direktem Kontakt mit der Materie auseinander. Kopf versuchte nach wie vor, den Gesetzentwurf zu verteidigen und die Haupteinwände gegen ihn zu widerlegen. An Bischof Machens etwa schrieb er, durch die Verankerung eines Unterrichts »auf der Grundlage des christlich-abendländischen Kulturgutes« mit konfessionellem Religionsunterricht sei »jede Behauptung widerlegt, derartige Schulen trügen den Erfordernissen der Gewissensfreiheit und der Rücksichtnahme auf die religiösen Rechte und Pflichten der Kinder nicht Rechnung«, zumal bei der Anstellung von Lehrpersonal auf die konfessionelle Zusammensetzung der Schüler Rücksicht zu nehmen sei. Die Forderung nach Toleranz sah er dadurch erfüllt – insbesondere da so verhindert würde, dass Kinder des örtlichen Minderheitsbekenntnisses Schulen der anderen Konfession besuchen müssten, »wodurch dann freilich dem Gebote der Toleranz ebenso wie der Rücksichtnahme auf das religiöse Empfinden allzu offensichtlich zuwidergehandelt werden würde«.213 Erfolg hatte Kopf mit derlei Argumenten indes nicht. Machens nämlich bestritt, dass »der Einheitsschule das Prädikat christlich zukommt«, denn wo »dissidentische Lehrer« unterrichteten, seien die Schulen nicht »christlich« – der Anspruch dieser Lehrkräfte, ihre Ansichten in den Schulen vorzutragen, werde aufgrund »einer falsch verstandenen Toleranz«

212 Zit. nach Ohlemacher, J.: Der Loccumer Vertrag, 257. 213 Schreiben Kopfs an Machens vom 2.3.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76, hier 4.

152  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  erhoben. Für den Bischof stand fest, »daß in Niedersachsen für die katholische Schule kaum noch Raum bleiben wird«.214 Angesichts dieser Befürchtung setzten die katholischen Bischöfe neben Aufrufen und Erklärungen auch auf großangelegte Protestkundgebungen, um Druck auf die Regierung auszuüben: Im März 1954 versammelten sich 50.000 bis 60.000 Katholiken aus dem ganzen Bundesland in Hannover zu einer Demonstration gegen den Schulgesetzentwurf.215 Kopf reagierte auf diese Machtdemonstration der Kirche gelassen. An Bischof Keller, der zur Untermauerung der kirchlichen Position auf die Proteste verwiesen hatte, schrieb der Ministerpräsident, er nehme an, »daß Ihr Urteil über den Wert derartiger organisierter Massendemonstrationen nach all dem, was wir in den letzten Jahrzehnten unseres Lebens erfahren haben, in Wirklichkeit kein anderes ist als meines.« Ein Zurückziehen des Entwurfs lehnte Kopf ab.216 Obgleich, wie beschrieben, auch in den evangelischen Landeskirchen durchaus Kritik am Gesetzentwurf bestand, äußerte sich Hanns Lilje, Marahrens Nachfolger als hannoverscher Landesbischof, besorgt darüber, dass die Agitation der katholischen Kirche gegen die Schulpolitik der Landesregierung seiner Ansicht nach die gesamte Debatte nur erschweren würde.217 Lilje und sein Schulreferent Bartels setzten statt auf öffentliche Aktion auf sachliche und einvernehmliche Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium und konnten denn auch in der Tat auf zunehmend gute Beziehungen zur Kultusadministration bauen – was sich unter anderem darin äußerte, dass das Ministerium Bartels stets über die aktuellen Ergebnisse aus dem Kulturausschuss des Landtags unterrichtete.218 Prälat Böhler nahm die Protestanten im »Schulkampf« folglich eher als Teil des gegnerischen Lagers wahr, denn als Verbündete – die Katholiken standen hier seiner Meinung nach allein.219

214 Schreiben Machens an Kopf vom 19.3.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76. 215 Vgl. Konkordat an der Leine. In: Der Spiegel Nr. 8/1965 (17.02.1965), 30–33, hier 30; Hertel, Peter: Katholische Schüler demonstrieren gegen das neue Schulgesetz in Niedersachsen. Beitrag für Deutschlandradio »Kalenderblatt«, ausgestrahlt am 6.10.2004. URL: http://www. deutschlandradio.de/archiv/dlr/sendungen/kalender/309034/index.html (Stand 20.3.2020). 216 Kopf an Keller [12.4.1954] (Dok. 195). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1950–1955, 679–681, hier 681. 217 Protokoll [Niederschrift über die 44. Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am 6. Mai 1954 in Halle / Saale] (Dok. 44B). In: Fix, Karl-Heinz (Bearb.): Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 8: 1954/55, Göttingen 2012, 215–234, hier 216, Fn. 14. 218 Vgl. Simon, C.: Die evangelischen Kirchen, 313, 327. 219 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 372. Böhlers Einschätzung scheint nicht gänzlich unberechtigt, wenn man etwa bedenkt, dass die gewerkschaftlich organisierten Lehrerinnen und Lehrer – nicht gerechnet die dezidiert katholischen Lehrerorganisationen – meist lobende und unterstützende Eingaben zum Schulgesetz machten (Siehe hierzu in NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41 die Eingaben der Lehrerverbände Braunschweig [Bl. 14f, Bl. 97f], Oldenburg [Bl. 99], Schaumburg-Lippe [Bl. 136]).

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Der Theologe Jörg Ohlemacher fasst die Auseinandersetzungen bezüglich des Schulgesetzes prägnant zusammen, wenn er schreibt: Während die evangelischen Landeskirchen die Initiative des Staates in einem konstruktiv-kritischen Prozeß begleiteten und sich z. B. die hannoversche Landessynode nach heißen Debatten für die Gemeinschaftsschule entschied, sah die katholische Kirche das im Konkordat verbriefte Elternrecht angetastet und entfachte eine äußerst erbitterte Auseinandersetzung auf allen möglichen Ebenen.220

Der »Spiegel« beschrieb im Jahr 1965 die Massenmobilisierungen der niedersächsischen Katholiken rückblickend als »den bis heute stürmischsten bundesdeutschen Schul-Kampf«.221 Trotz alledem konnte die katholische Kirche das Inkrafttreten des »Gesetzes über das öffentliche Schulwesen« am 14. September 1954222 nicht verhindern, so dass die katholischen Wortführer ihre Ablehnung weiterhin mit teils drastischer Rhetorik unterstrichen. Bischof Machens etwa erklärte laut der »Oldenburger Volkszeitung«, das Schulgesetz habe »die seit 200 Jahren bestehenden Schulrechte« in Niedersachsen auf eine Weise beseitigt, »wie das zuvor nur durch Hitler geschehen« sei.223 In einem Hirtenbrief rief Machens seine Diözese zudem dazu auf »bei der nächsten Wahl solche Vertreter in den Niedersächsischen Landtag zu senden, die ein Schulgesetz nach Gottes Willen machen und das jetzige Gesetz zum alten Eisen legen«.224 Dass man dadurch letztlich die CDU beauftragte, im Landtag Gottes Willen auszuführen, wurde offenbar nicht als problematisch empfunden. Neben fortgesetzten verbalen Interventionen kam es auch zu demonstrativen Aktionen gegen das neue Gesetz. Im Kreis Meppen etwa bestreikten die Eltern in 70 Gemeinden den Unterricht, indem sie ihre Kinder lediglich zum Schulgottesdienst schickten und sie anschließend wieder nach Hause holten. Die Landesregierung war augenscheinlich nicht gewillt, diesen Streit weiter zu eskalieren, denn sie ließ durch das Kultusministerium lediglich verkünden, dass keine Gegenmaßnahmen gegen den Schulstreik beabsichtigt seien.225 Die evangelischen Kirchen Niedersachsens brachten in derselben Zeit dem neuen Gesetz Offenheit entgegen und drückten ihren Willen zur konstruktiven Zusammenarbeit mit den Schulbehörden aus. OLKR Bartels bezeichnete die 220 Ohlemacher, J.: Der Loccumer Vertrag, 256. 221 Fern vom Gesetz. In: Der Spiegel Nr. 17/1965 (21.04.1965) 42–44, hier 43. 222 Siehe Nds. GVBl. 19/1954 (14.9.1954), 89–92. 223 Unbetitelter Artikel der Oldenburgischen Volkszeitung vom 22.9.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41, Bl. 210. 224 Bischof und Volk protestieren. In: Das Wort vom 10.10.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41, Bl. 233. 225 Schulstreik in 70 Gemeinden. In: Oldenburgische Volkszeitung vom 8.10.1954, 2, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41, Bl. 209; Keine Maßnahmen gegen Schulstreiks. In: Oldenburgische Volkszeitung vom 8.10.1954, 2, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41, Bl. 209.

154  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Bestimmungen des Schulgesetzes als »einen erfreulichen Ansatz zur Ueberwin­ dung [sic] eines Doktrinalismus«, der »dem Leben Rechnung« trage.226 Auf Seiten der Evangelisch-Reformierten Kirche in Nordwestdeutschland erklärte Landessuperintendent Walter Herrenbrück, der Staat würde mit diesem Schulgesetz »zum Anwalt der ›mündig gewordenen Welt‹ […], und es ist die Aufgabe der Staatsbürger, dieser Neuregelung, nachdem sie Gesetz geworden ist, mit Unvoreingenommenheit und Vertrauen entgegenzutreten«. Da die evangelische Lehrerschaft um das Faktum konfessioneller Spaltung nicht herumkomme, entstehe die Notwendigkeit »die Jugend im Geiste echter Toleranz zu erziehen«.227 Aufgrund dieser zunehmenden Akzeptanz der Schulpolitik auf evangelischer Seite konnte Kopf im Landtagswahlkampf 1955 das Schulgesetz unter anderem mit Verweis auf die Zustimmung der evangelischen Landeskirchen verteidigen,228 wodurch wohl weniger die Katholiken Niedersachsens beruhigt, als vielmehr die Protestanten umworben werden sollten. Das seitens der Landeskirchen tendenziell positiv bewertete Schulgesetz sollte dabei nicht das einzige Projekt der Regierung in dieser Wahlperiode bleiben, auf das Kopf verweisen konnte, um die Gunst der evangelischen Wählerschaft zu gewinnen: Am 19. März 1955 unterzeichneten die niedersächsische Landesregierung und die evangelischen Landeskirchen den »Vertrag der evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen mit dem Lande Niedersachsen«, nach dem Unterzeichnungsort im Kloster ­Loccum meist als »Loccumer Vertrag« bezeichnet. e)

Der Loccumer Vertrag

Mit dem Loccumer Vertrag wurde der erste Staatskirchenvertrag in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen. Für die hannoversche Landeskirche sowie die Evangelisch-Reformierte Kirche Nordwestdeutschlands ergänzte er den preußischen Kirchenvertrag vom 11. Mai 1931, für die übrigen evangelischen Kirchen in Niedersachsen stellte er die erste einheitliche vertragliche Vereinbarung dieser Art mit dem Staat dar.229 War der Vertrag schon aufgrund dieser Zusammenhänge eine beachtenswerte Neuerung, so sollte er umso mehr in materieller Hinsicht wegweisend für das bundesdeutsche Staatskirchenrecht bzw. Religions 226 Kirchliches Lob für das Schulgesetz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.9.1954, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41, Bl. 224. Beim Ausdruck der »mündig gewordenen Welt« handelt es sich um ein Zitat Dietrich Bonhoeffers. 227 Im Verhängnis konfessioneller Spaltung. In: Ostfriesen Zeitung vom 24.9.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41, Bl. 214. 228 Vogelsang, T.: Hinrich Wilhelm Kopf, 163. 229 Ruppel, Erich: Kirchenvertragsrecht. Eine Erläuterung des Staatskirchenrechts der neueren Kirchenverträge. Synopse des Preussischen Kirchenvertrages vom 11.5.1931, des Niedersächsischen Kirchenvertrages vom 19.3.1955, des Schleswig-Holsteinischen Kirchenvertrages vom 24.4.1957 und des Hessischen Kirchenvertrages vom 18.2.1960. Hannover 1996, 101.

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verfassungsrecht wirken, worauf im Folgenden noch einzugehen sein wird. Unmittelbar einsichtig dürfte die politische Bedeutung dieses Vertragsschlusses sein – war es doch ›ausgerechnet‹ eine sozialdemokratisch geführte Landesregierung, die ihn initiiert hatte. Man darf davon ausgehen, dass Ministerpräsident Kopf sich der Symbolträchtigkeit seines Handelns bewusst war, als er am 20. Dezember 1954 Landesbischof Lilje im hannoverschen Landeskirchenamt besuchte und den Abschluss eines Kirchenvertrages ins Gespräch brachte, und dass er, obgleich aus persönlicher Überzeugung ohnehin an einem guten Verhältnis mit den evangelischen Kirchen interessiert, die positive Außen­wirkung einer erfolgreichen Vertragsverhandlung bewusst mit einkalkuliert hatte.230 Zwar ließ der Ministerpräsident zunächst anfragen, ob die offizielle Initiative zum Kirchenvertrag nicht von den Landeskirchen ausgehen könnte, wie aus dem Protokoll einer ersten Fühlungnahme zwischen Ministerialrat Konrad Müller von der Staatskanzlei auf der einen und dem Präsidenten des Landeskirchenamtes, Karl Wagenmann, sowie weiterer hannoverscher Kirchenbeamten auf der anderen Seite hervorgeht.231 Doch obwohl Wagenmann in diesem »sehr freundlichen und ganz offenen Gespräch« Bereitschaft dazu signalisierte, entschied sich Kopf letztendlich offenbar, die Initiative auch offiziell selbst zu ergreifen.232 Stark für die Vermutung einer beabsichtigten Werbewirkung spricht überdies die Bemerkung Müllers, der Ministerpräsident sei unter anderem an einer Klausel zur Schule interessiert, »durch die der religiöse Charakter der Gemeinschaftsschule festgelegt, durch die aber auch gleichzeitig die positive Stellungnahme der evangelischen Kirchen zur Gemeinschaftsschule ausgedrückt werde«.233 Die Kirchenvertreter ihrerseits wünschten die Fortgeltung des preußischen Kirchenvertrags von 1931, was Müller laut Protokoll »ohne weiteres« akzeptierte.234 Hinsichtlich des Bildungsbereichs war man kirchlicherseits an einem Anhörungsrecht bei der Besetzung der religionspädagogischen Lehrstühle an den Pädagogischen Hochschulen sowie an näheren Regelungen für die Erteilung der Lehrberechtigung für den Religionsunterricht interessiert. Grundsätzlich waren sich beide Seiten zudem darin einig, dass das Vertragswerk den öffentlich-rechtlichen Charakter der Kirchen nicht gefährden dürfe, sondern vielmehr ihre autonome, öffentliche Position betonen müsse.235 230 Vgl. Ohlemacher, J.: Der Loccumer Vertrag, 258. 231 Es ist für die Arbeit Konrad Müllers (1912–1979) sicher nicht unbedeutend, dass er, Sohn des späteren evangelischen Bischofs von Magdeburg, von 1948–1950 zunächst als Referent am kirchenrechtlichen Institut der EKD tätig war. 1959 wechselte er dann als Staatssekretär ins niedersächsische Kultusministerium. 232 Vermerk OLKR Ruppels zur »Regelung staatskirchenrechtlicher Fragen durch eine Vereinbarung mit der niedersächs. [sic] Landesregierung«, Landeskirchliches Archiv Hannover (fortan: LkAH), L 3 III Nr. N 60, Bl. 5–9, hier S. 1. 233 Ebd., 3. 234 Ebd., 2. 235 Ebd., 2f, 6 f.

156  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Nachdem die grundlegenden Interessen der Verhandlungsparteien somit abgesteckt waren, konnte Kopf am 10. Januar Lilje gegenüber schriftlich den Wunsch äußern, einen Vertrag des Landes mit allen fünf evangelischen Landes­ kirchen abzuschließen. Als Ziel nannte er dabei, »durch Beseitigung des Gestrüpps von Genehmigungsvorbehalten eine echte kirchliche Autonomie zu ermög­lichen und den Verkehr zwischen Staat und Kirche zu entbürokratisieren«.236 In der Tat waren für das Land Niedersachsen die unterschiedlichen Rechtsbeziehungen zu den Landeskirchen mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden. Kultusminister Voigt bekräftigte anlässlich eines Gesprächs mit Kirchenvertretern, dass es nun, nachdem andere für Staat und Kirche relevante Fragen, »nämlich Schulverwaltungsgesetz und Schulgesetz in erfreulicher und sachlicher Zusammenarbeit mit den Kirchen ihre Regelung gefunden« hätten, an der Zeit sei, »in zügiger Arbeit zu versuchen, zu einheitlichen vertraglichen Abmachungen mit den 5 evangelischen Kirchen zu kommen«.237 Die Landeskirchen ihrerseits waren durchaus dazu bereit, denn während für die nicht ehemals preußischen Kirchen teils noch Einzelvereinbarungen bestanden, die für sie sehr ungünstige Regelungen enthielten, wie etwa der Vertrag des Freistaats Braunschweig mit der Braunschweigischen Landeskirche von 1923, sah der preußische Kirchenvertrag diverse staatliche Hoheitsrechte vor, die nicht mehr zeitgemäß waren.238 Das allseitige Interesse an einer allgemeinen, für alle Parteien einheitlichen Regelung lag somit also vor – ganz unabhängig von den oben angesprochenen erwünschten Nebenwirkungen eines neuen Staatskirchenvertrages. Einigkeit bestand auch bezüglich dessen, was die Vereinbarung nicht beinhalten bzw. zum Ausdruck bringen sollte: Eine negative Deutung der Trennung von Kirche und Staat. Mit den Worten Kulturstaatssekretär Helmut Bojungas sollte der »Eindruck gegenseitigen Desinteressements« vermieden werden. Landeskirchenamtspräsident Wagenmann begrüßte dies und betonte, die Landeskirchen hätten Interesse daran, »ihren öffentlichen Status zu wahren und herauszustellen«; eine solche Stellung der Kirchen im öffentlichen Leben sei auch für den Staat wertvoll.239 236 Schreiben Kopfs an Lilje vom 10.1.1955, LkAH, L 3 III Nr. 453. 237 »Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern der evangelischen Landeskirchen im Gästehaus der Landesregierung am 20.1.1955«, LkAH, L 3 III Nr. N 60, Bl. 63–71, hier S. 3. 238 Vgl. Ohlemacher, J.: Der Loccumer Vertrag, 254 f. Da der preußische Kirchenvertrag auch für die evangelischen Kirchen auf dem Gebiet der DDR formal nach wie vor galt, wünschten die Ostkirchen auf der Synode von Espelkamp am 9. März 1955 seine Aufrechterhaltung auch für Niedersachsen, damit nicht andernfalls ihre Position in der DDR weiter gefährdet würde. Man bat das Land Niedersachsen daher, einen Ergänzungsvertrag zum preußischen Kirchenvertrag auszuarbeiten (vgl. ebd., 263f). 239 »Vermerk über den Gedankenaustausch im Gästehaus der Staatsregierung zwischen dem Niedersächsischen Kultusminister und seinen Mitarbeitern und den Vertretern der niedersächsischen Landeskirchen am 20. Januar 1955 um 15.00 Uhr«, LkAH, L 3 III Nr. 1494, hier 4.

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Gemäß dem Interesse an einer Entbürokratisierung sollte ein maßgeblicher Teil des fertigen Vertragswerkes organisatorische und finanztechnische Fragen behandeln. An dieser Stelle wird sich der Blick allerdings ausschließlich auf die für den bildungspolitischen Schwerpunkt des Kapitels relevanten Vertragsbestimmungen richten. Die Verhandlungen zu Bildungsfragen beschäftigen sich insbesondere mit der theologischen Fakultät der Universität Göttingen und dem Berufungsverfahren an selbige, den Berufungen an pädagogische Hochschulen und der Religionslehrerprüfung, der Stellung des Religionsunterrichts, dessen Richtlinien und dem Visitationsrecht der Kirchen sowie schließlich den evangelischen Privatschulen. In einem Vorentwurf, den Müller bereits wenige Tage nach der ersten Fühlungnahme an Wagenmann sandte, findet sich ein ausführlicher Schulartikel. Einleitend wird darin konstatiert: »Das Land und die Evangelischen Landeskirchen werden zusammenarbeiten, um die christliche Grundlage des öffentlichen Schulwesens in Niedersachsen lebendig zu machen.« (Art. 6  I). Es folgt die Verankerung des evangelischen Religionsunterrichts nach den Grundsätzen der Kirchen nicht nur an den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen, sondern auch an den Berufs- sowie Berufsfachschulen, die im Schulgesetz davon bisher ausgenommen waren (Art. 6  II). Absatz 3 sah die Bestimmung vor, dass Richtlinien und Lehrbücher für den Religionsunterricht in Einvernehmen mit den Landeskirchen zu gestalten seien, welche ihr Visitationsrecht durch beauftragte Schulaufsichtsbeamte ausüben sollten. Der Verpflichtung des Landes, ab zwölf evangelischen Schülern an einer Schule Religionsunterricht einzurichten (Abs. 4), folgt schließlich die Regelung, vor einer Anstellung von Religionsdozenten an pädagogischen Hochschulen die Kirchen gemäß Art. 11 II Preußischer Kirchenvertrag anzuhören (Abs. 5).240 Im kirchlichen Gegenentwurf findet sich derselbe Artikel fast im Wortlaut wieder, was angesichts der Tatsache, dass er sämtliche offenen Forderungen der Landeskirchen erfüllte, nicht überrascht.241 Während die Landeskirchen in den folgenden Verhandlungsmonaten bei dieser Position verblieben, eröffnete Müller seinen Gesprächspartnern im hannoverschen Landeskirchenamt, dass innerhalb des Kultusministeriums die Vorstellungen zum Schulartikel kontrovers diskutiert wurden.242 Auch von anderer Seite wähnte man Widerspruch: Obschon Kultusminister Voigt offenbar daran interessiert war, auch religiöse Veranstaltungen außerhalb des Religionsunterrichts sowie die Bildung von Arbeitsgemeinschaften zwischen Religionslehrern und Geistlichen in den Artikel aufzunehmen, sorgte man sich im Ministerium 240 Schreiben Müllers an Wagenmann vom 11.1.1954 [sic], LkAH L 3 III Nr. N 60, Bl. 10. Bei der Datumsangabe in diesem Dokument ist offensichtlich ein Tippfehler unterlaufen, es muss 1955 heißen. 241 Entwurf des Kirchenvertrages vom 13.1.1955, LkAH, L 3 III Nr. N 60, Bl. 27–37. 242 Schreiben MR Müllers an OLKR Ruppel vom 25.2.1955, LkAH , L 3 III Nr. N 60, Bl. 210–212.

158  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  um die mangelnde Zustimmungsfähigkeit dieser Bestimmungen im Landtag. Informell sagte Kulturstaatssekretär Bojunga den Kirchen jedoch Zusammenarbeit in diesen Fragen zu.243 Letztendlich fand in den am 19. März 1955 unterzeichneten Vertragstext von diesen Punkten lediglich die Gelegenheit der zuständigen Landeskirche zu einer gutachterlichen Stellungnahme bei der Anstellung von Dozenten für evangelische Religionspädagogik an den pädagogischen Hochschulen Eingang (Art. 4 I) sowie die Beteiligung eines Vertreters der jeweiligen Landeskirche an der Volksschullehramtsprüfung für evangelische Religion, welcher auch bei der Vergabe der Lehrberechtigung mitspracheberechtigt zu sein hat (Art. 4 II). Die offenen Fragen, namentlich die Regelung von Religionsunterricht und Visitation sowie die Privatschulfinanzierung, wurden in Art. 5 auf eine zu erzielende Zusatzvereinbarung verwiesen – auf Basis eines »sachlichen Einverständnisses über die Grundsätze des niedersächsischen Schulgesetzes«.244 Dass die vorgesehenen Ergänzungen kein leeres Versprechen bleiben sollten, unterstrich Kultusminister Voigt am 30. März 1955 vor dem Landtag: Nachdem die evangelischen Kirchen bei der Neuordnung des niedersächsischen Schulwesens in verständnisvoller Weise mitgearbeitet haben, entspricht es der Gesetzeslage, aber auch der Sache, wenn vorgesehen ist, daß in Durchführung der nunmehr geltenden Grundsätze für das öffentliche Schulwesen und den Religionsunterricht Vereinbarungen mit den Kirchen über die Einsichtnahme in den evangelischen Religionsunterricht sowie über Richtlinien, Lehrpläne und Lehrbücher für den evange­ lischen Religionsunterricht getroffen werden.245

Obgleich also auf kirchlicher Seite nicht unwichtige Forderungen vorerst noch unerfüllt blieben, wird in den Reden anlässlich der feierlichen Unterzeichnung des Loccumer Vertrages deutlich, dass sowohl Staat wie Kirchen zufrieden mit dem erreichten Ergebnis waren. Während Ministerpräsident Kopf die freiheitliche Qualität der neuen Regelung dadurch betonte, dass er auf den geringen Nutzen der vormaligen staatlichen Kontrollrechte verwies,246 stellte Kultusminister Voigt einmal mehr die gute Zusammenarbeit mit den evangelischen Kirchen im Bildungsbereich heraus:

243 Niederschrift über die Vollsitzung von Vertretern der Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen und Vertretern des Landes Niedersachsen über den Abschluß eines Kirchenvertrages am 15. März 1955, 15 Uhr, im Henriettenstift Hannover, LkAH, L 3 III Nr. N 60, Bl. 257–260, hier S. 4. 244 Smend, Rudolf: Der niedersächsische Kirchenvertrag und das heutige deutsche Staatskirchenrecht. In: Juristenzeitung (1956) 50–53, hier 51. 245 Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 98. Sitzung (2. WP), 30.3.1955, 6385. 246 Vgl. Ohlemacher, J.: Der Loccumer Vertrag, 268, Fn. 90.

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Ich betone, wie dankbar ich an das Verständnis denke, mit dem die evangelischen Kirchen die Neuordnung des niedersächsischen Schulwesens begleitet haben. Es waren wirklich fruchtbare Gespräche, die wir in Aufgeschlossenheit für das gegenseitige Anliegen miteinander führen konnten.247

Landesbischof Lilje würdigte den Kirchenvertrag mit den Worten, dieser bedeute »einen Schritt weiter auf dem Wege, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in unserem Lande in Freiheit zu gestalten«.248 Sein Schaumburg-Lippischer Amtskollege Wilhelm Henke erinnerte sich, zu Beginn der Verhandlungen skeptisch gegenüber dem Vorhaben gewesen zu sein – eingedenk des preußischen Staatsvertrages. Sobald er jedoch den konkreten Inhalt des neuen Vertragswerkes kennengelernt habe, so Henke, habe er »sofort freudig mein Jawort dazu gesagt«, da hier nicht zwei Parteien versuchten, »mißtrauisch Grenzen gegen einander zu regeln, sondern sich die Hand zu reichen«.249 Die Reden aller Staats- und Kirchenvertreter sind von einem bemerkenswert optimistischen Grundton gekennzeichnet, welcher weit mehr als der Inhalt der Aussagen Rückschlüsse auf die Bedeutung zulässt, die dem Loccumer Vertrag von den Partnern beigemessen wurde. Für den hier behandelten Untersuchungsgegenstand besonders interessant scheint allerdings, wie auffallend häufig Kultusminister Voigt die Kooperation mit den Landeskirchen in Schulfragen lobend erwähnt – nicht nur mehrfach öffentlich, bei der Vertragsunterzeichnung und später vor dem Landtag, sondern auch im Verhandlungsgespräch mit den Kirchenvertretern. Wirkt diese ständige Wiederholung einerseits beinahe beschwörend, als ob man die guten Beziehungen nachdrücklich in Erinnerung rufen müsse, so liegt doch die Vermutung nahe, dass Voigt damit zumindest noch ein anderes Ziel verfolgte: Insbesondere der oben zitierte Teil seiner Landtagsrede vom 30. Januar 1955 lässt sich durchaus so lesen, als ob hier suggeriert werden soll, der Loccumer Vertrag und die noch zu schließenden Vereinbarungen seien sozusagen die freundschaftliche Reaktion des Staates auf die kooperative Haltung der evangelischen Kirchen. Wenn diese Implikation beabsichtigt war, ist leicht ersichtlich, an wen sie adressiert war: An denjenigen Akteur, mit dem das Land in Schulfragen gerade nicht einig werden konnte – die katholische Kirche, bzw. ihre Bischöfe in Niedersachsen. Unter diesem Blickwinkel erscheint es plausibel anzunehmen, dass man in Staatskanzlei und Kultusministerium den Zusammenhang zwischen Anreizstrukturen in Form von für die Kirchen vorteilhafter Normsetzung einerseits und der Einnahme eines politisch als wünschenswert erachteten Standpunktes durch die kirchlichen Partner andererseits sehr wohl im Blick hatte. 247 »Ansprachen bei der Unterzeichnung des Vertrages der Evangelischen Landeskirchen mit dem Lande Niedersachsen im Kloster Loccum am 19. März 1955«, LkAH, L 3 III Nr. 453, hier 1. 248 Ebd. 249 Ebd., 2.

160  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Eine ähnliche, wenngleich deutlich negativere Interpretation wurde denn auch durch die katholische Presse angeboten. Die Wochenzeitung »Das Wort«, welche den gesamten Vorgang der Vertragsverhandlungen offenbar mit Argwohn beobachte, warnte die evangelischen Kirchen, sie müssten aufpassen, dass seitens der Landesregierung mit der finanziellen Unterstützung, die der Vertrag gewährte – und die, wie man sich nicht nehmen ließ anzumerken, »automatisch auch der katholischen Kirche zugute kommen müßte« – nicht »politische Bedingungen verknüpft werden«. Dabei wurde hinter dem niedersächsischen Kirchenvertrag gleichsam eine Großstrategie der Sozialdemokratie vermutet: Ministerpräsident Kopf stellte der Artikel als gewieften Strategen dar, der, sich stets als überparteilicher Landesvater gerierend, bei den evangelischen Landeskirchen Verbündete für den Kampf der SPD gegen die Bundesregierung suchte.250 Über die Seriosität solcher Überlegungen muss an dieser Stelle nicht weiter debattiert werden, interessant ist jedoch die Frage, welche Motive ihnen zugrunde lagen. Ob hinter den Ausführungen im »Wort« die genuine Furcht der katholischen Minderheit in Niedersachsen vor einer zunehmenden Marginalisierung in Anbetracht des demonstrativ harmonischen Verhältnisses von SPD und evangelischer Kirche stand, oder doch nur parteitaktisches Kalkül im Landtagswahlkampf von 1955, lässt sich indes lediglich spekulieren. Keiner Spekulation bedarf hingegen die Einschätzung der Bedeutung dieses ersten Staatskirchenvertrags in Nachkriegsdeutschland, dessen Einfluss auf das Staatskirchen- bzw. Religionsverfassungsrecht bereits in der unmittelbaren zeitgenössischen Beurteilung erkannt wurde: Für den Staats- und Kirchenrechtler Rudolf Smend bedeutete der Loccumer Vertrag eine Abkehr von der »liberal freistellenden Trennungsordnung« der Weimarer Reichsverfassung.251 Neben den verschiedenen kooperativen Arrangements, die sich im Kirchenvertrag finden, ist für diese Interpretation insbesondere die Präambel relevant, die daher an dieser Stelle ausführlich zitiert werden soll: Die verfassungsmäßigen Vertreter der Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen und die Niedersächsische Landesregierung, im Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung für den evangelischen Teil der niedersächsischen Bevölkerung und geleitet von dem Wunsche, das freundschaftliche Verhältnis zwischen Land und Landeskirchen zu festigen und zu fördern, […] haben in Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen und ihre Eigenständigkeit beschlossen, den Vertrag unter Wahrung der Rechte der Kirchen im Sinne echter freiheitlicher Ordnung fortzubilden und zu einheitlicher Gestaltung des Verhältnisses des Landes zu allen Landeskirchen wie folgt zu fassen.252

250 Im Zeichen der Landtagswahl. In: Das Wort vom 27.3.1955, LkAH, L 3 III Nr. 1494. 251 Smend, R.: Der niedersächsische Kirchenvertrag, 51. 252 »Vertrag der evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen mit dem Lande Niedersachsen vom 19. März 1955«, Nds. GVBl. 14/1955 (21.4.1955), 159–162.

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Dieser Abschnitt, dessen Semantik exakt dem positiven Tonfall der bei der Vertragsunterzeichnung gehaltenen Reden entspricht, enthält verschiedene aus politik- wie auch aus rechtswissenschaftlicher Sicht hochinteressante Bestandteile. Smend sah besonders in der Betonung der »gemeinsamen Verantwortung« und »dem Wunsche, das freundschaftliche Verhältnis zwischen Land und Landeskirchen zu festigen und zu fördern« einen Wandel weg von der stärker distanzierten Ordnung der Beziehung von Staat und Kirche in Weimar.253 Auffällig ist des Weiteren die Anerkennung des »Öffentlichkeitsauftrags« der Kirche, was nach Wolfgang Conrad nicht lediglich die »Berücksichtigung der Kirche als gesellschaftliche Organisation« bedeute, sondern dass »die Kirche vielmehr als einzige Institution im Staate durch Staatsvertrag als eigenständiger Mitträger der Gestaltungsaufgabe einer gesellschaftlichen Ordnung koordinationsrechtlich anerkannt worden« sei.254 Damit würde nicht nur die einflussreiche Stellung der Kirchen im gesellschaftlichen Gefüge der frühen Bundesrepublik unterstrichen, sondern in der Tat der wiederholten Rede von den guten Beziehung zwischen der Niedersächsischen Landesregierung und den evangelischen Landeskirchen noch einmal eine ganz neue Berechtigung gegeben – betont die Präambel doch hier, anstatt eine Abgrenzung von Rechten und Gegenrechten vorzunehmen, die »Beteiligung von Staat und Kirche an derselben öffentlichen Aufgabe«.255 Mit anderen Worten: Im Loccumer Vertrag werden Staat und Kirchen dezidiert als Partner auf Augenhöhe dargestellt. Den Hauptteil des Vertrages beschreibt Smend als »eine große verwaltungsund rechtstechnische Entrümpelung des Verhältnisses von Staat und Kirche, eine Entlastung der Kirche von viel bürokratischer Hemmung und des Staats von viel nutzloser Verwaltungsarbeit«.256 Aus dieser Sicht wurde also nicht nur dem Entbürokratisierungsanliegen Kopfs Rechnung getragen, sondern die erklärte Absicht, die Freiheit der Kirche zu fördern, tatsächlich umgesetzt. Obgleich Smend befand, dass ein Hauptmotiv des Vertrages in der Betonung der staatlichen Einheit und Individualität Niedersachsens lag, so stellte er dennoch fest, dass man ihn »als deutende Positivierung, ja beinahe als authentische Auslegung des geltenden Staatskirchenrechts« ansehen müsse und dass hier die Folgerungen der Geschichte für das deutsche Staatskirchenrecht im Gegensatz zum in diesem Punkt mehrdeutigen Grundgesetz »klar und eindeutig« gezogen worden seien.257

253 Smend, R.: Der niedersächsische Kirchenvertrag, 51. 254 Zit. nach Ohlemacher, J.: Der Loccumer Vertrag, 268, Hvh. i. O. 255 Smend, R.: Der niedersächsische Kirchenvertrag, 51. 256 Ebd., 50 f. 257 Ebd., 50.

162  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  f)

Das Privatschulgesetz und die Schulvereinbarung zum Loccumer Vertrag

Obgleich die evangelischen Landeskirchen mit dem Loccumer Vertrag augenscheinlich sehr zufrieden waren, blieben, wie bereits bemerkt, einige ihrer bildungspolitischen Anliegen noch unberücksichtigt, insbesondere die Regelung des Privatschulwesens. Da auch die katholischen Bischöfe wiederholt bessere Garantien für kirchliche Privatschulen gefordert hatten – siehe die Kritik am Schulgesetz –, war hier Handlungsbedarf angezeigt. Dies anzugehen oblag zunächst zum ersten Mal seit Bestehen des Landes Niedersachsen einer von CDU und DP geführten Regierung, denn obwohl die SPD bei der Wahl zum dritten Landtag am 24. April 1955 deutlich stärkste Partei geworden war, gelang es einer Koalition aus CDU, DP, GB / BHE und FDP unter Führung Heinrich Hellweges (1908–1919, DP) eine Regierung gegen sie zu bilden. Diese Konstellation hielt jedoch nur bis in den Herbst 1957, so dass seit dem 19. November 1957 Hellwege mit einer Koalition aus SPD, CDU und DP regierte. Kultusminister wurde Richard Langeheine (1900–1995, DP).258 Es mag nicht allein den koalitionspolitischen Rochaden im niedersächsischen Landtag geschuldet sein, dass das lange geforderte und vielfach in Aussicht gestellte »Privatschulgesetz« (PrivSchG) nun unter einer von CDU und DP geführten Regierung ausgearbeitet wurde; vielmehr dürfte die parlamentarische Nichtbehandlung dieser Materie vor 1956 auch auf eine gewisse Zurückhaltung auf Seiten der bis dahin regierenden Sozialdemokraten gegenüber dem Privatschulwesen und eine entsprechende Bevorzugung der öffentlichen Schulen zurückzuführen sein. Am 7. November 1956 konnte Kultusminister Langeheine jedenfalls dem Landtag den Entwurf seines Hauses zu einem Privatschulgesetz vorlegen, mit welchem, so der Minister, »den berechtigten Interessen der Privatschulen soweit wie möglich entgegengekommen« worden sei.259 Zu diesem Entgegenkommen gehörte demnach unter anderem eine Erleichterung der staatlichen Anerkennung von Privatschulen, indem für deren innere und äußere Gestaltung sowie die Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht gleichartige Standards wie an öffentlichen Schulen gelten sollten, sondern lediglich gleichwertige. Ferner sollte für Lehrer an Privatschulen »auf die Ableistung von Prüfungen, die von Lehrkräften des öffentlichen Schuldienstes verlangt werden, unter bestimmten Umständen verzichtet werden« können.260 Ein weiterer Kernbestandteil des Entwurfs war die Verankerung eines Rechtsanspruches auf staatliche Finanzhilfe. 258 Niedersächsischer Landtag: Drucksache 3/1175, »Bericht über den Niedersächsischen Landtag der Dritten Wahlperiode«, 19.3.1959. Der ursprünglich von Hellwege als Kultusminister ernannte Leonhard Schlüter (FDP) musste aufgrund öffentlicher Proteste gegen seine Person nach nur wenigen Tagen im Amt zurücktreten. 259 Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 29. Sitzung (3. WP), 7.11.1956, 1536. 260 Ebd.

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Insofern eine Privatschule eine andernfalls nötige öffentliche Schule ersetzt oder »das Bildungswesen durch eine besondere Form des Unterrichts oder der Erziehung fördert«, sah der Entwurf eine Personalkostenerstattung durch das Land in Höhe von 80 Prozent vor – im Rahmen der Personalkosten für Lehrer an öffentlichen Schulen.261 Zwei interessante Aspekte sind hier zu erwähnen: Zum einen sollte für bereits bestehende Privatschulen auf eine Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung staatlicher Finanzhilfe verzichtet werden, was zum damaligen Zeitpunkt 52 Schulen verschiedener Art in Niedersachsen betraf. Dies ist deswegen hier relevant, weil von diesen Einrichtungen 27 von kirchlichen Orden und weitere neun von evangelischer Seite getragen wurden, die Bestimmung mithin mehrheitlich den Kirchen zugutekam. Zum anderen wurde für private Volksschulen ein Rechtsanspruch auf Finanzhilfe ausgeschlossen.262 Letzteres geschah, wie Langeheine bemerkte, nicht nur aufgrund der geringen Zahl privater Volksschulen, sondern auch, da es Absicht der Regierung sei, »nicht unnötig Veranlassung zu schulpolitischen Diskussionen über das konfessionelle Schulwesen zu geben« – und damit, wie der Fraktionsführer der DP / CDU Schönfelder hinzufügte, als Kompromissvorschlag an die SPD.263 Von deren Seite wurde denn auch klargestellt, dass man besorgt sei, über die hohen Privatschulsubventionen werde »der konfessionelle Charakter der höheren Schulen weiter nach vorn getrieben«, eine Befürchtung, die im Übrigen auch durch Abgeordnete der Regierungspartei FDP zum Ausdruck gebracht wurde.264 Die Sozialdemokraten unterstellten der Regierung Hellwege in der Bildungspolitik generell klerikale Tendenzen, welche wiederum als Ausdruck eines Machtstrebens des politischen Katholizismus angesehen wurden.265 Diese Haltung der SPD erscheint insofern bemerkenswert, als nach der beständigen Betonung der guten Zusammenarbeit mit den evangelischen Kirchen während der Regierung Kopf nun, da die Partei in der Opposition stand, im Bereich der Schulpolitik die perzipierte Katholizismushörigkeit der DP / CDU hervorgehoben wurde. Weit mehr als lediglich parteipolitische Taktik spiegelt dies auch das damals nach wie vor äußerst angespannte Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und katholischer Kirche wider. Neben dem eigentlichen Privatschulgesetz wurde auch eine dessen Bestimmungen reflektierende Ergänzung zum Loccumer Vertrag ausgearbeitet; hierzu wurden bereits vor der zweiten Lesung des Gesetzesentwurfs Gespräche mit den zuständigen evangelischen Stellen aufgenommen. Das hannoversche Landes 261 Ebd., 1565; vgl. 1564 f. 262 Ebd., 1566. 263 Ebd., 1567; vgl. 1575. 264 Ebd., 1573; vgl. 1581 f. 265 Vgl. dazu exemplarisch die Debatte im Rahmen der Beantwortung einer Großen Anfrage der SPD -Fraktion betreffend umstrittene Äußerungen Innenministers Wegmanns zur Schulfrage, in: Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 22. Sitzung (3. WP), 17.5.1956, 1216–1230.

164  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  kirchenamt machte in diesem Zusammenhang Vorschläge für entsprechende Bestimmungen, mit denen die Stellung kirchlicher Privatschulen abgesichert werden sollte. Demnach sollten für Privatschulen in kirchlicher Trägerschaft die allgemeinen staatlichen Bestimmungen über Privatschulen gelten, unbeschadet etwaiger Sonderbestimmungen, wie beispielsweise zum kirchlichen Beamtenrecht. So wurden etwa für kirchliche Schulen ein mindestens gleiches Subventionsniveau wie für andere anerkannte Privatschulen sowie die weitere Gleichstellung ihrer Lehrkräfte mit denen öffentlicher Schulen gewünscht.266 Für die evangelischen Landeskirchen brachte die frühzeitige Einbeziehung in die Vorbereitung der ergänzenden Schulbestimmungen den Vorteil mit sich, dadurch Einfluss auch auf das Privatschulgesetz nehmen zu können.267 Die Wünsche der evangelischen Kirchen wurden auf diese Weise weitgehend berücksichtigt und fanden entweder im am 28. Juni 1957 in dritter Lesung verabschiedeten Privatschulgesetz oder in der »Vereinbarung des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen gemäß Artikel 5 Abs. 2 des Vertrages vom 19. März 1955«, der sogenannten »Schulvereinbarung zum Loccumer Vertrag« vom 30. Dezember 1957, ihren Niederschlag. So enthielt das verabschiedete Privatschulgesetz etwa die von Langeheine in der ersten Lesung bereits ausgeführten Bezuschussungsregelungen (§§ 9 und 10) sowie Bestimmungen über den Austausch von Lehrkräften zwischen öffentlichen und privaten Schulen (§ 11).268 In der Schulvereinbarung zum Loccumer Vertrag sagte das Land zu, in der Frage der Anerkennung evangelischer Privatschulen die »besondere Gewähr für die Erfüllung der Anforderungen« zu berücksichtigen, welche die Kirche biete (Art. 1 § 3), während die evangelische Seite sich verpflichtete, in ihren kirchlichen Schulen »eigene pädagogische Wege« einschlagen zu wollen (Art. 1 § 2). Zudem wurde eine erleichternde Regelung für den Übertritt von Lehrkräften in den öffentlichen Schuldienst vereinbart (Art. 1 § 4) sowie das von der evangelischen Kirche nachdrücklich geforderte Recht ihrer Lehrer verankert, »die im öffentlichen Schuldienst gebräuchlichen Amtsbezeichnungen mit dem Zusatz ›im Kirchendienst‹« zu tragen (Art. 1 § 5).269 Insgesamt fand der Großteil der Privatschulbestimmungen, insbesondere die Regelung der Subventionsfrage, im Privatschulgesetz Platz, während sich die zusätzlichen ver 266 Entwurf zur Privatschulvereinbarung vom 30.3.1957, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 48, Bl. 18–20. Der Entwurf macht seinen Verfasser nicht kenntlich, aus dem Kontext des Dokuments ergibt sich jedoch, dass es sich um einen von OLKR Ruppels aus dem hannoverschen Landeskirchenamt überreichten Vorschlag handeln muss. 267 Vgl. auch »Besprechung der Vereinbarung zwischen dem Land Niedersachsen und den Evang. Landeskirchen zur Ausführung des Art. 5 Abs. 2 des Kirchenvertrages« vom 19.6.1957, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 48, Bl. 70–73. 268 Siehe Nds. GVBl. 17/1957 (17.7.1957), 81–86. 269 Vgl. »Besprechung der Vereinbarung zwischen dem Land Niedersachsen und den Evang. Landeskirchen zur Ausführung des Art. 5 Abs. 2 des Kirchenvertrages« vom 19.6.1957, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 48, Bl. 70–73, hier S. 3.

Bildungspolitik in Niedersachsen  165

traglichen Vereinbarungen auf ein Minimum beschränkten. Die evangelischen Kirchen akzeptierten dies offensichtlich ohne weiteres – insbesondere nach dem Loccumer Vertrag bestand aus ihrer Sicht wohl keinerlei Anlass, weitergehende Absicherungen zu fordern.270 Dass die Zusammenarbeit der niedersächsischen Landeskirchen mit dem Staat in der Tat nicht nur Gegenstand feierlicher Versicherungen war, sondern auch in konkreten praktischen Fragen zur Zufriedenheit der evangelischen Seite ausfiel, verdeutlicht beispielhaft ein dem Kultusministerium übersandter Tätigkeitsbericht des Katechetischen Amtes der hannoverschen Landeskirche aus dem Jahr 1959. Die Verfasser bezeichnen darin die Zusammenarbeit mit dem Staat in den Jahren zuvor als »[b]esonders erfreulich«, da sowohl seitens des Kultusministeriums, als auch der regionalen Verwaltungen die Arbeit der evangelischen Kirchen in Schulangelegenheiten immer wieder »unterstützt, angeregt und z. T. durch eigene Beiträge gefördert« würden.271 Das Katechetische Amt habe dabei teils besser mit der staatlichen Seite zusammenarbeiten können als mit anderen kirchlichen Stellen.272 Lobend erwähnt der Bericht die Tatsache, dass der Religionsunterricht zunehmend an Berufsschulen eingeführt würde, wobei es nur »in einigen Gebieten« zu einer unzureichenden Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften gekommen sei, das Kultusministerium sich in anderen Punkten hingegen »sehr entgegenkommend« gezeigt habe.273 g)

Der Konkordatsprozess

Während vom Entstehungsprozess des Schulgesetzes über die Verhandlungen zum Loccumer Vertrag bis hin zum Privatschulgesetz und darüber hinaus das Land Niedersachsen und seine evangelischen Landeskirchen eine zunehmend freundschaftliche Beziehung und eine eingespielte Zusammenarbeit entwickel­ten, stellte sich das Verhältnis zu den katholischen Bistümern deutlich schwieriger dar. Im Abschnitt zum Schulgesetz von 1954 wurde bereits auf den Widerstand des Episkopats gegen die Schulpolitik der Regierung Kopf eingegangen. Die katholische Seite berief sich dabei primär auf die Schulartikel des Reichskonkordats, welches für sie nach wie vor von zentraler Bedeutung war. 270 Angesichts des hier erfolgten Fokus auf die Belange der evangelischen Kirchen ist anzumerken, dass hinsichtlich einer Kontaktaufnahme des Kultusministeriums mit der katholischen Kirche im Rahmen der Arbeit am Privatschulgesetz kein einschlägiges Material im Archivbestand des niedersächsischen Kultusministeriums vorliegt. Dies scheint indes weniger dem Zufall geschuldet, als vielmehr symptomatisch für die damals noch gestörte Kommunikationsstruktur nach dieser Seite hin zu sein. 271 Schreiben des Landeskirchenamts Hannover an den Kultusminister vom 30.5.1959, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 622, Bl. 24–43 (Enthält Bericht »Zur Arbeit des Katechetischen Amtes in den Jahren 1957 und 1958«), hier 2. 272 Ebd. 2 f. 273 Ebd. 13.

166  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Bereits 1948 hatte der Hildesheimer Generalvikar Offenstein gegenüber Grimme darauf bestanden, dass die Alliierte Kontrollkommission die Konkordate des Heiligen Stuhls mit Preußen (1929) und dem Deutschen Reich (1933) für gültig erklärt habe, weshalb die Gewährleistung der Bekenntnisschule in Art. 23 RK berück­sichtigt werden müsse.274 Über die folgenden Jahre hinweg behielten die niedersächsischen Bischöfe diese Position bei. Die katholischen Interventionen gegen das Schulgesetz von 1954 wurden bereits eingehend dargestellt; gestützt auf das Reichskonkordat versuchte die Kirche jedoch noch auf anderem Wege, ihre Interessen zu wahren: Über den Apostolischen Nuntius, Aloysius Muench, legte sie auch bei der Bundesregierung Einspruch gegen die niedersächsische Schulpolitik ein.275 Ende Mai 1953 ersuchte Muench Adenauer, seinen Einfluss bei der niedersächsischen Landesregierung geltend zu machen, um die Beachtung des Reichskonkordats hinsichtlich des Schulverwaltungsgesetzes durchzusetzen.276 Die Bundesregierung wurde durch das Auswärtige Amt tätig, dessen Staatssekretär, Walter Hallstein, bei Ministerpräsident Kopf um Auskunft über das betreffende Gesetzesvorhaben bat.277 Erst drei Monate nach der Anfrage antwortete Kopf mit der Feststellung: Die konfessionellen Verhältnisse der Schulen werden durch den Entwurf nicht berührt, so daß auch die Frage einer Anwendung des Reichskonkordats im Zusammenhang mit dem Entwurf sich nicht ergibt. Ich bitte die Apostolische Nuntiatur in diesem Sinne zu unterrichten.278

Die Bundesregierung hingegen vertrat eine andere Auffassung und bejahte »die Anwendung des Reichskonkordats auf den Entwurf«.279 Im Februar 1954 erhob die Nuntiatur zusätzlich Einwände gegen den Entwurf zum »Gesetz über das öffentliche Schulwesen«, wobei hier die auch von den Bischöfen gegenüber Kopf

274 Offenstein an Grimme [19.2.1948] (Dok. 24). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 118–121. 275 Bereits vor dem niedersächsischen Schulstreit hatte die Nuntiatur im September 1952 hinsichtlich der Schulartikel der Verfassung von Baden-Württemberg Einspruch bei der Bundesregierung erhoben. Da anders als in Niedersachsen dort jedoch eine unionsgeführte Landesregierung in der Kritik stand, bemühte sich Adenauer, die kirchliche Seite – letztlich erfolgreich – zu beschwichtigen. Siehe dazu Repgen, K.: Der Konkordatsstreit, 231–236. 276 Schreiben Muenchs an Adenauer vom 30.5.1953 (Abschrift), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76. 277 Schreiben Hallsteins an Kopf vom 7.7.1953 (Abschrift), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76. 278 Schreiben Kopfs an Hallstein vom 5.10.1953 (Abschrift), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76. 279 Schreiben Hallsteins an Kopf vom 2.11.1953 (Abschrift), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76.

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kritisierten Punkte beanstandet wurden.280 Jegliche Einmischungsversuche aus Bonn in dieser Frage lehnte Kopf indes ab und hinterfragte kritisch, warum die Bundesregierung gerade gegenüber Niedersachsen so nachdrücklich auf die Einhaltung des Reichskonkordats dränge.281 Es ist offensichtlich, dass der Ministerpräsident hier parteitaktische Beweggründe vermutete. Innerhalb der niedersächsischen Staatskanzlei und des Kultusministeriums war man sich überdies längst einig, dass das Reichskonkordat für Niedersachsen keine Geltung mehr beanspruchen könne, eine Position, der Kopf nicht nur gegenüber Adenauer Ausdruck verlieh, sondern am 24. Juli 1954 auch vor dem Landtag – wogegen wiederum der Nuntius offiziell Verwahrung einlegte.282 Ebenso wie in der Diskussion Kopfs mit dem niedersächsischen Episkopat war auch in der Auseinandersetzung zwischen Hannover und Bonn keine Einigung in Sicht, die Verschiedenheit der Standpunkte machte einen Kompromiss mehr als unwahrscheinlich. Einen Tag nach Inkrafttreten des Schulgesetzes wandte sich Muench erneut an Adenauer und drückte seine Erwartung aus, dass »die notwendigen Schritte unternommen werden«, um der Bekenntnisschule in Niedersachsen zu ihrer im Reichskonkordat zugesicherten Stellung zu verhelfen.283 Auch die katholischen Bischöfe setzten sich im November 1954 bei Adenauer für eine Intervention in Niedersachsen ein, damit die aus ihrer Sicht bestehende Verletzung des Reichskonkordats behoben würde, während Böhler zeitgleich die katholischen Elternverbände mobilisierte, um zusätzlichen Druck aufzubauen.284 Die anhaltenden Forderungen der katholischen Seite zeigten schließlich Wirkung. Wohl bereits Ende 1954 hatte man sich im Kanzleramt entschieden, in der Frage der Geltung des Reichskonkordats für die niedersächsische Schulgesetzgebung das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Konrad Repgen zufolge gaben dabei letztlich politische Gründe den Ausschlag: Zum einen war die Mehrheit der CDU-Wähler in Niedersachsen Katholiken, deren Unterstützung die CDU in der Landtagswahl 1955 auch aus bundespolitischen Erwägungen wünschte; zum anderen erhoffte man sich für die kommende niedersächsische Regierung eine Koalition von CDU und FDP. Da letztere jedoch dem Schulgesetz positiv gegenüberstand, 280 Promemoria der Apostolischen Nuntiatur zu ihrer Note vom 2.2.1954 und zum Schreiben des Nuntius vom 17.2.1954 (Abschrift), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76. 281 Schreiben Kopfs an Adenauer vom 24.3.1954 (Abschrift), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76. 282 Vgl. Aktenvermerk vom 18.8.1953 (A 2200/53), NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76; Schreiben Kopfs an Adenauer vom 29.6.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76; Schreiben Adenauers an Kopf vom 29.7.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76; Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 74. Sitzung (2. WP), 24.6.1954, 4831. 283 Zit. nach Repgen, K.: Der Konkordatsstreit, 237. 284 Vgl. ebd., 240 f. Kardinal Frings schrieb noch eine Woche vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts durch die Regierung an Adenauer und erinnerte ihn an seine Zusage zu diesem Schritt, siehe Frings an Adenauer [5.3.1955] (Dok. 227). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1950–1955, 814 f.

168  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  wollte man dessen Aufhebung vorzugsweise juristisch und nicht politisch erreichen. Zwar sorgte sich Adenauer offenbar, dass die protestantische Bevölkerung Niedersachsens sich im Falle eines Vorgehens gegen das Schulgesetz brüskiert fühlen könnte; dennoch rief die Bundesregierung schließlich am 12. März 1955 das Bundesverfassungsgericht an, um feststellen zu lassen, dass das Land Niedersachsen durch sein Schulgesetz »ein Recht des Bundes auf Respektierung der für ihn verbindlichen internationalen Verträge durch die Länder verletzt« habe.285 Prälat Böhler schrieb es dem nachdrücklichen Einsatz der von ihm geleiteten Bischöflichen Arbeitsstelle für Schule und Erziehung zu, »daß sich die zuständigen Bundesstellen von der Notwendigkeit einer Klage des Bundes gegen das Land Niedersachsen beim Bundesgericht [sic] überzeugen ließen«.286 In der Tat hatte die Kirche für den Weg einer Klärung des Konkordatsstreits vor dem Bundesverfassungsgericht auch Widerspruch aus den Reihen der CDU überwinden müssen – und nicht zuletzt dies dürfte ein Grund gewesen sein, weshalb sie die Entscheidung des Gerichts nie ernsthaft anzweifelte,287 obwohl das Urteil des Zweiten Senats vom 26. März 1957 keineswegs in kirchlichem Sinne ausfallen sollte. Die Bundesregierung vertrat gegenüber dem Gericht die fortdauernde Gültigkeit des Reichskonkordats und machte deutlich, die Bundesländer seien zur Beachtung der für den Bund geltenden internationalen Verträge verpflichtet, wogegen Niedersachsen durch sein mit dem Konkordat unvereinbares Schul­ gesetz verstoßen habe: Dieses gewähre nicht den Bestand der Bekenntnisschulen, erschwere deren Neugründung, achte das Recht der Kirche auf Einsichtnahme in den Religionsunterricht nicht angemessen und garantiere nicht die Ausbildung katholischer Lehrer gemäß den Ansprüchen der Bekenntnisschule. Das Land Niedersachsen, auf dessen Seite auch Hessen und die Hansestadt Bremen als Antragsgegner beitraten, nahm demgegenüber zur Gültigkeit des Reichskonkordats gar nicht erst Stellung, vertrat aber die Auffassung, dass sein Schulgesetz nicht dagegen verstoße. Dem Bund sprach das Land die Berechtigung ab, von den Ländern die Einhaltung des Konkordats einzufordern. In seiner Entscheidung stellte das Gericht zunächst zwar fest, dass das Konkordat, obgleich durch das nationalsozialistische Regime auf Grundlage des Ermächtigungsgesetzes in deutsches Recht umgesetzt, durchaus Gültigkeit beanspruchen konnte, womit ein Kernargument der Gegner des Konkordats entkräftet war. Auch sei das Reichskonkordat weder durch Vertragsverletzungen des NS -Regimes noch durch den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung 285 BVerfGE 6, 309 (310); vgl. Repgen, K.: Der Konkordatsstreit, 238–242. 286 Bericht Böhlers über die Bischöfliche Arbeitsstelle für Schule und Erziehung (Dok. 61). In: Hürten, Heinz (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Bundesrepublik Deutschland 1956–1960. Paderborn, München [u. a.] 2012, 195–197, hier 196. 287 Repgen, K.: Der Konkordatsstreit, 207 f.

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1945 ungültig geworden.288 In der anhängigen Streitfrage jedoch, ob ein Bundesland durch Nichtbeachtung der Schulbestimmungen des Reichskonkordats die Rechte des Bundes als Vertragspartner der Kirche verletze, entschied das Bundesverfassungsgericht negativ und wies den Antrag der Bundesregierung ab. Beachtenswert dabei ist, dass eine Überprüfung »der sachlichen Vereinbarkeit des niedersächsischen Schulgesetzes mit den Bestimmungen des Reichskonkordats« nicht vorgenommen wurde, da dies für das Urteil nicht relevant erschien.289 Auch prüften die Richter explizit nicht, »ob und in welchem Umfange die Erfüllung der völkerrechtlichen Pflichten der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Heiligen Stuhl den Ländern als Gliedern des Ganzen aufgegeben ist«.290 Ausschlaggebend für die Entscheidung war, dass gemäß der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes Schulpolitik allein im Hoheitsbereich der Länder lag – lediglich beschränkt durch Art. 7  GG: »Die verfassungsrechtliche Bindung der Länder an die Schulbestimmungen des Reichskonkordats stünde daher in offensichtlichem Widerspruch zur Befugnis der Länder, das Schulrecht innerhalb der sachlichen Schranken des Grundgesetzes frei zu gestalten.« Mit Blick auf die inhaltlichen Bestimmungen der Schulartikel enthalte das Grundgesetz »für die öffentliche Bekenntnisschule keine, für den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach nur eine sachlich und territorial beschränkte Garantie«.291 Die Länder seien, so das Gericht, nicht verpflichtet, die weitergehenden Regelungen des Reichskonkordats aus Verpflichtung gegenüber dem Bund zu achten:292 Die Länder können also im Bereich ihrer ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit ihre konkordatären Beziehungen ohne Ingerenz des Bundes gestalten. Aus dieser Rechtslage folgt, daß auch bei Pflichten aus dem Reichskonkordat auf Gebieten, die innerstaatlich in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen, der Bund keine verfassungsrechtliche Möglichkeit hat, seine Interessen gegenüber den Ländern durchzusetzen.293

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die einem beteiligtem Richter zufolge denkbar knapp mit 5 gegen 4 Stimmen ausfiel und zudem ein kritisches Sondervotum dreier Richter provozierte, wurde politisch von keiner Seite ernsthaft infrage gestellt.294 Von einem rechtswissenschaftlichen Standpunkt wurde allerdings dagegen geltend gemacht, dass die innerstaatliche Kompetenzverteilung eines Staates keinen legalen Grund für die Nichterfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen darstellt. Aus dieser an sich korrekten Feststellung folgert Ul 288 BVerfGE 6, 309 (332–339). 289 Ebd., 366. 290 Ebd., 364. 291 Ebd., 355. 292 Ebd., 357. 293 Ebd. 362. 294 Vgl. Repgen, K.: Der Konkordatsstreit, 204–207.

170  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  rich Scheuner, dass eine Rechtspflicht der Länder zur Befolgung der Schulartikel des Konkordats festzustellen gewesen wäre. Denn: »Faktisch sind damit die Schulartikel des Reichskonkordats ihrer Wirkung beraubt und ist den Ländern freie Disposition insoweit eingeräumt worden.«295 Gegen diesen Standpunkt ist wiederum einzuwenden, dass, sofern das Gericht anders entschieden hätte, die Länderkompetenz in der Kulturpolitik, insbesondere im Bildungsbereich, Makulatur geworden wäre. Die auf den ersten Blick ambivalente Argumentation des Gerichts – Gültigkeit des Konkordats, aber keine Pflicht der Länder zur Umsetzung – erscheint daher durchaus folgerichtig. Neben der hier dargestellten Kernargumentation des Bundesverfassungsgerichts ist eine weitere Feststellung der Richter aus demokratietheoretischer Sicht besonders interessant: Auf mögliche Konsequenzen der Schulartikel des Konkordats Bezug nehmend befand das Gericht, dass Minderheiten gegebenenfalls »auf die von ihnen gewünschte Schulart verzichten und ihr Kind in einer nicht ihren Wünschen entsprechenden Volksschule erziehen und unterrichten lassen müssen« – eine Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit stelle dies nicht dar: »Es ist unvermeidlich, daß Eltern unter Umständen genötigt sind, ihre Kinder einer Schule anzuvertrauen, die in ihrer weltanschaulichen Gestaltung den Wünschen der Eltern nicht entspricht.«296 Bezeichnend für den »Schulstreit« ist, dass dieser Befund der Bundesverfassungsrichter beiden Seiten, Befürwortern wie Gegnern eines konfessionellen Schulsystems ein Argument liefern konnte: Je nach konkretem Fall konnte damit die Nichterfüllung des Wunsches nach einer Bekenntnisschule oder die Pflicht zum Besuch einer bekenntnisfremden Schule gerechtfertigt werden. In materieller Hinsicht hatte das Gericht somit weder für noch gegen die konfessionelle Schule entschieden, de facto bedeutete das Urteil jedoch eine Stärkung jener Landesregierungen, die in ihrem Einflussgebiet die Gemeinschaftsschule als Regelschule durchsetzen wollten. Von daher musste das Ergebnis des Prozesses für den Heiligen Stuhl und die katholischen Bischöfe der Bundesrepublik, als deren Anwalt die CDU-geführte Bundesregierung gleichsam aufgetreten war, äußerst unbefriedigend gewesen sein – im Gegensatz zu den evangelischen Kirchen Niedersachsens, welche der beklagten SPD-Landesregierung längst ihr Vertrauen ausgesprochen hatten und sich daher eher noch in ihrer Haltung bestätigt fühlen konnten. Für die folgende Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und katholischer Kirche in Niedersachsen muss das Ergebnis rückblickend jedenfalls als durchaus günstig betrachtet werden, sahen sich die Bistümer nun doch wieder zu direkten Verhandlungen mit der Landesregierung genötigt: Die Entscheidung 295 Scheuner, Ulrich: Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung. In: Quaritsch, H. / Weber, H. (Hg.): Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, 156–198, hier 191; vgl. ebd., 190. 296 BVerfGE 6, 309 (339f).

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des Bundesverfassungsgerichts, welche das Reichskonkordat als stumpfe Waffe erscheinen ließ, sieht Thielking nicht unbegründet als Ausgangspunkt für die letztlich erfolgreichen Verhandlungen zum niedersächsischen Konkordat.297 h)

Das niedersächsische Konkordat

Zunächst jedoch kam auch nach dem Konkordatsurteil die Schulfrage in Nieder­ sachsen nicht zur Ruhe, waren doch die Beanstandungen der katholischen Kirche gegenüber der Schulgesetzgebung keineswegs ausgeräumt, zumal die zentralen Einwände, etwa die Unvereinbarkeit mit dem Reichskonkordat, ungeklärt blieben. So verfasste der Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen (1907–1988), Nachfolger des im August 1956 verstorbenen Machens, am 17. Mai 1957 eine Stellungnahme an Ministerpräsident Hellwege, in der er die Auffassung vertrat, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe implizit die Nichtvereinbarkeit des Schulgesetzes mit dem Reichskonkordat angedeutet. Konsequenterweise betonte er, dass man katholischerseits keine »christlichen Schulen«, sondern katholische, d. h. »materielle Bekenntnisschulen« mit Unterricht im Geiste des Bekenntnisses fordere und bat darum, die Durchführung des Schulgesetzes auszusetzen.298 Im Kultusministerium stieß dies weiterhin auf Ablehnung. Derartige Schulen, so die Meinung der Referenten, würden eine geistliche Schulaufsicht mit konfessionell gebundenen Schulaufsichtsbeamten voraussetzen. Ohnehin vertrat man den Standpunkt, die nach § 8 SchG zu errichtende »Schule für Schüler eines Bekenntnisses« entspreche den Vorschriften des kanonischen Rechts besser, als dies Bekenntnisschulen in anderen Bundesländern täten.299 Während Janssen in seinem Schreiben im Namen der niedersächsischen Ordinariate einen Meinungsaustausch erbat, bestand der Wille zum Gespräch durchaus auch auf Seiten der Landesregierung. Bereits in seiner ersten Regierungserklärung 1955 betonte Ministerpräsident Hellwege das Anliegen, »auch mit der katholischen Kirche zu einem einträchtigen und fruchtbaren Zusammenwirken zu gelangen«,300 ein Wunsch, dessen Dringlichkeit insbesondere durch das fundamental andersgeartete Verhältnis zu den evangelischen Landes­ kirchen noch verstärkt wurde: Man habe, wie Kulturstaatssekretär Müller später betonte, nicht mit einer Kirche ein freundliches, mit der anderen aber ein gleichgültiges Verhältnis pflegen können: Die Landesregierung

297 Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 118. 298 Internes Memorandum Staatssekretär Müllers »Das Niedersächsische Konkordat«, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 77–129, hier S. 24, 299 Schreiben Abteilung I an Kultusminister vom 10.7.1957, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 2–16, hier S. 13. 300 Das Niedersächsische Konkordat, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 77–129, hier S. 19.

172  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  kann nicht wünschen, daß eine Minderheit dieses Umfanges, geeint durch die bindende Kraft ihres religiösen Glaubens, sich in dauerndem Gegensatz zu ihrem Staat befindet. Das gilt auch dann, wenn die Minderheit sich durch Sonderansprüche selbst in Gegensatz zum politischen Willen der Mehrheit gebracht hat.301

Ein solches Verhalten sei für Minderheiten ohnehin typisch, »[e]in freiheitlicher Staat wird ihnen ihre besonderen Ansprüche daher erfüllen, soweit er anerkennen kann, daß die Minderheit ihre Eigenart sonst nicht zu bewahren vermag, und soweit dabei von der Mehrheit nicht unangemessene Opfer gebracht werden müssen«. Weise man die Ansprüche aber ab, so sei es wichtig, die Minderheit »zu einer Anerkennung der übergeordneten Gesichtspunkte zu gewinnen, aus denen die Abweisung der Ansprüche notwendig gewesen ist«.302 Aus den rückblickend von Müller zusammengefassten Erwägungen der Landesregierung spricht ein klassisch liberaldemokratischer Standpunkt mit einer sorgfältigen Abwägung der Ansprüche von Minderheiten; gleichzeitig wird deutlich, dass die integrierende Wirkung eines Übereinkommens mit den Kirchen staatlicherseits intendiert war. Die anfänglichen Gespräche mit Vertretern der katholischen Bistümer verliefen indes schleppend, was aus Sicht Staatssekretär Müllers nicht zuletzt daran lag, dass man nach dem Konkordatsprozess wieder bei der Diskussion der bekannten, einander unversöhnlich gegenüberstehenden Positionen ansetzte.303 Eine neue Dynamik entwickelte sich jedoch infolge der niedersächsischen Landtagswahl am 19. April 1959: Nicht nur ging die SPD aus dieser Wahl mit 38,5 Prozent der Stimmen als stärkste Partei hervor,304 sondern konnte in Koalition mit BHE und FDP Hinrich Kopf wieder in das Amt des Ministerpräsidenten wählen, wobei Richard Voigt abermals den Posten des Kultusministers übernahm. Interessant ist dabei die Vermutung, dass die FDP mit dem Schritt in diese Koalition unter anderem gerade die niedersächsische Schulgesetzgebung der vergangenen Jahre bewahren wollte.305 In katholischen Kreisen zeigte man sich denn auch besorgt über die Regierungsbildung und deren mögliche Folgen für die Schulpolitik.306 Zehn Jahre nach Gründung der BRD war das Verhältnis des deutschen katholischen Episkopats zu den linken und liberalen politischen Kräften offensichtlich nach wie vor von Misstrauen und Vorbehalten bestimmt. 301 Ebd., 20. 302 Ebd. 303 Vgl. ebd., S. 23–26; Protokoll des Gesprächs zwischen Vertretern des Landes und der katholischen Kirche im Kloster Nette am 24.4.1961, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 31–37. 304 Für die übrigen Parteien ergaben sich dabei folgende Stimmanteile: CDU 30,8 Prozent, DP 12,4 Prozent, GB / BHE 8,3 Prozent, FDP 5,2 Prozent. 305 So Vogelsang, T.: Hinrich Wilhelm Kopf, 175. 306 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Kommission IV [4.–6.5.1959] (Dok. 236). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 752–755.

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Umso dringender empfand die Regierung Kopf das Bedürfnis, die Differenzen mit der katholischen Kirche auf umfassender Grundlage auszuräumen – nicht nur im Bereich der Schulpolitik. In seiner Regierungserklärung 1959 betonte Kopf die Bereitschaft, »auch mit der katholischen Kirche in Niedersachsen einen Staatskirchenvertrag abzuschließen«.307 Die Gründe für den Wunsch der Landesregierung, mit der katholischen Seiten ein dem Loccumer-Vertrag gleichrangiges Übereinkommen auszuarbeiten, brachte Müller mit der Feststellung auf den Punkt: »[A]uch im Bereich der Dignität gibt es ein Paritätsproblem«. Mit anderen Worten, das Ziel der »staatspolitische[n] Integration der zum neuen Staat noch auf Distanz stehenden Katholiken« konnte aus Sicht der niedersächsischen Regierung nur durch einen »feierlichen Vertrag« erreicht werden.308 Bemerkenswert hierbei ist, dass die katholische Kirche, obgleich an einer Einigung mit Niedersachsen durchaus interessiert, entgegen ihrer früheren Haltung dafür eigentlich nicht die Form eines Konkordates wünschte.309 Der Grund dafür dürfte in der umgekehrten Erwägung gelegen haben, die man im hannoverschen Landeskirchenamt dem Land dafür zuschrieb, eben gerade die konkordatäre Form der Übereinkunft anzustreben: Demnach habe die Landesregierung ein Konkordat gewollt, um dem umstrittenen Reichskonkordat eine gleichwertige Regelung entgegenzusetzen, ein Anliegen, für das die Erfahrung des Karlsruher Prozesses ausschlaggebend gewesen sei.310 Wenn man sich in Erinnerung ruft, wie nachdrücklich Rom und die deutschen Bischöfe auf dem Reichskonkordat beharrten, erscheint die anfängliche Zurückhaltung hinsichtlich der Idee eines niedersächsischen Konkordats nur folgerichtig. Damit verbunden war, dass von Rom aus zunächst keine direkten Verhandlungen mit dem Land gewünscht waren: Als erste Anlaufstelle galt dem Heiligen Stuhl nach wie vor das Auswärtige Amt in Bonn, welches, nicht ohne Interesse auch der Bundesregierung, die Forderungen und Bedenken Roms nach Hannover weiterleitete. Die niedersächsische Regierung, die aus naheliegenden Gründen die Bonner Zwischeninstanz als problematisch erachten musste – insbesondere, was die heikle Frage der Schulpolitik anbelangte –, drang daher auf direkte Verhandlungen mit der Kurie. Ende 1960 schließlich schwenkte man in Rom um und beauftragte den Münsteraner Bischof Keller, Verhandlungen mit der niedersächsischen Landesregierung über einen Staatsvertrag zu führen.311

307 Zit. nach Das Niedersächsische Konkordat, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 77–129, hier S. 27. 308 Ebd., 30. 309 Vgl. Spotts, F.: Kirchen und Politik, 172. 310 »Vermerk« eines Gespräches zwischen Mahrenholz und Superintendent Herrfahrdt vom 18.5.1965, LkAH, L 3 III Nr. 1902, hier 2 f. 311 Vgl. Das Niedersächsische Konkordat, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 77–129, hier S. 25–32.

174  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Die Gespräche fanden nun direkt zwischen Keller, unterstützt durch den Juristen Johannes Niemeyer vom Katholischen Büro in Bonn, und Kultusminister Voigt statt, dem sein Staatssekretär zur Seite stand; dieser befand im Rückblick, dass »überraschend schnell ein freundschaftliches Gesprächsklima« entstanden sei.312 Hinsichtlich der zentralen Schulproblematik waren es die Ziele der Landesregierung, zum einen »[d]ie Konzeption des Schulgesetzes zu wahren und für sie die grundsätzliche Anerkennung der Kirche zu gewinnen«, sodann »[d]en Artikel 23 des Reichskonkordats durch eine Neuregelung zu ersetzen und dadurch die Kirche aus der Fessel derjenigen Konkordatsbestimmung zu befreien, aus der sich allein ihr Festhalten am Reichskonkordat erklärt«, sowie schließlich, das Verständnis der Kirche für Maßnahmen zur Verbesserung des Schulwesens zu fördern.313 Seitens des Kultusministeriums nahm man dabei den Standpunkt ein, dass es in Wirklichkeit in Niedersachsen keinen Schulstreit gäbe, sei doch aufgrund der im Schulgesetz vorgeschriebenen Besetzung der Lehrerstellen gemäß der konfessionellen Zusammensetzung der Schülerschaft auch in den katholischen Dorfschulen nach 1954 »alles beim alten geblieben«.314 Den katholischerseits häufig erhobenen Vorwurf einer Simultanisierungspolitik wies das Ministerium zurück und betonte vielmehr, als Grund für seine Schulpolitik sei allein die Leistungsfähigkeit der Schulen zu sehen. Gegenüber der Kirche sei man nichtsdestotrotz gesprächsbereit, jedoch nicht unter der Bedingung, das Schulgesetz entsprechend der Schulartikel des Reichskonkordats umzuformen.315 Bischof Keller unterstrich demgegenüber als grundlegende Position der Kirche den Vorbehalt gegen den Vorrang der Gemeinschaftsschule in Niedersachsen, für den aus Sicht Roms und des Episkopats der Konfessionsproporz der Lehrer allein keinen Ausgleich darstellte. Er betonte allerdings, dass eine Änderung des Schulgesetzes nicht zwingend nötig sei, solange kirchliche Interessen de facto gesichert wären. Als bildungspolitische Einzelfragen wurden im Laufe des ersten Gesprächs im April 1961 zudem die Regelung der Lehrerbildung an den Pädagogischen Hochschulen Osnabrück und Vechta, die Ausbildung von Religions 312 Ebd., 35. 313 Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1, Bl. 224–239, hier S. 15. 314 »Entwurf einer Einleitung des Gesprächs mit Bischof Keller«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 25–30, hier S. 1. Generell schlugen die Vertreter des Ministeriums vor, sich zunächst in den weniger strittigen nichtschulischen Fragen zu einigen, um erst dann die Schulfragen zu klären. Da die kirchliche Delegation aber zu verstehen gab, dass ohne eine Lösung in der Schulproblematik keine befriedigende Regelung erzielt werden könne, einigte man sich schließlich darauf, je ein finanzielles und ein schulpolitisches Problem auf den Sitzungen zu erörtern (siehe dazu das Protokoll des Gesprächs zwischen Vertretern des Landes und der katholischen Kirche im Kloster Nette am 24.4.1961, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 31–37). 315 Vgl. Protokoll des Gesprächs zwischen Vertretern des Landes und der katholischen Kirche im Kloster Nette am 24.4.1961, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 31–37, hier. S. 2.

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lehrern an der Universität Göttingen sowie die Finanzierung des Hildesheimer Gymnasiums Josephinum genannt.316 Bei einem zweiten Gespräch im Juni 1961 ergänzte Keller als weiteres wichtiges Anliegen der katholischen Seite, die Regelung der kirchlichen Einsichtnahme in den Religionsunterricht zu überarbeiten. Die Kirche, so führte Niemeyer diesen Punkt weiter aus, könne ihre diesbezüglichen Rechte nur wahrnehmen, wenn sie völlig frei in der Auswahl ihrer Beauftragten sei. Als praktikable Regelung verwies er auf Art. 15 II des Hessischen Kirchenvertrags von 1960 und die entsprechende Schlussprotokollbestimmung, wobei er eine solche Regelung auch für Niedersachsen erhoffte.317 Als Voigt betonte, dass man auf der Freiheit der Lehre bestehen müsse, bekräftigte Keller, die Kirche werde nur pädagogisch erfahrene Personen mit der Einsichtnahme in den Religionsunterricht beauftragen; eine Verwendung von Ortspfarrern im eigenen Pfarrbezirk wurde hingegen einvernehmlich ausgeschlossen.318 Eine kurzzeitige Unterbrechung erfuhren die Gespräche zwischen Kultusministerium und katholischer Kirche, als am 7. November 1961 Bischof Keller verstarb; kurz darauf, am 21. Dezember 1961 verschied auch Ministerpräsident Kopf. Amtsnachfolger Kopfs wurde der bisherige Sozialminister Georg Diederichs (1900–1983, SPD), in Münster wurde Joseph Höffner (1906–1987) mit der Bistumsleitung betraut – nicht jedoch mit der Führung der Konkordatsverhandlungen: Diese übernahm auf kirchlicher Seite nun vielmehr der Apostolische Nuntius Corrado Bafile (1903–2005) persönlich.319 Während die Vertreter des Landes diese unmittelbare Verhandlung mit der Nuntiatur als Fortschritt begrüßten, dämpfte Bafile ihre Erwartungen, indem er klarstellte, dass aus kirchlicher Sicht der Bund nach wie vor ein unentbehrlicher Verhandlungspartner in dieser Angelegenheit sei – es sei denn, die niedersächsische Landesgesetzgebung machte eine Erörterung des Reichskonkordates überflüssig. Staatssekretär Müller beklagte sich hierauf, dass die Kirche in Niedersachsen ausschließlich mit der politischen Opposition zusammengearbeitet, der Regierung gegenüber aber in der Schulfrage keine Verhandlungsbereitschaft gemäß der konkordatären Freundschaftsklausel gezeigt habe. Von seinen Betonungen des Kompromisscharakters des niedersächsischen Schulrechts und der Bedeutung des konfes 316 Ebd., 3–6. 317 Im Schlussprotokoll zu Art. 15 II des Vertrages der Evangelischen Landeskirchen in Hessen mit dem Lande Hessen vom 18. Februar 1960 heißt es u. a.: »Die den Kirchen zustehenden Befugnisse werden durch die Organe ausgeübt, die nach den Ordnungen, Gesetzen oder Satzungen der Kirche dafür zuständig sind.« Zum Kirchenvertrag siehe GVBl. Hessen 10/1960 (13.6.1960), S. 54–58. 318 Protokoll des Gesprächs zwischen Vertretern des Landes und der katholischen Kirche in Hannover am 3.6.1961, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 38–42, hier S. 4. 319 Vgl. Das Niedersächsische Konkordat, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 77–129, hier S. 32f; Niedersächsischer Landtag: Drucksache 4/1174, Bericht über den Niedersächsischen Landtag der Vierten Wahlperiode, 19.4.1963, 6117 f.

176  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  sionellen Lehrerproporzes ließ sich Bafile indes ebenso wenig beeindrucken wie Keller vor ihm: Das Schulgesetz sah man kirchlicherseits nach wie vor als konkordatswidrig an.320 Konkrete Schwierigkeiten machte Bafile vorrangig hinsichtlich der Erhaltung bestehender katholischer Schulen aus, zumal er eine damals geplante Novelle des Schulverwaltungsgesetzes, welche die Zusammenlegung wenig gegliederter Schulen vereinfachen sollte, diesbezüglich als Bedrohung wahrnahm.321 Voigt und Müller waren bemüht, dem Nuntius zu versichern, dass durch die angestrebten Neuerungen das konfessionelle Schulwesen nicht berührt würde, wozu das Kultusministerium sowohl eine formelle Erklärung, als auch eine entsprechende Anweisung an die mit der Schulaufsicht betrauten Regierungspräsidenten in Aussicht stellte.322 Dass derartige allgemeine Zusicherungen Bafile kaum ausreichen konnten, unterstrich er durch eine Reihe von Fragen bzw. Forderungen bezüglich des Umgangs mit Schulen für Schüler katholischen Bekenntnisses, durch deren Beantwortung in kirchlichem Sinne sich ihm zufolge auch eine Lösung der übrigen Fragen ergeben könnte. Insbesondere betonte der Nuntius, dass die Novelle des Schulverwaltungsgesetzes den Bestand bekenntnishomogener Schulen nicht gefährden dürfe und forderte günstigere Antragsbedingungen für Bekenntnisschulen.323 Voigt versicherte abermals, dass der konfessionelle Status quo nicht verändert werden solle und erklärte etwa, dass die Bestimmungen betreffend den Lehrer-Schüler-Proporz auch hinsichtlich der Katholiken »loyal angewandt« würden.324 Bafile entgegnete, dass er zwar keinen Zweifel am guten Willen der Landesregierung habe, dass aber »der Geist der Schulgesetze« ein anderer sei und die Kirche eine bessere Sicherung ihrer Interessen benötige.325 Zusätzlich zu den vom Nuntius aufgezeigten Wünschen überreichte Niemeyer dem Kultusministerium im Mai eine weitere Liste mit wichtigen Forderungen der Kirche, auf deren Grundlage die Detailverhandlungen über das geplante Abkommen beginnen konnten. Die Verhandlungen zogen sich bis in den Januar 1965 hin, wobei die beiden Delegationen Voigt / Müller und Bafile / Niemeyer von Referenten des Kultusministeriums bzw. des Katholischen Büros bei der Ausarbeitung eines Vertrags 320 Vgl. Vermerk StS Müllers zu »Besprechungen mit dem Nuntius am 14. Februar 1962« vom 24.2.1962, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 56–73, hier S. 2–11. 321 Vgl. ebd., S. 14. Siehe auch Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 44. Sitzung (5. WP), 22.4.1965, 3340. 322 »Protokoll über das Gespräch am 25. April 1962 in der Apostolischen Nuntiatur in Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 101–116, hier S. 1f; Vermerk StS Müllers zu »Besprechungen mit der katholischen Kirche« vom 22.1.1962, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 48–55, hier S. 3. 323 »Protokoll über das Gespräch am 25. April 1962 in der Apostolischen Nuntiatur in Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 101–116, hier S. 2–10. 324 Ebd., 5, vgl. 3–5. 325 Ebd., 10.

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entwurfes unterstützt wurden. Obgleich nach der Landtagswahl im Jahr 1963 Hans Mühlenfeld (1901–1969) von der FDP das Kultusministerium übernahm, blieb Voigt, der als Minister die maßgeblichen Schulreformen verantwortet hatte, weiterhin einer der staatlichen Verhandlungsführer. Während der Verhandlungen wurde schnell klar, dass die gesamte Schulmaterie viel zu umfangreich für einen Vertrag war und zudem auch Paritätsfragen hinsichtlich der evangelischen Kirchen zu beachten waren. Man kam daher überein, dass das Konkordat im Grunde lediglich schulpolitische Rahmenabmachungen enthalten sollte, während die detaillierten Regeln in einer zu verabschiedenden Novelle zum Schulgesetz niedergelegt würden, deren Inhalt wiederum mit der Kirche abzustimmen war.326 Die erste Sorge der katholischen Kirche galt dabei der Sicherung der beste­ henden öffentlichen katholischen Bekenntnisschulen in Niedersachsen sowie der garantierten Möglichkeit zur Errichtung weiterer solcher Schulen. Wo dies nicht möglich war, sollte zumindest eine in den Augen der Kirche akzeptable Situation für katholische Schulkinder in Schulen für Schüler aller Bekenntnisse erreicht werden. Folglich war für Bafile der in der niedersächsischen Schulgesetzgebung verankerte Vorrang der Gemeinschaftsschule das Kernproblem, drohten aus kirchlicher Sicht doch insbesondere durch die Zusammenlegung wenig gegliederter Bekenntnisschulen mit nahen Gemeinschaftsschulen unter dem Banner zeitgemäßer Pädagogik die konfessionellen Schulen schrittweise beseitigt zu werden. Entsprechend findet sich in den Protokollen die Feststellung: »Der Hl. Stuhl werde auf kein Abkommen eingehen können, wenn nicht dieses Prinzip entscheidend abgeschwächt werde.«327 Interessant ist, dass das Kultusministerium sich demgegenüber auf die Position der evangelischen Kirchen berief, beruhte doch das Übergewicht der Schule für Schüler aller Bekenntnisse nicht zuletzt auf der »neue[n] schulpolitische[n] Linie der evangelischen Kirche«: Nur 4,66 Prozent aller evangelischen Schüler besuchten eine Bekenntnisschule. Dies würde sich, so nahm man im Ministerium an, wohl kaum ändern, denn die evangelische Seite »hat als Frucht ihrer Haltung nach Jahrzehnten des Mißtrauens ein freundschaftliches Verhältnis zur Lehrerschaft gefunden, das sie nicht wieder aufs Spiel setzen kann«.328 Eine Abänderung des Schulgesetzes im katholischen Sinne, so argumentierte man im Kultusministerium, hätte aus evangelischer Sicht eine Verschlechterung bedeutet.329 326 Das Niedersächsische Konkordat, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 77–129, hier S. 40. 327 »Protokoll über das Gespräch am 23. August 1962 im Gästehaus der Niedersächsischen Landesregierung«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 288–307, hier S. 2. 328 Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1, Bl. 224–239, hier S. 5. 329 Vermerk der Abteilung I an den Kultusminister vom 10.7.1957, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 2–16, hier S. 14.

178  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Die katholische Delegation jedenfalls forderte eine Bestandsgarantie für katholische Bekenntnisschulen mit mindestens vier Klassen; weniger gegliederte sollten nur mit gleichartigen Schulen zusammengelegt werden können.330 Diese Position wurde bald dahingehend modifiziert, dass »ausnahmsweise« auch eine Vereinigung mit katholischen Mehrheitsschulen, d. h. Gemeinschaftsschulen mit einem mindestens 80-prozentigem Anteil katholischer Schüler, möglich sein sollte; wenn staatlicherseits eine Zusammenlegung mit anderen Schulen als diesen für nötig erachtet würde, sollte dies »nur nach sorgfältiger Abwägung der beiderseitigen Interessen« geschehen.331 Die aus einer solchen Vereinigung entstehende Schule sollte nach Wunsch der Kirchenvertreter zudem eine Bekenntnisschule bleiben. Niemeyer bezeichnete diese Konzeption als kirchliches Entgegenkommen, »das gegen Kritiken aus dem katholischen Raum gewiss nicht einfach zu verteidigen sei«.332 Staatlicherseits gab es gegen den letzten Punkt dennoch schwere Bedenken: Da eine derart vereinigte Schule die Pflichtschule für alle Schüler des Bezirks wäre, könnte man sie schlecht als Bekenntnisschule führen.333 Als unproblematisch erwies sich für das Land demgegenüber die Forderung, bei einer Aufteilung überfüllter Bekenntnisschulen auf mehrere Standorte den abgetrennten Teil ebenfalls weiterhin als Bekenntnisschule zu erhalten.334 Im Ergebnis hielt die im Juli 1965 verkündete Schulgesetznovelle fest, dass die zum 31. Dezember 1964 existierenden Bekenntnisschulen prinzipiell bestehen blieben (§ 15 I).335 Für den Fall von Schulzusammenlegungen sah das Gesetz nun vor, Bekenntnisschulen »grundsätzlich nur mit Schulen gleicher Art« oder, wenn nicht anders möglich, mit mindestens 80-prozentigen Mehrheitsschulen zusammenzulegen (§ 14 II). Nur für weniger als vierklassige Bekenntnisschulen war eine Vereinigung mit regulären Gemeinschaftsschulen vorgesehen, wenn gar nicht anders möglich, wobei diese Option auch generell bestand, falls mehr als die Hälfte der betroffenen Erziehungsberechtigten sowie die Schulträger dem zustimmten (§ 14 III). Welcher Schultypus die entstehende Schule in diesem Falle wäre, hielt die Novelle allerdings nicht fest. Entsprechend den Bestimmungen des Schulgesetzes garantierte auch das Konkordat »die Beibehaltung und Neuerrichtung von katholischen Bekenntnisschulen im Primarbereich (Schuljahrgänge 1–4)« sowie die Zusammenlegung von Bekenntnisschulen »grundsätzlich 330 »Protokoll über das Gespräch vom 12. September 1962 in der Apostolischen Nuntiatur Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 353–375, hier S. 7. 331 Überarbeitete Fassung des Arbeitspapiers nach Verhandlungen mit Niemeyer im September und Oktober 1962, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 344–347. 332 »Protokoll über die Verhandlung am 14. und 15. September 1964«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1, Bl. 84–123, hier S. 31. 333 Ebd., 31 f. 334 »Protokoll über das Gespräch am 26. Juni 1962 in der Apostolischen Nuntiatur in Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 185–200, hier S. 13. 335 »Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen« vom 5. Juli 1965, Nds. GVBl. 18/1965 (15.07.1965), 205 f.

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nur mit gleichen Schulen« (Art. 6 I).336 Im Abschließenden Sitzungsprotokoll zu Art. 6 II 2 wird zudem die von Voigt zugesagte Versicherung gegeben, dass bei einer Aufteilung von Bekenntnisschulen die neuen Schulen von Amts wegen ebenfalls als Bekenntnisschulen eingerichtet würden.337 Aus Sicht des Kultusministeriums war dieses Ergebnis ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Rechtslage, aber insbesondere auch ein politischer Gewinn: In einer Erläuterung zu Art. 6 des Konkordatsentwurfs findet sich zunächst die Feststellung, der Besitzstandsschutz für konfessionelle Schulen, welcher primär im stark katholisch geprägten Bezirk Osnabrück Relevanz habe, sei »ein ernstes Hindernis für die Verbesserung des ländlichen Schulwesens geworden«.338 Dass man in Art. 6 I Konkordat und § 14 Novelle Einschränkungen dieses Besitzstandschutzes erreichen konnte – gemeint sind die neuen Möglichkeiten der Zusammenlegungen wenig gegliederter Bekenntnisschulen –, sei ein »entscheidender Erfolg der bisherigen Verhandlungen«. Dabei wird besonders der Auslegung Bedeutung beigemessen, dass die Kirche dadurch »die These von der Gleichwertigkeit der einklassigen und der gegliederten Schule preisgegeben« habe.339 In der Tat stellt Art. 6 ein Kernelement der schulpolitischen Bestimmungen des niedersächsischen Konkordats dar, was auch durch die Tatsache unterstrichen wird, dass die Verhandlungsparteien bis zum Schluss über den Wortlaut dieses Artikels rangen. Unter anderem machte Bafile Bedenken geltend wegen des Widerspruchs des Artikels zum Reichskonkordat und der darin enthaltenen implizierten Anerkennung simultaner Volksschulen. Voigt und Müller entgegneten, dass die erstmalige Verwendung des Begriffs »Bekenntnisschule« im niedersächsischen Schulrecht politisch nicht gerade einfach durchzusetzen sei; zudem stelle die Garantie der grundsätzlichen Zusammenlegung nicht nur von Bekenntnisschulen, sondern auch Mehrheitsschulen nur mit gleichartigen Schulen eine »beachtliche Zusage des Landes« dar. Beschwichtigend gab der Nuntius hierauf zu erkennen, dass die Vorbehalte tatsächlich nicht von ihm kämen, sondern aus Rom.340 Diese Episode ist deshalb nicht irrelevant, weil sie zeigt, dass die an den Konkordatsverhandlungen beteiligten Kirchenvertreter eine deutlich positivere Haltung zu der gefundenen Kompromisslösung einnahmen, als die stark auf Besitzstandswahrung setzende römische Kurie. Dies deutet darauf hin, 336 Siehe »Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Lande Niedersachsen« vom 26. Februar 1965, Nds. GVBl. 18/1965 (15.07.1965), 191–205. 337 Siehe Abschließendes Sitzungsprotokoll vom 26.2.1965 (Bekanntmachung des Niedersächsischen Kultusministers vom 7.10.1966), Nds. MBl. 41/1966 (5.12.1966), 1099f, hier Nr. 7. 338 Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1, Bl. 224–239, hier S. 12, i.O. mit Unterstreichungen. 339 Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2, Bl. 2–42, hier S. 21. 340 »Protokoll über die Verhandlung am 14. und 15. September 1964«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1, Bl. 84–123, hier S. 18, vgl. 17 f.

180  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  dass die Mitglieder der kirchlichen Delegation in Hannover zunehmend pragmatisch orientiert arbeiteten und nach gangbaren Kompromissen suchten – eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz demokratisch-rechtstaatlicher Entscheidungsmechanismen. Neben der vorteilhaften Behandlung bestehender Bekenntnisschulen war für die katholischen Vertreter, wie bereits erwähnt, auch die möglichst ungehinderte Neugründung solcher Einrichtungen ein zentrales Anliegen. Um eine Erleichterung für die Errichtung von Bekenntnisschulen zu erreichen, regte die Kirchendelegation zunächst an, das Land möge die Bildung eigener Schulträger zu diesem Zwecke unterstützen und gegebenenfalls selbst entsprechende Verwaltungsmaßnahmen ergreifen.341 Dieses Ansinnen wurde jedoch mit dem Verweis auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung, welche die Gemeinden als Träger aller Schultypen vorsehe, abgelehnt.342 In diesem Zusammenhang wies Voigt auch darauf hin, dass die schulrechtliche Änderung in solchen Aspekten, die kaum von praktischer Bedeutung sind, ein unnötiges Politikum darstellen würde, weshalb die Landesregierung Revisionen nur dort befürworten könnte, »wo eine solche Änderung auch sachlich beide Seiten der erstrebten Übereinkunft näherbringt«.343 Als ein solcher Punkt erwies sich offenbar der kirchliche Vorschlag einer überörtlichen Antragsstellung für Bekenntnisschulen, welche dann von Schülerinnen und Schülern mehrerer Nachbarorte besucht würden.344 Dieses Prinzip wurde schließlich in § 10 III des novellierten Schulgesetzes verankert, wobei Art. 6 II des Konkordats als Bedingung nennt, dass »eine angemessene Gliederung der beantragten Schule« als gesichert erscheinen und »die schulische Versorgung anderer Schüler im Bereich des Schulträgers gewahrt« werden müsse. Müller bezeichnete dies während der Verhandlungen als beträchtliches Zugeständnis, zumal sich das Land Ende der 1950er Jahre diesem Anliegen noch verweigert hatte.345 Mit diesem Punkt einher ging das Einverständnis des Kultusministeriums, dass Volksschüler eine Bekenntnisschule ihrer Konfession im Nachbarort besuchen können, sofern es für sie vor Ort keine entsprechende Schule geben sollte (neuer § 15a). Weiterhin konnte die kirchliche Seite sich mit ihrer Forderung durchsetzen, die für die Beantragung

341 »Protokoll über das Gespräch am 26. Juni 1962 in der Apostolischen Nuntiatur in Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 185–200, hier S. 13. 342 »Erklärung des Niedersächsischen Kultusministers gegenüber Se. Exzellenz dem Herrn Apostolischen Nuntius« vom 26.6.1962 (Anlage zum Schreiben Voigts an Bafile vom 8.8.1962), NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 262–281, hier S. 4. 343 Ebd., 20, vgl. 15–20. 344 Überarbeitete Fassung des Arbeitspapiers nach Verhandlungen mit Niemeyer im September und Oktober 1962, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 344–347. 345 »Protokoll über das Gespräch vom 22.9.1962, 9.30 bis 17.30 in der Apostolischen Nuntiatur Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 470, Bl. 35–58, hier S. 17.

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einer Bekenntnisschule nötigen Antragszahlen stärker zu staffeln.346 Die Kirche erklärte im Gegenzug gegenüber dem Land, sie sei mit den durch den Proporz katholisch geprägten Schulen in den katholischen Gebieten zufrieden und werde die stärkere Staffelung der Antragszahlen nicht nutzen, um eine Errichtung von Bekenntnisschulen zu forcieren.347 Damit waren aber mitnichten alle kirchlichen Sorgen hinsichtlich der Antragstellung ausgeräumt: Gemäß Müllers Erläuterungen zu Art. 6 des Konkordatsentwurfs stellte insbesondere die Anforderung des Schulgesetzes, wonach neu zu errichtende katholische Schulen im Ausbau »nicht wesentlich« hinter den allgemeinen Schulbedingungen vor Ort zurückstehen dürften, aus Sicht der Kirche eine »besondere Härte« dar.348 Gleichzeitig wird dort zu bedenken gegeben, dass auf diese Bestimmung staatlicherseits durchaus verzichtet werden könne, da sie in der Praxis sehr selten von Relevanz sei und es daher nicht im Verhältnis stehe, durch Beharren darauf die Zustimmung der Kirche zu verspielen – zumal die katholische Seite die Mindestantragszahl von 120 akzeptiert hatte, wodurch jede Bekenntnisschule mindestens vier Klassen haben würde. Dies aber sei ein »großer kulturpolitischer Gewinn«.349 Entsprechend findet sich in der Schulgesetznovelle die für die Beantragung von Bekenntnisschulen deutlich günstigere Regelung, dass diese dann errichtet würden, »wenn der Besuch einer der Größe des Schulträgers entsprechend ausgebauten Schule für Schüler aller Bekenntnisse innerhalb zumutbarer Entfernungen möglich bleibt« (§ 9 I) – also nicht länger zwangsläufig im Bereich desselben Schulträgers. Neben diesen zahlreichen Aspekten der Beantragung von Bekenntnisschulen galt es im Rahmen der Konkordatsverhandlungen auch die grundsätzliche Frage nach dem Begriff der »Bekenntnisschule« an sich zu klären. Es darf hier noch einmal daran erinnert werden, dass das niedersächsische Schulrecht die Begriffe »Bekenntnisschule« und »Gemeinschaftsschule« mit Bedacht gemieden hatte – die katholische Kirche ihrerseits aber an dem Begriff der »katholischen Bekenntnisschule« festhielt. Dementsprechend wünschte die kirchliche Delegation die Aufnahme der Bestimmung: »Die katholischen Lehrer haben das

346 Statt wie bis dahin einen Sprung von 120 auf 240 benötigte Anträge an der Marke von 5000 Einwohnern anzusetzen einigten sich Staat und Kirche letztlich in § 10 II des geänderten Schulgesetzes darauf, in Orten zwischen 5000 und 7000 eine weitere Stufe von 180 erforderlichen Anträgen einzufügen. 347 Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2, Bl. 2–42, hier S. 33. Zur Erklärung der Kirche s. a. das Abschließende Sitzungsprotokoll zu Art. 6 I, wonach die katholischen Schulen Niedersachsens den kirchlichen Anforderungen entsprächen. 348 Entwurf der Erläuterungen zu Art. 6 Konkordat und § 3 der Anlage (Anlage zum internen Schreiben StS Müllers an Abteilung III vom 22.1.1964), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/2, Bl. 14–61, hier S. 23. 349 Ebd., 26.

182  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Recht, im Sinne ihres Bekenntnisses zu erziehen; dabei ist auf die Empfindungen Andersdenkender Rücksicht zu nehmen.«350 Gemäß dem im kanonischen Recht verankerten Verständnis der katholischen Schule und der im deutschen Episkopat herrschenden Auffassung bedeutete dies aber trotz des einschränkenden Zusatzes die Ausrichtung des gesamten Unterrichts am Geiste des Bekenntnisses, was im niedersächsischen Kultusministerium auch für rein katholische Schulen schlicht nicht vorgesehen war.351 Aus dieser Perspektive zeigt sich, dass die scheinbar triviale Forderung politisch nicht ohne Brisanz war. Umso wichtiger war es für den Fortgang der Verhandlungen, dass die Kirchenvertreter schließlich auf den besagten Zusatz verzichteten; im Gegenzug konzedierte das Land allerdings die Aufnahme des Begriffs »katholische Bekenntnisschule« in den Text des Konkordats, was für den Nuntius einen symbolischen Sieg bedeutete, der ihn zugleich das Verhandlungsergebnis gegenüber Rom leichter rechtfertigen lassen würde.352 Da der Großteil der katholischen Schülerinnen und Schüler an niedersächsischen Volksschulen aber keine Bekenntnis-, sondern Gemeinschaftsschulen besuchte, versuchte die kirchliche Seite auch für diesen Bereich ein größtmögliches Maß an katholischer Erziehung zu sichern. Naheliegenderweise war diesbezüglich die Gestaltung des Religionsunterrichts ein zentraler Aspekt. Dabei konnte die kirchliche Delegation ihren Wunsch nach einer Ausweitung des für die Einsichtnahme in den Unterricht zugelassenen Personenkreises durchsetzen. In Art. 7 I des novellierten Schulgesetzes heißt es entsprechend: Der katholische Religionsunterricht ist an den öffentlichen Schulen Niedersachsens ordentliches Lehrfach. Dieser Unterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der katholischen Kirche erteilt; die Diözesen haben das Recht, sich davon im Einvernehmen mit den staatlichen Schulaufsichtsbehörden durch Beauftragte zu überzeugen. Sie beauftragen damit geeignete Beamte des staatlichen Schuldienstes, insbesondere Schulaufsichtsbeamte, Schulleiter oder Geistliche im Schuldienst, oder Religionspädagogen an Pädagogischen Hochschulen; im Einvernehmen mit dem Land können auch andere erfahrene Pädagogen beauftragt werden.

