Völkerrecht in Kiel: Forschung, Lehre und Praxis des Völkerrechts am Standort Kiel seit 1665 [1 ed.] 9783428552177, 9783428152179

Die Christiana Albertina in Kiel war 1665 erst die zweite deutsche Universität, an der ein Lehrstuhl eigens für das Natu

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Völkerrecht in Kiel: Forschung, Lehre und Praxis des Völkerrechts am Standort Kiel seit 1665 [1 ed.]
 9783428552177, 9783428152179

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel

Band 198

Völkerrecht in Kiel Forschung, Lehre und Praxis des Völkerrechts am Standort Kiel seit 1665 Herausgegeben von

Andreas von Arnauld

Duncker & Humblot · Berlin

Andreas von Arnauld (Hrsg.)

Völkerrecht in Kiel

Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel In der Nachfolge von Jost Delbrück herausgegeben von Andreas von Arnauld, Nele Matz-Lück und K e r s t i n O d e n d a h l Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht

Band 198

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Christine Chinkin London School of Economics James Crawford International Court of Justice, The Hague Lori F. Damrosch Columbia University, New York Rainer Hofmann Johann Wolfgang GoetheUniversität, Frankfurt a.M. Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis Eibe H. Riedel Universität Mannheim

Allan Rosas Court of Justice of the European Union, Luxemburg Bruno Simma Iran-United States Claims Tribunal, The Hague Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit, Heidelberg

Völkerrecht in Kiel Forschung, Lehre und Praxis des Völkerrechts am Standort Kiel seit 1665 Herausgegeben von

Andreas von Arnauld

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-15217-9 (Print) ISBN 978-3-428-55217-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-85217-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Festmahl aus Anlass der Gründung der Christiana Albertina Kupferstich aus: Alexandro Julio Torquato Frangipani, Inaugurationis Academiae Kiloniae, 1666

Vorwort Jubiläen sind ein willkommener Anlass, Rückschau zu halten. Für Lehre und Forschung des Völkerrechts am Standort Kiel gab es im akademischen Jahr 2014/2015 hierzu gleich doppelt Grund. Im Februar 2014 jährte sich die Aufnahme des akademischen Betriebs am Kieler Institut für Internationales Recht (bis 1918 noch „Seminar“) zum 100. Male. Das heutige Walther-SchückingInstitut für Internationales Recht an der Universität Kiel darf damit für sich in Anspruch nehmen, das älteste universitäre Institut für Völkerrecht zu sein – in Deutschland, Europa und (dank der seinerzeit andernorts wenig ausgeprägten Neigung zur Institutsbildung) wohl auch darüber hinaus. Ein Jahr darauf konnte die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel den 350. Jahrestag ihrer Gründung feiern. Sie gehört damit zwar nicht zu den altehrwürdigen deutschen Universitäten wie Prag (1348), Wien (1365), Heidelberg (1385), Erfurt (1389), Köln (1388), Würzburg (1402), Leipzig (1409), Rostock (1419), Greifswald (1456), Freiburg (1457), Basel (1459) oder Ingolstadt (1459). Die Gründung der Christiana Albertina fügt sich, bescheidener, in eine zweite Welle von Universitätsgründungen im 17. Jahrhundert: Rinteln (1619), Straßburg (1621), Salzburg (1622), Altdorf (1623), Dorpat (1632), Bamberg (1647), Marburg (1653), Duisburg (1654), Innsbruck (1668), Halle (1693). Dabei zeichnet die Kieler Alma mater immerhin zweierlei selbst gegenüber den meisten der älteren Universitäten aus. Zum einen blieb ihr, den Wechselfällen der Geschichte zum Trotz, eine Schließung erspart, wie sie viele Hochschulen teils vorübergehend, teils endgültig ereilte; zum anderen war sie die zweite deutsche Universität überhaupt, die einen Lehrstuhl für das Natur- und Völkerrecht errichtete. Das Ordinariat Iuris Naturae et Gentium ergänzte schon ab der Gründung 1665 eine Juristische Fakultät, deren übrige Lehrstühle sich, den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend, in die Bücher des Corpus Iuris teilten. Mit der jubiläumstypischen Neigung zum Superlativ lässt sich damit sagen, dass Kiel die erste deutsche Universität war, in der das Völkerrecht im Collegium Iuridicum mit einem eigenen Lehrstuhl vertreten war. Dem Kieler Samuel Rachel kam Heidelberg mit dem ungleich berühmteren Samuel – Pufendorf – zwar vier Jahre zuvor; an der Ruperto Carolina indes war das Natur- und Völkerrecht ab 1661 an der Philosophischen Fakultät beheimatet. Wer nach dieser Eröffnung befürchtet, eine historisierende Werbeschrift von mehreren hundert Seiten in Händen zu halten, mag beruhigt sein. Der Ton wird bald wissenschaftlicher. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes haben die

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Vorwort

beiden Jubiläen zum Anlass genommen, sich intensiver und detailgetreuer mit der Geschichte von Forschung, Lehre und – gelegentlich – Praxis des Völkerrechts in Kiel auseinanderzusetzen, als dies in der bisherigen Forschungsliteratur der Fall war. Nicht alles ist bequem, nicht alles glänzt. Dafür öffnet sich der Blick in eine in jeder Hinsicht reiche Geschichte, die auch über Kiel hinaus auf Interesse stoßen dürfte. Gerade für die Historie der Völkerrechtslehre und Völkerrechtswissenschaft ist Kiel mehr als nur eine Universitätsstadt in der holsteinischen Provinz. Dass von Kiel aus die wichtigsten deutschen völkerrechtlichen Fachvereinigungen ihren Ausgang genommen haben (die deutsche Sektion der International Law Association und die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht, heute: Deutsche Gesellschaft für Internationales Recht), mag dies andeuten. Zugleich steht das hier aufscheinende Spannungsfeld zwischen internationalem Recht und nationalem Interesse (um den Titel der Kieler Rektoratsrede Theodor Niemeyers aufzugreifen) stellvertretend für die Ambivalenz des Historischen. Insofern spiegelt sich in diesem Band die Geschichte der völkerrechtlichen Disziplin in Deutschland. Kiel als Prisma. Traditionspflege soll und darf Brüche und Widersprüche nicht verdecken. In diesem Sinne bemühen sich die Beiträge in diesem Band darum, ein möglichst differenziertes Bild der Geschichte von Lehre, Forschung und Praxis des Völkerrechts in Kiel zu zeichnen, fernab jubiläumsgetriebener Hagiographie. Den Auftakt machen Beiträge mit einer institutionengeschichtlichen Ausrichtung: die Geschichte des völkerrechtlichen Unterrichts, an der Christiana Albertina und an der Kaiserlichen Marineakademie, sowie frühe Etappen in der Entwicklung des Instituts für Internationales Recht: Gründungs- und Anfangsphase, NS-Zeit. Die nächste Abteilung widmet sich biographisch Völkerrechtlern, die Spuren in Kiel und über Kiel hinaus hinterlassen haben: die beiden ersten Direktoren des Instituts für Internationales Recht, Theodor Niemeyer und Walther Schücking; Hermann v. Mangoldt, dem, 1943 noch während der NS-Zeit berufen, die Aufgabe des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg zufiel; der nach dem Krieg vom strafrechtlichen Exponenten der berüchtigten „Kieler Schule“ zum Völkerrechtler gewandelte Georg Dahm; Eberhard Menzel, auf dessen zwei Dekaden währende „Regentschaft“ am Kieler Institut Anfang 1964 ebenfalls der Schatten der NS-Zeit fiel. Die dritte Abteilung fasst Beiträge zusammen, die sich der Arbeit am Institut thematisch-inhaltlich nähern: zum internationalen Seerecht und Rechtsfragen von Krieg und Frieden als zwei Schwerpunkten der Forschungstätigkeit, zum Kriegsarchiv des Völkerrechts und der Weltkriegsbibliothek, die während des Ersten Weltkriegs und in den folgenden Jahren im Mittelpunkt der Institutsarbeit standen, den am Kieler Institut herausgegebenen Periodika, deren thematische und wissenschaftspolitische Ausrichtung an anderen deutschen völkerrechtlichen Zeitschriften gespiegelt wird. Die vierte Abteilung versammelt historische Schlaglichter, die Ereignisse mit einem Bezug zu Kiel in einen grö-

Vorwort

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ßeren Kontext rücken: die von Niemeyer initiierte Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 1917, die Verstaatlichung des „Kieler Kanals“ durch die Regierung des Deutschen Reichs 1936, die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht im März 1999. Zwischen Originalbeiträgen eingestreut finden sich zeitgenössische Texte sowie zum Abschluss ein umfangreicher Dokumentationsteil, der trotz genretypischen Listencharakters manch Kurioses, Überraschendes und sogar Dramatisches beinhaltet: Auf Biogramme Kieler Professoren und Professorinnen sowie Habilitandinnen und Habilitanden im Völkerrecht folgt eine Zusammenstellung aller ermittelbaren Kieler Publikationen zum Völkerrecht zwischen den Jahren 1900 und 1975. Die Summe dieser Einzelteile ergibt hoffentlich ein ebenso vielschichtiges wie facettenreiches Gesamtbild über einen markanten Ausschnitt der Geschichte des Völkerrechts, seiner Lehre und Wissenschaft. Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes bildete ein Forschungsseminar, das im Juli 2014 im Dr.-Otto-Bagge-Kolleg in Sehlendorf an der Ostsee stattfand. Teilgenommen haben an diesem Seminar Studierende der Rechtswissenschaft sowie des interdisziplinären Masterstudiengangs „Internationale Politik und Internationales Recht (IPIR)“ ebenso wie wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Freunde des Walther-Schücking-Instituts. Ermöglicht wurde diese Veranstaltung durch Zuwendungen des „Projekts erfolgreiches Lehren und Lernen (PerLe)“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Der Druck dieses Bandes wurde durch einen großzügigen Zuschuss der Gesellschaft zur Förderung von Forschung und Lehre am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel e.V. unterstützt. Ein besonderer persönlicher Dank gilt jenen, die den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorab in einem Methodenworkshop, dann aber auch im Laufe späterer Kontakte, mit Rat und Tat zur Seite standen: Frau Dr. Dagmar Bickelmann, Leiterin des Universitätsarchivs im Landesarchiv in Schleswig, Prof. Dr. Rudolf MeyerPritzl vom Kieler Hermann Kantorowicz Institut für juristische Grundlagenforschung sowie PD Dr. Christian Klein, Wuppertal, der als Experte für Fragen der wissenschaftlichen Biographik zur Verfügung stand. Ein weiterer großer Dank gilt Henning Büttner und Isabell Waldmann, die ich immer wieder mit Rechercheaufträgen behelligt habe, und – vor allem – Sylvia Weidenhöfer, die es auf sich genommen hat, das Typoskript zu setzen und formale Fehler zu bereinigen, die mir entschlüpft waren. Für die verbliebenen Patzer trage ich die alleinige Verantwortung. Die Fertigstellung des Bandes hat sich insgesamt über zweieinhalb Jahre hingezogen. Dies war die unumgängliche Folge dessen, dass viele der Autorinnen und Autoren sich zwischenzeitlich in neue berufliche Positionen finden mussten, es war aber auch Folge der sich immer wieder erneuernden historischen Erkenntnisse. Jeder Gang ins Archiv, jeder durch neue Erkenntnisse geschulte Blick in eine Akte, die man schon durchgearbeitet zu wissen glaubte, fördert Neues zu-

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Vorwort

tage. Was nun endlich zwischen zwei Buchdeckeln vorliegt, ist nicht die objektive historische Wahrheit, sondern der Versuch einer ehrlichen Bestandsaufnahme, die notwendigerweise vorläufigen Charakter hat. In vielen Punkten stehen wir erst am Anfang, aber was mit vereinten Kräften zusammengetragen wurde, lohnt schon jetzt allemal die Lektüre. Kiel, im März 2017

Andreas v. Arnauld

Inhaltsverzeichnis Teil I: Institutionelles Andreas v. Arnauld und Liv Christiansen Die akademische Lehre des Völkerrechts in Kiel. Von der Gründung der Christiana Albertina bis 1914 ........................................................................................ 19 Charlotte Gaschke Die Kaiserliche Marine-Akademie und die Lehre des Völkerrechts .................... 41 Wiebke Staff Die Anfänge des Instituts für Internationales Recht an der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel. Eine schwierige Geburt, glückliche Kindheit und heikle Jugend .................................................................................................................. 59 Nathalie Rücker Das Institut für Internationales Recht im Nationalsozialismus. Im Spannungsfeld von Identitätsaufgabe und Existenzbedrohung .............................................. 83 Teil II: Biographisches Andreas v. Arnauld und Jens T. Theilen Theodor Niemeyer (1857–1939). Ein Leben in sechs Rollenbildern und einem Epilog ................................................................................................................... 133 Magnan Johannes Mohr Zwischen Pazifismus und Patriotismus: Walther Schücking (1875–1935) .......... 167 Wilhelm Knelangen Hermann v. Mangoldt (1895–1953). Ein Mann des Neubeginns nach 1945? ...

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Rudolf Meyer-Pritzl Georg Dahm (1904–1963). Vom völkischen Recht zum Völkerrecht ................. 239 Andreas v. Arnauld und Angelika Stark Eberhard Menzel (1911–1979): Brüche, Umbrüche, Aufbrüche ......................... 281

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Inhaltsverzeichnis Teil III: Publizistisches

Andreas v. Arnauld und Saskia Hoffmann Themen in Forschung und Lehre I: Seerecht in Kiel............................................. 313 Janis Daniel Themen in Forschung und Lehre II: Rechtsfragen von Krieg und Frieden .......... 331 Das „Kriegsarchiv des Völkerrechts“ ......................................................................... Michael Jonas: Einführende Bemerkungen ......................................................... Theodor Niemeyer: Bericht über Aufgaben und Entwickelung des Instituts für internationales Recht an der Universität Kiel (1919) ...................................... Anhang: Fräulein Martens, Aus dem Kriegs-Archiv des Völkerrechts (1917) ....

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Andreas v. Arnauld und Laura Kresse Zeitschriften am Institut für Internationales Recht. Das German Yearbook of International Law und seine Vorgänger ............................................................... 367 Teil IV: Historische Schlaglichter 6. Januar 1917: Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht ..................... 407 Georg Nolte: Der Kieler Impuls zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht ..................................................................................................... 407 Moritz Liepmann: Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht (1918) ................. 409 Rainer Lagoni Der rechtliche Status des Nord-Ostsee-Kanals: vor und nach der Erklärung der Reichsregierung vom 14. November 1936 ..................................................... 427 Sinthiou Buszewski Weltinnenrecht und Internet – More research desirable? Die Kieler Tagung der DGVR vom März 1999 ........................................................................................ 459 Teil V: Dokumentation Andreas v. Arnauld Kieler Professoren und Professorinnen des Völkerrechts seit 1665 ..................... 507 Andreas v. Arnauld Völkerrechtliche Habilitationen in Kiel ............................................................... 533 Andreas v. Arnauld Kieler Publikationen zum Völkerrecht 1900–1975 .............................................. 549 Abbildungsnachweis .................................................................................................. 589 Verzeichnis der Autor*innen ...................................................................................... 591

Abkürzungsverzeichnis AA a.a.O. AA/PA ABl. Abs. Abt. AcP a.D. ADB AJIL Akten Fak Allg. Anm. ao. Prof. AöR apl. Prof. ArchLR Aufl. AVR BA B.A. BBG Bd., Bde. BDC BDGVR Bearb., bearb. Begr. BGBl. BGH BGHSt BHE BioLexSH Bl. BNSDJ BRD

Auswärtiges Amt am angegebenen Ort Auswärtiges Amt/Politisches Archiv Amtsblatt Absatz Abteilung Archiv für civilistische Praxis außer Dienst Allgemeine Deutsche Biographie American Journal of International Law Akten der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der CAU Allgemein/e/s Anmerkung außerordentlicher Professor Archiv des öffentlichen Rechts außerplanmäßiger Professor Archiv für Luftrecht Auflage Archiv des Völkerrechts Bundesarchiv Bachelor of Arts Berufsbeamtengesetz Band, Bände Berlin Document Center Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bearbeiter, bearbeitet Begründer Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH in Strafsachen Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein Blatt, Blätter Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen Bundesrepublik Deutschland

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Abkürzungsverzeichnis

BVerfG bzw. CA ca. CAU CDU CSU DBE DDP DDR ders., dies. DGVN DGVR, DGIR

Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Christiana Albertina (Zeitschrift) circa Christian-Albrechts-Universität Christlich-Demokratische Union Christlich-Soziale Union Deutsche Biographische Enzyklopädie Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik derselbe, dieselbe(n) Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht, Deutsche Gesellschaft für internationales Recht das heißt Deutsches Historisches Museum Dissertation dissenting opinion, abweichendes Votum diverse Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Die öffentliche Verwaltung Deutsche Partei Deutsches Recht (Zeitschrift) Doktor Deutsches Rotes Kreuz Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Vereinigung für internationales Recht Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen Durchführungsverordnung Deutsche Volkspartei Europa-Archiv eingeleitet European Journal of International Law Evangelische Kirche in Deutschland Europäische Menschenrechtskonvention Encyclopedia of International Law European Society of International Law Europäische Union Europarecht (Zeitschrift) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft für

d.h. DHM Diss. Diss. Op. div. DJT DJZ DÖV DP DR Dr. DRK DVBl. DVIR DVJJ DVO DVP EA eingel. EJIL EKD EMRK EPIL ESIL EU EuR EWG f.

Abkürzungsverzeichnis f., ff. FDP FS FSU FW GATT geb. GG GoJIL GVBl. GYIL H. h.c. Hg., hg. HJ Hon.-Prof. Hrsg. ibid. ICJ IDI IGH IIR IKV ILA IMT IntHbRF i.V. JIAÖR JIR JöR JVR JW JZ km km/h KPD KSZE KWG KWI LAS, LASH

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folgende Freie Demokratische Partei Festschrift Friedrich-Schiller-Universität Friedens-Warte General Agreement on Tariffs and Trade, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen geboren, geborene Grundgesetz Goettingen Journal of International Law Gesetz- und Verordnungsblatt German Yearbook of International Law Heft honoris causa, ehrenhalber Herausgeber, herausgegeben Hitlerjugend Honorarprofessor Herausgeber ibidem, ebenda International Court of Justice, Internationaler Gerichtshof Institut de Droit International Internationaler Gerichtshof Institut für Internationales Recht Internationale Kriminalistische Vereinigung International Law Association Internationales Militärtribunal Internationales Handbuch für Rundfunk und Fernsehen in Vorbereitung Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht Jahrbuch für Internationales Recht Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch für Völkerrecht Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Kilometer Stundenkilometer Kommunistische Partei Deutschlands Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Kaiser-Wilhelm-Institut Landesarchiv Schleswig(-Holstein)

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Abkürzungsverzeichnis

lit. LL.B. LL.M. LNTS m MA M.C.L. MDR Min.-Dirigent Mithg., Mithrsg. Mk. MPI NATO NDB NDR NdsSUB NiemeyersZ NIEO

litera, Buchstabe Legum Baccalaureus, Bachelor of Laws Legum Magister, Master of Laws League of Nations Treaty Series Meter Magister Artium Master of Comparative Law Monatsschrift des deutschen Rechts Ministerialdirigent Mitherausgeber Mark Max-Planck-Institut North Atlantic Treaty Organisation Neue Deutsche Biographie Norddeutscher Rundfunk Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht New International Economic Order, Neue Weltwirtschaftsordnung Neue Juristische Wochenschrift Nachlass nomen nescio (Name unbekannt) Numéro Nord-Ostsee-Kanal Nummer Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Dozentenbund Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Nationalsozialistisches Kraftfahrer-Korps Nationalsozialistischer Rechtswahrer-Bund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ohne Angabe ohne Jahresangabe Österreichische Juristen-Zeitung Oberkommando der Wehrmacht opere citato, im angeführten Werk ordentlicher Professor Oberverwaltungsgericht Permanent Court of International Justice, Ständiger Internationaler Gerichtshof Privatdozent Professor

NJW NL N.N. No. NOK Nr. NS NSDAP NSDB NSDStB NSKK NSRB NSV o.A. o.J. ÖJZ OKW op. cit. o. Prof. OVG PCIJ Priv.-Doz. Prof.

Abkürzungsverzeichnis publ. PVS RabelsZ RdA RdC RGBl. RM Rn. ROW RV RVBl. S. SA SED seq. sm sog. SPD SS SS S.S. StA Hamburg StGB SWP TB tdw ThHStAW TU u. u.a. UAJ UAT Übers. UdSSR UK UN, UNO UNCLOS Univ. USA usw. v.

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publiziert Politische Vierteljahresschrift Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recueil des Cours de l’Académie de Droit International Reichsgesetzblatt Reichsmark Randnummer Recht in Ost und West Reichsverfassung vom 16.4.1871 Reichsverwaltungsblatt Seite, Seiten Sturmabteilung Sozialistische Einheitspartei Deutschlands sequitur, folgende Seemeilen sogenannt Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Sommersemester Steam Ship Staatsarchiv Hamburg Strafgesetzbuch Stiftung Wissenschaft und Politik Taschenbuch tons dead weight, Ladetonnen Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Technische Universität und und andere, unter anderem Universitätsarchiv Jena Universitätsarchiv Tübingen Übersetzung Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Kingdom, Vereinigtes Königreich United Nations (Organisation) United Nations Conference for the Law of the Sea, United Nations Convention on the Law of the Sea Universität United States of America und so weiter von, vom

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Abkürzungsverzeichnis

v.a. v. Chr. VDStRL VerwArch vgl. VIIR

vor allem vor Christi Geburt Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsarchiv vergleiche Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Vereinte Nationen Volume, Band Vertrag von Versailles Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer Wissenschaft, Erziehung, Volksbildung [Minister für] World Health Organisation, Weltgesundheitsorganisation Weimarer Reichsverfassung Wintersemester Walther-Schücking-Institut World Trade Organisation, Welthandelsorganisation Wiener Vertragsrechts-Konvention Weltwirtschaftliches Archiv Weltwirtschaftliche Nachrichten Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für evangelische Ethik Zeitschrift Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften zu Händen Ziffer Zeitschrift für internationales Privat- und öffentliches Recht Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht zitiert Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zeitschrift für Öffentliches Recht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft zugleich Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Völkerrecht zur Zeit

VN Vol. VV VVDStRL WEV WHO WRV WS WSI WTO WVK WWA WWN ZAkDR ZaöRV z.B. ZEE Zeitschr. ZevKR ZgS z.Hd. Ziff. ZIPÖR ZIPSR zit. ZLW ZÖR ZRP Zs. ZStW zugl. ZVglRWiss ZVR z.Z.

Teil I Institutionelles

Die akademische Lehre des Völkerrechts in Kiel. Von der Gründung der Christiana Albertina bis 1914 Von Andreas v. Arnauld und Liv Christiansen

A. Die Ursprünge des völkerrechtlichen Unterrichts in Kiel Die Geschichte des völkerrechtlichen Unterrichts an der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel reicht zurück bis zur Gründung der Christiana Albertina im Jahre 1665. In ihr spiegeln sich Wandlungen des Völkerrechts als akademischer Disziplin ebenso wie die wechselhafte Geschichte der einzigen Universität in den nördlichen Herzogtümern. I. Samuel Rachel (1665 bis 1680) Neben den damals obligatorischen vier Lehrstühlen für das Corpus Juris Civilis – Pandekten (Erich Mauritius), Codex (Heinrich Michaelis), Institutionen (Simon Heinrich Sannemann) und Novellen (Johann Schwenck) – erhielt die neugegründete Kieler Juristische Fakultät einen fünften Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht. Samuel Rachel (1628–1691), war vom Kanzler Herzog Christian Albrechts von Schleswig-Holstein-Gottorf, Johann Adolph Kielmann von Kielmannseck, von der Universität Helmstedt nach Kiel berufen und mit der praktischen Durchführung der Universitätsgründung betraut worden;1 ihm verdankt die Christiana Albertina neben ihren ersten Statuten auch ihr Universitätssiegel.2 Mit Gründung der Universität wurde Rachel als dem Rang nach dritter Professor zum Ordinarius juris naturae et gentium in das Collegium Juridicum Chilionensis berufen. Die – vermutlich von Rachels fachkundigem Rat3 beeinflusste – Entscheidung des Herzogs, die Kieler Fakultät um einen Lehrstuhl für das Natur_____________ 1 Hans Hattenhauer, Samuel Rachel und die Gründung der Christiana Albertina zu Kiel, Christiana Albertina 56 (2003), 51–70 (51). 2 Jan Drees, Vom Gottorfer Friedensfest zum Kieler Universitätssiegel. Ausgewählte Beispiele der emblematischen Bildwelt am Hof der Gottorfer Herzöge, Christiana Albertina 79 (2014), 25–60. 3 Rachel genoss zu jener Zeit bereits einige Anerkennung als Lehrer des Natur- und Völkerrechts: Karl Jordan, Die Anfänge der Christiana Albertina, Schleswig-Holstein 17 (1965), 142–145 (143).

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Andreas v. Arnauld und Liv Christiansen

und Völkerrecht zu erweitern, war bemerkenswert. Zwar hatte bereits vier Jahre zuvor die Universität Heidelberg für Samuel Pufendorf einen Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht geschaffen;4 der jedoch war der Philosophischen Fakultät zugeordnet. Die Zuordnung einer solchen Professur zu einer juristischen Fakultät war ein Novum.5 Die damals gängige Verknüpfung des Völkerrechts mit dem Naturrecht hing nicht zuletzt mit einer Rechtsquellenfrage zusammen. Anders als das jus civile konnte sich das jus gentium nicht auf geschriebene Rechtstexte (oder auf etabliertes Gewohnheitsrecht) stützen, sondern bedurfte einer Grundlegung durch allgemeine (d.h. allgemeingültige) Rechtsbegriffe und Rechtsgrundsätze.6 Dies führte zu einer „natürlichen“ Nachbarschaft von (modern gefasst) „Völkerrecht“ und „Rechtsphilosophie“. Allerdings zeigt schon die Zuordnung zu den Fakultäten gewisse Spannungen innerhalb des jus naturae et gentium und seiner Vertreter.7 Für Pufendorf und seine Schule standen die naturrechtlichen Bindungen des Völkerrechts im Mittelpunkt, während andere, im Anschluss an Hugo Grotius’ Hauptwerk „De Jure Belli ac Pacis“ (1625), das Völkerrecht auf zwei Füße stellten: auf das jus gentium naturale und das „gewillkürte“ jus gentium voluntarium, das auf Praxis und internationalen Verträgen beruht. Diese „Enttheologisierung“8 des Völkerrechts durch Grotius hatte immensen Einfluss auf die Zeitgenossen9 – und in Kiel. Auch Samuel Rachel betont in seinem Hauptwerk „De Jure Naturae et Gentium Dissertationes“ (1676)10 den in Teilen „gewillkürten“ Ursprung des Völkerrechts.11 Innerhalb der völkerrechtlichen Verträge unterscheidet er zusätzlich zwischen solchen, die den Vorgaben des Naturrechts entsprechen (jus gen_____________ 4 Curt Rühland, Leben und Wirken Samuel Rachels des ersten Völkerrechtslehrers an der Universität Kiel, in: Paul Ritterbusch u.a. (Hrsg.), Festschrift zum 275jährigen Bestehen der Christian-Albrechts-Universität Kiel, Leipzig 1940, 109–115 (110); Wilhelm Wegener, Simon Heinrich Musaeus von Steineck. Ein fast vergessener Vertreter des Naturund Völkerrechts (1655–1711), in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Öffentliches Recht und Politik. Festschrift für Hans Ulrich Scupin, Berlin 1973, 421–439 (425). 5 Curt Rühland, Samuel Rachel, der Bahnbrecher des völkerrechtlichen Positivismus, Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht 34 (1925), 1–112 (14). 6 Wilhelm Janssen, Die Anfänge des modernen Völkerrechts und der neuzeitlichen Diplomatie, Stuttgart 1965, 15; Rudolf Laun, Bemerkungen zur Pflege des Völkerrechts an den Universitäten der Bundesrepublik Deutschland, in: Erik Brüel u.a. (Hrsg.), Internationalrechtliche und staatsrechtliche Abhandlungen. Festschrift für Walter Schätzel zu seinem 70. Geburtstag, Düsseldorf 1960, 277–284 (278). 7 Vgl. Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, 412ff. 8 Vgl. Matthias Herdegen, Völkerrecht, 15. Aufl. München 2016, § 2, Rn. 4. 9 Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl. München 2007, 158. 10 Erweiterte Fassung von Samuel Rachel, Exercitationem Juridicam de Jure Gentium, Kiel 1673. 11 Grewe (Anm. 7), 415f.; Ziegler (Anm. 9), 161.

Die akademische Lehre des Völkerrechts in Kiel

Samuel Rachel (1628–1691) Kupferstich von Herman Hendrik de Quiter, 1679

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Andreas v. Arnauld und Liv Christiansen

tium verum), und einem jus gentium putativum, das von Vorgaben des Naturrechts unabhängig ist. Indem Rachel betont, dass das jus gentium putativum im Rahmen der menschlich geschaffenen rechtlichen Einrichtungen (forum externum) Gültigkeit besitze, galt er manchem als ein Vorläufer des juristischen Positivismus;12 auf der anderen Seite hielt auch Rachel am Vorrang des Gewissens und der Sittlichkeit (forum internum) und damit am Vorrang des Naturrechts vor dem „positiven“ Völkerrecht fest.13 Die besondere Betonung des zwischenstaatlich gesetzten Rechts allerdings machte ihn tatsächlich zu einem „echten“ Völkerrechtler und somit zum Begründer des völkerrechtlichen Unterrichts in Kiel.14 Grotius’ epochales Werk bestimmte zunächst auch die Vorlesungen Rachels in Kiel – auf besonderes Geheiß des Herzogs selbst, wie es im Eintrag im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1665/66 heißt („â Serenissimo Academiæ Fundatore ipsius curæ peculiariter commandatum“)15, wobei die Darlegung des Stoffes von Anfang an von öffentlichen Disputationen über Thesen und Exzerpte aus „De Jure Belli ac Pacis“ begleitet war. Dennoch scheinen die Studenten schon bald das Interesse am komplexen Stoff verloren zu haben.16 Bereits für das Wintersemester 1668/69 kündigt Rachel statt der üblichen Grotius-Vorlesung an, über Spuren des Naturrechts in den Institutionen Justinians zu lesen. Zwar tauchen auch danach noch Erwähnungen von Grotius und des jus naturae et gentium auf;17 dies aber zunehmend am Rande (paulisper: „ein wenig“18) oder mit weitschweifiger Begründung und Rechtfertigung19. Ab 1670 behandelt Rachel naturrechtliche Ansätze überwiegend in seinen Kollegs über Institutionen und Pandekten und erweitert diese später auf Vorlesungen über die jurisprudentia universalis et Romanae.20 Welche Rolle dabei dem Völkerrecht im engeren Sinne zugekommen sein mag, bleibt ungewiss.21 Die Verlagerung des Schwerpunktes auf die praxisrelevanteren Materien des Corpus Juris Civile, die Rachel eher widerwillig mitgemacht zu haben scheint, deutet an, welche Rolle seinerzeit

_____________ 12

Rühland (Anm. 5). Vgl. Grewe (Anm. 7), 415f. 14 Erich Döhring, Geschichte der juristischen Fakultät 1665–1965 (= Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1665–1965, Band 3, Teil 1), Neumünster 1965, 73. 15 Vgl. das Personal- und Vorlesungsverzeichnis der CAU zu Kiel vom WS und SS 1665, online abrufbar unter: http://www.uni-kiel.de/journals/journalList.xml. 16 Döhring (Anm. 14), 73. 17 WS 1669, SS 1669/70, WS 1670/71, SS 1673, WS 1674/75. 18 WS 1670/71. 19 SS 1673. 20 WS 1675/76, SS 1676. 21 Döhring (Anm. 14), 73. 13

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den Wünschen der Studenten zukam, was sich teils auch explizit den Vorlesungsankündigungen entnehmen lässt.22 Rachel wandte sich verstärkt diplomatischen und politischen Aufgaben zu, zu denen ihn der Herzog und sein Kanzler Kielmannseck heranzogen, und die ihn von seinen akademischen Pflichten immer mehr abhielten.23 Als 1675 dänische Truppen die gottorfischen Länder besetzten und beschlagnahmten, floh der Herzog nach Hamburg. Rachel folgte 1677 dessen Ruf ins Exil und konnte als Gesandter 1679 die Rückkehr des Herzogs erwirken.24 In diesen Jahren lag seine Lehre an der Christiana Albertina vermutlich brach; es finden sich in den Vorlesungsverzeichnissen Ankündigungen, wonach Rachel hoffe, im anzuzeigenden Semester an die Fakultät zurückzukehren. 1680 übernimmt er das Amt eines Stallers (Amtmanns) in Eiderstedt und scheidet aus der Universität aus.25 II. Simon Heinrich Musäus (1682 bis 1711) Die Lehre im Natur- und Völkerrecht übernahm nach dem Weggang Rachels Simon Heinrich Musäus (1655–1711). Der Sohn des Theologen und ersten Rektors der Christian-Albrechts-Universität Peter Musäus stand hoch in der Gunst des Herzogs. Schon 1680, während Simon Heinrich noch in Gießen studierte (er erwarb dort im selben Jahr sein Lizentiat der Rechte26), hatte der Herzog dem Vater eine Professur für dessen ältesten Sohn versprochen.27 Am 8. August 1682 wurde er denn auch tatsächlich in Kiel zum außerordentlichen Professor für Natur- und Völkerrecht ernannt, allerdings an der Philosophischen Fakultät. Dass die Juristische Fakultät sich lange gegen die Aufnahme Musäus’ wehrte,28 dürfte _____________ 22 Vgl. WS 1669/70, WS 1670/71, SS 1673, SS 1675. Siehe auch Carl Rodenberg/ Volquart Pauls, Die Anfänge der Christian-Albrechts-Universität Kiel, Neumünster 1955, 268 Anm. 59. 23 Alexander Scharff, Die Christian-Albrechts-Universität in den politischen Wandlungen der Zeit, Schleswig-Holstein 17 (1965), 144–148 (145). 24 Hattenhauer (Anm. 1), 67ff. 25 Hattenhauer (Anm. 1), 69; Curt Rühland, Rachel, Samuel, in: Olaf Klose u.a. (Hrsg), Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 6, Neumünster 1982, 236–239 (237); Rodenberg/Pauls (Anm. 22), 254f. 26 Friedrich Volbehr/Richard Weyl, Professoren und Dozenten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: 1665–1954; mit Angaben über die sonstigen Lehrkräfte und die Universitäts-Bibliothekare und einem Verzeichnis der Rektoren, 4. Aufl. bearb. von Rudolf Bülck, abgeschlossen von Hans-Joachim Newiger, Kiel 1956, 27. 27 Wegener (Anm. 4), 425. Dass Lehrstühle an Professorensöhne vergeben und sogar innerhalb der Familie „vererbt“ wurden, war in jener Zeit keine Seltenheit. Peter Moraw, Kleine Geschichte der Universität Gießen 1607–1982, Gießen 1982, 44, spricht für das 16. bis 18. Jahrhundert von der Phase der „Familienuniversität“. 28 Rodenberg/Pauls (Anm. 22), 255.

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weniger an einem Widerstand gegen die herzogliche Protektion gelegen haben. Über Jahrzehnte waren die Kieler Ordinarien bestrebt, ihre Fakultät klein zu halten, weil die Einnahmen aus Prüfungen und aus den Spruchsachen des Kieler Spruchkollegiums unter den ordentlichen Professoren aufzuteilen waren. Je weniger Köpfe die Fakultät zählte, desto höher war der eigene Anteil.29 Verschärfend mag die wirtschaftliche Lage Gottorfs hinzugetreten sein. Von 1683 bis 1689 war Kiel erneut von dänischen Truppen besetzt, und der Universität drohten die finanziellen Mittel auszugehen.30 Als Musäus 1682 zum Extraordinarius an der Philosophischen Fakultät ernannt wurde, waren von den fünf Lehrstühlen der Juristischen Fakultät nur zwei besetzt (Bernhard Schultze, Pandekten, und Nikolaus Martini, Novellen); der außerordentliche Professor Samuel Reyher (Institutionen) wurde kurz darauf zum Ordinarius ernannt. Als mit Ausscheiden Schultzes die Fakultät wieder auf zwei Ordinarien reduziert zu werden drohte, ernannte der Herzog Musäus am 29. Oktober 1688 zum außerordentlichen Professor auch an der Juristischen Fakultät31 (im folgenden Jahr rückte er an der Philosophischen Fakultät zum Ordinarius auf) und verfügte – gegen den vergeblichen Protest von Martini und Reyher –, Musäus auch an Prüfungen und Spruchsachen zu beteiligen.32 Ob der Herzog den Kieler Ordinarien damals im Gegenzug mündlich zusicherte, ihre Zahl auf drei zu begrenzen (worauf diese sich später beriefen), bleibt ungewiss; er fühlte sich jedenfalls nicht gebunden. Als 1692 eine erneute Umbildung der Fakultät erfolgte und Elias August Stryk zum Ordinarius für Öffentliches Recht und Novellen ernannt wurde, erhielt auch Musäus ein juristisches Ordinariat und wechselte vollständig in das Collegium Juridicum über. Mit dem „neuen“ Ordinarius für Institutionen sowie Natur- und Völkerrecht kehrte die Lehre des jus naturae et gentium damit bis zu Musäus’ Tod im Jahre 1711 wieder an die Juristische Fakultät zurück.33 Wie Rachel legt auch Musäus seinem Unterricht Grotius’ „De Jure Belli ac Pacis“ zugrunde; anders als dieser jedoch stellt er nicht das Werk als Ganzes vor, sondern verspricht gleich zu Beginn seiner Vorlesungstätigkeit, den Studenten den „Universalschlüssel“ zu Grotius „in die Feder zu diktieren“34. Er exzerpiert Probleme, Kontroversen und Thesen und macht sie zum Gegenstand von Disputationen und Erörterungen. Möglicherweise erhielten die Studenten im Zusammenspiel von thesenartigem Überblick, Diskussion und Erörterung doch einen _____________ 29

Döhring (Anm. 14), 13f.; Rodenberg/Pauls (Anm. 22), 255. Scharff (Anm. 23), 145. 31 Wilfried Röhrich, Musäus, Simon Heinrich, in: Olaf Klose u.a. (Hrsg.), Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Bd. 4, Neumünster 1976, 171–173. 32 Döhring (Anm. 14), 14. 33 Rodenberg/Pauls (Anm. 22), 255. 34 Ankündigung für das SS 1684. 30

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Eindruck über das Gesamtwerk.35 Deutlicher noch als bei Rachel zielte Musäus’ Unterricht aber auf die praktische Anwendung des Natur- und Völkerrechts.36 Die Studenten hatten die Thesen und Lehrsätze zur unmittelbaren Lösung von strittigen Rechtsfragen zu nutzen und auch auf zivil- und strafrechtliche Probleme anzuwenden.37 Um die Verknüpfung zwischen Naturrecht und praktischem Vernunftgebrauch geht es auch in Musäus’ eigenem Hauptwerk, „Vindiciae Juris Naturalis Paradisei“ (1686),38 das er gelegentlich ebenfalls in seinen Vorlesungen heranzog39. Zur Vermittlung von Grotius’ Lehren setzte Musäus oft Lehrbücher und andere einführende Werke ein.40 Schon in seiner ersten Kieler Vorlesung, im Wintersemester 1682/83, liest er Grotius „ab Holtermanno & Spinæo enucleatu[s]“ (d.h. in der Bearbeitung von Arnold Moritz Holtermann und Gottfried Spinäus), später hielt er das Kolleg anhand der „Tabulae in H. Grotii, De jure belli ac pacis libros“ von J. Paul Olivekrans,41 die er selbst mit einer erörternden Vorrede und einer Nachschrift 1686 neu herausgab. Im Sommersemester 1691 griff Musäus zur Interpretation kontroverser Stellen bei Grotius auf „Becmanus“ (wohl Johann Christoph Beckman) zurück. Ab dem WS 1699/1700 ging er schließlich dazu über, Philipp Reinhard Vitriarius’ 1692 erschienene „Institutiones juris naturae ad methodem Hugonis Grotii“ zu nutzen. Vitriarius’ Lehrbuch war ein Abriss von Grotius’ Hauptwerk, in dem er die Ordnung der Bücher und Kapitel der Vorlage übernahm.42 Die Arbeit mit Kurzlehrbüchen und Abrissen sowie die Betonung praktischer Aspekte fand in Kiel Anklang. Bereits an Musäus’ erstem Kolleg nahmen 16 Studenten teil.43 Als Dozent soll er sehr beliebt gewesen sein.44 Immer wieder scheint Musäus auf Wünsche des Auditoriums eingegangen zu sein. So wurde z.B. einmal auf Wunsch seiner Hörer der angekündigte Stoff nicht in einer Vorlesung, sondern in einer Disputation durchgearbeitet.45 Ebenfalls auf Bitte der Studenten hin lehrte Musäus im Sommersemester 1690 und Wintersemester 1690/91 das Natur- und Völkerrecht nicht nach Grotius, sondern nach Pufendorfs _____________ 35

Döhring (Anm. 14), 73f. Wegener (Anm. 4), 428. 37 Röhrich (Anm. 31), 172. 38 Wegener (Anm. 4), 428f. 39 Vgl. den Hinweis im WS 1686/87. 40 Döhring (Anm. 14), 74 Anm. 127. Er soll seine Hörer vor der Lektüre des Originaltextes sogar regelrecht gewarnt haben: ebd., 73. 41 SS 1688 bis WS 1689/90. 42 Ziegler (Anm. 9), 158f. 43 Döhring (Anm. 14), 73f. 44 Wegener (Anm. 4), 437. 45 Rodenberg/Pauls (Anm. 22), 268. 36

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„De Officio Homini et Civis“ (1673). Im Sommersemester 1709 und in seinem vorletzten Semester (Winter 1710/11) stellte er Grotius (nach Vitriarius) und Pufendorf zur Auswahl.

B. Der völkerrechtliche Unterricht in Kiel im 18. Jahrhundert Das 18. Jahrhundert war für Schleswig-Holstein ein unruhiges. Die schwersten Auswirkungen hatte der Große Nordische Krieg (1700–1721), der mit einer erneuten Besetzung Kiels durch dänische Truppen einherging. Die Niederlage der mit Schweden verbündeten Gottorfer hatte den Verlust der Schleswigschen Besitztümer zur Folge; es entstand ein Kleinstaat mit Kiel als Residenz, der immer wieder unter dänischen Übergriffen und ständigen Finanzproblemen zu leiden hatte. Als Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorf 1762 als Peter III. zum Zaren gekrönt wird, fällt das Herzogtum für kurze Zeit an Russland; schon 1773 tauscht Katharina die Große im Vertrag von Zarskoje Selo mit dem dänischen König Holstein gegen die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst, die an das Haus Gottorf gehen. Für Schleswig-Holstein beginnt damit (bis 1864) eine einheitliche dänische Herrschaft: das „gesamtstaatliche“ Jahrhundert. I. Völkerrechtliche Lehre in der Krise: 1712 bis 1750 Die knappen Finanzen und ständige Spannungen zwischen Dänemark und Holstein-Gottorf schlugen vor allem in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf die Universität durch. Während der Besatzung mussten alle Steuern an die dänische Kriegskasse in Rendsburg abgeführt werden, was den Professoren ihre Gehälter entzog. Unter solchen Bedingungen war es schwierig, qualifizierte Lehrkräfte nach Kiel zu holen und zu halten.46 Die Juristische Fakultät bestand zu jener Zeit aus höchstens drei Ordinarien, von 1714 bis 1722 repräsentierte sogar nur ein einziger Ordinarius, Franz Ernst Vogt (1680–1736), die Fakultät.47 Nicht nur durch diese Umstände, sondern auch durch Gründung neuer Universitäten, vor allem in Göttingen (eröffnet 1737), schrumpfte die Zahl der Studenten und ließ den akademischen Betrieb teilweise zum Erliegen kommen.48 Die Univer-

_____________ 46

Scharff (Anm. 23), 145 Döhring (Anm. 14), 36f. 48 Otto Scheel, Die Landesuniversität Kiel, ein geschichtlicher Überblick, in: Ritterbusch u.a. (Anm. 4), 1–29 (9); siehe auch Scharff (Anm. 23), 145. 47

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sitätsgebäude verfielen zusehends, sodass Kollegiengebäude und Festsaal zum Teil nicht mehr betreten werden konnten.49 Als kurz nach dem Tod von Simon Heinrich Musäus im September 1711 die beiden anderen Ordinarien, Nikolaus Martini und Samuel Reyher, in den Ruhestand verabschiedet wurden, stand die Universität 1712 vor der Aufgabe, die gesamte Juristische Fakultät neu zu besetzen.50 Mit den Vorlesungen über das Natur- und Völkerrecht wurde zunächst Christoph Hinrich Amthor (1677–1721) betraut, der aber wegen seiner prodänischen Haltung 1714 Kiel verlassen musste und in dänische Dienste trat.51 Danach war die akademische Lehre des Naturund Völkerrechts in Kiel fast zehn Jahre lang nicht vertreten, sieht man von einer vereinzelten Vorlesung zum Naturrecht (nach Pufendorf) ab, die Vogt im Sommer 1715 hielt. Erst 1722 konnte mit Johann Heinrich Heubel (1694–1758) ein neuer Professor für das Natur- und Völkerrecht berufen werden. Dieser geriet aber – wie seine Fakultätskollegen Vogt und Arpe – schon bald in Konflikt mit dem im selben Jahr berufenen professor primarius, Stephan Christoph Harpprecht von Harpprechtstein (1676–1735).52 Zum casus belli wurden deutliche Seitenhiebe auf Harpprecht in Heubels am 14. April 1723 gehaltener Antrittsrede „De pedantismo juridico“, die von einer Spottkantate umrahmt wurde (Text Christian Friedrich Weichmann, Musik Georg Philipp Telemann), mit dem Refrain: „Keine Torheit schadet mehr, /keine Narrheit rast so sehr/als die in Gelehrten stecket.“ Als Heubel statt eines Widerrufs ein „Juristisches Credo“ veröffentlichte, in dem er eine „vag[e] Opposition gegen das gemeine Recht“ formulierte53 und seine Kritik an Harpprecht bekräftigte, wurde er noch im selben Jahr (1723) abgesetzt, die Absetzung Vogts und Arpes erfolgte im Jahr darauf. Etwas Ruhe trat mit dem Amtsantritt von Johann Zacharias Hartmann (1695– 1742) ein, der 1725 zum ordentlichen Professor (im dritten Rang) des Römischen und Vaterländischen Rechts ernannt wurde und 1736 zum Professor (im zweiten Rang) für Zivilrecht, Kanonisches Recht und Praxis aufstieg. Hartmann befasste sich nicht im Schwerpunkt mit dem Natur- und Völkerrecht,54 las dieses aber regelmäßig (1727, 1732–35, 1738–40). Dass der Vorlesungsstoff zweimal (1726, 1728) nur mit „Naturrecht“ (jus naturae) bezeichnet wird, könnte darauf hindeuten, dass die philosophischen Gehalte im Vordergrund standen, das Völkerrecht _____________ 49 Scheel (Anm. 48), 9; siehe auch Eugen Wohlhaupter, Geschichte der juristischen Fakultät, in: Ritterbusch u.a. (Anm. 4), 48–108 (73). 50 Rodenberg/Pauls (Anm. 22), 256. 51 Döhring (Anm. 14), 36. Siehe auch Wohlhaupter (Anm. 49), 67. 52 Eingehend zu den Querelen Döhring (Anm. 14), 37ff. 53 Wohlhaupter (Anm. 49), 68. Siehe auch Henning Ratjen, Geschichte der Universität zu Kiel, Kiel 1870, XII. 54 Wohlhaupter (Anm. 49), 69.

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im engeren Sinne also eher nebensächlich war. Amandus Christian Dorn (1711– 1765), von 1737 bis 1765 Ordinarius an der Fakultät (zunächst für Deutsches und Römisches Recht, dann für Zivilrecht und Kanonisches Recht, schließlich für Öffentliches Recht und Lehnrecht), las 1741–42 das jus publicum universale55 und im Sommer 1750 einmalig „Grund-Sätze des Europäischen Völcker-Rechts“ nach dem gerade erschienenen Werk von Johann Jacob Moser. Im Winter 1758/59 bot er eine Disputation zu der Frage an, ob allein die wachsende Stärke eines Nachbarn Grund für einen gerechten Krieg sein könne. Parallel zu diesen Lehrveranstaltungen an der Juristischen Fakultät wurde das Natur- und Völkerrecht auch an der Philosophischen Fakultät gelehrt – wobei die Vermutung nahe liegt, dass das eigentliche Völkerrecht hier in den Hintergrund trat, der Schwerpunkt also auf dem Naturrecht lag. Von 1715 bis 1757 hielt Friedrich Gentzke (1679–1757) durchgängig ein Kolleg zum Naturrecht ab, begleitend hinzu traten Vorlesungen zum Naturrecht (nach Gottsched und Wolff) bei Johann Matthias Käufelin (1736–38), zum Natur- und Völkerrecht nach dem Lehrbuch von Gundling bei Gottfried Heinrich Elend (1739–44)56 und zum Naturrecht (nach Heinrich Köhler) bei Johann Jacob Quistorp (1744/45–46/47). Es zeigt sich, dass in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vom Tode Musäus’ bis etwa 1750, das Völkerrecht eher am Rande als ein Teil des Naturrechts gelehrt wurde. Zumindest an der Juristischen Fakultät gab es keinen Ordinarius für Natur- und Völkerrecht mehr, obgleich, laut Wohlhaupter, nichts unversucht gelassen wurde, um einen neuen Professor für dieses Fach zu finden.57 Ein Grund hierfür dürfte in einem sich verändernden Fächerkanon liegen, in dem das Römische Recht zunehmend durch das Deutsche und das Vaterländische Recht Konkurrenz erhielt.58 Der Hauptgrund freilich lag in den äußeren Bedingungen in Kiel. Angesichts der wenigen besetzten Professuren mussten die verbliebenen _____________ 55 Dazu näher Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, München 1988, 268ff. 56 Vgl. Döhring (Anm. 14), 74 Anm. 129. Nikolaus Hieronymus Gundling (1671– 1729) veröffentlichte 1714 seine Schrift „Jus naturae et gentium“, in der er die Sittenlehre als Quelle des Naturrechts bezeichnete, diese aber streng vom Recht absonderte und das Recht als eigenes Zwangsmittel begriff. Was nicht erzwungen werden kann, ist Moral, was erzwungen werden kann, ist Recht. Aus der Untersuchung, was und wie weit man zwingen kann, ergab sich die Lehre von den Zwangsrechten und -pflichten im Naturrecht. Vgl. Eduard Gans, Naturrecht und Universalrechtsgeschichte. Vorlesungen nach G.W.F. Hegel, hrsg. u. eingel. von Johann Braun, Tübingen 2005, 39. 57 Wohlhaupter (Anm. 49), 73. 58 Ratjen (Anm. 53), XII, schreibt dies besonders dem Einfluss des Kieler Universitätskurators Ernst Joachim v. Westphalen (1700–1759) und dessen Neffen, dem Ordinarius für Deutsches Recht und Holsteinische Praxis, Johann Carl Heinrich Dreyer (1721– 1802), zu, „die beide gegen das Römische Recht eingenommen waren“. Näher zu diesen Henning Ratjen, Johann Carl Heinrich Dreyer und Ernst Joachim von Westphalen. Beitrag zur Geschichte der Kieler Universität und der juristischen Literatur, Kiel 1861.

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Dozenten Vorlesungen zu den verschiedensten Fachgebieten übernehmen und sich immer häufiger auch mit mehreren Nebenfächern beschäftigen. Für einen Schwerpunkt im Natur- und Völkerrecht, wie bei Gründung der Universität 1665 vorgesehen, war unter solchen Umständen kein Platz. II. Allmähliche Konsolidierung: 1750 bis 1800 Um die Jahrhundertmitte ist immerhin eine gewisse Konsolidierung der Lage zu verzeichnen. Ab 1753/54 übernahm Karl Friedrich Winkler (1722–1784) Vorlesungen zum Natur- und Völkerrecht, bis er 1780 seine Lehrtätigkeit aufgrund eines Augenleidens aufgeben musste. Winkler war Professor für Deutsches Recht, las aber regelmäßig zum jus naturae et gentium, zur jurisprudentia philosophica bzw. zum jus publicum universale. Die wechselnden Titel seiner Veranstaltungen spiegeln wider, wie sich Rechtsphilosophie und Allgemeine Staatslehre aus der klassischen Naturrechtslehre heraus entwickeln. Ab dem Winter 1761/62 las Winkler dann regelmäßig zu Grundsätzen des Naturrechts, angewandt auf das Völkerrecht, das universelle öffentliche und private Recht. Gerade in dieser Orientierung auf die praktische Anwendung59 scheint er eine Kieler Tradition fortgesetzt zu haben. Wohl zunächst zur Entlastung des zunehmend durch seine Krankheit beeinträchtigten Winkler las von 1776 bis 1782 Johann Daniel Heinrich Musäus (1749–1821), als außerordentlicher (ab 1776), später dann als ordentlicher Professor (ab 1781) das Naturrecht unter Einschluss des universellen öffentlichen Rechts und Völkerrechts. Als Anleitung bediente er sich dabei des Buchs des ehemaligen Göttinger Ordinarius Gottfried Achenwall60. Formal hatte das jus naturae et gentium auch zum Fächerkanon von Johann Philipp Carrach (geb. 1730) gehört, der 1768 als professor primarius an die juristische Fakultät berufen wurde. Wegen der Unterschlagung von Geldern und Akten wurde er jedoch schon 1769 wieder entlassen,61 ohne in Kiel jemals Natur- und Völkerrecht gelehrt zu haben.

_____________ 59

Deutlich in der Ankündigung für das WS 1757/58. Gottfried Achenwall, Elementa Iuris Naturae Additis Iuris Gentium Europaearum Practici Primis Lineis, Göttingen 1753; ders., Prolegomena iuris naturalis: in usum auditorum, Göttingen 1767. Näher zu Achenwall Gottfried Zieger, Die ersten hundert Jahre Völkerrrecht an der Georg-August-Universität Göttingen. Vom ius naturae et gentium zum positiven Völkerrecht, in: Fritz Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, Göttingen 1987, 32–74 (50ff.); Paul Streidl, Naturrecht, Staatswissenschaften und Politisierung bei Gottfried Achenwall (1719–1772). Studien zur Gelehrtengeschichte Göttingens in der Aufklärung, München 2003. 61 Wohlhaupter (Anm. 49), 73; Döhring (Anm. 14), 48. 60

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Nach Musäus’ Wechsel an die Universität Gießen (1782) übernahm 1783 Adolph Friedrich Trendelenburg (1737–1803) die regelmäßigen Vorlesungen zum Natur- und Völkerrecht. Trendelenburg war 1775 als Erster Professor nach Kiel berufen worden. Zu seinen Fächern gehörten das Römische Recht, das Deutsche Recht, Prozessrecht, Kriminalrecht, Handelsrecht, Moralphilosophie und Völkerrecht.62 Trendelenburg stand unter dem Einfluss der Philosophie Immanuel Kants, die auch seine Vorlesungen beeinflusst haben soll.63 Im Mittelpunkt seiner Lehre zum Natur- und Völkerrecht dürfte das philosophische Naturrecht gestanden haben, wie ein Blick auf die von Trendelenburg verwendeten Referenzwerke zeigt. Bis 1792 las er auf Grundlage des Werks von Ludwig Höpfner64, wechselte dann zu dem neuen Buch von Johann Christian Gottlieb Schaumann65, um ab 1797 das ebenfalls frisch erschienene Werk Ernst Ferdinand Kleins66 zugrunde zu legen. Indem alle diese Referenzwerke in einem abschließenden Teil auf das Völkerrecht eingehen, darf man allerdings annehmen, dass Grundfragen des Völkerrechts immerhin auch Gegenstand seiner Lehrveranstaltungen gewesen sind. In didaktischer Hinsicht führte Trendelenburg die schon früher bekannten Disputationen wieder ein,67 in denen die Studenten sich unter der Leitung eines Professors in der Verteidigung von eigens aufgestellten Thesen beweisen mussten. Er übernahm die Leitung dieser öffentlichen Übungen und ließ seine Studenten über juristische und philosophische Gegenstände disputieren.68 Eher der praktisch-politischen Seite des Völkerrechts zugewandt zeigte sich Johann Dietrich Mellmann (1746–1801), der von 1773 bis 1801 als Ordinarius Prozessrecht, Deutsches Recht, Institutionen und Kriminalrecht lehrte.69 1783 und 1784 behandelte er in seiner Vorlesung Christian August Becks „Versuch einer Staatspraxis oder Canzeleyübung, aus der Politik, dem Staats- und Völkerrechte“ (1754) und brachte den Studenten im Wintersemester 1788/89 und erneut 1799/1800 das Land- und Seekriegsrecht nahe. Auch an der Philosophischen Fakultät wurde das Natur- und Völkerrecht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiterhin gepflegt; erneut dürfte (von Ausnahmen abgesehen) das Völkerrecht eher am Rande gestanden haben. An _____________ 62

Volbehr/Weyl (Anm. 26), 30. Wohlhaupter (Anm. 49), 75; Döhring (Anm. 14), 139. 64 Ludwig Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker, 2. Aufl. Gießen 1783. 65 Johann Christian Gottlieb Schaumann, Wissenschaftliches Naturrecht, Halle 1792. 66 Ernst Ferdinand Klein, Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft nebst einer Geschichte derselben, Halle 1797. 67 Die Disputatorien hatten bis Mitte des 18. Jahrhunderts zum regulären Unterrichtsplan gehört, waren dann aber bis zur Wiederbelebung unter Trendelenburg vernachlässigt worden: Döhring (Anm. 14), 146f. 68 Wohlhaupter (Anm. 49), 54f. 69 Volbehr/Weyl (Anm. 26), 30. 63

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erster Stelle zu nennen ist Wilhelm Ernst Christiani (1731–1793), der als außerordentlicher (ab 1761), dann als ordentlicher (ab 1763) Professor des Naturrechts und der Politik70 von 1761 bis 1790 regelmäßig Vorlesungen zum Natur- und Völkerrecht anbot. In diesen befasste er sich anfangs mit dem Lehrbuch Joachim Georg Darjes’71, ab 1774 dann mit Johann Georg Heinrich Feder72 und schließlich, ab 1784 mit Johann August Schlettwein73. Ähnlich lange, von 1794 bis 1820, las Carl Leonhard Reinhold (1758–1823) über Grundsätze des Naturrechts und der Ethik, nunmehr allerdings klar aus philosophischer Warte. Weitere Dozenten des Naturrechts an der Philosophischen Fakultät waren in jener Zeit die außerordentlichen Professoren Johann Georg Wiggers (1748–1820), der von 1783 bis 1787 (wie vor ihm J. D. H. Musäus) das Naturrecht nach Achenwall las, und August Christian Heinrich Niemann (1761–1832), der im Winter 1785/86 Naturund Völkerrecht nach Höpfner anbot.74 Besondere Erwähnung verdient aus völkerrechtlicher Sicht Hermann Hegewisch (1740–1812), der als ordentlicher Professor der Geschichte an der Philosophischen Fakultät von 1784 bis 1791 regelmäßig Vorlesungen zum jus gentium Europaeum anbot – und damit zu einem Stoff, der sich durch den Bezug auf die Staatenwelt Europas von der Anbindung an eine philosophisch-universelle Rechtsidee gelöst hatte.

C. 19. Jahrhundert: Emanzipierung des Völkerrechts im akademischen Unterricht I. Die akademische Lehre des Völkerrechts und der philosophische Einfluss Im Laufe des 18. Jahrhunderts hatte sich das Völkerrecht in der akademischen Lehre immer mehr zu einem Annex des Naturrechts entwickelt, während das Naturrecht immer stärker in eine philosophische Richtung tendierte. Wo Rachel in seiner Auslegung des Natur- und Völkerrechts noch „positivistische“ Ansätze _____________ 70

Volbehr/Weyl (Anm. 26), 135. Joachim Georg Darjes, Discours über sein Natur- und Völkerrecht, Jena 1762. 72 Johann Georg Heinrich Feder, Lehrbuch der praktischen Philosophie, Göttingen/Gotha 1770. 73 Johann August Schlettwein, Die Rechte der Menschheit oder der einzige wahre Grund aller Gesetze, Ordnungen und Verfassungen, Gießen 1784. 74 Zu weiteren einschlägigen Veranstaltungen: Nach seinen eigenen Aphorismen las das Natur- und Völkerrecht im Winter 1786/87 der Ordinarius für Philosophie Martin Ehlers (1732–1800), der von 1795 bis 1800 erneut Naturrechtsvorlesungen anbot. Der Privatdozent Johann Heinrich Meyer las 1793 und 1794 über die Jurisprudentia naturalis, der Philosophie Kants widmeten die Extraordinarien Johann Otto Thiess 1792–93 und Wilhelm Friedrich August Mackensen 1797–98 Kollegien. 71

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hervorhob, verloren sich diese über die Jahrzehnte hinweg. Schon Simon Heinrich Musäus ging es eher um die Anwendung naturrechtlicher Lehrsätze in der Praxis als um das „gewillkürte“ Völkerrecht; einen ähnlichen Fokus dürften Winklers und Johann David Heinrich Musäus’ Vorlesungen besessen haben. Die Vorlesungen des Natur- und Völkerrechts erhielten immer stärker philosophischen Charakter, nicht nur an der Philosophischen, sondern auch an der Juristischen Fakultät. Dies zeigt das Beispiel Trendelenburgs, dessen Vorlesungen hauptsächlich die philosophischen Ansätze des Naturrechts behandelten und in denen das Völkerrecht eine Rolle nur noch am Rande – als Ausprägung der vernunftgemäßen Grundsätze des Rechts – spielte. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzt sich diese Entwicklung fort;75 das Naturrecht emanzipiert sich von seiner Verklammerung mit dem Völkerrecht. Immer häufiger wird als Vorlesungsstoff nur noch „Naturrecht“ bzw. „Ius Naturae“ angegeben, wenn Privatdozenten der Juristischen Fakultät Veranstaltungen anbieten: Johann Karl Dümmler (Sommer 1811, Naturrecht nach Kant), Carl Heinrich Reinhold (Winter 1814/15), Momme Heseler Steffens (Sommer 1820 und 1827–30) und Hermann Friedrich Anton Petersen (1831–32). Gelegentlich taucht noch ein „und Völkerrecht“ auf,76 dürfte aber kaum mehr einen Schwerpunkt gebildet haben. Einer universellen Rechtsidee sind auch die Vorlesungen gewidmet, die Markus Tönsen, seit 1816 Professor für schleswig-holsteinisches Privatrecht und Prozess, im Winter 1817/18 und 1820/21 anbietet. Diese Lehrveranstaltungen leiten in die rechtsphilosophischen Kollegien über, die ab den 1830er Jahren namentlich von den Professoren Johannes Christiansen und Emil Hartmann regelmäßig abgehalten werden. Die Entwicklung schlug sich in den Prüfungsaufgaben der Examina nieder. Auch hier betrafen die Fragen aus dem Natur- und Völkerrecht hauptsächlich das Naturrecht. Die Studenten mussten sich hier etwa mit den Fragen des Verhältnisses des Naturrechts zum positiven Recht beschäftigen, oder inwieweit ein Richter das Naturrecht als unabweisbar zu betrachten habe.77 An der Philosophischen Fakultät verbindet sich die Lehre zum Naturrecht in jener Zeit immer stärker mit der Ethik, so bei dem bereits erwähnten Carl Leonhard Reinhold, bei dem Privatdozenten Christian Friedrich Callisen (Sommer 1803) und bei Johann Erich v. Berger, ab 1826 ordentlicher Professor der Philosophie, _____________ 75 Die im Online-Archiv verfügbare Sammlung der Kieler Personal- und Vorlesungsverzeichnisse weist für jene Jahre leider Lücken auf. Nicht erhalten sind die Verzeichnisse der folgenden Semester: SS 1801 bis WS 1802/03, WS 1803/04, WS 1804/05 bis SS 1806, SS 1807 bis WS 1810/11, WS 1811/12 bis SS 1814, SS 1816, SS 1821, SS 1823 bis SS 1824, SS 1825 bis SS 1826 sowie das SS 1844 (nur Vorrede erhalten). 76 Bei Carl Heinrich Reinhold im WS 1815/16, bei Momme Steffens im WS 1820/21 und von 1822–1827. 77 Döhring (Anm. 14), 139f.

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der von 1827 bis 1832 Vorlesungen zu Ethik und Naturrecht hält. Einen historisierenden Blick zurück auf diese Entwicklungen wirft 1831 und 1832 ein Kolleg des Professors der Philologie, Johann Matthias Schultz: zur Geschichte des Naturrechts und der Ethik seit Grotius und Hobbes. II. Die akademische Lehre des Völkerrechts und der Rechtspositivismus Die fortschreitende Marginalisierung des Völkerrechts im Naturrecht führte umgekehrt zu einer zunehmenden Emanzipation des „zwischenstaatlichen“ Völkerrechts als Disziplin. Schon Grotius und Rachel hatten mit den Figuren des jus gentium voluntarium und des jus gentium putativum den Eigenwert des „positiven“ Völkerrechts betont. Durch das ganze 18. Jahrhundert hindurch entwickelt sich ein regelrechter Kampf des klassischen, naturrechtlich fundierten Völkerrechts gegen ein System, dass sich auf bestehende Verträge und Institutionen stützte.78 Im Laufe des 19. Jahrhundert wurde dann das aufgeklärte Naturrecht in der völkerrechtlichen Lehre durch den Positivismus verdrängt, der die Geltung des Rechts allein auf einen Akt der Rechtsetzung zurückführte.79 Parallel dazu vollzog sich ein Wachstum an geschriebenem Recht im Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen.80 Hierdurch begünstigt etablierte sich das Völkerrecht allmählich als eigenständiges Lehrfach.81 Auch in Kiel machte sich diese Entwicklung, wenngleich zögerlich, bemerkbar. Als Vorreiter mag der schon erwähnte Historiker Hermann Hegewisch gelten, der 1784–91 Vorlesungen zum jus gentium Europaeum hielt.82 Im Wintersemester 1815/16 behandelte während seiner kurzen Zeit als Professor in Kiel Carl Theodor Welcker (1790-1869) „elementa iuris publici et gentium populorum Europae“. Regelmäßige Vorlesungen zum Völkerrecht (jus gentium) wurden erst 1831 etabliert. 1831 und jeweils in den Wintersemestern von 1837/38 bis 1841/42 las Andreas Ludwig Jacob Michelsen (1801–1862) zwei Stunden die Woche Völkerrecht, zunächst (ab 1829) als Nachfolger Friedrich Chistoph Dahlmanns außerordentlicher, dann (ab 1837) als ordentlicher Professor der Geschichte an der Philosophischen Fakultät.83 Der nächste Dozent, der regelmäßig das Völker_____________ 78 Ernst Reibstein, Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Bd. 2: Die letzten zweihundert Jahre, Freiburg u.a. 1963, 1. 79 Ziegler (Anm. 9), 172. 80 Ziegler (Anm. 9), 180. 81 Ziegler (Anm. 9), 188f. Siehe auch Döhring (Anm. 14), 89. 82 Ein Kolleg zum jus gentium Europaeum hielt im Winter 1833/34 einmalig auch Georg Christian Burchardi, seit 1822 Ordinarius für Römisches Recht. 83 Volbehr/Weyl (Anm. 26), 139.

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recht las, begann am Collegium Juridicum, bevor er in die Philosophische Fakultät wechselte: Lorenz [von] Stein (1815–1890), seit 1843 Privatdozent der Rechte, ging 1846 als außerordentlicher Professor der Staatswissenschaften an die Philosophische Fakultät, bis er 1852 wegen seines Eintretens für die Selbständigkeit der Herzogtümer seines Amtes enthoben wurde.84 Das Völkerrecht las er in Kiel zwischen 1845 und 1850 zunächst im Jahres-, dann im Semesterturnus. Aus politischen Gründen wurde 1852 auch der Extraordinarius für schleswig-holsteinisches Recht Karl Friedrich Lucian Samwer (1819–1882) entlassen.85 Für das Wintersemester 1850/51 hatte er –der erste deutsch-dänische Krieg um Schleswig-Holstein lag in seinen letzten Zügen – eine Vorlesung zum System des Völkerrechts auf Grundlage des Wiener Kongresses angekündigt. Es folgen vereinzelte Lehrveranstaltungen: Im Winter 1853/54 hält Gustav Zimmermann (1808–1874), für kurze Zeit ordentlicher Professor der Staatswissenschaften an der Philosophischen Fakultät, einmalig eine Vorlesung zum Völkerrecht, desgleichen im Winter 1855/56 Wilhelm Eduard Wilda (1800–1856), der von 1854 bis 1856 einen Lehrstuhl für Deutsches und nordisches Recht an der Juristischen Fakultät bekleidete. Regelmäßige Veranstaltungen zum Völkerrecht fanden erst wieder ab dem Sommersemester 1859 statt. Von 1859 bis 1880 las dann über zwei Jahrzehnte lang der Privatdozent Adam Vöge (1828–1880) an der Juristischen Fakultät zwei Stunden wöchentlich Völkerrecht, zunächst einmal jährlich, ab 1870 dann jedes Semester. Auch wenn, von kürzeren Unterbrechungen abgesehen, das Völkerrecht sich in Kiel ab 1830 als eigenständiges Lehrfach fest etabliert hatte, blieb es eher randständig. Mit in der Regel zwei Stunden pro Woche war der Umfang überschaubar; die Lehre wurde meist von Privatdozenten übernommen, denen es nicht gelang, sich auf einen der Lehrstühle der Juristischen Fakultät zu retten. Ein Grund für die eher geringe Bedeutung des Völkerrechts in der akademischen Lehre mag gewesen sein, dass der Fokus in jener Zeit eher auf dem deutschen und dem vaterländischen Recht lag.86 Der Wiener Kongress hatte 1815 zwar eine Neuordnung Europas gebracht, Deutschland aber zersplittert und den Wunsch nach staatlicher Einheit unerfüllt gelassen.87 Dies war gerade in Schleswig-Holstein spürbar, wo die Spannungen zwischen deutscher Bevölkerung und dänischer Herrschaft beständig wuchsen. Das deutsche und vaterländische Recht in den Mittelpunkt zu rücken, passte gut zu dem freiheitlichen Nationalstaatsgedanken, zu dem sich viele Mitglieder des Lehrkörpers und der Studentenschaft bekannten. _____________ 84

Volbehr/Weyl (Anm. 26), 61, 180. Volbehr/Weyl (Anm. 26), 50. 86 Scheel (Anm. 48), 13. 87 Walther Schücking, Der Stand des völkerrechtlichen Unterrichts in Deutschland, Zeitschrift für Völkerrecht 7 (1913), 375–382 (375). 85

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1866 wurde Schleswig-Holstein Teil des Deutschen Bundes, die Christiana Albertina zur preußischen Universität.88 Die Lage der Universität verbesserte sich dadurch nicht. Durch die Neuordnung nach den Kriegswirren der letzten Jahre hatte Preußen mit dem Zuwachs von drei Universitäten zu kämpfen. Göttingen, Kiel und Marburg waren ein kostspieliger Gewinn, so dass zur Debatte stand, Kiel und Marburg zu schließen. Durch eine Intervention des Preußischen Kultusministers konnte dies zwar abgewendet werden, doch immer noch fehlte es an Mitteln, um jahrelang vakante Lehrstühle neu zu besetzen. An der Juristischen Fakultät gelang es zwar, längere Vakanzen zu vermeiden; allerdings gab es einige Fluktuation, weil immer wieder Professoren an die etablierten preußischen Fakultäten abwanderten.89

D. Nach 1871: Der Durchbruch des völkerrechtlichen Unterrichts in Kiel I. Die „verspätete Nation“ und das Völkerrecht Die Pflege des Völkerrechts in Deutschland erhielt mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 neue Impulse.90 Durch die tiefgreifende Umstrukturierung begann Deutschland sich auf ungeahnte Weise wirtschaftlich wie außenpolitisch zu entwickeln, was ein Bedürfnis nach völkerrechtlichen Verträgen auslöste, um die zunehmende und zunehmend vielfältige internationale Zusammenarbeit zu regeln.91 Und so mehrten sich Stimmen, die forderten, das Völkerrecht im Kanon der juristischen Fächer als gleichwertige Disziplin anzusehen. Vor allem August v. Bulmerincq92 kritisierte in den 1870er und 1880er Jahren den traditionellen Nachrang des Völkerrechts. Zwar sei es sinnvoll, sich zunächst den stärker _____________ 88 Hagen Schulze, Preußen von 1850 bis 1871. Verfassungsstaat und Reichsgründung, in: Otto Büsch (Hrsg.), Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 2: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin 1992, 293–374 (343); Scharff (Anm. 23), 148. 89 Erich Hofmann, Die jüngste Geschichte der Christiana Albertina, Schleswig-Holstein 17 (1965), 153–155 (153). 90 Vgl. August v. Bulmerincq, Das Völkerrecht oder das internationale Recht, 2. Aufl. Freiburg 1889, 381. 91 Schücking (Anm. 87), 375; Ziegler (Anm. 9), 180f. 92 August v. Bulmerincq (1822–1890), Ordinarius für Völkerrecht an den Universitäten Dorpat (1856–75) und Heidelberg (1882–90), trat für ein positivistisch orientiertes, aber zugleich geschichtlich verankertes Völkerrecht ein. Er galt als einer der führenden Völkerrechtler der Zeit. Zu Bulmerincq Lauri Mälksoo, The Context of International Legal Arguments: ‘Positivist’ International Law Scholar August von Bulmerincq (1822– 1890) and His Concept of Politics, Journal of the History of International Law 7 (2005), 181–209.

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dogmatisch durchdrungenen Rechtsmaterien – allen voran dem Privatrecht – zuzuwenden, weil das Völkerrecht die Rechtssätze anderer Rechtsgebiete aufgreife und ohne Kenntnis dieser kaum zu verstehen sei; hieraus folge aber kein Nachrang einer so bedeutenden Rechtsmaterie. Daher forderte er strukturelle Änderungen im völkerrechtlichen Unterricht im Deutschen Reich.93 Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten hinkte Deutschland auf dem Gebiet des völkerrechtlichen Unterrichts tatsächlich hinterher. Französische, USamerikanische und russische Universitäten waren hier weit voraus.94 An den englischen Universitäten Oxford und Cambridge waren eigene Lehrstühle für das Völkerrecht bereits 1859 bzw. 1867 errichtet worden. Die anderen europäischen Staaten hatten allerdings einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Deutschen Reich. Während die Deutschen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein noch für einen eigenen Staat kämpften, konnten sich die anderen Europäer (mit Ausnahme der Italiener) bereits Gedanken über die internationale Stellung ihres Nationalstaates machen. Erste Aufgabe der deutschen Rechtsgelehrten war es demgegenüber, an der inneren Rechtseinheit zu arbeiten. Die Deutschen als „verspätete Nation“95 mussten also auch im Völkerrecht erst den Anschluss finden.96 II. Albert Hänel (1863 bis 1911) Bei Anbruch der preußischen Zeit 1866 waren alle fünf Lehrstühle der Juristischen Fakultät in Kiel besetzt. Zwei Lehrstühle waren dem Römischen Recht gewidmet (Georg Karl Neuner, Georg Karl August v. Bechmann), einer dem Prozess- und Kriminalrecht (Johann Julius Wilhelm v. Planck, ab 1867 Karl Johann Friedrich Wilhelm Wieding), zwei dem Deutschen Recht (Albert Hänel und Richard Wilhelm Dove). Dabei war es die dem öffentlichen Recht zuneigende deutschrechtliche Professur, die auch für die Pflege des Völkerrechts zuständig war. Seit 1863 war Albert Hänel (1833–1918) Inhaber dieses Lehrstuhls für Deutsches Privatrecht und Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte;97 1888 wurden _____________ 93 August v. Bulmerincq, Praxis, Theorie und Codification des Völkerrechts, Leipzig 1874; ders. (Anm. 90). 94 Moritz Liepmann, Die Pflege des Völkerrechts an den deutschen Universitäten. Eine Denkschrift, Berlin 1919 (= Deutsche Liga für den Völkerbund [Hrsg.], Monographien zum Völkerbund, Heft 6), 5. 95 Vgl. Helmuth Plessner, Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes [1935], 2. Aufl. Stuttgart 1959. 96 Schücking (Anm. 87), 375. 97 Volbehr/Weyl (Anm. 26), 35. Zu Hänel vertiefend Manfred Friedrich, Zwischen Positivismus und materialem Verfassungsdenken. Albert Hänel und seine Bedeutung für die deutsche Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1971; Stephan Vitzthum, Linksliberale Politik und materiale Staatsrechtslehre. Albert Hänel (1833–1918), Freiburg 1971; Sebastian Graf

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die privatrechtlichen Anteile seines Lehrauftrags auf die zweite deutschrechtliche Professur (Max Pappenheim) übertragen, die im Gegenzug die Zuständigkeit für das Kirchenrecht an ein Extraordinariat abtrat und einen handelsrechtlichen Schwerpunkt erhielt.98 Hänel hielt erstmals im Sommer 1867 und im Winter 1869/70 die Vorlesung zum Völkerrecht, die er vom Winter 1881/82 an bis zum Winter 1910/11 jedes Jahr zweistündig lesen würde. Diese Verbindung mit einer öffentlich-rechtlichen Professur passte in eine Zeit, die im Völkerrecht das äußere Staatsrecht sah.99 Hänel war nicht nur ein angesehener Staatsrechtler und einflussreicher liberaler Politiker seiner Zeit;100 auch als Dozent soll er auf seine Studenten nachhaltigen Eindruck gemacht haben – allerdings mehr auf die höheren Semester, die er denn auch vorzugsweise unterrichtete.101 Nachdem Hänel 1911 mit fast 80 Jahren emeritiert worden war, trat 1913 Wilhelm van Calker (1869–1937) seine Nachfolge an, der sich in Kiel publizistisch wie in der Lehre auch als Völkerrechtler hervortat. Bis van Calker 1919 nach Freiburg ging, hielt er jeweils im Wintersemester – nunmehr dreistündig – die Vorlesung zum allgemeinen Völkerrecht. III. Das völkerrechtliche Extraordinariat Zunehmend erkannte man in Kiel die Wichtigkeit des völkerrechtlichen Unterrichts, was im deutschen akademischen Betrieb damals mehr als untypisch war.102 Auf Drängen der Fakultät wurde einem 1885 neu errichteten Extraordinariat für juristische Enzyklopädie und Deutsches Recht ein Lehrauftrag für das Völkerrecht hinzugefügt.103 Dessen Inhaber, Heinrich Otto Lehmann (1852– 1904)104 hatte schon als Privatdozent ab 1883 Vorlesungen zum Völkerrecht gehalten und bot diese auch als Professor – im Wechsel mit Hänel, der im Winter las – jedes Sommersemester an. Als Lehmann 1888 nach Gießen ging, verlor _____________

v. Kielmansegg, Rechtswissenschaft und Liberalismus im Kaiserreich. Albert Hänel (1833– 1918), in: Andreas v. Arnauld/Ino Augsberg/Rudolf Meyer-Pritzl (Hrsg.), 350 Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Tübingen 2017 (i.V.). 98 Döhring (Anm. 14), 166; Volbehr/Weyl (Anm. 26), 35. 99 Laun (Anm. 6), 278. Vgl. auch Bulmerincq (Anm. 93), 130; ders. (Anm. 90), 379. 100 Albert Hänel war 1867–1888 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses sowie 1867–1893 und 1898–1903 Abgeordneter im Norddeutschen bzw. Deutschen Reichstag. Er gehörte zu den führenden liberalen Politikern seiner Zeit und erlangte u.a. 1880 durch die sog. Hänel-Eingabe im Preußischen Abgeordnetenhaus Bekanntheit, mit der er auf den wachsenden Antisemitismus in einflussreichen Kreisen aufmerksam machte. 101 Döhring (Anm. 14), 170; Wohlhaupter (Anm. 49), 98. 102 Vgl. v. Bulmerincq (Anm. 90), 381. 103 Döhring (Anm. 14), 182. 104 Volbehr/Weyl (Anm. 26), 50.

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zwar das Extraordinariat seine ausdrückliche Widmung für das Völkerrecht; jedoch hielten sowohl sein Nachfolger Adolph Frantz (ab 1894 persönlicher Ordinarius)105 als auch der Privatdozent Eugen Leidig106 völkerrechtliche Lehrveranstaltungen in Ergänzung zu den jährlichen Vorlesungen Albert Hänels ab. Privatdozenten sorgten weiter für Entlastung: Ab dem Wintersemester 1903/04 und in den Sommersemestern 1904 bis 1906 hielt Kurt Perels (1878–1933) gemeinsam mit Hänel Übungen im Staats- und Völkerrecht und Kolonialrecht.107 Zusätzlich behandelte er 1905 bis 1906 das Seekriegsrecht und hielt 1907 dreimal wöchentlich die Vorlesung zum Völkerrecht; 1908 las er eine Stunde die Woche über Ergebnisse der zweiten Haager Friedenskonferenz von 1907. 1909 verließ Perels Kiel und wechselte an das neu gegründete Hamburger Kolonialinstitut. Als 1908 ein weiteres Extraordinariat zur Entlastung Hänels geschaffen wurde, erging der Ruf an einen Hochschullehrer, der sich mit seinem Werk „Völkerrecht und Landesrecht“ (1899) einen Namen auch in der Völkerrechtswissenschaft gemacht hatte:108 Heinrich Triepel (1868–1946), als persönlicher Ordinarius aus Tübingen nach Kiel berufen, las im Winter 1909/10 einstündig Seekriegsrecht und in den Wintersemestern 1911/12 und 1912/13 dreistündig Völkerrecht. Daneben unterrichtete er an der Kaiserlichen Marineakademie. Nach Triepels Wechsel an die Berliner Universität im Jahre 1913 scheiterte der Versuch, ein neues ständiges Ordinariat für öffentliches Recht zu errichten; auf das immerhin bewilligte Extraordinariat wurde 1913 Walter Jellinek (1885–1955) berufen, nach dessen Wechsel auf das öffentlich-rechtliche Ordinariat (in der Nachfolge van Calkers) ein weiterer Rechtslehrer, der auch Völkerrechtler war: Walther Schönborn (1883–1956).109

_____________ 105

Im SS 1895, SS 1897 und SS 1900. Vom SS 1898 bis SS 1899 sowie im SS 1901. 107 Im SS 1909 rückte für kurze Zeit Erich Kaufmann an seine Stelle. 108 Döhring (Anm. 14), 181f. 109 Döhring (Anm. 14), 181f., 183f. Döhring (a.a.O., 182 in Anm. 51) nimmt irrtümlich an, dass zwischen Triepel und Jellinek für kurze Zeit Erich Kaufmann und Hans Gmelin das öffentlich-rechtliche Extraordinariat innehatten. Kaufmann war Extraordinarius in Kiel vom 4. April 1912 bis zum 13. Januar 1913, Hans Gmelin vom 2. Mai bis 16. August 1913, vgl. Volbehr/Weyl (Anm. 26), 51. Heinrich Triepel wechselte aber erst zum 1. Oktober 1913 nach Berlin (ebd., 38). Kaufmann und Gmelin dürften eine Ersatzprofessur für öffentliches Recht bekleidet haben, welche die durch die Emeritierung Hänels entstandene Vakanz ausfüllen sollte: vgl. Vorlesungsverzeichnisse SS 1912 bis WS 1913/14. 106

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IV. Theodor Niemeyer oder: Institutionalisierung des Völkerrechts in Kiel Zunehmend litt Hänels Lehre unter seiner politischen Betätigung und dem hohen Alter.110 Zu seiner Entlastung übernahm ab dem Sommersemester 1902 Theodor Niemeyer (1857–1939) zusätzlich Vorlesungen zum Völkerrecht. Niemeyer gehörte der Fakultät seit 1893 als außerordentlicher und seit 1894 als ordentlicher Professor für Römisches Recht und Reichszivilrecht an.111 Durch Inkrafttreten des BGB fühlte er sich dem Zivilrecht entfremdet und sah seine neue akademische Heimat im Völkerrecht, mit dem er als Dozent der Kaiserlichen Marineakademie in Berührung gekommen war (hiervon zeugt die Vorlesung zum Seekriegsrecht, die er ab dem Wintersemester 1901/02 einstündig hielt).112 In seinem Unterricht beschäftigte sich Niemeyer in jener Zeit neben dem System und der Geschichte des Völkerrechts113 auch mit der Lektüre von völkerrechtlichen Urkunden114. Jahrelang stellte Niemeyer Anträge, von der zivilrechtlichen Lehre befreit zu werden, um sich ganz dem internationalen Recht zu widmen. Weil es aber Probleme gab, geeigneten Ersatz für seine zivilrechtlichen Vorlesungen zu finden, blieb er einstweilen erfolglos. War sich die Fakultät schon früh einig, dass das Völkerrecht weiter gefördert werden müsse, herrschte immer noch Uneinigkeit, wie dies geschehen sollte.115 1912 erhielt Niemeyer endlich den erbetenen Lehrauftrag für internationales Recht, Völkerrecht und Kolonialrecht. Er war weiterhin Inhaber des Lehrstuhls für Römisches Recht, wurde aber von den romanistischen und bürgerlich-rechtlichen Vorlesungen befreit.116 Wie schon seit 1906 las er das allgemeine Völkerrecht vierstündig; hinzu kamen Veranstaltungen zum _____________ 110

Döhring (Anm. 14), 170. Zu Niemeyer näher Alexander Bader, Leben und Werk des Geheimen Justizrates Prof. Dr. Dr. h.c. Theodor Niemeyer. Eine Biographie unter besonderer Berücksichtigung seiner Arbeiten auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts zur Zeit der Entstehung und des Inkrafttretens des Einführungsgesetzes zum BGB am 1. Januar 1900, Aachen 2001; Rudolf Meyer-Pritzl, Theodor Niemeyer (1857–1939). Vom römischen Recht zum internationalen Recht, Christiana Albertina 79 (2014), 82–94; Andreas v. Arnauld/ Jens Theilen, Theodor Niemeyer (1857–1939). Ein Leben in sechs Rollenbildern und einem Epilog, in diesem Band. 112 Niemeyers Vorlesungen an der Marineakademie übernahm der Extraordinarius (von 1910 bis 1919 Ordinarius) für Strafrecht, Strafprozess und internationales Recht, Moritz Liepmann (1869–1928). An der Universität hielt Liepmann im Wintersemester 1906/07 ebenfalls eine Vorlesung zum Seekriegsrecht. Zu Liepmann Volbehr/Weyl (Anm. 26), 38f. 113 Vgl. Vorlesungsverzeichnis vom SS 1909. 114 Vgl. Vorlesungsverzeichnis vom SS 1906. 115 Döhring (Anm. 14), 182. 116 Döhring (Anm. 14), 182f. 111

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Seekriegsrecht und Kolonialrecht. Im Sommer 1912 rief Niemeyer eine neue Veranstaltung ins Leben – eine „völkerrechtliche Erörterung politischer Tagesfragen“ –, die öffentlich war und somit auch Gasthörern die Möglichkeit gab, ihr beizuwohnen.117 Am 9. Dezember 1913 schließlich war Niemeyers Bestreben von Erfolg gekrönt, das Völkerrecht in Kiel zu institutionalisieren. Das „Königliche Seminar für Internationales Recht“ (erst ab 1918 trug es den Namen „Institut“) nahm unter seiner Leitung im Februar 1914 den Betrieb auf. Es war zu dieser Zeit das einzige Universitätsinstitut seiner Art, in Deutschland und darüber hinaus. Die Neugründung sicherte von da an nicht nur die völkerrechtliche Forschung, sondern auch die akademische Lehre des Völkerrechts als Schwerpunktfach an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel.

_____________ 117 Dieses Veranstaltungsformat wurde über die Jahrzehnte hinweg (mit Unterbrechungen) fortgesetzt und trägt gegenwärtig den Titel „Völkerrechtliche Tagesthemen“.

Die Kaiserliche Marine-Akademie und die Lehre des Völkerrechts Von Charlotte Gaschke

A. Einleitung Es hat zwar einmal eine Zeit gegeben, wo das Völkerrecht die pars jurisprudentiae longe nobilissima genannt worden ist. Aber das ist lange her. Heute hat diese Disziplin in Deutschland […] noch immer um Gleichberechtigung mit anderen juristischen Fächern […] zu kämpfen. 1

Diese einigermaßen resignierte Feststellung trifft 1911 der Kieler Rechtswissenschaftler und Völkerrechtler Heinrich Triepel (1868–1946). Er war einer derjenigen Professoren an der Christian-Albrechts-Universität, die neben ihrer universitären Tätigkeit auch an der Kaiserlichen Marine-Akademie in Kiel lehrten. Das Studium des Völkerrechts wurde in Triepels Augen an den Universitäten vernachlässigt. Zumindest an der Marine-Akademie gehörten das Völkerrecht und Seekriegsrecht jedoch zum obligatorischen Curriculum. Die gründliche Kenntnis völkerrechtlicher Zusammenhänge, jedenfalls in Bezug auf ihren kriegsrechtlichen Teil, ist „auch für die Praxis des Seekriegs ein Mittel geworden […], durch das der Kundige sich strategische wie taktische Vorteile schaffen kann, somit eine Waffe im weiteren Sinne des Wortes“, stellt Triepel fest.2 Er begrüßt diese neue Bedeutung, die das Völkerrecht außerhalb der „völkerrechtlichen Gelehrtenzunft“ gewonnen hat und der durch die Verankerung im Lehrplan der Marine-Akademie Rechnung getragen wird. Für die Offiziere der Marine ergibt sich in seinen Augen ein unmittelbarer praktischer Wert aus der Kenntnis des Völkerrechts: Ein Offizier muss, so sah es auch der Große Generalstab, imstande sein zu erkennen, „ob die herrschenden Kriegsgebräuche berechtigt oder unberechtigt, ob sie zu ändern sind oder ob an ihnen festzuhalten ist“.3 Ein Seeoffizier setzt sich zwangsläufig mit einem bedeutend umfangreicheren Teil des Völkerrechts auseinander als der an Land kämpfende Offizier der _____________ 1 Heinrich Triepel, Der Seeoffizier und das Studium des Völkerrechts, Marine-Rundschau 22 (1911), 2 Teile: 1217–1240, 1525–1538, hier: 1217. 2 Triepel (Anm. 1), 1217. 3 Großer Generalstab (Hrsg.), Kriegsgebrauch im Landkriege (= Kriegsgeschichtliche Einzelschriften: Kriegsgeschichtliche Abteilung I, Heft 31, 3), Berlin 1902.

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Charlotte Gaschke

Armee. Der Seeoffizier muss nämlich sowohl das Seekriegsrecht als auch das Landkriegsrecht beherrschen. Schließlich ist ein Krieg in der Regel kein ausschließlicher Land- und kein ausschließlicher Seekrieg.4 Die Armee wird jedoch zumeist nicht als Kriegsinstrument zur See verwendet, während die Marine durch Anlanden jederzeit in die Situation geraten kann, aus dem Seekrieg in einen Landkrieg einzutreten und dadurch dann anderen Rechtsnormen unterworfen zu sein als zuvor.5 Der Seeoffizier kommt mit dem Völkerrecht unmittelbar in Berührung: wenn es um Fragen von Krieg und Frieden, von Kapitulation und Waffenstillstand, oder um Fragen der Spionage geht. Für seine Aufgaben wäre der Seeoffizier, folgt man Triepels Argumentation, daher nicht gerüstet, wenn er sich nicht mit dem Völkerrecht und der Frage des rechtlich Möglichen auseinandersetzte. Für den mit dem Seekriegsrecht befassten Offizier ist nach Triepels Ausführungen eine professionelle Anleitung zum Studium unerlässlich. Bloße Lektüre der Normen konnte schon deshalb nicht hinreichen, da viele kriegsrechtliche Fragen zu jener Zeit zwar für den Landkrieg, nicht aber für den Seekrieg kodifiziert waren. Das X. Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907, betreffend die Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens vom 6. Juli 1906 auf den Seekrieg, übertrug nur allererste Regelungen; allerdings „gelobten“ die Vertragsparteien in der Schlussakte zur Zweiten Haager Konferenz am 18. Oktober 1907, bis zu einer weitergehenden Kodifikation des Seekriegsrechts die Regeln für den Landkrieg so weit als möglich im Seekrieg anwenden zu wollen. 6 Ein juristisch Unkundiger musste angeleitet werden, um zu verstehen, wann eine solche Übertragung zulässig ist, und zu erkennen, wo andererseits so große Unterschiede bestehen, dass keine Analogien gebildet werden dürfen.7

B. Das völkerrechtliche Studium an der Marine-Akademie I. Gründung der Marine-Akademie Die Stätte, an der eine solche juristische Anleitung zum Studium des Völkerrechts stattfinden sollte, war die Kaiserliche Marine-Akademie. Am 5. März 1872 zeichnete Kaiser Wilhelm I. den Entwurf der Allerhöchsten Cabinets-Ordre ab, der die Einrichtung dieser Akademie in Kiel vorsah. Bereits 1871 hatte die _____________ 4

Triepel (Anm. 1), 1218. Triepel (Anm. 1), 1218. 6 Acte final de la Deuxième Conférence de la Paix, La Haye, 18 octobre 1907, No 4: „La Conférence émet le vœu que l’élaboration d’un règlement relatif aux lois et coutumes de la guerre maritime figure au programme de la prochaine Conférence et que, dans tous les cas, les Puissances appliquent, autant que possible, à la guerre sur mer, les principes de la Convention relative aux lois et coutumes de la guerre sur terre“. 7 Triepel (Anm. 1), 1219. 5

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vom Direktor des Königlich-Preußischen Marine-Ministeriums, Vizeadmiral Eduard Jachmann (1822–1887), einberufene Bildungskommission „das dringende Bedürfnis zur Errichtung eines Lehrercursus behufs höherer wissenschaftlicher Durchbildung der Seeoffiziere“ festgestellt.8 Ein erster Versuch, eine solche Hochschulbildung der Seeoffiziere institutionell in die Königliche ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel zu integrieren, scheiterte. Der Rektor der Universität, der Mediävist Karl Weinhold (1823–1901), antwortete abweisend auf die Anfrage des Direktors der Marineschule, Oberst Christian Amynt Liebe (1816– 1909). Generalleutnant Albrecht v. Stosch (1818–1896), damals Chef der Kaiserlichen Admiralität, versah das negative Antwortschreiben des Universitätsrektors mit der Randnotiz „[...] dann müssen wir es eben alleine machen“. 9 Und so kam es, dass nach Unterzeichnung der Allerhöchsten Cabinets-Ordre durch den Kaiser in den Räumlichkeiten der bestehenden Marineschule in der Muhliusstraße10 zusätzlich eine Marine-Akademie eingerichtet wurde. Organisatorisch unterstand sie zunächst dem Direktor der Marineschule. Erst im Jahr 1900, deutlich nach dem Umzug von Marine-Akademie und Marineschule ins heutige schleswig-holsteinische Landeshaus an der Kieler Förde im Jahr 1888, 11 wurden Akademie und Schule organisatorisch entflochten. Die Marine-Akademie erhielt einen eigenen Direktor.12 Zweck der Ausbildung an der Marine-Akademie war, „dem See-Offizier durch weitere wissenschaftliche Ausbildung die Mittel zu gewähren, sich den höheren Stellen in der Marine besonders geeignet zu machen, und den Offizieren überhaupt Gelegenheit zu einer wissenschaftlichen Ausbildung in den Berufsfächern und den dazu nöthigen Hülfsdisziplinen, sowie weiterer intellectueller Bildung, Einsicht und Urtheilsfähigkeit für die ihrem Berufe naheliegenden Social- und Naturverhältnissen darzubieten“.13 _____________ 8

Rolf Güth, Admiralstabsausbildung in der deutschen Marine, Herford u.a. 1979, 7. Zitiert nach Güth (Anm. 8), 7. 10 Carsten Stawitzki, Die Ausbildung und Erziehung des Seeoffiziersnachwuchses der Kaiserlichen Marine an der Marineschule in Kiel, in: Schleswig-Holsteinischer Landtag (Hrsg.), 125 Jahre Landeshaus. Von der kaiserlichen Marineakademie zum modernen Parlamentsgebäude, Kiel 2013, 11–18 (11f.); Doris Tillmann/Johannes Rosenplänter, KielLexikon, Neumünster 2011, 227 (Stichwort „Landeshaus“). 11 Edzard Schmidt-Jortzig, Das Landeshaus, in: Werner Paravicini/Uwe Albrecht (Hrsg.), Begegnungen mit Kiel. Gabe der Christian-Albrechts-Universität zur 750-Jahr-Feier der Stadt, Neumünster 1992, 156–161 (156). 12 Peter Wulf, Das Haus der Marineschule und Marineakademie 1888–1914/18, in: Klaus Volquartz (Red.), 100 Jahre Haus an der Förde. Von der Marineakademie zum Landeshaus 1888–1989, Kiel 1988, 25–43 (29). 13 Kabinettsordre v. 5. März 1872, Marine-Verordnungs-Blatt 1872, 44, § 7. Abgeändert durch Kabinettsordre v. 16. Juli 1878, Marine-Verordnungs-Blatt 1878 1875, 175. 9

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Dass man einer Institution zur Heranbildung von Admiralstabsoffizieren bedurfte, hing mit dem gesteigerten Personalbedarf der noch jungen Reichsmarine zusammen. Notwendig geworden war die Einrichtung einer größeren Marine aufgrund von verschiedenen Faktoren. Schon während des im Wesentlichen durch Preußen geführten Krieges gegen Dänemark im Jahr 1848 wurde die Diskrepanz zwischen den überlegenen preußischen Landtruppen und ihren der dänischen Flotte deutlich unterlegenen Truppen zur See deutlich. Damit man eine solche Bedrohung zur See in Zukunft ausschließen konnte, „schien es zwingend geboten, eine eigene Marine aufzubauen“.14 Pläne dazu wurden sowohl in der Nationalversammlung in Frankfurt als auch in Preußen aufgestellt. Die Pläne der Nationalversammlung zerschlugen sich mit dem Scheitern der Revolution von 1848/49. Preußen, das sich aufgrund seiner langen Küstenlinie besonders bedroht fühlte, baute zunächst eine eigene Marine auf.15 Die Aufgaben dieser jungen und noch kleinen Marine entsprachen den Interessen der Landmacht Preußen: Sie sollte „den Handel über See gewährleisten, die eigenen Küsten schützen, eine mögliche Blockade der Häfen aufbrechen und – wenn nötig gewaltsam – die Durchfahrt durch den Belt in die Nordsee erzwingen“.16 Im Jahr 1867 schließlich „ging die Königlich-Preußische Marine in die Marine des Norddeutschen Bundes auf“.17 Zweck dieser Marine war es laut Flottengründungsplan von 1867, „dem Seehandel samt der Küste, von der er seinen Anfang nimmt, den nötigen Schutz zu gewähren“.18 Mit der Reichseinigung und Kaiserproklamation 1871 wurde die Marine zu einer Einrichtung des Deutschen Reiches und damit zu einer gesamtdeutschen Marine.19 Der Chef der Kaiserlichen Admiralität, v. Stosch, definierte in einer Immediatvorlage vom 3. März 1872 an die Bildungskommission, die mit der Erarbeitung eines Bildungsplans für die Offiziersanwärter betraut war, erstmalig als Aufgabe der reichsunmittelbaren Marine, „unsere Macht dahin zu tragen, wohin wir mit unserer eigentlichen

_____________ 14

Wulf (Anm. 12), 25. Wulf (Anm. 12), 25. 16 Wulf (Anm. 12), 26. 17 Stawitzki (Anm. 10), 12. 18 Klaus Franken, Vizeadmiral Karl Galster. Ein Kritiker des Schlachtflottenbaus der Kaiserlichen Marine, Bochum 2011, 21. 19 Die Armeen des Deutschen Reichs waren hingegen weiterhin föderal aufgebaut (Königlich Preußische, Königlich Bayrische, Königlich Sächsische Armee usw.): Stawitzki (Anm. 10), 12. Siehe auch Jann Markus Witt, Prinz Heinrich von Preußen als Marineoffizier, in: Rainer Hering/Christina Schmidt (Hrsg.), Prinz Heinrich von Preußen. Großadmiral, Kaiserbruder, Technikpionier, Neumünster 2013, 32–51 (33). 15

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Macht, der Landmacht, nicht reichen können“.20 Hinzu kam damit der bislang nicht zum Aufgabenkanon gehörende Übersee- und Auslandsdienst.21 Qualifiziertes Personal für diese gesamtdeutsche Marine mit ihren neuen Aufgaben zu gewinnen, erwies sich indes als äußerst schwierig. Generalleutnant v. Stosch war insbesondere unzufrieden mit der Qualität der Offiziere, die zuvor in der preußischen Handelsmarine gedient hatten. Zu einem ihm vorgelegten Bericht eines solchen Kommandanten äußerte er sich wie folgt: „Dieser Bericht enthält eigentlich nichts, das Sachliche ist in drei Zeilen zu geben. Ich meine aber, daß ein solch detachierter Kommandant mehr geben muß, denn er ist nicht nur Seefahrer, sondern auch Soldat und Diplomat“. 22 Dem Mangel an qualifiziertem Marinepersonal sollte durch die Einrichtung der Marine-Akademie abgeholfen werden. II. Das Studium an der Marine-Akademie 1. Studienaufbau Das Studium an der Marine-Akademie teilte sich jeweils in ein Sommersemester, das im Flottendienst verbracht wurde, und ein Wintersemester, in dem an der Akademie studiert wurde. Als Chef der Admiralität verlängerte v. Stosch 1875 die Dauer des Studiums von zwei auf drei Jahre. Er maß der „Ausbildung für höhere Stellen“ einen bedeutenden Wert bei – „trotz personeller und materieller Anspannung“ – und suchte durch ein ausgewogenes Verhältnis von Studienzeit und Flottendienst Theorie und Praxis im Studium gut aufeinander abzustimmen. Sein Nachfolger Leo v. Caprivi (1831–1899) verkürzte die Dauer 1883 auf die ursprünglichen zwei Jahre, änderte jedoch Ziel und Inhalt der Ausbildung nicht.23 Gelehrt wurden unmittelbar aufgabenbezogene Fächer wie „Organisation der Seestreitkräfte. Manöverkunde, Operations- und Gefechtslehre, Taktik des Landkrieges soweit kleine Landungen dabei in Betracht kommen. Aufnahme von Küsten und die Lehre von der Bildung der Küsten“. Und es gehörten allgemeine _____________ 20 Zitiert nach Rolf Güth, Hundert Jahre Marineakademie, Marine-Rundschau 69 (1972), 296–302 (298). 21 Güth (Anm. 20), 298; Wulf (Anm. 12), 33; Franz Hahn, Saal II, in: Franz Hahn (Hrsg.), Führer durch die Ausstellung des Wehrgeschichtlichen Ausbildungszentrums der Marineschule Mürwik, 2. Aufl. Mürwik 1978, 1–27 (19). 22 Zitiert nach Karl Welz, Die Admiralstabsausbildung in der Kaiserlichen Marine, Führungsakademie der Bundeswehr: maschinenschriftliche Jahresstudienarbeit, Hamburg 1966, 4. 23 Güth (Anm. 8), 15.

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Fächer wie „Kriegsgeschichte“ und „Völker-, Kriegs- und Seerecht“ dazu.24 Mathematik und Mechanik zählten ebenfalls zum Fächerkanon. Sie wurden im Laufe der Zeit durch „neue vor allem technisch geprägte Fächer wie Maschinenbau, Elektrotechnik und Chemie“ ergänzt. Ab 1908 gehörten auch Maschinenkunde, Schiffsbau und Elektrotechnik zu den obligatorischen Fächern. 25 Laut Anlage 2 § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Dienstvorschrift26 für die Marine-Akademie aus dem Jahre 1900 stellte das See- und Völkerrecht ein obligatorisches Studienfach für das erste Semester dar. 2. Lehrpersonal Das Lehrpersonal der Marine-Akademie wie auch der Marineschule setzte sich aus Offizieren und Beamten der Kaiserlichen Marine zusammen, die ausschließlich als Dozenten an der Akademie tätig waren, aus angestellten Zivillehrern und aus Offizieren, Beamten und Zivillehrern, die einzelne Vorträge übernahmen.27 Im Jahr 1900 lehrten acht Offiziere und 15 Zivillehrer an der Akademie. 28 Obwohl der ursprüngliche Versuch, die Marine-Akademie an die Kieler Universität anzugliedern, gescheitert war, lehrte eine Reihe von Professoren der Christian-Albrechts-Universität dort nebenamtlich, darunter die Ökonomen Wilhelm Hasbach und Bernhard Harms, die Zoologen und Meeresforscher Karl Möbius und Karl Brandt, der Ozeanograph Otto Krümmel, der Physiker und Meeresforscher Gustav Karsten, die Mathematiker Georg Weyer und Leo Pochhammer, der Philosoph Gustav Thaulow sowie die Philologen Albert Stimming (romanische Sprachen) und Hugo Gering (nordische Sprachen).29 Der völkerrechtliche Unterricht lag ab der Akademiegründung 1872 zuerst in den Händen des Militärjuristen und bedeutenden Seekriegsrechtlers Ferdinand Perels (1836–1903), bevor er dann Mitgliedern der Kieler Juristischen Fakultät anvertraut wurde: zunächst (1893–1903) dem Ordinarius für Römisches Recht und Reichszivilrecht Theodor Niemeyer (1857–1939), anschließend von 1903 bis 1909 Moritz Liepmann (1869–1928), Extraordinarius für Strafrecht, Strafprozess und internationales Recht, sowie 1909–1913 dem eingangs erwähnten Heinrich Triepel, der an der Fakultät ein Ordinariat für Öffentliches Recht bekleidete. Den _____________ 24

Vgl. Kabinettsordre v. 5. März 1872, Marine-Verordnungs-Blatt 1872, 44. Wulf (Anm. 12), 27. 26 Dienstvorschrift für die Marineakademie, Berlin 1900, Anlage 2, § 4 Abs. 1 Nr. 3. 27 Vgl. Dienstvorschrift für die Marineakademie, Berlin 1900, Anlage 2, § 5. 28 Thomas Scheerer, Die Marineoffiziere der Kaiserlichen Marine. Sozialisation und Konflikte, Bochum 2002, 96. 29 Vgl. Einträge bei Friedrich Volbehr/Richard Weyl, Professoren und Dozenten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: 1665–1954; mit Angaben über die sonstigen Lehrkräfte und die Universitäts-Bibliothekare und einem Verzeichnis der Rektoren, 4. Aufl. bearb. von Rudolf Bülck, abgeschlossen von Hans-Joachim Newiger, Kiel 1956. 25

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letzten Lehrauftrag für Völkerrecht erhielt 1913 Wilhelm van Calker (1869–1937) zugleich mit seiner Ernennung zum Ordinarius für Staats-, Verwaltungs-, Kirchen- und Völkerrecht.30 Die Qualität des Unterrichts an der Marine-Akademie und Schule hing maßgeblich mit den jeweiligen Lehrern zusammen. Dass gerade bei den aus der Praxis kommenden Offizieren die Unterrichtsqualität nicht ausschließlich herausragend war, zeigt sich am Fall eines älteren Seeoffiziers, der offensichtlich von moderner Technologie nicht viel hielt und sich auch nicht mit ihr vertraut machen wollte. Er „war jedenfalls der Meinung, dass die Kadetten das Innere und den Aufbau eines Torpedos nicht verstehen müssten. Es handele sich nur um ‚allgemeines Gekröse‘“.31 3. Verhältnis zum Lehrpersonal der Universität Im Verhältnis zwischen Universität und Marineorganisation war nicht nur der Start holprig. Auch in der folgenden Zeit kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen Universität und Akademie. So beklagte sich die Universität insbesondere, als Professor Liepmann 1909 nach sechs Jahren Lehrtätigkeit an der Marine-Akademie, „auf telegraphischen Befehl des Kaiserlichen Reichsmarine-Amtes plötzlich seines Lehrauftrages enthoben, ohne dass eine Kündigung oder irgendeine vorbereitende Mitteilung an ihn ergangen war und obwohl schon im Einverständnis mit der Direktion der Marine-Akademie der Wiederbeginn seiner Vorlesungen für das beginnende Wintersemester auf den 6. Oktober festgesetzt war“.32 Bemängelt wurde außerdem, dass die nebenamtliche Tätigkeit an der Marine-Akademie regelmäßig nicht durch schriftlichen Vertrag, sondern lediglich durch mündliche Abmachungen geregelt würde. Bei Neuberufungen spielten die nebenamtlichen Bezüge aber gelegentlich eine wichtige Rolle. Zum Zwecke des Schutzes der Professoren sei eine schriftliche Fixierung der Verträge deshalb wünschenswert.33 Zwar konnten die zusätzlichen Verdienste durch die Lehre an der MarineAkademie einen Anreiz für potentielle Kieler Professoren darstellen; zugleich wurde von Seiten der Universität jedoch befunden, dass man die Frage, ob ein Professor neben seiner Tätigkeit an der Universität auch an der Marine-Akademie lehren wolle, ihm selbst überlassen solle. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte „der Eintritt in die Lehrtätigkeit an der Marineakademie unter Umstän_____________ 30

Siehe Volbehr/Weyl (Anm. 29), 39. Stawitzki (Anm. 10), 14. 32 Landesarchiv Schleswig-Holstein (LASH), Abt. 47, Nr. 156, Differenzen zwischen Marineakademie und Lehrkörper 1909–1910, 2. 33 Vgl. Anm. 32, 2f. 31

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den zu den Anstellungsbedingungen“ für ein (Extra-)Ordinariat an der Universität.34 Eine solche Verpflichtung des akademischen Personals lehnte das akademische Konsortium ab und forderte: „Ew. Exzellenz wolle künftig Professoren unserer Universität bei ihrer Anstellung, wenn möglich, die Übernahme einer nebenamtlichen Tätigkeit an der Marineakademie überhaupt nicht zur Pflicht machen, vielmehr den Eintritt in eine solche privaten Abmachungen zw. den betroffenen Dozenten und dem Reichsmarineamt überlassen.“35 4. Hörer Die Studenten („Hörer“) waren an die Marine-Akademie kommandierte Offiziere, „die durch ihre charakterlichen und geistigen Eigenschaften gezeigt hatten, daß diese Ausbildung sich erstens für sie als Gewinn darstellen würde und zweitens sie fähig waren, die erworbenen Kenntnisse später in der Marine weiterzugeben“.36 In Betracht für eine Kommandierung an die Marine-Akademie kamen solche Offiziere, die den Dienstgrad des Oberleutnants erreicht hatten, denen nach der Akademieausbildung die Beförderung zum Kapitänleutnant bevorstand und die das 30. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten.37 Voraussetzung war ebenfalls das Einreichen einer selbstgewählten kriegswissenschaftlichen Arbeit marinepolitischen, strategischen, seerechtlichen, kriegsgeschichtlichen oder allgemeinkriegswissenschaftlichen Inhalts38 sowie nach eigenem Ermessen das Einreichen einer Winterarbeit.39 War man aufgrund dieser Voraussetzungen in den engeren Bewerberkreis vorgedrungen, mussten fremdsprachliche Prüfungsaufgaben bearbeitet werden. Über die Eignung und die Leistungen des Bewerbers musste sein jeweiliger Kommandant eine umfassende Beurteilung abgeben;40 die Kommandierung des Bewerbers zur Akademie lag in dessen Ermessen. Da aufgrund des stetigen Wachstums der Marine ein ständiger Personalmangel in allen Bereichen herrschte, wird ein Kommandant, wenn es sich „um einen besonders veranlagten und begabten Offizier handelte, der an Bord unentbehrlich war“, oftmals nicht ganz uneigennützig entschieden und auf eine Kommandierung zur Akademie verzichtet haben. Zudem war den führenden Seeoffizieren in den Seeoffizierskorps die Ausbildung einer Marine-„Elite“ suspekt. Auch deshalb lehnten sie _____________ 34

Vgl. Anm. 32, 11. Vgl. Anm. 32, 12. 36 Welz (Anm. 22), 9. 37 Anlage 1 Nr. 1 zur Dienstvorschrift für die Marine-Akademie, 1900, Nr. 1. 38 Vgl. Anm. 37, Nr. 2a. 39 Vgl. Anm. 37, Nr. 2b. 40 Scheerer (Anm. 28), 94. 35

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eine Kommandierung ihrer fähigen Offiziere zur Marine-Akademie ab.41 Diese besonders fähigen Offiziere fehlten aber in der Akademie.42 Genügend Bewerber zu gewinnen, erwies sich unter diesen Voraussetzungen als schwierig. Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass der Bildungsgrad der Marineakademieteilnehmer zum Teil unter dem des Marineoffiziersersatzes lag. Im Jahr 1905 hatten lediglich fünf von dreizehn Teilnehmern das Abitur, sieben das Primarreifezeugnis und einem Teilnehmer fehlte selbst die Reife für die Obersekunda. 43 Und auch die Motivation der potenziellen Hörer, sich an der Akademie zu bewerben, war nicht immer übermäßig groß – war doch der Besuch der MarineAkademie keine Voraussetzung, um sich für höhere Führungsstellen, auch im Admiralstab, zu qualifizieren.44 Auch über den gewöhnlichen Flottendienst konnte man aufsteigen.45 Umgekehrt war für einen Absolventen der Marine-Akademie gar nicht sicher, ob er durch sein Studium anschließend tatsächlich eine Aussicht auf ein höheres Kommando hatte.46 Durchschnittlich 25 Offiziere bewarben sich jährlich an der Marine-Akademie. Etwa 14 von ihnen wurden tatsächlich zur Akademie kommandiert.47 Versuche von Seiten des Marinekabinetts, die Anzahl der Hörer auf 20 für jeden neu beginnenden Jahrgang zu erhöhen, scheiterten am Widerstand aus dem Reichsmarineamt.48 Von 1872 bis 1914 absolvierten insgesamt 192 Offiziere das Studium an der Marine-Akademie.49 5. Lehrmethoden Die Lehrmethoden der Akademie waren fortschrittlich. Zwar war als Lehrformat der „akademische Vortrag“ erwünscht, es sollte dabei aber ein kollegiales Verhältnis zwischen Dozenten und Hörern herrschen. In der Dienstvorschrift der Akademie von 1900 heißt es dazu: „dementsprechend darf unbeschadet der akademischen Lehrweise nicht der Eine nur lehren und der Andere lediglich hören, sondern es muß ein reger geistiger Verkehr, eine belebende Wechselwirkung _____________ 41

Scheerer (Anm. 28), 130. Scheerer (Anm. 28), 94. 43 Scheerer (Anm. 28), 94. Beim Heer stellte sich die Situation anders dar. Die Akademieteilnehmer der Kriegsakademie bildeten dort die Bildungselite. Im Jahr 1905 betrug der Abiturientenanteil unter den Akademieteilnehmern 60%. 44 Scheerer (Anm. 28), 94. 45 Wulf (Anm. 12), 37. 46 Wulf (Anm. 12), 37. 47 Walther Hubatsch, Der Admiralstab und die obersten Marinebehörden in Deutschland: 1848–1945, unter Benutzung der amtlichen Akten dargestellt, Frankfurt a.M. 1958, 131. 48 Hubatsch (Anm. 47), 134. 49 Güth (Anm. 8), 4. 42

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zwischen Dozenten und Hörern herrschen, welche die letzteren zur Mitarbeit anregt und dieselben das so erworbene geistige Eigenthum anwenden und verwerthen lehrt“.50 Praktische Anwendungsbeispiele sollten herangezogen werden, damit die Hörer das Gelernte üben und vertiefen konnten. Diese praktische Übung war auch bitter nötig. 1903 stellte der damalige Admiralstabschef Wilhelm v. Büchsel (1848–1920) fest, dass „die Technik der Befehlserteilung und die Behandlung taktischer und strategischer Aufgaben noch nicht den Anforderungen genügt, die im Kriege gestellt werden“. 51 Für problematisch hielt er, dass von den in dieser Hinsicht schon geschulten Akademieabsolventen anschließend nur ein geringer Teil für den Admiralstabsdienst verwendet wurde. Bevor er mit seinem Versuch, den Admiralstab in einen operativen Führungsstab der Marine umzuwandeln, durchdringen konnte, wurde er jedoch „Opfer der internen Machtund Rangverhältnisse der Marinebehörden“. 52 An den an der Marine-Akademie vorgeschriebenen Lehrmethoden hat sich den heutigen gegenüber wenig verändert: Diskussion, praktische Übungen, das Halten eigener kleiner Vorträge – auch heute wird im Hochschulbetrieb so verfahren. Für die damalige Zeit scheint ein solches Lehren und Lernen eher ungewöhnlich. Die Marine-Akademie diente jedoch der Ausbildung von Offizieren, die innerhalb der Marine Führungspositionen einnehmen sollten. Mit dieser kleinen zukünftigen Elitegruppe konnte liberaler umgegangen werden als mit den einfachen Marinesoldaten, die von liberalem, „gefährlichem“ Gedankengut ferngehalten werden mussten. Dennoch hatten die Hörer an der Akademie einen nicht ganz einfachen Spagat zu bewältigen. Einerseits konnten sie sich freies, relativ selbstbestimmtes Arbeiten angewöhnen und sollten als „angehende Menschenführer“ selbstbewusst vor der Truppe stehen.53 Andererseits waren sie aber in die hierarchische Struktur der Marine eingebunden, in der das Prinzip von Befehl und Gehorsam galt.54 Ob dieser Spagat gelingen konnte, wird zumindest angezweifelt. Innerhalb der starren Militärorganisation zu freiem Denken zu erziehen, war nicht einfach. „Viele höhere Seeoffiziere standen genialen Gedankengängen ziemlich ablehnend gegenüber.“55

_____________ 50

Anlage 2 § 2 zur Dienstvorschrift für die Marine-Akademie, 1900. Zur Weiterentwicklung des Admiralstabs vom 2.3.1903, in: Bundesarchiv-Militärarchiv, RM5/v.600, 79–81. 52 Scheerer (Anm. 28), 97. 53 Stawitzki (Anm. 10), 15. 54 Stawitzki (Anm. 10), 15; Scheerer (Anm. 28), 130; Wulf (Anm. 12), 30. 55 Warhold Drascher, Zur Soziologie des deutschen Seeoffizierskorps, Wehrwissenschaftliche Rundschau 12 (1962), 555–569 (562f.). 51

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Die Kaiserliche Marine-Akademie in Kiel, Zeichnung von Fritz Stoltenberg, 1888

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6. Winterarbeiten Während des Akademiestudiums wurden Winterarbeiten am Ende jedes Winterhalbjahres verfasst. Einige konnten zu einem selbstgewählten Thema verfasst werden; dieses konnte auch völkerrechtlicher Natur sein. So schrieb beispielsweise der spätere Großadmiral Erich Raeder (1876–1960)56 seine Winterarbeit im Jahr 1904 über „Krieg ohne Kriegserklärung“.57 Auch die Admiralität und der Admiralstab gaben den Studenten Themen zur Bearbeitung auf. Der Direktor der Marine-Akademie, Konteradmiral Curt v. Maltzahn (1849–1930), kritisierte im Mai 1900 diese Praxis, da er die kurze Bearbeitung eines Themas, das unmittelbar mit dem Vorlesungsstoff zusammenhinge, für sinnvoller hielt als die Bearbeitung irgendeines mit dem Unterrichtsstoff nicht zusammenhängenden Themas, das vom Admiralstab angeboten wurde.58 Der Inspekteur des Bildungswesens widersprach Maltzahns Ansicht: Das Einarbeiten in ein fremdes Thema sei zumutbar und gebe einen nützlichen Lerneffekt. 59 7. Ausstattung der Bibliothek im Bereich Völkerrecht 182 Werke waren in der völkerrechtlichen Abteilung der Haupt-Bibliothek der Kaiserlichen Marine-Akademie und Schule im Jahr 1900 zu finden, mit Autoren von Aribat über Niemeyer und Schücking bis hin zu Zorn.60 Darunter befanden sich allgemeine völkerrechtliche Lehrbücher, z.B. das „Lehrbuch des Völkerrechts für Studium und Praxis“ von Henry Bonfils und Paul Fauchille, „Europäisches Völkerrecht der Gegenwart“ von August Wilhelm Heffter und das „System des Völkerrechts“ von Heinrich Bernhard Oppenheim. Darunter waren aber auch Abhandlungen spezieller völkerrechtlicher Fragen: „Das Beuterecht im Kriege und das Seebeuterecht“ von Johann Caspar Bluntschli, „Die Alabama-Frage“ von Friedrich Heinrich Geffcken und „Seekabel im Kriege“ von Richard Hennig. Neben Büchern in deutscher Sprache fanden sich vor allem _____________ 56 Erich Raeder besuchte die Marine-Akademie von 1903 bis 1905. Im Ersten Weltkrieg diente er als Admiralstabsoffizier. In der NS-Zeit war er zunächst Oberbefehlshaber der Marine, im Jahr 1939 wurde er zum Großadmiral befördert. Obgleich er Anhänger der NS-Ideologie war, kam es im Verlauf des Zweiten Weltkrieges zum Konflikt mit Hitler über kriegsstrategische Fragen. Raeder wurde daraufhin von Karl Dönitz abgelöst. In den Nürnberger Prozessen im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg wurde Raeder zu lebenslanger Haft verurteilt, siehe die Website des DHM unter https://www.dhm.de/lemo/bio grafie/erich-raeder (letzter Zugriff am 1.9.2016). Näher Keith W. Bird, Erich Raeder. Admiral of the Third Reich, Annapolis, 2006. 57 Scheerer (Anm. 28), 96. 58 Güth (Anm. 8), 23. 59 Güth (Anm. 8), 24. 60 Vgl. den Katalog der Haupt-Bibliothek der Kaiserlichen Marine-Akademie und Schule aus dem Jahr 1907.

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Texte in französischer, aber auch in englischer, spanischer und lateinischer Sprache. Das „Völkerrecht“ stellte in der Bibliothek eine Unterabteilung der Abteilung „Staats-, Rechts- und Verwaltungskunde. Politik. Handel, Industrie, Verkehr, Häfen, Kanäle. Kolonialwesen“61 dar. Insgesamt fanden sich in der Bibliothek 24 Abteilungen, von „Navigation. Meeresforschung“ über „Artillerie- und Waffenwesen“ bis zu „Politische und Kulturgeschichte“. Die völkerrechtliche Unterabteilung stellte einen überschaubaren, aber ordentlich ausgestatteten und eine große Bandbreite abbildenden Teil der Bibliothek dar. Für die nach dem Curriculum vorgesehene einsemestrige Beschäftigung mit dem Völkerrecht dürfte sie ausreichend gewesen sein. III. Ausbildung eines Technikers oder eines Mannes von Welt? Lange Zeit blieb ungeklärt, welchen Schwerpunkt das Studium an der MarineAkademie haben sollte. Mit den verschiedenen dazu vertretenen Auffassungen hingen auch unterschiedliche Auffassungen davon zusammen, welche Art von Seeoffizier die Marine hervorbringen sollte. Vertreter der einen Ansicht – unter ihnen prominent Alfred v. Tirpitz (1849–1930), damals Staatssekretär im Reichsmarineamt – betonten die neuen technischen Anforderungen, die durch moderne Kriegsschiffe und modernes Kriegsgerät auf die Offiziere zukamen. Tirpitz wollte im Studium einen Schwerpunkt auf „geistig[e] und praktisch[e] Integration moderner Technik“ legen.62 Grund dafür war nicht zuletzt, dass die Entwicklung und Anschaffung „der […] großen und theuren Panzerschiffe“ eine nicht unbeachtliche Menge staatlicher Finanzmittel verschlungen hatte. Die Obhut darüber wollte man deshalb am liebsten ausgewiesenen Technik-Experten mit Kenntnissen in Maschinenkunde und Artillerie überlassen. 63 Außerdem handelte es sich beim Reichsmarineamt um eine technische Behörde, die für den Eigenbedarf „technische Spezialisten“ brauchte.64 Das Studium an der Marine-Akademie sollte nach Tirpitz’ Vorstellung zu dem geformt werden, was man heute „technologisches Management“ nennen würde.65 Die Anhänger der anderen Ansicht sahen im Marineoffizier einen Vertreter der deutschen Nation in der Welt. Technische Kenntnisse seien zwar auch erforderlich, vor allem aber müsse der Offizier aber die „Social- und Naturverhältnisse“ fremder Völker kennen. 66 Er bedürfe „für seinen Beruf einer möglichst _____________ 61

Vgl. Anm. 60. Güth (Anm. 20), 298. 63 Güth (Anm. 20), 298. 64 Hubatsch (Anm. 47), 134. 65 Güth (Anm. 20), 301. 66 Vgl. Kabinettsordre v. 5. März 1872, Marine-Verordnungs-Blatt 1872, 44. 62

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breiten Unterlage der allgemeinen wissenschaftlichen Bildung“. 67 Das beinhaltete konsequenterweise auch eine gewisse juristische Bildung im Bereich des Völkerrechts, wie Triepel sie eingangs forderte. Die Verfechter dieser Ansicht stammten vor allem aus dem Admiralstab selbst. Die Fähigkeiten, die ihrer Ansicht nach durch ein Studium an der Marine-Akademie geschult werden sollten, entsprachen auch denen, die im Admiralstabsdienst von Nutzen sein konnten. Im Admiralstab ging es schließlich weniger um die technischen Einzelheiten der Schiffsführung. Vielmehr wurden dort taktische und strategische Pläne entwickelt, Kriegsspiele zur Vorbereitung auf den Kriegsfall entworfen und Reisen zur Schulung der Kenntnisse der Admiralstabsoffiziere vorgenommen. Aufgabe der Admiralstabsoffiziere war dabei in erster Linie, der Führung des Admiralstabs zuzuarbeiten.68 Der Admiralstab beanspruchte für sich, dass eine größere Anzahl Absolventen der Marine-Akademie auch in den Admiralstabsdienst eintreten dürfe und nicht für Posten im Reichsmarineamt verwendet würde. Dies stieß auf Ablehnung im Reichsmarineamt. 69 – Eher praktisch denkende Offiziere, die nicht im Admiralstab oder Reichsmarineamt tätig waren, wie der Chef des II. Geschwaders, Admiral Ludwig v. Schröder (1854–1933), hielten das Hin und Her zwischen Reichsmarineamt und den übrigen Marineinstitutionen ohnehin für einen „Papierkrieg, der die Existenzberechtigung der in den Stäben diensttuenden Herren in Berlin nachweisen solle“.70 Den Neigungen der Offiziere an der Akademie selbst entsprachen wohl eher die Seekriegswissenschaften im Gegensatz zu einer schwerpunktmäßig technischen Bildung: Im November 1909 stellten „24 Hörer die Seekriegswissenschaften (Seekriegsgeschichte, Seekriegslehre, Admiralstabsdienst und Rechtswesen) und nur vier die Technik an die erste Stelle ihrer Studienpläne“.71 Tirpitz reagierte darauf, indem er dem Kaiser gegenüber betonte, dies liege daran, dass bisher die Ausbildung für den Admiralstabsdienst im Studium im Vordergrund gestanden habe. Da „nun in allen Zweigen des Borddienstes die technische Entwicklung immer mehr an Bedeutung gewinnt, soll den Seeoffizieren, die für die höheren Stellen in der Marine vorbereitet werden, umfassendes technisches Wissen gegeben werden“.72 Dazu meldete sich Vizeadmiral Carl Coerper (1854–1942) zu Wort, der Inspekteur des Bildungswesens. Er war der Ansicht, dass man sich, wenn man die technische und die allgemeine Bildung nicht vereinen könne, damit abfinden müsse, „der Frage einer Trennung in eine Admiralstabs- und eine _____________ 67

Güth (Anm. 20), 302. Welz (Anm. 22), 2. 69 Hubatsch (Anm. 47), 131. 70 Zitiert nach Hubatsch (Anm. 47), 131. 71 Güth (Anm. 8), 20. 72 Zitiert nach Güth (Anm. 8), 21. 68

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technische – ich möchte sie lieber Kommandantengruppe nennen – näher zu treten“.73 Einer solchen Teilung der Ausbildung trat der Direktor der Marine-Akademie entgegen: „Denn tatsächlich würden die Akademiker eine KommandantenKlasse als eine Marine-Akademie zweiter Klasse betrachten, zu der sich freiwillig keiner von ihnen melden würde. […] Bei aller Würdigung der Wichtigkeit und Bedeutung der Technik wird das Bestreben der Hörer als Seeoffiziere zunächst immer bleiben, sich für Admiralstabsstellen vorzubereiten, d.h. sich allgemeine höhere Kenntnisse auf allen Gebieten anzueignen“.74 Durchsetzen konnte sich Tirpitz mit seinem Bestreben, die Marine-Akademie in den Dienst der „Beherrschung der Technologie“75 zu stellen, letztendlich nicht: Obwohl im Jahr 1907 die Marine-Akademie dem Reichsmarineamt unterstellt wurde, blieb die fachliche Ausrichtung zumindest ausgewogen in Hinblick auf technische und allgemeinbildende Fächer.76 So scheint Tirpitz in seinem Immediatbericht vom 20. Mai 1912 einzulenken: „Der jetzt bestehende Lehrplan der Marine-Akademie scheint die richtige Mischung rein militärischer und technischer Wissenschaften zu geben. […] Die Heranbildung technisch besonders gebildeter Spezialisten läßt sich vorläufig am besten durch Kommandierung geeigneter Offiziere zur technischen Hochschule in Charlottenburg und zur militärtechnischen Akademie sicherstellen“. 77 An den Inspekteur des Bildungswesens schrieb er am 26. Februar 1913: „Die mit dem schnellen Wachstum der Marine unvermeidlich verbundenen Personalschwierigkeiten werden uns noch für lange Zeit zwingen, an sich richtige Idealforderungen der Akademie hinter andere, für die Kriegsbereitschaft z.Zt. wichtigere Forderungen zurückzustellen“. 78 Tirpitz lenkte auch dahingehend ein, dass er ab 1904 die Hörerzahl der Akademie verdoppelte. Noch im Juni 1914 meldete er an den Kaiser: „Das große Interesse der Hörer für die Nebenfächer: Internationales Recht, Volkswirtschaft und allgemeine Geographie trat auch in diesem Jahr wieder in erfreulicher Weise zu Tage“.79 Kurz nach diesem Bericht, am 1. August 1914, wurde wegen des Mobilmachungsbefehls die Lehrtätigkeit an der Kaiserlichen Marine-Akademie eingestellt.

_____________ 73

Zitiert nach Güth (Anm. 8), 21. Zitiert nach Güth (Anm. 8), 21. 75 Scheerer (Anm. 28), 130. 76 Güth (Anm. 20), 301. 77 Zitiert nach Güth (Anm. 8), 22. 78 Zitiert nach Güth (Anm. 8), 22. 79 Zitiert nach Güth (Anm. 8), 22. 74

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C. Die geringe Reichweite des völkerrechtlichen Unterrichts: Selbststudium als Ausweg? Dass sich alle Seeoffiziere im Rahmen ihrer Ausbildung mit dem Völkerrecht beschäftigten, wie es Triepel lieb gewesen wäre, wurde nie Realität. Lediglich die kleine Gruppe von Seeoffizieren, die die Marine-Akademie besuchte, kam in den Genuss völkerrechtlicher Kurse. Dass lediglich eine so kleine Gruppe an der Marine-Akademie studierte und die Zahl derer in der Marine, die sich vertieft mit dem Völkerrecht auseinandersetzten, so gering war, entsprach nicht der praktischen Bedeutung, die Triepel dem Völkerrecht zuerkannte. Als Lösung für dieses Problem schlug Triepel dem Seeoffizier vor, sich im Selbststudium mit dem Völkerrecht auseinanderzusetzen. Ein solches Selbststudium sei für die breite Masse an Seeoffizieren der einzige Weg, sich völkerrechtliche Kenntnisse anzueignen.80 Dass das Selbststudium des Völkerrechts keine ganz einfache Aufgabe ist, stellte auch Triepel fest. Er gibt deshalb in seinem Aufsatz in der Marine-Rundschau im Jahr 1911 zugleich eine kurze Anleitung, welche Themengebiete im Rahmen eines solchen Selbststudiums bearbeitet werden sollten. Der Seeoffizier sollte das Seekriegsrecht und das Landkriegsrecht beherrschen.81 Er sollte sich mit dem Friedensrecht beschäftigen, womit das Recht zu Friedenszeiten gemeint ist82, und dazu lernen, was ein Staatsgebiet ist, wie Staaten Gebietshoheit erwerben und verlieren83, dass Gebietshoheit dem Grundsatz der Universalität und der Exklusivität folgt.84 Er sollte sich mit internationalen Wasserläufen, mit internationalen Kanälen und Territorialmeerengen auskennen. 85 Besonderen Wert solle er auf das Seerecht legen und sich dort mit der Meeresfreiheit, aber auch konkreten Fragen wie der Seeräuberei oder den neueren Staatsverträgen zum Schutz von Telegraphenkabeln auseinandersetzen.86 Und schließlich solle er sich mit dem Fremdenrecht und dem Recht der auswärtigen Verwaltung und der völkerrechtlichen Beziehungen anderer Staaten befassen.87 Neben diesen Bereichen des Friedensrechts solle der Seeoffizier, so Triepel weiter, das Recht der Staatsstreitigkeiten studieren, von der friedlichen Erledigung eines zwischenstaatlichen Streits bis hin zur Anwendung von Zwangsmitteln und Repressalien und schließlich dem Krieg. In Hinblick auf den Krieg müsse der Offizier die allgemeinen _____________ 80

Triepel (Anm. 1), 1223. Triepel (Anm. 1), 1218. 82 Triepel (Anm. 1), 1524. 83 Triepel (Anm. 1), 1517. 84 Triepel (Anm. 1), 1517. 85 Triepel (Anm. 1), 1518f. 86 Triepel (Anm. 1), 1520f. 87 Triepel (Anm. 1), 1523. 81

Die Kaiserliche Marine-Akademie und die Lehre des Völkerrechts

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Lehren des Kriegsrechts beherrschen, aber auch den „besonderen Teil“ des Kriegsrechts: Kriegserklärung, Kriegsparteien, Kriegsmittel. 88 Besonders wichtig für den Seeoffizier sei aber auch die völkerrechtliche Lehre von der Neutralität, insbesondere in Bezug auf den neutralen Seehandel.89 Und schließlich müsse er auch gewisse Kenntnis von der Unterbrechung und Beendigung des Krieges haben.90 Aber auch an der Marine-Akademie waren die Bedingungen für ein völkerrechtliches Studium nicht durchweg gut. Eine der größten Schwierigkeiten war wohl, dass innerhalb der Marineorganisation keine Einigkeit über die Zuständigkeit für die Marine-Akademie und die Ausrichtung des Studiums bestand. So tobte, wie beschrieben, ein nicht enden wollender Machtkampf zwischen dem einflussreichen Reichsmarineamt unter Tirpitz, dem Admiralstab, dem Marinekabinett, der Inspektion des Bildungswesens und der Leitung der Akademie selbst. Jede dieser Gruppen hatte unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Art von Offizier man heranbilden wolle, welchen Zweck man mit der Akademieausbildung also verfolge. Eine einheitliche Linie gab es nicht. Dabei entsprach das im Admiralstab vertretene Bild davon, wie ein gut ausgebildeter Marineoffizier zu sein habe, wohl am ehesten dem Bild von Offizier, wie es auch Triepel vorschwebte: Der Seeoffizier musste, nicht zuletzt wegen der neuen Aufgaben der Marine, die sich aus Reichseinigung und Streben in die Welt ergaben, vielseitig gebildet sein. Wer als Offizier in Krieg und Frieden in der Praxis bestehen wollte, musste die theoretischen Grundlagen beherrschen. Anweisungen seinerseits stellten vielfach die praktische Umsetzung völkerrechtlicher Leitlinien dar. Diese zu beherrschen machte den Offizier zum Herr über seine Handlungen. Die letztendliche Entscheidung durch Tirpitz, dass ein Gleichgewicht zwischen technischer Ausbildung und allgemeiner Bildung herrschen solle, fiel erst 1912, also kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. In der Zeit davor war nie eindeutig, welches Ziel das Studium an der Marine-Akademie haben sollte. Wie ebenfalls erwähnt, war ein solches Studium schließlich nicht einmal Voraussetzung für Führungsstellen in der Marine. Ein einheitliches Anforderungsprofil in Bezug auf die Kenntnisse der höheren Offiziere gab es nicht. Auch das Studium des Völkerrechts musste damit nicht Voraussetzung für höhere Stellen sein, wie Triepel es sich gewünscht hätte. Zudem war die Gruppe, die an der Marine-Akademie höhere Bildung erhielt, mit 15 Teilnehmern pro Jahrgang sehr klein. Und es handelte sich bei dieser Gruppe, die völkerrechtliche Bildung genießen durfte, noch nicht einmal um eine Bestenauswahl innerhalb der Marine.

_____________ 88

Triepel (Anm. 1), 1526f. Triepel (Anm. 1), 1527. 90 Triepel (Anm. 1), 1527. 89

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Abgesehen von diesen Rahmenbedingungen gab es aber auch zufriedenstellende Voraussetzungen für ein Studium des Völkerrechts an der Marine-Akademie. Das Fach „Völker- und Seekriegsrecht“ gehörte zum verpflichtenden Teil des Lehrplans für den ersten Studienabschnitt. Die Ausstattung der völkerrechtlichen Bibliothek war umfangreich. Durch die Zusammenarbeit mit Professoren der Kieler Universität lehrten bedeutende Völkerrechtler wie Theodor Niemeyer und Heinrich Triepel an der Marine-Akademie. Auch die fortschrittlichen Lehrmethoden und das angestrebte kollegiale Verhältnis zwischen Lehrenden und Hörern konnten der Durchdringung der völkerrechtlichen Materie nur dienlich sein. Bereits im Verhältnis zur Universität zeigt sich jedoch erneut, wie ungünstig das Hin und Her der Zuständigkeiten sich auf die Lehre auswirkte. Im Fall Liepmann wird deutlich, dass das Reichsmarineamt sich über bereits innerhalb der Akademie gefällte Entscheidungen hinwegsetzte – zum Nachteil des direkten Verhältnisses von Akademie und Kieler Universität und gewiss nicht zum Vorteil der Lehre. Insofern ist ein Auseinanderklaffen zwischen einigermaßen guten Lehr- und Lernbedingungen für das Völkerrecht unmittelbar an der Marine-Akademie selbst und den diese Bedingungen erschwerenden äußeren Umständen zu erkennen. Dass die äußeren Umstände so hinderlich waren, ist deshalb nicht verwunderlich, da die Marine als neue gesamtdeutsche Einrichtung ihre Rolle erst finden musste. Das Kräfteverhältnis der Marineinstitutionen hatte sich noch nicht eingependelt. Bevor es dies jemals tun konnte, brach der Erste Weltkrieg aus.

Die Anfänge des Instituts für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Eine schwierige Geburt, glückliche Kindheit und heikle Jugend Von Wiebke Staff Die ersten Jahre des Instituts für internationales Recht ähneln in gewisser Weise einer Kindheit: Auf längere (auch wieder teils verworfene) Planungen und eine schwierige Geburt (A.) folgt ein glücklicher Abschnitt des schnellen Wachstums und Aufbaus (B.), die mit der Emeritierung des Institutsgründers in eine etwas heikle Phase des Übergangs mündet (C.), nach der das Institut schließlich erwachsen wird (D.).

A. Vorgeschichte: Institut für die Wissenschaft des Weltverkehrs Vor der Gründung des Instituts für Internationales Recht in Kiel stand im Jahr 1912 die größer dimensionierte Idee eines interdisziplinären Instituts für die „Wissenschaft des Weltverkehrs“. Der spätere Institutsgründer Theodor Niemeyer (1857–1939)1 sowie der Volkswirtschaftler Bernhard Harms (1876–1939) und der Geograph Leonhard Schultze (1872–1955) „glaub[t]en, daß die Entwicklung des Weltverkehrs die Gründung einer besonderen wissenschaftlichen Disziplin erfordert, welche wir kurz bezeichnen als: ‚Wissenschaft des Weltverkehrs’. Der Weltverkehr in unserem Sinn umfaßt nicht nur Handel, Schiffahrt, Eisenbahn, Post- und Telegraphenwesen, Aus- und Einwanderung, sondern den gesammten [sic] materiellen und geistigen Kulturverkehr der Menschen über die ganze Erde.“2

Fragen der „internationale[n] Pflege wirtschaftlicher, technischer, wissenschaftlicher, ja künstlerischer Interessen“ könnten nur „durch die Vereinigung der wissenschaftlichen Kunst aller drei Disziplinen [Volkswirtschaftslehre, Geographie, _____________ 1 Zu Niemeyer m.w.N. Andreas v. Arnauld/Jens Theilen, Theodor Niemeyer (1857– 1939). Ein Leben in sechs Rollenbildern und einem Epilog, in diesem Band. 2 Entwurf eines Schreibens Theodor Niemeyers an den Staatssekretär des Reichsmarineamtes Herrn Admiral von Tirpitz, 1912, Akten des Instituts für internationales Recht (IIR), A 1 I, 3f.

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Internationales Recht]“ gelöst werden. „Nur so kommt die lebendige Wirklichkeit zur richtigen Auffassung und Würdigung. Nur so kann ein vertieftes Verständnis für Wesen, Entwicklung und Forderungen des Weltverkehrs von den Forschenden an die Lernenden vermittelt werden.“3 Für dieses große Vorhaben sei Kiel „[a]ngesichts des die Weltgeltung Deutschlands vermittelnden und veranschaulichenden Reichskriegshafens“ die „berufene Universität“.4 Der über Jahre hinweg ausgearbeitete5 Plan sah vor, dass drei etatmäßig und verwaltungstechnisch selbständige Abteilungen (Kulturgeographie, Weltwirtschaftslehre, Internationales Recht) in einem Gebäude mit gemeinsamem Lesesaal und einem 600 (in manchen Plänen auch „nur“ 300) Hörer fassenden Auditorium sowie getrennten Seminarräumen und Fachbibliotheken6 eingerichtet werden. Für dieses neu zu errichtende Gebäude hatten die drei Professoren auch bereits ein mögliches Grundstück gefunden und erste Baupläne erstellt,7 die neben den klassischen Hörsälen, Bibliotheks- und Büroräumen auch die Einrichtung von 12 Logierzimmern vorsahen. Für ihr ehrgeiziges Projekt benötigten und suchten Niemeyer, Harms und Schultze politische (und damit auch finanzielle) Unterstützung,8 Der damalige Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Admiral von Tirpitz, hatte bereits „positive Hilfe in Aussicht gestellt“,9 auch von anderer Seite kam Unterstützung.10 Dennoch scheiterten die Pläne wohl noch im Jahr 1912 (zum 1. April 1913 ging Leonhard Schultze nach Marburg)11 aus nicht völlig geklärten Gründen. Vermutet wird eine Entfremdung zwischen Harms und Niemeyer.12 Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus Briefen der beiden, die im August 1912 noch mit „Lieber _____________ 3

Ebd. Ebd. 5 Theodor Niemeyer, Aus dem Seminar für Internationales Recht. Was wir mit dem Völkerrecht während des Krieges anfangen, in: Gruß der Universität Kiel an ihre Kommilitonen im Felde, Kiel 1916, 101–105 (101). 6 Schreiben Harms’, Schultzes und Niemeyers an den Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten, 17. Juli 1912, Akten des IIR, A 1 I, 10, 19f. 7 Entwurfskizze zu einem Königlichen Institut für Wissenschaft des Weltverkehrs, Akten des IIR, A 1 I, Tasche, abgedruckt in diesem Band, 80f. 8 Entwurf eines Schreibens Theodor Niemeyers an den Staatssekretär des Reichsmarineamtes Herrn Admiral von Tirpitz, 1912, Akten des IIR, A 1 I, 3f.; Bernhard Harms an Theodor Niemeyer, 23. August 1912, Akten des IIR, A 1 I, 5f. 9 Randnotiz zum Entwurf eines Schreibens Theodor Niemeyers an den Staatssekretär des Reichsmarineamtes Herrn Admiral von Tirpitz, 1912, Akten des IIR, A 1 I, 3. 10 Bernhard Harms an Theodor Niemeyer, 23. August 1912, Akten des IIR, A 1 I, 5. 11 Friedrich Hoffmann, Die Geschichte des Instituts für Weltwirtschaft: Von der Gründung bis zum Ausscheiden des Gründers (1941–1944), Bd. 1, 48. 12 Ebd., 51. 4

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Herr Niemeyer!“13 überschrieben sind, später jedoch nur mit „Sehr geehrter Herr Kollege!“14 Bereits im April 1913 plant Harms die selbständige Gründung eines „Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität Kiel“,15 das am 20. Februar 1914 realisiert wird. Den Wunsch Niemeyers nach einem Raum im neuen Institut lehnt Harms ab,16 auch streiten sie um ein Grundstück, auf dem beide ihre jeweiligen Institute bauen lassen wollen.17 Ein Bruch zwischen Niemeyer und Harms deutet sich auch an, wenn Harms Anfang 1914 schreibt, er glaube, „daß das Nebeneinanderarbeiten in der That Größeres erreicht als die Verschmelzung“.18 Niemeyer schweigt sich über die Gründe des Scheiterns des gemeinsamen Instituts in seinen Veröffentlichungen aus.19 Ganz trennen sich beider Wege dennoch nicht, auch wenn das Institut für Weltwirtschaft einen eigenen völkerrechtlichen Referenten beschäftigt und sich damit vordergründig von Niemeyer unabhängig macht. Nach der Gründung des Seminars für Internationales Recht arbeiten beide Institute in vielfältiger Hinsicht zusammen. In Veröffentlichungen über das erste Jahr des einen Instituts wird jeweils auch das andere erwähnt,20 die öffentlichen Gastvorlesungen des sehr beengten Seminars für Internationales Recht finden in Räumen des Instituts für Weltwirtschaft und Seeverkehr statt,21 und auch 1927, 13 Jahre nach Gründung der Einzelinstitute, gibt es noch Überlegungen zur gemeinsamen Materialbeschaffung und -nutzung.22 In einem Nachruf auf Theodor Niemeyer berichtet Hans Wehberg – von 1917 bis 1919 Referent für Völkerrecht am Weltwirtschaftsinstitut – sogar, Harms hätte später den Plan einer Vereinigung der Institute verfolgt, was aber am Widerstand Niemeyers gescheitert sei.23 _____________ 13

Bernhard Harms an Theodor Niemeyer, 23. August 1912, Akten des IIR, A 1 I, 5. Bernhard Harms an Theodor Niemeyer, 22. Januar 1914, Akten des IIR, A 1 II, 1f.; Bernhard Harms an Theodor Niemeyer, 25. Januar 1914, Akten des IIR, A 1 II, 5ff. 15 Hoffmann (Anm. 11), 52. 16 Bernhard Harms an Theodor Niemeyer, 22. Januar 1914, Akten des IIR, A 1 II, 1f. 17 Hoffmann (Anm. 11), 68ff. 18 Bernhard Harms an Theodor Niemeyer, 25. Januar 1914, Akten des IIR, A 1 II, 5ff. 19 Siehe z.B. Niemeyer (Anm. 5), 101. 20 Frankfurter Zeitung, 9. März 1915, Akten des IIR, A 2 I, 42. Hamburger Nachrichten, 20. Februar 1916, Das Seminar für Internationales Recht an der Universität Kiel und seine ersten Veröffentlichungen, Akten des IIR, A 2 I, 47. 21 Bericht des Direktors des Instituts für internationales Recht betreffend die Arbeiten des Instituts an den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 30. Dezember 1928, Akten des IIR, A 2 IV, 39. 22 Protokoll betreffend eine Besprechung zwischen Herrn Dr. Gülich vom Weltwirtschaftlichen Institut und Professor Schücking, Dr. Rühland und Dr. Guggenheim vom Institut für internationales Recht, 2. Februar 1927, Akten des IIR, A 2 III, 35f. 23 Hans Wehberg, Theodor Niemeyer, Friedens-Warte 39 (1939), 238–240 (238). 14

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B. Gründung des Seminars für Internationales Recht Nach dem Scheitern der gemeinsamen Pläne stellt auch Theodor Niemeyer seine Bemühungen schnell auf die Gründung eines eigenständigen Instituts um. Dies erweist sich allerdings als schwierig, denn noch im September 1913 lehnt der preußische Minister für geistliche und Unterrichtsangelegenheiten die Bereitstellung von Finanzmitteln zur Gründung des Instituts ab.24 Dennoch wird am 9. Dezember 1913 durch Erlass desselben Ministers das „Königliche Seminar für Internationales Recht an der Universität Kiel“ gegründet, das am 5. Februar 1914 dann auch eine Satzung erhielt.25 I. Räumlichkeiten Die fehlende Etatisierung macht sich sofort deutlich bemerkbar: Zwar verfügt das Seminar über eine recht gut bestückte Bibliothek. Denn die Privatbibliothek zum internationalen Privatrecht des Straßburger Rechtsgelehrten Franz Kahn war nach dessen Tode Niemeyer überlassen worden; zugleich war diese Bibliothek durch Stiftungsgelder insbesondere in Bezug auf Völkerrecht und ausländisches Recht weiter ausgebaut worden.26 Damit besitzt das Seminar einen großen Grundstock an Büchern,27 der bis heute gesonderter Teil der Institutsbibliothek ist. Zudem erhält es bald nach seiner Gründung auch vom Frankfurter Völkerrechtler Karl Strupp, mit dem Niemeyer gemeinsam das „Jahrbuch des Völkerrechts“ herausgibt, sowohl Bücher aus Privatbestand wie auch erhebliche finanzielle Zuwendungen zum Ausbau der Bibliothek.28 Die Räumlichkeiten stellen jedoch ein großes Problem dar. Zur Gründung im Jahr 1914 belegt das Seminar

_____________ 24 Universitätskurator an Theodor Niemeyer, 18. September 1913, Akten des IIR, A 2 I, 1. Etwa zur selben Zeit bemühte sich an einer anderen preußischen Universität – in Marburg – auch Walther Schücking um die Gründung eines solchen völkerrechtlichen Seminars, scheiterte aber nicht zuletzt wegen der verhaltenen Fürsprache seiner eigenen Fakultät, die an dessen pazifistischer Ausrichtung Anstoß nahm: Hans Wehberg, Erinnerungen an Walther Schücking, Friedens-Warte 35 (1935), 223–234 (224ff.). 25 Ursula Heinz, 100 Jahre Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, in: Jost Delbrück u.a. (Hrsg.), Aus Kiel in die Welt: Kiel’s Contribution to International Law. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, Berlin 2014, 13–38 (14). 26 Theodor Niemeyer, Erinnerungen und Betrachtungen aus drei Menschenaltern. Aus dem Nachlaß herausgegeben von seiner Tochter Dr. Annemarie Niemeyer, Kiel 1963, 139. 27 Chronik 1913/14, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 1. 28 Eduard Prym an Theodor Niemeyer, 11. Juli 1914, Akten des IIR, A 2 I, 37f.; Satzung des Königlichen Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, 14. Juni 1918, Akten des IIR A 2 I, 61, § 2.

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lediglich drei Zimmer in der Dänischen Straße 15.29 Die bescheidenen Einrichtungspläne (Regale an den Wänden, insgesamt drei Tische in den beiden Durchgangszimmern, wohl private Möbel Niemeyers im dritten Raum)30 stehen in krassem Gegensatz zu den großzügigen Plänen für das Institut für die Wissenschaft des Weltverkehrs. Zu Beginn mögen diese Räume für das kleine Seminar gerade noch ausreichend gewesen sein, jedoch wächst die Zahl seiner Studenten schnell: Während die Übungen im Sommersemester 1914 noch sechs Teilnehmer zählten (von denen vier einberufen wurden) und im Wintersemester 1914/15 fünf,31 waren es im Sommersemester 1917 bereits 17 (13 im Wintersemester 1917/18)32 und im Sommersemester 1920 schließlich schon 41 Teilnehmer (24 im Wintersemester 1920/21).33 Der immer spürbarer werdende Raummangel wird seitens des Seminars mehrfach moniert,34 konkret gibt es insbesondere Probleme bei den von Niemeyer gehaltenen „Vorträge[n] über völkerrechtliche Probleme der internationalen Politik“, die „durchschnittlich [von] 120 Zuhörern besucht“ werden.35 Die Klagen finden Gehör: Bereits 1919 berichtet Niemeyer mit gewissem Stolz, dass das Institut nun „16 Räume in 3 Stockwerken“ umfasse.36 Die Raumprobleme löst dies gleichwohl nur zum Teil, weswegen die Franz-Kahn-Bibliothek in Räume der Universitätsbibliothek ausgelagert bleibt,37 ein Umstand, der die Arbeit an und mit dem Buchapparat deutlich erschwert. So verwundert es nicht, dass der Raummangel auch weiterhin ein Thema in den Berichten für die Universitätschronik spielt.38 Daran ändert auch die zusätzliche Anmietung des sogenannten „Hulbehauses“ in der Dänischen Straße 939 wenig. Dort wird primär das neu eingerichtete Re-

_____________ 29

Ebd. Akten des IIR, A 1 II, 18 Anhang, abgedruckt in diesem Band, 82. 31 Chronik 1914/15, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 2. 32 Chronik 1917/18, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 6. 33 Chronik 1920/21, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 9. 34 Chronik 1924/25, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 20; Chronik 1926/27, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 29. 35 Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 15. Juli 1919, Akten des IIR, A 8 I, 29f. 36 Theodor Niemeyer, Einführung in das Völkerrechtsarchiv und die Bücherei nebst Bericht über Aufgaben und Entwicklung des Instituts, Kiel 1919, 10. In Auszügen abgedruckt mit einleitenden Bemerkungen von Michael Jonas in diesem Band. 37 Manuskript für die Neuherausgabe der Schrift „Kiel als Universitätsstadt“: Das Institut für internationales Recht, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 33. 38 Chronik 1927/28, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 41; Chronik 1928/29, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 46. 39 Abschrift des Mietvertrags, 1. November 1926, Akten des IIR, A 8 IV, 14b. 30

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daktions- und Verlags-Büro des Instituts untergebracht,40 in dem neben den Veröffentlichungen des Instituts regelmäßig auch „Niemeyers Zeitschrift für Internationales Recht“41 herausgegeben wird. II. Kriegsarchiv des Völkerrechts Trotz der gerade zu Beginn nicht einfachen Arbeitsbedingungen beginnt Theodor Niemeyer zwei Jahre nach Gründung des Instituts ein wahres Mammutprojekt, „eine systematische Sammlung des im Weltkriege erwachsenen völkerrechtlichen Materials zum Zweck allgemeiner wissenschaftlicher Verwertung und im Hinblick auf die künftige Entwickelung des Vertrags-Völkerrechts“, das „Kriegsarchiv des Völkerrechts“.42 Unmittelbare Aufgabe des Kriegsarchivs ist es, „die Tatbestände, die Streitfragen, die Entwicklungsprobleme, welche der Krieg gebracht hat, im Hinblick auf die künftige Beurteilung und als Grundlage der weiteren Entwicklung in dem soeben angedeuteten Umfang für die allgemeine Verwertung bereitzustellen“.43 Dahinter steht die beunruhigende Beobachtung, dass immer „mehr Völker in den Krieg verwickelt sind [und] der Krieg stark den Charakter eines Wirtschaftskrieges angenommen hat“,44 was für Niemeyer einen „ziemlich vollständigen Zusammenbruch des Völkerrechts“45 bedeutet. Im Februar 1916, kurz vor Beginn der Schlacht um Verdun, analysiert Niemeyer, dass es für die Erreichung der deutschen Kriegsziele (z.B. die Freiheit der Meere, aber auch das Hauptziel der „Herstellung eines Zustandes der eine Wiederkehr eines Krieges unter ähnlichen Umständen wie der gegenwärtige ausschließt“)46 unablässig sei, das so geschundene Völkerrecht „wieder aufzurichten“.47 Er erkennt dabei zwar an, dass Deutschland Völkerrecht verletzt hat, sieht das Hauptproblem aber in den „giftigen Verleumdungen der deutschen Staatskunst und der deutschen Kriegfüh-

_____________ 40 Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 27. Oktober 1926, Akten des IIR, A 8 IV, 12f. 41 Siehe zur Zeitschrift näher Andreas v. Arnauld/Laura Kresse, Zeitschriften am Institut für Internationales Recht. Das German Yearbook of International Law und seine Vorgänger, in diesem Band. 42 Aufruf, Akten des IIR, A 3, 2. 43 Theodor Niemeyer, Denkschrift über das Kriegsarchiv des Völkerrechts, Juli 1916, Akten des IIR, A 2 I, Anfangsmaterial 10, 3. 44 Theodor Niemeyer, Memorandum, Akten des IIR, A 3, Anfangsmaterial 8, 1. 45 Ebd., 1. 46 Ebd., 1, 2. 47 Ebd., 5.

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rung“.48 Während Deutschland sich „zum Bruch internationaler Verträge bekannt“ habe, haben „[u]nsere Gegner [dies] weidlich ausgeschlachtet und damit eine Weile ihre eigenen zahllosen Rechtsverletzungen zu verdecken gewußt“.49 Nun solle Deutschland „die Führung […] übernehmen um der allgemeinen Verwilderung der internationalen Rechtsbegriffe entgegenzutreten […], um einen sicheren Rechtsboden internationaler Beziehungen wieder zu schaffen.“50 Neben diesen „taktischen Zwecke[n]“ sieht Niemeyer aber auch „groß[e] tatsächlich[e] Vorteil[e]“ in seinem „Katalog“.51. Dafür will er zunächst feststellen „was ist“, konkreter gefasst, welche Völkerrechtsverletzungen es bisher gab, welche neuen Regeln sich im Laufe des Kriegs herausgebildet haben, und welche bisherigen Bestimmungen sich als unklar erwiesen haben,52 und zwar vor dem Hintergrund, dass es für „eine leidenschaftslose und gerechte Beurteilung der Völkerrechtskrise der Gegenwart [dargetan durch den Weltkrieg]“ „einer geschichtlichen, beweiskräftigen Feststellung der völkerrechtlichen Tatsachen des Weltkrieges mit dem Willen rücksichtsloser Wahrheitsliebe“ bedürfe.53 Der Beginn dieses Projektes erhält, von Niemeyer beabsichtigt, einige Aufmerksamkeit in der Presse, die auch Aufrufe zur Mitarbeit enthält und zwar nicht nur innerhalb,54 sondern auch außerhalb Kiels.55 Zur Realisierung des Projektes werden zunächst zwei Assistenten, drei Sekretärinnen, zwei Maschinenschreiberinnen und zwei Lehrlinge angestellt, dazu kommen acht ehrenamtliche Sammler und Sichter sowie 40 Zeitungsleser,56 später steigt die Zahl auf drei Assistenten, zehn Büroangestellte und ca. 20 andere Mitarbeiter,57 insgesamt beschäftigt das Kriegsarchiv etwa 150 Mitarbeiter.58 Unter den Freiwilligen dürften sich auch manche Studierende befunden haben; immerhin kündigt Niemeyer ab dem Wintersemester 1916/17 bis zum Ende des Weltkriegs „Arbeiten für das“ bzw. „im“ Kriegsarchiv des Völkerrechts im Vorlesungsverzeichnis als abzutestierende Übung an.59 Selbstverständlich findet eine so große Personenzahl keinen Platz in _____________ 48

Ebd., 3. Ebd., 4. 50 Ebd., 4. 51 Ebd., 5. 52 Ebd., 3. 53 Niemeyer (Anm. 43), 1. 54 Siehe Zeitungsartikel aus den Kieler Neuesten Nachrichten, Akten des IIR, A 3, 23ff. 55 Siehe Zeitungsartikel, Akten des IIR, A 3, 7–10, 14, 16, 21, 26. 56 Chronik 1916/17, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 5. 57 Chronik 1917/18, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 7. 58 Niemeyer (Anm. 5), 102f. 59 Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse für WS 1916/17, 8 („in zu bestimmenden Stunden“), WS 1917/18, 8, SS 1918, 8 und WS 1918/19, 49

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den Seminarräumen, sodass Niemeyer weitere Räumlichkeiten anmieten muss.60 Die Arbeit an dem Projekt scheint den Mitarbeitern durchaus Spaß gemacht haben und hat zumindest ein „Fräulein Martens“ zum Dichten inspiriert.61 Eine Sammlung weltkriegsbezogenen Materials gibt es in Kiel bereits am Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft; die Assistenten des Seminars, die mit der konkreten Organisation des Projekts betraut sind, wollen daher zunächst in diese Sammlung Einsicht nehmen und dann gegebenenfalls lediglich Ergänzungen vornehmen.62 Praktisch ist die Arbeit am Kriegsarchiv des Völkerrechts zweigeteilt: In Sektion A wird alles Material gesammelt, gesichtet und in vier Abteilungen (Zeitungen; Zeitschriften; Bücher; Staatsschriften, Kongresse, Gesellschaften, Privatnachrichten etc.) systematisiert. In Sektion B prüfen und vervollständigen Wissenschaftler aus der Völkerrechtswissenschaft, der Geschichtswissenschaft und der Wirtschaftslehre sowie Praktiker aus Diplomatie, Rechtspflege und Militärund Marinewesen das Material und arbeiten es durch.63 Tatsächlich erfüllt das Kriegsarchiv des Völkerrechts wohl nie die hohen Ziele, die ihm von Niemeyer zugedacht waren. Heute hat das riesige Archiv (ca. 2.400 Archivkästen mit 400.000 Zeitungsausschnitten, 20.000 Abhandlungen, 1.000 Bücherreferaten und 30.000 sonstigen Mitteilungen),64 das 1994 vom Institut für Internationales Recht an das Landesarchiv Schleswig-Holstein übergeben wurde,65 wohl nur noch wissenschaftshistorische Bedeutung. Eine wesentliche Entwicklung für die deutsche Völkerrechtswissenschaft entspringt aber aus Niemeyers Plan: In seinen Überlegungen dazu, wer eine solche Aufgabe übernehmen sollte, bedauert er die bisher nicht erfolgte Gründung eines „Deutschen Instituts für Internationales Recht“ nach den Vorbildern in England und Frankreich.66 Aus der wissenschaftlichen Sektion B des Kriegsarchivs heraus wurde dann tatsächlich auch 1917 die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht gegründet,67 die 2011 in Deutsche Gesellschaft für Internationales Recht umbenannt wurde. _____________

9 („täglich 9–1 und 4–7 Uhr nachm. [außer Mittwoch und Sonnabend], privatissime und gratis“). Im SS 1919 fortgeführt als „Arbeiten im Kriegs- und Friedensarchiv des Völkerrechts“. 60 Theodor Niemeyer an Herrn Blumenhändler Hoff, 5. September 1916, Akten des IIR, A 8 I, 8. 61 Fräulein Martens, Ohne Titel, Akten des IIR, A 3, 43; abgedruckt in diesem Band, 365f. 62 Protokoll einer Sitzung der Assistenten des Seminars für Internationales Recht, 26. Januar 1918, Akten des IIR, A 3, 30. 63 Niemeyer (Anm. 43), 3f. 64 Niemeyer (Anm. 36), 9. 65 Heinz (Anm. 25), 16. 66 Theodor Niemeyer, Memorandum, Akten des IIR, A 3, Anfangsmaterial 8, 3. 67 Niemeyer (Anm. 36), 9.

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III. Etatisierung Das ohne Etatisierung gegründete „Königliche Seminar für internationales Recht“ konnte auf keine sichere finanzielle Grundlage bauen, sodass Niemeyer immer wieder neue Geldquellen auftreiben oder auf ehrenamtliche Mitarbeit setzen musste.68 Nachdem durch Ministerialerlass vom 24. April 1918 das bisherige „Seminar“ in „Institut“ umbenannt worden war69 – „um unerwünschten Missverständnissen, die namentlich im Auslande infolge der Bezeichnung ‚Seminar’ entstehen könnten, vorzubeugen und dem Seminar nach außen hin eine günstigere Stellung zu geben“70 – begründete Niemeyer seinen Antrag auf Schaffung einer Professur für internationales Recht (er selbst hatte nach wie vor einen Lehrstuhl für Römisches Recht und Reichszivilrecht inne)71 auch mit der steigenden Wichtigkeit des Instituts.72 Seine Bemühungen in dieser Richtung wurden jedoch stets mit Verweis auf die Finanzierung abgelehnt.73 Infolge der finanziellen Probleme des Instituts und der Unklarheit bezüglich rechtlicher Folgen der Umbenennung zeigten sich nunmehr auch Unstimmigkeiten zwischen dem Institut auf der einen Seite und der Fakultät und Universität auf der anderen Seite über das genaue Verhältnis der Institutionen zueinander. Besonders sichtbar wurden diese Unstimmigkeiten in Finanzfragen.74 Das Institut sieht sich so Anfang der 1920er Jahre in einer äußerst schwierigen finanziellen Lage,75 die sogar seine Arbeit massiv bedroht.76 So sind einzelne Zuweisungen verschiedener Stellen die einzige Möglichkeit, die reguläre Arbeit

_____________ 68 So finanzierte sich beispielsweise das Kriegsarchiv des Völkerrechts einerseits aus Reichs- und preußischen Staatsmitteln, andererseits war es von ehrenamtlicher Arbeit abhängig, Niemeyer (Anm. 36), 10. 69 Königliches Institut für internationales Recht, Notiz des Direktors, Akten des IIR, A 2 I, Anfangsmaterial 3. 70 Kurator der Universität an Theodor Niemeyer, 25. September 1928, Akten des IIR, A 2 I, 73. 71 Erich Döhring, Geschichte der juristischen Fakultät 1665–1965 (= Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1665–1965, Band 3, Teil 1), Neumünster 1965, 190; Heinz (Anm. 25), 17. 72 Theodor Niemeyer an den Dekan, 5. Juli 1918, Akten des IIR, A 2 I, 71. 73 Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 9. Februar 1920, Akten des IIR, A 2 I, 79. 74 Akten des IIR, A 2 I, 73, 80, 84–86, 88, 92f. 75 Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 28. März 1924, Akten des IIR, A 2 I, 144f. 76 Theodor Niemeyer an Herrn Gesandtschaftsrat Dr. Martius, 9. Oktober 1924, Akten des IIR, A 2 II, 5f.

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fortzuführen, z.B. Schriften zu veröffentlichen,77 wissenschaftliche Hilfskräfte einzustellen78 oder auch Bücher anzuschaffen.79 Zur Kostenreduzierung wird auch an einen Umzug in vorher anderweitig von der Universität genutzte Räume nachgedacht.80 Die nachträgliche Etatisierung des Instituts soll diese Probleme lösen. Sie wurde bereits zur Zeit der Gründung des Seminars in Aussicht gestellt und in den Folgejahren wiederholt beantragt.81 Für die Universität scheint dies erst besonders dringlich zu werden, als Niemeyers Emeritierung näher rückt und ein Nachfolger für ihn gefunden werden muss. Denn dies sollte sich angesichts der unklaren, aber definitiv mangelhaften finanziellen Ausstattung des Instituts als außerordentlich schwierig erweisen.82 Noch wenige Monate vor seiner Entpflichtung (im Januar 1925) sieht Niemeyer die Etatisierung als „gescheitert“ an.83 Tatsächlich ist bei seiner Emeritierung am 1. April 1925 weder seine Nachfolge noch die Etatisierung geklärt, sodass das Institut ohne Verwaltung und Finanzierung dasteht.84 Um ein Fortbestehen zu ermöglichen, wird Niemeyer die Leitung sofort wieder übertragen.85 Die Suche nach einem Nachfolger gestaltet sich mühsam; nachdem zunächst Rudolf v. Laun und Herbert Kraus eine Berufung ausgeschlagen haben, lehnt auch Albrecht Mendelssohn-Bartholdy die Stelle ab.86 Ein wichtiger Grund für diese Absagen dürfte die „wirtschaftlich so unzulänglich[e] [F]undier[ung]“ des Institutes

_____________ 77 Theodor Niemeyer an das Auswärtige Amt, Herrn Gesandtschaftsrat Dr. Martius, 9. Oktober 1924, Akten des IIR, A 2 II, 5f.; Auswärtiges Amt, Herr Gesandtschaftsrats Dr. Martius, an Theodor Niemeyer, 20. Oktober 1924, Akten des IIR, A 2 II, 8. 78 Kurator der Universität an Theodor Niemeyer, 25. Oktober 1924, Akten des IIR, A 2 II, 13; Kurator der Universität an Theodor Niemeyer, 15. November 1924, Akten des IIR, A 2 II, 22. 79 Schleswig-Holsteinische Universitäts-Gesellschaft an Theodor Niemeyer, 14. Januar 1925, Akten des IIR, A 2 II, 25. 80 Theodor Niemeyer an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, 28. Januar 1925, Akten des IIR, A 2 II, 27, 31; Kurator der Universität an den Rektor, 28. Januar 1925, Akten des IIR, A 2 II, 33. 81 Theodor Niemeyer an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, 28. Januar 1925, Akten des IIR, A 2 II, 27. 82 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät an den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 24. November 1925, Akten des IIR, A 2 II, 48f. 83 Theodor Niemeyer an den Abgeordneten F[erdinand] Hoff, 31. Januar 1925, Akten des IIR, A 2 II, 35. 84 Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 31. März 1925, Akten des IIR, A 2 II, 39; Theodor Niemeyer an den Dekan, 31. März 1925, Akten des IIR, A 2 II, 42. 85 Theodor Niemeyer an den Dekan, 2. April 1925, Akten des IIR, A 2 II, 46. 86 Döhring (Anm.71), 189.

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sein.87 Die jahrelang andauernden Querelen um die Finanzierung scheinen Niemeyer stark zu belasten;88 im Juli 1925 droht er sogar an, die Leitung des Instituts niederzulegen.89 Er macht diese Drohung allerdings nicht wahr und bleibt unerschütterlich in seinem Versuch, die Etatisierung durchzusetzen. Unmittelbar im Anschluss an eine neuerliche Absage stellt er im November 1925 erneut einen Antrag,90 dem endlich Erfolg beschieden ist.91 Einer erfolgversprechenderen Suche nach einem Nachfolger für den mittlerweile 69-jährigen Niemeyer steht nun nichts mehr im Wege.

C. Übergabe Niemeyer an Schücking I. Ein schwerer Abschied Der im Zusammenhang mit Niemeyers Emeritierung 1923 angedachte „Abbau“ des Instituts92 kann so doch noch abgewendet werden. Theodor Niemeyer, der bereits im März 1924 um die Entbindung von der Verantwortung der Institutsleitung spätestens zum 1. Oktober 1924 gebeten hatte,93 aber zugleich angezeigt hatte, seine Lehrtätigkeit unverändert auch nach der gesetzlichen Beendigung seiner Amtstätigkeit am 1. April 1925 fortzusetzen,94 trennt sich – allen Rücktrittsdrohungen zum Trotz – wohl nur schwer von der von ihm ins Leben gerufenen Einrichtung. An einen möglichen Nachfolger stellt er sehr hohe Anforderungen: „Als langjähriger Leiter des Instituts kann ich nur soviel mit Entschiedenheit sagen, dass für die Leitung des Instituts nicht nur wissenschaftliche und praktisch-geschäftliche Eignung, sondern die volle Hingabe der Lebenskraft einer ausschliesslich zu dieser 95 Aufgabe berufenen Persönlichkeit conditio sine qua non ist.“ _____________ 87 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät an den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 24. November 1925, Akten des IIR, A 2 II, 68f. 88 Vgl. Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 31. März 1925, Akten des IIR, A 2 II, 39; Theodor Niemeyer an den Dekan, 31. März 1925, Akten des IIR, A 2 II, 42; Theodor Niemeyer an den Dekan, 26. Mai 1925, Akten des IIR, A 2 II, 49; Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 16. Juni 1925, Akten des IIR, A 2 II, 52; Theodor Niemeyer an den Dekan, 22. Juni 1925, Akten des IIR, A 2 II, 53. 89 Theodor Niemeyers an den Universitätskurator, 9. Juli 1925, Akten des IIR, A 2 II, 61. 90 Theodor Niemeyer an den Dekan, 24. November 1925, Akten des IIR, A 2 II, 67, 68f. 91 Döhring (Anm.71), 191. 92 Theodor Niemeyer an den Dekan, 21. Dezember 1923, Akten des IIR, A 2 I, 132f. 93 Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 28. März 1924, Akten IIR, A 2 I, 144f. 94 Theodor Niemeyer an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, 28. März 1924, Akten des IIR, A 2 I, 148. 95 Theodor Niemeyer an den Dekan, 21. Dezember 1923, Akten des IIR, A 2 I, 133.

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Obwohl Niemeyer formal stets ein zivilistisches Ordinariat innehatte, hatte er den Schwerpunkt seiner Tätigkeit bereits 1908 auf das internationale Recht gelegt und praktisch ab 1912 gar kein Zivilrecht mehr gelehrt.96 Mit der Neubesetzung des Lehrstuhls wurde dieser nun auch formal dem Völkerrecht und internationalen Privatrecht gewidmet und so die Bezeichnung dem tatsächlichen Betätigungsfeld angepasst.97 II. Wertschätzung aus der Distanz Walther Schücking (1875–1935)98 zeigte bereits vor seiner Berufung nach Kiel große Achtung vor dem Kieler Institut und der Arbeit seines Gründers, die er in zwei Reichstagsreden im Jahre 1922 würdigt. So beschwört er in der Debatte über den Deutsch-Schweizerischen Schiedsgerichtsvertrag die Notwendigkeit, den völkerrechtlichen Unterricht im Geiste internationaler Verständigung an den Universitäten zu etablieren und merkt an: „Meines Wissens existiert nur ein einziges besonderes völkerrechtliches Institut in Verbindung mit der Universität Kiel, und das ist jetzt leider in schwerstem Maße notleidend, geleitet von Herrn Professor Niemeyer. Ich hoffe, daß der Reichstag es als seine Aufgabe erachten wird, diesem Institut, von dem sehr wertvolle völkerrechtlichwissenschaftliche Publikationen ausgehen, die nötige Unterstützung zu gewähren.“99

In einer Debatte über den Zustand der schulischen und universitären Bildung im Reich bekräftigt er im November desselben Jahres seine Kritik an der fehlenden finanziellen Ausstattung des Kieler Instituts: „Ich habe eben noch ein Telegramm aus Kiel erhalten. In Kiel befindet sich das einzige besondere völkerrechtliche Seminar in Deutschland. Der Leiter dieses Seminars, Professor Niemeyer, telegraphiert, daß der Schluß des ganzen Seminars unbedingt geboten ist, wenn nicht ein außerordentlicher Zuschuß von 250 000 Mark bewilligt werden könnte; es ist überall dasselbe.“100

_____________ 96

Niemeyer (Anm.26), 156. Heinz (Anm. 25), 17. 98 Näher zu Schücking und m.w.N. Magnan Johannes Mohr, Zwischen Pazifismus und Patriotismus: Walther Schücking (1875–1935), in diesem Band; Andreas v. Arnauld, Völkerrecht im Dienst des Friedens: Walther Schücking (1875–1935), in: ders./Ino Augsberg/Rudolf Meyer-Pritzl (Hrsg.), 350 Jahre Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Tübingen 2017 (i.V.). 99 171. Sitzung, 16. Februar 1922, in: Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 1. Wahlperiode 1920, Reichstagsprotokolle 1920/24,9, 5893. 100 268. Sitzung, 16. November 1922, in: Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 1. Wahlperiode 1920, Reichstagsprotokolle 1920/24,14, 9018. 97

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Zwischen Schücking und Niemeyer scheint es also in jener Zeit zumindest gelegentliche Kontakte gegeben zu haben. Ein Besuch im März 1925 beschert Schücking die Ernennung zum „korrespondierenden Mitglied“ des Instituts.101 Seinem Freund Hans Wehberg berichtet er, das Institut berge „geradezu Schätze“.102 Niemeyer, der – bei allem Respekt vor den Errungenschaften der Friedensbewegung – dem aktiven Pazifismus in der Völkerrechtswissenschaft kritisch gegenüber stand,103 war von Schücking als möglichem Nachfolger zunächst allerdings nicht begeistert.104 Wohl vor allem aufgrund der Fürsprache von Gustav Radbruch, damals noch an der Kieler juristischen Fakultät tätig,105 erging am 16. Februar 1926 die Berufung auf den ersten völkerrechtlichen Lehrstuhl in Kiel an Walther Schücking,106 der zuvor bereits an den Universitäten in Breslau und Marburg sowie an der Berliner Handelsschule tätig gewesen war und der den Ruf am 1. April 1926 annahm.107 III. Spannungen zwischen Vorgänger und Nachfolger Das zunehmend schwierige Verhältnis zwischen Niemeyer und Schücking gründete sich neben ihrer völkerrechtspolitischen Einstellung wohl auch auf ihre sehr unterschiedlichen Charaktere. Ein Beispiel hierfür bieten die regelmäßigen Berichte des Instituts für die Universitätschronik: Während die Berichte Niemeyers nie länger als eine oder eineinhalb Seiten sind, schreibt Schücking vier oder fünf Seiten108 und wünscht auch ausdrücklich die Veröffentlichung der Berichte _____________ 101 Urkunde zur Ernennung Walther Schückings zum korrespondierenden Mitglied des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, 10. März 1925, Nachlass Walther Schückings in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Nr. 34,093, abgedruckt in diesem Band, 73. 102 Walther Schücking an Hans Wehberg, 27. März 1925, zitiert nach Ulf Morgenstern, Sieben Jahre an der Förde. Walther Schücking als Hochschullehrer und internationaler Völkerrechtler in der holsteinischen Universitätsstadt 1926–1933, in: Oliver Auge/Swantje Piotrowski (Hrsg.), Gelehrte Köpfe an der Förde: Kieler Professorinnen und Professoren in Wissenschaft und Gesellschaft seit der Universitätsgründung 1665, Kiel 2014, 181– 215 (187). 103 Zu Niemeyers Verhältnis zum Pazifismus v. Arnauld/Theilen (Anm. 1), 140ff.; v. Arnauld (Anm. 98), sub IV.2. 104 Morgenstern (Anm. 102), 187f. 105 Ebd., 187. 106 Vereinbarung zum Antritt des ordentlichen Lehrstuhls für Völkerrecht an der Universität Kiel zum 1.4.1926 von W. Schücking und Windelband, 16. Februar 1926, Nachlass Walther Schückings in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Nr. 68,058. Siehe ferner Hans Wehberg, Der erste pazifistische Lehrauftrag: Professor Schücking nach Kiel berufen, Vossische Zeitung, Nachlass Walther Schückings, a.a.O., Nr. 34,091. 107 Walther Schücking an Theodor Niemeyer, 1. April 1926, Akten des IIR, A 2 II, 72. 108 Siehe Chroniken in Akten des IIR, A 2 Beiband a.

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in der Presse.109 Ein weit profanerer, konkreter Streitpunkt zwischen den beiden deutet sich allerdings bereits vor der Berufung Schückings an:110 Wohl auch aufgrund der schwierigen finanziellen Situation des Instituts besonders bei seiner Gründung hatte Niemeyer einige Gegenstände, insbesondere Möbel und Bücher, die zu seinem Privateigentum gehörten, in die Räume in der Dänischen Straße gebracht. Gleichzeitig gehörten aber auch einige Möbel direkt dem Institut, manches stand nun in der Dänischen Straße, manches war aber auch bereits in die „Filiale“111 im Hulbehaus gebracht worden. Für den neu ankommenden Schücking ergab sich so eine unübersichtliche Gemengelage, die auch nicht mithilfe der Inventarliste zu lösen war.112 Eine grundsätzliche Lösung konnte erst mit Hilfe des stellvertretenden Universitätskurators in einem Sechs-Augen-Gespräch gefunden werden.113 Durch diese Unstimmigkeiten verschlechtert sich das Verhältnis zwischen Niemeyer und seinem Nachfolger Schücking weiter; Niemeyer weist Schreiben des Instituts ungeöffnet zurück,114 beide Professoren kommunizieren zwar formal höflich, bauen aber in ihre Briefe kleine Stiche gegen den jeweils anderen ein. So schreibt Niemeyer z.B. an Schücking: „Die Übergabe […], welche ich heute [am Samstag vor Ostern] bewirken wollte, war nicht ausführbar, weil das Büropersonal Ihres Instituts feiert.“115 (Man beachte das Possessivpronomen für das von ihm selbst gegründete Institut.) Als Niemeyer von Schücking die Herausgabe von Schlüsseln zu den (ehemaligen) Redaktionsräumen von „Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht“ fordert, entgegnet dieser: „[Ich] habe […] sowohl in meinem Hause als [sic] im Institut nochmalige Nachschau und Untersuchungen angestellt, um keine Möglichkeit zu versäumen, die bedauerliche Divergenz zu lösen. Das Ergebnis dieser Nachforschungen ist aber meinen Erwartungen gemäß negativ.“116 Gegenüber dem Universitätskurator äußert Schücking, _____________ 109 An den Herrn Rektor der Universität, 8. April 1927, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 25; An den Herrn Rektor der Universität, 18. Mai 1928, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 36; An den Herrn Rektor der Universität, 15. Mai 1929, Akten des IIR, A 2 Beiband a, 43. 110 Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 28. März 1924, Akten des IIR, A 2 I, 144f. 111 Walther Schücking an den Universitätskurator, 16. November 1926, Akten des IIR, A 2 II, 88f. 112 Walther Schücking an Theodor Niemeyer, 25. Februar 1927, Akten des IIR, A 2 III, 38f.; Theodor Niemeyer an Walther Schücking, 26. Februar 1927, Akten des IIR, A 2 III, 40. 113 Siehe Aktenvermerk zur Unterredung des stellv. Universitätskurators mit Theodor Niemeyer, 19. November 1926, Akten des IIR, A 2 III, 1. 114 Handschriftliche Notiz unter dem Schreiben des Büros des Instituts für internationales Recht, 3. März 1927, Akten des IIR, A 2 III, 44. 115 Theodor Niemeyer an Walther Schücking, 16. April 1927, Akten des IIR, A 2 III, 63. 116 Walther Schücking an Theodor Niemeyer, 25. Mai 1927, Akten des IIR, A 2 III, 79.

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Ernennung Walther Schückings zum korrespondierenden Mitglied des Instituts für Internationales Recht, Urkunde vom 10. März 1925

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er sehe „weitere[r] Auseinandersetzung mit Herrn Geheimrat Niemeyer mit der schwersten Sorge entgegen […]“.117 Die Uneinigkeit setzt sich in den Folgemonaten fort, als Niemeyer nach Schückings Angaben in dessen Abwesenheit118 oder auch sonst stillschweigend weiter Einrichtungsgegenstände aus dem Institut entfernt,119 was dieser jedoch bestreitet.120 Oft stehen Schlüssel im Mittelpunkt des Zwists, sowohl solche zum Institut, die Niemeyer noch besitzen soll, als auch solche zum Hulbehaus, die Schücking ausgehändigt wurden;121 das Ganze scheint erhebliche Ausmaße anzunehmen, denn Schücking erwähnt diese „schwierigen Auseinandersetzungen“ sogar in seinem Bericht über die Tätigkeit des Instituts an das Wissenschaftsministerium.122 Das letzte Dokument in den Akten des Instituts zu diesen Schwierigkeiten betrifft die Abholung eines Teppichs durch Niemeyer am 21. April 1928123 – rund eineinhalb Jahre nach Schückings Ankunft in Kiel. IV. Insbesondere: Niemeyers Zeitschrift für Internationales Recht Ein besonders heikler Punkt zwischen Vorgänger und Nachfolger war die Übergabe der Zeitschrift für Internationales Recht. Seit 1915 trug dieses erste sich primär mit dem Völkerrecht befassende Periodikum Niemeyers Namen im Titel, nachdem dieser 1896 in die Mitherausgeberschaft eingetreten war.124 Niemeyer sah in der Zeitschrift sein „Lebenswerk“,125 für Schücking gehörte die „seinerzeit führende“126 und unter Mitarbeit des Instituts herausgegebene Zeitschrift wohl als wertvoller Bestandteil zu dem nun von ihm übernommenen Institut. Tatsächlich waren bis zum Ausscheiden Niemeyers und teils auch darüber _____________ 117 Walther Schücking an den Universitäts-Kurator, 14. März 1927, Akten des IIR, A 2 III, 45f. 118 Ebd. 119 Walther Schücking an Theodor Niemeyer, 28. April 1927, Akten des IIR, A 2 III, 64ff. 120 Theodor Niemeyer an Walther Schücking, 30. April 1927, Akten des IIR, A 2 III, 68. 121 Div. Schreiben, Akten des IIR, A 2 III, 64, 68, 69a, 71f., 77, 79. 122 Bericht des Direktors des Instituts für internationales Recht betreffend die Arbeiten des Instituts an den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 30. Dezember 1927, Akten des IIR, A 2 IV, 16, 19f. 123 Theodor Niemeyer an das Büro des Instituts für Internationales Recht, 21. April 1928, Akten des IIR, A 2 IV, 30. 124 Siehe zu der Geschichte der Zeitschrift v. Arnauld/Kresse (Anm. 41), 369ff. 125 Theodor Niemeyer an den Universitätskurator über eine Besprechung mit Walther Schücking, 21. Januar 1927, Akten des IIR, A 2 III, 31c. 126 Ottobert Brintzinger, 50 Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, JZ 1964, 285–286 (285).

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hinaus offensichtlich die redaktionellen Arbeiten auch vom Assistenten des Institut, Curt Rühland (1891–1987), übernommen worden; der Vertrieb sowie die Kassenführung erfolgten vollständig durch Bürokräfte des Instituts,127 was laut Schücking zu einer finanziellen Belastung des (ohnehin mageren) Budgets128 von 2.400 Mark jährlich führte.129 Der zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich angeschlagene130 Niemeyer war zwar durchaus bereit, die Zeitschrift an das Institut zu verkaufen,131 wollte aber dabei alleiniger Herausgeber bleiben, eine „gemeinsame Führung der Redaktion“ hält er „aus technischen Gründen und wegen Divergenz der wissenschaftlichen, insbesondere der völkerrechtspolitischen Grundrichtung [für] ausgeschlossen“.132 Unklar – und umstritten – blieb dabei, welcher Art die Beziehung der Zeitschrift zu Niemeyer sein würde,133 ebenso wie eine Bezeichnung der Zusammenarbeit zwischen Zeitschrift und Institut für die Übergangsphase bis zu einem endgültigen Ausscheiden Niemeyers.134 Diese ungeklärte und etwas verzwickte Lage bringt Schücking in eine schwierige Position gegenüber dem Auswärtigen Amt, das großes Interesse an der Zeitschrift bekundet.135 Da eine Zusammenarbeit zwischen Niemeyer und Schücking in dieser Frage nicht möglich erscheint, verfügt das Ministerium im Erlasswege am 14. März 1927, Institut und Zeitschrift ab April desselben Jahres vollständig zu trennen.136 Diese Anordnung von oben kommt für Niemeyer wohl sehr überraschend und _____________ 127

Aktennotiz Walther Schückings, 22. Januar 1927, Akten des IIR, A 2 III, 33. Walther Schücking suchte wie auch sein Vorgänger stets nach weiteren (privaten) Geldquellen, um die mageren öffentlichen Mittel aufzustocken, div. Schreiben, Mai 1927 bis September 1932, Nachlass Walther Schückings in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Nr. 7,051. 129 Theodor Niemeyer an den Universitätskurator über eine Besprechung mit Walther Schücking, 21. Januar 1927, Akten des IIR, A 2 III, 31a. 130 Universitätskurator an Theodor Niemeyer, 22. November 1926, Akten des IIR, A 2 III, 6; Theodor Niemeyer an den Universitätskurator, 27. November 1926, Akten des IIR, A 2 III, 12. 131 Aktenvermerk des Universitätskurators, 19. November 1926, Akten des IIR, A 2 III, 1. 132 Theodor Niemeyer an den Universitätskurator über eine Besprechung mit Walther Schücking, 21. Januar 1927, Akten des IIR, A 2 III, 31b. 133 Walther Schücking an den Universitäts-Kurator, 27. November 1926, Akten des IIR, A 2 III, 9, 10. 134 Universitäts-Kurator an Theodor Niemeyer, 22. November 1926, Akten des IIR, A 2 III, 6, 7; Theodor Niemeyer an Walther Schücking, 27. November 1926, Akten des IIR, A 2 III, 12; Universitäts-Kurator an Walther Schücking, 30. November 1926, Akten des IIR, A 2 III, 13; Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 6. Dezember 1926, Akten des IIR, A 2 III, 18. 135 Walther Schücking an Georg Martius, 15. Januar 1927, Akten des IIR, A 2 III, 27f.; Walther Schücking an Georg Martius, 22. Januar 1927, Akten des IIR, A 2 III, 32. 136 Universitäts-Kurator an Walther Schücking, 18. März 1927, Akten des IIR, A 2 III, 50. 128

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kurzfristig,137 was, in seltener Übereinstimmung, auch Schücking so sieht.138 Die sehr kurze Frist führte allerdings zu neuen Problemen bei der Abwicklung, insbesondere in der Frage der Mietzahlungen für die Redaktionsräume: Obwohl Niemeyer wohl noch Ende März „telephonisch nunmehr bei uns [dem Institut] beantragt [hat], dass wir die am 1. April fällige Miete für die von ihm gemieteten Räume bezahlen sollen“139 und Schücking im Kuratorium deswegen anfragt140 (wie er Niemeyer telefonisch141 und schriftlich142 mitteilt), erklärt Niemeyer am 14. April 1927, dass „die Räume […] vom Institut gänzlich losgelöst sind und in das ursprüngliche rein privatrechtliche Verhältnis zurückgekehrt sind“ und dass er als Mieter die Miete für April habe bezahlen müssen.143 Sein Rückzug unter Verweis auf „unentgeltlichen Dienst für das Institut“144 wirkt trotzig, zumal er zwei Tage später auch die Verwaltungstätigkeiten der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, die in Institutsräumen und durch Institutspersonal durchgeführt wurden, abzieht.145 Das Kuratorium genehmigte die Mietzahlungen der Zeitschriften-Räume durch das Institut,146 was Schücking dann unter Hinweis auf Niemeyers Rückzug für erledigt hält.147 Bezeichnenderweise geht Niemeyer darauf in der Antwort auf andere im selben Brief angesprochene Probleme148 und auch später149 nicht mehr ein. Der vollständige Vollzug der Trennung zwischen Zeitschrift und Institut schafft zwar Klarheit, birgt aber für Schücking das fortdauernde Problem, dass „seinem“ Institut nunmehr ein etabliertes Publikationsorgan fehlt.150 Dies endet _____________ 137 Theodor Niemeyer an den Universitäts-Kurator, 25. März 1927, Akten des IIR, A 2 III, 51f. 138 Walther Schücking an den Universitäts-Kurator, 11. April 1927, Akten des IIR, A 2 III, 53f. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Telefonnotiz Fr. Meyer an Theodor Niemeyer, 11. April 1927, Akten des IIR, A 2 III, 55. 142 Walther Schücking an Theodor Niemeyer, 12. April 1927, Akten des IIR, A 2 III, 57. 143 Theodor Niemeyer an Walther Schücking, 14. April 1927, Akten des IIR, A 2 III, 61. 144 Ebd., 61f. 145 Theodor Niemeyer an Walther Schücking, 16. April 1927, Akten des IIR, A 2 III, 63. 146 Universitäts-Kurator an Walther Schücking, 12. Mai 1927, Akten des IIR, A 2 III, 69. 147 Walther Schücking an Theodor Niemeyer, 16. Mai 1927, Akten des IIR, A 2 III, 69a. 148 Siehe Theodor Niemeyer an Walther Schücking, 21. Mai 1927, Akten des IIR, A 2 III, 71. 149 Walther Schücking an den Universitäts-Kurator, 6. Juli 1927, Akten des IIR, A 2 IV, 7. 150 Siehe Bericht des Direktors des Instituts für internationales Recht betreffend die Arbeiten des Instituts an den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung,

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erst 1930 mit Schückings Eintritt in die Redaktion der Zeitschrift für Völkerrecht, wodurch wieder ein renommiertes Periodikum „in Verbindung mit“ dem Kieler Institut für Internationales Recht herausgegeben wird.151

D. Kontinuität und Aufbruch: das Institut unter Walther Schücking In der schwierigen Übergangsphase zwischen dem Gründungsdirektor und seinem Nachfolger leidet die publizistische Produktivität – was freilich zum Teil auch dem Umstand geschuldet sein dürfte, dass Schücking sich in Kiel erst einleben musste. Die Zahl der Promotionen am Institut verdeutlich dies: Nachdem Niemeyer zwischen 1923 und 1925 jährlich fünf Promovenden zum Abschluss gebracht hatte (zuvor waren wegen Einberufung vieler Studenten152 und Übergangsschwierigkeiten in der unmittelbaren Nachkriegszeit weniger Promotionen zu verzeichnen), erfolgten 1926 nur noch zwei und 1927 keine Promotion am Institut. 1928 gelangten dann die ersten von Schücking betreuten Dissertationen zum Abschluss, der (bis 1933) 21 weitere Arbeiten folgen.153 Zwischen 1927 und 1928 veröffentlicht das Institut jeweils einen, danach pro Jahr drei Bände in seiner Schriftenreihe, die mit den „Abhandlungen zur fortschreitenden Kodifikation des internationalen Rechts“ sogar noch einen „Ableger“ erhält;154 zudem steigt auch die Anzahl sonstiger völkerrechtlicher Publikationen aus Kiel weiter an.155 Daran änderte auch nichts, dass Schücking, bedingt zunächst durch seine politischen Tätigkeiten (bis 1928 war er Mitglied des Reichstags und blieb auch nach seinem Ausscheiden noch als Ehrenmitglied in der Interparlamentarischen Union tätig), später durch sein Richteramt am Ständigen Internationalen Gerichtshof, häufig von Kiel abwesend war. Im Gegenteil: Seine internationalen Kontakte holten bedeutende Persönlichkeiten als Referenten an die Förde, wie den norwegischen Friedensnobelpreisträger Christian Lange, den russischen Völkerrechtler Michael v. Taube oder den Präsidenten der Carnegie-Stiftung und Gründer der American Society of International Law, James Brown Scott. _____________

30. Dezember 1928, Akten des IIR, A 2 IV, 40; Bericht des Direktors des Instituts für internationales Recht betreffend die Arbeiten des Instituts an den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 30. Dezember 1929, Akten des IIR, A 2 IV, 81. 151 Heinz (Anm. 25), 18; v. Arnauld/Kresse (Anm. 41), 375. 152 Vgl. Universität Kiel (Hrsg.), Gruß der Universität Kiel an ihre Kommilitonen im Felde, Kiel 1916. 153 Siehe Promotionen seit 1914, in: Delbrück u.a. (Anm. 25), 977–999. 154 Siehe Schriftenreihe „Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel“, in: Delbrück u.a. (Anm. 25), 1000–1013. 155 Siehe Andreas v. Arnauld, Kieler Publikationen zum Völkerrecht 1900–1975, im Anhang dieses Bandes.

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Schückings Handschrift zeigt sich auch in der Ausrichtung der Publikationen, die während seiner Amtszeit am Institut entstehen: In den ersten Jahren unter Niemeyer lag ein deutlicher Fokus auf dem Bereich des Kriegs- und Kriegsfolgenrechts,156 was sicherlich auch (aber nicht nur)157) dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Gründungsjahr des Seminars geschuldet war. Unter dem erklärten Pazifisten Schücking hingegen wird das Thema der Friedenssicherung bedeutsam; durchschnittlich fünf Publikationen pro Jahr sind diesem Themenbereich gewidmet, besonders deutlich natürlich bei den von ihm betreuten Dissertationen.158 Da Niemeyer zu jenen deutschen Völkerrechtlern gehörte, die dem neuen Völkerrecht der Völkerbundzeit aufgeschlossen gegenüberstanden, stellt sich die Ära Schücking in vielem weniger als Bruch mit der bisherigen Tradition des Instituts dar denn als Akzentverschiebung. So hatte schon Niemeyer 1926 gemeinsam mit den beiden Assistenten Curt Rühland und Jean Spiropoulos eine Monographie zum Völkerbund veröffentlicht; unter Schücking allerdings wird der Völkerbund, dem das Deutsche Reich am 10. September 1926 beitritt, zu einem thematischen Schwerpunkt.159 Auch in der Feststellung des Völkerrechts liegt ein gemeinsames Anliegen beider Direktoren. Während es Niemeyer hier allerdings eher um die Dokumentation des bestehenden Rechts ging, legt Schücking (der seit 1924 der Kodifikationskommission des Völkerbundes angehört) besonderen Wert auf die Kodifikation des Völkerrechts. Hierzu entsteht eigens eine weitere Reihe der Veröffentlichungen des Instituts.160 Der Ausstrahlung Walther Schückings, aber sicherlich auch der von Niemeyer hartnäckig erstrittenen Etatisierung dürfte es zu verdanken sein, dass sich das Institut unter Schücking zu einer wahren Talentschmiede im Völkerrecht entwickelt. Niemeyer hatte nur einen einzigen Schüler zur Habilitation geführt, Curt Rühland, der seit 1921 dem Institut als Assistent diente und erst 1937 durch Berufung nach Greifswald ausschied. Während der Name Rühlands heute weitgehend unbekannt sein dürfte, steht es um Schückings Schülerkreis anders: Jean Spiropoulos (1896–1972), noch von Niemeyer eingestellt, aber dem eigenen Selbstverständnis nach Schüler Schückings, wurde Professor zunächst in Thessaloniki, dann in Athen und war von 1958 bis 1967 Richter des Internationalen Gerichtshofs; Walter Schätzel (1890–1961) war Professor in Königsberg, Marburg, Mainz und Bonn und gehörte 1948 zu den Mitbegründern des „Archivs des Völkerrechts“; der außerhalb Kiels wenig bekannte Viktor Böhmert (1902–1971) _____________ 156 Janis Daniel, Themen in Forschung und Lehre II: Rechtsfragen von Krieg und Frieden, in diesem Band, 332ff. 157 Angestoßen durch seine Vorlesungstätigkeit an der Marineakademie hatte Niemeyer auch in der Vorkriegszeit vor allem zu seekriegsrechtlichen Fragen publiziert. 158 Daniel (Anm. 156), 334ff. 159 Ebd., 335. 160 Siehe Anm. 154.

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sollte nach einigen Irrwegen immerhin den ehemaligen Lehrstuhl Schückings übernehmen und leitete als Ko-Direktor das Kieler Institut von 1955 bis 1970. Von Schückings Kieler Doktoranden zog es Fritz Münch (1906–1995) in die Wissenschaft; er würde nach dem Zweiten Weltkrieg der die Berliner Dependance des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht leiten. Für kurze Zeit schließlich, von 1926 bis 1927, war der bedeutende Schweizer Völkerrechtler Paul Guggenheim (1899–1977) als Abteilungsleiter am Institut tätig. Ihm verlieh die Juristische Fakultät der Universität Kiel am 12. November 1964 im Rahmen des akademischen Festakts zum fünfzigjährigen Bestehen des Instituts für internationales Recht die Ehrendoktorwürde.161 Diese erste Blütezeit des Instituts endet mit Schückings „Beurlaubung“, später dann seiner Entlassung aus politischen Gründen im April 1933. Die glückliche, wenn auch nicht im finanziellen Überfluss verbrachte Kindheit und die – nach schwieriger Emanzipation vom Gründungsdirektor Niemeyer – hoffnungsvolle Jugend, endete so abrupt. In schwieriger Zeit musste das nunmehr fast zwanzigjährige Institut erwachsen werden.162

_____________ 161 Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel (Hrsg.), Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, Hamburg 1965, 20–21. 162 Siehe hierzu näher Nathalie Rücker, Das Institut für Internationales Recht im Nationalsozialismus. Im Spannungsfeld von Identitätsaufgabe und Existenzbedrohung, in diesem Band.

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Abbildung 1: Königliches Institut für Wissenschaft des Weltverkehrs, Außenansicht

Abbildung 2: Königliches Institut für Wissenschaft des Weltverkehrs, Erdgeschoss

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Abbildung 3:Königliches Institut für Wissenschaft des Weltverkehrs, Erstes Obergeschoss

Abbildung 4: Königliches Institut für Wissenschaft des Weltverkehrs, Zweites Obergesschoss

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Abbildung 5: Seminar für Internationales Recht, Dänische Straße 15

Das Institut für Internationales Recht im Nationalsozialismus. Im Spannungsfeld von Identitätsaufgabe und Existenzbedrohung Von Nathalie Rücker

A. Universität und Wissenschaft während des Nationalsozialismus „Von jetzt an kommt es für Sie nicht darauf an festzustellen, ob etwas wahr ist, sondern ob es im Sinne der nationalsozialistischen Revolution ist.“1

Mit diesen Worten definierte der bayerische Kultusminister Hans Schemm (NSDAP) 1933 in einer Rede vor Münchner Professoren die neue Rolle der Wissenschaft im NS-Staat. Seine Aussage war unmissverständlich. Nicht mehr die Ideale von Wahrheitsfindung und wissenschaftlicher Objektivität sollten leitend sein, sondern bewusste Voreingenommenheit im Sinne des Nationalsozialismus.2 Ab sofort sollte mit allen Traditionen der Weimarer Republik gebrochen werden und sich die Rolle der Wissenschaft radikal ändern. So lautete zumindest das wissenschaftspolitische Programm der NS-Diktatur. Doch konnte dieser Anspruch umgesetzt werden? Was war die Rolle von Hochschule und Wissenschaft nach der „Machtergreifung“? Wie reagierten WissenschaftlerInnen auf die Herausforderungen der Zeit? Gab es Nischen, in denen wissenschaftliche Arbeit bestehen konnte? Blickt man in Publikationen zur Geschichte des heutigen Walther-SchückingInstituts, liest man zu jener Phase vor allem über die berüchtigte Kieler „Stoßtruppfakultät“. Über die Geschichte des Instituts im Nationalsozialismus erfährt man dagegen überraschend wenig. Sind auch seit den 1990er Jahren mehrere Werke zur Aufarbeitung der NS-Geschichte der Christian-Albrechts-Universität

_____________ 1 Zitiert nach Jörg Tröger, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Hochschule und Wissenschaft im Dritten Reich, Frankfurt a.M. u.a. 1986, 7–10 (7). 2 Horst Möller, Nationalsozialistische Wissenschaftsideologie, in: Tröger (Anm. 1), 65–76 (65).

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zu Kiel und ihrer Rechtswissenschaftlichen Fakultät erschienen,3 fehlt für das Institut für Internationales Recht bisher eine ausführliche Auseinandersetzung. Nicht nur in Kiel tendierte besonders die inneruniversitäre Aufarbeitung in der Nachkriegszeit dazu, die „Zwölf Schreckensjahre“ auszuklammern oder die Hochschulen schlicht als Opfer des Nationalsozialismus darzustellen. Zugleich wurden die komplexen Strukturen des NS-Systems simplifiziert und Herrschaft und Gesellschaft als Blöcke einander gegenüber gestellt.4 Solch apologetische Darstellungen führten zur Annahme, die Universitäten seien durch die „nationalsozialistische „Machtergreifung“ 1933 ganz plötzlich vom „Dritten Reich“ vereinnahmt worden.5 Um einer Auseinandersetzung mit der Verantwortung für das eigene Verhalten zu entgehen, nährten viele die Vorstellung, der Nationalsozialismus sei nur ein „historischer Betriebsunfall“ gewesen, den die Hochschulen nicht zu verantworten gehabt hätten.6 Die Hochschulen waren jedoch nicht bloß „in den Nationalsozialismus verstrickt“, sie waren ein Teil des NS-Systems.7 Auch wenn manche Publikation den Eindruck zu erwecken suchte, der Nationalsozialismus sei ganz plötzlich in die Hochschulen eingedrungen, so waren doch

_____________ 3 Für die Universität Kiel in der NS-Zeit siehe Hans-Werner Prahl (Hrsg.), Uni-Formierung des Geistes. Universität Kiel im Nationalsozialismus, 2 Bd., Kiel 1995/2007; Christoph Cornelißen/Carsten Mish (Hrsg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel und der Nationalsozialismus, 2. Aufl. Essen 2010. Speziell zur Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Rechts und Rechtslehre im Nationalsozialismus, Baden-Baden 1992; Jörn Eckert, Die nationalsozialistische Umgestaltung der Juristenausbildung, insbesondere an der Universität Kiel, in: ders./Kjell A. Modeer (Hrsg.), Juristische Fakultäten und Juristenausbildungen im Ostseeraum, Lund 2002, 366– 410; Christina Wiener, Kieler Fakultät und „Kieler Schule“. Die Rechtslehrer an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zu Kiel in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung, Baden-Baden 2013. 4 Rüdiger Hachtmann, Interessengeleitete Wissenschaftsgeschichte. Auftragsforschung für Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, 2014, http://www.zeitgeschichte-online.de/thema/interessengeleitete-wissenschaftsgeschichte, 1. 5 Michael Grüttner, Die deutschen Universitäten unter dem Hakenkreuz, in: John Connelly/Michael Grüttner (Hrsg.), Zwischen Autonomie und Anpassung. Die Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn 2003, 67–100 (67ff.). 6 Dieser Verdrängungsmechanismus wirkte auch noch Anfang der achtziger Jahre: Als in Erinnerung an den 1933 entlassenen ehemaligen Direktor des Instituts für Internationales Recht eine studentische Initiative die Errichtung einer Walther-Schücking-Stiftung zur Erforschung der NS-Geschichte der Universität Kiel anregte, wurde dies im Senat wegen „politischer Einseitigkeit“ abgelehnt. Die Mehrheit der ProfessorInnen argumentierte, dass man dann ebenso Entgleisungen während der Studierendenbewegung der 1968er einbeziehen müsste: Hans-Werner Prahl, Die Hochschulen und der Nationalsozialismus, in: Prahl (Anm. 3), 7–50 (9f.). 7 Hachtmann (Anm. 4), 1.

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historisch sehr viel früher Entwicklungslinien angelegt, die zwar nicht konsequent und zwangsläufig auf nationalsozialistische Positionen zuliefen, aber dennoch den Boden für diese bereiteten.8 Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel war eine derjenigen Fakultäten, die nach dem Willen der NSWissenschaftspolitik priorisiert „gleichgeschaltet“ und zu einer nationalsozialistischen „Stoßtruppfakultät“ umstrukturiert werden sollten.9 Plan war, mittels einer umfassenden „Säuberungsaktion“ die Fakultät in den Dienst der Politisierung der Wissenschaft im Sinne einer „völkischen Rechtserneuerung“ zu stellen. Betroffen von diesen Aktionen war auch das Institut für Internationales Recht, dem in den folgenden zwölf Jahren eine Phase zwischen Identitätsaufgabe und Existenzbedrohung bevorstand.10 Wie reagierte man am Institut auf die neuen Umstände? Worüber wurde hier während der NS-Zeit geforscht und gelehrt? An dieser Stelle setzt der vorliegende Beitrag an. Er zeichnet Entwicklungen am Institut in Lehre und Forschung nach und beleuchtet das Wirken von dessen leitendem Personal in jenen Jahren.11 Dabei ist es Anliegen, einerseits auf Wandlungen und Brüche aufmerksam zu machen, andererseits auch Kontinuitäten herauszuarbeiten. Ziel dieses Beitrags kann und soll keine abschließende Darstellung historischer Ereignisse sein. Wenn der Beitrag auch mit einer Schlussbetrachtung endet, markiert dies keinesfalls einen Endpunkt, sondern allenfalls eine Grundlage für weitere kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kieler Instituts für Internationales Recht im Nationalsozialismus.

B. Der Umbau der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zur „Stoßtruppfakultät“ I. Personelle „Säuberungen“ und Umstrukturierungen In den historischen Darstellungen zur Weimarer Zeit wird die Kieler Rechtswissenschaftliche Fakultät übereinstimmend als ein Ort liberaler Gesinnung genannt. Zugeschrieben wird dies dem Einfluss der Personalpolitik des preußischen _____________ 8 Prahl

(Anm. 6), 12. Eckert, „Hinter den Kulissen“. Die Kieler Rechtswissenschaftliche Fakultät im Nationalsozialismus, Christiana Albertina 58 (2004), 18–32 (18f.). 10 O.A., Das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel. Lehre, Forschung und Wissenstransfer im Zeitraum 1976–2000, Kiel 2000, 16. 11 Als Primärquellen dienen in erster Linie das historische Personal- und Vorlesungsverzeichnis der CAU, die Akten des Instituts für Internationales Recht (IIR) von 1930 bis 1944, Akten des Landesarchivs Schleswig-Holstein (LASH) sowie die Veröffentlichungen aus dem Institut während des Nationalsozialismus. 9 Jörn

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Kultusministers Carl Heinrich Becker (1876–1933). Dieser soll seine Verbundenheit mit der Kieler Universität so ausgedrückt haben, dass sie für ihn unter den zwölf preußischen Universitäten die Sonderstellung einnehme, die der Apostel Johannes unter den zwölf Jüngern Jesu gehabt habe.12 Auch politisch exponierte Professoren wie Gustav Radbruch, Hermann Kantorowicz und Walther Schücking konnten so in Kiel lehren.13 Wahrscheinlich war gerade das liberale Klima an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge und Grund für die besonders radikalen Umstrukturierungen an der Christiana Albertina. Gleich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme am 30. Januar 1933 begannen an der Fakultät weitreichende „Säuberungsaktionen“.14 In mehreren Etappen wurden bis 1935 – mit einer Ausnahme – alle Ordinarien entlassen, beurlaubt oder versetzt.15 In ähnlicher Weise unterlag die gesamte Universität einem durchgreifenden Wandel, bei dem, wie der damalige Rektor Paul Ritterbusch anlässlich des 275-jährigen Bestehens der Universität im Jahre 1940 ausdrückte, „alle rassefremden und politisch untragbaren Elemente beseitigt und neue, junge Kräfte berufen wurden“.16 Zumindest strukturell wiesen die nationalsozialistischen „Gleichschaltungsprozesse“ an deutschen Universitäten ähnliche Merkmale auf. Wie an anderen deutschen Hochschulen auch wurde in Kiel die bisherige korporative Form der akademischen Selbstverwaltung ersetzt durch die Einführung des „Führerprinzips“.17 Senat und Fakultäten wurden ihre Rechte und selbst ihre beratende Stellung entzogen, Rektoren und Dekane unterlagen fortan als „Führer“ ihrer Einrichtungen nur der Befehlsgewalt des Staates. Im universitären Alltag, der oftmals weiter wie bisher in traditioneller Art und Weise funktionierte, wirkte _____________ 12 Erich Döhring, Geschichte der juristischen Fakultät 1665–1965 (= Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1665–1965, Band 3, Teil 1), Neumünster 1965, 185. 13 Claus-Nis Martens, Walther Schoenborn (1883–1956). Ein Staatsrechtslehrer in den verfassungsrechtlichen Epochen unseres Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1990, 63. 14 Christoph Cornelißen, Die Universität Kiel im „Dritten Reich“, in: Cornelißen/Mish (Anm. 3), 11–29 (12); Eckert, Kulissen (Anm. 9), 18ff. 15 Entlassen wurden (nach Beurlaubung) Hermann Kantorowicz (September 1933), Walther Schücking und Otto Opet (November 1933) sowie, auf eigenen Antrag nach wiederholten Anfeindungen, Werner Wedemeyer (Juni 1933). Zunächst versetzt, später zwangsweise in den Ruhestand verabschiedet wurden Hans v. Hentig (1933 nach Bonn, 1935 Ruhestand), Heinrich Hoeniger (April 1934 nach Frankfurt, 1935 Ruhestand), Gerhart Husserl (Oktober 1933 nach Göttingen, Mai 1934 Frankfurt, 1935 Ruhestand). Zwangsversetzt wurde Karl Rauch (Oktober 1933 nach Bonn). Zuletzt verließ 1935 Friedrich PoetzschHeffter Kiel, der bei einem Verkehrsunfall in Plön ums Leben kam, bevor er seinen Lehrstuhl in Leipzig übernehmen konnte: Wiener (Anm. 3), 62ff. 16 Paul Ritterbusch, Die Entwicklung der Universität Kiel seit 1933, in: Paul Ritterbusch u.a. (Hrsg.), Festschrift zum 275jährigen Bestehen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leipzig 1940, 447–466 (447). 17 Döhring (Anm. 12), 203ff.

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sich dies zumindest in den Anfangsjahren geringer aus, als die neue Lage es vermuten ließ. Nicht zuletzt das Chaos institutioneller Verantwortlichkeiten innerhalb der NSDAP und damit verbundene Unsicherheiten führten zur Schaffung von Freiräumen.18 Dennoch war das Regime im Großen und Ganzen erfolgreich in seinem Ziel, die Universitäten dem neuen System zu unterwerfen und ihre Autonomie so weit als möglich zu beschneiden.19 II. Die Entlassung Walther Schückings Die vom neuen Regime angestrebte „radikale Veränderung der Professorenschaft“20 an der Kieler Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät traf 1933 auch das Institut für Internationales Recht.21 Dessen Leitung hatte seit 1926 Walther Schücking (1875–1935) inne, bei dem vorauszusehen war, dass er sich dem neuen Kurs nicht anschließen würde.22 Den NationalsozialistInnen war Schücking aufgrund seiner „mangelnden nationalen Gesinnung“ und liberal-demokratischen sowie pazifistischen Überzeugung ein Dorn im Auge.23 Schon vor der „Machtergreifung“ war er Opfer von Angriffen aus nationalsozialistischen Kreisen der Studierendenschaft24 und wurde als „Völkerbundsjurist“25 diffamiert. Beispielhaft dafür ist ein Vorfall vom 30. Juni 1931, als ein Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) eine Tränengasbombe in die Menge warf, während Schücking eine Rede vor dem Demokratischen Studentenbund in der Kieler Seeburg hielt.26 Im Jahr zuvor hatte Schücking selbst _____________ 18 Michael Grüttner, Die „Säuberung“ der Universitäten: Entlassung und Relegation aus rassistischen und politischen Gründen, in: Joachim Scholtyseck/Christoph Studt (Hrsg.), Universitäten und Studenten im Dritten Reich. Bejahung, Anpassung, Widerstand, Berlin u.a. 2008, 23–39 (25f.); Klaus Hildebrand, Universitäten im „Dritten Reich“. Eine historische Betrachtung, ebd., 13–20 (15). 19 Hildebrand (Anm. 18), 15ff. 20 Bernd Rüthers, Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, München 1988, 42. 21 Näher Frank Bodendiek, Walther Schückings Konzeption der internationalen Ordnung. Dogmatische Strukturen und ideengeschichtliche Bedeutung, Berlin 2001, 74ff. 22 Vgl. Döhring (Anm. 12), 202. In einem Brief an seinen Freund Martin Rade äußerte sich Schücking am 29. August 1932 besorgt darüber, dass „das deutsche Bürgertum auf den Hitler-Schwindel hereinzufallen scheine“, zitiert bei Bodendiek (Anm. 21), 78. 23 Bodendiek (Anm. 21), 78. 24 Dokumentiert in Ralph Uhlig (Hrsg.), Vertriebene Wissenschaftler der ChristianAlbrechts-Univerisität zu Kiel (CAU) nach 1933. Zur Geschichte der CAU im Nationalsozialismus, Kiel 1991, 48f. Siehe auch Bodendiek (Anm. 21), 78. 25 Rüdiger Wolfrum, Nationalsozialismus und Völkerrecht, in: Säcker (Anm. 3), 89–101 (97). 26 Wiener (Anm. 3), 54; Ursula E. Heinz, 100 Jahre Walther-Schücking-Institut, in: Jost Delbrück u.a. (Hrsg.), Aus Kiel in die Welt: Kiel’s Contribution to International Law.

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auf eine NS-gesteuerte Beleidigungskampagne gegen den Kieler Theologieprofessor Otto Baumgarten hin eine Untersuchung initiiert, die eine Zwangsexmatrikulation zur Folge hatte.27 Immer häufiger kam es in jener Zeit zu Störungen von Schückings Veranstaltungen durch nationalsozialistisch gesinnte Studierende, die ihn aus Kiel vertreiben wollten.28 Wie an vielen anderen deutschen Universitäten auch waren die Studierenden eine treibende Kraft der „Gleichschaltung“.29 Sie wirkten aktiv an der Entlassung des Personals mit, indem sie „schwarze Listen“ erstellten oder einen Boykott von Lehrveranstaltungen organisierten.30 Warum ausgerechnet die Studierenden diejenige universitäre Gruppe waren, die sich als erste der nationalsozialistischen Ideologie zuwandte,31 lässt sich heute nur bedingt rekonstruieren. Höchstwahrscheinlich spielten der Verlust eines schichtspezifischen Selbstbewusstseins als gesellschaftliche Führungselite, fortschreitende ökonomische Verelendung, die Überfüllung der Hochschulen und die verstopften akademischen Berufswege eine Rolle.32 All dies ließ zunehmend Studierende an dem bisherigen klassischhumanistischen Bildungsideal zweifeln, das in ihren Augen Wissenschaft um ihrer selbst willen betrieb, aber zur Lösung der als immer prekärer empfundenen Überlebensprobleme wenig bis nichts beizutragen hatte.33 Nicht nur Studierende allerdings bekannten sich frühzeitig zum Nationalsozialismus, sondern auch viele Kieler Hochschullehrer. Von den 300 Professoren, die vor den Reichstagswahlen im März 1933 einen Appell für Adolf Hitler unterzeichneten, gehörten rund 40 dem 200 Personen starken Lehrkörper der Christian-Albrechts-Universität an.34 _____________

Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, Berlin 2014, 13–38 (18f.); Bodendiek (Anm. 21), 78. 27 Bodendiek (Anm. 21), 78. 28 Ursula E. Heinz, 75 Jahre Institut für Internationales Recht, in: Institut für Internationales Recht (Hrsg.), 75 Jahre Institut für Internationales Recht an der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel, Kiel 1989, 5–23 (10f.). 29 Volker Losemann, Reformprojekte nationalsozialistischer Hochschulpolitik, in: Karl Strobel (Hrsg.), Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert. Die Entwicklung einer Institution zwischen Tradition, Autonomie, historischen und sozialen Rahmenbedingungen, Vierow b. Greifswald 1994, 97–115 (97). 30 Grüttner, Hakenkreuz (Anm. 5), 73. 31 Joachim Scholtyseck, Die deutschen Eliten im Jahr 1933. War Widerstand möglich?, in: Andreas Wirsching (Hrsg.), Das Jahr 1933: Die nationalsozialistische Machteroberung und die deutsche Gesellschaft, Göttingen 2009, 110–131 (120). 32 Joachim Scholtyseck/Christoph Studt, Einleitung, in: Scholtyseck/Studt (Anm. 18), 3–10 (6). 33 Scholtyseck, Eliten (Anm. 31), 120. 34 Prahl (Anm. 6), 11.

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Als sich nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler Verunglimpfungen und Übergriffe seitens der nationalsozialistischen Studierendenschaft auf die gesamte Universität ausbreiten und es immer wieder zu Ausschreitungen kommt, die auch den Rektor August Skalweit treffen, wird auf Beschluss des Senats für drei Tage (12. bis 14. Februar 1933) die gesamte Kieler Universität geschlossen, auch das Institut für Internationales Recht.35 Im April 1933 wird Walther Schücking zwangsweise „beurlaubt“.36 Offiziell rechtfertigt man diesen Schritt mit der Belastung durch seine Tätigkeit als Richter des Haager Weltgerichtshofs.37 Im November 1933 wird er dann endgültig auf Grundlage von § 4 des Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums38 aus dem Staatsdienst entlassen.39 Schücking besucht Deutschland aus Angst vor dem NS-Regime nicht mehr und stirbt am 25. August 1935 im Alter von 60 Jahren im Haag.40

C. Das Institut in den ersten Jahren des Nationalsozialismus: 1933–1936 I. Die „Nachfolge“ Walther Schückings Nach der Beurlaubung und Entlassung von Walther Schücking wurde das Institut für Internationales Recht zunächst kommissarisch von Curt Rühland geleitet. Dieser war seit 1921 Erster Assistent am Institut und seit 192441 Abteilungsleiter für Internationales Privatrecht.42 Als nichtbeamteter außerordentlicher Professor (seit 1930) dürfte er nur eine Übergangslösung gewesen sein. Daher ging

_____________ 35 Akten

des IIR, Akte Nr. A2V, 79; Wiener (Anm. 3), 57f. CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnis WS 1933/34. 37 Wiener (Anm. 3), 63 Anm. 194. 38 Zusätzlich zu den „generalklauselartigen“ Entlassungen von „Parteibuchbeamten“ (§ 2), „Nichtariern“ (§ 3), der Versetzung und Degradierung von Beamten bei „dienstlichem Bedürfnis“ (§ 5), regelte § 4 des Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Entlassung von Beamten „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten[…]“. Die Voraussetzungen des § 4 waren „insbesondere dann erfüllt, wenn ein Beamter in Wort, Schrift oder durch sein sonstiges Verhalten gehässig gegen die nationale Bewegung aufgetreten ist, (oder) ihre Führer beschimpft hat […].“ 3. DVO zum BBG vom 6. Mai 1933 (RGBl. I, 245) Nr. 2 zu § 4, zitiert nach Martens (Anm. 13), 87f. 39 Über sein Ausscheiden aus dem deutsche Staatsdienst wurde Schücking in einem Brief seines ehemaligen Kollegen Curt Rühlands informiert: Bodendiek (Anm. 21), 79. 40 Bodendiek (Anm. 21), 81. 41 LASH, Abt. 47, Nr. 1841, 19. 42 Akten des IIR, Nr. A2V, 12; Heinz, 75 Jahre (Anm. 28), 11. 36 Vgl.