Insbesondere der letzte Halbsatz, der es in Einzelfällen auch nicht im Schuldienst stehenden Geistlichen ermöglichen konnte, die Einsichtnahme vorzunehmen, erwies sich als geeignet, Widerstand hervorzurufen. Nach Bekanntwerden des Wortlautes warnte der Gesamtverband Niedersächsischer Lehrer, diese Bestim 350 Ebd., 14. 351 Vgl. Internes Schreiben RegDir Mosolfs an MR Flindt vom 20.1.1954, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 38, Bl. 53. 352 Vgl. Entwurf der Erläuterungen zu Art. 6 Konkordat und § 3 der Anlage, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/2, Bl. 14–61, hier S. 14; Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2, Bl. 2–42, hier S. 18.

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mung drohe eine neue Form geistlicher Schulaufsicht zu begründen.353 Auch von evangelischer Seite schien man hier Bedenken gehabt zu haben, so dass man bereits frühzeitig gegenüber dem Ministerium die Position vertrat, dass selbst geistliche Studienräte nicht mit der Einsichtnahme betraut werden sollten.354 Kultusminister Mühlenfeld betonte demgegenüber bei seiner Einbringungsrede der Schulgesetznovelle vor dem Landtag, die Kirche habe glaubhaft machen können, dass die bis dahin bestehende Regelung für sie nicht ausreiche, da es außerhalb einiger weniger katholisch geprägter Bezirke keine katholischen Schulaufsichtsbeamten gäbe, weshalb der Kreis der infrage kommenden Personen erweitert worden sei.355 Abgesehen von diesem Punkt enthielt das Konkordat die auch in anderen Bundesländern regelmäßig getroffenen Abmachungen über den Religionsunterricht: Die Landesregierung würde mit den Diözesen bezüglich der Zahl der Religionsstunden, der Lehrpläne und Lehrbücher sowie der Verwendung kirchlicher Lehrkräfte Einvernehmen herstellen (Art. 7 II); für die Erteilung des Religionsunterrichts wurde die bischöfliche Missio canonica vorausgesetzt, wobei sich das Land hier zusätzlich verpflichtete, entsprechend qualifizierte Lehrer vorzugsweise an katholischen Bekenntnisschulen und katholischen Mehrheitsschulen einzusetzen (Art. 7 III); schließlich sollten Kultusminister und Diözesanbischöfe sich hinsichtlich der Lehramtsprüfungen für das Fach Religion »mit dem Ziel einer freundschaftlichen Verständigung ins Benehmen setzen« (Art. 7 IV). Neben diesen Regelungen für den Religionsunterricht, die für die katholische Kirche sehr vorteilhaft ausfielen, strebte der Nuntius in den Verhandlungen hinsichtlich der Gemeinschaftsschulen auch eine rechtliche Sonderstellung der bereits mehrfach erwähnten sogenannten Mehrheitsschulen an, Schulen für Schüler aller Bekenntnisse, die aber einen mehr als 80-prozentigen Anteil katholischer Schülerinnen und Schüler aufwiesen. In diesen Schulen sollte Unterricht im Geiste des katholischen Bekenntnisses abgehalten werden dürfen, Freiheit in der Pflege religiösen Brauchtums herrschen, es sollten nur Lehrkräfte mit der Missio canonica beschäftigt werden, Lehrmittel wie an Bekenntnisschulen zugelassen sein und ebenso viele Religionsstunden wie an Bekenntnisschulen erteilt werden.356 Aus Sicht des Kultusministeriums hätte die Erfüllung dieser weitreichenden Forderungen den Unterschied zwischen einer katholischen Mehrheitsschule und einer Bekenntnisschule verwischt, zumindest aber einen 353 Schreiben des Gesamtverbands Niedersächsischer Lehrer (GNL) an Kopf, 27.2.1965, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 437, Bl. 6 und 6/1. 354 Schreiben Jacobs an MR Fiedler vom 19.10.1961, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 45. 355 Entwurf der »Einbringungsrede des Niedersächsischen Kultusministers für die Novelle zum Schulgesetz« vom 15.4.1965, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 437, Bl. 86–102, hier S. 16 f. 356 »Protokoll über das Gespräch am 26. Juni 1962 in der Apostolischen Nuntiatur in Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 185–200, hier S. 13.

184  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  neuen Schultypen geschaffen, was man politisch für kaum durchsetzbar hielt.357 Dennoch kam man der kirchlichen Seite erstaunlich weit entgegen: »Bei gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen Andersdenkender« wurde der Einsatz von Lehrbüchern für katholische Bekenntnisschulen und die Pflege katholischen religiösen Brauchtums freigestellt.358 Die Stundenzahl für den katholischen Religionsunterricht sollte wie gewünscht jener an Bekenntnisschulen entsprechen, und es wurde festgelegt, dass vorrangig Lehrkräfte mit Missio canonica eingesetzt würden (Art. 7 III).359 Zudem galt gemäß § 14 II SchG und Art. 6 I Konkordat für diese Schulen, wie für Bekenntnisschulen, dass sie zur besseren Gliederung nach Möglichkeit nur mit Schulen gleicher Art zusammengelegt werden sollten. Für den Fall von Zusammenlegungen mit mehrheitlich nichtkatholischen Gemeinschaftsschulen stellte Müller auf Wunsch Bafiles eine Erklärung des Ministeriums in Aussicht, wonach »diese Fälle äußerst selten seien und behutsam behandelt würden«.360 Im Gegenzug zu diesen Zugeständnissen schlug die kirchliche Delegation vor, dass Eltern solcher katholischer Mehrheitsschulen kein Antragsrecht zur Errichtung von Bekenntnisschulen haben sollten, um damit der Sorge des Landes Rechnung zu tragen, in katholischen Mehrheitsregionen könnte eine Umwälzung des Schulsystems drohen.361 Der Wunsch nach einer solchen Umwälzung dürfte, wo er Mitte der 60er Jahre noch vorhanden war, ohnehin dadurch abgeschwächt worden sein, dass das Konkordat in Art. 6 IV zusagte: »Das Land wird dafür Sorge tragen, dass, soweit katholische Schüler andere als katholische Bekenntnisschulen besuchen, die Zahl der katholischen Lehrer grundsätzlich dem Anteil der katholischen Schüler entspricht.« Damit erhielt das von der niedersächsischen Regierung stets betonte Prinzip des Schüler-Lehrer-Proporzes noch einmal eine nachdrückliche Bestätigung. Um ausreichend katholische Lehrkräfte zur Verfügung zu haben, die aus kirchlicher Sicht diese Bezeichnung wirklich verdienten, war in den Verhandlungen auch die Frage der Lehrerbildung zufriedenstellend zu regeln. In diesem Zusammenhang galt eine ernste Sorge der Kirche dem Erhalt des katholischen Charakters der Pädagogischen Hochschule Alfeld, wenn diese, wie geplant, aus Logistik- und Effizienzgründen mit der Hochschule in Hildesheim zusammengelegt würde. Gegen den staatlichen Standpunkt, an besagtem 357 »Protokoll über das Gespräch am 23. August 1962 im Gästehaus der Niedersächsischen Landesregierung«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 288–307, hier S. 9; Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2, Bl. 2–42, hier S. 24. 358 Abschließendes Sitzungsprotokoll vom 26. Februar 1965, Nr. 6 c (zu Art. 6 I des Nds. Konkordats). 359 S. a. Abschließendes Sitzungsprotokoll vom 26. Februar 1965, Nr. 7 (zu Art. 7 II des Nds. Konkordats). 360 »Protokoll über die Verhandlungen am 11. und 12. Januar 1965 in der Apostolischen Nuntiatur zu Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2, Bl. 136–158, hier S. 21. 361 »Protokoll über das Gespräch vom 12. September 1962 in der Apostolischen Nuntiatur Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 353–375, hier S. 8 f.

Bildungspolitik in Niedersachsen  185

Institut müssten auch evangelische Studierende Platz finden, argumentierte Bafile, in anderen Bundesländern sei eine konfessionelle Lehrerbildung durchaus möglich und in einem demokratischen Staat sollte eine 20-prozentige Minderheit doch die Freiheit besitzen, eine konfessionelle Ausbildung wählen zu können.362 Staatssekretär Müller stellte entsprechend in einem vertraulichen Memorandum fest, in Sachen Lehrerbildung bestünden bei Land und Kirche »völlig verschiedene« Vorstellungen:363 Während sich die Kirche allein mit einer konfessionellen Lehrerbildung zufrieden gebe – wobei sie sich auf Art. 24 RK berief –, sei der zugrundeliegende »besondere[n] Begriff der katholischen Bekenntnisschule« und die damit verbundene Ausrichtung der dezidiert katholischen Lehrerausbildung für Niedersachsen »unannehmbar«.364 Ohnehin sah man staatlicherseits die Zukunft der Lehrerausbildung an den Universitäten verortet, weshalb man auch den zwischenzeitlich vom Nuntius ins Spiel gebrachten Gedanken der Errichtung einer eigenen kirchlichen Hochschule mit Unterstützung des Landes ablehnte, da dadurch »nur wieder ein katholisches theologisches Ghetto« entstanden wäre, wie es in einer internen Denkschrift des Kultusministeriums heißt.365 Konsequenterweise traf demgegenüber Bafiles Bitte um »ein kleines autonomes Institut« für katholische Theologie an der Universität Göttingen bei der ministeriellen Delegation auf ein offenes Ohr.366 Nicht nur erschien, wie es aus ministeriumsinternen Erläuterungen hervorgeht, dieser Wunsch angesichts des Zuwachses der katholischen Bevölkerung und der Tatsache verständlich, dass auch andere Länder bei vergleichbaren Bevölkerungsverhältnissen katholische Fakultäten eingerichtet hatten. Vielmehr hatte auch das Land ein Interesse an der Möglichkeit einer universitären Ausbildung katholischer Geistlicher – und damit auch potentieller Religionslehrer, insbesondere für höhere Schulen.367 Denn die überkommene seminaristische Ausbildungsweise wurde »zu einem beträchtlichen Teil« dafür verantwortlich gemacht, »daß der katholische Klerus den Bedingungen des Zusammen­lebens der Konfessionen hilflos und der kulturpolitischen Ordnung im Lande Niedersachsen distanziert« gegenüberstand. Eine volluniversitäre Ausbildung sollte

362 »Protokoll über das Gespräch vom 12. September 1962 in der Apostolischen Nuntiatur Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469, Bl. 353–375, hier S. 11–15. 363 Erläuterungen zu Art. 5 des Nds. Konkordats (Anlage zum Schreiben StS Müllers an die Abteilungsleiter I, II, III und IV vom 11.12.1963), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 40–48, hier S. 1. 364 Ebd., 2. 365 Erläuterungen zu Art. 4 des Nds. Konkordats und § 1a der Anlage, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1, Bl. 196–210, hier S. 9. 366 »Protokoll über die Verhandlung am 23.4.1963, 10.30–17.00 Uhr, in der Apostolischen Nuntiatur in Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 10–34, hier S. 8. 367 Erläuterungen zu Art. 4 des Nds. Konkordats und § 1a der Anlage, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1, Bl. 196–210, hier S. 3–6.

186  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  demgegenüber Weltoffenheit fördern.368 Zudem erhoffte sich das Land, dass durch attraktive universitäre Studienbedingungen im Bereich katholischer Theologie »im Gegensatz zur jetzigen Lage das Laien-Element im kath. Religionsunterricht in einer für den Staat sehr erwünschten Weise« verstärkt würde. Durch die Einbeziehung in die Universität Göttingen »wird sich das Weltbild der künftigen kath. Religionslehrer ausweiten, und sie werden gelernt haben, in einem konfessionell gemischten Schulwesen ohne besondere Ressentiments und Ansprüche mitzuarbeiten«.369 Entsprechend dieser sozusagen »kulturpädago­ gischen« Überlegungen des Ministeriums wurde die Einrichtung einer katholisch-theologischen Fakultät in Göttingen in Art. 4 I des Konkordats vereinbart. Nachgeben musste das Land in diesem Zusammenhang lediglich bei der Festlegung des Zeitpunktes, zu welchem im Rahmen einer Lehrstuhlbesetzung der Bischof zu konsultieren sei, da hier die gegenüber dem preußischen Konkordat für die Kirche günstigeren Bestimmungen des Loccumer Vertrags paritätisch anzuwenden waren.370 Ein letzter schulpolitischer Verhandlungspunkt betraf die Situation der katholischen Privatschulen. Bafile forderte hier eine umfassende finanzielle Absicherung der Arbeit dieser Einrichtungen durch das Land, darunter eine volle Übernahme der Personalkosten bei weltlichen und eine 85-prozentige Übernahme bei Ordenslehrkräften sowie Investitionszuschüsse an leistungsschwache Träger.371 Das Kultusministerium wollte in dieser Sache allerdings nicht über die bereits gesetzlich geregelte Bezuschussung von 80 Prozent der Personalkosten hinausgehen, so dass im Konkordat hierzu keine weitergehenden Zugeständnisse gemacht wurden.372 Einen Erfolg konnte die katholische Kirche hingegen in der bereits von Keller angesprochenen Frage des Hildesheimer Josephinums verbuchen, indem das Land, nachdem die einst bischöfliche Schule unter den Nationalsozialsten verstaatlicht worden war, auf sämtliche vertragliche Rechte hinsichtlich dieser Schule verzichtete.373 Als eine der letzten strittigen Fragen wurde noch im Januar 1965 über die Stellung des mühsam ausgehandelten niedersächsischen Konkordats zum vielumkämpften Reichskonkordat gerungen. Während die katholischen Kirchenvertreter in der Präambel eine größtmögliche Bezugnahme auf das Reichs­konkordat 368 Ebd., 5. 369 Ebd., 6. 370 Vgl. ebd., S. 13; siehe auch § 1a I der Anlage zum Nds. Konkordat. 371 Anlage zum Ergebnisprotokoll über die Verhandlungen am 22. und 23.6.1964, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1, Bl. 12–13, hier S. 1. 372 »Protokoll über die Verhandlung am 23.4.1963, 10.30–17.00 Uhr, in der Apostolischen Nuntiatur in Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 10–34, hier S. 11 f. 373 Vgl. § 6 der Anlage zum Nds. Konkordat; s. a. Erläuterungen zu § 5 der Anlage zum Nds. Konkordat (Anlage zum Schreiben StS Müllers an die Abteilungsleiter I, II, III und IV vom 11.12.1963), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 65–76.

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verankern wollten, weigerte sich die Delegation des Kultusministeriums, das Konkordat zu einem »bloßen Ausführungsvertrag zum RK« umdeuten zu lassen, die wiederholten kirchlichen Formulierungsvorschläge wurden als Ausbremsung der Verhandlungen kritisiert.374 Da man seitens des Landes jedoch einsah, dass eine völlige Nichterwähnung des Reichskonkordates für die katholische Kirche aufgrund internationaler Zusammenhänge nicht tragbar wäre, einigten sich die Verhandlungsparteien bezüglich der Präambel schließlich auf die Formulierung, dass durch das neue Konkordat die bestehenden Rechtsbeziehungen »fortgebildet und dauernd geregelt« würden. Die Freundschaftsklausel des Art. 19 legte zusätzlich fest, dass Fragen des Verhältnisses des niedersächsischen Konkordats zu anderen Abkommen »auf freundschaftliche Weise« zu lösen seien. Für Staatssekretär Müller waren diese Formulierungen akzeptabel, da er erwartete, dass durch die neuen Regelungen das Reichskonkordat ohnehin seine Bedeutung für das Verhältnis zwischen Niedersachsen und der katholischen Kirche verlieren würde.375 Am 26. Februar 1965, nach Jahren teils zäher Verhandlungen, konnte das »Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Lande Niedersachsen« schließlich unterzeichnet werden. Obgleich die schwierigen und langwierigen Aushandlungsbedingungen einen denkbar deutlichen Kontrast zur geradezu mühelosen Vereinbarung über den Loccumer Vertrag darzustellen scheinen, einigt die beiden Abkommen das Charakteristikum, jeweils in gewissem Sinne Pionierarbeit gewesen zu sein: Auch das niedersächsische Konkordat war das erste seiner Art in der neuen Bundesrepublik, genauer, das erste deutsche Konkordat nach dem Reichskonkordat von 1933. Wohl gerade um dieses nicht infrage zu stellen, hatte die katholische Kirche, wie Spotts anmerkt, es entgegen ihrer früheren Politik nach 1945 zunächst vermieden, Verträge mit dem Staat abzuschließen; das Konkordat in Niedersachsen sei primär auf Druck der Landes­ regierung geschlossen worden – allerdings nicht zum Nachteil der Kirche: Die Landesregierung hatte es vorgeschlagen und dem Nuntius förmlich aufgedrängt; die Vertragsbestimmungen waren so großzügig, daß sie bei protestantischen Kirchenmännern düstere Vorahnungen weckten und einige Nichtkatholiken in Aufruhr versetzten.376

Das Konkordat als Wunschprojekt des Staates, für das er zu einer Reihe an Zugeständnissen bereit war und das die nichtkatholische Bevölkerung teils mit Unbehagen aufnahm – soweit also Spotts’ Einschätzung. Ein Blick auf die einzel 374 »Protokoll über die Verhandlungen am 11. und 12. Januar 1965 in der Apostolischen Nuntiatur zu Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2, Bl. 136–158, hier S. 4, vgl. 3 f. 375 Das Niedersächsische Konkordat, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 77–129, hier S. 48–50. 376 Spotts, F.: Kirchen und Politik, 293, vgl. auch 173.

188  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  nen genannten Gruppen wird zeigen, ob diese Einschätzung berechtigt oder nur stilistische Zuspitzung ist. Um die Bewertung des Verhandlungsergebnisses aus Sicht der niedersäch­ sischen Kultusadministration nachzuvollziehen, bietet es sich an, noch einmal auf den bereits mehrfach zitierten Staatssekretär Konrad Müller zurückzugreifen, der als einer der staatlichen Verhandlungsführer das Konkordat maßgeblich mitgestaltet hat. In seiner ministeriumsintern versandten Denkschrift zum Konkordat hob er als positives Resultat hervor, dass die Schulgrundsätze der Weimarer Verfassung eingehalten und das Schulgesetz von 1954 in seinem Kerngehalt nicht berührt worden seien. Die katholische Kirche habe demgegenüber den Vorrang der Gemeinschaftsschule anerkannt, indem sie die Existenz gegliederter Gemeinschaftsschulen als Voraussetzung für die Errichtung von Bekenntnisschulen prinzipiell akzeptierte. Ansprüche aus Art. 23 RK seien dadurch zwar nicht negiert worden, hätten sich aber »als undogmatisch erwiesen«.377 In einer der schwierigsten Fragen, ob, wie es die Kirche vertrat, auch einklassige Schulen einen geordneten Schulbetrieb ermöglichten, habe sich das Argument der besseren Gliederung durchgesetzt  – Müller spekulierte sogar, dass davon auch Julius Kardinal Döpfner (1913–1976) in Bayern bei seiner Zustimmung zur Landschulreform beeinflusst gewesen sei.378 Zudem habe die Kirche hinsichtlich der Vereinigung von »Zwergschulen« Entgegenkommen gezeigt, wofür seitens des Landes im Gegenzug Erleichterungen bei der Errichtung von Bekenntnisschulen und eine gewisse Freizügigkeit im überörtlichen Schulbesuch zugestanden worden sei. Die Konzessionen der Landesregierung lägen alle auf der Linie des Schulgesetzes und seien »Ausdruck liberaler Toleranz gegen eine Minderheit«.379 Den Gesamtkontext betrachtend kam Müller zu dem Schluss, die Verhandlungen seien »außerordentlich glücklich mit einer Wende der vatikanischen Politik zusammengetroffen« und bedeuteten eine »Wiederanknüpfung der seit 30 Jahren unterbrochenen traditionellen freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Kurie und den deutschen Ländern« – und mithin »das Ende der Ära des Reichskonkordats«.380 Im niedersächsischen Schulstreit aber wurde ein »die staatlichen Belange voll wahrende[r] Kompromiß gefunden«, wobei Müller die eigentliche Bedeutung der Einigung aus einer weitergehenden landespolitischen Perspektive sah: Die vertragliche Gleichstellung der katholischen Minderheit und der mit ihr geschlossene Schulfriede werden der Opposition des niedersächsischen Katholizismus 377 Das Niedersächsische Konkordat, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 77–129, hier S. 38. 378 Zu diesem Vorgang siehe Unterkapitel IV. 4 der vorliegenden Untersuchung. 379 Das Niedersächsische Konkordat, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1, Bl. 77–129, hier S. 39, vgl. 37 f. 380 Ebd., 50.

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in Grundsatzfragen den Boden entziehen, das politische Kräftespiel entkonfessionalisieren und die Verbundenheit aller Bürger mit ihrem Land stärken.381

Teils etwas pathosgeladen dokumentiert diese Ausarbeitung doch sowohl die Zufriedenheit der Landesregierung mit dem erreichten Vertragswerk, als auch die Tatsache, dass das Konkordat stets in einem größeren politischen Kontext gesehen wurde, in welchem die Integration der niedersächsischen Katholiken und ihrer Kirche in ein als betont freiheitlich-demokratisch dargestelltes Staatswesen ein wichtiges Anliegen war. Was die aus bildungspolitischer Sicht epochale Bedeutung der geschlossenen Vereinbarungen anbelangt, pflichtet die Literatur Müllers Einschätzung durchaus bei. So spiegelte sich aus Thielkings Sicht im Konkordat »sehr augenscheinlich die vielleicht bedeutendste Veränderung in den Positionen der katholischen Kirche« in diesem Bereich wider, nämlich eine offizielle Anerkennung der Gemeinschaftsschule und die Akzeptanz einer Garantie nur für die Bekenntnisschule als solche, ohne Bestandsschutz für die einzelnen Schulen.382 Doch auch in der demokratischen Gesamtperspektive erfährt das niedersächsische Konkordat eine Würdigung, die Müllers Urteil zu bestätigen scheint: Hier hatte es von beiden Seiten Kompromisse im Bereich der Konfessionsschulen und der Lehrerausbildung gegeben. Die kirchliche Seite hatte sich daraufhin gegenüber der von Diederich geführten sozialdemokratischen Landesregierung überraschend konziliant gezeigt und den Sozialdemokraten für den ›Beweis des guten Willens zu einer harmonischen Zusammenarbeit‹ entsprechende Anerkennung gezollt.383

Während ein führender Vertreter des Kultusministeriums somit die Interessen des Landes im Konkordat als voll gewahrt darstellte, waren manche Beobachter der Meinung, es hätte sich eher die kirchliche Seite durchgesetzt. So befand etwa der »Spiegel«, die SPD in Niedersachsen habe »einen hohen Preis« für das Konkordat gezahlt, da die katholische Delegation erst zugestimmt habe, nachdem ihre zentralen Forderungen erfüllt worden waren. Insbesondere in der Frage der katholischen Bekenntnisschulen »revidierte die niedersächsische Regierung ihre Haltung gänzlich«, so das Urteil.384 Ob dies so zutrifft oder nicht, kompromissbereit war die Landesregierung gegenüber der Kirche zweifelsohne, was Staatssekretär Müller mit der Feststellung begründete: »Ohne oder gegen die

381 Ebd., 51. 382 Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 120. Dass Art. 6 I 1 Nds. Konkordat nur eine »institutionelle« und keine »status quo-Garantie« der Bekenntnisschulen bedeute, hob auch Müller in seinen Ausführungen hervor, vgl. Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2, Bl. 2–42, hier S. 18. 383 Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 233. 384 Konkordat an der Leine, 30.

190  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Kirche kann man heutzutage keine Schulpolitik mehr betreiben.«385 Sicher ist ebenfalls, dass die Kirchenvertreter das Ergebnis nicht lediglich notgedrungen akzeptierten. Vielmehr zeigte sich, etwa aus den Abgrenzungen Bafiles gegenüber der römischen Kritik am Verlauf der Verhandlungen, dass in der Tat eine deutliche Verbesserung des Verhältnisses der katholischen Hierarchie in Niedersachsen zur SPD-geführten Landesregierung stattgefunden hatte. Es war daher sicherlich nicht allein in Höflichkeitserfordernissen begründet, dass das letzte Verhandlungsprotokoll zum Konkordat mit den Worten schließt: Der Apostolische Nuntius und Minister Dr. Mühlenfeld sprachen ihre Befriedigung über das erzielte Ergebnis aus und dankten beiderseits der Gegenseite für die in den langen Verhandlungen gezeigte Geduld und Bereitschaft zur Verständigung.386

Spotts’ Bemerkung, dass diese Übereinkunft zwischen Land und katholischer Kirche nicht von allen Seiten positiv aufgenommen wurde, entspricht allerdings den Tatsachen. So waren es insbesondere die gewerkschaftlichen Lehrerverbände, die gegen die Schulbestimmungen des Konkordats Protest erhoben.387 Stellvertretend dafür möge die Eingabe des Gesamtverbandes Niedersächsischer Lehrer an Ministerpräsident Diederichs und den Landtag angesehen werden, weiter oben bereits zitiert, in welcher das Konkordat als im Widerspruch zur Vorrangstellung der christlichen Gemeinschaftsschule gesehen wird und hinsichtlich des Religionsunterrichtes von einer Rückkehr der geistlichen Schulaufsicht gewarnt wird.388 Die SPD-Landtagsfraktion reagierte darauf beschwichtigend: Der Vorrang der Gemeinschaftsschule bestehe nach wie vor, auch wenn er im Konkordat zurückhaltend formuliert worden sei, »da die Kirche nach ihrem jahrelangen Kampf gegen die Gemeinschaftsschule hier ihr Gesicht wahren mußte«. Man habe aber angekündigt, diesen Vorrang in den Durchführungsbestimmungen zum Schulgesetz »unzweideutig zur Geltung« bringen zu wollen, woraufhin die Kirche zugesichert habe, »dem nicht zu widersprechen«.389 Auch außerhalb der Lehrerschaft schienen »weite Kreise der Bevölkerung« dem neuen Vertragswerk mit einer »Haltung der kühlen Distanz« gegenüberzustehen, wie in einem Artikel der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung« festgestellt wurde.390 385 Zit. nach ebd., 33. 386 »Protokoll über die Verhandlungen der in Apostolischen Nuntiatur am 27. Januar 1965 in Bad Godesberg«, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2, Bl. 191–201, hier S. 9. 387 Vgl. auch Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 118. 388 Schreiben des Gesamtverbands Niedersächsischer Lehrer (GNL) an Kopf, 27.2.1965, NLA , Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 437, Bl. 6 und 6/1. 389 Materialien zum Konkordat und zur Schulnovelle – I/65. In: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg.): Dokumentation zum Konkordat in Niedersachsen. Bühl-Baden 1965, 130–133, hier 130. 390 Rieger, Helmut: In die Zukunft gerichtet, Hannoversche Allgemeine Zeitung Nr. 43 vom 20./21.2.1965. In: Amt für Gemeindedienst der Evang.-luth. Landeskirche Hannovers: Materialdienst Nr. 4/65 (22.3.1965), 5–7, hier 5, LkAH, L 3 III Nr. 1902.

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Der Verfasser des Artikels gab allerdings zu bedenken, man könne das Konkordat als den Versuch ansehen, die katholische Kirche nachträglich in die moderne Schulentwicklung mit einzubeziehen. Bezeichnend ist hierbei, dass er auch auf der »weltlichen« Seite, etwa bei SPD und FDP, eine Veränderung »im Sinne einer stärkeren Liberalität« wahrzunehmen meinte, die in der Aufgabe alter kulturkämpferischer Einstellungen ihren Ausdruck fand.391 Kaum überraschen dürfte es, dass aktiv katholische Kreise, anders als die niedersächsische Mehrheitsgesellschaft, die Entwicklungen begrüßten; so unterstützte etwa der Verein katholischer deutscher Lehrerinnen die Ratifizierung des Konkordats und die Umsetzung der Schulgesetznovelle mit Nachdruck.392 Wie sah es demgegenüber bei den dezidiert protestantischen Akteuren, namentlich den evangelischen Landeskirchen aus? Hier ist Spotts’ Fazit, die Einigung zwischen Land und katholischer Kirche habe ein Unbehagen hervorgerufen, differenziert zu betrachten. Auch in der evangelischen Kirche sah man zum Teil durchaus die positive Bedeutung des Konkordats. So wurde es in Hannover etwa als Erfolg des Landes gewertet, ein Konkordat mit Schulbestimmungen zu erhalten, »die unbestritten den Schulartikel des Reichskonkordates durch eine neue Regelung auf der Basis des niedersächsischen Schulgesetzes ersetzten«.393 Was Befürchtungen hinsichtlich eines wachsenden Einflusses der katholischen Kirche anbelangt, hielt ein Mitarbeiter des hannoverschen Landeskirchenamtes in einem vertraulichen Vermerk fest: Anzeichen dafür, daß man staatlicherseits oder etwa sogar in der SPD im Zuge der Bemühungen um ein besseres Verhältnis zur katholischen Kirche bereit sei, die herkömmlich bevorzugte Stellung der evangelischen Kirche in der Öffentlichkeit Nieder­ sachsens nicht mehr wie bisher zu pflegen, sind nach Auskunft meiner Gewährsmän­ner nicht vorhanden. Im Gegenteil wirkt sich nach wie vor die Politik der evangelischen Kirche, insbesondere in der Schulfrage, im Sinne der Stärkung des Vertrauens und einer entsprechenden Autorität der leitenden kirchlichen Amtsträger aus.394

Diese Notiz erscheint in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Zum einen geht daraus hervor, dass in der Tat auf Seiten der evangelischen Kirchen Sorgen hinsichtlich des Konkordatsabschlusses bestanden; zum anderen konnte das Landeskirchenamt durch seine gute Vernetzung mit Kultusministerium und SPD aber eine Bestätigung einholen, dass ein Grund zur Beunruhigung nicht bestand.

391 Ebd., 7. 392 Schreiben des Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen an den Kultusminister vom 16.6.1965, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 439, Bl. 87 f. 393 »Vermerk« eines Gespräches zwischen Mahrenholz und Superintendent Herrfahrdt vom 18.5.1965, LkAH, L 3 III Nr. 1902, hier S. 2. 394 Vertraulicher Vermerk Ruppels »Katholische Forderungen zum Konkordat« vom 15.6.1964, LkAH, L 3 III Nr. 1902, hier 4.

192  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Sodann fällt das Vertrauen auf die guten Beziehungen zur Regierung auf, aus denen man selbstbewusst ohne weiteres auch »Autorität« der Kirchenführungen in politischen Fragen ableitete – sicherlich nicht zu Unrecht. In Anbetracht dieses hier noch einmal bestätigten guten Verhältnisses zu SPD und Landesregierung muss es umso mehr verwundern, wenn es des Weiteren in dem Vermerk heißt: »Die niedersächsische CDU wird von katholischer Seite überhaupt nicht beteiligt; sie kann ihrerseits deshalb auch nicht mäßigend wirken.«395 Dass die katholische Kirche zu diesem Zeitpunkt offenbar keine politische Einflussnahme über die CDU zu nehmen versuchte, mag angesichts der Haltung dieser Partei in der Schulfrage überraschen. Möglicherweise hatte man katholischerseits aber bereits genug Vertrauen in die SPD-geführte Regierung entwickelt, dass man dies schlicht nicht für notwendig, vielleicht sogar für kontraproduktiv hielt. Nichtsdestotrotz blieben auch in evangelischen Kirchenkreisen Befürchtungen bestehen, dass insbesondere die Schulbestimmungen des Konkordats eine deutliche Verschlechterung der schulischen Situation sowie des Verhältnisses zwischen den Konfessionen herbeiführen könnten. Noch vor Abschluss des Konkordats bekannten sich die Leitungen der evangelischen Landeskirchen Niedersachsens zum »Wort der Synode zur Schulfrage« von 1958 und bekräftigten ihre Auffassung, dass »die schon aus dem Jahre 1954 stammende Ordnung des niedersächsischen Schulrechts den Grundsätzen des Wortes der Synode« entspreche.396 Im Juni 1956 sprach die 17. Landessynode der hannoverschen Landeskirche noch deutlicher aus, dass die Gemeinschaftsschule in Niedersachsen Regelschule bleiben müsse, wobei sowohl der bestmöglichen Erziehung und Bildung als auch dem konfessionellem Ausgleich Sorge zu tragen sei – eine Abweichung von diesem im Schulgesetz von 1954 beschrittenen Weg halte man für »gefährlich«.397 Die ostfriesischen Geistlichen ließen zudem verlauten, man erachte die christliche Gemeinschaftsschule als die beste schulische Umsetzung des Grundrechts auf Religions- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 I GG.398 Doch die evangelischen Kirchen beließen es nicht bei solchen allgemeinen Erklärungen für die »Schule für Schüler aller Bekenntnisse«, sondern machten auch konkret »erhebliche Bedenken« geltend gegen »einige Regelungen der Schulgesetznovelle sowie gegen andere Bestimmungen des Konkordatswerks, die auf eine

395 Ebd. 396 Erklärung der Niedersächsischen Landesregierung und der Kirchenleitungen der Evangelisch-lutherischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 22.2.1965. In: Material zum Ergänzungsvertrag und zum Konkordat (Stand 13.5.1965), LkAH, L 3 III Nr. 1902, 24–25, hier 24. 397 »Entschließung der 17. Landessynode« der Landeskirche Hannover vom 3.6.1965, LkAH, L 3 III Nr. 1902. 398 Schreiben des Präsidiums der Generalkonferenz der lutherischen Geistlichen Ostfrieslands an den Niedersächsischen Landtag vom 7.5.1965, LkAH, L 3 III Nr. 1902, hier 2.

Bildungspolitik in Niedersachsen  193

weitere Konfessionalisierung des öffentlichen Lebens, insbesondere des Bildungs­ wesens hinauslaufen«. Es bestand die Sorge, dass »die bestmögliche Gliederung der Schulsysteme und ihre Fortentwicklung« gefährdet seien und »konfessionelle Minderheiten schulisch benachteiligt werden« könnten.399 So betonte die Konferenz der Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen, die gelockerten Bedingungen für die Errichtung von Bekenntnisschulen dürften keine Schlechterstellung der Gliederung der Gemeinschaftsschulen verursachen und Landesbischof Lilje legte Ministerpräsidenten und Kultusminister seine Bedenken dar, dass die Schulen mit mindestens 80-prozentiger katholischer Mehrheit durch die Zugeständnisse hinsichtlich Lehrmaterial und Brauchtumspflege eine Ausprägung erhielten, »welche eine Minderheit einer einseitigen konfessionellen Beeinflussung aussetzen kann, die auch durch die Forderung gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen Andersdenkender nicht hinreichend gemildert erscheint«.400 Obgleich wenige Jahre zuvor seitens der niedersächsischen Regierung sowie auch der evangelischen Bischöfe betont wurde, »daß das Verhältnis der evangelischen Kirche zur Landesregierung auf Vertrauen beruhe und deshalb im Unterschied zur katholischen Kirche auf Sicherung von Einzelbestimmungen verzichtet werden könne«,401 war es somit nun nicht nur aus Paritätsgründen geboten, sondern diente auch dazu, einige der Sorgen auf evangelischer Seite zu zerstreuen, dass ein Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag erarbeitet wurde, welcher der veränderten Rechtslage Rechnung trug. Die Schulbestimmungen dieses Ergänzungsvertrages, der in nur zwei Verhandlungssitzungen fast komplett ausgearbeitet und bereits am 4. März 1965 unterzeichnet wurde,402 sind überschaubar: Neben dem Postulat der weiteren Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche verpflichtete sich das Land dafür zu sorgen, dass ein dem Anteil evangelischer Schüler entsprechender evangelischer Lehrkörper an den Gemeinschaftsschulen angestellt werde (Art. 4). Außerdem wird im Vertrag eine Fortsetzung der finanziellen und personellen Unterstützung evangelischer

399 Erklärung des Landessynodalausschusses der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers vom 28. April 1965. In: Material zum Ergänzungsvertrag und zum Konkordat (Stand 13.5.1965), LkAH, L 3 III Nr. 1902, hier 25. 400 Schreiben der Konferenz der Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen an den Kultusminister vom 12.5.1965 (Az. III 1859/65), NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 439, Bl. 67–70, hier S. 2f; Schreiben Liljes an Diederichs vom 23.6.1965, LkAH, L 3 III Nr. 1902. 401 »Information der niedersächsischen Bischöfe über die Konkordatsverhandlungen am 15. Februar 1963, 11.30 Uhr, im Gästehaus der Landesregierung«, LkAH, L 3 III Nr. 1902, hier 3. 402 Vgl. »Ansprache des Herrn Ministerpräsidenten bei der Unterzeichnung des Ergänzungsvertrages zum Loccumer Vertrag im Landeskirchenamt am 4. März 1965«, LkAH, L 3 III Nr. 1902, hier 3 f.

194  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Privatschulen zugesagt (Art. 5 sowie Abschließendes Protokoll zu Art. 5).403 Obgleich inhaltlich also wenig bedeutsam für eine Mehrheitskonfession von etwa 80 Prozent der Bevölkerung, konnte der Ergänzungsvertrag doch dazu dienen, noch einmal das gute Verhältnis zwischen Landesregierung und evangelischen Landeskirchen zu demonstrieren und die Grundkonzeption des Schulgesetzes von 1954 zu unterstreichen. So unterrichtete etwa das Landeskirchenamt Hannover die niedersächsischen Kirchenleitungen, die Landesregierung lege »entscheidenden Wert darauf, daß im Text des Abkommens die von der katholischen abweichende Haltung der evangelischen Kirche zum Ausdruck kommt. Auch wir müssen hierauf Wert legen.«404 Ebenso hob die Regierungsbegründung zum Ergänzungsvertrag einmal mehr das ausgezeichnete Verhältnis zwischen dem Land Niedersachsen und seinen evangelischen Kirchen hervor und betonte, der Ergänzungsvertrag sei nicht nur aus Paritätsgründen notwendig geworden, sondern habe eine eigene Berechtigung und Bedeutung, die sich »schon daraus [ergibt], daß die evangelischen Kirchen an ihrer bisherigen Linie in der Schulpolitik, d. h. an ihrer positiven Einstellung zur christlichen Gemeinschaftsschule, festgehalten haben«.405 Es wird somit deutlich, dass die Landesregierung ernsthaft bemüht war, zweierlei klarzustellen: Zum einen habe sich an ihrer grundlegenden schulpolitischen Haltung trotz der Zugeständnisse an die katholische Kirche nichts geändert; zum anderen sollte eine Annäherung an die katholische Seite auf keinen Fall die guten Beziehungen zu den evangelischen Kirchen trüben. i) Fazit Obgleich damit nicht alle Schulfragen restlos geklärt waren, war die niedersäch­ sische Regierung ihrem Ziel, endlich »Schulfrieden« im Lande zu schaffen, im Jahr 1965 sicherlich einen entscheidenden Schritt nähergekommen. Wie dargestellt, darf dabei der kontinuierlichen Annäherung der im Untersuchungszeitraum meist sozialdemokratisch geführten Landesregierungen an die evange­ lischen Landeskirchen in der Schulfrage die zentrale Bedeutung zugesprochen werden. Nachdem in Niedersachsen infolge der Schulabstimmungen 1946 zunächst die Bekenntnisschulen wiederhergestellt worden waren, kam es »in den folgenden Jahren aufgrund der örtlichen schulpraktischen Gegebenheiten 403 »Ergänzungsvertrag zum Vertrag der Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 19. März 1955« vom 4. März 1965, Nds. GVBl. 1/1966 (14.1.1966), 3–7; Abschließendes Protokoll vom 4.3.1965 (Bekanntmachung des Niedersächsischen Kultusministers vom 7.10.1966), Nds. MBl. 41/1966 (5.12.1966), 1100 f. 404 Schreiben Ruppels an Lilje vom 28.8.1964, LkAH, L 3 III Nr. 1902, hier 4. 405 Begründung zum Ergänzungsvertrag zum Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen. In: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg.): Dokumentation zum Konkordat in Niedersachsen, 212–218 hier 213.

Bildungspolitik in Niedersachsen  195

zu einer stillen Umwandlung in ›christliche Gemeinschaftsschulen‹«.406 Die evangelischen Kirchenleitungen akzeptierten die Gemeinschaftsschule relativ schnell, was vermutlich nicht zuletzt auch mit einem Stimmungswandel der Elternschaft zusammenhing: Bereits im Jahr 1947 sprachen sich nur noch 40 Prozent selbst der katholischen Eltern allein für die Bekenntnisschule aus.407 Dies ist nicht zuletzt deswegen eine bemerkenswerte Entwicklung, da die beständigen Mobilisierungen durch die Katholische Schulorganisation und den Episkopat bei der katholischen Bevölkerung gerade auch in den norddeutschen »Diasporagebieten« zunächst auf reges Interesse gestoßen war.408 Dass es mit den evangelischen Kirchen seitens der Sozialdemokraten bereits früh immer wieder Ausgleichsbemühungen und Versuche von Kompromissfindung gab, wurde sicherlich durch die Persönlichkeit des protestantischen Ministerpräsidenten Kopf begünstigt, der sich als christlichen Sozialisten sah und gute Kontakte zur hannoverschen Landeskirche besaß.409 Für viel bedeutender als diese persönliche Komponente muss hinsichtlich der Annäherung von Land und evangelischen Kirchen aber die intensive politische Einbindung der letzteren und die entgegenkommende niedersächsische Gesetzgebung, nicht zuletzt im Schulbereich, gesehen werden. Im Kultusministerium war man stets bemüht, auf die evangelischen Wünsche Rücksicht zu nehmen und die im vorliegenden Kapitel zitierten Äußerungen von Bischöfen und Kirchenämtern zeigen deutlich, dass dieses Verhalten auf evangelischer Seite entsprechend gewürdigt und wertgeschätzt wurde. Infolgedessen scheint man in den evangelischen Landeskirchen keine Veranlassung gehabt zu haben, die liberale Schulpolitik der Landesregierung als Bedrohung wahrzunehmen, vielmehr war man bereit, die angebotenen Möglichkeiten zur Mitarbeit zu nutzen. Gänzlich anders lagen die Dinge im Verhältnis zu den katholischen Bistümern. Die katholische Kirche war in Niedersachsen schon aufgrund ihres Minderheitenstatus per se kämpferischer eingestellt und weniger kompromissbereit als die Protestanten. Hinzu kamen die völlig gegensätzlichen schulpolitischen Vorstellungen der Beamten des Kultusministeriums und der regierenden SPD, die sich mit den kirchlichen nicht vereinbaren ließen. Nimmt man die in Ablehnung der Landesschulpolitik seitens der niedersächsischen Diözesen geäußerten Diktaturvorwürfe ernst und hält sie für mehr als bloße Eskalationsrhetorik, so scheint die Haltung nicht unbedeutender katholischer Kreise zu ihrem demokratisch verfassten Bundesland zunächst problematisch gewesen zu sein. Gewiss war die katholische Kritik auch in Niedersachsen stets parteipolitisch aufgeladen, dennoch bleibt die Unfähigkeit, verschiedene demokratische Kräfte als politisch 406 Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 372. 407 Ebd., 371 f. 408 Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 116. 409 Vgl. Vogelsang, T.: Hinrich Wilhelm Kopf, 198–200.

196  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  legitim anzusehen und kompromissorientiert mit ihnen zusammenzuarbeiten, aus demokratietheoretischer Sicht bedenklich. Letztlich wurde dieser Gegensatz erst im Laufe der äußerst langen und zähen Konkordatsverhandlungen gelockert, als Land und Kirche sich nicht nur ihre jeweiligen Positionen in konstruktiven Gesprächen verständlich zu machen versuchten, sondern durch gegenseitige Zugeständnisse eine tragfähige und – auch symbolpolitisch – für beide Seiten zufriedenstellende Kompromisslösung fanden. Die Absicht der Landesregierung, die katholische Kirche in Niedersachsen politisch zu integrieren und das Bestreben, ihr eine liberale schulpolitische Haltung nahezubringen, wird durch die Ausführungen Staatssekretär Konrad Müllers deutlich belegt. Es scheint berechtigt zu sein, beide Vorhaben – ganz im Sinne der Forschungshypothese dieser Untersuchung  – als erfolgreich zu bewerten. Einen weiteren Ausdruck findet diese beständige Bemühung um eine Einbindung der Kirchen in der Rückversicherung an die evangelischen Kirchen, nachdem dort Sorgen hinsichtlich der für die katholische Kirche günstigen Konkordatsbedingungen entstanden waren. Allein die integrierende und auf eine Liberalisierung insbesondere der katholischen Kirche abzielende Politik der im Untersuchungszeitraum meist SPD-geführten Landesregierung zu betonen, hieße jedoch auszublenden, dass auch in der niedersächsischen Sozialdemokratie ein Wandel zu verzeichnen ist: Von einer die katholische Seite eher benachteiligenden bzw. vernachlässigenden Haltung hin zur Suche nach tragfähigen Kompromissen. Hierin spiegelte sich zweifelsohne auch der generelle Wandel der SPD nach der programmatischen Neuausrichtung von Bad Godesberg wider. Neben diesen Aspekten der Liberalisierung finden sich in den Untersuchungen zu vorliegendem Kapitel auch klare Anhaltspunkte für eine Autoritäts­ symbiose. Erstens, und dies ist sicherlich der näherliegende Fall, erlaubte es das zunehmend gute Verhältnis zu den evangelischen Landeskirchen der Regierung Kopf, sich gegenüber der protestantischen Bevölkerung entsprechend als zuverlässiger Partner ihrer Kirche zu präsentieren  – was im Übrigen die Landtagsopposition dazu veranlasste, Kopf zu unterstellen, er geriere sich als Schirmherr der niedersächsischen Protestanten.410 Zweitens nutzte das Kultusministerium besonders während der Konkordatsverhandlungen die Einigkeit mit den evangelischen Landeskirchen in Schulfragen dazu, um mit Verweis auf deren Standpunkte als überzogen wahrgenommene katholische Forderungen abzulehnen. Insbesondere wurde dabei der Vorrang der Gemeinschaftsschule mit dem Argument verteidigt, das Land schulde dies der evangelischen Kirche, da sie das Schulgesetz von 1954 ja mitgetragen habe.411 Dies wäre eine Form der 410 So MdL Schönfelder (DP / CDU), in: Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht der 76. Sitzung (2. WP), 1.9.1954, 4993. 411 Vgl. Erläuterungen zu Art. 6 des Nds. Konkordats, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2, Bl. 2–42, hier S. 40.

Bildungspolitik in Niedersachsen  197

Autoritätssymbiose, die in der Hypothese so nicht vorgesehen war, da sie nicht gegenüber den Gläubigen der Religionsgemeinschaft, mit der man sich gut gestellt hat, wirksam wird, sondern gegenüber einer anderen Konfession. Obgleich man argumentieren könnte, es gehe hierbei weniger um Autorität als um den Verweis auf vermeintliche Sachzwänge als eine Art »conversation-stopper«,412 so darf doch durchaus angenommen werden, dass die katholische Delegation einen Verweis auf die Interessen der evangelischen Seite als Hinderungsgrund für die Erfüllung bestimmter Anliegen eher respektierte, als etwa das Vorbringen materieller Schwierigkeiten. Schließlich ist drittens festzustellen, dass, folgt man den Ausführungen Kulturstaatssekretär Müllers, in der niedersächsischen Landesregierung offenbar die Ansicht vertreten wurde, die niedersächsischen Katholiken seien ohne die Kooperationsbereitschaft ihrer kirchlichen Autoritäten mit dem Staat nicht vollständig in das Projekt eines demokratischen und pluralistischen Gemeinwesens zu integrieren. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch der oben angeführte Vorwurf des FDP-Abgeordneten Föge im Landtag, die katholische Mobilisierung gegen das Schulgesetz stelle eine Infragestellung der staatlichen Autorität dar.413 Nur ein Friedensschluss mit der katholischen Kirche in der Schulfrage konnte aus dieser Perspektive den dauerhaften Zusammenhalt der Landesbevölkerung gewährleisten. Mit anderen Worten: Die kirchliche Autorität musste zur Festigung der Autorität des liberaldemokratischen Staatswesens eingebunden werden. Gemäß den Erwartungen der Hypothese lässt sich am Beispiel der Schulpolitik in Niedersachsen die Entwicklung eines positiven Verhältnisses zwischen Land und Kirchen auf der Grundlage einer den kirchlichen Interessen entgegenkommenden Haltung der staatlichen Seite nachvollziehbar darstellen. Die Annahme, dass in diesem Prozess kirchliche Vorbehalte gegenüber einer liberalen Politikausrichtung abgebaut werden konnten, darf angesichts der Ausführungen in diesem Kapitel als plausibel gelten. Auch die Bedeutung kirchlicher Autorität für den politischen Prozess lässt sich aufzeigen: Die niedersächsische Landesregierung nahm sie entweder als Hindernis für die Integration von kirchentreuen Bevölkerungsteilen in den freiheitlich-demokratischen Staat wahr, wie im Falle der katholischen Opposition gegen die Schulgesetze, oder als Bezugspunkt für eine positive Selbstdarstellung, wie die häufige Betonung der engen Zusammenarbeit mit den evangelischen Landeskirchen belegt.

412 Zum Begriff siehe Rorty, Richard: Religion as Conversation-stopper. In: Ders.: Philosophy and Social Hope. London 1999, 168–174. 413 Vgl. S. 149 in diesem Kapitel.

198  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik 

3. Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen a)

Einleitende Bemerkungen

In einer zweiten Länderfallstudie soll dieselbe Fragestellung, die an die niedersäch­ sische Bildungspolitik herangetragen wurde, nun mit Blick auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen erörtert werden. Nordrhein-Westfalen unterschied sich im Untersuchungszeitraum vom vorangegangenen Fallbeispiel sowohl hinsichtlich der konfessionellen Bevölkerungsverteilung als auch der Zusammensetzung der Landesregierungen, so dass andere kulturpolitische Rahmenbedingungen bestanden. Die folgende Untersuchung wird zeigen, inwieweit vor diesem Hintergrund gleiche oder abweichende Strukturen religionspolitischer Governance entstanden und wie sich dies auf die freiheitlich-demokratische Integration der Kirchen auswirkte. Wie im Falle Niedersachsens lagen die Gebiete, aus denen später das Bundesland Nordrhein-Westfalen hervorgehen sollte, im britischen Kontrollgebiet. Am 23. August 1946 wurden durch die Verordnung Nr. 46 der britischen Militär­ regierung die ehemalige preußische Provinz Westfalen und der nördliche Teil der preußischen Rheinprovinz zum Land Nordrhein-Westfalen vereinigt, welches am 21. Januar 1947 mit der Aufnahme des Landes Lippe seinen endgültigen Zuschnitt erhielt. Bereits am 24. Juli 1946 hatten die britischen Besatzungsbehörden den damals vorübergehend parteilosen Zentrumspolitiker Rudolf Amelunxen (1888–1969) zum Ministerpräsidenten ernannt, der bis dahin als Oberpräsident von Westfalen fungiert hatte. Am 2. Oktober 1946 konstituierte sich zudem in Düsseldorf der ebenfalls von den Briten eingesetzte nordrhein-westfälische Landtag, in welchem die SPD die stärkste Fraktion stellte; schon im Dezember berief die Militärregierung allerdings ein neues Landesparlament mit der CDU als größter Fraktion ein.414 In konfessioneller Hinsicht bildeten die Katholiken in Nordrhein-Westfalen mit einem Anteil von etwa 52 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe, kirchlich organisiert in den Erzbistümern Köln und Paderborn sowie den Bistümern 414 Vgl. Brunn, Gerhard: Aufbruch aus Ruinen  – Die Jahre 1946 bis 1948. In: Reinicke, Christian / Romeyk, Horst (Hg.): Nordrhein-Westfalen. Ein Land in seiner Geschichte. Aspekte und Konturen 1946–1996. Münster 1996, 21–42, hier 29. Der Landtag vom Oktober 1946 setzte sich wie folgt zusammen: Die stärkste Fraktion bildete die SPD mit 74 Sitzen, gefolgt von CDU (66), KPD (36), Zentrum (20) und FDP (10), fünf Mitglieder waren parteilos. Am 19.12.1946 ernannte die Militärregierung einen neuen Landtag, in dem nun die CDU mit 92 Sitzen die größte Fraktion stellte, gefolgt von SPD (66), KPD (19), Zentrum (12), FDP (9) sowie zwei parteilosen Abgeordneten, siehe https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/GB_​ II/II.6/Zeitstrahl/_1.EP/index.jsp (Stand 20.3.2020); https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/​ GB_II/II.6/Zeitstrahl/_2.EP/index.jsp (Stand 20.3.2020).

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  199

Aachen, Essen (seit 1957) und Münster. Die evangelische Bevölkerung, die gut 43 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, verteilte sich auf die Evangelische Kirche im Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen  – beide uniert – sowie die vorwiegend reformierte Lippische Landeskirche.415 b)

Erste schulpolitische Positionsbestimmungen der Nachkriegszeit

Bis zur Verabschiedung der Landesverfassung im Jahr 1951 und des auf dieser aufbauenden Schulgesetzes bestand die Rechtsgrundlage des Volksschulwesens in Nordrhein-Westfalen lediglich aus dem preußischen Volksschulunterhaltungs­ gesetz von 1906 sowie der britischen EIGA Nr. 1 von 1946.416 Da sich die britische Militärregierung, wie im vorhergehenden Kapitel ausgeführt, in Sachen Bildungspolitik sehr zurückhielt, hatten die deutschen Zivilbehörden innerhalb dieses rechtlichen Rahmens weitgehenden Gestaltungsspielraum. Die schulpolitischen Positionen der politischen Parteien entsprachen dabei den genannten Ausrichtungen der späteren Bundesparteien: Einer die kirchlichen Schulideale berücksichtigenden CDU standen SPD und FDP mit liberaleren Vorstellungen gegenüber, die gleichfalls bei Weitem nicht so säkularistisch ausgerichtet waren, wie jene der KPD. Anders als im Großteil Westdeutschlands konnte die Zentrumspartei in Nordrhein-Westfalen nach 1945 noch einmal wirklich Fuß fassen und politischen Einfluss ausüben. Das Zentrum kämpfte entschlossen für eine dezidiert katholische Schulgestaltung und eine allgemeine Wiederverchrist­ lichung der Gesellschaft, wobei die Partei dadurch nicht zuletzt versuchte, dem Episkopat angesichts der Konkurrenz mit der CDU ihre Unentbehrlichkeit als politische Repräsentanz der katholischen Kirche aufzuzeigen.417 Es kann davon ausgegangen werden, dass dieses Bemühen wiederum zumin­ dest teilweise ursächlich für die deutlich katholisch geprägte Schulpolitik aufseiten der nordrhein-westfälischen CDU war, die sich in den folgenden Darstellungen zeigt: Beiden Parteien war daran gelegen, jeweils möglichst das gesamte katholische Wählerpotential auf sich zu vereinen. So resümierte etwa Bernhard Bergmann, zu diesem Zeitpunkt Ministerialdirektor im Kultusministerium, dass während die ersten Programmentwürfe der CDU die christliche Simultanschule vorgesehen hatten, die Befürworter des Elternrechts in der Partei die Oberhand gewannen, »nachdem auch der Erzbischof von Köln deutlich sein

415 Die Zahlen entstammen den Ausführungen des nordrhein-westfälischen Kultusministers Schütz »Die Evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen in staatlicher Sicht«, LA NRW, NW 147 Nr. 56, Bl. 155–177, hier S. 2. 416 So Kultusministerin Teusch 1949 vor dem Landtag in Beantwortung einer Kleinen Anfrage der SPD, siehe Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 104. Sitzung (1. WP), 27.7.1949, 2818 f. 417 Vgl. Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 79 f.

200  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Mißfallen über die Schulartikel zum Ausdruck gebracht hatte«.418 Im Rahmen der von der britischen Militäradministration im Jahr 1946 durchgeführten zonenweiten Elternabstimmungen zur Schulform scheint die CDU ebenfalls zunächst keine einheitliche Position gehabt zu haben, trat dann aber für die Bekenntnisschule ein – die Konkurrenz mit dem Zentrum habe der Partei wohl keine andere Wahl gelassen, wie der Kirchenhistoriker Wilhelm Damberg befindet. Damberg zeigt zudem auf, dass diese Haltung wahltaktisch nicht unbegründet war, ergaben die Elternabstimmungen in Westfalen und im Rheinland doch eine deutliche Zustimmung der katholischen Eltern zur konfessionellen Volksschule: Mit 94,87 Prozent etwa im Bistum Münster und immerhin noch durchschnittlich 69 Prozent in den Industriestädten des Rheinlandes lag die Befürwortung der Bekenntnisschule im katholischen Milieu deutlich über dem Anteil regelmäßiger Kirchenbesucher.419 Damit entsprachen die katholischen Eltern dem Werben ihrer Bischöfe für die konfessionelle Schule. Die Haltung der evangelischen Landeskirchen war demgegenüber weniger eindeutig. Trat die westfälische Landeskirche zunächst für die Gemeinschaftsschule ein, änderte sie ihre Meinung unter dem Eindruck des klaren konfessionellen Kurses der katholischen Kirche: Da man fürchtete, an Gemeinschaftsschulen unter katholischen Einfluss zu geraten, setzte die Landeskirche sich schließlich für evangelische Bekenntnisschulen ein. Die Kirchenleitung des Rheinlandes votierte demgegenüber für ein Nebeneinander von konfessionellen und simultanen öffentlichen Volksschulen.420 Die Schulabteilungen bei den Oberpräsidien der Landesteile bzw. seit Sommer 1946 das nordrhein-westfälische Kultusministerium – letzteres zunächst unter dem Zentrumspolitiker Wilhelm Hamacher (1883–1951), ab Dezember 1946 unter dem Christdemokraten Heinrich Konen (1874–1948) – standen von Beginn an in Kontakt mit den Kirchenleitungen und bemühten sich, schulpolitische Entscheidungen im Sinne der Kirchen zu gestalten. So konnte der Kölner Regierungspräsident dem Kölner Erzbischof Kardinal Frings bereits im Juli 1945 mitteilen, dass man bei den britischen Militärbehörden auf eine Wiedereröffnung der Volksschulen nach dem Zustand von vor 1933 gedrängt habe, mit anderen Worten also vorwiegend als Bekenntnisschulen. Unter der Voraussetzung, dass kein Kind aufgrund seiner Religion schulisch benachteiligt werde, hätten die Briten dieser Forderung zugestimmt.421 Ein weiteres zentrales und unmittelbares Anliegen der Kirchen betraf die Wiederaufnahme des Religionsunterrichts. In 418 Bergmann, Bernhard: Beiträge, Dokumente und Materialien zur Geschichte des Nordrhein-Westfälischen Kultusministeriums. Unveröffentlichtes Manuskript, LA NRW, RWN 46 Nr. 27 (Fiche 35–45), hier Bl. 70. 419 Damberg, W.: Säkularisierung des Schulwesens, 638 f. 420 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 81f, 176. 421 Vgl. Schreiben des Kölner Regierungspräsidenten an Frings vom 13.7.1945, AEK , Katholisches Büro NRW I 352.

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  201

diesem Zusammenhang machten etwa die Bistümer Köln und Aachen Bedenken beim Oberpräsidenten der Nord-Rheinprovinz in Düsseldorf hinsichtlich der dort geplanten Regelungen geltend. Aus Kölner Sicht war das Vorhaben, den Religionsunterricht an Berufsschulen dem Ermessen der Gemeinden anheimzustellen ebenso inakzeptabel, wie eine Regelung der Stundenzahl ohne Einvernehmen mit den Kirchenbehörden. Außerdem beharrte der Kölner Erzbischof auf dem bischöflichen Visitationsrecht für den Religionsunterricht.422 Doch nicht nur auf Landesebene, auch im Kontext der Zonenverwaltung wurden die Kirchen aktiv. Für die katholische Kirche bildeten hier die Mitglieder des CDU-Vorstands in der britischen Zone wichtige Ansprechpartner, neben dem Vorsitzenden Konrad Adenauer insbesondere auch die spätere Kultusministerin Christine Teusch (1888–1968). An beide wandte sich beispielsweise der Leiter der Bischöflichen Zentrale für Ordensschulen in Köln, Paul Westhoff, mit der Bitte, sich bei der Militärregierung für eine Förderung des (kirchlichen) Privatschulwesens einzusetzen, und übersandte eine entsprechende Denkschrift. Adenauer und Teusch nahmen sich dieses Anliegens an und bemühten sich unter anderem darum, den Einfluss der reformorientierten niedersächsischen Schulverwaltung auf die Politik der Militärregierung zu begrenzen.423 Im Allgemeinen schien sich auch in Nordrhein-Westfalen die schulpolitische Neuordnung in eine den Kirchen gefällige Richtung zu entwickeln: Kardinal Frings konnte im November 1946 dem Apostolischen Visitator berichten, infolge der zonenweiten Elternabstimmungen zur Schulform hätten »die Besatzungsund deutschen Behörden durchweg loyal den öffentlichen Volksschulen  […] den bekenntnismäßigen Charakter gegeben«. Grund zur Zufriedenheit sah der Kölner Erzbischof dennoch nicht, da er sich – angesichts der kirchlicherseits perzipierten Widerstandsrolle während des Nationalsozialismus – offenbar einen größeren Einfluss der katholischen Kirche erwartet hatte. Abgesehen von der überzeichneten Darstellung des katholischen Widerstandes fällt in dem Schreiben auch die abschätzige Behandlung der anderen, tatsächlich oppositionellen Kräfte während der Diktatur auf: Sozialdemokraten und Kommunisten nennt der Kardinal nur unter der Bezeichnung »antichristliche Elemente« und moniert eine starke Förderung derselben durch die britischen Behörden.424 Neben einem 422 Schreiben Frings an den Oberpräsidenten der Nord-Rheinprovinz vom 31.3.1946, AEK , Dienstakten Böhler 45; vgl. auch Schreiben Müsseners an den Oberpräsidenten der Nord-Rheinprovinz vom 8.2.1946, AEK , Dienstakten Böhler 45. 423 Vgl. Schreiben Westhoffs an Adenauer vom 4.2.1946, LA NRW, RWN 126 Nr. 318 (Fiche 481–485), Bl. 17; Schreiben Westhoffs an Teusch vom 6.3.1946, LA NRW, RWN 126 Nr. 318 (Fiche 481–485), Bl. 48; Schreiben Adenauers an Teusch vom 22.7.1946, LA NRW, RWN 126 Nr. 318 (Fiche 481–485), Bl. 22. 424 Kölner Teilbericht [für Muench] zur Kirchen- und Schulpolitik [ca. 5.11.1946] (Dok. 245/4). In: Helbach, Ulrich (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Westliche Besatzungszonen 1945–1947, Bd. 2. Paderborn, München [u. a.] 2012, 867–869, hier 868.

202  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  sehr hohen Anspruch auf gesellschaftliche Gestaltung offenbart Frings’ Bericht einmal mehr das anfangs äußerst dürftige Verständnis für Pluralismus sowie für die Rechte und Bedürfnisse weltanschaulich divergierender Gruppen. Die politische Konsolidierung des Landes sollte den Einfluss gerade der katholischen Kirche nochmals stärken. Aus der Wahl zum ersten frei gewählten Landtag am 1. März 1947 ging die CDU mit 37,5 Prozent als stärkste Partei hervor, gefolgt von SPD (32 Prozent), KPD (14 Prozent), Zentrum (9,8 Prozent) und FDP (5,9 Prozent). Das Amt des Ministerpräsidenten übernahm der CDU-Politiker Karl Arnold (1901–1958), der, nachdem die FDP ihre Beteiligung an einer Allparteienregierung verweigert hatte, eine Regierungskoalition aus CDU, SPD, KPD und Zentrum bildete.425 Zeitgleich mit Arnolds Amtsantritt im Juni 1947 übergab die britische Militärregierung die Verantwortung für das Bildungswesen an die Länderregierungen ihrer Besatzungszone.426 Zur Leiterin des Kultusministeriums berief Arnold im Dezember 1947 mit Christine Teusch eine Politikerin, die sehr gute Kontakte zu Wilhelm Böhler unterhielt, der nicht nur bei den Bonner Grundgesetzverhandlungen, sondern erst recht in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen die führende Rolle in der politischen Vertretung katho­ lischer Schulforderungen spielte. Böhler saß denn auch als Vertreter der katholischen Kirche in der von Teusch ins Leben gerufenen Landesschulkonferenz, einem Sachverständigengremium, das grundlegende pädagogische Fragen erörterte und in diesem Zusammenhang ein Gutachten erstellte, welches von einem christlich-humanistischen Grundtenor getragen war.427 Diese Richtungsweisung entsprach den Ansichten der Kultusministerin, die stark vom politischen Katholizismus geprägt waren, voll und ganz.428 Auf dem CDU-Parteitag der britischen Zone am 28. und 29. August 1948 in Recklinghausen betonte Teusch die in ihren Augen zentrale Bedeutung der christlichen Kräfte in Nordrhein-Westfalen und führte aus, dass die Kulturpolitik des Landes gemäß den Wünschen der Bevölkerungsmehrheit fest in einer christlichen Tradition verankert sein müsse.429 Dieser Leitlinie sollte die Kultusministerin auch im Rahmen der Arbeit an der Landesverfassung verpflichtet bleiben.

425 Vgl. Brunn, G.: Aufbruch aus Ruinen, 33. 426 Vgl. Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 115. 427 Vgl. Ebd., 118 f. 428 Zu Teuschs schulpolitischen Positionen siehe Zehender, Kathrin: Christine Teusch. Eine politische Biografie. Düsseldorf 2014, 204 f. 429 Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 105.

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  203

c)

Die Entstehung der nordrhein-westfälischen Landesverfassung

Konkrete vorbereitende Arbeiten an der »Verfassung für das Land Nordrhein-​ Westfalen« (Verf NRW) fanden seit dem Jahr 1946 statt. Bereits zu diesem Zeitpunkt befasste sich die katholische Kirche mit der Ausgestaltung der Schulartikel, was Dorothee Buchhaas-Birkholz’ Feststellung berechtigt erscheinen lässt, Vorbereitung und Engagement der Kirche in dieser Frage seien »weit über das Engagement aller anderen Interessenten« – wohl auch der Parteien – hinausgegangen.430 Paul Westhoff sandte Teusch über den Herbst 1946 hinweg drei verschiedene Versionen für die Schulartikel der Verfassung zu, von denen die letzte insgesamt zehn Artikel umfasste. Diese reichten von grundlegenden Bestimmungen wie der Anerkennung des Elternrechts sowie des »eigene[n] Recht[s] der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf einen angemessenen Einfluss bei der Erziehung der Kinder ihres Bekenntnisses« bis hin zu Detailregelungen zum Religionsunterricht.431 Naheliegenderweise enthielt Westhoffs Entwurf dabei so gut wie alle Kernforderungen der katholischen Kirche, insbesondere die Entscheidung der Eltern über die konfessionelle Ausrichtung der Volksschulen, die Zulassung von Bekenntnisschulen auch als einklassige Schulen, den Religionsunterricht nach den Bestimmungen der Kirche(n) an sämtlichen Schulen, das kirchliche Visitationsrecht, die kirchliche Mitgestaltung von Lehrplänen und -büchern für den Religionsunterricht sowie die Privatschulfreiheit. Als im Januar 1947 der erste Verfassungsentwurf dem Landtag vorgelegt wurde, enthielt dieser jedoch lediglich organisatorische Regelungen zum Aufbau der Landesorgane.432 Erst der zweite Entwurf, den SPD -Innenminister Walter Menzel (1901–1963) im Juli 1947 ausarbeitete, enthielt Bestimmungen zum Schulwesen. Entgegen den katholischen Vorstellungen sah Menzel dabei kein Recht der Eltern auf Bestimmung der konfessionellen Ausrichtung der Schule vor; zudem machte er die Errichtung von Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen von einer Mindestgliederung abhängig, um einklassige Schulen zu vermeiden. Böhler, der den Entwurf durch Kultusminister Konen erhalten hatte, hielt Menzels Pläne für »indiskutabel« und auch die evangelischen Landes­ kirchen schlossen sich der Kritik an.433 Um die Position der katholischen Kirche zu unterstreichen, übersandte Kardinal Frings im Namen des nordrhein-westfälischen Episkopats eine Denkschrift 430 Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 128. 431 Schreiben Westhoffs, dem Kontext nach an Teusch, vom 21.11.1946, LA NRW, RWN 126 Nr. 318 (Fiche 481–485), Bl. 37–39, hier Bl. 38. Zu den vorangehenden Entwürfen siehe: Schreiben Westhoffs an Teusch vom 25.9.1946, LA NRW, RWN 126 Nr. 318 (Fiche 481–485), Bl. 40; Schreiben Westhoffs an Teusch vom 3.10.1946, LA NRW, RWN 126 Nr. 318 (Fiche 481–485), Bl. 44. 432 Siehe Menzels Ausführungen vor dem Landtag, Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 117. Sitzung (1. WP), 14.12.1949, 3628. 433 Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 38, vgl. 36–38.

204  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  zur Verfassung an Ministerpräsident Arnold. Darin vertraten die Bischöfe selbstbewusst ihre Vorstellung eines christlichen Nordrhein-Westfalens: Die Präambel der Landesverfassung müsse demnach zum Ausdruck bringen, dass diese »auf der Grundlage des gottgegebenen Rechtes errichtet wird. Es ist auszusprechen, daß Gott der Urheber der Staatsgewalt und der Lenker der Staatsgeschicke ist«.434 Im Anschluss daran legte die Denkschrift detaillierte Forderungen zu den einzelnen Verfassungsbestimmungen vor, wobei auch hier der Abschnitt zur Schule den mit Abstand ausführlichsten darstellte und den gesamten Katalog der einschlägigen schulpolitischen Forderungen wiederholte, von katholischen Schulen für katholische Kinder und der damit verbundenen konfessionellen Lehrerausbildung bis zu den auch von Westhoff geforderten Regelungen zum Religionsunterricht.435 Da auch innerhalb des Kabinetts Kritik an Menzels Verfassungsentwurf aufkam, wurde im September eine neue Entwurfsfassung vorgelegt, die deutlichen Kompromisscharakter trug, indem etwa das Elternrecht einbezogen wurde. Nachdem die Bischöfe abermals mit ihren Forderungen an Arnold herangetreten waren, arbeiteten die der CDU angehörenden Minister des Kabinetts eine Alternative zu Menzels Entwurf aus, in welche sie die kirchlichen Positionen um­fassend einbezogen.436 Prälat Böhler konnte Frings dementsprechend mitteilen, die katholischen Forderungen seien in dieser Version »weitgehend« berücksichtigt worden.437 Die Differenzen in der Regierungskoalition wurden öffentlich manifest, als Innenminister Menzel in Anbetracht der nicht miteinander zu vereinbarenden Standpunkte dem Landtag am 27. November 1947 zwei alternative Verfassungsentwürfe vorlegte: Während der erste auf seinen eigenen Vorstellungen basierte und die christliche Gemeinschaftsschule als Regelschule vorsah, ging der zweite vom umfassenden Elternrecht aus.438 Menzel führte dabei aus, dass der Vorrang der Gemeinschaftsschule für ihn keine weltanschauliche, sondern eine pädagogische Frage darstelle und befand, dass »die Anerkennung des Christentums als der Grundlage unserer abendländischen Kultur und damit unseres Staates und unserer gesamten Jugenderziehung« ausschlaggebend sein müsse.439 Obgleich so offenkundig der Versuch gemacht war, eine vermittelnde Position zu finden, 434 Denkschrift der Bischöfe in Nordrhein-Westfalen zur Verfassung [7.8.1947] (Dok 386). In: Helbach, U. (Bearb.) Akten deutscher Bischöfe 1945–1947, Bd. 2, 1341–1346, hier 1341. 435 Vgl. ebd., 1342–1344. 436 Vgl. Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 40–42. 437 Bericht Böhlers (für Frings) zur Verfassung [2.11.1947] (Dok. 392). In: Helbach, U. (Bearb.) Akten deutscher Bischöfe 1945–1947, Bd. 2, 1355–1357, hier 1356. 438 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 19. Sitzung (1. WP), 27.11.1947, 49; Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 43. 439 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 19. Sitzung (1. WP), 27.11.1947, 56, vgl. 55.

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  205

wollte die CDU sich damit nicht zufrieden geben. Konrad Adenauer warf Menzel vor, die Gewissensbedenken der Befürworter der Bekenntnisschule zu ignorieren, was Redner der SPD wiederum kategorisch bestritten.440 Für das Zentrum vertrat dessen Fraktionsvorsitzender Johannes Brockmann das Wahlrecht der Eltern bei der konfessionellen Ausrichtung der Volksschule.441 Das Regierungslager war somit in der Schulfrage tief gespalten. Seitens der katholischen Kirche legte man in dieser Situation alles daran, CDU und Zentrum auf die eigene Position einzuschwören. Böhler arrangierte ab Frühjahr 1948 zu diesem Zweck Treffen von Kirchenvertretern mit Politikern der beiden Parteien, darunter auch Ministerpräsident Arnold und Christine Teusch, die mittlerweile Heinrich Konen als Kultusministerin nachgefolgt war. Die Zusammenarbeit von CDU und Zentrum wurde dadurch ermöglicht, dass die evangelischen Landeskirchen die katholischen Schulpositionen zu dieser Zeit weitgehend teilten, wenngleich die katholische Kirche in dieser Angelegenheit klar die treibende Kraft darstellte.442 Neben dem unmittelbaren Einsatz für die kirchlichen Schulforderungen im Rahmen der Verfassungsgebung verfolgte Böhler mit den Gesprächstreffen auch die Annäherung von CDU und Zentrum mit dem Ziel der Bildung einer konservativen Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen.443 Im Mai 1948 konstatierte der katholische Verhandlungsführer jedenfalls zufrieden, dass »Übereinstimmung in allen grundsätzlichen und wesentlichen Fragen festgestellt werden« könne.444 Nachdem die nordrhein-westfälischen Verfassungsverhandlungen während der Arbeit des Parlamentarischen Rats im Sommer 1948 unterbrochen worden waren, nahmen sie nach der Verabschiedung des Grundgesetzes erneut an Fahrt auf. Angesichts des für die katholische Kirche nicht zufriedenstellenden Ergebnisses in Bonn waren deren Vertreter in Nordrhein-Westfalen nun erst recht nicht bereit, SPD und FDP gegenüber Konzessionen zu machen.445 So sprach Böhler bei einem Treffen mit führenden Politikern von CDU und Zentrum etwa von notwendigen »Ergänzungen bzw. Klarstellungen des Bonner Grund 440 Ebd., 65f, 76 f. 441 Ebd., 97. 442 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 179f; Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 129; Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 45–47. Die Gespräche mit den kirchennahen Politikern vermittelten dabei mitunter ein vertieftes Verständnis der Demokratie. So konnte etwa der »Studienausschuss für Verfassungsfragen in der Arbeitsgemeinschaft der Katholiken im Lande Nordrhein-Westfalen«, der eine Denkschrift zur Verfassung zirkuliert hatte, überzeugt werden, dass seine Forderung nach einer zweiten, nicht gewählten Parlamentskammer den Funktionsweisen des parlamentarischen Systems nicht angemessen sei, siehe ebd., 48. 443 Vgl. Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 128–130. 444 Böhler an Frings [22.5.1948] (Dok. 61). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 209f, hier 210. 445 So Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 49.

206  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  gesetzes« und forderte, »die Verfassung müsse unsere Forderungen klar zum Ausdruck bringen«.446 Die kompromisslose Haltung angesichts eines für die Demokratie so fundamentalen Projekts wie einer Landesverfassung fällt hier ebenso auf, wie das instrumentelle Verfassungsverständnis. Letztlich nahmen die Kirche und die ihr nahestehenden Parteien bewusst die Exklusion signifikanter Teile der Bevölkerung in Kauf, um bestimmte weltanschauliche Forderungen durchzusetzen, anstatt einen übergreifenden gesellschaftlichen Kompromiss zu erreichen. Ministerpräsident Arnold war demgegenüber zunächst bestrebt, eine Verständigung mit der SPD zu erreichen und arbeitete in diesem Sinne einen neuen Verfassungsentwurf ohne Absprache mit den Kirchen aus. Innenminister Menzel, der an einem eigenen Neuentwurf arbeitete, empfand Arnolds Vorschläge zu den Schulartikel jedoch als inakzeptabel, eine Einschätzung, der sich im Übrigen auch der Vorsitzende der GEW anschloss: Beide sahen den Kirchen zu viele Rechte im Schulwesen zugesprochen.447 Da auf der anderen Seite die katholische Kirche vehement die Vorschläge der SPD ablehnte, konnten sich CDU, SPD und Zentrum nicht auf einen gemeinsamen Verfassungsentwurf einigen.448 Infolgedessen wurde dem Landtag am 14. Dezember 1949 erneut ein Verfassungsentwurf mit alternativen Passagen zu den Schulartikeln vorgelegt. Innenminister Menzel stellte den Abgeordneten die jeweiligen Mehrheits- und Minderheitspositionen des Kabinetts in der Schulfrage dar, wobei erstere den Standpunkt von CDU und Zentrum, letztere den der SPD widerspiegelten. Hinsichtlich des Elternrechts, so Menzel, ging die Mehrheit davon aus, dass der Staat zwar eine Schulpflicht festlegen könne, die Entscheidung über die weltanschauliche Prägung des Unterrichts aber »das natürliche Recht der Eltern [sei], das der Staat nicht beschneiden könne, ohne einen totalitären Übergriff verhängnisvoller Art zu begehen«.449 Die Minderheit erkannte demgegenüber das allgemeine Elternrecht zwar an, stellte dem aber ein Recht des Kindes auf gute Ausbildung entgegen und lehnte aus dieser Position konfessionelle Schulen ab – insbesondere wenn diese in Form ungegliederter Volksschulen auftraten, deren Zulassung die Kabinettsmehrheit forderte. Zudem verlangten CDU und Zentrum, dass in Bekenntnisschulen der gesamte Unterricht konfessionell geprägt sein müsse, nicht nur der Religionsunterricht. In Hinblick auf diesen gab es schließlich Meinungsverschiedenheiten über die Reichweite kirchlicher Kontrollrechte: Die SPD fürchtete hier ein Wiederaufleben der alten geistlichen Schulaufsicht.450 446 Ergebnisprotokoll einer Besprechung über die Verfassung für Nordrhein-Westfalen [4.10.1949] (Dok. 303). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 810–814, hier 811 und 812. 447 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 180–183. 448 Vgl. ebd., 183f; Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 53 f. 449 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 117. Sitzung (1. WP), 14.12.1949, 3631 f. 450 Vgl. ebd., 3632–3636.

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  207

Die darauffolgende Landtagsdebatte verlief ganz entlang dieser Linien: Während Zentrum und CDU sich für die kirchlichen Schulforderungen und darüber hinaus eine weitestmögliche christliche Gestaltung der Verfassung aussprachen – etwa die Aufnahme einer invocatio Dei in die Präambel – betonten SPD und FDP die Bedeutung religiöser Toleranz und verteidigten die christliche Gemeinschaftsschule.451 Angesichts der verhärteten Fronten bemühten sich die Kirchen während der Ausschussphase, ihren Positionen nochmals Nachdruck zu verleihen. Dabei versuchten die evangelischen Landeskirchen des Rheinlands und von Westfalen insbesondere, die evangelischen Abgeordneten über die Parteigrenzen hinweg zu koordinieren und organisierten zu diesem Zweck ein Treffen mit Parlamentariern aus CDU, SPD und FDP. Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Heinrich Held, betonte bei dieser Gelegenheit unter anderem die Relevanz einklassiger Schulen in der Diasporasituation und in ländlichen Gebieten. In Fragen der Aufsicht über den Religionsunterricht adressierte er Bedenken von SPD und FDP, indem er feststellte, die evangelischen Kirchen wollten diese ohnehin nicht durch Geistliche, sondern durch theologisch vorgebildete Lehrkräfte ausüben. Gegenüber der rheinischen Kirchenleitung befand der Leiter der Schulkammer der Evangelischen Kirche im Rheinland, Hellmut Lauffs, in diesem Kontext, eine Kooperation mit der katholischen Kirche bei den Schulforderungen sei zwar nützlich, man müsse aber die Chance zu einer Verständigung mit der SPD nutzen.452 Deutlich weiter ging der unermüdliche Wilhelm Böhler, der einen eigenen Verfassungsentwurf schrieb und diesen den Fraktionen von CDU und Zentrum zukommen ließ. Böhlers Entwurf enthielt nicht weniger als sechs Artikel zum Thema Schule und ging damit über eine konstitutionelle Rahmengesetzgebung weit hinaus. Unter anderem beinhaltete er die Forderungen, die Bekenntnisschule als Regelschule, die Gemeinschaftsschule hingegen als Antragsschule festzulegen, den gesamten Unterricht in Bekenntnisschulen gemäß dem jeweiligen Bekenntnis abzuhalten, die Lehrerbildung konfessionell zu gestalten sowie Privatschulen Subventionen auf ähnlichem Niveau wie die Finanzierung öffent­licher Schulen zukommen zu lassen.453 Des Weiteren umfasste Böhlers Vorschlag auch einen eigenen Abschnitt zu »Religion und Kirche«. CDU und Zentrum brachten diverse Bestandteile dieses Verfassungsentwurfs als Änderungsanträge in die Verhandlungen im Landtag ein.454 Neben den Kontakten zu katholischen Abgeordneten sorgte auch Böhlers beständiger Austausch mit den zuständigen

451 Vgl. ebd., 3681–3703. 452 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 186–188. 453 Vgl. Entwurf Böhlers für die Verfassung von Nordrhein-Westfalen (Dok. 302). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 800–810, hier 804–806. 454 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 192 f.

208  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Referenten im Kultusministerium dafür, dass die Formulierung der Schulartikel sich der kirchlichen Position annäherte.455 Die Positionen der Landtagsfraktionen in der Schulartikelfrage veränderten sich auch in der zweiten und dritten Lesung des Verfassungsentwurfs kaum. Obwohl es in einigen Punkten zu Kompromissen kam, etwa bei den Bildungszielen oder der Gestaltung des Religionsunterrichts, bestand insbesondere in Fragen wie der konfessionellen Ausrichtung der Lehrerbildung oder der bekenntnismäßigen Prägung des gesamten Unterrichts an Bekenntnisschulen weiterhin Uneinigkeit.456 Einen interessanten Aspekt stellt hier die Diskussion über die »christliche Gemeinschaftsschule« dar, die in katholischen Kreisen häufig als Kampfprojekt gegen die Bekenntnisschule wahrgenommen wurde. Während es aus der SPD hieß, die Bezeichnung spiele keine große Rolle, solange die inhaltliche Ausgestaltung – überkonfessionell aber christlich – stimme, beharrte die FDP auf dem Begriff: Der Abgeordnete Friedrich Middelhauve stellte klar, dass das Attribut »christlich« für die Freien Demokraten »Conditio sine qua non« sei und unterstrich dies mit dem Hinweis, auch die Vertreter der evangelischen Kirche wünschten diese Formulierung.457 Es scheint, dass während CDU und Zentrum sich für eine stark katholisch geprägte Schulpolitik einsetzten, die FDP eine Vertretung evangelischer Forderungen für sich in Anspruch nahm – auch um die eigene Position zu stärken. Bei allen Unterschieden in den Details, die zwischen evangelischen und katholischen Vorstellungen zur Schulgestaltung bestanden, konnten Vertreter der Landeskirchen und der Bistümer in einem gemeinsamen Treffen Anfang 1950 doch Übereinstimmung in den zentralen Fragen feststellen, darunter die Anerkennung des umfassenden Elternrechts, die Sicherung des Privatschul­wesens und die Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts.458 Insbesondere plädierten zumindest Teile der evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen ebenfalls für die Ausrichtung des gesamten Unterrichts an Bekenntnisschulen an der jeweiligen kirchlichen Lehre und erachteten auch die Bildung ungegliederter Volksschulen als notwendig an – um in jenen Gebieten, in denen ihr Bekenntnis gegenüber den Katholiken in der Minderheit war, eine evangelische Identität wahren zu können.459 Neben der äußerst intensiven katholischen Lobbyarbeit 455 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 141. 456 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 127. Sitzung (1. WP), 25.4.1950, 4326–4340. 457 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 136. Sitzung (1. WP), 2.6.1950, 4895; vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 128. Sitzung (1. WP), 2.5.1950, 4362 f. 458 »Vertraulicher Bericht über eine Besprechung von Vertretern der Evang. Kirchen des Landes Nordrhein-Westfalen mit Vertretern des Erzbistums Köln und des Erzbistums Aachen am 26. Januar 1950«, LA NRW, RW 0130 Nr. 8, hier 2 f. 459 Vgl. dazu Schulkammer der Evangelischen Kirche von Westfalen: Denkschrift zur Schulreform, Bielefeld 1949, LA NRW, RWN 46 Nr. 15; Protokoll über ein Treffen von Vertretern

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  209

trug auch dieses zwischenkirchliche Einverständnis dazu bei, dass die Abgeordneten von CDU und Zentrum die Übernahme der wichtigsten kirchlichen Schulforderungen in die Änderungsvorschläge des Kulturausschusses zu den Schulartikeln durchsetzten.460 So führte die abschließende Version von Art. 12 der Landesverfassung Volksschulen als Bekenntnis-, Gemeinschafts-, oder Weltanschauungsschulen auf (Art. 12 I) und spezifizierte diese Schulformen dahingehend, dass in Bekenntnisschulen Unterricht im Sinne des Bekenntnisses und in Gemeinschaftsschulen »auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte« zu erteilen sei (Art. 12 II). Entsprechende Schulen waren auf Antrag der Eltern einzurichten, womit das Elternrecht verfassungsrechtlich verankert wurde. In diesem Zusammenhang sollten auch ungeteilte Schulen als »geordneter Schulbetrieb« gelten (Art. 12 III). Abschließend verfügte Art. 12, dass eingesetzte Lehrkräfte die dem Charakter der jeweiligen Schulart entsprechende Voraussetzungen mitzubringen hätten (Art. 12 IV).461 Während die Verfassung somit formell keine Regelschule benannte, war faktisch die Stellung der Bekenntnisschule enorm gestärkt, insbesondere durch die Absicherung auch ungeteilter konfessioneller Schulen in Verbindung mit der Anerkennung des Elternrechts:462 Es konnte davon ausgegangen werden, dass kirchentreue Eltern – unterstützt durch die Kirchen – entsprechende Anträge stellen würden. Für CDU und Zentrum bedeutete das Vertreten der kirchlichen Forderungen im Landtag mehr als nur wahltaktisches Agieren – wenngleich dies natürlich relevant war –, es ging auch um das Ziel einer Rechristianisierung der Gesellschaft. Da sowohl SPD als auch FDP und KPD diese Zielsetzung nicht teilten, nahmen die schulpolitischen Differenzen den Charakter eines grundsätzlichen Richtungsstreits an.463 Dementsprechend versuchten jene Kräfte innerhalb des Regierungslagers, die ein Bündnis aus CDU und SPD ablehnten – auf Seite der Union etwa Konrad Adenauer –, den Streit um die Schulartikel als Hebel zum Aufbrechen der Koalition zu nutzen.464 In der Tat muss diese Meinungsverschiedenheit als ausschlaggebend dafür angesehen werden, dass die Sozial­demokraten in der Schlussabstimmung letztlich gegen die Verfassung stimmten, nachdem der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelischen Kirche im Rheinland mit evangelischen MdL und anderen evangelischen Persönlichkeiten am 14.2.1950 [ohne Überschrift], LA NRW, RW 0130 Nr. 8. 460 Vgl. dazu auch »Empfehlungen des Kulturausschusses für die Formulierung der Verfassungsartikel des 4. Abschnittes«, 14.2.1950, AEK , Katholisches Büro NRW I 276. 461 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, GV. NRW 28/1950 (10.7.1950); zum Abdruck von Art. 12 Verf NRW siehe auch Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 374. 462 Siehe dazu auch Zehender, K.: Christine Teusch, 183, wo festgestellt wird, Art. 12 habe »im katholisch geprägten Nordrhein-Westfalen […] eine nur formale Gleichberechtigung« bedeutet. Vgl. zudem ebd., 184–186. 463 Vgl. Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 62. 464 Vgl. Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 126 f.

210  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  CDU und Zentrum ihre Position in der Schulfrage durchgesetzt hatten: Die

Schulartikel allein blieben grundlegend umstritten in einem ansonsten von einem »hohen Maß an gegenseitiger Verständigung« gekennzeichneten Verfassungsgebungsprozess.465 FDP und KPD lehnten den fertigen Verfassungsentwurf ebenfalls ab, während CDU und Zentrum dafür votierten und gemeinsam die Verfassung mit einer knappen Mehrheit verabschiedeten. Da die Landesverfassung zeitgleich mit der Landtagswahl am 18. Juni 1950 den nordrhein-westfälischen Bürgerinnen und Bürgern zur Abstimmung vorgelegt werden sollte, entspann sich infolge dieses Ergebnisses ein hoch polarisierter Wahlkampf. SPD, FDP und KPD warben für eine Ablehnung der Verfassung, CDU und Zentrum hingegen für die Annahme. Dabei konnten sie auf die Unterstützung der Kirchen zählen. Insbesondere die katholische Kirche war mit dem Ergebnis sehr zufrieden und mobilisierte die eigenen Mitglieder intensiv mittels Hirtenbriefen, Flugblättern und Wahlaufrufen sowohl für die Volksabstimmung als auch für die Landtagswahl, bei der man SPD und FDP für ihre Gegnerschaft zu den Schulartikeln abzustrafen hoffte.466 Ein Hirtenwort der nordrhein-westfälischen Bischöfe etwa attestierte der Verfassung, dass in ihr »christlicher Geist lebendig« sei, und rief die Katholiken folglich zur Bejahung des Entwurfs auf.467 Wilhelm Böhler resümierte die Bedeutung des Vorgangs aus Sicht der katho­ lischen Kirche eindrücklich mit den Worten: »Der Streit um die Verfassung war zuletzt mit aller Deutlichkeit […] zutiefst ein Streit um echte und wahre Gewissensfreiheit, ein Streit um die christlichen Grundlagen unseres Volkes«.468 Während Böhler gegenüber dem Apostolischen Nuntius von einer »wirklich gute[n] Verfassung«469 sprach, fiel die Einschätzung auf evangelischer Seite deutlich zurückhaltender aus. So erklärte Präses Held von der Evangelischen Kirche im Rheinland, man habe sich sowohl für die Bekenntnisschule als auch für die christliche Gemeinschaftsschule eingesetzt, wobei man bezüglich ersterer mit der CDU, bei letzterer aber mit SPD und FDP eine Übereinstimmung erreicht habe. Das Ja zur Verfassung bedeute daher keine Bindung an CDU oder Zentrum. Viele Kirchenmitglieder sahen dies offenbar ähnlich: Als die Landeskirchen Westfalens und des Rheinlands ihren Mitgliedern die Zustimmung zur Verfassung empfahlen, veröffentlichten zahlreiche prominente Protestanten und Pfarrer eine Stellungnahme, in denen sie ihre Kirchen zu parteipolitischer Neutralität aufriefen. Im nordrhein-westfälischen Protestantismus bestand offenkundig keine eindeutige CDU-Bindung, was sich auch damit erklären lässt, 465 Damberg, W.: Säkularisierung des Schulwesens, 639. 466 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 195. 467 Hirtenwort der nordrhein-westfälischen Bischöfe zur Abstimmung über die Verfassung und zur Landtagswahl [6.6.1950] (Dok. 31). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1950–1955, 136–139, hier 137. 468 Zit. nach Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 62. 469 Zit. nach Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 197.

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  211

dass die Protestanten sich innerhalb der Partei gerade in Schulfragen nicht gegen die katholischen Positionen durchsetzen konnten.470 Als am 18. Juni 1950 der zur Abstimmung stehende Verfassungsentwurf mit 57 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommen wurde, war dieses Ergebnis somit ganz offensichtlich auch ein Erfolg der katholischen Mobilisierung. Zwar mag Kardinal Frings’ euphorische Feststellung, die Verfassung sei mit »überwältigender Mehrheit« angenommen worden, in Anbetracht sowohl der knappen Landtagsmehrheit als auch des wenig beeindruckenden Ergebnisses des Volksentscheids etwas irritieren – zumal wenn man bedenkt, dass Frings dem Parlamentarischen Rat aufgrund der dort herrschenden Mehrheitsverhältnisse noch die Legitimation aberkannt hatte.471 Trotz dieses noch ambivalenten Demo­ kratieverständnisses ist aber mit Burkhard van Schewick anzuerkennen, dass die kirchliche Werbung für den Volksentscheid dazu beitrug, »das allgemein verbreitete Desinteresse bei den katholischen Wahlberechtigten zu überwinden und sie zu einer positiven Einstellung zu den öffentlichen Angelegenheiten zu führen«.472 Tatsächlich erscheint angesichts der katholischen Beteiligung an der Abstimmung ein Zusammenhang zwischen demokratischer Partizipation und Bejahung der Verfassung durch das Kirchenvolk einerseits und den Vorgaben der kirchlichen Autoritäten andererseits sehr plausibel. Da die Haltung der Bischöfe aber ihrerseits klar durch die kooperative Politik der konservativen Parteien beeinflusst war, zeigt sich die demokratiestärkende Tendenz dieser Governance for Religions. Bedenkt man dabei, dass sich kirchliche Forderungen, wie van Schewick betont, nur dann politisch durchsetzen ließen, wenn sie auf Resonanzen innerhalb der Parteien stießen,473 lässt sich nicht nur konstatieren, dass CDU und Zentrum kirchenfreundlich agierten, sondern vielmehr auch, dass sie ihre konservative Programmatik mit Hilfe der Kirchen gegen die übrigen Parteien durchsetzten. Es liegt also ein Fall von Autoritätssymbiose vor, die sich indes nicht nur auf bestimmte Parteien bezog: Mit dem Eintreten der Kirchen für die Landesverfassung wurde die Grundlage politischer Autorität des Landes Nordrhein-Westfalen gleichsam religiös sanktioniert. d)

Das Erste Gesetz zur Ordnung des Schulwesens

Um die bestehenden schulpolitischen Differenzen zum Koalitionspartner SPD zu befördern und einen Bruch der Koalition herbeizuführen, forderte eine Gruppe von CDU-Abgeordneten die Landesregierung noch während der Verfassungs 470 Vgl. dazu ebd., 195–197. 471 Zit. nach Bischöfliche Arbeitsstelle für Schule und Erziehung: Katholische Stimmen. In: Dies., Zum Schulgesetzentwurf in Nordrhein-Westfalen 1951. Köln 1951, 56–66, hier 56, LA NRW, RW 0130 Nr. 9; vgl. auch Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 80 f. 472 Ebd., 63. 473 Vgl. ebd., 57.

212  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  verhandlungen auf, einen Entwurf für ein Schulgesetz vorzulegen. Konrad Adenauer, der ebenfalls ein Ende der Zusammenarbeit mit der SPD in NordrheinWestfalen wünschte, unterstütze die Initiative und übte entsprechenden Druck auf Kultusministerin Teusch aus. Diese vertrat jedoch den Standpunkt, man könne vor Verabschiedung der Verfassung eigentlich kein Schulgesetz ausarbeiten. Gleichzeitig versuchte Teusch zudem, einen ihr inhaltlich nicht genehmen Schulgesetzentwurf eines parteiinternen Konkurrenten abzuwehren, der die Gelegenheit nutzte, seine eigenen Positionen in die Debatte einzubringen. Es gelang der Kultusministerin in dieser Situation, sich die Unterstützung Böhlers zu sichern: Obwohl dieser den beiden Initiativen gegenüber nicht abgeneigt war, schien ihm eine Stärkung Teuschs doch eher im Sinne der katholischen Interessen zu sein, weshalb er den Vorstößen eine Absage erteilte.474 Nachdem sich daraufhin »einflußreiche katholische Vertreter«, wie es bei Klaus-Peter Eich heißt, offen gegen den mit Teuschs Plänen konkurrierenden Gesetzentwurf ausgesprochen hatten, verschwand er schnell aus der öffentlichen Debatte.475 Dieser Vorgang verdeutlicht nicht nur einmal mehr die Veto-Macht der katholischen Kirche zu dieser Zeit, sondern veranschaulicht auch, wie die Verbindungen zu kirchlichen Kreisen mitunter im Rahmen innerparteilicher Auseinanderset­ zungen genutzt wurden. Böhlers Vertrauen in Teusch erwies sich jedenfalls als begründet, denn die Kultusministerin schenkte den Vorstellungen der katholischen Kirche hohe Aufmerksamkeit. So konnte Paul Westhoff, Leiter der Bischöflichen Zentrale für Ordensschulen, für den ersten Schulgesetzentwurf, den Teusch im Mai 1950 dem Kabinett vorlegte, Formulierungen zum Abschnitt über Privatschulen einbringen.476 Böhler selbst war ohnehin in die Ausarbeitungen eingebunden, was schon allein dadurch sichergestellt wurde, dass Teusch den Entwurf unter Umgehung des eigentlich zuständigen sozialdemokratischen – und protestantischen – Referenten im Kultusministerium federführend durch MDirig Bernhard Bergmann ausarbeiten ließ, den Schwager Böhlers.477 Ein solch kirchennahes Schulgesetz hätten die Sozialdemokraten als Koalitionspartner allerdings nicht mitgetragen, wie die Diskussionen über die Verfassung zeigten. Insofern wurde der Weg für eine betont christliche und kirchennahe Bildungspolitik erst frei, als Arnold nach der zeitgleich mit dem Verfassungsreferendum abgehaltenen Landtagswahl vom 18. Juni 1950 die bisherige Koalition nicht länger fortführte. Stattdessen koalierte die CDU, die mit 36,9 Prozent der Stimmen stärkste Kraft vor SPD (32,3 Prozent) 474 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 197–199 sowie 203–207; Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 122–124. 475 Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 214. 476 Vgl. ebd., 201–203. 477 Vgl. Äußerungen MdL Kühns im Landtag, Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenogra­ fischer Bericht der 17. Sitzung (2. WP), 13.3.1951, 539; Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 215 f.

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und FDP (12,1 Prozent) geworden war, diesmal allein mit dem Zentrum, obgleich dieses mit 7,5 Prozent der Stimmen nurmehr die zweitschwächste Fraktion stellte – nur die KPD erreichte mit 5,5 Prozent weniger Stimmen. Am 13. März 1951 brachte die neue CDU-Zentrums-Regierung ihren Entwurf für das »Erste Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen« (Schulordnungsgesetz, SchOG) im Landtag ein. Der Text beinhaltete eine ganze Reihe religionspolitisch relevanter Bestimmungen, von denen im Folgenden die wichtigsten genannt seien.478 Für den Volksschulbereich waren drei Schultypen vorgesehen, Bekenntnis-, Gemeinschafts- und Weltanschauungsschulen, wobei auf die Nennung einer Regelschule verzichtet wurde (§ 16). Während der Entwurf vorsah, dass in Bekenntnisschulen nicht nur der Lehrkörper dem entsprechenden Bekenntnis anzugehören habe (§ 17 II), sondern auch der gesamte Unterricht im Geiste des Bekenntnisses abzuhalten sei (§ 17 I), sollte in Gemeinschaftsschulen »auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte« unterrichtet werden (§ 19 I). Damit war der in der katholischen Kirche kritisch beäugte Begriff der »christlichen Gemeinschaftsschule« vermieden, das Modell der Sache nach aber durchaus aufgenommen worden, was unter anderem evangelischen Interessen entsprach. Um die kirchliche Elternrechtsforderung zu erfüllen, sollten neue Schulen auf Antrag der betroffenen Erziehungsberechtigten mit sehr niedrigen Hürden errichtet werden können; dabei erfüllten grundsätzlich auch ungegliederte Schulen das Kriterium des »geordneten Schulbetriebs« (§§ 22–24). Der Religionsunterricht wurde als »ordentliches Lehrfach an allen allgemeinbildenden Schulen und an allen Schulen, durch deren Besuch der Schulpflicht genügt wird« festgelegt (§ 29 I), in Fach- und Berufsschulen sollte er auf Antrag von mindestens zwölf Schülern eingerichtet werden (§ 29 II) und ab derselben Anzahl von Schulkindern auch als Religionsunterricht für konfessionelle Minderheiten an Schulen eines anderen Bekenntnisses (§ 34). Inhaltlich hatte er in Übereinstimmung mit den Lehren der Religionsgemeinschaften zu erfolgen, weshalb Lehrpläne und Lehrbücher im Einvernehmen mit diesen zu entwickeln seien (§ 31 I). Von der korrekten Ausführung dieser Bestimmungen sollten sich Beauftragte der Religionsgemeinschaften durch Einsichtnahme in den Religionsunterricht vergewissern können (§ 31 II). Wohl in Antizipation von Einwänden der Opposition gegen diese Regelung hieß es im Begründungstext dazu, diese Einsichtnahme stelle kein Aufsichtsrecht da und niemand denke an eine Wiedereinführung der geistlichen Schulaufsicht.479 Für die Kirchen dürfte 478 Vgl. dazu und im Folgenden: Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 2/190, Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen, 10.2.1951. Im zeitgenössischen Sprachgebrauch wurde häufig schlicht vom »Schulgesetz« (SchG) gesprochen, siehe beispielsweise die Vorgänge in LA NRW, NW 383 Nr. 23 und Nr. 24. Im Folgenden wird jedoch die amtliche Bezeichnung »Schulordnungsgesetz« (SchOG) verwendet. 479 Vgl. ebd., 19.

214  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  auch eine Bestimmung zum Privatschulwesen bedeutsam gewesen sein, wonach Privatschulen, die als Ersatzschulen gelten, »Anspruch auf die zur Durchführung ihrer Aufgaben und zur Erfüllung ihrer Pflichten erforderlichen öffentlichen Zuschüsse« haben sollten (§ 41). Angesichts dieser den kirchlichen Vorstellungen weit entgegenkommenden Regelungen ist es vielleicht wenig verwunderlich, wenn in der Gesetzesbegründung die »religiös-sittliche[n] Erneuerung des Volkes« als ein Ziel des Schulwesens genannt wurde.480 Ebendiesen Zweck schrieb auch der CDU-Abgeordnete Josef Hofmann (1897–1973), Vorsitzender des Kulturausschusses, in der Plenardebatte zur ersten Lesung dem Entwurf zu: »Im Zeitalter des weltanschaulichen Pluralismus kann der Staat immerhin das eine tun: den christlichen Kräften Wirkmöglichkeiten schaffen. Und das ist es, was wir auf dem Schulgebiete verlangen und was die Verfassung besagt.«481 Demgegenüber kritisierten die Oppositionsfraktionen den Entwurf scharf. Der SPD-Abgeordnete und spätere Ministerpräsident Heinz Kühn (1912–1992) sorgte sich, es werde »künftig im Lande Nordrhein-Westfalen keine konfessionslosen Lehrer mehr geben« und befürchtete »eine Art kirchlicher Lehrerbegutachtung«, die letztlich auf eine geistliche Schulaufsicht hinausliefe.482 Die Zukunft der Gemeinschaftsschule sah Kühn durch den Entwurf zudem ernstlich gefährdet. Alles in allem befand er, dem Gesetzentwurf fehle es an Toleranz und Sicherung der Gewissensfreiheit, weshalb seine Partei darin »ein Dokument der Gegenreformation« sehe.483 In dieselbe Richtung ging die Kritik der FDP. MdL Middelhauve verteidigte für die Freien Demokraten das Prinzip der christlichen Gemeinschaftsschule, die er durch den Entwurf bedroht sah. Aus seiner Sicht versuchte das Gesetz, den gesamten Unterricht zu konfessionalisieren, weshalb er Gewissenszwang als einen Paten des Vorhabens identifizierte.484 Auf Seiten der katholischen Kirche fand der Entwurf hingegen Anerkennung und die nordrhein-westfälischen Bischöfe äußerten sich in einem gemeinsamen Hirtenwort lobend über ihn.485 Dennoch betrieben die katholischen Vertreter auch nach der ersten Lesung mit hoher Aktivität die Übernahme weiterer Positionen in den Gesetzgebungsprozess, wobei Wilhelm Böhler stets die lenkende Instanz blieb. So organisierte der katholische Verhandlungsführer Treffen von Kirchenvertretern, katholischen Laien und Abgeordneten, Vertretern der katholischen Lehrerverbände sowie Kultusministerin Teusch und MDirig Bergmann, um sämtliche Unterstützerkreise des Entwurfs zu koordinieren. Zudem wurde 480 Ebd., 11. 481 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 17.  Sitzung (2. WP), 13.3.1951, 534. 482 Ebd., 542. 483 Ebd., 545, vgl. 544. 484 Vgl. ebd., 551, 555 f. 485 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 224.

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unter Böhlers Ägide der »Bund für katholische Schule und Erziehung« gegründet, der in Hinsicht auf Schulfragen als Sprachrohr der Katholikenausschüsse in den Diözesen diente, aber eng an die Amtskirche gebunden war. Schließlich arbeitete Böhler in Zusammenarbeit mit Teusch, Bergmann und dem Kulturausschussvorsitzenden Hofmann neue Entwürfe für als ungenügend empfundene Punkte des Gesetzentwurfs aus, begleitet von Pressmeldungen, Hirtenbriefen und anderen Formen der Öffentlichkeitsarbeit, um der katholischen Position Nachdruck zu verleihen.486 Zu den zusätzlichen Forderungen der katholischen Kirche zählten unter anderem der strikte Ausschluss »dissidentischer« Lehrer von Bekenntnisschulen sowie das Recht der konfessionellen Mehrheit an Bekenntnisschulen, für eine etwaige Bekenntnisminderheit die Einrichtung einer eigenen Schule zu fordern, wenn die Erziehungsberechtigten der betreffenden Schulkinder diesen Schritt mit der Absicht verweigerten, die Entstehung einer ungegliederten Schule für ihre Kinder zu vermeiden.487 Gerade dies waren aber Konfliktpunkte mit den evangelischen Landeskirchen. Hinsichtlich solcher Problemfragen ist es bezeichnend, wenn Dorothee Buchhaas-Birkholz feststellt, dass involvierte Politiker wie Hofmann, der sich im Kulturausschuss um eine Kompromissfindung zwischen den Fraktionen bemühte, lieber mit Böhler arbeitete, als etwa mit dem in Schulfragen ebenfalls sehr engagierten Münsteraner Generalvikar Pohlschneider: Während letzterer auch später als Bischof von Aachen oft durch seine Kom­promisslosigkeit auffiel, versuchte Böhler zwar möglichst viele der katholischen Forderungen durchzusetzen, war aber gerade hinsichtlich der protestantischen Anliegen diplomatischer und konzessionsbereiter.488 Hier lässt sich ein möglicher Mechanismus der Ausbildung religiöser Liberalität ausmachen: Wenn relevante politische Akteure kompromissbereite religiöse Akteure als Ansprechpartner bevorzugten, so müssen letztere Kompromissbereitschaft als Voraussetzung der Durchsetzung ihrer Interessen erfahren haben. Erwächst aus dieser pragmatischen Haltung eine genuine Anerkennung des herrschenden Pluralismus politischer oder auch religiöser Positionen – wie es gerade in der Beziehung von katholischer und evangelischer Kirche durchaus konstatiert werden kann – so bedeutet dies eine echte politische Liberalisierung. Gegenüber der katholischen Bewertung des Entwurfs für das Schulordnungsgesetz fiel die evangelische Einschätzung ambivalent aus: Ungeachtet mancher Kompromissversuche bestanden zwischen den beiden Konfessionen noch einige grundlegende Differenzen in Schulangelegenheiten, zudem gab es auch innerprotestantische Meinungsverschiedenheiten. So lehnte etwa Oskar Hammelsbeck, der Leiter der Schulkammer der Evangelischen Kirche im Rheinland, in 486 Vgl. ebd., 221; Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 156–159. 487 Vgl. ebd., 162 f. 488 Vgl. ebd., 160 f.

216  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  seiner Denkschrift »Gemeinschaftsschule auf christlicher Grundlage« wichtige Teile des Entwurfs ab – worin er von Präses Held unterstützt wurde – und lobte das Engagement der SPD für die christliche Gemeinschaftsschule. Von dieser bekenntnisschulkritischen Position distanzierte sich wiederum das Katechetische Amt der Evangelischen Kirche von Westfalen. Auch in der westfälischen Landeskirche sah man allerdings die stark katholisch geprägten Bestimmungen des Entwurfs mit Skepsis, wonach etwa an Bekenntnisschulen der gesamte Unterricht gemäß dem Bekenntnis erfolgen sollte (§ 17 I) oder Lehrer vom konfessionellen Standpunkt »geeignet« sein müssten (§ 17 II). Wichtig war den evangelischen Kirchen vielmehr der Schutz konfessioneller Minderheiten an Bekenntnisschulen: Diese sollten eigene Lehrkräfte erhalten.489 In der Frage konfessionsfremder Lehrkräfte und Schüler an Bekenntnisschulen bestanden auch innerhalb der CDU Spannungen zwischen protestantischen und katholischen Kreisen. Angesichts der Durchsetzung zahlreicher katholischer Forderungen bemühten sich evangelische CDU-Abgeordnete hier besonders um die Berücksichtigung der Positionen ihrer Kirche. So wurde unter anderem die Institution des Minderheitenlehrers bei mindestens zwölf Schülerinnen und Schülern einer Bekenntnisminderheit verankert – im Gegenzug aber auch der bereits genannten katholischen Forderung stattgegeben, wonach von Amts wegen die Einrichtung einer eigenständigen Schule für hinreichend große Bekenntnisminderheiten zu überprüfen sei.490 Eine weitere protestantische Forderung, die letztlich übernommen wurde, war eine Ausnahmeregelung für bereits im Schuldienst stehende, aus der Kirche ausgetretene evangelische Lehrer, die bei persönlicher Eignung weiterhin an evangelischen Schulen beschäftigt werden konnten.491 Dass im Falle konfessioneller Fragen Bündnisse mitunter auch über die Grenzen von Regierungs- und Oppositionslager hinweg geschlossen wurden, zeigt die Unterstützung eines SPD-Antrags durch die evangelischen Abgeordneten der CDU, wonach die Übernahme des Religionsunterrichts durch Lehrer freiwillig zu erfolgen habe.492 Solche Interessengemeinschaften zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien zur Durchsetzung bestimmter Anliegen waren indes selten. Zwar be­mühten sich verschiedene schulpolitische Experten auf beiden Seiten um Verständigung, im Großen und Ganzen blieben die Fronten jedoch verhärtet und in den zentralen Streitpunkten konnte keine Verständigung zwischen CDU und Zentrum auf der einen sowie SPD und FDP auf der anderen Seite erzielt wer 489 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 224 f. 490 Vgl. Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 149, 152.; siehe auch »Erstes Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen« vom 8.4.1952, LA NRW, NW 383 Nr. 24, Bl. 234–246, hier § 22 II. 491 Vgl. ebd., § 47. 492 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 45. Sitzung (2. WP), 11.3.1952, 1690.

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den.493 Der SPD-Abgeordnete Kühn warf den Regierungsparteien daher in der 2. Lesung der Gesetzesvorlage vor, sie würden mit ihrem Vorgehen das Prinzip der Konfessionalität über das der Wissensvermittlung stellen. Kühn formulierte dies mit Blick sowohl auf das Modell der ungegliederten Volksschule, welches seine Partei ablehnte, CDU und Zentrum aber aus Gründen des Elternrechts verteidigten, als auch auf die Behandlung von Bekenntnisminderheiten. Diese, so Kühn, existierten in 80 Prozent der evangelischen und über 72 Prozent der katholischen Schulen und um sie nicht zu majorisieren und »einem zwangsläufig missionierenden Unterricht« auszusetzen, bedürfe es Lehrer des entsprechenden Bekenntnisses, die auch anderen Unterricht als Religionsunterricht geben: »Der Schutz der Minderheit ist unseres Erachtens das oberste Gesetz der Demokratie«.494 Kultusministerin Teusch erwiderte auf Kühns Vorwürfe, es könne wohl kaum eine demokratischere Regelung geben als jene, wonach die Eltern die weltanschauliche Form der Schule bestimmten.495 Abermals scheint hier ein äußerst formalistisches Demokratieverständnis auf, welches sich auch bei Exponenten der katholischen Kirche in jener Zeit häufig fand und demzufolge Mehrheitsentscheide höheren Stellenwert genossen als Minderheitenschutz – zumal, wenn sie das gewünschte Ergebnis zeitigten. Für Verstimmung sorgte auch das Thema der christlichen Gemeinschaftsschule, die von SPD und FDP nach wie vor als Regelschulform gefordert wurde. Hiergegen wurde seitens der CDU der Vorwurf erhoben, vielen Verfechtern dieser Schulform diene das »christlich« nur als Aushängeschild, stehe aber nicht für eine Überzeugung.496 Diese Meinung wurde auch im katholischen Episkopat vertreten; so hatte unter anderem der Münsteraner Bischof Keller öffentlich behauptet, die Rede von der christlichen Gemeinschaftsschule sei ein »Lockmittel« um Anhänger der Bekenntnisschule zu ködern  – eine Aussage, welcher der FDP-Abgeordnete Middelhauve vehement widersprach.497 FPD und SPD stellten ihre Forderungen nicht aus Opportunismus, so Middelhauve, »sondern aus der Verbundenheit zu dem reformatorischen Aufbruch des Christentums, den wir in der Gegenwart erleben«.498 Diesen Standpunkt unterstrich auch der SPD-­ Abgeordnete und spätere Kultusminister Fritz Holthoff (1915–2006), indem er darlegte, die SPD habe sich in ihren Änderungsvorschlägen zum Religionsunterricht von Thesen der evangelischen Kirche zur Schulfrage beeinflussen lassen,

493 Vgl. dazu die Ausführungen MdL Middelhauves in der 2. Lesung des Gesetzentwurfs, Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 44. Sitzung (2. WP), 10.3.1952, 1634 f. 494 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 45. Sitzung (2. WP), 11.3.1952, 1668, vgl. 1666 f. 495 Ebd., 1672, vgl. 1674. 496 So etwa der Abgeordnete Molis (CDU), ebd., 1663. 497 Zit. nach ebd., 1677. 498 Ebd., 1700.

218  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  die diese im Jahr 1950 zusammen mit Vertretern der GEW erarbeitet hatte.499 Ob die Betonung des Christlichen gerade für die Sozialdemokraten tatsächlich gänzlich unopportunistisch war, sei dahingestellt. Sicher ist jedoch, dass SPD und FDP in zahlreichen Forderungen explizit protestantische Positionen vertraten, was, wie oben bereits angeklungen, in evangelischen Kreisen durchaus wohlwollend aufgenommen wurde. Aufgrund dieser Übereinstimmungen bemühten sich SPD und FDP – unterstützt von den nichtkatholischen Lehrerverbänden –, die evangelischen Landeskirchen, insbesondere den rheinischen Präses Held, zum Einsatz für die christliche Gemeinschaftsschule zu bewegen. Helds Versuche, entsprechenden Einfluss auf die CDU auszuüben, blieben jedoch letztlich erfolglos, was insbesondere einer deutlich besseren Vernetzung der katholischen Kirche zuzuschreiben sein dürfte: Wilhelm Böhlers enge Kontakte mit Kultusministerin Teusch, MDirig Bergmann und dem Kulturausschussvorsitzenden Hofmann ermöglichten es, mit politischen Schlüsselakteuren einen Konsens über katholische Anliegen zu erreichen, noch bevor andere Interessengruppen ihren Einfluss geltend machen konnten. Die Bereitschaft der CDU, katholische Positionen gegenüber evangelischen deutlich schwerer zu gewichten, dürfte dabei zusätzlich durch die Konkurrenzsituation mit dem Zentrum befördert worden sein, welches sich stets als besserer Wahrer katholischer Interessen zu profilieren versuchte.500 Im Ergebnis lehnten CDU und Zentrum den überwiegenden Teil der oppositionellen Änderungsanträge konsequent ab, so dass im fertigen Gesetz, das am 2. April 1952 lediglich mit den Stimmen der Regierungsparteien und gegen das geschlossene Votum der Opposition verabschiedet wurde, eine katholische Prägung klar zum Ausdruck kam. So bestimmt das Schulordnungsgesetz in § 17 I zwar, wie bereits angesprochen, die Volksschulen des Landes als »Bekenntnisschulen, Gemeinschaftsschulen oder Weltanschauungsschulen«, ohne dabei eine Regelschule zu benennen.501 Für die Ausführungsbestimmungen dieses Paragrafen sah die Kultusministerin allerdings vor, dass sich die Schulbezirke der Gemeinschaftsschulen nur auf jene Schulkinder im Bezirk erstrecken, die für diese Schulen angemeldet wurden, während die Schulbezirke der Bekenntnisschulen grundsätzlich alle Kinder des entsprechenden Bekenntnisses umfassen.502 Nach dem Willen der zuständigen Ministerin sollte die Bekenntnisschule also in der 499 Ebd., 1695. Zu den »Rengsdorfer Thesen«, bei denen Kirchen- und Lehrervertreter gegenseitig wichtige Anliegen zur religiösen Erziehung anerkannten, siehe Zocher, Peter: Edo Osterloh – Vom Theologen zum christlichen Politiker. Eine Fallstudie zum Verhältnis von Theologie und Politik im 20. Jahrhundert. Göttingen 2007, 255 f. 500 Vgl. Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 174–176, 295 f. 501 Siehe hierzu und im Folgenden: Erstes Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen vom 8. April 1952, GV. NRW. 16/1952 (19.4.1952). 502 Vgl. Schreiben Teuschs an die nordrhein-westfälischen Regierungspräsidenten vom 14.8.1952, LA NRW, NW 383 Nr. 24, Bl. 192–198, hier S. 10 f.

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Praxis durchaus die Regelschule darstellen. In den konfessionellen Schulen war zudem der Unterricht entsprechend den katholischen Schulvorstellungen gemäß dem jeweiligen Bekenntnis zu erteilen (§ 18 I 2). Wie dabei mit Bekenntnisminderheiten umzugehen war, bestimmte § 22, an dessen Formulierung Böhler mitgewirkt hatte. Während § 22 I konfessionellen Minderheiten den Besuch einer von ihnen gewünschten Schule im Nachbarort gestattete  – ein Zugeständnis wohl weniger an die Opposition als an die Protestanten –, sah § 22 II die von katholischer Seite explizit geforderte Regelung vor, dass ab einer bestimmten Größe der Bekenntnisminderheit der Wille der Erziehungsberechtigten hinsichtlich der Errichtung einer eigenen Schule »von Amts wegen festzustellen« sei.503 Die Paragrafen 31 bis 35 SchOG enthielten die bereits erwähnten Bestimmungen zum Religionsunterricht, etwa die »Übereinstimmung mit den Lehren und Grundsätzen der betreffenden Kirche oder Religionsgemeinschaft« (§ 31 I), das notwendige Einvernehmen der Religionsgemeinschaften bei der Gestaltung von Lehrplänen und Lehrbüchern (§ 33 II) oder die umstrittene Regelung der kirchlichen Einsichtnahme »durch religionspädagogisch erfahrene Beauftragte« (§ 33  IV). Interessant sind hier vor allem die Bestimmungen, wonach die Übernahme des Religionsunterrichts durch die Lehrkräfte »in freier Willensentscheidung« zu erfolgen habe (§ 32 II 1) und auch geistliche Religionslehrer des staatlichen Unterrichtsauftrags bedürfen (§ 32 IV), denn beide Punkte hatte die katholische Kirche zuvor entschieden abgelehnt.504 In diesen Fällen hatte sich also offenbar die evangelische Position Geltung verschaffen können. Gleiches gilt für § 35 I, in welchem ab zwölf Schülerinnen und Schülern eines Minderheitsbekenntnisses an einer Bekenntnisschule die Anstellung einer Lehrkraft der eigenen Konfession vorgesehen war, falls auf andere Weise kein Religionsunterricht zu garantieren wäre. Diese Lehrkraft sollte dann auch anderweitigen Unterricht übernehmen. Schließlich umfasste das Schulordnungsgesetz noch großzügige Regelungen für die Errichtung und staatliche Finanzierung privater Schulen (§§ 36–45). Ungeachtet der Kritik aus der Opposition wie auch des Widerstandes seitens der Kommunen, die eine finanzielle Mehrbelastung auf sich zukommen sahen, kamen die Regierungsparteien den katholischen Forderungen in dieser Frage entgegen, nachdem Westhoff gegen die ursprünglichen Pläne des Kulturausschus­ses interveniert hatte.505 Angesichts dieser Bestandsaufnahme verwundert es nicht, dass Wilhelm Böhler als Fazit ziehen konnte, er sei mit dem Gesetz »sehr zufrieden«, eine 503 Vgl. dazu auch Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 238 f. 504 Siehe hierzu eine Liste mit Änderungsvorschlägen zum SchOG, AEK , Katholisches Büro NRW I 295 (ohne Titel und Datumsangabe). Die Notwendigkeit des staatlichen Unterrichtsauftrags für Geistliche wird hier als »unerträglich« bezeichnet. 505 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 241–246.

220  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Meinung, die Kardinal Frings gegenüber Ministerpräsident Arnold und Kultusministerin Teusch ebenfalls zum Ausdruck brachte.506 Auch diverse katholische Verbände beglückwünschten die Kultusministerin zu dem in ihren Augen sehr gelungenen Gesetz.507 Tatsächlich waren bis auf wenige Ausnahmen die Forderungen der katholischen Kirche beachtet worden; wo das nicht der Fall war, war dies der notwendigen Rücksichtnahme der CDU auf die evangelischen Landeskirchen und die eigenen protestantischen Abgeordneten geschuldet.508 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Feststellung Frings’ in einem Schreiben an Nuntius Muench, die Unterstützung der evangelischen Kirchen sowie der evangelischen CDU-Abgeordneten für das Gesetz sei schwierig zu erreichen gewesen.509 Obgleich in der Praxis somit vor allem die Interessen der katholischen Kirche gewahrt wurden, konnten die evangelischen Landeskirchen immerhin feststellen, dass ihre Positionen auch im Lager der Landtagsopposition anschlussfähig waren und sie sich daher nicht unbedingt einseitig parteipolitisch zu binden brauchten. Es ist wahrscheinlich, dass diese Erfahrung die evangelische Akzeptanz der sozialliberalen Schulreformen in den späten 1960er Jahren beförderte. e)

Die Ausführungsbestimmungen zur Privatschulfinanzierung

Ungeachtet der weitgehenden Berücksichtigung katholischer Interessen im Schulord­nungsgesetz gab sich Prälat Böhler mit dem Erreichten nicht ohne weiteres zufrieden. Nach der Verabschiedung des Gesetzes richtete der Kölner Domkapitular sein Augenmerk auf die zugehörigen Ausführungsbestimmungen, wobei er insbesondere jene zur Privatschulfinanzierung »noch stark beeinflussen« zu müssen glaubte.510 Böhler initiierte zu diesem Zweck im Sommer 1952 Gespräche von Vertretern der Diözesen und der katholischen Ordensschulen mit Referenten des Kultusministeriums und dem CDU-Abgeordneten Hofmann – von evangelischer Seite nahm lediglich der Vorsitzende des kirchlichen Versicherungsvereins teil. Dabei ging es nicht zuletzt darum, die zu erbringenden Eigenleistungen der Privatschulträger so niedrig wie möglich festzulegen; auf der anderen Seite sollte der Staat das volle Gehalt weltlicher und 75 Prozent des Gehalts geistlicher Lehrkräfte übernehmen. Widerstände seitens des Finanzministeriums und der Kommunen verzögerten jedoch entsprechende Erlasse des Kultusministeriums. Kultusministerin Teusch übernahm schließlich die kirchliche Forderung nach der Finanzierung der Lehrergehälter, musste aber hin 506 Zit. nach ebd., 258. 507 Vgl. Zehender, K.: Christine Teusch, 204. 508 Vgl. dazu auch Buchhaas-Birkholz, D.: Gesetzgebung im Wiederaufbau, 297. 509 Vgl. Entwurf eines Schreibens Frings’ an Muench vom 25.9.1954, AEK , Katholisches Büro NRW I 218. 510 Zit. nach Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 258.

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sichtlich anderer Posten, insbesondere der staatlichen Pro-Kopf-Bezuschussung für Schülerinnen und Schüler, auf Einwände des Finanzministeriums Rücksicht nehmen. Wäre es nach dem Finanzministerium gegangen, hätten die Privatschulträger deutlich höhere Eigenleistungen erbringen müssen, als Böhler sich dies vorstellte, doch Ministerpräsident Arnold stellte sich hinter die kirchliche Position und setzte diese durch. Am 23 Juni 1954 konnte die Kultusministerin somit Ausführungsbestimmungen zur Privatschulfinanzierung erlassen, die die privaten Träger – und dies waren insbesondere die Kirchen – erheblich finanziell entlasteten.511 Somit war nicht nur im staatlichen, sondern auch im privaten Schulwesen der Bestand konfessioneller Schulen und mit ihnen der kirchliche Einfluss abgesichert. In diesem Fall hatten beide Kirchen Anlass, ihre Interessen als durch den nordrhein-westfälischen Staat bestens vertreten anzusehen. f)

Die Diskussion über die Schließung Pädagogischer Akademien

Parallel zur Frage der Schulgestaltung musste auch die Ausbildung des Lehrpersonals geregelt werden. Da nach Kriegsende die von den Nationalsozialisten eingerichteten »Lehrerbildungsanstalten« abgeschafft worden waren, bedurfte es einer Neuaufstellung der Lehrerbildung. In Nordrhein-Westfalen entschied man sich für eine Wiederbelebung des Akademie-Konzeptes, wie es bereits vor 1933 in Preußen bestanden hatte. Nach 1945 wurden daher insgesamt zwölf Pädagogische Akademien gegründet, davon sechs katholisch, vier evangelisch und zwei simultan ausgerichtet. Aufgrund von Planungsproblemen beim Lehrerbedarf und Einsparungswünschen des Finanzministers beschloss der Kulturausschuss des Landtags Ende 1948 allerdings einstimmig eine Reduzierung der Akademien um zwei, wobei das Kultusministerium je eine katholische und evangelische Einrichtung zu schließen beabsichtigte.512 Bereits vor dem Beschluss des Landtages schaltete sich die katholische Kirche ein, die fraglos entweder durch Beamte des Kultusministeriums oder kirchennahe Abgeordnete informiert worden war. Der Münsteraner Bischof Keller etwa wandte sich an Kultusministerin Teusch und forderte, falls überhaupt, nur simultane Akademien zu schließen.513 Als Teusch demgegenüber im Mai 1949 dem Landtag den Abbau der katholischen Akademie in Oberhausen und der evangelischen Akademie in Kettwig vorschlug, liefen die Kirchen Sturm. Präses Held verlangte nicht nur die Beibehaltung der evangelischen, sondern sämtlicher Pädagogischer Akademien und begründete dies mit der Forderung nach Senkung der Klassenstärken, was einen erhöhten 511 Vgl. ebd., 259–265. 512 Vgl. ebd., 268–272; Landtag Nordrhein-Westfalen: Ausschussprotokoll 1/191 (alt: 191/48), Kurzprotokoll über die Sitzung des Unterausschusses des Kulturausschusses am 9. Dezember 1948 in Düsseldorf, 20.12.1948. 513 Vgl. Schreiben Kellers an Teusch vom 10.8.1948, LA NRW, NW 143 Nr. 6, Bl. 2.

222  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Lehrerbedarf zur Folge hätte.514 Auch Kardinal Frings intervenierte nun beim Kultusministerium und erklärte, die Absicht, nur konfessionelle Akademien abzubauen, habe »in den Kreisen des Episkopates und des katholischen Volkes außerordentlich befremdet«. Darüber hinaus deutete Frings sogar Zweifel an der grundsätzlichen Berechtigung simultaner Lehrerbildungseinrichtungen an.515 Angesichts solchen Gegenwindes gab Teusch den Abbauplan mit Zustimmung des Kulturausschusses vorläufig auf. Im Juli 1951 wurde das Vorhaben allerdings von der FDP erneut aufgegriffen und mit dem Argument, bei einer geringeren Zahl an Akademien diese besser ausstatten zu können, in den Landtag eingebracht.516 Als das Kultusministerium sich infolgedessen zum zweiten Mal des Unterfangens annahm und Pläne für die Reduktion der Pädagogischen Akademien entwickelte, provozierte dies erneut das Eingreifen insbesondere der katholischen Kirche. In diversen Schreiben und im persönlichen Gespräch versuchte Wilhelm Böhler die Kultusministerin davon zu überzeugen, eine evangelische und eine simultane Akademie anstelle einer katholischen und einer evangelischen zu schließen. Während Teusch dem nicht zustimmen konnte, schlug sie als Entgegenkommen vor, an der simultanen Akademie in Bonn eine Quote für katholische Studierende und Lehrende von 80 Prozent festzulegen – ein Plan, der auch die Bischöfe nicht recht überzeugen konnte. Dennoch blieb Teusch bei ihrem Entschluss, eine katholische und eine evangelische Akademie abzubauen und rechtfertigte diese Entscheidung gegenüber Vertretern der Ordinariate als sachgerecht angesichts der Schülerverteilung auf die verschiedenen Schul­ typen.517 Nachdem das Kabinett im Dezember 1952 entsprechend dem Vorschlag der Kultusministerin entschieden hatte, forderte Bischof Keller scharfen Protest seitens des Episkopats, da er das katholische Schulwesen in Gefahr sah. Die Ansicht Kölns, »man dürfe eine Regierung, deren Mitglieder unsere Leute seien, nicht öffentlich desavouieren«, wies er dabei ausdrücklich zurück.518 Frings hielt Keller entgegen, das Kultusministerium habe sich die Entscheidung nicht einfach gemacht und man könne mit dem Ergebnis, insbesondere dem Verhältnis katholischer zu evangelischen Akademien, durchaus leben. Aus Protest eine Ausbildung von Lehrkräften für katholische Schulen an simultanen Akademien grundsätzlich auszuschließen, wie Keller forderte, lehnte der Kardinal ab.519 Die hier dargestellte Episode verdeutlicht die hohe Erwartungshaltung vor allem der katholischen Kirche gegenüber der Politik des Kultusministeriums. 514 Vgl. Schreiben Helds an Teusch vom 25.5.1949, LA NRW, NW 143 Nr. 6, Bl. 59. 515 Frings an Teusch [31.5.1949] (Dok. 256). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1948/49, 679f, hier 679, vgl. auch 680. 516 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 273; siehe auch Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 26. Sitzung (2. WP), 11.7.1951, 943. 517 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 275–279. 518 Schreiben Kellers an Frings vom 13.4.1953, AEK , Katholisches Büro NRW I 203, hier 1. 519 Vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 279 f.

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Entscheidungen, die nicht gemäß den Vorstellungen der Kirche(n) getroffen wurden, begegnete man mit Verständnislosigkeit. Obgleich im vorliegenden Fall Kultusministerin Teusch aus sachlichen Gründen entgegen den kirchlichen Forderungen handelte, zeigt die beschwichtigende Reaktion Frings’ gegenüber Keller aber auch deutlich die positive Wirkung der engen Einbindung der Kirchen in den Entscheidungsfindungsprozess sowie des Bemühens Teuschs, doch noch eine für die Kirche tragbare Lösung zu finden. Denn obwohl die katholische Kirche ihre Forderung nicht durchsetzte, konnte von einer Missachtung kirchlicher Interessen doch keine Rede sein, weshalb Frings das Ergebnis letztlich als legitim akzeptieren konnte und an seiner Unterstützung der Kultusministerin festhielt. Da die Anerkennung unliebsamer politischer Maßnahmen als starker Hinweis auf die Systemakzeptanz gewertet werden kann, wird die integrierende Wirkung kooperativer Religionspolitik hier gut verdeutlicht. g)

Die Ausführungsbestimmungen zum Religionsunterricht

Im Anschluss an die Verabschiedung des Schulordnungsgesetzes von 1952 galt es, detaillierte Regeln für die Einrichtung des Religionsunterrichts auszuformulieren. Die dazu notwendigen Verhandlungen des Kultusministeriums mit den Kirchen gestalteten sich allerdings sehr umfangreich und verliefen äußerst stockend, so dass sie nicht mehr in Teuschs Amtszeit zum Abschluss gebracht werden konnten. Den Auftakt der Gespräche bildete ein Treffen der Kultusministerin und ihrer Abteilungsleiter mit Vertretern der katholischen Ordinariate und der evangelischen Kirchenleitungen des Landes im November 1952. Für die katholische Seite legte Böhler dar, der Religionsunterricht solle im Regelfall durch hauptamtliche Lehrer oder Geistliche erteilt werden, bei Bedarf müsste man entsprechend geschulte Katecheten hinzuziehen. Diese sollten einen staatlichen Lehrauftrag erhalten und vom Land bezahlt werden. Die evangelischen Landeskirchen stimmten diesem Vorschlag zu, wünschten aber, anders als die katholische Kirche, eine staatliche Vergütung auch der geistlichen Religionslehrer. Hinsichtlich der Regelung der Einsichtnahme in den Unterricht waren sich beide Kirchen einig, dass diese nicht durch die Ortsgeistlichen, sondern durch pädagogisch ausgebildete Kirchenbeauftragte zu erfolgen habe. Zudem sprachen sich beide Kirchen für die Abhaltung von Schulgottesdiensten in sämtlichen Schulen aus, wobei die evangelischen Kirchen hierzu eine reguläre Religionsstunde verwenden, die katholischen Bistümer den Gottesdienst jedoch als zusätzliche Schulveranstaltung einrichten wollten.520 520 Vgl. Niederschrift Böhlers über eine Besprechung im Kultusministerium mit Kultus­ ministerin Teusch, Vertretern aller Abteilungen des Ministeriums, der katholischen Ordinariate sowie der evangelischen Kirchenleitungen am 23.11.1952, AEK , Katholisches Büro NRW I 341.

224  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Als erste konkrete Maßnahme legte die Kultusministerin Anfang 1953 einen Erlass vor, wonach ab dem folgenden Schuljahr zusätzlich zu den Volks-, Mittelund höheren Schulen auch an allen Berufs- und Berufsfachschulen regulärer Religionsunterricht erteilt werden sollte.521 Die näheren Ausführungsbestimmungen konnten indes erst nach der Landtagswahl am 27. Juni 1954 fertiggestellt werden. Im dritten Kabinett Ministerpräsident Arnolds sollte dabei ein Wechsel an der Spitze des Kultusministeriums stattfinden: Anstelle von Teusch übernahm der Protestant Werner Schütz (1900–1975, CDU) das Ressort. Als Grund für diese Personalentscheidung kommt unter anderem Koalitionsraison infrage: Zwar wurde die CDU mit 42,3 Prozent deutlich stärkste Kraft vor der SPD (34,5 Prozent), benötigte jedoch aufgrund des schwachen Abschneidens des Zentrums, das nurmehr auf 4 Prozent der Stimmen kam, die FDP (11,5 Prozent) als weiteren Koalitionspartner. Da die Freien Demokraten die bisherige Schulpolitik stets scharf kritisiert hatten, könnte Teuschs Ausscheiden eine Voraussetzung für die Koalition gewesen sein.522 Für die katholische Kirche bedeutete diese Veränderung jedenfalls einen deutlichen Einflussverlust auf die Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen,523 obgleich sich auch Kultusminister Schütz bemüht zeigte, die Anliegen der Kirchen zu berücksichtigen: Nachdem im März 1955 bereits eine vorläufige Vereinbarung über den Religionsunterricht mit den evangelischen Landeskirchen erzielt worden war,524 konnte im Februar 1956 eine abschließende Einigung auch mit der katholischen Kirche erreicht werden. Die Verhandlungen, die zu diesem Ergebnis führten, waren dem Kultusminister zufolge »von unbedingter Freundschaftlichkeit und Wahrhaftigkeit getragen«. Da eine »sittliche Erneuerung unseres Volkes« nur über religiöse Erziehung gelingen könne, so Schütz anlässlich der Unterzeichnung der Vereinbarung mit der katholischen Kirche, hätten Staat und Kirche »ein gemeinsames Interesse daran, alle mit dem Religionsunterricht zusammenhängenden Aufgaben in einer Atmosphäre unbedingten Vertrauens und wechselseitigen Verstehens zu lösen.«525 Inhaltlich entsprachen die Ausführungsbestimmungen zum Religionsunterricht, die Schütz per Ministerialerlass am 16. Februar 1956 anordnete, auf ganzer 521 Vgl. Rundschreiben Teuschs an die nordrhein-westfälischen Regierungspräsidenten vom 29.1.1953, LA NRW, NW 383 Nr. 25. 522 Siehe auch Zehender, K.: Christine Teusch, 252f, wo Teuschs Ausscheiden ebenfalls als Entgegenkommen an die FDP verstanden wird. 523 Vgl. zu dieser Einschätzung Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 298. 524 Vgl. Schreiben Bergmanns an die kirchlichen Oberbehörden der Evangelischen Landeskirchen und an die kommunalen Spitzenverbände vom 31.3.1955, LA NRW, NW 383 Nr. 226, Bl. 124–133. 525 »Grußwort anläßlich der Unterzeichnung der Vereinbarungen zwischen der Katholischen Kirche und der Unterrichtsverwaltung von Nordrhein-Westfalen vom Sonnabend, dem 18. Februar 1956«, AEK , Katholisches Büro NRW I 344, Hvh. i. O. gesperrt.

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Linie den kirchlichen Vorstellungen. So wurden für die Regelung der Einsichtnahme die Vorschläge der Kirchen übernommen, wie auch für den Einsatz von Katecheten: Diese konnten bei einem Mangel an Religionslehrern auf Veranlassung der Schulaufsichtsbehörden oder der Kirchenbehörden hinzugezogen werden und bedurften dabei nur in öffentlichen Schulen eines staatlichen Lehrauftrages, nicht aber in Privatschulen.526 Besonderen Spielraum ließ der Kirche die Regelung für nebenamtliche Religionslehrkräfte: Pfarrer und Hilfsgeistliche erhielten »auf Grund ihres geistlichen Amtes das Recht, schulplanmässigen [sic] Religionsunterricht in allen Klassen der Volksschulen zu erteilen. Diesen Geistlichen wird der staatliche Unterrichtsauftrag durch diese Vereinbarung allgemein erteilt.«527 Angesichts der hier beispielhaft aufgezeigten kirchenfreundlichen Bestimmungen brachten die Vertreter der katholischen Bistümer ihre Zufriedenheit mit der getroffenen Vereinbarung zum Ausdruck. Wilhelm Böhler konstatierte, dass »der Abschluss der Verhandlungen in völligem Einvernehmen erreicht werden konnte«, während Kardinal Frings feststellte, das erzielte Ergebnis trage »in gerechter Weise sowohl dem staatlichen als auch den kirchlichen Interessen Rechnung«.528 Sowohl bei der Ausarbeitung des Schulordnungsgesetzes als auch der entsprechenden Ausführungsbestimmungen hatte das nordrhein-westfälische Kultusministerium die Kirchen somit sehr eng eingebunden und war ihren Wünschen und Vorstellungen in umfassender Weise entgegengekommen. Für die Kirchen bedeutete dies, dass sie zum einen den Staat als zuverlässigen Partner wahrnehmen, zum anderen die geltenden Gesetze als Ermöglichungsbedingung kirchlicher Lehrfreiheit erfahren konnten. h)

Lehrerbildungsreform und Schulverwaltungsgesetz unter Kultusminister Luchtenberg

Eine Veränderung der allgemeinen politischen Lage in Nordrhein-Westfalen trat mit dem Ende der bestehenden Regierungskoalition ein. Am 16. Februar 1956 stellten die Fraktionen der SPD und der FDP im Landtag einen Misstrauens­ antrag gegen den Ministerpräsidenten, welcher zur Wahl des SPD-Politikers 526 Siehe Erlass des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16.2.1956, LA NRW, NW 383 Nr. 228, Bl. 15 sowie die daran angehängten Einzelvereinbarungen (Bl. 22–29). 527 »Vereinbarung zwischen der Unterrichtsverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen einerseits und dem Erzbistum Köln, dem Erzbistum Paderborn, dem Bistum Aachen und dem Bistum Münster andererseits, […] betreffend Erteilung des staatlichen Unterrichtsauftrages an Geistliche« (Anlage zum Erlass des Kultusministers vom 16.2.1956), LA NRW, NW 383 Nr. 228, Bl. 16–21, hier S. 2. 528 Schreiben Böhlers an Schütz vom 16.2.1956, AEK , Katholisches Büro NRW I 344; Schreiben Frings’ an Schütz vom 23.2.1956, AEK , Katholisches Büro NRW I 344.

226  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Fritz Steinhoff (1897–1969) zum Regierungschef am 20. Februar 1956 führte.529 Kultus­minister der neuen Koalition aus SPD, FDP und Zentrum wurde Paul Luchtenberg (1890–1973, FDP). Diese Konstellation bedeutete eine Bewährungsprobe für die unter Luchtenbergs Amtsvorgängern entstandenen guten Beziehungen zwischen Kirchen und Kultusministerium, denn die neue Regierung plante unter anderem eine Lehrerbildungsreform, die auf eine Akademisierung der Volksschullehrerausbildung hinauslief.530 Insbesondere die katholische Kirche sah dadurch die konfessionelle Lehrerbildung bedroht. Böhler, der Luchtenberg in Allianz mit der liberalen Lehrergewerkschaft GEW sah, befand dazu: »Das wird – wenn nicht bald eine Klärung kommt – Kampf bedeuten.«531 Vorrangiges Ziel der katholischen Bischöfe und ihrer Schulfachleute war es nach Luchtenbergs Amtsantritt daher, die bisherige Rechtslage im Sinne der Kirche zu erhalten und eine Akademisierung der Volksschullehrerausbildung zu verhindern.532 Die Pläne des Kultusministers sahen ursprünglich vor, den theoretischen Teil der Ausbildung an die Universitäten zu verlegen und den praktischen an den Akademien zu belassen. Seitens der katholischen Kirche wies man Luchtenberg darauf hin, dass ein solches Vorgehen nicht den Regelungen des Reichskonkordats entspreche, wobei laut Böhlers Aussage auch die evange­lische Kirche die Verlegung an die Universität ablehnte.533 Den Minister schien der kirchliche Widerstand jedenfalls zum Umdenken zu bewegen: Im persönlichen Gespräch versicherte er Böhler, auch die Theorieausbildung an den Akademien halten und das Prinzip der Konfessionalität wahren zu wollen. Ganz gab Luchten­berg sein Vorhaben jedoch noch nicht auf, zumindest einen ein- bis zweisemestrigen Universitätsaufenthalt wollte er den Akademiestudenten ermöglichen. Selbst hiergegen äußerte sich Böhler in eigenen Worten »sehr zurückhaltend«, da er jeden Ansatz einer Vollakademisierung zu verhindern wünschte.534 Die Tatsache, dass in Luchtenbergs Amtszeit letztlich kein Lehrerbildungsgesetz zustande kam, dürfte somit zu einem nicht geringen Teil der deutlichen Skepsis geschuldet gewesen sein, die insbesondere die katholische Kirche gegenüber den Vorstellungen des Ministers äußerte. Der Eindruck eines generellen Misstrauens des katholischen Episkopats gegenüber der neuen Regierung verstärkt sich mit Blick auf verbale Geplänkel, 529 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 32. Sitzung (3. WP), 16.2.1956, 1013–1016; Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 33. Sitzung (3. WP), 20.2.1956. 530 Vgl. dazu die Regierungserklärung Ministerpräsident Steinhoffs, Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 34. Sitzung (3. WP), 29.2.1956, hier insbesondere 1046 f. 531 Schreiben Böhlers an Tenhumberg vom 14.9.1956, AEK , Katholisches Büro NRW I 221. 532 Vgl. dazu auch Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 285. 533 Vgl. Schreiben Böhlers an Muench vom 19.1.1957, AEK , Katholisches Büro NRW I 218. 534 Aufzeichnung Böhlers [10.10.1956] (Dok. 66). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 216f, hier 217, vgl. 216 f.

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wie sie etwa im Herbst 1956 geführt wurden. So stellte Kardinal Frings in einem Hirtenwort anlässlich der Kommunalwahlen 1956 fest, dass das Schulordnungsgesetz von Ort zu Ort unterschiedlich durchgeführt werde und »man vielerorts versuchte und bis auf den heutigen Tag versucht, den klar geäußerten Willen der Eltern auf die katholische Erziehung ihrer Kinder unmöglich zu machen«.535 Kultusminister Luchtenberg antwortete Frings daraufhin, die Landesregierung habe sich stets zum Schulordnungsgesetz bekannt und versprach »den Kirchen als den berufenen Trägern des religiösen Lebens besonderen Schutz und nachhaltige Unterstützung zuteil werden zu lassen«. Der Minister versicherte zudem, ihm seien keine Beschwerden betreffend die Errichtung konfessioneller Schulen bekannt und bat den Kardinal, ihm entsprechende Fälle zu nennen.536 Seinen Willen, kirchlichen Interessen entgegenzukommen, stellte Luchtenberg durchaus unter Beweis: Als etwa das Kölner Generalvikariat einen ministeriellen Erlass erbat, wonach an einem Tag der Woche die Schulmesse während der Schulzeit stattzufinden habe, kam der Minister diesem Ansinnen ohne Zögern nach.537 Dass die Regierung Steinhoff keine Konfrontation mit den Kirchen suchte, zeigte sich auch an einem dringenden schulpolitischen Großprojekt, das erfolgreich abgeschlossen werden konnte: Der Verabschiedung eines »Schulverwaltungsgesetzes« (SchVG).538 Ein erster Regierungsentwurf dazu sowie zu einem Schulfinanzgesetz war noch 1956 durch das Kabinett Arnold eingebracht worden, die Beratung im Landtag verzögerte sich jedoch aufgrund des Regierungswechsels erheblich. Die Koalition aus SPD, FDP und Zentrum entschied sich schließlich dafür, den Entwurf im Großen und Ganzen weiterzuverfolgen. Dies lag auch daran, dass die Materie im Gegensatz zum Schulordnungsgesetz von 1952 weitaus weniger kontrovers war, insbesondere, was die weltanschauliche Komponente anbelangte. Dennoch enthielt auch das Schulverwaltungsgesetz Passagen, die für die Kirchen von Interesse waren, etwa Bestimmungen betreffend die Errichtung und Auflösung von Schulen oder die Beteiligung von Geistlichen an den Schulausschüssen der Gemeinden. Wilhelm Böhler konnte nach der Verabschiedung des Gesetzes am 15. Mai 1958 jedenfalls bilanzieren, dass den meisten kirchlichen Anliegen entsprochen worden sei. Sämtliche Regierungsparteien hatten sich etwa für die Einbeziehung von Kirchenvertretern in die kommunalen Schulausschüsse ausgesprochen,539 535 Frings, Joseph: Hirtenwort zur Wahl. In: Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Köln, Jg. 96, Nr. 23 (15.10.1956), 313–315, hier 313. 536 Schreiben Luchtenbergs an Frings vom 19.10.1956, AEK , Katholisches Büro NRW I 359. 537 Vgl. Schreiben Generalvikar Teuschs an Luchtenberg vom 10.2.1957, AEK , Katholisches Büro NRW I 241; Erlass des Kultusministers von Nordrhein-Westfalen vom 9.4.1957, Katholisches Büro NRW I 241. 538 Zum Gesetz siehe GV. NRW 42/1958 (11.6.1958), 241–246. 539 Vgl. dazu etwa Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 80. Sitzung (3. WP), 30.4.1958, 2779.

228  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  wenngleich Böhler bemängelte, dass sie dort lediglich beratende Funktion haben sollten. Schwerer wog aus seiner Sicht jedoch die Bestimmung des § 8 V SchVG, wonach öffentliche Schulträger die Errichtung von – etwa durch Eltern beantragte – Schulen mit Verweis auf fehlenden Bedarf oder mangelnde finanzielle Absicherung des Projekts ablehnen konnten: Mit Hilfe dieser Regelung könnten »unfreundlich eingestellte Gemeinden die Errichtung einer katholischen Bekenntnisschule erschweren oder sogar unmöglich machen«, weshalb man versucht habe, die Bestimmung zu streichen.540 Für einen Angriff auf SPD und FDP konnte Böhler diesen Umstand jedoch schwerlich nutzen, hatte sich die betreffende Passage doch bereits im ursprünglichen Gesetzentwurf der Regierung Arnold befunden.541 Alles in allem beurteilte der Prälat das Gesetz denn auch als Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation und riet, seine Bewährung in der Praxis abzuwarten.542 Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass ungeachtet der bestehenden Vorbehalte seitens der katholischen Kirche auch unter einer Koalition mit Beteiligung von SPD und FDP die Kirchen in die Ausarbeitung bildungspolitischer Maßnahmen einbezogen waren und ihre Anliegen in Politik und Verwaltung Gehör fanden: Offenkundig war also auch diesen Parteien an einem guten Verhältnis zu den wichtigen Religionsgemeinschaften gelegen. Von langer Dauer sollte diese politische Konstellation allerdings nicht sein: Bei der Landtagswahl am 6. Juli 1958 errang die CDU 50,5 Prozent der Stimmen und damit die absolute Mehrheit, SPD und FDP kamen auf 39,2 bzw. 7,1 Prozent der abgegebenen Stimmen. Unter Ministerpräsident Franz Meyers (1908–2002) konnte die CDU somit allein regieren. Im Kultusministerium übernahm einmal mehr Werner Schütz die Leitung. i)

Privatschulfinanzierung und Lehrerbildungsreform unter den Ministern Schütz und Mikat

Nachdem die Regierung Steinhoff im parallel zum Schulverwaltungsgesetz verabschiedeten Schulfinanzgesetz lediglich die Finanzierung der öffentlichen Schulen geordnet hatte, blieb die gesetzliche Regelung der Privatschulfinanzierung ein wichtiges Anliegen in kirchlichen Kreisen.543 Johannes Pohlschneider, 540 Schreiben Böhler an Muench vom 24.7.1958, AEK , Katholisches Büro NRW I 318, hier 2, vgl. 1 f. 541 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 3/275, Entwurf eines Schulverwaltungsgesetzes, 14.12.1955. 542 Schreiben Böhler an Muench vom 24.7.1958, AEK , Katholisches Büro NRW I 318, hier 3. 543 Prälat Ferdinand Fischer vom Kölner Generalvikariat ging davon aus, dass die Regierung Steinhoff dadurch Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche über die Finanzierung kirchlicher Schulen kurz vor dem Wahlkampf vermeiden wollte, vgl. Eich, K.-P.: Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, 267. Zum Gesetz siehe »Gesetz über die Finanzierung

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der Bischof von Aachen, überreichte Kultusminister Schütz im Rahmen einer Unterredung im Oktober 1958 eine Denkschrift zum Thema Privatschule, in der eine ebensolche gesetzliche Neuregelung angemahnt wurde. In dem Papier wurde unter anderem kritisiert, dass der allgemein für Privatschulen festgelegte Eigenleistungsanteil von 15 Prozent nicht die besondere Situation von Ordensschulen berücksichtige, die durch Bereitstellung von Gebäuden und günstig arbeitenden Ordenslehrkräften faktisch eine ungleich höhere finanzielle Belastung erführen, als andere Privatschulen.544 Der nachdrückliche Einsatz der katholischen Kirche für ein Privatschulfinanzierungsgesetz erklärt sich auch daher, dass dessen Zustandekommen alles andere als sicher war, stand das Vorhaben doch von verschiedenen Seiten unter Beschuss: Während Land und Kommunen in einem Rechtsstreit um die Verteilung der Finanzierungslasten standen, rügte der Landesrechnungshof die praktizierte Bezuschussung von Privatschulen als teilweise nicht angemessen.545 Gegen die mit dieser Kritik verbundene Gefährdung der finanziellen Absicherung kirchlich getragener Schulen suchte die Kirche die Unterstützung der Landesregierung. Ein weiteres Anliegen, für das sich katholische wie evangelische Kirche einsetzten, betraf die Aufwertung der sozialen Stellung von Privatschullehrern, indem ihnen das Führen der für Lehrer an öffentlichen Schulen üblichen Amtstitel gestattet würde. Nach mehreren Besprechungen im Kultusministerium und mit Abgeordneten des Kulturausschusses konnte hier eine Einigung erzielt werden und Schütz versprach, die Materie entsprechend per Erlass zu regeln.546 Neben der Frage der Privatschulen sprach Bischof Pohlschneider in seiner Unterredung mit Schütz auch das Thema der bekenntnismäßigen Lehrerbildung an, deren Erhalt eine konstante Sorge der katholischen Kirche darstellte. Der Kultusminister ging darauf ein, indem er seinem Gesprächspartner zusagte, »die Eigenständigkeit und den konfessionellen Charakter der Pädagogischen Hochschulen zu fördern«.547 Diese Versicherung war der Kirche jedoch nicht genug, vielmehr forderten die katholischen Bildungsexperten eine gesetzliche Regelung in Form eines Lehrerbildungsgesetzes. Da die Sorge bestand, dass die Sozialdemokraten im Falle eines Wahlsieges hier die Initiative ergreifen würden, befand das Katholische Büro Nordrhein-Westfalen, angesichts der günstigen der öffentlichen Schulen« (Schulfinanzgesetz – SchFG) vom 3. Juni 1958, GV. NRW 42/1958 (11.6.1958), 246–249. 544 Vgl. Westhoff, Paul: Kurz-Memorandum zu den akuten Hauptfragen zur Stellung der Privatschulen in NRW, Oktober 1958 (Anlage Nr. 1 zu: Aktennotiz zur Besprechung Bischof Pohlschneiders mit Kultusminister Schütz vom 18.10.1958), LA NRW, RWN 126 Nr. 217 (Fiche 488), Bl. 9–12. 545 Vgl. Bericht Fillbrandts [23.9.1959] (Dok. 259). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 813–834, hier 817 f. 546 Vgl. ebd., 818; Aktennotiz zur Besprechung Bischof Pohlschneiders mit Kultusminister Schütz vom 18.10.1958, LA NRW, RWN 126 Nr. 217 (Fiche 488), Bl. 2–8, hier S. 1. 547 Ebd., S. 3.

230  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Mehrheitsverhältnisse im Landtag sollte ein entsprechendes Gesetz möglichst bald eingebracht werden.548 Die Vorlage eines Lehrerbildungsgesetzes sollte in Schütz’ Amtszeit nicht mehr gelingen. Allerdings brachte die Landesregierung im September 1960 den Entwurf eines »Gesetzes über die Finanzierung der Ersatzschulen« (Ersatzschulfinanzgesetz, EFG) ein, das die Bezuschussung jener Privatschulen regeln sollte, die der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht genügten, und dabei den kirchlichen Vorstellungen weit entgegenkam.549 Vor dem Landtag führte der Kultusminister dazu aus, dass gemäß dem Entwurf künftig der Eigenleistungsanteil privater Schulträger grundsätzlich bei 15 Prozent der Gesamtausgaben der Schule liegen solle, während die übrigen 85 Prozent der Kosten vom Land übernommen würden. Hatten zuvor Land und Gemeinden gemeinsam den Großteil der Schulfinanzierung getragen, sollte nun somit das Land alleine für die Bezuschussung zuständig sein  – eine Regelung, die auf Anregungen der katholischen Kirche zurückging und der Kirche unangenehme kommunale Einflussnahmeversuche auf ihre Schulen ausschalten sollte.550 Da laut Schütz aber viele Schulträger selbst diese 15 Prozent Eigenanteil nicht aufbringen konnten, waren weitere Reduzierungen möglich. Insbesondere sollte die Bereitstellung von Schulräumen und Einrichtung mit sieben bzw. zwei Prozent auf den Eigenanteil angerechnet werden können, wodurch der Eigenanteil folglich auf bis zu sechs Prozent sinken würde. Selbst diese Summe konnte im Härtefall aber noch auf zwei Prozent abgesenkt werden.551 Diese weitgehende staatliche Finanzierung eigentlich privater Schulen entsprach den Ausführungen, die Schütz Anfang 1961 auf einer Tagung von Unionspolitikern machte: Sollten die Kirchen von der Möglichkeit Privatschulen zu gründen verstärkt Gebrauch machen, so müsse »die CDU für eine weitgehende Finanzierung der Privatschulen eintreten«.552 Zudem kam die Landesregierung damit expliziten Wünschen der katholischen Kirche nach, wie sie Bischof Pohlschneider im oben angeführten Gespräch mit dem Kultusminister geäußert hatte. Die nordrhein-westfälischen Bischöfe zeigten sich mit den entsprechen 548 Vgl. Bericht Fillbrandts, [23.9.1959] (Dok. 259). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 813–834, hier 818 f. 549 Zum Gesetz siehe GV. NRW 15/1961 (14.7.1961), 230–232. 550 Diesen Wunsch hatte Pohlschneider 1958 an Schütz herangetragen: Aktennotiz zur Besprechung Bischof Pohlschneiders mit Kultusminister Schütz vom 18.10.1958, LA NRW, RWN 126 Nr. 217 (Fiche 488), Bl. 2–8, hier S. 1; zu Schütz’ Ausführungen siehe Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 48. Sitzung (4. WP), 18.10.1960, 1697 f. 551 Vgl. § 6 EFG sowie die Begründung der Staatsregierung in: Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 4/360, Entwurf zum Gesetz über die Finanzierung der Ersatzschulen, 20.9.1960, 12 f. 552 Zit. nach Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 4/736, Beantwortung der Kleinen Anfrage Nr. 46 der Fraktion der FDP betr. Äußerungen des Herrn Kultusministers Schütz bei der Tagung des »Ellwanger Kreises« am 14. und 15. Januar 1961, 3.4.1962.

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den Bestimmungen des Gesetzentwurfs folglich zufrieden.553 Inwiefern dieses Arrangement hingegen mit der Intention des Art. 7 IV 3  GG zu vereinbaren war, gemäß dem die Genehmigung privater Schulen zu versagen war (und ist), »wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist«, ist zumindest fraglich. Aus den Reihen der Landtagsopposition schlug dem Gesetzentwurf jedenfalls Ablehnung entgegen. Der spätere Bundespräsident Johannes Rau (1931–2006) äußerte für die sozialdemokratische Fraktion die Sorge, dass mit dem Gesetz eine Privatisierung sowie eine Konfessionalisierung des Schulwesens befördert und vielleicht sogar intendiert sei – schließlich überwogen, wie er darlegte, die katholischen Einrichtungen im Bereich der Ersatzschulen deutlich. Auch entspreche die Finanzierungsregelung nicht mehr dem Subsidiaritätsprinzip, da das Land beinahe die gesamten Kosten übernehme. Die Meinung der SPD dazu laute aber: »Keine Verstaatlichung der Privatschulen durch Vollfinanzierung!«554 Raus Fraktionskollege Hans Wertz kritisierte zudem, dass die festgelegten Sätze unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen angelegt würden, beispielsweise auch veraltete Schulgebäude voll angerechnet werden könnten.555 Seitens der FDP wurde ebenfalls die Sorge einer zunehmenden Konfessionalisierung des gesamten Schulwesens  – nicht lediglich der Volksschulen, wie im öffent­ lichen Schulwesen – laut.556 Der Redner der CDU hielt demgegenüber an einer Herabsetzung des Eigenanteils privater Schulträger fest und meinte sogar, eine Überprüfung der Finanzlage religiöser Orden zur Feststellung der Angemessenheit einer Ermäßigung des Eigenanteils sei »unwürdig« und »unmöglich«. Seine Partei habe überdies Zusicherungen erhalten, dass »Ersatzschulträger, wie Kirchen und größere Gemeinschaften«, die reduzierten Eigenanteilssätze nicht ohne tatsächlichen Bedarf beanspruchen würden.557 Das Ersatzschulfinanz­gesetz wurde schließlich unter Beibehaltung der im Entwurf vorgesehenen Eigenanteilsregelung beschlossen. Die CDU-geführte Landesregierung ermöglichte durch diese Regelung den Kirchen eine denkbar große Freiheit in der Errichtung eigener Schulen, indem sie das Land – ohne Rücksicht auf eine potentielle fiskalische Überforderung – dazu verpflichtete, bis zu 98 Prozent der Ausgaben einer als Ersatzschule anerkannten Privatschule zu tragen. Da solche Schulen deutlich 553 Vgl. Protokoll Oermanns [1.7.1960] (Dok. 284). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 949–955, hier 953. 554 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 48. Sitzung (4. WP), 18.10.1960, 1701, vgl. 1699 f. 555 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 62. Sitzung (4. WP), 16.5.1961, 2264. 556 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 48. Sitzung (4. WP), 18.10.1960, 1702 f. 557 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 62. Sitzung (4. WP), 16.5.1961, 2273.

232  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  weniger Einschränkungen unterworfen waren, als jene des öffentlichen Schulsystems – etwa hinsichtlich der Möglichkeit, auch konfessionelle weiterführende Schulen zu gründen – bedeutete dies für die Kirchen eine äußerst wertvolle und weitgehende Unabhängigkeit ihrer Bildungsarbeit von staatlichen Vorgaben. Obgleich die CDU in der Landtagswahl am 8. Juli 1962, mit 46,4 Prozent der Stimmen vor SPD (43,3 Prozent) und FDP (6,9 Prozent) erneut stärkste Partei wurde, büßte sie ihre absolute Mehrheit ein. Die Notwendigkeit, eine Koali­ tionsregierung zu bilden, bedeutete zugleich eine Einschränkung in der schulpolitischen Handlungsfreiheit, denn die Freien Demokraten, die sich wieder als Koalitionspartner zur Verfügung stellten, hatten sich bei allzu kirchenorientierter Schulpolitik stets ablehnend positioniert. Mit dem CDU-Politiker Paul Mikat (1924–2011) erhielt das zweite Kabinett Meyer denn auch einen neuen Kultusminister, der deutliche Reformbestrebungen zeigte. Dass sich über diese Tatsache nicht alle interessierten Gruppen freuten, zeigt die Vielzahl kritischer Stimmen aus konservativen katholischen Kreisen, die den Kultusminister teils hart angingen.558 Ein Kritikpunkt an Mikat bezog sich auf seine Vorstellung von einer Neuordnung der Lehrerausbildung, von der das katholische Boulevardblatt »Bildpost« behauptete, sie bringe den Niedergang der Bekenntnisschule durch den Wegfall bekenntnisgebundener Lehrerausbildung mit sich.559 Dabei war es hier im parlamentarischen Bereich zunächst die SPD, die eine aus konservativ-katholischer Sicht problematische Gesetzesinitiative einbrachte. Gemäß dem sozialdemokratischen Entwurf für ein »Lehrerbildungsgesetz« vom Juli 1963 sollte die von der katholischen Kirche stets besonders wachsam beobachtete Ausbildung der Volksschullehrer an Pädagogischen Hochschulen erfolgen, die ihrerseits an die Landesuniversitäten angegliedert wären (§ 7). In diesem Zusammenhang sollten zwar die Religionsdozenturen, wie in der Landesverfassung vorgesehen, im Einvernehmen mit den Kirchen besetzt werden und es sollte für jedes Fachgebiet mindestens eine Professur oder Dozentur jeder Konfession bestehen (§ 11).560 Inhaltlich aber hätte eine solche Angliederung an die Universitäten aufgrund der Forschungsfreiheit ein Ende einer konfessionellen Lehrerbildung im strengen, von der katholischen Kirche vertretenen Sinn bedeutet. Der Gegenentwurf der Regierung vom Oktober 1963 für ein »Lehrerausbildungsgesetz« (LABG) liest sich demgegenüber eigentlich eher reformbremsend: Während auch hier für das Lehramt an allen öffentlichen Schulen ein hochschul 558 Siehe dazu die Akte LA NRW, NW 147 Nr. 2, in der zahlreiche Angriffe der katholischen Presse gegen die Bildungspolitik Kultusminister Mikats gesammelt sind. 559 Vgl. Am konfessionellen Hahn: ein Minister. In: Bildpost vom 13.8.1964, LA NRW, NW 147 Nr. 2, Bl. 29. 560 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 5/192, Antrag der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes zur Lehrerbildung für das Land Nordrhein-Westfalen (Lehrerbildungsgesetz) vom 16.7.1963.

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  233

mäßiges Studium vorausgesetzt wurde, betonte der Kultusminister bei der Einbringung des Entwurfs im Landtag entgegen der sozialdemokratischen Initiative die Notwendigkeit, die Pädagogischen Hochschulen eigenständig zu halten. Die Frage der konfessionellen Lehrerausbildung brauche, so Mikat, dabei überhaupt nicht angeschnitten zu werden.561 Will man verstehen, woher angesichts dieser Haltung die Sorge der katholischen Presse kam, muss man sich wohl an den schulpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Fritz Holthoff, halten, der vermutete, dass der Kultusminister zwar an einer weitergehenden Reform interessiert war, aber von anderer Seite – gemeint sind kirchennahe CDU-Kreise – ausge­ bremst wurde. Den vorgelegten Entwurf kritisierte Holthoff als bloße Rahmengesetzgebung ohne wirklichen Inhalt.562 Während die Sozialdemokraten sich mit direkten Angriffen gegen die konfessionelle Ausgestaltung der Lehrerbildung zurückhielten, hinterfragte Holthoff in der zweiten Lesung des Gesetzes doch, ob echte wissenschaftliche Methode und bekenntnismäßige Prägung im Rahmen der Lehrerausbildung nicht miteinander in Konflikt geraten müssten. Entgegen der bisherigen nach Konfessionen getrennten Einrichtungen schlug er Pädagogische Hochschulen mit bestimmten konfessionellen Schwerpunkten vor, an denen dennoch Studierende und Dozierende verschiedener Konfession miteinander lernen und lehren würden.563 Die CDU beharrte hingegen auf »bekenntnismäßig gesonderten Hochschulen«, die schon allein durch die Landesverfassung gefordert seien.564 Im Laufe der Ausschussarbeit gelang es Koalitionsparteien und Opposition allerdings, einen für alle Seiten akzeptablen Kompromiss zu erarbeiten. In dessen Rahmen wurde der SPD-Entwurf zu einem »Gesetz über die Errichtung von Pädagogischen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen«565 umgearbeitet, welches die Lehrerbildungseinrichtungen als eigenständige wissenschaftliche Hochschulen bestimmte, die über einen Hochschulrat eine Verbindung zu den Landesuniversitäten herstellen sollten. Der vom Kabinett ausgearbeitete Entwurf des Lehrerausbildungsgesetzes wurde parallel dazu mit einigen Änderungen übernommen.566 In diesem Kontext war auch den Kirchen die Möglichkeit zur Einflussnahme gegeben: Zum einen hatte die katholische Kirche sich bereits 1960 von Ministerpräsident Meyers die Zusicherung ausbedungen, im Falle einer 561 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 22. Sitzung (5. WP), 29.10.1963, 731–734. 562 Vgl. ebd., 745–747. 563 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 56. Sitzung (5. WP), 24.5.1965, 2052 f. 564 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 22. Sitzung (5. WP), 29.10.1963, 742, vgl. 741 f. 565 Siehe GV. NRW 31/1965 (23.6.1965), 156 f. 566 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 56. Sitzung (5. WP), 24.5.1965, 2048; Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 58. Sitzung (5. WP), 26.5.1965, 2095.

234  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Neufassung der Volksschullehrerausbildung frühzeitig Zugang zu den zuständigen Ministerialbeamten zu erhalten.567 Zum anderen trugen evangelische wie katholische Kirche im Rahmen der Verbändeanhörung dem Kultusausschuss ihre Anliegen vor. Auf Bitten beider Kirchen nahm der Ausschuss in der Folge eine Bestimmung in das Lehrerausbildungsgesetz auf, wonach Studiensemester an der katholischen Akademie in Paderborn und den evangelischen Hochschulen in Bethel und Wuppertal auf das Lehramtsstudium an den Pädagogischen Hochschulen angerechnet werden konnten (§ 12 II LABG).568 Noch während sich die Landtagsfraktionen im Kulturausschuss in dieser Materie einander annäherten, sorgte ein weiterer SPD-Antrag vom Januar 1965 für erhitzte Debatten. Die Sozialdemokraten forderten darin eine Änderung der Schulartikel der Landesverfassung um weitreichenden Reformen des Volksschulwesens den Weg zu bereiten: Zum einen sollte die Volksschule in Grundund Hauptschule unterteilt werden, wobei die SPD erstere auch als ungeteilte und konfessionelle Schule bestehen lassen wollte, letztere aber nur als gut gegliederte Schule. Damit wäre sie gerade in ländlichen Gebieten faktisch nur als Simultanschule zustande gekommen. Verbunden damit sollte zum anderen die bekenntnisgebundene Lehrerausbildung wegfallen, gegen die sich, wie Fritz Holthoff für die SPD darlegte, ohnehin auch die evangelischen Landeskirchen ausgesprochen hätten. Der CDU warf Holthoff vor, allein aus weltanschaulichen Gründen an den einklassigen Landschulen festzuhalten – nicht aber aus pädagogischen.569 Kultusminister Mikat verteidigte in seiner Replik die Konfessionsschule, positionierte sich abgesehen davon aber hauptsächlich aus formalen Gründen gegen den Antrag der Sozialdemokraten, indem er den Sinn einer Verfassungsänderung infrage stellte.570 CDU und FDP lehnten den Antrag schließlich ab, wobei zur Begründung auf die partielle Unvereinbarkeit mit dem überfraktionellen Kompromiss in Sachen Lehrerausbildung verwiesen wurde.571 Für die CDU 567 Vgl. Protokoll Oermanns [1.7.1960] (Dok. 284). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 949–955, hier 953. 568 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 56. Sitzung (5. WP), 24.5.1965, 2049; siehe auch Gesetz über die Ausbildung für die Lehrämter an öffentlichen Schulen (Lehrerausbildungsgesetz) vom 9.6.1965, GV. NRW 31/1965 (23.6.1965), 157–160. 569 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 5/639, Antrag der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, 12.1.1965. In Verbindung damit vgl. auch Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 5/640, Antrag der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schulordnungsgesetzes (SchOG), des Schulverwaltungsgesetzes (SchVG) und des Gesetzes über die Schulpflicht im Deutschen Reich (SchulPflG), 12.1.1965. Zu den Ausführungen Holthoffs siehe Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 50. Sitzung (5. WP), 23.2.1965, 1818–1823. 570 Vgl. ebd., 1828–1832. 571 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 54. Sitzung (5. WP), 7.4.1965, 1997.

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  235

dürfte allerdings der ihr von der SPD vorgehaltene Schutz des konfessionellen Volksschulwesens ebenfalls eine wichtige Rolle dabei gespielt haben, auch diesen zweiten Vorstoß der Sozialdemokraten kategorisch abzublocken. j)

Die Reform des ländlichen Schulwesens

Während die nordrhein-westfälische Landesregierung und die CDU das gerade von der katholischen Kirche favorisierte konfessionelle Volksschulwesen somit grundsätzlich vor tiefgreifenden Veränderungen schützten, sollte sich das Vorhaben einer Landschulreform als Herausforderung für dieses System erweisen. Wie in Niedersachsen, so ging es dabei auch in Nordrhein-Westfalen um eine Neustrukturierung der ländlichen, oft wenig bis ungegliederten Dorfschulen, die durch eine Zusammenlegung zu Mittelpunktschulen den modernen schulischen Leistungsanforderungen angepasst werden sollten. Einen ersten Vorstoß machte auch hier die SPD, als sie im April 1963 die Landesregierung aufforderte, einen Plan vorzulegen, um bis 1974 die fünften bis achten Klassen aller Volksschulen in zentral gelegenen Mittelpunktschulen zusammenzufassen  – ein Anliegen, dass der oben angeführte Antrag vom Januar 1965 noch einmal unterstrich.572 Die katholischen Bischöfe des Landes zeigten zwar Verständnis für die Forderung nach Zusammenlegung von Kleinstschulen, beharrten jedoch auf dem Erhalt der katholischen Bekenntnisschule. Aus Gründen der Erziehung und Sozialisation verlangte der Episkopat zudem, am Prinzip der Dorfschule festzuhalten. Allgemein galt der Kirche die Vermittlung eines soliden religiösen Fundaments als zentrale Aufgabe insbesondere der ländlichen Schule.573 Nachdrücklich unterstützt wurde die bischöfliche Haltung durch den nordrhein-westfälischen Landesverband der Katholischen Lehrerschaft Deutschlands, der befand: »Jede schematische Zentralisierung von Landschulen unter Außerachtlassung gewachsener soziologischer, konfessioneller und kommunaler Gegebenheiten ist abzulehnen.«574 Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland stellte zwar fest, dass sie »[w]egen des besonderen Charakters der katholischen Bekenntnisschulen« in Gegenden mit schwacher evangelischer Bevölkerung unter Umständen an wenig gegliederten evangelischen Konfessionsschulen festhalten würde, damit evangelische Kinder nicht die katholische Schule besuchen müssten. Anders als die katholische Kirche sprach man sich hier aber prinzipiell 572 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 5/105, Antrag der Fraktion der SPD betr. Neuordnung der wenig gegliederten Volksschulen in Nordrhein-Westfalen durch Bildung von Mittelpunktschulen, 2.4.1963. 573 Vgl. »Verlautbarung der deutschen Bischöfe zur Frage der zeitgerechten Landschule« vom 15.11.1963, LA NRW, NW 147 Nr. 27, Bl. 82–84. 574 »Stellungnahme des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen des Verbandes der Katholischen Lehrerschaft Deutschlands zur Neuordnung des ländlichen Schulwesens«, LA NRW, NW 147 Nr. 27, Bl. 88–90.

236  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  dafür aus, »durch die Bildung von Schulverbänden leistungsfähige Mittelpunktschulen« zu ermöglichen.575 Ähnlich differierten die Positionen unter den Landtagsfraktionen: Die FDP, obgleich in einer Koalition mit der CDU, zeigte deutliche Sympathien für das sozialdemokratische Anliegen – ein Umstand, der sich nach der folgenden Landtagswahl in einem markanten Wandel der Schulpolitik niederschlagen sollte. Die Christdemokraten und ihr Kultusminister betonten zwar ebenfalls die Notwendigkeit einer Landschulreform, waren allerdings bemüht, sowohl die Dorfschule als auch die ungegliederte Schule als Institution zu verteidigen.576 Bei der Betrachtung der Diskussion des SPD-Antrags im Landtag fällt auf, dass der Begriff der Bekenntnisschule von keiner Seite bemüht wird. Eingedenk der Tatsache, wie eng verbunden das Problem der ungegliederten Dorfschule mit dem der Bekenntnisschule war, könnte man beinahe sagen, es wurde über die Zukunft der Bekenntnisschule verhandelt, ohne diese beim Namen zu nennen. Für die SPD mag eine solche Aussparung als vernünftige Taktik erklärbar sein, um nicht kulturkämpferisch zu wirken; anders sieht es auf Seiten der CDU aus, denn hier hatte man sich zuvor stets explizit als Verteidiger konfessioneller Anliegen in Szene gesetzt. Es scheint sich hier ein Paradigmenwechsel anzudeuten, wonach im Schulwesen statt konfessioneller zunehmend pädagogische Argumente den Ausschlag zu geben begannen. In diesem Zusammenhang sind auch die Ausführungen Kultusminister Mikats zur Landschulreform bezeichnend, die er in einer Denkschrift des Sommers 1964 machte: Demnach traf damals die Zusammenlegung von Schulen oder auch nur die Zusammenfassung zu gemeinsamen Oberstufen häufig auf Widerspruch in der Dorfgemeinschaft, welche die dorfeigene Schule favorisierte. Dennoch beobachtete Mikat, dass die pädagogische Einsicht, wenig gegliederte Schulen könnten einen adäquaten modernen Bildungsstand nicht mehr vermitteln, sich zunehmend durchsetzte.577 Der Kultusminister erweckt in diesem Text klar den Eindruck, selber von der pädagogischen Unzulänglichkeit wenig gegliederter Schulen überzeugt zu sein. Dazu passt auch, dass Mikat sich im Rahmen des im März 1964 stattfindenden zwölften CDU-Bundesparteitags zwar für eine christliche Kulturpolitik aussprach, gleichzeitig aber zustimmend den SPD Bundes­tagsabgeordneten und späteren Bundespräsidenten Gustav H ­ einemann ­(1899–1976) mit den Worten zitierte:

575 »Wort der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland zur Schulart« vom 16.7.1964, LA NRW, NW 147 Nr. 27, Bl. 85. 576 Vgl. dazu Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 16. Sitzung (5. WP), 14.5.1963 577 Vgl. Mikat, Paul: Denkschrift über die Neuordnung des ländlichen Volks- und Sonderschulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen unter Einbeziehung des ländlichen berufsbildenden Schulwesens, August 1964, LA NRW, NW 147 Nr. 27, Bl. 15–90, hier S. 72 f.

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Wenn wir uns dahin einigen, daß eine staatliche Schule nur bedingt ein bestimmtes Gepräge haben kann, und in jedem Fall aber auf der Höhe und in der Beweglichkeit pädagogischer Erkenntnisse stehen soll und allen in ihr unterrichteten Schülern zumutbar sein muß – und wenn wir uns darüber hin bereit finden, den konfessionellen und weltanschaulichen Sonderanliegen den nach Maßgabe allseitiger schulischer Leistungsfähigkeit vertretbaren möglichst großen Raum und Förderung zu gewähren, können wir bei allseitig gutem Willen aus der Sackgasse herauskommen.578

Offensichtlich vertrat Mikat also die Position, dass die CDU kirchliche Anliegen auf dem Schulsektor zwar zu berücksichtigen habe, jedoch nicht zu Lasten einer bestmöglichen pädagogischen Ausgestaltung der Schulen. Vor diesem Hintergrund wird auch die oben erwähnte Kritik konservativ-katholischer Kreise am Kultusminister verständlich, insbesondere, wenn Mikat in derselben Rede feststellte, die CDU stehe zwar für eine »gemeinsame Verantwortung von Kirche und Staat«, es dürfe aber nicht ihre Aufgabe sein, »spezifisch kirchliche Forderungen über den Weg staatlichen Zwanges – etwa über den Weg der Gesetzgebung – durchzusetzen«.579 Angesichts der Tatsache, dass die CDU aber ebendies seit 1945 regelmäßig getan hatte, erscheint die Rede vom Paradigmenwechsel keineswegs übertrieben, wenn ein CDU-Kultusminister nun gleichsam einer gewissen Emanzipation von kirchlichen Politikvorstellungen das Wort redete. k)

Die Schulreformen der sozialliberalen Koalition

Der bildungspolitische Wandel sollte allerdings von anderer Seite vorangetrieben werden. Mit der Landtagswahl am 10. Juli 1966 löste die SPD mit 49,5 Prozent der Stimmen erstmals die CDU (42,8 Prozent) als stärkste Partei in Nordrhein-Westfalen ab, die FDP kam auf 7,4 Prozent. Ungeachtet dieses Ergebnisses entschieden Union und FDP sich zunächst zur Fortsetzung ihrer Koalition parallel zur Situation im Bund. Infolge des Endes der schwarz-gelben Koalition in Bonn zeigte sich die nordrhein-westfälische FDP jedoch Verhandlungen mit den Sozialdemokraten in Düsseldorf gegenüber offen. Am 6. Dezember stellte die SPD unterstützt von der FDP im Landtag den Antrag auf Neuwahl des Ministerpräsidenten und am 8. Dezember erfolgte die Wahl des bisherigen SPD-Fraktionsführers Heinz Kühn zum Nachfolger Meyers.580 Kultusminister der neuen sozialliberalen Regierung wurde der SPD-Abgeordnete Fritz Holthoff.

578 Zit. nach Mikat, Paul: Manuskript zum Referat »Kulturpolitik«, Arbeitskreis IV des 12. CDU Bundesparteitages in Hannover, 16.3.1964, LA NRW, NW 147 Nr. 2, Bl. 44–61, hier S. 5. 579 Ebd., 2. 580 Zu den genannten Gründen für den Regierungswechsel siehe Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 6. Sitzung (6. WP), 6.12.1966, 102–104.

238  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  In Anbetracht der Schulpläne, die SPD und FDP bis zu diesem Zeitpunkt verfolgt hatten, könnte man erwarten, dass im katholischen Milieu nicht geringe Vorbehalte gegenüber der neuen Regierung bestanden. Tatsächlich erfuhr die Koalition derlei Misstrauen jedoch »fast ausschließlich von unentwegten CDU-Katholiken«, wie es in einer Presseschau des SPD -Parteivorstands hieß. Im Ganzen gesehen nahmen die Sozialdemokraten eine positive Grundstimmung unter den Katholiken wahr: »Noch nie waren die Kommentare der katholischen Presse so wohlwollend wie nach der Düsseldorfer Regierungsbildung.«581 Dabei stellte Ministerpräsident Kühn bereits in seiner ersten Regierungserklärung eine Reihe von Maßnahmen in Aussicht, die Konfliktpotential mit der katholischen Kirche – weniger mit den evangelischen Landeskirchen – in sich trugen. Neben der Ankündigung, die verfassungsrechtliche Gewährleistung wenig bis ungeteilter Schulen ändern zu wollen, dürfte vor allem das Vorhaben, die »Hauptschule mit den Klassen 5 bis 9 als eine selbstständige Schulform weiterführender Bildung« zu etablieren in der katholischen Kirche so manchem missfallen haben, wurde damit doch der Fortbestand der Bekenntnisschule im Bereich der Volksschule in vielen Fällen infrage gestellt.582 Zwar versprach Kühn, die Änderungen im Schulwesen mit Eltern, Schulträgern, Lehrern und den Kirchen beraten zu wollen sowie »die Freiheit, die rechtliche Stellung und den besonderen Auftrag der Kirchen« zu achten. Dennoch ließ er am Willen der Koalition zu schulpolitischen Veränderungen keinen Zweifel, wenn er hinzufügte: »Die Landesregierung erwartet von den Kirchen, daß sie das Recht und die Freiheit der staatlichen Organe anerkennen, die für das Wohl der Bürger notwendigen Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen.«583 Um den Ankündigungen Taten folgen zu lassen, erarbeiteten die Koalitionsparteien im März 1967 konkrete Pläne für eine Schulreform. Unter anderem sollten die Volksschulen in Grund- und Hauptschule getrennt werden, wobei letztere als Gemeinschaftsschulen errichtet würden. Durch die ebenfalls von der Koalition angestrebte Streichung der verfassungsmäßigen Garantie wenig gegliederter Schulen wären aber auch im Bereich der Grundschule zahlreiche kleine Konfessionsschulen weggefallen. Aus diesem Grund erhob die katholische Kirche, unterstützt durch die CDU, scharfen Widerspruch gegen die Pläne von SPD und FDP, denen sie die Verletzung des Elternrechts vorwarf. Kultusminister Holthoff hielt den kirchlichen Einwänden entgegen, dass laut einer damals durchgeführten Meinungsumfrage über 80 Prozent der Bevölkerung die simultane Schule befürworteten, die Landesregierung also schwerlich den Elternwillen missachten würde. Zudem garantiere das Land die Errichtung 581 Zit. nach Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 247. 582 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 8. Sitzung (6. WP), 13.12.1966, 114. 583 Ebd., 115.

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privater konfessioneller Hauptschulen und finanziere diese gemäß dem Ersatzschulfinanzgesetz umfangreich.584 Ungeachtet solcher Beschwichtigungsversuche bemühte sich die katholische Kirche, das Reformprojekt der Landesregierung zu unterlaufen. Dabei demonstrierten die Bischöfe, dass sie sehr wohl noch Autorität unter den Gläubigen besaßen und das katholische Milieu durchaus noch konfliktfähig war, so etwa als sich im Rahmen der Einführung der Hauptschule in Dortmund ein größerer Teil der katholischen Eltern nach einem Aufruf Bischof Jaegers weigerte, ihre Kinder in die Schule zu schicken.585 Die Folgebereitschaft der Katholiken gegenüber dem Episkopat kannte allerdings ihre Grenzen, wie der Essener Bischof sogar in Bezug auf die eigenen Priester feststellen musste: Nachdem der Essener Generalvikar den Klerus des Bistums im April 1967 zum Einsatz für die Bekenntnisschule zu mobilisieren versucht hatte, wehrten sich 19 Priester in einem offenen Brief gegen »den Versuch, die heutige Schulsituation allein vom Gesichtspunkt der Bewahrungspädagogik und vom katholischen Standortdenken aus zu meistern«. Weiter hieß es dort: »Wir wissen, daß ein wachsender Teil nicht nur der Eltern, sondern auch des Klerus das Verhalten unserer Bischöfe in der Schulfrage nicht billigt.«586 Im Erzbistum Paderborn wandten sich im Mai desselben Jahres 57 Priester ebenfalls in einem offenen Brief an Kardinal Jaeger und kritisierten den »kirchlichen Dirigismus« in Schulfragen: »Auch katholische Christen sollten die Freiheit haben, in Fragen der Schulpolitik unterschiedlicher Auffassung zu sein.«587 Während das Schreiben an sich nicht als repräsentative Darstellung der Stimmung unter den Katholiken herangezogen werden kann, drückt diese Form des Widerspruchs doch einen mit der Aufbruchsstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils in Verbindung zu bringenden innerkirchlichen Wandel aus: Bestimmte Sachfragen wollten die Kirchenmitglieder nicht länger durch lehramtliche Aussagen entschieden wissen, sondern legten vielmehr eigene politische und soziale Maßstäbe an. Zwar erfuhren die katholischen Bischöfe Unterstützung aus Rom, indem der Heilige Stuhl durch Nuntius Bafile dem Auswärtigen Amt eine Protestnote übersandte, welche die Nichtbeachtung der Schulartikel des Reichskonkordats in verschiedenen Bundesländern beklagte – wobei allerdings zugleich Verhandlungs 584 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 31. Sitzung (6. WP), 29.2.1968, 1101; Landesregierung Nordrhein-Westfalen, Landespresse- und Informationsstelle: Kultusminister Holthoff zur Presseerklärung der katholischen Bischöfe von Nordrhein-Westfalen, 29.3.1967, LA NRW, NW 372 Nr. 561. 585 Vgl. dazu Hauptschulversuch mit großen Hindernissen. In: Die Welt vom 15.9.1967, LA NRW, NW 372 Nr. 559. 586 Offener Brief von 19 Geistlichen des Bistums Essen an Bischof Hengsbach vom 28.4.1967, LA NRW, NW 372 Nr. 561, hier 1 und 2; vgl. auch Schreiben des Generalvikariats Essen an alle Priester im Bistum vom 18.4.1967, LA NRW, NW 372 Nr. 561. 587 Zit. nach Spotts, F.: Kirchen und Politik, 145.

240  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  bereitschaft signalisiert wurde, was die nordrhein-westfälische Landesregie­rung wiederum begrüßte.588 Die innerkirchlichen Kritiker einer schulpolitischen Blockadehaltung beeindruckte die römische Intervention jedoch wenig. Pikanterweise wandten sich nun ausgerechnet Professoren und Dozenten Pädagogischer Akademien an die katholischen Bischöfe und beklagten, dass die Bischöfe sich in Schulfragen als selbstverständliche Vertreter aller Katholiken sahen, während die Gläubigen sich in diesen nicht zum Glaubenskern gehörenden Angelegenheiten doch eigene Urteile zu bilden hätten: »Wo soll der Katholik im Sinne des Konzils verantwortlich wirken, wenn im öffentlich-politischen Bereich der Kurs von der kirchlichen Obrigkeit festgelegt wird?« Pointiert fragten die Autoren des Briefes, wo denn in der Auseinandersetzung um die Schule eigentlich die Fronten verliefen: Zwischen einem einheitlichen katholischen Lager und einer angeblich kirchenfeindlichen Landesregierung – oder zwischen 70–80 % der Eltern, die für die öffentliche simultane Hauptschule eintreten, und den immer mehr sich isolierenden kirchenamtlichen Verfechtern überkommener Positionen und deren Getreuen?589

In den hier angeführten Schreiben der Priester des Bistums Essen und der Hochschullehrer zeigt sich beispielhaft, dass, befeuert durch das Konzil, analog zur gesellschaftlichen Demokratisierung ein innerkirchlicher Demokratisierungsprozess in Bewegung geraten war, der nicht allein von den Laien, sondern auch von Teilen des Klerus getragen wurde. Ungeachtet aller Anzeichen eines Gesinnungswandels innerhalb des katholischen Kirchenvolkes, der die schulpolitische Position der Bischöfe auf absehbare Zeit unhaltbar machen würde, zeigten sich SPD und FDP in ihrem Reformvorhaben kompromissbereit gegenüber den Kritikern aus katholischer Kirche und CDU. Nach intensiven Gesprächen einigten sich die Landtagsfraktionen von SPD, CDU und FDP schließlich sogar auf gemeinsame Entwürfe für eine Änderung der Schulartikel der Landesverfassung einerseits sowie der bestehenden Schulgesetze andererseits. Am 27. Juni 1967 wurden die entsprechenden Anträge im Landtag eingebracht und durch Kultusminister Holthoff begründet. Der Minister stellte hinsichtlich der Notwendigkeit einer Verfassungs- und Schulgesetzänderung fest, dass etwa 500.000 Volksschüler nicht in Jahrgangsklassen unterrichtet würden und sich knapp 50.000 Schülerinnen und Schüler als konfessionelle Minderheiten an Bekenntnisschulen befänden. Bestrebungen zur Reform des konfessionellen Schulwesens seien daher aus den Gedanken der Leistungsfähigkeit, des Minderheitenschutzes und eines individuell verstandenen Grundrechts 588 Vgl. Vatikan Protestnote – wiederholter eklatanter Rechtsbruch vorgeworfen, ap-Mitteilung vom 11.4.1967, LA NRW, NW 372 Nr. 561. 589 Offener Brief von 15 Professoren und Dozenten Pädagogischer Akademien an die katholischen Bischöfe Nordrhein-Westfalens, LA NRW, NW 372 Nr. 561.

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  241

auf Glaubensfreiheit erwachsen. Die Änderungsentwürfe sahen konkret eine Trennung der Volksschule in Grund- und Hauptschule vor, wobei die Grundschule im Regelfall einzügig ausfallen sollte, also mit vier aufeinanderfolgenden Jahrgangsklassen. Insofern eine solche Gliederung gewahrt würde, ließ der interfraktionelle Entwurf auch eine Errichtung von konfessionellen Grundschulen auf Antrag der Erziehungsberechtigten zu. Die Hauptschulen sollten demgegenüber grundsätzlich Gemeinschaftsschulen sein, wobei auch hier der Beantragung einer Bekenntnisschule dann stattgegeben würde, wenn sich gleichzeitig eine Gemeinschaftsschule in zumutbarer Entfernung befände. Konfessionelle Hauptschulen sollten überdies auf Antrag der Erziehungsberechtigten eines Drittels der Schülerinnen und Schüler in Gemeinschaftsschulen umgewandelt werden können. Generell sollten für Minderheiten an Bekenntnisschulen eigene Lehrkräfte angestellt werden. Daneben garantierten die Entwürfe die Existenz und die staatliche Subventionierung privater Hauptschulen.590 Der Redner der CDU-Fraktion betonte, seine Partei unterstütze den Ausbau eines leistungsfähigen Schulwesens, werde aber auch in Zukunft für weltanschaulich differenzierte Schulen eintreten. Während er für seine Partei abermals den Grundsatz des Elternrechts unterstrich, konzedierte er, dass dieser sich im Bereich der Hauptschule »immer nur in Übereinstimmung mit dem Prinzip der Leistungsfähigkeit der Schule bewegen kann«. Um die somit vollzogene Preisgabe des Bekenntnisschulprinzips abzufangen, forderte die CDU jedoch, an sämtlichen Schulen bei der Anstellung von Lehrkräften auf die konfessionelle Zusammensetzung der Schüler Rücksicht zu nehmen.591 Für die SPD stellte Johannes Rau fest, dass es auch innerhalb und zwischen den beiden Kirchen zu lebhaften Diskussionen gekommen sei, wobei unterschiedliche Ansichten arti­ kuliert wurden. Angesichts der Einigung aller drei Landtagsparteien meinte er aber, dass wohl auch beide Kirchen den Kompromiss mittragen könnten.592 Eine von der Westfälischen Rundschau unternommene Auswertung der katholischen Kirchenpresse im Bundesland schien Raus Einschätzung sowohl hinsichtlich der verschiedenen existierenden Meinungen, als auch mit Blick auf die prinzipielle Tragfähigkeit des Kompromisses zu bestätigen. Denn während zwar die Kölner »Kirchenzeitung« in der Gesetzesänderung eine Maßnahme erblickte, »die allen demokratischen Empfindungen zuwiderläuft« und mit der die katholischen Eltern sich nicht abfinden würden, kam das Bistumsblatt des Erzbistums Paderborn zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der katholischen Schulkinder auch weiterhin eine Bekenntnisschule besuchen könnte, wenn die Eltern dies wünschten. Das Bistumsblatt Münster resümierte sehr nüchtern, 590 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 17. Sitzung (6. WP), 27.6.1967, 485–489. 591 Ebd., 491, vgl. 492. 592 Ebd., 493–495.

242  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  mit den neuen gesetzlichen Bedingungen könne man durchaus arbeiten – und mitunter eröffne der Abschied vom Altbekannten neue sinnvolle Optionen.593 Auch die evangelischen Kirchen, die ohnehin nicht mit Kritik an der Schulpolitik der sozialliberalen Regierung aufgefallen waren, stimmten dem Vorhaben im Ganzen zu. So ließ die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen etwa verlauten, die Grundlinie der Schulpläne stimme mit den Beschlüssen der Landessynode von 1966 überein, wonach die Grundschule Bekenntnisschule, die Hauptschule als weiterführende Schule aber Gemeinschaftsschule sein solle.594 Während also die evangelischen Kirchen den Gesetzesänderungen grundsätzlich zustimmten und auch Teile der katholischen Presse diese zwar nicht eben euphorisch, aber doch mit einem gewissen pragmatischen Optimismus beurteilten, entschloss sich der nordrhein-westfälische Episkopat Anfang des Jahres 1968 dazu, noch einmal scharfen Protest gegen die Schulreformen einzulegen. In einer gemeinsamen Erklärung beklagten die Bischöfe unter anderem die Schwierigkeiten bei der Gründung konfessioneller Hauptschulen und die angeblich schlechten Chancen für Schulen in freier Trägerschaft. Insbesondere die Bestimmung der Gemeinschaftsschule als Regelschulform im Hauptschulbereich sei »ein vernichtender Schlag gegen die freie Gewissensentscheidung der Eltern«.595 Dieser Versuch, die Schulreform als moralisch fragwürdiges Unterfangen zu stilisieren, scheint jedoch selbst in der katholischen Elternschaft auf wenig Resonanz getroffen zu sein. So fragte etwa die Düsseldorfer Tageszeitung »Rheinische Post« wenige Tage nach der bischöflichen Erklärung: »Stehen die Bischöfe allein?«, um daraufhin festzustellen, dass die Eltern im Gegensatz zum Episkopat mit dem Reformprojekt weitgehend einverstanden zu sein schienen.596 In der Tat ergab eine repräsentative Umfrage in Nordrhein-Westfalen eine Zustimmung von 82 Prozent der Befragten zu einem gemeinsamen Unterricht der Konfessionen, wobei sich neben 85 Prozent der »praktizierenden Protestanten« auch 65 Prozent der »praktizierenden Katholiken« für die Gemeinschaftsschule aussprachen.597 Gänzlich unbeachtet blieb der Protest der Bischöfe allerdings nicht, denn die Landtagsparteien bemühten sich auffallend darum, die Vereinbarkeit der neuen Regelungen mit dem Elternrecht darzulegen. So bezeichnete der Berichterstatter der SPD das Recht der Eltern auf Bestimmung des weltanschaulichen Charakters 593 Schulfriede ist nicht gefährdet. In: Westfälische Rundschau vom 1.7.1967, LA NRW, NW 372 Nr. 559. 594 Westfälische Kirchenleitung zur Schulfrage. In: Evangelischer Pressedienst, Nr. 167, 14.12.1967, LA NRW, NW 372 Nr. 559. 595 Abdruck der Erklärung in: Die Bischöfe des Landes Nordrhein-Westfalen zur Schulsituation. In: Aachener Volkszeitung vom 20.1.1968, LA NRW, NW 372 Nr. 772. 596 Stehen die Bischöfe allein? In: Rheinische Post vom 27.1.1968, LA NRW, NW 372 Nr. 559. 597 Vgl. Strittige Schulfragen in Nordrhein-Westfalen. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung, Jg. 61, Nr. 4 vom 28.1.1968, 5.

Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen  243

der Schule als eines der leitenden Prinzipien dieser Gesetzgebung, wenngleich es »nur im Rahmen eines geordneten Schulbetriebs« verwirklicht werden könnte.598 Alle drei Parteien waren sich hinsichtlich der Gemeinschaftsschule zudem darin einig, dass in ihr »die christlichen Bildungs- und Kulturwerte nicht nur im Sinne eines unverbindlichen Kulturchristentums Platz haben« müssten.599 Es blieb nicht bei bloßen Beteuerungen, vielmehr wurden in der Ausschussarbeit noch Änderungen umgesetzt, die zumindest einigen der bischöflichen Sorgen begegneten: So wurde etwa festgelegt, dass auf Antrag der Erziehungsberechtigten von zwei Dritteln der Schülerinnen und Schüler eine Grundschule in eine Bekenntnis-, Gemeinschafts- oder Weltanschauungsschule umgewandelt werden könne (§ 17 III SchOG), wodurch der Fortbestand konfessioneller Grundschulen ermöglicht wurde. In sämtlichen Schulen musste zudem bei der Lehreranstellung Rücksicht auf die konfessionelle Zusammensetzung der Schüler genommen werden (§ 22 I SchOG) – im Entwurf war dies noch eine Bestimmung, die es nur »möglichst« umzusetzen galt. Schließlich verfügte der neue § 27 II SchOG, dass eine Umwandlung von konfessionellen Hauptschulen in Gemeinschaftsschulen erst ab dem Schuljahr 1972 möglich sei, was gleichsam eine Schonfrist für bestehende Bekenntnisschulen bedeutete.600 Bestimmte Kritikpunkte der katholischen Bischöfe wurden somit berücksichtigt und die Gesetzesnovelle entsprechend angepasst. Gleichzeitig behielten die drei Landtagsparteien den grundsätzlichen Reformkurs bei, der augenscheinlich von einem Großteil der katholischen Eltern und auch von Teilen des katholischen Klerus mitgetragen wurde. Von einer kirchen- oder gar religionsfeindlichen Maßnahme lässt sich daher schwerlich sprechen. In diesem Zusammenhang betonte auch Johannes Rau als SPD-Fraktionsvorsitzender während der zweiten Lesung des Änderungsgesetzes zu den Schulgesetzen, dass »alle demokratischen Parteien es nicht nur mit Worten so sagen, sondern es in der Sache so meinen, daß der christliche Glaube in diesem Land, in diesem Staat und in seinen Schulen vernehmbar, unverwechselbar und wirksam sein muß«.601

598 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 31. Sitzung (6. WP), 29.2.1968, 1094, vgl. auch 1093. 599 Ebd., 1095. 600 Siehe Gesetz zur Änderung des Ersten Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen, des Schulverwaltungsgesetzes und des Schulfinanzgesetzes vom 5. März 1968, GV. NRW. 10/1968 (8.3.1968), 36–39; Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 6/321, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen, des Schulverwaltungsgesetzes und des Schulfinanzgesetzes, 20.7.1967. 601 Landtag Nordrhein-Westfalen: Stenografischer Bericht der 31. Sitzung (6. WP), 29.2.1968, 1102.

244  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  l) Fazit Die nordrhein-westfälische Bildungspolitik der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte war, wie im Vorangegangenen dargelegt, zunächst von ausgesprochener Kirchenfreundlichkeit geprägt. Insbesondere unter der Ägide von Kultusministerin Christine Teusch fielen die meisten Maßnahmen im Bereich des Volks- und Privatschulwesens nicht nur in den Bereich der Governance for Religions, sondern tatsächlich sogar in jenen der Governance by Religions, wirkten doch Vertreter vor allem der katholischen Kirche an zentraler Stelle an zahlreichen Gesetzesvorhaben mit. Dies ging so weit, dass kirchliche Schulfachleute ganze Passagen für Gesetzesentwürfe formulierten. Während die Mitarbeit von Interessenvertretern an ihre Klientel betreffenden Gesetzen heute keineswegs eine Seltenheit darstellt, erscheint diese enge Einbindung der Kirche(n) doch bemerkenswert. Entsprechend konnten die Kirchen sich in Nordrhein-Westfalen gut integriert und ihre Interessen als bestens vertreten betrachten, was sich beispielhaft an der starken Unterstützung der katholischen Kirche für die Landesverfassung zeigte. Erst unter der sozialliberalen Regierung Kühn wurden aus Sicht des katholischen Episkopats schmerzhafte Schulreformen umgesetzt, welche die unionsgeführten Vorgängerregierungen soweit es ging vermieden hatten. Seitens der evangelischen Landeskirchen waren bestimmte Aspekte dieser Reform ohnehin seit längerem eingefordert worden und da nun auch weite Teilen der katholischen Elternschaft die Notwendigkeit eines schulpolitischen Wandels bejahten, fand sich schließlich eine breite parlamentarische Mehrheit dafür zusammen. Kann die dieser Untersuchung zugrundeliegende Forschungsthese nun durch die dargestellte Entwicklung als bestätigt angesehen werden? Immerhin wäre es möglich, darauf zu verweisen, dass zahlreiche katholische Eltern den schulpolitischen Positionen ihrer Bischöfe nicht mehr folgten, deren politische Einbindung im Sinne der These also auch nicht erheblich für die Positionierung des gesamten Kirchenvolks sein konnte. Damit würde indes ausgeblendet, dass das katholische Milieu bis zu diesem Zeitpunkt eine hohe Geschlossenheit aufgewiesen hatte, die katholischen Eltern dem Episkopat zuvor sehr wohl gefolgt waren und aufgrund der kirchenfreundlichen religionspolitischen Haltung der verschiedenen Landesregierungen keinen Grund zu Misstrauen in die Schulpolitik des Landes hatten. Somit kann die reformbejahende Haltung vieler Katholiken in den Jahren 1967/1968 vielmehr mit einem hohen Vertrauen in die Landespolitik aufgrund bisheriger Erfahrungen begründet werden – neben dem zweifelsohne vorhandenen neuen Bedürfnis nach leistungsstärkeren Schulen. Diese Lesart ist auch deswegen nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen, da die Regierung Kühn keineswegs ein dezidiert konfessionsschulfeindliches Reformprogramm verfolgte, sondern der Bekenntnisschule sowohl als öffentlicher wie als privater Schule ihre Existenzmöglichkeit beließ, vom Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach ganz zu schweigen. Gerade indem die Reform also konfessionelle und moderne

Bildungspolitik in Bayern  245

pädagogische Gesichtspunkte miteinander vereinbarte, konnte sie von gläubigen Eltern befürwortet werden – und war dem allein an konfessionellen Aspekten orientierten Programm der katholischen Bischöfe überlegen.