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die Leitung schon bald43 auf Walther Schoenborn über, der bereits seit 1919 der Fakultät als Professor angehörte und seit 1927 ein Ordinariat für öffentliches Recht bekleidete.44 Dem Institut für Internationales Recht war Schoenborn zuvor nicht verbunden, hatte aber seit längerem das Völkerrecht in Forschung und Lehre vertreten. Dass für die Leitung des international renommierten Instituts für Internationales Recht eine wenig prominente fakultätsinterne Lösung gesucht und gefunden wurde, dürfte illustrieren, welche Bedeutung dem Völkerrecht beim Aufbau der neuen „Stoßtruppfakultät“ – zumindest zunächst – beigemessen wurde.45 Der durch die Entlassung Schückings frei gewordene Lehrstuhl wurde für Öffentliches Recht, einschließlich Arbeits- und Wirtschaftsrecht umgewidmet und im November 1933 mit Ernst Rudolf Huber (1903–1990) besetzt, der Schücking bereits seit dessen „Beurlaubung“ im April des Jahres vertreten hatte. Huber, Schüler Carl Schmitts, der in jener Zeit (noch) „Kronjurist“ des Dritten Reichs war, war am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten.46 Gemeinsam mit Kollegen wie Georg Dahm, Karl Larenz, Karl Michaelis und Karl August Eckhardt sollte er als Mitglied der sogenannten „Kieler Schule“ eine „Rechtserneuerung“ im Dienste des NS-Regimes vorantreiben.47 _____________ 43 Wann genau die Direktion an Schoenborn überging, ist unklar. Im Personal- und Vorlesungsverzeichnis wird er erst ab SS 1935 als Direktor aufgeführt, zuvor wird Curt Rühland als „Stellvertreter des Direktors“ bzw. „stellvertretender Direktor“ genannt (ab WS 1933/34); die Verzeichnisse registrieren personelle Veränderungen aber erst mit Verspätung. Vermutlich hatte Rühland zunächst die kommissarische Leitung inne, bevor die Direktion 1934 an Schoenborn überging. Dies deckt sich mit den Angaben von Böhmert, wonach Schoenborn als Nachfolger von Niemeyer und Schücking 1934 die Leitung des Instituts übertragen wurde: Viktor Böhmert, Das 25jährige Jubiläum des Instituts für Politik und Internationales Recht an der Universität Kiel, Kieler Blätter 1939, 126f. Aus den Akten des IIR, Nr. A2V, 87 geht hervor, dass Rühland nach Entlassung Schückings als „der stellvertretende Direktor des Instituts“ den Schriftverkehr der Geschäftsführung übernahm. 44 Friedrich Volbehr/Richard Weyl, Professoren und Dozenten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: 1665–1954; mit Angaben über die sonstigen Lehrkräfte und die Universitäts-Bibliothekare und einem Verzeichnis der Rektoren, 4. Aufl. bearb. von Rudolf Bülck, abgeschlossen von Hans-Joachim Newiger, Kiel 1956, 41; Martens (Anm. 13), 60; Wiener (Anm. 3), 66. 45 Andreas v. Arnauld, 100 Jahre „Frieden durch Recht“. Das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, Christiana Albertina 79 (2014), 61–81 (67). 46 Huber trat für die „völlige Ausschaltung des Judentums“ ein und gehörte zur Gruppe jener Juristen, die die Nürnberger Gesetze vorbereitet haben. Darüber hinaus verfasste er 1937 eine Gesamtdarstellung des nationalsozialistischen Führerstaates mit dem Titel „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches“: Rüthers, Entartetes Recht (Anm. 20), 102ff. 47 Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970, München 2005, 168ff.

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II. Garanten der Kontinuität? Walther Schoenborn, Curt Rühland und Viktor Böhmert 1. Zwischen Anpassung und „innerer Ablehnung“ Die (Rechts-)Wissenschaft jener Zeit bestand aber nicht allein aus Vertretern der „Kieler Schule“ – nicht einmal in Kiel. Den Fokus allein auf jene zu richten, die als Begünstigte des NS-Regimes in ihre Stellung kamen und dafür bereitwillig in den Dienst der neuen Ideologie traten, würde den Blick darauf verstellen, wie unterschiedlich die bestehenden wissenschaftlichen Eliten in Deutschland auf den Anpassungsdruck der neuen Machthaber reagierten.48 Zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“ war die überwiegende Mehrheit der ProfessorInnen ihrer politischen Gesinnung nach national und konservativ. Wirkliche NS-Sympathisanten waren in der Minderheit. Die Zahl der offenen Kritiker des Regimes war allerdings noch geringer.49 Viele Nationalkonservative arrangierten sich mit den NationalsozialistInnen und begaben sich damit in eine „erschreckende Normalität der Produktion und des Einsatzes von Wissenschaft unter totalitärer Herrschaft“50. Die meisten verhielten sich nach der „Machtübernahme“ zunächst einmal „positiv abwartend, man passte sich den neuen Verhältnissen loyal distanziert an.“51 „Viele Professoren“, schreibt Erich Hofmann 1965 anlässlich des 300jährigen Jubiläums der Christian-Albrechts-Universität, „saßen [...] in ihren Studierstuben, freuten sich über die nationale Begeisterung, hofften, der Nationalsozialismus würde in der Regierung die üblen Auswüchse beseitigen, und dachten: es wird ja nicht so schlimm werden“.52 Die neuere Wissenschaftsgeschichte hat für diese Art von Verhalten den Begriff der „Kollaborationsverhältnisse“53 geprägt. _____________ 48 Weiterführend dazu Wolfgang Kunkel, Der Professor im Dritten Reich, in: Helmut Kuhn u.a., Die deutsche Universität im Dritten Reich. Acht Beiträge, München 1966, 104–133. 49 Prahl (Anm. 6), 13. 50 Ulfried Geuter, Die Professionalisierung der deutschen Psychologie im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1984, 15, zitiert nach Hildebrand (Anm. 18), 16. 51 Scholtyseck/Studt (Anm. 32), 6. Siehe auch Prahl (Anm. 6), 13. 52 Erich Hofmann, Die Christian-Albrechts-Universität in preußischer Zeit, in: Karl Jordan (Hrsg.), Geschichte der Christian-Albrechts-Universität 1665–1965, Band 1 (Allgemeine Entwicklung der Universität), Teil 2, bearb. von Erich Hofmann, Rudolf Jaeger, F. A. Schmidt-Künsemüller, Neumünster 1965, 9–115 (81). 53 Herbert Mehrtens, Kollaborationsverhältnisse. Natur- und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie, in: Christoph Meinel/Peter Voswinckel (Hrsg.), Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Nationalsozialismus. Kontinuität und Diskontinuitäten, Stuttgart 1994, 13–32.

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Zwar gab es auch kritische Stimmen gegen die neue undemokratische und faschistische Ordnung, allerdings differierten der Grad der Distanz und der Ablehnung erheblich.54 Die Distanz war auch nicht immer Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Teilweise resultierte sie daraus, dass unter dem neuen Regime das bisherige Sozialprestige und der geradezu für selbstverständlich gehaltene gesellschaftliche Führungsanspruch der Gebildeten in Frage gestellt schienen. Die Verflachung der Einkommenspyramiden und dass beispielsweise Dachdecker und Studienräte von den neuen Machthabern in einem Atemzug genannt wurden, war für viele AkademikerInnen eine Verletzung ihres akademischen Selbstwertgefühls.55 Ernsthafte Versuche, den Eingriffen des NS-Regimes entgegenzutreten, waren kaum zu verzeichnen. Die meisten HochschullehrerInnen haben sich stattdessen arrangiert – und kompromittiert. Gerade die junge Generation lockte das neue Regime mit verbesserten Karrierechancen, indem es zum einen durch Entlassungen freie Stellen schuf und zum anderen versprach, politische Linientreue zu fördern. Die „neuen Perspektiven“ halfen über den Verlust an Autonomie und Prestige, den die Hochschulen im „Dritten Reich“ erlitten, hinweg.56 Dies dürfte einer der Gründe gewesen sein, warum gerade Assistierende, Privatdozierende sowie nichtbeamtete ProfessorInnen in großer Zahl bereitwillig in die NSDAP eintraten. Die Funktionäre der Hochschulkommission der NSDAP und des NSDozentenbundes kamen überwiegend aus diesem Teil des Lehrkörpers.57 Bereits dies lässt erahnen, warum mit einer geschlossenen Abwehrreaktion der Hochschulen gegenüber den „Säuberungsaktionen“ nicht zu rechnen war.58 Auch die MitarbeiterInnen des Instituts für Internationales Recht standen in jener Zeit vor der Frage, wie sie sich zum NS-Regime stellen wollten. Walther Schoenborn war zwar neu am Institut, aber schon seit 15 Jahren Professor in Kiel; die beiden Abteilungsleiter, Curt Rühland und Viktor Böhmert gehörten dem Institut seit Niemeyers bzw. seit Schückings Zeit an. Damit lag das Institut

_____________ 54 Scholtyseck/Studt

(Anm. 32), 6f. (Anm. 32), 7. 56 Grüttner, „Säuberung“ (Anm. 18), 36ff. Siehe auch Detlev F. Vagts, International Law in the Third Reich, American Journal of International Law (AJIL) 84 (1990), 661– 704 (680). 57 Grüttner, „Säuberung“ (Anm. 18), 38. 58 Viel zitiert ist die pessimistische Antwort, die Max Planck als Präsident der KaiserWilhelm-Gesellschaft Otto Hahn gab, als dieser eine Protestaktion gegen die Massenentlassungen anregte: „Wenn heute 30 Professoren aufstehen und sich gegen das Vorgehen der Regierung einsetzen, dann kommen morgen 150 Personen, die sich mit Hitler solidarisch erklären, weil sie die Stellen haben wollen.“ Zitiert nach Grüttner, „Säuberung“ (Anm. 18), 25f. 55 Scholtyseck/Studt

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nach wie vor in vertrauten Händen.59 Waren die Genannten damit Garanten für Kontinuität oder kam es zu einem Bruch mit den bisherigen Aufgaben? 2. Walther Schoenborn Walther Schoenborn (1883–1956)60 war seit 1919 Professor für Staats-, Verwaltungs-, Völker- und Kirchenrecht an der Kieler Fakultät, zunächst als Extraordinarius, seit 1920 als Ordinarius.61 1927 wurde sein persönliches in ein planmäßiges Ordinariat für öffentliches Recht umgewandelt.62 Von den zehn Ordinarien der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät war er der einzige, der die tiefgreifenden personellen Umbesetzungen, Entlassungen und Vertreibungen im Zuge der NS-„Säuberungsaktionen“ überstand.63 Als deutschnational und konservativ bekannt, wurde Schoenborn vermutlich als ein Wissenschaftler eingeschätzt, der loyale Mitarbeit versprach.64 Zudem beantwortete er die in jener Zeit für das NS-Regime zentrale völkerrechtliche Frage in dessen Sinne: Wie ein roter Fa-den zieht sich seit der Weimarer Zeit das „Trauma von Versailles“ durch Schoenborns Publikationen.65 Immer wieder argumentiert er gegen die Zuweisung der Alleinschuld am Kriegsausbruch an Deutschland und für die Völkerrechtswidrigkeit des „Diktatfriedens“. Mit dieser Kritik am Versailler Vertrag stand Schoenborn keineswegs allein, sondern befand sich im Einklang mit der Mehrheit der deutschen VölkerrechtlerInnen der Zeit; selbst Walther Schücking sah in diesem Vertrag ein ungerechtes Diktat.66 Anders als bei Schücking jedoch _____________ 59 Akten

des IIR, Nr. A2V, 9ff.; Volbehr/Weyl (Anm. 44), 41. zum Lebenslauf Schoenborns Martens (Anm. 13). 61 Schoenborn wurde 1906 wurde über „Das Oberaufsichtsrecht des Staates im modernen deutschen Staatsrecht“ promoviert. Sein Doktorvater war Georg Jellinek. Zwei Jahre später habilitierte er sich mit der Arbeit „Studien zur Lehre vom Verzicht im öffentlichen Recht.“ Aufgrund seiner starken Kurzsichtigkeit konnte Schoenborn dem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg entgehen und übernahm stattdessen eine Lehrtätigkeit an der Tübinger Universität: Martens (Anm. 13), 60; Wiener (Anm. 3), 66. 62 Wiener (Anm. 3), 66. 63 Wiener (Anm. 3), 64. 64 Martens (Anm. 13), 88; Wiener (Anm. 3), 66. 65 Martens (Anm. 13), 83. Siehe nur Walther Schoenborn, Enthält der Artikel 231 des Versailler Friedensvertrages ein Urteil über die Verantwortlichkeit Deutschlands am Kriege?, Berliner Monatshefte 10 (1932), 736–751; dazu: Artikel 231: Eine Zuschrift von Prof. Le Fur mit einer Stellungnahme von Prof. Schoenborn, Berliner Monatshefte 10 (1932), 1002–1007; ders., Der Artikel 19 der Völkerbundssatzung, Berliner Monatshefte 11 (1933), 945–959; ders., Zur Vorgeschichte des Weltkrieges. Besprechung von: Hermann Oncken, Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Weltkrieges, Weltwirtschaftliches Archiv 39 (1934), 1–7. 66 Dazu näher Magnan Johannes Mohr, Zwischen Pazifismus und Patriotismus: Walther Schücking (1875–1935), in diesem Band. 60 Eingehend

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erstreckte sich Schoenborns ablehnende Haltung auch auf den Völkerbund. Viktor Böhmert beschrieb 1956 Schoenborns Haltung zur Frage des Völkerbundes rückblickend wie folgt: Wenn er auch anerkannte, daß der Völkerbund, und die in dessen Satzung vorgesehenen Einschränkungen des ius ad bellum schwachen Staaten wie Deutschland einen gewissen Schutz bieten konnten, so hat er im Grunde seiner Seele der neuen Völkerrechtsordnung, die an die Stelle der ihm wesensgemäßeren des 19. Jahrhunderts getreten war, nie verziehen, daß sie von den Siegermächten aus der Taufe gehoben war. Er glaubte nicht recht an ihre Dauer […].67

Von Schoenborn sind keine Aussagen bekannt, die eine ablehnende oder distanzierende Haltung gegenüber dem NS-Regime offenbaren würden, es gibt aber auch keine Hinweise darauf, dass er Anhänger der NS-Ideologie gewesen sein könnte. Schoenborn trat weder vor noch nach 1933 der NSDAP bei. Zwar war er Mitglied im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ)68, HochschullehrerInnen wurden jedoch zwangsintegriert.69 Allerdings war er (finanziell) Förderndes Mitglied der SS.70 Hinsichtlich der Anzahl und Inhalte seiner Veröffentlichungen ist er in jener Zeit nur wenig hervorgetreten,71 dennoch gibt es vereinzelt Beiträge, in denen Schoenborn die deutsche Außenpolitik anhand völkerrechtlicher Prinzipien rechtfertigt. Erwähnenswert ist hier vor allem ein Beitrag zur „Führerrede“ vom 21. März 1935, den er als Mitglied des Völkerrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht veröffentlicht.72 In Hitlers Rede erkennt Schoenborn ein „Bekenntnis zum Völkerrecht sowie die Anerkennung der Prinzipien der Staatengleichheit, dem Grundsatz pacta sunt servada, dem Grundsatz der Nichteinmischung eines Staates in die Verhältnisse fremder Staaten, der Notwendigkeit der

_____________ 67 Viktor Böhmert, Gedenkworte für Walther Schoenborn vom 12. Mai 1956, zitiert nach Martens (Anm. 13), 74. Wegen Schoenborns Haltung zum Völkerbund gab es laut Böhmert auch einen „Antagonismus“ zwischen Schoenborn und Schücking. Beide hätten sich zwar gegenseitig respektiert, Schückings pazifistische und liberal-demokratische Auffassungen seien dem „deutschnationalen“ und konservativen Schoenborn aber zu weit gegangen. 68 Martens (Anm. 13), 97f. 69 Vgl. Anordnung vom BNSDJ vom 20. Januar 1934, dass alle Hochschullehrer von ihren Veröffentlichungen einschließlich der Zeitungsaufsätze rückwirkend bis 1930 jeweils ein Exemplar dem BNSDJ zuschicken mussten, um eine inhaltliche (Selbst-)Kontrolle zu erreichen: Martens (Anm. 13), 98. 70 Wiener (Anm. 3), 253. 71 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Band 3: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914–1945, München 1999, 280. 72 Walther Schoenborn, Völkerrechtliche Betrachtungen zur Rede des Führers vom 21. Mai 1935, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (ZAkDR) 2 (1935), 937– 939. Dazu auch Stolleis, Geschichte III (Anm. 71), 280 Anm. 213.

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Friedenssicherung und der Genfer Rot-Kreuz-Abkommen.“73 Für das Scheitern völkerrechtlicher Kollektivabkommen wie des Versailler Vertrages macht Schoenborn nicht Deutschland, sondern die internationale Staatengemeinschaft verantwortlich, die sich ihrerseits nicht an die Vertragsverpflichtungen gehalten habe. Auch wenn Schoenborn sich hier nicht ideologisch im Sinne des Nationalsozialismus äußert, unterstützt er doch Hitlers Außenpolitik und würdigt den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund wie das Verlassen der Genfer Abrüstungskonferenz als eine mit dem Völkerrecht in Einklang stehende, ja sogar fortschrittliche völkerrechtliche Haltung. Ein aktiver, gestaltender Beitrag zur „Kieler Schule“ war von Schoenborn allerdings nicht zu erwarten. Seinem Kollegen Rudolf Smend gesteht er 1942 in einem Brief, dass er „nach 1933, eigentlich […] bis in diesen Krieg herein, eine seelisch und gesundheitlich ungute Periode“ gehabt habe und äußert sich abfällig über die „Ritterbusch-Leute“, die im Gefolge des neuen Institutsdirektors und Rektors der Universität, Paul Ritterbusch, nach Kiel gekommen waren, um die Politik der nationalsozialistischen Umgestaltung fortzusetzen.74 Vermutlich fühlte sich der als Einzelgänger und etwas sonderbarer Junggeselle75 bekannte Schoenborn durch die Idee einer „Stoßtruppfakultät“ in seiner Rolle als Wissenschaftler bedrängt. Dennoch wehrte er sich nicht gegen den Anpassungsdruck. Im Gegenteil, wie viele WissenschaftlerInnen während des „Dritten Reiches“ „schwamm er wie Treibholz mit dem Strom“76 und flüchtete sich in seine Forschung.77 Er konzentrierte sich zunehmend auf Themen, die politisch weniger angreifbar waren und bei denen er sein reiches historisches Wissen anbringen konnte.78 Damit profilierte er sich zwar nicht positiv im Sinne der NS-Ideologie, übernahm aber auch – wie viele andere in jener Zeit – keine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. _____________ 73 Schoenborn erläutert in dem Beitrag, dass die (damalige) Außenpolitik Hitlers mit traditionellen Grundsätzen des Völkerrechts in Einklang stehe. Hitler lehne den Grundgedanken kollektiver Zusammenarbeit zur Sicherung des europäischen Friedens außerdem nicht grundsätzlich ab. Im Gegenteil habe Hitler deutlich gemacht, dass Deutschland zu jedem Abkommen, welches reale Erfolge verspreche, bereit sei. Darüber hinaus setzte sich Hitler für die Humanisierung des Kriegsrechts ein, indem er ein „Verbot des Abwerfens von Gas-, Brand- und Sprengbomben außerhalb einer wirklichen Kampfzone“ fordere. 74 Brief Walther Schoenborns an Rudolf Smend vom 11. August 1942, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek (NdsSUB) Göttingen, Nachlass Rudolf Smend, Cod. Ms. R. Smend P 16. 75 Martens (Anm. 13), 91, 107, 119; Wiener (Anm. 3), 66. 76 Eckert, Umgestaltung (Anm. 3), 387. 77 Martens (Anm. 13), 91, 107, 119. 78 Im Sommersemester 1934 hielt Schoenborn letztmalig die Vorlesung „Allgemeine Staatslehre und Politik des modernen Staates“. Vom WS 1935/36 bis zum WS 1938/39 lehrte er dagegen „Das Deutsche Reich in seiner Außenpolitik von 1871 bis zum Weltkriege“, sowie „Der Weltkrieg“.

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3. Curt Rühland Curt Rühland (1891–1987) wurde 1921 Erster Assistent am Institut für Internationales Recht und übernahm am 1. April 192479 die Leitung der Abteilung für Internationales Privatrecht.80 1923 wurde er mit der Dissertation „Theorie und Praxis des Einflusses des Kriegsbeginns auf Staatsverträge“ promoviert. Sein Betreuer war Theodor Niemeyer.81 1925 habilitierte sich Rühland mit der Arbeit „Samuel Rachel, der Bahnbrecher des völkerrechtlichen Positivismus. Ein Beitrag zur Geschichte der Völkerrechtswissenschaft im siebzehnten Jahrhundert“.82 1930 wurde er zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor für Internationales Privatrecht und Völkerrecht ernannt, nachdem er seit 1925 regelmäßig Vorlesungen und Übungen zu diesen Themen angeboten hatte.83 Als Rühland nach Schückings Entlassung 1933/1934 kurzzeitig die kommissarische Leitung des Instituts übernahm, war er bereits mit den Aufgaben vertraut. Bedingt durch Schückings Amt als Richter des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, hatte Rühland schon in den Jahren vor 1933 immer öfter dessen Vertretung in Seminaren84 und im Alltagsgeschäft des Instituts übernommen.85 1934 führte er dann anstelle von Schücking auch die Mitherausgabe der „Zeitschrift für Völkerrecht“ fort.86 Auch die Veröffentlichungen des aus dem Weltkrieg als Invalide zurückgekehrten „Frontkämpfers“ Rühland lassen auf einen eher unpolitischen Rechtspositivisten schließen. Weit mehr als der 50-jährige Ordinarius Schoenborn jedoch bemühte er sich um Anpassung an den neuen Ton der Zeit. Einer seiner Beweggründe war vermutlich, dass er mit Anfang 40 noch immer auf seine erste Professur wartete, die er möglicherweise im Zuge der personellen Neuordnung an den deutschen Hochschulen zu erhalten hoffte. So stellte Rühland als kommissarischer Direktor des Instituts dessen Räumlichkeiten in der Dänischen Straße 15 zur Verfügung, als im Sommersemester 1933 ein Student, der Parteimitglied der NSDAP war, dort zwei Stunden wöchentlich eine Schulung zu Außenpolitik und Völkerrecht abhalten wollte. Stud. jur. Schneyder war Mitglied in der SS, als Referent für Rasse- und Siedlungsfragen dem Rasseamt in München unterstellt und _____________ 79 LASH,

Abt. 47, Nr. 1841, 19. A2V, 12. Siehe auch Heinz, 75 Jahre (Anm. 28), 11; dies., 100 Jahre (Anm. 26), 20. 81 Wiener (Anm. 3), 141. 82 Volbehr/Weyl (Anm. 44), 58, Wiener (Anm. 3), 141. 83 Vgl. Historisches Personen- und Vorlesungsverzeichnis der CAU 1925–1936. 84 Akten des IIR, Nr. A2V, 47. 85 Vgl. Akten des IIR, Nr. A2V, 80ff. 86 Wiener (Anm. 3), 122. Näher Andreas v. Arnauld/Laura Kresse, Zeitschriften am Institut für Internationales Recht. Das German Yearbook of International Law und seine Vorgänger, in diesem Band. 80 Akten des IIR, Nr.

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stand in Verbindung mit dem Außenpolitischen Amt der NSDAP.87 Mitte Oktober 1933 organisiert seine Arbeitsgemeinschaft am Institut eine öffentliche Veranstaltung mit Werner Daitz, stellvertretendem Chef des Außenpolitischen Amtes der NSDAP.88 Daitz hält einen Vortrag über die „Friedensmission des Nationalsozialismus“89 und einen weiteren zur „außenpolitischen Lage und den Plänen der Reichsregierung“, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit nur für Mitglieder des Seminars zugänglich ist.90 In einem Gespräch eröffnet Daitz Rühland, daß wissenschaftliche Institute wie dieses mit ihren erstaunlichen Schätzen noch in ganz anderer Weise wie bisher ausgenutzt werden müssten und daß das Außenpolitische Amt bei seiner Aufarbeitung im Kampfe um die Gleichberechtigung Deutschlands in der Welt das Institut einspannen müsste.91

Die Kreisleitung der NSDAP indes beendet die Arbeitsgemeinschaft, da das Seminar nicht intern mit der Parteiführung abgesprochen gewesen sei. Auch publizistisch bemüht Rühland sich in jenen Jahren um Anschluss an die NS-Ideologie. Besonders deutlich dokumentiert dies der Beitrag „Staatsverträge und nationalsozialistische Rechtsauffassung“, der 1934 in der „Zeitschrift für Völkerrecht“ erscheint.92 Neben Ausführungen zur Abschüttelung der deutschen Kriegsschuldlasten widmet sich Rühland hier der NS-Rassenlehre. Er führt aus, dass die nationalsozialistische Auffassung, wonach das Recht in der Rasse bzw. im Volkstum wurzele, zur Konsequenz habe, nicht mehr Staaten (oder gar Individuen), sondern Völker als Subjekte des Völkerrechts anzuerkennen. Diese „Zuerkennung eines Eigenwertes für jedes Volk“ sei eine Bedingung dafür, dass die Völker auf der gleichen rechtlichen Stufe stehen würden. In diesem Beitrag, offenkundig von der Demütigung Deutschlands in Versailles inspiriert, bleibt Rühlands Argumentation trotz Verwendung von NS-Schlagworten und -Konzepten noch innerhalb etablierter völkerrechtlicher Diskurse. In seinem Versuch, Nationalsozialismus und Völkerrecht zu versöhnen, verschließt er jedoch die Augen vor dem eigentlichen Sinn der NS-Rassenlehre – der Herrschaft eines „Herrenvolks“ über andere Völker. Ausdrücklich schreibt er: „Dieser Gedanke der Beherrschung fremder Völker ist der nationalsozialistischen Rechtsidee durchaus fremd.“93 _____________ 87 Akten

des IIR, Nr. A2V, 84f. des IIR, Nr. A2V, 84f. 89 Akten des IIR, Nr. A2V, 80. 90 Akten des IIR, Nr. A2V, 84f. 91 Akten des IIR, Nr. A2V, 87. 92 Curt Rühland, Staatsverträge und nationalsozialistische Rechtsauffassung, ZVR 18 (1934), 133–144. 93 Rühland, Staatsverträge (Anm. 92), 135. Er verweist dafür auf eine Reichstags-Rede Hitlers vom 17. Mai 1934. 88 Akten

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Ebenfalls betont juristisch setzt sich Rühland 1935 am selben Ort mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht im Deutschen Reich auseinander, wenn auch ein Ton der Empörung über die aus seiner Sicht antideutsche Haltung des Völkerbundes mitschwingt.94 Er verteidigt dort den Verstoß gegen den Versailler Vertrag durch Verweis auf die Möglichkeit der Suspendierung oder Beendigung vertraglicher Verpflichtungen nach der clausula rebus sic stantibus und auf die Verletzung der Abrüstungsverpflichtungen durch die alliierten Mächte – eine Argumentation, die in der deutschen Völkerrechtswissenschaft durchaus verbreitet war.95 Unerwähnt bleibt allerdings, dass die deutschen Maßnahmen zu einem Zeitpunkt erfolgten, als bereits Bewegung in die Abrüstungsverhandlungen gekommen war. Ein „politischerer“ Ton zeichnet sich 1937 in einigen Rezensionen Rühlands ab.96 Auch diese Texte lassen jedoch primär einen nationalkonservativen Geist erkennen und weisen keine Bekenntnisse zur NS-Ideologie auf. Seit 1935 war Rühland Mitglied in verschiedenen nationalsozialistischen Vereinigungen und bewarb sich später von 1938 bis 1945 um die Parteimitgliedschaft.97 Von 1935 bis 1945 war er Mitglied in Vereinigungen wie dem NS-Rechtswahrerbund sowie (von 1942 bis 1945) Mitglied des Nationalsozialistischen Dozentenbundes (NSDB). 1946 gab er in einem Fragebogen der Alliierten an, dass er im März 1933 die Leitung des Instituts sowie die Herausgabe der „Zeitschrift für Völkerrecht“ an nationalsozialistische Kollegen hätte abgeben müssen, da er „politisch untragbar gewesen sei“.98 Hier dürfte möglicherweise biographische Schönfärberei am Werk gewesen sein: Walther Schoenborn, der die Leitung des Instituts um 1934 von Rühland übernahm, hatte sich nicht mehr als Rühland positiv zum NS-Regime positioniert, und bei der „Zeitschrift für Völkerrecht“ firmierte Rühland noch als Mitherausgeber, als diese 1944 ihr Erscheinen einstellte.99 1937 wechselte Rühland, 46-jährig, endlich auf seine erste ordentliche _____________ 94 Curt Rühland, Der Beschluß des Völkerbundrates vom 17. April 1935 über die Frage der Rechtmäßigkeit des deutschen Wehrgesetzes vom 16. März 1935, ZVR 19 (1935), 131–146. 95 Vgl. Wolfrum (Anm. 25), 97f. 96 Curt Rühland, Rezension: Dietrich Westermann (Hrsg.), Beiträge zur deutschen Kolonialfrage, 1937, ZVR 21 (1937), 381–382; ders., Rezension: A. v. Verdroß, Völkerrecht, 1937, ZVR 21 (1937), 378–380; ders., Rezension: J. Suche, Der Meerengenvertrag von Montreux, 1936, ZVR 21 (1937), 382–383. 97 Wiener (Anm. 3), 141 98 Wiener (Anm. 3), 141. 99 Bis 1933 waren Herausgeber Max Fleischmann, Walther Schücking und Karl Strupp, die dem neuen Regime allesamt aus politischen bzw. rassistischen Gründen untragbar erschienen. Von 1934 an wurde die Zeitschrift von Gustav Adolf Walz (Breslau) „in Gemeinschaft mit“ Curt Rühland und Ernst Wolgast (Würzburg) sowie „in Verbindung mit“ dem Kieler Institut für Internationales Recht herausgegeben. Der Hauptherausgeber Walz war zwar in herausgehobener Weise NS-verstrickt; Rühland trat aber zeitgleich mit ihm

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Professur nach Greifswald,100 bevor er 1940 einem Ruf an die Universität Prag folgte. Aus Prag vor der anrückenden Roten Armee geflohen, erhielt er nach dem Krieg einen Lehrauftrag an der Technischen Universität seiner Heimatstadt Braunschweig, wo er 1987 starb. 4. Viktor Böhmert Viktor Böhmert (1902–1975)101 kam 1929 als Assistent ans Kieler Institut für Internationales Recht und wurde dort Leiter der Abteilung für Völkerbund.102 Der Kontakt zu Schücking war über seinen Vater hergestellt worden, der dem Bremer Landesverband der Deutschen Demokratischen Partei vorstand.103 Unter Schückings Betreuung entstand die Schrift „Der Art. 19 der Völkerbundssatzung“, mit der Böhmert im Juli 1933 in Kiel habilitiert wurde.104 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der politische Wind bereits scharf gedreht, was die erfolgreiche Durchführung des Habilitationsverfahrens ernsthaft gefährdete.105 Aufgrund seiner engen Zusammenarbeit mit Schücking, der ihn wiederholt zu Versammlungen des Republikanischen Klubs mitgenommen hatte, mutmaßte man im Wissenschaftsministerium, dass Böhmert Schückings politische Haltung teile. Durch die konsequente Unterstützung und Fürsprache der Fakultät wurde Böhmert dennoch habilitiert und konnte auch in der Folgezeit seine Stellung behalten. Böhmert selbst verwahrte sich gegen die Unterstellung „nationaler Unzuverlässigkeit“, blieb aber unter Beobachtung. Das Ministerium eröffnete der Universität, dass man die im Zuge des Habilitationsverfahrens geäußerten politischen Bedenken möglicherweise bei einer späteren Anstellung in Betracht ziehen werde.106 Die Abhängigkeit vom Wohlwollen des Wissenschaftsministeriums war auch eine finanzielle: Da sein Gehalt nicht ausreichte, erhielt Böhmert ab 1936 vom Ministerium ein Stipendium in Form einer Unterhaltshilfe von monatlich 95 RM. Für die Weiterbewilligung musste er wiederholt Anträge stellen, in denen er

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in den Kreis der Herausgeber ein, so dass eine Verdrängung durch Walz nicht ersichtlich ist. Vgl. näher v. Arnauld/Kresse (Anm. 86), in diesem Band. 100 Volbehr/Weyl (Anm. 44), 53; Stolleis, Geschichte III (Anm. 71), 280.; Wiener (Anm. 3), 141f. 101 Zu Böhmert Wiener (Anm. 3), 88ff. 102 Akten des IIR, Nr. A2V, 47. 103 LASH, Abt. 45, Nr. 460, 19. 104 Volbehr/Weyl (Anm. 44), 53. 105 Näher zu diesem Verfahren und der Rolle der Fakultät Wiener (Anm. 3), 87ff. 106 Schreiben des Ministers an den Universitätskurator vom 3. Dezember 1934, zitiert bei Wiener (Anm. 3), 91.

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seine wirtschaftliche Lage sowie Zugehörigkeit zur NSDAP, der SA oder ähnlichen Verbänden anzugeben hatte.107 Böhmert schrieb selbst, dass er das Stipendium benötige, da „ferner das Spezialstudium des Völkerrechts wegen der wenigen speziell für dieses Gebiet bestehenden Positionen und Lehraufträge nicht gerade einen goldenen Boden hat“.108 Der politische und finanzielle Hintergrund Böhmerts waren vermutlich Anlass für ihn, sich möglichst angepasst und unauffällig zu verhalten. Ähnlich wie Rühland trat auch Böhmert ab 1933 mehreren NS-Vereinigungen bei. Seit 1933 war er im Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps (NSKK), seit 1934 Mitglied im NS-Rechtswahrerbund, seit 1937 Mitglied der NSDAP und des NS-Altherrenbundes, seit 1939 Mitglied des NSDB, von 1937 bis 1939 Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV).109 Diese äußere Annäherung an die neuen Machthaber hat wenig Spuren in Böhmerts Wirken während jener Zeit hinterlassen. Bezüglich seiner Lehre ist es schwer möglich, eine Veränderung nach 1933 festzustellen, da er im Wintersemester 1933/34 überhaupt erstmals die allgemeine Vorlesung zum Völkerrecht übernahm. Zumindest dem Titel nach ist diese Veranstaltung der Anbiederung unverdächtig; anders scheint dies mit einer Vorlesung im Folgesemester gewesen sein: „Die europäischen Grenzen (insbesondere die deutschen Ostgrenzen) und das Völkerrecht“. Im Wintersemester 1934/35 lehrte Böhmert – der noch immer der Abteilung für Völkerbund vorstand – zu „Problemen des Völkerbunds“ und im Sommersemester 1935 zu dem auch schon in Weimarer Zeit politisch brisanten Thema „Minderheitenrechte“. In seinen Publikationen jener Zeit weicht Böhmert politisch kontroversen Themen weitgehend aus. Ab 1936 beschäftigt er sich fast ausschließlich mit Rechtsfragen der Fischerei in den nördlichen Gewässern, namentlich vor den Küsten jener Länder, vor denen deutsche Hochseefischer tätig waren. Die enzyklopädische Sammlung und Sichtung des Materials (in norwegischer, dänischer, isländischer, russischer und englischer Sprache) beanspruchte viel Zeit. Allein

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des IIR, Nr. A5, 1ff. des IIR, Nr. A5, 5. 109 Wiener (Anm. 3), 88. Laut Angaben in Böhmerts Entnazifizierungsverfahren trat er im September 1933 „auf Rat von Freunden“ dem NSKK bei und wurde „automatisch“ zunächst zum Rotten-, dann zum Scharführer befördert. Der NSDAP trat er am 1. Mai 1937 bei, als die örtliche Parteileitung alle Mitglieder des NSKK aufforderte, entweder Parteimitglieder zu werden oder aus dem NSKK auszuscheiden. Der Vorsitzende der Entnazifizierungskommission, Grunau, bemerkt: „Seine Überführung in die Partei 1937 war zwangsläufig und konnte nicht vermieden werden.“ LASH, Abt. 45, Nr. 460, 19. 108 Akten

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die Übersetzungsarbeit soll ein Jahr gedauert haben.110 Die Erträge seiner Forschung publizierte er in einer Aufsatzreihe in der „Zeitschrift für Völkerrecht“.111 Zudem erschienen die Aufsätze als Teil 1 eines Sammelwerks zu den nördlichen Fischereigrenzen, dessen Teil 2 nie veröffentlicht wurde. Auch während und nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Böhmert am Institut beschäftigt. 1943 übernahm er als außerordentlicher Professor den durch Wegberufung Richard Naumanns vakanten Lehrstuhl,112 den zuvor Ernst Rudolf Huber und Walther Schücking innehatten. Nach dem Tod Hermann v. Mangoldts wurde er 1953 bis 1954 kommissarischer Institutsdirektor, bevor er 1955 zum Ordinarius und Mitdirektor des Instituts für Internationales Recht ernannt wurde.113 1970 schied Böhmert aus dem Dienst aus. III. „Same procedure?“ Forschung und Lehre am Institut 1933–1937 Von der Auswechslung des Direktors abgesehen, gab es in den ersten Jahren des NS-Regimes am Institut für Internationales Recht keine personellen oder strukturellen Veränderungen. Bis 1937 blieben die bereits vor 1933 existierenden Abteilungen für Internationales Privatrecht und Völkerbund bestehen, letzteres immerhin bemerkenswert, war das Deutsche Reich doch schon im Oktober 1933 aus dem Völkerbund ausgetreten.114 Die Leitung dieser Abteilung lag noch immer bei Schückings früherem Assistenten Böhmert, die Leitung der IPR-Abteilung hatte seit 1924 Rühland inne. Der Eindruck entsteht, dass Schoenborn möglicherweise als neuer Direktor kein Interesse daran hatte, dem Institut eine andere Prägung zu geben. Ging also am Institut alles weiter wie bisher oder lässt sich ein Wandel in Forschung oder Lehre erkennen?

_____________ 110 Akten

des IIR, Nr. A2V, 47ff.; Nr. A5, 5f. Böhmert, Die isländische Fischereigrenze, ZVR 20 (1936), 385–433; ders., Die grönländische Fischereigrenze, ZVR 21 (1937), 46–86; ders., Die russische Fischereigrenze, ZVR 21 (1937), 441–495, ZVR 22 (1938), 257–306; ders., Die Spitzbergensche Fischereigrenze, ZVR 23 (1939), 317–338, 449–482. 112 Die Berufungsvereinbarung vom 15. Februar 1942 enthält zusätzlich zur Übernahme der Nachfolge Naumanns die Zusicherung: „Herr Prof. Dr. Böhmert wird zum Direktor bestellt werden.“ LASH, Abt. 811, 12143 (Personalakte Böhmert). 113 Stolleis, Geschichte III (Anm. 71), 280; Wiener (Anm. 3), 88ff. 114 Zum Hintergrund für den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund Wolfrum (Anm. 25), 97. 111 Viktor

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1. Veröffentlichungen aus dem Institut Die Publikationen in der Schriftenreihe des Instituts erscheinen in jener Zeit auch bei näherer Betrachtung „unverdächtig“. Rühland und Böhmert veröffentlichen gemeinsam 1934 eine Schrift zur französischen Besetzung des Saarlandes; die Arbeit ist eine nüchterne juristische Prüfung am Maßstab des Versailler Vertrags und verzichtet auf jedes nationale Pathos.115 Ebenfalls 1934 erscheint die Habilitationsschrift Viktor Böhmerts, die dem Revisionsartikel der Völkerbundsatzung gewidmet war116 – einem Thema, das Schücking am Herzen gelegen hatte, weil er hoffte, die Ungerechtigkeit des Versailler Vertrages innersystemisch korrigieren zu können. Im selben Jahr kommt eine weitere Arbeit heraus, die von Schücking inspiriert ist: „Die technischen Fragen des Küstenmeers“ von Fritz Münch.117 1937 erscheinen dann nach längerer Pause zwei Dissertationen,118 die zwar erneut aktuelle Themen aufgreifen, allerdings solche, die kaum in besonderem Maße deutsche Interessen betreffen, sondern durch das Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vom 4. Februar 1933 (Ostgrönland) bzw. durch Unklarheiten betreffend das Mandatssystem des Völkerbundes (Suezkanal) veranlasst sind. Außerhalb der Schriftenreihe publiziert Böhmert neben seinen bereits erwähnten Arbeiten zu den Fischereizonen zum Status der Freien Stadt Danzig119 sowie zum sog. Memel-Prozess in Litauen120, dessen Rechtsstaats- und Völkerrechtswidrigkeit er deutlich kritisiert – mit guten Gründen, aber auch im deutschen Interesse, waren die Hauptangeklagten doch Sympathisanten der NSDAP im Memelgebiet. Von Curt Rühland erscheinen, neben den oben diskutierten Arbeiten, 1933 seine Vorlesung an der Haager Akademie für _____________ 115 Curt Rühland/Viktor Böhmert, Die rechtliche Unzulässigkeit der Verwendung französischer Truppen im Saargebiet, Kiel 1934. 116 Viktor Böhmert, Der Artikel 19 der Völkerbundsatzung. Mit Exkursen über den Einfluß der Unmöglichkeit der Leistung auf völkerrechtliche Verträge, über Art. 8 Abs. 3 der Völkerbundsatzung und über die Stellung der Völkerbundpraxis zum Stimmrecht der Parteien, Kiel 1934. Zum Thema auch Walther Schoenborn, Der Artikel 19 der Völkerbundssatzung, Berliner Monatshefte 11 (1933), 945–959. 117 Fritz Münch, Die technischen Fragen des Küstenmeers, Kiel 1934. Walther Schücking hatte auf der Genfer Kodifikationskonferenz die Kommission für das Recht des Küstenmeeres geleitet. 118 Wolfgang Haver, Wurde Ostgrönland durch Dänemark in dem Zeitraum von 1921 bis 1931 okkupiert? Kiel 1937; Herbert Monath, Die Rechtslage am Suezkanal, Kiel 1937. Beide Diss. Kiel 1937. 119 Viktor Böhmert, Die Rechtsgrundlagen der Beziehungen zwischen Danzig und Polen, Berlin 1933; ders., Die Garantie der Verfassung der freien Stadt Danzig durch den Völkerbund, Danziger juristische Monatsschrift 1933, 99–103. 120 Viktor Böhmert, Der Memelprozeß, Völkerbund und Völkerrecht 2 (1936), 104–109; ders., Deutschland, die Hauptmächte, Litauen und Memel, JW 1935, 1595–1597. Zum Status des Memelgebietes siehe auch den Aufsatz von Walter Schätzel, Das Memelgebiet als völkerrechtliches Problem, Berliner Monatshefte 1936, 43–57.

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Internationales Recht zum Status juristischer Personen im Internationalen Privatrecht121, eine Textsammlung multilateraler völkerrechtlicher Verträge122 sowie eine größere Zahl an Buchrezensionen. Der publizistische Ertrag jener Jahre ist im Übrigen vom Umfang her überschaubar. Im Zeitraum von 1934 bis 1936 wurden am Institut fünf Promotionsverfahren abgeschlossen. Unter Betreuung von Curt Rühland entstanden vier Dissertationen, die unverdächtige Inhalte aufweisen: zum internationalen Schiedsverfahrensrecht123, zum Mandatssystem des Völkerbundes124 (beide möglicherweise noch unter Anleitung Schückings begonnen) sowie zwei Arbeiten zum Seekriegsrecht125. Hinzu tritt eine von Schoenborn betreute Arbeit, die trotz eines verfänglich klingenden Titels bloß einen nüchternen Rechtsvergleich geltender Gemeindeordnungen anstellt.126 Der Befund mag darauf hindeuten, dass sich in einem _____________ 121 Curt Rühland, Le problème des personnes morales en droit international privé, RdC 45 (1933), 287–475. 122 Curt Rühland, Systematisches Verzeichnis der völkerrechtlichen Kollektivverträge, in: Ernst Wolgast, Völkerrecht, Berlin 1934, 689–993. 123 Rudolf Neumann, Die Anfechtbarkeit internationaler Schiedssprüche aus den in der Person des Richters begründeten Mängeln, Diss. Kiel 1934. Ziel der Arbeit ist ein Kodifikationsvorschlag, zu dessen Erstellung sich der Autor mit der Rechtsstellung von Mitgliedern internationaler Schiedsgerichte sowie möglichen Rechtsmitteln gegen internationale Schiedssprüche auseinandersetzt. 124 Freimut Springe, Die Beendigung des völkerrechtlichen Mandats durch Zweckerreichung, Diss. Kiel 1934. Springe versucht hier, die durch die Beendigung des Irak-Mandats im Jahr 1932 aufgekommene Frage des rechtlichen Status der ehemaligen deutschen Kolonien und türkischen Provinzen zu beantworten. Dabei behandelt er ausführlich das Zustandekommen des Art. 22 der Völkerbundsatzung sowie die damit zusammenhängende Souveränitätsfrage. Des Weiteren thematisiert er Fragen der Annexion und Zession, bevor er am Ende eine Prüfung des Irak-Mandats vornimmt. 125 Richard Weskott, Das Privateigentum im Seekriegsrecht, Diss. Kiel 1935. Die Dissertation enthält einen umfassenden historischen Rückblick von der Antike bis zum Ersten Weltkrieg. In den die Arbeit abschließenden „rechtspolitischen Betrachtungen“ wendet sich der Verfasser gegen die Auffassung, durch das völkerrechtliche Kriegsverbot im Kelloggpakt sei das Kriegsrecht obsolet geworden, und kritisiert mit guten Gründen die „Vermischung von Strafrecht und Völkerrecht“ (125). Das Kriegsrecht müsse in jedem Krieg gelten, auch in dem der durch Verletzung des Völkerrechts entstanden sei. – Gerd Stadtländer, Die Verwendung von Minen im Seekrieg: eine völkerrechtliche Studie, Diss. Kiel 1936. Die Arbeit zeichnet nach einer Analyse des VIII. Haager Abkommens von 1907 ohne offenkundige Parteinahme die Entwicklung der Verwendung von Seeminen im Weltkrieg nach und mündet in Regelungsvorschläge, wie die Sicherheit der Schifffahrt und die militärischen Interessen der kriegführenden Parteien in Ausgleich gebracht werden können. 126 A[ndreas] Hilger, Das Verhältnis von Staat und Partei in der Gemeindeverfassung Deutschlands, Sowjetrußlands und Italiens, 1936. Dabei entzieht sich der Verfasser der Auseinandersetzung mit dem NS-Recht, indem er gleich zu Beginn die Rechtslage in Deutschland als bekannt voraussetzt und sich allein auf die Darstellung des sowjetischen und italienischen Rechts konzentriert. Lediglich insoweit wird das deutsche Recht kontrastierend herangezogen, als nach der NS-Rechtsauffassung „das Volk, das deutsche

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Bereich wie dem internationalen Recht, das noch außerhalb des Fokus der nationalsozialistischen „Rechtserneuerung“ stand, der tatsächliche (oder gefühlte) Anpassungsdruck in Grenzen hielt. Dazu passt es, dass die Fakultät zwischen 1934 und 1938 – also nach dessen Verfemung und Entlassung – mehreren von Walther Schücking betreuten Dissertationen die Druckerlaubnis erteilte. Drei von diesen thematisierten den Völkerbund, den Deutschland längst verlassen hatte.127 2. Grenzen des Machbaren? Das Promotionsverfahren Paul Ludwig Stocks Die Freiräume, welche die Beschäftigung mit dem internationalen Recht in den ersten Jahren der NS-Zeit noch bot, kannten Grenzen. Es galt zumindest alles zu vermeiden, was in Gegensatz zur NS-Ideologie gebracht werden konnte.128 Dies verdeutlicht das Promotionsverfahren Paul Ludwig Stocks.129 Stocks hatte unter Betreuung von Curt Rühland eine Arbeit mit dem Titel „Die Heimstätte für das jüdische Volk“ geschrieben, in der er Rechtsfragen der Schaffung eines jüdischen Nationalstaates sowie die Rolle der Jewish Agency für einen solchen Prozess behandelte. Die Arbeit wurde im Sommersemester 1932 bei der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät als Dissertation eingereicht. Während des laufenden Promotionsverfahrens wurde der Kandidat 1933 aufgefordert (von wem ist nicht überliefert), „die Arbeit aufgrund ihres diffizilen Themas zurückzuziehen“. Auf diese Weise wurde das Verfahren abgebrochen, möglicherweise in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den neuen Machthabern. Im November 1988 beschloss die Kieler Rechtswissenschaftliche Fakultät, die Promotion nach den 1932 geltenden Bestimmungen und Beurteilungsmaßstäben zu vollziehen. Das Erstgutachten für die Arbeit, die unter dem leicht veränderten Titel „Die

_____________

Volk, als konkrete Lebens- und Wirklichkeitserscheinung den ersten schlechthin beherrschenden Rang einnimmt“ (73f). 127 Ekkehard Geib, Das Verhältnis der Völkerbundssatzung zum Kelloggpakt, 1932, Imprimatur 1934; Robert Albrecht Lienau, Stellung und Befugnisse des Präsidenten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, 1929, Imprimatur 1938; Robert Plagge, Probleme des eigenen Nachrichten- und Beförderungsverkehrs des Völkerbundes, 1933, Imprimatur 1938. Des Weiteren Hans K.E.L. Keller, Gegenreich Frankreich. Geschichte des westlichen Internationalismus, 1932, Imprimatur 1935; Bernhard Herzog, Der Begriff der Ratifikation und die Bedeutung seiner Technik für das Völkerrecht, 1930, Imprimatur 1936; Hans-Ludwig Martens, Das Recht der Nacheile zur See, 1933, Imprimatur 1937. 128 Michael Grüttner, Universität und Diktatur, in: Connelly/Grüttner (Anm. 5), 265–276. 129 Zum Folgenden [Paul] Ludwig Stocks, Die Rechtstellung der Jewish Agency, insbesondere deren Bedeutung für die Errichtung des jüdischen Nationalheims, Diss. Kiel 1988, Vorwort.

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Rechtstellung der Jewish Agency, insbesondere deren Bedeutung für die Errichtung des jüdischen Nationalheims“ neu eingereicht wurde, erstattete der damalige Mitdirektor des Instituts für Internationales Recht, Rüdiger Wolfrum. 3. Neue Akzente in der Lehre Im Vergleich zu den Publikationen zeichnet sich im Bereich der Lehre eine deutlichere Abkehr von den Themen der Ära Schücking ab. Unter Schücking waren Forschung und Lehre geprägt von seiner pazifistischen Einstellung und der Überzeugung, dass eine internationale Friedensordnung durch Recht möglich sei.130 Er hatte den völkerrechtlichen Lehrplan um Vorlesungen wie „Idee, Geschichte und Organisation des Völkerbunds“, „Kodifikation des Völkerrechts“ sowie „Geschichte der Friedensidee“ ergänzt.131 Diese Lehrveranstaltungen waren nicht mit der Politik der neuen NS-Herrschaft vereinbar. Laut Ankündigung im Vorlesungsverzeichnis sollte Schücking im Sommersemester 1933 noch die Veranstaltung zur Geschichte der Friedensidee halten, die ihm besonders am Herzen lag; hierzu sollte es nicht mehr kommen. Nach seiner Vertreibung wurde diese Vorlesung nicht von einer anderen Lehrkraft übernommen, sondern aus dem Vorlesungsverzeichnis gestrichen. Auch ansonsten lässt das Lehrtableau eine Akzentverschiebung erkennen: weg von der Idee institutionalisierter Friedenssicherung und hin zu einer nationalen Perspektive auf das internationale Recht.132 Schoenborn hielt neben der Vorlesung zum allgemeinen Völkerrecht (WS 1933/34) Kollegs zu „Das Deutsche Reich in seiner Außenpolitik von 1871 bis zum Weltkrieg“ (WS 1935/36) und zur Kriegsschuldfrage (SS 1935). Böhmert las „Die europäischen Grenzen, insbesondere die deutschen Ostgrenzen und das Völkerrecht“ (SS 1934), „Der Völkerbund und seine Probleme“ (WS 1934/35), „Deutschland und der Völkerbund“ (WS 1935/36) und „Recht der nationalen Minderheiten“ (SS 1935, SS 1936). Rühland hielt Vorlesungen und Übungen zum allgemeinen Völkerrecht (WS1935/36) und internationalen Privatrecht (SS 1936), sowie letztmalig im Wintersemester 1935/36 zu den „Diplomatisch-völkerrechtlichen Mitteln zur Schlichtung von Staatenstreitigkeiten“.

_____________ 130 Bodendiek

(Anm. 21), 74ff. CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse 1926–1933. 132 Zum Folgenden CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse 1933–1936. Inwieweit die dort angeführten Lehrveranstaltungen wirklich stattgefunden haben und in welcher Form, muss offen bleiben. 131 Vgl.

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Mehr als nur eine Akzentverschiebung lassen die Vorlesungen erkennen, die Hermann J. Held133 ankündigte. Held (1890–1963), 1920 kurzzeitig Erster Assistent am Institut für Internationales Recht, war seit 1921 Dezernent am Institut für Weltwirtschaft; 1927 habilitiert, verdiente er 1933 mit 43 Jahren den Unterhalt für sich und seine Familie noch immer mit Lehraufträgen. Die Hinwendung zu NS-Themen in seinen Schriften134 findet eine Entsprechung in seiner Lehrtätigkeit: Neben den Vorlesungen zum Außen- (SS 1935) und Weltwirtschaftsrecht (WS 1933/34, SS 1936), die er schon seit längerem hielt, übernahm er nicht nur die etablierten Vorlesungen zur friedlichen Streitbeilegung (WS 1934/35, WS 1935/36), sondern las zum Kriegsrecht (WS 1933/34, WS 1935/36, SS 1936), zum „Diktat von Versailles“ (SS 1934) sowie zur „Völkerrechtspolitik des Nationalsozialismus“ (SS 1934). 4. Identitätswandel durch national-konservative Ausrichtung Bei den Mitgliedern des Instituts für Internationales Recht finden wir in den ersten Jahren nach 1933 eine im deutschlandweiten Vergleich geringe Anbiederung an die NS-Ideologie (im Fall Rühlands). Statt nationalistisches Pathos bestimmt weitgehende Sachlichkeit den Tonfall der Publikationen. Themen der Weimarer Zeit werden fortgeführt; strukturell und personell hat lediglich ein Wechsel der Institutsleitung stattgefunden. Trotz all dieser Kontinuität auf den ersten und auf den zweiten Blick, ist ein Identitätswandel zu verzeichnen. Dieser kommt weniger darin zum Ausdruck, was geschrieben und gelehrt wird, als darin, was nicht mehr geschrieben und gelehrt wird. Dem Einfluss der pazifistischen Ideen Walther Schückings auf das Geschehen am Institut wurde durch dessen Entlassung ein Ende bereitet. Mit ihm verschwand die Forderung nach einer internationalen Friedensordnung, die er stets vehement verteidigt hatte. Ebenso wie viele andere Völkerrechtler kritisierte auch Schücking den Umgang mit Deutschland nach Ende des Ersten Weltkriegs in vielem als ungerecht und suchte nach völkerrechtlichen Lösungen. Die deutsche Perspektive jedoch tritt nach seiner Vertreibung in den Vordergrund und verdrängt die internationale.

_____________ 133 Zu Held Volbehr/Weyl (Anm. 44), 58; Wiener (Anm. 3), 143f.; Völkerrechtliche Habilitationen in Kiel seit 1880, im Anhang zu diesem Band. Eingehend Henning Ibs, Hermann J. Held (1890–1963). Ein Kieler Gelehrtenleben in den Fängen der Zeit, 2000. 134 In seinen Publikationen löst sich Held schon früh von der völkerrechtimmanenten Argumentation in Bezug auf die NS-Außenpolitik. Er baut auf eine rassistischen Verwendung der Begriffe „Lebenskraft“, „Kultur“ und „lebenswichtigen Interessen“. In der Schrift „Volk, Recht und Staat im Lichte deutscher Rechtserneuerung: Staats- und rechtswissenschaftliches Denken der deutschen Gegenwart“ (Berlin 1935), kommt Held zu dem Schluss, dass ein Völkerrecht zwischen Volksgemeinschaften unterschiedlicher Rassen problematisch sei.

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In ihren Veröffentlichungen kritisieren Mitglieder des Instituts die Saarbesetzung, die Memel-Prozesse, die Behandlung Danzigs durch Polen, sie rechtfertigen außenpolitische Akte des Deutschen Reichs wie das Verlassen der Abrüstungskonferenz oder den Austritt aus dem Völkerbund. Solche Versuche, deutschen Interessen eine Grundlage im geltenden Völkerrecht zu verschaffen, sind beispielhaft für eine Kollaboration zwischen Wissenschaft und dem NS-Regime. Für eine Kollaboration war es nicht notwendig, dass man sich offen zum Nationalsozialismus bekannte. Bereits der Versuch einer völkerrechtlichen Rechtfertigung der NS-Außenpolitik reichte aus, um dem Regime Legitimation durch die akademische Elite zu sichern. Dies nützte dem Versuch des Regimes in der Phase von 1933 bis 1937, mit Hilfe völkerrechtsimmanenter Argumentation die Lasten des Weltkriegs abzuschütteln.135 Solange sich das Regime gegen den Versailler Vertrag mit juristischen Argumenten wehrte, war eine Leugnung des Völkerrechts selbst aus seiner Sicht inopportun. Nicht nur das einstweilen fehlende Interesse des NS-Regimes, das Völkerrecht in den ideologisierenden Umbau des Rechts einzubeziehen, dürfte ursächlich dafür gewesen sein, dass die Forschung am Institut für Internationales Recht weiterhin vertrauten Bahnen folgen konnte. Hinzu kam die Leitung durch den dem neuen Regime eher vorsichtig-distanziert gegenüberstehenden Walther Schoenborn. Er, der der Fakultät länger als alle anderen Ordinarien angehörte, konnte als „Vermittler traditioneller Grundsätze“136 wirken. Auch der radikale Umbau an der Kieler Universität und ihrer Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät konnte nicht auf Kontinuität verzichten; ungeachtet der fast völligen Erneuerung des Leitungspersonals und einschneidender organisatorischer Maßnahmen lebten daher manche Traditionen weiter fort.137 Dies mochte darüber hinwegtäuschen, dass keineswegs die „same procedures“ die Arbeit bestimmten, sondern dass das Feld dessen, was man sagen durfte (oder was man meinte, sagen zu dürfen), in wesentlichen Teilen enger geworden war. Anders als Schücking waren Schoenborn, Rühland und Böhmert in ihren juristischen Arbeiten seit jeher weniger politisch hervor getreten, so dass sie – ohne sich vor sich selbst kompromittieren zu müssen – weiterhin nüchtern-sachlich Arbeiten zum positiven Völkerrecht schreiben konnten, wo es der „deutschen Sache“ im Sinne der neuen Machthaber förderlich schien. Nicht nur Schückings Themen allerdings, auch _____________ 135 Wolfrum

(Anm. 25), 97. (Anm. 12), 205. 137 Nicht nur die Fakultät, sondern auch das Kultusministerium knüpfte an bewährte Überlieferungen an. Ein Beispiel dafür ist Bekräftigung der Regel, dass neuberufene Dozierende im Allgemeinen zwei Jahre auf der übernommenen Stelle verbleiben mussten und vorher keinen anderweitigen Ruf annehmen durften. Allerdings wurde von dieser Regelung auch abgewichen: Döhring (Anm. 12), 205f. 136 Döhring

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sein völkerrechtspolitischer Einsatz für die Friedensidee hatten mit seiner Entlassung aufgehört, die Arbeit an „seinem“ Institut zu prägen.

D. Das Institut unter Paul Ritterbusch: 1937–1941 I. Umstrukturierung in „Institut für Politik und Internationales Recht“ Ein offener Bruch mit der bisherigen Ausrichtung des Instituts fand mit der Übernahme der Institutsleitung durch den nationalsozialistischen Wissenschaftsfunktionär Paul Ritterbusch (1900–1945)138 statt. 1936 wurde Ritterbusch, der bereits seit den späten 1920er Jahren Anhänger und seit 1932 Mitglied der NSDAP war,139 aus Königsberg nach Kiel auf einen Lehrstuhl für Verfassungs-, Verwaltungs-, Völkerrecht und Rechtsphilosophie berufen.140 Die Stelle war vakant, nachdem Fritz Poetzsch-Heffter (1883–1935), seit 1932 Professor für Staats- und Verwaltungsrecht in Kiel, 1935 nach Leipzig berufen worden war.141 Im Zuge der Neuberufung kam es Ende 1937 zu einem Zusammenschluss des Instituts für Internationales Recht mit Ritterbuschs von Königsberg nach Kiel transferiertem142 „Institut für Politik, ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ und zur Umbenennung in „Institut für Politik und Internationales Recht an der Universität Kiel“.143 Walther Schoenborn blieb als Stellvertreter Ritterbuschs

_____________ 138 Ausführlich zu Ritterbusch Frank-Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaftenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940–1945), 3. Aufl. Heidelberg 2007. 139 Ritterbusch war bereits seit 1927/28 in der Partei aktiv und seit 1932 Parteimitglied: Wiener (Anm. 3), 141 Anm. 6; Heinz, 100 Jahre (Anm. 26), 20. 140 Volbehr/Weyl (Anm. 44), 46. 141 Volbehr/Weyl (Anm. 44), 66. 142 Dieses Institut residierte zunächst in der Hospitalstraße 19, vgl. CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnis, SS 1936, 23. Solche Transfers scheinen in jener Zeit nicht unüblich gewesen zu sein. Mit Versetzung Poetzsch-Heffters nach Leipzig wurde auch dessen (Kieler) „Institut für Staatsforschung“ dorthin verlegt. Nach seinem plötzlichen Unfalltod verfügte das Ministerium die Verlegung nach Berlin, wo noch 1935 Reinhard Höhn dessen Leitung übernahm: Lothar Becker, „Schritte auf einer abschüssigen Bahn“. Das Archiv des öffentlichen Rechts und die deutsche Staatsrechtswissenschaft im Dritten Reich, Tübingen 1999, 142 Anm. 59. 143 Vgl. Verfügung des Kurators (Nr. 34712) vom 16. Dezember 1937, LASH, Abt. 47, Nr. 1830, 8.

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Mitdirektor des Doppelinstituts.144 Ritterbusch war aufgrund der Fülle seiner Ämter allerdings so beschäftigt, dass die eigentliche Geschäftsführung bei Schoenborn lag.145 Dieser genoss sowohl hinsichtlich der Leitungsfunktion als auch in Hinblick auf die völkerrechtliche Forschung offenbar beträchtliche Freiheit, weil Ritterbusch von dessen großem historischen und völkerrechtlichen Wissen begeistert gewesen sein soll und ihn geradezu „anbetete“146. Mit der Fusion der beiden Institute ging eine Neustrukturierung einher. Aus den bislang zwei Abteilungen (Völkerbund, Internationales Privatrecht) des Instituts für Internationales Recht wurden vier: Politik (Staatslehre), Politische Auslandskunde, Völkerrecht und Internationales Privatrecht.147 Die von „Völkerbund“ in „Völkerrecht“ umgewidmete Abteilung stand unter der Leitung Schoenborns, Böhmert übernahm die durch Berufung Rühlands nach Greifswald vakante Leitung der Abteilung für Internationales Privatrecht. Die Abteilung für Staatslehre (Politik) leitete Ritterbusch selbst, die „politische Auslandskunde“ vertraute er einem seiner Protegés an. Schon in dieser Neuausrichtung der Abteilungen zeigt sich beispielhaft die Anpassung wissenschaftlicher Institutionen im Deutschen Reich im Sinne der NS-Machthaber. Dazu gehörte vielerorts die Einrichtung neuer Institute, Studiengänge und Vorlesungen, welche die herrschende Ideologie im Gewand der Wissenschaft propagierten. Daneben standen bereits bestehende Institute und Lehrstühle unter dem Druck, die offizielle Ideologie zu übernehmen oder zumindest alles zu vermeiden, was sie in Gegensatz zu dieser bringen konnte.148 Mit der Übernahme des Direktorats durch Ritterbusch veränderte sich der Schwerpunkt der Institutsarbeit. Das Völkerrecht blieb zwar in erster Linie bewährten Kräften (Schoenborn, Böhmert) anvertraut; tonangebend waren aber Ritterbusch und sein Gefolge. Ritterbusch war selbst kein Völkerrechtler. Seine Schwerpunkte lagen im Bereich des Staatsrechts, der Verfassungs- und Ideenge-

_____________ 144 Akten des IIR, Organisation und Entwicklung 1937–1944, 60. Siehe auch Verfügung des Kurators vom 16. Dezember 1937 (Anm. 143): „Über die planmäßigen Mittel beider Institute […] verfügt künftig der neue Direktor des Gesamtinstituts oder im Behinderungsfall der Mitdirektor.“ 145 Stolleis, Geschichte III (Anm. 71), 281f. 146 Karl Larenz an Edzard Schmidt-Jortzig, Brief vom 26. März 1988, zitiert nach Martens (Anm. 13), 110. 147 Vgl. CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnis SS 1938. 148 Grüttner, Diktatur (Anm. 128), 265ff.

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Paul Ritterbusch (1900 – 1945)

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schichte,149 die heutige Politikwissenschaft in Kiel sieht in ihm einen, schwierigen, Vorläufer.150 Die Wahl des Ministeriums war aber auch nicht aus fachlichen Gründen auf Ritterbusch gefallen, sondern wegen seiner Fähigkeiten als Organisator.151 Er sollte den weiteren Umbau von Fakultät und Universität im nationalsozialistischen Sinne leiten, nachdem sich die „Kieler Schule“ durch institutionelle Auseinandersetzungen und personellen Aderlass weitgehend aufgelöst hatte.152 Aufgrund seiner führenden Stellung im NS-Dozentenbund und durch sein Amt als Rektor von 1937 bis 1941 wurde Ritterbusch zur einflussreichsten Person des Juristenkollegiums.153 Er bezeichnete sich selbst als einen der wenigen Hochschullehrer, die sich stets zum Nationalsozialismus bekannt haben.154 Aus studentischer Sicht heißt es über ihn: Ein energischer und einsatzbereiter Kämpfer für die Idee der nationalsozialistischen Universität, der sich vor allem der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit im nationalsozialistischen Staat mit starkem Verantwortungsbewusstsein und stets eindeutiger politischer Haltung widmet, als Rektor, Dozentenschaftsleiter und Dozentenbundsführer in Kiel, als Führer der Reichsfachgruppe Hochschullehrer im NSRechtswahrerbund und als wissenschaftlicher Schriftsteller.155

Mit der Neuorganisation des Instituts für Politik und Internationales Recht sollte dessen Forschung bewusst in den Dienst der nationalsozialistischen Rechtserneuerung gestellt werden.156 Garanten hierfür waren junge Wissenschaftler, die dem Nationalsozialismus verbunden waren und die durch Ritterbusch ans Institut geholt wurden. Dazu gehörten allen voran Richard Naumann (1906– 1978), der nach dem Weggang Ernst Rudolf Hubers nach Leipzig 1938 zunächst

_____________ 149 Vgl. Döhring (Anm. 12), 203. Döhring irrt, wenn er schreibt, dass mit Ritterbusch „auf diesen, in erster Linie dem Völkerrecht gewidmeten Lehrstuhl kein Spezialist für dieses Fach“ berufen worden sei. Ritterbuschs Lehrstuhl war das öffentlich-rechtliche Ordinariat, das vor ihm Poetzsch-Heffter (1931–35), Holstein (1929–31), Jellinek (1919– 29), van Calker (1913–19) und Hänel (1867–1911) innehatten. Der „in erster Linie dem Völkerrecht gewidmete“ Lehrstuhl Schückings war bereits 1933 öffentlich-rechtlich umgewidmet und an Ernst Rudolf Huber vergeben worden. 150 Elena Pieper, Das Institut für Politik und Internationales Recht. Politikwissenschaft im Nationalsozialismus?, https://sechzigjahre.wordpress.com/das-institut-fur-politik-und-interna tionales-recht-politikwissenschaft-im-nationalsozialismus-2/ (besucht am 20. Mai 2016). 151 Stolleis, Geschichte III (Anm. 71), 280 Anm. 215. 152 Jörn Eckert, Die Juristische Fakultät im Nationalsozialismus, in: Prahl (Anm. 3), Bd. 1, 51–85 (77ff.); Wiener (Anm. 3), 123f. 153 Döhring (Anm. 12), 203. 154 Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil II: Die Kapitulation der Hohen Schulen. Das Jahr 1933 und seine Themen, Bd. 2, München u.a. 1994, 396. 155 Heiber (Anm. 154), 396. 156 Döhring (Anm. 12), 203.

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als Lehrstuhlvertreter nach Kiel kam,157 und Hans-Helmut Dietze (1911–1946), der ab 1939 als Assistent am Institut arbeitete.158 Mit Naumann und Dietze holte sich Ritterbusch zwei überzeugte Anhänger der NSDAP zur Verstärkung ans Institut. Naumann, der Ritterbuschs Vorliebe für Ideengeschichte und Verfassungsvergleichung teilte, war im Schwerpunkt Verwaltungsrechtler; in seinen Arbeiten setzte er sich vor allem mit der nationalsozialistischen Neugestaltung des Verwaltungsrechts auseinander.159 Hans-Helmut Dietze war ein Schüler von Ernst Wolgast und wurde 1933 in Rostock mit der Arbeit „Johann Oldendorp als Rechtsphilosoph und Protestant“ promoviert. In seiner Habilitation (ebenfalls bei Wolgast) widmete er sich dem „Naturrecht in der Gegenwart“. Die Schrift wurde 1936 in Würzburg angenommen, allerdings fiel Dietze bei der Lehrprobe in Breslau durch.160 Durch Fürsprache Ritterbuschs wurde die Lehrprobe an der Universität Kiel wiederholt. Dietze engagierte sich in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen. Er war Hochschulbeauftragter der HJ und seit 1937 Fachgruppenleiter Rechtswissenschaft im NSDStB. In seinen Publikationen tritt er für ein rassistisches Naturrecht ein, außer in seiner Habilitationsschrift vor allem in dem furchtbaren Aufsatz „Naturrecht aus Blut und Boden“161. Passend zu seinem Amt als HJ-Funktionär veröffentlichte Dietze außerdem Beiträge zur verfassungsrechtlichen Stellung der Hitler-Jugend.162 In seinen Publikationen präsentiert Dietze sich als fanatischer Nationalsozialist: rassistisch, nationalistisch, aggressiv-polemisch und mit klaren Feindbildern. Als Fakultätsassistenten arbeiteten in jener Zeit Egloff v. Tippelskirch, Anton Baehr, Günter Rust und Georg Hahn am Institut; hinzu kam der Romanist Karl Heinz Bremer163. Hahn assistierte Schoenborn in der Abteilung Völkerrecht, Baehr unterstützte Ritterbusch in der Abteilung Politik (Staatslehre). Beider Aufgabe war neben der Vorbereitung und Durchführung von Seminaren und Arbeits_____________ 157 Zu Naumann Wiener (Anm. 3), 163ff.; Völkerrechtliche Habilitationen in Kiel, im Anhang zu diesem Band. 158 Zu Dietze siehe Völkerrechtliche Habilitationen in Kiel, im Anhang zu diesem Band. 159 Seine Habilitationsschrift galt dem „Einfluss konkreter Pflichtgemeinschaften auf den Widerruf von Verwaltungsakten“, sein Habilitationsvortrag der „Rechtsstellung von Juden im Verwaltungsrecht“. 160 Näher zu Dietzes Habilitationsverfahren Wiener (Anm. 3), 169ff. 161 Hans-Helmut Dietze, Naturrecht aus Blut und Boden, ZAkDR 3 (1936), 818–821. Dazu Fabian Wittreck, Nationalsozialistische Rechtslehre und Naturrecht. Affinität und Aversion, Tübingen 2008, 37ff. 162 Hans-Helmut Dietze, Die Rechtsgestalt der Hitler-Jugend. Eine verfassungsrechtliche Studie, Berlin 1939; ders., Die verfassungsrechtliche Stellung der Hitler-Jugend, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 101 (1940), 113–156. 163 Zu ihm Frank-Rutger Hausmann, „Vom Strudel der Ereignisse verschlungen“. Deutsche Romanistik im „Dritten Reich“, 2. Aufl. Frankfurt a.M. 2008, 60ff.

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gemeinschaften die Auswertung ausländischer Presse. Gesammelt und untersucht wurden „The Times“, „Daily Telegraph“, „Blackshirt“, „Action“, „Temps“, „Osservatore Romano“, „Il Regime Facista“, „Svenska Dagbladet“.164 Als wissenschaftliche Hilfskraft beschäftige Ritterbusch zudem Gina Arp-Veladini am Institut, der die Durchsicht der italienischen Presse und die Übersetzung besonders bedeutsamer Artikel oblag.165 II. Forschung, Lehre und Publikationen am Institut 1937–1941 1. Schwerpunktverschiebung zur Politischen Wissenschaft Mit der Übernahme der Leitung des Instituts für Internationales Recht durch Paul Ritterbusch und der Fusion mit seinem Königsberger Institut fand eine Veränderung des bisherigen Fächerkanons in Forschung und Lehre statt. Hierfür standen die beiden neuen Abteilungen für Politik (Staatslehre) und Politische Auslandskunde.166 Entsprechend wurde das sog. Kriegsarchiv um diese Bereiche erweitert.167 Bezeichnend für die neue Zeit war auch, dass die Franz-Kahn-Bibliothek als selbstständige Abteilung der Institutsbibliothek wegen Kahns jüdischer Abstammung in „Theodor-Niemeyer-Bibliothek“ umbenannt wurde.168 Wie schlug sich diese Neuausrichtung in der akademischen Lehre nieder? Im Bereich Politik (Staatslehre) bot Ritterbusch selbst Lehrveranstaltungen an. Bereits in den 1920er Jahren hatten sich die Kieler Rechtswissenschaftler auf Anregung des preußischen Kultusministers Becker vermehrt mit Themen der gerade im Entstehen begriffenen Politischen Wissenschaft befasst.169 So hielt Schoenborn eine Vorlesung zur Kriegsschuldfrage, Wolgast (bis 1924 Privatdozent in Kiel) über „Politik, insbesondere auswärtige Politik“ und Günter Holstein (1929– 1931 Ordinarius für Öffentliches Recht) eine Vorlesung zur Geschichte der politischen Idee. Hieran knüpfte Ritterbusch mit seinen Bemühungen an, Staats- und Völkerrecht und Politische Wissenschaft zu verbinden. Er veranstaltete von 1936 _____________ 164 Akten

des IIR, Nr. A5, Abschrift 17. Juni 1938. des IIR, Nr. A5, Abschrift 17. Juni 1938. 166 Heinz, 100 Jahre (Anm. 26), 20. 167 Akten des IIR, Nr. A5, Abschrift 17. Juni 1938. Zum Kriegsarchiv Theodor Niemeyer, Bericht über Aufgaben und Entwickelung des Instituts für internationales Recht an der Universität Kiel, Kiel 1919, in Auszügen und mit einführenden Bemerkungen von Michael Jonas abgedruckt in diesem Band. 168 Erst in den späten fünfziger Jahren konnte im Einvernehmen mit der Familie Niemeyer die Rückbenennung in Franz-Kahn Bibliothek erfolgen: O.A., Das Walther-Schücking-Institut (Anm. 10), 17. 169 Döhring (Anm. 12), 225. 165 Akten

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bis 1941 Vorlesungen, Seminare und Arbeitsgemeinschaften über Probleme der Politik, so z.B. anhand der Diskussion von Klassikern der politischen Philosophie, die von Studierenden gelesen und erörtert werden sollten, etwa „Gemeinsames Lesen und Besprechen politischer Denker (Bodinus, Althusius, Hobbes)“ im Sommersemester 1937. Die Beschäftigung mit Politischer Wissenschaft am Institut war wie zu erwarten durchtränkt von der nationalsozialistischen Ideologie und ab 1939 vor allem beeinflusst durch die Kriegsereignisse und das Streben nach Abwehr der feindlichen Propaganda.170 Mehrere der Lehrveranstaltungen, die in dieser Zeit angeboten wurden, wiesen einen thematischen Bezug zu England auf,171 einem Spezialgebiet Ritterbuschs,172 wie etwa sein großes politisches Englandseminar (SS 1936, WS 1936/37). Beispielhaft für den neuen Schwerpunkt sind auch seine Vorlesungen zu den Themen „Staat und Gesellschaft in der politischen Theorie des Zweiten Reiches“ (WS 1937/38), „Der Vielparteienstaat in Weimar“ (SS 1938) und „Englisches Staatsdenken seit Ausgang des Mittelalters“ (WS 1939/40). Darüber hinaus setzte sich Ritterbusch in seinen Vorlesungen immer wieder mit der „Verfassungswirklichkeit“ des „Zweiten“ und „Dritten“ Reiches auseinander.173 Weitere Arbeitsgemeinschaften, die Ritterbusch gemeinsam mit seinen Assistenten anbot, waren: „Laufende Beobachtung der ausländischen Presse auf Vorgänge der Politik, des ausländischen öffentlichen Rechts und Völkerrechts“ (WS 1937/38) und „Kirche und internationale Ordnung“ (SS 1938). Leiter der Abteilung Politische Auslandskunde war Richard Naumann.174 Dieser hielt u.a. im Wintersemester 1939/40 eine Mussolinis Italien gewidmete Vorlesung, „Das faschistische Imperium“. Ebenfalls zu erwähnen sind eine gemeinsame Vorlesung mit Ritterbusch über „Idee und Wirklichkeit einer europäischen Ordnung“ im ersten Trimester 1940 sowie ein „Auslandskundliches Seminar über das britische Weltreich“ im Sommersemester 1941. Weiterhin können zur Auslandskunde die Arbeitsgemeinschaft zur „Auslandsbeobachtung“ im Sommersemester 1937 sowie ein von Viktor Böhmert gehaltenes Seminar mit dem Titel „Schweden und der Ostseeraum“ im Sommersemester 1938 gezählt werden. _____________ 170 Döhring

(Anm. 12), 225.

171 Vgl. CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse WS

1937/38, SS 1938, WS 1939/40. schloss Ritterbusch seine Promotion bei Richard Schmidt zum Thema „Regierung und Volk in England“ ab. Während der anschließenden Assistentenzeit am Leipziger Institut für Politik, ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht unternahm er auch mehrere Studienreisen nach Großbritannien. 1929 habilitierte er sich mit einer Arbeit über die „Souveränität im englischen Staatsrecht“: Martin Ott, Ritterbusch, Paul Wilhelm Heinrich, Neue Deutsche Biographie 21 (2003), 668–670. 173 CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse WS 1937/38, SS 1938, WS 1939/40. 174 CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnis WS 1938. 172 1925

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In der Abteilung Völkerrecht hatte Walther Schoenborn „eine Nische gefunden, die es ihm erlaubte, weiterhin an der Kieler Universität tätig zu sein, ohne einen politischen oder wissenschaftlichen Offenbarungseid abzulegen“.175 In seinen Lehrveranstaltungen jener Jahre beleuchtete er vorwiegend die deutsche Außenpolitik vor der NS-Herrschaft.176 Auch hielt er regelmäßig eine Vorlesung, die sich mit den „politischen und militärischen Grundlinien“177 des Ersten Weltkriegs beschäftigte. Durch den Aktualitätsbezug aus der Reihe fällt eine Arbeitsgemeinschaft zum spanischen Bürgerkrieg, die im Wintersemester 1937/38 angeboten wurde. Deren Leitung („N.N.“) dürfte bei einem der Fakultätsassistenten, vermutlich Günter Rust178, gelegen haben, nicht bei Walther Schoenborn. Obwohl Leiter der Abteilung für Internationales Privatrecht, hielt Viktor Böhmert weiterhin überwiegend Veranstaltungen zum Völkerrecht ab. Internationalprivatrechtliche Themen tauchen bei ihm eher gelegentlich auf, in einem Kolloquium über ausgewählte Fälle des Völkerrechts und der Anwendung fremden Rechts (SS 1937/38) und in zwei Seminaren zu (nicht näher spezifizierten) „Fragen des Völkerrechts und des Internationalen Privatrechts“ (WS 1938/1939, 1. Trimester 1940). Neben Böhmert (und nach dessen Einberufung 1940 an seiner Stelle) lehrte Hermann Held zum internationalen Privatrecht.179 Was konkret Inhalte dieser Veranstaltungen waren, lässt sich den knappen Ankündigungen in den Vorlesungsverzeichnissen nicht entnehmen. Insbesondere mit Beginn des Zweiten Weltkriegs nehmen aber Titel zu, die erkennen lassen, dass die akademische Lehre zunehmend in den Dienst der nationalsozialistischen Kriegspropaganda gestellt wurde. Erwähnenswert sind hier Arbeitsgemeinschaften wie „Die Kriegs- und Gräuelpropaganda unserer Feinde im Weltkrieg und heute“ (Leitung: Ritterbusch, Dietze) im ersten Trimester 1940 oder die in den ersten beiden Trimestern 1940 von Held angebotene Vorlesungsreihe „Feindliche Gesetzgebung und Rechtsprechung im Kampfe gegen uns (kriegswichtiges Auslandsrecht)“. 2. Publikationsreihen des Instituts Die Hinwendung zu politischen Themen spiegelt sich auch in der Auflage einer neuen Reihe „Schriften des Instituts für Politik und Internationales Recht an _____________ 175 Martens

(Anm. 13), 93. CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse WS 1937 bis WS 1939. Im Sommersemester 1942 dehnt er allerdings seine Vorlesung zu den historischen „Grundzügen der deutschen Außenpolitik“ bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs aus (1871–1939). 177 Siehe z.B. CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnis SS 1936. 178 Rust wurde im Mai 1938 mit einer Arbeit zum spanischen Bürgerkrieg promoviert. 179 Vgl. CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse WS 1937 bis WS 1940. 176 Vgl.

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der Universität Kiel“ im Jahr 1939. Es werden zehn Bände publiziert, meist Kieler Dissertationen. Hauptthemen sind Staatsaufbau und die Philosophie westeuropäischer Staaten.180 Ritterbusch selbst veröffentlicht in dieser Reihe den ersten Band, eine 75-seitige Studie über „Wesen und Wirklichkeit des westeuropäischen Parteienstaates“. Die westeuropäischen Demokratien sind Gegenstand weiterer Schriften. Günther Rust, spätestens181 seit 1938 Fakultätsassistent, veröffentlicht seine Dissertation über den „Aufbau und Verfall des spanischen Staates. Ein Beitrag zur Erkenntnis der Ursachen des spanischen Bürgerkrieges“, Georg Hahn, seit etwa 1938/39 Assistent am Institut, schreibt über „Grundfragen europäischer Ordnung“ die einzige völkerrechtliche Publikation in der Reihe. Der Romanist Karl Heinz Bremer, der seit April 1939 Assistent am Institut war und Ritterbusch bei der Durchführung jener Romanisten-Tagung in Berlin unterstützte, auf der im Mai 1940 der „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ geplant wurde, verfasst eine Studie über den französischen Nationalismus.182 Zum (oder besser: gegen den) Liberalismus in Frankreich publiziert der bulgarische Professor für Staats- und Völkerrecht Ljubomir Wladikin,183 der zuvor durch verschiedene nationalsozialistische Schriften hervorgetreten war, nicht zuletzt durch eine „ideologische Biographie“ Adolf Hitlers (1942). Dem Geist der neuen Zeit hatte zuvor (1939) bereits Klaus Charlé in dem Band „Die Eiserne Garde. Eine Darstellung der völkischen Erneuerungsbewegung in Rumänien“ gehuldigt. Die außenpolitischen Ziele des NS-Regimes spiegelten sich auch in Dissertationen am Institut wider. So promovierte Rudolf Linau [?] 1939 mit „Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich“ bei Ritterbusch oder Böhmert.184 1940 schloss _____________ 180 Siehe Schriftenreihen des Instituts für Internationales Recht, in: Delbrück u.a. (Anm. 26), 1000–1014 (1003f.). In einem Vorläufer der neuen Reihe hatte Egloff v. Tippelskirch, seit 1937 Assistent am Institut, seine Dissertation „Die Statthalter des Großen Kurfürsten“ publiziert. 181 Wo Akten fehlen, geben die Personal- und Vorlesungsverzeichnisse nur einen ungefähren zeitlichen Anhaltspunkt, da diese einige Zeit vor Beginn des jeweiligen Semesters redigiert wurden. 182 Karl-Heinz Bremer, Der französische Nationalismus. Eine Studie über seinen geistigen Strukturwandel von der französischen Revolution bis auf unsere Tage, Berlin 1939. Bremer war Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung und noch während eines Auslandsaufenthaltes 1937 in Frankreich der NSDAP beigetreten. Sein Werk „Nationalismus und Chauvinismus in Frankreich“ (Berlin 1940) wurde 1946 auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt. Siehe Eckard Michels, Das deutsche Institut in Paris 1940– 1944. Ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1993, 73; Hausmann, Strudel (Anm. 163), 543. 183 Ljubomir Wladikin, Der Liberalismus in der Theorie und Rechtsanwendung. Kritische Untersuchung der französischen Revolution zur Feststellung der Geburtsfehler der westlichen Demokratien, Berlin 1944. 184 Eine schriftliche Arbeit ist nicht erhalten. Die Fakultätsakten verzeichnen nur das Datum der mündlichen Doktorprüfung und die Mitglieder der Prüfungskommission, zu

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Helmut Neveling seine Dissertation zum Thema „Die englische Herrschaft in Indien“ ab; sein Doktorvater war höchstwahrscheinlich Ritterbusch.185 Des Weiteren promovierte Klaus Günter Pingel 1940 zum Thema „Die kroatische Frage. Ihre völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Entwicklung vom Ausgang des Weltkrieges bis zum Verständigungsabkommen“ vom 26. August 1939“ unter der Betreuung von Viktor Böhmert. Mit dem ersten Band der „Schriften des Instituts für Politik und Internationales Recht an der Universität Kiel“ endete 1939 die bisherige Schriftenreihe, „Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel“, mit ihren Unterreihen „Vorträge und Einzelschriften“, „Beiträge zur Reform des Völkerrechts“ und „Abhandlungen zur fortschreitenden Kodifikation des internationalen Rechts“.186 Ein nicht minder symbolischer Einschnitt war im selben Jahr die Einstellung der Veröffentlichung von Entscheidungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofs. In Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt hatte das Institut unter Schücking damit begonnen, die Entscheidungen des Weltgerichtshofs in deutscher Übersetzung zu publizieren. Nach Schückings Entlassung hatte Rühland die weitere Ausgabe betreut.187 Selbst nach Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund 1933 erschienen 1936 und 1937 der 11. und 12. Band in Zusammenarbeit von Rühland und Schoenborn. Nun, unter der Leitung von Ritterbusch, wurde mit dem 13. Band 1939 die Folge eingestellt.188 3. Arbeitstagung anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Instituts Auch in einer weiteren Hinsicht markierten die fünf Jahre unter Ritterbusch einen Bruch mit der bisherigen Arbeit am Institut. Hatten Völkerrecht und Völkerrechtswissenschaft in den ersten Jahren des NS-Regimes noch die Funktion, das Erbe von Versailles abzuschütteln und den Wiedereintritt Deutschlands in den Kreis souveräner und gleicher Staaten zu begründen, ging es nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, dem „Anschluss“ Österreichs und der „Heimkehr“ des Sudetenlandes zunehmend um die rechtliche Begründung deutscher Eroberungs- und Herrschaftsansprüche.189 Geradezu greifbar wird dies in _____________

denen in der Regel der betreuende Erstgutachter zählte. Von diesen kommen aus fachlichen Gründen nur Ritterbusch und Böhmert in Betracht. 185 Erneut liegt nur ein Eintrag über die mündliche Doktorprüfung vor. Die Betreung durch Ritterbusch liegt wegen des Englandbezugs nahe. 186 Siehe Schriftenreihen des Instituts für Internationales Recht (Anm. 180), 1000ff. 187 Akten des IIR, Nr. A2V. 188 Die Initiative ging dabei allerdings vom Auswärtigen Amt aus, vgl. Schreiben von Paul Ritterbusch an die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes vom 29. April 1938, LASH, Abt. 47, Nr. 1830, 16. 189 Vagts (Anm. 56), 687ff.; Wolfrum (Anm. 25), 91.

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der Kieler Dissertation von Georg Hahn, der seiner 1938 abgeschlossenen Arbeit – die noch für einen Gleichrang Deutschland in der europäischen Völkerrechtsordnung plädiert – bei Erscheinen 1939 ein kurzes Nachwort anfügt, in dem er, ohne Abstimmung mit den zuvor entwickelten Thesen, eine Führungsrolle für Deutschland reklamiert.190 Dieses etwas unbeholfen wirkende Addendum verdeutlicht die politische Funktion der deutschen Völkerrechtswissenschaft während der NS-Herrschaft. Frank-Rutger Hausmann schreibt hierzu: Die völkerrechtlichen Forschungen im ‚Kriegseinsatz‘ sollten in ihren erschienenen Teilen den Wandel der Weltordnung beschreiben, also diejenigen Erscheinungen aufweisen, die zu den neuen Formen des gegenwärtigen Reiches und Staates geführt hätten [...].191

Um die deutschen Eroberungs- und Hegemonialbestrebungen zu rechtfertigen, bedurfte es einer „neuen“ Rechtswissenschaft, die bereit war, Völkerrecht und Staatstheorie im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie fortzuschreiben. Als deren Vertreter und Organisator begriff sich Paul Ritterbusch. Die Arbeitstagung, die er anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Kieler Institutes vom 29. März bis 1. April 1939 veranstaltete,192 erscheint im Rückblick als Initialzündung für das „Gemeinschaftswerk der deutschen Geisteswissenschaften“, das die deutschen Kriegsziele wissenschaftlich unterfüttern sollte.193 Die in Kiel gehaltenen Referate wurden im folgenden Jahr in einem Sammelband publiziert. An der Tagung nahmen u.a. teil: die Völkerrechtler Gustav Adolf Walz (Breslau) und Cezary Berezowski (Warschau), der Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber (Leipzig), der Zivilrechtler Fritz Reu (Breslau) sowie der rumänische Philosoph und Politiker Mircea Djuvara (Bukarest). Die herausragende Figur der Tagung aber war fraglos Carl Schmitt.194 In seinem Vortrag „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ entwarf er sein wirkmächtiges Konzept von Großräumen, deren Hegemone untereinander in der Pflicht stünden, sich nicht in „fremde _____________ 190 Georg Hahn, Grundfragen europäischer Ordnung. Ein Beitrag zur Neugestaltung der Völkerrechtslehre, Berlin 1939, 188ff. Im Schlusssatz (190) beschwört er den „Beginn einer europäischen Epoche des nationalsozialistischen Großdeutschen Reiches“. 191 Hausmann, Geisteswissenschaft (Anm. 138), 261. 192 Gleichzeitig fand die Tagung der Reichsgruppe Hochschullehrer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes (NSRB) statt: Hausmann, Geisteswissenschaft (Anm. 138), 43. 193 Hausmann, Geisteswissenschaft (Anm. 138), 43. 194 Ritterbusch und Schmitt kannten sich bereits seit längerem und waren durch gemeinsame Überzeugungen verbunden, Hausmann, Geisteswissenschaft (Anm. 138), 42f. Schmitts Denken hatte auf die „Kieler Schule“ wie auf Ritterbusch Einfluss, z.B. durch die Ablehnung generalisierender juristischer Begriffe, Zurückdrängung der Abstraktionen, Hinwendung zu einer gegenständlichen Arbeitsweise. Großen Anklang fand in Kiel die Lehre von den konkreten Ordnungen (Familie, Berufsstand, Volksgemeinschaft), die Carl Schmitt 1934 in seiner Schrift „Die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens“ entwickelt hatte: Döhring (Anm. 12), 213.

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Räume“ einzumischen.195 Im Großraum dominiert nach Schmitt stets der stärkere Wille eines Führervolkes, das den schwächeren Völkern seinen Willen aufzwingt. Rechtliche Gleichheit tut er als Fiktion, Minderheitenschutz als „liberalindividualistische“ Konstruktion ab. Das traditionell als Zwischenstaatenrecht konzipierte Völkerrecht überwölbt Schmitt mit einer „Reichsidee“, die er als eine Verbindung von Großraum, Volk und politischer Idee definiert.196 Dies war der Entwurf, auf dessen Boden sich der Eroberungskrieg eines „führenden Volkes“ rechtfertigen ließ, das lediglich den ihm zustehenden „Lebens- und Herrschaftsraum“ reklamierte, und in dem Volk, Raum und NS-Ideologie eine ideelle Verbindung eingingen. Für Ritterbusch, der 1939 die Leitung der „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“ übernahm, war dies das fundamentale Konzept für sein „Gemeinschaftswerk“ der Geisteswissenschaften, das er schon bald in den „Kriegseinsatz“ führen sollte – die Geburtsstunde der „Aktion Ritterbusch“. Das Konzept der „Großraumordnung“ ist, so schreibt Frank-Rutger Hausmann, für das Verständnis dieses „Gemeinschaftswerks“ unabdingbar.197 Zum Völkerrecht im tradierten Sinne steht die neue Großraum-Ordnung quer. Sie löst sich von Konstrukten wie der Rechtssubjekt- oder der Rechtsquellenlehre. In den Worten des SS-Juristen Werner Best: Deshalb sind auch die ‚rechtlichen‘ Formen, in denen die Regeln für die Dauerbeziehungen zwischen den Völkern des Großraums ausgesprochen werden, ohne sachliche Bedeutung und nach Belieben verwendbar.198

_____________ 195 Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, Berlin 1939, ab der 4. Aufl. 1941 ergänzt um ein Kapitel über den „Raumbegriff in der Rechtswissenschaft“. Kritische Auseinandersetzung u.a. bei Mathias Schmöckel, Die Großraumtheorie. Ein Beitrag zur Geschichte der Völkerrechtswissenschaft im Dritten Reich, insbesondere der Kriegszeit, Berlin 1994; Andreas v. Arnauld, Politische Räume im Völkerrecht, in: Kerstin Odendahl/Thomas Giegerich (Hrsg.), Räume im Völker- und Europarecht, Berlin 2014, 179–204 (184ff.). 196 Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte, 4. Aufl. Berlin u.a. 1941, 38. 197 Hausmann, Geisteswissenschaft (Anm. 138), 43 198 Werner Best, Grundfragen einer deutschen Großraumverwaltung, in: Festschrift für Heinrich Himmler zum 40. Geburtstag, Darmstadt 1941, 33–60 (35). Zustimmend Günther Küchenhoff, Großraumgedanke und völkische Idee im Recht, ZaöRV 12 (1944), 34– 82 (45f.).

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E. Das Institut in der Existenzkrise: 1941–1945 I. Die kriegsbedingte Schließung als Damoklesschwert Der Überfall auf Polen, mit dem das Deutsche Reich am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg auslöste, hatte unmittelbare Auswirkungen auf das Kieler Institut.199 Zur Koordination des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“ wurde Paul Ritterbusch bereits 1940 im Rang eines Ministerialdirigenten ins Reichswissenschaftsministerium berufen.200 Seine Kieler Ämter versah er seitdem von Berlin aus.201 Als er im folgenden Jahr einen Ruf an die Berliner FriedrichWilhelms-Universität annahm, eröffnete dies der Kieler Fakultät die Möglichkeit zur Wiederbesetzung des Lehrstuhls, was manche mit Erleichterung aufnahmen. Walther Schoenborn, der 1940 aus gesundheitlichen Gründen202 als Mitdirektor des Instituts zurückgetreten war, findet im August 1942 in einem Brief an Rudolf Smend deutliche Worte über das kollegiale Umfeld und insbesondere die „Ritterbusch-Leute“:

_____________ 199 Ende 1939 kamen Pläne auf, das Institut gemeinsam mit dem Berliner KaiserWilhelm-Institut (KWI) für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) zu unterstellen. So kündigt Schoenborn am 14.11.1939 dem Rektor (Ritterbusch) den Besuch des KWI-Direktors, Viktor Bruns, an, der zu Gesprächen über eine Zusammenarbeit der Institute für Kriegszwecke nach Kiel gereist war. Am 15.12.1939 schreibt der (ans Auswärtige Amt kommandierte) Böhmert an das OKW von einer möglichen Angliederung des Kieler Instituts als Zweigstelle an das KWI und eine Unterstellung beider unter das OKW. Unter Hinweis auf eine am 8.12.1939 stattgefundene Unterredung teilt der Chef des OKW, Wilhelm Keitel, allerdings am 27.12.1939 mit, dass die Pläne abgelehnt worden seien (alle Dokumente in: Akten des IIR, Organisation und Entwicklung 1937–1944). Die Hintergründe ließen sich aus den Institutsakten nicht aufklären. 200 Hausmann, Geisteswissenschaft (Anm. 138), 43; O.A., Das Walther-SchückingInstitut (Anm. 10), 18. 201 Hausmann, Geisteswissenschaft (Anm. 138), 261 202 Vgl. Mitteilung des Kurators vom 14. Mai 1940 über die Entbindung Schoenborns vom Direktorat, Akten des IIR, Organisation und Entwicklung 1937–1944. Art und Natur von Schoenborns Erkrankung ist unklar. In seiner Personalakte, LASH, Abt. 47, Nr. 7036, finden sich Hinweise auf einen Schlaganfall (Telegramm der Deutschen Gesandtschaft in Oslo vom 21. März 1938), auf „eine Art nervöse[n] Zusammenbruch“ (Schreiben der Gesandtschaft vom selben Tag) und auf einen „hochfieberhafte[n] Grippeinfekt mit cerebralen Erscheinungen“ (Attest vom 6. April 1938). Am 13. Dezember 1939 attestiert ihm der Internist Hanns Löhr wiederum ein „Herzmuskelleiden von totaler Irregularität und zugleich […] seelische Depressionszustände“. Ob und inwieweit Schoenborn Krankheiten vorschob, um sich seinen Amtspflichten zu entziehen, die ihm allem Anschein nach immer weniger erträglich wurden, lässt sich nicht sagen.

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Mit allen übrigen Ordinarien stehe ich subjektiv (und wie ich glaube: auch objektiv) gut. Was die Nichtordinarien anbelangt, so habe ich Ihnen über Held (den ich für geistig nicht ganz normal halte, der aber, jetzt in Malente lebend, seit Jahren sehr wenig mehr in Erscheinung tritt), über Dietze und über Naumann meine Ansicht wohl schon früher mitgeteilt; gerade über letzteren hat sie sich allerdings im letzten Jahr nicht verbessert; es scheint aber nach unseren Mitteilungen nicht ganz ausgeschlossen, daß wir ihn, und bereits fast wahrscheinlich, daß wir Dietze demnächst los werden; die beiden Ritterbusch-Leute Baehr und Hahn sollen erfreulicherweise von ihm nach Berlin ‚nachgezogen‘ werden, sind z.Z. übrigens im Feld.203

Tatsächlich folgten Baehr und Hahn Ritterbusch kurz darauf nach Berlin, „nachgezogen“ wurden aber auch Mobiliar und große Teile der Institutsbibliothek,204 darunter die gesamte Abteilung für Auslandsrecht (die Ritterbusch wohl als seinem ehemaligen Königsberger Institut zugehörig empfand). Auch dass eine der beiden nach Berlin abgewanderten Assistentenstellen eigentlich zum Kieler Institut gehörte, sorgte für Unmut.205 Mit Ritterbusch ging allerdings auch ein Rektor durch dessen ‚gute’ Verbindungen zum NS-Regime die Universität in den Jahren seiner Amtszeit einer Schließung entgehen konnte. Vor allem kriegsbedingt befand sich die Kieler Universität in rasantem Abstieg. Während 1930 noch 764 Studierende an der Juristischen Fakultät immatrikuliert waren, sank die Zahl im ersten Kriegsjahr 1939 auf 98 und 1941 auf gerade einmal 34 Studierende.206 Diese Abnahme betraf auch die Professoren. Nachdrücklich wandte sich Rektor Ritterbusch gegen die politisch gesteuerte Wegberufung Kieler Dozenten, namentlich an die neue Reichsuniversität Straßburg.207 Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät bat Ritterbusch, Personen, die auf Berufungslisten anderer Universitäten standen, davon abzubringen, Kiel zu verlassen, um die „feste Gestalt“ der Fakultät zu

_____________ 203 Brief Walther Schoenborns an Rudolf Smend vom 11. August 1942, NdsSUB Göttingen, Nachlass Rudolf Smend, Cod. Ms. R. Smend P 16. 204 Heinz, 75 Jahre (Anm. 28), 12. 205 Vgl. Schreiben des Kurators vom 4. Februar 1943 sowie Schreiben des kommissarischen Direktors, Karl Larenz, an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 20. Februar 1943, Akten des IIR, Organisation und Entwicklung 1937–1944. 206 Wiener (Anm. 3), 129. Schon zuvor, insbesondere seit 1937 sollen Studierende zahlreich aus Kiel abgewandert sein: Heiber (Anm. 154), 419. 207 Dazu näher Wiener (Anm. 3), 125ff.

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wahren.208 Doch immer mehr kehrten Kiel den Rücken.209 Ein „normaler“ Universitätsbetrieb war unter diesen Voraussetzungen längst nicht mehr möglich.210 Auf Druck des preußischen Finanzministeriums wurde 1941 im Reichswissenschaftsministerium erwogen, die Universität Kiel zu schließen, weil deren fortdauernder Betrieb einen „unverhältnismäßigen Aufwand“ darstelle.211 Ritterbuschs Nachfolger im Amt des Rektors, der Mediziner und SS-Brigadeführer Hanns Löhr, konnte eine Schließung jedoch abwenden,212 die auch das Ende des Instituts für Internationales Recht bedeutet hätte. Auch am Institut waren durch den Kriegsverlauf Forschung und Lehre stark eingeschränkt. In dieser Phase wurden lediglich drei Promotionsverfahren abgeschlossen:213 Wilhelm C. Stutzer zum Thema „Politische Führung und gemeindliche Selbstverwaltung“ (1941)214, Hans Biss zum Thema „Völkisches Reich und Protektoratsautonomie“ (1941/42)215 sowie kurz vor Ende des Krieges Werner Brorsen zur „Stellung Albaniens im Faschistischen Imperium als Beispiel für eine neue Raumordnung“ (1944).216 Die meisten MitarbeiterInnen des Instituts für Internationales Recht waren entweder wegberufen, beurlaubt oder zum Kriegsdienst einberufen. Den Zustand, in dem sich das Institut in jenen Kriegsjahren _____________ 208 Heiber

(Anm. 154), 419. (Anm. 154), 416f. – Ein Überblick über den Wechsel in den Kieler Ordinariaten zwischen 1937 und 1944 zeigt einige Fluktuation: 1937 hatte Ernst Rudolf Huber einen Ruf nach Leipzig angenommen, 1938 verließen Wolfgang Siebert und Karl Michaelis Kiel in Richtung Berlin bzw. Leipzig. Nach Leipzig ging 1939 auch Georg Dahm. 1941 wechselten Friedrich Schaffstein und Arthur Nikisch nach Straßburg, Paul Ritterbusch nach Berlin. Ebenfalls nach Berlin zog es 1943 Gottfried Boldt, während Richard Naumann im selben Jahr nach Innsbruck wechselte. Zuletzt folgte 1944 Eugen Locher einem Ruf an die Berliner Handelshochschule. 210 Vgl. Martens (Anm. 13), 104ff. 211 Heiber (Anm. 154), 419f. 212 Heiber (Anm. 154), 419f. 213 Das erste völkerrechtliche Promotionsverfahren der Nachkriegszeit (Betreuung Walther Schoenborn) wurde erst im Juni 1949 abgeschlossen: Herbert Sohler, Der deutsche Ubootkrieg 1939–1945 im Lichte des Völkerrechts. Die erste Promotion am Institut für Internationales Recht (Betreuung Hermann v. Mangoldt) erfolgte dann im Februar 1950: Jacob Jessen, Rechtsfragen der Deutschen Umsiedlung nach dem zweiten Weltkrieg: unter Verwertung der Erfahrungen des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausches aus den Jahren 1923–1925. 214 Betreuer der noch im selben Jahr veröffentlichten Arbeit war Richard Naumann. 215 Verzeichnet ist nur die Kommission für die mündliche Prüfung mit Martin Busse und Eugen Wohlhaupter als Mitgliedern. Busse war Inhaber des bauernrechtlichen Lehrstuhls und Wohlhaupter Zivilrechtler und Rechtshistoriker. Die Vermutung liegt nahe, dass beide nur das Verfahren zu Ende geführt haben, nachdem Ritterbusch Kiel verlassen hatte und in Berlin unabkömmlich war. 216 Mitglieder der Promotionskommission waren Schoenborn und Larenz, das Thema deutet allerdings auf eine Betreuung durch Ritterbusch (oder Naumann) hin. 209 Heiber

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befand, illustriert ein Auszug aus dem Personal- und Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1942/43. Der Eintrag zum Institut für Politik und Internationales Recht lautet: Direktor: N.N., mit der Geschäftsführung beauftragt: Prof. Dr. Naumann, z.Z. zum Wehrmachtdienst eingezogen; Vertreter: Dozent Dr. Dietze I. Abteilung: Politik (Staatslehre), Leiter: N.N., Assistent: Dr. Baehr, Anton, Passade bei Kiel, z.Z. zum Wehrmachtdienst eingezogen II. Abteilung: Auslandskunde, Leiter: Prof. Dr. Naumann III. Abteilung: Völkerrecht, Leiter: Prof. Dr. Schoenborn, Assistent: Dr. Hahn, Georg, z.Z. zum Wehrmachtdienst eingezogen IV. Abteilung: Internationales Recht, Leiter: Prof. Dr. Böhmert, z.Z. zur kommissarischen Beschäftigung in das Auswärtige Amt berufen

Auch dies war nur eine Momentaufnahme: Richard Naumann, am 26. April 1940 zum außerplanmäßigen Professor ernannt, hatte am 26. September 1942 – im Felde stehend – als Ordinarius den ehemaligen Lehrstuhl Ernst Rudolf Hubers übernommen. Bereits im April 1943 wurde er aber – immer noch im Felde stehend – auf einen Lehrstuhl nach Innsbruck berufen; kriegsbedingt trat er das Amt nicht an. Hans-Heinrich Dietze wurde noch 1942 beurlaubt und zur NSDAPParteizentrale nach Nürnberg beordert.217 Zwar scheiterte die Fakultät mit ihrem Versuch, ihn nach Süddeutschland umzuhabilitieren; ab 1943 vertrat er aber Naumanns Lehrstuhl in Innsbruck und schied somit ebenfalls aus dem Institut aus.218 Viktor Böhmert war seit 1940 als Legationsrat und stellvertretender Prisenrichter219 ans Auswärtige Amt kommandiert. Zum 1. Oktober 1943220 wurde er – immer noch in Berlin tätig – in Kiel als Nachfolger Naumanns zum außerordentlichen Professor ernannt. Die kommissarische Leitung des Instituts übernahm im selben Jahr der Zivilrechtler Karl Larenz.221 Unter ihm fand die Entflechtung des Doppelinstituts statt. Das Kieler „Institut für Internationales Recht“ hatte seinen Namen zurückerhalten, wenn auch nicht, mangels Masse, seinen ursprünglichen Aufgabenkreis.222

_____________ 217 Stolleis,

Geschichte III (Anm. 71), 281f. (Anm. 3), 169ff. 219 Siehe CAU, Personal- und Vorlesungsverzeichnis WS 1943/44. 220 Die Berufungsvereinbarung vom 15.2.1943, LASH, Abt. 811, Nr. 12143, sieht die Übernahme des Lehrstuhls zum 1. April 1943 vor, die Personal- und Vorlesungsverzeichnisse geben als Termin der Ernennung allerdings den 1. Oktober 1943 an. Möglicherweise hatte sich die Ernennung verzögert. 221 Vgl. u.a. Anlage zum Schreiben vom 12.1.1943, Akten des IIR, Organisation und Entwicklung 1937–1944. 222 Heinz, 100 Jahre (Anm. 26), 21. 218 Wiener

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II. Ein schwieriges Berufungsverfahren Nach dem Weggang Ritterbuschs versucht die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, einen Nachfolger zu finden, dem auch die Leitung des Instituts anvertraut werden soll. Die Wahl fällt auf den Göttinger Staats- und Kirchenrechtler Rudolf Smend (1882–1975), der sich ähnlich wie Schoenborn in vorsichtiger Distanz zum Nationalsozialismus bewegte, ohne offenen Widerspruch zu wagen.223 Bevor der Ruf an ihn ergeht, schaltet sich die Kieler MarineAkademie mit einem eigenen Vorschlag ein. In einem Brief an Rektor Andreas Predöhl spricht sich der Leiter der Akademie, Konteradmiral Donner, nachdrücklich für den Würzburger Ordinarius Ernst Wolgast (1888–1959)224 aus, der sich 1918 in Kiel habilitiert hatte. Von einer Berufung des „jedenfalls für die geopolitische Seite des Nationalsozialismus aufgeschlossene[n]“225 Wolgast verspricht sich Donner, dass diese „für die Förderung des Seegedankens von großem Nutzen sei.“226 Trotz dieser Intervention ergeht der Ruf an Smend, den vor allem Walther Schoenborn drängt, den Wechsel nach Kiel in Betracht zu ziehen: „Ach, lieber Herr Smend, es wäre fast zu schön, wenn Sie herkämen; dann kriegte endlich Holstein den Nachfolger, der seiner voll wert ist.“227 Smend lehnt dennoch im November 1942 den Ruf ab; im Dezember informiert das Ministerium die Fakultät über seine Entscheidung.228 Vor allem Schoenborn zeigt sich betrübt.229 Ganz überraschend mag die Ablehnung für die Fakultät nicht gekommen sein, denn schon kurz nach Erhalt der Mitteilung wird dem Ministerium der Vorschlag unterbreitet, Hermann v. Mangoldt (1895–1953) zu berufen.230 Erneut schaltet sich Konteradmiral Donner ein und versucht, den Rektor endlich von Ernst Wolgast zu überzeugen.231 Im Auftrag der Fakultät erstellt im Januar 1943 Walther Schoenborn ein Gutachten über Wolgast, in dem er dessen wissenschaftliche _____________ 223 Differenzierte Darstellung bei Anna-Maria Gräfin v. Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999, 394ff. 224 Zu Wolgast siehe Völkerrechtliche Habilitationen in Kiel, im Anhang zu diesem Band. 225 Stolleis, Geschichte III (Anm. 71), 392. 226 LASH, Abt. 47, Nr. 2048, Brief vom 9. Januar 1942, Donner an Predöhl. 227 Brief Walther Schoenborns an Rudolf Smend vom 11. August 1942, NdsSUB Göttingen, Nachlass Rudolf Smend, Cod. Ms. R. Smend P 16. Schoenborn bezieht sich hier auf den früh verstorbenen ehemaligen Kieler Ordinarius Günther Holstein, dessen fachliche Schwerpunkte ebenfalls im Staats- und Kirchenrecht lagen. 228 LASH, Abt. 47, Nr. 2048, Brief vom Reichsministerium an die Fakultät vom 12. Dezember 1942. 229 Brief Walther Schoenborns an Rudolf Smend vom 19. Dezember 1942, NdsSUB Göttingen, Nachlass Rudolf Smend, Cod. Ms. R. Smend P 16, 10ff. 230 Zu v. Mangoldt wie auch zum Kieler Berufungsverfahren näher Wilhelm Knelangen, Hermann v. Mangoldt (1895–1953). Ein Mann des Neubeginns nach 1945?, in diesem Band. 231 LASH, Abt. 47, Nr. 2048, Brief vom 19. Dezember 1942, Donner an Predöhl.

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Kompetenz in Frage stellt und bezweifelt, dass dieser der „Kieler Aufgabe“ gerecht werden könne. Außerdem attestiert er Wolgast „eine gewisse Neigung zu großen Worten und zu etwas weitschweifigen Reden über sich selbst“, was dem eher zurückhaltenden Schoenborn kaum sympathisch gewesen sein dürfte.232 Nachdem die Personalie Wolgast ein weiteres Mal zu den Akten gelegt werden konnte, wird am 1. April 1943 v. Mangoldt nach Kiel berufen und gleichzeitig zum Direktor des Instituts für Internationales Recht ernannt.233 Seine Tätigkeit nimmt er allerdings erst gegen Ende des Jahres 1944 nach seiner Rückkehr vom Dienst in der Kriegsmarine auf.234 III. Neuanfang unter Hermann v. Mangoldt? Hermann v. Mangoldt stand vor großen Herausforderungen, als er Ende 1944 die Leitung des Instituts übernahm. Aufgrund der Folgen des Krieges für den Arbeitsalltag konnte von einem geordneten Betrieb am Institut nicht die Rede sein. Der Verwaltungsapparat der Universität war gänzlich lahmgelegt235, die Lehre schulterten nur noch wenige nicht in den Krieg eingezogene Dozenten.236 Infolge der Luftangriffe in Kiel bestand außerdem die Gefahr, dass die Bücherbestände des Instituts zerstört werden würden. Daher hatte der Schutz vor Bombenangriffen Priorität. Mangoldt ließ die Institutsbibliothek zum größten Teil in den Tanzsaal der Bahnhofswirtschaft seines Wohnortes Faulück (im Kreis Schleswig) auslagern, wo sie bis zur Instandsetzung des Hauses in der Dänischen Straße im Jahre 1947 blieben.237 Nach Kriegsende ging es langsam bergauf; die Aufgaben allerdings waren beträchtlich. Nicht nur waren Finanzquellen für den Wiederaufbau des Instituts zu erschließen, auch das Gebäude musste nach Bombentreffern in einen arbeitsfähigen Zustand versetzt werden. Hinzu kam die Zusammenführung der Bibliothek einschließlich jener Bestände, die Ritterbusch mit nach Berlin genommen hatte.238 Eine wichtige Aufgabe war es schließlich, die seit 1933 abgebrochenen Beziehungen zum Ausland wieder zu aktivieren. Die Abkopplung des Instituts von der Forschung in anderen Ländern hatte nicht nur der Reputation, sondern auch der wissenschaftlichen Substanz geschadet. Nach Einstellung von „Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht“ und der „Zeitschrift für Völkerrecht“ _____________ 232 LASH,

Abt. 47, Nr. 2048, Walther Schoenborn an Predöhl, Brief vom 15. Januar 1943. (Anm. 3), 195f.; Heinz, 100 Jahre (Anm. 26), 22. 234 Heinz, 75 Jahre (Anm. 28), 12. 235 Döhring (Anm. 12), 217f. 236 Döhring (Anm. 12), 222ff. 237 Heinz, 100 Jahre (Anm. 26), 22f. 238 Akten des IIR, Organisation und Entwicklung 1937–1944, 32ff. 233 Wiener

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gab es außerdem kein Periodikum mehr, mit dem das Institut dazu beitragen konnte, „die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Ausland aufs Neue in Gang zu bringen“.239

F. Ausblick: Anpassung, Kollaboration und Beharrung Eine Bilanz kann nach diesen Einblicken in die Institutsgeschichte nur skizziert werden. Durch eine jahrelange Anpassung unterscheidet sich das Kieler Institut für Internationales Recht nicht wesentlich von anderen universitären Institutionen zur Zeit der NS-Herrschaft. Nicht Widerstand gegen die Zumutungen des NS-Regimes waren die Maxime, sondern ein Handeln das nicht im Widerspruch zur Politik der neuen Machthaber stehen durfte. Die Versuche, aus den alten Universitäten neue Kaderschmieden zu machen, führten letztendlich nicht zu dem Erfolg, den das Regime sich erhofft hatte. Zwar leisteten die Universitäten keinerlei nennenswerten Widerstand gegen die Diktatur, doch konnten sie sich in bestimmten Bereichen einen Rest von Eigenständigkeit bewahren.240 Die Geschichte des Instituts für Internationales Recht von 1933 bis 1945 ist beispielhaft für eine wissenschaftliche Institution, in der es nach 1933 nicht nur Brüche, sondern auch Kontinuitäten gab. Auch für das Institut waren die konkreten Folgen des Machtwechsels anfangs geringer, als die Rahmenbedingungen es hätten erwarten lassen. Dennoch setzte sich das Regime nach und nach mit seinem Ziel durch, die akademischen Institutionen dem neuen System zu unterwerfen und ihre Autonomie weitgehend zu beschneiden.241 Das Institut war in diesem Prozess aber kein rein passives Objekt, seine Anpassung erfolgte nicht nur von außen, sondern auch von innen. Die Entwicklung, welche von den Wissenschaftlern am Institut bald schon als neue Realität hingenommen wurde, durchlief verschiedene Phasen.242 Mit der Vertreibung Walther Schückings aus dem Amt endete die Beschäftigung mit „seinem“ Thema, der Sicherung des Friedens durch Recht und internationale Organisation.243 Zwar wurde noch einige Jahre lang weiter Lehre und Forschung zum Völkerbund betrieben; Perspektive und Fokus hatten sich jedoch gewandelt: von der internationalen zur nationalen Perspektive, vom politischen Einsatz für _____________ 239 Döhring

(Anm. 12), 224. Näher v. Arnauld/Kresse (Anm. 86), in diesem Band. (Anm. 18), 14. 241 Hildebrand (Anm. 18), 15ff. 242 Vgl. dazu weiterführend Karl Dietrich Bracher, Stufen der Machtergreifung (= Karl Dieter Bracher/Gerhard Schulz/Wolfgang Sauer, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Bd. 1), Frankfurt a.M. 1979. 243 O.A., Das Walther-Schücking-Institut (Anm. 10), 16. 240 Hildebrand

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die lex ferenda zu einer Fokussierung auf die lex lata.244 Das Thema der Friedensidee machte Platz für Themen, die politisch weniger angreifbar waren und die zugleich von der NS-Propaganda leichter instrumentalisiert werden konnten. Es zeichnet sich aber auch schon ein Rückzug in Nischen ab: die zunehmende Befassung Schoenborns mit historischen Themen, die Erschließung des Fischereirechts durch Viktor Böhmert. Ein weitaus offensichtlicherer Wandel fand mit der Berufung Paul Ritterbuschs statt. Im „Institut für Politik und Internationales Recht“ erfolgte ab 1937 eine Politisierung von Forschung und Lehre in großem Ausmaß. Das Tätigkeitsfeld des Instituts wurde durch die beiden Abteilungen „Politik (Staatslehre)“ und „Auslandskunde“ um Themen erweitert, die eine Beschäftigung mit dem deutschen Staat und seiner Außenpolitik im Sinne der NS-Ideologie bezweckten. Ritterbusch setzte sich (mehr als Organisator denn als origineller Wissenschaftler) für eine Weiterentwicklung von Völkerrecht und Staatstheorie im Sinne der NSIdeologie ein und arbeitete an der wissenschaftlichen Legitimation des deutschen „Großraumanspruchs“.245 Ritterbusch war allerdings bereits während seiner Amtszeit durch seine Verpflichtungen als Rektor und als Wissenschaftsorganisator im Dienste des Reichsministeriums anderweitig gebunden. In der letzten Phase, zwischen Ritterbuschs Weggang nach Berlin und dem Amtsantritt Hermann v. Mangoldts, konnte am Institut schon gar kein „Arbeitsalltag“ mehr stattfinden. Einerseits fehlte über zwei Jahre hinweg die Leitung, andererseits legten die Umstände des Krieges – Einberufung der MitarbeiterInnen und Studierenden sowie Bombenangriffe auf Kiel – Forschung und Lehre am Institut praktisch lahm. Hinsichtlich der Bereitschaft, sich von der NS-Ideologie vereinnahmen oder beeinflussen zu lassen, sind große Unterschiede zu verzeichnen. Teilweise wurden die parteiamtlichen Thesen ohne kritische Reflektion in die akademische Sphäre übertragen.246 Beispielhaft dafür stehen Texte und Stellungnahmen Ritterbuschs in den „Kieler Blättern“,247 sowie die Arbeiten seiner Zöglinge Dietze und Naumann. Auch Ritterbuschs Reden und Vorträge „waren weitgehend von den Stichworten der nationalsozialistischen Agitation beherrscht“.248 Andererseits waren Wissenschaftler wie Schoenborn bemüht, sich von den Phrasen der Zeit weitgehend fernzuhalten. Wer auf Distanz zum System bleiben wollte, nutzte nicht selten den Rückzug auf für die NationalsozialistInnen vergleichsweise uninteressante Spezialgebiete und brachte allenfalls gelegentlich Lippenbekenntnisse zum Regime. Solche Strategien machten es vielen Wissenschaft_____________ 244 Vgl. Jost Delbrück, Die Grenzen des Rechts. Walther Schücking und die Suche nach der lex ferenda, in: Delbrück u.a. (Anm. 26), 41-53. 245 Hausmann, Geisteswissenschaft (Anm. 138), 221f. 246 Döhring (Anm. 12), 215. 247 Zu den „Kieler Blättern“ Wiener (Anm. 3), 136ff. 248 Döhring (Anm. 12), 215 Anm. 120.

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lerInnen möglich, sich im „Dritten Reich“ einzurichten, ohne die NS-Ideologie in ihren Forschungsbereichen zu übernehmen.249 Am Beispiel des Instituts für Internationales Recht lässt sich somit gut das Problem der politischen Verformbarkeit spezialisierter Facheliten während des „Dritten Reichs“ verdeutlichen. Diese entwickelten weder aus ihrer Arbeit selbst moralische Maßstäbe noch übernahmen sie eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, weil sie sich auf begrenzte Sachfragen konzentrierten und dadurch entlastet fühlten. Nicht nur überzeugte Ideologen wie Ritterbusch und seine Gefolgschaft – auch Wissenschaftler wie Schoenborn, Rühland und Böhmert hielten das System aufrecht, indem sie durch ein „Weiter-machen-wie-Bisher“ dem Staat in ihren Funktionen dienten und somit seine Funktionsfähigkeit sicherten. Ohne das Mittun solcher Menschen hätte der NS-Staat nicht errichtet und aufrechterhalten werden können.250 Es diente dem NS-Regime, dass viele Nationalkonservative, die der Weimarer Republik ablehnend gegenübergestanden hatten, zumindest in den ersten Jahren die „nationalsozialistische Revolution“ mit konservativer Restauration verwechselten und die NS-Ideologeme nicht als das erkannten, was sie waren, nämlich als „Maxime zur Knebelung freier Wissenschaft“.251 Vielmehr missinterpretierten diese Wissenschaftler die nationalsozialistische Herrschaft als bloße nationale Wiederbesinnung und leisteten so einen Beitrag zur Errichtung der Diktatur durch „Selbstgleichschaltung“.252 Die Wiederaufnahme von Forschung und Lehre an den deutschen Universitäten wie der Christian-Albrechts Universität zu Kiel wurde nach Kriegsende begleitet von der Auflösung des Führerprinzips und der Rückkehr zu demokratischen Formen des Geschäftsganges.253 Die äußerlichen Strukturen der Universitäten und viele rein organisatorische Maßnahmen, die das NS-Regime eingeführt hatte, wieder zu verändern, war kein nennenswertes Problem. Die eigentliche Herausforderung der Nachkriegsjahre bestand darin, die unter der Oberfläche stattfindenden Entwicklungen der letzten zwölf Jahre kritisch zu hinterfragen und dabei die „Ausgangspunkte für eine durchgreifende Erneuerung zu finden“.254 Die zunächst von den Alliierten, später in ihrem Auftrag durchgeführten Entnazifizierungsverfahren lieferten dazu kaum einen wirkungsvollen Beitrag, wovon die

_____________ 249 Möller

(Anm. 2), 74f. Recht im Unrecht, 1994, 338. 251 Möller (Anm. 2), 74. 252 Möller (Anm. 2), 74. 253 Döhring (Anm. 12), 217f. 254 Döhring (Anm. 12), 223. 250 Stolleis,

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Nachkriegskarrieren nationalsozialistisch verstrickter WissenschaftlerInnen zeugen.255 Eine zentrale Frage der historischen Aufarbeitung des „Dritten Reiches“, die bis heute noch nicht ausreichend erforscht wurde, bleibt das Verhältnis der Universität zum Staat und die Rolle der Wissenschaft. Die Gefahr liegt hier vor allem darin, anhand von moralischer Rigorosität als scharf richtende Erb*innen die „böse“ Vergangenheit lediglich „schwarz“ und „weiß“ zu malen und folglich die Akteure des „Dritten Reichs“ simplifiziert als „Nazi“ oder „Nicht-Nazi“ zu kategorisieren. Vor allem aber drängen die vielen ungeklärten Fragen dazu, sich mit dieser nach wie vor gegenwärtigen Vergangenheit auch weiterhin auseinanderzusetzen.

_____________ 255 Vgl. Bernd Rüthers, Geschönte Geschichten – geschonte Biographien. Sozialisationskohorten in Wendeliteraturen, Tübingen 2001, 91ff., passim. Speziell zu Kiel Wiener (Anm. 3), 220ff., 230ff.

Teil II Biographisches

Theodor Niemeyer (1857–1939). Ein Leben in sechs Rollenbildern und einem Epilog Von Andreas v. Arnauld und Jens T. Theilen

A. Der pragmatische Idealist Von Theodor Niemeyer besitzen wir in beachtlicher Zahl Schriften, in denen er seine „Grundauffassungen“1, „Grundanschauungen“2 und „Grundgedanken“3 zum Recht im Allgemeinen und zum Völkerrecht im Besonderen programmatisch niedergelegt hat.4 Selbst in jener Epoche des Umbruchs um 1900, in der immer neue Strömungen und „-ismen“ von allgemeiner Sinnsuche zeugen, erscheint Niemeyers Wunsch nach Bekräftigung und Verkündung des eigenen Standpunktes bemerkenswert. In seinen Programmschriften legt er stets Wert darauf, sich vom Positivismus abzuheben, der die Rechtswissenschaft ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte. Schon früh habe er im Lichte politischer, historischer, sozialer und philosophischer Zusammenhänge „die begrenzte Gültigkeit der juristischen Dogmatik und Technik“ erkannt;5 seine Kritik gilt der „unhistorische[n] und dilettantische[n] Mechanisierung“, die den „lebendigen Born verschüttet“ habe, „aus dem alle Juristen das Recht schöpften“.6 Bezogen auf das Völkerrecht, bezeichnet er die eigene Methode als „positive völkerrechtspolitische Wissenschaft“.7 An anderer Stelle unterstützt er die Haltung eines „praktische[n] Idealismus“.8 _____________ 1 Theodor Niemeyer, Rechtspolitische Grundlegung der Völkerrechtswissenschaft, Kiel 1923, 1. 2 Ebd. 3 Theodor Niemeyer, Aufgaben künftiger Völkerrechtswissenschaft, München/Leipzig 1917, Vorwort. 4 Zu den zeit- und kulturhistorischen Hintergründen Martti Koskenniemi, International Law as ‘Science’ – Reflections on a Mandarin Essay, German Yearbook of International Law 57 (2014), 27–33, sowie allgemein Martti Koskenniemi, From Apology to Utopia, Cambridge 2005, 123. 5 Theodor Niemeyer, Erinnerungen und Betrachtungen aus drei Menschenaltern. Aus dem Nachlaß herausgegeben von seiner Tochter Dr. Annemarie Niemeyer, Kiel 1963, 76. 6 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 91. 7 Niemeyer, Grundlegung (Anm. 1), 1. 8 Theodor Niemeyer, Die Arbeit der „International Law Association“ 1906–1911, Zeitschrift für Internationales Recht 22 (1912), 213–227 (227); ders., Vorbemerkung zu Anna

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Niemeyers eigener Idealismus9 wird besonders deutlich an dem von ihm selbst mehrfach aufgegriffenen Satz: „Wir glauben aber in tiefster Überzeugung an das Fortschreiten und an den endlichen Sieg des Gemeinschaftsgedankens; also an die Zukunft des Völkerrechts auf dem Grunde der Vernunft.“10 Charakteristisch für seinen Rechtsidealismus ist freilich, dass dieser nicht als Quelle der Kritik des positiven Rechts dient, sondern im geltenden Recht gründet. Nicht ohne Stolz berichtet er in seinen Lebenserinnerungen, seine Schüler an der Marine-Akademie hätten den Satz „Recht ist, was gilt“ als „Niemeyers Schlagwort“ verinnerlicht.11 Geltendes Recht aber ist für Niemeyer „geübtes Recht“12, das die Entscheidungsspielräume des Rechtsanwenders und dessen Gestaltungsmacht einbezieht.13 Positivismus und Idealismus stehen für ihn auf diese Weise nicht in Widerspruch zueinander,14 sondern ergänzen sich; sie zeichnen sogar eine nahezu zwingende Entwicklung vor. Sei es bei der rechtshistorischen15 oder der zukunftsgerichteten16 Analyse: Niemeyer weiß, dass es „mit innerer Macht“,17 durch das „Wesen der menschlichen Gemeinschaft überhaupt, und das Wesen der Staatenwelt im besonderen“,18 durch die „natürlichen Mächte des sozialen Lebens“19 stets zum Fortschritt kommen müsse,20 da das wohlverstandene Interesse der Staaten diese selbst auf den richtigen Weg führen werde.21 Das positive Recht _____________

B. Eckstein, Staatenschutzvertrag zur Sicherung des Weltfriedens, München/Leipzig 1919; vgl. auch ders., Recht und Sitte, Kiel 1902, 16 („Politik des sozialen Ideals“ als Methode des Juristen). 9 Koskenniemi, Science (Anm. 4), 32f. weist auf den Charakter eines Glaubensbekenntnisses hin. 10 Theodor Niemeyer, Aus dem Seminar für Internationales Recht. Was wir mit dem Völkerrecht während des Krieges anfangen, in: Gruß der Universität Kiel an ihre Kommilitonen im Felde, Kiel 1916, 101–105 (104); wieder aufgegriffen in ders., Aufgaben (Anm. 3), 40; ders., Einführung in das Völkerrechtsarchiv und die Bücherei nebst Bericht über Aufgaben und Entwicklung des Instituts. Zugleich eine völkerrechtliche Programmschrift, Kiel 1919, 5. 11 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 102f. Siehe auch ders., Völkerrecht, Berlin/Leipzig 1923, 30. 12 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 102. 13 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 90. 14 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 12. 15 Bspw. Theodor Niemeyer, Internationales Recht und nationales Interesse, Kiel 1907, 7; ders., Aufgaben (Anm. 3), 23; ders., Völkerrecht (Anm. 11), 55ff. 16 Bspw. Niemeyer, Interesse (Anm. 15), 11; ders., Das Völkerrecht nach dem Kriege, Deutsche Juristen-Zeitung (DJZ) 24 (1919), 21ff. 17 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 12; vgl. auch ders., Erinnerungen (Anm. 5), 8. 18 Ebd. 19 Niemeyer, Kriege (Anm. 16), 24. 20 Dazu allg. Koskenniemi (Anm. 4), 143ff. 21 Niemeyer, Interesse (Anm. 15).

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folgt somit nahezu zwangsläufig dem vernunftgemäßen Pfad. Als Paradebeispiel führt Niemeyer immer wieder den Weltpostverein an,22 dessen Gründung er als Geburtsstunde des modernen Völkerrechts feiert.23 Ein Rückschritt sei ausgeschlossen, „so sicher wie es unmöglich ist, daß die Feuererzeugung auf den Standpunkt des Feuersteins oder der Personentransport auf das Verkehrsmittel der Postkutsche zurückgeschraubt werde“.24 Wie andere „Progressive“ seiner Zunft auch war Niemeyer überzeugt, „treaty-making […] was realizing the cosmopolitan dream without practically anyone noticing“.25 Das Fortschreiten des internationalen Rechts beruht demnach für Niemeyer auf „einleuchtende[r] Vernünftigkeit“,26 auf „wohlerwogene[r] Einsicht“.27 Wenn die Staaten ihre Interessen erst einmal „richtig verstanden“28 hätten, werde, durch die List der Vernunft, ein „aufgeklärte[r] Egoismus“29 sie drängen, das positive Recht in die Richtung der internationalen Kooperation weiterzuentwickeln.30 Dass die nötige „wohlerwogene Einsicht“ sich ganz ohne äußeres Zutun durchsetzen würde, glaubte indes auch Niemeyer nicht. Für ihn lag hier die Aufgabe der Wissenschaft: die wahren Interessen der Staaten aufzudecken31 und „Irrtümer, Willensfehler, Mißgeschicke“32 zu verhindern.33 Im Interesse politischer Wirksamkeit müssten die wissenschaftlich eruierten Gesetze der Vernunft kommuniziert werden, um Staatsmänner zu überzeugen – aber auch um die öffentliche Meinung zu beeinflussen,34 welche wiederum die Einhaltung der entsprechenden _____________ 22 Vgl. nur die Erwähnungen in Niemeyer, Sitte (Anm. 8), 12; ders., Völkerrecht (Anm. 11), 25, 63, 115, 123, 143; ders., Kriege (Anm. 16), 24; ders., Aufgaben (Anm. 3), 18, 35, 37; ders., Interesse (Anm. 15), 11f.; ders., Erinnerungen (Anm. 5), 142. – Die Frequenz der Erwähnung gab Anlass für ein Trinkspiel unter den Autoren dieses Beitrags: Wer immer vom Weltpostverein spricht, schuldet dem anderen einen shot. 23 Niemeyer, Interesse (Anm. 15), 11. 24 Ebd. 25 Martti Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations. The Rise and Fall of International Law 1870–1960, Cambridge 2002, 234. 26 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 13f. 27 Niemeyer, Interesse (Anm. 15), 9. 28 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 27. 29 Theodor Niemeyer, Les sociétés de commerce, Recueil des Cours de l’Académie de Droit International 4 (1924-III), 5–62 (55). 30 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 28. 31 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 19f. 32 Theodor Niemeyer, Vom Beruf unserer Zeit für Revision und Kodifikation des Internationalen Rechts, Niemeyers Zeitschrift für Internationales Recht (NiemeyersZ) 49 (1934), 3–21 (10). 33 Vgl. Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 21. 34 Ebd., 19f.

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Grundsätze erzwingen werde.35 Durchaus im Einklang mit manchen Zeitgenossen, aber wohl noch stärker akzentuiert,36 rückt die Rechtswissenschaft bei Niemeyer in eine Hebammenfunktion für den Geist der Vernunft, die zu nichts Geringerem als dem „Fortschritt der Menschheit durch die Wissenschaft“37 führen soll.38 Die Völkerrechtswissenschaft hat demnach die Aufgabe, „innerhalb ihres Rahmens und mit ihren Mitteln […] die beiden Seiten der Rechtspflege: Ordnung und Wohlfahrt, gegenseitiges Achten und Helfen, im Verhältnis der Staaten zu fördern“.39 In der Formulierung dieses Auftrags kommt zum Ausdruck, dass und warum Niemeyer selbst den sittlichen Fortschritt des Rechts „nicht als objektiven Bestand, sondern als wertbeständige subjektive Vorstellung und als innere Kraft, oder anders ausgedrückt, im Sinne des Kantschen Imperativs, nicht im Sinne des Hegelschen Weltbildes“40 begreifen kann. Um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, muss die Völkerrechtswissenschaft für Niemeyer über das positive gesetzte Recht hinausgehen.41 Dieses allein kann keinen Aufschluss über tatsächliche Probleme und deren vernünftige Lösung geben. Gegenstand völkerrechtlicher Forschung seien daher „in ihrer Tatsächlichkeit Probleme der Rechtspolitik“42 oder der Wirtschaft43, und zwar „von den Bedürfnissen ausgehen[d], welche den Anlaß und den Gegenstand der Einrichtung der Völkerrechtsdisziplin bilden“44 – „Lebenserscheinungen“, die Relevanz für völkerrechtliche Regelungen haben, de lege lata wie de lege ferenda.45 Dies fasst Niemeyer durch „die Stichwörter der soziologischen und der rechtspolitischen Methode“ zusammen,46 die er – obgleich er sich als Schüler Bernhard Wind-

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Niemeyer, Sitte (Anm. 8), 12. Vgl. bspw. Travers Twiss, Two Introductory Lectures on the Science of International Law, London 1856, 60; Johann Caspar Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisierten Staten: als Rechtsbuch dargestellt, 2. Aufl. Nördlingen 1868, 15f.; Otfried Nippold, Der völkerrechtliche Vertrag, Bern 1894, 13. 37 Niemeyer, Grundlegung (Anm. 1), 4. 38 Vgl. Koskenniemi, Science (Anm. 4), 28. 39 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 37. 40 Vgl. (in etwas anderem Zusammenhang, aber sein Selbstverständnis explizierend) Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 8. Ein Hauch von Hegel bleibt. 41 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 6. 42 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 18. 43 Niemeyer, Sociétés (Anm. 29), 6 („réalités de la vie économique“). 44 Niemeyer, Grundlegung (Anm. 1), 20. 45 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 7; etwas konkreter ders., Aufgaben (Anm. 3), 37f. 46 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 7; vgl. mit ähnlichen Formulierungen auch ders., Aufgaben (Anm. 3), 15; ders., Interesse (Anm. 58), 13f.; ders., Beruf (Anm. 32), 6; ders., Grundlegung (Anm. 1), 22; vgl. zu frühen Einflüssen in diese Richtung ders., Erinnerun36

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scheids versteht, bei dem er Vorlesungen gehört hatte47 – der „lebensentfremdeten“ Begriffsjurisprudenz entgegensetzt.48 Bedingt durch diesen Ansatz verliert für Niemeyer auch der (besonders im internationalen Recht ohnedies fließende) Übergang von der Sitte zum Recht an Bedeutung.49 Als Kern seines Denkens schält sich so, mit kantianischen Untertönen, die vernunftbestimmte Verhaltenslenkung heraus50 – sei es durch Recht oder durch Sitte, die sich als „wesensähnlich[e]“ Normen ohnehin zu einem „Gesamtorganismus des menschlichen Gemeinlebens“ zusammenfügen.51 Es bleiben Ambivalenzen. Im Kern vermag sich Niemeyer nicht vom Positivismus zu lösen. Durchaus im Einklang mit den anderen Völkerrechtlern seiner Zeit betont er die „grundlegende Wichtigkeit“ des positiven Rechts,52 welches darzustellen „selbstverständlich eine besonders wichtige Aufgabe der Völkerrechtswissenschaft“ sei.53 Er erkennt „das Bedürfnis positiver Sammlung, wissenschaftlicher Sichtung und zweckmäßiger Bereitstellung des Materials für die Praxis und für die Wissenschaft“54 und betrachtet dies als besonderes Forschungsdesiderat.55 Auf dieser pragmatischen Ebene betätigt er sich selbst als Herausgeber von Dokumentensammlungen. Erwähnt seien die „Urkunden zum Seekriegsrecht“ (1913), das gemeinsam mit Karl Strupp herausgegebene „Jahrbuch des Völkerrechts“ (1913–1926), das primär der Publikation völkerrechtlich relevanter Dokumente diente, und das 1928 erschienene „Handbuch des Abrüs-

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gen (Anm. 5), 74ff. In Kiel hatten sich ähnliche Strömungen entwickelt, vgl. Erich Döhring, Geschichte der juristischen Fakultät 1665–1965 (= Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1665–1965, Band 3, Teil 1), Neumünster 1965, 171. 47 Vgl. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 43; vgl. auch Alexander Bader, Leben und Werk des Geheimen Justizrates Prof. Dr. Dr. h.c. Theodor Niemeyer. Eine Biographie unter besonderer Berücksichtigung seiner Arbeiten auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts zur Zeit der Entstehung und des Inkrafttretens des Einführungsgesetzes zum BGB am 1. Januar 1900, Aachen 2001, 166. 48 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 9; vgl. auch ders., Sociétés (Anm. 29), 6, 49; ders., Beruf (Anm. 32), 5. 49 Niemeyer, Sitte (Anm. 8), 12f.; ders., Aufgaben (Anm. 3), 29. 50 Vgl. Niemeyer, Sitte (Anm. 8), passim; außerdem ders., Grundlegung (Anm. 1), 7; ders., Aufgaben (Anm. 3), 18. 51 Niemeyer, Sitte (Anm. 8), 4; vgl. auch ders., Völkerrecht (Anm. 11), 35f.; ders., Grundlegung (Anm. 1), 8. 52 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 39. 53 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 10f. 54 Theodor Niemeyer, Vorwort, NiemeyersZ 29 (1921), III, V; vgl. auch ders., Aufgaben (Anm. 3), 9. 55 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 11.

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tungsproblems“. Noch spannungsreicher gerät Niemeyers Oszillieren zwischen Idealismus und Positivismus56 freilich, weil sich seine idealistische Völkerrechtskonzeption ausschließlich innerhalb des positiven Rechts entfaltet. Positives Recht aber ist für ihn nur möglich auf der Grundlage vom „Wille[n] des Staates nach innen und außen“.57 Damit bleibt zugleich für ihn der Staatenkonsens „Bedingung und einzige Quelle“ des geltenden Völkerrechts.58 Wenn aber „Recht ist, was gilt“ (s.o.), wird das Potenzial eines „richtigen Rechts“ zur Machtkritik verschenkt; die Völkerrechtswissenschaft wird zum Ratgeber der Mächtigen, vermag aber die Gesetze der Vernunft schwer gegen den „Staatswillen“ in Stellung zu bringen. Sie rückt ironischerweise in dieselbe Rolle, die Niemeyer selbst dem von ihm verehrten Dramatiker William Shakespeare zugedenkt. An dessen „Kaufmann von Venedig“ schätzte er, dass hier (so Niemeyers eigene Interpretation) „weit entfernt von Tendenz“ der Welt der „Spiegel des Rechtslebens vorgehalten“ werde.59 Am ehesten erschließt sich Niemeyers Gedankenwelt wohl, wenn man sie von seiner disziplinären Herkunft aus dem Römischen Recht her begreift, dessen zeitgenössische „Anwendung“ immer auch einen Akt schöpferischer Rezeption einschloss. So pronociert er seine Grundüberzeugungen kundttut, so vage bleibt Niemeyer im Konkreten.60 Geht es um die Offenlegung vernünftiger Interessen durch die Wissenschaft, differenziert er bezeichnenderweise nicht zwischen kurz- und langfristigen Interessen der Staaten,61 sondern nimmt recht pauschal Bezug auf „weitsichtige“ Würdigung62 und „zeitbeherrschenden Weitblick“.63 In späteren Schriften tritt sein Fortschritts-Optimismus64 denn auch gedämpfter in _____________ 56 Dies lässt sich in der Terminologie Koskenniemis auch als die für die Völkerrechtswissenschaft typische Oszillation zwischen apology und utopia verstehen; vgl. allg. Koskenniemi (Anm. 4), insb. 16, 59f., 131. 57 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 11. 58 Ebd., 12; vgl. auch Niemeyer, Interesse (Anm. 15), 9, 13; ders., Beruf (Anm. 32), 10, 14. 59 Theodor Niemeyer, Der Rechtsspruch gegen Shylock im „Kaufmann von Venedig“. Ein Beitrag zur Würdigung Shakespeares, München/Leipzig 1912, 31; überarbeitete und übersetzte Version in Michigan Law Review 14 (1915), 20–36; Überblick zur damaligen Debatte bspw. bei Owen Hood Phillips, Shakespeare and the Lawyers, London 1972, 91ff. 60 Vgl. Koskenniemi, Science (Anm. 4), 29 im Vergleich mit Max Weber: „Niemeyer spoke as if from nowhere“. 61 Kritisch (primär bezogen auf Jellinek) Koskenniemi (Anm. 25), 207. 62 Niemeyer, Interesse (Anm. 15), 17. 63 Ebd., 18. 64 Vgl. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 76: „Auf diesen Grundlagen erwachsen auch Glaube, Liebe, Hoffnung der Wissenschaft, – deren unentbehrliche Attribute, aus denen sich der Optimismus zusammensetzt, ohne den Wissenschaft nicht gedeiht, und mit dem die ars dubitandi et nesciendi in vollem Einklang steht“.

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Erscheinung.65 Das Verhältnis von soziologischer, politischer Methode und Bezugnahme auf das positive Recht erscheint hier nurmehr als eine Frage der Schwerpunktsetzung.66 In Bezug auf seine Haltung zum Pazifismus soll Bernhard Harms, Gründer des Kieler Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft, gesagt haben, Niemeyer „könne sich nicht entscheiden“.67 Und in der Tat erfährt man wenig darüber, was konkret die Gesetze der Vernunft denn nun völkerrechtlich gebieten. Kooperation und Frieden werden von Niemeyer zwar wiederholt als Endziele genannt; wie aber die Übergänge zwischen den hehren Fernzielen und den konkreten Normen des positiven Rechts zu machen sind, bleibt weitgehend offen. So oszilliert sein Œuvre zwischen der Bearbeitung praktischer Einzelfragen und einem wissenschaftspolitischen Adhortativ, der auf die Einlösung durch andere zu warten scheint.

B. Der besonnene Krieger Niemeyers Überzeugung von der List der Vernunft und ihrer Entfaltung im positiven Recht machte ihn skeptisch gegenüber aktiv politisierenden Strömungen in der Wissenschaft, insbesondere dem Pazifismus,68 wenngleich er der Friedensbewegung als solcher durchaus Anerkennung zollte.69 Als wissenschaftliche Herangehensweise dürfte der Pazifismus aus Niemeyers Sicht schlicht überflüssig gewesen sein: Frieden und Internationalismus würden sich über kurz oder lang ohnehin einfinden. Entsprechend enttäuscht zeigten sich die wenigen Pazifisten unter den Völkerrechtlern von der „Mutlosigkeit“70 Niemeyers: Sie hätten sich „oft gewünscht, dass sich N. noch viel energischer für die Friedensbewegung eingesetzt hätte“, schreibt Hans Wehberg in einem Nachruf.71 Dass Wehberg, der von 1917 bis 1919 unter Bernhard Harms am Kieler Weltwirtschaftsinstitut tätig war, in Niemeyers Einflussbereich seine „ganze pacifistische Betätigung“ hätte „aufgeben“ müssen, wie er 1917 seinem Freund Walther Schücking schrieb, mag _____________ 65 Vgl. Niemeyer, Sociétés (Anm. 29), 55: „pas de doute que de plus en plus le besoin général, l’intérêt solidaire du monde sera reconnu“, mais „à trop longue vue“ (Hervorhebung hinzugefügt). 66 Niemeyer, Sociétés (Anm. 29), 6f. 67 Zitiert nach Hans Wehberg, Theodor Niemeyer, Friedens-Warte 39 (1939), 238–240 (239). 68 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 3. 69 Frühzeitig Niemeyer, Rezension zu Fried, Handbuch der Friedensbewegung, 1905, Zeitschrift für internationales Privat- und Öffentliches Recht (ZIPÖR) 15 (1905), 509f., wonach die Friedensbewegung „wegen ihrer nicht ferner leugbaren positiven Erfolge“ die „ernsteste Beachtung“ fordere (509). 70 Bader (Anm. 47), 86. 71 Wehberg (Anm. 67), 239.

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indes eine jener Überspitzungen sein, zu denen der kämpferische Pazifist neigte, wenn jemand nicht zu seinem Lager gehörte.72 Immerhin hob Niemeyer noch während des Krieges die Bedeutung einer neutralen Völkerrechtswissenschaft hervor73 – kritisch auch gegenüber dem eigenen Staat.74 Auch konnte er später feststellen – „by and large correctly“, attestiert Martti Koskenniemi75 –, dass die von ihm herausgegebene Zeitschrift sich als einzige ihrer Art auch während des Krieges der „wissenschaftlichen Pflege des Internationalismus“ verschrieben habe.76 Zudem fand an seinem Institut die bekennende Pazifistin Anna Bernhardine Eckstein Aufnahme (der Zeitpunkt ließ sich nicht ermitteln), die auf Ermunterung Niemeyers ihren Vorschlag zur Friedenssicherung durch einen „Staatenschutzvertrag“ in einer Schrift niederlegte, die 1919 in der Reihe des Kieler Instituts für Internationales Recht erschien.77 Auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs reagierte Niemeyer differenziert. In einem Tagebucheintrag soll er vom „Wahnsinnsausbruch der europäischen Welt“ gesprochen haben78, was ins Bild passt. Immerhin schien dieser Krieg in offenkundigem Gegensatz zu seiner Überzeugung zu stehen, dass der Weg zur internationalen Verständigung unumkehrbar vorgezeichnet sei. In seinen Publikationen jener Zeit hält er am Ziel der Überwindung des Krieges fest und richtet seinen Blick auf die Zeit danach. Erkennbar bemüht er sich um Kontinuität in seinen eigenen Schriften. Veröffentlichungen vor,79 während80 und nach81 dem Krieg unterscheiden sich inhaltlich wenig; teils werden eigene frühere Schriften seitenlang wörtlich zitiert.82 Nach einem solchen Zitat heißt es einmal: „Von den vorstehenden Sätzen habe ich nach dreijähriger Dauer des Weltkrieges nichts zurückzunehmen.

_____________ 72 Brief von Hans Wehberg an Walther Schücking vom 16.4.1917, NL Schücking Nr. 28; zitiert nach Claudia Denfeld, Hans Wehberg (1885–1962). Die Organisation der Staatengemeinschaft, Baden-Baden 2008, 20. Charakteristisch im Tonfall etwa Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkrieg, Leipzig 1919. 73 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 3; ders., Belgien und seine Neutralisierung, München/Leipzig 1917, Vorwort. 74 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 12f. Vgl. Koskenniemi (Anm. 4). 75 Koskenniemi (Anm. 25), 234. 76 Niemeyer, Vorwort (Anm. 54), IV–V. 77 Vgl. Niemeyer, Vorbemerkung (Anm. 8), IV. 78 Zitiert nach Annemarie Niemeyer, Theodor Niemeyer, in: Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, Hamburg 1965, 158–173 (162). 79 Bspw. Niemeyer, Sitte (Anm. 8; 1902); ders., Interesse (Anm. 15; 1907). 80 Bspw. Niemeyer, Gruß (Anm. 10; 1916); ders., Aufgaben (Anm. 3; 1917). 81 Bspw. Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11; 1922); ders., Grundlegung (Anm. 1; 1923); ders., Sociétés (Anm. 29; 1924); ders., Beruf (Anm. 32; 1934). 82 Vgl. Koskenniemi (Anm. 4).

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Ich habe auch nichts Wesentliches hinzuzufügen.“83 In ähnlicher Weise zitiert Niemeyer sein früheres Bekenntnis zur Überwindung nationalstaatlicher Konflikte in einer Schrift der Kieler Fakultät an „die Kommilitonen im Felde“84; auch andernorts betont er die Bedeutung präventiver Kriegsverhinderung durch Kooperation, insbesondere im Verkehrsrecht,85 und warnt vor Überreaktionen.86 Zugleich aber entfaltet Niemeyer in den Kriegsjahren eine umfangreiche Sammeltätigkeit: Nahezu alles, dessen er habhaft werden kann und das mit dem Krieg in Verbindung steht, findet Eingang in die beiden Kriegssammlungen seines Instituts: in die Weltkriegsbibliothek, die Schriften und Pamphlete v.a. rechtlicher und politischer Art bewahrt, und das Kriegsarchiv des Völkerrechts, für das unter wissenschaftlicher Leitung („Sektion B“) am Ende über 100 Mitarbeitende, Fachkräfte, Studierende und interessierte Laien („Sektion A“), ca. 2.400 Archivkästen mit rund 400.000 Zeitungsausschnitten, 20.000 Abhandlungen, 1.000 Bücherreferaten und 30.000 sonstigen Mitteilungen zusammengetragen haben werden.87 Es scheint, als habe der Einbruch des Krieges in die Gesetze der Vernunft Niemeyer doch tiefer verunsichert, als seine Publikationen erkennen lassen,88 als seien diese Sammlungen Ausdruck eines Wunsches zu verstehen, wie eintreten konnte, was doch vernünftigerweise nicht eintreten konnte. Das wissenschaftliche Bekenntnis zum Internationalismus hinderte Niemeyer nicht an der Erfüllung seiner Pflichten als Patriot, wie er sie verstand. Erleichtert wurde ihm dieser Spagat dadurch, dass er, im Einklang mit den meisten seiner Zeitgenossen89, das Kriegsrecht vom Völkerrecht im Frieden als kategorisch getrennt betrachtete. Über den Frieden zu schreiben und fürs Vaterland zu kämpfen, war auf diese Weise miteinander vereinbar. 1880/81 hatte Theodor Niemeyer in Münster seinen freiwilligen Militärdienst absolviert und war zum Hauptmann der Reserve aufgestiegen.90 Nachdem nach Zuspitzung der Julikrise Deutschland _____________ 83

Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 26. Niemeyer, Gruß (Anm. 10). 85 Niemeyer, Völkerrecht (Anm. 11), 165f.; ders., Kriege (Anm. 16), 22; vgl. zuvor schon ders., Interesse (Anm. 15), 12, 17f. 86 Niemeyer, Kriege (Anm. 16), 22. 87 Niemeyer, Einführung (Anm. 10), 10; Ursula E. Heinz, 100 Jahre Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, in: Jost Delbrück u.a. (Hrsg.), Von Kiel in die Welt: Kiel’s Contribution to International Law. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, Berlin 2014, 13–38 (16). 88 Vgl. die abschließenden Worte Niemeyers am Begrüßungsabend der zweiten Jahresverhandlung der DGVR am 18.9.1918: „Wir haben langsam, ganz langsam wieder Hoffnung geschöpft, ganz langsam wieder geglaubt, dass unsere Lebensarbeit nicht verloren sei“; Mitteilungen der DGVR 2 (1918), 17. 89 Bspw. Moritz Liepmann, Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht, Weltwirtschaftliches Archiv 12 (1918), 69. Vgl. Niemeyer, Gruß (Anm. 10), 104. 90 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 78f., 97. 84

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Russland (1. August) und Frankreich (3. August) den Krieg erklärt und Großbritannien daraufhin seinerseits eine Kriegserklärung gegen das Deutsche Reich abgegeben hatte (4. August), meldete sich Niemeyer schon am 5. August 1914 freiwillig zum Kriegsdienst. Die Front blieb dem 57-Jährigen erspart; er wurde in Kiel zum Bahnhofskommandanten ernannt.91 Neben dieser Tätigkeit war Niemeyer durch den gesamten Krieg hindurch beratend für die Reichsmarine (v.a. als Justiziar der Marinestation Ostsee) und für das Auswärtige Amt tätig.92 Zur Marine hatte er über eine ins Jahr 1883 zurückreichende Bekanntschaft mit dem nachmaligen Großadmiral Alfred v. Tirpitz langjährige Beziehungen; gleich nach der Berufung Niemeyers nach Kiel hatte Tirpitz ihn als Nachfolger des Seerechtlers Ferdinand Perels mit der Abhaltung völker- und seekriegsrechtlicher Vorlesungen an der Kaiserlichen Marineakademie betraut. Frucht dieser Verbindung war eine Reihe seekriegsrechtlicher Publikationen.93 Nicht ohne Stolz schreibt Niemeyer, dass „[d]ie Admiralstäbe und Auswärtigen Ämter in London, Paris, Rom, Madrid, Washington“ seine Veröffentlichungen kannten und dass „[v]on meinen Hörern an der Marineakademie […] inzwischen über ein halbes Hundert in führende Stellungen gelangt“ waren.94 Ging es nicht um die Überwindung des Krieges durch das Völkerrecht im Allgemeinen, sondern um konkrete Fragen des Krieges, in dem man sich befand, stand Niemeyer auch wissenschaftlich klar auf deutscher Linie.95 Während des Weltkriegs präsentierte er sich so als ein „besonnener Krieger“: national gesinnt, aber nicht unüberlegt; nicht völlig neutral, aber gemäßigt; international ausgerichtet, aber aus deutscher Perspektive. Diese Ambivalenz zwischen internationaler und nationaler Gesinnung in jenen Jahren spiegelt sich auch in der von Niemeyer initiierten Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht im Kriegsjahr 1917. Auf der ersten Jahresversammlung forderte er die „Ausgestaltung des Inhaltes des Völkerrechts im Sinne der Solidarität der Interessen und des Ausgleichs der Interessen der Staaten, wobei der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht naturgemäß die besondere Aufgabe zufällt, die deutschen Interessen zu prüfen“ – note bene: zu prüfen, nicht zu vertreten – „und die Eigenart deutscher Arbeit zur Geltung zu bringen“.96 An seinem Institut referierten Wissenschaftler und Praktiker in jener Zeit an „völkerrechtlichen Kriegsabenden“ publice über aktuelle _____________ 91

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 188f.; vgl. auch A. Niemeyer (Anm. 78), 162. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 124, 189. 93 Zu erwähnen sind v.a. die beiden publizierten Vorträge „Prinzipien des Seekriegsrechts“ (1908) und „Das Seekriegsrecht nach der Londoner Deklaration vom 26. Februar 1909“ (1910) sowie die Dokumentensammlung. 94 Näher Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 190. 95 Bspw. Niemeyer, Belgien (Anm. 73), 42–48; ders., Gruß (Anm. 10), 104. 96 Theodor Niemeyer, Deutschlands Anteil an der Entwicklung des Völkerrechts, Rede am 5.10.1917, zitiert nach Mitteilungen der DGVR 1 (1918), 20. 92

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Fragen des Kriegsgeschehens wie den Suez-Kanal, das Seebeuterecht, Belgiens Neutralität oder die Rechtsstellung der Gesandten im Kriege. In dem Werben dafür, dass nationale Interessen und Internationalismus kein Widerspruch sein müssen, konnte Niemeyer an frühere Publikationen anknüpfen, insbesondere seine Rektoratsrede von 1907, „Internationales Recht und nationales Interesse“. Hier hatte er gemahnt, in der Förderung einer „internationalen Kultur- und Interessengemeinschaft“ „nicht mehr ein Zeichen nationaler Schwäche“ zu erblicken, sondern „die „Signatur zeitbeherrschenden Weitblicks“.97 „Nationale Blüte setzt nicht die Zertrümmerung konkurrierender Interessen voraus; sie kann auch aus der schöpferischen Kraft des Zusammenwirkens und des Entgegenkommens sich gegenseitig achtender und helfender Staaten erwachsen“, heißt es drei Jahre später in einem Artikel für die „Kieler Zeitung“, in dem er gar die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“ propagiert.98 Politisch war Niemeyer ab etwa 1878 „tätiges Mitglied der nationalliberalen Partei“ und kämpfte „mit Bismarck gegen die Fortschrittspartei und gegen die Sozialdemokratie“.99 Dabei scheint seine Verehrung für Otto v. Bismarck100 eine wichtige Triebfeder für sein parteipolitisches Engagement gewesen zu sein. Nach dessen Demission im Jahre 1890 lehnte Niemeyer es zweimal ab, für den Reichstag zu kandidieren: 1893 in Halle und 1902 in Kiel. 1903 trat er aus, „als der rechte Flügel […] die Grundlagen der Partei verließ“.101

C. Der Organisator In Erinnerung geblieben ist Theodor Niemeyer nicht wegen eines herausragenden Werks oder einer von ihm gegründeten wissenschaftlichen Schule, sondern in erster Linie als Organisator. „Getting organized“, überschreibt Martti Koskenniemi einen Niemeyer gewidmeten Buchabschnitt,102 und Ulrich Gassner bescheinigt ihm, „maßgebliche Beiträge zur Organisation und Institutionalisierung der deutschen Völkerrechtswissenschaft geleistet“ zu haben.103 Den Anfang macht 1912 die Gründung der Deutschen Vereinigung für Internationales Recht (DVIR) als Landesgruppe der International Law Association (ILA). Als Ziele der von ihm _____________ 97

Niemeyer, Interesse (Anm. 15), 18. Theodor Niemeyer, Politische Extreme und Völkerrecht, Kieler Zeitung Nr. 26036 vom 29.8.1910, 2. 99 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 70. 100 Näher Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 137f. 101 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 136. 102 Koskenniemi (Anm. 25), 231. 103 Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel. Leben und Werk, Berlin 1999, 121. 98

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initiierten Vereinigung formuliert Niemeyer „einerseits Förderung des freundlichen Verhältnisses der Staaten durch Unterstützung der Völkerrechtsorganisation, anderseits Förderung des Weltverkehrs durch ‚Unifikation‘ des in den verschiedenen Staatsgebieten geltenden Rechts“104. Hier fand der Gedanke der Internationalisierung durch nationales Interesse organisatorischen Ausdruck.105 In der Anbindung an die ILA dürfte die DVIR aber noch aus einem anderen Grunde Niemeyers wissenschaftlichem Credo verpflichtet gewesen sein, der die 1873 gegründete ILA mit dem weit prestigiöseren Institut de Droit International (IDI) zu den „besten wissenschaftlichen Organisationen“ rechnete.106 War (und ist) das IDI ein disziplinär homogener Zirkel, der sich durch Kooptation ergänzt (Niemeyer selbst war ab 1913 associé und ab 1921 membre107), schätzte Niemeyer an der ILA, dass diese weder auf eine bestimmte Mitgliederzahl noch auf Rechtswissenschaftler beschränkt war. So konnte sie als Brennpunkt für jene „Lebenserscheinungen“ dienen, an die Wissenschaft seiner Überzeugung nach anknüpfen sollte. Auch wenn die Sitzungen gelegentlich etwas ungeordnet und hektisch vonstatten gingen, sah Niemeyer in ihnen den „lebendige[n] Geist internationaler Verständigung, internationaler Kultur- und Rechtsgemeinschaft“.108 Dasselbe Grenzgängertum zwischen den Disziplinen und zwischen Wissenschaft und Praxis stand 1917 auch Pate für die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht (DGVR), deren Gründung Niemeyer initiierte und der er als Vorsitzender (bis 1929) bzw. als Ehrenvorsitzender (bis 1931) vorstand.109 Anlass war wohl, dass in einer Zeit, in der das Völkerrecht von allen kriegführenden Parteien zur Rechtfertigung ihrer Position bemüht wurde, auch Deutschland nicht abseits stehen sollte. Hier zeigt sich wieder jene Ambivalenz zwischen Nationalismus und Internationalismus, von der die Rede war.110 Niemeyer lag erneut daran, dass der Gesellschaft nicht allein Rechtswissenschaftler angehören sollten, sondern – inspiriert von der „Sektion B“, die den Aufbau des Kieler Kriegsarchivs wissenschaftlich begleitete111 – auch Wissenschaftler anderer Disziplinen (Historiker und _____________ 104

Niemeyer, Arbeit (Anm. 8), 214. Vgl. Karl Strupp, Die Deutsche Vereinigung für internationales Recht. Ihre Notwendigkeit, ihre Entstehung, ihre bisherige Tätigkeit, Zeitschrift für internationales Recht 24 (1914), 353–363 (358, 363). 106 Niemeyer, Aufgaben (Anm. 3), 19. Näher zur ILA ders., Erinnerungen (Anm. 5), 157ff. 107 A. Niemeyer (Anm. 78), 161. Siehe auch T. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 161ff. 108 Niemeyer, Arbeit (Anm. 8), 226. 109 Bader (Anm. 47), 65; Heinz (Anm. 87), 16. Näher Niemeyer, Einführung (Anm. 10), 9; Liepmann (Anm. 89), 80. 110 Vgl. aufschlussreich Liepmann (Anm. 89), 75ff. 111 Heinz (Anm. 87), 16. 105

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Ökonomen) und Praktiker.112 Nicht nur hierüber kam es zu Differenzen mit dem Berliner Völkerrechtler Heinrich Triepel, der zunächst auf Distanz zur neuen Gesellschaft und ihrem „Rector perpetuus“ blieb.113 Man wird Niemeyer nicht zu nahe treten, wenn man ihm in der Leitung „seiner“ Organisationen ein nicht gerade basisdemokratisches Verständnis unterstellt. In diesem Sinne dürfte es wohl zu verstehen sein, wenn Wehberg schreibt, dass „N. selbst kein besonders geschickter Verhandlungsleiter war“, aber „für seine Gesellschaft [lebte] und […] andere dafür zu interessieren [wusste]“.114 Seine Begeisterung für die wissenschaftliche Organisation in „gelehrte[n] Gesellschaften“115 mag teils auf mangelnde Verbundenheit mit vielen seiner Fakultätskollegen zurückzuführen sein,116 vor allem aber dürfte sie Niemeyers Rechtsidee entsprochen haben: Indem sich Wissenschaftler zusammenfinden, um gemeinsam Entwürfe und Stellungnahmen zu erarbeiten, können sie wirkungsvoll vernünftige Lösungen propagieren und die öffentliche Meinung beeinflussen.117 Aus den Arbeiten der DGVR unter Niemeyers Leitung verdient v.a. der Entwurf einer Völkerbundsatzung118 Erwähnung, der freilich unter den Verhandlungsbedingungen in Versailles keine Aussicht auf Erfolg haben konnte. Neben der Gründung dieser beiden Fachorganisationen wirkte Niemeyer über Kiel hinaus vor allem als Herausgeber wissenschaftlicher Periodika: des „Jahrbuchs des Völkerrechts“, das er von 1913 bis 1926 gemeinsam mit Karl Strupp (Frankfurt) herausgab, und der „Zeitschrift für internationales Recht“. In diesem _____________ 112

Karl Strupp, Eine Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht, DJZ 1917, 492f. So Triepel 1917 in einem Brief an Ferdinand v. Martitz, zitiert nach Gassner (Anm. 103), 123. Gegenüber Niemeyer kritisierte Triepel, dass eine deutsche Vereinigung auch primär deutsche Interessen zum Maßstab nehmen solle und übte ebenso Kritik an der Zusammensetzung der Gesellschaft, die er (in einem anderen Schreiben an v. Martitz) „zusammengewürfelt“ nannte. Triepels eigene Vorstellung von einer Fachvereinigung lässt sich an der von ihm initiierten Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer ablesen, die ausschließlich habilitierte Öffentlichrechtler von deutschsprachigen Universitäten als Mitglieder zuließ. Hinzu dürfte in Triepels Fall eine Ehrkränkung gekommen sein (vgl. zum Ganzen Gassner, a.a.O., 122ff.): Niemeyer hatte sich bereits Anfang 1916 mit Triepel wegen der Gründung der Gesellschaft beraten, diesen dann aber nicht zu der Gründungsversammlung eingeladen, die (ausgerechnet) an Triepels Wirkungsstätte (Berlin) stattfand und von der dieser auf Umwegen erfuhr. Erst einige Jahre später fand sich Triepel bereit, der DGVR beizutreten und sich aktiv an der Gesellschaftsarbeit zu beteiligen. 114 Wehberg (Anm. 67), 239. 115 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 101. 116 Für Halle: Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 99; für Kiel: ebd., 143. 117 Vgl. Niemeyer, Arbeit (Anm. 8), 214f. 118 Dazu Theodor Niemeyer: Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht. Jahresversammlungen 1917 und 1918; Völkerbundentwurf, NiemeyersZ 28 (1920), 265–269 (267ff.); Bader (Anm. 47), 72ff.; Koskenniemi (Anm. 25), 235f. 113

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1891 von Ferdinand Böhm unter dem Namen „Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht“ begründeten Periodikum wirkte Niemeyer ab 1896 als Mitherausgeber und übernahm nach Böhms Tod 1901 die alleinige Herausgeberschaft, was sich in einer Umbenennung niederschlug: zunächst in „Zeitschrift für internationales Privat- und öffentliches Recht“, 1910 dann in „Zeitschrift für internationales Recht“. Niemeyer zufolge war es der Verleger, der ihn ersuchte, einer letzten Namensänderung der Zeitschrift zuzustimmen,119 die von 1915 an als „Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht“ erschien. Dieses in Deutschland „seinerzeit führende“120 internationalrechtliche Periodikum betrachtete Niemeyer recht eigentlich als „seine“ Zeitschrift121; über die Fortführung nach der Emeritierung sollte es mit seinem Lehrstuhlnachfolger Walther Schücking zum Konflikt kommen.122 Ob Niemeyer die Herausgeberschaft 1935 tatsächlich „in Konsequenz seiner Haltung gegenüber dem Nazi-Regime“ aufgegeben hat, wie seine Tochter schreibt,123 lässt sich nicht mit letzter Gewissheit klären. Ab 1934 wurde die Zeitschrift vom Göttinger Ordinarius Herbert Kraus (mit-)herausgegeben, 1937 das Erscheinen eingestellt. Für Kiel trugen Niemeyers Organisationstalent, sein Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen vor allem durch die Gründung des Instituts für Internationales Recht Früchte, der noch an anderer Stelle in diesem Band ausführlicher gedacht wird.124 Vorangegangen war diesem Schritt ein regelrechter Coup Niemeyers:125 Der Straßburger Romanist Otto Lenel (1882–84 selbst Ordinarius für Römisches Recht in Kiel) hatte ihm Ende 1904 mitgeteilt, dass sein Schwager Franz Kahn (1861–1914), ein bekannter Privatgelehrter und Pionier des Internationalen Privatrechts, im Sterben liege und Sorge habe, dass ein größeres Manuskript unveröffentlicht bleiben könne. Dankbar für die Zusage, das Manuskript posthum in „Niemeyers Zeitschrift“ zu publizieren126, bestimmte Kahn testamentarisch, dass _____________ 119

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 156. Ottobert L. Brintzinger, 50 Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, Juristenz-Zeitung 1964, 285–286 (285). Näher Ingo Hueck, Die Gründung völkerrechtlicher Zeitschriften in Deutschland im internationalen Vergleich, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1999, 379–420 (403ff.); Andreas v. Arnauld/Laura Kresse, Zeitschriften am Institut für Internationales Recht. Das German Yearbook of International Law und seine Vorgänger, in diesem Band. 121 Siehe Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 155. 122 Dazu näher unten G. 123 A. Niemeyer (Anm. 78), 164 124 Wiebke Staff, Die Anfänge des Instituts für Internationales Recht an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel. Eine schwierige Geburt, glückliche Kindheit und heikle Jugend, in diesem Band. 125 Zum Folgenden Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 138ff. 126 Franz Kahn, Die Haager Scheidungs-Konvention, ZIPÖR 15 (1905), 126–264. 120

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Niemeyer über seine Bibliothek verfügen solle. Mit der Familie wurde vereinbart, diese Bibliothek in eine Stiftung einzubringen, deren Vorsitz Niemeyer dauerhaft übernehmen sollte. Als – vermutlich nicht ohne werbendes Zutun Niemeyers – ein Bruder des Verstorbenen zusätzlich 40.000 Mark stiftete, um die Bibliothek auf ausländisches Recht und Völkerrecht, Konsular- und Kolonialrecht auszuweiten, weckte dies Begehrlichkeiten an der Berliner Universität; auch Lenel sprach sich nun dafür aus, eine so große Bibliothek in Berlin aufzustellen. Der Streit wurde schließlich vom allmächtigen Ministeraldirigenten im Preußischen Kultusministerium, Friedrich Althoff, entschieden, der die „Franz-Kahn-Bibliothek“ im Juli 1906 Kiel zuschlug. Dort wurde sie zunächst als Sonderbestand innerhalb der Universitätsbibliothek aufgestellt, bevor sie 1913/14 den Grundstock für die Bibliothek des neuen Seminars (ab 1918: Instituts) für Internationales Recht bildete. Trotz mancher Differenzen mit Kollegen127 engagierte sich Niemeyer auch in der, wie es heute heißt, akademischen Selbstverwaltung. Bereits 1894 wurde er Dekan in Kiel, und war anschließend mehrere Jahre lang Senatsmitglied; er war Mitglied der Witwen- und Waisenkasse128, der Stipendien- und der Archiv-Kommission. Nach eigenen Angaben war es sein Verdienst, dass die Hamburgische Justizbehörde das Referendarexamen am Oberlandesgericht Kiel anerkannte, was (bis zur Gründung der Universität Hamburg 1919) „einen regelmäßigen Zuzug von Hamburg nach Kiel“ sicherstellte.129 Nicht ohne Stolz verweist Niemeyer darauf, dass bei seiner Ankunft in Kiel 1893 die Zahl der Studenten der Rechtswissenschaft bei 85 gelegen habe (bei insgesamt 600 Studierenden), im Jahr seines Rektorats hingegen bei 411 (insgesamt 1.318).130 Überhaupt sein Rektorat: In der Übernahme dieses Amtes für das akademische Jahr 1907/08 sah Niemeyer eine „ebenso wichtige als erhabene Pflichterfüllung am Ganzen“.131 Innerhalb der ersten acht Tage absolvierte er mehr als hundert Antrittsbesuche „mit Hilfe eines Galawagens und des Pedellen auf dessen Kutschbock“, die „alsbald rite erwidert“ wurden.132 Das „Klinkenputzen“ scheint sich ausgezahlt zu haben. Erneut _____________ 127 Vgl. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 143: „Sowohl der Geist der Fakultäten als derjenige der akademischen Allgemeinheit und der studentischen Korporationen war im Ganzen nicht ideal. Die Haltung der Professorenschaft auch in Fragen der Wissenschaft war oft unsympathisch“. 128 Erwähnung verdient auch Niemeyers soziales Engagement: Wie schon zuvor in Halle fungierte er in Kiel als städtischer Armenpfleger und betreute von 1897 bis zu seinem Umzug nach Kitzeberg 1907 einen Armenbezirk nahe der Holtenauer Straße, der „gegen 100 Stadtarme mit ständiger Armenunterstützung“ umfasste: Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 136. 129 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 135. 130 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 155. 131 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 143. 132 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 142.

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schwingt Stolz mit, wenn Niemeyer berichtet, der damalige Rektor August Skalweit habe ihm aus Anlass seines 75. Geburtstags (im Februar 1932) versichert, „daß in meinem Rektoratsjahr (1907/08) die größte Zahl von Universitätsbauten seit Beginn der Universität geschaffen sei: Institutsgebäude, Kliniken, Bibliothekbauten, Sportanlagen, und dazu als Krönung das Universitätsmuseum mit Gemäldesammlung und archäologischem Institut und das Studentenheim“.133 Die „Seeburg“, das erste Studentenhaus in Deutschland, war Niemeyer ein besonderes Anliegen, um den Studierenden Versammlungsräume, Speise- und Lesezimmer direkt an der Förde (damals noch in unmittelbarer Nähe zur Universität) zur Verfügung zu stellen. Es gelang ihm, vom Finanzministerium 100.000 Mark für den Baufonds zu erhalten, so dass das Gebäude am 12. November 1910 feierlich eingeweiht werden konnte.134 Als „geselligen Höhepunkt“ seines Rektorats nennt Niemeyer selbst ein „Waldfest“, das er mit seiner Frau auf ihrem Grundstück in Kitzeberg gab: 330 Einladungskarten wurden gedruckt („Die Kleidung sei zu Wald und Wasser passend, – im Regenfall auch Gummischuh’ umfassend“), Festzelt, Tanzdiele und Blaskapellen sorgten für den passenden Rahmen.135 Die Diele der Villa Niemeyer in Kitzeberg soll auch Schauplatz eines Treffens gewesen sein, auf dem im Juni 1910 die Gründung des Akademischen Segelvereins verabredet wurde, „unter Beteiligung des Studiosus der Rechte, Prinz Waldemar von Preußen“.136 Damit konnte an den Akademischen Ruderverein angeknüpft werden, dessen Gründung Niemeyer einige Jahre zuvor im Auftrag des Senats erfolgreich betrieben hatte. Schon vor seiner Kieler Zeit hatte dieser sein sportorganisatorisches Talent unter Beweis stellen können: als Vorstand und Platzwart des Dozenten-Tennisklubs während der Zeit seiner Habilitation in Halle.137 Mit noch größerem Elan widmete sich Niemeyer in Kiel jedoch der Organisation des Musiklebens. Schon sein Vater hatte im westfälischen Warburg öffentliche Konzerte und private Theateraufführungen organisiert und dirigiert und in Bayreuth ein kleines Museum für den von ihm verehrten Dichter Jean Paul mitgegründet.138 Diesem Vorbild konnte Theodor Niemeyer gleich bei seiner Ankunft nacheifern, indem er eine führende Rolle bei der Errichtung eines Denkmals für den 1869 in Kiel gestorbenen Balladen-Komponisten Carl Loewe übernahm:139 Als Vorsitzender der Denkmalkommission überredete er den Bildhauer Fritz Schaper, auf ein Honorar zu verzichten, und vermittelte zwei Wohltä_____________ 133

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 148. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 143ff. 135 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 150. 136 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 134f. 137 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 97. 138 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 7, 10f., 20ff. 139 Dazu Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 120ff. 134

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tigkeitskonzerte mit befreundeten Sängern in Leipzig und London, um die Materialkosten zusammenzutragen. Das Denkmal, das am 30. November 1896 enthüllt wurde, steht – nach Kriegsbeschädigung und Ortswechsel – seit 2011 wieder an seinem alten Platz an der Förde.140 Vor allem aber verdankt die Stadt Kiel Theodor Niemeyer ihr Philharmonisches Orchester, dessen Gründung er als Vorsitzender des von ihm gemeinsam mit dem director musices der Christiana Albertina, Hermann Stange, ins Leben gerufenen Vereins der Musikfreunde „mit positiver Aggressivität, Dynamik und Diplomatie“141 vorantrieb.142 Nachdem er bei einer Versammlung in seiner Wohnung alle Leiter Kieler Gesangs- und Musikvereine und die Musikreferenten der Kieler Zeitungen auf das Projekt eingeschworen hatte, überredete er den Lübecker Generalmusikdirektor Hermann Abendroth, „probehalber“ Volkskonzerte in Kiel zu geben. Auch sein Amt als Opernreferent in der Städtischen Theaterkommission nutzte er, um für ein eigenes ständiges Orchester der Stadt zu werben. Resümierend schreibt Niemeyer über diese Aktivitäten: „Die Kieler Theatergeschichte habe ich in den Vorstadien des Stadttheaterbaues und während desselben als Mitglied der städtischen Theaterkommission, sowie als Opernreferent und Berater des städtischen Hauptreferenten, miterlebt. Dies dauerte bis zum Frühling 1912, als der Intendant Anton Otto ausschied. […] Was […] in mir zerstört worden ist, das ist der Respekt vor jeder Handwerkschaft und Wohlweisheit im Bereich der Bühnenkunst.“143 Damals trat er vom Vereinsvorsitz aus Protest gegen den Beschluss zurück, das Stadttheater zu verpachten. Niemeyer muss dieser Beschluss als Rückschritt in die Zeit der Wanderbühnen erschienen sein. Manch Enttäuschung brachte ihm auch die Leitung der Schleswig-Holsteinischen Musikfeste, die von seinem Onkel Conrad Niemeyer (zwischen 1869 und 1890 Direktor der Kieler Gelehrtenschule) mitgegründet worden waren144 und deren Vorsitz er 1906 übernahm.145 So scheiterte sein Plan, das für 1914 projektierte Musikfest in einer eigenen Konzerthalle zu veranstalten an den wachsenden weltpolitischen Spannungen, ebenso wie 1930 sein Versuch, einen „Verein zur Veranstaltung Schleswig-Holsteinischer Musikfeste“ zu gründen, um die durch

_____________ 140 Rudolf Meyer-Pritzl, Theodor Niemeyer (1857–1939). Vom Römischen Recht zum internationalen Recht, Christiana Albertina 79 (2014), 82–94 (91). 141 Selke Harten-Strehk, „Die Grundlage alles musikalischen Lebens einer Stadt“. 100 Jahre und mehr: Musikfreunde Kiel, 1, unter: http://www.musikfreunde-kiel.de/fileadmin/user_upload/PDF/geschichte_musikfreundekiel.pdf. 142 Näher Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 165ff., 170ff. 143 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 169. 144 Meyer-Pritzl (Anm. 140), 91. 145 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 149, 172.

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den Weltkrieg beendete Festivalidee wiederzubeleben.146 Dafür übernahm er im Herbst 1920 bereitwillig die Leitung des künstlerischen Teils der Kieler Woche für Kunst und Wissenschaft, „innerhalb deren das Eröffnungsspiel ‚Paläophron und Neoterpe’ von Goethe, ‚Herodes und Mariamne’ von Hebbel, Byrons ‚Manfred’, Wagners ‚Meistersinger’ und J.S. Bachs ‚H-moll-Messe’ sowie ein Konzert des Klingler-Quartetts meiner Verantwortung übertragen waren“.147

D. Der Familienmensch Geboren wurde Theodor Hugo Edwin Niemeyer am 5. Februar 1857 im schwäbischen Bad Boll, während eines Aufenthalts seiner Mutter in der dortigen Blumhardtschen Pflegeanstalt.148 Er war der erste von vier Söhnen des damaligen Gerichtsauskultators Hans Niemeyer (1834–1916) und seiner ersten Frau Hildegard, geborene Westermeier. 1859 folgte sein Bruder Kurt, 1860 Berthold. Die Mutter verstarb nach der Geburt des vierten Sohnes, Victor, 1863 im Kindbett. Seine ersten Lebensjahre verbrachte Theodor in Erlangen bei der Großmutter Julie Niemeyer, geborene Goeschen („Tochter des Pandektisten Goeschen“149), bevor die Familie, dem Berufsweg des Vaters in der westfälischen Justiz folgend, 1859 nach Duisburg, 1860 nach Hamm und schließlich 1866 nach Warburg zog. Im selben Jahr heiratete der Vater ein weiteres Mal; aus der Ehe mit Marie Natorp (1842–1919) gingen drei Halbgeschwister hervor: Adalbert (*1867), Hildegard (*1870) und, als Nachzüglerin, Marga (*1881). Das Verhältnis zur Stiefmutter scheint herzlich gewesen zu sein; die vier Söhne aus erster Ehe „hingen der schönen jugendlichen zweiten Mutter mit stürmischer Liebe an“, nannten sie „Mamma Miechen“, und für ihren Tod findet Niemeyer dieselben Bilder, mit denen er bereits den Tod seiner eigenen Mutter bedachte (es „versank die Sonne unseres Elternhauses und eine Welt des Glücks“).150 Bei aller Beschwörung des Kindheitsidylls: über seine Geschwister erfährt man durch Theodor Niemeyer wenig, allenfalls der „getreue Bruder“ Victor (später selbst ein erfolgreicher Jurist und Kommunalpolitiker) findet etwas mehr als beiläufig Erwähnung, „dessen besondere Verbundenheit mit mir [nota bene: _____________ 146 Signe Rotter-Broman, Die Schleswig-Holsteinischen Musikfeste 1875–1910, in: Martin Loeser/Walter Werbeck (Hrsg.), Musikfeste im Ostseeraum im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Rezeption und Kulturtransfer, Intentionen und Inszenierungsformen, Berlin 2014, 131–149 (141 mit Anm. 39). 147 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 169. 148 Bader (Anm. 47), 11. 149 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 5. 150 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 11. Vgl. ebd., 4 (zum Tode von Hildegard Niemeyer): „Mit den glänzenden Augen meiner Mutter erlosch auch der Glanz meines Kindheitsparadieses, dessen Sonne sie war“.

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nicht T.N.s mit ihm] seit seiner Geburt uns als Vermächtnis unserer Mutter galt“.151 An anderen Stellen kann man lesen „Ich blieb eigentlich immer der Lehrer dieser beiden Brüder“, und „meine Geschwister hingen zärtlich an mir“.152 In seinen eigenen Memoiren bestätigt Victor Niemeyer den Eindruck: „Mein sieben Jahre älterer Bruder Theodor war für uns Jüngere eine Respectsperson. Er nahm selten an unseren kindlichen Spielen teil, war schon mehr der Freund des Vaters, mit dem er als guter Klavierspieler vierhändig spielte.“153 Gegenüber Gleichaltrigen galt der Knabe Theodor als verschlossen,154 während seiner Schulzeit in Hamm, Warburg, Düsseldorf und dann wieder in Warburg unterhielt er Bindungen nur an wenige „beste Freunde“.155 Umso größere Bedeutung scheint für Theodor die Figur des Vaters gehabt zu haben, auch wenn – den Rollenbildern der Zeit entsprechend – über die emotionale Dimension der Vaterbindung nichts zu erfahren ist. Im Mittelpunkt von Theodors Bericht steht das juristische Wirken des Vaters, der als Notar in Warburg und später als Justizrat in Essen hohen Respekt genoss, vor allem aber dessen weithin gerühmte musikalische Fähigkeiten als Organisator, Dirigent und Pianist.156 Mit etwas persönlicherem Tonfall erfahren wir von Victor Niemeyer: Mein Vater […] war in seiner Persönlichkeit, in seinen Neigungen und in seiner Lebenseinstellung mehr Künstler als Jurist und ein ausgezeichneter Klavierspieler. […] Schon als Gymnasiast hat er öffentlich gespielt und als Referendar mit seinem, mit einem schönen Tenor begabten Freund Steinmetz (später Kurator der Universität Marburg) Konzerte veranstaltet. […] Es verging auch kaum eine Mahlzeit, ohne daß sich aus dem immer angeregten, auf die Förderung unserer Allgemeinbildung gerichteten Gespräch nicht die Notwendigkeit ergab, ein Lexikon oder ein anderes Buch der Bibliothek einzusehen.157

Die eher persönlichen Aspekte seiner Jugend gehen in Theodor Niemeyers Lebenserinnerungen in der Flut eines name-dropping gelegentlich unter. Von bedeutenden Künstlern, die dem Vater ihren Besuch abstatteten, über die verzweigten familiären Kontakte bis hin zu Freundesfreunden reicht das Netzwerk der Verwandtschaften und Wahlverwandtschaften in der noch dünnen Schicht der bildungsbürgerlichen Elite jener Dekaden. Auch das Familienmotto „Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt“ huldigt diesem Wunsch nach bürgerlich-akademischer Selbstbestätigung. Wenngleich Niemeyers Tochter Annemarie dessen Lebenserinnerungen ohne jene Teile veröffentlicht hat, die den Ahnen gewidmet _____________ 151

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 103. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 17 bzw. 31. 153 Victor Niemeyer, Lebenserinnerungen eines Siebzigjährigen, Berlin 1937, 13. 154 Vgl. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 62. 155 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 12ff. 156 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 5ff., 21f. 157 V. Niemeyer (Anm. 153), 14. 152

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waren,158 lässt auch die publizierte Fassung Familienstolz erkennen, vor allem auf die Hallenser Vorfahren,159 allen voran den Urgroßvater August Hermann Niemeyer (1754–1828), Kanzler der Universität und Urenkel des Gründers der Franckeschen Stiftungen, August Hermann Francke (1663–1727). Am 15. April 1884 heiratete Theodor Niemeyer in Essen Johanna Schulz, mit der er seit gut zwei Jahren verlobt war. „‚Hans Schulz’ vom Walzwerk, wie Fräulein Johanna Schulz viel genannt wurde“ war „eine Tochter des Großindustriellen Carl Julius Schulz in Essen, Mitleiter des Walzwerks Schulz-Knaudt“, die Niemeyer Ende 1880 in der Villa Hügel auf einer Abendgesellschaft der Familie Krupp kennengelernt hatte.160 Niemeyer heiratete also in eine vermögende und einflussreiche Stahldynastie ein. Trotz der vergleichsweise üppigen Professorengehälter jener Zeit darf man annehmen, dass beim Bau der großzügigen Villa Drosselhörn in Kitzeberg auch Geld aus der Familie seiner Frau eine Rolle spielte. Das zunächst nur mit einer „Waldhütte“ bebaute Grundstück hatten die Niemeyers bereits 1902 erworben, als sie noch in der Lornsenstraße 14 lebten.161 Der Grundstein für die Villa am Ostufer der Förde wurde am 6. Mai 1907 gelegt, der Umzug fand von April bis Juli 1908 statt und wurde durch einen Empfang samt Konzert begangen, mit dem eine Schar von rund 50 Freunden und Bekannten die Familie nach der Rückkehr von einem Ausflug überraschte.162 Die Ehe scheint harmonisch gewesen zu sein: „Unsere übereinstimmende Liebe zum Familienleben und zu der Welt der Kunst, vor allem der Musik, gab den Grundton unserer jungen Brautzeit wie unseres späteren Lebens“, schreibt Theodor Niemeyer rückblickend.163 Seine vielfältigen inner- und außerakademischen Aktivitäten dürften indes nicht allzu viel Zeit für traute Häuslichkeit gelassen haben. Sein Familienleben nennt Niemeyer „das Glück meines ganzen Lebens“;164 von den Kindern erfährt man in den Lebenserinnerungen freilich wenig,165 vielleicht auch weil die Memoiren in erster Linie für sie bestimmt waren? An den mit acht Jahren verstorbenen Sohn Helmuth (1895–1903) erinnert noch immer ein verwitterter Gedenkstein auf dem verwilderten Grundstück in Kitzeberg, auf dem die Villa Niemeyer stand – bis sie, nach einer Nutzung als Schulungslager für den NS-Dozentenbund, als Sitz des Instituts für Meeresforschung einem alliierten Bombentreffer zum Opfer fiel. Über den jüngsten Sohn Günther (1897– _____________ 158

Näher V. Niemeyer (Anm. 153), 167ff.; Bader (Anm. 47), 7ff. Z.B. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 112ff. 160 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 79f. 161 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 118f. 162 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 153f. 163 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 84. 164 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 82. 165 Eher beiläufige Erwähnungen finden sich bei Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5) auf den Seiten 95, 96, 111, 119, 134, 153, 161, 174. 159

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1926), der auf der Kieler Förde verunglückte, schreibt Niemeyer spürbar berührt: „Was das Meer mir genommen hat, liegt in dem Namen meines Sohnes Günther beschlossen.“166 Der älteste Sohn Wolfgang (1886–1945) war schon früh nach Chile ausgewandert,167 die drei übrigen Kinder gingen, zunächst, nach Berlin. Zu ihnen zog Theodor Niemeyer nach dem Tode seiner Frau, am 29. Januar 1930, und einer eigenen schweren Erkrankung im Dezember 1932. Sohn Johannes (1889–1980), Architekt und Maler, richtete dem Vater auf seinem Grundstück in Berlin-Dahlem ein neues Domizil ein. In Berlin lebten damals auch die einzige Tochter Annemarie (1893–1977), die sich um den Nachlass des Vaters kümmern sollte, und Otto (1896–1984), der bereits 1933 auf die Insel Usedom übersiedelte und unter dem Namen Otto Niemeyer-Holstein als Maler Bekanntheit erlangte. Theodor Niemeyer starb am 23. Oktober 1939 in Berlin, kurz nachdem ein weiterer Weltkrieg seinen Anfang genommen hatte.

E. Der Akademiker Auf dem Dampfer von Helgoland nach Hamburg spricht am 22. September 1874 ein Reisender einen Oberprimaner an und erkundigt sich nach dessen beruflichen Plänen. „Ich will Jurist werden“, lautet die Antwort. Der Reisende weiter: „Was für ein Jurist?“ – „Wieso?“, fragt der Oberprimaner. „Ich meine Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt oder Professor?“ Der Schüler schreibt später über dieses Gespräch: „Das Stichwort ‚Professor‘ trieb mir das Blut in den Kopf. Ich hatte bis dahin noch niemals daran gedacht, daß man Professor und zugleich Jurist sein könne. Schnell war meine Antwort heraus: ‚Ich möchte wohl Professor werden.‘ Gleich darauf bereute ich diese vorschnelle Bemerkung. Aber der Fremde lobte meinen Gedanken mit auffallender Lebhaftigkeit. Er sprach vieles, was mir neu und verlockend war, über den juristischen Lehrberuf, besonders auch über die praktischen Aussichten dieses Berufes gerade in der Gegenwart. Ich beschloß infolgedessen im Laufe dieses Tages, während der vielstündigen Elbfahrt, meine Aufmerksamkeit auf diese Laufbahn zu richten und begrüßte diese Gedankenrichtung als eine Erleuchtung.“168 Der Weg hin zu diesem Ziel begann mit einem Jurastudium, das Theodor Niemeyer 1875 bis 1878 in Leipzig, Heidelberg und Berlin absolvierte.169 Leipzig _____________ 166

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 35. Eine der seltenen Erwähnungen des Ältesten findet sich im Bericht von einer gemeinsamen Reise, Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 135: „Ich verglich unseren Zusammenklang mit einem Duodezim-Akkord in Es-Dur“. 168 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 35f. Zum „klaren Entschluss“ freilich reift dieser Berufswunsch erst Jahre später in Berlin: ebd., 74. 169 Dazu vertiefend Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 43ff. 167

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empfahl sich wegen der Pandekten-Vorlesung des großen Bernhard Windscheid, als dessen Schüler sich Niemeyer auch später noch verstand. Die ersten drei Semester waren für den jungen Studenten jedoch weniger fachlich prägend als durch die Mitgliedschaft im „Universitätssängerverein St. Pauli“, einer studentischen Korporation, in der der verschlossene und zurückhaltende Theodor Freunde fand, mit denen er das reiche Leipziger Musik- und Theaterleben erkundete. In Heidelberg hielt es ihn dagegen nur ein einziges Semester, an dem ihm die Vorlesungen zum „deutschen Privatrecht“ (einschließlich Seehandelsrecht) bei Achilles Renaud in Erinnerung bleiben würden. Die beiden letzten Semester, die Niemeyer in Berlin verbrachte, waren im Schwerpunkt dem Öffentlichen Recht gewidmet, brachten ihn aber auch in Kontakt mit dem Nationalökonomen Adolf Wagner, bei dem er eine Arbeit zum „Inhalt internationaler Geldschulden“ verfasste.170 Auch die Pflege von Kontakten zu einflussreichen Persönlichkeiten scheint nicht zu kurz gekommen zu sein. In seinen Erinnerungen berichtet Niemeyer u.a. von Besuchen bei seinen beiden Onkeln, dem Präsidenten des Reichskanzleramtes Rudolf v. Delbrück und dem Handelsminister Rudolf v. Jacobi. Die „Goeschen-Delbrücksche Gruppe als engere ‚Vetternschaft‘“ soll sich in jener Zeit regelmäßig getroffen haben.171 Das Referendarexamen legt Niemeyer 1878 ab. Während die schriftliche Arbeit mit „gut“ bewertet wird, bleibt die vorgezogene mündliche Prüfung am 30. November hinter den Erwartungen zurück, v.a. wegen Lücken im Lehnsrecht und bei Reallasten.172 Das Referendariat leistete Niemeyer von 1878 bis 1883 im Appellationsgerichtsbezirk Hamm ab, mit Stationen in Werden, Essen, Münster und Mühlheim, unterbrochen durch sechs Monate am Kammergericht in Berlin. Sein Ausbilder in Münster war Lothar Schücking, der Vater Walther Schückings, der Theodor Niemeyer 1926 auf dessen Lehrstuhl in Kiel folgen sollte.173 Nach bestandenem Assessorexamen tritt Niemeyer zunächst in den Preußischen Justizdienst ein.174 Am 1. Januar 1884 wird er als „Gnadenassessor“ ins preußische Justizministerium berufen, zuständig zur Behandlung der dem Kaiser vorzulegenden Gnadengesuche in Strafsachen. Daneben arbeitet er an Heinrich Dernburgs Pandekten-Lehrbuch mit, nachdem er diesen zuvor schon bei der Neuauflage seines „Lehrbuchs des preußischen Privatrechts“ unterstützt hatte. Von 1885 bis 1887 wirkt er als Amtsrichter in Unna, nicht ohne Konflikte mit _____________ 170 Bader (Anm. 47), 20f. Wenig Eindruck scheinen die Vorlesungen zum Völkerrecht hinterlassen zu haben, die Niemeyer in Berlin bei Otto Dambach, dem Justitiar des Generalpostamtes hörte. Dass hier sein besonderes Interesse am Weltpostverein geweckt worden sein könnte, gehört – leider – ins Reich der Spekulation. 171 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 68f. 172 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 74f. 173 Zur Referendarzeit Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 76ff. Niemeyer erwähnt die Verbindung zu Walther Schücking nicht. 174 Dazu näher Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 86ff.

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Kollegen, die Niemeyer mit seinem Ziel, Missstände im Grundbuchwesen zu beseitigen, vor den Kopf stieß.175 Als der „heimliche Kultusminister“ Friedrich Althoff erfährt, dass Niemeyer sich mit dem Gedanken an eine Habilitation trägt, rät er diesem, nach Halle zu gehen, um dort Doktorgrad und Habilitation zu erwerben.176 In seiner 1888 eingereichten Dissertation befasst er sich mit dem „depositum irregulare“, der Hinterlegung von Geld, bei der Niemeyer unter Einbeziehung rechtshistorischer und ökonomischer Argumente dafür plädiert, sie nach den Regeln des Darlehens statt des Verwahrungsvertrags zu behandeln.177 Eine erweiterte Fassung der Dissertation wurde unmittelbar nach Bestehen der Doktorprüfung noch im selben Jahr als Habilitationsschrift angenommen. Die öffentliche Habilitationsrede am 26. Oktober 1888 trug den Titel „Über das Prinzip des internationalen Privatrechts“. Von den Vorlesungen, die er in Halle hielt, hatte er die meiste Freude an der römischen Rechtsgeschichte, „die ich zu einer römischen Rechts- und Wirtschaftsgeschichte ausgestaltete“;178 daneben las er Landwirtschaftsrecht (für Studenten der Landwirtschaft), Familien- und Erbrecht (Pandekten) und Internationales Privatrecht und hielt Übungen zur DigestenExegese ab. Dass er „den alten Fittig“, der parallel zu ihm Pandekten las, „vollständig heruntergelesen“ haben soll, befriedigt noch den Emeritus.179 Die Beziehungen zur Fakultät (der damals u.a. Philipp Heck, Eugen Huber, Edgar Löning, Franz v. Liszt, Max Rümelin und Rudolf Stammler angehörten) waren alles andere als ungetrübt. Es scheint, als wäre das rasante Tempo, mit dem der junge Amtsrichter durch Promotion und Habilitation marschiert war, auf Kritik gestoßen.180 Noch in seinen Lebenserinnerungen meint Niemeyer, sich gegen den Vorwurf der Oberflächlichkeit verteidigen zu müssen, wenn er schreibt, dass für ihn sein „Verhältnis zu wissenschaftlicher Einsicht und Umsicht“ leitend gewesen sei:

_____________ 175 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 92f. Niemeyer betont, dass in seinem Konflikt mit dem Präsidenten des Landgerichts Dortmund das Kammergericht (ironischerweise gerade jener I. Zivilsenat, dem er während des Referendariats selbst zugewiesen war) seine Position im Ergebnis gestützt habe. 176 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 96. 177 Zu Promotion und Habilitation Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 100ff. 178 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 105. 179 Ebd. 180 Auch seine nimmermüden außerakademischen Aktivitäten scheinen von manchen Kollegen mit Argwohn betrachtet worden zu sein, vgl. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 97: „Ich wurde als Vorstand und Platzwart des Dozenten-Tennisklubs gewählt […]. Ich schuf dort unserer Wohnung gegenüber neue Tennisplätze […]. Ich mußte gelegentlich anhören, daß dieser Betrieb meinem wissenschaftlichen Kredit bei der Juristenfakultät nachteilig geworden sei“.

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Unter diesem [sic] Gesichtspunkt habe ich auch das Tempo meiner Promotion und Habilitation gestellt, und habe ich ertragen, daß man mir Mangel an literarischer Produktivität zum Vorwurf machte. Wobei übrigens unbeachtet gelassen wurde, daß ich eine umfassende Produktion als romanistischer Spezialreferent für Zarnckes Literarisches Centralblatt und als Sonderreferent für juristische Zeitschriften leistete. Ich habe in der Hallischen Zeit auch eine Reihe von Aufsätzen und Abhandlungen geschrieben, die von vornherein bestimmt waren, einst als Teil eines größeren Werkes publiziert zu werden: ‚Vom freien richterlichen Ermessen‘ oder ‚Von den Rechtssätzen und dem richterlichen Ermessen‘ oder ‚Vom Wesen und Werden des Rechts‘. Im Jahre 1932 habe ich den dafür bestimmten umfangreichen Bestand an Manuskripten, größtenteils druckfertig, zusammengestellt.181

Der Abschied von Halle fiel also leicht, als Theodor Niemeyer im Februar 1893 als Extraordinarius für Römisches Recht und Reichszivilrecht an der Kieler Universität die Nachfolge des nach Erlangen berufenen Theodor Kipp antrat; bereits im folgenden Jahr wurde er zum Ordinarius ernannt. In Kiel las Niemeyer v.a. Römisches Recht im Wechsel mit Siegmund Schlossmann, nicht ohne Überraschung: „In meinem ersten Kieler Semester hatte ich in meinem Hauptkolleg, der Pandektenvorlesung, 5 Zuhörer, im Wintersemester 1893/94 in meinem Hauptkolleg, den Institutionen, nur einen einzigen Zuhörer. Dieser, er hieß Wieland, meldete sich bei mir mit der Bitte, ihm die Vorlesung zu testieren, ohne daß er sie hören müsse.“182 Das Bürgerliche Gesetzbuch, dessen Entwurf 1896 veröffentlicht wurde und das am 1. Januar 1900 in Kraft trat, führte Niemeyer in eine Sinnkrise. Er schreibt: „Demgegenüber habe ich zu dem ‚BGB‘ (ich habe dies nie in dieser Abkürzung gesprochen) niemals ein Herz gefaßt. Ich fand das Gesetzbuch selbst unschöpferisch im Aufbau, in der Sprache abscheulich, in seinem Geiste unlebendig. Seine Wirkung auf die Bildung des juristischen Nachwuchses erschien mir nachteilig, für die Rechtspflege verhängnisvoll.“183 Pflichtbewusst, aber widerwillig lehrt Niemeyer das neue Gesetz, das ihm nicht nur das Reichszivilrecht verleidet, sondern zudem seine eigentliche disziplinäre Heimat, das Römische Recht, von der Lehre lebenden Rechts zu einem Orchideenfach herabstuft. Wie viele Romanisten sucht auch Niemeyer nach einem neuen Betätigungsfeld.184 Er findet es im internationalen Recht, in dem das Römische Recht die Funktion „einer Art begrifflicher Gemeinsprache der Völker“185 erfüllt und „als eine Elementargrammatik“186 nach wie vor das positive Recht prägt. _____________ 181

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 105f. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 155. 183 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 126f. 184 Vertiefend zu diesen zeitgenössischen Suchbewegungen Meyer-Pritzl (Anm. 140), 86ff. 185 Josef Partsch, Vom Beruf des römischen Rechts in der heutigen Universität, Bonn 1920, 44. 186 Meyer-Pritzl (Anm. 140), 88. 182

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Verstärkt widmet sich Niemeyer nun zunächst dem internationalen Privatrecht, das ihn schon länger beschäftigt.187 Am Anfang steht (nach dem hallenser Habilitationsvortrag) ein Vortrag vor der Berliner Juristischen Gesellschaft im März 1894 über „Vorschläge und Materialien zur Kodifikation des internationalen Privatrechts“, der, zur Monographie ausgearbeitet, im folgenden Jahr im Druck erscheint. Ein bereits ab 1891 verfolgtes Großprojekt („Positives Internationales Privatrecht“) kommt nicht über den 1894 publizierten ersten Band (zu Deutschland) hinaus; das Manuskript eines zweiten Bandes soll beim Bombenangriff auf das Haus in Dahlem 1944 vernichtet worden sein. Es folgen das Lehrbuch „Das internationale Privatrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs“ (1901), gemeinsam mit dem Bonner Ordinarius (und „Alt-Paulianer“) Ernst Zitelmann das erste Heft einer Quellensammlung (1908) sowie eine Reihe von Aufsätzen, Vorträgen und Gutachten zu Einzelfragen des internationalen Privatrechts. Rechtsvergleichende „Bibliotheksreisen“ führen Niemeyer nach Paris und London.188 Durch den Kontakt mit der Marine-Akademie, an der er seit seinem ersten Wintersemester 1893/94 lehrt, gerät zunehmend auch das Völkerrecht in Niemeyers Blickfeld, wobei am Beginn naturgemäß Fragen des Seekriegsrechts im Vordergrund stehen. „In welchem Maße für mein späteres Leben das Meer und die deutsche Kriegsmarine nebst dem ihrem Schutz anvertrauten Handel bestimmend werden sollten, ist mir erst im Jahre 1933 voll bewußt geworden, als ich nach 40 Jahren Kiel verließ“, schreibt der bald Achtzigjährige in seinen Lebenserinnerungen.189 Die Lehre an der Marineakademie gibt er 1903 auf, „weil mein Lehrauftrag an der Universität auf meinen Antrag so geändert wurde, daß er das Völkerrecht einschloß“.190 Zudem verlagert sich sein Interesse vom Seekriegsrecht auf das Recht des Weltverkehrs, in dem sich international-privatrechtliche und völkerrechtliche Fragen mit Fragen der Weltwirtschaft verbinden. 1912 wird Niemeyer (der bis zu seiner Emeritierung formal Ordinarius für Römisches Recht und Reichszivilrecht bleibt) von der Verpflichtung zur zivilrechtlichen Lehre befreit und erhält den lang ersehnten Lehrauftrag für das gesamte internationale Recht, Rechtsvergleichung und Kolonialrecht, ein Novum im Deutschen Reich. Der Plan eines disziplinenübergreifenden Instituts für die Wissenschaft des Weltverkehrs, den er gemeinsam mit dem Nationalökonomen Bernhard Harms und dem Kulturgeographen Leonhard Schultze fasst, versandet mit der Berufung Schultzes nach Marburg; Niemeyer und Harms gehen getrennte Wege.191 _____________ 187

Näher Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 127ff.; Bader (Anm. 47), 91ff. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 130ff. 189 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 123. 190 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 134. 191 Bernd Kulla, Die Anfänge der empirischen Konjunkturforschung in Deutschland 1925–1933, Berlin 1996, 136f. Näher dazu Staff (Anm. 124). 188

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Am 19. Dezember 1913 stimmt das Ministerium Niemeyers Antrag auf Errichtung eines eigenen Seminars für internationales Recht an der Universität Kiel zu, das nach Bestätigung der Satzung im Februar 1914 die Arbeit aufnimmt und am 24. April 1918 in „Institut für internationales Recht“ umbenannt wird. Die KaiserWilhelm-Professur für das akademische Jahr 1914/15 an der New Yorker Columbia University (an der er u.a. zu „Principles of International Law and Politics“ lesen sollte) gelangt über eine Vorabaudienz mit dem Kaiser an Bord der vor Genua ankernden „Hohenzollern“ im Mai 1914 nicht hinaus. „Der Krieg verhinderte meine Überfahrt.“192 Der Ausbruch des Weltkriegs drängt auch die Beschäftigung mit rechtlichen Fragen des Weltverkehrs in den Hintergrund. Die Arbeit an den beiden Kriegssammlungen bestimmt die Jahre bis 1918; in der Nachkriegszeit widmet sich Niemeyer vor allem dem Völkerbund, der Abrüstung und Rechtsfragen der internationalen Friedensordnung. Die Kriegsheimkehrer unter den Studenten zeigen zwar nur geringes „Interesse und […] Aufnahmefähigkeit für das Juristische und besonders für das internationale Recht“, von „besseren Erfolgen“ berichtet Niemeyer dagegen „mit den von mir im Institut für internationales Recht eingerichteten ‚Diplomatischen Übungen’ und den Spezialbesprechungen mit den einzelnen Doktoranden, in denen ich die Steigerung der geistigen Spannung zu wirklicher Wissenschaftlichkeit mit äußerster geistiger Strenge betrieb“.193 Er ist Mitglied der Examenskommission für Attachés und hält von 1921 bis 1926 dreiwöchige Vortragskurse mit Übungen im Auswärtigen Amt.194 Kontakte knüpft Niemeyer in der Vor- und Nachkriegszeit zu Thomas Erskine Holland, Albert Venn Dicey und Henry Goudy in Oxford, Henry Erle Richards, Lassa Oppenheim und John Westlake in Cambridge, Louis Renault, Nicolas Politis und Antoine Pillet in Paris, Charles de Boeck in Bordeaux, Dionisio Anzilotti in Rom sowie Knut Hjalmar Leonard v. Hammarskjöld in Uppsala.195 Er ist Mitglied der Société de législation comparée und nimmt als associé (später als Mitglied) an Sessionen des IDI 1913 in Oxford („in der meine Tochter Annemarie als meine Sekretärin und sprachgewandte Assistentin sowie als willkommene musikalische Stütze des geselligen Rahmens sich eine dankbare Erinnerung erworben hatte“196) und 1921 in Rom teil. ILA-Tagungen hatten ihn zuvor nach London (1910), Paris (1912, als Vizepräsident der Tagung) und 1913 nach Madrid geführt, wo er als Gast im Hause des früheren Außenministers Manuel García Prieto mit dessen _____________ 192

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 188. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 192. 194 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 173. 195 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 156f. Wie intensiv diese Kontakte waren, ließe sich wohl nur durch ein sorgfältiges Studium der Korrespondenz aller Genannten ermitteln. 196 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 161. 193

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17-jähriger Tochter musiziert.197 1922 ernennt ihn die Academia Scientiarium Instituti Bononiensis in Bologna zum Mitglied. Eine letzte Ehrung empfängt er zu seinem 75. Geburtstag: den Ehrendoktor seiner einst so wenig geliebten Alma Mater in Halle. Entpflichtet wird Niemeyer seinen eigenen Angaben zufolge erst zum 1. Juli 1929;198 das Personal- und Vorlesungsverzeichnis führt ihn freilich bereits ab dem Wintersemester 1925/26 als „von den amtlichen Verpflichtungen entbunden“. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl und in der Leitung des Instituts ist ab dem Wintersemester 1926/27 Walther Schücking, dessen Namen das von Niemeyer gegründete Institut seit 1995 trägt.

F. Der homme de lettres „Mein juristisches Berufsleben“, schreibt Theodor Niemeyer im Rückblick, „war unaufhörlich von der Liebe zu diesem Beruf und von Arbeit getragen. Aber die Bereicherung meines persönlichen Daseins und Lebens überwog doch bei weitem das Berufsleben. Insbesondere war mir die Laufbahn immer unwichtig gegenüber den Idealen meiner persönlichen Lebensauffassung, gegenüber den Gütern der Philosophie, der Kunst und des politischen Lebens.“199 Wenn Niemeyer sich in seinen Memoiren als Mann von Welt und wahrer homme de lettres präsentiert, dürfte dies nicht nur Pose sein. Schon das Elternhaus war vor allem musikalisch geprägt; der Komponist Max Bruch und der Geiger Joseph Joachim zählten zu den Gästen.200 Die eindrucksvolle Liste der künstlerischen Prominenz, die dem Vater in Warburg und Essen mit ihrem Besuch aufwartete, wird von Bruder Victor noch ergänzt.201 Theodor erlernt vom Vater das Klavierspiel (mit „der mir von diesem anerzogenen Fertigkeit ‚alles vom Blatt zu spielen‘“202) und versieht als Oberschüler _____________ 197

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 157ff. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 111. 199 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 81f. 200 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 2, 10. 201 V. Niemeyer (Anm. 153), 55ff. nennt außerdem Felix Dahn, Gustav Nachtigal, Peter Rosegger („dem Vater in inniger Freundschaft verbunden“), Carl Humann, Hans v. Bülow, Eugen d’Albert, Theresa Carreño, Ludwig Wüllner, Franziska Elmenreich und Sarah Bernard. Eine Anekdote weiß Victor auch von einem späten Besuch (Theodor muss sich bereits auf dem Sprung von Halle nach Kiel befunden haben) Johannes Brahms’ in Essen zu berichten (ebd., 58): „Bei einem Besuche im Elternhause hatte Brahms besonders Gefallen an meiner damals 12jährigen Schwester Hildegard. Als sie ihn zur Besichtigung des Kirchenschatzes der nahegelegenen Münsterkirche begleitete, veranlaßte Brahms sie, in das nur auserwählten Besuchern vorbehaltene Fremdenbuch ihren Namen neben den seinigen zu setzen mit der Bemerkung: ‚Siehst du, nun werden die Leute später sagen, der Brahms war doch verheiratet‘“. 202 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 17. 198

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im heimischen Warburg Organistendienste im Gottesdienst.203 Daneben übt er sich an Trommel, Zither, Trompete und Piccoloflöte. Den Traum des Oberprimaners, einmal so viel Raum zu haben, dass er – wie seine Tante in Hamburg – in seinem Haus Chor- und Orchester- sowie Theateraufführungen veranstalten kann, erfüllt sich Theodor Niemeyer 1907 in seiner Villa in Kitzeberg.204 In Niemeyers Bericht über die verschiedenen Stationen seines Lebens spielen die Musik und das Theater durchweg eine zentrale Rolle: im Elternhaus, in der Studienzeit in Leipzig, in seinen Berliner Jahren, aber auch in Halle, von wo er regelmäßig nach Leipzig zu den Gewandhauskonzerten und Aufführungen des Thomanerchors reist und wo er sich als Dirigent eines Laienchors um die musikalische Rahmung akademischer Geselligkeiten verdient macht.205 In Kiel entfaltete Niemeyer nicht nur beträchtliche Aktivitäten, um der Stadt zu einem ständigen Konzert- und Opernorchester zu verhelfen, sondern pflegte auch weiter privat die Haus- und Kammermusik mit Freunden und Verwandten. „Mein Geburtstagsabend wurde eine feststehende Musikfeier mit ausgesuchtem Programm.“206 Auf seinen zahlreichen und ausgedehnten Reisen verbindet Niemeyer oft berufliche Aktivitäten mit Erkundungen des kulturellen Lebens, so auf seinen „Bibliotheksreisen“ nach London Pfingsten 1894 (mit einem Schwerpunkt auf den Präraffaeliten, worüber er später im Kieler Vortragsklub „Die Eule“ berichtet207) und im September 1904 (wo er u.a. den großen Geiger Fritz Kreisler in der Royal Albert Hall hört) sowie, im Herbst 1894, nach Paris (mit Besuch von Museen, Theatern und Konzerten). Weitere Reisen führen ihn nach Stockholm (eine Spontanreise mit dem befreundeten Altphilologen Ivo Bruns 1895)208 und zweimal auf Marineschiffen ins Mittelmeer (1897 mit dem Schulschiff „Nixe“ nach Tanger, 1899 mit dem Stationsschiff „Loreley“ von Konstantinopel bis Alexandria).209 Die ILA-Tagung 1912 in Paris nutzt er, um mit seiner Frau anschließend nach Cherbourg zu fahren. Von ihrem Ausflug schreibt er: „Vergleichbar mit der Schönheit dieser Küste habe ich in der Welt nur drei andere Stellen ozeanischen Ufers gesehen: an der spanischen Küste bei Vigo, an der italienischen Westküste bei Cumae, an der kleinasiatischen Küste bei Beirut. Die ‚Falaises de Jobourg‘ waren das Schönste.“210

_____________ 203

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 25f. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 38. 205 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 114f. 206 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 120. 207 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 133. 208 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 122f. 209 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 173ff., 177ff. 210 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 164. 204

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Zwischen 1893 und 1926 befindet er sich, oft begleitet durch ein oder mehrere Familienmitglieder fast jedes Jahr drei bis vier Monate auf Reisen.211 Ein besonderes Anliegen war ihm, Rom zu besuchen. Seit 1887 plant er mit seiner Frau eine Reise dorthin, die sie mit Sprach- und Kulturstudien intensiv vorbereiten. Als sie 1892 den Plan umsetzen wollen, vereitelt der Cholera-Ausbruch in Hamburg den gemeinsamen Reiseantritt; Theodor Niemeyer schifft sich allein in Genua ein.212 Auch die zweite große Italienreise tritt er allein an – von September bis Dezember 1930. Johanna Niemeyer lebt da schon nicht mehr. Beide Reisen nach Italien standen in Zusammenhang mit einem lange gehegten Projekt Niemeyers, seiner „Geschichte der Stadt Rom“, die unter dem wenig chiffrierten Pseudonym T. H. Neomario in zwei Bänden 1931 („Von der ältesten Zeit bis auf Kaiser Konstantin“) und 1933 („Von der Zeit des Kaisers Konstantin bis auf die Neuzeit“) erscheint. Den Impuls für das Projekt gab die monumentale Arbeit Ferdinand Gregorovius’, an der Niemeyer, ganz Römischrechtler, bemängelte, dass sie sich auf die Zeit zwischen dem Sturm Alarichs im Jahre 410 n.Chr. und dem sacco di Roma 1527 beschränkte.213 In dieser letzten großen wissenschaftlichen Arbeit huldigt Niemeyer noch einmal seinem Credo, dass das Recht als Kulturerscheinung nur im Zusammenhang mit der Sozial-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte zu verstehen sei. Die „Stellung des Rechts zur Kultur“ nennt er die „Hauptsache“ der Rechtsgeschichte,214 betont aber auch umgekehrt den Einfluss des Rechts auf die Kultur: „Soviel ist gewiss, dass der Rechtsstaat der heutigen Kultur als unentbehrliche Grundlage erscheint. Aber mehr: Das Recht bildet nicht etwa nur das leblose granitene Fundament für unser Kulturleben. Es herrscht vielmehr als etwas Lebendiges, Organisches, Schöpferisches.“215 Indem Kultur das Recht und Recht die Kultur durchdringt, gehört auch die Erfassung der Kultur als Lebenserscheinung für Niemeyer zu den selbstverständlichen Aufgaben des Rechtswissenschaftlers.216

G. Epilog: Vom Blick hinter die Masken Persona bezeichnet in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes die Maske des Schauspielers und damit die Theaterrolle. Der hier unternommene Versuch, sich Leben und Werk Theodor Niemeyers über verschiedene Rollenbilder zu nä_____________ 211

Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 173. Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 111f. 213 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 108ff. 214 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 45. 215 Niemeyer, Sitte (Anm. 8), 5. 216 Niemeyer, Sitte (Anm. 8), 15f. 212

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hern, ist der Quellenlage geschuldet. Wir besitzen über ihn in erster Linie Selbstzeugnisse, in denen immer wieder Elemente der Selbstinszenierung greifbar werden. Hinzu treten Äußerungen seiner Tochter Annemarie, die sich zeitlebens als Bewahrerin des Erbes und Andenkens ihres Vaters verstand. Man muss hier zwischen den Zeilen lesen und Leerstellen deuten, um Brüche zu entdecken und auf die Enttäuschungen und Verletzungen zu stoßen, die jedes Leben begleiten. Die Persönlichkeit Niemeyers zu rekonstruieren, fällt daher nicht leicht. Äußerungen von Kollegen sind rar. Einen wirklichen Schüler hat Niemeyer nicht gehabt; von seinem langjährigen Assistenten Curt Rühland ist eine Würdigung des Älteren nicht überliefert. Seine Tochter erwähnt zwar „starke Beziehungen besonders zu einzelnen Schülern, Kollegen, Mitarbeitern, wie aus der Kieler Zeit etwa zu den Professoren Wilhelm van Calker, Moritz Liepmann, Bernhard Harms und zu seinem liebsten so früh verstorbenen Schüler und Assistenten Kurt Neumann“;217 gerade zu Harms aber scheint das Verhältnis nicht ungetrübt geblieben zu sein. Man kann dies aus dem gescheiterten Plan eines gemeinsamen Instituts ablesen, auch daran, dass die von Harms angeblich angestrebte Verschmelzung ihrer beiden Institute nicht zustande kam.218 Harms’ langjähriger Mitarbeiter, Friedrich Hoffmann, schließt aus „Anrede und Schluß sowie aus dem Stil späterer Schreiben“ auf eine Entfremdung zwischen beiden.219 In Niemeyers Lebenserinnerungen fällt der Name Harms’ nicht. Nur von einer regelrechten Gegnerschaft berichtet Niemeyer selbst, einem Zwist mit dem Göttinger Pionier des internationalen Rechts, Ludwig v. Bar (1836– 1913), von dem er sich ungerecht behandelt sah: Bar, der auf Grund seines berühmten Werkes über das internationale Privat- und Strafrecht höchste Autorität beanspruchte und besaß, schrieb mir, als ich ihm meinen Berliner Vortrag mit dem brieflichen Ausdruck meiner Verehrung geschickt hatte, einen persönlichen Absagebrief und ist 15 Jahre lang mein persönlicher Feind geblieben, (er hatte mich von der Aufnahme in das ‚Institut de droit international’ ausgeschlossen), bis im Jahre 1909 auf einem von dem deutschen Handelsvertragsverein berufenen internationalen Anwaltskongreß in Berlin, dessen Vorsitzender ich ex improviso wurde, der eigenartige Mann mir Versöhnung und Einvernehmen anbot, nachdem er mir in der ihm übertragenen Tischrede auf mich als Präsidenten des Kongresses hohe Anerkennung gezollt hatte.220

_____________ 217

In Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), VIII-IX. So Wehberg (Anm. 67), 238. 219 Friedrich Hoffmann, Die Geschichte des Instituts für Weltwirtschaft. Von der Gründung bis zum Ausscheiden des Gründers, Teil 1: Die Geschichte der äußeren Gestaltung, Kiel 1941/44 (maschinenschriftlich), 51. 220 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 127; Bader (Anm. 47), 84f. 218

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„Im persönlichen Verkehre war N. eine nicht immer leichte Natur“, schreibt Hans Wehberg, der ihn persönlich kannte, in seinem Nachruf221 und apostrophiert Niemeyer – nicht ohne Bosheit – als „eine[n] der bekanntesten deutschen Völkerrechtsgelehrten der Wilhelminischen Epoche“222. Dass Theodor Niemeyer „nicht immer leicht“ im Umgang war, scheint allerdings plausibel. Auch für das Genre der Autobiographie tritt das „Ich“ in seinen Erinnerungen auffällig in den Vordergrund. Wo immer er auftritt, beansprucht Niemeyer die Führung für sich, wer sich nicht einreiht, erscheint ihm „in Fragen der Wissenschaft oft unsympathisch“223 oder es wird, wie im Falle Ludwig v. Bars oder der Professorenschaft in Halle, Neid insinuiert. Dass Niemeyer vermutlich Schwierigkeiten hatte, andere neben sich dulden, lässt sich auch an dem Verhältnis zu seinem Nachfolger in Kiel, Walther Schücking, ablesen – ein weiterer Name, der in der langen Liste von Personen, die Niemeyer in seinen Lebenserinnerungen nennt, auffälligerweise fehlt.224 Der causa Schücking sei hier deshalb abschließend genauer nachgespürt. Etwas pauschal äußert Wehberg, dass es zwischen Niemeyer und Schücking „aus Anlass“ der Übernahme des Lehrstuhls „zu jahrelanger schwerer Verstimmung kam“.225 Das Verhältnis zwischen beiden scheint zunächst wenig getrübt. Als sich abzeichnet, dass sich – vor allem wegen der ungewissen Finanzierung des Instituts – die Suche nach einem geeigneten Nachfolger für Niemeyer schwierig gestalten würde, bringt Gustav Radbruch Walther Schücking ins Spiel, den er in seiner Zeit als Justizminister in Berlin kennengelernt hat.226 Aus Anlass eines ersten Sondierungsbesuchs im März 1925 ernennt Niemeyer Schücking zum korrespondierenden Mitglied seines Instituts.227 Ernsthafte Vorbehalte gegen Schücking hatte Niemeyer somit nicht, obleich er nicht sein Wunschkandidat gewesen sein dürfte: Dem aktiven Eintreten für die pazifistische Idee konnte Niemeyer bekanntlich wenig abgewinnen, auch mag Schücking als Protégé Ludwig v. Bars, als Linksliberaler und als Enkel eines Bismarck-Gegners für Niemeyer _____________ 221

Wehberg (Anm. 67), 239. Wehberg (Anm. 67), 238. 223 Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 143; Bader (Anm. 47), 89. 224 Der – historisch fragwürdige – Hinweis in einer Fußnote in Niemeyer, Erinnerungen (Anm. 5), 146, Schücking sei auf Antrag Niemeyers dessen Nachfolger geworden, stammt von Niemeyers Tochter Annemarie. 225 Wehberg (Anm. 67), 240. Bader (Anm. 47), 85 schreibt von Spannungen „zumindest ab“ Übernahme der Institutsleitung durch Schücking. 226 Ulf Morgenstern, Sieben Jahre an der Förde. Walther Schücking als Hochschullehrer und internationaler Völkerrechtler in der holsteinischen Universitätsstadt 1926–1933, in: Oliver Auge/Swantje Piotrowski (Hrsg.), Gelehrte Köpfe an der Förde. Kieler Professorinnen und Professoren in Wissenschaft und Gesellschaft seit der Universitätsgründung 1665, Kiel 2014, 181–215 (187). 227 Urkunde vom 10.3.1925, Nachlass Walther Schücking, Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Nr. 34,093 (Kapsel 34: Artikel 10, II.). 222

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den falschen Stallgeruch besessen haben. Den Ruf nach Kiel verdankt Schücking in erster Linie Radbruch.228 Nach zähen Berufungsverhandlungen allerdings schreibt Schücking am 1. April 1926 an Niemeyer: „Diese Zeilen sollen Ihnen sagen, dass ich soeben den Kieler Ruf angenommen und die bisherige Stellung gekündigt habe. Es geschah in der Absicht, nach besten Kräften das bedeutsame von Ihnen geschaffene Werk dort fortführen zu können.“229 Dies klingt, wenn auch echte Zuneigung fehlen mag, noch nach wechselseitigem Respekt. Hauptgrund für die zunehmende Eintrübung des Verhältnisses scheint ein Streit um die Zukunft von „Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht“ gewesen zu sein. Niemeyer war zwar bereit, diese an das Institut zu verkaufen, wollte aber die alleinigen Redaktionsrechte behalten, und zwar selbst dann, wenn Schücking pro forma als Mitherausgeber firmieren würde.230 Niemeyer sah die Zeitschrift nach eigenen Angaben als sein „Lebenswerk“231 und wollte dieses insbesondere „aus technischen Gründen und wegen der Divergenz der wissenschaftlichen insbesondere der völkerrechtspolitischen Grundrichtung“ nicht mit Schücking teilen;232 in einem möglichen Mitspracherecht Schückings als Mitherausgeber sah er eine „Beschränkung [s]einer wissenschaftlichen Selbständigkeit“.233 Der Streit wurde schließlich durch eine Ministerialverfügung beendet, die die Verbindungen zwischen Institut und Zeitschrift kappte.234 Niemeyer blieb alleiniger Herausgeber seiner Zeitschrift, Schücking trat 1930 in den Kreis der Herausgeber der „Zeitschrift für Völkerrecht“ ein, die bis 1937 in Verbindung mit dem Institut herausgegeben wurde. Die Auseinandersetzung führte freilich zu neuen Konfliktpunkten, weil Niemeyer auch weiterhin für seine Zeitschrift Redaktionsräume im Institut an der Dänischen Straße 15 für sich beanspruchte. Es kam zu einem Streit um Mietzinszahlungen, Mobiliar, Schlüsselbesitz.235 Seinem Bruder, dem Leipziger Anglisten Levin Schücking, schreibt Walther Schücking im Dezember 1927, er habe die Schlösser auswechseln lassen, weil Niemeyer immer wieder heimlich ins Institut eingedrungen sei, um die Signaturen der Bücher auszuradieren und durch neue Eintra_____________ 228

Döhring (Anm. 46), 189. Schreiben v. 1.4.1926, Akten des Instituts für Internationales Recht (IIR), A 2 II, 72. 230 Vgl. diverse Schreiben, Akten des IIR, A 2 III, 1–3, 9–12. 231 Theodor Niemeyer an Walther Schücking, Gesprächsprotokoll v. 21.1.1927, Akten des IIR, A 2 III, 31c. 232 Gesprächsprotokoll v. 21.1.1927, Akten des IIR, A 2 III, 31b. 233 Theodor Niemeyer an den Kurator, Schreiben v. 25.3.1927, Akten des IIR, A 2 III, 51 (Rückseite). 234 Ankündigung durch den Kurator am 18.3.1927 und Mitteilung über die Verfügung v. 6.7.1927, Akten des IIR, A 2 III, 50, A 2 IV, 6f. 235 Vgl. diverse Schreiben, Akten des IIR, A 2 II, 85; A 2 III, 37–46, 52–79. 229

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gungen als sein Privateigentum zu kennzeichnen.236 Dem Minister für Kunst und Wissenschaft berichtet er zur selben Zeit: Leider wurde namentlich im ersten halben Jahre meiner hiesigen Tätigkeit viel Zeit und geistige Kraft verwandt auf die schwierigen Auseinandersetzungen mit meinem Vorgänger Herrn Geheimrat Niemeyer, die aber, wie ich hoffe, erfreulicherweise jetzt in der Hauptsache beendet sind.237

Es fällt schwer, einer Persönlichkeit gerecht zu werden, die man sich über eine fragmentarische und in der Perspektive beiderseits gefärbte Quellenlage erschließen muss. Theodor Niemeyer war sicherlich eine im Umgang „nicht immer leichte Natur“, ein westfälischer Dickschädel, der es vermutlich gewohnt war, als älterer Bruder den Ton anzugeben. Dass er am Vater mehr das musikalische Organisationstalent und das Ansehen, das er sich als Jurist und als Musiker erwarb, betont, wo sein Bruder Victor stärker die künstlerische Natur und Wesensart des Vaters akzentuiert, mag andeuten, welches Maß Theodor Niemeyer an sein eigenes Leben legte. Vor allem seine beachtlichen organisatorischen Leistungen haben ihn überdauert: Das Kieler Institut für Internationales Recht konnte 2014 sein hundertjähriges Bestehen feiern, der deutsche Landesverband der International Law Association firmiert seit seiner Wiedergründung 1951 weiterhin als Deutsche Vereinigung für Internationales Recht, die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht (heute: Deutsche Gesellschaft für Internationales Recht) begeht 2017 ihren 100. Gründungstag. Und die Stadt Kiel – sie besitzt noch immer ihr Philharmonisches Orchester.