4. Bildungspolitik in Bayern a)

Einleitende Bemerkungen

Die abschließende Länderfallstudie zur religionspolitischen Governance in der Schulpolitik widmet sich dem Freistaat Bayern. Da dieses Bundesland sich von den vorangegangenen Fallbeispielen sowohl hinsichtlich der Konfessionsstruktur als auch der besatzungspolitischen Rahmenbedingungen deutlich unterschied, wird das vorliegende Kapitel auch zeigen, inwieweit diese Faktoren spürbaren Einfluss auf die Entwicklung religiöser Liberalität ausübten. Was die konfessionelle Verteilung der Bevölkerung anbelangt – und damit auch den politischen Einfluss –, lag das Schwergewicht klar auf Seiten der katholischen Kirche. So gehörten im Jahr 1946 71,35 Prozent der bayerischen Bevölkerung der katholischen Kirche an, verteilt auf das Erzbistum München und Freising mit den Bistümern Augsburg, Passau und Regensburg sowie das Erzbistum Bamberg mit den Bistümern Eichstätt und Würzburg.602 Demgegenüber machte die evangelische Bevölkerung 26,46 Prozent der Gesamtbevölkerung Bayerns aus, vereinigt in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayern, einer der wenigen »intakten« Landeskirchen.603 Der Schulreferent der hannoverschen Landeskirche kommentierte im Jahr 1951 in einer Analyse zur Schulsituation die Lage in Bayern mit den Worten: »Die evangelische Kirche ist weitgehend Diasporakirche.«604 Im Gegensatz zum niedersächsischen Fallbeispiel steht Bayern damit für ein stark katholisch geprägtes Bundesland, das sich gemäß der Einschätzung der US -Militärregierung zudem durch eine hohe Loyalität der Katholiken zu ihrer Kirche auszeichnete.605 Dementsprechend ist zu erwarten, dass den schulpolitischen Vorstellungen der katholischen Kirche eine entsprechend hohe Bedeutung in der Bildungspolitik zuteilwurde. 602 Zum Erzbistum Bamberg gehört außerdem das Bistum Speyer, welches die ehemaligen linksrheinischen Gebiete des Königreichs Bayern umfasst. Das entsprechende Territorium wurde 1946 Teil des Bundeslandes Rheinland-Pfalz. 603 Zu den Prozentangaben siehe Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 67. 604 Osterloh, Edo: Schule und Kirche nach dem Zusammenbruch 1945. In: Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland. 77. Jg, 1950. Hg. von Joachim Beckmann. Gütersloh 1951, 372–422, hier 410. 605 Vgl. Sonnenberger, Franz: Schulkampf in Bayern. Band 2: Die Rekonfessionalisierung der Bayerischen Volksschule 1945–1950. Sonderdruck aus: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Bd. 45, Nr. 1 (1982), 87–155, München 1982, 118 f.

246  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Ohnehin stellten in Bayern die Kirchen bis ins 20. Jh. hinein die »dominierende Bildungsmacht« dar, da auch unter dem Einfluss von Industrialisierung und Modernisierung der staatlichen Verwaltung eine konsequente Verstaatlichung des Schulwesens hier nicht stattgefunden hatte: Trotz aller Veränderungen bewahrten die Kirchen sich ein starkes Mitspracherecht in schulpolitischen Angelegenheiten.606 Das Bayerische Konkordat (BayKonk) vom 29. März 1924 und der annähernd gleichlautende Vertrag mit der evangelischen Kirche vom 15. November 1924 sicherten den Bestand der öffentlichen Bekenntnisschule sowie der konfessionellen Lehrerbildung ab und garantierten die Freiheit zur Errichtung kirchlicher Privatschulen; durch die Schulsprengelverordnung von 1883 war die Bekenntnisschule zudem Regelschule für bayerische Volksschulen.607 Kein anderer vor dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossener Kirchenvertrag verbürgte so weitgehende Rechte.608 Doch auch in Bayern änderten sich die religionspolitischen Bedingungen nach 1945 spürbar: Während die durch Flucht und Migration bedingten Bevölkerungsbewegungen der Nachkriegszeit die konfessionelle Makrostruktur kaum beeinflussten, veränderte sich die Konfessionsstruktur auf der Mikroebene entscheidend, indem die meisten traditionell gewachsenen konfessionellen Gebiete aufgebrochen wurden.609 Existierten 1939 noch 1353 rein katholische Gemeinden in Bayern, so verblieben davon im Jahr 1953 noch ganze 27 – homogen evangelische Kommunen bestanden zu diesem Zeitpunkt keine mehr. Diese Heterogenisierung der konfessionellen Mikrostruktur war ein wichtiger Grund dafür, dass die von konservativen Politikern und Kirchenvertretern angestrebte Wiedereinführung der Bekenntnisschule nach dem Krieg mit ernsten Schwierigkeiten verbunden sein sollte.610 Ein weiteres, unmittelbareres Hindernis für eine restaurative Schulpolitik stellte in Bayern die US -amerikanische Militärregierung dar, die, im Gegensatz zu den Briten in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen, eine aktive bildungspolitische Rolle anstrebte und konkrete Schulreformpläne durchzusetzen gedachte. Der darüber mit der CSU-geführten bayerischen Staatsregierung ausbrechende Konflikt wird im vorliegenden Kapitel ausführlich beleuchtet, da er von zentraler Bedeutung für die Wahrnehmung des bayerischen Staates in den 606 Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 15, vgl. 15 f. 607 Siehe Konkordat zwischen seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern (­BayKonk), BayGVBl. 3/1925 (22.1.1925), 53–60; Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins, BayGVBl. 3/1925 (22.1.1925), 61–69. Vgl. Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 183; Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 7, 175. Gemäß Art. 6 BayKonk waren auf Antrag der Eltern Bekenntnisschulen »selbst in der Form einer ungeteilten Schule« zu errichten. 608 Vgl. Schmitz-Stuhlträger, K.: Das Recht auf christliche Erziehung, 138. 609 Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 30 f. 610 Vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 68 f.

Bildungspolitik in Bayern  247

Augen der Kirchen sein sollte: Für die Kirchen stellte sich die Staatsregierung als loyale Garantin eines christlich geprägten Bildungssystems dar, weshalb sie dem bayerischen Kabinett gegen die Militärregierung entschieden den Rücken stärkten und damit die neue demokratische Ordnung des Freistaats legitimierten. b)

Besatzungszeit – die Regierungen Schäffer und Hoegner

Mit Ausnahme des Landkreises Lindau und der bayerischen Rheinpfalz stand Bayern nach Kriegsende unter US -amerikanischer Besatzung.611 Wie in den Besatzungszonen der übrigen Alliierten, lag die politische Entscheidungshoheit bei der Militärverwaltung. Eines der primären Anliegen der amerikanischen Besatzungsmacht war die Entnazifizierung des deutschen Beamtenapparates in ihrem Einflussbereich. Das Augenmerk galt dabei nicht zuletzt der Lehrerschaft als Erzieher der Jugend. So lautete etwa eine amerikanische Direktive vom 7. Juli 1945: Wer der NSDAP vor dem 1.5.1937 beigetreten ist oder wer ein Amt in der Partei gehabt hat, einerlei wann, wer in besonders scharfer Art als Nationalsozialist hervorgetreten ist, wer Militarist war oder eine leitende militärische Stelle eingenommen hat, kann nicht als Schulbeamter oder Lehrer verwendet werden.612

Neben etwaigen ideologischen Gründen führte die verbreitete Zustimmung von Lehrern zu den strukturellen Eingriffen der Nationalsozialisten in das Schulwesen – Umwandlung von Bekenntnis- in Gemeinschaftsschulen und Beseitigung der kirchlichen Schulaufsicht – zu einer hohen Prozentzahl an Parteimitgliedschaften in dieser Berufsgruppe.613 Das konsequente Entnazifizierungsprogramm der US -Militärverwaltung hatte daher zur Folge, dass in Bayern im Jahr 1946 nur etwa ein Drittel der Lehrer von 1943 (5.756 von 17.224) im Amt verbleiben durfte.614 Neben dem Lehrpersonal unterlagen auch die Lehrpläne der Entnazifizierung und sollten von NS -Gedankengut gereinigt werden.615 Mit Skepsis betrachteten die Amerikaner außerdem die traditionelle bayerische Schulorganisation auf konfessioneller Basis, galten ihren Bildungsexperten Bekenntnisschulen doch als Hindernis für die geplante Demokratisierung des Schulwesens.616 Da die Kirchen jedoch generell als wichtige Mitstreiter bei der 611 Vgl. dazu auch Paringer, Thomas: Staatsgebiet (19./20. Jahrhundert). In: Historisches Lexikon Bayerns, 25.7.2016. URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Staats​ gebiet_(19./20. Jahrhundert) (Stand 20.3.2020). 612 Weisung der Militärregierung an die Schulaufsichtsbehörde Mainfranken, zit. nach Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 70 f. 613 Vgl. ebd., 74. 614 Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 28. 615 Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 27. 616 Vgl. Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 347.

248  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Demokratisierung der bayerischen Gesellschaft angesehen wurden, beschloss die US -Armee bereits im Herbst 1944, nicht in die Fragen religiöser Schulbildung oder des Bekenntnisschulwesens einzugreifen.617 Dennoch sollte es über diese Frage schon bald zum Konflikt mit der Bayerischen Staatsregierung kommen. Die hohe Meinung der US -Besatzer gegenüber den christlichen Kirchen spiegelte sich unter anderem darin wider, dass Kirchenführer um Rat gebeten wurden, wenn es galt, geeignete Personen für die Besetzung öffentlicher Ämter zu finden. So wurden sowohl Fritz Schäffer (1888–1967), der am 28. Mai 1945 von der Militärverwaltung zum ersten Nachkriegs-Ministerpräsidenten Bayerns ernannt wurde, als auch sein Kultusminister Otto Hipp (1885–1952), den Amerikanern durch den Erzbischof von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber, vorgeschlagen.618 Es liegt hierbei nahe, dass Faulhaber einen Kultusminister empfahl, von dem er eine kirchenfreundliche Bildungspolitik erwarten konnte – und Hipp enttäuschte in dieser Hinsicht nicht. In einem Brief an den Erzbischof vom 22. Juni 1945 legte er dar, dass er »in engster Zusammenarbeit mit der Kirche und in Durchführung der Bestimmungen des Bayerischen Konkordats« eine Wiederbelebung christlichen Lebens in Bayern befördern wolle.619 Faulhaber präsentierte dem Kultusminister daraufhin eine stattliche Liste an schulpolitischen Forderungen. So wünschte er etwa die Beseitigung sämtlicher dem Bayerischen Konkordat widersprechender schulorganisatorischer Maßnahmen seit dem 30. Januar 1933 und die Wiedereinrichtung seither umgewandelter Bekenntnisschulen. Bei dieser Gelegenheit sollte auch die »Hoffmannsche Simultanschulverordnung« von 1919, die in den Städten München, Nürnberg, Selb und Weißenburg Elternabstimmungen zur Schulform vorsah, anstatt die Bekenntnisschule pauschal als Regelfall einzurichten, abgeschafft werden. Weiterhin erbat Faulhaber unter anderem die Wiedereinrichtung ordentlichen Religionsunterrichts unter bischöflicher Aufsicht, die Zulassung geistlicher und klösterlicher Lehrkräfte, die Erlaubnis zur Errichtung von Ordensschulen und die konfessionelle Lehrerausbildung.620 Hipp beeilte sich, die katholischen Forderungen umzusetzen. Am 23. Juli 1945 erklärte er sämtliche schulpolitischen Maßnahmen seit dem 30. Januar 1933 für unwirksam, wodurch der Status quo ante wiederhergestellt wurde – ohne Rücksicht auf sich dadurch eventuell ergebende schulorganisatorische Probleme:

617 So die JCS -Direktive 1143 (24.11.1944), zit. nach Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 101; vgl. ebd., 103 f. 618 Vgl. Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 45 f. Sowohl Schäffer als auch Hipp waren ehemalige Mandatsträger der Bayerischen Volkspartei und wurden 1945 Mitglieder der neugegründeten CSU. 619 Hipp an Faulhaber [22.6.1945] (Dok. 16). In: Hürten, Heinz (Bearb.): Akten Kardinal Michael von Faulhabers. Band III: 1945–1952. Paderborn, München [u. a.] 2002, 15f, hier 15. 620 Faulhaber an Schäffer und Hipp [7.7.1945] (Dok. 18). In: Ebd., 18–23.

Bildungspolitik in Bayern  249

Alle Umwandlungen von Bekenntnisschulen und bekenntnisfreien Schulen, die seitdem vorgenommen wurden, sind rechtsungültig. Dabei muß in Kauf genommen werden, daß dort, wo nach 1933 infolge Zusammenlegung von verschiedenen Bekenntnisschulen eine teilweise oder voll ausgebaute Schule gebildet wurde, wieder mehrere Schulen mit weniger Klassen oder auch ungeteilte Schulen entstehen.621

Gemäß der Schulsprengelverordnung von 1883 war die Bekenntnisschule in Bayern damit wieder Regelschule im Volksschulbereich. Das Kultusministerium ordnete entsprechend die Versetzung nicht dem Bekenntnis der jeweiligen Schule angehörender Lehrer an.622 In einem zweiten Erlass vom 23. Juli wies der Kultusminister die Regierungspräsidenten von Oberbayern, Ober- und Mittelfranken an, die Simultanschulverordnung von 1919 nicht weiter durchzuführen, so dass auch in den entsprechenden Gemeinden die Bekenntnisschule fortan die Regelschule darstellte.623 Damit kam Hipp den weitreichenden Forderungen Faulhabers nach, obgleich er sehr wohl wusste, dass in den von der Simultanschulverordnung betroffenen Städten zahlreiche Eltern die Gemeinschaftsschule bevorzugten.624 In ihrem Beharren auf dem Primat der Bekenntnisschule – oftmals im Widerspruch zum gleichzeitig hochgehaltenen Elternrecht auf Wahl des konfessionellen Charakters der Schule – war die katholische Kirche in Bayern nicht allein. Im Gegensatz zu anderen westdeutschen Ländern unterstützte auch die evangelisch-lutherische Landeskirche hier nachdrücklich die Bekenntnisschule, insbesondere in der Person Landesbischof Hans Meisers. Dieser verfasste im August 1945 ein Memorandum zur Schulpolitik, in welchem er einerseits die »[f]reie Gestaltungsmöglichkeit für evangelische Erziehungs- und Lehranstalten eigener Prägung« forderte sowie andererseits die Bekenntnisschule für den Bereich des öffentlichen Schulwesens.625 Für seinen Anspruch auf konfessionelle Schulbildung führte Meiser theologische, pädagogische, psychologische und juristische Gründe an, wobei unter letzteren Wiedergutmachung für von der Kirche erlittenes Unrecht unter dem NS -Regime zu verstehen ist. Als Einzelforderungen der evangelischen Kirche nannte der Landesbischof zudem den ordentlichen Religionsunterricht durch Pfarrer oder kirchlich beauftragte Lehrkräfte an sämtlichen öffentlichen Schulen gemäß dem Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche, von der Kirche bestimmtes Lehrmaterial sowie eine 621 Erlass des Kultusministers vom 23.7.1945 (ME IV 15325), Bayerisches Hauptstaatsarchiv (fortan: BayHStA), MK 61201. 622 Vgl. Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 46 f. 623 Erlass des Kultusministers vom 23.7.1945 (ME IV 15328), BayHStA, MK 61201. 624 Dies gab Hipp Faulhaber in einem Schreiben zu bedenken: Hipp an Faulhaber [23.7.1945] (Dok. 25). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten Kardinal Faulhabers, 29 f. 625 Hans Meiser: Memorandum zur Neugestaltung des Schulwesens [22.8.1945] (Dok. Nr. 51). In: Müller-Rolli, S. (Hg.): Evangelische Schulpolitik, 406–409, hier 407, vgl. auch 408.

250  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  »dem Tatbestand der Bekenntnisschule gerecht[e]« Lehrerbildung.626 Katholische und evangelische schulpolitische Forderungen waren in Bayern damit größtenteils deckungsgleich, wobei die offizielle Position der evangelischen Seite lautete, aufgrund ihrer starken Minderheitsposition quasi genötigt zu sein, die konfessionelle Schule zu favorisieren, um die eigenen Gemeinden zu erhalten. Meisers schulpolitisches Handeln war demzufolge auf den Erhalt des konfessionellen Status quo ausgerichtet.627 Die Amtszeit des Kabinetts Schäffer sollte jedoch nicht von langer Dauer sein. Bereits am 28. September 1945 entließ die US -Militärregierung Schäffer, unter anderem, da er die Entnazifizierung der Verwaltung aus amerikanischer Sicht nicht mit dem gebotenen Eifer vorangetrieben hatte.628 An seiner Stelle wurde der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner (1887–1980) zum bayerischen Ministerpräsidenten ernannt. Besorgt ob dieses Regierungswechsels schrieb Faulhaber an Pius XII. und berichtete, dass sich ein »scharfe[r] Ruck nach links« ereignet habe: Hoegner sei »weniger positiv zum Konkordat im ganzen und zu einzelnen Punkten, wie zur Bekenntnisschule« eingestellt als sein Amtsvorgänger. Tatsächlich sei es der Amtsantritt Hoegners gewesen, resümiert Spotts, der jene Teile der konservativen katholischen Geistlichkeit Bayerns, welche noch der Monarchie nachtrauerten, in parteipolitischer Hinsicht erst dem bayerischen Pendant zur interkonfessionellen CDU, der Christlich Sozialen Union, nahegebracht habe.629 Die CSU berief sich explizit auf christliche Leitprinzipien, was, in Abgrenzung von der Kirchenfeindlichkeit des Nationalsozialismus, in Teilen der Partei mit einer demokratischen Haltung schlechthin gleichgesetzt wurde. In der Folgezeit setzte sich die CSU daher energisch für kirchliche Belange ein – auch, um sich gegenüber der Bayernpartei zu profilieren, mit der man um die Stimmen des katholischen Milieus konkurrierte. Dabei entstanden enge personelle Verflechtungen mit dem katholischen Klerus, insbesondere auf lokaler Ebene.630 Da nun Hoegner offen für eine Trennung von Kirche und Staat plädierte und bereits 1924 als Landtagsabgeordneter die Schulbestimmungen von Konkordat und Kirchenvertrag kritisiert hatte, erscheinen die katholischen Vorbehalte gegenüber der Regierung auf den ersten Blick nachvollziehbar.631 Dezidierte Kirchenfeindlichkeit war dem Sozialdemokraten Hoegner nach Kriegsende in 626 Ebd., 408. 627 Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 181 f. 628 Für den gesamten Vorgang siehe Gelberg, Karl-Ulrich: Einleitung. In: Ders. (Bearb.) Das Kabinett Schäffer. 28. Mai bis 28. September 1945. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München 1995, 11–129, hier 56–79. 629 Spotts, F.: Kirchen und Politik, 261. 630 Vgl. Braun, O.: Konservative Existenz, 304f; Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 123; Schewick, B. van: Die Katholische Kirche, 79; Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 201. 631 Vgl. Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 51; Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 174.

Bildungspolitik in Bayern  251

des zu keinem Zeitpunkt vorzuwerfen, was bereits in der Tatsache zum Ausdruck kam, dass er das Kultusministerium ursprünglich der CSU überlassen wollte – um der katholischen Kirche sein Entgegenkommen zu signalisieren. Nachdem die Christsozialen sich allerdings auf keinen Kandidaten hatten einigen können, wurde der Sozialdemokrat Franz Fendt (1892–1982) Kultusminister.632 Während Fendt die Erlasse seines Amtsvorgängers anfänglich bestehen ließ und mit Faulhaber und Meiser lediglich einen den Umständen geschuldeten Aufschub der Rekonfessionalisierungsmaßnahmen vereinbarte, hob er am 26. November 1945 die Entschließung Hipps vom 23. Juli auf Veranlassung Hoegners auf.633 Nicht zuletzt angesichts der mit Fendt getroffenen Absprache fühlten sich die Kirchen durch diesen Schritt brüskiert. Faulhaber schrieb dem Kultusminister einen geharnischten Protestbrief, in welchem er das Vorgehen als »Rückgriff auf nationalsozialistische Rechtsbeugung« bezeichnete, da es »einen durch Gewalt herbeigeführten, notorisch rechtswidrigen Zustand formell billigen und aufrecht erhalten« würde.634 Erlasse des NS -Regimes, so der Münchner Erzbischof, könnten auf keinen Fall fortgelten, da sie in Verletzung sowohl des Reichskonkordats als auch des Bayerischen Konkordats ergingen. Sie seien »rechtlich in sich null und nichtig; sie bedürfen daher keiner förmlichen Aufhebung«. Vielmehr bestehe das zuvor geltende Recht weiter: »Die Bekenntnisschule ist heute nach wie vor die gesetzliche Regelschule des öffentlichen Volksschulwesens in Bayern«.635 Bemerkenswert ist, dass Faulhaber noch am 9. Dezember an Pius XII. berichtet hatte, die Regierung Hoegner, »zuerst als Linksregierung gefürchtet, hat alsbald eine religions-freundliche Beziehung zu den Kirchenbehörden in Bayern angenommen und auch durch Taten bestätigt«.636 Hierbei bezog sich der Erzbischof insbesondere auf die Wiederzulassung der Schulschwestern an staatlichen Schulen sowie die erfolgte staatliche Anfrage an ihn betreffend die Besetzung der Professuren an der philosophisch-theologischen Hochschule Freising und der theologischen Fakultät in München.637 In der Tat bemühte sich Kultusminister Fendt in Reaktion auf den bischöflichen Protest auch sofort, den Eindruck der Kirchenfeindlichkeit zu widerlegen: Mit seinem Erlass sollte keineswegs »zu der Frage der Bekenntnisschule grundsätzlich und sachlich Stellung genommen werden«. Zudem versicherte er: »Der christliche Charakter der Volksschule wird 632 Vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 28 f. 633 Vgl. ebd., 196f; siehe auch Schreiben Hoegners an Fendt vom 3.11.1945, BayHStA, MK 61201. Zur Vereinbarung mit Faulhaber und Meiser siehe Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 94 f. 634 Schreiben Faulhabers an Fendt vom 13.12.1945, BayHStA, MK 61201, hier 3. 635 Ebd., 2; »Bekenntnisschule ist heute nach wie vor die gesetzliche Regelschule« i. O. hvgh. 636 Faulhaber an Pius XII. [9.12.1945] (Dok. Nr. 45). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten Kardinal Faulhabers, 76f, hier 76. 637 Vgl. ebd., 76 f.

252  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  auch in dieser Zeit voll gewahrt bleiben.«638 Ministerpräsident Hoegner griff ebenfalls beschwichtigend ein und stellte die Aufhebung der Erlasse Hipps  – entgegen den Tatsachen  – als Alleingang seines Kultusministers dar, was als Ausdruck eines Kurswechsels der SPD dahingehend verstanden werden kann, die katholische Landbevölkerung Bayerns durch betonte Kirchenfreundlichkeit für sich zu gewinnen.639 Der Ministerpräsident beließ es nicht bei konzilianten Gesten. Am 9. Januar 1946 präsentierte Hoegner seinen Entwurf für ein »Gesetz zur Befreiung der Religion von staatlichem Zwang«, dessen schulpolitische Artikel zunächst die Gemeinschaftsschule als Regelschule vorsahen. Nachdem jedoch die Kirchen interveniert und die Übernahme ihrer Forderungen erwirkt hatten, sah das Gesetz in seiner neuen Fassung vom 16. Januar folgendes vor: Öffentliche Volksschulen sollten Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen sein, wobei letztere faktisch nur in konfessionell heterogenen Gemeinden errichtet werden könnten – die Wahl der Schulart würde dann den Eltern obliegen. An Bekenntnisschulen sollten Lehrer dem betreffenden Bekenntnis angehören und in sämtlichen Schulzweigen war Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach vorgesehen. Verwirklicht wurde dieser Entwurf zunächst zwar nicht, da die Besatzungsbehörden ihre Zustimmung verweigerten, später sollte er jedoch als Grundlage für Art. 135 der »Verfassung des Freistaates Bayern« (Bayerische Verfassung, BV) dienen.640 Auch in anderen Fällen schützte Hoegner die kirchlichen Interessen, so etwa als sein Kultusminister im September 1946 per Erlass die »allgemeine christliche Volksschule« als einzige zu errichtende Volksschulform festlegte.641 Als das Münchner Ordinariat gegen dieses Vorgehen Protest erhob, wies der Ministerpräsident Fendt an, den Erlass aufzuheben.642 Ebenso schritt Hoegner ein, als der Regierungspräsident Niederbayerns und der Oberpfalz in einer Entschließung vom Juni 1946 erklärte, in Bayern bestünden nur Gemeinschaftsschulen. »Diese 638 Schreiben Fendts an Faulhaber vom 27.12.1945, BayHStA, MK 61201. 639 So Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 96f, 108 f. 640 Vgl. Braun, O.: Konservative Existenz, 326f; Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 105–107; Die Bestimmungen über Erziehung und Unterricht im Gesetz Nr. 14 über die Rechtslage der Religionsgemeinschaften in Bayern vom 16.1.1946 (Dok. Nr. 7). In: Merkt, Hans (Bearb.): Dokumente zur Schulreform in Bayern. Hg. vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus. München 1952, 34. Siehe auch die Denkschrift Rechtliche und tatsächliche Lage der Bekenntnisschule in Bayern, 1.11.1946, AEM, NL Faulhaber 6953/2, Bild 126–130, hier S. 3 f. 641 Erlass des Kultusministers vom 26.9.1946 (ME IV 47117), AEM, NL Faulhaber 6953/1, Bild 120. 642 Vgl. Schreiben Zinkls an Krause vom 15.10.1946 (Abschrift), AEM, NL Faulhaber 6953/1, Bild 118f; Schreiben Faulhabers an Emnet vom 8.11.1946, AEM, NL Faulhaber 6953/1, Bild 103; vgl. auch Schreiben Josef Mayers an Generalvikar Defregger vom 8.1.1964, AEM, Kasten 0641/3: Schulen Verschiedenes 1945–1974; siehe zudem Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 201.

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Rechtsauffassung ist grundfalsch«, befand Hoegner und veranlasste, den Satz zurückzuziehen.643 Innerhalb der bayerischen SPD war diese kirchenfreundliche schulpolitische Linie indes umstritten und Hoegner geriet spätestens auf der Landeskonferenz im Juni 1949 mit seiner Haltung innerparteilich ins Abseits.644 Bis dahin versuchten jedoch die bayerischen Sozialdemokraten, jeglichen Anschein von Kirchenfeindlichkeit zu vermeiden – so auch bei den Beratungen zur Bayerischen Verfassung. c)

Die Entstehung der Verfassung des Freistaates Bayern

Bereits im Herbst 1945 begannen die amerikanischen Besatzungsbehörden, ihre Vollmachten schrittweise abzubauen. Am 24. Juni 1946 gab die Militärregierung der US -Zone (OMGUS) die Direktive aus, dass die deutschen Behörden nur noch bei wichtigen Gesetzen und Verordnungen amerikanische Zustimmung einholen müssten. Ziel von OMGUS war es in Bayern fortan, die Entwicklung demokratischer Selbstverwaltung und politischer Eigenverantwortlichkeit zu fördern.645 Um dafür eine rechtliche Grundlage zu schaffen, fanden am 30. Juni 1946 die Wahlen zur Verfassungsgebenden Landesversammlung statt. Mit 58,3 Prozent der abgegebenen Stimmen wurde die CSU klar stärkste Kraft, gefolgt von der SPD mit 28,8 Prozent, der KPD mit 5,3 Prozent, der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) mit 5,1 Prozent sowie der FDP mit 2,5 Prozent.646 Entsprechend der Ausrichtung dieser Untersuchung soll hier nur auf die schulpolitisch relevanten Bestimmungen der Verfassung eingegangen werden. Besondere Beachtung ist dabei Art. 97 des Verfassungsentwurfs – später Art. 135 BV  – zu schenken, da dieser die politisch brisante Frage der konfessionellen Gestaltung des Schulwesens behandelte. Ministerpräsident Hoegner übernahm dafür den Art. 8 des nicht zustande gekommenen »Gesetzes zur Befreiung der Religion vom staatlichen Zwang«, so dass der Entwurf vorsah: (1) Die öffentlichen Volksschulen sind Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen. (2) Die Lehrer an Bekenntnisschulen gehören grundsätzlich dem betreffenden Bekenntnis an. 643 Schreiben Hoegners an Fendt vom 14.10.1946, BayHStA, MK 61201. 644 Vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 215. 645 Vgl. ebd., 48 f. 646 Siehe Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 122. Die WAV war eine bayerische Partei, die sich unter anderem zur Fürsprecherin der deutschen Flüchtlinge machte und dabei stark auf populistische Agitation gegen die übrigen Parteien setzte. Ab 1950 verlor sie – trotz einiger Bundestagsmandate – rasch an Bedeutung, vgl. Schönwald, Daniel: Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV). In: Historisches Lexikon Bayerns, 05.03.2013. URL: https:// www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Wirtschaftliche_Aufbau-Vereinigung_(WAV) (Stand 20.3.2020).

254  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  (3) Den Erziehungsberechtigten steht die Wahl der Schulart frei. (4) An Orten mit bekenntnismäßig gemischter Bevölkerung sind auf Antrag der Erziehungsberechtigten Gemeinschaftsschulen zu errichten.647

Während Abs. 4 bereits eine gewisse Zurückstellung der Gemeinschaftsschule bedeutete, da sie als Antragsschule vorgesehen wurde, sollte der Vorrang der Bekenntnisschule im Laufe der Verhandlungen noch expliziter gemacht werden. Die Initiative dazu ging von der CSU-Fraktion aus, deren Abgeordneter Alois Hundhammer (1900–1974), später Kultusminister, die nach seinem Bekunden von der katholischen Kirche stammende Forderung vertrat, dass die Bekenntnisschule die Regelschule im Volksschulbereich bilden sollte.648 Obgleich die SPD die Gemeinschaftsschule favorisierte, stimmte sie dem Vorrang der konfessionellen Schule schließlich unter der Bedingung zu, dass die Elternwahl der Schulart gewährleistet bliebe. Das Nachgeben der Sozialdemokraten erklärt sich wohl daraus, dass unter anderem Wilhelm Hoegner davon ausging, dieses Arrangement sei durch Art. 6 BayKonk verpflichtend festgelegt – eine Deutung, die auch Hundhammer im Verfassungsausschuss vertrat. Dabei handelte es sich jedoch um eine Fehlinterpretation, da das Konkordat die katholische Volksschule lediglich als Antragsschule vorsah.649 Generell erwecken die Redebeiträge der CSU-Abgeordneten den Anschein, man habe das Wahlrecht der Eltern mit gewissem Unbehagen betrachtet: Statt der freien Wahl der Schulart sollte klar die Bekenntnisschule als Regelfall veran­kert werden. Hundhammer beantragte schließlich, den Satz zur Wahl der Schulform ganz zu streichen. Zusätzlich forderte er, ebenfalls auf Linie der katholischen Kirche, eine stärkere Bekenntnisbindung der Konfessionsschule zu verankern.650 Da die CSU letzteres mittels ihrer deutlichen Mehrheit in der Versammlung durchsetzen konnte, lautete Art. 135 BV schließlich: (I) Die öffentlichen Volksschulen sind Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen. Den Erziehungsberechtigten steht die Wahl der Schulart frei. Gemeinschaftsschulen sind jedoch nur an Orten mit bekenntnismäßig gemischter Bevölkerung auf Antrag der Erziehungsberechtigten zu errichten.

647 Entwurf einer Bayerischen Verfassung. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungs-Ausschusses der Bayerischen Verfassungsgebenden Landesversammlung, Bd. 1. München 1946, 1–11, hier 8; vgl. auch Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 123 f. 648 Siehe 14. Sitzung des Verfassungsausschusses am 8.8.1946. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungs-Ausschusses der Bayerischen Verfassungsgebenden Landesversammlung, Bd. 2. München 1946, 319–353, hier 351. 649 Vgl. ebd.; Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 128. 650 15. Sitzung des Verfassungsausschusses am 9.8.1946. In: Verhandlungen des Verfassungs-Ausschusses, Bd. 2, 355–363, hier 355.

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(II) An den Bekenntnisschulen werden nur solche Lehrer verwendet, die geeignet und bereit sind, die Schüler nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses zu unterrichten und zu erziehen.651

Sollte die katholische Kirche diese Position tatsächlich an die CSU herangetragen haben, wie Hundhammer behauptete und woran zu zweifeln wenig Anlass besteht, so kann einmal mehr bilanziert werden, dass dort, wo die konfessionelle Regelschule erreichbar war, das ansonsten so vehement eingeforderte Elternrecht plötzlich uninteressant wurde – und damit auch das Argument demokratischer Entscheidungsfreiheit. Demokratie wurde zu diesem Zeitpunkt in der katholischen Kirche somit regelmäßig stark instrumentell als Mittel der Sicherung eigener Anliegen begriffen, weniger hingegen als Wert an sich oder als System, dass durch rechtstaatliche Mechanismen auch die Interessen anderer, der eigenen Meinung nicht entsprechender Positionen zu schützen habe. Die am 8. Dezember 1946 in Kraft getretene Verfassung gestaltete sich auch über den Art. 135 hinaus in ihren schulpolitisch relevanten Bestimmungen ausnehmend kirchenfreundlich. So gewährleistete Art. 127 »[d]as eigene Recht der Religionsgemeinschaften und staatlich anerkannten weltanschaulichen Gemeinschaften auf einen angemessenen Einfluss bei der Erziehung der Kinder ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung« und Art. 133 I erkannte die entsprechenden Gruppen ausdrücklich als Bildungsträger an. Unter den obersten Bildungszielen des bayerischen Schulwesens stand »Ehrfurcht vor Gott« an erster Stelle (Art. 131 II) – die CSU hatte hier sogar den Begriff »Gottesfurcht« vorgeschlagen, den die übrigen Parteien jedoch ablehnten. Wie wenig Gespür dabei für die Ansprüche gesellschaftlicher Minderheiten bestand, zeigt die Begründung des CSU-Abgeordneten Albert Kaifer, in Bayern gehörten nun einmal 98 Prozent der Bevölkerung einer Religionsgemeinschaft an.652 Die Verfassung legte des Weiteren Religionsunterricht gemäß den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften als ordentliches Lehrfach in sämtlichen Volks-, Berufs-, mittleren und höheren Schulen fest (Art. 136 II) – eine Regelung, die also auch Privatschulen einschloss. Deren Einrichtung war, anders als später im Grundgesetz, auch auf der Volksschulstufe zugelassen, insbesondere dann, wenn sie eine nicht vorhandene öffentliche Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule ersetzen sollten (Art. 134 III). Art. 182 BV schließlich garantierte die mit den Kirchen geschlossenen Staatsverträge – und damit auch das Bayerische Konkordat und den Kirchenvertrag mit ihren Schulartikeln. In der Bayerischen Verfassung hatte sich somit in schulpolitischer Hinsicht die kirchennahe Linie der CSU auf ganzer Breite durchgesetzt. Denn wenngleich 651 Zur Bayerischen Verfassung siehe BayGVBl. 23/1946 (8.12.1946). 652 10. Sitzung des Verfassungsausschusses am 1.8.1946. In: Verhandlungen des Verfassungs-Ausschusses, Bd. 1, 223–260, hier 259.

256  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Kultusminister Fendt betonte, dass die SPD unter Gemeinschaftsschule die christliche, nicht die weltliche Gemeinschaftsschule verstehe, lehnten doch eigentlich sowohl die Sozialdemokraten, wie auch FDP und KPD die Bekenntnis­ schule ab.653 Hoegner gab deswegen zu Protokoll, dass die SPD Art. 135 BV zugestimmt habe, da sie »im Interesse des religiösen Friedens keinen Schulkampf haben« wollte.654 Tatsächlich kamen auch »externe« Beobachter, wie US -General Lucius Clay, von 1947–49 Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, zu dem Schluss, dass die Verfassung ohne Aufnahme der Bekenntnisschule als Regel wohl wenig Zustimmung in der bayerischen Bevölkerung gefunden hätte. In ihrer von der Landesversammlung verabschiedeten Form wurde sie in der Volksabstimmung am 1. Dezember 1946 so jedoch mit knapp 71 Prozent angenommen.655 Auch seitens der katholischen Kirche zeigte man sich zufrieden. Der Eichstätter Bischof Michael Rackl (1883–1948) etwa erklärte in einer Kanzelverkündigung im November 1946, die Verfassung besitze »auch eine religiöse Seite«, angesichts derer er »mit ruhigem Gewissen« sagen könne, dass die Katholiken »die Verfassung bejahen dürfen«.656 Die rechtliche Absicherung ihrer Position durch die Verfassung nahm den Kirchen den Anlass für schulkämpferische Aktionen, wie insbesondere Mobilisierungen zu Elternabstimmungen über die Schulform. Daher sahen sich beide Kirchen in der Lage, am 21. Dezember 1946 gegenüber Hoegner ihre Zustimmung zu einer Übergangsregelung zu erteilen, der zufolge sie eine nicht bekenntnisgleiche Besetzung von Lehrerstellen an Bekenntnisschulen angesichts der schwierigen Schulsituation vorübergehend tolerieren würden.657 Hier zeigt sich, dass die Kirchen auf der Grundlage einer rechtlichen Garantie ihrer Kernanliegen durchaus zu pragmatischen Zugeständnissen an die Tagespolitik bereit waren. d)

Die Rekonfessionalisierungspolitik Alois Hundhammers

Das mit Hoegner vereinbarte Arrangement verlor jedoch faktisch bald seine Bedeutung, da infolge der Landtagswahlen vom 1. Dezember 1946, dem Tag des Volksentscheids zur Verfassung, die CSU 104 der insgesamt 180 Abgeordnetenmandate und damit die absolute Mehrheit im Landtag erhielt – vor der SPD mit 54, der WAV mit 13 und der FDP mit neun Sitzen. Obgleich der am 21. Dezember zum Ministerpräsidenten gewählte Hans Ehard (1887–1980, CSU) ein Kabinett 653 Vgl. ebd., 255; 14. Sitzung des Verfassungsausschusses am 8.8.1946. In: Verhandlungen des Verfassungs-Ausschusses, Bd. 2, 319–353, hier 353. 654 Ebd., 356. 655 Vgl. Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 129. 656 Rackl, Michael: Kanzelverkündigung zur neuen bayerischen Verfassung. 22. November 1946 (Dok. 31). In: Löhr, W. (Bearb.): Hirtenbriefe und Ansprachen, 126–128, hier 127. 657 Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 207.

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unter Einschluss der SPD und eines Vertreters des WAV bildete,658 stellte die Besetzung des Kultusressorts mit Alois Hundhammer doch die Weichen für eine stark konfessionell ausgerichtete Schulpolitik. Hundhammers Weltbild hatte streng konservativ-katholischen Charakter und prägte sein politisches Selbstverständnis entsprechend: Laut Oliver Braun war seine Politik »inhaltlich auf den offiziellen Verlautbarungen des kirchlichen Lehramtes begründet und durchgehend an den Interessen der katholischen Bevölkerungsteile und der Amtskirche orientiert«.659 Entsprechend scheint eine zügige Rekonfessionalisierung des Volksschulwesens dem neuen Kultusminister ein persönliches Anliegen gewesen zu sein. Im Februar 1947 instruierte Hundhammer die bayerischen Bezirksregierungen, dass hinsichtlich der bestehenden Schularten der Rechtszustand vor dem 30. Januar 1933 Geltung habe und deshalb ein Austausch von Volksschullehrkräften mit dem Ziel vorzunehmen sei, eine bekenntnisgleiche Stellenbesetzung zu erreichen.660 Franz Sonnenberger zufolge interpretierte Hundhammer Art. 135 BV dabei so, dass sämtliche bayerischen Volksschulen grundsätzlich Bekenntnisschulen seien und Gemeinschaftsschulen zusätzlich dazu auf Antrag der Erziehungsberechtigten errichtet werden könnten. In der Praxis wurden bestehende Gemeinschaftsschulen insbesondere dann in Bekenntnisschulen umgewandelt, wenn dazu ein Antrag der betreffenden kirchlichen Stellen vorlag, wohingegen bereits seit vor 1933 existierende Gemeinschaftsschulen, die seitens der Kirchen nicht beanstandet wurden – wie etwa in Nürnberg –, bestehen gelassen wurden.661 Den Kirchen kam somit ein nicht unerheblicher Einfluss bei der Umwandlung von Gemeinschafts- in Bekenntnisschulen zu. Auf Seiten der evangelischen Landeskirche stießen entsprechende Vorhaben allerdings nicht immer auf das Wohlwollen der protestantischen Eltern, die ihre Kinder mitunter lieber auf einer ausgebauten Gemeinschaftsschule als einer ungeteilten Bekenntnisschule unterrichtet sehen wollten. Das Kultusministerium beschloss daher im Mai 1948 zwar, eine Umwandlung von Schulen auf jeden Fall von der Unterstützung der Eltern abhängig zu machen, stützte sich bei der Feststellung des Elternwillens aber weiterhin auf die Angaben der kirchlichen Oberbehörden.662 Hinzu kam, dass Kultusministerium und CSU das Recht der Eltern auf die Wahl der konfes­ 658 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 2. Sitzung (1. WP), 21.12.1946, 26 f. 659 Braun, O.: Konservative Existenz, 283; vgl. auch Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 33. 660 Rundschreiben Hundhammers an die bayerischen Regierungen (IV 2252) vom 12.2.1947, BayHStA , MK 61201. 661 Vgl. Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 135; Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an die Regierung von Mittelfranken (IV 32673) vom 16.5.1949, BayHStA, MK 61201. 662 Siehe Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an den Ev.-Luth. Landeskirchenrat München (IV 27317) vom 7.5.1948, BayHStA, MK 61201; vgl. Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 135.

258  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  sionellen Ausgestaltung der Schule stark zugunsten der Bekenntnisschule auslegten: Eine Umwandlung von Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen lehnte Hundhammer ab, ungeachtet gelegentlicher Elternproteste oder des Widerstands mancher Kommunen.663 Dem Ministerium zufolge bestand vielmehr eine Pflicht zum Besuch der Bekenntnisschule auch in konfessionell gemischten Schulsprengeln, insofern dort lediglich eine konfessionelle Volksschule bestand. In diesem Fall galt: »Der Mehrheitswille würde die Minderheit binden.«664 Gerechtfertigt wurde dieses Vorgehen mit einem notwendigen Schutz der Mehrheit der Eltern, die die Bekenntnisschule wünschten, vor einer die Gemeinschaftsschule bevorzugenden Minderheit. In der Elternrechtsfrage offenbarten damit nicht nur die Kirchen, sondern auch die CSU ein sehr formales Demokratieverständnis, dem zwar der Mehrheitswille als Argument galt, nicht aber der Minderheitenschutz.665 Besonders Hundhammer agierte dabei stets voreingenommen zugunsten der kirchlichen Forderung nach konfessionellen Schulen. Dies zeigt sich etwa darin, dass er Elternabstimmungen über die Gründung von Gemeinschaftsschulen mit Verweis auf fehlende gesetzliche Ausführungsbestimmungen zu den Schulartikeln der Verfassung verbieten ließ, während er Voten für die Bekenntnisschule stets als Ausdruck des Elternwillens akzeptierte.666 Angesichts der engen Ausrichtung der Schulpolitik Hundhammers an den Wünschen der Kirchen stellt sich aus liberaldemokratischer Perspektive unweigerlich die Frage nach der weltanschaulichen Neutralität des Staates. Für den Großteil der CSU hingegen war dies damals kein Anlass zur Sorge. Prälat Georg Meixner (1887–1960), Landtagsabgeordneter und später Fraktionsführer der CSU, führte vor dem Plenum des Landtags aus, die »Wiederverchristlichung unseres Volkes« müsse Ziel der bayerischen Bildungspolitik sein und ergänzte mit Blick auf Hundhammer: »Wir wissen, daß der derzeitige bayerische Kultusminister dieser Ansicht ist und daß er in diesem Sinne Kulturpolitik betreibt.«667 Aus Sicht der Opposition und auch des Koalitionspartners SPD verkörperte Hundhammer hingegen aufgrund seiner religiös begründeten und oft kompromisslosen Haltung einen reaktionären, ultramontanen politischen Katholizismus.668 Im September 1947 schließlich befand die bayerische SPD die Koalition mit der CSU für nicht mehr tragbar und zog ihre Minister aus dem Kabinett

663 Vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 211–213. 664 Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an den Ev.-Luth. Landeskirchenrat München (IV 27317) vom 7.5.1948, BayHStA, MK 61201; vgl. auch den Entwurfstext des Schreibens (IV28617), BayHStA, MK 61201. 665 Vgl. Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 40, 185. 666 Vgl. ebd., 188. 667 Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 41. Sitzung (1. WP), 10.12.1947, 395; »Wiederverchristlichung«, i. O. hvgh. 668 Vgl. Braun, O.: Konservative Existenz, 290, 301.

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ab.669 Die sozialdemokratischen Kulturpolitiker nahmen ihre neue Oppositionsrolle daraufhin zum Anlass, mit Hundhammers Amtsführung abzurechnen. So kommentierte der SPD-Abgeordnete Claus Pittroff – zuvor Kulturstaatssekretär – die äußerst kirchennahe Politik des Kultusministeriums mit den Worten: »Man weiß eben nicht, gilt in Bayern die Verfassung oder das kanonische Recht oder das Konkordat oder ein Kirchenvertrag.«670 Hundhammer machte sich seinerseits daran, unliebsame Mitarbeiter aus den Reihen seines Ministeriums zu entfernen. Dabei ging er nicht nur gegen SPD -nahe Beamte vor, sondern suchte auch den Konflikt mit seinem Staatsrat Hans Meinzolt, dem späteren Präsidenten der evangelischen Landessynode in Bayern, den er sogar auf Parteiveranstaltungen offen angriff. Dies wiederum rief den Protest der evangelischen Landeskirche hervor, die ihren einzigen hochrangigen Vertreter im Kultusministerium verteidigte.671 Überhaupt stellte sich die Schulpolitik Hundhammers für die evangelische Kirche als zweischneidiges Schwert dar: Einerseits präferierte Landesbischof Meiser eine konfessionelle Ausrichtung des Schulwesens und unterstützte den Kultusminister in dieser Hinsicht; andererseits nahmen er und die bayerische Landeskirche durchaus ein katholisches Übergewicht in der Schulpolitik wahr, weshalb Meiser stets auf konfessionelle Parität drang.672 Entsprechend sensibel reagierte die Landeskirche, als Hundhammers Umwandlung von Gemeinschaftsschulen in ihren Augen stark zugunsten katholischer Bekenntnisschulen ausfiel, indem etwa evangelische Lehrkräfte für Schülerminderheiten ihres Bekenntnisses (»Minder­ heitenlehrer«) von katholischen Schulen wegversetzt wurden  – zum Nachteil der an diesen Schulen verbleibenden evangelischen Schüler. Der Beauftragte des Landeskirchenrats für die kirchliche Unterweisung fand eine drastische Wortwahl und sprach von einer »totalitären Schulpolitik und Gesetzgebung der katholischen Kirche und des Ministeriums«.673 Auch in den folgenden Jahren blieb der CSU aus evangelischer Sicht stets der Verdacht anhaften, im Grunde eine katholische Interessenvertretung zu sein. Dennoch ließ die Landeskirche der Partei im Rahmen von Landtagswahlkämpfen ihre Unterstützung zukommen, da die Kirchenführung fürchtete, ein Niedergang der CSU würde sich nachteilig auf die eigenen Positionen auswirken: Die evangelische Kirche in Bayern befand sich in dem Dilemma, dass sie aufgrund der perzipierten Gefährdung ihrer Interessen durch die Schulpolitik der Opposition nicht glaubte, diese gegen den 669 Siehe dazu: Rücktritt der SPD -Minister angenommen. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 79 vom 16.9.1947, 1; Ende der Koalition. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 79 vom 16.9.1947, 1; siehe auch Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 28. Sitzung (1. WP), 20.9.1947. 670 Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 40. Sitzung (1. WP), 9.12.1947, 378. 671 Siehe Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 35 f. 672 Vgl. Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 18. 673 Zit. nach Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 78f, vgl. auch ebd., 152; Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 207–210.

260  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Kultusminister unterstützen zu können, obwohl sie die Politik Hundhammers eigentlich als problematisch ansah.674 Mit der Rückendeckung der Kirchen trieb Hundhammer somit die Rekonfes­ sionalisierung des bayerischen Volksschulwesens nach seinem Amtsantritt zügig voran, mitunter ohne Rücksicht auf persönliche Härte bei der Auflösung von Gemeinschaftsschulen und der Versetzung von Lehrkräften. Der Anteil der Gemeinschaftsschulen im Volksschulbereich sank in der Folge von 9,8 Prozent im Jahr 1948 auf 4,05 Prozent Ende 1950.675 Über diese Maßnahmen kam es nicht nur zu Konflikten mit der politischen Opposition, auch die amerikanische Militäradministration war wenig begeistert von der konservativen und konfessionellen Ausrichtung der Schulpolitik. e)

Die schulpolitische Auseinandersetzung mit der US-Militärregierung

Obgleich die Amerikaner die politische Selbstverwaltung Bayerns förderten, waren sie doch nicht völlig bereit, sich jeglicher Eingriffe zu enthalten. Insbesondere im Bildungswesen erschienen ihnen die nach dem Krieg wiederhergestellten Zustände nicht geeignet, eine demokratische Gesellschaft zu fördern. Neben der durch die unterschiedlichen Modelle mittlerer und höherer Schulbildung bedingten Chancenungleichheit betrachtete die Militärregierung auch die konfessionelle Aufteilung der öffentlichen Schulen als Hindernis für eine geplante Demokratisierung des bayerischen Schulsystems.676 Dabei folgten die amerikanischen Besatzungsbehörden in der Bekenntnisschulfrage zunächst dem Prinzip der Nichteinmischung, wobei insbesondere die Genehmigung der Bayerischen Verfassung ein Akzeptieren des Vorrangs konfessioneller Volksschulen zu signalisieren schien.677 Als jedoch eine im Sommer 1946 entsandte Kommission amerikanischer Erziehungsexperten, die sogenannte »Zook-Kommission«, eine Reihe von Reformvorschlägen vorlegte, wurde die Militärregierung nicht nur allgemein bildungspolitisch aktiver, auch die konfessionelle Schule rückte in den Fokus der Reformer.678 Der von der Kommission vorgelegte Abschlussbericht (»Zook-Bericht«) empfahl im Kern eine weitgehende Übernahme des US -amerikanischen Schulsystems: Auf eine sechsjährige gemeinsame Grundschule sollte eine einheitliche höhere Schule mit ausdifferenzierten Zweigen folgen, wodurch Chancengleich 674 Vgl. Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 22, 57; Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 80 f. 675 Braun, O.: Konservative Existenz, 351 f. 676 Vgl. Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 347. 677 Vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 195; Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 113. 678 Vgl. Müller-Rolli, S.: Einleitung zu Kapitel IV, 351. Der offizielle Name der Kommission lautete »United States Education Mission to Germany«, die Kurzbezeichnung bezog sich auf ihren Leiter George F. Zook.

Bildungspolitik in Bayern  261

heit und ein Aufbrechen des unterstellten Klassendenkens erreicht werden sollten. Bekenntnisschulen waren im Bericht, im Gegensatz zu den Verfassungsbestimmungen, nur als Antragsschulen vorgesehen. Im Allgemeinen wurde eine Trennung von Staat und Kirche im Schulbereich empfohlen.679 Damit den Vorschlägen des »Zook-Berichts« auch Taten folgten, forderte die US -Militärregierung die Kultusverwaltungen aller Länder ihrer Zone auf, Pläne für eine umfassende Schulreform vorzulegen. In einem Telegramm vom 10. Januar 1947 legte OMGUS dafür unter anderem folgende Richtlinien fest: Auf eine ganztägige Pflichtschule für Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 15 Jahren sollte eine verpflichtende Halbtagesschule bis zum Erreichen der Volljährigkeit folgen. Unter Aufhebung der traditionellen Zweizügigkeit sollte ein einheit­liches Schulsystem entstehen, bei dem sämtliche Schulen ab der siebten Klasse als höhere Schulen gelten würden. Ungeteilte Schulen – die sogenannten »Zwergschulen« – waren nicht mehr vorgesehen. Diesem Schulsystem wären auch die Kindergärten anzugliedern. Während eine Akademisierung der Lehrerbildung das Unterrichtsniveau heben sollte, wollte OMGUS durch eine Betonung sozialer bzw. sozialwissenschaftlicher Fächer die Schülerinnen und Schüler zu demokratischer Lebensweise erziehen. An der Schulverwaltung sollten die Kommunen stärker beteiligt werden. Hinsichtlich der Privatschulen legten die Amerikaner fest, diese seien zulässig, falls der Unterricht an ihnen mit den allgemeinen Bildungszielen übereinstimme.680 Im bayerischen Kultusministerium stießen die Vorgaben der Militärregierung auf scharfe Ablehnung, wobei sich Kritik am Einheitsschulkonzept mit der Sorge um den Bestand des humanistischen Gymnasiums und die schulische Begabtenförderung verband. Hundhammers Bericht an OMGUS, der unter Mitarbeit des Schulreferenten im erzbischöflichen Ordinariat München, Prälat Johann Zinkl, entstand, präsentierte das traditionelle, christlich-humanistische Schulsystem als das eigentliche Bollwerk gegen totalitäre Tendenzen in der Gesellschaft. Dabei sprach sich der Kultusminister für die Bekenntnisschule und gegen die universitäre Ausbildung von Volksschullehrern aus.681 Die Religion, so postulierte Hundhammer in seinem dem Bericht beigefügten »Erziehungsplan auf weite Sicht«, müsse wieder »als Grundlage der gesamten Erziehungsarbeit« anerkannt werden. Wie sehr dabei klassisches Bildungsideal und christliche Wertprägung mit demokratischer Gesinnung per se gleichgesetzt wurden, zeigt sich an der Aussage: »Das Bildungsziel der echten Humanitas schließt auch das Schulhoch 679 Vgl. Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 116; Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 186; Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 128 f. 680 Siehe Weisung von OMGUS an die vier Länder der US -Zone vom 10.1.1947, BayHStA, StK 13968; vgl. auch Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 132 f. 681 Siehe Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an OMGUS vom 7.3.1947, AEM, NL Faulhaber 6953/2, Bild 167–172. Vgl. Braun, O.: Konservative Existenz, 365; Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 130, 144–146.

262  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  ziel der Erziehung zur Demokratie, die wir aufbauen wollen, in sich«.682 Während die Zustimmung der katholischen Kirche zu dieser Position bereits durch die Beteiligung Zinkls sichergestellt wurde, stellte der Schulreferent des Landeskirchenrates fest, dass auch die evangelische Seite den amerikanischen Vorstellungen wenig abgewinnen konnte: Gemeinschaftsschule, Schulzusammen­ legungen sowie Abschaffung des humanistischen Gymnasiums – dessen Besuch Voraussetzung für das evangelische wie katholische Theologiestudium war  – wurden entschieden abgelehnt.683 Die Militärregierung war wenig begeistert von Hundhammers Erziehungsplan und äußerte nun ihrerseits scharfe Kritik an seinen Ausführungen. Davon zeigte sich der Kultusminister indes gänzlich unbeeindruckt und ging auch in seinen überarbeiteten Schulplänen vom September 1947 auf die amerikanischen Vorgaben kaum ein. Vielmehr betonte er, dass der die Schule beherrschende Geist wesentlich bedeutender sei, als der äußere Aufbau – und daran, welcher Geist das sein sollte, ließ Hundhammer keinen Zweifel: Erneut hob er die Bedeutung christlicher Bildung hervor und konstatierte, dass die Bekenntnisschule in Übereinstimmung mit den Wünschen der Elternmehrheit die Regelschule in Bayern sein müsse.684 Während das Kultusministerium somit eine Verzögerungsstrategie gegenüber der Militärregierung fuhr, legten die im Landtag vertretenen Parteien ihre eigenen Schulreformpläne vor. Den Anfang machte dabei die SPD, deren Gesetzesentwurf den Vorstellungen der Amerikaner am nächsten kam.685 Im Kern der sozialdemokratischen Konzeption stand das Modell der »differenzierten Einheitsschule« (Art. 4 II), die einerseits überkonfessionell sein und andererseits die traditionelle Zweiteilung des Bildungssystems überwinden sollte, indem sie sowohl Mittel- wie höhere Schule umfasste (Art. 4–7). Entsprechend der Schule sah der Plan auch eine einheitliche Lehrerbildung vor, »an Pädagogischen Seminaren in Verbindung mit den Universitäten« (Art. 24), wobei sämtliche Lehrkräfte an öffentlichen Schulen verbeamtet werden sollten (Art. 29). Das Christentum fand im SPD-Entwurf als einer der Grundgedanken des Schulwesens Erwähnung (Präambel).686 Der Reformplan der FDP stimmte mit diesen Gedanken 682 Hundhammer, Alois: Erziehungsplan auf weite Sicht, 31.3.1947, BayHStA, StK 13968, 2, i. O. mit Hvh. 683 Siehe Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 191; vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 158. 684 Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an die Militärregierung für Bayern vom 30.9.1947, BayHStA, StK 13968, 2f; vgl. auch Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 146. 685 Vgl. ebd., 151. 686 Bayerischer Landtag: Drucksache 1/561, Antrag der SPD -Fraktion zum Gesetz über die Neuordnung des Schulwesens, 17.7.1947; vgl. auch Der Schulreformplan der Sozialdemokra­ tischen Partei Deutschlands (Dok. Nr. 34). In: Merkt, H. (Bearb.): Dokumente zur Schul­ reform, 94–108.

Bildungspolitik in Bayern  263

in wesentlichen Punkten überein, insofern auch die Freien Demokraten eine gemeinsame dreistufige Schule, eine Akademisierung der Lehrerbildung sowie Beamtenstatus für alle Lehrkräfte an öffentlichen Schulen forderten. In Richtung der Kirchen machte der Vorschlag dahingehend Zugeständnisse, dass er einen Erziehungsbeirat unter Einschluss der Religionsgemeinschaften anregte und die verfassungsmäßigen Rechte selbiger explizit anerkannte.687 Erwartbarerweise stand demgegenüber der Reformplan der CSU in Einklang mit Hundhammers Vorstellungen. So betonte er die »Besinnung auf das christliche Menschenbild« als Ziel der Schule und lehnte eine tiefgreifende Umstrukturierung in Form der Einheitsschule ab. Obwohl eine Berücksichtigung der jeweiligen soziostrukturellen Verhältnisse durch die Schulen angemahnt wurde, wollte die CSU hinsichtlich der Frage der Bekenntnis- und Gemeinschaftsschulen keine Änderungen vornehmen.688 Auch Hundhammers zweiter Schulplan erfuhr nachdrückliche Ablehnung seitens der US -Militärregierung, indem letztlich sämtliche Vorgaben als nicht berücksichtigt bemängelt wurden. Abermals wurde daher ein Neuentwurf angefordert.689 Diesmal jedoch stellten die Amerikaner klar, dass die Bayerische Staatsregierung in dieser Angelegenheit weisungsgebunden sei.690 Mit diesem Schritt brachte die Militäradministration eindeutig zum Ausdruck, dass sie mit ihrer Geduld gegenüber der bayerischen Verweigerungshaltung am Ende war, was sich auch daran ablesen lässt, dass über den Leiter der Erziehungsabteilung von ­OMGUS, Richard T. Alexander, berichtet wird, er habe Hundhammer aus dem Amt entfernen lassen wollen.691 Der Kultusminister konnte sich in seiner Haltung indes bestätigt fühlen, denn so sehr die Militärregierung mit ihm haderte, so viel Unterstützung erhielt er durch die Kirchen. Der Passauer Bischof S­ imon Konrad Landersdorfer etwa bezichtigte die Amerikaner kirchenfeindlicher Tendenzen, während der Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried (1871–1948) Hundhammers Plan, welcher das bayerische Schulsystem »auf den Boden des christlichen Glaubens« stellte, ausdrücklich lobte.692 Die wichtigste Rückendeckung erhielten Kultusministerium und Staatsregierung jedoch durch Kardinal Faulhaber, der im Januar 1948 mit seinen Sorgen ob der amerikani 687 Der Schulreformplan der Freien Demokratischen Partei. (Dok. Nr. 46). In: Merkt, H. (Bearb.): Dokumente zur Schulreform, 164–169. 688 Die Reformvorschläge des Schulausschusses der Christlich-Sozialen Union. (Dok. Nr. 37). In: Merkt, H. (Bearb.): Dokumente zur Schulreform, 112–118, hier 112, vgl. 115 f. 689 Siehe Schreiben der Militärregierung für Bayern an den Bayerischen Ministerpräsidenten vom 23.12.1947, BayHStA, StK 13968. 690 Vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 161 f. 691 Vgl. ebd., 134 f. 692 Ehrenfried an Hundhammer [21.11.1947] (Dok. 400). In: Helbach, U. (Bearb.) Akten deutscher Bischöfe 1945–1947, Bd. 2, 1379f, hier 1379; vgl. Schreiben Bischof Konrads an Hundhammer vom 3.5.1947, BayHStA, MK 53219; vgl. auch Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 155.

264  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  schen Schulreformpolitik an den Apostolischen Visitator, Aloysius Muench, herantrat. Inhaltlich lehnte der Münchner Erzbischof die in seinen Augen geplante »mechanische Uniformierung der Schulen« ab und mahnte, dass auch klösterliche Schulen geschützt werden und die Schulbestimmungen des Konkordates sowie das Elternrecht gewahrt bleiben müssten.693 Auffällig ist aber besonders eine Bemerkung zum generellen Vorgehen der Militärregierung: Faulhaber sprach den Amerikanern ab, über eine rein innerdeutsche Frage wie das Schul­wesen überhaupt entscheiden zu dürfen – dies widerspreche dem demokratischen Gedanken und sei auch nicht geeignet, die Demokratie in Deutschland zu fördern.694 Gegenüber seinen bayerischen Mitbischöfen bezeichnete der Kardinal die Anweisung von OMGUS daher als »Schuldiktatur«. Zwar ließe sich hierauf einwenden, dass der bayerische Episkopat »Demokratie fast ausschließlich als soziale Gerechtigkeit und Respektierung der innerlich verstandenen Menschenwürde« zu verstehen schien.695 Dennoch stellte Faulhabers Aussage eine nicht zu unterschätzende Unterstützung der sich formierenden Demokratie dar, zumal er ausdrücklich zur Unterstützung der Staatsregierung aufrief: »Die bayerischen Bischöfe können unsere Minister, die in heldenmütiger Entschiedenheit das bayerische Schulrecht verteidigen, nicht im Stiche lassen.«696 Diese Aussage erscheint bemerkenswert, steckt in ihr doch nicht lediglich die Verteidigung eines sehr kirchenfreundlichen Kultusministers, sondern gleichsam eine Intervention der katholischen Bischöfe zugunsten der politischen Autorität des bayerischen Staates, die gegen Einmischungen der Besatzungsbehörden gestärkt wurde. Hier solidarisierte und identifizierte sich die Kirche mit »unsere[n] Minister[n]« und vermittelt über diese mit der politischen Ordnung des Freistaats als solcher. Faulhabers Protest blieb denn auch nicht ohne Wirkung. Muench wandte sich auf das Schreiben des Münchner Erzbischofs hin an den Leiter der amerikanischen Militärregierung für Bayern (OMGB), Murray D. Van Wagoner, und ermahnte ihn, nicht in deutsche innere Angelegenheiten einzugreifen, die die Demokratisierungsabsicht der Besatzungsmacht nicht berührten.697 Obgleich dies als bemerkenswerte Fehleinschätzung der demokratischen Bedeutung des Schulwesens erscheint, konnte Hundhammer sich gegenüber der Landtagsopposition selbstbewusst auf diese kirchliche Unterstützung seiner Vorgehensweise berufen, ja sogar betonen, seine Haltung beruhe unter anderem auf eben dieser bischöflichen Positionierung.698 Dabei durfte er nicht nur die katholische Kirche 693 Schreiben Faulhabers an Muench vom 7.1.1948, BayHStA, StK 13968, hier 5. 694 Ebd., 4 f. 695 Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 67. 696 Schreiben Faulhabers an die bayerischen Bischöfe vom 10.1.1948, BayHStA, StK 13968. 697 Muench an van Wagoner [17.1.1948] (Dok. 188). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten Kardinal Faulhabers, 343–345. 698 Siehe Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 48. Sitzung (1. WP), 29.1.1948, 649.

Bildungspolitik in Bayern  265

hinter sich wähnen, denn in der Zwischenzeit hatte auch die evangelische Landeskirche bei der Militärregierung Protest gegen deren Reformvorgaben erhoben. Der Landeskirchenrat beschuldigte die Amerikaner, mit der Bildungspolitik einen besonders empfindlichen Bereich der Selbstbestimmung zu berühren und unterstellte ihrem Schulkonzept aufgrund des Einheitsschulgedankens und der Bevorzugung staatlicher Schulen einen »totalitären Charakter«.699 Sorge bekundete die evangelische Kirche unter anderem bezüglich der Bekenntnisschule, der evangelischen Lehrerbildung sowie des humanistischen Gymnasiums, die sie allesamt gewahrt wissen wollte.700 Zwar befreite die Unterstützung der Kirchen die Bayerische Landesregierung nicht von ihrer Verpflichtung, einen den Vorgaben der Militärregierung entsprechenden Schulreformplan vorzulegen. Als das Kultusministerium aber noch im Januar 1948 einen die amerikanischen Weisungen berücksichtigenden Entwurf vorlegte, versäumte Ministerpräsident Ehard nicht zu betonten, dass weder er noch Hundhammer »für alle Teile dieser Vorschläge die Verantwortung übernehmen« könnten. Dabei verwies er ausdrücklich auf die Bedenken, die seitens des katholischen Episkopats, des Apostolischen Visitators sowie des evange­lischen Landesbischofs gegen die geplante Reform geäußert wurden.701 Der stets mitschwingende Vorwurf, die US -Militäradministration zwänge den Bayern eine Schulreform von außen auf, war dabei in dieser Form im Grunde nicht gerechtfertigt, da die Amerikaner durchaus mit bayerischen Bildungsreformern zusammenarbeiteten. Nicht nur bei der SPD, auch im Bayerischen Lehrerverband, einer Vereinigung vor allem von Volksschullehrern, fanden die Reformvorschläge Unterstützung – besonders die Akademisierung der Lehrerbildung wurde in deutschen Bildungsfachkreisen bereits längere Zeit gefordert.702 Andererseits wurde aber auch unter nichtkirchlichen Bildungsexperten die Meinung vertreten, Elemente des US -amerikanischen Schulsystems könnten nicht ohne Weiteres auf Bayern übertragen werden.703 Stärker als derartige Zweifel dürfte allerdings der entschiedene Widerstand der Kirchen Eindruck auf die Militär­regierung gemacht haben, denn die Besatzungsmacht wollte unter

699 Stellungnahme des Evang.-Luth. Landeskirchenrats zu den Schulreformplänen der Besatzungsmacht (Dok. Nr. 54). In: Merkt, H. (Bearb.): Dokumente zur Schulreform, 193–197, hier 194. 700 Ebd., 195 f. 701 Schreiben Ehards an das Amt der Militärregierung für Bayern vom 5.2.1948, BayHStA, StK 13968; vgl. auch Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 164 f. 702 Vgl. Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 140; Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 158f, 178 f. Unter anderem trug die 1948 von der Militärregierung gegründete »Stiftung zum Wiederaufbau des bayerischen Schulwesens« (sog. »Stiftung Wallenburg«), besetzt mit deutschen Bildungsfachleuten, zur Ausarbeitung von Reformvorschlägen bei. 703 Vgl. etwa Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 48. Sitzung (1. WP), 29.1.1948, 650 f.

266  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  keinen Umständen in der bayerischen Öffentlichkeit als kirchenfeindlich angesehen werden.704 So gelang es Hundhammer wohl nicht zuletzt aufgrund der kirchlichen Unterstützung, die von der Militärregierung gewünschte Schulreform weiterhin zu verschleppen, bis die Amerikaner im Laufe des Jahres 1948 Stück für Stück von ihren Forderungen Abstand nahmen.705 Bereits Mitte März konnte die Konferenz der katholischen Bischöfe Bayerns feststellen, dass die Schul­ reformbemühungen »eine günstige Wendung genommen« hätten: Zwar war der Ausbau der Grundschule auf sechs Jahre nach wie vor im Gespräch, doch galt der Erhalt der Gymnasien mittlerweile als gesichert. Auch in Sachen Lehrerbildung war von einer genuinen Universitätsausbildung – bei der es keine konfessionelle Trennung gegeben hätte – keine Rede mehr, zumal die Zusage bestand, für die katholischen klösterlichen Lehrkräfte konfessionelle Lehrerbildungsinstitute zu erhalten.706 Unterdessen hielt der katholische Episkopat seinen Druck auf die Militärregierung aufrecht, indem etwa Kardinal Faulhaber im Juli 1948 Van ­Wagoner noch einmal seine Vorbehalte gegenüber einem amerikanischen Eingriff in Schulfragen darlegte. Zugleich wies er den gegen Hundhammer erhobenen Vorwurf, dieser »verquicke religiöse Belange mit den Fragen der Schulreform zu dem Zweck, sich die Unterstützung der Kirche für seine politischen Ziele zu sichern«, als einen »völlig unbegründeten« zurück.707 Ob dieser Vorwurf wirklich »unbegründet« war, darf indes bezweifelt werden, teilte der Kultusminister doch, wie gezeigt, explizit die schulpolitischen Perspektiven der katholischen Kirche und sicherte sich daher auch deren Unterstützung für seine Politik. Die Amerikaner sollten letztlich nur zum Thema der Schulgeld- und Lernmittelfreiheit einen entschlossenen Versuch unternehmen, doch noch eines ihrer schulpolitischen Vorhaben umzusetzen. Im Sommer 1948 befahl die Militärregierung dem Kultusministerium, bis zum 1. September ein entsprechendes Gesetz auszuarbeiten. Während Ministerpräsident Ehard diese Intervention höchst indigniert als Behinderung der Demokratisierung Bayerns verurteilte,708 rief die Anweisung der Militärregierung in inhaltlicher Hinsicht den Widerstand des Kultusministers und der beiden Kirchen hervor. Hundhammer argumen 704 Vgl. Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 47. 705 Siehe dazu Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 166–169. 706 Protokoll der Konferenz des bayerischen Episkopates [17.3.1948] (Dok. 201). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten Kardinal Faulhabers, 361–366, hier 362; vgl. auch Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 207. 707 Schreiben Faulhabers an Van Wagoner vom 19.7.1948, AEM, NL Faulhaber 6954/2, Bild 176–178, hier S. 3. 708 Vgl. Bericht Helmuth Pensels an das Civil Administration Division Information Office vom 4.8.1948, AEM, NL Faulhaber 6954/2, Bild 166. Aus Ehards Reaktion lässt sich die Überzeugung ablesen, dass die Deutschen selbst für die Demokratisierung sorgen mussten, nicht die Besatzungsmächte. Dazu bedurfte es aber der Glaubwürdigkeit und politischen Autorität der gewählten Regierungen.

Bildungspolitik in Bayern  267

tierte, der Plan bedeute eine unnötige Entlastung vermögender Eltern und mache überdies hohe Kompensationszahlungen an Privatschulen nötig, wohingegen sich die Kirchen um die Existenz ihrer eigenen Schulen sorgten, zumal sie staatliche Subventionen aus der Befürchtung heraus ablehnten, daraus könnte eine stärkere staatliche Einflussnahme resultieren.709 Letztendlich gelang es jedoch, sich darauf zu verständigen, die Schulgeldfreiheit und die Lernmittelfreiheit für alle öffentlichen Schulen einzuführen, wobei der Staat Privatschulen im Falle einer freiwilligen Einführung der Lernmittelfreiheit eine Erstattung von zwei Dritteln der dadurch ausfallenden Einnahmen gewährleistete.710 Rückblickend sollten diese Maßnahmen das einzige greifbare Ergebnis der amerikanischen Schulreformpolitik bleiben.711 In allen übrigen Fragen verzögerte Kultusminister Hundhammer die Umsetzung der ihm abgerungenen Reformzusagen nach Kräften, bis die Amerikaner im Herbst 1948 schließlich die Einführung der Einheitsschule nach US -Vorbild aufgaben: Der neu eingesetzte Leiter der Schulabteilung bei OMGUS verkündete, die Bemühungen um eine Schulreform müsse von den Deutschen selbst ausgehen, man werde ihnen kein amerikanisches Schulsystem aufoktroyieren.712 Wie einleitend bereits bemerkt, erwies sich die Auseinandersetzung um die Schulreformpläne der US -Militärregierung als prägend für die Wahrnehmung des bayerischen Staates durch die Kirchen. Aus deren Sicht stemmte sich nämlich eine christliche Regierung – für die katholische Seite nicht zuletzt verkörpert durch Kultusminister Hundhammer – gegen einen Angriff auf das traditionelle Schulsystem und damit auch auf die althergebrachte Position der Kirchen im Schulwesen. Entgegen den amerikanischen Reformvorstellungen verteidigte die Staatsregierung aus kirchlicher Perspektive die Regelungen von Konkordat und Kirchenvertrag, wobei Hundhammer in konservativen Kreisen insbesondere den Ruf errang, das Gymnasium und die humanistische Schulbildung gerettet zu haben.713 In dieser Situation stellten sich die Kirchen hinter die bayerische Regierung und stärkten ihr öffentlich den Rücken gegenüber der Besatzungsmacht. Dadurch halfen die Kirchen jedoch nicht lediglich entscheidend dabei, die Reformbemühungen ins Leere laufen zu lassen und einer konservativen Schulpolitik zum Sieg zu verhelfen, sondern stärkten auch die politische Autorität der

709 Siehe Rundschreiben Zinkls für die Arbeitsgemeinschaft katholischer Klöster in Bayern vom 9.8.1948, AEM, NL Faulhaber 6954/2, Bild 156f; vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 172–176. 710 Siehe Gesetz über die Lernmittelfreiheit vom 5. März 1949, BayGVBl. 7/1949 (6.4.1949), 59; Gesetz über die Schulgeldfreiheit vom 5. März 1949, BayGVBl. 7/1949 (6.4.1949), 59. Die Gesetze traten rückwirkend ab 1.9.1948 in Kraft. 711 So urteilt Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 193. 712 Vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 134–136 und 161–169. 713 Vgl. dazu Braun, O.: Konservative Existenz, 371.

268  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  jungen bayerischen Demokratie, indem sie deren Selbstbehauptung gegenüber einer amerikanischen Einflussnahme unterstützten. Mit Inkrafttreten des Besatzungsstatuts am 21. September 1949 lag die Schulpolitik offiziell nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der westalliierten Besatzungsbehörden – im Zuge der Ausarbeitung des »Gesetzes über die Organisation der Volksschulen« (Schulorganisationsgesetz, SchOG) verschaffte die US -Militärregierung jedoch noch einmal ihrem Unmut über das Agieren Hundhammers Ausdruck. f)

Das Schulorganisationsgesetz von 1950

Angesichts des Konflikts um die konfessionelle Ausgestaltung des Volksschulwesens und der umstrittenen Auslegung des Art. 135 BV erscheint es bemerkenswert, dass bis ins Jahr 1950 kein Ausführungsgesetz zu den Schulartikeln der Bayerischen Verfassung erlassen worden war. Dies bedeutet zugleich, dass das Kultusministerium sämtliche Maßnahmen betreffend die Errichtung von Bekenntnisschulen oder die Umwandlung von Gemeinschaftsschulen in Bekenntnisschulen bis dahin ohne gesetzliche Detailregelung durchgeführt hatte – gleichzeitig aber, wie oben beschrieben, Elternabstimmungen zugunsten der Gemeinschaftsschule mit Verweis auf das Fehlen eben eines solchen Ausführungsgesetzes untersagt hatte. Aus diesem Grund setzte sich die Landtagsopposition, die ein Abstimmungsrecht der Eltern über beide Schulformen forderte, mit Nachdruck für ein Schulorganisationsgesetz ein.714 Dass der Status quo rechtlich kaum haltbar war, musste man schließlich auch im Ministerium eingestehen, etwa als der Bezirksregierung Schwabens mitgeteilt wurde, bei den bisherigen Elternbefragungen hätten sich Probleme »aus dem Fehlen entsprechender Verfahrensvorschriften« ergeben.715 Während sich SPD und FDP von einem Schulorganisationsgesetz eine Erleichterung für die Errichtung von Gemeinschaftsschulen erhofften, war Kultusminister Hundhammer bemüht, die Vorstellungen der Kirchen zu berücksichtigen. Zu diesem Zwecke wurden die Vertreter des Erzbischöflichen Ordinariats München und des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenrats im Juli 1948 zu einer Besprechung des Referentenentwurfs für das Schulorganisationsgesetz ins Kultusministerium eingeladen.716

714 Vgl. etwa Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 80. Sitzung (1. WP), 23.7.1948, 1714; vgl. auch Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 54 f. 715 Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an die Regierung von Schwaben vom 11.2.1950 (IV01257/50), BayHStA, MK 61201. 716 Siehe Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an das Erzbischöfliche Ordinariat München und den Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenrat München vom 8.7.1948, BayHStA, MK 61220, Bl. 1.

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Dieser erste Entwurf war augenscheinlich von dem Bestreben getragen, die kirchlichen Wünsche in umfassender Weise zu erfüllen. So bestätigte er die Bekenntnisschule als Regelschule im Volksschulbereich (§ 5) und definierte sie gemäß den Ansprüchen der Kirchen als Schule, in der Kinder gleichen Bekenntnisses nach den Grundsätzen dieses Bekenntnisses unterrichtet würden, wobei ausschließlich Lehrer zum Einsatz kommen dürfen, die »geeignet und bereit« wären, diesen Unterricht zu geben (§ 6). Grundsätzlich sollte jede Gemeinde eine Volksschule aufweisen, die auch ungeteilt sein könnte (§§ 2, 4 II) – eine Garantie der Dorfschule, die ebenfalls als Sicherung der konfessionellen Schulbildung diente. Sollte vor Ort nur eine Schule einer Konfession oder nur eine Gemeinschaftsschule bestehen, konnten Erziehungsberechtigte die Beschulung ihrer Kinder in einer »benachbarten Volksschule ihres Bekenntnisses« beantragen (§§ 7, 12  II)  – bemerkenswerterweise galt diese Regelung jedoch nicht analog für den Besuch benachbarter Gemeinschaftsschulen. Ferner garantierte der Entwurf unter anderem die Möglichkeit, den Unterricht an einer Volksschule einer »kirchlichen Genossenschaft« zu übertragen (§ 13) oder gleich eine private Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule zu errichten (§ 16).717 Beachtenswert erscheint schließlich die Tatsache, dass auch in der Gemeinschaftsschule Unterricht »nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der christlichen Sittlichkeit« erteilt werden sollte (§ 9 I), eine Bestimmung, die in der Regierungsvorlage sogar noch in »nach christlich-abendländischen Grundsätzen« (dort § 8 I) geändert wurde.718 Auf der Konferenz der katholischen Bischöfe Bayerns wurde der Entwurf entsprechend seiner umfangreichen Zugeständnisse an die Kirchen anerkennend diskutiert und seine Übereinstimmung mit den Regelungen des Bayerischen Konkordats ausdrücklich festgestellt.719 Gemäß den Beschlüssen der Konferenz übermittelte Kardinal Faulhaber Ministerpräsident Ehard und Kultusminister Hundhammer »den aufrichtigen Dank der bayerischen Bischöfe […] für diese entschiedene und klare Gewährleistung der konkordatstreuen Schule«.720 Diese positive Einschätzung wurde indes nicht von allen Seiten geteilt. So erhob der SPD -Bildungsfachmann Claus Pittroff im Landtag den Vorwurf, der Gesetz­ entwurf diene allein der Konfessionalisierung des Volksschulwesens und würde 717 »Entwurf zu einem Gesetz über die Organisation der Volksschulen« (Anlage zum Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an das Erzbischöfliche Ordinariat und den Landeskirchenrat vom 8.7.1948), BayHStA, MK 61220, Bl. 2–7. 718 Siehe den Entwurf in: Bayerischer Landtag: Drucksache 1/2166, Mündlicher Bericht des Ausschusses für kulturpolitische Fragen zum Entwurf eines Gesetzes über die Organisation der Volksschulen, 21.1.1949. 719 Siehe Schulfragen. Beilage zu V. des Protokolls der Freisinger Bischofskonferenz ­(Bericht Zinkl), 22.3.1949, AEM, NL Faulhaber 6955, Bild 30–32. 720 Schreiben Faulhabers an Ehard und Hundhammer vom 4.4.1949, AEM, NL Faulhaber 6955, Bild 39 f.

270  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  die Errichtung von Gemeinschaftsschulen so gut wie unmöglich machen – im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz der Verfassung.721 Doch nicht nur die politische Opposition, auch die evangelische Landeskirche hegte Bedenken: Dort sorgte man sich um die zahlreichen bisher mehr oder weniger stillschweigend an katholischen Bekenntnisschulen belassenen evangelischen Minderheiten und wünschte für deren Beschulung die Errichtung evangelischer Gastklassen an den betreffenden katholischen Schulen, eine Verlegenheitslösung, die im Kultus­ ministerium aber durchaus in Betracht gezogen wurde.722 Insgesamt wurde der Entwurf zum Schulorganisationsgesetz, den der Kultur­ ausschussvorsitzende Meixner als die härtest umkämpfte Gesetzesinitiative in Bayern nach 1945 ausmachte, etwa zwei Jahre lang im Landtag verhandelt und dabei zweimal von der Tagesordnung abgesetzt – das zweite Mal, um der US -Militärregierung auf deren Wunsch hin die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben.723 Diese sollte denkbar negativ ausfallen: Als am 4. Februar 1950 der Leiter der Erziehungsabteilung von OMGB, Charles D. Winning, dem Landtag die Auffassung der Militärregierung unterbreitete, trug er nichts anderes als eine Fundamentalkritik vor. Neben einer unzureichenden Einbeziehung der Kommunen bei der Errichtung von Schulen kritisierte Winning insbesondere, das Gesetzesvorhaben sei diskriminierend gegenüber Eltern, die die Gemeinschaftsschule bevorzugten, sowie gegen religiöse Gruppen mit Ausnahme der staatlich anerkannten. Grundsätzlich sah die Militärregierung die starke christliche Färbung der staatlichen Volksschulen als problematisch an und befand, der Entwurf widerspreche der Bayerischen Verfassung an zahlreichen Stellen. Winning kam daher zu dem vernichtenden Urteil, das Gesetz könne »weder als verfassungsmäßige, noch als fortschrittliche, demokratische Gesetzgebung betrachtet werden«.724 Die amerikanische Stellungnahme schlug hohe Wellen. In Sorge um die kirchenfreundlichen Bestimmungen des ursprünglichen Entwurfs protestierte Kardinal Faulhaber im Namen des bayerischen Episkopats energisch gegen die Einwände der Militärregierung. Winning warf er vor, »gerade jene Bestimmungen des Gesetzes, die sich auf die Durchführung der konkordatsmäßigen Bekenntnisschule beziehen, in schärfster Weise« angegriffen zu haben und sprach – 721 Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 145. Sitzung (1. WP), 15.2.1950, 778. 722 Siehe dazu die Ausführungen MdL Gromers zu den Verhandlungen des Kultusausschusses: Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 168. Sitzung (1. WP), 5.7.1950, 576. 723 Siehe Ausführungen Meixners: Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 168. Sitzung (1. WP), 5.7.1950, 578. 724 Bayerischer Landtag: Drucksache 1/3333, Ausführungen von Dr. Charles D. Winning zum Entwurf eines Gesetzes über die Organisation der Volksschulen vor den vereinigten Landtagsausschüssen für kulturpolitische Fragen und für Rechts- und Verfassungsfragen am 4.Februar 1950, 9.30 Uhr, 3, vgl. 1–3.

Bildungspolitik in Bayern  271

in offensichtlicher Ausblendung der historischen Tatsachen – von dem »schärfsten Angriff«, »der jemals auf das Bayerische Konkordat und die konkordatäre Rechtslage der Bekenntnisschule erfolgt ist«.725 An Papst Pius XII. gerichtet warf Faulhaber den Amerikanern gar eine Verschwörung gegen die Kirche und den Kultusminister vor  – ein weiterer bezeichnender Schulterschluss mit Hundhammer.726 Trotz der auf evangelischer Seite bestehenden Bedenken gegen den Gesetzentwurf sah sich auch Landesbischof Meiser genötigt, im Namen des Landeskirchenrats bei der Militärregierung zu intervenieren. Meiser verteidigte »das Recht der Bekenntnisschule mit entsprechender Lehrerschaft« gemäß dem Kirchenvertrag von 1924 und kritisierte, dass die von Winning an das Gesetz gestellten Bedingungen die Einrichtung konfessioneller Schulen gefährdeten.727 Es sei »nicht sachgemäß und nicht demokratisch«, so befand der Landesbischof, die christliche Erziehung von 97 Prozent der bayerischen Schulkinder zugunsten einer »verschwindenden Minderheit« von Schülerinnen und Schülern, die keiner der beiden Kirchen angehören, einzuschränken.728 Erneut zeigt sich hier prägnant das mangelnde Verständnis für die Notwendigkeit von Minderheitenschutz, dessen Fehlen die US -Militärregierung ja gerade angeprangert hatte. Obgleich die Kirchen abermals der Staatsregierung den Rücken stärkten und obwohl die Militärregierung keinen verbindlichen Charakter für ihre Kritik beanspruchte,729 sah sich das Kultusministerium angesichts der amerikanischen Vorwürfe dennoch genötigt, einige Veränderungen am Gesetzentwurf vorzunehmen und diese erneut im Landtag beraten zu lassen. Die religionspolitischen Aspekte betreffend bemühte sich das Ministerium nach eigenen Worten, »die Gemeinschaftsschule der Bekenntnisschule so weit gleichzustellen, als dies im Hinblick auf Art. 135 der Bayer. [sic] Verfassung möglich ist«.730 Insbesondere konnten Eltern ihre Kinder nun auch gemeindeübergreifend auf Gemeinschaftsschulen schicken, wenn diese am eigenen Wohnort nicht vorhanden waren. Mit Blick auf die Betreuung von Bekenntnisminderheiten – und wohl aufgrund der 725 Schreiben Sr. Eminenz des Herrn Kardinals Michael v. Faulhaber vom 11.2.1950 an den Hochkommissar McCloy betreffend Stellungnahme der Militärregierung zum Entwurf des Schulorganisationsgesetzes (Dok. 102). In: Merkt, H. (Bearb.): Dokumente zur Schulreform, 306–309, hier 308. 726 Vgl. Faulhaber an Pius XII. [18.2.1950] (Dok. 309). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten Kardinal Faulhabers, 544–546, hier 545. 727 Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats vom 23.2.1950 an den Hochkommissar McCloy betreffend Stellungnahme der Militärregierung zum Entwurf des Schulorganisationsgesetzes (Dok. Nr. 103). In: Merkt, H. (Bearb.): Dokumente zur Schulreform, 310–312, hier 311, vgl. 310. 728 Ebd., 312. 729 Siehe etwa Vormerkung Bögls vom 31.8.1950, BayHStA, MK 61395; Notiz Zinkls vom 16.2.1950, AEM, NL Faulhaber 4073, Bild 17. 730 Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an das Landeskommissariat für Bayern vom 12.5.1950, BayHStA, MK 61220.

272  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Anregungen der evangelischen Kirche – wurde zudem ein neuer § 14 eingefügt, welcher die Anstellung besonderer Lehrkräfte speziell zur Erteilung des Religionsunterrichts ermöglichte.731 Mit der Landtagsmehrheit der CSU wurde diese revidierte Fassung des »Gesetzes über die Organisation der Volksschulen« am 5. Juli 1950 mit geringen Veränderungen verabschiedet und trat am 1. August desselben Jahres in Kraft. Die SPD stimmte gegen das Gesetz, nachdem ihre Änderungsanträge abgelehnt worden waren. Der Abgeordnete Heinz Beck betonte für die Sozialdemokraten, seine Partei kämpfe keineswegs gegen die Bekenntnisschule, sondern für die vollausgebaute Volksschule auch auf dem Land. Mit dem vorliegenden Gesetz, so fürchtete die SPD, würde aber der Entstehung neuer »Zwergschulen« Vorschub geleistet werden, die dann insbesondere für die evangelische Minderheit mangelhafte Bildungseinrichtungen bedeuteten.732 Ein weiterer Hauptkritikpunkt der Opposition war, dass das Gesetz nur Lehrer einer christlichen Konfession an Gemeinschaftsschulen zuließ, was als Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung in Art. 107 BV gewertet wurde, eine Position, die auch der BLV teilte.733 Die CSU fochten derlei Einwände nicht an, denn aus ihrer Sicht war das Ringen um das Schulorganisationsgesetz »ein Kampf der Weltanschauungen gewesen und die CSU hat ihn als die christliche bayerische Weltanschauungspartei gewonnen«, wie in der Parteizeitung »CSU-Correspondenz« verlautbart wurde.734 Sieht man sich die Bestimmungen und Auswirkungen des Gesetzes im Detail an, wird allerdings schnell deutlich, dass es nicht nur »christlich«, sondern eindeutig konfessionell geprägt war: Einerseits berücksichtigte das Gesetz die infolge der Bevölkerungsdynamik nach dem Krieg entstandene konfessionelle Durchmischung ebenso wenig, wie die zuvor bereits vom Kultusministerium angeordneten Maßnahmen dies taten. Die bestehenden Schulen wurden ungeachtet der Zusammensetzung der Schüler de jure Bekenntnisschulen, wenn sie es vor 1933 waren, was dazu führte, dass in Bayern bald gut 50.000 evangelische Schüler an katholischen und knapp 27.000 katholische Schüler an evangelischen Bekenntnisschulen unterrichtet wurden.735 Andererseits war aber bei Vorhandensein von mindestens 25 Schülerinnen und Schülern des Minderheitsbekenntnisses von Amts wegen eine eigene Schule für die Bekenntnisminderheit zu errichten, die diese Schulkinder dann auch zu besuchen hatten – entgegen der vielfachen Beschwörung des Elternrechts konnten die Eltern nicht wählen, dass ihre Kinder weiterhin die (in der Regel besser gegliederte) Schule des anderen Bekenntnisses 731 Ebd. 732 Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 168. Sitzung (1. WP), 5.7.1950, 589–592. 733 Vgl. ebd., 570; Braun, O.: Konservative Existenz, 355. 734 Zit. nach ebd., 357. 735 Siehe Huelsz, I.: Schulpolitik in Bayern, 149.

Bildungspolitik in Bayern  273

besuchen sollten.736 Die konfessionellen Wünsche der Kirchen hatten sich demnach auf ganzer Linie durchzusetzen vermocht. Parallel zum Schulorganisationsgesetz arbeitete das Kultusministerium auch an einem Gesetz über die Neuordnung der Volksschullehrerbildung. Hatten die ursprünglichen Vorgaben der Militärregierung eine weitgehende Angliederung der Ausbildung an die Universitäten vorgesehen, was auch von SPD und BLV unterstützt wurde, war die Konzeption des Ministeriums in kaum mehr zeitgemäßer Weise auf die dorfeigene Schule zugeschnitten: Da die Kultusverwaltung eine Abwanderung universitär ausgebildeter Lehrer in ein attraktiveres städti­ sches Umfeld fürchtete, hielt man an der alten Seminarform fest.737 Schwerwiegender als diese Bedenken dürften für Hundhammer allerdings die Sorgen der Kirchen gewesen sein: Die katholischen Bischöfe sprachen sich für eigenständige Pädagogische Akademien anstelle von mit den Universitäten assoziierten Pädagogischen Instituten aus, wie sie etwa der Schulreformplan der SPD vorgesehen hatte.738 Denn die Vollakademisierung hätte eine streng konfessionelle Lehrerbildung ebenso unmöglich gemacht, wie die vom Episkopat favorisierte Trennung der Geschlechter in den Lehrgängen.739 Im Dezember 1949 verkündeten die bayerischen Bischöfe daher, die Lehrerbildung solle zwar »in Hochschulform«, aber bekenntnismäßig eingerichtet werden.740 Auch die evangelische Landeskirche lehnte die universitäre Lehrerbildung strikt ab, da sie, in Übereinstimmung mit der katholischen Position, dadurch den Bestand der Bekenntnisschule gefährdet sah.741 Die im bayerischen Konkordat und im Kirchenvertrag von 1924 verankerte konfessionell gestaltete seminaristische Ausbildung der Volksschullehrer erlaubte den Kirchen ein erhebliches Maß an Kontrolle über die weltanschauliche Unterweisung des Lehrernachwuchs, welche sie nicht aufzugeben bereit waren.742 Wie weiter oben bereits beschrieben, verzögerte das Kultusministerium eine konsequente Umsetzung der Lehrerbildungsreform. Als Schritt in Richtung der hochschulmäßigen Bildung sollten allerdings ab Herbst 1948 die ersten drei 736 Vgl. die Ausführungsbestimmungen zum Schulorganisationsgesetz, in: Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Jg. 1950, Nr. 23 (15.12.1950), hier 411; vgl. auch Sonnenberger, F.: Schulkampf in Bayern, 149. 737 Vgl. Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 181. 738 Bayerischer Landtag: Drucksache 1/561, Antrag der SPD -Fraktion zum »Gesetz über die Neuordnung des Schulwesens«, 17.7.1947; vgl. auch Der Schulreformplan der SPD. In: Merkt, H. (Bearb.): Dokumente zur Schulreform, 94–108. 739 Vgl. dazu die Überlegungen im Referat Zinkls auf der bayerischen Bischofskonferenz am 22.3.1949 (Anlage zu Dok. 259), in: Hürten, H. (Bearb.): Akten Kardinal Faulhabers, 462–465, hier 463 f. 740 Die bayerischen Bischöfe: Kanzelverkündigung zur »katholischen Schulorganisation in Bayern«. 8. Dezember 1949 (Dok. 80). In: Löhr, W. (Bearb.): Hirtenbriefe und Ansprachen, 330–331, hier 331. 741 Vgl. Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 210 f. 742 Siehe dazu Art. 5 BayKonk (1924).

274  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Klassen der bestehenden Lehrerausbildungseinrichtungen ihre Schülerinnen und Schüler zur Hochschulreife führen; im Gegensatz zu anderen weiterführenden Schulen blieben diese Übergangsklassen dabei aber konfessionell getrennt eingerichtet.743 In Übereinstimmung mit Vorschlägen der Bildungsfachleute der Stiftung Wallenburg744 sollten auf diesem Modell aufbauend die bisherigen Lehrerbildungsseminare in »Deutsche Gymnasien« – also reguläre höhere Schulen – umgewandelt werden, deren Besuch das Ministerium als besonders geeignete Vorbereitung für die Volksschullehrerausbildung betrachtete. Diese sollte dann in eigenständigen, aber in Verbindung mit einer Universität stehenden Pädagogischen Hochschulen stattfinden.745 Im Großen und Ganzen fand diese Konzeption die Zustimmung der katholischen Kirche, obgleich der Wegfall der alten Lehrerbildungsanstalten als Verlust wahrgenommen wurde. Insbesondere sah es Kardinal Faulhabers Bildungsfachmann, Prälat Zinkl, als problematisch an, dass die geplanten Deutschen Gymnasien als empfohlene Schulen der angehenden Volksschullehrer überkonfessionellen Charakter haben würden. Die Entscheidung für eigenständige Pädagogische Hochschulen mit bekenntnismäßigem Charakter begrüßte Zinkl hingegen als Versuch, dem Bayerischen Konkordat gerecht zu werden.746 In Einklang mit diesen Überlegungen bat Kardinal Faulhaber das Kultusministerium, den Deutschen Gymnasien »möglichst den bekenntnismäßigen Charakter der Lehrerbildungsanstalten, aus denen sie hervorgehen, zu erhalten«.747 Da Hundhammer die Reform im Laufe des Sommers aus finanziellen Gründen in Teilen zurückstellte, wurden entsprechende Maßnahmen zunächst nicht weiter verfolgt748 Die für die Überbrückung der Zeit bis zur Verabschiedung eines Lehrerbildungsgesetzes eingerichteten Ausbildungslehrgänge für Volksschullehrer wurden allerdings streng konfessionell konzipiert.749 Hundhammer plante 743 Vgl. Lehrerausbildung im Schuljahr 1948/49. In: Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Jg. 1948, Nr. 4 (31.5.1948), 43; vgl. auch Müller, W.: Schulpolitik in Bayern, 188 f. 744 Siehe Fn. 702 in diesem Kapitel. 745 Vgl. Der Ausschuss für die Neugestaltung der Lehrerbildung: Die Neugestaltung der Lehrerbildung in Bayern, 25.11.1948, BayHStA, MK 61393; Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an die Direktorate der staatlichen und nichtstaatlichen Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten vom 8.9.1950, BayHStA, MK 61393; Referentennotiz betr. »Lehrerbildung, Übergangsmaßnahmen« vom Februar 1951, BayHStA, MK 61393. 746 Vgl. Aufzeichnung Zinkls (II) (Dok. Nr. 314). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten Kardinal Faulhabers, 553–558, hier 556 f. 747 Schreiben Faulhabers an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 15.3.1950, AEM, NL Faulhaber 4073, Bild 83f, hier S. 2. 748 Vgl. Schreiben Hundhammers an MdL Euerl vom 29.8.1950, BayHStA, MK 61393. 749 Vgl. Entwurf eines Schreibens des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an die Direktorate der Lehrer(innen)bildungsanstalten vom 8.7.1950 (versandt am 11.7.1950), BayHStA, MK 61393.

Bildungspolitik in Bayern  275

sicherlich, seinen kirchenfreundlichen Gesetzentwurf nach der Landtagswahl im Herbst 1950 weiterzuverfolgen, wozu es jedoch nicht mehr kommen sollte. g)

Schulpolitische Stagnation unter Kultusminister Schwalber

Die im langen und zähen Ringen um das Schulorganisationsgesetz hervorgetretenen Konfliktlinien setzten sich im Landtagswahlkampf des Jahres 1950 und der anschließenden Regierungsbildung fort. Neben den Parteien waren dabei auch die Kirchen auf die Wahrung ihrer schulpolitischen Interessen bedacht und bemühten sich, in ihrem Sinne Einfluss zu nehmen. Auf das Mittel des Wahl­hirtenworts zurückgreifend versuchten etwa die katholischen Bischöfe Bayerns, ihre Gemeinden davon abzuhalten, Kandidaten zu wählen, die »unsere katholischen Schulen unterdrücken und unsere Jugend glaubenslos erziehen« wollten.750 War die katholische Kirche gleichsam bestrebt, eine Fortsetzung der Hundhammer’schen Schulpolitik zu befördern, galt es dem evangelischen Landeskirchenrat im Gegensatz dazu, eben dies zu verhindern. Denn obgleich die evangelische Kirche ebenfalls für ein konfessionelles Schulwesen eintrat, fühlte man sich hier durch Hundhammer stark benachteiligt, etwa was die konfessionelle Verteilung der Referentenstellen im Kultusministerium betraf. Landesbischof Meiser warnte daher Hans Ehard, sollte Staatsrat Meinzolt, der erklärt hatte, aufgrund Hundhammers einseitiger katholischer Interessenvertretung nicht länger unter diesem arbeiten zu wollen, aus dem Kultusministerium ausscheiden, würde dies in protestantischen Kreisen sicher ungern gesehen werden.751 Da der Landeskirchenrat des Weiteren ausdrücklich eine Koalitionsregierung von CSU und SPD befürwortete,752 implizierte diese Intervention eine Stellungnahme gegen Hundhammer. Denn die Sozialdemokraten, die in der Wahl am 26. November 1950 zwar die meisten Stimmen auf sich vereinigten, aber nur als zweitstärkste Fraktion nach der CSU in den Landtag einzogen, stellten klar, dass eine Regierungsbeteiligung ihrerseits nur erfolgen würde, wenn ein Wechsel an der Spitze des Kultusministeriums stattfände.753 Ehard akzeptierte diese Bedingung und wurde am 18. Dezember 1950 erneut zum Ministerpräsidenten gewählt, diesmal an der Spitze einer Koalition aus CSU, SPD und BHE . Neuer Kultusminister wurde der Christsoziale Josef Schwalber 750 Hirtenwort zu den Wahlen. In: Amtsblatt für die Erzdiözese Bamberg, Jg. 73, Nr. 26 (4.11.1950), 215–219, hier 218, AEM, NL Faulhaber 7113, Bild 95–97. 751 Vgl. Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 41–47. 752 Vgl. ebd., 93. 753 Vgl. Braun, Oliver: Einleitung. In: Ders. (Bearb.): Das Kabinett Ehard  III. 18. Dezember 1950 bis 14. Dezember 1954. Bd. 1, 20.12.1950–18.12.1951. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Andreas Wirsching und von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns durch Margit Ksoll-Marcon. München 2014, XXIII– CCXXII, hier XLI–XLIII.

276  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  (1902–1969). Unter den bayerischen Katholiken habe die »anmassende [sic], diffamierende und diktatorische Forderung« der SPD nach der Ablösung Hundhammers als Kultusminister »Enttäuschung und Bestürzung, Verbitterung und Besorgnis für die Zukunft« hervorgerufen, wie Domkapitular Zinkl in einem Lagebericht an die bayerische Bischofskonferenz behauptete.754 Zumindest auf die Amtskirche traf diese Beschreibung der Gefühlslage augenscheinlich zu, woran wohl auch Ehards Beteuerung wenig änderte, »die einträchtige Zusammenarbeit von Staat und Kirchen zu erhalten und zu pflegen, besonders auch durch loyale Durchführung des Konkordats und des Vertrags mit der Evangelisch-lutherischen Kirche«.755 Allerdings bemühte sich auch Kultusminister Schwalber, die Bedenken der katholischen Kirche ob Hundhammers Auswechslung zu zerstreuen. Vor dem Landesausschuss der CSU verkündete er im April 1951, dass »die Wahrung [des] Elternrechts und die freie Entfaltung der Bekenntnisschule« für die CSU stets Eckpunkte der Schulpolitik blieben.756 Schwalber stellte zudem klar, das Lehramt sei für ihn ein »Weltanschauungsberuf«, womit er sich auf die Seite der konfessionellen Lehrerbildung stellte, deren Möglichkeit im Falle einer vollen Akademisierung der Ausbildung er in Zweifel zog.757 Obgleich die Beteuerung des Kultusministers, den Wünschen der Kirchen in der Schulpolitik entgegenkommen zu wollen, durchaus ernst genommen werden kann, zeitigte Schwalbers Amtszeit in dieser Hinsicht doch wenig greifbare Ergebnisse. Selbst die unter Minister Hundhammer bereits ausgearbeitete und von den Kirchen prinzipiell gutgeheißene Reform der Volksschullehrerbildung stagnierte, da die Regierungskoalition auf diesem Feld nicht zu einem Einverständnis gelangte. Unter anderem kündigte die SPD Anfang 1951 an, auch für Lehrer an Bekenntnisschulen die volle Universitätsausbildung ermöglichen zu wollen.758 Schwalber sah sich schließlich veranlasst, den bereits dem Kabinett vorgelegten Gesetzentwurf seines Amtsvorgängers zurückzuziehen.759 Unterdessen fielen die Reaktionen auf die Debatte um die Lehrerbildungs­ reform außerhalb des Parlaments ganz unterschiedlich aus: Während sich die Katholische Aktion im Namen der katholischen Elternschaft nachdrücklich für die Sicherung von Bekenntnisschule und konfessioneller Lehrerbildung ein­

754 Die neue Koalitionsregierung CSU / SPD in Bayern und die künftige Kulturpolitik. Lagebericht Johann Zinkls für die bayerische Bischofskonferenz am 17.1.1951, AEM, NL Faulhaber 7113, Bild 108f, hier S. 1. 755 Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 5. Sitzung (2. WP), 9.1.1951, 32. 756 Rede des Herrn Staatsministers für Unterricht und Kultus Dr. Josef Schwalber, gehalten vor dem Landesausschuss der christlich-sozialen Union in Würzburg am Sonntag, den 15. April 1951, AEM, NL Faulhaber 7451/2, Bild 147–155, hier Bild 149. 757 Ebd., Bild 153, vgl. 153 f. 758 Vgl. Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 212. 759 Vgl. Schreiben Schwalbers an Ehard vom 22.3.1951, BayHStA, MK 61393.

Bildungspolitik in Bayern  277

setzte,760 nahmen die primär Betroffenen der umkämpften Reform, also die Lehrerinnen und Lehrer, mehrheitlich eine andere Haltung ein. So forderte die 1950 unter Zusammenschluss bayerischer Lehrerverbände sämtlicher Schulzweige gegründete »Arbeitsgemeinschaft bayerischer Lehrer- und Erzieherverbände« die Freiheit von politischen Gesinnungsvorgaben  – Lehrkräfte sollten allein ihrem »pädagogischen Gewissen« verpflichtet sein, nicht den weltanschaulichen Positionen der jeweiligen Landtagsmehrheit.761 Die Infragestellung des konfessionellen Schulwesens, wie insbesondere die katholische Kirche es forderte, war in einer solchen Haltung unausgesprochen miteingeschlossen; das alte System der Volksschule und Volksschullehrerbildung geriet damit auch in einer breiteren Öffentlichkeit langsam aber sicher unter Druck. h)

Das Reformvorhaben der Viererkoalition

Mit den Landtagswahlen am 28. November 1954 erfolgte ein weiterer politischer Wechsel in Bayern. Obwohl die CSU mit 38 Prozent der gültigen Stimmen klar als Gewinnerin aus der Wahl hervorging, gelang es SPD, FDP, BP und BHE , unter Ausschluss der Christsozialen eine Regierungskoalition mit Wilhelm Hoegner als Ministerpräsidenten zu bilden. Dabei stellte die Neugestaltung der Schulpoli­tik ein zentrales gemeinsames Anliegen der Koalitionsparteien dar, wie Hoegners Regierungserklärung demonstrierte: Die Einigkeit über Sachfragen als Grund für die Zusammenarbeit verkündend, führte der Ministerpräsident als erstes der geplanten Projekte der neuen Regierung die Reform der Volksschullehrerbildung an. Diese sollte hochschulmäßig und prinzipiell überkonfessionell aufgebaut werden, aber  – in Übereinstimmung mit Konkordat und Kirchenvertrag – genug Raum für konfessionelle Schwerpunktsetzung lassen. Daneben stellte Hoegner eine Anpassung des SchOG an die Bedürfnisse der Praxis in Aussicht, wobei er ebenfalls Wert auf die Berücksichtigung der Verträge mit den Kirchen legte.762 Wohl im Zuge der Vorbereitung dieses Reformprojekts hatten führende SPD -Politiker bereits im Januar 1954 mit Repräsentanten des Landeskirchenrats über das Thema Lehrerbildung gesprochen – die massive Kritik, die dem Vorhaben der Regierungskoalition in der Folgezeit seitens beider Kirchen entgegenschlug, belegt jedoch, dass man in dieser Frage keine gemeinsame Linie fand. Sowohl die evangelische Landeskirche als auch die katholischen Bischöfe Bayerns sahen durch eine nichtkonfessionelle Lehrerbildung den Fortbestand 760 Vgl. etwa Katholische Aktion für konkordatstreue Lehrerbildung, 12.2.1953, AEM, NL Wendel 654. 761 Ruland, Max: Pädagogische Gewissensfreiheit der Erzieher gefordert. In: Münchner Merkur, Nr. 278 vom 4./5.11.1950, 4, AEM, NL Faulhaber 6955, Bild 152. 762 Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 3. Sitzung (3. WP), 11.1.1955, 23 f.

278  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  der Bekenntnisschulen gefährdet. Neben kirchennahen Verbänden, wie etwa der Katholischen Erziehergemeinschaft, schloss sich auch die CSU dieser Position an und vertrat im Landtag die Beibehaltung der bekenntnismäßigen Lehrerbildung.763 Dessen ungeachtet brachten die Landtagsfraktionen der Regierungskoalition einen Entwurf für ein »Gesetz über die Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen« (Lehrerbildungsgesetz) ein, der als Ausbildungsstätten für die bayerischen Volksschullehrer simultane Pädagogische Hochschulen vorsah. Private Hochschulen sollten dabei nur bei Feststellung eines Bedürfnisses genehmigt werden (Art. 22).764 Den Bestimmungen des Bayerischen Konkordats – und paritätisch dazu des Kirchenvertrags –, denen zufolge die Lehrkräfte an katholischen Volksschulen »eine dem Charakter dieser Schulen entsprechende Ausbildung erhalten« mussten,765 gedachte die Koalition dadurch gerecht zu werden, dass zusätzlich zur überkonfessionellen Lehre eine Professur für »konfessionelle Wertlehre« vorgesehen war (Art. 13). Durch diese sollte, wie Hoegners parteiloser Kultusminister August Rucker (1900–1978) vor dem Kulturausschuss ausführte, »für den jungen Studenten das von den objektiven Wissenschaften breit Zugeflossene in das Werthafte eingeordnet«, sprich aus konfessioneller Perspektive aufbereitet werden.766 Aus Sicht des bayerischen Episkopats erfüllten diese Regelungen die Anforderungen von Art. 5 des Bayerischen Konkordats jedoch keineswegs. In ihrer Stellungnahme versicherten die Bischöfe zwar, nicht gegen eine Hebung des Ausbildungsniveaus der Lehrer zu sein, meinten aber, diese könne auch ohne eine Einschränkung des konfessionellen Prinzips erreicht werden. An den von Hoegner in seiner Regierungserklärung geäußerten Wunsch zu vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Kirche erinnernd baten die Bischöfe, die Landesregie­ rung möge auf einseitiges Vorgehen in der Lehrerbildungsfrage verzichten und sich mit der Kirche abstimmen.767 Unterstützt wurde der Episkopat durch Nuntius Muench, der in einer Note vom 7. Februar 1955 ebenfalls feststellte, dass der Gesetzentwurf nicht mit dem Konkordat übereinstimme. Auch der EvangelischLutherische Landeskirchenrat drückte gegenüber der Landesregierung seine

763 Vgl. Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 63; Renner, M.: Nachkriegsprotestantismus in Bayern, 213 f. 764 Bayerischer Landtag: Drucksache 3/541, Entwurf der SPD -Fraktion zum Gesetz über die Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen (Lehrerbildungsgesetz), 7.6.1955. 765 Art. 5 § 2 BayKonk (1924). 766 Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 25. Sitzung (3. WP), 14.7.1955, 707. 767 Stellungnahme der bayerischen Bischöfe zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen. In: Die katholische Elternschaft Deutschlands, Jg. 2, Nr. 4 (1955), 59–61, AEM, NL Wendel 630 (Anlage zum Schreiben Funkes an Wendel vom 11.7.1955).

Bildungspolitik in Bayern  279

Skepsis aus und betonte nochmals seine Befürwortung der konfessionellen Lehrerbildung.768 Wie sehr das Vorhaben der Koalition in Kirchenkreisen für Unruhe sorgte, zeigt beispielhaft die Reaktion des Regensburger Erzbischofs Michael ­Buchberger (1874–1961), der eine Parallele zum im Jahr zuvor verabschiedeten niedersächsischen Schulgesetz zog und seine Diözesanen zum gemeinsamen Einsatz für die katholische Schule aufrief, »damit wir nicht wie die Katholiken von Niedersachsen vergewaltigt werden«.769 In dieselbe Richtung zielte eine Entschließung der Katholischen Aktion vom Mai 1955, in welcher vor einer »Vertrauenskrise zwischen Regierung und Volk in Bayern« gewarnt wurde. In geradezu kulturkämpferischer Semantik verkündete der Verband zudem, von einer »zufälligen Parlamentsmehrheit« würden katholische Eltern ihre Kinder nicht »zum Missionsobjekt einer kirchenfreien Weltanschauung« machen lassen.770 Abgesehen davon, dass diese Äußerung angesichts eines nicht wirklich erkennbaren Missionsanspruchs des Reformentwurfs etwas überdramatisch wirkt, offenbart sie auch ein problematisches Verhältnis zu den Arbeitsweisen der parlamenta­ rischen Demokratie: Als demokratisch, so scheint es, wollte man nur akzeptieren, was den eigenen Forderungen exakt entsprach. Ungeachtet dieser Vorbehalte und der Bitte um Rücksprache beabsichtigten die Koalitionsparteien, erst nach der zweiten Lesung in Verhandlungen mit den Kirchen einzutreten, was seitens der CSU mit Verweis auf die Freundschaftsklausel in Art. 15 § 1 BayKonk scharf kritisiert wurde.771 Die Regierungsparteien vertraten in der Plenardebatte allerdings ohnehin die Position, dass der Entwurf den Bestimmungen von Konkordat und Kirchenvertrag genüge. Insbesondere machten ihre Redner geltend, dass letztlich weder die beiden Verträge noch die Bayerische Verfassung ausdrücklich konfessionelle Lehrerbildungsanstalten voraussetzten.772 Generell verfolgten die Koalitionsparteien eine zweigleisige Argumentationslinie: Zum einen sollte gezeigt werden, dass die simultane Lehrerausbildung sowohl Verfassungsforderungen entspräche als auch zeitgemäß sei; zum anderen wurde die Übereinstimmung des Entwurfs mit den kirchlichen Forderungen beteuert. Hinsichtlich des letztgenannten Argumentes unterstrich 768 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 25. Sitzung (3. WP), 14.7.1955, 724; siehe auch »Nicht mit dem Konkordat in Einklang«. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung, Jg. 48, Nr. 12 vom 20.3.1955, 183; Die evangelische Landeskirche Bayerns zum Lehrerbildungsgesetz. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung, Jg. 48, Nr. 9 vom 27.2.1955, 138. 769 Gemeinsam für Erhaltung der katholischen Schule. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung, Jg. 48, Nr. 5 vom 30.1.1955, 74. 770 Entschließungen der Katholischen Aktion. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung, Jg. 48, Nr. 18 vom 1.5.1955, 275. 771 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 25. Sitzung (3. WP), 14.7.1955, 707, 722–724. 772 So etwa MdL Hirsch (SPD), ebd. 712. Dieselbe Auffassung vertrat auch Kulturstaatssekretär Meinzolt vor dem Kulturausschuss, siehe ebd., 706.

280  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  die Koalition vor allem die geplante Professur für Wertlehre als geeignete Gewährleistung, dass die Neulehrer in der Lage sein würden, im Geiste des jeweiligen Bekenntnisses zu unterrichten. Seitens der SPD wurde dabei sogar die Behauptung aufgestellt, die Fokussierung auf die konfessionellen Aspekte sei auf diese Weise stärker ausgeprägt als in einer getrennten konfessionellen Ausbildungseinrichtung. Die CSU erachtete die »Wertlehre« hingegen als unzureichend, um für die Bekenntnisschule geeignete Lehrer auszubilden, was offensichtlich auch dem kirchlichen Standpunkt entsprach.773 Eine deutlich offensivere Argumentation vertrat der SPD-Fraktionsvorsitzende Waldemar von Knoeringen. Die konfessionellen Trennlinien als nicht mehr zeitgemäß ablehnend, stellte er die Lehrerbildungsfrage als Toleranzproblem dar und befand: »Es ist unvorstellbar, daß es nicht möglich sein sollte, eine Form der Bildung unserer Lehrer zu finden, die sowohl dem Bedürfnis gemeinsamer Erziehung entspricht, wie auch der Besonderheit konfessioneller Unterschiede Rechnung trägt.« Darüber hinaus empfand von Knoeringen das Prinzip der Konfessionsgebundenheit als weder mit der Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar, noch mit den Anforderungen eines modernen Wissenschaftsverständnisses, welches es gebiete, »das Wissenschaftliche im Lehrstoff objektiv und für alle gültig zu behandeln«.774 Entsprechend dieser Auffassung lehnten die Koalitionsparteien den Antrag der CSU ab, die Lehrerbildung auf die »Grundlage des christlichen Glaubens« zu stellen – statt wie in Art. 1 des Entwurfs vorgesehen auf die »Grundlage der christlich-abendländischen Kultur«.775 Letztlich brachte der SPD-Abgeordnete Franz Förster den Willen der Koalition auf den Punkt, indem er feststellte, man wolle keine Abkapselung der Konfessionen, sondern interkonfessionelle Begegnung und gemeinsame Erziehung.776 Das Lehrerbildungsgesetz wurde schließlich am 14. Juli 1955 in zweiter Lesung gegen die Stimmen der CSU beschlossen und die Staatsregierung damit beauftragt, in Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl und der Landeskirche betreffend etwaige kirchliche Vorbehalte einzutreten.777 Dies sollte sich jedoch als schwierig erweisen. Zwar zeigte sich der evangelische Landeskirchenrat unter dem neuen Landesbischof Hermann Dietzfelbinger (1908–1984) grundsätzlich verhandlungsbereit und offen für neue Wege in der Schulpolitik, bestand aber zugleich auf der Möglichkeit bekenntnismäßiger Lehrerbildung.778 Demgegenüber lehnte der katholische Episkopat den Gesetzentwurf strikt ab und warnte das bayerische Kirchenvolk in einem Hirtenbrief vor einer Bedrohung des katho 773 Vgl. ebd., 715, 737. 774 Ebd., 726. 775 Vgl. ebd. 734 f. 776 Ebd. 734. 777 Vgl. ebd., 748. 778 Vgl. etwa Landeskirchenrat zur Lehrerbildung. In: Süddeutsche Zeitung, Jg. 11, Nr. 288 vom 5.12.1955, 2.

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lischen Glaubens.779 In einer persönlichen Besprechung mit Ministerpräsident Hoegner erklärte Joseph Kardinal Wendel (1901–1960), seit 1952 Erzbischof Münchens und Freisings, »der Gesetzentwurf erhalte praktisch überhaupt nichts von den für die Lehrerbildung wesentlichen Bestimmungen des Konkordates«, weshalb ihn der Heilige Stuhl auch für mit dem Konkordat unvereinbar erklärt habe.780 Hoegners Versicherung, dass die meisten Pädagogischen Hochschulen de facto konfessionellen Charakter haben würden und die Stellenbesetzung der Professur für die Wertlehre, obgleich im Gesetzestext nicht explizit vorgesehen, in der Praxis wohl kaum ohne kirchliches Einvernehmen vorgenommen würde, befriedigten Wendel nicht im Geringsten: Mit einer nur mündlichen Zusicherung, so der Erzbischof, könne die Kirche sich nicht zufrieden geben.781 Die katholischen Bischöfe Bayerns drückten auf ihrer Konferenz im März 1956 vielmehr die Entschlossenheit aus, »an der im Konkordat gesicherten und für die Bekenntnisschule unbedingt notwendigen konfessionellen Lehrerbildung keinen Abstrich zuzulassen«, obgleich sehr wohl die Einsicht herrschte, dass »eine Lösung der Lehrerbildungsfrage auf einer breiten parlamentarischen Grundlage ihre Vorteile hätte und vor allem eine Sicherung für die Zukunft böte«.782 Für eine solche Einigung bot der Landtagsbeschluss vom 14. Juli allerdings keine Grundlage, zu verschieden waren die Positionen der katholischen Kirche und der Koalitionsparteien. Dies wurde zusätzlich dadurch unterstrichen, dass Rom über Nuntius Muench direkt bei Hoegner intervenierte und feststellen ließ, der vom Landtag erarbeitete Gesetzestext weiche so stark vom Konkordat ab, dass er nicht als Diskussionsgrundlage angesehen werden könne.783 Da Hoegner offenbar nicht daran dachte, das Gesetz ohne Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl zu unterzeichnen, wurde die dritte Lesung des Gesetzes vorerst ausgesetzt, wodurch die Reform der Lehrerbildung abermals ins Stocken geriet.784 Aus Sicht Kardinal Wendels war durch den damit verbundenen Streit dennoch »ein gewisser Schatten auf das Verhältnis von Kirche und Staat gefallen«, wenngleich der Münchener Erzbischof es nicht versäumte, die Nichtunterzeichnung des Gesetzes durch Hoegner in einer Predigt anerkennend hervorzuheben.785 779 Vgl. Hoegners Ausführungen in: Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 131. Sitzung (3. WP), 2.6.1958, 4492. Zum Hirtenbrief siehe Die Bayerischen Bischöfe sprechen. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung, Jg. 48, Nr. 47 vom 20.11.1955, 758 f. 780 Aktenvermerk Wendels [14.1.1956] (Dok. Nr. 2). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 34–37, hier 36, vgl. zudem 35. 781 Ebd., 36 f. 782 Protokoll der Freisinger Bischofskonferenz [21.–22.3.1956] (Dok. Nr. 19). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 76–83, hier 78. 783 Siehe Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1950–1955, 898, Fn. 3. 784 Siehe Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 131. Sitzung (3. WP), 2.6.1958, 4486 f. 785 Über das Verhältnis von Kirche und Staat. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung, Jg. 51, Nr. 12 vom 23.3.1958, 222 und 224, hier 222.

282  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Angesichts der fehlenden Bereitschaft der katholischen Kirche, Konzessionen in der Bekenntnisschulfrage zu machen, blieb dem Kultusministerium vorerst nichts weiter übrig, als pragmatisch mit den bestehenden Regelungen zu arbeiten. So wurde vor allem mit Blick auf die größeren Städte in den Ausführungsbestimmungen zum SchOG festgelegt, dass »zur Vermeidung unzumutbarer Schulwege unter Berücksichtigung der Richtlinien über Klassenbildung erforderlichenfalls einzelne Klassen in einem günstiger gelegenen Gebäude einer anderen Schulart unterzubringen« seien.786 Rein rechtlich befanden sich mit dieser von zahlreichen Eltern offenbar bevorzugten Regelung zwei verschiedene Schulen unter einem Dach.787 Anders stellte sich die Situation in jenen Bekenntnisschulen dar, die teils von einer beträchtlichen Minderheit des jeweils anderen Bekenntnisses besucht wurden. Hier beschloss das Ministerium, nur dann eine Trennung der Bekenntnisse herbeizuführen, wenn explizite Beanstandungen erhoben würden und sprach von »nichtgetrennte[n] Bekenntnisschulen« – eine rechtlich nicht vorgesehene Schulform, die sich rein faktisch von der christlichen Gemeinschaftsschule nicht mehr allzu sehr unterschied.788 Bemerkenswerterweise wurde die Beibehaltung dieses Zustandes häufig nicht nur von den betreffenden Schulpflegschaften gefordert, sondern auch von den kirchlichen Behörden geduldet.789 i)

Die Schulpolitik der Regierung Seidel

Noch deutlich vor Ende der Legislaturperiode zerbrach die Viererkoalition am Austritt des GB / BHE und der Bayernpartei aus der Regierung. Als Hoegner da­ raufhin zurücktrat, wählte der Bayerische Landtag am 16.  Oktober 1957 den CSUAbgeordneten Hanns Seidel (1901–1961) zum Ministerpräsidenten. Zum Kultusminister ernannte Seidel, der mit einer Koalition aus CSU, GB / BHE und FDP regierte, seinen Parteifreund Theodor Maunz (1901–1993). Für den neuen Ministerpräsidenten blieb die Reform der Lehrerbildung eine dringende Aufgabe, die er im Gegensatz zu seinem Vorgänger jedoch auf der Grundlage des Bekenntnisschulprinzips zu lösen gedachte.790 Zu diesem Zweck erarbeitete die CSU-Land 786 Änderung der Ausführungsbestimmungen zum Schulorganisationsgesetz. In: Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Jg. 1954, Nr. 25 (31.12.1954), 381. 787 Viele Eltern lehnten es ab, wenn ihr Kind einen langen Schulweg zu einer Volksschule des eigenen Bekenntnisses zurücklegen sollte, während ein anderes Schulhaus näher lag, vgl. Schreiben des Stadtschulamts München an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 31.5.1954, BayHStA, MK 61204. 788 Vgl. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an die Regierung von Schwaben vom 8.3.1956, BayHStA, MK 61204. 789 Vgl. Schreiben der Regierung von Mittelfranken an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24.4.1956, BayHStA, MK 61204. 790 Vgl. dazu auch Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 63 f. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Reaktion der KEG, die, nachdem der BLV seine Ablehnung zu Seidels Anlie­gen

Bildungspolitik in Bayern  283

tagsfraktion eine Reihe von Änderungsanträgen, mit denen der bestehende Gesetzentwurf der Viererkoalition im Sinne der katholischen Forderungen umgestaltet werden sollte. Der Inhalt dieses häufig als »Seidel-Plan« titulierten Antragspakets rief jedoch Kritik nicht nur seitens der SPD und der Bayernpartei hervor, sondern auch seitens des Koalitionspartners FDP. Bemängelt wurde dabei vor allem, dass die Änderungen zu eindeutig eine bekenntnishomogene Lehrerbildung forciert hätten.791 Angesichts dieses Gegenwindes und wohl auch eingedenk der Tatsache, dass der GB / BHE wie die FDP ebenfalls grundsätzlich die simultane Lehrerbildung bevorzugte, zeigte sich die CSU nun deutlich kompromissbereiter als zuvor. In der Folge gelang es den beteiligten Landtagsausschüssen, sich unter Mitarbeit sämtlicher Fraktionen auf einen überarbeiteten Entwurf zum Lehrerausbildungsgesetz zu einigen und diesen dem Plenum vorzulegen.792 Demnach sollten die pädagogischen Hochschulen künftig direkt den Universitäten angeschlossen und die Studierenden ordentlich an diesen immatrikuliert sein (Art. 2 II, III), eine Bestimmung, die auf einen Antrag der SPD zurückging. Der Position von CSU und katholischer Kirche entsprechend sollten die Hochschulen als eigenständige Einrichtungen dennoch bekenntnismäßigen Charakter erhalten (Art. 11 I). Die Dozierenden für Religionspädagogik und Religionslehre sollten gemäß den Kirchenverträgen nur in Einvernehmen mit den Kirchen ernannt werden (Art. 11 III). In Art. 13 wurde zudem festgelegt, dass Studierende, die später an einer Bekenntnisschule unterrichten wollten, Religionslehre und andere als weltanschaulich relevant erachtete Fächer an einer pädagogischen Hochschule des entsprechenden Bekenntnisses belegen müssten, eine Forderung, auf der die katholischen Bischöfe bestanden hatten.793 Für die Errichtung privater pädagogischer Hochschulen fiel zudem die Bedürfnis­prüfung fort, es wurde lediglich noch ein dem Gesetz entsprechender Lehrbetrieb und eine akademische Ausbildung der Dozierenden gefordert (Art. 17 II).794 Ministerpräsi­ geäußert hatte, dem Lehrerverband vorwarf, eine »tolerante, demokratische Lösung« aufgrund seiner Verwurzelung in antikonfessionellen Vorurteilen zu blockieren. Auffällig ist hier nicht nur die Spiegelbildlichkeit der Vorwürfe, sondern auch, dass beide Seiten für sich eine tolerante und demokratische Position beanspruchten. Zit. nach Fackler: Die bayerische Lehrerbildung und das Recht. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung, Jg. 51, Nr. 9 vom 2.3.1958, 162. 791 Vgl. etwa Kritik an Seidels Lehrerbildungsplan. In: Süddeutsche Zeitung, Jg. 14, Nr. 32 vom 6.2.1958, 2; Erklärung zum sogenannten Seidel-Plan. In: SPD -Presse-Korrespondenz vom 21.2.1958, BayHStA, StK 21266. 792 Vgl. dazu den Bericht MdL Pittroffs in: Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 131. Sitzung (3. WP), 2.6.1958, 4486 f. 793 Vgl. Protokoll der Freisinger Bischofskonferenz [23.–24.10.1957] (Dok. 161). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 480–486, hier 481. 794 Für den überarbeiteten Entwurfstext siehe Bayerischer Landtag: Drucksache 3/3510, Bericht der Ausschüsse für kulturpolitische Fragen, für den Staatshaushalt und Finanzfragen und für Verfassungsfragen und Rechtsfragen zum Gesetz über die Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen (Lehrerbildungsgesetz), 12.5.1958.

284  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  dent Seidel erklärte in der Plenarsitzung, seine Regierung habe mit den Kirchen intensive Gespräche über den Gesetzentwurf geführt und er könne feststellen, dass von kirchlicher Seite keine Einwände gegen dessen überarbeitete Fassung erhoben würden. Da die katholische Kirche allerdings fordere, die Stundenzahl für weltanschaulich relevante Fächer verbindlich so festzulegen, dass sie nur mit Zustimmung des Heiligen Stuhls geändert werden könne, werde er der Kirche ein entsprechendes Verwaltungsabkommen vorschlagen. Nachdem somit sämtliche kirchlichen Widersprüche gegen das Reformvorhaben ausgeräumt worden waren, nahm der Landtag das Gesetz am 2. Juni 1958 ohne Gegenstimme bei lediglich zwei Enthaltungen an.795 Das lange Ringen um die Reform der bayeri­ schen Volksschullehrerbildung kam damit zu einem vorläufigen Abschluss im Rahmen eines parteiübergreifenden Kompromisses unter Einbeziehung der Kirchen. Nach der Landtagswahl am 23. November 1958 konnte Ministerpräsident Seidel die bestehende Koalition fortsetzen. Wie in der Regierungserklärung angekündigt, stellte im Bereich der Bildungspolitik eine Neuregelung des nichtstaatlichen Schulwesens ein wichtiges Anliegen der Regierung dar.796 Obgleich Seidel sich nach einem guten Jahr gezwungen sah, sein Amt aus gesundheitlichen Gründen niederzulegen und der Landtag am 26. Januar 1960 an seiner Stelle Hans Ehard erneut zum Ministerpräsidenten wählte, konnte das bestehende Kabinett seine Arbeit weiterführen.797 Kultusminister Maunz brachte daher wie geplant zunächst einen Entwurf für ein »Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen« (EUG) in den Landtag ein, welches das kommunale sowie das Privatschulwesen regeln sollte, gefolgt von einem »Gesetz über die Leistungen des Staates für private Höhere Schulen und Mittelschulen« (Privatschulleistungsgesetz, PrivSchLG). Das EUG grenzte in Abschnitt 1 zunächst öffentliche und private Schulen voneinander ab und legte ihre jeweiligen Bildungsziele fest. In den weiteren Teilen behandelte das Gesetz unter anderem Genehmigung, Einrichtung und Betrieb kommunaler wie privater Schulen (Abschnitte 2 und 3).798 Auf dieser Grundlage diente dann das Privatschulleistungsgesetz der Gewährleistung der finanziellen Sicherheit privater Schulen. Wie der Regierungsbegründung zu entnehmen ist, sollte mit der Regelung staatlicher Zuwendungen an Privatschulen den Auswirkungen der im öffentlichen Schulwesen eingeführten und durch die privaten Träger häufig übernommenen Schulgeldfreiheit begegnet werden, 795 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 131. Sitzung (3. WP), 2.6.1958, 4491, 4502. 796 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 4. Sitzung (4. WP), 15.1.1959, 40. 797 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 42. Sitzung (4. WP), 26.1.1960, 1149–1152. 798 Siehe Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen vom 9. März 1960, BayGVBl. 4/1960 (15.3.1960), 19–25.

Bildungspolitik in Bayern  285

welche zahlreiche Schulen in ihrer Existenz gefährdeten. Dabei betonte die Landesregierung die finanzielle Belastung kirchlicher Schulen, die aufgrund des geringen Nachwuchses eigener Lehrkräfte – etwa Ordensleute – zur Einstellung teurerer weltlicher Lehrkräfte genötigt waren.799 Das staatliche Interesse an einer Subventionierung privater Schulen wurde im Folgenden mit dem Argument gerechtfertigt, diese kompensierten das unzureichende Angebot öffentlicher Mittel- und höherer Schulen – ein Eingeständnis, dass der bayerische Staat seinen Bildungsauftrag in diesem Bereich längst stillschweigend an die privaten Träger delegiert hatte.800 Insbesondere die katholische Kirche profitierte von diesen Gesetzesinitiativen erheblich, da zum damaligen Zeitpunkt von insgesamt 95 privaten Mittelschulen in Bayern 84, von den 97 privaten bayerischen höheren Schulen 64 katholische Einrichtungen waren. In evangelischer Trägerschaft befanden sich demgegenüber lediglich sechs Mittelschulen und sieben höhere Schulen.801 Neben der finanziellen Entlastung, die beide Gesetze bedeuteten, wurden noch weitere wichtige kirchliche Anliegen berücksichtigt. So regelte etwa Art. 9 IV EUG in Ausführung von Art. 134 III BV die Errichtung privater Volksschulen, die auch als Bekenntnisschule beantragt werden konnten, wenn eine entsprechende öffentliche Schule vor Ort nicht bestand. Der bayerische Episkopat zeigte sich mit dem EUG jedenfalls zufrieden und befand, es entspreche »im großen und ganzen unseren Erwartungen«.802 Seitens der Parteien fand das Gesetz ebenfalls breite Zustimmung, so dass es am 12. Februar 1960 einstimmig vom Landtag verabschiedet werden konnte.803 Auch das Privatschulleistungsgesetz fand in seiner dritten Lesung am 1. Juni 1960 eine große parlamentarische Mehrheit, lediglich die FDP-Fraktion enthielt sich der Stimme. Die SPD argwöhnte zwar zunächst, dass die Privatschulen womöglich nur deshalb ein eigenes Finanzierungsgesetz erhalten sollten, um sie gegenüber den kommunalen Schulen besserzustellen, derlei Sorgen konnte die Staatsregierung jedoch ausräumen.804 Beschlossen wurde letztlich, staatlich anerkannte oder pädagogisch besonders wertvolle private Mittel- und höhere Schulen zu bezuschussen, die auf gemeinnütziger Grundlage betrieben wurden, worunter die Schulen in Trägerschaft der großen Kirchen gleichsam pauschal 799 Vgl. »Begründung der Bayerischen Staatsregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Leistungen des Staates für private Höhere Schulen und Mittelschulen« [fortan: Begründung PrivSchLG]. In: Bayerischer Landtag: Drucksache 4/701, Entwurf eines Gesetzes über die Leistungen des Staates für private Höhere Schulen und Mittelschulen (Privatschulleistungsgesetz – PrivSchLG), 23.9.1959, 2–11, hier 2 f. 800 Ebd., 5. 801 Ebd., 2. 802 Protokoll der Freisinger Bischofskonferenz [27.–28.10.1959] (Dok. Nr. 264). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 855–860, hier 858. 803 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 48. Sitzung (4. WP), 12.1.1960, 1324. 804 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 62. Sitzung (4. WP), 1.6.1960, 1899.

286  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  fielen (Art. 1).805 Die zugestandenen Subventionen wurden auf der Grundlage von Lehrer- sowie Schülerzahl bemessen und konnten insgesamt bis zu 85 Prozent der Betriebskosten ausmachen (Art. 2 und 3), zudem konnten Versorgungsleistungen für die Lehrkräfte bezuschusst werden (Art. 4). Als die FDP kritisierte, dass bei Lehrkräften kirchlicher Orden dieselbe Bemessungsgrundlage herangezogen wurde, wie bei weltlichem Lehrpersonal, obgleich erstere meist gar kein Gehalt bezögen, wurde diese Regelung bezeichnenderweise durch den Redner der SPD verteidigt, der erklärte, man könne den kirchlichen Orden nicht aufgrund des Gehaltverzichts ihrer Mitglieder die Bezuschussung verweigern.806 Somit war nicht nur die Finanzierung der kirchlichen Schulen sichergestellt, wie die katholischen Oberhirten auf der Freisinger Bischofskonferenz befriedigt feststellten,807 sondern dieses Arrangement wurde auch von einer großen, die eigentlich konfessionsschulskeptischen Sozialdemokraten einschließenden Parlamentsmehrheit getragen. Abseits dieser zentralen Gesetzesinitiativen verfolgte das Kultusministerium unter Theodor Maunz eine nicht minder kirchenfreundliche Politik, die sichtlich bemüht war, konfessionelle Anliegen zu berücksichtigen. So stellte das Ministerium etwa fest, dass die Einsichtnahme in den Religionsunterricht auch weltlicher Religionslehrkräfte Aufgabe der kirchlichen Schuldekane sei – ganz anders als beispielsweise in Niedersachsen, wo diese Überprüfung durch die staatlichen Schulräte vorzunehmen war.808 Hinsichtlich der Bestellung geistlicher Religionslehrkräfte vertrat das Kultusministerium zudem die Position, dass diese allein den jeweiligen Religionsgemeinschaften oblag, das Land darauf jedoch »keinen Einfluß« habe. Selbst im Fall von Beschwerden könnten die Schulbehörden nicht über eine Abberufung befinden: »Der Staat muß sich an die kirchliche Behörde wenden und um Abberufung nachsuchen. Die kirchliche Behörde entscheidet nach eigenem Ermessen, ob einem solchen Wunsch entsprochen wird.«809 Den Kirchen wurde somit in diesem Bereich ein äußerst breiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, wohingegen die staatliche Seite sich mit Eingriffen weitgehend zurückhielt.

805 Siehe Gesetz über die Leistungen des Staates für private Höhere Schulen und Mittelschulen vom 5. Juli 1960, BayGVBl. 12/1960 (8.7.1960), 123f; vgl. auch Begründung PrivSchLG, 8. 806 Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 62. Sitzung (4. WP), 1.6.1960, 1896f und 1901. 807 Vgl. Protokoll der Freisinger Bischofskonferenz [27.–28.10.1959] (Dok. Nr. 264). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 855–860, hier 858. 808 Vgl. Schreiben des Katholischen Schulkommissariats Bayern an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 10.3.1959, BayHStA, MK 62163; Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an das Katholische Schulkommissariat Bayern vom 29.4.1959, BayHStA, MK 62163; zu Niedersachsen siehe Unterkapitel 3.2. 809 Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an Finanzmittelstelle des Landes Bayern in Regensburg vom 21.9.1959, BayHStA, MK 62163, hier 2.

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Auch in anderen Fragen der konfessionellen Ausgestaltung der Schulen kam das Ministerium den Wünschen der Kirchen entgegen. So berücksichtigte die im Jahr 1959 erlassene Volksschulordnung die wichtigsten Feiertage der beiden großen Kirchen, indem sie diese Tagen unterrichtsfrei stellte. Befreiung vom Unterricht konnte ferner anlässlich der Firmung oder zur Teilnahme an der Schulbeichte beantragt werden, so dass einer umfassenden Teilnahme der bayerischen Schülerinnen und Schüler am religiösen Leben ihrer Kirche nichts im Wege stand.810 Zudem war das Kultusministerium um eine angemessene Verteilung der Lehrkräfte entsprechend ihrer Konfession bemüht. Als der evangelische Dekan Münchens, Theodor Heckel, einen Mangel evangelischer Lehrerinnen und Lehrer in München und Oberbayern geltend machte, sicherte ihm Maunz entsprechende Ausgleichsmaßnahmen zu. Heckel dankte dem Minister daraufhin für die »noble, sachliche und gerechte Behandlung unserer Vorstellungen« und erklärte: »Ihr Brief ist ein Dokument der Gerechtigkeit und des Friedens.«811 j)

Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule: Die Schulreform der 1960er Jahre

Die verbleibende Etappe des ins Auge gefassten Untersuchungszeitraums zeichnet sich durch einen tiefgreifenden Wandel im bayerischen Volksschulsystem aus und ist daher für die Analyse von besonderem Interesse. Die bayerische Staatsregierung wurde in den entsprechenden Legislaturperioden – Dezember 1962 bis Dezember 1966 sowie Dezember 1966 bis Dezember 1970 – vom CSU-Ministerpräsidenten Alfons Goppel (1905–1991) geführt. Obgleich Goppel dabei je mit einer absoluten Mehrheit seiner eigenen Partei regieren konnte, integrierte er 1962 dennoch die Bayernpartei in eine Regierungskoalition. Ab 1966 war diese Partei allerdings, ebenso wie die FDP, nicht mehr im Landtag vertreten, der BHE war bereits bei der Wahl 1962 ausgeschieden; stattdessen saßen im Jahr 1966 erstmals Abgeordnete der rechtsradikalen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) in der bayerischen Volksvertretung. Theodor Maunz, der zunächst das Kultusministerium weiterführte, sah sich im Oktober 1964 aufgrund von Enthüllungen bezüglich seiner juristischen Tätigkeit im Nationalsozialismus zum Rücktritt gezwungen. Sein Amt wurde am 7. Oktober 1964 von Ludwig Huber (1928–2003) übernommen, der zugleich den CSU-Fraktionsvorsitz führte. Auf dem bayerischen Schulwesen lastete zu diesem Zeitpunkt ein starker Reformdruck. Dies galt insbesondere für den Volksschulbereich, wo das Pro­blem ein doppeltes war: Zum einen stieg in der Elternschaft die Unzufriedenheit mit 810 Ziffer 275 der Schulordnung für die bayerischen Volksschulen vom 24. Juli 1959 (VSO). In: Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Jg. 1959, Nr. 14 (18.8.1959), 207–238, hier 216. 811 Schreiben Heckels an Maunz vom 10.12.1960, BayHStA, MK 61202; vgl. auch Schreiben Maunz‹ an Heckel vom 5.12.1960, BayHStA, MK 61202.

288  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  der geringen Leistungsfähigkeit der gerade auf dem Land weit verbreiteten ungeteilten Schule; zum anderen stieß das Modell der Bekenntnisschule durch die wachsende Anzahl bekenntnisfremder Schüler, die diese Schulen besuchten, an seine Grenzen.812 Beide Aspekte hingen durchaus zusammen, denn während man dem Problem der wenig gegliederten Landschulen durch die Errichtung von überörtlichen Verbandsschulen begegnen konnte, hätte dies bei Beibehaltung des Bekenntnisprinzips zugleich eine Verschärfung des ›Minderheitenproblems‹ bedeutet: Wären beispielsweise in einem Landkreis vier katholische und eine evangelische Schule zu einer Verbandsschule zusammengelegt worden, so hätten sich die evangelischen Schülerinnen und Schüler – entgegen der Intention ihrer Eltern – plötzlich an einer katholischen Schule wiedergefunden.813 Angesichts der konfessionellen Verteilung in Bayern war dies denn auch tatsächlich eine große Sorge der evangelischen Kirche, die in einer solchen Situation zudem um die Verwendungsfähigkeit evangelischer Lehrkräfte hätte fürchten müssen, da konfessionelle Verbandsschulen überwiegend eine katholische Prägung erhalten hätten.814 Vor diesem Hintergrund sahen sich die Kirchen zu einem Überdenken ihrer bisherigen Positionen in der Bekenntnisschulfrage genötigt, zumal auch kirchentreue Eltern die Leitungsfähigkeit der Schule zunehmend über die konfessionelle Ausrichtung stellten. Während in der evangelischen Landeskirche bereits in den frühen 1950er-Jahren festgestellt worden war, dass die eigenen Mitglieder ihre Kinder zum Teil lieber in eine besser gegliederte katholische als in eine ungegliederte evangelische Volksschule schickten, befürwortete die Kirchenführung noch 1963 die Bekenntnisschule und dankte der Staatsregierung für deren Wiedererrichtung nach 1945.815 Bereits im selben Jahr stellte die Landessynode diese Haltung allerdings wieder infrage und sprach sich für eine Reform des Schulwesens aus, deren Konzeption sich mit den im Folgejahr erschienenen »Leitsätzen zur Schulfrage« zunehmend im Sinne einer Bevorzugung der Gemeinschaftsschule wandelte.816 Doch nicht nur auf evangelischer Seite, auch in der katholischen Kirche konnte man die Unzulänglichkeiten des bisherigen 812 Einer Erhebung des Referats Bildungsstatistik im bayerischen Kultusministerium zufolge wurden im Herbst 1965 lediglich 36,6 Prozent der öffentlichen katholischen Bekenntnisschulen in Bayern ausschließlich von katholischen Schülerinnen und Schülern besucht, von den evangelischen sogar nur 19,1 Prozent allein von evangelischen Schulkindern. Siehe Schreiben des Referats Bildungsstatistik an den Kultusminister vom 25.5.1966, BayHStA, MK 61202. 813 Vgl. auch Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 104. 814 Befürchtungen in dieser Hinsicht äußerte etwa der evangelische Dekan Neu-Ulms, siehe Schreiben Klaus Schmids an Bezirksschulämter Dillingen, Günzburg, Illertissen und Neu-Ulm vom 16.6.1964, BayHStA, MK 61202. 815 Vgl. Schreiben des Evangelisch-Lutherischen Dekanats Würzburg an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 9.2.1951, BayHStA, MK 62162; Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 89 f. 816 Ebd., 90.

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Systems nicht länger leugnen. So stellte der Vorsitzende des Landesausschusses der Katholischen Aktion in Bayern gegenüber Julius Kardinal Döpfner, seit 1961 Erzbischof von München und Freising, mit Blick auf die Bekenntnisschule fest, daß bisher die Institution und ihre gesetzlichen Sicherungen überbewertet worden sind, während sie gleichzeitig aber infolge des Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse vom Denken und Empfinden weiter Kreise, auch der katholischen Öffentlichkeit, nicht mehr getragen werden.817

Diese Ansicht vertraten beispielsweise auch die Münchner Stadtdekane, die ungeteilte katholische Schulen im Wettbewerb mit vollausgebauten Schulen unterliegen sahen und daher bei Döpfner dafür eintraten, das ökumenische Moment des Zweiten Vatikanischen Konzils dafür zu nutzen, »die Kinder der beiden Konfessionen in einer von echt christlichem Geist getragenen Gemeinschaftsschule zu sammeln«. Als Ideallösung galt den Dekanen jedoch eine katholische Privatschule, »die von der Kirche bestellte und bezahlte Lehrer hat«.818 Auch im Episkopat hatte die Reformposition Fürsprecher gewonnen, etwa den Augs­ burger Bischof Josef Stimpfle (1916–1996), der im Februar 1965 befand: »Schwerwiegende und von verschiedenen Fachgremien reiflichst erwogene Gründe sprechen dafür, eine baldige Öffnung der Schulorganisation nach der Seite der Gemeinschaftsschule zu ermöglichen.«819 In Anbetracht des Reformdrucks lud Kultusminister Huber Ende 1963 Vertre­ ter der beiden Kirchen zum Gespräch, um Möglichkeiten einer Regelung auszuloten. Sowohl die katholische als auch die evangelische Seite stellten dabei fest, dass sie generell eher die Integration von Schülern und Lehrern des anderen Bekenntnisses in eigene Bekenntnisschulen hinzunehmen bereit seien, als gleich den Weg zur Gemeinschaftsschule zu beschreiten.820 Insbesondere die evangelische Kirche wünschte, die Minderheitenlehrer an den Bekenntnisschulen zu institutionalisieren, ein Anliegen, dass Kardinal Döpfner »für eine mögliche Lösung« hielt.821 Im Kultusministerium sah man einem solchen Arrangement al 817 Schreiben Ludwig Lilligs an Döpfner vom 5.11.1964, AEM, NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 1), hier 2. 818 Resolution der Priesterkonferenz des Dekanats München-Nord vom 3.11. und 10.12.1964 (Anlage zum Schreiben Abenthums an Döpfner vom 15.12.1964), AEM, NL Döpfner 47/1964: Schule, Erziehung, Kultur. 819 Stellungnahme zum Gutachten des Kath. Schulkommissariats in Bayern vom 28. Okt. 1964 und des Landesausschusses der Kath. Aktion in Bayern vom 5. Nov. 1964 (Anlage zum Schreiben Stimpfles an Döpfner vom 25.2.1965), AEM, NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 2), hier 3. 820 Nichtbekenntnisgleiche Besetzung von Lehrerstellen an Bekenntnisschulen [Protokoll einer Besprechung mit Vertretern beider Kirchen vom 16.12.1963], BayHStA , MK 61202, hier 2. 821 Aktennotiz Döpfners vom 25.3.1964, AEM, NL Döpfner 47/1964: Schule, Erziehung, Kultur, hier 1.

290  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  lerdings rechtliche Hindernisse entgegenstehen, die – aufgrund der Verankerung der Bekenntnisschule als monokonfessionelle Schule in der Verfassung – sogar eine Verfassungsänderung nötig machten.822 Im Jahr 1965 unternahm Kardinal Döpfner einen neuen Anlauf. In Absprache mit dem evangelischen Landesbischof Dietzfelbinger regte er Kultusminister Huber an, in einem Brief an die beiden Kirchen diese um ihre Stellungnahme zu einer Schulreform zu bitten: Die Initiative lag somit beim Vorsitzenden der Bayerischen Bischofskonferenz, sollte aber in der Außenwirkung als vom Kultusministerium ausgehend erscheinen.823 Entsprechend diesem Vorschlag schrieb Huber im März 1965 an Döpfner und Dietzfelbinger und erörterte, dass angesichts der zunehmenden Bejahung einer Landschulreform unter der ländlichen Bevölkerung »[u]nter Wahrung des Elternrechts und der bestehenden Verfassungs- und Vertragsbestimmungen« sowie »in Einvernehmen von Kirche und Staat eine Möglichkeit zur Schaffung fortschrittlicher Schulverhältnisse gesucht und gefunden werden« müsse. Dazu bat er um die Stellungnahmen der Kirchen.824 Indem Huber so nach außen die Rolle des Impulsgebers übernahm, ersparte er den Kirchen das öffentliche Eingeständnis, mittlerweile selbst von der Reformbedürftigkeit ihrer bisherigen schulpolitischen Positionen überzeugt zu sein. Zugleich versetzte dies die Kirchen in eine bessere Position, um sich Zugeständnisse des Staates für ihr Entgegenkommen auszubedingen. Dementsprechend antwortete Döpfner im Namen der katholischen Bischöfe Bayerns, man erwarte zwar, dass bei der Verbandsschulbildung grundsätzlich Schulen des gleichen Bekenntnisses zusammengelegt würden, falls nötig könnten die Schulkinder aber auch Schulen des jeweils anderen Bekenntnisses besuchen. Sollte ein Sachzwang dazu bestehen, sei zudem eine Ausweisung der Verbandsschulen als Gemeinschaftsschulen möglich, dies allerdings nur unter einer Reihe von Bedingungen: Die Unterstufe müsste bekenntnisgebunden blei­ben und der Unterricht in den höheren Stufen auf christlicher Grundlage erfolgen, wobei auf Antrag der Eltern auch die Einrichtung bekenntnishomogener Klassen mit entsprechenden Lehrkräften ermöglicht werden sollte. Bei der Organisation der Volksschulen wünschte der Episkopat darüber hinaus ein Mitspracherecht der Kirchen neben Eltern und Kommunen.825 Erhellend sind in diesem Zusammenhang die Erläuterungen, die Döpfner seinen bayerischen 822 Nichtbekenntnisgleiche Besetzung von Lehrerstellen an Bekenntnisschulen, BayHStA, MK 61202, hier 2 f. 823 Der Sachverhalt ergibt sich aus einer »Aktennotiz« Döpfners vom 27.3.1965, AEM, NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 2). 824 Schreiben Hubers an Döpfner vom 25.3.1965, AEM, NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 2), hier 2. Aus Dietzfelbingers Antwort geht hervor, dass er ein Schreiben gleichen Inhalts erhielt. 825 Schreiben Döpfners an Huber vom 27.3.1965, AEM, NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 2).

Bildungspolitik in Bayern  291

Mitbischöfen in einem Memorandum überreichte: Aus Sicht des Kardinals musste die katholische Kirche anerkennen, dass die ungegliederte Schule modernen Bildungsanforderungen nicht gerecht werde, weshalb sie nicht länger auf der Errichtung ungeteilter katholischer Volksschulen nach Art. 6 BayKonk bestehen könne. Für eine Bejahung der Gemeinschaftsschule müsse jedoch deren christliche Ausrichtung verbürgt sein. Zwar könne an der christlichen Gemeinschaftsschule  – die Döpfner nun durchaus positiv würdigte  – die Bestellung kirchlich beanstandeter Lehrer nicht verhindert werden, was für die Kirche jedoch verkraftbar sei.826 Diese Einlassungen dokumentieren anschaulich den schulpolitischen Einstellungswandel auch in Kreisen des katholischen Episkopats. Döpfner hatte die Notwendigkeit von Schulreformen erkannt und verstand, dass sich bestimmte kirchliche Positionen dabei nicht würden halten lassen;827 gleichzeitig sah er jedoch für die Kirche akzeptable Alternativoptionen, für die es sich gegenüber der Regierung einzutreten lohnte. Auf evangelischer Seite beantwortete Landesbischof Dietzfelbinger das Schreiben des Kultusministers und betonte, dass sein Standpunkt die volle Unterstützung der Landessynode genieße. Im Grundsatz wünschte er eine weitgehende Beibehaltung der Bekenntnisschule als Regelschule im Volksschulbereich; wo Gemeinschaftsschulen errichtet würden, sollten diese nach christlichen Grundsätzen arbeiten. Hinsichtlich des Problems konfessioneller Minderheiten forderte Dietzfelbinger die Einrichtung von ein bis zwei Planstellen für Lehrer des Minderheitenbekenntnisses an Bekenntnisschulen und konstatierte, dass die Bayerische Verfassung und das Schulorganisationsgesetz hier Lücken aufwiesen, die es sinnvoll zu füllen gelte.828 Was Dietzfelbinger und Döpfner zu diesem Zeitpunkt noch einvernehmlich ablehnten, war die Idee »bi-konfessioneller« Bekenntnisschulen neben der Gemeinschaftsschule – bezeichnenderweise sollte aber genau dieses Modell später eine gangbare Kompromisslösung darstellen.829 Nachdem die Fraktionen von SPD und FDP bereits unabhängig voneinander Entwürfe für ein Volksschulgesetz eingebracht hatten und auch der BLLV einen eigenen Vorschlag unterbreitet hatte, legte die Landesregierung schließlich am 22. Juni 1966 dem Landtag ihren Gesetzentwurf vor. Von der Opposition für 826 Döpfner, Julius: Memorandum für die Mitglieder der Bayerischen Bischofskonferenz, 24.2.1965, AEM, NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 1), hier 6–10. 827 Bezeichnend ist in diesem Kontext auch eine Äußerung von Döpfners Domkapitular Hubert Fischer, der die schulpolitische Haltung der (Erz)Diözesen Köln und Aachen als »seit langem ideologisch erstarrt« kritisierte. Siehe Fischers »Anmerkungen zu dem Referat von Exzellenz Pohlschneider auf dem Katholikentag in Stuttgart«, 15.10.1964 (Anlage Nr. 2 zum Schreiben Fischers an Döpfner vom 16.10.1964), AEM, NL Döpfner 47/1964: Schule, Erziehung, Kultur, hier 3. 828 Schreiben Dietzfelbingers an Huber vom 26.3.1965, AEM, NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 2). 829 Schreiben Masers [ev.-luth. Landeskirchenamt] an Erzbischöfliches Ordinariat München vom 1.2.1965, AEM, NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 1).

292  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  die lange Verzögerung der Gesetzesinitiative kritisiert, verwies Kultusminister ­Huber auf die Notwendigkeit, zunächst mit den Kirchen Einigkeit über die Frage der Schulzusammenlegungen herstellen zu müssen.830 Tatsächlich hatte die bayerische Regierung bis dahin, wie Prälat Hubert Fischer, Leiter des Schulkommissariats der Bayerischen Bischöfe, feststellte, fünf verschiedene Entwurfsfassungen diskutiert. Im Ergebnis konnte Fischer dem bayerischen Episkopat verkünden, dass der Freistaat die katholischen Forderungen »loyal erfüllt« habe.831 Unter anderem behielt der Entwurf der Staatsregierung zum »Volksschulgesetz« (VoSchG) die Bekenntnisschule als Regelschule auf Volksschulebene bei und bestimmte die Gemeinschaftsschule nun offiziell als »christliche Gemeinschaftsschule« (Art. 7–9 VoSchG).832 Hinsichtlich der angestrebten besseren Gliederung legte der Entwurf in Art. 11 fest, dass Volksschulen grundsätzlich komplett nach Jahrgängen gegliedert, mindestens aber vierklassig sein sollten. Um die dabei auftretende Problematik substantieller Bekenntnisminderheiten zu adressieren, sah Art. 8 IV vor, dass ab 35 Schülerinnen und Schülern des jeweiligen Minderheitenbekenntnisses auf Antrag der betreffenden Kirchenbehörde eine Lehrkraft entsprechender Konfession zur Erteilung des Religionsunterrichts einzusetzen sei. Als weiteren für die Kirchen wichtigen Punkt garantierte das neue Gesetz in Art. 44 die staatliche Finanzierung sämtlicher durch kirchliche Kräfte erteilter Religionsstunden. Die katholische Kirche zeigte sich mit diesen Regelungen zufrieden. In seinem bereits erwähnten Bericht stellte Prälat Fischer zum einen fest, dass die Bestimmungen zur christlichen Gemeinschaftsschule den katholischen Vorstellungen entsprächen, zum anderen hob er die neue, umfassende Kompensation der kirchlichen Aufwendungen für Religionslehrkräfte durch den Staat hervor. Als einzige Forderung, die sich aus rechtlichen Gründen nicht realisieren ließ, nannte Fischer die Einrichtung von Bekenntnisklassen an Gemeinschaftsschulen.833 Während die bayerischen Bischöfe dem Gesetzentwurf daher positiv gegen 830 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 108. Sitzung (5. WP), 18.10.1966, 3987 f. 831 Vgl. Fischer, Hubert: Entwicklung der Schulfrage seit dem Schreiben der bayerischen Bischöfe an den bayerischen Kultusminister vom 27. März 1965. Vortrag vor der Freisinger Bischofskonferenz am 29./30.3.1966, AEM, Akten Generalvikariat, Kasten 0721/1: Lehrerbildung. 832 Zum Entwurf siehe Bayerischer Landtag: Drucksache 5/2790, Entwurf eines Volksschulgesetzes (VoSchG), 20.6.1966; zum verabschiedeten Gesetz siehe BayGVBl. 19/1966 (22.11.1966), 402–411. 833 Vgl. Entwicklung der Schulfrage seit dem Schreiben der bayerischen Bischöfe an den bayerischen Kultusminister vom 27. März 1965, AEM, Akten Generalvikariat, Kasten 0721/1: Lehrerbildung; Vergleich des Entwurfs zum neuen Volksschulgesetz mit der bestehenden Rechtslage (Anlage Nr. 2 zu: Entwicklung der Schulfrage seit dem Schreiben der bayerischen Bischöfe an den bayerischen Kultusminister vom 27. März 1965), AEM, Akten Generalvikariat, Kasten 0721/1: Lehrerbildung.

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überstanden, hatte in der Sache einer möglichen Zusammenlegung ungeteilter Bekenntnisschulen das letzte Wort der Heilige Stuhl, da hier eine Konkordatsbestimmung berührt war. Für den Kultusminister war es daher von höchster Bedeutung, dass der Apostolische Nuntius, Corrado Bafile, der Staatsregierung in einer Note zusicherte, die Kirche bestehe nicht auf der Bestimmung in Art. 6 BayKonk, wonach Bekenntnisschulen auch als ungeteilte Schulen zu errichten gewesen wären. Auch zur Verwendung evangelischer Minderheitenlehrer für die Erteilung des Religionsunterrichts an katholischen Bekenntnisschulen konnte der Nuntius die Zustimmung des Heiligen Stuhls übermitteln.834 Weniger glücklich zeigte sich demgegenüber die evangelische Landeskirche. Zwar konnte der Kulturstaatssekretär im Gespräch mit dem Landesbischof ein »Einvernehmen über den Gesetzentwurf im ganzen« feststellen;835 in einzelnen Punkten fühlte sich die evangelische Kirche jedoch klar benachteiligt. So drückte Dietzfelbinger gegenüber Ministerpräsident Goppel seine Enttäuschung darüber aus, dass der Entwurf zwar die Verwendung von Minderheitenlehrern vorsah, aber keine festen Planstellen für diese einrichtete.836 Die Erklärung der Staatsregierung, eine solche Maßnahme sei rechtlich nicht machbar, wies der juristische Referent im Landeskirchenamt zurück und warnte gar, die evangelische Kirche werde nicht zusehen, wenn evangelische Lehrer und Schüler vom Staat »brutal niedergewalzt« und ihnen ihre demokratischen Rechte vorenthalten würden.837 Ebenso wandten sich verschiedene evangelische Stadtdekane mit der Forderung an die Regierung, feste Stellen für Lehrer der Bekenntnisminderheit an Bekenntnisschulen zu schaffen – oder aber an gemischt-konfessionellen Orten die christliche Gemeinschaftsschule zur Regelschule zu machen.838 Scharfe Kritik am Gesetzentwurf äußerte auch die Landtagsopposition. SPD und FDP machten zunächst geltend, die Konstruktion des Minderheitenlehrers sei nicht verfassungskonform, da die Bekenntnisschule nur Lehrer der betreffenden Konfession vorsehe.839 Hinter diesem vermeintlichen Eintreten der beiden 834 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 108. Sitzung (5. WP), 18.10.1966, 3988f; Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 115 f. 835 Zit. nach Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 108. Sitzung (5. WP), 18.10.1966, 3988. 836 Schreiben Dietzfelbingers an Goppel vom 11.3.1966 (Anlage Nr. 4 zu: Entwicklung der Schulfrage seit dem Schreiben der bayerischen Bischöfe an den bayerischen Kultusminister vom 27. März 1965), AEM, Akten Generalvikariat, Kasten 0721/1: Lehrerbildung. 837 Landesdienst Bayern: Kirche kritisiert ›Versagen des Staates‹ im Schulstreit, 17.5.1966, BayHStA , MK 61202. 838 Siehe dazu Schreiben Dekan Klaus Schmids (Neu-Ulm) an das Bayerische Staats­ ministerium für Unterricht und Kultus vom 12.6.1966, BayHStA, MK 61202; vgl. auch Schreiben des Evangelisch-Lutherischen Dekanats Selb an Kultusminister Huber vom 13.6.1966, BayHStA , MK 61202. 839 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 108. Sitzung (5. WP), 18.10.1966, 3994.

294  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Parteien für die »reine« Bekenntnisschule stand in Wirklichkeit wohl eher der Versuch, eine pragmatische Kompromisslösung zu torpedieren, um an ihrer Stelle nur den Weg der völligen Ablösung der öffentlichen Bekenntnisschule zugunsten der Gemeinschaftsschule offen zu lassen. Ebendies hätte aber, so konterte Kultusminister Huber, einen Kampf mit den Kirchen bedeutet, da diese nicht gewillt gewesen seien, weitere Konzessionen in der Frage der Bekenntnisschule zu machen.840 Bemerkenswerterweise lasteten aber sowohl Sozialdemokraten als auch Liberale die Blockade einer grundlegenden Reform des Volksschulwesens nicht den Kirchen, sondern der CSU und der Staatsregierung an. So warf der FDP-Abgeordnete Erich von Loeffelholz der Regierung mangelndes Engagement vor: »Daß die Verhandlungen des Herrn Kultusministers mit den Kirchen sehr schwer gewesen sind, wie er selbst sagte, beruht in erster Linie darauf, daß von seiten des Kultusministeriums keinerlei Angebot zur Erleichterung der christlichen Gemeinschaftsschule gemacht wurde.«841 Man hätte, mit anderen Worten, den Kirchen nur ein attraktiveres Arrangement aufzeigen müssen, dann wären sie einer weiteren Modernisierung der Volksschule gegenüber offen gewesen. Beispielhaft zeigt sich hier, wie das dieser Untersuchung zugrundeliegende Konzept der religionspolitischen Anreizstrukturen als konkrete politische Strategie verstanden wurde. In die gleiche Richtung zielte die Kritik des SPD-Landesund Fraktionsvorsitzenden Volkmar Gabert (1923–2003), der ebenfalls die CSU als reformbremsende Kraft darstellte. Gabert lehnte den Gesetzentwurf ab, da dieser den Anforderungen eines modernen Schulwesen in seinen Augen nicht genügte, und befand: »Die Kirchen haben gerade in der Schulpolitik gezeigt, daß sie sich fortschrittlichen und notwendigen pädagogischen Entwicklungen nicht verschließen und daß sie eher für moderne Lösungen zu gewinnen waren, als dies bei der CSU der Fall gewesen ist.«842 Diese Äußerungen können kaum anders denn als Angebot an die Kirchen gedeutet werden, gemeinsam mit der Opposition eine moderne Schulpolitik zu wagen – anstatt weiter im Bündnis mit den Konservativen Reformen zu vereiteln. Ungeachtet aller Kritik wurde die Regierungsvorlage schließlich in der Landtagssitzung vom 19. Oktober 1966 mit den Stimmen der CSU im Kern unverändert angenommen. Für die Opposition war die Angelegenheit damit jedoch keineswegs erledigt: Nach der Wahl des neuen Landtages im Dezember 1966 ergriffen die Sozialdemokraten im folgenden Frühjahr die Initiative zu einer Änderung des Art. 135 I BV, welcher die Bekenntnisschule als Regelschule im Volksschulbereich festlegte. Nach dem Willen der SPD sollte stattdessen die christliche Gemeinschaftsschule zur Regelschulform werden.843 Um für dieses Vorhaben 840 Vgl. ebd., 3997. 841 Ebd., 4026. 842 Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 109. Sitzung (5. WP), 19.10.1966, 4111. 843 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 13. Sitzung (6. WP), 9.5.1967, 474.

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den notwendigen Rückhalt zu gewinnen, führte die Partei Gespräche mit der katholischen und evangelischen Kirche. Die Entscheidung von Parteispitze und Landtagsfraktion, trotz innerparteilicher Bedenken am Attribut »christlich« für die Gemeinschaftsschulen festzuhalten, ergab sich dabei wohl insbesondere aus der Klarstellung der katholischen Kirche, eine nicht dezidiert christliche Gemeinschaftsschule nicht akzeptieren zu können. Auch so bestanden gerade auf katholischer Seite jedoch einige Bedenken gegenüber dem sozialdemokratischen Ansinnen.844 Angesichts der erst kurz zuvor erfolgten Verabschiedung des neuen Volksschulgesetzes erachteten Staatsregierung und CSU die Pläne der Sozialdemokraten von vornherein für indiskutabel. Sich unter anderem auf eine ablehnende Stellungnahme des Apostolischen Nuntius berufend, lehnten die Christsozialen den entsprechenden Antrag auf Änderung von Art. 135 I BV daher am 9. Mai 1967 im Landtag ab, ohne ihn auch nur an die Ausschüsse zu überweisen.845 Auf parlamentarischer Ebene mit sämtlichen Initiativen gescheitert, verlegte die SPD ihre Reformbemühungen daraufhin in den außerparlamentarischen Raum: Unterstützt von FDP und Bayernpartei initiierten die Sozialdemokraten ein Volksbegehren, das die ersehnte Verfassungsänderung herbeiführen sollte.846 Nach der Ankündigung dieses Schrittes versuchten Staatsregierung und Kirchen, die entstehende Dynamik durch Kompromissvorschläge in für sie akzeptablen Bahnen zu halten. So erklärte die katholische Kirche eine Gleichstellung von Bekenntnisschule und Gemeinschaftsschule zwar für annehmbar, forderte als Bedingung aber die verfassungsrechtliche Festlegung, dass an christlichen Gemeinschaftsschulen nur Lehrer angestellt werden könnten, die nach christlichen Gesichtspunkten unterrichteten. Kultusminister Huber schlug seinerseits in für die CSU geradezu revolutionärer Weise vor, öffentliche Volksschulen allgemein als christliche Gemeinschaftsschulen einzurichten, mit der Option, an ihnen Bekenntnisklassen zu bilden. Ein ähnlicher Vorschlag erfolgte seitens der evangelischen Kirche. Die Sozialdemokraten lehnten dies jedoch ab und blieben bei ihrem Kurs, die Verankerung der Gemeinschaftsschule als Regelschule anzustreben.847 In dieser Situation beschloss die CSU, ein eigenes Volksbegehren zu initiieren, das auf die Festlegung einer christlichen Volksschule mit der Möglichkeit zur 844 Vgl. Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 151–162. 845 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 13. Sitzung (6. WP), 9.5.1967, 478, 486–488. 846 Vgl. Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 162–166. Zuvor hatte bereits die FDP versucht, durch ein Volksbegehren die christliche Gemeinschaftsschule als gleichberechtigte Schulform in der Bayerischen Verfassung zu verankern, erhielt dafür aber nicht die nötige Unterstützung, siehe ebd., 138–148. 847 Vgl. ebd., 167f, 172–176. Zum Entwurf der evangelischen Landeskirche siehe das Schreiben Dietzfelbingers an Kultusminister Huber vom 28.6.1967, BayHStA, MK 61205.

296  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Bildung bekenntnishomogener Klassen in der Verfassung abzielte und zudem die Förderung kirchlicher Privatschulen garantierte. Da die katholischen Bischöfe Bayerns zwar die Notwendigkeit einer Schulreform bejahten, gleichzeitig aber an der bekenntnisgebundenen Schulbildung festhielten, unterstützten sie entschieden das Volksbegehren der CSU.848 Nur dieses, so unterrichtete etwa das Erzbischöfliche Ordinariat in München sämtliche Seelsorgevorstände seines Erzbistums, entspreche den Auffassungen der katholischen Kirche von der christlichen Schule; die Beteiligung daran sei daher »eine staatsbürgerliche und kirchliche Pflicht, der sich niemand entziehen kann, dem das Wohl und Wehe unserer Kinder am Herzen liegt«.849 Während sich der evangelische Landesbischof Dietzfelbinger grundsätzlich auf keine Seite stellen wollte, befürwortete er doch ebenfalls die Einrichtung von Bekenntnisklassen. Die Synode der evangelischen Landeskirche wiederum sprach sich dezidiert für das Volksbegehren der CSU aus.850 Da nun erstmalig auch die CSU und die von ihr gestellte Staatsregierung die Konzeption einer allgemeinen christlichen Volksschule ins Auge fassten, wurde die Frage akut, wie eine solche in der Praxis aussehen könnte. Zwar sah das Volksschulgesetz des Jahres 1966 eine Erziehung nach »christlichen Grundsätzen« vor, definierte diese aber nicht weiter. Daher fragten nun die CSU, aber auch die SPD und der um Vermittlung bemühte BLLV bei den Kirchen nach, wie diese sich solche Grundsätze konkret vorstellten. In ungewohnt enger Kooperation – zweifelsohne motiviert durch die Absicht, vom Einfluss der Kirchen auf die Schule möglichst viel zu retten – erarbeiteten katholische und evangelische Kirche »Leitsätze für den Unterricht und die Erziehung nach gemeinsamen Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse«.851 Am 11. November 1967 übersandten Kardinal Döpfner und Landesbischof Dietzfelbinger Kultusminister Huber diese Leitsätze und erklärten, dass sie sich bei deren Abfassung leiten ließen von dem Streben nach Toleranz sowohl gegen die jeweils andere Konfession, als auch gegen andersgläubige Schülerinnen und Schüler.852 Im Kern bejahte das Papier die Möglichkeit einer gemeinsamen Erziehung auf Grundlage von Bibel und Glaubensbekenntnis, solange konfessioneller Religionsunterricht gewährleistet blieb.853 848 Vgl. Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 178 f. 849 Rundschreiben des Erzbischöflichen Ordinariats (gez. Generalvikar Defregger) an alle Seelsorgevorstände im Erzbistum München und Freising vom 2.11.1967, AEM, Akten Generalvikariat, Kasten 0642/1: Bekenntnisschule bzw. Gemeinschaftsschule, Hvh.  i. O. unter­ strichen. 850 Vgl. Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 180, 187. 851 Vgl. ebd., 196 f. 852 Schreiben Döpfners und Dietzfelbingers an Kultusminister Huber vom 11.11.1967, BayHStA , MK 61205. 853 Leitsätze für den Unterricht und die Erziehung nach gemeinsamen Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse vom 9.11.1967 (Anlage zum Schreiben Döpfners und Dietzfel­ bingers an Kultusminister Huber vom 11.11.1967), BayHStA, MK 61205.

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Als im Laufe des November 1967 schließlich beide Volksbegehren erfolgreich waren und klar wurde, dass über beide Antragstexte in einem Volksentscheid abgestimmt werden würde, fanden sich die konkurrierenden Lager bereit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, um doch noch eine Kompromissposition zu finden. Während der SPD-Landesvorsitzende Gabert in diesem Zusammenhang bemerkte, die Kirchen seien erst angesichts des erfolgreichen Volksbegehrens von SPD und FDP bereit gewesen, ihre bisherigen Positionen aufzugeben,854 kann doch festgestellt werden, dass sich zu jenem Zeitpunkt alle Beteiligten kompromissbereit zeigten: Auch SPD und FDP waren sich bewusst, dass eine funktionierende politische Lösung der Schulfrage nur unter Einbeziehung der Kirchen gefunden werden konnte, zumal die Einführung einer allgemeinen Volksschule eine Änderung der Kirchenverträge erforderlich machte.855 Im Februar 1968 einigten sich CSU, SPD und FDP auf eine Kompromisslösung, die neben einer gemeinsamen Formulierung für eine Änderung des Art. 135 BV auch damit verbundene Modifikationen des Volksschulgesetzes enthielt.856 Statt der bisherigen Formulierung des Art. 135 BV, wonach die öffentlichen Volksschulen »Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen« waren, letztere jedoch »nur an Orten mit bekenntnismäßig gemischter Bevölkerung auf Antrag der Erziehungsberechtigten« errichtet werden konnten, sollte die neue Fassung bestimmen: »Die öffentlichen Volksschulen sind gemeinsame Schulen für alle volksschulpflichtigen Kinder. In ihnen werden die Kinder nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen. Das Nähere bestimmt das Volksschulgesetz.«857 Was eben diese näheren Bestimmungen anbelangt, so kamen die Parteien überein, im Volksschulgesetz festzuschreiben, dass der Unterricht in den öffentlichen Volksschulen gemäß den gemeinsamen Unterrichtsleitsätzen der christlichen Bekenntnisse erfolgen sollte (Art. 7 I). Insofern bekenntnishomogene Klassen zustände kämen, würde der Unterricht in diesen den Grundsätzen des entsprechenden Bekenntnisses Rechnung tragen (Art. 7 II); darüber hinaus sollten solche Klassen auch gezielt gebildet werden können, jedoch unter Berücksichtigung pädagogischer und schulorganisatorischer Erfordernisse (Art. 9). Sämtliche Lehrkräfte sollten in den Volksschulen frei verwendbar sein, wobei aber bei der Stellenbesetzung Rücksicht auf die Bekenntniszusammensetzung der Schüler genommen werden würde (Art. 8).858 854 So Gabert in: Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 44. Sitzung (6. WP), 30.4.1968, 2141. 855 Vgl. auch Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 191–195. 856 Siehe »Schlussprotokoll der Verhandlungskommissionen von CSU, SPD, FDP« vom 6.2.1968, BayHStA, StK 16089. 857 So die Formulierung der endgültigen Fassung im Gesetz zur Änderung des Art. 135 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 22. Juli 1968, BayGVBl. 13/1968 (29.7.1968), 235. 858 »Schlussprotokoll der Verhandlungskommissionen von CSU, SPD, FDP« vom 6.2.1968, BayHStA , StK 16089.

298  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  Der Kompromiss von CSU und SPD sah somit für die Verfassung lediglich schulpolitische Rahmenbestimmungen vor, während genauere Regelungen im Zuge von Änderungen des Volksschulgesetzes und der Kirchenverträge folgen sollten. Inhaltlich bedeute die Einigung gegenüber dem Volksbegehren der SPD einen Verzicht auf die Einteilung in Regel- und Antragsschule und damit auch in Gemeinschafts- und Bekenntnisschule; gegenüber dem CSU-Volksbegehren würden die Bekenntnisklassen sowie die Vollfinanzierung der Privatschulen nicht in der Verfassung verankert. Zwar monierte der Apostolische Nuntius bei einem Gespräch in der Staatskanzlei die nachteiligen Änderungen im überparteilichen Entwurf zur Verfassungsänderung gegenüber dem Status quo, doch Kardinal Döpfner konnte moderierend einwirken, so dass die Nuntiatur sich letztlich verhandlungsbereit erklärte.859 Die reformaufgeschlossene Haltung Döpfners, die sich hier einmal mehr zeigte, wurde durch das Bistumsblatt seiner Erzdiözese unterstrichen: Die anstehenden Veränderungen, so suggerierte ein Beitrag, könnten nur dann als zu Lasten der Kirche gehend wahrgenommen werden, wenn das Augenmerk mehr auf rechtlich verbriefte Institutionen, denn auf die gesellschaftliche Wirklichkeit gerichtet würde.860 Man kann dies auch als Aufforderung dahingehend interpretieren, dass die katholische Kirche sich nicht an überkommene Rechtspositionen klammern, sondern die Schule auf neuen Wegen inhaltlich christlich gestalten sollte. Auf der Grundlage des parteiübergreifenden Vorschlags einigten sich die Staatsregierung und Vertreter der drei beteiligten Parteien schließlich mit den beiden Kirchen auf die notwendigen Anpassungen des Bayerischen Konkordats und des Kirchenvertrags mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. Insbesondere die katholische Kirche, vertreten durch Nuntius Bafile, machte in den Verhandlungen geltend, die Aufgabe der Bekenntnisschule und die damit verbundene Erfordernis der Konfessionstreue der Lehrkräfte stelle ein »ungeheuer großes Opfer« dar, für das man ein entsprechendes Entgegenkommen des Staates erwarte.861 Um dies zu kompensieren, erklärten sich die Vertreter von Staat und Parteien bereit, unter anderem die Bekenntnisklassen mit Unterricht im Sinne des Bekenntnisses, eine Zuweisung von Lehrpersonal entsprechend der Schülerkonfession sowie eine umfassende staatliche Finanzierung kirchlicher Privatschulen in den Kirchenverträgen festzuschreiben.862 Widerspruch seitens 859 Vgl. Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 224 f. 860 Burger, Hannes: Schulkompromiß endlich in Sicht. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung. Bistumsblatt der Erzdiözese München-Freising, Jg. 61, Nr. 7 vom 18.1.1968, 1 f. 861 Vgl. »Niederschrift über die Schlußbesprechung zur Änderung der Kirchenverträge im Hinblick auf die im Schlußprotokoll der CSU, SPD und FDP vom 6. Februar 1968 vorgesehene Neufassung des Art. 135 der Bayer. Verfassung und des Volksschulgesetzes«, 25. April 1968, BayHStA , StK 16089, hier 6. 862 Vgl. dazu im Ergebnis auch »Bekanntmachung betreffend den ›Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern zur Änderung und Ergänzung der Artikel 5 und 6

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SPD und FDP erntete zunächst die Forderung der Kirchen nach Einrichtung von Konkordatslehrstühlen in Pädagogik und Philosophie an den pädagogischen Hochschulen – eine Gegenleistung, die die Kirchen für den Wegfall der konfessionellen Lehrerbildung wünschten –, doch auch hier kam man den Kirchen schließlich weitgehend entgegen.863 Mit dem Einverständnis der Kirchen war der Weg für die Volksschulreform frei: In der Plenarsitzung vom 30. April 1968 verabschiedete der Bayerische Landtag mit den Stimmen von CSU und SPD den gemeinsamen Antrag zur Änderung von Art. 135 BV und empfahl diesen damit den Bürgerinnen und Bürgern anstelle der beiden Volksbegehren zur Annahme im Volksentscheid.864 Das Nachgeben insbesondere der katholischen Kirche wurde sicherlich dadurch erleichtert, dass sich die SPD angesichts der sich abzeichnenden Kompromisslösung versöhnlich zeigte. Vor der entscheidenden Landtagssitzung betonte ein Vertreter der SPD-Fraktion im Kulturausschuss, dass seiner Partei das Einvernehmen mit den Kirchen wichtig sei und man ihnen in keiner Weise ihren Einfluss auf die religiöse Unterweisung in der Schule absprechen wolle.865 Aufgrund dieser Haltung konnten SPD und CSU das Verhandlungsergebnis im Landtag als wirklich gemeinsame Position – auch der Kirchen – präsentieren. Ministerpräsident Goppel verlieh dabei dem Bewusstsein Ausdruck, dass eine solche Einigung angesichts der langen Kämpfe um die Schulgesetzgebung keineswegs selbstverständlich war:

Vom Staate her […] ist den Kirchen zu danken, daß sie durch ihre Bereitschaft, die Kirchenverträge zu ändern, die von den drei Parteien und von der Staatsregierung angestrebte Modernisierung des Schulwesens ermöglichen. Vom Staat her ist aber auch den Parteien dafür zu danken, daß sie auf die völkerrechtliche und staatsrechtliche Lage in einer dem Geist der Kirchenverträge entsprechenden Weise Rücksicht genommen und damit Konflikte zwischen dem Staat und seinen Vertragspartnern vermieden haben.866

In der Tat war das Konfliktpotential zwischen Landesregierung und Kirchen in Sachen Schulreform vorerst weitgehend beseitigt, beide Kirchen betonten die großen Chancen der schulpolitischen Einigung. Landesbischof Dietzfelbinger nannte den gefundenen Kompromiss eine gute Lösung, die dem gewandelten Verhältnis von Kirche und Gesellschaft entspreche und den Ansprüchen konfes-

des Bayerischen Konkordates vom 29. März 1924‹ vom 13. Dezember 1968«. In: BayGVBl. Nr. 21/1968 (20.12.1968), 398–400. 863 Vgl. Niederschrift über die Schlußbesprechung zur Änderung der Kirchenverträge, 10–15. 864 Siehe Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 44. Sitzung (6. WP), 30.4.1968. 865 Vgl. ebd., 2138. 866 Ebd., 2144.

300  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  sioneller Minderheiten gerecht werden könne.867 Auf katholischer Seite war etwa die »Münchener Katholische Kirchenzeitung« sichtlich bestrebt, den Gläubigen ihres Erzbistums ein positives Bild des Reformpakets zu vermitteln. So wurde das Verhandlungsergebnis als Chance auf eine »pädagogisch und organisatorisch moderne« Schule gewürdigt, in der so viel christliche Erziehung ihren Platz finden könne, »als christliche Erzieher bereit sind zu geben«. Während dafür besonders die CSU gelobt wurde, bescheinigte das Blatt auch SPD und FDP, »durch ihren guten Willen zum Schulfrieden beigetragen« zu haben.868 Die bayerische Volksschule, so befand ein weiterer Artikel, erhalte ein »neues und im Vergleich mit anderen Bundesländern sehr ansehnliches Gesicht«.869 Der Ton dieser Berichterstattung unterschied sich auffällig von den alarmistischen Kundgebungen anlässlich früherer Reformversuche und kann wohl stellvertretend für einen Dispositionswandel in der katholischen Kirche gesehen werden, der entsprechend auch an die Kirchenmitglieder kommuniziert werden sollte. Am 7. Juli stimmte schließlich die wahlberechtigte Bevölkerung Bayerns im Volksentscheid über eine Änderung des Art. 135 BV ab, wobei neben dem gemeinsamen CSU-SPD-Antrag auch die beiden ursprünglichen Volksbegehren zur Wahl standen. Mit 76,3 Prozent der abgegebenen Ja-Stimmen setzte sich der von CSU, SPD, FDP, beiden Kirchen sowie BLLV und KEG beworbene Kompromissantrag klar durch.870 Für den Abschluss dieses umfangreichen, von Regierung wie Opposition getragenen schulpolitischen Reformpakets, waren nun noch die offizielle Änderung der Kirchenverträge nötig sowie die Verabschiedung der Novelle zum Volksschulgesetz durch den Landtag. Die Unterzeichnung der modifizierten Texte des Bayerischen Konkordats und des Vertrags mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche erfolgte am 7. Oktober 1968 durch Ministerpräsident Alfons Goppel, den Apostolischen Nuntius Corrado Bafile und Landesbischof Hermann Dietzfelbinger. Auch wenn angesichts des feierlichen Anlasses etwas anderes als eine positive Stellungnahme der Beteiligten einen Affront dargestellt hätte, darf die bei dieser Gelegenheit von den Vertretern beider Kirchen bekundete Zufriedenheit durchaus ernst genommen werden:871 867 Einigung in Bayern. In: Die Evangelische Elternschaft. Informationsdienst für Schulfragen, Nr. 3/1968 (März), 9–11, hier 11, NLA, Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 622. 868 Burger, Hannes: Einigung in letzter Minute. In: Münchener Katholische Kirchen­ zeitung. Bistumsblatt der Erzdiözese München-Freising, Jg. 61, Nr. 18 vom 5.5.1968, 2. 869 Burger, Hannes: Wie sehen Bayerns Volksschulen zukünftig aus? In: Münchener Katholische Kirchenzeitung. Bistumsblatt der Erzdiözese München-Freising, Jg. 61, Nr. 19 vom 12.5.1968, 2. 870 Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 234–236. 871 Siehe »Ansprache des Apostolischen Nuntius in Deutschland, Msgr. Dr. Corrado Bafile, Titularerzbischof von Antiochien in Pisidien, anläßlich der Unterzeichnung des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern vom 7. Oktober 1968«, BayHStA, StK 16089; »Ansprache des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, D.theol. Hermann Dietzfelbinger DD, anläßlich der Unterzeichnung des Vertrages zwischen

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Immerhin hatten sie sich in einer schwierigen Situation nicht unerhebliche schulpolitische Zugeständnisse gesichert. Das Katholische Schulkommissariat jedenfalls begrüßte die Vertragsunterzeichnung, in der es »wie bisher die Grundlage zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen dem Bayerischen Staat und der katholischen Kirche in unserer modernen Gesellschaft« sah, und zeigte »Genugtuung über die Sicherung des christlichen Grundcharakters der öffentlichen Volksschule«.872 Nachdem am 10. Dezember 1968 im Bayerischen Landtag schließlich SPD und CSU geschlossen für die vereinbarten Änderungen des Volksschulgesetzes sowie die Novellierungen der Kirchenverträge gestimmt hatten,873 konnte man auch im Kultusministerium eine positive Bilanz ziehen: Das vergangene Jahr hat fruchtbare und erfolgreiche Verhandlungen zwischen dem bayerischen Staat und den Kirchen in der Schulfrage gebracht. Die Bereitschaft zur freundschaftlichen Verständigung war auf beiden Seiten so groß, daß im Gegensatz zu den Verhältnissen in anderen Bundesländern in Bayern die Beziehungen zwischen Staat und Kirche durch diese Verhandlungen eher gefestigt als getrübt wurden.874

Im Prinzip schufen die Verfassungsänderung und die damit verbundenen Anpassungen von Volksschulgesetz und Kirchenverträgen eine Art katholisch-evangelischer Bekenntnisschule, also ein Konstrukt, das die Kirchen lange Zeit explizit abgelehnt hatten, das nun aber eine Kompromisslösung zwischen der völligen Abschaffung der öffentlichen Bekenntnisschule und dem für konfessionelle Minderheiten untragbaren Status quo anbot. Tatsächlich bedeutete diese schulpolitische Entwicklung einen großen Durchbruch, standen doch nun erstmals im bayerischen Schulwesen pädagogische und schulorganisatorische Erwägungen vor Kircheninteresse und Elternrecht.875 k) Fazit Die Schulpolitik des Freistaats Bayern gestaltete sich in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten ausgesprochen kirchenfreundlich. Dies beruhte vor allem auf einer großen weltanschaulichen wie auch persönlichen Nähe zwischen der fast durchgehend an der Regierung beteiligten CSU und den Kirchen: Die christsozial geführten Landesregierungen besaßen ein weltanschauliches wie auch der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und dem Freistaat Bayern vom 7. Oktober 1968«, BayHStA, StK 16089. 872 Verträge zur Konkordatsänderung unterzeichnet. In: Münchener Katholische Kirchenzeitung. Bistumsblatt der Erzdiözese München-Freising, Jg. 61, Nr. 41 vom 13.10.1968, 5. 873 Vgl. Bayerischer Landtag: Stenografischer Bericht der 57. Sitzung (6. WP), 10.12.1968. 874 Schreiben MD Böcks an Generalvikar Gruber vom 19.12.1968, AEM, Akten Generalvikariat, Kasten 0923/4 – Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 875 Zu diesem Schluss kommt auch Richter, J.: Eine Schule für Bayern, 218.

302  Religionspolitische Governance in der westdeutschen Bildungspolitik  wahl­taktisches Interesse daran, den kirchlichen Vorstellungen in der Schul­ gesetzgebung Geltung zu verschaffen, wodurch beide Kirchen – wenngleich die katholische in höherem Maße – erheblichen Einfluss auf die Schulpolitik erlangten. Auf diese Weise wurden jedoch auch starke Anreize für die Kirchen geschaffen, sich nicht nur loyal zur Regierung, sondern auch positiv zum politischen System Bayerns und der Bundesrepublik zu verhalten. Gerade für konservative kirchliche Kreise, die zunächst ein stark formalistisches Demokratieverständnis mit wenig Gespür für den Ausgleich konkurrierender Interessen aufwiesen, übte das politische Bündnis mit der CSU eine beachtliche Integrationsfunktion hinsichtlich des demokratischen Staates aus. Als besonders relevant kann in diesem Zusammenhang angesehen werden, dass es der CSU im Verbund mit den Kirchen lange Zeit gelang, die Forderungen der Opposition nach weitgehenden Schulreformen, insbesondere der Einführung der Gemeinschaftsschule, abzuwehren und ins Leere laufen zu lassen. Auf diese Weise wurde der eintretende gesellschaftliche Wandel für die Kirchen gleichsam abgefedert. Während sich ohne Bedenken sagen lässt, dass in Bayern die Opposition die treibende Kraft der politischen Liberalisierung darstellte, haderten in der Schulpolitik ab der Mitte der 1960er Jahre auch die Eltern in immer höherem Maße mit dem überkommenen System. Letzten Endes musste die CSU diesen Kräften nachgeben und bemühte sich, auch den Kirchen, und hier wiederum vor allem der katholischen, eine Anerkennung der Gemeinschaftsschule zu ermöglichen. Dies gelang, indem die Regierung Goppel mit SPD, FDP und den Kirchen eine Kompromisslösung ausarbeitete, die zwar die Schulreformbestrebungen der Opposition berücksichtigte, dabei aber noch so viel wie möglich von den kirchlichen Positionen umsetzte. Dadurch blieben die Kirchen in den Reformprozess eingebunden und mussten ihn nicht als Angriff auf ihre traditionellen Rechte und Einflussmöglichkeiten im Schulwesen erfahren. Die Kirchen verließen sich jedoch nicht lediglich passiv auf die CSU als eine ›politische Schutzherrin‹, vielmehr traten sie immer wieder als politische Akteure auf Seiten der CSU aktiv in Erscheinung, um ihren Interessen öffentlich Nachdruck zu verleihen und die von ihnen favorisierte politische Kraft zu unterstützen. Dadurch machten sie sich zwar zum Bestandteil des demokratischen Prozesses, dessen Regeln sich die CSU unterworfen hatte – und mussten gemeinsam mit ›ihrer‹ Partei aufgegebene politische Positionen räumen. Diese Positionen konnten die CSU-geführten Staatsregierungen allerdings umso länger halten, je mehr die Kirchen ihnen den Rücken stärkten. So zeigt sich im bayerischen Beispiel ein klarer Fall von religionspolitischer Autoritätssymbiose – und dies nirgends unmittelbarer als in der kirchlichen Unterstützung der Regierung Ehard gegen die Einflussnahmeversuche der US -Militärregierung: Im öffentlichen Diskurs vertraten die Kirchen unmissverständlich die Position, dass es die Bayerische Staatsregierung sei, die die legitime Regierung verkörpere und die richtigen politischen Maßnahmen ergreife – nicht die Amerikaner. Am Beispiel

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der bayerischen Schulpolitik kann somit sowohl die These plausibilisiert werden, dass entgegenkommende religionspolitische Governance die Kirchen in den demokratischen Staat einbinden und zur Annahme neuer Positionen bewegen kann, als auch die Vermutung, der Staat oder bestimmte Regierungen vermögen dadurch ihre eigene politische Autorität zu festigen. Bemerkenswert erscheint im vorliegenden Fallbeispiel allerdings, dass es mitunter aus heutiger Sicht eher wenig liberal anmutende Maßnahmen waren, die den Kirchen den Weg in die liberale Demokratie erleichterten.

V. Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik der frühen BRD Die vorangegangenen Kapitel zeigten anhand der Entwicklung staatlich-kirchlicher Kooperationsstrukturen im Bildungssektor zur Bewältigung schulpolitischer Herausforderungen, wie eine die Kirchen einbindende religionspolitische Governance die Entstehung religiöser Liberalität begünstigte. In diesem Kapitel wird nun die Frage im Mittelpunkt stehen, inwieweit die moralische Autorität der Kirchen die politische Autorität des Staates auch im liberaldemokratischen Kontext stärken kann. Denn mag das Feld der Verteidigungspolitik auch zunächst nicht als ein klassischer Bereich staatlich-kirchlicher Zusammenarbeit erscheinen, täuscht dieser Eindruck doch. Zum einen geht die Tradition der kirchlichen Militärseelsorge im modernen Sinn bis ins 17. Jahrhundert zurück;1 zum anderen lässt sich auf diesem Feld gerade in der jungen Bundesrepublik Deutschland eines der prägnantesten Beispiele für staatlich-kirchliche Autoritätssymbiose finden: Ohne die Unterstützung der beiden christlichen Kirchen hätte der westdeutsche Staat in den 1950er Jahren wohl kaum den nötigen Rückhalt in der eigenen Bevölkerung für die Gründung der Bundeswehr und die Wiedereinführung der Wehrpflicht gefunden. Vor dem Hintergrund dieser im Folgenden noch näher zu begründenden Annahme soll untersucht werden, wie sich auf dem Feld der Verteidigungspolitik im Sinne der Forschungshypothese Kooperationsstrukturen zwischen Bundesregierung und Kirchen entwickelten. Dabei ist zu zeigen, dass die Kirchen als Legitimitätsgaranten der Außen- und Bündnispolitik Konrad Adenauers die politische Entwicklung der jungen westdeutschen Demokratie in einem kritischen Moment ihrer formativen Phase mittrugen und so zur Stabilität des politischen Systems und zur Autorität des Staates beisteuerten.

1 Vgl. hierzu Hierold, Alfred E.: Militärseelsorge im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat. Was beabsichtigen Kirche und Staat mit der Militärseelsorge? In: Archiv für katholisches Kirchenrecht Bd. 175 (2006), 100–112, hier 100–102.

306  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik 

1. Die bundesdeutsche Debatte über die Wiederbewaffnung a)

Die Wiederbewaffnungsdebatte als Autoritätsproblem

Auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 hatten die USA, Großbritannien und die Sowjetunion die Entmilitarisierung Deutschlands vereinbart. Anders als die Entnazifizierung, deren konkrete Umsetzung vielfach auf Ablehnung stieß, wurde die Entmilitarisierungspolitik der Besatzungsmächte in der deutschen Bevölkerung weithin akzeptiert.2 Während im bildungspolitischen Bereich nach 1945 zunächst auf die Gesetzeslage von vor 1933 zurückgegriffen wurde, konnte es nach der Aggression des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg in militä­ rischer Hinsicht keine unbeschwerte Anknüpfung an historische Vorbilder geben: Weder Wehrmacht noch Reichswehr oder preußisches Heer boten politisch akzeptable Modelle an. Dies sahen nicht nur die alliierten Besatzungsmächte und Deutschlands Nachbarn so: Auch ein Großteil der Deutschen erachtete unter dem Eindruck der erlebten materiellen Zerstörung und der moralischen Verrohung im Zweiten Weltkrieg ein Ende aller militärischen Tradition in Deutschland für unvermeidbar. »Die Absage an Militarismus und Krieg« wurde, so schien es, zum »ersten echten Grundkonsens der allermeisten Deutschen«.3 Dieser Einstellung lag indes häufig nicht unbedingt eine gewandelte politische Überzeugung zu Grunde, etwa im Sinne eines entschiedenen Pazifismus. Vielmehr spielten die Kriegs- und Politikmüdigkeit nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus eine zentrale Rolle bei der Entstehung einer weit verbreiteten »Ohne mich«-Haltung, aus der heraus zahlreiche Deutsche etwa einen möglichen erneuten Militärdienst ablehnten.4 Dementsprechend verwundert es kaum, dass Überlegungen eine Wieder­ aufrüstung betreffend in der Öffentlichkeit kaum auf positive Resonanz stießen. Derlei Planspiele gab es spätestens seit 1948, als angesichts des sich zunehmend verschlechternden Verhältnisses zur Sowjetunion ein deutscher Beitrag zur militärischen Sicherung Westeuropas verstärkt ins Interesse der Westalliierten rückte. Nachhaltige Aufmerksamkeit erfuhr jedoch erst eine Äußerung Adenau­ ers aus dem Dezember 1949 gegenüber einem US -Journalisten, worin der Kanzler die Aufstellung einer europäischen Armee mit bundesdeutscher Beteiligung befürwortete.5 Was für Adenauer einen wichtigen Schritt auf dem Weg in die 2 Vgl. Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 50, 53. 3 Schwaabe, C.: Die deutsche Modernitätskrise, 407; vgl. auch Herzfeld, Hans: Die Bundeswehr und das Problem der Tradition. In: Picht, Georg (Hg.): Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr. Band 1. Witten 1965, 32–95, hier 52, 58. 4 Vgl. Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Band 2: Deutsche Geschichte vom »Dritten Reich« bis zur Wiedervereinigung. 7. Aufl., München 2010, 145 f. 5 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 66f, 75 f.

Die bundesdeutsche Debatte über die Wiederbewaffnung  307

volle staatliche Souveränität der Bundesrepublik darstellte, erschien zahlreichen Deutschen als Tabubruch. Quer durch die westdeutsche Gesellschaft schlug dem Vorhaben einer Wiederbewaffnung Ablehnung entgegen: In Meinungsumfragen zwischen 1948 und Ende 1950 sprachen sich durchschnittlich 75 Prozent der west- bzw. bundesdeutschen Bevölkerung gegen Wiederbewaffnung und Militärdienst aus.6 Diese Tendenz ließ sich auch in den kirchennahen Milieus beobachten. So lehnten nach Adenauers Vorstoß wichtige katholische Zeitungen einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag explizit ab, etwa das Verbandsorgan der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB), »Ketteler- Wacht«, das vom Kolpingwerk herausgegebene »Kolpingsblatt« oder die Wochenzeitung »Michael«. Während die »Ketteler-Wacht« dem Bundeskanzler die Legitimation dazu absprach, überhaupt über einen deutschen Verteidigungsbeitrag zu diskutieren, konstatierte das »Kolpingsblatt«: »Wir Christen können nur ein entschiedenes ›Nein‹ sprechen.«7 Im »Michael« hieß es pointiert, die jungen Deutschen hätten »nicht die geringste Lust, jemals wieder irgendeine Uniform anzuziehen«.8 Nicht anders positionierte sich das auflagenstarke Blatt des Bundes katholischer Männer, »Mann in der Zeit«, das als Ergebnis einer Leserumfrage eine über 90-prozentige Ablehnung eines neuerlichen Militärdienstes konstatierte: »Die tragende Schicht der deutschen Männer lehnt in ihrer überwiegenden Mehrheit grundsätzlich Wehrdienst und Krieg ab. Infolge dessen entbehren alle Diskussionen über eine Remilitarisierung in Westdeutschland jeglicher realen Grundlage.«9 Eine ähnlich kritische Stimmung herrschte in der evangelischen Kirche. Die Ablehnung des Krieges als Mittel politischer Auseinandersetzung, wie sie etwa im Jahr 1950 auf der EKD-Synode von Berlin-Weißensee bekräftigt wurde, hatte sich in der innerkirchlichen Diskussion weitgehend durchgesetzt.10 Der Gedanke eines deutschen Beitrags zum westlichen Militärbündnis wurde kontrovers diskutiert, doch noch für das Jahr 1952 lässt sich feststellen, dass die bundesdeutschen Protestanten der Wiederbewaffnung mehrheitlich skeptisch gegenüberstanden.11 Dies hing nicht nur mit moralphilosophischen, sondern insbesondere auch mit deutschlandpolitischen Erwägungen zusammen: Ein Aufbau nationaler Streitkräfte in beiden deutschen Staaten würde, so die Sorge, deren Trennung weiter 6 Siehe ebd., 110, Fn. 4. 7 Zit. nach ebd., 77. 8 Zit. nach ebd., 78. 9 Diskussionen ohne Grundlage. In: Mann in der Zeit, Jg. 3, Nr. 2 (1950), 1. Zum Bund katholischer Männer und dem »Mann in der Zeit« vgl. auch Brechenmacher, Thomas: Katholische Kirche und (Anti-)Kommunismus in der frühen Bundesrepublik. In: Creuzberger, Stefan / Hoffmann, Dierk (Hg.): »Geistige Gefahr« und »Immunisierung der Gesellschaft«. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik. München 2014, 177–198, hier 192 f. 10 Vgl. Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 64, 83. 11 So Greschat, M.: Protestantismus, 43.

308  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  zementieren. Für die stark gesamtdeutsch orientierte EKD war dies besorgniserregend, lagen doch wichtige evangelische Kerngebiete in der DDR , wo fast die Hälfte der deutschen evangelischen Christen lebte.12 Vor diesem Hintergrund muss beispielsweise die kurz nach Adenauers Presseäußerung getätigte Stellungnahme des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller gesehen werden, der anstelle zweier in das jeweilige Militärbündnis integrierten deutschen Staaten ein strikt neutrales wiedervereinigtes Deutschland forderte.13 Während Niemöllers Haltung bald schon einen zentralen politischen Konfliktpunkt sowohl innerhalb der EKD, als auch gegenüber katholischen Vorstellungen markieren sollte, war sich in den ersten Jahren der Bundesrepublik die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger quer durch die Gesellschaft einig in ihrer Ablehnung einer deutschen Wiederbewaffnung. Angesichts der dieser Einstellung diametral entgegengesetzten bündnispolitischen Vorstellungen des Bundeskanzlers lässt sich die gesellschaftliche Stimmung auch als Zeichen mangelnder verteidigungspolitischer Autorität der Regierung beschreiben. Umso bemerkenswerter muss es erscheinen, dass sich, als im Jahr 1955 die Bundesrepublik der NATO beitrat, die ersten Soldaten der Bundeswehr ihren Eid ablegten und ein Jahr später die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, keine anhaltenden politischen Verwerfungen zeigten: Die öffentliche Debatte hatte sich weitgehend erledigt. Wie ist dies zu erklären? Zum einen ist es sicher zutreffend, dass der sich zuspitzende Ost-West-Konflikt, der einen ersten Höhepunkt mit dem Beginn des Koreakriegs erreichte, das Sicherheitsempfinden der (West-) Deutschen negativ beeinflusste und die verteidigungspolitischen Pläne der Regierung Adenauer zunehmend berechtigt erscheinen ließ. Dass die veränderte außenpolitische Lage allein den Ausschlag zu einem so beachtlichen Wandel der öffentlichen Meinung gab, scheint indes kaum plausibel. Vielmehr musste auch ein Umdenkprozess hinsichtlich der moralischen Bewertung einer bundesdeutschen Wiederbewaffnung stattfinden, da diese Dimension in der öffentlichen Diskussion von zentraler Bedeutung war:14 Die Bundesregierung musste also neben der außenpolitischen Notwendigkeit auch die moralische Legitimität der beabsichtigten Maßnahmen geltend machen können. Da die christlichen Kirchen die führenden moralischen Autoritäten der Nachkriegszeit darstellten, war ihre Haltung zur Verteidigungspolitik der Regierung folglich von zentraler Bedeutung: Ungeachtet aller psychologischen Wirkung der heraufziehenden Blockkonfrontation darf es als unwahrscheinlich 12 Vgl. Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 70. 13 Vgl. ebd., 80. 14 Vgl. etwa ebd., 18; siehe auch Anselm Doering-Manteuffels Feststellung, dass die bundesdeutschen Katholiken auch nach Beginn des Koreakriegs die Wiederbewaffnung noch mehrheitlich ablehnten, weshalb der »Koreaschock« als Erklärung des Meinungswandels zu kurz greift, Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 4 f.