_____________ 236

Brief an Levin Ludwig Schücking vom 27.12.1927, zitiert bei Morgenstern (Anm. 226),

193. 237

Bericht des Direktors v. 30.12.1927, Akten des IIR, A 2 IV, 16.

Zwischen Pazifismus und Patriotismus: Walther Schücking (1875–1935) Von Magnan Johannes Mohr

A. Biographie, Literatur und ein „verwundetes Wort“ I. Stationen im Leben Schückings Als Walther Schücking am 25. August 1935 in Den Haag im Alter von nur 60 Jahren starb, bestand in Deutschland bereits ein Verbot über den Verstorbenen zu publizieren.1 Auch die Teilnahme an seiner Beerdigung in dem hessischen Dorf Oberurff wurde von den neuen Machthabern in Deutschland untersagt, wenngleich nicht beachtet. In Den Haag hingegen hielt man für den Richter des Ständigen Internationalen Gerichtshofs eine Trauerfeier mit militärischen Ehren ab.2 Bereits 1933 hatte Walther Schücking dem ehemaligen Diplomaten Johannes Kriege (1859–1937) in einem Brief mitgeteilt, dass die in Deutschland „eingetretene Umwälzung politischer Art“ ihn „in tiefster Seele verletzt hat“.3 Im Frühjahr 1935 schrieb Schücking an seinen Freund Hans Wehberg (1885–1962), dass die Machtergreifung der Nationalsozialisten für ihn der „zweite Knacks“ in seinem Leben war – und er erklärt, der „erste Knacks, das war der Frieden von Versailles, dessen Ungerechtigkeit für den Pazifisten mindestens eine halbseitige Lähmung mit sich brachte“.4 Schückings Sohn Christoph-Bernhard berichtete später, dass Rembrandts Gemälde „David spielt Harfe vor Saul“, das im Mauritshuis in Den Haag hängt, seinen Vater „geradezu magisch“ anzog.5 Die Melancholie der Darstellung des leidenden Saul und Davids, der mit dem Harfenspiel _____________ 1 Elke Seefried (Hrsg.), Theodor Heuss: In der Defensive – Briefe 1933–1945, München 2009, 268. 2 Christoph-Bernhard Schücking, Walther Schücking – Ein Lebensbild, in: Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, Hamburg 1965, 174–220 (195). 3 Auswärtiges Amt, Politisches Archiv (AA/PA), Nachlass (NL) Johannes Kriege, Bd. 5. 4 Zitiert nach Detlev Acker, Walther Schücking (1875–1935), Münster 1970, 204. 5 C.-B. Schücking (Anm. 2), 193.

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die Schwermut Sauls lindert,6 schien offenbar auch den Betrachter Walther Schücking erfasst zu haben. Doch wie war es dazu gekommen, dass seine Freude über die Wahl an den Ständigen Internationalen Gerichtshof so schnell verflogen war? Schücking hatte sein Richteramt „selbst als Höhepunkt seines Lebens empfunden“7 und als „einzige Position“ bezeichnet, die ihn von seiner Lehrtätigkeit an der Universität in Kiel hat weglocken können.8 1926 hatte Schücking als Nachfolger Theodor Niemeyers (1857–1939) den dortigen Lehrstuhl für Völkerrecht und die Leitung des Instituts für Internationales Recht übernommen.9 Die Berufung nach Kiel bot Schücking nach achtjähriger politischer Arbeit für die Deutsche Demokratische Partei die ersehnte wissenschaftliche Arbeitsmöglichkeit, die er als Völkerrechtler gesucht hatte. 1928 legte er sein Reichstagsmandat nieder, um wieder voll in der akademischen Lehre tätig zu werden.10 Von seinem politischen Engagement für die junge Republik ließ er jedoch auch in Kiel nicht ab.11 Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel war nicht die erste akademische Station des bereits 1899 in Göttingen habilitierten Schücking. Im Jahr 1900 wurde er mit 25 Jahren als jüngster außerordentlicher Professor Preußens nach Breslau berufen. 1902 folgte eine ordentliche Professur in Marburg.12 Hier lehrte er bis 1920 vor allem „auf dem Gebiet des Staatsrechts“, widmete sich jedoch ab 1907, also seit dem Zeitpunkt der Zweiten Haager Friedenskonferenz, zunehmend völkerrechtlichen Fragen.13 Für Fritz Münch liegt die Bedeutung der Marburger Zeit für Schücking in dessen „Wendung zum organisatorischen Pazifismus“, die Münch ebenfalls vor dem Hintergrund der Haager Konferenz sieht.14 Die Laufbahn Schückings, der auf Anregung seines Mentors Ludwig v. Bar (1836–1913) an einer ausgeschriebenen Preisarbeit der Universität Göttingen teilnahm und mit seiner

_____________ 6 Günter Bandmann, Melancholie und Musik – Ikonographische Studien, Köln u.a. 1960, 12ff. 7 Wolfgang Kohl, Walther Schücking (1875–1935): Staats- und Völkerrechtler – Demokrat und Pazifist, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988, 230–241 (241). 8 C.B. Schücking (Anm. 2), 191. 9 Jost Delbrück, Law’s Frontier – Walther Schücking and the Quest for the Lex Ferenda, European Journal of International Law (EJIL) 22 (2011), 801–808 (804). 10 Acker (Anm. 4), 201. 11 C.B. Schücking (Anm. 2), 190; Acker, 1970, 201. 12 Fritz Münch, Walther Schücking (1875–1935) – Völkerrechtler und Politiker, in: Ingeborg Schnack (Hrsg.), Marburger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Marburg 1977, 463–478 (464). 13 Kohl (Anm. 7), 233, 236. 14 Münch (Anm. 12), 472.

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Walther Schücking (1875–1935) Kohlezeichnung von Karl Doerbecker

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Abhandlung „Das Küstenmeer im internationalen Recht“ 1897 gewann, fing also schon sehr früh vielversprechend an.15 Doch seine Kritik an „preußische[n] Sekundärtugenden“ und sein Einsatz für ein parlamentarisches Regierungssystem, die „rechtliche Gleichstellung der Frau, die Trennung von Staat und Kirche, […] und die Integration der Sozialdemokratie“ brachten Schücking immer öfter in Konflikt mit Behörden und Zeitgenossen, so Wolfgang Kohl.16 Schücking musste mehrfach, insbesondere für seine offene Opposition gegen den Ersten Weltkrieg, Disziplinarmaßnahmen über sich ergehen lassen.17 Gleichwohl brachte ihm sein Festhalten an pazifistischen Idealen nicht nur Schikanen, sondern auch hohes moralisches Ansehen nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs ein.18 Diese Wertschätzung versuchte die neue Regierung durch die Aufnahme Schückings in die deutsche Friedensdelegation nach Versailles zu nutzen. Schücking wiederum war gerne bereit, sich in den Dienst der jungen Republik zu stellen.19 Detlev Acker sieht den Ursprung für Schückings „Linksliberalismus und politisches Kämpfertum“ in der zum Protestantismus übergetretenen Familie Schücking und insbesondere im geistigen Erbe von Schückings Großvater mütterlicherseits, Heinrich Beitzke.20 Das Misstrauen seines Großvaters gegen den preußischen Staat nahm sich Walther Schücking „zum Vorbild“ und erbte wohl auch einen „gewisse[n] Doktrinarismus“ Beitzkes.21 Die Familie Schücking, in die der kleine Walther Adrian am 6. Januar 1875 als zweiter Sohn des Landgerichtsrates Lothar Schücking und seiner Frau Luise geboren wurde, war eine „seit Generationen im Münsterland ansässige Juristen- und Gelehrtenfamilie“.22 Schücking stand mit seiner eingeschlagenen Laufbahn als Jurist, Politiker und Pazifist also ganz in der Tradition seiner Familie.

_____________ 15

Acker (Anm. 4), 8. Kohl (Anm. 7), 234f. 17 Delbrück (Anm. 9), 803. 18 Münch (Anm. 12), 465. 19 Kohl (Anm. 7), 238. 20 Acker (Anm. 4), 5. Zu Beitzke siehe auch Kohl (Anm. 7), 232: „Beitzke war als Verfasser einer in mehreren Auflagen erschienenen Geschichte der deutschen Freiheitskriege 1813/15 hervorgetreten. Als populärer Abgeordneter der Fortschrittspartei und als deren militärischer Sachverständiger war Beitzke im preußischen Abgeordnetenhaus einer der entschiedensten Gegner Bismarcks […]“. 21 Kohl (Anm. 7), 5. 22 Kohl (Anm. 7), 232. 16

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II. Schückings Bild in der Sekundärliteratur Dass Walther Schücking das Völkerrecht nicht in gleicher Weise wie zum Beispiel Hans Kelsen (1881–1973) oder Max Huber (1874–1960) prägte und zeitweise sogar in Vergessenheit geriet, liegt laut Wolfgang Kohl vor allem daran, dass Schücking als ein der „demokratischen Tradition verpflichtet[er]“ Völkerrechtler durch die „Kontinuität des konservativen Rechtsdenkens in Deutschland“ zum Einzelkämpfer degradiert wurde.23 Auch Christian J. Tams sieht Schücking während seiner Lebenszeit in dem „konservativen akademischen Milieu“ als „Außenseiter“ und seine Wirkung in der deutschen Wissenschaft, insbesondere durch die Zäsur 1933–1945, als begrenzt.24 Dennoch besteht kein Mangel an „biographischem Material“ über Schücking, der zwar weniger in seiner Heimat, aber umso mehr im Ausland hoch geschätzt wurde.25 Detlev Acker widmet sich in seiner 1970 erschienen Monographie „Walther Schücking (1875–1935)“ den „zwei Leitgedanken“ Schückings, Demokratie und internationale Organisation, und ordnet diese in den ideengeschichtlichen Zusammenhang des ausgehenden „langen 19. Jahrhunderts“ und der jungen Weimarer Republik ein. Dabei kommt bei Acker besonders der Politiker Schücking zum Vorschein, der sich für die Verwirklichung dieser Leitgedanken einsetzt. Die Darstellung Ackers wird von Frank Bodendiek durch seine 2001 veröffentlichte Dissertation „Walther Schückings Konzeption der internationalen Ordnung“ ergänzt. Hier steht das wissenschaftliche Werk und insbesondere Schückings Vorstellungen über eine internationale Ordnung im Vordergrund. Bodendiek geht es dabei weniger um das politische Engagement Schückings, als vielmehr um eine rechtshistorische Untersuchung und Kontextualisierung von Schückings Gedanken in die Völkerrechtslehre. Zahlreiche Aufsätze untersuchen andere Details in Schückings Leben und Werk. Fritz Münch legt den Fokus ebenfalls auf den Wissenschaftler Schücking, berücksichtigt dabei aber auch dessen sonst weniger beachteten frühen „germanistischen Studien“ beginnend mit der 1899 erschienenen Habilitationsschrift Schückings „Der Regierungsantritt – 1. Buch: Die Urzeit und die Zeit der ost- und westgermanischen Stammesreiche“.26 Wolfgang Kohl wiederum beleuchtet ganz dem Titel des Sammelbands entsprechend, in dem sein Aufsatz erschienen ist, den „streitbaren Juristen“ Schücking. Hier geht es um den Demokraten und Pazifisten, der aufgrund seines Friedensbekenntnisses und seiner „scharfen Kritik“ am vorherrschenden „obrigkeitsstaatlichen und völkischem Gedankengut“ oft „innerhalb der juristischen Zunft […] _____________ 23

Kohl (Anm. 7), 230. Christian J. Tams, Re-Introducing Walther Schücking, EJIL 22 (2011), 725–739 (733). 25 Tams (Anm. 24), 733. 26 Münch (Anm. 12), 470. Schücking vollendete nur den Ersten Teil dieser größer angelegten Untersuchung. 24

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isoliert war.“27 In jüngeren Publikationen begegnet Schücking dem Leser als Vordenker eines progressiven internationalen Rechts. So konzentriert sich Jost Delbrück 2011 auf Schücking als Advokat der lex ferenda, und Ole Spiermann beschreibt Schücking anhand einer Untersuchung seiner Richterrolle am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag ebenfalls als „Zukunftsjuristen“.28 Was bleibt also zu sagen, über den Pazifisten, Politiker, Wissenschaftler und Richter Schücking? In dieser Arbeit soll eine zwar nicht unbekannte, aber eher wenig beachtete Seite Schückings ausführlicher untersucht werden: Schückings Patriotismus. III. Patriotismus, ein „verwundetes Wort“ Da dieser Begriff neben der in der deutschen Geschichte und Politik wurzelnden Problematik auch inhaltlich Schwierigkeiten birgt, sollen in einem kurzen Exkurs zunächst die verschiedenen Facetten dieses Wortes dargelegt werden, damit im Laufe dieser Arbeit deutlich wird, was Schückings Patriotismus kennzeichnete und was nicht. Denn der Patriotismus hat besonders in Deutschland „schwere Schläge hinnehmen“ müssen, und Klaus Weigelt sieht in ihm ein „verwundetes Wort“, dass heute „Zurückhaltung fordert und Scheu provoziert“.29 Der Patriotismus ist laut Hans-Peter Schwarz eine „natürliche Grundeinstellung“ wie die Heimatliebe oder landsmannschaftliche Verbundenheit, die sich ursprünglich in der kleinen Einheit der Landgemeinde oder neuzeitlichen Stadtrepublik entwickelte.30 Als das unmittelbare Erleben dieser Kollektivformen durch den modernen Staat und die ihn tragende Nation immer abstrakter wurden, haben „symbolische Einheitserlebnisse“ den Patriotismus neu geformt.31 Ein Patriot zu sein, bedeutet also zu jeder Zeit eine Bejahung des eigenen Gemeinwesens.32 Darüber hinaus kann der Patriotismus auch kosmopolitische Ideen aufnehmen. Der Gedanke, dass der Einsatz für das eigene Gemeinwesen eine universale Aufgabe für das allgemein Menschliche, die Humanität, darstellt, breitete sich besonders _____________ 27

Kohl (Anm. 7), 230. Delbrück (Anm. 9), 801; Ole Spiermann, Professor Walther Schücking at the Permanent Court of International Justice, EJIL 22 (2011), 783–799 (783). 29 Klaus Weigelt, Patriotismus – Zur Renaissance eines notwendigen Begriffs, in: Klaus Weigelt (Hrsg.), Patriotismus in Europa. Festgabe für Professor Dr. Bruno Heck zum 70. Geburtstag, Bonn 1988, 7–14 (7, 9). 30 Hans-Peter Schwarz, Patriotismus in Europa aus Sicht der Zeitgeschichte, in: Weigelt (Anm. 29), 21–43 (21). 31 Donate Kluxen-Pyta, Nation und Ethos. Die Moral des Patriotismus, Freiburg 1991, 164. 32 Kluxen-Pyta (Anm. 31), 229. 28

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in der Aufklärung aus.33 Dem Patrioten ist es demnach möglich, sich „universalistischen Idealen verpflichtet fühlen, die er gerne in seinem und durch sein Volk verwirklicht sehen würde“.34 Des Weiteren kann Manfred Hättich zufolge, sich nur derjenige Patriot nennen, der das „Eigensein“ des Anderen anerkennt, da ansonsten kein Anspruch auf die eigene Besonderheit besteht.35 Der Patriotismus hatte neben dieser durch die Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts freiheitlichrepublikanisch geprägten Art, welche die Monarchien Europas herausforderte, jedoch auch immer das Potential, sich in Fremdenhass und Überlegenheitsgefühl zu versteigen.36 Diese Merkmale werden allerdings mehrheitlich dem Nationalismus zugeschrieben, der vom „klassischen“ Patriotismus zu trennen ist.37 Für Andrew Vincent ist der Nationalismus anders als der Patriotismus durch Exklusivität und offensive Aggressivität gekennzeichnet.38 Auch Donate Kluxen-Pyta stimmt dieser Abgrenzung zu und sieht das „ideologische Moment“ des Nationalismus als differentia specifica gegenüber dem Patriotismus.39 Das bedeutet, dass der Nationalismus sich nicht wie der Patriotismus auf ein Gefühl natürlicher Verbundenheit gründet, das „keiner komplizierten ethischen oder idealistischen Begründung“ bedarf, sondern durch praktische Interessen geleitet wird und als „falsche, nämlich ideologische Integrationsform“ dient.40 Sein totalitärer Charakter wirkt dabei nicht nur anti-individualistisch nach innen, sondern auch selbsterhöhend und dadurch konfrontativ nach außen.41 Obwohl dem „klassischen“ Patriotismus diese Erscheinungsformen eher fremd sind, lässt sich eine Verbindung zwischen Patriotismus und Nationalismus laut Hans-Peter Schwarz nicht abstreiten, denn der Nationalismus hätte ohne den Patriotismus nicht entstehen können.42 Auf diese Ambivalenz haben nicht zuletzt die Pazifisten im Zuge der „Radikalisierung des Patriotismus“ während des Ersten Weltkriegs hingewiesen und dabei „für sich selbst meist einen aufgeklärten, ‚wahren‘ Patriotismus“ reklamiert.43 _____________ 33

Kluxen-Pyta (Anm. 31), 165. Kluxen-Pyta (Anm. 31), 164. 35 Manfred Hättich, Von der Unentbehrlichkeit der Vaterländer, in: Weigelt (Anm. 29), 123–130 (123). 36 Schwarz (Anm. 30), 26; Kluxen-Pyta (Anm. 31), 158; Daniel König, Patriotismus in Deutschland, Hamburg 2012, 86f. 37 Kluxen-Pyta (Anm. 31), 164. 38 Andrew Vincent, Nationalism and Particularity, Cambridge 2002, 115. 39 Kluxen-Pyta (Anm. 31), 184. 40 Kluxen-Pyta (Anm. 31), 192. 41 Kluxen-Pyta (Anm. 31), 180–195. 42 Schwarz (Anm. 30), 26. 43 Schwarz (Anm. 30), 31. Gleichzeitig wurden jene die sich für eine internationale Verständigung einsetzten und in der Friedensbewegung engagierten, stets mit dem Vorwurf des mangelnden Patriotismus oder gar des Landesverrats konfrontiert. Den Sozialisten 34

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IV. Schückings Patriotismus: Fragen und Suchrichtungen Der Patriotismus Schückings lässt sich gut anhand seiner Mitwirkung an den Versailler Friedensverhandlungen darstellen. Daher soll im Folgenden das Augenmerk auf den Friedensunterhändler Schücking gelegt werden. Im Vordergrund steht dabei die Frage, inwiefern sich eine patriotische Haltung bei Schücking bemerkbar machte. Wie äußerte sich dieser „Einsatz für sein Land“ bei Schücking? Des Weiteren soll Schückings Mitarbeit an der Aktenedition „Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914“ untersucht werden, durch die er mit der Kontroverse um die Kriegsschuld in Berührung kam.44 Anhand dieser hitzig diskutierten Frage lässt sich nicht nur ein kritischer Blick auf Schückings patriotische Haltung werfen, sondern auch eine klare Abgrenzung von Schückings Überzeugung und dem sich in Nationalismus versteigenden Patriotismus vornehmen. Vor dem Hintergrund von Versailles ergibt sich zwangsläufig die interessante Frage nach den Gründen dafür, warum Schücking als Pazifist noch eine Woche vor der Unterzeichnung des Friedensvertrags in Versailles am 28. Juni 1919 mit seiner Rede „Annehmen oder Ablehnen?“ vor den Parteien des Parlaments in Berlin für die Ablehnung des Friedensvertrags warb.45 Warum riskierte Schücking eine Fortsetzung des Krieges, für dessen Beendigung er sich seit Kriegsbeginn eingesetzt hatte?46 Diese Frage soll ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, da sich hier zeigt, dass Schücking sich in seinem Denken keinesfalls allein auf Deutschlands Wohlergehen beschränkte, sondern ganz der Definition des „klassischen Patriotismus“ entsprechend seinem kosmopolitischen Ideal der internationalen Verständigung folgte. Im Folgenden soll zunächst Schückings Pazifismus erörtert werden. Hierfür war sowohl ein Blick in die wissenschaftlichen Arbeiten Schückings, als auch ein Bezug auf die Literatur über Schücking hilfreich. Anschließend steht dann der Patriotismus Schückings im Vordergrund. Aufschlussreich waren hierfür _____________

unterstellte man beispielsweise „vaterlandslose Gesellen“ zu sein und die im Friedensbund organisierten Katholiken wurden eines antinationalen „Ultramontanismus“ bezichtigt: Wolfram Wette, Einleitung: Probleme des Pazifismus in der Zwischenkriegszeit, in: Karl Holl/Wolfram Wette (Hrsg.), Pazifismus in der Weimarer Republik, Paderborn 1981, 9–25 (15ff.). 44 Die Kriegsschuldfrage ist zwar bereits in den 1980er Jahren vielmehr Thema der „Geschichte der Geschichtswissenschaft“ geworden, scheint aber dennoch auch heute „historisch keineswegs so bewältigt“, wie man vielleicht annehmen möchte: Gerd Krumeich, Juli 1914: Eine Bilanz, Paderborn 2014, 8. Hierzu auch Wolfgang Jäger, Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914–1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1984, 10. Auch Christopher Clark meint, dass „die gegenseitigen Schuldzuweisungen […] niemals ihre Anziehungskraft verloren“ haben: Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Krieg zog, München 2013, 715. 45 Acker (Anm. 4), 121. 46 Kohl (Anm. 7), 237.

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nicht nur die besagten Quellen, sondern auch eine Akteneinsicht im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts.47 Abschließend steht ein Resümee, in welchem Verhältnis Schückings pazifistische und patriotische Haltung zueinander standen und welche Gründe der Pazifist Schücking hatte, nicht nur für die internationale Verständigung zu werben, sondern gleichzeitig für die Wahrung von „Reichsinteressen“ einzutreten.

B. Schücking, das Völkerrecht und der „organisatorische Pazifismus“ I. Völkerrecht und Pazifismus am Beginn des 20. Jahrhunderts Als die Anhänger der 1892 von Bertha v. Suttner (1843–1914) und Alfred Hermann Fried (1864–1921) gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft sich mehr und mehr für eine Neuregelung der Staatenbeziehungen einsetzten, griffen sie damit „in das Arbeitsgebiet“ der Völkerrechtswissenschaft ein.48 Diese Disziplin betrachtete „die einzelstaatliche Souveränität“ als „Eckpfeiler“ des „säkularen Völkerrechts“ der Neuzeit.49 Dadurch ergaben sich aus Perspektive der Völkerrechtswissenschaft zwangsläufig Grenzen für die Regelung oder Organisation der Staatenwelt. Das Völkerrecht sollte zwar ein „die Rechte und Pflichten der Staaten regelndes Recht“ sein, aber aufgrund der Staatensouveränität konnte dieses Recht nur bei dessen Anerkennung durch einen Staat gültig sein.50 Jede Bindung an eine Norm oder Unterwerfung unter eine internationale Instanz müsse stets fakultativ sein, so die vorherrschende Meinung.51 Einer Integration „weltanschaulicher oder politischer Bestrebungen“ zur Fortentwicklung des Völkerrechts in die Wissenschaft stand man skeptisch bis ablehnend gegenüber.52 Bodendiek sieht einen Grund hierfür in der seinerzeit herrschenden Befürchtung, _____________ 47 Für diesen Beitrag wurden folgende Akten im Politischen Archiv des Auswärtigen Amt (AA/PA) ausgewertet: Pol. Nr. 2 Bd. 1; Pol. Nr. 2a Bd. 1; Nachlass (NL) BrockdorffRantzau 7/7: Vorbereitung der Friedensverhandlungen, Az 17; NL Brockdorff-Rantzau 7/8: Friedensverhandlungen, Az 18; NL Brockdorff-Rantzau 8/1: Versailles I, Az 19; NL Johannes Kriege Bd. 1; NL Johannes Kriege Bd. 3; NL Johannes Kriege Bd. 5. 48 Acker (Anm. 4), 38. 49 Acker (Anm. 4), 38. 50 Acker (Anm. 4), 38ff. 51 Acker (Anm. 4), 41. 52 Acker (Anm. 4), 41. Auch „fortschrittlich denkende Gelehrte wie Otfried Nippold, Wilhelm Kaufmann und Theodor Niemeyer“ sahen bestimmte Grenzen für die Völkerrechtswissenschaft, welche nicht überschritten werden sollten: Acker (Anm. 4), 40. Otfried Nippold trat beispielsweise dafür ein, dass „die Völkerrechtswissenschaft sich mit dem Pazifismus [nicht] ohne weiteres identifizieren darf“, obwohl die Friedensbewegung gleichwohl nicht ignoriert werden dürfe: Otfried Nippold, Durch Wahrheit zum Recht.

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dass eine „Vermischung von geltendem und gewünschtem Recht die Wissenschaftsqualität des Völkerrechts insgesamt in Frage stellen würde“.53 Der um die Jahrhundertwende dominierende Rechtspositivismus in der Jurisprudenz begünstigte darüber hinaus eine ausschließlich empirische Völkerrechtsforschung.54 In der Friedensbewegung jedoch wurde der „Terminus ‚internationale Organisation‘ […] um die Jahrhundertwende ein Schlagwort“, dessen Verwirklichung man anstrebte.55 Die Friedensbewegung und die Völkerrechtswissenschaft waren sich zwar darüber einig, die internationalen Beziehungen zu verrechtlichen, allerdings unterschieden sich sowohl die Ideen, wie dies geschehen solle, als auch der Nachdruck, mit dem diese Forderung gestellt wurde.56 In der Literatur wird Schücking dem so genannten „organisatorischen Pazifismus“ zugeordnet, zu dem er sich in seinen Schriften auch selbst bekannte.57 Der „organisatorische Pazifismus“, den Schücking vertrat, hat erkennbare Anleihen bei dem maßgeblich von Alfred H. Fried geprägten „wissenschaftlichen Pazifismus“.58 Anders als der „humanitär-moralische Pazifismus“, der vor allem von Bertha v. Suttner vertreten wurde und ethisch gegen den Krieg argumentierte, sah der „wissenschaftliche Pazifismus“ in einer „realistischen, theoretisch fun-

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Kriegsaufsätze, Bern 1919, 148. Des Weiteren beschreibt Nippold 1907 die Völkerrechtswissenschaft als eine Disziplin die sich damit begnügt „gewissenhaft Buch zu führen über die Geschehnisse des politischen und rechtlichen Lebens. Aber sie wagt es nicht einen Blick vorwärts zu tun. […] Kurz, sie bekundet eine offenbare Unlust, sich mit der Fortbildung des Völkerrechts zu befassen.“ Nippold spricht sich zwar für eine Weiterbildung des Völkerrechts aus, allerdings solle dies bei einer strikten „Trennung von Politik und Völkerrecht“ geschehen: Otfried Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten, Leipzig 1907, 3, 10. Auch Theodor Niemeyer stand einer „Verschmelzung von Völkerrechtswissenschaft und Pazifismus“ ablehnend gegenüber, wenngleich er auch positive Worte für die Friedensbewegung fand: Frank Bodendiek, Walther Schückings Konzeption der internationalen Ordnung. Dogmatische Strukturen und ideengeschichtliche Bedeutung, Berlin 2001, 143. Neben dieser mehrheitlich moderaten Ablehnung einer pazifistischen Lesart des Völkerrechts, gab es jedoch auch vehemente Gegner der Friedensidee, wie etwa Karl von Stengel, Friedrich Giese und Erich Kaufmann: Bodendiek, a.a.O., 145. 53 Bodendiek (Anm. 52), 135. 54 Hans J. Morgenthau, Positivism, Functionalism, and International Law, American Journal of International Law (AJIL) 34 (1940), 260–280 (263f.). 55 Acker (Anm. 4), 34. 56 Acker (Anm. 4), 40f. 57 Münch (Anm. 12), 464. Vgl. hierzu z.B. Walther Schücking, Der Weltkrieg und der Pazifismus (1914), in: Der Dauerfriede. Kriegsaufsätze eines Pazifisten, Leipzig 1917, 1–6 (5). 58 Bodendiek (Anm. 52), 188.

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dierten Ausrichtung“ der Friedensidee die Möglichkeit einer breiteren gesellschaftlichen Unterstützung und damit Verwirklichung des Friedens.59 Die verschiedenen Spielarten des Pazifismus waren lange „innenpolitisch weitgehend neutral, am sozialen und politischen status quo“ orientiert.60 Durch den Ersten Weltkrieg kam es schließlich zu einer Radikalisierung, und „neue Felder politischen Engagements“ wurden in den Pazifismus integriert.61 Die daraus entstehenden Richtungsstreitigkeiten, die so heftig wurden, dass man von einem „Pazifistenkrieg“ zu sprechen anfing, und der ideologische Wandel veranlassten Schücking dazu, sich aus der organisiert tätigen Friedensbewegung zurückzuziehen.62 II. Ideen und Einsatz für die friedliche „Organisation der Welt“ Als Verfechter des „organisatorischen Pazifismus“ hielt Schücking an den „völkerrechtswissenschaftlichen Grundlagen“, wie beispielsweise der Souveränitätsidee, fest.63 Den „Radikalismus der in der Friedensbewegung zusammengeschlossenen Pazifisten“ lehnte Schücking als Hindernis für eine breitere gesellschaftliche Unterstützung des Verständigungsgedankens ab.64 Gleichzeitig kritisierte er das „deutsche Spießbürgertum“ scharf, welches unter der Bedeutung „Internationale“ nur „noch die Revolution und Vaterlandslosigkeit“ verstand.65 Für Schücking bestand als Pazifist kein Widerspruch zwischen dem „Internationalismus“, also der internationalen Organisation, und dem „Nationalismus“, den Schücking hier als Synonym für den souveränen Staat verwendet.66 Denn die internationale Organisation der Staatenwelt könne nur durch den „freien Vertragswillen der nationalen Staaten“ erfolgen.67 Für Schücking ist der Staat eine Voraussetzung für die friedliche Ordnung der Welt. Gleichzeitig profitiert der _____________ 59

Bodendiek (Anm. 52), 28–29, 142. Franz Josef Lersch, Politische Gewalt, politische Justiz und Pazifismus in der Weimarer Republik. Der Beitrag E.J. Gumbels für die deutsche Friedensbewegung, in: Holl/Wette (Anm. 43), 113–134, 142. 61 Lersch (Anm. 60), 113. 62 Acker (Anm. 4), 155; Bodendiek (Anm. 52), 70. Zum „Pazifistenkrieg“ und der Spaltung der Friedensbewegung in der Weimarer Republik Otmar Jung, Spaltung und Rekonstruktion des Organisierten Pazifismus in der Spätzeit der Weimarer Republik, Viertelsjahrheft für Zeitgeschichte 34 (1986), 207–243. 63 Münch (Anm. 12), 464. 64 Kohl (Anm. 7), 237. 65 Walther Schücking, Die Organisation der Welt, Leipzig 1909, 60. 66 Walther Schücking, Die wichtigste Aufgabe des Völkerrechts, in: Veröffentlichungen des Verbandes für internationale Verständigung, Heft 3, Stuttgart 1912. Dennoch übt Schücking auch Kritik am Souveränitätsgedanken, der seiner Meinung nach die Fortentwicklung des Völkerrechts hemme: Schücking, Organisation (Anm. 65), 77ff. 67 Schücking, Aufgabe (Anm. 66), 11; Delbrück (Anm. 9), 805. 60

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Staat von seiner Eingliederung in ein internationales System, da erst durch den internationalen Rechtsfrieden „das nationale Leben der Kulturvölker“ zur „schönsten Blüte gebracht werden“ kann. So wie der Mensch innerhalb des Staates sich der „Herrschaft des Rechtes“ unterstellt und dadurch Freiheit und Sicherheit erlangt, verhält es sich mit den Staaten.68 Die Parallelen zu Immanuel Kants (1724– 1804) inhaltlich nahezu identischer Ausführung im Zweiten Definitivartikel über „einen Föderalism freier Staaten“ in seinem 1795 erschienen Werk „Zum ewigen Frieden“ sind offensichtlich.69 Dies ist wenig verwunderlich, da Kant für Schücking eine „nahezu unangreifbare Autorität“ war.70 Wie das Ziel einer dauerhaften Rechts- und Friedensordnung erreicht werden soll, legt Schücking in seinem von Jost Delbrück als „bahnbrechend“ bewerteten Werk „Die Organisation der Welt“ 1909 dar.71 In diesem „programmatischen Buch“ vereint er eine genaue Analyse und Darstellung der Vergangenheit mit seinen Ideen für die Zukunft.72 Der Bezug auf Kant fehlt auch hier nicht.73 Auch nach Kriegsbeginn 1914 blieb Schücking als „einer der wenigen“ seinen pazifistischen Idealen treu.74 Noch im September desselben Jahres verteidigt er in seinem in der Zeitschrift „Die Christliche Welt“ erschienenen Aufsatz „Der Weltkrieg und der Pazifismus“ die Friedensidee. Für ihn kann die faszinierende Wirkung der „technischen Organisation“ des Kriegs und der „einzigartigen Mobilmachung“ nicht über die „grausig[e] Tragödie“ des gegenwärtigen Kampfs hinwegtäuschen.75 Der bisher von den Politikern gepredigte Satz si vis pacem para bellum („Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“) habe sich als „trügerische Scheinwahrheit“ erwiesen. Schücking schreibt, dass die Pazifisten dies nicht nur „längst gewusst“ haben, sondern dieser Politik stets die Alternative des „organisatorischen Pazifismus“, also des „Rechtsfriedens“, gegenübergestellt hätten.76

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Schücking, Aufgabe (Anm. 66), 11. Kant schreibt hier: „Für Staaten, im Verhältnisse unter einander, kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustand, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie, eben so wie einzelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen, und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (civitas gentium), […] bilden.“ Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden – Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, Berlin 2011, 28f. 70 Bodendiek (Anm. 52), 117; Delbrück (Anm. 9), 804. 71 Delbrück (Anm. 9), 805. 72 Mónica García-Salmones, Walther Schücking and the Pacifist Traditions of International Law, EJIL 22 (2011), 755–782 (763). 73 Schücking, Organisation (Anm. 65), 53ff. 74 Schücking, Organisation (Anm. 65), 237. 75 Schücking, Weltkrieg (Anm. 57), 4. 76 Schücking, Weltkrieg (Anm. 57), 6. 69

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Die Sonderstellung, die Schücking in der Friedensbewegung einnahm, hatte er auch als „einziger deutscher Völkerrechtslehrer [,der sich als] Pazifist“ bezeichnete, in der Völkerrechtswissenschaft inne.77 Schücking gehörte zu den wenigen „fortschrittlichen Völkerrechtslehrern“, die das Völkerrecht wertebasiert verstanden, und als Werkzeug für die internationale Konfliktlösung betrachteten.78 Das Völkerrecht sollte dementsprechend gemäß dem obersten Paradigma Frieden interpretiert und fortentwickelt werden.79 Schücking sprach sich gegen eine „Zurückgezogenheit“ der Wissenschaft aus und befürwortete „die Wissenschaft zu erfüllen mit den Ideen des Lebens und anderseits das Leben zu durchtränken mit den Ideen der Wissenschaft.“80 Die Wissenschaft und insbesondere die Völkerrechtswissenschaft, solle sich „nicht der Aufgabe entziehen“, an der Lösung der gegenwärtigen Probleme mitzuarbeiten.81 Die Wissenschaft müsse „notwendige Vorarbeiten für die Politik“ leisten, damit diese nicht fehlgeleitet werde.82 Dabei sei die primäre Aufgabe der Völkerrechtsforschung, die „Versöhnung von Nationalismus und Internationalismus“, also die Vereinbarkeit der Staatensouveränität mit der internationalen Organisation zu erreichen, so Schücking in seinem Aufsatz „Die wichtigste Aufgabe des Völkerrechts“, der 1912 als Veröffentlichung des Verbandes für internationale Verständigung abgedruckt wurde.83 Mit dieser Auffassung geriet Schücking in Opposition zum „fast kanonisch“ gewordenen positivistischen Rechtsverständnis seiner Kollegen, die eine „rein rezeptive Haltung gegenüber dem Staat“ einnahmen.84 Dass Schücking sich nicht auf theoretische Abhandlungen beschränkte, zeigt sein Engagement, die pazifistischen Ideen des Rechtsfriedens zwischen den Staaten zu verwirklichen und den Austausch zwischen Politik und Völkerrechtswissenschaft zu fördern. Bereits in Marburg war Schücking im Liberalen Volksverein85 politisch tätig geworden und arbeitete 1909 aktiv auf dem Stuttgarter Frie-

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Acker (Anm. 4), 42. Delbrück (Anm. 9), 804. Siehe auch Bodendiek (Anm. 52), 129. 79 Delbrück (Anm. 9), 804. 80 Schücking, Aufgabe (Anm. 66), 3. 81 Schücking, Aufgabe (Anm. 66), 11. 82 Acker (Anm. 4), 16, 34. 83 Schücking, Aufgabe (Anm. 66), 11. 84 Delbrück (Anm. 9), 804. Die beanspruchte Wertefreiheit und Neutralität einer positivistischen Rechtswissenschaft war ohnehin fraglich, da die ausschließliche Anerkennung der bestehenden Normen und der normsetzenden Macht bereits eine klare Stellungnahme war. Acker (Anm. 4), 13 ff.; Kohl (Anm. 7), 234. 85 Der Liberale Volksverein in Marburg war eine Parteigruppe, die durch die Fusion des 1903 aufgelösten Nationalsozialen Vereins, der Partei Friedrich Naumanns, mit den Linksliberalen entstanden war: Acker (Anm. 4), 12. 78

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denskongress mit.86 1911 gründete er mit Otfried Nippold (1864–1938) den Verband für internationale Verständigung, dessen Ziel es war, „Gelehrte, Politiker und Wirtschaftler für die internationale Verständigung zu gewinnen“.87 Man wollte den Pazifismus in weiteren Gesellschaftskreisen populär machen sowie einen Dialog zwischen Politikern und Akademikern fördern. Während des Krieges versuchte Schücking als Mitgründer und Verbindungsmann der „Zentralorganisation für einen dauernden Frieden“ die europäischen Pazifisten für eine Zusammenarbeit mit dem Ziel des „Verständigungsfriedens“ zu vereinen.88 Ein Ziel, dem leider kein Erfolg beschieden war, da gemeinsame Veranstaltungen der Pazifisten durch Ausreiseverbote der Militärbehörden aller Kriegsparteien erschwert wurden bzw. die Fronten zwischen Entente und Mittelmächten paradoxerweise ohnehin auch unter den Friedensfreunden zu finden waren.89 Auch Schücking sah sich mehrfach mit Reiseverboten konfrontiert und erhielt durch das Stellvertretende Generalkommando ein Publikations- und Redeverbot.90 Schücking klagte gegenüber seinem Bekannten, dem Stuttgarter Reichstagsabgeordneten der Deutschen Demokratischen Partei Conrad Haussmann (1857– 1922), dass die strikteste Form der Zensur für einen Intellektuellen, die Vorschrift, „nicht einmal im theoretischen Sinn“ über den Pazifismus zu schreiben, ihn erheblich in seiner wissenschaftlichen Arbeit behindere.91 Die uneingeschränkte Redefreiheit erhielt Schücking erst 1918 zurück.92 Seine spätere Arbeit als Politiker im Reichstag und seine Lehrtätigkeit als Professor in Marburg, Berlin und an der Universität in Kiel stehen sinnbildlich für Schückings Überzeugung der Vereinbarkeit von Politik und Wissenschaft. III. Ein Idealist, kein Utopist Der Vorwurf an Schücking, einer pazifistischen Utopie anzuhängen, wird in der Literatur meist zurückgewiesen. Mit dieser Unterstellung sah sich Schücking sogar in seiner eigenen Partei, der DDP, konfrontiert.93 Am prominentesten ist wohl die Kritik Theodor Heuss’ (1884–1963), später der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Er hatte Schücking bereits in dessen Zeit als _____________ 86

C.B. Schücking (Anm. 2), 184. Kohl (Anm. 7), 237. 88 Acker (Anm. 4), 67ff. 89 Acker (Anm. 4), 69, 90ff. 90 James D. Shand, Doves among the Eagles. German Pacifists and Their Government during World War I, Journal of Contemporary History 10 (1975), 95–108 (102). 91 Shand (Anm. 90), 102. 92 Kohl (Anm. 7), 237. 93 Acker (Anm. 4), 124. 87

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Parlamentarier als zu ideologisch kritisiert.94 Im Oktober 1935 schrieb Heuss nach dem Tod Schückings an seinen Freund Anton Erkelenz (1878–1945): „Ich habe Schücking als Mensch gern gehabt, ihn aber politisch im ganzen für ein Kind gehalten, das die Weltgeschichte mit ethischer Gekränktheit betrachtet.“95 Gegen diese Kritik hält Detlev Acker fest, dass der „Gedanke der Staatenorganisation“ bei den Pazifisten wie Schücking nicht auf „weltanschaulichen Fundamenten“ stand, sondern „auf der Analyse sehr realer […] Vorgänge in der Weltpolitik“.96 Schücking selbst wusste, dass seine Ideen der internationalen Organisation mit einem obligatorischen Gerichtshof und einer Instanz zur internationalen Rechtsdurchsetzung noch nicht mit den Vorstellungen der „politischen Klasse“ in Einklang zu bringen waren.97 Aber er war zuversichtlich, dass eine fortschreitenden Tendenz zu Verwirklichung dieser Ideale zu beobachten sei.98 Die Feststellung von Jost Delbrück, dass Schücking ein Idealist, aber kein Utopist gewesen war, scheint eine treffende Einordnung zu sein.99 Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass Walther Schücking als Völkerrechtler eine besondere Stellung in der Friedensbewegung einnahm. In der Literatur wird er als „gemäßigter“ oder „bürgerlicher“ Pazifist bezeichnet.100 Schücking selbst propagiert in seinen Schriften den „organisatorischen Pazifismus“, der für eine Neuregelung des Staatensystems auf völkerrechtswissenschaftlichen Grundlagen eintrat.101 Mit seiner naturalistischen Auffassung, das Völkerrecht als Instrument für das Ziel des Rechtsfriedens fortzuentwickeln, geriet Schücking in der positivistischen geprägten Rechtswissenschaft in den „minoritären“ Kreis der progressiven Völkerrechtler.102 Für Schücking bestand kein Widerspruch darin, pazifistische Ideale in die wissenschaftliche Völkerrechtsdisziplin zu integrieren. Im Gegenteil: der Pazifismus gab der Völkerrechtswissenschaft wichtige Impulse, sich mehr an der Aufgabe „die Herrschaft des Rechtes zwischen den Staaten“ herbeizuführen zu beteiligen.103 Gleichzeitig sei die Völkerrechtswissenschaft dazu verpflichtet, der praktischen Politik bei der Lösung internationaler Aufgaben behilflich zu sein. _____________ 94

Acker (Anm. 4), 124. Seefried (Anm. 1), 269. 96 Acker (Anm. 4), 35; Münch (Anm. 12), 476. 97 Delbrück (Anm. 9), 806. 98 Schücking, Organisation (Anm. 65), 61ff.; ders., Das neue System (1915), in: Dauerfriede (Anm. 57), 31–38 (37f.); Spiermann (Anm. 28), 785. 99 Delbrück (Anm. 9), 806. 100 Klaus Schwabe, Zur politischen Haltung der deutschen Professoren im Ersten Weltkrieg, Historische Zeitschrift 193 (1961), 601–634 (621); García-Salmones (Anm. 72), 758. 101 Schücking, Weltkrieg (Anm. 57), 5. 102 Münch (Anm. 12), 464. 103 Schücking, Weltkrieg und Völkerrecht (1915), in: Dauerfriede (Anm. 57), 7–14 (11). 95

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C. Schücking als Patriot: Der Weltkrieg und das neue Deutschland Nachdem Schückings pazifistische Ideen und seine Ansicht zur Bedeutung dieser Ideale für die Völkerrechtswissenschaft und die Politik thematisiert wurden, soll im Folgenden dargelegt werden, was die Merkmale des Patriotismus Schückings waren. Die patriotische Einstellung Schückings lässt sich anhand einer Untersuchung seiner Rolle als Friedensemissär und seiner Mitarbeit bei der Aktenedition „Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914“ beispielhaft darstellen. Mit Bezug auf die Kriegsschuldfrage lässt sich dabei nicht nur zeigen, dass Schückings Patriotismus nichts mit dem aufkeimenden Nationalismus seiner Zeit zu tun hatte, sondern es lassen sich auch kritische Fragen zu Schückings Engagement stellen. Die Gründe für Schückings Patriotismus werden anschließend vor dem Hintergrund seiner pazifistischen Gesinnung im Resümee zusammengefasst. I. Als Friedensunterhändler in Versailles Dass der Weltkrieg nicht nur zwischen den Staaten tiefe Gräben zog, sondern auch die europäischen Pazifisten gespalten hatte, wurde bereits erwähnt. Dass man sich selbst im Kreis der Friedensbewegung nicht mehr grün war, lag mit daran, dass „die deutschen Pazifisten durchaus national eingestellt waren.“104 Dies zeigte sich auch bei Walther Schücking, der bei allen Bemühungen um Verständigung nicht zu einem bedingungslosen Frieden bereit war. Schücking lehnte seit Kriegsbeginn ein alleiniges Schuldbekenntnis Deutschlands ab und sprach sich 1915 dafür aus, das besetzte Belgien als „wertvolles Pfand“ vorerst nicht zurückzugeben.105 Die Ablehnung der Entente-Regierungen gegenüber den auf der _____________ 104 Acker (Anm. 4), 70. Der von Acker verwendete Begriff „national“ ist hier wohl „neutral“ zu verstehen. Kluxen-Pyta unterscheidet zwischen einem „Nationalismus“ im „schlechten Sinne“ und einem „neutralen“ Begriff, wie er im angelsächsischen Raum üblich ist. Demnach bedeutet Nationalismus „in diesem „neutralen“ Verständnis nicht mehr, als daß die Menschheit in Nationen aufgeteilt ist, diese Nationen sich durch Charakteristika unterscheiden lassen und politisch das Selbstbestimmungsrecht der Völker die legitime Form von Herrschaft darstellt“, Kluxen-Pyta (Anm. 31), 182. Vgl. hierzu auch Walther Schücking, Der Weltkrieg und der Pazifismus (1914), in: ders., Weltkrieg (Anm. 57), 5f. Hier verwendet Schücking eine nationale Rhetorik, die jedoch ganz in der Tradition der Frankfurter Paulskirche steht und damit freiheitlich geprägt ist und sich gegen den dynastischen Partikularstaat richtete. Vgl. König (Anm. 36), 69. 105 Acker (Anm. 4), 76. Acker belegt dies anhand ausführlicher Zitate aus einem Brief Schückings an das Auswärtige Amt. Persönlich war Schücking gegen jede Art der Annexion. Aus realpolitischen Gründen teilte er jedoch die Einschätzung der deutschen Regierung, dass eine starke Verhandlungsposition und damit ein für Deutschland annehmbarer Friedensschluss nur mit dem Pfand Belgien möglich sei. Schücking meinte, dass England

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Berner Tagung 1917 vorgebrachten Plänen für eine Friedensordnung im Rahmen eines Völkerbunds weckten bei Schücking erste Zweifel an der Aufrichtigkeit der „westlichen Völkerbundbekenntnisse“.106 Gleichzeitig verstärkte die einsetzende „ideologische Aneignung pazifistischen Gedankenguts“ durch die deutsche Regierung seinen Willen, „seinem Vaterland nützlich zu sein.“107 Trotz aller Kritik, die er an „Preußen-Deutschland“ geäußert hatte, wollte er eine „Diskriminierung“ Deutschlands nicht zulassen.108 Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann (1865–1939) vom Balkon des Reichstags die Republik mit den Worten aus: „Das Alte, Morsche, ist zusammengebrochen. Der Militarismus ist erledigt. Die Hohenzollern haben abgedankt! Es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik!“109 Für Schücking, der seit langem mit der preußischen Obrigkeit in Konflikt stand und der sich gegen den „deutschen Militarismus“ gewandt hatte, war es nun umso selbstverständlicher, „sich in den Dienst des neuen Staates zu stellen“.110

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im Tausch gegen Belgien Kompensationen für die deutschen Kolonien sowie die Freiheit der Meere gewähren müsse. Mit diesen Empfehlungen an das Auswärtige Amt trat Schücking jedoch auch dafür ein, dass die deutsche Regierung eine grundsätzliche Bereitschaft zur Freigabe Belgiens signalisieren müsse. Des Weiteren verbirgt sich hinter der zwiespältigen Haltung der deutschen Pazifisten die Überlegung, dass die pazifistische Bewegung in Deutschland keine breite Unterstützung erhalten würde, sollte man eine Annexion ablehnen. Schückings Haltung brachte ihm seitens der holländischen Pazifisten den Vorwurf ein, dass er „ein willig instrument [sic.]“ der deutsche Regierung sei: Acker (Anm. 4), 74ff. 106 Acker (Anm. 4), 98. 107 Acker (Anm. 4), 98ff. Im Juli 1917 hatte der Reichstag sich in einer Resolution für einen Verständigungsfrieden und „die Schaffung rechtlicher Institutionen zur dauerhaften Sicherung des Friedens“ ausgesprochen. Dies wurden auch die deutschen Ziele für die Friedenskonferenz in Versailles. Klaus Schwabe, „Gerechtigkeit für die Großmacht Deutschland“. Die deutsche Friedensstrategie in Versailles, in: Gerd Krumeich (Hrsg.), Versailles 1919. Ziele, Wirkung, Wahrnehmung, Essen 2001, 72. Hierzu auch Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918. 2. Aufl. Berlin 2013, 619ff., 653ff. Brockdorf-Rantzau notierte, „[d]er Frieden, den wir schliessen, muss ein Rechtsfrieden sein und darf kein Gewaltfrieden werden. Unter diesem Gesichtswinkel werden die 14 Punkte des Wilsonschen Programms für uns auf der Friedenskonferenz leitend sein müssen.“ AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/7: Vorbereitung der Friedensverhandlungen, Az 17. H 234832. 108 Münch (Anm. 12), 474. 109 Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947, München 2008, 704. 110 Kohl (Anm. 7), 238. Vgl. hierzu Walther Schücking, Die deutschen Professoren und der Weltkrieg, in: Das Forum (Flugschriften des Bundes „Neues Vaterland“) 2 (1915), 2f.: „Denn unter Militarismus hatte man bisher die Uebertragung spezifisch militärischer Anschauungen auf die Dinge des bürgerlichen Lebens verstanden, wo sie nicht hingehören. […] Dass sich aber unsere gute Gesellschaft jahrzehntelang durch alle möglichen pensionierten Generale in den nationalen Zeitungen überzeugen liess, dass die Friedensbewegung ein Blödsinn sei, ist im höchsten Masse bedauerlich“.

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Daher suchte er wenig später den Kontakt zur Regierung. Am 2. Januar 1919 notiert Ulrich Graf v. Brockdorff-Rantzau (1869–1928), der im Februar der erste Reichsminister des Auswärtigen der Weimarer Republik wurde, dass eine Delegation der „Völkerliga“ (Deutsche Liga für Völkerbund) ihn aufgesucht habe.111 Die pazifistische Abordnung, der auch Schücking angehörte, habe ihn gebeten, Professor Ludwig Quidde (1858–1941) „als Delegierten“ auf der Friedenskonferenz „mitwirken“ zu lassen, da er „als Pazifist unverdächtig [für die Entente] sei.“ Die Andeutung Brockdorff-Rantzaus, dass eine Delegation gebildet nur aus deutschen Pazifisten einen „sehr weichen Charakter annehme“, wurde zurückgewiesen, da man auch als Pazifist keineswegs bereit sei, „unbillige Zumutungen“ für Deutschland hinzunehmen.112 In Versailles sollte sich zeigen, dass Brockdorff-Rantzaus Vermutung über eine zu nachgiebige Verhandlungsweise der Pazifisten sich nicht bewahrheitete, als er Walther Schücking (und nicht Ludwig Quidde) auf die Liste der Friedensunterhändler setzte.113 Am 23. März 1919 bedankt sich Schücking in einem Brief bei Brockdorff-Rantzau „für die Aufnahme in die Friedens-Delegation“ und berichtet, zunächst ohne selbst Position zu beziehen, dass ihm von verschiedenen Seiten empfohlen wurde, einen Friedensvertrag mit „zu schweren Bedingungen“ nicht zu unterzeichnen.114 Schückings Einsatz für den „neuen Staat“ zeigte sich neben seiner beginnenden Aufgabe als Friedensunterhändler auch in seinem Einverständnis auf die „rein private“ Anfrage des Ministerialdirektors in der Reichskanzlei Walter Simons (1861–1937), dem „Völkerbundentwurf der Gegner […] einen deutschen Entwurf […] entgegen zu stellen“.115

_____________ 111 AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/7: Vorbereitung der Friedensverhandlungen, Az 17, H 234821-22. 112 AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/7: Vorbereitung der Friedensverhandlungen, Az 17, H 234821-22. 113 Acker (Anm. 4), 114. 114 AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/7: Vorbereitung der Friedensverhandlungen, Az 17, H 234920-23. 115 AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/7: Vorbereitung der Friedensverhandlungen, Az 17, H 234933-34. Allerdings stellt Schücking die Bedingung, dass dies ein „freies wissenschaftliches Werk“ und keine „offizielle Arbeit“ werden solle. Simons war einverstanden, da auch er es zur Beeinflussung der „öffentliche Meinung im In- und Ausland“ für nützlicher hielt, wenn Schücking diese Arbeit verfasse und nicht die „Deutsche Regierung […] mit einem Entwurf herauskäme“.

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Trotz aller Zuversicht, die seinem Wesen inne war, reiste Schücking als einer der sechs deutschen Hauptdelegierten am 28. April mit „gemischten Gefühlen nach Versailles“.116 Als am 7. Mai die Friedensbedingungen Deutschland überreicht wurden, vermerkt das Protokoll der Besprechung der Friedensdelegation: „Die Delegation war übereinstimmend der Ansicht, dass schon eine flüchtige Einsicht in den Friedensvertragsentwurf erkennen lasse, dass die Bedingungen die schlimmsten Befürchtungen überträfen und unannehmbar seien.“117 Auch Schücking schreibt an seine Frau, dass „so etwas an Niedertracht […] niemand erwartet“ hatte.118 In den folgenden Wochen versuchte die Delegation um den Reichsaußenminister Brockdorff-Rantzau durch den so genannten „Notenkrieg“ und mit Denkschriften das Versailler Vertragswerk „in Mißkredit zu bringen“.119 Dadurch wollte man „der Welt und insbesondere den Neutralen und den Sozialisten die Ungeheuerlichkeit der [...] auferlegten Bedingungen nachweisen und dadurch vielleicht doch noch zu einer Verhandlungsbasis gelangen“.120 Schückings vehemente Verteidigung Deutschlands wird besonders bei seiner Aufgabe deutlich, Antwortnoten zu formulieren und die Einleitung für eine Denkschrift der Delegation zu den Friedensbedingungen zu schreiben. Mehrfach ist in den Protokollen der Delegationssitzungen von Kritik des Delegierten Schücking zu lesen: Zum einen hielt er beispielsweise eine „Note zur Ostfrage“ für zu oberflächlich.121 Zum anderen wurde seine Einleitung für die Denkschrift vom Regierungskabinett in Berlin zurückgewiesen. Auch „Reichsminister Giesberts fürchtete, dass die Einleitung, so wirkungsvoll sie als Propagandamittel sei, zu aggressiv sei, um den Alliierten überreicht zu werden“. Eine Meinung, welche die übrigen Delegierten in Versailles nicht teilten.122 Letzten Endes blieben jedoch alle Bemühungen, die Friedensbedingungen abzumildern, vergeblich, als am 16. Juni der französische Premierminister Clemenceau (1841–1929) Deutschland das Ultimatum stellte.123 Das Protokoll der Delegationssitzungen vom gleichen Tag hält fest: „Prof. Schücking wiederholt seine Auffassung, dass wir an dem Rechtsstandpunkt, auf den wir uns einmal gestellt hätten, festhalten müssen und nicht freiwillig abdizieren dürfen. Nur der _____________ 116

Acker (Anm. 4), 119. AA/PA, Pol. Nr. 2a Bd. 1, E 212374. 118 Acker (Anm. 4), 119. 119 Jäger (Anm. 44), 31ff. 120 AA/PA, Pol. Nr. 2a Bd. 1, E 212374. 121 AA/PA, Pol. Nr. 2a Bd. 1, E 212412. 122 AA/PA, Pol. Nr. 2a Bd. 1, E 212420. 123 Jäger (Anm. 44), 33; Holger H. Herwig, Self-Censorship in Germany After the Great War, in: Keith Wilson (Hrsg.), Forging the Collective Memory. Government and International Historians through Two World Wars, Providence 1996, 87–127 (94ff.). 117

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Gewalt dürften wir weichen.“124 Einen Tag später reiste die deutsche Delegation aus Versailles ab, um sich in Weimar mit der dort tagenden deutschen Regierung zu treffen. Noch während der Zugfahrt arbeitete die Delegation eine elf Seiten umfassende Begründung dafür aus, warum die Friedensbedingungen „unerträglich“, „unerfüllbar“, „rechtsverletzend“ und „unaufrichtig“ seien.125 Schückings unnachgiebige Handschrift wird besonders im abschließenden Satz des Dokumentes deutlich. Hier steht: Wenn aber der Gegner seine Drohung ausführt und gegen uns trotz unserer Bereitwilligkeit, alle gerechten Forderungen zu erfüllen, Gewalt anwenden sollte, so sind wir überzeugt, dass die fortschreitende friedliche Entwicklung der Welt uns baldden [sic.] unparteiischen Gerichtshof bringen wird, vor dem wir unser Recht suchen werden.126

Dieser Satz lässt sich nicht nur unter Berücksichtigung des Protokollauszugs vom 16. Juni sehr wahrscheinlich auf Schücking zurückführen. Auch diverse Stellen in seinen Kriegsaufsätzen bekräftigen diese Zuordnung.127 Schücking war also so überzeugt davon, dass Deutschland Unrecht geschehe, dass er sogar bereit war, die Gefahr einzukalkulieren, dass der Krieg, den er als Pazifist bereits vor seinem Ausbruch bekämpft hatte, fortgesetzt würde. Als der Reichstag am 22. Juni 1919 mit einer Mehrheit von 237 zu 138 Stimmen für die Annahme des Vertrags votierte, stimmte Schücking dagegen.128 Er machte später den Politikern, die für den Friedensvertrag stimmten, keinen Vorwurf, war jedoch „tief enttäuscht“ über die Politik der Siegermächte.129 Als Jurist schloss sich Schücking nicht der Propaganda an, die den Vertrag für ungültig erklärte. Allerdings bemühte er sich, wie die meisten deutschen Pazifisten, um eine Revision des Friedensschlusses, der in „allen politischen Lagern gleichermaßen auf schärfste Ablehnung“ stieß.130 Nach den Erfahrungen in Versailles war Schückings „Vertrauen in den Westen, dessen politische Ideale er vertreten und auf die er gesetzt hatte“, erschüttert. Fortan identifizierte er sich laut Acker

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AA/PA, Pol. Nr. 2a Bd. 1, E 212615. AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/8: Friedensverhandlungen, Az 18, H 235107. 126 AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/8: Friedensverhandlungen, Az 18, H 235108. 127 Hierzu z.B. Schücking, Weltkrieg (Anm. 57), 4f.: „Wir glauben an den Sieg der Vernunft und hoffen auf ein besseres Morgen, und wenn die Ereignisse der Gegenwart alle Ansätze hinweggerissen haben die uns die Vergangenheit für eine Rechts- und Friedensordnung der Kulturwelt schon gebracht hatte, so hoffen wir um so mehr, dass die Menschheit aus diesen gegenwärtigen Ereignissen lernen wird“. 128 Jäger (Anm. 44), 33. 129 Delbrück (Anm. 9), 803. Vgl. Kohl (Anm. 7), 238. Hierzu auch Wolfgang J. Mommsen, Der Vertrag von Versailles. Eine Bilanz, in: Krumeich (Anm. 107), 351–360 (351). 130 Münch (Anm. 12), 466. 125

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„vollkommen“ mit Deutschland, das seiner Ansicht nach als die neue „Vorkämpferin der Herrschaft des Rechts einzutreten“ schien.131 Mit dem politischen Wandel in Deutschland im November 1918 war es für ihn als „Patriot“ nun umso einfacher, seine Ideale im Einklang mit der deutschen Regierung und „unter Wahrung nationaler Interessen zu verwirklichen“.132 II. Die Herausgabe der Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 Der Erste Weltkrieg begann 1914 „zwar noch in der Form eines traditionellen Kabinettkrieges“, hatte aber „von Anfang an Züge eines totalen Krieges“. Anstatt wie in den „begrenzten Kriegen“ des 19. Jahrhunderts, war der Bürger nun unmittelbar betroffen und verlangte Rechenschaft von den Regierenden. Der Nachweis der Kriegsschuld wurde so zu einer „staatspolitischen Angelegenheit ersten Ranges.“ 133 Daher verwundert es nicht, dass Brockdorff-Rantzau in der Schuldproblematik einen „zentralen Gegenstand der Friedensverhandlungen“ sah.134 Allerdings wollte man durch die Widerlegung des Vorwurfs, den Krieg verschuldet zu haben, nicht nur innenpolitisch Rechenschaft ablegen, sondern vor allem moderatere Friedensbedingungen erzielen. Die „Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler“ forderten die Delegation folglich auf, den Schuldvorwürfen gegen Deutschland „entgegenzutreten“, da „die Schwere der uns auferlegten Bedingungen damit“ begründet werde.135 Die Veröffentlichung der „diplomatischen Korrespondenz während der Julikrise“ rückte bei dieser Auseinandersetzung in den Mittelpunkt.136 Bereits 1914 hatte das Auswärtige Amt eine Sichtung der Akten in Angriff genommen. Das Unterfangen einer Aktenedition wurde jedoch erst im November 1918 konkret, als die Revolutionsregierung den Sozialisten Karl Kautsky (1854–1938) mit der Sortierung der Dokumente beauftragte.137 Er bemühte sich, die Aktenedition noch vor Beginn der Friedensverhandlungen fertig zu stellen, damit die „deutsche Regierung auf den Verlauf der Friedenskonferenz Einfluß nehmen“ könne.138 Allerdings änderte sich die Strategie der deutschen Regierung, und Reichspräsident _____________ 131

Acker (Anm. 4), 122. Kohl (Anm. 7), 240. 133 Jäger (Anm. 44), 15–16. 134 Jäger (Anm. 44), 31. 135 AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/8: Friedensverhandlungen, Az 18, H 235035. 136 Krumeich (Anm. 44), 194; Jäger (Anm. 44), 22. 137 Herwig (Anm. 123), 88; Krumeich (Anm. 44), 194. 138 Jäger (Anm. 44), 24. 132

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Ebert hält am 22. März 1919 für das Protokoll der Regierungssitzung fest, die „Frage der Dokumentenveröffentlichung zu vertagen“.139 Im April macht Brockdorff-Rantzau den Vorschlag, den Druck der Akten „zurückzustellen“ bis „die Aussichten auf objektive Würdigung auch im Ausland besteht“.140 Indes wurde die Endredaktion der Edition nicht Kautsky, sondern den „international renommierten Wissenschaftlern Max Graf Montgelas und Walther Schücking“ übertragen.141 In seinem 1913 gehaltenen Vortrag „Kultur und Krieg“, der ein Jahr später publiziert worden war, hatte Schücking die Überzeugung vertreten, dass „der Krieg nicht ausbricht, wie […] die Pest“, sondern von Menschen gemacht wird.142 Auch in seinem bereits 1909 erschienenen Werk „Die Organisation der Welt“ kritisiert Schücking, dass Deutschland aufgrund seiner „reaktionären Haltung“ bei der Zweiten Haager Friedenskonferenz seine außenpolitische „Isolation“ bzw. die „sogenannte ‚Einkreisung’“ selbst verschuldet habe.143 Damit übte Schücking scharfe Kritik am „politischen Topos der Deutschen“ und der offiziellen Narration, dass Deutschland in den Jahren vor Kriegsausbruch eine Defensivpolitik als Reaktion auf die „feindlichen Bündnisse“ der Nachbarn praktiziert habe.144 Gemäß dieser Argumentation lag die Hauptschuld für den Krieg nicht bei Deutschland. Vor dem Hintergrund der Äußerungen Schückings sollte man meinen, dass Schücking vor dem Krieg im kaiserlichen Deutschland eine weitaus größere Konfliktquelle sah als in den Nachbarstaaten. Allerdings finden sich in Schückings Aufsätzen aus den Kriegsjahren auch Zeilen, die ein differenzierteres, oder sogar anderes Bild zeichnen.145 _____________ 139 AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/7: Vorbereitung der Friedensverhandlungen, Az 17, H 234918. 140 AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/7: Vorbereitung der Friedensverhandlungen, Az 17, H 234941. 141 Krumeich (Anm. 44), 194. Kautsky war bei der Aktendurchsicht zu der Überzeugung gelangt, dass „die deutsche Regierung erheblichen, wenn nicht maßgeblichen Anteil am Kriegsausbruch gehabt hatte.“ Daher wurde Kautsky von den Arbeiten an der Aktenedition ausgeschlossen, sollte aber „vor der Veröffentlichung nochmal gehört werden“. Aufzeichnung des Legationsrats Freytag über die Ministerbesprechung am 7. Juli 1919 in Weimar, in: Walter Bußmann u.a., Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945. Serie A: 1918–1925, Band II, 7. Mai–31. Dezember 1919, Göttingen 1984, 158. 142 Walther Schücking, Kultur und Krieg, Stuttgart 1914, 10. 143 Schücking, Organisation (Anm. 65), 72. Hierzu auch Schücking, Professoren (Anm. 110) 1f. 144 Krumeich (Anm. 44), 17ff. 145 In seinem Aufsatz „Das europäische Gleichgewicht“ von 1915, abgedruckt 1917 in „Der Dauerfriede“, beschreibt Schücking den Weltkrieg als Resultat des versagenden Kabinettsystems. In einem 1915 im „Berliner Tagblatt“ abgedruckten Artikel, der 1917 ebenfalls in Schückings „Dauerfriede“ aufgenommen wurde, übernimmt Schücking sogar das Narrativ eines für Deutschland „aufgezwungenen Krieges“: Walther Schücking, Das neue System, in: Der Dauerfriede. Kriegsaufsätze eines Pazifisten, 1917, 31–38.

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Mit dem Kriegsende ist jedoch eine eindeutigere Stellungnahme Schückings zur Kriegsschuldfrage bemerkbar.146 Bereits in den 1918 erschienenen Arbeiten „Die völkerrechtliche Lehre des Weltkrieges“ und „Internationale Rechtsgarantien“ deutet sich dieser Umschwung an. So wird in beiden Publikationen der Grund für den Weltkrieg nun vorrangig dem europäischen Staatensystem zugeschrieben. Schücking schreibt, dass „die verantwortlichen Instanzen keiner Partei den Krieg wollten, nur sei jeder davon überzeugt, daß auch der diplomatische Gegner in letzter Stunde [vor dem Krieg] zurückschaudern werde.“147 Auf diese Weise habe sich eine gefährliche Politik des Bluffs eingebürgert und Schücking fährt fort: „Es hilft nichts, die Menschen anzuklagen, wir müssen auch hier die Fehler im System suchen.“148 Nach dem Friedensschluss wendet sich Schücking verstärkt gegen die „einseitige Belastung Deutschlands“ mit dem Vorwurf der Kriegsschuld.149 Durch die „tiefe Enttäuschung über das Verhalten der Alliierten in Versailles“ fühlte er sich „um so stärker in die nationale Einheitsfront gegen den Friedensvertrag eingebunden“.150 Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum die Endredaktion der „amtlichen Aktenedition“ nicht bei Kautsky blieb, der inzwischen nicht mehr als politisch verlässlich erschien, sondern Schücking übertragen wurde.151 Er galt als „national gesinnter Wissenschaftler“, der gleichzeitig als ein „demokratischer Völkerrechtler“ und „gemäßigter Pazifist“ bekannt war.152 Dementsprechend ging es auch vor allem darum, dass Schücking seinen „im In- und Ausland hoch geschätzten Namen für ein offiziöses Projekt“ gab.153 Die zentrale Aussage der am 10. Dezember 1919 erschienenen vierbändigen Edition „Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914“ war, dass „der Reichskanzler und vor allem _____________ 146 Bodendiek (Anm. 52), 205ff. nimmt in anderem Zusammenhang zur Analyse von „Kontinuität, Wandlungen und Widersprüchen“ in Schückings Werk ebenfalls eine Teilung in die Zeit vor und nach dem Weltkrieg vor. 147 Walther Schücking, Die völkerrechtliche Lehre des Weltkrieges, Leipzig 1918, 23. 148 Schücking, Lehre (Anm. 147), 23. An anderer Stelle geht er ausführlich auf die europäische Bündnispolitik des 19. Jahrhunderts sowie die Kabinettspolitik ein. Zwar seien diese Bündnisse defensiv gedacht gewesen, bewirkten hätten sie jedoch einen zunehmenden Antagonismus der europäischen Staaten: Walther Schücking, Internationale Rechtsgarantien. Ausbau und Sicherung der zwischenstaatlichen Beziehungen, Hamburg 1918, 72ff. 149 Jäger (Anm. 44), 95. Siehe auch Acker (Anm. 4), 123. 150 Ulrich Heinemann, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik, Göttingen 1983, 103. 151 Walter Bußmann u.a., Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945. Serie A: 1918–1925, Band II, 7. Mai–31. Dezember 1919, Göttingen 1984, 158. 152 Heinemann (Anm. 150), 76. Vergleiche Anm. 104. 153 Heinemann (Anm. 150), 76. Letztlich wurden bei der finalen Überarbeitung auch nur wenige Modifizierungen an der Version Kautskys vorgenommen: Herwig (Anm. 123), 91.

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der Kaiser in der Julikrise zwar eine leichtsinnige und kurzsichtige Politik betrieben, den Weltkrieg aber weder gewollt noch planmäßig herbeigeführt“ hätten.154 Diese für Deutschland noch immer nicht ganz vorteilhafte Interpretation der Julikrise versuchten Schücking und Montgelas durch die Einleitung abzuschwächen.155 So heißt es in der Vorbemerkung, dass der Kriegsausbruch „in engem historischen Zusammenhang mit der gesamten politischen Weltlage“ stehe und auch die „entfernte Vorgeschichte des Weltkriegs“ für das Studium der Kriegsursachen zu berücksichtigen sei.156 Mit der „entfernten Vorgeschichte“ war eindeutig die Entstehung des gegnerischen Bündnissystems, also die Einkreisung Deutschlands gemeint, die in der später erschienen Edition „Die Grosse Politik der Europäischen Kabinette, 1871–1914“ dargestellt werden sollte.157 Schücking nahm in der Kriegsschuldfrage also den Standpunkt der Regierung ein, die den Weltkrieg am liebsten „in den Zusammenhang mit der Entwicklung der europäischen Politik“ stellte und damit den „Topos der Einkreisung“ als Erklärung oder Rechtfertigung für die deutsche Vorkriegspolitik weiterhin pflegte.158 Die „Deutschen Dokumente“ waren Teil der deutschen „Unschuldskampagne“, die außenpolitisch das Ziel der Vertragsrevision hatte.159 Schücking war nur einer von vielen „Wissenschaftlern und Publizisten“ die sich an dieser Kampagne beteiligten, da sie es als ihre Pflicht ansahen, ihr „Vaterland gegen die Vorwürfe der Alliierten“ zu verteidigen.160 Dass Schücking sogar auf den Bund Neues Vaterland einwirkte, nicht gegen die „Ausbootung“ Kautskys bei der Aktenedition öffentlich zu opponieren, zeigt, wie sehr Schückings patriotische Haltung mit der deutschen Politik in Einklang gekommen war.161 Dies führte auch zu Kritik. Besonders im Zusammenhang mit seiner Rolle in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen musste Schücking sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er sich zu sehr den reaktionären Kreisen annähere oder zumindest argumentativ den politischen Gegnern der Republik Schützenhilfe leisten würde.162 Ursprünglich war das Ziel der Untersuchungsausschüsse, die Ursachen des Weltkriegs und die Anschuldigungen der Siegermächte gegen _____________ 154

Jäger (Anm. 44), 27. Heinemann (Anm. 150), 76. 156 Graf Max Montgelas/Walther Schücking, Vorbemerkungen zur ersten Ausgabe, in: Auswärtiges Amt (Hrsg.), Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914, Berlin 1928, XIII. 157 Jäger (Anm. 44), 51; Herwig (Anm. 123), 96ff. 158 AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/8: Friedensverhandlungen, Az 18, H 235035. 159 Jäger (Anm. 44), 62–63. 160 Herwig (Anm. 123), 117. 161 Heinemann (Anm. 150), 290. Der (sehr) kritischen Beurteilung der „patriotischen Selbstzensur“ widmet sich Herwig (Anm. 123). 162 Acker (Anm. 4), 133, 143. 155

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das Deutsche Reich zu prüfen. Allerdings waren diese Gremien schnell von der politischen Rechten zur Rechtfertigung deutscher Vorkriegspolitik und Widerlegung alliierter Vorwürfe instrumentalisiert worden.163 Dass Schücking in der Zurückweisung ihm unberechtigt erscheinender Vorwürfe ebenfalls eine zentrale Aufgabe sah, führte ihn oft in seltsame Eintracht mit den Republikgegnern, mit deren Absichten ihn im Grunde nichts verband.164 Im Dritten Ausschuss, der die deutschen Völkerrechtsverletzungen während des Kriegs prüfte, zog Schücking eine rein positivistische Rechtsanwendung seinem naturalistischen Völkerrechtsverständnis vor. Hier lässt sich zumindest der „Politiker“ Schücking nicht einwandfrei in das Bild des „Zukunftsjuristen“ fügen und der bereits genannte Vorwurf an Schücking, er bewege sich in falscher Gesellschaft, hat hier seinen Ursprung.165 So wurden in den Ausschüssen die deutschen Völkerrechtsverletzungen „oft mit spitzfindigsten Argumenten“ zurückgewiesen.166 Dass Schücking diese Art der Vergangenheitsbewältigung, wenngleich aus demokratischem Pflichtgefühl und nicht wie die nationalistisch Gesinnten zur Verteidigung der untergegangen Ordnung, durch Mehrheitsbeschlüsse oft mittrug, quittierte der SPD-Abgeordnete Wilhelm Dittmann (1874–1954) mit Bedauern und Unverständnis.167 1926 warnte der Pazifist Richard Grelling (1854–1929), dass die Unschuldskampagne durch die Entlastung der alten Eliten die demokratische Ordnung gefährde.168 Darüber hinaus machte der radikale Flügel in der Friedensbewegung Schücking und anderen „bürgerlichen Pazifisten“ den Vorwurf, sich zu sehr auf internationale Themen wie den Ausbau internationaler Organisationen zu konzentrieren und dadurch die Priorität einer Abwehr der erstarkenden Nationalisten im eigenen Land zu verkennen.169 Holger H. Herwig und Helmut Donat stellen in diesem Zusammenhang die kritische Frage, inwiefern Gelehrte _____________ 163 Acker (Anm. 4), 141. Am bekanntesten sind wohl die Auftritte Hindenburgs, Ludendorffs und Helferichs als Zeugen vor dem Zweiten Ausschuss, die dazu beitrugen, die Dolchstoßlegende öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Dass Schücking diese nicht als „Legende“, sondern als „These“ bezeichnete, steht laut Acker repräsentativ für die mangelnde Entschlossenheit der Demokraten, die junge Republik gegen ihre Feinde zu verteidigen: Acker (Anm. 4), 132, 142. 164 Acker (Anm. 4), 140. 165 Acker (Anm. 4), 140. 166 Acker (Anm. 4), 140. 167 „Es tut mir in der Seele weh, daß ich Dich in der Gesellschaft seh“, zitiert nach Acker (Anm. 4), 14. 168 Jäger (Anm. 44), 93 zitiert ihn mit den Worten: „Es ist höchste Zeit zur Umkehr. Höchste Zeit, wenn nicht krampfhafte Umwälzungen im Innern, kriegerische Konflikte nach Außen die ruhige Aufwärtsentwicklung des neuen Deutschland stören sollen. Den echten Republikanern, den entschiedenen Pazifisten aber rufe ich zu: Unterschätzt nicht die Gefahr der Unschuldsbewegung!“. 169 Helmut Donat, Die radikalpazifistische Richtung in der Deutschen Friedensgesellschaft, in: Holl/Wette (Anm. 43), 27–45 (35).

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und Intellektuelle unabsichtlich durch ihre Unterstützung der Unschuldkampagne die antidemokratischen, nationalistischen Kräfte in der Weimarer Republik förderten.170 Aber der Patriotismus Schückings hatte auch Grenzen und war alles andere als nationalistisch. Als er 1930 vom Reichstag beauftragt wurde, ein Gutachten zur Kriegsschuldfrage mit dem inzwischen aus dem Dienst geschiedenen Diplomaten Johannes Kriege zu erstellen, zögerte er.171 Schücking war sich wohl des „Alibicharakters seiner Nominierung“ bewusst, und es ist fraglich, ob er mit dem Vorhaben Krieges, eine iusta causa belli für den Kriegseintritt „nachzuweisen“, übereinstimmte.172 Im Mai 1933 teilte Schücking Kriege aus Den Haag in einem ausführlichen Brief schließlich mit, dass er sich „als internationaler Richter an dem Gutachten über die Kriegsschuldfrage nicht beteiligen kann, ohne [seine] eigene Stellung bei dem Gerichtshofe und damit höchst wichtige Reichsinteressen zu gefährden.“173 Weiter heißt es, wie bereits zu Beginn dieser Arbeit zitiert, dass die „eingetretene Umwälzung politischer Art“ in Deutschland ihn nicht nur „in tiefster Seele verletzt hat“, sondern ihm auch die Entscheidung erleichtert habe, die „frühere Zusage gegenüber der Reichsregierung unerfüllt zu lassen“.174 In beiden Auszügen wird die nicht einfach einzuordnende patriotische Haltung Schückings ein weiteres Mal deutlich: Schücking fühlte sich als Patriot seinem „Vaterland“ zwar eng verbunden, dies führte jedoch weder zu einer Identifikation mit dem preußischen Kaiserreich noch mit „der Revolution der nationalen Erhebung“ 1933. Hans-Peter Schwarz schreibt, dass der Widerstand gegen die eigene „schlechte Regierung, [die] das Gemeinwesen ruiniert“, eine patriotische Selbstverständlichkeit darstellt.175 Dies wird auch bei Schücking deutlich, dessen Patriotismus ihn nicht dazu verleitete, sich stets vorbehaltlos mit dem offiziellen Deutschland zu identifizieren. Schücking war also weit entfernt von jener blinden, bedingungslosen Loyalität, die den Nationalismus kennzeichnet, und in seinem Engagement für die deutsche Regierung kann allenfalls die dem Patriotismus „kritische Treue“ ausgemacht werden.176

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Herwig (Anm. 123), 89; Donat (Anm. 169), 44f. Heinemann (Anm. 150), 216. 172 Heinemann (Anm. 150), 216. 173 AA/PA, NL Johannes Kriege Bd. 5. 174 AA/PA, NL Johannes Kriege Bd. 5. 175 Schwarz (Anm. 30), 21. 176 Vincent (Anm. 38), 132f.; König (Anm. 36), 75ff. 171

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D. Ein seltsamer, aber zugleich natürlicher Lebenslauf „[W]er sein Volk lieb hat, der soll eintreten für jene grosse Kulturbewegung, die jetzt durch die Lande geht: das Streben nach internationaler Verständigung […]. Vor unseren Kindern und Enkeln sind wir dafür verantwortlich, dass wir Deutschen zu diesem grossen Werk der internationalen Verständigung rechtzeitig unseren Beitrag leisten.“177 Diese Forderung stellte Walther Schücking im Oktober 1913, also nicht ein Jahr vor den Kriegserklärungen, die Europa in den Ersten Weltkrieg führten, in seinem Vortrag auf der Tagung des Verbandes für Internationale Verständigung in Nürnberg an seine Hörerschaft. Aus diesem Auszug gehen zwei Facetten des Redners hervor, die in dieser Arbeit thematisiert wurden: Der Pazifismus und der Patriotismus Schückings. Für eine Untersuchung insbesondere der patriotischen Seite Schückings war zunächst – nachdem einige biographische Informationen und ein kurzer Abriss der Forschungsliteratur gegeben wurde – ein Blick auf das pazifistische Denken und Handeln Schückings nötig. Vor dem Hintergrund seiner akademischen Tätigkeit als „Professor der Rechte“, zeigte sich hier die Sonderrolle Schückings als Verfechter des „organisatorischen Pazifismus“ in der damals eindeutig positivistisch dominierten Völkerrechtslehre. Durch seine Auffassung, das Völkerrecht gemäß dem für ihn zentralen Paradigma der „Herrschaft des Rechts“ zu verstehen und fortzuentwickeln, gilt Schücking als Zukunftsjurist oder progressiver Völkerrechtler. Sein Engagement in der Friedensbewegung machte dabei deutlich, dass er sich nicht auf wissenschaftliche Konzepte zur „Organisation der Welt“ beschränkte, sondern auch aktiv als Politiker an der „Aufgabe des Völkerrechts“, der Versöhnung von Nationalismus und Internationalismus, mitwirkte. Dass Schücking den Nationalstaat, und damit für ihn Deutschland, als Ausgangspunkt für seine eigene Arbeit zur Verwirklichung der universalen Aufgabe der internationalen Verständigung und somit der Friedensidee bewertete, gab bereits erste Hinweise über die Art der patriotischen Einstellung Schückings. Eine ausführliche Untersuchung der Tätigkeiten des Friedensunterhändlers Schücking gewährte schließlich weitere Erkenntnisse über diesen Patriotismus. Anhand der Protokolle der deutschen Friedensdelegation aus Versailles wurde der energische Einsatz Schückings gegen den Friedensvertrag und für die neue Regierung der jungen Republik deutlich. Ein Beispiel hierfür sind die Formulierungsarbeiten Schückings für Schriften der Delegation, die von der deutschen Regierung teilweise sogar als zu „aggressiv“ beurteilt wurden, um an die Siegermächte überreicht zu werden. Als Schücking nach Versailles gereist war, vertrat er seiner Auffassung nach ein Deutschland, das sich jetzt für sein wichtigstes _____________ 177

Schücking, Kultur (Anm. 142), 11.

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Anliegen im Staatensystem einsetzte: „das Ideal des Rechtes höher [zu] stellen als das Ideal der Macht“.178 Die einsetzende Adaption pazifistischer Ideen in der deutschen Politik und seine tiefe Enttäuschung über das Verhalten der Alliierten in Versailles, ließen Schücking „nach dem Krieg so nachdrücklich für die deutschen Belange“ eintreten.179 Schücking lehnte den Friedensvertrag jedoch nicht allein deswegen ab, weil er Deutschland zu Unrecht mit dem Vorwurf der alleinigen Kriegsschuld belastete und das Recht auf Gleichberechtigung Deutschlands, oder, völkerrechtlich formuliert, „die angeborenen Rechte der Völker“ verletzt sah.180 Für ihn war das Versailler Vertragswerk „kurzsichtig“ und nicht als Grundlage für einen dauerhafte Frieden geeignet.181 In seiner Rede „Annehmen oder Ablehnen?“ äußerte Schücking die Befürchtung, dass der Vertrag eine „furchtbare, nationalistische Welle der Reaktion“ in Deutschland auslösen werde.182 Damit gefährde er nicht nur die schwache Demokratie, sondern berge auch die Gefahr eines neuen Krieges.183 Es ging Schücking also nicht allein „um die Stellung Deutschlands, sondern um eine allgemeine Fortbildung der internationalen Beziehungen“.184 Damit stellt sich die Frage, inwiefern seine Arbeit gegen Versailles und damit für die deutsche Regierung vielleicht nicht patriotischen, sondern pazifistischen Motiven folgte. Nimmt man das oben stehende Zitat Schückings über die deutsche Verantwortung, zum „grossen Werk der internationalen Verständigung“ einen Beitrag zu leisten, und die Definition, dass ein Patriot sich „universalistischen Idealen“ verpflichtet fühlen kann, „die er gerne in seinem und durch sein Volk verwirklicht sehen würde“, scheint eine Antwort auf diese Frage, ob Schücking Pazifist oder Patriot gewesen ist, in ihrer Dichotomie „Entweder-oder“ fehlgeleitet und unvollständig.185 Treffender scheint es vielmehr, Patriotismus und Pazifismus bei Schücking als Einheit zu verstehen. Dadurch ist eine Würdigung der Persönlichkeit Schückings möglich, der trotz behördlicher Schikanen seinen pazifistischen Idealen wider aller patriotischen Radikalisierung und Euphorie bei Kriegsausbruch 1914 treu blieb. Gleichzeitig _____________ 178

Schücking, Weltkrieg und Völkerrecht (Anm. 57), 10f. Münch (Anm. 12), 477. Reichsaußenminister Brockdorff-Rantzau hatte bereits am 14. Januar 1919 in seinen Notizen seine Absicht bekräftigt: „Der Friede, den wir schliessen, muss ein Rechtsfrieden sein und darf kein Gewaltfrieden werden.“ AA/PA, NL Brockdorff-Rantzau 7/7: Vorbereitung der Friedensverhandlungen, Az 17, H 234832. 180 Acker (Anm. 4), 120; Vgl. hierzu auch: Walther Schücking, Ein neues Zeitalter? Kritik am Pariser Völkerbundentwurf, Vortrag in Versailles vor der deutschen Friedensdelegation, in: Veröffentlichung Deutsche Liga für Völkerbund. Siebente Flugschrift, 1919, 20. 181 Delbrück (Anm. 9), 803. 182 Acker (Anm. 4), 122. 183 Delbrück (Anm. 9), 803. 184 Münch (Anm. 12), 475. 185 Kluxen-Pyta (Anm. 31), 164. 179

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lassen sich jedoch auch einige kritische Anmerkungen zu dem „aufgeklärten ‚wahren‘ Patriotismus“ machen, wie er von vielen Pazifisten beansprucht wurde.186 Dass der Patriotismus nicht nur in seiner „aufgeklärten“ Variante existiert, sondern stets auch ein gefährliches Potential birgt und als Wegbereiter des Nationalismus dienen kann, wurde bereits erwähnt. Auch die Literatur ist sich mehrheitlich darüber einig, dass die mit anderen Intentionen geführte Unschuldskampagne letztlich in ihrer Wirkung unkontrollierbar wurde. Diese Problematik wurde im Zusammenhang mit Schückings Beteiligung an der Diskussion um die Kriegsschuldfrage deutlich. Unabhängig von den Beweggründen spielte eine Abwehr alliierter Anschuldigungen schlussendlich jenen argumentativ in die Hände, welche die Republik bekämpften und revanchistische Gedanken gegenüber dem Ausland hegten. Detlev Acker sieht hierin die Schwachstelle im Denken Schückings.187 Allerdings empfand Walther Schücking nicht die geringste Sympathie für den aufkeimenden Nationalismus und war weit davon entfernt, den zu seiner Zeit oft beschrittenen Weg der patriotischen Radikalisierung oder nationalistischen Selbstüberhöhung mitzugehen. Dies zeigt sich in der Ablehnung Schückings, sich ab 1933 an einem Gutachten zur Kriegsschuld zu beteiligen. Dennoch verstand sich Schücking weiterhin als Patriot, der sogar in seinem Amt als Richter des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in Den Haag für „Reichsinteressen“ eintreten wollte. Dass sein eigenes Volk sich dem Nationalsozialismus zuwendete und damit seine Überzeugung, dass nichts weiter abführt vom „deutschen Volkstum, wie jener ungerechte Geist des Nationalismus“, Lügen strafte, erklärt die Resignation und Melancholie Schückings vor seinem Tod im Sommer 1935.188 Viele Zeitgenossen hatten sich damals irritiert darüber gezeigt, wie Schücking „seine pazifistischen Weltanschauungen mit den Anforderungen der nationalen Politik“ verband.189 Der amerikanische Völkerrechtler James Brown Scott (1866–1943) begegnet dieser Verwunderung in seinem Nachruf auf Schücking 1937 mit einem vielsagenden Satz: „No career could have been stranger, and yet it was very natural in its every respect.“190

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Schwarz (Anm. 30), 30. Acker (Anm. 4), 132. 188 Walther Schücking, Das Nationalitätenproblem. Eine politische Studie über die Polenfrage und die Zukunft Österreich-Ungarns, Dresden 1908, 79; Schücking schrieb am 31. Dezember 1934 an seinen Freund Martin Rade: „Der Glaube an den Fortschritt des Menschengeschlechtes, in dem ich erzogen, wird von mir als Kardinalirrtum begriffen, kurz, der enttäuschte Idealist auf der ganzen Linie.“ Zitiert nach Acker (Anm. 4), 205. 189 Acker (Anm. 4), 98; Münch (Anm. 12), 477. 190 James Brown Scott, In Memoriam: Walther Schücking: January 6, 1875 – August 25, 1935, AJIL 31 (1937), 107. 187

Hermann v. Mangoldt (1895–1953). Ein Mann des Neubeginns nach 1945? Von Wilhelm Knelangen

A. Widersprüchliche Urteile Hermann v. Mangoldt wird zu den bedeutenden deutschen Staatsrechtslehrern des 20. Jahrhunderts gezählt, dessen Name sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung mehr als 60 Jahre nach seinem Tod noch immer präsent ist.1 Das dürfte wesentlich damit zu tun haben, dass v. Mangoldt schon kurz nach der Verabschiedung des Grundgesetzes einen umfassenden Kommentar vorlegte, der in der Fachöffentlichkeit rasch Anerkennung fand und bis in die Gegenwart fortgeführt worden ist.2 Hinzu kommt, dass sich sein Wirken nicht auf den akademischen Raum beschränkte. Vielmehr beteiligte er sich als Abgeordneter des schleswigholsteinischen Landtages, als Landesinnenminister und als Mitglied des Parlamentarischen Rates auch praktisch am Aufbau der neuen politischen Ordnung. Er wird deshalb zu einer Gruppe von Hochschullehrern gerechnet, deren Verdienst es ist, die während des Nationalsozialismus schwer belastete universitäre Rechtswissenschaft nach dem Zusammenbruch von 1945 zu rehabilitieren und unter freiheitlichem Vorzeichen in der jungen Bundesrepublik zu verankern.3 Im Unterschied zur Politikwissenschaft, die sich als Fachdisziplin erst in der Nachkriegszeit etablieren konnte, handelt es sich bei dieser Gruppe freilich nicht um eine „Gründergeneration“, denn die Professoren waren bereits in der Weimarer Republik, vielfach auch erst nach 1933, auf Lehrstühle berufen worden. Das gilt auch für v. Mangoldt, der Ende 1943 den Lehrstuhl für öffentliches Recht an _____________ 1 Heinrich Amadeus Wolff, Hermann von Mangoldt (1895–1953), in: Peter Häberle/ Michael Kilian/Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts: Deutschland-Österreich-Schweiz, Berlin 2015, 456–468 . 2 Zuerst Hermann v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Berlin/Frankfurt 1953. Zuletzt Hermann v. Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 3 Bde., 6. Aufl. München 2010. Die 7. Aufl. ist für 2017 angekündigt. 3 Dazu Frieder Günther, Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949–1970, München 2004; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 4: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in West und Ost 1945–1990, München 2012.

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der Christian-Albrechts-Universität übernahm, nachdem er bereits zuvor Professuren in Königsberg, Tübingen und Jena bekleidet hatte. Dass sich mit dem Kieler Ordinarius eine Person für die Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einsetzte, die bereits während des „Dritten Reiches“ ein erfolgreicher Wissenschaftler war, rief in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft indes keine größeren Irritationen hervor. Zum einen ließe sich Ähnliches für die große Mehrheit seiner Fachkollegen sagen, denn selbst dort, wo die Besatzungsbehörden einzelne Professoren aus politischen Gründen entlassen hatten, konnten diese recht bald wieder in ihr Amt zurückkehren.4 Zum anderen galt v. Mangoldt seinerzeit als ein Fachvertreter, der die nationalsozialistische Herrschaft ohne ideologische Annäherungen und Verbeugungen vor dem Regime überstanden hatte. Die Nachrufe, die zu seinem Tod 1953 veröffentlicht wurden, legen davon Zeugnis ab. Dort heißt es, v. Mangoldt sei „von Anbeginn im Gegensatz zu manchem anderen Lehrer des öffentlichen Rechts ein zu keinem Kompromiß bereiter Gegner des NS-Staates“5 gewesen. In „verworrenen Jahren“ sei der Gelehrte „unbeirrt dem Gedanken des Rechtsstaates treu“6 geblieben, mit dem nationalsozialistischen Regime habe er „weder innerlich noch literarisch“7 paktiert. Als Ausdruck einer stillschweigenden Kritik am NS-Herrschaftssystem habe er vielmehr „von 1933 bis 1945 keine Zeile veröffentlicht, die sich mit deutschem Recht befaßte“8. Diese uneingeschränkt anerkennende Sicht ist in den vergangenen Jahren einer differenzierteren Betrachtungsweise gewichen. Dazu hat generell die seit den 1980er Jahren in der Rechtswissenschaft größer gewordene Aufmerksamkeit gegenüber der Verstrickung des eigenen Faches in das nationalsozialistische Herrschaftssystem beigetragen.9 Nunmehr wurde genauer danach gefragt, in welchem Umfang die Fachvertreter das Herrschaftssystem unterstützten. Im Falle v. Mangoldts war es insbesondere die Wiederentdeckung einer kleinen Schrift von 1939, die zum Nachdenken anregte, weil sie die „Rassenpolitik“ des Natio-

_____________ 4 Eine dauerhafte Entfernung aus dem Hochschullehreramt und damit eine bleibende öffentliche Diskreditierung gab es, wie im Falle Carl Schmitt oder Reinhard Höhn, nur sehr selten, vgl. Stolleis (Anm. 3), 37f. 5 Walter Strauß, Hermann von Mangoldt zum Gedächtnis, DÖV 1953, 247–248 (247). 6 Erich Schneider, Rede am Grabe (28. Februar 1953), in: Erich Schneider u.a., Hermann von Mangoldt. Reden zu seinem Gedächtnis, Kiel 1953, 7–9 (8). 7 Gerhard Leibholz, Hermann von Mangoldt, JöR 2 (1953), III–IV (III). 8 Wiederum Strauß (Anm. 5), 247 9 Einflussreich Bernd Rüthers, Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, München 1988. Siehe auch Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus. Ringvorlesung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Baden-Baden 1992.

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nalsozialismus als ethisch geboten rechtfertigte.10 Weniger Beachtung erfuhr hingegen, dass v. Mangoldt zwischen 1933 und 1945 immerhin dreimal auf eine Professur in einem eng mit Staat und herrschender Politik verbundenen Fach berufen wurde. Welche Schlussfolgerungen sich aus diesen Befunden ergeben können, ist umstritten. Auf der einen Seite gibt es weiterhin Darstellungen, die sich auf die Aufzählung der Karrieredaten beschränken und gar nicht auf eine mögliche Problematik der nationalsozialistischen Zeit eingehen.11 Andernorts wird die Ansicht vertreten, v. Mangoldt sei zeitlebens nicht von seiner Überzeugung für den Rechtsstaat abgewichen, wenn auch eingeräumt wird, dass er im NS-Staat „nicht Widerstand leistete, sondern sich angepaßt hat“12. Doch gibt es auch andere Stimmen. So wird v. Mangoldt beispielsweise in einem Atemzug mit Rudolf Smend, aber auch mit Friedrich Berber, Karl Larenz, Theodor Maunz und Carl Schmitt (also mit Kollegen, die mehr oder minder klar als Exponenten der nationalsozialistischen Rechtslehre gelten können) als Angehöriger einer Generation genannt, die sich an den Nationalsozialismus angepasst und sich danach umstandslos in die Professorenzunft der Nachkriegszeit eingegliedert habe.13 Das eindeutigste Urteil schließlich stammt von einem Musikwissenschaftler, der – allerdings in einem Nebensatz – die Ansicht vertritt, v. Mangoldt sei „als Staatsrechtler fanatischer Befürworter der 1935 erlassenen sogenannten Nürnberger Rassengesetze“14 gewesen. In der Kieler Universitätsgeschichtsschreibung wird v. Mangoldt als Schlüsselfigur für den Wiederaufbau der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät und der Universität insgesamt verortet.15 Im Falle des heutigen Walther-Schü_____________ 10 Es handelt sich um Hermann v. Mangoldt, Rassenrecht und Judentum, Württembergische Verwaltungszeitschrift 35 (1939), 49–51. Die erste ausdrückliche Erwähnung findet der Text in Angelo O. Rohlfs, Hermann von Mangoldt (1895–1953). Das Leben des Staatsrechtlers vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik, Berlin 1997, 48. 11 So etwa Christian Starck, Hermann von Mangoldt (1895–1953). Mitglied des Parlamentarischen Rates und Kommentator des Grundgesetzes, AöR 121 (1996), 438–447. 12 So die Formulierung von Rohlfs (Anm. 10), 133f. Ähnlich Wolff (Anm. 1), 462f.: v. Mangoldt sei richtigerweise „in der Nachkriegszeit nicht als ein Mitläufer der nationalsozialistischen Staatslehre wahrgenommen“ worden. Die Konzessionen seien rückblickend nicht „so richtig glücklich“, aber nicht prägend für das Gesamtwerk. 13 J.H.H. Weiler, Epilogue: Europe’s Dark Legacy. Reclaiming Nationalism and Patriotism, in: Christian Joerges/Navraj Singh Ghaleigh (Hrsg.), Darker Legacies of Law in Europe. The Shadow of National Socialism and Fascism over Europe and its Legal Traditions, Oxford/Portland 2003, 389–401 (397). 14 Michael Custodis, Friedrich Blumes Entnazifierungsverfahren, Die Musikforschung 65 (2012), 1–24 (7). 15 Erich Döhring, Geschichte der juristischen Fakultät 1665–1965 (= Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1665–1965, Band 3, Teil 1), Neumünster 1965, 222.

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cking-Instituts war überdies lange das Bemühen erkennbar, den Amtsantritt 1943 und das Wirken v. Mangoldts als Fortsetzung einer – nur durch den Nationalsozialismus unterbrochenen – Kontinuitätslinie zu interpretieren, die von der Gründung des Instituts bis zur jeweiligen Gegenwart reichte. Von der mit der Institutsleitung Paul Ritterbuschs verbundenen Unterbrechung abgesehen, beschrieb anlässlich des 50. Gründungsjubiläums 1964 der Institutsdirektor Eberhard Menzel „eine kontinuierliche Tendenz, eine einheitliche Linie“, die Theodor Niemeyer, Walther Schücking und Hermann v. Mangoldt in dem Bemühen um eine gerechte internationale Ordnung, um zwischenstaatlichen Rechtsfrieden und die Vermeidung des Krieges verbinde.16 Auch jüngere Darstellungen folgen diesem Motiv, wenn etwa in den Festschriften zum 75- und zum 100-jährigen Jubiläum die Entwicklung des Instituts in drei Phasen geteilt wird, in der nach Niemeyer und Schücking die Zeit des Nationalsozialismus „als sogenanntes ‚Interregnum‘“ bezeichnet wird, bis die dritte Phase mit der Amtsübernahme v. Mangoldts eingesetzt habe, denn damit konnte „schließlich an die frühere Tradition wiederangeknüpft werden“17. An dieser Dreiteilung orientiert sich auch v. Arnauld, der v. Mangoldt „zu den wenig nationalsozialistisch belasteten Vertretern seiner Zunft“ rechnet, dem das Institut zudem viel verdanke. Zugleich geht er kritisch auf den Aufsatz von 1939 ein, der „umso verstörender“ wirke, wenn man ihn ins Verhältnis zu seinen Schriften über das Verfassungsrecht der USA setze.18 War Hermann v. Mangoldt, wie es der in der Literatur überwiegend vertretenen Sichtweise entspricht, ein Mann des Neubeginns, der das Institut für Internationales Recht mit seinem Amtsantritt auf einen Pfad zurückführte, der der Demokratie wie dem Frieden durch Völkerrecht gleichermaßen verpflichtet war? Oder müssen, wie es wenigstens einige Stimmen nahelegen, von dieser Sichtweise mehr oder weniger große Abstriche gemacht werden? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden, wobei sich das Augenmerk auf die Phase bis zum Kriegsende richtet, wohingegen den Jahren des Wiederaufbaus nur ein kurzer Ausblick gewidmet wird. Da es aus den Jahren bis 1945 keinen privaten Nachlass v. Mangoldts gibt, kann die Überlieferung, wie sie sich in den Akten _____________ 16 Eberhard Menzel, Begrüßung und Bericht, in: Institut für Internationales Recht (Hrsg.), Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel. Festakt am 12.11.1964 und wissenschaftliche Kolloquien mit Referaten, Hamburg 1965, 7–14 (14). 17 Ursula E. Heinz, 100 Jahre Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, in: Jost Delbrück u.a. (Hrsg.), Aus Kiel in die Welt: Kiel’s Contribution to International Law. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, Berlin 2014, 13–38. Vom „Interregnum“ spricht Heinz auf S. 13. Zuvor bereits Institut für Internationales Recht der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 75 Jahre Institut für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Kiel 1989. 18 Andreas v. Arnauld, 100 Jahre „Frieden durch Recht“. Das Walther-SchückingInstitut für Internationales Recht, Christiana Albertina 79 (2014), 61–81 (70).

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von Ministerien und Universitäten findet, nicht durch persönliche Zeugnisse ergänzt werden. An vielen Stellen geht das Forschungsinteresse daher über das hinaus, was sich zwischen den Aktendeckeln finden lässt.19

B. Über Umwege zur ersten Professur Wenngleich er aus einer Familie stammte, in der es väter- und mütterlicherseits bereits mehrere Männer auf universitäre Lehrstühle geschafft hatten, entschied sich Hermann v. Mangoldt erst nach einigen Umwegen dazu, eine akademische Karriere einzuschlagen.20 Am 18. November 1895 als Sohn des Mathematikprofessors Hans v. Mangoldt in Aachen geboren, verbrachte er seine späten Kindheits- und Jugendjahre in Danzig, weil sein Vater 1904 als Gründungsrektor an die dortige Technische Hochschule berufen worden war. Noch vor dem Beginn des Weltkrieges meldete er sich im April 1914 freiwillig zur Kriegsmarine, der er an verschiedenen Orten diente.21 Im Januar 1919 schrieb sich v. Mangoldt, nach Kriegsende als Oberleutnant der Reserve aus dem Militärdienst entlassen, in Danzig für das Studium des Bauingenieurwesens ein. Schon im Mai 1919 schloss er sich allerdings der Haff- und Flussflottille des Ostpreußischen Freiwilligenkorps an, die die ostpreußischen Wasserwege gegen die revolutionären Kräfte der Volksmarinedivison wie auch gegen sowjetische Truppen sichern sollte. Als deren Aufgaben am 1. Oktober 1919 vom Reichswasserschutz übernommen wurden, blieb v. Mangoldt in diesem polizeilichen Verband als Kommandoführer und ab 1921 in Stabsverwendungen tätig. Ab dem Wintersemester 1922/23 nahm er nebenberuflich ein rechtswissenschaftliches Studium an der Albertus-Universität Königsberg auf. Erst im März 1926 beendete v. Mangoldt seine Laufbahn beim Wasserschutz, um im Juli 1926 das Referendarsexamen abzulegen. Im Alter von 30 Jahren begann er einen Monat später das Referendariat bei der Staatsanwaltschaft Danzig und bereitete parallel eine juristische Dissertation zum Recht der _____________ 19 Den in den Fußnoten genannten Kürzeln entsprechen die folgenden Archive: Akten Fak = Akten der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der CAU Kiel; BA = Bundesarchiv; BA (ehem. BDC) = Bundesarchiv (ehemals Berlin Document Center); LASH = Landesarchiv Schleswig-Holstein; StA Hamburg = Staatsarchiv Hamburg; ThHStAW = Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar; UAJ = Universitätsarchiv Jena; UAT = Universitätsarchiv Tübingen; WSI = Archiv des Walther-Schücking Instituts der CAU Kiel. 20 Die umfangreichste, wenn auch an vielen Stellen unbefriedigende Darstellung von Leben und Werk v. Mangoldts ist Rohlfs (Anm. 10). Knappere Überblicke bieten Starck (Anm. 11); Ulrich Vosgerau, Hermann von Mangoldt, in: Günter Buchstab (Hrsg.), In Verantwortung vor Gott und den Menschen. Christliche Demokraten im Parlamentarischen Rat 1948/49, Freiburg u.a. 2008, 271–282; Erhard H.M. Lange, Wegbereiter der Bundesrepublik. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates: neunzehn historische Biografien, 2. Aufl. Brühl 1999, 83–92. 21 Dazu und zum Folgenden siehe Rohlfs (Anm. 10), 20ff.

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Binnenschifffahrt bei Herbert Kraus (1884–1965) vor, einem ausgewiesenen Experten im Völkerrecht, insbesondere des Völkerbundes und des Versailler Vertrages.22 Die Promotionsprüfung legte der Doktorand am 18. Februar 1928 mit der Gesamtnote „summa cum laude“ ab. Es ist nicht einfach, die weltanschauliche, dogmatische und methodische Vielfalt der rechtswissenschaftlichen Fakultäten in der Weimarer Republik auf einen allgemeinen Begriff zu bringen. Kennzeichnend für die Staatsrechtslehre war gleichwohl, dass die 1919 verabschiedete Reichsverfassung nur selten geliebt, aber doch ganz überwiegend als gültig und legitim anerkannt wurde.23 Dem Idealbild einer politischen Ordnung entsprach sie aus Sicht der Staatsrechtslehrer freilich nicht, und je stärker die polarisierte Parteiendemokratie an die Grenzen der Funktionsfähigkeit geriet und der Weimarer Parlamentarismus ab 1930 faktisch außer Kraft gesetzt wurde, desto schwächer fiel die Unterstützung für den freiheitlichen Staat aus.24 Die Königsberger Fakultät, an der v. Mangoldt studierte, stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Den dortigen rechtswissenschaftlichen Professoren jener Zeit wird indes – an ihrer parteipolitischen Orientierung gemessen – ein überwiegend liberaler Hintergrund bescheinigt.25 Noch während des Referendariats übernahm v. Mangoldt im April 1929 eine Assistentenstelle am Königsberger Institut für Luftrecht, das nach dem Tod des Gründers Otto Schreiber (1882–1929) von Hans Oppikofer (1901–1950) geleitet wurde.26 Nach der großen juristischen Staatsprüfung, die v. Mangoldt im März _____________ 22 Hermann v. Mangoldt, Grundprobleme des deutschen öffentlichen Binnenschiffahrtsrechtes, 1928. Zu Kraus, der zum Sommersemester 1928 nach Göttingen wechselte, siehe Dietrich Rauschning, Herbert Kraus (1884–1965), in: ders./Donata v. Nerée (Hrsg.), Die Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren. Aus Anlaß der Gründung der Albertus-Universität vor 450 Jahren, Berlin 1995, 371–382. 23 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Weimarer Republik und Nationalsozialismus (Sonderausgabe), München 2002, 90ff., 158ff. 24 Günther (Anm. 3), 49. 25 So Christian Tilitzki, Die Albertus-Universität Königsberg im Umbruch von 1932 bis 1934, in: Christian Pletzing (Hrsg.), Vorposten des Reichs? Ostpreußen 1933–1945, München 2006, 41–76 (43ff.). Zum Zeitpunkt der Machtübernahme der NSDAP rechnet er mit einer Ausnahme die Professoren dem republiktreuen Spektrum zu. Ebenso Christian Tilitzki, Professoren und Politik. Die Hochschullehrer der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. in der Weimarer Republik, in: Bernhart Jähnig (Hrsg.), 450 Jahre Universität Königsberg. Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte des Preußenlandes, Marburg 2001, 131–177 (138ff.). Seine Urteile sind freilich streitbar. So wird über die Professoren Wolzendorff und Kraus gesagt, diese stammten „aus dem geistigen Umfeld des Völkerbundesenthusiasten und Pazifisten Walther Schücking“, während Tilitzki zugleich beklagt, dass die „in ihrer kritisch-analytischen Substanz unübertroffenen Arbeiten“ von Carl Schmitt und Gustav Adolf Walz nicht ausreichend gewürdigt würden (ebd., 138). 26 Oppikofer trat seine Professur am 1. April 1929 an, siehe Tilitzki (Anm. 25: 2001), 147.

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1930 mit der Note „vollbefriedigend“ abschließen konnte, ließ er sich als Gerichtsassessor vom Reichsjustizdienst beurlauben, um sich seiner Arbeit im noch jungen Gebiet des Luftrechts und der Anfertigung seiner Habilitation widmen zu können.27 Darin ging es indes nicht etwa um eine luftrechtliche Frage, sondern v. Mangoldt habilitierte sich im Juli 1931 mit einer Arbeit zu „Geschriebene Verfassung und Rechtssicherheit in den Vereinigten Staaten von Amerika“ und damit zu einem Thema des ausländischen öffentlichen Rechts.28 In der Schrift ging es darum, die Leitideen der US-Verfassung vor dem Hintergrund der amerikanischen Verfassungswirklichkeit herauszuarbeiten. Die Druckfassung erschien erst 1934 unter veränderten politischen Vorzeichen. Zu Beginn des Wintersemesters 1931/32 wurde v. Mangoldt zum Privatdozenten für öffentliches Recht und Luftrecht an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Königsberg ernannt. Ab dem Sommersemester 1932 bot er in seiner neuen Rolle regelmäßig Vorlesungen und Seminare an, so zum internationalen Privatrecht, zum Luftrecht oder zum Finanz- und Steuerrecht.29 Seine Antrittsvorlesung hielt er am 2. November 1931 zur preußischen Polizeirechtsreform.30 Das war seinerzeit ein durchaus brisantes Thema, denn weite Teile der Staatsrechtslehre trauten der pluralistischen Parteiendemokratie einen Ausweg aus der Krise Weimars nicht zu, wohingegen autoritäre Vorstellungen deutlich an Boden gewannen.31 In seiner Vorlesung kündigte v. Mangoldt nicht nur an, sich in der Lehre künftig „insbesondere auch dem Verwaltungsrechte widmen“ zu wollen.32 Vielmehr kritisierte er das soeben in Kraft getretene Polizeiverwaltungsgesetz Preußens, das heute als Durchbruch zu einem liberalen _____________ 27 Rohlfs (Anm. 10), 26. Mangoldt betreute das Archiv für Luftrecht und publizierte dazu: Neuere Fragen aus dem Luftrecht der Vereinigten Staaten von Amerika, Eisenbahnund Verkehrsrechtliche Entscheidungen und Abhandlungen 49 (1930), 146–168; Das Luftrecht der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1930, Archiv für Luftrecht 1 (1931), 22–43. Daneben sind bis 1933 eine zivilrechtliche (Löschung von Hypotheken in der Rückwirkungszeit, Unrichtigkeit des Grundbuches und Anwendung des § 892 BGB im Aufwertungsrecht, AcP 134 [1931], 81–94) sowie eine – umfangreiche – verwaltungsrechtliche Arbeit (Nebenbestimmungen bei rechtsgewährenden Verwaltungsakten, VerwArch 37 [1932], 8–127) entstanden. 28 Die Gutachten zur Habilitation sind nach Rohlfs (Anm. 10), 27, nicht erhalten. Hauptgutachter der Arbeit war Ernst v. Hippel, von dem Tilitzki (Anm. 25: 2001), 149, urteilt, dieser sei als einziger von den Auswirkungen der Machtübernahme verschont geblieben. Diese Gleichung geht allerdings nur auf, wenn man – neben den Entlassungen – von den Wegberufungen und Versetzungen absieht, siehe Tilitzki (Anm. 25: 2001), 149ff. 29 Näheres siehe Rohlfs (Anm. 10), 30f. 30 Der Vortrag erschien als Hermann v. Mangoldt, Die preußische Polizeirechtsreform, Fischers Zeitschrift für Verwaltungsrecht 68 (1932), 289–318. 31 Stolleis (Anm. 23), 181ff. 32 v. Mangoldt (Anm. 30), 289.

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Polizeirecht gewürdigt wird, wegen seiner rechtsstaatlichen Mängel.33 Die berühmt gewordene Formel des § 14, wonach die Polizeibehörden zur Gefahrenabwehr „die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen“ haben, könne durch Verwaltungspraxis und Rechtsprechung eine Auslegung gegeben werden, „die einer übermäßigen Erweiterung der Machtbefugnisse der Polizei und einer schweren Beeinträchtigung des Einzelnen gleichkäme“34. Eine Auslegung, bei der richterliche Nachprüfung versage, weil allein die Polizei ermessen könne, wovon eine Gefahr ausgehe, müsse die schärfsten Bedenken hervorrufen: „Sie würde einen vollständigen Rückfall zum Polizeistaate hervorrufen.“35 Wie berechtigt v. Mangoldts Warnung war, konnte in Preußen nur wenige Monate nach der Antrittsvorlesung beobachtet werden, als durch den „Preußenschlag“ die parlamentarische Regierungsweise und zentrale Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, bevor mit der Machtübernahme der Regierung Hitler am 30. Januar 1933 im Reich der Prozess der Zerstörung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vollends einsetzte.36 Während in den Jahren 1933/34 an seiner Fakultät mit Ausnahme Ernst v. Hippels (1895–1984) alle Professoren entweder aus dem Amt gedrängt oder versetzt wurden, konnte v. Mangoldt bleiben und übernahm im Sommersemester 1933 die Vertretung des Lehrstuhls des Steuerrechtsexperten Albert Hensel (1895–1933), der aus „rassischen“ Gründen entlassen worden war.37 Im Februar 1934 trat er dem Bund Nationalsozialistischer Juristen (BNSDJ, ab 1936: Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund NSRB) bei.38 Von April 1934 bis zu seinem Wechsel nach Tübingen war er außerdem „Führer“ der Dozentenschaft der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, in der die nicht-beamteten Dozenten zusammengefasst waren.39 Auffällig ist, dass v. Mangoldt nach 1933 vergleichsweise wenig publizierte und es – im Unterschied zu vielen seiner Kollegen – unterließ, ein politisches oder fachliches Glaubensbekenntnis zur nationalsozialistischen Rechtslehre vorzulegen, zumal er sich in den Feldern des deutschen Staats- und Verfassungsrechts, die nach 1945 seinen Arbeitsschwerpunkt bilden sollten, eher _____________ 33 Die Reform wird von Stolleis (Anm. 23), 131, als „eines der wichtigsten Reformgesetze Preußens jener Jahre“ und eine „große Errungenschaft“ bezeichnet, weil sie zu größerer Rechtsklarheit und verbessertem Rechtsschutz geführt habe. 34 v. Mangoldt (Anm. 30), 299. 35 v. Mangoldt (Anm. 30), 301. 36 Dazu weiterhin meisterhaft Karl-Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, Stuttgart 1955. 37 Tilitzki (Anm. 25: 2006), 43ff. 38 Das geht aus dem „Fragebogen über meine politische Zugehörigkeit“ vom 13.1.1941 aus der Personalakte v. Mangoldts hervor, ThHStAW, Personalakten aus dem Bereich Volksbildung, Nr. 19680, Bl. 6r. 39 BA R 4901/13271, Hochschullehrerkartei Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Karte Hermann v. Mangoldt.

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zurückhielt. Stattdessen setzte er seinen bereits vor 1933 eingeschlagenen Weg fort und beschäftigte sich mit den gleichsam technischen Aspekten des Verwaltungsrechts sowie mit dem US-amerikanischen Verfassungsrecht. Auch im Völkerrecht, das v. Mangoldt ab dem Wintersemester 1934/35 regelmäßig lehrte und als dessen Fachvertreter er in einem Handbuch von 1936 genannt wurde, exponierte er sich nicht.40 Dabei hätte es in diesem Rechtsgebiet noch vergleichsweise geringer Anpassungsleistungen bedurft: Die scharfe Kritik am Versailler Vertrag und seinen militärischen Restriktionen sowie der Ruf nach völkerrechtlicher Gleichberechtigung des Reiches hatten schon vor 1933 den Ton in der deutschen Fachdebatte bestimmt.41 Die Beiträge v. Mangoldts konzentrierten sich dagegen weiter auf luftrechtliche Fragen.42 Die Habilitationsschrift über den Verfassungs- und Rechtsstaatsgedanken in den USA erschien erst 1934 und hätte daher durchaus Gelegenheit zu einer ideologischen Verneigung vor dem nationalsozialistischen Regime geboten.43 Im Vorwort stellte v. Mangoldt zwar fest, dass ein Staat, „der sich wie das heutige Deutschland die Erneuerung seines Rechts zum Ziele gesetzt hat“, von rechtsvergleichender Arbeit profitieren könne.44 Doch auf eben diesen Vergleich, der unweigerlich zu Festlegungen zur Überlegenheit der „deutschen Auffassung“ hätte führen müssen, verzichtete er fast vollständig. Stattdessen rekonstruiert die Studie den Vorrang der amerikanischen Verfassung vor dem einfachen Recht sowie – anhand von zahlreichen Urteilen im Bund und in den Bundesstaaten – die prägende Rolle der Gerichte für die Durchsetzung der konstitutionellen Werte und Normen. Wenn v. Mangoldt resümiert, „daß in dem amerikanischen Rechtssysteme für eine formal-juristische Sicherung von Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit eine Fülle von Anregungen enthalten“ seien und „gerade in der heutigen Zeit in Deutschland“ eine Beschäftigung mit den Erfahrungen des amerikanischen Volkes nicht ohne Interesse sein könne, dann kann dies als eine Distanzierung von der Ausschaltung des Rechtsstaates gelesen werden, die die nati-

_____________ 40

Friedrich Wilhelm v. Rauchhaupt, Völkerrecht, München 1936, 139. Versuche zur Durchsetzung einer explizit nationalsozialistischen Völkerrechtslehre setzten erst in den späten 1930er Jahren ein, siehe Rüdiger Wolfrum, Nationalsozialismus und Völkerrecht, in: Säcker (Anm. 9), 89–101; Stolleis (Anm. 23), 380ff. 42 Hermann v. Mangoldt, Das Brüsseler Abkommen über die Hilfeleistung und Bergung von Luftfahrzeugen auf See, Archiv für Luftrecht 9 (1939), 91–121. 43 Hermann v. Mangoldt, Geschriebene Verfassung und Rechtssicherheit in den Vereinigten Staaten von Amerika, Breslau 1934. Die Hochschulschrift von 1931 ist, soweit ersichtlich, nicht mehr vorhanden, sodass ein Vergleich mit einer ursprünglichen Fassung nicht möglich ist. 44 v. Mangoldt (Anm. 43), VI. 41 Die

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onalsozialistische Politik längst eingeleitet hatte.45 In der zeitgenössischen Fachwelt wurde die Schrift deshalb unterschiedlich wahrgenommen. Während die sorgfältige Darstellung des US-Rechts allgemeine Anerkennung fand, wurde im Sinne des Regimes kritisiert, das Buch führe in eine „geistige Atmosphäre“ ein, „die noch ganz mit dem liberalen Freiheits-Pathos des vergangenen Jahrhunderts gesättigt“ sei – einem Freiheitsverständnis, dem „die seelische Resonanz für echtes Führertum“ fehle.46 Dass es im politischen Denken v. Mangoldts Grenzflächen zum nationalistischen Kurs der neuen Staatsführung gab, lässt ein kleiner Text erkennen, der 1934 an einem entlegenen Ort publiziert wurde.47 Mit den wehrpolitischen Konsequenzen des ausländischen Kapitaleinflusses auf die deutsche Wirtschaft widmete er sich einem Thema, das er weder vorher noch nachher erneut aufgriff. Der als „Überfremdung deutscher Wirtschaftszweige“ bezeichnete Einfluss ausländischen Kapitals auf Vorstand und Aufsichtsrat, der auf das „Diktat von Versailles“ zurückgehe, könne zu einer schweren Belastung in künftigen militärischen Auseinandersetzungen werden. Deshalb sei die Forderung nicht zu umgehen, „daß wir wieder in die Lage versetzt werden, die Überfremdung unserer Industrie zu kontrollieren und zu beschränken“.48 Das „technisch und wirtschaftlich hochentwickelte Deutsche Reich“ werde es „gerade unter seiner kraftvollen heutigen Regierung nicht dulden, im Zuge der Abschüttelung politischer Bevormundung durch wirtschaftliche Überfremdung auf die Dauer wehrpolitisch benachteiligt zu sein“.49 Handelt es sich bei diesem Beitrag um ein (möglicherweise aus Karrieregründen abgegebenes) Signal der Zustimmung (wenigstens) zur nationalsozialistischen Außenpolitik? Ein solches Urteil übersähe, dass sich v. Mangoldts Position voll und ganz im mainstream der konservativen Kritik an den Diskriminierungen des Versailler Vertrages bewegte. Deswegen kann man zwar von ei_____________ 45 Zitate v. Mangoldt (Anm. 43), 151. Stephan Kirste, US-amerikanische Quellen des Staatsrechts. Zur Rezeption des US-Verfassungsrechts in Deutschland, in: Hanno Kube u.a. (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. 1: Staat und Verfassung, Heidelberg 2013, 419–431 (425), sieht die Schrift sogar „geradezu als Gegenmodell zum NS-Staat“. 46 So die Rezension von Hermann Reuß, JW 63 (1936), 2760. Ähnlich Carl-Hermann Ule, AöR 66 (1936), 375–377 (377): Das System der checks and balances eigne sich nicht in Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Umwälzungen, weil es eine „Volksführung“ verhindere. Freundlich dagegen Benjamin Akzin, Revue Internationale de la Théorie du Droit 9 (1935), 236–237 (236): Die Monographie repräsentiere „une analyse excellente et abondamment documentée“. 47 Hermann v. Mangoldt, Wehrpolitische Bedeutung der wirtschaftlichen Überfremdung, Deutsches Offizierblatt 38 (1934), 510–511. Das Blatt richtete sich an aktive und ehemalige Angehörige der Streitkräfte. Daher ist denkbar, dass der Beitrag auf einen Vortrag für diesen Personenkreis zurückgeht. 48 v. Mangoldt (Anm. 47), 510. 49 v. Mangoldt (Anm. 47), 511.

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nem „etwas tendenziösen Artikel“50 sprechen und davon, „daß v. Mangoldt sich nicht gänzlich der Stimmung oder Begeisterung der Zeit hat verschließen können“51. Im Kern hätte der Artikel aber kaum anders ausgesehen, wenn er vor der Machtübernahme erschienen wäre. Es mag mit seiner politischen Zurückhaltung zusammenhängen, dass der auf das 40. Lebensjahr zugehende Privatdozent zunächst ohne Ruf auf einen Lehrstuhl blieb. Die Königsberger Fakultät beantragte deshalb im Februar 1935 beim Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (WEV), v. Mangoldt zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor für Öffentliches Recht zu ernennen. Dieser werde als Lehrer „sehr geschätzt“ und sei literarisch „durch eine Reihe vorzüglicher wissenschaftlicher Aufsätze“ und insbesondere das Buch zur amerikanischen Verfassung ausgewiesen.52 Die Ernennung erfolgte zum 15. Juni 1935.53 In dieser Zeit arbeitete Mangoldt an seinem zweiten USA-Buch und veröffentlichte Rezensionen.54 Zugleich war er offenbar an anderen Universitäten im Gespräch, wenn es um die Besetzung von Lehrstühlen ging.55 Schon zu Beginn des Jahres 1935 hatte die Tübinger Rechtswissenschaft Fühlung mit den Königsberger Kollegen aufgenommen, um sich über eine mögliche Eignung des Privatdozenten zu erkundigen. Tatsächlich trat v. Mangoldt zum Wintersemester 1935/36 eine Vertretungsprofessur an der Universität Tübingen an, die zum Sommersemester 1936 in eine planmäßige außerordentliche Professur für Öffentliches Recht überführt wurde.

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Vosgerau (Anm. 20), 276. Rohlfs (Anm. 10), 34. 52 UAT 126/409, Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät (Oppikofer) an den Rektor der Universität Königsberg, 30.3.1935. 53 UAT 126/409, Der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, W I p v. Mangoldt a, 15.6.1935. 54 Rezensionen zu Rolf Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, sowie zu Gerhard Güttler, Das Waffengebrauchsrecht der Vollzugsorgane in Preußen, AöR 26 (1935), 237–243 bzw. 243–246. 55 Auch an seiner eigenen Fakultät wurde v. Mangoldt gehandelt. An die Tübinger Kollegen schreibt v. Hippel im April 1935, bei der letzten Besetzung einer Professur habe man v. Mangoldt gemeinsam mit zwei anderen Kollegen pari passu auf die Liste gesetzt. Falls eines der Ordinariate frei werde, würde er mit Sicherheit an erster Stelle genannt werden. So UAT 189/84,5, Ernst v. Hippel an den Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Tübingen, 1.4.1935, S. 2. Aus der Karteikarte zu seiner Personalakte im Reichsministerium für WEV (BA [ehem. BDC] R 4901/13271) geht hervor, dass im Winter 1935/36 die Kuratoren der Universitäten Göttingen und Freiburg Erkundigungen über v. Mangoldt einholten. 51

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C. Professor für Öffentliches Recht an der Universität Tübingen Die Tübinger Rechtswissenschaft besaß im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts einen ausgezeichneten Ruf.56 Mit dem Jahr 1933 setzte allerdings ein Prozess „eines stetigen und letztlich zielgerichteten Niedergangs und Abstiegs“57 ein, der sich am Rückgang der Studierendenzahlen, dem Abschmelzen des Lehrkörpers und der ideologisch motivierten Preisgabe wissenschaftlicher Standards festmachen lässt. Besonders eifrig ging die Fakultät, an der es 1933 keinen jüdischen Fachvertreter gegeben hatte, daran, unter den Studierenden und Promovierenden „den jüdischen Einfluss radikal zu beschränken“58. Der Lehrkörper war zwar keineswegs in allen politischen Fragen gleicher Meinung – mindestens wurde von den Kollegen aber erwartet, dass sie in den zentralen Fragen der nationalsozialistischen Ideologie Zurückhaltung an den Tag legten und „einen allgemein nationalistischen Standpunkt teilten“.59 Bei Berufungen reichte das meistens nicht aus, denn in der nationalsozialistischen Zeit wurde neben der fachlichen Eignung und einem Abstammungsnachweis auch ein Nachweis der politischen Eignung erwartet. Weil die Auswahlverfahren von den Universitäten durchgeführt wurden, der Erfolg der Berufungen aber vom Plazet von Ministerium und Partei abhing, mussten die Fakultäten (schon im eigenen Interesse an Wohlwollen und staatlichen Ressourcen) Personenvorschläge präsentieren, die eine Aussicht auf politische Akzeptanz besaßen. In den ersten Jahren nach der Machtübernahme war die Bedeutung der ideologischen „Zuverlässigkeit“ besonders hoch, verlor aber auch in den späten Jahren der Diktatur nicht grundsätzlich an Bedeutung, zumal in den als „politiknah“ geltenden Fächern, zu denen die Rechtswissenschaft ohne Zweifel zählte. Als 1933 und 1934 die frei gewordenen staatsrechtlichen Lehrstühle von Carl Sartorius (1865–1945) und Hans Gerber (1889–1981) wiederbesetzt werden sollten, bemühte sich die Fakultät um Berufungslisten mit Gelehrten, die ein ausgeprägtes nationalistisches bzw. nationalsozialistisches Profil aufwiesen. Als Nachfolger von Sartorius wurde Felix Genzmer (1878–1959) berufen, während die Besetzung der Nachfolge von Gerber im Frühjahr 1935 endgültig scheiterte: Auf dem ersten Platz hatte die Fakultät Ernst Rudolf Huber (1903–1990) genannt, der _____________ 56 Stolleis (Anm. 23), 291: „Die Tübinger Staatswissenschaftliche Fakultät war berühmt.“ Während der Weimarer Republik erlebte die Rechtswissenschaft in Tübingen „eine Hochphase“, vgl. Frieder Günther, Ein aufhaltsamer Niedergang? Die Rechtswissenschaftliche Abteilung in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Urban Wiesing u.a. (Hrsg.), Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus, Stuttgart 2010, 177–198 (178). 57 Günther (Anm. 56), 178. 58 Günther (Anm. 56), 181. 59 Günther (Anm. 56), 183.

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den Verbleib in Kiel vorzog, an zweiter Gustav Adolf Walz (1897–1948), der keine Freigabe vom Reichsministerium erhielt.60 Nun rückte v. Mangoldt ins Blickfeld der Fakultät. Schon Anfang des Jahres 1935 hatte sich Dekan Genzmer bei seinem Bruder Erich Genzmer, Professor für öffentliches Recht in Königsberg, nach dessen fachlichen und politischen Qualitäten erkundigt. Die Auskunft fiel positiv aus: Mangoldt habe bereits über fast alle Gebiete seiner Venia gelesen, sei zwar nicht Parteigenosse, „aber, erscheint mir, in nahen Beziehungen zur Partei, z.B. hat er Ämter in der Dozentenschaft der Universität“. Er sei „ein klarer und gründlicher Dozent“. Zudem rühmte Genzmer die Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit und Pflichterfüllung v. Mangoldts. Er ist grundanständig, vernünftig-sachlich, eine glückliche Kombination von guten Offizierseigenschaften und akademischer Familientradition. Verträglich, aber keine Wetterfahne und kein Kriecher, sondern von festen Ansichten, die er auch zu vertreten weiß.61

Da sich im Gutachten keine weitere Einlassungen zu den politischen Einstellungen findet, wird man den letzten Satz interpretieren können: Wenn er „keine Wetterfahne und kein Kriecher“ ist, dann kann das unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Staates eigentlich nur bedeuten, dass v. Mangoldt – etwa im Hinblick auf die Förderung der eigenen Karriereaussichten – nicht zur Anbiederung oder zu vordergründigen ideologischen Annäherungen neigte. Der informellen Anfrage folgte das förmliche Besetzungsverfahren. Die Bitte um Gutachten an mehrere Fachkollegen verband Dekan Genzmer im März 1935 mit dem Hinweis, die Fakultät beabsichtige, die „Gerbersche Professur möglichst mit einem jüngeren Kollegen zu besetzen, der in der nationalsozialistischen Bewegung steht, sozusagen als Gegengewicht gegen die durch Köhler und mich drohende Vergreisung der Fakultät“.62 Der ebenfalls in Königsberg lehrende Ernst v. Hippel, der die Habilitationsschrift v. Mangoldts betreut hatte, hielt diesen in seiner Stellungnahme „wissenschaftlich für einen sehr soliden und gründlichen Arbeiter, der hier die gute Tradition des Positivismus fortsetzt“.63 Seine Hauptstärken lägen auf dem „Gebiet des geltenden Rechts, das er als Gesetz, als Judikatur und Literatur ausgezeichnet kennt und beherrscht“. Er sei ein guter Kenner des englischen und amerikanischen Rechts und kenne „gründlichst“ das _____________ 60

Vgl. Günther (Anm. 56), 184. UAT 189/84,5, Erich Genzmer an Felix Genzmer, 4.2.1935. 62 UAT 189/84,5, Dekan der Rechts- und Wirtschaftswiss. Fakultät Tübingen an Ernst von Hippel, 26.3.1935. Dem Schriftwechsel in UAT 189/84,5 ist zu entnehmen, dass der Dekan im März 1935 auch über folgende Personen Auskünfte einholte: Adolf Schüle (Berlin), Curt Max Rühland (Kiel), Theodor Maunz (München), Ernst Friesenhahn (Bonn) sowie Wilhelm Troitzsch (Rostock). 63 Dieses und die folgenden Zitate aus UAT 189/84,5, Ernst von Hippel an den Dekan der Rechts- und Wirtschaftswiss. Fakultät Tübingen, 1.4.1935. 61

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Luftrecht. Als Dozent habe er v. Mangoldt nie gehört, nehme jedoch an, dass dieser „nicht glänzend“ sei, wohl „aber gründlich und gewissenhaft“. Aufschlussreich sind die Einschätzungen zur politischen Haltung, denn v. Hippel dürfte klar gewesen sein, dass ein weniger einschränkendes Urteil dem Bewerber nicht geschadet hätte: Politisch hat M. sich meines Wissens nie betätigt, was auch dem widersprechen würde, dass er eben gleichsam in seiner Haltung Offizier geblieben ist. Trotzdem ist er Vertrauensmann der Studentenschaft und kommt mit den Studenten, so viel ich sehe, ausgezeichnet aus. Man wird hier nicht einen zu engen Begriff des Nationalsozialismus anlegen dürfen, jedenfalls schätze ich die Vertrauenswürdigkeit solcher Männer wie M. auch politisch gesehen weit höher ein als mancher der Zeitgenossen, die von Nationalsozialismus reden und die Beförderung meinen.

Die Studentenschaft der Albertus-Universität urteilte, v. Mangoldt sei „ein sehr befähigter Wissenschaftler, der vollkommen auf dem Boden nationalsozialistischer Wirklichkeit steht. Gern hat er sich der Fachschaftstätigkeit gewidmet.“64 In Tübingen wird man diese Einschätzungen richtig gelesen haben: v. Mangoldt ist kein Gegner des Regimes, aber er ist auch kein überzeugter Nationalsozialist, sondern er bemüht sich darum, unter den herrschenden Bedingungen seine Aufgaben in Forschung und Lehre pflichtgemäß zu erfüllen. Die Fakultät legte dem Rektorat schließlich im Mai 1935 einen Vorschlag vor, der auf dem ersten Platz gleichberechtigt Ernst Friesenhahn (1901–1984), Bonn, und Hermann v. Mangoldt sah.65 Ein Selbstläufer war das nicht: Da beide Fachvertreter im Vergleich zu Huber und Walz deutlich weniger exponiert waren, mussten sich Fakultät und Rektorat offenbar bemühen, Zweifel an deren politischer Eignung zu zerstreuen.66 So unterstrich Dekan Feine in seinem Bericht an den Rektor, es sei besonderer Wert darauf gelegt worden, „frische und energische Persönlichkeiten zu finden, von denen erwartet werden kann, dass sie in tatkräftiger Weise für den nationalsozialistischen Staat eintreten und in demselben Sinne auf die Studenten einwirken und über eine ausgesprochene Lehrbefähigung verfügen“.67 Über v. Mangoldt berichtete die Fakultät:

_____________ 64 UAT 189/4, 5, Studentenschaft der Albertus-Universität Königsberg/Pr. an den Leiter der juristischen Fachschaft der Universität Tübingen, 25.4.1935. 65 UAT 189/4, 5, Dekan der Rechts- und Wirtschaftswiss. Fakultät (Feine) an das Akademische Rektoramt, 23.5.1935. An zweiter Stelle wurden ebenfalls ohne Abstufung Adolf Schüle (Berlin), Reinhold Horneffer (Berlin) und Karl Schmid (Tübingen)genannt. 66 So Uwe Dietrich Adam, Hochschule und Nationalsozialismus. Die Universität Tübingen im Dritten Reich, Tübingen 1977, 131. 67 UAT 189/4, 5, Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an das Akademische Rektoramt, 23.5.1935.

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Dr. v. Mangoldt wird als ein befähigter und erfolgreicher akademischer Lehrer gerühmt. Seine Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit in allen Dingen wird allseits betont. Er steht auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung. Sein Verhältnis zu den Studenten ist sehr gut. […] Die Art seiner wissenschaftlichen Arbeiten ist durch gründliche Kenntnisse, Sorgfalt und allgemeine wissenschaftliche Fähigkeit gekennzeichnet.68

Während einer Senatssitzung einen Monat später spitzte Feine das Anforderungsprofil noch einmal zu: es müsse ein Staatsrechtler von „soldatischer, SAmäßiger Haltung“ sein.69 Ganz in diesem Sinne teilte die Tübinger Dozentenschaft dem Rektor mit, dass die Besetzung wenigstens eines von zwei in der Fakultät zu vergebenden Lehrstühlen „mit einem ausgesprochenen Nationalsozialisten dringend notwendig“ sei. Eine nationalkonservative Haltung sei nicht hinreichend, denn Personen, welche mit dem Stahlhelm in Verbindung stünden, seien „unerwünscht“. Wenn (der offenbar weiter favorisierte) Walz nicht zur Verfügung stehe, so scheine ihm für die öffentlichrechtliche Professur Dr. Friesenhahn am geeignetsten. „Auch gegen Dr. von Mangoldt hätte ich, abgesehen von der obigen allgemeinen Bemerkung, keine Bedenken.“70 Das Berliner Reichsministerium forderte das württembergische Ministerium schließlich auf, das Berufungsverfahren für v. Mangoldt einzuleiten. Zugleich ersuchte man diesen, im Wintersemester 1935/36 die Vertretung der Professur zu übernehmen.71 Dass v. Mangoldt aus der Sicht des Ministeriums noch nicht die Statur eines führenden Gelehrten erworben hatte, lässt die Entscheidung zur Eingruppierung vom November 1935 erkennen. Auch wenn die zur Debatte stehende Planstelle ein Ordinariat sei, werde er nur eine außerordentliche Professur erhalten.72 Am 1. April 1936 übernahm v. Mangoldt dann die planmäßige außerordentliche Professur für Öffentliches Recht.73 Mit Wirkung zum 1. November 1936 wurde er zudem Leiter des Völkerrechtlichen Seminars.74 Damit erhielt er eine sichtbare Stellung in einem Rechtsgebiet, zu dem er bislang – mit Ausnahme seiner luftrechtlichen Arbeiten – keine besonderen Beiträge geleistet hatte.

_____________ 68

Ebd. Protokoll des Senats, Sitzung vom 25.6.1935, UAT 47a/2, 197, zit. nach Adam (Anm. 66), 131. 70 UAT 315/12, Dozentenschaft an den Rektor, 3.7.1935. 71 UAT 126/409, Reichs- und Preußischer Minister für WEV, W I p 1658, 1.10.1935. 72 UAT 189/4,5, Kultminister an den Rektor, Betreff: Professor Dr. v. Mangoldt, 25.11.1935. 73 Die Ernennung erfolgte rückwirkend, siehe UAT 315/12, Erlass des Reichs- und Preußischen Ministers für WEV, W I p 1902/36, 26.1.1937. Der Berufene erhielt ein Grundgehalt von jährlich 6700 RM plus ein Unterrichtsgeld von 1000 RM zugesichert. 74 UAT 189/15, Vermerk des Dekans Kreller, 22.9.1936. 69

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In der deutschen Völkerrechtslehre dominierte in den ersten Jahren nach 1933 eine Sicht, die die Maßnahmen der nationalsozialistischen Außenpolitik als eine Wiederherstellung angestammter Ansprüche in einem Staatensystem verstand, dessen rechtliche Grundlagen (noch) nicht grundsätzlich abgelehnt wurden. Erst die Überformung des traditionellen Zwischenstaatenrechts durch die Orientierung am historisch-kulturell definierten „Volk“ oder gar an der biologisch verstandenen „Rasse“ ab der zweiten Hälfte der 1930er Jahre bedeutete dann eine generelle Absage an ein traditionelles Verständnis des Völkerrechts.75 Nimmt man die Schriften v. Mangoldts zum Maßstab, so beteiligte er sich auch in seiner neuen Position nicht an diesen politisch brisanten Diskussionen. Vielmehr scheint er sich auf die Vorbereitung einer weiteren Studie zum US-Verfassungsrecht konzentriert zu haben. Über die Inhalte seiner Lehrveranstaltungen ist leider (nicht nur) aus der Tübinger Zeit mit Ausnahme der Überschriften nichts bekannt. Das öffentliche Recht vertrat er in großer Breite.76 Im Sommersemester 1936 bot er „Staatsregierung und staatliche Gliederung. Geschichtliche und rechtsvergleichende Formenlehre“, „Kirchenrecht“, die „Anwendung fremden Rechts“ sowie ein öffentlich-rechtliches Seminar an, in den folgenden Semestern immer wieder „Verfassung“, „Völkerrecht“ sowie Übungen, im Wintersemester 1937/38 die Vorlesung „Volk und Staat“, daneben Vorlesungen zum Polizeirecht, zum Verkehrsrecht und zum Verwaltungsrecht. Auch überörtlich engagierte sich v. Mangoldt in den einschlägigen Gremien des Faches. Verbrieft ist beispielsweise die Teilnahme an der berüchtigten Tagung „Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist“, die Carl Schmitt im Oktober 1936 für die Reichsgruppe Hochschullehrer des NSRechtswahrerbundes veranstaltete.77 Dass v. Mangoldt im Universitätsbetrieb vorsichtig taktierte, verdeutlicht ein Vorfall von Ende 1936. Die Fakultät war wie in den Vorjahren vom norwegischen Nobelpreiskomitee um Vorschläge für den Friedensnobelpreis 1937 gebeten worden.78 Das war eine heikle Angelegenheit, nachdem die Reichsregierung scharf gegen die (rückwirkend für 1935) am 23. November 1936 erfolgte Verleihung des Preises an Carl v. Ossietzky protestiert hatte. Dekan Kreller fragte v. Mangoldt als Vorstand des Völkerrechtlichen Seminars schriftlich, ob es sich „nach den Erfahrungen dieses Jahres“ noch empfehle, wie bisher ein Umlaufverfahren in der Fakultät durchzuführen oder ob vielleicht gemeinsame Schritte der deutschen Rechtslehrer getan werden sollten, _____________ 75

Stolleis (Anm. 23), 382f.; Wolfrum (Anm. 41), 95. Siehe die Angaben in Rohlfs (Anm. 10), 38–54. 77 Siehe die Anwesenheitsliste, zit. nach Florian Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit, Berlin 2011, 229, Fn. 26. Aus Tübingen waren Kreller, Teschenmacher, v. Mangoldt und Eisser angemeldet, siehe UAT 189/15, Dekanat Kreller, Einladung des NSRB, 12.8.1936. 78 UAT 189/15, Schreiben Det Norske Stortings Nobelkomité, No. 6. Dazu auch Günther (Anm. 56), 182. 76

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auf die Ausübung des „Präsentationsrechts“ zu verzichten.79 Mangoldt fand eine differenzierte Antwort: Nach den das vaterländische Empfinden jedes Deutschen auf das schwerste verletzenden Vorgängen um die Verleihung des Friedensnobelpreises im vergangenen Jahr halte ich persönlich die Ausübung des uns nach Ziffer 6 des umstehenden Schreibens zustehenden Vorschlagsrechts durch irgendeinen deutschen Hochschullehrer für ausgeschlossen. Einen gemeinsamen Schritt der deutschen Hochschullehrer bei der zuständigen norwegischen Stelle, durch den der Verzicht auf das Vorschlagsrecht ausgesprochen würde, halte ich gleichwohl nicht für zweckmäßig. Die deutschen Hochschullehrer würden sich dadurch eines Rechts begeben, daß [sic] unter anderen Umständen einmal wichtig werden könnte. Andererseits scheint es mir durchaus wünschenswert, den Reichsfachgruppenleiter Hochschullehrer im NSRB zu einer namens der Hochschullehrer abgegebenen, nur nach innen gerichteten Erklärung zu veranlassen, daß bis zur Wiedergutmachung der Deutschland angetanen Verletzung eine Ausübung des Vorschlagsrechts durch deutsche Hochschullehrer nicht in Frage kommen kann.80

Der vom Dekan (mit dem Schreiben v. Mangoldts) um eine Stellungnahme gebetene Fachgruppenleiter der Hochschullehrer im Gau Württemberg-Hohenzollern, der Zivilrechtler Heinrich Stoll (1891–1937), regte an, ob die Reichsfachgruppe nicht eine Erklärung abgeben wolle, nach der „die Ausübung des Vorschlagsrechts durch deutsche Hochschullehrer nicht in Frage kommt“. Darin ganz v. Mangoldt folgend, erklärte Stoll einen vollständigen Verzicht aber für „wohl nicht zweckmässig“81. Nachdem Reichskanzler Hitler am 30. Januar 1937 die Annahme aller Nobelpreise für Deutsche verboten hatte, konnte Dekan Kreller die Angelegenheit zu den Akten geben.

D. Der gescheiterte Ruf nach Hamburg und die Ernennung zum ordentlichen Professor Als Hermann v. Mangoldt 1937 einen Ruf nach Hamburg erhalten sollte, geriet er in die Mühlen der Ämter- und Zuständigkeitsvielfalt der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik. Unmittelbar nach der Machtübernahme waren die beiden Professoren für öffentliches Recht, Kurt Perels (1878–1933) und Gerhard Lassar (1888–1936), aus „rassischen“ Gründen von der Hamburger Universität vertrieben worden.82 Dem Drängen von Partei und Ministerium, für die _____________ 79 UAT 189/15, Handschriftliche Notiz des Dekans Kreller vom 21.12.1936 auf dem Schreiben des Komitees. 80 UAT 189/15, Handschriftliche Antwort v. Mangoldts vom 8.1.1937, an das Schreiben angehängt. 81 UAT 189/15, Prof. Stoll an die Reichsfachgruppe Hochschullehrer, 14.1.1937. 82 Zur Hamburger Rechtswissenschaft von 1933–1945 Norman Paech/Ulrich Krampe, Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät. Abteilung Rechtswissenschaft, in:

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Nachfolge besonderes Augenmerk auf die ideologische Passung der Kandidaten zu legen, folgte die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät mit erkennbarem Zögern. Als Perels-Nachfolger schlug sie im Januar 1934 der Unterrichtsbehörde den Kieler Staatsrechtsprofessor Fritz Poetzsch-Heffter (1881–1935) vor, der an seiner Universität bereits in das Visier derjenigen geraten war, die die juristische Fakultät in eine „Stoßtruppfakultät“ umgestalten wollten.83 Die Hamburger Behörde fragte stattdessen im Juni 1934 bei Ernst Forsthoff (1902–1974), Frankfurt/Main, an, der sich engagiert an den Versuchen einer staatsrechtlichen Legitimation der nationalsozialistischen Herrschaft beteiligt hatte.84 Den dagegen von der Fakultät ins Spiel gebrachte Fritz Berber (1898–1984), Kaiser-Wilhelm-Institut Berlin, lehnte das Reichsministerium mit Verweis auf ein Gutachten von Carl Schmitt als wissenschaftlich nicht ausreichend qualifiziert ab.85 Am Ende stimmte die Fakultät „überwiegend“ doch für Forsthoff, der zum Sommersemester 1935 die Professur übernahm, um nach zwei Semestern weiter nach Königsberg zu wechseln.86 Der bereits Ende April 1936 vorgelegte Nachfolgevorschlag der Fakultät sah den kurz zuvor an die Wirtschaftshochschule Berlin berufenen Werner Weber (1904–1976) auf dem ersten Platz, gefolgt von Hermann Jahrreiß (1894–1992), Greifswald, Hermann v. Mangoldt, Tübingen, sowie Ulrich Scheuner (1903– 1981), Jena.87 In der Begründung spielten politische Argumente keine hervorgehobene Rolle, zu v. Mangoldt wurde festgehalten, der deutsche Leser können in seinem Buch zur US-Verfassung „allerhand lernen, was ihm bisher in deutscher Sprache nicht zugänglich war“.88 Der um eine Stellungnahme gebetene Tübinger Rektor teilte mit, es hätten sich in letzter Zeit verschiedene Universitäten nach _____________

Eckart Krause u.a. (Hrsg.), Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933–1945. Teil II: Philosophische Fakultät. Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Berlin 1991, 867–912. 83 Zu Poetzsch-Heffter Jörn Eckert, „Hinter den Kulissen“. Die Kieler Rechtswissenschaftliche Fakultät im Nationalsozialismus, Christiana Albertina 58 (2004), 18–32 (21). Dahinter nannte die Fakultät Arnold Köttgen (Greifswald) und Ulrich Scheuner (Jena), vgl. StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 3–4, Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, Vorschlag wegen Besetzung des Lehrstuhles für öffentliches Recht, 16.1.1934. 84 StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 5, Landesunterrichtsbehörde Hochschulwesen an Forsthoff, 11.6.1934. Zu Forsthoff generell Meinel (Anm. 77). 85 StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 27, Der Reichs- und Preußische Minister für WEV an die Landesunterrichtsbehörde Hochschulwesen, 18.1.1935. Schmitt hatte das Gutachten als Vertreter der Hochschulkommission der NSDAP geschrieben. 86 Zitat StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 30, Rektor (Rein) an Landesunterrichtsbehörde Hochschulwesen, 28.2.1935. 87 StA Hamburg, 361-5 II Ai 5/25, 32, Rektor an den Reichs- und Preußischen Minister für WEV, 29.4.1936. 88 StA Hamburg, 361-5 II Ai 5/25, 36f., Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Hansischen Universität, Gutachten zu Hermann v. Mangoldt, 19.2.1936, 2.

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v. Mangoldt erkundigt, und dieser werde nach seinem ersten Semester als Mensch und als Dozent geschätzt.89 Wenn er den Tübinger Studentenschaftsführer zitiert, „dass Herr v. Mangoldt in einer Vorlesung ‚Volk und Staat‘ voll befriedigt habe“90, dann dürfte es sich dabei – in Ermangelung anderer einschlägiger Zeugnisse oder Mitgliedschaften – um einen verdeckten Hinweis darauf gehandelt haben, dass dieser auch politisch als „zuverlässig“ gelten könne. Weil das Reichswissenschaftsministerium keine Freigabe für die vorgeschlagenen Personen geben wollte, blieb die Professur einstweilen vakant.91 Erst nach erneutem Drängen kam im Juni 1937 aus Berlin die Aufforderung, eine Berufungsvereinbarung mit von Mangoldt vorzubereiten.92 Die Hamburger Kulturund Schulbehörde teilte dem Kandidaten die gute Nachricht mit, erklärte aber, es sei leider noch nicht gelungen, die Stellungnahme des Reichsstatthalters (Karl Kaufmann) herbeizuführen. Es sei jedoch nicht daran zu zweifeln, dass dieser sich einverstanden erklären werde.93 Doch auch wenn das Staatsamt eine Entscheidung anmahnte und die Fakultät unterstrich, dass an der „nationalsozialistischen Zuverlässigkeit“ v. Mangoldts „nach den hier vorliegenden Berichten kein Zweifel bestehen“ dürfte, blieb die Freigabe aus.94 Der Reichsstatthalter verlangte stattdessen Einsicht in die Unterlagen und forderte politische Gutachten. Mit den Äußerungen der Tübinger Universität werde er sich „wohl kaum“ zufrieden geben, „da die Beurteilungen nicht von politischen Stellen kämen“.95 Die Kulturbehörde erklärte daraufhin, v. Mangoldt sei nicht Mitglied der Partei oder eine ihrer Gliederungen, zudem werde er als ein „schwer zu beurteilender Mensch bezeichnet, der sich sehr zurückhält“.96 Nachteiliges in politischer Hinsicht sei aber über ihn nicht bekannt geworden. Diese nüchterne Auskunft reichte offenbar, um den Statthalter zu alarmieren. Dieser hielt es nun für erforderlich, dass vor einer endgültigen Berufung v. Mangoldts „die Frage seiner politischen Zuverlässigkeit durch den Reichserziehungsminister im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers geklärt werde“.97 _____________ 89 UAT 126/409, Rektor der Universität Tübingen an den Rektor der Universität Hamburg, Betreff: Professor Dr. v. Mangoldt, 5.3.1936. 90 Ebd. 91 StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 46, Kultur- und Schulbehörde, Hochschulwesen, Aktenvermerk, 2.10.1936. 92 StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 61, Abschrift Preußisches und Reichsministerium WEV an Hamburgisches Staatsamt, 22.6.1937. 93 StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 65, Kultur- und Schulbehörde an v. Mangoldt, 21.7.1937, 1. 94 Zitat ebd., 2. 95 StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 69, Kultur- und Schulbehörde, Aktennotiz, 3.9.1937. 96 StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 77, Kultur- und Schulbehörde an den Reichsminister für WEV, 29.9.1937. 97 Ebd.

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Hermann v. Mangoldt deutete die Umstände der Verzögerung offenbar richtig, denn im Oktober 1937 teilte er dem Reichsministerium und seiner Fakultät mit, er lehne den in Aussicht gestellten Hamburger Ruf ab.98 Im Winter 1937/38 leiteten das Stuttgarter Kultusministerium und das Rektorat daraufhin ein Verfahren ein, das zur Aufwertung der Professur in ein Ordinariat führen sollte.99 Ein Selbstläufer scheint das nach den Hamburger Verwirrungen nicht gewesen zu sein. Der um eine Stellungnahme gebetene Dozentenschaftsführer Walter Schwenk blieb reserviert und schrieb, dass v. Mangoldt „nicht Parteigenosse“ sei und ihm von einer aktiven Betätigung „in einer Gliederung der Partei nichts bekannt“ sei.100 Politische Einwände formulierte er aber nicht. Es mag mit diesem Verfahren zu tun haben, dass sich v. Mangoldt im Januar 1938 ausführlich schriftlich dafür rechtfertigte, bisher nicht geheiratet zu haben.101 Erst zum Sommersemester 1939 nahm das Reichsministerium schließlich die Verleihung einer ordentlichen Professur vor.102 Wie sehr sich v. Mangoldt in seiner Lehre an der herrschenden Sichtweise orientierte und ob er dabei Zustimmung oder Distanz erkennen ließ, muss leider völlig im Dunkeln bleiben, weil die Quellen dazu nichts hergeben. Wenn der Hochschullehrer aber im Wintersemester 1937/38 neben einer Vorlesung zum Völkerrecht und einer Übung im öffentlichen Recht erneut die Vorlesung „Volk und Staat“ hielt, dazu ein Seminar zu „Volk und Volksgruppe im Staatsrecht“, dann ließen diese Themen wegen ihrer unmittelbaren politischen Bezüge zweifellos keine prinzipielle Gegnerschaft zu.103 Dass v. Mangoldt fachliche Standards gegen politische Opportunität zu verteidigen bereit war, kann indes an der Auseinandersetzung mit dem Rechtsreferendar Beck abgelesen werden.104 Obwohl sich Studentenschaftsführer Goerlich gegen die Sanktionierung eines „politisch aktiven Menschen“ verwahrte, bestritt v. Mangoldt energisch dessen Berechtigung, sich in die akademischen Angelegenheiten einzumischen. _____________ 98 StAHH, 361-5 II Ai 5/25, 78, Staatsamt an die Kultur- und Schulbehörde, 13.10.1937, 2; UAT 601/53, v. Mangoldt an Dekan Feine, 4.10.1937. Zum Wintersemester 1939/40 wurde Hans Peter Ipsen auf den Lehrstuhl berufen, vgl. Paech/Krampe (Anm. 82), 873. 99 UAT 126/409, Kultminister Württemberg an Rektor Universität Tübingen, 6.11.1937; UAT 126/409, Rektor an den Kultusminister, Tagebuchnr. 3198, 17.12.1937. 100 UAT 126/409, Leiter der Dozentenschaft an den Rektor, 17.12.1937. 101 Ein längerer Auszug findet sich bei Rohlfs (Anm. 10), 43. 102 UAT 126/409, Reichsminister für WEV, WP v. Mangoldt 3, g (b), 4.5.1939. Die Ernennung erfolgte rückwirkend. Es wurden jährliche Bezüge von 8000 RM plus 1000 RM garantiertem Kolleggeld zugesichert. Einige Wochen später wurde das Grundgehalt auf 8100 RM erhöht, siehe ebd., Reichsminister für WEV, WP v. Mangoldt 3, i, 17.6.1939. 103 Angaben zur Lehre Rohlfs (Anm. 10), 43. 104 Beck war Hilfsassistent beim Kollegen Genzmer und hatte aus der völkerrechtlichen Bibliothek entliehene Bücher nicht zurückgebracht. Der Vorgang aus dem Juli und August 1938 ist bei Rohlfs (Anm. 10), 51ff. dokumentiert.

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E. Das zweite Amerika-Buch und der Aufsatz zu „Rassenrecht und Judentum“ Während der Tübinger Jahre veröffentlichte v. Mangoldt wenig.105 Sein zweites Buch über die USA, bei dem die geistigen Grundlagen des Verfassungsrechts im Vordergrund standen, erschien 1938.106 Ob er tatsächlich Schwierigkeiten hatte, für dieses Thema einen rechtswissenschaftlichen Verlag zu finden, mag dahingestellt bleiben.107 Jedenfalls rechtfertigte er sich im Vorwort dafür, sich erneut mit fremdem Recht zu beschäftigen und sich gleichzeitig des Vergleichs mit dem deutschen Recht zu enthalten.108 Im Vordergrund standen mit den Lehren vom due process und der Gleichheit vor dem Gesetz zwei Prinzipien des USVerfassungsrechts, die in der Rechts- und Herrschaftspraxis des „Dritten Reiches“ so offensichtlich missachtet wurden, dass tatsächlich schon die systematische Entfaltung der Begründungsmuster sowie der materiellen Grundlagen als eine politische Stellungnahme gelesen werden konnte. Das Augenmerk der Schrift richtete sich auf die Widersprüche, die sich in den USA zwischen den normativen Ansprüchen des Verfassungstextes und dem staatlichen und gerichtlichen Handeln zeigten. So stellte v. Mangoldt am Ende einer Diskussion der Rechtsprechung zur Polizeigewalt fest, dass die „für den Fortbestand des Freiheitssatzes so gefährliche Ausweitung der police power“ in einem offenkundigen Spannungsverhältnis zur rechtsstaatlichen Bindung des Staates stehe.109 Ein Missverhältnis macht die Studie aber auch im Umgang mit der schwarzen Bevölkerung aus. Am Beispiel der politischen und gesellschaftlichen Rechte sowie der dazugehörigen Rechtsprechung wird herausgearbeitet, dass es trotz des Gleichheitsgrundsatzes in den USA eine staatliche Diskriminierung der Schwarzen gibt. Das fand durchaus das Verständnis v. Mangoldts, wenn _____________ 105 Hermann v. Mangoldt, Ärzte und Heilpraktiker in Rechtsprechung und Gesetzgebung der Vereinigten Staaten von Amerika, AöR 28 (1937), 155–193; ders., Das Brüsseler Abkommen (Anm. 42); Verfassungsrecht und Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten von Amerika, RVBl. 61 (1940), 485–489. 106 Hermann v. Mangoldt, Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen in den Vereinigten Staaten von Amerika, Essen 1938. Nach der Fertigstellung des Buches heiratete v. Mangoldt im Sommer 1938 in Berlin die promovierte Juristin Ingeborg Meister, vgl. Rohlfs (Anm. 10), 48. 107 Die These findet sich schon bei Strauß (Anm. 5), 248. Rohlfs (Anm. 10), 44, folgert daraus, den Verlagen habe vermutlich „die kritische Position v. Mangoldts gegenüber dem Führerstaat“ gedämmert. Ganz überzeugend ist das aus zwei Gründen nicht: zum einen handelte es sich bei der Essener Verlagsanstalt um einen Verlag aus der NSDAPPressegruppe. Zum anderen sind 1938/39 wenigstens einige andere völkerrechtliche Dokumentationen und Studien in dem Verlag erschienen, so etwa von Fritz Berber, Heinz G. Mußmann und Axel v. Freytagh-Loringhoven. 108 v. Mangoldt (Anm. 106), 4. 109 Ebd., 182.

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er etwa notierte, der amerikanische Richter bleibe „sich stets des […] allgemeingültigen Satzes bewußt, daß Gleichheit nicht Verwischung der von Natur gegeben Unterschiede bedeutet“.110 Es stehe „nun einmal nicht im Einklang“ mit dem allgemeinen Rechtsgefühl der breiten Massen in den USA, allen Menschen gleiche Rechte einzuräumen.111 Die Kritik richtete sich daher darauf, dass die Gerichte trotz der faktischen Ungleichbehandlung formell am Gleichheitsgrundsatz festhalten. Man kann v. Mangoldt wohl so verstehen, dass er für eine klare rechtliche Grundlage für die Diskriminierung plädierte.112 Dabei dachte er auch an die Interessen der Mehrheitsbevölkerung, denn: Die letzten Folgen, die sich für die herrschende Rasse aus einer völlig gleichberechtigten Zulassung artfremder Rassen zu den politischen Rechten ergeben können, lassen sich ja niemals mit völliger Sicherheit übersehen. Jedenfalls wird man hier mit Recht sagen: vestigia terrent.113

Es wäre töricht, von einer Schrift, die 1938 in Deutschland erscheinen konnte, ein Plädoyer für die Überlegenheit des freiheitlichen Rechtsstaats und der westlichen Demokratie zu erwarten. Dennoch fällt auf, dass v. Mangoldt das USVerfassungsrecht als „durch liberalen Geiste beseelt“ charakterisiert.114 Er arbeitete die Leitideen des Rechtsstaates relativ ungefiltert heraus und bediente sich einer distanzierten Sprechweise und einer bewertungsarmen Argumentation. Wie sehr sich v. Mangoldt in einer für das nationalsozialistische Wissenschaftsideal – der weltanschaulichen Durchdringung des Gegenstandes und der ideologischen Parteinahme – gut geeigneten Thematik zurückhielt, wird erkennbar, wenn man seine Schrift mit rechtswissenschaftlichen Studien zu den USA vergleicht, die im gleichen Zeitraum erschienen.115 Während bei v. Mangoldt einerseits die Ambivalenzen des Gleichheitsgrundsatzes benannt (und nicht materiell verurteilt) werden, findet sich andererseits keine Apologie der „Rassengesetzgebung“ in Deutschland. Auf diese Differenzierungen ging die Rezeption nach 1945 allerdings nicht ein. Das Buch wurde uneingeschränkt als ein leuchtendes Beispiel für wissenschaftliche Aufrichtigkeit und akademischen Mut gelesen, _____________ 110

Ebd., 230. Ebd., 231. 112 Ebd., 310: „Ein klares Eingeständnis der wahren Rechtslage würde für den Farbigen in ganz anderem Maße Rechtssicherheit bedeuten, als diese bei der bisherigen Stellungnahme der Rechtsprechung gewährleistet ist.“ 113 Ebd., 311. 114 Ebd., 321. 115 Siehe beispielsweise Heinrich Krieger, Das Rassenrecht in den Vereinigten Staaten, Berlin 1936, 348, der von einer „rassische[n] Gleichheitsideologie“ und vom „Rassenkampf“ in den USA spricht. Um Sachlichkeit bemüht Detlef Sahm, Die Vereinigten Staaten von Amerika und das Problem der nationalen Einheit, Diss. Königsberg, 1936. Die generelle „Bindung des Rechts an den Rassegedanken“ verfocht Falk Ruttke, Die Verteidigung der Rasse durch das Recht, Berlin 1939. 111

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denn die Grundlagen der Freiheit konnten „deutschen Lesern in jenen Jahren nur anhand eines ausländischen Vorbilds“ nahegebracht werden.116 In der zeitgenössischen Fachwelt fand das Buch ein unterschiedliches Echo. Bemerkenswert ist das Urteil des 1933 in die USA geflüchteten Karl Loewenstein (1891–1973), für den das Buch „zum Erfreulichsten“ gehöre, „was dem Referenten an juristischer Literatur im nationalsozialistischen Deutschland unter die Augen gekommen ist“.117 In deutschen Rezensionen wurde die Untersuchung als „gediegene wissenschaftliche Arbeit“118 und als „überaus lehrreich“119 bewertet. Beklagt wurde aber an anderer Stelle, dass v. Mangoldt mit der Rassenfrage ein wichtiges Problem angesprochen, einen Rechtsvergleich jedoch vermieden habe. Man könne deshalb wünschen, dass er die „wertvolle Arbeit“ noch durch eine vergleichende Darstellung abrunde.120 Mit einem kurzen Aufsatz zu „Rassenrecht und Judentum“ legte v. Mangoldt das (vielleicht nicht nur) vom Rezensenten geforderte Desiderat tatsächlich einige Monate später vor.121 Warum und auf welche Weise der Beitrag entstand, ist unklar. Auffällig ist, dass sich der Text methodisch und politisch deutlich von allem unterscheidet, was v. Mangoldt zuvor und später veröffentlichte.122 Während er einem Rechtsvergleich bislang regelrecht aus dem Weg gegangen war, kündigte nun bereits der Untertitel eine „rechtsvergleichende Betrachtung“ an. Wo das Buch jedes offene Lob der herrschenden „Rassenlehre“ vermieden hatte, bezog er nun umso deutlicher Partei für eine angebliche Ethik der nationalsozialistischen „Rassenpolitik“. Wenn v. Mangoldt die Absicht gehabt haben sollte, eine Art nationalsozialistisches Addendum zum USA-Buch vorzulegen, dann irritiert wiederum der Publikationsort. Die „Württembergische Verwaltungszeitschrift“ dürfte eher von einem regionalen Fachpublikum zur Kenntnis genommen worden sein. Andererseits wurde die Zeitschrift von Karl Waldmann (1889– 1969) herausgegeben, der als Staatssekretär und persönlicher Referent des

_____________ 116 117

Strauß (Anm. 5), 248. Daran anknüpfend Vosgerau (Anm. 20), 276. Karl Loewenstein, Rezension, Revue internationale de la theorie du droit 1 (1939),

135. 118 H[ermann] Rogge, Rezension, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 6 (1939), 356–357 (356). 119 Alfred Verdroß, Rezension, Zeitschrift für Öffentliches Recht 20 (1940), 132. 120 [Harry v.] Rozycki, Rezension, Deutsche Verwaltung 1939, 31–32 (32). 121 Hermann v. Mangoldt, Rassenrecht und Judentum, Württembergische Verwaltungszeitschrift 35 (1939), 49–51. 122 Auch im Aufsatz zur Präsidentenwahl in den USA von 1940 (Anm. 105) blieb er sehr zurückhaltend. Zwar stellt er fest, dem US-Freiheitsverständnis fehle die „sittliche Grundlage“ und die liberale Gesellschaft habe keine „Volksgemeinschaft“ (488). Ansonsten fehlen sämtliche Anleihen an die NS-Ideologie.

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Reichsstatthalters Wilhelm Murr (1888–1945) eine Schlüsselfigur in der württembergischen Politik war.123 Sollte der Beitrag gegenüber Universität, Ministerien und politischen Stellen Zweifel an der Linientreue ausräumen ohne zugleich allzu große Spuren zu hinterlassen? Immerhin hatte v. Mangoldt beim Berufungsverfahren in Hamburg und möglicherweise auch in Tübingen die Skepsis der Parteiorganisation wahrgenommen und dürfte sich unter kritischer Beobachtung gefühlt haben.124 Folgte v. Mangoldt einem gut gemeinten Rat oder ging der Impuls von ihm selbst aus? Tragfähige Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Weil er aus dem Rahmen fällt, spricht viel dafür, dass der Text nicht zufällig entstand, sondern den Charakter einer Bekenntnisschrift haben sollte. Umgekehrt spricht viel dagegen, dass der Beitrag die weltanschaulichen Überzeugungen des Autors widerspiegelte. Warum sollte v. Mangoldt in dem kurzen Text eine „ideologische Breitseite“ abfeuern, wenn er in den vielen hundert Seiten seiner USABücher, insbesondere in dem vollständig in der NS-Zeit entstandenen zweiten Buch, davon nur äußerst dosierten Gebrauch gemacht hatte? Der Aufsatz beginnt mit der Feststellung, dass die „Geschichte der Völker aller Kontinente“ die Gefahren zeige, die „aus einer Vermischung des eigenen mit stark artfremdem Blute“ drohten. Um einer „Überfremdung“ vorzubeugen, hätten die Völker zwar „zu den einschneidendsten Maßnahmen gegriffen“, doch niemals zuvor sei die ganze Frage wie im „Dritten Reiche und in einzelnen anderen mitteleuropäischen Ländern als Rassenproblem erkannt und gleichzeitig auch in der Gesetzgebung als solches behandelt worden“.125 Namentlich die angelsächsischen Staaten hätten sich zwar ebenfalls gegen die „Überfremdung durch stark artfremdes Blut“ gewehrt, dabei aber „nicht klar genug auf die Rasse abgestellt“.126 Die schweren Vorwürfe der „angelsächsischen Welt“ gegen die neuen deutschen Gesetze seien unberechtigt. Die mitteleuropäischen Völker, in denen die „Rassenüberfremdung […] ernstlich nur von den Juden“ gedroht habe, hätten mit ihrer Gesetzgebung nichts anderes unternommen als das, was – und hier knüpft v. Mangoldt an die Argumentation des USA-Buchs an – die angelsächsische Welt im Kampf „gegen die Vermischung mit farbigem Blute begonnen hatte“.127 Das deutsche „Rassenrecht“ sei freilich nicht nur eine Reaktion auf die „immer unerträglicher gewordenen“ Einflüsse des Judentums, sondern _____________ 123 Vgl. Annette Roser, „Beamter aus Berufung“. Karl Wilhelm Waldmann, Württembergischer Staatssekretär, in: Michael Kißener/Joachim Scholtyseck (Hrsg.), Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden-Württemberg, Konstanz 1997, 781–803 (782). 124 Siehe die Hinweise zu den Berichten, die Studenten zur Lehre in Tübingen anfertigten, in Rohlfs (Anm. 10), 50. 125 v. Mangoldt (Anm. 121), 49. 126 Ebd., 49. 127 Ebd., 49.

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„[v]ielmehr werden mit ihm ganz andere, und zwar hohe ethische Ziele verfolgt“.128 Die „Reinerhaltung des Blutes“ diene – hier zitiert v. Mangoldt Hitlers „Mein Kampf“ – der „Erhaltung derjenigen rassischen Urelemente, die, als kulturspendend, die Schönheit und Würde eines höheren Menschentums schaffen“.129 In der Folge wird „unser Rassenrecht“ gewürdigt, das „in klarer Erkenntnis der Notwendigkeiten“ nicht davor zurückscheue, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen.130 In den USA gebe es zwar einen verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, der aber in der Praxis nicht durchgesetzt sei. „Das starke natürliche Rassengefühl der Angelsachsen erweist sich in diesen Fällen eben doch als stärker als die weltfremde Gleichheitsideologie westeuropäischer Prägung.“131 Der Beitrag schließt mit der Formel, dass das Dargelegte ausreichen dürfe, um sich ein Urteil zu bilden: „Die Entscheidung, zu wessen Gunsten ein Vergleich unserer mitteleuropäischen Rassenrechte mit den angelsächsischen ausfallen müßte, kann ich jedenfalls getrost dem Leser überlassen.“132 Der offene Schluss ist als eine Form der Distanzierung interpretiert worden, weil v. Mangoldt eine Festlegung vermieden habe.133 Diese Schlussfolgerung lässt der Text allerdings nicht zu, denn die Diskriminierung in den USA wird auf eine Stufe mit dem deutschen „Rassenrecht“ gestellt, um sodann – in Fortsetzung der bereits im USA-Buch begonnenen Argumentationslinie – zu verurteilen, dass sich die amerikanische Diskriminierung hinter dem Gleichheitsprinzip verstecke. Die offene Frage kann damit kaum anders beantwortet werden als dass der offenen und gesetzesförmigen Ungleichbehandlung in Deutschland der Vorzug zu geben ist.

F. Der zweite Weltkrieg und die Berufung nach Jena Noch vor den Kriegshandlungen war v. Mangoldt Mitte August 1939 eingezogen worden, um als Kommandant in der Deutschen Bucht den Funkverkehr abzuhören, bevor er mit Beginn des Frankreich-Feldzuges nach St. Malo verlegt wurde.134 Trotz des Krieges und der damit verbundenen Einschränkungen des Universitätsbetriebes drehte sich das akademische Personalkarussell weiter – auch für v. Mangoldt, der Anfang 1940 einen Ruf an die Universität Jena auf ein _____________ 128

Ebd., 49. Ebd., 50. 130 Ebd., 50. 131 Ebd., 50. 132 Ebd., 51. 133 Rohlfs (Anm. 10), 49; Vosgerau (Anm. 20), 276f. Wolff (Anm. 1), 462, meint sogar, zwischen den Zeilen werde deutlich, „dass von Mangoldt mit der nationalsozialistischen Zielsetzung gerade nicht einverstanden war“. 134 Vgl. Rohlfs (Anm. 10), 54. Am 10. Mai 1940 wurde der erste Sohn Hans geboren. 129

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Ordinariat als Nachfolger von Ulrich Scheuner erhielt. Auch in Jena scheint die Fakultät bei Berufungen in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren versucht zu haben, in den Auseinandersetzungen mit dem Gauleiter und dem NSDozentenbund die fachliche Eignung über das politische Engagement der Kandidaten zu stellen.135 Vor allem aber musste es seit Kriegsbeginn darum gehen, den Bestand der Universität insgesamt zu sichern.136 Der Fakultätsvorschlag für die Nachfolge Scheuner listete die gewünschten drei Personen, zugleich wurde jedoch hervorgehoben, dass „in erster Linie der Professor von Mangoldt“ berufen werden solle.137 In seinen Schriften zeige sich v. Mangoldt als „ausgezeichneter, gründlicher Wissenschaftler“. Die beiden Schriften zum US-Verfassungsrecht hätten „insbesondere auch für die Fragen des deutschen Verfassungsrechtes“ große Bedeutung. Persönlich sei er „ein Mann von ausgesprochen soldatischer Haltung im besten Sinne“.138 Daneben wartete die Laudatio mit einer Einzelheit auf, die in der Forschung bislang übersehen worden ist.139 Am 6. Mai, so heißt es in der Begründung, habe v. Mangoldt „die Aufnahme in die NSDAP beantragt“.140 Gehört er damit zu jenen Personen, die einen Beitritt zur Partei lange vermieden hatten, nun aber – möglicherweise unter dem Eindruck des Kriegsverlaufs – Bedenken zurückstellten, um die eigenen Karrierechancen zu wahren? Indizien deuten darauf hin, dass dies nicht der Fall war. So gab v. Mangoldt in einem Personalfragebogen zum Jenaer Dienstantritt im Januar 1941 zur Frage der Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Verbänden an: „NSDAP Aufnahme beantragt durch Dozentenbund Frühjahr 1940, Eintrittsbeitrag bezahlt 1.8.1940.“141 Leider ist nicht klar, welcher Dozentenbund gemeint ist (da er noch nicht in Jena berufen war, vermutlich derjenige aus Tübingen) – die Angabe selbst ist aber glaubwürdig, denn dass v. Mangoldt eigens hervorhebt, die Aufnahme sei nicht von ihm selbst ausgegangen, wirkt wie eine Distanzierung, von

_____________ 135 Zur Fakultät generell Jörg Opitz, Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Jena und ihr Lehrkörper im „Dritten Reich“, in: Uwe Hoßfeld u.a. (Hrsg.), Kämpferische Wissenschaft. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln 2003, 471–518, hier 483. 136 Vgl. Opitz (Anm. 135), 485. 137 Vgl. ThHStAW, Nr. 19680, Bl. 10r-11v, 10r, Rektorat der FSU Jena an Thüringischer Minister für Volksbildung, 28.6.1940. Auf den Plätzen 2 und 3 folgten Adalbert v. Unruh (Frankfurt am Main) und Hans Peter Ipsen (Hamburg). 138 Ebd., 11v. 139 Eine Ausnahme ist Opitz (Anm. 135), 489. 140 ThHStAW, Nr. 19680, Bl. 10r-11v, 11v, Rektorat der FSU Jena an Thüringischer Minister für Volksbildung, 28.6.1940. 141 ThHStAW, Nr. 19680, Bl. 6r, Fragebogen über meine politische Zugehörigkeit, Januar 1941.

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der er zum Zeitpunkt der Niederschrift (der Dienstantritt war bereits erfolgt) keinerlei Vorteile erwarten konnte.142 Was aus dem Antrag wurde, lässt sich nicht feststellen. Vermutlich hatte v. Mangoldt nicht auf eine Klärung gedrängt, zumal er sich bislang nicht für die Partei eingesetzt hatte und der Beitrittswunsch deshalb wenig Erfolgsaussichten hatte. Die Tübinger Fakultät versuchte, v. Mangoldt von einem Wechsel abzubringen, da sie im Zusammenhang mit anderen auswärtigen Rufen eine Schwächung der Fakultät befürchtete, die – mehrere Professoren im Kriegsdienst, drastischer Rückgang der Studentenzahlen – zum Verlust der Arbeitsfähigkeit oder sogar zur Schließung der Fakultät führen konnte.143 Das Stuttgarter Ministerium konnte dem Wunsch v. Mangoldts nach höheren Bezügen, den die Fakultät „auf das wärmste“144 unterstützte, jedoch offenbar nicht nachkommen. Dass ein Bleibeangebot des Ministeriums ausblieb, stieß in Tübingen allerdings nur auf einen vergifteten Protest.145 In seiner Eigenschaft als stellvertretender Rektor missbilligte der Anatom Robert Wetzel (1898–1962), ein kämpferischer Nationalsozialist, zwar im Oktober 1940 die damit verbundene Herabsetzung seiner Universität. „Als Dozentenführer und als ein, die besondere Person im Aufbau der Gesamtuniversität betrachtender Führer des Rektoramts“ konnte er hingegen besondere Maßnahmen zur Abwehr des Rufes nicht befürworten. Denn v. Mangoldt sei zwar „ein korrekter, braver Mann“, der sich in einem aufreibenden Wehrdienst einsetze. Er sei aber „kein aufbauendes Element unserer Universität“. Er ist als Völkerrechtler eng, ohne eigene Gedanken, rein literarisch denkend und arbeitend; er ist massgebend beteiligt an den beschämenden Schwierigkeiten, die von der juristischen Fakultät den Haber’schen Versuchen zum Aufbau einer Tübinger kolonialwissenschaftlichen Arbeit entgegengesetzt wurden. Ganz entscheidend im Hinblick auf die Tübinger Auslandswissenschaften erscheint es durchaus gegeben, ihn – wenn irgend brauchbarer Ersatz in Aussicht steht – im Frieden, aber ohne Tränen seines Weges ziehen zu lassen.

In den Augen Wetzels verstand v. Mangoldt die Rechtswissenschaft offenbar nicht ausreichend als „politisches“ Fach, denn ein Jurist, der „rein literarisch“ denkt, konnte aus Sicht der nationalsozialistischen Rechtslehre nur ein Vertreter _____________ 142 Dass es in den Kriegsjahren zu kollektiven Anträgen für bestimmte Personengruppen – darum wird es sich ja bei v. Mangoldt wohl gehandelt haben – kam, ist belegt. Aktenkundig ist etwa ein Beispiel aus Jena, wo die Gauleitung Thüringens im Dezember 1941 einen (allerdings nur in zwei Fällen erfolgreichen) Sammelantrag von elf Jenaer Professoren unterstützte. Unter diesen Namen befindet sich v. Mangoldt nicht. Siehe dazu Opitz (Anm. 135), 489f. 143 Vgl. Rohlfs (Anm. 10), 56. 144 UAT 126/409, Dekan der Rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an den Rektor, 18.10.1940. 145 UAT 126/409, Rektor an den Württembergischen Kultminister, 25.10.1940. Daraus auch die folgenden Zitate.

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sein, der die politische Dimension des Rechts gering achtet. Nachdem letzte Versuche des Landeskultusministers Mergenthaler beim Reichsministerium für eine bessere Dotierung der Stelle im November 1940 gescheitert waren, nahm v. Mangoldt zügig den Ruf aus Jena an und übernahm am 1. Januar 1941 den ScheunerLehrstuhl.146 Wegen der Kriegsverwendung – v. Mangoldt war ab März 1941 beim Stab der Sicherung West in Paris eingesetzt – war der neue Professor allerdings nur gelegentlich in Jena und hielt keine Lehrveranstaltungen ab.147 Deswegen entfaltete eine Zusatzvereinbarung zur Berufung keine praktische Bedeutung.148 Als Spezialarbeitsgebiet nannte das Papier das „Volksgruppenrecht (Volksbegriff)“. Zu diesem Zweck werde auch der „Sonderkatalog über das Volksgruppenrecht“, den er in Tübingen geschaffen habe, abgeschrieben. Seine Arbeit zum amerikanischen Recht werde er in Jena fallenlassen. Stattdessen beabsichtige er, „sich der rechtlichen Seite der Kolonialfrage zu widmen“. Es kann vermutet werden, dass die inhaltliche Passung der Professur auf das Anliegen von Rektor Karl Astel (1898–1945) zurückzuführen ist, dem führenden deutschen „Rasseforscher“, der in Jena einen Schwerpunkt in der „Rassen- und Volkstumspolitik“ etablieren wollte.149 Auch für den völkerrechtlichen „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“, der vom Reichswissenschaftsministerium unter der Ägide des ehemaligen Kieler Rektors Paul Ritterbusch (1900–1945) vorangetrieben wurde, war v. Mangoldt vorgesehen. Aufgabe der geplanten fünf Publikationsreihen zum „Wandel der Weltordnung“ sollte es sein, eine systematische Grundlegung des nationalsozialistischen Verständnisses des Völkerrechts zu schaffen und die von Schmitt vorgetragene Idee der „Großräume“ als neue Leitkategorie zu etablieren.150 Gesamtherausgeber der Reihe war Hermann Jahrreiß (Köln), und es fehlt in dem Gesamttableau keiner der führenden Völkerrechtler der Zeit.151 In einer Unterreihe zu den „Reichen unserer Zeit“ sollte Hermann v. Mangoldt die Vereinigten Staaten von Amerika bearbeiten. Da v. Mangoldt sich im Kriegseinsatz befand, war sein Anteil an der Planung des Vorhabens sicher gering. Die „Aktion _____________ 146 Rohlfs (Anm.10), 59. Die Universität Jena bot 9.300 RM, ab dem 1.4.1941 9.900 RM jährlich plus ein garantiertes Kolleggeld von 2.000 RM. 147 Rohlfs (Anm. 10), 59. 148 ThHStAW, Nr. 19680, Bl. 15r-15v, Zusatzvereinbarung mit Hermann v. Mangoldt, 30.10.1940. Daraus auch die folgenden Zitate. 149 Zur Schwerpunktsetzung Opitz (Anm. 135), 487. Möglicherweise war das auch als ein Beitrag zur „Kriegswichtigkeit“ und damit als Schutz vor Schließung der Universität gedacht. 150 Die Übersicht über die geplanten Beiträge in Frank-Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940–1945), 3. Aufl. Heidelberg 2007, 261, Fn. 439. 151 Für die Grundlegung „Träger der Weltordnung“ waren etwa Carl Schmitt, Hermann Jahrreiß, Ulrich Scheuner und Viktor Bruns vorgesehen.

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Ritterbusch“ ist in weiten Teilen Torso geblieben, und insbesondere im Bereich des Völkerrechts sind nur wenige der geplanten Bände während der Kriegszeit erschienen.152 Wäre ihm aber Gelegenheit zum Abfassen des gefragten Bandes gegeben worden, hätte sich v. Mangoldt ohne Zweifel nicht so stark zurückhalten können wie noch 1938.

G. Der Ruf an die Kieler Universität und späte Aktivitäten im Krieg Noch bevor er in Jena hätte Spuren hinterlassen können, wurde v. Mangoldt im Juni 1943 als Nachfolger von Paul Ritterbusch an die Kieler Universität berufen. Damit verbunden war die Leitung des Instituts für Internationales Recht, das nach 1933 wie die anderen Teile der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in den Bann einer „politischen“ – d.h. explizit auf die Ideologie des Nationalsozialismus bezogenen – Wissenschaft hineingezogen worden war. Unter Ritterbusch, der 1935 von Königsberg nach Kiel gewechselt war, hatte diese Idee mit der Umformung des Instituts in ein „Institut für Politik und Internationales Recht“ einen auch organisatorischen Ausdruck gefunden.153 Zum Zeitpunkt der Berufung v. Mangoldts hatte die Fakultät ihren Charakter als „Stoßtruppfakultät“ allerdings bereits wieder hinter sich gelassen.154 Die in den Jahren 1933–1935 berufenen Professoren hatten schon seit Mitte der 1930er Jahre begonnen, Kiel wieder zu verlassen.155 Bei den Nachfolgeentscheidungen spielte die weltanschauliche Ausrichtung eine deutlich geringere Rolle als zuvor.156 Mit anderen Worten: Seit den späten 1930er Jahren als Jurist nach Kiel berufen zu werden, war nicht mehr gleichbedeutend mit dem Ausweis eines besonderen ideologischen Eifers. Die Berufungsentscheidungen sind zudem vor dem Hintergrund der

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Dazu Hausmann (Anm. 150), 266. Siehe dazu Natalie Rücker, Das Institut für Internationales Recht im Nationalsozialismus. Im Spannungsfeld von Identitätsaufgabe und Existenzbedrohung, in diesem Band. 154 Dazu umfassend Christina Wiener, Kieler Fakultät und „Kieler Schule“. Die Rechtslehrer an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zu Kiel in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung, Baden-Baden 2013; Jörn Eckert, Die Kieler Rechtswissenschaftliche Fakultät – „Stoßtruppfakultät“, in: Heribert Ostendorf/Uwe Danker (Hrsg.), Die NS-Strafjustiz und ihre Nachwirkungen, Baden-Baden 2003, 21–55. 155 Nach dem Weggang Ritterbuschs 1941 war Karl Larenz der letzte verbliebene Vertreter der „Kieler Schule“, die sich um die Durchsetzung einer nationalsozialistischen Rechtslehre bemüht hatte, vgl. Eckert (Anm. 154), 53. 156 So Wiener (Anm. 154), 296; Eckert (Anm. 154), 53f. 153

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Existenz- und Legitimationskrise zu sehen, in die die Universität in den Kriegsjahren aufgrund des Rückgangs der Studierendenzahlen, der Zerstörung von Gebäuden und fehlendem wissenschaftlichen Personal geraten war.157 Um die immer wieder drohende Schließung der Universität zu vermeiden, musste das Rektorat dafür sorgen, durch entsprechende Lehre, Forschungsleistungen und Neuberufungen die „Kriegswichtigkeit“ der Hochschule unter Beweis zu stellen.158 Eine in diesem Sinne zu verstehende Bitte, die strategische Bedeutung der eigenen Arbeit anzuerkennen, ging auch vom Institut für Internationales Recht aus. Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn teilte dessen stellvertretender Direktor Walther Schoenborn (1883–1956) dem Inspekteur des Bildungswesens der Marine in Kiel nicht nur seinen „brennende[n] Wunsch“ mit, die Arbeit des Instituts „für das Reichsinteresse soweit als nur möglich nutzbar zu machen“, sondern er bat zugleich aus Furcht vor einer Schließung um eine kurze Äußerung des Inspekteurs oder einer anderen Stelle der Kriegsmarine, dass „die Weiterführung unseres Instituts […] für wertvoll angesehen wird“.159 In den weiteren Kriegsjahren wurde das Institut dann regelmäßig genannt, wenn das Rektorat gegenüber dem Ministerium oder militärischen Stellen die „Kriegswichtigkeit“ der Universität hervorheben wollte. Gegenüber dem Reichsverteidigungskommissar Schleswig-Holsteins stellte Rektor Predöhl im Februar 1943 beispielsweise heraus, dass es „kriegswichtige Forschung“ nicht nur in den naturwissenschaftlichen Instituten gebe, sondern auch im Institut für Weltwirtschaft und im Institut für internationales Recht, das mit großem Nutzen kriegswichtigen Zwecken zugeführt werden könne.160 Die Wiederbesetzung der Ritterbusch-Professur – der Zivilrechtler Karl Larenz (1903–1993) hatte vorübergehend die Leitung des Instituts übernommen – zog sich allerdings hin. Ende Dezember 1941 hatten Fakultät und Rektorat einen Vorschlag zur Wiederbesetzung an das Berliner Ministerium übersandt.161 An erster Stelle wurde der Göttinger Staatsrechtslehrer Rudolf Smend (1882– 1975) genannt, den die Fakultät „zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen

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Siehe mit weiteren Nachweisen Wiener (Anm. 154), 177ff. Vgl. Carsten Mish, „Führer der Universität“. Die Kieler Rektoren in der NS-Zeit, in: Christoph Cornelißen (Hrsg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus, Essen 2009, 33–55. 159 Vgl. WSI, Hefter Organisation und Entwicklung 1937–1944, Schoenborn an Vizeadmiral Schuster, 11.9.1939. Ein ähnlicher Brief ging an das Auswärtige Amt. 160 Vgl. LASH 47, Nr. 2081, Rektor an den Reichsverteidigungskommissar SchleswigHolsteins, z. Hd. Vizepräsident Vöge, 11.2.1943, zit. nach Wiener (Anm. 154), 187. 161Vgl. LASH Abt. 47 Nr. 2048, Anlage zum Antrag vom 22.12.1941 betr. Berufung des Nachfolgers von Professor Dr. Paul Ritterbusch. 158

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Rechtswissenschaft überhaupt“ zählte.162 Auf den Plätzen 2 und 3 standen Kurt O. Rabl (1909–1992), seinerzeit Verfassungsreferent beim Reichskommissar der Niederlande – ein überzeugter Nationalsozialist163 –, und Rolf Stödter (1909– 1993), Privatdozent an der Universität Hamburg und Geschäftsführer beim Verband Deutscher Reeder. Dennoch fühlte das Rektorat schon im Februar 1942 bei weiteren Gelehrten wegen ihrer Wechselbereitschaft vor.164 Rektor Predöhl gab den Befragten mit auf den Weg, die Stelle solle so besetzt werden, „dass das Institut eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der Marine aufnehmen kann, wie [sic! sie] sich aus den örtlichen Verhältnissen hier in Kiel ergibt“.165 Damit hatte der Rektor nicht nur das aus Sicht der Gesamtuniversität taktisch Opportune – ein enges Verhältnis mit dem Militär zu fördern – getan, sondern er reagierte auch auf gezielte Interventionen der Marine. Konteradmiral Donner, Leiter der Marineakademie, hatte sich im Januar 1942 sogar mit einem konkreten Besetzungsvorschlag an Predöhl gewandt. Donner und Günther Guse, Kommandierender Admiral der Marinestation Ostsee, würden „eine Berufung des Professor Wolgast hierher wegen dessen Gesamteinstellung zum Seegedanken gerne sehen“.166 Gut einen Monat später leitete Donner das Urteil des Leiters des Luftwaffenlehrstabes im Oberkommando der Wehrmacht, Admiral Gottfried Hansen, weiter, der nach der Lektüre seiner Schriften zur Überzeugung gekommen sei, „dass man W. [Wolgast] auf jeden Fall nach Kiel haben muss“.167 Der Rektor konnte diese Einlassungen nicht ohne weiteres übergehen, sondern forderte im Einvernehmen mit dem Dekan und dem offenbar weiterhin involvierten Ritterbusch Gutachten bei Hermann Jahreiß und Viktor Bruns an.168 Predöhl machte _____________ 162 Ebd., 1. Zu Smend siehe Helmuth Schulze-Fielitz, Rudolf Smend (1882–1975), in: Häberle u.a. (Anm. 1), 255–271. 163 Vgl. Johann Wolfgang Brügel, Wölfe im demokratischen Schafspelz. Ein Beitrag zur Bewältigung der Vergangenheit, Gewerkschaftliche Monatshefte 14 (1963), Heft 4, 202–212 (206ff.). 164 Nachgewiesen werden kann das jedenfalls für Hermann Jahrreiß, vgl. LASH Abt. 47 Nr. 2048, Rektor an Jahrreiss, 9.2.1942, 1. 165 Ebd. 166 Vgl. LASH Abt. 47 Nr. 2048, Donner an Rektor, 9.1.1942, 1. Zu Wolgast siehe Christopher Benkert, Die Juristische Fakultät der Universität Würzburg 1914 bis 1960. Ausbildung und Wissenschaft im Zeichen der beiden Weltkriege, Würzburg 2005, 188ff. Wolgast, in Kiel promoviert und habilitiert, 1929-1934 Professor an der Universität Rostock, seit 1934 an der Universität Würzburg. Besondere Aufmerksamkeit widmete er marinebezogenen und seekriegsrechtlichen Fragen. Mitglied der NSDAP war Wolgast seit 1937 oder 1938. In den Schriften finden sich zahlreiche Annäherungen an die nationalsozialistische Ideologie. Andererseits verweist Benkert, 192, darauf, dass Wolgast „der Partei ein Dorn im Auge war“, weil er nicht die „reine Lehre“ vortrug. 167 Vgl. LASH Abt. 47 Nr. 2048, Donner an Rektor Predöhl, 2.2.1942, 1. Aber auch die „Einstellung zur See“ des Drittplatzierte Stödter verspreche „durchaus den Marineinteressen gerecht zu werden“, vgl. ebd., 2. 168 Siehe die Schreiben vom 9.2.1942 in LASH Abt. 47 Nr. 2048 an Jahrreiss und Bruns.

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deutlich, dass sich die Marine zwar sehr intensiv für ihn einsetze, die Fakultät aber „wohlbegründete Zweifel gegenüber Wolgast“ hege, denen er sich „nicht gerade verschliessen kann“.169 Die Antwort von Jahrreiß war wie gewünscht: Wolgast falle als Mensch und Schriftsteller „sehr aus der Reihe“, überschätze seine Reichweite und schwanke „dann zwischen Pedanterie mit leicht philistischem Einschlag und Phantastereien“.170 Mit dem Gutachten konfrontiert, anerkannte Donner die Einschätzungen, hielt aber daran fest, dass die Zusammenarbeit der Kriegsmarine mit Wolgast „für die Förderung des Seegedankens in unseren akademischen Kreisen von grossem Nutzen sein würde“.171 Nach einigem Hin und Her sagte Smend schließlich Ende November 1942 ab, so dass Dekan Hans Brandt vom „Ende eines schönen Traums“ schrieb.172 Da Stödter in Hamburg nicht abkömmlich sei und eine Berufung Rabls ohne Habilitation nicht in Frage komme, bat das Ministerium um einen neuen Berufungsvorschlag, der noch vor Weihnachten 1942 in Berlin eintraf.173 Das Drängen der Marine, aber auch die prekäre Lage der Universität hatten offenbar Spuren hinterlassen, denn Rektor Predöhl erklärte es als vordringlich, „dass der Anwärter auf diese Stellung geeignet ist, in enge Verbindung mit der Kriegsmarine zu treten“. Hermann v. Mangoldt, so der Rektor, erfülle alle erforderlichen Qualifikationen in hervorragender Weise, er verfüge „über alte Beziehungen zur Marine“, sei zudem wissenschaftlich erstklassig ausgewiesen und in der Lage, ein großes Institut zu führen.174 Die Fakultät war sich der strategischen Bedeutung der Berufung bewusst, denn sie wies in ihrer Begründung der Reihung explizit darauf hin, dass „hierorts“ die Absicht bestehe, dem Institut für Internationales Recht im Verhältnis zur Kriegsmarine eine besondere Stellung zu geben, es gewissermassen als juristisches Schwesterninstitut zum Institut für Weltwirtschaft zu einer auch für das gesamte Bildungswesen der Kriegsmarine einflussreichen Stätte zu machen.175

Weiter hob die Begründung hervor, wegen seiner starken Interessen auf das ausländische Verfassungs- und Verwaltungsrecht, seiner beruflichen Herkunft _____________ 169

LASH Abt. 47 Nr. 2048, Rektor an Jahrreiss, 9.2.1942, 1. LASH Abt. 47 Nr. 2048, Jahrreiss an Rektor, 18.2.1942, 1. Eine Antwort von Bruns ist nicht überliefert. 171 LASH Abt. 47 Nr. 2048, Donner an Professor Brandt, 19.3.1942. 172 Der Schriftwechsel zwischen Ministerium, Smend und der CAU findet sich in dessen Nachlass, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. R. Smend P 16. Das Zitat „schöner Traum“, ebd., Brandt an Smend, 17.12.1942, 2. 173 LASH Abt. 47 Nr. 2048, Rektor an Reichsminister WEV mit Anlage (Berufungsbegründung), 17.12.1942. 174 LASH Abt. 47, Nr. 2048, Anlage, 1. Mit weitem Abstand hinter v. Mangoldt benannte die Fakultät Arnold Köttgen (Greifswald) auf Platz 2 und den bei Carl Schmitt habilitierten Dozenten Regierungsrat Hans Franzen auf Platz 3. 175 Ebd., 1–2. 170

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(Marine) und seiner früheren Tätigkeiten sei v. Mangoldt für das Ordinariat und die Leitung des Instituts für Politik und Internationales Recht „ganz besonders geeignet“.176 In seinen „überaus gründlichen Arbeiten“ von 1934 und 1938 sei er „zu ganz überzeugenden Ergebnissen gelangt“, die „auf Jahrzehnte hinaus massgebenden Einfluss“ haben würden.177 Ein auch nur oberflächlicher Verweis auf nationalsozialistische Linientreue oder politische „Zuverlässigkeit“ findet sich in der Begründung an keiner Stelle. Konteradmiral Donner ließ allerdings nicht locker, sondern er leitete unmittelbar nach dem Berufungsvorschlag „[i]m Verfolg unserer Unterhaltungen über Professor Dr. Wolgast“ eine begeisterte Stellungnahme eines Reserveoffizieranwärters weiter.178 Erneut hielt es das Rektorat für notwendig, ein Gutachten einzuholen, diesmal bei Walther Schoenborn. Was dieser im Januar 1943 auf 13 (!) Seiten übersandte, kann man als ein vernichtendes Urteil über den Fachkollegen bezeichnen.179 Er stellte dessen Urteilsfähigkeit gerade in Seekriegsfragen grundsätzlich in Frage und diagnostizierte eine „peinliche Diskrepanz“ zwischen den Absichten und dem Können Wolgasts, der zudem „in durchaus typischer Dilettantenmanier“ historische Einzelfälle verabsolutiere.180 Hinter den Kulissen lief es indes bereits auf v. Mangoldt hinaus, denn Rektor Predöhl legte sich noch vor dem Eintreffen des Gutachtens per Feldpost ins Zeug, um diesen für Kiel zu gewinnen.181 Tatsächlich wurde v. Mangoldt, noch im Dienst der Marine stehend, am 17. Juni 1943 mit Wirkung zum 1. April zum Nachfolger Ritterbuschs berufen und zum Direktor des Instituts für internationales Recht ernannt.182 Zunächst ging es darum, die Arbeitsfähigkeit des Instituts wieder herzustellen, weil Ritterbusch bei seinem Wechsel beansprucht hatte, die gesamte völkerrechtliche Literatur und die Einrichtung des zweiten Stocks des Institutsgebäudes an der Dänischen Straße von Kiel nach Berlin zu überführen.183 Während eines kurzen Aufenthalts in Kiel im Frühsommer 1943 setzte sich v. Mangoldt dafür ein, die verbliebenen völkerrechtlichen Bestände der Bibliothek wegen der drohenden Kriegszerstörung nach Faulück in den großen Saal der Bahnhofswirtschaft, die privatrechtliche Franz_____________ 176

Ebd., 1. Ebd. 178 LASH Abt. 47, Nr. 2048, Leiter Marineakademie an Rektor Predöhl, 19.12.1942. 179 LASH Abt. 47, Nr. 2048, Schoenborn an Rektor Predöhl, 15.1.1943, 1. Dem Schreiben angehängt ist das Gutachten „Aus Wolgast’s [sic!] neuesten Arbeiten“. 180 Ebd. (Gutachten), 1, 3, 13. 181 Vgl. LASH Abt. 47, Nr. 2048, Rektor Predöhl an v. Mangoldt, 7.1.1943, 1. 182 Vgl. Rohlfs (Anm. 10), 61. Er erhielt ein Jahresgehalt von 11.000 RM und ein garantiertes Unterrichtsgeld von 3.000 RM. 183 WSI, Hefter Organisation und Entwicklung 1937–1944, Geschäftsführender Direktor Larenz an v. Mangoldt, 14.4.1943. 177

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Kahn-Bibliothek nach Ratekau und das Archiv nach Bad Segeberg auszulagern.184 Weil v. Mangoldt nach Paris zurückkehren musste, lag die kommissarische Leitung des Instituts weiter bei Larenz.185 Die Anstrengungen des Rektorats richteten sich deshalb darauf, bei der Kriegsmarine eine Freigabe für die Übernahme der Professur zu erreichen.186 Zu einem Durchbruch kam es aber nach über einem Jahr erst, als v. Mangoldt im Sommer 1944 aufgrund einer Herzmuskelschwäche ins Marinelazarett nach Garmisch-Partenkirchen gehen musste. Ein dort im September 1944 an den Rektor abgesandtes Schreiben lässt einen selbstbewussten Hochschullehrer erkennen, der selbst für den Fall einer Schließung des Lehrbetriebs noch Perspektiven für die Forschung in Kiel sieht.187 Fragen des Völkerrechts würde „in der nächsten Zeit“ erhöhte Bedeutung zukommen, gleichzeitig stünden nach den Bombenangriffen und Evakuierungen „arbeitsfähige Institute oder Sammlungen von dem Umfange meines Instituts aber kaum sonst mehr zur Verfügung“.188 Das Bruns’sche Institut hat ja auch evakuiert, und ich weiß nicht, wie weit es arbeitsfähig ist. Gegenüber Wien, das daneben noch, besonders wegen der Persönlichkeit von Verdross, in Frage kommt, scheint mir mein Institut schon rein lagemäßig keiner besonderen Begründung zu bedürfen. Noch die jüngere Vergangenheit hat übrigens auch ergeben, daß die als kriegswichtig bisher aufrecht erhaltene ‚Zeitschrift für Völkerrecht‘ mit wichtigen Materialveröffentlichungen nicht recht vorwärts kam, weil mein Institut nicht mehr so arbeitete, wie es dafür nötig war. Ich habe schon versucht, das etwas mehr zum Laufen zu bringen. Zu solchen Dingen muß man aber eben doch persönlich anwesend sein. Mir scheint es wichtig, daß wir gerade jetzt uns ein völkerrechtliches Organ von einem gewissen Namen wie diese Zeitschrift nicht nehmen lassen, weiß natürlich aber nicht, wie die neuen Bestimmungen über das Schrifttum sich da auswirken werden.189

Das Kieler Drängen hatte schließlich Erfolg, denn Ende September 1944 teilte der Chef des Marinepersonalamts Predöhl mit, das Amt sei bereit, v. Mangoldt aus dem Wehrdienst zu entlassen.190 Als dieser im November 1944 nach Kiel _____________ 184 Vgl. LASH Acc. 12/08, Institut für Internationales Recht an Rektorat, Bericht über das Institut für Internationales Recht in der Zeit vom 1.9.1939–31.12.1947, 1.4.1948, 2–3. 185 Siehe ebd., 2. 186 Siehe etwa LASH Abt. 47, Nr. 2048, Rektor Predöhl an Admiral Gladisch, Reichskommissar beim Prisenhof Berlin, 23.6.1943. 187 Vgl. LASH Abt. 47, Nr. 2048, v. Mangoldt an Rektor Predöhl, Garmisch-Partenkirchen, 7.9.1944. 188 Ebd., 2. 189 Ebd., 2–4. 190 Vgl. LASH Abt. 47, Nr. 9821, Chef des Marinepersonalamts an Rektor Predöhl, Berlin, 28.9.1944. Mit Wirkung zum 31. Dezember 1944 wurde er schließlich formell aus dem aktiven Kriegsdienst entlassen. Das ist dem Wehrpass zu entnehmen, der sich in LASH Abt. 47, Nr. 6821, findet.

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kommen konnte, um die Professur zu übernehmen, war das Institutsgebäude an der Dänischen Straße nach einem Bombenangriff vom 24. Juli 1944 nicht mehr benutzbar, so dass er umgehend nach Faulück zog.191 Hermann v. Mangoldt machte sich dennoch sogleich daran, für das Institut den angestammten Platz unter den völkerrechtlichen Einrichtungen im Reich zu behaupten. Schon Anfang November 1944 machte er sich auf den Weg nach Berlin, um Schwerpunkte für die Aktivitäten des Instituts zu verhandeln.192 Aus dem Auswärtigen Amt nahm er den Wunsch nach einer Unterstützung der Außenpolitik durch die Kieler Völkerrechtswissenschaft mit. Man habe, so v. Mangoldt in einem Bericht an Predöhl, vereinbart, gemeinsam mit dem ans Auswärtige Amt abkommandierten Kieler Extraordinarius (und langjähigem Abteilungsleiter am Institut für Internationales Recht) Viktor Böhmert (1902–1975) und Geheimrat Rödiger (AA) „alle 2-3 Monate“ im Auswärtigen Amt „alle sich inzwischen ergebenden Fragen durchzusprechen. Ich begrüße das sehr, da ich so über die politische Linie auf dem Laufenden bleibe, erfahre, welche dringenden Fragen sich ergeben, und danach meine Veröffentlichungen einrichten kann.“193 Eine Voraussetzung dafür war freilich, dass das Reichswissenschaftsministerium einer entsprechenden Bitte des Rektors entsprach und v. Mangoldt trotz der Schließung des juristischen Lehrbetriebs als „Forscher mit kriegswichtigen Aufgaben“ an der Universität verbleiben konnte.194 Konkrete Anknüpfungspunkte für eine Kooperation ergaben sich schneller als vermutet. Am 22. November 1944 berichtete v. Mangoldt, das Auswärtige Amt werde dafür sorgen, dass er die in Brückenberg (Schlesien) evakuierten Akten einsehen könne, „um wichtige kriegsrechtliche Fragen wie etwa die Behandlung der Lazarett-Schiffe baldigst auf der Grundlage des einwandfreien amtlichen Materials der schon jetzt besonders dringlichen wissenschaftlichen Behandlung zuzuführen.“ Vom Oberkommando der Wehrmacht sei bald mit weiteren Aufträgen zu rechnen.195 Die Erwartung, politische Aufträge zu erhalten, meldete v. Mangoldt auch an Ernst Holzlöhner (1899–1945), Professor für Physiologie und Außenstellenleiter der Wehrforschungsgemeinschaft, _____________ 191 Insofern ist eindeutig nicht richtig, dass v. Mangoldt seine Tätigkeit in Kiel erst nach dem Ende des Krieges aufnahm, so aber Wiener (Anm. 154), 191. 192 Siehe den Bericht LASH Abt. 47, Nr. 3264, v. Mangoldt an Rektor Predöhl, Berlin, 10.11.1944. 193 Ebd. 194 Vgl. LASH Abt. 47, Nr. 6821, Reichsminister WEV an Rektor Predöhl, 15.11.1944. Predöhl hatte mit Blick auf v. Mangoldt darauf hingewiesen, dass das Völkerrecht „in der nächsten Zeit“ von Bedeutung sein werde und es dringend erforderlich sein würde, „daß die scharfe Waffe dieser eigenartigen Wissenschaft von kundiger Hand im geistigen und politischen Kampf geführt wird“, LASH Abt. 47, Nr. 6821, Rektor Predöhl an Groh, Reichsministerium für WEV, 25.10.1944. 195 LASH Abt. 47, Nr. 3264, v. Mangoldt an den Kurator, 24.11.1944.

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die gegründet worden war, um die staatliche Kriegsforschung zu bündeln.196 Noch am 1. Februar 1945 beantragte v. Mangoldt bei der Gemeinschaft eine wissenschaftliche Hilfskraft, die aber am 13. März – sechs Wochen vor Kriegsende – abgelehnt wurde, weil naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen der Vorzug gegeben wurde.197

H. Ausblick und Bilanz: Ein Mann des Neubeginns? Für die Universitäten bedeutete der 8. Mai 1945 keine „Stunde Null“, in der sämtliche Verbindungslinien zum nationalsozialistischen Wissenschaftssystem gekappt worden wären. Selbstverständlich machten das Ende der Diktatur und die Übernahme der Regierungsgewalt durch die Militärregierung einen Unterschied. Dennoch lassen sich daneben personelle, institutionelle und fachliche Kontinuitäten ausmachen, die über die politische Zäsur des Kriegsendes hinweg wirkten.198 Das gilt auch für Hermann v. Mangoldt, der bereits im November 1944 von Rektor Predöhl zum Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät ernannt worden war.199 Als er auf der ersten Sitzung des Fakultätskonvents im August 1945 in den Räumen des Instituts für Internationales Recht erneut zum Dekan bestellt wurde, handelte es sich mithin um eine Verlängerung seiner Amtszeit.200 Mit dem Dekansamt wuchs v. Mangoldt gleichwohl eine enorme Verantwortung zu, die er beherzt und mit großem Pflichtgefühl annahm. Er kümmerte sich darum, den Lehrbetrieb wieder zum Laufen zu bringen, nutzbare Räume zu gewinnen, die akademischen Rechtsgrundlagen festzustellen und das Curriculum zu klären – am 27. November 1945 wurde die Universität bereits _____________ 196 Vgl. WSI, Hefter Wehrforschungsgemeinschaft, v. Mangoldt an Holzlöhner, Faulück, 30.11.1944. Der in LASH, Acc. 12/08, erhaltene „Bericht über den Kriegseinsatz der Schleswig-Holsteinischen Landesuniversität“ stellt vermutlich das Ergebnis dieser Befragung dar. Aus dem rechtswissenschaftlichen Bereich wird ebd., 15, auf die Reaktivierung des Instituts für Internationales Recht verwiesen und festgestellt: „Der [sic!] von den Angelsachsen virtuos gehandhabten gefährlichen Waffe des Völkerrechts kann nur durch eine hochqualifizierte deutsche Völkerrechtswissenschaft pariert werden.“ Zur Zeit werde am Institut über die rechtliche Stellung von Exilregierungen gearbeitet. 197 WSI, Hefter Wehrforschungsgemeinschaft, Planungsamt des Reichsforschungsrates Berlin an v. Mangoldt, 13.3.1945. 198 Am Kieler Beispiel siehe Christoph Cornelißen, Zur Wiedereröffnung der Christian-Albrechts-Universität im Jahr 1945 – einige Momentaufnahmen, in: ders./Arved v. Bassi/Birte Meinschien (Hrsg.), Wissenschaft im Aufbruch. Beiträge zur Wiederbegründung der Kieler Universität nach 1945, Essen 2014, 12–31. 199 Das geht hervor aus einer LASH Abt. 47, Nr. 9821, Rektor der CAU an den Kurator, Verfügung, 19.7.1945. 200 LASH Abt. 47.5, Nr.11, Protokollbuch der Fakultätssitzungen, Eintrag 9.8.1945.

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neu eröffnet.201 Weil der Lehrkörper durch Tod, Gefangenschaft oder unbekannten Aufenthalt dezimiert war, gehörte dazu auch, Erkundigungen über die vermissten Professoren einzuholen, die Stellen vertreten zu lassen oder auch die Neubesetzung in die Wege zu leiten.202 In dieser Hinsicht war v. Mangoldt in jedem Fall ein Mann des Neubeginns. Er spielte für das Institut, für die Fakultät und, in der Amtszeit 1947/48, als Rektor für die gesamte Universität eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau der zerstörten oder beschädigten akademischen Strukturen. Im Institut für Internationales Recht sorgte er in hartnäckigen Verhandlungen nicht nur dafür, dass die während des Krieges nach Berlin (bzw. nach Wittenberg) ausgelagerte Bibliothek zurückkehrte und an seinem Institut eine „Empfangsbücherei“ der Vereinten Nationen eingerichtet wurde.203 Auch bei der Publikationstätigkeit setzte er einen Schnitt gegenüber der Vergangenheit, denn mit dem „Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht“ etablierte er (gemeinsam mit Rudolf v. Laun) eine neue Zeitschrift an Stelle der im Krieg eingestellten „Zeitschrift für Völkerrecht“.204 In der Schriftenreihe des Instituts machte er Öffentlichkeit und Fachwelt Dokumente und Informationen über die internationale Politik und die Nachkriegsordnung zugänglich, ebenso kommentierte er die Neuordnung der politischen Institutionen in den Besatzungszonen und in der jungen Bundesrepublik.205 Ebenso wirkte er an der Ausbildung jener Juristen mit, die in der sich demokratisierenden Ordnung an wichtigen Stellen der Gesellschaft wirkten. Politisch profitierte v. Mangoldt dabei von dem guten Bild, das die Besatzungsmacht von ihm besaß. Als Vertreter der Universität wurde er im Februar 1946 zum Mitglied des ersten schleswig-holsteinischen Landtages ernannt, weil die britische Militärregierung ihn, der „nicht durch Verbindungen zum Nationalsozialismus kompromittiert und nie Mitglied

_____________ 201 Zu den Bemühungen als Dekan siehe etwa in Akten Fak, Ordner 478, Ludwig Heyde an Dekan (Geltung universitäre Satzungen); ebd., Predöhl an v. Mangoldt, Hamburg, 28.7.1945 (Suche nach Adressen von Professoren); ebd., Böhmert an v. Mangoldt, Levern, 7.8.1945 (Lehrplanung). 202 Zur Personalsituation nach Kriegsende siehe Wiener (Anm. 154), 251ff. 203 Die Bücher waren nach Wittenberg verbracht worden, um sie vor der Kriegszerstörung zu bewahren. Zur Rückkehr der Bibliothek siehe den Briefwechsel in WSI, Hefter Ia Organisation und Entwicklung 1943–1950. 204 Vgl. Rohlfs (Anm. 10), 67. 205 Siehe etwa: Kriegsdokumente über Bündnisgrundlagen, Kriegsziele und Friedenspolitik der Vereinten Nationen, 1945; Grundsätzliches zum Neuaufbau einer deutschen Staatsgewalt. Eine staats- und völkerrechtliche Studie, 1947; Zur rechtlichen Natur der bizonalen Wirtschaftsverwaltung. Eine Entgegnung, MDR 1948, 436–442; Grundrechte und Grundsatzfragen des Bonner Grundgesetzes, DÖV 1949, 273–290.