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gelten, dass die Bundesregierung gegen den ausdrücklichen Widerstand beider großen Kirchen für eine derart umstrittene Politik eine breite gesellschaftliche Unterstützung erhalten hätte.15 Tatsächlich traten jedoch die katholische Kirche und die katholischen Laienorganisationen ab 1950 zunehmend entschieden für die westorientierte Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung samt Wiederbewaffnung ein, während seitens der EKD, die innerlich in dieser Frage hochgradig gespalten war, zumindest eine offizielle Gegnerschaft zur Regierungspolitik tunlichst vermieden wurde. Die folgenden beiden Abschnitte geben zunächst einen Überblick über die Wiederbewaffnungsdebatten innerhalb des westdeutschen Katholizismus und Protestantismus. Daran anknüpfend werden die religionspolitischen Aspekte der bundesdeutschen Verteidigungspolitik untersucht, um festzustellen, inwieweit hier kooperative Governance die kirchliche Bejahung bzw. stillschweigende Duldung verteidigungspolitischer Maßnahmen begünstigte, denen die Kirchen angesichts ihrer Lehre auch kritisch hätten gegenüberstehen können und die ein großer Teil des Kirchenvolkes anfänglich ablehnte. b)

Gerechter Krieg und Antikommunismus: Die Wiederbewaffnungsdebatte im Katholizismus

Während für viele Deutsche die Ablehnung einer erneuten Aufrüstung weniger in überzeugtem Pazifismus als in der kriegs- und politikmüden »Ohne-​mich«-​ Haltung begründet lag, stellte für einen großen Teil der Gläubigen beider Kirchen die Idee einer Wiederbewaffnung vor dem Hintergrund der Gräuel des Zweiten Weltkriegs zunächst einmal ein immenses moraltheologisches Problem dar. Eine Beschlussfassung darüber konnte aus einer solchen Sicht schlechterdings nicht im Zuständigkeitsbereich der politischen Entscheidungsträger liegen. Damit die Bundesregierung glaubhaft die nötige Handlungskompetenz in dieser Frage beanspruchen konnte, musste die Wiederbewaffnung vielmehr als politische Angelegenheit wahrgenommen werden – und dies setzte eine Überwindung der bestehenden moraltheologischen Bedenken voraus. Für die Katholiken berührte das Thema der Wiederbewaffnung, neben dem für beide Konfessionen zentralen Gebot der Nächstenliebe und dem Tötungs­ verbot, nicht zuletzt das klassische Problem des »gerechten Krieges«:16 Zwar hatte die katholische Kirche nie einen rigiden Pazifismus vertreten, dennoch galt, dass Christen nur in verhältnismäßigen und von einer legitimen Obrigkeit 15 Vgl. dazu ebd., 91; Hürten, Heinz: Zur Haltung des deutschen Katholizismus gegenüber der Sicherheits- und Bündnispolitik der Bundesrepublik Deutschland 1948–1960. In: Langner,  A. (Hg.): Katholizismus im politischen System, 83–102, hier 98; Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 148. 16 Vgl. etwa Hürten, H.: Zur Haltung, 93 f.

310  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  geführten Kriegen kämpfen sollten.17 In dieser Sache bereitete Papst Pius XII. in seiner Weihnachtsansprache des Jahres 1948 den Boden für politische Diskussionen über einen deutschen Militärbeitrag im Rahmen eines westlichen Bündnisses. Den christlichen Friedenswillen betonend, verurteilte Pius zunächst jeden Angriffskrieg als »Anschlag auf die Majestät Gottes«.18 Eine ungerechterweise angegriffene Nation, mahnte der Papst jedoch, dürfe die Aggression nicht einfach passiv über sich ergehen lassen, insofern der Verlust hoher Güter auf dem Spiel stehe – zumal sich nicht gegen einen Angriff zu wappnen geradezu eine Ermutigung für jeden potentiellen Aggressor sei.19 Wenngleich der deutsche Katholizismus durch diese päpstliche Aussage keineswegs auf einen bestimmten politischen Kurs hinsichtlich der Frage der Wiederbewaffnung festgelegt war, konnten Unterstützer einer militärischen Westintegration nun auf sicherer moraltheologischer Grundlage argumentieren. Relevant war hierbei auch, dass aus westdeutsch-katholischer Sicht der Zusammenhang von Pius’ Legitimation des Verteidigungskriegs mit der »als unmittelbar empfundenen Bedrohung durch die materialistische Weltanschauung sowjetischer Prägung« auf der Hand lag.20 Der katholische Antikommunismus, dogmatisch begründet etwa im »Syllabus errorum« Pius’ IX ., speiste sich auf praktisch-politischer Ebene aus den Unterdrückungserfahrungen der Kirche in der Sowjetunion der 1920er und 1930er Jahre, die in den Worten des Historikers Thomas Brechenmacher »das Primärtrauma der Kirche im Verhältnis zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts« darstellten.21 Nach einer kurzen Phase der Zurückhaltung seitens der UdSSR ab 1945 verschlechterten sich die Beziehungen zum Vatikan aufgrund des Vorgehens Stalins gegen die Kirche in den osteuropäischen Staaten weiter, so dass gerade auch der deutsche Katholizismus den Sowjet-Kommunismus zunehmend als Bedrohung des Glaubens und der Kirche wahrnahm.22 Daraus ergab sich indes nicht zwangsläufig die politische Forderung nach militärischer Aufrüstung zur Absicherung gegen Moskau: Unter den bundesdeutschen Katholiken war zunächst die Ansicht verbreitet, allein eine gerechte Sozialordnung könne den Frieden in Europa sichern und die Gesellschaft gegen die Verlockungen des Kommunismus immunisieren. Die Bischöfe teilten diese Ansicht durchaus, wie etwa ihr Hirtenwort vom März 1950 zum Ausdruck brachte, in dem sie eine gerechte Sozialordnung forderten 17 Siehe dazu Schrey, Heinz-Horst: Krieg: IV. Historisch / Ethisch. In: Balz, Horst Robert et al. (Hg.): Theologische Realenzyklopädie. Band 20: Kreuzzüge – Leo XIII. Berlin / New York 1990, 28–55, hier 36–39. 18 Pius XII.: Confirma fratres tuos (24.12.1948). In: AAS 41 (1949), 5–15, hier 13 [Eigene Übersetzung, F. P.]. 19 Ebd., 12 f. 20 Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 15. 21 Brechenmacher, T.: Katholische Kirche und (Anti-)Kommunismus, 177. 22 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 27–30.

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und die materialistischen Tendenzen des Kapitalismus ebenso kritisierten, wie die des Kommunismus.23 Aus Rom wurde diese Position durch Aufrufe nach allgemeiner Abrüstung unterstrichen.24 Auf der anderen Seite traf Konrad Adenauers betont antikommunistische Haltung in der katholischen Kirche sehr wohl auf Sympathie. So wird über Pius XII. berichtet, er sei zunächst skeptisch gegenüber der Persönlichkeit des Kanzlers gewesen, habe ihn aber gerade aufgrund dessen klarer Ablehnung des Kommunismus schätzen gelernt.25 Auch in Teilen des deutschen Episkopats dürfte die westorientierte Außenpolitik Adenauers von Beginn an auf Zustimmung getroffen sein. Diesen Eindruck erweckt jedenfalls das Vorgehen des Kölner Erzbischofs, Kardinal Frings, der im Rahmen des am 22. und 23. Juli 1950 stattfindenden Diözesan-Katholikentags seines Erzbistums in einer vielbeachteten Predigt die Weihnachtsbotschaft Pius’ XII. aufgriff und gleichsam für die innenpolitische Auseinandersetzung in der Bundesrepublik aufbereitete. Mit Blick auf den vom Papst verurteilten Angriffskrieg mahnte Frings, dass dort, wo die Grundlagen der göttlichen Ordnung angegriffen werden, Staaten das Recht besäßen, diese Ordnung mit Waffengewalt wiederherzustellen. Wenn daraus aber folge, »daß der Staat nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht zum Kriege hat, so ergibt sich daraus, daß die Propagierung einer absoluten Kriegsdienstverweigerung mit christlichem Denken nicht vereinbar ist«. Der Forderung nach »selbstsüchtiger Neutralität« erteilte der Kardinal damit eine klare Absage.26 Es ist unschwer zu erkennen, dass Frings hier theologisch begründeten pazifis­tischen Argumenten in den Kirchen die Spitze nehmen wollte. Dass er bei möglichen militärischen Konflikten gerade auch an eine sowjetische Aggression dachte, belegen die Ausführungen seines Domkapitulars Wilhelm Böhler, der erklärte, die Predigt des Kardinals sei eine Maßnahme gegen die kommunistische Propaganda, deren Ziel es sei, »den Widerstandswillen ihrer Opfer zu lähmen«.27 In der Sorge vor einem wachsenden Einfluss des sowjetischen Kommunismus befanden sich Rom und Köln folglich in Übereinstimmung. In Ergänzung zur Predigt des Kölner Erzbischofs wurde das Diözesankomitee der Katholikenausschüsse des Erzbistum Kölns veranlasst, eine Denkschrift zum Thema »Christliche Grundsätze über Krieg und Kriegsdienste« auszuarbeiten, in 23 Vgl. ebd., 78.; Brechenmacher, T.: Katholische Kirche und (Anti-)Kommunismus, 179 f. 24 So etwa im »Osservatore Romano«, der offiziellen Zeitung des Vatikans, deren Meldungen wiederum von der deutschen katholischen Presse aufgegriffen wurden, siehe beispielsweise Bankrott der Rüstungspolitik. Kommentar des »Osservatore Romano«. In: Mann in der Zeit, Jg. 2, Nr. 11 (1949), 1. 25 So Baring, Arnulf: Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. Westdeutsche Innen­politik im Zeichen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Band. 2. München 1969, 86. 26 Zit. nach Mahnung zum rechten Frieden. In: Mann in der Zeit, Jg. 3, Nr. 9 (1950), 1; vgl. auch Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 85–87. 27 Zit. nach Mahnung zum rechten Frieden.

312  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  der Empfehlung an die Redaktionen katholischer Zeitungen zum Umgang mit der Frage nach Wiederbewaffnung und Militärdienst abgegeben wurden. Darin wurden unter anderem die Kriterien für einen gerechten Verteidigungskrieg ausformuliert sowie die Umstände erläutert, unter denen ein Christ Militärdienst leisten dürfte: Demnach sei der staatlichen Aufforderung zum Dienst an der Waffe stets nachzukommen, solange die Ungerechtigkeit des bewaffneten Konflikts nicht eindeutig feststehe; freiwilliger Wehrdienst hingegen dürfe nur in einem dezidiert gerechten Krieg geleistet werden. Sich in einem gerechten Krieg der Landesverteidigung zu entziehen wurde demgegenüber als sündhaftes Handeln verurteilt.28 In der Tat vollzog die Redaktion des »Mann in der Zeit« daraufhin eine inhaltliche Neupositionierung und befürwortete plötzlich einen deutschen Verteidigungsbeitrag nachdrücklich. Da die Zeitung »im Auftrag der deutschen Bischöfe« herausgegeben wurde, kann in dieser Kehrtwende eine Billigung von Frings’ Position durch den restlichen Episkopat herausgelesen werden.29 Während die Stellungnahme des Kardinals ansonsten zwar kaum unmittelbare Auswirkungen zeitigte  – die katholischen Verbände reagierten zunächst meist verhalten –, darf sie als Impulsgeber für den öffentlichen Diskurs doch nicht unterschätzt werden: Indem [Frings] die kirchliche Lehre von Krieg und Frieden dem Nachkriegspazifismus der Katholiken entgegenstellte, leitete er einen Umdenkprozeß in der öffentlichen katholischen Meinung ein, der eine gewisse gesellschaftliche Leitfunktion für weitere Gruppen der Bevölkerung wahrnehmen konnte, denn ohne einen solchen Umdenkprozeß in weiten Kreisen der westdeutschen Gesellschaft war an die Verwirklichung einer Wiederbewaffnung auf demokratischem Wege nicht zu denken.30

Neben einer allgemeinen Intervention in die öffentliche Debatte stellte Kardinal Frings’ Predigt auch eine Unterstützung der umstrittenen Position Konrad Adenauers dar, ein Effekt, der wohl durchaus intendiert war.31 Frings sollte auch in der Folgezeit ein wichtiger Unterstützer der Verteidigungspolitik der Regierung Adenauer bleiben. In seinem Fastenhirtenbrief des Jahres 1951 etwa erklärte er nochmals, solange eine allgemeine Abrüstung international nicht durchsetzbar sei, müssten »die friedliebenden Völker zu erkennen geben, daß sie zu allen

28 Die Kirche zu Krieg und Frieden. In: Mann in der Zeit, Jg. 3, Nr. 9 (1950), 2. 29 So sieht es Doering-Manteuffel, Anselm: Friedensdiskussion und innerkatholisches Selbstverständnis. In: Korff, Wilhelm / Bahr, Hans-Eckehard (Hg.): Den Frieden sichern. Düsseldorf 1982, 32–47, hier 39; vgl. auch Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 87. 30 Ebd., 91.; vgl. auch Doering-Manteuffel, A.: Friedensdiskussion, 41. 31 So urteilt ebd., 40. Bereits damals wurde der Verdacht geäußert, Frings habe die Predigt quasi als Auftragsarbeit interessierter politischer Kreise gehalten, was Wilhelm Böhler jedoch im Rahmen einer Pressekonferenz zurückwies, vgl. Trippen, N.: Josef Kardinal Frings, 336.

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Opfern bereit sind, die zur Verteidigung ihrer Freiheit und Menschenwürde erforderlich sind«.32 In der Regel hielt sich der katholische Episkopat jedoch mit direkten öffentlichen Interventionen zurück und verließ sich zu diesem Zweck auf die Laienorganisationen. So fand im Frühjahr 1952 eine augenscheinlich konzertierte Kampagne statt, in deren Rahmen sich binnen zehn Wochen unter anderem die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Männerwerke, die Kolpingsfamilie, die KAB und der »Bund der Deutschen Katholischen Jugend« (BDKJ) – und damit die am stärksten in die Debatte involvierten katholischen Verbände – unterstützend zur Wiederbewaffnungspolitik der Regierung äußerten.33 Dabei wurde eindeutig die Idee eines westlichen Verteidigungsbündnisses vertreten, wie beispielhaft die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Männerwerke zeigt, in der es heißt, »alle Völker der westlichen Welt […], die noch Sinn haben für die sittlichen Werte der Freiheit, des Gewissens, der Persönlichkeit und die darum Gewaltherrschaft und Tyrannei verwerfen«, seien zur Beteiligung an einem Verteidigungsbeitrag aufgerufen.34 Die internationale Komponente eines etwaigen Deutschen Verteidigungsbeitrags spielte im deutschen Katholizismus eine wichtige Rolle, denn rein nationale deutsche Streitkräfte fanden auch hier kaum Zustimmung.35 Nachdem die USA im Jahr 1950 ein verstärktes eigenes militärisches Engagement in Europa an eine bundesdeutsche Beteiligung geknüpft hatten, brachte der französische Premierminister René Pleven (1901–1993) den Vorschlag einer gemeinsamen Streitmacht der Montanunion-Staaten ins Spiel, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Dieses Konzept bildete zunächst den Leitgedanken der verteidigungspolitischen Debatte und führte zur Unterzeichnung des EVG -Vertrages im Jahr 1952, dessen endgültige Ratifizierung die französische Nationalversammlung jedoch im August 1953 ablehnte.36 Gerade der BDKJ setzte große Hoffnungen auf eine gemeinsame europäische Armee, da diese einerseits ein Wiedererstarken des ungeliebten deutschen Militarismus zu verhindern versprach und andererseits ein großer Schritt hin zu der vom Verband befürworteten europäischen Inte­ gration gewesen wäre. Wer für diese Integration sei, so die Logik daher, müsse für die EVG eintreten.37 Die Spitze des BDKJ legte sich bereits Anfang 1952 auf eine Unterstützung des bundesdeutschen Verteidigungsbeitrags fest. Auf der 32 Zit. nach Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 118. 33 Vgl. ebd., 140 f. Laut Doering-Manteuffel kann dabei begründeterweise angenommen werden, dass kirchliche Stellen die Wortmeldungen der Verbände auf Wunsch der Regierung Adenauer hin veranlassten und koordinierten. 34 Stellungnahme abgedruckt in: Es geht einzig um den Frieden. In: Mann in der Zeit, Jg. 5, Nr. 3 (1952), 1. 35 So Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 102 f. 36 Vgl. Wolfrum, E.: Die geglückte Demokratie, 108–111. 37 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Friedensdiskussion, 41 f.

314  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Vollversammlung des Verbands im selben Jahr beschwor Bundesgeschäftsführer Josef Rommerskirchen die europäische Solidarität und die gesellschaftliche Verantwortung der jungen Katholiken zur Mitwirkung an der gemeinsamen Verteidigung angesichts einer totalitären Bedrohung durch den Kommunismus. In diesem Zusammenhang befürwortete Rommerskirchen auch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Zwar gab es gegen diese Linie durchaus Widerspruch innerhalb des BDKJ, den die Verbandsspitze allerdings zu unterdrücken suchte. Da sämtliche anderen großen Jugendverbände sich entweder kritisch zur Aufrüstung äußerten oder der Stimme enthielten, war die offizielle Positionierung der katholischen Jugend eine wichtige Unterstützung für die Regierung. Wie im Verlauf des Kapitels noch weiter ausgeführt wird, gab der BDKJ seine Zustimmung zur Wiederbewaffnung indes keineswegs ohne Bedingungen, sondern verband sie vielmehr mit einer Forderung nach Mitgestaltung des Verteidigungsbeitrags im katholischen Sinne.38 Wo für die katholische Jugend der Europagedanke attraktiv war, dürfte in der Wiederbewaffnungsfrage für andere Kreise die Idee des christlichen Abendlands im Vordergrund gestanden haben – ein Amalgam aus einem »romantisierende[n], katholisch-konservative[n], das mittelalterliche Zwei-Gewalten-Imperium verklärende[n] Reichsdenken« und konkreten Sorgen hinsichtlich einer militärischen wie geistig-moralischen Dominanz der Sowjetunion.39 Die Regierung Adenauer40 wusste entsprechende Hoffnungen und Ängste geschickt zu bedienen. Zur Ulrichs-Festwoche des Bistums Augsburg anlässlich der 1000-JahrFeier der Schlacht auf dem Lechfeld im Jahr 1955 entsandte der Bundeskanzler beispielsweise seinen Außenminister, Heinrich von Brentano (1904–1964), der vor den Anwesenden eindeutige Parallelen von der einstigen Bedrohung durch die Ungarn zur zeitgenössischen Bedrohung durch die UdSSR zog. Adenauer selbst sprach etwa im Juni 1957 vor 50.000 Teilnehmern einer Kundgebung des Bundes katholischer Männer und gab die eindrückliche Parole aus: »Deutschland und Europa werden christlich bleiben oder kommunistisch werden.«41 Insgesamt müssen die Ablehnung des Kommunismus und die Sorge vor einem Einflussgewinn Moskaus als wichtige Motive für die katholische Unterstützung 38 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 143, 151–153, 170–177; vgl. auch Hürten, H.: Zur Haltung, 96. 39 Brechenmacher, T.: Katholische Kirche und (Anti-)Kommunismus, 194. 40 Konrad Adenauer regierte nach der Bundestagswahl 1953 mit einer Koalition aus Union, FDP, GB -BHE und DP. Die Sitzverteilung im Bundestag stellte sich dabei wie folgt dar: Mit 249 Sitzen stellten CDU / C SU die meisten Abgeordneten, gefolgt von SPD (162), FDP (53), GB -BHE (27), DP (15) und Zentrum (3). Zur Regierungsbildung siehe Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 3. Sitzung (2. WP), 20.10.1953. 41 Bericht Schultes und Joos’ (Dok. 145). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 422–424, hier 423; vgl. Brechenmacher, T.: Katholische Kirche und (Anti-)Kommunismus, 192–195.

Die bundesdeutsche Debatte über die Wiederbewaffnung  315

der Adenauer’schen Außenpolitik angesehen werden, in denen sowohl Pius XII. als auch der deutsche Episkopat und zahlreiche Laien geeint waren. Zentral für die gesamtgesellschaftliche Wirkung der katholischen Unterstützung der Bundesregierung war die Vermittlung eines Eindrucks von Geschlossenheit. Mit der eindeutigen Positionierung von Episkopat und Verbandsspitzen ebbte die innerkatholische Diskussion über die Wiederbewaffnung 1952 weitgehend ab. Unter anderem engagierte sich die Zentrumspartei, die sich zunächst gegen die allgemeine Wehrpflicht positioniert hatte, nach 1952 nicht mehr in dieser Frage – die fehlende Unterstützung durch Klerus und katholische Presse dürfte hier entscheidend gewesen sein.42 Zwar war damit nicht jeglicher Widerspruch ausgeräumt, doch wurden entschlossene Wiederbewaffnungsgegner innerhalb des westdeutschen Katholizismus konsequent »in die linke Ecke gedrängt, wo sie die Mehrheit nicht mehr störten«, wie Doering-Manteuffel schreibt, mithin also durch die Unterstellung prokommunistischer Sympathien zu diskreditieren versucht.43 Auch gegen Opposition von protestantischer oder sozialdemokratischer Seite stärkten katholische Presse und Meinungsführer der Regierung den Rücken. Ein Beispiel dafür bieten die Beiträge des »Mann in der Zeit«, die hartnäckige Aufrüstungsgegner wie den hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Niemöller in die Nähe kommunistischer Organisationen rückten, oder aber die SPD teils heftig angingen, da diese sich bis 1953 ebenfalls gegen die Verteidigungspolitik Adenauers positionierte.44 Erst recht reserviert reagierte die katholische Presse auf Interventionen von sowjetischer Seite, wie das Angebot eines wiedervereinigten aber neutralen Deutschlands, welches in der »Stalinnote« vom März 1952 erging: Ein solches Ansinnen wurde deutlich zurückgewiesen.45 Als die französische Nationalversammlung 1953 die Gründung der EVG ablehnte, flammte die Kritik an einer – nun zwangsläufig auf nationaler Basis erfolgenden – Wiederbewaffnung auch in der katholischen Öffentlichkeit noch einmal auf, wenngleich eher verhalten.46 Zu allgemeiner Unruhe und erneuten Debatten kam es dagegen, als im Jahr 1956 Pläne einer Ausrüstung der zwischenzeitig gegründeten Bundeswehr mit Nuklearwaffen ins Gespräch kamen, da diese Waffen ob ihrer enormen, nicht präzise begrenzbaren Zerstörungskraft

42 Doering-Manteuffel, A.: Friedensdiskussion, 43; Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 186–191. Manteuffel merkt hier an, dass das Zentrum in der Wiederbewaffnungsdebatte ohnehin wenig Einfluss ausgeübt hatte, siehe ebd., 191. 43 Doering-Manteuffel, A.: Friedensdiskussion, 43. 44 Vgl. beispielhaft Landser horchen auf. In: Mann in der Zeit, Jg. 6, Nr. 3 (1953), 1; Überrollt. In: Mann in der Zeit, Jg. 4, Nr. 6 (1951), 1.  45 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 138 f. Zu Stalins Vorstoß siehe Winkler, H. A.: Der lange Weg, 147–151. 46 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 104.

316  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  moralisch besonders problematisch erschienen.47 In dieser Situation erbat die regierende CDU eine positive Äußerung der Kirche zur Atomwaffenfrage, um die Wogen zu glätten. Der Beistand erfolgte in Gestalt eines von sieben namhaften katholischen Moraltheologen erstellten Gutachtens, dem zufolge ein Einsatz nuklearer Waffen nicht notwendigerweise moralisch verboten sein müsste, insofern die Folgen einigermaßen kontrollierbar wären – entsprechend hatte sich Pius XII. bereits 1954 geäußert.48 Angesichts dieser eindeutigen theologischen Positionierung verwundert der Befund nicht, in der Atomwaffendebatte sei unter den Katholiken »keine vergleichbare Unruhe spürbar« gewesen, wie in der allgemeinen Wiederbewaffnungsdebatte.49 Zwar nahm der Episkopat selbst zur Frage der nuklearen Bewaffnung nicht dezidiert Stellung, doch auch diese Stimmenthaltung war bereits äußerst wirksam, wie Heinz Hürten ausführt: Demnach hätte eine Ablehnung von Atomwaffen den Bischöfen wohl breite Zustimmung in der öffentlichen Meinung dieser Zeit eingetragen. Aber die Regierung hätte gegen den gemeinsamen Widerstand beider Kirchen ihre Politik der Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Trägerwaffen nicht durchsetzen können. Die CDU wäre in einem solchen Falle in die Zwangslage versetzt worden, entweder Kanzler und Verteidigungsminister zu desavouieren oder sich in eklatanten Widerspruch zu Forderungen auch der katholischen Kirche zu begeben, was bei ihrer damaligen Wählerstruktur für ihre Stellung im nächsten Bundestag wohl von den schwersten Auswirkungen gewesen wäre. In dieser Situation haben aber die Bischöfe geschwiegen, und dieses ihr Schweigen war ›beredt‹.50

Insgesamt bewirkte die gezielte Einflussnahme von Episkopat und den Spitzen der wichtigen Verbände den  – in weiten Teilen durchaus zutreffenden  – Eindruck einer geschlossenen Unterstützung der bundesdeutschen Außen- und Verteidigungspolitik durch den Katholizismus.51 Die kirchliche Autorität in der stark moraltheologisch gesehenen Frage der Wiederbewaffnung war weitgehend anerkannt und ein Großteil der Katholiken erwartete von der Kirche, dass sie in

47 Vgl. Justenhoven, Heinz-Gerhard: Die friedensethische Debatte im deutschen Katholizismus seit dem Ende des II. Weltkrieges. In: Scheffler, Horst (Hg.): Kirche unter Soldaten. 50 Jahre Katholische Militärseelsorge in der Deutschen Bundeswehr. Heiligenstadt 2006, 285–317, hier 292–294; Hürten, H.: Zur Haltung, 97. 48 Vgl. Justenhoven, H.-G.: Die friedensethische Debatte, 292–294.; Doering-Manteuffel, A.: Kirche und Katholizismus, 132 f. 49 Ebd., 133. 50 Hürten, H.: Zur Haltung, 98. Hürtens Einschätzung, eine bischöfliche Ablehnung von Nuklearwaffen wäre auf öffentliche Zustimmung getroffen, wird beispielsweise durch eine Umfrage aus dem Jahr 1954 unterstützt, wonach 70 Prozent der Befragten von der Kirche ein Engagement zur »Abschaffung der Atombombe« wünschten, siehe Noelle, E. / Neumann, E. P.: Jahrbuch der öffentlichen Meinung, 226. 51 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 251, 255.

Die bundesdeutsche Debatte über die Wiederbewaffnung  317

diesen Politikbereich entsprechend eingriff.52 Neben allgemeinen moralischen Überlegungen zur Landesverteidigung war auch die Ablehnung des Kommunismus »Bestandteil eines katholischen Orientierungsdiskurses innerhalb der Bundesrepublik, der sowohl den deutschen Katholiken als auch der Hierarchie selbst den Weg zur Identifikation mit den politischen Zielen Adenauers bahnen« half.53 Dies waren allerdings nicht die einzigen Faktoren: Wie am Beispiel des BDKJ angedeutet, bestand im Katholizismus auch die Erwartung, auf die innere Ausgestaltung der neu aufzustellenden Streitkräfte Einfluss nehmen zu können; inwieweit die Bundesregierung diesem Anliegen entsprach und was dies für die Haltung der katholischen Kirche bedeutete, wird noch zu erörtern sein. Zuvor ist jedoch das Bild der Wiederbewaffnungsdebatte um die protestantische Perspektive zu ergänzen. c)

Zwischen Regierungstreue und Widerstandsgeist: Die Wiederbewaffnungsdebatte im Protestantismus

Verglichen mit der innerkatholischen Debatte verlief die Diskussion um einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag innerhalb des Protestantismus wesentlich kontroverser: Zum einen sollte es sich für die EKD als unmöglich erweisen, eine einheitliche theologische Position in der Wiederbewaffnungsfrage zu finden, so dass die Haltung des Einzelnen dazu letztlich der persönlichen Gewissensentscheidung überlassen wurde. Bedingt durch die fehlende kirchenoffizielle Unterstützung der Regierungspolitik traten zum anderen die Gegner einer Wiederbewaffnung wesentlich lautstärker und öffentlichkeitswirksamer in Erscheinung als auf katholischer Seite. Im Wesentlichen lassen sich dabei in der evangelischen Kirche drei für die Diskussion relevante Standpunkte ausmachen: Auf der einen Seite standen konservative, meist lutherische Vertreter, die politisch oft der Union nahestanden und eher dazu tendierten, Adenauers Kurs zu unterstützen. Demgegenüber kritisierten barthianisch geprägte und politisch stärker links orientierte Kreise eine zu enge außenpolitische Anlehnung an den Westen. Barth selbst lehnte jegliche politische Vereinnahmung der Kirche ab, ob vom Westen oder vom Osten her, worin ihm der Bruderrat der EKD mit seinem Wort »Gebt Gott recht« vom Oktober 1949 folgte. In diesem Sinne existierte drittens eine strikt neutralistische Haltung, die kirchenpolitisch gesehen am prominentesten von EKD-Ratsmitglied und Bundesinnenminister Gustav Heine­mann (CDU) vertreten wurde.54 52 Vgl. Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 379; Doering-Manteuffel, A.: Kirche und Katholizismus, 133 f. 53 Brechenmacher, T.: Katholische Kirche und (Anti-)Kommunismus, 197. 54 Vgl. Loos, Mirjam: Antikommunistische und anti-antikommunistische Stimmen im evangelischen Kirchenmilieu. Die Debatte um Wiedervereinigung, Westbindung und Wie-

318  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Allerdings teilte nach 1945 zunächst auch die evangelische Kirche die in Deutschland vorherrschende antimilitaristische Position. Neben dem »Friedenswort« der Eisenacher Kirchenversammlung vom Juli 1948 unterstrich dies auch das Wort der Weltkirchenkonferenz des Jahres 1949 »Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein«, das im April 1950 durch die EKD-Synode von Berlin-Weißensee ausdrücklich bejaht wurde. Diese Entwicklung stellte, so die Theologin Johanna Vogel, eine bemerkenswerte Tatsache dar, wenn man bedenkt, dass im deutschen Protestantismus die pazifistischen Tendenzen des Christentums zuvor kaum Anklang gefunden hatten.55 Die Notwendigkeit der Entmilitarisierung Deutschlands  – und damit auch der entsprechenden Politik der Besatzungsmächte  – wurde in den Jahren nach 1945 indes explizit theologisch gerechtfertigt. So tätigte der Synodale Hugo Stössinger in Weißensee den markanten Ausspruch: »Gott hat uns die Waffen aus der Hand geschlagen, und Gott hat uns in eine Situation hineingebracht, in der wir überhaupt gar nicht an Waffen denken können.«56 Kriegsniederlage und Entmilitarisierung als Strafgericht Gottes – ähnlich äußerten sich auch andere Vertreter der EKD, etwa Gustav Heine­mann.57 Die Frage einer deutschen Wiederbewaffnung wurde auf der Synode von Weißensee aber auch aus politisch-gesellschaftlicher Perspektive diskutiert. So warnte etwa der hannoversche Landesbischof Lilje, ein solcher Schritt würde die bestehenden politischen Spannungen zwischen Ost und West nur verschärfen. Für den Fall einer Aufstellung westdeutscher Truppen plädierte er bereits für eine kirchliche Betreuung eventueller Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.58 Das von der Synode beschlossene Friedenswort enthielt zwar keine generelle Ächtung des Krieges, da sich hier bereits Meinungsverschiedenheiten auftaten, unterstrich jedoch die Sorge der EKD vor einem Konflikt zwischen BRD und DDR und sicherte, ganz im Sinne Liljes, Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen den Beistand der Kirche zu.59 Nachdem direkte evangelische Kritik an den außen- und verteidigungspolitischen Plänen Adenauers bisher vor allem seitens des streitbaren Martin Niemöllers laut geworden war, entzündete sich im August 1950 ein weiterer Konflikt zwischen dem Kanzler und einem prominenten Vertreter des Protestantismus, CDU-Innenminister Heinemann. Dieser protestierte dagegen, dass Adenauer derbewaffnung. In: Creuzberger, S. / Hoffmann, D. (Hg.): »Geistige Gefahr«, 199–214, hier 204, 207; Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 78, 124–126. 55 Ebd., 83, vgl. auch 74. 56 Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland: Berlin-Weissensee 1950. Bericht über die zweite Tagung der ersten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 23.–27. April 1950, Hannover [ca. 1952], 137. 57 Vgl. Wilkens, Erwin: Die EKD -Synode 1957. Der Weg zur Militärseelsorge. In: Blaschke, Peter H. (Hg.): Domini sumus. Wir sind des Herrn. 30 Jahre Militärseelsorgevertrag. Hannover 1987, 15–33, hier 20; Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 53. 58 Vgl. ebd., 94. 59 Vgl. ebd., 98, 111.

Die bundesdeutsche Debatte über die Wiederbewaffnung  319

ohne Rücksprache mit dem eigenen Kabinett oder auch nur ihm selbst als für die innere Sicherheit zuständigen Ressortminister ein »Memorandum über die Sicherung des Bundesgebietes nach innen und außen« an den amerikanischen Hohen Kommissar John Jay McCloy (1895–1989) überreicht hatte. Darin erläuterte der Bundeskanzler die potentielle Bedrohung durch die neu aufgestellten Einheiten der kasernierten Volkspolizei in der DDR und schlug als Gegengewicht die Bildung einer entsprechenden bundesdeutschen Polizeitruppe vor.60 Heinemann, der nicht nur das eigenmächtige Vorgehen des Regierungschefs aus demokratischer Sicht für untragbar hielt, sondern auch dezidiert theologisch gegen die Aufrüstungspläne als solche argumentierte, trat daraufhin von seinem Amt zurück.61 Die offen ausgetragene Kontroverse Adenauers mit dem EKD-Ratsmitglied Heinemann löste ein erhebliches Medienecho aus und musste aus Sicht des Kanzlers geeignet erscheinen, die evangelische Einstellung zur Wiederbewaffnung negativ zu beeinflussen.62 Dies galt umso mehr, als Martin Niemöller im Oktober 1950, nachdem Adenauer den Rücktritt Heinemanns angenommen hatte, in die Auseinandersetzung eingriff und dem Bundeskanzler in einem offenen Brief eine »Remilitarisierung Westdeutschlands« hinter dem Rücken der Deutschen und entgegen dem Willen der Mehrheit des Volkes vorwarf. Vertreter der evangelischen Bruderräte unterstützten Niemöller mit einem gleich ausgerichteten Schreiben vom selben Tag.63 Das öffentlichkeitswirksame Agieren des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten diente quasi als Fokuspunkt der entschlossenen Wiederbewaffnungsgegner, indem es bestehendem Unmut eine Stimme verlieh und neuen Protest mobilisierte.64 Tatsächlich schreibt etwa Frederic Spotts der Opposition Niemöllers und Heinemanns gegen Adenauers Pläne einen deutlichen Einfluss auf die öffentliche Meinung zu, was er mit zeitgenössischen amerikanischen Meinungsumfragen unterstreicht: Demnach sank die Zustimmung zu einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag zwischen Oktober 1950 und Juni 1951 unter befragten Protestanten von 64 auf 48 Prozentpunkte.65

60 Zum Text des Memorandums siehe: Memorandum des Bundeskanzlers über die Siche­ rung des Bundesgebietes nach innen und außen [29.8.1950] (Dok. 13). In: Enders, Ulrich; Reiser, Konrad (Bearb.): Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Band 3: 1950. Wortprotokolle. Hg. von Hans Booms, Boppard am Rhein 1986, 86–90. 61 Siehe 103. Kabinettssitzung am Dienstag, den 10. Oktober 1950. In: Enders, U. / Reiser,  K. (Bearb.): Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 31–42, hier 32f; vgl. zudem Greschat, M.: Protestantismus, 33f; Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 120, 129. 62 Vgl. u. a. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 105 f. 63 Zit. nach Greschat, Martin: »Er ist ein Feind dieses Staates!«. Martin Niemöllers Aktivitäten in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland. In: Zeitschrift für Kirchliche Zeitgeschichte, Bd. 114 (2003), 333–356, hier 346; vgl. ebd. für das Schreiben der Bruderräte. 64 Vgl. dazu auch Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 130, 141. 65 Vgl. Spotts, F.: Kirchen und Politik, 218.

320  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Gerade aufgrund der moralischen Integrität, die Männer wie Heinemann und Niemöller zugeschrieben wurde, konnte dem Kanzler deren Widerspruch nicht gefallen und er äußerte sich entsprechend indigniert: Niemöller nannte er »geisteskrank« und unterstellte ihm – aufgrund der einseitigen Kritik an der Bundesregierung, nicht aber an jener der DDR – sogar »Landesverrat«.66 Evangelische CDU-Abgeordnete beeilten sich, der Regierung den Rücken zu stärken und betonten auf dem Bundesparteitag der Christdemokraten im Oktober 1950, Niemöllers Äußerungen seien nicht auf Grundlage gemeinsamer Beratung erfolgt, womit ausgesagt wurde, sie könnten keine Allgemeinverbindlichkeit für die deutschen Protestanten beanspruchen.67 Wesentlich bedeutsamer für die öffentliche Debatte und für die Position der Bundesregierung dürfte jedoch die Zurückhaltung und Kritik kirchlicher Akteure insbesondere angesichts Niemöllers scharfem Protest gewesen sein. Noch im August 1950 hatte der Rat der EKD erklärt: »Einer Remilitarisierung Deutschlands können wir das Wort nicht reden, weder, was den Westen, noch was den Osten anbelangt.«68 Nun jedoch distanzierten sich vor allem lutherische Kreise, etwa der bayerische Landesbischof Meiser und die hannoversche Landessynode, von Niemöller.69 Aus ihrer Perspektive musste dessen Intervention als Übergriff eines Kirchenvertreters in staatliche Angelegenheiten inkompatibel mit der Zweireichelehre sein – dass eine öffentliche Ablehnung solcher Kritik automatisch ebenfalls eine politische Stellungnahme bedeutete, übersah man dabei geflissentlich.70 Zudem bestanden auf lutherischer Seite auch inhaltliche Zweifel an einer kategorisch pazifistischen Position wie jener Niemöllers. So fragte Bischof Meiser auf der Sitzung des Rates der EKD am 17. November 1950, ob konsequente Kriegsdienstverweigerung die Kriegsgefahr banne, oder nicht eher vergrößere – womit er eine Nähe zu den entsprechenden katholischen Überlegungen demonstrierte.71 Einige Mitglieder des Rates brachten den grundsätzlichen Positionen Niemöllers und Heinemanns zwar Verständnis entgegen, sorgten sich angesichts der verschiedenen innerhalb der Kirche bestehenden Meinungen zum Thema Wiederbewaffnung aber um die Einheit der EKD, wenn deren Vertreter eindeutig politisch Stellung bezögen. Um den sich anbahnenden innerkirchlichen 66 Zit. nach Greschat, M.: Protestantismus, 33. 67 Zum Bundesparteitag vgl. Hoeth, Lutz: Die Wiederbewaffnung Deutschlands in den Jahren 1945–1958 und die Haltung der Evangelischen Kirche. Norderstedt 2008, 153. 68 Erklärung des Rates der EKD zur Wiederaufrüstung [27.8.1950] (Dok. 16 C1). In: Silomon, A. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 4, 275f, hier 275. 69 Vgl. Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 131. 70 Vgl. dazu auch Kubbig, Bernd W.: Kirche und Kriegsdienstverweigerung in der BRD. Stuttgart 1974, 22 f. 71 Zu Meisers Äußerung siehe Bericht Hartensteins über die Tagung der Kirchenkonferenz und des Rates der EKD vom 17. November 1950. In: Silomon, A. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 4, 408–417, hier 414.

Die bundesdeutsche Debatte über die Wiederbewaffnung  321

Konflikt zu entschärfen, erklärte der Rat, die Kirchengemeinschaft schließe nicht die Übereinstimmung der politischen Positionen ein, auch nicht in puncto Wiederbewaffnung. Die Schärfe der Wortmeldungen Niemöllers und Adenauers wurden kritisiert, Heinemanns Entschluss zum Rücktritt gewürdigt. An die Kirchengemeinde erging der Aufruf, ihre »Verantwortung im öffentlichen Leben« wahrzunehmen, wobei Amtsträger aber um Zurückhaltung in ihren Äußerungen gebeten wurden.72 Damit wurde die Haltung zu einem bundesdeutschen Verteidigungsbeitrag kirchenoffiziell als Frage des politischen Ermessens dargestellt, die aus dem Glauben heraus unterschiedlich beurteilt werden konnte.73 Dieser Kompromiss sollte die Debatte auf evangelischer Seite in den folgenden Jahren prägen. Im Laufe des Jahres 1951 verhärteten sich die innerkirchlichen Fronten in der Wiederbewaffnungsfrage. Der Lutheraner Eberhard Müller (1906–1989), Vorsitzender des Leiterkreises der Evangelischen Akademien, lehnte Niemöllers Position zunächst auf der Hamburger Synode im April 1951 mit Verweis auf die Zweireichelehre als unzulässige Intervention in die Politik ab.74 Im November griff er dann allerdings selbst äußerst öffentlichkeitswirksam in die politische Debatte ein: Müller organisierte eine Diskussionsveranstaltung von verschiedenen Kirchenführern mit Konrad Adenauer, zu der er ausgesprochene Gegner der Regierungspolitik gar nicht erst einlud. Unwidersprochen durch den Veranstalter implizierte die Presseberichterstattung, dass es sich um ein offizielles Gespräch staatlicher und kirchlicher Vertreter handelte  – was angesichts des Gesamttenors des Treffens pikant war: Da Wiederbewaffnungsgegner nicht anwesend waren, entstand der Eindruck, die evangelische Kirche stimme mit der Verteidigungspolitik Adenauers völlig überein. Müller unterstrich das vermeintlich harmonische Bild, indem er behauptete, die Kirche stünde geschlossen hinter der Politik des Kanzlers.75 In der Tat hatte der EKD-Ratsvorsitzende Otto Dibelius auf der Veranstaltung erklärt: Wir müssen uns in den rein politischen Fragen zurückhalten, auch wenn wir weitgehend mit Ihnen übereinstimmen. Sie werden aber auch keine Fronde einer Konfession erleben, wie sie Bismarck erleben musste.76

72 Zit. nach Greschat, M.: Protestantismus, 39. 73 Vgl. auch Blaschke, Peter H. / Oberhem, Harald: Militärseelsorge: Grundlagen, P ­ ro­bleme, Aufgaben. Regensburg 1985, 3. 74 Vgl. Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 150 f. Vogel bemerkt in diesem Zusammenhang, dass »[d]er stete Verweis auf die Zwei-Reiche-Lehre« auf ein noch unklares Verhältnis zur Demokratie und der eigenen Rolle darin hinwies, vgl. ebd., 154. 75 Siehe Pöpping, Dagmar: Einleitung. In: Dies. (Bearb.): Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 5: 1951. Göttingen 2005, 7–31, hier 10; vgl. auch Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 164 f. 76 Zit. nach Greschat, M.: Protestantismus, 40.

322  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Im Rat der EKD herrschte jedoch erheblicher Unmut über die erzielte Außenwirkung des Gesprächs mit Adenauer. Auch Ratsmitglieder, die Müllers Position teilten, zeigten sich irritiert über die öffentliche Darstellung, da der Inhalt der Veranstaltung eigentlich vertraulich hätte bleiben sollen – zumal die Presse einen von Müller selbst unterzeichneten Bericht zur Veranstaltung abdruckte, den dieser offenkundig gezielt lanciert hatte.77 Den Vorfall wollte man so jedenfalls nicht stehen lassen. Dibelius wurde daher beauftragt, Müller das Befremden des Rates über die ausführliche und tendenziöse Berichterstattung zum Ausdruck zu bringen, da, wie der Ratsvorsitzende an Müller schrieb, der falsche Eindruck entstanden sei, die gesamte EKD habe sich mit dem Kanzler solidarisiert.78 Ungeachtet der Kritik erfolgte von lutherischer Seite weitere Unterstützung der Regierungspolitik, etwa durch den im Oktober 1951 gegründeten Kronberger Kreis, der seinem Selbstverständnis nach als Gegengewicht zu den in der Öffentlichkeit sehr präsenten Akteuren Niemöller und Heinemann fungieren sollte.79 Neben Eberhard Müller gehörte unter anderem auch der hannoversche Landesbischof Lilje zu den Gründungsmitgliedern. Die erste öffentlichkeitswirksame Aktion der Gruppe, deren erklärtes Ziel eine Einflussnahme auf die politische Willensbildung im Land war, stellte die Denkschrift »Wehrbeitrag und christliches Gewissen« vom Februar 1952 dar. Diese publizistische Intervention vertrat die Möglichkeit einer gewissensmäßigen Rechtfertigung der Wiederbewaffnung und wurde, ganz gemäß der Intention ihrer Autoren, von den Medien als Unterstützung der Adenauer’schen Politik durch die Mehrheit der EKD aufgefasst und in der Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommen. Der Protest innerkirchlicher Kritiker an dieser Suggestion konnte dem entstandenen Eindruck nicht erfolgreich entgegenwirken.80 Dabei unterstützten keineswegs alle lutherischen Kirchenführer entschieden die Verteidigungspolitik der Bundesregierung. So stand zwar Niemöller in der Kritik, die anderen erklärten Wiederbewaffnungsgegner hingegen sahen sich nicht im selben Maße innerkirchlicher Gegnerschaft ausgesetzt.81 Zudem mahn 77 Vgl. Walter, Uwe: Welt in Sünde – Welt in Waffen. Der Streit um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und die Evangelische Akademie Bad Boll. Online-Texte der Evangelischen Akademie Bad Boll, 2006. URL: https://www.ev-akademie-boll.de/fileadmin/user_​ upload/04_Akademie/01_Akademie/Walter_Welt_in_Suende.pdf (Stand 20.3.2020). 78 Vgl. Schreiben Dibelius’ an Müller [13.12.1951] (Dok. 26E6). In: Pöpping, D. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 5, 480–482; Protokoll [Niederschrift über die 26. Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am 7. Dezember 1951 in Berlin-Spandau] (Dok. 26B). In: Pöpping, D. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 5, 435–444, hier 436. 79 Vgl. Sauer, Thomas: Der Kronberger Kreis. In: Friedrich, Norbert / Jähnichen, Traugott (Hg.): Gesellschaftspolitische Neuorientierungen des Protestantismus in der Nachkriegszeit. Münster 2002, 37–62, hier 40 f. 80 Vgl. Loos, M.: Antikommunistische und anti-antikommunistische Stimmen, 210f; Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 166 f. 81 Vgl. dazu Pöpping, Dagmar: Einleitung. In: Dies. (Bearb.): Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 6: 1952, Göttingen 2008, 7–31, hier 13.

Die bundesdeutsche Debatte über die Wiederbewaffnung  323

ten manche Lutheraner auch hinsichtlich regierungsfreundlicher Äußerungen zur politischen Zurückhaltung. Bischof Meiser etwa meinte, es sei nicht Aufgabe der Kirche, sich »in politische Entscheidungen einzumischen«, eine Aussage, die Adenauer bezeichnenderweise ablehnte: »Es könne sehr wohl sein, daß in einer bestimmten Situation auch die Kirche einen politischen Einfluß nehmen müsse.«82 Dass der Kanzler zwar Niemöllers Einmischung scharf kritisierte, Meisers Zurückhaltung jedoch für unangebracht hielt, zeigt recht klar seine Erwartung kirchlicher Schützenhilfe bei der Umsetzung der verteidigungspolitischen Vorhaben. Derartige Unterstützung erfolgte indes meistens seitens evangelischer Laien, zumal innerhalb der CDU. Hier hatte sich insbesondere der 1952 gegründete Evangelische Arbeitskreis das Ziel gesetzt, angesichts des Konflikts mit Niemöller und Heinemann die evangelischen Wähler zu umwerben. In einer Resolution vom März 1952 lehnte der Arbeitskreis in diesem Sinne sowohl eine neutrale Haltung im Ost-West-Konflikt, als auch den Pazifismus generell ab und stellte sich stattdessen klar hinter die Außen- und Verteidigungspolitik Adenauers.83 Die Wiederbewaffnung war aus dieser Perspektive keine theologische, sondern eine rein politische Frage, die es entsprechend zu entscheiden galt. Eine ähnliche Argumentation verfolgten auch einige prominente evangelische Theologen. Der konservative Lutheraner Walter Künneth (1901–1997) etwa hielt im Oktober 1952 auf der Synode von Elbingerode einen Vortrag über »[d]ie öffentliche Verantwortung des Christen«, in dem er ausführte: »Abgenommen ist dem Staatsbürger […] auf jeden Fall die Verantwortung für die Entscheidungen der sogenannten ›großen Politik‹, etwa über das beste Wirtschaftssystem, über Wehrdienst oder über Krieg und Frieden.« Diese recht obrigkeitshörig wirkende Position relativierte Künneth durch die Aussage, dass der Christ durch öffentliche Äußerung und politisches Engagement durchaus Einfluss auf die Gesellschaft nehmen solle.84 Seine eigentliche Stoßrichtung scheint daher die Ablehnung einer theologisch begründeten Oppositionshaltung gewesen zu sein, wie Niemöller und Heinemann sie einnahmen. Künneths Position blieb freilich nicht unwidersprochen. So kritisierte der württembergische Landesbischof Martin Haug (1895–1983), dass hier »die Mitverantwortung des Christen am

82 Beides zit. nach: Präses D. Held über das Gespräch in Königswinter. In: Kirche in der Zeit. Nachrichtendienst des Presseverbandes der Evangelischen Kirche im Rheinland e. V. und des Evangelischen Presseverbandes Kurhessen-Waldeck e. V., Jg. 7, Nr. 1/2 (1952), 21f, hier 22. 83 Vgl. Loos, M.: Antikommunistische und anti-antikommunistische Stimmen, 208 f. 84 Aus dem Vortrag Walter Künneths »Die öffentliche Verantwortung des Christen« auf der EKD -Synode in Elbingerode am 8.10.1952, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Elbingerode 1952. Bericht über die vierte Tagung der ersten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 6. bis 10. Oktober 1952. Hannover 1954, 86, vgl. auch 87.

324  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  staatlichen Leben und die ständige Beunruhigung des Gewissens« nicht ausreichend betont wurden.85 Die Wiederbewaffnungsdebatte polarisierte die in theologischen Fragen ohne­ hin nie einheitlich denkende EKD derart, dass Kirchenführer wie Dibelius und Lilje regelrecht um den Bestand der Gemeinschaft fürchteten.86 Die Regie­rung der DDR tat das Ihre dazu, die bestehenden Gräben weiter zu vertiefen, indem sie mit Kampfbegriffen wie »NATO -Kirche« oder »Atomkriegs-Kirche« gegen die Unterstützer der Adenauer’schen Politik in der EKD polemisierte.87 Letztlich wurde die innerkirchliche Auseinandersetzung von den politischen Realitäten überholt. Als die Vorläuferinstitution des Bundesverteidigungs­ministeriums, die Dienststelle des Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen – nach ihrem Leiter Theodor Blank (1905–1972) meist »Dienststelle Blank« oder »Amt Blank« genannt – mit der Ausarbeitung der Wehrgesetze begann, wurden die Kirchen in den Prozess eingebunden. Im Laufe des Jahres 1952 verlief die Mitarbeit auch seitens der EKD, wie Dagmar Pöpping es formuliert, bereits »in geregelten Bahnen, freilich unter Ausschluss der Öffentlichkeit«.88 Nicht alle in der evangelischen Kirche akzeptierten diese Entwicklung. Als sich in den Jahren 1954 und 1955 unter dem Banner der »Gesamtdeutschen Aktion« noch einmal eine breite Opposition gegen die Wiederbewaffnung formierte  – unterstützt unter anderem von SPD und Gewerkschaften  –, waren auch Vertreter beider Kirchen beteiligt, von denen die prominenteren der protestantischen Seite zuzuordnen waren: Neben zahlreichen Pfarrern war etwa Gustav Heinemann, der 1952 aus der CDU ausgetreten war und die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) mitbegründet hatte, Teil der Protestbewegung.89 Ihren Höhepunkt fanden die Proteste in einer Kundgebung in der Frankfurter Paulskirche am 29. Januar 1955, die ein breites Medienecho hervorrief. Während konservative Kritiker Heinemann und involvierte SPD-Politiker gerne als moskauaffin schmähten, um deren Opposition als sowjetische Einflussnahme zu diffamieren, stellte die Mitwirkung bekannter Theologen, allen voran des prominenten protestantischen Theologen Helmut Gollwitzer (1908–1993), für die Befürworter der Wiederbewaffnung ein argumentatives Problem dar.90 Scharfe Kritik an der Versammlung blieb dennoch nicht aus. Gerade die katholische Presse reagierte äußerst sensibel auf die Paulskirchenkundgebung und erregte sich ob der »evangelischen Pfarrer-Opposition«, welche die EKD zur Neutralität 85 Zit. nach Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 175, Fn. 73. 86 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 300f; Pöpping, D.: Einleitung (2008), 13.  87 Zit. nach Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 309. 88 Pöpping, D.: Einleitung (2008), 18. 89 Zu Heinemanns Bruch mit der CDU siehe Treffke, Jörg: Gustav Heinemann: Wanderer zwischen den Parteien. Eine politische Biographie. Paderborn u. a. 2009, 105–116. 90 Vgl. Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 192–195.

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in der Wiederbewaffnungsfrage veranlasst habe.91 Offenbar hatten die Redner der Versammlung wunde Punkte getroffen, wie etwa Heinemann mit seinem Angriff auf die »Überhöhung der Kanzlerpolitik zu einer Politik der christlichen Einheitsfront«.92 Diese Episode ist nicht nur ein Beispiel für das Fortbestehen von Opposition gegen die Wiederbewaffnung quer durch verschiedene gesellschaftliche Gruppen noch Mitte der 1950er Jahre. Sie markiert auch einen zentralen Moment in der Annäherung zwischen evangelischer Kirche und Sozialdemokratie in der Bundesrepublik. Während es nach Kriegsende stets Kräfte gegeben hatte, die auf eine Verbesserung des Verhältnisses hinarbeiteten, blieben auf beiden Seiten Vorbehalte. Im Rahmen der Paulskirchenbewegung kam es jedoch zu einem nachhaltigen Wandel. Dies wurde nicht zuletzt durch den Übertritt zahlreicher GVP-Mitglieder in die SPD befördert, nachdem ihre Partei bei der Bundestagswahl 1953 mit lediglich 1,16 Prozent der Stimmen dramatisch gescheitert war und infolge dessen bis 1957 weitgehend in der Sozialdemokratie aufging. Auch Heinemann selbst trat der SPD bei und bemühte sich dort gemeinsam mit anderen Vertretern der kirchlichen Bruderschaften darum, die Verbindung der Partei zum Protestantismus zu stärken, wozu unter anderem die Zeitschrift »Politische Verantwortung« unter der Leitung Johannes Raus gegründet wurde. Auf dem Bad Godesberger Parteitag 1959 setzte sich Heinemann schließlich bei den Delegierten für die Übernahme der neuen Formel von der »Zusammenarbeit mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne einer freien Partnerschaft« ins Parteiprogramm ein.93 Michael Klein bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die SPD und die betroffenen protestantischen Kreise sehr pragmatisch agierten: Die Zusammen­ arbeit erfolgte zunächst häufig weniger aus tiefer Überzeugung, denn aus nüchternen Nützlichkeitserwägungen, wobei sowohl die Wandlung der SPD zur inklusiven Volkspartei als auch ein Prozess »innerprotestantischer Modernisierung« eine Rolle spielten.94 Die Gründung der GVP sowie der Übertritt zur SPD zeigten zudem die wachsende Verankerung des Prinzips der parlamentarischen Demokratie im Protestantismus.95 Mit dieser Beurteilung stimmen die Überlegungen der vorliegenden Untersuchung zur demokratisch integrierenden 91 Zit. nach Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 244. 92 Zit. nach Die Kundgebung in der Paulskirche. In: Kirche in der Zeit. Evangelischer Informations- und Nachrichtendienst, Jg. 10, Nr. 2 (1955), 30f, hier 30. 93 Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Godesberger Programm. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen vom Außerordentlichen Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Bad Godesberg vom 13. bis 15. November 1959, 15. URL: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Grundsatz​ programme/godesberger_programm.pdf (Stand 20.3.2020); vgl. Klein, M.: Die Rolle der Evangelischen Kirche, 97; ders.: Westdeutscher Protestantismus, 337f, 345–351. 94 Ebd., 349f, vgl. 346. 95 Vgl. Klein, M.: Die Rolle der Evangelischen Kirche, 97.

326  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Wirkung pragmatischer politischer Problemlösungsstrukturen überein, wobei die hier beschriebenen Vorgänge zeigen, dass ein solcher Prozess auch über gemeinsame Oppositionsarbeit erfolgen kann. Diese Feststellung ist von hoher Bedeutung für die These der Förderung religiöser Liberalität durch Strukturen politischer Kooperation: Die betroffenen protestantischen Kreise suchten nicht um jeden Preis die Nähe zum politischen Machtzentrum, sondern begannen stattdessen, in Zusammenarbeit mit der – verfassungstreuen – parlamentarischen Opposition auf dem Wege demokratischer Meinungsbildung für ihre Überzeugungen einzutreten. Wie bereits erwähnt, gab es im Kontrast zur Paulskirchenbewegung in der EKD keine allgemeine Ablehnung der Wiederbewaffnung. Dies wurde in der Entschließung des Rates der EKD »Um die Wiedervereinigung des deutschen Volkes« vom 3. Februar 1955 unterstrichen, in welcher der Rat zum Thema der EVG -Verträge ausführte: »Es handelt sich hier um Fragen der politischen Einsicht und der politischen Verantwortung, die nach unserer gemeinsamen Überzeugung von dem an Gott gebundenen Gewissen entschieden werden müssen.«96 Die Entscheidung über eine Zustimmung zur Wiederbewaffnung wurde somit – für Politiker wie Staatsbürger gleichermaßen – in den Bereich der persönlichen Gewissensentscheidung gelegt. Man könnte hierin ein progressives Moment sehen, muss jedoch zugleich konstatieren, dass dieser Entschluss auch ein Durchsetzen der lutherischen Position über jene der Bekennenden Kirche bedeutete – und damit eine implizite Bestätigung der Regierungspolitik.97 Zusätzliche Schärfe erhielt die innerprotestantische Wiederbewaffnungsdebatte durch die Überlegungen zur nuklearen Bewaffnung der Bundeswehr. Zwar hatte der Rat bereits im Mai 1954 die Kirchenleitungen aufgerufen, sich bei den politisch Verantwortlichen um ein Ende der atomaren Aufrüstung zu bemühen.98 Allerdings bedeutete dies keineswegs eine geschlossene Ablehnung dieser Waffen oder ihrer Ausrüstung zu Zwecken der Abschreckung. Denn auch in dieser moralisch schwerwiegenden Frage war die evangelische Kirche gespalten. Kritiker eines (bundes)deutschen Verteidigungsbeitrages sahen sich nun erst recht bestätigt. So schrieb der bis dahin nicht explizit gegen die Regierungspolitik argumentierende Gollwitzer Ende 1957 in »Die Christen und die Atomwaffen«, dass die bisherige theologische Begründung für einen gerechten Krieg unter den Bedingungen des nuklearen Wettrüstens nicht mehr anwendbar sei, da die modernen Massenvernichtungswaffen »nur den einen Gebrauch

96 Zit. nach Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 203. 97 Vgl. ebd. 98 Vgl. Appell des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland an alle christlichen Kirchenleitungen wegen der Atom- und Wasserstoffbombe [21.5.1954] (Dok. 44C1). In: Fix, K.-H. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 8, Göttingen 2012, 234f, hier 235.

Die bundesdeutsche Debatte über die Wiederbewaffnung  327

wahllosen Massenmordes« zuließen. Christen müssten daher von vornherein ihre Nichtbeteiligung am Einsatz dieser Kriegsmittel bekunden.99 Gollwitzers Schrift erfuhr große, überwiegend positive öffentliche Resonanz, denn die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung lehnte Anfang 1958 die Stationierung von Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik ab.100 Auch Dibelius, der sich nie gegen die Aufstellung der Bundeswehr ausgesprochen hatte, bezog auf der Berliner Synode 1958 den Standpunkt, es könne mit Atomwaffen keinen gerechten Krieg geben, und folgerte: »Weil wir die Atomwaffen verwerfen, müssen wir den Krieg verwerfen.«101 Doch es gab auch Befürworter einer nuklearen Abschreckungsstrategie. Eberhard Müller etwa befand, eine Sicherung des Friedens durch Atomwaffen sei einer einseitigen Abrüstung (durch den Westen) auf jeden Fall vorzuziehen und der Theologe Walter Künneth ging so weit zu argumentieren, diese Waffen könnten »in den Dienst der Nächstenliebe treten«, indem sie potentielle Angreifer abschreckten.102 Angesichts dieser gegensätzlichen Auffassungen gelangte die Synode zu keiner einhelligen Beurteilung einer möglichen atomaren Aufrüstung. Der Ausschuss für Atomfragen konnte in seiner Erklärung lediglich bemerken: Die unter uns bestehenden Gegensätze in der Beurteilung der atomaren Waffen sind tief; sie reichen von der Überzeugung, daß schon die Herstellung und die Bereithaltung von Massenvernichtungsmitteln aller Art Sünde vor Gott ist, bis zu der Überzeugung, daß Situationen denkbar sind, in denen in der Pflicht zur Verteidigung der Widerstand mit gleichberechtigten Waffen vor Gott verantwortet werden kann.103

Das Ergebnis der Atomwaffendebatte innerhalb der EKD konnte infolgedessen nicht mehr sein als eine »Ohnmachtsformel«, nämlich der Aufruf der Synode, die kirchliche Gemeinschaft zu erhalten und die bestehenden Gegensätze zu überwinden.104 Für die evangelischen Gläubigen bedeutete dies, dass, wie im Falle der allgemeinen Wiederbewaffnung, auch in der Atomwaffenfrage ihre politische Haltung letztlich eine persönliche Gewissensentscheidung darstellte. Die moraltheologische Möglichkeit zur Befürwortung der Regierungspolitik war damit eröffnet. Für Adenauers Politik der Westbindung und der Wiederbewaffnung war dies von großer Bedeutung: Betrachtet man Niemöllers scharfe Kritik an Adenauer und die Reaktionen darauf, lässt sich erahnen, dass eine kollektive 99 Gollwitzer, Helmut: Die Christen und die Atomwaffen, München 1957, 25, vgl. 48. 100 Vgl. Greschat, M.: Protestantismus, 67 f. 101 Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland: Berlin 1958. Bericht über die dritte Tagung der zweiten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 26. bis 30. April 1958. Hannover [ca. 1960], 40, vgl. 39. 102 Ebd., 250, vgl. 248 f. 103 Ebd., 218. 104 Silomon, Anke: Verantwortung für den Frieden. In: Lepp, C. / Nowak, K. (Hg.): Evangelische Kirche im geteilten Deutschland, 135–160, hier 139.

328  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Gegnerschaft der EKD zu den verteidigungspolitischen Plänen des Kanzlers deren Umsetzung stark erschwert oder sogar unmöglich gemacht hätte.105 In diesem Sinne lässt sich die These der Autoritätssymbiose auch negativ formulieren: Die Kirchen können dem Staat Autorität effektiv absprechen, insbesondere in als moralisch relevant wahrgenommenen Fragen. Aus demokratietheoretischer Sicht kann schließlich konstatiert werden, dass die Verständigung der EKD in der Wiederbewaffnungsdebatte auf ein »we agree to disagree«, wie Michael Inacker es ausdrückt, gleichsam ihren eigenen Wert besitzt: Durch das Aushalten divergierender Meinungen und die Anerkennung des Fehlens eines allgemeinverbindlichen Standpunktes wurde eine genuine demokratische Streitkultur eingeübt.106

2. Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik Wie gezeigt, herrschte in den christlichen Kirchen in Summe eine positive oder zumindest pragmatisch-zustimmende Grundhaltung zur Verteidigungspolitik der Regierung Adenauer vor: Während die katholischen Laienverbände – unterstützt vom Episkopat – dem Kanzler öffentlichkeitswirksam den Rücken stärkten, waren die führenden Kräfte der evangelischen Kirche zwar gespalten, die in lutherischen Kreisen vertretene Akzeptanz der Regierungspolitik setzte sich letztlich aber faktisch durch. Durch diese Haltung und ihre im Folgenden noch näher darzustellende Mitarbeit im verteidigungspolitischen Bereich haben die Kirchen die politischen Pläne der Regierung mit ihrer moralischen Autorität maßgeblich unterstützt und damit die Durchsetzung dieser Politik gegenüber einer zunächst äußerst skeptischen Bevölkerung ohne schwerere Konflikte ermöglicht. Dies wirft die Frage nach den Faktoren auf, die diese Einstellung begünstigten: Warum verhielten sich die kirchlichen Autoritäten und die organisierten Laien so, wie sie es taten? Wie bereits mit Blick auf die allgemeine gesellschaftliche Debatte angesprochen, kann auch hier die Angst vor einer militärischen Bedrohung durch die Warschauer-Pakt-Staaten kaum als einziger Faktor angesehen werden; vielmehr kann eine grundsätzliche Zustimmung zur Politik der Bundesregierung bzw. zum politischen System der Bundesrepublik als Ganzes als Motivation der kirchlichen Unterstützung gelten. Konkret bedeutet dies zweierlei: Zum einen machte die Berücksichtigung christlicher Moralvorstellungen und kirchlicher Interessen durch die Politik in Bund und Län-

105 Vgl. dazu auch Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 148. 106 Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 314, vgl. 318; ähnlich äußert sich Wolfrum, E.: Die geglückte Demokratie, 73.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  329

dern – etwa im Bereich des Bildungswesens – die Bundesrepublik für die Kirchen überhaupt verteidigungswürdig. Zum anderen fand aber auch auf dem Feld der Verteidigungspolitik selbst eine Einbeziehung der Kirchen in kooperative Governancestrukturen statt: Wie im Folgenden insbesondere anhand der Themen Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung sowie Militärseelsorge und Soldatenbetreuung verdeutlicht werden soll, band der Staat die Kirchen in den Aufbau der neuen bundesdeutschen Streitkräfte ein, indem er nicht nur diverse Wünsche und Empfehlungen der Kirchen berücksichtigte, sondern ihnen auch Verantwortung im Rahmen der Bundeswehr übertrug. Durch diese Einbeziehung wurden Anreizstrukturen geschaffen, die im Sinne der eingangs präsentierten These die Kirchen gleichsam im Austausch für Mitwirkungsmöglichkeiten zur Unterstützung der Adenauer’schen Verteidigungspolitik motivierten. Dies wiederum stärkte die Autorität des westdeutschen Staates. a)

Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Frage der Kriegsdienstverweigerung

Nachdem Bundesregierung und Bundestag die grundlegende Frage, ob bundes­ deutsche Streitkräfte aufgestellt würden, entschieden hatten, begann die Arbeit an der inhaltlichen Ausgestaltung dieses Prozesses. Als gesellschaftlich anerkannte moralische Autoritäten und Verfechter ethischer Standards gerade im Hinblick auf solch existentielle Themen wie Krieg und Tod, beschäftigte der Aufbau der Bundeswehr die christlichen Kirchen zwangsläufig. Dies begann bereits bei der Art und Weise der Rekrutierung der künftigen Soldaten. Bestanden die ersten, im Jahr 1955 aufgestellten Verbände noch ausschließlich aus Freiwilligen, war den Planern des Bundesverteidigungsministeriums klar, dass mit einer reinen Berufsarmee die in den EVG -Verträgen anvisierte Truppenstärke von 500.000 Mann nicht zu erreichen war. Die Bundesregierung beschloss daher die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, deren gesetzliche Grundlage, das »Wehrpflichtgesetz« (WPflG), am 4. Mai 1956 im Bundestag eingebracht wurde.107 Da mit der Einführung der Wehrpflicht gleichzeitig die gesetzliche Ausgestaltung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gemäß Art. 4 Abs. 3  GG erforderlich wurde, bestand auf kirchlicher Seite reges Interesse an dieser Gesetzgebung. Insbesondere innerhalb der evangelischen Kirche war die Kriegsdienstverweigerung ein viel diskutierter Sachverhalt. Bereits im Friedenswort der Synode aus dem Jahr 1950 hieß es: »Wer um des Gewissens willen den Kriegsdienst

107 Vgl. Blanks Darlegungen in Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 143. Sitzung (2. WP), 4.5.1956, 7480 f.

330  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  verweigert, soll der Fürsprache und der Fürbitte der Kirche gewiß sein.«108 Im September des folgenden Jahres forderte der Bruderrat den Rat der EKD mit Bezug auf ebendieses Wort auf, »die Bundesregierung den Worten der Synode entsprechend um einen Rechtsschutz für diejenigen zu bitten, die um des Gewissens willen den Kriegsdienst verweigern«. Ergänzend dazu wünschte der Bruderrat eine Beratung der Regierung durch die Kirche, um zu klären, was Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen bedeute.109 Zudem sollte in den Gemeinden »das Verständnis dafür geweckt werden, dass die Verweigerung des Kriegsdienstes heute eine ernsthafte Möglichkeit christlicher Entscheidung darstellt«.110 Diese Position blieb dabei keineswegs auf barthianische Kreise beschränkt. Auch der bayerische Landesbischof Meiser erklärte in einem Interview, die Kirche sei sich einig über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Kriegsdienstverweigerung und der Staat dürfe derartige Gewissensentscheidungen seiner Bürger nicht missachten. Ebenso bekannte sich der hannoversche Bischof Lilje ausdrücklich zum rechtlichen Schutz von Kriegsdienstverweigerern.111 Auf der Synode von Espelkamp im Jahr 1955 wurde schließlich ein Ausschuss eingesetzt, um eine entsprechende Leitlinie zu konzipieren. Im Dezember desselben Jahres legte dieses Gremium einen »Ratschlag zur geistlichen Regelung des Schutzes der Kriegsdienstverweigerer« vor, den der Rat der EKD einstimmig annahm. Der Ratschlag enthielt unter anderem folgende Punkte: Die Materie der Kriegsdienstverweigerung solle Bestandteil des Wehrpflichtgesetzes sein und nicht separat geregelt werden; das Recht zur Verweigerung müsse auch in Friedenszeiten in Form eines zivilen Ersatzdienstes bestehen; neben der prinzipiellen müsse auch eine situationsbezogene Kriegsdienstverweigerung anerkannt werden; Kriegsdienstverweigerer sollten eine angemessene seelsorgerliche Betreuung erhalten.112 Gegenüber diesen klaren evangelischen Forderungen war die katholische Position zu Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung deutlich ambivalenter. Die bereits zitierte Verurteilung einer generellen Verweigerung des Wehrdienstes als nicht mit christlichen Werten vereinbar durch Kardinal Frings befand sich ganz auf der Linie des Heiligen Stuhls: Noch Ende 1956 mahnte Pius XII. in der Tradition der Lehre vom gerechten Krieg, dass Katholiken nicht in Berufung auf 108 Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland: Berlin-Weissensee 1950, 386. 109 Schreiben des Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland an den Rat der EKD [5.9.1951] (Dok. 24D2). In: Pöpping, D. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 5, 353–356, hier 354. 110 Ebd., 355. 111 Vgl. Wehrdienst und Kriegsdienstverweigerung. In: Kirche in der Zeit. Nachrichtendienst des Presseverbandes der Evangelischen Kirche im Rheinland e. V. und des Evange­ lischen Presseverbandes Kurhessen-Waldeck e. V., Jg. 7, Nr. 1/2 (1952), 22 f. 112 Vgl. Greschat, M.: Protestantismus, 60 f.; Kubbig, B. W.: Kirche und Kriegsdienstverweigerung, 29 f.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  331

ihr Gewissen den Kriegsdienst verweigern könnten, wenn eine legitime, demokratische Regierung zur Landesverteidigung aufriefe.113 Dies heißt indes nicht, dass Kriegsdienstverweigerung im deutschen Katholizismus per se abgelehnt wurde. So forderten beispielsweise BDKJ und Katholische Junge Mannschaft – die als Jugendverbände die potentiellen Bundeswehrrekruten im katholischen Milieu vertraten – die Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen als Voraussetzung für die bewaffnete Landesverteidigung. Mehrere katholische Bischöfe billigten die entsprechende Resolution ausdrücklich.114 Als zusammenfassende Darlegung der katholischen Position können die Ausführungen des Theologen P.  Johannes Hirschmann SJ gelten, der für die katholische Kirche als Gutachter vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages auftrat: Hirschmann sprach dem Staat das Recht zur Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht zu und assoziierte damit eine korrespondierende Pflicht zum Wehrdienst für den einzelnen Staatsbürger. Zugleich konstatierte er die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und erklärte, staatlicher Gewissenszwang in diesem Zusammenhang sei gänzlich inakzeptabel. Anders als viele evangelische Theologen und Kirchenleute erkannte nach Hirschmann die katholische Kirche jedoch ausschließlich die situative Verweigerung angesichts eines konkreten ungerechten Krieges an, nicht aber eine generelle Kriegsdienstverweigerung.115 Diese kirchlichen Positionen wurden in der Bundesregierung genauestens registriert. In seiner Rede zur Begründung des Wehrpflichtgesetzes vor dem Bundestag erklärte der inzwischen zum Bundesverteidigungsminister ernannte Theodor Blank die Behandlung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in §§ 25–27 der Vorlage explizit mit den Wünschen der EKD: »Indem der Gesetzentwurf dieses Recht behandelt, befindet er sich u. a. in Übereinstimmung mit dem ausdrücklichen Wunsch der evangelischen Kirche, die dieserhalb [sic] an die Bundesregierung herangetreten war.«116 Inhaltlich orientierte sich der Regierungsentwurf zur Regelung der Kriegsdienstverweigerung allerdings weder an den Vorstellungen der evangelischen, noch der katholischen Kirche, da lediglich eine grundsätzliche Verweigerungshaltung anerkannt werden sollte: Wer sich aus grundsätzlicher religiöser oder sittlicher Überzeugung allgemein zur Gewaltlosigkeit in den Beziehungen der Staaten und Völker bekennt und deswegen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, hat statt des Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst außerhalb der Streitkräfte zu leisten.117 113 Pius XII.: L’inesaurabile mistero. In: AAS 49 (1957), 5–22, hier 19. Deutscher Text in: Herder Korrespondenz, Jg. 11 Nr. 4 (1957), 173–180. 114 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 100. 115 Vgl. ebd., 234–236. 116 Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 143. Sitzung (2. WP), 4.5.1956, 7483. 117 Deutscher Bundestag: Drucksache 2/2303, Entwurf eines Wehrpflichtgesetzes, 12.4.1956, § 25 Satz  1.

332  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Die oppositionelle SPD versäumte nicht, auf diese Diskrepanz hinzuweisen und rügte, die Bundesregierung habe den Ratschlag der EKD offenbar nicht hinreichend beachtet.118 Auch die Kirchen selbst meldeten sich zu Wort: Hermann Kunst, der Beauftragte des Rats der EKD bei der Bundesregierung, zeigte sich enttäuscht über die restriktive Handhabung des Verweigerungsrechts: Der Regierungsentwurf hat sich für eine sehr enge, man kann vielleicht sogar sagen, die engstmögliche Fassung der Bestimmung des Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen entschlossen. Er trägt an keiner Stelle den von den Synoden der Evangelischen Kirche und sonst vorgetragenen Bitten Rechnung. Wir bedauern dies.119

In ähnlicher Weise kritisierte der katholische Gutachter, Pater Hirschmann, dass der Regierungsentwurf situationsbedingte Gewissensentscheidungen nicht berücksichtige, sondern einzig die grundsätzliche Ablehnung jeglichen Wehrdienstes anerkenne.120 Auch im weiteren Verlauf der parlamentarischen Arbeit am Wehrpflichtgesetz spielten die Positionen der Kirchen und theologische Argumente eine auffallend prominente Rolle. Nachdem im Rahmen der Ausschussarbeit die grundlegende Ausrichtung des § 25 WPflG nicht modifiziert worden war, nach wie vor also lediglich die grundsätzliche Ablehnung militärischer Gewalt als Verweigerungsgrund akzeptiert werden sollte, griff die SPD das Regierungslager unter ausdrücklicher Berufung auf die kirchlichen Forderungen an. Gerade in den Plenarsitzungen vom 4. und 6. Juli 1956 wurde dabei über weite Strecken eine regelrecht theologische Debatte geführt, da die Unionsparteien ebenfalls für sich in Anspruch nahmen, den Standpunkt der Kirchen zu vertreten. Den kirchlichen Wunsch nach einer weiten Auslegung der Gewissensentscheidung aufgreifend, ermahnte etwa der SPD-Abgeordnete Ludwig Metzger die Regierungsparteien: Sie können jetzt als einfacher Gesetzgeber nicht hergehen und anfangen, das Gewissen so zu modeln und zu drehen, wie Sie glauben, daß es in die Staatsraison hineinpaßt, sondern es gilt da schon der Satz von Pater Hirschmann, daß das Gewissen des Einzelnen über dem Staat, also auch den Interessen des Staates, seiner Existenz steht und daß dadurch der Staat sich überhaupt erst würdig und lebensfähig macht.121

Bemerkenswert ist auch, welche Bedeutung Metzgers Parteigenosse Carlo Schmid der moraltheologischen Perspektive auf die Gewissensfrage zuschrieb, als er in seiner Rede die Grenzen staatlicher Autorität auslotete: 118 Vgl. Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 143. Sitzung (2. WP), 4.5.1956, 7547. 119  Zit. nach Erlebnis auf dem Heuberg. In: Der Spiegel, Nr. 29/1956 (18.7.1956), 9–11, hier 10. Kunst fungierte in dieser Angelegenheit auch als Berichterstatter der EKD im Bundestag. 120  Vgl. ebd. 121  Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 159. Sitzung (2. WP), 6.7.1956, 8851 f.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  333

Die Moraltheologie kann und muß uns Antwort darauf geben, ob es möglich ist, das Gewissen und die Gewissensentscheidung zu relativieren. Ich glaube, daß die Moraltheologie beider christlichen Konfessionen diese Frage eindeutig verneint. Die Gewissensentscheidung des Einzelnen ist etwas schlechthin Absolutes.122

Die Regierungsparteien ließen sich dadurch jedoch ebenso wenig beeindrucken, wie durch die Tatsache, dass die EKD-Synode während der dritten Lesung eine Delegation zum Bundestag entsandte, um ihre Position nochmals zu bekräftigen. Obgleich Delegationsführer Friedrich-Wilhelm Krummacher (1901–1974), Bischof der Pommerschen Evangelischen Kirche, die CDU sogar aufforderte, das Gesetz in der vorliegenden Fassung nicht zu verabschieden, wurde das Wehrpflichtgesetz schließlich mit den Stimmen der Regierungskoalition angenommen, ohne die umstrittenen Bestimmungen des § 25 im Sinne der Kirchen zu verändern.123 In Anbetracht dieser geringen Rücksichtnahme auf kirchliche Forderungen ist es nicht verwunderlich, dass die Abgeordneten der Unions­parteien bemüht waren, ihre Kirchennähe an anderen Stellen zu demonstrieren. So betonte der CDU-Abgeordnete Georg Kliesing mit Blick auf die ebenfalls von der Opposition kritisierte Bestimmung zur Überprüfung der Verweigerungsanträge, wonach die Prüfungsausschüsse »bei ihrer Entscheidung die gesamte Persönlichkeit des Antragstellers und sein sittliches Verhalten zu berücksichtigen« hätten (§ 26 IV 1), er habe bei beiden Kirchen angefragt, ob sie aufgenommen werden solle, und keinen Widerspruch erhalten.124 Ganz abgesehen von der Frage, ob die Regierungskoalition kirchliche Auto­ ritäten womöglich ausschließlich dann zur Kenntnis nahm, wenn es der eigenen Sache diente, wie ein Redner der SPD anmerkte,125 zeigen die hier angeführten Beispiele aus der Bundestagsdebatte zum Wehrpflichtgesetz doch die hohe diskursive Präsenz kirchlicher Argumente. Diese kann als Indikator für die den Kirchen von den Parteien beigemessene moralische Autorität in der Diskussion um die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen dienen. Wenngleich der kirchliche Einsatz den endgültigen Wortlaut des Gesetzes auf den ersten Blick kaum beeinflusst zu haben scheint und die Parlamentsentscheidung aus Sicht der Kirchen sicher unbefriedigend blieb, so fällt doch auf, dass Gutachter und andere Vertreter der Kirchen in die Beratungen stark eingebunden waren und die von ihnen vorgetragenen Standpunkte die Parlamentsdebatte maßgeblich bestimmten. Johanna Vogel meint darüber hinaus sogar, dass »die Vorarbei 122  Ebd., 8853. 123 Vgl. dazu Spotts, F.: Kirchen und Politik, 224–226. 124 Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 159. Sitzung (2. WP), 6.7.1956, 8861; zur abschließenden Fassung des Wehrpflichtgesetzes siehe BGBl. 36/1956, Teil 1 (24.7.1956), 651–661. 125 So MdB Metzger (SPD), in: Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 159. Sitzung (2. WP), 6.7.1956, 8818.

334  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  ten und das Engagement der EKD zweifellos einen wesentlichen Einfluß auf die endgültige Formulierung der entsprechenden Paragrafen der Wehrgesetzgebung gehabt« hätten, indem die Verweigerung des Wehrdienstes als grundsätzliche christliche Option verfochten wurde.126 Anders als in der Frage der Kriegsdienstverweigerung entsprach der Bundestag den Wünschen der Kirchen in einer anderen die Wehrpflicht betreffenden Frage in vollem Umfang, nämlich hinsichtlich der Wehrdienstbefreiung von Geistlichen. § 11 I 1–3 WPflG verfügt die Freistellung hauptamtlich tätiger katholischer wie evangelischer Geistlicher sowie deren Amt entsprechender Geistlicher anderer Bekenntnisse von der Wehrpflicht. Ergänzt wird dies durch die Bestimmung des § 12 II WPflG, wonach Wehrpflichtige, »die sich auf das geistliche Amt […] vorbereiten«, vom Wehrdienst zurückgestellt werden. Blank erklärte das Zustandekommen dieser Passagen des Gesetzes mit der Erfüllung kirchlicher Forderungen: Die Regelung des Kriegsdienstes für die katholischen Geistlichen ist, wie Sie wissen, herkömmlich bestimmt gewesen. Wir mußten bei Gesprächen mit Vertretern der katholischen Kirche deren Wunsch feststellen, auch in Zukunft die katholischen Geistlichen so zu behandeln.127

Bei der hier angesprochenen »herkömmlichen« Regelung ist auf das Reichskonkordat zu verweisen, in dessen Geheimanhang die Wehrpflichtbefreiung katholischer Priester für den Fall der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Deutschen Reich vereinbart worden war. Für nicht permanent in Diözesanverwaltung oder Seelsorge tätige Geistliche war dort allerdings im Kriegsfall noch die Heranziehung zur Militärseelsorge oder zum Sanitätsdienst vorgesehen. In einem Gespräch mit Blank im Mai 1952 bat Böhler darum, diese Bestimmung zugunsten einer allgemeinen Befreiung vom Wehrdienst zu ändern,128 was im Wehrpflichtgesetz schließlich entsprechend umgesetzt wurde. Da mit den evangelischen Landeskirchen eine entsprechende Übereinkunft zunächst nicht bestand, reagierte die Dienststelle Blank auf die ersten, ebenfalls bereits im Jahr 1952 geäußerten Wünsche der EKD nach Gleichstellung evangelischer mit katholischen Geistlichen in Fragen der Wehrpflicht verhalten und lehnte eine pauschale Befreiung zunächst ab.129 Der Rat der EKD ließ Blank jedoch mitteilen, wie der Verteidigungsminister dem Bundestag darlegte, dass man es »für richtig halten würde, wenn die ordinierten Pfarrer nicht zum Wehrdienst 126 Vogel, J.: Kirche und Wiederbewaffnung, 223. 127 Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 157. Sitzung (2. WP), 4.7.1956, 8600. 128 Vgl. Bericht Böhlers über die Wehrdienstbefreiung von Geistlichen [27.5.1952] (Dok. 107). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1950–1955, 380–382, hier 381. 129 Vgl. Assenmacher, Günter: Die Wehrpflichtbefreiung der Geistlichen. Nach dem katholischen Kirchenrecht und dem Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1987, 78 f.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  335

eingezogen werden, um eine ausreichende Seelsorge in der Heimat sicherzustellen«. Diesem Wunsch, so Blank, sei man in der Regierungsvorlage schließlich nachgekommen.130 Neben der Wehrdienstbefreiung war mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auch die Frage des soldatischen Eides verbunden, dessen Modalitäten § 9 des »Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten« (Soldatengesetz, SG) vom 19. März 1956 regelte.131 Dieser Aspekt der Wiederbewaffnung beschäftigte die christlichen Kirchen ebenfalls sehr, denn da nach ihrer Ansicht das Leisten eines Eides einen genuin religiösen Akt darstellte, beanspruchten sie hier die Deutungskompetenz für sich.132 Der Verteidigungsausschuss des Bundestages erkannte dies dahingehend an, dass er die Vertreter der Kirchen zur Frage der Vereidigung anhörte. Für die katholische Seite legte P. Hirschmann dabei dar, dass es in seiner Kirche sowohl Befürworter wie Gegner eines Soldateneides gab: Während erstere vom Eid eine Weckung religiöser Kräfte und eine »Bindung entscheidender staatsbürgerlicher Pflichten an die sittliche Ordnung« erhofften, sorgten sich letztere ob eines Missbrauchs des Eides und einer Ignoranz seine religiöse Bedeutung betreffend.133 Konnte die katholische Kirche folglich hier keine eindeutige Position beziehen, sah dies für die evangelische Kirche ganz anders aus. Der Beauftragte des Rats der EKD, Hermann Kunst, erinnerte zunächst an den Missbrauch des Eides durch die Nationalsozialisten, um vor diesem Hintergrund die Skepsis seiner Kirche hinsichtlich einer Vereidigung der Bundeswehrsoldaten zu erläutern. Mit den Worten des hannoverschen Landesbischof Lilje mahnte er unter anderem, dass es dabei auch um die Verhinderung eines neuen Nationalismus in den Streitkräften ginge. Ebenso warnte er die Abgeordneten, der evangelischen Jugend sei auf Diskussionsveranstaltungen mit Vertretern der Dienststelle Blank ein Wegfallen des Eides in Aussicht gestellt worden, um den Vorbehalten gegen die Wiederbewaffnung entgegenzukommen. 130 Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 157. Sitzung (2. WP), 4.7.1956, 8600. 131 Zum Soldatengesetz siehe BGBl. 11/1956, Teil 1 (21.3.1956), 114–126. 132 Siehe für die katholische Perspektive etwa die gutachterliche Stellungnahme P. Hirschmanns SJ vor dem Verteidigungsausschuss: Deutscher Bundestag: Drucksache 2/2140, Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung (6. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz), 29.2.1956, 16; für eine lutherische Lesart siehe beispielsweise Walter Künneths Ausführungen vor der Synode in Elbingerode 1952: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Elbingerode 1952, 80. Allgemein siehe auch Gensichen, Hans-Werner et al.: Eid. In: Balz, Horst et al. (Hg.): Theologische Realenzyklopädie. Band 9: Dionysius Exiguus – Episkopalismus. Berlin / New York 1982, 373–399. Auch über die Kirchen hinaus wurde der Eid dezidiert als religiöse Handlung gedeutet, wie etwa die Redner von Union und SPD in der entsprechenden Bundestagsdebatte deutlich machten, siehe Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 132. Sitzung (2. WP), 6.3.1956, 6834, 6837. 133 Deutscher Bundestag: Drucksache 2/2140, Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung (6. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz), 29.2.1956, 17, vgl. auch 18–20.

336  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Da die evangelische Jugend darin auch ein Zeichen einer inneren Reform der Streitkräfte erblicke, müsste eine Parlamentsentscheidung für die Einführung des Soldateneides bei ihr entsprechendes Misstrauen auslösen. Kunst brachte seine Forderung mit den Worten auf den Punkt: »Der Rat und die Kirchenkonferenz haben mich einstimmig beauftragt, das Parlament und die Regierung zu bitten, auf den Soldateneid zu verzichten und ihn durch ein Gelübde zu ersetzen.« Zumindest aber, so Kunst weiter, sollte zum Schutze des Gewissens der Jugend von einer Vereidigung der Wehrpflichtigen abgesehen werden.134 Die Abgeordneten des Verteidigungsausschusses maßen den Ausführungen der Kirchenvertreter – und offensichtlich insbesondere Kunsts – allem Anschein nach hohe Bedeutung bei: Mit nur wenigen Gegenstimmen beschloss der Ausschuss, der evangelischen Forderung zu folgen und empfahl dem Plenum, sowohl bei Berufssoldaten wie bei Wehrpflichtigen den Eid durch ein feierliches Gelöbnis zu ersetzen.135 Im Rahmen der weiteren parlamentarischen Behandlung der Eidfrage war die Bundestagsmehrheit jedoch nur im Falle der Wehrdienstleistenden bereit, auf die Vereidigung zu verzichten, für Berufssoldaten wurde hingegen beschlossen, den Eid beizubehalten.136 Obgleich hier letztlich also lediglich die Minimalforderung der evangelischen Kirche erfüllt wurde, zeigt sich doch, dass die Kirchen nicht nur in die Ausarbeitung des Soldatengesetzes einbezogen waren, sondern in diesem Rahmen auch Einfluss geltend machen konnten. Zusammenfassend lässt sich für Soldatengesetz und Wehrpflichtgesetz somit feststellen, dass einerseits klare Kooperationsstrukturen zwischen staatlichen Stellen und den Kirchen bestanden, wie die Anhörung als Sachverständige im Bundestag oder direkte Kontakte zu Abgeordneten und zur Dienststelle Blank. Diese etablierten Kommunikationskanäle erlaubten es den Kirchen, an für sie relevanter Gesetzgebung zu partizipieren und sie in ihrem Sinne zu beeinflussen – ein Fall von Governance for Religions. Andererseits waren die Zugeständnisse der Regierung und ihrer Bundestagsmehrheit an die Kirchen in den hier angeführten Fällen oft eher gering, so dass die Frage im Raum steht, ob sich dadurch bereits die kirchliche Unterstützung der Wiederbewaffnungspolitik erklären lässt. In der Tat muss zu diesem Zweck wohl eine weitere und deutlich tiefergreifende Kooperationsmaßnahme mit in den Blick genommen werden: Die Einrichtung der Militärseelsorge in der Bundeswehr.

134 Ebd., 25, vgl. auch 24–26. 135 Vgl. ebd., 5. Die den theologischen Ausführungen der Kirchenvertreter beigemessene Relevanz wurde auch dadurch unterstrichen, dass die Stellungnahmen dem Ausschussbericht im Wortlaut beigefügt wurden. 136 Zur Plenardebatte siehe Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 132. Sitzung (2. WP), 6.3.1956, 6831–6839.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  337

b)

Militärseelsorge, Lebenskundlicher Unterricht und das Konzept der Inneren Führung

Während aus evangelischer Sicht unter »Seelsorge« heute meist das seelsorgerliche Gespräch verstanden wird, bezeichnet der Begriff nach katholischem Verständnis die gesamte Pastoral im Sinne einer »cura animarum generalis«.137 Beide Konfessionen kennen dabei die Militärseelsorge als spezifisches Aufgabengebiet, das Hans-Dieter Bastian als »die älteste Gruppenseelsorge der Kirche« bezeichnet.138 Da die Tradition kirchlicher Militärseelsorge in Deutschland selbst unter nationalsozialistischer Herrschaft nicht grundsätzlich abgeschafft worden war, kann es kaum verwundern, wenn sie auch unter der neuen demokratischen Verfassung und von einer sich selbst als christlich verstehenden Regierung fortgesetzt wurde. Ausgehend vom Recht auf freie Religionsausübung in Art. 4 II GG und der Garantie der Anstaltsseelsorge in Art. 141 WRV wurde in § 36 I SG festgelegt: »Der Soldat hat einen Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung.« Um dies zu gewährleisten, musste zunächst eine neue Rechtsgrundlage geschaffen werden, denn während für die katholische Kirche noch die Garantie der katholischen Militärseelsorge in Art. 27 RK als fortgeltend angesehen wurde, hatte der Alliierte Kontrollrat die »Evangelische Militärkirchliche Dienstordnung« von 1929 aufgehoben.139 Zum Zwecke einer rechtlichen Neuregelung der Militärseelsorge hatten Bundeskanzleramt und Dienststelle Blank wohl bereits im Herbst 1951, noch im Rahmen der EVG -Planungen, erste inoffizielle Gespräche mit den Kirchen aufgenommen. Die Initiative zum Aufbau einer kirchlich betreuten Seelsorge in der Bundeswehr ging somit also vom Staat aus und wurde als Angebot an die Kirchen herangetragen.140 Einerseits spielte dabei die bestehende Verpflichtung aus Art. 27 RK eine Rolle, andererseits scheinen aber nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch einige der zuständigen Planer in der Dienststelle Blank ein persönliches Interesse an einer Neueinrichtung der Militärseelsorge gehabt zu haben, allen voran der Katholik Blank selbst. Von einem seiner Referenten wurde er zu diesem Thema mit den Worten zitiert:

137 Ziemer, Jürgen: Seelsorge: I. Zum Begriff. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Vierte, völlig überarbeitete Auflage, hrsg. v. Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski, Eberhard Jüngel. Band 7: R–S, Tübingen 2004, 1110f, hier 1111. 138 Bastian, Hans-Dieter: Militärseelsorge. In: Balz, Horst Robert et al. (Hg.): Theologische Realenzyklopädie. Band 22: Malaysia – Minne. Berlin / New York 1992, 747–752, hier 747. 139 Vgl. Lubbers, Franz: Die Neuordnung der Militärseelsorge. Ein Rückblick aus staatlicher Sicht. In: Blaschke, P. H. (Hg.): Domini sumus, 73–82, hier 73. 140 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 224f; Steuber, K.: Militärseelsorge, 13.

338  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  »Ohne eine gute Soldatenseelsorge kann ich mir künftige deutsche Streitkräfte nicht vorstellen.«141 Gleichzeitig wurden auch auf kirchlicher Seite bereits frühzeitig Vorüberlegungen angestellt, etwa seitens des ehemaligen katholischen Feldgeneral­v ikars142 der Wehrmacht, Prälat Georg Werthmann (1898–1980), dem späteren Militärgeneralvikar der Bundeswehr, der bereits im Jahr 1950 für eine katholische Militärseelsorge warb. Auf der anderen Seite bestand in kirchlichen Kreisen aber die Sorge, dass ein Engagement in dieser Sache als vorzeitige Festlegung auf eine Unterstützung der Wiederbewaffnungspolitik verstanden werden könnte. Hinzu kam insbesondere in der EKD ein skeptischer Rückblick auf die staatliche Dominanz in der früheren Wehrmachtsseelsorge und das damit verbundene Bewusstsein, ein derartiges Arrangement nicht wiederholen zu wollen.143 Letztlich befassten sich jedoch beide Kirchen spätestens ab dem Jahr 1951 mit dem Thema der Militärseelsorge  – und damit noch bevor die gesamtgesellschaftliche wie innerkirchliche Wiederbewaffnungsdebatte endgültig entschieden war.144 Hier ist den Kirchen wohl schlicht Pragmatismus zu attestieren: In der Annahme, dass die Gründung der Bundeswehr wahrscheinlich sei, wollte man sich auf die Errichtung einer kirchlichen Seelsorge in der Truppe vorbereiten. Weshalb aber sollten die Kirchen sich auf diesem Feld überhaupt erneut engagieren? Einerseits liegt es auf der Hand, dass sie sich aus ihrem Selbstverständnis heraus dazu verpflichtet sahen, »sich um ihre Gemeindeglieder, die im Militärdienst stehen, seelsorgerisch zu kümmern«, wie es in einem Bericht des Militärseelsorgeausschusses der EKD hieß.145 Andererseits ließe sich kritisch fragen, wie vor dem Hintergrund des zwiespältigen Dienstes von Wehrmachtsgeistlichen im Zweiten Weltkrieg eine erneute Verflechtung von Kirche und Militär zu rechtfertigen war: Teils implizit durch ihr pastorales Wirken an den Soldaten, teils aber auch explizit durch regimetreue Propaganda hatten Seelsorger zur Legitimierung der NS -Kriegspolitik beigetragen und damit auch die 141 Lubbers, F.: Die Neuordnung, 73. Lubbers war Leiter des Referates »Kirchliche Angelegenheiten und Bildungswesen« in der Personalabteilung des Amtes Blank. Vgl. auch Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 224. 142 Der Feldgeneralvikar war, wie später der Militärgeneralvikar, Stellvertreter des gemäß Art. 27 RK bestellten Armeebischofs bzw. Militärbischofs und leitender Kirchenbeamter der katholischen Militärseelsorge, vgl. etwa Röw, M.: Militärseelsorge, 82. 143 Vgl. Ehlert, Hans: Interessenausgleich zwischen Staat und Kirchen. Zu den Anfängen der Militärseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 49, Nr. 1 (1991), 39–72, hier 41, 44 f. 144 Vgl. u. a. Steuber, K.: Militärseelsorge, 13f, 70. 145 Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland: Berlin-Spandau 1957. Bericht über die zweite Tagung der zweiten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 3. bis 8. März 1957. Hg. im Auftrage des Rates von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 1958, 233; vgl. auch Scheffler, Horst: Die evangelische Militärseelsorge. In: Scheffler, H. (Hg.): Kirche unter Soldaten, 193–209, hier 198.

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politische Autorität der Hitler-Regierung bestätigt.146 Zumindest für die katholische Kirche lag aber genau in dieser Erfahrung ein entscheidendes Argument für ein fortgesetztes Engagement in der Militärseelsorge. Wie sich anhand der innerkirchlichen Debatten gut nachvollziehen lässt, erhoffte man sich, stärker als in der Vergangenheit auf die Streitkräfte einwirken zu können und Einfluss im Sinne der kirchlichen Lehre zu nehmen. Denn bei aller Unterstützung, welche die Verteidigungspolitik der Regierung Adenauer aus dem katholischen Milieu heraus erfuhr, bereitete vielen Katholiken der Gedanke an einen notwendigen Rückgriff auf ehemalige Wehrmachtsoffiziere beim Aufbau der Bundeswehr große Sorge. Ein Wiederaufleben des alten, als preußische Untugend empfundenen Militarismus wollte man tunlichst abwenden. In diesem Sinne befand der »Mann in der Zeit« bereits Ende 1950, dass allein die katholische Kirche, »der letzte Hort der Freiheit, der Menschenwürde und des Gewissens« sei und die Ausbreitung eines neuen Militarismus verhindern könne. Ganz konkret betrachtete es die Zeitung als Sache der Seelsorge, den preußischen »Untertanengeist« aus der neuen Armee fernzuhalten.147 Tatsächlich waren sich die katholischen Zeitungen, auch wenn sie in anderen politischen Fragen unterschiedlicher Meinung waren, darin einig, dass bundesdeutsche Soldaten in erster Linie als Menschen und Bürger zu gelten hätten  – womit auch die Staatsbürgerpflicht über dem militärischen Gehorsam rangierte.148 In derartigen Überlegungen lassen sich unschwer zentrale Bestandteile des Leitbildes vom »Staatsbürger in Uniform« ausmachen, das maßgeblich durch den Militärreformer Wolf Graf von Baudissin (1907–1993), Leiter der Sektion Innere Führung in der Dienststelle Blank, entwickelt und öffentlich vertreten wurde.149 Dieses Konzept galt den reformorientierten Kräften in der Dienststelle Blank als zentraler Bestandteil der »Inneren Führung«, welche das die hierarchisch-militärische Organisationsstruktur ergänzende neue Ethos der Bundeswehr darstellen sollte. Gemäß dem »Handbuch Innere Führung«, einer Handreichung für Bundeswehroffiziere, sollten die Hauptaufgaben der Inneren Führung »geistige Rüstung« sowie »zeitgemäße Menschenführung« sein. Der Zusammenhang dieser Begriffe lag in der Überzeugung begründet, dass ein Soldat »die verteidigungswürdigen Werte unserer Lebensordnung kennen und erlebt haben 146 Vgl. Röw, M.: Militärseelsorge, 246–248; 379; Beese, Dieter: Seelsorger in Uniform. Evangelische Militärseelsorge im Zweiten Weltkrieg. Aufgabe – Leitung – Predigt. Hannover 1995, 97–102. 147 Zit. nach Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 127, vgl. auch ebd., 123 f. 148 Vgl. ebd., 127 f. 149 Zu Baudissins Bedeutung für die Konzeption der Inneren Führung siehe beispielsweise Dörfler-Dierken, Angelika: Ethische Fundamente der Inneren Führung, Strausberg 2005; Genschel, Dietrich: Wehrreform und Reaktion. Die Vorbereitung der Inneren Führung 1951–1956. Hamburg 1972, 29 f.