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der NSDAP gewesen war“, als „für eine führende Position innerhalb des demokratischen Neuaufbaus besonders geeignet“ hielt.206 Als Vorsitzender des Innenausschusses war er ab April 1946 zugleich für ein halbes Jahr Minister im Kabinett von Ministerpräsident Theodor Steltzer (1885–1967). Dem Landtag gehörte er weiterhin bis 1950, ab April 1947 vom Volk gewählt, als Abgeordneter der CDU an. Nicht zuletzt gehörte v. Mangoldt dem Parlamentarischen Rat an und zählte zu dessen einflussreichen Mitgliedern.207 Das wiederum war eine gute Grundlage für jenes Werk, für das v. Mangoldt bis heute bekannt ist: einen der ersten umfassenden Kommentare des Bonner Grundgesetzes.208 Kurzum: v. Mangoldt kann zu jenen Professoren für Öffentliches Recht gezählt werden, die als „Demokraten der ersten Stunde“ zu bezeichnen sind, weil sie sich für einen verfassungspolitischen Neuanfang und eine freiheitliche Verfassung eingesetzt haben.209 Gibt es dennoch gute Argumente dafür, v. Mangoldt nicht als einen Mann des Neubeginns zu bezeichnen? Von der Machtübernahme der NSDAP profitierte er nicht unmittelbar, vielmehr hatte er offenbar Schwierigkeiten, sich unter den neuen politischen Vorzeichen als Hochschullehrer für Rechtswissenschaft durchzusetzen. Ebenso hielt er sich mit formellen Loyalitätsbekundungen wie einer Parteimitgliedschaft zunächst ebenso zurück wie mit schriftlichen Zeugnissen der ideologischen Übereinstimmung. Im Falle des gescheiterten Hamburger Berufungsverfahrens ist offensichtlich (und in anderen kann vermutet werden), dass v. Mangoldt wegen mangelnder Linientreue auf die Skepsis von Parteistellen traf, die aber möglicherweise wegen seines militärischen Einsatzes nur gebremst zum Ausdruck gebracht wurde. Es handelt sich bei ihm insbesondere nicht um einen Exponenten der nationalsozialistischen Rechtslehre, wie sie in den ersten Jahren der NS-Herrschaft in Kiel (und an anderen Orten) systematisiert wurde. Es bleibt gleichwohl richtig, dass er in den Jahren bis 1945 die Schritte einer wissenschaftlichen Karriere vom Privatdozenten bis zum Ordinarius gehen konnte. Immerhin dreimal ist er in diesem Zeitraum an eine deutsche Universität berufen worden. Um seinen Status im Wissenschaftssystem zu sichern, war er bereit, im Aufsatz zu „Rassenrecht und Judentum“ der nationalsozialistischen Rassenpolitik besondere ethische Ziele zu bescheinigen. Die Problematik des Aufsatzes war von Mangoldt und seinem akademischen Netzwerk offenbar bekannt, denn er taucht in keiner Würdigung und auch in keinem Schriftenverzeichnis v. Mangoldts auf, bis seine Existenz Ende der 1990er Jahre publik gemacht _____________ 206 Jessica v. Seggern, Alte und neue Demokraten in Schleswig-Holstein. Demokratisierung und Neubildung einer politischen Elite auf Kreis- und Landesebene 1945 bis 1950, Stuttgart 2005, 179, Fn. 9, bezieht sich auf eine britische Akte vom Juli 1946. 207 Vgl. dazu insbesondere Lange (Anm. 20), Vosgerau (Anm. 20) sowie die Ausführungen in Rohlfs (Anm. 10). 208 v. Mangoldt (Anm. 2). 209 Günther (Anm. 3), 60.

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wurde. Die Umstände des Entstehens sprechen dennoch dagegen, aus v. Mangoldt einen „fanatische[n] Befürworter“ der Nürnberger Gesetze zu machen.210 Doch gerade im Lichte derjenigen Hochschullehrer, die aus den Fakultäten vertrieben wurden und deren Karrierechancen zerstört wurden, macht sein Beispiel deutlich, dass auch v. Mangoldt zur „kooperierenden Funktionselite im nationalsozialistischen System“ zu zählen ist.211 Gegenüber belasteten Kollegen verhielt sich v. Mangoldt unterschiedlich. Ende Juli 1945 bat er den Rektor Creutzfeldt, bei der Militärregierung die Entlassung von Karl Larenz aus der Wehrmacht (und das hieß: aus der Kriegsgefangenschaft) zu erwirken.212 Im Entnazifizierungsverfahren von 1948, dem v. Mangoldt vorsaß, wurde Larenz gegen die Position der Militärregierung, die das Ziel einer dauerhaften Entlassung aus dem Dienst verfolgt hatte, als „entlastet“ eingestuft.213 Als der Präsident des Oberlandesgerichtes ihn im November 1947 fragte, ob der ehemalige Strafrechtsprofessor Georg Dahm (1904–1963) in der Justiz tätig werden könne, antwortete er vorsichtig, er habe keine Bedenken, „wenn aus der Durchführung des Entnazifizierungs- und Kategorisierungsverfahrens keine Schwierigkeiten erwachsen“. Kritisch fügte er hinzu: „Bei den besonderen Verhältnissen an der Universität dürfte sich allerdings auf Grund seiner Betätigung in der Nazizeit im Augenblick keine Möglichkeit zu einer Verwendung bieten.“214 Einige Jahre später, im Frühjahr 1950, gehörte v. Mangoldt zu jenen, die Widerspruch dagegen einlegten, Otto Koellreutter und Ernst Rudolf Huber in die Vereinigung der Staatsrechtslehrer aufzunehmen. In einem Brief an das Vorstandsmitglied Walter Jellinek argumentierte er, dass er nicht habe erkennen können, „dass Herr Huber inzwischen irgend etwas veröffentlicht hat, aus dem geschlossen werden könnte, dass er alles das, was er damals geschrieben hat, jetzt verdammt“. Die deutsche Öffentlichkeit werde kein Verständnis dafür haben, wenn die deutschen Staatsrechtslehrer eine Persönlichkeit in ihre Reihen aufnähmen, „die in einem großen Lehrbuch für das Staatsrecht des Systems eintrat, das das _____________ 210

So aber Custodis (Anm. 14), 7. Günther (Anm. 3), 48. 212 Akten Fak, Ordner 478, Dekan (v. Mangoldt) an Rektor CAU, 24.7.1945: „Für die Aufnahme des Lehrbetriebes wäre seine Anwesenheit dringend erforderlich.“ In dem Brief heißt es: „Für die Professoren Dr. Harald Fick und Hans Brandt beabsichtige ich den gleichen Antrag zu stellen, sobald ich im Besitz ihrer Anschriften bin.“ 213 In einem Vermerk von 1949 schrieb v. Mangoldt, der Entnazifizierungsausschuss habe die beanstandeten Schriften von Larenz genau geprüft. „Zweifellos sei eine ganze Reihe zu beanstandender Stellen in den Schriften enthalten. Der Entnazifizierungsausschuss habe in voller Kenntnis der Schrift in [sic] die Ersteinstufung in die Gruppe V vorgenommen.“ LASH 47, Nr. 6773, Vermerk v. Mangoldt, 31.10.1949, zit. nach Wiener (Anm. 154), 240. Eine Protektion des Musikwissenschaftlers Friedrich Blume durch v. Mangoldt vermutet offenbar auch Custodis (Anm. 14), 7f. 214 LASH, Abt. 47, Nr. 9821, Rektor (v. Mangoldt) an den Oberlandesgerichtspräsidenten, 18.11.1947. 211

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ganze schwere Unglück der letzten Jahre über uns brachte und vor allem durch seine Rechtlosigkeit ausgezeichnet war“.215 Von Hermann v. Mangoldts völkerrechtlichem Denken ging ebenfalls kein wirklicher Neubeginn aus. In seiner Auseinandersetzung mit den Kriegszielen der als „Vereinte Nationen“ bezeichneten Anti-Hitler-Koalition interpretiert er das nach dem Krieg angewendete Völkerrecht als ein Völkerrecht der Kriegsgegner Deutschlands und identifiziert eine „Sonderbehandlung“ Deutschlands, die unter Berufung auf die Geltung der Menschenrechte der deutschen Bevölkerung eben diese grundlegenden Menschenrechte vorenthalte.216 In einer Untersuchung zum juristischen Umgang mit den Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs, die nach eigenen Angaben bereits im Mai 1945 fertiggestellt worden war, aber erst 1948 veröffentlicht wurde, positionierte er sich als scharfer Kritiker der Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher.217 Die Verbrechen seien an dem zu Beginn des Krieges geltenden Völkerrecht zu messen, wonach lediglich die Schuld im Krieg zu ahnden sei, nicht aber die Schuld am Krieg.218 Der Weltkrieg habe so komplexe Ursachen, dass die Verantwortung nicht einseitig festgestellt werden könne. Eine strafrechtliche Verantwortung könne nur für Staaten gelten (wenn sie das Kriegsvölkerrecht anerkennen), nicht jedoch für Staatsoberhäupter oder einzelne Verantwortungsträger – erst recht nicht vor „fremden“ Gerichten.219 Für die Strafverfolgung bedürfe es zudem klarer und zum Zeitpunkt der Tat bekannter und anerkannter Rechtsgrundlagen – mit diesem Argument zog er die Legitimität der Nürnberger Prozesse grundsätzlich in Zweifel.220 Selbstverständlich: v. Mangoldt befand sich mit seiner Argumentation in bester Gesellschaft, denn sie entsprach weitgehend dem, was zur Verteidigung der Kriegsverbrecher in Nürnberg vorgetragen wurde und auch im deutschen Schrifttum der Zeit vertreten wurde.221 Ein Gespür für den Zivilisationsbruch, auch für die problematische Rolle des eigenen Faches bei der (sogar noch nachträglich erfolgten) rechtlichen Relativierung des verbrecherischen Handelns von

_____________ 215

BA N 1156, v. Mangoldt an Walter Jellinek, 14.6.1950, zit. nach Rohlfs (Anm. 10), 128. Hermann v. Mangoldt, Die Kriegsziele der Vereinten Nationen und das Völkerrecht der Nachkriegszeit im Spiegel amtlicher und offiziöser Äusserungen aus der Kriegszeit, Hamburg 1948. 217 Hermann v. Mangoldt, Das Kriegsverbrechen und seine Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart. Eine völkerrechtliche Studie, Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht 1 (1948), 283–334. 218 Vgl. ebd., 288. 219 Vgl. ebd., 291. 220 Vgl. ebd., 309f. 221 Vgl. Annette Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert, Göttingen 2016, 144–158. 216

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deutscher Politik und Wehrmacht im Krieg ist in den Beiträgen v. Mangoldts in den Jahren nach 1945 aber nur mit großer Mühe zu erkennen. Hermann v. Mangoldt starb am 24. Februar 1953 in Kiel. Er hinterließ seine zweite Ehefrau, die er nach der Scheidung von der ersten Gattin 1949 geheiratet hatte, und zwei Söhne.

Georg Dahm (1904–1963). Vom völkischen Recht zum Völkerrecht Von Rudolf Meyer-Pritzl Die Renaissance der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist eng mit dem Namen Georg Dahm verbunden. Seine systematische Darstellung des Völkerrechts in drei Bänden (1958, 1960, 1961) sichert ihm einen bedeutenden Platz nicht nur in der Kieler Völkerrechtsgeschichte. Michael Stolleis bezeichnet Dahms Werk als „eine erstaunlich innovative Leistung für einen Autor, der zur Avantgarde der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft gehörte, sich dann intensiv historischen Fragen zugewandt hatte und nun in fachlich untadeliger Weise ein ganz neues Gebiet betrat“.1

A. Von der „Volksgemeinschaft“ zur „internationalen Gemeinschaft der Völker“ Die Hinwendung Dahms gerade zum Völkerrecht überrascht, wenn man sich vor Augen führt, wie sehr seine Forschungen während der NS-Zeit nicht die internationale Völker-, sondern die nationale Volksgemeinschaft fokussierten. Die von ihm angestrebte „wirkliche Erneuerung der deutschen Rechtswissenschaft“ sollte auf der Grundlage der Volksgemeinschaft erfolgen.2 So beschwor Dahm auch in seiner programmatischen Rede, die er anlässlich der Rektoratsübernahme am 10. April 1935 in Kiel hielt, „die lebendige Gemeinschaft“, ein „völkisches Gemeinschaftsrecht“ und den „völkische[n] Staat“.3 Er postulierte ein „Gemeinschaftsstrafrecht“: „Rasseverrat“ war für ihn „Volksverrat, weil er die blutmäßigen Grundlagen der Gemeinschaft erschüttert“. Begegne sich – wie bei den Sittlichkeitsdelikten – „der Gesichtspunkt der Treupflichtverletzung […] mit dem der rassischen und biologischen Entartung“, habe dies „die Ausstoßung aus der Gemeinschaft zur Folge“. Und schließlich stellte er zwischen dem Gesetz und _____________ 1 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 4, München 2012, 206. 2 Georg Dahm, Gemeinschaft und Strafrecht, Hamburg 1935, 5. 3 Diese und die in diesem Absatz folgenden Zitate stammen aus: Dahm (Anm. 2), 8, 11, 12, 14, 15 und 17.

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der – auf der Rasse beruhenden – Gemeinschaft folgenden Zusammenhang her: „Aber das Gesetz ist für uns nicht mehr der tote Buchstabe, sondern selbst Ausdruck eines bluthaften Gemeinschaftsdenkens“. Von alledem war bei Dahm nach 1945 nicht mehr die Rede. Er widmete sich in seinen Publikationen nicht mehr der Volksgemeinschaft, sondern der internationalen Gemeinschaft der Völker. Sein Völkerrechtslehrbuch beginnt mit folgender Definition: Das Völkerrecht ist die Ordnung der internationalen Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, die sich über den Staaten und Völkern erhebt und sie mit einander verbindet. Sie wächst heute in einer immer mehr schrumpfenden Welt immer enger zusammen und beginnt allmählich Gestalt anzunehmen. Damit gewinnt auch das VR als die Rechtsordnung dieser Gemeinschaft an Umfang, Gehalt und Bedeutung.4

Ziel dieses Beitrages ist es, aus der Sicht des Rechtshistorikers den Gründen für die Hinwendung Dahms zum Völkerrecht genauer nachzugehen. Dies ist nur im Kontext der Biographie Dahms möglich. Daher soll sein Lebensweg nachgezeichnet und auf diese Weise verdeutlicht werden, wie Dahm zu einem der bekanntesten deutschen Völkerrechtler der Nachkriegszeit wurde. In Dahms Vita5 spiegeln sich deutlich die Zäsuren der politischen Entwicklung Deutschlands im 20. Jahrhundert wider: Der Anfang der akademischen Laufbahn stand ganz im Zeichen seines Lehrers Gustav Radbruch, der einer der Repräsentanten der Weimarer Republik war. Noch vor 1933 bekannte sich Dahm zu einem autoritären Strafrecht. Ab 1933 gehörte er an den Universitäten in Kiel, Leipzig und Straßburg zu den nationalsozialistischen Rechtserneuerern auf dem Gebiet des Strafrechts. Die exponierte Betätigung während der NS-Zeit erschwerte nach 1945 _____________ 4 Georg

Dahm, Völkerrecht, Bd. 1, Stuttgart 1958, 1. Eine Monographie über Dahm fehlt bisher. Die wichtigste Quelle (allerdings von einem langjährigen und engen Freund) findet sich bei: Friedrich Schaffstein, Erinnerungen an Georg Dahm, Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 7 (2005/2006), 173–198 (mit einer Vorbemerkung von Hans Hattenhauer). Weitere Hinweise zur Biographie enthalten (aus neuerer Zeit): Hans Hattenhauer, Georg Dahm und Gustav Radbruch, Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 6 (2004/2005), 311–336; Jörn Eckert, Georg Dahm (1904– 1963), in: Eckart Klein/Stefan Saar/Carola Schulze (Hrsg.), Zwischen Rechtsstaat und Diktatur. Deutsche Juristen im 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2006, 131–150; Susanne Lepsius, Die mittelalterliche italienische Stadt als „Utopie“. Eine Untersuchung am Beispiel von Hermann U. Kantorowicz, Georg Dahm und Woldemar Engelmann, in: Stadt – Gemeinde – Genossenschaft. Festschrift für Gerhard Dilcher zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, 389–455; Herwig Schäfer, Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944, Tübingen 1999, 71ff., 149ff., 244f. – Eine (nicht vollständige) Übersicht der Publikationen Dahms findet sich bei: Jürgen Regge/Werner Schubert (Hrsg.), Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, II. Abt., Bd. 2, 1. Teil, Berlin/New York 1988, XXf. – Weiter sind zu nennen: Georg Dahm – Reden zu seinem Gedächtnis, Kiel 1964; Herbert Krüger, Georg Dahm †, DÖV 1963, 692; Erich Döhring, Georg Dahm, in: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck 2 (1971), 119f. 5

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seine Rückkehr auf einen Lehrstuhl. Ein Lehrauftrag in Kiel (1950/51) und eine befristete Professur in Dacca im damaligen Ost-Pakistan (1951–1955) ebneten den Weg für die erneute Ernennung zum Professor auf Lebenszeit an der Christiana Albertina im Jahr 1955. Nun entwickelte sich das Völkerrecht zum Forschungsschwerpunkt Dahms.

B. Der „Meisterschüler“ Radbruchs:6 Dahms akademische Anfänge während der Weimarer Republik Georg Dahm, am 10. Januar 1904 in Altona geboren,7 nahm nach der Ostern 1922 am Christianeum in seiner Heimatstadt bestandenen Reifeprüfung im Sommer desselben Jahres das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Tübingen auf.8 Nach dem frühen Tod des Vaters 1923 wechselte er für die beiden folgenden Semester an die Universität Hamburg. Danach studierte er drei Semester in Kiel und bestand im Oktober 1925 das Referendarexamen am dortigen Oberlandesgericht. Die prägende Persönlichkeit in der Kieler Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät war in dieser Zeit Gustav Radbruch. Er war seit Oktober 1919 Ordinarius für Strafrecht, -prozess, Kriminalpolitik, Rechtsphilosophie und Völkerrecht in Kiel.9 Die Angliederung des Völkerrechts an das Strafrecht lag weniger in der Person Radbruchs oder in seinen damaligen Forschungsschwerpunkten begründet, sondern folgte der schon bei seinem Vorgänger Moritz Liepmann gewählten Denomination des Lehrstuhls („Strafrecht, Strafprozeß, Internationales Recht“).10 Die Verbindung zwischen Straf- und Völkerrecht findet sich am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich das Völkerrecht noch nicht als eigenständiges Fach etabliert hatte, häufiger.11 Tatsächlich auf beiden Gebieten geforscht hat gerade Franz v. Liszt, der Lehrer Liepmanns und Radbruchs. In _____________ 6 So Michael Gottschalk, Gustav Radbruchs Heidelberger Jahre 1926–1949, Diss. Kiel 1982, 64; Hattenhauer (Anm. 5), 311, 315. 7 Seine Eltern waren der Rechtsanwalt und Notar Adolf Dahm (3.11.1861 Mölln – 13.3.1923 Hamburg) und dessen Ehefrau Clara Dahm, geb. Lund (28.9.1869 Glückstadt – 12.7.1941 Altona), Döhring (Anm. 5), 119. 8 Die Angaben zur Herkunft und zum Studienverlauf folgen: Georg Dahm, Lebenslauf, in: Täterschaft und Teilnahme im Amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Breslau 1927 (Anhang) sowie Hattenhauer (Anm. 5), 315. 9 Friedrich Volbehr/Richard Weyl, Professoren der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 1665–1954, 4. Aufl. Kiel 1956, 40. 10 Volbehr/Weyl (Anm. 9), 38f. 11 Florian Herrmann, Das Standardwerk. Franz von Liszt und das Völkerrecht, BadenBaden 2001, 48ff.

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Kiel war es vor allem Theodor Niemeyer, der – eigentlich Professor für Römisches Recht – das Völkerrecht als eigenes Fach entfaltete.12 Radbruchs Kieler Jahre, von 1919 bis 1926, standen im Zeichen seiner politischen Tätigkeit.13 Sein persönlicher Einsatz für die Republik bei der Niederschlagung des Kapp-Putsches,14 bei dem er sein Leben riskiert hatte, prädestinierte ihn für höhere Aufgaben. So gehörte er zwischen 1920 und 1924 der SPD-Fraktion im Reichstag an, in den Jahren 1921 und 1923 war er für insgesamt knapp 17 Monate Reichsjustizminister. Er engagierte sich vor allem als Strafrechtsreformer und für den Schutz der jungen Weimarer Republik. Radbruch sah sich jedoch „als eine mehr kontemplative als aktive Natur“ und wandte sich daher „ganz bewusst von der Politik als Haupttätigkeit wieder der Wissenschaft“ als Hauptberuf zu.15 1924 nahm er in Kiel seine Lehrveranstaltungen zum Strafrecht, darunter im Wintersemester 1924/25 eine „Besprechung über den Entwurf eines Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches, montags 7–8 Uhr, privatissime und gratis“,16 sowie zur Rechtsphilosophie wieder auf. Im Amtsjahr 1926 war er Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät.17 Im April dieses Jahres nahm er an der Tagung der „deutscher Universitätslehrer über Stellung und Aufgaben der deutschen Universitäten im heutigen öffentlichen Leben“ in Weimar teil und wies dort die Idee einer politischen Universität, die sich in den Dienst einer nationalistischen Ideologie stellte, entschieden zurück: Die Universität ist keine nationalpolitische Kraftzelle, keine Führerschule, sondern ganz einfach Erkenntnis- und Lehranstalt im Dienste ausschließlich der Denk- und Wissenskultur, nicht der Gesinnungspflege, – und doch nicht ohne Wirkung auf die

_____________ 12 Andreas v. Arnauld/Jens T. Theilen, Theodor Niemeyer (1857–1939). Ein Leben in sechs Rollenbildern und einem Epilog, in diesem Band; Rudolf Meyer-Pritzl, Theodor Niemeyer (1857–1939). Vom Römischen Recht zum internationalen Recht, Christiana Albertina 79 (2014), 82–94. 13 Dazu ausführlich: Gustav Radbruch, Der innere Weg. Aufriß meines Lebens, Stuttgart 1951, 131ff.; Holger Otte, Gustav Radbruchs Kieler Jahre 1919–1926, Frankfurt/Main 1982. 14 Dazu: Gustav Radbruch, Kapp-Putsch in Kiel, 1920, in: Gesamtausgabe, Bd. 16: Biographische Schriften, Heidelberg 1988, 298–312. – Radbruch war sich nicht zu schade für die harte politische Arbeit an der Basis: „[…] aber ich habe […] viele Wahlreden gehalten – und Wahlreden vor Schleswig-Holsteinern sind anstrengend und schweißtreibend wie Holzhacken, da man auf den wie in Holz geschnittenen Gesichtern der Zuhörer aber auch gar nichts von der Wirkung seiner Rede abzulesen vermag“, Radbruch (Anm. 13), 138. 15 Radbruch (Anm. 13), 182. 16 Christian-Albrechts-Universität, Vorlesungs-Verzeichnis für das Wintersemester 1924/25, Kiel 1924, 31. 17 Christian-Albrechts-Universität, Personal-Verzeichnis für das Wintersemester 1925/26 und Vorlesungs-Verzeichnis für das Sommersemester 1926, Kiel 1926, 3.

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Gesinnung. Die Wissenschaft lehrt den heiligen Zweifel. Die Wissenschaft lehrt, daß keine Welt- und Wertanschauung, keine Staatsauffassung und Parteiansicht beweisbar, keine widerlegbar ist.18

Dahm entwickelte sich schnell zu einem „Meisterschüler“ Radbruchs. Seine Dissertation behandelte das Thema „Täterschaft und Teilnahme im Amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs“ und betraf damit die Strafrechtsreform, die nach Radbruchs eigenen Worten während seiner Ministerzeit „im Mittelpunkt meines Interesses“ stand.19 Die Untersuchung Dahms hatte den Reformentwurf aus dem Jahr 1925 zum Gegenstand. Die Promotion wurde im März 1927 an der Universität Heidelberg vollzogen,20 an die Radbruch ein halbes Jahr zuvor gewechselt war. Dahm widmete seine Dissertation „Herrn Professor Dr. Gustav Radbruch“. Wie sehr Dahm „getreuer Schüler und Anhänger des damals in der linken Kriminalpolitik und Rechtsphilosophie führenden Sozialdemokraten Gustav Radbruch“21 war, dokumentiert sich nicht zuletzt in seinem Eintritt in die SPD.22 Die Referendarzeit absolvierte Dahm in Altona und Kiel; die Große Juristische Staatsprüfung bestand er 1929 in Berlin.23 Ein Jahr später habilitierte er sich in Heidelberg für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik mit einer rechtshistorischen Arbeit über „Das Strafrecht Italiens im ausgehenden Mittelalter“.24 Dies ist der erste internationale Bezug in Dahms Lebenslauf. Allerdings lässt sich daraus noch nicht ein besonderes Interesse für grenzüberschreitende Themen herleiten. Vielmehr dürfte die Themenstellung auf Hermann Kantorowicz,25 den Freund und Nachfolger Radbruchs auf dem Kieler strafrechtlichen _____________ 18 Gustav Radbruch, Drittes Referat, in: Wilhelm Kahl/Friedrich Meinecke/Gustav Radbruch, Die deutschen Universitäten und der heutige Staat. Referate auf der Weimarer Tagung deutscher Hochschullehrer am 23. und 24. April 1926 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Bd. 44), Tübingen 1926, 32–37 (34). 19 Radbruch (Anm. 13), 155. 20 Personalbogen Georg Dahm, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 21 Schaffstein (Anm. 5), 176. 22 Hattenhauer (Anm. 5), 314 (mit Hinweis auf den Personalbogen Dahm 1933, Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 1482); Lepsius (Anm. 5), 417 („jedenfalls nachgewiesen im Jahr 1928“). Im Catalogus Professorum Halensis (www.ca talogus-professorum-halensis.de) wird das Jahr 1925 genannt. Walther Schoenborn erwähnt in seiner Erklärung vom 19. Juli 1947, dass Dahm „m.W. zunächst der Sozialdemokratischen Partei nahegestanden hatte“, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 23 Georg Dahm, Lebenslauf vom 23. Oktober 1950, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 24 Die Einzelheiten des Habilitationsverfahrens schildert anschaulich: Hattenhauer (Anm. 5), 316ff. 25 Schaffstein (Anm. 5), 175; Hattenhauer (Anm. 5), 316.

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Lehrstuhl, zurückgehen. Auch der Untertitel „Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Theorie und Praxis im Strafrecht des Spätmittelalters, namentlich im XIV. Jahrhundert“ trägt klar die Handschrift von Kantorowicz.26 Kein Rechtshistoriker in Deutschland kannte sich damals besser mit dem mittelalterlichen Strafrecht in Italien aus als Kantorowicz, der sich mit einer grundlegenden Untersuchung über Albertus Gandinus, der am Ende des 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts an verschiedenen norditalienischen Städten als Richter fungierte, 1908 in Freiburg habilitiert und der in seiner Arbeit ebenfalls die Beziehungen zwischen Theorie und Praxis besonders fokussiert hatte.27 Die Betreuung durch Kantorowicz hebt Dahm im Vorwort ausdrücklich hervor: Vor allem habe ich Herrn Professor Kantorowicz in Kiel zu danken, der meinem Unternehmen von der ersten, noch unklaren Idee bis zum Abschluß das freundlichste Interesse entgegengebracht und mir zu jeder Zeit und in jeder Weise mit Rat und Hilfe zur Seite gestanden hat.28

Kantorowicz – und nicht etwa Radbruch – war dann auch der Erstgutachter im Rahmen des Heidelberger Habilitationsverfahrens.29 Dahm hat die Arbeit Eduard Fraenkel,30 der zwischen 1923 und 1928 einen Lehrstuhl für Klassische Philologie in Kiel innehatte und in dieser Zeit auch „Kurse zur Einführung in die Latinität der römischen Rechtsquellen für Juristen und Philologen“ anbot, gewidmet, und zwar als Dank für die „Hinlenkung auf geschichtliche Gegenstände und Zusammenhänge überhaupt und auf Italien im besonderen“.31 Fraenkel musste nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrieren und bekleidete _____________ 26 In einem Brief an Radbruch vom 20. November 1928 äußert Dahm aus Zeitgründen Bedenken, neben dem Statutenrecht „nun aber noch die ganze Theorie […] hinzuzunehmen und die Beziehungen zwischen ‚Theorie und Praxis‘ im einzelnen einer nicht ganz oberflächlichen Untersuchung zu unterziehen […]“, zitiert nach: Hattenhauer (Anm. 5), 327. 27 Hermann Kantorowicz, Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik, Bd. 1: Die Praxis, Berlin 1907. Der zweite Band (Die Theorie: Kritische Ausgabe des Tractatus de maleficiis) erschien erst 1926. – Zu Kantorowicz (18.11.1877 Posen – 12.2.1940 Cambridge): Karlheinz Muscheler, Hermann Ulrich Kantorowicz. Eine Biographie, Berlin 1984; Rudolf Meyer-Pritzl, Hermann Kantorowicz, Christiana Albertina, 65 (2007), 67–79; Leonie Breunung/Manfred Walther, Die Emigration deutschsprachiger Rechtswissenschaftler ab 1933, Bd. 1, Berlin/Boston 2012, 219ff. 28 Georg Dahm, Das Strafrecht Italiens im ausgehenden Mittelalter, Berlin/Leipzig 1931, VII. 29 Schreiben von Gustav Radbruch an den Dekan der Heidelberger Juristischen Fakultät vom 22. September 1930, zitiert nach: Hattenhauer (Anm. 5), 317. 30 Eduard Fraenkel (17.3.1888 Berlin – 5.2.1970 Oxford) dürfte Radbruch, der ihn 1935 in Oxford besuchte, in seiner Kieler Zeit kennengelernt haben, vgl. Brief von Gustav Radbruch an Ernst Levy vom 14. Mai 1935 aus Oxford, in: Gesamtausgabe, Bd. 18: Briefe II (1919–1949), Heidelberg 1995, 116. 31 Dahm (Anm. 28), VIII.

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zwischen 1935 und 1953 den Lehrstuhl für lateinische Philologie am Corpus Christi College in Oxford. Dahms 555 Seiten umfassende Habilitationsschrift erschien als dritter (und letzter) Band in der von Max Grünhut und Eberhard Schmidt herausgegebenen Reihe „Beiträge zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege“.32 Als Privatdozent übernahm Dahm die Vertretung seines Lehrers Radbruch während dessen Forschungssemester im Wintersemester 1931/32 in Heidelberg33 und im folgenden Sommersemester die Vertretung eines strafrechtlichen Lehrstuhls in Halle.34 Der Werdegang Dahms bis Anfang der dreißiger Jahre wies ihn als einen Schüler Radbruchs aus. Auf diese Verbindung scheint zunächst auch ein weiterer Akzent, den er in seiner akademischen Qualifikationsphase neben der Beschäftigung mit der Strafrechtsreform und der Strafrechtsgeschichte setzte, hinzudeuten, nämlich die Auseinandersetzung mit der „Zunahme der Richtermacht“. Für seine Heidelberger Antrittsvorlesung als Privatdozent wählte Dahm das Thema „Die Zunahme der Richtermacht im modernen Strafrecht“.35 Er griff diese Problematik auch wieder in dem Vortrag „Der Richter im modernen Strafrecht“36 am 15. Juni 1932 in Halle auf. Allerdings lassen sich in diesen Vorträgen auch schon Gedanken erkennen, die auf eine Lösung von den rechts- und kriminalpolitischen Thesen Radbruchs hinweisen. In einem Brief an Radbruch resümiert Dahm den Inhalt des Vortrages in Halle und schließt mit den Worten: „Ausblick: Ansätze einer neuen Staatsgesinnung sichtbar. Der Stillstand der sozialliberalen Reform

_____________ 32 Der zweite Band dieser Reihe enthält die Jenaer Dissertation über „Die Stellung des Strafrichters in den Gesetzen der französischen Revolutionszeit (1791–1810)“ von Reinhard Höhn. 33 Gottschalk (Anm. 6), 64. 34 Joachim Renzikowski, Hallische Strafrechtswissenschaft im Nationalsozialismus – ein Panoptikum, in: Heiner Lück/Armin Höland (Hrsg.), Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Nationalsozialismus, Halle 2011, 77–93 (83). – Im Februar 1932 habilitierte sich in Halle Wolfgang Siebert (11.4.1905 Meseritz – 25.11.1959 Heidelberg), der 1935 als außerordentlicher Professor nach Kiel berufen wurde und dort 1937/38 als Ordinarius tätig war, Volbehr/Weyl (Anm. 9), 46. Sieberts Dissertation behandelte den strafrechtlichen Besitzbegriff und erschien, wie Dahms Dissertation, in der Reihe „Strafrechtliche Abhandlungen“, Heft 235. 35 Georg Dahm, Die Zunahme der Richtermacht im modernen Strafrecht (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Bd. 78), Tübingen 1931, 23 Seiten. 36 Georg Dahm, Der Richter im modernen Strafrecht, in: 48. Jahrbuch der Gefängnisgesellschaft für die Provinz Sachsen und Anhalt 1932, 19-32. Siehe dazu auch: Brief von Georg Dahm an Gustav Radbruch vom 18. Juni 1932 aus Halle, abgedruckt bei: Hattenhauer (Anm. 5), 329f.

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Symptom der Wende auch i. Strafrecht.“37 Beide Vorträge behandeln die „Richterfreiheit im Zeichen von Vertrauenskrise und Kulturkrise“38 am Ende der Weimarer Republik. Dahm beschreibt, wie aus seiner Sicht Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld „im modernen Strafrecht die festen Konturen“ verlieren: „Überall Werturteile und Entscheidungen von Fall zu Fall statt eindeutig bestimmbarer Merkmale. Das feste Gerüst juristischer Begriffe, so könnte man fürchten, zerschmilzt in einen Wertbrei“.39 Er konstatiert „eine Umformung des Rechts, gekennzeichnet durch Entwertung des Gesetzes und Zunahme der Richtermacht.“40 Diese Entwicklung komme, so Dahm weiter, gerade auch in der Abwertung des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ zum Ausdruck.41 Dieser Leitgedanke sei „nur noch ein Schatten seiner selbst“: „Nur ganz von fern begrenzt er den Schauplatz, auf dem der Zweckgedanke sich entfaltet“.42 Die Bedeutung und Interpretation des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ sollte Dahm sein ganzes Leben über beschäftigen.

C. Der Bruch zwischen Radbruch und Dahm In der Endphase der Weimarer Republik näherte sich Dahm immer mehr dem völkischen Denken an. Insbesondere im Hinblick auf die von Radbruch mit so viel Leidenschaft verfolgte Strafrechtsreform entstanden nicht mehr zu überbrückende Gegensätze. Dabei dürfte auch die Verbindung zu Friedrich Schaffstein,43 den Dahm auf der Tagung der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Kri-

_____________ 37 Brief von Georg Dahm an Gustav Radbruch vom 18. Juni 1932 aus Halle, zit. nach: Hattenhauer (Anm. 5), 330. 38 Dahm (Anm. 35), 21. 39 Dahm (Anm. 35), 16. 40 Dahm (Anm. 36), 27. 41 Dahm (Anm. 36), 21ff. 42 Dahm (Anm. 26), 23. 43 Zu Friedrich Schaffstein (27.7.1905 Göttingen – 8.11.2001 Göttingen): Thomas Krause, Friedrich Schaffstein (1905–2001). Von der Strafrechtsgeschichte über die „Kieler Schule“ zum Jugendstrafrecht, in: 350 Jahre Kieler Rechtswissenschaftliche Fakultät, Tübingen 2017 (im Erscheinen); Horst Schüler-Springorum, Zur Erinnerung an Friedrich Schaffstein, DVJJ-Journal 2001, 442; Werner Beulke, In memoriam Friedrich Schaffstein, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 85 (2002), 81–83; Hans-Ludwig Schreiber, Nachruf Friedrich Schaffstein, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2003, Göttingen 2004, 338–341; Manfred Maiwald, Friedrich Schaffstein †, NJW 2002, 1250f.; ders., NDB 22 (2005), 541f.; Regge/Schubert (Anm. 5), XLf.; Schäfer (Anm. 5), 73f., 162ff., 250.

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minalistischen Vereinigung (IKV)44 im Herbst 1931 kennengelernt hatte, von Bedeutung gewesen sein. Schaffstein hatte sich 1930 in Göttingen mit einer Untersuchung über die „Allgemeinen Lehren vom Verbrechen in der Wissenschaft des gemeinen deutschen Strafrechts“ habilitiert.45 Den Kontakt zwischen den beiden Privatdozenten, die sich intensiv mit der Strafrechtsgeschichte beschäftigt hatten, stellte Max Grünhut46 her, der, wie Schaffstein es rückblickend formulierte, „meinte […], daß wir uns einander viel zu sagen hätten“.47 Tatsächlich entwickelte sich schnell eine enge Freundschaft, die bis zu Dahms Tod andauern sollte. Während einer gemeinsamen Reise nach Mittelitalien im Sommer 193248 entstanden der Plan und die ersten Ausarbeitungen für die Kampfschrift „Liberales oder autoritäres Strafrecht“, die im Herbst 1932 bereits druckfertig vorlag.49 Radbruch sprach 1948 von „der Broschüre zweier junger Privatdozenten […], die den Auftakt zu der nationalsozialistischen Strafrechtsentartung bildete“.50 Bereits vor dem Erscheinen der Schrift kam es auf der 25. Tagung der Deutschen Landesgruppe der IKV in Frankfurt im Herbst 1932 zum offenen Streit zwischen den Anhängern eines liberalen Strafrechts, für das gerade auch Radbruch stand, und dessen Kritikern, als deren Wortführer sich vor allem Dahm und Schaffstein betätigten.51 Der Bruch zwischen Radbruch und Dahm vollzog sich also öffentlich _____________ 44 Zur Geschichte der IKV und zu den Arbeiten der Deutschen Landesgruppe: Elisabeth Bellmann, Die Internationale Kriminalistische Vereinigung (1889–1933), Frankfurt/Main 1994. 45 Schaffstein (Anm. 5), 175. – Zu Schaffsteins akademischem Lehrer Robert v. Hippel (8.6.1866 Königsberg – 16.6.1951 Göttingen), der 1888 mit einer von Franz v. Liszt betreuten Dissertation in Marburg promoviert worden war und sich 1891 in Kiel als Schüler von August v. Kries mit einer Untersuchung über „Die Tierquälerei in der Strafgesetzgebung des In- und Auslandes“ habilitiert hatte: Günter Spendel, NDB 9 (1972), 201f.; Dieter Dölling, Robert von Hippel (1866–1951). Ein deutscher Strafrechtswissenschaftler im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Fritz Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, Göttingen 1987, 413–434. 46 Zu Max Grünhut (7.7.1893 Magdeburg – 6.2.1964 Oxford): Ulrike Fontaine, Max Grünhut (1893–1964). Leben und wissenschaftliches Wirken eines deutschen Strafrechtlers jüdischer Herkunft, Frankfurt/Main 1998; Breunung/Walther (Anm. 27), 182ff.; Roger Hood, Hermann Mannheim (1889–1974) and Max Grünhut (1893–1964), in: Jack Beatson/Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Jurists Uprooted. German-Speaking Emigré Lawyers in Twentieth Century Britain, 2004, 709–738, jeweils m.w.N. 47 Schaffstein (Anm. 5), 175. 48 Zu dieser Reise: Brief von Georg Dahm an Gustav Radbruch vom 9. April 1932 aus Florenz, abgedruckt bei: Hattenhauer (Anm. 5), 328f. 49 Schaffstein (Anm. 5), 176. 50 Gustav Radbruch, Justizkrise im Weimarer Staat, in: „Der Tagesspiegel“ vom 21. November 1948, 1f. (= Gesamtausgabe, Bd. 14: Staat und Verfassung, Heidelberg 2002, 163, 166). 51 Zu der Tagung der IKV: Mitteilungen der IKV 6, 1933, 4ff.; Gustav Radbruch, Die IKV. in Frankfurt a. M., Die Justiz 8 (1932), 58–64 (= Gesamtausgabe, Bd. 10: Strafvollzug,

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und war allgemein sichtbar. Während beim Kongress der IKV Schaffstein die Vorstellungen der jungen Kritiker präsentiert hatte,52 trug Dahm das Plädoyer für ein autoritäres Strafrecht am 8. Januar 1933 auf der Zusammenkunft der Strafrechtslehrer, die dem Thema „Liberales oder autoritäres Strafrecht?“ gewidmet war und ebenfalls in Frankfurt stattfand, vor.53 Zu einer direkten Konfrontation zwischen Radbruch und Dahm kam es nur zwei Wochen später bei einer Veranstaltung in der Handelshochschule Mannheim.54 In der ersten Juni-Hälfte erfolgte der endgültige Bruch. Radbruch warf Dahm in einem nicht überlieferten Brief „Anmaßung, parteipolitische Engstirnigkeit, Feigheit und Rassenfanatismus“ vor, wie sich aus dem Antwortschreiben Dahms vom 14. Juni 1933 ergibt.55 Über die Gründe, die Dahm veranlassten, sich zum Nationalsozialismus hinzuwenden, ist wenig bekannt. Schaffstein spricht in seinen Erinnerungen an Dahm von „einem sich seit langem anbahnenden Wandel“56 und führt zur politischen Einstellung der beiden Weggefährten aus: Dem Nationalsozialismus, der in der studentischen Jugend damals schon immer mehr Anhang fand, standen wir zunächst noch ganz fern. Vielmehr waren unsere politischen Sympathien den undeutlichen und politisch kaum organisierten ‚neokonservativen’ Tendenzen zugewandt, die etwa im ‚Tatkreis‘ (Kreis um die Herausgeber der Zeitschrift ‚Die Tat‘ Zehrer, Eschmann, Wirsing) und der volkskonservativen Abspaltung von der deutsch-nationalen Partei Hugenbergs ihren Ausdruck fanden. Hugenberg selbst lehnten wir als reaktionären Kapitalisten ebenso ab wie Hitler, der uns als vulgär und gewalttätig erschien. Wissenschaftlich-staatstheoretisch galt unser Interesse der Verfassungslehre Carl Schmitts und mehr noch der Integrationslehre Rudolf Smends, die uns auch für die Strafzwecklehre fruchtbare Ansätze zu bieten schien.57 _____________

Heidelberg 1994, 80–83); Max Grünhut, ZStW 52 (1932), 763–780; Klaus Marxen, Der Kampf gegen das liberale Strafrecht, Berlin 1975, 91–101; Hattenhauer (Anm. 5), 321f. 52 Friedrich Schaffstein, Die Fortführung der Strafrechtsreform, Diskussionsbeitrag, Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung 6 (1933), 181–189. 53 Georg Dahm, Autoritäres Strafrecht, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 24 (1933), 162–180. – Zu der Veranstaltung: Hans Dieter Freiherr v. Gemmingen, Liberales oder autoritäres Strafrecht? Zugleich ein Bericht über die Frankfurter Diskussion vom 8. Januar 1933, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 26 (1932/33), 497–510. 54 Dazu: Radbruch (Anm. 13), 184 („Bis zur letzten Stunde blieb ich auf dem Schlachtfeld, besonders in einem strafrechtspolitischen Rededuell in Mannheim mit meinem Schüler Dahm, der sich den neuen Göttern zugewandt hatte.“) sowie Gottschalk (Anm. 6), 64 und Hattenhauer (Anm. 5), 322 (mit dem Hinweis auf einen Bericht aus dem „Mannheimer Tageblatt“ vom 23. Januar 1933). 55 Das Antwortschreiben ist vollständig abgedruckt bei: Hattenhauer (Anm. 5), 332. Zu dem Briefwechsel im Juni 1933: Hattenhauer (Anm. 5), 323f.; Gottschalk (Anm. 6), 64ff. 56 Schaffstein (Anm. 5), 183. 57 Schaffstein (Anm. 5), 176.

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Wolfgang Naucke58 erinnert sich wie folgt an Gespräche mit Dahm Anfang der sechziger Jahre in Kiel über dessen Verhältnis zum Nationalsozialismus: In zurückhaltenden Ausdrücken machte Dahm darauf aufmerksam, daß die strafrechtswissenschaftliche Produktion vieler Angehöriger seiner Generation in und nach dem NS-Regime einer Untersuchung bedürften [sic]; aber es sei dafür zu früh. Dahm meinte, meine Generation könne nicht begreifen, was seine Generation am Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts juristisch erlebt habe: eine tiefe Demokratiemüdigkeit, ein Verzweifeln daran, daß im Strafrecht alles diskutierbar gewesen, aber nichts geschehen sei. Die Handlungsmöglichkeiten, die für junge Strafrechtswissenschaftler 1933 entstanden seien, hätten Langeweile und Blockaden beendet.59

Radbruch spricht in seinen Lebenserinnerungen von „meinem Schüler Dahm, der sich den neuen Göttern zugewandt hatte.“60 Er differenziert zwischen der nationalsozialistischen und der deutschnationalen Position, die sich dadurch unterschieden, dass „das nationalsozialistische Strafrechtsdenken an der rassenmäßig aufgefaßten Volksgemeinschaft orientiert ist, … [während] die deutschnationale Strafrechtsauffassung ganz auf die Autorität des Staates eingerichtet [ist]“, und attestiert Dahm und Schaffstein „eine weit geistigere Stellung und eine viel besonnenere Zurückhaltung als ihre nationalsozialistischen Gesinnungsverwandten“.61 Schon 1933 sprach er von den „nicht ausdrücklich rechtsradikalen Privatdozenten Georg Dahm und Friedrich Schaffstein, deren strafrechtliches Reformprogramm (trotz des dagegen eingelegten Widerspruchs der Verfasser) deutschnationale Anschauungen widerspiegelt.“62 Außerdem erwähnte er in diesem Zusammenhang noch „Albrecht Erich Günther, der eine dritte Art autoritären Strafrechtsgedankens vertritt“. Günther, dessen Gedankengut der „Konservativen Revolution“ zuzurechnen ist,63 hatte übrigens zu dem von ihm 1932 herausgegebenen Traktat „Was wir _____________ 58 Wolfgang Naucke (geb. 8.6.1933 Carlsfeld/Kreis Bitterfeld) studierte zwischen 1952 und 1956 in Kiel und Lausanne, wurde 1957 mit einer von Hellmuth Mayer betreuten Dissertation promoviert und war von 1960 bis 1964 wissenschaftlicher Assistent am Kieler Kriminologischen Seminar. Nach der Habilitation in Kiel hatte er Lehrstühle in Kiel und Frankfurt/Main inne. 59 Wolfgang Naucke, in: Eric Hilgendorf (Hrsg.), Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen, Berlin/New York 2010, 415–446 (426). 60 Radbruch (Anm. 13), 184. 61 Radbruch (Anm. 5), 235. – Siehe auch: Hugo Marx, Autoritäres Strafrecht oder die Wiederkehr des Gleichen, Die Justiz 8 (1933), 239–248. Der Beitrag erschien in dem Doppelheft 5/6 (Februar/März 1933) der „Justiz“, der Zeitschrift des Republikanischen Richterbundes, die mit dem schmalen Heft 7 (April 1933) ihr Erscheinen einstellen musste. Zu Hugo Marx (27.6.1892 Heidelberg – 15.9.1979 Basel): ders., Werdegang eines jüdischen Staatsanwalts und Richters, Villingen 1965. 62 Gustav Radbruch, Autoritäres oder soziales Strafrecht?, in: Gesellschaft, Bd. 10 (Heft 3, erschienen im März 1933) (= Gesamtausgabe, Bd. 8: Strafrecht II, Heidelberg 1998, 226, 232); dazu: Marxen (Anm. 51), 103. 63 Marxen (Anm. 51), 153ff.

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vom Nationalsozialismus erwarten“ einen Beitrag über „Liberale und autoritäre Strafrechtsreform“ beigesteuert.64 Schaffstein rechnete Dahm und sich selbst zu den „Jungkonservativen“.65 Möglicherweise hat Günthers Formel Dahm und Schaffstein zur Wahl des Titels ihrer Schrift angeregt. Als Radbruch den Bruch mit Dahm vollzog, war der ehemalige Reichsjustizminister und engagierte Sozialdemokrat, mit 54 Jahren auf dem Zenit seiner Schaffenskraft, von den Nationalsozialisten bereits entlassen worden, während sein gerade erst 29-jähriger Schüler am 19. April 1933 zunächst als Lehrstuhlvertreter nach Kiel berufen worden war. Mit Wirkung zum 1. August 1933 übernahm er den Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozess, Zivilprozess und Kriminalpolitik, den zuvor – jeweils mit unterschiedlichen Denominationen – Moritz Liepmann, Dahms Lehrer Gustav Radbruch und zuletzt der von den Nationalsozialisten vertriebene Hermann Kantorowicz, der Mentor von Dahms strafrechtshistorischen Forschungen, bekleidet hatten. Dass sich Dahm in die Dienste eines Regimes stellte, das alle Professoren, denen er seine Qualifikationsschriften gewidmet oder denen er darin zumindest gedankt hat, entlassen hatte, ist schwer nachzuvollziehen. Offenbar ging er davon aus, dass sich das gute persönliche Verhältnis zu Radbruch trotz der grundlegenden Veränderungen fortsetzen lassen werde.66 Im Zuge der Gleichschaltung der Kieler Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wurden nahezu alle juristischen und etliche der wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstühle neu besetzt. Bereits zum Sommersemester 1933 wurden neben Georg Dahm auch Karl Larenz, Ernst Rudolf Huber und der Ökonom Jens Jessen mit Lehrstuhlvertretungen an der Fakultät betraut. Damit formten sie „eine sehr junge Fakultät, die an der Spitze der damaligen Bemühungen um ‚Rechtserneuerung‘ stand.“67 Sie sollten eine nationalsozialistische „Stoßtruppfakultät“ bilden und verstanden sich auch selbst als „Stoßtrupp“.68 Carl Schmitt betonte in einem _____________ 64 Albrecht Erich Günther, Liberale und autoritäre Strafrechtsreform, in: ders. (Hrsg.), Was wir vom Nationalsozialismus erwarten. Zwanzig Antworten, Heilbronn 1932, 100– 113. In der von Günther (8.1.1893, Langenburg – 29.12.1942, Hamburg) herausgegebenen Schrift finden sich Beiträge u.a. von Albert Mirgeler, Heinrich Forsthoff, Wilhelm Grewe, Gustav Steinbömer, Hanns Johst und Wilhelm Stapel. 65 Schaffstein (Anm. 5), 183. 66 Brief von Georg Dahm an Gustav Radbruch vom 5. Mai 1933, abgedruckt bei: Hattenhauer (Anm. 5), 330f. Der Brief endet mit einem Hilfsangebot: „Vor allem aber nehmen Sie mich bitte in Anspruch, wenn Sie das Gefühl haben, dass ich Ihnen oder Ihren Kindern irgendwie helfen kann.“ 67 Ernst Rudolf Huber, Lebensbericht 1961/62, in: Ewald Grothe (Hrsg.), Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber, Briefwechsel 1926–1981, Berlin 2014, 556, 565. 68 Rudolf Meyer-Pritzl, Die Kieler Rechts- und Staatswissenschaften. Eine „Stoßtruppfakultät“, in: Christoph Cornelißen/Carsten Mish (Hrsg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus, Essen 2009, 151–173.

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Brief an seinen Schüler Ernst Rudolf Huber vom 29. Oktober 1933 ausdrücklich die Zugehörigkeit Dahms und Schaffsteins „zu unserem Stoßtrupp“.69 Die neue Zusammensetzung der Kieler Fakultät wurde vom Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (ab 1934: Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung) gesteuert. Maßgeblichen Einfluss hatten Johann Daniel Achelis und der Kieler Bankierssohn Wilhelm Ahlmann, den Stolleis als Gründer der Kieler Gruppe bezeichnet.70 Ahlmann soll mit den neuberufenen Professoren Gespräche im Ministerium geführt haben, in denen er ihnen ihre Aufgaben näher umriss. So soll er Schaffstein und Dahm nahegelegt haben, „daß es jetzt darauf ankomme, trotz begreiflicher etwaiger Vorbehalte gegen das neue Regime Einfluß darauf zu gewinnen und es zu einer vernünftigen Kriminalpolitik zu bewegen.“71 Achelis und Ahlmann stammten, wie auch andere nach der Machtergreifung in das Ministerium berufene Referenten, aus dem Umkreis des zunächst in Kiel, ab 1925 in Leipzig tätigen Soziologen Hans Freyer, der der „Konservativen Revolution“ zugerechnet wird und 1931 eine „Revolution von rechts“ propagierte.72 Ahlmann war mit Jens Jessen und dem preußischen Finanzminister Johannes Popitz befreundet.73 Popitz wiederum tauschte sich immer wieder mit Carl Schmitt aus.74 Carl Schmitt ging es darum, seinen Schüler Ernst Rudolf Huber in Kiel zu plazieren und über ihn auch Einfluss auf die neu zusammengesetzte Fakultät zu gewinnen.75 So tauschte er sich in seinen Briefen _____________ 69 Brief von Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber vom 28. Oktober 1933, abgedruckt in: Ewald Grothe (Hrsg.), Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber, Briefwechsel 1926–1981, Berlin 2014, 154. Huber spricht in seinem Brief an Schmitt vom 21. November 1933 von einem „kleinen Stoßtrupp“ und nennt in diesem Zusammenhang zuerst Dahm, Lange und Ritterbusch, a.a.O., 160. 70 Stolleis (Anm. 1), 281. Zu den Netzwerken, die an der Entstehung der „Kieler Schule” beteiligt waren: Meyer-Pritzl (Anm. 69), 160ff., dort auch weitere Hinweise zu Johann Daniel Achelis und Wilhelm Ahlmann. 71 Schaffstein (Anm. 5), 179. 72 Hans Freyer, Revolution von rechts, Jena 1931. – Zu Hans Freyer (31.7.1887 Leipzig – 18.1.1969 Ebersteinburg): Jerry Muller, The Other God That Failed. Hans Freyer and the Deradicalisation of German Conservatism, Princeton 1987; Elfriede Üner, Soziologie als „geistige Bewegung”. Hans Freyers System der Soziologie und die „Leipziger Schule”, Weinheim 1992. 73 Johann Daniel Achelis, Wilhelm Ahlmann, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann. Ein Gedenkbuch, Berlin 1951, XII (zur Freundschaft mit Jessen); Regina Schlüter-Ahrens, Der Volkswirt Jens Jessen. Leben und Werk, Marburg 2001, 45 (zur Freundschaft mit Popitz und Jessen). 74 Lutz-Arwed Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt. Zur wirtschaftlichen Theorie des totalen Staates in Deutschland, München 1972. 75 Schaffstein (Anm. 5), 188. Über ein entsprechendes Gespräch mit Ahlmann berichtet auch Karl Larenz in mehreren Briefen: Brief an Karl Dietrich Erdmann (ohne Datum), zitiert in: Karl Dietrich Erdmann, Wissenschaft im Dritten Reich, Kiel 1967, 24 Anm. 18;

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mit Huber über dessen neue Kollegen aus. Huber versicherte Schmitt: „Dahm ist unbedingt zuverlässig; ich glaube, zuverlässiger als Schaffstein, der zwar temperamentvoller, aber auch leichter beeinflußbar ist.“76 Und Schmitt stellte eine Mitarbeit in der Akademie für Deutsches Recht in Aussicht: „Ich habe vor, Sie und Dahm und Schaffstein in besonderem Maße für die Arbeit der deutschen Akademie heranzuziehen […].“77

D. Im Dienst der nationalsozialistischen „Rechtserneuerung“ Dahm gehörte von 1933 bis 1939 der Kieler „Stoßtruppfakultät“ an, zwischen 1935 und 1937 stand er als Rektor an der Spitze der gesamten Christian-AlbrechtsUniversität.78 Im März 1939 wechselte er nach Leipzig,79 im Juni 1941 an die Reichsuniversität Straßburg, die am 23. November desselben Jahres mit einem Festakt eröffnet wurde.80 Dort übernahm er das Amt des Prorektors. Neben Dahm wurden mit Friedrich Schaffstein, Ernst Rudolf Huber, Arthur Nikisch und Gerhard Dulckeit sowie dem Wirtschaftswissenschaftler Gerhard Mackenroth fünf weitere Professoren, die sich bereits aus Kiel kannten, nach Straßburg berufen. Während seiner Tätigkeit an der Universität Straßburg fungierte Dahm als Richter an einem Sondergericht.81 Genauere Informationen zu dieser Tätigkeit ließen sich bisher nicht ermitteln. Bereits vor der Eroberung Straßburgs durch die alliierten Truppen am 23. November 1944 war Dahm zur Wahrnehmung eines Lehrauftrages im Wintersemester 1944/45 an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin abgeordnet worden.82 Während der NS-Zeit betätigte sich Dahm vorrangig auf dem Gebiet der Rechtserneuerung im nationalsozialistischen Sinn, wobei er einer der führenden _____________

Brief an Ralf Dreier vom 15. Februar 1987, JZ 1993, 455f.; Brief an Hermann von Braunbehrens vom 12. Februar 1984, in: Walter Asmus, Richard Kroner (1884–1974), Frankfurt/Main 1990, 70f. 76 Brief von Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vom 21. November 1933, abgedruckt in: Briefwechsel Schmitt – Huber (Anm. 67), 160. 77 Brief von Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber vom 14. Dezember 1933, abgedruckt in: Briefwechsel Schmitt – Huber (Anm. 67), 164. 78 Carsten Mish, „Führer der Universität“. Die Kieler Rektoren in der NS-Zeit, in: Cornelißen/Mish (Anm. 68), 33–55, insbes. 42 ff. 79 Zu den Bemühungen der Leipziger Fakultät, Dahm bereits 1933 zu berufen: Christina Wiener, Kieler Fakultät und ‚Kieler Schule‘.Die Rechtslehrer an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zu Kiel in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung, Baden-Baden 2013, 72f. 80 Schäfer (Anm. 5), 58. 81 Schaffstein (Anm. 5), 193. 82 Schäfer (Anm. 5), 244.

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Strafrechtler war. Daneben galt sein Interesse der Rechtsgeschichte, mit der er sich vor allem in den Kriegsjahren wieder beschäftigte. Eine Hinwendung zum Völkerrecht ist in dieser Zeit auch nicht in Ansätzen zu erkennen. Dahm machte sich 1933 sogleich daran, das von ihm und Schaffstein entworfene Programm eines autoritären Strafrechts umzusetzen. Dazu hatte er nicht nur als Professor Gelegenheit, sondern auch als Mitglied der Amtlichen Strafrechtskommission, der Kommission für Strafprozessrecht sowie der Akademie für Deutsches Recht. Der Strafrechtskommission, die vom 3. November 1933 bis zum 31. Oktober 1936 in 107 Sitzungen zumeist im Reichsjustizministerium in Berlin zusammenkam, gehörten Vertreter des Ministeriums (Minister Franz Gürtner, Staatssekretär Franz Schlegelberger, der persönliche Referent und später als Widerstandskämpfer hingerichtete Hans v. Dohnanyi83 u.a.), des Preußischen Justizministeriums (Hanns Kerrl, Roland Freisler u.a.), mehrere Praktiker und zunächst fünf Professoren an.84 In der Akademie für Deutsches Recht wirkte Dahm im Polizeirechtsausschuss mit, dem u.a auch Werner Best, Reinhard Höhn, Arthur Nebe, Heinrich Müller und Paul Ritterbusch angehörten.85 Dieser Ausschuss trat offenbar nur wenige Male zusammen.86 Dahm hat sich während der NS-Zeit immer wieder klar zum Nationalsozialismus bekannt. Er wurde im Mai 1933 Mitglied der NSDAP, im November 1933 der SA.87 Als Rektor setzte er sich – ganz anders als sein Lehrer Radbruch – für eine „politische Universität“ ein, für eine „völkische Wissenschaft“ und in diesem Sinn „für die Zukunft der deutschen Hochschule in einem erneuerten völkischen Staat“.88 Dahm war der Auffassung, dass „an einer politischen Universität wie Kiel auch ohne formale Bestimmungen des Ministeriums Juden doch wohl kaum zum Doktorexamen zugelassen werden könnten.“89 Als Mitglied der Zentralen Suspensionskommission der Studienstiftung des deutschen Volkes forderte er, „vollständige Gesundheit und biologisch einwandfreies Erbgut […] Stärke und Klarheit des Charakters in einer soldatischen Persönlichkeit“ als Voraussetzungen für eine Förderung und fuhr fort: „Wer diesem Staate feindlich oder gleichgültig gegenübersteht, kann nicht Mitglied der Studienstiftung sein. Das _____________ 83

Nach Schaffstein (Anm. 5), 185ff., hatten sich Dahm und v. Dohnanyi angefreundet. Anwesenheitsliste bei der Eröffnungssitzung der Strafrechtskommission vom 3. November 1933, in: Protokolle der Sitzungen der Strafrechtskommission, 1. Sitzung, 3. 85 Werner Schubert, Einleitung, in: Akademie für Deutsches Recht 1933–1945. Protokolle der Ausschüsse, Bd. VIII, Frankfurt/Main 1999, LIff. 86 Schubert (Anm. 85), XXXIVff. 87 Lepsius (Anm. 5), 417. 88 Georg Dahm, Kiel als politische Universität, Schleswig-Holsteinische Hochschulblätter 1935, 1 und 2. 89 Schreiben des Rektors Georg Dahm an den Dekan der Philosophischen Fakultät Theodor Menzel, LAS Abt. 47, 1570 Nr. 230, zitiert nach: Matthias Wieben, Studenten der Christian-Albrechts-Universität im Dritten Reich, Frankfurt/Main 1994, 80. 84

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gilt ebenso für den internationalen Sozialisten und Marxisten wie für den Reaktionär und den liberalen Individualisten.“90 Mehrere strafrechtliche Beiträge – wie etwa die einleitend erwähnte Rektoratsrede oder die Schrift „Nationalsozialistisches und faschistisches Strafrecht“ (1935) – lehnen sich sehr eng an die NSIdeologie an. In einem anderen Aufsatz verwahrte sich Dahm nachdrücklich dagegen, dass die von Schaffstein und ihm vertretene strafrechtliche Richtung von einigen Kritikern „auf die Lehren eines jüdischen Philosophen zurückgeführt wird“.91 Zu den insgesamt nur sechs Promotionen, die Dahm während der dreißiger Jahre in Kiel betreut hat, zählt auch die von NS-Ideologie durchtränkte, 1935 veröffentlichte Dissertation „Darstellung u. geistesgeschichtliche Deutung der neuen Strömungen in der Kriminalpolitik und die Überwindung des Schulenstreits. [Die Zweckbestimmung der Strafe im Dritten Reich]“, gewidmet „Meinem Gauleiter, Reichsstatthalter Carl Röver“, von Henry Picker, seit 1. April 1930 Mitglied der NSDAP und später vor allem als Protokollführer der Tischgespräche Hitlers bekannt geworden.92 Die von Dahm während der NS-Zeit veröffentlichten Arbeiten betreffen in erster Linie die „Erneuerung“ des Strafrechts auf nationalsozialistischer Grundlage. Sein Augenmerk richtete sich dabei vor allem auf die Schaffung eines autoritären Strafrechts und auf eine Wiederbelebung eines Ehrenstrafrechts. Außerdem entwickelte er eine Lehre vom Verrat und später vor allem die Lehre vom normativen Tätertyp. Da eine eingehende Analyse der strafrechtlichen Untersuchungen, die an dieser Stelle aus Platzgründen auch gar nicht möglich wäre, für die Hinwendung Dahms zum Völkerrecht keinen Erkenntnisgewinn verspricht, ist hier darauf zu verzichten. Es sei auf die Untersuchungen verwiesen, die seine strafrechtlichen Schriften bereits unter verschiedenen Aspekten betrachtet

_____________ 90 Georg Dahm, Der Weg der Studienstiftung, in: Umschau in der Arbeit der studentischen Selbsthilfe-Arbeit Nr. 9, 1933, Nachdruck Dresden 1934, Bl. 32 und 27, zitiert nach: Rolf-Ulrich Kunze, Die Studienstiftung des deutschen Volkes seit 1925, Berlin 2001, 242f. – Dahm stellte in diesem Zusammenhang fest, dass manchmal „von einer marxistisch-sozialistischen Einstellung eher Verbindungswege zum Nationalsozialismus [führen als] etwa vom demokratischen Pazifismus und vom bürgerlichen Liberalismus“, ebd., Bl. 28, zitiert nach: Kunze, a.a.O., 243. 91 Georg Dahm, Der Methodenstreit in der heutigen Strafrechtswissenschaft, ZStW 57 (1938), 225–294 (285). Erich Schwinge und Leopold Zimmerl hatten der „Kieler Richtung“ vorgeworfen, ihre Lehren auf Edmund Husserls Phänomenologie zu stützen. Dazu: Marxen (Anm. 51), 236ff. 92 Zu Henry Picker (6.2.1912 Wilhelmshaven – 2.5.1988 Starnberg): Werner Delbanco, „Wer wie ich den Führer persönlich kennt, kann das Glück ermessen …“. Ein biographischer Abriss und ein Skandalon, in: Bernd Kasten/Matthias Manke/Johann P. Wurm (Hrsg.), Leder ist Brot. Festschrift für Andreas Röpcke, Schwerin 2011, 295–310.

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haben,93 wobei eine umfassende Auseinandersetzung mit Dahms strafrechtlichen Arbeiten bisher allerdings noch fehlt. Eine Verbindung zwischen Dahms Gedankenwelt vor 1933, während der NSZeit und in der Nachkriegszeit stellen seine Überlegungen zur Reichweite der Richtermacht dar. Auch insoweit fällt ab 1933 eine klare Positionierung im Sinne des Nationalsozialismus auf. Gemeinsam mit Karl August Eckhardt, Reinhard Höhn, Paul Ritterbusch und Wolfgang Siebert formulierte Dahm 1936 „Leitsätze über Stellung und Aufgaben des Richters“.94 Darin heißt es, dass der Richter „die konkrete völkische Gemeinschaftsordnung zu wahren, Schädlinge auszumerzen, gemeinschaftswidriges Verhalten zu ahnden und Streit unter den Gemeinschaftsgliedern zu schlichten“ habe. Grundlage der Auslegung aller Rechtsquellen sei „die nationalsozialistische Weltanschauung, wie sie insbesondere im Parteiprogramm und in den Äußerungen des Führers ihren Ausdruck findet.“ Klar wird die Bindung der Richter an die Entscheidungen des Führers ausgesprochen. Weiter heißt es: „Gesetzliche Bestimmungen, die vor der nationalsozialistischen Revolution erlassen sind, dürfen nicht angewandt werden, wenn ihre Anwendung dem heutigen gesunden Volksempfinden ins Gesicht schlagen würde.“ Schließlich wird gefordert, dass der Richter – in diesem Rahmen – „zur Erfüllung seiner Aufgaben in der Gemeinschaft“ unabhängig sein müsse. Die in diesen Leitsätzen zum Ausdruck kommende Bekämpfung elementarer rechtsstaatlicher Prinzipien manifestiert sich auch in Dahms Plädoyer für die Abschaffung des Grundsatzes „nullum crimen sine lege“ bzw. „nulla poena sine lege“, wie er in § 2 StGB und Art. 116 WRV verankert war. Bereits auf der 2. Sitzung der Strafrechtskommission am 27. November 1933 hatte Dahm als Berichterstatter zu diesem Thema ausführlich Stellung genommen. Er führte aus, dass die historischen Grundlagen aus der Zeit der Aufklärung und der Französischen Revolution, die zur Einführung dieses Prinzips geführt hätten, „heute zerstört“ seien.95 Es gebe nämlich „heute keine Willkürjustiz mehr wie in Frankreich während des 18. Jahrhunderts, so daß der unmittelbar praktische Anlaß zu einer Bindung des Richters entfallen ist“. Da der Staat „die völkische Gerechtigkeitsidee“ vertrete, sei „das Mißtrauen gegen den Staat sinnlos und damit auch der Satz nullum crimen sine lege, soweit er in diesem Mißtrauen begründet war“. Das Verbrechen sei „ein Angriff auf die Volksgemeinschaft, ein Verstoß gegen die _____________ 93 Vgl. vor allem die Dissertationen von Klaus Marxen, Der Kampf gegen das liberale Strafrecht, Berlin 1975; Jan Telp, Ausmerzung und Verrat. Zur Diskussion um Strafzwecke und Verbrechensbegriffe im Dritten Reich, Frankfurt/Main u.a. 1999; Benedikt Hartl, Das nationalsozialistische Willensstrafrecht, Berlin 2000; Berit Feldmüller-Bäuerle, Die strafrechtliche Kieler Schule, Hamburg 2010. 94 Deutsche Rechtswissenschaft 1 (1936), 123f. (dort auch die folgenden Zitate). 95 Hierzu und zum Folgenden: Georg Dahm, Bericht, in: Strafrechtskommission, 2. Sitzung am 27. November 1933, 2.

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lebendigen Grundlagen des völkischen Lebens“. Das Verbrechen sei daher „nicht ohne weiteres aus dem geschriebenen Gesetz erkennbar“. Vielmehr komme es auf „die völkische Grundlage“ des Gesetzes an, dass es nämlich „zum Schutze der Volksgemeinschaft, zur Abwehr volksgefährlicher und volksschädlicher Handlungen, aber auch volksgefährlicher und volksfeindlicher Personen geschaffen sei“. Später warf Dahm die Frage auf, „ob man nicht noch weitergehen und den Richter dem Gesetzgeber angleichen, d.h. ihn nach dem Vorbilde des Artikels I des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs ermächtigen soll, alle Lücken im Gesetz wie ein Gesetzgeber auszufüllen“.96 Diesen freirechtlichen Ansatz lehnte er jedoch ausdrücklich ab. Er betonte, dass „der neue deutsche Staat […] ein totaler und autoritärer Staat“ sei. Zwar gebe es in diesem „totalen Staat“ „keine Freiheitssphäre, keinen Privatbereich mehr, in den der Staat, die Volksgemeinschaft nicht eingreifen dürfen“, der Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft sei „wirklich aufgehoben“. Gleichwohl bleibe in der Volksgemeinschaft „um der Gemeinschaft willen Raum […] für die Entfaltung von Persönlichkeit und Selbstverantwortung“. Deshalb sei „gerade im totalen Staat eine gewisse Bindung der Staatsgewalt notwendig“. Klar sprach sich Dahm auch gegen das Rückwirkungsverbot aus.97 Er meinte, dass „die neue Rechtsanschauung, wie sie sich gerade jetzt in Deutschland entwickelt, auch die Beurteilung solcher Straftaten bestimmen müßte, die vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes begangen wird“. Eine Rückwirkung komme allerdings nur dann in Betracht, wenn die Tat zur Zeit ihrer Begehung der damaligen „gesunden Volksanschauung“ widersprochen habe. Dahm erkannte jedoch auch selbst, dass eine Anwendung dieses Maßstabes Schwierigkeiten bereiten werde. Diese Forderungen, die damals auch von anderen Professoren erhoben wurden und die auf die Beseitigung eines Grundpfeilers des liberalen Rechtsstaates abzielten, führten zur Änderung von § 2 StGB, der 1935 folgende Fassung erhielt: „Ist die Tat nicht ausdrücklich für strafbar erklärt, aber eine ähnliche Tat in einem Gesetz mit Strafe bedroht, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn der ihm zugrundeliegende Rechtsgedanke und die gesunde Volksanschauung Bestrafung fordern.“ Diese Reform gab der Diskussion über den Grundsatz „nulla poena sine lege“ eine völkerrechtliche Dimension: In der durch den Versailler Vertrag geschaffenen Freien Stadt Danzig, in der seit 1933 die Nationalsozialisten regierten, sollte sie sogleich übernommen werden. Die im Volkstag, dem Parlament Danzigs, noch vertretenen Sozialdemokraten, Zentrumsmitglieder und Angehörigen der _____________ 96 97

Dieses und die folgenden Zitate bei: Dahm (Anm. 95), 3. Hierzu und zum Folgenden: Dahm (Anm. 95), 6.

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Deutschnationalen Volkspartei richteten daraufhin eine Petition an den Hochkommissar, der den Völkerbundsrat in Genf einschaltete, der wiederum die Angelegenheit dem Internationalen Gerichtshof im Haag vorlegte. Die Freie Stadt Danzig wurde vor dem Gerichtshof von den beiden überzeugten Nationalsozialisten und Antisemiten Graf Gleispach98 und Friedrich Grimm (als Berater) vertreten. Der Gerichtshof stellte in einem Gutachten fest, dass die in Danzig beschlossenen Verordnungen zur Änderung des Strafrechts mit den rechtsstaatlichen Prinzipien der Danziger Verfassung aus dem Jahr 1920 unvereinbar seien. Er führte aus, dass das Prinzip „nulla poena sine lege“ zu diesen rechtsstaatlichen Grundsätzen gehöre: On peut aborder le problème de la repression de la criminalité de deux points de vue différents, celui de l’individu et celui de la communauté. La première manière de voir tend à protéger l’individu contre l’État: elle a trouvé son expression dans la maxime Nulla poena sine lege. La seconde tend à protéger la communauté contre le criminel: elle est fondée sur le concept Nullum crimen sine poena.99

Nach dieser Stellungnahme des Haager Gerichtshofes war es aus Sicht der nationalsozialistischen Strafrechtserneuerer umso wichtiger, auch auf dem internationalen Parkett für ihre Lehren zu werben. Dahm bot sich dazu 1937 die Gelegenheit. Das Thema „Beibehaltung oder Abschaffung des Grundsatzes: ‚Nulla poena sine lege‘“ stand in diesem Jahr auf dem Programm des II. Internationalen Kongresses für Rechtsvergleichung, der im Haag stattfand. Generalberichterstatter für das deutsche Recht war Dahm. Für den Ablauf der internationalen Tagung fand er kritische Worte, die eine Sympathie für das Völkerrecht noch nicht erkennen lassen. Man begebe sich, so Dahm, „in eine nicht immer erfreuliche Völkerbundsatmosphäre der Abstimmungen und inhaltlosen Entschließungen, die im allgemeinen sehr leicht zustande kommen, weil sie keine praktische Bedeutung haben“.100 Im Wesentlichen stellte Dahm die Gedanken vor, die er bereits im November 1933 in der Strafrechtskommission präsentiert hatte: „Mit der Abkehr von einer einseitig rationalen Betrachtung des Strafrechts“ vermöge „auch

_____________ 98 Zu Wenzeslaus Graf Gleispach (22.8.1876 Graz – 12.3.1944 Wien): Roland Graßberger, in: NDB 6 (1964), 451–452. Nach Anna-Maria Gräfin v. Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999, 258 Anm. 84, hatte die Berliner Fakultät 1941 Edmund Mezger und Georg Dahm pari passu für die Nachfolge Graf Gleispachs vorgeschlagen. 99 Internationaler Gerichtshof, Série A/B, Fascicule N° 65, Avis consultatif du 4 décembre 1935, 56f. 100 Georg Dahm, Richter und Gesetz auf dem Haager Kongreß für Rechtsvergleichung, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 4 (1937), 737–740 (740).

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die kriminalpolitische Rechtfertigung des Satzes nullum crimen sine lege heute nicht mehr zu überzeugen“.101 Sehe man den Ursprung allen Rechts im Volke […], dann kann das Gesetz nicht die letzte und einzige Rechtsquelle sein, sondern der eigentliche Ursprung des Rechts liegt dann in der sittlichen Ordnung des Volkes, in der völkischen Gerechtigkeit, man kann auch sagen im ‚gesunden Volksempfinden‘, von dem in der neueren deutschen Gesetzgebung die Rede ist.

Weiter sprach sich Dahm für den Maßstab des „gesunden Volksempfindens“ und gegen das Rückwirkungsverbot aus. Einem „gesetzlosen Freirecht“ erteilte er wiederum eine Absage. Die Grundlinien der Argumentation finden sich auch noch im „Deutschen Recht“ von 1944 wieder. Auch dort wiederholte Dahm, dass „in unserer Zeit […] die politischen, weltanschaulichen und kriminalpolitischen Grundlagen des Satzes Nullum crimen sine lege entfallen“ seien.102 Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wandte sich Dahm – neben dem Strafrecht – auch wieder der Rechtsgeschichte zu. 1941 erschien die kleine Schrift „Untersuchungen zur Verfassungs- und Strafrechtsgeschichte der italienischen Stadt im Mittalalter“, mit der er an seine Habilitationsschrift anknüpfte, 1943 folgte ein Aufsatz über die „Rezeption des römisch-italienischen Rechts“103. Es fällt auf, dass er in der Studie von 1941, in der er auch auf Albertus Gandinus eingeht, den ein Jahr zuvor in Cambridge verstorbenen Hermann Kantorowicz überhaupt nicht erwähnt.104 Eine starke rechtshistorische Ausrichtung hat auch das 1944 veröffentlichte Werk „Deutsches Recht“, das „pädagogischen und wissenschaftlichen Zwecken“ dienen sollte.105 Schon Mitte der dreißiger Jahre hatte Dahm der Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg die Zusage für ein Buch, das die Einführungsvorlesung „Deutsches Recht“ begleiten sollte, gegeben. Ziel des Buches war es, dem Studenten – aber auch dem Wissenschaftler – die Einheit des Rechts vor Augen zu führen. Dabei sollte „das Recht in seinem Zusammenhang mit den geistigen und politischen Kräften der Gegenwart erscheinen“, so dass _____________ 101 Dieses und die folgenden Zitate bei: Georg Dahm, Beibehaltung oder Abschaffung des Grundsatzes: „Nulla poena sine lege“, in: Ernst Heymann (Hrsg.), Deutsche Landesreferate zum II. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung im Haag 1937, Sonderheft des elften Jahrgangs der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Berlin/Leipzig 1937, 514–524 (520, 521, 524 und 522). 102 Georg Dahm, Deutsches Recht, Hamburg 1944, 432. 103 Georg Dahm, Zur Rezeption des römisch-italienischen Rechts, Historische Zeitschrift 167 (1943), 229–258. 104 Dazu schon: Lepsius (Anm. 5), 430. Mehrfach zitiert er hingegen die Historiker Robert Davidsohn (16.4.1853 Danzig – 17.3.1937 Florenz) mit seinem monumentalen Werk „Geschichte von Florenz“, 1896–1927, und Alfred Doren (15.5.1869 Frankfurt/Main – 28.7.1934 Leipzig) mit seinen „Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte“, 1901/1908, die beide – wie Kantorowicz – ebenfalls jüdischer Herkunft waren. 105 Georg Dahm, Deutsches Recht, Hamburg 1944, 9 (Vorwort).

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„die Grundfragen der völkischen Rechtserneuerung“ besondere Berücksichtigung erfuhren. Das Buch sollte dazu beitragen, „dass der Jurist mehr als nur ein Handwerker sei, seinen Gesichtskreis erweitern und in dem jungen Juristen den Sinn wecken für die Heiligkeit und Würde des Rechts, für seine Bedeutung im menschlichen Leben und für seine Verwurzelung in der Art unseres Volkes“.106 Dahm bezeichnete sein Werk als „Grundriß“, der „keine Enzyklopädie“ sei, die „nicht als eine Art Überlehrbuch Vollständigkeit“ anstrebe.107 Im Zusammenhang mit „der Notwendigkeit der Auswahl“ hebt Dahm ausdrücklich hervor: „Nicht behandelt wurde das Völkerrecht. Es liegt jenseits der Grenzen, die durch das Thema dieses Buches gezogen sind.“108 Dahm gliedert den Rechtsstoff in fünf Teile: „Das Recht“ (mit den beiden Abschnitten „Geschichtlicher Abriß“, „Das Recht als Lebensordnung des Volkes“), „Das Reich“ („Abriß der deutschen Verfassungsgeschichte“, „Die politische Ordnung des Reiches“), „Die Wirtschafts- und Kulturordnung des Volkes“, „Die Persönlichkeit im Recht. Das Gemeinrecht“ sowie „Verbrechen und Strafe“. Radbruch, der den Kontakt zu Dahm 1933 abgebrochen hatte und ihn auch nicht wieder hat aufleben lassen, nahm dessen Schriften durchaus zur Kenntnis. In einem Brief an Erik Wolf vom 19. August 1944 schreibt er: „Haben sie Dahms ‚Deutsches Recht’ gelesen? Auffällig maßvoll, abgewogen und in heiklen Lehren zurückhaltend! Zeichen wachsender Einsicht?“109

E. Die Nürnberger Prozesse: Synthese von Straf- und Völkerrecht Zwischen 1945 und 1950 konnte Dahm seine Universitätslaufbahn aufgrund seiner exponierten Stellung in der Strafrechtswissenschaft während der NS-Zeit nicht fortsetzen. Das Kriegsende erlebte er in Flensburg. Zunächst verdiente er den Lebensunterhalt für seine fünfköpfige Familie, indem er Englischkurse gab und sich in Kiel als Repetitor betätigte.110 Zu den Entnazifizierungsverfahren, denen sich Dahm unterziehen musste, konnten bisher keine Unterlagen ausfindig gemacht werden. Aus der Personalakte Dahms im Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv ergibt sich, dass er nach den im Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von _____________ 106

Dahm (Anm. 103), 10. Dahm (Anm. 103), 9. 108 Dahm (Anm. 103), 10. 109 Brief von Gustav Radbruch an Erik Wolf vom 19. August 1944, in: Gesamtausgabe, Bd. 18: Briefe II (1919–1949), Heidelberg 1995, 235. – Schäfer (Anm. 5), 149, weist allerdings darauf hin, dass insbesondere die Ausführungen in dem Abschnitt „Volk und Rasse“ (Dahm, 205ff.) „bereits in der Wortwahl Erschauern machen“. 110 Schaffstein (Anm. 5), 195; s.a. Schreiben des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an den Kultusminister vom 23. März 1954, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 107

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Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 vorgesehenen fünf Kategorien in die Kategorie V („Entlasteter“) eingestuft wurde.111 Dahm stand den Entnazifizierungsverfahren und den damit verbundenen Fragebögen äußerst kritisch gegenüber. So merkte er 1951 in der Neuauflage seines „Deutschen Rechts“ in einer Fußnote zu dem Satz „Unmoralisch und rechtswidrig sind auch solche Gesetze, die den Menschen zwingen, sich selbst zu vernichten“ an: So kann z.B. niemand gezwungen werden, sich selbst in einem Strafverfahren zu belasten. […] Im Widerspruch zu diesem naturrechtlichen Grundsatz sind in Deutschland nach 1945 zahllose Menschen gezwungen worden, sich selbst durch die Ausfüllung politischer Fragebögen schwerwiegenden, oft vernichtenden Maßnahmen auf Grund ihrer politischen Vergangenheit auszusetzen.112

Im selben Jahr erschien der Roman „Der Fragebogen“ des gebürtigen Kielers Ernst v. Salomon, in dem die Problematik literarisch verarbeitet wurde. Dahm setzte sich auch gegen Kritik an seiner Tätigkeit während der NS-Zeit zur Wehr. Eberhard Schmidt hatte ihn und Schaffstein im Kapitel über die NSZeit in seiner 1947 erschienenen Strafrechtsgeschichte wegen ihres Plädoyers für ein autoritäres Strafrecht angegriffen113 und bemerkt, dass in der Strafrechtskommission Eduard Kohlrausch „der getreue Eckart der Rechtsidee“ gewesen sei, und bei den Beratungen seien immer „seine unerbittliche Sachlichkeit und sein strenger Gerechtigkeitswille auf dem Plan“ gewesen.114 Dahm wies diese seiner Ansicht nach unzutreffende Darstellung in einem Brief an Schmidt in scharfer Form zurück.115

_____________ 111 Schreiben des Dekans Hellmuth Mayer an das Ministerium für Volksbildung vom 22. Februar 1950, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). „[…] ist laut Entscheidung der Landesregierung Schleswig-Holstein – Ministerium des Innern – am 1. August 1948 als Entlasteter in die Kategorie V eingestuft worden. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Umschreibung, sondern Professor Dahm ist bereits im ersten Verfahren als Entlasteter betrachtet worden.“ In der Akte befinden sich auch einige der Entlastungsschreiben, die Dahm vorgelegt hatte, u.a. von Walther Schoenborn, Adalbert Erler, Arthur Nikisch und Hans Dölle. 112 Georg Dahm, Deutsches Recht. Die geschichtlichen und dogmatischen Grundlagen des geltenden Rechts, Stuttgart/Köln 1951, 42 Anm. 9 mit Hinweis auf die Bill of Rights von Virginia 1776 und den Zusatzartikel 5 zur Verfassung der USA. 113 Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Göttingen 1947, Nr. 352, S. 397. – Ausführlich zu Eberhard Schmidt (16.3.1891 Jüterbog – 17.6.1977 Heidelberg): Simone Gräfin v. Hardenberg, Eberhard Schmidt (1891–1977). Ein Beitrag zur Geschichte unseres Rechtsstaats, Berlin 2009, zum Brief Dahms an Schmidt: 365ff. 114 Schmidt (Anm. 113), Nr. 364, S. 414. 115 Brief von Georg Dahm an Eberhard Schmidt vom 4. Februar 1948 aus Flensburg, abgedruckt bei: Schaffstein (Anm. 5), 199ff.

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Mit seiner ersten Publikation nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte Dahm an das Thema seiner Dissertation an. Der 1949 in der NJW veröffentlichte Aufsatz behandelt wiederum das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme.116 Es fällt auf, dass Dahm in diesem Beitrag auch erstmals seit seiner Habilitationsschrift wieder Hermann Kantorowicz zitiert und zwei Beispielsfälle aus dessen Werk über „Tat und Schuld“ heranzieht.117 Danach hat Dahm – abgesehen von den Kapiteln zum Strafrecht in den beiden Neubearbeitungen seines „Deutschen Rechts“ und den Beiträgen zum Völkerstrafrecht – nicht mehr zum Strafrecht publiziert. Es mag sein, dass ihm das Strafrecht nicht mehr genügte, da es, wie er einmal gesagt haben soll, „wie ein altes Haus [sei], in dem die Möbel von Zeit zu Zeit umgestellt würden.“118 Wahrscheinlicher ist allerdings, dass das starke Engagement als „Erneuerer“ des Strafrechts während der NS-Zeit eine weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Rechtsgebiet ausschloss. Andernfalls hätte Dahm sich mit seinen eigenen Lehren kritisch auseinandersetzen und sie ganz überwiegend widerrufen müssen, was er aber offenbar nicht tun wollte. Mit kritischem Interesse begleitete Dahm die Nürnberger Prozesse. Diese Verfahren stellten eine Verbindung zwischen Straf- und Völkerrecht her und damit zwischen dem Rechtsgebiet, das von Anfang an im Zentrum seiner Forschungen stand, und der Materie, die in den fünfziger Jahren den Mittelpunkt seiner Arbeiten bildete. Dahm sah – wie er es später in seinem Lehrbuch zum „Völkerrecht“ formulierte – in dem Nürnberger Tribunal „ein Ausnahmegericht, zuständig für die Aburteilung bestimmter Einzelpersonen.“119 Er monierte, dass die Richter von den vier Siegermächten bestellt wurden, also auch von der UdSSR, die „bei einer der in Nürnberg zur Aburteilung stehenden Tat, nämlich dem Angriffskrieg gegen Polen, in Mittäterschaft mit dem nationalsozialistischen Deutschland mitgewirkt hatte.“ Er kritisierte weiter, dass der völkerrechtliche Vertrag, auf dessen Grundlage das Gericht eingesetzt worden war, ohne Beteiligung Deutschlands geschlossen worden sei und insofern einen „Vertrag zu Lasten Dritter“ darstellte. Dahm vertrat die Auffassung, dass „Einsetzung und Zuständigkeit des IMT mit dem positiven VR der damaligen Zeit jedenfalls nicht voll vereinbar“ gewesen sei. Man könne auch – im Anschluss an Jescheck – davon sprechen, dass „vom VR her gesehen ein revolutionärer Akt“ vorliege.120 _____________ 116 Georg Dahm, Über das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, NJW 1949, 809– 813 („Von Professor Dr. Georg Dahm, Flensburg“). 117 Dahm (Anm. 116), 809 Anm. 3 und 813 Anm. 22. 118 Walter Wiese, Georg Dahm [maschinenschriftliches, unveröffentlichtes Manuskript vom 23. Mai 1995], 13. 119 Hierzu und zum Folgenden: Georg Dahm, Völkerrecht, Bd. 3, Stuttgart 1961, 290. 120 Dahm (Anm. 119), 291 mit Hinweis auf Hans-Heinrich Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, Bonn 1952, 175.

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Die Nürnberger Prozesse boten Dahm vor allem Gelegenheit, sich erneut dem Prinzip „Nulla poena sine lege“ zuzuwenden. Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik findet sich in mehreren Publikationen Dahms zum Völkerrecht bzw. zum Völkerstrafrecht zwischen 1955 und 1963.121 Dahm, der während der NSZeit für die Abschaffung dieses Grundsatzes eingetreten war, hält an dieser Linie in der Nachkriegszeit im Wesentlichen fest. Er sieht einen Widerspruch in der Position derer, die sich immer für eine strikte Einhaltung dieses Prinzips eingesetzt hatten, nun aber bei den Kriegsverbrecherprozessen doch eine Ausnahme zulassen wollten. In seinem „Völkerrecht“ konstatiert Dahm, dass „die Statuten der beiden IMT und deren Entscheidungen den Grundsatz beiseite geschoben“ hätten.122 Er führt aus: Zwar nicht die ‚Verdammung‘, wohl aber die Bestrafung des Angriffskriegs und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, soweit sie nicht zugleich Kriegsverbrechen enthielten, die vorweggenommene Kriminalisierung der Mitgliedschaft in den als verbrecherisch gebrandmarkten Organisationen, der Verzicht auf die schärfere Umgrenzung der Tatbestände und die Gewährung einer schrankenlosen Ermessensfreiheit in der Bestimmung der Strafen, dies alles stimmte mit dem Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege, wie man ihn jedenfalls im Kreise der kontinentaleuropäischen Staaten versteht, nicht überein.123

Dahm war der Ansicht, dass das Prinzip „nur in einem kodifizierten Rechtssystem Sinn“ habe, dass es aber „nicht für ein noch werdendes und unfertiges Recht, wie es das VR ist“, passe. Diesem sei „eher die allmähliche Fortbildung des Rechts durch die schöpferische Rechtsfindung der Gerichte gemäß, so wie etwa das englische common law als ein judge made law allmählich zur Entstehung gelangt ist“.124 Da die Entwicklung des Völkerrechts noch im Fluss sei, „muß um des notwendigen Fortschritts willen der Einzelne, wenn er schweres Unrecht begeht, einem gewissen Risiko, nämlich dem der nachträglichen Bestrafung, ausgesetzt werden können“. Daher „dürfte die Maxime keine Strafe ohne Gesetz im VR keine allgemeine und zwingende Geltung beanspruchen können“. Allerdings dürfe die Bestrafung „nicht ungerecht“ sein. Die Tat müsse zur Zeit ihrer Begehung „nach int. Rechtsüberzeugung rechtswidrig sein und Strafe verdienen“. _____________ 121 Georg Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, Göttingen 1956, 55ff.; ders., Deutsches Recht, Stuttgart/Köln 1951, 615ff.; ders., Deutsches Recht, Stuttgart u.a. 1963, 514ff.; ders. (Anm. 119), 313ff. 122 Dahm (Anm. 119), 314. 123 Dahm (Anm. 119), 314 mit zahlreichen Nachweisen in Anm. 4, darunter auch auf den amerikanischen Chefankläger Robert H. Jackson, der dem Völkerrecht die Aufgabe zugeschrieben habe, „durch legislativen Akt neues Recht ins Leben zu rufen“. Das Völkerrecht müsse sich, so zitiert Dahm Jackson weiter, „wie das gemeine Recht von Fall zu Fall entwickeln“. 124 Hierzu und zum Folgenden: Dahm (Anm. 119), 317.

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F. Die Rückkehr an die Kieler Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät als Lehrbeauftragter für die Geschichte des Strafrechts, Kriminologie und Rechtsenzyklopädie Ab 1950 bemühten sich Dahms ehemalige Freunde und Kollegen verstärkt, ihm wieder zu einem Lehrstuhl in Kiel zu verhelfen. Die Fakultät, in der eine Reihe ebenfalls NS-belasteter Professoren tätig war, setzte sich vor allem für Kollegen ein, die bei Kriegsende Lehrstühle an Universitäten im besetzten Ausland innehatten. Dies galt für Georg Dahm, Gerhard Dulckeit, Arthur Nikisch und auch Ernst Rudolf Huber, die zuletzt in Straßburg tätig waren, oder auch für Hermann Raschhofer,125 der bei Kriegsende an der Universität Prag Professor war. Hingegen verhielt sich die Fakultät gegenüber den Emigranten reserviert und stand rückkehrwilligen Kollegen wie Heinrich Hoeniger126 oder Gerhart Husserl127 ablehnend gegenüber. In der im Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv in Schleswig verwahrten Personalakte Dahms sind etliche Schreiben enthalten, die zeigen, dass die Fakultät den ehemaligen Rektor der Christiana Albertina hingegen nicht im Stich ließ. Insbesondere die Dekane Hellmuth Mayer (Amtsjahr 1950),128 Gerhard Mackenroth (1951),129 Horst Schröder (1952) und Karl Larenz (1954) engagierten sich für Dahm. Mackenroth und Dahm waren während der NS-Zeit bereits in Kiel und Straßburg Fakultätskollegen und freund-

_____________ 125 Hermann Raschhofer (26.7.1905 Ried – 27.8.1979 Salzburg), 1943 ordentlicher Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht, an der Universität Prag, im Sommersemester 1953 und im Wintersemester 1953/54 Lehrstuhlvertreter an der Universität Kiel, ab 1955 Professor in Würzburg. 126 Zu Heinrich Hoeniger (26.12.1879 Ratibor – 14.4.1961 Frankfurt/Main), zunächst Professor in Freiburg, ab 1932 in Kiel, während der NS-Zeit Zwangsversetzung nach Frankfurt/Main und schließlich Entlassung, daraufhin Emigration in die USA, 1950 Rückkehr nach Deutschland und Gastprofessor in Frankfurt/Main: Manfred Löwisch, Badische Biographien 1 (1982), 177f.; Georg Isele, Nachruf, JZ 1961, 33. 127 Zu Gerhart Husserl (22.12.1893 Halle/Saale – 8.9.1973 Gottlieben/Schweiz): Britta Böhler, Gerhart Husserl. Leben und Werk, Diss. Freiburg/Br. 1992; Alexander Hollerbach, Nachruf, JZ 1974, 35f.; Rudolf Meyer-Pritzl, Die „Kieler Schule“ und das Römische Recht, in: Andreas Hoyer/Hans Hattenhauer/Rudolf Meyer-Pritzl/Werner Schubert (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jörn Eckert, Baden-Baden 2008, 555–584 (558ff.) m.w.N. 128 Ausführlich zu Hellmuth Mayer: Natalie Willsch, Hellmuth Mayer (1895–1980). Vom Verteidiger im Hitler-Prozess 1924 zum liberal-konservativen Strafrechtswissenschaftler, Baden-Baden 2008. 129 Gerhard Mackenroth (14.10.1903 Halle – 17.3.1955 Fallingbostel) war seit 1934 außerordentlicher, seit 1940 ordentlicher Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften in Kiel, 1942 in Straßburg, seit 1948 wieder ordentlicher Professor in Kiel. Volbehr/Weyl (Anm. 9), 46.

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schaftlich miteinander verbunden.130 Larenz und Dahm gehörten zwischen 1933 und 1939 gemeinsam der Kieler „Stoßtruppfakultät“ an. Um die Wiedereingliederung Dahms in die Fakultät zu erreichen, beantragte der damalige Dekan Hellmuth Mayer beim Volksbildungsministerium mit Schreiben vom 22. Februar 1950 zunächst einen unbezahlten Lehrauftrag für die Fächer Geschichte des Strafrechts, Kriminologie und Rechtsenzyklopädie.131 Vom internationalen Recht war damals also noch nicht die Rede. Zwar wurde in dem Antrag auf das geltende Straf- und Strafprozessrecht verzichtet, im Übrigen wurden aber die Fächer genannt, die Dahms bisherige Forschungsschwerpunkte darstellten. Das Fach „Rechtsenzyklopädie“ mutet dabei etwas anachronistisch an. Zuletzt hatte 1815 Karl Theodor Welcker in Kiel einen Lehrstuhl für Enzyklopädie, Naturrecht und Kriminalrecht bekleidet.132 Zu Dahm passte das Fach „Rechtsenzyklopädie“ insofern, als er mit seinem Werk „Deutsches Recht“ 1944 eine umfassende Einführung in das Recht vorgelegt hatte.133 Auch hatte er seit 1933 immer wieder die Vorlesung „Einführung in das (deutsche) Recht“ für Studienanfänger abgehalten. Der Lehrauftrag wurde jedoch vom Ministerium nicht bewilligt. Minister für Volksbildung war damals der Sozialdemokrat Wilhelm Siegel134. In dem von dem Ministerialbeamten Hans-Georg Wormit135 unterzeichneten Brief heißt es: Es scheint mir jedoch nicht im Interesse der Fakultät und der Universität zu liegen, im jetzigen Zeitpunkt aus freien Stücken eine Ergänzung des Lehrkörpers vorzunehmen, die geeignet sein könnte, zu Mißverständnissen in der Öffentlichkeit zu führen. Es ist _____________ 130 Arthur Nikisch, Wissenschaft und Kunst. Lebenserinnerungen, Kiel 1969, 96, erwähnt die freundschaftlichen Verbindungen zu Georg Dahm, Gerhard Dulckeit, Harald Grefin und Gerhard Mackenroth. Mackenroth ist der Schwiegervater des Kieler Völkerrechtlers Jost Delbrück, dessen Doktorvater Dahm war. 131 Schreiben des Dekans Hellmuth Mayer an das Ministerium für Volksbildung vom 22. Februar 1950, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 132 Volbehr/Weyl (Anm. 9), 32. Welcker wechselte allerdings bereits nach einem Jahr an die Universität Heidelberg. 133 So bezeichnet der Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in seinem Schreiben an den Kultusminister vom 23. März 1954 das Werk als „eine umfassende Rechtsenzyklopädie“, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 134 Wilhelm Siegel (15.12.1890 Hamburg – 5.11.1977) war nach dem Ersten Weltkrieg bis 1923 KPD-Mitglied, 1946 trat er in die SPD ein (Landesinformationssystem Schleswig-Holstein, lissh.lvn.parlanet.de). 135 Hans-Georg Wormit (13.6.1912 Bögen/Ostpreußen – 13.8.1992 Berlin) wurde zu Beginn des Zweiten Weltkrieges Referent für Wirtschafts- und Kulturfragen in Kiel. Anfang 1951 wurde er kurze Zeit Staatssekretär im Ministerium für Volksbildung, danach bis 1956 im Innenministerium. 1956 übernahm er das Amt des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Landkreistages, ab 1962 war er erster Kurator, von 1967 bis 1977 erster Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vgl. Manfred Schlenke, Nachruf Hans-Georg Wormit, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 3 (1993), 139f.

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mir bekannt, daß Herr Professor Dahm als Persönlichkeit und als Gelehrter einen durchaus guten Ruf genießt. Wenn ich mich trotzdem nicht zu entschließen vermag, dem Antrag der Fakultät zu entsprechen, so liegen die Gründe allein darin, Störungen von der Universität fernzuhalten, die dem Wiederaufbau schaden könnten.136

Abschließend wird zum Ausdruck gebracht, dass die Wiedereingliederung Dahms in den Lehrkörper einer anderen Universität begrüßt würde. Dekan Mayer übermittelte Dahm die für ihn schlechte Nachricht in einem Brief vom 12. Mai 1950, in dem er seine „ernstliche Enttäuschung“ zum Ausdruck brachte und anfügte, dass „allerdings ja betont werden kann, daß der Baum bei solchen Dingen nicht auf den ersten Hieb gefallen sein wird […]“.137 Und in der Tat: Am 21. Oktober 1950 wurde der Antrag doch noch bewilligt und Dahm erhielt zum 1. November 1950 den beantragten Lehrauftrag für Geschichte des Strafrechts, Kriminologie und Rechtsenzyklopädie. Zwischenzeitlich hatte es in Schleswig-Holstein einen Regierungswechsel gegeben. Seit 5. September 1950 regierte eine Koalition aus CDU, BHE, FDP und DP unter Ministerpräsident Walter Bartram, der ebenso wie alle seine Minister – mit Ausnahme des Volksbildungsministers Paul Pagel138 – Mitglied der NSDAP gewesen war. Damit fand die Phase der Entnazifizierung in Schleswig-Holstein ihr Ende, teilweise wurde sogar von einer „Renazifizierung“ in Politik und Justiz gesprochen.139 Dahm bot im Wintersemester 1950/51 im Rahmen seines Lehrauftrages ein zweistündiges „Strafrechtliches Kolloquium“ und eine einstündige Veranstaltung mit dem Titel „Probleme der Verbrechensbekämpfung“ an.140 Er betätigte sich in der Lehre also wie auch schon vor 1945 zunächst weiterhin ausschließlich im Bereich des Strafrechts.

_____________ 136 Schreiben des Landesministers für Volksbildung vom 11. April 1950, unterzeichnet von Hans-Georg Wormit, an den Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 137 Brief von Hellmuth Mayer an Georg Dahm vom 12. Mai 1950, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 138 Zu Paul Pagel (29.12.1894 Bredenfelde/Mecklenburg – 11.8.1955 Kiel): Brigitte Kaff, in: NDB 19 (1999), 760f. 139 So Paul Pagel in seiner Tagebucheintragung vom 14. März 1951, siehe: Heinz Josef Varain, Parteien und Verbände. Eine Studie über ihren Aufbau, ihre Verflechtung und ihr Wirken in Schleswig-Holstein 1945–1958. Köln/Opladen 1964, 223 Anm. 902: „Man kann mit Recht allmählich von einer Renazifizierung sprechen. Merkwürdig, wie selbstverständlich die alten Nazis auftreten und wie feige sie im Grunde sind, wenn man ihnen hart entgegentritt“. 140 Ankündigung vom 2. November 1950, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950).

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G. Juristische Entwicklungshilfe: Professor in Dacca Ebenfalls im Jahr 1950 erhielt der akademische Werdegang die internationale Ausrichtung, die Dahms Hinwendung zum Völkerrecht wesentlich befördern sollte: Im Sommer 1950 traf bei Dekan Hellmuth Mayer folgende kurze Anfrage von A. Hady Talukdar, Registrar der University of Dacca, ein: „Prof. Dr. Georg Dahm […] is being considered for appointment as the Senior Professor of Law in the University of Dacca, (Pakistan). I am to request you to be so good as to let me have your opinion about the scholarship and work of Dr. Dahm.”141 Die Hintergründe für diese überraschende Anfrage ließen sich bisher nicht genauer ermitteln. Dahm nahm den dann folgenden, auf fünf Jahre befristeten Ruf nach Dacca (heute: Dhaka), damals Hauptstadt Ost-Pakistans, an und verließ am 31. Januar 1951 Kiel. Er fungierte in Dacca als ständiger Dekan der Faculty of Law und war auch Lehrstuhlinhaber. Ost-Bengalen gehörte bis 1947 zu Britisch-Indien, danach – bis zur Unabhängigkeit Bangladeschs 1971 – zu Pakistan. Die University of Dacca war 1921, also noch während der britischen Kolonialzeit, gegründet worden. Die Zahl der Europäer, die an der Universität tätig waren, dürfte niedrig gewesen sein. Neben Briten waren es einzelne Emigranten, die das Schicksal nach Britisch-Indien verschlagen hatte. Zu nennen sind etwa der Mathematiker Friedrich Levi, der wegen seiner jüdischen Herkunft Leipzig verlassen musste und 1936 Professor an der University of Calcutta wurde. Er nahm u.a. eine Gastprofessur in Dacca wahr und vermittelte den von den Nationalsozialisten mit einem Lehrverbot versehenen Mathematiker Maximilian Pinl142 an die University of Dacca, wo dieser zwischen 1949 und 1954 die Mathematische Fakultät leitete, also die Funktion wahrnahm, die Dahm an der Faculty of Law ausübte. Ganz überwiegend hatte Dahm mit Kollegen zu tun, die aus Pakistan stammten, darunter der spätere Justizminister sowie einige spätere Richter am High Court sowie der Advocate General in Dacca.143 Dahm las in Dacca indisches Strafrecht und Strafprozessrecht, jeweils auf der Grundlage des englischen Rechts, sowie International Law.144 Erstmals in Dacca _____________ 141 Schreiben des Registrar der University of Dacca an den Dekan der Kieler Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät vom 23. Juli 1950, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 142 Zu Maximilian Pinl (17.8.1897 Dux – 16.9.1978 Köln): Rudolf Fritsch, in: NDB 20 (2001), 452–453. 143 Georg Dahm, Bericht an das Auswärtige Amt vom 15. Dezember 1962, 4. Herrn Dr. Hermann Dahm, Flensburg, danke ich für die freundliche Überlassung einer Kopie dieses Berichts. 144 Schreiben von Karl Larenz an den Kultusminister vom 23. März 1954, 2, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950).

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betätigte er sich damit auch in der Lehre auf dem Gebiet des Völkerrechts. Dort begann er auch mit den Vorarbeiten für sein Werk über das Völkerrecht. Darauf wies er in einem Brief an Karl Larenz aus dem Jahr 1954 hin: „Zur Zeit arbeite ich an einer Gesamtdarstellung des Völkerrechts, die mich seit jetzt etwa drei Jahren beschäftigt.“145 In den (wenigen) bekannten Veröffentlichungen aus der Zeit in Dacca ist eine völkerrechtliche Ausrichtung allerdings noch nicht ersichtlich. Vielmehr publizierte Dahm in Deutschland zwei Beiträge zum indischen bzw. pakistanischen Strafrecht sowie in Indien einen Aufsatz zur Entwicklung des Verfassungsrechts in Deutschland seit 1945 und einen weiteren über „International effects of constitutional restrictions“.146

H. Rückkehr nach Kiel als Professor für Rechtsenzyklopädie, Rechtsvergleichung und Geschichte der Rechtswissenschaft Die Kieler Fakultät hatte Dahm die Treue gehalten und ihn in den Personalund Vorlesungsverzeichnissen vom Sommersemester 1951 bis zum Wintersemester 1954/55 als Lehrbeauftragten aufgeführt, und zwar für die Fächer „Kriminologie, Rechtsgeschichte, Rechtsenzyklopädie“, jeweils versehen mit dem Zusatz „Liest z. Z. nicht (beurlaubt als ord. Prof. an die Universität Dacca/Ostbengalen [Pakistan]].“ Dies war insofern ein Entgegenkommen, als Dahm lediglich für das Wintersemester 1950/51 ein unbezahlter Lehrauftrag erteilt worden war, so dass man von einer Beurlaubung eigentlich gar nicht sprechen konnte. Mit dem Näherrücken des Vertragsendes in Dacca mehrten sich die Anstrengungen der Kieler Freunde Dahms, ihm eine Professur an der Christiana Albertina zu verschaffen. In den Jahren 1954 und 1955 übernahm Karl Larenz die Leitung des Dekanats der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät – und somit die Funktion, die er bereits zwischen 1936 und 1938 ausgeübt hatte. Eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, Dahm zum 50. Geburtstag zu gratulieren und dabei der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass das neue Lebensjahrzehnt „Dir Gelegenheit geben möge, die in Pakistan gesammelten Erfahrungen auch _____________ 145 Schreiben von Georg Dahm an Karl Larenz vom 1. Februar 1954, 2, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 146 Georg Dahm, Das Strafrecht Indiens und Pakistans, ZStW 4 (1954), 137–150; ders., Das Indische (pakistanische) Strafgesetzbuch (Act XLV von 1860), mit Einleitung versehen und übersetzt von Georg Dahm, Berlin 1954, 139 Seiten; ders., The development of German constitutional law since World War II, Dacca University Studies, 1952; ders., International effects of constitutional restrictions, Monatsschrift der Faculty of Law der University of Delhi, 1954. – Die Angaben sind enthalten in einem Brief Georg Dahms an Karl Larenz vom 1. Februar 1954, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950).

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in der Heimat zu verwerten“ und „dass dies der erste Schritt zur endgültigen Heimkehr sein wird“.147 Im Zuge ihrer Bemühungen hatte die Fakultät erreicht, dass zwei neue Stellen für Professoren, die nach Art. 131 GG unterbringungsberechtigt waren,148 eingerichtet wurden. Eine dieser beiden Stellen sollte nach dem Willen der Fakultät Georg Dahm erhalten. Bei der anderen Stelle dachten einige Fakultätsmitglieder offenbar daran, sie mit Ernst Rudolf Huber zu besetzen. Dann wäre der „Stoßtrupp“ des Jahres 1933 in Kiel wieder vereint gewesen. Hellmuth Mayer sprach in einem Brief an den mit ihm befreundeten Walter Hallstein 1953 sogar von einer „Nazigruppe“ in der Fakultät, die eine Berufung Hubers nach Kiel anstrebe.149 Dieser Plan scheiterte aber letztlich am Widerstand des Kultusministeriums. Erfolgreich verlief hingegen die Rückberufung Dahms. Larenz vertrat die Interessen der Fakultät (und Dahms) gegenüber dem Kultusministerium, das in Person von Dr. August Wilhelm Fehling150 zwar keine Bedenken gegen die Person Dahms artikulierte, aber nicht bereit war, einen dritten strafrechtlichen Lehrstuhl zu schaffen.151 Um diesen Einwand zu entkräften, brachte Larenz eine Denomination für „Rechtsvergleichung und Rechtsenzyklopädie“ ins Gespräch, später kam ihm der Gedanke, auch noch „Geschichte der Rechtswissenschaft“ hinzuzufügen.152 Larenz hob in dem Brief an Dahm die Rechtsvergleichung besonders hervor: „Den Nachdruck möchte ich dabei auf die Rechtsvergleichung legen, deren Bedeutung ja zweifellos immer größer wird und für die Du durch Deine Tätigkeit in Pakistan in besonderem Maße legitimiert bist.“153 Dahm reagierte sofort und schlug als Lehrstuhlbezeichnung vor: „Rechtsvergleichung und Internationales Recht, Rechtsenzyklopädie und Geschichte der _____________ 147 Schreiben von Karl Larenz an Georg Dahm vom 4. Januar 1954, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 148 Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 1. April 1951, BGBl. I, 307. 149 Brief von Hellmuth Mayer an Walter Hallstein vom 22. März 1953, Bundesarchiv Koblenz, N 1266, Nr. 1866, zitiert nach: Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970, München 2005, 325 Anm. 88. 150 Zu August Wilhelm Fehling (17.3.1886 Hamburg – 11.9.1964 Klappholttal/Sylt), 1946 bis 1961 Kurator der Kieler Universität, zunächst als Verwalter der Geschäfte, seit 1951 auch als Inhaber des Amtes: Franz Kock, in: Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon 4 (1976), 65–68. 151 Schreiben von Karl Larenz an Georg Dahm vom 27. Januar 1954, 1, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 152 Schreiben von Karl Larenz an Georg Dahm vom 27. Januar 1954, 1, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 153 Schreiben von Karl Larenz an Georg Dahm vom 27. Januar 1954, 1f., LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950).

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Rechtswissenschaft“.154 Damit kam im Zusammenhang mit der Denomination erstmals das Internationale Recht ins Gespräch. Dazu führte er aus: Der erste Teil dieser Bezeichnung dürfte durch meine hiesige, immer umfangreicher werdende Lehrtätigkeit auf diesem Gebiet gerechtfertigt sein. Seit 1951 habe ich Vorlesungen im Department of Law, of International Relations und Political Science über folgende Gegenstände gehalten: Indisches (pakistanisches) Strafrecht und Strafprozeßrecht sowie englisches Strafrecht; ferner International Law. Ich darf bemerken, daß ich nicht nur diese Gebiete an der Universität als Mitglied verschiedener Prüfungskommissionen zu prüfen habe, sondern auch Examinator für International Law in der Pakistan Public Service Commission in Karachi bin, die eine Art Assessor-Prüfungskommission der Zentralverwaltung ist.155

Mit Schreiben an den Kultusminister – das war weiterhin Paul Pagel – vom 23. März 1954 beantragte Larenz im Namen der Fakultät, Dahm auf einen der beiden Lehrstühle zu berufen und diesem Lehrstuhl eine Denomination für die Fächer „Rechtsenzyklopädie, Rechtsvergleichung und Geschichte der Rechtswissenschaft“ zu geben.156 Damit sollten die Bestrebungen, „propädeutischen Vorlesungen und Übungen einen weit größeren Raum zu geben als bisher“, gestärkt und die „Rechtsvergleichung, insbesondere auch des ausländischen Straf- und Verfassungsrechts“ deutlicher hervorgehoben werden. In dem Schreiben wird als Argument für eine Berufung Dahms auf diesen Lehrstuhl auch angeführt, dass auf diese Weise „einem besonders angesehenen und vielseitigen Gelehrten und erfolgreichen akademischen Lehrer die Möglichkeit gegeben würde, nach Deutschland zurückzukehren und seine im Ausland gewonnenen Erfahrungen hier zu verwerten“.157 Dieser Argumentation hatte sich die Fakultät, als nach 1945 die Möglichkeit bestand, mit Heinrich Hoeniger oder Gerhart Husserl einen der in die USA emigrierten Kollegen mit dort erworbener Expertise auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung nach Kiel zurückzuberufen, noch nicht bedient. Dass im Übrigen zumindest Larenz in der Beschäftigung mit dem ausländischen Recht nicht nur eine willkommene Bereicherung sah, klingt an, wenn er in dem Schreiben an das Kultusministerium davon spricht, dass Dahm durch seine Tätigkeit in Pakistan „genötigt“ worden sei, sich eingehend mit dem engli-

_____________ 154 Schreiben von Georg Dahm an Karl Larenz aus Dacca vom 1. Februar 1954, 1, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 155 Schreiben von Georg Dahm an Karl Larenz aus Dacca vom 1. Februar 1954, 1, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 156 Schreiben des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an den Kultusminister vom 23. März 1954, 5, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 157 Schreiben des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an den Kultusminister vom 23. März 1954, 6, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950).

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schen Recht zu befassen, das dem pakistanischen und indischen Strafrecht zugrunde liege.158 Mit der Urkunde vom 10. Februar 1955 (und mit Wirkung zum 1. Mai 1955) wurde Dahm unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum planmäßigen ordentlichen Professor ernannt. Mit der Professur verband sich die Verpflichtung, „das Gebiet der Rechtsenzyklopädie, Rechtsvergleichung und Geschichte der Rechtswissenschaft in Vorlesungen und Übungen zu vertreten“. Damit war Dahm wieder in den Kreis der ordentlichen Professoren aufgenommen worden. 1958 nahm er das Amt des Dekans der Fakultät wahr, 1959 war er Prodekan. Ab dem Wintersemester 1955/56 war er auch wieder Prüfer im Referendarexamen. Prüfte er gemeinsam mit Karl Larenz, sprachen die Studierenden wegen der Zahl nicht bestandener Examina von der „Mordkommission“.159

J. Der Streit um die Lehrstuhlbezeichnung und die Lehrbefugnis Ab dem Wintersemester 1955/56 wurde Dahm im Personal- und Vorlesungsverzeichnis mit den Fächern „Rechtsenzyklopädie, Rechtsvergleichung, Geschichte der Rechtswissenschaft“ aufgeführt. Von Anfang an stellte sich jedoch die Frage, welche Fächer Dahm unterrichten sollte. Er selbst strebte offenbar von vornherein auch eine Lehrtätigkeit im Völker- und im Strafrecht an. Das Thema seiner Kieler Antrittsvorlesung vom 22. Juli 1955 hatte insofern programmatischen Charakter: „Die Wechselbeziehungen zwischen Völkerrecht und Strafrecht“.160 Karl Larenz wies ihm gegenüber auf die Freiheiten eines Ordinarius hin: Was die Frage Deines früheren Lehrauftrages betrifft, so hast Du als Ordinarius ja das Recht, über alle Gegenstände zu lesen, also auch über die Deines früheren Lehrauftrages, ohne Rücksicht darauf, ob sie in die neue Lehrverpflichtung aufgenommen werden oder nicht.161

_____________ 158 Schreiben des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an den Kultusminister vom 23. März 1954, 2, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 159 Wiese (Anm. 118), 8, der allerdings anmerkt, dass die Bezeichnung ungerecht gewesen sei, da beide zwar etwas verlangt, aber bei entsprechenden Leistungen auch sehr gute Noten vergeben hätten. 160 Ankündigung des Rektorats vom 7. Juli 1955, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950); Georg Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, Göttingen 1956 (= Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, 37). 161 Brief von Karl Larenz an Georg Dahm vom 9. November 1954, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950).

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Diese Interpretation passte allerdings nicht zu der im Begleitschreiben zur Ernennungsurkunde genannten Verpflichtung und vor allem auch nicht zu den Interessen der Kollegen, die sich nun schon seit Jahren für die Lehre im Straf- und Völkerrecht verantwortlich zeichneten. Die Einbeziehung in die strafrechtliche Lehre führte fakultätsintern offenbar zu keinen größeren Problemen. Vergleicht man die von Dahm zwischen 1933 und 1939 sowie zwischen 1955 und 1961 angebotenen Lehrveranstaltungen, so fallen nicht unerhebliche inhaltliche Überschneidungen auf. Dies gilt für die „Einführung in das deutsche Recht“ bzw. „Einführung in die Rechtswissenschaft“, vor allem aber für die in jedem Semester durchgeführten Vorlesungen und Übungen zum Straf- und Strafprozessrecht. Neu sind ab 1955 einzelne Veranstaltungen zum internationalen Strafrecht („Englisches Strafrecht“, einstündig, und „Seminar über internationales Strafrecht“, zweistündig, jeweils im Wintersemester 1955/56). In einem Schreiben an den damaligen Direktor des Juristischen Seminars, Joachim Gernhuber, bezeichnete Dahm das Strafrecht ausdrücklich als sein „eigenes Fachgebiet“.162 An dem Seminar über internationales Strafrecht im Wintersemester 1955/56 nahmen zehn Studierende teil.163 Im Zentrum des Seminars standen die Nürnberger Prozesse. Zu folgenden Themen wurden Referate gehalten: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid, Angriffskrieg, Ordnungsstrafrecht der Montanunion, Handeln auf Befehl, Acts of state-Doktrin, Internationale Strafgerichtsbarkeit, Nullum crimen, nulla poena sine lege im Völkerstrafrecht. Einer der Seminarteilnehmer, Gerhard Gründler, der später ein bekannter Journalist wurde, veröffentlichte in den sechziger Jahren ein Buch über die Nürnberger Prozesse.164 Von den zwölf Promotionen, die Dahm nach seiner Rückkehr nach Kiel betreute, waren sechs straf-, zwei völkerstrafrechtlichen und die übrigen vier völker- bzw. europarechtlichen Themen gewidmet. Bei den sechs strafrechtlichen _____________ 162 Schreiben von Georg Dahm an den Direktor des Juristischen Seminars Joachim Gernhuber vom 7. Januar 1958, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950): „Eine wirkliche fruchtbare wissenschaftliche Arbeit auf den Gebieten der Rechtsdogmatik und Rechtspolitik ist ohne eine Heranziehung des ausländischen Schrifttums kaum noch möglich. Das gilt namentlich auch für mein eigenes Fachgebiet, das Strafrecht“. 163 Die Angaben zum Seminar folgen: Wiese (Anm. 118), 5. 164 Gerhard E. Gründler/Arnim v. Manikowsky, Das Gericht der Sieger. Der Prozeß gegen Göring, Heß, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner u.a., Oldenburg/Hamburg 1967. Gerhard Gründler (21.3.1930 Sachsenburg bei Schwerin – 24.3.2012 Hamburg) schlug nach dem Ersten Juristischen Staatsexamen die journalistische Laufbahn ein. U.a. war er Redakteur (1963–1971) und Reporter (1976–1979) beim „stern“, Chefredakteur des „Vorwärts“ (1971–1976) und Direktor des NDR-Landesfunkhauses in Hamburg (1981–1991).

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Dissertationen fungierte jeweils Hellmuth Mayer als Zweitgutachter.165 Einer der Doktoranden Dahms, Claus Gribbohm, beschäftigte sich später neben seiner praktischen Tätigkeit als Richter, die ihn bis zum BGH führte, intensiv mit der Geschichte der Justiz während der NS-Zeit.166 Außerdem betreute Dahm mit Hartmut Dieterich, später Professor für Vermessungswesen und Bodenordnung in der Abteilung Raumplanung der TU Dortmund, und Götz v. Hippel zwei Doktoranden, die Dissertationen zu völkerstrafrechtlichen Themen schrieben.167 Der Wunsch Dahms, auch an der völkerrechtlichen Lehre beteiligt zu werden, führte zu Schwierigkeiten in der Fakultät. Dahm publizierte ab 1956 – abgesehen von der Neubearbeitung des „Deutschen Rechts“, die 1963 erschien – ausschließlich auf dem Gebiet des Völkerrechts, so dass sein Interesse, auch die völkerrechtlichen Hauptveranstaltungen durchzuführen, nachvollziehbar war. Er durfte dieses Programm, das im Wesentlichen von Eberhard Menzel und Viktor Böhmert gestaltet wurde, jedoch lediglich ergänzen. So bot er ein- oder zweistündige Spezialvorlesungen zu den Themen „Rechtsformen internationaler Beziehungen“ (Wintersemester 1955/56), „Die Organisation der Vereinten Nationen“ (Wintersemester 1956/57), „Moderne Entwicklungen im Völkerrecht“ (Wintersemester 1957/58), „Internationale Organisationen“ (Sommersemester 1958), „Das Recht der Vereinten Nationen“ (Wintersemester 1958/59), „Neuzeitliche Entwicklungen im Völkerrecht“ (Wintersemester 1959/60) und „Modernes Völkerrecht (Vereinte Nationen und Europarecht)“ (Wintersemester 1960/61) an. Hinzu kam zwischen 1957 und 1962 nahezu in jedem Semester ein völkerrechtliches Seminar. Die Vorlesungen wurden offenbar lediglich von einer kleinen Zahl interessierter Studierender besucht. Ein Teilnehmer an der Vorlesung „Das Recht der Vereinten Nationen“ im Wintersemester 1956/57 erinnerte sich, dass dazu nur

_____________ 165 Erhard Holtermann, Die Wahrnehmung öffentlicher Interessen als Unrechtsausschließungsgrund bei der Beleidigung, 1959; Günter Gribbohm, Verwendung und Funktionen der Unzumutbarkeit im Strafrecht unter Berücksichtigung vor allem der Tatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, 1960; Hans-Peter Möhl, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten im Straf- und Disziplinarverfahren, 1960; Dietrich Mann, Materielle Rechtskraft und fortgesetzte Handlung, 1960; Ulrich Mann, Die Anwendbarkeit des Grundsatzes „in dubio pro reo“ auf die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Bestrafung, 1960; Reimer Groth, Staatsnothilfe und übergesetzlicher Staatsnotstand, 1963. 166 Claus Gribbohm, Das Reichskriegsgericht, Berlin 2004; ders., Das Reichsmilitärgericht, Münster 2007; ders., „Geführte“ Strafjustiz. Reichsgericht und Kriegsstrafrecht im Zweiten Weltkrieg, Münster 2009. 167 Hartmut Dieterich, Der Einfluß des Völkerrechts auf die Rechtswidrigkeit strafbarer Handlungen im Deutschen Strafrecht, 1958 (Zweitgutachter: Eberhard Menzel); Götz v. Hippel, Die Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das materielle deutsche Strafrecht, 1962 (Zweitgutachter: Hellmuth Mayer).

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„eine Handvoll von ‚happy few‘ erschien, die sich gegen Semesterende zunehmend verflüchtigten“, so dass zur letzte Stunde lediglich drei Studenten kamen.168 Mit Schreiben vom 19. Februar 1958 stellte Hellmuth Mayer, damals Direktor des Kriminologischen Seminars, den Antrag, die Fakultät möge beschließen: „Das Kultusministerium wird gebeten, Herrn Prof. Dahm zusätzlich zur bisherigen Lehrbeauftragung den Lehrauftrag für Strafrecht und Strafprozessrecht zu erteilen.“169 Auf ihrer Fakultätssitzung am 12. Mai 1958 sprach sich die Fakultät allerdings dafür aus, die Frage bis nach dem Dekanatswechsel zurückzustellen. Erst fast drei Jahre später, auf der Fakultätssitzung am 15. Februar 1961, wurde einstimmig beschlossen, dass Dahm die Befugnis zuzuerkennen sei, im Personalund Vorlesungsverzeichnis der Universität als seine Forschungs- und Lehrgebiete das Völkerrecht, das Strafrecht und das Strafprozessrecht anzugeben.170 Dekan Gotthard Paulus171 wies in seinem Schreiben an das Kultusministerium vom 21. Februar 1961 darauf hin: „Jeder Sachkundige hier und auswärts weiß ganz genau, daß Prof. Dr. Dahm in gleichem Umfang wie Herr Prof. Dr. Mayer die Gebiete des Strafrechts und des Strafprozeßrechts, […] in Vorlesungen, Übungen und Kursen betreut“ und dass über diese Sachlage „von Semester zu Semester in aller Offenheit das Verzeichnis der Vorlesungen Auskunft gibt“.172 Nachdem das Ministerium zunächst lediglich mitteilte, dass eine solche Änderung der Zustimmung durch das Ministerium bedürfe, dann aber nicht weiter zu dem Vorgang Stellung nahm, forderte Dekan Paulus in scharfem Ton eine Klärung: „Wenn schon das Ministerium der Meinung ist, daß es […] über die Lehrgebiete des Herrn Prof. Dr. Dahm ein Wort mitzureden hat, dann muß es aber auch […] reden“ und es möge „ersichtlich machen […], inwiefern das nach meiner Überzeugung völlig Undiskutable gleichwohl diskutabel sein soll“.173 Das Kultusministerium erteilte schließlich sein Einverständnis, dass im Personal- und _____________ 168

Wiese (Anm. 118), 9. Schreiben von Hellmuth Mayer an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät vom 19. Februar 1958, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 170 Auszug aus dem Protokoll der Fakultätssitzung vom 15. Februar 1961; Schreiben des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Gotthard Paulus an den Kultusminister vom 21. Februar 1961, 1, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 171 Gotthard Paulus (19. November 1912 Glauchau/Sachsen – 6. Februar 1977 München), 1957–1965 Professor für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Privatrechtsgeschichte in Kiel, danach Wechsel an die Universität München. 172 Schreiben des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Gotthard Paulus an den Kultusminister vom 21. Februar 1961, 2, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 173 Schreiben des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Gotthard Paulus an den Kultusminister vom 31. März 1961, 2, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 169

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Vorlesungsverzeichnis bei den Angaben zu den von Dahm vertretenen Fachgebieten auch das Völkerrecht genannt werde.174 So werden im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1961/62 die Fächer „Rechtsenzyklopädie, Rechtsvergleichung, Geschichte der Rechtswissenschaft, Völkerrecht“ genannt. Auf der Fakultätssitzung vom 14. Februar 1962 wurde schließlich beschlossen, dass die Bezeichnung des Lehrstuhls von Dahm in „Völkerrecht, Strafrecht, Strafprozessrecht“ geändert wird. Im Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1962 findet man schließlich diese Bezeichnung, die den seit 1955 tatsächlich abgehaltenen Veranstaltungen entsprach. Hinter dem Streit um Dahms Lehrstuhlbezeichnung stand nicht allein die Befürchtung, eine Lehrbefugnis, die das Strafrecht mit einschließe, könnte politisch nicht opportun sein. Da sich aus dem Vorlesungsverzeichnis ohnehin klar ergab, dass Dahm überwiegend Lehrveranstaltungen zum Strafrecht abhielt, dürfte diesem Aspekt tatsächlich nur geringere Bedeutung zugekommen sein. Der Grund dafür, dass sich der Konflikt so lange hinzog, dürfte vielmehr in dem angespannten Verhältnis zwischen Eberhard Menzel und Georg Dahm zu finden sein.175 Georg Dahm durfte zwar ein kleines Arbeitszimmer im Institut für Internationales Recht in der Dänischen Straße nutzen, er gehörte aber nicht dem Institut an. Eberhard Menzel sah in Dahm einen Konkurrenten auf seinem eigenen Fachgebiet und fürchtete, sicher nicht ganz zu Unrecht, dass man das Völkerrecht in Kiel eher mit Dahm als mit ihm in Verbindung bringen könnte. Wohl auch wegen dieser Gegebenheiten betreute Dahm lediglich vier Promotionen mit einer völker- bzw. europarechtlichen Ausrichtung, darunter die Dissertationen von Hans-Uwe Erichsen176 und Jost Delbrück, der 1976 den traditionsreichen Lehrstuhl am Institut für Internationales Recht, das während seines Direktorats nach Walther Schücking benannt wurde, übernahm.177 Eine enge Ver_____________ 174 Schreiben des Kultusministers (unterzeichnet von dem Abteilungsleiter Dietrich Ranft) an den Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät vom 4. Juli 1961, 2, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). 175 Dazu: Andreas v. Arnauld/Angelika Stark, Eberhard Menzel (1911–1979). Brüche, Umbrüche, Aufbrüche, in diesem Band, 295f. Auch die Briefe von Georg Dahm an Eberhard Menzel vom 7. Juli 1961 und vom 23. Juli 1961, LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950), deuten auf Kommunikationsprobleme hin. Siehe auch Wiese (Anm. 118), 15. 176 Hans-Uwe Erichsen, Das Verhältnis von Hoher Behörde und Besonderem Ministerrat nach dem Vertrage über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Diss. Kiel 1963, Hamburg 1966. – Erichsen, geboren am 15. Oktober 1934 in Flensburg, war zwischen 1970 und 2000 Professor für Öffentliches Recht und Europarecht in Bochum und Münster, von 1990 bis 1997 Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. 177 Jost Delbrück, Die Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen, Diss. Kiel 1964. – Delbrück, geboren am 3. November

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bindung bestand außerdem zu Walter Wiese, zu dessen Dissertation über das Bricker Amendment Eberhard Menzel das Erst- und Dahm das Zweitgutachten schrieben.178

K. Die Rückkehr nach Dacca 1962/63 Die Situation in der Kieler Fakultät, in der Dahm weder dem Institut für Internationales Recht noch dem Kriminologischen Institut angehörte, obwohl er gerade das Strafrecht in der Lehre und das Völkerrecht in Forschung und Lehre vertrat, machte ihm offenbar zu schaffen. Dieser Hintergrund dürfte dazu beigetragen haben, dass Dahm eine erneute Anfrage aus Dacca vom Oktober 1960 nach längerem Zögern letztlich doch positiv beschied und zum 19. Oktober 1962 nochmals als Head of the Department of Law und Dean of the Faculty of Law an die University of Dacca wechselte. Dahm sah wohl auch eine Verpflichtung der Professoren in Europa gegenüber den Universitäten in den Entwicklungsländern.-179 Aber auch in Dacca hatte Dahm mit Schwierigkeiten – wenn auch völlig anders gearteten – zu kämpfen. In einem Bericht an die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes schrieb er zum Jahresende 1962: „Ich fand das Law-Department, das größte, zur Zeit fast tausend Studenten umfassende Department der Universität, in einem Zustand der Zerrüttung vor.“180 Das akademische Niveau sei – nicht nur im Vergleich mit europäischen Universitäten – „sehr dürftig“.181 Dacca stünde „mit seinen minimalen Anforderungen mit an letzter Stelle“. Der LawKurs sei von drei Jahren auf zwei Jahre reduziert worden, die Vorlesungen des Department of Law würden in den Nachmittags- und Abendstunden abgehalten. Die Mehrzahl der Studenten seien in Büros und anderswo beruflich tätig und _____________

1935 Pyritz/Pommern, war zwischen 1972 und 1976 Professor für Völkerrecht in Göttingen, von 1976 bis 2001 in Kiel. – Außerdem betreute Dahm die Arbeiten von Dieter Schultze, Die Rechtsstellung des internationalen Beamten gegenüber dem Heimatstaat, 1961 (Zweitgutachter: Viktor Böhmert), und von Wilfried Rupprecht, Die Nachprüfungsbefugnis des Europäischen Gerichtshofes gegenüber Ermessenshandlungen der Exekutive in der Montanunion und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1962 (Zweitgutachter: Viktor Böhmert). 178 Walter Wiese, Der Kampf um das Bricker Amendment. Eine Studie über Abschluß und Stellung völkerrechtlicher Abkommen im Verfassungssystem der Vereinigten Staaten, 1963. Siehe auch: ders. (Anm. 118), 10f. 179 So der Hinweis bei Wiese (Anm. 118), 7, auf den Vortrag Georg Dahms über „Old and New Universities“, gehalten auf dem Internationalen Seminar des kanadischen und des deutschen World University Service-Komitees in Tutzing, 29. Juli bis 19. August 1956. 180 Dahm (Anm. 143), 1. 181 Hierzu und zum Folgenden: Dahm (Anm. 143), 2.

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kämen „nach ihrer Tagesarbeit mehr oder weniger müde und unlustig an die Universität, um dort Kollegs zu hören.“ Die Arbeitsbedingungen entsprachen auch nicht entfernt den europäischen Standards: Zum Bücher-lesen und Durcharbeiten der Vorlesungen haben die wenigsten Zeit und Lust. Es ist auch kaum Gelegenheit dazu vorhanden. Einen Verlag für wissenschaftliche Literatur gibt es nicht in Dacca. Die Universitätsbibliothek ist unzugänglich. So ist seit meiner Abreise im Jahre 1954 für die Rechtswissenschaftliche Abteilung nicht ein einziges neues Buch angeschafft worden […].

Immer wieder kam es zu Studentenstreiks, die dazu führten, „daß das akademische Jahr unter diesen Verhältnissen auf höchstens fünf oder sechs Monate zusammenschrumpft, in denen wirklich gearbeitet wird“. Dementsprechend staue sich in der Anwaltschaft „das akademische Proletariat der viel zu vielen, unzulänglich ausgebildeten, meist unzufriedenen Akademiker. Viele von ihnen verdienen nicht das Existenzminimum“.182 Dahm hielt zehn Vorlesungen auf den Gebieten des Völker- und Strafrechts sowie zwei weitere Völkerrechtsstunden in einer MA-Klasse an der Philosophischen Fakultät.183 Dem Kieler Dekan berichtete er vom Prüfungsalltag wie folgt: In diesen Tagen muss ich [...] jeden Morgen in die Examination-Hall gehen, um die Kandidaten zu beruhigen, die hierzulande auf unerwünschte Klausurenthemen nicht selten mit dem Verlassen der Examination-Hall, Strassendemonstrationen und wenn es schlimm wird, dem Verprügeln der aufsichtführenden Lehrer reagieren. Daß sich dieses Mal bei uns alles so friedlich abspielt, gilt hier schon als beachtlicher Erfolg. Sie sehen, es gibt hier neben vielem Ärgerlichen und Mühevollen auch reichen Stoff zu Heiterkeit.184

Auch in einem Brief an einen Doktoranden in Kiel schilderte er die Probleme, mit denen er sich in Ost-Pakistan konfrontiert sah: Ich habe nun das erste Vierteljahr Dacca hinter mir. Es war eine ziemlich wilde Zeit. Ich bin hier nichts als Verwaltungsmann, was mir gar nicht sehr liegt. Das Dekanat schließt hier ein großes Maß Arbeit und Verantwortung ein, weil es keine gleichrangigen Kollegen gibt und hier alles viel patriarchalischer und autoritärer zugeht als in Deutschland. Leider kommt man nicht dazu, die Früchte seiner Arbeit zu ernten, weil die politische Unruhe in der Studentenschaft einen geordneten Lehrbetrieb fast unmög-

_____________ 182

Dahm (Anm. 143), 3. Dahm (Anm. 143), 1. 184 Schreiben von Georg Dahm an den Dekan Wolfgang Wetzel vom 23. Januar 1963 LAS Abt. 47 Nr. 6511 (Personalakte Dahm ab 1950). – Wolfgang Wetzel (12.10.1921 Altenburg – 22.10.2004 Kiel) war von 1960 bis 1965 Professor für Statistik und Ökonometrie in Kiel und im Jahr 1963 Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. 183

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lich Macht (mein persönliches Verhältnis zu den Studenten ist übrigens ausgezeichnet). Zur Zeit haben wir wieder einmal Ferien mit politischem Hintergrund […].185

Zu den Dozenten, die Dahm für die Universität gewinnen konnte, gehörte Kamal Hossain, der zwischen 1972 und 1975 in Bangladesch verschiedene Ministerämter bekleidete und Mitglied des Parlaments war. In einem Interview erwähnte er, dass es Dahm war, der ihn zum Part-Time lecturer am Department of International Relations und dem Department of Law an der University of Dacca gemacht habe.186 Bereits schwer erkrankt musste Dahm am 6. Mai 1963 nach Deutschland zurückkehren. Am 30. Juli 1963 starb er in Kiel. Die Trauerfeier in Kiel fand am 5. August 1963 statt, auch in der Faculty of Law in Dacca wurde – am 6. August 1963 – eine Trauerfeier durchgeführt. Am 17. Januar 1964 veranstaltete die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät eine Gedächtnisfeier für Dahm, auf der ihn Horst Schröder187 als Strafrechtler und Herbert Krüger188 als Völkerrechtler würdigten.

L. Das Individuum im Völkerrecht Horst Schröder bemerkte in seiner Rede während der Gedächtnisfeier, dass „Dahm sein wissenschaftliches Leben erfüllt“ habe.189 Dies wird man allerdings wohl so nicht sagen können. Vielmehr plante Dahm offenbar noch eine Monographie über „Das Individuum im Völkerrecht“.190 Dies ist insofern bemerkens_____________ 185 Brief von Georg Dahm an Walter Wiese vom 24. Januar 1963 aus Dacca, zitiert nach: Wiese (Anm. 118), 18. 186 „I Believe in the Power of Human Beings to be Agents of Change“. An interview with Kamal Hossain, in: Sharif Bhuiyan/Philippe Sands/Nico Schrijver (Hrsg.), International Law and Developing Countries. Essays in Honour of Kamal Hossain, Leiden/Boston 2014, 1–31 (12). 187 Horst Schröder (9.3.1913 Bremen – 12.9.1973 Viareggio), 1937 Mitglied der NSDAP, seit 1946 zunächst Vertretungsprofessor, ab 1948 ordentlicher Professor für Strafrecht, Strafprozess und Zivilprozess in Kiel, 1952 Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, 1953/54 Rektor der Christiana Albertina, ab 1955 Professor in Tübingen.  188  Herbert Krüger (14.12.1905 Krefeld – 25.4.1989 Hamburg), 1933 Mitglied der SS, 1937 der NSDAP, 1937 außerordentlicher, 1940 ordentlicher Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht in Heidelberg, 1941 Berufung an die Reichsuniversität Straßburg, nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst ohne Lehrstuhl, 1955 Professor für Staats- und Völkerrecht in Hamburg.  189 Horst Schröder, Georg Dahm als Strafrechtler, in: Georg Dahm. Reden zu seinem Gedächtnis, Kiel 1964, 10–23 (22). 190 So Wiese (Anm. 118), 17 („Dahm erwähnte mir gegenüber am 10. Mai 1962, daß er noch eine große Monographie über ‚Das Individuum im Völkerrecht‘ zu schreiben gedenke.“).

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wert, als Dahms Gedanken lange Zeit um den Gemeinschaftsbegriff kreisten. Erst die Beschäftigung mit dem Völkerrecht verhalf ihm dazu, das Individuum verstärkt in den Blick zu nehmen. Diese Ausrichtung lässt sich bereits in seiner Kieler Antrittsvorlesung von 1956 erkennen, in der er ausführte, „dass die wahren und eigentlichen Subjekte des Völkerrechts nicht die Staaten, sondern die Einzelnen seien“.191 Es lasse sich „doch kaum mehr bestreiten, daß das Völkerrecht jedenfalls in gewissen Grenzen auch die Einzelnen als Träger internationaler Rechte und Pflichten behandelt“. Der Einzelne werde „in der Völkerrechtsordnung der Gegenwart jedenfalls nicht mehr in vollem Umfang durch den Staat mediatisiert, sondern über den Kopf seines Staates unmittelbar angesprochen“. Erst so werde „ein Völkerstrafrecht als ein Teil des Völkerrechts auf der Grundlage der Verantwortlichkeit des Einzelnen für sein persönliches Verhalten […] möglich“.192 So ist es ein weiter Bogen von der Volksgemeinschaft über die internationale Gemeinschaft der Völker bis hin zur Verantwortlichkeit des Individuums im Völkerrecht, der die Wege und Irrwege der Forschungen Dahms von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende überspannt. Das von ihm während der NS-Zeit propagierte „Gemeinschaftsstrafrecht“ erwies sich als ein verhängnisvoller Irrweg. Hingegen wird sein „Völkerrecht“ noch heute als Grundlagenwerk empfohlen.193 Er verortete das Völkerrecht „jenseits des Nationalstaats und diesseits des Weltstaats“.194 Diese „eigenartige Zwischenlage“ sei es auch, „in der sich das Strafrecht bei der Verfolgung des völkerrechtswidrigen Handelns“ befinde.195 Dahm zählt zu den Pionieren des modernen Völkerstrafrechts, dessen Bedeutung er früh erkannte und die in den folgenden Jahrzehnten immer weiter zunehmen sollte. Insofern weist sein „Völkerrecht“ in die Zukunft, wenn er am Ende die beiden Grundgedanken, die das Völkerstrafrecht auszeichnen, formuliert, „nämlich den der individuellen internationalen Verantwortlichkeit des Einzelnen und den der internationalen Strafbarkeit staatlicher Hoheitsakte“.196

_____________ 191

Hierzu und zum Folgenden: Dahm (Anm. 160), 15. Dahm (Anm. 160), 15. Siehe auch Georg Dahm, Die Stellung des Menschen im Völkerrecht unserer Zeit, Tübingen 1961 (= Recht und Staat, Bd. 238). 193 Karl Doehring, Impressions: Georg Dahm, Völkerrecht, 3 volumes, Stuttgart: Kohlhammer, 1958–1961, European Journal of International Law 22 (2011), 617–619.  194 Dahm (Anm. 160), 3.  195 Dahm (Anm. 160), 3.  196 Dahm (Anm. 119), 321.  192

Eberhard Menzel (1911–1979): Brüche, Umbrüche, Aufbrüche Von Andreas v. Arnauld und Angelika Stark

A. Einleitung: Ein Rücktritt und offene Fragen Leider hat sich inzwischen ergeben, dass die mir für eine Amtsausübung erforderlich erscheinende breite Vertrauensgrundlage in einer entscheidenden Frage nicht voll gesichert ist und ich mit Widerständen insbesondere aus der eigenen Fakultät zu rechnen habe.1

Mit diesen Zeilen an Kultusminister Edo Osterloh beendet Eberhard Menzel am 22. Februar 1964 die Diskussionen um sein Rektorat an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel. Knapp drei Monate nach der Wahl tritt er von einem Amt zurück, das er nie ausgeübt hat. Was bewog einen angesehenen und einflussreichen Hochschullehrer, der gerade erst mit einer Mehrheit von fast zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gewählt worden war, zu dem Amtsverzicht? Was war in den drei Monaten zwischen Wahl und Rücktritt geschehen? Im Mittelpunkt standen damals anonym erhobene Vorwürfe gegen Menzel, er habe in einem Buch aus dem Jahre 1938 nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet. Menzel selbst hat sich zumindest öffentlich nicht zu den Vorwürfen geäußert, Ministerium und Universität scheinen an einer Klärung kaum ernsthaft interessiert gewesen zu sein. In Arbeiten zur Geschichte der Christian-AlbrechtsUniversität und ihrer Juristischen Fakultät werden die Ereignisse in aller Regel nicht erwähnt; falls doch, dann nur in einigen kurzen Sätzen, die darauf hindeuten, dass es nie zur einer tieferen Auseinandersetzung mit den Geschehnissen rund um die Rektoratswahl 1963 gekommen ist. Um mehr als 50 Jahre später eine Antwort oder zumindest einen Erklärungsansatz zu finden, ist es unabdingbar, sich mit Eberhard Menzel zu befassen. Dabei stößt man auf Schwierigkeiten. Denn Schriften, die sich objektiv mit ihm und seinem Leben befassen, gibt es kaum. Trotzdem sei hier der Versuch gewagt, sich Eberhard Menzel als Akademiker und als Person anzunähern.

_____________ 1 Schreiben Eberhard Menzels an den Kultusminister vom 22.2.1964, Landesarchiv Schleswig-Holstein (LASH), Abt. 811, Nr. 11055.

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B. Eberhard Menzel: von Ulm nach Hamburg I. Kindheit, Schule und Studium Eberhard Wilhelm Ludwig Menzel wurde am 21. Januar 1911 in Ulm als Kind von Major Rudolf Menzel und Lily Menzel, geb. Coermann, geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters im Jahre 1913, heiratete seine Mutter 1919 den Regierungspräsidenten und späteren Senatspräsidenten des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Walter Grützner.2 Seine schulische Laufbahn führte Menzel über England und die Schweiz schließlich nach Halle, wo er im Jahre 1930 die Reifeprüfung ablegte. Anschließend studierte er Rechts- und Staatswissenschaften in Tübingen, Berlin und Frankfurt. Zu seinen Lehrern gehörten Hans Gerber, Rudolf Smend, Heinrich Triepel, Hermann Heller, Ernst Forsthoff und Friedrich Giese.3 Das Referendarexamen absolvierte Menzel 1935 in Frankfurt und trat dort auch in den juristischen Vorbereitungsdienst ein. Das Assessorexamen legte er vier Jahre später in Düsseldorf ab. II. Aktivitäten in der Bündischen Jugend 1. Opposition oder Nähe zum Nationalsozialismus? In den frühen 1930er Jahren war Eberhard Menzel in der Bündischen Jugend aktiv.4 Er war dort zuständig für „Grenzlandarbeit“ und Auslandsverbindungen, wodurch sein Interesse an internationalen Themen geweckt wurde. Mehrfach begleitete er Jugendgruppen zu internationalen Treffen, unter anderem nach England. In Nachrufen ist zu lesen, dass Menzel die Tätigkeit bei den „Bündischen“ davor bewahrt habe, sich dem Nationalsozialismus anzuschließen.5 Vergeblich habe er als Jugendführer versucht, seine Organisation vor der Übernahme durch die Hitlerjugend (HJ) zu schützen. Als Angehöriger der Reichsschaft deutscher Pfadfinder 1934 zunächst in die HJ zwangsintegriert, wurde Menzel durch das HJObergericht am 20. Oktober 1938 ausgeschlossen,6 wegen seines Einsatzes für _____________ 2

Dietrich Rauschning, Eberhard Menzel in seinem persönlichen Wirken, in: Reden in memoriam Eberhard Menzel, Kiel 1981, 13–19 (14). Grützner (1881–1951), zunächst Regierungspräsident in Düsseldorf, war als Regierungspräsident von Merseburg (1924) mit dem preußischen Innenminister Grzesinski (SPD) in Konflikt geraten und wurde 1929 ans Preußische OVG versetzt. Aus der SPD wurde er ausgeschlossen. Nach der NS-Machtübernahme noch kurzzeitig Regierungsrat, wurde Grützner 1935 aus dem Staatsdienst entlassen. 3 Rauschning (Anm. 2), 15. 4 Zum Folgenden Rauschning (Anm. 2), 14. 5 Rauschning (Anm. 2), 14. 6 Wilhelm van Kampen (W.v.K.), Gutes Ende einer Affäre? Der Fall Prof. Menzel, res nostra 1 (Mai 1964), 3–5 (4).

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die Unabhängigkeit der Pfadfinderschaft und „weil er bei Juden gewohnt habe“.7 Tatsächlich scheint sein Lebenslauf die Ferne zum NS-System zu untermauern. So war Menzel nie Mitglied in der NSDAP oder anderen nationalsozialistischen Organisationen.8 Seinen Eltern schreibt er 1938, dass es gegen sein Gewissen gehe, einer Organisation wie der SS oder SA beizutreten.9 Doch reicht die Distanz zu NS-Organisationen aus, um zu belegen, dass Menzel auch Distanz zur nationalsozialistischen Ideologie wahrte? Der Befund muss wohl ambivalenter ausfallen. Das Verhältnis von Jugendorganisationen wie den Bündischen zum Nationalsozialismus fasst der Soziologe Arno Klönne so zusammen:10 Die bürgerliche deutsche Jugendbewegung bis 1933 war in ihren politischen Denkweisen oder Gefühlswelten überwiegend so weit in der Nähe des Nationalsozialismus, daß sie sich 1933 als Teil der ‚nationalen Erhebung’ verstehen konnte. Diese Politikvorstellungen der Jugendbewegung beziehungsweise ihrer Mehrheit waren Zeichen einer allgemeinen politischen Fehlentwicklung des deutschen Bürgertums – aber eben nur ein Symptom neben vielen gleichgerichteten und gewiß nicht Ursache der Bewegung hin zum Faschismus. Als aber der Faschismus in Deutschland staatlich etabliert war, zeigte sich, daß in der Tradition der Jugendbewegung zugleich eine Chance systemoppositionellen Verhaltens lag. Das ‚autonome’ Milieu jugendlichen Gruppenlebens blieb zumindest zum Teil widerstandsfähig auch gegenüber dem totalitären Zugriff der staatlichen Jugenderziehung im Faschismus.

Dies könnte auch die Einstellung Eberhard Menzels treffend charakterisieren. Menzel fühlte sich jedenfalls von dem soldatischen Charakter seiner Bewegung angezogen. In einer kleinen Schrift über das Gruppensingen schreibt er 1931:11 Für [unsere] Lieder läßt sich […] feststellen, daß sie sowohl im Text als auch in Melodie und Rhythmus etwas Kerniges enthalten müssen, da dies dem Verlangen und der Geistesart der Jungen entspricht. […] Wir sind – das sei zur Beruhigung jener Philister gesagt – weder Militaristen noch Antimilitaristen, aber wir schätzen am Soldatentum den Geist der Wehrhaftigkeit, der Zucht und der Tapferkeit, den Geist des ‚Dienens‘. Jugend will die Kräfte messen, braucht Kampf, und warum soll das nicht in ihren Liedern zum Ausdruck kommen?

_____________ 7

N.N., Schatten am Meer, Der Spiegel 10/1964 vom 4.3.1964, 21–22 (22). R.Z. [Rolf Zundel?], Unrecht in Kiel. Was es mit dem „Fall Menzel“ auf sich hat, Die Zeit vom 6.3.1964, online abrufbar unter http://www.zeit.de/1964/10/unrecht-in-kiel. 9 Zitiert nach Rauschning (Anm. 2), 14. 10 Arno Klönne, Jugend im Dritten Reich. Die Hitlerjugend und ihre Gegner, Sonderausgabe, Köln 2003, 125. 11 Eberhard Menzel, in: Über das Gruppensingen, Plauen 1931, 1–4 (1f.). 8

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2. Eberhard Menzel zu „Grundlagen des neuen Staatsdenkens“ Die Ideen von Dienst, Gefolgschaft und Führertum scheinen den jungen Eberhard Menzel also durchaus angesprochen haben. Auch an der „nationalen Erhebung“ will er teilhaben. Im Jahr 1934 publiziert er im „Erich Röth Verlag“, einem Verlag der Bündischen und anderer Jugendorganisationen,12 zwei kleine Monographien: „Volk und Staat – Nation und Reich“ als 28-seitige Vorstudie zu den auf 89 Seiten entfalteten „Grundlagen des neuen Staatsdenkens“. Beide Bücher zeigen Menzel in größerer Nähe zum NS-Denken, als die Nachrufe überliefern. „Die Stoßkraft einer politischen Bewegung hat die morsche Decke durchstoßen, wir können endlich zu einem einheitlichen Neubau aus einer neuen Gesinnung heraus schreiten“, eröffnet Menzel die zweitgenannte Schrift (5).13 Seine zentrale Forderung ist, Volk und Staat „als eine Wirkungseinheit“ zu verstehen (8). Zwar dürfte es nicht der reinen NS-Lehre entsprochen haben, dass Menzel den Staat in historischer Sicht als „das ewig seiende“ (sic) betrachtet, das vom Volk zwar „umgeprägt“, aber nicht geschaffen werden könne (11); allerdings musste der Staat für Menzel „elastisch genug sein, um mitzuwachsen und sich ständig mit zu verändern. Volk und Staat müssen in den selben Rhythmus schwingen.“ (12). In manchen Passagen mag man meinen, dass Menzel lediglich aus einer beobachtend-analytischen Perspektive schreibt, etwa wenn er die Legalität der NS-Machtergreifung“ nach der Weimarer Reichsverfassung bejaht oder begründet, warum die inzwischen errichtete Staatsordnung als evolutive Verfassungsänderung zu begreifen sei, die sich von wesentlichen Elementen der Verfassung von 1919 verabschiedet habe (16ff., näher 56ff.). Wenn er aber im völkischen Prinzip eine „metaphysische“ Legitimation (16) erblickt, die dem NS-Staat die wahre „Rechtmäßigkeit“ verleihe (22), wird sein Standpunkt klar.14 Dasselbe gilt, wenn er den neuen Staat nach näherer typologischer Analyse als „Führerstaat“ charakterisiert und dann ergänzt, dass dies dem deutschen Volksgeist entspreche, der auf Gemeinschaft ziele. „Gemeinschaft setzt aber Gliederung und Führung voraus. Es muß also eine klare Scheidung von Führern und Geführten geben.“ (27) Zudem bedeute Gemeinschaft „Artgemäßheit“ (67). Da „auch aus völkerrechtlichen Gründen“ schwer durchführbar sei, nur Volkzugehörige als Staatsangehörige zu behandeln, begrüßt Menzel die „Trennung der Bürgerrechte von der bloßen Staatsangehörigkeit“, wie sie in der „Ariergesetzgebung im neuen Staat schon verwirklicht“ worden sei und fordert, den Genuss der vollen Bürgerrechte außerdem an den „tätigen Dienst an der Volksgemeinschaft“ zu knüpfen (68). Noch deutlicher formuliert er in der früheren Schrift „Alles Sein _____________ 12 Zur wechselvollen Geschichte des Verlags zwischen Gegnerschaft und Anpassung im Nationalsozialismus siehe Institut für Zeitgeschichte München, http://www.ifz-muen chen.de/archiv/ed_0903.pdf. 13 Dieser und die folgenden Nachweise beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf Eberhard Menzel, Grundlagen des neuen Staatsdenkens, Eisenach 1934. 14 Vgl. auch ebd., 55: „Der Staat ist dem Recht unterworfen, aber steht über dem Gesetz“.

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ist völkisch bedingt“ und fordert, das Völkische von „Blut und Boden“ her zu bestimmen: „Die Frage der völkischen Abkunft hat in der Rasselehre eine eigene Wissenschaft erhalten.“15 Auch nach außen tritt der Staat verändert auf: „Das neue Staatsbild ist das eines imperialen Staates, der um seine Sendung weiß und im Banne eines Missionsgedankens steht“ (32). Während der größte Teil der deutschen Völkerrechtswissenschaft noch gegen „Versailles“ anschreibt und mit der souveränen Gleichheit aller Staaten argumentiert, geht Menzel in seinen Projektionen weiter und nimmt spätere völkerrechtliche Großraumtheorien voraus: Er verwirft die Idee einer Welt von Nationalstaaten als überlebtes Erbe des 19. Jahrhunderts (33ff.) und kritisiert, dass diese weder in der Lage sei, dem Bedürfnis eines Volkes nach Lebensraum Rechnung zu tragen, noch die fehlende Staatsreife vieler Völker (er nennt u.a. die Ladiner, die Sorben und die Juden) zu berücksichtigen (36f.). Unter Hinweis auf eine Schrift von Hans Krebs16 und eine Rede Franz v. Papens verwirft er die Idee der Gleichheit der Staaten und setzt ihr wie – fünf Jahre nach ihm, dafür aber ungleich wirkmächtiger, Carl Schmitt17 – die in der Jugendbewegung gepflegte, von Stefan George inspirierte Reichsidee entgegen (37f.). „Der Reichsgedanke, der von der naturgegebenen Ungleichheit der Staaten ausgeht und jedem einen anderen, an metaphysischen Maßstäben gemessenen Rang zuerkennt, bejaht die Führungsaufgabe des ranghöheren Volkes gegenüber dem rangniederen“ (39). Die „Innerlichkeit“, die neben der Macht ein „Reichsvolk“ auszeichne (39f.), sieht Menzel in der Sehnsucht nach dem „Dritten Reich“ als „die deutsche Antwort auf die Revolution von 1789“ (49). Der Reichsgedanke hebe, so Menzel, die innerstaatlich wirksame Idee von Führertum und Gefolgschaft auf die völkerrechtliche Ebene (65). Nach Distanz zum neuen System klingt dies nicht. Schon der ersten der beiden Schriften hatte kein Geringerer als der langjährige Präsident des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, Bill Drews, in einer Rezension attestiert, sie könne „zur Einführung in die staatsrechtliche Gedankenwelt des Nationalsozialismus gute Dienste leisten“.18 Man mag versucht sein, hier einen irregeleiteten jugendlichen Idealismus am Werk zu sehen. Als diese – in keiner Weise anfängerhaft wirkenden – Schriften erschienen, war Menzel immerhin erst ein 23-jähriger Rechts_____________ 15

Eberhard Menzel, Volk und Staat – Nation und Reich, Eisenach 1934, 7. Hans Krebs, Paneuropa oder Mitteleuropa?, München 1931 (= Nationalsozialistische Bibliothek, Heft 29). 17 Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumtheorie mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, Berlin 1939. Dazu auch Natalie Rücker, Das Institut für Internationales Recht im Nationalsozialismus. Im Spannungsfeld von Identitätsaufgabe und Existenzbedrohung, in diesem Band. 18 RVBl. 1934, 622. 16

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kandidat. Auch spätere Publikationen lassen jedoch keine Scheu erkennen, Positionen im Sinne des Zeitgeistes zu vertreten. In einem Aufsatz zum „Ende der institutionellen Garantien“ schreibt Menzel 1937, „Das Verfassungsrecht von Weimar ist tot“ (32) und wirft am Beispiel der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 127 WRV) die Frage auf, ob institutionelle Garantien mit den „Grundprinzipien des neuen Staatsdenkens“ vereinbar seien (66). Seine Antwort fällt deutlich aus: Diese gehören für Menzel, der drei Jahre zuvor immerhin noch geschrieben hatte, der Selbstverwaltungsgedanke sei „eine der wesentlichsten [sic] Grundlagen des deutschen Verwaltungsrechts“,19 nunmehr ebenfalls „in das Museum für verfassungsrechtliche Begriffe des Liberalismus“ (76). Selbst in Fragen der Jugendbewegung zeichnet sich eine Annäherung an das Regime ab. Zwischen 1935 und 1941 erscheint eine Aufsatzserie zu „Grundfragen des deutschen Staatsjugendrechts“.20 Hier spricht sich Menzel wegen des „Totalitätsanspruchs“ der HJ u.a. dafür aus, dass Vormundschaftsgerichte den Beitritt verfügen sollen, wenn der Vater sich „nur aus politisch-oppositionellen Gründen“ weigert, sein Kind in die HJ zu schicken.21 III. Als Assistent in Frankfurt am Main Parallel zu seinem Referendariat (Juni 1935 bis Juni 1939)22 arbeitete Eberhard Menzel vier Semester lang an der Universität Frankfurt am Main als Fakultätsassistent bei Friedrich Giese (1882–1958).23 Dass diese Tätigkeit nicht nur den Beginn seiner akademischen Laufbahn, sondern zugleich den Anfang seines Wirkens im Öffentlichen Recht und im Völkerrecht markierte,24 wird man in Anbetracht der soeben behandelten Schriften relativieren müssen. Menzel findet in Frankfurt jedoch zu „seinem“ Thema jener Zeit: dem modernen englischen Völkerrechtsdenken. Hierzu referiert er im Sommersemester 1937 zunächst in einem

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Menzel, Grundlagen (Anm. 13), 80. Eberhard Menzel, Grundfragen des deutschen Staatsjugendrechts, RVBl. 1935, 510– 513; 1936, 1088–1097; 1937, 412–420; 1941, 166–172. 21 Eberhard Menzel, Grundfragen des deutschen Staatsjugendrechts, RVBl. 1935, 510 (513). Vgl. auch RVBl. 1937, 412 (413f.) zur Verpflichtung von Beamten, ihre Kinder in die HJ zu schicken. Ein Jahr später freilich (1938) wurde Menzel selbst aus der HJ ausgeschlossen. 22 Vgl. den Lebenslauf, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 23 Sein Vorgänger auf der Assistentenstelle war Friedrich Klein: Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 3: Weimarer Republik und Nationalsozialismus, München 2002, 266. 24 Rauschning (Anm. 2), 15. 20

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Seminar, aus dem jener Band25 hervorgehen sollte, der Menzel 25 Jahre nach Veröffentlichung in die größte Krise seines akademischen Lebens stürzen sollte. Es folgt am 26. März 1940 die Promotion mit der hierauf aufbauenden Arbeit „Die englische Lehre vom Wesen der Völkerrechtsnorm.“26 Die Frankfurter Habilitation erfolgt am 20. Mai 1943 mit einer erweiterten Fassung der Dissertation.27 Menzel, seit 1939 als Richter zunächst in Wiesbaden, dann am Landgericht Frankfurt tätig, war zu jenem Zeitpunkt auf Heimaturlaub: 1940 war er zur Wehrmacht eingezogen worden (4. Panzer-Division). Aus US-Kriegsgefangenschaft kehrt Eberhard Menzel 1946 zurück. Am 19. Mai 1947 heiratet er Helga Teichmann.28 Aus der Ehe gehen zwei Söhne und eine Tochter hervor. IV. An der Hamburger Forschungsstelle für Völkerrecht Nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft führt sein akademischer Lebensweg Eberhard Menzel an die Universität Hamburg. Dort wird er am 1. April 1947 Assistent an der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht. Diese Einrichtung war 1946 durch den Hamburger Senat gegründet worden als organisatorische Zusammenfassung des 1940 im Ungeist des NS wiederbelebten Instituts für Kolonialrecht und dem während jener Zeit von Friedrich Berber (1898–1984) geleiteten Institut für Auswärtige Politik.29 Es stand unter der Leitung Rudolf [von] Launs (1882–1975), der aber durch sein Amt als Rektor der Universität Hamburg gebunden war. Faktisch lag die Leitung bei Menzel, der nach der Emeritierung Launs am 1. April 1951 auch formell zum _____________ 25

Friedrich Giese/Eberhard Menzel, Vom deutschen Völkerrechtsdenken der Gegenwart. Betrachtungen im Anschluss an ein völkerrechtliches Seminar der Universität Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1938. 26 Lebenslauf, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 27 Lebenslauf, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. Er erhielt die venia legendi für das gesamte öffentliche Recht einschließlich Völkerrecht und Jugendrecht: Hellmuth Hecker, Die Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht von 1946 (mit ihren Vorläufern), das Institut für Auswärtige Politik und die Vereinigung (1973) zum Institut für Internationale Angelegenheiten, in: Klaus-Jürgen Gantzel (Hrsg.), Kolonialrechtswissenschaft, Kriegsursachenforschung, Internationale Angelegenheiten, Baden-Baden 1983, 185–428 (216). 28 Lebenslauf, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 29 Die Konstruktion war komplizierter: Am 19. März 1947 war die Forschungsstelle für Völkerrecht mit der Geschäftsführung des formal selbständigen Instituts für Auswärtige Politik betraut worden: Daniel Eisermann, Außenpolitik und Strategiediskussion. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik 1955 bis 1972, München 1999, 58. Näher zur NS-Geschichte des Instituts Hermann Weber, Rechtswissenschaft im Dienst der NSPropaganda. Das Institut für Auswärtige Politik und die deutsche Völkerrechtsdoktrin in den Jahren 1933 bis 1945, in: Klaus-Jürgen Gantzel (Hrsg.), Wissenschaftliche Verantwortung und politische Macht. Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Band 2, Berlin/Hamburg 1986, 185–425.

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Geschäftsführer (wenn auch nicht zum Direktor) der Forschungsstelle ernannt wurde.30 Thematisch wurde die Arbeit seinerzeit vor allem durch Forschungsund Gutachtentätigkeit zu Kriegsfolgefragen geprägt.31 Dementsprechend behandelten Menzels Veröffentlichungen in jenen Hamburger Jahren vor allem Fragen des (deutschen) Staatsgebiets, der Staatsangehörigkeit und des Fremdenrechts.32 Ebenfalls 1951 übernahm er die völkerrechtliche Ausbildung der Attachés für das Auswärtige Amt in Speyer,33 eine Aufgabe, die ihm 1969 mittelbar seine Rolle als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Festlandsockelstreit bescheren sollte.34 1948 von Frankfurt nach Hamburg umhabilitiert, wurde Eberhard Menzel am 30. Mai 1952 an der Universität Hamburg zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Einen Ruf an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer lehnt er ab.35 Weitere Rufe sind im Gespräch, als Menzel 1954 den Ruf an die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel erhält, verbunden mit der Leitung des dortigen Instituts für Internationales Recht.

C. Direktor des Kieler Instituts für Internationales Recht I. Ein konfliktbeladenes Berufungsverfahren Durch den plötzlichen Tod Hermann v. Mangoldts im Februar 1953 war dessen Lehrstuhl in Kiel frei geworden. Auf dem ersten Platz der Berufungsliste stand der Freiburger Ordinarius für Völkerrecht und Berater von Bundeskanzler Adenauer, Wilhelm G. Grewe (1911–2000). Als dieser nach fast einem Jahr dauernden Verhandlungen den Ruf nach Kiel schließlich ablehnt, drängt das Ministerium die Fakultät zu einer zügigen Lösung, gerade auch im Interesse der Fortführung des Instituts für Internationales Recht. Bevor der Ruf an den Zweitplazierten ergeht, den Österreicher Hermann Raschhofer (1905–1979), wendet sich der Dekan der Juristischen Fakultät, Karl Larenz, am 17. Juli 1954 _____________ 30

Zur „Ära Menzel“ in Hamburg Hecker (Anm. 27), 219ff. Dieter Schröder, Die Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg, Verfassung und Recht in Übersee 2 (1969), 126– 130 (126). Eingehend Hecker (Anm. 27), 185–428. 32 Rauschning (Anm. 2), 16. 33 Hecker (Anm. 27), 216. 34 Vor allem legten das Auswärtige Amt und der Hauptvertreter Deutschlands, Günther Jaenicke, allerdings Wert auf eine Beteiligung Menzels am Prozess, weil dieser bereits zuvor ein umfassendes Gutachten über die einschlägigen Rechtsfragen erstellt hatte: Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 2.10.1968, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 35 Jost Delbrück, Eberhard Menzel [Nachruf], Christiana Albertina 11 (1979), 193– 195 (193) nennt das Jahr 1952. Nach Hecker (Anm. 27), 217, erhielt Menzel den Ruf erst 1954 im unmittelbaren Vorfeld des Kieler Rufs. 31

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schriftlich an das Kultusministerium.36 Sei es, dass die Fakultät fest mit Rufannahme durch Grewe gerechnet und Raschhofer, der seit dem Tode v. Mangoldts den vakanten Lehrstuhl vertritt, eher aus Courtoisie berücksichtigt hat, sei es nach nochmaligem Nachdenken: Larenz schreibt dem Ministerium, Raschhofer erscheine aus Sicht der Fakultät für eine Leitung des Instituts thematisch zu eng auf sein Spezialgebiet, Nationalitätenfragen, beschränkt. Er bittet, die Liste um Eberhard Menzel zu ergänzen, pari passu mit Raschhofer, den Ruf aber zuerst Menzel zu erteilen, „da er sowohl wegen seiner organisatorischen Erfahrung und seines bewiesenen Geschicks in der Leitung eines Instituts besser erscheint, als auch seine Themengebiete weitergefächert sind“.37 Betont wird insbesondere seine Expertise in Fragen der deutschen Ost- und Westgrenze. Auch weist Larenz darauf hin, dass schnell gehandelt werden müsse, um Menzel für die Kieler Position zu gewinnen; ausdrücklich wird auf den Speyerer Ruf verwiesen sowie auf andere Rufe, die sich abzeichneten. Dem Schreiben beigefügt ist ein Schriftenverzeichnis, in dem die soeben erwähnten Schriften von 1934 und 1938 fehlen. Bevor Menzel am 10. Februar 1955 den Ruf annahm, waren Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Seinem Wunsch nach einem freien Konto des Instituts für Internationales Recht für Einkünfte aus Veröffentlichungen und Gutachten, über das er unter anderem hektographierte Schriften und kurzzeitige Verträge für Hilfskräfte finanzieren wollte, konnte nicht entsprochen werden.38 Erfolg hatte Menzel hingegen in der causa Böhmert. Viktor Böhmert (1902–1975) war noch unter Walther Schücking Assistent am Institut für Internationales Recht geworden, an dem er von 1929 bis 1937 die Abteilung für Völkerbund, von 1937 bis 1943 dann die Abteilung für Internationales Privatrecht leitete. In der NS-Zeit hatte sich Böhmert, nach Zweifeln an seiner „politischen Zuverlässigkeit“, die 1933 im Rahmen des Habilitationsverfahrens laut geworden waren, um Unauffälligkeit bemüht und vor allem zu Rechtsfragen der Hochseefischerei in den nördlichen Meeren gearbeitet.39 Zum 1. April 1943 war er zum Extraordinarius ernannt worden, verbunden mit der schriftlichen Zusicherung: „Herr Prof. Dr. Böhmert wird zum Direktor bestellt werden.“40 Nun will die Fakultät ihr Versprechen einlösen. In demselben Schreiben, in dem er um Erteilung des Rufes an _____________ 36

Schreiben des Dekans an den Kultusminister vom 17.7.1954, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 37 Schreiben des Dekans an den Kultusminister vom 17.7.1954, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 38 Schreiben von Ministerialrat Dr. Fehling an Eberhard Menzel v. 19.2.1955, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 39 Näher zu Böhmerts Verhalten in der NS-Zeit Rücker (Anm. 17), 100ff. 40 Berufungsvereinbarung vom 15.2.1943, LASH, Abt. 811, Nr. 12143. Die Leitung des Instituts für Internationales Recht war mit der Entlassung Schückings 1933 von dessen Lehrstuhl abgetrennt und 1936 mit dem Ordinariat für Öffentliches Recht verbunden wor-

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Menzel bittet, schlägt der Dekan vor, Böhmert die persönlichen Rechte eines Ordinarius zu verleihen und ihn gemeinsam mit Menzel zum Mitdirektor des Instituts für Internationales Recht zu ernennen, das von ihm seit Mangoldts Tod kommissarisch geleitet wird.41 Für Menzel ergeben sich daraus zwei Konfliktpunkte. Der erste Konfliktpunkt ist die Geschäftsführung des Instituts, die Menzel für sich allein beansprucht.42 Zwar hält die Fakultät daran fest, dass Böhmert „gleichzeitig mit und neben“ Menzel zum Direktor bestellt werden solle, zeigt aber Entgegenkommen: „Diese Ernennung soll […] nur für die wissenschaftliche Stellung des Herrn Böhmert im Institut Bedeutung haben, seine Beteiligung an den Verwaltungsgeschäften also nicht einschließen.“43 Auf dieser Kompromisslinie erhält die Berufungsvereinbarung Menzels einen nachträglichen Zusatz, in dem ihm die geschäftsführende Leitung des Instituts übertragen wird.44 Allerdings sollte seine Leitung sich in den kommenden Jahren nicht bloß auf administrative Fragen beschränken.45 Nach übereinstimmenden Berichten von Mitarbeitern jener Zeit nahm Menzel Böhmert wissenschaftlich nicht ernst und drängte ihn im Institut an den Rand. Nach dem Umzug ins Universitätshochhaus 1964 erhielt Böhmert lediglich ein kleines Büro am Ende eines Flurs und tauchte am Institut praktisch nicht mehr auf.46 Der zweite Konfliktpunkt war die Rangfrage: Die Fakultät hatte beschlossen, Böhmert mit Dienstrang vor Menzel zum Ordinarius zu ernennen, weil dieser „sowohl an Lebensjahren wie als Lehrstuhlinhaber Herrn Menzel um mehr als 10 Jahre voraus ist“.47 Menzels gegen diese Absicht vorgebrachten Einwände48 hielt _____________

den, das damals Paul Ritterbusch übernahm (Nachfolger: Hermann v. Mangoldt). Böhmert war zwar ein Nachfolger auf dem Lehrstuhl seines Lehrers, hatte aber am Institut für Internationales Recht keine Leitungsfunktion mehr inne. 41 Schreiben des Dekans an den Kultusminister vom 17.7.1954, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 42 Vgl. Schreiben Eberhard Menzels an Dr. Fehling vom 10.2.1955, LASH, Abt. 811, Nr. 12248: „Hier wünsche ich […] ein Gegenzeichnungsrecht in dem Sinn, daß Herr Böhmert und ich jeden rechtsgeschäftlichen Akt in gleicher Weise zu unterzeichnen haben, zu vermeiden […]“. 43 Beschluss der Fakultät vom 27.1. 1955, LASH, Abt. 811, Nr. 12143. 44 Zusatzvereinbarung vom 23.2.1955 zur Berufungsvereinbarung vom 14.1.1955, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 45 Von 1955 bis 1972 wurde das Institut „allein durch ihn bestimmt“, wie Menzels Schüler Knut Ipsen aus eigenem Erleben und aus Mitteilungen älterer Assistenten berichtet: schriftliches Interview mit Angelika Stark vom 29.6.2014. 46 Knut Ipsen berichtet, er habe in seiner Zeit als Wissenschaftlicher Assistent ab 1967 Böhmert trotz eigener fast täglicher Präsenz kein einziges Mal am Institut gesehen: schriftliches Interview mit Angelika Stark vom 29.6.2014. 47 Beschluss der Fakultät vom 27.1. 1955, LASH, Abt. 811, Nr. 12143. 48 Vgl. Eberhard Menzel an Dr. Fehling vom 28.2. 1955, LASH, Abt. 811, Nr. 12143.

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der Universitätskurator für berechtigt, weil er eine klare Leitungsstruktur für das Institut wünschte, die durch einen akademischen Vorrang Böhmerts konterkariert würde. Die Absicht der Fakultät sei „menschlich verständlich“, komme aber letztlich zu spät. Die Frage des persönlichen Ordinariats für Böhmert hätte sie schon früher aufgreifen können.49 Mit Urkunde vom 6. April 1955, zugestellt am 4. Mai, wird Viktor Böhmert zum Ordinarius und Mitdirektor des Instituts ernannt, unter Hinweis auf Menzels Geschäftsführung.50 Eberhard Menzel erhält seine eigene Ernennung mit Wirkung bereits vom 1. April 1955. Seine Kieler Antrittsvorlesung hält er am 27. Januar 1956 zu dem Thema „Völkerrecht und staatliches Recht nach dem Bonner Grundgesetz“.51 Bis zu seinem gesundheitlichen Zusammenbruch Ende 1972 und dem endgültigen krankheitsbedingten Ausscheiden 1975 sollte Menzel des Institut für Internationales Recht leiten und prägen. Durch zahlreiche Gutachten und eine umfangreiche Beratungstätigkeit, namentlich für das Auswärtige Amt, sowie durch die Teilnahme an großen internationalen wissenschaftlichen Konferenzen, u.a. in Cambridge (1962), Udaipur (1964), Zoppot (1966), Ronneby (1967) und Sotschi (1969),52 trug Menzel entscheidend dazu bei, dass das Kieler Institut über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt wurde und an Ansehen gewann.53 Zu seinem Nachfolger wurde 1976 einer seiner Schüler berufen: Jost Delbrück54 – der eine weitere Ära in der Geschichte des Instituts begründen würde, dem er bis 2001 vorstand. II. Eberhard Menzel als Wissenschaftler Die literarische Produktivität, die Menzel in Kiel entfaltet hat, ist eindrucksvoll, sowohl in der Zahl als auch in der thematischen Breite.55 Beim innerstaatlichen Recht liegt der Schwerpunkt seiner Publikationen auf dem Staatsorganisationsrecht sowie der Rolle der EMRK für das deutsche Recht; mehrfach befasst er sich auch mit Fragen des öffentlichen Dienstrechts, des Hochschulrechts und der Juristenausbildung. Die Notstandsgesetzgebung der großen Koalition unter Bundeskanzler Kiesinger ruft Menzel 1967/68 auf den Plan. Er ruft ein „Kurato_____________ 49

Vermerk Dr. Fehling vom 15.3.1955, LASH, Abt. 811, Nr. 12143. Ernennungsurkunde vom 6.4.1955, LASH Abt. 811, Nr. 12143. 51 Gerd Griesser, Begrüßungsansprache, in: Reden in memoriam Eberhard Menzel, Kiel 1981, 7–8 (7). 52 Rauschning (Anm. 2), 18. 53 Delbrück (Anm. 35), 194. 54 Ursula E. Heinz, 75 Jahre Institut für Internationales Recht, in: Institut für Internationales Recht (Hrsg.), 75 Jahre Institut für Internationales Recht an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel, Kiel 1989, 5–23 (15). 55 Zu Menzels Publikationen vgl. Kieler Publikationen zum Völkerrecht 1900–1975, im Anhang zu diesem Band. 50

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rium für die öffentliche Diskussion der Notstandsgesetzgebung an der Universität Kiel“ ins Leben und erarbeitet dort gemeinsam mit dem Kollegen Ekkehart Stein, Assistenten und Studierenden einen „Kieler Entwurf“ zur Notstandsverfassung, der sich für eine möglichst klare Regelung der Grundzüge in einem gesonderten Abschnitt des Grundgesetzes und die gebündelte Regelung von Detailfragen in einem mit Zweidrittelmehrheit zu beschließenden Bundesgesetz ausspricht.56 Im „Bonner Kommentar zum Grundgesetz“ sichert er sich und seinen Schülern die Kommentierung der neuen Bestimmungen.57 Als Rechtswissenschaftler mischt Menzel sich ein und positioniert sich politisch. Als sich z.B. Bundespräsident Lübke 1965 weigert, den von Bundeskanzler Erhard zum Außenminister bestimmten Gerhard Schröder zu ernennen, stützt Menzel mit einiger Breitenwirkung58 die Position Erhards.59 Meinungsstark und ohne Scheu vor Polarisierung zeigt sich Menzel auch in seinen übrigen Arbeiten, wobei er die gesamte Vielfalt der Foren nutzt: Aufsätze in Fach- und Ausbildungszeitschriften, Kommentierungen, Lexikon- und Zeitungsartikel und andere an ein breiteres nichtjuristisches Publikum (Soldaten, DRK-Mitarbeiter, Volkshochschulen u.a.) gerichtete Texte. Seine zentralen völkerrechtlichen Themen sind Rechtsfragen der internationalen Sicherheit60, Abrüstung und Rüstungskontrolle, das Ost-West-Verhältnis und – damit untrennbar verbunden – die „deutsche Frage“. Auch hier schwimmt Menzel gegen den (transatlantischen) Strom der Bonner Republik. Er schreibt gegen die Hallstein-Doktrin an61, engagiert sich in der Pugwash-Bewegung gegen Kernwaffen, publiziert in der Schriftenreihe des Instituts Übersetzungen _____________ 56

Eberhard Menzel, Der Kieler Entwurf zur Notstandsverfassung, DÖV 1968, 297– 308. Siehe zuvor bereits ders., Notstandsgesetzgebung und Europäische Menschenrechtskonvention, DÖV 1968, 1–10. 57 Art. 53a, Art. 115e GG: Jost Delbrück; Art. 87a, Art. 115b, Art. 115f: Knut Ipsen; Art. 115a: Eberhard Menzel; Art. 115c, Art. 115d, Art. 115k: Dietrich Rauschning. 58 Vgl. N.N., Einen anderen suchen, Der Spiegel 42/1965 vom 13.10.1965, 29–32, 34, 37–39 (31). 59 Eberhard Menzel, Ermessensfreiheit des Bundespräsidenten bei der Ernennung der Bundesminister?, DÖV 1965, 581–597. 60 Für Otto Kimminich, Das wissenschaftliche Werk von Eberhard Menzel, in: Reden in memoriam Eberhard Menzel, Kiel 1981, 21–35 (24), gehörten seine Schriften zu diesem Themenkomplex „wohl zu dem Höhepunkt des Schaffens von Eberhard Menzel“. Vgl. auch die Würdigung von Menzels Positionen bei Janis Daniel, Themen in Forschung und Lehre II: Rechtsfragen von Krieg und Frieden, in diesem Band. 61 Vgl. Eberhard Menzel, Offizielle Beziehungen zu Warschau und Prag. Völkerrechtliche Bemerkungen über die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Polen und der Tschechoslowakei, in: Arbeitskreis für Ostfragen (Hrsg.), Offizielle Beziehungen, ein politischer Weg?, Hannover 1960, 40–59; ders., Die Anerkennung von Staaten und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen als rechtliches

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sowjetischer Völkerrechtsliteratur62, spricht im Vietnamkrieg von der „Fiktion des Bürgerkriegs“ (und zweifelt damit an der vietnamesischen wie der USamerikanischen Argumentation)63 und plädiert für eine Anerkennung der deutschen Nachkriegsgrenzen64. Vorübergehend liebäugelt Menzel mit einer von der SED ins Gespräch gebrachten Konföderation der beiden deutschen Staaten als Vorstufe der Einheit;65 später stellt er die unbequeme Frage nach einer Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland.66 Es verwundert nicht, dass Eberhard Menzel ein vehementer Befürworter der Ostpolitik Willy Brandts67 wird, deren vertragliche Umsetzung er beratend begleitet und der er in mehreren Publikationen68 und mit einem in Kiel veranstalteten Symposium69 wissenschaftliche Schützenhilfe leistet. Als die Blockade der Ostverträge über den Bundesrat _____________

und politisches Problem. Zu den völkerrechtlichen Grundlagen einer deutschen Ostpolitik, Moderne Welt 8 (1967), H. 2, 120–142. 62 Akademie der Wissenschaften Moskau, Völkerrecht: Lehrbuch (1957), Hamburg 1960; Grigorij Tunkin/David B. Lewin, Drei sowjetische Beiträge zur Völkerrechtslehre, Hamburg 1969. 63 Eberhard Menzel, Der Vietnamkrieg und das Völkerrecht, Kieler Nachrichten vom 4.8.1966, 10. 64 Eberhard Menzel, Rechtspflicht zur Anerkennung der gegenwärtigen Grenzen, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 28.8.1970, 11. 65 Eberhard Menzel, Falsche staats- und völkerrechtliche Thesen zur Wiedervereinigung. Eine Auseinandersetzung mit Theodor Eschenburgs Schrift „Die deutsche Frage, das Verfassungsproblem der Wiedervereinigung“, Blätter für deutsche und internationale Politik 4 (1959), 707–725 (717). Näher Dong-Ki Lee, Option oder Illusion? Die Idee einer nationalen Konföderation im geteilten Deutschland 1949–1990, Berlin 2010, 177ff. zu dem „westdeutschen Echo“ auf den SED-Vorschlag in den „Blättern“, aber auch zur teilweisen Unterwanderung der Debatte durch das DDR-Ministerium für Staatssicherheit. 66 Eberhard Menzel, Die Anerkennung der DDR als völkerrechtliches und politisches Problem, in: Gegenwartskunde 1968, 313–321; ders., Anerkennung oder Nichtanerkennung der DDR? Zur Klärung der völkerrechtlichen und politischen Grundfragen, Politik 1969, H. 3/4, 70–103; ders., Abkommen mit der DDR unterhalb der Schwelle der völkerrechtlichen Anerkennung?, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 25.2.1970. 67 In einem kurzen Beitrag würdigt Menzel in Erinnerung eigener Begegnungen Brandts Persönlichkeit und Stil in scharfem Kontrast zu Konrad Adenauer: Eberhard Menzel, Konrad Adenauer und Willy Brandt (Gedanken über einen Politiker), in: Dagobert Lindlau (Hrsg.), Dieser Mann Brandt, München 1972, 145–151. 68 Eberhard Menzel, Der Moskauer Vertrag und das Völkerrecht, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 28.8.1970; ders., Verfassungswidrigkeit der Ostverträge von 1970?, DÖV 1971, 361–378; ders., Die Ostverträge von 1970 und der „Deutschland“-Begriff des Grundgesetzes, DÖV 1972, 1–13; ders., Die Ostverträge von 1970 und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, ZRP 1972, 35–41. 69 Ostverträge, Berlin-Status, Münchener Abkommen, Beziehungen zwischen der BRD und der DDR. Vorträge und Diskussionen eines Symposiums, veranstaltet vom Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel vom 27.–29. März 1971, Hamburg 1971.

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droht, spricht sich Menzel für eine restriktive Rolle der Länderkammer in der Zustimmungsgesetzgebung gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG aus.70 Weitere Themen, denen er sich wiederholt widmet, sind das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Staatsangehörigkeitsrecht und der völkerrechtliche Minderheitenschutz. Zunehmend finden sich auch seevölkerrechtliche Themen, in deren Mittelpunkt sein Gutachten (1964) über den Festlandsockel in der Nordsee steht. Dass sich Menzel dem Völkerrecht in dessen gesamter thematischer Breite widmete, lässt sich am besten an seinem Lehrbuch ablesen, das erstmals 1962 erschien. Als kompaktes Werk (463 Seiten) aus einer Hand begonnen, wurde es später von Menzels Schüler Knut Ipsen in Herausgeberschaft übernommen; die jüngste, 6. Auflage (2014) des immer noch als „Kurz-Lehrbuch“ bezeichneten Werks umfasst stattliche 1280 Seiten. Dieses Lehrbuch war in doppelter Hinsicht eine Schmerzensgeburt. Wiederholt hatte Menzel sich mit Nachdruck um die Bewilligung des ihm zustehenden Forschungssemesters bemüht, um das Werk zu vollenden; das Dekanat aber mochte den Antrag nicht unterstützen. Zeitgleich verhandelte die Fakultät nämlich über die Bewilligung einer zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Professur. Ein Forschungssemester für Menzel hätte das Argument geschwächt, ohne eine weitere Professur sei die Lehre im Öffentlichen Recht nicht sicherzustellen.71 Das Tauziehen um das Forschungssemester brachte, und dies dürfte der zweite Stachel gewesen sein, Menzel zeitlich ins Hintertreffen gegenüber Georg Dahm, dessen dreibändiges Lehrbuch zum Völkerrecht inzwischen vollständig erschienen war (Band 1: 1958, Band 2: 1960, Band 3: 1961). Mit Dahm habe Menzel „Konkurrenz im eigenen Haus“ gehabt, berichtet Jost-Dietrich Busch, der vom Wintersemester 1955/56 an Lehrveranstaltungen bei beiden belegte.72 Dahm war zwar Inhaber eines Lehrstuhls für Rechtsenzyklopädie, Rechtsvergleichung und Geschichte der Rechtswissenschaft und an „Menzels Institut“ nur Gast; durch die Hinwendung des einstigen strafrechtlichen Exponenten der „Kieler Schule“ zum Völkerrecht war er aber zu einem viel ernstlicheren Konkurrenten geworden als Menzels Mitdirektor Böhmert. Dahm galt als wissenschaftlich brillant und genoss auch als akademischer Lehrer Verehrung.73 Im Institutsgebäude in der Dänischen Straße 15 hatte Menzel Dahm eine Kammer zugestanden, in der dieser, mit relevanter Literatur und sämtlichen _____________ 70 Eberhard Menzel, Bundesrat – Bremse gegen Ostverträge?, Die Zeit, Nr. 45 vom 27.8.1971, 40. Siehe auch: Bedürfen „politische Verträge“ der Zustimmung des Bundesrates? Kontroverse Menzel – Klein – Menzel, JZ 1971, 745–759. 71 LASH, Abt. 811, Nr. 12248. Im Mittelpunkt stand das Wintersemester 1960/61, in dem der Abgang Karl Josef Partschs nach Mainz zusätzliche Probleme für die Sicherung der Lehre im Öffentlichen Recht schaffte. 72 Jost-Dietrich Busch in einem Telefoninterview mit Andreas v. Arnauld am 26.4.2016. 73 Zu Dahm näher Rudolf Meyer-Pritzl, Georg Dahm (1904–1963). Vom völkischen Recht zum Völkerrecht, in diesem Band.

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UN-Dokumenten in Griffbereitschaft, an seinem völkerrechtlichen opus magnum arbeitete.74 Das gespannte Verhältnis zwischen beiden kommt auch in der scharfen öffentlichen Kritik zum Ausdruck, die Menzel an Dahm wegen dessen Vergangenheit als Protagonist der NS-Rechtswissenschaft geübt haben soll.75 Neben den eigenen Publikationen führte Menzel in Kiel das Aufbauwerk Hermann v. Mangoldts fort. Dazu gehörte auch die Kooperation mit dem Göttinger Institut für Völkerrecht und seiner eigenen früheren Wirkungsstätte, der Hamburger Forschungsstelle.76 Die schon 1950 begonnene gemeinsame Reihe „Dokumente“ wurde um die „Hektographierten Veröffentlichungen“ (1956–1960) sowie eine Reihe mit völkerrechtlichen Bibliographien (1966–1972) ergänzt. Fortgesetzt wurde, ebenfalls gemeinsam mit Hamburg, die Herausgabe des „Jahrbuchs für Internationales Recht“.77 Ab dem 12. Band (1965) wurde dieses nur noch in Kiel betreut, wo Menzel dirigierenden Einfluss hatte: Er legte die Schwerpunkte fest, „wobei er den Abhandlungsteil gern mit einem umfänglichen eigenen Beitrag eröffnete, an den sich themennahe Beiträge, die er überwiegend selbst angeregt hatte, anschlossen.“78 Alle Beiträge las er bis ins Kleinste, versah sie mit vielen, nicht selten recht deutlichen, Anmerkungen und gestattete die Veröffentlichung erst, wenn er mit dem Ergebnis vollständig zufrieden war.79 Thematische Schwerpunkte der von Menzel betreuten Dissertationen80 sind jenseits der erwähnten Rechtsgebiete namentlich das ausländische öffentliche Recht (einschließlich des Rechts afrikanischer Staaten81) sowie das noch junge Recht der Europäischen Gemeinschaften.

_____________ 74

Busch, Telefoninterview (Anm. 72) sowie mündliche Auskunft von Jost Delbrück. Ipsen, Interview (Anm. 46). 76 Heinz (Anm. 54), 14. 77 Vgl. näher Andreas v. Arnauld/Laura Kresse, Zeitschriften am Institut für Internationales Recht. Das German Yearbook of International Law und seine Vorgänger, in diesem Band. 78 Ipsen, Interview (Anm. 46). 79 Ipsen, Interview (Anm. 46). 80 Siehe dazu das Verzeichnis der am Institut betreuten Dissertationen im Anhang zu Jost Delbrück u.a. (Hrsg.), Von Kiel in die Welt: Kiel’s Contribution to International Law. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, Berlin 2014. 81 Vgl. u.a. Franz v. Benda-Beckmann, Rechtspluralismus in Malawi. Geschichtliche Entwicklung und heutige Problematik des pluralistischen Rechtssystems eines ehemals britischen Kolonialgebiets (1970); Klaus-Wendelin v. Sperber, Die Entwicklung des Verwaltungssystems in Tanzania (1970). 75

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III. Eberhard Menzel als Dozent und akademischer Lehrer Als akademischer Lehrer scheint Menzel die meisten seiner Fakultätskollegen in den Schatten gestellt zu haben. Er war der erste im Kollegium, der die Studierenden aufforderte, im Unterricht Fragen zu stellen, und der regelmäßige Sprechstunden abhielt.82 Für seinen Schüler Knut Ipsen war er die „eindrucksvollste Persönlichkeit des damaligen Lehrkörpers der juristischen Fakultät“;83 auch andere Zeitzeugen berichten, dass Menzel ein herausragender Dozent gewesen sei, der rhetorisch allenfalls noch von – ausgerechnet – Georg Dahm übertroffen wurde.84 In seinem Habitus war Menzel „der typische Ordinarius damaligen Universitätszuschnitts“.85 Dass er das rebellische Gebaren von „1968“ nur „schwer verkraften“ konnte,86 ist nicht ohne Ironie, weil er sich frühzeitig für studentische Belange einsetzte87 und mit seinen politischen Positionen gerade in der Studierendenschaft Anhänger hatte. Während der Krise um die Rektoratswahl 1963/64 waren es die Studierenden, die ihn mit besonderem Nachdruck unterstützten.88 In der Lehre wird Menzel als gewissenhaft geschildert;89 Klausuren und Hausarbeiten sah er selbst gründlich durch und ergänzte die Anmerkungen des Korrekturassistenten regelmäßig durch eigene Randnotizen. In der Ausbildung versuchte er gelegentlich, neue Wege zu gehen, indem er z.B. in den Übungen zum öffentlichen Recht neben der klassischen Fallbearbeitung auch Themenarbeiten zur Wahl stellte (einmal etwa zum Thema „Verfassungsänderung, Verfassungswandel, Verfassungsbruch“). Den akademischen Lehrer beschreiben die Schüler übereinstimmend als einen Patriarchen im echtesten Sinne: „immer äußerst kritisch nach innen und schützend nach außen“.90 Als Ordinarius verstand sich Menzel als „ausgereifter Magister der ihn umgebenden Scholaren“, „er blieb Lehrer im Sinne des Wortes, er ging davon aus, dass der Assistent und Habilitand noch sehr viel zu lernen

_____________ 82

Norbert Gansel am 20.10.2016 in einem Telefongespräch mit Andreas v. Arnauld. Ipsen, Interview (Anm. 46). 84 U.a. Jost Delbrück und Norbert Gansel in persönlichen Gesprächen mit Andreas v. Arnauld. 85 Ipsen, Interview (Anm. 46). 86 Ipsen, Interview (Anm. 46). 87 Etwa für die Beteiligung der Studierendenschaft an den Beratungen innerhalb der Fakultät: Jost Delbrück, Begrüßungsansprache, in: Reden in memoriam Eberhard Menzel, Kiel 1981, 9–10 (10). 88 Näher dazu unten D.III. 89 Zum Folgenden erneut Ipsen, Interview (Anm. 46). 90 Delbrück (Anm. 35), 194. 83

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hatte“.91 Daher entschied er Dissertationsthemen „gern vollständig selbst“,92 und es bedurfte schon einigen Muts, um ihn um ein anderes als das zugeteilte Thema zu bitten.93 Die dominante Lehrerpersönlichkeit erlebte Ipsen bei seiner eigenen Doktorarbeit: Nur mit viel Überzeugungskraft konnte er Menzel bewegen, seine im Laufe der Arbeit erlangten Erkenntnisse zu akzeptieren.94 Angesichts des Erkenntnisgefälles, das er zwischen Professor und Assistent sah, überrascht es wenig, dass Menzel sich von seinen Mitarbeitern nicht einmal partielle Entwürfe für eigene Publikationen fertigen ließ. Einzig der jeweils dienstälteste Assistent wurde als primus inter pares in die Leitung des Instituts und insbesondere in die redaktionelle Betreuung des Jahrbuchs einbezogen, ohne dass Menzel deswegen aber je persönliche Nähe zugelassen hätte.95 Die Charakterisierung der Persönlichkeit Eberhard Menzels durch Ipsen spiegelt wider, was auch andere ehemalige Studenten und Mitarbeiter über ihn berichten: Menzel sei eine „kantige Persönlichkeit mit Ausstrahlung beträchtlicher Autorität“ gewesen, der zu „brutaler Offenheit“ neigte und dessen stets gewahrte Distanz von Außenstehenden gelegentlich als Hochmut missdeutet worden sei.96 In der richtigen Gesellschaft und Stimmung allerdings habe Menzel ein „humorvoller und interessanter Gesprächspartner“ sein können.97

D. Die Rektoratskrise 1963/64 I. Die Rektoratswahl Zu Eberhard Menzels Selbstverständnis als Hochschullehrer gehörte auch das Engagement in der akademischen Selbstverwaltung.98 Bereits 1955 wurde er Mitglied des Bauausschusses der Fakultät und wirkte bei der Neugestaltung des _____________ 91

Beide Zitate von Ipsen, Interview (Anm. 46). Ipsen, Interview (Anm. 46). 93 Rainer Lagoni, Seerecht in Praxis, Lehre, Wissenschaft. Zum Werk von Peter Ehlers, in: Ingelore Hering/Rainer Lagoni/Marian Paschke (Hrsg.), Nutzung und Ordnung der Meere. Festgabe für Peter Ehlers zum 65. Geburtstag, Hamburg 2010, 11–21 (13) mit Erwiderung von Peter Ehlers, Was ich noch anmerken wollte, 155–182 (156f.). 94 Ipsen, Interview (Anm. 46). 95 Ipsen, Interview (Anm. 46). 96 Hecker (Anm. 27), 271, zitiert das „Urteil eines Dritten“, das Menzel während seiner Hamburger Zeit von Rolf Stödter eröffnet wurde: „Sachlich bestens qualifiziert; wie schade, daß er sich das Vorankommen selbst dadurch schwer macht, daß er nicht liebenswürdig genug ist“. 97 Ipsen, Interview (Anm. 46). 98 Rauschning (Anm. 2), 16. 92

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Campus mit. Anfang 1957 wurde er Wahlsenator und 1959 (erneut für das akademische Jahr 1969/70) Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät.99 Als „eine Art Krönung des Professorendaseins“100 erschien ihm das Amt des Rektors der Christiana Albertina, in das ihn das Konsistorium der Universität am 5. Dezember für das Amtsjahr 1964/65 wählte. Von 120 Stimmen entfielen auf Menzel 86, bei einer zweistelligen Anzahl von Enthaltungen.101 Die Zahl der Enthaltungen mag andeuten, dass Eberhard Menzel sich an der Universität und – vor allem – der Fakultät nicht nur Freunde gemacht hatte. Menzel galt als mächtiger Mann, gerade in seiner Rolle als Geschäftsführender Direktor eines großen fakultätsunabhängigen Instituts. Das „Gewicht seiner Persönlichkeit“, schreibt Knut Ipsen, hätten manche als „erdrückend“ empfunden.102 Dennoch war das Abstimmungsergebnis deutlich. Die Wahl nahm Menzel noch am selben Tag an. Wie üblich, wurde das Kultusministerium über das Ergebnis unterrichtet und um Bestätigung der Wahl gebeten. Dem Amtsantritt im März 1964 schien nichts entgegenzustehen. Doch das sollte sich schon bald anders darstellen. II. Ein anonymes Schreiben Zu Beginn des Jahres 1964 erreicht ein Schreiben die Poststelle des Kultusministeriums, das mit den – höchstwahrscheinlich falschen – Initialen „R.D.“ unterschrieben ist.103 Darin wird Menzel vorgeworfen, in seiner Zeit als Assistent Friedrich Gieses an der Universität Frankfurt NS-Gedankengut verbreitet zu haben. Der anonyme Briefeschreiber bezieht sich dabei auf das Buch „Vom deutschen Völkerrechtsdenken der Gegenwart“, das 1938 unter den Namen Gieses und Menzels publiziert wurde104 und in das – ohne präzise Kennzeichnung individueller Urheberschaft – verschiedenen Referate jenes Frankfurter Seminars vom Sommersemester 1937 eingegangen waren. Besonders hebt der Verfasser des anonymen Schreibens die Seiten 20 bis 51 des Buches hervor, in denen Überlegungen zu „Rasse“ und „rassischem Denken“, zu der Abstammung und Verschiedenheit von Menschen, zu „Ariern“ und „Nichtariern“ breiten Raum finden. Die Schrift war zuvor nicht völlig unbemerkt geblieben; ihretwegen hatte Friedrich Giese von der US-Militärverwaltung im März 1946 ein Lehrverbot erhalten, _____________ 99

Auch nach der Krise zog sich Menzel nicht völlig zurück. So war er namentlich Mitglied der Arbeitsgruppe zur Reform der Universitätsverfassung 1967 und nahm so wichtigen Einfluss auf die Neufassung. Dazu auch Eberhard Menzel, Die Verfassung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel vom 11.2.1967, Christiana Albertina 5 (1968), 14–32. 100 Ipsen, Interview (Anm. 46). 101 Sitzungsprotokoll des Konsistoriums vom 5.12.1963, LASH, Abt. 811, Nr. 11055. 102 Ipsen, Interview (Anm. 46). 103 Anonymes Schreiben an das Kultusministerium vom 3.1.1964, LASH, Abt. 811, Nr. 11055. 104 Giese/Menzel (Anm. 25).

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dem er nur durch Ausweichen nach Mainz, in die französische Besatzungszone, entgehen konnte.105 Für Eberhard Menzel hatte das Buch bis dahin aber keinerlei Konsequenzen gehabt. Der anonyme Schreiber behauptete nun, dass die dem Ungeist des Nationalsozialismus verpflichteten Teile, insbesondere die rassistischen Abschnitte, allein Menzel zuzuschreiben seien. Vor allem stützte er dies auf die Aussage Gieses im Vorwort, wonach Menzel als unermüdlicher Helfer das Werk ausgebaut und ausgestaltet habe106. Das Kultusministerium ging den Vorwürfen im Januar und Februar 1964 nach.107 Kurz nach Erhalt des Schreibens wurden die fragliche Schrift und die anonym erhobenen Vorwürfe einer näheren Prüfung unterzogen. Zudem führte Kultusminister Osterloh mehrere Gespräche sowohl mit dem Kurator der Universität als auch mit Eberhard Menzel selbst. Bei der Einsicht in die Personalakte fiel auf, dass das inkriminierte Buch in dem Schriftenverzeichnis fehlte, das Menzel seinerzeit vorgelegt hatte. In den Akten fand sich aber auch eine Bescheinigung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, wonach Menzels Personalakten im Krieg verloren gegangen seien;108 Menzel hatte daher aus Anlass seiner Verbeamtung in Hamburg Angaben zu Person und Werdegang aus dem Gedächtnis rekonstruieren müssen. Wohl aufgrund dieser Umstände gelangte man in Kiel zu der Überzeugung, dass Menzel die Schrift nicht wissentlich verschwiegen habe und selbst erst durch die anonymen Vorwürfe auf deren Fehlen aufmerksam geworden sei.109 Bedenkt man, dass 1946 Menzels Schriftenverzeichnis noch überschaubar war und dass er bei dessen gedächtnisgestützter Rekonstruktion die beiden kleinen Monographien aus dem Jahr 1934 praktischerweise gleich mit vergaß, erscheint dies als doch recht nachsichtige Interpretation. Nach dieser internen Prüfung zweifelt man im Ministerium zwar nicht länger an der menschlichen und wissenschaftlichen Integrität Eberhard Menzels,110 tendiert aber dennoch dazu, die Bestätigung seiner Wahl zu verweigern. Als Grund wird die Sorge genannt, es könne öffentliche Angriffe auf ihn geben. Immerhin sei Menzel für eine Publikation mitverantwortlich, die in manchen Punkten zumindest zu „Missdeutungen“ Anlass gebe, wie auch das lückenhafte Publikationsverzeichnis zu Spekulationen verleiten könne. Außerdem sei nicht davon ausgehen, dass er _____________ 105 Näher zur Entlassung Gieses Stefan Ruppert, „Streng wissenschaftlich und völlig unpolitisch“. Der Staatsrechtler Friedrich Giese in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Jörn Kobes/Jan-Otmar Hesse (Hrsg.), Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945, Göttingen 2008, 183–204 (199ff.). 106 Giese/Menzel (Anm. 25), 10. 107 Der folgende Ablauf nach einer zeitlichen Auflistung der Geschehnisse in den Akten über die Rektoratswahl, LASH, Abt. 811, Nr. 11055. 108 Abschrift der Bezeugung vom 28.8.1946 durch das OLG Hamburg, LASH, Abt. 47, Nr. 6850. 109 So Ministerialdirektor Kock in einem undatierten Vermerk, LASH Abt. 811, Nr. 11055. 110 Undatierter Vermerk, LASH, Abt. 811, Nr. 11055.

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nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Vorwürfe noch das Vertrauen aller Mitglieder der Universitätsgemeinschaft habe.111 Dass das Kultusministeriums bereit war, Menzel allein wegen des öffentlichen Eindrucks, den seine Bestätigung gemacht hätte, fallen zu lassen, dürfte an der damaligen politischen Situation im Lande gelegen haben. Die Entnazifizierung war in Schleswig-Holstein 1951 (vor)schnell für abgeschlossen erklärt worden; selbst schwer belastete Nationalsozialisten hatten hier den Weg in hohe Ämter finden können, bis hinauf in die Landesregierung.112 Seit 1963 wurde das Land von dem früheren NSDAP-Bürgermeister Eckernfördes, Helmut Lemke (1907–1990), regiert; auch andere Mitglieder seines Kabinetts waren vorbelastet.113 In den 1960er Jahren hatten gerade im Amtsbereich des Kultusministeriums mehrere Vorfälle nach wie vor wirksame „braune Seilschaften“ öffentlich werden lassen. So hatte der frühere SS-Hauptsturmführer Hans Joachim Beyer (1908–1971) unter der Patronage Osterlohs an der Hochschule Flensburg als Dozent Geschichtslehrer ausgebildet; im Herbst 1960 hatte Osterloh dem Kieler Ordinarius für Kinderheilkunde, Werner Catel (1894–1981), trotz dessen gerade bekannt gewordener Verwicklung in das NS-Euthanasieprogramm den Rücken gestärkt; hinzu trat im Januar 1963 der Fall eines Schulleiters, an dessen Geesthachter Gymnasium der „Nachfolger des Führers“, Großadmiral a.D. Karl Dönitz (1891–1980), zum „30. Januar 1933 und den Folgen“ referiert hatte, auf Einladung des Schülersprechers – des späteren Ministerpräsidenten Uwe Barschel (1944–1987).114 Kultusminister Edo Osterloh stand also unter akutem politischen Druck. Mitte Februar 1964 fanden weitere Gespräche zwischen Menzel, Vertretern der Universität und des Ministeriums statt. Menzel sah sich durch die Überprüfung zwar rehabilitiert; er selbst schlug aber letztlich den Kompromiss vor, auf _____________ 111

Undatierter Vermerk des Kultusministeriums, LASH, Abt. 811, Nr. 11055. Der damalige Kultusminister Paul Pagel (CDU), einziger Minister im Kabinett Bartram (1950/51) ohne NS-Vergangenheit, schrieb nach dem gesetzlich erklärten Abschluss der Entnazifizierung in sein Tagebuch: „Man kann mit Recht allmählich von einer Renazifizierung sprechen. Merkwürdig, wie selbstverständlich die alten Nazis auftreten“, zitiert nach Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 18/1144 vom 25.9.2013. – Zur Untermauerung dieser „Renazifizierung“ jüngst eindrucksvoll Uwe Danker/Sebastian Lehmann-Himmel/Stephan Glienke, Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive, Studie im Auftrag des schleswig-holsteinischen Landtags, 2016, https:// www.landtag.ltsh.de/aktuell/panorama_berichte/16_04_27_danker.html. 113 Innenminister Hartmut Schlegelberger (1913–1997) hatte als Marinerichter an Todesurteilen mitgewirkt; Wirtschaftsminister Hermann Böhrnsen (1900–1976) war eine treibende Kraft bei der Bücherverbrennung in Rendsburg 1933 gewesen; Landwirtschaftsminister Ernst Engelbrecht-Greve (1916–1990) ab 1935 Mitglied der NSDAP; Justizminister Bernhard Leverenz (1909–1987) war wegen seiner nachsichtigen Haltung gegenüber ehemaligen Angehörigen der NS-Justiz in die Kontroverse geraten. 114 N.N., Schatten am Meer (Anm. 7), 21f. 112

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den man sich schließlich zur allseitigen Gesichtswahrung verständigte: Das Ministerium würde Menzel bestätigen, im Gegenzug würde dieser auf die Ausübung des Amtes verzichten.115 Osterloh erteilte die Bestätigung am 21. Februar 1964; am folgenden Tag teilte Menzel mit den eingangs zitierten Worten seinen Amtsverzicht mit. Weitere drei Tage später wurde der Leichnam Edo Osterlohs aus der Kieler Förde geborgen. Sein Selbstmord wurde teils mit den jüngsten Vorkommnissen in Verbindung gebracht, dürfte aber private Gründe gehabt haben.116 Was Menzel bewogen hatte, dem Druck nachzugeben, lässt sich nicht leicht rekonstruieren. Aus dem Kreise seiner Schüler heißt es, er habe die Universität nicht in tagespolitische Auseinandersetzungen um seine Person verwickeln wollen.117 Vermutlich dürfte Menzel in der Affäre vor allem den Rückhalt von Universität und Fakultät schmerzlich vermisst haben, dessen er bedurft hätte, um das Rektorat selbstbewusst in hochschulpolitische Kontroversen zu führen.118 Von wem das anonyme Schreiben stammte, beschäftigte einige Zeit lang die Medien. So zitierte das „Hamburger Abendblatt“ den damaligen Oppositionsführer im Kieler Landtag mit der Vermutung, dass die Vorwürfe gegen Menzel aus dem Kreis der Universitätsgemeinschaft lanciert worden seien;119 der „Spiegel“ sprach, allerdings ohne näheren Hinweis, von „einem Assistenten der MenzelFakultät“.120 Bis zum heutigen Tage wurde die Identität des Briefeschreibers nicht geklärt. In den Akten des Ministeriums findet sich noch ein weiteres Schreiben, unterzeichnet mit dem Pseudonym „Müller“, das die Vorwürfe gegen Menzel erneuert und ergänzt.121 Ausdrücklich wird hier neben der Schrift von 1938 auf eine frühere Publikation verwiesen, die allerdings nicht beim Namen genannt wird – möglicherweise eine der beiden Schriften von 1934? Es hat den Anschein, als hätte niemand dem neuen Schreiben Beachtung geschenkt. Dies verdeutlicht noch einmal, dass es den Verantwortlichen in Politik und Universität damals nicht um Aufklärung, sondern um Schadensbegrenzung ging.

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Schreiben von Prof. Dres. Bergmann und Schröder an den Kultusminister vom 17.2.1964, LASH, Abt. 811, Nr. 11055. 116 Vgl. N.N., Schatten am Meer (Anm. 7), 22. 117 Jost Delbrück/Knut Ipsen/Dietrich Rauschning, Zueignung, in: dies. (Hrsg.), Recht im Dienst des Friedens. Festschrift für Eberhard Menzel zum 65. Geburtstag, Berlin 1975, V-VIII (VII). 118 So die Einschätzung von Ipsen, Interview (Anm. 46). 119 N.N., Neuer Kieler Rektor verzichtet auf Amtsantritt, Hamburger Abendblatt vom 24.2.1964, LASH, Abt. 811, Nr. 11055. 120 N.N., Schatten am Meer (Anm. 7), 22. 121 Undatiertes Schreiben, LASH, Abt. 811, Nr. 11055.

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III. Die zeitgenössische Debatte Während man im Ministerium noch mit einer Entscheidung rang, sollen manche innerhalb der Universität nicht ohne heimliche Schadenfreude registriert haben, dass es diesmal den mächtigen und sonst so selbstbewussten Professor Menzel getroffen hatte.122 Einige griffen die Vorwürfe in dem anonymen Schreiben offen auf und erklärten, dass Menzel als Rektor untragbar sei123 – nicht zuletzt, um durch solche Erklärungen den Druck auf Osterloh zu erhöhen, die Bestätigung zu versagen.124 Öffentliche Unterstützung erfuhr Menzel aus der Studierendenschaft, aus Teilen der Professorenschaft und durch die liberale Presse. In einer Presseerklärung vom 26. Februar 1964 solidarisierte sich der Allgemeine Studentenausschuss mit ihm, bezeichnete die anonym erhobenen Vorwürfe als „politischen Rufmord“ und forderte eine Aufklärung der Vorgänge.125 Einige Tage später folgten elf Professoren und Dozenten der Christian-Albrechts-Universität mit einer weiteren Solidaritätserklärung, die u.a. in den „Kieler Nachrichten“ publiziert wurde.126 Die Unterzeichner erklärten, man wisse, dass Menzels Person über jeden Zweifel erhaben sei, und kritisierten die Anonymität des Briefeschreibers. Der Erklärung, zu deren Mitunterzeichner die Historiker Karl Dietrich Erdmann und Alexander Scharff zählten, traten kurz darauf auch der Politikwissenschaftler Michael Freund und der 1961 emeritierte Direktor des Instituts für Weltwirtschaft, Fritz Baade (selbst ein Verfolgter des NS-Regimes), mit öffentlichen Erklärungen bei.127 Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät verlangte vom Ministerium, dass „alle möglichen Schritte unternommen werden, um den Verfasser des Briefes zu ermitteln“128, freilich im Ergebnis ohne Erfolg. Der streitbare Landtagsabgeordnete Joachim Steffen (SPD) kritisierte in einem Leitartikel der „Kieler Volkszeitung“ am 4. März 1964 eine „Schizophrenie“, die es möglich mache, „daß ehemalige Nazis dem Nichtnazi mit bedenklichem Kopfschütteln nazistische Äußerungen unter die Nase halten, die zwar nicht von ihm stammen, aber immerhin verantwortet werden müssen. Sie fürchten dann um das Ansehen der Universität und den möglichen Wirbel im Ausland. Sie halten es

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Ipsen, Interview (Anm. 46). N.N., Schatten am Meer (Anm. 7), 22. 124 Peter Zocher, Edo Osterloh – Vom Theologen zum christlichen Politiker. Eine Fallstudie zum Verhältnis von Theologie und Politik im 20. Jahrhundert, Göttingen 2007, 475. 125 Presseerklärung vom 26.2.1964, LASH, Abt. 811 Nr. 11055. 126 „Elf Professoren und Dozenten stellen sich vor Professor Menzel“, Kieler Nachrichten vom 2.3.1964, zitiert nach van Kampen (Anm. 6), 4. 127 van Kampen (Anm. 6), 3f. 128 Schreiben des Dekans an den Kurator vom 5.3.1964, LASH, Abt. 811, Nr. 11055. 123

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aber durchaus nicht für unmöglich, daß sie selbst meinetwegen Regierungsdirektoren im Kultusministerium sind.“129 Eingehend setzte sich die studentische Zeitung „res nostra“ in ihrer ersten Nummer (Mai 1964) mit dem Fall auseinander. In seinem Leitartikel lässt der damalige Geschichtsstudent Wilhelm van Kampen die Ereignisse und Reaktionen Revue passieren und äußert den Verdacht, „daß – frei nach Karl Kraus – der Skandal erst da angefangen hatte, wo die Landesregierung und der Senat der Universität ihm ein angeblich so gutes Ende machten“.130 Wo er die wahren Gründe vermutet, deutet van Kampen an: „Nur so viel sei gesagt, daß [die Vermutungen] sich auf das Eingreifen der Exekutive richten und auf die Art, wie man ihnen von Seiten der Universität nachgegeben hat; auf die Motive der Stellungnahme gegen Prof. Menzel innerhalb der Universität ebenso wie auf das Zustandekommen dieser Entscheidung.“131 Von einem „Unrecht in Kiel“ schreibt die „Zeit“:132 Menzel habe die anderen Referate in dem Band lediglich redigiert und „eine ganze Reihe von Stellen abgemildert“. Als 28-jähriger Assistent habe er sich einem Arbeitsauftrag seines Professors nicht entziehen können. Während der NS-Zeit habe Menzel keinen nationalsozialistischen Organisationen angehört und habe „nach 1945 bewiesen, daß Rechtsstaat und Demokratie für ihn keine leeren Worte sind“. Der „Spiegel“ sieht Menzel als Bauernopfer, weil Minister Osterloh mit den diversen NS-Affären überfordert gewesen sei und Handlungsstärke habe beweisen müssen.133 Menzel selbst hat sich, soweit ersichtlich, nicht öffentlich zu den Vorwürfen geäußert. Wohl aber hielt er es für angezeigt, im Institutsseminar eine Erklärung abzugeben. Knut Ipsen berichtet, Menzel habe dabei um Fassung gerungen, wie er es weder zuvor noch später erlebt habe. Nach der Sitzung habe er alle in seine Wohnung in die Bülowstraße eingeladen, wo das Gespräch fortgesetzt worden sei. Besonderen Eindruck habe auf ihn gemacht, dass Menzel „sich nicht mit irgendwelchen wohlfeilen Begründungen zu rechtfertigen“ versucht, sondern ab-

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Zitiert nach van Kampen (Anm. 6), 4. Der Seitenhieb dürfte Franz Kock (1901– 1975) gegolten haben, dem langjährigen (1952–66) Ministerialdirektor und Staatssekretär im Kultusministerium. Kock war von 1940 bis 1945 Ministerialrat im Reichserziehungsministerium. 1933 war er der NSDAP beigetreten und hatte es in der SA zum Truppführer gebracht. Außerdem war er Mitglied des NS-Rechtswahrerbundes und anderer NSOrganisationen. Im Entnazifizierungsverfahren war er 1947 zunächst als „Mitläufer“ eingestuft worden, wurde 1948 aber in die Kategorie V („Entlastete“) umgestuft. Zu Kock Danker/Lehmann-Himmel/Glienke (Anm. 112), Anhang II, 14 (dort Charakterisierung als „,systemtragend/karrieristisch“). 130 van Kampen (Anm. 6), 4. 131 van Kampen (Anm. 6), 4. 132 R.Z., Unrecht in Kiel (Anm. 8). 133 N.N., Schatten am Meer (Anm. 7), 22.

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schließend gesagt habe, „wenn solche Maßstäbe […] angelegt würden, dann wäre eine ganze Generation von Staatsrechtslehrern für öffentliche Ämter unbrauchbar“.134 IV. Verworrene Urheberschaft: eine Spurensuche In seiner „Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland“ trifft Michael Stolleis ein klares Urteil: nicht Giese, sondern Menzel hätte wegen der gemeinsamen Schrift aus dem Jahre 1938 entlassen werden müssen.135 Er bezieht sich dabei vor allem auf eine Fußnote, in der Giese sich von ihm zu weit gehenden Gedanken ausdrücklich distanziert und stattdessen zu einem klassischen Verständnis des Völkerrechts bekennt. Vordergründig hat dies eine gewisse Plausibilität, doch dürften die Dinge komplizierter liegen. Eine letztgültige Klärung der Frage muss freilich an dem problematischen Format der Publikation scheitern, das Zuschreibungen und Zurechnungen der Kapitel (fast) unmöglich macht. Der Band führte Referate von Gieses Völkerrechtsseminar aus dem Sommersemester 1937 zusammen, allerdings in redigierter Form, und ohne Kapitel oder Textabschnitte den ursprünglichen Autoren zuzuordnen; hinzu kam ein Kieler Gastvortrag des Würzburger Ordinarius Ernst Wolgast (1888–1959) über „Deutschlands Stellung zur europäischen Völkerrechtspolitik“. Die Referate wurden nicht nur inhaltlich überarbeitet, sondern auch thematisch neu zusammengesetzt. Nicht alle der im Vorwort genannten Referate bilden eigene Kapitel im Buch, mehrere Kapitel finden keinerlei Entsprechung in der Liste der Seminarreferate, darunter gerade das Kapitel zur Rassefrage. Hierzu schreibt van Kampen in der „res nostra“: „Als Referenten nicht genannt wurden nach Prof. Menzel zwei Studenten, die über Rasse- und Minderheitenfragen referiert hatten: sie hätten als Parteimitglieder das Imprimatur der NSDAP gebraucht, es aber nicht bekommen, weil die Behandlung dieser Frage in der Zusammenfassung keineswegs auf der Parteilinie lag.“136 Eine plausible Erklärung, die allerdings wohl kaum mehr aufgeklärt werden kann. Menzel war sicherlich der Hauptredakteur, was aber von ihm stammt und was von den Referenten, und welche Freiheit er bei der Überarbeitung genoss bzw. sich selbst gestattete, das bleibt im Unklaren. Die Verwirrung um die Autorschaft bringt der folgende Satz Gieses aus dem Vorwort auf den Punkt: „So entstand eine völkerrechtliche _____________ 134 Ipsen, Interview (Anm. 46). Im Unterschied zu Menzel hatte Friedrich Giese sich 1946 inhaltlich eingelassen und versucht, Inhalte zu verharmlosen: Ruppert (Fn. 105), 200. 135 Stolleis (Anm. 23), 266. Siehe auch bereits ders., Friedrich Giese, in: Bernhard Diestelkamp/Michael Stolleis (Hrsg.), Juristen an der Universität Frankfurt am Main, BadenBaden 1989, 117–127 (125). Ähnlich die Einschätzung bei Ruppert (Fn. 105), 198. 136 van Kampen (Anm. 6), 5.

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Abhandlung, die zwar der Gemeinschaftsarbeit aller Seminarteilnehmer entsprungen, aber hauptsächlich (wenngleich in ständiger Fühlung mit mir) von meinem unermüdlichen Helfer Eberhard Menzel ausgebaut und gestaltet worden ist.“137 Indem sie allein ihrer beider Namen auf den Buchumschlag drucken ließen, mussten allerdings Giese wie Menzel beide die wissenschaftliche Verantwortung für das Gesamtwerk übernehmen. Mit einiger Gewissheit kann nur gesagt werden, dass das am Ende des Bandes stehende Kapitel „Positives und ‚natürliches‘ Recht im deutschen Völkerrechtsdenken“138 aus Menzels Feder stammt.139 Dieses stützt sich maßgeblich auf das Gemeinschaftsdenken in der modernen britischen Völkerrechtslehre und damit auf das Thema von Menzels eigenem Seminarreferat. Außerdem findet sich hier die von Stolleis zitierte Fußnote, in der sich Giese von den folgenden Ausführungen distanziert (nicht indes von den vorangegangenen!).140 Das Kapitel selbst ist unverdächtig: Menzel greift zwar hier die schon in seinen frühen Schriften bemühte Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft auf; der Zungenschlag ist aber deutlich verändert. Immerhin entlehnt er das neue Gemeinschaftsdenken im Völkerrecht den Lehren des Engländers James Leslie Brierly (1881–1955) und überwindet so seine frühere stereotype Gegenüberstellung von deutschem Gemeinschafts- und angelsächsischem Gesellschaftsideal. Der traditionellen staatswillenorientierten Lesart des völkerrechtlichen Positivismus (zu der Giese sich in seinem Vorbehalt bekennt) stellt Menzel hier das Modell eines „völkerrechtlichen Verfassungsrechts“ gegenüber. Dass die Verfassung einer Gemeinschaft durch gemeinsame Werte zusammengehalten werde,141 verleitet ihn nicht dazu, die Welt am deutschen Wesen genesen zu lassen; vielmehr müsse jede Gemeinschaft die ihr gemäßen Werte aus ihrem je eigenen inneren Wesen schöpfen.142 Die Verfassung des Völkerrechts müsse verschiedene Völker einen und entziehe _____________ 137 Giese/Menzel (Anm. 25), 10. Das anonyme Schreiben zitierte wohl den Satzteil zu Eberhard Menzel, ließ den Klammerzusatz aber geflissentlich weg. 138 Giese/Menzel (Anm. 25), 144–165. 139 So auch Ursula E. Heinz, 100 Jahre Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, in: Jost Delbrück u.a. (Hrsg.), Von Kiel in die Welt (Anm. 80), 13–38 (24, Anm. 43). Eingang in dieses Kapitel hat aber vermutlich auch das Referat der Referendarin [Hildegard?] Egenolf gefunden („Naturrecht im Völkerrecht“). 140 Giese/Menzel (Anm. 25), 147 in Anm. 228: „Zu dieser Auffassung bekennt sich – ohne die grundlegende rechtserhebliche Bedeutung der sog. Grundrechte zu leugnen – der Mitverfasser dieser Abhandlung, Friedrich Giese, der demgemäß gegen die folgenden Ausführungen einen grundsätzlichen Vorbehalt machen muß“. 141 Hier wird der Gegensatz zu Giese greifbar, der „von naturrechtlichen oder wertorientierten Begründungen und Interpretationen des Rechts“ „nichts hielt“: Ruppert (Fn. 105), 189. 142 Giese/Menzel (Anm. 25), 164: „Diese Normen [...] sind weder durch die Eigenarten des nationalen Denkens noch durch weltanschauliche Bindungen bedingt, sondern folgen unmittelbar aus der Tatsache des Bestehens einer derartigen Völkerrechtsgemeinschaft“.