340  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  [muss], um sie vertreten zu können«.150 In einem Aufsatz spitzte Baudissin diese Über­legung dahin zu, »daß Streitkräfte heute nur dann kriegstüchtig sind, wenn sie von den gleichen Impulsen gespeist werden, wie die Gemeinschaft, die es zu verteidigen gilt; wenn sie die gleiche Ordnung repräsentieren«. Um ebendies zu gewährleisten, müsse der Staat Sorge tragen, »daß der Soldat während seiner Dienstzeit nicht selbst auf das verzichten muß, das zu verteidigen er sich entschlossen hat: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der menschlichen Würde«.151 Für Baudissin bedeutete »zeitgemäße Menschenführung« folglich, die Soldaten stets als volle Rechte und Pflichten innehabende Bürger eines freiheitlich-demokratischen Staates zu behandeln. Dies diente dazu, die Bundeswehr an die Wertegrundlage der Bundesrepublik zu gemahnen und sie gleichsam als Armee der Demokratie auf die Verteidigung der freiheitlichen Ordnung einzuschwören.152 Der Bruch dieser Leitkonzeption mit dem traditionellen militärischen Selbstverständnis des preußischen Heeres, der Reichswehr oder der Wehrmacht ist offensichtlich. Insbesondere setzte Baudissin für die Bundeswehr eine Anerkennung des Primats der Politik über die Armee voraus, das heißt der parla­ mentarischen Kontrolle über die Streitkräfte als Teil der Exekutive.153 Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen Deutschlands sollte eine aus »Staatsbürgern in Uniform« bestehende Armee gewährleisten, dass nicht erneut antidemokratische, antiliberale und militaristische Tendenzen in den Streitkräften vorherrschten. Baudissin brachte seine Ansicht hierzu mit den Worten auf den Punkt: Eine neue Wehrmacht, die den freiheitlichen Charakter ihrer Grundordnung nicht selber in sich trüge, würde den Keim aller jener Gefahren in sich bergen, die das Merkmal willenloser Instrumente sind und die uns Deutschen zuletzt den Sturz der Weimarer Republik und den Zweiten Weltkrieg bescherten.154

150 Bundesministerium der Verteidigung, Führungsstab Bundeswehr I: Handbuch Innere Führung. Hilfe zur Klärung der Begriffe. 3. Aufl., [Bonn] 1964, 17, 169 f. 151 Baudissin, Wolf Graf von: Probleme praktischer Menschenführung in zukünftigen Streitkräften. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 48 (1954), 635–639, hier 637. 152 Vgl. Jermer, Helmut: Innere Führung als Ethik für die Bundeswehr. In: Scheffler, Horst (Hg.): Kirche unter Soldaten, 319–344, 323, 326; Friedeburg, Ludwig v.: Zum Verhältnis von Militär und Gesellschaft in der Bundesrepublik. In: Picht, Georg (Hg.): Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr. Band 2. Witten 1966, 10–65, hier 34. 153 Vgl. Genschel, D.: Wehrreform und Reaktion, 47. 154 Zit. nach Dörfler-Dierken, A.: Ethische Fundamente, 71. Der Satz entstammt einem wohl auf das Jahr 1955 zu datierenden, aber nicht abgesandten Schreiben Baudissins an Blank, mit dem Baudissin um seine Entlassung zu bitten vorhatte, da er nicht länger als Werber für eine reformierte, freiheitlich ausgerichtete Armee auftreten wollte, während seiner Ansicht nach längst wieder reaktionäre Kräfte in der Verteidigungsadministration erstarkt waren. Baudissin blieb jedoch schließlich bis 1958 im Amt.

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Angesichts der in der bundesdeutschen Bevölkerung bestehenden Sorgen vor genau solchen reaktionären Entwicklungen erweckte das Konzept der Inneren Führung breites öffentliches Interesse. Da die Dienststelle Blank die hohe Werbewirkung des Reformprogramms erkannte, bemühte man sich hier entspre­chend, dieses Modell als Kern des Bundeswehraufbaus darzustellen.155 Besonders Baudissin selbst, der mit einiger Berechtigung als Spiritus Rector der Militärreform wahrgenommen wurde, warb auf zahlreichen Diskussions- und Informationsveranstaltungen für einen deutschen Verteidigungsbeitrag auf Grundlage des Leitbildes der Inneren Führung. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Evangelischen Akademien: Zwischen 1951 und 1955 fanden hier allein 28 Tagungen zum Thema Wiederbewaffnung statt, bei denen die Dienststelle Blank bezeichnenderweise beinahe ausschließlich durch Mitarbeiter der Sektion Innere Führung vertreten wurde, nicht zuletzt durch Baudissin.156 Das Engagement der Akademien in dieser Angelegenheit war zweifelsohne Eberhard Müllers Bestreben geschuldet, einen positiven evangelischen Diskurs über einen deutschen Verteidigungsbeitrag zu formen. Der gläubige Protestant Baudissin jedenfalls nahm die Bühne, welche die Akademietagungen ihm boten, gerne an, da er hier ein Forum sah »wo man ganz bestimmte Dinge aussprach, die nachher einfach in der politischen Diskussion nicht wieder beiseite zu schieben waren«.157 Dieser Einsatz verfehlte seine Wirkung denn auch nicht, wie sich beispielhaft an einem Redebeitrag Gollwitzers auf der Tagung »Kirche und Wiederbewaffnung« zeigt, die im Januar 1955 in der Evangelischen Akademie Bad Boll stattfand: Wir dürfen nicht sagen, die Pläne Baudissins seien zu idealistisch. Wenn wir der Meinung sind, vorerst noch in einer Welt zu leben, in der auch ein demokratischer Staat nicht ohne Waffen bestehen kann, so müssen wir die Sache unterstützen. Demokratie und Militär stehen in keinem exklusiven Verhältnis zueinander. Das darf nicht die Alternative sein.158

Der Beauftragte des Rates der EKD, Hermann Kunst, stand überdies bereits spätestens im Jahr 1951 mit Baudissin in enger Korrespondenz und informierte diesen unter anderem über die Stimmungslage unter den evangelischen Kirchenführern in Sachen Wiederbewaffnung.159 Gerade in Baudissin legte Kunst während der Verhandlungen mit der Dienststelle Blank bzw. dem Verteidigungsministerium in den folgenden Jahren offensichtlich großes Vertrauen, so dass

155 Vgl. Genschel, D.: Wehrreform und Reaktion, 27–32. 156 Vgl. Walter, U.: Welt in Sünde; Dörfler-Dierken, A.: Ethische Fundamente, 62f; Genschel, D.: Wehrreform und Reaktion, 30. 157 Baudissin, zit. nach Walter, U.: Welt in Sünde. Zu Baudissins persönlichem Glauben vgl. Dörfler-Dierken, A.: Ethische Fundamente, 74, 86, 92 f. 158 Zit. nach ebd., 108; vgl. auch ebd., 62 f. 159 Vgl. Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 45.

342  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  er ihn gegenüber einem hannoverschen Kirchenbeamten als »unser[en] treffliche[n] Verbindungsmann in diesem Amt« bezeichnen konnte.160 Zwar hatte Baudissin insbesondere zu Vertretern der evangelischen Kirchen enge Kontakte, doch seine von einem christlich-humanistischen Menschenbild geprägten Ideen fanden auch in katholischen Kreisen Zustimmung.161 Während manche Akteure vor allem einen christlichen oder katholischen Geist in den Streitkräften verbreiten wollten, betonte der BDKJ, der in dieser Sache sehr öffentlichkeitswirksam agierte, gemeinsam mit anderen Jugendorganisationen auf überkonfessioneller Basis ein demokratisches Ethos der Bundeswehr fördern zu wollen.162 Um dies zu gewährleisten, veröffentlichte der Verband im November 1953 Forderungen zur inneren Struktur einer zukünftigen bundesdeutschen Armee, deren Erfüllung gleichzeitig eine Bedingung für die Zustimmung der katholischen Jugend zum Bundeswehraufbau darstellten. Unter anderem verlangte der BDKJ die Wahrung des Primats der Politik und eine zivile Kontrolle der Streitkräfte, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, die Überprüfung ehemaliger Wehrmachtssoldaten auf demokratische Zuverlässigkeit, kirchengeleitete Militärseelsorge und eine hohe Stellung von Staatsbürgerkunde in der militärischen Ausbildung. Diese Punkte stimmten weitgehend mit Baudissins Vorstellungen der Inneren Führung überein.163 Die katholische Presse schrieb der Stellungnahme des BDKJ, die allgemein ein hohes Medienecho fand, große Bedeutung zu und unterstrich wiederholt die Notwendigkeit des strikten Primats der politischen Führung in den Streitkräften und die Umsetzung des Konzepts der Inneren Führung.164 Anhand solcher Aktionen lässt sich ersehen, dass innerhalb großer Teile des Katholizismus weniger das »Ob« als das »Wie« eines bundesdeutschen Verteidigungsbeitrages im westlichen Bündnis entscheidend war. Zu vermeiden war in den Augen vieler Katholiken das Wiederaufleben antidemokratischer und militaristischer Tendenzen innerhalb einer von der Gesellschaft abgekapselten Truppe – zumal als nach dem Scheitern der EVG -Verhandlungen 1953 feststand, dass die Bundeswehr als nationale Armee gegründet werden würde. Entsprechend reagierte der BDKJ mit scharfem Protest, als Verbände ehemaliger Wehrmachtssoldaten eine Entfernung Baudissins von seinem Posten forderten: Den Soldatenverbänden widerstrebte Baudissins betont liberaldemokratische Reformpolitik, weshalb sie ihn in einer konzertierten Aktion Ende 1954 bei Blank zu diskreditieren suchten und die Innere Führung als eine Art billige PR-Aktion

160 Hermann Kunst, zit. nach Dörfler-Dierken, A.: Ethische Fundamente, 105. 161 Zur christlich-humanistischen Prägung vgl. ebd., 114 f. 162 Vgl. Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 202–205, 211. 163 Vgl. dazu auch ebd., 153, 215 f. 164 Ebd., 217f, 245 f.

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verunglimpften.165 Der BDKJ verteidigte daraufhin entschieden das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, dem er ohne Baudissin wenig Erfolgschancen beimaß, und stellte sich hinter den Reformer. Durch seine Zeitung »Wacht« ließ der Bund verkünden, für die Jugendverbände sei Baudissin der »Mann ihres Vertrauens«, da »ihre Bereitschaft, die schwere Last der Wiederbewaffnung mitzutragen« von eindeutigen Reformen an der inneren Ausrichtung der Streitkräfte abhängig sei. Folglich würde man sich »vor ernsthafte Konsequenzen gestellt sehen«, wenn die Soldatenverbände sich mit ihrer Forderung nach Baudissins Ablösung durchsetzten.166 Dies implizierte die Drohung, dass die katholische Jugend Deutschlands einer nicht ausreichend im freiheitlich-demokratischen Sinne reformierten Armee die Gefolgschaft verweigern würde. Um den Rückhalt der Baudissin’schen Reformkonzepte unter den jungen Katholiken zu sichern, bewarb der BDKJ das Modell der Inneren Führung zudem in einer 1955 eigens gefertigten Broschüre, die bei der katholischen Jugend hohen Anklang fand.167 Angesichts der Tatsache, dass die Dienststelle Blank Baudissin gegen die ersten Anfeindungen zwar noch in Schutz nahm, die Angriffe der Soldatenverbände mit der Zeit aber auch innerhalb des Amtes ihre Wirkung nicht verfehlten und Unsicherheit bezüglich der Person Baudissins schufen, erscheinen Intervention und Werbetätigkeit des BDKJ umso relevanter.168 Das hohe Ansehen Baudissins und seiner Reformvorstellungen in kirchlichen Kreisen dürfte nicht unerheblich mit der herausragenden Rolle zusammenhängen, welche er den Kirchen im Rahmen des Konzepts der Inneren Führung zuschrieb. So war Baudissin unter anderem überzeugt, auf die Mitarbeit kirchlicher Seelsorger in der Bundeswehr könne »nicht verzichtet werden, da letztlich nur eine hinreichend starke […] Bindung an Gott es erträglich machen wird, einem Menschen Macht über andere anzuvertrauen«.169 Folglich beabsichtigte er, die Kirchen »als ›Dritte Kraft‹ innerhalb der hierarchischen Struktur des Militärs, d. h. neben der Beziehung von Vorgesetzten und Untergebenem einzubauen«.170 Damit bestanden für die Kirchen beste Voraussatzungen für eine Kooperation mit der Dienststelle Blank. Zwar machte die katholische Amtskirche sich mit Blick auf Baudissin Sorgen ob eines protestantischen Übergewichts, weshalb sie über katholische Mitarbeiter der Dienststelle die Einrichtung einer Gutachterstelle betrieb, deren einziger Zweck der Entwurf einer katholischen Alternative zu Baudissins Konzeption war. Dieses »Studienbüro Pfister« vertrat letztlich jedoch keine substantiell unterschiedliche Position und nahm daher kaum Ein 165 Vgl. Genschel, D.: Wehrreform und Reaktion, 176–180. 166 Zit. nach Doering-Manteuffel, A.: Katholizismus und Wiederbewaffnung, 246. 167 Vgl. ebd., 246 f. 168 Zu den Reaktionen der Dienststelle Blank vgl. Genschel, D.: Wehrreform und Reaktion, 181. 169 Baudissin, zit. nach Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 67. 170 Baudissin, zit. nach ebd., 38.

344  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  fluss auf die Idee der Inneren Führung.171 Zudem fanden, wie gezeigt, Baudissins Pläne nicht nur in der allgemeinen, sondern auch in der katholischen Öffentlichkeit große Zustimmung und erfuhren Unterstützung aus dem katholischen Verbandswesen. Inhaltlich stimmte also auch die katholische Seite mit Baudissin weitgehend überein. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden nun ein näherer Blick auf die Verhandlungen zwischen Kirchen und Verteidigungsministerium zur Einrichtung der Militärseelsorge geworfen werden, um zu verstehen, wie die kirchliche Einbindung in den Aufbau der Bundeswehr im Detail aussah und auf welche Weise die Kirchen einen ›zivilisierenden‹ Einfluss auf die neu aufzustellenden Streitkräfte sicherzustellen gedachten, bzw. welche Rolle der Staat von ihnen dabei erwartete. Nach den ersten inoffiziellen Vorgesprächen kontaktierte die Dienststelle Blank am 31. Januar 1952 die Kirchenkanzlei der EKD und den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz mit dem Ziel, offizielle Gespräche über die Neueinrichtung einer Militärseelsorge zu eröffnen.172 In der Folge wurden die Verhandlungen mit den beiden Kirchen zunächst getrennt geführt,173 da diese ihre jeweils eigene Position nicht unnötig früh zugunsten eines Kompromisses aufweichen wollten. Weil sich letztlich jedoch auf katholischer und evangelischer Seite ähnliche Vorstellungen herausbildeten, traten die Kirchen bald vermehrt gemeinsam als Verhandlungspartner gegenüber dem Staat auf.174 Die grundlegenden Standpunkte abzustecken nahm offenbar nur wenig Zeit in Anspruch: Auf einer Besprechung mit Vertretern der Dienststelle Blank Mitte Februar legte der vom Rat der EKD autorisierte OKR Edo Osterloh vom hannoverschen Landeskirchenamt unter anderem dar, dass die EKD nicht an die Tradition der eigenständigen Wehrmachtskirche anknüpfen wollte, sondern eine engere Anbindung der Militärseelsorger an die zivilen Kirchengemeinden wünschte. Da dies auf Zustimmung traf, beschloss der Rat bereits am 13. März 1952, am Aufbau einer Militärseelsorge mitzuwirken.175 Als rechtliche Grundlage der evangelischen Militärseelsorge war der Abschluss eines Staatsvertrags vorgesehen, welcher schließlich am 22. Februar 1957 als »Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Evangelischen Kirche in 171 Vgl. Dörfler-Dierken, A.: Ethische Fundamente, 190; Genschel, D.: Wehrreform und Reaktion, 158–161. 172 Vgl. Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 49. 173 Dies spiegelte sich auch in der Wahl der Ansprechpartner auf Seiten der Dienststelle bzw. des Verteidigungsministeriums: Während der Protestant Baudissin erste Kontakte mit der EKD suchte, war der Katholik Ernst Wirmer für die Gespräche mit der katholischen Kirche zuständig, siehe Steuber, K.: Militärseelsorge, 70. 174 Vgl. Ehlert, H.: Interessenausgleich, 46, 48. 175 Vgl. Vermerk der Dienststelle Blank über eine Besprechung zwischen Osterloh und Vertretern der Dienststelle Blank am 22. Februar 1952 (Dok. 28E11). In: Pöpping, D. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 6, 146–149, hier 148; Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 50; Steuber, K.: Militärseelsorge, 14.

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Deutschland zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge« (Militärseel­ sorgevertrag, MilSeelsVertr) unterzeichnet werden sollte.176 Für die EKD übernahm dabei die Verhandlungsführung im Januar 1954 Hermann Kunst, der Anfang 1956 zudem zum ersten Evangelischen Militärbischof ernannt wurde.177 Die vom Rat vertretenen Grundzüge des angestrebten Vertrages sahen vor, dass Pfarrer für fünf Jahre von ihren Landeskirchen als Militärseelsorger abgestellt werden sollten, um anschließend in ihre Gemeinden zurückzukehren: Auf diese Weise sollte einer zu engen Identifikation der Pfarrer mit dem Militär vorgebeugt werden. Im Einzelfall behielt sich die Kirche dabei ein Rückrufrecht vor, falls Vorbehalte gegenüber der Amtsführung auftreten sollten. Ein »auf Vorschlag des Rates vom Staat auf Lebenszeit« berufener Geistlicher sollte dabei die Dienstaufsicht übernehmen. Die innere Ausgestaltung der Seelsorge betreffend forderte der Rat schließlich, dass Gesangsbücher und Gottesdienstordnungen der evangelischen Soldatengemeinden seiner Genehmigung bedürften.178 Während die evangelische Kirche so den Rahmen für eine neue vertragliche Regelung absteckte, trat in den Verhandlungen mit der katholischen Kirche zunächst die Frage nach der Fortgeltung des Reichskonkordats auf. Obgleich die Dienststelle Blank den einschlägigen Art. 27 RK im Februar 1952 als in Geltung bleibend anerkannte, wünschte auch die katholische Seite einige Änderungen hin zu einer stärkeren Unabhängigkeit der Militärseelsorge vom Staat: Wie die EKD strebte die katholische Kirche, deren Delegation durch Bischof Michael Keller und Wilhelm Böhler geleitet und unter anderem von Georg Werthmann unterstützt wurde,179 einen Bruch mit der in Reichswehr und Wehrmacht praktizierten »exemten«, also getrennt von den zivilen Kirchengemeinden stattfindenden Militärseelsorge an. Dies sollte nicht nur den künftigen Militärbischof betreffen, den die Kirche aus den regierenden Bischöfen der BRD auszuwählen gedachte, sondern auch die Seelsorger selbst, die in regelmäßigem Turnus – angedacht waren acht bis zehn Jahre – in die zivilen Gemeinden zurückwechseln sollten.180 176 Zum Vertrag siehe BGBl. 20/1957, Teil 2 (29.7.1957), 702–705. 177 Vgl. Steuber, K.: Militärseelsorge, 16, 168. 178 Entwurf für einen Beschluss d. Rates über den Aufbau der evangelischen Seelsorge in etwaigen deutschen Einheiten (Dok. 28D15). In: Pöpping, D. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 6, 126f, hier 127, vgl. 126; vgl. auch Steuber, K.: Militärseelsorge, 14 f. 179 Vgl. Lubbers, F.: Die Neuordnung, 75 f. 180 Vgl. Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 52; Steuber, K.: Militärseelsorge, 70–73, 75–79. Auf die Ablehnung des »Militärbischofs alter Art« legte sich das Konveniat der westdeutschen Bischöfe endgültig im November 1954 fest, mit der Begründung, dass durch die Eingliederung in den militärischen Bereich die Entscheidungsfreiheit des Bischofs gefährdet sein könne, siehe: Stellungnahme des Konveniats der westdeutschen Bischöfe zu Militärseelsorge [5.11.1954] (Dok. 219). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1950–1955, 791–793, hier 791. Zur exemten Militärseelsorge siehe Röw, M.: Militärseelsorge, 80 f.

346  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Bis zum Sommer 1952 standen damit beide Kirchen in konkreten Verhandlungen mit dem Staat zur Einrichtung der Militärseelsorge bei der Bundeswehr. Sie strebten dabei in ähnlicher Weise eine größere Unabhängigkeit der Seelsorge an, was bezeichnenderweise mit Ideen Baudissins übereinstimmte, die dieser bereits frühzeitig gegenüber den Kirchenvertretern ins Gespräch gebracht hatte.181 Ehe eine vertragliche Regelung der Militärseelsorge tatsächlich spruchreif war, sollte jedoch noch einige Zeit vergehen. Unter anderem riefen die Verhandlungen mit der Dienststelle Blank innerhalb der evangelischen Kirche Widerstand von Seiten der Aufrüstungsgegner hervor. So forderte etwa Martin Niemöller im Mai 1953, dass sich die Kirche mit der Frage der Militärseelsorge erst dann zu befassen habe, wenn tatsächlich militärische Verbände aufgestellt seien.182 Ungeachtet solcher Proteste wurden die Verhandlungen fortgesetzt. Im September 1954 hielt die Dienststelle Blank die Ergebnisse der bisherigen Gespräche in den »Grundzügen der künftigen Militärseelsorge« fest.183 Darin wurde die Militärseelsorge einleitend als eine notwendige Ergänzung des zivilen kirchlichen Angebots dargestellt, welche erst die ungehinderte Religionsausübung der Soldaten ermöglichte und die einzurichten daher eine Rechtspflicht des Staates darstellte. Als oberste Dienstbehörde der kirchlichen Seelsorger wurde das jeweilige Militärbischofsamt genannt, das eine dem Verteidigungsministerium unmittelbar nachgeordnete Bundesbehörde darstellen würde. Gemäß den Wünschen der Kirche und den Überlegungen Baudissins sollten die beiden Militärbischöfe jedoch außerhalb der militärischen Organisation stehen. Die übrigen Militärgeistlichen sollten für die Dauer ihrer Tätigkeit verbeamtet werden, die im Militärbischofsamt tätigen Geistlichen sogar auf Lebenszeit. Um den zivilen Charakter der Seelsorge zu unterstreichen wurde vereinbart, dass die Seelsorger in Friedenszeiten keine Uniform tragen. Explizit sah das Grundsatzpapier eine staatliche Zuständigkeit allein in dezidiert militärischen Fragen vor, während die Regelung sämtlicher religiöser Belange ausschließlich den Kirchen obliegen sollte. Im Einklang mit den kirchlichen Wünschen stimmte die Dienststelle Blank folglich einer größtmöglichen Trennung von Militärischem und Kirchlichem im Bereich der Militärseelsorge zu, mit dem Ziel, dass sich die Betreuung der Soldatengemeinden »nicht grundsätzlich von der Seelsorge im zivilen Bereich« unterscheiden würde.184 Dies markierte eine klare Abgrenzung zur kirchlichen Seelsorge in der Wehrmacht, die im Laufe des Zweiten Weltkrie 181 Vgl. Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 48, 51 f. 182 Schreiben Niemöllers an die Kirchenkanzlei [26.5.1953] (Dok. 37C5). In: Pöpping, Dagmar / Beier, Peter (Bearb.): Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 7: 1953, Göttingen 2009, 327f, hier 328. 183 Vgl. dazu und im Folgenden Steuber, K.: Militärseelsorge, 16–20. 184 Aus den »Grundzügen der künftigen Militärseelsorge«, zit. nach ebd., 19.

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ges zunehmend politischen und militärischen Nutzenerwägungen unterworfen worden war.185 Damit war indes noch keine abschließende Einigung erreicht, denn eine Reihe inhaltlicher Fragen blieb ungeklärt. Ein vom Rat der EKD eingesetzter Ausschuss zur Klärung grundsätzlicher Fragen der Militärseelsorge – nach seinem Vorsitzenden, dem badischen Landesbischof Julius Bender (1893–1966), meist »Bender-​ Ausschuss« genannt – legte eine Reihe von Empfehlungen vor, von denen Rat und Kirchenkonferenz unter anderem die Forderung nach kürzeren Dienstperioden der Militärpfarrer und einem Abberufungsrecht der Kirche auch für auf Lebenszeit verbeamtete Militärgeistliche übernahmen.186 Während die Frage der Dienstdauer durch die Festlegung auf eine Zeit von sechs bis acht Jahren gelöst wurde, womit sowohl die Vorstellungen der katholischen wie auch der evangelischen Kirche akkommodiert waren,187 bereitete der Aspekt der Verbeamtung der Militärgeistlichen durch den Staat den Kirchen offenkundig noch ernstliche Sorgen: Hier ging es um die Frage, wie eng die Seelsorger jeweils an ihre Kirchen oder an den Staat gebunden sein würden. In der abschließenden Verhandlungsrunde im Juli 1955 – mit der Aufnahme der BRD in die NATO war die Dienststelle Blank mittlerweile in das Bundesministerium für Verteidigung übergegangen – plädierten beide Kirchen dementsprechend erneut dafür, möglichst wenig Militärgeistliche auf Lebenszeit zu verbeamten. Böhler meinte hierzu, »[j]e größer die Zahl der Militärgeistlichen mit begrenzter Dienstzeit sei, um so enger wäre die Verbindung zwischen den Kirchen und der Militärseelsorge«.188 In der evangelischen Kirche ging diese Forderung vielen noch nicht weit genug. Aus den Landeskirchen wurde vielmehr der Wunsch laut, die Militärseelsorge mehr oder weniger vollständig in die Verantwortung der zivilen Ortsgemeinden zu legen, wie etwa auf der EKD-Synode vom Juni 1956 gefordert wurde. Zwar schlugen die evangelischen Militärseelsorgereferenten daraufhin tatsächlich einen entsprechenden Schritt vor, doch als Verhandlungsführer der EKD erteilte Kunst diesem Ansinnen eine klare Absage, da es »[n]ach dem Urteil von Praktikern […] mit militärischen Erfordernissen nicht in Einklang« zu bringen wäre.189 In diesem Zusammenhang verwies Kunst auch auf den bilateralen Charakter des Staatsvertrages der EKD mit der Bundesrepublik, der eben nicht die Landeskirchen als primäre Partner vorsah – ein Aspekt, der innerhalb der 185 Siehe dazu etwa Röw, M.: Militärseelsorge, 315, 339 f. 186 Vgl. Ehlert, H.: Interessenausgleich, 50f; vgl. auch Bericht Benders über die Arbeit des Wehrmachtsseelsorgeausschusses (Dok. 45E8). In: Fix, K.-H. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 8, 331–338, hier 332 und 337. 187 Siehe Art. 19 III MilSeelsVertr. 188 Wilhelm Böhler gemäß dem Besprechungsprotokoll, zit. nach Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 62. 189 Hermann Kunst, zit. nach Steuber, K.: Militärseelsorge, 41; vgl. auch Blaschke, P. H. / ​ Oberhem, H.: Militärseelsorge, 8 f.

348  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Kirche durchaus hinterfragt, schließlich aber weitgehend als sachlich geboten akzeptiert wurde.190 Die bestehende Sorge bezüglich der Herausbildung einer eigenständigen Militärkirche durch zu geringe Verflechtung mit den Landeskirchen konnte letztlich unter anderem durch die Bestimmung ausgeräumt werden, dass die Seelsorge an einem Standort in durch die zuständige Gliedkirche zu bildenden »personalen Seelsorgebereichen« auszuüben sei (Art. 6 I).191 Deren Angehörige bleiben dabei, wie Art. 8 I unterstreicht, Glieder der entsprechenden Ortskirchengemeinde. In der Praxis bedeutet dies, dass die Militärpfarrer in der Regel zwar gemäß dem Parochialprinzip für einen oder mehrere Standorte zuständig sind und alle dort stationierten Soldaten ihrer Konfession nebst Angehörigen und zivilem Personal betreuen, dadurch aber keine eigenständige Militärkirchengemeinde mit Parochialrechten begründen.192 In der umstrittenen Frage der Verbeamtung war die staatliche Seite indes nur zu sehr bedingten Zugeständnissen an die kirchlichen Wünsche bereit, einen Verzicht auf den Beamtenstatus von Militärgeistlichen lehnte das Verteidigungsministerium aus dienstrechtlichen Erwägungen strikt ab. Franz Josef Strauß (1915–1988), der Blank im Oktober 1956 als Bundesverteidigungsminister nachgefolgt war, betonte allerdings, sein Ministerium habe darauf geachtet, »alles zu vermeiden, was dem Staat auch nur von fern die Möglichkeit eines geistigen Einflusses auf die Militärseelsorge bieten könne«.193 Kompromissbereit zeigte sich das Verteidigungsministerium demgegenüber hinsichtlich der Anzahl auf Lebenszeit verbeamteter Militärgeistlicher.194 Die Kirchen waren mit diesem beamtenrechtlichen Arrangement schließlich einverstanden. Im offiziellen Kommentar der EKD zum entsprechenden Abschnitt IV des Militärseelsorgevertrags heißt es: Die Rechtsstellung des Staatsbeamten wird als dem Auftrag des Geistlichen nicht angemessen bezeichnet. […] Die Kirche hat sich jedoch davon überzeugt, daß unter den Verhältnissen der Bundeswehr die Übernahme der Militärgeistlichen in die Stellung von Bundesbeamten erforderlich ist. […] An der Unabhängigkeit des militärseelsorgerlichen Dienstes wird durch die Eingliederung nichts geändert.195 190 Vgl. Ehlert, H.: Interessenausgleich, 59f; zur innerkirchlichen Debatte vgl. Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland: Berlin-Spandau 1957 sowie insbesondere den Redebeitrag Bischof Halfmanns zur EKD als Verhandlungspartner des Staates, ebd. 259–261. 191 Vgl. dazu Ehlert, H.: Interessenausgleich, 61; Art. 6 II MilSeelsVertr ermöglicht es den Gliedkirchen, in Abweichung von Art. 6 I »Militärkirchengemeinden als landeskirchliche Personalgemeinden zu errichten«, was, wie der Theologe Erwin Wilkens kommentierte, »nur in besonderen Fällen« vorgesehen war (Wilkens, E.: Die EKD -Synode, 15). 192 Vgl. dazu auch Art. 8 II MilSeelsVertr. Die Auflistung der zum Seelsorgebereich gehörenden Personengruppen findet sich in Art. 7 I MilSeelsVertr. 193 Zit. nach Steuber, K.: Militärseelsorge, 43, vgl. 42. 194 Vgl. Ehlert, H.: Interessenausgleich, 52. 195 Zit. nach Steuber, K.: Militärseelsorge, 119.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  349

Beachtenswert an diesem Arrangement ist, dass Militärpfarrer als Bundesbeamte vom Bundespräsidenten berufen werden und den Diensteid abzulegen haben.196 Dass angesichts dessen die Zusicherung Verteidigungsminister Strauß’ hinsichtlich der Unabhängigkeit der Seelsorge vom Staat kein leeres Wort blieb, wurde in Art. 16 Militärseelsorgevertrag garantiert, wo es in Satz 1 heißt: »Die Militärgeistlichen stehen in einem geistlichen Auftrage, in dessen Erfüllung sie von staatlichen Weisungen unabhängig sind.«197 Die Regierungsbegründung zum Militärseelsorgevertrag unterstreicht dies, indem sie feststellt, dass die Militärgeistlichen weder militärische Vorgesetzte haben, noch militärisches Disziplinarrecht auf sie Anwendung finde.198 Nachdem im Laufe der Vertragsverhandlungen die Beamten des Verteidigungsministeriums die gewählten Formulierungen immer wieder modifiziert hatten, um dem Wunsch der Kirchen nach einer größtmöglichen Unabhängigkeit ihrer Militärgeistlichen gegenüber dem Staat zu entsprechen, konnten die kirchlichen Verhandlungsführer dieses Anliegen schlussendlich wohl als hinreichend erfüllt betrachten. Umso bemerkenswerter mag vor diesem Hintergrund erscheinen, dass der Staat dennoch Personalkosten und Organisation der Militärseelsorge vollständig übernahm, indem das Verteidigungsministerium die benötigten Stellen für die Militärgeistlichen schuf und die Dienststellen errichtete:199 Als Schnittstelle der kirchlichen Leitung durch die Militärbischöfe und der staatlichen Leitung durch das Verteidigungsministerium wurden die zentralen Kirchenämter für die Militärseelsorge, das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr sowie das Katholische Militärbischofsamt, als »[d]em Bundesminister für Verteidigung unmittelbar nachgeordnet[e]« Verwaltungsbehörden eingerichtet, denen die Militärdekanate und Militärpfarrämter nachgeordnet waren (und sind).200

196  Vgl. ebd., 190. 197 Vgl. dazu auch Hierold, Alfred E.: Die rechtlichen Grundlagen der Militärseelsorge in der Bewährung. In: Scheffler, Horst (Hg.): Kirche unter Soldaten, 213–225, hier 217. 198 Siehe Deutscher Bundestag: Drucksache 2/3500, Entwurf eines Gesetzes über die Militärseelsorge, 8.5.1957, 13. 199 Vgl. Steuber, K.: Militärseelsorge, 116. Zu den Stadien des Vertragsentwurfs vgl. ebd., 42–66. 200 So die entsprechende Vorbemerkung zu Kapitel 14 06 im Entwurf eines Fünften Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956. Einzelplan 14 für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung. In: Deutscher Bundestag: Drucksache 2/3058, Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Fünften Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 (Fünftes Nachtragshaushaltsgesetz 1956), 5.1.1957, hier 47. Vgl. auch die Darstellungen auf https://www.bundeswehr.de/de/betreuungfuersorge/militaerseelsorge/evangelische-militaerseelsorge/dienststellen sowie https://www. bundeswehr.de/de/betreuung-fuersorge/militaerseelsorge/katholische-militaerseelsorge/ organisation (beide Stand 20.3.2020).

350  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Während auf evangelischer Seite eine große Mehrheit sowohl des Rates der

EKD als auch der Vertreter der Landeskirchen die eigenen Anliegen damit als

weitgehend berücksichtigt erachtete,201 war die innerkirchliche Kritik am Militärseelsorgevertrag noch nicht gänzlich verstummt. Im Rahmen der Diskussion zur Schlussabstimmung über den Vertrag auf der Synode von Berlin-Spandau im März 1957 protestierte etwa Niemöller erneut gegen das lebenszeitliche Beamtenverhältnis der leitenden Militärdekane und vertrat die Ansicht, dass letztlich wieder eine eigenständige Militärkirche entstanden sei.202 Die Mehrzahl der Redner sah das Vertragswerk jedoch positiv. So urteilte der württembergische Dekan Theodor Dipper, es werde »nirgends einen Vertrag über die Militärseelsorge geben, der der Kirche eine so weitgehende Freiheit einräumt«.203 Walter Künneth befand, abzulehnen wäre der Vertrag nur dann, wenn er »eine Gleichschaltung von Kirche und Staat bedeuten würde«, was aber nicht der Fall sei; vielmehr biete er eine Möglichkeit, den oft beschworenen Öffentlichkeitsauftrag der Kirche wahrzunehmen.204 In den Augen vieler Synodalen dürfte Bischof Bender Sinn und Zweck des Militärseelsorgevertrags auf den Punkt gebracht haben, als er feststellte, die EKD solle diesem zustimmen, »[w]eil uns hier die Tür geöffnet wird zu den Unterkünften unserer Soldaten; den Schlüssel zu dieser Tür hat der Staat«. Zwar könne man auch außerhalb der Kasernen Seelsorge betreiben, ein Missionar werde jedoch nicht warten, »bis man zu ihm kommt, sondern auf die zugehen, zu denen er geschickt ist«.205 Auch Otto Dibelius war vom Verhandlungsergebnis überzeugt, welches eine freiere Militärseelsorge ermögliche als die bisherige deutsche Tradition oder die Arrangements in anderen Ländern. Der Ratsvorsitzende nannte den Vertrag daher »eine Magna Charta für die Unabhängigkeit der evangelischen Seelsorge unter den Soldaten« und schloss: »Und weil wir diesen Vertrag so beurteilen müssen, darum haben wir gesagt: ›Ja‹ in Gottes Namen!«206 Beim abschließenden Votum sprachen sich 91 der 115 Synodalen für die Annahme des Vertrages aus, darunter auch ein Großteil der Delegierten aus der DDR , die auf eine gleichwertige Regelung für die ostdeutschen Streitkräfte nicht hoffen konnten.207 Tatsächlich lässt sich feststellen, dass der Militärseelsorgevertrag weitgehende Sicherungen der Eigenständigkeit der Seelsorge beinhaltet, bei deren Aufnahme der staatliche Partner den Wünschen der Kirche(n) deutlich entgegengekommen war – so wie sich, in den Worten des mit den Verhandlungen befassten Ministerialdirigenten Ernst Wirmer, das Ministerium in den meisten 201 Vgl. Ehlert, H.: Interessenausgleich, 61. 202 Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland: Berlin-Spandau 1957, 271, 276. 203 Ebd., 242. 204 Ebd., 278, vgl. 282 f. 205 Ebd., 285. 206 Ebd., 315. 207 Vgl. Greschat, M.: Protestantismus, 64 f.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  351

Fragen »selbstverständlich den Wünschen der Kirchen gefügt« habe.208 Diese Entwicklung stellte im Fazit des Militärhistorikers Hans Ehlert einen Bruch »mit fast allen Traditionen der Militärseelsorge« dar.209 Der Bedeutung des Vertrags wurde zusätzlich dadurch Ausdruck verliehen, dass die Vertragsunterzeichnung am 22. Februar 1957 durch Bundeskanzler und Verteidigungsminister, die Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde am 26. Juli 1957 aber durch den Bundespräsidenten vorgenommen wurde. Letzteres geschah auf ausdrückliche Bitte der EKD, damit neben der Relevanz der Militärseelsorge auch die Gleichwertigkeit des Militärseelsorgevertrags mit den Konkordaten mit dem Heiligen Stuhl unterstrichen würde.210 Mit der einstimmigen Verabschiedung des Ratifizierungsgesetzes – dem »Gesetz über die Militärseelsorge« (Militärseelsorgegesetz, MilSeelsG) – durch den Bundestag am 5. Juli 1957 konnte der Vertrag in Kraft treten.211 Obwohl für die katholische Kirche auf ihren Wunsch hin nach wie vor Art. 27 RK die rechtliche Grundlage der Militärseelsorge bildete und hier somit kein neuer Staatsvertrag unterzeichnet wurde, mussten die bestehenden Ausführungsbestimmungen aus dem Jahr 1935 doch an die veränderten Umstände angepasst werden.212 Da katholische und evangelische Kirche in den gemeinsamen Verhandlungen mit dem Staat weitgehend dieselben Änderungsvorstellungen vertreten hatten – allen voran die Abkehr von einer eigenständigen Militärkirche –, fiel die inhaltliche Neuregelung in Übereinstimmung mit dem evangelischen Militärseelsorgevertrag aus. Dies war auch bereits aus Gründen der Parität geboten und gewollt. Insbesondere regelte Art. 2 MilSeelsG, dass die beamtenrechtlichen Bestimmungen des Militärseelsorgevertrags entsprechend auf die katholischen Seelsorger anzuwenden seien. Des Weiteren vereinbarte die Bundesregierung mit dem Heiligen Stuhl, auch die Übernahme der Kosten parallel zum Vertrag mit der EKD zu regeln.213 Obgleich die neuen katholischen »Statuten für die Seelsorge in der Deutschen Bundeswehr« erst durch das Apostolische Schreiben »Normam secutus« vom 31. Juli 1965 endgültig bestätigt wurden, traten katholische Militärgeistliche, ebenso wie ihre evangelischen Kollegen, bereits bald nach Aufstellung der ersten Bundeswehrverbände ihren Dienst an.214 208 Wirmer, zit. nach Ehlert, H.: Interessenausgleich, 52. 209 Ebd., 49; vgl. ebd. 66. 210 Vgl. Steuber, K.: Militärseelsorge, 109–111. 211 Vgl. Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 224. Sitzung (2. WP) 5.7.1957, 13354. Zum Gesetz siehe BGBl. 20/1957, Teil 2 (29.7.1957), 701. 212 Vgl. Steuber, K.: Militärseelsorge, 83 f.; Ehlert, H.: Interessenausgleich, 43. 213 Vgl. hierzu Steuber, K.: Militärseelsorge, 88. 214 Siehe Paul VI.: Normam secutus. In: AAS 57 (1965), 704–712; vgl. auch Ehlert, H.: Interessenausgleich, 65. Zum Beginn der praktischen Arbeit der evangelischen Militärseelsorge siehe etwa Lubbers, F.: Die Neuordnung, 78f; Steuber, K.: Militärseelsorge, 68. Auf katholischer Seite zelebrierte Kardinal Frings am 10. Oktober 1956 den ersten Standortgottesdienst, vgl. Frings spricht zu den Soldaten. In: Süddeutsche Zeitung, Jg. 12, Nr. 244 vom 11.10.1956, 2.

352  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Die kirchliche Leitung übernahm dabei am 4. Februar 1956 als erster Katho­ lischer Militärbischof Joseph Kardinal Wendel neben seiner Funktion als Erzbischof von München und Freising.215 Für ihre alltägliche Arbeit waren die kirchlichen Seelsorger nicht nur auf die Bestimmungen des Militärseelsorgevertrags angewiesen, sondern auch auf dienstrechtliche Verfügungen des Verteidigungsministeriums, die diesen Regelungen unmittelbare Geltung in der Bundeswehr verschafften. Von zentraler Bedeutung war und ist hier ZDv 66/1 vom August 1956, in der Aufgaben und Rahmenbedingungen der Militärseelsorge zusammengefasst sind. In dieser Dienstordnung sind die Berücksichtigung kirchlicher Interessen sowie das Bemühen, die Militärseelsorge zu erleichtern und ihre Relevanz zu unterstreichen, augenscheinlich. So werden die militärischen Vorgesetzten zu Aufgeschlossenheit und Mitverantwortung für die religiöse Betreuung der Truppe aufgefordert, wobei sie konkret den Soldaten etwa ausreichend Gelegenheit für religiöse Betätigung geben sollen. Auf ihr Verlangen hin sollen die Militärgeistlichen zudem jederzeit von den Truppenführern gehört werden, womit dem Leitgedanken Rechnung getragen wird, dass »[d]ie Sorge für den Menschen […] allen Vor­ gesetzten als vornehmste Aufgabe gestellt« sei, zu deren Erfüllung die Militärseelsorge einen wesentlichen Beitrag leiste.216 Zugleich betont ZDv 66/1, dass Gottesdienste und Andachten strikt getrennt von militärischen Feiern stattzufinden haben  – eine Vorkehrung gegen eine zu starke Vereinnahmung der Kirchen für militärische Zwecke.217 Die Arbeit der Militärgeistlichen blieb dabei nicht auf ›klassische‹ seelsorgerliche Tätigkeiten beschränkt, wie das Abhalten von Gottesdiensten und Exerzitien oder das Führen persönlicher Gespräche mit den Soldaten. Eine weitere zentrale Aufgabe stellt auch heute noch der sogenannte »Lebenskundliche Unterricht« in der Bundeswehr dar. Besonderes Interesse verdient diese Institution deshalb, da es sich hierbei eben nicht um Seelsorgearbeit im engeren Sinne handelt, sondern um eine vom Staat gewünschte Bildungs- bzw. Erziehungsmaßnahme in den Streitkräften, mit deren Umsetzung indes die Militärgeistlichen als geeignet erachtete Kräfte betraut wurden. Insofern handelt es sich beim Lebenskundlichen Unterricht um einen genuinen Fall von Governance by Religions. Was genau von dieser Unterrichtsform erwartet wurde, legte die Zentrale Dienstvorschrift 66/2 aus dem Jahr 1959 anschaulich dar:

215 Vgl. Steuber, K.: Militärseelsorge, 79. 216 ZDv 66/1 Militärseelsorge (28.8.1956), Nr. 36. In: Dokumentation zur Katholischen und Evangelischen Militärseelsorge. Gesetze, Verträge, Weisungen, Vorschriften. Hg. vom Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr und vom Katholischen Militärbischofsamt. Bonn 1988, 43–50, hier 50; vgl. auch Nr. 31–35. 217  Vgl. ZDV 66/1 Nr. 28; vgl. auch Steuber, K.: Militärseelsorge, 137.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  353

Der Lebenskundliche Unterricht in der Truppe ist im Zusammenhang mit der Gesamterziehung der Soldaten zu sehen. Er behandelt sittliche Fragen, die für die Lebensführung des Menschen, seine Beziehung zur Umwelt und für die Ordnung des Zusammenlebens in jeder Gemeinschaft wesentlich sind. Er hat die Aufgabe, dem Soldaten Hilfe für sein tägliches Leben zu geben und damit einen Beitrag zur Förderung der sittlichen, geistigen und seelischen Kräfte zu leisten, die mehr noch als fachliches Können den Wert des Soldaten bestimmen.218

In diesen Ausführungen wird deutlich, dass der Lebenskundliche Unterricht im Zusammenhang des Konzepts der Inneren Führung zu begreifen ist. Die militärische Komponente dieser Schulungsmaßnahme zeigt sich besonders im folgenden Absatz der Vorschrift, wo die Aufgabe festgelegt wird, dem Soldaten »die Notwendigkeit von Selbstzucht und Maß erkennen [zu] lehren und sein Pflichtbewusstsein [zu] stärken«. Letztlich sollten die Unterrichtsleiter die Soldaten so »zu Ordnungen hinführen, durch die die Gemeinschaft lebenswert und damit verteidigenswert wird«.219 Diese inhaltlichen Zielsetzungen mit ihrem eindeutigen Bezug zur Inneren Führung werfen die Frage auf, weshalb dieser Unterricht in den Aufgabenbereich der Militärgeistlichen gelegt wurde – zumal bereits der Begriff »lebenskundlich« eine säkulare Konzeption impliziert. Tatsächlich wurde der Einsatz der Seelsorger im Rahmen des Lebenskundlichen Unterrichts nicht im Militärseelsorgevertrag geregelt, was zwar einerseits wohl an den schwierigen Verhandlungen mit den Kirchen zu dieser Materie lag, andererseits aber durchaus konsequent erscheint, da der Unterricht nach offizieller Lesart nicht als Teil der Militär­ seelsorge gehandelt wurde.220 Dennoch sah die Sektion Innere Führung im Verteidigungsministerium die Verwendung der Militärpfarrer als Unterrichtsleiter vor. Es war auch hier nicht zuletzt Baudissin, der sowohl die Institution des Lebenskundlichen Unterrichts als auch die zentrale Rolle der Militärgeistlichen darin mit Nachdruck vertrat.221 Für Baudissin stellte dieses Konzept eine Maßnahme dar, um das soldatische Selbstverständnis als »Staatsbürger in Uniform« im Alltag der Bundeswehr zu

218  ZDv 66/2 Lebenskundlicher Unterricht (5.11.1959), Nr. 1. In: Dokumentation zur Katholischen und Evangelischen Militärseelsorge, 51–55, hier 51. 219 ZDv 66/2 Nr. 2, ebd., 52; vgl. auch Suermann, Manfred: Der Lebenskundliche Unterricht. In: Scheffler, H. (Hg.): Kirche unter Soldaten, 471–486, hier 471 f. 220 So führt Greyer-Wieninger, Alice: Militärseelsorge im Wandel der sicherheitspolitischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. In: Scheffler, H. (Hg.): Kirche unter Soldaten, 57–69, hier 67 aus, der Hauptgrund, dass die Leitung des Lebenskundlichen Unterrichts durch die Militärpfarrer nicht im Militärseelsorgevertrag geregelt wurde, sei darin zu sehen, dass Kirchen und Verteidigungsministerium sich während der Vertragsverhandlungen noch nicht über die Details verständigen konnten. Vgl. auch ebd., 67 f. 221 Ehlert, H.: Interessenausgleich, 54f gibt an, Baudissin sei zunächst skeptisch gewesen, habe sich dann aber vom Konzept des Lebenskundlichen Unterrichts überzeugen lassen.

354  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  stärken. Dabei ging es ihm insbesondere um den Aufbau von Widerstandskräften gegen freiheitsfeindliche Tendenzen: »Im lebenskundlichen Unterricht sollen alle Bereiche angesprochen werden, in denen die Freiheit der Persönlichkeit wurzelt. Es ist ein selten fehlendes Kennzeichen autoritärer Systeme, dass sie mit einem Machtanspruch in diese Bereiche vorzustoßen versuchen.«222 Um aber eine freiheitliche Ausrichtung zu gewährleisten, so Baudissins Überlegung, müsse die Unterrichtsleitung Personen übertragen werden, die keine militärische Autorität besäßen. Statt Offiziere als Lehrpersonal zu verwenden, wie bisweilen vorgeschlagen wurde, setzte Baudissin daher auf die Militärseelsorger.223 Deren besondere Eignung ergab sich für den Reformer zumal daraus, dass er in ihnen »Fachleute für ethische Fragen« sah, die im Gegensatz zu etwaigen anderen zivilen Lehrkräften zudem mit der Truppe verbunden waren.224 In der Übertragung des Lebenskundlichen Unterrichts an die Militärpfarrer kam damit so deutlich wie an keiner anderen Stelle das Bestreben Baudissins zum Ausdruck, die Kirchen als »Dritte Kraft« in der Bundeswehr wirken zu lassen. Auch für andere Referenten der Dienststelle Blank brachten die Geistlichen einen entscheidenden Vorteil mit sich: Im Gegensatz zu möglichen anderen zivilen Kursleitern müsse man sich bei ihnen kaum Sorge machen, hieß es in einem internen Papier, dass sie radikale Ansichten unter den Soldaten verbreiteten – die Kirchen galten, mit anderen Worten, als ideologisch zuverlässige Kräfte.225 In diesem Sinne hatte Ministerialdirigent Wirmer bereits im Januar 1952 gegenüber Vertretern der katholischen Diözesen geäußert, es sei »Aufgabe der Kirche, an der Verhinderung des Geistes des Militarismus mitzuhelfen, vor allem aber an der staatsbürgerlichen und weltanschaulichen Erziehung der Soldaten mitzuwirken«, wozu die Bundeswehroffiziere »nicht in der Lage« seien.226 Obgleich sich hier sicher auch die persönliche Erwartung des Katholiken Wirmer an

222 Baudissin, zit. nach Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 76. 223 Vgl. ebd. sowie Steuber, K.: Militärseelsorge, 229. Im Gegensatz zu Baudissin argumentierte im Jahr 1953 beispielsweise Ulrich de Maizière, zu dieser Zeit ziviler Mitarbeiter in der Dienststelle Blank, dass der Lebenskundliche Unterricht in den Verantwortungsbereich der militärischen Vorgesetzten fiele. Die Leitung durch die Militärgeistlichen sah er als Verletzung der Religionsfreiheit an, vgl. Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 75. De Maizières Einwand betreffend die Religionsfreiheit erscheint zunächst zwar plausibel, sollte allerdings aufgrund der von den Kirchen durchgesetzten Änderungen am Konzept des Unterrichts obsolet werden. 224 Baudissin, zit. nach ebd., 68. 225 Vgl. Bald, Detlef: Zur Reform der Gesamterziehung des Soldaten. Die Verhandlungen zwischen Kirchen und Staat um die Konzeption des Lebenskundlichen Unterrichts in den Jahren 1951 bis 1955. In: Kruse, Herbert / Bald, Detlef (Hg.): Der Lebenskundliche Unterricht in der Bundeswehr. Teil 1. München 1981, 17–42, hier 35. 226 Protokoll der Sitzung des Kirchenpolitischen Gremiums [16.–18.1.1952] (Dok. 96). In: Mertens, A. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1950–1955, 352–358, hier 352.

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seine Kirche ausdrückte,227 ist doch die gewichtige Rolle bemerkenswert, die in der Sektion Innere Führung den Kirchen angedacht wurde: Ganz offenkundig wurden sie als staatstragende Akteure wahrgenommen, denen öffentliche Aufgaben bedenkenlos übertragen werden konnten. Die Kirchen selbst reagierten auf die erste Anfrage der Dienststelle Blank in dieser Angelegenheit allerdings sehr zurückhaltend: Obwohl sie das Gesamtkonzept durchaus begrüßten und sich eine Mitarbeit ihrer Geistlichen vorstellen konnten, wollten sie insbesondere den Eindruck vermeiden, es würde eine Art kirchlicher Erziehungsoffizier eingeführt.228 Vor dem historischen Hintergrund der deutschen Militärseelsorge musste eine solche Sorge durchaus begründet erscheinen, hatten sich Militärgeistliche in früheren deutschen Streitkräften doch entweder selbst militärischen Zielen verschrieben oder wurden von Staat und Armeeführung dafür instrumentalisiert. So nutzten Pfarrer in der Armee des Kaiserreichs die damaligen »Kasernen-Abendstunden« häufig gezielt für patriotische Erziehung, wobei von staatlicher Seite insbesondere erwartet wurde, dass die Militärgeistlichen den Einfluss der Sozialdemokratie im Heer unterdrückten. Die Heeresleitung der Wehrmacht sah die Institution der Militärseelsorge demgegenüber primär als »Mittel zu Aufrechterhaltung und Steigerung der inneren Kampfkraft der Truppe«, wie es Generaloberst von Rundstedt in seiner Funktion als Befehlshaber der Heeresgruppe Süd formulierte.229 Zwar verfolgte Baudissin mit der Einbeziehung der Militärgeistlichen ganz offenkundig andere Ziele; dennoch waren die Kirchen, und hier vor allem die katholische Kirche, mit seinen Vorstellungen zur konkreten Ausgestaltung des Lebenskundlichen Unterrichts nicht gänzlich einverstanden. Baudissin stellte sich den Unterricht als Pflichtveranstaltung für sämtliche Bundeswehrsoldaten vor, die  – gleichrangig zur militärischen Ausbildung  – als Teil der Gesamterziehung in den Streitkräften fungieren sollte.230 Während die Kirchen die Intention unterstützten, über den Lebenskundlichen Unterricht die Integration der Bundeswehrsoldaten in die zivile Gesellschaft zu befördern,231 kritisierte insbesondere Prälat Böhler den geplanten Pflichtcharakter dieses Lehrprogramms. Er befürchtete, dass die beteiligten Pfarrer dadurch eben jene »Rolle eines militärischen An- und Eintreibers« erhalten könnten, die es aus kirchlicher

227 Zu Wirmers katholischer Verwurzelung siehe etwa Ehlert, H.: Interessenausgleich, 43. 228 Vgl. Kruse, Herbert: Der Lebenskundliche Unterricht in der Bundeswehr. Probleme seiner Konzeption und Durchführung. In: Kruse, H. / Bald, D. (Hg.): Der Lebenskundliche Unterricht, 43–114, hier 45. 229 Zit. nach Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 26; vgl. Hierold, A. E.: Militärseelsorge im Spannungsfeld, 103; Ehlert, H.: Interessenausgleich, 53. 230 Vgl. Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 67f; Greyer-Wieninger, A.: Militärseelsorge im Wandel, 67. 231 Vgl. dazu auch Blaschke, P. H. / Oberhem, H.: Militärseelsorge, 64.

356  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Sicht zu vermeiden galt.232 Neben der Freiwilligkeit des Unterrichts favorisierte die katholische Verhandlungsgruppe auch dessen Trennung nach Konfessionen, da die katholische Kirche, anders als Baudissin und seine Abteilung, die geplante Mitwirkung ihrer Geistlichen klar als pastorale Tätigkeit verstand. Weil ein etwaiges Nebeneinander von Seelsorge und überkonfessioneller Bildungsarbeit aus dieser Sicht eine potentielle Belastung des seelsorgerlichen Dienstes darstellte, lehnten die katholischen Vertreter die von der Dienststelle zunächst vorgelegten Entwürfe zum Lebenskundlichen Unterricht ab.233 Auf Seiten der EKD befand zwar der Militärseelsorgeausschuss unter Bischof Bender in Übereinstimmung mit Baudissin, dass eine Beteiligung der Militärgeistlichen am Lebenskundlichen Unterricht nötig sei, um einer autoritären Tendenz entgegenzuwirken, forderte aber ebenfalls einige Änderungen am ursprünglichen Konzept. Ähnlich den Vertretern der katholischen Kirche erklärte der Ausschuss, dass der Unterricht »Teil und Verlängerung der kirchlichen Verkündigung« sein müsse, weshalb man auf eine Mitarbeit zu verzichten habe, sollte er ohne religiöse Komponente konzipiert werden. Folgerichtig forderte man daher auch eine Beteiligung der Militärpfarrer an der Ausarbeitung des Unterrichtsstoffs.234 Andernorts in der evangelischen Kirche reagierte man mitunter noch deutlich zurückhaltender auf das Vorhaben. So schrieb der Präsident der Kirchenkanzlei der EKD, Heinz Brunotte, an Kunst: Den lebenskundlichen Unterricht werden wir schlucken, wenn die katholische Kirche sich ebenfalls bereit finden sollte. Es muß nur sichergestellt sein, daß die Gottesdienste und die eigentliche Seelsorge dadurch nicht berührt werden, daß also nicht etwa der lebenskundliche Unterricht die einzige Tätigkeit der künftigen Militärgeistlichen ist.235

Die Vertreter beider Kirchen lehnten somit einen verpflichtenden überkonfessionellen Unterricht durch ihre Militärgeistlichen ab.236 Obwohl gerade Baudissin bemüht war, staatliche und kirchliche Zuständigkeiten in diesem Bereich klar zu trennen und den kirchlichen Forderungen in dieser Hinsicht entgegenzukom 232 Böhler, zit. nach Ehlert, H.: Interessenausgleich, 56. 233 Vgl. Blaschke, P. H. / Oberhem, H.: Militärseelsorge, 63; Kruse, H.: Konzeption und Durchführung, 86. Die Forderung, den Lebenskundlichen Unterricht auf freiwillige Basis zu stellen, war dabei nicht von vornherein Konsens unter den Vertretern der katholischen Kirche. So bevorzugte Werthmann zunächst eine Fortführung der »Kasernenstunden«, wie sie in der Wehrmacht üblich waren: Diese waren Pflichtveranstaltungen mit konfessionellem Charakter. Mit der Zeit setzte sich die von Böhler vertretene Idee des freiwilligen Unterrichts allerdings durch. Vgl. dazu Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 63f, 112. 234 Bericht Benders über die Arbeit des Wehrmachtsseelsorgeausschusses (Dok. 45E8). In: Fix, K.-H. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 8, 331–338, hier 336; vgl. Blaschke, P. H. / Oberhem, H.: Militärseelsorge, 62. 235 Schreiben Brunottes an Kunst [9.4.1953] (Dok. 36E6). In: Pöpping, D. / Beier, P. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 7, 281–284, hier 283 f. 236 Vgl. auch Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 66.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  357

men, stimmte die EKD erst Ende 1954, die katholische Kirche sogar erst im Laufe des Jahres 1955 prinzipiell einer Übernahme des Unterrichts durch ihre Militärseelsorger zu. Auch danach drohte die Gesamtkonzeption jedoch immer wieder zu scheitern, da beide Kirchen hochsensibel reagierten, wenn sie den Eindruck bekamen, man versuche doch noch, sie für militärische Interessen dienstbar zu machen. Ende 1956 schließlich gab die ministerielle Seite nach und stimmte der gemeinsamen Forderung der Kirchen nach der Einrichtung des Lebenskundlichen Unterrichts als freiwillige und konfessionelle Veranstaltung innerhalb der Dienstzeit ohne parallele Ersatzveranstaltungen zu.237 Entsprechend führte die einschlägige ZDv 66/2 dazu aus: »Der Lebenskundliche Unterricht fußt auf den Grundlagen des christlichen Glaubens und wird von den Militärgeistlichen erteilt. Er appelliert an die freie und freudige Mitarbeit des einzelnen.«238 Zudem wurde, während die Themen des Unterrichts kooperativ von Verteidigungs­ ministerium und Kirchen festgelegt werden sollten, die konkrete inhaltliche und didaktische Ausgestaltung in die Verantwortung der Lehrkräfte gestellt, ohne dass die militärischen Vorgesetzten hier eine Weisungsbefugnis hätten. Somit erhielt der Lebenskundliche Unterricht von seiner Anlage her tatsächlich die Möglichkeit, ganz im Sinne der Kirchen wie Baudissins, »ein Ort der Freiheit in der Kaserne« zu werden.239 Das Ergebnis der Verhandlungen zum Lebenskundlichen Unterricht kann als genuin partnerschaftliche Lösung angesehen werden. Der Staat begegnete den Kirchen auf Augenhöhe und übernahm ihre zentralen Forderungen, wahrte aber zugleich auch die eigenen Interessen.240 Somit stellt dieses Arrangement ein anschauliches Beispiel kooperativer religionspolitischer Governance dar. Als Zeichen der beiderseitigen positiven Bewertung der Zusammenarbeit kann dabei interpretiert werden, dass die Lehrtätigkeit der Militärseelsorger in der Folgezeit nicht auf den Lebenskundlichen Unterricht beschränkt blieb, sondern auf Bildungsformate an Offiziersschulen sowie an der Schule für Innere Führung der Bundeswehr ausgeweitet wurde.241 Angesichts dessen erscheint es bemerkenswert, dass das Verhältnis von Militärseelsorge und Innerer Führung offensichtlich nicht unstrittig war. So führte Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (1913–1997), der Franz Josef Strauß 1963 im Amt nachgefolgt war, im Juni desselben Jahres vor der Schule für Innere Führung aus:

237 Vgl. Ehlert, H.: Interessenausgleich, 54–57; Blaschke, P. H. / Oberhem, H.: Militärseelsorge, 65; Bald, D.: Zur Reform der Gesamterziehung, 22.  238 ZDv 66/2 Nr. 3. In: Dokumentation zur Katholischen und Evangelischen Militärseelsorge, 52; vgl. auch Blaschke, P. H. / Oberhem, H.: Militärseelsorge, 66. 239 Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 21; vgl. Kruse, H.: Konzeption und Durchführung, 48 f. 240 Vgl. auch ebd., 46–50. 241 Vgl. Steuber, K.: Militärseelsorge, 155.

358  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Die Seelsorge ist weder Teil der Inneren Führung noch dient sie der Psychologischen Rüstung. Sie hilft vielmehr unermüdlich mit, jenes Fundament zu festigen oder zu bauen, das uns im letzten unterscheidet von allem totalitären Denken, nämlich frei im Vertrauen auf Gott leben zu können.242

Diese Aussage scheint nicht nur mit dem Baudissin’schen Verständnis des Zusammenhangs von Innerer Führung und Militärseelsorge in Konflikt zu stehen, sondern erweist sich auch mit Blick auf die innere Beziehung der beiden Sätze zueinander als nicht schlüssig. Vielmehr erscheint es, als versuche von Hassel den offensichtlichen Beitrag der Kirchen zum Konzept der Inneren Führung zu relativieren. Dabei finden sich auch in ZDv 66/1 Hinweise auf eine entsprechende Verbindung, wenn es heißt: Die Militärseelsorge ist der von den Kirchen geleistete, vom Staat gewünschte und unterstützte Beitrag zur Sicherung der freien religiösen Betätigung in den Streitkräften. Sie stellt sich die Aufgabe, unter Wahrung der freiwilligen Entscheidung des einzelnen das religiöse Leben zu wecken, zu festigen und zu vertiefen. Dadurch fördert sie zugleich die charakterlichen und sittlichen Werte in den Streitkräften und hilft die Verantwortung tragen, vor die der Soldat als Waffenträger gestellt ist.243

Während an erster Stelle wie zu erwarten die individuelle religiöse Betätigung der Soldaten als Hintergrund der Militärseelsorge erwähnt wird, ist es interes­sant, dass letztere religiöses Leben nicht nur ermöglichen, sondern auch »wecken«, »festigen« und »vertiefen« soll. Der Grund hierfür wird ebenfalls angeführt: Die Militärseelsorge soll die charakterlichen und sittlichen Werte sowie das Verantwortungsbewusstsein der Bundeswehrsoldaten fördern. Dies aber wäre genau jener Beitrag zur Inneren Führung, den Baudissin sich erhofft hatte, wobei die offensichtlichste Verbindung zwischen Seelsorge und Innerer Führung in der Institution des Lebenskundlichen Unterricht zu erkennen ist. Ähnlich scheint man die Sache jedenfalls auf kirchlicher Seite wahrgenommen zu haben. So bezeichnete der katholische Militärbischof Kardinal Wendel die Militärgeistlichen als »Berater […] in Fragen der inneren Führung«.244 Möglicherweise erklärt sich die Diskrepanz zwischen kirchlicher Selbstwahrnehmung und staatlicher Aufgabenzuschreibung in einem unterschiedlichen Verständnis dessen, was Innere Führung bedeuten sollte. Im »Handbuch Innere Führung« wird zu dieser Frage erklärt:

242 Zit. nach Weymann, Konrad: Aufgaben und Probleme der Militärseelsorge. In: Lutherische Monatshefte, Jg. 2, Nr. 1 (1963), 468–473, hier 473. 243 ZDv 66/1 Nr. 1. In: Dokumentation zur Katholischen und Evangelischen Militärseelsorge, 44. 244 Wendel, zit. nach Pfister, Peter: Im Dienste von Wahrheit und Nächstenliebe. Joseph Kardinal Wendel, Begründer der Militärseelsorge und erster Militärbischof der Deutschen Bundeswehr. In: Scheffler, H. (Hg.): Kirche unter Soldaten, 71–117, hier 102.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  359

Wer heute Soldaten führt, muß ihre geistige Abwehrbereitschaft schärfen. Er muß zugleich die Formen einspielen helfen, durch die bei freien Menschen ein Höchstmaß an militärischer Leistung erzielt werden kann.245

Zwar hatten auch Baudissin und seine Mitarbeiter den militärischen Nutzen der Konzepte der Inneren Führung und des »Staatsbürgers in Uniform« durchaus gesehen und beabsichtigt.246 Dennoch lässt sich an dieser Stelle kritisch nachfragen, inwieweit Militärseelsorge und Lebenskundlicher Unterricht entgegen der Intention der Kirchen seitens der Bundeswehrführung nicht doch lediglich, oder zumindest primär, als Komponenten der »Psychologischen Rüstung« angesehen wurden, womit die Steigerung der Resistenz gegen psychologische Kriegsführung gemeint war.247 Tatsächlich fällt in diesem Zusammenhang die sehr hohe Häufigkeit auf, mit der in den Jahren 1956 bis 1964 der Kommunismus und seine theoretischen Grundlagen das Monatsthema des Lebenskundlichen Unterrichts bildeten – und dies oft mit einer eindeutig negativen Konnotation. Damit wurden weniger aktuelle gesellschaftliche Debatten aufgegriffen, als wohl vielmehr versucht, die Soldaten im Rahmen der ideologisierten Blockkonfrontation zwischen West und Ost in ihrer Identifikation mit der eigenen politischen Ordnung zu bestärken.248 Gemäß dem Konzept der Inneren Führung stellte auch dies eine Voraussetzung für eine erfolgreiche militärische Konfrontation dar.249 Die Haltung der beiden Kirchen in den Verhandlungen mit dem Verteidigungsministerium zeigt indes, dass die Innere Führung aus kirchlicher Sicht nie vorrangig als Stärkung der militärischen Kampfkraft gesehen wurde. Im Falle der Militärseelsorge stand die pastorale Aufgabe der Kirchen stets im Vordergrund und auch der Lebenskundliche Unterricht sprach zahlreiche Themen an, die keinen unmittelbaren militärischen Bezug aufwiesen, beispielsweise Ehe und Familie oder sozialpolitische Fragestellungen.250 Dennoch trugen die Kirchen gerade durch den Lebenskundlichen Unterricht de facto dazu bei, die Notwendigkeit des soldatischen Dienstes zu begründen. Diesen Umstand nahm insbesondere die Regierung der DDR zum Anlass, den Militärseelsorgevertrag anzugreifen und der EKD eine Andienung an die Bundesregierung und die NATO zu unterstellen. Die evangelische Kirche wies diesen Angriff entschieden zurück. Eine Erklärung der Kirchenkonferenz der EKD betonte:

245 Bundesministerium der Verteidigung: Handbuch Innere Führung, 171. 246 Vgl. etwa Ehlert, H.: Interessenausgleich, 55. 247 Vgl. Heiseler, Johannes Heinrich v.: Militär und Technik. Arbeitssoziologische Studien zum Einfluß der Technisierung auf die Sozialstruktur des modernen Militärs. In: Picht, G. (Hg.): Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation Bd. 2, 66–158, hier 148. 248 Vgl. Suermann, M.: Der Lebenskundliche Unterricht, 473–475. 249 Vgl. etwa Genschel, D.: Wehrreform und Reaktion, 47 f. 250 Vgl. dazu Suermann, M.: Der Lebenskundliche Unterricht, 475–484.

360  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  Der Militärseelsorgevertrag hat ausschließlich den Zweck, der Verkündigung des Evangeliums und die Ausübung der Seelsorge an den evangelischen Gemeinde­gliedern in der Bundeswehr zu ermöglichen. Er bedeutet keine Bindung an eine politische Zielsetzung. Außerkirchliche Stellen haben auf die seelsorgerliche Tätigkeit der Militärgeistlichen keinen Einfluß.251

Ebenso unterstrich der Ratsvorsitzende Dibelius die Unabhängigkeit der Militär­ seelsorge vom Staat mit den Worten, man lasse sich »von keiner Macht der Welt in diese Seelsorge hineinreden, auch nicht von der Politik – von der am allerwenigsten!«.252 Wenngleich sich die Anschuldigungen der DDR-Führung in ihrer Funktion als Teil einer gegen die westdeutsche Sicherheitspolitik gerichteten Propaganda schwerlich als sachlich fundierte Kritik bezeichnen lassen, so bleibt das Hinterfragen einer möglicherweise allzu großen Nähe der Kirchen zum Staat doch legitim. Immerhin lassen die hier dargestellten verteidigungspolitischen Kooperationsstrukturen zwischen Staat und Kirche den Verdacht aufkommen, »daß solche zufriedenstellenden modi vivendi nur im Dunstkreis von staats­tragenden, die militärische Doktrin stets unterstützenden Religionsgemeinschaften möglich sind«.253 Vor allem die evangelische Kirche bemühte sich jedenfalls, ihre Tätigkeit im Rahmen der Militärseelsorge öffentlich zu begründen – nicht zuletzt wohl aufgrund der bestehenden Skepsis in den eigenen Reihen. Ein bemerkenswerter Beitrag dazu stammt von der Evangelischen Studiengemeinschaft: Die Mitarbeiter an den von Militärbischof Kunst angeregten und von Georg Picht herausgegebenen »Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr« betrachteten nicht nur die Militärseelsorge, sondern unternahmen eine historische, politische und soziale Verortung der Bundeswehr in der westdeutschen Gesellschaft, so dass die Arbeit als sozialwissenschaftlicher Kommentar zur Inneren Führung aus protestantischer Perspektive betrachtet werden kann. In der Einleitung zu dem 1965 veröffentlichten Werk urteilt Picht, dass Militärseelsorge in der Bundesrepublik »nur noch im größeren Zusammenhang der kritischen Mitverantwortung der Kirche für die Welt […] zu begreifen« sei.254 Angesichts der Konfrontation nuklear bewaffneter Militärbündnisse bedürfe der Bundeswehrsoldat »der kritischen Solidarität der Kirche und aller Hilfen, die sie ihm zu geben vermag«.255

251 Verlesen von Bischof Lilje vor der Synode der EKD am 30.4.1958: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland: Berlin 1958, 202. 252 Ebd., 31. 253 Mehrle, G.: Trennung vom Staat, 62, Hvh. i. O. 254 Picht, Georg: Einführung. In: Ders. (Hg.): Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation Bd. 1, 7–31, hier 8, vgl. 7. 255 Ebd., 19.

Die Kooperation von Staat und Kirchen in der Verteidigungspolitik  361

Die Betonung der »kritischen« Funktion der Militärseelsorge ist hier zentral, da für Picht die entscheidende Frage lautet, »welchen Beitrag die Militärseelsorge dazu leisten kann, daß die Entwicklung der Bundeswehr eine Richtung nimmt, die den Geboten der politischen Vernunft entspricht und mit den Strukturgesetzen unserer Demokratie vereinbar ist«.256 Eine mögliche Antwort auf diese Frage hatte der evangelische Militärbischof Kunst bereits auf der Tagung der EKDSynode des Jahres 1957 gegeben, als er forderte, die Militärpfarrer müssten im Rahmen ihres Wirkens »gegen den hybriden Nationalismus« Position beziehen, der in den neuen Streitkräften um sich greifen könnte.257 In dieselbe Richtung geht die Mahnung des späteren Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Hans Thimme (1909–2006), dass es Verantwortung der Militärseelsorge sei, der Entstehung ideologischer Verhärtung und eines rigiden Freund-Feind-Denkens unter den Bundeswehrsoldaten entgegenzuwirken – da »der Dienst des Soldaten der Erhaltung und Sicherung des Friedens dienen« müsse.258 Für derartige Interventionen der Seelsorger musste der Lebenskundliche Unterricht als ideale Bühne angesehen werden, da er Zugang nicht nur zu den überzeugt christlichen, sondern zu allen Soldaten versprach. Es scheint daher plausibel, dass die Kirchen nicht nur aus einem missionarischen Anliegen heraus zustimmten, den Unterricht durch ihre Militärgeistlichen leiten zu lassen, sondern gerade auch in dem Bestreben, einen ›zivilisierenden‹ Einfluss auf die Bundeswehr auszuüben und dem befürchteten Neuaufleben eines militanten Nationalismus vorzubeugen.259 Gleichzeitig lagen Militärseelsorge und Lebenskundlicher Unterricht sehr wohl im kirchlichen Eigeninteresse. Durch die Lehrtätigkeit der Militärgeistlichen erhofften sich die Kirchen einen höheren Bekanntheitsgrad der Pfarrer mit der Folge, auch kirchenferne Soldaten zu erreichen – und diese im Idealfall für die Teilnahme an Gottesdiensten oder Exerzitien zu interessieren.260 Aus kirchlicher Sicht erfüllte die Institution der Militärseelsorge somit eine Doppelfunktion: Neben Erfüllung der seelsorgerlichen Pflichten gegenüber den Soldaten erhielten die Kirchen eine gewisse Einflussmöglichkeit auf den inneren Aufbau der Streitkräfte. Für die Bundesregierung bedeutete die kirchliche Mitwirkung 256 Ebd. 257 Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland: Berlin-Spandau 1957, 299. 258 Aus dem Vortrag Hans Thimmes »Der Dienst der Kirche an den Soldaten« auf der Arbeitstagung der EKD - Synode in Frankfurt a. M. am 8.11.1965, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Arbeitstagung Frankfurt 1965. Bericht über die Arbeitstagung der dritten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 8. bis 10. November 1965 in Frankfurt a. M., Hannover 1968, 53. 259 Vgl. dazu auch Blaschke, P. H. / Oberhem, H.: Militärseelsorge, 64. 260 Vgl. entsprechende Bemerkungen im Bericht Benders über die Arbeit des Wehrmachts­ seelsorgeausschusses (Dok. 45E8). In: Fix, K.-H. (Bearb.): Die Protokolle des Rates Bd. 8, ­331–338, hier 336; vgl. auch Kruse, H.: Konzeption und Durchführung, 46; Klein, Paul / ​ Scheffler, Horst: Der Lebenskundliche Unterricht in der Bundeswehr im Urteil von Militärpfarrern und Soldaten, München 1987, 2.

362  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  hingegen eine moralische Stärkung der eigenen Position gerade gegenüber religiös motivierten Wiederbewaffnungsgegnern, insbesondere, da kirchliche Führungspersönlichkeiten und kirchennahe Verbände für die neue Konzeption der Inneren Führung warben und damit in der Bevölkerung Vertrauen in die Integrität und Demokratietauglichkeit der neuen Streitkräfte förderten. Diese verschiedenen Aspekte auf eine funktionierende Weise miteinander zu vereinen war möglich, weil der Militärseelsorgevertrag und die entsprechenden Vereinbarungen mit der katholischen Kirche in klarer Absetzung von vergangenen Praktiken – und insbesondere eingedenk der Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur – ein freies kirchliches Wirken innerhalb des militärischen Bereichs garantierten.261 Damit erfüllte der Staat eine wichtige kirchliche Forderung und konnte sich so als glaubwürdiger Partner erweisen. Dass die Kirchen nicht nur das Arrangement als solches, sondern auch seine Auswirkungen in der Praxis positiv beurteilten, sei stellvertretend an den Äußerungen Bischof Kunsts auf der Arbeitstagung der EKD-Synode im Jahr 1965 in Frankfurt am Main gezeigt. Kunst fand für die Regelung in der Bundesrepublik anerkennende Worte: »Ohne Zweifel gibt es keine Militärseelsorge in der Welt, die durch vertraglich gesichertes Recht eine vergleichbare Unabhängigkeit besitzt wie die in der Bundeswehr.«262 Acht Jahre nach Unterzeichnung des Militärseelsorgevertrags konnte der evangelische Militärbischof zudem eine positive Zwischenbilanz ziehen. Demnach funktionierte die Verbindung zwischen Militär- und Zivilgemeinden gut, zudem hob Kunst besonders den Lebenskundlichen Unterricht und die von der Militärseelsorge angebotenen Rüstzeiten lobend hervor. Angesichts 750.000 evangelischer Soldaten, die man seit Beginn der Arbeit betreut habe, konstatierte er: »Es gibt keinen anderen Ort in unserer Kirche, an dem ein so hoher Prozentsatz unserer jungen Gemeindeglieder einem regelmäßigen kirchlichen Dienst begegnen kann, wie in der Militärseelsorge.«263 Allgemein scheinen bei beiden Konfessionen die Gottesdienste in den Militärgemeinden überdurchschnittlich gut besucht gewesen zu sein; auch die evangelischen Rüstzeiten und die katholischen Exerzitientage fanden in den ersten Jahren der Bundeswehr regen Anklang.264 Angesichts dessen lässt sich feststellen, dass sich die kirchlichen Erwartungen an die pastorale Seite der Militärseelsorge im Untersuchungszeitraum erfüllt hatten.

261 Dies ist eine Tendenz, die sich auch bei anderen Formen der Anstaltsseelsorge zeigt, etwa in der Polizei oder in Gefängnissen, vgl. Dörfler-Dierken, A.: Zur Entstehung der Militärseelsorge, 89. 262 Aus dem Vortrag Hermann Kunsts »Der Dienst der Kirche unter den Soldaten« vor der Arbeitstagung der EKD -Synode in Frankfurt a. M. am 8.11.1965, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Arbeitstagung Frankfurt 1965, 30. 263 Ebd., 33, vgl. auch 34. 264 Vgl. Steuber, K.: Militärseelsorge, 138–143.

Fazit  363

3. Fazit Die Unterstützung der katholischen Kirche und großer Teile der EKD für die verteidigungspolitischen Pläne der Regierung Adenauer muss angesichts der nach 1945 in der westdeutschen Bevölkerung vorherrschenden antimilitaristischen Grundstimmung als essentieller Beitrag zur politischen Durchsetzung dieser Agenda angesehen werden. Während der katholische Episkopat frühzeitig die Bereitschaft zur konstruktiven Mitarbeit am Aufbau westdeutscher Streitkräfte signalisierte, führte die EKD zunächst eine kontroverse interne Diskussion da­ rüber, in der die Unterstützer der Regierungspolitik aber letztlich eine Mehrheit davontrugen. Dabei agierten beide Kirchen durchaus pragmatisch, war ihnen doch an der Garantie eines seelsorgerlichen Zugangs zu den Bundeswehrsoldaten sowie der Mitsprache in Fragen wie der Wehrpflicht oder der Vereidigung gelegen. Gleichzeitig verfolgten sie aber auch das gesellschaftspolitische Ziel, das Wiederaufleben militaristischer Tendenzen in der Armee zu unterbinden. Um dies zu erreichen, gingen die Kirchen eine Kooperation mit dem Staat im verteidigungspolitischen Bereich ein. Auch die Regierungsseite versprach sich Vorteile von dieser Zusammenarbeit: Zum einen erkannten die Reformer der Dienststelle Blank den Eigenwert einer kirchlichen Militärseelsorge an und erwarteten sich ein zivilisierendes Wirken der Militärgeistlichen im Rahmen der Bundeswehr. Vor allem aber hoffte die Regierung Adenauer auf eine öffentliche Befürwortung der Wiederbewaffnungspolitik durch die Kirchen, weshalb ein Entgegenkommen bei wichtigen kirchlichen Forderungen in den Fragen von Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung sowie insbesondere der Militärseelsorge auch als zu erbringende Gegenleistung angesehen worden sein dürfte. Gerade von katholischer Seite erfuhr die Verteidigungspolitik der Bundesregierung tatsächlich wertvolle Unterstützung in Form einer moraltheologischen Sanktionierung der Wiederbewaffnung sowie der Fürsprache durch die großen Verbände. Angesichts der im katholischen Milieu weitgehend akzeptierten Autorität der Kirche in gesellschaftlichen Belangen, die in der Wiederbewaffnungsdebatte nur in zahlenmäßig begrenzten linkskatholischen Kreisen ernsthaft infrage gestellt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Zustimmung zum bundesdeutschen Verteidigungsbeitrag durch die Katholiken auf diese Weise maßgeblich gefördert wurde. Die nach außen hin sehr homogen wirkende Position des westdeutschen Katholizismus dürfte dabei auch die allgemeine öffentliche Debatte im Sinne einer Unterstützung der Regierungspolitik beeinflusst haben. Doch auch die innerprotestantische Diskussion um die Wiederbewaffnung zeigte, ungeachtet des Fehlens einer einheitlichen theologischen Position, im Ergebnis die Möglichkeit einer Befürwortung der Regierungspolitik durch gläubige Christen auf. Durch ihre Mitarbeit am Aufbau der Bundeswehr in Form von Militärseelsorge und Lebenskundlichem Unterricht adressierten

364  Religionspolitische Governance in der Verteidigungspolitik  zudem beide Kirchen die in der Bevölkerung weitverbreitete Sorge vor einem Rückfall der Streitkräfte in militaristische Traditionen. Die Kirchen traten damit gleichsam als Bürgen einer demokratiekonformen Wiederbewaffnung auf und schufen so besonders in den kirchennahen Milieus Vertrauen in die Verteidigungspolitik der Regierung. Indem sie mit ihrer religiösen bzw. moralischen Autorität für die verteidigungspolitische Agenda der Bundesregierung eintraten, erhöhten die Kirchen deren in den Augen der Bürgerinnen und Bürger zuvor mangelnde Legitimität. Dadurch stärkten sie die politische Autorität der Regierung dahingehend, dass der gesellschaftliche Widerstand gegen die Wiederbewaffnung weitgehend überwunden und deren Umsetzung mehrheitsfähig wurde. Da die Kirchen, eingebunden in Strukturen der Governance for Religions (Militärseelsorge, Wehrgesetzgebung) und Governance by Religions (Lebenskundlicher Unterricht), von diesem Arrangement in Form pastoraler wie politischer Einflussmöglichkeiten profitierten, kann hier eine Autoritätssymbiose im Sinne der Forschungshypothese konstatiert werden. Insbesondere die Lehrtätigkeit der Militärseelsorger im Rahmen des Lebenskundlichen Unterrichts bedeutete jedoch auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortungsübernahme, die sich, unter dem Banner der Inneren Führung, explizit auf die freiheitlich-demokratische Ordnung des Grundgesetzes berief. Zwar mag es zunächst zweifelhaft erscheinen, ob der damit verbundene Anspruch gerade der katholischen Kirche, Wächterin der Demokratie zu sein, anfänglich tatsächlich im eigentlichen Sinne eingelöst wurde: Trotz klarer Positionierung gegen Militarismus und Nationalismus wurde die liberalisierende Wirkung des kirchlichen Engagements durch andere Haltungen konterkariert. Insbesondere die mit einem starken Antikommunismus verbundene Verteidigung eines christlichen Abendlandes führte zu einer demokratisch hochproblematischen Delegitimierung abweichender politischer Meinungen – sowohl innerkirchlich, wie im Falle des Linkskatholizismus, als auch gesamtgesellschaftlich. Im Allgemeinen kann die kirchliche Haltung in der Wiederbewaffnungsfrage und beim Aufbau der Bundeswehr jedoch nicht als bloß willfährige Legitimitätsbeschaffung für die Regierung dargestellt werden. Vielmehr wirkten die Kirchen an einer dezidiert freiheitlich-demokratischen Institution – der Inneren Führung – mit und gaben sich dabei selbst eine Rolle als Hüter von Demokratie und Freiheitlichkeit, hinter die zurückzufallen sich verbat. Neben der eindeutigen Autoritätssymbiose lässt sich somit auch hier ein weiterer Schritt auf dem Weg der religiösen Liberalisierung erkennen. Dies wird besonderes auch in den lebendigen innerprotestantischen Diskussionen und der Annäherung von Teilen der EKD an die SPD sichtbar: Weder setzte sich in der EKD eine vorbehaltlose – und letztlich unpolitische – Bejahung der Regierungspolitik durch, noch ein Beharren auf einer moralisch rigiden Position, wie sie Niemöller vertrat. Stattdessen übten die Protestanten sich im Ausdiskutieren und Aushalten von gegensätzlichen Überzeugungen, was eine wichtige Grundvoraussetzung für demokratische Diskurse darstellt.

VI. Diskussion der Ergebnisse und Ausblick In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik wandelte sich das Staats- und Gesellschaftsverständnis der deutschen Kirchen nachhaltig. Waren die Jahre der Weimarer Republik noch von Misstrauen gegenüber dem weltanschaulich neutralen Verfassungsstaat geprägt gewesen, entwickelte sich nach 1945 sukzessive eine religiöse Liberalität im Sinne einer Anerkennung grundlegender liberaldemokratischer Prinzipien. Während für einige Kirchenleute und Laien bereits die Erfahrung der nationalsozialistischen Diktatur Anlass zum politischen Umdenken gab, waren es aus Sicht der vorliegenden Untersuchung die positiven Erfahrungen mit dem Staat der Bonner Republik, die in die Breite der Kirchen hineinwirkten und effektiv zu einer Überwindung der überkommenen Vorurteile führten. Obwohl die sogenannte »Ära Adenauer«, die den Großteil des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit ausmacht, im Rückblick häufig als »Zeit des kleinbürgerlichen Privatismus und der autoritären Überhänge« gesehen wird, in der statt demokratischem Aufbruch eher restaurative Mentalitäten vorherrschten, wurden damals die Grundlagen einer stabilen westdeutschen Demokratie und der gesellschaftlichen Liberalisierung der Bundesrepublik gelegt.1 Auch für die katholische und die evangelische Kirche in Westdeutschland bedeutete diese Anfangsphase der zweiten deutschen Demokratie mit ihrer insgesamt betont kirchenfreundlichen Politik eine Zeit der Gewöhnung, des Herantastens an den liberaldemokratischen Verfassungsstaat. Dieser erwies sich nicht, wie befürchtet, als Erbe der antiklerikal-säkularen Tradition der Französischen Revolution, sondern als Garant auch der kirchlichen Freiheit und zuverlässiger Partner bei der Erfüllung kirchlicher Anliegen. Die erfolgreiche Vertretung kirchlicher Interessen konnte nämlich gerade deshalb die Akzeptanz für das politische System der Bundesrepublik fördern, weil darin ein »Ausweis der Kooperationsbereitschaft eines den Kirchen grundsätzlich wohlgesonnenen Staates« gesehen wurde.2 In Kapitel III wurde das lange von Misstrauen und Abneigung geprägte Verhältnis der Kirchen zum konstitutionellen, weltanschaulich neutralen und liberalen Staat dargestellt. Viele deutsche Kirchenführer sahen sich in dieser Haltung durch das Scheitern der Weimarer Republik sowie den Untergang des

1 Schwaabe, C.: Die deutsche Modernitätskrise, 405. 2 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 527.

366  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick nationalsozialistischen Regimes zusätzlich bestätigt.3 Dennoch partizipierten insbesondere die katholischen Bischöfe (West)Deutschlands bereits unmittelbar nach Kriegsende im Rahmen kooperativer Strukturen religionspolitischer Governance am Aufbau einer neuen deutschen Staatlichkeit und hatten somit von Anfang an praktisch – wenn auch oft noch nicht theologisch reflektiert – an der demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik teil. Zentral waren dabei die sehr pragmatischen Motive der Bischöfe, Priester und kirchengebundenen Laien, die auf Ebene der Kommunen, Länder und schließlich des Bundes mit der staatlichen Verwaltung zusammenarbeiteten: Angesichts der handfesten Probleme und Nöte der Bevölkerung sowie des Interesses der Kirchen, die eigene Position rechtlich (und faktisch) abzusichern, traten theologische Vorbehalte an der Demokratie gegenüber dem Wunsch nach alltagstauglichen Lösungen zurück und förderten so ein gesellschaftliches Engagement der Kirchen, das letztlich auch die theoretische Sicht auf das neue politische System beeinflussen musste.4 Auf katholischer Seite erreichte die Beteiligung am Aufbau der westdeutschen Demokratie einen ersten Höhepunkt im Zuge der Verhandlungen um das Grundgesetz. Angesichts der hohen Bedeutung einer Verfassung als der Grundlage des politischen Handelns der Gesellschaft muss das starke Engagement der katholischen Bischöfe als hochgradig relevant bewertet werden. Die Unionsparteien und das Zentrum eröffneten dabei dem Episkopat Einflusskanäle in den Parlamentarischen Rat, was sich letztlich in der Aufnahme bestimmter, durch christliche Wertvorstellungen geprägter Grundrechte in das Grundgesetz niederschlug. Zwar zeigte die Ablehnung der kirchlichen Forderung nach dem vollen Elternrecht den katholischen Vorstellungen einer ›Rechristianisierung‹ des Staates ihre Grenzen auf und veranlasste die Bischöfe sogar zu der Drohung, das Grundgesetz abzulehnen. Jedoch resultierte die energische Mobilisierung der katholischen Öffentlichkeit zur Unterstützung der kirchlichen Positionen in einem hohen politischen Engagement vieler Laien, etwa in Form von Interessenszusammenschlüssen und dem Schreiben von Petitionen an den Parlamentarischen Rat. Für das Entstehen einer demokratischen politischen Kultur war eine solche Einübung von Partizipation ein wichtiger Schritt, in dem sich bereits die hohe Bedeutung des organisierten Laienkatholizismus im Gefüge der entstehenden bundesrepublikanischen Zivilgesellschaft ankündigte.5 Angesichts der im Grundgesetz verwirklichten Forderungen sah der Episkopat schließlich vom Aufruf zum Widerstand gegen das Grundgesetz ab und konzentrierte sich stattdessen darauf, seine unerfüllt gebliebenen Forderungen im Rahmen der einfachen Bundes- und Landesgesetzgebung durchzusetzen. Mit diesem Schritt



3 Vgl. etwa Braun, O.: Konservative Existenz, 298 f. 4 Vgl. dazu auch Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 221–223. 5 Vgl. dazu Liedhegener, A.: Der deutsche Katholizismus, 60.

Ergebnis der Untersuchungen zur Bildungspolitik  367

verpflichtete sich die katholische Kirche in Westdeutschland zu einem politischen Wirken innerhalb des neuen Verfassungssystems statt außerhalb davon. Durch die politische Bindung an die Unionsparteien wurde diese Entscheidung noch verstärkt und führte die Kirche gewissermaßen in eine Pfadabhängigkeit, da eine grundlegende Systemopposition ab einem gewissen Punkt nicht nur unglaubwürdig, sondern der Durchsetzung der eigenen Interessen auch abträglich gewesen wäre. Im Grundsatz gelten die soeben gemachten Beobachtungen auch für die EKD und ihre Gliedkirchen, wenngleich das politische Vorgehen der beiden Kirchen im Einzelfall deutlich divergierte: So trat die evangelische Kirche häufig weniger nachdrücklich und öffentlichkeitswirksam für ihre Interessen ein als die katholische und war – bedingt nicht zuletzt durch ihre innere Heterogenität – im Ganzen gesehen nicht so einseitig auf die Union als politischer Partner fixiert. Hinsichtlich der untersuchten Mechanismen von politischen Anreizstrukturen, Kooperation mit dem Staat und Hinwendung zur liberalen Demokratie vollzogen beide Konfessionen jedoch dieselbe Entwicklung.

1. Ergebnis der Untersuchungen zur Bildungspolitik Die Fallstudien in Kapitel IV dieser Analyse demonstrierten am Beispiel der Bildungspolitik Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens und Bayerns, wie die Integration der Kirchen in die liberaldemokratische Verfassungsordnung der Bundesrepublik durch die Einbindung in Strukturen kooperativer religionspolitischer Governance konkret befördert wurde. Ein Prozess religiöser Liberalisierung lässt sich dabei insbesondere hinsichtlich der Akzeptanz einer überkonfessionell-christlichen Gemeinschaftsschule sowie schließlich sogar einer Anerkennung der Gemeinschaftsschule als öffentliche Regelschule beobachten. Dieser Wandel in der Schulposition vor allem der katholischen Kirche, der durch ein fortgesetztes kirchliches Engagement im öffentlichen Schulwesen auch nach flächendeckender Einführung der Gemeinschaftsschule unterstrichen wurde, signalisierte eine veränderte Sicht auf die Gesellschaft als Ganzes und die Rolle der Kirche darin: Statt sich in ihrem jeweiligen Milieu zu verschanzen, akzeptierten die Kirchen den gesellschaftlichen Pluralismus und partizipierten an ihm als Teile einer demokratischen Zivilgesellschaft. Die Bedeutung dieses Vorgangs zeigt sich insbesondere mit Blick auf das Landschulwesen. In zahlreichen ländlichen Gemeinden der untersuchten Länder war noch in den 1950er Jahren die einzige Dorfschule entweder katholisch oder evangelisch ausgerichtet, etwaige konfessionelle Minderheiten mussten sich hier faktisch anpassen und unterordnen. Diesen Zustand zu ändern, zunächst in Richtung einer allgemein »christlichen« Schule, dann zu einer vollständig überkonfessionellen und damit inklusiven Gemeinschaftsschule mit konfessionellem Religionsunterricht, stellte

368  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick eine eindeutige Liberalisierung im Sinne einer Anerkennung von weltanschaulichem Pluralismus und der Durchsetzung von Minderheitenrechten dar.6 Bei allen Unterschieden, welche die drei untersuchten Länder hinsichtlich ihrer jeweiligen Bildungspolitik untereinander im Detail aufwiesen, lässt sich in den Fallstudien eine klare Tendenz ausmachen: Im Einklang mit der Forschungshypothese ermöglichte eine Einbettung in kooperative Strukturen mit den zuständigen staatlichen Stellen und die positive Erfahrung von Maßnahmen der Governance of, for und by Religions den Kirchen die Akzeptanz ursprünglich abgelehnter liberaler Politikinhalte. Am Beispiel Niedersachsen lässt sich auf der einen Seite sehr anschaulich die Dynamik einer schrittweise vertieften Kooperation zwischen der im Untersuchungszeitraum größtenteils SPD-geführten Landesregierung und den evangelischen Landeskirchen nachvollziehen. Die umfassende Informierung der evangelischen Kirchen durch das Kultusministerium und ihre Einbeziehung in die Schulgesetzgebung schufen ein Vertrauensverhältnis, auf dessen Grundlage die Kirchen sich in der Lage sahen, eine Schulpolitik, die in vielen Aspekten zunächst nicht ihren Vorstellungen betraf, dennoch zu akzeptieren und ihre Auswirkungen in der Praxis abzuwarten. Dies wiederum veranlasste die Regierung zu weiterem Entgegenkommen an die Landeskirchen. Das zunehmend positive Verhältnis von Staat und evangelischen Kirchen mündete schließlich im L ­ occumer Vertrag, der als regelrechte Freundschaftserklärung angesehen werden kann, wie die anlässlich der Unterzeichnung gehaltenen Reden unterstrichen. In der Folgezeit avancierten die evangelischen Landeskirchen Niedersachsens zu ausgesprochenen Unterstützern der liberalen Schulpolitik der Landesregierung. Auf der anderen Seite steht in scharfem Kontrast dazu der schwere Konflikt des Landes mit seinen katholischen Bischöfen. Die kompromisslose Ablehnung der Schulreformen durch die katholische Kirche und die offensichtlich geringe Motivation der Landesregierung, die Bischöfe in die Politikgestaltung einzubinden, sind dabei als sich reziprok verstärkende Konfrontationshaltungen zu sehen. Den Höhepunkt der schulpolitischen Auseinandersetzung in Niedersachsen stellte der Konkordatsprozess vor dem Bundesverfassungsgericht dar. Diese Episode markiert zugleich einen Wendepunkt: Infolge des Urteils sah sich die katholische Kirche genötigt, in direkte Verhandlungen mit dem Land Niedersachsen bezüglich einer vertraglichen Absicherung ihrer Positionen einzutreten  – Verhandlungen, die das Land seinerseits aktiv anbot mit der Absicht, die festgefahrene Auseinandersetzung zu lösen. Die von katholischer 6 In diesem Zusammenhang ist auf Dahrendorfs treffende Feststellung zur Bedeutung gleicher Bildungschancen hinzuweisen: »[O]hne Gleichheit der Bildungschancen ist die soziale Rolle des Staatsbürgers nicht durchgesetzt, und ohne die Verallgemeinerung der Staatsbürgerrolle ist liberale Demokratie nicht möglich.« Dahrendorf, R.: Gesellschaft und Demokratie, 90.

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Seite sehr pragmatisch angegangene Arbeit am niedersächsischen Konkordat führten in den Folgejahren zu einer Annäherung der Konfliktparteien. Dabei baute die zunehmende Erfahrung der katholischen Seite, vom Staat politisch eingebunden und als echter Partner behandelt zu werden, das bestehende Misstrauen ab und führte letztendlich dazu, dass die Kirche einige Jahre zuvor noch vehement bekämpfte liberale schulpolitische Positionen mitzutragen bereit war. In Bayern führte eine konservative Religionspolitik letztlich zu ähnlichen Ergebnissen. Hier konnten sich katholische wie evangelische Kirche von Beginn an der Unterstützung der im Untersuchungszeitraum meist CSU-geführten Landesregierung sicher sein. Durch eine ausgesprochen kirchenfreundliche Politik federte die Regierung die Auswirkungen des sozialen Wandels auf die Kirchen – vor allem das Aufbrechen der konfessionellen Milieustrukturen – merklich ab. Im schulpolitischen Bereich sorgte vor allem die Garantie der Bekenntnisschule als öffentlicher Regelschule mit entsprechender Lehrerausbildung für eine Absicherung der kirchlichen Position, doch auch in zahlreichen Einzelfragen fanden die Kirchen mit ihren Anliegen bei der bayerischen Staatsregierung ohne Schwierigkeiten Gehör. So konnten sich beide Kirchen – wenngleich die katholische in stärkerem Umfang – durch die Regierung gut vertreten fühlen, ihre Interessen waren rechtlich gesichert und das Verhältnis zum Staat war eng partnerschaftlich. Obgleich auch in Bayern das traditionelle Schulsystem im Laufe der 60er Jahre unter zunehmenden Reformdruck geriet, der letztlich zur Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule führte, wäre es eine verkürzte Darstellung der Ereignisse, würde man sagen, die kirchlichen Positionen wurden von einer externen sozialen Dynamik hinweggefegt, gegen die die Kirchen schlicht nichts ausrichten konnten. Vielmehr ist beachtenswert, dass die katholischen Bischöfe und der evangelische Landesbischof den schulpolitischen Wandel aktiv mitgingen, indem sie mit CSU und Opposition eine tragfähige Kompromisslösung vereinbarten. Durch die Bemühung von Landesregierung und CSU, in der Schulreform möglichst viele kirchliche Vorstellungen umzusetzen, konnten die Kirchen das berechtigte Gefühl haben, dass in einer an und für sich unvorteilhaften Situation noch das bestmögliche Ergebnis erzielt wurde. Zugleich erfuhren sie aufgrund ihrer nach wie vor engen Einbindung in die Schulpolitik die staatlichen Maßnahmen nicht als äußeren Angriff oder Nötigung und konnten so ein positives Verhältnis zum Staat beibehalten. Im Vergleich zu den Fallbeispielen Niedersachsen und Bayern stellt die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen gewissermaßen einen Mittelweg dar. Einerseits trug das gesamte Schulsystem im Vergleich zu Bayern von Anfang an einen ausgeglicheneren Charakter, da konfessionellen Minderheiten mehr Raum geschaffen wurde; dabei gingen hier auch von unionsgeführten Regierungen stärkere Reformbemühungen aus als im Freistaat. Dies lag wohl nicht zuletzt am deutlich ausgeglicheneren Kräfteverhältnis der beiden großen Konfessionen,

370  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick aufgrund dessen das Kultusministerium schwerlich die Vorstellungen einer Kirche zu Lasten der anderen erfüllen konnte. Andererseits wurden die Kirchen durch die CDU-geführten Regierungen in die Gestaltung der Schulpolitik eng eingebunden und konnten dadurch großen Einfluss ausüben; dieser schwankte zwar je nach Kultusminister, das grundsätzlich kooperative Verhältnis stand jedoch außer Frage. Gemeinsam ist somit allen drei Fällen, dass im Bereich der Schulpolitik enge Kooperationsstrukturen zwischen staatlichen und kirchlichen Stellen bestanden. Dabei ergänzten sich Maßnahmen der Governance for Religions, wie die Sicherung der Bekenntnisschule und der konfessionellen Lehrerbildung oder die Privatschulfinanzierung, mit solchen der Governance by Religions. Zu diesem Bereich, der besonders zur Erfahrung von Handlungsfreiheit und Teilhabe beiträgt, ist neben der Einrichtung eines genuin konfessionellen Unterrichts in der Verantwortung der Kirchen auch die kirchliche Entscheidungsbefugnis über die Erteilung von Lehrberechtigungen an Religionslehrer oder sogar an sämtliche an Bekenntnisschulen beschäftigten Lehrkräfte zu zählen. Durch die Beteiligung der Kirchen an der Gestaltung der Bildungspolitik sicherten die Länder nicht nur die Möglichkeit christlicher Erziehung und die Freiheit der Verkündigung im Religionsunterricht. Vor allem schufen sie Strukturen, innerhalb derer den Kirchen ein Vertrauensbildungsprozess gegenüber dem liberalen Staat ermöglicht wurde: Durch die Erfahrung von Einbeziehung, Teilhabe und Einflussmöglichkeiten konnten die Kirchen schrittweise historisch bedingte Vorbehalte ablegen. Während in der Bundesrepublik die Schulsysteme der Länder zwar schwerpunktmäßig staatlich organisiert sind, bewies gerade der weltanschaulich neutrale Staat den Kirchen, dass er seine Schulen nicht zum Instrument einer umfassenden Ideologisierung der Schülerschaft machen will. Im Gegensatz zur NS -Diktatur, wo die Schule unter der Kuratel der nationalsozialistischen Ideologie stand und der Indoktrinierung der jungen Bevölkerung diente, erwies sich ausgerechnet der lange abgelehnte liberaldemokratische Staat als Garant kirchlicher Mitgestaltung und Freiheitsentfaltung im Schulwesen. Derlei Erfahrungen waren zentrale Etappen im Annäherungsprozess der Kirchen an den freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat. Denn wie viele der in den vorangegangenen Kapiteln zitierten Aussagen führender Kirchenleute aus den ersten Jahren der Bundesrepublik belegen, beurteilten diese das politische System Westdeutschlands zunächst vorrangig an seinem Verhalten gegenüber den Kirchen und der Umsetzung kirchlicher Forderungen. Von der freiheitlichen Demokratie wurden allen voran die Garantie von Gewissensfreiheit und die Ermöglichung des freien gesellschaftlichen Wirkens der Kirchen erwartet, wozu eben nicht zuletzt die Gewährleistung öffentlicher wie privater Bekenntnisschulen und eines konfessionellen Religionsunterrichts gezählt wurden. Die Erfüllung dieser Erwartungen ebnete den Weg zu einem generellen Dispositionswandel der Kirchen bezüglich der liberalen Demokratie.