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sich nationaler Ideologie. Deutlich grenzt Menzel sich von dem „naturrechtlichen“ Ansatz des Wolgast-Schülers Hans-Helmut Dietze ab, der 1936 formuliert hatte: „Recht ist das, was arische Menschen für Recht befinden, Unrecht ist das, was sie verwerfen.“143 Stellt man allein die Frage „Giese oder Menzel?“, dann mag das Gemeinschaftswerk in der Tat eher für die Hand Menzels sprechen. Friedrich Giese war seiner Neigung nach klassisch-positivistisch orientiert und zeigte keinen ausgeprägten Hang zu Grundlagenthemen144 – anders als Menzel. Insofern mag sogar die Wahl des Seminarthemas bereits ein Zugeständnis an den Assistenten und dessen Interessen gewesen sein. In einem selbstverfassten Lebenslauf gibt Giese später an, er habe seinen Namen nur gegeben, um dem Buch überhaupt zur Veröffentlichung zu verhelfen.145 Auch Menzels frühe Schriften, in denen er sich klar zu nationalsozialistischen Positionen bekennt – nicht zuletzt in der „Rassefrage“ – scheinen auf ihn hinzudeuten. Allerdings darf nicht ausgeblendet werden, dass der Band tatsächlich seinen Ursprung in Texten Dritter hatte und dass sich der Grad der Bearbeitung nicht aufklären lässt. Dass Menzel sich in seinem originär eigenen Beitrag so deutlich von seinen 1934 vertretenen Positionen entfernt hat, eröffnet die Möglichkeit, dass bei ihm inzwischen eine gewisse Läuterung eingetreten war. Außer Frage steht, dass bei Menzel irgendwann ganz sicher ein Umdenken stattgefunden hat. Ob durch seine Kriegserfahrungen, wie Knut Ipsen mutmaßt146, ob durch Erfahrungen in der Kriegsgefangenschaft oder durch eine langsame innere Abkehr des ehemaligen Mitglieds der Bündischen Jugend vom Nationalsozialismus – Menzel, der so Unnahbare, dürfte es niemandem mitgeteilt haben.

E. Epilog: Welch ein verletzter Name Nach der Krise stürzt sich Eberhard Menzel in die Arbeit. Ein Großteil der schon erwähnten wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Aktivitäten fällt in die Jahre nach 1964: sein Engagement für Friedenssicherung, für Abrüstung, für die neue Ostpolitik – ja selbst für hochschulpolitische Fragen, und vieles mehr. „Sein ohnehin beispielloser Arbeitseinsatz wuchs sich zeitweise bis zur _____________ 143 Hans-Helmut Dietze, Naturrecht in der Gegenwart, 1936, 185. Hiergegen Giese/Menzel (Anm. 25), 161ff. 144 Ruppert (Fn. 105), 188f., 195 („Technokrat des Rechts“). 145 In Gieses Nachlass im Bundesarchiv Koblenz (N/1117, Nr. 90), zitiert nach Ruppert (Fn. 105), 198. Ob dies den Tatsachen entspricht oder Giese sich hier selbst zu rechtfertigen versucht, muss offen bleiben. 146 Ipsen, Interview (Anm. 46).

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Selbstschädigung aus“,147 erinnert sich Knut Ipsen. Einem Herzinfarkt im Februar 1966, von dem er sich schnell erholt, schenkt Menzel kaum Beachtung. Dieser Einsatz ohne Rücksicht auf seine Gesundheit mag eine Flucht in die Arbeit gewesen sein, um das Gefühl der Niederlage zu überwinden, um denen, die seinen Sturz betrieben oder doch zumindest unterstützt hatten, zu beweisen, dass er sich nicht bezwingen ließ. Die Affäre um die Rektoratswahl hatte Menzel „zutiefst erschüttert“, auf „besonders schwierige Situationen“ reagierte er seither „mit einer Mischung aus Aggressivität und Angst“.148 Ende 1972 erleidet Eberhard Menzel einen schweren gesundheitlichen Zusammenbruch, von dem er sich nicht mehr erholen wird. Er selbst will dies nicht wahrhaben. Selbst nach über einem Jahr Dienstunfähigkeit äußert er Gewissheit, dass er bald wieder an die Universität zurückkehren werde.149 Seine gelegentlichen Besuche am Institut machen den Mitarbeitern schnell klar, dass mit einer Genesung nicht mehr zu rechnen ist.150 Die Leitung des Instituts für Internationales Recht liegt in dieser Zeit bei dem Nachfolger Böhmerts, Wilhelm A. Kewenig (1934–1993). Durch das neue Landeshochschulgesetz ist es ihm möglich, auch formal die Geschäfte zu führen.151 Das Ministerium drängt auf eine Wiederbesetzung des Lehrstuhls und erwägt, Menzel zwangsweise in den Ruhestand zu versetzen. Hiervon wird abgesehen, weil Menzel dies als einen neuerlichen Angriff auf seine Person verstehen könne – die Verletzungen der Rektoratskrise sitzen zu tief.152 Auch bittet Kewenig (inzwischen selbst Rektor der Christiana Albertina), die bevorstehende Altersgrenze und die familiäre Situation Menzels zu bedenken, dessen drei Kinder sich allesamt noch im Studium befänden.153 Behutsam wirkt sein Umfeld auf ihn ein, von sich aus Abschied zu nehmen. Als weitere ärztliche Untersuchungen keine Besserung des körperlichen und seeli_____________ 147

Ipsen, Interview (Anm. 46). Ipsen, Interview (Anm. 46). 149 Ärztliches Attest vom 12.6.1973, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 150 Rainer Lagoni und Knut Ipsen in persönlichen Gesprächen mit Andreas v. Arnauld. 151 Das neue Hochschulgesetz vom 2.5.1973 (GVBl. 1973, 153) sah in § 58 Abs. 2 vor, dass die Leitung von Instituten und anderen Einrichtungen von Fakultäten „kollegial verfaßt“ sein müsse, „wenn an der Einrichtung mehrere Professoren tätig sind“, wobei Vorsitz und Geschäftsführung „in einem regelmäßigen Wechsel“ zwischen den Professoren zu bestimmen seien (vgl. heute § 8 Abs. 4 und 5 der Verfassung der Universität Kiel). Diese für ein Hochschulgesetz ungewöhnliche Regelung mag ihren Anlass in der Situation am Institut für Internationales Recht gefunden haben, wo Menzel die Geschäftsführung im Rahmen seiner beamtenrechtlichen Ernennung bestandskräftig übertragen worden war. 152 Vermerk über die Dienstfähigkeit Prof. Eberhard Menzels vom 6.5.1974, LASH, Abt. 811, Nr. 12248. 153 Schreiben Wilhelm Kewenigs an Landtagspräsident (und Ministerpräsident a.D.) Lemke vom 2.5.1975, Abt. 811, Nr. 12248. 148

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schen Zustands ergeben, bittet Menzel im Frühjahr 1975 endlich selbst um Entbindung von seinen Amtspflichten, ergänzt aber, er gehe davon aus, bald wieder auf seine Stelle zurückzukehren.154 Am 12. Juli 1975 wird er in den Ruhestand versetzt. Seine Hoffnung auf eine Rückkehr erfüllt sich nicht. Vier Jahre später geht ein Leben mit Brüchen und Widersprüchen, aber eben auch mit großen akademischen Verdiensten, vor allem um „sein“ Institut für Internationales Recht, zu Ende. Am 1. Juni 1979 stirbt Eberhard Menzel im Alter von 68 Jahren in Kiel.

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Schreiben Menzels an den Kultusminister vom 22.5.1975, LASH, Abt. 811, Nr. 12248.

Teil III Publizistisches

Themen in Forschung und Lehre I: Seerecht in Kiel Von Andreas v. Arnauld und Saskia Hoffmann

A. Einleitung Die Kieler Universität, die seit November 2006 ein Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ beherbergt, scheint mit ihrer Lage an der Förde und in unmittelbarer Nähe zum Nord-Ostsee-Kanal (dem „Kieler Kanal“) für Lehre und Forschung im Seerecht prädestiniert. Der Gründungsdirektor des Kieler Instituts für Internationales Recht, Theodor Niemeyer, schreibt in seinen Lebenserinnerungen: „In welchem Maße für mein späteres Leben das Meer und die deutsche Kriegsmarine nebst dem ihrem Schutz anvertrauten Handel bestimmend werden sollten, ist mir erst im Jahre 1933 voll bewußt geworden, als ich nach 40 Jahren Kiel verließ.“1 Gut hundert Jahre nach der Institutsgründung ist an dem von Niemeyer gegründeten Institut, dem heutigen Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, eine eigene Professur für internationales Seerecht angesiedelt. Eine scheinbar bruchlose Traditionslinie, die aber bei näherer Untersuchung manch unerwartete Brüche und Lücken aufweist.

B. Vor der Gründung des Instituts für Internationales Recht Bevor im Februar 1914 das Königliche Seminar (ab 1918: Institut) für Internationales Recht an der Universität Kiel die Arbeit aufnahm, gab es an der Juristischen Fakultät seit dem Wintersemester 1895/96 bereits Vorlesungen zum „Seerecht“;2 dem Begriffsverständnis der Zeit entsprechend handelte es sich aber um Veranstaltungen zum Seehandelsrecht.3 Dieses wurde in Kiel durch Max Pappenheim _____________ 1 Theodor Niemeyer, Erinnerungen und Betrachtungen aus drei Menschenaltern. Aus dem Nachlaß hrsg. von seiner Tochter Dr. Annemarie Niemeyer, Kiel 1963, 123. 2 Vgl. hierzu und zu allen anderen Angaben zur Lehre an der CAU vor Einführung des elektronischen Vorlesungsverzeichnisses das historische Personal- und Vorlesungsverzeichnis, online abrufbar unter: http://www.uni-kiel.de/journals/journalList.xml. 3 So trug z.B. der Kommentar zum 5. Buch des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches von William Lewis (1877) den Titel „Das Deutsche Seerecht“; Rudolf Wagners „Beiträge zum Seerecht“ (1880) behandelte Lotsen, Schiffseigner und Reedereien; unter

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(1860–1934) vertreten, von 1888 bis 1928 Ordinarius für Handelsrecht und Deutsches Recht an der Christiana Albertina. Nicht zu ermitteln ist, inwieweit das „internationale öffentliche Seerecht“ (oder „Seevölkerrecht“)4 – um das es in diesem Beitrag ausschließlich gehen soll – im Rahmen der allgemeinen Vorlesungen zum Völkerrecht5 Berücksichtigung fand. Jedenfalls wurden keine Lehrveranstaltungen angeboten, die spezifisch dieser Materie gewidmet gewesen wären. Das Seekriegsrecht wurde in jener Zeit6 überwiegend an der Kaiserlichen Marineakademie unterrichtet,7 ab 1894 durch Professoren der Kieler Fakultät: Theodor Niemeyer, Moritz Liepmann, Heinrich Triepel und Wilhelm van Calker. Im Wintersemester 1905/06 etablierte Niemeyer das Seekriegsrecht auch im Lehrplan der Universität;8 die Vorlesung hielten bis 1911 im Wechsel Kurt Perels, Moritz Liepmann, Heinrich Triepel und Niemeyer selbst. Letztmalig fand sie im Sommer 1913 statt. Der Seekrieg dominiert in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auch die völkerrechtlichen Publikationen Kieler Gelehrter.9 Die Hälfte der 32 völkerrechtlichen Veröffentlichungen zwischen 1900 und 1913 behandelt seekriegsrechtliche Themen;10 von den 24 völkerrechtlichen Veröffentlichungen Niemeyers sind nicht weniger als 13 dem Seekriegsrecht gewidmet, zuletzt 1913 sein umfangreiches Urkundenbuch, welches das positive Recht des Krieges zur See umfassend dokumentierte.11

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dem Titel „Das Seerecht“ (1884) traktierte Wilhelm Endemann das deutsche Handels-, See- und Wechselrecht. 4 Zu diesem Begriff zeitgenössisch Ferdinand Perels, Das Internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart, 1882, ders., Handbuch des allgemeinen öffentlichen Seerechts im deutschen Reiche, 1884. Zuvor auch schon Hermann Bischof, Grundriss des positiven öffentlichen internationalen Seerechts, 1868. 5 Zu diesen näher Andreas v. Arnauld/Liv Christiansen, Die akademische Lehre des Völkerrechts. Von der Gründung der Christiana Albertina bis 1914, in diesem Band. 6 Erwähnenswert ist immerhin eine Vorlesung zum Land- und Seekriegsrecht, die Johann Dietrich Mellmann im Wintersemester 1788/89 und erneut im Winter 1799/1800 abhielt. 7 Näher Charlotte Gaschke, Die Kaiserliche Marine-Akademie und die Lehre des Völkerrechts, in diesem Band. 8 Zuvor hatte Niemeyer vom Wintersemester 1901/02 bis zum Wintersemester 1902/03 bereits jährlich eine Vorlesung zur Geschichte des Seekriegsrechts angeboten. 9 Schwer fällt dagegen die Ermittlung thematisch einschlägiger Dissertationen, weil die Akten der Fakultät im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Für die Zeit bis 1913 hat sich keine völkerrechtliche Dissertation aus Kiel ermitteln lassen; ein seerechtliches Thema „streift“ bestenfalls die von Niemeyer betreute Arbeit von Franz Hesse, Zur Lehre vom Eigentum am Meeresstrande (1911). 10 Hinzu kommen zwei Veröffentlichungen zum internationalen öffentlichen Seerecht in Friedenszeiten. 11 Internationales Seekriegsrecht. Urkundenbuch zum Seekriegsrecht, Berlin 1913, 3 Bände, publiziert als „Teil 2“; ein 1. Teil ist nicht erschienen.

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C. Seerecht am Kieler Institut für Internationales Recht I. Seerecht in Stagnation: das Institut unter Niemeyer und Schücking (1914–1933) Nicht die Kriegsmarine, aber der „ihrem Schutz anvertraute Handel“ stand Pate bei der Gründung des Kieler Instituts für Internationales Recht. 1912 war noch mit dem Ökonomen Bernhard Harms und dem Ozeanographen Moritz Schultze ein gemeinsames „Institut für Wissenschaft des Weltverkehrs“ geplant; als Schultze aber bereits 1913 Kiel verließ, kam es zur Gründung zweier akademischer Einrichtungen.12 Die ursprüngliche Idee trug Harms’ „Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft“ noch einige Jahre lang im Namen. Kurz nachdem Niemeyers „Seminar für Internationales Recht“ die Arbeit aufgenommen hatte, sorgte der Kriegsausbruch dafür, dass sich dessen Forschungstätigkeit praktisch vollständig auf den Weltkrieg konzentrierte.13 Zwei seekriegsrechtliche Publikationen Niemeyers sind während der Dauer des Krieges die einzigen Beiträge aus dem Kieler Völkerrechts-Seminar zu seerechtlichen Fragen.14 Arbeiten zum Seekrieg entstanden in Kiel damals auch an anderen Orten: Hans Wehberg publizierte als Referent für Völkerrecht am Institut für Weltwirtschaft umfangreich zum Wirtschaftskrieg15, was gleichbedeutend mit Seeblockaden, Beute- und Prisenrecht war; zum Seehandel im Seekrieg und insoweit bestehenden Differenzen zwischen England und Deutschland veröffentlichte auch der Kieler Ordinarius für Öffentliches Recht, Wilhelm van Calker, seine Gedanken.16 Ganz verschüttet war das Leitmotiv des „Weltverkehrs“ gleichwohl nicht. Hinter dem Beratungsgegenstand der 2. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht darf _____________ 12 Näher Wiebke Staff, Die Anfänge des Instituts für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Eine schwierige Geburt, glückliche Kindheit und heikle Jugend, in diesem Band. 13 Dazu Janis Daniel, Themen in Forschung und Lehre II: Rechtsfragen von Krieg und Frieden, in diesem Band. 14 Theodor Niemeyer, Das Recht des Unterseebootkrieges, Hamburg 1915; ders., Was sagt das Völkerrecht über die bewaffneten Handelsschiffe?, Deutsche Politik 1917, 176– 182. Noch aus der Vorkriegszeit stammen die von Luise Niemeyer übersetzte und Theodor Niemeyer herausgegebene Schrift von Robert Threshie Reid, Earl Loreburn, Privateigentum im Seekrieg, München/Leipzig 1914, sowie die von Niemeyer betreute Dissertation von Walter Kriege, Die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe, Kiel 1914, auch veröffentlicht in Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht (NiemeyersZ) 26 (1916), 71–117. 15 Siehe nur Ernst Schuster/Hans Wehberg, Der Wirtschaftskrieg. Die Maßnahmen und Bestrebungen des feindlichen Auslands zur Bekämpfung des deutschen Handels und zur Förderung des eigenen Wirtschaftslebens, hrsg. vom Königlichen Institut für Weltwirtschaft: Abteilung 1: England, Jena 1917. 16 Wilhelm van Calker, Das Problem der Meeresfreiheit und die deutsche Völkerrechtspolitik, Jena 1917; ders., Der Reichstag und die Freiheit der Meere, Berlin 1918.

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man die Hand des Initiators und Gründungsvorsitzenden Niemeyer vermuten: Den Blick über das nahe Ende des Weltkrieges hinaus gerichtet, referierten am 19. September 1918 in Kiel Bernhard Harms und Wilhelm van Calker über „Völkerrechtliche Sicherungen der internationalen Verkehrsfreiheit in Friedenszeiten“.17 Auch nach Ende des Weltkrieges blieb am Institut für Internationales Recht das Seerecht außerhalb des Fokus. Die Schwerpunkte der Forschungstätigkeit lagen weiterhin auf Rechtsfragen von Krieg und Frieden und auf dem allgemeinen Völkerrecht. 1920 publizierte Niemeyer noch in seiner mit Karl Strupp herausgegebenen Dokumentenedition zum Weltkrieg u.a. Dokumente zum UBoot-Krieg mit den USA;18 Hermann Held, kurzzeitig Assistent am Institut, veröffentlichte im selben Jahr einen Beitrag zum Seekriegsrecht;19 dann aber dauert es bis 1926, bis wieder zwei Publikationen zum Seerecht erscheinen, darunter immerhin eine umfangreichere Abhandlung zum Küstenmeer aus Niemeyers eigener Feder.20 Der Anteil seerechtlicher Publikationen an der Gesamtzahl völkerrechtlicher Veröffentlichungen aus dem Institut beträgt zwischen 1914 und 1926 zwar 38% (19 von 49);21 den Großteil macht dabei allerdings das Seekriegsrecht aus (16 Publikationen, entspricht 33%). Bei den von Niemeyer betreuten Dissertationen kommt das Seerecht etwas stärker zur Geltung. Von den 24 völkerrechtlichen Arbeiten, die er ab 1914 betreute, waren immerhin sieben (29%) dem Seerecht gewidmet, davon vier dem Seekriegsrecht22, drei dem Seerecht in Friedenszeiten23. Während des gesamten Direktorats Niemeyers wurden keine _____________ 17 Bernhard Harms und Wilhelm van Calker, Völkerrechtliche Sicherungen der internationalen Verkehrsfreiheit in Friedenszeiten, Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 2 (1918), 18–85 bzw. 85–116; erweiterte Fassungen beider Referate sind 1918 gesondert als Monographien erschienen. 18 Theodor Niemeyer/Karl Strupp (Hrsg.), Die völkerrechtlichen Urkunden des Weltkrieges, Band 4: Vereinigte Staaten von Amerika: Unterseebootkrieg; Friedensaktionen, München/Leipzig 1920 [= Jahrbuch des Völkerrechs (JVR) 6 (1920)]. 19 Hermann Held, England als Neutraler und Kriegführender im Seekriegsrecht, NiemeyersZ 28 (1920), 518–536. 20 Theodor Niemeyer, Allgemeines Völkerrecht des Küstenmeeres, NiemeyersZ 36 (1926), 1–40; auch als Monographie, Kiel 1926. Daneben noch als zweite seerechtliche Publikation Jean Spiropoulos, Das Recht des Binnenstaates auf Flaggenführung zur See, ZVR 13 (1926), 103–111. 21 Nicht mitgerechnet werden in den statistischen Angaben in diesem Beitrag Buchrezensionen, Chroniken und Berichte sowie Lexikonartikel. 22 Walter Kriege, Die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe (1914); Jürgen Frahm, Die völkerrechtliche Lage der Besatzung bewaffneter Handelsschiffe (1921); Fritz Ring, Staatsbegriff und Handelsfeindseligkeit (1923); Eugen Saalfrank, Die Kondemnation deutscher und österreichischer Kauffahrteischiffe durch das belgische Prisengericht im Jahre 1919 (1925). 23 Helmut Prawitz, Die Freiheit der Meere in Friedenszeiten (1919); Werner Junker, Das Küstenmeer (1925); Wilhelm Tafel, Das internationale Recht der Nordsee (1925).

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Lehrveranstaltungen zum Seerecht in Kiel angeboten. Besonders verblüfft, dass die Vorlesung zum Seekriegsrecht gewissermaßen pünktlich zum Kriegsbeginn eingestellt wurde. Rückblickend hat es den Anschein, als wäre die Begegnung mit dem Meer und dem internationalen öffentlichen Seerecht für Niemeyer biographisch bedeutsam gewesen. Über den Kontakt zur Kriegsmarine und die Lehre an der Marineakademie fand er zum Völkerrecht;24 der Weltverkehr zur See gab den Anstoß zur Institutsgründung. Der Erste Weltkrieg aber veränderte den Fokus von Forschung und Lehre am Institut für Internationales Recht nachhaltig, so dass das Seerecht kaum mehr als eine Randerscheinung blieb. Dass die Bedeutung des Seerechts am Institut unter Niemeyers Nachfolger Walther Schücking noch weiter abnahm, verwundert angesichts dessen thematischer Schwerpunkte nicht. Von den 86 Publikationen der kurzen Ära Schücking (1926–1933) sind gerade einmal fünf (6%) seerechtlichen Fragen gewidmet; nimmt man hinzu, dass zwei dieser Veröffentlichungen Dissertationen waren, die noch von Niemeyer betreut wurden, und zwei weitere Publikationen Beiträge zur Festschrift für den Seehandelsrechtler Pappenheim darstellten,25 erscheint das internationale Seerecht in der Ära Schücking beinahe als Nonentität. Doch auch dieser Eindruck trügt etwas. Zwar wird Walther Schücking als engagierter Pazifist und Streiter für internationale Organisation und Schiedsgerichtsbarkeit in allererster Linie mit Rechtsfragen von Krieg und Frieden assoziiert; weniger bekannt ist aber, dass am Anfang seiner Befassung mit dem Völkerrecht das Seerecht stand. Mit seiner Dissertation zum Recht des Küstenmeers hatte er 1897 den Preis der Göttinger Fakultät gewonnen.26 Auch wenn Schückings Teilnahme am Preisausschreiben mehr dem Wunsch geschuldet war, den Vater zu beeindrucken,27 trug die Arbeit späte Früchte. Als Mitglied der Genfer Kodifikationskonferenz 1930 saß Schücking der Kommission für das Küstenmeer vor. Von den 23 Kieler Doktoranden Schückings bearbeiteten immerhin drei seerechtliche Themen;28 hinzu kommt sein Schüler Fritz Münch, dessen ebenfalls _____________ 24 Dazu näher Andreas v. Arnauld/Jens Theilen, Theodor Niemeyer (1857–1939). Ein Leben in sechs Rollenbildern und einem Epilog, in diesem Band. 25 Curt Rühland, Nationalität der Binnenschiffe. Das Grundproblem der Arbeiten des Völkerbundes für ein internationales Binnenschiffahrtsrecht, in: Festschrift für Max Pappenheim zum fünfzigsten Jahrestage seiner Doktorpromotion, Breslau 1931, 217–250; Walther Schücking, Der Kodifikationsversuch betreffend die Rechtsverhältnisse des Küstenmeeres und die Gründe seines Scheiterns, ebd., 319–378. 26 Walther Schücking, Das Küstenmeer im internationalen Recht, Göttingen 1897. 27 Hans Wehberg, Das Leben Walter Schückings, Friedens-Warte 35 (1935), 162–175 (164). 28 Marius Böger, Die Immunität der Staatsschiffe unter besonderer Berücksichtigung der Staatshandelsschiffe (1928); Hellmut Bauer, Das Prinzip der Internationalität der

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preisgekrönte Dissertation29 an Schückings Sondervotum im Wimbledon-Fall zum Status des Kaiser-Wilhelm-Kanals30 anknüpfte, und der 1934 eine von Schücking inspirierte Arbeit zum Küstenmeer publizierte31. Selbst in den Bereich der Lehre ragte das Seerecht unter Schücking – vorsichtig – hinein: Im Wintersemester 1927/28 hielt Curt Rühland einmalig eine Vorlesung zum „Internationalen Verkehrsrecht (Meere, Flüsse und Kanäle, Wirtschaft und Verkehrsanstalten)“. II. Seerechtliche Scheinblüte: das Institut im Nationalsozialismus (1933–1945) Verglichen mit der untergeordneten Rolle, die das Seerecht unter Niemeyer und Schücking am Kieler Institut für Internationales Recht spielte, scheint es ausgerechnet in der NS-Zeit in nie dagewesener Blüte zu stehen. Von den knapp 50 Publikationen aus dem Institut, die man in dieser Zeit als mehr oder weniger „völkerrechtlich“ einordnen kann, befassen sich jeweils elf mit dem Seekrieg und dem Seerecht in Friedenszeiten – zusammengenommen also rund 44%. Auch in die Lehre halten seerechtliche Themen Einzug: Das Kriegsrecht einschließlich des Seekriegsrechts wird vom Wintersemester 1933/34 bis zum Wintersemester 1939/40 fast durchgängig jedes Semester gelesen (im Wechsel von Hermann Held, Curt Rühland und Walther Schoenborn); vom Wintersemester 1936/37 bis zum 1. Trimester 1940 liest Viktor Böhmert regelmäßig das internationale öffentliche Seerecht. Von den 21 Doktorpromotionen am Institut erfolgen immerhin vier auf Grundlage seerechtlicher Arbeiten.32 Bevor man Mutmaßungen über mögliche Bezüge zwischen NS-Ideologie und Seerecht anstellt, lohnt sich ein genauerer Blick. Gewiss dürfte es zwischen den Vorlesungen zum Kriegsrecht und dem außenpolitischen Auftreten der neuen Reichsregierung einen Zusammenhang gegeben haben. Deutschland hatte sich im Oktober 1933 von der Genfer Abrüstungskonferenz zurückgezogen und pochte _____________

meerverbindenden Wasserstraßen und der Panamakanal (1929); Hans-Ludwig Martens, Das Recht der Nacheile zur See (1933). 29 Fritz Münch, Ist an dem Begriff der völkerrechtlichen Servitut festzuhalten? (1931). 30 Abweichendes Votum zum Urteil vom 17.8.1923, Permanent Court of International Justice, Series A, 1923, No. 1, 43ff. Dazu näher Rainer Lagoni, Der rechtliche Status des Nord-Ostsee-Kanals: vor und nach der Erklärung der Reichsregierung vom 14. November 1936, in diesem Band, 441ff. 31 Fritz Münch, Die technischen Fragen des Küstenmeers, Kiel 1934. 32 Richard Weskott, Das Privateigentum im Seekriegsrecht (1935, Betreuer: Curt Rühland); Herbert Monath, Die Rechtslage am Suezkanal (1937, Walther Schoenborn); Dietrich Christensen, Der Grundsatz der Verkehrsfreiheit im überseeischen Luftverkehr (1938, Viktor Böhmert); Oscar Brexendorff, Die Beschlagnahme neutraler Schiffe. Ein Beitrag zum Angarienrecht unter besonderer Berücksichtigung der Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträge (1939, Walther Schoenborn).

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auf sein Recht zur Wiederbewaffnung. In dieses geistig-politische Klima dürfte das erneuerte Interesse am Kriegsrecht passen. Anders steht es mit dem Seerecht in Friedenszeiten. Zehn der elf Veröffentlichungen33 aus jenen Jahren stammen aus der Feder Viktor Böhmerts und betreffen See- und Fischereigrenzen, vorzugsweise der nördlichen Meere und des Polarkreises.34 Diese Themen dürften damals nicht nur in geographischer Hinsicht entlegen gewesen sein. Bedenkt man, dass gegen Böhmert als ehemaligen Assistenten Schückings in seinem Habilitationsverfahren 1933 politische Bedenken geäußert worden waren,35 erscheint es zumindest plausibel, dass er sich – nach einigen Kompromissen mit dem NSRegime – auf ein weitgehend unpolitisches Betätigungsfeld zurückzog, um neuerliche Konfrontationen zu vermeiden.36 Während des Zweiten Weltkriegs als Prisenrichter ans Auswärtige Amt kommandiert, publiziert Böhmert ab 1941 noch drei seekriegsrechtliche Arbeiten.37 Die Verbreitung der NS-Ideologie findet in jenen Jahren allerdings in den Veröffentlichungen und Lehrveranstaltungen des Kreises um Paul Ritterbusch statt. Das Seerecht spielte hier keine Rolle. Nur scheinbar also stand unter dem Nationalsozialismus in Kiel das Seerecht in Blüte. III. Randständige Beachtung: das Seerecht am Institut 1945–1982 Eine mittelbare Rolle spielte das See(kriegs)recht auch bei der Berufung Hermann v. Mangoldts zum Direktor des Kieler Instituts für Internationales Recht.38 _____________ 33

Die elfte ist die bereits zitierte Schrift Fritz Münchs zum Küstenmeer (1934). Viktor Böhmert, Die isländische Fischereigrenze, Zeitschrift für Völkerrecht (ZVR) 20 (1936), 385–433; ders., Die Luftseegrenze. Eine Studie zur Staatenpraxis der Nachkriegszeit, Archiv für Luftrecht (ArchLR) 6 (1936), 77–105; ders., Die Freiheit der Luftfahrt im Luftraum über dem nördlichen Polarmeer, ArchLR 8 (1938), 248–289; ders., Die grönländische Fischereigrenze, ZVR 21 (1937), 46–86; ders., Die russische Fischereigrenze, ZVR 21 (1937), 441–495, ZVR 22 (1938), 257–306; ders., Die Spitzbergensche Fischereigrenze, ZVR 23 (1939), 317–338, 449–482. Gesammelt in: ders., Die Fischereigrenzen des Nordens, Band 1, 1940 [2. Band nicht erschienen]. 35 Christina Wiener, Kieler Fakultät und „Kieler Schule“. Die Rechtslehrer an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zu Kiel in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung, Baden-Baden 2013, 87ff. 36 Vgl. Nathalie Rücker, Das Institut für Internationales Recht im Nationalsozialismus. Im Spannungsfeld von Identitätsaufgabe und Existenzbedrohung, in diesem Band, 100ff. 37 Viktor Böhmert, Die Rechtsprechung des französischen Prisenrats im gegenwärtigen Krieg bis zum Waffenstillstand, ZVR 25 (1941/42), 45–56; ders., Einleitung und Bearbeitung von A. C. Bell, Die englische Hungerblockade im Weltkrieg 1914–15: nach der amtlichen englischen Darstellung der Hungerblockade, 1943; ders., Die amtliche britische Darstellung der englischen Hungerblockade des Weltkrieges 1914–18 und ihre Lehren für die Gegenwart, Auswärtige Politik 10 (1943), 586–591. 38 Dazu näher Rücker (Anm. 36), 125f. 34

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Nach dem Weggang Ritterbuschs hatte die Fakultät den Versuch der Marineakademie abwehren können, den nationalsozialistisch schwadronierenden Ernst Wolgast nach Kiel zu holen. Als der Wunschkandidat der Fakultät, Rudolf Smend, den Ruf ablehnte, präsentierte diese, möglicherweise als Zeichen des guten Willens gegenüber der Akademie, den Marineoffizier v. Mangoldt als Nachfolger.39 Dessen Wirken in Kiel war allerdings in den letzten Kriegsmonaten mit der Sicherung der Bibliothek vor Luftangriffen, nach Kriegsende dann ganz überwiegend vom Wiederaufbau des Instituts und der Universität geprägt. Entstanden in den ersten Nachkriegsjahren in Kiel ohnehin nur wenige völkerrechtliche Publikationen (22), lagen die seerechtlichen Veröffentlichungen unter der statistischen Nachweisgrenze.40 In der Ära Eberhard Menzel (1955–1975) steigt der Anteil des Seerechts an den völkerrechtlichen Publikationen auf immerhin 12% (32 von 257); im ersten Jahrzehnt ist es allerdings erneut Menzels Mitdirektor Viktor Böhmert, der praktisch allein das Seerecht in Forschung und Lehre repräsentiert. Von 1950 bis 1962 hält Böhmert mit Unterbrechungen Vorlesungen und Seminare zum internationalen öffentlichen Seerecht ab.41 Danach sollte es 15 Jahre dauern, bis erneut in Kiel seerechtliche Lehrveranstaltungen angeboten wurden.42 Ab Mitte der 1960er Jahre entdeckt auch Eberhard Menzel Interesse an seerechtlichen Themen, ausgehend von seinem Gutachten zum Festlandsockel in der Nordsee.43 Im Streit mit Dänemark und den Niederlanden über die Abgrenzung ihrer Anteile am Festlandsockel hatte sich die Bundesrepublik Deutschland gegen die Äquidistanzregel ausgesprochen, wonach die Grenzlinie im gleichen Abstand zu den benachbarten Küsten zu ziehen ist. Wegen der besonderen Geographie der deutschen Nordseeküste hätte diese Methode der Grenzziehung _____________ 39 Zu v. Mangoldt siehe Angelo O. Rohlfs, Hermann von Mangoldt. Das Leben des Staatsrechtlers vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik, 1997; Wilhelm Knelangen, Hermann v. Mangoldt (1895–1953). Ein Mann des Neubeginns nach 1945?, in diesem Band. 40 Während des Direktorats v. Mangoldts erschien nur Viktor Böhmert, Fall des Dampfers „Ausma“. Urteile des Prisenhofs Berlin vom 13.8.1942 und des Ober-Prisenhofs vom 18.8.1944, Jahrbuch für internationales Recht (JIR) 3 (1950/51), 152–160. 41 Hinzu kommt im Wintersemester 1957/58 einmalig ein Seminar zum Seekriegsrecht. Die Einstellung der Vorlesung mag auch mit Böhmerts Vortragsstil zusammenhängen, der von mehreren Zeitzeugen (u.a. Jost Delbrück, Norbert Gansel und Rainer Lagoni) in Gesprächen mit Andreas v. Arnauld übereinstimmend als einschläfernd beschrieben wurde, was regelmäßig zu einer „Abstimmung mit den Füßen“ geführt haben soll. 42 Diese Aussage ist mit einem Vorbehalt zu versehen, weil die Vorlesungsverzeichnisse nur in Ausnahmefällen Titel oder auch nur Thema der angebotenen Seminare nennen. Es ist möglich, dass die eine oder andere als „Seminar im Völkerrecht“ angekündigte Veranstaltung einen seerechtlichen Gegenstand hatte. 43 Eberhard Menzel, Gutachten zur Frage des kontinentalen Schelfs in der Nordsee, Kiel 1964. Bereits zuvor hatte sich auch Böhmert, wenn auch weniger wirkungsvoll, dem Thema gewidmet. Vgl. Viktor Böhmert, Meeresfreiheit und Schelfproklamation, 3 Teile, JIR 5 (1954), 1–35 und 177–195, JIR 6 (1955), 7–99.

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Deutschland benachteiligt. Die deutsche Regierung vertrat daher, dass die Äquidistanzregel in Art. 6 der Genfer Festlandsockel-Konvention von 1958 Deutschland als Nichtpartei nicht binde und widersprach der dänischen und niederländischen Auffassung, dass die Regel Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts sei. Unterstützung fand die deutsche Position in Menzels Gutachten, weswegen der Prozessvertreter der Bundesrepublik, Günther Jaenicke, Eberhard Menzel offiziell als Berater in die deutsche Delegation im Rechtsstreit vor dem Internationalen Gerichtshof aufnehmen ließ. Der Gerichtshof bestätigte am 20. Februar 1969 die Position Deutschlands,44 was in Band 14 des am Kieler Institut herausgegebenen „Jahrbuchs für internationales Recht“ eingehend gewürdigt wurde. Der Erfolg in Den Haag machte Menzel gleichwohl nicht zum Seerechtler; seine Schwerpunkte lagen weiterhin im Bereich der Friedenssicherung, der deutschen Frage und im allgemeinen Völkerrecht.45 Hervorzuheben ist allerdings das im März 1969 am Institut veranstaltete Symposium „Die Nutzung des Meeresgrundes außerhalb des Festlandsockels (Tiefsee)“46, ein Thema, auf das zutrifft, was Jost Delbrück in einem Nachruf auf Eberhard Menzel formulierte, als er dessen Arbeiten zum Seerecht als „die heutigen Probleme vorausahnend“ bezeichnete.47 Weitere Impulse erhielt die Beschäftigung mit dem Seerecht am Institut nach Menzels Ausscheiden durch die Dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen (UNCLOS III). Möglicherweise angeregt durch die auf der Konferenz verhandelten entwicklungspolitischen Themen48 publizierte Böhmerts Nachfolger, Wilhelm A. Kewenig, mehrere Beiträge zum Seerecht und vor allem dem Tiefseeboden als gemeinsames Erbe der Menschheit.49 Auch in die Lehre kehrte das See_____________ 44 International Court of Justice, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany/Denmark; Federal Republic of Germany/Netherlands), Urteil v. 20.2.1969, ICJ Reports 1969, 3. 45 Näher Andreas v. Arnauld/Angelika Stark, Eberhard Menzel (1911–1979). Brüche, Umbrüche, Aufbrüche, in diesem Band. 46 Vgl. Die Nutzung des Meeresgrundes außerhalb des Festlandsockels (Tiefsee). Vorträge und Diskussionen eines Symposiums, Hamburg 1970. 47 Jost Delbrück, Eberhard Menzel [Nachruf], Christiana Albertina 11 (1979), 193–195 (193). Siehe auch ders./Knut Ipsen/Dietrich Rauschning, Zueignung, in: dies. (Hrsg.), Recht im Dienst des Friedens. Festschrift für Eberhard Menzel zum 65. Geburtstag, Berlin 1975, V-VIII (VII). 48 Vgl. Wilhelm Kewenig (Hrsg.), Völkerrecht und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, Berlin 1978. 49 Wilhelm Kewenig, Wem gehört das Meer?, in: Christian-Albrechts-Universität Kiel (Hrsg.), Aus Forschung und Lehre. 26 Hörfunk-Vorträge im NDR III, Kiel 1980, 11–17; ders., Menschheitserbe, Konsens und Völkerrechtsordnung, Europa-Archiv 1981, 1–8; ders., Common Heritage of Mankind – politischer Slogan oder völkerrechtlicher Schlüsselbegriff?, in: Ingo v. Münch (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, Berlin 1981, 385–406.

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recht 1977 zurück, mit regelmäßigen Vorlesungen und Seminaren (bis zum Sommer 1981) von Uwe Jenisch, einem ehemaligen Doktoranden Böhmerts, der seinerzeit als Mitglied der bundesdeutschen Delegation die UNCLOS III verfolgte. Publizistisch lag in jener Zeit das internationale Seerecht am Institut vor allem in den Händen eines Schülers Eberhard Menzels, Rainer Lagoni.50 Von den 95 Dissertationen zu Themen des Völkerrechts und des ausländischen öffentlichen Rechts, die zwischen Kriegsende und 1982 entstanden, behandelten 17 seerechtliche Fragen.51 Nur noch vereinzelt tauchen Arbeiten zum Seekriegsrecht auf52; es dominieren Arbeiten zum Küstenmeer53 und zu küstenstaatlichen Vorrechten54; daneben treten Schriften zu den Meeresfreiheiten55 und zur internationalen Organisation des Seerechts56. Insgesamt lässt sich über das internationale Seerecht _____________ 50 Vgl. u.a. Rainer Lagoni, Einrichtungen des marinen Bergbaus und die Schiffahrtsfreiheit in Nord- und Ostsee, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Die Schiffahrtsfreiheit im gegenwärtigen Völkerrecht, Heidelberg 1975 [= Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 15 (1975)], 265–283; ders., Künstliche Inseln und Anlagen im Meer. Völkerrechtliche Probleme, JIR 18 (1975), 241–282; ders., Antarctica’s Mineral Resources in International Law, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 39 (1979), 1–37; ders., Antarctica. German Activities and Problems of Jurisdiction over Marine Areas, German Yearbook of International Law (GYIL) 23 (1980), 392–400; ders., Ländergrenzen in der Elbemündung und der Deutschen Bucht. Verfassungsgeschichtliche, staats- und völkerrechtliche Aspekte, Berlin 1982. 51 Von diesen wurden zwölf durch Viktor Böhmert betreut, drei durch Eberhard Menzel und je eine durch Walther Schoenborn und Wilhelm Kewenig. 52 Herbert Sohler, Der deutsche Ubootkrieg 1939–1945 im Lichte des Völkerrechts (1949); Werner Kaak, Der gewaltsame Widerstand feindlicher Handelsschiffe gegen prisenrechtliche Massnahmen (1952); Ingeborg Bock, Die Entwicklung des Minenrechts von 1900 bis 1960 (1963); Raimund Kniep, Die Bedeutung des deutschen Handelskrieges mit U-Booten im 1. Weltkrieg für die Entwicklung des Seekriegsrechts (1970). 53 Artur Taska, Die Grenzen des Küstenmeeres Estlands (1952); Hans-Joachim Baus, Die Grenzen der deutschen Hoheitsgewässer im Schleswig-Holsteinischen Raum (1957); Udo v. Busekist, Das Problem der Zulässigkeit einer von der natürlichen Küstenlinie unabhängigen Basislinie des Küstenmeeres in der französischen Literatur und Staatspraxis (1962). Vgl. auch Achim Borchert, Der Einfluß der Verkehrsfreiheit auf die völkerrechtlichen Regeln über die Höhe der Schiffahrtsabgaben auf international bedeutsamen Schiffahrtswegen (1964); Klaus-Dieter Stegemann, Die schleswig-holsteinischen Meeresgewässer als Gegenstand des Privatrechts (1965). 54 Eckart Sturm, Das Kontinentalschelf (1956); Ondolf Rojahn, Die Ansprüche der lateinamerikanischen Staaten auf Fischereivorrechte jenseits der Zwölfmeilengrenze (1971). 55 Ernst-Günter Hofmann, Der Grundsatz der Freiheit der Seeschiffahrt im Völkerrecht, unter besonderer Berücksichtigung des Prinzips der Gleichbehandlung (1956); Werner Heller, Das internationale Seekabelrecht in Friedenszeiten und seine Wandlungen durch die neue völkerrechtliche Entwicklung (1965); Gerhard Illing, Zur völkerrechtlichen Ordnung der Fischerei auf hoher See (1968); Uwe Jenisch, Das Recht zur Vornahme militärischer Übungen und Versuche auf Hoher See in Friedenszeiten (1969). 56 Peter Ehlers, Die Zwischenstaatliche Beratende Seeschiffahrtsorganisation (IMCO) und ihre Bedeutung für die internationale Seeschiffahrt (1969); Hans Jürgen Wildberg,

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am Kieler Institut in diesem Zeitraum sagen, dass es zwar immer stärker beachtet wurde, aber gleichwohl eher randständig blieb. IV. Das Seerecht in Blüte: die Ära Wolfrum (1982–1993) Das Jahr 1982 gilt als ein Markstein in der Geschichte des Seevölkerrechts: Am 10. Dezember 1982 wurde im jamaikanischen Montego Bay nach langen und kontroversen Verhandlungen das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen unterzeichnet. Das Kieler Institut würdigte das Ereignis mit dem Symposium „Das neue Seerecht“, das vom 1. bis 4. Dezember 1982 stattfand. Jenes Jahr ist für das Seerecht am Standort Kiel aber auch aus anderem Grunde bedeutsam. In November 1982 trat Rüdiger Wolfrum die Nachfolge des endgültig in die (Berliner) Politik übergewechselten Wilhelm Kewenig als Mitdirektor des Instituts für Internationales Recht an. Sieht man von Viktor Böhmert ab, dessen Hinwendung zum Seerecht wohl primär dem Wunsch geschuldet war, den Nationalsozialisten wenig politische Angriffsfläche zu bieten, war Wolfrum der erste Institutsdirektor, dessen Schwerpunkt tatsächlich im internationalen Seerecht lag. Der Schüler des Bonner Völkerrechtlers Karl Josef Partsch (der 1957–1960 selbst Professor in Kiel gewesen war) hatte sich 1980 mit einer Arbeit zur Internationalisierung staatsfreier Räume habilitiert57 und 1980–1982 als Mitglied der bundesdeutschen Delegation während der 9. bis 11. Session der UNCLOS III an den Verhandlungen der Arbeitsgruppe zum Meeresbodenregime teilgenommen. Im Herbst 1983 war er an den Verhandlungen der Vorbereitungskommission für die Meeresbodenbehörde in Kingston (Jamaika) beteiligt, 1983–1988 an der Sonderkonsultativkonferenz über mineralische Ressourcen der Antarktis, in der er der Arbeitsgruppe Völkerrecht vorsaß. Der Anteil der wissenschaftlichen Publikationen aus dem Institut, die einen seerechtlichen Bezug hatten, stieg bereits im ersten Jahr nach Wolfrums Berufung auf 7,7%, im zweiten Jahr auf ganze 27,6% an. Insgesamt lag der Anteil seerechtlicher Veröffentlichungen (eingerechnet Publikationen zu den Polargebieten) in den Jahren 1982 bis 1993 bei durchschnittlich 13,5% aller Publikationen aus dem Institut (zum Vergleich: in den Jahren vor Wolfrums Ankunft in Kiel lag der Anteil bei durchschnittlich 3,8%, nach seinem Ausscheiden bei 2,5%).

_____________

Die internationale Meeresbodenbehörde (ISA). Ihre rohstoffwirtschaftliche Aufgabe, entwicklungspolitische Bedeutung und der Entwurf durch die Dritte Seerechtskonferenz (1978). 57 Erschienen als: Rüdiger Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume. Die Entwicklung einer internationalen Verwaltung für Antarktis, Weltraum, Hohe See und Meeresboden, Berlin u.a. 1984.

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Die nachfolgende Graphik illustriert die Entwicklung.58 60 6

50 40

7

3

4

30 2 20

36 1 10 23 18

2 8 2 38 2421

33

1

6 2

3

34

20212418

4

50

19

1

3 3

1

262828

37 24

31

36 30

1 11 2000     (8,3%)

1998      (=0%)

1996        (4%)

1994         (0%)

1992   (10,3%)

1990   (17,4%)

Veröffentlichungen ohne seerechtlichen Bezug

1988  (14,3%)

1986  (22,2%)

1984  (18,0%)

1982     (7,7%)

1980     (9,5%)

1978     (5,3%)

1976        (0%)

0

Veröffentlichungen mit seerechtlichem Bezug

Noch deutlicher sprechen die Zahlen, wenn man allein die völkerrechtlichen Arbeiten aus dem Institut heranzieht, die in jener Zeit erschienen. Gemessen an diesen machte der Anteil seerechtlicher Publikationen im Schnitt 21% (42 von 200 Publikationen) aus. Hinzu kommen eine steigende Zahl von Arbeiten zum Umweltvölkerrecht und zu Ressourcenfragen, die eine Nähe zur seerechtlichen Thematik aufweisen. Zwar wurde unter Wolfrum das Seerecht am Institut in großer Breite behandelt; ein besonderer Fokus lag aber auf den internationalisierten Regimen des Tiefseebodens und der Antarktis. Weniger deutlich sieht die Statistik bei den Doktorarbeiten aus: Von den am Institut betreuten 25 Arbeiten, die zwischen 1983 und 1993 abgeschlossen wurden, waren lediglich 11 dem Völkerrecht und ausländischen öffentlichen Recht gewidmet, davon wiederum 4 dem Seerecht.59 Zwar betreute Wolfrum noch bis zum Jahr 1999 in Kiel acht weitere

_____________ 58 Zahlen nach: Das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel. Lehre, Forschung und Wissenstransfer im Zeitraum 1976–2000, Kiel 2000, 94–127. Für die Beurteilung, ob die jeweilige untersuchte Publikation einen seerechtlichen Bezug aufweist, war allein der Titel maßgeblich. 59 Thorsten Dehnert, Das Recht der Binnenstaaten auf Zugang zum Meer unter besonderer Berücksichtigung der 3. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen (1988); Doris König, Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften auf hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft (1989); Mathias Münchau, Terrorismus auf See

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Promotionen, die aber ganz überwiegend dem internationalen Umweltrecht gewidmet waren. Auch in der Lehre fand das Seerecht wenig Niederschlag. Verzeichnet ist lediglich ein seerechtliches Kolloquium im Sommersemester 1988; allerdings steht zu vermuten, dass das eine oder andere in den Vorlesungsverzeichnissen nicht näher spezifizierte „völkerrechtliche Seminar“ seerechtliche Themen behandelte. Der neue Forschungsschwerpunkt am Institut wurde auch durch eine Serie von Symposien und Konferenzen markiert. Hatte das Symposium zum Abschluss der UNCLOS III noch unter der Leitung von Jost Delbrück gestanden, folgte eine Serie von Konferenzen, die Wolfrum initiierte. Im Juni 1983 bereits fand die interdisziplinäre Tagung „Antarctic Challenge: Conflicting Interests, Cooperation, Environmental Protection, Economic Development“ statt, in deren Rahmen über 60 Personen aus dem In- und Ausland – Völkerrechtler, Naturwissenschaftler, Umweltforscher, Wirtschaftswissenschaftler, Diplomaten, Ministerialbeamte, Vertreter der Wirtschaft sowie Parlamentarier – nach Kiel kamen, um Probleme und Streitfragen rund um die Antarktis zu analysieren und Lösungswege zu diskutieren. Der dort begonnene Dialog wurde auf den Folgetagungen („Antarctic Challenge II/III“) im September 1985 bzw. Juli 1987 fortgeführt.60 Im Juli 1990 schließlich fand ein interdisziplinäres Symposium unter dem Titel „Law of the Sea at the Crossroads“ in Kiel statt, in dessen Rahmen die 80 Teilnehmer über den stockenden Ratifikationsprozess des UN-Seerechtsübereinkommens diskutierten und nach Auswegen suchten.61 Dies sollte für 17 Jahre die letzte Tagung zum Seerecht in Kiel gewesen sein. V. Erneute Stagnation: das Seerecht in Kiel 1993–2006 Rüdiger Wolfrum wechselte im Mai 1993 als Direktor an das Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, 1996 _____________

aus völkerrechtlicher Sicht (1993); Babette Sievers, Die Beseitigung radioaktiver Abfälle auf See (Hohe See, Tiefseeboden, Festlandsockel) (1993). Alle Arbeiten wurden von Wolfrum betreut. 60 Vgl. Rüdiger Wolfrum (Hrsg., unter Mitwirkung von Klaus Bockslaff), Antarctic Challenge. Conflicting Interests, Cooperation, Environmental Protection, Economic Development, Berlin 1984; ders. (Hrsg., unter Mitwirkung von Klaus Bockslaff und Ingrid Jahn), Antarctic Challenge II. Conflicting Interests, Cooperation, Environmental Protection and Economic Development, Berlin 1986; ders. (Hrsg., unter Mitwirkung von Ekaterina Michos-Ederer), Antarctic Challenge III. Conflicting Interests, Cooperation Environmental Protection, Economic Development, Berlin 1988. 61 Vgl. Rüdiger Wolfrum (Hrsg., unter Mitwirkung von Ursula Heinz und Denise Bizarro), Law of the Sea at the Crossroads. The Continuing Search for a Universally Accepted Regime, Berlin 1990.

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wurde er zudem zum Richter des neuen Internationalen Seegerichtshofs gewählt, dem er von 2005 bis 2008 als Präsident vorstand. Die Nachbesetzung seines Kieler Lehrstuhls erwies sich als schwierig. Erst 1997 gelang es, Rainer Hofmann als Nachfolger zu gewinnen. Dessen Schwerpunkte lagen im Bereich der Menschenund Minderheitenrechte und im Europarecht. Als Hofmann 2004 nach Frankfurt ging, übernahm Thomas Giegerich den Lehrstuhl. Auch er war kein Seerechtler, sondern arbeitete am Institut im Schwerpunkt ebenfalls zum Europarecht, zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Die erneute Schwerpunktverlagerung, weg vom Seerecht, macht sich auch in Zahlen bemerkbar. Von den rund 270 wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Völkerrecht (ohne Europarecht), die zu dieser Zeit am Institut erschienen, waren gerade einmal elf (4%) dem Seerecht gewidmet; allein drei dieser Publikationen stammten in den ersten Jahren nach Wolfrums Weggang aus der Feder seiner Schülerin Doris König, die dem Kieler Institut die Treue bewahrte; für zwei Publikationen im Jahre 2006 zeichnete Uwe Jenisch verantwortlich, der im Vorjahr als Honorarprofessor an das Institut für Internationales Recht zurückgekehrt war. Innerhalb der 45 völkerrechtlichen Dissertationen, die im selben Zeitraum am Institut abgeschlossen wurden (54% der insgesamt 84 Arbeiten; europarechtliche Themen machten mittlerweile 37% aus), waren lediglich zwei dem internationalen Seerecht gewidmet.62 Um die Lehre war es ironischerweise in dieser Zeit besser bestellt als zuvor: Im Winter 1993/94 und 1994/95 hielt Doris König seerechtliche Kolloquien ab; vom Wintersemester 2003/04 bis zum Wintersemester 2006/07 bot Uwe Jenisch Vorlesungen zum Seerecht an, ergänzt um seerechtliche Seminare in den Sommersemestern 2004, 2005 und 2007. VI. Seerecht im interdisziplinären Forschungsverbund: 2007 bis heute 2007 wurde dem Walther-Schücking-Institut zusätzlich zu den beiden völkerrechtlichen Lehrstühlen eine neue W2-Professur für Seerecht zugeordnet. Damit war in der fast hundertjährigen Geschichte des Instituts dem Seerecht erstmals eine eigene Professur gewidmet. Deren Etablierung gelang im Rahmen des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“, das im November 2006 aus der Taufe gehoben wurde. Das Cluster ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung der

_____________ 62 Jonna Ziemer, Das gemeinsame Interesse an einer Regelung der Hochseefischerei. Dargestellt am Beispiel des Fish Stocks Agreement (1998, Betreuer: Jost Delbrück); Susanne Heitmüller, Durchsetzung von Umweltrecht im Rahmen des Seerechtsübereinkommens von 1982 durch den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg (2001, Betreuer: Rainer Hofmann).

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Christian-Albrechts-Universität (CAU), die gemäß § 1 Abs. 1 der Satzung63 partnerschaftlich getragen wird von der CAU, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), dem Leibniz-Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel und der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Gefördert wird es von der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern. Das Cluster verfolgt das Ziel, durch ein Zusammenwirken verschiedener Disziplinen (Meeres-, Geo- und Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Mathematik, Informatik, Völkerrecht, Philosophie und Sozialwissenschaften) „nachhaltige Nutzungskonzepte und Handlungsoptionen für ein weltweites Management der Ozeane“ zu entwickeln.64 In der ersten Förderphase (2006– 2011) war das Seerecht der Forschungsgruppe B6 („Seerecht und marine Ressourcen“) zugeordnet, in der zweiten Förderphase (seit 2011) dem Forschungsfeld R02 („Governance der Ozeane“). Erster Inhaber der neuen Seerechts-Professur wurde Alexander Proelß, der 2003 in Tübingen bei Wolfgang Graf Vitzthum zum „Meeresschutz im Völkerund Europarecht“ promoviert worden war.65 Als Forschungsschwerpunkte gab er bei seiner Ankunft in Kiel insbesondere den Rechtsschutz der Arktis und ihrer Ressourcen, die gemeinsame Fischereipolitik der Europäischen Union sowie neue Nutzungen des küstenfernen Tiefseebodens an.66 Als Proelß 2010 den Ruf auf einen Lehrstuhl an der Universität Trier annahm, wurde 2011 Nele MatzLück als seine Nachfolgerin nach Kiel berufen. Matz-Lück war 2003 in Heidelberg mit der von Rüdiger Wolfrum betreuten Arbeit „Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge“67 promoviert worden; im Mittelpunkt stand der Umwelt-, Natur- und Artenschutz.68 Neben ihrer Kieler Professur ist Matz-Lück seit 2014 Professorin im Nebenamt am K.G. Jebsen Centre for the Law of the Sea in Tromsø (Norwegen). Zu den Themen, an denen die Professur für Seerecht im Rah_____________ 63 Ordnung des Exzellenzclusters „The Future Ocean“ der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Version 1.4, Stand: 21.11.2014, http://www.futureocean.org/de/cluster/ clusterordnung.pdf. 64 Siehe die Selbstdarstellung unter http://www.futureocean.org/de/cluster/. 65 Alexander Proelß, Meeresschutz im Völker- und Europarecht. Das Beispiel des Nordostatlantiks, Berlin 2004. 66 Neuberufene Professorinnen und Professoren stellen sich vor: Prof. Dr. iur. Alexander Proelß, Christiana Albertina 66 (2008), 71–72. 67 Nele Matz[-Lück], Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge. Völkervertragsrechtliche und institutionelle Ansätze, Berlin u.a. 2005. 68 Unter den seerechtlichen Publikationen ihrer Heidelberger Zeit siehe nur Nele MatzLück, Planting the Flag in Arctic Waters. Russia’s Claim to the North Pole, Goettingen Journal of International Law 1 (2009), 235–255; dies., The Concept of the Common Heritage of Mankind. Its Viability as a Management Tool for Deep-sea Genetic Resources, in: Alex G. Oude Elferink/Erik J. Molenaar (Hrsg.), The International Legal Regime of Areas Beyond National Jurisdiction, Leiden 2010, 61–75.

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men des Clusters beteiligt ist, gehören gegenwärtig Fragen des Meeresumweltschutzes (von Plastikmüll69 bis hin zum CO2-Ausstoß durch Schiffe70), die Bewirtschaftung lebender Meeresressourcen71 und maritime Raumplanung72. Mehr noch als schon in den 1980er und 1990er Jahren erfolgt die seerechtliche Forschung in Kiel heute im interdisziplinären Verbund.73

D. Schlussbetrachtung Der Reigen der Veranstaltungen aus Anlass des 100jährigen Bestehens des heute nach Walther Schücking benannten Kieler Instituts für Internationales Recht wurde im März 2014 durch einen internationalen Workshop eröffnet: „Law of the Sea in the 21st Century: Stalemate or Flexibility to Address new Challenges?“74 Das Jubiläumsjahr gerade mit dem Seerecht zu eröffnen, sollte die Bedeutung dieses Rechtsgebiets für die Geschichte und Entwicklung des Instituts von der Gründung bis in die Gegenwart würdigen.75 Wie so oft nötigt der Blick in die Geschichte zur Differenzierung. Den Gründungsimpuls für das Kieler Institut für Internationales Recht gab tatsächlich das Interesse Theodor Niemeyers für den Weltverkehr, vor allem zur See. Der Erste Weltkrieg und sein Verlauf allerdings führten Forschung und Lehre am Institut auf andere Gleise. Nur zum Seekriegsrecht fand in einem nennenswerten Umfang Forschung statt; in der Lehre suchte man das Seerecht vergebens. _____________ 69 Johannes Fuchs, Plastikmüll im Meer – welche Lösungen bietet das Recht? Aqua Viva 55/4 (2013), 14–17. 70 Nele Matz-Lück, Die Einführung nationaler CO2-Abgaben für die internationale Schifffahrt. Völkerrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, in: Jost Delbrück u.a. (Hrsg.), Aus Kiel in die Welt: Kiel’s Contribution to International Law. Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, Berlin 2014, 521–547. 71 Nele Matz-Lück/Johannes Fuchs, Marine Living Resources, in: Donald R. Rothwell u.a. (Hrsg.), Oxford Handbook on the Law of the Sea, Oxford 2015, 491–515. 72 Nele Matz-Lück/Johannes Fuchs, The impact of OSPAR on protected area management beyond national jurisdiction. Effective regional cooperation or a network of paper parks?, Marine Policy 49 (2014), 155–166. 73 Siehe beispielhaft Setareh Khalilian/Rainer Froese/Alexander Proelß/Till Requate, Designed for failure. A critique of the Common Fisheries Policy of the European Union, Marine Policy 34 (2010), 1178–1182; Martin Visbeck/Ulrike Kronfeld-Goharani/Barbara Neumann/Wilfried Rickels/Jörn Schmidt/Erik van Doorn/Nele Matz-Lück/Konrad Ott/Martin F. Quaas, Securing blue wealth. The need for a special sustainable development goal for the ocean and coasts, Marine Policy 48 (2014), 184–191. 74 Die Beiträge sind erschienen als „Focus Section“ des GYIL 57 (2014). 75 Vgl. Nele Matz-Lück, The Law of the Sea as a Research Focus in Kiel. Looking Back and Moving Ahead, GYIL 57 (2015), 37–42 (37).

Themen in Forschung und Lehre I

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Unter Niemeyers Nachfolger Walther Schücking sank die Bedeutung des Seerechts in Kiel noch weiter. Die Scheinblüte, die dieses Rechtsgebiet während des Nationalsozialismus erlebte, erweist sich bei näherer Betrachtung vermutlich als Versuch Viktor Böhmerts, eine Nische zu finden, in der er ohne politische Anfechtung forschen und lehren konnte. Nahezu 30 Jahre lang war es Böhmert, der das Seerecht in Kiel im Wesentlichen allein pflegte. Das ab Mitte der 1960er Jahre erwachende Interesse Eberhard Menzels an Rechtsfragen des Kontinentalschelfs und des Meeresbodens vermochte das Thema ebenso wenig aus seiner eher randständigen Rolle für das Institut herauszuführen wie die Befassung mit der Entwicklungsdimension von UNCLOS III unter Wilhelm Kewenig. Seine erste echte Blüte erlebte das internationale Seerecht während der zehneinhalb Jahre, die Rüdiger Wolfrum das Institut als Kodirektor leitete. Der eindrucksvollen Forschungsbilanz jener Jahre steht allerdings das beinahe vollständige Fehlen von Lehrveranstaltungen zum Thema gegenüber. Diese wurden einige Jahre nach Wolfrums Wechsel nach Heidelberg zwar wieder eingeführt; dafür aber fand praktisch keine seerechtliche Forschung mehr statt. Mit der Einrichtung der Seerechts-Professur 2007 scheint sich das Blatt gewendet zu haben. Natürlich ist es zu früh, um zu historisieren oder belastbare statistische Daten zu präsentieren. Der Publikationsoutput im Seerecht dürfte kaum so leicht das Niveau der Jahre zwischen 1982 und 1993 erreichen. Dafür aber ist das Seerecht inzwischen regelmäßiger und verpflichtender Teil des Völkerrechtsstudiums im Schwerpunkt „Völker- und Europarecht“. Es ist daher das erste Mal in der Geschichte des Instituts, dass das Seerecht in Forschung und Lehre als ein erkennbarer Schwerpunkt am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht vertreten ist. Es scheint, als wäre – fast hundert Jahre, nachdem „das Meer und die deutsche Kriegsmarine nebst dem ihrem Schutz anvertrauten Handel“ Theodor Niemeyer zur Institutsgründung animierten – das Seerecht endlich in Kiel angekommen.

Themen in Forschung und Lehre II: Rechtsfragen von Krieg und Frieden Von Janis Daniel

A. Einleitung Als ältestes völkerrechtliches Institut in Europa1 blickt das Kieler Institut für Internationales Recht auf eine über hundertjährige Publikationstätigkeit zurück. Wie die im Jahr 1995 erfolgte Benennung des Instituts nach Walther Schücking, Pazifist und Richter des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Haag, nahelegt, haben Rechtsfragen von Krieg und Frieden dabei stets eine zentrale Rolle gespielt. Welche Kontinuitäten und Brüche es im Rahmen dieser Entwicklung seit der Gründung des Königlichen Seminars für Internationales Recht am 9. Dezember 1913 gab, beleuchtet der nachfolgende Beitrag. Einleitend wird die Entwicklung der Publikationstätigkeit am Institut statistisch nachzuvollziehen sein, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Kategorien des Friedenssicherungsrechts2, des Kriegsrechts3 sowie des Kriegsfolgenrechts4 gelegt wird. Insgesamt wurden dazu über 1000 Publikationen berücksichtigt, die in den Schriftenreihen des Instituts erschienen sind oder von Mitarbeitern des Instituts an anderer Stelle veröffentlicht wurden. Ebenso fanden die 265 Dissertationen Eingang, die im Untersuchungszeitraum am Institut abgeschlossen wurden. Dieser Zeitraum, der mit der Aufnahme der Arbeit am Institut im Frühjahr 1914 beginnt, wird hier in sechs _____________ 1 Vgl. Ursula E. Heinz, 100 Jahre Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, in: Jost Delbrück u.a. (Hrsg.), Von Kiel in die Welt: Kiel’s Contribution to International Law. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, Berlin 2014, 13–38 (15). 2 Neben allgemeinen Rechtsfragen der Friedenssicherung fallen vor allem Fragen der Abrüstung, der Diplomatie, der friedlichen Streitbeilegung (insb. der internationalen Gerichtsbarkeit) sowie der regionalen Friedenssicherung in diese Kategorie. Ebenso wurde die Behandlung von Völkerbundfragen sowie Fragen rund um die Vereinten Nationen in die Kategorie „Friedenssicherungsrecht“ aufgenommen. 3 Die Kategorie des Kriegsrechts umfasst im Rahmen dieser Arbeit Fragen des Land-, See- und Luftkriegsrechts, des humanitären Völkerrechts wie Veröffentlichungen zum Wirtschaftskrieg. 4 Unter Kriegsfolgenrecht wurden im Rahmen dieser Arbeit Friedensschlüsse (v.a. der Versailler Vertrag) und die rechtliche Bewältigung der unmittelbaren Kriegsfolgen (Reparationen, Vertreibung, Umsiedlung usw.) sowie das Völkerstrafrecht kategorisiert.

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Perioden unterteilt. Die ersten beiden Perioden, die Ära Niemeyer und die Ära Schücking orientieren sich an den beiden ersten Direktoren, Theodor Niemeyer (Direktor von 1914 bis 1926) und Walther Schücking (1926–1933)5. Mit der Absetzung Schückings 1933 beginnt die Zeit des Instituts im Nationalsozialismus (1933–1944), die mit dem Direktorat Hermann v. Mangoldts ihr Ende findet. Nach dessen neunjährigem Direktorat (1944–1953) folgen die Ära Eberhard Menzel (1955–1972) sowie die fast 25 Jahre unter Jost Delbrück (1976–2001).6 Die statistische Annäherung an das Thema soll im Rahmen des nächsten Abschnitts auch in den historischen Kontext eingeordnet werden, wo dies möglich und sinnvoll erscheint. Denn neben den äußeren Entwicklungen sind es auch persönliche Interessen und Überzeugungen prägender Persönlichkeiten, die in akademischen Institutionen für die Verlagerung von Forschungsschwerpunkten und -akzenten verantwortlich sind. Um dies zu plausibilieren wird im zweiten Teil des Beitrags untersucht, inwiefern sich eine auffällige Verschiebung des Fokus in der Publikationstätigkeit des Instituts für Internationales Recht in den 1970er und 1980er Jahren – von der regionalen zur globalen Ebene in der Friedenssicherung – auch mit abweichenden Positionen der Direktoren Menzel und Delbrück erklären lässt.

B. Die Entwicklung der Publikationstätigkeit am Institut mit Hinblick auf Rechtsfragen von Krieg und Frieden I. Publikationstätigkeit unter Theodor Niemeyer (1914–1926) Wenige Monate nach Aufnahme der Arbeit am Königlichen Seminar (ab 1918: Institut) für Internationales Recht brach der Erste Weltkrieg aus. Dies wirkte sich sichtbar auf die Publikationsaktivität in der Ära Niemeyer am Institut aus. Rund 57% der Publikationen aus diesem Zeitraum sind den drei Kategorien _____________ 5 Da bei den meisten Publikationen nur das Erscheinungsjahr bekannt ist, wird hier das letzte Jahr einer Periode dieser immer zur Gänze zugeschrieben. Die nächste Periode beginnt dann mit dem 1. Januar des nächsten Jahres. Dieses Vorgehen erscheint auch mit Blick auf die Bearbeitungszeit einer Publikation sinnvoll. 6 Zwar wurde das Institut in Folge des Landeshochschulgesetzes von 1973 von mehreren gleichberechtigten Direktoren geleitet, Jost Delbrück hebt sich allerdings schon durch die Dauer seiner Amtszeit von seinen Mitdirektoren – Wilhelm Kewenig (1971– 1981), Wilfried Fiedler (1977–1984), Rüdiger Wolfrum (1982–1993) und Rainer Hofmann (1997–2004) – ab, vgl. Andreas v. Arnauld, 100 Jahre „Frieden durch Recht“. Das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, Christiana Albertina 79 (2014), 61– 81 (73ff.). Hinzu kommt, dass das Friedens- und Konfliktrecht am Institut in jener Zeit vor allem durch Delbrück vertreten wurde.

Themen in Forschung und Lehre II

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Kriegsrecht, Friedenssicherungsrecht und Kriegsfolgenrecht zuzuordnen.7 Niemeyer selbst trieb vor allem die Dokumentation des Kriegsgeschehens an, so rief er im Frühjahr 1916 das Kriegsarchiv des Völkerrechts ins Leben, welches sich fortan der „Feststellung der völkerrechtlichen Tatsachen des Weltkrieges“8 widmete. Weiterhin fungierte er als Mitherausgeber des „Jahrbuchs für Völkerrecht“, in dem zwischen 1916 und 1922 in sechs Bänden die völkerrechtlichen Urkunden des Weltkriegs zusammengetragen wurden.9 Neben der Dokumentation der Geschehnisse des Weltkrieges und seiner Folgen, die rund 20% der Veröffentlichungen jener Jahre einnahm, war das Kriegsrecht ein wichtiges Thema am Institut. 16 von 49 Veröffentlichungen, also fast ein Drittel der Publikationen, beschäftigten sich mit diesem Themenfeld. Parallel hierzu publizierte am Kieler Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr Hans Wehberg als Referent für Völkerrecht zu Rechtsfragen des Wirtschaftskriegs.10 Themen aus dem Bereich Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung wurden während der Niemeyer-Zeit am Institut für Internationales Recht eher gelegentlich aufgegriffen (in sieben von 49 Publikationen). Bemerkenswert immerhin sind hier die Jahre 1919 und 1926: 1919 publizierte Niemeyer zum Völkerbund-Gegenentwurf der von ihm initiierten und geleiteten Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht11 und ermunterte die bekannte Pazifistin (und kurzzeitige Institutsmitarbeiterin) Anna Bernhardine Eckstein, ihre Gedanken in der Schriftenreihe des Instituts zu veröffentlichen.12 Vermutlich durch den deutschen Beitritt motiviert, wandte sich Niemeyer 1926 am Ende seines Direktorats selbst

_____________ 7 Buchrezensionen, Berichte und Chroniken sowie Lexikonartikel nicht mitgerechnet, wurden in Kiel von 1914 bis 1926 insgesamt 98 Schriften zum Völkerrecht verfasst und publiziert, davon exakt die Hälfte (49) am Institut für Internationales Recht. 28 der Publikationen, die während Niemeyers Zeit am Institut entstanden, lassen sich diesen drei Themenkreisen zuzuordnen. 8 Theodor Niemeyer, Einführung in das Völkerrechtsarchiv und die Bücherei nebst Bericht über Aufgaben und Entwicklung des Instituts. Zugleich eine völkerrechtliche Programmschrift, Kiel 1919, 7. 9 Theodor Niemeyer/Karl Strupp (Hrsg.), Die völkerrechtlichen Urkunden des Weltkrieges, Band 1–6 [= Jahrbuch des Völkerrechts (JVR) 3–8 (1916–1922)]. 10 Allein zwischen 1917 und 1919 verfasste Wehberg zwölf Beiträge zur Thematik. Vgl. bspw. Hans Wehberg, Der Wirtschaftskrieg. Die Maßnahmen und Bestrebungen des feindlichen Auslands zur Bekämpfung des deutschen Handels und zur Förderung des eigenen Wirtschaftslebens. Abteilung 1: England, Jena 1917; ders., Eine englische Gerichtsentscheidung betreffend den Wirtschaftskrieg nach dem Kriege, Weltwirtschaftliches Archiv 12 (1918), 409–413. 11 Theodor Niemeyer (Hrsg.), Der Völkerbundsentwurf der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht. Vorschläge für die Organisation der Welt, Berlin 1919. 12 Anna B. Eckstein, Staatenschutzvertrag zur Sicherung des Weltfriedens, München 1919.

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dem Völkerbund zu und verfasste gemeinsam mit seinen Assistenten Curt Rühland und Jean Spiropoulos eine Monographie zum Thema.13 Eine ähnliche Schwerpunktsetzung wie bei den Publikationen Niemeyers lassen auch die Themen der in dieser Zeit am Institut abgeschlossenen Dissertationen erkennen.14 Der Erste Weltkrieg hat sich hier noch auf andere Weise ausgewirkt: Nach der letzten Promotion der Vorkriegszeit im Januar 1914 wurde das nächste Promotionsverfahren erst im Frühjahr 1918 abgeschlossen.15 Die Ursache für diese vier Jahre ohne Doktorpromotionen dürfte in der Berufung zahlreicher Studierender und Promovierender an die Front liegen.16 Nach Kriegsende wurden bis 1926 durchschnittlich 3,75 Dissertationen pro Jahr betreut. II. Publikationstätigkeit unter Walther Schücking (1926–1933) Unter Walther Schücking, der 1926 auf den Lehrstuhl für Völkerrecht und internationales Privatrecht berufen wurde, wuchs nicht nur die Zahl der Publikationen spürbar an (86 Veröffentlichungen in sieben Jahren im Vergleich zu 49 Publikationen in den 13 Jahren unter Niemeyer); auch die Schwerpunkte verschoben sich deutlich. In den sieben Jahren unter Schücking erschien lediglich eine einzige kriegsrechtliche Publikation: eine fünf Jahre zuvor abgeschlossene Dissertation, die noch von Niemeyer betreut worden war.17 Im Gegenzug nimmt unter Schücking die Beschäftigung mit dem Friedenssicherungsrecht sprunghaft zu.

_____________ 13 Theodor Niemeyer/Curt Rühland/Jean Spiropoulos, Der Völkerbund. Verfassung und Funktion, Kiel 1926. 14 Die zur Zeit Niemeyers am Institut abgeschlossenen Dissertationen behandeln zu 56,5% Rechtsfragen von Krieg und Frieden, davon 29% Kriegsrecht, 13% Friedenssicherungsrecht, 14,5% Kriegsfolgenrecht. 15 Kurt Neumann, Die Internationalität Marokkos, Diss. Kiel 1918, posthum publiziert Berlin 1919. 16 Vgl. Universität Kiel (Hrsg.), Gruß der Universität Kiel an ihre Kommilitonen im Felde, Kiel 1916. 17 Eugen Saalfrank, Die Kondemnation deutscher und österreichischer Kauffahrteischiffe durch das belgische Prisengericht im Jahre 1919, Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht 42 (1930), 31–128, zugl. Diss. Kiel 1925. Nicht im eigentlichen Sinne kriegsrechtlich ist eine Publikation von Schücking selbst: Walther Schücking, Die Schuld im Kriege, in: Die Kriegsschuldfrage. Berliner Monatshefte für internationale Aufklärung 1928, 77–82. Zu „Recht und Technik im modernen Seekriegsrecht“ veröffentlichte 1929 Walther Schoenborn seine Rede aus Anlass der Reichsgründungsfeier; Schoenborn gehörte dem Institut allerdings erst ab 1934 an.

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Während es beispielsweise zwischen 1922 und 1926 neben einem Dokumentenband nur eine Publikation in der Kategorie Friedenssicherungsrecht gibt18, erscheinen allein im Jahr 1927 sieben Publikationen zu diesem Themengebiet. Insgesamt entstanden in der Schücking-Zeit durchschnittlich fünf friedenssicherungsrechtliche Publikationen pro Jahr.19 Als zentrales Thema lassen sich zu dieser Zeit vor allem Fragen rund um den Völkerbund identifizieren, aber auch Abrüstungsfragen und friedliche Streitbeilegung wurden vertieft behandelt. Dieser Trend spiegelt nicht allein Vorlieben des Institutsdirektors, sondern folgt historischen Entwicklungen der Zeit. Beginnend mit den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 wurde der Krieg immer weniger als legitimes Mittel der Politik betrachtet. Die Entwicklung gipfelte im vertraglich vereinbarten Verbot des Angriffskrieges im Briand-Kellog-Pakt von 1928.20 Bereits mit dem Friedenssicherungsregime der Völkerbundsatzung war der Versuch unternommen worden, Konflikte mit Hilfe von Streitbeilegungsverfahren zu schlichten. Dass ebendiesen Ansätzen im deutschen Kontext nach dem Beitritt Deutschlands zum Völkerbund im Jahre 1926 eine verstärkte Aufmerksamkeit zukam, ist naheliegend. Zumindest teilweise können die historischen Rahmenbedingungen also als Erklärung der thematischen Verschiebung der Publikationstätigkeit am Institut in der Ära Schücking dienen. Allerdings stand der erklärte Pazifist Schücking wie kein Zweiter für die Ideen von Frieden durch Völkerrecht und internationale Organisation. Anscheinend ist es Schücking gelungen, seine Begeisterung für die Friedenssicherung durch Recht auch auf die Studierenden zu übertragen. So fällt die Hälfte aller Dissertationen zur Zeit Schückings in die Kategorie Friedenssicherungsrecht, während sich zu Kriegsrecht oder Kriegsfolgenrecht in dieser Zeit keine einzige Dissertation finden lässt.21 Größere Relevanz behielt das Kriegsfolgenrecht für die Publikationstätigkeit des Instituts (19 der insgesamt 86 Publikationen, d.h. gut 22%), wobei der Schwerpunkt auf dem Versailler Vertrag lag.22 Unter Schücking endet weitestgehend die Dokumentation von Völkerrecht _____________ 18 Allerdings eine gewichtige, nämlich die bereits erwähnte Monographie zum Völkerbund. Vgl. daneben noch Theodor Niemeyer (Hrsg.), Friedensverträge, Völkerbunddokumente, Vergleichs-, Schieds-, und Sicherheitsverträge, Allianzverträge 1919–1926, München/Leipzig 1926 [= JVR 9 (1926)]. 19 Insgesamt sind 36 Publikationen in der Kategorie „Friedenssicherungsrecht“ zwischen 1927 und 1933 zu verzeichnen, dies entspricht 40% der völkerrechtlichen Veröffentlichungen des Instituts. 20 Vgl. Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl. München 2007, 204f. 21 Insgesamt wurden zwischen 1927 und 1933 am Institut 25 Dissertationen zum Abschluss gebracht. Zwölf von ihnen behandeln friedenssicherungsrechtliche Themen. 22 Oft mit Anknüpfungspunkten zu anderen Themengebieten, etwa zur Abrüstung oder zur friedlichen Streitbeilegung. Vgl. bspw. Viktor Böhmert, Die Rechtsgrundlagen für Deutschlands Recht auf Abrüstung seiner Vertragsgegner. Ein Vergleich des Art. 8 mit

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und völkerrechtlich relevanten Entwicklungen, auf die Niemeyer einen Schwerpunkt gelegt hatte. Dieser gibt 1927/28 noch ein „Handbuch des Abrüstungsrechts“ heraus (mit einem umfangreichen Urkundenteil); weitere Dokumentensammlungen erscheinen jedoch nicht mehr. Allerdings gibt das Institut unter Schücking in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt die Urteile des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in deutscher Übersetzung heraus. III. Publikationstätigkeit im Nationalsozialismus (1933–1944) Es verwundert nicht, dass nach der Absetzung Schückings 193323 das Friedenssicherungsrecht für die Arbeit am Institut an Bedeutung verlor. Lediglich fünf Arbeiten, allesamt noch von Schücking inspiriert, erscheinen in den Jahren nach 1933. Der Akzent verschiebt sich merklich: weg vom Völkerbund hin zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Versailler Vertrag. Dementsprechend wichtiger wird die Beschäftigung mit den Rechtsfolgen des Ersten Weltkriegs in den Jahren bis 1939, ab 1939 dann mit dem Kriegsrecht. Beide schlagen mit ca. 22% der völkerrechtlichen Publikationen jener Jahre zu Buche. Der politische und polemische Charakter der Schriften des Ritterbusch-Kreises macht es allerdings schwer, eine Gesamtzahl der (auch) völkerrechtlichen Publikationen in jenen Jahren zu bestimmen. IV. Publikationstätigkeit unter Hermann v. Mangoldt (1944–1953) In den neun Jahren, die Hermann v. Mangoldt am Institut wirkte, war die Publikationstätigkeit auf Grund des Krieges und der Kriegsfolgen stark eingeschränkt. Die Bibliothek war wegen der Bombenangriffe auf Kiel längere Zeit ausgelagert, das Institutsgebäude beschädigt. Die Aufbauarbeit ließ wenig Zeit für eine ausgedehnte Publikationstätigkeit, eine thematische Kategorisierung erscheint „mangels Masse“ nicht sinnvoll. Erwähnung verdient aber, dass die Schriftenreihe des Instituts mit einer Sammlung von Dokumenten zu den „Vereinten Nationen“ (gemeint sind die Alliierten des Weltkrieges) eröffnet wurde, denen v. Mangoldt auch später noch eine Schrift widmete.24 Bereits 1948 folgte ein

_____________

der Präambel des Teil V des Versailler Friedens, Berlin 1931; Viktor Böhmert, Zum Memel-Urteil, Deutsche Juristen-Zeitung 1932, 1099–1102. 23 Vgl. v. Arnauld (Anm. 6), 66. 24 Hermann v. Mangoldt (Hrsg.), Kriegsdokumente über Bündnisgrundlagen, Kriegsziele und Friedenspolitik der Vereinten Nationen, Hamburg 1946; ders., Die Kriegsziele der Vereinten Nationen und das Völkerrecht der Nachkriegszeit. Im Spiegel amtlicher und offiziöser Äußerungen aus der Kriegszeit, Hamburg 1948.

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Band zur Charta der Organisation der Vereinten Nationen.25 In die Nachkriegszeit fallen auch eine erste Publikation zum Völkerstrafrecht26 sowie, der Arbeit v. Mangoldts im Parlamentarischen Rat geschuldet, zum neuen Grundgesetz.27 Die meisten der Publikationen jener Jahre berühren in der einen oder anderen Weise die Folgen des Zweiten Weltkriegs. V. Publikationstätigkeit unter Eberhard Menzel (1955–1975) Unter Menzel und Delbrück entfielen auf das Kriegsfolgenrecht im Vergleich dazu weniger als ein Prozent der völkerrechtlichen Veröffentlichungen. Auch das Kriegsrecht ist nun kaum mehr als eine Randerscheinung.28 Generell fand nach dem Zweiten Weltkrieg eine Diversifizierung des völkerrechtlichen Themenspektrums statt. Menschenrechte, Umweltrecht oder die Europäischen Gemeinschaften gehörten zu den neuen Themen des Völkerrechts, die sich auch in den Publikationen des Instituts niederschlugen.29 Fortgesetzt wurde unter Menzel und Delbrück (wenngleich in unterschiedlicher Intensität) die unter v. Mangoldt begonnene Beschäftigung mit dem Bonner Grundgesetz, mit der deutschen Teilung und dem Funk- und Medienrecht.30 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist wenig verwunderlich, dass der Anteil der Rechtsfragen von Krieg und _____________ 25 Hermann v. Mangoldt (Hrsg.), San Francisco Charta der Vereinten Nationen, Hamburg 1948. 26 Hermann v. Mangoldt, Das Kriegsverbrechen und seine Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart. Eine völkerrechtliche Studie, Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht 1 (1948), 283–334. 27 Siehe v.a. Hermann v. Mangoldt: Das Bonner Grundgesetz: Kommentar, Berlin u.a. 1953. 28 Unter Menzel finden sich neun Publikationen, die der Kategorie des Kriegsrechts (humanitären Völkerrechts) zuzuordnen sind. Unter Delbrück fallen sogar nur fünf Publikationen zumindest teilweise in diese Kategorie. Bei einem Anteil von knapp über 3% (Ära Menzel), bzw. unter 1% (Ära Delbrück) an der Gesamtzahl der völkerrechtlichen Publikationen lagen die Schwerpunkte allerdings erkennbar an anderer Stelle. 29 Fragen des Europäischen Gemeinschaftsrechts kamen erstmals in den 1960er Jahren auf und nahmen seither konstant mehr Raum in der Publikationsaktivität des Instituts ein. Während sie in der Ära Menzel knapp über 5% der Publikationen einnehmen, sind es in der Ära Delbrück bereits 13%. Auch die Behandlung menschenrechtlicher Themen begann unter Menzel, erfuhr allerdings erst unter Delbrück verstärkte Beachtung (rund 10% der völkerrechtlichen Publikationen). Das internationale Umweltrecht fand ab den 1980er Jahren Eingang in Publikationen aus dem Institut. 30 Die Beschäftigung mit Fragen der Wiedervereinigung, bzw. des Grundgesetzes nahm besonders in der Ära Menzel einen großen Anteil der Publikationstätigkeit ein. So entfallen über 22% der Publikationen in diesem Zeitraum auf diese Kategorie. Unter Delbrück sind es zwar nur noch knapp 4,5%, dies entspricht allerdings immer noch über 20 Publikationen. Auf die Kategorie des Medienrechts entfallen in beiden Zeitspannen um die 3% der Publikationen.

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Frieden an den Veröffentlichungen aus dem Institut sinkt. Mit jeweils über 20% der Gesamtheit der Publikationen stellte die Thematik allerdings sowohl unter Delbrück als auch unter Menzel weiterhin einen Fokus der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit des Instituts dar. Klar im Zentrum stand dabei in beiden Perioden das Friedenssicherungsrecht31, allerdings mit unterschiedlichen Akzentuierungen. Diese Akzentverschiebung lässt sich vor dem Hintergrund des historischen Kontextes erläutern:32 dem Ost-West-Konflikt und dessen Ende, dem Übergang des Amerikanisch-Sowjetischen Zeitalters in das Zeitalter der globalen Staatenwelt Ende der 1980er Jahre. Die prägende Funktion des Ost-West-Konflikts tritt bereits zu Beginn der Ära Menzel zu Tage. Bereits im Jahr seiner Berufung nach Kiel, 1955, thematisiert Menzel in einem Beitrag für das „Europa-Archiv“ „[d]as Versagen des Sicherheitssystems der Vereinten Nationen in einem Ost-WestKonflikt“.33 Aus dem Vetorecht der ständigen Mitglieder und den Interessen der Großmächte folgert Menzel, dass im Falle einer Friedensbedrohung durch den Ost-West-Konflikt der Sicherheitsrat „blockiert“ und das Sicherheitssystem der Vereinten Nationen „insoweit unwirksam“ sei.34 Er wird dies auch später noch mehrfach bekräftigen.35 Damit rückt die regionale Ebene stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit Menzels. In den beiden Bündnissen, NATO und Warschauer Pakt, sieht Menzel den entscheidenden Faktor: [D]ie Abkommen erhalten gegenüber dem Sicherheitssystem der Vereinten Nationen einen völlig anderen Charakter. Sie ergänzen nicht mehr die Friedenssicherungsinstitutionen der Vereinten Nationen, sondern setzen sich an ihre Stelle. […] Damit ist das universale Sicherheitssystem gerade für den Ost-West-Konflikt zerbrochen und durch zwei gegeneinander gerichtete Bündnissysteme ersetzt worden.36 _____________ 31 Unter Menzel entfallen 83% der Publikationen zu Rechtsfragen von Krieg und Frieden auf die Kategorie Friedenssicherungsrecht (56,5 von 68 Publikationen). Unter Delbrück sind es sogar 92% (103 von 111,5 Publikationen). 32 Dies relativiert zugleich die hier vorgenommene Periodisierung nach „Ären“, die eben keine abgeschlossenen „Epochen“ sind. 33 Eberhard Menzel, Der europäische Sicherheitspakt – ein Schritt zur Entspannung im Ost-West-Konflikt und zur Wiedervereinigung Deutschlands, Europa-Archiv 10 (1955), 7891–7906 (7893). 34 Menzel, Sicherheitspakt (Anm. 33), 7895. 35 Vgl. bspw. Eberhard Menzel, Völkerrecht und Friedenssicherung, Zeitschrift für evangelische Ethik (ZEE) 12 (1968), 129–146 (138); ders., Grundfragen eines europäischen Sicherheitssystems, in: Wilfried Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, Baden-Baden 1971, 261–331; ders., Die militärischen Einsätze der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedens, Jahrbuch für internationales Recht (JIR) 15 (1971), 11–137 (126f.). 36 Menzel, Sicherheitspakt (Anm. 33), 7896.

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Umso mehr beschäftigt Menzel die Errichtung eines europäischen Sicherheitssystems.37 Tatsächlich haben, mit Ausnahme einer einzigen38, alle Publikationen zur regionalen Friedenssicherung der Ära Menzel einen Bezug zu Europa, der NATO oder dem Warschauer Pakt.39 Auch Fragen rund um die Abrüstung nehmen unter Menzel einen wichtigen Platz in der Publikationstätigkeit des Instituts ein. Neben allgemeinen Fragen von Abrüstung und Rüstungsbeschränkung geht es immer wieder auch um die (Il)legalität von Atomwaffen,40 ein Thema, für das sich Menzel als Mitglied der Pugwash-Bewegung auch politisch engagiert. Menzels Schüler Knut Ipsen widmet sich in seiner Habilitationsschrift der völkerrechtlichen Stellung von biologischen sowie chemischen Waffen.41 Die 48 Publikationen zum Friedenssicherungsrecht in der Ära Menzel verteilen sich nahezu gleichmäßig auf die drei genannten Schwerpunkte Abrüstung (17, entspricht 35%), regionale Friedenssicherung (16, entspricht 33%) und Vereinte Nationen (15, entspricht 31%). VI. Publikationstätigkeit unter Jost Delbrück (1976–2001) Die Blockade des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen bleibt auch nach Menzels Ausscheiden aus dem Institut Thema.42 Noch 1985 kommt Jost Delbrück zu dem Schluss: „Die Vereinten Nationen jedenfalls haben bisher als ein kollektives Sicherheitssystem überwiegend versagt, so in Supermachtkonflikten _____________ 37 Vgl. Eberhard Menzel, Friedensvertrag mit Deutschland oder europäisches Sicherheitssystem?, JIR 13 (1967), 11–81; ders., Grundzüge eines europäischen Sicherheitssystems, in: Herbert Scholz (Hrsg.), Entspannung und Abrüstung, Berlin 1970, 66–91; Menzel, Grundfragen (Anm. 35), 261ff. 38 Rüdiger Pernice, Die Sicherung des Weltfriedens durch regionale Organisationen und die Vereinten Nationen, Hamburg 1972. Es handelt sich um eine Marburger Dissertation, die in der Schriftenreihe des Kieler Instituts veröffentlicht wurde. 39 Die Institutionalisierung regionaler Organisationen war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht in allen Regionen abgeschlossen. Die Organisation Amerikanischer Staaten war bereits 1970/71 Gegenstand zweier Kieler Dissertationen: vgl. Gerhard Kutzner, Die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), Hamburg 1970; Niels Brandt, Das interamerikanische Friedenssystem, Hamburg 1971. 40 Vgl. bspw. Eberhard Menzel, Völkerrecht und Atombewaffnung, Atomzeitalter 1959, Heft 8, 88–91; ders., Legalität oder Illegalität der Anwendung von Atomwaffen, Tübingen 1960. 41 Knut Ipsen, Biologische und chemische Kampfmittel im Völkerrecht, Habilitationsschrift Kiel 1973. Siehe zuvor bereits Knut Ipsen, BC-Waffen im Völkerrecht, in: Ernst von Weizsäcker (Hrsg.), BC-Waffen und Friedenspolitik, Stuttgart/München 1970, 42–61. 42 Vgl. bspw. Jost Delbrück, Die Rolle der Vereinten Nationen in den Ost-West-Beziehungen, in: Moderne Welt. Jahrbuch für Ost-West-Fragen 1983, 375–387; ders., Eine internationale Friedensordnung als rechtliche und politische Gestaltungsaufgabe, in: Kirchenamt im Auftrage des Rates der EKD (Hrsg.), Frieden politisch fördern. Richtungsimpulse, Gütersloh 1985, 145–172.

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und in Fällen sog. Stellvertreterkriege […]“.43 Dennoch widmen sich vereinzelte Publikationen der Friedenssicherung im Rahmen der Vereinten Nationen.44 Der Großteil der Veröffentlichungen zu den Vereinten Nationen befasst sich allerdings mit allgemeinen und grundsätzlichen Fragen; das Gewaltverbot und das Friedenssicherungssystem in Kapitel VII der Charta spielen so gut wie keine Rolle.45 In seiner Zeit als Assistent Menzels hatte auch Delbrück sich Rechtsfragen eines europäischen Sicherheitssystems jenseits der Vereinten Nationen gewidmet.46 Begreiflicherweise erfährt die erste Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1973 mit der Schlussakte von Helsinki (1975) zu Beginn des Delbrückschen Direktorats besondere Aufmerksamkeit.47 Danach jedoch scheinen Fragen rund um regionale Lösungen zur Friedenssicherung für die Arbeit am Institut deutlich an Relevanz zu verlieren, ihre Behandlung reduziert sich bis zum Fall der Berliner Mauer auf ein Minimum.48 An die Ära Menzel wird zunächst auch im Bereich der Abrüstung angeknüpft: Im Zentrum stehen in den ersten Jahren Nuklearwaffen (Kernwaffenversuche, Nichtverbreitungsvertrag). In den Folgejahren rücken dann die Rüstungsbegrenzung bei konventionellen Waffen und allgemeine Fragen der Abrüstung in den _____________ 43

Delbrück, Friedensordnung (Anm. 42), 150. Vgl. Jost Delbrück, Völkerrecht und Weltfriedenssicherung, in: Dieter Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften, Band 2, München 1976, 179– 191; ders., Peacekeeping by the United Nations and the Rule of Law, in: Declarations on Principles – A Quest for Universal Peace. Liber Amicorum Bert V.A. Röling, Leiden 1977, 73–99. 45 Vgl. Eckart Wehser, Die Bindungswirkung der Empfehlungen der Vollversammlung der Vereinten Nationen, in: Thesaurus Acroasium Vol. II, Thessaloniki 1976, 369– 394; Delbrück, Rolle (Anm. 42), 375ff.; ders., Deutschland und die Vereinten Nationen. Vom Feindstaat Deutsches Reich zur gleichberechtigten Mitwirkung beider deutscher Staaten, Vereinte Nationen (VN) 1985, 185–190. 46 Vgl. Jost Delbrück, Europäische Sicherheit, Die neue Gesellschaft 1968 (Sonderheft), 25–29; ders., Deutsche Ostpolitik und Europäisches Sicherheitssystem, Sankelmark 1968 [Schriftenreihe der Grenzakademie Sankelmark, Heft 2]; ders., Modelle eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems, Jahrbuch für Friedens- und Konfliktforschung 2 (1972), 87–101. 47 Vgl. bspw. Hans-Joachim Schütz, Zur Rationalität des Zielkatalogs und des Friedenssicherungsinstrumentariums der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), JIR 18 (1975), 146–203; ders., Entspannung und Sicherheit zwischen sowjetischer Koexistenzdoktrin und KSZE, Neue Preußische Jahrbücher 2 (1976/78), 122–152; Jost Delbrück, Die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in völkerrechtlicher Sicht, in: Rudolf Bernhardt u.a. (Hrsg.), Drittes deutschpolnisches Juristen-Kolloquium, Bd. 1, Baden-Baden 1977, 31–50. 48 Die einzige Ausnahme bilden hierbei Jost Delbrück, Europäische Sicherheit – Hoffnung für die Deutschlandpolitik?, Politik und Kultur 1984, H. 4, 69–72 sowie Klaus Dicke, Gewaltverzicht im Rahmen der KVAE? Eine Prüfung von Gewaltverzichtsabkommen aus völkerrechtlicher und politischer Sicht, Beiträge zur Konfliktforschung 3/1985, 23–35. 44

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Vordergrund. Erst in den von Delbrück herausgegebenen Bänden „Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten: Abrüstung, Kriegsverhütung, Rüstungskontrolle“ finden Fragen rund um sog. ABC-Waffen wieder verstärkt Aufmerksamkeit.49 Diese Verlagerung des Fokus mag damit zusammenhängen, dass grundlegende Rechtsfragen von Massenvernichtungswaffen zunehmend als geklärt betrachtet wurden. Einen entscheidenden Einschnitt, auch in der Publikationstätigkeit des Instituts, markiert das Ende des Ost-West-Konflikts, mit dem die Blockade des UNFriedenssicherungssystems zumindest für einige Jahre endete. Die neu gewonnene Bereitschaft des Sicherheitsrates, nach Kapitel VII der UN-Charta tätig zu werden, wie sie v.a. nach der Invasion des Irak in Kuwait im sog. Zweiten Golfkrieg zum Ausdruck kam, befeuerte naturgemäß auch den wissenschaftlichen Diskurs rund um die Friedenssicherungsmaßnahmen der UN am Institut.50 Wie die UNO unter den veränderten weltpolitischen Bedingungen besser zur Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beitragen kann, beschäftigt die Völkerrechtswissenschaft, auch am Institut für Internationales Recht in Kiel. So schreibt beispielsweise Klaus Dicke im Jahr 1994: „Der weltpolitische Umbruch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes hat den Vereinten Nationen nicht nur zu neuer und verstärkter Aufmerksamkeit verholfen, sondern hat auch die Debatte über eine Reform der UN neu belebt“.51 Neben der Reformfrage wurden in den 1990er Jahren am Institut auch UN-Themen behandelt, die bisher weniger im Rampenlicht standen, so z.B. die Frauenrechtskonvention, Fragen der wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Umwelt und Klimaschutz im Rahmen der Vereinten Nationen.52 Neu ins Zentrum rücken in den 1990er Jahren auch Fragen rund um das Gewalt- und das Interventionsverbot. Delbrück begründet diese Entwicklung damit, _____________ 49 Vgl. Eibe Riedel, Begrenzung strategischer Rüstungen (SALT), in: Jost Delbrück (Hrsg.), Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten, Kehl u.a. 1984, 683–695; Hans-Joachim Schütz, Beschränkung von B- und C-Waffen und anderen Massenvernichtungsmitteln, ebd., 829–842. 50 Vgl. bspw. Ursula Heinz/Christiane Philipp/Rüdiger Wolfrum, Zweiter Golfkrieg. Anwendungsfall von Kapitel VII UN-Charta, VN 4/1991, 121–128; Wolf Plesmann, Regelungen für den Konfliktfall. Das System der Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen, der überblick 4/1992, 11–14. 51 Klaus Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen. Darstellung und kritische Analyse eines Topos im Reformprozeß der Vereinten Nationen, Berlin 1994, 7. 52 Vgl. bspw. Peter-Tobias Stoll, Wirtschaftliche Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen. Grundlagen, Prinzipien und Strukturen, in: DGVN (Hrsg.), Strukturreform der UN?, Bonn 1992, 17–28; Doris König, Schutz von Frauenrechten im Rahmen der Vereinten Nationen, Streit 1996, 159–167; Christian Feist Von Rio nach Berlin. Die Aktivitäten der Vereinten Nationen auf den Gebieten des Umwelt- und Klimaschutzes, JuS 1997, 490–497.

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dass die durch das Aufbrechen der alten Machtkonstellation entstandenen Konflikte Fragen aufgeworfen hätten, die zur Zeit des Kalten Krieges eher theoretischer Natur waren.53 Eine Diskussion entspann sich z.B. um die Auslegung des Interventionsverbotes aus Artikel 2 Nr. 7 UN-Charta. Vor allem Delbrück trat hier für eine enge Auslegung des Interventionsverbotes ein, um die Effektivität der UN-Friedenssicherung zu stärken.54 In den Publikationen aus dem Institut bleibt das Hauptaugenmerk in den 1990er Jahren auf dem Beitrag der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung, regionale Lösungen treten im Vergleich zu früheren Perioden eher an den Rand.55 Zunehmend allerdings zeichnet sich eine Skepsis ab, ob im UN-Sicherheitsrat eine zügige Konsensbildung gelingen kann, die notwendig ist, um die UN-Friedenssicherung effektiv zu machen.56 In diesem Rahmen steht auch immer wieder die Frage im Raum, ob notfalls eine humanitäre Intervention auch von einem Einzelstaat bzw. einer Staatengruppe, ohne vorherige Ermächtigung durch den Sicherheitsrat durchgeführt werden kann.57 Fragen der Abrüstung sind ab 1989 am Institut nicht mehr als eine Randerscheinung. Neben einem Beitrag Jost Delbrücks, der die Entstehung außerrechtlicher Verhaltensnormen im Zuge des Szenarios der nuklearen Abschreckung behandelt,58 gibt es lediglich eine weitere Publikation von Christian Tietje, die sich aus Anlass des (im Ergebnis unzulässigen) Gutachtenantrags der WHO an den _____________ 53 Vgl. Jost Delbrück, Effektivität des UN-Gewaltverbots. Bedarf es einer Modifikation der Reichweite des Art. 2 (4) UN-Charta?, Friedens-Warte 74 (1999), 139–158 (140). 54 Vgl. bspw. Jost Delbrück: Die internationale Gemeinschaft vor neuen Herausforderungen. Zur Neubestimmung der Reichweite des Interventionsverbotes der Charta der VN, in: Wolfgang Heydrich u.a. (Hrsg.), Sicherheitspolitik Deutschlands. Neue Konstellationen, Risiken, Instrumente, Baden-Baden 1992, 547–588; ders., A Fresh Look at Humanitarian Intervention Under the Authority of the United Nations, Indiana Law Journal 67 (1992), 887–901; ders., Staatliche Souveränität und die neue Rolle des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, Verfassung und Recht in Übersee 26 (1993), 6–21. 55 Markante Ausnahmen sind dabei zwei am Institut abgehaltene Symposien: vgl. Jost Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement. New Scenarios – New Law? Berlin 1993; ders. (Hrsg.), Allocation of Law Enforcement Authority in the International System, Berlin 1995. 56 Vgl. Delbrück, Effektivität (Anm. 53), 148ff.; ders., Die Idee des gerechten Krieges aus völkerrechtlicher Sicht, in: Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages (Hrsg.), Der gerechte Krieg – Der Krieg als Unrecht, Kiel 1998, 13–30 (27ff.). 57 Vgl. bspw. Jost Delbrück, Regionale Abmachungen. Friedenswahrung und Rechtsdurchsetzung. Zum Problem der Allokation internationaler Rechtsdurchsetzungsmacht, in: Klaus Ginther u.a. (Hrsg.), Völkerrecht zwischen normativem Anspruch und politischer Realität. Festschrift für Karl Zemanek, Berlin 1994, 163–178 (175ff.); ders., A Fresh Look (Anm. 54), 887ff. 58 Jost Delbrück, Die Entwicklung außerrechtlicher internationaler Verhaltensnormen unter den Bedingungen nuklearer Abschreckung, in: Uwe Nerlich/Trutz Rendtorff (Hrsg.), Nukleare Abschreckung, Baden-Baden 1989, 353–377.

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IGH der Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Atomwaffen unter Umweltschutzaspekten widmet.59 VII. Publikationsschwerpunkte unter Menzel und Delbrück im Vergleich Die Auswirkungen des Ost-West-Konflikts auf die Publikationstätigkeit am Institut lassen sich auch statistisch nachvollziehen, wie das folgende Diagramm darstellt:

Es ist unschwer zu erkennen, dass die Behandlung von Fragen rund um die Vereinten Nationen sowie von Abrüstungsfragen sich im Vergleich zur Ära Menzel in den ersten Jahren der Ära Delbrück nicht signifikant ändert.60 Ebenso unübersehbar ist der Wandel, der nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und den damit verbundenen gravierenden Veränderungen der Rahmenbedingungen für die internationalen Beziehungen eintrat. Dies erklärt den deutlichen _____________ 59 Christian Tietje, Die Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Atomwaffen im bewaffneten Konflikt unter Umwelt- und Gesundheitsschutzaspekten. Zur Gutachtenanfrage der WHO an den IGH, AVR 33 (1995), 266–302. 60 Innerhalb der Arbeiten zu Rechtsfragen von Krieg und Frieden liegt der Anteil der Publikationen zu Abrüstungsfragen in der Ära Menzel bei ca. 29%, in der ersten Hälfte der Ära Delbrück bei ca. 31%. Die Behandlung der Vereinten Nationen lässt nach, ihr Anteil sinkt leicht von ca. 25% auf ca. 18%.

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Anstieg von Publikationen zu Rechtsfragen der Vereinten Nationen.61 Weniger eindeutig lässt sich der rasante Abfall bei den Beiträgen zu Abrüstungsfragen in der zweiten Hälfte der Ära Delbrück erklären.62 Zwar mag der Wegfall der Blockkonfrontation dem Thema teilweise seine Dringlichkeit genommen haben; warum beispielsweise die Limitierung der konventionellen Streitkräfte in Europa oder das Chemiewaffenabkommen von 1996 in der Publikationstätigkeit des Instituts nicht rezipiert wurden, kann an dieser Stelle allerdings nicht abschließend geklärt werden. Eine andere Entwicklung zeichnet sich bei Fragen der regionalen Friedenssicherung ab.63 Hier wird bereits zu Beginn der Ära Delbrück ein deutlicher Wandel in der Publikationstätigkeit erkennbar. Dies könnte möglicherweise mit der Etablierung der KSZE In den 1970er Jahren zusammenhängen, welche die Situation in Europa entspannt hatte. Um aber ein klareres Bild von diesem Umbruch zu erhalten, soll im folgenden Abschnitt genauer untersucht werden, wie und wodurch sich Wandlungen im Spannungsverhältnis von Regionalismus und Universalismus bei der Friedenssicherung in den Veröffentlichungen des Kieler Instituts für Internationales Recht ergeben haben.

C. Die Ären Menzel und Delbrück im Spannungsverhältnis von Universalismus und Regionalismus Auf einem Symposium im Jahr 1974 äußerte Jost Delbrück: Schließlich zur Rolle der Regionalsysteme […]. Hier bin ich nicht ganz entschieden. Ich habe – ‚sozialisiert‘ durch die langen Jahre der Zusammenarbeit mit Herrn Menzel – eigentlich dem Gedanken des Regionalismus immer große Sympathien entgegengebracht. Nur sehe ich auch, daß wir bei konsequenter Verfolgung des Gedankens auf strukturelle Schwierigkeiten stoßen.64

Das Zitat zeigt zweierlei: die Sympathie Menzels für regionale Lösungen und eine aufkeimende Skepsis Delbrücks, was dieses Thema angeht. Sollte sich zeigen, _____________ 61 Nahmen innerhalb der Arbeiten zum Friedens- und Konfliktrecht Veröffentlichungen zu den Vereinten Nationen vor dem Mauerfall unter Delbrück noch ca. 18% ein, so waren es später über 55%. 62 Der Anteil der Publikationen zu Abrüstungsfragen sank nach dem Mauerfall von 31% auf weniger als 4%. 63 Lag der Anteil dieser Kategorie unter Menzel noch bei über 27%, sank er bereits in der ersten Hälfte der Ära Delbrück um mehr als die Hälfte auf unter 12%. Schließlich machte er nur noch ca. 6% der Publikationen aus. 64 Diskussion zum Referat von Prof. Dr. Jost Delbrück, in: Wilhelm A. Kewenig, Die Vereinten Nationen im Wandel. Referate und Diskussionen eines Symposiums „Entwicklungslinien der Praxis der Vereinten Nationen in völkerrechtlicher Sicht“, Berlin 1975, 156, 185.

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dass Delbrück sich in den folgenden Jahren, in denen er die Arbeit am Institut gerade beim Thema Friedenssicherung prägte, vom Menzelschen Regionalismus emanzipiert hat, könnte dies darauf hindeuten, dass nicht so sehr äußere politische Veränderungen ursächlich dafür waren, dass die regionale Friedenssicherung in den Publikationen des Instituts weniger prominent erscheint, als vielmehr die gewandelte Überzeugung einer Schlüsselpersönlichkeit am Institut. I. Regionale Friedenssicherung in den Arbeiten Eberhard Menzels Es ist bereits angeklungen, wie kritisch Eberhard Menzel sich bereits 1955 zum Friedenssicherungssystem der Vereinten Nationen äußerte. In einem Artikel im Europa-Archiv widmete er sich zuerst dem „Versagen des Sicherheitssystems der Vereinten Nationen in einem Ost-West-Konflikt“65 um anschließend gar die „Ablösung des Sicherheitssystems der Vereinten Nationen durch das System der Regionalpakte“66 zu verkünden. Menzel zufolge ergänzen die neuen Regionalpakte67 das Sicherheitssystem der Vereinten Nationen nicht mehr (wie dies ursprünglich in der Charta vorgesehen war), sondern setzen sich an dessen Stelle. Das universelle Sicherheitssystem der UN-Charta ist damit für Menzel zerbrochen und durch zwei gegeneinander gerichtete Bündnissysteme ersetzt worden. Der entscheidende qualitative Wandel ist dabei für Menzel, dass es im neuen Paktsystem nicht wie im Rahmen der UN-Charta um Verfahren der Friedenswahrung geht (also um kollektive Sicherheit), sondern ausschließlich um militärische Vereinbarungen, d.h. um kollektive Verteidigung.68 Wenn Menzel dieser neuen Konstellation auch ein gewisses sicherheitserhöhendes Moment für die Mitglieder in den einzelnen Blöcken zubilligt, überwiegen für ihn doch die Risiken, namentlich die Erhöhung der Spannungen und Konfliktpotenziale zwischen den beiden Blöcken. Für ihn ist es allerdings vorstellbar, dass durch ein beide Blöcke überspannendes europäisches Sicherheitssystem die positiven Effekte der Blockkonstellation aufrecht erhalten werden können, während gleichzeitig die Erhöhung der Spannung zwischen den Blöcken verhindert bzw. diese aktiv gemindert werden kann. Zentral für eine solche Entspannung im Rahmen eines europäischen Sicherheitssystem ist für Menzel neben dem erneuten Bekenntnis beider Seiten zum Gewaltverzicht vor allem die Errichtung eines Gremiums, das neben der Streitschlichtung auch die Feststellung von Angriffshandlungen zur Aufgabe hat.69

_____________ 65

Menzel, Sicherheitspakt (Anm. 33), 7893. Menzel, Sicherheitspakt (Anm. 33), 7895. 67 Gemeint sind NATO und Warschauer Pakt. 68 Vgl. Menzel, Sicherheitspakt (Anm. 33), 7896. 69 Vgl. Menzel, Sicherheitspakt (Anm. 33), 7898ff. 66

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Es dauert mehr als zehn Jahre, bis 1967 die Frage eines europäischen Sicherheitssystems von Menzel erneut explizit in einer Publikation aufgegriffen wird.70 Hier erkennt Menzel zunächst die kriegsverhütenden Leistungen des Blocksystems in Europa in den letzten Jahren an; sodann arbeitet er die Bedingungen für ein europäisches Sicherheitssystem aus, wobei sich einige Veränderungen ergeben. So fordert er beispielsweise auch eine Intensivierung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit71 und trägt damit der Einsicht Rechnung, dass die Beschränkung auf einen Zustand des Nicht-Krieges nicht ausreicht, um einen wirklichen Frieden zu sichern.72 In den folgenden Jahren ist das europäische Sicherheitssystem ein bestimmendes Thema der friedenssicherungsrechtlichen Publikationen am Institut.73 Daneben werden Fragen rund um die Friedenssicherung im Allgemeinen intensiviert behandelt.74 Dabei zeigt sich, dass Menzel trotz der drastischen Worte, die er 1955 gefunden hat, keinesfalls von einem vollständigen Zusammenbruch des universalen Friedenssicherungssystems der Vereinten Nationen ausgeht. Die Ablösung dieses Systems durch ein System der Regionalpakte bezieht er lediglich auf die Blockade des Sicherheitsrates im Fall einer Blockkonfrontation in Europa. Dem Friedenssicherungssystem der Vereinten Nationen attestiert er 1968 in Bezug auf kleinere Konflikte ohne Beteiligung einer der großen Mächte ein überraschend gutes Funktionieren.75 Weiterhin bejaht Menzel nunmehr die Legitimität der Uniting for Peace-Resolution, die im Falle einer Blockade des Sicherheitsrates die Generalversammlung zur Friedenssicherung legitimieren soll. In einer früheren Publikation hatte er dies noch kritisch gesehen.76 Allerdings ergibt sich für ihn daraus ein neues Problem im Zuge der veränderten Zusammensetzung der Generalversammlung durch die Entkolonialisierung. Hier sieht Menzel die Gefahr von Zufallsmehrheiten und Zufallsentscheidungen,77 was ihn zum _____________ 70 Bis dahin gab es nur vereinzelt Publikationen zu den beiden Blöcken, wobei der Fokus klar auf Rechtsfragen rund um die NATO lag. 71 Vgl. Menzel, Friedensvertrag (Anm. 37), 59ff. 72 Vgl. Menzel, Friedensvertrag (Anm. 37), 59f.; siehe auch ders., Einsätze (Anm. 35), 137. 73 Vgl. bspw. Menzel, Grundfragen (Anm. 35), 261ff.; Delbrück, Modelle (Anm. 46), 87ff.; Menzel, Grundzüge (Anm. 37), 66ff. 74 Vgl. bspw. Eberhard Menzel, Können die Deutschen einen Beitrag zur Friedenssicherung leisten?, in: Friedenspolitik und Friedenssicherung. Vorträge der „Wissenschaftlichen Woche“ der Ruhrfestspiele Recklinghausen 1967, Braunschweig 1968, 84–108; ders., Völkerrecht und Friedenssicherung (Fn. 35), 129ff.; ders., Einsätze (Anm. 35), 11ff. 75 Vgl. Menzel, Völkerrecht und Friedenssicherung (Fn. 35), 137f. 76 Vgl. Menzel, Völkerrecht und Friedenssicherung (Fn. 35), 138, bzw. Menzel, Sicherheitspakt (Anm. 33), 7895. 77 Menzel offenbart hier eine herablassende Haltung gegenüber den newly independent states. Wörtlich schreibt er unter Bezugnahme auf den Anstieg der Mitglieder der Generalversammlung im Zuge der Entkolonialisierung: „Die Aversion gegen die alte Staaten-

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Befürworter der Idee macht, vom One-State-one vote-Prinzip abzurücken und die Stimmen in der Generalversammlung zu gewichten.78 Allerdings zeigt er sich später skeptisch, was eine Umsetzung dieser Idee angeht.79 Einen alternativen Lösungsweg sieht Menzel in der Regionalisierung von Entscheidungen, die mit dem Ausbau regionaler Institutionen einhergehen müsse. Diese Regionalisierung soll sich an Kontinenten oder Halbkontinenten als Ordnungsrahmen orientieren, und die somit entstandenen Organisationen sollen vor allem auch mit Aufgaben der Friedenserhaltung beauftragt werden.80 Während Menzel die Vereinten Nationen sowohl in Bezug auf die Mitgliedschaft als auch ihren Geltungsbereich als universale Organisation sieht, fordert er also nachdrücklich die Etablierung regionaler Ansätze. Hierbei dient der Regionalismus für Menzel sowohl als System der Repräsentation als auch als System der Kompetenzverteilung. Regionalistische Repräsentationsformen sind der UN bereits inhärent, man denke nur an die Sitzverteilung im Sicherheitsrat sowie anderen zentralen Gremien. Tatsächlich ist die Generalversammlung das einzige Organ, in dem alle Mitgliedstaaten mit gleichem Stimmrecht vertreten sind und genau hier sieht Menzel daher Reformbedarf. Eine echte Regionalisierung läuft Menzel zufolge auf eine Föderalisierung der weltumspannenden Organisation der Vereinten Nationen hinaus. Im Zuge dessen tritt Menzel für die Errichtung von Regionalparlamenten und Exekutivbehörden in regionalen Groß-Zentren ein.81 II. Regionale Friedenssicherung in den Arbeiten Jost Delbrücks Auf dem erwähnten Symposium erläutert Jost Delbrück seine Skepsis gegenüber Menzels Modell der Regionalisierung. Zwar erkennt er an, dass aufgrund der größeren Homogenität der Interessen eine regionale Harmonisierung durchaus auch für die Friedenssicherung einen Nutzen haben könne, allerdings weist _____________

welt oder auch nur Zufallsmehrheiten bei einer solchen Staatenvielzahl eröffnen die Möglichkeit von Zufallsentscheidungen“: Menzel, Völkerrecht und Friedenssicherung (Fn. 35), 138) In einem anderen Beitrag versucht er seine Skepsis mit dem Verweis auf das „introvertiert[e] Dasein“ der Entwicklungsländer, die verständlicherweise „von ihren eigenen Problemen voll in Anspruch genommen“ seien, zu begründen: Menzel, Grundfragen (Anm 35), 330. In einem seiner letzten Beiträge äußert sich Menzel in Bezug auf die neu entstandenen Staaten wie folgt: „Erfahrung und Horizont der neuen Staaten sind jedoch erheblich enger. Ihr Solidaritätsgefühl beschränkt sich auf einen engeren Kreis“: Eberhard Menzel, Universalismus und Regionalismus in den Vereinten Nationen, in: Georg Picht/Constanze Eisenbart (Hrsg.), Frieden und Völkerrecht, Stuttgart 1973, 485–519 (509). 78 Vgl. Menzel, Völkerrecht und Friedenssicherung (Fn. 35), 138f. 79 Vgl. Menzel, Grundfragen (Anm. 35), 330. 80 Vgl. Menzel, Völkerrecht und Friedenssicherung (Fn. 35), 129ff.; ders., Grundfragen (Anm. 35), 330; ders., Universalismus (Anm. 77), 514. 81 Vgl. Menzel, Universalismus (Anm. 77), 485ff.

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er darauf hin, dass sich ein europäisches Modell keinesfalls auf andere Regionen übertragen lasse. Auch sei in manchen Fällen bereits die geographische Abgrenzung einer bestimmten Region problematisch. Die Einführung einer regionalen Subsystemebene in der Friedenssicherung sieht er daher zum gegebenen Zeitpunkt als nicht sinnvoll an. Für die Zukunft hingegen sieht auch Delbrück die Einbeziehung regionaler Systeme, im Rahmen der von der UN-Charta in Kapitel VIII vorgegeben Struktur, als Option für die Friedenssicherung.82 Im Gegensatz zu Menzel zieht Delbrück zu dieser Zeit also den universalen Ordnungsrahmen dem regionalen vor. Das Spannungsverhältnis zwischen universeller und regionaler Friedenssicherung tritt auch bei einem anderen Aspekt zutage. Sowohl Menzel als auch Delbrück erkennen an, dass eine bloße Verhinderung des Kriegs für eine effektive Friedensordnung nicht ausreichend ist. Sie unterscheiden zwischen einem Zustand des Nicht-Kriegs und dem wirklichen Frieden bzw. einem engeren und einem weiteren Friedensbegriff.83 Während Menzel daraus allerdings die Notwendigkeit einer engeren wirtschaftlichen und kulturellen Kooperation im europäischen Rahmen ableitet, ordnet Delbrück diese Problematik in einen globalen Rahmen ein. Für ihn ist neben der Achtung der Menschenrechte auch die „Herbeiführung strukturell gerechterer und sozialerer Bedingungen im Verhältnis der Industriezu den Entwicklungsstaaten“84 Thema der Friedenssicherung, er spricht von einer „economic collective security“.85 Diese Überlegungen können als Ausdruck eines Kosmopolitismus Delbrücks gesehen werden, der sich später in seiner Konzeption eines Weltinnenrechts materialisiert. Bemerkenswert ist vor allem auch der Kontrast zu den von Menzel geäußerten Bedenken gegenüber einer zu starken Rolle der Entwicklungsländer in der Generalversammlung.86 Von der Position aus, dass Friedenssicherung in erster Linie eine globale Aufgabe ist, mag der KSZE-Prozess ein wichtiger Baustein sein; er ist aber nicht gewissermaßen der Inbegriff der Friedenssicherung wie bei Menzel. Während Menzel die Friedensfrage letztlich allein vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts stellt, bezieht Delbrück die Rolle der blockfreien Staaten und der Entwicklungsländer ein. Daher überrascht es nicht, dass unter Delbrück in der Publikationstätigkeit des Instituts Themen rund um die regionale Friedenssicherung nach der Institutionalisierung der KSZE in den Hintergrund treten. Stattdessen rücken allgemeine _____________ 82

Vgl. Diskussion zum Referat von Prof. Dr. Jost Delbrück (Anm. 64), 185. Vgl. bspw. Menzel, Friedensvertrag (Anm. 37), 59, bzw. Jost Delbrück, Rechtsprobleme der Friedenssicherung durch Sicherheitsrat und Generalversammlung der Vereinten Nationen, in: Wilhelm Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel, Berlin 1975, 131–155. 84 Delbrück, Weltfriedenssicherung (Anm. 44), 188. 85 Vgl. Delbrück, Weltfriedenssicherung (Anm. 44), 179ff. 86 Vgl. Delbrück, Weltfriedenssicherung (Anm. 44), 179ff. 83

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Fragen des Friedenssicherungsrechts sowie Friedenssicherung im Rahmen der Vereinten Nationen stärker in den Fokus.87 Ebensowenig überrascht vor diesem Hintergrund die Zunahme an Veröffentlichungen zu den Vereinten Nationen. In den 1990er Jahren zeichnet sich dann aber bei Delbrück eine Neubewertung der Rolle von regionalen Organisationen in der Friedenssicherung ab. 1992 teilt er noch den verbreiteten Optimismus jener Zeit und stellt fest, dass das Friedenssicherungssystem der UN nun erstmals so funktioniere, wie es ursprünglich gedacht war.88 Unter restriktiver Auslegung des Interventionsverbots aus Art. 2 Nr. 7 UN-Charta, tritt Delbrück für die Legalität humanitärer Intervention im Rahmen der Vereinten Nationen ein. Er sieht hierin die Chance, die Rolle der Vereinten Nationen in der Friedenssicherung weiter zu vitalisieren. Trotzdem erkennt er bereits 1992, dass regionale Organisationen eine Rolle in diesem Rahmen spielen können, allerdings nur, wenn sie vorher durch die Vereinten Nationen dazu ermächtigt wurden.89 Schon zwei Jahre später aber hält Delbrück fest: Indessen ist die erste Euphorie über die wiedergewonnene Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates als dem mit der Hauptverantwortung für die Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit betrauten Exekutivorgans der Vereinten Nationen einer deutlichen Ernüchterung gewichen. An die Stelle der optimistischen Einschätzung, der Sicherheitsrat werde unter den neuen Bedingungen des internationalen Systems immer und in jedem Fall zur Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit [...] erfolgreich einschreiten können, ist eine realistischere Betrachtung getreten.90

Als Gründe für diese Ernüchterung nennt er Probleme bei der rechtlichen und politischen Kontrolle des Sicherheitsrates sowie dessen mangelhafte Legitimation. Weiterhin stelle sich mit Hinblick auf die finanzielle Belastung und die Schwierigkeit, einlösbare Strategien und Ziele der Konfliktbeilegung zu erarbeiten, die Frage, ob der Sicherheitsrat einer so umfassenden Verantwortung überhaupt gerecht werden könne. Sowohl Effektivität als auch Legitimität drängen damit für Delbrück zur Einbeziehung regionaler Institutionen in die Friedenssicherung.91 Die UN-Charta ermögliche diese Einbeziehung, indem sie auch regionalen Organisationen in Art. 52 ausdrücklich einen Platz bei der Friedenssicherung zuweise. Indem sie aber deren Eingreifen an eine vorherige Autorisierung _____________ 87 Vgl. bspw. Delbrück, Weltfriedenssicherung (Anm. 44), 179ff.; ders., Peacekeeping (Anm. 44), 73ff.; ders., Gewaltfreie Konfliktregelung und Sicherheitspartnerschaft. Erfahrungen und Möglichkeiten, in: Eduard Lohse/Ulrich Wilckens (Hrsg.), Gottes Friede den Völkern, Hannover 1984, 344–362; ders., The Contribution of International Law to Conflict Resolution, in: Werner Kaltefleiter/Ulrike Schumacher (Hrsg.), Conflicts, Options, Strategies in a Threatened World, Kiel 1984, 33–57. 88 Vgl. Delbrück, A Fresh Look (Anm. 54), 887. 89 Vgl. Delbrück, A Fresh Look (Anm. 54), 901. 90 Delbrück, Regionale Abmachungen (Anm. 57), 164. 91 Vgl. Delbrück, Regionale Abmachungen (Anm. 57), 164.

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durch den Sicherheitsrat binde, schlagen die grundlegenden Defizite der Friedenssicherung durch den Sicherheitsrat damit auch auf die Regionalorganisationen durch. Im Anschluss versucht Delbrück in der gegenwärtigen Völkerrechtsentwicklung Ansätze auszumachen, die ebendiese Defizite nachhaltig mindern, ohne den Weg in die unilaterale Rechtsdurchsetzung zu öffnen.92 Unter Berufung auf die Vergemeinschaftung der Verantwortung zur Wahrung und Durchsetzung elementarer Normen des Völkerrechts, den sog. Erga-Omnes-Normen, zeigt Delbrück eine mögliche Rechtsgrundlage auf, auf Grund derer regionale Institutionen zu eigenständigen und militärischen Zwangsmaßnahmen ermächtigt werden könnten. Diese Institutionen wären dabei allerdings weiterhin an die Ziele und Prinzipien der UN-Charta sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden.93 Zudem betont Delbrück: Die vorstehenden Überlegungen sind im Konditional formuliert worden. Daß sie schon fest etabliertes Recht darstellen, kann angesichts der noch bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich des Geltungsumfangs und der Wirkungen von Erga-omnes-Normen nicht angenommen werden.94

Die hier angesprochene Unterscheidung zwischen der lex lata und der lex ferenda erklärt auch, warum Delbrück noch im selben Jahr in einer anderen Publikation festhält, dass „gewaltsame Friedenssicherung […] nur unter der Verantwortung der Staatengemeinschaft, das heißt konkret der Vereinten Nationen beziehungsweise von ihr autorisierter regionaler Organisationen (Artikel 52, 53 ChVN) erfolgen darf“.95 Eine mögliche Modifikation des Gewaltverbots, die beispielsweise eine humanitäre Intervention als legitime Form eines rechtfertigenden, bzw. entschuldigenden Notstands anerkennt, ist für Delbrück allerdings weiterhin Bestandteil der völkerrechtswissenschaftlichen Diskussion.96 Neben dem Dilemma der humanitären Intervention beschäftigt Jost Delbrück in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auch, wie das immer deutlicher werdende institutionelle Defizit des UN-Friedenssicherungssystems abgebaut werden kann. Seine Überlegungen de lege ferenda, wie eine neuerliche Blockade des Sicherheitsrates ohne Revision der UN-Charta überwunden werden kann, führen endlich auch ihn zum Vorschlag einer Regionalisierung des UN-Systems. Auch Delbrücks reformiertes Modell hält sich allerdings weiterhin von dem „föderalen“ Ansatz _____________ 92

Vgl. Delbrück, Regionale Abmachungen (Anm. 57), 169. Vgl. Delbrück, Regionale Abmachungen (Anm. 57), 176ff. 94 Delbrück, Regionale Abmachungen (Anm. 57), 178. 95 Jost Delbrück, Mißverständnisse auf dem Weg des Friedens. Eine Replik auf Traugott Koch, ZEE 38 (1994), 223–227 (224). 96 Vgl. Delbrück, Idee (Anm. 56), 13ff. 93

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Menzels fern; wichtig bleibt für ihn eine enge legitimatorische Verzahnung zwischen Zwangsmaßnahmen von Regionalorganisationen und der UN-Ebene. Zum einen sollen durch Beschluss des Sicherheitsrates bestimmte regionale Institutionen dazu ermächtigt werden, eigenverantwortlich Maßnahmen der Friedenssicherung in der ihnen zugeordneten Region durchzuführen. Zum anderen schlägt Delbrück nun eine regionale Reorganisation der Arbeitsweise des Sicherheitsrates durch internen Organbeschluss vor. Zuvor zu bildende regionale Kammern oder Ausschüsse bestehend aus den Mitgliedern des Sicherheitsrates sollen im Falle der Blockade des Gremiums die Verantwortung übertragen bekommen, zusammen mit entsprechenden regionalen Organisationen notwendige Beschlüsse zur Friedenssicherung in der Region zu fassen und durchzusetzen.97

D. Schlussbetrachtung Rechtsfragen von Krieg und Frieden, das hat der vorliegende Beitrag dokumentiert, standen seit Beginn der Tätigkeit im Februar 1914 durchgängig im Zentrum der Publikationstätigkeit des Kieler Instituts für Internationales Recht. Veranlasst durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs bestimmten in den ersten Jahren die Dokumentation des Krieges und die Befassung mit kriegsrechtlichen Fragen die Arbeit am Institut. Nach 1919 traten, in Reaktion auf das Kriegsende und die Gründung des Völkerbundes, Kriegsfolgenrecht und Friedenssicherung in den Vordergrund; in der kurzen Ära Schücking waren zwei Drittel sämtlicher Publikationen jenen Themen gewidmet. Dies änderte sich während des Nationalsozialismus, wo vor allem während des Direktorats von Paul Ritterbusch (1936–1941) politische Themen die Befassung mit dem Recht an den Rand drängten. Die völkerrechtlichen Publikationen jener Jahre spiegeln aber erneut die politische Entwicklung: Die Befassung mit dem Völkerbund weicht der kritischen Auseinandersetzung mit dem Versailler Vertrag, um ab 1939 ein neuerliches Interesse am Kriegsrecht zu dokumentieren. Die Nachkriegszeit unter Hermann v. Mangoldt war in erster Linie dem Wiederaufbau gewidmet; die wenigen Publikationen aus jener Zeit kreisen thematisch um die Folgen des Zweiten Weltkrieges vor allem für Deutschland. Unter Eberhard Menzel und später dann unter Jost Delbrück rückt die Friedenssicherung erneut in den Mittelpunkt des Interesses, wobei sowohl der Ost-West-Konflikt als auch dessen Ende nach 1989 deutliche Spuren in den Publikationen aus dem Institut hinterlassen haben. Zugleich führt die Diversifizierung des völkerrechtlichen ThemenSpektrums (Menschenrechte, Umweltrecht usw.) dazu, dass der Anteil, den die

_____________ 97

Vgl. Delbrück, Effektivität (Anm. 53), 139ff.

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Janis Daniel

Rechtsfragen von Krieg und Frieden an der Gesamtzahl der Publikationen des Kieler Instituts ausmachen, im Laufe der Jahrzehnte sinkt, ohne dass die zentrale Rolle jenes Themenbereichs aber in Frage gestellt worden wäre.98 Scheint es auf den ersten Blick also so, als würden die Forschungsschwerpunkte am Institut sich an den äußeren politischen Entwicklungen orientieren, zeigt ein genauerer Blick, dass auch die Interessen und Überzeugungen der jeweiligen Direktoren Einfluss auf die Setzung von Forschungsakzenten hatte. Äußerlich mag der Beitritt Deutschlands zum Völkerbund 1926 den sprunghaften Anstieg an Publikationen zum Thema erklären; dass aber in den Jahren zwischen 1927 und 1933 über 40% der Veröffentlichungen der Friedenssicherung gewidmet waren, dürfte sich letztlich vor allem auch der Prägung durch den überzeugten Pazifisten Walther Schücking verdanken. Auch die verstärkte Befassung mit politischen und (im modernen Sinne) politikwissenschaftlichen Themen während der NS-Zeit ist nicht allein Ausdruck einer allgemeinen Politisierung und Instrumentalisierung des Rechts in jener Zeit, sondern durch den Umstand erklärbar, dass mit Paul Ritterbusch ein Direktor berufen wurde, dessen eigene Interessen klar in jenen Bereichen lagen, nicht im Bereich des Völkerrechts. Wie schließlich selbst bei vordergründiger Konstanz – einer durchgehend zentralen Rolle des Friedenssicherungsrechts – die Interessen und Überzeugungen einer prägenden Direktorenpersönlichkeit Akzentverschiebungen in der Forschungsund Publikationstätigkeit bewirken können, das wurde abschließend am Beispiel des Spannungsverhältnisses zwischen Regionalismus und Universalismus in der Friedenssicherung illustriert; einem Spannungsverhältnis, das durch und unter Jost Delbrück in eine andere Richtung aufgelöst wurde als zuvor unter Eberhard Menzel. Die Befassung mit Rechtsfragen von Krieg und Frieden am Kieler Institut für Internationales Recht, dem heutigen Walther-Schücking-Institut, zeigt sich damit doppelt geprägt: durch die Entwicklung von Recht und Politik einerseits, durch Persönlichkeiten andererseits.

_____________ 98 Machten unter Eberhard Menzel Rechtsfragen von Krieg und Frieden immerhin noch einen Anteil von rund 45% aus, waren es in der Amtszeit von Jost Delbrück im Schnitt nur noch rund 20% der völkerrechtlichen Publikationen des Instituts. Dies liegt namentlich an der zunehmenden Bedeutung menschenrechtlicher und europarechtlicher Themen, aber auch an der gewachsenen Bedeutung von Seerecht und Umweltrecht durch die Berufung Rüdiger Wolfrums zum Mitdirektor (1982–1993).

Das „Kriegsarchiv des Völkerrechts“ Einführende Bemerkungen Von Michael Jonas Theodor Niemeyers wissenschaftspolitisches und -organisatorisches Engagement in den Jahren des Ersten Weltkriegs, dem die Einrichtung des „Kriegsarchivs des Völkerrechts“ 1916 ebenso geschuldet ist wie die einer sogenannten Weltkriegsbibliothek, trägt – bei aller Eigenart – vergleichsweise typische Züge der Zeit. Überall in Europa reagierten die kriegführenden Gesellschaften auf den zumeist als Epochenbruch wahrgenommenen Kriegsausbruch mit einem in dieser Form nie dagewesenen, beinahe antiquarisch anmutenden Sammelwahn.1 Im Deutschen Reich und – mit leichten Abstrichen – in Österreich-Ungarn scheint dieses Phänomen ausgeprägter gewesen zu sein als auf Seiten der Entente, obgleich auch in Großbritannien und Frankreich eine ähnliche Entwicklung zu beobachten ist, verdichtet in der symbolkräftigen Etablierung des Imperial War Museum 1917 oder des auf einer umfänglichen Privatsammlung gründenden Komplexes von Bibliothèque et Musée de la Guerre im selben Jahr.2 Diese allenthalben grassierende Sammelleidenschaft lässt sich in erster Linie als Ausfluss der _____________ 1 Reinhard Johler, Kriegserfahrungen in den Humanwissenschaften. Die Volkskunde und der Große Krieg, in: Georg Schild/Anton Schindling (Hrsg.), Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit: Neue Horizonte der Forschung, Paderborn 2009, 179–196, der von einer „regelrechten Manie“ spricht (a.a.O., 190). 2 Die starke Betonung einer vermeintlich spezifisch deutschen „Sammelideologie“ überlagert in diesem Zusammenhang die internationale Dimension dieses Phänomens und hintertreibt den lohnenswerten vergleichsgeschichtlichen Ansatz. Vgl. Aibe-Marlene Gerdes, Kriegssammlungen 1914–1918. Eine Einführung, in: Julia Freifrau Hiller v. Gaertringen (Hrsg.), Kriegssammlungen 1914–1918, Frankfurt a.M. 2014, 15–29 (17) (relativiert durch Gerdes’ treffende vergleichsgeschichtliche Ausführungen in: dies., Ein Abbild der gewaltigen Ereignisse. Die Kriegssammlungen zum Ersten Weltkrieg, Essen 2016, 295–326, auch hier „deutsche Sammelideologie“: 72–77; vgl. auch Michael Schmalholz, Feindbeobachtung im „Krieg der Geister“. Die deutschen Kriegssammlungen in der britischen Wahrnehmung, ebd., 479–498; Gaynor Kavanagh, Museum as Memorial. The Origins of the Imperial War Museum, Journal of Contemporary History 23 (1988), 77– 97; Joseph Hüe, La Bibliothèque-Musée de la Guerre dans les Années Vingt, in: Robert Frank/Laurent Gervereau/Hans Joachim Neyer (Hrsg.), La Course au Moderne. France et Allemangne dans l’Europe des les Années Vingt, Paris 1992, 169–175; zum Kontext siehe

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Michael Jonas

unter den Zeitgenossen vorherrschenden Wahrnehmung des Weltkriegs als erstem „modernen Krieg“ betrachten. Die Revolutionierung der Kriegführung, ja des Wesens von Krieg im allgemeinen, wurde dabei vom Bemühen begleitet, den Grat zwischen den Erfahrungsräumen Front und Heimat zu überbrücken und aus beidem eine zumindest symbolische nationale „Gemeinschaftsfront“ zu formen.3 Bei der „semantischen Militarisierung des Erfahrungsraums jenseits von Front und Etappe“ handelte es sich freilich nicht um einen staatlicherseits verordneten Maßnahmenkatalog mit klaren Ziel- und Inhaltsvorgaben, sondern weit mehr um einen dynamischen „politischen und kulturellen Prozess“, der die staatliche Ebene intensiv an zivilgesellschaftliche Muster von Meinungs- und Identitätsbildung band.4 Einen nicht unbeträchtlichen Teil dieses Prozesses bildete auch die „überaus rege Sammeltätigkeit“, insbesondere im Deutschen Reich, die im Verlauf des Krieges zunehmend den Charakter einer Bewegung gewann und als solche auch wahrgenommen wurde. Erste Erfassungs- und Koordinierungsbemühungen lassen sich ab 1916 nachweisen, kulminierend in dem von Albert Buddecke 1917 veröffentlichten Verzeichnis „Die Kriegssammlungen. Ein Nachweis ihrer Einrichtung und ihres Bestandes“. Als Abteilungschef einer im Juli 1916 beim Stellvertretenden Generalstab in Berlin eingerichteten „Sichtungsstelle für Kriegsbeute und Bibliothekswesen“ dokumentierte Buddecke in diesem Verzeichnis 217 Kriegssammlungen von „Staats- und Ortsbehörden, Vereinen und Privatpersonen, in Museen, Bibliotheken, Ausstellungen usw.“, die darum wetteiferten, „das auf den Krieg bezügliche Material aus Kriegsgebiet und Heimat, von Freund und Feind zusammenzutragen“5. Gesammelt wurde im Grunde alles, was sich auf den Krieg und die durch den Krieg veränderten Lebensumstände bezog, von der naheliegenden Beschäftigung mit Uniformen und Waffen über Plakate, Flugblätter, amtliche Verlautbarungen, Tagebücher, Feldpostbriefe und -karten bis hin zu eher _____________

die vergleichend angelegten Studien von Eva Zwach, Deutsche und englische Militärmuseen im 20. Jahrhundert. Eine kulturgeschichtliche Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit Krieg, Berlin u.a. 1999, v.a. 27–102, und Gaynor Kavanagh, Museums and the First World War, Leicester 1994. 3 Gerd Krumeich, Kriegsfront – Heimatfront, in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hrsg.), Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997, 12–19 (18: „symbolische Gemeinschaftsfront“). 4 Christoph Nübel, Die Mobilisierung der Kriegsgesellschaft. Propaganda und Alltag im Ersten Weltkrieg in Münster, Münster 2008, 11f. („semantische Militarisierung“); John Horne, Introduction: mobilizing for ‘total war’, 1914–1918, in: ders. (Hrsg.), State, society and mobilization in Europe during the First World War, Cambridge 1997, 1–19 (1: „Prozess“). Vgl. auch – mit weiteren Verweisen – Michael Jonas, Region und globaler Krieg. Überlegungen zum norddeutschen Raum im Ersten Weltkrieg, in: Michael Hermann/Paul Wessels (Hrsg.), Ostfriesland im Ersten Weltkrieg, Aurich 2014, 15–30. 5 Albert Buddecke, Die Kriegssammlungen. Ein Nachweis ihrer Einrichtung und ihres Bestandes, Oldenburg 1917, 3 (voranstehende Zitate), auch bei Gerdes, Abbild (Anm. 2), 9.

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unorthodoxen Erscheinungsformen wie populärer Kriegslyrik.6 Dabei kam dem Großteil der Sammlungen eine Doppelfunktion zu. Sie waren ihrem Charakter nach sowohl Denkmal als auch Werkstatt im Sinne eines „laboratoire d’histoire“, als das es Susanne Brandt in Anlehnung an Camille Bloch bezeichnet hat.7 Sammlungen sollten folglich zum einen „das Opfer der Soldaten und der Zivilisten honorieren, indem sie alle Belege des Durchhaltewillens und der Opferbereitschaft archivierten“; zum anderen kam ihnen die offensichtlich in die Zukunft weisende Aufgabe zu, eine möglichst erschöpfende Quellengrundlage für die erwartete historische Beschäftigung mit dem Krieg zu bilden.8 Auch Theodor Niemeyers Kriegsarchiv des Völkerrechts am – vor 1918 – Königlichen Seminar für Internationales Recht hat Eingang in Buddeckes Verzeichnis der einschlägigen Kriegssammlungen gefunden. Hier heißt es auf Grundlage der Selbstbeschreibung des Archivs: „Die Sammlung erstrebt die Beschaffung des gesamten völkerrechtlichen Materials über den Krieg. Etwa 90 Zeitungen und 50 Zeitschriften werden laufend gelesen, ausgeschnitten und nach 118 völkerrechtlichen Schlagworten archivalisch geordnet. Daneben ca. 1500 Bücher. Alphabetischer und Sachkatalog. Auch deutsche, englische, französische und italienische Zeitungen und Zeitschriften in ganzen Exemplaren. Kriegsdrucksachen, darunter Reichsgesetzblätter. Besonderes Gewicht wird auf Verordnungsblätter aus den besetzten Gebieten gelegt. Urkunden von Kriegsteilnehmern, besonders soweit sie die politische Seite des Krieges betreffen.“9 Schließlich umfasste die Sammlung ca. 400.000 Zeitungsausschnitte, 20.000 Abhandlungen, 1.000 Bücherreferate und 30.000 sonstige Mitteilungen, die sich – auf rund 2.400 Archivkästen verteilt – heute im Landesarchiv in Schleswig befinden.10 In Niemeyers eigener Darstellung von Bestandsgeschichte, Konzeption und Gliederung des Kriegsarchivs des Völkerrechts (und der mit dieser verwobenen _____________ 6 Ein typisierender Überblick bei Gerdes, Abbild (Anm. 2), 103–133; vgl. auch dies., Populäre Kriegslyrik als Sammelgegenstand. Die Weltkriegssammlungen im Deutschen Volksliedarchiv, in: Nicolas Detering/Michael Fischer/Aibe-Marlene Gerdes (Hrsg.), Populäre Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg, Münster 2013, 97–119. 7 Susanne Brandt, Kriegssammlungen im Ersten Weltkrieg. Denkmäler oder Laboratoires d’histoire?, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.): „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch...“. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Frankfurt a.M. 1996 [TB], 241–258, die sich auf die konzeptionellen Ausführungen von Camille Bloch, Bibliothèque et Musée de la Guerre, Revue de synthèse historique 33 (1921), 37– 50, bezieht. 8 Brandt (Anm. 7), 284. 9 Buddecke (Anm. 5), 31. 10 Theodor Niemeyer, Einführung in das Völkerrechtsarchiv und die Bücherei nebst Bericht über Aufgaben und Entwickelung des Instituts. Zugleich eine völkerrechtliche Programmschrift, Kiel 1919, darin: Bericht über Aufgaben und Entwickelung des Instituts für internationales Recht an der Universität Kiel, 3–10 (9).

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Weltkriegsbibliothek), 1919 im Selbstverlag des Instituts erschienen, wird die skizzierte doppelte Funktion der Kieler Sammlung besonders deutlich, wenn auch in durchaus anders akzentuierter Form. Sein Bericht, den er zugleich als „völkerrechtliche Programmschrift“ verstanden wissen will, betont dabei – erstens – den wissenschaftlichen Charakter der im Krieg etablierten Kieler Sammlung. Unmittelbare Aufgabe des Archivs sei es, „die Tatbestände, die Streitfragen, die Entwicklungsprobleme, welche der Krieg gebracht hat, im Hinblick auf die künftige Beurteilung und als Grundlage der weiteren Entwicklung in dem soeben angedeuteten Umfang für die allgemeine Verwertung bereitzustellen“.11 Wesentlicher Bezugspunkt der Ausführungen – wie der Völkerrechtsdiskussion im Deutschen Reich insgesamt – war zweifelsohne der Versailler Vertrag, über dessen finale Ausgestaltung zum Zeitpunkt der Anfertigung des Niemeyerschen Berichts noch intensiv gerungen wurde.12 Angesichts des politischen Binnenklimas der frühen Weimarer Republik ist dabei vor allem das Ausmaß bemerkenswert, in dem sich die Kieler Völkerrechtslehre nach dem Friedensschluss auf die von den Pariser Vorortverträgen geschaffene internationale Ordnung einzulassen bereit war.13 Angedeutet wird diese diskursive Offenheit bereits in der Archivs- und Bibliotheksstruktur der Kriegsjahre, die – unter anderem – in den einschlägigen Abteilungen zur Vorgeschichte, zum Verlauf und zu den politischen Fragen des Kriegs den amtlichen und nicht-amtlichen Darstellungen der Mittelmächte grundsätzlich die Perspektiven von Gegnern und Neutralen gegenüberstellt.14 Bekräftigt _____________ 11

Niemeyer (Anm. 10), 8. Niemeyers Bericht datiert auf den 1. September 1919. Der Vertrag von Versailles wurde am 28. Juni 1919 unterzeichnet und trat mit dem 20. Januar 1920 in Kraft. Ein Überblick über die verschiedenen Positionen bei Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914–1945, München 1999, 86–90. 13 Martti Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations. The Rise and Fall of International Law 1870–1960, Cambridge 2004, 234, der Niemeyers eigener Feststellung folgt, dass das Kieler Institut für Internationales Recht und die von Niemeyer herausgegebene „Zeitschrift für Internationales Recht“ zu den wenigen Trägern eines positiven Bezugs auf den Völkerbund innerhalb der deutschen Völkerrechtswissenschaft nach dem Ersten Weltkrieg gehörten. Vgl. auch Ingo J. Hueck, Völkerrechtsgeschichte. Hauptrichtungen, Tendenzen, Perspektiven, in: Wilfried Loth/Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, München 2000, 267–285; ders., Die Gründung völkerrechtlicher Zeitschriften in Deutschland im internationalen Vergleich, in: Michael Stolleis (Hgrs.), Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt 1999, 379–420 (bes. 403ff.); Marcus M. Payk, Institutionalisierung und Verrechtlichung. Die Geschichte des Völkerrechts im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, Archiv für Sozialgeschichte 52 (2012), 861–883. Zu Niemeyer vgl. in diesem Band Andreas v. Arnauld/Jens Theilen, Theodor Niemeyer (1857–1939). Ein Leben in sechs Rollenbildern und einem Epilog. 14 Theodor Niemeyer, System der Bücherei des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel bzw. System des Völkerrechtsarchivs […], in: ders. (Anm. 10), 11– 18 bzw. 19–49. 12

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wird dieser sammlungsimmanente Eindruck durch die offenbar geräuschlose Überführung des Kriegsarchivs in ein „Kriegs- und Friedensarchiv“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit.15 Bei aller naheliegenden politischen Instrumentalisierung weisen sowohl die Ausführungen Niemeyers als auch die augenscheinlich ausgewogene Sammelpraxis in erster Linie die wissenschaftliche Funktion von Archiv und Bibliothek aus. Über den wissenschaftlichen Charakter des Kriegsarchivs hinaus kommt der Sammlung in Niemeyers Ausführungen – zweitens – eine, wie er selbst nahelegt, programmatische Funktion zu, die sich für ihn aus der Disziplingeschichte und öffentlichen Funktion der Völkerrechtslehre quasi naturgemäß ergibt. Der Verfasser erscheint uns hier als pragmatischer und doch zugleich idealistischer Anhänger jener Vorkriegsinternationalen von Völkerrechtlern, die in den Haager Friedenskonferenzen nicht nur den – zweifelsohne defizitären – internationalen Rechtsrahmen künftiger Friedenssicherung und Konfliktlösung erkannte, sondern auch den Anbruch einer globalen Rechtsordnung, getragen von einem juristisch begründeten „gouvernmentalen Internationalismus“.16 Dezidierter als die einschlägige Historiographie nach 1918 und vor allem nach 1945 stellt er bereits in seinen programmatischen Einlassungen aus den Kriegsjahren fest, dass der Weltkrieg eben nicht oder zumindest nicht primär als Totengräber internationalen Rechts zu verstehen wäre, sondern vielmehr als Bewährungsprobe eines unfertigen Völkerrechts, die dessen „Irrtümer, Mißverständnisse, Unzulänglichkeiten […] in erschreckender Weise“ veranschaulicht habe. Die „Völkerrechtskrise der Gegenwart“ könne nur bewältigen, so lässt sich Niemeyers Argumentationsgang verdichten, wer sich schonungslos auf die Diagnose einlasse: Dies hieße zum einen gemeinschaftlich wie systematisch den „allgemeinen Begriffe[n] und Grundlagen des Völkerrechts“ nachzugehen, „über welche die Meinungen so völlig auseinandergehen, wie man es bis dahin nicht gewußt hat“. Zum anderen setze die Wiederherstellung eines zwischenstaatlich relevanten Völkerrechts die sachbezogene Analyse des Geschehenen voraus, also jenes „im Weltkriege erwachsenen völkerrechtlichen Stoff[s]“, der nun „mit dem Willen rücksichtsloser Wahrheitsliebe“ aufzuarbeiten und im Rahmen einer umfassenden Synthese dem neuen internationalen Recht wie den internationalen Beziehungen insgesamt zuzuführen wäre. 17 _____________ 15

Niemeyer (Anm. 10), 5. Madeleine Herren, Hintertüren zur Macht. Internationalismus und modernisierungsorientierte Außenpolitik in Belgien, der Schweiz und den USA 1865–1914, München 2000, 64–66. Praktikabler wäre hier der von Stephen Wertheim eingeführte Begriff des „legalistic internationalism“ (in Absetzung vom liberalen Internationalismus des Völkerbunds). Vgl. ders., The League of Nations. A Retreat from International Law?, Journal of Global History 7 (2012), 210–232. 17 Niemeyer (Anm. 10), 6f. (auch voranstehende Zitate). Die Bedeutung des Völkerrechts gerade im Ersten Weltkrieg haben zuletzt betont: Jean H. Quataert, War-Making 16

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Das Kriegsarchiv des Völkerrechts und die mit diesem korrespondierende Bibliothek sollten den Ausgang dieser im Krieg vorerst nationalen, später dann zwischenstaatlich erweiterten Bemühungen bilden. Sie sind dabei vor allem als Ausdruck von Niemeyers „tiefster Überzeugung an das Fortschreiten und an den endlichen Sieg des Gemeinschaftsgedankens, also an die Zukunft des Völkerrechtes, auf dem Grunde der Vernunft“, zu werten.18 Hierin unterscheiden sich nicht nur Niemeyer und – stärker noch – sein Nachfolger Walther Schücking, sondern auch die von ihnen betriebene Kieler Völkerrechtswerkstatt vom Gros der zeitgenössischen Sammlungen im Europa des Ersten Weltkriegs.

_____________

and Restraint by Law. The formative years, 1864–1914, in: Roger Chickering/Dennis Showalter/Hans van de Ven (Hrsg.), The Cambridge History of War, Bd. 4: War and the Modern World, Cambridge 2012, 142–162; Isabel V. Hull, A Scrap of Paper. Breaking and Making International Law During the Great War, Ithaca 2014; Annie Deperchin, The Laws of War, in: Jay Winter (Hrsg.), Cambridge History of the First World War, Bd. 1: Global War, Cambridge 2014, 615–638. 18 Niemeyer (Anm. 10), 5, rekurriert hier auf eine von ihm ebenfalls 1916 verfasste und in seinem Bericht dokumentierte Denkschrift „an die im Felde stehenden Kommilitonen“.

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Bericht über Aufgaben und Entwickelung des Instituts für internationales Recht an der Universität Kiel* Von Theodor Niemeyer I. Die Aufgaben des zufolge Ministerialverfügung vom 9. Dezember 1913 gegründeten Seminars für internationales Recht an der Universität Kiel, welches durch Ministerialverfügung vom 24. April 1918 die Bezeichnung „Institut für Internationales Recht“ erhielt, sind in den Satzungen folgendermaßen bezeichnet: Das Institut dient dem akademischen Unterricht, der wissenschaftlichen Forschung und der Praxis im Gebiet des internationalen Rechtes (Völkerrecht, internationales Privatrecht im weitesten Sinn, Rechtsvergleichung, Rechtsvereinheitlichung). Dem akademischen Unterricht dient das Institut durch Abhaltung seminaristischer Übungen, Gewährung von Arbeitsplätzen, Bereitstellung literarischer Hilfsmittel und anderen Materials, durch Veranstaltung von Vorträgen und Diskussionen sowie durch sonstige Förderung des Gedankenaustausches der Mitglieder untereinander und der Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden. Jeder Universitätslehrer hat das Recht, gemäß Verständigung mit dem Direktor, Übungen im Gebiet des internationalen Rechtes in den Räumen und unter Benutzung der Bücherei und des Archivs abzuhalten. Der wissenschaftlichen Forschung dient das Institut durch Anregung und Förderung wissenschaftlicher Veröffentlichungen, durch Herausgabe der „Zeitschrift für internationales Recht“, des „Jahrbuches des Völkerrechts“, sowie in jeder sonst geeigneten Weise. Unmittelbar der Praxis dient das Institut durch Beschaffung, Sichtung, Bereitstellung von Material, Gewährung von Auskünften, Vermittelung bestimmter Zusammenstellungen, Übersetzungen und Gutachten für Behörden, Anstalten, Verbände. Sachlich verwandten Veranstaltungen, wie der „Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht“, ist das Institut nach Kräften behilflich.

[4] Hinsichtlich der Bücherei und des Archivs des Instituts sagen die Satzungen: Den gesamten Aufgaben des Instituts dienen seine Bücherei und sein Archiv. Den Grundstock der Bücherei bildet die von Gönnern des damaligen „Seminars für internationales Recht“ in den Jahren 1914 bis 1916 gestiftete Bibliothek des Völkerrechts. Grundlage des Archivs ist das im Jahre 1916 begonnene Kriegsarchiv des Völkerrechts, welches nach Maßgabe der verfügbaren Mittel als „Archiv des Völkerrechts“ fortgeführt werden und insbesondere im Buchhandel nicht erhältliches internationalrechtliches Material sammeln soll. _____________ * Aus: Einführung in das Völkerrechtsarchiv und die Bücherei nebst Bericht über Aufgaben und Entwickelung des Instituts: Zugleich eine völkerrechtliche Programmschrift, Kiel, im Selbstverlag, 1919, 3–10. Von einem Abdruck der sich anschließenden Systematik von Bibliothek und Archiv wird abgesehen.

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Die Bücherei wird ergänzt durch die zurzeit in der Universitäts-Bibliothek untergebrachte „Franz-Kahn-Bibliothek“.1 Nur die nicht in den stiftungsmäßigen Rahmen der letzteren fallenden literarischen Bedürfnisse im Gebiet des internationalen Rechtes werden aus den dem Seminar zur Verfügung stehenden Mittel bestritten.

II. In einer 1916 an die im Felde stehenden Kommilitonen gerichteten Denkschrift wurden die Grundgedanken der Tätigkeit des Instituts folgendermaßen zusammengefaßt: Uns leitet bei unseren Arbeiten die Überzeugung von der soziologischen Notwendigkeit des Völkerrechts als der Anwendung des Rechtsgedankens auf das Verhältnis der Staaten. Wir glauben, daß trotz allen Zusammenbruches, trotz allen Wahnsinnes und trotz allen Verbrechens das Völkerrecht als Idee [5] und als Lebenserscheinung geblieben ist, was es war. Wir glauben, daß im Weltkriege viel unechtes Völkerrecht seines falschen Anscheins entkleidet und etliches echte Völkerrecht klar im Feuer geworden ist. Wir glauben aber ferner, daß das Völkerrecht des Krieges nur unter dem Zeichen des Krieges stehen kann. Wir meinen, daß der Krieg nimmermehr ein Rechtsverhältnis, das heißt ein als Ganzes völkerrechtlich geordneter Tatbestand ist, sondern daß immer nur in gewissen vom Kriegszweck abtrennbaren Beziehungen Kriegsvölkerrecht möglich ist. Wir denken, solange der Wille zur Macht die Politik der Staaten leitet, werde es Kriege geben, und wir denken, solange nicht das Bewußtsein internationaler Interessensolidarität und der Wille gegenseitiger Achtung und gegenseitigen Helfens die Staatenpolitik bestimmt, ebenso lange werde auch während des Friedens im Hintergrunde der internationalen Verständigungen der Krieg lauern, und notgedrungen werde die Rücksicht auf ihn auch den letzten Maßstab der internationalen Politik bilden. Wir glauben aber in tiefster Überzeugung an das Fortschreiten und an den endlichen Sieg des Gemeinschaftsgedankens, also an die Zukunft des Völkerrechtes, auf dem Grunde der Vernunft.

_____________ 1 Anm.: Die für die Verwaltung der „Franz-Kahn-Bibliothek“ maßgebenden Bestimmungen besagen: „Der Zweck der Franz-Kahn-Bibliothek ist die Pflege des internationalen Privatrechtes im weitesten Sinne des Wortes. Die Bibliothek soll in gleicher Linie mit der Literatur des eigentlichen internationalen Privatrechtes (einschließlich des internationalen Straf-, Prozeß-, Konkurs-, Staats-, Verwaltungsrechtes) die Quellen des ausländischen Rechtes beschaffen, insbesondere ausländische Kodifikationen, Lehrbücher, Entscheidungssammlungen, Gesetzblätter, Zeitschriften. In zweiter Linie soll, entsprechend der Grundidee, auch Völkerrechtsliteratur beschafft werden, soweit dies durch die Rücksicht auf die völkerrechtliche Natur der das internationale Privatrecht betreffenden Staatsverträge und internationalen gewohnheitsmäßigen Normen geboten ist. Das Konsular- und Kolonialrecht ist als Bestandteil einerseits des internationalen Privatrechts und des materiellen Rechtes der verschiedenen Staaten, andererseits des Völkerrechts zu berücksichtigen“.

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III. Zunächst richtete sich 1914 naturgemäß die Wirksamkeit des damaligen Seminars auf die seminaristischen Übungen. Während des Krieges hat sich die Zahl der Teilnehmer der seminaristischen Übungen des Instituts beständig vermehrt. Im Sommersemester 1919 betrug ihre Zahl 26. IV. Eine Reihe von wissenschaftlichen Publikationen, insbesondere die „Veröffentlichungen des Seminars für internationales Recht“, sowie Sonderveröffentlichungen: „Aus dem Institut für internationales Recht an der Universität Kiel“, ferner die „Zeitschrift für internationales Recht“ (bisher 28 Bände) und das [6] „Jahrbuch des Völkerrechts“, bisher 6 Bände beruhen auf Arbeiten im Rahmen des Instituts.2 V. Wiederholt sind in den Räumen des Instituts Vortragsreihen, mit Besprechungen, über „Völkerrechtliche Probleme der internationalen Politik“, teils vor geladenen Teilnehmern teils öffentlich, unter Leitung des Direktors veranstaltet worden. VI. Zu den sonstigen Aufgaben des Instituts ist seit dem Frühjahr 1916 das Archiv des Völkerrechts getreten, welches als „Kriegsarchiv des Völkerrechts“ unter folgenden in einer Denkschrift vom Juli 1916 dargelegten Gesichtspunkten in Angriff genommen wurde: Der Weltkrieg hat auf dem Gebiet des Völkerrechts in einer auch für Staatsmänner, Historiker, Völkerrechtsforscher überraschenden, man kann sagen erschreckenden Weise Irrtümer, Mißverständnisse, Unzulänglichkeiten dargetan, welche das Schlagwort vom Zusammenbruch des Völkerrechts zwar nicht rechtfertigen, aber erklären. Ganz abgesehen von der Zahl und Tragweite der wirklichen oder angeblichen Völkerrechtsverletzungen ist eine Verwirrung der völkerrechtlichen Anschauungen offenbar geworden, welche sich keineswegs bloß durch die nach menschlicher Art aus der Verschiedenheit der Interessen entspringenden Vorurteile und Leidenschaften erklärt. Vielmehr liegen der Verwirrung allgemeinere Ursachen zugrunde, deren beherrschende Erkenntis gewiß erst späterer Zeit vorbehalten ist. Aber soviel darf doch schon jetzt mit Sicherheit gesagt werden, daß zweierlei nötig ist, damit eine leidenschaftslose und _____________ 2 Anm.: Prospekte über diese Veröffentlichungen versendet die Verlagsbuchhandlung Duncker & Humblot, München und Leipzig.

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gerechte Beurteilung der Völkerrechtskrise der Gegenwart für diejenigen, die den Willen dazu haben, möglich sei: Einerseits ist eine Aussprache und Verständigung erforderlich über die allgemeinen Begriffe und Grundlagen des Völkerrechts, über welche die Meinungen so völlig auseinandergehen, wie man es bis dahin nicht gewußt hat. [7] Andererseits bedarf es einer geschichtlichen, beweiskräftigen Feststellung der völkerrechtlichen Tatsachen des Weltkrieges mit dem Willen rücksichtsloser Wahrheitsliebe. Die Kenntnis und Beurteilung der Tatsachen ist zum Teil durch bösen Willen, zum größeren Teil aber infolge des Mangels geschichtlichen Wissens und geschichtlicher Denkart, infolge bestehender Unvollkomment der Tatsachenermittelung sowie infolge ungenügender Schulung in der Erfassung der Zusammenhänge des politischen Lebens derart gehemmt, daß nur auf der Grundlage weit ausgreifender besonderer Bemühungen eine Klarstellung und Verständigung erhofft werden kann, welche darum mit außergewöhnlichen Mitteln erstrebt werden muß. Daß früher oder später überall eine lebhafte Tätigkeit einsetzen wird, um den im Weltkriege erwachsenen völkerrechtlichen Stoff in dieser oder jener Weise zusammenzustellen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Nicht nur die Regierungen der jetzt kriegführenden Staaten, sondern die Staatsmänner, Historiker, Völkerrechtsgelehrten, Politiker der ganzen Welt müssen ein starkes Interesse an der Sammlung und Bereitstellung dieser umfangreichen Materialien nehmen, so daß fraglich nur sein kann, wo und wie die Aufgabe am besten gelöst wird. Ohne Zweifel ist die internationale Zusammenarbeit derjenigen Kräfte, welche der Wahrheit und dem Recht die Ehre zu geben besonders berufen sind, das schließlich zu erstrebende Ziel. Aber zunächst muß, schon um unwiederbringlichen Verlust an Zeit und Gelegenheit zu vermeiden, die Arbeit innerhalb der einzelnen Staaten begonnen werden. Der Weltkrieg hat die Erkenntnis vor jedermanns Augen gestellt, daß das Völkerrecht eine Ausstrahlung der Staatenpolitik ist, welche nur im allgemeinen Zusammenhang der zwischenstaatlichen Verhältnisse begriffen werden kann. Das Verhältnis des internationalen Kriegsrechtes zu der internationalen Friedensordnung kann nicht verstanden werden ohne die vertiefte Erkenntnis in das Wesen der letzteren, als der Anwendung des Rechtsgedankens auf das Verhältnis der Staaten. Die soziologische und ethologische Erweiterung des Rechtsgedankens im Verhältnis der Staaten führt zu der Einbegreifung der allgemeinen kulturellen [8] und ethischen Beziehungen der Völker und Staaten in die völkerrechtliche Betrachtung. Der Weltkrieg hat dieses Verhältnis in grelle Beleuchtung gestellt durch die Verwendung des Rassenhasses, der Lüge, der Kulturverletzung, des Wirtschaftskrieges als Kriegsmittel. Das Gegenstück sind die Bestrebungen zur Erhaltung des Friedens auf der Grundlage einerseits der Interessensolidarität der Staaten, andererseits unter dem Gesichtspunkt der ethischen Forderung. Die ganze Reihe dieser Erscheinungen berührt das Völkerrecht. Die Völkerrechtswissenschaft kann an den Bestrebungen für internationale Kulturgemeinschaft und andererseits an den entgegengesetzten Bemühungen ebensowenig vorbeigehen wie an der Frage von Krieg und Frieden. Für den Krieg aber und dessen völkerrechtliche Begrenzung sind Fragen wie diejenige der Wirksamkeit oder Verzichtbarkeit des Handelskrieges (also insbesondere die Statistik des Verkehrs, der Rohstoffe und der Lebensmittel) ebenso entschieden von Bedeutung wie etwa die Wirksamkeit oder Verzichtbarkeit der

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Brunnenvergiftung sowie der völkerrechtliche Maßstab für die Anstiftung von Aufständen im feindlichen Lande und für den politischen Mord. Daraus ergibt sich die Erstreckung der Aufgabe über die überlieferte formaljuristische Seite des Völkerrechts hinaus auf Politik, Wirtschaft, Kultur, Völkerethik. Die unmittelbare Aufgabe des seit 1. Mai 1916 von dem Institut übernommenen „Kriegsarchivs des Völkerrechts“ besteht darin, die Tatbestände, die Streitfragen, die Entwicklungsprobleme, welche der Krieg gebracht hat, im Hinblick auf die künftige Beurteilung und als Grundlage der weiteren Entwicklung in dem soeben angedeuteten Umfang für die allgemeine Verwertung bereitzustellen.

Die Arbeit wurde in den Rahmen zweier selbständiger Arbeitssektionen organisiert: Sektion A (Sammlungs-Sektion) und Sektion B (Wissenschaftliche Sektion). Sektion A wurde in 4 Abteilungen geteilt: Abteilung I Zeitungen, Abteilung II Zeitschriften, Abteilung III Bücher, Abteilung IV Staatsschriften, Gesellschaftsberichte, Privatnachrichten usw. [9] Innerhalb der unter Abteilungsvorstehern arbeitenden Abteilungen wurde das Material auf Gruppen und innerhalb der Gruppen auf Berichterstatter verteilt, und zwar zu dem Zwecke der Registrierung, geeignetenfalls des Ausschneidens, des Abschreibens oder der kurzen Inhaltsangabe. Die in dieser Art herausgestellten Berichte wurden in den Abteilungen nach einem für alle Abteilungen gleichmäßig festgestellten System gesichtet und nach Schlagwörtern geordnet. Durch regelmäßige Gesamtsitzungen mit wissenschaftlich belehrenden Darlegungen wurde die Einheitlichkeit und zweckentsprechende Durchführung der Arbeit gesichert. Sektion B, welcher Vertreter der Völkerrechtswissenschaft, der Geschichtswissenschaft, der Wirtschaftslehre, sowie Vertreter der Völkerrechtspraxis auf dem Gebiete der Diplomatie, der Rechtspflege und des Militär- und Marinewesens angehören, übernahm die Prüfung, Vervollständigung, Durcharbeitung des Materials gemäß einem besonderen Arbeitsplan. Das Archiv soll als Kriegs- und Friedensarchiv des Völkerrechts weitergeführt werden. Es umfaßt z.Z. 2400 Archivkästen mit rund 400 000 Zeitungsausschnitten, 20 000 Abhandlungen, 1000 Bücherreferaten, 30 000 in Staatsschriften und anderen Nachrichten enthaltenen Mitteilungen.“

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Theodor Niemeyer

VII. In einer Sitzung der Mitglieder der Sektion B des Kriegsarchivs des Völkerrechts, am 6. Januar 1917, wurde die Gründung einer „Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht“ beschlossen, deren Konstituierung am 24. März 1917 in Berlin erfolgte. Die Geschäfte der „Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht“ wurden seitdem von dem Kieler Institut geführt, welches die im Oktober 1917 in Heidelberg und im September 1918 in Kiel stattgehabten Jahresversammlungen der Gesellschaft vorbereitete, die „Mitteilungen“ der Gesellschaft zum Druck brachte, seit 1. September 1918, die Verhandlungen der von der Gesellschaft eingesetzten Studienkommission für einen Völkerbund vermittelte, die französische und englische Übersetzung des von der Studienkommission fertiggestellten Entwurfes einer Völkerbundverfassung [10] ausführte und weiterhin die Druckschriften der Studienkommission verwaltet. VIII. Das Institut, welches 1914 in 3 kleinen Räumen ausreichend untergebracht war, umfaßt jetzt 16 Räume in 3 Stockwerken. Der Bestand der jetzt über 10.000 Bände umfassenden Bücherei beruht fast ausschließlich auf Privatstiftungen. Für das Völkerrechtsarchiv, an welchem zeitweise etwa 80 Mitarbeiter und 30 Angestellte tätig waren, sind Reichs- und preußische Staatsmittel bewilligt worden. Ein großer Teil der Arbeit ist aber ehrenamtlich geleistet worden. Kiel, 1. September 1919

Der Direktor. Professor Dr. Th. Niemeyer

Kriegsarchiv des Völkerrechts: Aus dem Kriegs-Archiv

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Anhang: Aus dem Kriegs-Archiv des Völkerrechts* Wir haben die Sache mit gegründet, Wir haben sie überall verkündet, Wir waren von Anfang an mit dabei, Wir blieben dem Herrn Direktor treu. Als der Hauptmann rief „Freiwillige vor!“ Da kamen wohl viele, auch ein Mohr. Doch manche sind auf der Strecke geblieben, Wir 6 aber schafften, von Ehrgeiz angetrieben. Wir wühlten und packten mit Zeitungen viel, Wir lasen die Zeitschriften mit Gefühl. Wir schnitten sie aus und klebten sie ein, Nun ruhn sie geordnet im grünlichen Schrein. Als unser Herr Hauptmann zu Hilfe uns rief, Da gründeten wir das Kriegs-Archiv. Drum sei’n ihm am ersten Geburtstag heut Die Blumen in froher Erinnerung geweiht. In Kiel der alten Marinestadt Da liegt in der Dänischen Straße Ein Haus, das viele Bewohner hat Verschieden an Rang und Raße. So große wie kleine, so schwarz wie weiß In emsiger Arbeit vereinigt, Und dabei ist es hier jetzt so heiß Und von Zeitungen sind wir gepeinigt.

_____________ * Gedicht im Original ohne Titel. Manuskript in den Akten des Instituts für Internationales Recht, A 3, 43.

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Fräulein Martens

Die Zeitungen liegen in jedem Raum Auf Kisten und Tischen und Börtern In Haufen, in Bergen, Sie ahnen es kaum Und taufrisch gespickt mit Schlagwörtern. Hier bauschen sich Haufen an jener Wand, Dort sind sie zu Quadern geschichtet. Denn Herrn v. Magius ordnende Hand Hat alles gar kunstvoll gerichtet. Nach Nummern nach Jahrgang, Tag oder Zahl Sind hier sie geordnet schon niedlich Und Zwilling und Drilling tönts mal und mal Und Deutschlands Zukunft wird glücklich. Es wirken 10 Mädchen hier emsig fort. Doch wo sind die Männer geblieben? Herr Zschock erholt sich im Bade Orb, Herrn Neumann ha’m wir vertrieben. Herr Willers die Perle nur selten sich zeigt, Herr Vollers ist nicht zu erblicken. Emil zeigt sich gänzlich abgeneigt Und war doch aller Entzücken. Die Uniform die so sehr uns gefiel Hat leider im Stich uns gelaßen. Auch der Geheimrat geht jetzt in Civil, All unsere Freuden erblaßen. Nun senden wir Ihnen der Grüße 10 Schock Und ernst ist unser Begehren Wir wünschen, daß Sie geehrter Herr Zschock Gesundet zurücke kehren.

Fräulein Martens, 15. Mai 1917

Zeitschriften am Institut für Internationales Recht. Das German Yearbook of International Law und seine Vorgänger Von Andreas v. Arnauld und Laura Kresse

A. Einleitung Im Mittelpunkt dieses Beitrages steht die Entwicklung des Jahrbuchs für Internationales Recht (heute German Yearbook of International Law) vor allem in den ersten Jahrzehnten nach seiner Gründung 1948.1 Die Dokumentation dieser Entwicklung wird dabei in zweifacher Hinsicht kontextualisiert: Zum einen wird zunächst ein Blick auf die Entstehung völkerrechtlicher Zeitschriften in Deutschland ab dem späten 19. Jahrhundert2 geworfen. Dies gerät zugleich zu einem Überblick über „Vorgänger“ des Jahrbuchs, wurden doch bereits vor dem Zweiten Weltkrieg mehrere bedeutsame völkerrechtliche Zeitschriften zumindest zeitweise am Kieler Institut (mit-)herausgegeben: Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht, Die Friedens-Warte sowie die Zeitschrift für Völkerrecht.3 Zum anderen sollen Parallelen und Unterschiede zwischen dem Jahrbuch und den bei-

_____________ 1 Die historische Aufarbeitung völkerrechtlicher Zeitschriften in Deutschland wird nach wie vor wenig vorgenommen. Pionierarbeit hat hier Ingo Hueck geleistet: Die Gründung völkerrechtlicher Zeitschriften in Deutschland im internationalen Vergleich, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1999, 379–420. Huecks Beitrag beleuchtet allerdings nur Periodika, die vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gegründet wurden. Zu Nachkriegsgründungen wie dem GYIL fehlt es nach wie vor an einer entsprechenden Dokumentation. 2 Für einen breiteren Überblick zu völkerrechtlichen Zeitschriften Hans Wehberg, Völkerrechtszeitschriften und Annuaires, in: Karl Strupp (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Berlin 1929, 302–304. In Ansätzen kann auch das 1885 gegründete Archiv des öffentlichen Rechts zu den völkerrechtlichen Zeitschriften gerechnet werden. Dazu Carsten Doerfert, Das Archiv des öffentlichen Rechts 1885–1918. Zur Geschichte einer Wissenschaft und ihrer Zeitschrift, Berlin 1993, 29f.; Hueck (Anm. 1), 399f. 3 Nicht näher behandelt wird hier das Jahrbuch für Völkerrecht, das von 1913 bis 1926 von Theodor Niemeyer (Kiel) und Karl Strupp (Frankfurt) herausgegeben wurde und primär der Publikation völkerrechtlich relevanter Dokumente diente.

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Andreas v. Arnauld und Laura Kresse

den anderen wichtigen deutschen völkerrechtlichen Periodika nach 1945 beleuchtet werden: der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht und dem Archiv des Völkerrechts.

B. Entstehung der ersten völkerrechtlichen Periodika in Deutschland I. Deutschland als „Spätzünder“ Das Völkerrecht hat viele Anfänge. Versteht man es als die rechtliche Ordnung der Beziehung zwischen Herrschaftsgebieten, reicht es zurück bis ins 4. Jahrtausend v. Chr.; als Urheber des „modernen Völkerrechts“ gelten wahlweise Hugo Grotius (als der „Vater des Völkerrechts“) oder die Friedenskonferenzen von Münster und Osnabrück von 1648. Tatsächlich hat jenes „Westfälische System“ des Völkerrechts seine wesentliche Gestalt erst im 19. Jahrhundert gewonnen;4 Hand in Hand mit der politischen Entwicklung souveräner Nationalstaaten ging damals die Herausbildung des Völkerrechts als einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin.5 Eine solche verlangte nach Foren, auf denen sie sich austauschen konnte. So entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten Fachverbände und Zeitschriften:6 1869 die von Tobias M.C. Asser (Niederlande), Gustave Rolin-Jaequemyns (Belgien), John Westlake (England) gegründete Révue de Droit international et de législation comparée, die bis zur Gründung von dessen Annuaire (1877) auch das Organ des 1873 gegründeten Institut de Droit International war; 1894 die Révue Générale de Droit International Public (begründet von Antoine Pillet und Paul Fauchille), 1906 die Rivista di Diritto Internazionale (begründet von Dionisio Anzilotti, Arturo Ricci Busatti und Leone Adolfo Senigallia), 1907 das von James Brown Scott ins Leben gerufene American Journal of International Law (AJIL) als Organ der im selben Jahr gegründeten American Society of International Law. Deutschland hinkte dieser Entwicklung hinterher.7 Vor der Reichsgründung war das Völkerrecht eine Domäne der Praktiker gewesen. Als sich nach 1871 zunehmend auch Rechtswissenschaftler mit dem Völkerrecht zu befassen begannen, geschah dies eher „nebenbei“. Die deutschen Völkerrechtler waren in erster Linie _____________ 4 Dazu vertiefend Rainer Grote, Das „Westfälische System des Völkerrechts: Faktum oder Mythos?, in: Andreas v. Arnauld (Hrsg.), Völkerrechtsgeschichte(n). Historische Narrative und Konzepte im Wandel, Berlin 2017, 21–38. 5 Vgl. auch Andreas v. Arnauld/Liv Christiansen, Die akademische Lehre des Völkerrechts. Von der Gründung der Christiana Albertina bis 1914, in diesem Band. 6 Näher Hueck (Anm. 1), 385ff. 7 Zum Folgenden Hueck (Anm. 1), 381ff. Anders die Situation in Österreich: ebd., 391ff.

Zeitschriften am Institut für Internationales Recht

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und im Hauptamt Professoren für Öffentliches Recht, gelegentlich auch – wie der einflussreiche Berliner Völkerrechtler Franz von Liszt (1851–1919) – Strafrechtler oder – wie Theodor Niemeyer (1857–1939) – Zivilrechtler. In Oxford und Cambridge dagegen waren bereits 1859 bzw. 1867 eigene Lehrstühle für Völkerrecht eingerichtet worden. Dass die deutsche Völkerrechtslehre im nationalen Recht wurzelte, ging einher mit einer „Überspitzung des Souveränitätsgedankens“8, die letztlich auf der Haager Friedenskonferenz von 1907 in den deutschen Widerstand gegen die Etablierung einer obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit mündete. Dass Deutschland dann doch Anschluss an eine internationale Entwicklung fand, ist in mehrfacher Hinsicht das Verdienst Niemeyers: Er war der Initiator hinter der Gründung der Deutschen Vereinigung für internationales Recht (1912) als deutschem Ableger der 1873 gegründeten International Law Association sowie der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (1917), 1912 war er der erste Professor in Deutschland, dessen Lehrauftrag sich auf das internationale Recht beschränkte – und er war Herausgeber derjenigen deutschen Fachzeitschrift, die sich als erste schwerpunktmäßig auch dem Völkerrecht zuwandte.9 II. Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Die Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht wurde 1891 in Erlangen gegründet.10 Sie richtete sich an Wissenschaftler und Praktiker gleichermaßen. Ihr Herausgeber war Ferdinand Böhm (1833–1901), Oberlandesgerichtsrat in Nürnberg.11 Theodor Niemeyer trat der Zeitschrift 1896 als Mitherausgeber bei und war maßgeblich daran beteiligt, den Leserkreis auszuweiten. Im Gegensatz zu Böhm, dessen Schwerpunkte auf dem internationalen Privatrecht und der strafrechtlichen Zusammenarbeit lagen, war Niemeyer vor allem auch an der Entwicklung und wachsenden Bedeutung des Völkerrechts interessiert und trug zu einer Öffnung der Zeitschrift für völkerrechtliche Themen bei. Nach dem Tode Böhms 1901 wurde er alleiniger Herausgeber und konnte die Zeitschrift nach seinen Vorstellungen formen. Um das erweiterte Themenspektrum auch im Namen abzudecken, wurde die Zeitschrift 1903 in Zeitschrift für internationales Privat- und öffentliches Recht _____________ 8

Hueck (Anm. 1), 383f. Näher Andreas v. Arnauld/Jens Theilen, Theodor Niemeyer (1857–1939). Ein Leben in sechs Rollenbildern und einem Epilog, in diesem Band. 10 Näher zur Zeitschrift Hueck (Anm. 1), 403ff. 11 Siehe E[duard] Grünwald, Nachruf für F. Böhm, Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht 11 (1901), 177–179. 9

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Andreas v. Arnauld und Laura Kresse

umbenannt. Zumindest für den deutschen Sprachraum war dieser Name irritierend, denn mit dem „internationalen öffentlichen Recht“ war hier das Völkerrecht gemeint. Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatten sich zwar die internationalen Bezeichnungen für das Völkerrecht gewandelt. Während aber im Englischen das „law of nations“ zum „public international law“ und in der französischen Sprachwelt das „droit des gens“ zum „droit international public“ wurden,12 hielt die deutschsprachige Völkerrechtslehre am tradierten Begriff des „Völkerrechts“ fest. 1910 wurde der Name der Zeitschrift erneut geändert in Zeitschrift für internationales Recht, ein Vorbote des Namens des späteren Kieler Seminars für Internationales Recht (1914). Die disziplinäre Binnendifferenzierung aufgreifend, wurde die Zeitschrift vorübergehend (1912–13) in die Rubriken „Internationales Privatrecht“ und „Völkerrecht“ aufgeteilt. 1915 stand – dem Herausgeber zufolge auf Initiative des Verlegers13 – die nächste Namensänderung in Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht an, ein Titel, den dieses Periodikum bereits seit Jahren umgangssprachlich trug. Die Umstellung durch Niemeyer betraf nicht nur die Themen, sondern auch die Inhalte. Abgedruckt wurden nicht nur Beiträge zu grundlegenden oder aktuellen völkerrechtlichen und international-privatrechtlichen Fragen, sondern auch Literaturübersichten. Niemeyer legte zudem einen Schwerpunkt auf die Wiedergabe chronologischer Regesten der internationalen völkerrechtlichen Entwicklung sowie auf Abdrucke von Staatsverträgen, ausländischen Gerichtsentscheidungen und Entscheidungen internationaler Schiedsgerichte. Niemeyers Zeitschrift war somit die erste, die regelmäßig über einschlägige Gerichtsentscheidungen sowie Literatur berichtete.14 Die Zeitschrift zeichnete sich auch dadurch aus, dass Niemeyer sie im Sinne eines „positiven Internationalismus“15 ausrichtete und damit gerade für Autoren öffnete, die für eine Weiterentwicklung des Völkerrechts eintraten. Hierdurch konnten selbst Pazifisten wie Heinrich Lammasch oder Hans Wehberg in Niemeyers Zeitschrift publizieren.16 Thematische Schwerpunkte bildeten Rechtsfragen der Friedenssicherung, internationale Schiedsgerichtsbarkeit und die Humanisierung der Kriegführung. _____________ 12 Diese Entwicklung ist abgebildet in Franz v. Liszt, Das Völkerrecht, 12. Aufl., Berlin 1919. 13 Theodor Niemeyer, Erinnerungen und Betrachtungen aus drei Menschenaltern. Aus dem Nachlaß herausgegeben von seiner Tochter Dr. Annemarie Niemeyer, Kiel 1963, 156. 14 Hueck (Anm. 1), 405. 15 Theodor Niemeyer, Vorwort, Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht 11 (1901), 1–2 (2). 16 Heinrich Lammasch, Die Fortbildung des Völkerrechts durch die Haager Konferenz, Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht 11 (1902), 23–36; Hans Wehberg, Friedrich von Martens und die Haager Friedenskonferenzen, Zeitschrift für internationales Recht 20 (1910), 343–357.

Zeitschriften am Institut für Internationales Recht

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Theodor Niemeyer gab „seine“ Zeitschrift auch nach der Emeritierung weiter heraus; über die Frage des Eintritts seines Nachfolgers auf dem Lehrstuhl und dem Posten des Institutsdirektors in die Redaktion kam es zu einem ernsten Konflikt mit Walther Schücking (1875–1935).17 Dabei äußerte Niemeyer Vorbehalte gegen Schücking u.a. „wegen der Divergenz der wissenschaftlichen insbesondere der völkerrechtspolitischen Grundrichtung“.18 1927 wechselte daher die Redaktionsadresse vom Institut in der Dänischen Straße 15 in die Villa Niemeyer in KielKitzeberg. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten traf auch Niemeyers Zeitschrift. Auf ministeriellen Druck hin stimmt Niemeyer zu, die Liste der Mitarbeiter zu streichen, die so illustre Namen wie Max Fleischmann, Max Huber, Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, Karl Neumeyer, Gustav Radbruch und Hans Wehberg enthielt.19 Da seine eigenen „internationalistischen“ Positionen mit dem neuen Zeitgeist wenig übereinstimmen, sucht der 76-jährige Niemeyer außerdem nach einem Mitherausgeber, der seine Zeitschrift gegen Übergriffe der neuen Machthaber schützen könnte. Am 10. Januar 1934 schreibt er an das preußische Wissenschaftsministerium:20 Gemäß der gestrigen Unterredung in Sachen ‚Niemeyers Zeitschrift für Internationales Recht‘ darf ich die Bitte vortragen, zu genehmigen, dass der laufende Band dieser Zeitschrift (Band 48) unter Wegfall der bisherigen Mitarbeiterliste zu Ende gedruckt wird, und sodann der 49. Band unter dem Titel hergestellt wird: ‚Niemeyers Zeitschrift für Internationales Recht. Herausgegeben von Theodor Niemeyer und Herbert Kraus‘. Für den Fall, dass Professor Kraus nicht in die Schriftleitung eintritt, darf ich einen anderen nationalsozialistischen Gelehrten oder Praktiker vorschlagen und um dessen Genehmigung bitten.

Herbert Kraus (1884–1965), seit 1928 Ordinarius in Göttingen und Gründungsdirektor (1930) des dortigen Seminars für Völkerrecht und Diplomatie, tritt tatsächlich 1934 in die Schriftleitung ein.21 Dass damit die „Gleichschaltung“ der Zeitschrift vollzogen worden wäre, wie Ingo Hueck schreibt22, wird man vorsichtig beurteilen müssen. Kraus war kein Nationalsozialist; in den ersten Jahren des Nationalsozialismus genoss er allerdings die Unterstützung offizieller Stellen

_____________ 17

Näher dazu v. Arnauld/Theilen (Anm. 9). Vgl. Theodor Niemeyer an Walther Schücking, Gesprächsprotokoll v. 21.1.1927, Akten des Instituts für Internationales Recht, A 2 III, 31b. 19 Vgl. Niemeyers Zeitschrift für Internationales Recht 48 (1933), Kopfblatt. 20 Schreiben vom 10.1.1934, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, BerlinDahlem, 1. Hauptabteilung, Repositur 76V c, Sektion 1, Titel 11, Teil 4, Nr. 12 Bd. 2; zitiert nach Hueck (Anm. 1), 405f. Anm. 113. 21 Vgl. als „Visitenkarte“ Herbert Kraus, Interesse und zwischenstaatliche Ordnung, Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht 49 (1934), 22–65. 22 Hueck (Anm. 1), 405. 18

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und vertrat bestimmte Positionen, die im Einklang mit denen des Regimes standen.23 In einem Beitrag mit dem Titel „Die Krise des zwischenstaatlichen Denkens“ schrieb Kraus 1933 aber auch (was ihm nachhaltige Probleme bereiten sollte):24 Wer heute, für heute, das tausendjährige Reich proklamiert, ist ein Narr; und ein Staatsmann, welcher den Faktor Zeit nicht richtig in sein Kalkül einsetzt, verkennt grundlegend seine Aufgabe und wird seinem Eid untreu. Beides ist Schuld.

Kraus in eine Reihe mit tief nationalsozialistisch verstrickten Autoren wie Gustav Adolf Walz, Ernst Wolgast oder Helmut Nicolai zu rücken25, erscheint daher kaum gerechtfertigt. Näher liegt es anzunehmen, dass Niemeyer einen Mitherausgeber gesucht hat, der auf der einen Seite den Machthabern „genehm“ sein, ihnen aber andererseits seine Zeitschrift nicht ideologisch ausliefern würde. Den 52. Jahrgang (1937) gibt Kraus gemeinsam mit seinem Göttinger Kollegen Eduard Wahl heraus. Als Kraus im selben Jahr in Ungnade fällt und seinen Lehrstuhl verliert26, stellt auch Niemeyers Zeitschrift das Erscheinen ein. Offiziell wird sie mit der Zeitschrift für Völkerrecht fusioniert27, die ihren bisherigen Namen allerdings beibehält. III. Die Friedens-Warte Im Unterschied zu der akademischen Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, die erst ab 1912 unter der Führung Niemeyers zusammenfindet, organisiert sich die pazifistische Bewegung in Deutschland schon früher. Markantestes Ereignis ist die Gründung der Deutschen Friedensgesellschaft im Jahre 1892. Im selben Jahr gründet Bertha v. Suttner die Monatsschrift Die Waffen nieder! nach ihrem gleichnamigen Antikriegsroman von 1889. Als „geistige Nachfolgerin“28 dieser Zeitschrift gründet Suttners Mitstreiter Alfred Hermann Fried (1864–1921) _____________ 23 Insoweit übereinstimmend Hueck (Anm. 1), 406. Die Argumentation gegen den Versailler Vertrag mit der souveränen Gleichheit aller Staaten einte damals allerdings praktisch alle deutschen Völkerrechtler und kann schwerlich als Beleg für eine besondere Nähe zum Regime herhalten (so aber Hueck, a.a.O.). Vgl. Rüdiger Wolfrum, Nationalsozialismus und Völkerrecht, in: Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Rechts und Rechtslehre im Nationalsozialismus, Baden-Baden 1992, 89–101 (97f.). 24 Herbert Kraus, Die Krise des zwischenstaatlichen Denkens (= Abhandlungen aus dem Seminar für Völkerrecht und Diplomatie an der Universität Göttingen, Heft 9), Göttingen 1933, 26. 25 So Hueck (Anm. 1), 406 Anm. 115. 26 Dietrich Rauschning, Herbert Kraus, in: Christian Calliess/Georg Nolte/Peter-Tobias Stoll (Hrsg.), Von der Diplomatie zum kodifizierten Völkerrecht. 75 Jahre Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen (1930–2005), Köln 2006. 31–42. 27 Hueck (Anm. 1), 407. 28 Hueck (Anm. 1), 395.

Zeitschriften am Institut für Internationales Recht

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die Zeitschrift Die Friedens-Warte im Jahre 1899 als Zentralorgan des deutschen Pazifismus.29 In der ersten Ausgabe beschreibt Fried die Zielsetzung seiner Zeitschrift so:30 Die Freunde sollen in dieser Wochenschrift zum ersten Male ein Forum finden, wo sie dem Entwicklungsgang der Bewegung rascher und aktueller werden folgen können, als dies in den bisherigen Monatspublikationen möglich war. Dass damit thatsächlich einem Bedürfnisse entgegengekommen wird, werden Jene zu beurtheilen wissen, die in der Bewegung stehen und die bei der ungeheuren Ansammlung von Stoff und Ereignissen der letzten Jahre mit Missmuth den Mangel eines actuellen Organes gefühlt hatten.

Damit umreißt Fried das Profil eines Periodikums, das sich vor allem an Mitglieder und Sympathisanten der pazifistischen Bewegung richtet, die über die neuesten Ereignisse und Entwicklungen informiert werden sollen. Die Artikel in der Zeitschrift, oft vom Herausgeber selbst, sind engagiert und politisch. Regelmäßige Beiträge von Völkerrechtlern wie Ludwig v. Bar, Heinrich Lammasch, Christian Meurer, Robert Piloty, Walther Schücking und Hans Wehberg tragen aber zu einer Verwissenschaftlichung bei.31 Nach dem Tode Frieds übernehmen ab 1923 Schücking und Wehberg die Herausgeberschaft und richten die Zeitschrift noch stärker auf einen „rechtlich-organisatorischen“32 Pazifismus aus, der vor allem auf den Beitrag des Völkerrechts und internationaler Organisation zum Weltfrieden setzt. Den Charakter als Informationsplattform für die Friedensbewegung aber erhalten sie. Konsequent pazifistisch orientiert, bleibt die FriedensWarte eine „einsame Warnerin“33, weitgehend isoliert und ignoriert vom Mainstream der deutschen Völkerrechtswissenschaft. Mit Schückings Wechsel nach Kiel im Jahre 1926 wird bis zu seiner Entlassung durch die NS-Administration das Kieler Institut für Internationales Recht zum Redaktionsort einer weiteren völkerrechtlichen deutschen Zeitschrift. 1933 muss die Redaktion, wie schon während des Ersten Weltkrieges, in die Schweiz verlegt werden, wo Hans Wehberg (1885–1962) seit 1928 in Genf am Institut des Hautes Etudes Internationales unterrichtet. Bis zu seinem Tode bleibt Wehberg alleiniger Herausgeber. 1974 wird die Zeitschrift nach kurzer Unterbrechung durch den Berliner Verleger und Wehberg-Schüler Arno Spitz übernommen und von Jost Delbrück, danach von Spitz selbst herausgegeben. Ab den 1990er Jahren wird die Zeitschrift unter der Herausgeberschaft von Knut Ipsen, Volker Rittberger und Christian Tomuschat in eine interdisziplinäre akademische Zeitschrift umgebaut, die sich friedenswissenschaftlichen Themen widmet und ein internati_____________ 29

Näher Hans Wehberg, 50 Jahre Friedens-Warte, Friedens-Warte 50 (1950/51), 1–7. Alfred H. Fried, Die Friedens-Warte, Friedens-Warte 1 (1899), 1–2. 31 Näher Daniel Porsch, Die Friedens-Warte zwischen Friedensbewegung und Wissenschaft, Friedens-Warte 74 (1999), 39–78. 32 Walther Schücking, Was heißt Pazifismus?, Friedens-Warte 35 (1935), 1–6 (4). 33 Hueck (Anm. 1), 398. 30

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onalen Standards verpflichtetes Peer-Review-Verfahren durchführt. Herausgeber sind heute (91. Jahrgang, 2016) Andreas v. Arnauld (Kiel), Michael Staack (Hamburg) und Christian Tomuschat (Berlin). IV. Zeitschrift für Völkerrecht Hans Wehberg war kurze Zeit auch Mitherausgeber der Zeitschrift für Völkerrecht (ZVR).34 Gegründet wurde sie 1907 als Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht durch den Berliner Ordinarius für Bürgerliches Recht, Handelsund Strafrecht, Zivilprozess und Rechtsphilosophie, Joseph Kohler (1849–1919). Den Anstoß zur Gründung dürfte neben den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 die Chance gegeben haben, sich einer Rechtsordnung zuzuwenden, die noch nicht in die Fänge der Begriffsjurisprudenz geraten war und der man sich daher, Kohlers Credo getreu, „philosophisch, geschichtlich, rechtsvergleichend und dogmatisch“35 widmen konnte. Das „Bundesstaatsrecht“ im Titel (das 1913 fallen gelassen wird) sollte dem Zusammenwachsen der Staaten Rechnung tragen. In seiner Zeitschrift setzt Kohler auf möglichste Breite. Für das Völkerrecht beruft er den pragmatisch-naturrechtlich orientierten Lassa Oppenheim (1858– 1919), seit 1908 Whewell Professor of International Law in Cambridge, sowie Hans Wehberg (ab 1913) als Mitherausgeber. Auch das Internationale Privatrecht deckt die Zeitschrift in den ersten Jahren ab; zuständig hierfür ist Felix Holdack (1880–1944), zunächst als Schriftleiter, von 1911 bis 1913 als Mitherausgeber. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs gerät die Zeitschrift jedoch in eine tiefe Krise. Kohler, der zuvor Sympathien mit der Friedensbewegung bekundet hatte,36 wird zu einem kompromisslosen Nationalisten, der früher gehegte „Friedensträume“ als „Seifenblasen“ verhöhnt und gegen die „Gauklernation“ Frankreich, die „Krämergesellschaft“ England und die „Barbarennation“ Russland geifert.37 Hierdurch verliert er nicht nur seine Mitherausgeber Oppenheim und Wehberg; auch ausländische Völkerrechtler, die bis dahin zahlreich in der Zeitschrift publiziert hatten,38 kehren der ZVR den Rücken. Anders als Niemeyers Zeitschrift _____________ 34

Näher zu dieser Zeitschrift Hueck (Anm. 1), 407ff. Klaus Luig, Kohler, Josef, in: Neue Deutsche Biographie (NDB) 12 (1979), 425–426 (Onlinefassung), https://www.deutsche-biographie.de/gnd118564633.html#ndbcontent. 36 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 4 (1910), 129–139. 37 Josef Kohler, Das neue Völkerrecht, ZVR 9 (1916), 5–10 (6, 7f.). 38 So etwa Max Huber und Otfried Nippold (Schweiz), Alexander Hold von Ferneck und Heinrich Lammasch (Österreich), Thomas Erskine Holland (England), Simeon E. Baldwin und Charles Noble Gregory (USA). 35

Zeitschriften am Institut für Internationales Recht

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wandelt sich die ZVR während des Ersten Weltkriegs zu einem Sprachrohr einer nationalen Völkerrechtswissenschaft. Erst Kriegsende und Kohlers Tod ermöglichen einen Neuanfang. Als Mitherausgeber fungieren Max Fleischmann (Halle, bereits ab 1916) und Karl Strupp (Frankfurt, ab 1919). Ihnen gelingt es, das Ansehen der Zeitschrift nach und nach wiederherzustellen und abgerissene Kontakte wiederaufzunehmen. Ab Mitte der 1920er Jahre erscheinen in der ZVR wieder gelegentlich Beiträge ausländischer Autoren, teilweise auch in englischer oder französischer Sprache.39 Die Abhandlungen sind vor allem aktuellen völkerrechtlichen Problem und Fragen gewidmet; es finden sich aber auch immer wieder Beiträge zu Grundlagenthemen oder zur Völkerrechtsgeschichte. Regelmäßige völkerrechtliche Chroniken sollen die Leser auf dem Laufenden über berichtenswerte Ereignisse halten; Buchbesprechungen informieren über aktuelle Neuerscheinungen. Mit dem Jahrgang 15 (1929/30) tritt Walther Schücking in den Kreis der Herausgeber ein. Von da an wird die Zeitschrift „in Verbindung mit“ dem Kieler Institut für Internationales Recht herausgegeben. Diese Verbindung mit dem Institut blieb auch erhalten, als im Jahr 1933 alle drei Herausgeber ausgewechselt wurden: Fleischmann und Strupp waren unter dem neuen Regime aus rassistischen, Schücking aus politischen Gründen untragbar geworden. Erster Herausgeber wurde ab dem 18. Jahrgang (1934) Gustav Adolf Walz (Breslau), ein überzeugter Nationalsozialist.40 Seine Mitherausgeber wurden Ernst Wolgast (Würzburg) und, als Verbindungsmann zum Kieler Institut, der langjährige Erste Assistent und Stellvertreter Schückings am Institut für Internationales Recht, Curt Rühland.41 An Wolgast und Rühland schreibt Walz im Juni 1934: „Ich gehe selbstverständlich davon aus, daß künftighin Nichtarier

_____________ 39 Z.B. In Band 13 (1926) Ladislaus Buza (Szeged), Nicolas Japikse und Henri Ch. C. J. van der Mandere (Den Haag), Savas Loisidis (Zypern), Johan Hendrik Willem Verzijl (Utrecht) und Lage Staël v. Holstein (Stockholm). 40 Gustav Adolf Walz (1897–1948) war bereits 1931 in die NSDAP eingetreten. 1933 wurde er in Breslau als Professor eingesetzt und alsbald gegen den Willen der Universität zum Rektor ernannt, die er mit fanatischem Eifer zu einem „politischen Ostzentrum“ umgestalten wollte. 1937 als Rektor gescheitert, ernannte ihn das Reichsbildungsministerium 1938 in Köln, 1939 in München zum Ordinarius. 1940–42 überwachte er als Kommissar die „Gleichschaltung“ der Universität Brüssel, 1942–45 war er Leiter des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Agram. Näher Thomas Ditt, „Stoßtruppfakultät Breslau“. Rechtswissenschaft im „Grenzland Schlesien“ 1933–1945, Tübingen 2011, 52ff. 41 Zu Rühland näher Nathalie Rücker, Das Institut für Internationales Recht im Nationalsozialismus. Im Spannungsfeld von Identitätsaufgabe und Existenzbedrohung, in diesem Band.

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nicht mehr in der Zeitschrift schreiben können.“42 Das neue völkerrechtspolitische Programm verkündet Walz in der ersten von ihm herausgegebenen Ausgabe:43 Eine um die internationale Gerechtigkeit kämpfende Völkerrechtswissenschaft darf sich niemals mit einer rein technisch-positivistischen Analyse des gegebenen Materials begnügen, sie muß selber für die gerechte Erledigung der internationalen Probleme richtunggebend auftreten.

Eine „gerechte Erledigung der internationalen Probleme“ konnte nur eine Erledigung im Sinne der neuen Staats- und Parteideologie bedeuten. Dies macht bereits der erste von Walz betreute Jahrgang deutlich, in dem sich Beiträge von Walz selbst, von Wolgast und Rühland zu Völkerrecht und Nationalsozialismus finden.44 Einige Jahre später erreicht die Realität des Krieges die ZVR: Mit dem Jahrgang 26 (1942/44) stellt sie ihr Erscheinen ein. Auch die Herausgeber waren inzwischen mit vordringlicheren Aufgaben beschäftigt: Walz war seit 1942 als Präsident des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Agram (Zagreb)45, Rühland seit 1940 als Professor in Prag tätig; das Kieler Institut für Internationales Recht war kriegsbedingt praktisch arbeitsunfähig geworden und musste gegen die Gefahr einer Schließung ankämpfen.46 V. Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Das Institut für Internationales Recht in Kiel beschäftigte sich nach dem Ersten Weltkrieg mit aktuellen Fragen des Völkerrechts, den Konsequenzen der Haager Friedenskonferenzen, den Folgen des Versailler Vertrages und dem Wiederaufbau und der Weiterentwicklung des Völkerrechts im institutionellen Rahmen des Völkerbundes.47 Als Universitätsinstitut stieß es jedoch an personelle und finanzielle Grenzen bei der „systematische[n] Aufarbeitung der weltweiten Entwicklung des Völkerrechts und in einzelnen Ländern“.48 Mit der Gründung _____________ 42 Schreiben an Ernst Wolgast und Curt Rühland vom 21.6.1934, Universitätsarchiv Breslau, S 187, Blatt 275, zitiert nach Ditt (Anm. 40), 54 Anm. 23. 43 Gustav Adolf Walz, Die Zeitschrift für Völkerrecht, ZVR 18 (1934), 1–2 (2). 44 Ernst Wolgast, Nationalsozialismus und Völkerrecht, ZVR 18 (1934), 129–132; Curt Rühland, Staatsverträge und nationalsozialistische, Rechtsauffassung, ZVR 18 (1934), 133–144; Gustav Adolf Walz, Das Verhältnis von Völkerrecht und staatlichem Recht nach nationalsozialistischer Rechtsauffassung, ZVR 18 (1934), 145–154. 45 Vertiefend hierzu Frank-Rutger Hausmann, „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“. Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg, 2. Aufl., Göttingen 2002, 303ff. 46 Näher Rücker (Anm. 41). 47 Weiterführend dazu Wiebke Staff, Die Anfänge des Instituts für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Eine schwierige Geburt, glückliche Kindheit und heikle Jugend, in diesem Band. 48 Hueck (Anm. 1), 410f.

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des Kaiser-Wilhelm-Instituts (heute Max-Planck-Institut) für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht wurde 1924/25 eine Forschungsstelle am Sitz der Reichsregierung in Berlin eingerichtet, die sich dieser Aufgabe widmen sollte.49 Das Institut richtete sich im Berliner Schloss ein. Zunächst als eingetragener Verein gegründet, war es dem Einsatz des Direktors der Kaiser-WilhelmGesellschaft (KWG), Friedrich Glum (1891–1974), zu verdanken, dass es schon bald unter das Dach der KWG treten konnte. Die Gesellschaft hatte bis dahin primär wirtschaftlich relevante Entwicklungen der Naturwissenschaften finanziell unterstützt und öffnete sich nun auch für rechtswissenschaftliche Forschung. Die Förderung durch die KWG blieb ideell; durch die Beteiligung des Innen- und des Wissenschaftsministeriums sowie des Auswärtigen Amtes an der Gründung wurden aber großzügige Mittel aus dem Reichshaushalt zur Verfügung gestellt. Innerhalb weniger Jahre umfasste der Mitarbeiterstab rund 25 Personen aus dem In- und Ausland, die nach und nach eine Dokumentationsstelle und eine große Institutsbibliothek aufbauten. Diese konnte sich bereits 1930 mit 65.000 Bänden und 700 Periodika mit der Bibliothek des Haager Friedenspalastes messen.50 Gründungsdirektor des neuen Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) wurde Viktor Bruns (1884–1943), wie Theodor Niemeyer in Kiel „von Hause aus Vertreter des bürgerlichen und römischen Rechts“51; nach dessen Tode ging das Direktorat auf seinen Vetter Carl Bilfinger (1879–1958) über, der nach dem Krieg die Übersiedlung des Instituts an seinen Wohnort Heidelberg durchsetzte.52 Als eigentliche Gründungsväter gelten die Berliner Professoren Heinrich Triepel (1868–1946) und Joseph Partsch (1882–1925). Ständige Berater waren neben Triepel auch Rudolf Smend (1882–1975) und Erich Kaufmann (1880–1972), nach der NS-Machtübernahme Carl Schmitt (1888–1985). Der „damals wohl bekannteste deutsche Völkerrechtler“53, Walther Schücking, blieb außen vor, obwohl auch er in Berlin, an der Handelshochschule, lehrte und sich vergeblich um einen Direktionsposten im _____________ 49 Zum Folgenden Hueck (Anm. 1), 410ff. Siehe vertiefend auch ders., Die deutsche Völkerrechtswissenschaft im Nationalsozialismus. Das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, das Hamburger Institut für Auswärtige Politik und das Kieler Institut für Internationales Recht, in: Doris Kaufmann (Hrsg.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung, Band 2, Göttingen 2000, 490–527. 50 Hueck (Anm. 1), 413. 51 Hermann Mosler, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, in: Heidelberger Jahrbücher 20 (1976), 53–78 (53). 52 Hierzu wie auch zur Rückkehr des NS-belasteten Bilfinger an die Spitze des Instituts eingehend Felix Lange, Carl Bilfingers Entnazifizierung und die Entscheidung für Heidelberg. Die Gründungsgeschichte des völkerrechtlichen Max-Planck-Instituts nach dem Zweiten Weltkrieg, ZaöRV 74 (2014), 697–731. 53 Hueck (Anm. 1), 411.

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neuen Institut bemüht hatte.54 Die Mitglieder des Gründungskomitees teilten die Ansichten Schückings, der „politisch als Reichstagsabgeordneter der Demokraten und völkerrechtlich als Vertreter der Friedensbewegung eine universalistisch-liberale Grundhaltung“ vertrat, nicht.55 Die Skepsis gegenüber dieser Grundhaltung prägt inhaltlich auch das neue Periodikum des Instituts, die Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV), die 1929 erstmalig erscheint. Als Herausgeber der ersten drei („Weimarer“) Ausgaben der Zeitschrift fungieren Bruns, Glum, Ludwig Kaas, Triepel, Smend und Kaufmann. Im Vorwort zum ersten Heft heißt es zu den Zielen der Zeitschrift: „[D]abei soll vor allem für das Gebiet des Völkerrechts der Versuch gemacht werden, eine wirklich internationale Diskussion der wichtigsten Gegenwartsfragen einzuleiten.“ Und weiter: „[Z]u den wichtigsten Aufgaben einer der Wissenschaft vom Völkerrecht gewidmeten Zeitschrift gehört eine möglichst objektive Schilderung und Erfassung der hauptsächlichsten Vorgänge und Zustände auf diesem Arbeitsgebiet.“56 Die wissenschaftlichen Schwerpunkte des Instituts, die sich in der Zeitschrift widerspiegelten, ergaben sich besonders aus den völkerrechtlichen Fragen, die für Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg entstanden.57 Dazu gehörten Beiträge und Stellungnahmen zur Auslegung des Versailler Vertrages, sowie den mit dem Vertrag verbundenen Grenz-, Minderheiten-, Territorial- und Reparationsfragen. Neben Aufsätzen zu völkerrechtlichen Grundlagenfragen mit Gegenwartsbezug wie der Staatensukzession58 wurden auch tagespolitisch relevante Themen behandelt wie der Briand-Kellogg-Pakt, der sog. Optantenstreit zwischen Deutschland und Polen oder die Memelfrage.59 Umfangreiche Dokumentationen und Länderreferate ergänzten das Angebot der Zeitschrift. Anders als die eher „internationalistisch“ ausgerichteten Periodika – Niemeyers Zeitschrift, Zeitschrift für Völkerrecht, vor allem natürlich die Friedens-Warte – vertrat die ZaöRV, dem national-konservativen Geist ihrer Herausgeber entspre_____________ 54 Frank Bodendiek, Walther Schückings Konzeption der internationalen Ordnung. Dogmatische Strukturen und ideengeschichtliche Bedeutung, Berlin 2001, 69. 55 Hueck (Anm. 1), 412. 56 Victor Bruns, Vorwort, ZaöRV 1 (1929), III–VIII (III). 57 Dem Doppeltitel getreu gliederte sich die Zeitschrift bis etwa zum 17. Band (1956) in Abteilungen zum „Völkerrecht“ und zum (ausländischen bzw. vergleichenden) „Staatsund Verwaltungsrecht“. 58 Dem Thema der Staatensukzession wurde in den Bänden 2 und 3 eine gleichnamige eigene Sektion zugeteilt. 59 Vgl. Edwin Borchard, The Kellogg Treaties Sanction War, ZaöRV 1 (1929), 126–131; Gustav Gratz, Die Regelung der Reparationen und die Lösung der Optantenfrage, ZaöRV 2 (1931), 208–225; Viktor Bruns, Die Memelfrage, ZaöRV 6 (1936), 645–666.

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chend, von Anfang an eine eher nationalstaatlich orientierte, deutsche Perspektive.60 Besonders wurde das durch den Friedensvertrag von Versailles verletzte Nationalgefühl und die damit verbundene Frage nach der staatlichen Souveränität Deutschlands von der Zeitschrift aufgegriffen.61 Hatten in der „Weimarer“ Zeit immer wieder auch ausländische Autoren Beiträge in der ZaöRV publiziert, ging deren Zahl ab dem 6. Jahrgang (1936) stark zurück.62 Eine „wirklich internationale Diskussion“, wie in der ersten Ausgabe als Ziel formuliert, konnte während der NS-Zeit nicht zustande kommen. Maßgeblichen Einfluss auf die Zeitschrift hatte in jenen Jahren Heinrich Triepel, der unter dem Nationalsozialismus politisch weitgehend isoliert war, und in Institut und Zeitschrift eine Art Refugium fand.63 Stolleis attestiert ihm und seinem Mitherausgeber Viktor Bruns, dass die ZaöRV in dieser Zeit „mit ganz geringen Ausnahmen, das wissenschaftliche Niveau gehalten und sich nicht kompromittiert“ habe.64 Der Krieg aber behinderte zunehmend auch die Arbeit am Kaiser-Wilhelm-Institut. Im vorletzten Kriegsjahr erschien die vorerst letzte Ausgabe der Zeitschrift, in ungewöhnlich dünner Seitenstärke.65

_____________ 60

Hueck (Anm. 1), 415f. Vgl. Viktor Bruns, Völkerrecht als Rechtsordnung, 2 Teile, ZaöRV 1 (1929), 1–56 und 3 (1933), 445–487; Gerhard Leibholz, Verbot, Willkür und Ermessensmissbrauch im völkerrechtlichen Verkehr der Staaten, ZaöRV 1 (1929), 77–125; sowie Arthur Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht, 2 Teile, ZaöRV 2 (1931), 305–334 und ZaöRV 3 (1933), 192–207. 62 Wurden in den ersten Ausgaben der Zeitschrift Beiträge von Autoren aus u.a. Belgien, Litauen, den USA und Palästina publiziert, erschien vom 6. bis 12. Band (1935–1944) pro Ausgabe höchstens ein Beitrag eines Autors aus dem (befreundeten) Ausland. 63 Siehe Andreas v. Arnauld, Heinrich Triepel (1868–1946), in: Peter Häberle/Michael Kilian/Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, Berlin 2014, 129–146 (131). Näher Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel. Leben und Werk, Berlin 1999, 146ff, 163f. 64 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 3: Staatsund Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur: 1914–1945, München 1999, 394. Als eine der Ausnahmen nennt Stolleis Günther Küchenhoff, Großraumgedanke und völkische Idee im Recht, ZaöRV 12 (1944), 34–82. Es dürfte nicht von ungefähr kommen, dass der Beitrag unter dem Direktorat und der Herausgeberschaft von Carl Bilfinger publiziert wurde. Vgl. auch Detlev F. Vagts, International Law in the Third Reich, AJIL 84 (1990), 661–704 (673) zur Kultur der Kollaboration am KWI unter Bilfinger. 65 Die ZaöRV 12 (1944) zählte vier Abhandlungen und Stellungnahmen und füllte insgesamt nur 146 Seiten. Verglichen damit umfasste Band 1 (1929) 821 Seiten. Die 13. Ausgabe der ZaöRV erschien erst wieder 1950/51, dann auch wieder mit größerer Seitenzahl (964 Seiten). 61

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C. Vom Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht zum German Yearbook of International Law I. Wiederbelebung und Neugründung völkerrechtlicher Periodika im Nachkriegsdeutschland Der Zweite Weltkrieg brachte das Erscheinen der deutschen völkerrechtlichen Zeitschriften zum Erliegen – mit Ausnahme der in die Schweiz „umgesiedelten“ Friedens-Warte.66 Niemeyers Zeitschrift war 1937 in der Zeitschrift für Völkerrecht aufgegangen. Letztere hatte 1944 endgültig ihr Erscheinen eingestellt. Dank ihrer Anbindung an das Max-Planck-Institut (früher: Kaiser-Wilhelm-Institut) für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht konnte die ZaöRV zwar in Heidelberg „wiederbelebt“ werden; ihr erster Nachkriegsjahrgang (der 13.) erschien aber erst 1950/51. Obwohl es zur Neugründung einer Reihe von allgemeinen juristischen Zeitschriften kam, die gelegentlich auch völkerrechtliche Themen abhandelten,67 gab es doch in den ersten Jahren nach Kriegsende in Deutschland keine explizit dem Völkerrecht gewidmeten Periodika mehr. Diese Situation war Thema auf der ersten Nachkriegstagung der deutschen Völkerrechtler in Hamburg. An dieser Zusammenkunft, die im März 1947 auf Einladung des Leiters der Hamburger Forschungsstelle für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht und Rektors der Universität Hamburg, Rudolf Laun (1882–1975), stattfand, nahmen Wissenschaftler aus allen vier Besatzungszonen teil.68 Neben Resolutionen zum Rechtsstatus Deutschlands wurde auch die Gründung eines neuen Periodikums besprochen, welches von Rudolf Laun gemeinsam mit dem Direktor des Kieler Instituts für Internationales Recht, Hermann v. Mangoldt (1895–1953), herausgegeben werden sollte.69 Mit dem künftigen Jahrbuch sollte auf das Fehlen internationalrechtlicher Periodika reagiert werden; bereits wenige Jahre später gab es allerdings gleich drei völkerrechtliche Zeitschriften in Deutschland: Die ZaöRV erschien ab 1950/51 wieder, und im selben Jahr wie das Jahrbuch, 1948, erschien auch die erste Ausgabe des Archivs _____________ 66 Josef Kunz, The Present State of Foreign Periodical Literature of International Law, AJIL 43 (1949), 503–509 (509). 67 Deutsche Rechtszeitschrift (1946), Monatszeitschrift für Deutsches Recht (1947), Neue Juristische Eine Auswahl dieser Zeitschriften sind: Süddeutsche Juristenzeitung (gegründet 1946), Wochenschrift (1947) sowie, in der Sowjetischen Besatzungszone, Neue Justiz (1947). 68 Näher zu den Hamburger Nachkriegstagungen und der Wiedergründung der DGVR Hermann Mosler, Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht. Ihr Beitrag zum Internationalen Recht seit der Wiedergründung im Jahre 1949, Berichte der DGVR 30 (1990), 9–17. 69 Vgl. Tagungsbericht im Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht (JIAÖR) 1 (1948), 242.

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des Völkerrechts (AVR).70 Anders als die ZaöRV und das Jahrbuch kam das AVR ohne institutionelle Heimat aus. Seine Gründungsherausgeber waren Walter Schätzel (Mainz, später Bonn), Hans-Jürgen Schlochauer (Köln, später Frankfurt) und Hans Wehberg (Genf). Blickt man auf die Themen des ersten Bandes, die sich ganz überwiegend um die Vereinten Nationen drehen, fällt eine klar verschiedene Akzentsetzung gegenüber dem Jahrbuch auf, dessen Fokus zu Beginn auf der Nachkriegssituation in Deutschland und den damit verbundenen Fragen lag. Gerade vor dem Hintergrund des offiziös anmutenden Auftrags, den Laun und v. Mangoldt in Hamburg erhalten hatten, ein neues Organs der deutschen Völkerrechtswissenschaft herauszugeben, mutet die Gründung des AVR wie ein Akt des Widerstandes an. Die Hamburger Tagung war gerade unter Remigranten und anderen NS-Verfolgten auf Kritik gestoßen, weil die dort versammelten Völkerrechtler „die Deutschen zu Opfern stilisierten“.71 Im Geleitwort zur ersten Ausgabe des Jahrbuchs klingt dies deutlich an, wenn Laun und v. Mangoldt fordern, „daß die seit der Kapitulation geübte Diffamierung des deutschen Volkes aufhört und es wieder als Gleichberechtigter in den Kreis der Völker aufgenommen wird“ und hinzufügen: „Gerade das deutsche Volk, dessen einzige Waffe das Recht ist, hat allen Anlaß, sich dieser Waffe zu bedienen und es nicht zum wenigsten aber auch bei sich selbst wieder zu Ehren zu bringen.“72 Möglich erscheint, dass sich der Schücking-Schüler Schätzel, der seinerzeit als Jude aus Frankfurt vertriebene Schlochauer und der Pazifist Wehberg von dieser Haltung nicht repräsentiert sahen und eine dezidiert „internationalistisch“ ausgerichtete Zeitschrift ins Leben rufen wollten.73

_____________ 70 Zu ergänzen ist noch die ab 1956 ebenfalls von Rudolf Laun im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegebene Zeitschrift für Internationales Recht und Diplomatie, die 1977/80 ihr Erscheinen einstellte: Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 4: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in West und Ost 1945–1990, München 2012, 90. 71 Daniel Stahl, Entschließungen deutscher Völkerrechtler, in: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, herausgegeben vom Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Mai 2015, http://www.geschichte-menschenrechte.de/schluesseltexte/entschliessungen-deutscher-voelkerrechtler/. 72 Rudolf Laun/Hermann v. Mangoldt, Geleitwort, JIAÖR 1 (1948), 3–5 (4f.). 73 Das Geleitwort in AVR 1 (1948), VII hat einen ganz anderen Tonfall und fokussiert auf „Probleme der internationalen und der europäischen Organisation, der Vereinten Nationen sowie der internationalen Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit“. Die Herausgeber betonen, möglicherweise nicht ohne Hintersinn: „Die Zeitschrift hat kein politisches Ziel und keine politische Tendenz [...]“. Nicht nur Schätzel und Wehberg hatten übrigens enge Bindungen an Walther Schücking: Nach seiner Entlassung 1933 war Schlochauer zunächst in die Niederlande emigriert, wo er als Assistent Schückings am Ständigen Internationalen Gerichtshof arbeitete: Ingo v. Münch, Nachruf, AVR 28 (1990), 209–211 (209).

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II. Gründung des Jahrbuchs für internationales und ausländisches öffentliches Recht Zur selben Zeit also, wie Schätzel, Schlochauer und Wehberg das AVR erstmals veröffentlichten, gründeten Laun und v. Mangoldt ihr neues Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht. Die Wahl des Titels erfolgte aus pragmatischen Erwägungen.74 Ein Jahrbuch war, auch wenn es in mehreren Heften erscheinen würde, durch eine Verlegerlizenz gedeckt, während eine periodisch erscheinende Zeitschrift einer besonderen – gebührenpflichtigen – Lizenz der Besatzungsmacht bedurft hätte. Statt „Völkerrecht“ wurde der Begriff des „internationalen öffentlichen Rechts“ gewählt, um das Wort „Recht“ nicht zweimal im Titel zu verwenden. Im Vorwort zur ersten Ausgabe (1948) betonen die Direktoren der beiden norddeutschen Institute ihr gemeinsames Engagement für die Etablierung des Jahrbuchs. Sie hätten es als „eine ihrer vordringlichsten Aufgaben“ angesehen, für die beiden Institute und für die deutsche Völkerrechtswissenschaft ein Organ zu schaffen, das die „Ergebnisse der Forschungsarbeiten publizieren kann“. Die ihnen anvertraute Herausgeberrolle bezeichneten Laun und v. Mangoldt als Auftrag, für die Erhaltung des Friedens und den Wiederaufbau der zwischenstaatlichen Beziehungen das „nach dem Weltkriege besonders stark fließende völkerrechtliche Material für die deutsche Wissenschaft verfügbar zu machen.“75 Zudem bezweckten sie, wie v. Mangoldt an anderer Stelle schreibt, mit dem Abdruck von Forschungsergebnissen deutscher Völkerrechtler die jahrelange Abschottung zu überwinden und auf diese Weise zur Eingliederung Deutschlands in die Staatengemeinschaft und zur Erhaltung des Friedens beizutragen.76 Der erste Band bringt die Referate der ersten Hamburger Tagung, spiegelt aber auch im Übrigen – mit dem Rechtsstatus Deutschlands, Kriegsverbrechen, Völkerstrafrecht, Fremdenrecht – die Leitthemen der Zeit. Auf der zweiten Hamburger Völkerrechtlertagung im April 1948 führte Gerhard Leibholz in seinem Referat aus, dass „der traditionelle Begriff der Völkerrechtsgemeinschaft in der politischen Wirklichkeit in zunehmendem Maße im Begriff ist aufzuhören, real existent zu sein […] [E]ine solche Homogenität hat bis zum 20. Jahrhundert unter _____________ 74 Zum Folgenden näher Helmuth Hecker, Die Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht von 1946 (mit ihren Vorläufern), das Institut für Auswärtige Politik und die Vereinigung (1973) zum Institut für Internationale Angelegenheiten, in: Klaus Gantzel (Hrsg.), Kolonialrechtswissenschaft, Kriegsursachenforschung, internationale Angelegenheiten, Baden-Baden 1983, 185–428 (369ff.). 75 Laun/v. Mangoldt (Anm. 72), 4. 76 So v. Mangoldt in einem Brief an James T. Shotwell, den Präsidenten des Carnegie Endowment for International Peace vom 14.8.1949. Zitiert nach Angelo O. Rohlfs, Hermann von Mangoldt (1895–1953). Das Leben des Staatsrechtlers vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik, Berlin 1997, 67.