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Damit sei natürlich nicht gesagt, dass die Liberalisierung der kirchlichen Standpunkte nicht auch durch andere Faktoren beeinflusst wurde: Im Fall der Schulpolitik etwa bewirkte der fortschreitende sozioökonomische Wandel der Bundesrepublik, dass die Gläubigen zur Bewertung des Schulwesens zunehmend andere Entscheidungskriterien als die kirchliche Lehrmeinung heranzogen. Insbesondere die Leistungsorientiertheit des Schulsystems gewann an Bedeutung, ein Aspekt, der auch Georg Pichts Kritik am Zustand des bundesdeutschen Schulwesens in seiner einflussreichen Publikation »Die deutsche Bildungskatastrophe« (1964) auszeichnete.7 Im Katholizismus wurde eine eigenständigere Meinungsbildung der Laien zusätzlich durch die Dynamik des Zweiten Vatikanischen Konzils begünstigt: In Fragen, die keine zentralen Glaubensinhalte berührten, forderten die Gläubigen vermehrt Entscheidungsfreiheit gegenüber dem Episkopat ein, eine Position, die gerade in Schulfragen von zahlreichen Priestern unterstützt wurde, wie etwa das Kapitel zu Nordrhein-Westfalen zeigte. Im Laufe der 1960er Jahre wurde Schulpolitik von einem Großteil der Gläubigen beider Konfessionen weniger als ethische Frage verstanden denn als pragmatisches Sachproblem, über das zu entscheiden Laien mindestens ebenso kompetent waren wie die Kirchenoberen. Diese Beobachtung führt zu der allgemeinen Feststellung, dass die Stilisierung eines bestimmten Themas zu einer ethischen Konfliktfrage von religiösen Autoritäten dafür eingesetzt werden kann, die eigenen Mitglieder zur politischen Aktivität zu mobilisieren. Eben dies taten die katholischen und auch einige evangelische Bischöfe in der Schulpolitik. Infolge dieser religiös-moralischen Aufladung wurden bestimmte schulpolitische Positionen als »christlich«, andere hingegen als »nichtchristlich« verstanden. Aus diesem Grund lässt sich umgekehrt die ›Entmoralisierung‹ einer politischen Frage als eine Form der Liberalisierung verstehen, da durch die Entkoppelung des Themas von verbindlichen Gruppennormen die Entscheidung in den Bereich des individuellen Ermessensspielraums gelegt wird und folglich zu einer höheren Handlungsfreiheit des Einzelnen führt. Die religiösen Autoritäten mögen in diesem Fall zwar nach wie vor als moralische Autoritäten gelten, die politische Autorität hingegen wird bei säkularen Instanzen, im vorliegenden Fall also demokratisch legitimierten Staatsorganen, verortet. Eine derartige Entideologisierung wichtiger Fragestellungen setzt daher ein solides Vertrauen der Gläubigen in die Demokratie als Staats 7 Bereits ein Jahr zuvor hatte Picht in einem Aufsatz den Vorwurf erhoben, das Scheitern einer substantiellen Schulreform liege »wesentlich an dem politischen Einfluß der katholischen Kirche« (Picht, Georg: Die Krise der Kulturpolitik und die Aufgabe der Kirche. In: Lutherische Monatshefte, Jg. 2, Nr. 1 (1963), 456–468, hier 465). Wichtig für die öffentliche Debatte zu diesem Thema wurde auch Ralf Dahrendorfs Schrift »Bildung ist Bürgerrecht« (1965), welche die Chancenungleichheit im Bildungssystem kritisierte, vgl. Hepp, G. F.: Bildungspolitik in Deutschland, 123; vgl. auch Damberg, W.: Säkularisierung des Schulwesens, 642–644.

372  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick und Gesellschaftsform und ihre Institutionen voraus. Ein ebensolches Vertrauen wurde durch das in dieser Arbeit beschriebene religionspolitische Arrangement kultiviert. Im Rahmen dieser engen Kooperationsstrukturen ergab sich für den staatlichen Partner stets die Möglichkeit, sich gegenüber den christlichen Teilen der Bürgerschaft auf die positive Beziehung zu den Kirchen zu berufen. Niedersachsens Ministerpräsident Kopf etwa strebte durch die gute Beziehung zu den evangelischen Landeskirchen erklärtermaßen die Entstehung eines Gemeinschaftsbewusstseins im Sinne einer niedersächsischen Identität an. In Bayern vertraten die CSU-Landesregierungen meist aktiv eine – katholisch geprägte – christliche Identität. Diese Art der Identitätskonstruktion, von der sich die hinter den Regierungen stehenden Parteien natürlich auch positive Wirkungen im Wahlkampf erhofften, scheint geeignet gewesen zu sein, die Legitimität des Staates und damit seine politische Autorität in den entsprechenden kirchlichen Milieus zu festigen. Ein Blick auf die diskursive Ebene lässt die psychologische Wirkung einer solchen Autoritätssymbiose auf die jeweiligen katholischen und evangelischen Bevölkerungsteile als sehr plausibel erscheinen. So zeigt das Fallbeispiel Niedersachsen eindrücklich den Unterschied zwischen der betont freundschaftlichen Rhetorik der evangelischen Landeskirchen gegenüber der Landesregierung auf der einen und der scharf ablehnenden Rhetorik der katholischen Bischöfe auf der anderen Seite: Während erstere die Regierung als Garant kirchlicher Interessen darstellte, bemühte sich letztere, das Regierungshandeln in der Schulpolitik zu delegitimieren, ja die Regierung als Ganze in die Nähe eines Unrechtsregimes zu rücken. Angesichts der erwiesenermaßen hohen Loyalität des katholischen Milieus zu seinen Bischöfen in den 1950er Jahren war eine solche Redeweise geeignet, starke Vorbehalte gegenüber einem Regierungssystem zu schüren, das derart kritisiertes Handeln zuließ. Im Rahmen des Konkordatsabschlusses in Niedersachsen signalisierte die katholische Kirche demgegenüber klar eine Versöhnung mit der Landesregierung und ihrer führenden Partei. Dieser Diskurswandel beruhte auf der Anerkennung des Vertragsschlusses, verwies aber auch auf eine weitergehende Akzeptanz der Regierungspolitik  – und es kann davon ausgegangen werden, dass die niedersächsischen Katholiken dies genauso interpretierten. Anders als in Niedersachsen pflegte die katholische Kirche in Bayern und Nordrhein-Westfalen von 1945 an gute Beziehungen zur Regierung, wenn man von der kurzzeitigen Auseinandersetzung mit Bayerns Kultusminister Fendt absieht. Da der Episkopat die Landespolitik hier jahrelang für eine christliche Schulpolitik gelobt hatte, musste es in den Augen der meisten Gläubigen widersprüchlich erscheinen, wenn angesichts der Schulreformen der 1960er Jahre einige Bischöfe, wie etwa Aachens Bischof Pohlschneider, plötzlich den Konflikt auch mit konservativen Landesregierungen suchten. Angesichts der Tatsache, dass in keinem dieser beiden Länder die Bekenntnisschule oder der Religions-

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unterricht unmöglich gemacht oder auch nur in unzumutbarer Weise behindert wurde, dürfte zahlreichen Laien der heftige Protest einzelner Bischöfe als stures Festhalten von Hardlinern an überkommenen Positionen erschienen sein, worauf unter anderem die Protestschreiben nordrhein-westfälischer Priester an ihre Bischöfe hinweisen. Dass andere Oberhirten, wie etwa Münchens Erzbischof Döpfner, die Reformbestrebungen gleichzeitig unterstützten, musste einen solchen Eindruck noch verstärken. Ein weiterer Aspekt, der einen innerkirchlichen Dispositionswandel begünstigt haben dürfte, ist die Tatsache, dass Kirchenführer beider Konfessionen nach 1945 regelmäßig demokratisches Vokabular gebrauchten, um ihren schulpolitischen Forderungen gegenüber Regierung und Öffentlichkeit Nachdruck zu verleihen – etwa, wenn die demokratischen Rechte christlicher Eltern in der Konfessionsschulfrage geltend gemacht wurden. Viele Geistliche taten dies anfangs eher aus pragmatischem Kalkül heraus als aus innerer Überzeugung. Wird eine Berufung auf demokratische Grundsätze allerdings beständig wiederholt, muss sie von der kirchennahen Öffentlichkeit als Signal der Akzeptanz der beschworenen Werte durch die jeweiligen geistlichen Autoritäten verstanden werden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch auf die Geltendmachung verschiedener Grundrechte von kirchenoffizieller Seite zu verweisen, etwa durch die katholischen Bischöfe Niedersachsens im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit der Landesregierung. Eine derartige Inanspruchnahme liberaler Freiheitsrechte hilft nicht nur dabei, einen demokratischen öffentlichen Diskurs zu reproduzieren, sie verpflichtet auch: Wer sich zur Unterstreichung eigener Ansprüche auf Grundgesetz und Landesverfassung beruft, hat die auf diesen gründende liberaldemokratische Staats- und Gesellschaftsordnung anzuerkennen. Da die Kirchen ihre Forderungen öffentlich erhoben, musste dies von den Gläubigen als entsprechende Richtungsentscheidung verstanden werden. Folglich lässt sich der vollzogene Perspektivwandel der Elternschaft in der bundesrepublikanischen Schulpolitik keineswegs als rein ›externer‹ Einflussfaktor auf Staat und Kirchen verstehen, sondern muss auch als Resultat einer zunächst pragmatischen Annäherung der Kirchen an den liberaldemokratischen Staat begriffen werden, die sich im Rahmen religionspolitischer Kooperationsstrukturen schließlich zu einem genuinen Vertrauensverhältnis entwickelte. Dasselbe gilt auch für die Positionen der Amtskirchen. Diese beugten sich keineswegs rein notgedrungen dem Druck von Politik und Elternschaft und nahmen die flächendeckende Einführung der Gemeinschaftsschule im Laufe der 1960er Jahre nur gezwungenermaßen hin – auch wenn dies bei einzelnen konservativen Kirchenvertretern der Fall gewesen sein mag. Vielmehr wurden die Schulreformideen allgemein auch kirchenintern zunehmend positiv rezipiert, insbesondere auf protestantischer Seite. So sprach sich die EKD auf ihrer Bildungssynode des Jahres 1958 in Berlin aufgrund pädagogischer Erwägungen für die christliche Gemeinschaftsschule als öffentliche Schule aus, ergänzend zu

374  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick welcher kirchliche Privatschulen gefördert werden sollten.8 In der Erklärung der Synode hieß es dazu: Erziehung kann nur in Freiheit und Wahrhaftigkeit geschehen. Deshalb erklärt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, daß über Schule und Lehrer keinerlei kirchliche Bevormundung ausgeübt werden darf. Die sittliche und wissenschaftliche Verantwortung der Erzieher für alle Lehrgehalte und das gesamte Schulleben duldet keine weltanschauliche Bevormundung, gleich welcher Art.9

Zwar fand nach der Abschaffung der Bekenntnisschule als staatliche Regelschule – und also als Zwangsinstitution – der Einsatz der Kirchen für die Möglichkeit konfessioneller Schulbildung nicht einfach sein Ende, das fortgesetzte kirchliche Engagement in dieser Sache erlangte jedoch eine neue Bedeutung: Statt Milieuschutz auf Kosten von Minderheitenrechten bedeutet die private, kirchliche Bekenntnisschule die Eröffnung von Wahlmöglichkeiten für die Eltern jenseits der staatlichen Regelschule und damit eine Stärkung des gesellschaftlichen Pluralismus.

2. Die Analyse der Verteidigungspolitikim Zusammenhang mit dem Bildungsbereich Obgleich das Fallbeispiel zur bundesdeutschen Verteidigungspolitik im Gegensatz zu den schulpolitischen Untersuchungen primär dazu geeignet scheint, den Aspekt der Autoritätssymbiose zu beleuchten, spielt die Frage der Identifizierung der Kirchen mit dem liberaldemokratischen Staat und seiner Werteordnung auch hier eine wichtige Rolle. Wie Kapitel V darlegte, konnte Bundeskanzler Adenauer seine anfangs äußerst umstrittene Politik der Wiederbewaffnung und Eingliederung in die NATO nicht zuletzt deswegen ohne schwerwiegende und längerfristige gesellschaftliche Verwerfungen durchführen, da die Haltung der Kirchen in dieser Frage seinem Kurs moralische Legitimität verschaffte. Eine entsprechende Positionierung der kirchlichen Autoritäten war dabei ebenso wenig ausgemacht, wie eine breite Zustimmung unter den Bürgerinnen und Bürgern. Denn obgleich die sich zuspitzende Konfrontation mit der Sowjetunion als ein gewisser Sachzwang erscheinen mag, zeigt die beharrliche Opposition insbesondere einiger protestantischer Persönlichkeiten wie Niemöller, Gollwit­zer oder Heinemann, dass dieser »Zwang« keineswegs unhintergehbar, die Wiederbewaffnung folglich mitnichten alternativlos oder selbstverständlich war.

8 Vgl. Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 119. 9 Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Schulfrage [30.4.1958]. In: Giese G. (Hg.): Quellen zur deutschen Schulgeschichte, 326–328, hier 326.

Die Analyse der Verteidigungspolitik  375

Die katholische Kirche, unterstützt von ihren Vorfeldorganisationen, und der Großteil der EKD entschieden sich vielmehr bewusst für eine Unterstützung des Regierungskurses. Gerade für die katholische Seite bot dabei die Chance, Einfluss auf die Verteidigungspolitik zu nehmen und am inneren Aufbau der Streitkräfte mitzuarbeiten, einen zentralen Anreiz für ihre Zustimmung. Zudem ließ aber auch die allgemein sehr kirchenfreundliche Politik der Bundesregierung und verschiedener Landesregierungen den Staat als verteidigenswert gegen äußere Angriffe erscheinen – zumal einem Staat, der sich für christliche Wertvorstellungen und kirchliche Forderungen offen zeigte, aus Sicht der Kirchen ein verantwortungsvoller und verhältnismäßiger Einsatz bewaffneter Streitkräfte zugetraut werden konnte. Wie in dieser Hinsicht die beiden hier behandelten Politikfelder Schul- und Verteidigungspolitik miteinander in Zusammenhang standen, zeigt beispielhaft die Äußerung Bischof Kellers von Münster, der die Bekenntnisschule im Jahr 1952 als »Bollwerk der Gewissensfreiheit« gegenüber der totalitären Bedrohung durch den Kommunismus titulierte.10 Der von den Unionsparteien unterstützte Einsatz der Kirchen für eine konfessionelle Schulbildung und der kirchlicherseits befürwortete und beratend wie seelsorgerlich begleitete Aufbau der Bundeswehr waren aus dieser Perspektive gleichermaßen Ausdruck eines christlich geprägten Staates, der sich in einem weltanschaulichen Überlebenskampf behaupten musste. Wenngleich weniger drastisch formuliert, war auch die »Politische Erklärung« des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom 23. November 1960 von einem ähnlichen Tenor getragen. Ausgehend von einem Bekenntnis zur politischen Ordnung des Grundgesetzes und einer Kritik an der religionspolitischen Lage in der DDR forderte das Zentralkomitee zunächst eine entschlossene Fortführung der Außen- und Verteidigungspolitik der Bundes­ regierung. Sodann befasste sich die Erklärung ausführlich mit der Bildungspolitik und mahnte eine effektive Durchsetzung des Elternrechts und die finanzielle Sicherung von Privatschulen an. Diese beiden Aspekte müssen durchaus verbunden gedacht werden, ging es nach dem Zentralkomitee im Ost-West-Konflikt doch »um sittliche und rechtliche Grundlagen politischen Handelns schlechthin, die hier bejaht, dort verachtet werden«.11 Aus katholischer Sicht stand mithin nie nur die rechtliche Garantie einer freien Gesellschaft im Mittelpunkt, sondern stets auch deren sittliche Fundierung – die es notfalls gegen äußere Angriffe zu verteidigen galt. Dementsprechend muss der Anspruch der katholischen Kirche und ihrer Laienverbände auf eine Mitarbeit an einer ›Zivilisierung‹ der bundesdeutschen 10 Zit. nach Damberg, W.: Säkularisierung des Schulwesens, 640; vgl. S. 117 der vorliegenden Untersuchung. 11 Politische Erklärung des Zentralkomitees [23.11.1960] (Dok. 313). In: Hürten, H. (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe 1956–1960, 1045–1049, hier 1045, vgl. 1045–1047.

376  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick Streitkräfte ernst genommen werden – ein Anspruch, der bei aller innerkirchlichen Kritik an der Wiederbewaffnung auch von weiten Kreisen der EKD geteilt wurde. Für beide Kirchen gilt daher, dass sie nicht einfach eine öffentliche Legitimation der Wiederbewaffnungspolitik leisteten im Gegenzug für eine kirchenfreundliche Governance for Religions, wie etwa die Garantie des seelsorgerlichen Zugangs zu den Soldaten oder die Wehrdienstbefreiung von Geistlichen. Vielmehr übernahmen sie durch die Einbeziehung in Strukturen der Governance by Religions, hier insbesondere den Lebenskundlichen Unterricht, eine zentrale Mitverantwortung im Rahmen der Bundeswehr: Wenngleich der Lebenskundliche Unterricht offiziell als eine Art Charakterbildung galt, wurden die Kirchen durch ihr Engagement de facto zu Mitträgern staatsbürgerlicher Bildungsarbeit in der Armee. Dies gilt umso mehr, als sich die kirchliche Militärseelsorge nach 1945, im Gegensatz zu ihrem früheren Selbstverständnis, zunehmend als Element der Zivilgesellschaft innerhalb des tendenziell autoritären militärischen Raumes sah: Die Militärseelsorge sollte eine freiheitliche Wirkung entfalten, die es dem einzelnen Soldaten ermöglichte, sich stets als vollberechtigter Staatsbürger zu begreifen. Ob ursprünglich intendiert oder nicht, machten sich die Kirchen so zu Mitgestaltern der liberaldemokratischen Gesamtentwicklung der Bundesrepublik. Die in den Kirchen ausführlich diskutierte und öffentlich vielfach bekundete Verantwortungsübernahme für die Festigung demokratieverträglicher und freiheitlicher Strukturen in den Streitkräften wird daher ihrerseits die Selbstverortung der Kirchen als demokratiebejahende Kraft gestärkt haben. Wie im Bereich der Bildungspolitik, so wurde auch hier im »Resonanzverhältnis zwischen politischen und religiösen Anreizen«12 die Entstehung religiöser Liberalität gefördert.

3. Gesamtbewertung Auf der Basis dieser Zusammenfassung der im Rahmen der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse ist es nun möglich, die Plausibilität der zugrundeliegenden Arbeitshypothese zu bewerten. Gemäß der These soll der liberaldemokratische Staat die von ihm gewünschte Entstehung religiöser Liberalität innerhalb ›seiner‹ Religionsgemeinschaften durch eine entgegenkommende, kooperative religionspolitische Governancepraxis mit Angeboten und Anreizen begünstigen können. Dabei würden bestehende theologisch begründete Vorbehalte gegenüber einer liberaldemokratischen Verfasstheit des Staates nicht durch theoretische Überzeugung, sondern vielmehr durch positive praktische Erfahrungen mit Politik und Rechtsordnung überwunden. In diesem Zusammenhang vermöge der Staat von einem etwaigen Autoritätsvorsprung der Religionsgemeinschaften 12 Poetke, F. / Fischer, K.: Religionspolitische Autoritätssymbiose, 225.

Gesamtbewertung  377

ihm gegenüber sogar zu profitieren, indem er sich durch seine religionsfreundliche Politik ihrer Loyalität vergewissert und dadurch seine politische Autorität gegenüber den Gläubigen festigt. Die weitreichenden, etablierten Kooperationsstrukturen zwischen den Landesregierungen und den Kirchen im Bereich der Schulpolitik sowie der Bundesregierung und den Kirchen in verteidigungspolitischen Fragen wurden in den vorangegangenen Kapiteln umfassend dargestellt. Dabei wurde auch deutlich, dass beide Kirchen mit großem theologischen und historischen Ballast in die junge bundesrepublikanische Demokratie gegangen sind: Argwohn gegenüber dem weltanschaulich neutralen Staat und Unverständnis für Minderheitenrechte wie auch für parlamentarische Aushandlungsprozesse sorgten immer wieder für Irritationen und Konflikte mit den staatlichen Partnern. Ungeachtet der somit bestehenden theoretischen Vorbehalte arbeiteten die Kirchen, motiviert durch den Wunsch nach der Erfüllung bestimmter Forderungen, mit den zuständigen staatlichen Stellen zusammen. Angesichts des generellen staatlichen Entgegenkommens und um den Erfolg der Kooperation nicht zu gefährden, akzeptierten sie dabei auch als nicht optimal erachtete Politikergebnisse. Da die Kirchen im Rahmen dieser Kooperation die Erfahrung machten, dass der liberaldemokratische Staat trotz seiner konstitutionell verbürgten weltanschaulichen Neutralität ihre Anliegen und Interessen in nicht unerheblichen Umfang berücksichtigte und politisch umsetzte, konnten sie ihn als Garanten kirchlicher Freiheit anerkennen. Auf diese Weise wurde zudem ein wichtiger demokratischer Prozess eingeübt, nämlich das Austarieren unterschiedlicher Positionen und die Suche nach für alle Beteiligten tragbaren Kompromisslösungen. Gerade die Zunahme kirchlicher Kompromissfähigkeit lässt sich anhand der empirischen Fallbeispiele gut beobachten. Im Falle der evangelischen Kirche war die Entwicklung dieser wichtigen Demokratiekompetenz bereits mit der innerkirchlichen Wiederbewaffnungsdebatte verbunden, da hier eine gesamtkirchliche Haltung unter Berücksichtigung widerstreitender theologischer wie auch politischer Einstellungen gefunden werden musste. Die Aushandlungsprozesse innerhalb des Protestantismus machten auf besonders deutliche Weise die Notwendigkeit von Toleranz gegenüber politisch wie theologisch abweichenden Positionen augenscheinlich. Demgegenüber wandelte sich die Haltung der katholischen Seite unter anderem in den schulpolitischen Auseinandersetzungen mit SPD und FDP: Katholische Kirchenvertreter zeigten zunächst häufig ein profundes Unverständnis für demokratische Aushandlungsprozesse und politische Handlungslogiken, weshalb sie auch angesichts erheblicher Opposition auf Maximalforderungen bestanden und im Fall deren auch nur partieller Nichtumsetzung schnell den Vorwurf kulturkämpferischer Kirchenfeindschaft erhoben.13 Zumal angesichts der fortschreitenden Liberalisierung der Unions 13 Vgl. dazu auch Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 77f, 507.

378  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick parteien musste die Kirche jedoch erkennen, dass Kompromissbereitschaft zunehmend wichtiger wurde, um noch möglichst viele katholische Interessen durchsetzen zu können.14 Aus zunächst rein pragmatischen Erwägungen erwuchs somit ein Verhalten, das einer liberaldemokratischen politischen Kultur entsprach. Insbesondere die Fallstudie zur niedersächsischen Schulpolitik zeigt jedoch deutlich, dass diese Entwicklung erst durch politische Anreize und Kooperationsangebote maßgeblich befördert wurde: Während die katholische Kirche bei fehlender Kooperationsbereitschaft der Landesregierung auf Konfrontationskurs ging und eine regelrecht fundamentaloppositionelle Haltung einnahm, zeigte sie sich umgehend zu Verhandlungen bereit, sobald das Land diese anbot und Zugeständnisse in Aussicht stellte. Mit der Zeit lernten die Kirchen somit zunehmend, auch solche Regierungen und Verwaltungen als legitime Partner anzusehen, die personell nicht ihrer Konfession entsprachen und auch nicht für sich in Anspruch nahmen, eine christliche Politik zu betreiben. Dies gelang vor allem dann, wenn besagte Regierungen kooperative Governancestrategien verfolgten und den Kirchen Anreize für eine Zusammenarbeit boten. Ebenso wurde die Notwendigkeit von weltanschaulicher Toleranz und der darauf basierenden Bereitschaft, politische Kompromisse zu schließen, für das Funktionieren demokratisch organisierter pluralistischer Gesellschaften unterstrichen, wenn betont kirchenfreundliche Kräfte wie die Unionsparteien aus pragmatischen Erwägungen überkonfessionelle und überparteiliche Lösungen für politische Probleme suchten – etwa in der bayerischen Schulpolitik der späten 1960er Jahre. Graduell verinnerlichten kirchliche Autoritäten auf diese Weise liberaldemokratische Kernwerte und die Funktionslogiken der repräsentativen Demokratie, was sich in einem Wandel des öffentlichen Diskurses niederschlug: Vermehrt wurden nun auch seitens der Kirchen anstelle von theologischen demokratische Argumente vorgebracht, wenn es um politische Fragen ging. Damit stellten sich neben den führenden politischen Parteien und prominenten Intellektuellen auch die Kirchenführungen unter den neuen liberaldemokratischen Konsens der Bundesrepublik. Da das bundesrepublikanische System so von keinem einflussreichen Akteur mehr ernsthaft infrage gestellt wurde, musste dies die innere Aneignung der Demokratie durch die Gläubigen stark begünstigen.15 Dass sich in der Tat nicht nur die Kirchenführungen, sondern auch das Kirchenvolk demokratische Prinzipien zunehmend zu eigen machten, zeigen nicht zuletzt die Forderungen nach innerkirchlicher Demokratisierung, die in den späten 1960er Jahren auch im Katholizismus stark anstiegen.16 Offenbar beeinflussten das faktisch demo 14 Vgl. auch Sauer, Thomas: Einleitung. In: Sauer, T. (Hg.): Katholiken und Protestanten, 9–18, hier 11. 15 Vgl. dazu Schwaabe, C.: Die deutsche Modernitätskrise, 456. 16 Vgl. Maier, H.: Die Kirchen, 514.

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kratiekonforme Handeln der Kirchenleitungen und die allgemeine Freiheitserfahrung im liberaldemokratischen Staat die Erwartungshaltung der Gläubigen an die innerkirchlichen Strukturen.17 Was die Auswirkungen dieser Dynamiken auf die Autorität des liberaldemokratischen Staates im Sinne der in der These vermuteten Autoritätssymbiose anbelangt, können an dieser Stelle nur vorsichtige Aussagen getätigt werden. Eine minutiöse Beweisführung über eine effektive Steigerung staatlicher Autorität ist schon allein aufgrund der Materiallage nicht möglich, würde sich aber ohnehin als technisch schwierig erweisen: Zumindest wären detaillierte Umfragen unter den betroffenen Bevölkerungsgruppen – hier also kirchentreue Katholiken und Protestanten – über einen längeren Zeitraum nötig, um Veränderungen in der Autoritätszuschreibung an den Staat festzustellen. Selbst das Vorliegen solcher Daten ließe jedoch nur bedingte Schlüsse zu, da die tatsächlichen Ursachen für den Wandel bestimmter politischer Einstellungen selten monokausal sind. Ungeachtet dessen lassen sich hier eine Reihe von Indizien zusammentragen, die dafürsprechen, dass der bundesrepublikanische Staat durch die partnerschaftliche Kooperation mit den Kirchen seine Autorität auf Bundes- wie Länderebene bei kirchennahen Kreisen tatsächlich festigen und steigern konnte. So kann zunächst konstatiert werden, dass Landes- wie Bundesregierungen den Schulterschluss mit den Kirchen gezielt suchten und bei umkämpften politischen Vorhaben, die kirchliche Interessen berührten, für sich in Anspruch nahmen, den kirchlichen oder zumindest den mehrheitskonfessionellen Standpunkt zu vertreten. Bemerkenswerterweise traf dies für die CSU in Bayern und die CDU in Nordrhein-Westfalen ebenso zu wie für die SPD in Niedersachsen. Der Verweis auf die Beachtung und Erfüllung kirchlicher Anliegen diente dabei jeweils nicht lediglich der Bewerbung eines bestimmten politischen Projekts, sondern sollte die Position der Regierung allgemein stärken und ihre Politik legitimieren. In der Tat unterstützten die Kirchen Regierungen, die sich ihnen gegenüber als verlässliche Partner erwiesen, öffentlichkeitswirksam durch Lob und anerkennende Äußerungen in Hirtenworten, Predigten oder Pressemitteilungen. Unmittelbare Wirkung war dabei gerade von den an die eigenen Gläubigen gerichteten Informationen und Aufrufen zu erwarten. Die Wahlempfehlungen der katholischen Bischöfe an ihre Diözesen dürften maßgeblich für die lange Zeit stabil hohe Unterstützung der Unionsparteien durch das katholische Milieu verantwortlich gewesen sein.18 Ebenso fand die Kritik des Episkopats gegen unliebsame politische Maßnahmen Gehör bei den Katholiken, wie etwa die erfolgreiche Mobilisierung zum Protest gegen die niedersächsische Schulgesetzgebung verdeutlichte. Wenngleich die evangelischen Landeskirchen und die EKD meist deutlich weniger direkt zu Unterstützung oder Opposition 17 Vgl. dazu auch Möllers, C.: Grenzen der Ausdifferenzierung, 32. 18 Vgl. Liedhegener, A.: Macht, Moral und Mehrheiten, 59.

380  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick aufriefen, zeigten sich hier doch grundsätzlich dieselben Muster: Während der bayerische Landesbischof Meiser seinen Einfluss zur Stärkung der Staatsregierung gegenüber der US -Militärverwaltung geltend machte, unterstützten die niedersächsischen Landeskirchen den bildungspolitischen Kurs der dortigen SPD -Landesregierung in öffentlichen Äußerungen. Auch auf Bundesebene lassen sich diese Zusammenhänge nachvollziehen: Der katholische Episkopat und zahlreiche Katholiken sahen in Konrad Adenauer den »Garant[en] einer auf dem Boden christlicher und konservativer Wertvorstellungen ruhenden Politik, die dem Katholizismus politisch-ideologisch Sicherheit vor dem weltanschaulichen Gegner bot«.19 Deshalb konnten sie die verteidigungspolitischen Pläne des Bun­ deskanzlers nachdrücklich unterstützen und verliehen damit der umstrittenen Politik dringend benötigte Legitimität, was wiederum die Autorität der Regierung in der öffentlichen Auseinandersetzung stärkte. Wenn im Katholizismus Adenauers politische Position häufig »mit der verfassungsmäßigen konstituierten Grundordnung als solcher« identifiziert wurde, wie Doering-Manteuffel befindet,20 ist dies nur ein scheinbarer Widerspruch zur These dieser Untersuchung. Denn obwohl im Rahmen der Verteidigungspolitik wie auch der Schulpolitik der Länder eine Autoritätssymbiose auf der ersten Ebene zunächst zugunsten der jeweiligen Regierung und der sie stützenden Partei(en) stattgefunden haben mag, legitimierte sich über die Haltung dieser Regierungen schließlich auch der freiheitlich-demokratische Staat als solcher in den Augen der Kirchenführungen und der Gläubigen. Mit anderen Worten: Wenn bestimmten Regierungen, die von stabilen parlamentarischen Mehrheiten getragen werden und die sich selbst auf den Boden der Verfassung stellen, politische Autorität und demokratische Legitimation zugeschrieben wird, erhalten dadurch das politische System und der Staat als solche Legitimität und Autorität.21 Es erscheint daher plausibel, dass die kirchenfreundliche Politik von Bundes- und Landesregierungen im Untersuchungszeitraum positive Auswirkungen auf das Ansehen des freiheitlich-demokratischen Staates und damit auf die staatliche Autorität in den Kirchen hatte – bei Amtsträgern ebenso, wie bei kirchennahen Gläubigen.22 Insofern errichtete die Bundesrepublik durch Aufgabenteilung im Rahmen von Governance by Religions nicht etwa eine Art Parallelautorität, die in Konkurrenz zu ihr stand, sondern gewann gerade dadurch Legitimität, Loyalität und Autorität, indem sie Kompetenzen abgab und kirchliche Selbstverwaltung zugestand. Auf diese Weise nämlich bewies die junge bundesdeutsche Demokratie, dass sie nicht kulturpolitisch totalitär agieren würde, sondern vielmehr den Öffentlichkeitsanspruch der Religionsge 19 Doering-Manteuffel, A.: Kirche und Katholizismus, 124. 20 Ebd., 125. 21 Vgl. dazu auch Raz, J.: The Problem of Authority, 1028. 22 So etwa auch Liedhegener, A.: Tolerierung – Akzeptanz – Unterstützung, 115.

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meinschaften anerkannte. Angesichts einer deutschen Geschichte, die zahlreiche Beispiele für Autoritätssymbiosen zwischen den Kirchen und nichtdemokra­ tischen Regimen kennt, war diese Entwicklung nach 1945 entscheidend, um das kirchliche Misstrauen gegenüber der liberaldemokratischen Ordnung abzubauen und ihre Unterstützung durch die Kirchen zu sichern. Während aus Sicht insbesondere einiger konservativer lutherischer Theologen der demokratische Staat keine Autorität im klassisch theologischen Verständnis mehr besaß, war es somit gerade die kirchliche Mitarbeit, die in Deutschland zu einer Steigerung der politischen Autorität des liberaldemokratischen Staates beitrug. Obgleich die Kirchen im Rahmen dieser Kooperationsbeziehung mittelfristig einen Rückgang ihrer eigenen politischen Autorität erlebten, da diese seitens der Gläubigen zunehmend den demokratischen Institutionen zugeschrieben wurde, festigten sie andererseits ihren Einfluss bei Parteien und Regierungen und konnten so eine zuverlässige Berücksichtigung ihrer Interessen erreichen.23 Tatsächlich kommt Buchna mit Blick auf die Kirchen zu dem Schluss: »Kein Verband, keine andere Organisation erhielt auf vergleichbar breiter Ebene einen solch privilegierten und vor allem frühzeitigen Zugang zu politisch relevanten Informationen und Entscheidungsträgern.«24 Der Begriff der »Symbiose« zur Beschreibung des Verhältnisses von Staat und Kirchen in der frühen BRD erscheint daher auf jeden Fall gerechtfertigt. Die bisher getätigte Zusammenschau der Ergebnisse erlaubt es, die Überlegungen zur Entwicklung liberaldemokratischer Dispositionen in den Kirchen im Rahmen politischer Kooperationsstrukturen sowie zur Autoritätssymbiose als plausibel zu bezeichnen. Allerdings gilt es noch einen letzten Aspekt der These dieser Untersuchung zu beleuchten, nämlich die theologische Reflexion der demokratiefreundlichen Haltung: Erst die Bejahung freiheitlich-demokratischer Lebensformen aus dem religiösen Ethos heraus ließe eine genuine Entwicklung religiöser Liberalität konstatieren.

4. Die theologische Rückkopplung der kirchlichen Freiheitserfahrungen Eine theologische Einholung der in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigten positiven Erfahrungen mit der liberalen Demokratie fand in der Bundesrepublik sowohl in der katholischen wie in der evangelischen Kirche statt. Während auf evangelischer Seite die Landeskirchen und die EKD den Rahmen der Neuverortung darstellten, war die katholische Seite in den Kontext ihrer Gesamtkirche eingebunden: Hier markierte das Zweite Vatikanische Konzil, eröffnet 1962 23 Dieses scheinbare Paradox beobachtete bereits Spotts, F.: Kirchen und Politik, 310. 24 Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 527.

382  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick durch Papst Johannes XXIII. (reg. 1958–1963) und nach dessen Tod von Paul VI. (reg. 1963–1978) bis 1965 fortgeführt, einen Meilenstein in der theologischen Verarbeitung und Einbettung dieser Staatsform. Mit der Anerkennung des liberaldemokratischen Verfassungsstaats als ein für den Katholizismus potentiell freundliches politisches Umfeld erfuhr eine von zahlreichen westeuropäischen und nordamerikanischen Katholiken bereits gelebte Praxis nun auch theoretische Bestätigung. Angesichts der nach wie vor beträchtlichen lehramtlichen Autorität der Kirche war dies wiederum Grundlage für eine weitere Verbreitung liberaldemokratischer Ideen unter Katholiken.25 Eine entscheidende Grundlage für die Beschlüsse des Konzils legte Johannes XXIII. im Jahr 1963 in seiner Enzyklika »Pacem in terris«. Die Enzyklika ist Ausdruck eines »neuen sozialethischen Argumentationsstil[s] der päpstlichen Soziallehre«, der als »personalistische« oder »personalethische Wende« bezeichnet werden kann.26 Johannes betonte die Würde des Menschen als Person wie auch seine Vernunft und Willensfreiheit. Aus diesen Grundannahmen ergab sich im Denken des Papstes die logische Folge einer prinzipiellen Moralfähigkeit jedes Menschen, indem sittliche Normen bereits durch die bloße Vernunft erkennbar seien – nicht mehr allein durch die kirchliche Lehre. Daraus musste gleichsam die Anerkennung religiöser Toleranz »nicht mehr als unvermeidliches Übel, sondern als hoher sittlicher Wert« erfolgen.27 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Eingeständnis, dass die Zusammenarbeit von Christen mit bestimmten politischen oder sozialen Bewegungen sinnvoll sein könne, auch wenn diese aus falschen Weltanschauungen hervorgegangen seien, da zwischen theoretischen Ursprung und praktischem Wirken zu unterscheiden sei.28 Hier wurde also den Katholiken der Weg zu einer Zusammenarbeit mit sozialistischen und liberalen Kräften eröffnet.29 Hinsichtlich demokratischer Gesellschaften erklärte der Papst schließlich, dass die Annahme des göttlichen Ursprungs staatlicher Autorität sehr wohl mit demokratischen Regierungs­ systemen vereinbar sei.30 Auf diesen Grundlagen baute die Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« des Jahres 1965 auf. In ihr unternahm das Zweite Vatikanische Konzil nicht weniger als eine Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Welt, indem der Eigenwert der säkularen Gesellschaftsordnung und der sittlichen Ver 25 Siehe etwa Liedhegener, A.: Der deutsche Katholizismus, 76; Doering-Manteuffel, A.: Kirche und Katholizismus, 130. 26 Uertz, Rudolf: Die Lerngeschichte des Katholizismus hinsichtlich moderner freiheitlicher Rechts- und Verfassungsideen. Die ›personalethische Wende‹ der katholischen Kirche. In: Gabriel, K. et al. (Hg.): Religionsfreiheit und Pluralismus, 99–114, hier 99. 27 Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 467; vgl. ebd., 465–468. 28 Vgl. Johannes XXIII.: Pacem in terris. In: AAS 55 (1963), 257–304, hier 300 f. 29 Vgl. auch Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 469. 30 Vgl. Johannes XXIII.: Pacem in terris, 271.

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antwortung der Person in ihren privaten und sozialen Beziehungen gewürdigt wurde. Damit bezog die Pastoralkonstitution »Position zur Emanzipation der Welt und der Gläubigen von einseitig bevormundenden theologisch-kirchlichen Strukturen und heteronomen Moralvorstellungen«.31 Bemerkenswert ist die positive Behandlung persönlicher und staatsbürgerlicher Rechte – gerade auch für Minderheiten –, deren Bestand als »notwendige Bedingung dafür, daß die Bürger einzeln oder im Verbund am Leben und der Leitung des Staates tätigen Anteil nehmen können«, erkannt wird.32 Ungeachtet des offensichtlich gewandelten Verhältnisses zum demokratischen Verfassungsstaat empfanden manche Kommentatoren die Konzilsaussagen in »Gaudium et spes« als nicht weitgehend genug. Aufgrund der Tatsache, dass die Pastoralkonstitution an der grundlegenden Gottgegebenheit politischer Autorität – bei gleichzeitiger konkreter Ausgestaltung des Staates durch die Bürger  – festhält, kritisiert beispielsweise Hermann-Josef Große Kracht, »Gaudium et spes« könne »noch keinen positiven Begriff des weltanschaulich neutralen demokratischen Rechtsstaates entwickeln« oder die Volkssouveränitätslehre anerkennen, sondern gehe vielmehr schlicht »von der Realität einer pluralistischen Gesellschaft« aus.33 Aus einer pragmatistisch-liberaldemokratischen Perspektive ließe sich hierauf freilich erwidern, dass es relevanter sei, gesellschaftlichen Pluralismus in der Praxis anzuerkennen und zu bejahen als ihn theoretisch zu rechtfertigen. Zudem stellen konstitutionelle, liberaldemokratische Verfassungen neben das Prinzip der Volkssouveränität die Bindung der Politik an Grund- und Menschenrechte, wodurch ein Anknüpfungspunkt an die christliche Wertordnung bestand. So gesehen bildete »Gaudium et spes« für die katholische Kirche und ihre Gläubigen eine wichtige Voraussetzung der vollständigen Anerkennung des freiheitlich-demokratischen Rechts- und Verfassungsstaates auf der Grundlage ihres Glaubens. Einen weiteren zentralen Baustein in dieser Entwicklung stellt die Erklärung über die Religionsfreiheit »Dignitatis humanae« (1965) dar. Zwar hält die Erklärung am absoluten Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche fest; indem das Konzil hier jedoch, wiederum von der Würde der Person aus argumentierend, eine Differenzierung von Recht und Moral vornimmt, kann das Recht auf Religionsfreiheit bejaht werden, da die Frage nach der Wahrheit sowie das persönliche Verhältnis des Einzelnen zu Gott dadurch nicht als berührt ange­ sehen wird.34 Das Konzil nimmt eine klassische liberale Position ein, wenn es in 31 Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 471, vgl. 470. 32 Zweites Vatikanisches Konzil: Gaudium et spes. In: AAS 58 (1966), 1025–1120, hier 1094f; Übersetzung nach der offiziellen deutschen Fassung, URL: http://www.vatican.va/ archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-​ spes_ge.html (Stand 20.3.2020), hier Nr. 37. 33 Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 232, vgl. 228 f. 34 Vgl. Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 480–482.

384  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick »Dignitatis humanae« heißt, es sei ein Unrecht, »wenn jemandem die freie Verwirklichung der Religion in der Gesellschaft verweigert wird, vorausgesetzt, daß die gerechte öffentliche Ordnung gewahrt bleibt«.35 Konsequenterweise fordert die Erklärung in Übereinstimmung mit liberaldemokratischen Grundsätzen, dass »die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, die als solche zum Gemeinwohl der Gesellschaft gehört, niemals entweder offen oder auf verborgene Weise um der Religion willen verletzt wird und daß unter ihnen keine Diskriminierung geschieht«.36 Mit dieser Position wandte sich die katholische Kirche vom überkommenen Ideal des christlichen Staates ab – und dies auf der Grundlage individueller Freiheitsrechte. Das Konzil übernahm damit im Kern gleichsam jene liberale Rechtstheorie, auf deren Basis die Kirche in freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaaten bereits seit Jahren pragmatisch mit den staatlichen Stellen zusammengearbeitet hatte.37 Wenn, wie Antonius Liedhegener schreibt, die Bejahung der Religionsfreiheit »als Test- und Ernstfall für eine bewusst vollzogene und verinnerlichte Anerkennung der Demokratie« angesehen werden kann,38 muss »Dignitatis humanae« als Schlüsseldokument des Konzils gelten und unterstreicht prägnant den Wandel des katholischen Staats- und Gesellschaftsverständnisses. Zur Anerkennung der Religionsfreiheit und zur Abkehr vom Ideal des christlichen Staates passt die Tatsache, dass das Konzil nicht das traditionelle Selbstverständnis der Kirche als »societas perfecta« unterstrich, die, dem Staat gleichgeordnet, oberste Zuständigkeit nicht nur in geistlichen Fragen, sondern auch in sittlichen Belangen beanspruchte. Tatsächlich wurde dieser Begriff in den Konzilsdokumenten nicht verwendet und stattdessen vielmehr die Rolle der Kirche als Heilsvermittlerin wieder stärker betont.39 Damit aber eröffnete das Konzil der katholischen Kirche den Weg zu einer Selbstverortung als Teil der Zivilgesellschaft liberaldemokratischer Staaten, in der sie weniger aus überlegener Position auf staatlich garantierte Privilegien pocht, als vielmehr Politik und Gesellschaft in kritischer Solidarität an ihre Gemeinwohlverpflichtung erinnert.40 In diesen Kontext gehört auch die Neupositionierung in Fragen von Schule und Bildung, die nach dem allmählichen Umschwenken in der Praxis nun auch lehramtlich vorgenommen wurde. Die Konzilserklärung »Gravissimum educa 35 Zweites Vatikanisches Konzil: Dignitatis humanae. In: AAS 58 (1966), 929–946, hier 932; Übersetzung nach der offiziellen deutschen Fassung, URL: http://www.vatican.va/archive/ hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decl_19651207_dignitatis-humanae_ ge.html (Stand 20.3.2020), hier Nr. 3. 36 Ebd., 934 (Nr. 6 der deutschen Fassung). 37 Vgl. Uertz, R.: Vom Gottesrecht, 480 f. 38 Liedhegener, A.: Tolerierung – Akzeptanz – Unterstützung, 115. 39 Vgl. Mikat, P.: Kirche und Staat in nachkonziliarer Sicht, 432–435. 40 Vgl. ebd., 441.

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tionis« (1965) erkennt nicht nur die Notwendigkeit an, moderne pädagogische und didaktische Erkenntnisse zu berücksichtigen, sondern gesteht dem Staat auch erstmals ausdrücklich die Aufgabe zu, für eine angemessene Schulbildung zu sorgen. Obgleich ein staatliches Schulmonopol weiterhin abgelehnt wird, geschieht dies nun mit Verweis auf den »in sehr vielen Staaten heute herrschenden Pluralismus«.41 Eingedenk dieses Pluralismus macht die Erklärung auch einige Zugeständnisse an pragmatische Arrangements: So wird zum einen das Verbot des Besuchs nichtkatholischer Schulen gelockert, wobei die Eltern weiterhin verpflichtet bleiben, nach Möglichkeit für eine katholische Schulbildung zu sorgen.42 Zum anderen würdigt »Gravissimum educationis« verschiedene Erscheinungsformen der katholischen Schule, darunter auch solche, die von Schülerinnen und Schülern anderer Konfession besucht werden.43 In der Bundesrepublik nahmen zwar nicht alle Bischöfe die Konzilsbeschlüsse positiv auf – einige ältere, wie insbesondere der bereits erwähnte Bischof Pohlschneider, hielten etwa verbissen an der hergebrachten Form der Bekenntnisschule fest  – doch der Vorsitzende der 1966 als Nachfolgerin der Fuldaer Bischofskonferenz ins Leben gerufenen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Döpfner, galt den Ergebnissen des Konzils gegenüber als aufgeschlossen.44 Die Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« rezipierend, hoben die Bischöfe in einem Schreiben des Jahres 1969 den hohen Wert der Religionsfreiheit für pluralistische Gesellschaften hervor und betonten, dass diese Freiheit als Grundrecht verankert sein müsse. Ganz im liberaldemokratischen Sinne heißt es weiter, der Staat sei zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, weshalb ihm kein Urteilen über Wahrheit religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen zustehe. Die allgemeinen Menschenrechte bezeichnete der Episkopat als die verbindenden Werte der Gesellschaft.45 Im Einklang mit den Aussagen von Gaudium et spes war mit dieser Haltung die Anerkennung der Eigenständigkeit von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft verbunden  – und damit gleichzeitig eine Bedeutungssteigerung des Laienengagements in der katholischen Kirche. Insbesondere in ihrer eigenen politischen Verortung wurden die Katholiken nun unabhängiger 41 Zweites Vatikanisches Konzil: Gravissimum educationis. In: AAS 58 (1966), 728 –739, hier 733; Übersetzung nach der offiziellen deutschen Fassung, URL: http://www.vatican.va/ archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decl_19651028_gravissimumeducationis_ge.html (Stand 20.3.2020), hier Nr. 6. Vgl. auch Schmitz-Stuhlträger, K.: Das Recht auf christliche Erziehung, 324, 330–333; Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 181. 42 Gravissimum educationis, 736; vgl. Schmitz-Stuhlträger, K.: Das Recht auf christliche Erziehung, 330. 43 Gravissimum educationis, 736. 44 Vgl. Thielking, K. O.: Die Kirche als politischer Akteur, 121; Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 235–237. 45 Deutsche Bischofskonferenz: Die Kirche in der pluralistischen Gesellschaft, 13–15.

386  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick von den Bischöfen, was in parteipolitischer Hinsicht den Weg zu neuen Optionen eröffnete.46 In der SPD erkannte man die in der konziliaren Aufbruchstimmung liegenden Chancen schnell. Bereits seit dem »Godesberger Programm« von 1959 hatte die Partei einen Annäherungskurs an die Kirchen eingeschlagen, indem diese als mögliche Partner der Sozialdemokratie anerkannt wurden. Während die katholische Kirche zunächst skeptisch ob des Wandels der SPD blieb und auch innerhalb der Partei noch Ressentiments bestanden, kam es ab 1961 vermehrt zu Gesprächen zwischen Vertretern beider Seiten.47 Besonders auf der Grundlage der Enzykliken Johannes’ XXIII. machten katholische Kirche und SPD vermehrt programmatische Übereinstimmungen aus. Infolge des Konzils nahmen 1964 hochrangige Sozialdemokraten sogar an einer Audienz bei Paul VI. teil, welcher die programmatische Entwicklung der SPD begrüßte. In einem Dankesschreiben an den Papst verpflichtete sich die SPD daraufhin, Maßnahmen zu vermeiden, welche »die Gewissen der Mitbürger beschweren oder die für sie verbindlichen religiös-weltanschaulichen Überzeugungen kränken könnte[n]«.48 Zu einer wirklichen Annäherung zwischen katholischer Kirche und Sozialdemokratie kam es in der Bundesrepublik jedoch insbesondere aufgrund des Durchbruchs bei den Verhandlungen um das niedersächsische Konkordat: Einerseits wirkte die Aufbruchstimmung des Konzils sicherlich auf die Konkordatsverhandlungen zurück, andererseits demonstrierte deren zufriedenstellendes Ergebnis den Skeptikern auf katholischer Seite, dass es der SPD mit ihrem Kurswechsel ernst war.49 Es kann daher eine ineinandergreifende, sich gegenseitig verstärkende Dynamik von Konzilsbeschlüssen und positiven Erfahrungen in der praktischen Politik konstatiert werden. Auf programmatischer Ebene zeigte sich die Reichweite des neuen, partnerschaftlichen Verhältnisses von katholischer Kirche und SPD in einem gemein­ samen Positionspapier zu Schulfragen aus dem Februar 1968, in dem man Einigkeit bezüglich der Gliederung des Schulwesens sowie zum Verhältnis von Gemeinschafts- und Bekenntnisschule feststellen konnte.50 Noch wenige Jahre zuvor wäre ein solches Papier schlicht undenkbar gewesen. Deutlich äußerte sich die neue Stimmungslage auch in der Regierungserklärung des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers, Willy Brandt (1913–1992), im Jahre 1969. Brandt sagte darin unter anderem:

46 Vgl. Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 220. 47 Vgl. Aretz, J.: Katholizismus und deutsche Sozialdemokratie, 75–78; Klotzbach, K.: SPD und Katholische Kirche, XLIIf. 48 Zit. nach Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 231; vgl. Aretz, J.: Katholizismus und deutsche Sozialdemokratie, 79 f. 49 Vgl. Klotzbach, K.: SPD und Katholische Kirche, XLIV. 50 Siehe Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 249 f.

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Im Dienst am Menschen […] begegnet sich das Wirken kirchlicher und gesellschaftlicher Gruppen mit dem politischen Handeln. Wir werden uns ständig darum bemühen, daß sich die begründeten Wünsche der gesellschaftlichen Kräfte und der politische Wille der Regierung vereinen lassen.51

Somit lässt sich eine Entwicklungslinie ziehen von der weltanschaulichen Öffnung der SPD in Bad Godesberg über die politische Öffnung des bundesdeutschen Katholizismus im Rahmen des Konzils und die Annäherung von Episkopat und SPD bis zur Bildung der Regierung Brandt als der ersten nichtunionsgeführten Bundesregierung.52 Die Doppelstrategie der SPD wird hier offenkundig: Bekämpfte man auf der einen Seite kirchliche Parteinahme für die Union als Klerikalismus, sah man auf der anderen Seite durchaus den Vorteil einer eigenen Kooperation mit den Kirchen. In der Sozialdemokratie wurde dabei spätestens nach der Bundestagswahl 1957, in der die Union mit 50,2 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit erreichte, die Notwendigkeit offenkundig, bessere Beziehungen zur katholischen Kirche herzustellen, um endlich effektiv ins katholische Wählermilieu vordringen zu können. Gleichzeitig hatte auch die katholische Seite ein Interesse, Kooperationspotenziale jenseits der Unionsparteien auszuloten, da insbesondere die CDU zunehmend liberalere Positionen bezog und damit nicht mehr selbstverständlich als eine Partei angesehen werden konnte, die kirchliche Interessen vertrat.53 Bedingt durch die Emanzipation der Union von kirchlichen Gesellschaftsvorstellungen musste sich also auch die katholische Kirche allmählich politisch emanzipieren und lernen, unabhängig von Parteibindungen am demokratischen Prozess zu partizipieren. Indem das Prädikat »christliche Politik« nicht länger fest einer Partei zugeschrieben wurde und sich für kirchentreue Katholiken damit neue, selbstbestimmte politische Optionen eröffneten, war diese Entwicklung auch Ausdruck wachsender religiöser Liberalität im deutschen Katholizismus. Hatte also zunächst in theologischer Hinsicht das »erst im Kontext des II. Vatikanischen Konzils […] aufgearbeitete Trauma der Französischen Revolution« der katholischen Kirche die Würdigung religionsfreundlicher Formen der Demokratie verwehrt,54 partizipierten Laien und Geistliche dennoch pragmatisch am politischen Leben demokratischer Staaten wie der BRD. Das Konzil vollzog somit gleichsam kirchenamtlich nach, was im täglichen Leben häufig bereits praktiziert wurde.55 Die wegweisenden Beschlüsse des Konzils Staat und Politik 51 Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 5. Sitzung (6. WP), 28.10.1969, 21; vgl. auch Gauly, T. M.: Kirche und Politik, 260 f. 52 So Liedhegener, A.: Demokratie – Pluralismus – Zivilgesellschaft, 58 f. 53 Vgl. Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 407; Doering-Manteuffel, A.: Kirche und Katholizismus, 128–130. 54 Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 115. 55 Vgl. dazu auch Uertz, R.: Lerngeschichte des Katholizismus, 111.

388  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick betreffend bildeten daher zwar einerseits einen Ausgangspunkt und starken Impuls für eine weitere Annäherung der katholischen Kirche an den freiheitlich-demokratischen Staat – und zeigen damit die Bedeutung der Selbstliberalisierung auf –, waren andererseits aber selbst maßgeblich durch positive Erfahrungen mit religionsfreundlichen Governanceregimen beeinflusst und inspiriert worden. Mit Blick auf die Bundesrepublik zeigten Teile der EKD deutlich früher als die katholische Kirche eine Offenheit für politische Optionen jenseits betont christlicher Parteien. So hatte man hier auch den inneren Wandel der SPD früher erkannt, was maßgeblich darauf zurückzuführen ist, dass es deutlich mehr aktive protestantische als katholische Sozialdemokraten gab, zumal in den Führungsebenen der Partei.56 Zudem bestand ohnehin auf verschiedenen Politikfeldern eine größere inhaltliche Nähe zwischen SPD und Protestantismus, insbesondere mit Blick auf die bruderrätlichen Kreise. Gerade die hier geknüpften Kontakte, etwa im Rahmen der im vorangegangenen Kapitel besprochenen Paulskirchenbewegung, sorgten zweifelsohne für eine Annäherung der evangelischen Kirche(n) an die liberale Demokratie. Doch während für barthianisch und bruderrätlich geprägte Protestanten die Erschließung der Sozialdemokratie als politische Heimat eine wichtige integrative Wirkung zeitigte, lernten auch viele Lutheraner die traditionelle evangelische Parteienskepsis abzulegen, indem sie sich im Rahmen der Unionsparteien engagierten. Politisch konservative Kooperationsangebote begünstigten daher durchaus ebenfalls die Entstehung religiöser Liberalität, indem sie konservativen evangelischen Kreisen den Weg in die parlamentarische Demokratie ebneten.57 Obgleich innerhalb der EKD auch früher als in der katholischen Kirche recht liberale Standpunkte etwa in der Schulpolitik gefunden wurden, dauerte es auf protestantischer Seite doch erheblich länger, ehe die Annäherung an den liberaldemokratischen Staat auch theologisch eingeholt und aufgearbeitet wurde.58 Erst im Jahr 1985 veröffentlichte die EKD ihre Denkschrift »Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie« (»Demokratiedenkschrift«), in der eine »positive Beziehung von Christen zum demokratischen Staat des Grundgesetzes« aus theologischen wie ethischen Überzeugungen konstatiert wird.59 Neben der Bedeutung von Religionsfreiheit und Toleranz als »grundlegendes Strukturmerkmal der freiheitlichen Demokratie« werden auch Gewaltenteilung und die »parlamentarische[n] Rechte der Opposition« als notwendige staatliche Elemente gewürdigt.60 Zentral ist zudem die mit traditionellen theologischen Deutungen brechende Feststellung, dass »Befugnisse und Würde des politischen Mandates« 56 Vgl. dazu Buchna, K.: Ein klerikales Jahrzehnt, 427 f. 57 Vgl. ebd., 415f; Vollnhals, C.: Die Hypothek, 68. 58 Vgl. Vögele, W.: Mäßigung der Macht, 137. 59 Evangelische Kirche in Deutschland: Evangelische Kirche, 14. 60 Ebd., 18 und 28, vgl. 17.

Die theologische Rückkopplung der kirchlichen Freiheitserfahrungen  389

der Wahl durch die Bürgerschaft entspringen.61 In bemerkenswerter Weise unternimmt es die Demokratiedenkschrift, »Strukturanalogien zwischen einer parlamentarischen Demokratie und den Grundgedanken der Zweireichelehre« aufzuzeigen: In der Lesart der Denkschrift korrespondieren die Selbstbegrenzungspotentiale öffentlicher Macht, wie sie etwa durch die moderne Gewaltenteilung, den Menschenrechtsgedanken und durch die Selbstbindung staatlicher Ordnung an eine Verfassung gegeben sind, mit dem Bestreben der Zweireichelehre, die Reichweite weltlicher Herrschaft zu begrenzen.62

Mit dieser neuen theologischen Auslegung verabschiedete sich die EKD von einem überkommenen Ordnungsdenken, welches »den paternalistischen Obrigkeitsstaat ebenso einschloss wie die Einbindung des Einzelnen in den Organismus der Nation mit ihrer geschichtlichen Gesellschaftsstruktur«.63 Damit überwand auch die evangelische Kirche die zunehmende Diskrepanz zwischen Theologie und gelebter politisch-gesellschaftlicher Praxis, denn entgegen den noch bestehenden demokratieskeptischen Lehren hatte der Protestantismus in der Bundesrepublik jahrelang positive Erfahrungen mit der freiheitlichen Staatsordnung gesammelt und durch seine politische Einbindung »Demokratie gelernt«, wie Bischof Kunst es formulierte.64 Auch die Mehrheit der Bundesbürger musste »Demokratie lernen« – und dieses Lernen bestand wohl meist weniger aus einer aktiven und reflektierten politischen Neuorientierung, als vielmehr aus einer Eingewöhnung an die Vorteile des neuen Systems.65 Gerade vor diesem Hintergrund wird jedoch ein Bekenntnis wichtiger sozialer Autoritäten zur freiheitlichen demokratischen Ordnung umso bedeutsamer, da es einen wichtigen Anknüpfungspunkt der neuen politischen Ideale an die bestehenden Bezugssysteme und Gesellschaftsstrukturen bietet. Eine solche Rolle übernahmen im bundesrepublikanischen Kontext zwar keineswegs allein die Kirchen, aber eben auch sie – und für gläubige, fest in ihren kirchlichen Milieus verwurzelte Menschen sicherlich in einem beträchtlichen Maße. Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, geschah dies im Rahmen einer engen Einbettung der Kirchen in Strukturen kooperativer religionspolitischer Governance, durch welche sie die liberaldemokratische Verfassungsordnung als Bedingung ihrer eigenen Freiheit erfahren konnten.

61 Ebd., 29. 62 Anselm, R. et al.: Zweireichelehre, 778. 63 Scheliha, A. v.: Protestantische Ethik, 216. 64 Zit. nach Inacker, M. J.: Zwischen Transzendenz, 182. 65 Vgl. Schwaabe, C.: Die deutsche Modernitätskrise, 15, 403 f.

390  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick

5. Reichweite der These und Ausblicke Für den Fall der frühen Bundesrepublik Deutschland hat sich die anfangs aufgestellte These somit als plausibel erwiesen. Wie bei allen allgemein formulierten Hypothesen, die anhand eines konkreten empirischen Fallbeispiels überprüft werden, stellt sich nun die Frage, inwieweit sie auch darüber hinaus Geltung beanspruchen kann oder sogar generalisierbar ist. So ist zu überlegen, ob die diskutierte These auch in anderen nationalen und zeitgeschichtlichen Kontexten Aussagekraft besitzt. Skeptiker könnten hier einwenden, dass das dargestellte bundesdeutsche staatskirchenrechtliche bzw. religionsverfassungsrechtliche System historisch gewachsen sei und bestimmte soziopolitische Konfliktlinien widerspiegele, die in dieser Form in anderen Staaten nicht vorliegen. Ebenso sei auch das hier untersuchte religionspolitische Governancearrangement ein landesspezifischer Mechanismus zur Regelung landesspezifischer Problemkonstellationen. Mit Blick auf einige Faktoren, wie etwa die konfessionellen Differenzen in Deutschland und das dadurch bedingte Ringen um Parität, erscheint eine solche Position zunächst durchaus einleuchtend. Sie würde allerdings übersehen, dass bei allen Unterschieden im Detail mitunter strukturelle Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen nationalen politischen Kontexten bestehen, welche die übergreifende Anwendung eines Ansatzes rechtfertigen. Für die hier behandelte These bedeutet dies, dass sie dann übertragbar ist, wenn ein ähnliches Beziehungsgefüge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften vorliegt, nämlich jenes einer freiheitlichen Kooperation, denn prinzipiell sind die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Governancestrukturen mit jeder liberaldemokratischen Ordnung kompatibel. In praktischer Hinsicht stehen einer entsprechenden Umsetzung natürlich die je nach Staat ganz unterschiedlichen religionspolitischen Traditionen entgegen, die eine enge Kooperation zwischen Regierung und Religionsgemeinschaften mitunter gar nicht kennen. Auf Systeme rigider Trennung von Staat und Religionen ist der vorliegende Ansatz ebenso wenig sinnvoll anwendbar, wie auf genuine Staatskirchensysteme, da hier die Voraussetzungen für die beschriebenen Aushandlungs- und Annäherungsprozesse schlicht fehlen. Insofern religiöse Gruppen das politische System liberaler Demokratien aber zuverlässig als Freiheitsbedingung erfahren, kann auch in deutlich weniger stark kooperativen Governancekontexten liberale Religiosität befördert werden. Dies legt das Beispiel des US -amerikanischen Katholizismus nach 1945 nahe: Gerade von hier kamen entscheidende Impulse für die politische und gesellschaftliche Neuverortung der Kirche im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils – und dies wiederum ist zurückzuführen auf die positiven Erfahrungen der katholischen Kirche in den USA und ihrer Mitglieder mit dem freiheitlich-demokratischen Staat.66 66 Vgl. Fischer, K.: Religionspolitische Governance, 133; Große Kracht, H.-J.: Kirche in ziviler Gesellschaft, 221.

Reichweite der These und Ausblicke  391

Es gibt also außer engen Kooperationszusammenhängen auch andere Arten freiheitsverbürgender politischer Strukturen, die eine religiöse Liberalisierung begünstigen können, wobei die Annahme nahe liegt, dass die Wirkung maßgeblich mit den Erwartungen der Religionsgemeinschaften zu tun hat: In der Bundesrepublik erwarteten die Kirchen aufgrund historischer Erfahrung eine enge Kooperation und der Staat hat diese Erwartung erfüllt, während die USA allgemein keine ähnlich tiefgreifende Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirchen kannten und deren Fehlen folglich nicht zu Enttäuschungen führte. Das Beispiel der USA zeigt somit zwar, dass in der Tat unterschiedliche historische Pfade zu ähnlichen Entwicklungen führen, stützt aber gleichzeitig auch den Kern der hier diskutierten These, dass nämlich positive Erfahrungen mit der freiheitsverbürgenden Verfasstheit liberaler Demokratien eine religiöse Liberalisierung befördern können. Enge staatlich-kirchliche Kooperationsstrukturen sind dabei vermutlich insbesondere in Ländern mit einer staatskirchlichen Vergangenheit bedeutsam, um bei veränderten konstitutionellen Rahmenbedingungen ein weiterhin vertrauensvolles Verhältnis zwischen Staat und Kirchen zu signalisieren – und dadurch die Legitimität des neuen, demokratischen Systems in den Augen der kirchlichen Autoritäten zu steigern. Dieses ›neue‹ System muss sich dabei nicht zwangsläufig selbst in einem Demokratisierungsprozess befinden – ebenso beansprucht die These dieser Untersuchung für die politische Integration von Glaubensgemeinschaften einschlägig zu sein, deren Mitglieder aus nichtdemokratischen Staaten in liberaldemokratische Gesellschaften migriert sind. Im Zusammenhang mit den hier behandelten Fallbeispielen wäre daher besonders von Interesse, ob der vorliegende Ansatz auch mit Blick auf die Integration muslimischer Gemeinden in der heutigen Bundesrepublik Deutschland Anwendung finden und sogar politische Handlungsorientierung bieten kann. Obgleich der Islam in Deutschland allgemein kaum mehr als ›Migrantenreligion‹ bezeichnet werden kann, gewinnt diese Frage vor dem Hintergrund der jüngsten Migrationsbewegungen nach Deutschland und Europa erhöhte Relevanz. Im Folgenden sollen als abschließender Ausblick und Eröffnung einer weiteren Forschungsperspektive einige grundlegende Überlegungen zu diesem Problemkomplex angestellt werden. Zunächst ist dabei festzustellen, dass die politische Integration muslimischer Gemeinden unter erheblich veränderten Bedingungen gegenüber der Einbeziehung der christlichen Kirchen in die Politik der Bundesrepublik nach 1945 stattfindet. Zum einen stellte die allgemeine kulturelle Prägung der deutschen Gesellschaft durch das Christentum einen immensen Vorteil der Kirchen dar, wenn es etwa um die gesellschaftliche Akzeptanz einer Übernahme öffentlicher Aufgaben ging. Des Weiteren führte die Erfahrung des Nationalsozialismus und die den Kirchen zugeschriebene Widerstandsrolle zu dem verbreiteten Wunsch nach einer Wiederverchristlichung des Landes. Für islamische Akteure erscheinen die Voraussetzung eines politisch-gesellschaftlichen Mit- und Einwirkens

392  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick in Deutschland heute demgegenüber weniger vorteilhaft: Allgemein sehen sich religiöse Eliten mit einer starken Abnahme ihrer sozialen Autorität konfrontiert, wozu gesamtgesellschaftlich gesehen noch ein signifikantes Misstrauen gegen einen offen gelebten muslimischen Glauben kommt. Da jedoch verschiedene Studien eine grundsätzlich hohe Religiosität unter deutschen Muslimen konstatieren,67 könnten kooperative religionspolitische Governancestrukturen über die Integration der religiösen Eliten durchaus die gewünschte Wirkung – eine Förderung religiöser Liberalität – erzielen. Fraglich ist indes, ob islamische Geistliche eine ähnliche religiöse und soziale Autorität genießen, wie die Kirchen es in den 1950er und 60er Jahren in ihren Milieus taten: Laut Umfragen erachtet weniger als ein Viertel der deutschen Musliminnen und Muslime die größeren, der Deutschen Islamkonferenz angehörenden Verbände als ihre Interessenvertretung.68 Um gemäß der These eine Vermittlungsfunktion bei der (Re)Produktion einer liberaldemokratischen politischen Kultur unter den Gläubigen übernehmen zu können, müssten die islamischen Verbände sich folglich vor ihren Gemeinden als eigenständige theologische und soziale Autoritäten etablieren. Damit einher ginge die Herausbildung eines eigenen religiösen Selbstverständnisses – auch in theologischer Hinsicht – welches eine selbstbestimmte und produktive Kooperation mit dem deutschen Staat erst ermöglicht. Unter diesen Voraussetzungen ist von auf Integration und Zusammenarbeit gerichteter religionspolitischer Governance einiger Erfolg zu erwarten, zumal damit auch eine symbolische Gleichbehandlung mit den christlichen Religionsgemeinschaften verbunden wäre, was allein bereits integrative Wirkung verspricht. Einen Hinweis auf das Potential dieser Herangehensweise bieten die bereits unternommenen Bestrebungen bezüglich der Einführung islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, eine Maßnahme, die in mehrfacher Hinsicht Vertrauen aufbauen und die soziopolitische Integration fördern kann: Zunächst demonstriert die Institutionalisierung dieses Unterrichts die Anerkennung bestimmter religiöser Lebensformen als zur Gesellschaft zugehörig; durch die Umsetzung im Rahmen einer kooperativen Governance by Religions bindet sie sodann muslimische religiöse Autoritäten operativ ein; schließlich bietet sie die Möglichkeit, radikalen, gegen die bestehende gesellschaftliche und politische Ordnung gerichteten Lehrinhalten durch staatliche Kontrolle den Boden zu entziehen. Dennoch wurde die Einrichtung islamischen Religionsunterrichts lange Zeit von staatlicher Seite sehr zögerlich angegangen und wird auch heute oft eher zurückhaltend betrieben. Neben grundsätzlichen weltanschaulichen Vorbehal 67 Siehe Haug, Sonja / Stichs, Anja: Muslimisches Leben in Deutschland – Zahl der Muslime, Arbeitsmarktintegration, Soziale Integration. In: Rohe, Mathias et al. (Hg.): Handbuch Christentum und Islam in Deutschland. Grundlagen, Erfahrungen und Perspektiven des Zusammenlebens. Freiburg 2014, 72–128, hier 74 f. 68 Vgl. ebd., 109.

Reichweite der These und Ausblicke  393

ten lag dies teilweise auch am Organisationsgrad der muslimischen Verbände, da diesen eine überörtliche Struktur mit einer Instanz fehlte, die den zuständigen Bundesländern als legitimierter Ansprech- und Verhandlungspartner hätte dienen können.69 Solche konkreten Kooperationspartner mit entsprechender religiöser Autorität und Kompetenz sind jedoch essentiell, da sie die theologische Komponente des Unterrichts gestalten und verantworten müssen. Allerdings lassen sich in diesem Kontext praktische Zugeständnisse der betroffenen Akteure erkennen: Zum einen organisieren sich muslimische Gemeinden zunehmend in landesweiten Gremien, während die Länder zum anderen pragmatische Lösungen testen, wie etwa die Kooperation des Landes Nordrhein-Westfalen mit einem aus mehreren islamischen Religionsgemeinschaften bestehenden Beirat.70 Auch auf dem Feld der Verteidigungspolitik zeigen sich neue Entwicklungen einer kooperativen Religionspolitik. Angesichts der sich wandelnden konfessionellen Struktur der Bundeswehr ist nun die Einrichtung eines militärseelsorgerlichen Angebots für Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens vorgesehen.71 Aufgrund der dezentralen Organisation der islamischen Gemein­schaften ist hier zwar kein klassischer Staatsvertrag als Grundlage einer Militärseelsorge möglich, doch plant das Bundesverteidigungsministerium, dass »muslimische Geistliche über so genannte Gestellungsverträge an die Bundeswehr gebunden werden«, wie es im entsprechenden »Tagesbefehl zur Weiterentwicklung der Militärseelsorge« heißt. Die Voraussetzungen, die das Ministerium dabei an die zukünftigen Seelsorger richtet, bringen neben dem Wunsch nach angemessener Betreuung der Soldaten auch eine sozialintegrative Absicht zu Ausdruck: Ein muslimischer Militärseelsorger in der Bundeswehr muss die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschen, einen in Deutschland anerkannten Hochschul­ abschluss in islamischer Theologie besitzen, über eine seelsorgliche oder gemeindliche Erfahrung in Deutschland verfügen und von islamischen Religionsgemeinschaften, die die Zielgruppe der Soldatinnen und Soldaten repräsentieren, in die Bundeswehr entsandt und seitens der Bundeswehr akzeptiert werden.72

69 Vgl. Wall, Heinrich de: Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften in Deutschland. In: Rohe, M. et al. (Hg.): Handbuch Christentum und Islam, 189–223, hier 210. 70 Ebd., 210 f. 71 Parallel dazu wurde auch die Einrichtung einer jüdischen Militärseelsorge beschlossen. Hier wurde bereits im Dezember 2019 ein Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland unterzeichnet, der als Grundlage für die Einsetzung von Militärrabbinern dient. Vgl. dazu Militärseelsorge: Zehn Rabbinerinnen und Rabbiner für die Bundeswehr, 20.12.2019. URL: https://www.bmvg.de/de/aktuelles/militaerseelsorge-rabbinerinnen-rabbiner-​ bundeswehr-166796 (Stand 20.3.2020). 72 Leyen, Ursula von der: Tagesbefehl zur Weiterentwicklung der Militärseelsorge, 3.4.2019. URL : https://www.bmvg.de/de/aktuelles/tagesbefehl-zur-weiterentwicklung-der-militaer​ seelsorge-37952 (Stand 20.3.2020).

394  Diskussion der Ergebnisse und Ausblick In analoger Anwendung der bekannten Aussage Böckenfördes müssen derartige Maßnahmen darauf abzielen, dass Muslime »diesen Staat in seiner Weltlichkeit nicht länger als etwas Fremdes, ihrem Glauben Feindliches erkennen, sondern als die Chance der Freiheit, die zu erhalten und zu realisieren auch ihre Aufgabe ist«.73 Obgleich der Versuch, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, häufig nicht besonders praktikabel sein mag, deutet sich im Falle der Bundesrepublik jedoch an, dass partnerschaftliche religionspolitische Kooperationsstrukturen auch unter veränderten Umständen  – und mit neuen Religionsgemeinschaften – weiterhin erfolgreich sein können. Der hier kurz umrissene Ausblick zeigt zwar einen noch sehr hohen Forschungsbedarf auf diesem Feld auf; er weist aber gleichzeitig auf ein nach wie vor großes Potential liberaler, kooperativer religionspolitischer Governance hin.

73 Böckenförde, E.-W.: Entstehung des Staates, 114.

Abkürzungen AAS ABl. EKD AEK AEM BayGVBl. BayHStA BayKonk

Acta Apostolicae Sedis Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland Historisches Archiv des Erzbistums Köln Archiv des Erzbistums München und Freising Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Bayerisches Hauptstaatsarchiv Konkordat zwischen seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern vom 29. März 1924 (Bayerisches Konkordat) BDKJ Bund der Deutschen Katholischen Jugend BGBl. Bundesgesetzblatt BHE Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten BLLV Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband BLV Bayerischer Lehrerverband BRD Bundesrepublik Deutschland BP Bayernpartei BV Verfassung des Freistaates Bayern BVerfG Bundesverfassungsgericht CDU Christlich Demokratische Union CSU Christlich Soziale Union DDP Deutsche Demokratische Partei DDR Deutsche Demokratische Republik DEK Deutsche Evangelische Kirche DNVP Deutschnationale Volkspartei DP Deutsche Partei DVP Deutsche Volkspartei EFG [Nordrhein-westfälisches] Gesetz über die Finanzierung der Ersatzschulen vom 27. Juni 1961 (Ersatzschulfinanzgesetz) EIGA Nr. 1 Erziehungsanweisung Nr. 1 der britischen Militärregierung an die deutschen Behörden vom 14. Januar 1946 (1st Education Instruction to German Authorities) EKD Evangelische Kirche in Deutschland EUG [Bayerisches] Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen vom 9. März 1960 EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft FDP Freie Demokratische Partei GB / BHE Gesamtdeutscher Block / Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GO -EKD Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 13. Juli 1948 GV. NRW Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt KAB Katholische Arbeiterbewegung KABl. Kirchliches Amtsblatt KEG Katholische Erziehergemeinschaft

396 Abkürzungen KNA KPD LABG

Katholische Nachrichten-Agentur Kommunistische Partei Deutschlands [Nordrhein-westfälisches] Gesetz über die Ausbildung für die Lehrämter an öffentlichen Schulen vom 9. Juni 1965 (Lehrerausbildungsgesetz) LA NRW Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (hier: Abteilung Rheinland) LkAH Landeskirchliches Archiv Hannover MdB Mitglied des Bundestags MDirig Ministerialdirigent / in MdL Mitglied des Landtags MilSeelsG Gesetz über die Militärseelsorge vom 26. Juli 1957 (Militärseelsorgegesetz) MilSeelsVertr Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge vom 22. Februar 1957 (Militärseelsorgevertrag) MR Ministerialrat/-rätin NATO North Atlantic Treaty Organization Nds. Niedersachsen bzw. niedersächsisch Nds. MBl. Niedersächsisches Ministerialblatt NL Nachlass NLA Niedersächsisches Landesarchiv Hannover NLP Niedersächsische Landespartei NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei OLKR Oberlandeskirchenrat/-rätin OKR Oberkirchenrat/-rätin ORR Oberregierungsrat/-rätin PrivSchG [Niedersächsisches] Privatschulgesetz vom 12. Juli 1957 PrivSchLG [Bayerisches] Gesetz über die Leistungen des Staates für private Höhere Schulen und Mittelschulen vom 5. Juli 1960 (Privatschulleistungsgesetz) RegDir Regierungsdirektor / in RK Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 (Reichskonkordat) SchFG [Nordrhein-westfälisches] Gesetz über die Finanzierung der öffentlichen Schulen vom 3. Juni 1958 (Schulfinanzgesetz) SchG [Niedersächsisches] Gesetz über das öffentliche Schulwesen vom 14. September 1954 (Schulgesetz) SchOG Erstes Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen vom 8. April 1952 (Schulordnungsgesetz) bzw. [Bayerisches] Gesetz über die Organisation der Volksschulen vom 8. August 1950 (Schulorganisations­ gesetz) SchVerwG [Niedersächsisches] Gesetz über die Verwaltung öffentlicher Schulen vom 19. Mai 1954 (Schulverwaltungsgesetz) SchVG [Nordrhein-westfälisches] Schulverwaltungsgesetz vom 3. Juni 1958 SG Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten vom 19. März 1956 (Soldatengesetz) SJ Societas Jesu (Jesuitenorden) SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands StS Staatssekretär / in UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Verf NRW Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen VkdL Verein katholischer deutscher Lehrerinnen VKLD Verband der katholischen Lehrerschaft Deutschlands VoSchG [Bayerisches] Volksschulgesetz vom 17. November 1966

Abkürzungen  397 VUG

Preußisches Gesetz vom 28. Juli 1906 betr. die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen (Volksschulunterhaltungsgesetz) WAV Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung WP Wahlperiode WPflG Wehrpflichtgesetz vom 21. Juli 1956 WRV Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (Weimarer Reichs­ verfassung) ZDv Zentrale Dienstvorschrift

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Verwendete Archivbestände und Parlamentsdokumente Archiv des Erzbistums München und Freising (AEM)

Akten Generalvikariat, Kasten 0642/1: Bekenntnisschule bzw. Gemeinschaftsschule Akten Generalvikariat, Kasten 0641/3: Schulen Verschiedenes 1945–1974 Akten Generalvikariat, Kasten 0721/1: Lehrerbildung Akten Generalvikariat, Kasten 0923/4: Staatsministerium für Unterricht und Kultus NL Faulhaber 4073 NL Faulhaber 6953/1 NL Faulhaber 6953/2 NL Faulhaber 6954/2 NL Faulhaber 6955 NL Faulhaber 7113 NL Faulhaber 7309 NL Faulhaber 7451/2 NL Döpfner 47/1964: Schule, Erziehung, Kultur NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 1) NL Döpfner 47/1965: Aktuelle Schulprobleme (Teil 2) NL Wendel 654 NL Wendel 630

Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA) MK 53219 MK 61201 MK 61202 MK 61204 MK 61205 MK 61220 MK 61393 MK 61395 MK 62162 MK 62163 StK 13968 StK 16089 StK 21266

Historisches Archiv des Erzbistums Köln (AEK) Dienstakten Böhler 45 Katholisches Büro NRW I 203 Katholisches Büro NRW I 218 Katholisches Büro NRW I 221

400  Quellen- und Literaturverzeichnis Katholisches Büro NRW I 241 Katholisches Büro NRW I 269 Katholisches Büro NRW I 276 Katholisches Büro NRW I 295 Katholisches Büro NRW I 318 Katholisches Büro NRW I 341 Katholisches Büro NRW I 344 Katholisches Büro NRW I 352 Katholisches Büro NRW I 359

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland (LA NRW)

NW 20 Nr. 26 NW 143 Nr. 6 NW 147 Nr. 2 NW 147 Nr. 27 NW 147 Nr. 56 NW 372 Nr. 559 NW 372 Nr. 561 NW 372 Nr. 772 NW 383 Nr. 226 NW 383 Nr. 23 NW 383 Nr. 24 NW 383 Nr. 25 NW 383 Nr. 228 RW 0130 Nr. 8 RW 0130 Nr. 9 RWN 46 Nr. 15 RWN 46 Nr. 27 RWN 126 Nr. 217 RWN 126 Nr. 318

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH) L 3 III Nr. N 60 L 3 III Nr. 453 L 3 III Nr. 1494 L 3 III Nr. 1902

Niedersächsisches Landesarchiv Hannover (NLA) Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 37 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 38 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 41 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 48 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 437 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 439 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 468 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 469 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 470 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 471/1 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1

Verwendete Archivbestände und Parlamentsdokumente  401 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/1 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 472/2 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 485 Nds. 400 Acc. 121/81 Nr. 622 Nds. 400 Acc. 165/94 Nr. 76

Stenographische Berichte über die Sitzungen des Deutschen Bundestags

3. Sitzung (2. WP) am 20.10.1953 132. Sitzung (2. WP) am 6.3.1956 143. Sitzung (2. WP) am 4.5.1956 157. Sitzung (2. WP) am 4.7.1956 159. Sitzung (2. WP) am 6.7.1956 224. Sitzung (2. WP) am 5.7.1957 5. Sitzung (6. WP) am 28.10.1969

Drucksachen des Deutschen Bundestags

Drucksache 2/2140, Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung (6. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz), 29.2.1956. Drucksache 2/2303, Entwurf eines Wehrpflichtgesetzes, 12.4.1956. Drucksache 2/3058, Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Fünften Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 (Fünftes Nachtragshaushaltsgesetz 1956), 5.1.1957. Drucksache 2/3500, Entwurf eines Gesetzes über die Militärseelsorge, 8.5.1957.

Stenographische Berichte über die Sitzungen des Bayerischen Landtags 2. Sitzung (1. WP) am 21.12.1946 28. Sitzung (1. WP) am 20.9.1947 40. Sitzung (1. WP) am 9.12.1947 41. Sitzung (1. WP) am 10.12.1947 48. Sitzung (1. WP) am 29.1.1948 80. Sitzung (1. WP) am 23.7.1948 145. Sitzung (1. WP) am 15.2.1950 168. Sitzung (1. WP) am 5.7.1950 5. Sitzung (2. WP) am 9.1.1951 3. Sitzung (3. WP) am 11.1.1955 25. Sitzung (3. WP) am 14.7.1955 34. Sitzung (3. WP) am 29.2.1956 131. Sitzung (3. WP) am 2.6.1958 4. Sitzung (4. WP) am 15.1.1959 42. Sitzung (4. WP) am 26.1.1960 48. Sitzung (4. WP) am 12.1.1960 62. Sitzung (4. WP) am 1.6.1960 108. Sitzung (5. WP) am 18.10.1966 109. Sitzung (5. WP) am 19.10.1966 13. Sitzung (6. WP) am 9.5.1967 44. Sitzung (6. WP) am 30.4.1968 57. Sitzung (6. WP) am 10.12.1968

402  Quellen- und Literaturverzeichnis Drucksachen des Bayerischen Landtags

Drucksache 1/561, Antrag der SPD -Fraktion zum Gesetz über die Neuordnung des Schulwesens, 17.7.1947. Drucksache 1/2166, Mündlicher Bericht des Ausschusses für kulturpolitische Fragen zum Entwurf eines Gesetzes über die Organisation der Volksschulen, 21.1.1949. Drucksache 1/3333, Ausführungen von Dr. Charles D. Winning zum Entwurf eines Gesetzes über die Organisation der Volksschulen vor den vereinigten Landtagsausschüssen für kulturpolitische Fragen und für Rechts- und Verfassungsfragen am 4.Februar 1950, 9.30 Uhr. Drucksache 3/541, Entwurf der SPD -Fraktion zum Gesetz über die Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen (Lehrerbildungsgesetz), 7.6.1955. Drucksache 3/3510, Bericht der Ausschüsse für kulturpolitische Fragen, für den Staatshaushalt und Finanzfragen und für Verfassungsfragen und Rechtsfragen zum Gesetz über die Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen (Lehrerbildungsgesetz), 12.5.1958. Drucksache 4/701, Entwurf eines Gesetzes über die Leistungen des Staates für private Höhere Schulen und Mittelschulen (Privatschulleistungsgesetz – PrivSchLG), 23.9.1959. Drucksache 5/2790, Entwurf eines Volksschulgesetzes (VoSchG), 20.6.1966.

Stenographische Berichte über die Sitzungen des Niedersächsischen Landtags 55. Sitzung (2. WP) am 7.10.1953 62. Sitzung (2. WP) am 10.2.1954 63. Sitzung (2. WP) am 11.2.1954 70. Sitzung (2. WP) am 10.4.1954 74. Sitzung (2. WP) am 24.6.1954 76. Sitzung (2. WP) am 1.9.1954 98. Sitzung (2. WP) am 30.3.1955 22. Sitzung (3. WP) am 17.5.1956 29. Sitzung (3. WP) am 7.11.1956 44. Sitzung (5. WP) am 22.4.1965

Drucksachen des Niedersächsischen Landtags

Drucksache 3/1175, Bericht über den Niedersächsischen Landtag der Dritten Wahlperiode, 19.3.1959. Drucksache 4/1174, Bericht über den Niedersächsischen Landtag der Vierten Wahlperiode, 19.4.1963.

Stenographische Berichte über die Sitzungen des Nordrhein-Westfälischen Landtags 19. Sitzung (1. WP) am 27.11.1947 104. Sitzung (1. WP) am 27.7.1949 117. Sitzung (1. WP) am 14.12.1949 127. Sitzung (1. WP) am 25.4.1950 128. Sitzung (1. WP) am 2.5.1950 136. Sitzung (1. WP) am 2.6.1950 17. Sitzung (2. WP) am 13.3.1951 26. Sitzung (2. WP) am 11.7.1951 44. Sitzung (2. WP) am 10.3.1952 45. Sitzung (2. WP) am 11.3.1952 32. Sitzung (3. WP) am 16.2.1956 33. Sitzung (3. WP) am 20.2.1956 34. Sitzung (3. WP) am 29.2.1956

Verwendete Archivbestände und Parlamentsdokumente  403 80. Sitzung (3. WP) am 30.4.1958 48. Sitzung (4. WP) am 18.10.1960 62. Sitzung (4. WP) am 16.5.1961 16. Sitzung (5. WP) am 14.5.1963 22. Sitzung (5. WP) am 29.10.1963 50. Sitzung (5. WP) am 23.2.1965 54. Sitzung (5. WP) am 7.4.1965 56. Sitzung (5. WP) am 24.5.1965 58. Sitzung (5. WP) am 26.5.1965 6. Sitzung (6. WP) am 6.12.1966 8. Sitzung (6. WP) am 13.12.1966 17. Sitzung (6. WP) am 27.6.1967 31. Sitzung (6. WP) am 29.2.1968

Drucksachen des Nordrhein-Westfälischen Landtags

Ausschussprotokoll 1/191 (alt: 191/48), Kurzprotokoll über die Sitzung des Unterausschusses des Kulturausschusses am 9. Dezember 1948 in Düsseldorf, 20.12.1948. Drucksache 2/190, Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen, 10.2.1951. Drucksache 3/275, Entwurf eines Schulverwaltungsgesetzes, 14.12.1955. Landtag Nordrhein-Westfalen: Drucksache 4/360, Entwurf zum Gesetz über die Finanzierung der Ersatzschulen, 20.9.1960. Drucksache 4/736, Beantwortung der Kleinen Anfrage Nr. 46 der Fraktion der FDP betr. Äuße­r ungen des Herrn Kultusministers Schütz bei der Tagung des »Ellwanger Kreises« am 14. und 15. Januar 1961, 3.4.1962. Drucksache 5/192, Antrag der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes zur Lehrerbildung für das Land Nordrhein-Westfalen (Lehrerbildungsgesetz) vom 16.7.1963. Drucksache 5/639, Antrag der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, 12.1.1965. Drucksache 5/640, Antrag der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schulordnungsgesetzes (SchOG), des Schulverwaltungsgesetzes (SchVG) und des Gesetzes über die Schulpflicht im Deutschen Reich (SchulPflG), 12.1.1965 Drucksache 5/105, Antrag der Fraktion der SPD betr. Neuordnung der wenig gegliederten Volksschulen in Nordrhein-Westfalen durch Bildung von Mittelpunktschulen, 2.4.1963. Drucksache 6/321, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen, des Schulverwaltungsgesetzes und des Schulfinanzgesetzes, 20.7.1967.

Einzelne Onlinedokumente

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404  Quellen- und Literaturverzeichnis

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Personenregister Adenauer, Konrad Hermann Joseph  64, 84 f, 88, 94–96, 98, 112, 114, 166–168, 201, 205, 209, 212, 305–308, 311 f, 314 f, 317–324, 327–329, 337, 351, 374, 380 Alexander, Richard Thomas  263 Amelunxen, Wilhelm Rudolf Konrad  198 Arendt, Hannah  (36) Arnold, Karl  202, 204–206, 212, 220 f, 224 f Asmussen, Hans  62, 78, 83 Bafile, Corrado Kardinal  175–179, 182–187, 190, 239, 293, 295, 298, 300, 307 Bartels, Friedrich  140 f, 152 f Barth, Karl  70, 317 Bastian, Hans-Dieter  337 Baudissin, Wolf Stefan Traugott Graf von ​ 339–344, 346, 353–359 Beck, Heinz  272 Becker, Carl Heinrich  109 Bender, Ferdinand Julius (gen. Julius)  347, 350, 356 Bergmann, Bernhard  199, 212, 214 f, 218 Berning, Hermann Wilhelm (gen. W ­ ilhelm) ​135, 137, 147 Bismarck, Otto Eduard Leopold Fürst von  106, 321 Blank, Theodor Anton  324, 331, 334 f, 337, (340), 342, 348 Böckenförde, Ernst-Wolfgang  33, 394 Böhler, Wilhelm Johannes  74, 76, 86–90, 92 f, 95, 98–100, 107, 112, (113), 117, 140, 152, 167 f, 202–205, 207, 210, 212, 214 f, 218–223, 225–228, 311, (312), 334, 345, 347, 355, (356) Bojunga, Helmut Johann Klaudius  156, 158 Brandt, Willy  386 Braun, Oliver  257 Brechenmacher, Thomas  310 Brelie-Lewien, Doris von der  78 Brentano di Tremezzo, Heinrich Joseph Maximilian Johann Maria von  314 Brockmann, Johannes  85, 205 Brockmann, Joseph  87

Brunotte, Arnold August Heinz (gen. Heinz) ​130 f, 356 Buchberger, Michael  279 Buchhaas-Birkholz, Dorothee (121),  203, 215 Buchna, Kristian (89),  381 Cann, David  51 Casanova, José  46 Chaves, Mark (38),  51 Clay, Lucius Dubignon  256 Conrad, Wolfgang  161 Dahrendorf, Ralf  55, (368), (371) Damberg, Wilhelm  200 Dibelius, Otto  79, 98, 321 f, 324, 327, 350, 360 Diederichs, Georg  175, 190, 193 Dietzfelbinger, Hermann  280, 290 f, 293, 296, 299 f Dipper, Theodor  350 Dirichs, Ferdinand  81 Dirks, Walter  81 Doering-Manteuffel, Anselm  80, (308), (313), 315, 380 Döpfner, Julius Kardinal  188, 289–291, 296, 298, 373, 385 Ehard, Hans  256, 265 f, 269, 275 f, 284 Ehlert, Hans  351 Ehrenfried, Matthias  263 Eich, Klaus-Peter  212 Faulhaber, Michael Kardinal von  63, 82, 248–251, 263 f, 266, 269–271, 274 Fendt, Franz  251 f, 256, 372 Fischer, Ferdinand  (228) Fischer, Hubert  (291), 292 Fischer, Karsten  42 Friedman, Richard B.  37 f Frings, Josef Kardinal  71, 73, (76), 82, 85 f, 88, 94, 112, 114, 127, (167), 199–204, 211, 220, 222 f, 225, 227, 311 f, 330, (351)

420 Personenregister Föge, Hermann  149 f, 197 Förster, Franz  280 Gabert, Volkmar  294, 297 Galen, Clemens Kardinal von  (77) Gauly, Thomas  22 f, 96 Gollwitzer, Helmut  324, 326 f, 341, 374 Goppel, Alfons  287, 293, 299 f Grimme, Adolf  126, 132, (136), 137, 139, 166 Große Kracht, Hermann-Josef  (58), 383 Habermas, Jürgen  49 Hallstein, Walter  166 Hamacher, Wilhelm  200 Hammelsbeck, Oskar  119, 215 Hartenstein, Karl  118 Hassel, Kai-Uwe von  357 f Haug, Martin  323 Heckel, Theodor  287 Hedergott, Winfrid  140 Heinemann, Gustav Walter  236, 317–325, 374 Heinig, Hans Michael  81 Held, Heinrich Karl Ewald  86, 89, 207, 210, 216, 218, 221 Hellwege, Heinrich Peter  162 f, 171 Henke, Wilhelm  159 Herrenbrück, Walter  154 Hipp, Otto  248 f, 251 f Hirschmann, Johannes  331 f, 335 Hitler, Adolf  64 f, 67, 153 Hobbes, Thomas  29 Hoegner, Wilhelm  250–254, 256, 277 f, 281 f Höffner, Joseph Kardinal  175 Hofmann, Josef  214 f, 218, 220 Holthoff, Fritz  217, 233 f, 237 f, 240 Huber, Ludwig  287, 289–296 Hundhammer, Alois  254 f, 257–276 Inacker, Michael  23, 74, 81, 101, 328 Jaeger, Lorenz Kardinal  (112), 127, 147, 239 Janssen, Heinrich Maria  171 Johannes XXIII. (Angelo Giuseppe ­Roncalli) ​382, 386 Kahl, Wilhelm  62 Kaifer, Albert  255 Keller, Michael  94 f, 117, 147, 152, 173–176, 186, 217, 221–223, 345, 375

Klein, Michael  61, 325 Kliesing, Georg  333 Knoeringen, Waldemar von  280 Koch, Jakob Emil Karl  113 Konen, Heinrich Matthias  200, 203, 205 Kopf, Hinrich Wilhelm  125 f, 138 f, 142, 144, 147–149, 151 f, 154–156, 158, 160 f, 166 f, 172 f, 175, 195 f, 372 Korioth, Stefan  19 Krummacher, Friedrich-Wilhelm  333 Kühn, Heinz  214, 217, 237 f Künneth, Walter  323, 327, (335), 350 Kunst, Hermann  98, 332, 335 f, 341, 345, 347, 356, 360–362, 389 Landersdorfer, Simon Konrad  88, 263 Langeheine, Richard  162–164 Lauffs, Hellmut  207 Leo XIII. (Vincenzo Gioacchino Pecci)  58 f, 63 Lepp, Claudia  82 Liedhegener, Antonius  113, 384 Lilje, Johannes (Hanns) Ernst Richard  83, 93, 110, 152, 155 f, 159, 193, 318, 322, 324, 330, 335 Listl, Joseph  91 Locke, John  18, 29 f, 59 Loeffelholz, Erich von  294 Luchtenberg, Paul  226 f Machens, Joseph Godehard  78, 127 f, 135–137, 142 f, 147, 151, 153, 171 Maclure, Jocelyn  42 Macready, Sir Gordon Nevil  137 Maier, Hans  56, 61, Maizière, Karl Ernst Ulrich de  (354) Marahrens, August Friedrich Karl  127 f, 134, 152 Maunz, Theodor  282, 284, 286 f Mausbach, Joseph  63 McCloy, John Jay  319 Meinzolt, Hans  259, 275, (279) Meiser, Hans  119, 249–251, 259, 271, 275, 320, 323, 330, 380 Meixner, Georg  258, 270 Menzel, Walter  203–206 Metzger, Ludwig  332 Meyer-Sevenich, Maria  149 Meyers, Franz Josef Heinrich Georg  228, 233, 237 Middelhauve, Friedrich  208, 214, 217

Personenregister  421 Mikat, Paul  44, 232–234, 236 f Mill, John Stuart  18 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède de  18 Muench, Aloysius Joseph Kardinal  95, 100, 166 f, 201, 210, 220, 264 f, 278, 281 Mühlenfeld, Hans  177, 183, 190, 193 Müller, Eberhard  321 f, 327, 341 Müller, Konrad  155, 157, 171–176, 179–181, 184 f, 187–190, 196 f Muñiz-Fraticelli, Victor M.  (38) Niemeyer, Johannes  174–176, 178 Niemöller, Martin  72, 79, 87, 308, 315, 318–323, 327, 346, 350, 364, 374 Offenstein, Wilhelm  129, 142, 166 Ohlemacher, Jörg  153 Osterloh, Edo  344 Paul VI. (Giovanni Battista Montini)  382, 386 Picht, Georg  360 f, 371 Pittroff, Claus  259, 269 Pius VI. (Giannangelo Braschi)  56 Pius IX . (Giovanni Maria Mastai ­Ferretti)  57, 310 Pius XI. (Achille Ratti)  67, 84, 107 Pius XII. (Eugenio Pacelli)  77, 80, (112), 250 f, 271, 310 f, 315 f, 330 Pleven, René  313 Pöpping, Dagmar  324 Pohlschneider, Johannes  95, (97), 215, 228–230, 372, 385 Rackl, Michael  256 Rau, Johannes  231, 241, 243, 325 Rawls, John  30, 32, 52 Raz, Joseph  35 f Repgen, Konrad  167 Rödel, Eva  124 Rommerskirchen, Josef  314 Rucker, August  278 Rundstedt, Karl Rudolf Gerd von  355 Schäffer, Friedrich (gen. Fritz) ­Herrmann  248, 250 Scheuner, Ulrich  170 f Schewick, Burkhard van  211

Schlüter, Franz Leonhard  (162) Schmid, Carlo  332 f Schönfelder, Werner  139, 149 f, 163 Schütz, Werner  224, 228–230 Schuppert, Gunnar Folke  44 f Schwaabe, Christian  55 Schwalber, Josef  275 f Sehlmeyer, Grete  149 f Seidel, Hanns  282–284 Smend, Rudolf  160 f Sonnenberger, Franz  257 Spotts, Frederic  73, 76, 187, 190 f, 250, 319 Stahl, Friedrich Julius  59 Stalin, Josef Wissarionowitsch  310, (315) Steinhoff. Fritz  226 Stimpfle, Josef  289 Stolleis, Martin  18 Stohr, Albert  80, 94 Stössinger, Hugo  318 Strauß, Franz Josef  348 f, 351, 357 Taylor, Charles  42 Teusch, Christine  (199), 201–203, 205, 212, 214 f, 217 f, 220–224, 244 Thimme, Hans  361 Van Wagoner, Murray Delos  264, 266 Vögele, Wolfgang  18 Vogel, Johanna  23, 66, 318, (321), 333 f Voigt, Richard  139 f, 148, 156–159, 172, 174–178, 179 f Vortkamp, Wolfgang  33 Wagenmann, Karl  155–157 Watermann, Hans  140 Weber, Helene  84 Weber, Max  36 f Wendel, Joseph Kardinal  281, 352, 358 Werthmann, Georg  338, 345, (356) Wertz, Hans  231 Westhoff, Paul  201, 203 f, 212, 219 Willems, Ulrich  47 Winning, Charles D.  270 f Wirmer, Ernst  (344), 350 f, 354 f Wurm, Theophil Heinrich  79, 83, 89, 118 Zeiger, Ivo  74 Zinkl, Johann  261 f, 274, 276 Zook, George Frederick  (260)