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den Mitgliedern der traditionellen Völkerrechtsgemeinschaft bestanden.“77 Für ihn bestand daher „ein Widerspruch zwischen dem kodifizierten Völkerrecht, das noch in den alten traditionellen Formen weiterläuft und von den fundamentalen strukturellen Veränderungen des zwischenstaatlichen Lebens keine Kenntnis nimmt, und der politischen Wirklichkeit.“78 Durchaus in Übereinstimmung mit dieser Diagnose rechnen Laun und v. Mangoldt zu diesen fundamentalen Veränderungen die Neuordnung der Beziehung zwischen Individuum und Völkerrecht: „Bisher war das positive Völkerrecht im wesentlichen ein Recht zwischen den Staaten, heute tritt das Individuum als völkerrechtliches Pflicht- und Rechtssubjekt dem Staat an die Seite.“79 Nicht alles lief so harmonisch, wie das Geleitwort zum ersten Band suggerieren mochte. Der ursprüngliche Plan war, eine gemeinsame Redaktion in Hamburg einzurichten. Dies scheint jedoch an Spannungen zwischen Hermann v. Mangoldt und dem Assistenten (und de facto Geschäftsführer) der Forschungsstelle, Eberhard Menzel, gescheitert zu sein. Im Zuge der Auseinandersetzungen war in Hamburg zwischenzeitlich der Plan aufgekommen, eine eigene völkerrechtliche Zeitschrift zu gründen (Menzel widersprach); v. Mangoldt forderte Laun sogar brieflich zur Entlassung Menzels aus der Redaktion auf.80 Man einigte sich schließlich darauf, dass die redaktionelle Betreuung der jährlich geplanten vier Hefte zwischen der Hamburger Forschungsstelle und dem Kieler Institut für Internationales Recht rotieren sollte. Nach dem von Hamburg redigierten ersten Heft des Jahrgangs 1948 wurden die darauffolgenden Hefte 2 und 3 von Kiel betreut, Heft 4 wiederum in Hamburg. Die Veröffentlichung war auch von Schwierigkeiten mit dem Verlag belastet. Der Hamburger Verleger Robert Mölich und sein Rechts- und staatswissenschaftlicher Verlag hatten den Vertrieb des Jahrbuchs übernommen.81 Wegen akuten Papiermangels war es aber schwierig, die sechs Tonnen Altpapier für den Druck zu besorgen, zumal die eigentlich vorgesehene Beteiligung des Europa-Archivs am Dokumentationsteil nicht zustande gekommen war. Das erste Heft sollte noch vor Beginn der zweiten Hamburger Tagung der deutschen Völkerrechtslehrer herauskommen, konnte jedoch nicht rechtzeitig publiziert werden. Als nach der Währungsreform im Juni 1948 der Verleger in finanzielle Schwierigkeiten geriet, konnte das bereits angedruckte vierte Heft nicht mehr dort erscheinen. _____________ 77 Gerhard Leibholz, Zur gegenwärtigen Lage des Völkerrechts: Referat zur Tagung der deutschen Völkerrechtslehrer in Hamburg am 15. April 1948, AVR 1 (1949), 415–423 (418). 78 Leibholz (Anm. 77), 421f. 79 Rudolf Laun/Hermann v. Mangoldt (Anm. 75), 5. 80 Näher dazu Hecker (Anm. 74), 370 Fn. 29. 81 Hecker (Anm. 74), 370 (auch zum Folgenden).

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Es erschien dann 1950 im Hansischen Gildenverlag in Hamburg als zweiter Band (1949) des Jahrbuchs.82 III. Entwicklung hin zum German Yearbook of International Law (GYIL) Wegen der Finanzierungsprobleme war der zweite Band für einige Jahre der letzte. Erst 1954 konnte Band 3 erscheinen, nunmehr unter dem neuen Titel Jahrbuch für internationales Recht. Durch die Titeländerung sollte bewusst das Internationale Privatrecht einbezogen werden, das am Kieler Institut, nicht zuletzt wegen lukrativer Gutachtenaufträge, mitbetrieben wurde. Den Verlag übernahmen die Göttinger Verleger Vandenhoeck & Ruprecht bei denen v. Mangoldt wegen familiärer Beziehungen günstigere Konditionen erreichen konnte.83 Jährlich sollten drei Hefte erscheinen, die weiterhin abwechselnd in Hamburg und in Kiel redigiert werden sollten. Während in Kiel v. Mangoldt mit dem Institut in die Redaktion eingebunden war, fungierten auf Hamburger Seite der inzwischen emeritierte Rudolf Laun als Herausgeber und sein Schüler Dimitri Constantopoulos als verantwortlicher Redakteur; die Forschungsstelle wirkte an der Redaktion nur „mit“ – und erhielt im Gegenzug 30 Freiexemplare jedes Heftes.84 Die Finanzierung des Jahrbuchs konnte durch v. Mangoldt weitgehend gesichert werden. Es gelang ihm, in enger Zusammenarbeit mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk und dem Hans-Bredow-Institut für Rundfunk und Fernsehen an der Universität Hamburg, dem Kieler Institut eine funk- und rundfunkrechtliche Abteilung anzugliedern und dadurch finanzielle Unterstützung zu erhalten.85 Das Jahrbuch widmete dem Funk- und Rundfunkrecht ab dem dritten Band eine eigene Sektion. Die Finanzierung lag damit zu gleichen Teilen beim Kieler Institut, beim Hans-Bredow-Institut und (für die Hamburger Partner) bei der Joachim-JungiusGesellschaft der Wissenschaften e.V.86 Das Unternehmen hatte sich allerdings hingezogen: Als der dritte Band 1954 endlich erschien, wurde er mit einem Nachruf auf Hermann v. Mangoldt eröffnet, der am 24. Februar 1953 überraschend verstorben war. Der ohnehin nur noch mittelbare Einfluss der Hamburger Forschungsstelle nahm nach den Bänden drei und vier im Jahre 1954 weiter ab. Hieran änderte sich auch nichts, als deren Geschäftsführer, Eberhard Menzel, 1955 als Nachfolger v. Mangoldts die Direktion des Kieler Instituts für Internationales Recht übernahm _____________ 82

Hecker (Anm. 74), 371. Der Verlag gehört seinem Vetters, Günther Ruprecht: Rohlfs (Anm. 76), 67. 84 Rohlfs (Anm. 76), 67. 85 Rohlfs (Anm. 76), 68. 86 Hecker (Anm. 74), 371. 83

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und Herbert Krüger als Nachfolger Launs auf dessen Lehrstuhl auch die Leitung der Forschungsstelle antrat. Partner auf Hamburger Seite blieben Laun und Constantopoulos. Als letzterer 1960 als Professor nach Thessaloniki berufen wurde und damit aus der Redaktion ausschied, wurde das Jahrbuch ab Band 10 allein in Kiel redigiert. Lediglich die als Band 11 (1962) des Jahrbuchs erschienene Festschrift zum 80. Geburtstag Launs wurde von der Forschungsstelle redigiert. Ab Band 14 (1969) stellte diese jegliche verbleibende Mitwirkung ein, und als das Jahrbuch ab Band 17 (1974) von Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen zu Duncker & Humblot in Berlin wechselte, wurde es auch offiziell nur noch von Kiel aus geführt.87 Mit der Übernahme der alleinigen Redaktion durch das Kieler Institut (und mit einer gesicherten finanziellen Basis) entfiel auch die Notwendigkeit, das Jahrbuch in Heften erscheinen zu lassen. Ab Band 12 (1965) erscheint es in Buchform, zunächst alle zwei Jahre, ab dem Verlagswechsel dann im Jahresturnus. Mit dem 19. Band (1976) traten nicht nur Jost Delbrück und Wilfried Fiedler neben Wilhelm Kewenig als Mitdirektoren des Kieler Instituts in den Kreis der Herausgeber ein; das Jahrbuch änderte auch ein weiteres Mal seinen Titel in German Yearbook of International Law. Das Jahrbuch selbst und (ab dem 20. Band) die einzelnen Rubriken erhielten zwar englische Titel, dies bedeutete aber nicht, dass allein englischsprachige Beiträge veröffentlicht worden wären. Im Vorwort zum 19. Band schreibt Kewenig: „Bedauerlicherweise verfügt die Redaktion des Jahrbuches nicht über ausreichende finanzielle Mittel, um alle Beiträge, die in deutscher Sprache verfaßt sind, selbst in das Englische zu übertragen.“ Dennoch versprach sich Kewenig von der Titeländerung „den Kreis der ausländischen Autoren erheblich zu erweitern.“88 Eine vollständige Umstellung auf die englische Sprache (vorbehaltlich der an ein deutsches Publikum gerichteten Berichte über die Tätigkeit ausgewählter internationaler Organisationen und Institutionen) fand erst mit dem 35. Jahrgang (1992) statt.

_____________ 87

Hecker (Anm. 74), 371f. Wilhelm Kewenig, Vorwort, GYIL 19 (1976), 6. Ab dem 20. Band (1977) wurde den auf Deutsch verfassten Beiträgen aber immerhin eine englische Zusammenfassung beigegeben. 88

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D. Struktur und Inhalte des Jahrbuchs/German Yearbook I. Wissenschaftliche Abhandlungen 1. Rubriken Seit seiner Gründung verfolgt das Jahrbuch das Ziel, seine Leser mit wissenschaftlichen Aufsätzen und mit Informationen über völkerrechtlich relevante Ereignisse und Dokumente sowie über völkerrechtliche Literatur zu versorgen, allerdings im Laufe der Entwicklung mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Binnendifferenzierungen. Wissenschaftliche Fachartikel finden sich ab 1948 (Band 1) in der Rubrik Abhandlungen, von Band 3 (1954) bis Band 10 (1961/62) war diese Rubrik unterteilt in Beiträge zum Allgemeinen Völkerrecht, zum Internationalen Privatrecht, zum Internationalen Funk- und Rundfunkrecht sowie kleinere Beiträge. Danach entfallen mit dieser Unterteilung zugleich die Beiträge zum Internationalen Privatrecht. Im German Yearbook finden sich Abhandlungen in der Rubrik Articles (seit Band 43/2000: General Articles) kürzere Urteilsanmerkungen und Kommentare eine Zeit lang als Notes and Comments bzw. Comments and Case Notes. Seit dem 38. Band (1995) verfügt jeder Band über einen Themenschwerpunkt, der seit Band 39 (1996) unter Focus firmiert. Seit Band 44 (2001) steht am Anfang ein Forum, das Reflektionen oder Kommentare zu aktuellen Fragen von nicht selten grundsätzlicher Relevanz enthält. Zum Vergleich: In der ZaöRV wurde die in den ersten Nachkriegsjahrgängen im Inhaltsverzeichnis noch vorgenommene Unterteilung der Abhandlungen in die Rubriken Völkerrecht und Staats- und Verwaltungsrecht aufgegeben; hinzugekommen ist allerdings die gesonderte Ausweisung eines Themenschwerpunkts, der in aller Regel aus Konferenzpapieren bestritten wird. Während im AVR wissenschaftliche Aufsätze zunächst allein in der Rubrik Abhandlungen publiziert wurden, ist ab Band 20 die Rubrik Berichte zu Beiträge und Berichte erweitert worden. Sie enthält zumeist kürzere Abhandlungen zu aktuellen Fragen oder Abhandlungen von Nachwuchswissenschaftlern. 2. Zahl und Umfang Im Laufe der Zeit hat der Umfang der Beitragssektion des Jahrbuchs stetig zugenommen: von rund 270 bis 300 Seiten (1950er Jahre) über 350 (1960er Jahre), 400 (1970er Jahre) und 450 (1980er und 1990er Jahre) bis zu durchschnittlich 500 Seiten (2000er Jahre). Ab 2009 sind durch die German Practice Reports (zu diesen sogleich), die in Inhalt und Umfang den früheren Comments and Case Notes entsprechen, die Zahl der Aufsätze pro Jahrbuch und der Umfang der Rubriken, die über Bericht und Dokumentation hinausgehen, noch einmal deutlich gestie-

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gen. Schwankte bis dahin die Zahl der wissenschaftlichen Abhandlungen im Mittel zwischen 12 und 16 pro Ausgabe, sind es seitdem um die 30 Beiträge (Forum, Focus, General Articles, German Practice) auf im Durchschnitt 750 Textseiten (Band 53/2010: 1010 Seiten). In der ZaöRV hat eine vergleichbare Entwicklung stattgefunden, allerdings mit deutlicher Verzögerung. Bis Band 62 (2002) brachte jeder Jahrgang in der Regel zwischen 7 und 12 Abhandlungen (mit gelegentlichen Ausnahmen). Seitdem ist in Zahl der Beiträge und Umfang der Rubrik ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen.89 Dies liegt zunächst an der Aufnahme von Papieren, die auf Tagungen und Workshops am MPI präsentiert wurden;90 allerdings wurde unabhängig hiervon die Zahl der Abhandlungen erhöht. Seit 2002 finden in jedem Jahrgang durchschnittlich ca. 15–20 „freie“ Beiträge Platz. Beim AVR ist keine vergleichbare Expansion zu verzeichnen, zumindest nicht, was die Zahl der Beiträge betrifft. Diese lag in den ersten Jahrzehnten bei knapp unter, inzwischen relativ stabil bei knapp über zehn Abhandlungen je Jahrgang. Dennoch ist auch hier der Umfang (moderat) angewachsen. Umfassten in Band 1 (1948) die neun Abhandlungen noch 220 Seiten, waren es in Band 33 (1995) bei ebenfalls neun Abhandlungen bereits 325 Seiten, bei Band 43 (2005) 365 Seiten. 3. Hausinterne und externe Beiträge Nahm im Laufe der Zeit der Anteil der wissenschaftlichen Beiträge am Jahrbuch stetig zu, nahm umgekehrt die Zahl derjenigen Autoren, die dem Kieler Institut für Internationales Recht (und in den ersten Ausgaben auch der Hamburger Forschungsstelle) angehören bzw. angehörten oder sonst nahestehen, tendenziell ab. Steuerten in den ersten 20 Jahrgängen Angehörige dieser Gruppe in der Regel drei bis sechs Beiträge je Ausgabe bei, ist es in den letzten Jahren (die German Practice Reports ausgenommen) allenfalls ein einziger Beitrag, oftmals aber gar keiner mehr. Ganz anders stellt sich die Situation bei der ZaöRV dar. Hier stammt ein Großteil der Beiträge nach wie vor von Institutsmitarbeitern und Gästen am Institut, auch wenn der Anteil auswärtiger Beiträger merklich zugenommen hat. Wieder anders ist die Situation beim AVR. Die Herausgeber bzw. ihre Lehrstuhlmitarbeiter hatten hier in der Vergangenheit durchschnittlich etwa _____________ 89 Vergleicht man Band 75 (2015) mit Band 15 (1953/54), stand damals Abhandlungen im Umfang von 220 Seiten ein Berichtsteil von 610 Seiten gegenüber. 60 Jahre später nehmen die Abhandlungen und Konferenzbeiträge 750 Seiten ein, der Berichtsteil weniger als 200 Seiten. Von diesen entfällt zudem knapp die Hälfte auf Fallstudien, die auch als kurze Abhandlungen passieren könnten. 90 Im Jahrgang 66 (2016) findet sich in Heft 2 erstmals eine Tagung dokumentiert, die ohne maßgebliche Beteiligung des MPI veranstaltet wurde: Die Steuerungskraft des Völkerrechts. Beiträge zum 40. Österreichischen Völkerrechtstag, Schloss Maretsch, Bozen, 11.–13. Juni 2015.

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ein bis zwei Abhandlungen pro Jahrgang beigesteuert; diese Tradition ist bis heute im Großen und Ganzen aufrechterhalten worden, mit möglicherweise leicht nachlassender Tendenz. 4. Inländische und ausländische Beiträge Von Anfang an schrieben auch ausländische Autoren im Jahrbuch, teils in englischer oder französischer Sprache. Machten Beiträge nicht-deutscher Autoren in den 1950er Jahren zwischen einem Drittel und der Hälfte aus, sank die Quote ab 1959 auf vereinzelte Beiträge (ein bis drei) in jeder Ausgabe. Dieser Trend wurde mit der Umbenennung in German Yearbook gebrochen. Von einigen Phasen abgesehen, in denen die Quote erneut bei 30% bis 50% lag (1981– 1985, 1991, 1995), stammte ab Band 20 (1977) in der Regel die Mehrzahl der Beiträge von ausländischen Autoren. Nachdem ab Band 44 (2001) der Anteil wieder gesunken war, machen seit etwa 2010 die Beiträge nichtdeutscher Autoren in der Regel 60% bis 80% der wissenschaftlichen Aufsätze aus (die German Practice erneut nicht mitgerechnet). ZaöRV und AVR haben ebenfalls von Anfang an Beiträge auf Englisch (und auf Französisch) publiziert, blieben aber ganz überwiegend deutschsprachig. Seit Band 26 (1966) ist den deutschsprachigen Beiträgen in der ZaöRV eine Zusammenfassung in englischer Sprache angefügt; beim AVR ist dies erst seit Band 42 (2004) üblich. Während im AVR lediglich ein leichter Anstieg englischsprachiger Beiträge in den letzten Jahren zu beobachten ist, ist die Entwicklung in der ZaöRV deutlicher – teils wegen des Abdrucks von Papieren internationaler Tagungen und Workshops, doch auch „freie“ Beiträge deutscher Autoren werden dort zunehmend auf Englisch publiziert. II. Berichte über völkerrechtliche Praxis Berichte über völkerrechtliche Praxis finden sich im Laufe der Jahrzehnte in verschiedenen Rubriken des Jahrbuchs. Die Rubrik Aus der Praxis, später in Berichte umbenannt, referiert relevante Judikate und die Praxis v.a. internationaler Organisationen und Institutionen, meist über einen Berichtszeitraum von mehreren Jahren hinweg. Im German Yearbook entspricht ihr die Rubrik Reports, deren Beiträge auch nach der Umstellung auf die englische Sprache überwiegend auf Deutsch abgefasst wurden. Ab Band 36 (1993) wird eine eigenständige Rubrik zur deutschen völkerrechtlichen Praxis etabliert, die meist als German Section (auch: German Law Developments) firmiert und seit Band 52 (2009) German Practice heißt. Im selben Jahr (2009) wurden auch die traditionsreichen Berichte über die Praxis internationaler Institutionen eingestellt. Diese Entwicklung deutet eine Veränderung der Zielgruppe an: Ging es anfangs noch darum, „das stark fließende völkerrechtliche Material für die deutsche Wissenschaft verfügbar zu

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machen“91, rückt mit der Umstellung auf die englische Sprache nach und nach das Ziel in den Vordergrund, Leser im Ausland mit völkerrechtlich relevanten Vorgängen in Deutschland vertraut zu machen. Zu ergänzen sind noch Tagungsberichte und Nachrufe, die vereinzelt in Rubriken wie Umschau oder Commemoration erschienen. Die ZaöRV führte früher ebenfalls einen umfangreichen Berichtsteil. Wegen der fachlichen Ausrichtung des MPI fanden sich dort auch Berichte über ausländisches Verfassungs- und (weniger) Verwaltungsrecht. In den 1950er Jahren wurden periodische Übersichten über die Judikatur internationaler und ausländischer (z.B. UK, Österreich) Gerichtshöfe publiziert, seit den 1960er Jahren aber werden nur noch einzelne besonders markante Urteile gewürdigt. Über deutsche Praxis und Gerichtsentscheidungen zum Völkerrecht wurde anfangs noch unregelmäßig berichtet – in größeren Abständen erschienen periodische Überblicke –, dann regelmäßiger. Ab Band 39 (1979) erschien regelmäßig je ein Bericht zur Praxis und zu den Judikaten des vorletzten Jahres. Die Rechtsprechungsübersicht wurde mit Band 62 (2002) eingestellt, die Praxisberichte erscheinen seitdem wieder weniger regelmäßig.92 Auch im AVR nahm der Berichtsteil zunächst eine wichtige Rolle sein, die Herausgeber Schlochauer und Schätzel verfassten hier selbst regelmäßig Chroniken und Regesten; ab den 1960er Jahren jedoch nehmen Zahl und Umfang der Berichte deutlich ab. Dies ändert sich ab den 1980er Jahren mit der bereits erwähnten Umbenennung in Beiträge und Berichte und der Umwidmung der Rubrik für kürzere wissenschaftliche Beiträge zu aktuellen Themen. Seit den 1990er Jahren liegt der Umfang der Rubrik im Regelfall zwischen 150 und 200 Seiten pro Jahrgang. Berichte als Überblicke über Entwicklungen oder die Tätigkeit einer internationalen Organisation sind jedoch unüblich geworden; die Rubrik hat heute okkasionellen Charakter. III. Völkerrechtliche Dokumente Die wohl markantesten Veränderungen hat die Publikation völkerrechtlicher Dokumente im Jahrbuch durchgemacht. Angesichts der Verfügbarkeit über das Internet überrascht es kaum, dass die Rubrik Dokumente und Materialien (später: Documentation) heute nicht mehr existiert. Das letzte dort veröffentlichte Dokument war in Band 31 (1988) die palästinensische Unabhängigkeitserklärung. In den ersten Jahrzehnten nimmt die Dokumentation hingegen breiten Raum ein: Machte der Dokumentationsteil in den 1950er Jahren rund ein Viertel des Jahrbuchs aus, steigerte sich das Verhältnis im Laufe der 1960er Jahre zu rund 50% _____________ 91 92

Oben Anm. 72. Zuletzt erschien in Bd. 75 (2015) der Praxisbericht für das Jahr 2011.

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(Band 14/1969). Hier trat das Jahrbuch für Internationales Recht nicht nur dem Namen nach die Nachfolge des ehedem (1913–1926) von Theodor Niemeyer mitherausgegeben Jahrbuchs des Völkerrechts an.93 Um 1970 herum spiegeln sich in der Rubrik Dokumente deutlich die Forschungsschwerpunkte des Kieler Instituts unter Eberhard Menzel wider:94 In Band 13 und 14 (1967/1969) finden sich als Unterrubriken Dokumente zur internationalen und regionalen Rüstungsbeschränkung und Rüstungskontrolle, Dokumente zur Entspannungspolitik der Bundesregierung und Dokumente zum internationalen und nationalen Funkrecht; in Band 14 kommt – nach dem Urteil des IGH im Nordsee-Festlandsockel-Streit (1969), in dem Menzel der deutschen Delegation angehört und ein Gutachten verfasst hatte – eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten zur internationalen und nationalen Rechtsordnung des Festlandsockels hinzu. Im selben Band endete die besondere Berücksichtigung des Funk- und Rundfunkrechts. Gelegentlich wurden neben Dokumenten auch Übersichtstafeln (Band 2) bzw. von Band 13 (1967) bis Band 15 (1971) Aufstellungen und Tabellen im Anhang veröffentlicht. Auch im AVR nahm der Abdruck von Urkunden (später Dokumenten) und Entscheidungen bis in die 1980er Jahre hinein einen wichtigen Platz ein. Rund 150 Seiten jedes Jahrgangs waren hierfür reserviert. Ab den 1990er Jahren wird die Rubrik allerdings auch nur noch gelegentlich bedient, seit Mitte der 2000er Jahre taucht sie nicht mehr auf. Zwar druckte auch die ZaöRV anfangs in der Rubrik Stellungnahmen und Berichte regelmäßig Dokumente ab, im Unterschied zu den beiden anderen Periodika hatte diese Sektion aber stets einen geringeren Umfang; sie ist schon bald kein regelmäßiger Bestandteil der Hefte mehr. Nur gelegentlich werden später noch Dokumente abgedruckt, dann allerdings im Zusammenhang mit konkreten Themen aus dem Abhandlungsteil.95 IV. Buchrezensionen Beträchtlichen Umfang nehmen in den ersten Jahrzehnten auch Buchrezensionen ein, die im Jahrbuch in der Rubrik Schrifttum (zunächst noch gesondert für das Funkrecht) bzw. Book Reviews publiziert werden. An die eigentlichen Rezensionen schließt sich bis heute eine Liste nicht rezensierter Bücher an, die der Redaktion zugesandt wurden (Eingegangene Bücher bzw. Books Received). Vom 14. Band (1969) bis zum 30. Band (1987) sind den Einzelrezensionen regelmäßig Sammelrezensionen zu bestimmten Themengebieten vorangestellt, in der Regel _____________ 93

Zu diesem oben Anm. 3. Zu diesen Andreas v. Arnauld/Angelika Stark, Eberhard Menzel (1911–1979). Brüche, Umbrüche, Aufbrüche, in diesem Band. 95 Vgl. Dokumente zur deutschen Einheit in Band 51 (1991) und Dokumente zu indigenen Völkern und dem Nordischen Rat in Band 59 (1999). 94

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verfasst von Mitarbeitern des Instituts. Von Band 15 (1971) bis Band 22 (1979) finden sich am Ende des Rezensionsteils besonders hervorgehoben Besprechungen von Arbeiten, die in der Schriftenreihe des Instituts für Internationales Recht erschienen sind. Während die Rezensenten früher zum größeren Teil aus dem Kreis der Institutsmitarbeiter stammten, sind es heute in der Mehrzahl auswärtige Autoren aus dem In- und Ausland, deren Besprechungen im German Yearbook publiziert werden. In der ZaöRV umfasste die Rubrik Literatur früher neben Buchrezensionen auch eine Zeitschriftenschau und einen Bericht über Neueingänge (später Bibliographische und dokumentarische Hinweise). Seit Bd. 54 (1994) gibt es nur noch den Rezensionsteil. Der Besprechungsteil war früher ein gewichtiger Bestandteil auch des AVR; Buchrezensionen nahmen in manchen Jahrgängen an die 100 Seiten (bei insgesamt um die 450 bis 500 Seiten) ein. Inzwischen macht er in der Regel keine 5% des Heftumfangs aus. Wie beim Jahrbuch auch, wurden die Rezensionen früher ganz überwiegend von einem engeren Kreis um die Herausgeber verfasst; in den letzten Jahren überwiegen externe Rezensenten. V. Inhaltliche Schwerpunkte Auf inhaltliche Schwerpunkte des Jahrbuchs für Internationales Recht kann hier nur kursorisch eingegangen werden. Ziel ist es, einen Eindruck von der generellen Themenwahl und der Stellung zu grundlegenden bzw. aktuellen Fragen des Völkerrechts und der internationalen Beziehungen zu gewinnen. Ein gelegentlicher vergleichender Blick auf AVR und ZaöRV soll helfen, das Bild zu schärfen. Für die Gründungsphase (1948/49) des Jahrbuchs und des AVR wurde schon ein deutlicher Unterschied im Akzent festgestellt: Während im Jahrbuch schwerpunktmäßig Deutschlands Rechtslage, Nachkriegsprobleme, Besatzungsrecht und Nürnberger Prozesse behandelt wurden, richtete das AVR den Blick „internationalistisch“ und programmatisch auf die Vereinten Nationen, auf internationale Staatenorganisation und Friedenssicherung. Das Jahrbuch erscheint hier „gediegener“, konservativer im Zugriff. 1. Themen der 1950er und 1960er Jahre Nach dem „Neustart“ 1954 zeichnet sich das Jahrbuch thematisch durch große Breite und Vielfalt aus, es mischt durchgängig grundsätzliche Reflexionen zu strukturellen Fragen des Völkerrechts96 mit Beiträgen zu aktuellen Themen. In _____________ 96 Aus den ersten 40 Jahren etwa Rudolf Laun, Naturrecht und Völkerrecht, Jahrbuch für Internationales Recht (JIR) 4 (1954), 5–41; Rudolf Bindschedler, Illusion und Wirklichkeit, Gegenwart und Zukunft des Völkerrechts, JIR 8 (1957/58), 1–22; Georg Dahm, Zur gegenwärtigen Lage des Völkerrechts, JIR 10 (1961/62), 43–48; Ulrich Scheuner, 50 Jahre Völkerrecht, JIR 12 (1965), 11–41; Arnold J.P. Tammes, International Law. Some

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den 1950er Jahren finden sich etwa Beiträge zur Suezkrise97, zur Saarfrage98 oder zur Sputnikkrise99. In den 1960er Jahren treten vermehrt EWG-Themen hinzu100, dane-ben Fragen von Abrüstung, Sicherheit und Verteidigung101, von Dekolonisierung und Selbstbestimmung102. Der 12. Band (1965) enthält eine umfangreiche Dokumentation zur Kubakrise 1962. Mit dem 14. Band (1969), der in Abhandlungen und Dokumenten das Festlandsockel-Urteil des IGH würdigt103, beginnt eine kontinuierliche Berücksichtigung des internationalen Seerechts, begleitend zu der 1973 begonnenen Dritten Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen (UNCLOS

_____________

Themes of Discussion, GYIL 19 (1976), 11–34; Maarten Bos, The Recognized Manifestations of International Law. A New Theory of “Sources”, GYIL 20 (1977), 9–76; ders., The Identification of Custom in International Law, GYIL 25 (1983), 9–53; Manfred Zuleeg, Vertragskonkurrenz im Völkerrecht, 2 Teile, GYIL 20 (1977), 246–276 und GYIL 27 (1984), 367–385; David Kennedy, Theses About International Law Discourse, GYIL 23 (1980), 353–391; Edward H. Buehrig, Patterns of Authority in International Law, GYIL 27 (1984), 11–27; Geraldo Eulálio do Nascimento e Silva, The Influence of Science and Technology on International Law, GYIL 27 (1984), 196–211; Pieter van Dijk, Normative Force and Effectiveness of International Norms, GYIL 30 (1987), 9–35; César Sepúlveda, Methods and Procedures for the Creation of Legal Norms in the International System of States, GYIL 33 (1990), 432–459; Lucius Caflisch, Unequal Treaties, GYIL 35 (1992), 52–80; Arthur Watts, The International Rule of Law, GYIL 36 (1993), 15–45. 97 Roger Pinto, Die Suezkrise, JIR 7 (1956), 1–21; Dietrich Rauschning, Rechtsprobleme der Suezkanal-Krise, JIR 7 (1956), 257–282; ders., Zur Abwicklung des Suezkanalkonflikts, JIR 8 (1957/58), 267–276. 98 Helmut Hirsch, Amerikas diplomatische Behandlung des Saarproblems, JIR 7 (1956), 69–85. 99 Ernst Sauer, Die völkerrechtliche Bedeutung der Sputniks, JIR 8 (1957/58), 35–41. 100 Vgl. Ernst Wohlfahrt, Europäisches Recht. Von der Befugnis der Organe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Rechtsetzung, JIR 9 (1959/60), 12–32; Hans-R. Krämer, EWG und EFTA, JIR 10 (1961/62), 49–88; ders., Neue Schritte zur Vereinheitlichung der Handelspolitik der EWG-Staaten gegenüber dritten Ländern, JIR 10 (1961/62), 255–263; ders., Auswirkungen der EWG auf den Außenhandel der DDR, JIR 14 (1969), 153–173; Ignaz Seidl-Hohenveldern, Österreich und die EWG, JIR 14 (1969), 128–152. 101 William O’Brien, Strategie, Moralität und Recht in der gegenwärtigen amerikanischen Verteidigungsdoktrin, JIR 12 (1965), 42–74; Helmut Rumpf, Die Internationale Organisation als neue Rechtsform für Militärbündnisse, JIR 12 (1965), 75–92; Eberhard Menzel, Friedensvertrag mit Deutschland oder Europäisches Sicherheitssystem, JIR 13 (1967), 11–81; Gerhard Reintanz, Gedanken zur europäischen Sicherheit, JIR 13 (1967), 82–96; Niels Brandt, Der lateinamerikanische Atomsperrvertrag, JIR 14 (1969), 280–305. 102 Dazu Dietrich Rauschning, Das Ende des Treuhandsystems der Vereinten Nationen durch die Staatwerdung der ihm unterstellten Gebiete, JIR 12 (1965), 158–185; Jost Delbrück, Selbstbestimmung und Völkerrecht, JIR 13 (1967), 180–209. 103 Einleitend und grundlegend Eberhard Menzel, Der Festlandsockel der Bundesrepublik Deutschland und das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 20.2.1969, JIR 14 (1969), 13–100.

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III).104 Umso überraschender ist, dass das Abkommen von 1982 im Jahrbuch nicht im Überblick gewürdigt wird, sondern über die folgenden Jahre nur in einer Reihe von Beiträgen zu Einzelthemen.105 Allerdings widmet das Kieler Institut dem „neuen Seerecht“ im Dezember 1982 ein Symposium, das in einem Sammelband dokumentiert wird.106 Eine große thematische Viefalt und eine Kombination von allgemeinen Fragen und Beiträgen zu aktuellen Ereignissen kennzeichnet in den ersten beiden Jahrzehnten auch die ZaöRV; abgesehen von regelmäßigen Beiträgen zum Recht der Europäischen Gemeinschaften ab Band 16 (1955/56) sind keine Themenschwerpunkte zu erkennen. Anders das AVR, das, seinem Gründungsanspruch getreu, in den 1950er und 1960er Jahren klare Schwerpunkte im Bereich Internationale Organisationen/UNO und internationale (Schieds-)Gerichtsbarkeit hat. Aktuelle Themen werden im AVR primär in den Berichten behandelt; in den Abhandlungen dominieren allgemeinere Fragen und immer wieder Grundlagenthemen. Die im Jahrbuch weniger repräsentierte Völkerrechtsgeschichte wird in jener Zeit von Ernst Reibstein dominiert, der regelmäßig sowohl im AVR als auch in der ZaöRV publiziert.107 _____________ 104 Siehe etwa Wolfgang Graf Vitzthum, Auf dem Wege zu einem neuen Meeresvölkerrecht, JIR 16 (1973), 229–265; Renate Platzöder, Die Dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen, JIR 17 (1974), 195–224; Rainer Lagoni, Künstliche Inseln und Anlagen im Meer. Völkerrechtliche Probleme, JIR 18 (1975), 241–282; Ondolf Rojahn, 200 sm-Wirtschaftszone, Meeresfreiheit und Hochseefischerei. Völkerrechtliche Entwicklungslinien, GYIL 19 (1976), 73–98; Rüdiger Wolfrum, Der Schutz der Meeresforschung im Völkerrecht, GYIL 19 (1976), 99–127; Jorge Vargas, The Legal Nature of the Patrimonial Sea, GYIL 22 (1979), 142–177; Alexandre Charles Kiss, International Co-operation for the Control of Accidental Marine Pollution, GYIL 23 (1980), 231–254. 105 Vgl. als erste Beiträge nach Abschluss von UNCLOS III: Tullio Treves, “Observers Signatory of the Final Act” in the International Seabed Authority’s Preparatory Committee, GYIL 27 (1984), 303–314; Janusz Symonides, The Legal Status of the Enclosed and Semi-Enclosed Seas, GYIL 27 (1984), 315–333. – Eine Würdigung findet in jener Zeit übrigens auch weder im AVR noch in der ZaöRV statt, obgleich das AVR ebenfalls seit 1969 regelmäßig Abhandlungen zu seerechtlichen Fragen publiziert und die ZaöRV 38 (1978) UNCLOS III ein Schwerpunktheft gewidmet hat. Einen thematisch breit angelegten Schwerpunkt enthält allerdings ZaöRV 55 (1995), aus Anlass des Inkrafttretens des Abkommens, auf Initiative des 1993 aus Kiel nach Heidelberg gewechselten neuen MPIDirektors Rüdiger Wolfrum. 106 Jost Delbrück (Hrsg.), Das neue Seerecht. Internationale und nationale Perspektiven, Berlin 1984. 107 Zwischen den drei Periodika findet ein Austausch von Autoren statt. Zu erwähnen ist namentlich Fritz Münch, der als Leiter der Berliner Dependance des Heidelberger MPI bis in die 1970er hinein regelmäßig Berichte und Chroniken, aber auch Abhandlungen zu ZaöRV wie AVR beisteuert. Einige „externe“ Beiträger publizieren in allen drei Foren, so Rudolf Bindschedler, Gerhard Leibholz oder Ignaz Seidl-Hohenveldern; von Eberhard Menzel finden sich ein Bericht und eine Rezension im AVR (Bände 6/1956/57, 10/1962), Hans-

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2. Themen der 1970er und 1980er Jahre In den 1970er und 1980er Jahren schärfen Themenauswahl und Fragestellung das „kritische“ Profil des Jahrbuchs. Es steht in jener Zeit in dem Ruf, nicht vor der Behandlung politisch aktueller und teilweise brisanter Themen zurückzuschrecken.108 Solche Themen sind die globale und regionale Friedenssicherung109, Abrüstung und Nuklearwaffen110, die deutsch-deutschen Beziehungen111 (die Ostverträge sind Gegenstand eines Schwerpunkts in Band 18/1975112),

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Jürgen Schlochauer und Hans Wehberg veröffentlichen beide in der ZaöRV 19 (1958). Möglicherweise wegen der jeweiligen institutionellen Anbindung bleibt der Austausch zwischen JIR und ZaöRV allerdings eher sporadisch. 108 So Erich Hula, Review of Jahrbuch fur Internationales Recht. by Rudolf Laun; Herman [sic] von Mangoldt, AJIL 67 (1973), 611. 109 Dazu etwa Eberhard Menzel, Die militärischen Einsätze der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedens, JIR 15 (1971), 11–137; Ernst Johansson, Die nordischen Bereitschaftstruppen für die UNO, JIR 15 (1971), 138–149; Otto Kimminich, Völkerrechtliche Probleme der Sicherheit und Zusammenarbeit, JIR 17 (1974), 59–86; Jost Delbrück, Die Adäquanz völkerrechtlicher Kriegsverhütungs- und Friedenssicherungsinstrumente im Lichte der Kriegsursachenforschung, JIR 17 (1974), 87–124; Hans-Joachim Schütz, Zur Rationalität des Zielkatalogs und des Friedenssicherungsinstrumentariums der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), JIR 18 (1975), 146–203; Meinhard Schroeder, Wirtschaftssanktionen der Europäischen Gemeinschaften gegenüber Drittstaaten dargestellt am Beispiel des Iranembargo, GYIL 23 (1980), 111–125; Theodor Schweisfurth, Operations to Rescue Nationals in Third States Involving the Use of Force in Relation to the Protection of Human Rights, GYIL 23 (1980), 159–198; Heinz Vetschera, International Law and International Security. The Case of Force Control, GYIL 24 (1981), 144–165. 110 Z.B. Uwe Jenisch, Nuclear Tests and Freedom of the Seas, JIR 17 (1974), 177–195; Jost Delbrück, International Traffic in Arms, GYIL 24 (1981), 114–143; Thomas Bruha, Die normative Struktur des SALT-Prozesses, GYIL 24 (1981), 166–199; Rüdiger Wolfrum, Restricting the Use of the Sea for Peaceful Purposes. Demilitarization in Being?, GYIL 24 (1981), 200–241; Simone Courteix, Les „Satellites Bleus“ au Service de la Paix et du Désarmement, GYIL 24 (1981), 242–261; Allan Rosas, Negative Security Assurances and Non-Use of Nuclear Weapons, GYIL 25 (1982), 199–218; Henri Meyrowitz, Le statut des armes nucléaires en droit international, 2 Teile, GYIL 25 (1982), 219–251 und GYIL 26 (1983), 161–197. 111 Johannes R. Gascard, Inland/Ausland-Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, JIR 15 (1971), 339–369; Dieter Blumenwitz, Selbstbestimmung und Menschenrechte im geteilten Deutschland, JIR 17 (1974), 11–35; Hans Heinrich Mahnke, Die Ständigen Vertretungen der beiden Staaten in Deutschland, JIR 17 (1974), 36–58. 112 Enthalten: Jochen Abr. Frowein, Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Warschauer Vertages, JIR 18 (1975), 11–61; Otto Kimminich, Der Prager Vertrag, JIR 18 (1975), 62–91; Krzysztof Skubiszewski, The Great Powers and the Settlement in Central Europe, JIR 18 (1975), 92–126.

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Entwicklungsvölkerrecht113 und Neue Internationale Wirtschaftsordnung (NIEO)114. Aktuelle Ereignisse und Entscheidungen finden – soweit es der Produktionsrhythmus eines Jahrbuchs zulässt – meist zügig Berücksichtigung: die Wiener Vertragsrechtskonvention und die Amerikanische Menschenrechtskonvention (beide 1969) in Band 15 (1971), die Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung (1974) in Band 18 (1975), die Nukleartest-Fälle des Interna-tionalen Gerichtshofs (1974) und dessen Westsahara-Gutachten (1975) in den Bänden 19 (1976) und 20 (1977), die türkische Invasion in Zypern (1974) (erst) in Band 21 (1978), im selben Band die Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Rotkreuz-Konventionen von 1949. Das Wiener Übereinkommen über die Staatennachfolge in Verträge (1978) wird behandelt in den Bänden 23 (1980) und 24 (1981), das Übereinkommen über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden (1983) in Band 26 (1983), das grönländische Referendum über den Austritt aus den Europäischen Gemeinschaften (1982) in Band 25 (1982). Der Falkland-Konflikt wird in den Bänden 26 (1983) und 27 (1984) thematisiert115, Band 27 (1984) widmet breiten Raum dem Konflikt zwischen den USA und westeuropäischen Staaten über den Bau einer Gas-Pipeline nach Sibirien (1981/82), der von verschiedenen Standpunkten aus beleuchtet wird.116 _____________ 113 Z.B. Hans R. Krämer, Das Meistbegünstigungsprinzip und die Entwicklungsländer, JIR 17 (1974), 125–144; Ernst U. Petersmann, „Entwicklungsvölkerrecht“, „droit international du développement“, „international economic development law“, Mythos oder Wirklichkeit?, JIR 17 (1974), 145–176; Gerhard Schiffler, Das Abkommen von Lomé zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und 46 Staaten Afrikas, des Karibischen und des Pazifischen Raums, JIR 18 (1975), 320–339; Thomas Waelde, North/South Economic Cooperation and International Economic Development Law, GYIL 23 (1980), 59–90; Christian Tomuschat, Das Recht auf Entwicklung, GYIL 25 (1982), 85–112. – Speziell zum Technologietransfer: Marie-Elisabeth Cousin, Le projet de la C.N.U.C.E.D. de code international de conduite pour le transfer des techniques, GYIL 19 (1976), 199–222; Hans Ballreich, Technologietransfer als Völkerrechtsproblem, GYIL 24 (1981), 329–366; Otto Kimminich, Technology Transfer and International Law, GYIL 25 (1983), 54–84. 114 Jerzy Makarczyk, Le rôle du droit international dans l’instauration d’un nouvel ordre économique international, GYIL 20 (1977), 217–235; Ben Atkinson Wortley, Some Early but Basic Theories of Expropriation, GYIL 20 (1977), 236–245; Damian Hubbard, The International Law Commission and the New International Economic Order, GYIL 22 (1979), 80–99; Arghyríos Fatouros, On the Hegemonic Role of International Functional Organization, GYIL 23 (1980), 9–36; Ole Lando, Renegotiations and Revision of International Contracts. An Issue in the North-South Dialogue, GYIL 23 (1980), 37–58. Siehe ferner Hans W. Baade, The Legal Effects of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, GYIL 22 (1979), 11–52; Philip Alston, Linking Trade and Human Rights, GYIL 23 (1980), 126–158. 115 Jörg Fisch, The Falkland Islands in the European Treaty System 1493–1833, GYIL 26 (1983), 105–124; Meinhard Schröder, Der Kampf um die Falkland-Inseln. Völkerrechtliche und europarechtliche Aspekte, GYIL 27 (1984), 334–366. 116 Mit Beiträgen von Klaus Bockslaff, Detlev F. Vagts, Alan Vaughan Lowe, Pieter Jan Kuyper, Karl M. Meessen und Jürgen Basedow. Die ZaöRV widmet dem Thema einen um-

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Dekolonisierung und NIEO sind auch wiederkehrende Themen im AVR117, das neben dem Seerecht im Übrigen seine „Gründungsschwerpunkte“ weiterpflegt, wenn auch nicht mehr so markiert wie zuvor. Ausgewählte aktuelle Fragen finden sich weiterhin v.a. im Berichtsteil; Wiener Vertragsrechtskonvention, Aggressionsdefinition, KSZE und Teheraner Geiselnahme finden hingegen im Abhandlungsteil Berücksichtigung. Die Herausgeber der ZaöRV setzen dagegen weiterhin auf thematische Vielfalt; zwar tauchen wiederholt Themen zu EMRK und zum Vertragsrecht auf; echte Schwerpunkte sind aber nur punktuell in vereinzelten Themenheften (Menschenrechte: 1970; IGH: 1971; Seerecht: 1978) erkennbar. Band 36 (1976), der als Festschrift dem 50. Jahrestag des MPI gewidmet ist, gibt in der Vielfalt und Breite der Themen einen guten Eindruck vom Profil der Zeitschrift in jener Zeit.118 Ab etwa Mitte der 1980er Jahre zeichnet sich beim Jahrbuch ein gewisser Wandel im Themenzuschnitt ab. Zwar bleiben Menschenrechte119, Fragen von Krieg _____________

fangreichen Grundlagenbeitrag von Werner Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit und Grenzen wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Hoheitsakte mit Auslandswirkung, ZaöRV 44 (1984), 675–783. 117 Z.B. AVR 15 (1971/72): Okon Udokang, The Role of the New States in International Law (145–196); AVR 17 (1976/78): Walter Rudolf, Neue Staaten und das Völkerrecht (1– 45); AVR 18 (1979): Ernst-Ulrich Petersmann, Internationales Recht und Neue Internationale Wirtschaftsordnung (17–44); AVR 20 (1982): Otto Kimminich, Das Völkerrecht und die neue Wirtschaftsordnung (2–39); Jerzy Kranz, La prise de décisions dans les organisations internationales et le nouvel ordre économique international (281–300). 118 Ein klarer Schwerpunkt liegt auf Fragen der Rechtsquellenlehre, hinzu treten aber Beiträge zum Verhältnis Völkerrecht/nationales Recht, zu Internationalen Organisationen, zum Humanitären Völkerrecht, zur KSZE, zu nationaler und internationaler Gerichtsbarkeit, aber auch zu Dekolonisierung und zur NIAEO (von Tomuschat, Petersmann und Klein), einem Thema das in der ZaöRV sonst weniger präsent ist. Aktuelle Ereignisse sind, dem Anlass geschuldet, freilich weniger vertreten als sonst. 119 Alfred De Zayas/Jakob Th. Möller/Torkel Opsahl, Application of the International Covenant on Civil and Political Rights under the Optional Protocol by the Human Rights Committee, GYIL 28 (1985), 9–64; César Sepúlveda, The Inter-American Commission on Human Rights of the Organization of American States, GYIL 28 (1985), 65–87; Martin Bullinger, Freedom of Expression and Information. An Essential Element of Democracy, GYIL 28 (1985), 88–143; Albert Bleckmann, The Subjective Right in Public International Law, GYIL 28 (1985), 144–162; Hilke Goetze/Antje Reim, Artikel 10 der Europäischen Sozialcharta. Das Recht auf berufliche Ausbildung, GYIL 29 (1986), 255–381; Glenn T. Morris, In Support of the Right of Self-determination for Indigenous Peoples Under International Law, GYIL 29 (1986), 277–316; Birger Thomsen/Christoph H. Vaagt, Der Schutz von Wanderarbeitnehmern nach Artikel 18 und 19 der Europäischen Sozialcharta, GYIL 29 (1986), 317–354; Claudio Grossmann, Proposals to Strengthen the Inter-American System of Protection of Human Rights, GYIL 32 (1989), 264–279; P.R. Ghandhi, The Human Rights Committee and Derogation in Public Emergencies, GYIL 32 (1989), 323–361.

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und Frieden120, Seerecht121 und internationales Wirtschaftsrecht122 zentrale Themen; der „engagierte“ Zugriff scheint aber nach und nach etwas distanzierteren, wenngleich ethisch basierten, Grundlagenreflektionen oder der Behandlung von Spezialfragen zu weichen. Der von Menzel begründeten Tradition folgend123, bietet das Jahrbuch, gelegentlich, aber prononcierter als andere Periodika, auch Wissenschaftlern aus dem „Ostblock“ ein Forum.124 An aktuellen Themen finden _____________ 120 Jost Delbrück/Klaus Dicke, The Christian Peace Ethic and the Doctrine of Just War from the Point of View of International Law, GYIL 28 (1985), 194–208; Trutz Rendtorff, Christian Ethics and the Doctrine of Just War. A Re-evaluation in the Nuclear Age, GYIL 28 (1985), 209–228; Wolfgang Seiffert, Völkerrechtliche Aspekte der Verlängerung des Warschauer Paktes, GYIL 28 (1985), 409–424; Josef Mrazek, International Security and Disarmament Law, GYIL 30 (1987), 78–100; Dieter Fleck, Rules of Engagement for Maritime Forces and the Limitation of the Use of Force Under the UN Charter, GYIL 31 (1988), 165–186. 121 Elmar Rauch, Military Uses of the Oceans, GYIL 28 (1985), 229–267; Louis F.E. Goldie, Special Problems Concerning Deep Seabed Mining in the Event of Non-Participation in UNCLOS, GYIL 28 (1985), 268–296; Uwe Jenisch, Sovereign Rights in the Arctic. Maritime Policies and Practices after UNCLOS III, GYIL 28 (1985), 297–321; H[ariharan] P[akshi] Rajan, The Legal Regime of Archipelagos, GYIL 29 (1986), 137– 153; Boleslaw Adam Boczek, The Arctic Ocean and the New Law of the Sea, GYIL 29 (1986), 154–189; Thomas Clingan, The Law of the Sea in Prospective. Problems of States not Parties to the Law of the Sea Treaty, GYIL 30 (1987), 101–119; Fernando Zegers Santa Cruz, Deep Sea-bed Mining Beyond National Jurisdiction in the 1982 UN Convention on the Law of the Sea, GYIL 31 (1988), 107–119; Francisco Orrego Vicuña, The Contribution of the Exclusive Economic Zone to the Law of Maritime Delimitation, GYIL 31 (1988), 120–137; Jean-Pierre Queneudec, Les rapports entre zone de pêche et zone économique exclusive, GYIL 32 (1989), 138–156. 122 Vgl., teils mit kritischer Ausrichtung, Michael Bothe/Josef Brink, Public Debt Restructuring, the Case for International Economic Co-operation, GYIL 29 (1986), 86–110; Jerzy Kranz, Le droit du fonds monétaire international et les affaires internes des pays membres, GYIL 29 (1986), 111–136; Thomas Schoenbaum, Antidumping and Countervailing Duties and the GATT, GYIL 30 (1987), 177–204; Wolfgang Benedek/Konrad Ginther, Planned-Economy Countries and GATT. Legal Issues of Accession, GYIL 31 (1988), 70–106; Stephen Zamora, Is There Customary International Economic Law?, GYIL 32 (1989), 9–42; Francis Snyder, European Community Law and Third World Food Entitlements, GYIL 32 (1989), 87–110; Julius Emeka Okolo, Economic Community of West African States Regional Cooperation Regime, GYIL 32 (1989), 111–137. 123 Vgl. nur die folgenden, von Menzel initiierten Publikationen in der Schriftenreihe des Kieler Instituts für Internationales Recht: Akademie der Wissenschaften Moskau, Völkerrecht. Lehrbuch (1957), Hamburg 1960; Grigorij Tunkin/David B. Lewin, Drei sowjetische Beiträge zur Völkerrechtslehre, Hamburg 1969. 124 Vgl. Mark Boguslavsky, Technology Transfer and International Law. The Soviet Approach, GYIL 28 (1985), 355–369; Vladlen Vereshchetin/Gennadij Danilenko, Cultural and Ideological Pluralism and International Law, GYIL 29 (1986), 56–67; Mrazek (Anm. 120); Gennadij Danilenko, The Theory of International Customary Law, GYIL 31 (1988), 9–47. Siehe auch Theodor Schweisfurth, Das Völkergewohnheitsrecht – verstärkt im Blickfeld der sowjetischen Völkerrechtslehre, GYIL 30 (1987), 36–77.

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sich ein Beitrag zum Sandoz-Unfall (1986) in Band 30 (1987) und zu der durch die Entführung des Kreuzfahrtschiffs Achille Lauro (1985) veranlassten Konvention gegen rechtswidrige Angriffe gegen die Sicherheit der Schifffahrt (SUAKonvention) von 1988, zu deren Anlass Band 21 (1988) dem Thema Terrorismus einen Schwerpunkt widmet. Auch die ZaöRV setzt zwar die Tradition gelegentlicher Schwerpunkthefte fort (1985: Staatenverantwortlichkeit und Indo-German Colloquium; 1987: 60 Jahre MPI/Durchsetzung des Völkerrechts), verzichtet aber weiterhin auf thematische Fokussierung. Hingegen bemüht sich das AVR durch die Einführung von Themenheften (von 1984 an mindestens eines pro Jahrgang) um stärkere Profilierung. Möglicherweise beeinflusst durch die Erweiterung des Herausgeberkreises (neben Hans-Jürgen Schlochauer treten ab Band 20/1982 Ingo v. Münch, Otto Kimminich und Walter Rudolf) und den Wechsel des Redaktionssitzes an das Hamburger Institut für Internationale Angelegenheiten, an dem auch die 1968 von Herbert Krüger gegründete Zeitschrift Verfassung und Recht in Übersee beheimatet ist, richten die ersten Schwerpunkthefte den Blick v.a. auf außereuropäische Staaten oder Regionen und deren Stellung zum Völkerrecht: Indien (1984), Australien (1986), Japan (1987), Afrika (1988); daneben: Die Folgen des Zweiten Weltkrieges (1985), Weltbank (1985), Lehre des Völkerrechts (1986), Deutschlands Grenzen (1987), Staatsoberhäupter (1988), Häfen und Schifffahrt (1988), Bundesstaat und Völkerrecht (1989). 3. Themen der 1990er Jahre Es überrascht, dass die Umbrüche in Mittel- und Osteuropa in den Jahren 1989 und 1990 und die Auflösung der Sowjetunion am 26. Dezember 1991 praktisch keinen Widerhall im German Yearbook finden. Der Band 33 (1990) widmet sich schwerpunktmäßig der EWG und der Integration in Westeuropa, eher am Rande taucht in Band 34 (1991) ein Beitrag zur Rolle der Vereinten Nationen „nach dem Kalten Krieg“ auf125, in Band 36 (1993) ein kürzerer Bericht zum „Zwei-plus-vierProzess“.126 Die ZaöRV hingegen publiziert 1990 einen Beitrag zur Massenflucht aus der DDR127 und widmet 1991 eine Schwerpunktausgabe der Wiedervereini-

_____________ 125 Victor-Yves Ghébali, La sécurité internationale à l’ère de l’après-guerre froide. Le rôle des Nations Unies, GYIL 34 (1991), 108–121. 126 Frank Elbe, Resolving the External Aspects of German Unification. The “TwoPlus-Four Process”, GYIL 36 (1993), 371–384. 127 Rainer Hofmann, Völkerrechtliche Aspekte der Übersiedlung von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik über Drittländer in die Bundesrepublik Deutschland, ZaöRV 50 (1990), 1–38.

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gung128. Etwas weniger prominent tauchen völkerrechtliche Fragen der deutschen Einheit auch im AVR auf.129 Die Auflösung der UdSSR und deren Folgen sind Thema sowohl im AVR als auch in der ZaöRV.130 Die Konflikte auf dem Balkan nach dem Zerfall Jugoslawiens begegnen einem außerhalb des Berichtsteils im GYIL nicht, ganz anders als in den beiden anderen deutschen völkerrechtlichen Zeitschriften.131 Mit Blick auf die dramatischen politischen Ereignisse jener Jahre (und die damit verbundenen völkerrechtlichen Fragen) scheint das German Yearbook etwas „out of touch“.

_____________ 128 ZaöRV 51 (1991), mit Beiträgen von Jochen Abr. Frowein, Stefan Oeter, Thomas Giegerich und Günter E. Wilms sowie einer Zusammenstellung relevanter Dokumente in englischer Sprache. 129 Hellmuth Hecker, Die Staatsangehörigkeit der DDR und der Einigungsvertrag, AVR 29 (1991), 27–52; Christian Raap, Die Stationierung von Streitkräften in fremden Staaten unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands, AVR 29 (1991), 53–84; Horst Heberlein, Die Geltungsbeendigung der Feindstaatenklauseln – ein äußerer Aspekt der deutschen Einheit, AVR 29 (1991), 85–103. 130 Theodor Schweisfurth, Vom Einheitsstaat (UdSSR) zum Staatenbund (GUS). Juristische Stationen eines Staatszerfalls und einer Staatenbundsentstehung, ZaöRV 52 (1992), 541–702; ders., Ausgewählte Fragen der Staatensukzession im Kontext der Auflösung der UdSSR, AVR 32 (1994), 99–129; Hellmuth Hecker, Verträge über Staatsangehörigkeitsfragen vor Gründung (1918–1922) und nach Zerfall der Sowjetunion (ab 1990), AVR 35 (1997), 73–102. 131 Vgl. Dietrich Murswiek, Die Problematik eines Rechts auf Sezession – neu betrachtet, AVR 31 (1993), 307–332; Peter Hilpold, Die Anerkennung der Neustaaten auf dem Balkan. Konstitutive Theorie, deklaratorische Theorie und anerkennungsrelevante Implikationen von Minderheitenschutzerfordernissen, AVR 31 (1993), 387–408; Alfred De Zayas, Das Recht auf die Heimat, ethnische Säuberungen und das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien, AVR 35 (1997), 29–72; Oliver Dörr, Die Vereinbarungen von Dayton/Ohio. Eine völkerrechtliche Einführung, AVR 35 (1997), 129–180. In der ZaöRV: Stefan Oeter, Selbstbestimmungsrecht im Wandel. Überlegungen zur Debatte um Selbstbestimmung, Sezessionsrecht und „vorzeitige“ Anerkennung, ZaöRV 52 (1992), 741–780; ders., Kriegsverbrechen in den Konflikten um das Erbe Jugoslawiens. Ein Beitrag zu den Fragen der kollektiven und individuellen Verantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts, ZaöRV 53 (1993), 1–48; Karin OellersFrahm, Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, ZaöRV 54 (1994), 416–445; Marc Weller, PeaceKeeping and Peace-Enforcement in the Republic of Bosnia and Herzegovina, ZaöRV 56 (1996), 70–177.

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Wiederkehrende Themen der frühen 1990er Jahre sind im GYIL Umweltschutz132 und Menschenrechte133; klare Schwerpunkte lassen sich aber nicht mehr ausmachen. Das ändert sich mit Band 37 (1994), der ganz um den Vertrag von Maastricht und das Urteil des BVerfG kreist.134 Ab Band 38 (1995) sorgt die neue Rubrik Focus für eine Schwerpunktsetzung. Den Anfang macht das Thema Migration, es folgen GATT/WTO (Band 39/1996), Völkerrecht und nationales Recht (40/1997), Völkerrecht und Internet (41/1998), Vertragsrecht im 21. Jahrhundert (42/1999) und Kooperation im Ostseeraum (43/2000). Im AVR behandeln die Schwerpunkthefte der 1990er die Themen Europäische Volksgruppenrechte (28/1990), Deutschland, Genfer Flüchtlingskonvention (29/1991), Drittstaaten und Sanktionen (30/1992, mit einem Beitrag des Herausgebers des GYIL, Jost Delbrück), Umweltschutz (31/1993), Spanien, See- und Schifffahrtsrecht (32/1994), 50 Jahre Vereinte Nationen (33/1995), Portugal (34/1996) sowie Liechtenstein und Polen (36/1998). Die ZaöRV publiziert vier Sammlungen von Konferenzpapieren: zum UN-Seerechtsübereinkommen (55/1995), zum Umweltvölkerrecht (56/1996), zu indigenen Völkern und zu grenzüberschreitenden Konstitutionalisierungsprozessen (beide 59/1999); daneben zeichnen sich als wiederkehrende Themen Grund- und Menschenrechte in Europa sowie das IGH-Verfahrensrecht ab. Im Übrigen bleibt es bei der gewohnten Themenvielfalt unter Verzicht auf klare thematische Schwerpunkte.

_____________ 132 Rüdiger Wolfrum, Purposes and Principles of International Environmental Law, GYIL 33 (1990), 308–330; Michael Bothe, International Regulation of Transboundary Movement of Hazardous Waste, GYIL 33 (1990), 422–431; ders., The Protection of the Environment in Times of Armed Conflict, GYIL 34 (1991), 54–62; Ludwig Krämer, The Implementation of Environmental Laws by the European Economic Communities, GYIL 34 (1991), 9–53; Mary Ellen O'Connell, Enforcing the New International Law of the Environment, GYIL 35 (1992), 293–332; Betsy Baker, Eliciting Non-Party Compliance with Multilateral Environmental Treaties, GYIL 35 (1992), 333–365. Zuvor schon Alexandre Charles Kiss, Nouvelles tendances en droit international de l’environnement, GYIL 32 (1989), 241–263. 133 Iain Cameron/Frank Horn, Reservation to the European Convention on Human Rights, GYIL 33 (1990), 69–129; Frederick A. Mann/Jürgen Kurth, The Notion of “Civil Rights” in Article 6 of the European Convention on Human Rights, GYIL 35 (1992), 81– 91; Jost Delbrück, The Right to Education as an International Human Right, GYIL 35 (1992), 92–104; Bradley Howard, Human Rights and Indigenous Peoples, GYIL 35 (1992), 105–156. 134 Vgl. hierzu auch den Schwerpunkt in AVR 32 (1994) sowie in der ZaöRV 54 (1994) Jochen Abr. Frowein, Das Maastricht-Urteil und die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit (1–16) sowie Doris König (Wiss. Ass., Kiel), Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht – ein Stolperstein auf dem Weg in die europäische Integration? (17–94).

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E. Getting global: deutsche völkerrechtliche Zeitschriften im 21. Jahrhundert Hatte im späten 19. Jahrhundert die Herausbildung souveräner Nationalstaaten zur Etablierung des Völkerrechts als eigenständiger Wissenschaftsdisziplin geführt, die nach Foren des Austauschs verlangte, wirkt sich am Beginn des 21. Jahrhunderts die zunehmende Globalisierung und Einbindung der Nationalstaaten in ein Geflecht internationalen Rechts kaum weniger signifikant auf die Völkerrechtswissenschaft aus. Multilaterale Verträge und Institutionen führen dazu, dass man in verschiedenen Teilen der Welt über dieselben Rechtsnormen spricht und streitet; regionale Integration auf der politischen und rechtlichen Ebene fördert auch die regionale Vernetzung der Völkerrechtswissenschaft. Markanten Ausdruck findet dies in der Gründung der European Society of International Law (ESIL) im Jahre 2001 in Florenz, angestoßen von den Herausgebern des 1990 gegründeten European Journal of International Law (EJIL). Neugründungen zweier Online-Zeitschriften im Bereich (auch) des Völkerrechts: das – von vornherein auf ein internationales Publikum, aber auch auf eine internationale Autorschaft ausgerichtete – German Law Journal (gegründet 2000 von Russell Miller und Peer Zumbansen) und das 2007 gegründete Göttingen Journal of International Law (GoJIL), das an die US-amerikanische Tradition der von Studierenden geleiteten wissenschaftlichen Zeitschriften anknüpft, verdeutlichen, dass nationale Diskursgrenzen, die selbst in der Völkerrechtswissenschaft noch mindestens unterschwellig existier(t)en135, zunehmend unter Druck geraten. Auch die etablierten deutschen völkerrechtlichen Zeitschriften sind diesem Druck ausgesetzt. Sie reagieren darauf in unterschiedlicher Weise. Das AVR bleibt sich auch im 21. Jahrhundert treu, was den Mittelweg zwischen internationaler Öffnung und nationaler Rechtswissenschaft betrifft. Die Autorinnen und Autoren stammen nach wie vor ganz überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum. Auch die Beiträge sind zum größeren Teil auf Deutsch verfasst, aber mit englischsprachigen Zusammenfassungen am Ende versehen. Insgesamt hat das AVR am ehesten den Charakter einer „deutschen“ Zeitschrift für Völkerrecht bewahrt. Dies ist in keiner Weise pejorativ zu verstehen. Das AVR genießt in der scientific community eine hohe Reputation, ist aber zugleich wahrscheinlich von den drei hier untersuchten Periodika das heute im Ausland am wenigsten bekannte und rezipierte. Deutliche Veränderungen dagegen sind seit der Jahrtausendwende bei der ZaöRV zu verzeichnen. Wie bereits angesprochen, wird ab Band 62 (2002) der Ab_____________ 135 Vgl. dazu die deutliche Kritik von Anne Peters, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland. Wider den epistemischen Nationalismus, ZaöRV 67 (2007), 721–776. Peters, 2001 in Kiel habilitiert, ist seit 2013 Ko-Direktorin des Heidelberger MPI und Mitherausgeberin der ZaöRV.

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handlungs-Teil deutlich ausgeweitet, in jedem Jahrgang ist seitdem mindestens eine Konferenz bzw. ein Workshop dokumentiert, die im MPI oder unter dessen Beteiligung durchgeführt wurden. Hierdurch findet auch eine prononcierte Schwerpunktsetzung statt, die in den Jahrzehnten zuvor vermieden wurde. Parallel dazu zeichnet sich in der völkerrechtspolitischen Ausrichtung eine Verlagerung von einem „pragmatischen Idealismus“ hin zu einem ideellen Konstitutionalismus ab, dessen Leitthemen europäische und internationale Integration, Mehrebenensysteme, insbesondere im Bereich Menschenrechte und Gerichtsbarkeit, sind.136 Zudem ist eine Hinwendung zu Grundlagenthemen ab etwa 2000 erkennbar, die in den Jahrzehnten zuvor, anders als in AVR und GYIL praktisch nicht mehr gepflegt wurden.137 Band 72 (2012) bringt u.a. einen Beitrag von Jürgen Habermas zur Konstitutionalisierung des Völkerrechts und der Rolle der EU.138 Demgegenüber verliert der Berichtsteil merklich an Bedeutung. Mit Band 62 werden auch die jährlichen Rechtsprechungsberichte eingestellt. Der Anspruch, in den internationalen Diskurs hineinzuwirken, wurde bereits durch die Einführung eines englischsprachigen „Nebentitels“ – Heidelberg Journal of International Law – im Jahre 1989 unterstrichen. Gleichwohl blieb – und bleibt – die ZaöRV zweisprachig. Ihre Autorinnen und Autoren rekrutieren sich zu einem großen Teil aus dem Kreis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MPI. Die ZaöRV hat sich damit, trotz der erheblichen Umstrukturierung, im Kern den Charakter eines „Institutsorgans“ bewahrt. Im Wandel der Zeitschrift spiegelt sich möglicherweise ein gewandeltes Selbstverständnis des MPI: von einer Einrichtung, die auch und gerade Regierung und öffentliche Stellen mit Expertise berät, hin zu einem finanz- und personalstarken Forschungsinstitut, dessen eigene internationale Rekrutierung und Vernetzung sich in der Internationalität „seiner“ Zeitschrift niederschlägt. Auch das GYIL hat sich seit dem Jahr 2000 gewandelt: Die 1995 eingeführte Focus Section ermöglichte den Herausgebern, bestimmte Themen zu identifizieren und zu setzen.139 Wo diese den hot topics des Völkerrechtsdiskurses oder Jahrestagen folgen, gibt es freilich Überschneidungen mit anderen Zeitschriften: Die _____________ 136 Bei diesen Themen gibt es freilich eine Kontinuität, die in die 1990er Jahre zurückreicht. 137 Dies dürfte maßgeblich auf den Einfluss Hermann Moslers zurückzuführen sein, der das MPI von 1954 bis 1980 leitete. Dazu näher Felix Lange, Wider das „völkerrechtliche Geschwafel“ – Hermann Mosler und die praxisorientierte Herangehensweise an das Völkerrecht im Rahmen des Max-Planck-Instituts, ZaöRV 75 (2015), 307–343. 138 Jürgen Habermas, Die Krise der Europäischen Union im Lichte einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts – Ein Essay zur Verfassung Europas, ZaöRV 72 (2012), 1–44. 139 Themen der Focus Sections ab 2001 waren: Völkerrechtstheorie (Band 44/2001), nicht-internationale bewaffnete Konflikte (45/2002), 30 Jahre UN-Mitgliedschaft Deutschlands (46/2003), Afrika und Völkerrecht (47/2004), 10 Jahre Inkrafttreten des UN-Seerechtsübereinkommens (48/2005), 60 Jahre International Law Commission (49/2006), deutsche Völkerrechtswissenschaft (50/2007), Millennium Development Goals (51/2008), Regionaler

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Globalisierung des Diskurses macht die individuelle Profilierung nicht unbedingt leichter. Der Focus in Band 50/2007 („Is There a German Approach to International Law?“) und die Publikation von Beiträgen zum seerechtlichen Symposium aus Anlass der 100-Jahr-Feier des Walther-Schücking-Instituts in Band 57 (2014) konnten allerdings stärker eigene Akzente setzen. Dennoch ist keine so klare Handschrift wie noch in den 1970er Jahren zu erkennen. Eröffnete Eberhard Menzel wiederholt das Jahrbuch mit einem eigenen Schwerpunktbeitrag,140 rücken die Herausgeber unter der neuen Bandstruktur zunehmend in die Rolle von Moderatoren, die gelegentlich eine Einleitung oder auch nur einen einleitenden Kommentar beisteuern.141 Die mit Band 44 (2001) eingeführte Rubrik Forum wirkte dem zunächst entgegen; hier veröffentlichte in den ersten Jahren in der Regeln einer der Herausgeber kritische Reflektionen zu einem aktuellen Anlass.142 Seit 2010 wird allerdings auch diese Rubrik durch eingeladene Autoren bestritten.

_____________

Menschenrechtsschutz (52/2009), Klimawandel (53/2010), Arctic Challenge (54/2011), Katastrophenschutz (55/2012), Energierecht (56/2013), Seerecht im 21. Jahrhundert (57/2014) und Cyberangriffe (58/2015). 140 Eberhard Menzel, Friedensvertrag mit Deutschland oder Europäisches Sicherheitssystem, JIR 13 (1967), 11–81; ders., Der Festlandsockel der Bundesrepublik Deutschland und das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 20. Februar 1969, JIR 14 (1969), 13– 100; ders., Die militärischen Einsätze der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedens, JIR 15 (1971), 11–137. 141 Siehe Andreas Zimmermann, Introductory Remarks, GYIL 46 (2003), 17–19; ders., Introductory Remarks, GYIL 48 (2005), 77–80; Thomas Giegerich/Andreas Zimmermann, Introduction, GYIL 50 (2007), 15–28; Andreas v. Arnauld, Reflections upon Reflections. Koskenniemi on Niemeyer, GYIL 57 (2014), 11–12; Nele Matz-Lück, The Law of the Sea as a Research Focus in Kiel. Looking Back and Moving Ahead, GYIL 57 (2014), 37–42. Siehe allerdings auch die Beiträge von Alexander Proelß, Marine Genetic Resources Under UNCLOS and the CBD, GYIL 51 (2008), 417–446; dems., International Environmental Law and the Challenge of Climate Change, GYIL 53 (2010), 65–88; Nele Matz-Lück, Continental Shelf Delimitation in the Arctic. Current Developments, GYIL 54 (2011), 155–191. 142 Erstmals Jost Delbrück, The Fight Against Global Terrorism. Self-Defense or Collective Security as International Police Action? Some Comments on the International Legal Implications of the “War Against Terrorism”, GYIL 44 (2001), 9–24. Des Weiteren Rainer Hofmann, International Law and the Use of Military Force Against Iraq, GYIL 45 (2002), 9–34; Andreas Zimmermann, Role and Function of International Criminal Law in the International System After the Entry into Force of the Rome Statute of the International Criminal Court, GYIL 45 (2002), 35–54; Rainer Hofmann, The German Federal Constitutional Court and Public International Law. New Decisions, New Approaches?, GYIL 47 (2004), 9–38; Thomas Giegerich, “A Fork in the Road”. Constitutional Challenges, Chances and “Lacunae” of UN Reform, GYIL 48 (2005), 29–76; ders., The Federal Constitutional Court’s Judgment on the Treaty of Lisbon. The Last Word (German) Wisdom Ever Has to Say on a United Europe?, GYIL 52 (2009), 9–43.

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Eine bedeutsame Veränderung erfolgte ebenfalls 2010 mit der Einführung des Peer-Review-Verfahrens. Seitdem werden die Beiträge in der Rubrik General Articles einer doppelten anonymen Begutachtung durch externe Gutachter unterworfen, während in den Rubriken Forum und Focus Autoren auf Einladung durch die Herausgeber publizieren. Damit hat das GYIL als erstes der drei hier untersuchten Periodika die dem US-amerikanischen Wissenschaftsbetrieb entstammenden internationalisierten Publikationsstandards übernommen. Erst seit 2016 unterliegen die Abhandlungen in der ZaöRV einer, institutsinternen, anonymen Begutachtung. Ein redaktionsinternes Qualitätssicherungsverfahren findet beim AVR statt. Hier erfolgt die Annahme im Konsens der Herausgeber, wobei eine interne Aufgabenteilung einem der Herausgeber die Rolle eines Berichterstatters für bestimmte Themengebiete zuweist. Seit der Einführung des Peer-Review-Verfahrens und möglicherweise damit auch kausal verbunden, machen die ausländischen Beiträge inzwischen den größeren Anteil der Abhandlungen im GYIL aus, auch in der für unaufgeforderte Einsendungen offenen Rubrik der General Articles. „Deutsch“ am German Yearbook ist außer seiner redaktionellen Heimat am Kieler Walther-Schücking-Institut heute vor allem die Rubrik German Practice. Indem diese Berichte wie auch in den Jahrzehnten zuvor ganz überwiegend von Mitarbeitern des Instituts verfasst werden oder von Personen, die dem Institut auf andere Weise nahestehen, wird die Verbindung des Jahrbuchs mit seinem Trägerinstitut hier nach wie vor besonders deutlich. Im Übrigen aber verdeutlichen die jüngsten Wandlungen im German Yearbook of International Law wie auch in den beiden anderen hier untersuchten Zeitschriften, dass die deutsche Völkerrechtswissenschaft im 21. Jahrhundert noch mehr als ein Jahrhundert zuvor Teil der internationalen Völkerrechtswissenschaft ist.

Teil IV Historische Schlaglichter

6. Januar 1917: Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Der Kieler Impuls zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Von Georg Nolte* Die Initiative zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, der heutigen Deutschen Gesellschaft für internationales Recht, kam aus Kiel. Das war zwar nicht zwingend, aber naheliegend. Theodor Niemeyer konnte die Zeichen seiner Zeit als Völkerrechtler in Kiel besonders deutlich wahrnehmen. Nicht so sehr, weil das Seevölkerrecht eine paradigmatische Bedeutung für „angelsächsische“ und „kontinentale“ Kriegsbegriffe besaß. Sondern weil der Blick auf das Seevölkerrecht und die Entwicklung seines politischen Kontexts auch eine neue Organisationsform der für das Völkerrecht relevanten Wissenschaft nahezulegen schien. Die genauere Begründung, die Moritz Liepmann in seinem Bericht aus dem Jahr 1918 für die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht vorträgt, erscheint uns heute auf den ersten Blick allerdings fremd: Eine wissenschaftliche Gesellschaft, die zur Identifikation und Vorformung eines staatlichen Willens dient, soll eine ernsthafte wissenschaftliche Vereinigung sein? Muss diese Begründung nicht als Ausdruck der allgemeinen Nationalisierung der Zeit gesehen werden, bestenfalls als eine suspekte Form der Politikberatung, schlimmstenfalls als Vorläuferin einer in-Dienst-gestellten Wissenschaft, also als eine Art höherer Flottenverein? Allerdings: die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht war zunächst einmal ein Symptom für eine beginnende Rückbesinnung auf das Völkerrecht, zu einer Zeit als die ursprünglichen Hoffnungen auf ein schnelles Kriegsende mit klarem Ausgang komplizierteren Überlegungen Platz machten, und zwar nicht nur in Deutschland. Diese Rückbesinnung beruhte nicht zuletzt auf der Vorstellung, dass Völkerrecht tiefer in der Praxis und den Interessen der beteiligten Staaten und der in diesen vereinigten Interessenten gegründet sein müsse, also mehr Advokaten und Aktionäre brauche, um Wirkung zu entfalten. _____________ * Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin; Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht; Assoziiertes Mitglied des Institut de Droit International.

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Georg Nolte

Es berührt uns heute unangenehm, dass die Propagierung einer neuen nationalen Organisationsform der Wissenschaft zu diesem Zweck der Herabsetzung einer internationalen Gelehrtengesellschaft wie des Institut de Droit International glaubte zu bedürfen. Trotzdem war die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, ebenso wie die fast gleichzeitige Gründung ihrer – später so genannten – nationalen Schwestergesellschaften in anderen Staaten, der Ausdruck eines Bemühens um personelle Verbreiterung und um eine Stärkung des Völkerrechts im Staat und im öffentlichen Bewusstsein. Es ging auch um die Zusammenführung von Wissenschaft und Praxis. Die Gefahr, die gerade für die Völkerrechtswissenschaft damit verbunden sein kann, wenn Regierungspraxis sie in Dienst nehmen möchte, wurde auch angesichts des Modells der schon im Jahr 1906 gegründeten American Society of International Law weniger thematisiert. Die Organisation der für das Völkerrecht relevanten Wissenschaft auf breiterer personeller, aber engerer nationaler Basis hat in Deutschland nach 1917 jedenfalls kein blind regierungshöriges Instrument hervorgebracht. Dies zeigt nicht zuletzt die Selbstauflösung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht im Jahr 1933. Mit ihrer Wiedergründung im Jahr 1949 hat sich die Gesellschaft zu einer Fachgesellschaft im engeren Sinn zurückgebildet. Durch die Aufnahme von deutschsprachigen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern hat sie sich dann auch ein Stück weit entnationalisiert. Dem globalen Horizont einer Hafenstadt und dem doppelten Blick auf das Völkerrecht von oben und von unten, globally and locally, dürften sich die meisten Mitglieder der Gesellschaft immer noch verpflichtet fühlen. Die Vorstellung, dass der Staat wissenschaftlich gut beraten sein sollte, um der internationalen Verantwortung, die aus seiner Macht und seinem Selbstverständnis erwächst, gerecht werden zu können, hat sich in Deutschland gerade in jüngerer Zeit wieder verstärkt. Insofern lebt der Kieler Gründergeist der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht fort.

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Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht* Von Moritz Liepmann I. Für manche, auch wissenschaftlich Gebildete und sogar Juristen, ist heute das Völkerrecht ein Trümmerhaufen und leerer Wahn. Sie glauben, daß seine Bedeutung im Krieg nur darin bestanden habe, – verletzt zu werden, daß es in der Feuerprobe des Ernstfalles so hoffnungslos versagt habe, daß man gut tue, auch für die Zukunft keine Hoffnungen mehr auf ein so fragwürdiges und unzuverlässiges Gebilde zu setzen. Wer so denkt. wird durch Gründe schwer zu belehren sein. Er steht unter dem Eindruck von Enttäuschungen, unter der Herrschaft von Gefühlen, die die Erfahrungen des Weltkrieges, oder richtiger: die journalistische und literarische Augenblicksbearbeitung dieser Erfahrungen in ihm hervorgerufen hat. Sobald man daher den Versuch macht, über das unmittelbar Erlebte hinaus einen Standpunkt sub specie aeternitatis zu gewinnen, d.h. wissenschaftlich zu denken, ändert sich das Bild. Nicht das Völkerrecht, sondern höchstens das Kriegsrecht hat in diesem Kriege einen Zusammenbruch erlitten. Wer aber die Entwicklung des Kriegsrechts, ja die Möglichkeiten eines solchen klar erfaßt hat, kann sich darüber nicht wundern. Die Dinge liegen hier ja völlig anders als bei dem Völkerrecht im Frieden. Im normalen friedlichen Verkehr der Staaten ist das Völkerrecht eine Macht, der sich kein Staat, auch der stärkste nicht, auf die Dauer entziehen kann. Denn hier besteht, trotz der nationalen und politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze der einzelnen Staaten, eine Interessengemeinschaft, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer stärker geworden ist. Man denke an die Interessen des Handels- und Seeverkehrs, an Post, Telegraphie und Eisenbahnen. Jeder Staat ist hier auf die Mitarbeit des anderen angewiesen und braucht daher aus wohlverstandenem Egoismus, aus eigenem Interesse eine Ordnung und Regelung dieser Verhältnisse, die nicht Halt machen kann innerhalb der staatlichen Grenzpfähle. Nur völlige Unkenntnis der Verhältnisse, der weltwirtschaftlichen Zusammen[70]hänge, in die heute jedes Staatswesen, ob groß, ob klein, unentrinnbar hineingebannt ist, kann verkennen, daß es ein starkes, sich stetig und sicher durchsetzendes Völkerrecht gibt und geben muß weil und solange eine Interessengemeinschaft unter den Staaten dazu drängt. Gerade diese Interessengemeinschaft wird jäh unterbrochen durch den Krieg. Denn nun besteht zwischen den kriegführenden Staaten selbst der denkbar größte Gegensatz. Ob man den Gegner ,,unterwerfen“ oder nur so lange kämpfen will, bis man sich mit ihm ,,verständigen“ kann – in jedem Fall zwingt der Kriegs_____________ *

Aus: Weltwirtschaftliches Archiv 12 (1918), 69–84.

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zweck zur Anwendung größtmöglicher Gewalt gegen den Gegner. Für eine Einschränkung dieser Gewalt, für eine Rechtsordnung, die einen Ausgleich unter kollidierenden Interessen voraussetzt und fordert, scheint da zunächst überhaupt kein Raum und keine Möglichkeit, So bedeutet Kriegs,,recht“ durch viele Jahrhunderte hindurch in der Tat nichts anderes als einen glatten Widerspruch und wird auch in Zukunft unter unzivilisierten Staaten stets dem Reich der Fabel angehören. Unter Kulturstaaten dagegen haben sich – man kann sagen: jedenfalls seit dem 18. Jahrhundert – gewisse konventionelle Regeln eines Kriegsrechts durchgesetzt, die in ganz langsamer Entwicklung, stets wieder gehemmt durch Rückfälle in die Zeit der alten, schrankenlosen Rohheit, allmählich zu gewohnheitsrechtlichen Bildungen und schließlich – in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts – zu Staatenverträgen für die überwiegende Mehrzahl aller zivilisierten Staaten erstarkt sind. Diese Regeln werden nie die Kraft und Sicherheit des im Frieden geltenden Völkerrechts gewinnen, sie können nur ein technisch unvollkommenes Recht darstellen, vergleichbar dem Verhalten eines Menschen in höchster Not, der auch nur selten die Kraft und Besonnenheit behält, um die Rechtsphäre des ,,Nächsten“ zu respektieren. Nicht über diese Unvollkommenheit hat man also ein Recht, sich zu wundern. Das Wunder ist vielmehr, daß überhaupt unter Kriegführenden ein Recht noch möglich und wirklich gewesen ist. Selbst in diesem Weltkriege kann nicht die Rede davon sein, daß das Kriegsrecht in allen seinen Bestandteilen ,,zusammengebrochen“ ist. Der Respekt vor den Einrichtungen des ,,Roten Kreuzes“, der Schutz der Kriegsgefangenen gegen undisziplinierte Gewaltakte des Staates wie Einzelner genügen als Gegenbeweis. Und wer die Verhältnisse in den von Deutschland besetzten Gebieten wirklich untersucht (und sich nicht von Kriegslegenden und überhitzter Phantasie in seinem Urteil bestimmen läßt), weiß welch ein Maß von Gründlichkeit, Nachdenken und Leidenschaftslosigkeit angewendet wird, um die Grenzen eines rechtlich zulässigen erlaubten Handelns abzustecken. Auf Schritt und Tritt erkennt man hier lebendes, praktisch wirksames Kriegsrecht. Wenn trotzdem viele, sehr viele Bestimmungen des bisher als geltend angesehenen Rechts nicht beachtet, ja so häufig mißachtet worden sind, daß sie faktisch ihre rechtliche Geltung verloren haben, so lassen sich dafür im wesentlichen zwei prinzipielle Gründe anführen. Einmal hat sich dieses Kriegsrecht in wesentlichen Punkten den Dimensionen des Weltkriegs gegenüber als veraltet herausgestellt. Nicht [71] alles Recht, wie man zu sagen pflegt, aber manches Recht hinkt der Kultur nach. Es geht, als eine konservative Macht, einen langsameren Schritt als das Leben. So kann es kommen, daß die Wirklichkeit nach ganz anderen Grundsätzen und Maßstäben urteilt, als die Rechtssätze und Rechtsregeln es fordern. Auf dem Gebiet des Handels- und Wechselrechts, der Arbeitsverträge, der Trusts und Kartelle, des großstädtischen Mietsrechts sieht die Praxis des rechtlichen Lebens ganz anders aus als die Rechtstheorie, die auf Zeiten und Verhältnisse einer wesentlich primitiveren gesellschaftlichen Kultur zugeschnitten ist. Eine durchaus analoge Erscheinung

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weist das Kriegsrecht im Verhältnis zur Wirklichkeit des Weltkrieges auf. Die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung z.B. über ,,militärische Gewalt auf besetztem feindlichem Gebiete“ sind berechnet auf eine vorübergehende Okkupation, auf Verhältnisse, bei denen die ,,Kriegsunternehmungen“ der Kriegführenden von dem im übrigen normal seinen Weg gehenden Wirtschaftsleben zu trennen sind: daher müssen sie in vielen Beziehungen unbrauchbar sein für einen Krieg, in dem die Besetzung ein jahrelang anhaltender Zustand geworden ist und infolge der englischen Kriegsrechtsauffassung ein Wirtschaftsleben, das nicht von den ,,Kriegsunternehmungen“ in Mitleidenschaft gezogen und absorbiert würde, überhaupt nicht mehr existiert. Dasselbe gilt für die Ausbildung besonderer Waffen (weit über das bisher bekannte Maß tragender Geschütze, des U-Bootes), die Verhältnisse schaffen, die mit den bisherigen Rechtsvorschriften unverträglich sind. Wir erleben im Privat- und Staatsrecht solche Disharmonien sehr häufig: das Leben zeigt sich dann stärker als noch so festgefügte Rechtsregeln, es setzt sich durch gegenüber dem veralteten Recht. Und wenn die Entwicklung normal verläuft, drängt es zu einer von den neuen Verhältnissen geforderten Reform des Rechts. Das erste ist in diesem Kriege geschehen, das zweite wird eine völkerrechtspolitische Aufgabe der Zeit nach dem Kriege sein. Zweitens ist der Zusammenbruch großer Teile des Kriegsrechts darauf zurückzuführen, daß es in der Tat in mehrfacher Beziehung nur ein – papiernes Recht war. Einmal war dieses Recht in keiner Weise Gemeingut derer geworden, die es anzuwenden hatten. Das Übel fing schon an der Universität an. Im Recht des Corpus juris, des Sachsenspiegels und der Goldenen Bulle wurde der junge Jurist unterwiesen, er mußte damit rechnen, auch im Examen hierüber ,,peinlich befragt“ zu werden. Völkerrecht aber wurde zwar gelesen, auch ganz gern gehört, wenigstens von den Studierenden, die noch Zeit und Lust zu anderen Vorlesungen hatten, als solchen, die Gegenstand der Prüfung sind. Denn dazu gehörte das Völkerrecht in der weitaus überwiegenden Zahl aller Fälle nicht. So war denn, wie jeder weiß, der die Psyche der jungen Juristen kennt, ein wirkliches Arbeiten auf diesem Gebiet äußerste Seltenheit. Vollends mit dem Abschluß der Universität war das Völkerrecht für den Juristen erledigt. Welcher Referendar, welcher Assessor oder überhaupt welcher höhere Staatsbeamte (abgesehen von einzelnen, keineswegs allen in den Zentralstellen oder sonst im diplomatischen Dienst [72] beschäftigten Personen) hat sich in Deutschland um das Völkerrecht im Frieden gekümmert? Weiter: was wußten sonst die akademisch Gebildeten in Deutschland: Historiker, Oberlehrer, Philologen, Naturwissenschaftler, was wußte das deutsche Volk von diesem Gebiet? Ihnen allen lag es so fern, daß auch jetzt noch vermutlich viele, die diese Frage lesen, erwidern werden: ja, wozu brauchen wir denn vom

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Völkerrecht etwas zu wissen? Daß das notwendig ist zum Verständnis des staatlichen Lebens und der Beziehungen zu den übrigen Staaten, notwendig, um klar zu werden über die politische und kulturelle Struktur der Gegenwart, notwendig, um die geistige Entwicklung eines Volkes auf der Höhe zu halten – es ist beschämend, daß solche Selbstverständlichkeiten vielen, sehr vielen heute noch eingehämmert werden müssen. Den gleichen Mangel an Kenntnissen und Verständnis finden wir bei den Männern des praktischen Lebens, in den Kreisen von Handel und Industrie, in der Presse und bei den Publizisten, schließlich auch im Heer und in der Marine. Nur ein ganz verschwindend kleiner Kreis wußte etwas von den Tatsachen und Rechtssätzen des Völkerrechts, war in der Lage, mitzuurteilen und sich einzurichten auf die völkerrechtlichen Wirkungen des Krieges, war imstande, diese Bestimmungen praktisch zu handhaben. Im ganzen also eine große, erschreckend große Unkenntnis gegenüber Rechtsregeln, die im Kriege anzuwenden sind in den besetzten Gebieten wie an den Fronten, vom General herunter bis zum einfachen Landsturmmann, vom Juristen in der Zivilverwaltung ebenso wie vom Kriegsgerichtsrat. Dieses Recht, das praktisch die bewaffnete Macht ebenso wie das Volk in allen seinen Teilen anging, lebte in Wahrheit nur in den Kabinetten der Regierung, in den Köpfen einiger weniger Politiker und Gelehrten! – Kein Wunder, daß auch sein Inhalt in vielem weltfremd und unfertig war, daß es also auch nach dieser Richtung hin eine nur papierne Geltung haben konnte. Dafür nur ein paar Beispiele. Nach der Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 soll das feindliche Gut unter neutraler Flagge ebenso wie das neutrale Gut unter feindlicher Flagge dem Seebeuterecht nicht unterworfen sein und nur die Kontrebande in jedem Fall beschlagnahmt werden dürfen. Der Zweck der Bestimmung war die Einschränkung des Seebeuterechts zugunsten der Neutralen und des friedlichen – nicht Kriegszwecken dienenden – Seehandels. Leider aber hatten sich die Vertragschließenden weder über den Begriff ,,Kontrebande“ noch darüber geeinigt, wann ein Gut als ,,feindlich“ oder „neutral“ anzusehen sei. Gerade die letzte Frage aber beantwortet das französische Recht anders als das englische: für jenes ist die Staatsangehörigkeit, für dieses der Wohnsitz des Eigentümers entscheidend. Und da beide Kriterien zu ganz verschiedenen Antworten führen1 und unvereinbare Gegensätze in der praktischen Handhabung bieten, so steht jener Rechtssatz in einem Kriege zwischen Deutschland, das wie die meisten Staaten des Kontinents der französischen Auffassung folgt, und England einfach auf dem [73] Papier – es fehlt in Wahrheit der Pariser Seerechtsdeklaration das, was jeder Vertrag zu seiner juristischen und praktischen Gültigkeit voraussetzt: eine Willenseinigung über einen wesentlichen Punkt des Vertragsinhalts. Ein anderes Beispiel, das ebenso erschreckend die Unfertigkeit des Kriegsrechtes _____________ 1 Vgl. Näheres hierüber in meinem Aufsatz in Niemeyers Zeitschr. f. Internationales Recht, 17. Bd., 1907, 303ff.

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erkennen läßt, ist der Art. 23 h der Landkriegsordnung der 2. Haager Friedenskonferenz. Untersagt ist hiernach „die Aufhebung oder zeitweilige Außerkraftsetzung der Rechte und Forderungen von Angehörigen der Gegenpartei oder die Ausschließung ihrer Klagbarkeit“. Nach der Ansicht der Antragsteller (Deutschland) sollte damit ausgesprochen werden, daß die vor dem Krieg abgeschlossenen Verträge zwischen Angehörigen der Kriegsparteien trotz des Krieges gültig und klagbar bleiben. Da nach englisch-amerikanischem Recht der Handel mit feindlichen Untertanen verboten ist und einem feindlichen Untertan während des Krieges nicht gestattet wird, „vor Gericht auf die Anerkennung eines – vor Kriegsausbruch geschlossenen – Vertrages zu klagen“, so konnte nach sonst üblichen Grundsätzen der Rechtsinterpretation die Bestimmung keinen anderen Sinn haben als die Erklärung, daß dieses Landesrecht in Zukunft ungültig geworden ist. Das war denn auch die Auffassung der Kontinentaljuristen. Aber nicht die Auffassung der englischen und amerikanischen Regierung und ihrer Völkerrechtslehrer. Diese stellten sich vielmehr auf den Standpunkt, daß sich die Bestimmung lediglich auf die Besetzung feindlichen Staatsgebietes im Landkrieg beschränke und nur dem militärischen Befehlshaber in solchem Falle verbiete, durch besondere Erklärungen die „Bewohner des Kriegsschauplatzes“ dadurch „zu belästigen, daß er ihnen die Gelegenheiten nimmt, die für sie bestehen, um bei Privatansprüchen zu ihrem Rechte zu gelangen“.2 Es handle sich also nur um eine Beschränkung für die Führung der Landheere im Feld, um eine Bindung für die nach Art. 1 der Landkriegsordnung von den Vertragschließenden geforderten „Verhaltungsmaßregeln“ für ihre Landheere, keineswegs um eine Aufhebung des bestehenden englisch-amerikanischen Landesrechts für den Landkrieg oder gar für den Seekrieg im ganzen. Auch hier also fehlte, obwohl England ebenso wie Frankreich jenen Artikel vorbehaltlos angenommen hatten, eine Willenseinigung: ein völker-rechtlicher Vertrag war in Wahrheit gar nicht zustande gekommen, trotz des ganzen Apparates einer gründlichen Vorbereitung und der feierlichen Annahmeerklärungen der Vertragsstaaten! – Das dritte Beispiel schließlich ist die Londoner Deklaration über das Seekriegsrecht von 1909. Sie ist bekanntlich von den Staaten, insbesondere auch von England, nicht ratifiziert worden. Trotzdem wäre, nach Ansicht vieler, England verpflichtet gewesen, sich an ihre Bestimmungen in diesem Kriege zu halten, weil ihr Inhalt nach ihren eigenen Eingangsworten „die allgemein anerkannten Regeln des internationalen Rechtes“ [74] wiedergebe. Dies ist nun eine geradezu erstaunliche Verkennung des wirklichen Sachverhalts, eine Behauptung, die nur bei völkerrechtlicher Ignoranten entschuldbar wäre, hier aber von den Schöpfern der Deklaration selbst authentisch abgegeben ist! Denn in Wahrheit bestand in wesentlichen Fragen, _____________ 2 Erklärung des englischen Foreign Office vom 27. März 1911 bei Wehberg, England und der Einfluß des Krieges auf Versicherungsverträge. (Österreich. Zeitschr. f. öffentliche und private Versicherung, 1915, 273. Hier findet sich auch eine Angabe der weiteren Literatur über die Frage.).

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z.B. wann Blockadebruch anzunehmen, wann eine Ware als für den Feind bestimmt anzusehen, und nach welchen Kriterien die feindliche Eigenschaft einer Ware zu bestimmen sei, ein bis dahin ganz unüberbrückbarer Gegensatz zwischen dem, was englisch-amerikanische Auffassung und dem, was die übrigen, namentlich die Gemeinschaft der Kontinentalstaaten, als Regeln des internationalen Rechts „anerkannten“. Man braucht nur an die Lehre von der Einheit der Reise und die Domiziltheorie der Angloamerikaner zu erinnern. Noch in einer dritten Beziehung hat sich das überkommene Kriegsrecht als „papieren“ herausgestellt. Jede kriegsrechtliche Regelung ruht auf dem Gedanken einer aus der Rücksicht auf den Handel und Verkehr der friedlichen und insbesondere auch der neutralen Bevölkerung geforderten Einschränkung der militärischen Machtmittel der Kriegführenden. Diese Bestimmungen sind aber im höchsten Maße leges imperfectae geblieben, weil keinerlei Versuch gemacht ist, Garantien für ihre Befolgung zu schaffen. Nicht verwirklicht ist der Gedanke eines internationalen Prisenhofes oder „internationaler Untersuchungskommissionen“, die in Streitigkeiten über Kriegsrechtsverletzungen wenigstens durch eine „unparteiische und gewissenhafte Prüfung die Tatfragen aufklären“. Es fehlt ein Weg, der den Neutralen auch nur andeutete, wie sie denn zur Durchsetzung ihrer berechtigten Ansprüche kommen könnten; ja, es ist nicht einmal bestimmt, welche Folgen die Verletzung von Rechten Neutraler haben soll. So kann man sich nicht wundern, daß gerade auf diesem Gebiete so oft die Macht im Gegensatz zum Recht triumphiert, und daß alles in allem trotz aller Paragraphen und detaillierten Regeln in Wahrheit doch nur die – Karikatur eines Kriegsrechts bestand. Ein „Recht“, das dem größten Teil derer, die es anzuwenden hatten, bis zum Beginn des Krieges unbekannt war, das in ganz lockerem Zusammenhang zu der geistigen Gemeinschaft stand, die es praktisch anging, das in entscheidenden Fragen unheilbaren Dissens der beteiligten Staaten aufwies, das nicht einmal den Versuch machte, die Hauptfrage der Sicherung gegen Verletzungen auch nur aufzuwerfen, – wenn ein solches Kriegsrecht im Weltkrieg wie ein Kartenhaus zusammengebrochen wäre, so hätte sich niemand wundern dürfen. Das Wunder ist vielmehr, daß es trotz aller dieser Mängel doch noch, z.B. in vielen Bestimmungen des Landkrieges, Geltung behalten hat. Das aber lehren diese Tatsachen, daß hier eine große und dringende Aufgabe für die Zukunft unmittelbar nach Erfüllung ruft: mit neuen und stärkeren Kräften mitzuarbeiten an dem Wiederaufbau und der Weiterentwicklung dieses Kriegsrechts und darüber hinaus des Völkerrechts überhaupt. Die Gelegenheit dazu ist so günstig wie nie zuvor. Zum erstenmal [75] – und hoffentlich auch zum letztenmal – ist fast die ganze Welt – weitaus der größte Teil des europäischen Kontinents und England mit allen seinen Dominions, die amerikanischen Staaten, China und Japan – miteinander im Krieg, die Gesamtheit der neutralen Staaten ist in einem Umfang in die Schicksale und Wirkungen des Krieges hineingezogen worden, den auch die kühnste Phantasie nicht hätte voraussehen können, –

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die militärischen Machtmittel zu Lande und auf See, unter Wasser und in der Luft, die wirtschaftlichen Angriffs- und Abwehrmaßregeln haben ebenso ungeahnte und maßlose Dimensionen angenommen. So sind Erfahrungen zu sammeln und zu verwerten von ganz unerhörter Reichhaltigkeit, von solcher Fülle, daß auch das Leben des Arbeitskräftigsten nicht imstande sein wird, eine vollständige Übersicht über alle diese Erfahrungen zu gewinnen. Notwendig ist vielmehr eine Organisation, das Zusammenschließen vieler zu gemeinsamer Arbeit und zur Anregung und Förderung von Arbeiten Einzelner. Aus diesen Gedanken heraus ist die „Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht” entstanden. Mitten im Krieg und gerade infolge der Erfahrungen des Krieges. Sie sind insbesondere auch bestimmend geworden für die Eigenart dieser Gesellschaft. Einmal erschien es dem Gründer und ersten Vorsitzenden Niemeyer-Kiel richtig, nicht nach dem Vorbild des „Institut de Droit International“ eine Gesellschaft nur von Fachgelehrten zusammenzurufen. So angesehen das „Institut“ mit Recht in der Schätzung der Wissenschaft und später auch in der Schätzung der Regierungen war, so sorgfältig seine Arbeiten vorbereitet und so gründlich sie ausgeführt wurden, so bedeutsam, ja grundlegend auch seine „Projets“ für Zustandekommen und Inhalt der geltenden Völkerrechtsverträge wurden, – es blieb doch immer nur eine Gelehrtenakademie, es ist nie das geworden, was Bluntschli als sein Ziel hinstellte, „eine Autorität für die Welt“3. Das von ihm herausgegebene „Annuaire“ blieb versteckt in Fachbibliotheken und war selbst in mancher großen öffentlichen Bibliothek nicht zu finden. So blieben seine Arbeiten in einer „Splendid isolation“ und fanden keine Beachtung und Resonanz in der allgemeinen Überzeugung der Gebildeten. Das aber war mit ein Grund, warum den von ihm geschaffenen oder geförderten Grundsätzen des internationalen Rechts so wenig wirkliche Lebenskraft und Lebenszähigkeit beschieden war. Es waren Schreibtischpflanzen, die in dem Erdreich des Volkes, aller derer, die dieses Recht im Ernstfall aktiv und passiv anging, nur eine sehr schwache Grundlage hatten. Die geistigen Führer in diesem Kampf um ein internationales Recht blieben vielfach Offiziere, ohne daß irgendeine Sicherheit war, daß ihnen Soldaten folgten. Das waren die Gründe, die zu einer Vereinigung auf breiterer Grundlage rieten. Die „Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht“ will neben Theoretikern des Völkerrechts, akademischen Lehrern und Forschern Männer der Praxis zu Arbeitsgenossen haben. Zu verstehen sind darunter Beamte, die [76] in den besetzten Gebieten, in der Organisation des Roten Kreuzes oder der Gefangenenfürsorge die Unentbehrlichkeit völkerrechtlicher Regelungen erfahren, die in der Industrie, im Handel und Seeverkehr den Wert solcher internationalen Ordnungen erkannt haben. Sie will ferner auch Vertreter der als Hilfswissenschaften des _____________ 3 Tableau général de l’Institut de Droit International, 1873–1892; 1893, Introduction historique, 3.

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Völkerrechts erheblichen Wissensgebiete (Satzungen Art. I) gewinnen. D.h. sie legt Wert darauf, daß sich zu gemeinsamer Arbeit Juristen, Nationalökonomen, Historiker, Berufspolitiker, Offiziere in leitender Stellung zusammenfinden. Daß eine solche Zusammensetzung Schwierigkeiten für den Arbeitsbetrieb der Gesellschaft schafft, ist in den konstituierenden Versammlungen nicht verkannt worden. Es ist leichter, mit einheitlich vorgebildeten und zu gleichartigem Denken geschulten Juristen zur Verständigung zu kommen. Aber gerade die Vielseitigkeit der Denk- und Arbeitsmethoden, die bei der Zusammensetzung der Gesellschaft zum Ausdruck kommen wird, zwingt zu einer vielseitigeren Durchprüfung, sie nötigt dazu, die Tragweite der Beschlüsse außer auf ihren juristischen Gehalt auch auf ihre wirtschaftlichen, politischen und militärischen Wirkungen zu untersuchen. Ob gerade diese Richtung der Fragen in einer rein theoretischen Juristengesellschaft nach Art des „Institut“ wirklich gründlich und namentlich sachverständig untersucht werden kann, ist zum mindesten zweifelhaft. Jedenfalls bietet die Zusammensetzung der neuen Gesellschaft dafür größere Bürgschaften. Auch ist sie keineswegs ohne Vorbild. Die „International Law Association“, die ebenso wie das „Institut“ im Jahre 1873 unter dem Einfluß des deutsch-französischen Krieges entstanden ist4, zählte ebenfalls nicht nur Juristen und Theoretiker zu ihren Mitgliedern: sie umfaßte „wissenschaftliche Forscher und Lehrer in allen Gebieten des internationalen Rechts, Verwaltungsbeamte, Richter hoher Gerichtshöfe, Anwälte, Staatsmänner, Politiker und hervorragende Vertreter freier Berufe aus allen zivilisierten Ländern“5. Und sie hat den vollen Beweis erbracht, daß die „Kraft und Mannigfaltigkeit der in ihr vertretenen Intelligenzen und Erfahrungen“6 eine besondere Gewähr für haltbare und vernünftige Resolutionen bietet. Verdanken wir doch dieser Association die „überaus praktische und ersprießliche Durchsetzung der York-Antwerp-Rules, d.h. die tatsächliche Herstellung eines Weltrechts im Gebiet der Havarie“, ebenso wie die fortschreitende Vereinheitlichung des Seerechts und des Weltwechselrechts (Niemeyer a.a.O., 227)7. So darf die Art der Zusammensetzung der „Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht“ nicht abgelehnt werden aus Scheu vor dem Aufeinander[77]platzen verschiedener Gesichtspunkte, aus Bedenken gegen ihre Arbeitsfähigkeit infolge _____________ 4 Sie ist gegründet in Brüssel und führte ursprünglich den Titel „Association pour la rèforme et la codification du droit des gens“. 5 So Knorr, „Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht“ in den „Grenzboten“, Oktober 1917, 14ff. (ein gut unterrichtender Aufsatz). 6 Niemeyer, Die Arbeit der „International Law Association“, 1906–1911, in Niemeyers Zeitschr. f. Internationales Recht, 22. Bd., 1912, 215. 7 Seit 1912 wurde eine deutsche Landesgruppe dieser „Association“, die „Deutsche Vereinigung für internationales Recht“ unter Niemeyers Vorsitz gegründet, die bis zum Kriege eine erfolgreiche Tätigkeit ausgeübt hat; siehe K. Strupp, Die Deutsche Vereinigung für Internationales Recht, Zeitschr. f. Völkerrecht, 8. Bd., 293ff.

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disparater Interessen. Solche Bedenken sind gerade aus dem Kreise hochangesehener Theoretiker hervorgegangen. Im allgemeinen aber hat der von der Gesellschaft ausgegangene Ruf in weiten Kreisen Anklang und Verständnis gefunden. Und wer der Herrschaft des Völkerrechts für die Zukunft eine stärkere und allgemeinere Geltung zu erkämpfen bestrebt ist, wird auf die Exklusivität gelehrter Kreise verzichten und den von der „Gesellschaft“ gewählten Methoden folgen müssen. Die Erfahrungen des Krieges aber haben zweitens die Zusammensetzung der Gesellschaft noch in einem weiteren Sinne bestimmt. Es handelt sich um eine Gesellschaft, der lediglich Deutsche als Mitarbeiter und Mitglieder angehören dürfen. Auch das bedarf der Rechtfertigung. Und sie ist sogar für den, der die Möglichkeiten internationalrechtlicher Schöpfung bedenkt, keineswegs leicht zu geben. Auf den ersten Blick nämlich erscheint eine Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht ein Widerspruch. Denn ein Völkerrecht, d.h. ein Rechtssystem, das Staaten im Verhältnis zueinander Befugnisse verleiht und Pflichten auflegt, kann niemals durch nationale Organe auf Grund nationaler Beschlüsse und Überzeugungen geschaffen werden. Es setzt Staaten voraus, die sich über gemeinsame Interessen verständigt haben. Wie soll, so kann man mit Recht fragen, der Prozeß der Bildung internationalen Rechts gefördert werden durch eine Gesellschaft, der grundsätzlich nur deutsche Mitglieder angehören dürfen? Wie soll sie bestimmen, inwieweit deutsche Interessen mit russischen, französischen, englischen, amerikanischen usw. Interessen zu einer Einheit zusammengefaßt werden können? Und wie kann sie feststellen, ob die Annahme einer solchen Interessengemeinschaft zu Recht gemacht wird und nicht vielleicht nur eine subjektiv-nationalistische Überzeugung, – ein deutsches Vorurteil darstellt? So berechtigt diese Zweifel sind, sie wiegen zu leicht gegenüber den Bedenken, die gerade die gegenwärtige Weltlage gegen internationale wissenschaftliche Organisationen erhebt. Ich teile nicht den Glauben, daß für absehbare Zeit geistiges Zusammenarbeiten zwischen Mittelmächten und „Entente“ ausgeschlossen sein wird. Solche Beziehungen werden sich nach dem Kriege schneller wieder anknüpfen, als unsere „chauvins“ von heute meinen, aus dem sehr einfachen Grunde, weil sie für das Leben von Kulturstaaten ebenso unentbehrlich sind, wie das – Atmen. Das aber hat uns der Krieg allerdings gelehrt, daß man besser tut, die Arbeit am Völkerrecht bis auf weiteres im eigenen Lande zu fördern und sie als eine deutsche Angelegenheit anzusehen. „Deutsch“, weil das eigene Interesse, die Wirtschaft und Kultur Deutschlands die Pflege des Völkerrechts fordern. Diesen Gedanken in alle Kreise der deutschen Intelligenz zu tragen und nie wieder die Meinung aufkommen zu lassen, als wäre das Völkerrecht nur eine Spielerei von Phantasten und Ideologen, dazu ist in erster Linie notwendig die Zusammenarbeit von Deutschen. Diese Zusammenarbeit tut aber auch not, damit sie sich die Richtung ihrer Wünsche und Forderungen eindringlich klar[78]machen können. Will man feststellen, wie weit die Interessen des eigenen Staates

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und seiner Entwicklung vereinbar sind mit den Interessen anderer Staaten, so muß man zunächst einmal wissen, was denn die eigenen Interessen fordern. Die Völkerrechtsarbeit hätte fruchtbringendere Ergebnisse gehabt, wenn dieser berechtigte, wohlverstandene Staatenegoismus schärfer und ehrlicher bei den Kämpfen um interstaatliche Vereinbarungen hervorgehoben wäre. Das ist keineswegs eine nur deutsche Forderung, sondern eine Selbstverständlichkeit, die für jeden Staat Berechtigung in genau dem gleichen Maße hat. „All assertions of right arising from patriotism or ,my country before everything’ (über alles)8 must be swept aside as noxious hindrances to progress“9. Die Deutschen fühlen sich durch diese Worte, die eine durchsichtige Spitze gegen Deutschland haben, ganz und gar nicht getroffen. Auch Deutschland will kein Völkerrecht, das nur deutschen Interessen zum Sieg verhilft, ebensowenig freilich ein Recht, das allein durch englische Interessen diktiert ist. Lebensfähig und möglich ist ein Völkerrecht vielmehr nur dann, wenn seine Sätze mit deutschen ebenso wie englischen usw. Interessen vereinbar sind. Daher müssen wir brechen mit dem Unwesen der alten Völkerrechtsverträge, die in ihren Eingängen feierlich „im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit“ sprechen, die von Kultur und Humanität überfließen, in ihrem Inhalt aber menschlich-allzu menschliche politische Forderungen des jeweils mächtigsten der vertragschließenden Staaten verwirklichen. Das ist nicht nur unehrlich, sondern hat sich auch als kurzsichtig erwiesen, weil die Wahrheit doch schließlich an den Tag kam und dann nicht nur diese Art von Verträgen, sondern mit ihnen zugleich das Völkerrecht im ganzen um sein Ansehen brachte. Statt dieser Methode, für die das Handwerkszeug der hohen Politik und Diplomatie maßgebender war als klare Rechtsgrundsätze, wird in Zukunft ein anderer Weg zu beschreiten sein. Die Vorbedingung für einen Staatenvertrag muß zuerst die klare Erkenntnis dessen sein, was die Interessen der vertragschließenden Staaten zu fordern haben. Ihr Wohl und ihre Entwicklung in wirtschaftlicher und politischer Beziehung dürfen durch die Wirkungen des Vertrages nicht eingeschnürt werden. Erst wenn diese Frage zugunsten des betreffenden Staates beantwortet ist, tritt als zweite Untersuchung die Frage auf, ob der Staat mit Rücksicht auf die Interessen anderer Staaten aus Gründen der Förderung des internationalen Verkehrs oder internationaler geistiger oder kultureller Werte in eine Einschränkung seiner Handlungsfreiheit einwilligen soll und kann. D.h. Staatenverträge sind genau so wie Privatverträge nur dann abzuschließen, wenn ihr Inhalt durch das Interesse jedes Vertragschließenden gerechtfertigt ist, wenn die Lasten, die ein jeder auf sich nimmt, Äquivalente für die zu erwartenden Vorteile darstellen. Darüber, ob sich meine Interessen mit denen des Vertragsgegners vereinigen lassen, wird mir erst die Verhandlung mit ihm eine Aufklärung geben können. Ob _____________ 8 9

Der Zusatz findet sich in dem Original. „The Grotius Society“, Problems of the War I, 1916, 12.

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aber meine Interessen eine Vertrags[79]bindung fordern oder wenigstens zweckmäßig erscheinen lassen, darüber muß ich selbst zur Klarheit gelangt sein: nur ein ganz naiver Kaufmann wird mit seinem Vertragsgegner auch hierüber verhandeln oder gar eine maßgebende Auskunft von ihm erwarten. Völkerrechtliche Verträge aber sind bisher, soweit Wissenschaft und Theorie ihre Entstehung und ihren Inhalt vorbereiteten, stets in dieser allen kaufmännischen Grundsätzen zuwiderlaufenden Art gefördert worden. Das französische, deutsche und englische Mitglied des „Institut“ arbeiteten gemeinsam Vertragsgrundsätze aus und mußten infolgedessen eine Verständigung auch über die Frage nach dem Nutzen der Vereinbarung vom eigenen staatlichen Gesichtspunkt versuchen. Dabei konnte es trotz aller subjektiven Ehrlichkeit nicht ohne ein Versteckensspiel in feinerer oder auch gröberer Tonart abgehen. Denn in den Beziehungen der Staaten zueinander, auch der „Kulturstaaten“, herrscht immer noch ein recht robuster Egoismus, eine Grundstimmung, die an die Zustände des „bellum omniurn contra omnes“ im Sinne des Naturzustandes à la Hobbes erinnert. Eine solche Stimmung aber macht Verträge nur möglich, wenn manches verschwiegen und manches anders gesagt wird, als es gedacht ist. So kamen jene papiernen Verträge zustande, von denen oben ein paar charakteristische Beispiele genannt sind, Verträge, bei denen die eigentlich wesentlichen Gesichtspunkte bei der Verständigung ignoriert oder in einem entgegengesetzten Sinne von den Kontrahenten aufgefaßt wurden. Das Bedürfnis, völkerrechtliche Fragen durch nationale Organisationen zu fördern, ist also aus allgemeinen Tendenzen der internationalen Rechtsbildung zu rechtfertigen. Und es ist auch kein Zufall, daß dieses Bedürfnis sich an verschiedenen Stellen gerade während des Krieges geltend gemacht hat. So ist in England eine „rein britische Gesellschaft“, die „Grotius Society“, 1915 gegründet worden10, 1916 die Schweizer Vereinigung für Internationales Recht11. 1915 ist aus den bestehenden 21 (!) amerikanischen Gesellschaften für Völkerrecht ein „American Institute of International Law“ geschaffen worden12. Zweifellos sind diese Gründungen ein Beweis dafür, daß das Vertrauen in die völkerrechtliche Arbeitsfähigkeit international zusammengesetzter Gesellschaften durch den Krieg eine schwere Erschütterung erfahren hat. Zugleich aber auch _____________ 10 The Grotius-Society, Problems of the War I, 1916, II, 1917. Über die Ziele der Gesellschaft unterrichtet die „Introduction“ des Oxforder Professors Gondy, I, 12ff. 11 Schweiz. Vereinigung f. Internationales Recht (Societe suisse de droit international; Verhandlungen der ersten Jahresversammlung, 12. Nov. 1916, Die Einbürgerung der Ausländer in völkerrechtlicher Beziehung, 1917. Vgl. die vortrefflichen Eröffnungsworte von Max Huber über die Ziele der Gesellschaft und der Völkerrechtsentwicklung, 6ff. 12 Vgl. über die Gründung die Eröffnungsworte von Elihn Root in Proceedings of the American Society of International Law at its tenth annual meeting held at Washington, D. C., April 27–29, 1916, 1ff.

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ein Zeichen dafür, daß man die Notwendigkeit einer Weiterarbeit auf diesem Gebiet, wenngleich in getrennten Lagern, erkannt [80] hat. Wenn diese Gesellschaften zum Leitstern ihrer Arbeit „den unbeugsamen Willen machen“, „eigenes Recht zu behaupten und fremdes zu achten“13, so darf von ihrer Entwicklung ein tatkräftiger Aufschwung des Völkerrechts erwartet werden. Soviel über die Ziele der „Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht“. Sie ist am 6. Januar 1917 gegründet und hat vom 5. bis 7. Oktober 1917 ihre erste Jahresversammlung in Heidelberg abgehalten. Über ihre Aufgaben und Arbeitsmethoden wurde durch den 1. Vorsitzenden die folgende programmatische Erklärung verlesen: Die Erfahrungen des Weltkrieges haben die Überzeugung in uns gereift, daß die Bildung einer Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, die schon seit Jahren angestrebt war, nicht mehr länger aufgeschoben werden dürfe. Trotz der Erschütterungen, die das Völkerrecht in dem Kriege erlitten hat, sind wir gewiß, daß dem Völkerrecht und seiner Wissenschaft, wie sich auch die Verhältnisse gestalten mögen, große Aufgaben erwachsen werden. Die Gesellschaft setzt sich zwei Zwecke. Erstens: sie will die wissenschaftliche Erkenntnis des vorhandenen Völkerrechts fördern. Einmal bedarf es der gemeinsamen Überlegung und ausführlichen Aussprache der Sachkenner, um die Fragestellungen und Forschungsrichtungen herauszufinden, für welche die wissenschaftliche Bearbeitung besonders dringlich ist. Es soll dann auf die Bearbeitung einzelner so gefundener Aufgaben durch Preisausschreiben oder durch besondere Aufträge und durch Bereitstellung von Geldmitteln hingewirkt werden. Sodann gibt es eine Reihe von wissenschaftlichen Aufgaben, deren Bewältigung die Kräfte eines Einzelnen übersteigt. Hier ist die Arbeit einer Gesellschaft unentbehrlich, die solche Unternehmungen organisiert. Zweitens: ihre zweite große Aufgabe ist die Mitarbeit am Wiederaufbau und Ausbau des Völkerrechts. Sie will Vorarbeit leisten für die künftigen internationalen Abmachungen, und das, was Deutschland dabei fordern muß, zum Ausdruck bringen. Der Weg hierzu ist, nach Art des Deutschen Juristentages, begründete Gutachten und Vorschläge hervorragender Praktiker und Theoretiker des Völkerrechts einzuholen. Hierüber soll dann in den Versammlungen der Gesellschaft mündlich verhandelt und Beschluß gefaßt werden. Die Gesellschaft wird die beschlossenen, formulierten Vorschläge den leitenden Stellen des Reichs zur Kenntnisnahme übermitteln und in jeder geeigneten Weise für ihre Anerkennung und Verwirklichung tätig werden.

Außerdem stellte die „Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht“ eine Preisaufgabe: „Die Praxis der Staatennachfolge bei Gebietsveränderungen (Abtretung, Zusammenlegung, Verselbständigung) seit Beginn des 19. Jahrhunderts soll urkundlich dargelegt, die dabei erkennbaren Grundsätze sollen klargestellt, die Möglichkeiten leitender völkerrechtlicher Gesichtspunkte für [81] Gegenwart _____________ 13 Max Huber a.a.O., 15, bezeichnet damit die Aufgabe der Schweiz: ihre nationalen Interessen wie ihre internationale Stellung beruhen auf der gleichen Grundlage.

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und Zukunft sollen untersucht werden. Ausgeschieden sollen bleiben die Fragen der Option und des Plebiszits.“ Als Preis werden 2.500 Mk. ausgesetzt, die der für preiswert erkannten besten Arbeit zufallen. Die Ablieferung der Arbeit muß spätestens am 1. Oktober 1919 bei dem Vorsitzenden der Gesellschaft erfolgen. Die näheren Bedingungen sind in der „Deutschen Juristenzeitung“ und im „Recht“ veröffentlicht worden. II. Die Verhandlungen der ersten Tagung werden in besonderen „Mitteilungen der Gesellschaft“ der Öffentlichkeit zugängig gemacht werden. Daher soll hier nur eine kurze Übersicht über sie gegeben werden. Am ersten Tage berichtete nach einer Eröffnungsansprache des 2. Vorsitzenden, Professor Meurer-Würzburg, und begrüßenden Worten der Vertreter von Behörden (Reich, Einzelstaaten, Universität und Stadt Heidelberg) der 1. Vorsitzende Niemeyer über „Deutschlands Anteil an der Entwicklung des Völkerrechts“. An der Hand einer Statistik zeigte er zunächst, welche Pflege das Völkerrecht an den deutschen Universitäten von 1815 bis zur Gegenwart gefunden hat. Daran schloß sich ein Überblick über die Persönlichkeiten, die in Deutschland das Völkerrecht gefördert haben. Die erste Professur für Völkerrecht ist 1661 in Heidelberg gegründet worden für Samuel Pufendorf, der das Völkerrecht als jus naturae lehrte. Ebenso Christian Wolff, dem Friedrich der Große eine Professur in Halle verschaffte. Wie sehr der „gewaltige Realpolitiker“ das Völkerrecht schätzte, geht daraus hervor, daß er Wolffs Jus naturae immer im Felde bei sich trug und es dreimal gelesen hat. Ende des 17. Jahrhunderts sind dann Leibniz und Johann Jakob Moser als Vertreter eines „positiven“ Völkerrechts zu nennen. Unmittelbar an Moser knüpft Georg Friedrich Martens an, der in Göttingen diplomatische Übungen in deutscher und französischer Sprache abhielt und ein hohes Ansehen in der Diplomatie besaß. Er ist der bedeutendste Völkerrechtslehrer gewesen, den Deutschland gehabt hat. Klüver, Heffter, Bluntschli und Bulmering (mit Ausnahme von dem Berliner Heffter sind sie alle in Heidelberg tätig gewesen) haben die Entwicklung im Sinne Martens’ weitergeführt. Die Pflege des Völkerrechts in Deutschland setzt dann in literarischen Organisationen ein. 1791 ist durch Martens der noch heute bestehende „Recueil des traités“, eine Sammlung der bestehenden Staatenverträge, geschaffen worden. 1861 ist das Staatsarchiv, 1886 das Archiv für öffentliches Recht, 1891 durch Böhrn die Zeitschrift für internationales Privatrecht gegründet worden, die bald unter Niemeyers Leitung völkerrechtliche Aufsätze aufnahm und 1906 ihren Titel in Zeitschrift für internationales Recht änderte. Seit 1907 wird von Kohler und Fleischmann eine Zeitschrift für Völkerrecht herausgegeben. In bezug auf Zahl und Reichhaltigkeit der periodischen Veröffentlichungen steht Deutschland dem Ausland gegenüber nicht zurück, wohl aber fehlt ihm ein so reichhaltiges und systematisch unterrichtendes Organ wie die französische Revue générale de droit public.

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[82] Die Gründung des Institut de droit international ist wesentlich unter dem Einfluß von Bluntschli geschehen. Bei der Gründungsversammlung waren von elf Anwesenden nicht weniger als vier (Bluntschli, Heffter, Goldschmidt und Holtzendorff) Deutsche. Im Jahre 1877 aber waren nur noch 1/5 der Mitglieder des „Institut“ Deutsche; 1897 1/6, 1906 1/8, 1915 nur noch 1/10! Dieser Rückgang ist nicht dadurch zu erklären, daß die Zahl der deutschen Mitglieder absolut geringer wurde, wohl aber dadurch, daß die Zahl der ausländischen Mitglieder fortgesetzt stieg. Die Gründung einer „Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht“ erscheint dem Vortragenden notwendig „nicht trotz des Krieges, sondern gerade wegen des Krieges“. Die nach dem Krieg bevorstehenden Verhältnisse zwingen dazu. „Deutsche Geistesart, deutsche Arbeit, deutsche Bildung muß entfaltet werden, um der völkerrechtlichen Geltung in der Welt zu dienen. Die moralische Kraft Deutschlands und seine geistige Bildung zwingen uns, nach dem Grundsatze ,noblesse oblige’ in der Welt voranzuschreiten, mit dem, was wir wollen und können.“ Von der Zukunft wird zu fordern sein eine gesteigerte Pflege der deutschen Völkerrechtswissenschaft in Lehre und Forschung, die Verbreitung von Kenntnissen und Verständnis unter den Praktikern des Völkerrechts, eine enge Verbindung von Wissenschaft und Praxis des Völkerrechts, schließlich die Verbreitung „völkerrechtlicher Volksbildung.“ Den zweiten Vortrag hielt der ausgezeichnete Kenner englischen Rechts, Professor Mendelssohn Bartholdy aus Würzburg. Er sprach über „den Gegensatz zwischen der deutschen und der englischen Kriegsrechtsauffassung und die Überwindung dieses Gegensatzes im künftigen Völkerrechte“. Nach der deutschen Auffassung, die bis zu diesem Krieg die festländisch-europäische war, hat der Krieg, den zwei Staaten miteinander führen, die friedliche Bevölkerung nach Möglichkeit zu schonen: von ihr wird erwartet, daß sie zwar den eigenen Staat unterstützt, dem Feind also keinen Vorschub leistet, andererseits aber dem Feind keinen bewaffneten Widerstand und überhaupt, wenn er das Gebiet besetzt, keinerlei Gewalt entgegenstellt. Auf der anderen, der anglo-amerikanischen Seite ist der Krieg ein Kampf zwischen zwei Völkern, die nicht auf die Besiegung, sondern im Grunde auf ihre Vernichtung ausgehen, ein Krieg, in dem die Schädigung der feindlichen Wirtschaft genau so eine verdienstliche Kriegstat ist wie irgendeine Leistung mit den Waffen, in dem daher auch jeder Teilnehmer am feindlichen Wirtschaftsleben genau so als Feind gilt, wie ein Angehöriger der bewaffneten Macht des feindlichen Staates. Die erste Auffassung ist im wesentlichen ein „Gebilde des Rechts“, von „gelehrten und im guten Sinne frommen Männern“ erdacht, die glauben, daß sie selbst den Krieg unter rechtliche Regeln zwingen können, unter Regeln, die höher stehen als die Gewalt der Kriegführenden. Die anglo-amerikanische Auffassung ist einfach eine „Praxis“, eine Zusammenfassung derjenigen Regeln, deren Beobachtung sich im letztvergangenen Kriege als nützlich, als förderlich erwiesen hat. In Wahrheit handelt es sich also

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hier um den [83] vielberufenen Gegensatz zwischen Militarismus und der Vorherrschaft der bürgerlichen Gewalt: ein bürgerlich-staatliches Recht des europäischen Festlandes liegt im Kampf mit der durchaus militaristischen Auffassung der angelsächsischen Großmächte. Soll es ein Völkerrecht als die geistige Gemeinschaft überhaupt noch geben, so kann nur eine dieser Auffassungen Herr bleiben. Wir wissen aus den Erfahrungen dieses Krieges, wie furchtbar sich diese Zwiespältigkeit am Rechtsempfinden der Völker gerächt hat. Nicht die Regierung und die ihr folgenden Zeitungen, wie die Gegner Deutschlands meinen, hat in Deutschland über das belgische Franktireurwesen, die Konzentrationslager für die Zivilgefangenen und über den ganzen Aushungerungskrieg Lärm geschlagen. Sondern im ganzen Volk lebte das Gefühl: daß der Feind dem, was in Deutschland für Recht im Krieg gehalten wurde, zuwidergehandelt habe, daß im Widerspruch zum Recht den deutschen Heeren der Hunger der Frauen und Kinder in den Rücken gebracht sei, daß die Frage der Neutralität Belgiens eine Sache sei, die die Regierung und die Staaten angehe, die belgische Bevölkerung aber nicht das Recht zum bewaffneten Widerstand gegen die einmarschierenden Truppen gehabt habe! Wie ist nun dieser Gegensatz der Anschauungen zu überwinden ? Wenn er mit dem innersten Wesen der kämpfenden Völker zusammenhinge, wie das nationalistische Schlagwort von den „Händlern und Helden“ behauptet hat, so könnten wir ihn niemals mit Rechtsregeln, sondern nur mit der Ausrottung eines dieser Völker überwinden. Aber dieser Gegensatz in seiner Anwendung auf Deutschland und England ist ein schwerer Irrtum. Eher könnte man sagen – „wenn schon einmal Fraktur in der Geschichte der Völker geschrieben werden soll, wobei es ohne Unrichtigkeiten im einzelnen nicht abgeht“ –, daß „die Macht Englands auf das Schwert der Eroberung um der Herrschaft willen gegründet sei, während Deutschland durch Fleiß und Geduld, durch Lernen vom Unglück, durch Einordnung in friedliche Gemeinschaft groß geworden sei“. So kann uns der trügerische Gegensatz zwischen Heldenturn und Händlertum nicht zur Erklärung des Gegensatzes der Kriegsauffassungen dienen, sondern nur das Bild der geschichtlichen Entwicklung. Deutschlands Kriegsauffassung ist 1813, 1866 und 1870 entstanden: Niemals war hier der Kampf gegen den „äußeren Feind“ die Hauptsache, nicht die Vernichtung, nicht einmal die Unterwerfung eines äußeren Gegners lag damals im Kriegsplan. Es waren vielmehr Kämpfe um den Aufbau des Reiches, es war der Wille zum Staat, der hinter dem Aufgebot der bewaffneten Macht stand. „Deutschland hat nie jenen Despotismus gehabt, der dem Monarchen erlaubt, zu sagen, „der Staat bin ich“, aber auch nicht die Auffassung des Staates als einer körperlichen Gemeinschaft der Einwohner, die jedem Einzelnen erlaubt, im Kriege mit großer Geste zu sagen „ich, ich bin der Staat“! Sondern für Deutschland ist der Staat rechtliche Ordnung, gesetzmäßige Gemeinschaft, die von dem

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Einzelnen Gehorsam und Einordnung verlangt, dem Einzelnen zwar die Freiheit seiner Seele, aber nicht die Herrschaft über ihn gestattet. In England dagegen haben die Kriege, in denen der englische Kriegs[84]rechtsbegriff entstand, nicht um die Gründung des Staates stattgefunden. Damals war Irland bereits tatsächlich unterworfen, und die Union mit Schottland bestand schon 100 Jahre. Gekämpft wurde vielmehr um die Weltherrschaft zur See. Begründet ist die heutige englische Kriegsrechtsauffassung durch das Urteil des englischen Prisenrichters Scott in der Sache „The Hoop“ im Jahre 1799. Hier wurde das Verbot des Handels mit dem Feind nur für den Seekrieg und das Prisenrecht ausgesprochen, 1814 erweiterte ein amerikanischer Provinzrichter dieses Verbot zu einem Verbot nicht nur des Handels, sondern jeder Art von Verkehr (communication, intercourse) mit dem Feind. Diese amerikanische Fassung haben dann die Engländer übernommen, im Krim- und Burenkrieg noch vorsichtig zurückhaltend, in diesem Krieg in dem Fall Panariellos14 schließlich als gemeinsames Alliierten-Kriegsrecht. Von jetzt an sind auch die vor dem Krieg abgeschlossenen Verträge zwischen Angehörigen der feindlichen Staaten von Kriegsbeginn an als nichtig anzusehen. Diesem amerikanischen Geist haben sich neuerdings die Richter der alten englischen Schule, voran die Richter des Oherhauses, mit Bewußtsein entgegengesetzt. In der Tat steht England am Scheidewege. Wird es sich auf seine Vergangenheit besinnen oder auf die Zukunft verlassen, „auf die Hilfe jener neuen Welt, die ihm dafür ein dürftiges Altenteil zu geben verspricht“? Soll in einem Frieden von Wiedergutmachung und Desannektion gesprochen werden, so ist als Bedingung für den Völkerrechtsfrieden die Forderung aufzustellen, daß „die Desannektion Englands von Amerika vollzogen werde, daß wieder gutgemacht werde das Unrecht, das durch diese Loslösung Englands von der europäischen Gemeinschaft ihm selbst und allen anderen zugefügt worden ist“. Noch läßt sich kein letztes Wort darüber sagen, wohl aber können wir schon heute „den Glauben bekunden, daß in diesem Kampf der beiden Auffassungen siegen werde, nicht das Recht der Vereinzelung, sondern das Recht der Gemeinschaft, das Recht des Aufbaues, nicht der Zerstörung, daß in ihm siegen wird nicht das Recht des gegenwärtigen Vorteils, sondern das Recht der Dauer und Beständigkeit, nicht das Recht der Vereinigten Staaten von Amerika und Englands, sondern das Recht der alten und doch jugendkräftigen Welt!“

_____________ 14 Vgl. über ihn näher Mendelssohn Bartholdy, Der Kriegsbegriff des englischen Rechts. Erläuterungen zum Fall Panariellos, 1915.

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Der Vortrag in seiner feinsinnig zugespitzten, programmatisch anregenden Form weckte stürmischen Beifall. Über ihn fand eine lebhafte Diskussion statt, in der die Gegensätze der beiden Auffassungen scharf gegeneinander abgewogen wurden. Ein Beschluß wurde nicht gefaßt, lag auch nicht in der Absicht der Verhandlungen. Die Aufgabe dieser ersten Versammlung sollte nicht in Resolutionen und praktischer Einzelarbeit bestehen. Ihr Zweck war es vielmehr, die Geister zu sammeln und aufzurütteln, auf daß die Arbeit am Völkerrecht in Zukunft mit neuen und reichhaltigeren Kräften als bisher fortgeführt werden kann.

Der rechtliche Status des Nord-Ostsee-Kanals: Vor und nach der Erklärung der Reichsregierung vom 14. November 1936 Rainer Lagoni, Hamburg

A. Einleitung Am 14. November 1936 erklärte die Regierung des Deutschen Reichs in einer an 16 Vertragsparteien des Versailler Vertrages gerichteten Note, „dass sie die im Versailler Vertrag enthaltenen Bestimmungen über die auf deutschem Gebiet befindlichen Wasserstraßen […] nicht mehr als für sich verbindlich“ anerkenne.1 Ausdrücklich erwähnte sie den „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ und in Bezug auf diesen die „Deutschland in Versailles aufgezwungenen willkürlichen Beschränkungen der deutschen Hoheitsrechte.“ Auf diese Weise versuchte die Reichsregierung, einseitig den Status des „Kieler Kanals“ zu verändern, der in Artikel 380 bis 386 des Versailler Vertrags einem Sonderregime unterworfen worden war. Bis in die jüngere Vergangenheit hinein gingen allerdings die Meinungen sowohl hinsichtlich des Rechtsstatus des Kanals unter dem Vertrag von Versailles als auch hinsichtlich der Wirkungen jener Erklärung vom November 1936 auseinander. Eröffnet wurde der Nord-Ostsee-Kanal 1895 als nationale Wasserstraße. Ob und inwieweit er zwischenzeitlich als „internationalisiert“ gelten musste, war und ist umstritten. Dabei wird in der Lehre als „internationaler“ Kanal2 für gewöhnlich eine Wasserstraße angesehen, deren Gebietshoheit einer internationalen Verwaltung unterstellt ist.3 Der Begriff wird zudem auch verwendet, wenn der Kanal ansonsten in erheblichem Umfang völkerrechtlich geregelt ist, ohne _____________ 1 Zum deutschen Wortlaut der Note siehe Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995, Festschrift hrsg. im Auftrag des Bundesministers für Verkehr von Rainer Lagoni, Hellmuth St. Seidenfus und Hans-Jürgen Teuteberg, Neumünster 1995, 244f. 2 Vgl. Heinrich Rheinstrom, Die völkerrechtliche Stellung der internationalen Kanäle, Budapest 1937, 1 Anm. 1, der darauf hinweist, dass die Bezeichnung „internationale Kanäle“ schon im 19. Jahrhundert gebräuchlich war. Im neueren deutschen Schrifttum wird sie z.B. verwendet von W. Otto Lampe, Die völkerrechtliche Situation des Kieler Kanals gestern und heute, Baden-Baden 1985, 2. 3 Vgl. Eckart Wehser, Die Durchfahrt durch die interozeanischen Kanäle, in: Rudolf Bernhardt/Walter Rudolf (Hrsg.), Die Schiffahrtsfreiheit im gegenwärtigen Völkerrecht, Heidelberg 1975 (= Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 15), 55–78 (59).

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dass dabei klar sein muss, welche seiner Elemente oder Aspekte von der Regelung betroffen sind. Unklar ist auch eine Bezeichnung als „funktional internationalisierter“ Kanal4, wenn normalerweise erst durch Auslegung festgestellt werden kann, welche seiner Funktionen von der Internationalisierung erfasst werden. Wegen dieser begrifflichen Unschärfen führt die Unterscheidung in der Frage nach dem Rechtsstatus nicht weiter. Statt hier den Versuch einer weiteren Differenzierung dieser Bezeichnungen zu unternehmen, soll in dieser Untersuchung unmittelbar vom Begriff des „Status“ ausgegangen werden. Der rechtliche Status einer Sache oder einer Einrichtung – also ihr normativer Zustand – hängt von bestimmten konstitutiven Regelungen ab. Diese beruhen auf Normen, die wesentlich ihre Existenz, rechtliche Gestaltung und ihren Betrieb regeln. Bei einem Kanal sind dies Regelungen der Hoheitsgewalt über das Kanalgebiet und seiner Nutzung als Schifffahrtsweg. Denn im Unterschied zu fischereirechtlichen, wasserrechtlichen, umweltrechtlichen oder ähnlichen akzidentiellen Merkmalen einer Wasserstraße sind dies wesentliche Kriterien ihrer rechtlichen Existenz als Schifffahrtskanal. Der rechtliche Status des Kanals entscheidet sich also an der Hoheit über das Kanalgebiet und der Regelung der Kanalpassage. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, sollen die einschlägigen Regelungen im Folgenden als hoheitsrechtlicher bzw. nutzungsrechtlicher Status des Kanals gekennzeichnet werden. Dabei ist der hoheitsrechtliche Status des Kanals regelmäßig ein Ergebnis der Gebietshoheit des Uferstaates. Er ist wegen ihrer verfassungsrechtlichen bzw. völkerrechtlichen Natur normalerweise verhältnismäßig statisch. Der nutzungsrechtliche Status des Kanals wird hingegen von Normen bestimmt, die üblicherweise die Durchfahrt von Schiffen regeln. Dabei kommen für eine Untersuchung des rechtlichen Status vor allem Bestimmungen über die Passage fremdflaggiger Schiffe in Betracht. Denn wenn diese von Hoheitsbefugnissen des Uferstaates betroffen sind, tritt der Status des Kanals gewöhnlich besonders deutlich zutage. Außerdem ist die Kanalpassage fremder Handelsschiffe von der Passage ebensolcher Kriegsschiffe und sonstiger Staatsschiffe – gemeint sind Schiffe, die anderen als Handelszwecken dienen und Immunität genießen – zu unterscheiden, denn bei der Passage der verschiedenen Kategorien von Schiffen stellen sich unterschiedliche Fragen.

_____________ 4 Vgl. Alexander Böhmer, One Hundred Years. The Kiel Canal in International Law, GYIL 38 (1995), 325–346 (329); zum Begriff Rüdiger Wolfrum, Internationalization, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law (EPIL), Bd. II, Amsterdam 1995, 1395–1398 (1397).

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B. Der Kanal und seine Zufahrten Eine Untersuchung des rechtlichen Status des Nord-Ostsee-Kanals muss von den tatsächlichen Verhältnissen dieser Wasserstraße ausgehen. Diese sind zuletzt 1995 anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens umfassend dargestellt worden5. Der 98,637 km lange Kanal verbindet die Unterelbe bei Brunsbüttel mit KielHoltenau an der Kieler Förde. Er wird vom innerstaatlichen und internationalen Schiffsverkehr genutzt. Ursprünglich sollte er „Nord-Ostseekanal“ heißen.6 Bei seiner Eröffnung 1895 verlieh ihm Wilhelm II. als Deutscher Kaiser und König von Preußen zu Ehren seines Großvaters aber den Namen „Kaiser-Wilhelm-Kanal“, der daraufhin als amtlicher Name angeordnet wurde. Im Friedensvertrag von Versailles7 wurde er 1919 als „Kiel Canal“ bzw. „Canal de Kiel“ und in der amtlichen Übersetzung des Vertrages als „Kieler Kanal“ bezeichnet. International ist dies seither sein offizieller Name geblieben. In Deutschland führt er seit 1948 den amtlichen Namen „Nord-Ostsee-Kanal“8. Die Veränderung seines dynastischen Namens im Laufe seiner Geschichte in die geographische Bezeichnung spiegelt in gewisser Weise den Wandel seines Status. Der Kanal ist 1887–1895 hauptsächlich aus seestrategischen Erwägungen erbaut worden. Er sollte es ermöglichen, die Deutsche Flotte im Falle eines militärischen Konflikts mit Frankreich oder Russland schnell in der Nordsee oder der Ostsee zusammenzuziehen.9 Nach § 1 des Herstellungsgesetzes von 188610 war

_____________ 5 Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1). Vgl. zu Einzelheiten auch Waldemar Jensen, Nord-Ostsee-Kanal. Eine Dokumentation zur 75jährigen Wiederkehr der Eröffnung, hrsg. von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Kiel, Neumünster 1970; Gerd Peters, Der Nord-Ostsee-Kanal, Hamburg 1995. 6 So die Überschrift des Gesetzes betreffend die Herstellung des Nord-Ostseekanals vom 16. März 1886, RGBl. 1886, 58. 7 Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Alliierten und Assoziierten Mächten vom 28. Juni 1919 (Versailler Vertrag VV), amtlicher deutscher Wortlaut in RGBl. 1919, 687; siehe Art. 380. 8 Siehe die Anordnung der Hauptverwaltung des Seeverkehrs des amerikanischen und britischen Besatzungsgebietes vom 15. April 1948, in: Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 226. Als Akronym für den Kanal wurde NOK eingeführt. 9 Vgl. Michael Salewski, Die militärische Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals, in: Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 341–365. Der Autor weist allerdings darauf hin, dass die Einschätzung der militärischen Bedeutung des Kanals unter hohen Generälen nicht ungeteilt war, ibid., 342. 10 Die Herstellung wurde nach dem Vorspruch des Gesetzes (Anm. 6) von Kaiser Wilhelm „im Namen des Reiches, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags“ verordnet.

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er der Benutzung durch die deutsche Kriegsflotte gewidmet11. Dennoch war das Befahren des Kanals und die Benutzung seiner Anlagen und der Kanalhäfen seit seiner Eröffnung auch der Handelsschifffahrt erlaubt12, und zwar auch für „fremde“ Schiffe13, also Schiffe unter fremder Flagge. Schon seit seiner Eröffnung wurde der Kanal hauptsächlich von der Handelsschifffahrt für den Verkehr zwischen beiden Meeren und zu den Kanalhäfen in Kiel, Rendsburg und Brunsbüttel genutzt. Der Schifffahrt bietet er z.B. bei einer Reise von Hamburg nach Rostock gegenüber einer Fahrt um das Skagerrak einen Wegevorteil von 446 km.14 Dieser Ersparnis an Zeit15 und Betriebskosten stehen allerdings die Abgaben für das Befahren des Kanals sowie die Lotsabgaben und Lotsgelder sowie das Entgelt für die Kanalsteuerer gegenüber.16 Der Kanal eröffnete der Schifffahrt außerdem einen besseren Zugang nach Rendsburg. Die Stadt konnte vorher auf dem Wasserweg von der Nordsee nur über die Eider und von der Ostsee über den 1785 eröffneten, nur für kleine Schiffe geeigneten EiderKanal17 erreicht werden. _____________ 11 § 1 des Herstellungsgesetzes (Anm. 6) lautete: „Es wird ein für die Benutzung durch die deutsche Kriegsflotte geeigneter Seeschiffahrtskanal von der Elbmündung über Rendsburg nach der Kieler Bucht […] hergestellt“. 12 Art. 54 Abs. 3 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.04.1871 (RV), RGBl. 1871, 63. 13 Art. 54 Abs. 4 RV. 14 Zu den vom Kanal gebotenen „Wegvorteilen“ und seiner wirtschaftlichen Bedeutung insgesamt Martina Hinricher, Die wirtschaftliche Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals, in: Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 181–224 (184ff.). Ein von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Kiel im Wachholtz Verlag, Neumünster (o.J.), herausgegebenes Informationsblatt „Der Nord Ostsee Kanal“ nennt eine mittlere Wegverkürzung von 250 sm. 15 Es wird eine Zeitersparnis von etwa 2 Tagen angenommen; diese hängt von der Geschwindigkeit des Schiffes ab. Der Kanal ist Tag und Nacht mit einer Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h, ab einem Tiefgang von 8,50 m von 12 km/h befahrbar; eine Durchfahrt dauert je nach Verkehrsdichte und Schiffsgröße 6,5 bis 8 Stunden. 16 Es besteht für alle Fahrzeuge eine Lotsannahmepflicht, sofern sie nicht der von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord davon ausgenommenen Verkehrsgruppe 1 angehören; der Kapitän bleibt trotz des Lotsen für die Führung des Schiffes voll verantwortlich; vgl. Ernst Joachim Fürsen, Die Kanallotsen, in: Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 295–311 (307); Peters (Anm. 5), 69ff. Wegen des teilweise engen Kurvenradius besteht für größere Schiffe außerdem die Pflicht, einen Kanalsteuerer zu übernehmen, vgl. Ernst Joachim Fürsen/Gabriele Röhl, Die Kanalsteuerer, in: Nord-Ostsee-Kanal 1895– 1995 (Anm. 1), 313–327 (317); Peters (Anm. 5), 119ff. Keine derartigen Pflichten bestehen für Kriegsschiffe. 17 Der Schleswig-Holsteinische Kanal wurde 1794 eröffnet und 1853 in „Eiderkanal“ umbenannt. Er verlief von Rendsburg nach Holtenau; vgl. Gerd Stolz, Der alte Eiderkanal. Schleswig-Holsteinischer Kanal, Heide in Holstein 1988, 18ff.; Manfred Jessen-Klingenberg, Der Schleswig-Holsteinische Kanal (Eiderkanal) im 18. und 19. Jahrhundert, in: Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 33–50; Peters (Anm. 5), 14f.

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Seit seiner Eröffnung ist der Nord-Ostsee-Kanal in verschiedenen Bauabschnitten erweitert worden.18 Eine erste Erweiterung erfolgte schon im Kaiserreich, um ihn an die Bedürfnisse größerer Kriegsschiffe anzupassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er erweitert, um in gewissem Umfang die stark gewachsenen Schiffsgrößen in der Handelsschifffahrt zu berücksichtigen. Bei seiner ersten Erweiterung in den Jahren 1907–1914 wurde der Kanal von 66,70 m auf 102,50 m verbreitert und die Wassertiefe von 9,50 m auf 11 m vergrößert. Eine zweite Erweiterung war ab 1939 vorgesehen, wurde aber im Krieg nicht mehr durchgeführt.19 Statt einer solchen fand ab 1965 ein Sicherungsprogramm statt, in dessen Rahmen auf der Grundlage des Bundeswasserstraßengesetzes von 196820 ein abschnittsweiser Ausbau unter Berücksichtigung des Umweltschutzes stattfand.21 Als Ziel wurde die Breite des Wasserspiegels auf einer Gesamtstrecke von 85 km des Kanals auf 162 m angestrebt, während die Tiefe weiterhin bei 11 m geblieben ist.22 Experten der Kanalverwaltung bemerkten allerdings schon 1995, aufgrund der zurückgehenden Verkehrsfrequenz und des nach Abschluss der laufendenden Baumaßnahmen guten Kanalzustandes sei ein weiterer Ausbaubedarf zunächst nicht absehbar.23 Da die Unterelbe ein Tidengewässer mit einem mittleren Hochwasserstand von aktuell 1,50 m über Normalnull und einem Tidenhub von 2,80 m ist, während in der Kieler Förde der Wasserstand im Durchschnitt 0,03 m unter Normalnull liegt und zudem unter dem Einfluss des Windes schwankt, befinden sich an beiden Enden des Kanals doppelte Kammerschleusen. Die alten Schleusen von 1895 in Brunsbüttel und Holtenau mit einer Länge von je 125 m und einer Breite von 22 m wurden schon bei der ersten Erweiterung um jeweils zwei neue, 310 m lange und 42 m breite Schleusenkammern ergänzt (alle Maße sind Nutzmaße, die Baumaße sind entsprechend größer). In Brunsbüttel ist eine fünfte Schleusenkammer projektiert. Die Wassertiefe im Kanal und die Länge der Schleusenkammern begrenzen faktisch die Maße der Schiffe24, die den Kanal befahren können. _____________ 18 Vgl. Ulrich Troitzsch, Die Baugeschichte des Kaiser-Wilhelm-Kanals 1887–1945, in: Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 111–161 (140f.); Reinhard Stolz, Die Modernisierung des Kanals seit 1945, ibid., 163–180. 19 Vgl. Georg-Wilhelm Keil/Michael Wempe, Kanalrecht und Kanalverwaltung, in: Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 277–293 (281). 20 Bundeswasserstraßengesetz vom 2. April 1968, BGBl. 1968 II, 173. 21 Siehe Keil/Wempe (Anm. 19), 281f. 22 Der Querschnitt des Kanals wurde ab 1914 von 413 qm auf 828 qm verdoppelt und ab 1966 auf 1.353 qm erweitert. 23 Keil/Wempe (Anm. 19), 282. 24 Im NOK: Länge 280 m; Breite 32,5 m; Tiefgang 9,5 m. Zum Vergleich: Panama Kanal Länge 294,3 m; Breite 32,3 m; Tiefgang 12,04 m („Panamex“ Schiffe). Im schleusenlosen Suez Kanal sind nur die Breite auf 77,49 m, der Tiefgang auf 20,1 m und die Höhe auf 68 m beschränkt.

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Die Kanalzufahrten (Kanalzugänge) von der Nordsee über die Elbe und der Ostsee über die Kieler Förde sind integrale Bestandteile des Kanals, sie unterliegen daher auch hinsichtlich der Passage von Schiffen grundsätzlich seinem Recht. Auf der Elbe beginnt die Zufahrt an der Basislinie, die ursprünglich von Cuxhaven Döse über die Elbmündung zu einem Basispunkt bei Friedrichskoog auf der schleswig-holsteinischen Seite verlief und die Unterelbe von der Außenelbe im Wattenmeer trennte. Seit der Einführung der geraden Basislinien 1985 beginnt die Kanalzufahrt etwa 13 sm weiter seewärts in der Außenelbe auf einer Linie, die von der Halbinsel Eiderstedt zur Insel Spiekeroog verläuft. Die Kanalzufahrt von der Ostsee hat sich hingegen nicht geändert. Die Basislinie verläuft dort unverändert zwischen dem Leuchtturm Bülk und einem Basispunkt bei Stein auf dem östlichen Ufer der Kieler Förde und bildet praktisch deren Abschlusslinie. Seewärts der Basislinien erstreckt sich das deutsche Küstenmeer, in dem Schiffe aller Staaten das Recht der friedlichen Durchfahrt genießen, um in die inneren Gewässer einzulaufen oder sie zu verlassen,25 und zwar auch um den Kanal anzulaufen oder zu verlassen. Landseitig von den Basislinien befinden sich die inneren Gewässer des Küstenstaates, in denen grundsätzlich kein Recht auf friedliche Durchfahrt besteht.26 Die Kanalzufahrten befinden sich also in den inneren Gewässern der Bundesrepublik. Sofern ein Recht auf Durchfahrt durch den Kanal für fremde Schiffe existiert, findet es auch in den Kanalzufahrten Anwendung. Der Nord-Ostsee-Kanal wird heute von Binnenschiffen und der Sportschifffahrt sowie überwiegend von kleinen und mittleren Seeschiffen genutzt27, die im sog. Feeder-Verkehr die aus Übersee von großen Containerschiffen zu den Häfen der sog. Nord-Range (Antwerpen, Rotterdam, Bremen, Hamburg) transportierte Ladung zu den Ostseehäfen befördern. Dies trägt dazu bei, dass er im internationalen Vergleich der weltweit am meisten genutzte Seeschifffahrtskanal ist.28 Der Jahresbericht 1990 der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord in Kiel verzeichnete z.B. Schiffe aus 84 Ländern. Eine Prognose über die zukünftige Entwicklung der Verkehre durch den Kanal ist aber nach Ansicht von Experten schwierig.29 _____________ 25 Dieses Recht ist heute in Art. 18 Abs. 1 lit. b) des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (UNCLOS) kodifiziert, siehe BGBl. 1994 II 1799; UNTS 1833,3. 26 Dies kann in dem Abschnitt der Elbmündung zwischen der heutigen und der alten Basislinie nach Art. 8 Abs. 2 UNCLOS aber anders sein. 27 Das Informationsblatt (Anm. 14) nennt als „Regelschiff“ eine Größe von 14.000 tdw. Zu den tatsächlichen Schiffsgrößen im Kanalverkehr, vgl. Hinricher (Anm. 14), 192f. 28 1990 waren es noch 47.810 Schiffe; 2008 wurden etwa 43.000 angenommen und 2012 waren es 34.879 Schiffe; bedeutsamer als die Schiffszahlen ist aber wohl die Menge der transportierten Güter. 29 Hinricher (Anm. 14), 221ff.

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SMS Dresden im Kaiser-Wilhelm-Kanal, um 1909

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C. Der Kanal als nationale öffentliche Wasserstraße 1895–1920 Der Kanal ist vom Deutschen Reich mit Hilfe der bei seiner Eröffnung aufgelösten Kaiserlichen Kanalkommission auf der Grundlage des Herstellungsgesetzes von 1886 in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein als nationale Wasserstraße erbaut worden.30 Er bildet seither die Grenze zwischen den historischen Herzogtümern Schleswig und Holstein. Als öffentliche, der Schifffahrt gewidmete Wasserstraße war er ein „Binnengewässer“31 im Eigentum des Reiches. Wasserwegerechtlich ist er heute eine Binnenwasserstraße des Bundes32 und verkehrsrechtlich eine Seeschifffahrtsstraße33. Völkerrechtlich ist er als „inneres Gewässer“ zu betrachten.34 In seinem hoheitsrechtlichen Status befand er sich unter der unbeschränkten Souveränität des Reiches. Auf Handelsschiffe unter fremder Flagge und ihre Ladung fand im Kanal die deutsche Gebietshoheit Anwendung. Zugleich galt an Bord fremder Schiffe während der Passage und in den Häfen aber weiterhin auch die Flaggenhoheit des Flaggenstaates. Um Konflikte mit dieser zu vermeiden, übten die deutschen Behörden die Gebietshoheit in bestimmten inneren Angelegenheiten der Schiffe in den Häfen und im Kanal gewöhnlich zurückhaltend aus. Die Passage von Handelsschiffen und damit der nutzungsrechtliche Status des Kanals waren innerstaatlich im Recht des Reiches geregelt. Nach Artikel 54 Abs. 3 Satz 1 RV wurden „Kauffahrteischiffe sämtlicher Bundesstaaten“ – d.h. für den Erwerb durch Seefahrt bestimmte Schiffe – die in das Register eines Bundesstaates des Deutschen Reiches eingetragen waren, in „den Seehäfen und auf allen natürlichen und künstlichen Wasserstraßen der einzelnen Bundesstaaten gleichmäßig zugelassen und behandelt.“ Fremden Schiffen und deren Ladung durften nach _____________ 30 Die Kompetenz für die Errichtung eines Kanals lag grundsätzlich bei dem örtlich zuständigen Bundesland, hier also bei Preußen. Nach Art. 4 Ziff. 8 RV hatte das Reich aber die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz für „die Herstellung von Land- und Wasserstraßen im Interesse der Landesverteidigung und des allgemeinen Verkehrs“. 31 Siehe Otto Kähler, Das Schleswig-Holsteinische Landesrecht, 2. Aufl. Glückstadt 1923, 279 Anm. 12. Heute „Eigengewässer“, vgl. Ignaz Seidl-Hohenveldern/Thorsten Stein, Völkerrecht, 10. Aufl. Köln u.a. 2000, Rn. 1191, 1200. 32 Siehe die Anlage 1 Nr. 26 zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Bundeswasserstraßengesetzes (Anm. 20), 188. 33 Siehe § 1 Abs. 1 Nr. 17 der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung in der Neufassung vom 22.10.1998, BGBl. 1998 I 3209. 34 Vgl. Wolfgang Graf Vitzthum, Maritimes Aquitorium und Anschlusszone, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, München 2006, 71 Rn.7; Rainer Lagoni, Der NordOstsee-Kanal im Staats- und Völkerrecht, in: Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 225–276 (228f.).

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Art. 54 Abs. 4 RV nur vom Reich, also nicht von den Einzelstaaten, höhere Abgaben auferlegt werden. Die Reichsverfassung ging davon aus, dass die Häfen und Wasserstraßen im Rahmen des Gemeingebrauchs ohne besondere Zulassung auch für fremdflaggige Handelsschiffe offen waren. Handelsschiffe hatten also kein eigenes Passagerecht, sondern – unabhängig von ihrer Flagge – grundsätzlich nur die faktische Möglichkeit, den Kanal im Rahmen des Gemeingebrauchs zu befahren. Der Fahrzeugführer oder ein Beauftragter hatte das Schiff vor dem Einlaufen zu melden und die Kanalpassage in der Schleuse bei der Kanalverwaltung anzuzeigen, ohne dass sich daraus ein Recht des Schiffes ergab. Der Kanal wurde vom Kaiserlichen Kanalamt in Kiel (1919–1939 Reichskanalamt) hoheitlich verwaltet.35 Zur Regelung des Verkehrs erließ das Kanalamt bzw. seine Nachfolger seit 1895 die Kanalbetriebsordnungen, deren letzte 1971 von der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung ersetzt worden ist. Für die Kanalpassage wurden, wie bei künstlichen Wasserstraßen üblich, gesetzlich ihrer Höhe nach festgelegte Kanalgebühren36 als öffentliche Abgaben erhoben. Ausgenommen von den Abgaben waren die zur Durchfahrt berechtigten Schiffe der Kaiserlichen Marine und der Bauverwaltung. Nach der Reichsverfassung waren die Abgaben generell begrenzt. Sie durften die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Nur das Reich konnte den Schiffen und ihren Ladungen andere oder höhere Abgaben auferlegen, als von den Schiffen der Bundesstaaten erhoben wurden. Das Deutsche Reich konnte den Kanal aufgrund seiner Gebietshoheit jederzeit für den Verkehr sperren. Dies geschah z.B. zur Beseitigung von Wracks und sonstiger Verkehrshindernisse nach Kollisionen oder nach anderen den Verkehr beeinträchtigenden Ereignissen. Der Kanal konnte auch für einen längeren Zeitraum geschlossen werden, wie es während des ersten Weltkriegs geschehen ist. Ferner konnte einzelnen Schiffen, der gesamten Flotte einer Reederei oder den Schiffen unter einer bestimmten Flagge die Durchfahrt verboten werden, wenn dafür triftige Gründe vorlagen. Ein verfassungsrechtliches Verbot der sog. Flag-

_____________ 35 Zu den Kanalbehörden siehe Keil/Wempe (Anm. 19), 284ff. Anders als bei anderen Gewässern war die Verkehrssicherungspflicht des Reiches beim Kanal hoheitlicher Natur, während Ansprüche gegen Private, etwa wegen einer Schiffskollision, privatrechtlich waren. Dies ist weiterhin so. 36 Kanalgebührenordnung vom 20.06.1899, RGBl. 315; siehe Peters (Anm. 5), 45, 109, 128; Kähler (Anm. 31), 279.

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gendiskriminierung gab es zwar zwischen den Bundesstaaten des Deutschen Reiches,37 nicht aber im Verhältnis zu Schiffen anderer Nationen. Die Gründe für solche Passageverbote lagen nicht selten im politischen Bereich, etwa wenn das betreffende Schiff unter der Flagge eines mit Deutschland im Krieg befindlichen Staates fuhr. Ausländische Kriegsschiffe und sonstige Staatsschiffe38 durften den Kanal nur mit vorheriger diplomatischer Genehmigung befahren. So wurde z.B. 1904 während des russisch-japanischen Krieges die Durchfahrt eines russischen Geschwaders auf seinem Wege von der Ostsee nach Ostasien vom Deutschen Reich nicht genehmigt.39 Nachdem diese Regelung zuletzt in der Kanalbetriebsordnung vom 23. Februar 1911 enthalten war,40 wurde die Genehmigung durch die Passagefreiheit des Art. 380 Versailler Vertrag ersetzt und ist in der nachfolgenden Kanalbetriebsordnung vom 31. März 1922 ersatzlos entfallen. Die Einfahrt in die inneren Gewässer durch ein solches Schiff ohne die erforderliche Genehmigung wäre eine Verletzung der deutschen Gebietshoheit gewesen. Ein Schiff, das Immunität genoss, durfte im Kanal oder in seinen Zufahrten nur mit ausdrücklicher Genehmigung des verantwortlichen Kommandanten betreten werden. Diese Schiffe mussten während der Kanalpassage die völkerrechtlichen Vorschriften für die Durchfahrt durch ausländische Hoheitsgewässer sowie die für den Kanal und seine Zufahrten geltenden deutschen Gesetze und Verordnungen beachten. Taten sie dies nicht oder missachteten sie eine entsprechende Anweisung der Kanalverwaltung, konnten sie aufgefordert werden, die deutschen Hoheitsgewässer unverzüglich zu verlassen. Zwangsmaßnahmen des Uferstaates gegen solche Schiffe waren völkerrechtlich nicht zulässig.

_____________ 37 Art. 54 Abs. 3 Satz 1 RV 1871 (Anm. 12) lautete: „In den Seehäfen und auf allen natürlichen und künstlichen Wasserstraßen der einzelnen Bundesstaaten werden die Kauffahrteischiffe sämtlicher Bundesstaaten gleichmäßig zugelassen und behandelt“. 38 Vgl. zum Begriff Eberhard Menzel, Die Immunität der Staatsschiffe, Hamburg 1961, 6ff.; Günter Hoog, Probleme der Immunität von Staatsschiffen, Archiv des Völkerrechts (AVR) 20 (1982), 314–327 (318); Gil Carlos Rodriguez Iglesias, State Ships, EPIL, Bd. IV, Amsterdam 2000, 638–641 (638 seq.). 39 Vgl. Peters (Anm. 5), 51f. 40 Siehe § 2 der Kanalbetriebsordnungen von 1896, 1898, 1901 und 1911, siehe Friedhelm Krüger-Sprengel, Die Durchfahrt ausländischer Kriegs- und Staatsschiffe, in: NordOstsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 329–339 (332).

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D. Das Kanalregime des Versailler Vertrages 1920–1936 Am 28. Juni 1919 unterzeichneten die Alliierten und Assoziierten Mächte und das Deutsche Reich in Versailles einen Friedensvertrag41 zur Beendigung des Ersten Weltkrieges. Der Versailler Vertrag (VV) trat am 10. Januar 1920 für Deutschland und für vier der fünf Alliierten Hauptmächte (Vereinigtes Königreich, Frankreich, Italien, Japan) sowie für einige der 21 Assoziierten Mächte (Mitglieder des Völkerbundes) in Kraft. In seinem Teil XII über Häfen, Wasserstraßen und Eisenbahnen enthielt er den Abschnitt VI mit den Artikeln 380–386 „Bestimmungen über den Kieler Kanal“. Durch dieses vertragliche „Kanalregime“, wie der Abschnitt fortan genannt werden soll, erhielten alle Schiffe, einschließlich der Kriegs- und Staatsschiffe, ein Recht auf freie Durchfahrt durch den Kanal und seine Zufahrten. Allerdings stand dieses Recht unter der Bedingung, dass zwischen Deutschland und dem Flaggenstaat des durchfahrenden Schiffes Frieden herrschte. Diese Durchfahrtsfreiheit war in Art. 380 VV geregelt, der in der amtlichen Übersetzung des französischen Originals wie folgt lautetet: Der Kieler Kanal und seine Zugänge stehen den Kriegs- und Handelsschiffen aller mit Deutschland in Frieden lebenden Nationen auf dem Fuße völliger Gleichberechtigung dauerhaft frei und offen.

Das Kanalregime des Versailler Vertrags beseitigte nicht die Souveränität des Deutschen Reiches über den Kanal. Die Wasserstraße blieb weiterhin unter deutscher Gebietshoheit und im Eigentum des Reiches. Es fand also keine „Internationalisierung“ des Kanals in dem Sinne statt, dass er unter internationale Verwaltung eines fremden Staates oder einer Kommission gestellt worden wäre. Der Vertrag änderte aber die Regeln für die Nutzung des Kanals, wie sogleich noch zu zeigen ist. Für ausländische Handelsschiffe bestand der Unterschied zur früheren Rechtslage hauptsächlich darin, dass ihre Passage durch den Kanal nicht mehr nur faktisch geduldet war. Vielmehr hatten Schiffe unter der Flagge „aller mit Deutschland im Frieden lebenden Nationen“ nach Art. 380 VV fortan ein Recht auf dauernden gleichberechtigten und offenen Zugang zum Kanal sowie auf freie Durchfahrt. Eine Verletzung dieses Rechts, etwa durch eine ungerechtfertigte Verweigerung der Durchfahrt, löste Schadenersatzansprüche aus, wie am Beispiel des „Wimbledon“-Falles zu zeigen ist.

_____________ 41 Zum Vertrag siehe oben Anm. 7. Der Versailler Vertrag bildete zusammen mit den Friedensverträgen von Saint Germain, Neuilly, Trianon und Sèvres das System der Pariser Friedensverträge.

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Artikel 380 VV berechtigte aber nicht nur Schiffe unter der Flagge eines Vertragsstaates, sondern aus „allen Nationen“. Dazu gehörten also auch Schiffe aus Staaten, wie z.B. den Vereinigten Staaten42, die den Versailler Vertrag nicht ratifiziert hatten, vorausgesetzt dass sie mit Deutschland in Frieden lebten. Die Vorschrift enthielt also eine vertragliche Berechtigung von Drittlandschiffen, die an die Stelle der vorher üblichen bloßen Duldung fremdflaggiger Schiffe getreten war. Allerdings wurde die Vorstellung von einem Vertrag zugunsten Dritter seinerzeit noch von Teilen der Völkerrechtslehre mit der Begründung abgelehnt, es handele sich bei einer solchen Begünstigung um ein aus dem Privatrecht stammendes Institut, dessen Übernahme in das Völkerrecht nicht allgemein anerkannt sei.43 Diese Ansicht ist spätestens seit der Kodifikation der Voraussetzungen eines Vertrages zugunsten von Drittstaaten in Art. 36 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) obsolet. Allerdings bestehen weiterhin unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Drittwirkung rechtlich begründet werden kann.44 Außerdem stellte sich in diesem Zusammenhang die weitere Frage nach dem eigentlichen Begünstigten: War der Flaggenstaat oder das Schiff selbst der Träger des Passagerechts?45 Dies war in praktischer Hinsicht aber kaum von Bedeutung, weil die nach allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts erforderliche Zustimmung des Begünstigten vermutet wird, solange nicht das Gegenteil erkennbar ist. Das in Art. 380 VV gewährte Recht ist in Art. 381 Abs. 1 VV konkretisiert worden. Dort war nämlich vorgesehen, dass die Staatsangehörigen, Güter, Schiffe und Boote „aller Mächte“ bei der Benutzung des Kanals „hinsichtlich der Abgaben, der Abfertigung sowie in jeder anderen Richtung […] auf dem Fuße völliger Gleichberechtigung“ behandelt werden sollten. Mit der „Benutzung des Kanals“ ist sicherlich nicht nur die Durchfahrt gemeint, sondern auch das Anlaufen der _____________ 42 Zwischen den Vereinigten Staaten und dem Deutschen Reich war am 25. August 1921 in Berlin der seit dem 6. April 1917 bestehende Kriegszustand durch einen Friedensvertrag beendet worden, LNTS 12 (1922), 192. 43 Vgl. Hans Henningsen, Der Kaiser-Wilhelm-Kanal im Friedensvertrag, in: Karl Strupp (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Dritter Band, Berlin u.a. 1929, 72–75. 44 Vgl. Richard Reeve Baxter, The Law of International Waterways. With Particular Regard to Interoceanic Canals, Cambridge/Mass. 1964, 177ff.; Lagoni (Anm. 34), 242ff.; Wehser (Anm. 3), 64ff. 45 Da das Durchfahrtsrecht des Art. 380 VV zu seiner Umsetzung keiner innerstaatlichen Vorschriften bedurfte, könnte man nach dem Wortlaut annehmen, dass die Handelsschiffe selbst unmittelbar berechtigt waren. Schiffe sind nach der deutschen und anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen aber keine Rechtssubjekte. Daher wären die Schiffseigner oder Charterer die eigentlichen Begünstigten des Rechts; vgl. Rainer Lagoni, Der Hamburger Hafen, die internationale Handelsschiffahrt und das Völkerrecht, AVR 26 (1988), 261–365 (295f.).

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Kanalhäfen und alles, was mit der normalen Schifffahrt verbunden ist, wie das Bunkern, Laden und Löschen etc. Jeder Unterschied zum Nachteil der Staatsangehörigen, Güter, Schiffe und Boote „irgendeiner Macht“ sollte gegenüber deutschen Reichsangehörigen sowie den Gütern, Schiffen und Booten Deutschlands ausgeschlossen bleiben. Mit „allen Mächten“ waren wiederum die Alliierten und Assoziierten Mächte des Vertrages gemeint. Die Regelungen des Art. 381 VV galten also inter partes zwischen Deutschland und den Vertragsstaaten. Außerdem sollte die Ungleichbehandlung auch im Verhältnis zu „Gütern, Schiffen und Booten der meistbegünstigten Nation“ ausgeschlossen sein. „Meistbegünstigt“ war ein Staat, der z.B. auf der Grundlage eines bilateralen Handels- und Schifffahrtsvertrages vom Deutschen Reich automatisch alle Rechte erhielt, die auch ein anderer Staat erhalten hatte.46 Das Recht auf Benutzung des Kanals war allerdings nicht absolut. Es konnte in bestimmten Einzelfällen vom Deutschen Reich nach Art. 381 Abs. 2 VV auf der Grundlage des Polizei- und Ordnungsrechts eingeschränkt werden. Der Verkehr von Personen, Schiffen und Booten sollte nach dieser Vorschrift „keine anderen Beschränkungen“ erfahren, „als solche, die sich aus den Polizei- und Zollvorschriften, aus den Vorschriften über das Gesundheitswesen, sowie über Aus- und Einwanderung, endlich aus Ein- und Ausfuhrverboten ergeben“. Die Vorschrift vermerkte weiter dazu: „Diese Bestimmungen müssen angemessen und gleichmäßig sein und dürfen den Handel nicht unnötig behindern.“ Artikel 381 Abs. 2 VV reduzierte also die Regelungshoheit des Reiches und die Durchsetzungsbefugnis der Kanalbehörden hinsichtlich des Nord-Ostsee-Kanals auf die Situation konkreter Gefahren für die öffentliche Ordnung in den erwähnten Sachgebieten. Diese Beschränkung musste von Anbeginn an als problematisch erscheinen, wenn es um Störungen in einem Gebiet ging, für das das Reich nach Art. 381 Abs. 2 VV keine originäre Regelungsbefugnis hatte. Ein Beispiel wäre etwa eine erhebliche Ölverschmutzung durch ein fremdes Schiff im Kanal. Hier wäre bei dem damals nur rudimentär entwickelten Recht des Umweltschutzes47 wohl nur ein Rückgriff auf die Generalklausel des allgemeinen Polizeirechts zielführend gewesen. Aus der heutigen Sicht einer ganzheitlichen und ökologischen Kanalverwaltung wäre der Art. 381 Abs. 2 VV zugrundeliegende am Störer orientierte Ansatz zwar nicht völlig verzichtbar, aber auch nicht hinreichend. Denn eine an

_____________ 46 Vgl. Endre Ustor, Most-Favoured-Nation Clause, EPIL, Bd. III, Amsterdam 1997, 468–473. 47 Vgl. Rainer Lagoni, Umweltvölkerrecht. Anmerkungen zur Entwicklung eines Rechtsgebiets, in: Werner Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, Berlin 1988, 233– 250 (236ff.).

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einem Gesamtverkehrsmanagement orientierte Kanalverwaltung strebt eine Optimierung des Verkehrsflusses als ein Netzwerk an48, zu dessen Faktoren die Verfügbarkeit der Terminals in den Abgangs- und Zielhäfen sowie ökologische Gesichtspunkte wie die Verkürzung der Liegezeiten in den Schleusen gehören. Der nutzungsrechtliche Status des Kanals unter dem Versailler Vertrag bot bei fremden Handelsschiffen insgesamt also ein komplexes Bild: Der Vertrag ersetzte die faktische Duldung ihrer Durchfahrt durch ein Recht, den Kanal zu befahren. Zugleich wurde die deutsche Regelungshoheit in Art. 381 Abs. 2 VV in bestimmter Weise eingeschränkt. Dabei blieben aber die Souveränität und Gebietshoheit des Reiches über den Kanal als solche erhalten, die deutsche Kanalverwaltung war weiterhin für die Wahrnehmung und Kontrolle der in dieser Vorschrift vorgesehenen Sachverhalte zuständig. Die Kanalpassage fremder Handelsschiffe fand also auch nach dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages weiterhin unter der Verwaltung der deutschen Kanalbehörden statt, die dabei aber an Vorschriften des Vertrages gebunden waren. Für ausländische Kriegs- und Staatsschiffe war der Unterschied zur früheren Rechtslage sachlich weitreichender: Sie mussten für die Durchfahrt durch den Kanal nach Art. 380 VV fortan keine diplomatische Genehmigung Deutschlands mehr einholen. Dadurch waren sie dem Anschein nach Handelsschiffen in praktischer Hinsicht formell gleichgestellt. Sie genossen fortan ein Recht auf freie Durchfahrt durch den Kanal. Dieses Recht galt nach Art. 380 VV wiederum für Schiffe „aller mit Deutschland in Frieden lebenden Nationen“, also nicht nur für Schiffe der Vertragsmächte, sondern auch für Kriegs- und Staatsschiffe aus Ländern, die sich (außer mit Deutschland) im Krieg befanden. Der Verzicht auf die Genehmigung war ein auch den hoheitsrechtlichen Status des Kanals betreffender Vorgang. Immunität genießende Schiffe sind Organen des Flaggenstaates gleichgestellt, sie können für diesen handeln. Bei ihrer Passage durch den Kanal unterlagen sie – anders als die ausländischen Handelsschiffe – also nicht der Gebietshoheit des Deutschen Reiches. Ihre von Art. 380 VV nicht berührte Immunität und die damit verbundenen Rechte, die sie insbesondere vor Durchsetzungsmaßnahmen des Uferstaates schützten, blieben unverändert erhalten. Es macht in der Tat einen Unterschied, ob ausländische Kriegsschiffe mit zeitlich und örtlich beschränkter diplomatischer Genehmigung den Kanal befahren dürfen oder ob sie – möglicherweise sogar als Geschwader – ihn jederzeit ohne rechtzeitige Kenntnis der deutschen Behörden frei und unbeschränkt passieren können. Mit dem Wegfall der diplomatischen Genehmigung zum Befahren des Kanals hatte das Deutsche Reich die Möglichkeit verloren, die _____________ 48 Auskunft des Dezernats Schifffahrt in der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, Außenstelle Nord. Der Autor dankt der Dezernatsleitung für die Auskunft.

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Durchfahrt fremder Kriegs- und Staatsschiffe durch eine Versagung der Genehmigung auf einfachem Wege zu verhindern. Im Ergebnis wurde die frühere Duldung ausländischer Schiffe also durch die in Art. 380 i.V.m. Art. 381 VV geregelten Rechte auf gleichberechtigten Zugang und freie Durchfahrt ersetzt. Der Nord-Ostsee-Kanal war aber auch unter dem Kanalregime des Versailler Vertrages rechtlich eine künstliche Wasserstraße des Reiches unter deutscher Souveränität, allerdings mit „internationalisierter“, d.h. völkerrechtlich geregelter Durchfahrt. Diese Entwicklung wirkte sich bei fremden Handelsschiffen nur geringfügig auf den nutzungsrechtlichen Status des Kanals aus, bei Kriegs- und Staatsschiffen jedoch nicht unerheblich auf den hoheitsrechtlichen Status dieser Wasserstraße.

E. Das „Wimbledon“-Urteil des StIGH 1923 Der Fall der S.S. „Wimbledon“49 war die erste Entscheidung des nach dem Weltkrieg vom Völkerbund in Den Haag errichteten Ständigen Internationalen Gerichtshofs. Das mit 9 zu 3 Stimmen entschiedene Urteil trug durch Auslegung des vertraglichen Kanalregimes zur Klärung des nutzungsrechtlichen Status des Nord-Ostsee-Kanals bei der Passage von Handelsschiffen bei. Der Entscheidung lag folgender verhältnismäßig einfacher Sachverhalt zugrunde: Im März 1921 hatte die Kanalbehörde dem britischen Dampfer „Wimbledon“ in Brunsbüttel die Durchfahrt durch den Kanal verweigert. Das Schiff transportierte während des RussischPolnischen Krieges in Zeitcharter für ein französisches Unternehmen Munition und Artillerie-Zubehör von Saloniki nach Danzig, wo die Güter für die polnische Marinebasis bestimmt waren. Die deutsche Regierung verweigerte der „Wimbledon“ – ein Schiff, das einer mit Deutschland in Frieden lebenden Nation angehörte – die Durchfahrt durch den Kanal und begründete dies mit einem Hinweis auf ihre Neutralitätspflicht gegenüber den kriegführenden Parteien. Die „Wimbledon“ fuhr nach einer Überliegezeit von 11 Tagen vor Brunsbüttel um das Skagerrak und durch die Dänischen Meerengen in die Ostsee und erreichte ihren Zielhafen mit einem weiteren Zeitverlust von zwei Tagen. Daraufhin erhoben die Regierungen von Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan als Alliierte Hauptmächte des Versailler Vertrages nach Art. 386 Abs. 1 VV gemeinsam eine Staatenklage50 gegen das Deutsche Reich; Polen trat dem Verfahren auf der Seite der Kläger als Nebenintervenient bei. Die Kläger begehrten die Feststellung, dass _____________ 49

Die Abkürzung „S.S.“ steht für Dampfschiff (steamship). Die Alternative wäre eine Klage Frankreichs im Wege des diplomatischen Schutzes für den Charterer gewesen. Ob in so einem Fall das französische Charter-Unternehmen zunächst einmal den Rechtsweg vor die in Kiel nach Art. 386 Abs. 2 VV für Fragen von geringer Bedeutung zusätzlich eingerichtete erstinstanzliche Streitbeilegungsbehörde hätte beschreiten müssen, wäre besonders zu klären gewesen. 50

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Deutschland die Durchfahrt des Schiffes nach Art. 380 VV nicht hätte verweigern dürfen und machten außerdem einen hier nicht näher zu erörternden Schadenersatzanspruch des französischen Charterers der „Wimbledon“ wegen des Überliegeschadens und der Kosten des Umwegs geltend. Deutschland berief sich auf seine Neutralitätserklärungen hinsichtlich des russisch-polnischen Krieges und beantragte Klagabweisung. Der Gerichtshof entschied in seinem Urteil vom 17. August 192351, dass die deutschen Behörden die Durchfahrt der „Wimbledon“ nicht hätten verweigern dürfen und erkannte den Anspruch auf Schadenersatz an. Dies ergebe sich aus dem in Art. 380 VV, einer Vorschrift mit allgemeinem und zwingendem Charakter,52 enthaltenen Recht auf freie Durchfahrt. Die Wahrnehmung und Regulierung dieses Rechts sei in den folgenden Artikeln des Vertrages näher geregelt worden. Zum Status des Kanals bemerkte der Gerichtshof, dieser sei durch Art. 380 VV nicht länger eine interne und nationale schiffbare Wasserstraße, deren Nutzung durch fremdflaggige Schiffe vollständig der Entscheidung des Flaggenstaats überlassen sei. Er sei eine internationale Wasserstraße geworden, die unter vertraglichen Garantien zum Wohle aller Nationen der Welt einen einfacheren Zugang zur Ostsee bieten sollte.53 Die Bezeichnung des Kanals im Urteil als „internationale Wasserstraße“ (international waterway; voie internationale) bezieht sich auf seinen nutzungsrechtlichen Status und erfasst nicht, wie bei den anderen interozeanischen Kanälen, seinen hoheitsrechtlichen Status. Gemeint ist also eine Internationalisierung der Durchfahrt. Der Gerichtshof stellte auch fest, die Begriffe des Art. 380 VV seien kategorisch und böten keinen Anlass zu Zweifeln. Das für den Kanal errichtete internationale Durchfahrtsregime für alle Schiffe sei ein in sich geschlossenes Regelwerk54. Dieses unterscheide sich wesentlich von der auch im Versailler Vertrag geregelten Passage der Schiffe auf anderen deutschen Schifffahrtswegen55. Die für Flüsse getroffene Regelung sei daher für den Kanal nicht analogiefähig.

_____________ 51 PCIJ, Case of the S.S. “Wimbledon”, Judgment of 17 August 1923, Series A, No. 1, 15. Der Rechtsweg zum Gerichtshof des Völkerbundes war vom Versailler Vertrag eröffnet worden. Die Möglichkeit der gerichtlichen Streitbeilegung vor einem internationalen Gerichtshof war neu im Bereich des Kanals. 52 Ibid., 21. 53 Ibid., 22, „It follows that the canal has ceased to be an internal and national navigable waterway, […], and that it has become an international waterway intended to provide under treaty guarantee easier access to the Baltic for the benefit of all nations of the world“. 54 Ein „self contained régime“, ibid., 23, 24. 55 Ibid., 23. Damit gemeint sind folgende in Art. 131 VV erwähnte Flüsse mit Zugang zum Meer: Elbe, Oder, Memel, Donau sowie der Rhein.

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Ferner wies der Gerichtshof darauf hin, dass Deutschland bei der Ausübung der Souveränität, die es unstreitig über den Kanal besitze, einer wichtigen Beschränkung unterliege.56 Diese gebiete zwar eine strikte Auslegung der beschränkenden Vorschriften, könne aber nicht die vertraglich gewährte Durchfahrtsfreiheit entgegen dem eindeutigen Sinn des Artikels 380 VV beseitigen. Damit wies er die von dem deutschen Richter Walther Schücking in seiner Abweichenden Meinung57 vorgetragene Ansicht zurück, die im Versailler Vertrag garantierte Durchfahrtsfreiheit sei möglicherweise eine völkerrechtliche Servitut, die unter bestimmten Voraussetzungen die Wirkung des Art. 380 VV einschränke.58 Wenn es das aus dem Privatrecht stammende, sehr zweifelhafte Institut der Dienstbarkeit im Völkerrecht überhaupt gebe, müsse diese nach Auffassung des Gerichtshofs einschränkend ausgelegt werden und könne nicht das nach dem eindeutigen Wortlaut bestehende Durchfahrtsrecht verdrängen.59 Der außerdem vorgetragenen Ansicht, Deutschland könne in Zeiten des Krieges nicht sein Recht zur Neutralität verlieren, hielt die Mehrheit des Gerichtshofs die Rechtslage des Suez- und des Panamakanals entgegen. Diese unterlägen als große interozeanische Wasserstraßen60 dauerhaft einem einheitlichen Recht. Ungeachtet des Unterschiedes ihrer Vorschriften im Einzelnen sei bei ihnen die Durchfahrt feindlicher Kriegsschiffe oder feindlicher oder neutraler Handelsschiffe mit Konterbande mit der Neutralität des Gebietsherren zu vereinbaren. Dieses sei auch beim Nord-Ostsee-Kanal der Fall. Diesem sog. Drei-Kanäle-Argument61 ist aber aus der Sicht des Status Folgendes entgegenzuhalten: Wenn es ein solches einheitliches Recht der interozeanischen Kanäle geben sollte, müsste dieses auch in Form eines einheitlichen Status dieser Kanäle in Erscheinung treten. Dies ist aber nicht der Fall, denn auch wenn einzelne Aspekte, wie z.B. die _____________ 56 Ibid., 24; erwähnt werden „sovereign rights“, gemeint ist nach dem französischen Original aber das Recht der Souveränität (droit de souveraineté). 57 PCIJ, Case of the S.S. “Wimbledon”, Judgment of 17 August 1923, Dissenting Opinion by M. Schücking, Series A, No. 1, 43 seq. Eine weitere Abweichende Meinung der Richter Anzilotti und Huber betrifft einen anderen Zusammenhang, siehe PCIJ (Anm. 51), 35–42. 58 PCIJ (Anm. 51), 24; vgl. dazu Richter Schückings anspruchsvolle Argumentation (Anm. 57), 44f. 59 Ibid., 24 seq. 60 Der Suez-Kanal und der Nord-Ostsee-Kanal sind geographisch keine interozeanischen Kanäle im eigentlichen Sinne; sie verbinden umschlossene bzw. halbumschlossene Meere im Sinne der Art. 122, 123 UNCLOS. 61 Ibid., 25. Besonders prononciert hat sich R.R. Baxter zur Existenz eines allgemeinen Bestandes von Normen zur Regelung interozeanischer Kanäle geäußert. Er plädiert dabei für die Errichtung einer internationalen Agentur zur Verwaltung des jeweiligen Kanals und entwirft 7 Artikel für die Schifffahrt in diesen Kanälen; vgl. Baxter (Anm. 44), 306, 319, 347; dazu auch Ernst Wolgast, Der Wimbledonprozeß vor dem Völkerbundsgerichtshof, Berlin 1926, 70ff.

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rechtliche Beurteilung von Konterbande-Transporten, bei ihnen gleich oder ähnlich geregelt sein mögen, unterscheiden sich die drei Kanäle hinsichtlich der Gebietshoheit und der Durchfahrtsregelungen und demnach in ihrem individuellen Status doch erheblich voneinander.62 Der Gerichtshof sah die offensichtlichen Unterschiede natürlich auch, maß ihnen aber keine Bedeutung für die Neutralität des Uferstaates bei der Passage fremder kriegführender Kriegsschiffe oder Konterbande befördernder Handelsschiffe bei.63 In einem weiteren Punkt seines Urteils weist er auf die „generelle Meinung“ hin, nach der eine dauerhaft dem Nutzen der ganzen Welt gewidmete künstliche Wasserstraße zur Verbindung von zwei offenen Meeren in dem Sinne einer Meerenge gleiche, dass sogar die Durchfahrt eines in einem bewaffneten Konflikt befindlichen Kriegsschiffes die Neutralität des zuständigen Uferstaates nicht beeinträchtige. Dieses sog. Meerengen-Argument konnte jedoch schon zur Zeit des Urteils nicht überzeugen.64 Gegenwärtig kann es unter dem Seerechtsübereinkommen keinen Zweifel geben, dass sich natürliche und künstliche Wasserstraßen nicht nur faktisch durch ihre Entstehung, sondern auch in ihrem rechtlichen Status prinzipiell unterscheiden. Kanäle unterliegen regelmäßig der Gebietshoheit des Uferstaates. Dieser kann die Einzelheiten der Kanalpassage, das heißt den nutzungsrechtlichen Status der Wasserstraße, in seinem Gebiet autonom regeln. Der hoheitsrechtliche Status von Meerengen, die der internationalen Schifffahrt dienen, entzieht sich hingegen der Kompetenz des Küstenstaates. Er wird vom Recht der Meereszonen bestimmt, durch die sie führen. Ihr nutzungsrechtlicher Status ergibt sich, je nach den Umständen, aus dem vom allgemeinen Seerecht vorgegebenen und im Seerechtsübereinkommen geregelten Recht der Transitpassage bzw. dem Recht auf friedliche Durchfahrt.65 Das Deutsche Reich ist schließlich auch mit dem Einwand nicht durchgedrungen, Art. 380 VV sei ihm gegenüber unwirksam gewesen, weil die Vorschrift die deutsche Gebietshoheit unangemessen eingeschränkt habe. Die Zulässigkeit einer vertraglichen Beschränkung der Gebietshoheit wird von der Staatenpraxis und der Völkerrechtslehre auch dann nicht mehr prinzipiell in Zweifel gezogen,66 wenn sie, wie im Falle des Art. 380 VV, nicht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruht.

_____________ 62

Ebenso Diss. Op. Schücking (Anm. 57), 46. Ibid., (Anm. 51), 25. 64 Ebenso Schücking, in: Diss. Op. (Anm. 57), 45 seq.; Rheinstrom (Anm. 2), 7ff., 22, 28. 65 Siehe Art. 37–44 UNCLOS. 66 Ebenso für den Kanal: Alexander Proelss, in: Oliver Dörr/Kirsten Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties. A Commentary, Heidelberg u.a. 2012, 648 Rn. 46. 63

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Entscheidend für den Ausgang des „Wimbledon“-Falles war schließlich eine Erklärung der Reichsregierung, die deutsche Neutralitätserklärung schließe die Passage eines ausländischen Kriegsschiffes durch den Kanal auch dann nicht aus, wenn dieses sich (außer mit Deutschland) im Kriegszustand befände. Daraus folgte a fortiori für die Mehrheit des Gerichtshofs, dass die Passage eines Handelsschiffes mit Konterbande durch den Kanal nach Art. 380 VV gerechtfertigt sei und Deutschland nicht als Verletzung seiner Pflichten als Neutraler entgegen gehalten werden könne.67 Im Ergebnis ist der Mehrheit des Gerichtshofs im „Wimbledon“-Fall zuzustimmen. Dabei ist nicht zu übersehen, dass das Urteil der Diskussion über das Kanalregime neue Perspektiven eröffnet hat, auch wenn nicht alle Argumente aus heutiger Sicht noch überzeugend sind. Eine differenzierte, seinen Status berücksichtigende Betrachtung des Kanals im Lichte des Urteils zeigt indes, dass dieser unter dem Versailler Vertrag in hoheitsrechtlicher Hinsicht national, d.h. deutsch geblieben ist, während sein nutzungsrechtlicher Status insbesondere durch Art. 381 Abs. 2 VV in gewisser Hinsicht internationalisiert worden war.

F. Die Note der Reichsregierung vom 14. November 1936 Am 14. November 1936 erklärte die Reichsregierung schließlich, dass sie das Kanalregime des Versailler Vertrags nicht länger anerkenne. Sie wolle die „Freiheit der Schifffahrt auf allen Wasserstraßen und die Gleichbehandlung aller im Frieden lebenden Staaten auf diesen Wasserstraßen“ wiederherstellen. Der Text der Note wurde am 23. November 1936 im Reichsgesetzblatt68 veröffentlicht; das Genehmigungserfordernis für ausländische Kriegsschiffe69 wurde am 5. Januar 1937 wieder eingeführt. Wie so oft bei völkerrechtlichen Maßnahmen hat die Note ihre Wirkung in einem sich wandelnden historischen Kontext entfaltet. Daher soll diese Wirkung zunächst einmal in dem Zeitraum bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges betrachtet werden. Dabei ist ihre Wirkung im innerstaatlichen Recht des Deutschen Reiches von jener im Völkerrecht zu unterscheiden. Außerdem ist sie hinsichtlich fremder Handelsschiffe von jener auf ebensolche Kriegs- und Staatsschiffe

_____________ 67 PCIJ (Anm. 51), 29 seq. Vgl. zum sog. Kriegsschiffsargument auch Rheinstrom (Anm. 2), 61. 68 RGBl. 1936 II, 361. 69 Marine Verordnungsblatt vom 15. August 1937, 15; auch in der Kanalbetriebsordnung vom 14. Januar 1939, veröffentlicht im Amtsblatt (ABl.) der Regierung zu Schleswig, 79, und als Sonderbeilage zum ABl. RS Nr. 10 vom 11. März 1939.

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zu trennen. Ferner ist die besondere, gleichsam bilaterale Struktur des Kanalregimes zu berücksichtigen, bei der das Deutsche Reich als Uferstaat und einzige verpflichtete Vertragspartei den berechtigten Flaggenstaaten gegenüber stand. I. Die Wirkung im deutschen Recht Im Bereich der deutschen Hoheitsgewalt wurde das Kanalregime des Versailler Vertrages (Art. 380–386) einschließlich der internationalisierten Durchfahrt ab November 1936 nicht mehr auf den Nord-Ostsee-Kanal angewendet.70 Deutschland behandelte den Kanal fortan also wieder als eine dem allgemeinen Verkehr dienende nationale Seeschifffahrtsstraße. Die Wirkung der Note auf den nutzungsrechtlichen Status des Kanals bestand für ausländische Handelsschiffe aus der Sicht des deutschen Rechts vor allem in dem Verlust des von Art. 380 VV gewährten Passagerechts. Die Nutzung des Kanals beruhte innerstaatlich also erneut auf hoheitlicher Duldung im Rahmen des Gemeingebrauchs statt auf eigenem Rechtstitel der Schiffe. In der täglichen Praxis wirkte sich dies indes nicht aus, da die Durchfahrtsfreiheit in der Note zugesagt war und faktisch nicht eingeschränkt wurde. Durch die Wiedereinführung des Genehmigungserfordernisses für die Kanalpassage ausländischer Kriegs- und Staatsschiffe wurde auch der ursprüngliche hoheitsrechtliche Status des Kanals von vor dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages wiederhergestellt. Für die Durchfahrt solcher Schiffe sollen während der nächsten Zeit regelmäßig diplomatische Genehmigungen erteilt worden sein.71 Der Nord-Ostsee-Kanal war jedenfalls im deutschen Recht seit 1936 also keine Wasserstraße mit internationalisierter Durchfahrt mehr. II. Die Wirkung im Völkerrecht Anders aber stellte sich die Wirkung der Note vom 14. November 1936 auf zwischenstaatlicher Ebene aus völkerrechtlicher Sicht dar. Eine Antwort auf die Frage, wie dies zu beurteilen war, könnte sich nach dem ersten Eindruck direkt aus ihrem Wortlaut ergeben. In der Note hatte die Reichsregierung nämlich auch folgende von ihr getroffene „Regelung“ mitgeteilt: Die Schifffahrt auf den auf deutschem Gebiet befindlichen Wasserstraßen steht den Schiffen aller mit dem Deutschen Reich in Frieden lebenden Staaten offen. Es findet kein Unterschied in der Behandlung deutscher und fremder Schiffe statt; das gilt auch für die Frage der Schifffahrtsabgaben. Dabei setzt die Deutsche Regierung voraus, dass auf den Wasserstraßen der anderen beteiligten Staaten Gegenseitigkeit gewahrt wird. _____________ 70 71

Vgl. Krüger-Sprengel (Anm. 40), 334. Vgl. Lampe (Anm. 2), 155f.

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„Andere Beteiligte“ im Sinne der Regelung waren alle Staaten mit schiffbaren Wasserstraßen, also nicht nur Vertragsparteien des Versailler Vertrages. Diese jederzeit widerrufbare Erklärung sollte für die ausländische Handelsschifffahrt innerstaatlich offenbar an die Stelle des vertraglichen Kanalregimes des Versailler Vertrages treten. Die Reichsregierung hatte offensichtlich politische und rechtliche Motive, die „Regelung“ in die Note einzubeziehen.72 Die Frage nach einer rechtlichen Verbindlichkeit dieser Proklamation der Durchfahrtsfreiheit durch die Wasserstraßen des Reiches in der Note von 1936 ist in der Literatur unterschiedlich beantwortet worden. Eine einseitige völkerrechtlich verbindliche Erklärung im Sinne einer Selbstbindung ist schwerlich anzunehmen, da die Deutsche Reichsregierung sich auf internationaler Ebene sicherlich nicht erneut zur Öffnung der Wasserstraßen verpflichten wollte, nachdem sie sich mit ihrer Note gerade aus dieser vertraglichen Verpflichtung lösen wollte.73 Aber es ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Erklärung ein völkerrechtlich geschütztes Vertrauen begründet hat, wonach die Kanalpassage für die Schiffe aller mit dem Deutschen Reich in Frieden lebenden Nationen bis zu ihrem Widerruf weiterhin frei sei.74 Eine solche Vertrauensposition ist rechtlich mehr als eine bloße innerstaatliche Duldung, denn sie schließt z.B. eine Ungleichbehandlung der Flaggen aus. Zu weit geht allerdings die Ansicht, die Regelung sei für die Zeit der Öffnung des Kanals ein einseitiges widerrufliches Bekenntnis zur Schifffahrtsfreiheit und zum Prinzip der Gleichbehandlung in der Form einer verbindlichen völkerrechtlichen Norm.75 Die in diesem Zusammenhang entscheidende Frage aber lautet, ob und ggf. wie sich die deutsche Weigerung, die Vorschriften des Versailler Vertrages künftig weiterhin anzuerkennen, auf den Status des Kanals auswirkte. Der Vertrag enthielt keine Kündigungsklausel. Auf Rechtfertigungsgründe war die deutsche Ablehnungserklärung nicht zu stützen. Sie war offensichtlich völkerrechtswidrig. Die 1936 mit der deutschen Note erklärte einseitige Ablehnung des Kanalregimes war demnach eine erhebliche Verletzung des Versailler Vertrages. Dies

_____________ 72 Vgl. Lampe (Anm. 2), 79ff.; Alfred Lederle, Die Rechtslage der deutschen Ströme nach ihrer Befreiung, Zeitschrift für Völkerrecht 21 (1937), 308–325 (308ff.). 73 Lampe (Anm. 2), 79 und Lederle (Anm. 72), 324, nehmen ebenfalls die Unverbindlichkeit der Regelung mangels Bindungswillens an. 74 Lagoni (Anm. 34), 251 Anm. 181. 75 So aber Achim Borchert, Der Einfluss der Verkehrsfreiheit auf die völkerrechtlichen Regeln über die Höhe der Schiffahrtsabgaben auf international bedeutsamen Schiffahrtswegen, Hamburg 1964, 237.

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ist auch im deutschen völkerrechtlichen Schrifttum anerkannt worden.76 Die Auswirkungen einer solchen Vertragsverletzung auf den Vertrag hängen vom Verhalten der anderen Vertragsparteien ab. Diese nahmen den Bruch indes nicht zum Anlass, den Vertrag einvernehmlich ganz oder teilweise zu suspendieren oder ihn zu beenden, denn dies wäre für sie nicht von Vorteil gewesen; die Reichsregierung hätte so ihr Ziel auf einfache Weise erreicht. Da die Rechte aller Vertragsparteien aus Art. 380 VV durch die deutsche Note betroffen waren, konnte jede die Vertragsverletzung für sich selbst als Grund für eine Suspendierung oder Beendigung des Versailler Vertrages geltend machen.77 Das weitere rechtliche Schicksal des Art. 380 VV hing also von den individuellen Reaktionen der Vertragsparteien (mit Ausnahme von Deutschland) ab. Dabei bestand durchaus die Möglichkeit, dass der Vertrag als Ganzes oder nur das Kanalregime als solches von einzelnen Staaten suspendiert und von anderen beendet werden würde. Die Rechtsfolgen eines Bruches des mehrseitigen Versailler Vertrages konnten für die einzelnen Vertragsparteien also unterschiedlich sein. III. Die Reaktion der Staatenpraxis Ob und ggf. wie die einzelnen Vertragsparteien auf den Bruch des Versailler Vertrages reagierten, ist ihren Reaktionen auf die deutsche Note von 1936 zu entnehmen.78 Soweit sie sich dazu äußerten, lehnten sie das deutsche Vorgehen fast einhellig ab. Die faschistische Regierung Italiens signalisierte aber in einer Verbalnote Zustimmung zu dem Vorgehen der nationalsozialistischen Deutschen Reichsregierung. Italien gegenüber war das Kanalregime des Versailler Vertrages fortan also nicht mehr wirksam. Griechenland enthielt sich jeglicher Stellungnahme zu der deutschen Note. Wie dieses diplomatisch ungewöhnliche Schweigen in einer Lage, die eine Antwort forderte, zu deuten ist, hängt von Umständen ab, die hier nicht geklärt werden können. Die meisten Stellungnahmen der anderen Vertragsparteien bezogen sich allerdings nicht oder jedenfalls nicht ausdrücklich auf das Kanalregime, sondern auf die im Vertrag systematisch davon getrennten internationalen Flussregime, welche die Reichsregierung mit ihrer Note ebenfalls beenden wollte. Ob das Schweigen dieser Vertragsparteien

_____________ 76 Siehe z.B. Ingo von Münch, Die gegenwärtige Situation der Ostsee und die Zusammenarbeit zwischen den Anliegerstaaten (1978), in: ders., Internationales Seerecht, Heidelberg 1985, 159–200 (178); Lampe (Anm. 2), 64ff.; Lagoni (Anm. 34), 247; ähnlich auch Böhmer (Anm. 4), 335. 77 Dies wurde 1969 in Art. 60 Abs. 2 lit. c) WVK geregelt. 78 Zum Verhalten der Vertragsparteien Lampe (Anm. 2), 69f.; von Münch (Anm. 76), 178; Lagoni (Anm. 34), 247ff.

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zum Nord-Ostsee-Kanal als stillschweigende Anerkennung des deutschen Verhaltens79 oder als stillschweigender Vorbehalt der eigenen Ablehnung anzusehen war, hätte einen trefflichen Anlass zu einem Streit bieten können. Diese Frage wurde aber angesichts der weiteren Entwicklung der Staatenpraxis zum Kanalregime nicht mehr aktuell. Da sie für die hier interessierende Frage des rechtlichen Status des Kanals nicht von Bedeutung ist, kann die Antwort dahingestellt bleiben. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang jedoch die Wirkung der Antworten von Vertragsparteien, die sich zu der deutschen Erklärung geäußert haben. Die großen Schifffahrtsnationen Frankreich und Großbritannien bezogen sich in ihren Antworten ausdrücklich auch auf den Nord-Ostsee-Kanal. Das Foreign Office bedauerte in seiner Antwort vom 2. Dezember 193680, dass die Deutsche Regierung ihr einseitiges Vorgehen erneut gemeinsamen Verhandlungen vorgezogen habe. Dabei klang die Möglichkeit einer konsensualen Änderung des Kanalregimes durchaus an. Inhaltlich beschränkte sich die britische Regierung auf eine Rechtsverwahrung. Dieses Mittel zur Vermeidung eines offenen Konfliktes mit der Deutschen Reichsregierung wählte auch die Belgische Regierung. Die Französische Regierung protestierte am selben Tage formell gegen die einseitige Beendigung der permanenten Vorschriften des Versailler Vertrages durch die Deutsche Regierung.81 Sie wies dabei auch darauf hin, dass für deren Revision ein Verfahren nach Art. 377 VV vorgesehen war. Die deutsche Note war jedenfalls Großbritannien und Frankreich sowie Belgien gegenüber demnach unwirksam. Das Kanalregime des Versailler Vertrages war völkerrechtlich also nicht erloschen. Es existierte rechtlich auch nach dem 14. November 1936 jedenfalls solchen Vertragsparteien gegenüber zunächst weiter, die der deutschen Note widersprochen hatten. Das Regime wurde aber schon wenige Jahre später im Zweiten Weltkrieg nach allgemeinem Völkerrecht von Rechts wegen suspendiert, obwohl Verträge, die wie hier ein internationales Regime errichten, vom Ausbruch eines bewaffneten Konfliktes normalerweise unberührt blieben. Aber bei dem Kanalregime lag der Sonderfall vor, dass der Kanal sich im Hoheitsgebiet eines kriegführenden Staates befand82. Außerdem kam die Handelsschifffahrt einige Zeit nach dem Kriegsausbruch vor den deutschen Küsten weitgehend zum Erliegen. _____________ 79 Die Annahme, das auf dem Grundsatz „qui tacet consentire videtur si loqui debuisset et potuisset“ beruhende Institut des qualifizierten Stillschweigens (acquiescence) läge hier vor, ist durchaus nicht von der Hand zu weisen; siehe Jörg P. Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, Köln u.a. 1971, 35f.; ders./Thomas Cottier, Acquiescence, EPIL I, 14–16; Lampe (Anm. 2), 72, sieht das Schweigen aber als Rechtsmittelverzicht. Kritisch Böhmer (Anm. 4), 336 seq. 80 Die britische Antwort ist abgedruckt in Nord-Ostsee-Kanal 1895–1995 (Anm. 1), 263f. 81 Die französische Antwort findet sich ibid., 264f. 82 Vgl. Jost Delbrück, War, Effect on Treaties, EPIL, Bd. IV, Amsterdam 2000, 1367– 1373 (1370).

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Unter diesen Umständen blieb die Frage der Weitergeltung des Kanalregimes bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ungelöst.

G. Die Entwicklung seit 1945 I. Politische Initiativen und Lehrmeinungen Dem zum Zeitpunkt der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 ungeklärten Status des Nord-Ostsee-Kanals wurde von den Alliierten Siegermächten offenbar nicht die Bedeutung zugemessen, dass diese Frage im Zusammenhang mit den Bemühungen um eine Neuordnung Deutschlands und Europas gelöst worden wäre. Es hatte zwar schon während der letzten Kriegsjahre und kurz danach politische Initiativen der Vereinigten Staaten hinsichtlich des Kanals gegeben,83 obwohl diese den Versailler Vertrag nicht ratifiziert hatten. Der amerikanische Präsident Roosevelt hatte bereits 1943 auf der Konferenz von Teheran die Bildung einer Kanalzone und ihre treuhänderische Verwaltung durch die Vereinten Nationen vorgeschlagen – eine hoheitsrechtliche Lösung der Statusfrage nach dem Vorbild des Suez-Kanals, wie sie ähnlich schon im „Wimbledon“-Fall im Zusammenhang mit dem „Drei-Kanäle-Argument“ erörtert worden war. Sie wurde 1945 von Präsident Truman auf der Potsdamer Konferenz weiterentwickelt. Die dem Argument zugrundeliegende Analogie zwischen den drei Kanälen beruht auf der Vergleichbarkeit ihrer Funktion, der Schifffahrt als künstliche Wasserstraße zwischen zwei Meeren zu dienen. Diese Ähnlichkeit verliert jedoch an Bedeutung, wenn man den hoheitsrechtlichen Status jedes Kanals im Einzelnen in den Blick nimmt. Suez- und PanamaKanal waren jeweils in einer autonomen Kanalzone errichtet worden und insofern der Gebietshoheit des zuständigen Territorialstaates entzogen.84 Insofern waren sie internationale Kanäle in dem eingangs erwähnten Sinne. Im Unterschied dazu war die Souveränität Deutschlands über den Nord-Ostsee-Kanal nicht beseitigt worden. Der Kanal unterlag insgesamt der deutschen Gebietshoheit, die aber insbesondere hinsichtlich der Nutzung durch fremde Kriegs- und Staatsschiffe völkerrechtlich eingeschränkt war. Er war auch unter dem Versailler Vertrag eine künstliche Wasserstraße des Reiches, allerdings mit internationalisierter Durchfahrt (s. o. D). Der Fortbestand der deutschen Souveränität über den Kanal schloss aus der Sicht seines Status also eine Gleichbehandlung des Nord-Ostsee-Kanals mit den beiden anderen Kanälen aus. Die amerikanischen Überlegungen zum Nord-Ostsee-Kanal wurden aber schließlich angesichts der _____________ 83

Vgl. Lagoni (Anm. 34), 251f. Schon 1918 hatte ein amerikanischer Staatssekretär in einem Memorandum die Bildung einer 40 km breiten, Dänemark zu übertragenden Kanalzone vorgeschlagen, siehe Borchert, (Anm. 75), 232 Anm. 757. 84

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zunehmenden politischen Spannungen mit der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten nicht weiterverfolgt. Allerdings unterbreitete Dänemark im Geiste des historischen Zieles nationalistischer Kreise, die eine territoriale Ausdehnung des Landes bis zur Eider anstrebten, noch 1947 der Konferenz der Stellvertretenden Außenminister in London einen Vorschlag für eine internationale Verwaltung des Kanals.85 Diese und ähnliche politische Vorstellungen fanden jedoch keinen effektiven Eingang in das Völkerrecht. Hingegen verschwand die Frage des Status des Nord-Ostsee-Kanals alsbald im aufkommenden Kalten Krieg vollständig von der politischen Bühne. Sie verschwand jedoch mitnichten aus den völkerrechtlichen Veröffentlichungen.86 Ebenso wie die politischen Initiativen sind die Lehrmeinungen zum Rechtsstatus des Kanals zwar keine genuinen Völkerrechtsquellen im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. a)–c) IGH-Statut. Sie können aber nach lit. d) der Vorschrift Hilfsmittel zur Feststellung von Völkerrechtsnormen sein. So vertraten Autoren aus dem angelsächsischem Rechtskreis in den 60er und 70er Jahren die Ansicht, Deutschland habe sich den Pflichten aus Art. 380 VV nicht einseitig entziehen können, weil durch Widmung an dem Gebiet des Kanals eine Art dingliches Recht in rem zugunsten aller Staaten entstanden sei.87 Andere betrachteten das Kanalregime des Versailler Vertrages als Statusvertrag und wollten daraus die Entstehung dauerhafter „realer“ Rechte herleiten. Diese Ansichten bestimmen gelegentlich bis in die Gegenwart die akademische Diskussion über den Status des Nord-Ostsee-Kanals, obwohl keine von ihnen den Nachweis der Existenz dieser Normen und ihrer Verbindlichkeit in der Staatenpraxis erbringen konnte. Vereinzelt wurde auch die Ansicht vertreten, die Normen des Versailler Kanalregimes seien schon in der Zeit der Internationalisierung zu Normen des „allgemeinen Völkerrechts“ geworden88 und hätten als solche Bestandskraft erlangt. Jedoch ist eine solche Annahme durch nichts begründet und lässt sich vor allem nicht mit dem Verhalten der Staaten in Einklang bringen. Nicht um eine gewohnheitsrechtliche oder wie auch immer geartete Weitergeltung des Versailler Kanalregimes in der Nachkriegszeit, sondern um die Begründung regionalen Gewohnheitsrechts ausländischer Handelsschiffe auf freie Durchfahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal ging es hingegen W. Otto Lampe in seiner Dissertation von _____________ 85

Vgl. dazu Lampe (Anm. 2), 117; Lagoni (Anm. 34), 252. Siehe den Überblick bis 1985 bei Lampe (Anm. 2), 124–135. 87 Vgl. Lord Arnold Duncan McNair, The Law of Treaties, London/Oxford 1961, 267. 88 So Ludwik Gelberg, Rechtsprobleme der Ostsee, Warschau 1979, 44. Ähnlich Budislav Vukas, L’utilisation pacifique de la mer, dénucléarisation et désarmement (1985), in: ders., The Law of the Sea. Selected Writings, Leyden u.a. 2004, 157–204 (188), der unter Berufung auf „Symonides und andere Autoren“ die Auffassung für „überzeugender“ (plus juste) als die Gegenmeinung hält, dass die Versailler Vorschriften zum Kieler Kanal positives internationales Recht darstellen. 86

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1985.89 Zwar hat die Bundesverwaltung wohl auch ein legitimes fiskalisches Interesse an der Kanalpassage von Handelsschiffen unter fremder Flagge. Aber man muss bei der Durchfahrt durch künstliche Wasserstraßen, ähnlich wie bei regelmäßig gewährten Überflugrechten, davon ausgehen, dass die zur Bildung eines entsprechenden Gewohnheitsrechts erforderliche opinio juris vel necessitatis des Gebietsherren auch dann nicht anzunehmen ist, wenn die Durchfahrt regelmäßig über längere Zeiten wahrgenommen worden ist. Das Zeitelement der einheitlichen Übung – im Falle des Nord-Ostsee-Kanals waren es nur 16 Jahre – genügt als solches nicht zur Entstehung des Rechts. Wie schon die Erwähnung der „opinio“ als Voraussetzung zeigt, kommt es für die Entstehung eines Rechts auch auf die subjektive Vorstellung des durch die Entstehung des Rechts am meisten betroffenen Staates an. Nachdem Deutschland mit der Note von 1936 das Durchfahrtsrecht fremder Schiffe beseitigen wollte, ist nicht anzunehmen, dass es die Gewährung eines solchen Rechts auf andere Weise beabsichtigte oder als notwendig erachtete. Die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Durchfahrtsrechts durch den Nord-Ostsee-Kanal wäre nur dann anzunehmen, wenn sich ein solches Recht im realen Verhalten der Staaten nachweisen ließe. Ein solches Verhalten ist im Zusammenhang mit dem Kanal aber nicht ersichtlich. In einschlägigen Veröffentlichungen wurden aber auch andere Vorstellungen zur Lösung der Statusfrage vertreten. Unter deutschen Völkerrechtsautoren vertrat wohl als erster der Kieler Völkerrechtler Viktor Böhmert in einem Rechtsgutachten zum seinerzeit vor dem Oberlandesgericht Schleswig schwebenden Ari-Fall die Meinung, dass die Rechte aus Art. 380–386 VV nach dem Krieg erloschen seien.90 Er meinte, bei den wenigen, ausdrücklich gegen die deutsche Note von 1936 gerichteten Erklärungen anderer Vertragsparteien habe es sich um sog. „papierene Proteste“91 ohne jede äußere Wirkung gehandelt. Diese Auffassung von der Hinnahme des Erlöschens durch die begünstigten Staaten wurde von anderen deutschen Völkerrechtlern übernommen.92 Methodisch überzeugend rückte sie die Staatenpraxis als ausschlaggebenden Faktor in den Fokus der _____________ 89

Lampe (Anm. 2), 156ff.

90 Viktor Böhmert, Zur völkerrechtlichen Lage des Kieler Kanals, Internationales Recht

und Diplomatie 3 (1958), 170–190 (181). 91 Der Begriff ist zu Recht oft kritisiert worden, vgl. statt vieler nur von Münch (Anm. 76), 178. 92 Vgl. Georg Dahm, Völkerrecht, Bd. 1, Stuttgart 1958, 696; Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, 1. Band: Allgemeines Friedensrecht, 2. Aufl. München 1975, 326; Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Aufl. Berlin 1984, § 1037; von Münch (Anm. 76), 178; Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, begründet von Georg Dahm, Bd. I/1, 2. Aufl. Berlin 1989, 402; Karl Zemanek/Ignaz SeidlHohenveldern, Kanäle, in: Ignaz Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts: Völkerrecht, 3. Aufl. Neuwied u.a. 2001, 216–217 (216); Wolfgang Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl. Berlin 2007, 407 Rn. 20; Volker Epping, in: Knut Ipsen

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Überlegungen zum Status des Kanals: Wenn Deutschland und die anderen Vertragsparteien sowie die begünstigten Drittstaaten vom Erlöschen der erwähnten Pflichten aus dem Versailler Vertrag ausgingen, bestand nach Art. 37 Abs. 2 WVK die Möglichkeit, dass auch die zugehörigen Rechte aus Art. 380 VV erloschen seien. Zwar konnten die Rechte Dritter nach Art. 37 WVK grundsätzlich nur mit deren Zustimmung aufgehoben oder geändert werden. Aber wenn die berechtigten Drittstaaten selbst nicht von der Zustimmungsbedürftigkeit ausgingen, war anzunehmen, dass eine entsprechende Willensäußerung nicht als notwendig anzusehen sei. Dies musste auch für das Kanalregime des Versailler Vertrages gelten, denn wenn alle Beteiligten, einschließlich der begünstigten Dritten, es als Tatsache annehmen, dass ein früher einmal existierendes Recht nicht mehr besteht, ist von der normativen Kraft dieses Faktums auszugehen, ohne dass eine besondere Aufhebungsvereinbarung fingiert werden müsste. Einen anderen, im Ergebnis ebenfalls zur nachträglichen Unwirksamkeit von Vorschriften des Versailler Kanalregimes führenden Weg hat Günther Jaenicke für die Großschifffahrtsstraße Rhein-Main-Donau ins Gespräch gebracht.93 Die Flüsse waren zwar in einem anderen Abschnitt des Versailler Vertrages geregelt als der Kanal, eine Unwirksamkeit des Vertrages würde aber gleichwohl auch das Kanalregime erfassen. Nach Jaenicke und der ganz herrschenden Meinung war das Durchfahrtsrecht auf den Wasserstraßen des Reiches während des Krieges suspendiert. Dieses Recht wurde aber nach 1945 von den Alliierten als den Trägern der obersten Gewalt über Deutschland94 und nach 1949 von bundesrepublikanischen oder internationalen Behörden nicht wieder in Kraft gesetzt. Ein späteres Inkraftsetzen hätte dem Rechtsgrundsatz der clausula rebus sic stantibus widersprochen,95 so dass eine solche Maßnahme heute als Ganzes nicht mehr wirksam wäre. Gemeinsam ist diesen Lösungsvorschlägen, dass es bei ihnen auf eine Beurteilung des Verhaltens der Vertragsparteien bzw. des Inhabers der Hoheitsmacht über den Kanal ankommt. Dabei ist besonders zu beachten, dass die Britische Besatzungsmacht, in deren Herrschaftsbereich der Kanal nach dem Kriege lag,

_____________

(Hrsg.), Völkerrecht, 6. Aufl. München 2014, § 23 Rn. 23; Andreas von Arnauld, Völkerrecht, 2. Aufl. Heidelberg 2014, Rn. 339. 93 Günther Jaenicke, Die neue Großschiffahrtsstraße Rhein-Main-Donau. Eine völkerrechtliche Untersuchung über den rechtlichen Status der künftigen Rhein-Main-DonauGroßschiffahrtsstraße Frankfurt a.M. 1973, 57–64. 94 Amtsblatt der Militärregierung für Deutschland – britisches Kontrollgebiet Nr. 4/1945, 22, Art. 6; vgl. Lampe (Anm. 2), 99f. 95 Lampe (Anm. 2), 102ff., wendet den Rechtsgrundsatz auf den Vertrag als Ganzen an und erklärt diesen als „hinfällig“, ibid., 112.

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nicht die Weitergeltung des Art. 380 VV proklamiert hat.96 Auch wurde der suspendierte Versailler Vertrag von der Alliierten Besatzungsmacht 1951 nicht wieder in Kraft gesetzt, was nach der Direktive Nr. 6 der Alliierten Hohen Kommission vom 19. März 195197 durchaus hätte geschehen können.98 II. Staatenpraxis Von politischen Institutionen der Bundesrepublik sind aus neuerer Zeit nur wenige Äußerungen zum Status des Kanals bekannt geworden. Eine frühe Ausnahme bildete eine Presseerklärung der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Kiel von 1951, dass die uneingeschränkte deutsche Hoheit über den Kanal wieder hergestellt sei.99 Ein Beispiel für einschlägiges politisches Handeln bot der diplomatische Konflikt mit der DDR über das Vorgehen bundesrepublikanischer Behörden 1972 gegenüber dem DDR-Handelsschiff „Eichsfeld“ im Nord-OstseeKanal.100 Ein Besatzungsmitglied der „Eichsfeld“ hatte das Schiff in der Schleuse ohne Erlaubnis des Kapitäns verlassen, um in der Bundesrepublik zu bleiben. Mitarbeiter einer westdeutschen Behörde holten auf Bitten des Mannes daraufhin im Kanal dessen Ehefrau und Kind von Bord der „Eichsfeld“. Den scharfen Protest der DDR-Regierung gegen dieses „rechtswidrige und provokatorische Vorgehen“ wies das Bundsinnenministerium mit dem Hinweis auf den hoheitsrechtlichen Status dieser Bundeswasserstraße zurück, indem es erklärte, auf dem Schiff habe im Kanal die Rechtsordnung der Bundesrepublik gegolten. Die Gesetzgebung ist auch im Hinblick auf den nutzungsrechtlichen Status des Kanals zurückhaltend geblieben. Die „Ergänzenden Vorschriften für den Nord-Ostsee-Kanal“ in §§ 41–53 der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung betreffen hauptsächlich Fahrregeln und andere Verkehrsvorschriften für Handelsschiffe und verweisen auf Sondervorschriften für die Zufahrten und Schleusen in der

_____________ 96 Böhmert (Anm. 90), 181, 183. Allerdings soll der Under Secretary of State for Foreign Affairs Mayhew noch in den sechziger Jahren geäußert haben, der Kanal sei nach dem Eindruck der Britischen und der französischen Regierung weiterhin “an international waterway under the terms of the Treaty of Versailles and it continues to have this status.“ Siehe Marjorie M. Whiteman (Hrsg.), Digest of International Law III (1964), 1257; Böhmer (Anm. 4), 330. 97 Journal Officiel 1951, 846. 98 Vgl. Lampe (Anm. 2), 100ff.; Ellinor von Puttkammer, Versailles Peace Treaty (1919), EPIL, Bd. IV, Amsterdam 2000, 1277–1283 (1281). 99 Veröffentlicht in der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung vom 21. April 1951; siehe Lampe (Anm. 2), 118 Anm. 3. 100 Archiv der Gegenwart vom 9./10.Januar 1972, C 16820; vgl. dazu Lampe (Anm. 2), 119f.; Lagoni (Anm. 34), 257f.

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Bundeswasserstraße. Die dort in § 42 geregelte „Zulassung“ nennt technische Voraussetzungen für die Durchfahrt, begründet aber kein Recht der Schiffe. Für die Durchfahrt ausländischer Kriegs- und Staatschiffe wurde von den deutschen Behörden, wie schon seit 1937, weiterhin die übliche diplomatische Genehmigung verlangt. Gegen diese Praxis gab es, soweit bekannt, keine Proteste. Die Tatsache, dass diese Genehmigung nach dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO 1955 für Kriegsschiffe unter der Flagge von NATO-Partnern durch ein vereinfachtes Anmeldeverfahren ersetzt wurde, änderte die Rechtslage nicht. III. Rechtsprechung Nationale Gerichte sind keine von der Verfassung mit auswärtigen Aufgaben betrauten Staatsorgane, die Rechtsprechung ist im Allgemeinen keine Staatenpraxis im eigentlichen Sinne. Gerichtliche Entscheidungen sind normalerweise nur für die Verfahrensbeteiligten verbindlich. Allerdings können Entscheidungen höherer und höchster Gerichte im Einzelfall authentischer und sogar autoritativer, das heißt allgemeinverbindlicher Ausdruck staatlichen Rechts sein. Angesichts dieser Lage ist einschlägigen Urteilen als Ausdruck der Staatenpraxis ein besonderes Gewicht beizumessen. Völkerrechtlich sind sie aber wiederum nur Hilfsmittel zur Feststellung von Völkerrechtsnormen. Im Zusammenhang mit der Frage der Weitergeltung des Versailler Kanalregimes und damit mittelbar des Status des Nord-Ostsee-Kanals sind in der Nachkriegszeit drei einschlägige Entscheidungen verschiedener Gerichte bekannt geworden. Im ersten Fall, einem Revisionsverfahren wegen der Kollision des norwegischen Dampfers „Log“ mit dem dänischen Dampfer „Aslaug“ 1942 im Kanal, war die Rechtsauffassung vorgetragen worden, das deutsche Zivilrecht könne auf den Fall nicht angewendet werden, weil der Kanal durch Art. 380 VV internationalisiert worden sei und daher wie die Hohe See zu behandeln wäre. Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone wies diese Ansicht in seinem Urteil vom 1.6.1950101 mit der Feststellung zurück, die „Internationalisierung des Kanals“ sei durch die deutsche Note vom 14. November 1936 zumindest de facto beendet worden und dieser Schritt sei bei den Signatarmächten des Versailler Vertrages auf keinen ernsthaften – heute würde man wohl sagen: nachhaltigen – Widerstand gestoßen. Diese richtungsweisende Gerichtsentscheidung beruht auf einer realistischen und überzeugenden Beurteilung des Staatenverhaltens. Der zweite Fall war ein strafrechtliches Revisionsverfahren gegen den finnischen Eigentümer des Motorschiffs „Ari“ wegen illegalen Verfrachtens von 12.000 _____________ 101 Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Zivilsachen, Bd. 4 (1950), 194, 198f.; auch in NJW 1951, 29. Siehe dazu Lampe (Anm. 2), 120; Lagoni (Anm. 34), 253.

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Liter Alkohol auf der Unterelbe und im Kanal. In seinem die Revision abweisenden Beschluss wies das Oberlandesgericht Schleswig102 1954 die Auffassung zurück, der Kanal sei mit seinen Zufahrten aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages eine „internationale Wasserstraße“, auf der das einschlägige Verbotsgesetz von 1926 zur Verfrachtung von Alkohol nicht gelte. Das Gericht wies auf das Fehlen von Protesten gegen die Note der Reichsregierung von 1936 und auf die Unwirksamkeit „papierener“ Proteste103 hin, bei denen die betroffenen Staaten keine praktischen Konsequenzen aus ihrem Protest gezogen und den Zustand de facto anerkannt hätten. Die Note von 1936 habe „völkerrechtlich zu einer Wiederherstellung der uneingeschränkten Souveränität über die betroffenen Wasserwege geführt“. Diese sei „auch durch die Auswirkungen des staatlichen Zusammenbruchs des Deutschen Reichs nach 1945 nicht beseitigt worden.“ Auch diese Entscheidung bestätigt also wiederum den ursprünglichen hoheitsrechtlichen Status des Kanals. Diesen Status hat drittens schließlich auch der Bundesgerichtshof im Skantzos-Fall104 bestätigt, in dem es um die Auslieferung eines gesuchten griechischen Straftäters an sein Heimatland ging. Dieser war an Bord eines finnischen Handelsschiffes im Nord-Ostsee-Kanal verhaftet worden. Der Bundesgerichtshof wies hinsichtlich der Zulässigkeit dieser Maßnahme auf die unstreitige Tatsache hin, dass der Kanal deutsches Hoheitsgebiet ist – ein Befund, an dem auch nach dem hier angewendeten statusrechtlichen Ansatz keine Zweifel bestehen konnten. In der Zusammenschau hat sich also seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges im tatsächlichen Verhalten von Staaten ebenso wie durch Entscheidungen einiger hoher Gerichte die Ansicht bestätigt, dass das Kanalregime des Versailler Vertrages rechtlich nicht mehr wirksam ist. Der Nord-Ostsee-Kanal ist eine öffentliche Schifffahrtsstraße unter uneingeschränkter deutscher Souveränität und Gebietshoheit, deren Nutzung nach dem Wegfall des Versailler Kanalregimes nicht mehr internationalisiert ist. Den vereinzelt in akademischen Veröffentlichungen noch zu findenden gegenteiligen Ansichten ist – soweit sie sich überhaupt um eine eigenständige Begründung bemühen – die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung des Rechtsstatus des Kanals sowie einer realistischen Beurteilung des Staatenverhaltens entgegenzuhalten. Im Ergebnis ist anzunehmen, dass _____________ 102 Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig vom 24. November 1954, SchleswigHolsteinische Anzeigen 1955, 101; Jahrbuch für internationales Recht (JIR) 7 (1958), 405. Siehe dazu das Gutachten von Böhmert (Anm. 90), 170ff. sowie von Münch (Anm. 76), 175f.; Lampe (Anm. 2), 121ff.; Lagoni (Anm. 34), 253f. 103 Der Begriff findet sich schon in dem die Entscheidung vorbereitenden Gutachten von Böhmert (Anm. 90), 181. 104 BGHSt 8, 49; NJW 1955, 1365. Siehe dazu von Münch (Anm. 76), 176; Lampe (Anm. 2), 123f.; Lagoni (Anm. 34), 254.

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sich kein Staat hinsichtlich der Kanalpassage seiner Schiffe heute oder zukünftig noch effektiv auf Art. 380 VV berufen kann.

H. Resümee Mit der vorstehenden Untersuchung wurde der Versuch unternommen, den rechtlichen Status des Nord-Ostsee-Kanals genauer zu erfassen, als dies mit der herkömmlichen Einteilung in nationale, internationale und funktional internationalisierte Kanäle möglich ist. Zu diesem Zweck wurde der Begriff des „Status“ in den Fokus der Darstellung gerückt und anhand der Kriterien „Hoheitsgewalt über das Kanalgebiet“ und „Nutzung des Kanals“ im Sinne der Kanalpassage differenziert – Kriterien, die bei jeder Wasserstraße dieser Art vorhanden und für den Begriff des Schifffahrtskanals konstitutiv sind. Legt man diese Kriterien zugrunde, so ergibt sich folgendes Bild vom rechtlichen Status des Nord-Ostsee-Kanals: Der Kanal befand sich als nationale Wasserstraße seit seiner Eröffnung 1895 unter der Souveränität und Gebietshoheit des Deutschen Reiches. Seit 1920 war die Regelungshoheit hinsichtlich des Kanals durch das Kanalregime des Versailler Friedensvertrages (Art. 380–386) gegenüber durchfahrenden ausländischen Kriegsund Staatsschiffen eingeschränkt. Unter anderem wurde für ihre Passage das übliche Erfordernis einer diplomatischen Genehmigung aufgehoben. Außerdem war der nutzungsrechtliche Status des Kanals verändert worden. Artikel 380 des Vertrages ersetzte zwar die bloße Duldung der Durchfahrt durch ein Recht aller Schiffe auf Kanalpassage, außer wenn sie unter der Flagge einer Nation fuhren, die sich mit Deutschland im Krieg befand. Das Versailler Kanalregime schränkte aber gleichzeitig die Kompetenz des Reiches zur Regelung und Beschränkung der Durchfahrt ausländischer Handelsschiffe wieder ein, so dass der Status des Kanals ab 1920 der einer nationalen Wasserstraße mit internationalisierter Durchfahrt war. Diese Beschränkung der Regelungshoheit wurde 1923 im „Wimbledon“-Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, in dem es u.a. um ein Durchfahrtsverbot der Kanalbehörde für ein britisches Handelsschiff in französischer Charter ging, vom Gerichtshof nicht in Frage gestellt. Gegenstand des Verfahrens waren unter anderem eine Analogie des Nord-Ostsee-Kanals zu den beiden anderen „interozeanischen Kanälen“ von Suez und Panama sowie eine Gleichstellung des Kanals mit einer Meerenge. Die hier angewendete statusorientierte Methode ermöglichte indes eine klare Kritik des sog. „Drei-Kanäle-Arguments“ und des „Meerengen-Arguments“. Der rechtliche Status des Kanals unter dem Kanal-Regime von Versailles ist 1936 durch eine Note der Reichsregierung an 16 Vertragsparteien des Vertrages für den deutschen Hoheitsbereich einseitig als beendet erklärt worden. Damit wurde im deutschen Recht und in der deutschen Praxis der ursprüngliche Status des Kanals von vor 1920 aus der Sicht des Deutschen Reiches wiederhergestellt.

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Diese eklatante Vertragsverletzung ist jedoch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Staatenpraxis ohne nachhaltige Proteste oder effektive Sanktionen seitens der Vertragsparteien des Versailler Vertrages geblieben, so dass das Kanalregime rechtlich mittlerweile als unwirksam gelten kann. Der Nord-OstseeKanal ist heute also wieder eine nationale, der Schifffahrt dienende künstliche Wasserstraße des Bundes unter uneingeschränkter deutscher Hoheit.

Weltinnenrecht und Internet – More research desirable? Die Kieler Tagung der DGVR vom März 1999 Von Sinthiou Buszewski*

A. Einleitung Vom 10. bis zum 13. März 1999 fand in Kiel die 26. Zweijahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (DGVR) am Walther-Schücking Institut für Internationales Recht statt. Damit kehrte die Gesellschaft unter dem Vorsitz von Jost Delbrück an den Schaffensort von Theodor Niemeyer zurück. Dieser hatte 1917 die Gesellschaft maßgeblich mitbegründet und als Vorsitzender 1918 die zweite Jahresversammlung in Kiel eröffnet. 1918 wurden in Kiel die „Völkerrechtlichen Sicherungen der wirtschaftlichen Verkehrsfreiheit in Friedenszeiten“ und damit die Bedingungen zwischenstaatlichen Handels diskutiert. Das Thema der Tagung im Jahr 1999 thematisiert hingegen die „Auswirkungen der Globalisierung, verstanden als ein Prozeß der Entstaatlichung der internationalen Beziehung, auf das Völkerrecht und das Internationale Privatrecht“ und beschäftigt sich folglich mit den Konsequenzen einer sich globalisierenden Welt. Ende des 20. Jahrhunderts ist eine Welt entstanden, in der neben Staaten auch andere Akteure einen Platz in den Reihen der völkerrechtlichen Subjekte beanspruchen und der Einzelne stärker in den Mittelpunkt auch der völkerrechtlichen Betrachtung gerückt werden muss. Die 1999er Tagung diskutiert die vielen Formen, in denen die Welt des 20. Jahrhunderts die Globalisierung erlebt, insbesondere die modernen Kommunikationstechniken und den sich stetig verstärkenden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Austausch und das Erstarken von nichtstaatlichen Akteuren. Gleichzeitig wird gefragt, ob damit ein Wandel der Staatlichkeit einhergeht und das Völkerrecht über die entsprechende Anpassungsfähigkeit verfügt. Jost Delbrück fasst in seiner einführenden Ansprache die Wahl des Themas als „hochinteressantes, aber sehr riskantes“ zusammen. Vieles scheint noch im Ungefähren zu liegen. Ist Globalisierung das Gleiche wie Internationalisierung, _____________ *

Für wichtige Anmerkungen zum Text danke ich Hannah Birkenkötter, Henner Gött und Tim Wihl.

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wie Universalisierung? Wie werden die Begriffe unterschieden? Es soll diskutiert werden, wie diese neuen Entwicklungen von Zwischenstaatlichkeit zu transnationaler Governance rechtlich eingefangen werden können mit der Erwartungshaltung: „More research is desirable.“1 2017 in das Jahr 1999 zurückzublicken ermöglicht es zum einen nachzuvollziehen, in welchen Kategorien das Völkerrecht Wandel diskutiert. Zum anderen erlaubt es auch, Entwicklungslinien nachzuzeichnen und die heutigen Diskussionen rund um Ent- und Renationalisierungsdynamiken, die Rolle des Individuums und anderer nichtstaatlicher Akteure, humanitärer Interventionen und Regulierungsprobleme des Cyberspace aufzuzeigen. Schon jetzt lässt sich feststellen, dass Globalisierung heute in Anbetracht des erstarkten Populismus à la Trump und Co. in ein anderes Licht gerückt wird. Der neoliberale Optimismus ist zurückgedrängt worden von der Erkenntnis, dass es auch Verlierer der Globalisierung gibt, die Renationalisierungsforderungen in vielen westlichen Staaten erheben. Anhänger einer kosmopolitischen Weltordnung sehen sich konfrontiert mit breiten Schichten, die „America First“ und „Leave“ skandieren. Zum Teil sind die Ängste der Menschen berechtigt. Zum Teil werden sie von den populistischen Kräften manipulativ geschürt. Es ist eine Realität, mit der (auch) das Völkerrecht umgehen muss. Das Ziel dieses Beitrags ist es, den Blick zwischen 1999 und 2017 hin und her changieren zu lassen, um diskursive Verschiebungen erkennbar zu machen, Weiterentwicklungen in der völkerrechtlichen Diskussion aufzuzeigen und bleibende Probleme zu identifizieren. Deutlich kann dies vor allem auch am Beispiel des Internets erfolgen, das heute nicht mehr ganz so ein „hochmodernes Ding“ ist, wie Robert Alexy als Dekan der Kieler Rechtswissenschaftlichen Fakultät dies noch in seiner Begrüßungsansprache bezeichnete.2

B. Klaus Dicke (Jena): Erscheinungsformen und Wirkungen von Globalisierung in Struktur und Recht des internationalen Systems auf universaler und regionaler Ebene sowie gegenläufige Renationalisierungstendenzen Den Auftakt zur Tagung macht Klaus Dicke zum Thema „Erscheinungsformen und Wirkungen von Globalisierung in Struktur und Recht des internationalen Systems auf universaler und regionaler Ebene sowie gegenläufige Renationalisierungstendenzen“. Die These des Vortrags lautet: Um den völkerrechtlichen Herausforderungen der Globalisierung angemessen begegnen zu können, bedarf _____________ 1 2

Jost Delbrück, Grußworte, in: BDGVR 39 (2000), 10f., 296. Robert Alexy, Grußwort, in: BDGVR 39 (2000), 9f.

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es einer Ergänzung der von Wolfgang Friedmann3 entwickelten Kategorie des ‚international law of cooperation‘ um ein ‚international law of globalization‘ bzw. ein ‚law of mankind‘. Er stellt ferner die These auf, dass die Frage nach Völkerrecht und Politik im 21. Jahrhundert ähnlich dominant sein wird wie diejenige nach Staat und Recht im 19. Jahrhundert und die nach dem ‚Begriff des Politischen‘ im 20. Jahrhundert.4 Die umfassende Ausrichtung seines Vortrages kann als konzeptioneller Rahmen für die ganze Tagung gesehen werden. Dicke benutzt die Felder Kommunikation und Verkehrstechnik, Ökologie, Wirtschaft, Politik und gesellschaftliche Organisation, um drei Faktoren der Globalisierung zu identifizieren und zu konkretisieren: „[D]as Auftreten transnationaler Akteure, die Entstehung neuartiger, weil jenseits der Souveränitätslogik liegender völkerrechtlicher Problemlagen sowie das Schwinden von Ansatzpunkten staatlicher Integration.“5 Globalisierung versteht Dicke als Denationalisierung,6 weil der Staat infolge globalisierter Problemlagen auch nur noch begrenzte Regulierungskapazitäten besitzt. I. Phänomene der Globalisierung Dicke beginnt seine Beobachtungen mit einem kursorischen Überblick über die Phänomene der Globalisierung. Kommunikation und Verkehrstechnik sind für ihn die Basis aller Globalisierungsvorgänge. Er zeigt, was heute anschaulich durch die sozialen Bewegungen des sog. Arabischen Frühlings oder der Bewegung ‚Occupy Wall Street‘ belegt ist: Kommunikation über Grenzen und Ozeane hinweg ist schon 1999 spielend leicht geworden und die kommunikative Interkonnektivität von Menschen verdichtet sich stetig überall auf der Welt. Dies macht den Austausch und Zusammenschluss sozialer, kultureller und politischer Gruppen deutlich einfacher und hat mithin das Potential, unser Verständnis von politischer Gemeinschaft und Solidarität zu verändern. Das Feld der Ökologie dient ihm als Beispiel für die globale Bedeutung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und die Entstehung von globalen Problemen, die die Fähigkeit von einzelnen Staaten zur Problemlösung überschreiten. Besondere Bedeutung kommt aber der Weltwirtschaft, dem starken Anwachsen _____________ 3 Wolfgang Friedmann, The Changing Structure of International Law, London 1964, siehe v.a. 60ff. 4 Klaus Dicke, Erscheinungsformen und Wirkungen von Globalisierung in Struktur und Recht des internationalen Systems auf universaler und regionaler Ebene sowie gegenläufige Renationalisierungstendenzen, BDGVR 39 (2000), 13–44 (14). 5 Dicke (Anm. 4), 16. 6 Dicke (Anm. 4), 16.

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transnationaler Kapitalmobilität und der Loslösung von territorialen Ordnungsräumen zu.7 Hiermit ist gleichzeitig ein Thema angesprochen, über welches wir heute unter dem Stichwort „governance gaps“8 diskutieren. Diese Regulierungslücken zeigen sich am deutlichsten, wenn nach den menschenrechtlichen Verpflichtungen von transnational agierende Unternehmen gefragt wird.9 Zwar haben transnationale Unternehmen das Potential, Wohlstand und Wachstum sowie menschenrechtliche Standards zu globalisieren. Gleichzeitig zeigt die Realität, dass sich globale Konzerne bei der Gewährleistung von sicheren Arbeitsbedingungen und angemessenem Arbeitslohn oft gegenseitig unterbieten. Die Verfolgung von Verstößen gegen arbeitsrechtliche oder menschenrechtliche Minimalstandards wird vom Gaststaat gegen die positiven Effekte der Auslandsinvestition abgewogen. Insbesondere unter Einsatz von ausländischen Tochtergesellschaften oder Zulieferern kommt es so leicht zu den oben erwähnten ‚governance gaps‘: Der Aufenthaltsstaat kann oder will die Unterschreitung menschenrechtlicher Mindeststandards nicht verfolgen, gleichzeitig liegt die relevante Aktivität außerhalb der Rechtssetzungs- und Rechtsprechungszuständigkeit des Heimatstaats eines transnational agierenden Unternehmens.10 Nach etlichen Skandalen insbesondere in der Textilbranche ist nicht nur der Druck auf nationale Rechtsordnungen gewachsen, die Tätigkeit von transnationalen Unternehmen hinsichtlich arbeitsschutzrechtlicher und anderer menschenrechtlicher Standards effektiv zu regulieren; auch wird mit viel Hoffnung auf überstaatliche Regelungen geschaut. Hier ergeben sich jedoch Probleme, die in abstrakter Form bereits von Dicke und in seinem späteren Referat auch von Jochen Frowein, der am Ende der Kieler Tagung aus rechtswissenschaftlicher Sicht die Effekte der Globalisierung auf das Völkerrecht beleuchtet, angesprochen werden. Das Völkerrecht ist als staatenzentriertes Recht konzipiert, welches ganz überwiegend nur Staaten berechtigt und verpflichtet. Der Begriff der „menschenrechtlichen Verpflichtungen von Unternehmen“ ist in diesem Sinne eine politische Zielvorstellung und keine Wiedergabe des rechtlichen Status Quo. Der Versuch, durch sog. Selbstverpflichtungen der Unternehmen das menschenrechtliche Niveau transnationaler Wirtschaftsaktivität zu erhöhen, ist nur _____________ 7

Dicke (Anm. 4), 18. A/HRC/8/5 vom 7. April 2008. 9 Steven R. Ratner, Corporations and Human Rights. A Theory of Legal Responsibility, Yale Law Journal 111 (2001), 443–545 (447f.); Mahmood Monshipouri/Claude E. Welch/ Evan T. Kennedy, Multinational Corporations and the Ethics of Global Responsibility. Problems and Possibilities, Human Rights Quarterly 25 (2003), 965–989; Celia K. Wells/ Juanita Elias, Catching the Conscience of the King. Corporate Players on the International Stage, in: Philip Alston (Hrsg.), Non-State Actors and Human Rights, Oxford 2005, 141– 175 (146). 10 Vgl. A/HRC/8/5 vom 7. April 2008. 8

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bedingt von Erfolg gekrönt.11 Den meisten dieser sog. ‚soft law‘-Lösungen fehlt es an wirksamen Durchsetzungsmechanismen, und sie bleiben daher Lippenbekenntnisse.12 Ein wenig Hoffnung machen die etwas konkreteren Durchsetzungsmechanismen in der EU. So haben sich die EU-Kommission, das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten Ende 2016 auf Leitlinien für eine Verordnung geeinigt, die den Handel mit sog. Konfliktmineralien regulieren soll.13 Zinn, Wolfram, Tantal und Gold sollen nur importiert werden dürfen, wenn die Vertrauenswürdigkeit der Lieferanten sichergestellt werden kann. Auch die Bemühungen der EU, die ‚Corporate Social Responsibility‘ zu stärken, ist an dieser Stelle erwähnenswert. Sie stützt sich vor allem auf Berichts- und Offenlegungspflichten.14 Beispielsweise verpflichtet die Richtlinie 2014/95/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen rund 6.000 an EU-Märkten notierte oder im Bank- und Versicherungssektor tätige Unternehmen, in ihrem Lagebericht ab 2018 (d.h. erstmals für das Geschäftsjahr 2017) Angaben zu bestimmten Umweltbelangen, Menschenrechts- und Sozialfragen zu machen. Die Mitgliedstaaten mussten die Vorschriften bis 6. Dezember 2016 in nationales Recht umsetzen.15 Im Rahmen seiner Ausführungen zu der Herausbildung einer internationalen Politik, nennt Dicke als weiteres Globalisierungsphänomen private Sicherheitsfirmen. Bezugnehmend auf Kofi Annan stellt er fest, dass die Welt wohl noch nicht bereit ist für den systematischen Einsatz privater Sicherheitsfirmen für friedenssichernde Einsätze.16 Bereits vier Jahre nach der Tagung zeigt sich deutlich, warum die Welt noch nicht bereit war für den Einsatz privater Sicherheitsfirmen in Krisengebieten. Unternehmen wie Blackwater,17 die seit 2003 im Irak18 und seit 2004 im Krieg in _____________ 11 Vgl. OECD (2001), Codes of Corporate Conduct: Expanded, Review of their Contents, OECD Working Papers on International Investment, 2001/06, OECD Publishing, verfügbar unter https://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/WP-2001_6.pdf (alle Websites zuletzt besucht am 16 März 2017). 12 Siehe Ergebnisse der 2011 Global Compact Implementation Survey, http://www.unglo balcompact.org/docs/news_events/8.1/2011_Global_Compact_Implementation_Survey.pdf. 13 Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 22. November 2016, http://europa. eu/rapid/press-release_IP-16-3931_de.htm. 14 Corporate Social Responsibility National Public Policies in the European Union Compendium 2014, http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=331&langId=de. 15 Europäische Kommission, Offenlegung nichtfinanzieller Informationen, http://ec. europa.eu/finance/company-reporting/non-financial_reporting/index_de.htm#news. 16 Dicke (Anm. 4), 19. 17 Seit 2011 heißt die Firma Academi. 18 Agreement for Security Services in Iraq and Kuwait, https://web.archive.org/web/ 20071227053930/http://oversight.house.gov/documents/20061207151614-43671.pdf.

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Afghanistan eingesetzt wurden,19 sind inzwischen weltweit bekannt als Negativbeispiel für die Privatisierung staatlicher Aufgaben.20 Rechtlich werfen sie nicht nur die Frage nach der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit dieser Akteure, bzw. der Zurechnung ihrer Handlungen zu einem Staat auf, sondern auch (staatsrechtlich) die Frage nach der Zulässigkeit des Outsourcings von Kernaufgaben des Staates.21 II. Strukturveränderungen Sodann geht Dicke auf die strukturverändernden Wirkungen von Globalisierung ein. Er stellt fest, dass der Staat als Ordnungseinheit auch im 21. Jahrhundert unverzichtbar sein wird. Dennoch meint er, dass beispielsweise die auswärtigen Beziehungen nicht mehr allein die Prärogative der Regierung sind, sondern die parlamentarische Kontrolle an Bedeutung gewinnt.22 Diese Erkenntnis wird heute durch eine Serie von Urteilen des BVerfG gestützt, die – beginnend mit dem Lissabon-Urteil – die Rolle des Bundestages in der Europapolitik nachhaltig gestärkt haben.23 Die duale Legitimation innerhalb der EU, basierend auf der Doppelstellung der Bürger als Staatsbürger (vgl. Art. 9 S. 2 EUV) innerhalb ihrer nationalen Rechtsordnung und andererseits als EU-Bürger (Art. 20 AEUV) mit Wahlrecht zum Europäischen Parlament, zeigt, wie der Einzelne als Rechtssubjekt in den Fokus des überstaatlichen Rechts gerückt wird. Damit verbunden ist _____________ 19 Congressional Research Service Congress, Private Security Contractors in Iraq: Background, Legal Status, and Other Issues, Order Code RL32419, https://fas.org/sgp/ crs/natsec/RL32419.pdf. 20 Blackwater-Manager bedrohte US-Ermittler offenbar mit dem Tod, Süddeutsche Zeitung vom 2. Juli 2014, http://www.sueddeutsche.de/politik/vorwuerfe-gegen-soeldnerim-irak-blackwater-manager-bedrohte-us-ermittler-offenbar-mit-dem-tod-1.2023769; Frühere Blackwater-Söldner schuldig gesprochen, Süddeutsche Zeitung vom 22. Oktober 2014, http://www.sueddeutsche.de/politik/wegen-massaker-an-zivilisten-im-irak-fruehereblackwater-soeldner-schuldig-gesprochen-1.2187245. 21 Daniel Heck, Grenzen der Privatisierung militärischer Aufgaben, Baden-Baden 2010; Laura A. Dickinson, Accountability of Private Security Contractors under International and Domestic Law, ASIL Insight 11 (2007) Nr. 31, https://www.asil.org/insights/volume/ 11/issue/31/accountability-private-security-contractors-under-international-and; Paul R. Verkuil, Outsourcing Sovereignty. Why Privatisation of Government Functions Threatens Democracy and What We Can Do About It, Cambridge 2007. 22 Dicke (Anm. 4), 23. 23 BVerfGE 123, 267 – Lissabon; 131, 152 – Unterrichtungspflichten; 132, 195 – ESMVertrag (einstw. Anordnung); 134, 366 – OMT-Urteil; vertiefend Andreas v. Arnauld/Ulrich Hufeld (Hrsg.), Systematischer Kommentar zu den Lissabon-Begleitgesetzen, 2. Aufl. Baden-Baden 2017; siehe auch Peter Becker/Anne Pintz, Die neue Rolle der nationalen Parlamente in der EU – Aus deutschen und europäischen Zeitschriften und Gutachten der Jahre 2010 bis 2012, SWP-Zeitschriftenschau 2012/ZS 03, Juli 2012.

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die Forderung nach einer stärkeren demokratischen Legitimierung überstaatlicher Entscheidungen und der kantischen Idee einer kosmopolitischen Weltordnung. Die Forderung nach stärkerer demokratischer Legitimation überstaatlicher Strukturen sowie die damit einhergehende Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte auf nichtstaatliche Akteure, also die beschriebenen strukturverändernden Effekte der Globalisierung, beschreibt Dicke als Vollzug eines tiefgreifenden Wandels staatlicher Souveränität. Staatlichkeit und Souveränität werden voneinander entkoppelt.24 Trotz des Verweises auf die Bedeutung des Staates als Akteur einer globalisierten Welt malt Dicke das Bild der Globalisierung als ein „dezentrales, polyzentrisches, plurilaterales und fragmentiertes Gesicht, das mit den begrifflichen Implikationen eines ‚Systems‘ in seiner Plastizität jedenfalls nicht mehr nachgezeichnet werden kann“.25 Bedingt durch die Überzeugung, dass selbst der sog. Kernbereich innerer Angelegenheiten (domaine réservé) in Hinblick auf Menschenrechtsgarantien kein vom Völkerrecht vollkommen abgeschirmter Bereich mehr ist, setzt sich bereits 1999 in Kiel ein insgesamt verändertes Verständnis von Staatensouveränität durch. Dicke erläutert hierzu: Aber auch die Tatsache, daß man sowohl bei einzelstaatlicher Obstruktion als auch beim progressiven Vorpreschen eines Staates vom sog. ‚nationalen Alleingang‘ spricht, zeigt, daß sich bei Völkerrechtlern ein Denkmuster globalen Urteilens inzwischen festgesetzt hat, welches staatlicher Souveränität aus der Perspektive globaler Verantwortung her26 aus zumindest eine zusätzliche Legitimationsbürde auferlegt.

Dicke nennt das Umweltrecht als Beispiel für ein sich veränderndes Konzept von Staatensouveränität. Gerade im Bereich des Umweltrechts zeige sich, dass es Problemstellungen gibt, die ein Staat nicht mehr allein bewältigen kann, die die ganze Weltgemeinschafft betreffen. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im November 2016 sind es aber ausgerechnet der Umwelt- und Klimaschutz, die von zu befürchtenden nationalen Alleingängen der Vereinigten Staaten geprägt sein werden. „America First“. Man will fast sagen, „humanity second“. Die neue US-amerikanische Politik scheint in dieser Hinsicht die Uhren der Zeit zurückdrehen und globale Problemlagen und Lösungsversuche ignorieren zu wollen. Knapp zehn Jahre vor der globalen Finanzkrise 2007 ist noch fragwürdig, ob das Bändigen von globalen Geldströmen möglich und erstrebenswert ist, was die Diskussion der Tagung schnell zu der Frage nach der Korrektur von Marktprozessen zugunsten von Gemeinwohlinteressen führt und zu der Verfahrensfrage, wie Gemeinwohlziele identifiziert werden können. Die Antwort scheint 1999 in Kiel eindeutig: Staatenkonsens ist das völkerrechtliche Verfahrensprinzip der _____________ 24

Dicke (Anm. 4), 26. Dicke (Anm. 4), 26. 26 Dicke (Anm. 4), 17. 25

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Entscheidungsfindung.27 Gleichzeitig ist das mangelnde Vertrauen in Prozesse von politischen Eliten auch hier schon ein Thema.28 Die Prozesse der Globalisierung verleihen dem Misstrauen gegenüber Entscheidungen von politischen Eliten eine internationale Dimension, worauf nur mit Transparenz, Pluralität und Offenheit der Prozesse reagiert werden kann.29 III. Renationalisierungstendenzen Natürlich erzeugen Globalisierungsdynamiken damals wie heute auch Gegenreaktionen. Diese fasst Dicke unter dem Begriff der „Renationalisierungstendenzen“ zusammen. Vereinzelt seien Bemühungen zu beobachten, Machtpositionen zu sichern bzw. auszubauen, oder „Macht- und Souveränitätseinbußen abzuwehren oder zu kompensieren“.30 Dicke nennt hier z.B. die „Presidential Directive“ des US-amerikanischen Präsidenten Clinton von 1994, die mit gewollter Signalwirkung amerikanische Interessen völkerrechtlichen Verfahren überordnet, die Instrumentalisierung von Nationalismen und wirtschaftlichen Protektionismus. Auch heute beobachten wir ein Aufleben renationalisierender Kräfte. Die aktuellen Entwicklungen in England, Frankreich, Niederlande, Ungarn und den USA zeigen, dass ein erstarkter, rechter Populismus Nationalismus und Protektionismus befördert und gleichzeitig oftmals auch Fremdenfeindlichkeit propagiert. Gerade die Vereinigten Staaten unter der Trump-Administration wollen sich wirtschaftlich abschotten, den Vereinten Nationen das Budget drastisch kürzen und – so scheint es – generell die Globalisierung zurückdrehen. Die Apathie gegenüber den Vereinten Nationen entspricht dabei einem Trend, der das internationale Projekt als gescheitert ansieht und sich rückbesinnt auf Nationalstaatlichkeit.31 Gleichzeitig kann der derzeitige Renationalisierungstrend nicht allein auf Donald Trump zurückgeführt werden. Nicht zuletzt durch die Finanzkrise der Jahre 2007/2008 und den damit verbundenen Rückgang des realen Wirtschaftswachstums war schon zuvor eine annähernde Stagnation des Welthandels zu beobachten.32 Die Renationalisierungstendenzen beschränken sich zudem nicht allein auf wirtschaftliche Abschottung. Insbesondere die Frage der Zuwanderung _____________ 27

Dicke (Anm. 4), 296 (Diskussion). Dicke (Anm. 4), 296 (Diskussion). 29 Michael Bothe, Diskussionsbeitrag, BDGVR 39 (2000), 296. 30 Dicke (Anm. 4), 27. 31 Siehe hierzu z.B. Jan Klabbers, An Introduction to International Institutional Law, Cambridge 2002, 338. 32 So etwa Jan Willmroth in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Feburar 2017, Protektionismus – Die Abschottung der Welt hat schon vor Trump begonnen, http://www.sued deutsche.de/wirtschaft/protektionismus-die-abschottung-der-welt-hat-schon-vor-trumpbegonnen-1.3376516. 28

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und der Aufnahme von Flüchtlingen dient populistischen Parteien als willkommener Anlass, die Gefahr des Verfalls eigener kultureller Werte zu behaupten. IV. Rolle des Völkerrechts Schließlich fragt Dicke, wie das Völkerrecht Globalisierungsvorgänge ermöglicht und gefördert hat. Er gibt eine dreifache Antwort: Erstens habe vor allem das sog. Kooperationsvölkerrecht in vielfacher Hinsicht die Voraussetzungen für Globalisierungsvorgänge geschaffen, zweitens habe das Völkerrecht globale Institutionen ins Leben gerufen, die Globalisierungsvorgänge förderten und drittens als Kristallisationspunkt einer globalen Werteordnung dienten.33 Damit vollzieht Dicke den auf Friedmann zurückgehenden Dreischritt der Entwicklungsstufen des Völkerrechts.34 Mit der wachsenden Zahl an Internationalen Organisationen und der Formulierung gemeinsamer Interessen der internationalen Gemeinschaft ging das Völkerrecht in ein Recht über, das nicht nur die Koexistenz sichern, sondern die gemeinsamen Interessen koordinieren sollte. Schließlich wird der Schritt hin zu einer kosmopolitischen Werteordnung diskutiert,35 wobei jedoch in Anbetracht jüngster Entwicklungen wie etwa der Krise des Multilateralismus und des generellen Trends zur „selbstbewussten Staatlichkeit“36, dieser letzte Schritt als zunehmend utopisch angesehen wird.37 Das Völkerrecht scheint einerseits die Globalisierung befördert zu haben, indem ein rechtlicher Rahmen erzeugt wurde, der die globale Vernetzung absichern konnte. Gleichzeitig sind das Völkerrecht und seine Entwicklungen selbst bedingt durch die sich wandelnden Verhältnisse einer sich globalisierenden Welt.

_____________ 33

Dicke (Anm. 4), 29. Friedmann (Anm. 3) 60ff. 35 Jochen A. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, BDGVR 39 (2000), 427–448; Matthias Kumm, The Legitimacy of International Law. A Constitutionalist Framework Analysis, EJIL 15 (2004), 907–931; Ronald Macdonald u.a. (Hrsg.), Towards World Constitutionalism, Leiden 2005; Anne Peters, Compensatory Constitutionalism. The Function and Potential of Fundamental International Norms and Structures, Leiden Journal of International Law 19 (2006), 579–610; Jan Klabbers/Anne Peters/Geir Ulfstein, The Constitutionalization of International Law, Oxford 2009; Thomas Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, Berlin u.a. 2012. 36 Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. Heidelberg 2016, Rn. 18. 37 Siehe z.B. v. Arnauld, (Anm. 36), Rn. 18ff. 34

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V. Internationales Verfassungsrecht Dicke unternimmt anschließend den Versuch, diese Dynamik zwischen Völkerrecht und Globalisierung als das Heranwachsen eines internationalen Verfassungsrechts, eines – in den Worten Jost Delbrücks38 – „Weltinnenrechts“, zu beschreiben, indem er auf Tendenzen hinweist, die über das souveränitätszentrierte Kooperationsrecht hinausweisen. Zunächst setzt er bei der Entstehung von Internationalen Organisationen an und stellt fest: Wie alle sozialen Institutionen, so verkörpern auch die Vereinten Nationen und ihre Organe nicht nur die Interessen ihrer Mitglieder, sondern auch eine diese übergreifende ‚Leitidee‘, die in der Tätigkeit der Organisation aktualisiert und im Sinne Smendscher Integration erneuert und verbreitet wird, die allerdings – legt man die Institutionstheorie von Maurice Hauriou zugrunde – auch verschleißen kann.39

Dicke fordert mit Verweis auf Arnold Gehlen, über funktionale Analysen und einen bloßen Daseinswert hinauszugehen und einen Normativität entfaltenden „Selbstwert im Dasein“ von internationalen Institutionen anzuerkennen.40 Er diagnostiziert, dass „[d]as bloße Dasein der Vereinten Nationen der verkörperte Gegensatz zu Nichteinmischung [ist].“41 Die Entwicklungen des Völkerrechts insbesondere auf dem Feld des Menschenrechtsschutzes bedingen gleichzeitig das Aufweichen der Staatensouveränität. Ferner kann die Anerkennung von ius cogens-Normen in Art. 53 und 64 WVK sowie erga omnes-Normen, die Herausbildung von zwingenden Regeln des humanitären Völkerrechts, die Festlegung internationaler Verbrechen und die steigende Zahl an neuen Kodifikationen als Ausprägung der Leitidee eines die gesamte Menschheit umfassenden Rechts, basierend auf unveräußerlichen Rechten, beschrieben werden, die – sobald einmal entstanden – unabhängig von jeglichen Staatenwillen befolgt werden müssen. Auf Frowein verweisend, stellt Dicke fest, dass im modernen Völkerrecht zunächst „zwischen einem die Gemeinschaft insgesamt schützenden und ihre Ordnung gewährleistenden Recht sowie einem ‚zur freien Disposition der Staaten zur Regelung ihrer jeweiligen Interessen‘ stehenden Recht zu unterscheiden“ ist. Des Weiteren „komme auch bei der judikativen ,Überprüfung vertraglicher Ver_____________ 38 Vgl. Jost Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“? Perspektiven der Völkerrechtsentwicklung in einem sich wandelnden internationalen System, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, Berlin 1996, 318–348; ders., Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, in: Joachim Jickeli/Peter Kreutz/Dieter Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, Berlin 2003, 793–810. 39 Dicke (Anm. 4), 31. 40 Dicke (Anm. 4), 31. 41 Dicke (Anm. 4), 32.

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pflichtungen immer stärker das Interesse der Staatengemeinschaft an einem bestimmten Ordnungssystem‘ zum Ausdruck“, und schließlich „sei mit Anerkennung der ‚obligationes erga omnes‘ die ausdrückliche Anerkennung vorgenommen, dass es Grenzen der individuellen Willkür von Staaten gebe.“42 Inzwischen wurde die von Dicke 1999 noch vermisste philosophisch-soziologische oder rechtsphilosophische Institutionenlehre auf Internationale Organisationen angewendet. Wo Dicke noch die Unterentwicklung der Institutionenlehre bemängelt, können heute zahlreiche Werke etwa von Jan Klabbers,43 Matthias Ruffert und Christian Walter,44 Richard Collins und Nigel D. White45 sowie Armin v. Bogdandy und Rüdiger Wolfrum et. al.46 erwähnt werden,47 die die Institutionenlehre vorangetrieben und weiterentwickelt haben. Das 2002 erstmals erschienene Buch von Klabbers „An Introduction to International Institutional Law“,48 das inzwischen in der dritten Auflage mit dem Titel „An Introduction to International Organizations Law“ (2015)49 erschienen ist, ist nur eines der (juristischen) Standardwerke zum Recht der Internationalen Organisationen.50 In einem Beitrag im „European Journal of International Law“ geht Klabbers dann konkret auf die Herkunft und die Grenzen einer funktionalen Institutionentheorie ein und legt deren koloniale Wurzeln offen.51 Gleichzeitig entdeckt er einen blinden Fleck dieser Theorie, die keine geeigneten Mittel zur Kontrolle von Internationalen Organisationen bereitstellt.52 Dicke hat aus heutiger Sicht zutreffend beschrieben, dass sich gerade im Rahmen von Internationalen Organisationen Gemeinschaftsinteressen ungleich zu den Interessen der einzelnen Staaten entwickeln. Klabbers schreibt in diesem Zusammenhang: „Following the critical legal tradition, international law is _____________ 42

Dicke (Anm. 4), 32. Klabbers (Anm. 31); ders., An Introduction to International Organizations Law, Cambridge 2015; ders., Advanced Introduction to the Law of International Organizations, Cambridge 2015. 44 Matthias Ruffert/Christian Walter, Institutionalised International Law, Oxford 2015. 45 Richard Collins/Nigel D. White, International Organizations and the Idea of Autonomy, London u.a. 2011. 46 Armin v. Bogdandy u.a. (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions. Advancing International Institutional Law, Berlin u.a. 2010. 47 Molly A. Ruhlman, Who Participates in Global Governance? States, Bureaucracies, and NGOs in the United Nations, London u.a. 2015. 48 Klabbers (Anm. 31). 49 Jan Klabbers, An Introduction to International Organizations Law, Cambridge 2015. 50 Zuvor war noch das Buch von Chittharanjan F. Amerasinghe, Principles of the Institutional Law of International Organizations, Cambridge 1996, erschienen. 51 Jan Klabbers, The Emergence of Functionalism in International Institutional Law. Colonial Inspirations, EJIL 25 (2014), 645–675. 52 Klabbers (Anm. 51), 674. 43

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bound to swerve back and forth between the two poles of sovereignty and community, and never the twain shall meet.“53 Er nennt zudem die implied powersDoktrin, die dem Schutz von ‚Community Interests‘ zugute kommt.54 In der Tat ist es der große Verdienst der ‚Critical Legal Studies‘ den Konflikt zwischen Staatensouveränität und Gemeinschaftsinteressen offengelegt zu haben. Nichtsdestotrotz impliziert die Anerkennung von Gemeinschaftsinteressen bereits als solche bis zu einem gewissen Grad die Überwindung des Souveränitätsparadigmas auf dem Weg zu einem Recht der Menschheit. Internationale Organisationen etwa werden zwar von souveränen Staaten gegründet; es kommt hier aber bei der Formulierung und Verfolgung von Gemeinschaftsinteressen nicht selten zu Verselbstständigungsprozessen, die zu institutionellen Entscheidungen der Organisation führen, die dem Willen von einzelnen Staaten durchaus entgegenstehen können. Die neueren Arbeiten zur ‚International Rule of Law‘ und die Anwendbarkeit dieser rechtsstaatlichen Kategorie auf das Völkerrecht allgemein und die Vereinten Nationen im speziellen zeigen ferner, dass Konstitutionalisierungsdebatten das Völkerrecht noch immer prägen.55 Eines der zentralen Themen rund um die Institutionenlehre im Völkerrecht bleibt die Frage, ob Internationale Organisationen an das allgemeine Völkerrecht gebunden sind. Die Frage wurde im Zusammenhang mit dem Sanktionskomitee des Sicherheitsrates und dem Listing-Verfahren aufgeworfen, welches bis heute keine ausreichenden Rechtsschutzmechanismen zur Verfügung stellt.56 Auf den ersten Blick scheint die Antwort klar zu sein: Die Vereinten Nationen müssen sich genauso wie andere Völkerrechtssubjekte an menschenrechtliche Pflichten halten. Wie immer wirft aber der Blick in Details doch zahlreiche Probleme auf: Die Vereinten Nationen haben keinen Menschenrechtsvertrag unterzeichnet. Es kann sich also lediglich um eine völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung _____________ 53

Klabbers (Anm. 31), 5. Klabbers (Anm. 31)6. 55 Maurice Adams/Anne Meuwese/Ernst Hirsch Ballin (Hrsg.), Constitutionalism and the Rule of Law: Bridging Idealism and Realism, Cambridge 2017; Clemens A. Feinäugle (Hrsg.), The Rule of Law and Its Application to the United Nations, Baden-Baden 2016; Machiko Kanetake/André Nollkämper (Hrsg.), The Rule of Law at the National and International Levels: Contestations and Deference, Oxford 2016; Nico Krisch, Beyond Constitutionalism. The Pluralist Structure of Postnational Law, Oxford 2010; Simon Chesterman, An International Rule of Law?, American Journal of Comparative Law 56 (2008), 331–362. 56 Erika de Wet, Human Rights and the Rule of Law as Applicable to the UNSC. Implications for the Right to a Fair Hearing, in: Feinäugle (Anm. 55), 181–200; Andreas v. Arnauld, Der Weg zu einem „Solange I ½“. Die Umsetzung der gezielten UN-Sanktionen durch die EU nach Einrichtung der UN-Ombudsstelle – europäische oder globale rule of law?, EuR 2013, 236–247; Juliane Kokott/Christoph Sobotta, The Kadi Case: Constitutional Core Values and International Law – Finding the Balance?, EJIL 23 (2012), 1015–1024. 54

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handeln, die jedoch in Hinblick auf Art. 103 der UN-Charta nicht unabdingbar wäre. Ausnahmen stellen wohl die Normen des ius cogens dar.57 Internationale Organisationen stehen nicht außerhalb der Völkerrechtsordnung. In diese Richtung ist auch Philip Alston zu verstehen, der in seinem Bericht über extreme Armut und Menschenrechte vom 26. August 2016 die Vereinten Nationen auffordert, die Verantwortlichkeit für den Ausbruch von Cholera in Haiti 2010 anzuerkennen: The Special Rapporteur considers that the United Nations’ existing legal approach of simply abdicating responsibility is morally unconscionable, legally indefensible, and politically self-defeating. The abdication approach is not only unsustainable, it is also entirely unnecessary. There are powerful reasons why the Secretary-General should urgently adopt a new approach, one that respects the human rights of the victims, while protecting United Nations’ immunity, honoring its commitment to the rule of law, and 58 upholding the integrity of the peacekeeping system.

Überhaupt spielt die Ausdifferenzierung einer völkerrechtlichen rule of law heute eine stärker werdende Rolle.59 Es gilt die Verantwortlichkeitslücken zu schließen, die dadurch entstehen, dass Internationale Organisationen als eigenständige Rechtssubjekte öffentliche Gewalt ausüben.60 Gleichzeitig soll das Handeln durch Internationale Organisationen Staaten keine Fluchtmöglichkeit vor der eigenen Verantwortung bieten.61 Am Ende seines Vortrags stellt Dicke eine Mängelliste der staatenzentrierten Völkerrechtsdoktrin zusammen, indem er auf die Staatengleichheit als Fiktion, die öffentlichen Verwaltungsfunktionen von Internationalen Organisationen und die Bedeutung von nichtstaatlichen Akteuren bei der Generierung von Völkergewohnheitsrecht hinweist. Diese Mängelliste führt Dicke zu der Frage, ob sich das Völkerrecht überhaupt zu einem ‚Law of Mankind‘ entwickeln kann.62 Die Frage _____________ 57 Siehe z.B. Gericht der ersten Instanz T-315/01, Yassin Abdullah Kadi v. Council of the European Union and Commission of the European Communities, 2005 ECR II-3649; sowie Robert Kolb, RdC 367 (2014), 9–252 (215). 58 Report of the Special Rapporteur on Extreme Poverty and Human Rights, A/71/ 40823 vom 26. August 2016, Rn. 3. 59 Siehe z.B. Report of the Secretary-General, Strengthening and Coordinating United Nations Rule of Law Activities, A/71/367 vom 20. Juli 2016. Siehe auch Agenda 2030 verfügbar unter https://sustainabledevelopment.un.org/post2015/transformingourworld. 60 Vgl. A/RES/66/100 vom 9. Dezember 2012; zu Einzelfragen siehe v. Arnauld (Anm. 36), Rn. 379ff.; Mirka Möldner, Responsibility of International Organizations – Introducing the ILC’s DARIO, Max Planck Yearbook of United Nations Law 16 (2012), 281–328; Andreas v. Arnauld/Sinthiou Buszewski, Modes of Legal Accountability: The Srebrenica Example, Friedens-Warte 88 (2013), Nr. 3/4, 15–44. 61 Sinthiou Buszewski/Henner Gött, Avoiding Kadi – ‘Pre-emptive Compliance’ with Human Rights when Imposing Targeted Sanctions, GYIL 57 (2014), 507–540 (517ff.). 62 Dicke (Anm. 4), 34.

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beantwortet er indem er verschiedene Entsprechungen der kommunitaristischen Ideen von Francisco Suarez und Christian Wolff sowie der Ideen zu Geltungsgrund und Durchsetzung von Recht bei Francisco de Vitoria und Immanuel Kant im geltenden Völkerrecht identifiziert. Bei der Verabschiedung von allgemeinen Menschenrechten haben sich die Staaten als Gesetzgeber der Menschheit begriffen, ius cogens und erga omnes-Normen seien Produkte eines kantischen Gedankens der Rechtsvernunft. Dicke fordert deshalb weiter, das Völkerrecht aus einem souveränitätszentrierten Positivismus herauszuführen, um geeignete Wege zu finden, wie man den Herausforderungen der Globalisierung begegnen kann. Trotz der beträchtlichen Leistung des Völkerrechts, zum einen die Globalisierung mit bedingt zu haben und zum anderen Hilfsmittel bereitzustellen, um den Herausforderungen der Globalisierung begegnen zu können, stellt Dicke fest, dass das Völkerrecht noch immer der „politischen Macht den Mantel der Rechtmäßigkeit umgehängt“ hat63 und das 20. Jahrhundert zweierlei hinterlässt: „neue Fragen nach gerechter Regelung sowie die Einsicht, dass Recht der Macht bedarf, ohne selbst Macht zu sein.“ Diese Feststellungen dürften auch heute noch gültig sein.

C. Waldemar Hummer (Innsbruck): Internationale nichtstaatliche Organisationen im Zeitalter der Globalisierung – Abgrenzung, Handlungsbefugnisse, Rechtsnatur Waldemar Hummer beschreibt die Veränderung des Systems der internationalen Beziehungen durch die Zunahme internationaler und transnationaler Systeme und identifiziert NGOs als internationale Akteure. Des Weiteren geht er auf die Schwierigkeiten hinsichtlich der Typisierung von NGOs ein. Er stellt fest, dass die Bedeutung von NGOs in den internationalen Beziehungen unklar ist, da keine ausreichenden empirischen Erfassungen existierten und der Status von NGOs unklar sei. Zum einen sei ein enormer quantitativer Zuwachs und zum anderen ein qualitativer Wandel zu verzeichnen. Der Beitrag versucht nun, einen Überblick über die neueren Entwicklungen zu geben, indem er einen empirischen Ansatz verfolgt, die Aktivitäten von NGOs typologisiert und die juristische Qualifikation der Handlungs- und Geschäftsfähigkeit von NGOs anhand ihrer Befugnisse analysiert. Zunächst geht Hummer auf den quantitativen Anstieg von internationalen Akteuren ein. Er teilt seine Beobachtung mit, dass sich „[i]n der 50-jährigen Periode seit dem Zweiten Weltkrieg [...] die Zahl der Staaten mehr als verdreifacht, die von International Governmental Organizations (IGOs) mehr als verdoppelt, _____________ 63

Dicke (Anm. 4), 37.

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die von (internationalen) NGOs versiebenfacht und die von TNCs mehr als verzehnfacht“ hat.64 Diese Tendenz lässt sich auch aus heutiger Sicht bestätigen, jedoch nur in Hinblick auf die nichtstaatlichen Akteure. Die Bundeszentrale für politische Bildung geht in den Jahren von 1991 bis 2007 von einem Anstieg der NGOs von 4.620 auf 7.600 aus65 und bestätigt damit den aufsteigenden Trend. Mit dem starken Anstieg an NGOs geht, so Hummer, ein dramatischer Wandel des internationalen Systems einher, insbesondere weil die nichtstaatlichen Akteure Aufgaben übernehmen, die bisher von Staaten oder IGOs übernommen worden waren. Jedoch fehlen ihnen gleichzeitig staatliche Machtmittel. Sie bedienen sich daher indirekter Aktionen – wie z.B Lobbying, Monitoring, Networking, diskursive Verfahren zur Mobilisierung der Öffentlichkeit. Damals wie heute ist die Begrifflichkeit der Nichtregierungsorganisation nicht abschließend geklärt. Eine einheitliche Definition gibt es ob der mannigfaltigen Erscheinungsformen nicht. Hummer nennt insbesondere das Problem der Abgrenzung von NGOs zu QUANGOs (Quasi NGOs), GONGOs (Government organized NGOs), DONGOs (Donor organized NGOs), PSCs (Public service contractor) und NGOs als Mitglieder von IGOs.66 Zentrale Eckpfeiler einer Definition dürften aber wohl die Nichtstaatlichkeit sowie die Nicht-Profitorientierung sein, obwohl selbst diese Kriterien nicht unstreitig sind.67 Im Folgenden geht Hummer auf nationale, internationale und transnationale Phänomene zur Abgrenzung von NGOs, Transnationale Corporations (TNCs) und verwandten Gruppen ein. Er definiert insbesondere den Begriff der transnationalen NGO als eine „Aktivität oder Rechtsbeziehung aus einer nationalen Rechtsordnung heraus – grenzüberschreitend – [die] in eine andere Rechtordnung hineinwirkt“.68 Grenzüberschreitend sind daher die Kategorien „international“ und „transnational“, jedoch werden im Fall der internationalen NGOs „Rechtsbeziehungen außerhalb bzw. oberhalb der nationalen Rechtsordnung – gleichsam konstituiert“.69 Im Fall der transnationalen NGO regelt eine nationale Rechtsordnung „reflexartig“ über die nationalen Grenzen hinaus in eine andere _____________ 64 Waldemar Hummer, Internationale nichtstaatliche Organisationen im Zeitalter der Globalisierung – Abgrenzung, Handlungsbefugnisse, Rechtsnatur, BDGVR 39 (2000), 45–230 (51). 65 Bundeszentrale für politische Bildung, Nicht-Regierungsorganisationen – die absoluten Zahlen weltweit 1909 bis 2007, http://www.bpb.de/wissen/3UD6BP,0,0,NichtRegierungsorga nisationen_(NGOs).html verweisen wiederherum auf Quelle: Union of International Associations (UIA), Yearbook of International Organizations: Statistics on international organizations. 66 Hummer (Anm. 64), 56. 67 Hummer (Anm. 64), 55. Siehe z.B. Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, Band I/2, 2. Aufl., Berlin 2002, 233. 68 Hummer (Anm. 64), 58. Der Begriff „transnational“ wird somit anders als bei Jessup verwendet. 69 Hummer (Anm. 64), 58.

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Rechtsordnung hinein. Eine internationale NGO ist damit eine NGO, die keiner nationalen Rechtsordnung zuzuordnen ist und daher „apatrid“ ist.70 Dies trifft für Hummer nur auf den Dachverband zu, zu dem sich einzelne NGOs zusammengeschlossen haben und der keine eigene Rechtspersönlichkeit hat. Die theoretischen Abgrenzungs- und Definitionsversuche bringen Hummer im Folgenden zu den ebenso komplexen praktischen Abgrenzungs- und Standardisierungsversuchen etwa durch die Schaffung eines „Internationalen Personalstatuts“ für NGOs oder die gegenseitige Anerkennung der Rechtspersönlichkeit von NGOs durch Konvention.71 Hier verweist er auf die allesamt fehlgeschlagenen Versuche, die Rechtspersönlichkeit internationaler Vereine für die Staaten verbindlich zu regeln.72 Es ist nur dem Europarat gelungen, eine Konvention über die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit internationaler nichtstaatlicher Organisationen auszuarbeiten.73 Unter Bezugnahme zur Rechtslage insbesondere in Österreich und den Niederlanden stellt Hummer fest, dass (a) die inneren Verhältnisse eines internationalen Vereins – ob rechtsfähig oder nicht – von dem Recht des jeweiligen (tatsächlichen) Verwaltungssitzes des Vereins beherrscht werden, (b) die Rechtspersönlichkeit eines internationalen Vereins nur dadurch erlangt werden kann, dass er sich den Vorschriften einer nationalen Rechtsordnung unterwirft und (c) einem nicht-rechtsfähigen internationalen Verein durch ein Gericht aufgrund der lex fori passive Parteifähigkeit auferlegt werden kann.74 Weil Hummer von der Handlungs- und Geschäftsfähigkeit auf die (Völkerrechts-)Rechtspersönlichkeit schließt, untersucht er im Anschluss die völkerrechtlichen Handlungsbefugnisse von NGOs. Hier beobachtet er vielfältige NGO-Aktivitäten im Kontext des Völkerbundes, der International Labour Organization, den Vereinten Nationen, auf internationalen Konferenzen und anderen internationalen Organisationen. Hervorzuheben ist in Hinblick auf die sich wandelnde Rolle von nichtstaatlichen Akteuren im überstaatlichen Raum, dass die sehr beschränkte Rolle von nationalen NGOs, die zunächst lediglich mediatisiert durch einen internationalen Dachverband Bedeutung hatten, mit der Resolution 1996/31 erweitert wurde. Seither können auch nationale, regionale und subregionale NGOs (nach Konsultation des betreffenden Mitgliedstaates) akkreditiert werden. Damit einher geht ein Mehr an Partizipationsrechten. Da die politischen Vorentscheidungen über internationale Politiken auch auf nationaler Ebene getroffen werden, ist für NGOs die Einflussnahme auch auf dieser Ebene entscheidend. Die Resolution 1996/31 machte es möglich, dass nationale NGOs unter _____________ 70

Hummer (Anm. 64), 58. Hummer (Anm. 64), 63ff. 72 Hummer (Anm. 64), 69ff. 73 Europäisches Übereinkommen Nr. 124 von 1986 über die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit internationaler nichtstaatlicher Organisationen. 74 Hummer (Anm. 64), 83. 71

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sich Netzwerke ausbauen konnten, um sich selbst zu vertreten und nicht auf die Mediatisierung durch einen Dachverband angewiesen zu sein. Bis 1998 hat der Wirtschafts- und Sozialrat rund 1.500 NGOs Konsultativstatus verliehen.75 Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt an, dass bis Mitte 2009 3.195 NGOs beim Wirtschafts- und Sozialrat akkreditiert waren. Davon hatten 139 den ‚allgemeinen Status‘, 2.082 den ‚besonderen Konsultativstatus‘ und 974 den ‚Listenstatus‘.76 Bis Mitte 2015 wuchs der Bestand an Organisationen mit Konsultativstatus auf 4.665 an. Davon haben 143 allgemeinen Status, 3544 besonderen Konsultativstatus und 978 Listenstatus.77 Der Vorteil des Konsultativstatus liegt dabei vornehmlich in der Möglichkeit des Zugang zu den Konferenzräumlichkeiten und damit zu den Delegationen der Mitgliedstaaten sowie in der Kontaktaufnahme mit den Fachabteilungen des Sekretariats der Vereinten Nationen. Unter dem Titel „Rechtsfolgen der ‚Beleihung‘ von NGOs mit völkerrechtlichen Handlungsbefugnissen“ diskutiert Hummer die Völkerrechtssubjektivität von NGOs.78 Verweisend etwa auf Karl Zemaneks Aufsatz von 1960 ist Hummer der Auffassung, dass NGOs, die keiner nationalen Rechtsordnung unterworfen sind, sich autonom eine interne Ordnung verleihen können. Diese interne Ordnung bezeichnet er als internationales Verbandsrecht. Die Konsequenz der Beleihung, als die Übertragung von Rechten und Pflichten etwa durch einen internationalen Staatenvertrag, macht den Verband/ die NGO zu einem Völkerrechtssubjekt.79 Hummer verweist an dieser Stelle auch auf Joseph H. Kaiser, Albert Bleckmann, Jost Delbrück und Stephan Hobe, die sich ebenso für die zumindest partielle Völkerrechtsubjektivität von NGOs aussprechen. Trotz dieser prominenten Stimmen wird 1999 ganz überwiegend die Anerkennung selbst von partieller Rechtsfähigkeit von NGOs verneint.80 Nach dieser Ansicht haben NGOs nur verbandsrechtlich verliehene Rechte innerhalb der „internationalen Staatengemeinschaft“ im Verdross’schen Sinn. Diese Auffassung beruht, so Hummer, wohl auf der Unterscheidung zwischen geborenen und gekorenen Völkerrechtsubjekten.

_____________ 75

Hummer (Anm. 64), 111. Bundeszentrale für politische Bildung, NGOs mit Konsultativstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), Stand: Juli 2009, http://www.bpb.de/system/files/ pdf/PV153H.pdf. 77 United Nations Department for Economic and Social Affairs, NGO Branch, Consultative Status with ECOSOC and other accreditations, http://esango.un.org/civilsociety/displayCon sultativeStatusSearch.do?method=search&sessionCheck=false. 76

78

Hummer (Anm. 64), 190ff. Hummer (Anm. 64), 192. 80 Hummer (Anm. 64), 194. Siehe auch Dahm/Delbrück/Wolfrum (Anm. 67), 237. 79

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Ferner wird gegen die Annahme der Völkerrechtssubjektivität von NGOs vorgetragen, dass der Beleihungsakt jederzeit widerrufbar ist und kein Rechtsanspruch etwa auf Konsultativstatus im Wirtschafts- und Sozialrat besteht. Nimmt man aber mit Hummer an, dass immer dort Rechtssubjektivität existiert, wo (völkerrechtliche) Handlungsfähigkeit gegeben ist, dann kann von der Beleihung auf die Völkerrechtspersönlichkeit geschlossen werden. Auf die Reversibilität der Beleihung kommt es dann nicht an. Hummer entwickelt einen eigenen Ansatz, indem er zwischen der Verleihung eines offiziellen Status innerhalb einer Internationalen Organisation und der Indienstnahme bei der Ausarbeitung, Implementierung und Überwachung völkerrechtlicher Regeln unterscheidet.81 Wo der Konsultativ- bzw. Beobachterstatus von NGOs in Internationalen Organisationen auf einer einseitigen sekundärrechtlichen Grundlage beruht, die jederzeit wieder zurückgenommen werden kann und keine Wirkung gegenüber Dritten entfaltet, sondern nur relativ zwischen NGO und Internationalen Organisation gilt, beruhe der Status von NGOs auf dem unmittelbaren Willen der Staaten selbst. Ein etwaiges relativierendes verbandsrechtliches Argument kommt hier, so Hummer, auf keinen Fall zum Tragen. Der Status von NGOs ist auch heute noch nicht geklärt. Trotz der wachsenden Bedeutung von NGOs etwa bei der Fortentwicklung des Völkerrechts sind sie nach noch herrschender Meinung nicht als Völkerrechtssubjekte anerkannt.82 NGO-Aktivitäten sind aufgrund der unterschiedlichen Erscheinungsformen schwer zu kategorisieren. Zudem wirft die rechtliche Kategorie des Völkerrechtssubjekts weitere Fragen auf: Wie weit soll die Rechtspersönlichkeit von NGOs reichen? Was bringt sie? Gibt es Mechanismen der Verantwortlichkeit oder völkerrechtliche Pflichten? Gleichzeitig wird ein Legitimitäts- und Demokratiedefizit von NGOs gegen die Anerkennung als Völkerrechtssubjekte ins Feld geführt, welches stärker wird, je einflussreicher die NGO insbesondere im Rahmen von Rechtserzeugungsprozessen werden. Diesbezüglich schneidet Hummer das Thema der Übertragbarkeit staats- und demokratietheoretischer Vorstellungen von der nationalen auf die internationale Ebene an83 und verweist auf die Möglichkeit Legitimität an die völkerrechtliche Ebene zu übermitteln. Die Gründung und Vernetzung von NGOs kann auch als Ausdruck zivilgesellschaftlicher Willensbildung verstanden werden. Zukunftsweisend meint er, dass man sich vor allem mit der Frage zu beschäftigen habe, „wie Gemeinwohl und Demokratievorstellungen von der staatlichen auf die internationale Ebene transmittiert werden können bzw. ob nicht _____________ 81

Hummer (Anm. 64), 196. v. Arnauld, (Anm. 82), Rn. 119. 83 Hummer (Anm. 64), 284. 82

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beide Ebenen diesbezüglich über unterschiedliche Begrifflichkeiten verfügen und daher eigenen Gesetzlichkeiten folgen.“84 Es hat sich inzwischen herauskristallisiert, dass aus juristischer Perspektive die Bedeutung von NGOs vor allem in ihrer Beteiligung an Rechtserzeugungsprozessen liegt. Hummer unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen der Anregung zur Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge und der Mitwirkung an diesen (agenda setting), der Ausarbeitung eigener Standards durch NGOs, die dann von Staaten oder IGO ihrer eigenen Rechtssetzung zugrunde gelegt werden (standard setting) und der Überwachung, Kontrolle und Implementierung von völkerrechtlichen Verträgen (monitoring).85 Insgesamt muss festgestellt werden, dass sich heute die gleichen rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit überstaatlichen NGO-Aktivitäten stellen wie noch 1999 in Kiel. Der rechtliche Status bleibt umstritten und auch die Kritik an der Repräsentativität von NGOs und fehlenden Mechanismen der Verantwortlichkeit wird regelmäßig erneuert.86 Jedoch kann gleichzeitig die bedeutende Rolle von NGOs nicht genügend hervorgehoben werden sowie – speziell in den internationalen Beziehungen – das damit zusammenhängende, gestiegene wissenschaftliche Interesse an dem Thema.87 Neben der Neubestimmung der Rolle des Individuums auf internationaler Ebene förderte gerade die Befassung mit _____________ 84

Hummer (Anm. 64), 284. Hummer (Anm. 64), 161f. 86 Siehe bereits Jost Delbrück, Nichtregierungsorganisationen – Geschichte, Bedeutung, Rechtsstatus, Rechtspolitisches Symposium, Trier 2003; siehe auch Stephan Hobe, Non-Governmental Organizations, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (März 2010); Christina M. Balboa, The accountability and legitimacy of international NGOs, in: William E. DeMars/Dennis Dijkzeul (Hrsg.), The NGO Challenge for International Relations Theory, London u.a. 2015, 159–186. 87 Erik B. Bluemel, Overcoming NGO Accountability Concerns in International Governance, Brooklyn Journal of International Law, 31 (2005), 139–206; James McGann/Mary Johnstone, The Power Shift and the NGO Credibility Crisis, Brown Journal of World Affairs, 11 (2005), 159-172; Kenneth Anderson, What NGO Accountability Means - and Does Not Mean, American Journal of International Law, 103 (2009), 170–178; Diana Hortsch, The Paradox of Partnership: Amnesty International, Responsible Advocacy, and NGO Accountability, Columbia Human Rights Law Review, 42 (2010), 119–156; Jean d' Aspremont, Participants in the international legal system: multiple perspectives on nonstate actors in international law, London u.a. 2011; Dana Brakman Reiser, Linking NGO Accountability and the Legitimacy of Global Governance, Brooklyn Journal of International Law, 36 (2011), 1011–1074; Charlotte Dany, Janus-Faced NGO Participation in Global Governance: Structural Constrains for NGO Influence, Global Governance, 20 (2014), 419–436; Christine von Arb, Durchsetzung von Umweltrecht: völkerrechtliche Instrumente für Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Zürich 2015; Math Noortmann/August Reinisch/Cedric Ryngaert, Non-State actors in international law, Oxford u.a. 2015 William E. DeMars/Dennis Dijkzeul (Anm. 86); Helen Yanacopulos, International NGO Engagement, Advocacy, Activism, Basingstoke 2016. 85

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NGOs als nichtstaatlichen, transnational agierenden Akteuren, die vormals allein von Staaten ausgeführte Aufgaben übernehmen, in den Internationalen Beziehungen die Kategorienbildung der Global Governance und in der Völkerrechtswissenschaft die Konstitutionalisierungsdebatten.88 Erneut muss hier auf den Staatenzentrismus des Völkerrechts verwiesen werden, um die Stagnation hinsichtlich der rechtlichen Stellung von NGOs sowie ihrer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit zu erklären. Nichtstaatliche Akteure, die neben den Staaten Individuen repräsentieren und daher einen gewissen Grad an Legitimität beanspruchen, passen nicht in das sog. „Westfälische System“. Zu Recht wird aber auch die Repräsentativität von NGOs in Frage gestellt sowie das Argument ins Feld geführt, dass die großen und politische mächtigeren NGOs zumeist „westliche“ NGOs sind.89 Dennoch steckt ein großes Potential in NGOAktivitäten. Sie können friedenssichernde Maßnahmen abseits von politischen Gräben vorantreiben, den Minderheitenschutz stärken, die öffentliche Aufmerksamkeit auf Themen lenken, die von der Politik vermieden werden, Sachverhaltserforschung betreiben, und vieles mehr. Vor allem im Bereich des effektiven Menschenrechts- und Umweltschutzes sind NGOs kaum mehr wegzudenken.

D. Daniel Girsberger (Zürich): Entstaatlichung der friedlichen Konfliktregelung zwischen nichtstaatlichen Wirkungseinheiten: Umfang und Grenzen – Das Beispiel der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit Daniel Girsberger schließt sich den bereits oben dargestellten Meinungen mit der Feststellung an, dass sich Machtstrukturen vermehrt auf nichtstaatliche Wirkungseinheiten wie TNCs und NGOs verlagern und nichtstaatliche Akteure einen spürbaren Machtzuwachs erhalten haben, der sich vor allem auf die Interkonnektivität des internationalen Marktes und das wachsende Bedürfnis nach Autonomie bei der Beilegung von Streitigkeiten zurückführen lässt.90 Marktteilnehmer profitieren vom Wettbewerb der Steuerstandorte. Sie können sich die _____________ 88 Karen A. Mingst/Jams P. Muldoon Jr., Global Governance and NGOs: reconceptualizing international relations for the twenty-first century, in: DeMars/Dijkzeul (Anm. 87), 65–81; siehe auch John Ruggie, Global Governance and “New Governance Theory”. Lessons from Business and Human Rights, Gobal Governance 20 (2014), 5–17. 89 Alejandro Bendaña, NGOs and Social Movements A North/South Divide?, Civil Society and Social Movements, United Nations Research Institute for Social Development, Programme Paper Number 22, June 2006. 90 Daniel Girsberger, Entstaatlichung der friedlichen Konfliktregelung zwischen nichtstaatlichen Wirkungseinheiten: Umfang und Grenzen – Das Beispiel der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, BDGVR 39 (2000), 231–265 (233).

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günstigste Rechtsordnung aussuchen. Girsberger identifiziert moderne Kommunikationsmittel als einen Grund dafür, dass territoriale Bezüge zu einem Geschäft nicht mehr lokalisiert werden können. Der Staat wiederum kann nur dort regulierend eingreifen, wo der Marktteilnehmer physisch tätig ist oder Vermögen hat. Damit reduzieren sich die Funktionen und die Handlungsfähigkeit des Staates. Eine weitere Ausprägung dieser Dynamik ist zu beobachten, wo der Staat es zulässt, private Streitbeilegungsmechanismen entstehen zu lassen.91 Als Beispiel nennt Girsberger die Sports-Schiedsgerichtsbarkeit, die vergleichbar mit den Sanktionen staatlicher Gerichte etwa Berufssperren und hohe Geldbußen verhängen kann. Globale Marktteilnehmer kämen für ihre interne Organisation praktisch ohne den Staat aus; nur zur Anwendung von Zwang gegen Dritte sei das Machtmonopol des Staates unverzichtbar. So sei es zur Bedeutungszunahme von privaten Streitschlichtungsmechanismen gekommen, was jedoch auch durch die chronische Überlastung von Gerichten und die gute Organisation dieser privaten Streitschlichtungsmechanismen bedingt werde. Dennoch ist Girsberger kritisch, was die undifferenzierte Behauptung anbelangt, dass Schiedsgerichte kostengünstiger und schneller und deshalb der staatlichen Gerichtsbarkeit überlegen seien. Schiedsgerichtliche Verfahren nähern sich auch in dieser Hinsicht staatlichen Verhältnissen an. Gleichzeitig bleiben Schiedsgerichte in Anbetracht der Überlastung von vielen staatlichen Gerichten und des durch die private Schiedsgerichtsbarkeit eingeräumten hohen Stellenwerts der Parteiautonomie gerade in der globalisierten Welt beliebt. Trotz dieser steigenden Beliebtheit kommt die private Schiedsgerichtsbarkeit nicht ganz ohne staatliche Unterstützung aus. Genau auf dieser Schnittstelle ergeben sich dann aber rechtliche Probleme etwa bei der Berücksichtigung von Eingriffsnormen, der Korrektur von Schiedssprüchen durch staatliche Instanzen und der damit verbundenen „Delokalisierung“ von Verfahren. Girsberger beobachtet in diesem Zusammenhang die Annäherung schiedsgerichtlicher Verfahren nicht nur in ihrer Länge und hinsichtlich der Verfahrenskosten, sondern etwa auch in Bezug auf die Berücksichtigung von internationalen Eingriffsnormen, die sich der Regelung vor staatlichen Gerichten zunehmend annähert. Das hat seinen Grund darin, dass die Anwendung immer dann zwingend ist, wenn die Norm als Teil eines „transnationalen ordre public“ erkannt wird.92 Girsberger beschreibt diesen Vorgang als „Grenze der Entstaatlichung“.93 Insofern bedingt die Entstaatlichung die Ausweitung privater Gerichtsbarkeit, wird aber durch das Bedürfnis nach staatlichem Vollzug und Schutz von Allgemein- und Drittinteressen beschränkt. _____________ 91

Girsberger (Anm. 90), 234. Girsberger (Anm. 90), 244 93 Girsberger (Anm. 90), 239. 92

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Girsberger vertritt, dass ein wichtiger Schritt zur Entnationalisierung getan würde, wenn die Überprüfung eines Schiedsentscheids im Sitzstaat durch staatliche Gerichte ausgeschlossen würde. Dies verhindere ähnlich widersprüchliche Ergebnisse wie im Chromalloy-Fall94 oder dem Hilmarton-Fall95. Beide Fälle betreffen die Situation, in der die Aufhebung eines Schiedsspruchs im Sitzstaat und die Anerkennung des gleichen Schiedsspruchs im Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat entschieden wurde.96 Girsberger führt diese Unstimmigkeiten in beiden Fällen auf halbherzige Regelungen des New Yorker Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (UN-Übereinkommen) zurück.97 Die Koordinierung der Anfechtungsmöglichkeiten von Schiedssprüchen solle idealerweise auf supranationaler Ebene erfolgen, so Girsberger.98 Gleichzeitig macht er darauf aufmerksam, dass es notwendig sei, die Schiedsfähigkeit in sensiblen Bereichen zu begrenzen und die Missbrauchskontrolle anzugleichen.99 Aktuelle Lösungsansätze, die auf die Nichtvollstreckung eines durch einen anderen Staat aufgehobenen Schiedsspruchs abzielen, reichen von der in Deutschland vorherrschenden Annahme, dass ein aufgehobener Schiedsspruch ein rechtliches nullum darstellt, über die Forderungen nach der Zusicherung der Nichtvollstreckung durch völkerrechtlichen Vertrag und der Entziehung des gesamten Vollstreckungsverfahren aus staatlicher Hand, zu radikaleren Ideen wie der Nichtanwendung von Vollstreckungshinderungsgründen und der Anwendung von nationalem Recht, das den Vollstreckungsgläubiger im Wege der Meistbegünstigung im Vergleich zum UN-Übereinkommen günstiger stellt. Dem folgend anerkennen und vollstrecken französische Gerichte Schiedssprüche aufgrund des vollstreckungsfreundlichen französischen Rechts immer, wobei der Grund für die Aufhebung des Schiedsspruchs unerheblich ist. Dabei ignoriert _____________ 94 Chromalloy Aero Services and the Arab Republic of Egypt, 939 F. Supp. 907 (D. D. C. 1996), 250 Fn. 104 95 Société Hilmarton Ltd. C. Société Omnium de traitement et de valorisation (OTV): Cour de Cassation, 10. Juni 1997, Rev. arb. 1997, 376 note Fouchard, Clunet 124 (1997), 1033 note Gaillard; engl. Zusammenfassung in: Yearbook of Commercial Arbitration 22 (1997), 696-698; Cour d’appel de Versailles, 29. Juni 1995, 639 note Jarrosson, Clunet 123 (1996), 120 note Gaillard; Cass. Civ. (1ère), 23. März 1994, Clunet 121 (1994), 701 note Gaillard; Rev. arb. 1994, 327 note Ch. Jarrosson; Cour d’appel de Paris, 19. Dezember 1991, Rev. arb. 1993, 300: Anerkennung in Frankreich trotz Aufhebung in der Schweiz mit der Begründung der Schiedsspruch sei „nicht in der Schweiz verankert“, „integrée“. Aufhebungsentscheidung: Cour de Justice Genève, 17. November 1989, Rev. arb. 1993, 316ff. 96 Siehe hierzu Felix Boor, Der aufgehobene ausländische Schiedsspruch als „rechtliches Nullum“? Eine kritische Analyse auf der Grundlage des Verfassungs- und Völkerrechts, Berlin 2016. 97 Girsberger (Anm. 90), 250. So auch Boor (Anm. 96), 24. 98 Girsberger (Anm. 90), 254. 99 Girsberger (Anm. 90), 260.

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dieser letzte Ansatz, dass die Aufhebung durchaus auch aus guten Gründen erfolgt sein konnte. Ein letzter Lösungsansatz beschränkt das von dem UNÜbereinkommen gewährte Ermessen der Vollstreckungsbehörde auf eine Kontrolle der Einhaltung internationaler Standards durch das aufhebende Gericht.100 Im europäischen Rechtsraum wird seit dem 22. Dezember 2000 bzw. in geänderter Form seit dem 10. Januar 2015 der reibungslose Urteilsverkehr in Zivilund Handelssachen durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bzw. die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 geregelt. Das auf weltweite Anerkennung und Vollstreckung ausgelegte Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 haben bislang 29 Staaten unterzeichnet und ratifiziert (alle EU-Mitgliedstaaten – außer Dänemark –, Mexiko und Singapur). Die USA und die Ukraine haben das Abkommen bislang nur unterzeichnet. Die Anfechtungsmöglichkeit von Schiedssprüchen sehen aber noch immer alle Staaten vor.101 Um im Namen der Rechtssicherheit eine gewisse Kohärenz herzustellen, fordert Girsberger zudem, dass die „Nordsee“-Praxis102 des EuGH überdacht werden sollte.103 In diesem Urteil entschied der EuGH, dass ein Schiedsgericht im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nicht vorlageberechtigt sei. Diesen Grundsatz hat der Gerichtshof in seinem Beschluss vom 13. Februar 2014 in der Sache Merck Canada Inc. gegen Accord Healthcare Ltd u. a.104 bestätigt. Der Gerichtshof hatte hier zu prüfen, ob das vorlegende portugiesische Tribunal Arbitral Necessário als Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden kann. Dies verneinte der EuGH allgemein in Hinblick auf Schiedsgerichte mit der Begründung, dass für die Vertragsparteien weder eine rechtliche noch eine tatsächliche Verpflichtung besteht, ihre Streitigkeiten vor ein (vertragliches) Schiedsgericht zu bringen, und die Träger der öffentlichen Gewalt des betreffenden Mitgliedstaats weder in die Entscheidung, den Weg der Schiedsgerichtsbarkeit zu wählen, einbezogen sind noch von Amts wegen in den Ablauf des Verfahrens vor dem Schiedsrichter eingreifen können (Urteil

_____________ 100

Ausführlich hierzu Boor (Anm. 96), 26ff. Paul Oberhammer, Streitbeilegung durch Schiedsgerichte im internationalen privaten Wirtschaftsverkehr, in: Christian Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. Berlin 2015, 863–885 (883f.). 102 Nordsee Deutscher Hochseefischerei GmbH v. Reederei Mond Hochseefischerei Nordstern AG & Co. KG u.a. (1982), C-102/81, Slg. 1982 II, 1095ff. 103 Girsberger (Anm. 90), 244. 104 EuGH, Beschluss vom 13.2.2014 – C-555/13, Merck Canada Inc. gegen Accord Healthcare Ltd u.a., EuZW 2014, 301ff. 101

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vom 27. Januar 2005, Denuit und Cordenier, C-125/04, Slg. 2005, I-923, Rn. 13 und 105 die dort angeführte Rechtsprechung).

Der Gerichtshof lässt aber die Vorlagefragen von Schiedsgerichten dann zu, wenn die Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht auf dem Willen der Parteien beruht, sondern auf portugiesischem Gesetz.106 Das portugiesische Schiedsgericht war in dem Fall im ersten Rechtszug zwingend zuständig für Fragen der gewerblichen Schutzrechte in Bezug auf Referenzarzneimittel und Generika. Doch Girsberger ist nicht allein mit seiner Forderung nach einer besseren Abstimmung von privater Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit. Kürzlich forderte der scheidende Bundesverfassungsrichter Reinhard Gaier etwa „Schlichtung, Schiedsgericht und staatliche Justiz als drei Institutionen zu sehen, die miteinander vernetzt sind, interagieren und in der Funktion der Rechtsverwirklichung übereinstimmen.“107 Gaier hält es für bedenklich, dass – trotz der deutschen Streitfreudigkeit – in einem Zeitraum von 20 Jahren (zwischen 1994 und 2013) die Eingänge in Zivilsachen um jeweils etwas mehr als ein Drittel zurückgegangen sind.108 Dies entspricht der Tendenz, die Girsberger 1999 in Kiel beschreibt.109 Auch die Schiedsgerichtsbarkeit, die sich vor allem der Privatautonomie verschrieben hat, sieht sich jedoch inzwischen immer deutlicher einer Kritik ausgesetzt, die sich gegen eine ihr inhärente Eigenschaft richtet, denn trotz der Rechtsbindung geht es bei einem Schiedsspruch immer nur um eine Einzelfallentscheidung. Gaier führt hierzu aus: Eine Klärung von Rechtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung erfolgt ebenso wenig wie Beiträge zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Dies bleibt den staatlichen Gerichten vorbehalten, wobei das Verfahrensrecht in solchen Konstellationen den Instanzenzug durch entsprechende Zulassungs110 gründe für Berufung (§ 511 IV ZPO) und Revision (§ 543 II ZPO) öffnet.

_____________ 105

Ebd., Rn. 17. Ebd., Rn. 18. 107 Reinhard Gaier, Schlichtung, Schiedsgericht, staatliche Justiz – Drei Akteure in einem System institutioneller Rechtsverwirklichung, NJW 2016, 1367–1371. 108 Gaier (Anm. 107), 1367. 109 Jedoch sieht Gaier den Grund für den Rückgang nicht etwa in der steigenden Anzahl von Schiedsgerichten, denn die Anzahl der Schiedsverfahren erreichten nicht annähernd ein Volumen, das den Rückgang der Zivilverfahren erklären könnte. Vielmehr stellt Gaier die These auf, dass sich die Zahl der zivilrechtlichen Auseinandersetzungen nicht verändert habe, aber nach anwaltlicher Beratung öfter eine Lösung im Konsens gesucht oder die Aufgabe von schwer durchsetzbaren Rechtspositionen entschieden wird. 110 Gaier (Anm. 107), 1369. 106

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Hier offenbart sich also die von Girsberger angesprochene Notwendigkeit der Unterstützung der Schiedsgerichtsbarkeit noch einmal klarer. Gaier schlägt an dieser Stelle sogar die Vorlagemöglichkeit von Schiedsgerichten zu staatlichen Gerichten vor. Aktuell entzünden sich Konflikte im Spannungsfeld zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit vor allem in der Frage der InvestorStaat-Schiedsgerichte. Im Rahmen der Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP kam es in der europäischen Öffentlichkeit zu starken Protesten, die neben der Angst vor sog. Chlorhühnern vor allem auf die Klagemöglichkeit von Investoren vor nichtstaatlichen Schiedsgerichten zurückgingen.111 Investitionsschutzabkommen ermöglichen es Investoren den jeweiligen Vertragsstaat vor ad hoc-Investitionsschiedsgerichten auf Entschädigungen zu verklagen, wenn sie Verluste aufgrund von staatlichen Regulierungsmaßnahmen erlitten haben.112 Auch können die Parteien sich in diesen Verfahren auf die Schiedsrichter einigen. So werden staatliche Rechtsakte von einem außerstaatlichen Schiedsgericht auf Einhaltung von internationalen Investitionsstandards überprüft.113 Ferner finden Investitionsschiedsverfahren häufig nach der ICSIDKonvention statt, die es möglich macht, ein Schiedsverfahren vom staatlichen Recht zu entkoppeln und die bestehenden Einflussmöglichkeiten von staatlichen Gerichten abzuschneiden. Insbesondere findet im Rahmen von ICSID-Verfahren keine (echte) Revision statt. Der einzige Rechtsbehelf ist das sog. AnnulmentVerfahren (Art. 51–52 ICSID) mit den dort abschließend aufgezählten Beschwerdegründen. Dies ist einer der zentralen Kritikpunkte gegen Investitionsschiedsverfahren, denn so können unter Umständen demokratisch legitimierte Entscheidungen eines Staates, etwa Verbraucherschutzvorschriften oder Umwelt- und Gesundheitsschutzvorschriften, im Wege eines außerstaatlichen Schiedsspruchs ausgehebelt werden. Hinzu kommt die Kritik, die Schiedsrichter in diesen Verfahren seien nicht unabhängig und unparteilich im Sinne eines rechtsstaatlichen Verfahrens.114 _____________ 111 Vgl. Sinthiou Buszewski/Stefan Martini/Hannes Rathke (Hrsg.), Freihandel vs. Demokratie. Grundsätze transnationaler Legitimation: Partizipation, Reversibilität, Transparenz, Baden-Baden 2016. 112 Zu TTIP siehe Till Holterhus, „A new era in the settlement of investment disputes?“ – Reformvorschläge der EU-Kommission zum Investitionsschutz in TTIP, Verfassungsblog vom 17. September 2015, http://verfassungsblog.de/a-new-era-in-the-settlementof-investment-disputes-reformvorschlaege-der-eu-kommission-zum-investitionsschutz-inttip/#.Vf_AKVjouUm. 113 Vgl. Thomas Jaeger, Zum Vorschlag einer permanenten Investitionsgerichtsbarkeit, EuR 2016, 203–229 (204). 114 Vgl. Jaeger (Anm. 113), 204f.

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Wegen der lauten öffentlichen Kritik an diesen Verfahren plant die EUKommission einen ständigen multilateralen Investitionsgerichtshof.115 Dieser Investitionsgerichtshof soll weltweit zuständig sein und die ad hoc-Investor-StaatSchiedsgerichte ersetzen. Letztere sind derzeit noch in rund 3.200 geltenden Investitionsschutzabkommen vorgesehen. Auch soll der Gerichtshof nicht nur europäischen Staaten offenstehen. Ferner soll der Investitionsgerichtshof zwei Instanzen haben, deren Besetzung nach dem Zufallsprinzip erfolgt und nur Berufsrichter mit hoher qualifikativer Eignung erfassen soll. Ihre Unabhängigkeit, Weisungsfreiheit und Unparteilichkeit soll garantiert und zusätzlich durch einen Verhaltenskodex abgesichert werden. Durch einen einzigen Gerichtshof für alle Investor-Staat-Verfahren soll die Legitimität der Verfahren verbessert sowie Kohärenz und Vorhersehbarkeit geschaffen werden. Es ist der EU-Kommission offenbar wichtig, dem öffentlichen Eindruck entgegenzuwirken, dass Investoren bei Unzufriedenheit mit nationalen Urteilen vor ad hoc-Investitionstribunalen eine neue Entscheidung erstreiten könnten.116 Zwar befinden sich die Entwicklungen in dieser Hinsicht noch im Aushandlungsstadium, dennoch enthalten sowohl das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada als auch das mit Vietnam bereits Verweisungen auf diesen künftigen multilateralen Investitionsgerichthof.117

E. Katharina Boele-Woelki (Utrecht): Internet und IPR: Wo geht jemand ins Netz? Der Beitrag von Katharina Boele-Woelki diskutiert die Funktionen des Internationalen Privatrechts (IPR) bei Internet-Sachverhalten und den Streit um die Regulierbarkeit des Cyberspace. Boele-Woelki untersucht, ob die geltenden Regeln des internationalen Verfahrensrechts und des Kollisionsrechts den Herausforderungen der modernen Informationsgesellschaft gewachsen sind. Besondere Problemstellungen ergeben sich daraus, dass geographisch orientierte Rechtskonzepte im Bereich des Internets unzureichend sind.

_____________ 115 Europäische Kommission, The Multilateral Investment Court Project, http://trade. ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1608; siehe hierzu auch Patricia Sarah Stöbener de Mora, Investitionsschutzrecht: Konsultation zu multilateralem Investitionsgerichtshof, EuZW 2017, 43; Jaeger (Anm. 113), 203ff. 116 Kritisch hierzu International Institute for Sustainable Development, http://www. iisd.org/media/iisd-responds-european-commissions-proposed-international-investmentcourt. 117 Stöbener de Mora (Anm. 115), 43.

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Boele-Woelki geht von der Notwendigkeit einer Lex Electronica aus.118 Das Internet selbst, so ist sich Boele-Woelki sicher, stellt keine eigenen Lösungsansätze bereit, um die Fragen nach internationaler Zuständigkeit, anwendbarem Recht und Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsmöglichkeiten zu beantworten. Die Antworten müssen daher im Internationalen Privatrecht (IPR) gefunden werden, das wiederum selbst auf seine Kompatibilität mit Internet-Sachverhalten hin untersucht werden muss. Erfordert die ortlose Struktur des Phänomens neue Regelungsmechanismen oder kann etwa das Internet lokalisiert werden? Es ist nämlich eine Prämisse des IPR, dass bestimmte Forderungen und Geschehnisse lokalisiert werden können.119 Damals wie heute ist richtig, dass traditionelle rechtliche Kategorien wie Ort, Raum, Gebiet, Abstand und Grenzen im Internet nicht mehr funktionieren und neue Lösungen erfordern. Selbst die Art der Streitbeilegung könnte sich bei Internet-Sachverhalten ändern, spekuliert Boele-Woelki, und geht auf die Projekte „Cybertribunal“120 oder „Virtual Magistrate“ ein121, die ins Leben gerufen wurden, um darüber zu wachen, ob ein ‚System Operator‘ eine bestimmte Nachricht oder ein Online-System entfernt oder den Zugang beschränkt. Solche OnlineGerichtsbarkeiten seien zwar noch bloße Zukunftsvorstellungen, jedoch auch nicht völlig aus der Luft gegriffen.122 Ausgangspunkt des IPR ist, dass ein Sachverhalt Berührungen zu mindestens zwei Rechtsordnungen hat. Das Internet bewegt sich nicht innerhalb einer Rechtsordnung und könnte somit als außerhalb jedweder nationalen Rechtsordnung angesehen werden. Boele-Woelki fragt sich daher zunächst, ob es überhaupt einer Zuweisung zu einer Rechtsordnung bedarf, um die Kollisionsregeln des IPR zur Anwendung kommen zu lassen. Sie nennt die internationale Schiedsgerichtsbarkeit als Beispiel für die Loslösung von jeglichem staatlichen Recht, um den speziellen Ansprüchen von internationalen Transaktionen gerecht zu werden.123 Der staatliche Richter könnte zudem mit einer Lex Electronica befasst werden, wenn durch vereinheitlichende Vereinbarungen ein Recht geschaffen wird, das statt des staatlichen Rechts angewendet werden kann, zumindest bei entsprechender Rechtswahl. _____________ 118 Katharina Boele-Woelki, Internet und IPR: Wo geht jemand ins Netz?, BDGVR 39 (2000), 307–352 (310). 119 Boele-Woelki (Anm. 118), 309. 120 Das Projekt wurde eingestellt. Die in Anm. 27 des Beitrages von Boele-Woelki erwähnte Webseite kann nicht mehr aufgerufen werden. 121 Für einen Überblick siehe z.B. Robert Gellman, A Brief History of the Virtual Magistrate Project: The Early Months, http://www.umass.edu/dispute/ncair/gellman.htm. 122 Boele-Woelki (Anm. 118), 313. 123 Boele-Woelki (Anm. 118), 314.

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In der Diskussion gibt Haimo Schack jedoch zu bedenken, dass es eine Lex Electronica nicht gebe und auch davor gewarnt werden müsse, da es eben einen eigenständigen Rechtsraum „Cyberspace“ nicht gebe. Man könne durch die fiktive Erschaffung eines eigenständigen Rechtsraums die kollisionsrechtlichen Probleme nicht verschwinden lassen. Die Gefahr sei bei Internet-Sachverhalten noch größer als schon bei der Lex Mercatoria, wo sich immerhin zwei etwa gleich starke Unternehmen gegenüberstehen, die sich im Bereich des dispositiven Rechts auf gewisse autonome Regeln einigen. Dies sei vergleichsweise harmlos im Vergleich zu dem, was im Internet geschehe. Hier liege der Schwerpunkt der kollisionsrechtlichen Fälle im Bereich des Deliktrechts, Persönlichkeitsrechts, Immaterialgüterrechts und Wettbewerbsrechts.124 Ein Kollisionsrecht ist daher in diesem Bereich problematisch, weil es entscheidet, welche nationale Rechtsordnung Anwendung finden soll. Das virtuelle Recht sei aber keine staatliche Rechtsordnung, es fehle namentlich an staatlicher Legitimation und Durchsetzungsmöglichkeiten. Im Ergebnis werde wohl kein Weg125, so Schack, an einer „weltweiten Gerichtspflichtigkeit bei einem weltweiten Medium“ vorbeiführen „mit der Notwendigkeit, eine Vielzahl von manchmal vielleicht auch nicht vorhersehbaren Rechten anzuwenden.“126 Boele-Woelki fragt sich daher anschließend zu Recht: Welcher Richter ist zuständig und welches Recht ist anzuwenden?127 Zur Beantwortung dieser Frage geht sie vor allem auf die Funktion des Internets in Vertragsbeziehungen ein und die Anwendung von geographisch orientierten IPR-Vorschriften auf einen Internet-Sachverhalt. Das Internet kann zunächst als reines Kommunikationsmedium dienen. Wenn der Erfüllungs- und Wohnort der Parteien in Deutschland ist, gibt es keinen Anknüpfungspunkt zu einer anderen Rechtsordnung. In solchen Sachverhalten internationalisiert das Internet den Sachverhalt nicht.128 Andererseits könnte man das Internet auch als eigenen internationalen locus ansehen und so stets zu einem internationalen Sachverhalt kommen. Dies lehnt Boele-Woelki jedoch im Ergebnis nachvollziehbar ab.129 Sie verweist hierzu auf die Netzwerkeigenschaft, die Tatsache, dass es kein Eigentum im Internet gibt, eine zentrale Betriebsführung fehlt und es nicht in einer nationalen Rechtsordnung angesiedelt ist.

_____________ 124

Boele-Woelki (Anm. 118), 455. Schack, Diskussionsbeitrag, BDGVR 39 (2000), 455–457. 126 Schack (Anm. 125), 457. 127 Boele-Woelki (Anm. 118), 315. 128 Boele-Woelki (Anm. 118), 316. 129 Boele-Woelki (Anm. 118), 319. 125

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Als nächstes testet Boele-Woelki ein gemischtes Anknüpfungsmerkmal aus dem internationalen Vertrags- und Deliktsrecht, in dem territoriale (z.B. Belegenheitsort der Sache, Handlungs- und Erfolgsort) und personale Elemente (etwa gewöhnlicher Aufenthalt einer Person, Sitz) kombiniert werden. Jedoch entstehen durch das Internet sog. Rechtsoasen, da Personen im Internet „footloose“ werden, wie Boele-Woelki mit Verweis auf Thomas Hoeren darstellt. Unternehmen können auf einfachem Wege die günstigste Rechtsordnung wählen, zum Beispiel Staaten, wo die Zahlung mit Kreditkarten zugelassen ist, wo geringe Steuern erhoben werden (Antigua), wo die Gesellschaftsgründung von Ausländern günstig ge130 regelt ist oder wo die Anonymität wie Bank und Briefgeheimnis geschützt wird.

Besonders (un)günstig seien die vollstreckungsrechtlichen Lücken. Zwar kenne man solche Phänomene in Form von „Billigflaggen“ und löse diese zum Teil mit Durchgriffshaftungen, jedoch dürften diese auch nicht unterschätzt werden. Besonders in der Vollstreckungsphase eines Urteils sei ein böses Erwachen nicht auszuschließen.131 Die Unsicherheiten, die 1999 noch bei den Anknüpfungsmöglichkeiten etwa in Hinblick auf die charakteristische Leistung am Aufenthalts- bzw. Niederlassungsort oder dem Deliktsort bzw. generellen Handlungsort bestehen, sind insbesondere dann verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass erst 1995 das bislang vornehmlich wissenschaftlich genutzte Internet für kommerzielle Zwecke freigegeben wurde. Erst jetzt wird das Internet auch für den allgemeinen Handel Mittel zum Abschluss von zahlreichen unterschiedlichen Vertragsarten. Die Vorstellung eines weltweiten Gerichtspflichtigkeit ist 1999 dementsprechend innovativ. Vor allem die Anwendbarkeit mehrerer Rechtsordnungen und die daran geknüpfte Unvorhersehbarkeit des Schadens werden als Argumente dagegen vorgebracht. In den Eingewöhnungsjahren des Internets zum Zeitpunkt der Tagung in Kiel ist es an dieser Stelle auch noch erwähnenswert, dass Emailadressen nicht zwingend den Herkunftsort der Nutzer anzeigen. Inzwischen haben etwa 1 Milliarde Nutzer eine gmail.com Adresse.132 Niemand würde von einer Emailadresse generell erwarten, den Herkunftsort der Nutzer ablesen zu können. Auch andere Herausforderungen sind inzwischen gelöst worden. Beispielsweise findet – wie von Boele-Woelki gefordert133 – kein elektronischer Vertragsschluss statt, ohne dass die Käufer per Mausklick ausdrücklich die Vertrags- und Geschäftsbedingungen bestätigen müssen. Zudem ist der Streit um die Frage, wann im Internet _____________ 130

Boele-Woelki (Anm. 118), 320. Boele-Woelki (Anm. 118), 320. 132 Number of active Gmail users worldwide from January 2012 to February 2016, https://www.statista.com/statistics/432390/active-gmail-users/. 133 Siehe Boele-Woelki (Anm. 118), 323. 131

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eine invitatio ad offerendum vorliegt und wann es ein bindendes Angebot ist, in epischer Breite diskutiert worden.134 Hier hängt vieles von der Ausgestaltung des Bestellprozesses ab.135 Heute wie damals ist der Umgang mit Internetsachverhalten von Relokalisierungsversuchen geprägt. Man versucht vor allem die bekannten Regeln leicht abgewandelt auf Online-Sachverhalte anzuwenden. Was offline gilt, soll auch online gelten. So ist für Streitigkeiten aus Vertrag heute unstreitig nach § 29 ZPO die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts am Erfüllungsort gegeben. Durch den Abschluss eines Vertrages im Internet wird die Bestimmung des Erfüllungsortes nicht unbedingt erschwert, z.B. bei typischen Distanzgeschäften, die außerhalb des Internets erfüllt werden. Verträge, die eine Leistung zum Gegenstand haben, die im Internet erbracht wird, sind dagegen etwas schwieriger handzuhaben. Hier geht es etwa um Verträge, bei denen etwa Software direkt im Internet zum Download bereitgestellt wird. Es dürfte sich dabei regelmäßig um einen Kaufvertrag handeln, wenn die Software nicht individuell für den Kunden entwickelt wurde. Je nach dem ist dann zu unterscheiden, ob es sich um eine Hol-, Bring- oder Schickschuld handelt. Der gesetzliche Regelfall ist gem. § 269 BGB die Holschuld. Viel spricht daher dafür, bei der Bereitstellung von Software zum Download von einer Holschuld und damit vom Leistungsort am Sitz des Anbieters auszugehen. Der Anbieter übernimmt nämlich nicht nur die Programmierleistung des Download-Portals, sondern will regelmäßig auch nicht das Risiko der fehlerfreien Übertragung auf den Rechner des Käufers übernehmen.136 Was den deliktischen Gerichtstand bei Internetsachverhalten anbelangt, geht man in Deutschland inzwischen von einem sog. fliegenden Gerichtsstand aus (§ 32 ZPO).137 Dieser Gerichtsstand ist aus dem Presserecht bekannt und erlaubt die Klage an dem Ort, an dem das Presseerzeugnis bzw. der Internetsachverhalt _____________ 134 Hans-Werner Eckert, in: Heinz Georg Bamberger/Herbert Roth (Hrsg.), Beck’scher Online Kommentar BGB, 41. Aufl. München 2016, § 145, Rn. 40ff.; Helmut Redeker, ITRecht, 6. Aufl. München 2017, Rn. 854ff. (Geschäftsabwicklung im Internet, insbesondere elektronische Willenserklärungen); Carsten Föhlisch/Tanya Stariradeff, Zahlungsmittel und Vertragsschluss im Internet, NJW 2016, 353–358. 135 Föhlisch/Stariradeff (Anm. 134), 353; Nancy S. Kim, Wrap contracting and the online environment, in: Johan A. Rothchild (Hrsg.), Research Handbook on Electronic Commerce Law, Cheltenham 2016, 11–34 (11ff.). 136 Ausführlich Isabel Scheuermann, Internationales Zivilverfahrensrecht bei Verträgen im Internet, Tübingen 2004, 88ff. 137 Siehe z.B. BGHZ 184, 313: Ein in Deutschland lebender Kläger nahm die Verlegerin der „The New York Times“ sowie den Autor eines am 12. Juni 2001 in den Internetauftritt der Zeitung eingestellten Artikels auf Unterlassung in Anspruch, da der Kläger sich durch den im Online-Archiv bereitgehaltenen Artikel in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt sieht.

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zur Kenntnis gelangt ist.138 Handlungs- und Erfolgsort fallen auseinander und der Gläubiger hat quasi die Wahl des Gerichtstandes. Boele-Woelki ist zwar noch skeptisch, ob eine im Internet geschaltete Werbung grundsätzlich weltweit wirkt und damit das Rechtsanwendungsrisiko dem Anbieter zuzumuten sei. Sie meint, dass sich Werbung im Internet nur an diejenigen richtet, die mit dem Medium umzugehen wissen.139 Verbraucher würden nicht überfallen und suchten sich ihre Vertragspartner selbst aus. Es sei ihr freier Wille, im Internet nach dem günstigsten und besten Angebot zu suchen.140 Diese Sichtweise hat sich aber nicht durchgesetzt. Das europäische Verbraucherschutzrecht sieht zahlreiche Schutzrechte für den Verbraucher vor. Anstatt vieler ist hier vor allem das Widerrufsrecht der Richtlinie 2011/83/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher zu nennen.141

F. Christoph Engel (Bonn): Über das Internet und den Nationalstaat Christoph Engel identifiziert das Internet als Faktor und Indikator für die Globalisierung zugleich.142 Es verringert die Kosten zur Überwindung von Raum und Zeit.143 Gleichzeitig macht er geltend, dass die Wirkungen des Internets die Möglichkeit, nationaler Regulierung auszuweichen, umfassen, aber sich nicht darauf beschränken. Er fragt nach Effekten des Internets auf Staat und Gesellschaft und macht Zukunftsprognosen, was es erleichtert, anhand dieser Prognosen Entwicklungslinien aufzuzeigen. Vorwegzunehmen ist, dass Engel ein zentrales Problem des Internets präzise beim Namen nennt: „[I]m Zeitalter des Internets [ist] nicht der Mangel, sondern der Überfluß an Informationen das entscheidende

_____________ 138 Ausführlich hierzu etwa Thomas Dreier, in: ders./Gernot Schulze/Louisa Specht, Urheberrechtsgesetz, Kunsturhebergesetz. Kommentar, 5. Aufl. München 2015, § 50 UrhG, Rn. 31ff. 139 Boele-Woelki (Anm. 118), 331. 140 Boele-Woelki (Anm. 118), 331. 141 Richtlinie 2011/83/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU L 304/64. 142 Christoph Engel, Über das Internet und den Nationalstaat, BDGVR 39 (2000), 353– 425 (335). 143 Engel (Anm. 142), 383.

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Problem.“144 Damit zusammenhängend erkennt Engel schon 1999 ein weiteres zentrales Problem des Internets, wenn er schreibt: Dem Internet fehlt eine Kultur des Vergessens. Was einmal ins Netz gestellt worden ist, bleibt dort auf unvorhersehbare Zeit erhalten. Die Suchmaschinen entdecken es auch noch Jahre später und geben ihm – beinahe – das gleiche Gewicht wie einer Nachricht vom selben Tage. Selbst wenn der Urheber die Nachricht entfernen wollte, kann er nie sicher sein, ob ihm das gelingt. […] Daß die Nachricht auf dem Ursprungsserver 145 gelöscht ist, entfernt sie deshalb noch nicht aus dem Netz.

Engel hat somit exakt die Problematik, mit der sich der EuGH 2015 im Google Spain-Urteil146 auseinandersetzen musste, vorhergesehen. Der EuGH hatte mit dem Urteil Privatpersonen das Recht eingeräumt, von Suchmaschinenbetreibern die Löschung von Links zu Webseiten Dritter zu verlangen, die unerwünschte Inhalte bzw. Informationen enthalten. Besonderheit des Falles war, dass Google Spain SL nicht die eigentliche Suchmaschine betreibt, sondern als Tochterunternehmen von Google Inc. lediglich Werbeflächen auf der Webseite von Google in Spanien verkauft. Der Gerichtshof stellte hierzu fest, dass Google Inc. und Google Spain SL in einem funktionalen Zusammenhang ständen und unter Verweis auf Art. 4 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 95/46 führte er daher aus, dass die Tätigkeit des Suchmaschinenbetreibers und seiner spanischen Niederlassung untrennbar miteinander verbunden sind.147 So erreicht der EuGH den Schutz der Privatheit auch gegen ein US-amerikanisches Unternehmen, das sich bislang erfolgreich durch die Lokalisierung der Datenverarbeitung außerhalb der EU oder in vollzugsschwachen Mitgliedstaaten gegen einen Zugriff gewehrt hatte. Google hat inzwischen reagiert und ein Online-Antragsformular für die Löschung datenschutzwidriger Inhalte zur Verfügung gestellt. Ferner möchte das Unternehmen einen europäischen Datenschutz-Beirat einrichten. Zentraler Punkt des Beitrags von Engel ist die Untersuchung der Wirkungen des Internets auf den Nationalstaat. Engel sieht das Störpotential des Internets in den neuen Möglichkeiten, politischen Einfluss zu nehmen. Als Beispiele nennt er den Konsum ausländischer Online-Presseerzeugnisse, erleichterte Organisati_____________ 144

Engel (Anm. 142), 366. Engel (Anm. 142), 358f. 146 EuGH (Große Kammer), Google Spain SL und Google Inc. gegen Agencia Española de Protección de Datos (AEPD) und Mario Costeja González, C-131/12 vom 13. Mai 2014. Der Gerichtshof hat jedoch in seinem Urteil vom 9. März 2017, Rechtsache C398/15, festgestellt, dass es abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen kein Recht auf Vergessen für Gesellschafter gibt, deren personenbezogenen Daten im Unternehmensregister eingetragen sind. 147 EuGH (Große Kammer), Google Spain SL und Google Inc. gegen Agencia Española de Protección de Datos (AEPD) und Mario Costeja González, C-131/12 vom 13. Mai 2014, Rn. 52 ff. 145

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onsmöglichkeiten von Interessensgruppen und neue Formen der Aufmerksamkeitserregung. Das Internet verstärke und erweitere die Möglichkeiten der Bürger, an politischen Debatten teilzunehmen und diese zu beeinflussen. Engel zieht daraus die Konsequenz, dass das Internet den Charakter der Staatlichkeit verändert.148 Widerspruch, so Engel, wird durch das Internet einfacher und dadurch auch wahrscheinlicher. Die Opportunitätskosten des Widerspruchs sinken.149 Wo dem Bürger zuvor lediglich die Bürgerinitiative und die Demonstration als wichtigste Instrumente der politischen Beteiligung und Einflussnahme zur Verfügung standen, würden diese Möglichkeiten durch das Internet stark erweitert. Politischer Protest sei deutlich leichter zu organisieren, soweit die Informationsbeschaffung und -weitergabe erleichtert wird.150 Wo Engel das Beispiel von Greenpeace wählt, um diese Dynamik zu beschreiben, denken wir heute sofort an den bereits erwähnten sog. Arabischen Frühling und die Occupy-Bewegung. Ohne das Internet sind solche über Staatsgrenzen hinweg organisierte Bewegungen nahezu undenkbar. Engel beschreibt diese Phänomene als soziale Bewegungen, ohne Organisationen im institutionellen Sinne zu sein.151 Engel spricht auch ein weiteres Themenfeld an, mit dem wir uns heute intensiv beschäftigen. Das Internet macht es leicht, Informationen zu konsumieren und bereitzustellen. Das führt dazu, dass eine ganz neue Informationskultur entsteht und gleichzeitig die Bereitschaft, für Informationsbereitstellung zu bezahlen, deutlich nachgelassen hat.152 Letzteres ist zunächst ein Problem für die Branche der klassischen Print-Medien, aber in einem zweiten Schritt – wie etwa der US-Wahlkampf 2016 zeigte – stellt diese Entwicklung auch ein Problem in Hinblick auf einfach generierte Falschinformationen im Internet dar. Die Zielrichtungen solcher „Fake News“ reichen von der bewussten Fehlinformation und der Beeinflussung von Wahlergebnissen bis zu einfacher Klickgenerierung. Hinzu kommt, dass das Internet den Zugriff auf Informationen nicht nur günstiger, sondern auch einfacher macht.153 Seriöse Online-Zeitungen und Fach-Blogs sind über Google und andere Suchmaschinen genauso gut zu finden wie Webseiten mit Verschwörungstheorien und Inhalte, die nicht die Standards des seriösen Journalismus oder der Wissenschaftlichkeit erfüllen. Hier ist die Userin gefragt, Qualitäts- und Vertrauensmerkmale zu erkennen. Regulierungsprobleme zeigen sich

_____________ 148

Engel (Anm. 142), 374. Engel (Anm. 142), 375. 150 Engel (Anm. 142), 376. 151 Engel (Anm. 142), 377. 152 Engel (Anm. 142), 378. 153 Engel (Anm. 142), 390. 149

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in diesem Zusammenhang z.B. an der Diskussion, ob man „Fake News“ verbieten kann.154 Das Internet verlangt aufgrund der schlicht unüberschaubaren Anzahl von Informationen ganz natürlich nach einem Filter. Auch hier erkennt Engel schon 1999 eine sich heute ganz deutlich realisierende Gefahr, wenn er vermutet, dass „Nachrichtenfilter [...] zu maßgeschneiderten Medien“ führen.155 Es gilt damals wie heute, dass angemessene Steuerungsmechanismen erst noch gefunden werden müssen.156 Engel beschreibt einen tiefgreifenden Umbau der Staatlichkeit, den das Internet erzwinge, da die neuen Möglichkeiten, online Widerspruch zu äußern, die Vorstellung von repräsentativer Demokratie erschütterten und plebiszitäre Elemente stärkten.157 Er sagt voraus, dass die Verfassung dem „gestiegenen politischen Einfluss zwischen den Wahlen durch Referendum und Abstimmung entsprechen“ muss.158 Zudem sei „wegen der Vulgarisierung der Intermediäre“ die „privilegierte verfassungsrechtliche Stellung der Parteien und Massenmedien auf Dauer kaum“ zu halten.159 Dicke wirft in der Diskussion ein, dass das Internet gleichzeitig aber auch eine technische Neuerung ist, die die repräsentative Demokratie stützen kann. Er begründet dies damit, dass interaktives Argumentieren ermöglicht wird. Dieses Meinungsspektrum wird auch heute noch für und wider eine Demokratisierung durch das Internet vertreten.160

_____________ 154

Schulz fordert EU-weites Gesetz gegen Fake News, Süddeutsche Zeitung vom 18. Dezember 2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/fake-news-schulz-fordert-eu-wei tes-verbot-von-falschmeldungen-1.3299552. 155 Engel (Anm. 142), 392. 156 Engel (Anm. 142), 387. 157 Engel (Anm. 142), 388. 158 Engel (Anm. 142), 388f. 159 Engel (Anm. 142), 389. 160  Siehe zum Beispiel John Palfrey, The End of the Experiment: How ICANN's Foray into Global Internet Democracy Failed, Harvard Journal of Law & Technology, 17 (2004), 409–474; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Internet und Demokratie, Ausarbeitung WD 10 - 063/07, 2007; Kathrin Voss (Hrsg.), Internet und Partizipation: Bottom-up oder Top-down?; politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet, Wiesbaden 2014; Chet A. Bowers, Digital detachment: how computer culture undermines democracy, New York, 2016; Barbara Zehnpfenning, Der Kult der Unmittelbarkeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Oktober 2016, http://www.faz.net/aktuell/feuille ton/debatten/die-digital-debatte/internet-und-demokratie-2-der-kult-der-unmittelbarkeit14484089.html (16. März 2017). 

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Zwar lässt sich in Hinblick auf die in den europäischen Nachbarländern abgehaltenen Referenden – etwa zum EU-Austritt (Vereinigtes Königreich 2016) oder zur europäischen Verfassung (Frankreich und die Niederlande 2005) – durchaus beobachten, dass Referenden an Bedeutung gewinnen, jedoch waren diese Formen der direkten Demokratie unabhängig von der Entwicklung des Internets in den jeweiligen Verfassungen vorgesehen. Dass sich inzwischen auch in Deutschland der Druck erhöht hätte, Referenden für grundsätzliche Fragen aufgrund der stärkeren Nutzung des Internets einzuführen, lässt sich derzeit nicht beobachten. Vielmehr hat gerade das Referendum im Vereinigten Königreich zum Verbleib in der EU die Bedenken gegen plebiszitäre Entscheidungen erhöht. Gerade bei langfristigen und grundlegenden Entscheidungen ist es bedenklich, den politischen Prozess Populismus-anfälligen Entscheidungsformen zu überlassen. In einem erweiterten Sinne hat Engel mit seiner Prognose allerdings recht behalten: Die Institutionen repräsentativer Demokratie stehen heute unter erheblichem Anpassungsdruck an eine öffentliche Meinung, die sich immer stärker auch unter Nutzung des Mediums Internet bildet. Als eine weitere mögliche Entwicklung benennt Engel die Entstehung einer globalen Monokultur des Englischen und des ‚American Way of Life‘ bzw. alternativ die Ausdifferenzierung immer stärker nach Bevölkerungskreisen, beruflicher Herkunft oder ideologischer Orientierung, einer „kulturellen Entterritorialisierung der Eliten“.161 Zwar bestehe auch die Möglichkeit zum virtuosen Spiel zwischen lokaler Einbindung und professionellen oder ideologischen Bindungen ohne Ortsbezug, jedoch erkennt Engel gleichzeitig darin eine Gefahr der Flucht in die Einfachheit und der Identität mit strengen Ideologien. Im Internet erblickt er einen Faktor, der die Bindung des Kulturraums an den Nationalstaat lockert. Dies birgt auch die Gefahr, dass durch intensive Konfrontation mit anderen Kulturen die eigenen Werte in Frage gestellt werden.162 Die Herkunftskultur hat deshalb wenig Gelegenheit, eine erschütterte Wertorientierung wieder zu stärken. [...] Schwierig wird es […], wenn das Internet einer Gesellschaft im schnellen Wechsel Wertewandel abverlangt oder wenn eine Vielzahl von 163 Werten gleichzeitig betroffen ist.

Genau diese Bedenken spiegeln sich in der Form des neuen Populismus à la Trump und Co. Zwar sind die Ursachen für diese politischen Entwicklungen in Amerika und Europa zahlreich, jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch das Internet zu einem Kulturwandel beigetragen hat, der einigen Menschen Angst macht. _____________ 161

Engel (Anm. 142), 392. Engel (Anm. 142), 394. 163 Engel (Anm. 142), 394. 162

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Abschottung ist im Online-Zeitalter jedoch nicht leicht zu erreichen und sicher auch nicht erstrebenswert. Engel spricht hier von den hohen Kosten einer „Strategie der Autarkie“ und nennt Nordkorea als Negativbeispiel.164 Gleichzeitig führt diese Problembeschreibung jedoch zwingend zu der Erkenntnis, dass alte Lösungen der Völkergemeinschaft wie etwa das Prinzip der Territorialität, der Staatensouveränität nicht mehr adäquat auf die Problemstellungen unserer Zeit passen. Auch hier zeigt sich die Krise des Souveränitätsbegriffes bzw. -verständnisses. Engel stellt an dieser Stelle fest, was auch heute noch gilt. Es bedarf neuer, überstaatlicher Regelungen, die unseren gesellschaftlichen, politischen und technischen Entwicklungen gewachsen sind.165 „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Engel zitiert Friedrich Hölderlin im Rahmen der Frage nach Lösungen auf die neu entstandenen Herausforderungen des Internets. Hier schlägt er dann beruhigende Töne an und verlässt sich vor allem auf die Anpassungsfähigkeit von Herrschaftssystemen,166 um dann noch auf einen heutzutage ganz zentralen Punkt einzugehen: „Der Staat gewinnt im Internet […] auch neue Herrschaftsinstrumente dazu.“167 Gleichzeitig erkennt auch Engel die Gefahr dieses staatlichen Machtzuwachses in Form der Überwachung privater Kommunikation.168 Die Überwachungsmöglichkeiten für den Staat, bedingt durch die zunehmende Kommunikation im Internet, stellen ein Problem für den Schutz liberaler Freiheiten dar. Edward Snowden hat 2013 das bis dahin unbekannte Ausmaß der massenhaften Überwachung der eigenen Bevölkerung durch die US-Regierung an die Öffentlichkeit gebracht. Inzwischen ist bekannt geworden, dass auch viele andere Regierungen an der Massenüberwachung weltweit beteiligt sind. Rechtlich ist nicht nur die flächendeckende Überwachung der eigenen Bevölkerung fragwürdig. Auch stellt sich die Frage nach dem Schutz von Ausländern unter dem Grundgesetz, europäischen und internationalen Menschenrechtsverträgen im Inland und extraterritorial.169 Heute scheint sich die Meinung herauszubilden, dass ein territorialer oder nationalstaatlicher Anknüpfungspunkt für Schutzrechte gegen den Staat in Anbetracht der Möglichkeiten, private Informationen weltweit online abzufangen, unzureichend ist. Vielmehr sollte allein auf die Ausübung staatlicher Gewalt abgestellt werden, gegen die jeder betroffene Mensch Schutzrechte geltend machen kann. Der Schutz fundamentaler Menschenrechte kann nicht nur auf die eigenen Staatsbürger beschränkt _____________ 164

Engel (Anm. 142), 395. Engel (Anm. 142), 400. 166 Engel (Anm. 142), 403. 167 Engel (Anm. 142), 403. 168 Engel (Anm. 142), 364. 169 Marco Milanović, Human Rights Treaties and Foreign Surveillance. Privacy in the Digital Age, Harvard International Law Journal 56 (2015), 81–146 (81ff.). 165

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werden.170 Klar ist inzwischen, dass ohne adäquaten Persönlichkeitsschutz jeder zum gläsernen Mensch wird.171 So sind auch die neuesten Anstrengungen der Vereinten Nationen zu verstehen. Im Januar 2014 verabschiedete die Generalversammlung eine Resolution zum Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter (A/RES/68/167), worin explizit auf das Recht auf Privatheit gemäß Art. 17 Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und Art. 12 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) als einschlägige Rechte verwiesen wird. Ferner werden die Staaten aufgerufen, das Recht auf Privatheit auch im Kontext digitaler Kommunikation zu respektieren und zu schützen, sowie Maßnahmen zu ergreifen, um Verstößen ein Ende zu setzen. Am 30. Juni 2014 legte die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Generalversammlung ihren Bericht zum Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter vor (A/HRC/27/37). Schließlich erließ am 1. April 2015 der Menschenrechtsrat seine Resolution 28/16, in der er den offline-Genuss von Menschenrechten mit der digitalen Lebenswelt ‚online‘ gleichsetzt.172 Hiermit dürfte wohl endgültig der anarchische Geist der „Freiheit des Internets“, welchen rechtlichen Gehalt diese Freiheit auch je gehabt haben sollte, ausgetrieben sein. Vielmehr dreht sich die Diskussion nun um den Schutz von menschenrechtlich verankerten Freiheiten im Internet. Insgesamt kann der Vorstoß des Menschenrechtsrats als Versuch gewertet werden, den Schutzstandard im Internet zu vereinheitlichen. Im Rahmen der inhaltlichen Ausgestaltung des Schutzes der Privatphäre könnten Themen des ‚privacy by design‘ bzw. ‚privacy-enhancing-technology‘ anhand von best practice-Berichten konkretisiert werden. Auch sollte dem Thema der Einwilligungsvoraussetzungen ein hoher Stellenwert in der Diskussion eingeräumt werden. Die sture Berufung auf die User-Einwilligung in die meist unverständlichen und unzumutbar langen und zudem typographisch unlesbaren AGBs stellt wohl kaum auf einen ‚free and informed consent‘ ab. Es bleibt zu hoffen, dass die Aktivitäten des im Juli 2015 eingesetzten UNSonderberichterstatters Joseph Cannataci zur Verrechtlichung der Tätigkeit von Geheimdiensten und einer Regulierungspflicht hinsichtlich der Datensammlung und Datennutzung beitragen können. In seinem ersten Bericht vom 30. August 2016 kritisierte Cannataci unter anderem auch Deutschland bezüglich der parlamentarischen Geheimdienstkontrolle stark. Deutschland sei auf dem besten Weg, _____________ 170 Siehe hierzu Report of the Special Rapporteur on the right to privacy, Joseph A. Cannataci, A/71/368 vom 30. August 2016, Rn. 33ff. 171 Hierzu ausführlich Andreas v. Arnauld, Freiheit und Regulierung in der Cyberwelt. Transnationaler Schutz der Privatsphäre aus Sicht des Völkerrechts, BDGVR 46 (2016), 1–34. 172 A/HRC/RES/28/16, Rn. 3.

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Großbritanien als Land mit dem schwächsten Kontrollapparat in der westlichen Welt, im Verhältnis zur Größe seines Geheimdienstes, abzulösen.173 Was die Regulierung des Internet betrifft, ist Engel insofern zuzustimmen, dass es auf ein Mehrebenensystem hinauslaufen muss,174 da Staaten allein nicht in der Lage sein werden Internetsachverhalte abschließend und effektiv zu regeln. Die Hoffnung der Selbstregulierung scheint inzwischen komplett aufgegeben worden zu sein.

G. Jochen Abr. Frowein (Heidelberg): Konstitutionalisierung des Völkerrechts Im Abschlussreferat der Kieler Tagung stellt Jochen Abr. Frowein die Konstitutionalisierungsthese auf, indem er eine Bilanz auf Grundlage der auf der Tagung diskutierten Themen zieht. Er fragt, welche Elemente sich für die Abzeichnung einer Weltverfassung finden lassen. Das Koordinierungsvölkerrecht scheine nicht mehr zeitgemäß und der Public Law Approach müsse mehr Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Diskussion um den Status des Völkerrechts als Rechtsordnung erhalten.175 Frowein benutzt den Begriff der Konstitutionalisierung als Gegensatz zum Staaten-Voluntarismus des Koordinierungsvölkerrechts und als Beschreibung einer Tendenz, die die Interessen der Staatengemeinschaft mitdenkt. Konstitutionalisierung soll für die Entwicklung des Völkerrechts zu einem menschenrechtlichen Ordnungsmodell stehen, das Staaten immer stärker in regionale und _____________ 173 Report of the Special Rapporteur on the right to privacy, Mr. Joseph A. Cannataci, A/71/368 vom 30. August 2016, Rn. 33ff. Der Sonderberichterstatter wird insbesondere in Rn. 38 sehr deutlich: „In the light of the above, the new draft German law prima facie suggests that the German authorities have not learned anything from the October 2015 report by Mr. Muižnieks. Instead of providing the Special Rapporteur with a model law which can be used as an example of good practice around the world, the Government of Germany has come up with something which is worse than disappointing. With all its many defects, the United Kingdom draft Investigatory Powers Bill at least attempted to partly rectify the weak oversight regime previously criticized by the Special Rapporteur and others. While far from perfect, the new proposed oversight regime in the United Kingdom would appear to be an improvement over the previous situation. Not so in Germany which, unless it pulls back from the brink and radically changes course, promises to take over the position hitherto held by the United Kingdom as the country with the weakest oversight regime in the western world in proportion to the size of its intelligence services.“ Für den Inhalt des BND-Gesetzes siehe https://www.bundesregierung.de/Content/DE/ Artikel/2016/06/2016-06-28-gesetz-bnd-ausland-ausland-fernmeldeaufklaerung.html. 174 Engel (Anm. 142), 419. 175 Jochen Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, BDGVR 39 (2000), 427– 447 (427f.).

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universale Systeme eingliedert.176 Im Wege dieser Entwicklung rücke der souveräne Wille der Staaten aus dem Fokus des Völkerrechts und werde zumindest in Teilen durch materielle Werte der Weltgemeinschaft ersetzt.177 Dies hatte auch bereits Dicke in seinem Referat mit Bezug zu der institutionellen Verselbstständigung gemeinsamer Werte im Rahmen von Internationalen Organisationen beschrieben. Zum einen identifiziert Frowein die Entstehung des ius cogens im Kontext des Sklavenhandels als frühen menschenrechtlichen Ordnungsentwurf. Zum anderen verweist er auf das demokratische Prinzip und Art. 25 IPbpR. Das Augenmerk will er weniger auf die Entstaatlichungstendenzen legen als vielmehr auf die stärker werdende Einbindung in regionale und universale Systeme.178 Neben die internationale Einbindung in kooperative Systeme und die Einigung auf menschenrechtliche Grundwerte vertritt Frowein, dass die Völkerrechtsordnung selbst die Demokratisierung der Staaten fordert. Die Anerkennung von neuen Regierungen soll unter einen Demokratievorbehalt gestellt werden.179 Und auch „[d]ie Praxis des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die Absetzung einer demokratisch gewählten Regierung potentiell als friedensstörend anzusehen, ist eine Konsequenz dieser zunehmenden demokratischen Konstitutionalisierung der Völkerrechtsordnung.“180 In der Diskussion macht auch Christian Hillgruber diesen Punkt noch einmal stark und regt zudem an, die deklaratorische Bedeutung der Anerkennung zu überdenken. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Wirkung der Anerkennung im Völkerrecht erlebt seit 2014, bedingt durch den Terror des sog. Islamischen Staats (IS), neuen Aufwind. Da die alleinige Anwendung der Jellinek’schen drei Elemente – je nach Betrachtungsweise –181 zu dem Ergebnis führen kann, dass dem IS Staatsqualität zugeschrieben werden muss, werden inzwischen wieder viele Stimmen laut, die der Anerkennung eines Staates durch die Staatengemeinschaft mehr Bedeutung zukommen lassen wollen. Alternativ wird jedoch auch vertreten, dass die Staatsqualität von der Frage der demokratischen Legitimität

_____________ 176

Frowein (Anm. 175), 428f. Frowein (Anm. 175), 430f. 178 Frowein (Anm. 175), 429. 179 Frowein (Anm. 175), 431. 180 Frowein (Anm. 175), 431f. 181 Ralph Janik, Is the Islamic State a State,?, Völkerrechtsblog vom 10. Juni 2016, https://voelkerrechtsblog.org/is-the-islamic-state-a-state/; Sinthiou Buszewski, A Response to „Is the Islamic State a State?“, Völkerrechtsblog vom 10. Juni 2016, http://voelker rechtsblog.org/a-response-to-is-the-islamic-state-a-state/. 177

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eines Staates sowie der Achtung der Menschenrechte abhängt.182 Dieser Ansatz steht ganz im Gefolge der Konstitutionalisierungsthese. Frowein appelliert 1999 auf der Kieler Tagung an die Einhaltung gemeinsamer Regeln und insbesondere an den Respekt für das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen. Dieser Appell steht zum einen im Kontext des zweiten Golfkriegs. Die USA und Großbritannien hatten die Sicherheitsratsresolution 678 einseitig interpretiert und die Ermächtigung zur Gewaltanwendung behauptet. Noch deutlicher dürfte dieser Appell aber zum anderen auf den Kosovo-Krieg, der zum Zeitpunkt der Tagung noch andauerte, ausgerichtet sein. Nur 10 Tage nach der Kieler Tagung am 24. März 1999 begann die NATO-Intervention im Kosovo, die ohne Sicherheitsratsermächtigung erfolgte und als humanitäre Intervention gerechtfertigt wurde.183 Frowein befürchtet, dass ein Vorgehen unter Verstoß gegen das Gewaltverbot das System der Vereinten Nationen zum Scheitern bringen könnte.184 Er begreift aber gleichzeitig die Frage nach der Zulässigkeit der humanitären Intervention als eine Frage, die den Verfassungscharakter des internationalen Systems betrifft. Ein vergleichbares Spannungsverhältnis ließ sich 2011 hinsichtlich der Debatte um die Reichweite der Sicherheitsratsermächtigung in Resolution 1973 für die Libyen-Intervention beobachten. Diese war im Kontext der ‚Responsibility to Protect‘ erlassen worden,185 wobei sich die Frage der Zulässigkeit der Intervention aufgrund der Sicherheitsratsermächtigung nicht stellte. Vielmehr war hier allein die Reichweite der Ermächtigung umstritten. Im Folgenden geht Frowein auf die veränderte Struktur von Kriegen ein. Er beschreibt die Veränderung des Krieges vom zwischenstaatlichen Frontenkrieg zum Bürgerkrieg und die damit einhergehende Erkenntnis, dass innerstaatliche Konflikte keine reinen inneren Angelegenheiten eines Staates sind, sondern die Völkerrechtsgemeinschaft als Ganze berühren und diese deshalb vom Völkerrecht nicht ignoriert werden können. Dies führte zu der Ausweitung des Friedensbegriffs des Art. 39 Charta der Vereinten Nationen und gleichzeitig der Zuständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten des Sicherheitsrates.186 Heute aktualisiert sich das „Problem der Gewalt“187 erneut durch neue Arten der Kriegsführung. Neben den technologischen Neuerungen ist hier insbesondere der _____________ 182 Jure Vidmar, Democratic Statehood in International Law. The Emergence of New States in Post-Cold War Practice, Oxford 2013. 183 Georg Nolte, Kosovo und Konstitutionalisierung. Zur humanitären Intervention der NATO-Staaten, ZaöRV 59 (1999), 941–960. 184 Frowein (Anm. 175), 432. 185 Siehe S/RES/1970 (2011) und S/RES/1973 (2011). 186 v. Arnauld, (Anm. 36), Rn. 1046ff. 187 Frowein (Anm. 175), 432.

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Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht zu nennen. Transnational agierende nichtstaatliche Akteure, die sich moderner Kommunikationsmittel bedienen und sich unabhängig von Staatsgrenzen organisieren, führen das staatenzentrierte Völkerrecht an seine Grenzen. Abermals erweiterte der Sicherheitsrat seine Zuständigkeiten auch hinsichtlich nichtstaatlicher Gefahren für den Frieden i.S.d. Art. 39 UN-Charta und ging sogar dazu über, nichtstaatliche Akteure direkt in seinen Resolutionen anzusprechen.188 Hinsichtlich der Durchsetzung der Verfassungsprinzipien der internationalen Gemeinschaft weist Frowein zunächst auf die alleinige Zuständigkeit des Sicherheitsrates hin, das Gewaltverbot zentral durchzusetzen.189 Gleichzeitig spricht er sich jedoch auch für die Ermächtigung von Regionalorganisationen aus, in Extremsituationen humanitäre Interventionen anstelle der Vereinten Nationen zu unternehmen.190 Trotz fehlender Rechtsgrundlage hält er dies für dringend geboten und fordert generell die Stärkung der Rolle von Regionalorganisationen.191 In einem nächsten Schritte geht Frowein auf den Menschenrechtsschutz im Völkerrecht ein.192 Er stellt vor allem den Konstitutionalisierungserfolg der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) heraus, die auch „Staaten mit relativ hohem Standard [...] zur Weiterentwicklung beeinflusst“ hat.193 Zudem nennt er die Erfolge des Folterkomitees des Europarates und die Praxis der Europäischen Gemeinschaft bei der Entwicklung von Menschenrechts- und Demokratieklauseln im Lomé-Vertragssystem. Zudem seien auch die Reaktionen auf Vorbehaltserklärungen zu Menschenrechtsverträgen und die Einrichtung internationaler Strafgerichte deutliche Zeichen der Konstitutionalisierung des Völkerrechts.194 Gerade letztere sei ein wesentlicher Schritt zur effektiven Strafdrohung für die Verletzung elementarer Menschenrechte auch in internen Konflikten. Frowein sieht zwar voraus, dass die Ratifizierung des Rom-Statuts nicht schnell gehen wird, erkennt aber an, dass bereits die Unterzeichnung ein qualitativer Wandel des Völkerrechts darstellt. Neben der Stärkung des Menschenrechtssystems bewirkt nun auch das Völkerstrafrechtssystem die Hinwendung des Völkerrechts zu nichtstaatlichen Akteuren. Inzwischen haben 124 Staaten das RomStatut unterzeichnet. _____________ 188 Dominik Steiger, Nichtstaatliche Akteure im Fokus des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in: Dieter Weingärtner/Heike Krieger (Hrsg.), Streitkräfte und Nichtstaatliche Akteure, Baden-Baden 2013, 55–82. 189 Frowein (Anm. 175), 442. 190 Frowein (Anm. 175), 443. 191 Frowein (Anm. 175), 435. 192 Frowein (Anm. 175), 435ff. 193 Frowein (Anm. 175), 435. 194 Frowein (Anm. 175), 437.

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Die Liste lässt sich weiterführen: An dieser Stelle soll nur hingewiesen werden auf die Grundrechtecharta der EU, die am 1. Dezember 2009 in Kraft trat, und die Arbeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) mit derzeit rund 80.000 anhängigen Verfahren (Stand 31. Dezember 2016).195 Der Gerichtshof entschied allein im Jahr 2016 über rund 40.000 Verfahren.196 Gleichzeitig muss jedoch auch auf Renationalisierungstendenzen eingegangen werden. Insbesondere der Internationale Strafgerichtshof steht seit langem in der Kritik, sich auf Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent zu fokussieren und andere Krisenregionen außer Acht zu lassen. Südafrika, Burundi und Gambia erklärten deshalb im letzten Jahr ihre Austrittsabsichten und riefen die Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union zum Massenaustritt auf.197 Ob es wirklich dazu kommen wird, ist noch unklar. Dagegen spricht, dass sowohl Gambia als auch Südafrika inzwischen ihren Austrittswunsch revidiert haben.198 Insgesamt stellt Frowein 1999 fest, dass konstitutionell aufgebaute Regelungssysteme für weltweite Aktivitäten deutlich zugenommen haben.199 Zwar sei die Teilnahme freiwillig, der politische Zwang zur Teilnahme jedoch sehr stark. Hinzu komme die internationale Verfassungshilfe, die neue Staaten oder Verfassungssysteme unter Anwendung multilateralen Drucks zu den global oder regional anerkannten Grundlagen führe.200 Gerade im Bereich des Umweltrechts sei zu beobachten, dass die „ausgleichende Rechtssetzung mit zum Teil unterschiedlichen Verpflichtungen von Industrie- und Entwicklungsstaaten“ ganz deutlich den traditionellen Bereich des völkerrechtlichen Vertragsrechts verlassen habe und ein „konstitutionelles Regelungssystem aufgebaut“ werde.201 Schließlich hält Frowein fest, dass die Anerkennung von Verfassungsprinzipien der Staatengemeinschaft mit der Herausbildung einer Weltgesellschaft einhergeht.202 Trotz dieser Annäherung der Weltgesellschaft an eine staatliche Struktur _____________ 195 The ECHR in facts and figures, http://www.echr.coe.int/Documents/Facts_Figures_ 2016_ENG.pdf, 3. 196 The ECHR in facts and figures, http://www.echr.coe.int/Documents/Facts_Figures_ 2016_ENG.pdf, 6. 197 Aaron Maasho, African Union leaders back mass exodus from International Criminal Court Motion comes with unspecified reservations, The Independent vom 1. Februar 2017, http://www.independent.co.uk/news/world/africa/african-union-international-criminal-courta7557891.html. 198 Norimitsu Onishi, South Africa Reverses Withdrawal From International Criminal Court, New York Times vom 8. März 2017, http://www.independent.co.uk/news/world/ africa/african-union-international-criminal-court-a7557891.html. 199 Frowein (Anm. 175), 438ff. 200 Frowein (Anm. 175), 440. 201 Frowein (Anm. 175), 439. 202 Frowein (Anm. 175), 444.

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macht Frowein nochmals auf die inhärent staatenzentrierte Struktur des Völkerrechts aufmerksam, die sich am besten an der Regel „one state, one vote“ verdeutlichen lasse. Es heiße eben nicht: one man, one vote.203 In der Diskussion wird die sich durch alle Vorträge ziehende Permeabilität der Staatlichkeit und die Aufweichung des Souveränitätspanzers der Staaten thematisiert. Diese Permeabilität erlaube den besseren Zugriff des Völkerrechts auf nichtstaatliche Akteure, die grundsätzlich deutlicher als Verpflichtungssubjekte in den Blick genommen werden müssten.204 Gleichzeitig wird auch nach Grenzen der Konstitutionalisierung gefragt. Ein Weltstaat sei mit den Argumenten Kants noch immer abzulehnen, so z.B. Stefan Oeter. Insofern bleibe die Zielrichtung jeglicher Konstitutionalisierung ein föderales Mehrebenensystem.205

H. Schlussbetrachtung Es ist bemerkenswert, dass auf der Kieler Tagung von 1999 bereits Probleme antizipiert wurden, die sich inzwischen 20 Jahre später materialisiert haben. Die Bedenken hinsichtlich der verschiedenen Ausprägungen der Globalisierung sind auf der Kieler Tagung deutlich spürbar und aus heutiger Sicht berechtigt. Zwar merkt man den Beiträgen die euphorische Tendenz hinsichtlich neuer Technologien und den neuen Ausmaßen von transnationaler politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit an. Gleichzeitig werden die Themen aber auch kritisch diskutiert, indem Spannungsfelder und Gefahrenpotentiale identifiziert werden. Insgesamt wird über das Thema der Globalisierung heute weniger optimistisch und mit bescheideneren Vokabeln gesprochen. Hier ist erneut die Diskussion um eine ‚International Rule of Law‘ zu nennen, oder etwa die Arbeiten zur ‚International Public Authority‘.206 Dennoch ist festzuhalten, dass sich die Konstitutionalisierungsdebatte seit 1999 nicht erledigt hat. Der Dreiklang der Globalisierungsphänomene (technologischer Fortschritt, transnational agierende, nichtstaatliche Akteure und globale Problemstellungen) ist inzwischen Ausgangspunkt jeglicher Debatte über die Zukunft des Völkerrechts. Die Antworten darauf sind aber immer noch unklar. Die Verknüpfung von staatlicher Souveränität und Territorium als Grundprinzip der Völkerrechtsordnung lockert sich zwar beständig, dennoch wehren sich die durch diese Verknüpfung privilegierten Staaten gegen _____________ 203

Frowein (Anm. 175), 445. Michael Bothe, Diskussionsbeitrag, in: BDGVR 39 (2000), 449f. 205 Stefan Oeter, Diskussionsbeitrag, in: BDGVR 39 (2000), 450. 206 Matthias Goldmann, Internationale öffentliche Gewalt: Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, Heidelberg u.a., 2015; Armin v. Bogdandy/Ingo Venzke, In wessen Namen? Internationale Gerichte in Zeiten globalen Regierens, Berlin, 2014. 204

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die Evolution des Völkerrechts zu einem konstitutionalisierten Weltinnenrecht. Es bleibt bei den divergierenden Axiomen der Staatensouveränität und der Weltgemeinschaft. Das schließt jedoch Machtverschiebungen im tatsächlichen und rechtlichen Sinne nicht aus. Nichtstaatliche Akteure beanspruchen einen Platz unter den Völkerrechtsubjekten, indem sie Rechte für sich einfordern und auch gerichtlich durchsetzen können, in Form von NGOs am Rechtserzeugungs- und Rechtsprechungsprozess teilhaben oder Adressaten von völkerrechtlichen Pflichten etwa im Völkerstrafrecht oder im humanitären Völkerrecht sind. Die legitimationstheoretisch zu fordernde Möglichkeit der Rechtsunterworfenen, über die sie bindenden Regeln mitzuentscheiden, fehlt den nichtstaatlichen Akteuren hinsichtlich der völkerrechtlichen Rechtserzeugung jedoch noch. Hier wird oft auf die Legitimation über den jeweiligen Heimatstaat verwiesen, was jedoch schon hinsichtlich demokratischer Staaten nicht überzeugend ist, da völkerrechtliche Entscheidungen von Exekutiven im Mehrheitsverfahren oder gar im Sicherheitsrat getroffen werden. Nicht demokratisch organisierte Staaten können schon gar keine Legitimität auf die überstaatliche Ebene übertragen.207 Die mit der Proliferation Internationaler Organisationen verbundene Hoffnung eines immer weiteren Zusammenwachsens der Staatengemeinschaft zu einem kohärenten globalen Rechtssystem, beruhend auf gemeinsamen Werten der Menschheit, wurde auch durch die Fragmentierungsdebatten und alte und neue Renationalisierungsdynamiken zumindest geschmälert. Zudem scheint die direkte Übertragung von Begriffen des Verfassungsrechts aus nationalen Rechtsordnungen in die Völkerrechtsordnung nicht (immer) zu passen.208 Dennoch ist die Völkerrechtswissenschaft auch heute noch mit der Herausarbeitung von und dem Umgang mit – Staateninteressen transzendierenden – fundamentalen Prinzipien menschlichen Zusammenlebens befasst. Dieser Diskurs war 1999 noch stärker auf Themen wie Normenhierarchie, Menschenrechte und Friedenssicherung fokussiert.209 Diese konstitutionalistische Tradition lebt bis heute fort: So beschreibt Thomas Kleinlein 2012 konstitutionalisierende Prozesse im Völkerrecht, indem

_____________ 207

Steven Wheatley, The Democratic Legitimacy of International Law, Oxford 2010, 2. Kumm (Anm. 35); Samantha Besson, Sovereignty, International Law and Democracy, EJIL 22 (2011), 373–387. 209 Klaus Dicke u.a. (Hrsg.), Weltinnenrecht. Liber amicorum Jost Delbrück, Berlin 2005; Jost Delbrück, Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung. Zum Verständnis rechtlicher und politischer Bedingungen der Friedenssicherung im internationalen System der Gegenwart, hrsg. von Klaus Dicke u.a., Berlin 1996; siehe zum Überblick Anne Peters, The Merits of Global Constitutionalism, Indiana Journal of Global Legal Studies 16 (2009), 397–411; dies., Global Constitutionalsism Revisited, International Legal Theory 11 (2005), 39–68. 208

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er die Hierarchisierung im Völkerrecht und die materiellen Prinzipien eines pluralistischen Verfassungsrechts jenseits des Staates untersucht.210 In vergleichbarer Weise entwerfen Jan Klabbers, Anne Peters und Geir Ulfstein 2009 die Konstitutionalisierung als evolutiven Prozess von einer völkerrechtlichen Ordnung, die auf den Organisationsprinzipien von Staatensouveränität und Staatenkonsens beruht, zu einer Völkerrechtsordnung, die Prinzipien und Werte einer Verfassungsordnung anerkennt.211 Auf den Überlegungen zur Konstitutionalisierung des Völkerrechts bauen auch neuere Arbeiten zur ‚International Rule of Law‘ auf, wenn auch mit einem weniger ganzheitlichen Anspruch.212 Hier wird nicht die Völkerrechtsordnung als Ganzes vermessen, sondern es werden vor allem Verfahrens- und Rechtsschutzgarantien vis-à-vis der Ausübung von öffentlicher Gewalt sowie die Bindung von überstaatlichen Verwaltungsorganen an völkerrechtliche Grundwerte in den Blick genommen.213 Ein Beispiel hierfür ist die Diskussion um das Rechtsschutzdefizit des Listing-Verfahrens des UN-Sanktionskomitees.214 Die internationale Gerichtsbarkeit und die Nutzung von Individualklagen zum Schutz eigener Interessen von Individuen und Gruppen erhalten daher besondere Aufmerksamkeit.215 Über die Inanspruchnahme von Rechtsschutzmechanismen werden nicht nur die Rechte von nichtstaatlichen Akteuren abgesichert; die hohe Bedeutung von Gerichtsentscheidungen im Völkerrecht ermöglicht es dem Einzelnen, über das Gerichtsverfahren Einfluss auf die Auslegung von Völkerrecht zu nehmen. Dort, wo Gerichte Rechtsfortbildung betreiben, hat der Einzelne sogar mittelbar teil an der Rechtserzeugung. Dort, wo Gerichte Druck auf das institutionelle System des Rechts ausüben, wird der Einzelne zum Agenten des Systemwandels. _____________ 210

Kleinlein (Anm. 35), siehe Teil 3 und Teil 4. Klabbers/Peters/Ulfstein (Anm. 35). 212 Siehe z.B. Declaration of the High-level Meeting of the General Assembly on the Rule of Law at the National and International Levels A/RES/ 67/1 vom 30. November 2012; Robert McCorquodale, The Rule of Law Internationally, in: Feinäugle (Anm. 55), 51–74; Adams/Meuwese/Hirsch Ballin (Anm. 55); Kanetake/Nollkaemper (Anm. 55); Krisch (Anm. 55). 213 McCorquodale (Anm. 212), 64ff. 214 Clemens A. Feinäugle, Theoretical Approaches to the Rule of Law and Its Applications to the United Nations, in: ders. (Anm. 55), 29–49 (39ff.); Matthew Happold, United Nations Sanctions and the Rule of Law, ebd., 75–97; Erika de Wet, Human Rights and the Rule of Law as Applicable to the UNSC. Implications for the Right to a Fair Hearing, ebd., 181–200. 215 Siehe vor allem die Forschungsprojekte der Universität Kopenhagen „iCourts“ (http://jura.ku.dk/icourts/), und der Universität Oslo „PluriCourts“ (http://www.jus.uio. no/ pluricourts/english/).  211

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Sich rückbesinnend auf die einleitenden Worte von Jost Delbrück zur Kieler Tagung im Jahr 1999, ist festzuhalten, dass das Thema der Globalisierung der Welt und die damit verknüpfte Konstitutionalisierung des Völkerrechts heute immer noch hochinteressant und aktuell sind. Trotz einiger Akzentverschiebungen kann man ihm daher nur beipflichten: More research is desirable.

Teil V Dokumentation

Kieler Professoren und Professorinnen des Völkerrechts seit 1665* Von Andreas v. Arnauld 1. Samuel Rachel (1628–1691): Rachel, geboren am 6.4.1628 in Lunden (Dithmarschen) studierte Philosophie und Theologie (1648–49), danach Geschichte und Jurisprudenz (1649–51) in Rostock, Leipzig und Jena. Nach Tätigkeiten als Hauslehrer 1658 zum o. Prof. der Moralphilosophie an der Universität Helmstedt berufen. Von Herzog Christian Albrecht und seinem Kanzler Johann Adolph Kielmann v. Kielmannseck in die Gründung der Universität Kiel eingebunden, bekleidete Rachel an der Christiana Albertina 1665–80 das Amt eines o. Prof. für Natur- und Völkerrecht an der Juristischen Fakultät. 1666 in Kiel zum Dr. jur. promoviert und zum ersten Bibliothekar ernannt. 1677 Hofrat. 1680 schied Rachel aus der Universität aus und wurde Staller (Amtmann) in Eiderstedt. Er starb am 13.12.1691 in Friedrichstadt. Jur 1665–80. Werke (Auswahl): Kommentar zu Ciceros „De officiis“, 1661 (1668, 1686); Tractatus de duellis, 1670; De jure naturae et gentium, 1676; Apologia causae et scriptorum Gottorfiensium, 1679; Introductio in jus Germanum, 1680 (1685); Institutionum jurisprudentiae libri IV, 1681; Curriculum vitae ab ipso conscriptum (o.D.). Literatur: Henning Ratjen, SR, Professor in Kiel, Autobiographie desselben, 2 Teile, Archiv für Staats- und Kirchengeschichte der Herzogthümer Schleswig, Holstein, Lauenburg usw. 1 (1833), 335ff, 3 (1837), 99ff; ders., Chronik der Univ. zu Kiel (Chronik) 1857, 7ff; Carsten Erich Carstens, Allgemeine Deutsche Biographie (ADB) 27 (1888), 104f; Curt Rühland, SR, der Bahnbrecher des völkerrechtlichen Positivismus, NiemeyersZ 34 (1925), 1ff; ders., Leben und Wirken SRs, des ersten Völkerrechtslehrers an der Universität Kiel (1628–1691), in: Ritterbusch u.a. (Hg.), FS 275 Jahre Christian-Albrechts-Universität, 1940, 109ff; ders., Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein (BioLexSH) 6 (1982), 236ff; Friedrich Volbehr/Richard Weyl, Professoren und Dozenten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 1665–1954, 4. Aufl. 1956, II A 2; Hans Hattenhauer, SR und die Gründung der Christiana Albertina zu Kiel, Christiana Albertina (CA) 56 (2003), 51ff.

2. Simon Heinrich Musäus (1655–1711): Der Sohn des Professors der Theologie und ersten Rektors der Christiana Albertina, Peter Musäus, wurde am _____________ * Berücksichtigt sind ordentliche (o.), außerordentliche (ao.) und außerplanmäßige (apl.) Professoren an der Universität Kiel, die Völkerrecht (bzw. Natur- und Völkerrecht) gelesen haben. Nach dem Eintrag sind die Jahre vermerkt, in denen völkerrechtliche Lehrveranstaltungen abgehalten wurden. Dabei zeigt „Jur“ Zugehörigkeit zur Juristischen (1914–69 Rechts- und Staatswissenschaftlichen), „Phil“ zur Philosophischen Fakultät an.

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19.7.1655 in Rinteln geboren. 1680 erhielt er in Gießen das Licentiat der Rechte, Promotion zum Dr. jur. in Kiel 1684. 1682–92 ao., ab 1689 o. Prof. für Naturund Völkerrecht an der Philosophischen Fakultät, 1688–92 zugleich ao. Prof. und Assessor im Spruchkollegium an der Juristischen Fakultät, war Musäus von 1692 bis 1711 an der Juristischen Fakultät o. Prof. für Institutionen und Natur- und Völkerrecht. Er starb am 11.9.1711 in Kiel. Phil 1682–92, Jur 1688–1711. Werke (Auswahl): Vinidiciae Juris Naturalis Paradisei, 1684 (1686, 1688); (Hg.) Johannis Paulini Olivekrans Tabulae In Hugonis Grotii De Iure Belli ac Pacis Libros, 1688 (1690); De Juribus in Parmiae et Placentiae ducatus a pontifice male praetensis, 1709; Specimen annotationum in Caesareum diploma adversus Pontificis Clementis XI, 1709; verschiedene dissertationes. Literatur: Ratjen, Chronik 1858, 33ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 10; Wilhelm Wegener, SHM von Steineck: ein fast Vergessener Vertreter des Natur-und Volkerrechts (1655– 1711), FS Hans Ulrich Scupin, 1973, 421ff; Wilfried Röhrich, BioLexSH 4 (1976), 17ff.

3. Christoph Heinrich Amthor (1677–1721): Amthor, geboren am 17.12.1677 in Stolberg (Harz), wurde nach einem Studium der Geschichte, der Rechts- und Staatswissenschaften in Kiel 1703 zum o. Prof. für politische Philosophie an der Philosophischen und zum ao. Professor für Privatrecht an der Juristischen Fakultät ernannt. Ab 1712 (als Nachfolger seines Schwiegervaters Nikolaus Martini) o. Prof. des Vaterländischen Rechts, las Amthor nach dem Tode Musäus’ das Natur- und Völkerrecht, bis er 1714 wegen seiner prodänischen Haltung (seit 1713 dänischer Kanzleirat) aus dem gottorfischen Dienst entlassen wurde. 1714 königlicher Historiograph und Präsident in Rendsburg, 1716 Justizrat. Amthor starb am 21.2.1721 in Kopenhagen. Jur 1711–14. Werke (Auswahl): Dissertatio politica de habitu superstitionis ad vitam civile, 1706 (1708); De obstagio tractatus juridicus: ad mores Schlesvicensium et Holsatorum potissimum adornatus, 1712; Historischer Bericht von dem vormahligen und gegenwärtigen Zustande der schleßwig-hollsteinischen Ritterschaft und ihrer Privilegien, 1714; De jure und facto gegründeter Beweis der vielfältigen Treulosigkeiten, so das königlich dänische Haus von dem fürstlich holsteinischen-gottorpischen bisher erlitten, 1715; Der in allen seinen Zweigen verherrlichte königlich oldenburgische Stammbaum, 1716; Project der Oeconomic in Form einer Wissenschaft, 1716. Literatur: Ratjen, Chronik 1858, 42ff; Gerhard Eis, Neue Deutsche Biographie (NDB) 1 (1953), 263f; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 13; Claus Wulf, CHA, Rendsburger heimatkundliches Jahrbuch 9 (1959), 100ff; Hermann Kellenbenz, BioLexSH 2 (1971), 34ff; Martin Mulsow, in: Klemme/Kuehn (Hg.), Dictionary of Eighteenth Century German Philosophers, 2010.

4. Friedrich Gentzke (1679–1757): Gentzke wurde am 28.2.1679 (1678?) auf Usedom geboren. Nach dem Studium der Philosophie in Greifswald wirkte er von 1708 bis 1757 in Kiel, zunächst (1708–21) als ao. Prof. der Philosophie. 1721 o. Prof. der Physik und Politik, 1725 erster Prof. der Philosophie und der Logik, 1739 auch der Moral. Natur- und Völkerrecht lehrte Gentzke regelmäßig zwischen 1715 und dem WS 1756/57. Er starb am 27.3.1757 in Kiel. Phil 1715–57.

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Werke (Auswahl): Tractatus ethico-physicus de Passionibus, 1707; Kurze Anweisung glücklich zu leben, 1708; Introductio in philosophiam moralem, 1709; Introductio in philosophiam civilem quam vocant politicam, 1711; Doctrina universalium, quam vocant metaphysicam, 1720; Philosophiae moralis exhibens iuris divini naturalis prudentiam, 1721; Historia philosophiae, 1724; Juris divini positivi prudentia, 1725; Ratiocinandi scientia, quam logicam vulgo nominant, 1725; Systema philosophiae, 1725–27 (alle in mehreren Auflagen). Literatur: Max Wundt, Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, 1945, 116f; Volbehr/Weyl, op. cit., IV A 25.

5. Johann Heinrich Heubel (1694–1758): Am 25.7.1694 in Magdeburg geboren, studierte Heubel ab 1712 in Wittenberg Jurisprudenz. Seiner sprachhistorischen Studien wegen ab 1721 Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften. Nach Tätigkeit als Privatlehrer in Hamburg und Eutin wurde Heubel 1719 in Kiel zum o. Prof. für Natur- und Völkerrecht ernannt, trat das Amt aber erst nach der Rückkehr von Forschungsreisen 1722 an. Bereits 1723 wurde er wegen seiner öffentlichen Antrittsrede „De pedantismo juridico“ wieder abgesetzt. Heubel, der aus seiner Zeit als Hauslehrer gute Beziehungen zum Haus Gottorf hatte, war holsteinischer Historiograph, Hofrat und Justizrat. Nach ausgedehnten Reisen durch Europa widmete er sich einem (nicht realisierten) Projekt, eine Geschichte der verbrannten Bücher zu schreiben („Bibliotheca Vulcani“). Heubel lebte in der Hamburger Vorstadt St. Georg, wo er am 6.12.1758 starb. Jur 1722–23. Werke (Auswahl): Oratio auspicalis de pedantismo juridico, 1723; (Übers.) Göran Andersson Nordberg, Leben Karls XII., König von Schweden, 3 Teile, 1745–51. Literatur: B. Kordes, Neues Allg. Intelligenzblatt für Literatur u. Kunst [zur Neuen Leipziger Literaturzeitung, Bd. 3], Nr. 39, v. 11.8.1804, 617ff; Ratjen, Chronik 1858, 62ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 17; Erich Döhring, Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1665–1965, Bd. 3: Geschichte der juristischen Fakultät, 1965, 37ff; Martin Mulsow, Bibliotheca Vulcani. Das Projekt einer Geschichte der verbrannten Bücher bei Johann Lorenz Mosheim und JHH, Das achtzehnte Jahrhundert 18 (1994), 56ff; ders., Die drei Ringe, 2001, 91ff; ders., Entwicklung einer Tatsachenkultur, in: Steiger/Richter (Hg.), Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung, 2012, 45ff (57ff).; ders., Prekäres Wissen, 2012, 142ff.

6. Johann Zacharias Hartmann (1695–1742):Hartmann, am 19.1.1695 in Großbodungen (Harz) geboren, war als Advokat in Ostfriesland tätig, bevor er im Anschluss an seine Doktorpromotion in Helmstedt (1725) in Kiel o. Prof. für Institutionen und Vaterländisches Recht, ab 1736 für Kanonisches Recht, Zivilrecht und Praxis wurde. Dort las er 1726–28, 1732–35, 1738–40 das Natur- und Völkerrecht. 1740 trat er als könglicher Hof- und Kanzleirat in hannoversche Dienste. Er starb kurz darauf am 18.4.1742 in Hannover. Jur 1726–28, 1732–35, 1738– 40. Werke (Auswahl): De vicariatu Saxonico per Frisiam Orientalem commentatio succincta, 1712; De usu limitato mandatorum sine clausula consilii Caesareo-Imperialis aulici et camerae, 1725; Oratio de occupatione bellica, adquirendi dominium non modo, 1730; Oratio de pace futura, clausulae fatali pacis Ryswicensis, 1736.

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Literatur: Ratjen, Chronik Kiel 1858, 78ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 18; Hans-Jürgen Höller/Helmut Weiß, Bio-bibliographisches Handbuch zur Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts, Bd. 4, 1996, 78f.

7. Johann Matthias Käuffelin (1696–1751):Johann Matthias (Matthäus) Käuffelin wurde am 11.3.1696 in Zainingen (Württemberg) geboren. Nach Erwerb des Magistergrads in Tübingen (1712) und Militärdienst lebte er mehrere Jahre als Privatgelehrter und Hauslehrer in Hamburg. In Kiel 1731 Priv.-Doz., 1733–35 o. Prof. der Deutschen Beredsamkeit und Poesie, 1735–38 zudem o. Prof. für Natur- und Völkerrecht sowie praktische Philosophie an der Philosophischen Fakultät; 1735 auch Bibliothekar der Christiana Albertina. 1738 geriet Käuffelin „in Untersuchung“ und wurde „unter Beibehaltung seiner Professorgage von 200 Rthlr. mit dem Befehl, sich nicht in Kiel aufzuhalten, entlassen“ (Henning Ratjen, Zur Geschichte der Kieler Universitäts-Bibliothek, 1863, 124). Er zog als freier Schriftsteller nach Hamburg, wo er am 9.2.1751 starb. Phil 1735–38. Werke (Auswahl): Commentarii Hamburgenses, de rebus tum politicis tum litterariis in orbe terrarum novissime gestis, 1743ff. Literatur: Johann Georg Meusel, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen Teutschen Schriftsteller, Bd. 6, 1802–16, 384ff; Otto Beneke, ADB 15 (1882), 463; Volbehr/Weyl, op. cit., IV A 30.

8. Gottfried Heinrich Elend (1706–1771): Gottfried Heinrich Elend von Ellendsheim, geboren am 1.2.1706 in Hannover, studierte in Helmstedt und Halle; 1734 Dr. jur., Priv.-Doz. und Advokat in Kiel. 1738–44 o. Prof. der Rechte an der Philosophischen, zugleich ao. Prof. an der Juristischen Fakultät. Las Institutionen und ab 1739 Natur- und Völkerrecht. 1743 Kanzleirat, 1744 Justizrat, 1745 Syndikus des Lübecker Domkapitels, 1746 gottorfischer Oberprokurator, 1748 Geheimer Legationsrat, 1749 geadelt. 1758 wurde Elend, der 1750 selbst die Anklage gegen den Universitätskurator Ernst Joachim v. Westphalen betrieben hatte, verschiedener Vergehen gegen den Staat angeklagt, zum Tode verurteilt und jahrelang inhaftiert. 1764 rehabilitiert und als Vorsitzender Rat ins schleswig-holsteinische Finanzkollegium berufen. 1768 Mitglied des Geheimen Conseils, 1769 Amtmann des Amts Kronshagen. Elend starb am 17.3.1771 in Kiel. Phil/Jur 1739–44. Werke (Auswahl): Patriotische Gedancken von der Nothwendigkeit eines über die Adeliche Güther in den Fürstenthümern Schleßwig und Holstein anzuordnenden und aufzurichtenden Schuld- und Pfand-Protocols, 1735; Meditationes ad quaestionem: utrum methodus demonstrativa sive mathematica in iurisprudentia civili adhiberi possit?, 1735 (1739). Literatur: Ratjen, Chronik 1859, 15ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II B a 7; Hedwig Sievert, BioLexSH 1 (1970), 136f; N.N., Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE), Bd. 3, 2. Aufl. 2006, 25.

9. Karl Friedrich Winkler (1722–1784): Geboren am 27.1.1722 in Leipzig, studierte Winkler in Göttingen und Leipzig. 1745 Doktor der Rechte in Göttingen. 1752–53 Universitätssyndikus und Priv.-Doz. an der Juristischen Fakultät der Christiana Albertina, war Winkler 1753–80 o. Prof. für Deutsches Recht und

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Praxis (3. Professor), Justizrat. Natur- und Völkerrecht las er mit kurzer Unterbrechung (1754–57) während seiner gesamten Amtszeit (1753–80). Am 29.11.1780 wegen eines Augenleidens von den Amtspflichten entbunden, starb Winkler am 12.2.1784 in Kiel. Jur 1753–54, 1757–80. Werke (Auswahl): De relocatione tacita, 1744; De jure primariarum precum ad victorem terrarum imperatoris non transeunte, 1745; De favore causarum matrimonialium nimio e foris proscribendo, 1745; Institutiones iurisprudentiae naturalis (posthum hg. v. C.U.D. Eggers), 1801; dissertationes. Literatur: Ratjen, Chronik 1861, 8ff; August Ritter v. Eisenhart, ADB 43 (1898), 452f (453); Volbehr/Weyl, op. cit., II A 23.

10. Wilhelm Ernst Christiani (1731–1793): Christiani wurde am 23.4.1731 in Kiel geboren. Nach dem Studium der Theologie, der alten Sprachen, der Mathematik und der Geschichte in Kiel und Jena (1748–55) 1757 Magister der Philosophie in Rostock, 1758 Priv.-Doz. für Logik in Kiel. 1761 zunächst ao., ab 1763 o. Prof. des Natur- und Völkerrechts und der Politik, ab 1766 dazu o. Prof. der Beredsamkeit und Poesie, ab 1770 dazu der Geschichte; 1763 Bibliothekar, 1770 Kanzleirat, 1790 Mitglied der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften. Christiani starb am 1.9.1793 in Kiel. Phil 1761–1790. Werke (Auswahl): Das enge Band der Gerechtigkeit und Klugheit, 1770; Geschichte der Herzogthümer Schleswig und Hollstein, 1775–79; Geschichte der Herzogthümer Schleswig und Hollstein unter dem Oldenburgischen Hause, 1781–84. Literatur: Valentin August Heinze, Nachrichten von WEC’s Leben und Schriften, 1797; Henning Ratjen, ADB 4 (1876), 214ff; Volbehr/Weyl, op. cit., IV A 37; Sigrid Wriedt, BioLexSH 6 (1982), 62.

11. Johann Daniel Heinrich Musäus (1749–1821): Johann Daniel Heinrich Musäus wurde am 1.9.1749 in Meiningen geboren. Nach dem Jurastudium in Göttingen 1773 ebd. zum Dr. jur. promoviert und zum Priv.-Doz. ernannt. 1776– 81 in Kiel ao. Prof. der Rechte, ab 1781–82 o. Prof. für Staatsrecht, Reichsprozess, Völkerrecht, Kirchenrecht, Wechselrecht. Im Juni 1782 ging Musäus als o. Prof., Regierungsrat und Syndikus nach Gießen. 1803 Geheimer Regierungsrat, 1805 Geheimer Rat. Er starb am 6.8.1821 in Gießen. Jur 1776–82. Werke (Auswahl): De jure commissionum, quae in concursu illustrium solent constitui, 1773; Anfangsgründe des Wechselrechts, 1777; De causis praecipuis cur divisio Germaniae in pagos, 1778; Grundsätze des Handlungsrechts, 1785; Anfangsgründe des Handlungs- und Wechsel-Rechts, 1799; Beyträge zum Teutschen Rechte, 1801. Literatur: Ratjen, Chronik 1861, 33f; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 30.

12. Adolph Friedrich Trendelenburg (1737–1803): Geboren am 25.5.1737 in Neustrelitz, studierte Trendelenburg ab 1755 in Göttingen, wo er 1760 zum Dr. jur. promoviert wurde. Nach kurzer Station als ao. Prof. in Helmstedt (Dr. phil. 1761) war er 1762–74 o. Prof. der Rechte an der Universität Bützow, wo er wiederholt als Rektor amtierte. Von 1775 bis 1803 war er als professor primarius, Vorsitzender der Spruchkollegiums und Etatsrat in Kiel o. Prof. für Römisches

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und Deutsches Recht, Prozess, Kriminalrecht, Völkerrecht, Handelsrecht, Moralphilosophie. Trendelenburg, „der durch seine Persönlichkeit jahrzehntelang der Fakultät ihre besondere Note gegeben hat“ (Döhring, op. cit., 96f), übernahm, unter dem Einfluss Kants stehend, 1783–1803 von J.D.H. Musäus die regelmäßigen Lehrveranstaltungen zum Natur- und Völkerrecht. Er starb am 18.8.1803 in Kiel. Jur 1783–1803. Werke (Auswahl): Sequestratione curatius definienda, 1766; zahlreiche Gelegenheitsschriften und dissertationes. Literatur: Ratjen, Chronik 1861, 25ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 28.

13. Dietrich Hermann Hegewisch (1740–1812): Hegewisch, geboren am 15.12.1740 (1746?) in Quakenbrück, studierte 1759–62 in Göttingen Theologie, wandte sich dann aber als Autodidakt der Geschichte zu. Nach einer Tätigkeit als Hauslehrer wurde er Hofmeister bei einem Sohn des dänischen Grafen Schimmelmann in Hamburg, bis er durch das dänische Indigenatsgesetz seine Stellung verlor und 1775–80 Zeitungsredakteur in Hamburg wurde. Wegen seiner Arbeit über Karl den Großen 1780 als ao. Prof. der Geschichte nach Kiel berufen. 1782 Dr. phil., 1782–1812 o. Prof. der Geschichte in Kiel. 1784–91 hielt er regelmäßig Vorlesungen zum Jus Publicum Europaeum. 1805 königlich dänischer Etatsrat. Hegewisch starb am 4.4.1812 in Kiel. Phil 1784–91. Werke (Auswahl): Versuch einer Geschichte Karls des Großen, 1777; Geschichte der fränkischen Monarchie, 1779; Geschichte der Deutschen von Konrad I. bis zum Tode Heinrichs II., 1781; Geschichte der Regierung Kaiser Maximilians I., 2 Teile, 1782; Characterund Sittengemälde aus der deutschen Geschichte des Mittelalters, 1786; Historisch-philosophische und literarische Schriften, 2 Bde., 1793; Geschichte der Herzogtümer Schleswig und Holstein, Bd. 3 u. 4, 1801–02; Geschichte der englischen Parlaments-Beredsamkeit, 1804; Grundzüge der Weltgeschichte, 1804; Uebersicht der irländischen Geschichte, 1806; Geographische und historische Nachrichten von den Colonien der Griechen, 1808; Einleitung in die historische Chronologie, 1811; Geschichte der schwedischen Revolution, 1811. Literatur: C.E. Carstens, ADB 11 (1880), 278f; Volbehr/Weyl, op. cit., IV A 46.

14. Johann Georg Wiggers (1748–1820): Geboren am 14.9.1748 in Bredstedt, studierte Wiggers die Rechte in Kiel und St. Petersburg. Lebte um 1777 als Schriftsteller in Wyborg. Als ao. Prof. der Philosophie und der Rhetorik in Kiel 1782– 87 las er regelmäßig das Natur- und Völkerrecht. Ab 1787 Agent der Hansestädte Lübeck, Hamburg und Bremen in St. Petersburg. Wiggers starb am 13.6.1820 in St. Petersburg. Phil 1783–87. Werke (Auswahl): Über die Biographie, 1777; Christian der Vierte. Eine Panegyrische Skizze, 1782; Die Moral der Clio. Ein Versuch über den Einfluß der historischen Lectüre in die Besserung des Herzens, 1782; Vermischte Aufsätze, 1784. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., IV B a 29.

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15. Karl Leonhard Reinhold (1757–1823): Karl (Carl) Leonhard Reinhold wurde am 26.10.1757 in Wien geboren und schlug zunächst die geistliche Laufbahn ein (1772 Mitglied des Barnabiter-Ordens, 1782 Prof. der Philosophie und Novizenmeister). 1783 aus dem Orden ausgetreten, floh Reinhold nach Weimar zu Christoph Martin Wieland und konvertierte – im Hause Herders – zum Protestantismus. 1787 ao., 1791 o. Prof. der Philosophie in Jena. Als o. Prof. der Philosophie in Kiel von 1794 bis 1823 las er bis 1820 regelmäßig Natur- und Völkerrecht. 1816 Etatsrat. Gestorben am 10.4.1823 in Kiel. Phil 1794–1820. Werke (Auswahl): Briefe über die Kantische Philosophie, 2 Bände, 1786–87 (1790–92); Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögen, 1789; Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen, 1790 (nur Bd. 1); Ueber das Fundament des philosophischen Wissens, 1791; Rüge einer merkwürdigen Sprachverwirrung unter den Weltweisen, 1809; Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften, 1812; Das menschliche Erkenntnißvermögen aus dem Gesichtspunkte des durch die Wortsprache vermittelten Zusammenhangs zwischen der Sinnlichkeit und dem Denkvermögen, 1816. Literatur: Ernst Reinhold (Hg.), KLRs Leben und litterarisches Wirken, 1825; Carl v. Prantl, ADB 28 (1889), 82ff; Volbehr/Weyl, op. cit., IV A 48; Jendris Alwast, BioLexSH 5 (1979), 227ff; Gerhard Fuchs, KLR. Illuminat und Philosoph, 1991; Alexander v. Schönborn, KLR. Eine annotierte Bibliographie, 1991; ders., NDB 21 (2003), 368f; George di Giovanni (Hg.), KLR and the Enlightenment, 2010.

16. Andreas Ludwig Jacob Michelsen (1801–1881): Am 31.5.1801 in Satrup (Nordschleswig) geboren, wuchs Michelsen in Apenrade und Altona auf. Nach einem Studium in Kiel und Göttingen 1823 examiniert, wurde er 1824 in Berlin zum Dr. jur. promoviert („De exceptione rei venditae et traditae“). Michelsen zog über Heidelberg und Paris nach Kopenhagen, wo er sich als Privatgelehrter historischen Studien widmete. Als Nachfolger Dahlmanns war er in Kiel 1829– 37 ao., 1837–42 o. Prof. der Geschichte. Dr. phil. h.c. Kiel 1833. In Kiel las Michelsen auch (europäisches) Völkerrecht (1831–32, 1837/38–42). 1843–61 war er als o. Prof. für Staats- und Völkerrecht in Jena tätig. Zahlreiche Ehrungen und Mitgliedschaften, u.a. Ehrenbürger von Jena 1861. Auch in Jena hielt Michelsen Verbindung zu Schleswig-Holstein: als Abgeordneter des Wahlkreises 1 (Schleswig/Fehmarn) in der Deutschen Nationalversammlung (1848/49) und als juristischer Berater von Herzog Christian August v. Schleswig-Holstein-SonderburgAugustenburg. Michelsen zog sich als Privatgelehrter 1861 zunächst nach Kiel, 1867 nach Schleswig zurück. Dort starb er am 11.2.1881. Phil 1831–32, 1837–42. Werke (Auswahl): Nordfriesland im Mittelalter, 1828; Ueber die ehemaligen Landestheilungen in Schleswig-Holstein unter dem Oldenburgischen Hause, 1839; (Hg.) Urkundensammlung der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Gesellschaft für Vaterländische Geschichte, 1839–58; Grundrisse zu Vorlesungen über positives Völkerrecht (1840) und allgemeines und deutsches Staatsrecht (1843, 1847); Polemische Erörterungen über die schleswig-holsteinische Staatssuccession, 2 Teile, 1844–46; Ueber die Genesis der Jury, 1847; Codex Thuringiae diplomaticus, 1854; Die Hausmarke, 1854; Ueber Schleswig-Holsteinische Staatserbfolge, 1864; Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, 2 Bde., 1873.

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Literatur: Maria Michelsen, ADB 21 (1885), 695ff; Volbehr/Weyl, op. cit., IV A 64; Werner Buchholz, NDB 17 (1994), 453f.

17. Lorenz Stein (1815–1890):Lorenz Jakob Stein (ab 1868 Edler v. Stein) wurde am 15.11.1815 als Wasmer Jakob Lorentz in Eckernförde geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und Philosophie in Kiel und Jena nahm er 1839 eine Stellung an der schleswig-holsteinischen Kanzlei in Kopenhagen an, ging aber schon bald nach Berlin, wo er 1840 zum Dr. jur. promoviert wurde. Danach v.a. rechtshistorische Forschungen in Paris. 1843–46 Priv.-Doz. an der Juristischen, 1846–52 ao. Prof. für Staatswissenschaften an der Philosophischen Fakultät in Kiel. 1845–50 las Stein regelmäßig Völkerrecht. 1848–50 Mitglied der schleswig-holsteinischen Landesversammlung, wurde er nach Wiederherstellung der dänischen Herrschaft am 4.6.1852 mit sieben weiteren Professoren entlassen. 1855–85 o. Prof. der Staatswissenschaften in Wien, 1868 in den Ritterstand erhoben. Lorenz v. Stein starb am 23.9.1890 in Weidling bei Wien. Jur 1845–46, Phil 1846–50. Werke (Auswahl): Die Geschichte des dänischen Civilproceßes und das heutige Verfahren, 1841; Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs, 1842 (1848, 2 Bde.); Die Municipalverfassung Frankreichs, 1843; Einleitung in das ständische Recht der Herzogthümer Schleswig und Holstein, 1847; Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, 3 Bde., 1850; System der Staatswissenschaft, 2 Bde., 1852–56; Österreich und der Friede, 1856; Lehrbuch der Volkswirthschaft, 1858 (1878, 1887); Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 1860 (1871, 1875, 1878, 1885–86); Die Verwaltungslehre, 7 Bde., 1865–68; Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts, 1870 (1876, 1887); Die Lehre vom Heerwesen, 1872; Die Frau auf dem Gebiete der Nationalökonomie, 1875 (1886); Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, 1876; Der Wucher und sein Recht, 1880; Die Frau auf dem socialen Gebiete, 1880; Die drei Fragen des Grundbesitzes, 1881. Literatur: Theodor Inama v. Sternegg, ADB 35 (1893), 661ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II F 26; Werner Schmidt, BioLexSH 1 (1970), 254f; Bodo Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei LvS, 1973; Roman Schnur (Hg.), Staat und Gesellschaft. Studien über LvS, 1978; Martin Heilmann, LvS. Überblick zu Leben und Werk, 1999; Stefan Koslowski, Zur Philosophie von Wirtschaft und Recht. LvS im Spannungsfeld zwischen Idealismus, Historismus und Positivismus, 2005; Dirk Blasius, LvS. Deutsche Gelehrtenpolitik in der Habsburger Monarchie, 2007; Rainer Hering, LvS und Schleswig-Holstein im Europa der Revolutionen 1848/49, 2012; Joachim Krause, LvS als politikwissenschaftlicher Theoretiker und politischer Philosoph, in: Knelangen/Stein (Hg.), Kontinuität und Kontroverse, 2013, 181ff; Christoph Brüning/Utz Schliesky (Hg.), LvS und die rechtliche Regelung der Wirklichkeit, 2015; Utz Schliesky, LvS. Leben und Werk, JZ 2015, 1121ff; ders./Jan Schlürmann (Hg.), LvS. Leben und Werk zwischen Borby und Wien, 2015; Christoph Brüning, LvS (1815–1890) und die staatliche Ordnung der Gesellschaft, in: v. Arnauld/Augsberg/Meyer-Pritzl (Hg.), 350 Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 2017 (i.V.).

18. Albert Hänel (1833–1918): Albert Hänel, am 10.6.1833 in Leipzig geboren, wurde nach einem Studium der Rechte in Wien und Heidelberg 1857 in Leipzig zum Dr. jur. promoviert und ein Jahr später habilitiert (auf Grundlage von Arbeiten zum Beweisrecht des Sachsen- und Schwabenspiegels). 1860 ao., 1862 o. Prof.

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Albert Hänel (1833–1918) Gemälde von Max Liebermann, 1892

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in Königsberg, wurde Hänel 1863 als o. Prof. für Deutsches Privatrecht, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte nach Kiel berufen, wo er bis 1911 lehrte. Nach Übertragung der privatrechtlichen Anteile seines Lehrauftrags auf die zweite deutschrechtliche Professur las Hänel in Kiel Öffentliches Recht und Völkerrecht, letzteres von 1881 bis 1911 regelmäßig. Als Vertreter der Deutschen Fortschrittspartei, später der Deutschen Freisinnigen Partei und der Freisinnigen Vereinigung Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses (1867–88) und des Deutschen Reichstags (1867–1903). 1893 kaiserlicher Geheimer Justizrat, 1903 Dr. jur. h.c. Tübingen, 1913 Dr. phil. h.c. Kiel, 1911 Ehrenbürger der Stadt Kiel. Hänel starb am 12.5.1918 in Kiel. Jur 1867, 1881–1911. Werke (Auswahl): Das Beweissystem des Sachsenspiegels, 1858; Decisiones consulum Goslariensium, 1862; Die Garantien der Großmächte für Schleswig, 1864; Die vertragsmäßigen Elemente der deutschen Reichsverfassung, 1873; Die Gesetzgebung des Deutschen Reichs über Konsularwesen und Seeschifffahrt, 1875 (mit T. Lesse); Die Organisatorische Entwicklung der deutschen Reichsverfassung, 1880; Das Gesetz im formellen und materiellen Sinn, 1888; Deutsches Staatsrecht, 1892 (nur Bd. 1). Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II A 57; Döhring, op. cit., 170ff; Robert Scheyhing, NDB 7 (1966), 441; Manfred Friedrich, Zwischen Positivismus und materialem Verfassungsdenken. AH und seine Bedeutung für die deutsche Staatsrechtswissenschaft, 1971; Stephan Vitzthum, Linksliberale Politik und materiale Staatsrechtslehre: AH, 1833–1918, 1971; Wilfried Röhrich, BioLexSH 4 (1976), 76ff; Sebastian Graf v. Kielmansegg, Rechtswissenschaft und Liberalismus im Kaiserreich. A.H. (1833–1918), in: v. Arnauld/Augsberg/Meyer-Pritzl, op. cit. (i.V.).

19. Heinrich Otto Lehmann (1852–1904): Geboren am 28.10.1852 in Kiel, wurde Lehmann, nach Ausbildung zum Apotheker (1871–72) und Studium der Rechtswissenschaft in Greifswald, Heidelberg und Berlin (1872–77) am 19.12.1877 in Kiel mit der Arbeit „Die Zufuhr von Kriegscontrebandewaren nach kriegführenden Ländern seitens Neutraler“ promoviert (vermutlich bei Albert Hänel). Er habilitierte sich am 27.7.1882 in Kiel mit der (dem Berliner Prof. für Staatsrecht und deutsches Privatrecht Georg Beseler gewidmeten) Schrift „Der Rechtsschutz gegenüber Eingriffen von Staatsbeamten nach altfränkischem Recht“. Kommissarischer Universitäts-Syndikus seit dem 1.4.1882 und Priv.-Doz. (1883–85), wurde er am 7.5.1885 in Kiel zum ao. Professor für Juristische Enzyklopädie, Deutsches Recht und Völkerrecht ernannt. 1888 o. Professor für Zivil- und Handelsrecht in Gießen, 1889–1904 o. Professor für deutsches Recht in Marburg, wo er 1897/98 das Amt des Rektors bekleidete. 1902 Ernennung zum Geheimen Justizrat. Lehmann starb am 27.1.1904 in Marburg. Jur 1883–88. Werke (Auswahl): Die Zufuhr von Kriegscontrebandewaren nach kriegführenden Ländern seitens Neutraler, historisch und prinzipiell dargestellt, 1877; Der Rechtsschutz gegenüber Eingriffen von Staatsbeamten nach altfränkischem Recht, 1883; Lehrbuch des deutschen Wechselrechts, 1886; Zur Theorie der Wertpapiere, 1890; Quellen zur deutschen Reichsund Rechtsgeschichte, 1891; Otto Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Bände II–IV (Neubearbeitung), 1896–1900; Bürgerliches Recht, 1900–1901 (mit L. Enneccerus).

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Literatur: Franz Gundlach, Catalogus professorum academiae Marburgensis, Bd. 1, 1927, Nr. 223; Volbehr/Weyl, op. cit., II B 26; Judith Freund, Die Wechselverpflichtung im 19. Jahrhundert, 2007, 306f; N.N., Hessische Biografie www.lagis-hessen.de/pnd/118571087 (Stand: 2.6.2014).

20. Theodor Niemeyer (1857–1939): Theodor Hugo Edwin Niemeyer wurde am 5.2.1857 in Bad Boll (Württemberg) geboren und wuchs in Westfalen auf. Nach dem Studium in Leipzig, Heidelberg und Berlin zunächst im preußischen Justizdienst (1883–85 Assessor, 1885–88 Amtsrichter in Unna). Promotion und Habilitation 1888 in Halle (beide zum „depositum irregulare“). In Kiel 1893 ao., 1894 bis 1925 o. Prof. für Römisches Recht und Reichszivilrecht. Niemeyer lehrte Völkerrecht 1894–1903 an der Kaiserlichen Marineakademie, ab 1902 auch an der Universität. 1912 Lehrauftrag für Völkerrecht, Internationales Recht und Kolonialrecht unter Befreiung von der zivilrechtlichen Lehre; 1914 Gründung des Instituts (bis 1918: Seminars) für Internationales Recht. 1912 Geheimer Justizrat, 1912 Vorsitzender, 1922 Ehrenvorsitzender der Deutschen Vereinigung für Internationales Recht, 1913 Associé, 1922 Mitglied des Institut de Droit International, 1917 Vorsitz, 1929 Ehrenvorsitz der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (DGVR). 1932 Dr. rer. pol. h.c. Halle. Niemeyer starb am 23.10.1939 in Berlin. Jur 1894/1902–1925. Werke (Auswahl): Depositum irregulare, 1889; Positives Internationales Privatrecht, 1894 (nur 1. Teil); Vorschläge und Materialien zur Kodifikation des internationalen Privatrechts, 1895; Das internationale Privatrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1901; Recht und Sitte, 1902; Internationales Recht und nationales Interesse, 1917; Urkundenbuch zum Seekriegsrecht, 1913; Aufgaben künftiger Völkerrechtswissenschaft, 1917; (Hg.) Der Völkerbundsentwurf der DGVR, 1919; Völkerrecht, 1923; Les sociétés de commerce, RdC 4 (1924), 5ff; Der Völkerbund, 1926 (mit C. Rühland, J. Spiropoulos); (Hg.) Handbuch des Abrüstungsproblems, 3 Bde., 1928; Geschichte der Stadt Rom, 2 Bde., 1931–33 (Pseudonym „T. H. Neomario“); Erinnerungen und Betrachtungen aus drei Menschenaltern, hg. v. Annemarie Niemeyer, 1963. Literatur: Hans Wehberg, Friedens-Warte 39 (1939), 238ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 73; Annemarie Niemeyer, TN, in: Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, 1965, 158ff; Jost Delbrück, BioLexSH 8 (1987), 249ff; ders., NDB 19 (1999), 235f; Alexander Bader, Leben und Werk des Geheimen Justizrates Prof. Dr. Dr. h. c. TN, 2001; Rudolf Meyer-Pritzl, TN (1857–1939). Vom Römischen Recht zum internationalen Recht, CA 79 (2014), 82ff; Andreas v. Arnauld/Jens Theilen (in diesem Band).

21. Moritz Liepmann (1869–1928): Geboren am 8.9.1869 in Danzig, wurde Moritz Liepmann nach Studium in Kiel, Göttingen und Leipzig 1891 in Jena zum Dr. jur. promoviert („Die Entstehung des Schuldbegriffs“). Nach dem Referendariat (1892–96) in Halle 1896 Promotion zum Dr. phil. und 1897 Habilitation zur Rechts- und Staatsphilosophie Jean-Jacques Rousseaus. In Kiel 1902–10 ao., 1910–19 o. Prof. für Strafrecht, Strafprozeß und Internationales Recht. Liepmann las an der Universität Kiel 1906/07 Seekriegsrecht; 1903–09 Dozent für Völkerrecht an der Kaiserlichen Marineakademie. 1918 Geheimer Justizrat, 1919–28

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o. Prof. für Strafrecht, Prozessrecht, Kriminologie, Gerichtsverfassung an der Universität Hamburg. Liepmann starb am 26.8.1928 in Hamburg. [Jur] 1903–09. Werke (Auswahl): Die Entstehung des Schuldbegriffs, 1892; Die Rechtsphilosophie des Jean Jacques Rousseau, 1898; Einleitung in das Strafrecht, 1900; Der Kieler Hafen im Seekrieg, 1906; Die Beleidigung, 1909; Die Todesstrafe, 1912; Die Pflege des Völkerrechts an den deutschen Universitäten, 1919; Die Bedeutung der Reichsverfassung für die geistige Kultur Deutschlands, 1920; Der Friedensvertrag und der Völkerbund, 1920; Die Reform des deutschen Strafrechts, 1921; Krieg und Kriminalität in Deutschland, 1930. Literatur: Hermann Mannheim, Deutsches biographisches Jahrbuch 10 (1928), 157ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 78; Rudolf Sieverts, in: Lebensbilder hamburgischer Rechtslehrer, 1969, 45ff; Ruth Hüser-Goldberg, Das kriminalpolitische Programm von ML (1869– 1928), 1977; Monika Frommel, NDB 14 (1985), 534f; Rainer Nicolaysen, Hamburgische Biografie 6 (2012), 186ff.

22. Heinrich Triepel (1868–1946): Carl Heinrich Triepel wurde am 12.2.1868 in Leipzig geboren und studierte Rechtswissenschaft in Freiburg und Leipzig. 1891 in Leipzig bei Karl Binding mit einer Arbeit zum Interregnum promoviert; die Schrift wurde 1893 als Habilitationsschrift angenommen. 1894–97 Gerichtsassessor und Hilfsrichter beim Königlichen Landgericht; ab 1893 Priv.-Doz., 1899 ao. Prof. in Leipzig, 1900 o. Prof. in Tübingen, 1901 Dr. sc. pol. h.c. ebd. 1908–13 o. Prof. für Staats-, Verwaltungs-, Kirchen- und Völkerrecht in Kiel, 1909–13 zugleich Dozent an der Kaiserlichen Marineakademie. Zum 1.10.1913 Wechsel als o. Prof. für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht nach Berlin (1935 entpflichtet). 1910–20 assoziiertes Mitglied des Institut de Droit International, 1914 Geheimer Justizrat, 1922–26 Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, ab 1924 Wissenschaftliches Mitglied des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Triepel starb am 23.11.1946 in Grainau (Oberbayern). Jur 1908–13. Werke (Auswahl): Völkerrecht und Landesrecht, 1899; Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, 1907; Die Kompetenzen des Bundesstaates und die geschriebene Verfassung, FS Paul Laband, Bd. 2, 1908, 249ff; Der Seeoffizier und das Studium des Völkerrechts, Marine-Rundschau 1911, 1217ff, 1525ff; Die Reichsaufsicht, 1917; Staatsrecht und Politik, 1927; Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 1928; Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, VVDStRL 5 (1929), 2ff; Die Hegemonie, 1938; Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942; Vom Stil des Rechts. Beiträge zu einer Ästhetik des Rechts, 1947. Literatur: Carl Bilfinger, In memoriam HT, ZaöRV 13 (1950/51), 1ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 76; Rudolf Smend, HT, FS Gerhard Leibholz, Bd. 2, 1966, 107ff; Alexander Hollerbach, Zu Leben und Werk HTs, AöR 91 (1966), 417ff; Ulrich Gassner, HT. Leben und Werk, 1999; Ralf Poscher, HT, in: Jacobson/Schlink (Hg.), Weimar. A Jurisprudence of Crisis, 2000, 171ff; Christian Tomuschat, HT (1868–1946), FS 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, 2010, 497ff; Andreas v. Arnauld, HT (1868–1946), in: Häberle/Kilian/Wolff (Hg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, 2015, 129ff.

23. Wilhelm van Calker (1869–1937): Aus Reutin bei Lindau gebürtig (*1.5.1869), schlug Wilhelm Otto Julius van Calker nach dem Studium in München und Berlin zunächst die Verwaltungslaufbahn ein (1895–98 Gerichts- und

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Regierungsassessor, dann Regierungsakzessist bei der Regierung von Oberbayern und im Innenministerium sowie Bezirksamtsassessor). Promotion zum Dr. jur. und Habilitation erfolgten 1900 in Freiburg auf Grundlage von Arbeiten zum badischen Budgetrecht. Seit dem 1.10.1903 o. Prof. in Gießen, wurde van Calker am 30.6.1913 als Nachfolger Hänels zum o. Prof. für Staats-, Verwaltungs-, Völker- und Kirchenrecht in Kiel ernannt, wo er zugleich 1913–14 an der Kaiserlichen Marineakademie lehrte. 1916 Geheimer Justizrat. Zum 1.4.1919 wechselte van Calker auf einen Stiftungslehrstuhl (sog. Schleiden-Professur) nach Freiburg (entpflichtet 1935). Er starb am 29.3.1937 in Freiburg. Jur 1913–19. Werke (Auswahl): Die Anfänge des badischen Budgetrechts, 1900; Das badische Budgetrecht in seinen Grundzügen, 1901; Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen, 1913; Das Problem der Meeresfreiheit und der deutschen Völkerrechtspolitik, 1917; Der Reichstag und die Freiheit der Meere, 1918; Die völkerrechtlichen Sicherungen der wirtschaftlichen Verkehrsfreiheit in Friedenszeiten, 1918. Literatur: Theodor Maunz, Geheimrat vC zum Gedächtnis, Freiburger Zeitung v. 4.4.1937; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 80; Frank Zeiler, Biographische Skizzen zum Lehrkörper der Freiburger Rechtsfakultät in den Jahren 1860–1918, 2008, 93ff.

24. Walther Schoenborn (1883–1956): Joachim Carl Walther Schoenborn, geboren am 19.7.1883 im Seebad Neuhäuser (Ostpreußen), studierte Rechtswissenschaft in Freiburg, Heidelberg und Würzburg. Promotion (1906) und Habilitation (1908) bei Georg Jellinek in Heidelberg. 1908–15 Priv.-Doz., 1915 apl. Prof. in Heidelberg. 1915–18 Prof. des öffentlichen Rechts an der Universität Konstantinopel, wechselte Schoenborn 1919 zunächst als ao., von 1920 bis 1951 dann o. Prof. für Staats-, Verwaltungs-, Völker- und Kirchenrecht nach Kiel. 1934–40 (Mit-) Direktor des Instituts für Internationales Recht. 1951 entpflichtet. Am 7.5.1956 starb Schoenborn in Kiel. Jur 1920–51. Werke (Auswahl): Das Oberaufsichtsrecht des Staates im modernen deutschen Staatsrecht, 1906; Studien zur Lehre vom Verzicht im oeffentlichen Recht, 1908; Die Besetzung von Veracruz. Zur Lehre von den völkerrechtlichen Selbsthilfeakten, 1914; Recht und Technik im modernen Seekriegsrecht, 1929; La nature juridique du territoire, RdC 30 (1931), 81ff. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II A 89; Claus-Nis Martens, WS (1883–1956). Ein Staatsrechtslehrer in den verfassungsrechtlichen Epochen unseres Jahrhunderts, 1990; Christina Wiener, Kieler Fakultät und „Kieler Schule“ 2013, 64ff; Nathalie Rücker (in diesem Band), 93ff.

25. Walther Schücking (1875–1935): Walther Adrian Schücking wurde am 6.1.1875 in Münster geboren. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in München, Berlin und Göttingen wurde er in Göttingen bei Ludwig v. Bar 1897 promoviert („Das Küstenmeer im internationalen Rechte“), 1899 habilitiert („Der Regierungsantritt“). 1900 ao. Prof. in Breslau, 1902 ao. Prof., 1903–21 o. Prof. in Marburg. 1919 Mitglied der deutschen Delegation bei den Friedensverhandlungen in Versailles, 1919–28 Mitglied des Reichstags (Deut-

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sche Demokratische Partei). 1921–26 o. Prof. für öffentliches Recht an der Handelshochschule in Berlin. 1926–33 o. Prof. für Völkerrecht und Internationales Privatrecht in Kiel und Direktor des Instituts für Internationales Recht. In leitenden Funktionen u.a. tätig in der Deutschen Liga für Völkerbund, im Internationalen Friedensbüro, im Verband für europäische Verständigung und der Interparlamentarischen Union (1928 Mitglied auf Lebenszeit). 1910 Associé, 1921 Mitglied des Institut de Droit International. 1924 Mitglied der Kodifikationskommission, 1930 Delegierter bei der Kodifikationskonferenz des Völkerbundes (Vorsitz Kommission für das Küstenmeer). 1930 Wahl zum Richter des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, 1932 Übersiedlung nach Den Haag. Entlassung aus dem Staatsdienst im Nov. 1933 („beurlaubt“ seit April 1933). Walther Schücking starb am 26.8.1935 in Den Haag. Jur 1926–33. Werke (Auswahl): Das Küstenmeer im internationalen Rechte, 1897; Der Regierungsantritt, Teil 1: Die Urzeit und die Zeit der ost- und westgermanischen Stammesreiche, 1899; Die Organisation der Welt, 1908 (1909); Der Staatenverband der Haager Konferenzen, 1912; Neue Ziele der staatlichen Entwicklung, 1913; Der Dauerfriede. Kriegsaufsätze eines Pazifisten, 1917; Internationale Rechtsgarantien, 1918 (1919); Die völkerrechtliche Lehre des Weltkrieges, 1918; Der Bund der Völker. Studien und Vorträge zum organisatorischen Pazifismus, 1918; Die Satzung des Völkerbundes. Kommentar (mit H. Wehberg), 1921 (1924, 1931); Das völkerrechtliche Institut der Vermittlung, 1923; Garantiepakt und Rüstungsbeschränkung, 1924; Le développement du Pacte de la Société des Nations, RdC 20 (1927), 353ff; Die Einarbeitung des Kelloggpaktes in den Völkerbundpakt und die Genfer Generalakte, Mitteilungen der DGVR 10 (1930), 178ff. Literatur: Beiträge in: Friedens-Warte 35 (1935) [von Hans Wehberg, Max Huber, Jean Spiropoulos, Christian Lange, Paul Guggenheim u.a.]; Volbehr/Weyl, op. cit., II A 95; Christoph Bernhard Schücking, WS. Ein Lebensbild, in: Fünzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, 1965, 174ff; Dieter Acker, WS (1875–1935), 1970; Fritz Münch, WS (1875–1935). Völkerrechtler und Politiker, in: Schnack (Hg.), Marburger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, 1977, 463ff; Frank Bodendiek, WSs Konzeption der internationalen Ordnung, 2001; Andreas Thier, NDB 23 (2007), 631ff; Beiträge im European Journal of International Law 22 (2011), 725ff [von Christian Tams, Frank Bodendiek, Jost Delbrück u.a.]; Ulf Morgenstern, Bürgergeist und Familientradition. Die liberale Gelehrtenfamilie Schücking im 19. und 20. Jahrhundert, 2012; ders., Sieben Jahre an der Förde. WS als Hochschullehrer und internationaler Völkerrechtler in der holsteinischen Universitätsstadt 1926–1933, in: Auge/Piotrowski (Hg.), Gelehrte Köpfe an der Förde, 2014, 181ff; Christian Tietje, WS (1875–1935), in: Häberle/Kilian/Wolff, op., cit., 175ff; Johannes Mohr (in diesem Band); Andreas v. Arnauld, Völkerrecht im Dienst des Friedens. WS (1875–1935), in: v. Arnauld/Augsberg/Meyer-Pritzl, op. cit. (i.V.).

26. Curt Rühland (1891–1987): Curt (Kurt) Max Robert Rühland, am 22.2.1891 in Braunschweig geboren, studierte 1910–14 in München, Berlin und Kiel zunächst Geschichte, Philosophie und Sprachen. Als Heeresfreiwilliger aus dem Weltkrieg schwer versehrt zurückgekehrt, studierte er Rechtswissenschaft (1918–20) und wurde 1923 in Kiel mit einer bei Theodor Niemeyer angefertigten Arbeit zu „Theorie und Praxis des Einflusses des Kriegsbeginns auf Staatsverträge“ promoviert. Die Habilitation erfolgte am 20.6.1925 ebenfalls unter Betreuung von Theodor Niemeyer mit einer Arbeit zu Samuel Rachel. Am Institut

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für Internationales Recht war Rühland seit 1921 Erster Assistent, seit 1924 auch Abteilungsleiter (für Staatsverträge, ab 1930 für internationales Privatrecht). Ab 1930 nichtbeamteter ao. Prof. und Stellvertreter des Direktors. 1937 wechselte Rühland als o. Prof. an die Universität Greifswald, um 1942 einen Lehrstuhl an der Universität Prag zu übernehmen, den er 1945 verlor. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte er sich um eine Professur, erhielt aber – aus Altersgründen – 1947 lediglich einen Lehrauftrag für Öffentliches Recht an der Technischen Hochschule seiner Heimatstadt. 1958 wurde er dort zum Emeritus ernannt. Er starb am 17.5.1987 in Braunschweig. Jur 1925–37. Werke (Auswahl): Zur Theorie und Praxis des Einflusses des Kriegsbeginns auf Staatsverträge, NiemeyersZ 32 (1924), 74ff; Samuel Rachel, der Bahnbrecher des völkerrechtlichen Positivismus, NiemeyersZ 34 (1925), 1ff; Der Völkerbund, 1926 (mit T. Niemeyer, J. Spiropoulos); System der völkerrechtlichen Kollektivverträge, 1929; Le problème des personnes morales en droit international privé, RdC 45 (1933), 287ff; Die rechtliche Unzulässigkeit der Verwendung französischer Truppen im Saargebiet, 1934 (mit V. Böhmert); Staatsverträge und nationalsozialistische Rechtsauffassung, ZVR 18 (1934), 133ff; Luftsouveränität oder Luftfreiheit? Die Gefahren der Atombombenversuche in der Sicht des Völkerrechts, FS Jean Spiropoulos, 1957, 369ff; Probleme der Staatsgrenzen im Lichte des Völkerrechts, FS Walter Schätzel, 1960, 419ff. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II E 5; Viktor Böhmert, CR 70 Jahre alt, JIR 10 (1961/62), 1; Katharina Gudladt, Rechtswissenschaften an der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig, 2013, 16ff, 96ff; Wiener, op. cit., 141f; Nathalie Rückert (in diesem Band), 97ff.

27. Viktor Böhmert (1902–1975): Viktor (Victor) Adolf Ferdinand Böhmert, am 4.9.1902 in Bremen geboren, wurde 1927 bei Richard Schmidt in Leipzig mit einer Arbeit zum US-amerikanischen Parlamentarismus promoviert. Nach dem Assessorexamen in Hamburg 1929 wechselte er als Assistent und Leiter der Abteilung für Völkerbund (ab 1937 für internationales Privatrecht) an das Institut für Internationales Recht nach Kiel. Seine Habilitation auf Grundlage der von Walther Schücking betreuten Schrift „Der Art. 19 der Völkerbundsatzung“ erfolgte am 12.7.1933, ungeachtet dessen, dass der frühere Assistent Schückings als politisch suspekt galt. Mit Unterstützung der Fakultät wurde er am 7.10.1939 zunächst apl., am 1.10.1943 dann planmäßiger ao. Prof. an der Universität Kiel. Während des Zweiten Weltkrieges war Böhmert als Prisenrichter an das Auswärtige Amt abgeordnet. Ab 1947 wieder in Kiel, war er nach dem Tode Hermann v. Mangoldts 1953–55 kommissarischer Institutsdirektor. Am 6.4.1955 erhielt er ein persönliches, im März 1962 ein reguläres Ordinariat und war von 1955 bis zu seiner Emeritierung 1970 Mitdirektor des Instituts für Internationales Recht. Er starb am 27.4.1975 in Kiel. Jur 1933–70. Werke (Auswahl): Die Straf- und Zwangsbefugnisse der nordamerikanischen gesetzgebenden Versammlungen und ihrer Untersuchungsausschüsse, 1927; Die Rechtsgrundlagen für Deutschlands Recht auf Abrüstung seiner Vertragsgegner, 1931; Die Rechtsgrundlagen der Beziehungen zwischen Danzig und Polen, 1933; Der Artikel 19 der Völkerbundsatzung, 1934; Die rechtliche Unzulässigkeit der Verwendung französischer Truppen im

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Saargebiet, 1934 (mit C. Rühland); Die Fischereigrenzen des Nordens, Band 1, 1940; Meeresfreiheit und Schelfproklamationen, 3 Teile, JIR 5 (1954), 1ff, 177ff., JIR 6 (1955), 7ff. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II B b 14; Wiener, op. cit., 88ff; Nathalie Rücker (in diesem Band), 100ff.

28. Paul Ritterbusch (1900–1945): Paul Wilhelm Heinrich Ritterbusch wurde am 25.3.1900 in Zschakau (Kreis Torgau) geboren. 1925 in Leipzig Promotion zum Dr. jur. („Regierung und Volk in England“), bei Richard Schmidt, der auch die Habilitation betreute (1928, „Souveränität im englischen Staatsrecht“). 1933 wurde Ritterbusch, NSDAP-Anhänger seit den 1920er Jahren und Parteimitglied seit 1932, zum o. Prof. in Königsberg ernannt, wo er das Institut für Politik, ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht leitete. 1936–41 o. Prof. für Verfassung, Verwaltung, Völkerrecht und Rechtsphilosophie in Kiel und Direktor des aus der Fusion seines Königsberger Instituts mit dem Kieler Institut hervorgegangenen Instituts für Politik und internationales Recht. 1937–41 Rektor der „Grenzlanduniversität“ Kiel und Führer des NSDB; Fachgruppenleiter der Hochschullehrer im NS-Rechtswahrerbund, Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, Reichsobmann der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung. Als Min.-Dirigent im Reichserziehungsministerium ab 1940 mit dem „Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaften“ betraut („Aktion Ritterbusch“), wechselte Ritterbusch 1941 an die Berliner Universität. Am 26.4.1945 nahm er sich vor den heranrückenden alliierten Truppen in der Dübener Heide das Leben. Jur 1936–41. Werke (Auswahl): Regierung und Volk in England, 1925; Parlamentssouveränität und Volkssouveränität in der Staats- und Verfassungsrechtslehre Englands, vornehmlich in der Staatslehre Daniel Defoes, 1929; Der Verfassungskompromiss von Weimar, das Experiment der Präsidialregierung und die nationalsozialistische Staatsidee, 1932 (Pseudonym „Willi Ritterbusch“); Deutsche Universität und Einheit des deutschen Geistes, 1937; Demokratie und Diktatur. Über Wesen und Wirklichkeit des westeuropäischen Parteienstaates, 1939; (Hg.) Politische Wissenschaft, 1940; (Hg.) FS 275 Jahre Christian-Albrechts-Universität Kiel, 1940 (mit H. Löhr u.a.); Wissenschaft im Kampf um Reich und Lebensraum, 1942. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II A 115; Döhring, op. cit., 215ff; Jörn Eckert, Was war die Kieler Schule?, in: Säcker (Hg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus, 1992, 37 ff (48 ff); Frank-Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940–1945), 1998; Martin Otto, NDB 21 (2003), 668ff; Nathalie Rücker (in diesem Band), 109ff.

29. Hermann Held (1890–1963): Hermann Josef Held, geboren am 28.12.1890 in Freiburg, studierte Jura in Freiburg, Heidelberg und Cambridge. Nach seiner Rückkehr aus englischer Internierung promovierte er 1920 bei Woldemar v. Rohland in Freiburg zur „Rechtsstellung der feindlichen Zivilpersonen in England unter besonderer Berücksichtigung des Fremdenrechts“. Ab dem 1.9.1920 war Held in Kiel Assistent am Institut für Internationales Recht, wechselte aber bereits zum März 1921 als Dezernent an das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr (bis 1937). Er habilitierte sich, betreut von dessen Direktor Bernhard

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Harms, an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät am 25.5.1927 mit der Schrift „Der Wirtschaftskrieg“. Er erhielt die Lehrbefugnis für Völkerrecht und internationales Recht, insbes. Weltwirtschaftsrecht. Nach Lehraufträgen (1938) und Dozentur (1940) wurde Held, dessen „persönlich[e] Beziehungen zu fast allen Fakultätsmitgliedern entweder völlig abgebrochen oder doch sehr getrübt“ waren (Dekan an Ministerium am 28.4.1938, bei Wiener, op. cit., 144), am 7.2.1942 an der Christiana Albertina zum apl. Prof. für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, internationales Recht und ausländisches Recht ernannt. Im Dez. 1955 Ernennung zum Wiss. Rat, 1956 pensioniert. Held las Völkerrecht zwischen 1922 und 1942 regelmäßig, nach dem Weltkrieg nur noch vereinzelt. Er starb am 8.9.1963 in Malente. Jur 1922–42. Werke (Auswahl): Unter dem Friedensvertrag von Versailles nach Locarno und Genf, JöR 15 (1927), 313ff; Das Fundamentalproblem der Wissenschaft vom Staate, ZÖR 7 (1928), 251ff; Volk, Recht und Staat im Lichte deutscher Rechtserneuerung, 1935; Wirtschaftliche Gleichberechtigung, 1937; Die Überwindung des „Friedensvertrags von Versailles“ durch die deutsche Völkerrechtspolitik 1933–1938, JöR 25 (1938), 418ff; Verfassungsund Verwaltungsrecht in Schleswig-Holstein, 1951. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II E 10; Henning Ibs, Hermann J. Held (1890–1963). Ein Kieler Gelehrtenleben in den Fängen der Zeit, 2000; Wiener, op. cit., 143f; Nathalie Rücker (in diesem Band), 107.

30. Hermann v. Mangoldt (1895–1953): Hermann Hans v. Mangoldt, geboren am 18.11.1895 in Aachen, aufgewachsen in Danzig, wechselte nach Marinedienst und Abbruch eines Studiums des Bauingenieurwesens in Danzig 1919 zur Wasserschutzpolizei. Parallel zu seiner Tätigkeit im Polizeidienst studierte er in Königsberg Rechtswissenschaft. 1928 wurde v. Mangoldt dort promoviert („Grundprobleme des deutschen öffentlichen Binnenschiffahrtsrechtes“) und 1934 unter Betreuung von Ernst v. Hippel habilitiert („Geschriebene Verfassung und Rechtssicherheit in den Vereinigten Staaten von Amerika“). 1935 apl. Prof. in Königsberg, 1936–39 ao., 1939–41 o. Prof. in Tübingen, 1941–43 o. Prof. in Jena. 1943 Berufung zum o. Prof. für Verfassungs-, Verwaltungs-, Völkerrecht und Staatsphilosophie in Kiel und Direktor des Instituts für Internationales Recht (Amtsantritt Nov. 1944). 1946–50 Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags, Juni– Nov. 1946 Innenminister, 1948–49 Mitglied des Parlamentarischen Rates. Hermann v. Mangoldt starb an den Folgen eines Unfalls am 24.2.1953 in Kiel. Jur 1944–53. Werke (Auswahl): Geschriebene Verfassung und Rechtssicherheit in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1934; Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1938; Das Kriegsverbrechen und seine Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart, JIAÖR 1 (1948), 283ff; San Francisco Charta der Vereinten Nationen, 1948; Die Kriegsziele der Vereinten Nationen und das Völkerrecht der Nachkriegszeit, 1948; Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 1953. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II A 127; Angelo O. Rohlfs, HvM (1985–1953). Das Leben des Staatsrechtlers vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik, 1997; Heinrich Ama-

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deus Wolff, HvM (1895–1953), in: Häberle/Kilian/Wolff, op. cit., 457ff; Wilhelm Knelangen (in diesem Band); ders., HvM (1895–1953), in: v. Arnauld/Augsberg/MeyerPritzl, op. cit. (i.V.).

31. Georg Dahm (1904–1963): Georg Ferdinand Gustav Dahm wurde am 10.1.1904 in Altona geboren. Nach Studium in Tübingen, Hamburg und Kiel wurde er 1927 in Heidelberg mit einer von Gustav Radbruch betreuten Arbeit zu Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht promoviert. Ebenfalls unter Betreuung von Radbruch entstand die Heidelberger Habilitationsschrift zum „Strafrecht Italiens im ausgehenden Mittelalter“ (1930). 1933 wurde Dahm (NSDAP-Mitglied seit 1933) als o. Prof. für Strafrecht und Kriminalistik nach Kiel berufen, wo er als Angehöriger der „Kieler Schule“ zum Aufbau der neuen NS-„Stoßtruppfakultät“ beitragen sollte (1935–37 Rektor). 1939 Wechsel nach Leipzig, 1941 an die „Reichsuniversität“ Straßburg (Prorektor), 1944–45 Lehrauftrag an der Universität Berlin. Nach dem Weltkrieg aus dem Lehrbetrieb entfernt, arbeitete Dahm zunächst als Rechtsanwalt in Kiel und ging 1951–55 als Professor an die Universität Dhaka (Indien, heute Pakistan). 1955–63 kehrte er als o. Prof. für Rechtsenzyklopädie, Rechtsvergleichung und Geschichte der Rechtswissenschaft an die Christiana Albertina zurück, wo er im Schwerpunkt Lehrveranstaltungen zum Völkerrecht anbot. Dahm starb am 30.7.1963 in Kiel. Jur 1955–63. Werke (Auswahl): Täterschaft und Teilnahme im amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches, 1927; Das Strafrecht Italiens im ausgehenden Mittelalter, 1931; Liberales oder autoritäres Strafrecht, 1933 (mit Friedrich Schaffstein); (Hg.) Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, 1935 (mit K. Larenz u.a.); Gemeinschaft und Strafrecht, 1935; Der Tätertyp im Strafrecht, 1940; Deutsches Recht, 1944 (1951, 1963); Zur Problematik des Völkerstrafrechts, 1956; Völkerrecht, 3 Bde., 1958–61; Die Stellung des Menschen im Völkerrecht unserer Zeit, 1961. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II A 110; Christian-Friedrich Menger (Hg.), GD. Reden zu seinem Gedächtnis, 1964; Erich Döhring, BioLexSH 2 (1971), 119ff; Hans Hattenhauer, GD und Gustav Radbruch, Juristische Zeitgeschichte 6 (2004/05), 311ff; Friedrich Schaffstein, Erinnerungen an GD, Juristische Zeitgeschichte 7 (2005/06), 173ff; Jörn Eckert, GD (1904–1963), in: Eckart Klein u.a. (Hg.), Zwischen Rechtsstaat und Diktatur, 2006, 131ff; Wiener, op. cit., 71ff; Rudolf Meyer-Pritzl (in diesem Band); Dennis Bock, GD (1904–1963). Die „Kieler Schule“ und das Strafrecht, in: v. Arnauld/Augsberg/MeyerPritzl, op. cit. (i.V.).

32. Eberhard Menzel (1911–1979): Am 21.1.1911 in Ulm geboren, studierte Eberhard Wilhelm Ludwig Menzel Rechts- und Staatswissenschaften in Tübingen, Berlin und Frankfurt. 1935–39 Referendariat. Bei Friedrich Giese in Frankfurt 1940 Promotion, 1943 Habilitation (beide zur „Englischen Lehre vom Wesen der Völkerrechtsnorm“). 1947 Assistent an der Forschungsstelle für Völkerrecht in Hamburg, 1952 apl. Prof. an der Universität Hamburg, 1955–75 o. Prof. für Öffentliches Recht in Kiel und geschäftsführender Direktor des Instituts für Internationales Recht. Aus gesundheitlichen Gründen ab 1973 beurlaubt, 1975 Versetzung in den Ruhestand. Am 1.6.1979 starb Eberhard Menzel in Kiel. Jur 1955–73.

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Werke (Auswahl): Grundlagen des neuen Staatsdenkens, 1934; Vom deutschen Völkerrechtsdenken der Gegenwart, 1938 (mit F. Giese); Die englische Lehre vom Wesen der Völkerrechtsnorm, 1942; Die deutsche Westgrenze nach dem Zweiten Weltkrieg, 2 Teile, Europa-Archiv 4 (1949), 2499ff, 6 (1951), 4259ff; Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, VVDStRL 12 (1954), 179ff; Legalität oder Illegalität der Anwendung von Atomwaffen, 1960; Völkerrecht. Ein Studienbuch, 1962; Der deutsche Festlandsockel in der Nordsee und seine rechtliche Ordnung, AöR 90 (1965), 1ff; Der Kieler Entwurf zur Notstandsverfassung, DÖV 1968, 297ff; (Hg.) Ostverträge, Berlin-Status, Münchener Abkommen, Beziehungen zwischen der BRD und der DDR, 1971. Literatur: Jost Delbrück, Nachruf, CA 11 (1979), 193ff; Reden in memoriam EM, 1981; Andreas v. Arnauld/Angelika Stark (in diesem Band).

33. Wilhelm A. Kewenig (1934–1993): Wilhelm Alexander Gerhard Kewenig wurde 20.6.1934 in Köln geboren und studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Bonn, Freiburg, Paris und Köln. Nach einem Studienaufenthalt in Beirut (1958–59) wurde er 1962 in Köln zur „Koexistenz der Religionsgemeinschaften im Libanon“ promoviert. 1967 LL.M. Cambridge. 1969 Habilitation in Bonn mit der von Ulrich Scheuner betreuten Arbeit „Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen“. 1971–81 war Kewenig o. Prof. für Öffentliches Recht und Ko-Direktor des Instituts für Internationales Recht, 1974–75 Rektor, 1976–79 beurlaubt als Vorsitzender des Wissenschaftsrates. 1981–89 Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin, wechselte Kewenig in die Berliner Landespolitik (1981–86 Wissenschafts-, 1986–89 Innensenator). Anschließend als Rechtsanwalt in Frankfurt a.M. tätig. Am 18.6.1993 starb Kewenig in Frankfurt. Jur 1971–81. Werke (Auswahl): Die Koexistenz der Religionsgemeinschaften im Libanon, 1965; Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung am Beispiel der Arbeit der Bundestagsausschüsse, 1970; Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, 1972; (Hg.) FS Ulrich Scheuner, 1973 (mit H. Ehmke u.a.); (Hg.) Die Vereinten Nationen im Wandel, 1975; (Hg.) Völkerrecht und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1978; Die Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen im Völkerrecht und mit Internationalem Privatrecht, BDGVR 22 (1982), 7ff. Literatur: Jost Delbrück, Nachruf, CA 37 (1993), 417f; ders., In memoriam Professor Dr. WAK, GYIL 36 (1993), 9ff; Siegfried Magiera/Karl M. Meessen/Hans Meyer, WAK, in: Politik und Recht. Gedächtnissymposion für WAK, 1996, 7ff.

34. Jost Delbrück (*1935): Jost Wilhelm Ernst Delbrück wurde am 3.11.1935 in Pyritz (Pommern) geboren und studierte 1955–58 in Kiel, Marburg und Tübingen. Nach dem LL.M.-Studium in Bloomington (Indiana) promovierte er in Kiel bei Georg Dahm zur „Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen“ (29.6.1963). Als Assistent am Institut für Internationales Recht habilitierte sich Delbrück am 9.1.1971 in Kiel bei Eberhard Menzel zu „Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen“. 1972 wurde er als o. Prof. an die Universität Göttingen berufen, kehrte aber bereits 1976 als Nachfolger Menzels nach Kiel zurück. Bis zu seiner Emeritierung 2001 war Delbrück o. Prof. und Direktor des Instituts für

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Internationales Recht (ab 1995: Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht) an der Universität Kiel, deren Rektor er 1985–89 war. Delbrück ist Ehrendoktor der University of Indiana in Bloomington (2002) sowie der Universität Magdeburg (2002). Jur 1976–2001. Werke (Auswahl): Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen, 1971; (Hg.) Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979; (Hg.) Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten, 2 Bde., 1984; Multilaterale Staatsverträge „erga omnes“ und deren Inkorporation in nationale IPR-Kodifikationen, BDGVR 27 (1986), 147ff; Georg Dahm, Völkerrecht, Band 1, Teilbände 1–3, 1989–2002 (2. Aufl., mit R. Wolfrum); (Hg.) Allocation of Law Enforcement Authority in the International System, 1995; Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996; (Hg.) New Trends in International Lawmaking, 1997; (Hg.) International Law of Cooperation and State Sovereignty, 2002; Die internationale Verkehrsordnung, 2015. Literatur: Stephan Hobe u.a., A Tribute to JD on the Occasion of his 70th Birthday, GYIL 48 (2005), 9ff.

35. Wilfried Fiedler (*1940): Wilfried Fiedler, geboren am 22.12.1940 in Hohenstadt (Mähren) wurde 1970 in Freiburg unter Betreuung von Konrad Hesse mit der Arbeit „Staatskontinuität und Verfassungsrechtsprechung“ zum Dr. jur. promoviert und 1976 auf Grundlage einer ebenfalls von Hesse betreuten Schrift zu „Funktion und Bedeutung öffentlich-rechtlicher Zusagen im Verwaltungsrecht“ habilitiert. In Vertretung des beurlaubten Wilhelm A. Kewenig war Fiedler in Kiel 1977–84 Prof. für Öffentliches Recht und Mit-Direktor des Instituts für Internationales Recht. 1984–2002 Lehrstuhl für Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Völkerrecht an der Universität des Saarlandes. Träger des Bundesverdienstkreuzes (2007). Jur 1977–84. Werke (Auswahl): Staatskontinuität und Verfassungsrechtsprechung, 1970; Sozialer Wandel, Verfassungswandel, Rechtsprechung, 1972; Funktion und Bedeutung öffentlich-rechtlicher Zusagen im Verwaltungsrecht, 1977; Das Kontinuitätsproblem im Völkerrecht, 1978; (Hg.) Die erste deutsche Nationalversammlung 1848/49, 1980; Das Bild Hermann Hellers in der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 1994; Gegenmaßnahmen, BDGVR 25 (1998), 9ff; Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), 199; Bibliographie zum Recht des internationalen Kulturgüterschutzes, 2003 (mit S. Turner).

36. Rüdiger Wolfrum (*1941): Am 13.12.1941 in Berlin geboren, studierte Wolfrum Rechtswissenschaft in Tübingen und Bonn. Promotion 1973 („Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz“) und Habilitation 1980 („Die Internationalisierung staatsfreier Räume“) in Bonn unter Betreuung von Karl Josef Partsch. 1982 Prof. für Öffentliches Recht und Völkerrecht in Mainz, 1982–93 Lehrstuhl für Öffentliches Recht in Kiel und Ko-Direktor des Instituts für Internationales Recht. 1993–2012 Prof. an der Universität Heidelberg und Ko-Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Seit 1996 Richter des Internationalen Seegerichtshofs, 2005–08 dessen Präsident. Seit 2013 Geschäftsführer der Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit. Ehrendoktor der Russischen

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Akademie der Wissenschaften (1999) und des Shihutug College in Ulan Bator (1999). Großes Bundesverdienstkreuz (2008). Jur 1982–93. Werke (Auswahl): Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974; (Hg.) Handbuch Vereinte Nationen, 1977 (1991, engl. 1995); Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 1984; (Hg.) Antarctic Challenge, 3 Bde., 1984–88; Georg Dahm, Völkerrecht, Band 1, Teilbände 1–3, 1989–2002 (2. Aufl., mit J. Delbrück); Recht der Flagge und „Billige Flaggen“, BDGVR 31 (1990), 121ff; (Hg.) Law of the Sea at the Crossroads, 1991; Kontrolle der auswärtigen Gewalt, VVDStRL 56 (1997), 38ff; Means of Ensuring Compliance with and Enforcement of International Environmental Law, RdC 272 (1998), 13ff; Conflicts in International Environmental Law, 2003 (mit N. Matz); (Hg.) Max Planck Commentaries on World Trade Law, 2006ff; (Hg.) Solidarity. A Structural Principle of International Law, 2010; (Hg.) The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, 2012ff. Literatur: Holger Hestermeyer u.a., A Tribute to RW, in: Hestermeyer u.a. (Hg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity. Liber Amicorum RW, Vol. 1, 2012, xxvff.

37. Rainer Hofmann (*1953): Rainer Hofmann, geboren am 29.6.1953 in Heidelberg, studierte Geschichte und Rechtswissenschaft in Freiburg, Lausanne und Heidelberg. Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht seit 1982, wurde er in Heidelberg 1986 mit einer Arbeit zur Ausreisefreiheit promoviert, 1992 mit der Schrift „Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte“ habilitiert (Betreuer: Rudolf Bernhardt). Nach Lehrstuhlvertretungen, u.a. in Kiel (1993–94), 1994–97 Prof. für Öffentliches Recht und Völkerrecht in Köln, 1997–2004 Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völker- und Europarecht in Kiel und Ko-Direktor des WaltherSchücking-Instituts für Internationales Recht. Seit 2004 Prof. für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht und Ko-Direktor des Wilhelm-Merton-Zentrums für europäische Integration und internationale Wirtschaftsordnung an der Universität Frankfurt a.M. Jur 1993–94, 1997–2004. Werke (Auswahl): Die Ausreisefreiheit nach Völkerrecht und staatlichem Recht, 1988; Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 1994; Minderheitenschutz in Europa. Völker- und staatsrechtliche Lage im Überblick, 1995; (Hg.) Rechtsstaatlichkeit in Europa, 1996 (mit M.L. Amaral); (Hg.) Armut und Verfassung, 1998 (mit P. Holländer u.a.); (Hg.) Non-State Actors as New Subjects of International Law, 1999; Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, BDGVR 29 (2007), 1ff; (Hg.) International Investment Law and Its Others, 2012 (mit C. Tams); (Hg.) Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, 2015 (mit D. Angst u.a.).

38. Andreas Zimmermann (*1961): Am 18.6.1961 in Tübingen geboren, studierte Zimmermann Rechtswissenschaft in seiner Heimatstadt und in Aix-enProvence. 1989 LL.M. Harvard. 1992–99 Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. In Heidelberg 1994 Promotion zum Grundrecht auf Asyl, 1999 Habilitation zur Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge (Betreuer: Jochen Abr. Frowein). 2001–09 in Kiel Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerrecht, Europarecht und Allge-

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meine Staatslehre und Ko-Direktor des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht. Seit 2009 Prof. für Öffentliches Recht, insbesondere Europa- und Völkerrecht an der Universität Potsdam und Ko-Direktor des dortigen Menschenrechtszentrums. Jur 2001–09. Werke (Auswahl): Das neue Grundrecht auf Asyl, 1994; Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, 2000; (Hg.) Dispute Settlement in Internationale Law. Texts and Materials, 2 Bde., 2001 (mit K. Oellers-Frahm); (Hg.) International Criminal Law and the Current Development of Public International Law, 2003; (Hg.) The Statute of the International Court of Justice. A Commentary, 2006 (2012; mit K. Oellers-Frahm u.a.); Die Wirksamkeit rechtlicher Hegung militärischer Gewalt, BDGVR 44 (2009), 7ff.; (Hg.) The 1951 Convention Relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol. A Commentary, 2011.

39. Thomas Giegerich (*1959): Thomas Giegerich wurde am 15.3.1959 in Wiesbaden geboren und studierte in Mainz Rechtswissenschaft. 1985 LL.M. University of Virginia. 1991 Promotion bei Eckart Klein in Mainz („Privatwirkung der Grundrechte in den USA“). 1993–2001 Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. 2001 Habilitation in Heidelberg bei Helmut Steinberger („Europäische Verfassung und deutsche Verfassung im transnationalen Konstitutionalisierungsprozeß“). 2002–06 Lehrstuhl für öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Europarecht und Völkerrecht an der Universität Bremen, 2006–12 Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerund Europarecht in Kiel und Ko-Direktor des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht. Seit 2012 Prof. für Europarecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität des Saarlandes sowie Ko-Direktor des EuropaInstituts Saarbrücken. Jur 2006–12. Werke (Auswahl): Privatwirkung der Grundrechte in den USA, 1992; Europäische Verfassung und deutsche Verfassung im transnationalen Konstitutionalisierungsprozeß, 2003; (Hg.) The EU Accession of Cyprus, 2006; (Hg.) A Wiser Century? Judicial Dispute Settlement, Disarmament and the Laws of War 100 Years after the Second Hague Peace Conference, 2007; (Hg.) Krisenherde im Fokus des Völkerrechts, 2010 (mit A. Proelß); (Hg.) Der „offene Verfassungsstaat“ des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010; (Hg.) Internationales Wirtschafts- und Finanzrecht in der Krise, 2011; (Hg.) Herausforderungen und Perspektiven der EU, 2012; (Hg.) Räume im Völker- und Europarecht, 2014 (mit K. Odendahl).

40. Alexander Proelß (*1973): Proelß, geboren am 9.9.1973 in Bremen, wurde 2003 nach einem Studium der Rechtswissenschaft in Bonn und Tübingen in Tübingen zum Dr. jur. promoviert („Meeresschutz im Völker- und Europarecht“, Betreuer: Wolfgang Graf Vitzthum). 2007–10 erster Inhaber der neu geschaffenen Professur für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Seerecht im Rahmen des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ und Ko-Direktor des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel. 2010 Habilitation in Tübingen bei Graf Vitzthum („Bundesverfassungsgericht und internationale Gerichtsbarkeit“). Seit 2010 Lehrstuhl für öffentliches Recht, insbesondere

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Völkerrecht und Europarecht an der Universität Trier, Mitdirektor des Instituts für Umwelt- und Technikrecht. Jur 2007–10. Werke (Auswahl): Meeresschutz im Völker- und Europarecht. Das Beispiel des Nordostatlantiks, 2004; (Hg.) Krisenherde im Fokus des Völkerrechts, 2010 (mit T. Giegerich), 2010; (Hg.) Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts durch Völker- und Europarecht, 2012 (mit T. Giegerich); Die Genehmigung wissenschaftlicher Forschung in der Antarktis im Lichte von Umweltschutz und Forschungsfreiheit, 2013 (mit E. Blitza, J. Oliva); Völkerrecht, 2013 (mit Graf Vitzthum, 2016); Bundesverfassungsgericht und überstaatliche Gerichtsbarkeit. Mechanismen zur Verhinderung und Lösung von Jurisdiktionskonflikten, 2014.

41. Kerstin Odendahl (*1968): Kerstin Odendahl wurde am 22.11.1968 in Hamburg geboren und wuchs in Mexico City und Leverkusen auf. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Bonn, Aix-en-Provence und Trier wurde sie in Trier unter der Betreuung von Gerhard Robbers mit der Arbeit „Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität“ 1997 promoviert, 2004 mit einer Schrift zum Kulturgüterschutzrecht habilitiert. 2004–11 Inhaberin des Lehrstuhls für Völker- und Europarecht an der Universität St. Gallen, seit 2011 Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerrecht, Europarecht und Allgemeine Staatslehre und Ko-Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel. Jur ab 2011. Werke (Auswahl): Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 1998; Völkerrecht. Sammlung höchstrichterlicher Rechtsprechung, 1999 (mit G. Odendahl); Kulturgüterschutz. Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, 2005; Der Schutz von Kulturgütern bei militärischen Konflikten auch aus privatrechtlicher Sicht, BDGVR 44 (2009), 113ff; Völkerrecht – in a nutshell, 2012; (Hg.) Internationales und europäisches Atomrecht, 2013; (Hg.) Räume im Völker- und Europarecht, 2014 (mit T. Giegerich); Rechtliche Steuerung von Migration im Mehrebenensystem, VVDStRL 76 (2017) (i.V.).

42. Nele Matz-Lück (*1973): Geboren am 13.12.1973 in Hamburg, studierte Nele Matz-Lück Rechtswissenschaft in Trier, Lausanne und Heidelberg. 2000 LL.M. University of Wales/Aberystwyth. 2003 Promotion in Heidelberg mit der von Rüdiger Wolfrum betreuten Arbeit „Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge“. 2004-11 Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Seit 2011 Professur für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Seerecht in Kiel und Ko-Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht. Seit 2014 zudem Professorin im Nebenamt, Jebsen Centre for the Law of the Sea, Universität Tromsø, Norwegen, und stellvertretendes Mitglied des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holstein. Jur ab 2011. Werke (Auswahl): Conflicts in International Environmental Law, 2003 (mit R. Wolfrum); Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge, 2005; International Law Today. New Challenges and the Need for Reform?, 2008 (mit D. König u.a.); Law of the Sea in Dialogue, Berlin u.a. 2011 (mit H. Hestermeyer u.a.); (Hg.) Coexistence, Cooperation and Solidarity. Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, 2 Bde., 2012 (mit H. Hestermeyer u.a.).

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43. Andreas v. Arnauld (*1970): Andreas v. Arnauld de la Perrière, geboren in Hamburg am 17.10.1970, wurde nach Studium in Hamburg und Bonn und Assistententätigkeit am dortigen Institut für Internationale Angelegenheiten 1998 an der Universität Hamburg mit einer Arbeit zur Grundrechtsdogmatik promoviert (Betreuer: Ingo v. Münch). Habilitation 2005 an der Freien Universität Berlin bei Albrecht Randelzhofer mit einer Arbeit zur Rechtssicherheit. 2007–12 Professur für Öffentliches Recht, insbes. Völker- und Europarecht an der HelmutSchmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, 2012–13 Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbes. Völker- und Europarecht in Münster, seit 2013 Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völker- und Europarecht und KoDirektor des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel. Jur ab 2013. Werke (Auswahl): Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999; (Hg.) Recht und Spielregeln, 2003; Rechtssicherheit, 2006; (Hg.) Systematischer Kommentar zu den LissabonBegleitgesetzen, 2011 (mit U. Hufeld); Völkerrecht, 2012 (2014, 2016); (Hg.) Accountability of Peacekeepers [= Friedens-Warte 88 (2013), H. 3–4] (mit S. Buszewski u.a.); (Hg.) Europäische Außenbeziehungen, 2014; Die Öffnung der öffentlich-rechtlichen Methode durch Internationalität und Interdisziplinarität, VVDStRL 74 (2015), 39ff; Freiheit und Regulierung in der Cyberwelt. Transnationaler Schutz der Privatsphäre aus Sicht des Völkerrechts, BDGVR 46 (2016), 1ff; (Hg.) Völkerrechtsgeschichte(n). Historische Narrative und Konzepte des Völkerrechts im Wandel, 2017; (Hg.) Völkerrecht in Kiel, 2017.

* Hinweis: Nicht aufgenommen wurden Professoren, die nur kurz oder ganz vereinzelt Völkerrecht in Kiel gelehrt haben. An der Juristischen Fakultät: Amandus Christian Dorn (1711–1765, o. Prof. 1737–65, las Völkerrecht im SS 1741, WS 1741/42, SS 1750, WS 1758/59), Johann Dietrich Mellmann (1746–1801, o. Prof. 1773–1801, WS 1783/84, SS 1784, WS 1799/1800), Carl Theodor Welcker (1790–1869, ao. Prof. 1814–15, o. Prof. 1815–16, WS 1815/16), Marcus Tönsen (1772–1861, o. Prof. 1816–50, WS 1817/18, WS 1820/21, WS 1821/22), Karl Samwer (1819–1882, ao. Prof. 1849–52, WS 1850/51), Wilhelm Eduard Wilda (1800–1856, o. Prof. 1854–56, WS 1855/56), Adolph Frantz (1851–1908, ao. Prof. 1889–94, o. Prof. 1894– 1908, SS 1895, SS 1897, SS 1900), Walter Jellinek (1885–1955, ao. Prof. 1913– 19, o. Prof. 1919–29, WS 1919/20) und Karl Josef Partsch (1914–1996, o. Prof. 1957–60, SS 1958). An der Philosophischen Fakultät: Johann Jacob Quistorp (1717–1766, ao. Prof. 1743–47, WS 1744/45, SS 1746, WS 1746/47) und Gustav Zimmermann (1808–1874, o. Prof. 1853–54, WS 1853/54). Zu völkerrechtlichen Bezügen der Politikwissenschaft las 1953–55, 1958–59 und im WS 1960/61 auch Michael Freund (1902–1972, ao. Prof. 1951–56, o. Prof.

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für Geschichte und Wissenschaft der Politik); zur sowjetischen Völkerrechtsdoktrin und -praxis sowie zum internationalen Wirtschaftsrecht der RGW-Staaten lasen zudem regelmäßig die Professoren für Ostkunde (Ostrecht) Boris Meissner (1915–2003, o. Prof. 1959–64), Dietrich André Loeber (1923–2004, o. Prof. 1966– 89) und Wolfgang Seiffert (1926–2009, als Gastprof. 1977–78, als apl. Prof. 1990–94).

Völkerrechtliche Habilitationen in Kiel* Von Andreas v. Arnauld [01] Karl Heinrich Reinhold (1788–1816): Karl Heinrich Reinhold, am 3.8.1788 als Sohn von Karl Leonhard Reinhold (= Kieler Professoren des Völkerrechts, Nr. 15) in Jena geboren, wurde 1815 in Kiel zum Dr. jur. promoviert und im selben Jahr zum Universitätssyndikus ernannt. 1814 Priv.-Doz. Bis zu seinem frühen Tod am 27.4.1816 in Kiel unterrichtete er an der Juristischen Fakultät das Natur- und Völkerrecht. Werke: Dissertatio inauguralis De consuetudinis vi ac natura, 1815; Blick auf die beiden Streitschriften gegen unsre künftige Landständschaft, 1816. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 14.

[02] Momme Heseler Steffens (1790–1849):Momme Heseler Steffens, geboren am 21.1.1790 in Tondern, studierte ab 1811 in Kiel und Heidelberg. 1817 Dr. jur. Heidelberg, 1818 Staatsexamen (1. Charakter) in Schleswig. Ab 1819 lehrte Steffens in Kiel als Priv-Doz. für Zivil- und Kriminalprozeß regelmäßig auch das Natur- und Völkerrecht. 1829 übernahm er das Amt eines Hardesvogt der Norder- und Ekenharde in Norburg (Alsen). Steffens setzte sich als Vertrauter des Herzogs von Augustenburg für dessen Erbansprüche und für den Erhalt des Deutschen als Rechtssprache in Schleswig ein. 1840–46 Abgeordneter der schleswigschen Ständeversammlung. 1848 von den dänischen Behörden abgesetzt, wurde er im Jan. 1849 mit reduzierter Pension entlassen. Steffens starb kurz darauf am 14.3.1849 in Hamburg. Werke (Auswahl): Dissertatio inauguralis De contumaciae indole in causis exercendis civilibus, 1817; De principiis, ex quibus dijudicanda sit contumacia in causis civilibus commissa, 1818; Offene Erwiderung zur Vertheidigung gegen die Ausfälle der antideutschen Parthei auf die deutsche Gerichts- und Protokollsprache und die auf deutschen Universitäten gebildeten Beamten im nördlichen Schleswig, 1840.

_____________ * Die Zusammenstellung berücksichtigt alle Kieler Habilitationen mit völkerrechtlichem Bezug. Erfasst sind auch Personen, die nur am Rande Völkerrecht unterrichtet (z.B. Nr. 5) oder zum Völkerrecht publiziert haben (z.B. Nr. 7), ebenso wie eine wirtschaftswissenschaftliche und eine politikwissenschaftliche Habilitation mit engem Bezug zum Völkerrecht und dem Kieler Institut für Internationales Recht (Nr. 17, 25). Unter [01] bis [04] aufgeführt sind Personen, die im 19. Jahrhundert als Privatdozenten „alten Rechts“, d.h. ohne Habilitation, Völkerrecht unterrichteten.

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Literatur: MHS, in: Detlev Lorenz Lübker/Hans Schröder, Lexikon der Schleswig-HolsteinLauenburgischen und Eutinischen Schriststeller von 1796 bis 1828, Bd. 2, 1829, 581; Knud Fabricius, MHS, Dansk Biografisk Leksikon, 2. Aufl. 1933–44; Volbehr/Weyl, op. cit., II F 15.

[03] Lorenz (Edler v.) Stein (1815–1890): siehe Kieler Professoren des Völkerrechts, Nr. 17. [04] Adam Vöge (1828–1880): Vöge wurde am 10.3.1828 in Lutterbek (Kreis Plön) geboren und nach dem Studium der Rechte 1855 in Kiel zum Dr. jur. promoviert. 1856 Priv-Doz., 1876 pensioniert. Er las von 1859 bis 1880 zunächst einmal jährlich, dann (ab 1865) jedes Semester Völkerrecht. 1862 Advokat in Kiel, 1868 Erster Kustos an der Universitätsbibliothek. Vöge starb am 12.7.1880 in Stein (Probstei). Werk: Dissertatio inauguralis De origine et natura eorum quae apud veteres Romanos per aes et libram fiebant, 1856. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 30.

1. Heinrich Otto Lehmann (1852–1904): siehe Kieler Professoren des Völkerrechts, Nr. 19. 2. Eugen Leidig (1861–1935): Eugen Leidig, am 16.10.1861 in Danzig geboren und 1885 nach einem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften (Heidelberg, Leipzig) in Leipzig mit der Schrift „Preußisches Stadtrecht“ promoviert, habilitierte sich am 2.2.1897 in Kiel (vermutlich bei Albert Hänel) für die Fächer Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Völkerrecht (später auch Kirchenrecht). Am 4.8.1906 wurde er Titularprof., legte sein Lehramt aber schon 1907 nieder. Zunächst im preußischen Staatsdienst (ab 1887, Regierungsrat 1900), wechselte Leidig 1902 zunächst als Geschäftsführer, ab 1908 als Syndikus zu verschiedenen Industrieverbänden. 1925 Mitglied des Ausschusses der Preußischen Staatsbank (Seehandlung). Als Mitglied der DVP gehörte er 1919–21 der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung und von 1921–32 dem Preußischen Landtag an. Er starb 1935. Werke (Auswahl): Preußisches Stadtrecht, 1891; Das Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891, 1892. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 37.

3. Kurt Perels (1878–1933): Kurt Ferdinand Lothar Perels, geboren am 9.3.1878 in Berlin als Sohn des Seerechtlers (und Dozenten an der Kieler Marineakademie) Ferdinand Perels (1836–1903), wechselte nach einem Studium in Kiel, Heidelberg und Berlin und seiner am 15.2.1900 erfolgten Berliner Promotion zu „Streitigkeiten Deutscher Bundesstaaten aufgrund des Artikels 76 der Reichsverfassung“ an die Universität Kiel, wo er am 12.1.1903 bei Albert Hänel mit der Schrift „Die allgemeinen Appellationsprivilegien für Brandenburg-Preußen“ habilitiert wurde. 1908 wurde er zunächst als ao. Prof. an die Universität

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Greifswald berufen und übernahm im folgenden Jahr eine o. Professur für öffentliches Recht und Kolonialrecht am Hamburger Kolonialinstitut. Mit Gründung der Universität Hamburg 1919 bekleidete Perels dort den Lehrstuhl für öffentliches Recht und wurde erster Dekan der Juristischen Fakultät. Ab 1922 war er zudem im Nebenamt Richter am Hanseatischen OLG und Mitglied des Hamburgischen OVG. Unter dem Druck seiner bevorstehenden Entlassung als „Nichtarier“ nach dem „Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ nahm sich Perels am 10.9.1933 das Leben. Werke (Auswahl): Das autonome Reichstagsrecht, 1903; Die allgemeine Appellationsprivilegien für Brandenburg-Preußen, 1908; Die Errichtung eines Kolonial- und KonsularGerichtshofes, 1910; Hamburgische Gesetze staats- und verwaltungsrechtlichen Inhalts, 1927. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 40; Hans Peter Ipsen, KP, AöR 83 (1958), 375ff; ders., KP, in: Lebensbilder hamburgischer Rechtslehrer, 1969, 69ff; Gert Nicolaysen u.a., Schicksal jüdischer Juristen in Hamburg im Dritten Reich, 1985, 29ff; Marlis Roß, Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder 1935. Die Patriotische Gesellschaft im Nationalsozialismus, 2007, 35f.

4. Erich Kaufmann (1880–1972): Erich Kaufmann, geboren am 21.9.1880 in Demmin, wurde nach einem Studium der Literaturgeschichte und Philosophie, dann der Rechtswissenschaft in Heidelberg und Freiburg 1906 in Halle bei Edgar Loening promoviert („Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzips“). Er habilitierte sich am 1.8.1908 mit der Arbeit „Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika“ bei Albert Hänel. Am 4.4.1912 in Kiel zum ao. Prof. für Öffentliches Recht, insbes. Staats- und Verwaltungsrecht und Allgemeine Rechtslehre ernannt, wechselte er bereits im Januar 1913 als Ordinarius nach Königsberg, 1917 an die Berliner Universität. 1920 zum o. Prof. in Bonn ernannt, wandte er sich der Rechtsberatung für das Auswärtige Amt zu. Seit 1927 im Hauptamt dessen Rechtsberater und Hon.-Prof., wurde er 1933 erneut o. Prof. in Berlin, 1934 jedoch aus rassistischen Gründen entlassen. Nach Flucht in die Niederlande 1938 kehrte Kaufmann 1946 nach Deutschland zurück und war ab 1947 o. Prof. und Leiter des Instituts für Völkerrecht an der Universität München. Nach Emeritierung 1950 war er bis 1958 erneut Rechtsberater des Auswärtigen Amtes sowie Hon.-Prof. in Bonn. Unter zahlreichen Ehrungen (Mitglied des Institut de Droit International, Mitglied und 1959 bis 1963 Kanzler des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste, Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland mit Stern und Schulterband, Ehrenpräsident der VDStRL) auch Ehrendoktor der Universitäten Kiel und München. Kaufmann starb am 11.11.1972 in Heidelberg. Werke (Auswahl): Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzips, 1906; Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1908; Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus, 1911; Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung, 1917; Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, 1921; Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der Reichsverfassung, VVDStRL 3 (1927), 2ff; Die Problematik des Volkswillens, 1931; Probleme der internationalen Gerichtsbarkeit, 1932;

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Règles générales du Droit de la Paix, RdC 54 (1935), 313ff; Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 9 (1952), 1ff; Gesammelte Schriften, 3 Bände, 1960. Literatur u.a.: Rudolf Smend, Zu EKs wissenschaftlichem Werk, Festgabe für EK, 1950, 391ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II B a 35; Hermann Mosler, EK zum Gedächtnis, ZaöRV 32 (1972), 235ff; Peter Lerche, EK, AöR 98 (1973), 115ff; Manfred Friedrich, EK, Staat 26 (1987), 231ff; Frank Degenhardt, Zwischen Machtstaat und Völkerbund. EK (1880– 1972), 2008; Jochen Rozek, EK (1880–1972), in: Peter Häberle/Michael Kilian/Heinrich A. Wolff (Hg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, 2014, 201ff.

5. Rudolf Smend (1882–1975): Carl Friedrich Rudolf Smend, geboren am 15.1.1882 in Basel als Sohn des Professors der Theologie Rudolf Smend (1851– 1913), wurde nach einem Studium in Basel, Berlin, Bonn und Göttingen 1904 in Göttingen mit der Dissertation „Die Preussische Verfassungsurkunde im Vergleich mit der Belgischen“ zum Dr. jur. promoviert. Er habilitierte sich am 25.8.1908 bei Albert Hänel mit der Arbeit „Das Reichskammergericht: Geschichte und Verfassung“ für die Fächer Staats- und Kirchenrecht. 1909 nahm er einen Ruf als ao. Prof. nach Greifswald an und wechselte als o. Prof. an die Universitäten Tübingen (1911), Bonn (1915) und schließlich Berlin (1922); zumindest in Greifswald und Tübingen lehrte er auch Völkerrecht. Seinen Berliner Lehrstuhl musste Smend auf Druck des Reichserziehungsminsteriums 1935 zugunsten Reinhard Höhns aufgeben. Er wurde an die Universität Göttingen versetzt, der er bis zu seinem Tode verbunden blieb. 1944–49 Präsident der Göttinger Akademie der Wissenschaften und von 1946 bis zu seiner Emeritierung 1951 Gründungsdirektor des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD. Smend erhielt neben anderen Ehrungen (u.a. Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland mit Stern) vier Ehrendoktorwürden (u.a. Freie Universität Berlin 1962, Tübingen 1967) und starb am 5.7.1972 in Göttingen. Werke (Auswahl): Das Reichskammergericht. Geschichte und Verfassung, 1911; Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, FS Otto Mayer, 1916, 247ff; Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, FS Wilhelm Kahl, 1923, 1ff; Das Recht der freien Meinungsäußerung, VVDStRL 4 (1928), 44ff; Verfassung und Verfassungsrecht, 1928; Staatsrechtliche Abhandlungen, Berlin 1955 (3. Aufl. 1994). Literatur u.a.: Ulrich Scheuner: RS – Leben und Werk, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. FS RS, 1952, 29ff; Volbehr/Weyl, op. cit., II F 44; Axel Freiherr v. Campenhausen, Zum Tode von RS, JZ 1975, 621ff; Konrad Hesse, In memoriam RS, ZevKR 20 (1975), 337ff; Manfred Friedrich, RS 1882–1975, AöR 112 (1987), 1ff; Helmuth SchulzeFielitz, RS (1882–1975), in: Häberle/Kilian/Wolff, op. cit., 255ff.

6. Ernst Wolgast (1888–1959): Ernst Johannes Christoph Wolgast wurde am 6.6.1888 in Kiel geboren und studierte Rechtswissenschaft in Kiel und München. Im Anschluss an das Referendariat (1912–15) wurde er 1916 in Kiel mit der von Wilhelm van Calker betreuten Arbeit „Die rechtliche Stellung des schleswigholsteinischen Konsistoriums: ein Beitrag zur Beurteilung des Verhältnisses der Landeskirche zum Staate“ promoviert. Wolgast, der 1915 in den diplomatischen Dienst eintrat und von 1917 bis 1921 an der Gesandtschaft in Oslo tätig war, wurde

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am 20.4.1918 auf Grundlage der Schrift „Das demokratische Prinzip und die rechtliche Stellung des Königs in Norwegen“ für die Fächer Allgemeines Staatsrecht und Kirchenrecht habilitiert, vermutlich erneut bei Wilhelm van Calker. Priv.-Doz. und Fakultätsassistent ab 1922, wurde Wolgast 1924 nach Königsberg umhabilitiert. Bis 1929 als Priv.-Doz. in Königsberg, Riga und Bonn tätig, nahm er 1929 einen Ruf auf einen Lehrstuhl in Rostock an und wechselte 1934 an die Universität Würzburg. Eine von der Marineakademie mit Nachdruck betriebene Berufung nach Kiel scheiterte 1943 am Widerstand der Fakultät. Nach dem Krieg verlor der „jedenfalls für die geopolitische Seite des Nationalsozialismus aufgeschlossene“ (Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, 1999, 392) Wolgast seinen Lehrstuhl. Ab 1947 übernahm er Lehraufträge an der Philosophisch-theologischen Hochschule Regensburg sowie der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nürnberg. In Nürnberg wurde er 1948 schließlich zum o. Prof. ernannt und 1954 emeritiert. Dort starb Wolgast am 26.4.1959. Werke (Auswahl): Der Wimbledonprozeß vor dem Völkerbundsgerichtshof, 1926; Der Beruf des Diplomaten (Pseudonym „Severus Clemens“), 1926; Zum deutschen Parlamentarismus. Der Kampf um Artikel 54 der Deutschen Reichsverfassung, 1929; Europa, seine Grenzen und sein Wesen in sozialer Hinsicht, 1932; Völkerrecht, 1934; Nationalsozialismus und Völkerrecht, ZVR 18 (1934), 129ff; Lex Regia. Das dänische und das deutsche Staatsführungsgesetz, 1935; Le diplomate et ses fonctions, déduits de la nature de l’organisation internationale publique du pouvoir externe de l’Etat, RdC 60 (1937), 243ff; Völkerrechtsordnung und Raumordnung, ZVR 22 (1938), 25ff; Großraum und Reich, ZöR 21 (1941), 20ff; Seemacht und Seegeltung. Entwickelt an Athen und England, Berlin 1944; Grundriß des Völkerrechts, Teil 1, 1950; Die Rückständigkeit der Staatslehre, 1956; Seemachtslehre als Staats- und Gestaltlehre, publ. 1961. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 52; Walter Nerr, Nachruf, DÖV 1959, 742; N.N., EW, AöR 84 (1959), 362f; EW, Catalogus Professorum Rostochiensium, http://cpr.uni-rostock. de/metadata/cpr_person_00003443 (14.11.2014); Christopher Benkert, Die juristische Fakultät der Universität Würzburg 1914 bis 1960, 2005, 188ff.

7. Hermann Heller (1891–1933): Hermann Ignatz Heller, geboren am 17.7.1891 in Teschen (österreich. Schlesien) studierte ab 1912 in Kiel, Wien, Innsbruck und Graz Rechts- und Staatswissenschaften. Als Kriegsfreiwilliger am 18.12.1915 ohne Dissertationsschrift in Graz „kriegspromoviert“, habilitierte sich Heller am 10.3.1920 in Kiel mit der in Leipzig begonnenen Schrift „Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland“ für Rechtsphilosophie, Staatslehre und Staatsrecht. Seine Förderer an der Kieler Fakultät waren Gustav Radbruch und Walter Jellinek. 1922 nach Leipzig umhabilitiert, wo er seit 1921 das Volksbildungsamt leitete, wechselte er nach zweijähriger Tätigkeit als Erster Assistent am Leipziger Institut für politische Auslandskunde 1926 als Referent an das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht nach Berlin. 1928 wurde Heller zum ao. Prof. an der Berliner Universität ernannt und ging 1932 als o. Prof. an die Universität Frankfurt. 1932 vertrat er im Verfahren um den sog. Preußenschlag die SPD-Reichstagsfraktion vor dem Reichsgericht.

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Im September 1933 wurde Heller, der von einer Vortragsreise nach England nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt war, aus rassistischen Gründen aus dem Staatsdienst entlassen. Er starb am 5.11.1933 an den Folgen eines Kriegsleidens in Madrid. Werke (Auswahl): Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland, 1921; Sozialismus und Nation, 1925 (1931); Die Krisis der Staatslehre, Archiv für Sozialwissenschaft 55 (1926), 289ff; Die Souveränität. Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, 1927; Der Begriff des Gesetzes in der Reichsverfassung, VVDStRL 4 (1928); 98ff; Bemerkungen zur staats- und rechtstheoretischen Problematik der Gegenwart, AöR 55 (1929), 321ff; Europa und der Faschismus, 1929 (1931); Rechtsstaat oder Diktatur?, 1930; Staatslehre, publ. 1934. Literatur u.a.: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 54; Klaus Meyer, HH, PVS 7 (1967), 292ff; Wilfried Fiedler, Materieller Rechtsstaat und soziale Homogenität. Zum 50. Todestag von HH, JZ 1984, 201ff; Christoph Müller, HH. Leben, Werk, Wirkung, in: HH, Gesammelte Schriften, Bd. 1, 2. Aufl. 1992, 229ff; Uwe Volkmann, HH (1891–1933), in: Häberle/Kilian/Wolff, op. cit., 393ff.

8. Curt Rühland (1891–1987): siehe Kieler Professoren des Völkerrechts, Nr. 26. 9. Hermann Held (1890–1963): siehe Kieler Professoren des Völkerrechts, Nr. 29. 10. Jean Spiropoulos (1896–1972): Ioannis Georgiou Spyropoulos wurde am 16.10.1896 in Nauplia (Griechenland) geboren und studierte nach einer in Deutschland und der Schweiz verbrachten Schulzeit 1917–21 in Zürich und Leipzig Rechtswissenschaft. Anfang 1922 in Leipzig vermutlich bei Richard Schmidt mit der Schrift „Der Luftraum, integrierender Teil des Staatsgebietes“ promoviert (Hans-Jürgen Schlochauer, Völkerrechtliche Dissertationen aus der Zeit von 1919 bis 1931, Teil 1, Zs. für Völkerrecht XVI [1932], Nr. 305), trat er im selben Jahr eine Stelle als Assistent am Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel an (ab 1926 Leiter der Abteilung für Völkerbund). Am 25.6.1927 habilitierte sich Spiropoulos in Kiel. Trotzdem er die längere Zeit als Assistent von Theodor Niemeyer an der Christiana Albertina verbrachte, fühlte er sich Walther Schücking als Schüler verbunden. 1928 wurde Spiropoulos o. Prof. an der Universität Thessaloniki, 1939 in Athen. Als Leiter der Rechtsabteilung des griechischen Außenministeriums nahm er an internationalen Konferenzen teil (Kodifikationskonferenz 1930, Balkan-Konferenzen 1930–33, Konferenz von San Francisco 1945, Pariser Friedenskonferenz 1946). 1949–57 Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, war er nach seiner Emeritierung von 1958 bis 1967 Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Am 7.8.1972 starb Spiropoulos in Athen. Werke (Auswahl): Der Luftraum: integrierender Teil des Staatsgebietes, 1922; Ausweisung und Internierung feindlicher Staatsangehöriger, 1922; Die de facto-Regierung im Völkerrecht, 1926; Der Völkerbund. Verfassung und Funktion, 1926 (mit T. Niemeyer, C. Rühland); Die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Völkerrecht, 1928; L’individu en droit international, 1928; L’individu et le droit international, RdC 30 (1929), 191ff; Théorie générale du droit international, 1930; Traité théorique et pratique du droit international public, 1933.

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Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 64; Dimitri S. Constantopulos, JS. Leben und Werk, in: Grundprobleme des internationalen Rechts. FS JS, 1957, XVff; Arthur Eyffinger, La Cour internationale de Justice 1946–1996, 1999, 328.

11. Walter Schätzel (1890–1961): Walter Friedrich Robert Schätzel, geboren am 29.3.1890 in Berlin, studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Lausanne und Berlin. Nach seiner 1912 erfolgten Erlanger Promotion („Der Krieg als Endigungsgrund von Verträgen“, Betreuer: Philipp Allfeld) war er zunächst im Preußischen Justizministerium (1919–22) und danach im Auswärtigen Amt tätig, 1924–28 als deutscher Vertreter am Gemischten Schiedsgericht in Paris. In Kiel habilitierte er sich bei Walther Schücking zunächst am 23.7.1927 für die Fächer Völkerrecht und Staatsrecht, am 22.4.1931 auch für das Verwaltungsrecht. Schätzel trat in den Justizdienst ein und wurde 1928 Landgerichtsrat in Kiel, 1931 Oberlandesgerichtsrat in Königsberg. Ein Ruf an die Universität Prag 1932 wurde wieder zurückgenommen. 1937 wurde Schätzel ao. Prof. in Königsberg und wechselte 1942 auf ein Ordinariat in Marburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er ab 1946 zunächst o. Prof. in Mainz, ab 1951 dann in Bonn, wo er 1958 emeritiert wurde. Schätzel starb am 9.4.1961 in Koblenz. Werke (Auswahl): Der Krieg als Endigungsgrund von Verträgen, 1912; Die Annexion im Völkerrecht, 1920; Der Wechsel der Staatsangehörigkeit infolge der deutschen Gebietsabtretungen, 2 Bde., 1921–22; Die Regelung der Staatsangehörigkeit nach dem Weltkrieg, 1927; Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht, 1928 (1958); Rechtskraft und Anfechtung von Entscheidungen internationaler Gerichte, 1928; Die elsaß-lothringische Staatsangehörigkeitsregelung und das Völkerrecht, 1929; Das deutsch-französische Gemischte Schiedsgericht, 1930; Themen und Fälle aus dem öffentlichen Recht, 1942 (1948); Das Reich und das Memelland, 1943; Le nom des personnes en droit international, RdC 95 (1958), 177ff; Übersetzungen der Hauptwerke von Hugo Grotius, Francisco de Vitoria und Emer de Vattel, 1950–60; (Hg.) Handbuch des internationalen Flüchtlingsrechts, 1960 (mit T. Veiter); Internationales Recht. Gesammelte Schriften und Vorlesungen, 3 Bde., publ. 1959–62. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 65; Hans Wehberg, Geleitwort, in: Internationalrechtliche und staatsrechtliche Abhandlungen. FS WS, 1960, VIIf; ders., Nachruf, AVR 9 (1961/62), 249ff; Gerhard Hoffmann, Nachruf, DÖV 1961, 821f.

12. Viktor Böhmert (1902–1975): siehe Kieler Professoren des Völkerrechts, Nr. 27. 13. Richard Naumann (1906–1978): Richard Naumann, am 17.2.1906 in Ehrenfriedersdorf (Erzgebirge) geboren, wurde 1930 in Leipzig bei Richard Schmidt mit der Schrift „Vom Staatsrecht der Neuengland-Kolonien im 17. Jahrhundert“ promoviert. Seit 1935 Assistent in Leipzig, vertrat er ab dem 23.3.1938 in Kiel den durch Weggang Ernst Rudolf Hubers vakanten Lehrstuhl. Unter Betreuung von Paul Ritterbusch habilitierte sich Naumann am 22.6.1938 in Kiel mit einer Schrift zum „Einfluss konkreter Pflichtengemeinschaften auf den Widerruf von Verwaltungsakten“ (veröffentlicht u.d.T. „Wandlungen im Recht des Widerrufs von Verwaltungsakten“); der Habilitationsvortrag war der „Rechtsstellung der Juden im Verwaltungsrecht“ gewidmet. Durch Unterstützung Ritterbuschs wur-

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de Naumann am 26.4.1940 apl. und – „im Felde stehend“ – am 26.9.1942 o. Prof. an der Universität Kiel. Das ihm zum April 1943 übertragene Ordinariat an der Universität Innsbruck trat er kriegsbedingt nicht an. Nach dem Krieg wechselte Naumann in die Richterschaft. Von 1946 bis 1954 Vorsitzender eines Senats am Hanseatischen OLG, amtierte er anschließend als Präsident des OVG Lüneburg und ab 1957 als Vizepräsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes. 1954 wurde er Honorarprofessor an der Universität Hamburg. Naumann starb am 17.10.1978 in Lüneburg. Werke (Auswahl): Vom Staatsrecht der Neu-England-Kolonien im 17. Jahrhundert, 1930; Wandlungen im Recht des Widerrufs von Verwaltungsakten, 1939; England und der deutsche Volksstaat, Kieler Blätter 1940, 219ff; (Hg.) Die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Verhandlungen des 38. DJT, 1951 (mit W. Jellinek); Die gesetzliche Abgrenzung der Kompetenz der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1953. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II A 125; Wiener, op. cit., 163ff.

14. Hans-Helmut Dietze (1911–1946):Hans-Helmut Dietze wurde am 6.4.1911 in Bochum geboren und studierte in Marburg und Rostock Rechtswissenschaft. Er war Schüler von Ernst Wolgast, der 1933 seine Rostocker Promotion „Johann Oldendorp als Rechtsphilosoph und Protestant“ begleitete und auch Betreuer der tief nationalsozialistisch geprägten Habilitationsschrift „Naturrecht in der Gegenwart“ war. Die Schrift wurde am 30.4.1936 in Würzburg angenommen, jedoch fiel Dietze bei der in Breslau abgehaltenen Lehrprobe durch. Politischer Druck – Dietze war in Würzburg Hochschulbeauftragter der HJ, ab 1937 dann Fachgruppenleiter Rechtswissenschaft im NSDStB – und die Fürsprache von Paul Ritterbusch ermöglichten eine zweite Lehrprobe im Dezember 1940 in Kiel, mit der Dietze dort Priv.-Doz. für Verfassungs- und Völkerrecht wurde. Bereits im April 1939 war er Assistent am Institut für Politik und internationales Recht geworden und hatte seit Februar 1940 einen Lehrauftrag. 1942 wurde Dietze für eine Tätigkeit in der NSDAP-Parteizentrale beurlaubt. Versuche der Fakultät, ihn in den Raum Nürnberg umzuhabilitieren, schlugen fehl; 1943–45 war er Lehrstuhlvertreter in Innsbruck. Am 31.1.1946 starb Dietze mit 34 Jahren in Kiel. Werke (Auswahl): Johann Oldendorp als Rechtsphilosoph und Protestant, 1933; Europa als Einheit, in: ZVR 20 (1936), 290ff; Naturrecht in der Gegenwart, 1936; Die Rechtsgestalt der Hitler-Jugend, 1939; Der Gesetzesvorspruch im geltenden deutschen Reichsrecht, 1939; Europas Schicksalswende, Kieler Blätter 1940, 266ff; Die päpstlichen Nuntien, 1943. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 80; Wiener, op. cit., 169ff; Fabian Wittreck, Nationalsozialistische Rechtslehre und Naturrecht, 2008, 37f.

15. Hartwig Bülck (1912–1985): Hartwig Bülck, am 20.9.1912 in Kiel geboren, wurde am 1.9.1940 in Kiel mit der Schrift „Vom Kontrahierungszwang zur Abschlusspflicht: Untersuchungen zum Begriffswandel der Vertragsfreiheit“ bei Karl Larenz promoviert. Er habilitierte sich am 12.9.1952 bei Hermann v. Man-

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goldt für die Fächer Staats-, Verwaltungs-, Völkerrecht und Internationales Privatrecht mit der Schrift „Die Zwangsarbeit im Friedensvölkerrecht. Untersuchung über die Möglichkeit und Grenzen allgemeiner Menschenrechte“. Ab 1947 Assistent, später Wiss. Referent am Institut für Internationales Recht (ab 1952 dort Leiter der Abteilung für Minderheitenrecht), wurde Bülck 1955 zunächst zum Prof. an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nürnberg ernannt, 1957 dann zum o. Prof. an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, deren Rektor er 1962/63 war. 1980 wurde er emeritiert. Bülck starb im Jahr 1985. Werke (Auswahl): Vom Kontrahierungszwang zur Abschlusspflicht, 1940; Die Zwangsarbeit im Friedensvölkerrecht, 1953; Das Recht auf Heimat, JIR 3 (1954), 58ff; Zur Systematik der europäischen Wirtschaftsgemeinschaften, BGDVR 6 (1959), 66ff; Der Strukturwandel der internationalen Verwaltung, 1962; Föderalismus als nationales und internationales Ordnungsprinzip, VVDStRL 21 (1964), 1ff; Völkerrecht und Europäisches Recht. Ausgewählte Abhandlungen, 1984. Literatur: Volbehr/Weyl, op. cit., II F 92.

16. Hans Wolfgang Baade (1929–2016): Hans Wolfgang Baade wurde am 16.12.1929 in Berlin als Sohn des Ökonomen und SPD-Reichstagsabgeordneten Fritz Baade (1893–1974, 1948–61 Direktor des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel) geboren. Nach einer durch NS-Verfolgung bedingten Jugend in der Türkei und den USA schloss Baade nach einem Studium der Politikwissenschaft an der Syracuse University, New York (B.A. 1947) am 1.10.1951 in Kiel seine von Hermann Held betreute Promotion ab („Die Behandlung des feindlichen Privatvermögens in den Vereinigten Staaten von Amerika. Unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Vermögens mit Ausnahme von Warenzeichen, Patenten, Urheberrechten und Schiffen“). Er kehrte in die USA zurück und studierte nach einem Einsatz im Korea-Krieg bis 1955 Rechtswissenschaft an der Duke University (LL.B. und LL.M.). 1955 wurde er Assistent am Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, wo er sich am 20.7.1960 mit der von Viktor Böhmert betreuten Schrift „Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland. Studien über den Einfluß der auswärtigen Beziehungen auf die innerstaatliche Verfassungsentwicklung“ habilitierte. Im selben Jahr wurde Baade Associate Prof., 1964 Prof. an der Duke University School of Law und 1970 an der University of Toronto. 1971 wechselte er an die University of Texas, zunächst als A. S. Burleson Professor of Law, 1975 dann auf den Hugh Lamar Stone Chair of Civil Law. 2001 trat er in den Ruhestand. Baade starb am 14.9.2016 in Austin (Texas). Werke (Auswahl): Die Behandlung des feindlichen Privatvermögens in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1952; Gesetzgebung zur Förderung ausländischer Kapitalanlagen, 1957; Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland, 1962; (Hg.) Jurimetrics, 1963; (Hg.) African Law. New Law for New Nations, 1963 (mit R. O. Everett); (Hg.) Academic Freedom, 1964 (mit R. O. Everett); United States Public Land Policy and Disposition in Southwestern Louisiana

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1803–1890, 1978; Comparative Law. Cases, Text and Materials, 4. Aufl. 1980 (mit R. B. Schlesinger u.a.; 5. Aufl. 1988, 6. Aufl. 1998). Literatur: Basil Markesinis, Introduction: The Life and Work of HWB, Texas International Law Journal 36 (2001), 403ff.

17. Hans-R. Krämer (1923–2016): Hans-Rachebald Krämer wurde am 11.6.1923 in Rabishau (Rębiszów, Niederschlesien) geboren. Nach seiner von Eberhard Menzel betreuten Dissertation „Das Recht der europäischen Integrationsgemeinschaften und die deutschen Grundrechte“ (1962) habilitierte sich Krämer auf Grundlage seiner Schrift „Wirtschaftliche und rechtliche Probleme der monetären Integration in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ am 22.1.1969 unter Betreuung des Direktors des Instituts für Weltwirtschaft, Erich Schneider, an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in Kiel. Er erhielt die venia legendi für „Recht und Wirtschaft Internationaler Organisationen“. Ab 1963 war Krämer – der 1961–62 als Assistent für internationales Rundfunkrecht am Institut für internationales Recht beschäftigt gewesen war – am Institut für Weltwirtschaft tätig, zunächst als Wiss. Mitarbeiter, später als Akademischer Oberrat (1972), Wiss. Direktor (1978) und Leiter einer Forschungsgruppe zur Internationalen Handelsordnung (ab 1972). Apl. Prof. an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät seit Januar 1972, trat Krämer 1986 in den Ruhestand. Er starb am 25.3.2016. Werke (Auswahl): Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, 1965; Wirtschaftliche und rechtliche Probleme der monetären Integration in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1966; EWG und EFTA, 1968; Formen und Methoden der internationalen wirtschaftlichen Integration, 1969; Die Europäische Gemeinschaft und die Ölkrise, 1974; Die Europäische Gemeinschaft, 1974; (Hg.) Die wirtschaftliche Nutzung der Nordsee und die Europäische Gemeinschaft, 1979.

18. Dietrich Rauschning (*1931): Dietrich Rauschning, geboren am 16.1.1931 in Klein Steinort im Kreis Angerburg (Ostpreußen), studierte 1950–55 in Hamburg, München, Braunschweig und an der University of British Columbia Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Assessorexamen (1960) wurde er am 12.2.1963 in Hamburg mit der von Herbert Krüger betreuten Schrift „Das Schicksal völkerrechtlicher Verträge bei der Änderung des Status ihrer Partner“ promoviert. Die Habilitation in Kiel erfolgte unter Betreuung von Eberhard Menzel am 22.1.1969 mit der Arbeit „Die Sicherung der Beachtung von Verfassungsrecht“. Rauschning wurde 1970 als o. Prof. an die Universität Göttingen berufen und 1999 emeritiert. 1991–93 war er Gründungsdekan der Juristischen Fakultät Halle-Wittenberg, 1996–2004 Richter an der Menschenrechtskammer für Bosnien und Herzegowina. Rauschning ist Träger des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland (2006) und Ehrendoktor der Universitäten Kaliningrad (1994) und Halle-Wittenberg (2003). Werke (Auswahl): Der Streit um den Suezkanal, 1958; Das Schicksal völkerrechtlicher Verträge bei der Änderung des Status ihrer Partner, 1963; Die Sicherung der Beachtung von Verfassungsrecht, 1969; Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980), 167 ff;

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Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidriges Verhalten, BDGVR 24 (1984), 35ff; Kernenergierechtsprechung in Leitsätzen, 1988 (mit D. Siegmann); Der deutschdeutsche Staatsvertrag als Schritt zur Einheit Deutschlands, 1990; (Hg.) Key Resolutions of the United Nations General Assembly: 1946–1996, 1997. Literatur: Jörn Ipsen/Edzard Schmidt-Jortzig, DR. Ein Leben für das Gemeinwohl, in: Recht, Staat, Gemeinwohl. FS DR, 2001, 1ff.

19. Jost Delbrück (*1935): siehe Kieler Professoren des Völkerrechts, Nr. 34. 20. Knut Ipsen (*1935): Knut Ipsen, geboren am 9.6.1935 in Hamburg, wurde nach Studium der Rechtswissenschaft (1959–62) und Referendariat (1964–67) 1967 in Kiel bei Eberhard Menzel mit einer Arbeit zu „Rechtsgrundlagen und Institutionalisierung der atlantisch-westeuropäischen Verteidigung“ promoviert; am Institut für Internationales Recht war er 1963 als Hilfskraft und 1967–74 als Assistent beschäftigt. Eberhard Menzel betreute auch sein Habilitationsverfahren, das am 9.5.1973 auf Grundlage der Schrift „Biologische und chemische Kampfmittel im Völkerrecht“ abgeschlossen wurde (Erstgutachter war, der Erkrankung Menzels wegen, Wilhelm A. Kewenig). 1974 wurde Ipsen als o. Prof. an die Ruhr-Universität Bochum berufen (1988 Gründungsdirektor des dortigen Instituts für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht), der er 1979–89 als Rektor vorstand; 1991–93 war er zudem Gründungsrektor der Europa-Universität Viadrina. Im Jahr 2000 wurde Ipsen emeritiert. Er ist Ehrendoktor der Universitäten Krakau (1986), Sheffield (1987), Wrocław (1994) und der Europa-Universität Viadrina (1996). Werke (Auswahl): Rechtsgrundlagen und Institutionalisierung der atlantisch-westeuropäischen Verteidigung, 1967; (Hg.) Völkerrecht, 2. Aufl. 1979 (Neuausgabe des Werks von Eberhard Menzel; zuletzt 6. Aufl. 2014); (Hg.) Chancen des Friedens, 1986 (mit H. Fischer); Reform des Welthandelssystems?, 1991 (mit U. Haltern); (Hg.) Das Verhältnis des vereinigten Deutschlands zu den osteuropäischen Nachbarn, 1993; Kombattanten und Nichtkombattanten, in: Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, 56ff; International legal scholarship in West Germany after World War II, GYIL 50 (2007), 111ff. Literatur: Curriculum vitae, in: Volker Epping u.a. (Hrsg.), Brücken bauen und begehen. FS KI, 2000, 835f; Wolff Heintschel von Heinegg, KI zum 70. Geburtstag, NJW 2005, 1630.

21. Siegfried Magiera (*1941): Im Anschluss an sein Studium der Rechts- und der Politikwissenschaft an den Universitäten Kiel, Freiburg, Berlin und Kansas/USA (M.A. Political Science) wurde Siegfried Magiera, geboren am 5.10.1941 in Ratibor/Oberschlesien, 1969 in Kiel mit der von Eberhard Menzel betreuten Arbeit „Die Vorwahlen (Primaries) in den Vereinigten Staaten. Demokratisierung von Wahlen und Parteien“ promoviert. Er habilitierte sich am 19.7.1978 bei Wilhelm A. Kewenig mit einer Arbeit zu „Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Eine Untersuchung zu den Grundlagen der Stellung und Aufgaben des Deutschen Bundestages“. 1980 wurde Magiera als Prof. an die Universität Köln berufen und wechselte 1984 als o. Prof. an die

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Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer (ab 2001 Jean-Monnet-Professur), die er 1997–99 als Rektor leitete. Magiera wurde 2008 emeritiert. Werke (Auswahl): Die Vorwahlen (Primaries) in den Vereinigten Staaten, 1971; Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979; (Hg.) Entwicklungsperspektiven der Europäischen Gemeinschaft, 1985; (Hg.) Das Europa der Bürger in einer Gemeinschaft ohne Binnengrenzen, 1990; Die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts im europäischen Integrationsprozess, 1998; Bürgerrechte und justitielle Grundrechte, in: Merten/Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VI/1, 2010, 1031ff. Literatur: Matthias Niedobitek, SM, mein akademischer Lehrer, in: Die Europäische Union als Wertegemeinschaft, 2006, 15ff.

22. Karl-Ulrich Meyn (*1939): Karl-Ulrich Meyn, geboren am 13.12.1939 in Hamburg, wurde nach einem Studium der Rechtswissenschaft, Publizistik, Volkswirtschaft, Geschichte und Philosophie in Berlin und Kiel 1973 in Kiel mit der von Eberhard Menzel betreuten Arbeit „Die Verfassungskonventionalregeln im Verfassungssystem Großbritanniens“ promoviert (Erstgutachter: Wilhelm A. Kewenig). Am 20.2.1980 habilitierte er sich bei Jost Delbrück mit der Schrift „Kontrolle als Verfassungsprinzip. Problemstudie zu einer legitimationsorientierten Theorie der politischen Kontrolle in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes“. Meyn wurde 1980 an die Universität Hamburg und 1982 als o. Prof. an die Universität Osnabrück berufen. 1991 wechselte er auf ein Ordinariat an der Universität Jena, deren Rektor er 2000–04 war. Im Frühjahr 2005 trat er in den Ruhestand. Meyn ist Träger der Ernst-Moritz-Arndt-Medaille der Universität Greifswald. Werke (Auswahl): Die Verfassungskonventionalregeln im Verfassungssystem Großbritanniens, 1975; Gesetzesvorbehalt und Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinden, 1977; Kontrolle als Verfassungsprinzip, 1982.

23. Eibe Riedel (*1943): Eibe Heino Riedel wurde am 26.1.1943 in Zwittau geboren, studierte Rechtswissenschaft und Theologie an der Universität London (LL.B. 1967) und anschließend Rechtswissenschaft in Kiel. 1974 schloss er dort sein Promotionsverfahren mit der Arbeit „Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem. Eine Darstellung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kontrollen der Verwaltung, zugleich ein Erklärungsversuch für das Fehlen eines umfassenden Systems des öffentlichen Rechts in England“ ab (Betreuer: Wilhelm A. Kewenig). Am 24.9.1983 habilitierte er sich bei Jost Delbrück auf Grundlage der Schrift „Theorie der Menschenrechtsstandards. Funktion, Wirkungsweise und Begründung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte mit exemplarischer Darstellung der Rechte auf Eigentum und Arbeit in verschiedenen Rechtsordnungen“. Im selben Jahr wurde Riedel Prof. in Mainz, 1986 in Marburg. Von 1993 bis zu seiner Emeritierung 2008 lehrte er an der Universität Mannheim. Von 1997 bis 2014 war Riedel Mitglied (bis 2007 Vizepräsident) des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Genf. Nach seiner

Völkerrechtliche Habilitationen in Kiel

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Emeritierung lehrte er in Genf außerdem bis 2016 am Institut des Hautes Etudes Internationales et du Développement (Swiss Chair of Human Rights). Werke (Auswahl): Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem, 1976; Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986; Gruppenrechte und kollektive Aspekte individueller Menschenrechte, BDGVR 33 (1994), 49ff; Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln?, VVDStRL 58 (1999), 180ff; Die Universalität der Menschenrechte, 2003; (Hg.) The Human Right to Water, 2006 (mit P. Rothen); (Hg.) Social Security as a Human Right, 2007; (Hg.) Economic, Social, and Cultural Rights in International Law, 2014 (mit G. Giacca, C. Golay).

24. Hans-Joachim Schütz (*1948): Geboren am 10.5.1948 in Salzburg, studierte Hans-Joachim Schütz Rechts- und Politikwissenschaft an der Universität Salzburg, wo er nach seiner Promotion (1970) als Assistent tätig war. Nach weiteren Studienaufenthalten 1972/73 in Kopenhagen, Leiden und Den Haag war er ab 1973 Mitarbeiter am Institut für Internationales Recht in Kiel, wo er sich am 2.5.1990 bei Jost Delbrück über das Thema „Friedlicher Wandel als Problem des Völkerrechts“ habilitierte. Nach Lehrstuhlvertretungen in Frankfurt a.M. und an der Universität Hamburg ging Schütz 1993 als o. Prof. für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Internationale Beziehungen an die Universität Rostock, wo er 2013 emeritiert wurde. Werke (Auswahl): Zur Rationalität des Zielkatalogs und des Friedenssicherungsinstrumentariums der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), JIR 18 (1975), 146ff; Friedlicher Wandel als Problem des Völkerrechts, 1990 (Habil.schr.); Militärische vertrauensbildende Maßnahmen aus völkerrechtlicher Sicht, 1984; Casebook Europarecht, 2004 (mit T. Bruha, D. König); (Hg.) Landesrecht Mecklenburg. Studienbuch, 3. Aufl. 2014 (mit C. D. Classen). Literatur: HJS, Catalogus Professorum Rostochiensium, http://cpr.uni-rostock.de/meta data/cpr_person_00002110 (12.1.2015)

25. Klaus Dicke (*1953): Klaus Dicke, geboren am 1.12.1953 in Rübenach bei Koblenz, studierte Politikwissenschaft, Geschichte, katholische Theologie und Philosophie in Marburg und Tübingen und arbeitete von 1979 bis 1983 in Tübingen als wiss. Mitarbeiter im Forschungsprojekt Menschenrechte. 1983 wurde er in Tübingen mit der Arbeit „Menschenrechte und Legitimität der europäischen Gemeinschaftsentwicklung“ (publiziert u.d.T. „Menschenrechte und europäische Integration“) zum Dr. rer. soc. promoviert (Betreuer war Johannes Schwartländer). Anschließend war Dicke von 1983 bis 1994 Akademischer Rat und Oberassistent am Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel. Er habilitierte sich am 14.1.1992 in Kiel an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät zu „Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen“. Gutachter waren Werner Kaltefleiter und Jürgen Hauschildt, wichtigen Einfluss jedoch hatte Jost Delbrück. Nach Lehrstuhlvertretungen und einem Ruf nach Mainz übernahm Dicke 1995 den Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Jena, der er 2004–14 als Rektor vorstand. Dicke ist Ehrendoktor der Ivane-Javakhishvili-Universität Tiflis.

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Werke (Auswahl): Menschenrechte und europäische Integration, 1986; Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 1994; (Mithg.) Republik und Weltbürgerrecht, 1997; (Mithg.) Menschenrechte und Entwicklung, 1997; (Mithg.) Transformation und Integration in Europa, 1998; Erscheinungsformen und Wirkungen von Globalisierung in Struktur und Recht des internationalen Systems auf universaler und regionaler Ebene sowie gegenläufige Renationalisierungstendenzen, BDGVR 39 (2000), 13ff; (Hg.) Politisches Entscheiden, 2001; (Hg.) Der demokratische Verfassungsstaat in Deutschland, 2001; (Mithg.) Wege multilateraler Diplomatie. Politik, Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen im UN-System, 2005; (Mithg.) Die Rolle der Universität in Wirtschaft und Gesellschaft, 2012.

26. Stephan Hobe (*1957): Stephan Hobe wurde am 11.12.1957 in Bremen geboren und absolvierte nach seinem Studium der Rechtswissenschaft in München, Freiburg und Göttingen ein Masterstudium mit Schwerpunkt im Luft- und Weltraumrecht an der McGill University in Montreal. Nach dem zweiten Staatsexamen Mitarbeiter der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten in Bonn 1990–92, wurde Hobe 1991 in Kiel bei Jost Delbrück mit der Arbeit „Die rechtlichen Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Nutzung des Weltraums“ promoviert. Ebenfalls bei Jost Delbrück habilitierte er sich am 18.12.1996 mit der Schrift „Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz. Eine Studie zur Wandlung des Staatsbegriffs der deutschsprachigen Staatslehre im Kontext internationaler institutionalisierter Kooperation“. 1997 wurde Hobe o. Prof. an der Universität Köln, seit 1998 ist er Inhaber eines Jean-MonnetLehrstuhls und seit 2001 Direktor des Instituts für Luft- und Weltraumrecht. Werke (Auswahl): Die rechtlichen Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Nutzung des Weltraums, 1992; Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998; (Hg.) Globalisation. The State and International Law, 2008; Das humanitäre Völkerrecht in asymmetrischen Konflikten, BDGVR 44 (2009), 41ff; (Mithg.) Kölner Kompendium des Luftrechts, 2008–2010; Einführung in das Völkerrecht (zuletzt 10. Aufl. 2014); Europarecht (zuletzt 8. Aufl. 2014); (Mithg.) Cologne Commentary on Space Law, 3 Bde. 2009–2015.

27. Doris König (*1957): Am 25.6.1957 in Kiel geboren, studierte Doris König in Kiel (1. Staatsexamen 1980) und Miami (M.C.L. 1982) und war anschließend (1986–98) Wiss. Mitarbeiterin am Institut für Internationales Recht in Kiel. Der Kieler Promotion bei Rüdiger Wolfrum zur „Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften auf hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft“ (1989) folgte am 16.12.1998, ebenfalls bei Rüdiger Wolfrum, die Habilitation. Thema der Arbeit war „Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses. Anwendungsbereich und Schranken von Art. 23 des Grundgesetzes“. 2000 wurde König als Prof. für Öffentliches Recht, Allgemeine Staatslehre, Völker- und Europarecht an die Bucerius Law School in Hamburg berufen, 2012 wurde sie deren Präsidentin. Seit 2014 ist König Richterin des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat).

Völkerrechtliche Habilitationen in Kiel

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Werke (Auswahl): Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften auf hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft, 1990; Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, 2000; Casebook Europarecht, 2004 (mit T. Bruha, H.-J. Schütz); (Hg.) Symposium to Mark the Tenth Anniversary of ITLOS, 2007; Der Einsatz von Seestreitkräften zur Verhinderung von Terrorismus und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie zur Bekämpfung der Piraterie, BDGVR 44 (2009), 203ff.

28. Anne Peters (*1964): Anne Peters wurde am 15.11.1964 in Berlin geboren und studierte Rechtswissenschaft sowie Neugriechisch und Spanisch in Würzburg, Lausanne und Freiburg. Nach der Promotion bei Jürgen Schwarze in Freiburg 1994 („Das Gebietsreferendum im Völkerrecht. Seine Bedeutung im Licht der Staatenpraxis nach 1989“) und dem LL.M.-Studium in Harvard (1994–95) wechselte Peters an das Walther-Schücking-Institut für internationales Recht nach Kiel. Dort habilitierte sie sich am 20.12.2000 bei Jost Delbrück mit der Schrift „Elemente einer Theorie der Verfassung Europas“. 2001 wurde Peters o. Prof. an der Universität Basel, 2013 Direktorin des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Sie ist Titularprof. an der Universität Basel (2013) sowie Hon.-Prof. an der Universität Heidelberg (2014) und der Freien Universität Berlin (2015). Werke (Auswahl): Das Gebietsreferendum im Völkerrecht, 1995; Women, Quotas, and Constitutions, 1999; Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001; The Constitutionalization of International Law, 2009 (mit J. Klabbers, G. Ulfstein); (Mithg.) NonState Actors as Standard-Setters, 2009; Wettbewerb von Rechtsordnungen, VVDStRL 69 (2010), 7ff; Rollen von Rechtsdenkern und Praktikern: aus völkerrechtlicher Sicht, BDGVR 45 (2011), 105ff; (Mithg.) Conflict of Interest in Global, Public and Corporate Governance, 2012; (Mithg.) The Oxford Handbook of the History of International Law, 2012; Völkerrecht: Allgemeiner Teil (zuletzt 4. Aufl. 2016); Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention (zuletzt 2. Aufl. 2012; mit T. Altwicker); (Mithg.) Transparency in International Law, 2013; Jenseits der Menschenrechte, 2014.

29. Christian Tietje (*1967): Christian Tietje, geboren am 14.3.1967 in Walsrode, studierte in Kiel und Paris Rechts- und Politikwissenschaft. Er wurde nach einem LL.M.-Studium an der University of Michigan, Ann Arbor (1994–95) 1997 in Hamburg bei Meinhard Hilf mit der Arbeit „Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung“ promoviert. Es folgte am 20.12.2000 die Habilitation in Kiel mit der von Jost Delbrück betreuten Schrift „Internationalisiertes Verwaltungshandeln“. Seit 2001 lehrt Tietje als o. Prof. und Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht an der Universität Halle-Wittenberg. Werke (Auswahl): Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO-GATT-Rechtsordnung, 1998; Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001; (Hg.) Verfassungsrechtliche Dimensionen des internationalen Wirtschaftsrechts, 2007; (Hg.) International Investment, Protection and Arbitration, 2008; (Mithg.) Handbook of Transnational Economic Governance Regimes, 2009; (Mithg.) EU and Investment Agreements, 2013; (Hg.) Internationales Wirtschaftsrecht (zuletzt 2. Aufl. 2015).

Kieler Publikationen zum Völkerrecht 1900–1975* Von Andreas v. Arnauld 1900 Theodor Niemeyer, Der Spruch des italienischen Prisengerichts in Sachen des „Doelwijk“, Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht (ZIPSR) 10 (1900), 433–459; Zur Beschlagnahme neutraler Handelsschiffe, Deutsche Juristen-Zeitung (DJZ) 1900, 53–55 1902 Theodor Niemeyer, Internationalrechtliches Ergebnis der jüngsten panamerikanischen Konferenz, ZIPSR 12 (1902), 571–578 1903 Theodor Niemeyer, Der neue amerikanische Isthmus-Vertrag (Hay-Pauncefote-Vertrag) und seine Vorgänger, Zeitschrift für Internationales Privat- und Öffentliches Recht (ZIPÖR) 12 (1902/03), 365–378 1904 Theodor Niemeyer, Die Beschießung englischer Fischerboote durch russische Kriegsschiffe in völkerrechtlicher Beleuchtung, DJZ 1904, 1049–1053 1905 Theodor Niemeyer, Das Völkerrecht und der russisch-japanische Krieg, DJZ 1905, 37– 43; Vorschläge zur Reform der Prisengerichtsbarkeit, DJZ 1905, 331–333; Der Frieden von Portsmouth und das Völkerrecht, DJZ 1905, 873–877; Internationales Prisenrecht und Kriegskonterbande. Vortrag, in: Verhandlungen des Deutschen Nautischen Vereins [am 15. Februar 1905 im Künstlerhause zu Berlin], Oldenburg ca. 1905, 119–124 Kurt Perels, Eine Frage des Seestraßenrechts, Marine-Rundschau 1905, 710–713 1906 Moritz Liepmann, Der Kieler Hafen im Seekrieg, in: Festgabe zum XXVIII. Deutschen Juristentage, überreicht vom Kieler Ortsausschuss, Berlin, 1906, 137–183 [auch als Monographie, Berlin 1906, 49 S.] Theodor Niemeyer, Die Maroccofrage in völkerrechtlicher Beleuchtung, DJZ 1906, 445– 447; Englands Lebensmitteleinfuhr und das Seekriegsrecht, Marine-Rundschau 1906, 1103–1109

_____________ * Die Zusammenstellung enthält neben dem Völkerrecht auch Beiträge zum Europarecht, Außenverfassungsrecht und ausländischen öffentlichen Recht. Presseartikel wurden nicht aufgenommen, Buchrezensionen und Veranstaltungsberichte, soweit überhaupt ermittelbar, nur bis 1945 erfasst. Bei Dissertationen findet sich der Name des Betreuers am Ende des jeweiligen Eintrags.

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Andreas v. Arnauld

Kurt Perels, Rezension: P. Stiel, Der Tatbestand der Piraterie nach geltendem Völkerrecht unter vergleichender Berücksichtigung der Landesgesetzgebungen, Deutsche Literaturzeitung 1906, 1077–1080 1907 Moritz Liepmann, Nach welchen Gesichtspunkten ist für Zwecke des Seebeuterechts die feindliche oder neutrale Eigenschaft der Ware zu bestimmen? Ein Reformvorschlag, ZIPÖR 17 (1907), 303–354 Theodor Niemeyer, Internationales Recht und nationales Interesse (Rektoratsrede), Kiel 1907, 18 S. [gekürzt in: Die Friedens-Warte (FW) 11 (1909), 110–112] 1908 Erich Kaufmann, Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika. Eine rechtsvergleichende Studie über die Grundlagen des amerikanischen und deutschen Verfassungsrechts, Leipzig 1908, 244 S. Theodor Niemeyer, Der Zwischenfall von Casablanca und das Völkerrecht, DJZ 1908, 1121–1124; Franz-Kahn-Bibliothek in Kiel, ZIPÖR 18 (1908), 503 1909 Theodor Niemeyer, Prinzipien des Seekriegsrechtes (Vortrag), Berlin 1909, 31 S. 1910 Theodor Niemeyer, Das Seekriegsrecht nach der Londoner Deklaration vom 26. Februar 1909, Berlin 1910, 39 S.; Zur Gerichtsbarkeit über fremde Staaten, DJZ 1910, 105–114; Vom Wesen des internationalen Rechts, Zeitschrift für Internationales Recht (ZIR) 20 (1910), 1–15; Politische Extreme und Völkerrecht, Deutsche Revue 8/1910, 173–178 Heinrich Triepel, Gerichtsbarkeit über fremde Staaten, in: C. von Dynovsky (Hrsg.), Unzulässigkeit einer Zwangsvollstreckung gegen ausländische Staaten, Berlin 1910, 243–268 1911 Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus. Rechtsphilosophische Studie zum Rechts-, Staats- und Vertragsbegriffe, Tübingen 1911, 231 S. Theodor Niemeyer, Marokko und das Völkerrecht, DJZ 1911, 956–958 Heinrich Triepel, Der Seeoffizier und das Studium des Völkerrechts, Marine-Rundschau 1911, 1217–1240, 1525–1538 1912 Theodor Niemeyer, Tripolitanischer Krieg und Seekriegsrecht, DJZ 1912, 241–244; Wesen und Wert des Internationalen Prisenhofs im Haag, Marine-Rundschau 1912, 1094– 1098; Die Arbeit der „International Law Association“ 1906 bis 1911, ZIR 22 (1912), 213– 227 Heinrich Triepel, Gerichtsbarkeit über fremde Staaten, AöR 28 (1912), 212–251 1913 Bernhard Harms, Rezension: A. H. Fried, Handbuch der Friedensbewegung, Teile 1 und 2, 2. Aufl. 1911 und 1913, Weltwirtschaftliches Archiv (WWA) 2 (1913), 562–564 Moritz Liepmann, Rezension: H. v. Frisch, Das Fremdenrecht. Die staatsrechtliche Stellung der Fremden, 1910, WWA 2 (1913), 553–558 Friedrich Lohmann, Die Grund- oder Freiheitsrechte der Ausländer: nach deutschem Reichs- und preußischem Landesrecht, Düsseldorf 1913, 74 S. [zugleich Diss. 1913: Triepel]

Kieler Publikationen zum Völkerrecht 1900–1975

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Theodor Niemeyer, Der Rechtsspruch gegen Shylock im „Kaufmann von Venedig“. Ein Beitrag zur Würdigung Shakespeares, München/Leipzig 1912, 32 S.; Völkerrecht und Politik in der Marokko-Angelegenheit 1911–1912, Jahrbuch des Völkerrechts (JVR) 1 (1913), 804–823 Theodor Niemeyer (Hrsg.), Internationales Seekriegsrecht. Urkundenbuch zum Seekriegsrecht, Berlin 1913, 3 Abteilungen: Abt. 1: S. 1–426; Abt. 2: S. 427–1244; Abt. 3: S. 1245– 1666 [publiziert als „Teil 2“; ein 1. Teil ist nicht erschienen] Heinrich Triepel, Diritto internazionale e diritto interno. Traduzione italiana con note a curia di Prof. G.C. Buzzati, Torino 1913, 455 S. [italienische Übersetzung von: Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig 1899] 1914 Walter Kriege, Die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe, Kiel 1914, 51 S. [zugleich Diss. 1914: Niemeyer]; auch in: Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht (NiemeyersZ) 26 (1916), 71–117 Theodor Niemeyer (Hrsg.), R. T. Reid, Earl Loreburn: Privateigentum im Seekrieg; übers. von Luise Niemeyer, München/Leipzig 1914, 171 S. Theodor Niemeyer, Die Londoner Botschaftervereinigung, JVR 2 (1914), 487–523; Völkerrecht im Kriege, JW 1914, 801–803 [auf Englisch: International Law in War, Michigan Law Review 13 (1915), 175–178; übers. von Wendell Herbruck] 1915 Moritz Liepmann, Was sollen wir lernen aus diesem Krieg? Eine Ansprache, Kiel 1915, 12 S.; Rezension: H. Wehberg, Das Seekriegsrecht, 1915, WWA 5 (1915), 478–483 Theodor Niemeyer, Das Recht des Unterseebootkrieges (Vortrag), Hamburg 1915, 24 S.; Staatsgläubiger und staatliche Gebietsveränderungen, Bankarchiv 15 (1915/16), 70–71 1916 Wilhelm van Calker, Rezensionen: C.H. Huberich, Das englische Prisenrecht in seiner neuesten Gestalt, 1915, WWA 7 (1916), 188–193; R. Frank, Das Seekriegsrecht in gemeinverständlichen Vorträgen, 1916, WWA 8 (1916), 211–216 Theodor Niemeyer, Völkerrechtliche Lage der Aalandsinseln, Deutsche Politik 1916, 1049– 1054; Aus dem Institut für Internationales Recht. Was wir mit dem Völkerrecht während des Krieges anfangen, in: Gruß der Universität Kiel an ihre Kommilitonen im Felde, Kiel 1916, 101–105 Theodor Niemeyer (Mithrsg.), Die völkerrechtlichen Urkunden des Weltkrieges: Band 1: Politische Urkunden zur Vorgeschichte, München/Leipzig 1916, 796 S. (mit K. Strupp) [= JVR 3 (1916)] 1917 Wilhelm van Calker, Das Problem der Meeresfreiheit und die deutsche Völkerrechtspolitik (Vortrag), Jena 1917, 34 S. Theodor Niemeyer, Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und des Deutschen Reiches Beteiligung an ihrer Entwicklung, München u.a. 1917, 31 S. [auch in: NiemeyersZ 27 (1918), 283–313]; Belgien und seine Neutralisierung, München u.a. 1917, 61 S.; Aufgaben künftiger Völkerrechtswissenschaft, München u.a. 1917, 40 S.; Was sagt das Völkerrecht über die bewaffneten Handelsschiffe?, Deutsche Politik 1917, 176–182; Die Schiedssprüche vom 6. Mai 1913 (Carthage und Manouba), in: W. Schücking (Hrsg.), Das Werk vom Haag, 2. Serie, Bd. 1, 3. Teil, Leipzig 1917, 345–368

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Andreas v. Arnauld

Hans Wehberg, Der Wirtschaftskrieg. Die Maßnahmen und Bestrebungen des feindlichen Auslands zur Bekämpfung des deutschen Handels und zur Förderung des eigenen Wirtschaftslebens, hrsg. vom Königlichen Institut für Weltwirtschaft: Abteilung 1: England, 1917, 398 S. (mit E. Schuster); Der französische Gesetzentwurf über den Handel mit dem Feinde, WWA 11 (1917), 364–374 1918 Wilhelm van Calker, Der Reichstag und die Freiheit der Meere, Berlin 1918, 38 S.; Die völkerrechtlichen Sicherungen der internationalen Verkehrsfreiheit in Friedenszeiten, Mitteilungen der DGVR 2 (1918), 85–116 [erweitert als: Die völkerrechtlichen Sicherungen der wirtschaftlichen Verkehrsfreiheit in Friedenszeiten. Zugleich ein praktischer Beitrag zur Frage des Völkerbundes, Jena 1918, 56 S.] Bernhard Harms, Völkerrechtliche Sicherungen der internationalen Verkehrsfreiheit in Friedenszeiten, Mitteilungen der DGVR 2 (1918), 18–85 [erweitert als Monographie, Jena 1918, 84 S.] Moritz Liepmann, Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht, WWA 12 (1918), 69–84 Theodor Niemeyer, Kriegsarchiv des Völkerrechts in Kiel, NiemeyersZ 27 (1918), 280– 282 Theodor Niemeyer (Mithrsg.), Die völkerrechtlichen Urkunden des Weltkrieges: Band 2: Politische Urkunden zur Entwickelung des Weltkrieges, München/Leipzig 1918, 755 S. (mit K. Strupp) [= JVR 4 (1918)] Otto L. Strack, Die Seesperre der Mittelmächte vom 31. Januar 1917 und ihre völkerrechtliche Einbürgerung, Diss. 1918: Liepmann oder van Calker Hans Wehberg, Der Wirtschaftskrieg. Die Maßnahmen und Bestrebungen des feindlichen Auslands zur Bekämpfung des deutschen Handels und zur Förderung des eigenen Wirtschaftslebens, hrsg. vom Königlichen Institut für Weltwirtschaft: Abteilung 4: Frankreich, 1918, 474 S. (mit H. Curth); Kriegserklärung und Völkerbund, FW 20 (1918), 270–272; Englische und französische Versicherungsverträge im Kriegsfalle, WWA 12 (1918), 147– 158; Aufenthaltsbeschränkungen und Naturalisationsentziehungen gegenüber Feinden in Frankreich, WWA 12 (1918), 404–409; Eine englische Gerichtsentscheidung betreffend den Wirtschaftskrieg nach dem Kriege, WWA 12 (1918), 409–413; Geschäftsabwicklung und Liquidation nach dem englischen Gesetz vom 27. Januar 1916, WWA 13 (1918), 72– 75; Das amerikanische Gesetz über den Handel mit dem Feinde, WWA 13 (1918), 261– 285; (Bearb.), Bericht der Royal Commission on Supply of Food and Raw Material in Time of War 1903, London 1905; übers. von K. Bruns, bearb. und eingeleitet von E. Schuster und H. Wehberg, Jena 1918, 169 S.; Rezensionen in: WWA 13 (1918): F. Eccard, Biens et intérêts français en Allemague et en Alsace-Lorraine pendant la guerre (und andere), 141–143; A. Curti, Handelsverbot und Vermögen in Feindesland, Gesetzgebung und Praxis von England, Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich und Rußland während des Krieges 1914/15, 143–144; Heilfron, Die rechtliche Behandlung der Kriegsschäden in Preußen nach den Freiheitskriegen und die Kabinetts-Order vom 4. Dezember 1831, 147– 148; A. Reulos, Manuel des séquestres, 509–510 1919 Anna B. Eckstein, Staatenschutzvertrag zur Sicherung des Weltfriedens, München 1919, 83 S. Moritz Liepmann, Die Pflege des Völkerrechts an den deutschen Universitäten. Eine Denkschrift, Berlin 1919, 30 S. Kurt Neumann, Die Internationalität Marokkos, Berlin 1919, 291 S. [zugl. Diss. 1917: Niemeyer]

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Theodor Niemeyer, Einführung in das Völkerrechtsarchiv und die Bücherei nebst Bericht über Aufgaben und Entwicklung des Instituts. Zugleich eine völkerrechtliche Programmschrift, Kiel 1919, 49 S.; Rechtsgutachten bt. Besteuerung der Schweizer in Deutschland: Wird es den in Deutschland ansässigen Schweizer Bürgern möglich sein, sich den drohenden konfiskatorischen Vermögensabgaben zu entziehen?, Kiel 1919, 32 S.; Völkerrecht nach dem Kriege, DJZ 1919, 21–24; Völkerrechtliche Hochschulbildung, Dresdner akademische Welt 16/1919, 121–122 Theodor Niemeyer (Hrsg.), Der Völkerbundsentwurf der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht. Vorschläge für die Organisation der Welt, Berlin 1919, 160 S.; (Mithrsg.), Die völkerrechtlichen Urkunden des Weltkrieges: Band 3: Politische Urkunden zur weiteren Entwickelung des Weltkrieges (Neutrale Staaten), München/Leipzig 1919, 471 S. (mit K. Strupp) [= JVR 5 (1919)]; (Mithrsg.), Die völkerrechtlichen Urkunden des Weltkrieges: Band 5: Völkerrechtliche Chronologie des Weltkrieges 1914–1919, München/Leipzig 1919, 146 S. (mit K. Strupp) [= JVR 7 (1919)] Helmut Prawitz, Die Freiheit der Meere in Friedenszeiten, Leipzig 1919, 61 S. [zugl. Diss. 1919: Niemeyer] Hans Wehberg, Der Wirtschaftskrieg. Die Maßnahmen und Bestrebungen des feindlichen Auslands zur Bekämpfung des deutschen Handels und zur Förderung des eigenen Wirtschaftslebens, hrsg. vom Königlichen Institut für Weltwirtschaft: Abteilung 5: Vereinigte Staaten von Amerika, 1919, 567 S. (mit . Böhler); Neue Weltprobleme. Gesammelte Aufsätze über Weltwirtschaft und Völkerorganisation, München u.a. 1919, 255 S.; Die internationale Beschränkung der Rüstungen, Stuttgart u.a. 1919, 463 S.; Die Konzessionen der Schantung-Eisenbahngesellschaft, WWA 14 (1919), 81–84; Die Rüstungsbeschränkungen auf den kanadischen Seen, WWA 14 (1919), 85–93; Aufenthaltsbeschränkungen für Deutsche in den Vereinigten Staaten von Amerika, WWA 14 (1919), 180–187; Zentralamerikanische Streitigkeiten betreffend den Nicaraguakanal, WWA 15 (1919), 204–211, 311–317; Rezensionen in: WWA 14 (1919): H. Lammasch, Das Völkerrecht nach dem Kriege, 150– 151; R. Redslob, Das Problem des Völkerrechts, 153–156; J. Stephen, War in Disguise; Or, the Frauds of the Neutral Flags, 141–142; W. Borgius, Der Völkerbund. Seine Kulturund Wirtschaftsaufgaben, 430 1920 Theodor Betzen, Reichsverfassung und Völkerrecht, Diss. 1920: Jellinek Max Emcke, Artikel 4 der Reichsverfassung v. 11.8.19 unter Berücksichtigung des amerikanischen und englischen Rechts, Diss. 1920: Radbruch Hermann Held, England als Neutraler und Kriegführender im Seekriegsrecht, NiemeyersZ 28 (1920), 518–536 Hiltrud Holubiczko, Die Stellung der Frau hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, Diss. 1920: Jellinek Rudolf Katz, Die Stellung des deutschen Reichspräsidenten im Vergleich zu der der Präsidenten Frankreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika, Diss. 1920: Jellinek Moritz Liepmann, Der Friedensvertrag und der Völkerbund, Hamburg 1920, 27 S. Theodor Niemeyer (Mithrsg.), Die völkerrechtlichen Urkunden des Weltkrieges: Band 4: Vereinigte Staaten von Amerika: Unterseebootkrieg; Friedensaktionen, München/Leipzig 1920, 326 S. (mit K. Strupp) [= JVR 6 (1920)] Theodor Niemeyer, Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht: Jahresversammlungen 1917 und 1918; Völkerbundentwurf, NiemeyersZ 28 (1920), 265–269; Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, NiemeyersZ 28 (1920), 269 Walter Schoenborn, Sind russische Werke im Deutschen Reich geschützt?, JW 1920, 955

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Rudolf Schrader, Das Arbeiterrecht für Eingeborene in Deutsch- und Britisch-Ostafrika, Hamburg 1920, 92 S. [zugl. Diss. 1919: Niemeyer] Ernst Wolgast, Amnestie und Versailler Vertrag, ZÖR 15 (1920), 17–27 1921 Fritz Brix, Zur Kritik der völkerrechtlichen Lehre der Gesandtenexterritorialität, Diss. 1921: Niemeyer Jürgen Frahm, Die völkerrechtliche Lage der Besatzung bewaffneter Handelsschiffe, Diss. 1921: Niemeyer Hermann Held, Der deutsch-chinesische Friedensschluß, Weltwirtschaftliche Nachrichten (WWN) 1921, 2224–2226; Das englische Reparationsgesetz, WWN 1921, 2359– 2361; Die Reparationsgesetze Belgiens und Frankreichs, WWN 1921, 2371–2372; Die Zwangsverwaltung und Liquidation des deutschen Privatvermögens in Belgien, WWN 1921, 2757–2758; Das Institut für internationales Rechts an der Universität Kiel, NiemeyersZ 29 (1921), 146–149; Der Zug des Todes in der Völkerrechtswissenschaft, NiemeyersZ 29 (1921), 183–188; Rezensionen in WWA 17 (1921/22): A. Pepy, La nationalité des sociétés, 1920, 344*–346*; A.M. Kales, Cases on Contracts and Combinations in restraint of trade, 472*; Die Satzung des Völkerbundes, kommentiert von W. Schücking und H. Wehberg, 1921, 605*–606*; K. Strupp, Grundzüge des positiven Völkerrechts, 1921, 606* Theodor Niemeyer, Internationales Finanzrecht. Zwei Gutachten, NiemeyersZ 29 (1921), 49–64; Internationale und nationale Arbeit im Völkerrecht, DJZ 1921, 783–786 Ernst Wolgast, Die richterliche Prüfungszuständigkeit in Norwegen, Annalen des Deutschen Reiches 1921, 330–355 1922 Hermann Held, Bevorstehende Freigabe der deutschen Einfuhr nach Australien, WWN 1922, 2843; Die Nachprüfung von Prisenurteilen im Entschädigungsverfahren, WWN 1922, 3113–3114; Der Lusitania-Fall in der amerikanischen Rechtsprechung, WWN 1922, 3163; Zur Frage der Sicherheit des deutschen Privatvermögens in früher feindlichen Ländern, WWN 1922, 2859; Chronik des Völkerrechts für das Jahr 1920, WWA 17 (1921/22), 293*–311*; Rezension: N. Ariga, La Chine et la grande guerre européenne au point de vue de droit international, WWA 18 (1922), 475*–478* Karl Lau, Auf welcher zwischenstaatsrechtlichen Grundlage haben die gemischten Schiedsgerichtshöfe zu entscheiden?, Diss. 1922: Niemeyer Theodor Niemeyer, Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht, DJZ 1922, 366–367 [ebenfalls in: Lehre und Wehre 1922, 75] Theodor Niemeyer (Mithrsg.), Die völkerrechtlichen Urkunden des Weltkrieges: Band 6: Die Friedensschlüsse 1918–1921, München/Leipzig 1922, 788 S. (mit K. Strupp) [= JVR 8 (1922)] Curt Rühland, Synchronistische Tabellen der Weltpolitik 1840–1914 als Hilfsmittel für das Selbststudium und den Unterricht, 1922, 24 S.; Berichte über Staatsverträge, NiemeyersZ 30 (1922), 366–382 Anna Strecker, Der Versailler Völkerbund und der deutsche Gegenentwurf, Diss. 1922: Niemeyer Ernst Wolgast, Das richterliche Prüfungsrecht in Norwegen, DJZ 1922, 716–719; Rezension: H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, WWA 18 (1922), 253–254

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1923 Hermann Held, Die Ruhrbesetzung im Lichte amerikanischer und englischer Rechtsauffassung, WWN 1923, 961–963; Staatsvertrag, in: P. Herre (Hrsg.), Politisches Handwörterbuch, Bd. II, Leipzig 1923, 708–711; Chronik des Völkerrechts für die Jahre 1921 und 1922, WWA 19 (1923), 355*–398*; Rezension: Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, begonnen von J. Hatschek, fortges. und hrsg. von K. Strupp, Bd. 1 und 2, 1922/23, WWA 19 (1923), 649*–651* Theodor Niemeyer, Völkerrecht, Berlin/Leipzig 1923, 168 S. [spanische Ausgabe: Derecho internacional público, Barcelona 1925, 148 S. (2. Aufl. Barcelona 1930); übers. von F. Ballve]; Rechtspolitische Grundlegung der Völkerrechtswissenschaft, NiemeyersZ 31 (1923), 1–39 [auch als Monographie, Kiel 1923, 39 S.] Theodor Niemeyer (Mithrsg.), Archiv der Friedensverträge, Band 1, Mannheim u.a. 1923, 258 S. (mit H. Dorn und A. Mendelssohn-Bartholdy) Ulrich Niendorf, Die normativen Grundlagen und die rechtliche Natur der Gemischten Schiedsgerichtshöfe nach den Verträgen von Versailles, St. Germain, Neuilly und Trianon nebst einem Überblick über die Prozessordnungen der gemäss Art. 304 des Vertrages von Versailles errichteten Gemischten Schiedsgerichtshöfe, Diss. 1923: Niemeyer Fritz Ring, Staatsbegriff und Handelsfeindseligkeit, Diss. 1923: Niemeyer Curt Rühland, Berichte über Staatsverträge, NiemeyersZ 31 (1923), 97–120 Aribert Stern v. Gwiazdowski, Die Entwicklung der internationalen Arbeiterschutzgesetzgebung mit besonderer Berücksichtigung der internationalen Kontrolle, Diss. 1923: Niemeyer Richard Walther, Durchmarsch und Einmarsch im neutralen Gebiete, Diss. 1923: Niemeyer Ernst Wolgast, Die dänisch-norwegische Grönlandfrage, NiemeyersZ 31 (1923), 141– 153; Die auswärtige Gewalt des Deutschen Reiches unter besonderer Berücksichtigung des Auswärtigen Amtes. Ein Ueberblick, AöR 44 (1923), 1–112 1924 Einträge in: K. Strupp (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Band 1 (A–L), Berlin u.a. 1924: Hermann Held, Bagdadbahn; Feind, anglo-amerikanischer Begriff; Gutenfels- (und Bärenfels-) Fall; Gyllenborg-Fall; Die „Haager Regeln“; Internationales Agrikulturinstitut; Das Institut für internationales Rechts an der Universität Kiel; Das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr an der Universität Kiel; Kriegsbegriff, anglo-amerikanischer und kontinental-europäischer; Kriegsentschädigungen und die Reparationen der großen Friedensverträge des Weltkrieges; Lado-Enklave; Walter Schoenborn, Inkorporation Emil Dieckmann, Das Völkerrecht der Ålandinselfrage und die Lehre von den Staatsservituten, Diss. 1924: Niemeyer Bernhard Harms, Weltwirtschaftsrecht. Ein Beitrag zur sozialökonomisch-völkerrechtlichen Begriffsbildung, WWA 20 (1924), 573–588 Hermann Held, Der Friedensvertrag von Versailles in den Jahren 1919–1923, JöR 12 (1923/ 24), 313–403; Die Rechtsgrundlagen der englischen Reparationsabgabe, WWN 1924, 1144– 1146; Die Reparationsabgabe, WWN 1924, 1373–1377; Chronik des Völkerrechts: Der Lausanner Friede, WWA 20 (1924), 522*–545* Werner Junker, Das Küstenmeer, Diss. 1924: Niemeyer Wolfgang Kraschutzki, Die subjektive Steuerpflicht bei den Personalsteuern und das Problem der internationalen Doppelbesteuerung, Diss. 1924: Jellinek Theodor Niemeyer, Les sociétés de commerce, RdC 4 (1924–III), 5–62

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Curt Rühland, Zur Theorie und Praxis des Einflusses des Kriegsbeginns auf Staatsverträge, NiemeyersZ 32 (1924), 74–147 [auch als Monographie, Kiel 1924, 75 S.; zugleich Diss. 1923: Niemeyer]; Berichte über Staatsverträge, NiemeyersZ 32 (1924), 393–447 Georg Schaller, Das Recht der Donauschiffahrt, seine Entwicklung und seine Regelung nach dem Weltkrieg, Diss. 1924: Niemeyer Walter Schoenborn, Rezension: B. W. v. Bülow, Der Versailler Völkerbund, WWA 20 (1924), 545–548 Fritz Senss, Organisation, Kompetenz und Entwicklung der Gemischten Schiedsgerichtshöfe in den Friedensverträgen, Diss. 1924: Niemeyer Ernst Wolgast, Die dänisch-norwegische Grönlandfrage, NiemeyersZ 33 (1924/25), 457– 465 Alexander v. Wuthenau, Okkupationslehre und Ruhrbesetzung. Eine völkerrechtliche Studie, Diss. 1924: Niemeyer 1925 Einträge in: K. Strupp (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Band 2 (M–U), Berlin u.a. 1925: Hermann Held, Methuenvertrag; Reparationen; Russell-Fall; Staatsschuldenverwaltung, internationale Georg Ludwig Benick, Das Recht neutraler Staaten auf Waffengebrauch zur Verteidigung ihres Gebietes, Diss. 1925: Niemeyer Hermann Held, Die Handelsverträge des Deutschen Reichs nach dem Stand von Ende Februar 1925 (mit ihren historischen Grundlagen und einschließlich der noch nicht ratifizierten Verträge), in: B. Harms (Hrsg.), Die Zukunft der deutschen Handelspolitik im Rahmen des Neuaufbaus der deutschen Volkswirtschaft, Band 1, Jena 1925, 89–127; Chronik des Völkerrechts für die Jahre 1923 und 1924, WWA 21 (1925), 371*–422* Theodor Niemeyer (Hrsg.), Jus naturae et gentium. Eine Umfrage zum Gedächtnis des Hugo Grotius, NiemeyersZ 34 (1925), 113–189; Locarno und die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht, in: Th. Niemeyer u.a., Deutsche Völkerrechtslehrer über Locarno, Berlin 1925, 5-9. Werner Plath, Sinn- und Rechtswirkungen der Anerkennung kämpfender Parteien als Kriegführende, Stettin 1925, 64 S. [zugl. Diss. 1925: Niemeyer] Curt Rühland, Samuel Rachel, der Bahnbrecher des völkerrechtlichen Positivismus. Ein Beitrag zur Geschichte der Völkerrechtswissenschaft im 17. Jahrhundert, NiemeyersZ 34 (1925), 1–112 [zugl. Habilitationsschrift Kiel 1925]; Berichte über Staatsverträge, NiemeyersZ 33 (1925), 349–398 Edmund Struck, Die Bedeutung des deutsch-schweizerischen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrages vom 3. Dezember 1921 für die Entwicklung des Schiedswesens, Diss. 1925: Niemeyer 1926 Hermann Held, Rezension: F. Terhalle, Die Reparationskontrolle, 1925, WWA 23 (1926), 290*-291* Theodor Niemeyer, Allgemeines Völkerrecht des Küstenmeeres, NiemeyersZ 36 (1926), 1–40 [auch als Monographie, Kiel 1926, 40 S.] Theodor Niemeyer (Hrsg.), Friedensverträge, Völkerbunddokumente, Vergleichs-, Schieds-, und Sicherheitsverträge, Allianzverträge 1919–1926, München/Leipzig 1926, 543 S. [= JVR 9 (1926)]; (Mithrsg.), Archiv der Friedensverträge, Band 2, Mannheim u.a. 1926, 647 S. (mit H. Dorn und A. Mendelssohn-Bartholdy)

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Theodor Niemeyer/Curt Rühland/Jean Spiropoulos, Der Völkerbund. Verfassung und Funktion, Kiel 1926, VIII, 115, 79 S. Curt Rühland, Berichte über Staatsverträge, NiemeyersZ 34 (1926), 381–405 Walther Schoenborn, Zur geschichtlichen Entwicklung des Optionsrechts, ZVR 13 (1926), 16–27 Walther Schücking, Vorwort zu: J. Frank, Frankreich und Wir, Nürnberg 1926, 2. Aufl. 1930; Rezension: K. Strupp, Das Haager und das Genfer Kriegsverhütungsrecht, JW 1926, 327 Jean Spiropoulos, Die de facto-Regierung im Völkerrecht, 1926, 188 S.; Die Haftung der Staaten für „indirekten Schaden“ aus völkerrechtlichen Delikten, NiemeyersZ 35 (1925/ 26), 59–134; Das Recht des Binnenstaates auf Flaggenführung zur See, ZVR 13 (1926), 103–111 Georg Weißer, Die Stellvertretung des Reichspräsidenten unter Berücksichtigung des ausländischen Staatsrechts, Kiel 1926 [zugl. Diss 1926: Jellinek] 1927 Paul Guggenheim, Die arbeitsrechtlichen Gutachten des Weltgerichtshofes, FW 27 (1927), 35–36; Völkerbunddenken, FW 27 (1927), 239–243 Hermann Held, Unter dem Friedensvertrag von Versailles nach Locarno und Genf, JöR 15 (1927), 313–462; Eintrag in: L. Elster u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Band 8, 4. Aufl. Jena 1927, 1057–1062: Wirtschaftsblockade; Einträge in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Band 2, 5. Aufl. Freiburg 1927: Friedensvertrag von Versailles; Internationales Recht; Internationales Verwaltungsrecht; Kaiser-WilhelmKanal; Chronik des Völkerrechts für die Jahre 1925 und 1926, WWA 26 (1927), 192*– 218*; Rezensionen in: WWA 25 (1927): Zeitschrift für das gesamte Luftrecht, Bd. 1, H. 1, 1926, 69*–70*; R. Fuchs, Die Grundsätze des Versailler Vertrags über die Liquidation und Beschlagnahme deutschen Privatvermögens im Auslande, 1927, 107*–108*; Handbook of commercial treaties (United States Tariff Commission), 1922, 189*–191*; J. Bennstein/K. Leopold, Die Handelsverträge des Erdballs, 1927, WWA 26 (1927), 191*–192* Hermann Held/Arthur Carl Breycha-Vauthier, Chronik der Handelsverträge 1925–1927: Handelsverträge Deutschlands, WWA 26 (1927), 391*–458* Theodor Niemeyer (Hrsg.), Handbuch des Abrüstungsproblems in Einzelbeiträgen, Kiel 1927 und Berlin 1928, 2053 S.; darin: Teil I: Urkundenbuch: Bd. 1: Materialien 1816– 1919, 395 S.; Bd. 2: Völkerbundverhandlungen 1920–1925, 982 S. Darin: Theodor Niemeyer, Die Fragestellung des Abrüstungsproblems, Teil II: Systematischer Teil: Stück 1, Kiel 1927, 16 S. Theodor Niemeyer, Vom Beruf unserer Zeit zur Kodifikation des Völkerrechts, NiemeyersZ 37 (1927), 1–10 Curt Rühland, Rezension: H. Gerber, Kulturautonomie als Eigenart minderheitenrechtlicher Ordnung und ihre Verwirklichung nach der estnischen Verfassung, ZgS 83 (1927), 601–603 Walter Schätzel, Die Regelung der Staatsangehörigkeit nach dem Weltkrieg. Eine Materialiensammlung von Verträgen, Gesetzen und Verordnungen, welche die Neuordnung der Staatsangehörigkeitsverhältnisse in den früheren kriegführenden Staaten zum Gegenstand haben, nebst Nachweis von Literatur und Rechtsprechung, Berlin 1927, 391 S. Walther Schücking, Le développement du Pacte de la Société des Nations, RdC 20 (1927– V), 353–457; Le statut international de la „Croix rouge“ et, en particulier, la situation juridique du „Comité international de la Croix Rouge“ en cas particulier de l’article XVI du

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Pacte de la Société des Nations. Avis Consultatif, Genève 1927; Gutachten zum ungarisch-rumänischen Agrarreformstreit, Zeitschrift für Ostrecht 2 (1928), 161–177; Völkerbund und geistige Zusammenarbeit (Rede), FW 27 (1927), 354–355; Vorwort zu: S. v. Pufendorf, De officio hominis et civis juxta legem naturalem libri duo, hrsg. von J. B. Scott, New York 1927, Bd. 1, 13a–30a, Bd. 2, 11a–27a Jean Spiropoulos, Nicht-anerkannte Staaten und Regierungen vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof, Revue de Droit international, des Sciences politiques et diplomatiques 5 (1927), 35–45 Wilhelm Tafel, Das internationale Recht der Nordsee, NiemeyersZ 37 (1927), 121–292 [zugl. Diss. Kiel 1923: Niemeyer] 1928 Hellmut Bauer, Das Prinzip der Internationalität der meerverbindenden Wasserstraßen und der Panamakanal, Diss. 1928: Schücking Marius Böger, Die Immunität der Staatsschiffe, Kiel 1928, 215 S. [zugl. Diss. Kiel 1928: Schücking] Hermann Held, Das Fundamentalproblem der Wissenschaft vom Staate. Versuch einer neuen Staats- und Rechtstheorie, Zeitschrift für Öffentliches Recht (ZÖR) 7 (1928), 251– 265; Chronik der Handelsverträge 1925–1927: WWA 28 (1928), 160*–172*, 180*–242*, 311*–344*, 443*–458*; Rezensionen in: WWA 27 (1928): G. Anschütz u.a. (Hrsg.), Handbuch der Politik, 3. Aufl., Bd. 6, 1926, 152*–153*; Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, H. 8, 1927, 283*–288*; Aus der Völkerrechtswissenschaft der Gegenwart (Rezensionsabhandlung), WWA 28 (1928), 1**–23** Hans Jacobs, Die internationale Zuckerkonvention, Berlin 1928 [zugl. Diss. 1928: Niemeyer] Udo Müller, Die Neuentstehung von Staaten.: Im Besonderen: Die Entstehung des Freistaates Thüringen der Freien Stadt Danzig und der Tschechoslovakischen Republik, Borna-Leipzig 1928 [zugl. Diss. 1928: Jellinek] Theodor Niemeyer, Zum ungarisch-rumänischen Streitfall betr. die ungarischen Optanten in Rumänien. Gutachten, NiemeyersZ 38 (1928), 354–364 [auf Französisch: Consulation concernant le différend entre la Hongrie et la Roumanie relativement aux optants hongrois, in: La réforme agraire en Roumanie et les optant hongrois de Transylvanie devant la Société des Nations, Band 2, Paris 1928, 254–272 ; auch als Einzelpublikation, Kiel 1928, 14 S.] Rudolf Pahl, Das völkerrechtliche Kolonial-Mandat, Berlin 1928, 222 S. [zugl. Diss. 1928: Schücking] Curt Rühland, Völkerrechtsliteratur, ZgS 85 (1928), 569–578 Walter Schätzel, Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht, Berlin 1928, 191 S.; Rechtskraft und Anfechtung von Entscheidungen internationaler Gerichte. Eine kritische Studie der internationalen Praxis, besonders der Rechtsprechung der gemischten Schiedsgerichte, Leipzig 1928, 191 S. Walther Schücking, Ludwig Quiddes Lebenswerk, FW 28 (1928), 1–6; Die Schuld im Kriege, in: Die Kriegsschuldfrage 1928, 77–82; Kodifikationen af Folkeretten, Okonomi og Politik 1928, 190–207; L’Allemagne et les Traités internationaux, in: Académie diplomatique internationale. Séances et Travaux, Paris 1928, Bd. III, 42–44; Vorwort zu: E. Alboldt, Die Tragödie der alten deutschen Marine, Berlin 1928 Jean Spiropoulos, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Völkerrecht. Eine Auslegung von Art. 38 des Statuts des Ständigen internationalen Gerichtshofs, Kiel 1928, 71 S.; L’individu en droit international, Paris 1928, 66 S.

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1929 Einträge in: K. Strupp (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Band 3 (V–Z), Berlin u.a. 1929: Bernhard Harms, Weltwirtschaft und Weltwirtschaftsrecht; Hermann Held, Vera-Cruz-Zwischenfall; Versailler Frieden (Reparationen); Wirtschaftskrieg; Zivilgefangenschaft; Walter Schoenborn, Verselbständigung von Staatsteilen; Zession Hermann Held, Deutschland im internationalen Recht, in: B. Harms (Hrsg.), Recht und Staat im Neuen Deutschland, Bd. 2, Berlin 1929, 362–407 [dort auch: Das Schrifttum zum Gesamtwerk. Bibliographie, 507–557]; Zum Begriff der Souveränität, Mitteilungen der DGVR 9 (1929), 66–69; Die Beschränkung der deutschen Souveränität, AöR 55 (1929), 144–147 (mit Hans Gelber); Einträge in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Band 3, 5. Aufl. Freiburg 1929: Kriegsrecht; Locarnoverträge; Meer, Meeresfreiheit; Chronik der Handelsverträge 1925–1928: WWA 29 (1929), 140*–170*, WWA 30 (1929), 282*– 316*, 393*–437*, 528*–577*; Rezension: J. Spiropoulos, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Völkerrecht, 1928, AöR 56 (1929), 463–467 Erich Kehl, Die subjektive Ausdehnung der völkerrechtlichen Sonderstellung des Gesandtschaftspersonals, Kiel 1929, 70 S. [zugl. Diss. 1928: Schücking] Theodor Niemeyer, Zuständigkeit des Völkerbundes für die Minderheitenfrage, NiemeyersZ 40 (1929), 325–338; Der Versailler Vertrag und seine Revisionsmöglichkeit, in: H. Schnee/H. Draeger (Hrsg.), Zehn Jahre Versailles, Band 1, Berlin 1929, 133–157 Curt Rühland, System der völkerrechtlichen Kollektivverträge: als Beitrag zur Kodifikation des Völkerrechts, Berlin 1929, 104 S.; Rezension: Bernhard Meier, Der Staatsangehörige und seine Rechte, insbesondere seine Vermögensrechte, im System des Völkerrechts, 1927, DJZ 1929, 114–115; Sammelrezensionen in ZgS 87 (1929): [1] Tübinger Abhandlungen zum öffentlichen Recht, Band 10: G. von Hackwitz, Die Neutralität im Luftkriegsrecht, 1927; Band 11: R. Mercker, Die Küstengewässer im Völkerrecht, 1927; Band 12: H. Pohl, Die Elsaß-Lothringische Frage, 1927; Band 14: L. Kleinknecht, Die Rechtsverordnungen in der Verfassung Württembergs vom 25. September 1919, 1928, 160–165: [2] Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Heft 5: T. Grentrup, Die Missionsfreiheit nach den Bestimmungen des geltenden Völkerrechts, 1928; Heft 6: J. Robinson, Das Minoritätenproblem und seine Literatur, 1928; Heft 8: J.M. Bumiller, Die völkerrechtliche Stellung der fremden Truppen im Saargebiet, 1928; Heft 9: Das Recht des Ausnahmezustandes im Ausland, 1928, 609–615 Walter Schätzel, Die elsass-lothringische Staatsangehörigkeitsregelung und das Völkerrecht. Eine rechtsvergleichende Studie der Probleme der Staatsangehörigkeitsregelung bei Gebietsveränderungen, Berlin 1929, 216 S.; Gegenwärtiger Stand der internationalen Gerichtsbarkeit und Schiedgerichtsbarkeit, in: B. Harms (Hrsg.), Recht und Staat im neuen Deutschland, Band 2, Berlin 1929, 452–475 Walter Schoenborn, Recht und Technik im modernen Seekriegsrecht. Rede zur Reichsgründungsfeier, Kiel 1929, 20 S. Walther Schücking, Das Recht auf Rheinlandräumung (Vortrag), Berlin 1929, 15 S. [abgedruckt in: DJZ 1929, 329–338]; Die Schule im Dienste der Volks- und Völkerversöhnung (Vortrag), Altona-Osdorf 1929, 20 S.; Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht, JW 1929, 1529; La Sarre allemande (La thèse allemande), La Revue des Vivants 1929, 1024–1031; Die Frage der Kündigung des belgisch-chinesischen Handelsvertrages von 1865. Gutachten, in: O. Schreiber (Hrsg.), Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 1, Berlin und Leipzig 1929, 72–121; Der Völkerbund, in: B. Harms (Hrsg.), Volk und Reich der Deutschen, Bd. 3, Berlin 1929, 52–84; Rezensionen: Bumiller, Die völkerrechtliche Stel-

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lung der fremden Truppen im Saargebiet, JW 1929, 1559; Pohl, Völkerrecht und Außenpolitik in der Reichsverfassung, JW 1929, 3464; Kraus, Internationale Schiedssprechung, JW 1929, 3470–3471 Hermann Wilmanns, Der Souveränitätsbegriff und das Deutsche Reich. Ein Beitrag zur modernen Souveränitätslehre, Borna-Leipzig 1929 [zugl. Diss. 1929: Jellinek] 1930 Viktor Böhmert, Die Rechtsgrundlagen der Beziehungen zwischen Danzig und Polen, ZVR 15 (1930), 694–702 Werner Braun, Démarche, Ultimatum, Sommation, Berlin 1930, 84 S. [zugl. Diss. 1929: Schoenborn] Gustav Cremer, Die Verfassung der internationalen Arbeitsorganisation, Berlin 1930, 50 S. [zugl. Diss. 1930: Schücking] Hermann Held, Einträge in: W. Hofstetter/U. Peters (Hrsg.), Sachwörterbuch der Deutschkunde, Band 2 (K–Z), Leipzig und Berlin 1930: Staat; Verfassung; Verwaltung; Chronik der Handelsverträge 1925–1928: WWA 31 (1930), 338–377, 641–695, WWA 32 (1930), 283–316; Rezensionen: in WWA 31 (1930): G. Lippert, Handbuch des Internationalen Finanzrechts, 2. Aufl. 1928, 277*–278*; W. Sauer, Lehrbuch der Rechts- und Sozialphilosophie, 1929, 287*; F. Blachly/M. Oatman, The Government and administration of Germany, 1928, 297*–298*; in WWA 32 (1930): T. Niemeyer (Hrsg.), Handbuch des Abrüstungsproblems, 1926/28, 154*–157*; C. Rühland, System der völkerrechtlichen Kollektivverträge als Beitrag zur Kodifikation des Völkerrechts, 1929, 160*–161* Theodor Niemeyer, Vom Beruf unserer Zeit zur Kodifikation des Völkerrechts und von der Lehre der Quellen des Völkerrechts, NiemeyersZ 42 (1930), 1–26 Curt Rühland, Rezension: H. Wintgens, Der völkerrechtliche Schutz der nationalen, sprachlichen und religiösen Minderheiten, 1930, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 24 (1930), 399 Eugen Saalfrank, Die Kondemnation deutscher und österreichischer Kauffahrteischiffe durch das belgische Prisengericht im Jahre 1919, NiemeyersZ 42 (1930), 31–128 [zugl. Diss. 1925: Niemeyer] Walter Schätzel, Das deutsch-französische Gemischte Schiedsgericht, seine Geschichte, Rechtsprechung und Ergebnisse, Berlin 1930, 140 S.; Die Gemischten Schiedsgerichte der Friedensverträge, JöR 18 (1930), 378–455; Der elektrische Nachrichtenverkehr, Weltwirtschaft 18 (1930), Sonderheft/Band 8, 213–243; Das französische Recht und seine Entwicklung, in: Handbuch der Frankreichkunde, Band 2, Frankfurt a.M. 1930, 73–99 Walther Schücking, Das Übergreifen des französischen Bergbaus von Lothringen aus in das Saargebiet – eine Verletzung des Versailler Vertrags und des allgemeinen Völkerrechts (Gutachten), Bonn 1930, 53 S.; Die Einarbeitung des Kelloggpaktes in den Völkerbundpakt und die Genfer Generalakte, Mitteilungen der DGVR 10 (1930), 178–195 [auch in: Acta Scandinavia juris gentium 1 (1930), 49–65]; Die Entwicklung der Völkerbundorgane in den letzten 10 Jahren, De Volkenbond 1930, 111–120; Die deutsche Mentalität in Haag gegenüber der Abrüstungsfrage, FW 30 (1930), 33–36; Rudolf Goldscheids Haltung im Weltkriege, FW 30 (1930), 196–199; La Révision du Pacte de la Société des Nations, Revista de drept international 1930, 38–46 ; La portée des règles de Droit constitutionel pour la conclusion et la ratification des traités internationaux, Annuaire de l’Institut International de Droit Public 1930, 225–227

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1931 Viktor Böhmert, Die Rechtsgrundlagen für Deutschlands Recht auf Abrüstung seiner Vertragsgegner. Ein Vergleich des Art. 8 mit der Präambel des Teils V des Versailler Friedens, Berlin 1931, 59 S.; Deutschlands Anspruch auf die Abrüstung der Vertragsgegner von Versailles, DJZ 1931, 211–215 Walter Fuglsang, Der amerikanisch-holländische Streit um die Insel Palmas vor dem Ständigen Schiedshof in Haag, Berlin 1931, 148 S. [zugl. Diss. 1930: Schücking] Hanna Gressler, Sinn und Tragweite des Artikels 11 der Völkerbundsatzung, Kiel 1931, 52 S. [zugl. Diss. 1931: Schücking] Hermann Held, Einträge in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Band 4, 5. Aufl. Freiburg 1931: Rechtshilfe; Sanktion; Band 5, 5. Aufl. Freiburg 1931: Völkerrecht; Weltrecht; Wirtschaftskrieg; Chronik der Handelsverträge 1929: WWA 34 (1931), 305–337, 644–678; Rezension: W. Schoenborn, Recht und Technik im modernen Seekriegsrecht, AöR 59 (1931), 466–468 Fritz Münch, Ist an dem Begriff der völkerrechtlichen Servitut festzuhalten? Berlin 1931, 121 S. [zugl. Diss. 1930: Schücking] Curt Rühland, Nationalität der Binnenschiffe. Das Grundproblem der Arbeiten des Völkerbundes für ein internationales Binnenschiffahrtsrecht, in: Festschrift für M. Pappenheim zum fünfzigsten Jahrestage seiner Doktorpromotion, Breslau 1931, 217–250 Walter Schoenborn, La nature juridique du territoire, RdC 30 (1931–III), 81–189 Walther Schücking (unter Mitarbeit von Viktor Böhmert), Die Satzung des Völkerbundes. Kommentar, Band 1, 3. Aufl. Berlin 1931, 604 S. (mit H. Wehberg) Walther Schücking, Die Revision der Völkerbundssatzung im Hinblick auf den Kelloggpakt, Berlin 1931, 43 S.; Das Völkerrecht in Lehre und Prüfung, ZVR 15 (1930), Ergänzungsheft 2 (1931), 99–103; Der Wert des Studiums des ausländischen Rechts, Inter Nationes 1931, 8–9; Ein neuer Weg zur Abrüstung, FW 31 (1931), 133–134 [auch in: Das neue Europa 1931, H. 7/8, 24–25]; Kurt Wolzendorff, Die Justiz 1931, 281–291; Der Kodifikationsversuch betreffend die Rechtsverhältnisse des Küstenmeeres und die Gründe seines Scheiterns, in: Festschrift für M. Pappenheim, Breslau 1931, 319–378; Alfred Hermann Fried, in: Encyclopedia of the Social Sciences, Band 6, New York 1931, 492; Vorwort zu: R. Ramlow, Das Minderheitenschutzverfahren des Völkerbundes, Berlin 1931; Vorwort zu: W. Kipke (Hrsg.), Wissenschaftliche Beiträge zu aktuellen Fragen, Berlin 1931, H. 2, 3–4; H. 3, 5–6 Werner Vogel, Der Gemeingebrauch am Meeresstrand im preußischen Recht, Pritzwalk 1931 [zugl. Diss. 1930: Schoenborn] 1932 Günther Beitzke, Die Rechtsstellung der Bank für internationalen Zahlungsausgleich insbesondere im Völkerrecht, Borna-Leipzig 1932, 90 S. [zugl. Diss. 1932: Schücking] Viktor Böhmert, Zur Präambel des Teils V des Friedensvertrages, DJZ 1932, 728–729; Zum Memel-Urteil, DJZ 1932, 1099–1102; Der Art. 164 des Versailler Vertrags, JW 1932, 2569–2570; Bericht über die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht vom 22. bis 24.9.1932 in Kassel, DJZ 1932, 1273–1275 Viktor Böhmert/Rudolf Laïs/Karl Mannzen/Curt Rühland, Sowjetunion und Völkerrecht. Die Fragen der Anerkennung der Schulden, der Auslandspropaganda und des Außenhandelsmonopols, Berlin 1932, 110 S. Carl Buschauer, Grenzen von Streitigkeiten vor einem internationalen Schiedsgericht und solcher für das Schlichtungsverfahren, Diss. 1932: Schücking

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Hermann Held, Chronik der Handelsverträge 1929 (Forts.): WWA 35 (1932), 321–356; Chronik der Handelsverträge 1930: WWA 36 (1932), 226*–296*; Völkerrecht und Völkerrechtswissenschaft (Rezensionsabhandlung), WWA 35 (1932), 1*–20*; Rezensionen: in WWA 35 (1932): R. Riedl, Die Meistbegünstigung in europäischen Handelsverträgen, 1928, 231*–232*; in WWA 36 (1932): Zollhandbuch für das Deutsche Reich, bearb. von O. Lang, 3. Aufl. 1931, 202*; J. Magnus (Hrsg.), Tabellen zum internationalen Recht, 2. Aufl. 1930, 257* Rudolf Laïs, Die Rechtsfolgen völkerrechtlicher Delikte, Berlin 1932, 163 S. [zugl. Diss. 1930: Schücking] Karl Mannzen, Sowjetunion und Völkerrecht, Berlin 1932, 110 S. [zugl. Diss. 1930: Schücking] Hans Gerd Niemeyer, Einstweilige Verfügungen des Weltgerichtshofs, Leipzig 1932, 108 S. [zugl. Diss. 1932: Schücking] Theodor Niemeyer, Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht, DJZ 1932, 1088–1091 Rudolf Ramlow, Das Minderheitenschutzverfahren des Völkerbundes, Berlin 1931 und Kiel 1932, 94 S. [zugl. Diss. 1932: Schücking] Curt Rühland, Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht. Zur Tagung zu Kassel, 22.–25. September 1932, zugleich ein Rückblick zum 15-jährigen Bestehen der Gesellschaft, JW 1932, 2761–2762 Walter Schätzel, Rezensionen in: ZgS 93 (1932): L. Wohlmann, Die Kompetenz zum Abschlusse von Staatsverträgen nach Völkerrecht, 1931, 360–361; H. Wintgens, Der völkerrechtliche Schutz der nationalen, sprachlichen und religiösen Minderheiten, 1930, 512–515 Walter Schoenborn, Enthält der Artikel 231 des Versailler Friedensvertrages ein Urteil über die Verantwortlichkeit Deutschlands am Kriege?, Berliner Monatshefte 10 (1932), 736–751; dazu: Artikel 231: Eine Zuschrift von Prof. Le Fur mit einer Stellungnahme von Prof. Schoenborn, Berliner Monatshefte 10 (1932), 1002–1007; Rezension: F. Meinecke, Geschichte des deutsch-englischen Bündnisproblems 1890–1901, WWA 35 (1932), 144–146 Walther Schücking, Das Abrüstungsproblem, Mitteilungen der DGVR 12 (1932), 5–25; Die Definition des Angriffs, Völkerbund – Die Abrüstungskonferenz: Zeitschrift der Deutschen Liga für Völkerbund 1932, Nr. 12, 1–3; Vorwort zu: A. Nichols, Neutralität und amerikanische Waffenausfuhr insbesondere in bezug auf den Pakt von Paris, Berlin 1932; Rezensionen: K. Strupp, Das Recht des internationalen Richters, nach Billigkeit zu entscheiden, JW 1932, 25–27 (mit W. Simons); K. Strupp, Eléments du Droit international public, JW 1932, 2251 Walther Schücking/Curt Rühland/Viktor Böhmert, Die Organisation der Völkerbundsexekution gegen den Angreifer, ZVR 16 (1932), 529–571 1933 Viktor Böhmert, Die Rechtsgrundlagen der Beziehungen zwischen Danzig und Polen, Berlin 1933, 71 S.; Die Garantie der Verfassung der freien Stadt Danzig durch den Völkerbund, in: Danziger juristische Monatsschrift 1933, 99–103 Hermann Held, Der Rechtsbruch von Versailles, DJZ 1933, 1618–1619; Übersetzung: J.D. Clark, Staatskontrolle der Petroleumerzeugung in den Vereinigten Staaten von Amerika, WWA 38 (1933), 207–223; Rezensionen: in WWA 37 (1933): P. J. Noel Baker, The Present Juridical Status of the British Dominions in International Law, 115*–117*; I. Seipel, Der Kampf um die österreichische Verfassung, 1930, 123*; in WWA 38 (1933): F.R./P. Dareste, Les constitutions modernes, 4. Aufl. 1928–1932, 141*–142*

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Curt Rühland, Le problème des personnes morales en droit international privé, RdC 45 (1933), 287–475; Rezensionen: P. Barandon, Das Kriegsverhütungsrecht des Völkerbundes, WWA 38 (1933), 298*–300*; V. Böhmert, Die Rechtsgrundlagen der Beziehungen zwischen Danzig und Polen, 1933, ZVR 17 (1933), 140 Walter Schätzel, Rezensionen: G. Cohn, Kriegsverhütung und Schuldfrage, ZgS 94 (1933), 149–151; Festgabe der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Breslau für P. Heilborn zum 70. Geburtstag, ZgS 94 (1933), 505–507 Walter Schoenborn, Der Artikel 19 der Völkerbundssatzung, Berliner Monatshefte 11 (1933), 945–959; Rezension: S. Bradshaw Fay, The Origins of the World War, WWA 37 (1933), 124–130 Walther Schücking, La révision des traités (Art. 19 du Pacte), in: Dictionnaire diplomatique, Band II, Paris 1933, 967–968; Heinrich Lammasch, in: Encyclopedia of the Social Sciences, Band 9, New York 1933, 26; Rezension: R. v. Laun, Staat und Volk, 1933, FW 33 (1933), 257–263 Werner Wilmanns, Die Gebietsgarantie des Völkerbundes. Ein Beitrag zur Auslegung und Würdigung des Artikels 10 der Völkerbundsatzung, ZVR 17 (1933), 26–112 [zugl. Diss. 1932/33: Schücking] Hans-Günther Wundram, Die Fakultativklausel (Art. 36 Abs. II und III des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofs), Wertheim 1933, 51 S. [zugl. Diss. 1932: Schücking] 1934 Viktor Böhmert, Der Artikel 19 der Völkerbundsatzung. Mit Exkursen über den Einfluß der Unmöglichkeit der Leistung auf völkerrechtliche Verträge, über Art. 8 Abs. 3 der Völkerbundsatzung und über die Stellung der Völkerbundpraxis zum Stimmrecht der Parteien, Kiel 1934, 241 S. [zugl. Habilitationsschrift Kiel 1933]; Die Grundlagen der Entscheidung des Völkerbundes über das Ergebnis der Saarabstimmung, ZVR 18 (1934), 90–97; Rezensionen in ZVR 18 (1934): S. Pufendorf, De Jure Naturae et Gentium (Ausgabe „Classics of International Law“, 1934), 368; A. Gentili, De Jure Belli (Ausgabe „Classics of International Law“, 1933), 368–369; B.M. Telders, Der Kampf um die neue Rheinschiffahrtsakte..., 1934, 372 Ekkehard Geib, Das Verhältnis der Völkerbundssatzung zum Kelloggpakt, Diss. 1932: Schücking (Imprimatur 1934) Hermann Held, Unter dem „Friedensvertrag von Versailles“ vom Eintritt Deutschlands in den Völkerbund bis zum Sieg der nationalen Erhebung des deutschen Volkes. Eine Untersuchung und Wertung, JöR 21 (1933/34), 205–334; Über die Gebietsregelung des Diktats von Versailles. Besprechung von: W.H. Dawson, Germany under the Treaty, London 1933, WWA 39 (1934), 187*–192* Fritz Münch, Die technischen Fragen des Küstenmeers, Kiel 1934, 187 S. Curt Rühland/Viktor Böhmert, Die rechtliche Unzulässigkeit der Verwendung französischer Truppen im Saargebiet, Kiel 1934, 46 S. Curt Rühland, Systematisches Verzeichnis der völkerrechtlichen Kollektivverträge, in: E. Wolgast, Völkerrecht, Berlin 1934 [= Band 13 von R. Stammler (Hrsg.), Das gesamte deutsche Recht in systematischen Darstellungen, S. 689–993]; Staatsverträge und nationalsozialistische Rechtsauffassung, ZVR 18 (1934), 133–144; Die Académie Diplomatique Internationale und die französische Saarpropagande, ZVR 18 (1934), 331–338; Rezensionen in ZVR 18 (1934): Bauer, Das Unterseeboot, 1931, 246; A. Bergmann, Der Ausländer im deutschen Recht, 247; K. Schmid, Die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, 1932, 369; Statut et Règlement de la Cour permanente de Jus-

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tice internationale. Eléments d’interprétation, 370; B. v. Geöcze, Die Zuständigkeit internationaler Gerichtshöfe, 1933, 370–371; A.H. Fells/M.O. Hudson, A Collection of the Diplomatic and Consular Laws and Regulations of Various Countries, 1933, 371; C.C. Pfuel, Wiener Kongreß/Versailler Vertrag. Ein Vergleich, 1934, 372 Walter Schoenborn, Zur Vorgeschichte des Weltkrieges. Besprechung von: H. Oncken, Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Weltkrieges, WWA 39 (1934), 1–7 Walther Schücking, Die Aufgaben der deutschen Völkerrechtswissenschaft, FW 34 (1934), 145–150; Der Schutz der wohlerworbenen Rechte im Völkerrecht, in: Festgabe für M. Huber zum 60. Geburtstag, Zürich 1934, 198–218 1935 Viktor Böhmert, Die „Gemeinschaften“ der Balkanvölker und das Völkerrecht. Betrachtungen zu den Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes vom 31. Juli 1930 und 6. April 1935, ZVR 19 (1935), 265–326; Deutschland, die Hauptmächte, Litauen und Memel, JW 1935, 1595–1597; Rezensionen in ZVR 19 (1935): G.A. Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, 1933, 121–123; Hudson, By pacific means, 1935, 500 Hermann Held, Volk, Recht und Staat im Lichte deutscher Rechtserneuerung. Staats- und rechtswissenschaftliches Denken der deutschen Gegenwart, Berlin 1935, 50 S.; Vorbehalt und Verweisung im deutschen internationalen Privatrecht, Acta Scandinavica juris gentium 6 (1935), 73–80; Zur Anwendung fremden Rechts, WWA 41 (1935), 127*–136* Hans K. E. L. [Karl Ernst Ludwig] Keller, Gegenreich Frankreich. Geschichte des westlichen Internationalismus, Berlin 1935 [zugl. Diss. 1932: Schücking] Curt Rühland, Der Beschluß des Völkerbundrates vom 17. April 1935 über die Frage der Rechtmäßigkeit des deutschen Wehrgesetzes vom 16. März 1935, ZVR 19 (1935), 131– 146; Rezensionen: Martini, Blockade im Weltkrieg, 1932, ZVR 19 (1935), 125–126; C. Schmitt, Der deutsche Staat der Gegenwart, 1935, ebd., 259; A. Spindler, Der Handelskrieg mit U-Booten, 1932–34, ebd., 262–263; J. Hohlfeld, Deutsche Reichsgeschichte in Dokumenten 1849–1934, 1934, ebd., 263–264; A. Möller, International Law in peace and war, 1935, ebd., 374; L. Oppenheim, International law, a treatise, vol. II: Disputes, war and neutrality, 1935, ebd., 498–499; E.G. Jacob, Kolonialpolitisches Quellenheft, 1935, ebd., 500–501; W. Manning, Diplomatic Correspondence of the United States. Interamerican Affairs 1831–1860, 1932–35, ebd., 502; J.D. Bloch, Handbuch zur schleswigschen Frage, III. Band: Die Teilung Schleswigs 1918–1920, 1934, DJZ 1935, Sp. 302 Walter Schoenborn, Völkerrechtliche Betrachtungen zur Rede des Führers vom 21. Mai 1935, ZAkDR 2 (1935), 937–939; Rezensionen: H. Nicolson, Friedensmacher 1919 (Peacemaking 1919), 1933, WWA 42 (1935), 199*–202*; in ZVR 19 (1935): F. Fromme, Irlands Kampf um Freiheit, 1933, 381–382; D. Husemann, Die rechtliche Stellung Christlicher Missionen in China, 499 Freimut Springe, Die Beendigung des völkerrechtlichen Mandats durch Zweckerreichung, Hamburg 1935, 123 S. [zugl. Diss. 1934: Rühland] Richard Weskott, Das Privateigentum im Seekriegsrecht, Quakenbrück 1935, 126 S. [zugl. Diss. 1935: Rühland] 1936 Viktor Böhmert, Der Memelprozeß, Völkerbund und Völkerrecht 2 (1936), 104–109; Die isländische Fischereigrenze, ZVR 20 (1936), 385–433; Die Luftseegrenze. Eine Studie zur Staatenpraxis der Nachkriegszeit, Archiv für Luftrecht (ArchLR) 6 (1936), 77–105; Rezensionen: H. Korte, Grundfragen der völkerrechtlichen Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der Staaten & K. Reichhelm, Der Angriff. Eine völkerrechtliche Untersuchung über den

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Begriff, ZgS 96 (1936), 590–592; J.M. Yepes/P. da Silva, Commentaire théorique et pratique du Pacte de la Société des Nations, Tome I, 1934, ZVR 20 (1936), 250–254 Hermann Held, Weltwirtschaftsrecht. B. Harms in Schüler- und Mitarbeitertreue dargereicht zum 60. Geburtstage, 1936: Band 1: Meistbegünstigung, Kiel 1936, 129 S. [Ms., kein weiterer Band des auf 10 Bände geplanten Werks erschienen; erweiterte Fassung publiziert als: Wirtschaftliche Gleichberechtigung, Berlin 1937, 176 S.].; Staats-, Gemeindeund Beamtenhaftung nach niederländischem Recht, ZVglRWiss 50 (1936), 243–255; Aus der Staats- und Völkerrechtswissenschaft der Gegenwart (Rezensionsabhandlung), WWA 43 (1936), 55*–81* Bernhard Herzog, Der Begriff der Ratifikation und die Bedeutung seiner Technik für das Völkerrecht, Diss. 1930: Schücking (Imprimatur 1936) Rudolf Neumann, Die Anfechtbarkeit internationaler Schiedssprüche aus den in der Person des Richters begründeten Mängeln, Kiel 1936, 87 S. [zugl. Diss. 1936: Rühland] Curt Rühland, Rezensionen in ZVR 20 (1936): J.L. Brierly, Law of Nations, 2. ed., 1936, 243; H. Rogge, Nationale Friedenspolitik, 1934, 249–250; M. Freund, Weltgeschichte der Gegenwart in Dokumenten, 1934/35, Teil 1: Internationale Politik, 1936, 254–255, Teil 2: Staatsform und Wirtschaft der Nationen, 1937, 131–132; Académie de droit international: Recueil des cours: 1934, vol. III–IV, 1935, vol. I–III, 255–256; Jahrbuch der Konsularakademie, 256; J. Kunz, Kriegsrecht und Neutralität, 1935, 382–383; K. Schwendemann, Abrüstung und Sicherheit, Bd. 2, 1936, 383–383; A. v. Wegerer, Bibliographie zur Vorgeschichte des Weltkrieges, 384; G.G. Wilson(-Tucker), International law, 9th ed., 1935, 512 Walter Schätzel, Das Memelgebiet als völkerrechtliches Problem, Berliner Monatshefte 1936, 43–57 1937 Viktor Böhmert, Die grönländische Fischereigrenze, ZVR 21 (1937), 46–86; Die Beschießung des befestigten Hafens Almeria, eine gerechte Selbsthilfemaßnahme, ZVR 21 (1937), 297–307; Die russische Fischereigrenze: Teil 1, ZVR 21 (1937), 441–496 Wolfgang Haver, Wurde Ostgrönland durch Dänemark in dem Zeitraum von 1921 bis 1931 okkupiert? Kiel 1937, 144 S. [zugl. Diss. 1937: Rühland] Hermann Held, Gebiet und Boden in den Rechtsgestalten der Gebietshoheit und Dinglichkeit, Breslau 1937, 146 S.; Völkerrechtliche Grundlagen des deutschen Kolonialanspruchs, in: Deutscher Kolonial-Dienst: Ausbildungsblätter des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP, Heft 2 vom 17.7.1937, 5–9 Andreas Hilger, Das Verhältnis von Staat und Partei in der Gemeindeverfassung Deutschlands, Sowjetrußlands und Italiens, VerwArch 42 (1937), 41–80 [zugl. Diss. 1936: Schoenborn] Hans-Ludwig Martens, Das Recht der Nacheile zur See, Grömitz 1937, 212 S. [zugl. Diss 1933: Schücking] Herbert Monath, Die Rechtslage am Suezkanal, Kiel 1937, 89 S. [zugl. Diss. 1937: Schoenborn] Curt Rühland, Rezensionen in ZVR 21 (1937): V. Bruns/G. v. Gretschaninow, Politische Verträge, Band I, 1936, 130; A. v. Verdroß, Völkerrecht, 1937, 378–380; Beiträge zur deutschen Kolonialfrage, hrsg. von D. Westermann, 1937, 381–382; J. Suche, Der Meerengenvertrag von Montreux, 1936, 382–383; Jahrbuch der Konsularakademie zu Wien, 1936, 385 1938 Viktor Böhmert, Die russische Fischereigrenze: Teil 2, ZVR 22 (1938), 257–306; Die Freiheit der Luftfahrt im Luftraum über dem nördlichen Polarmeer, ArchLR 8 (1938), 248– 289

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Georg Hahn, Der Augustkurs der Akademie für Internationales Recht im Haag, Kieler Blätter 1938, 327–328; Rezension: R. v. Förster, Schiedssprechung und Repressalie, 1936, ZVR 22 (1938), 256 Hermann Held, Der Anschluß. Ein Kapitel „Völkerrecht“ aus der Nachkriegszeit, ZAkDR 5 (1938), 222–225; Die Überwindung des „Friedensvertrags von Versailles“ durch die deutsche Völkerrechtspolitik 1933–1938, JöR 25 (1938), 418–499; Aus der Völkerrechtswissenschaft der Gegenwart: Rezension von: A. v. Verdross, Völkerrecht, 1937; F.W. v. Rauchhaupt, Völkerrecht, 1936; H. Drost, Grundlagen des Völkerrechts, 1936; A. Wegner, Geschichte des Völkerrechts, 1936; A. Sanchez de Bustamante y Sirven, Derecho internacional público, Teil 3 und 4, 1936–37, WWA 48 (1938), 76*–90* Harald Heyns, Die Anwendung von militärischen Repressalien unter Völkerbundmitgliedstaaten, Baruth 1938, 57 S. [zugl. Diss. 1937: Rühland] Robert Albrecht Lienau, Stellung und Befugnisse des Präsidenten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, Berlin 1938 147 S. [zugl. Diss. 1929: Schücking] Robert Plagge, Probleme des eigenen Nachrichten- und Beförderungsverkehrs des Völkerbundes, Diss. 1933: Schücking (Imprimatur 1938) Walter Schoenborn, Rezensionen: Die Britischen Amtlichen Dokumente über den Ursprung des Weltkrieges 1898–1914, WWA 48 (1938), 188*–190*; R. Fuß, U-Boot-Krieg 1915, 1937, ZVR 22 (1938), 254–255 Gerd Stadtländer, Die Verwendung von Minen im Seekrieg. Eine völkerrechtliche Studie, Düsseldorf 1938, 85 S. [zugl. Diss. 1936: Rühland] 1939 Viktor Böhmert, Die Spitzbergensche Fischereigrenze, ZVR 23 (1939), 317–338, 449– 482; Das 25. Jubiläum des Instituts für Politik und Internationales Recht an der Universität Kiel, Kieler Blätter 1939, 126–127; Rezensionen in ZVR 23 (1939): C. Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, 1938, 126–127; C. Bilfinger, Völkerbundsrecht gegen Völkerrecht, 127–128 Oscar Brexendorff, Die Beschlagnahme neutraler Schiffe. Ein Beitrag zum Angarienrecht unter besonderer Berücksichtigung der Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträge, Speyer 1939, 88 S. [zugl. Diss. 1939: Schoenborn] Dietrich Christensen, Der Grundsatz der Verkehrsfreiheit im überseeischen Luftverkehr, Berlin u.a. 1939, 64 S. [zugl. Diss. 1938: Böhmert] Georg Hahn, Grundfragen europäischer Ordnung. Ein Beitrag zur Neugestaltung der Völkerrechtslehre, Berlin u.a. 1939, 208 S. [zugl. Diss. 1938: Ritterbusch]; Rezension: H. Raschhofer, Nationalität als Wesen und Rechtsbegriff, 1937, ZVR 23 (1939), 125–126 Rudolf Linau (?), Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, Diss. 1939: Ritterbusch oder Böhmert Walter Schoenborn, Jules Cambon, Berliner Monatshefte 17 (1939), 255–269; Rezensionen in: ZVR 23 (1939): G. Röhrig, Ziele selbständiger Luftangriffe, 1938, 251–253; G. Wirsing, Engländer, Juden, Araber in Palästina, 1938, 490–493 Kurt Weege: Panamerikanismus und Monroedoktrin. Eine völkerrechtliche und politische Arbeit, Schönberg 1939, 113 S. [zugl. Diss. 1939: Böhmert] 1940 Viktor Böhmert, Die Fischereigrenzen des Nordens, Band 1, Berlin 1940, 265 S. [Band 2 nicht erschienen]; Die Panamerikanische Neutralitätskommission. Eine Übersicht über die Ergebnisse ihrer ersten Tagung, ZAkDR 7 (1940), 233–234

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Hans-Helmut Dietze, Die Botschafter Englands und Frankreichs beim Heiligen Stuhl nach Eintritt Italiens in den Krieg, ZÖR 20 (1940), 563–572; Die Auflösung der europäischen Scheinverfassung vom 28.6.1919, Kieler Blätter 3 (1940), 20–28; Die Kriegs-und Greuelpropaganda unserer Feinde. Erkenntnis und Abwehr, Kieler Blätter 3 (1940), 124–131; Europas Schicksalswende. Zum Waffenstillstand von Compiègne, Kieler Blätter 3 (1940), 266–280; Die Herren von Angers …, Kieler Blätter 3 (1940), 317–325; Deutschland – der Feind des Völkerrechts? Entwicklung und Widerlegung einer westeuropäischen Ideologie, DR 10 (1940), 1905–1912 Richard Naumann, England und der deutsche Volksstaat, Kieler Blätter 3 (1940), 219– 240; England und die deutsche Staatsidee, Deutschlands Erneuerung 24 (1940), 347–359 Helmut Neveling (?), Die englische Herrschaft in Indien, Diss. 1940: Ritterbusch (?) Klaus Günter Pingel, Die kroatische Frage. Ihre völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Entwicklung vom Ausgang des Weltkrieges bis zum Verständigungsabkommen vom 26. August 1939, Diss. 1940: Böhmert Paul Ritterbusch (Hrsg.), Politische Wissenschaft. 6 Abhandlungen, die auf der Arbeitstagung des Kieler Instituts für Politik und internationales Recht vom 29. März bis 1. April 1939 vorgetragen wurden, Berlin 1940, 191 S.; (Hrsg.), Festschrift zum 275jährigen Bestehen der Christian-Albrechts-Universität Kiel, Leipzig 1940, 478 S. (mit H. Löhr u.a.). Darin: Paul Ritterbusch, Die Entwicklung der Universität Kiel seit 1933, 447–466 1941 Hans Biss, Völkisches Reich und Protektoratsautonomie, Diss. 1941: Ritterbusch? Viktor Böhmert, Die Rechtsprechung des französischen Prisenrats im gegenwärtigen Krieg bis zum Waffenstillstand, ZVR 25 (1941), 45–56; Rezensionen: G. Kappus, Der völkerrechtliche Kriegsbegriff in seiner Abgrenzung gegenüber den militärischen Repressalien, ZgS 101 (1941), 209–210; C. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte, 1939, ZVR 24 (1940/41), 134–140 Hans-Helmut Dietze, Vom deutschen Verfassungsrecht zum europäischen Verfassungsrecht, DR 11 (1941), 801–813; Der Rechtskampf gegen den Bolschewismus, DR 11 (1941), 1809–1816; Rezensionen: H. Lüpke, Die Zerschlagung Deutschlands. Verträge und Kriegsziele 1648, 1919 und 1940, Raumforschung und Raumordnung 5 (1941), 280; J. v. Kempski, Der Überfall auf Kopenhagen 1807, 1940, ZVR 25 (1941), 128 Hermann Held, Europäische Volksgemeinschaft, europäisches Völkerrecht, ZÖR 21 (1941), 217–232; Der Wirtschaftskrieg 1939–1940. Grundsätzliche Gedanken zum neuen Schrifttum, ZÖR 21 (1941), 452–467 Walter Schoenborn, Rezensionen in ZVR 24 (1940/41): G.F.S. Bowles, Die Stärke Englands, 1938, 269–272; H.K.E.L. Keller, Das Recht der Völker, Bd. 1: Abschied vom „Völkerrecht“, 1938, 378–380 1942 Hans-Helmut Dietze, Rezensionen in ZÖR 22 (1942): Aschenbrenner, Archiv für das Recht der internationalen Organisationen, 557–558; A. Freiherr v. Freytagh-Loringhoven, Völkerrechtliche Neubildungen im Kriege, 560–561 Walter Schoenborn, Völkerrecht, in: Frontsoldatenbriefe der Kieler Rechts- und Staatswissenschaflichen Fakultät, Folge 2, 1942, 12 S.; Rezension: F. Hartung, Volk und Staat in der deutschen Geschichte, WWA 55 (1942), 102–105 1943 Viktor Böhmert, Einleitung und Bearbeitung von: A.C. Bell, Die englische Hungerblockade im Weltkrieg 1914–15: nach der amtlichen englischen Darstellung der Hungerblo-

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ckade, 1943, 335 S.; Die amtliche britische Darstellung der englischen Hungerblockade des Weltkrieges 1914–18 und ihre Lehren für die Gegenwart, Auswärtige Politik 10 (1943), 586–591 Hans-Helmut Dietze, Die päpstlichen Nuntien, Frankfurt a.M. 1943, 239 S. Richard Naumann, Deutsche und englische Staatsauffassung, in: C.A. Weber (Hrsg.), Die englische Kulturideologie, Band 2, 1943, 239–281 Walter Schoenborn, Rezension: W. Heissig, Das gelbe Vorfeld. Die Mobilisierung der chinesischen Außenländer, Historische Zeitschrift, 167 (1943), 613–614 1944 Werner Brorsen, Die Stellung Albaniens im Faschistischen Imperium als Beispiel für eine neue Raumordnung, Diss. 1944: Schoenborn oder Larenz (für Ritterbusch?) Hans-Helmut Dietze, Die Entwicklung des Völkerrechts im Kriege, DR 14 (1944), 19–20; Rezension: Korte, Lebensrecht und völkerrechtliche Ordnung, ZÖR 23 (1944), 129–130 Walter Schoenborn, Rezension: E. v. Vietsch, Das europäische Gleichgewicht. Politische Idee und staatsmännisches Handeln, ZgS 104 (1943/44), 451–457 1946 Hermann v. Mangoldt (Hrsg.), Kriegsdokumente über Bündnisgrundlagen, Kriegsziele und Friedenspolitik der Vereinten Nationen, Hamburg 1946, 69 S. 1947 Hermann v. Mangoldt, Grundsätzliches zum Neuaufbau einer deutschen Staatsgewalt. Eine staats- und völkerrechtliche Studie, Hamburg 1947, 16 S. 1948 Hartwig Bülck, Darf die Schweiz entwichene deutsche Kriegsgefangene an Frankreich ausliefern? Artikel aus der schweizerischen Tageszeitung „Die Tat“ Nr. 327 vom 28. November 1947 mit Anmerkung, Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht (JIAÖR) 1 (1948), 359–368 Theodor Fitting, Der Einfluß der Eheschließung auf die Staatsangehörigkeit der Frau, Diss. 1948: Böhmert Hermann v. Mangoldt, San Francisco Charta der Vereinten Nationen, Hamburg 1948, 155 S.; Die Kriegsziele der Vereinten Nationen und das Völkerrecht der Nachkriegszeit: im Spiegel amtlicher und offiziöser Äußerungen aus der Kriegszeit, Hamburg 1948, 60 S.; Das Kriegsverbrechen und seine Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart. Eine völkerrechtliche Studie, JIAÖR 1 (1948), 283–334; Zur rechtlichen Natur der bizonalen Wirtschaftsverwaltung. Eine Entgegnung, MDR 1948, 438–442 1949 Alfons Galette, Die Neugestaltung des Verfassungsrechts der deutschen Landkreise in der britisch besetzten Zone. Eine vergleichende Untersuchung zum preußisch-deutschen Kreisverfassungsrecht und zum System der englischen Lokalverwaltung, Diss. 1949: Held Hermann v. Mangoldt, Das Völkerrecht in den neuen Staatsverfassungen (1949), posthum (1954) veröffentlicht in: JIR 3 (1950/51), 11–25 Uno Ruus, Die staatsrechtliche Stellung des Präsidenten der Republik Estland und ihre Entwicklung, Diss. 1949: Böhmert 1950 Jacob Jessen, Rechtsfragen der Deutschen Umsiedlung nach dem zweiten Weltkrieg: unter Verwertung der Erfahrungen des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausches aus den Jahren 1923–1925, Diss. 1950: v. Mangoldt

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Hermann v. Mangoldt, Deutschlands völkerrechtliche Stellung heute, Politisches Jahrbuch der CDU/CSU 1 (1950), 40–46 Hellmut Mardersteig, Funkwellen insbesondere Rundfunkwellen im Völkerrecht. Eine rechtstheoretische Untersuchung mit technischen und funkrechtsgeschichtlichen Grundlagen, Diss. 1950: Held 1951 Hans W. Baade, Die Anerkennung im Ausland vollzogener Enteignungen, JIR 3 (1950/51), 132–141 Viktor Böhmert, Fall des Dampfers „Ausma“. Urteile des Prisenhofs Berlin vom 13.8.1942 und des Ober-Prisenhofs vom 18.8.1944, JIR 3 (1950/51), 152–160 Hartwig Bülck, Das Recht auf Heimat, JIR 3 (1950/51), 58–84; Die neue Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, ZgS 107 (1951), 90–119; Das internationale Abkommen über die Todeserklärung Verschollener vom 6.4.1930, NJW 1951, 747–750 Jürgen Kalkbrenner, Die Tötung von Einwohnern kriegsmäßig besetzter Gebiete durch die Besatzungsmacht als Gegenmaßnahme gegen Widerstandshandlungen, an denen sie nicht beteiligt gewesen sind, Diss. 1951: Böhmert Hermann v. Mangoldt, Organisation und Aufgaben der Vereinten Nationen, in: H. Wandersleb (Hrsg.), Recht, Staat, Wirtschaft, Band 3, Stuttgart 1951, 198–215 Max Scheder-Bieschin, Verträge zugunsten Dritter im Völkerrecht, Diss. 1951: Held Helmut Schläfereit, Rechtsetzung durch internationale Organisationen. Ein Beitrag zur Lehre von der Souveränität, Diss. 1951: v. Mangoldt Franz Friedrich Spangenberg, Die Zwangsarbeit der Bevölkerung kriegsbesetzter Gebiete und das Völkerrecht, Diss. 1951: Held 1952 Hans W. Baade, Die Behandlung des feindlichen Privatvermögens in den Vereinigten Staaten von Amerika: unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Vermögens mit Ausnahme von Warenzeichen, Patenten, Urheberrechten und Schiffen, Düsseldorf 1952, 240 S. [zugl. Diss. 1951: Held] Hartwig Bülck, Die Lohngleichheit von Mann und Frau als internationales Rechtsproblem, RdA 1952, 1–5 Uwe Harder, Die Annexion während des Krieges, Diss. 1952 (1953?): Böhmert Werner Kaak, Der gewaltsame Widerstand feindlicher Handelsschiffe gegen prisenrechtliche Massnahmen, Diss. 1952: Böhmert Hermann v. Mangoldt, Ist die Änderung des Grundgesetzes erforderlich, um die in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit militärische Verbände aufstellen zu können? Kann insbesondere das Gesetz betreffend den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft vom 27. März 1952 erst nach vorgängiger Änderung des Grundgesetzes verabschiedet werden? (Gutachten), Bonn 1952, 29 S.; Ist Besatzungsrecht, insbesondere die „Kontrollratsgesetze“ Recht im Sinne des Art. 125 Grundgesetz?, Zeitschrift für Miet- und Raumrecht 1952, 97–98 Klaus Rohde, Verträge mit auswärtigen Staaten nach deutschem Verfassungsrecht, Diss. 1952: Held Peter Sympher, Kriegsverbrechen im Frieden. Die Bedeutung der Begriffe der kriegerischen und friedlichen Besetzung fremden Staatsgebietes für die Strafbarkeit von Handlungen als Kriegsverbrechen i. S. d. KRG Nr. 10, Diss. 1952: Böhmert Udo Wolff, Die Beteiligung von Bundesstaaten an völkerrechtlichen Kollektivverträgen, Diss. 1952: Bülck

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1953 Viktor Böhmert, Hermann von Mangoldt, JZ 1953, 253–254; Hermann von Mangoldt. Rede bei der Gedenkfeier der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Kiel (17. Juli 1953), in: Hermann von Mangoldt. Reden zu seinem Gedächtnis, Kiel 1953, 33–40 Hartwig Bülck, Die Zwangsarbeit im Friedensvölkerrecht. Untersuchung über die Möglichkeit und Grenzen allgemeiner Menschenrechte, Göttingen 1953, 227 S. [zugl. Habilitationsschrift Kiel 1953] Dietrich Gunst, Der Begriff der Souveränität im modernen Völkerrecht, Berlin 1953, 125 S. [zugl. Diss. 1953: Held] Ernst-Günther Koch, Die völkerrechtliche Stellung der Haager Weltgerichtshöfe und ihrer Richter, Diss. 1953: Held Hermann v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Berlin u.a. 1953, 702 S. Hermann v. Mangoldt (Hrsg.), Peter Sympher und W. Zeidler (Bearb.), Die rechtliche Ordnung des Rundfunks im Ausland. Länderberichte über Rechtsstellung und Organisation der Rundfunkanstalten und der Träger des Senderechts, München 1953, 182 S. Walter Schoenborn, Über „Entdeckung“ als Rechtstitel völkerrechtlichen Gebietserwerbs, in: Gegenwartsprobleme des internationalen Rechts und der Rechtsphilosophie. Festschrift für R. Laun, Hamburg 1953, 239–257; Hermann von Mangoldt zum Gedächtnis, AöR 78 (1952/53), 257–259 1954 Beiträge im JIR 3 (1950/51)*: Viktor Böhmert/Hartwig Bülck, Hermann von Mangoldt, 57 (mit R. Laun); Hans W. Baade, Die Anerkennung im Ausland vollzogener Enteignungen. Bemerkungen zu dem Urteil Anglo-Iranian Oil Co. v. Jaffrate des Supreme Court in Aden vom 9. Januar 1953, 232–141 Beiträge im JIR 5 (1954): Viktor Böhmert, Meeresfreiheit und Schelfproklamationen. Eine kritische Betrachtung zur Theorie des Kontinentalschelf und zu den Schelfberatungen der International Law Commission, Teile 1 und 2, 1–35, 177–195; Hartwig Bülck, Anerkennung ausländischen Devisenrechts, 113–123; Walter Rudolf, Informationsfreiheit und Rundfunk im Völkerrecht, 256–288 Hermann Held, Die Unzulässigkeit von Hand- und Spanndiensten nach geltendem Verfassungs-, Verwaltungs- und Völkerrecht, DVBl. 1954, 345–349 Johann Joeden, Die Funksendefreiheit der Staaten, 2 Teile, JIR 3 (1950/51), 85–128, JIR 4 (1952/53), 71–119 [zugl. Diss. 1954: Böhmert] Walter Rudolf, Rechtsvergleichende Betrachtungen über den Auslandsdienst des Rundfunks, Rundfunk und Fernsehen 1954, 47–54 1955 Beiträge im JIR 6 (1955): Viktor Böhmert, Meeresfreiheit und Schelfproklamationen, Teil 3, 7–99; Hans W. Baade, Aufrechnung und Widerklage im Völkerrecht. Bemerkungen zu dem Urteil National City Bank of New York v. Republic of China des Supreme Court der Vereinigten Staaten vom 7. März 1955 (348 U. S. 356); Johann Joeden, Grundlagen des allgemeinen und regionalen Funkvertragsrechts, 242–253 Heinz Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz. Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG. Eine Betrachtung _____________ * Das JIR erschien in den Anfangsjahren unregelmäßig. Der 3. Jahrgang (1950/51) wurde wie der 4. Jahrgang (1952/53) erst 1954 publiziert.

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der Vorschriften für innere Gebietsänderungen in deutschen und ausländischen Verfassungen, Diss. 1955: Böhmert Karl Heinrich Ditz, Die Haftung der Bundesrepublik Deutschland für Rückgriffsansprüche nach Artikel 39 des britischen Rückerstattungsgesetzes, Diss. 1955: Held Eberhard Menzel, Funktionen der Minderheiten im gegenwärtigen Europa, Europa-Archiv (EA) 10 (1955), 7199–7205; Der europäische Sicherheitspakt. Ein Schritt zur Entspannung im Ost-West-Konflikt und zur Wiedervereinigung Deutschland, EA 10 (1955), 7891–7906 Horst Neumann, Das deutsche Privatvermögen in Österreich nach dem zweiten Weltkrieg mit Ausnahme der Patente, Urheberrechte und Schiffe, Diss. 1955: Held Walter Schoenborn, Der Einfluß der neueren technischen Entwicklung auf das Völkerrecht, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, München 1955, 77–87 Heinz Tetzlaff, Die Bedeutung der Gesetzesmaterialien in der anglo-amerikanischen Rechtsprechung, Diss. 1955: Held Hans Thiem, Lizenzierung von Rundfunkanstalten und multiple ownership in den Vereinigten Staaten, Rundfunk und Fernsehen 1955, 392–397 1956 Beiträge im JIR 7 (1956): Hans W. Baade, Die Bundesrepublik Deutschland und die baltischen Staaten, 34–68; Hans Thiem, Die Neuordnung des britischen Fernsehwesens durch den Television Act 1954, 106–133; Hans W. Baade, Intertemporales Völkerrecht, 229–256 Viktor Böhmert, Zur völkerrechtlichen Lage der der internationalen Seeschiffahrt dienenden Wasserstraßen, Außenpolitik 7 (1956), 734–739 Georg Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, Göttingen 1956, 86 S. Edzard Förschner, Die völkerrechtlichen Grundlagen für die Wegnahme der deutschen Handelsflotte nach dem zweiten Weltkriege, Diss. 1956: Held Ernst-Günter Hofmann, Der Grundsatz der Freiheit der Seeschiffahrt im Völkerrecht: unter besonderer Berücksichtigung des Prinzips der Gleichbehandlung, Kiel 1956, 172 S. [zugl. Diss. 1956: Böhmert] Werner Lodemann, Begriff und Praxis von Verwaltungsabkommen der Zentral-Exekutive in Bundesstaaten, dargestellt am Beispiel der Vereinigten Staaten von Nordamerika, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland, Diss. 1956: Böhmert Eberhard Menzel, Deutschland nach 1945. Das Problem der völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Kontinuität, Jahrbuch der Ranke-Gesellschaft 1955 (1956), 59–84 Eberhard Menzel (Mitbearb.), Verfassungsregister, Teil 2: Europa, Frankfurt a.M. 1956, 168 S. (mit F. Groh und H. Hecker) Lothar Schöppe, Die gegenwärtige Lage der vertraglichen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Deutschland in rechtlicher und politischer Sicht unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach der Gültigkeit des Reichskonkordats von 1933, 1956, Freund Hans-Joachim Seeler, Der Grundsatz der Gewaltenteilung in den europäischen Integrationsgemeinschaften, Diss.1956: Menzel Herbert Sohler, Der deutsche Ubootkrieg 1939–1945 im Lichte des Völkerrechts, MarineRundschau 1956, Beiheft 1, 1–70 [zugl. Diss. 1949: Schoenborn] Udo Wolff, Die Beteiligung von Bundesstaaten an völkerrechtlichen Kollektivverträgen, Diss. 1956: v. Mangoldt/Bülck

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1957 Hans W. Baade, Amtshaftung gegenüber Staatenlosen. Eine Ergänzung, NJW 1957, 1586– 1587 Hans-Joachim Baus, Die Grenzen der deutschen Hoheitsgewässer im Schleswig-Holsteinischen Raum, Diss. 1957: Böhmert Viktor Böhmert, Einige Fakten zur Entwicklung der russischen Seegrenzen, in: Grundprobleme des internationalen Rechts. Festschrift für J. Spiropoulos, Bonn 1957, 43–59 Joachim Daegel, Die Ausbürgerung aus politischen Gründen im deutschen Recht, Diss. 1957: Böhmert Hermann Hillger, Stimmenwägung in internationalen Wirtschaftsorganisationen. Der Einfluß wirtschaftsrechtlicher Prinzipien auf den Grundsatz den Staatengleichheit, Diss. 1957: Bülck Eberhard Menzel, Die Rüstungskontrolle der Westeuropäischen Union und das NATOSystem, EA 12 (1957), 9767–9775; Demokratie und Wehrordnung, in: Evangelische Akademie Schleswig (Hrsg.), Zeichen, Nr. 1, 1957, 10–31 Klaus H. Murmann, Zwischenstaatliche Wirtschaftsintegration in Amerika und Europa, Diss. 1957: Böhmert Eckart Sturm, Das Kontinentalschelf, Kiel 1957, 157 S. [zugl. Diss. 1956: Böhmert] 1958 Hans W. Baade, Der Behandlung des deutschen Privatvermögens in den Vereinigten Staaten nach dem ersten und zweiten Weltkriege: mit einem Zusatz von Fritz Baade, in: Der Schutz des privaten Eigentums im Ausland. Festschrift für H. Janssen, Heidelberg 1958, 11–24 Heribert Benz, Die rechtliche Stellung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zum Deutschen Reich, Diss. 1958: Freund Viktor Böhmert, Zur völkerrechtlichen Lage des Kieler Kanals [= Gutachten 1954], in: Internationales Recht und Diplomatie 1958, 170–190 Hans Viktor Böttcher, Die völkerrechtliche Lage der Freien Stadt Danzig seit 1945, Göttingen 1958, 199 S. [zugl. Diss. 1957: Menzel] Georg Dahm, Völkerrecht, Band 1, Stuttgart 1958, 730 S.; Völkerrechtliche Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit gegenüber ausländischen Staaten, in: E. Bötticher u.a. (Hrsg.), Festschrift für A. Nikisch, Tübingen 1958, 153–183 Hartmut Dieterich, Der Einfluß des Völkerrechts auf die Rechtswidrigkeit strafbarer Handlungen im deutschen Strafrecht, Diss. 1958: Dahm Eberhard Jäckel (Bearb.), Die deutsche Frage 1952–1956. Notenwechsel und Konferenzdokumente der vier Mächte, Frankfurt a.M. 1957, 169 S. Günter B. Krause, Der Rundfunk im internationalen Recht, Internationales Handbuch für Rundfunk und Fernsehen (IntHbRF) 2 (1958), 197–203 Eberhard Menzel (Mitbearb.), Verfassungsregister, Teil 3: Amerika, Frankfurt a.M. 1958, 198 S. (mit F. Groh und H. Hecker) Eberhard Menzel, Die staats- und völkerrechtlichen Probleme der Wiedervereinigung Deutschlands, EA 13 (1958), 11051–11062; Die völkerrechtlichen Dissertationen an den westdeutschen Universitäten, 1945–1957, BDGVR 2 (1958), 145–190 [auch als Monographie, Karlsruhe 1959, 52 S.]; Eintrag in: E. v. Beckerath u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Lfg. 1958: Krieg und Kriegsrecht Horst Sasse (Bearb.), Die asiatisch-afrikanischen Staaten auf der Bandung-Konferenz, Frankfurt a. M. 1958, 85 S.

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1959 Hans W. Baade, Ist Art. 6 II Verf. DDR als Strafgesetz wirksam? Eine Auseinandersetzung mit Reinhart Maurach, ROW 1959, 11–14 Manfred Bruhn, Die Rechtsnatur der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Diss. 1959: Freund Karl-Heinrich Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg, Hamburg 1959, 150 S. Georg Dahm, Die völkerrechtliche Verbindlichkeit von Empfehlungen internationaler Organisationen, DÖV 1959, S. 361–367 Eberhard Jäckel (Bearb.), Die Schleswig-Frage seit 1945. Dokumente zur Rechtsstellung der Minderheiten beiderseits der deutsch-dänischen Grenze, Frankfurt a.M. 1959, 150 S. Günter B. Krause, Der Internationale Fernmeldeverein, die Struktur der Ätherordnung und die internationale Funkkonferenz in Genf 1959, Rundfunk und Fernsehen 1959, 225–233; Einträge in: IntHbRF 3 (1959): u.a. Der Rundfunk im internationalen Recht (225–238); Rechtliche Grundlagen und Organisation für Frankreich (355–356), Großbritannien (364– 365), Italien (389), Österreich (411–412), Schweiz (436) Eberhard Menzel, Falsche staats- und völkerrechtliche Thesen zur Wiedervereinigung. Eine Auseinandersetzung mit Theodor Eschenburgs Schrift „Die deutsche Frage, das Verfassungsproblem der Wiedervereinigung“, Blätter für deutsche und internationale Politik 4 (1959), 707–725; Die normative Kraft des Faktischen in völkerrechtlicher Bedeutung, Universitas 14 (1959), 631–641; Völkerrecht und Atombewaffnung, Atomzeitalter 1959, H. 8, 88–91; Das Annexionsverbot des modernen Völkerrechts und das Schicksal der deutschen Ostgebiete, in: Göttinger Arbeitskreis (Hrsg.), Das östliche Deutschland. Ein Handbuch, Würzburg 1959, 3–56 Wolfgang Pigorsch, Die Einordnung völkerrechtlicher Normen in das Recht der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 1959, 135 S. [zugl. Diss. 1959: Menzel] Kurt Rendtorff, Die deutsche Rechtsprechung zur Ost-West-Spannung (Versuch einer Analogie an Schwerpunkten), Diss. 1959: Menzel Horst Sasse (Bearb.), Der Weltpostverein. Französischer und deutscher Text des Weltpostvereins und andere grundlegende Bestimmungen, Frankfurt a. M. 1959, 126 S. Klaus Peter Stritzel, Die rechtliche Bedeutung der Eingliederung der Freien Stadt Danzig in das Deutsche Reich im Jahre 1939, Diss. 1959: Böhmert Wilhelm Wahlers, Entwicklung und gegenwärtiger Stand der zwischenstaatlichen Bemühungen um den Schutz der Natur, Diss. 1959: Bülck 1960 Beiträge in JIR 9 (1960): Günter B. Krause, Der Internationale Fernmeldeverein, Frankfurt a.M. 1960, 184 S.; Der Rundfunkfriedenspakt von 1936, 33–57; Karl Lademann, Wesen und Aufgaben des Internationalen Ausschusses zur Frequenzregistrierung, 264–392 [zugl. Diss. 1960: Böhmert] Einträge in: K. Strupp (Begr.)/H. J. Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band I (A–H), Berlin 1960: Hans W. Baade, Baltische Staaten; Viktor Böhmert, BryanChomorro-Vertrag von 1914; Fischbestandsschutz; Fischerboote; Fischereigrenze; Fischereirecht, internationales; Grundfischerei; Hovering Acts; Hermann Held, AltmarkFall; Bagdadbahn; Baien und Buchten; Gutenfels-Fall; Gyllenborg-Fall; Häfen; Eberhard Menzel, Aaland-Inseln; Atombombenversuche; Atomwaffen; Befriedung; Demilitarisierung; Dereliktion; Estoppel-Prinzip; Gebietserwerb Völkerrecht: Lehrbuch der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (1957); übers. von L. Schultz, mit einem Vorwort von Eberhard Menzel (XI–XXVII), Hamburg 1960, 492 S.

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Hans-Hinrich Biehl, Minderheitenschulrecht in Nord- und Südschleswig. Das dänische und schleswig-holsteinische Minderheitenschutzrecht beiderseits der deutsch-dänischen Grenze in seiner Entwicklung seit 1945, Hamburg 1960, 131 S. [zugl. Diss. 1960: Menzel] Viktor Böhmert, Zur historischen Entwicklung der isländischen Fischereigrenze, in: Internationalrechtliche und staatsrechtliche Abhandlungen. Festschrift für W. Schätzel, Düsseldorf 1960, 9–20 Günter B. Krause (Bearb.), Der Internationale Fernmeldeverein, Frankfurt a.M. 1960, 184 S.; Der Rundfunkfriedenspakt von 1936, JIR 9 (1959/60), 33–57; Einträge in: IntHbRF 4 (1960): u.a. Der Rundfunk im internationalen Recht (261–274); Rechtliche Grundlagen und Organisation für Belgien (395–396), Frankreich (407–408), Großbritannien (417), Italien (440–442), Luxemburg (458), Niederlande (460–463), Österreich (470–471), Schweiz (495) Eberhard Menzel, Legalität oder Illegalität der Anwendung von Atomwaffen, Tübingen 1960, 87 S.; Atomwaffen und Völkerrecht, in: Atom. Wirklichkeit/Segen/Gefahr, hrsg. vom Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 1960, 70–95; Beiträge in: Arbeitskreis für Ostfragen (Hrsg.), Offizielle Beziehungen, ein politischer Weg?, 1960: Zwei deutsche Staaten? (16–39); Offizielle Beziehungen zu Warschau und Prag. Völkerrechtliche Bemerkungen über die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Polen und der Tschechoslowakei (40–59) Dietrich Rauschning, Stehen der Herstellung von Vergaserkraftstoffen für Flugzeugmotoren noch Hindernisse im Besatzungsrecht oder in den Pariser Verträgen entgegen? (Gutachten), in: H. Hecker (Hrsg.), Praktische Fragen des Staatsangehörigkeits-, Entschädigungsund Völkerrechts, Hamburg 1960 (hektographiert), 128–134; Die Besoldung von Kriegsgefangenen gemäß Art. 23 und 24 II des Genfer Kriegsgefangenenabkommens von 1929, ebd., 135–143 Peter Robert Richter, Die Geltung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten nach deutschem Recht. Zweifelsfragen ihrer Anwendung in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. 1960: Menzel Bernhard Schloh, Die Finanz- und Investitionspolitik der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EA 15 (1960), 707–720 Dieter Schultze, Die Rechtsstellung des internationalen Beamten gegenüber dem Heimatstaat, Diss. 1960: Dahm Wilhelm Sievers, Entstehung und verfassungsrechtliche Stellung des Parlaments in der Sowjetunion und den europäischen Volksdemokratien, Diss. 1960: Menzel Erich M. Soelling, Die Gebiete ohne Selbstregierung, in Sonderheit Südwestafrika, unter Obhut der Vereinten Nationen, Diss. 1960: Menzel Peter Sonn, Die auswärtige Gewalt des Gliedstaates im Bundesstaat. Eine Untersuchung auf der Grundlage der bundesstaatlichen Verfassungen in Europa, Kiel 1960, 178 S. [zugl. Diss. 1959: Menzel] 1961 Einträge in: K. Strupp (Begr.)/H. J. Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band II (I–Q), Berlin 1961: Viktor Böhmert, Isländische Fischerei-Konflikte; Kanäle; Karibische Kommission; Kieler Kanal; Küstenfischerei; Küstenhandel; Londoner Seerechtskonferenz von 1908/1909; Nordatlantik Fischerei-Streit; Ostsee; Panama-Kanal; Hermann Held, Methuen-Fall; Eberhard Menzel, Mandate; Nachfolgestaaten; Dietrich Rauschning, Industrie-Fall; Medea-Fall Hans W. Baade, Eintrag in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 6. Aufl. Freiburg 1961: Reparationen and Restitutionen

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Detlev Burchardi, Der Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit für die Frau infolge Eheschließung, Diss. 1961: Menzel Georg Dahm, Völkerrecht, Bände 2 und 3, Stuttgart 1961, 786 S. und 393 S.; Die Stellung des Menschen im Völkerrecht unserer Zeit, Tübingen 1961, 40 S. Götz v. Hippel, Die Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das materielle deutsche Strafrecht, Diss. 1961: Dahm Werner Kramer, Rechtsprobleme des „Volkseigentums“ in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, VerwArch 52 (1961), 325–385 [zugl. Diss. 1960: Freund] Boris Meissner, Völkerrechtswissenschaft und Völkerrechtskonzeption der UdSSR, ROW 5 (1961), 1–5 Eberhard Menzel, Die Immunität der Staatsschiffe (Vortrag), Hamburg 1961, 32 S.; Zum Inhalt eines neuen Konsulargesetzes, DVBl. 1961, 425–428 [auch in: Monatsschrift der Vereinigung deutscher Auslandsbeamter 1961, 173–179]; Eintrag in: E. v. Beckerath u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Lfg. 1961: Neutralität Dietrich Rauschning, Die Berlin-Frage im neueren Schrifttum, EA 16 (1961), 663–674 Folkmar Schniewind, Die Berichtspflicht in internationalen Organisationen als Kontrollmaßnahme, dargestellt am Beispiel der Internationalen Arbeitsorganisation und der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, Diss. 1961: Menzel 1962 Beiträge in JIR 10 (1961/62): Georg Dahm, Zur gegenwärtigen Lage des Völkerrechts, 43–48; Hans-Rachebald Krämer, EWG und EFTA. Ein Vergleich der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation, 49–88; Ottobert Brintzinger, Die bisher ergangenen Schiedssprüche des Ständigen Schiedshofs in Den Haag, 272–299; Hans-Rachebald Krämer, Zur Rechtsstellung von Rundfunksendern auf See, 206–224; ders., Neue Schritte zur Vereinheitlichung der Handelspolitik der EWG-Staaten gegenüber dritten Ländern, 255–263 Beiträge in JIR 11 (1962) [= Festschrift für R. Laun, Göttingen 1962]: Georg Dahm, Das Verbot der Gewaltanwendung nach Art. 2 (4) der UNO-Charta und die Selbsthilfe gegenüber Völkerrechtsverletzungen, die keinen bewaffneten Angriff enthalten, 48–72; Eberhard Menzel, Die Vereinten Nationen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, 270–302 Einträge in: K. Strupp (Begr.)/H. J. Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band III (R–Z), Berlin 1962: Viktor Böhmert, Sektorentheorie; Hermann Held, Rheinland-Besetzung; Wirtschaftskrieg; Eberhard Menzel, Regionale Abkommen; Spezialorganisationen der Vereinten Nationen; Staatensukzession; Treuhandgebiete; Dietrich Rauschning, Roumanian-Fall; Strategische Gebiete; Suez-Kanal; Tinos-Fall Hans W. Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland. Studien über den Einfluß der auswärtigen Beziehungen auf die innerstaatliche Verfassungsentwicklung, Hamburg 1962, 247 S. [zugl. Habilitationsschrift Kiel 1960] Hans-Rachebald Krämer, Das Recht der europäischen Integrationsgemeinschaften und die deutschen Grundrechte, Diss. 1962: Menzel Boris Meissner, Sowjetunion und Selbstbestimmungsrecht, Köln 1962, 463 S. Boris Meissner (Hrsg.), Der Warschauer Pakt. Dokumentensammlung, Köln 1962, 203 S. Eberhard Menzel, Völkerrecht. Ein Studienbuch, München 1962, 463 S.; Die Geltung internationaler Verträge im innerstaatlichen Recht, in: Deutsche Landesreferate zum VI. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung (Hamburg 1962), Sonderveröffentlichung RabelsZ 27 (1962), 401–413; Berlin als Sitz der Vereinten Nationen?, EA 17 (1962), 31–40; Berlin, die sowjetische Deutschlandpolitik und das Völkerrecht, in: A. Skriver (Hrsg.),

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Berlin und keine Illusion. 13 Beiträge zur Deutschlandpolitik, Hamburg 1962, 8–22; Integration und Partnerschaft. Strukturmodelle einer zukünftigen Atlantischen Gemeinschaft (Vortrag), in: Europa und die Atlantische Gemeinschaft. Aktuelles Kolloquium, Haus Rissen, Institut für Wirtschafts- und Sozialpolitik, Hamburg 1962, 17–23; Einträge in: E. v. Beckerath u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Lfg. 1962: Völkerrechtlicher Verkehr; Völkerrechtliche Vertretung Dietrich Rauschning (Bearb.), Die Gesamtverfassung Deutschlands – Nationale und internationale Texte zur Rechtslage Deutschlands, Hamburg 1962, 798 S. Wilfried Rupprecht, Die Nachprüfungsbefugnis des Europäischen Gerichtshofes gegenüber Ermessenshandlungen der Exekutive in der Montanunion und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Diss. 1962: Dahm Bernhard Schloh, Die Entwicklung der Südtirol-Frage in den letzten Jahren, EA 17 (1962), 147–162 1963 Peter Becker, Der Einfluß des französischen Verwaltungsrechts auf den Rechtsschutz in den Europäischen Gemeinschaften, Hamburg 1963, 148 S. [zugl. Diss. 1961/1963: Menzel] Ingeborg Bock, Die Entwicklung des Minenrechts von 1900 bis 1960, Hamburg 1963, 392 S. [zugl. Diss. 1963: Böhmert] Viktor Böhmert, Die Tschechoslowakische Frage in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, Bohemia: Jahrbuch des Collegium Carolinum 4 (1963), 300–342; Meeresherrschaft und Meereseigentum nach englischem Recht, Internationales Recht und Diplomatie 1963, 19–62 John Boyens, Die nordische Zusammenarbeit, EA 18 (1963), 845–852 Udo von Busekist, Das Problem der Zulässigkeit einer von der natürlichen Küstenlinie unabhängigen Basislinie des Küstenmeeres in der französischen Literatur und Staatspraxis, München 1963, 115 S. [zugl. Diss. 1962: Böhmert] Georg Dahm, Die Subsidiarität des internationalen Rechtsschutzes bei völkerrechtswidriger Verletzung von Privatpersonen, in: Vom deutschen zum europäischen Recht. Festschrift für H. Dölle, Band 2, Tübingen 1963, 3–33 Jost Delbrück, Die Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen, Diss. 1963: Dahm Dietrich Frenzke, Die Rechtsstellung der sowjetischen Handelsvertretungen nach der Vertragspraxis der UdSSR, Osteuropa 9 (1963), 269–300 Boris Meissner, Die Völkerrechtswissenschaft im zaristischen und Bolschewistischen Russland, Internationales Recht und Diplomatie 1963, 63–69 Boris Meissner (Hrsg.), Sowjetunion und Völkerrecht, 1917 bis 1962. Eine bibliographische Dokumentation, Köln 1963, 622 S. Eberhard Menzel (Mitbearb.), Verfassungsregister, Teil 4: Afrika, Asien, Australien, Frankfurt a. M. 1963, 388 S. (mit F. Groh und H. Hecker) Eberhard Menzel, Grundprobleme der Ermittlung, Anwendung und Geltung von Normen des Völkerrechts, JuS 1963, 41–51; Nationale und internationale Strukturformen der NATO. Vom gegenwärtigen Stand der Integration und dem ungelösten Problem der Entscheidung über den militärischen Einsatz, EA 18 (1963), 593–614; Abrüstung in West und Ost. Vom gegenwärtigen Stand der Abrüstungsverhandlungen und der Möglichkeit einer amerikanisch-sowjetischen Einigung, Moderne Welt 1963, 3–29

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Dietrich Rauschning, Das Schicksal völkerrechtlicher Verträge bei der Änderung des Status ihrer Partner, Hamburg 1963, 256 S. [= VIIR, Band 47] [zugl. Diss. Hamburg 1963] Peter-Michael Sontag, Zum Weltraumrecht. Die weltraumrechtlichen Kolloquien (I und II), MDR 1963, 732–734 1964 Achim Borchert, Der Einfluß der Verkehrsfreiheit auf die völkerrechtlichen Regeln über die Höhe der Schiffahrtsabgaben auf international bedeutsamen Schiffahrtswegen, Hamburg 1964, 297 S. [zugl. Diss. 1964: Böhmert] Georg Dahm, Zum Problem der Anerkennung im Inland durchgeführter völkerrechtswidriger Enteignungen im Ausland, in: Recht im Dienste der Menschenwürde. Festschrift für H. Kraus, Göttingen 1964, 67–94 Dietrich Frenzke, Koexistenz und sozialistischer Internationalismus in der jugoslawischen Verfassung und Völkerrechtslehre, Moderne Welt 5 (1964), 386–408; Prozessuale Immunitäten der sowjetischen Handelsvertretungen nach den zwischenstaatlichen Verträgen, Osteuropa 10 (1964), 237–257 Uwe Lüthje, Die Theorie des contrat administratif im französischen Verwaltungsrecht, Hamburg 1964, 142 S. [zugl. Diss. 1962: Menzel] Boris Meissner, The Soviet Union and Germany’s Right to Self-Determination, Studies on the Soviet Union 1964, Nr. 3, 80–89 Christian Friedrich Menger (Hrsg.), Georg Dahm. Reden zu seinem Gedächtnis, Kiel 1964, 31 S. Eberhard Menzel, Selbstbestimmungsrecht und „Recht auf Heimat“ in West und Ost, 2 Teile, Blätter für deutsche und internationale Politik 1964, 782–786, 877–888 [auch Einzelveröffentlichung] Jürgen Schilling, Völkerrecht und staatliches Recht in Frankreich, Hamburg 1964, 176 S. [zugl. Diss. 1962: Menzel] Lothar Schöppe (Bearb.), Konkordate seit 1800. Originaltext und deutsche Übersetzung der geltenden Konkordate, Frankfurt a. M. 1964, 584 S. Peter-Michael Sontag, Zum Weltraumrecht. Die weltraumrechtlichen Kolloquien (III), MDR 1964, 290–292 Hans Wiedemann, Das sozialistische Eigentum in Mitteldeutschland, Köln 1964, 141 S. [zugl. Diss. 1963: Menzel] Hans-Joachim Windt, Das Recht auf Staatsangehörigkeit, Diss. 1964: Freund 1965 Beiträge in JIR 12 (1965): Dietrich Rauschning, Das Ende des Treuhandsystems der Vereinten Nationen durch die Staatwerdung der ihm unterstellten Gebiete, 158–185; PeterMichael Sontag, Der Erwerb von Hoheitsbereichen im Weltraum und auf Himmelskörpern, 272–300; Eberhard Menzel, Herbert Kraus (1884–1965), 341–344; Viktor Böhmert, Georg Dahm (1904–1963), 345–346; Klaus Stahl, Die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes in den Jahren 1961 und 1962, 348–376; Dietrich Rauschning, Die deutschen völkerrechtlichen Dissertationen 1958–1964, 599–627 Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel. Festakt am 12.11.1964 und Wissenschaftliche Kolloquien mit Referaten von M. Sörensen, U. Scheuner, P. Guggenheim, K. Zweigert, Lebensbilder und Bibliographien von Theodor Niemeyer, Walther Schücking, Hermann von Mangoldt; Hamburg 1965, 242 S. Darin: Eberhard Menzel, Zur 50-Jahres-Feier des Institut für Internationales Recht. Festansprache, 7–14

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Dieter Feddersen, Die Rolle der Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik, Hamburg 1965, 235 S. [zugl. Diss. 1964: Menzel] Fritz Fischer, Die institutionalisierte Vertretung der Verbände in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Hamburg 1965, 207 S. [zugl. Diss. 1965: Menzel] Werner Heller, Das internationale Seekabelrecht in Friedenszeiten und seine Wandlungen durch die neue völkerrechtliche Entwicklung, Diss. 1965: Böhmert Hans-Rachebald Krämer (Bearb.), Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Texte zu ihrer Entstehung und Tätigkeit, mit einer Einleitung, Frankfurt a.M. 1965, 540 S. Eberhard Menzel, Der deutsche Festlandsockel in der Nordsee und seine rechtliche Ordnung, AöR 90 (1965), 1–61 [nach: Gutachten zur Frage des kontinentalen Schelfs in der Nordsee, Kiel 1964, 125 S.]; Weltpolitische Lage und deutsche Frage, Politik 1965, H. 2, 55–66; Die 12. Pugwash-Konferenz (COSWA) in Udaipur (Indien), EA 20 (1965), 187– 191; Selbstbestimmungsrecht und Recht auf Heimat, Neue Rundschau 1965, 457–471; Rechtsstellung und Aufgaben des Roten Kreuzes im Konfliktsfall, insbesondere im Fall der militärischen Besetzung, in: DRK-Schriftenreihe 27, Abt. Recht, H. 5, 1965, 79–102; Internationales Recht, in: E. Heimendahl (Hrsg.), Wohin führt die Wissenschaft? Neun Gespräche mit deutschen Gelehrten, Bremen 1965, 101–126; Walther Schücking: in: Universitätsstadt Kiel, Flensburg 1965, 70 Dietrich Rauschning, Wissenschaft und Politik im Streit um die völkerrechtliche Lage Deutschlands, EA 20 (1965), 393–398 (mit H.H. Mahnke) Sigmar-Jürgen Samwer, Das System der sozialen Sicherheit in Frankreich, Jahrbuch für den Deutsch-Französischen Handel 1965, 76–80; Raumordnung und Regionalpolitik in Frankreich, Die Gemeinde 1965/A, 183–185, 213–219 Peter-Michael Sontag, Zum Weltraumrecht. Die weltraumrechtlichen Kolloquien (IV und V), MDR 1965, 188–190; Recht im Weltraum, JZ 1965, 484–487 Wolfdietrich Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, München 1965 [zugl. Diss. 1964/65: Mayer] Walter Wiese, Der Kampf um das Bricker-Amendment. Eine Studie über Abschluss und Stellung völkerrechtlicher Abkommen im Verfassungssystem der Vereinigten Staaten, Hamburg 1965, 231 S. [zugl. Diss. 1962: Menzel] 1966 Ottobert L. Brintzinger, Rückwirkung des Artikel 12 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951? Zur Auslegung einer umstrittenen Norm des Völkervertragsrechts kollisionsrechtlichen Inhalts, Hamburg 1966, 111 S. Wolfgang Clausen, Die Staatwerdung Ghanas, Hamburg 1966, 196 S. [zugl. Diss. 1963: Menzel] Jost Delbrück, Inhalt und Geltung der Menschenrechte nach heutigem Völkerrecht, Politik 1966, H. 1, 13–39 Hans-Uwe Erichsen, Das Verhältnis von Hoher Behörde und Besonderem Ministerrat nach dem Vertrage über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Hamburg 1966, 297 S. [zugl. Diss. 1963: Dahm] Johannes Rainer Gascard, Das parlamentarische Untersuchungsrecht in rechtsvergleichender Sicht (England, USA, Deutschland), Diss. 1966: Menzel Hans-Rachebald Krämer, Wirtschaftliche und rechtliche Probleme der monetären Integration in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Tübingen 1966, 178 S. Ulrich Kramer, Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zum Abschluß und zur Durchführung von Kulturabkommen, Diss. 1966: Menzel

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Eberhard Menzel, Gibt es „völkerrechtliche Irrtümer“ in der EKD-Denkschrift?, Zeitschrift für evangelische Ethik (ZEE) 1966, 321–343; Die Frage der deutschen Ostgebiete – ihre rechtlichen und politischen Aspekte (Vortrag), in: Evangelische Verantwortung 14 (1966), Heft 4 und 5 [auch Einzelpublikation]; Deutschland und die Weltpolitik im Jahre 1985 – eine erdachte Retrospektive, Atomzeitalter 1966, H. 3, 68–74 [überarbeitete als: Deutschland und die Welt im Jahre 1985, in: R. Schmid u.a. (Hrsg.), Geplante Zukunft? Perspektiven für die Welt von morgen, Göttingen 1966, 7–20]; Drei Formen der Entscheidung über Krieg und Frieden, in: U. Nerlich [SWP] (Hrsg.), Krieg und Frieden in der modernen Staatenwelt. Beiträge der Sozialwissenschaft, Band 2, Gütersloh 1966, 158–167 Dietrich Rauschning, Bibliographie deutschen Schrifttums zum Völkerrecht 1945–1966, Hamburg 1966, 569 S. Herbert Reich, Die völkerrechtlichen Schranken der internationalen politischen Propaganda in Friedenszeiten, Diss. 1966: Böhmert Horst-Alex Schmidt, Staatsangehörigkeitswechsel bei Staatensukzession, Diss. 1966: Böhmert Peter-Michael Sontag, Der Weltraum in der Raumordnung des Völkerrechts, Köln u.a. 1966, 372 S. [zugl. Diss. 1966: Böhmert] Wolfgang Wiesner, Der Widerruf individueller Entscheidungen der Hohen Behörde der EGKS, Hamburg 1966, 127 S. [zugl. Diss. 1965: Menzel] 1967 Beiträge in JIR 13 (1967): Eberhard Menzel, Friedensvertrag mit Deutschland oder Europäisches Sicherheitssystem?, 11–81; Jost Delbrück, Selbstbestimmung und Völkerrecht, 180–209. Berichte: Kodifikationsvorhaben und Gutachten der International Law Commission in den Jahren 1963 und 1964, 382–407 (Dietrich Rauschning); Die Tätigkeit des Europarates in den Jahren 1963 und 1964, 408–419 (Peter Soyke); Die Tätigkeit des Nordischen Rates in den Jahren 1963 und 1964, 455–480 (Ernst Johansson); Die Tätigkeit der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in den Jahren 1963 und 1964, 481–500 (Ludwig Krämer) Jörg Bewersdorf, Die Rechtsprechung des United States Supreme Court zur Bedeutung des Prinzips der Trennung von Staat und Kirche im Bereich der öffentlichen Schulen, Diss. 1967: Böhmert Viktor Böhmert, Natur und Umfang der der Bundesrepublik Deutschland am Kontinentalschelf zustehenden Rechte. Eine Analyse des Art. 2,1 des Genfer Kontinentalschelfabkommens von 1958, Internationales Recht und Diplomatie 1967, 101–129 Knut Ipsen, Rechtsgrundlagen und Institutionalisierung der atlantisch-westeuropäischen Verteidigung, Hamburg 1967, 223 S. [zugl. Diss. 1967: Menzel] Volker Langbein, Die rechtliche Regelung des Lobbyismus in den Vereinigten Staaten, Hamburg 1967, 181 S. [zugl. Diss. 1967: Menzel] Eberhard Menzel, Moderne Probleme des europäischen Minderheitenrechts, Apenrade 1967, 29 S.; Zur Geltung der Europarats-Konventionen, DÖV 1967, 109–116; Die Wiedervereinigung in internationaler Sicht, Politik 1967, H. 1, 50–63; Das Meer als Gegenstand der Rechtsordnung (Vortrag), Christiana Albertina 3 (1967), 28–38; Die Anerkennung von Staaten und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen als rechtliches und politisches Problem. Zu den völkerrechtlichen Grundlagen einer deutschen Ostpolitik, Moderne Welt 8 (1967), H. 2, 120–142; Einführung: Die Abrüstung in Vergangenheit und Gegenwart, in: Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (Hrsg.), Die amerikanischen und sowjetischen Vorschläge für eine allgemeine und vollständige Abrüstung und die Atomsperrverträge bis 1967, Göttingen 1967, 5–70

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Ondolf Rojahn, Die Berechtigung der Ansprüche auf ein Küstenmeer von mehr als 12 sm Breite, in: M. I. Kehden/M.-L. Henkmann (Hrsg.), Die Inanspruchnahme von Meereszonen durch Küstenstaaten, Hamburg 1967, 277–307 1968 Jost Delbrück, Deutsche Ostpolitik und Europäisches Sicherheitssystem, Sankelmark 1968, 55 S.; Anti-Missili e Paesi terzi, Lo Spettatore Internazionale 1968, 27–38 (mit H. Afheldt, C.F. Barnaby, F. Caolgero) [deutsch in: Atomzeitalter 1968, 208–215]; Europäische Sicherheit, Die neue Gesellschaft 1968 (Sonderheft), 25–29; Das Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, Christiana Albertina 6 (1968), 19–24 Thomas Harms, Die Rechtsstellung der Abgeordneten in der Beratenden Versammlung des Europarates und im Europäischen Parlament, Hamburg 1968, 173 S. [zugl. Diss. 1967: Menzel] Gerhard Illing, Zur völkerrechtlichen Ordnung der Fischerei auf hoher See, Diss. 1968: Menzel Hans-Rachebald Krämer, EWG und EFTA. Entwicklung, Aufbau, Tätigkeit, Stuttgart 1968, 132 S. Wolf-Dietrich Krause-Ablaß, Intertemporales Völkerrecht (Der zeitliche Anwendungsbereich von Völkerrechtsnormen), Hamburg 1968, 167 S. [zugl. Diss. 1969: Böhmert] Sigrid Kunze, Wahlkosten und Wahlchancengleichheit bei den Unterhauswahlen in Großbritannien, Hamburg 1968, 147 S. [zugl. Diss. 1967: Menzel] Eberhard Menzel, Notstandsgesetzgebung und Europäische Menschenrechtskonvention, DÖV 1968, 1–10; Völkerrecht und Friedenssicherung, ZEE 1968, H. 3, 129–146; Das Kriegsverbot im Völkerrecht und in der Wertordnung der modernen Gesellschaft, Loccumer Protokolle 1968, H. 6, 65–79; Die Anerkennung der DDR als völkerrechtliches und politisches Problem, Gegenwartskunde 1968, 313–321; Verfassungsrang für die Normen der europäischen Menschenrechtskonvention nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland?, in: Recueil d‘études de droit international en hommage à P. Guggenheim, Genève 1968, 573–604; Können die Deutschen einen Beitrag zur Friedenssicherung leisten?, in: Friedenspolitik und Friedenssicherung. Vorträge der „Wissenschaftlichen Woche“ der Ruhrfestspiele Recklinghausen 1967, Braunschweig 1968, 84–108 Hubert Rodingen, Wirtschaftsplanung und Rechtsordnung in der UdSSR und DDR, Diss. 1968: Loeber 1969 Beiträge in JIR 14 (1969): Eberhard Menzel, Der Festlandsockel der Bundesrepublik Deutschland und das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 20. Februar 1969, 13– 100; Hans-Rachebald Krämer, Auswirkungen der EWG auf den Außenhandel der DDR, 153–173; Knut Ipsen, Hilfeleistung zu Land und zur See. Der militärische Such- und Rettungsdienst als Mittel zur Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten, 260–279; Niels Brandt, Der lateinamerikanische Atomsperrvertrag, 280–305; Eibe Riedel, Die Gewährung von Sendezeiten für politische Parteien im Rundfunk und Fernsehen Großbritanniens, 306– 324; Knut Ipsen, Politik und Völkerrecht. Eine Übersicht über Neuerscheinungen der Jahre 1965–1968, 551–556. Berichte: Die Arbeit der International Law Commission am Konventionsentwurf für das Recht der internationalen Verträge in den Jahren 1965 und 1966, 337–344 (Dietrich Rauschning); Die Vereinten Nationen in der Zeit vom 1.7.1961 bis 30.6.1966, 345–374 (Jost Delbrück); Die Tätigkeit des Europarates in den Jahren 1965 und 1966, 375–395 (Peter Soyke); Die EWG in den Jahren 1965 und 1966, 396–421 (Hans-Rachebald Krämer); Die Tätigkeit des Nordischen Rates in den Jahren 1965 und

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1966, 422–439 (Knut Ipsen); Die Tätigkeit der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in den Jahren 1965 und 1966, 440–455 (Gerhard Kutzner) Drei sowjetische Beiträge zur Völkerrechtslehre: G.I. Tunkin, Grundlagen des modernen Völkerrechts (1956); D.B. Lewin, Grundprobleme des modernen Völkerrechts (1958); G.I. Tunkin, Der ideologische Kampf und das Völkerrecht (1967); übers. von P. Rossbacher, D. Frenzke, H. Rodingen, Hamburg 1969, 479 S. Darin Eberhard Menzel, Einführung, XI–XL Jost Delbrück, Methods of Furthering the World-Wide Acceptance of a Non-Proliferation Treaty, in: C.F. Barnaby (Hrsg.), Preventing the Spread of Nuclear Weapons, London 1969, 180–191; Implications of Superpower Deployment of Anti-Ballistic Missile Systems for Third Countries, particularly for those in Europe, in: C.F. Barnaby/A. Boserup (Hrsg.), Implications of Anti-Ballistic Missile Systems, London 1969, 93–102 (mit H. Afheldt, C.F. Barnaby, F. Calogero, J. Prawitz) Peter Ehlers, Die Zwischenstaatliche Beratende Seeschiffahrtsorganisation (IMCO) und ihre Bedeutung für die internationale Seeschiffahrt, Diss. 1969: Menzel Knut Ipsen, Die Bündnisklausel der Notstandsverfassung (Artikel 80a Abs. 3 GG), AöR 94 (1969), 554–575 Uwe Jenisch, Modelle zur Ordnung der Tiefseenutzung, Außenpolitik 20 (1969), 114– 119 Hans-Rachebald Krämer, EWG und EFTA. Entwicklung, Aufbau, Tätigkeit, 2. Aufl. Stuttgart 1969, 135 S.; Die Verhandlungen über Zollpräferenzen für Entwicklungsländer, WWA 103 (1969), 333–383 Ulrich Lüdemann, Rechtsgrundlagen der Verfügung über die bewaffnete Macht in Österreich seit 1918, Diss. 1969: Menzel Eberhard Menzel, Chancen der Friedenssicherung in Europa, Bad Homburg 1969, 19 S.; Nationale und internationale Verwaltung. Vom Wandel des Verhältnisses zwischen nationaler und internationaler Regelungszuständigkeit, DÖV 1969, 1–29; Nationalisierung oder Internationalisierung der Ozeane, NJW 1969, 2071–2077; Gewaltverzicht als erster Schritt für eine Entspannung in Mitteleuropa?, Moderne Welt 10 (1969), 156–171; Anerkennung oder Nichtanerkennung der DDR? Zur Klärung der völkerrechtlichen und politischen Grundfragen, Politik 1969, H. 3/4, 70–103; Die Rechtsstellung der Zivilschutzorganisationen im Kriegsfall, in: DRK-Schriftenreihe 27, H. 6, 7–25; Deutschland, die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, in: Amt für staatsbürgerliche Bildung in SchleswigHolstein (Hrsg.), Sammlung Gegenwartsfragen, H. 24, 1969, 9–26; Neue Tendenzen in der Frage der Zuordnung von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht, in: Beiträge aus Völkerrecht und Rechtsvergleichung. Schriftenreihe der Deutschen Gruppe der A.A.A. (Association des [Anciens] Auditeurs de l'Académie de Droit International de La Haye), Baden-Baden 1969, 47–73; Die Bemühungen um die Abrüstung seit 1945. Mißerfolge und Teilerfolge, in: G. Picht (Hrsg.), Studien zur Friedensforschung, Bd. 1, Stuttgart 1969, 73– 94; Anerkennung, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Ergänzungsband, 6. Aufl., Freiburg 1969, Sp. 78–90 Dietrich Rauschning, Rechtsfragen zum handelspolitischen Arrangement zwischen der EWG und den sich um den Beitritt bewerbenden Staaten, EuR 1969, 287–297 1970 Die Nutzung des Meeresgrundes außerhalb des Festlandssockels (Tiefsee). Vorträge und Diskussionen eines Symposiums, Hamburg 1970, 257 S. Darin: Dietrich Rauschning, Die Behandlung der Rechtsordnung für die Tiefsee im Rahmen der Vereinten Nationen, 146– 170; Eberhard Menzel, Die drei Grundtypen einer Rechtsordnung für den Meeresgrund

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der Tiefsee, 171–194; Ondolf Rojahn, Schrifttum zur Nutzung des Meeresgrundes außerhalb des Festlandsockels (Tiefsee), 226–256 Franz v. Benda-Beckmann, Rechtspluralismus in Malawi. Geschichtliche Entwicklung und heutige Problematik des pluralistischen Rechtssystems eines ehemals britischen Kolonialgebiets, München 1970, 216 S. [zugl. Diss. 1970: Menzel] Johann-Michael Bross, Die Bedeutung des Grundsatzes der Demokratie für die Wirksamkeit europagemeinschaftlicher Sekundärrechtsnormen im Bereich der Bundesrepublik Deutschland, Diss. 1970: Böhmert Carl-August Conrad, Die politischen Parteien im Verfassungssystem der Schweiz, Frankfurt a.M. 1970 , 202 S. [zugl. Diss. 1968: Menzel] Knut Ipsen, BC-Waffen im Völkerrecht, in: E. v. Weizsäcker (Hrsg.), BC-Waffen und Friedenspolitik, Stuttgart/München 1970, 42–61 Uwe Jenisch, Das Recht zur Vornahme militärischer Übungen und Versuche auf Hoher See in Friedenszeiten, Hamburg 1970, 185 S. [zugl. Diss. 1969: Böhmert] Raimund Kniep, Die Bedeutung des deutschen Handelskrieges mit U-Booten im 1. Weltkrieg für die Entwicklung des Seekriegsrechts, München 1970, 201 S. [zugl. Diss. 1970: Böhmert] Hans-Rachebald Krämer, Entwicklungstendenzen der internationalen Handelsordnung, WWA 105 (1970), 334–349 Wolf-Dieter Krause-Ablaß, Amerikanische Herrschaft über Intelsat? Rechtliche Überlegungen anlässlich der Washingtoner Verhandlungen über ein neues Intelsat-Abkommen, Rundfunk und Fernsehen 1970, 303–313 Gerhard Kutzner, Die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS). Studie einer Internationalen Organisation, Hamburg 1970, 400 S. [zugl. Diss. 1969: Menzel] Eberhard Menzel, Die Einwirkung der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das deutsche Recht, DÖV 1970, 509–517; Die Bedeutung der Menschenrechts-Konventionen der Vereinten Nationen vom 16.12.1966 für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), DÖV 1970, 833–841; Die militärische Nutzung der Tiefsee, Futurum 3 (1970), 289–304; Scientific Research on the Sea-Bed and Its Regime, in: Symposium on the International Regime of the Sea-Bed, Proceedings of the 1969 Conference, Rom 1970, 619–647; Das Potsdamer Abkommen und die Ostpolitik der Bundesregierung, in: Potsdam und die deutsche Frage, Köln 1970, 114–158; Grundzüge eines europäischen Sicherheitssystems, in: H. Scholz (Hrsg.), Entspannung und Abrüstung, Berlin 1970, 66–91 Sigmar-Jürgen Samwer, Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91. Ihre Entstehungsgeschichte und ihre Herkunft, Hamburg 1970, 422 S. [zugl. Diss. 1969: Menzel] Lothar Schöppe, Neue Konkordate und konkordatäre Vereinbarungen, Abschlüsse in den Jahren 1964 bis 1969, Nachtrag zu „Konkordate seit 1800“ [s.o. 1964], Hamburg 1970, 231 S. Klaus-Wendelin v. Sperber, Public Administration in Tanzania, München 1970, 120 S. [zugl. Diss. Kiel 1970 udT: Die Entwicklung des Verwaltungssystems in Tanzania: Menzel] Klaus Stahl, Die Sicherung der Grundfreiheiten im öffentlichen Recht der Fünften Französischen Republik, Hamburg 1970, 339 S. [zugl. Diss. 1969: Menzel] 1971 Beiträge in JIR 15 (1971): Eberhard Menzel, Die militärischen Einsätze der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedens, 11–137; Knut Ipsen, Der Militärattaché. Völkerrechtliche Stellung und gegenwärtige Staatenpraxis, 152–201; Johannes R. Gascard, Inland/Ausland-Beziehungen zwischen der BRD und der DDR, 339–369; ders., Deutsche Frage und

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Völkerrecht. Eine Übersicht über Neuerscheinungen der Jahre 1966–1970, 373–380; Ondolf Rojahn, Zur zukünftigen Rechtsordnung des Festlandsockels und der Fischerei auf dem Hohen Meer, 399–428; Ottobert Brintzinger, Hoheitsrechte am Bodensee, JIR 15 (1971), 448–483. Berichte: Die Vereinten Nationen in der Zeit vom 1.7.1966 bis zum 30.6.1969, 531–560 (Jost Delbrück); Die Tätigkeit der International Law Commission in den Jahren 1967 bis 1969, 582–602 (Reinhold Thode); Die Tätigkeit des Europarates in den Jahren 1967 bis 1969, 603–628 (Peter Soyke); Die EWG in den Jahren 1967 bis 1969, 629–658 (Hans-Rachebald Krämer); Die Tätigkeit des Nordischen Rates in den Jahren 1967 bis 1969, 659–685 (Knut Ipsen); Die Tätigkeit der Zwischenstaatlichen Beratenden Seeschiffahrtsorganisation (IMCO) von 1958 bis zum 31. 3. 1969, 706–723 (Peter Ehlers) Ostverträge, Berlin-Status, Münchener Abkommen, Beziehungen zwischen der BRD und der DDR. Vorträge und Diskussionen eines Symposiums, Hamburg 1971, 361 S. Darin: Jost Delbrück, Die staatsrechtliche Stellung Berlins in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Bundesgerichte, 214–220; Johannes R. Gascard, Moskauer Vertrag und deutsche Einheit, 97–103; ders., Zur Frage der besonderen innerdeutschen Beziehungen, Beziehungen zwischen der BRD und der DDR, 263–270; ders., Ausgewähltes Schrifttum zu den Rechtsgrundlagen der Ostverträge, des Münchener Abkommens, des Berlin-Status und der Beziehungen zwischen der BRD und der DDR, 327–361; Knut Ipsen, Diskrepanz zwischen der Grenzklausel des Warschauer Vertrages und dem faktischen Grenzverlauf?, 75–83; ders., Sinn und Rechtsfolgen der Artikel 4 der Ostverträge („Nichtberührung früherer Vereinbarungen“), 83–88; Eberhard Menzel, Die vier Grundauffassungen über die gegenwärtige völker- und staatsrechtliche Stellung Berlins, 207– 214; ders., Die Rechtsfolgen einer gemeinsamen Bindung der BRD und der DDR an die Menschenrechts-Konventionen der Vereinten Nationen vom 16.12.1966, 307–313 Niels Brandt, Das Interamerikanische Friedenssystem. Idee und Wirklichkeit, Hamburg 1971, 522 S. [zugl. Diss. 1970: Menzel] Rainer Büren, Nassers Ägypten als arabisches Verfassungsmodell, Opladen 1972, 171 S. [zugl. Diss. 1971: Menzel] Jost Delbrück, Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen, Frankfurt a.M. 1971, 324 S. [zugl. Habilitationsschrift Kiel 1971] Jost Delbrück (Mithrsg.), Das deutsch-polnische Verhältnis in Gegenwart und Zukunft, Sankelmark 1971, 51 S. (mit G.W. Strobel). Darin: Jost Delbrück, Eine kritische Würdigung des Warschauer Vertrages vom 7. Dezember 1970 als Element einer europäischen Friedensordnung, 33–45 Knut Ipsen, Bündnisfall und Verteidigungsfall, DÖV 1971, 583–588 Ernst Johansson, Die nordischen Bereitschaftstruppen für die UNO, JIR 15 (1971), 138–151 Wilhelm A. Kewenig, Die deutsche Ostpolitik und das Grundgesetz, EA 26 (1971), 469–480; Bundesrat und auswärtige Gewalt, ZRP 1971, 238–243; Grenzen der Souveränität, in: Außenpolitische Perspektiven des westdeutschen Staates, Band 1: Das Ende des Provisoriums, hrsg. von U. Scheuner, München 1971, 137–157; Verfassungsrechtliche Probleme eines Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Die zwanzig Punkte von Kassel), in: K. Doehring/W.A. Kewenig/G. Ress, Staatsund völkerrechtliche Aspekte der Deutschland- und Ostpolitik, Frankfurt a.M., 91–161 Günter B. Krause-Ablaß, Zur Frage weltraumrechtlicher Anwendbarkeit des Luftverkehrsgesetzes, Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen (ZLW) 20 (1971), 1– 9; Zur Rechtslage von Radio Free Europe, Rundfunk und Fernsehen 1971, 20–27; Zur Frage weltraumrechtlicher Anwendbarkeit des Luftverkehrsgesetzes, ZLW 1971, 1–9; Die Rechtsfrage des Ausschlusses von Nationen von den Olympischen Spielen, Afrika heute 1971, 466–468

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Siegfried Magiera, Die Vorwahlen (Primaries) in den Vereinigten Staaten. Demokratisierung von Wahlen und Parteien, Frankfurt a.M. 1971, 174 S. [zugl. Diss. 1969: Menzel] Eberhard Menzel, Verfassungswidrigkeit der Ostverträge von 1970?, DÖV 1971, 361–378; Zur Revision des Grundgesetzes. Die Regelungen über die Auswärtige Gewalt, DÖV 1971, 528–540; Wie souverän ist die Bundesrepublik?, ZRP 1971, 178–189; Bedürfen „politische Verträge“ der Zustimmung des Bundesrates? Kontroverse Menzel – Klein – Menzel, JZ 1971, 745–759; Grenzen auf Hoher See. Der Deutsche Festlandsockel in der Nordsee und die Rechtsordnung für den Meeresgrund der Ozeane, Nordfriesland 5 (1971), 119–137; Grundfragen eines europäischen Sicherheitssystems, in: W. Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, Baden-Baden 1971, 261–331; United Nations and International Law, in: B. Landheer/J.H.M.M. Loenen/F.L. Polak (Hrsg.), Worldsociety. How is an Effective and Desirable World Order Possible? A Symposium, Den Haag 1971, 13–23 Jürgen A.E. Meyer, Die Entstehung und Entwicklung des privilege of freedom from arrest and molestation und des privilege of freedom of speech des englischen Parlaments bis zum Jahre 1688, Hamburg 1971, 274 S. [zugl. Diss. 1970: Böhmert] 1972 Jost Delbrück, Menschenrechte und Grundfreiheiten im Völkerrecht anhand ausgewählter Texte internationaler Verträge und Konventionen, Stuttgart u.a. 1972, 72 S.; Modelle eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems, in: Jahrbuch für Friedens- und Konfliktforschung 2 (1972), 87–101 [auch in: Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996 (siehe unten), 136–152]; In Search of a Lasting System of European Security. Changes and Hazards of some Models of European Security System, in: European Yearbook/Annuaire européen 20 (1972), 70–98; Staats- und völkerrechtliche Probleme der Friedensforschung, in: H. Streiter-Buscher (Hrsg.), Der geplante Frieden, Bergisch-Gladbach 1972, 149–165 Bernt zu Dohna, Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Die Arbeit des UN-Sonderausschusses über die völkerrechtlichen Grundsätze betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten und das geltende Völkerrecht, Berlin 1973, 292 S. [zugl. Diss. 1972: Kewenig] Johannes R. Gascard, Verfahrensfragen zur Zustimmungsbedürftigkeit der Ostverträge, ZRP 1972, 7–9; Der Abschluß völkerrechtlicher Verträge (Dargestellt am Beispiel der Ostverträge), Recht und Gesellschaft 1972, 84–87; Die Berlin-Regelung, Deutschland-Archiv 1972, 1158–1172; (Bearb.), Bibliographie des deutschen Schrifttums (BRD) zum Völkerrecht 1965–1971, Hamburg 1972, XLIV, 414 S. Jürgen Hansen, Die Institution des Ombudsman, Frankfurt a.M. 1972, 188 S. [zugl. Diss. 1971, Manzel] Knut Ipsen, Die rechtliche Institutionalisierung der Verteidigung im atlantisch-westeuropäischen Raum, JöR 21 (1972), 1–53; Sicherheitspolitische und völkerrechtliche Aspekte der biologischen und chemischen Kampfmittel, EA 27 (1972), 589–600 Hans-Gerd Kausch, Grundzüge des Umweltrechts der USA am Beispiel der Luftreinhaltung, Berlin 1972, 134 S. [zugl. Diss. 1972: Menzel] Wilhelm A. Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Band 1: Der Begriff der Diskriminierung, Frankfurt a.M. 1972, 206 S. Eberhard Menzel, Die Ostverträge von 1970 und der „Deutschland“-Begriff des Grundgesetzes, DÖV 1972, 1–13; Die Ostverträge von 1970 und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, ZRP 1972, 35–41; Die ersten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Ostverträgen von 1970, JZ 1972, 501–504; Die These von der „verfassungswidrigen

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Mitwirkung der Bundesregierung“ am Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3.9.1971, NJW 1972, 2249–2253; Die Sozial-Charta der Vereinten Nationen und ihre Bedeutung für die Bundesrepublik, Zeitschrift für Sozialreform 1972, 1–20; Die künftigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, in: DeutschPolnisches Völkerrechtskolloquium, Baden-Baden 1972, 79–88; Konrad Adenauer und Willy Brandt, in: D. Lindlau (Hrsg.), Dieser Mann Brandt… Gedanken über einen Politiker, München 1972, 145–151 Georgios Papadimitriu, Die Stellung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht, Berlin 1972, 121 S. [zugl. Diss. Heidelberg 1971] Rüdiger Pernice, Die Sicherung des Weltfriedens durch regionale Organisationen und die Vereinten Nationen, Hamburg, 1972, 178 S. [= VIIR, Band 68] [zugl. Diss. Marburg 1971] Ondolf Rojahn, Die Ansprüche der lateinamerikanischen Staaten auf Fischereivorrechte jenseits der Zwölfmeilengrenze, Hamburg 1972, 308 S. [zugl. Diss. 1971: Menzel] Reinhold Thode, International Law Commission. Entstehungsgeschichte, Organisation, Arbeitsweise und Tätigkeit, Diss. 1972: Menzel Hans-Jörg Werner, Die Entwicklung der Einheitspartei im Verfassungssystem der Staaten Marokko, Algerien und Tunesien, Diss. 1972: Menzel 1973 Beiträge in JIR 16 (1973): Knut Ipsen, Die Staatsangehörigkeit der Bürger West-Berlins, 266–300. Berichte: Die Vereinten Nationen in der Zeit vom 1.7.1969 bis zum 31.12. 1971, 354–382 (Hans-Jürgen Schmidt); Die EWG in den Jahren 1970 und 1971, 418–435 (HansRachebald Krämer); Die Tätigkeit des Nordischen Rates in den Jahren 1970 und 1971, 436–474 (Knut Ipsen) Knut Ipsen, Biologische und chemische Kampfmittel im Völkerrecht, Habilitationsschrift Kiel 1973, 536 S.; Die „offene Stadt“ und die Schutzzone des Genfer Rechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Beiträge zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts für bewaffnete Konflikte, Hamburg 1973, 149–210; Diskussionsbeitrag zu dem Vorschlag einer „abschreckenden Verteidigung“, in: Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (Hrsg.), Eine andere Verteidigung? Alternativen zur atomaren Abschreckung, München 1973, 98–103 Wilhelm A. Kewenig, The Contribution of International Law to Peace Research, Journal of Peace Research 1973, 227–234; Auf der Suche nach einer Deutschland-Theorie, DÖV 1973, 797–801; Die Bedeutung des Grundvertrages für das Verhältnis der beiden deutschen Staaten, EA 28 (1973), 37–46; Sonderprobleme einer deutschen Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, in: U. Scheuner/B. Lindemann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, München 1973, 307–338 Wilhelm A. Kewenig (Mithrsg.), Festschrift für U. Scheuner, Berlin 1973, 602 S. (mit H. Ehmke, J.H. Kaiser, K.M. Meessen und W. Rüfner). Darin: Wilhelm A. Kewenig, Die Problematik der Bindungswirkung von Entscheidungen des Sicherheitsrates, 259–284 Rainer Lagoni, Die politischen Parteien im Verfassungssystem der Republik Irland, Frankfurt a.M. 1973, 271 S. [zugl. Diss. 1972: Menzel] Siegfried Magiera, Vorwahlen und demokratische Kandidatenaufstellung im modernen Parteienstaat, JöR n.F. 22 (1973), 621–662 Eberhard Menzel, Beiträge in: G. Picht/C. Eisenbart (Hrsg.), Frieden und Völkerrecht, Stuttgart 1973: Das Völkerrecht und die politisch-sozialen Grundstrukturen der modernen Welt, 401–456; Universalismus und Regionalismus in den Vereinten Nationen, ebd., 485–519 Wolfgang Pleines, Homogenität in einer europäischen bundesstaatlichen Verfassung auf Grund der Erfahrungen mit der Homogenität in deutschen Bundesstaaten, Diss. 1973: Rüfner

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Bodo Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, Hamburg 1973, 257 S. [zugl. Diss. 1972: Menzel] Peter Soyke, Die politischen Parteien in den Verfassungssystemen von Argentinien, Brasilien und Chile, Diss. 1973: Kewenig Ulrich Thieme, Rundfunksatelliten und internationales Recht, Hamburg 1973, 117 S. [zugl. Diss. 1973: Menzel] 1974 Beiträge in JIR 17 (1974): Hans-Rachebald Krämer, Das Meistbegünstigungsprinzip und die Entwicklungsländer, 125–144; Uwe Jenisch, Nuclear Tests and Freedom of the Seas, 177–194; Siegfried Magiera, Zur Bezeichnung vorsorglicher Maßnahmen durch den Internationalen Gerichtshof. Verfahrenseffektivität gegen Souveränität, 253–282. Berichte: Die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes in den Jahren 1972 und 1973, 326– 340 (Siegfried Magiera); Die Tätigkeit der International Law Commission in den Jahren 1970 bis 1972, 341–366 (Reinhold Thode); Die Tätigkeit des Europarates in den Jahren 1972 und 1973, 367–382 (Peter Rinio); Die EWG in den Jahren 1972 und 1973 (HansRachebald Krämer), 384–405 Wilhelm A. Kewenig, Deutschlands Rechtslage heute, EA 29 (1974), 71–82; Bundesrat und föderatives System im Lichte der Arbeiten der Enquete-Kommission Verfassungsreform, in: Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, Bad Honnef 1974, 453–378 Hans-Rachebald Krämer, Die Europäische Gemeinschaft, Stuttgart 1974, 200 S.; Changing Principles Governing International Trade, Journal of World Trade Law 8 (1974), 227–238 Karl-Ulrich Meyn, Die französischen Kernwaffenversuche des Jahres 1973 in völkerrechtlicher Sicht, FW 57 (1974), 84–104 Artur Taska, Die Grenzen des Küstenmeeres Estlands, Lund 1974, 156 S. [zugl. Diss. 1952: Böhmert] 1975 Beiträge in JIR 18 (1975): Hans-Joachim Schütz, Zur Rationalität des Zielkatalogs und des Friedenssicherungsinstrumentariums der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), 146–203; Rainer Lagoni, Künstliche Inseln und Anlagen im Meer. Völkerrechtliche Probleme, 241–282; Hans-Rachebald Krämer, Sicherung der Energieversorgung mit Hilfe von Exportbeschränkungen nach deutschem und EWG-Recht, 341–354. Berichte: Die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes im Jahre 1974, 396–412 (Siegfried Magiera); Die Tätigkeit der International Law Commission in den Jahren 1973 bis 1974, 413–433 (Reinhold Thode); Die Tätigkeit des Europarates im Jahre 1974, 434–454 (Peter Rinio); Die EWG im Jahre 1974, JIR 18 (1975), 455–469 (Hans-Rachebald Krämer); Die Tätigkeit des Nordischen Rates im Jahre 1974, 470–486 (Wulf Hermann) Jost Delbrück/Knut Ipsen/Dietrich Rauschning (Hrsg.), Recht im Dienst des Friedens. Festschrift für Eberhard Menzel, Berlin 1975, 660 S. Darin: Wilhelm A. Kewenig, Der Internationale Gerichtshof und die französischen Kernwaffenversuche, 323–348; Hans-Rachebald Krämer, Die Bedeutung der Abkommen von Jaunde und Lomé für die regionale Integration zwischen Entwicklungsländern, 568–579; Siegfried Magiera, Bundesstaat und EG-Finanzordnung. Zur Verteilung der Finanzlast zwischen Bund und Ländern bei der Durchführung von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften, 621–644; GeorgChristoph v. Unruh, Euregio. Programm und Realität einer grenzüberschreitenden Kooperation, 607–620

Kieler Publikationen zum Völkerrecht 1900–1975

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Johann Christoph Jessen, Eigenständige friedliche Streitbeilegung durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Diss. 1975: Kewenig Wilhelm A. Kewenig, Auswärtige Gewalt, in: H.-P. Schwarz (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, München 1975, 37–43; Reden in: Christian-Albrechts-Universität Kiel (Hrsg.), Rektoratsreden 1974/75, Kiel 1975: Freiheit oder Gleichheit? (5–30); Das Grundgesetz als Grenze und Auftrag (31–54); Die Verantwortung der Universität in Staat und Gesellschaft (55–75) Wilhelm A. Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel, Berlin 1975, 262 S. Rainer Lagoni, Einrichtungen des marinen Bergbaus und die Schiffahrtsfreiheit in Nordund Ostsee, in: R. Bernhardt (Hrsg.), Die Schiffahrtsfreiheit im gegenwärtigen Völkerrecht, Heidelberg 1975 [= BDGVR 15 (1975)], 265–283 Karl-Ulrich Meyn, Die Verfassungskonventionalregeln im Verfassungssystem Großbritanniens, Göttingen 1975, 233 S. [zugl. Diss. 1973: Kewenig] Kurt W. Rommel, Religion und Kirche im sozialistischen Staat der DDR, Kiel 1975, 213 S. [zugl. Diss. 1975: Loeber] Hans-Joachim Schütz, Der völkerrechtliche Rahmen zur Bekämpfung von Flugzeugentführungen und anderen Terrorakten gegen die internationale Zivilluftfahrt, in: ÖJZ 1975, 225–239 [englische Fassung in: Law and State 13 (1976), 50–85] Eckart Wehser, Die Durchfahrt durch die interozeanischen Kanäle, in: R. Bernhardt (Hrsg.), Die Schiffahrtsfreiheit im gegenwärtigen Völkerrecht, Heidelberg 1975 [= BDGVR 15 (1975)], 55–78

Abbildungsnachweis Vor S. 5:

Festmahl aus Anlass der Gründung der Christiana Albertina, Kupferstich aus: Alexandro Julio Torquato Frangipani: Inaugurationis Academiae Kiloniae, 1666 (Quelle: http://anno-domini-1665.de/portfolio/feier/)

S. 21:

Samuel Rachel, Kupferstich von Herman Hendrik de Quiter, 1679 Kieler Gelehrtenverzeichnis, http://www.gelehrtenverzeichnis.de)

(Quelle:

S. 51:

Die Kaiserliche Marine-Akademie in Kiel, Zeichnung v on Fritz Stoltenberg, 1888 (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kiel_Marine-Akademie_01.jpg)

S. 73:

Ernennung Walther Schückings zum korrespondierenden Mitglied des Instituts für Internationales Recht, Urkunde vom 10. März 1925 (Quelle: Nachla ss Walther Schücking, Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Nr.34,093)

S. 80-81:

Pläne zum Institut für die Wissenschaft vom Weltverkehr (Quelle: Akten des Instituts für Internationales Recht, A I 1,Tasche)

S. 82:

Pläne für das Seminar für Internationales Recht, 1913 (Quelle: Akten des Instituts für Internationales Recht, A I 1, Tasche)

S. 95:

Walther Schoenborn (Quelle: Fotoarchiv des Instituts für Internationales Recht)

S. 111:

Paul Ritterbusch (Quelle: Fotoarchiv des Instituts für Internationales Recht)

S. 135:

Theodor Niemeyer (Quelle: Kieler Gelehrtenverzeichnis, http://www.gelehrtenverzeichnis.de)

S. 169:

Walther Schücking, Kohlezeichnung von Karl Doerbecker (Bildarchiv Foto Marburg http://www.bildindex.de Aufnahme-Nr. Z 14.767)

S.199:

Hermann v. Mangoldt (Quelle: Fotoarchiv des Instituts für Internationales Recht)

S. 241:

Georg Dahm (Quelle: Georg Dahm. Reden zu seinem Gedächtnis, Kiel 1964, S. 2)

S. 283:

Eberhard Menzel (Quelle: Fotoarchiv des Instituts für Internationales Recht)

S. 365:

Kriegsarchiv des Völkerrechts, Frl. Martens, Gedicht (ohne Titel) (Quelle: Akten des Instituts für Internationales Recht, A 3, 43)

S. 433:

SMS Dresden im Kaiser-Wilhelm-Kanal, um 1909 (Quelle: https://commons. wikimedia.org/wiki/File:SMS_Dresden_Germ an_Cruiser_LOC_16727. jpg)

S. 515:

Albert Hänel, Gemälde von Max Liebermann: Bildnis Geheimrat Prof. Dr. Albert Hänel, 1892, Pastell auf Papier, Kunsthalle Kiel (Quelle: http://www.museen-sh.de/Objekt/DE-MUS-076017/lido/313)

Verzeichnis der Autor*innen Andreas v. Arnauld, Prof. Dr. jur., Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerund Europarecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; geschäftsführender Direktor des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht. Sinthiou Buszewski, Dipl.-Jur.; Rechtsreferendarin am Kammergericht Berlin; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht. Liv Christiansen, cand. jur., Studentische Hilfskraft am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht. Janis Daniel, M.A., Freier Mitarbeiter der Stiftung SPI zur Leitung von Jugendgerichtsprojekten, zuletzt Carlo Schmid Fellow, Transparency International Malaysia, Kuala Lumpur. Charlotte Gaschke, cand. jur., Studentische Hilfskraft am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht. Saskia Hoffmann, cand. jur., Studentische Hilfskraft am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht. Michael Jonas, PD Dr. phil., Professurvertreter, Professur für Neuere Geschichte unter Berücksichtigung Westeuropas, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Wilhelm Knelangen, Dr. rer. pol., Akademischer Oberrat am Institut für Sozialwissenschaften, Fachbereich Politikwissenschaft, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Laura Kresse, M.A., Executive Search and Assessment Professional, Russell Reynolds Associates Hamburg. Rainer Lagoni, Prof. Dr. jur., LL.M. (Columbia); em. Professor für Öffentliches Seerecht, Völkerecht und Staatsrecht der Universität Hamburg; ehem. Direktor des Instituts für Seerecht und Seehandelsrecht der Universität Hamburg. Rudolf Meyer-Pritzl, Prof. Dr. jur., Professor für Bürgerliches Recht, Römisches Recht, Europäische Privatrechtsgeschichte der Neuzeit und Rechtsvergleichung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Direktor des Hermann Kantorowicz-Instituts für juristische Grundlagenforschung. Magnan Johannes Mohr, M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Georg Nolte, Prof. Dr. jur., Professor für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Humboldt-Universität zu Berlin; Assoziiertes Mitglied des Institut de Droit International; Mitglied der International Law Commission; 2013–2017 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht. Nathalie Rücker, M.A., Consultant, Emergency Services, United Nations High Commissioner for Refugees, Genf.

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Verzeichnis der Autor*innen

Wiebke Staff, Dipl.-Jur., LL.M. (Galway), Wissenschaftliche Mitarbeiterin am WaltherSchücking-Institut für Internationales Recht. Angelika Stark, Dipl.-Jur., Rechtsreferendarin am Oberlandesgericht Braunschweig. Jens T. Theilen, LL.B., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht.